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Plenarprotokoll 17/39

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

39. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)


neten Peter Hintze und Manfred Nink . . . . 3721 A (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3741 C
Begrüßung der neuen Abgeordneten Ewa Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3743 B
Klamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3721 B
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/
Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3743 D
nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3721 B
Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3744 B
Zusatztagesordnungspunkt 1: Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
Abgabe einer Regierungserklärung durch die (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3744 D
Bundeskanzlerin: zu den Maßnahmen zum
Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 3745 A
Erhalt der Stabilität der Währungsunion
und zu dem bevorstehenden Sondergipfel
der Euro-Länder am 7. Mai 2010 in Brüssel 3721 B
Tagesordnungspunkt 2:

in Verbindung mit Befragung der Bundesregierung: Rück-


nahme der Erklärung der Bundesrepublik
Deutschland vom 6. März 1992 zum Über-
Tagesordnungspunkt 1: einkommen über die Rechte des Kindes;
weitere Fragen zur Kabinettssitzung . . . . . 3746 C
Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und der FDP eingebrachten Ent- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
wurfs eines Gesetzes zur Übernahme von Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . 3746 C
Gewährleistungen zum Erhalt der für die Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/
Finanzstabilität in der Währungsunion DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3747 B
erforderlichen Zahlungsfähigkeit der Hel-
lenischen Republik (Währungsunion- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Finanzstabilitätsgesetz – WFStG) Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . 3747 C
(Drucksache 17/1544) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3721 B
Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 3747 D
Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . 3721 C
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD) . . . . . . . . 3727 B Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . 3748 A
Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 3731 A Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 3748 C
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 3733 B Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 3736 A Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . 3748 C
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ Katja Dörner (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3739 A DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3748 D
II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Antwort


Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . 3748 D Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin
BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3754 A
Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . . 3749 A
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Zusatzfragen
Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . 3749 C Dr. Barbara Hendricks (SPD) . . . . . . . . . . . . 3754 C
Michaela Noll (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 3749 D
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Mündliche Frage 2
Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . 3750 A Dr. Barbara Hendricks (SPD)
Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3750 B Institutionelle Zusammenlegung der deut-
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, schen technischen und finanziellen Ent-
Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . 3750 D wicklungszusammenarbeit

Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) . . . . . . 3751 A Antwort


Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3755 A
Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . 3751 A
Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 3751 B Zusatzfragen
Dr. Barbara Hendricks (SPD) . . . . . . . . . . . . 3755 B
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Ute Koczy (BÜNDNIS 90/
Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . 3751 B DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3756 B
Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU) . . . . . . . 3751 C Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 3756 C

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . 3751 C Mündliche Frage 3
Frank Heinrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 3751 D Karin Roth (Esslingen) (SPD)
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Beitrag zum Erreichen des Millenniument-
Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . 3752 A wicklungsziels 5
Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ Antwort
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3752 B Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3757 B
Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . 3752 B
Zusatzfragen
Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ Karin Roth (Esslingen) (SPD) . . . . . . . . . . . . 3757 C
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3752 C
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . 3752 C Mündliche Frage 4
Karin Roth (Esslingen) (SPD)
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3753 A Stärkere Berücksichtigung der Problemla-
gen behinderter Menschen in Entwicklungs-
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär
ländern in der Entwicklungszusammenar-
BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3753 A
beit und Unterstützung der Partnerländer
Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 3753 B bei der Integration der Menschen mit
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin Behinderungen
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3753 C Antwort
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin
BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3759 B
Tagesordnungspunkt 3:
Zusatzfragen
Fragestunde
(Drucksache 17/1534) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Roth (Esslingen) (SPD) . . . . . . . . . . . . 3759 C
3753 D

Mündliche Frage 1 Mündliche Frage 5


Dr. Barbara Hendricks (SPD) Burkhard Lischka (SPD)
Unterstützung der Vergabe von Landtiteln Auswirkungen der Kapitalerhöhung bei
an die ländliche Bevölkerung in Kambod- der Weltbank auf den finanziellen Beitrag
scha Deutschlands
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 III

Antwort Antwort
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin
BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3760 D BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3768 D
Zusatzfrage Zusatzfragen
Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 3761 B Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 3768 D

Mündliche Frage 6 Mündliche Frage 15


Burkhard Lischka (SPD) Heike Hänsel (DIE LINKE)
Austarierung des Einflusses zwischen Unterzeichnung des Freihandelsabkom-
Industrie- und Schwellenländern bei der mens mit Kolumbien erst nach Aufklärung
Weltbank der Enthüllungen über das Vorgehen des
kolumbianischen Geheimdienstes DAS ge-
Antwort gen Menschenrechtsorganisationen und
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin EU-Abgeordnete
BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3762 C
Antwort
Zusatzfragen Cornelia Pieper, Staatsministerin
Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 3762 C AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3769 C
Zusatzfragen
Mündliche Fragen 7 und 8 Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 3769 C
Dr. Sascha Raabe (SPD) Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3770 C
Wirkung von gebundener und ungebun- Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 3770 D
dener Budgethilfe des BMZ in den Ent-
wicklungsländern; Konkrete Abstimmung
innerhalb der EU über die Budgetfinanzie- Mündliche Frage 20
rungen Deutschlands, der EU-Partner so- Ute Koczy (BÜNDNIS 90/
wie des Europäischen Entwicklungsfonds DIE GRÜNEN)
Antwort Ziviler Aufbau in den Provinzen Badakh-
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin shan, Kunduz und Baghlan vor Abzug der
BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3763 C Bundeswehr aus Afghanistan
Zusatzfragen Antwort
Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3764 A Cornelia Pieper, Staatsministerin
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3771 A

Mündliche Frage 9 Zusatzfragen


Dr. Bärbel Kofler (SPD) Ute Koczy (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3771 C
Kooperation mit Partnerländern der deut-
schen Entwicklungszusammenarbeit im
Bereich Klima-, Umwelt- und Ressourcen- Mündliche Frage 21
schutz Ute Koczy (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Antwort
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin Kriterien für den Abzug der Bundeswehr
BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3766 D aus Afghanistan
Zusatzfragen Antwort
Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3767 B Cornelia Pieper, Staatsministerin
Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 3768 B AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3772 A
Zusatzfragen
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/
Mündliche Frage 10
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3772 B
Dr. Bärbel Kofler (SPD)
Förderung bilateraler und multilateraler Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3773 C
Projekte im Bereich der erneuerbaren
Energien und Verhalten des BMZ zu
Anfragen von Partnerländern zur Förde-
Anlage 1
rung von Vorhaben im Bereich der Atom-
energie Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 3775 A
IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Anlage 2 Anlage 7
Mündliche Frage 11 Mündliche Frage 18
Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ Katja Keul (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN)
Schutz des Weltkulturerbestatus Speyerer Kriterien für den Abzug der Bundeswehr
Dom aus Afghanistan
Antwort Antwort
Eckart von Klaeden, Staatsminister Cornelia Pieper, Staatsministerin
BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3775 B AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3777 A

Anlage 8
Anlage 3
Mündliche Frage 19
Mündliche Fragen 12 und 13 Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/
Angelika Krüger-Leißner (SPD) DIE GRÜNEN)
Konzept zur Digitalisierung der Kinos Bereitschaft lokaler aufständischer Grup-
Antwort pen in Afghanistan zu Gesprächen für eine
Eckart von Klaeden, Staatsminister politische Lösung des Konflikts
BK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3775 C Antwort
Cornelia Pieper, Staatsministerin
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3777 B
Anlage 4
Mündliche Frage 14 Anlage 9
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE)
Mündliche Frage 22
Teilnahme von Vertretern der Bundes- Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/
regierung an Gedenkveranstaltungen an DIE GRÜNEN)
sowjetischen Gedenkstätten und Kriegs-
gräbern anlässlich des 65. Jahrestages der Orientierung der Kriterien für den schritt-
Befreiung vom Faschismus weisen Abzug der Bundeswehr aus Afgha-
nistan am Abzugsplan der US-Streitkräfte
Antwort
Cornelia Pieper, Staatsministerin Antwort
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3776 A Cornelia Pieper, Staatsministerin
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3777 C

Anlage 5
Anlage 10
Mündliche Frage 16 Mündliche Frage 23
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN)
Voraussetzungen für den schrittweisen Einberufung einer Sudan-Konferenz im
Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan Rahmen der UNO vor dem geplanten Refe-
Antwort rendum über die Unabhängigkeit des
Cornelia Pieper, Staatsministerin Südsudan
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3776 C Antwort
Cornelia Pieper, Staatsministerin
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3778 A
Anlage 6
Mündliche Frage 17
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ Anlage 11
DIE GRÜNEN) Mündliche Frage 24
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/
Etwaige Priorität sicherheitspolitischer
Kriterien für die Einleitung eines schritt- DIE GRÜNEN)
weisen Abzugs der Bundeswehr aus Afgha- Deutscher Beitrag zur Lösung noch stritti-
nistan gegenüber der Erfüllung von Krite- ger Fragen vor dem Referendum über die
rien im Bereich des zivilen Aufbaus Unabhängigkeit des Südsudan
Antwort Antwort
Cornelia Pieper, Staatsministerin Cornelia Pieper, Staatsministerin
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3776 D AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3778 B
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 V

Anlage 12 Anlage 17
Mündliche Frage 25 Mündliche Frage 30
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN)
Beteiligung Taiwans als Beobachter an den Verhalten von Regierungsmitgliedern in
Aktivitäten der Internationalen Zivilluft- der Diskussion um das Verbot von Waffen
fahrt-Organisation (ICAO) in privater Hand
Antwort Antwort
Cornelia Pieper, Staatsministerin Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3778 C BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3780 B

Anlage 13 Anlage 18
Mündliche Frage 26 Mündliche Frage 31
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE)
DIE GRÜNEN)
Beanstandungen bei Kontrollen der Lage-
Einbindung Taiwans in die Mechanismen rung von Waffen in privaten Haushalten
der Klimarahmenkonvention der Verein- seit der letzten Änderung des Waffengeset-
ten Nationen (UNFCCC) zes
Antwort Antwort
Cornelia Pieper, Staatsministerin Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3778 D BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3780 C

Anlage 14 Anlage 19
Mündliche Frage 27 Mündliche Frage 32
Sevim Dağdelen (DIE LINKE)
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE)
Einspruch des zypriotischen Parlaments
Konsequenzen aus dem Widerruf des soge-
gegen die Aufnahme von Handelsbeziehun-
nannten Schweine-Patents für die Neuver-
gen mit dem türkisch besetzten Teil Zypern
handlung des EU-Patentrechts
durch die EU
Antwort Antwort
Cornelia Pieper, Staatsministerin Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3779 A BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3780 C

Anlage 15 Anlage 20

Mündliche Frage 28 Mündliche Frage 33


Martin Dörmann (SPD) Sevim Dağdelen (DIE LINKE)

Bekämpfung kinderpornografischer In- Bewertung des Anbringens von Kruzifixen


halte im Internet sowohl durch Löschen als in staatlichen Schulen als Verstoß gegen die
auch Sperren entsprechender Seiten Religionsfreiheit
Antwort Antwort
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär
BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3779 C BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3780 D

Anlage 16 Anlage 21
Mündliche Frage 29 Mündliche Frage 34
Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ Martin Dörmann (SPD)
DIE GRÜNEN) Vorschläge der EU-Kommission zur Be-
Verhinderung der Abschiebung von Roma kämpfung kinderpornografischer Inhalte
in den Kosovo im Internet
Antwort Antwort
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär
BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3779 D BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3781 A
VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Anlage 22 Antwort
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
Mündliche Fragen 35 und 36
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3782 C
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Befürwortung einer europaweiten Einfüh- Anlage 27
rung von Internetsperren zur Bekämp-
fung der Kinderpornografie, insbesondere Mündliche Frage 42
im Rahmen eines entsprechenden EU- Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/
Richtlinienentwurfs DIE GRÜNEN)
Antwort Aufhebung der Haushaltssperre für das
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär Marktanreizprogramm bzw. Alternativen
BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3781 B zur weiteren Förderung des erneuerbaren
Wärmemarktes
Anlage 23 Antwort
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 37 BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3782 D
Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Einführung von Internetsperren für die Anlage 28
Bekämpfung der Kinderpornografie im In-
ternet Mündliche Fragen 43 und 44
Lisa Paus (BÜNDNIS 90/
Antwort DIE GRÜNEN)
Dr. Max Stadler, Parl. Staatssekretär
BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3781 D Beteiligung der Banken an der Finanzie-
rung der Hilfen für Griechenland durch
die Einführung einer Finanzumsatzsteuer
Anlage 24
Antwort
Mündliche Fragen 38 und 39 Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3783 A
DIE GRÜNEN)
Übergabe des Truppenübungsplatzes Witt-
stock an die Bundesanstalt für Immobilien- Anlage 29
aufgaben sowie Verfügbarkeit für die zivile
Nutzung Mündliche Frage 45
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/
Antwort DIE GRÜNEN)
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3782 A Berücksichtigung von anderen Faktoren
als wirtschaftliche Fundamentaldaten bei
der Herabstufung von Portugal und Spa-
Anlage 25 nien durch Ratingagenturen
Mündliche Frage 40 Antwort
Fritz Rudolf Körper (SPD) Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
Vorschläge zur Aufspaltung der Kirchen- BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3783 B
steuer in ein Beitrags- und ein Spendenele-
ment zur Einschränkung des Steuerabzugs
Antwort Anlage 30
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 46
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3782 B
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Anlage 26 Differenz zwischen dem Anteil Deutsch-
Mündliche Frage 41 lands an der Wertschöpfung der Euro-
Kirsten Lühmann (SPD) Zone und dem anteiligen Abschreibungs-
bedarf der Banken
Steuerrückzahlungen infolge der Zustim-
mung der EU zu den Regelungen der Be- Antwort
steuerung von Rapsöl im Wachstums- Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
beschleunigungsgesetz BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3783 C
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 VII

Anlage 31 Anlage 36
Mündliche Frage 47 Mündliche Frage 53
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE)
Verhandlungen mit deutschen Banken Steuermehreinnahmen durch Anwendung
über einen Beitrag zum Rettungspaket für des Progressionsvorbehalts bei Kurzarbei-
Griechenland tergeld 2009 und 2010 infolge der Verlän-
Antwort gerung der Bezugsfrist
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär Antwort
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3783 D Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3785 C
Anlage 32
Mündliche Frage 48 Anlage 37
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) Mündliche Frage 54
Schlussfolgerungen aus der Griechenland- Dr. Martina Bunge (DIE LINKE)
krise für die Regulierung der Finanz- Übernahme sämtlicher Unternehmen auf
märkte und deren Umsetzung
die Liste der akkreditierten Stellen bei der
Antwort Deutschen Akkreditierungsstelle ohne vor-
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär herige Überprüfung
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3784 A
Antwort
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
Anlage 33 BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3785 D

Mündliche Frage 49
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ Anlage 38
DIE GRÜNEN)
Mündliche Fragen 55 und 56
Maßnahmen der Bundesregierung zum Dr. Eva Högl (SPD)
Unterbinden von Spekulationsgeschäften
deutscher Banken zulasten von Griechen- Nationale Ziele im Rahmen der neuen Stra-
land, Portugal, Spanien und Italien tegie für Wachstum und Beschäftigung;
Einbeziehung der Sozialpartner und der
Antwort Zivilgesellschaft sowie Unterrichtung des
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär Deutschen Bundestages
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3784 B
Antwort
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
Anlage 34 BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3786 B
Mündliche Fragen 50 und 51
Siegmund Ehrmann (SPD)
Anlage 39
Berücksichtigung der Interessen der Kul-
tur, der Kulturschaffenden und der Kultur- Mündliche Fragen 57 und 58
einrichtungen in der Zusammensetzung Andrea Nahles (SPD)
der Gemeindefinanzkommission und ihren Ausbau des barrierefreien Tourismus und
inhaltlichen Beratungen Gewinnung kleiner und mittlerer Unter-
Antwort nehmen für den Seniorentourismus
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär Antwort
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3784 C Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3786 D
Anlage 35
Mündliche Frage 52 Anlage 40
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Mündliche Frage 59
Veröffentlichung von vier Nichtanwen- Heinz Paula (SPD)
dungserlassen durch das BMF
Konzeptionelle Gespräche mit den Län-
Antwort dern und der Tourismuswirtschaft über die
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär zu erwartenden Touristenströme in der
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3785 B Sommerferienzeit
VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Antwort Forderungen deutscher Rüstungsunter-


Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär nehmen gegenüber Griechenland und Ab-
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3787 C sicherung früherer Exportlieferungen
durch Kredite und staatliche Bürgschaften
sowie Einfluss der Bundesregierung auf die
Anlage 41 Entscheidung zu neuen U-Boot-Lieferun-
gen
Mündliche Fragen 60 und 61
Gabriele Hiller-Ohm (SPD) Antwort
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
Derzeit finanzierte sowie geplante Projekte
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3788 D
zur Förderung der Leistungssteigerung im
Tourismusgewerbe und Ergebnisse der
Ressortabstimmung
Anlage 46
Antwort
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär Mündliche Frage 67
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3787 D Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Szenarien des Energiekonzepts
Anlage 42
Antwort
Mündliche Frage 62 Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
Garrelt Duin (SPD) BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3789 A
Anzahl und Ergebnisse der seit März 2010
vom Kreditmediator Hans-Joachim
Metternich begleiteten Verfahren Anlage 47
Antwort Mündliche Frage 68
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär Hilde Mattheis (SPD)
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3788 A
Fehlende Weitergabe von Steuer- und
Sozialversicherungsbeitragssenkungen an
Anlage 43 Beschäftigte in Altersteilzeit durch den Ver-
zicht auf eine neue Mindestnettobetrags-
Mündliche Frage 63 tabelle
Garrelt Duin (SPD)
Antwort
Berechnungen des Sachverständigenrates Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär
und der Bundesregierung über den Beitrag BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3789 B
des Wachstumsbeschleunigungsgesetzes
zur Wirtschaftsleistung Deutschlands
Antwort Anlage 48
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 69
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3788 B
Hilde Mattheis (SPD)
Verbleib des Differenzbetrags zwischen der
Anlage 44 früheren und der ab 1. Januar 2010 gelten-
Mündliche Frage 64 den Lohnsteuer beim Arbeitgeber durch
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ die fehlende Anpassung der Mindestnetto-
DIE GRÜNEN) betragstabelle an die neue Rechtslage

Inhalt des Zwischenberichts zu den Ener- Antwort


gieszenarien Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3789 C
Antwort
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3788 C Anlage 49
Mündliche Fragen 70 und 71
Anlage 45 Jutta Krellmann (DIE LINKE)
Mündliche Fragen 65 und 66 Sicherstellung der Zusätzlichkeit der Tä-
Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ tigkeiten sowie der Finanzierung in den
DIE GRÜNEN) Plänen zur Bürgerarbeit
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 IX

Antwort Gewährleistung der Kriegsgräberfürsorge


Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär gemäß dem Abkommen zwischen Deutsch-
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3789 D land und der Russischen Föderation vom
Dezember 1992
Antwort
Anlage 50
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär
Mündliche Fragen 72 und 73 BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3792 A
Sabine Zimmermann (DIE LINKE)
Ausgestaltung der geplanten Bürgerarbeit Anlage 55
hinsichtlich des Bruttoeinkommens eines
Singles ohne Kind, der Anzahl der einzu- Mündliche Frage 80
richtenden Stellen sowie der Finanzierung Caren Marks (SPD)
Antwort Geplante Veranstaltungen im Jahr 2010
Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär zum Erfahrungsaustausch über familien-
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3790 B politische Maßnahmen zwischen der Bun-
desregierung und anderen EU-Staaten
Antwort
Anlage 51
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär
Mündliche Fragen 74 und 75 BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3792 C
Werner Dreibus (DIE LINKE)
Finanzierung von Bürgerarbeit Anlage 56
Antwort Mündliche Frage 81
Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär Caren Marks (SPD)
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3791 A
Konkretisierung der geplanten Einsparun-
gen im Einzelplan 17
Anlage 52
Antwort
Mündliche Fragen 76 und 77 Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär
Günter Gloser (SPD) BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3793 A
Schutz des Roten Thunfisches, des Dorn-
und Heringshais sowie der Roten Koralle Anlage 57
im Rahmen der neuen europäischen
Fischereipolitik und der Union für das Mit- Mündliche Frage 82
telmeer Dr. Marlies Volkmer (SPD)
Antwort Ziele der Studie zur Sicherheit der Aufbe-
Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär reitung von Einmalprodukten
BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3791 B
Antwort
Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin
Anlage 53 BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3793 B

Mündliche Frage 78
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ Anlage 58
DIE GRÜNEN)
Mündliche Fragen 83 und 84
Hinweise auf thermobarische Sprengköpfe Kathrin Vogler (DIE LINKE)
in den Händen von Taliban-Gruppierun-
gen Gesetzliche Neuregelungen infolge der
Festlegungen der Gesellschafterversamm-
Antwort lung der Gesellschaft für Telematikanwen-
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär dungen der Gesundheitskarte mbH zur
BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3792 A Zukunft der elektronischen Gesundheits-
karte; Einsparpotenzial bei Umsetzung der
Festlegungen
Anlage 54
Antwort
Mündliche Frage 79 Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3793 D
X Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Anlage 59 verbundene Kosten für den Bund; Presse-


artikel zu Hinweisen auf Betrugsverdacht
Mündliche Fragen 85 und 86 und mangelnder Überprüfung durch Lan-
Steffen-Claudio Lemme (SPD) desbehörden
Personenkreis ohne gesundheitlichen Ver- Antwort
sicherungsschutz sowie gesetzlich Versi- Jan Mücke, Parl. Staatssekretär
cherte mit ruhendem Versicherungsver- BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3795 B
hältnis aufgrund säumiger Beiträge
Antwort
Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin Anlage 64
BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3794 A
Mündliche Frage 92
Hans-Joachim Hacker (SPD)
Anlage 60 Zulassung des kontrollierten Sichtflugs auf
Mündliche Frage 87 Antrag der Airlines ohne ausreichende
Kathrin Senger-Schäfer (DIE LINKE) Messwerte am 19. April 2010

Geplante Ausnahmeregelungen für die Antwort


Kopfpauschale bei Rentnerinnen und Jan Mücke, Parl. Staatssekretär
Rentnern BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3795 C
Antwort
Annette Widmann-Mauz, Parl. Staatssekretärin Anlage 65
BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3794 D
Mündliche Frage 93
Hans-Joachim Hacker (SPD)
Anlage 61
Schaffung stabiler Informationsstrukturen
Mündliche Frage 88 für Flugpassagiere als Folge der Sperrung
Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ des Luftraums aufgrund der Vulkanasche
DIE GRÜNEN)
Antwort
Regelmäßige Genehmigung von Massen- Jan Mücke, Parl. Staatssekretär
tierhaltungsanlagen als privilegierte An- BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3795 D
lage im Außenbereich nach § 35 Abs. 1
Nr. 4 des Baugesetzbuchs
Antwort Anlage 66
Jan Mücke, Parl. Staatssekretär
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Frage 94
3795 A
Kirsten Lühmann (SPD)
Bei Testflügen entstandene Schäden an ei-
Anlage 62 nem Nato-Kampfjet in der Zeit der Sper-
rung des Luftraums infolge der Vulkan-
Mündliche Frage 89
asche
Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Antwort
Schutz des Weltkulturerbestatus Speyerer Jan Mücke, Parl. Staatssekretär
Dom beim Ausbau des Flughafens Speyer BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3796 A

Antwort
Jan Mücke, Parl. Staatssekretär Anlage 67
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3795 A
Mündliche Frage 95
Michael Groß (SPD)
Anlage 63
Krisenpläne für den Flugverkehr im Fall
Mündliche Fragen 90 und 91 weiterer Vulkanausbrüche mit Aschewol-
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ kenbildung
DIE GRÜNEN)
Antwort
Ursachen für die Baumängel an der Bun- Jan Mücke, Parl. Staatssekretär
desstraße 6n in Sachsen-Anhalt und damit BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3796 B
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 XI

Anlage 68 Initiator und rechtliche Grundlage für die


vorzeitige Öffnung des aufgrund der Vul-
Mündliche Frage 96
kanasche gesperrten Luftraums
Michael Groß (SPD)
Den Bundesminister Dr. Peter Ramsauer Antwort
beratende Institutionen in der Zeit der Jan Mücke, Parl. Staatssekretär
Luftraumsperrung infolge der Vulkan- BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3797 C
asche sowie durchgeführte Messungen vor
dem Flug der „Falcon 20E“
Anlage 73
Antwort
Jan Mücke, Parl. Staatssekretär Mündliche Fragen 101 und 102
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3796 C Ute Kumpf (SPD)
Kriterien für die Einstufung des Luft-
raums als sicher während der Sperrung in-
Anlage 69 folge der Vulkanasche sowie Gründe für
Mündliche Frage 97 die genehmigten Flüge im kontrollierten
Ulrike Gottschalck (SPD) Sichtflug
Einrichtung einer Task Force durch den Antwort
Bundesminister Rainer Brüderle zum Jan Mücke, Parl. Staatssekretär
Umgang mit der Einstellung des Luftver- BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3797 D
kehrs aufgrund der Vulkanasche und Ein-
beziehung des Bundesministers Dr. Peter
Ramsauer Anlage 74
Antwort Mündliche Fragen 103 und 104
Jan Mücke, Parl. Staatssekretär Florian Pronold (SPD)
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3796 D
Fehlende Einrichtung eines zentralen Kri-
senstabs beim BMVBS während der
Anlage 70 Sperrung des Luftraums aufgrund der Vul-
kanasche sowie Einbindung der Bundes-
Mündliche Frage 98 länder in das Krisenmanagement
Ulrike Gottschalck (SPD)
Antwort
Staatliche Unterstützung bzw. Entschädi- Jan Mücke, Parl. Staatssekretär
gung der Luftverkehrsbranche infolge des BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3798 B
gesperrten Luftraums aufgrund der Vul-
kanasche vor dem Hintergrund unter-
schiedlicher Äußerungen der Bundesminis- Anlage 75
ter Rainer Brüderle und Dr. Peter
Ramsauer Mündliche Fragen 105 und 106
Antwort Uwe Beckmeyer (SPD)
Jan Mücke, Parl. Staatssekretär Zeitpunkt der Information von Bundes-
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3797 A minister Dr. Peter Ramsauer und der Bun-
deskanzlerin über die drohende Sperrung
des Luftraums aufgrund der Vulkanasche;
Anlage 71 durch die Bundesregierung entsprechend
Mündliche Frage 99 eingesetzte Krisenstäbe
Sören Bartol (SPD) Antwort
Information der Flughäfen über die stun- Jan Mücke, Parl. Staatssekretär
denweise Öffnung des Luftraums am BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3798 D
Abend des 18. April 2010 sowie Gründe für
die geringe Nutzung durch die Airlines
Anlage 76
Antwort
Jan Mücke, Parl. Staatssekretär Mündliche Frage 107
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3797 B Martin Burkert (SPD)
Beteiligung von Bundesminister Ramsauer
an der Telefon- und Videokonferenz der
Anlage 72
europäischen Verkehrsminister am 19. April
Mündliche Frage 100 2010 zu den Auswirkungen der Vulkanasche
Sören Bartol (SPD) auf die Flugsicherheit über Europa
XII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Antwort Menge des zusätzlichen radioaktiven In-


Jan Mücke, Parl. Staatssekretär ventars bei Laufzeitverlängerung sämtli-
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3799 B cher in Betrieb befindlicher Atomkraft-
werke um 10, 20 bzw. 28 Jahre

Anlage 77 Antwort
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin
Mündliche Frage 108 BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3800 C
Martin Burkert (SPD)
Mögliche Beantragung von Sondergeneh-
migungen für Flüge im kontrollierten Anlage 82
Sichtflugverfahren vor dem 19. April 2010 Mündliche Frage 113
Antwort Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/
Jan Mücke, Parl. Staatssekretär DIE GRÜNEN)
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3799 C Etwaige Neuverpackung des in Ahaus zwi-
schengelagerten Atommülls für den Wei-
tertransport ins Endlager
Anlage 78
Mündliche Frage 109 Antwort
Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/ Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin
DIE GRÜNEN) BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3800 D

Umsetzung der angekündigten Anhebung


des CO2-Reduktionsziels in der EU auf Anlage 83
30 Prozent
Mündliche Frage 114
Antwort Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin DIE GRÜNEN)
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3799 D
Berechnung der Kosten der Atomkraft für
die Energieszenarien der Bundesregierung
Anlage 79
Antwort
Mündliche Frage 110 Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin
Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/ BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3801 A
DIE GRÜNEN)
Einfluss des Petersburger Dialogs auf die
anstehenden Klimaverhandlungen und Anlage 84
Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen Mündliche Frage 115
in den Entwicklungsländern Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
Antwort DIE GRÜNEN)
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin Erhöhung des EU-Ziels zur Emissions-
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3800 A reduzierung bis 2020 von 20 auf 30 Prozent
und Unterstützung durch die Bundesregie-
rung
Anlage 80
Antwort
Mündliche Frage 111
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin
Heike Hänsel (DIE LINKE)
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3801 B
Fehlen von Vertretern der Bundesregie-
rung beim alternativen Klimagipfel der
Völker im bolivianischen Cochabamba Anlage 85
Antwort Mündliche Frage 116
Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin Dr. Martina Bunge (DIE LINKE)
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3800 B
Verstärkung der Forschung zu Diagnostik
und Therapie von seltenen oder Waisen-
Anlage 81 krankheiten
Mündliche Frage 112 Antwort
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär
DIE GRÜNEN) BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3801 B
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 XIII

Anlage 86 Anlage 89
Mündliche Frage 117 Mündliche Frage 120
Heinz Paula (SPD) Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Initiativen zur Entzerrung der Sommer-
ferienzeiten Soll-Kriterien bei der Vergabe von Stipen-
dien laut Entwurf des Stipendienpro-
Antwort gramm-Gesetzes und Stellenwert einzelner
Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär Auswahlkriterien
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3801 D
Antwort
Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär
Anlage 87 BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3802 C

Mündliche Frage 118


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ Anlage 90
DIE GRÜNEN)
Mündliche Frage 121
Pläne für die Organisation des nationalen Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/
Stipendienprogramms ausschließlich durch DIE GRÜNEN)
die Hochschulen Berechnung der den Hochschulen beim
Antwort nationalen Stipendienprogramm entste-
Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär henden Kosten sowie erwartete Steuermin-
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3802 A dereinnahmen gemäß Entwurf des Stipen-
dienprogramm-Gesetzes
Antwort
Anlage 88 Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 119 BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3802 D
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN)
Anlage 91
Verlust des Stipendiums bei Studienort-
Mündliche Frage 122
wechsel im Inland laut Entwurf des Stipen-
Nicole Gohlke (DIE LINKE)
dienprogramm-Gesetzes sowie Möglichkei-
ten einer Mitnahme des Stipendiums ins Finanzierung des nationalen Stipendien-
Ausland programms
Antwort Antwort
Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3802 B BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3803 A
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3721

(A) (C)

Redetext

39. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Beginn: 8.30 Uhr

Präsident Dr. Norbert Lammert: Überweisungsvorschlag:


Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Haushaltsausschuss (f)
Innenausschuss
Sitzung ist eröffnet. Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Der Kollege Peter Hintze hat ebenso wie der Kollege Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Manfred Nink vor wenigen Tagen seinen 60. Geburts- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
tag begangen. Im Namen des ganzen Hauses gratuliere
ich dazu auch auf diesem Wege herzlich und wünsche al- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
les Gute. die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung eineinhalb Stunden vorgesehen. – Auch hierzu höre
(Beifall) ich keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Die Kollegin Astrid Grotelüschen hat am 27. April Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
2010 auf ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel.
(B) verzichtet. Als Nachfolgerin begrüße ich herzlich die (D)
Kollegin Ewa Klamt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall)
Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin:
Herzlich willkommen! Auf eine gute Zusammenarbeit!
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Interfraktionell ist vereinbart worden, die heutige Ta- Meine Damen und Herren! Die Bundesregierung hat am
gesordnung um eine Regierungserklärung der Bundes- Montag vor dem Hintergrund der durch Griechenland
kanzlerin zu erweitern, die jetzt gleich zusammen mit ausgelösten Krise ein Gesetz zur Stabilisierung der
der ersten Lesung des Entwurfs des Währungsunion-Fi- Währungsunion in Europa beschlossen. Die Grund-
nanzstabilitätsgesetzes aufgerufen werden soll. Sind Sie lage für dieses Gesetz ist eine Ultima Ratio, also eine
damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. Notsituation. Die Notsituation besteht darin, dass Grie-
Dann ist das so beschlossen. chenland faktisch keinen Zugang zu den Finanzmärkten
mehr hat. Daraus wären Auswirkungen auf die Stabilität
Ich rufe also den Zusatzpunkt 1 sowie den Tagesord-
des Euro insgesamt entstanden. Das Vorliegen dieser
nungspunkt 1 auf:
Notsituation wurde durch die Europäische Zentralbank,
ZP 1 Abgabe einer Regierungserklärung durch die die Europäische Kommission und den Internationalen
Bundeskanzlerin Währungsfonds festgestellt. Dieser Notsituation soll mit
einem Programm von IWF, EU-Kommission und EZB
zu den Maßnahmen zum Erhalt der Stabilität begegnet werden.
der Währungsunion und zu dem bevorstehen-
den Sondergipfel der Euro-Länder am 7. Mai Das Programm hat eine Laufzeit von drei Jahren, wie
2010 in Brüssel alle Programme des Internationalen Währungsfonds. Es
hat einen Umfang von insgesamt 110 Milliarden Euro.
1 Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
Der Internationale Währungsfonds wird davon 30 Mil-
CSU und der FDP eingebrachten Entwurfs eines
liarden Euro übernehmen. Die Euro-Zone übernimmt
Gesetzes zur Übernahme von Gewährleistun-
80 Milliarden Euro; der deutsche Anteil daran beträgt
gen zum Erhalt der für die Finanzstabilität in
28 Prozent, das bedeutet rund 22,4 Milliarden Euro in
der Währungsunion erforderlichen Zahlungs-
drei Jahren. Davon werden im ersten Jahr 8,4 Milliarden
fähigkeit der Hellenischen Republik (Wäh-
Euro anfallen, in den Jahren 2011 und 2012 zusammen
rungsunion-Finanzstabilitätsgesetz – WFStG)
insgesamt 14 Milliarden Euro. Das Programm ist so ge-
– Drucksache 17/1544 – staltet, dass Kredite gegeben werden. In Deutschland
3722 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) geschieht das durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau. gierungserklärung vor dem letzten EU-Rat der Staats- (C)
Für diese Kredite bürgt der Bund und damit in letzter und Regierungschefs, gesagt habe:
Konsequenz der Steuerzahler, also wir alle.
Ein guter Europäer ist nicht unbedingt der, der
Das sind die nackten Zahlen, Daten, Fakten des Ihnen schnell hilft. Ein guter Europäer ist der, der die eu-
heute in erster Lesung vorliegenden Gesetzentwurfes. ropäischen Verträge und das jeweilige nationale
Diese nackten Zahlen, Daten, Fakten vermögen nicht Recht achtet und so hilft, dass die Stabilität der Eu-
einmal im Ansatz deutlich zu machen, wozu wir heute rozone keinen Schaden nimmt.
hier zusammengekommen sind. Wir sind heute hier zu-
sammengekommen, weil wir in erster Lesung über ein (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wi-
Gesetz entscheiden müssen, das eine enorme Tragweite derspruch bei Abgeordneten der SPD und des
hat. Es ist – das kann nicht klar genug formuliert werden – BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
von enormer Tragweite für Deutschland und für Europa.
Warnungen, Skepsis und Zweifel, ob es richtig war,
Die Überschrift dessen, was wir beraten – „Maßnah- Griechenland den Zugang zur Euro-Zone zu gewähren,
men zum Erhalt der Stabilität der Währungsunion“ –, hat es im Jahr der Entscheidung, also im Jahr 2000, zu-
bringt diese Tragweite unzureichend zum Ausdruck. hauf gegeben. Es wurde auf die schlechte Wettbewerbs-
Worum es tatsächlich geht, wenn wir in diesem Hause fähigkeit Griechenlands hingewiesen, auf eine Überfor-
über Maßnahmen zum Erhalt der Stabilität der Wäh- derung des Landes insgesamt, unter dem Dach der
rungsunion beraten, müssen wir unmissverständlich einheitlichen Währung die notwendigen Anpassungen
beim Namen nennen: Es geht um nicht mehr und nicht zu vollziehen. Dennoch muss im Jahr 2000 bereits früh-
weniger als um die Zukunft Europas und damit um die zeitig eine vor allem politische Vorentscheidung zuguns-
Zukunft Deutschlands in Europa. ten des Beitritts Griechenlands zur Euro-Zone gefallen
sein.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Das erlegt uns allen, die wir im Deutschen Bundestag Damit kein Missverständnis entsteht: Ich erwähne
unser Volk vertreten, sei es in der Regierung, sei es in dies nicht, um in irgendeiner Form in eine Diskussion
der Opposition, eine außerordentlich große Verantwor- über Schuldzuweisungen und Verantwortung einzutre-
tung auf. Selten gibt es solche Situationen. Selten gibt es ten.
Situationen, in denen, erstens, ohne historisches Vorbild, (Widerspruch bei der SPD und dem BÜND-
zweitens, mit unmittelbarer Wirkung für den Augenblick NIS 90/DIE GRÜNEN – Joachim Poß [SPD]:
und, drittens, mit weitreichender Wirkung für die Zu- Wer denkt denn daran?)
(B) kunft unseres Landes und Europas entschieden werden (D)
muss. Heute ist ein solcher Tag. Niemand kann uns, den Ich erwähne dies nicht, um in eine Diskussion einzutre-
gewählten Vertreterinnen und Vertretern unseres Volkes, ten, die sich hinsichtlich der damaligen Entscheidung
diese Verantwortung abnehmen. etwa an die Adresse der damaligen rot-grünen Regierung
Noch klarer wird die uns auferlegte Verantwortung, richten könnte.
wenn wir uns vor Augen führen: Europa schaut heute auf (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wi-
Deutschland. Ohne uns, gegen uns kann und wird es derspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
keine Entscheidung geben. Ohne uns, gegen uns kann DIE GRÜNEN – Joachim Poß [SPD]: Nein,
und wird es keine Entscheidung geben, die ökonomisch überhaupt nicht! – Thomas Oppermann [SPD]:
tragfähig ist und den rechtlichen Anforderungen sowohl Sie müssen in großer Not sein, wenn Sie so
mit Blick auf europäisches Recht als auch mit Blick auf was anführen!)
nationales Recht in vollem Umfang Genüge tut.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich führe eine solche
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Madame No!)
Diskussion nicht, weil sie, erstens, rückwärts gewandt
In einem Wort: Mit uns, mit Deutschland, kann und wird wäre. Zweitens wäre sie völlig unergiebig; denn sie
es eine Entscheidung geben, die der politisch-histori- würde uns in keiner Weise von den Fakten befreien, mit
schen Dimension der Situation insgesamt Rechnung denen die heutige Regierung und die heutigen Abgeord-
trägt. neten des Deutschen Bundestages umzugehen haben. Ich
erwähne diese Warnungen, diese Skepsis und die Zwei-
(Thomas Oppermann [SPD]: Das hörte sich fel aus einem anderen Grund. Ich erwähne sie, weil das
vor zwei Wochen noch anders an! – Gegenruf hilft, dass wir uns über den Ernst der Lage keinerlei Illu-
des Abg. Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] sionen mehr machen, dass wir uns dem Ernst der Lage
[CDU/CSU]: Sie müssen besser zuhören!) stellen.
Ich bin fest überzeugt, dass Deutschland dieser Verant- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
wortung gerecht wird. Joachim Poß [SPD]: Das wissen wir schon
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) länger, Frau Bundeskanzlerin! – Hubertus Heil
[Peine] [SPD]: Unglaublich!)
Meine Damen und Herren, gestatten Sie mir heute, ei-
nen Satz zu wiederholen, den ich in meiner Regierungs- Dies kann in einem Satz zusammengefasst werden: Eu-
erklärung am 25. März dieses Jahres, also in meiner Re- ropa steht am Scheideweg.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3723
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
(A) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Geschichtsklit- (C)
Vor sechs Wochen auch schon! Das ist un- terung!)
glaublich!)
Ein guter Europäer ist vielmehr der, der die europäischen
Mit Europa stehen alle 27 Mitgliedstaaten der Euro- Verträge und das jeweilige nationale Recht achtet und so
päischen Union und die 16 Mitgliedstaaten der Euro- dazu beiträgt, dass die Stabilität der Euro-Zone und der
Gruppe am Scheideweg. Europa muss entscheiden, ob es ganzen Europäischen Union keinen Schaden nimmt.
den Weg der Vergangenheit fortsetzen will. Dieser Weg
bestand zu oft darin, dass Probleme selten direkt beim (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Namen genannt wurden, Joachim Poß [SPD]: Jetzt kommt die Merkel-
Legende: Ich war die Beste! Ich habe alles
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: richtig gemacht!)
Dafür, Probleme beim Namen zu nennen, sind
Sie ja bekannt!) So, aber auch nur so kann es uns gelingen, den Kreis-
lauf sich immer schneller und immer höher auftürmen-
dass sie in der Folge nicht konsequent genug angegan- der Probleme zu durchbrechen. So beenden wir das Le-
gen wurden, dass zu oft gehofft wurde, es werde sich ben von der Substanz und über die Verhältnisse. So
schon alles regeln und irgendwie gut gehen. dienen wir dem Wohl Europas und Deutschlands.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
NEN]: Aha!)
Auf dieser Grundlage hat die Bundesregierung in den
Gut gemeint war nicht immer gut gemacht. Verhandlungen mit Europa auf allen politischen Ebenen
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) von Beginn an wieder und wieder deutlich gemacht,

Europa muss sich entscheiden, ob es diesen Weg fort- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
setzen will, „Wir warten ab“, das ist das, was Sie deutlich
gemacht haben!)
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Sie müssen sich entscheiden!) dass wir Hilfen an Griechenland nur in strikter Überein-
stimmung mit dem europäischen Recht und dem deut-
dazu noch unter den Bedingungen der Globalisierung schen Verfassungsrecht, das heißt, nur unter folgenden
des 21. Jahrhunderts, oder ob es erkennt, dass auch für vier Voraussetzungen leisten werden und leisten kön-
die Union der 27 Mitgliedstaaten ein Zeitpunkt gekom- nen:
(B) men ist, an dem sie ihre Kräfte vielleicht überschätzen (D)
könnte, an dem sie von ihrer Substanz und über ihre Ver- Erste Voraussetzung. Der Schlüssel zur Lösung der
hältnisse lebt, an dem sie von Fehlentscheidungen der Krise liegt in Griechenland. Wir haben darauf bestanden,
Vergangenheit eingeholt wird, dass Griechenland sich zu einer umfassenden Eigenan-
strengung verpflichtet. Eine Konsolidierung ohne maxi-
(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS- male Selbsthilfe Griechenlands hätte im Widerspruch zu
SES 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Trittin den bei uns durch die Rechtsprechung des Bundesverfas-
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihre Fehlent- sungsgerichts und die europäischen Verträge abgesicher-
scheidungen!) ten Prinzipien der Stabilitätsgemeinschaft gestanden. So
die sich nicht mehr verdecken lassen, sondern im Gegen- etwas war mit mir nicht zu machen. Das hat die Bundes-
teil nur noch behoben werden können durch ein konse- regierung, ganz gleich, wie stark der Druck in Europa
quentes Aufdecken, durch eine schonungslose Analyse und Deutschland auch immer war, von Beginn an strikt
der Lage und eine daraus folgende Therapie. abgelehnt.

(Joachim Poß [SPD]: Jetzt bin ich mal ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
spannt!) Seit Sonntag liegen der Bundesregierung die Einzel-
Ich bin der Überzeugung: Dieser Zeitpunkt ist spätestens heiten der geplanten Vereinbarung zwischen dem Inter-
jetzt gekommen. nationalen Währungsfonds, den 15 Mitgliedstaaten und
Griechenland vor.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La-
chen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Pech
wie bei Abgeordneten der SPD – Jürgen Trittin gehabt, was?)
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der war schon
vor sechs Wochen da! – Joachim Poß [SPD]: Aus dieser Vereinbarung wird deutlich: Griechenland
Das wollten wir vor drei Wochen hören!) verpflichtet sich zu einer umfassenden, zu einer maxi-
malen Eigenanstrengung. Das Land muss alles tun und
Die Bundesregierung hat sich deshalb für den zweiten tut alles, um seine exorbitante Staatsverschuldung ab-
Weg entschieden. Sie hat sich für den zweiten Weg ent- zubauen. Die Vereinbarung sieht einschneidende Maß-
schlossen, weil sie überzeugt ist: Ein guter Europäer ist nahmen vor. Das Programm ist ehrgeizig. Es soll die
nicht unbedingt der, der schnell hilft und damit vielleicht Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands erhöhen, damit das
nur den Anschein erweckt, als ob er das Problem lösen Land seine Verschuldung aus eigener Kraft abbauen
würde. kann. Nur so lässt sich das Vertrauen der Kapitalmärkte
3724 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) wiedergewinnen. Dieses Programm erfüllt deshalb un- und nachfolgende Generationen, wie heute uns, eines (C)
sere erste Voraussetzung. Tages einholt, meine Damen und Herren.
(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Joachim Poß [SPD]: Sie haben die Spekulation
Ich füge hinzu: Ich traue meinem griechischen Amts- mit angeheizt! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]:
kollegen, Ministerpräsidenten Papandreou, zu, dieses Sagen Sie das mal Herrn Schäuble!)
Programm, auch wenn es eine wahrhaft gewaltige Auf-
gabe ist, mit Unterstützung der europäischen Partner und Mit der am 26. März auf dem Rat der EU-Staats- und
des IWF umzusetzen. Regierungschefs beschlossenen Einbeziehung des IWF
wurde also auch die zweite Voraussetzung erfüllt. Ich
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – füge hinzu: Sie hat sich, wie wir sehen, schon jetzt be-
Peter Altmaier [CDU/CSU], an die SPD ge- währt.
wandt: Können Sie vielleicht auch mal klat-
schen? Das ist doch richtig!) Dritte Voraussetzung. Griechenland ist nicht mehr in
der Lage, sich selbst auf den internationalen Kapital-
Zweite Voraussetzung. Der Internationale Währungs- märkten zu refinanzieren. Dies ist nicht allein ein Pro-
fonds muss eingebunden werden. Wir haben darauf blem Griechenlands, sondern Ausgangspunkt unabseh-
bestanden, auch wenn wir mit dieser Haltung in der barer Folgen für den gesamten Euro-Raum.
Europäischen Union zu Beginn in der Minderheit waren.
Es ist der Internationale Währungsfonds, der mit seinen (Joachim Poß [SPD]: Auch der Spekulation,
Erfahrungen einen wertvollen – ich sage: unverzichtba- die Sie angefeuert haben!)
ren – Beitrag zu einer erfolgreichen Umsetzung des grie- Deshalb gilt als vierte Voraussetzung: Die zu be-
chischen Sanierungsprogramms leistet. Ohne Deutsch- schließenden Hilfen für Griechenland sind alternativlos,
land wäre es zu einer Einbeziehung des IWF nicht um die Finanzstabilität des Euro-Gebietes zu sichern.
gekommen. Wir schützen also unsere Währung, wenn wir handeln.
Zur Wahrheit des heutigen Tages gehört ein Weiteres: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Auch das Programm Griechenlands mit den notwendi- Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Und
gen Eigenanstrengungen hätten wir niemals erreicht, die Spekulanten! – Alexander Ulrich [DIE
wenn Deutschland zu einem frühen Zeitpunkt, wie von LINKE]: Und die Ziele der deutschen Banken!
fast allen gefordert, finanziellen Hilfen ohne ausrei- Wie immer! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/
chende Entscheidungsgrundlage zugestimmt hätte. DIE GRÜNEN]: Das merken Sie erst jetzt?)
(B) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Dazu haben die Europäische Zentralbank und die (D)
Europäische Kommission unmissverständlich dargelegt:
Vielmehr hätten wir das Gegenteil bewirkt. Eine frühe Die sofortigen Hilfen sind das letzte Mittel zur Gewähr-
Hilfe ohne ausreichende Entscheidungsgrundlage hätte leistung der Finanzstabilität im Euro-Gebiet insge-
nur die Erwartungen gesteigert, dass hochverschuldete samt. Sie müssen erfolgen, damit es nicht zu einer
Mitglieder der Euro-Zone ohne eigene Konsolidierungs- Kettenreaktion im europäischen und internationalen
anstrengungen schnell mit großzügigen Hilfen rechnen Finanzsystem und zu einer Ansteckung anderer Euro-
könnten. Mitglieder kommt. Nachdem gerade das Gröbste der
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wi- Finanzkrise des Jahres 2008 überwunden ist und sich das
derspruch bei der SPD – Joachim Poß [SPD]: Euro-Gebiet auf dem Weg der Erholung befindet, wür-
Ach was! Die Hilfen hatten wir doch teilweise den systemgefährdende Störungen der Finanzmärkte
schon beschlossen! – Hubertus Heil [Peine] diese Erholung zunichtemachen. Eine erneute Finanz-
[SPD]: Boulevardzeitungsniveau!) krise würde zu spürbaren Wohlstandsverlusten und zu
höherer Arbeitslosigkeit auch in Deutschland führen.
Das hätte zu ähnlichen Destabilisierungen geführt wie
eine grundsätzliche Verweigerung der Hilfen an Grie- Im Übrigen wird klar: So richtig es ist, alles dafür zu
chenland. Dem hat die Einbindung des IWF mit seiner tun, dass hemmungslosen Spekulationen an den Märkten
langjährigen Erfahrung bei der Sanierung von hoch- Einhalt geboten wird
verschuldeten Staaten, bei der Erarbeitung eines Sanie- (Zuruf von der LINKEN: Dann tut das doch!)
rungsprogramms und bei der konsequenten Überwa-
chung der Umsetzung des Programms entgegengewirkt. und Ratingagenturen klaren Regeln unterworfen werden,
so unabweisbar ist es, der ganzen Wahrheit ins Auge zu
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Warum sehen. Ursache oder Auslöser für die Lage in Griechen-
waren wir denn dann dagegen?) land und die Folgen für den ganzen Euro-Raum waren
nicht allein hemmungslose Spekulationen an den Märk-
So, aber auch nur so schaffen wir es, in Europa zu den
ten und das Verhalten der Ratingagenturen.
gewohnten Pfaden zu kommen und nicht so schnell zu
glauben, ein Problem sei bereits gelöst, wenn es schnell (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE
gelöst wird, obwohl es in Wahrheit immer größer wird GRÜNEN]: Aber auch!)
(Joachim Poß [SPD]: Und sehr teuer! Es wird Der Tag der ganzen Wahrheit war vielmehr der 22. April
von Tag zu Tag teurer!) dieses Jahres. An dem Tag meldete Eurostat beim grie-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3725
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
(A) chischen Haushaltsdefizit eine nochmalige Korrektur (Thomas Oppermann [SPD]: Wenn sich alle (C)
nach oben an. Es wurde deutlich: Die von Griechenland verständigen, sind Sie dafür!)
zu zahlenden Zinsen stiegen in exorbitante Höhe. Eine
Daraufhin hat es einen G-20-Beschluss gegeben, der den
Refinanzierung Griechenlands am Kapitalmarkt wurde
Internationalen Währungsfonds um Vorschläge gebeten
praktisch unmöglich. Damit stand die griechische Zah-
hat,
lungsunfähigkeit unmittelbar bevor. Einen Tag später,
am 23. April, hat Griechenland um Hilfe nachgesucht. (Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)
Meine Damen und Herren, der Europäische Rat der in welcher Form man die Banken in die Verantwortung
Staats- und Regierungschefs hat am 25. März dieses Jah- einbeziehen kann.
res Griechenland für eine solche Situation Hilfen unter
(Zurufe von der LINKEN: Hey!)
genau den genannten vier Bedingungen in Aussicht ge-
stellt. Alle vier müssen erfüllt sein; keine einzige dieser Inzwischen liegen die Empfehlungen des Internationalen
vier Voraussetzungen ist entbehrlich. Die Analysen des Währungsfonds für die nächste Tagung der G 20 in Ka-
IWF, der Europäischen Zentralbank und der Europäi- nada vor.
schen Union lassen keinen Zweifel zu: Alle vier Voraus-
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE
setzungen sind jetzt erfüllt. Sie sind die Grundlage unse-
GRÜNEN]: In Heiligendamm haben Sie auch
rer Entscheidungen in dieser Woche, und sie markieren
schon darüber gesprochen!)
politisch wie rechtlich ihren Rahmen.
Der Internationale Währungsfonds unterstützt, dass wir
Hinzu kommt die Klärung einer Beteiligung der
eine Bankenabgabe erheben, so wie es Deutschland vor-
Gläubiger. Die Bundesregierung will in dieser Woche
sieht.
eine Entscheidung, die auch die Verantwortung der Ban-
ken und anderer Gläubiger deutlich werden lässt. (Zurufe von Abgeordneten der SPD: Oh!)
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Der Internationale Währungsfonds verwirft die Idee ei-
NEN]: Wo denn? Was denn? Wieso? Weshalb? ner internationalen Finanztransaktionsteuer.
Warum?)
(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Falsch! –
Der Bundesfinanzminister hat dazu Gespräche geführt. Weitere Zurufe)
(Zurufe von der SPD: Oh!) – Ich würde an Ihrer Stelle einfach einmal zuhören. Sie
könnten ja vielleicht noch etwas lernen. Wirklich: Ein-
Banken und Gläubiger dürfen sich ihrer Verantwortung fach einmal zuhören.
(B) nicht entziehen. (D)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Klingelbeutel! – NEN]: Das können Sie am Kabinettstisch ma-
Joachim Poß [SPD]: Ablasshandel!) chen! Hier darf man zwischenrufen! Ein biss-
Deshalb begrüße ich, dass es hierzu ganz offensichtlich chen arrogant!)
eine Bereitschaft bei Banken und Gläubigern gibt. Der Internationale Währungsfonds weist darauf hin,
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sie dass eine internationale Finanztransaktionsteuer auch die
kapitulieren!) Realwirtschaft trifft, und empfiehlt stattdessen eine
Besteuerung der Gewinne und Gehälter der Banken.
Besonders wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass
die Finanzwirtschaft plant, bestehende Kreditlinien an (Thomas Oppermann [SPD]: Der Sparkassen!)
Griechenland und griechische Banken bis 2012 aufrecht- Ich finde, wir tun gut daran, den Empfehlungen des In-
zuerhalten. ternationalen Währungsfonds eine große Beachtung zu
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das schenken. Ich bitte auch die Opposition, sich mit diesen
Problem ist doch danach!) Vorschlägen auseinanderzusetzen.

Ich füge aber hinzu: Wenn sich die Banken von einem (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
solchen freiwilligen Beitrag erhoffen sollten, dass wir Ich sage auch in Richtung der Banken: Wenn jemand
sie gleichsam als Gegenleistung bei einer Bankenabgabe in unserer Gesellschaft eine Gegenleistung erbringen
oder anderen Maßnahmen entlasten, muss, dann ist das nicht der Staat gegenüber den Ban-
(Lachen bei Abgeordneten der SPD) ken, sondern dann sind das die Banken gegenüber dem
Staat und damit gegenüber den Menschen in Deutsch-
dann haben sie sich gründlich getäuscht. land. Aus dieser Verantwortung werden wir sie nicht ent-
lassen, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
An dieser Stelle auch ein Wort zur internationalen
Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Finanztransaktionsteuer. Der damalige Finanzminis-
Warme Worte!)
ter und ich haben uns beim G-20-Gipfel in Pittsburgh da-
für eingesetzt, dass eine solche internationale Finanz- Deshalb werden wir uns mit Nachdruck für weitere
transaktionsteuer Realität wird. Regulierungsmaßnahmen bei Derivaten, Hedgefonds
3726 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) und Leerverkäufen in Europa und weltweit einsetzen; In einem Satz zusammengefasst: Wenn zur dauerhaf- (C)
denn das Primat der Politik gegenüber den Finanz- ten Erhöhung der Stabilität der Wirtschafts- und Wäh-
märkten muss – das ist mein Ziel, das ist das Ziel der rungsunion Vertragsänderungen unumgänglich sind
Bundesregierung und sicherlich auch dieses Hohen Hau- – das sind sie mit großer Wahrscheinlichkeit –, dann
ses – wiederhergestellt werden. Daran müssen wir arbei- setzt sich die Bundesregierung, dann setze ich mich auch
ten, und dabei werden wir nicht ruhen, meine Damen ganz persönlich dafür mit allem Nachdruck ein. Wie
und Herren. mühselig und langwierig ein solcher Prozess auch immer
sein mag, das darf uns nicht daran hindern, das Richtige
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf zu tun.
von den Linken: Das ist doch lächerlich!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ein Zweites muss klipp und klar sein: Mit den jetzt zu
beschließenden Maßnahmen für Griechenland kann es Meine Damen und Herren, ich bin überzeugt: Das
nicht getan sein. Die Stabilität des Euro muss langfristig sind wir den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes
schuldig, das sind wir unseren nachfolgenden Generatio-
gesichert werden. Wiederholungen müssen vermieden
nen schuldig. Ich sagte es: Europa steht am Scheideweg.
werden. Die wirtschafts- und finanzpolitische Koordi-
Die Entwicklung in Griechenland hat uns drastisch vor
nierung und die gegenseitige Überwachung in Europa
Augen geführt, wohin eine unsolide Haushalts- und
müssen verbessert werden. Das muss auch ein Element
Finanzpolitik führen kann. Es beweist sich auch für un-
der neuen Wachstumsstrategie 2020 werden, die wir ser eigenes nationales Vorgehen als wegweisend, dass
im Juni verabschieden. Ich kann mir beim besten Willen wir im vergangenen Jahr eine Schuldenbremse in unsere
nicht vorstellen, wie wir in wenigen Wochen diese Verfassung aufgenommen haben; sie gilt ab dem nächs-
Wachstumsstrategie verabschieden, ohne dass sie in kon- ten Jahr.
kreter Form in einem Zeitplan und ersten Maßnahmen
deutlich macht, dass und wie Europa die Lehren aus die- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sagen Sie das
ser Krise zieht. Es wird ein Wille zu stärkerer wirt- einmal der FDP!)
schafts- und finanzpolitischer Zusammenarbeit notwen- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
dig sein. Kolleginnen und Kollegen! Der jetzt vorgeschlagene Lö-
Ich kann auch niemandem ersparen, dass dabei insbe- sungsweg einschließlich der vierteljährlichen Überprü-
sondere die Aufmerksamkeit auf solche Mitgliedstaaten fungen der Umsetzung des griechischen Programms bie-
gelenkt wird, die über keine ausreichende Wettbewerbs- tet mehr Chancen als jede andere Alternative. Er bietet
fähigkeit verfügen. Dabei geht es nicht, um das gleich die bestmögliche Gewähr dafür, dass der deutsche Steu-
vorwegzusagen, um Schuldzuweisungen; es geht statt- erzahler, der über den Bund für die Kredite der Kreditan-
(B) dessen einmal mehr um die Abwendung von Schaden für stalt für Wiederaufbau bürgt, von einer Inanspruch- (D)
den gesamten Euro-Raum. Diese Abwehr von Schaden nahme verschont bleibt.
ist – das ist meine Überzeugung – nur durch einen Weg 1997 hat die Bundesregierung von Helmut Kohl,
der Offenheit, der Klarheit und auch der Schonungslo- Theo Waigel und Klaus Kinkel darauf bestanden, dass
sigkeit zu erreichen. der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt ein-
geführt wird. Die Aufgabe meiner Regierung und aller
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf Mitglieder dieses Hauses heute ist es, darauf zu beste-
von der SPD: Aber nicht der Verzögerung!) hen, dass dieser Stabilitätspakt durchgesetzt wird, ihn zu
Wir haben die Pflicht, dafür zu sorgen, dass die Euro- verteidigen und ihn als Lehre aus dieser Krise weiterzu-
päische Währungsunion langfristig auf ein stabiles Fun- entwickeln.
dament gestellt wird. Dazu gehört eine schnellere und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
straffere Anwendung von Sanktionen gegen Euro-Mit-
gliedstaaten, die ihrer Verpflichtung zur Senkung des Wir müssen ihn so ausgestalten, dass er nicht mehr un-
Defizits unter 3 Prozent nicht nachkommen. Dazu gehört terlaufen werden kann, sondern strikt einzuhalten ist. So
eine Diskussion um verstärkte und vor allem wirksame wie die Regierung Helmut Kohl 1997 größte Wider-
Sanktionen bei Verstoß gegen den Stabilitätspakt. stände überwinden musste, so muss auch unsere politi-
sche Generation heute große Widerstände überwinden.
Ich sage es unmissverständlich: Teil dieser Sanktio-
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Kohl war
nen müssen auch Suspendierungen aus dem EU-Haus-
wenigstens Europäer!)
halt sein. Wer sich nicht an die Maastricht-Defizitgrenze
hält, der verwirkt einen Teil seiner Strukturfonds- oder Deutschland, der stärksten Wirtschaftsnation Euro-
Agrarmittel. pas, kommt in dieser Lage eine besondere Verantwor-
tung zu, und Deutschland nimmt diese Verantwortung
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wahr.
In letzter Konsequenz heißt das nichts anderes, als noto- (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Nein!)
rischen Defizitsündern zumindest vorübergehend das
Stimmrecht zu entziehen. Für den äußersten Notfall Die glückliche Geschichte Deutschlands nach dem
muss auch ein Verfahren für eine geordnete Insolvenz ei- Zweiten Weltkrieg, die Entwicklung zu einem freien, ei-
nes Mitgliedstaates entwickelt werden. nigen und starken Land ist von der parallel verlaufenen
Geschichte der Europäischen Union nicht einmal in Ge-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) danken zu trennen. Die europäische Einigung ihrerseits
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3727
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
(A) ist ohne die deutsche Beteiligung überhaupt nicht vor- Frau Bundeskanzlerin, deshalb verbitten wir uns jede (C)
stellbar. Deutschland lebt in der Europäischen Union in selbstgerechte Belehrung in der Form, wie wir sie eben
einer Schicksalsgemeinschaft. Ihr verdanken wir Jahr- gehört haben.
zehnte des Friedens, des Wohlstands und des Einverneh-
mens mit unseren Nachbarn. Der Krieg, der – nicht zu- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
letzt durch deutsche Schuld – immer wieder Europa DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
verwüstet hat, verschont unseren Kontinent inzwischen LINKEN)
so lange wie nie zuvor in der jüngeren Geschichte. Es ist doch eine Frechheit, uns, der SPD-Fraktion, zu er-
Wir Bürgerinnen und Bürger Europas sind zu unse- klären, die Beiziehung des IWF sei notwendig gewesen.
rem Glück vereint. Für diese Überzeugung hat noch jede Wer von den Kolleginnen und Kollegen hat das in der
deutsche Bundesregierung – von Konrad Adenauer bis Vergangenheit bestritten?
heute – gearbeitet. Wir arbeiten für ein starkes Europa, (Joachim Poß [SPD]: Eben!)
das seine Rolle in der Welt geeint und entschieden wahr-
nimmt, das seine Werte und Interessen selbstbewusst Sie und die Regierung haben geschwankt wie ein Rohr
verteidigt. Das war, ist und bleibt Deutschlands und Eu- im Wind und erklären das nachträglich zur Strategie.
ropas Zukunft. Das ist doch so durchsichtig wie nur irgendetwas.
Ich bitte Sie heute um Ihre Zustimmung zu dem vor- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
liegenden Gesetzentwurf. DIE GRÜNEN)
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Nein!) Um aber allen Missverständnissen, den gewollten wie
Mit ihm schützen wir die Bürger unseres Landes, den ungewollten, von vornherein den Boden zu entzie-
hen, sage ich, meine Damen und Herren: Jawohl, das
(Joachim Poß [SPD]: Dafür haben wir keine europäische Rettungspaket muss sein, die deutsche Be-
Gewähr!) teiligung daran auch. – Wir haben den Weg dafür geöff-
mit ihm treffen wir die notwendigen Entscheidungen für net, dass ohne kleinliche Streitereien über das Verfahren
Deutschland, für die Bürgerinnen und Bürger unseres hier im Hohen Hause des Deutschen Bundestages in die-
Landes, und mit ihm leisten wir zusammen mit unseren ser Woche entschieden werden kann. Frau Merkel, wir
Partnern in Europa unseren Beitrag für eine gute Zukunft werfen Ihnen nicht vor, dass Sie handeln. Im Gegenteil:
Europas – denn es geht um die Zukunft Europas. Wir werfen Ihnen vor, dass Sie erst jetzt handeln. Das
Unheil, dass Sie bis hierhin angerichtet haben, ist näm-
Herzlichen Dank. lich gewaltig.
(B) (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D)
der FDP) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Hier vorne sitzt der Kollege Poß aus meiner Fraktion.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich eröffne die Aussprache. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das
Das Wort erhält zunächst der Kollege Dr. Frank- habe ich auch schon gehört!)
Walter Steinmeier für die SPD-Fraktion. Er hat Ihrem Finanzminister am 11. Februar dieses Jah-
(Beifall bei der SPD) res geschrieben und ihn gefragt: Was ist los? Was ge-
denkt die Regierung in der Causa Griechenland zu tun? –
Das hat er sich ja nicht selbst ausgedacht,
Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD):
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! (Joachim Poß [SPD]: Doch!)
Die Entscheidung, die wir in dieser Woche im Deutschen
Bundestag zu treffen haben, ist über die Jahre gesehen sondern er hat ein bisschen auf die Finanzmärkte ge-
vielleicht die folgenreichste und deshalb schwerste Ent- schaut
scheidung, die wir zu treffen haben. Dies ist eine Ent- (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Er war ratlos!)
scheidung, die die Menschen – wir haben das auf den
Straßen erleben können – ganz ohne Zweifel verun- und gesehen: Da ist etwas beunruhigend in Bewegung
sichert und beunruhigt. geraten; da gibt es angriffslustige Hedgefonds, die Spe-
kulationswellen gegen Griechenland losgetreten und
Was wir hier erleben – das sage ich in Erinnerung an den Wert des Euro ins Sinken gebracht haben.
manche Wortbeiträge auch von Beteiligten hier aus die-
sem Hohen Hause –, ist aber keine Griechenland-Krise, Im Februar war doch schon erkennbar, dass Griechen-
sondern das ist ein bisschen mehr als das: Das ist die land ganz gefährlich ins Trudeln geriet. Wer das hören
größte Belastungsprobe für die europäische Integra- und sehen wollte, der konnte einigermaßen wissen, was
tion seit den Römischen Verträgen. Ich habe bei den da auf uns zukommen würde. Das war der Zeitpunkt, zu
Äußerungen in den letzten Tagen nicht immer den Ein- handeln, und da hätte eine gute Regierung mit einem
druck gehabt, dass das jedem aus den Koalitionsfraktio- Krisenmanagement begonnen, das Parlament hier infor-
nen hier bewusst war. miert
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
DIE GRÜNEN) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
3728 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) und Handlungsoptionen ausgeleuchtet. Das wäre ein sich das ändern soll, Frau Merkel, dann müssen Sie Ihr (C)
vernünftiges Krisenmanagement gewesen. Nichts da- Verhalten und das Verhalten der Regierung ändern.
von! Ich habe es nicht gesehen. Stattdessen Verschieben,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Verschleiern, Schönreden.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Erst hieß es: „Es wird schon nicht so schlimm kom- Sie haben wochenlang versucht, uns herauszuhalten. Es
men“, dann wurde es eine Zeit lang zum griechischen gab wochenlang nicht den Ansatz eines Versuchs, ent-
Problem erklärt, dann begann – das habe ich doch in gu- weder – das wäre ja auch möglich gewesen – ein Paket
ter Erinnerung – diese merkwürdige Taktiererei rund um mit einer eigenen Konzeption vorzulegen, wie man mit
den 9. Mai dieses Jahres. Wir haben sehr wohl gespürt, der Causa Griechenland und den Folgen umgehen will,
dass viele bei Ihnen gehofft haben, dass der griechische oder uns, die Opposition, einzuladen und sich anzuhö-
Antrag erst am 14. Mai kommt und nicht bereits Ende ren, welche Gedanken, Ideen und Vorschläge wir haben,
des vergangenen Monats. Es kam dann doch anders. um miteinander ins Gespräch zu kommen.
Die Krönung – ich kann nicht darauf verzichten, das Ich habe früher immer gesagt: Eine gute Regierung
hier zu erwähnen – war aber doch dieses Theater, bei muss funktionieren wie Brandschutz. Sie muss Gefahren
dem ich bis heute nicht weiß, wer eigentlich die ent- analysieren, vorausschauend handeln und vor allen Din-
scheidenden Rollen besetzt hatte: auf der einen Seite die gen entschlossen führen. Diese Regierung ist kein
Bundeskanzlerin auf einem Bismarck-Sockel auf Seite 2 Brandschutz für Deutschland. Sie haben die Dinge trei-
der Bild-Zeitung mit dem Motto „Kein Euro für Grie- ben lassen und rufen jetzt, wo es lichterloh brennt, nach
chenland“ und auf der anderen Seite gleichzeitig das der Feuerwehr. Ein bisschen spät, würde ich sagen.
Signal des Finanzministers an die Europäer: Am Ende
werden wir bei diesem Rettungspaket von Europa schon (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
mitmachen. – Das ist unanständig. So geht man mit dem des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Parlament und der Öffentlichkeit nicht um. Wenn es nur das wäre, dann hätte ich darauf verzichtet,
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dies zu erwähnen. Entscheidender ist, finde ich: Sie
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der beide, Kanzlerin und Vizekanzler, haben auf der Brücke
LINKEN – Widerspruch bei Abgeordneten der gefehlt, als das Schiff in Seenot geraten ist.
CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Frau Merkel, die Regierungserklärung, die Sie gerade Sie haben es einfach laufen lassen, als die Neunmal-
abgegeben haben, war keine Werbung für eine breite Zu- klugen bei Ihnen gerufen haben: „Mir gebbet nix!“,
(B) stimmung hier im Parlament. oder: „Sollen die Griechen doch ein paar Inseln verkau- (D)
fen“. – Wo war da Führung? Wo war da Krisenmanage-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ment, Frau Merkel? – Nichts davon.
DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Ich bin auch nicht mit dieser Erwartung hierhergekom- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
men; das sage ich ganz ehrlich. Ich hätte aber Verständ- LINKEN)
nis dafür gehabt, wenn Sie gesagt hätten: Für eine Ent-
scheidung von einer solchen Tragweite brauchen wir Das war kein Krisenmanagement, sondern es war im-
eine stärkere Mehrheit als nur die Mehrheit der eigenen mer auch – lassen Sie mich das so offen sagen – ein biss-
Koalitionsfraktionen. – Ich unterstelle Ihnen auch durch- chen Schielen auf den Boulevard.
aus, dass Sie nicht nur deshalb ein Interesse daran haben, (Zuruf von der SPD: Ein bisschen?)
weil Sie sich Ihrer eigenen Mehrheit unsicher sind. Denn
auch ich sage aus meinem Demokratieverständnis he- Das war das Doppelspiel, das uns in Europa enormes
raus: Es wäre gut, wenn bei Entscheidungen solcher Vertrauen und Ansehen gekostet hat.
Tragweite die im Deutschen Bundestag vertretenen Par- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
teien nicht Lichtjahre und Galaxien voneinander entfernt des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
wären. Deshalb habe ich öffentlich wie auch in Gesprä-
chen mit Herrn Schäuble und Ihnen gesagt: Ich schließe Sie haben in den letzten Tagen viel mit Europäern ge-
nicht aus, dass wir am Freitag zu einer gemeinsamen sprochen. Das habe ich auch getan, und ich sage Ihnen:
Entscheidung kommen. Aber ich habe ebenso deutlich Keine Bundesregierung hat es geschafft, in so kurzer
und auch das von Anfang an gesagt: Eine Zustimmung Zeit so viel Ansehen und Vertrauen zu verspielen wie Sie
zu einer nackten Kreditermächtigung wird es mit der in diesen Tagen.
SPD im Deutschen Bundestag nicht geben. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(Beifall bei der SPD) DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]:
Beim Verspielen von Vertrauen ist Schröder
Das ist keine Antwort auf die Bedrohung, erst recht gar nicht zu erreichen! – Widerspruch der
keine angemessene. Abg. Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU] und
Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU])
Ich will noch hinzufügen: Das Verhalten der letzten
Woche – ich habe es kurz skizziert – hat uns eine mögli- Ich darf Ihnen jedenfalls versichern: Wir Sozialdemo-
che Einigung am Freitag nicht gerade erleichtert. Wenn kraten wissen und stehen dazu: Ohne den Euro hätten
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3729
Dr. Frank-Walter Steinmeier
(A) Europa und Deutschland in der Weltwirtschaft keine Zu- nationalen Finanzmärkte nie und nimmer unter Kon- (C)
kunft. Ohne den Euro hätte uns diese Finanz- und Wirt- trolle bekommt, dass anonyme Hedgefonds – darüber
schaftskrise noch sehr viel härter getroffen als jetzt. Es habe ich bereits gesprochen – nicht nur mit Banken, son-
glaube doch bitte niemand, auch nicht in diesem Hause, dern am Ende auch mit Staaten Monopoly spielen kön-
dass wir nur eines der Probleme, mit denen wir umzuge- nen, weil das Börsenkasino noch immer keine Regeln
hen haben, gelöst hätten, wenn die Menschen in Grie- hat. Viele Menschen zweifeln daran – Sie hören und spü-
chenland wieder in Drachmen, in Italien in Lira und in ren das doch auch –, dass die Politik am Ende etwas ge-
Spanien wieder in Peseten zahlten. Nicht ein einziges gen die Macht der Finanzwelt ausrichten kann. Der Kern
Problem wäre dadurch gelöst. Aber dies den Menschen des Problems ist doch die scheinbare Hilflosigkeit der
zu erklären, Frau Merkel, ist Aufgabe einer Regierung. Politik gegenüber den Finanzmärkten. Das untergräbt
Das ist Ihre Aufgabe. Das hätten Sie den Menschen sa- das Vertrauen der Menschen. Das ist die Grundsatzfrage
gen müssen. Jetzt steckt die Karre für alle sichtbar im der Demokratie, über die wir in einem solchen Zusam-
Dreck. menhang auch reden müssen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Auf Dauer gesehen – das ist meine feste Überzeu- Deshalb sage ich: Wir müssen weiterdenken und mu-
gung; sie bleibt es auch bei den gegenwärtigen Schwie- tiger handeln, als die Bundesregierung das gegenwärtig
rigkeiten – ist ein starkes Europa die richtige, mittel- plant. Wir müssen an die Ursachen der Krise herange-
und langfristig vielleicht sogar die einzige Antwort auf hen. Wir müssen die Lasten der Krise gerecht verteilen.
eine sich verändernde Weltwirtschaft. Das ist doch – so Ich frage Sie: Wann, wenn nicht jetzt in einer solchen
habe ich es immer verstanden – unser Gegenentwurf zu Krise nicht nur der Währungsunion, sondern ganz Euro-
einer regellosen Welt. pas, sollen wir handeln? Jetzt ist der Zeitpunkt, zu han-
Deshalb müssen wir diesen Entwurf aufrechterhalten deln.
und Europa stärker machen, statt lästerlich darüber in (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
dieser Weise zu reden, wie das in letzter Zeit geschehen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
ist.
Frau Merkel, machen Sie also Ernst! Keine Lippenbe-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ kenntnisse mehr! Ich fordere Sie auf: Verbieten Sie
DIE GRÜNEN) ungedeckte Leerverkäufe! Verbieten Sie spekulative
Das meine ich politisch, ich meine es aber auch wirt- Kreditversicherungen! Sorgen Sie für eine strengere
(B) schaftlich. Wir in Deutschland wären doch die Haupt- Überwachung der Hedgefonds! Regulieren Sie die Ra- (D)
leidtragenden – Sie wissen das alles doch –, wenn die tingagenturen! Schaffen Sie eine europäische Rating-
Stabilität in der Euro-Zone dauerhaft in Gefahr ge- agentur! Sorgen Sie für einen Finanz-TÜV!
riete. Zwei Drittel unserer Exporte gehen in die Staaten (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was
der Europäischen Union. Die deutsche Wirtschaft spart soll denn das?)
jedes Jahr rund 10 Milliarden Euro, weil sie im Euro-
Raum keine Kurssicherungsgeschäfte mehr machen – Hören Sie einen Augenblick zu! Sie kommen auch
muss. Die Kredite für Griechenland sind deshalb – las- dran. – Ja, wir sind auch mit Ihnen der Meinung: Wir
sen Sie es mich noch einmal sagen – eben nicht nur eine müssen noch einmal an den Stabilitätspakt herangehen.
Frage europäischer Solidarität. Sie sind auch ein Gebot Wir brauchen mehr Transparenz und mehr Effektivität
wirtschaftlicher Vernunft. Das sieht die Sozialdemo- bei der Kontrolle der Haushalte der Mitgliedstaaten. Da
kratie nicht anders als der eine oder andere hier im Ho- haben wir zu wenig getan und durchgesetzt. Wir brau-
hen Haus. chen – auch davon bin ich überzeugt – einen neuen Kri-
senmechanismus.
(Beifall bei der SPD)
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Null
All das, was ich Ihnen vorgetragen habe, ist wichtig. Ahnung!)
Aber das trifft noch nicht den Kern; darüber möchte ich
jetzt noch reden. Es geht um Griechenland, es geht um Aber der entscheidende Punkt, auf den ich nun zu
die Währungsunion, es geht um Europa. Ja, das stimmt. sprechen komme, ist: Die Kosten dieser Krise dürfen
Aber wir sind in der jetzigen Entscheidungssituation – das ist unabdingbar – nicht wieder einseitig auf den
auch an einem Punkt, an dem es um noch mehr geht. Ich Steuerzahler abgeladen werden. Da brauchen wir ein an-
kann es nicht kleiner sagen: Es geht um das Vertrauen deres Verhalten.
der Menschen in die Gestaltungskraft der Politik
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
überhaupt. Es geht auch um das Fundament unserer
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Demokratie.
Die Menschen erwarten dringend, dass wir mit dem Ver-
(Beifall bei der SPD)
sprechen Ernst machen, dass auch die Verantwortlichen
Warum sage ich das? Sie spüren doch genauso wie wir, beim Tragen der Kosten herangezogen werden. Ich sage
dass hinter dem ganzen Unbehagen, das uns begegnet, Ihnen: Mit ein paar Schautreffen mit Bankern – mehr
eine tiefe, große Sorge, an der wir nicht vorbeigehen war das bisher nicht – wird das nicht gelingen. Wir brau-
können, steckt, eben die Sorge, dass die Politik die inter- chen eine ernsthafte Beteiligung der Banken mit dauer-
3730 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) haften Beiträgen. Dafür kenne ich nur ein Instrument. wortbare Steuersenkungen verschenken und auf der an- (C)
Das ist die Finanztransaktionsteuer. Über dieses In- deren Seite auch noch auf mögliche Einnahmen verzich-
strument müssen wir miteinander reden. ten. Was sollen denn die Leute von uns halten?
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
[DIE LINKE] – Widerspruch des Abg. LINKEN – Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]:
Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]) Immer nur abkassieren!)
Es gibt kein anderes Instrument. Deshalb fordern wir – Nein, das ist es nicht. – Was sollen denn die Leute von
Union und FDP auf: Gehen Sie diesen Weg zur interna- uns halten? Sie geben doch im Grunde genommen denje-
tionalen Finanztransaktionsteuer, zur europäischen nigen recht, die im Augenblick öffentlich erklären: Für
Finanztransaktionsteuer. Lassen Sie uns bis Freitag nicht alles haben die Geld, aber nicht für eine ordentliche
nur darüber reden. Wenn Sie an einer gemeinsamen Ent- Straße oder eine ordentliche Schule in meiner Ge-
schließung hier im Deutschen Bundestag interessiert meinde. –
sind, dann muss das in dieser gemeinsamen Entschlie-
ßung stehen. (Volker Kauder [CDU/CSU]: So ein Quatsch! –
Widerspruch bei weiteren Abgeordneten der
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten CDU/CSU)
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Sie müssen doch, wenn die Möglichkeit besteht, dafür
Ich habe Ihre diesbezügliche Argumentation eben eintreten und dafür kämpfen, dass mit dem Instrument
nicht so richtig verstanden, Frau Merkel. Ich habe mir einer Finanztransaktionsteuer Geld in die Kasse kommt,
Ihre Texte dazu angeschaut. Sie haben im Januar 2010 mit dem wir in Deutschland Politik machen können. Sie
erklärt: brauchen es und Ihre Nachfolgeregierungen auch.
Wir setzen uns für eine internationale Finanztrans- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
aktionssteuer ein. Eine solche weltweit eingeführte des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Steuer kann überbordende Spekulationen dämpfen
und einen Beitrag leisten, die finanziellen Lasten Deshalb meine herzliche Bitte: Denken Sie nicht in den
der Krisenbewältigung in fairer Weise zu tragen. Schablonen von Parteiprogrammen, denken Sie an die
Zukunft dieses Landes.
Recht hatten Sie damals, Frau Merkel! Aber halten Sie
sich auch hier im Deutschen Bundestag an diesen Be- (Lachen bei der FDP)
(B) schluss! Tun Sie als Bundeskanzlerin nicht das Gegen- (D)
teil von dem, was Sie als Parteivorsitzende fordern! – Wir werden uns bei dem Thema wiedertreffen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Es geht um Griechenland, es geht um den Euro. Das
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) wird das Thema bleiben. Vor allen Dingen geht es aber
um Handlungsfähigkeit von Politik. Wenn wir jetzt nicht
Ein bisschen Erfahrung haben auch wir in den Ge- nach vorne denken, wenn wir jetzt nicht bereit sind, mu-
sprächen gesammelt. Ich weiß, dass es in den Koalitions- tig zu handeln, dann haben alle diejenigen recht, die sa-
fraktionen unterschiedliche Auffassungen gibt. Es gibt gen: Das Rennen zwischen der Politik und den Märkten
den einen oder anderen, der einem unter der Hand sagt: findet statt, aber ihr tretet nicht wirklich an. Ihr wollt gar
Eigentlich wären auch wir für die Transaktionsteuer, nicht gewinnen. Ihr wartet geduldig ab, bis das nächste
aber die FDP macht da nicht mit. – Dazu sage ich Ihnen, Unheil über euch zusammenbricht.
Frau Merkel: Das sind Fragen, bei denen Führung ange-
sagt ist. Ich rufe Ihnen zu: Geben Sie den Lobbyinteres- (Volker Kauder [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)
sen nicht nach, auch nicht der FDP!
Ich sage: Eine solche Haltung verträgt unsere Demokra-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tie nicht.
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
Glauben Sie nicht denen, die jetzt schon wieder von ei- Norbert Barthle [CDU/CSU]: Da sollten Sie
ner Bedrohung der Finanzmärkte reden bzw. darüber mal vorsichtig sein!)
schwadronieren! Diese Bedrohung gibt es nicht bei einer
Belastung von 0,05 Prozent pro Transaktionsvorgang. Lasst uns gemeinsam um Spielräume für Hand-
Wir sind es, die bedroht sind, wenn wir nicht handeln. So lungsfähigkeit von Politik kämpfen! Lasst uns dafür
sieht es aus, Frau Merkel. sorgen, dass wir sie da, wo sie verloren gegangen sind,
wo wir sie eingebüßt haben, zurückerobern. Das sind wir
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ den Menschen in Deutschland und der Demokratie in
DIE GRÜNEN) diesem Lande schuldig.
Man kann nicht auf der einen Seite, meine Kollegin- Herzlichen Dank.
nen und Kollegen von der FDP, die letzten Möglichkei-
ten für gestaltende Politik, die wir noch haben in der (Anhaltender Beifall bei der SPD – Beifall
Klemme, in der wir in Deutschland sind, durch unverant- beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3731

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: Herr Oppermann, müssen wir nicht durch Vertrauensfra- (C)
Das Wort erhält nun die Kollegin Birgit Homburger gen zur Verantwortung gezwungen werden.
für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]:
der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE Wir werden sehen!)
LINKE]: Jetzt wird es richtig schlecht! –
Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das Niveau Wir werden unserer Verantwortung gerecht werden, und
sinkt!) wir werden Ihnen keine Hintertür öffnen, durch die Sie
sich von Ihrer Verantwortung verabschieden könnten.
Birgit Homburger (FDP): Wir handeln im Interesse der Menschen in Deutsch-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die land und Europa, und wir handeln im Interesse der
Lage Griechenlands stellt Europa vor die bisher größte Stabilität unserer Währung. Wir Freien Demokraten
Herausforderung. Es ist eine Bewährungsprobe für die sind unserer Verantwortung übrigens auch in der Oppo-
Euro-Zone, aber auch für die Bundesregierung und für sitionszeit, beispielsweise beim Finanzmarktstabilisie-
dieses Parlament. rungsgesetz, gerecht geworden. Wenn es in Deutschland
Es geht um die Frage, ob die Zahlungsunfähigkeit um Stabilität für die Bürgerinnen und Bürger geht, dann
Griechenlands und damit eine Destabilisierung des Euro steht die FDP dafür ein. Diesen Beweis, Herr Steinmeier,
verhindert werden kann. Wir lassen uns bei unseren Ent- müssen andere Fraktionen hier im Deutschen Bundestag
scheidungen von dem Ziel leiten, die Stabilität der Wäh- in dieser Woche erst noch erbringen.
rung zu gewährleisten, und wir lassen uns von den Inte- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
ressen der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland und Joachim Poß [SPD]: So ein Quatsch!)
Europa leiten. Wir spannen einen Schutzschirm für den
Euro. Der Präsident der EZB und der zuständige EU-Kom-
missar haben der Euro-Gruppe am Sonntag das Ergebnis
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Schutz- ihrer Prüfungen mitgeteilt. Sie haben festgestellt, dass
schirm für die Banken meinen Sie!) sich die Finanzmarktentwicklungen in Griechenland,
Wir sichern die Währungsstabilität und retten damit die wenn jetzt nicht gehandelt wird, auf die Finanzstabilität
Ersparnisse der Bürgerinnen und Bürger. Mit diesem Ge- des Euro-Gebietes auswirkten. Es ist die Situation der
setzentwurf ziehen wir eine Brandmauer, damit die Krise Ultima Ratio eingetreten; Hilfen – das haben wir immer
eines Staates nicht auf den gesamten Euro-Raum über- wieder betont – sind das letzte Mittel. Daher müssen wir
(B) springen kann. jetzt konsequent handeln. Damit schützen wir das Ver- (D)
trauen der Bürger und Unternehmen in unsere gemein-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten same Währung und in die Euro-Zone.
der CDU/CSU)
Der gemeinsame Währungsraum hat wirtschaftlichen
Die FDP und die Koalition sind sich ihrer Verantwor- Erfolg und Stabilität gebracht und sich gerade in der Wirt-
tung bewusst. Es ist eine große Verantwortung, und wir schafts- und Finanzkrise wieder einmal bewährt. Des-
handeln im Bewusstsein dieser Verantwortung. Ich sage halb, meine Damen und Herren, war der Euro eine Er-
ganz deutlich: Die Bundesregierung hat überlegt und folgsgeschichte. Dieser gemeinsame Währungsraum
klug gehandelt. Das, Herr Steinmeier, ist auch öffentlich muss weiter für Stabilität sorgen. Daraus wird die Bedeu-
deutlich geworden, wie man an den Äußerungen in den tung gerade dieser Stabilisierungsbemühungen für den
letzten Tagen und Wochen erkennen kann. Aber das, was Euro klar, und genau deshalb werden wir entsprechend
Sie gemacht haben, indem Sie der Bundesregierung öf- handeln.
fentlich immer wieder vorgeworfen haben, sie betätige
sich als Brandbeschleuniger, ist unverantwortlich. Die Koalition hat auch in der richtigen Reihenfolge
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gehandelt. Wer dieser Bundesregierung, Herr Steinmeier,
der CDU/CSU) Blockadehaltung und Verzögerung von Hilfen vorwirft,
disqualifiziert sich selbst. Es ist doch so, dass man von
Dass Sie hier von der Finanzierung öffentlicher Straßen einem Land, das in eine solche Situation kommt, zu-
durch eine Finanzmarkttransaktionsteuer sprechen, ist nächst einmal eigene Anstrengungen erwarten muss. Ich
purer Populismus, Herr Steinmeier. Das müssen Sie sich frage Sie: Wollten Sie wirklich zu einem Zeitpunkt, als
an dieser Stelle sagen lassen. Griechenland öffentlich erklärt hat, es brauche keine Hil-
fen, Hilfen anbieten? Wozu hätte das denn geführt?
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Viele von uns – auch das gehört zur Wahrheit an ei- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
nem solchen Tage – tun sich mit der Entscheidung Es hätte ausschließlich dazu geführt, dass die Hilfen
schwer. Jeder von uns weiß um die Tragweite und die angenommen worden wären, dass aber keinerlei Sanie-
Bedeutung dieser Entscheidung. Deshalb ist es gut, dass rungsprogramm auf den Weg gebracht worden wäre.
wir ausführlich und intensiv im Deutschen Bundestag Das, Herr Steinmeier, wäre gegenüber den Bürgerinnen
beraten und die Alternativen abwägen. Das haben wir in und Bürgern in diesem Land unverantwortlich gewesen.
den Fraktionen getan. Unsere Koalition steht hinter dem
Gesetzentwurf. Anders als bei Vorgängerregierungen, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
3732 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Birgit Homburger
(A) Schwierige Situationen bewältigt man mit Besonnen- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C)
heit und eben nicht mit Aktionismus. Deshalb sind Hil- der CDU/CSU)
fen als Ultima Ratio jetzt auch unumgänglich. Ich sage
es an dieser Stelle deutlich: Ich bin froh, dass der IWF Wir wollen eine unabhängige europäische Rating-
mit im Boot ist, mit seiner Erfahrung mit solchen Situa- agentur und eine Kontrolle der Ratingagenturen, die im
tionen und mit Instrumenten, mit denen er umzugehen Übrigen bereits auf den Weg gebracht worden ist. Wir
weiß, sodass ganz klar wird: Hier wird ein hartes Sanie- wollen ein Frühwarnsystem etablieren. Wer falsche
rungsprogramm von Griechenland erwartet. Griechen- Angaben macht, untergräbt die Glaubwürdigkeit des ge-
land ist selbst in der Verantwortung, sich wieder Ver- samten Euro-Raumes. Deswegen müssen Eurostat, also
trauen an den Märkten zu erarbeiten. die europäische Statistikbehörde, und der Europäische
Rechnungshof weitergehende Befugnisse zur Kontrolle
(Beifall bei der FDP) bekommen. Europa darf nicht länger zusehen, wenn vor
unserer Nase getrickst und getäuscht wird. Dem muss
Es ist allerdings in dieser Zeit auch klar geworden, Einhalt geboten werden.
dass man auf europäischer Ebene nicht so weitermachen
kann wie bisher. Mit Ihrem Vorschlag, Herr Steinmeier, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
früher zu handeln, schneller Hilfen zu geben, sorgten Wir brauchen eine Ausweitung der Sanktionsmecha-
Sie, wenn er umgesetzt würde, nur dafür, dass man von nismen, den Entzug der Stimmrechte und die Sperrung
der Währungsunion zu einer Transferunion käme. Genau von EU-Direktzahlungen. Das alles muss auf den Weg
das wollen wir verhindern. gebracht werden, weil deutlich wird, dass die bisherigen
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Mechanismen für die Stabilisierung nicht ausreichen.
der CDU/CSU) Wir brauchen in letzter Konsequenz ein geordnetes In-
solvenzverfahren für Staaten. Das bedeutet eben auch
Deshalb fordern wir, dass wir von einer Krisenbewälti- Umschuldung zu einem Zeitpunkt, wo dies noch mög-
gung direkt zu einer Krisenprävention kommen und lich ist.
dass diese Maßnahmen zur Krisenprävention, Frau Bun-
Es braucht den entschiedenen Einsatz für diesen Stabi-
deskanzlerin, auf dem Europäischen Rat auch angespro-
litätspakt. Ich sage Ihnen, sehr verehrter Herr Steinmeier:
chen und sofort auf den Weg gebracht werden. Dazu ge-
Angesichts der Geschichte des Stabilitätspaktes in Eu-
hören die Revitalisierung grundsätzlicher Regeln des
ropa haben wir Aufforderungen von Ihrer Seite nicht nö-
europäischen Miteinanders und das Bekenntnis zur so-
tig. Sie tun gut daran, Ihrer Verantwortung gerecht zu
zialen Marktwirtschaft, zum Prinzip des marktwirt-
werden.
schaftlichen Wettbewerbs, aber auch zu einer nationalen
(B) Verantwortung für das gesamte Europa, für die gesamte (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wi- (D)
europäische Entwicklung. Das bedeutet, dass von jedem derspruch der Abg. Claudia Roth [Augsburg]
Land der Euro-Zone eine solide Wirtschafts- und Fi- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Zuruf der
nanzpolitik erwartet werden kann. Abg. Caren Marks [SPD])
(Beifall bei der FDP – Zuruf von der SPD: Das Auch das gehört heute zur Diskussion: Wer Verant-
wollen wir mal abwarten!) wortung trägt, wird auch zur Verantwortung gezogen.
Der missbräuchliche Einsatz von Anlageformen wie
Wir wollen den Stabilitätspakt erneuern und schär- Kreditversicherungen zulasten der Stabilität von Staaten
fen. In diesen Tagen wird doch deutlich, dass wir harte muss europaweit unterbunden werden. Deshalb gibt es
Regeln brauchen. Die heutige Situation ist doch so, wie einen freiwilligen Beitrag der Finanzbranche. Ich sage
sie ist, weil damals, Herr Steinmeier, im Jahre 2005, un- allerdings auch: Das ist der erste und nicht der letzte
ter einer rot-grünen Bundesregierung die Stabilitätskrite- Schritt, den die Finanzbranche gehen muss. Deshalb
rien gelockert wurden, weil man beschlossen hatte, nicht werden wir entschieden handeln. Die Koalition hat an
mehr so genau hinzuschauen, und weil man Sanktionen dieser Stelle schon einiges auf den Weg gebracht. Sie,
verzögert hatte. Das wirkt sich jetzt fatal aus, und deswe- Herr Steinmeier, sagen hier, das Einzige, das helfen
gen müssen wir aus diesen Fehlern lernen. würde, sei eine Finanzmarkttransaktionsteuer, sie sei das
einzige Ihnen bekannte Instrument. Es ist ein Armuts-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
zeugnis, wenn Sie nur diese eine Option kennen. Es gibt
der CDU/CSU)
nämlich bessere.
Wir brauchen klare Kriterien, und es darf auf europäi- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
scher Ebene keine Unterscheidung zwischen guten und Joachim Poß [SPD]: Nennen Sie doch mal an-
schlechten Schulden mehr geben. Es bedeutet auch, dass dere!)
wir automatische Sanktionsmechanismen einbauen müs-
sen. Es darf bei Sanktionen keine politischen Rabatte Der IWF – das hat die Bundeskanzlerin schon ausge-
mehr geben. Wenn wir den Stabilitätspakt wieder wetter- führt – hat uns deutlich gesagt, dass dieses Instrument
fest machen wollen, dann müssen wir entschieden han- nicht treffsicher ist. Deshalb werden wir sicherstellen,
deln, und dann ist Klarheit nötig. Sie haben im Deut- dass alle ihrer Verantwortung auf andere Weise gerecht
schen Bundestag die Chance, mit der Zustimmung zum werden: über die Bankenabgabe, die wir bereits auf den
Entschließungsantrag Ihrer Verantwortung gerecht zu Weg gebracht haben, aber eben auch über das Verfahren
werden. einer geordneten Insolvenz; denn bei einer Umschul-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3733
Birgit Homburger
(A) dung werden genau diejenigen zur Verantwortung heran- (Zurufe von der FDP: Nein!) (C)
gezogen, die die Verantwortung zu tragen haben. Des-
halb ist dies das Instrument der Wahl und in seiner Nun wollen Sie Milliarden für Griechenland beschließen
Wirkung durchschlagend. und vergessen, zu erwähnen, wie viele Milliarden davon
wieder in die Hände der Spekulanten fallen. Das ist näm-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten lich das eigentliche Problem, mit dem wir es zu tun ha-
der CDU/CSU) ben.
Wir sind längst an einem Punkt, wo es nicht um tech- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
nische Abwicklung von Problemen, sondern darum geht, neten der SPD)
verlorengegangenes Vertrauen wiederzugewinnen. Wenn
wir wollen, dass die Wirtschafts- und Finanzkrise nicht Wir haben im September 2008 hier über eine Finanz-
zur Krise unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems krise geredet, die niemand gesehen hat. Wir haben Ihnen
auswächst, müssen wir Vertrauen schaffen. Deshalb ste- recht frühzeitig gesagt, dass daraus Staatskrisen werden
hen wir zur sozialen Marktwirtschaft und zum Wettbe- können, und zwar über Schuldenkrisen bestimmter Staa-
werb. ten. Das, was wir jetzt in Griechenland erleben, droht
auch anderen Ländern, wie wir wissen, wenn wir an Ir-
Soziale Marktwirtschaft hat auch ein ethisches Fun- land, Italien, Spanien und Portugal denken. Jedes Mal le-
dament. Eigentum ist ein zentrales Ordnungsprinzip der gen Sie Ihre Hände in den Schoß und machen erst ein-
freiheitlichen Gesellschaft. mal nichts, um dann innerhalb einer Woche Milliarden
zur Verfügung zu stellen, wie damals bei den Banken
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ei-
480 Milliarden Euro innerhalb einer Woche. So kann
gentum verpflichtet!)
man mit unserer Bevölkerung meines Erachtens nicht
Eigentum verlangt aber auch individuelle Verantwortung umgehen.
hinsichtlich der Auswirkungen auf andere Menschen. So
weit diese Verantwortung reicht, schuldet der Eigentü- (Beifall bei der LINKEN)
mer der Gesellschaft Rechenschaft. Dass Unternehmen Anlässlich der Finanzkrise, die logischer- und konse-
mit privatem Vermögen für die Folgen ihrer Entschei- quenterweise in die jetzige Krise führen musste, haben
dungen haften, sorgt für verantwortliches Handeln. Das wir Ihnen viele Schritte vorgeschlagen, die man gehen
tun viele Familienunternehmen und der Mittelstand in muss, um das zu verhindern. Wir waren es, die am
diesem Land vorbildlich. Das Prinzip der persönlichen 16. März 2010 – Herr Steinmeier, das ist auch für Sie in-
Haftung der Handelnden muss auch im Hinblick auf Ka- teressant – den Antrag „Eurozone reformieren – Staats-
pitalgesellschaften und die Finanzmärkte durchgesetzt bankrotte verhindern“ eingebracht haben. Wir haben da-
(B) werden. Dafür stehen wir ein. rauf hingewiesen, dass das Ganze passieren kann und (D)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten haben Maßnahmen vorgeschlagen.
der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, wir werden den Prinzipien Die erste Lesung war am 25. März. Was haben Sie,
Haftung und Verantwortung durch neue Rahmenbedin- Frau Bundeskanzlerin – ich weiß nicht, wohin Sie ge-
gungen auf den Finanzmärkten zum Durchbruch verhel- gangen sind; ach, in die letzte Reihe; das ist gut –,
fen. Sie, Herr Steinmeier, haben in den letzten Jahren die
Chance dazu versäumt. Wir werden unsere Chance nut- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
zen. Diese Koalition ist sich ihrer Verantwortung für die am 25. März 2010 gesagt? Sie haben gesagt:
Stabilisierung des Euro, aber auch für die Sicherung des
Vertrauens in unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsord- Wir stellen fest: Es ist noch kein Euro und kein Cent
nung bewusst. Dieser Verantwortung werden wir ent- für die Unterstützung Griechenlands ausgegeben
schieden und entschlossen gerecht werden. worden. Bislang ist Griechenland nicht zahlungsun-
fähig geworden. Auch sind düstere Vorhersagen
(Anhaltender Beifall bei der FDP – Beifall bei über die Entwicklung in anderen Mitgliedstaaten
der CDU/CSU) nicht Realität geworden. … Deshalb sage ich

Präsident Dr. Norbert Lammert: – also die Bundeskanzlerin –:


Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gregor Gysi, Ein guter Europäer ist nicht unbedingt der, der
Fraktion Die Linke. schnell hilft. Ein guter Europäer ist der, der die eu-
(Beifall bei der LINKEN) ropäischen Verträge und das jeweilige nationale
Recht achtet und so hilft, dass die Stabilität der
Euro-Zone keinen Schaden nimmt.
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bun- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
deskanzlerin, bei der Bild-Zeitung und anderen „Quali- der CDU/CSU)
tätsmedien“ gingen Sie als die No-Kanzlerin in Bezug Am Freitag wollen Sie nun die Milliardenhilfen be-
auf Hilfe für Griechenland ein. Ich glaube, noch auf dem schließen; das ist die Wahrheit.
Parteitag der FDP wurde beschlossen, auf gar keinen
Fall Geld für Griechenland vorzusehen. (Beifall bei der LINKEN)
3734 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Dr. Gregor Gysi


(A) Wir haben Ihnen gesagt: Verbieten Sie die Hedge- Obama ist der Präsident der Vereinigten Staaten von (C)
fonds, die nur herumspekulieren. Sie wurden übrigens Amerika, kein Linker, kein Sozialist. Wir werden aber
von SPD und Grünen zugelassen; damit man auch diese erleben, dass Sie dazu Nein sagen. Ich sage Ihnen auch,
Wahrheit hier einmal erwähnt. warum: Durch Einführung der Obama-Abgabe bekämen
wir von allen privaten Banken, die direkt oder indirekt
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- staatliches Geld erhalten haben, jährlich 9 Milliarden
neten der FDP) Euro und könnten sie damit an den Kosten beteiligen;
Wir haben das abgelehnt. Herr Steinbrück hat noch bei aber das wollen Sie nicht.
Frau Illner erklärt: Wir standen vor der Frage, Kreis-
Sie wollen eine klitzekleine Abgabe von allen Ban-
klasse zu bleiben oder Weltklasse zu werden. Eine Welt-
ken, auch von den Banken, die gar kein Geld bekommen
klasse-Krise haben wir dafür bekommen. – Vielen Dank,
haben, von den Sparkassen, Volksbanken und Raiff-
Herr Steinbrück.
eisenbanken. Das ist überhaupt nicht hinnehmbar. Die
(Beifall bei der LINKEN) müssen nichts zahlen; denn sie haben weder direkte noch
indirekte Leistungen vom Staat erhalten.
Wir haben Ihnen gesagt: Die Zweckgesellschaften der
Banken müssen unter Kontrolle gestellt werden. Sie ha- (Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder
ben es nicht gemacht. [CDU/CSU]: Die Deutsche Bank muss bezah-
len?)
Wir haben gesagt: Es gibt drei große private Rating-
agenturen, die über alle Werte der Finanzwelt entschei- – Die Deutsche Bank muss bezahlen, andere Privatban-
den, auch über die Werte der Staaten. Die Agenturen ken auch.
waren nachweislich bestechlich. Deshalb haben wir ge-
fordert: Schaffen Sie eine europäische, staatliche Rating- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, warum?)
agentur, die verlässlich ist. Sie haben es nicht gemacht.
Was wollen Sie machen? Sie wollen einen Zukunfts-
Wir haben gesagt: Verbieten Sie Leerverkäufe! Tat- fonds bilden. Herr Kauder, ich bitte Sie! Da soll etwas
sächlich: Leerverkäufe waren anderthalb Jahre lang ver- eingezahlt werden, damit wir Geld für die nächste Krise
boten. Vielleicht ein paar Worte dazu, was Leerverkäufe haben. Sie wollen hier jährlich 1,2 Milliarden Euro ein-
sind: Man geht an die Börse und spekuliert darauf, dass nehmen. Denken Sie an die Garantien in Höhe von
Kurse fallen. Das heißt, man macht aus der Börse ein 480 Milliarden Euro! Man bräuchte über 400 Jahre, um
Spielkasino. Dafür war die Börse ursprünglich gar nicht auf den Betrag zu kommen.
gedacht. Wir haben gesagt: Das sind Spekulationsge-
(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN)
(B) winne, die zur Krise führen; man muss das verbieten. (D)
Herr Bundesminister Schäuble, Leerverkäufe waren in Ich kann Ihnen nur sagen: Das ist keine Lösung. Nein,
Deutschland anderthalb Jahre lang verboten. Warum die Banken und die Spekulanten sollen jetzt an den Kos-
haben Sie sie zu Beginn dieses Jahres wieder erlaubt? ten beteiligt werden.
Griechenland hat sie inzwischen verboten.
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN)
Genau das verweigern Sie.
Wir haben gesagt, dass wir die Tobin-Steuer, eine so-
genannte Transfersteuer, brauchen. Herr Steinmeier, jetzt Sie haben nichts gegen die Ursachen der Krise ge-
reden Sie auch von dieser Steuer, aber als Sie mit den tan.
Grünen regiert haben, haben Sie sie nicht eingeführt. Da-
nach haben Sie unsere Anträge zu der Steuer abgelehnt. Die Deutsche Bank hat schon wieder einen Gewinn
Es ist schön, dass Sie jetzt in Opposition zu Ihrer Regie- erzielt: 2,8 Milliarden Euro im ersten Quartal 2010.
rung gehen. Es ist schön, dass Sie jetzt nach dem Primat Ackermann bekommt sofort wieder einen Bonus ausge-
der Politik rufen, das Sie zusammen mit den Grünen in zahlt. Ich weiß, er wird immer zum Essen eingeladen.
Deutschland abgebaut haben. Lassen Sie uns jetzt ge- Ich sage Ihnen, wo das Problem liegt. Wissen Sie, wes-
meinsam dafür streiten, dieses Primat wiederherzustel- halb die Deutsche Bank Gewinn gemacht hat? Das kann
len! ich Ihnen genau sagen: Die Deutsche Bank hatte eine
Forderung gegen die HRE in Höhe von 10 Milliarden
(Beifall bei der LINKEN) Euro. Die HRE war aber pleite. Hätte die Deutsche Bank
Wir haben Ihnen eine Bankenabgabe vorgeschlagen. die Forderung abschreiben müssen, hätte sie auch keinen
Morgen werden wir namentlich über diese Bankenab- Gewinn gemacht, hätte Ackermann auch keine 10 Mil-
gabe abstimmen. Wir haben Ihnen vorgeschlagen, nur lionen Euro bekommen. Nun haben wir, das heißt Sie,
das zu tun, was Herr Obama vorschlägt, weil wir wissen, die HRE verstaatlicht, aber nur die HRE. Damit haben
dass Sie keine linke Mehrheit sind und damit keine ver- die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler der Bundesre-
nünftige Politik machen können. publik Deutschland es übernommen, die 10 Milliarden
Euro an die Deutsche Bank zu zahlen. Deshalb hat die
(Lachen des Abg. Dr. Erik Schweickert [FDP]) Deutsche Bank Gewinn gemacht.
Wir dachten aber, wir kämen Ihnen damit entgegen; (Beifall bei der LINKEN)
denn wir haben nur gefordert, das zu machen, was Herr
Obama macht. Das ist doch nicht zu viel verlangt. Sie schüttet den Gewinn rein privat aus.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3735
Dr. Gregor Gysi
(A) Wir haben damals gesagt: So geht das nicht. ten kürzen, später in Rente gehen, Löhne kürzen, Mehr- (C)
wertsteuer erhöhen. Das ist nicht nur sozial unerträglich,
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach, herrje! sondern damit organisieren Sie eine Rezession, eine
Kasperletheater in anspruchsvoller Auffüh- schwere Wirtschaftskrise. Dann müssen weitere Milliar-
rung!) denhilfen gezahlt werden. Der Weg, den Griechenland
Deshalb haben wir das schwedische Modell vorgeschla- beschreiten soll, ist ökonomisch blödsinnig. Ihre Ansich-
gen: Man muss alle Banken vergesellschaften, damit die ten können wir nicht teilen.
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler nicht nur die Schul- (Beifall bei der LINKEN)
den übernehmen, sondern auch die Einnahmen erhalten,
zumindest so lange, bis alles zurückgezahlt ist, was an Ich habe zur Kenntnis genommen, dass so getan wird,
Steuergeldern zur Verfügung gestellt worden ist. als ob es große Unterschiede zwischen CDU/CSU und
FDP auf der einen Seite und SPD und Grüne auf der an-
(Beifall bei der LINKEN) deren Seite gebe, aber letztlich sind Sie doch dabei, eine
Damit kommen wir zu Griechenland und Europa. gemeinsame Entschließung zu verabschieden. Sie wer-
Was macht die Deutsche Bank, was machen alle anderen den auch das Gesetz gemeinsam verabschieden. Wie
deutschen Banken? Sie gehen zur Europäischen Zentral- beim Afghanistan-Krieg, Hartz IV, der Rentenkürzungen
bank. Da erhalten sie Kredite, für die sie einen einzigen schwimmen sie wieder in der alten Konsenssoße. Sie ge-
Prozent Zinsen bezahlen müssen. Dann kaufen sie grie- hen diesen Weg, aber ich sage Ihnen: Er wird nichts
chische Staatsanleihen. Für die bekommen sie inzwi- bringen.
schen 9 Prozent Zinsen, ein Riesengewinn ohne jede (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Leistung. Dann gehen sie zu einer Kreditausfallversiche-
rung und schließen eine Versicherung für den Fall ab, Übrigens ist Deutschland insofern den Weg Griechen-
dass Griechenland nicht pünktlich zahlt; die Versiche- lands gegangen, als wir die einzige kapitalistische Indus-
rung soll dann das Geld zahlen. Dann rennen viele zur trienation sind, die in den letzten zehn Jahren die Real-
Kreditausfallversicherung und schließen Wetten ab. Sie löhne um 11,3 Prozent und die Realrenten um 8,5 Pro-
sagen: Wir glauben, dass Griechenland nicht pünktlich zent gekürzt hat. Auch dafür werden wir noch teuer be-
zurückzahlt. Sie können 1 Million Euro einzahlen, und zahlen.
wenn sie recht hatten, bekommen sie 2 Millionen Euro (Beifall bei der LINKEN)
ausgezahlt. Wenn sie nicht recht haben, dann haben sie
Pech und sind 1 Million Euro los. Das sind die Spekula- Wir fordern – lassen Sie mich das zum Abschluss sa-
tionsblasen, die uns nachher um die Ohren fliegen! Des- gen –: Erstens. Die Spekulationsinstrumente – Leerver-
halb sagen wir: Kreditausfallversicherungen müssen ver- käufe und Kreditausfallversicherungen – müssen ver-
(B) boten werden. Es ist nicht hinnehmbar, was dort läuft. boten werden. (D)
(Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN)

Die größten Gläubiger Griechenlands sind übrigens Zweitens. Hedgefonds, also Heuschrecken, müssen eben-
die Banken Frankreichs, der Schweiz und Deutschlands. falls verboten werden. Zweckgesellschaften der Banken
Was Sie nie erzählen, ist: Wenn wir Griechenland Geld sind zu kontrollieren. Wechselkurse müssen festgelegt
geben, dann fließt es an die deutschen Banken zurück. werden.
Das ist der Weg, der gegangen wird. Das müssen wir Drittens. Wir brauchen die Schaffung einer staatli-
ehrlich benennen. chen europäischen Ratingagentur, die die käuflichen Pri-
vaten ins Abseits schiebt.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Viertens. Griechenland muss auf Jahre auf jeden Waf-
Es gab übrigens die Forderung, dass die Banken in fenimport verzichten.
Deutschland, in der Schweiz und in Frankreich ihre For-
derungen gegenüber Griechenland stornieren könnten. (Beifall bei der LINKEN)
Wenn sie das machten, wäre Griechenland schon fast aus
Fünftens. Griechenland und andere EU-Länder müs-
der Krise heraus. Dann müssten keine Hilfspakete in
sen endlich gerechte Steuern für Bestverdienende, Ver-
Milliardenhöhe beschlossen werden. Sie haben uns das
mögende, Banken und große Unternehmen einführen.
nicht geglaubt, sie haben das Kurt Biedenkopf nicht ge-
glaubt, der Ihnen das beschrieben hat. Sie haben auch (Beifall bei der LINKEN)
nicht auf ein Schreiben der BaFin vom 20. Februar 2010
reagiert, in welchem die Krise vorhergesagt wurde. Sie Präsident Dr. Norbert Lammert:
haben nichts gemacht. Sie haben das alles verzögert, Herr Kollege.
weil Sie keine Regulierung wollen, weil Sie sich aus
ideologischen und lobbyistischen Gründen so sehr dage-
gen wehren, endlich ein Primat der Politik über die Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Finanzwelt zu stellen und zu sagen: So darf es gemacht Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Wir brau-
werden, anders lassen wir es nicht mehr zu. chen für die Binnenmärkte endlich eine Börsenumsatz-
steuer und für die internationalen Finanzgeschäfte end-
(Beifall bei der LINKEN) lich eine Tobin- oder Transfersteuer.
Sie haben Griechenland einen Weg aus der Krise Sechstens. Zumindest in Deutschland und allen ande-
aufgezeigt, den Sie für Deutschland ausschließen: Ren- ren Euro-Ländern muss eine Bankenabgabe eingeführt
3736 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Dr. Gregor Gysi


(A) werden, wie sie Obama für die USA vorgeschlagen hat, Herr Kollege Steinmeier, es geht natürlich auch um (C)
damit die Gewinner der Krise endlich für die von ihnen die Frage, wie so etwas in Zukunft vermieden werden
verursachten Schäden bezahlen müssen. Wir werden kann. Ich rate aber dringend, Ursache und Wirkung
morgen im Bundestag darüber namentlich abstimmen. nicht zu verwechseln. Ich hatte bei den Diskussionen der
Auch Spekulanten und Finanzprofiteure müssen zur letzten Tage manchmal den Eindruck, dass zu wenig
Kasse gebeten werden. über die wirklichen Gründe für das, was jetzt entstanden
ist, gesprochen wird, weil das zum Teil sehr unange-
(Beifall bei der LINKEN)
nehm ist. Wir haben in der Koalition sehr frühzeitig ge-
sagt – ja, ich teile diese Auffassung –, dass wir etwas ge-
Präsident Dr. Norbert Lammert: gen Spekulanten und insbesondere gegen diejenigen tun
Herr Kollege. wollen, die gegen Währungen spekulieren. Aber zu-
nächst einmal muss doch eine andere Frage gestellt wer-
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): den: Besteht das Grundproblem bei manchen europäi-
Siebtens und letztens. Wir brauchen in Europa eine schen Staaten nicht darin, dass ständig über die eigenen
Wirtschaftsregierung, damit in der EU Schritt für Schritt Verhältnisse gelebt wird, dass Schulden gemacht wer-
bestimmte Standards durchgesetzt werden. Wir brauchen den, die uns nachher in diese Schwierigkeiten bringen?
eine Abstimmung hinsichtlich der Steuern, der Löhne, Ohne die hohe Verschuldung hätten Spekulanten doch
der ökologischen und der sozialen Mindeststandards. gar keine Chance, etwas zu unternehmen.
Wenn es das alles nicht gibt, dann gibt es von uns (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
auch keine Zustimmung für das Gesetz. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Wer lebt denn davon?)
(Anhaltender Beifall bei der LINKEN)
Deswegen hätte ich mir schon gewünscht, dass ein biss-
Präsident Dr. Norbert Lammert: chen mehr über diese Frage gesprochen wird.
Der Kollege Volker Kauder ist der nächste Redner für Es ist überhaupt keine Schuldzuweisung, wenn wir
die CDU/CSU-Fraktion. feststellen: Als die Griechen damals in die Währungs-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- union aufgenommen wurden, haben sie die Vorausset-
neten der FDP) zungen nicht erfüllt.
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist es!)
Volker Kauder (CDU/CSU):
Im Deutschen Bundestag wurde darauf hingewiesen, dass
(B) Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und es für die Griechen sehr schwer, vielleicht sogar unmög- (D)
Herren! Gerade nach der Rede von Gregor Gysi lich wird, ihre Wettbewerbsfähigkeit innerhalb der Euro-
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Gute päischen Währungsunion voranzubringen. Aus politischen
Rede!) Gründen ist damals so entschieden worden. Ich sage das
jetzt nicht als Vorwurf an die rot-grüne Bundesregierung
ist es, glaube ich, notwendig, noch einmal zu sagen, wo- der damaligen Zeit, Herr Kollege Trittin.
rüber wir heute beraten, worum es in dieser Woche geht:
Es geht um die Zukunft Europas und damit um unsere (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
eigene Zukunft. Das haben Sie nicht verstanden, Herr NEN]: Theo Waigel war das!)
Gysi. Ich sage nur, dass eine Konsequenz dessen, was wir jetzt
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La- erleben, sein muss, dass es keine politischen Geschenke
chen bei der LINKEN – Dr. Dagmar geben darf, wenn es um die Stabilität unseres Euro geht.
Enkelmann [DIE LINKE]: Sie verspielen die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Zukunft Europas!)
Bei der Frage, wer Mitglied der Europäischen Union und
Der Euro, den wir eingeführt haben, war und ist eine
wer Mitglied der Europäischen Währungsunion wird,
Erfolgsgeschichte. Er hat dazu geführt, dass wir besser
darf nur nach klaren Fakten und nicht nach politischen
durch die Finanz- und Wirtschaftskrise gekommen sind,
Überzeugungen entschieden werden. Alles andere scha-
als das bei Finanz- und Wirtschaftskrisen in früheren
det der Stabilität unserer Europäischen Union.
Jahren, die gar nicht so dramatisch waren wie die letzte,
der Fall war. Deshalb geht es jetzt darum, dass wir den (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Euro in seiner Stabilität stützen. Was wir jetzt, in dieser Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Woche, im Deutschen Bundestag beschließen, hat sehr Das erzählen Sie einmal Helmut Kohl! Das hat
viel mit unserer eigenen Zukunft zu tun, und es hat sehr Helmut Kohl anders gesehen!)
viel damit zu tun, dass wir die Ersparnisse der Menschen
Deswegen war es zwingend notwendig, dass man Grie-
in unserem Land sichern. Es geht darum, dass wir nicht
chenland diesen Weg, der für Griechenland nicht einfach
nur im Interesse unseres Landes, sondern auch im Inte-
ist, zumutet. Ich hatte, als schon im März und April über
resse der Menschen in unserem Land etwas für die Wäh-
diese Frage gesprochen wurde, den Eindruck, dass sich
rung tun. Deswegen werden wir in dieser Woche han-
diejenigen, die sehr schnell, ohne irgendeine Vorbedin-
deln.
gung zu formulieren, Geld an Griechenland ausreichen
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wollten, genau um diese Konsequenzen drücken wollten.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3737
Volker Kauder
(A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Steinmeier, wir haben uns von Anfang an mit Ihnen da- (C)
neten der FDP – Zuruf von der SPD: Das ist rüber unterhalten, dass wir neben dem Gesetzentwurf
nicht wahr!) gemeinsam mit Ihnen auch eine Resolution bzw. Erklä-
rung verabschieden wollen. Jetzt und auch später spre-
– Wenn jetzt jemand ruft: „Das ist nicht wahr!“, dann
chen wir darüber, ob wir hier zu gemeinsamen Überzeu-
kann ich nur sagen: All diejenigen, auch einige Mitglieder
gungen kommen können. Es geht darum, dass wir klar
des Deutschen Bundestages, die auf der linken Seite des
unterscheiden zwischen dem, was wir unternehmen
Hauses sitzen, die gesagt haben: „Griechenland muss
müssen, damit sich so etwas in Zukunft nicht wiederholt,
schnell geholfen werden“, haben keine einzige Forde-
und der Frage: Wer muss mitfinanzieren?
rung erhoben, dass in Griechenland endlich Reform-
und Sparmaßnahmen durchgeführt werden. Die entscheidende Frage lautet: Was müssen wir tun,
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Lügner! – Wei- damit sich so etwas nicht wiederholt?
tere Zurufe von der SPD: Oh! Oh! – Das (Caren Marks [SPD]: Sie haben wohl nichts
stimmt nicht!) begriffen!)
Sie hätten den Griechen Geld gegeben, nach dem Motto:
Weiter so wie bisher! Das haben wir verhindert, meine Erstens. Wir müssen den Stabilitätspakt in Europa
sehr verehrten Damen und Herren. neu justieren; ich bin sehr froh, dass auch Sie dies so er-
klärt haben. Wir dürfen nie mehr zulassen, dass über den
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Stabilitätspakt so dahergeredet wird, wie es zu Zeiten der
Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Er- rot-grünen Regierung geschehen ist.
presst haben Sie das! Das war Erpressung des
IWF!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP – Widerspruch bei Abgeord-
Dass dies nicht so einfach war, wie jetzt mancher be- neten der SPD – Volker Beck [Köln] [BÜND-
hauptet, hat sich in den letzten Tagen gezeigt. Wenn jetzt NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ausgerechnet Sie
gesagt wird, man hätte schneller, man hätte sofort helfen reden von Stabilität! Ich sage nur: 100 Milliar-
sollen, frage ich Sie: Um welchen Preis? Der IWF hat den Euro neue Schulden! Ist das Stabilität?)
Tage, fast eine ganze Woche gebraucht, um die Griechen
davon zu überzeugen, dass es auch in ihrem Interesse ist, Das gehört zur Wahrheit. Ich erinnere mich noch sehr
wenn sie endlich die Kurve kriegen gut daran, dass von der damaligen rot-grünen Bundes-
regierung gesagt worden ist: In Sachen Stabilität lassen
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
wir uns von Europa nicht rügen. Wir rufen die Gremien
Das war doch schon im März klar, Herr
(B) zusammen. Dann wird mit Mehrheit entschieden: Das (D)
Kauder! – Zurufe von der SPD: Oh! Oh! – Na,
lässt sich Deutschland nicht gefallen. – Damit haben Sie
na!)
den Keim für die Verirrungen beim Stabilitätspakt ge-
und einsehen, dass Sparmaßnahmen notwendig sind. legt, meine sehr verehrten Damen und Herren. Das darf
nicht wieder passieren.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das ist Geschichtsfälschung! Aufpas- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
sen, Herr Kollege!)
Der zweite Punkt. Es muss dafür gesorgt werden, dass
Es hat Tage und Wochen gebraucht, bis wir so weit wa- schon frühzeitig von der Europäischen Kommission ein-
ren. Nachdem uns der IWF gesagt hat: „Jetzt sind die gegriffen werden kann, und zwar wenn erkennbar ist,
Voraussetzungen erfüllt, weil Griechenland zugesagt hat; dass Verschuldung produziert wird, und das auch noch
jetzt können wir mit dem Rettungspaket starten“, haben auf Grundlage falscher Zahlen. Die Bundeskanzlerin hat
wir gesagt: Dann ist jetzt auch der Zeitpunkt, ab dem wir zu Recht darauf hingewiesen – das muss man deutlich
mitmachen. – Es kann keine konditionslose Hilfe geben. machen, damit keine Märchen entstehen –: Allein die
Es geht hier nicht um Solidarität, sondern es geht um Tatsache, dass die Griechen in Erkenntnis ihrer schwe-
Stabilität. ren Notsituation falsche Zahlen genannt haben und dann
(Abg. Michael Schlecht [DIE LINKE] meldet eine Korrektur durch den IWF erfolgen musste, durch
sich zu einer Zwischenfrage) die die Verschuldung noch einmal um 1 Prozent angeho-
ben wurde, hat das ganze Misstrauen an den Finanz-
Dafür müssen wir in diesen Tagen werben und kämpfen. märkten hervorgerufen und dafür gesorgt, dass die Zins-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf satzentwicklung so eskaliert ist. Deswegen fordern wir,
von der SPD: Es geht auch um Solidarität!) dass es der europäischen Statistikbehörde ermöglicht
wird, sich sehr frühzeitig anzuschauen, was in den ein-
Präsident Dr. Norbert Lammert: zelnen Ländern passiert, sodass es schnell zu Korrektu-
Herr Kollege Kauder, gestatten Sie eine Zwischen- ren kommen kann. Wir dürfen es nicht bis zu einem Zeit-
frage? punkt laufen lassen, wie wir ihn jetzt haben. Das wird
sich in Zukunft ändern. Wir fordern die Bundesregierung
auf – wir unterstützen sie dabei auch –, dafür zu sorgen,
Volker Kauder (CDU/CSU): dass wir hier schneller zu Erkenntnissen kommen.
Nein. – Es geht auch darum, dass wir jetzt die richti-
gen Konsequenzen aus der Krise ziehen. Herr Kollege (Beifall bei der CDU/CSU)
3738 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Volker Kauder
(A) Dritter Punkt. Wir wollen, dass diejenigen, die Risi- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C)
kogeschäfte machen, wissen, dass sie zahlen müssen, NEN]: Na, Herr Kauder!)
wenn es schiefgeht. Deshalb fordern wir, ein Verfahren
Es geht nicht so, wie Sie, Herr Gabriel, formuliert haben:
für eine geordnete Insolvenz in Europa einzuführen.
Vielleicht machen wir mit, vielleicht machen wir nicht
Das nennt man auch Umschuldung. Wenn man Geld ir-
mit.
gendwo hingibt, muss man damit rechnen, dass es zu ei-
ner geordneten Insolvenz kommen kann. Das muss der- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
jenige, der dieses Risiko eingeht, wissen. NEN]: Das sagten wir schon, als Sie noch gar
nicht wussten, dass Griechenland Probleme
(Otto Fricke [FDP]: Sehr gut!) hat! Blasen Sie sich nicht so auf!)
Wie bei jedem Insolvenzverfahren ist es dann so, dass In dieser Frage kann man nur sagen: Jawohl, es muss ge-
Gläubiger einen Teil ihrer Forderungen nicht realisieren handelt werden, damit der Euro stabil bleibt. Da kann
können. Es wäre gut, wenn wir dieses Verfahren schon man nicht sagen: Ein bisschen mache ich mit, ein biss-
jetzt durchführen könnten; aber diese Möglichkeit hat chen mache ich nicht mit. Ich hoffe, dass dies nachher in
man damals nicht eingeräumt. Für die Zukunft wollen der Besprechung mit den Fraktionsvorsitzenden gelin-
wir dies jedoch. gen kann.
Damit wir keine falschen politischen Diskussionen Die zentrale Frage wird sein: Gelingt es uns, die gro-
führen, sage ich Ihnen, Herr Steinmeier: Diese Maß- ßen Zusammenballungen von finanzieller Macht in den
nahme wird mehr bringen als die Steuer, über die Sie Griff zu bekommen? Ich bitte darum, dass wir uns etwas
diskutieren. Diese führt angesichts der kleinen Summen präziser ausdrücken. Natürlich geht es um Banken; aber
nicht dazu, dass Risiken begrenzt werden. Die Risiken es geht vor allem um die Hedgefonds, die bisher nicht
werden auf die Sparerinnen und Sparer umgelegt. Das kontrolliert werden und auch unter rot-grünen Regierun-
Risiko wird auf die kleinen Leute verteilt und nicht auf gen eher freigestellt als kontrolliert worden sind. Ich
diejenigen, auf die das Risiko verteilt werden muss. kann die Bundesregierung hier nur unterstützen: Jawohl,
da muss etwas getan werden. Wir wissen, wie schwer
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dies in Europa ist. Ich kann nur jeden in diesem Hause
Deswegen bringt diese Steuer keinen Erfolg. auffordern, auf seinen parteipolitischen Kanälen in Eu-
ropa dafür zu sorgen, dass beispielsweise die Regierung
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: in England nicht ständig blockiert, wenn es um die Re-
Lesen Sie mal den IWF-Bericht dazu!) gulierung von Hedgefonds geht. Da muss etwas getan
werden. Da darf man nicht wegsehen.
(B) Man kann darüber reden – Herr Trittin, wir werden es ja (D)
nachher machen –, ob diese Steuer Geld in die Kasse (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
bringt. Aber ich bitte Sie, nicht Verirrungen nachzuge- Das können Sie ja besser machen!)
hen und auch noch zu erklären, dass man mit dieser Es gibt Dinge, die sich nicht im nationalen Bereich, im
Steuer das Problem der Risikoverteilung lösen kann. Das nationalen Parlament lösen lassen. Dafür braucht die
funktioniert hinten und vorne nicht. Bundesregierung Unterstützung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vierter Punkt. Ich glaube, dass es auch darum geht, Meine sehr verehrten Damen und Herren, unser Paket
dass wir zeigen, dass Politik handelt und nicht getrieben besteht aus drei Elementen:
wird.
Erstens. Wir werden – das wird die Koalition in dieser
(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN) Woche beschließen – zur Stabilität der Situation im
Euro-Raum die Kreditanstalt für Wiederaufbau ermächti-
– Ich glaube nicht, dass da Gelächter angebracht ist. Ich gen, Darlehen an Griechenland zu geben, keine Barzah-
möchte ohnehin sagen: Ich bin sehr für die Auseinander- lungen – und damit keine Belastung des Haushaltes –,
setzung und Diskussion über den richtigen Weg. Aber in sondern einen Kredit, den wir verbürgen.
dieser Woche geht es um die Stabilität und die Rettung
des Euro und Europas, nicht um billige Polemik und Par- Zweitens. In einem Entschließungsantrag werden wir
teitaktik, Herr Gysi. Darum geht es in dieser Woche die Dinge auflisten, die wir zur Vorbeugung, damit so et-
wirklich nicht. was nicht wieder passiert, für notwendig halten.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Drittens werden wir den Weg konsequent weiterge-
hen, den wir schon beschritten haben – das ist heute üb-
Es geht darum, verantwortlich für unser Land zu han- rigens noch gar nicht gesagt worden –, nämlich durch
deln und den Menschen in unserem Land zu erklären: konkrete Maßnahmen auch diejenigen zu beteiligen, die
Was wir jetzt machen, dient dazu, den Euro zu stabilisie- am Finanzmarkt mit dazu beigetragen haben, dass wir in
ren, die Rettung dessen, was wir alle uns erarbeitet ha- diese Krise gekommen sind. Wir haben eine Banken-
ben, zu ermöglichen und Zukunft für uns in Europa zu abgabe und ein Gesetz über die Transparenz von
realisieren. Das ist das wahre Thema. Ich bitte darum, Ratingagenturen – das ist fast noch wichtiger als neue
dass sich die Opposition ihrer Verantwortung bewusst Agenturen – in Vorbereitung. Wir werden den Weg einer
wird. europäischen Ratingagentur beschreiten, die so selbst-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3739
Volker Kauder
(A) ständig und transparent sein muss wie die Europäische (Volker Kauder [CDU/CSU]: Na ja! – Gegenruf (C)
Zentralbank. All dies werden wir voranbringen. Das der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜND-
zeigt: Wir sind in dieser schwierigen Stunde handlungs- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch!)
fähig, und wir handeln. Die Menschen können sich da-
rauf verlassen, dass alles, was getan werden kann, getan Herr Pinkwart, der stellvertretende Bundesvorsit-
wird, um den Euro und damit ihre Ersparnisse zu si- zende der FDP, erklärt auf einem Parteitag, auf dem Sie,
chern. Herr Vizekanzler, neben ihm sitzen: Eine Hilfe für Grie-
chenland ist ein Schlag ins Gesicht unserer Bürgerinnen
Vielen Dank. und Bürger. – Wo waren Sie da? Wo sind Sie da aufge-
standen und haben gesagt: „So geht das nicht“?
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Präsident Dr. Norbert Lammert: und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
Das Wort hat nun der Kollege Jürgen Trittin, Fraktion LINKEN)
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Bundeskanzlerin, Sie werden jetzt sagen: Was habe
ich damit zu tun? Ich mache ja nur eine Koalition mit
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): diesem unzuverlässigen Kandidaten. – Ich sage Ihnen:
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir sind Sie bedienen dieses nationale Ressentiment doch selber.
ja heute Zeuge einer großen Gemeinsamkeit zwischen
Gregor Gysi und Angela Merkel geworden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Was?) der CDU/CSU: Das nehmen Sie zurück!)
Beide haben reine Rechtfertigungsreden gehalten: Wir Was sonst ist denn Ihr Vorschlag, den Sie ja auch in ei-
haben recht gehabt. – Nun ist das bei Gregor Gysi eher nen Entschließungsantrag schreiben wollen, von der
ein esoterisches Problem. Suspendierung der Stimmrechte von Mitgliedstaaten?
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ (Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD])
DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Dagmar
Enkelmann [DIE LINKE]: Nein, Fakt!) Europa ist eine Gemeinschaft von 27 gleichberechtigten
Mitgliedstaaten. Da kann nicht ein Mitgliedstaat einem
Aber bei Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, hat das schwer-
anderen Mitgliedstaat die Rote Karte zeigen und sagen:
wiegendere Konsequenzen;
Du setzt dich jetzt mal eine Weile auf die Bank!
(B) (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: (D)
Oberlehrer der Nation!) (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wer sich nicht
an die Spielregeln hält …!)
denn das, was Sie hier in den letzten sechs Wochen
abgeliefert haben, der Versuch, aus Angst vor der Nord- Das wird es in diesem gemeinsamen Europa nie geben.
rhein-Westfalen-Wahl, aus Angst vor dem nächsten Wenn es das nie geben wird, dann sollten Sie das auch
Sonntag diese Krise auszusitzen, hat die Bundesrepublik nicht fordern, meine Damen und Herren.
Deutschland, hat übrigens auch Europa unglaublich viel (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
gekostet. und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN LINKEN)
und bei der SPD – Claudia Roth [Augsburg]
Ihre Politik hat nicht nur zu einem Verlust an Euro-
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Teuerster
pafähigkeit Deutschlands geführt, kostet uns nicht nur
Wahlkampf aller Zeiten!)
politisch etwas. Dass Sie sich seit Februar/März gegen
Sie haben noch im März gemeint, hier die Maggie Hilfe für Griechenland gesperrt haben,
Merkel geben zu müssen.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: War richtig!)
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie heißt
Angela!) hat uns, hat Europa und übrigens auch die Griechen viel
Geld gekostet.
Und was ist heute? – Das politische Klima in diesem
Lande kann man sich jeden Morgen in der Bild-Zeitung (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
angucken. SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LIN-
KEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Quatsch! –
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]:
GRÜNEN]: Heute schon wieder!) So ein Unfug!)
Die Folgen: Die griechische Botschaft wird mit Hass- Herr Kauder, Sie haben hier gesagt: Der IWF hat eine
mails überschwemmt. Vor dem Konsulat von Griechen- ganze Woche gebraucht, um mit den Griechen zu ver-
land in Düsseldorf demonstriert die NPD. Aber das ist handeln.
nicht nur ihr Privileg. Auch die Leute in Ihren eigenen
Reihen sagen, es solle Naxos oder was auch immer ver- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie hätten das
kauft werden. Geld doch schon vorher rausgegeben!)
3740 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Jürgen Trittin
(A) Ich finde, das ist eine ziemliche Leistung. Die Wahrheit Zeit blockiert –, dass wir eine europäische Ratingagen- (C)
ist doch: Sie haben den IWF sechs Wochen daran gehin- tur brauchen.
dert, in dieser Frage zu handeln.
Stellen Sie sich einmal vor, die Steuervorschläge der
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN FDP kämen durch und im Ergebnis würden wir gegen
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der den Stabilitätspakt verstoßen.
LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: So ein (Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE
Quatsch!) GRÜNEN]: Würden wir ja auch! – Sigmar
Wir haben den Direktor des IWF, Herrn Strauss-Kahn, Gabriel [SPD]: Tun wir schon!)
gefragt: Wie war das denn mit dem Faktor Zeit? Er hat Ich sehe schon den Jubel in Ihren Reihen, wenn für
gesagt: Wenn der IWF im Februar/März hätte tätig wer- Deutschland keine Agrarsubventionen und keine Struk-
den können, würden wir über geringere Summen re- turfondsmittel mehr fließen.
den. – Dass wir heute mit 22 Milliarden Euro ins Risiko
gehen, haben Sie, Frau Bundeskanzlerin, mit Ihrer Zöge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
rei und Zauderei zu verantworten. und bei der SPD)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich habe immer den Eindruck: Das gilt immer nur für die
und bei der SPD) anderen, aber nie für Sie selber.

Ich finde, die Menschen in diesem Lande hätten es (Birgit Homburger [FDP]: Das ist bei euch so!
verdient, dass man ihnen erklärt, warum man Griechen- Der Hintergrund ist, dass Sie es genauso ge-
land auf diese Weise hilft. Es ist nicht so, dass diese macht haben!)
Hilfe für Griechenland alternativlos wäre. Selbstver- Wenn solchen Krisen jetzt vorgebeugt werden soll,
ständlich gibt es, wie im wirklichen Leben, Alternati- muss man zwei Dinge in den Mittelpunkt stellen: Zum
ven, über die man entscheiden kann. Wie ist es mit den einen kann es keine europäische Währungspolitik ohne
Vorschlägen, die aus Ihren Reihen gekommen sind? Was eine gemeinsame europäische Wirtschaftspolitik ge-
würde es heißen, Griechenland aus der Währungsunion ben. Das geht eben nur zusammen.
auszuschließen, damit die Griechen die Drachme wieder
einführen und sie entsprechend abwerten? Das Ergebnis (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
wären eine gigantische Kapitalflucht aus Griechenland und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
und der Zusammenbruch des griechischen Bankensek- LINKEN)
tors – mit allen Folgen für das europäische Bankensys- Zum anderen kann man sich nicht wie der badische
(B) tem. Das wären die Folgen der Alternative, die Sie ge- Nationalökonom Kauder (D)
predigt haben, lieber Herr Friedrich.
(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN SES 90/DIE GRÜNEN – Volker Kauder
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der [CDU/CSU]: Baden-Württembergische!)
LINKEN)
hier hinstellen und erklären, die Griechen hätten über
Wie ist es mit der Alternative – auch das ist gefordert ihre Verhältnisse gelebt. Das stimmt zwar, aber das ist
worden –, Griechenland den Staatsbankrott erklären zu nur ein Teil der Wahrheit. Herr Kauder, den anderen Teil
lassen? Die Folge wäre keine andere als bei dem vorigen der Wahrheit muss man als guter Europäer auch sagen.
Vorschlag, nämlich eine massive Gefährdung und Zer- Der andere Teil der Wahrheit lautet nämlich: Davon,
störung des Bankensystems. Das System, mit dem wir dass die Griechen über ihre Verhältnisse gelebt haben,
uns nun einmal herumzuschlagen haben, ist ein Kapita- haben andere gut gelebt.
lismus, der sehr stark von Finanzmarktmechanismen ge- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Na ja!)
prägt ist. Wenn man das weiß, wenn man weiß, dass man
dem Kapitalismus das Spekulieren in dieser Form nicht Ich kann das auch anders ausdrücken: Das Rekorddefizit
abgewöhnen kann, wenn man weiß, dass es zyklisch im- in Griechenland spiegelt sich im Handelsüberschuss der
mer wieder Krisen geben wird, dann darf man sich doch Bundesrepublik Deutschland gegenüber Griechenland
nicht, wie Sie es jetzt – zu spät – tun, auf Nothilfe be- wider. Das ist die simple ökonomische Wahrheit.
schränken, dann muss man doch darangehen, künftigen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Krisen vorzubeugen und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
(Birgit Homburger [FDP]: Entschuldigung! LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Man-
Das wollen wir doch!) nomann! – Hartmut Koschyk [CDU/CSU]:
Das ist Voodoo-Ökonomie! – Norbert Barthle
und damit Schadensbegrenzung zu betreiben. Das ist die [CDU/CSU]: Dagegen war Gysi ja seriös! –
Herausforderung, vor der wir stehen. Zurufe von der FDP)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Meine Damen und Herren, Sie können sich beruhigen.
sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich muss Ihnen das vielleicht so erklären, wie man das
sonst den Kollegen von der Linkspartei erklärt:
Sie bewegen sich an einigen Punkten: Plötzlich darf
Eurostat auch in die deutschen Bücher schauen. Plötz- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Herr Trittin, hö-
lich sind auch Sie der Auffassung – Sie haben das lange ren Sie auf! Sie blamieren sich!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3741
Jürgen Trittin
(A) Wenn Sie 350 Leopard-Panzer an Griechenland verkau- Präsident Dr. Norbert Lammert: (C)
fen, dann ist es unfair, sich darüber aufzuregen, dass sich Der Kollege Dr. Friedrich ist der nächste Redner für
die Griechen für das Geschäft verschuldet haben. – Ich die CDU/CSU-Fraktion.
halte das jedenfalls nicht für einen Vorwurf, den man
leichtfertig erheben sollte. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP – Joachim Poß [SPD]: Er hat
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Griechenland raus!“ gefordert!)
sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker
Kauder [CDU/CSU]: Mannomann!) Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU):
Der Kern ist aber ein anderer. Der Kern ist: Wir brau- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
chen einen Abbau der Ungleichgewichte innerhalb der Herren! Lieber Kollege Trittin, dafür, dass Sie 2002, als
Europäischen Union. Das, was es anderswo zu viel an Griechenland in die Währungsunion geholt wurde, Bun-
Binnennachfrage gibt, gibt es hier zu wenig an Binnen- desminister waren,
nachfrage. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ablenkungs-
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie wollen also manöver!)
Deutschlands Wohlstand verringern?) dass Sie 2004, als der Betrug der Griechen aufgeflogen
Durch eine europäische Wirtschaftskoordination, eine ist und die Grünen, als Sie noch Bundesminister in die-
Koordination der Wirtschaftspolitik innerhalb der Euro- ser Regierung waren, windelweich reagiert haben – ich
päischen Union, wird Deutschlands Wohlstand nicht be- habe die dpa-Meldung vom 24. September dabei –,
schädigt, (Zuruf von der SPD: Sagen Sie doch mal was
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Doch!) zu Ihren Vorschlägen!)
und dafür, dass Sie als Bundesminister in diesem rot-
sondern gemehrt, weil das langfristig zu mehr Stabilität
grünen Kabinett zugeschaut haben, als Ihr damaliger Fi-
und zu mehr Binnennachfrage der Menschen hier führt.
nanzminister Hans Eichel den Euro-Stabilitätspakt auf-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN geweicht hat, riskieren Sie hier eine dicke Lippe.
sowie bei Abgeordneten der SPD – Volker (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Kauder [CDU/CSU]: Das ist Unsinnswirt-
schaft!) In Griechenland sind in den letzten Wochen und Mo-
naten Illusionen geplatzt, und zwar erstens die Illusion,
Wenn Sie die Banken und andere beteiligen wollen, dass Wohlstand schon durch die geografische Lage in (D)
(B) dann müssen Sie eine Finanztransaktionsteuer einfüh-
Europa garantiert ist, und zweitens die Illusion, dass
ren. Frau Merkel, ich habe es im Bericht des IWF nach- Wohlstand auch dadurch gewährleistet ist, dass man dem
gelesen. Darin steht ausdrücklich: Durch diese Steuer Euro-Raum angehört. Tatsache ist: Jeder Staat, jede
werden hochspekulative Geschäfte belastet. – Das ist der Volkswirtschaft ist nur so wohlhabend, wie es die Men-
Grund, weswegen wir sagen: Sie ist zielgenau – anders schen in dieser Volkswirtschaft durch Fleiß, Ehrgeiz,
als Ihre Bankenabgabe –, und durch sie wird dafür ge- Disziplin und Leistungskraft ermöglichen.
sorgt, dass Spekulationen verteuert werden.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Das ist die Wahrheit, und das müssen die Griechen jetzt
LINKEN) lernen, und zwar unabhängig davon, ob in Dollar, Euro
oder Gold bezahlt wird. Entscheidend ist: Die Währung
Ich sage Ihnen: Wir kommen in diesem Hohen Hause ist die geronnene Leistungskraft einer Volkswirtschaft.
nicht überein, auch wenn Sie jetzt die Position einneh-
men, man müsse Griechenland helfen, was Sie lange Dafür, dass es Deutschland in dieser schwierigen
Zeit blockiert haben, wenn Sie nicht den Schritt gehen, wirtschaftlichen Situation gut geht, sind Reformen ver-
endlich dafür Sorge zu tragen, dass diejenigen, die mit antwortlich, die den Menschen in unserem Lande über
Spekulationen Geschäfte machen, künftig auch für die viele Jahre auferlegt worden sind, begonnen in den 90er-
Folgen dieser Spekulationen in Haftung genommen wer- Jahren unter Helmut Kohl und Theo Waigel mit den Re-
den. formen zur Sicherung des Standortes Deutschland bis
hin zu den Hartz-Reformen, die Sie unter Rot-Grün
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN durchgeführt haben und die unseren Bürgerinnen und
sowie bei Abgeordneten der SPD) Bürgern schwere Belastungen auferlegt haben.
Das ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass endlich Griechenland hat in all dieser Zeit keine Reformen
wieder wirtschaftlich geordnete Verhältnisse in dieses durchgeführt, im Gegenteil.
gemeinsame Europa einziehen.
(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Die konserva-
Vielen Dank. tive Regierung! Die Sozialdemokraten müssen
jetzt aufräumen!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Deswegen muss jetzt die internationale Staatengemein-
LINKEN) schaft, vertreten durch den IWF, die Europäische Zen-
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Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)


(A) tralbank und die Europäische Kommission, Griechen- machen, sondern dafür zu sorgen, dass Stabilität in Grie- (C)
land zwingen, innerhalb kürzester Zeit all die Reformen chenland und in ganz Europa Einzug hält.
nachzuholen, die es wieder wettbewerbsfähig machen.
(Thomas Oppermann [SPD]: Deshalb haben
(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Die die Kon- Sie auch die BayernLB gerettet!)
servativen nicht gemacht haben! Die werden
jetzt nachgeholt!) Die europäischen Partner sind bereit – ich sage das
ausdrücklich –, Griechenland Kredite, Darlehen zu ge-
Steuererhöhungen bei der Mehrwertsteuer und bei Ver- ben, übrigens nicht nur die Europäer, sondern die Welt-
brauchsteuern, Kürzung von Löhnen und Gehältern, Ver- gemeinschaft. Im IWF sind viele Staaten vertreten, auch
kauf von Staatsvermögen, Reduzierung des öffentlichen die Amerikaner und die Chinesen sind dabei. Sie alle ha-
Dienstes und Erhöhung des Rentenalters – dieses Pro- ben ein Interesse daran, dass Griechenland, dass Europa
gramm hat der IWF jetzt den Griechen auferlegt. Damit insgesamt stabil bleibt. Darum geht es. Das Ziel des In-
wird das nachgeholt, was griechische Regierungen ver- ternationalen Währungsfonds und der Europäischen
säumt haben. Das macht in etwa deutlich, lieber Herr Union ist es, die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands
Gysi, was passiert, wenn Regierungen Freibier für alle schnell wiederherzustellen.
versprechen, statt rechtzeitig Reformen durchzuführen.
Darum geht es. Was wichtig ist: Es geht hier um Nothilfe. In den
90er-Jahren, in den 80er-Jahren und in den 70er-Jahren
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) hat die Deutsche Bundesbank in vielen Fällen mit Hun-
Griechenland hat, wie bereits gesagt wurde, über derten von Milliarden D-Mark fremde Währungen stüt-
seine Verhältnisse gelebt. Es kann seine staatlichen Ver- zen müssen, um den Aufwertungsdruck von der D-Mark
pflichtungen nicht mehr wahrnehmen und keine Zu- zu nehmen. Die Finanzexperten unter Ihnen wissen das.
kunftsinvestitionen mehr vornehmen und fragt jetzt bei Damals war diese Nothilfe notwendig, um eine Währung
seinen Partnern nach Krediten. und ein Land zu stabilisieren. Eine solche Nothilfe wird
auch jetzt geleistet, aber es muss klar sein: Diese Not-
(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Sie reden über hilfe ist die Ultima Ratio. Sie darf nicht dazu führen,
Ihre intellektuellen Möglichkeiten!) dass wir eine Transferunion bekommen.
Nun könnte man sagen: „Das ist uns egal. Was geht uns Ich bin der Bundeskanzlerin sehr dankbar dafür, dass
Griechenland an?“ Griechenland liegt aber in Europa sie in den letzten Wochen und Monaten hartnäckig ge-
und ist mit unserer Volkswirtschaft verflochten. Im Jahr blieben ist. Es wäre das völlig falsche Signal an die
2008 hat die Exportnation Deutschland – Sie haben vor- Weltgemeinschaft und an Europa gewesen, wenn wir mit
hin darauf hingewiesen, lieber Herr Trittin – Waren und den Milliarden schon bereitgestanden hätten, nur weil (D)
(B)
Dienstleistungen im Wert von 8,3 Milliarden Euro nach die Griechen schreien: Wir brauchen Geld.
Griechenland exportiert. Dafür haben deutsche Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmer Leistung erbringen (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg.
müssen, und dafür haben sie ihren fairen und gerechten Angelika Brunkhorst [FDP])
Lohn bekommen. Ich darf den sozialdemokratischen Außenminister von
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Spanien, Herrn Moratinos, zitieren – das können Sie üb-
rigens in der Süddeutschen Zeitung vom 30. April nach-
180 deutsche Unternehmen sind in Griechenland enga- lesen –, der gesagt hat, wie hilfreich es gewesen sei, dass
giert. Die deutschen Versicherungen und Renten- und die Bundesregierung hartnäckig geblieben sei. Er hat ge-
Pensionsfonds haben griechische Staatsanleihen gekauft; sagt, nur dadurch sei es möglich gewesen, Athen zum
denn diese Institutionen verfolgen sehr vorsichtige Anla- Sparen zu zwingen. Ich danke Ihnen, liebe Frau Bundes-
gestrategien, und die vorsichtigste Strategie besteht da- kanzlerin, dass Sie mit harter Hand gezeigt haben, dass
rin, in Staatsanleihen zu investieren. Deswegen besitzt Deutschland zwar zur Solidarität bereit ist, aber nur zur
im Grunde jede Versicherung in Deutschland griechische Nothilfe und nicht zu einer Transferunion. Darum geht
Staatsanleihen. Insofern ist eine Verflechtung über die es.
Finanzmärkte offensichtlich. Ein griechischer Staats-
bankrott hätte deswegen enorme Auswirkungen auf die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Wirtschafts- und Finanzbereiche in der gesamten Euro- neten der FDP – Lachen bei der LINKEN)
päischen Union.
Wir wollen, dass die Maßnahmen, die der IWF Grie-
Nun kann man einwenden, dass Griechenland sehr chenland jetzt verordnet hat, klar kontrolliert werden.
klein und seine Volkswirtschaft gegenüber der großen Der IWF hat das zugesagt. Es gibt regelmäßige Kontrol-
europäischen Volkswirtschaft und der Stärke des Euros len. Griechenland bekommt Hilfe nur in dem Maße, in
unbedeutend ist. Ja, der Euro ist stark, und Europa hat dem es Fortschritte bei der Umstrukturierung seiner
insgesamt eine starke Volkswirtschaft. Dagegen ist Grie- Volkswirtschaft erzielt. Eines ist klar: Wir müssen jetzt
chenland relativ klein. Aber im September 2008 haben gemeinsam auf europäischer Ebene dafür sorgen, dass
auch viele Lehman Brothers für ein relativ unbedeuten- das, was in Griechenland passiert ist, nicht wieder pas-
des Finanzunternehmen gehalten, das man ruhig pleite- sieren kann. Deswegen braucht der europäische Stabili-
gehen lassen kann. Die Folge war eine unabsehbare Ket- tätspakt nicht eine Aufweichung, wie sie damals unter
tenreaktion auf allen Finanzmärkten, die die ganze Welt der rot-grünen Regierung geschehen ist, sondern er
erschüttert hat. Deswegen rate ich, keine Experimente zu braucht jetzt scharfe Zähne. Der europäische Stabilitäts-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3743
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
(A) pakt muss für all diejenigen Staaten strafbewehrt sein, um Entschuldigung, dass meine Kurzintervention erst (C)
die sich nicht an die Ordnung halten. Es sind schon ei- jetzt erfolgt. Ich möchte Ihnen, Herr Trittin, auch im Na-
nige Dinge – Volker Kauder hat sie aufgezählt – genannt men meiner Fraktion die Möglichkeit geben, zu zeigen,
worden: Zahlungen einstellen, Stimmrecht aussetzen. dass Sie ein Mann von Ehre sind, jemand, der eine fal-
All diese Möglichkeiten müssen kommen. sche Äußerung auch zurücknehmen kann.
Dann gibt es einen zweiten Aufgabenkomplex. Dieser Zu Ihren Aussagen bezüglich des Parteitages der
betrifft die Finanzmärkte. Die Finanzmärkte sind nicht FDP, der Worte von Herrn Pinkwart und des angebli-
ursächlich für die Krise, aber sie haben in der letzten chen Danebensitzens von Herrn Westerwelle möchte ich
Phase die Krise beschleunigt. Das ist vergleichbar mit Folgendes sagen:
dem Borkenkäfer, der einem gesunden Baum nicht scha-
den kann. Aber wenn ein Baum krank ist, dann kommen Erstens. Herr Westerwelle war zu dem Zeitpunkt gar
die Schädlinge. Im Fall Griechenlands waren es die nicht auf dem Parteitag. Das wissen Sie ganz genau. Zu
Finanzhaie, die spekuliert haben. Deswegen müssen wir diesem Zeitpunkt war er – Sie können gleich richtigstel-
uns gut überlegen, wie wir mit dieser Frage umgehen. Es len, dass das schlicht eine falsche Aussage von Ihnen
ist hier des Öfteren über Leerverkäufe gesprochen wor- war – an einem Ort, den wir alle, glaube ich, als sehr
den. Ich sage: Ungedeckte Leerverkäufe, also wenn je- schwierig empfinden, nämlich bei der Trauerfeier für die
mand Dinge verkauft, die er nicht hat, darf es nicht Soldaten.
geben. Es darf keine Kreditversicherungen geben für (Thomas Oppermann [SPD]: Am nächsten Tag
Kredite, die es gar nicht gibt. war er aber da!)
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Es ist Zweitens. Die FDP hat auf dem Parteitag ein Konzept
erforderlich, dass die Regierung das verbietet! beschlossen, welches Hilfen für Griechenland gerade
Sie sind wieder zugelassen!) nicht ausschließt, sondern im Gegenteil beinhaltet: Wir
Wir sind auf dem richtigen Weg, und es wird alles müssen helfen; das muss aber an klare Bedingungen ge-
vorbereitet. Die entsprechenden Maßnahmen sind in knüpft sein.
Brüssel in der Pipeline. Wir werden auf europäischer Drittens. Was Sie gesagt haben, Herr Trittin, geht weit
Ebene mittels einer Derivaterichtlinie den Spekulanten über das hinaus, was im Wahlkampf in einem gewissen
das Spielgeld aus der Hand schlagen. Aber machen Sie, Maße möglich ist. Ich bitte Sie nochmals: Stellen Sie
Herr Steinmeier, den Menschen in Deutschland bitte klar, dass die Äußerungen, die Sie hier im Bundestag zu
nicht weis, wir könnten das national regeln. Die Finanz- dem gemacht haben, was Herr Pinkwart gesagt hat,
märkte – das weiß doch jedes Kind – sind international, schlicht falsch waren. Ich habe mir eben am Telefon
(B) zumindest aber europäisch. Wir sollten – das ist richtig – noch einmal die Live-Aufzeichnung – wörtlich – ange- (D)
den Mut haben, Dinge auf europäischer Ebene auch hört – und kommen Sie mir nicht damit, Sie hätten das
dann zu machen, wenn unsere amerikanischen und un- irgendwo anders gelesen; wenn man andere Leute zitiert
sere anderen Freunde nicht mitmachen. Ja, das ist wahr. und ihnen ihre Worte zum Vorwurf macht, dann sollte
Diesen Mut sollten wir haben. man das genau geprüft haben –: Wer Griechenland Mil-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – liardenhilfen in Aussicht stellt und dann vor die deut-
Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Das wäre schon schen Arbeitnehmer und kleinen Betriebe sich stellt und
mal gut!) sagt: „Für euch ist kein Geld da“, der schlägt dem Bür-
ger ins Gesicht.
Aber erzählen wir den Leuten nicht, dass wir das natio-
nal machen könnten; denn das ist nicht die Wahrheit. (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Barbara Hendricks
Meine Damen und Herren, das Haus Europa hat ein
[SPD]: Das ist ja noch schlimmer!)
gutes Fundament. Aber in einigen Stockwerken dieses
Hauses ist Unordnung. Jetzt geht es darum, Ordnung zu Das ist, glaube ich, immer noch ein himmelweiter Unter-
schaffen. Das kann ein starkes Land wie Deutschland schied. Ich bitte Sie, jetzt hier klarzustellen, dass die Äu-
mit einer starken Regierungschefin. Die Bundesregie- ßerung von Herrn Pinkwart so gefallen ist und nicht so,
rung und die Koalition sind entschlossen, diese Ordnung wie Sie es gerade behauptet haben.
in Europa zu schaffen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Vielen Dank. der CDU/CSU)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege Trittin, Sie haben Gelegenheit zur
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem Reaktion.
Kollegen Otto Fricke von der FDP-Fraktion.
Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Otto Fricke (FDP): Lieber Herr Kollege Fricke, ich bin Ihnen dankbar,
Meine Damen und Herren! Bevor man eine Äußerung dass Sie das Verhalten Ihres stellvertretenden FDP-Bun-
als falsch zurückweist, Herr Kollege Trittin, sollte man desvorsitzenden hier noch einmal zur Sprache bringen.
die Zusammenhänge immer prüfen. Deswegen bitte ich So geht das auch nicht unter. Sie haben eben mein Zitat,
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Jürgen Trittin
(A) dass er dies als Schlag ins Gesicht der Bürger sieht, aus- paket – ganz ohne die Unterstützung und die Hilfe des (C)
drücklich bestätigt. IWF und auch ohne den Druck vonseiten des IWF an ei-
ner Lösung des Problems. Deutschland hat an dieser
(Otto Fricke [FDP]: Nicht „dies“! Sie haben
Stelle nichts dazu beigetragen, dass Griechenland sich
etwas anderes gesagt!)
dazu entschlossen hat, sein Defizit zurückzufahren.
Ich unterstreiche an dieser Stelle: Der gleiche Herr Am 4. März dieses Jahres wurde das dritte Sparpaket
Pinkwart, der sich in dieser Form verabschiedet, wieder ohne die Mitwirkung des IWF.
(Otto Fricke [FDP]: Nein! Stellen Sie es doch Erst in der letzten Woche ist der IWF auf den Plan getre-
klar!) ten. Man hat dann darüber diskutiert, was die Griechen
bereits selbstständig und eigenverantwortlich ausgear-
auf dem FDP-Parteitag und in diversen Hörfunkinter- beitet haben. Laut dem Handelsblatt von Montag dieser
views – ich könnte Ihnen auch Zitate aus dem Deutschland- Woche sagte der Direktor des IWF, dass er sehr zufrie-
funk mitbringen – geäußert hat, wird in seiner Funktion als den ist mit dem, was Griechenland vorgelegt hat. Erwe-
stellvertretender Ministerpräsident am kommenden cken Sie also bitte hier nicht den Eindruck, dass es der
Freitag genau diesem – in seinen Worten – „Schlag ins internationale oder sogar der Druck aus Deutschland ge-
Gesicht“ im Bundesrat zustimmen. wesen ist, der Griechenland dazu gebracht hat, Sparmaß-
(Birgit Homburger [FDP]: Das ist eine nahmen vorzunehmen. Das war es ganz bestimmt nicht.
unglaubliche Verdrehung!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
In einem Punkte gebe ich Ihnen aber ausdrücklich sowie bei Abgeordneten der SPD)
recht: Der Herr Außenminister war mit gutem Grund Die Griechen sind Gott sei dank im Oktober des letz-
– mit vollem Respekt von meiner Seite – am Samstag ten Jahres, als die neue Regierung ihre Arbeit aufgenom-
nicht auf dem Parteitag der FDP. men hat, selbst zu der Erkenntnis gekommen, dass sie
(Otto Fricke [FDP]: Er hat also nicht daneben- radikale Sparmaßnahmen vornehmen müssen. Bitte neh-
gesessen! – Hans-Michael Goldmann [FDP]: men Sie das zur Kenntnis.
Sie haben doch gesagt, er hat danebengeses- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sen!) sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich vermute aber, so wie ich den Kollegen Westerwelle
kenne, dass er sich die wesentlichen Äußerungen der Re- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
den am Samstag angehört hat Herr Kollege Friedrich, bitte.
(B) (Hans-Michael Goldmann [FDP]: Bei der (D)
Trauerfeier, oder wie?) Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU):
Frau Kollegin, ganz herzlichen Dank dafür, dass Sie
und auch diese Passage von Herrn Pinkwart kannte. Als noch einmal das bestätigt und unterstrichen haben, was
Herr Westerwelle am Sonntag auf dem FDP-Parteitag die Frau Bundeskanzlerin hier vorgetragen hat.
geredet hat, da hätte ich von ihm als Vizekanzler, als Au-
ßenminister der Bundesrepublik Deutschland und als Wir hatten auf europäischer Ebene gemeinsam die
Vorsitzenden der Partei von Hans-Dietrich Genscher er- Hoffnung, dass das, was Griechenland an Sparmaßnah-
wartet, dass er diese unglaubliche Äußerung von Herrn men und Schuldenreduzierung auf den Weg bringt, aus-
Pinkwart zurückweist. reichen könnte, um die Märkte wieder zu beruhigen und
das Land tatsächlich aus der Krise zu führen. Diese
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Hoffnung konnte man haben. Deswegen war es richtig,
Dieser Erwartung ist Herr Westerwelle leider nicht ge- nicht gleich zu sagen: „Ihr braucht keine Reformen zu
recht geworden. machen, hier habt ihr Geld“, sondern die Griechen bei
ihren ehrlichen und ernsthaften Bemühungen im Rah-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN men ihrer Regierungsarbeit moralisch zu unterstützen.
und bei der SPD)
(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Dann kann man sie
aber nicht zugleich niedermachen!)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort zu einer Kurzintervention auf die Rede des Aber dann – auch das ist in der Regierungserklärung
Kollegen Friedrich erteile ich der Kollegin Viola von deutlich geworden – hat sich plötzlich herausgestellt,
Cramon. dass all die Bemühungen, die Griechenland unternom-
men hat, nicht ausgereicht haben. Eurostat hat nämlich
Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/DIE
festgestellt, dass die Nettokreditaufnahme noch höher
GRÜNEN): liegt. Diese Erkenntnis veranlasste die griechische Re-
gierung dazu, zu sagen: Jetzt sind wir mit unseren Mög-
Herzlichen Dank. – Herr Kollege Friedrich, Sie stel-
lichkeiten am Ende; jetzt brauchen wir die internationale
len hier in den Raum, dass es der IWF gewesen sei, der
Staatengemeinschaft.
Griechenland zu diesen sehr ambitionierten Sparpake-
ten getrieben hat. Das ist nicht korrekt. Griechenland ar- (Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Nein! Weil
beitet – bereits im Dezember des letzten Jahres gab es Deutschland unklar war auf den Finanzmärk-
das erste und im Februar dieses Jahres das zweite Spar- ten!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3745
Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)
(A) Dann wurde der IWF eingeschaltet. Das ist die tatsächli- lebt, sich hoch verschuldet und es dabei versäumt, seine (C)
che Reihenfolge. Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.
Frau Kollegin, ganz herzlichen Dank dafür, dass Sie (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
noch einmal unterstrichen haben, dass das, was die Bun- NEN]: Lassen Sie sich das bei Ihren Steuer-
deskanzlerin hier vorgetragen hat, zutreffend ist. senkungsplänen gesagt sein!)
Danke schön. Wir sind der Auffassung: Es gibt tatsächlich keine Al-
(Beifall bei der CDU/CSU – Lachen bei ternative zu dieser Rettungsmaßnahme, diesem Notfall-
Abgeordenten der SPD) programm, das wir in dieser Woche auflegen wollen. Es
ist mir wichtig, zu erklären: Damit tun wir alles, um das
Risiko von den deutschen Steuerzahlern so weit als ir-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
gend möglich fernzuhalten. Wir übernehmen eine Aus-
Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich Kol- fallbürgschaft für die Kredite der KfW. Diese Kredite
legen Norbert Barthle von der CDU/CSU-Fraktion das sind letztendlich nichts anderes als Hilfe zur Selbsthilfe.
Wort. Es gibt keinen Blankoscheck – teilweise wurde das for-
(Beifall bei der CDU/CSU) muliert –: Die Hilfe ist an strenge Auflagen geknüpft.
Griechenland hat sich zu einem wirklich drastischen
Norbert Barthle (CDU/CSU): Sparkurs verpflichtet, der daraus resultiert, dass Ein-
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- nahmeverbesserungen erzielt und durchgreifende Struk-
nen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und turreformen vorgenommen werden müssen. Griechen-
Herren! Wir stehen heute in dieser historischen Stunde land will sein Defizit bis 2014 unter die 3-Prozent-
an einer Weggabelung für die Zukunft Europas. Ange- Grenze senken. Das ist alle Anerkennung wert. Das Me-
sichts der Dimension der Entscheidung, die wir in dieser morandum of Understanding, das abgeschlossen und
Woche zu treffen haben, finde ich es ein Stück weit be- von den Griechen unterzeichnet wurde, sichert uns zu,
merkenswert, mit welch teilweise billiger Polemik hier dass diese Maßnahmen umgesetzt werden.
vonseiten der Opposition versucht wird, innenpolitisches
Kapital – womöglich mit Blick auf eine Landtagswahl – Immer wieder kommt die Frage: Welche Sicherheiten
zu schlagen. haben wir? Natürlich kann niemand sagen, dass wir end-
gültige Sicherheit haben. Dennoch möchte ich an dieser
(Lachen des Abg. Jürgen Trittin [BÜND- Stelle betonen, dass wir für die erfolgreichen, nach-
NIS 90/DIE GRÜNEN] – Volker Beck [Köln] drücklichen Verhandlungen unserer Bundeskanzlerin
(B) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Versuch und unseres Finanzministers dankbar sein müssen, die (D)
der Union und der FDP ist gründlich schiefge- erreicht haben, dass der IWF beteiligt wird.
gangen!)
(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Das müssen
Es besteht Konsens unter allen Euro-Ländern. Es geht
wir nicht! Die haben alles nur verschlimmert
nicht um eine einzelne nationale Maßnahme, sondern
durch ihre unklare Haltung!)
um ein Gesamtpaket, das in Abstimmung mit dem IWF,
mit der EZB und mit allen Euro-Ländern geschnürt wor- Durch die Beteiligung des IWF erhalten die Auflagen,
den ist. Aus dieser schwierigen Situation auf diese bil- die mit dem Paket verknüpft sind, eine wesentlich grö-
lige Weise innenpolitisches Kapital schlagen zu wollen, ßere Durchschlagskraft; wir erhalten bessere Kontroll-
ist schon bezeichnend. mechanismen. Dass sich der IWF mit 30 Milliarden
(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Darum geht es Euro finanziell beteiligt, zeigt, dass die internationale
nicht!) Gemeinschaft Vertrauen in die Wirksamkeit dieses Pa-
kets hat. Das ist ein ganz wichtiges Signal.
Letztendlich geht es uns doch darum, die Stabilität des
Euro zu gewährleisten und dafür zu sorgen, dass diese Nebenbei bemerkt: Es ist Bestandteil dieses Paketes,
Währung, die Grundlage unseres gemeinsamen Wohl- dass regelmäßig, vierteljährlich, eine Überprüfung vor-
stands ist, auch in Zukunft sicher ist. Auf diese Weise genommen wird. Diese Überprüfung orientiert sich an
schützen wir den gesamten Euro-Raum. quantitativen Leistungskriterien und strukturellen Richt-
werten, um die erreichten Fortschritte zu bewerten und
Natürlich geht es primär darum, Griechenland wieder gegebenenfalls weitere Maßnahmen zu beschließen. Im
zahlungsfähig zu machen. Es geht auch darum, die Wett- Kontext dieser Überprüfungen können wir als deutsches
bewerbsfähigkeit Griechenlands zu stärken. Ich finde es Parlament jederzeit gegensteuern. Vierteljährlich findet
bemerkenswert, wenn Herr Gysi an dieser Stelle fest- eine Unterrichtung durch die Bundesregierung im Haus-
stellt, dass die international vereinbarten Maßnahmen haltsausschuss des Deutschen Bundestages statt. Wir ha-
ökonomischer Blödsinn seien. Denn diese Maßnahmen ben die Möglichkeit, regelmäßig zu kontrollieren, ob die
zielen gerade darauf ab, die Wettbewerbsfähigkeit Grie- entsprechenden Fortschritte erzielt werden.
chenlands zu stärken und Griechenland in die Lage zu
versetzen, sich auf den Finanzmärkten zu refinanzieren. Die Zahlungspraxis des IWF gestaltet sich folgender-
Das ist schon bemerkenswert. Man kann an dieser Stelle maßen: Die Zahlung weiterer Tranchen ist immer daran
beobachten, was passiert, wenn ein Land leichtfertig geknüpft, dass die Maßnahmen erfolgreich sind. Das ist
über Jahre hinweg – viel zu lange – von fremdem Geld ein wichtiges Signal an die deutsche Öffentlichkeit; denn
3746 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Norbert Barthle
(A) damit haben wir ein Stück weit Sicherheit, dass das be- dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist offensichtlich (C)
schlossene Programm wirkungsvoll umgesetzt wird. nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Es wurde bereits von den Vorrednern betont, dass es Ich unterbreche nun die Sitzung bis 13 Uhr. Der Wie-
über dieses Programm hinaus notwendig sein wird, wei- derbeginn der Sitzung wird rechtzeitig durch Klingel-
tere Maßnahmen zu ergreifen, um künftige Vorfälle signal bekannt gegeben.
ähnlicher Dimension zu vermeiden. Ich will das unter-
Die Sitzung ist unterbrochen.
streichen. Wir denken da an zwei verschiedene Bereiche.
(Unterbrechung von 10.51 bis 13.00 Uhr)
Einerseits müssen wir es schaffen, auf europäischer
Ebene dafür zu sorgen, dass bessere Transparenz und
bessere Kontrollmöglichkeiten entstehen. Da ist Eurostat Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
gefragt. Wir müssen es Eurostat ermöglichen, schärfer Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.
und besser zu kontrollieren, transparentere, klare Zahlen Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
zu bekommen. Wir müssen entsprechende Sanktionen
vorsehen. Bisher wurden auf europäischer Ebene noch Befragung der Bundesregierung
nie Sanktionen ausgesprochen. Damit sind Sanktionen Die Bundesregierung hat als Thema der Kabinettssit-
ein stumpfes Schwert. Wir müssen die Europäische zung von Montag mitgeteilt: Rücknahme der Erklärung
Union in die Lage versetzen, tatsächlich Sanktionen aus- der Bundesrepublik Deutschland vom 6. März 1992
zusprechen. zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
Unser Fraktionsvorsitzender hat klipp und klar darauf hat die Bundesministerin der Justiz, Frau Sabine
hingewiesen, dass es gelingen muss, ein Insolvenzver- Leutheusser-Schnarrenberger. Bitte schön.
fahren vorzusehen. Wir brauchen die notwendigen In-
strumentarien, damit es künftig, wenn noch einmal solch Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ein Fall eintreten sollte, nicht notwendig ist, in einem ministerin der Justiz:
mühsamen europäischen Abstimmungsverfahren ein Recht herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kol-
Programm zu beschließen. Vielmehr müssen Regularien leginnen und Kollegen! Am 3. Mai 2010 wurde in der
bestehen, die sofort greifen können. Andererseits wird es Kabinettssitzung der Beschluss zur Rücknahme des Vor-
darum gehen, die Finanzmärkte in den Blick zu nehmen. behalts gegen die Kinderrechtskonvention gefasst. Das
Auch dazu hat die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungs- war ein wirklich guter Tag für die Kinderrechte. Mit der
(B) erklärung das Notwendige gesagt. Es wird darum gehen, Rücknahme der Erklärung zur Kinderrechtskonvention (D)
eine unabhängige europäische Ratingagentur zu instal- der Vereinten Nationen haben wir ein jahrelanges Anlie-
lieren; denn die Ratingagenturen – auch darauf hat der gen des Bundestages umgesetzt. Die Koalition hat jetzt,
Finanzminister immer wieder hingewiesen – haben in nachdem jahrelang über dieses Thema diskutiert worden
diesem Kontext eine ausgesprochen verstärkende Wir- ist, den Durchbruch erreicht.
kung erzielt. Das muss künftig verhindert werden. Wir
1989 wurde die Kinderrechtskonvention von der Ge-
sind gerne bereit, über ein Verbot ungedeckter Leerver-
neralversammlung der Vereinten Nationen angenom-
käufe zu sprechen. Das ist in unserem Maßnahmenpaket
men. Im Jahr 1992 wurde sie von Deutschland ratifiziert,
vorgesehen. Wir sind auch gerne bereit, über ein Verbot
wobei aber mit der Interpretationserklärung bei der Hin-
der sogenannten Credit Default Swaps zu sprechen,
terlegung der Ratifikationsurkunde Anlass zur Diskus-
wenn sie ohne Eigenkapitalunterlegung nur zur Spekula-
sion gegeben wurde. Diese Erklärung betraf das Fami-
tion benutzt werden.
lienrecht, das Jugendstrafrecht sowie das Ausländerrecht
Das alles sind sinnvolle Maßnahmen, die wir ergrei- und ist seinerzeit auf Wunsch der Bundesländer zustande
fen wollen, um die Finanzmärkte besser als bisher regu- gekommen.
lieren zu können. Aber – das muss man immer wieder
Viele Initiativen und Flüchtlingsorganisationen haben
hinzufügen – das geht nur im internationalen Kontext.
sich seither für die Rücknahme der Erklärung stark ge-
Deshalb wünsche ich mir, dass der Deutsche Bundestag
macht, nicht nur der Bundestag, sondern besonders auch
in dieser Woche das vorliegende Maßnahmenpaket mit
die Kinderkommission, und zwar einstimmig. Die Bun-
großer Mehrheit verabschiedet und damit der Bundes-
desregierung hat sich im Koalitionsvertrag darauf
kanzlerin den Rücken stärkt, damit sie unser Vorhaben
verständigt, diesen Vorbehalt zurückzunehmen. Die Län-
auf internationalem Parkett durchsetzen kann.
der haben sich mit der Bundesratsentschließung vom
Danke sehr. 26. März 2010 für die Rücknahme ausgesprochen. Das
war ein ganz wichtiges Signal, ein wichtiger Schritt da-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) hin, dass sich jetzt auch die Bundesregierung zur Rück-
nahme des Vorbehalts entscheiden konnte. Denn – das
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: hat die Debatten in den letzten Jahren geprägt – es sollte
Ich schließe die Aussprache. nicht gegen den Willen der Länder erfolgen.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent- Warum haben sich so viele für die Rücknahme des
wurfes auf Drucksache 17/1544 an die in der Tagesord- Vorbehaltes über Jahre hinweg eingesetzt, und welche
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es konkreten Folgen resultieren aus der Rücknahme?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3747
Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
(A) Deutschland hat natürlich immer die Kinderrechtskon- Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes- (C)
vention der Vereinten Nationen respektiert. Die Erklä- ministerin der Justiz:
rung sollte nicht die Rechte der Kinder einschränken Vielen Dank, Frau Deligöz, für die Frage. Ich möchte
oder außer Kraft setzen, sondern es ging darum, für die noch einmal betonen, dass es gerade dieser Regierung
genannten Bereiche Gefahren durch mögliche Fehl- oder gelungen ist, und zwar mit Zustimmung aller Bundeslän-
Überinterpretationen auszuschließen. Diese Sorgen hat- der, hier weiterzukommen. Das haben andere Regierun-
ten die Länder immer zum Ausdruck gebracht. gen, die sich natürlich auch immer um das Kindeswohl
bemüht haben, nicht erreicht.
Dies bezog sich besonders auf Aspekte des Auslän-
derrechtes. Deshalb hob die Erklärung hervor, dass die Auf Bundesebene haben wir keinen Gesetzgebungs-
Konvention kein Recht auf widerrechtliche Einreise und bedarf. Bei der Erklärung spielte zum einen das Fami-
Aufenthalt gewähre. Aber natürlich brauchen minderjäh- lienrecht eine Rolle. Hier sind nach 1992 mit der Kind-
rige Flüchtlinge einen ganz besonderen Schutz. Die schaftsrechtsreform bereits Änderungen erfolgt und
Frage, was wir für minderjährige Asylbewerber und Unterschiede zwischen ehelichen und nicht ehelichen
Flüchtlinge tun können, stellt sich in jedem Einzelfall. Kindern so weit wie möglich beseitigt worden. Nach der
Die Rücknahme der Erklärung ist daher vor allem ein Kinderrechtskonvention wird nicht ein ganz bestimmtes
ganz wichtiges politisches Signal für den Vollzug, das Modell vorgegeben. Aber vor dem Hintergrund der Ent-
heißt: für die Gesetzesanwender. Es sollte den Ländern scheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichts-
Anlass geben, ihre Praxis zu überprüfen und zu überle- hofs werden wir die Frage des Sorgerechts von nicht ver-
gen, wie das Kindeswohl stärker berücksichtigt werden heirateten Eltern, gerade auch von Vätern, zu beraten
kann. Ich denke an aktuelle Fälle, in denen Kinder in haben. Hier arbeiten wir bereits an einem Gesetzentwurf.
Abschiebehaft sitzen. Auch wenn die Abschiebehaft Im Bereich des Jugendstrafrechts geht es um einen
nach der Kinderrechtskonvention grundsätzlich zulässig rechtskundigen oder anderen geeigneten Beistand zur
bleibt, muss sie auf die kürzeste noch angemessene Zeit Vorbereitung und Wahrnehmung der Verteidigung. Nach
begrenzt werden. Hier sollten die Länder kritisch über- dem geltenden Recht besteht die Pflicht zur Bestellung
prüfen, wie viele Kinder sich wie lange in Abschiebehaft eines Pflichtverteidigers, wenn es keinen Wahlverteidi-
befinden, und dann entsprechend reagieren. ger gibt und das Kind nicht in der Lage ist, sich selbst zu
Auch im Bereich der medizinischen Versorgung sollte verteidigen. Diese Regelung greift unmittelbar. Insofern
die Bewilligungspraxis der Sozialbehörden auf die be- müssen wir auch hier auf Bundesebene nicht gesetzgebe-
sondere Schutzbedürftigkeit von Kindern und Jugendli- risch tätig werden.
chen, für die das Asylbewerberleistungsgesetz gilt, Auch im Bereich des Asyl- und Ausländerrechts se-
(B) Rücksicht nehmen. hen wir keinen legislativen Handlungsbedarf auf Bun- (D)
desebene. Es wird verlangt, gerade Flüchtlingskindern,
Natürlich ist es richtig, im Asylverfahren nicht nur Ju- ob begleitet oder unbegleitet, angemessenen Schutz und
gendlichen bis zum 16. Lebensjahr, sondern bis zum humanitäre Hilfe zu gewähren. Insbesondere in diesem
18. Lebensjahr einen angemessenen Rechtsbeistand zur Bereich – ich habe einige Bereiche angesprochen –
Seite zu stellen und in diesen Verfahren auch besonders kommt es auf die Länder an. Die Länder waren im Vor-
geschulte Sachbearbeiter einzusetzen. feld der Befassung des Kabinetts sehr konstruktiv. Sie
Insgesamt ist mit der Entscheidung über die Rück- haben sich in mehreren Bundesratssitzungen damit be-
nahme ein ganz wichtiges Zeichen gesetzt worden, auch fasst, ob sie einer Rücknahme der Erklärung zustimmen
auf internationaler Ebene. Unsere Botschaft ist klar: Für können bzw. damit einverstanden sind. Die ursprüngli-
uns steht das Kindeswohl im Mittelpunkt unserer Politik. chen Vorbehalte der Länder – egal wer in den Ländern in
Regierungsverantwortung steht – sind in dieser Form
Vielen Dank. nicht mehr belegt. Aber wir werden natürlich – die
nächste Justizministerkonferenz im Juni bietet dazu si-
cherlich eine gute Gelegenheit – mit den Ländern da-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: rüber reden, was passiert und wie sich die Situation nach
Danke schön. – Als erste Fragestellerin zu diesem der Rücknahme des Vorbehaltes und der Zuleitung des
Themenbereich hat Ekin Deligöz, Fraktion Bündnis 90/ Kabinettsbeschlusses an den Generalsekretär der Verein-
Die Grünen, das Wort. ten Nationen konkret darstellt. Wir werden dann letzt-
endlich zu gewichten haben, ob es hier, an welche Stelle
auch immer adressiert, gesetzgeberischen Handlungsbe-
Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
darf geben sollte.
Sehr geehrte Frau Ministerin, vielen Dank für Ihre
Ausführungen. In der Tat ist es ein großer Schritt, diese
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Vorbehalte zurückzunehmen. Es steht Deutschland auch
international sehr gut zu Gesicht, das zu tun. Sie haben Die nächste Frage stellt Diana Golze.
hinsichtlich der Konsequenzen oft an die Länder appel-
liert. Mich interessiert, welche Konsequenzen Sie als Diana Golze (DIE LINKE):
Bundesministerin daraus ziehen. Das heißt: Was werden Vielen Dank. – Frau Ministerin, ich möchte an die
Sie konkret tun, sei es gesetzlich oder untergesetzlich, Fragen meiner Kollegin Deligöz anschließen. Natürlich
um diese Rechte der Kinder bundesweit durchzusetzen? begrüße auch ich die bevorstehende Rücknahme des
3748 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Diana Golze
(A) Vorbehalts. Aber ich denke schon, dass sich hier für uns satz zu anderen Regierungen auf Verbesserungen ver- (C)
als Bund Handlungsbedarf für Gesetzesänderungen ständigt haben.
abzeichnet. Ich nenne als Beispiel die ausdrückliche Ver-
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sehr
ankerung des Vorrangs des Kindeswohls im Asylverfah-
konkret war das nicht!)
rens- und Asylbewerberleistungsrecht sowie im Aufent-
haltsgesetz.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Sie haben vorhin gesagt, dass die Abschiebehaft laut Das Wort hat nun Kollege Peter Tauber.
UN-Kinderrechtskonvention grundsätzlich zulässig bleibt.
Wir könnten es uns doch durchaus erlauben, darüber hi-
Dr. Peter Tauber (CDU/CSU):
nauszugehen und zu sagen: Während des Verfahrens ver-
bieten wir die Aufnahme von minderjährigen Flüchtlin- Frau Ministerin, zunächst herzlichen Dank für diesen
gen in Abschiebehaft. Wir verbieten die Abschiebung Erfolg. Ich glaube, dass er zu gleichen Teilen der Ein-
minderjähriger unbegleiteter Flüchtlinge. sicht der Länder als auch Ihrem Charme geschuldet ist.
Mich interessiert nun: Erfüllt die Bundesregierung
Hier sehe ich den Bund in der Pflicht. Gerade jetzt, da bereits jetzt, das heißt unabhängig von der Rücknahme
wir auf die Zustimmung der Länder hoffen können, der Vorbehaltserklärung, alle sich aus der Kinderrechts-
sollte der Bund auf die Länder in den Fragen zugehen, in konvention ergebenden völkerrechtlichen Verpflichtun-
denen die Landesgesetzgebungen betroffen sind. Ich gen? Oft hat man ein bisschen die Sorge, dass in der öf-
denke hier zum Beispiel an den Schulbesuch von Kin- fentlichen Debatte aufgrund dieser Rücknahme der
dern unabhängig vom Aufenthaltsstatus. Eindruck entstehen könnte, das sei bisher nicht der Fall
gewesen.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz: Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
Herzlichen Dank, Frau Kollegin, dass Sie noch ein- ministerin der Justiz:
mal meine Auffassung bestätigt haben, dass es nach der Deutschland hat sich allen völkerrechtlichen Ver-
Konvention jetzt nicht geboten und rechtlich vorgegeben pflichtungen nicht nur theoretisch verpflichtet gefühlt,
ist, die Abschiebehaft für Jugendliche abzuschaffen. Das sondern ist diesen Verpflichtungen natürlich auch immer
ist die richtige juristische Bewertung. Etwas anderes ist nachgekommen. Hier gab es gerade nach 1992 in man-
die politische Diskussion, die hierüber geführt werden chen Bereichen gesetzliche Änderungen. Ich denke
muss. besonders an die 1998 vorgenommene Kindschafts-
rechtsreform im Familienrecht, die, wenn sie vorher vor-
(B) Die Konvention verbietet die rechtswidrige oder will- (D)
genommen worden wäre, damals bei Zeichnung der
kürliche Inhaftierung und hält die Abschiebehaft als letz-
Konvention ohne Abgabe des Erklärungsvorbehaltes
tes Mittel in der kürzesten angemessenen Zeit für an-
eher zu Problemen hätte führen können. Aber wir erfül-
wendbar. Das ist der rechtliche Rahmen, in dem wir uns
len die Verpflichtungen aus der Konvention.
bewegen. Die Debatte darüber, ob man über diese Rege-
lungen hinausgeht, ohne dazu durch die Konvention ver- Für mich geht es jetzt vorrangig darum, zu klären,
pflichtet zu sein, ist natürlich den Ländern, aber auch was das für die Gesetzesanwendung bedeutet. Internatio-
dem Bundestag und den Fraktionen unbenommen. nal stehen wir damit gut da. Zu Recht sind die Organisa-
tionen – UNICEF, Pro Asyl und viele andere –, die sich
Ich darf auf einen weiteren Punkt hinweisen: Sie ha- der Situation von Kindern annehmen, mit der Entschei-
ben den Schulbesuch von Kindern ohne Aufenthaltsbe- dung des Kabinetts einverstanden. Ich denke, das ehrt
rechtigung angesprochen, die sich also illegal hier auf- diese Koalition.
halten. Ich bin sehr froh, dass es uns gelungen ist – ich
glaube nicht, dass das bei den Vorgängerregierungen in
den Jahren nach 1998 der Fall war –, im Koalitionsver- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
trag festzuschreiben, dass gerade die Vorschriften Das Wort hat nun Kollegin Katja Dörner.
hinsichtlich der aufenthaltsgesetzlichen Übermittlungs-
pflichten öffentlicher Stellen geändert werden, sodass Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
der Schulbesuch von Kindern ermöglicht wird. Ansons- Sehr geehrte Frau Ministerin, vielen herzlichen Dank
ten können Kinder, die sich illegal in Deutschland auf- für Ihre Ausführungen. Ich möchte Sie ganz konkret
halten, nicht zur Schule gehen, weil in einem solchen fragen, ob die Bundesregierung jetzt als Folge der Rück-
Fall Meldepflicht besteht und dann entsprechende Kon- nahme der Vorbehaltserklärung plant, Kinder und Ju-
sequenzen gezogen werden. gendliche aus dem Asylbewerberleistungsgesetz heraus-
zunehmen. Sie wissen, dass das erhebliche Folgen hätte,
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE beispielsweise hinsichtlich der Versorgung im Gesund-
GRÜNEN]: Gesundheitsvorsorge!) heitswesen und mit Blick auf das Existenzminimum.
Genau diesen Punkt haben wir in Verantwortung ge-
genüber den Kindern und dem Kindeswohl als CDU/ Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
CSU/FDP-Koalition in den Koalitionsvertrag aufgenom- ministerin der Justiz:
men. Ich glaube, daran sieht man, wie ernst wir gerade Die Regierung hat nicht die Absicht, jetzt das Asylbe-
diese Frage nehmen und wie konkret wir uns im Gegen- werberleistungsgesetz zu ändern. Natürlich können die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3749
Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
(A) Länder durchaus gerade für minderjährige Jugendliche Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes- (C)
bis zum 18. Lebensjahr Regelungen schaffen, zum Bei- ministerin der Justiz:
spiel – in Bayern wird aktuell darüber verhandelt – dass Ich kann berichten, dass die Länder gerade in den ver-
keine Verpflichtung zur Unterbringung in Gemein- gangenen Jahren, was zum Beispiel die Schulpflicht an-
schaftsunterkünften besteht. Da ist die Situation in den betraf, das Recht dahingehend geändert haben, den
Bundesländern sehr unterschiedlich. Aber kaum ir- Schulbesuch auch ausreisepflichtigen Flüchtlingen zu
gendwo ist vereinbart worden, dass man das – ohne ge- gewähren. Das ist im Saarland, in Baden-Württemberg
setzliche Änderung – im Rahmen von § 53 Asylverfah- und in anderen Ländern geschehen. Zu meinen, es sei in
rensgesetz regelt. Auch hier besteht ganz klar die den vergangenen Jahren nichts passiert, ist nicht richtig.
Möglichkeit, in sehr viel größerem Umfang das Kindes- Vielmehr ist mit Druck des Bundestages, der in ständiger
wohl zu berücksichtigen und entsprechend tätig zu wer- Wiederholung deutlich gemacht hat, dass etwas passie-
den. Aber wir haben uns auf Bundesebene – das liegt ren muss, die Gesetzgebung in den Ländern angepasst
nicht in der Kompetenz des Justizministeriums – nicht und die Situation für jugendliche Flüchtlinge verbessert
darauf verständigt, das Asylbewerberleistungsgesetz zu worden.
ändern.
Was das Asylbewerberleistungsgesetz angeht, wird
eine Rolle spielen, wie sich nach Rücknahme des Vorbe-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: halts die Bewilligungspraxis in den Ländern gerade im
Kollegin Marlene Rupprecht ist die Nächste. Hinblick auf Kinder, besonders auf traumatisierte Kin-
der, entwickeln wird. Ich bin froh, dass es gelungen ist,
die Länder von diesem Schritt zu überzeugen. Sie haben
Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD):
sich im Bundesrat in eigener Verantwortung in mehreren
Frau Ministerin, ich kann es nur begrüßen, wenn die Sitzungen dazu eingelassen, zu sagen: Jawohl, wir sind
Vorbehalte zurückgenommen werden. Mit diesem damit einverstanden, dass der Vorbehalt zurückgenom-
Schritt signalisieren wir nach außen, dass wir nicht mehr men wird. – Jetzt wird auch in den Ländern debattiert
zwischen 0- bis 15- und 16- bis 18-Jährigen unterschei- – das wird von den jeweiligen Fraktionen und politi-
den. Das hat uns international immer Rüffel eingebracht. schen Kräften mit betrieben –, wie man konkret und
Deshalb begrüße ich diese Rücknahme und bin dankbar, vielleicht auch durch eine Gesetzesänderung gewisse
dass wir das geschafft haben. Dinge auf Landesebene verbessern kann. Dieser Prozess
wird jetzt in Gang kommen. Man merkt dies an den Re-
Mit der Rüge war aber immer auch verbunden, dass
aktionen der jeweils betroffenen Verbände, Organisatio-
es Folgen hatte, dass wir 16- bis 18-Jährige nicht als
nen und Initiativen.
Kinder angesehen haben, wie es die UN-Kinderrechts-
(B) konvention eindeutig vorschreibt. Die Vorbehalte, die (D)
Von daher wären wir ohne das Handeln der Bundes-
Sie eben schon erwähnt haben, haben wir mit gesetzli- regierung, ohne die Unterstützung der Länder und natür-
chen Regelungen außer Kraft gesetzt, zum Beispiel beim lich der Koalitionsfraktionen im Vorfeld und ohne die
Kindschaftsrecht und in Bezug auf die Kindersoldaten. Koalitionsvereinbarung überhaupt nicht in die Situation
Durch diese gesetzlichen Regelungen wurde die Wir- gekommen, über die Gesetzesänderungen, die in den
kung erzielt, die durch die Vorbehalte verhindert wurde. letzten Jahren vorgenommen worden sind, hinaus einen
möglichen Handlungsauftrag zu sehen.
Wenn wir nun nicht nur eine Wirkung nach außen er-
zielen wollen, sondern auch nach innen, wenn die Rück-
nahme der Vorbehalte also nicht nur ein Placebo oder ein Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Feigenblatt sein soll, müssen wir entsprechende Konse- Jetzt Kollegin Michaela Noll.
quenzen ziehen, vor allem im Jugendhilferecht. Kinder
bis 18 haben nach den internationalen Standards – egal Michaela Noll (CDU/CSU):
woher sie kommen und wer sie sind – das Recht auf Ju- Sehr geehrte Frau Ministerin, auch von meiner Stelle
gendhilfe, das Recht auf Bildung, das Recht auf Gesund- ein herzliches Dankeschön. Sie haben mit Ihrem Han-
heit, auch das Recht darauf, nicht eingesperrt zu werden. deln ein deutliches politisches Signal für mehr Kinder-
Wenn nun die Vorbehalte nur formal und mit Wirkung freundlichkeit in Deutschland gesetzt. Ich glaube, es war
nach außen zurückgenommen werden, ändert sich an nicht schädlich, dass dies zwei Mitglieder der Kinder-
den Fakten des Rechts nichts. Deshalb ist meine Frage: kommission – deswegen auch ein herzliches Danke-
Wann und wie – da ist der Bund nicht allein zuständig, schön an meine Kollegin Gruß – mitbegleitet haben. Wir
weil das Jugendhilferecht zum Beispiel auch auf die sind seit 2002 Mitglieder der Kinderkommission. Die
Schulgesetze durchschlägt und eine entsprechende Um- Zurücknahme des Vorbehalts war einheitlich unser
setzung erfolgen muss – beabsichtigen die Länder, das Wunsch. Jetzt haben wir es vollbracht. Es ist tatsächlich
tatsächlich umzusetzen? Denn sonst ist die Rücknahme die erste Bundesregierung, die dies jetzt auf den Weg ge-
ein Placebo, und wir hätten darauf verzichten können. bracht hat. Wir haben zwar vorher viel diskutiert; aber
Die bisherige Kritik war eben, dass die Folgen aus den jetzt wird es Tatsache. Ich glaube, dies ist ein wirklich
Vorbehalten mit Blick auf die Kinder nicht hinnehmbar gutes Zeichen für uns hier und meiner Meinung nach
sind. Deshalb die Frage an Sie: Wie sind die Länder- auch auf internationaler Ebene, das zeigt: Wir nehmen
minister Ihrer Partei aufgestellt? Denn die haben bisher unsere Vorbildfunktion wahr. Wir wissen, dass es noch
immer gebremst, wenn es ans Eingemachte, nämlich an ein, zwei Länder gibt, die dies nicht auf den Weg ge-
die tatsächliche Gesetzesänderung, ging. bracht haben. Vielleicht könnten wir diese mit diploma-
3750 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Michaela Noll
(A) tischem Geschick anstoßen, unserem guten Weg zu fol- gen – und viele Kolleginnen und Kollegen aus den ande- (C)
gen. ren Fraktionen gekämpft haben: die Aufhebung der Vor-
behaltserklärung. Das wäre nicht gelungen, wenn nicht
Es wird oft in den Raum gestellt, dass wir, gerade was auch von Ihnen, Frau Justizministerin, ein permanenter
das Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht von Kindern Druck auf die Länder ausgeübt worden wäre, sich zu be-
angeht, den Vorgaben der Kinderrechtskonvention nicht wegen. Dass sich die Länder bewegt haben, merkt man
entsprechen. Ich bin vielmehr der Ansicht, dass schon daran, dass der Bundesrat im März die aktuelle Kabi-
das jetzige Verfahren, die Art und Weise, wie wir mit nettsentscheidung ermöglicht hat.
Kindern umgehen, den Vorgaben der Kinderrechtskon-
vention entspricht. Ich würde das gerne von Ihnen darge- Mit dieser Entscheidung setzen wir Signale in zwei
legt bekommen. – Danke schön. Richtungen: nach innen, aber auch nach außen.
(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes- NEN]: Keine Rede! Frage!)
ministerin der Justiz:
Recht herzlichen Dank, Frau Noll. – Ich habe es deut- Es wurden schon viele Fragen dazu gestellt, wie sich die
lich gemacht: Ohne die fraktionsübergreifende Unter- Entscheidung nach innen auswirkt. Mich würde interes-
stützung der Kinderkommission, die sich diesen Fragen sieren, wie sie nach außen – –
aus tiefer Überzeugung und mit großem Nachdruck an-
nimmt, wären nicht dieser ständige Druck und diese Er- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
wartungshaltung aufgebaut worden, die dazu geführt ha-
ben, dass wir diesen Vorbehalt als erste Regierung nach Frau Kollegin, wollten Sie nicht ursprünglich eine
1992, nachdem der Vorbehalt eingelegt worden ist, zu- Frage stellen?
rücknehmen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN-
Ich möchte Ihnen bestätigen, dass ich unmittelbar aus KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
der Konvention keine legislative Handlungsnotwendig- NEN)
keit und keine Verpflichtung, Gesetze zu ändern, konsta-
tieren kann. Unsere Situation entspricht vielmehr den Miriam Gruß (FDP):
Forderungen der Konvention. Was man in der Praxis, in Herr Präsident, ich akzeptiere das; aber just in dem
der Gesetzesanwendung verbessern kann, ist vorrangig Moment wäre meine Frage gekommen: Wie waren die
Aufgabe der Länder. Weitere Diskussionen müssen dann Reaktionen im Ausland? Wurden schon Reaktionen an
dort geführt werden, wo man meint, Forderungen erhe- Sie herangetragen? Wir haben von UNICEF Deutsch- (D)
(B)
ben zu wollen. land gehört; vielleicht können Sie davon berichten. Ich
glaube, dass wir international ein großes Zeichen gesetzt
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: haben.
Es gibt noch eine ganze Reihe von Fragestellern. Des-
wegen bitte ich um Kürze bei den Fragen und vielleicht Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
auch um Kürze bei den Antworten, damit wir noch viele ministerin der Justiz:
Fragesteller befriedigen können. Vor der heutigen Information des Parlamentes über
Jetzt Miriam Gruß. unseren Beschluss, der am Montag gefasst worden ist,
haben wir uns natürlich noch nicht an viele Stellen ge-
wandt. Wir haben die Rücknahme des Vorbehalts noch
Miriam Gruß (FDP): nicht übermittelt. Das wird jetzt, nach dieser Regie-
Sehr geehrte Frau Ministerin, auch bei der FDP-Frak- rungsbefragung, passieren: Durch Übermittlung an den
tion herrscht große Freude. Der Vorbehalt wäre in die- Generalsekretär der Vereinten Nationen wird die Rück-
sem Jahr 18 Jahre alt, also erwachsen geworden. Nun ist nahme verfahrensmäßig vollzogen.
er vom Tisch. Ich freue mich außerordentlich, dass es
dieser Bundesregierung und den Koalitionsfraktionen Die E-Mails, die ich als Reaktion auf die Entschei-
gelungen ist, den Vorbehalt aufzuheben. dung erhalten habe, bringen große Freude und Begeis-
terung darüber zum Ausdruck, dass sich gerade Deutsch-
Ich darf daran erinnern: Wir hatten es geschafft, die land, ein wichtiges Land, in den Kreis derjenigen
Rücknahme der Vorbehaltserklärung im Koalitionsver- einreiht, die die Achtung der Kinderrechte und des Kin-
trag zu verankern. Wir haben später hier im Bundestag deswohls auf ihre Fahnen schreiben. Wenn ich Gelegen-
eine Debatte dazu geführt, in der zum Ausdruck kam, heit dazu erhalte, werde ich gern über weitere Reaktio-
dass die Opposition es uns nicht zutraut, das zu schaffen. nen berichten. Wir werden hier im Bundestag sicherlich
Ein paar Monate später haben wir es schon geschafft. in vielen Bereichen über das Kindeswohl diskutieren.
Deswegen wundern mich ein paar Fragen vonseiten der Dann werden Sie erfahren, welche Reaktionen es aus an-
Kolleginnen und Kollegen. deren Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen gab.
Ich will an das große Ziel erinnern, für das wir von
der FDP – ich habe in den letzten vier Jahren für meine Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Fraktion in der Kinderkommission Verantwortung getra- Nächste Fragestellerin ist Dagmar Enkelmann.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3751

(A) Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): zen, dass es gemeinsame Sorge gibt. Wie wir das machen (C)
Frau Ministerin, man könnte in diesem Zusammen- wollen, da haben wir nach wie vor Handlungs- und Ent-
hang sagen: Was lange währt … Nach 18 Jahren wurde scheidungsspielraum.
der Vorbehalt aufgehoben; die Konvention ist älter.
Sie haben auf die Länder abgehoben: Sie schieben die Ute Granold (CDU/CSU):
Verantwortung ein Stück weit auf die Länder. Ich Danke.
möchte dennoch nachfragen – das hat bei anderen Fra-
gen schon eine Rolle gespielt –: Was gedenkt die Bun- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
desregierung, die Justizministerin zu tun, um die Kon- Die nächste Frage stellt Andrea Voßhoff.
vention tatsächlich in nationales Recht umzusetzen? Vor
allen Dingen: An welchen Punkten will die Bundesregie- Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU):
rung im nationalen Recht über die Konvention hinausge- Frau Ministerin, auch ich möchte mich dem Dank für
hen? Ich nenne das Stichwort Abschiebehaft. die gute Entscheidung der christlich-liberalen Bundesre-
gierung anschließen. Mich würde in diesem Zusammen-
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes- hang interessieren, wie sich das weitere Verfahren der
ministerin der Justiz: Rücknahme im Einzelnen gestaltet, insbesondere im
Zunächst einmal möchte ich sagen, dass das nationale Lichte der Beteiligung der Länder nach dem Lindauer
Recht den geschriebenen Vorgaben in den Artikeln der Abkommen.
Konvention entspricht. Bei der Überlegung, was weiter
passieren kann, ist die Bundesregierung zuallererst an Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
das Grundgesetz gebunden. Wir sind ein föderaler Bun- ministerin der Justiz:
desstaat. Deshalb verweise ich zu Recht auf die Länder Vielen Dank, Frau Voßhoff. – Zunächst zum formalen
und ihre Befindlichkeiten. Ich werde hier überhaupt Verfahren gegenüber den Vereinten Nationen. Der Kabi-
nicht sagen, welche Überlegungen die Länder vielleicht nettsbeschluss wird dem Generalsekretär der Vereinten
anstellen sollten, welche Gesetzgebung sie in Angriff Nationen mitgeteilt, und zwar durch das Auswärtige
nehmen könnten. Das ist wirklich zuallererst den Län- Amt auf dem Wege einer Verbalnote.
dern überlassen.
Zum Lindauer Abkommen. Das Lindauer Abkommen
Ich habe schon mehrmals betont: Es geht gerade und sieht bestimmte Regelungen zur Beteiligung der Länder
vor allem um die Gesetzesanwendung in den Ländern. vor. Es ist aber nicht unmittelbar einschlägig, da es sich
Es ist den jeweiligen Fachleuten und den Länderminis- bei der Rücknahme des Vorbehalts nicht um einen Akt
(B) tern unbenommen, auf den jeweiligen Treffen der Justiz- der Gesetzgebung handelt. Wir müssen kein Gesetz ver- (D)
minister, der Innenminister, der Familien- und Sozial- abschieden – dann hätten wir eine unmittelbare Anwen-
minister den Austausch zu pflegen und sich dabei mit dung des Lindauer Übereinkommens –, sondern wir neh-
konkreten Fragen zu befassen. Aus diesen Reihen kön- men den Vorbehalt durch Kabinettsbeschluss und eine
nen Initiativen der Länder hervorgehen. Mitteilung an den Generalsekretär der Vereinten Natio-
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Die nen zurück. Wir reagieren so, damit die Konvention in
Regierung macht also nichts!) Deutschland in allen Punkten, ohne Einschränkung gilt.
Es könnte sich mittelbar aus dem Lindauer Abkom-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: men eine Anwendung ergeben, wenn es um ausschließli-
Nun stellt Ute Granold eine Frage. che Ländergesetzgebungskompetenz ginge. Das ist aber
nicht der Fall. Es hat nichts damit zu tun, ob sich aus der
Ute Granold (CDU/CSU): Konvention eine Verpflichtung zur Gesetzgebung ergibt
Frau Ministerin, die Diskussion über die Rücknahme oder nicht. Ich habe klar die Auffassung der Bundesre-
der Vorbehaltserklärung gehört bald der Vergangenheit gierung wiedergegeben. Ausländerrecht, Asylbewerber-
an. Ich habe eine konkrete Frage zu Art. 18 der UN-Kin- leistungsgesetz, Familienrecht, Jugendstrafrecht oder
derrechtskonvention. Bislang gab es eine Interpretation Kinder- und Jugendhilferecht unterliegen nicht der aus-
der Bundesregierung zur gemeinsamen elterlichen Sorge schließlichen Gesetzgebung der Länder, sondern auch
bei Eltern, die nicht miteinander verheiratet sind. Hat die der Bundesgesetzgebung. Deshalb haben wir nach sorg-
Rücknahme der Vorbehaltserklärung Auswirkungen auf fältiger Prüfung zu dem Ergebnis kommen müssen, dass
die aktuelle Arbeit, was die Neuregelung der elterlichen kein weiteres Verfahren gemäß dem Lindauer Überein-
Sorge nicht miteinander verheirateter Eltern angeht? kommen einzuleiten ist.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:


ministerin der Justiz: Als Nächster stellt Frank Heinrich eine Frage.
Nein, daraus ergibt sich keine unmittelbare Auswir-
kung auf die Überlegungen der Bundesregierung, die ge- Frank Heinrich (CDU/CSU):
meinsame Sorge Nichtverheirateter unter bestimmten Vo- Sehr geehrte Frau Ministerin, ich habe eine Frage
raussetzungen zu ermöglichen. Die Konvention schreibt zum Verfahren, das Sie angesprochen haben. Wann kön-
kein bestimmtes Modell vor. Vielmehr muss nach dem nen wir damit rechnen, dass es gültig wird? Ich habe
EGMR die Möglichkeit bestehen, rechtlich durchzuset- auch noch eine konkrete Frage zum Umgang mit min-
3752 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Frank Heinrich
(A) derjährigen Flüchtlingen, die möglicherweise als Kin- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C)
dersoldaten eingesetzt waren. Wie ist es um deren Nun hat Ekin Deligöz das Wort.
Rechtssicherheit bestellt? Sind sie rechtlich geschützt?
Denn sie haben Furcht davor, dass sie wegen der Strafta-
ten, zu denen sie gezwungen wurden, belangt werden. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Ministerin, ich habe Ihnen sehr genau zugehört
und habe Ihren Ausführungen entnommen: Sie nehmen
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
zwar symbolisch die Vorbehalte zurück, sehen aber auf
ministerin der Justiz:
der Bundesebene keinerlei Handlungsbedarf. Sie appel-
Zu Ihrem ersten Punkt. Ich kann Ihnen kein genaues lieren an die Länder, ihren Prüfauftrag wahrzunehmen
Datum nennen, weil das Auswärtige Amt die Verbalnote und darüber nachzudenken, ob sie die Möglichkeit se-
dem Generalsekretär der Vereinten Nationen zuzuleiten hen, etwas zu verändern. Wenn Sie auf Bundesebene
hat, aber aufgrund der Tatsache, dass wir nach Einlegung nichts unternehmen wollen und an die Länder appellie-
des Vorbehaltes 18 Jahre gebraucht haben, um die Ent- ren, dann interessiert mich: Haben Sie im Zusammen-
scheidung zu fällen, werden wir natürlich dafür sorgen, hang mit der Rücknahme konkrete Vereinbarungen mit
dass es so zügig wie möglich vonstatten geht. Wir wer- den Ländern geschlossen, die darauf abzielen, dass sich
den Sie entsprechend unterrichten. etwas verändern soll und muss, oder hat das, was Sie sa-
gen, lediglich Appellcharakter, und wollen Sie das, was
Zum Thema Kindersoldaten. Es hat sich hinsichtlich Sie vorhaben, auf einer der nächsten Justizministerkon-
der Konvention nichts ergeben. Bei Kindersoldaten, die ferenzen – womöglich unter „Verschiedenes“ – anspre-
gezwungen werden, andere Menschen, Angehörige oder chen?
Freunde zu bedrohen oder zu schädigen, und die sich
wegen entsprechender Altersgrenzen möglicherweise
strafbar gemacht haben, kam es in Deutschland meines Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
Wissens noch nie zu Strafverfahren. Ich denke, in einer ministerin der Justiz:
solchen Notsituation sind andere Aspekte zu berücksich- Frau Deligöz, die Grünen selbst haben Regierungs-
tigen. Deswegen wird keiner daran denken, entspre- verantwortung in den Ländern. Ich kann mich überhaupt
chende Schritte einzuleiten. Man muss froh über jedes nicht erinnern, dass sich die Grünen, als sie selber noch
Kind sein – der Ausdruck „Kindersoldat“ verharmlost Verantwortung im Bund getragen haben, jemals im Ka-
das, was mit diesen Kindern passiert –, das aus dieser Si- binett mit der Rücknahme des Vorbehalts befasst hätten.
tuation herauskommen kann. Mir ist nichts erinnerlich. Es tut mir leid: Aber wir ma-
chen es! Das als einen reinen Appell niederzumachen,
(B) halte ich in der Sache für überhaupt nicht angemessen (D)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
und angebracht. Ich kann nicht verstehen, wie nun einige
Die beiden letzten Fragestellerinnen sind Katja Dör- anfangen, das kleinzureden. So viel zum ersten Punkt.
ner und Ekin Deligöz.
Der zweite Punkt ist: Mich freut sehr, wenn ich Vor-
schläge aus Hamburg bekomme, aus denen hervorgeht,
Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
dass man nun dringenden Bedarf an Gesetzesänderungen
Ich möchte konkret nach der Schulpflicht fragen. Ich sieht. Ich warte auf solche Vorschläge und werde gerne
entnehme dem aktuellen Staatenbericht, dass beispiels- mit Herrn Steffen darüber sprechen. Ich mische mich
weise in Hessen Kinder und Jugendliche, die keinen aber angesichts unserer föderalen Struktur nicht in Über-
Aufenthaltsstatus haben, weiterhin nicht schulpflichtig legungen der Länder ein. Diese verbitten sich das zu
sind. Meine Frage lautet: Stimmen Sie mit mir darin Recht.
überein, dass das nach der Rücknahme der Vorbehaltser-
klärung nicht mit der UN-Kinderrechtskonvention über- (Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
einstimmt? Wenn Sie nichts machen wollen, sagen Sie es
einfach!)
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes- Deshalb wird das die Bundesregierung auch nicht tun.
ministerin der Justiz:
Die Länder haben unterschiedliche Regelungen ge- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ekin
Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sa-
wählt. Baden-Württemberg knüpft die Schulpflicht an
gen Sie einfach, dass Sie nichts machen wol-
den Wohnsitz oder den gewöhnlichen Aufenthaltsort,
len!)
aber nicht an den rechtlichen Aufenthaltsstatus. Ich habe
schon in mehreren Antworten zum Ausdruck gebracht,
dass nun die jeweiligen Länderregierungen genau prüfen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
müssen, inwieweit sie ihre Landesgesetze anpassen und Danke schön, Frau Ministerin. – Mir liegen bereits
in welcher Form sie das tun wollen. Aber eines ist klar: seit längerem noch zwei Anmeldungen von Fragen zu
Der Aufenthaltsstatus selbst, also die rechtliche Zuord- anderen Themen der Kabinettsitzung vor.
nung, soll nicht dafür ausschlaggebend sein, dass min-
derjährige Jugendliche von der Schule wegbleiben bzw. Zuerst Volker Beck und dann Kollege Matthias
dass ihnen der Schulbesuch verwehrt wird. Miersch.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3753

(A) Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C)
Ich habe eine Frage an das Bundesinnenministerium. Frau Staatssekretärin.
In der Liste 1 zur Kabinettsitzung hat die Bundesregie-
rung den Entwurf eines Bundesbesoldungs- und -versor-
gungsanpassungsgesetzes 2010/2011 verabschiedet, das Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin beim Bun-
eine entsprechende Anpassung der Amts- und Versor- desminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
gungsbezüge der Mitglieder der Bundesregierung und heit:
der Parlamentarischen Staatssekretäre beinhaltet. Kön- Herr Kollege Miersch, das Bundesumweltministe-
nen Sie uns bitte sagen, wie hoch diese Erhöhungen für rium streitet immer an vorderster Stelle, wenn es darum
die Bundesminister und die Parlamentarischen Staatsse- geht, sinnvolle Klimaschutzmaßnahmen umzusetzen.
kretäre jeweils ausfallen und warum Sie vonseiten der Darum bemühen wir uns nach wie vor.
Bundesregierung, obwohl weder ein Gesetz zur Anpas-
sung der Hartz-IV-Bezüge verabschiedet wurde noch das In der Tat ist es richtig, dass 115 Millionen Euro, die
Hohe Haus bisher über eine Anpassung seiner Bezüge wir für das Marktanreizprogramm dringend brauchten,
diskutiert hat, einseitig vorpreschen und es anders halten gesperrt sind. Wir wissen, wie erfolgreich dieses Pro-
als in der 16. Wahlperiode, als die Bundesregierung fest- gramm ist. Die 115 Millionen Euro Förderung hätten
gestellt hat – Drucksache 16/9341 –, dass sie auf die ent- dazu geführt, dass über 900 Millionen Euro Investitio-
sprechenden Anpassungen verzichtet? nen ausgelöst würden. Wir sind davon überzeugt, dass
diese Argumente und der Erfolg des Programms, der un-
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
mittelbar Auswirkungen auf die einheimische Wirtschaft
minister des Innern: hat, auch das Finanzministerium überzeugen wird, das
Programm fortzusetzen. Wir sind noch in Verhandlun-
Für uns ist wichtig, dass die Tariferhöhung bei den
gen. Ich weiß aber, dass die Haushälter und Fachpoliti-
Beamten wirkungsgleich umgesetzt wird. Dazu, welche
ker der Koalitionsfraktionen dies mit uns bestreiten. Wir
genauen Auswirkungen das hat, kann ich Ihnen zahlen-
hoffen, dass wir auf einem guten Weg sind.
mäßig nichts sagen. Ich würde Ihnen das gerne schrift-
lich übermitteln. Ein Zusatz sei mir erlaubt: Die Mittel kommen aus
dem Verkauf der Emissionszertifikate. Zur Wahrheit ge-
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): hört es, zu sagen, dass die Wirtschaftskrise auch dazu
Wenn das heute noch möglich wäre. Aber wie recht- geführt hat, dass wir nicht mehr in dem Maße über Ein-
fertigen Sie diese Maßnahme angesichts dessen, dass in nahmen aus dem Verkauf von Emissionszertifikaten ver-
der 16. Wahlperiode anders verfahren wurde? fügen, wie das in wirtschaftlich guten Zeiten der Fall
(B) war, als die Große Koalition sich entschlossen hat, Mit- (D)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: tel aus dem Verkauf von Zertifikaten für Klimaschutz-
Herr Staatssekretär, können Sie darauf noch antwor- maßnahmen auszugeben. Insofern müssen wir uns der
ten? Wenn nicht, wäre das erledigt. Tatsache gegenübersehen, dass wir nicht die Einnahmen
aus dem Verkauf von Zertifikaten zur Verfügung haben,
mit denen wir in wirtschaftlich guten Zeiten gerechnet
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes- haben.
minister des Innern:
Wir würden Ihnen gerne schriftlich mitteilen, welche
konkreten Auswirkungen das hat. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Ich wollte die Begründung wissen!) Fragestunde
– Drucksache 17/1534 –
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Nun Kollege Matthias Miersch. Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung. Zur Beantwortung der Fragen steht die Par-
Dr. Matthias Miersch (SPD): lamentarische Staatssekretärin Gudrun Kopp zur Verfü-
Ich habe eine Frage an das Bundesumweltministerium. gung.
Wir konnten der öffentlichen Berichterstattung entneh-
men, dass es einen Streit zwischen Bundesminister Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Dr. Barbara
Röttgen und Bundesminister Schäuble über die Frage der Hendricks auf:
Finanzierung vieler Programme, der kommunalen Klima-
Welche Bemühungen wendet die Bundesregierung dafür
schutzprogramme, der Marktanreizprogramme, und der auf, die Vergabe von Landtiteln an die ländliche Bevölkerung
damit verbundenen Sperrung der Haushaltsmittel gab. in Kambodscha gerade in den Regionen zu unterstützen, in
Augenblicklich warten ganz viele in den Kommunen, denen großflächige Zuteilungen von Land an private Investo-
aber vor allen Dingen auch im Mittelstand darauf, dass ren durch die kambodschanische Regierung vorgenommen
die Entsperrung stattfindet. Das Bundesumweltministe- werden – sogenanntes Land-Grabbing – und somit zu be-
fürchten ist, dass dortige ländliche Bevölkerungsteile kaum
rium möchte ich fragen, inwieweit dieser Streit noch aus- noch Aussicht auf Landtitel haben?
gefochten wird, wann mit der Lösung zu rechnen ist und
ob das in den nächsten Wochen der Fall sein kann. Bitte sehr, Frau Staatssekretärin.
3754 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

(A) Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C)
minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- Nachfragen dazu? – Kollegin Hendricks.
wicklung:
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin Dr. Barbara Hendricks (SPD):
Dr. Hendricks, ich antworte Ihnen wie folgt: Die groß- Danke schön, Herr Präsident. – Frau Kollegin, ich
flächige Zuteilung von Land- und Minenkonzessionen will insbesondere auf das eingehen, was Sie zuletzt ge-
ist neben der Flächenfragmentierung durch Bevölke- nannt haben. Sie haben den Rechtsrahmen sehr gut ge-
rungswachstum sowie Landverkauf in Notlagen eine we- schildert. Es ist ja die bundeseigene Gesellschaft für
sentliche Ursache für die Zunahme landloser und landar- Technische Zusammenarbeit, die als Ausführungsorga-
mer Haushalte in Kambodscha. nisation tätig ist, um bei der Vergabe von Landtiteln an
die Landbevölkerung voranzukommen. Wie kann sicher-
Mit dem Landgesetz von 2001 wurden vier Kategorien gestellt werden, dass dies auch nachhaltig ist?
von Land festgelegt: privates Land, öffentliches Staats-
land, privates Staatsland und Land der Pagoden. De facto Nach meinem Kenntnisstand gibt es Anzeichen dafür,
hat erst mit der Verabschiedung des Landgesetzes die dass auch Landtitel, die schon vergeben worden sind,
Ausgabe von Rechtstiteln auf privates Landeigentum be- von größeren Investoren, ich sage einmal, begehrlich be-
gonnen. Die mehrheitlich arme ländliche Bevölkerung trachtet werden. Es ist nicht sichergestellt, dass diese
nutzt privates Staatsland, das durch die Landtitelvergabe Landtitelvergabe auf Dauer wirklich so nachhaltig ist,
mittelfristig vollständig privatisiert wird. Die Sicherung wie wir es uns alle wünschen, sondern einmal vergebene
der Eigentums- und Verfügungsrechte über die Ressource Titel sind allem Anschein nach nicht immer ganz sicher
Boden benötigt also leider Zeit und ist heute praktisch bei der Landbevölkerung verblieben.
noch nicht hinreichend gesichert. Die Landzuteilung an
einflussreiche Kreise erfolgt vor allem auf Flächen, die Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
rechtlich als öffentliches Staatsland gelten und zur priva- minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
ten Nutzung in Form langjähriger Konzessionen an pri- wicklung:
vate Nutzer vergeben werden. Frau Dr. Hendricks, Sie sprechen sehr wichtige Berei-
In diesem Bereich hat die Bundesregierung im Rah- che an. Es ist sehr schwierig, im Hinblick auf das Land-
men ihrer Entwicklungszusammenarbeit keine Möglich- Grabbing, also den Landentzug, voranzukommen und
keit der Einflussnahme. Demgegenüber besteht die Bun- die Bevölkerung zur eigenen Versorgung zu ertüchtigen.
desregierung aber darauf, dass verstärkt privates Ich will Ihnen nur sagen: Die TZ hat für diesen Be-
Staatsland für die Verteilung an die arme Bevölkerung im reich 4 Millionen Euro eingestellt. Mitte dieses Jahres
(B) Rahmen sozialer Landkonzessionen zur Verfügung ge- wird ein Überprüfungsprozess stattfinden. Wenn die (D)
stellt wird. Die deutsche Unterstützung richtet sich des- Überprüfung dessen, was bisher geschehen ist, wenn die
halb auf die Verbesserung der politischen und rechtlichen Evaluierung der vier Meilensteine negativ sein sollte,
Rahmenbedingungen durch Beratung bei der Ausgestal- wenn also keine Nachhaltigkeit gegeben ist, dann wer-
tung der Landreformpolitik und bei der Entwicklung von den wir über Mittelkürzungen bzw. sogar über den Aus-
Durchführungsverordnungen. stieg aus solchen Programmen entscheiden. Wenn wir
feststellen, dass sie nicht zu mehr Landeigentum für die
Darüber hinaus werden die institutionellen Vorausset- notleidende Bevölkerung dort führen, dann werden wir
zungen für die systematische Landregistrierung sowie sie auch nicht weiter finanzieren. Hier befinden wir uns,
Institutionen für die außergerichtliche Schlichtung bei wie gesagt, in einem Überprüfungsprozess.
Landkonflikten gestärkt. Schließlich wird die gezielte
Landvergabe an Landarme und Landlose im Rahmen der
sozialen Landkonzessionen pilothaft gefördert. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Eine weitere Frage?
Ich füge noch etwas hinzu – es ist zwar sehr lang; aber
ich denke, das ist wichtig, um in dieses Thema hereinzu- Dr. Barbara Hendricks (SPD):
kommen –: Im Rahmen des kambodschanischen Land- Ja, ich habe noch eine kurze Nachfrage. – Werden Sie
sektorreformprogramms unterstützt die Bundesregierung im Rahmen dieses Evaluierungsprozesses auch überprü-
gemeinsam mit Finnland und Kanada die zuständigen fen, ob die Durchführungsorganisationen – sowohl die
kambodschanischen Behörden dabei, einer signifikanten deutsche, aber natürlich auch diejenigen, mit denen wir,
Anzahl von Haushalten mit Rechtsansprüchen auf Land wie Sie eben sagten, zusammenarbeiten, nämlich die aus
rechtlich abgesicherte Landtitel zu verschaffen. Finnland und Kanada – eng genug mit der Zivilbevölke-
Langfristig soll ein nationales System der Landadmi- rung in Kambodscha zusammenarbeiten?
nistration eingerichtet werden, um die Landrechte armer
Bevölkerungsgruppen insbesondere in den ländlichen Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
Regionen zu sichern. Dazu sollen möglichst schnell an minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
möglichst viele arme ländliche Haushalte private Land- wicklung:
titel vergeben werden. Die Registrierungsaktivitäten Ja, auch das prüfen wir. Wenn Sie nach der Wirksam-
fokussieren sich daher auf Regionen mit einer hohen keit unserer Instrumente fragen – diese Frage steht ja im-
Konzentration von ländlicher armer Bevölkerung auf mer dahinter –: Es wird nach unserer Überzeugung ganz
privatem Staatsland. wichtig sein, dass die Geberländer mit einer Stimme
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3755
Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp
(A) sprechen. Das heißt, wir müssen auch den Druck auf die diesem Prozess befinden wir uns –, mit den Organisatio- (C)
jeweilige Regierung aufrechterhalten; das gilt insbeson- nen zusammen die Umstrukturierung vorzunehmen. Wir
dere für Kambodscha. Wir haben die größten Erfolgs- wollen dadurch erreichen, dass die einzelnen Instru-
chancen, wenn wir an dieser Stelle zusammenstehen, un- mente wirksamer werden. Wir wollen auch erreichen,
sere Forderungen gemeinsam vortragen und im Rahmen dass Doppelstrukturen – manchmal sogar Dreifachstruk-
dieser Überprüfung einerseits gegenüber der Regierung, turen – abgebaut werden. Wir wollen, dass bei der
andererseits aber auch mit Blick auf die Durchführungs- Durchführung von Projekten diejenigen Durchführungs-
organisationen sicherstellen, dass in unserem Sinne er- organisationen, die für das Projekt eine besondere Ex-
folgsorientiert und im Interesse der armen Menschen ge- pertise haben, zum Zuge kommen und hier nicht meh-
handelt wird. rere Organisationen parallel arbeiten. Das ist die
Zielrichtung bei der Umstrukturierung, die wir vorneh-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: men wollen. Diese Restrukturierung ist keine Kleinig-
Danke schön. – Die nächste Frage, die Frage 2, keit: Diese Vorfeldorganisationen sind mit ungefähr
stammt auch von der Kollegin Hendricks: 16 000 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in 130 Län-
dern tätig; ihr Umsatzvolumen liegt bei 1,5 Milliarden
Hält es die Bundesregierung für sinnvoll, nach Abschluss
der sich derzeit in Planung befindlichen Strukturreform der Euro.
Ausführungsorganisationen der deutschen technischen Ent-
wicklungszusammenarbeit mittel- oder langfristig zusätzlich Frau Kollegin Hendricks, ich will darauf hinweisen,
eine institutionelle Zusammenlegung der deutschen techni- dass wir bis zur Sommerpause so etwas wie einen Sach-
schen und der deutschen finanziellen Entwicklungszusam- standsbericht haben wollen. Wenn wir zum Jahresende
menarbeit anzustreben, und, wenn nein, warum nicht? zu einem Ergebnis gekommen sind, wird es darum ge-
Bitte schön, Frau Staatssekretärin. hen, ganz konkret in die Umsetzung zu gehen, beispiels-
weise zu sehen, wie wir die Schnittstellen zwischen
finanzieller Zusammenarbeit und technischer Zusam-
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
menarbeit abgleichen können.
minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung: Ich betone noch einmal: Eine Zusammenführung von
Dazu kann ich Ihnen sagen: Die Bundesregierung finanzieller und technischer Zusammenarbeit ist für
sieht die laufende Umstrukturierung der Durchführungs- diese Legislaturperiode nicht geplant; so etwas ist auch
organisationen der technischen Zusammenarbeit be- nicht Bestandteil unseres Koalitionsvertrages.
wusst als offenen Reformprozess. Die Bundesregierung
zielt darauf ab, Schritt für Schritt konkrete Reformergeb- Ich sage noch einmal: Wir gehen bei der Zusammen-
führung der drei genannten Organisationen Schritt für
(B) nisse zu erzielen. Somit ist auch die Frage einer Ver- Schritt vor. Was die personelle Ausstattung betrifft, sind (D)
schmelzung von finanzieller und technischer Zusam-
menarbeit derzeit offen. in dem Prozess, der jetzt begonnen hat, viele Fragen
– Fragen der rechtlichen Voraussetzungen, der Verträge,
der personellen Ressourcen, der Zusammenführung der
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Personalverträge der drei genannten Organisationen –
Frau Kollegin, bitte. überhaupt noch nicht beantwortet. Wir haben aber bei
dieser Zusammenführung ein klares Ziel: Wir haben das
Dr. Barbara Hendricks (SPD): klare Ziel, die Entwicklungszusammenarbeit im techni-
Das wundert mich etwas, weil es bisher hieß, dass die schen Bereich effektiver und effizienter umzusetzen. Wir
Organisationen der technischen Zusammenarbeit – die haben nicht das Ziel eines Personalabbaus.
Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit,
der Deutsche Entwicklungsdienst und InWEnt, um die
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
drei zu nennen – zusammengeführt werden sollen. Bis-
her ist keinerlei Ankündigung gemacht worden, dass Noch eine weitere Nachfrage.
etwa auch die KfW Entwicklungsbank oder die entspre-
chenden Abteilungen der KfW mit den genannten Orga- Dr. Barbara Hendricks (SPD):
nisationen der technischen Zusammenarbeit zusammen- Ich habe noch eine Frage zum Thema Personal und
geführt werden sollen. weitere Verwendung. Wenn die Zusammenführung der
Aber ich will eine andere Ergänzungsfrage stellen und drei Institutionen der technischen Zusammenarbeit gut
mich damit wieder auf die technische Zusammenarbeit läuft, dann können damit durchaus auch Synergieeffekte
beziehen: Plant die Bundesregierung im Rahmen der Zu- gehoben werden. Ob es gut läuft, wissen wir noch nicht,
sammenlegung der drei von mir genannten Organisatio- aber die Zusammenführung müsste mit dem Ziel verbun-
nen der technischen Zusammenarbeit einen Personalab- den sein, Synergieeffekte zu heben.
bau und, wenn ja, in welchem Umfang? Plant die Bundesregierung, etwa Personal, welches
dann nicht mehr unmittelbar in den drei Institutionen ge-
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- braucht wird, zum Beispiel im Wege der Abordnung im
minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
wicklung: einzusetzen und auf diese Weise die Position des Minis-
Sie haben die drei Vorfeldorganisationen, die wir zu- teriums auszubauen und zulasten der Vorfeldorganisatio-
sammenführen wollen, genannt. Es geht uns darum – in nen zu stärken?
3756 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

(A) Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- und sie dann in einen Konsens umzusetzen, den wir zu (C)
minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- erreichen hoffen. Wir sind derzeit noch nicht dabei, ir-
wicklung: gendwelche Schnittstellen abzugleichen.
Ich denke, dass ich diese Bedenken zerstreuen kann.
Es wird sich im Laufe der Zeit ergeben, wie ich schon
Man muss berücksichtigen, was diese Strukturreform be-
sagte. Wenn uns bis zur Sommerpause ein Sachstandsbe-
wirken soll. Sie wissen, Frau Kollegin Hendricks, dass
richt vorliegt, wie wir uns aufstellen, was mit den drei
diese Strukturreform längst eingefordert wurde, auch
Vorfeldorganisationen geschieht und ob der Konsens
vom Bundesrechnungshof, der festgestellt hat, dass wir
auch weiterhin besteht, können wir zum nächsten Schritt
an dieser Stelle sehr viel effizienter arbeiten müssen.
übergehen. Wenn sich Projekte in der Zuständigkeit
Wir sehen das Bundesministerium für wirtschaftliche überschneiden, werden wir beraten müssen, wie wir da-
Zusammenarbeit und Entwicklung nach einer solchen mit umgehen. Aber das ist derzeit nicht Gegenstand der
Strukturreform in der Aufgabe, die politischen und in- Beratungen. Wir müssen im Vorfeld der bevorstehenden
haltlichen Vorgaben zu machen, aber wir haben die Vor- Zusammenlegung erst einmal Basisarbeit leisten. Ich
stellung, dass die neue Durchführungsorganisation, zu denke, dass wir bei dieser Frage sehr schnell weiterkom-
der die drei Organisationen zusammengeführt werden, men werden. Wir gehen Schritt für Schritt vor. Das Ziel
selbstständig arbeiten kann. Wir rechnen auch mit einem sind die Effizienzsteigerung, die Steigerung der Wirk-
Effizienzgewinn bei der Arbeit. Wie sich das später ge- samkeit und der rechtliche Abgleich. Sie können sich
nau verteilt und wer welche Aufgaben übernimmt, kann vorstellen, dass das noch schwierig genug wird. Wir
ich Ihnen derzeit nicht seriös sagen. Das wäre reine Spe- werden nach der Sommerpause quasi ans Eingemachte
kulation. gehen und die Rechtsfragen behandeln. Ich hoffe, dass
es gelingt, auch an der Stelle möglichst bald ein Einver-
Wir gehen davon aus, dass dieser schwierige Prozess nehmen herzustellen. Mehr kann ich dazu im Moment
der Zusammenführung gut läuft. Wir haben jedenfalls nicht sagen.
eine Vertrauensbasis aufgebaut. Nach unserer Vorstel-
lung soll nicht irgendeine Institution zu kurz kommen
oder sozusagen unter die Wasseroberfläche gedrückt Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
werden. Wir diskutieren auf gleicher Augenhöhe. Wir Kollege Sascha Raabe, bitte.
haben Vorschläge der drei Organisationen dazu erbeten,
wie sie sich eine Zusammenführung vorstellen. Das ist Dr. Sascha Raabe (SPD):
ein sehr transparenter und guter Prozess. Ich gehe davon Frau Staatssekretärin, können Sie mir zustimmen,
aus, dass er letzten Endes positiv ausgehen wird. dass die Experten des Entwicklungsausschusses der
(B) OECD und auch die der Wissenschaft immer gesagt ha- (D)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ben, wichtig sei es, die finanzielle und technische Zu-
Es gibt noch zwei weitere Nachfragen. Zunächst Kol- sammenarbeit zusammenzuführen, und dass das zuerst
legin Ute Koczy und dann Kollege Sascha Raabe. geschehen solle? Wenn dem so ist, würden Sie mir auch
zustimmen, dass die Vorgängerin des Ministers, Frau
Wieczorek-Zeul, es richtigerweise probiert hat, diesen
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ersten Schritt zu machen?
Frau Staatssekretärin, zur Zusammenlegung von TZ
und FZ haben Sie einiges ausgeführt. Wie wir wissen, Frau Staatssekretärin, würden Sie mir auch zustim-
macht sowohl die KfW oftmals Finanzierungsangebote men, dass es falsch ist, wenn Minister Niebel es so dar-
verbunden mit einem Beratungsangebot als auch die stellt, als würde er jetzt eine Reform durchführen, die die
GTZ, die ihre Beratungsangebote mit einer finanziellen Vorgängerin nicht geschafft hat? Ist es nicht eher so, dass
Zusammenarbeit verbindet. Beides ist oftmals in einer ihm der Mut fehlt, diese große Reform anzugehen, und
Art von Wechselwirkung zu finden. er jetzt eine kleine Reform als großen Erfolg verkaufen
möchte?
Können Sie bestätigen, dass es tatsächlich keinerlei
Gespräche mit der KfW darüber gibt, ob im Falle einer (Manfred Grund [CDU/CSU]: Was ist das für
Zusammenführung der drei Vorfeldorganisationen Aus- eine Frage?)
wirkungen auf die KfW stattfinden? Ich kann mir das
schlechterdings nicht vorstellen, weil es in der prakti- Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
schen Arbeit im Felde durchaus Resonanzen auf die un- minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
terschiedlichen Entwicklungen gibt. Ist es tatsächlich so, wicklung:
dass Sie keinerlei Gespräche mit der KfW führen, um Herr Kollege Raabe, ich finde Ihre Äußerung sehr
die Veränderungen, die Sie bei der technischen Zusam- mutig, und zwar insofern, als die Vorgängerregierungen
menarbeit vornehmen, zu eruieren und die Auswirkun- – das muss man sagen –
gen auf die KfW zu überprüfen?
(Manfred Grund [CDU/CSU]: Es nicht hin-
gekriegt haben!)
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- eine institutionelle Reform dieser Vorfeldorganisationen
wicklung: nicht geschafft haben, nicht teilweise und schon gar
Frau Kollegin Koczy, wir sind derzeit dabei, die Vor- nicht in vollem Umfang. Ich habe wahrgenommen, dass
schläge der drei Vorfeldorganisationen aufzunehmen wir in allen Berichten, seien es die des Bundesrech-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3757
Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp
(A) nungshofs, seien es die der OECD, gelobt und ermuntert Verbesserung der Müttergesundheit, bei. So unterstützen (C)
wurden, an diese Reform heranzugehen. wir die diesjährige G-8-Initiative zur Verbesserung der
Kinder- und Müttergesundheit, und wir setzen uns aus-
Ich sage noch einmal: Das ist keine Kleinigkeit. Wir drücklich für ein umfassendes Verständnis von Mütter-
machen uns daran, im Sinne einer besseren Entwick- gesundheit ein, was den Zugang zu sexuellen und repro-
lungszusammenarbeit den ersten konkreten Schritt hin
duktiven Gesundheitsdienstleistungen einschließlich
zu mehr Wirksamkeit und höherer Effizienz zu gehen.
Familienplanung umfasst.
Ich finde, das ist mindestens die Hälfte dieses Weges.
Die vorherige Regierung ist hingegen nicht einen Meter Darüber hinaus wirken wir in einer Vielzahl interna-
weit gekommen. Ich bitte Sie doch um etwas mehr Mä- tionaler Gremien und Initiativen mit, die die Erreichung
ßigung. Ich bitte auch um Wertschätzung dessen, was dieses Millenniumentwicklungsziels, also die Verbesse-
wir jetzt auf den Weg bringen werden. Ich lade Sie ein, rung der Kinder- und Müttergesundheit, zum Ziel haben.
dabei mitzumachen. Ich verweise darauf, dass wir im Haushalt beispielsweise
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der für den Global Fund 204 Millionen Euro zur Aids- und
CDU/CSU) Malariabekämpfung bereitgestellt haben, dass wir den
GAVI-Fonds mit 4 Millionen Euro pro Jahr fördern und
dass wir weitere Förderung in Aussicht stellen können.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Wir kommen zur Frage 3 der Kollegin Karin Roth:
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Wie lässt sich nach Ansicht des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung der zuletzt Nachfrage? – Bitte.
in der Antwort der Bundesregierung auf meine schriftliche
Frage auf Bundestagsdrucksache 17/1535 von der Bundesre-
gierung immer wieder betonte und gesetzte Schwerpunkt Karin Roth (Esslingen) (SPD):
„Gesundheit in den Entwicklungsländern“ mit der drastischen
Kürzung der Mittel für den Bevölkerungsfonds der Vereinten Sehr verehrte Frau Kollegin Kopp, ich verstehe, dass
Nationen, UNFPA, und die Internationale Föderation geplan- Sie am Ende Ihrer Antwort den Global Fund erwähnen,
ter Elternschaft, IPPF, verbinden, und wie gedenkt die Bun- um zu zeigen, dass die Bundesregierung im Gesund-
desregierung zur Erreichung des Millenniumentwicklungs- heitsbereich international Unterstützung leistet. Aber Sie
ziels 5 beizutragen?
haben keine Zahlen genannt. Deshalb möchte ich sie
Bitte schön, Frau Staatssekretärin. nennen: Für den Bevölkerungsfonds der Vereinten Na-
tionen sind die Mittel um über 20 Prozent, und für ent-
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- sprechende Vorhaben im Bereich der Internationalen Fö-
(B)
minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- deration geplanter Elternschaft sind die Mittel um fast (D)
wicklung: 20 Prozent gekürzt worden.
Frau Kollegin Roth, ich kann Ihnen bezüglich der Es ist sehr freundlich, wenn Minister Niebel beim Zu-
Kürzungen antworten, dass UNFPA und IPPF, diese In- sammentreffen mit der Exekutivdirektorin in New York
stitutionen der Vereinten Nationen, wichtige Partner für seine Unterstützung für ihre Arbeit zusagt. Aber gleich-
Deutschland bleiben. Trotz der Kürzungen der Beiträge zeitig werden einige Programmschwerpunkte – zum Bei-
zu den Vereinten Nationen und anderen internationalen spiel die Familienplanung, die für die Bevölkerungsent-
Organisationen wurde, anders als vom BMZ vorgeschla- wicklung sehr wichtig ist, der Schutz vor Gewalt gegen
gen, vom Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestags Frauen und Kinder, die Gleichberechtigung der Ge-
beschlossen, das bilaterale Engagement Deutschlands in schlechter, die Förderung der sexuellen und reproduk-
einigen Bereichen zu stärken. tiven Gesundheit – von uns nicht mehr in dem Umfang
Sie können sich wahrscheinlich daran erinnern, dass finanziert, in dem es notwendig wäre.
Bundesminister Niebel die Exekutivdirektorin der
UNFPA, Frau Obaid, erst vor zwei Wochen in New York Das Millenniumentwicklungsziel 5, also die Verringe-
getroffen hat. Er hat ihr gegenüber ausdrücklich die rung der Müttersterblichkeit, haben wir nur zu 9 Prozent
Wertschätzung der Arbeit der UNFPA zum Ausdruck erreicht. Das Ziel der Verringerung der Kindersterblich-
gebracht. Er hat betont, dass uns insbesondere im Be- keit haben wir nur zu 32 Prozent erreicht. Dies ist ein
reich der reproduktiven Gesundheit die Erreichung der Armutszeugnis für die Bundesregierung. Es wird auch
Millenniumentwicklungsziele sehr wichtig ist. Auch die nicht besser, wenn Sie in diesem Zusammenhang auf den
enge Zusammenarbeit mit dem IPPF wird fortgesetzt, Haushaltsausschuss und auf das Parlament verweisen.
zum Beispiel im Rahmen einer gemeinsamen Veranstal- Diese Zahlen hat die Koalition zu verantworten.
tung im kommenden Oktober in Berlin. Dort geht es um
Angesichts dieser aussagekräftigen Zahlen und der
einen internationalen Dialog der Bevölkerung im Zu-
großen Bedeutung der Zuverlässigkeit gegenüber den
sammenhang mit der Umsetzung des Menschenrechts
auf reproduktive und sexuelle Gesundheit. Vereinten Nationen möchte ich fragen: Ist damit zu rech-
nen, dass Sie im nächsten Haushalt wenigstens das fort-
Seien Sie versichert: Gesundheit ist und bleibt ein setzen, was die Große Koalition in der letzten Legisla-
Schlüsselsektor der Entwicklungspolitik der Bundes- turperiode gemacht hat, und dass Sie die entsprechenden
regierung. Das BMZ trägt auf vielfache Art und Weise Mittel wieder bereitstellen? Wenn wir unsere Verspre-
zur Erreichung des Millenniumentwicklungsziels 5, der chungen einhalten, können wir unser Gesicht wahren.
3758 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

(A) Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- mehr Hygienemaßnahmen – durch eine bessere Infra- (C)
minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- struktur vor Ort, das heißt durch den Zugang zu saube-
wicklung: rem Wasser, durch die Bereitstellung von Toiletten und
Frau Kollegin Roth, die äußerst geringe Quote von dergleichen – könnten wir ganz normale, gut behandel-
9 Prozent bei der Erreichung des Millenniumentwick- bare Krankheiten wie Durchfall oder Atemwegsinfektio-
lungsziels Müttergesundheit wurde zum Ende des Jahres nen sehr viel besser bekämpfen. In diesem Bereich sind
2009 bilanziert. Haben Sie Verständnis dafür, wenn ich wir ebenfalls aktiv. Wir haben Mittel für diese Zwecke
sage: Die neue Regierung ist erst Ende letzten Jahres ins eingestellt. Dies steht bei uns also im Fokus. Wir müssen
Amt gekommen. In den noch verbliebenen zwei Mona- auf diesem Gebiet noch sehr viel mehr tun. Wir sind
ten des Jahres 2009 konnten wir die schlechte Quote von dazu auch bereit. Ich bitte Sie und das gesamte Parla-
9 Prozent beim besten Willen nicht erhöhen. Das will ich ment um die entsprechende Unterstützung.
vorweg anmerken.
Seien Sie versichert, dass das Thema Gesundheit für Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
unser Ministerium und auch für die Bundesregierung Haben Sie eine weitere Nachfrage, Frau Roth? – Bitte
eine exorbitant wichtige Rolle spielt. Es ist überhaupt schön!
keine Frage, dass wir in diesem Bereich sehr viel arbei-
ten müssen. Karin Roth (Esslingen) (SPD):
Zur internationalen Zuverlässigkeit will ich Ihnen Ja, gern, Herr Präsident. – Frau Kollegin Kopp, für
Folgendes sagen: Es hat in der vergangenen Woche ein meine Fraktion, die SPD, möchte ich klarstellen, dass
Treffen der G-8-Entwicklungsminister in Halifax gege- wir für die Unterstützung der Vereinten Nationen bei der
ben, bei dem der diesjährige G-8-Gipfel in Kanada vor- Bekämpfung der Mütter- und Kindersterblichkeit keine
bereitet wurde. Minister Niebel hat mir gesagt, dass die Reduzierung der Mittel im Etat vorgesehen hatten.
Ergebnisse dieser Vorbesprechung zur Vorbereitung des
Darüber hinaus ist es gar keine Frage, dass das Thema
Gipfels in Kanada Bestandteil des Gipfeldokumentes
Müttersterblichkeit nicht in den letzten sechs Monaten
sein werden. Es ist also nicht so, dass über dieses Thema
auf die Schnelle hätte bewältigt werden können. Mütter-
nicht inhaltlich substanziell beraten wird. Die maßgebli-
sterblichkeit war ein Problem der letzten Jahre und wird
chen Punkte werden aufgenommen.
auch eines der nächsten fünf Jahre sein; da gebe ich Ih-
Noch einmal: Wir wollen und werden viele bilaterale nen recht. Die Frage ist nur: In welcher Weise kommen
Projekte im Gesundheitsbereich finanzieren. Die neue wir voran? Ohne mehr Mittel für diesen Bereich – ent-
Leitung des BMZ hat erstmals im Hinblick auf Südafrika weder aus dem Global Fund oder von den Vereinten Na-
(B) bilateral einen Schwerpunkt HIV-/Aidsbekämpfung tionen oder durch bilaterale Projekte – wird dies nicht (D)
– der Umfang der zur Verfügung gestellten Mittel liegt möglich sein. Deshalb äußere ich noch einmal meine
bei insgesamt 10 bis 15 Millionen Euro – geschaffen. dringliche Bitte, dass wir unsere Aufmerksamkeit gerade
Auch dies ist nicht etwa nichts, sondern wirklich bemer- auf die Millenniumentwicklungsziele 4 und 5 richten,
kenswert. Ich will das betonen; denn das hat es vorher nämlich auf die Verringerung der Müttersterblichkeit
nicht gegeben. – jedes Jahr sterben über 500 000 Mütter – und auf die
Verringerung der Kindersterblichkeit; jährlich sterben
(Zuruf von der SPD: Ach was!)
über 9 Millionen Kinder. Beabsichtigt die Bundesregie-
Jetzt noch etwas zu den künftigen Haushaltsplanun- rung, Aktionspläne aufzulegen, damit wir auf diesen bei-
gen. Auch Sie kennen das Geschäft: Wir als Bundesre- den Feldern vorankommen?
gierung können Mittel beantragen – das tun wir auch –;
aber letzten Endes steht jede Mittelanforderung unter Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
dem Haushaltsvorbehalt und unter dem Vorbehalt der minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
Zustimmung des Parlaments. Das müssen wir für jede wicklung:
Initiative akzeptieren, die wir auf diesem Gebiet starten. Ich bestätige Ihnen, Frau Roth, dass das Thema Ge-
Darüber können wir uns nicht hinwegsetzen. Genauso
sundheit im Zentrum unserer Entwicklungspolitik steht;
wenig kann ich Ihnen heute mit Vorgriff auf den Haus-
das ist doch gar keine Frage. Zur Armutsbekämpfung
halt 2011 oder 2012 sagen, welche Mittelanforderungen gehört, Folgendes zu sehen: Zunächst ist es wichtig, die
von unserem Haus in diesem Bereich kommen werden
Ernährungssituation zu verbessern. Dann geht es darum,
und ob diese Mittel dann auch eingestellt werden. Das
die Gesundheit zu fördern. Erst wenn das gewährleistet
müssen wir sehen.
ist, sind Menschen meines Erachtens in der Lage, Bil-
Ich versichere Ihnen noch einmal: Wir sind hier nicht dung zu erwerben. Diese drei Schritte sind von zentraler
unterschiedlicher Meinung; vielmehr sind wir der An- Bedeutung. Zur Gesundheitsförderung muss der von Ih-
sicht, dass die Erreichung des Millenniumentwicklungs- nen eben genannte Mix von Maßnahmen umgesetzt wer-
ziels Müttergesundheit ganz obenan steht. Ich schließe den. Es geht sowohl um multilaterale Förderung als auch
dabei immer die Ziele Kindergesundheit und Reduzie- um bilaterale Projekte.
rung der Kindersterblichkeit ein.
Der Schlüssel zu mehr Gesundheit der Mütter, zur er-
Sie wissen, mit welch einfachen Mitteln wir verhin- folgreichen Bekämpfung der Kindersterblichkeit und zur
dern könnten, dass Kleinstkinder, also Kinder im Alter Verbesserung der Gesundheitsversorgung insgesamt ist,
von null bis einem Jahr, sterben. Allein schon durch dafür zu sorgen, dass die Menschen in den ärmsten Län-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3759
Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp
(A) dern weltweit Zugang zu Gesundheitsversorgung bekom- gen Tagen, haben sich in Bonn auf Einladung des BMZ (C)
men, dass es Schwangerschaftsversorgung und Präventions- Vertreterinnen und Vertreter von 25 Organisationen zu
maßnahmen gibt, um Komplikationen oder zumindest einem runden Tisch zu diesem Thema zusammengefun-
unüberwindbare Komplikationen bei der Geburt zu ver- den. Diese Veranstaltung führte erstmals staatliche wie
meiden. Wir müssen Strukturen schaffen, die es Men- nichtstaatliche Akteure im Bereich Behinderung und
schen ermöglichen, Gesundheitsversorgung abzufragen. Entwicklung zusammen und machte deutlich, dass die
Wir diskutieren beispielsweise darüber, wie wir Entwick- Bundesregierung auch die entwicklungspolitische Di-
lungsländern helfen können, ein System aufzubauen, das mension der UN-Behindertenrechtskonvention als es-
ärmste Menschen berechtigt, solcherlei Gesundheitsan- senziell betrachtet. Dieser Dialog mit der Zivilgesell-
gebote abzufragen. Hinsichtlich der Schaffung von Ge- schaft soll fortgeführt werden.
sundheitssystemen sind wir sehr aktiv; das gehört mit in
das Portfolio. Darüber hinaus fördert das BMZ über den Titel für
private Träger spezifische Vorhaben für Menschen mit
Ich kann Ihnen nur sagen: Unter dem Strich ist unser Behinderungen. Die Förderung betrug in 2008 – ich
Engagement im Bereich Gesundheit sehr groß. Ich versi- nenne Ihnen eine alte Zahl – 1,9 Millionen Euro. Wir als
chere Ihnen: Auch auf internationaler Ebene werden wir BMZ setzen uns ferner dafür ein, dass sich die Umset-
dafür sorgen, dass Deutschland, dass die deutsche Bun- zung der entwicklungspolitischen Dimension der UN-
desregierung die Vorreiterrolle im Entwicklungsbereich Behindertenrechtskonvention auch im Aktionsplan der
behält und weiter ausbaut. Lassen Sie uns alles Weitere Bundesregierung widerspiegelt.
evaluieren und auf dessen Umsetzbarkeit in der Realität
hin prüfen. Ich bin sicher, dass wir einer Prüfung sehr Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
gut standhalten können.
Nachfragen?
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Karin Roth (Esslingen) (SPD):
Wir kommen damit zur Frage 4, ebenfalls von der
Abgeordneten Karin Roth: Ja.
Wie beurteilt das Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung, BMZ, anlässlich des Jah- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
restages des Inkrafttretens der UN-Behindertenrechtskonven- Bitte schön.
tion vom 3. Mai 2008 die Bedeutung der besonderen Pro-
blemlagen behinderter Menschen in Entwicklungsländern,
und welche konkreten Maßnahmen zur stärkeren Berücksich- Karin Roth (Esslingen) (SPD):
tigung dieser Personengruppe in der Entwicklungszusammen-
(B) arbeit führt das BMZ zusätzlich zur Einrichtung eines runden Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Liebe Frau Kolle- (D)
Tisches durch, um die Partnerländer bei der Integration der gin Kopp, Sie haben nur eine einzige Zahl genannt – das
Menschen mit Behinderungen – zum Beispiel im medizini- ist interessant –, nämlich die im Zusammenhang mit lau-
schen, sozialen und rechtlichen Bereich – zu unterstützen? fenden Projekten für soziale Sicherung. Dort gibt es be-
Bitte schön, Frau Staatssekretärin. zogen auf den gesamten Bereich Ausgaben in Höhe von
103,4 Millionen Euro. Die Bundesregierung sieht für
den Bereich der Menschen mit Behinderungen 1,2 Mil-
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
lionen Euro vor. Sie können selbst ausrechnen, wie hoch
minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
der Anteil ist und was das bedeutet. Das ist angesichts
wicklung:
der von Ihnen richtig geschilderten Dramatik bzw. des
Vielen Dank, Herr Präsident. – Weltweit leben großen Personenkreises eine sehr geringe Unterstützung.
690 Millionen Menschen mit Behinderungen. Das sind
immerhin 10 Prozent der Weltbevölkerung; das ist eine Deutschland hat die UN-Behindertenrechtskonven-
enorm große Zahl. 80 Prozent der behinderten Menschen tion unterschrieben und erkennt damit an, dass die UN
leben in Entwicklungsländern; das ist eine riesige He- eine wichtige Koordinierungsfunktion, auch im Rahmen
rausforderung für uns. Das bedeutet: Jeder fünfte in ab- von Projekten, hat. Welche Möglichkeiten sehen Sie
soluter Armut lebende Mensch hat eine Behinderung. – außer dass Sie im Jahre 2010 1,2 Millionen Euro für
Die Millenniumsentwicklungsziele können nur erreicht die soziale Sicherung von Menschen mit Behinderungen
werden, wenn Menschen mit Behinderungen bei der vorsehen –, in den nächsten Jahren Menschen mit Behin-
Umsetzung von Maßnahmen entsprechend berücksich- derungen in Entwicklungsländern verstärkt zu unterstüt-
tigt werden. Die VN-Behindertenrechtskonvention sieht zen, und welche Aktionen planen Sie außer denen, die
in Art. 32 vor, „dass die internationale Zusammenarbeit, Sie bereits genannt haben?
einschließlich internationaler Entwicklungsprogramme,
Menschen mit Behinderungen einbezieht und für sie zu- Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
gänglich ist …“. Das Bundesministerium für wirtschaft- minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
liche Zusammenarbeit und Entwicklung misst daher der wicklung:
Inklusion von Menschen mit Behinderungen in der Ent-
wicklungszusammenarbeit einen sehr hohen Stellenwert Bezüglich Aktionen kann ich Ihnen sagen, dass der
bei und engagiert sich auf vielfache Weise. runde Tisch, der dieser Tage erstmals auf internationaler
Ebene getagt hat, zum Jahresende ein zweites Mal tagen
Ich will Ihnen ein Event nennen, das kürzlich stattge- wird. Dort wollen wir uns mit konkreten Maßnahmen
funden hat: Am 27. April dieses Jahres, also vor weni- und mit der Umsetzung weiterer Projekte beschäftigen.
3760 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp


(A) Lassen Sie mich eine Zahl nachtragen, die ich sehr in- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C)
teressant finde: In den letzten 20 Jahren wurden in Weitere Nachfragen?
40 Ländern weit mehr als 180 Vorhaben, deren direkte
und indirekte Zielgruppe Menschen mit Behinderungen Karin Roth (Esslingen) (SPD):
waren, mit insgesamt 70 Millionen Euro gefördert. Ja, noch eine, Herr Präsident. – Frau Kopp, ich höre
mit Freude, dass Sie dieses Thema auf die Tagesordnung
Die Probleme der Menschen mit Behinderungen ge- setzen; das ist wunderbar. Die Frage ist: Ist damit zu
rade in armen Ländern nehmen eher zu. Als Beispiel rechnen, dass es im Rahmen dieser internationalen Ver-
nenne ich nur Haiti: Viele Menschen, die unter Trüm- abredungen ein Aktionsprogramm gibt? Man braucht na-
mern lagen, mussten aus der Not heraus Notamputatio- türlich unterschiedliche Maßnahmen – nicht nur im Be-
nen über sich ergehen lassen, um ihr Leben zu retten. An reich der sozialen Sicherung, sondern auch auf anderen
diesem Staat – was Haiti angeht, ist es eigentlich nicht Politikfeldern –, um eine Politikkohärenz der Bundes-
seriös, von Wiederaufbau zu sprechen, sondern man regierung zu gewährleisten.
muss eher von Aufbau sprechen – sieht man, wie
schwierig es ist, zu ermessen, was diese Katastrophe für Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
Menschen mit Behinderungen bedeutet, die so gut wie minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
überhaupt keine Mittel haben, mit denen sie sich helfen wicklung:
können, also Prothesen, Alltagshilfen, Rollstühle, Geh- Ich kann Ihnen versichern, dass wir größten Wert auf
hilfen. Dort Abhilfe zu schaffen, das ist eine Riesenhe- eine kohärente Politik legen. Diese verfolgen wir; alles
rausforderung. andere ergibt keinen Sinn. Sie haben gefragt, ob diese
kohärente Politik im Rahmen von Aktionsplänen erfolgt.
Frau Roth, ich war vor wenigen Wochen bei der Früh-
Ich bin beim Thema Aktionsplan immer ein wenig vor-
jahrstagung der Interamerikanischen Entwicklungs- sichtig, weil viele Aktionspläne oder Aktionen auch in
bank. Auf dieser Tagung war die Lage in Haiti ein zen- ihrer Wirkung kurzfristig sind. Ich möchte gerne, dass
trales Thema: Wie gehen wir mit der Entschuldung um? wir nachhaltig handeln.
Wie wollen wir beim Aufbau helfen? – Ich habe dort ge-
nau die Frage gestellt, die Sie, Frau Roth, gestellt haben, Man kann mit einer Aktion, welcher Art auch immer,
weil sie zuvor bei der Diskussion und in der Experten- einen Auftakt machen; aber es muss immer Substanz da-
runde keine Rolle gespielt hatte. Ich habe gefragt, ob hinter sein. Es ist nicht so, dass wir uns kurzfristig einem
bekannt ist, wie viele Menschen mit Behinderungen in Thema widmen und dann meinen, wir müssten hierzu ei-
Haiti nach dem Erdbeben auf Hilfe und konkrete Hilfs- nen Aktionsplan ins Leben rufen, sondern uns ist wich-
(B) mittel warten. Ich war erschrocken, dass mir niemand tig, nachhaltig vorzugehen, kohärente Politik zu machen (D)
eine Zahl nennen konnte. Ich habe also wahrgenommen, und diese auch zu verfolgen. Ob in diesem Zusammen-
dass dieses Thema auch auf internationaler Ebene in vie- hang ein Aktionsplan kommen wird, kann ich Ihnen
derzeit noch nicht sagen. Wichtig ist mir, dass wir eine
len Köpfen nicht genügend angekommen ist.
effiziente und effektive Politik im Sinne der Menschen
Natürlich ist die Not riesengroß. Zahlreiche Men- machen, die Hilfe brauchen.
schen sind ohne Obdach. Es gibt viele Kranke und ein
unglaubliches Ausmaß an Zerstörung. Es gibt sehr viele Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Hilfsprogramme, die jetzt aber erst umgesetzt werden Danke schön. – Wir kommen zur Frage 5 des Kolle-
müssen. Dazu gehört auch, dass wir alles tun, um auch gen Burkhard Lischka:
bei uns Geberländern und darüber hinaus auf internatio- Was heißt es für den finanziellen Beitrag Deutschlands,
naler Ebene das Bewusstsein für die Problematik der dass 5,1 Milliarden US-Dollar der Weltbank durch eine Kapi-
talerhöhung zufließen sollen, und werden die Einflussmög-
Menschen mit Behinderungen zu schaffen. Wir als BMZ lichkeiten Deutschlands infolge der Stimmrechtsreform aus
sehen es als zentralen Punkt unserer Politik an, Mittel zu Sicht der Bundesregierung beschnitten?
geben, um an dieser Stelle mehr zu tun.
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Aber es geht nicht nur darum, Gelder fließen zu las-
sen, sondern es geht auch darum, nachzuschauen, wofür Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
diese Gelder ausgegeben werden, wie wirksam sie sind, minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
welche Programme aufgelegt werden und an welchen wicklung:
Programmen wir uns beteiligen. Bei den anstehenden Danke schön, Herr Präsident. – Ich muss Sie jetzt zu-
Konferenzen ist es wichtig – ich sagte bereits, dass die nächst einmal mit ein paar Zahlen quälen und hoffe, es
nächste im Herbst stattfindet –, zu prüfen, wo wir stehen werden nicht zu viele. Bei der zurückliegenden Welt-
und wo wir nachlegen müssen. banktagung, an der ich für den Bundesminister teilge-
nommen habe, wurde eine Erhöhung des Kapitals der In-
Seien Sie versichert, dass die Themen „Menschen mit ternationalen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung,
Behinderungen“ und „Was müssen wir tun, um deren IBRD, um insgesamt 86,2 Milliarden US-Dollar vorge-
Situation weltweit zu verbessern?“ oben auf der Tages- nommen. Davon sind 5,1 Milliarden US-Dollar ein-
ordnung stehen, übrigens nicht nur im BMZ, sondern in zuzahlendes Kapital, und der Rest ist Haftungskapital.
der gesamten Bundesregierung, denn dies ist ein über- Von dem einzuzahlenden Kapital entfallen 1,6 Milliar-
greifendes Thema. den US-Dollar auf eine selektive Kapitalerhöhung, die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3761
Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp
(A) durchgeführt wurde, um die Stimmrechte der Weltbank der Frühjahrstagung der Weltbank der Presse entnom- (C)
anzupassen. Der Hauptteil wird von den Entwicklungs- men, dass Sie gesagt haben, ein Hauptziel müsse in den
ländern getragen. 3,5 Milliarden US-Dollar entfallen auf nächsten Jahren sein, dass wir ein „nachvollziehbares und
eine generelle Kapitalerhöhung. transparentes“ System der Gewichtsverteilung in der Welt-
bank bekommen. Verstehe ich das im Umkehrschluss rich-
Über die Größenordnung der Beteiligung Deutsch- tig, dass wir dort derzeit ein intransparentes und nicht
lands ist im Rahmen der Aufstellung des Bundeshaus- nachvollziehbares System haben?
haltes 2011 und des Finanzplanes 2014 zu entscheiden.
Der Stimmrechtsanteil Deutschlands sinkt von 4,35 auf
4 Prozent – darauf kommen wir gleich noch –, wodurch Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
auch seine Einflussmöglichkeiten geringfügig reduziert minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
werden. wicklung:
Schauen Sie sich einmal an, wie die Stimmrechte bis-
Wir haben diese, wie ich finde, maßvolle Kapitalerhö-
lang verteilt werden – jetzt muss ich auf diesen Punkt zu
hung durchgeführt, um wieder ein Gesamtausleihvolu-
sprechen kommen, weil man das nicht diskutieren kann,
men von 15 Milliarden US-Dollar zu erreichen. Ich will
ohne darauf einzugehen –; dies geschah in einer Art und
hinzufügen, dass die Weltbank im Rahmen der Wirt-
Weise, die, wie ich jedenfalls finde, nicht nachvollziehbar
schafts- und Finanzkrise vorübergehend nicht in der
und wenig transparent war. Nehmen Sie nur einmal die
Lage war, das Volumen, das vor der Krise Bestand hatte,
Übertragung von gut 3 Prozent der Stimmrechte: Wie
zu erreichen. Wir wollen die Weltbank in die Lage ver-
kommt man darauf? Wie wurden sie errechnet? Wie er-
setzen, wieder über ein solches Volumen zu verfügen.
folgt die Übertragung? Wer wird damit gestärkt? Sie wis-
Das Ganze geschieht nicht nur im Rahmen eines Be- sen, dass es darum ging, zur Stärkung der Entwicklungs-
schlusses über eine Kapitalerhöhung – sie hat Auswir- und Schwellenländer über deren Basisstimmrechte hi-
kungen auf unseren Haushalt im Umfang von rund naus gut 3 Prozent der Stimmrechte neu zu verteilen. Es
110 Millionen Euro, verteilt über fünf Jahre –; vielmehr ist zwar richtig, diese Stärkung vorzunehmen – deswegen
haben wir das mit einem Maßnahmenpaket verknüpft, haben wir das auch mitgetragen –, aber wie diese Stimm-
das die Weltbank zu internen Reformen – sie hat in ihrem rechtsverteilung jetzt und auch die in der Vergangenheit
Entwurf selber bestätigt, dass sie sie umsetzen wird – und erfolgte, war nicht nachvollziehbar und nicht transparent.
auch zu inhaltlichen Fokussierungen zwingt. Das heißt,
die Weltbank wird ihre Projekte auf die Armutsbekämp- Wir als Geberländer haben nun gesagt – auch darin
fung fokussieren. Die Weltbank wird eine Initiative für waren wir uns, jedenfalls die meisten, einig –: Diese
mehr Transparenz starten. Sie wird ihre Projekte in kür- Umverteilung von 3 Prozent machen wir einmalig mit,
(B) zeren Zeitabläufen als zuvor evaluieren: Wirksamkeit weil es anders schwierig wäre, einen Kompromiss zu er- (D)
und Sichtbarkeit der gezahlten Gelder sind dabei das reichen. Es war nämlich – Herr Lischka, Sie wissen das
Ziel. Wir wollen mehr Transparenz und mehr Effektivi- wahrscheinlich aus der Vergangenheit – ein unglaublich
tät bei der Verwendung der Mittel. schwieriger Prozess, diese 3 Prozent auf die schwäche-
ren Länder überhaupt zu verlagern. Das wurde ja seit
Die Weltbank selbst ist auf dem Weg einer weiteren vielen Jahren versucht; aber das scheiterte immer auf in-
Dezentralisierung, weil sie festgestellt hat – das kann ich ternationaler Ebene. Das jetzt Erreichte ist also schon
gut nachvollziehen; die Weltbank ist derzeit in 120 Län- einmal ein Fortschritt. Weil das so ist, habe ich, auch bei
dern weltweit präsent –, dass sie durch Büros bzw. Au- der Konferenz, gesagt: Das machen wir diesmal, aber
ßenstellen in Ländern, die Hilfe und Projektförderungen mit der Auflage, dass es ein einmaliger Vorgang ist und
brauchen, näher dran ist und es so viel eher möglich ist, sofort nach der jetzigen Weltbanktagung eine Systemre-
einzuschätzen, welcher Art die Projekte sein müssen, ob form auf den Weg gebracht wird.
sie sinnvoll sind und ob mehr Beratung nötig ist. Es ist
also der richtige Weg, näher an den Ländern dran zu Ich glaube, der Webfehler war, dass bislang die Stimm-
sein, die Hilfsprojekte benötigen. Ich habe diesen Weg rechte nach der jeweiligen Wirtschaftskraft verteilt wur-
zusammen mit den Partnern aus den Geberländern, die den, also nach der ökonomischen Potenz. Ich finde, es ist
sonst noch mit am Tisch saßen, unterstützt und auch die nicht weitreichend genug, das alleine zur Grundlage der
Reformen, die ich eben genannt habe, explizit eingefor- Stimmrechtsverteilung zu machen, sondern es muss auch
dert, also Erneuerungsbedarf bei der Weltbank und eine einbezogen werden, welche Beiträge die Geberländer
stärkere Fokussierung auf mehr Transparenz und Evalu- zum IDA-Fonds, dem Fonds für die ärmsten Länder, leis-
ierung. Das ist damit auch verbunden. ten. Um nur ein Beispiel zu nennen: Ich finde, dass nicht
nur die ökonomische Kraft eines Landes, sondern eben
Ihre nächste Frage haben Sie zur Stimmrechtsreform auch der Beitrag eines Landes zur Finanzierung dieses
gestellt. Dazu komme ich dann gleich noch. Fonds für die Ärmsten mitzählen müsste. Das müsste ei-
gentlich bei der Stimmrechtsverteilung mitberücksichtigt
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: werden.
Eine Nachfrage zu dieser Frage? – Bitte. Insofern hat die deutsche Bundesregierung bzw. das
BMZ ein Pooling-Modell eingebracht und dargestellt,
Burkhard Lischka (SPD): welche Kriterien nach unserer Auffassung in Zukunft
Herr Präsident, vielen Dank. – Frau Kopp, ich komme zur Anwendung kommen sollten. Als wir den ersten Ent-
auf die künftigen Reformen zu sprechen. Ich habe nach wurf vorgestellt haben, ist dieser auf recht positive Reso-
3762 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp


(A) nanz gestoßen. Momentan ist noch nichts entschieden. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C)
Wie gesagt, wir sind im Prozess der Reformierung. Aber Dann rufe ich die Frage 6 des Abgeordneten
unbestritten ist, dass das System dringend verändert wer- Burkhard Lischka auf:
den muss.
Ist es bei der Frühjahrstagung der Weltbank aus Sicht der
Sie haben ja lesen können, dass von den 3 Prozent der Bundesregierung ausreichend gelungen, die Einflussvertei-
lung zwischen Industrie- und Schwellenländern neu auszuta-
Stimmrechtsanteile, die an die Schwellen- und Entwick- rieren, und wie bewertet die Bundesregierung den durch die
lungsländer verteilt wurden, 2 Prozent China zugefallen neue Stimmverteilung festgeschriebenen hohen Machtzu-
sind. China ist in dem Pool der Entwicklungs- und wachs Chinas in der Weltbank?
Schwellenländer nun wirklich führend, was die Stimm-
rechte betrifft. Es verfügt nun über 4,4 Prozent der Bitte schön.
Stimmrechtsanteile. Deutschland ist auf 4 Prozent zu-
rückgefallen. Wir haben knapp 0,4 Prozent eingebüßt. Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
Die Franzosen und die Briten haben 0,55 Prozent einge- minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
büßt, also mehr als wir. Die Japaner haben sogar mehr wicklung:
als 1 Prozent abgegeben; ansonsten wäre der Kompro- Herr Präsident, Herr Lischka, ich hatte die Antwort
miss gar nicht zustande gekommen. auf die Frage 6 eigentlich schon gegeben. Denn es geht
Nach der derzeit geltenden Austarierung der Stimm- in dieser Frage um die Stimmrechtsreform. Ich kann
rechte rein nach den Kriterien der Wirtschaftskraft ist es gerne noch etwas ergänzen. Aber ich habe Sie jetzt mit
nur logisch, dass China diesen Zuwachs an Stimmenrech- so vielen Sätzen bedacht, dass ich erst einmal nachfra-
ten bekommen hat. Damit müssen wir uns auseinander- gen möchte: Haben Sie aus Ihrer Sicht zur Frage 6 noch
setzen. Nach Überzeugung meines Hauses ist allerdings eine offene Frage?
mit dem Zuwachs an Stimmrechten auch zwingend mehr
Verantwortung verbunden – und mehr Verantwortung Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
heißt auch, mehr Gelder bereitzustellen. Bitte schön.
Eigentlich hätten wir an China im Rahmen des derzeit
geltenden nicht gut nachvollziehbaren, intransparenten Burkhard Lischka (SPD):
Systems noch mehr Stimmrechte übertragen können. Sehr geehrter Herr Präsident, vielen Dank. Ich habe
Darüber wurde auch diskutiert. Die Chinesen haben aber tatsächlich zwei Zusatzfragen, die die Stimmrechtsver-
abgelehnt und gesagt, dass sie das nicht wollen. Denn teilung betreffen. – Einige Ökonomen haben in der
das hätte natürlich in jedem Fall bedeutet, dass China Presse die Befürchtung geäußert, dass es aufgrund der (D)
(B) auch mehr Geld hätte bereitstellen müssen.
neuen Stimmrechtsverteilung in Zukunft möglicher-
Es bleibt dabei, dass für mehr Transparenz gesorgt weise verstärkt zur Bewilligung von wirtschaftlich un-
werden muss und wirkliche Reformen durchgeführt wer- sinnigen Projekten kommt. Ist das eine Befürchtung, die
den müssen. Wir wollen das System bis spätestens 2013 Sie teilen, Frau Staatssekretärin?
neu aufstellen. Ab 2015 – dann steht nämlich die nächste
Prüfung der Verteilung der Stimmrechte an – soll bereits Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
nach dem neuen System gehandelt werden. Ziel der minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
Bundesregierung ist es, die Entwicklungs- und Schwel- wicklung:
lenländer zu stärken. Das ist an dieser Stelle auch ge- Diese Befürchtung hege ich nicht aufgrund der neuen
schehen. Stimmrechtsverteilung. Ich glaube, es ist generell nötig,
Ich füge eine persönliche Anmerkung hinzu: Wir wer- sehr viel mehr darauf zu achten, wohin die Gelder flie-
den auch darüber diskutieren müssen, wer in dem Pool ßen. Das betrifft das gesamte Engagement und die ge-
der Entwicklungs- und Schwellenländer im Endeffekt samte Projektarbeit der Weltbank, aber nicht nur der
auf Dauer bleiben kann; ich hoffe, Sie verstehen, was ich Weltbank. Was unsinnige Projekte sind, das muss man
meine. Denn wenn ein Schwellenland irgendwann de erst einmal definieren. Es kommt natürlich darauf an,
facto kein Schwellenland mehr ist, sondern in eine hö- aus welchem Blickwinkel Sie das sehen.
here Kategorie aufgestiegen ist – das wünschen wir ja al- Ich möchte Ihnen dazu sagen: Ich finde es wichtig,
len –, dann muss zur Stärkung der schwächeren Länder bei jeder Finanzierung dieser Art nachvollziehen zu kön-
auch eine andere Verteilung der Stimmrechte erfolgen. nen, wohin und wofür die Gelder geflossen sind und wie
Aber das ist Zukunftsmusik. Wir müssen erst einmal am Ende das Ergebnis aussieht. Das hat bei der Tagung
eine Stimmrechtsreform auf den Weg bringen, und das der Weltbank eine Rolle gespielt: Wir, die Geberländer,
wird schwierig genug. wollen verstärkt darauf achten, dass beim Einsatz der
Mittel mehr Effizienz und Effektivität zu erkennen sind.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich glaube, die Weltbank hat als Erkenntnis mitgenom-
Können wir zur Frage 6 kommen? men, dass wir kürzere Evaluierungszeiträume fordern.
Wir kommen nur weiter, wenn die Evaluierungszeit-
räume verkürzt werden; denn nur so können wir schnell
Burkhard Lischka (SPD): genug erkennen, ob Mittel sinnvoll eingesetzt werden
Das können wir machen. oder nicht.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3763
Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp
(A) Die Führung der Weltbank steht jetzt enorm unter Wie bewerten der Bundesminister für wirtschaftliche Zu- (C)
Druck, für mehr Wirksamkeit und Effizienz zu sorgen. sammenarbeit und Entwicklung und die Parlamentarische
Staatssekretärin beim Bundesminister für wirtschaftliche Zu-
Ich verspreche Ihnen: Wir werden sehr genau darauf sammenarbeit und Entwicklung aufgrund konkreter Beobach-
achten. tungen und Gespräche bei ihren Auslandsreisen die Wirkung
von gebundenen und ungebundenen Budgethilfen in Entwick-
lungsländern, und sind sie bereit, auf Grundlage dieser Erfah-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: rungen in diesen Ländern Budgethilfen weiterzuführen?
Weitere Nachfrage? Wie und wann erfolgt in der EU die konkrete Abstimmung
über Budgetfinanzierungen Deutschlands und der EU-Partner
sowie des Europäischen Entwicklungsfonds entsprechend der
Burkhard Lischka (SPD): Pariser Erklärung über Kohärenz und Effizienz der Entwick-
Ja, eine kurze Zusatzfrage. – Frau Kopp, dankenswer- lungszusammenarbeit und der Bestätigung dieser Erklärung in
Accra?
terweise haben Sie gerade viel zu künftigen Reformen
gesagt und uns Ihre Überlegungen zur Stimmrechtsver- Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
teilung und zur Stärkung der Mitsprachemöglichkeiten
der Entwicklungs- und Schwellenländer bei der Welt-
bank mitgeteilt. Es gibt ja den Vorschlag Brasiliens, bei Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
der Weltbank eine Stimmparität zwischen Nehmer- und minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
Geberländern herzustellen. Ist das auch aus Ihrer Sicht wicklung:
ein taugliches Zukunftsszenario? Herr Kollege Raabe, Sie sprechen ein Thema an, das
immer heiß diskutiert wird. Im Einklang mit dem Koali-
tionsvertrag vergibt die Bundesregierung Budgethilfen
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
nur nach strengen, transparenten Kriterien und überprüft
minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
die entsprechenden Programme fortlaufend.
wicklung:
Das ist im Augenblick realistischerweise überhaupt Sie haben nach meinen Beobachtungen und denen des
nicht diskutierbar. Es spielte bei der Tagung der Welt- Ministers auf Auslandsreisen gefragt. Die Reisen dien-
bank keine Rolle. Ich habe bei der Vorbereitung auf die ten auch dazu, uns über bestehende Budgethilfepro-
Tagung – es war für mich die erste Weltbanktagung – gramme zu informieren. Die Besuche haben gezeigt,
von diesem Ansinnen gelesen und mir die Stellungnah- dass allgemeine Budgethilfen in den Ländern, in denen
men dazu angeschaut. Ich kann Ihnen nur sagen, dass es eine funktionierende parlamentarische Kontrolle, effi-
eine Umsetzung auf die Schnelle im Moment nicht rea- ziente Rechnungshöfe und eine starke Zivilgesellschaft
(B) listisch ist. gibt, durchaus einen Beitrag zu mehr Eigenverantwor- (D)
tung und verbesserter Rechenschaftslegung gegenüber
Die Schwellen- und Entwicklungsländer verfügen der eigenen Bevölkerung leisten können. Auch müssen
jetzt bei der Weltbank über einen Stimmrechtsanteil von die Partner sichtbare Anstrengungen zur Verbesserung
gut 47 Prozent. Sie wissen selber, welch ein riesiger der Situation bei den Eigeneinnahmen – Stichwort Steu-
Kraftakt über Jahre hinweg nötig war, um überhaupt den erquote – vorweisen können.
Transfer eines Teils der Stimmrechte zustande zu brin-
gen, also die Steigerung des Stimmrechtsanteils der Bundesminister Niebel hat bei seinen Gesprächen
Schwellen- und Entwicklungsländer um 3 Prozentpunk- deutlich auf die Notwendigkeit hingewiesen, Ergebnisse
te, von 44 auf 47 Prozent. Ich kann im Moment nicht be- der Reformen im Rahmen der Zusammenarbeit besser zu
urteilen, ob es möglich sein wird, hier einen weiteren dokumentieren. Herr Kollege Raabe, das war heute ja
Schritt, also eine Steigerung von gut 47 auf 50 Prozent, auch im Ausschuss Thema. Ich will betonen, dass wir
in Angriff zu nehmen. Ich finde, wir müssen erst einmal allgemeine Budgethilfen – davon sprechen wir ja – ohne
das umsetzen, was realistisch ist. Das haben wir mit dem eine Verknüpfung mit den Zielen von Good Governance,
jetzt gefassten Beschluss getan; ich finde das gut. also guter Regierungsführung, und mit der Beachtung
von Menschenrechten als sehr problematisch ansehen.
Als Nächstes haben wir eine andere Reform vor uns: Dort, wo es gute Strukturen gibt, kann man durchaus mit
Wir müssen nachvollziehbare Kriterien für die Stimm- Budgethilfen agieren.
rechtsverteilung einführen. Im Zuge der Umsetzung die-
ser Reform werden wir uns natürlich mit der Frage be- Wir haben aber, wie Sie wissen, im Koalitionsvertrag
schäftigen, ob es bei der Stimmgewichtung bleibt oder festgelegt, dass wir eine neue Gewichtung vornehmen
wir sie verändern. Das Thema wird dann auf der Tages- und mehr in bilaterale Projekte investieren möchten,
ordnung stehen. Wann es dazu kommt, ist im Moment weil sie transparenter sind und ihre Wirksamkeit besser
noch nicht zu überschauen; denn auf internationaler festgestellt werden kann. Wir möchten nicht, dass allge-
Ebene ist es, wie Sie wissen, immer schwierig, eine Eini- meine Finanzmittel irgendwo in Haushaltsbudgets von
gung zu erreichen. Wir werden aber mit Sicherheit in Regierungen landen, die mit dem Geld nicht das finan-
Zukunft auch über diese Stimmverteilung beraten. zieren, was wir uns vorstellen, sondern den eigenen
Machterhalt, Korruption und viele Dinge mehr.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Danke schön. – Wir kommen jetzt zu den Fragen 7 Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
und 8 des Kollegen Sascha Raabe: Nachfragen? – Bitte schön.
3764 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

(A) Dr. Sascha Raabe (SPD): Im Koalitionsvertrag sagen wir nun bei der Frage der (C)
Frau Staatssekretärin, zunächst kann man feststellen, Austarierung von multilateralen und bilateralen Struktu-
wie auch Sie auf Ihren gemeinsamen Auslandsreisen mit ren nicht, dass wir gar keine multilateralen Förderungen
dem Minister beobachtet haben, dass die Budgethilfe, mehr wollen, vielmehr haben wir uns dafür ausgespro-
die Deutschland leistet bzw. geleistet hat – wir haben ja chen, einen größeren Schwerpunkt im bilateralen Be-
auch zuvor nur Budgethilfe geleistet, wenn die Rahmen- reich zu setzen. Wir haben nicht gesagt, dass wir ohne
bedingungen gestimmt haben –, in der Tat zu einer Ver- multilaterale Strukturen auskommen wollen, vielmehr
besserung der Situation in den Ländern geführt hat. Es geht es – das will ich deutlich sagen – um die Gewich-
ist auch legitim, von anderen Gebern zu fordern, ihre tung und um die Verantwortung, die die gesamte Bun-
Programme in Ländern, wo die Rahmenbedingungen desregierung, aber mein Haus ganz besonders, dafür hat,
nicht gegeben sind, anzupassen – wohlgemerkt nicht dass die Steuermittel, die wir ausgeben, so verantwortbar
Deutschland; denn wir haben in der Vergangenheit nicht wie irgend möglich eingesetzt werden und Wirkung ent-
mit solchen Ländern zusammengearbeitet. Aber es gibt falten können, hier also Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.
doch einen Unterschied zwischen einer derartigen diffe- Das muss mit Qualitätskriterien verbunden sein. Einfach
renzierten Kritik und – ich befürchte, dass Sie mir, wahr- nur auf Cashflow zu setzen und dann zuzuschauen, was
scheinlich berechtigterweise, wieder mangelnde Wert- daraus wird, das können wir uns nicht leisten.
schätzung dem Minister gegenüber vorwerfen – einer
pauschalen Kritik, wie sie unser Minister leider häufig Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
übt nach dem Motto: Steuergeld wird in irgendwelchen Eine weitere Nachfrage? – Bitte schön.
Haushalten von Despoten verschwendet, indem diese
sich goldene Paläste bauen. Sind Sie mit mir der Mei-
Dr. Sascha Raabe (SPD):
nung, dass solche pauschalen Verurteilungen unserem
Frau Staatssekretärin, das ist genau das, was ich
gemeinsamen Anliegen, das wir verfolgen sollten, scha-
meine. Sie reden von Cashflow und darüber, dass man
det?
nicht darauf schaut, was passiert. Sie reden reichlich ne-
Weiter frage ich Sie: Warum haben Sie im Koalitions- bulös über Milliarden, die angeblich versickert sind, und
vertrag eine Reduzierung der entsprechenden Mittel vor- über Länder, in denen alles ganz schlimm gelaufen ist.
gesehen? Gehen Sie etwa davon aus, dass alle Entwick- Ich frage Sie konkret – denn es geht um deutsche Steuer-
lungsländer immer schlechter und korrupter werden? Sie gelder –: Welches Land hat die Bundesrepublik Deutsch-
haben anscheinend nicht die Hoffnung, dass es besser land in den letzten Jahren mit Budgethilfe unterstützt,
wird. Wenn Sie davon ausgingen, dass die Rahmenbe- bei dem es Ihrer Meinung nach keine Verknüpfung mit
dingungen besser würden, dann müssten Sie es doch of- Kriterien gab? Wo haben wir nicht reagiert, als die Part-
(B) fenlassen, ob Sie das Instrument ausweiten oder reduzie- nerländer die Bedingungen nicht erfüllten? Wo ist der (D)
ren, statt die Stammtischmentalität zu bedienen und zu Cashflow in Ländern, bei denen überhaupt nicht ge-
sagen: Das wird jetzt einfach einmal gekürzt. Vor Ort schaut wurde, was mit dem Geld passiert ist?
stellen Sie dann aber fest, dass die Mittel eigentlich wei- Ich finde, wenn man so etwas behauptet, ist das auch
terhin gezahlt werden sollten. eine Beleidigung unserer Durchführungsorganisation
und der Menschen, die vor Ort arbeiten. Ich frage Sie
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- ganz konkret: In welchen Ländern haben Sie vor Ort die
minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- von Ihnen beschriebenen Erfahrungen gemacht? Nennen
wicklung: Sie doch die Namen der Länder, in denen in den letzten
Herr Kollege Raabe, es ist doch unumstritten und Jahren die deutsche Budgethilfe in Form von Cashflow
auch belegt, dass wir es in der Vergangenheit gerade auf herübergeschoben wurde und dann versickerte bzw. ver-
dem afrikanischen Kontinent vielfach erlebt haben, dass schwendet wurde, weil man sich nicht darum geküm-
allgemeine Budgethilfen nicht transparent und werte- mert hat. Wir reden nicht über andere Geber, sondern
orientiert verwendet wurden, sondern in irgendwelchen über Deutschland.
Kanälen verschwunden sind. In Afrika haben über viele
Jahre und Jahrzehnte hinweg Hilfen in Milliardenhöhe Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
häufig nicht den Nutzen gebracht, den wir uns eigentlich minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
erhofft hatten. Das heißt: Es gibt viele Beispiele dafür, wicklung:
dass allgemeine Budgethilfen ohne Verknüpfung mit Ich möchte Ihre Frage positiv beantworten, Herr
Qualitätskriterien und Prüfungen im Vorfeld häufig zum Raabe, und Ihnen sagen, welchen reformdynamischen
Fenster hinausgeworfenes Geld war, das nicht zur Ver- Niedrigeinkommensländern Deutschland Budgethilfe leis-
besserung der Lebensverhältnisse der Ärmsten, für die tet. Als Beispiele nenne ich Länder in Subsahara-Afrika:
es eigentlich gedacht war, beigetragen hat. Genau das Burkina Faso, Ghana, Mali, Malawi, Mosambik,
hat auch der Minister gesagt, indem er als Ziel formuliert Ruanda, Sambia, Tansania und Uganda. Die Budgethilfe
hat, bessere Verhältnisse zu schaffen. Ich habe doch eben für Benin ist derzeit ausgesetzt. Wie Sie wissen, be-
sehr differenziert argumentiert – das meine ich jeden- obachten wir auch genau, was in Uganda passiert. Be-
falls –, als ich ausgeführt habe, dass die Budgethilfen, kanntermaßen gibt es dort eine parlamentarische Initia-
sofern sie mit der Einhaltung bestimmter Werte ver- tive, Homosexualität mit der Todesstrafe zu belegen.
knüpft sind, an der einen oder anderen Stelle auch sinn- Bundesminister Niebel hat, wie Sie der Presse sicherlich
voll sein mögen. entnommen haben, den Botschafter Ugandas zu sich be-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3765
Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp
(A) stellt und gesagt, die Bundesregierung erwarte, dass sich feprogrammen ist insbesondere in den Ländern, in denen (C)
die Regierung Ugandas davon distanziere, und über ent- sich auch die deutsche Entwicklungszusammenarbeit an
sprechende Schritte nachdenken werde, wenn dies nicht der Budgethilfe beteiligt, intensiv. Hier bestehen Mög-
geschehe. Die Umsetzung dieser Art von Werteorientie- lichkeiten zur konkreten gemeinsamen Positionierung
rung hat schon Wirkung gezeigt. Wie Sie wissen, hat als EU in den Budgethilfegruppen vor Ort sowie im Rah-
sich die Regierung Ugandas von dieser Initiative distan- men des Politikdialogs mit den Partnerländern.
ziert. Wie es dort in dieser Frage weitergeht, müssen wir
Beim Europäischen Entwicklungsfonds sind die Mit-
beobachten.
gliedstaaten ebenso wie bei den anderen Außenhilfe-
Wir haben jedenfalls die Aufgabe, bei der Finanzie- instrumenten an allen Budgethilfeentscheidungen der
rung von Budgets genau darauf zu achten, wohin die EU-Kommission beteiligt. Die Beteiligung der Mitglied-
Gelder fließen. Es gibt verschiedene Gutachten – ich staaten erfolgt sowohl im Rahmen der jeweiligen Län-
kann aus ihnen jetzt nicht zitieren, weil ich sie nicht da- derprogrammierung in Brüssel als auch im Rahmen der
beihabe; täte das aber gerne –, die belegen, dass in der Vorbereitung und Durchführung vor Ort.
Vergangenheit sehr viele Gelder in Kanäle geflossen
sind, die zu fördern nicht in unserem Sinne sein kann. Im Zuge der Umsetzung der Schlussfolgerungen des
Rates zu Aid Effectiveness vom November 2009 haben
Neben der allgemeinen Budgethilfe gibt es ja noch Kommission und Mitgliedstaaten insbesondere auf deut-
die sektorale Budgethilfe. Aus unserem Programm für sche Initiative hin einen Dialog zur Ausarbeitung eines
die Sektorbudgethilfe erhalten Peru, Ruanda und Äthio- koordinierten Ansatzes bezüglich Budgethilfen begon-
pien eine zweckgebundene Unterstützung für die Siche- nen. Entsprechend der Pariser Erklärung und des Accra-
rung sozialer Grunddienste. Für den Senegal und Mada- Aktionsplans geht es darum, den gemeinsamen Politik-
gaskar bestehen Budgethilfezusagen. Allerdings ist es dialog, das konkrete Design von Budgethilfeprogram-
hier noch nicht zu einer Auszahlung gekommen. Eine men sowie die Evaluierung der erzielten Ergebnisse stär-
Ausweitung des Länderkreises ist zurzeit nicht geplant. ker untereinander abzustimmen mit dem Ziel, ein
möglichst einheitliches Auftreten der EU vor Ort zu si-
Ich kann Ihnen sagen, dass in Kürze eine erneute Prü-
chern.
fung und Evaluierung betreffend die Fortführung von
Budgethilfen und Budgethilfeprogrammen stattfinden
werden, um zu sehen, wo wir stehen, ob wir auf dem Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
richtigen Weg sind, wo wir nachjustieren müssen und Bitte schön, Kollege Raabe. Wollen Sie nachfragen?
welche weiteren politischen Schritte wir gehen müssen.
Seien Sie versichert: Wir sind darauf aus, die uns anver- Dr. Sascha Raabe (SPD):
(B) trauten Gelder so verantwortlich wie irgend möglich zur Gerne, Herr Präsident. – Frau Staatssekretärin, die (D)
Verbesserung der Lebensverhältnisse in den ärmsten Frage zielte darauf ab, dass wir in der Pariser Erklärung
Ländern einzusetzen. und der Erklärung von Accra auf internationaler Ebene
mit ganz vielen anderen Gebern vereinbart haben, dass
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: sich die Geber zur Effizienzsteigerung auf gemeinsame
Danke schön. – Wir kommen damit zu den Fragen 9 Programme in Entwicklungsländern einigen sollen, und
und 10. zwar auch im Rahmen allgemeiner und sektoraler Budget-
finanzierung, damit sich nicht 100 oder 150 Geber bei
(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Frage 8 ist noch den Ministerien die Klinke in die Hand geben und damit
nicht beantwortet!) Kräfte gebunden werden, die besser zur Armutsbekämp-
– Ich dachte, Frage 8 sei schon mitbeantwortet. fung verwendet werden könnten. Ich frage Sie, ob sich
diese Bundesregierung noch daran hält. In Ihren Koali-
(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Nein! Da geht es tionsvertrag, auf den Sie ja auch eingegangen sind, ha-
um Accra und die Pariser Erklärung!) ben Sie nämlich genau das Gegenteil von dem, was in-
Bitte schön, Frau Kopp, zur Abstimmung über die ternational vereinbart wurde, hineingeschrieben. Sehen
Budgetfinanzierungen. Sie nicht die Gefahr, dass sich Deutschland international
immer stärker isoliert, wenn weitere Evaluierungen, die
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- wir meiner Meinung nach gar nicht brauchen, gefordert
minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- werden? Oder geht es der Bundesregierung vielleicht
wicklung: eher darum, wieder ganz viele deutsche Fahnen aufzu-
Herr Präsident, auch ich meine, dass diese Frage stellen, anstatt das Geld gemeinsam mit anderen wirk-
schon teilweise mitbehandelt wurde, wenn auch nur am lich für die Ärmsten der Armen effizient einzusetzen,
Rande. wie es international vereinbart wurde? Halten Sie sich
also noch an diese Vereinbarungen?
Die Mitgliedstaaten stimmen ihre Budgethilfeent-
scheidungen mit der EU-Kommission und mit anderen Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
Mitgliedstaaten auf Ebene des zentralen, kontinuierli- minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
chen Austausches zwischen Länderabteilungen, Exper- wicklung:
tengruppen und Budgethilfe auf EU-Ebene sowie vor
Nichts gegen deutsche Fahnen!
Ort unter Beachtung der jeweiligen nationalen Entschei-
dungskompetenz ab. Die Koordinierung von Budgethil- (Manfred Grund [CDU/CSU]: Richtig!)
3766 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp


(A) Herr Kollege Raabe, Ihre Sichtweise kann ich nicht beschneiden, wie Sie es in Ihrem Koalitionsvertrag for- (C)
teilen; das sage ich ausdrücklich. Ich habe mehrere Ent- muliert haben? Das, was Sie jetzt angeblich in Gesprä-
wicklungsministertreffen auf EU-Ebene mitgemacht, chen auf EU-Ebene erfahren haben, ist jedenfalls nicht
auch zu dem Thema Budgethilfen. Unsere Skepsis, was der Stand dieser Erklärungen. Ich würde Sie bitten, mir
die transparente und werteorientierte Verwendung von diese Passagen zu nennen. Dabei muss es sich um ein
Budgethilfen betrifft, teilt eine große Zahl anderer EU- Geheimpapier handeln, aber nicht um den offiziellen
Partner. Ich war erstaunt, weil auch ich bisher dachte, Text der Erklärungen von Accra und Paris.
dass neben uns Deutschen nur einige wenige Partner ein
wenig kritischer draufschauen. Nein, das ist nicht so. Es
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
gibt viele Länder in unserer EU, die diese Bedenken tei-
minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
len. Auch diese Länder sagen: Wir wollen eine größere
wicklung:
Effizienz bei der Verwendung der Mittel; wir müssen
dringend genauer hinschauen. Genau das Gegenteil von Herr Kollege Raabe, weil auch ich bei der Wahrheit
dem, was Sie gesagt haben, ist der Fall. Wir isolieren uns bleiben möchte, will ich darauf hinweisen, dass die Er-
nicht. Es ist vielmehr so, dass die Bedenken, die Minis- klärungen, die Sie gerade zitiert haben, auch und insbe-
ter Niebel und ich formuliert haben, auf EU-Ebene zum sondere auf bestimmten qualitativen Werten beruhen.
großen Teil geteilt wurden. Das heißt, es steht nirgendwo, dass Geld gezahlt werden
soll, ohne dass die notwendigen Voraussetzungen dafür
Was nicht sein darf, ist Folgendes – auch darüber erfüllt sind.
wurde gesprochen –: Wenn die Mitgliedstaaten mit Pro-
jekten begonnen haben, dann aber zu der Erkenntnis Ganz im Gegenteil, es gibt genügend korrupte Regie-
kommen, dass für den verantwortbaren Mitteltransfer rungen, die mit Geldern, die eigentlich entwicklungs-
die Voraussetzungen fehlen, zum Beispiel, weil die Prin- orientiert eingesetzt werden sollen, Armeen finanzieren.
zipien von Good Governance nicht eingehalten werden Das wollen wir nicht. Da kann man doch nicht sagen:
oder keine einigermaßen verlässlichen Strukturen vor Das ist vielleicht eine Petitesse. Wir wollen so weiterma-
Ort vorhanden sind, dann kann es nicht sein, dass die chen. – Nein, es muss so sein, dass die Gelder, die wir
EU-Kommission die Finanzierung fortsetzt. Ich finde, es geben, wirklich bei denen ankommen, die sie nötig ha-
kann nicht angehen, dass sie dann zwar die Mittel bei- ben. Wir dürfen durch unsere Finanzierung nicht die
spielsweise für zwei Jahre aussetzt, aber den Gesamtbe- Beibehaltung von Strukturen, die eigentlich längst nicht
trag nach drei Jahren plötzlich doch ausbezahlt. mehr gefördert werden dürften, mitverantworten. Wir
brauchen Regierungen, die sich gegenüber ihrer eigenen
Wir sagen, dass uns gute Regierungsführung, Beach- Bevölkerung verantwortlich verhalten, um deren Exis-
(B) tung von Menschenrechten, Transparenz der Mittel, tenz zu sichern und nicht die eigene Macht. Ich kann Ih- (D)
staatliche Strukturen, die einen verantwortlichen Um- nen nur sagen: Hier wird und wurde in der Vergangen-
gang mit dem Geld überhaupt vermuten lassen, und viele heit häufig genug falsch gehandelt. Wir wollen dieser
Dinge mehr wichtig sind. Wenn all das aber nicht gege- Fehlentwicklung, ob Sie es richtig finden oder nicht, mit
ben ist, kann man in solche Projekte eigentlich nicht ein- aller Macht entgegenwirken.
steigen. Dann muss man sich sehr genau überlegen, was
man tut. Wir sind auch mit der EU-Kommission sehr kri-
tisch umgegangen. Wir haben gesagt: Wenn wir zu dem Vizepräsidentin Petra Pau:
Ergebnis kommen, dass ein bestimmtes Projekt nicht Wir kommen nun zur Frage 9 der Kollegin Dr. Bärbel
förderfähig ist, weil es nicht werteorientiert ist, möchten Kofler:
wir nicht, dass die EU-Kommission dann anders handelt. Welche zusätzlichen Anstrengungen bzw. inhaltlichen Än-
Kohärentes Handeln auf EU-Ebene ist uns wichtig. Da- derungen hat das Bundesministerium für wirtschaftliche
für treten wir auch ein. Zusammenarbeit und Entwicklung im Vergleich zu den Vor-
jahren im Themenschwerpunkt „Klima-, Umwelt- und Res-
sourcenschutz“ unternommen, und mit welchen Partnerlän-
Vizepräsidentin Petra Pau: dern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit kooperiert
Ihre zweite Nachfrage. es derzeit in diesem Themenschwerpunkt?

Bitte, Frau Staatssekretärin.


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Frau Staatssekretärin, die Abgeordneten und das Pu- Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
blikum haben das Anrecht auf eine wahrheitsgemäße minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
Beantwortung der Fragen. Sie haben es eben so darge- wicklung:
stellt, als habe in der Paris-Deklaration und in der Erklä-
rung von Accra – ich selbst war bei der Konferenz in Frau Kollegin Kofler, das Thema „Erneuerbare Ener-
Accra dabei – die Meinung vorgeherrscht, dass das In- gien in der Entwicklungszusammenarbeit“ ist ein sehr
strument der Budgethilfe nicht ausgeweitet werden soll. wichtiges. Die Bundesregierung und das Bundesministe-
rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
Natürlich muss dieses Instrument kontrolliert werden. lung planen in 2010 bedeutende zusätzliche finanzielle
Aber ich frage Sie – ich kann übrigens gut lesen –: Wol- Anstrengungen zur Förderung von Klima- und Umwelt-
len Sie allen Ernstes behaupten, dass in der Erklärung schutz einschließlich der Unterstützung von Entwick-
der EU von Paris und in der Accra-Erklärung steht, wir lungsländern bei der Anpassung an die unvermeidlichen
sollen das Instrument der Budgethilfe zurückfahren und Folgen des Klimawandels.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3767
Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp
(A) Als Teil der von der Bundesregierung auf dem Ko- nische Zusammenarbeit sowie für die multilaterale Ent- (C)
penhagener Klimagipfel zugesagten Fast-Start-Finanzie- wicklungszusammenarbeit, hier vor allem für die Kli-
rung von insgesamt 1,26 Milliarden Euro im Zeitraum mainvestitionsfonds bei der Weltbank.
von 2010 bis 2012 werden für diese Zwecke im Einzel-
plan 23 – Sie kennen das sicher – Mittel vorgesehen, Mit der Entscheidung des Haushaltsausschusses vom
welche in 2010 im Vergleich zum Basisjahr 2009 um März dieses Jahres – neugeschaffene Titel für Klima-
205 Millionen Euro steigen. schutzmaßnahmen in Entwicklungsländern – finden Sie
im Kap. 2302 Tit. 687 05 Mittel in Höhe von 35 Millio-
Inhaltliche Änderungen für die deutsche Entwick- nen Euro, die sich noch in der Programmierung befin-
lungszusammenarbeit werden sich vor allem durch die den. Diese Mittel sollen vor allem für bilaterale finan-
im Juli 2009 beschlossene Einführung der obligatori- zielle und technische Zusammenarbeit verwendet
schen Klimaprüfung für Maßnahmen der bilateralen werden.
finanziellen und technischen Zusammenarbeit ergeben.
Die Leitlinien orientieren sich an den internationalen Zielgröße für das bilaterale Engagement 2010 im Kli-
Vorgaben der OECD. Umweltpolitik, Schutz und nach- mabereich Minderung und Anpassung sind laut BMZ-
haltige Nutzung natürlicher Ressourcen sind derzeit Planung 930 Millionen Euro. Hinzu kommen die multi-
– Stand: Januar 2010 – Schwerpunkt der bilateralen Ent- lateralen Mittel. Bereits im letzten Jahr hat das BMZ im
wicklungszusammenarbeit mit 19 Partnerländern, mit Anschluss an die Zusage von Bundeskanzlerin Merkel
weiteren neun Ländern im Rahmen regionaler themati- auf der UN-Konferenz zur biologischen Vielfalt im Juni
scher Kooperationsprogramme. Ich will Ihnen ein paar 2008 in Bonn 223 Millionen Euro für Biodiversität und
Beispiele nennen: im Bereich Mittelmeer, Naher Osten Walderhalt zugesagt. Damit wurde das deutsche Engage-
und Mittlerer Osten Ägypten und Marokko; im Rahmen ment gegenüber 2008 um rund 30 Prozent gesteigert.
regionaler thematischer Kooperationsprogramme Alge-
rien und Tunesien; in Afrika südlich der Sahara Benin, Vizepräsidentin Petra Pau:
Kongo, Kamerun, Madagaskar und Mauretanien; in Ihre zweite Nachfrage, bitte.
Asien und Ozeanien Indien, Indonesien, die Mongolei
und Vietnam; in Lateinamerika Brasilien, Ecuador und
Honduras. Hinzu kommen viele weitere Länder. Dr. Bärbel Kofler (SPD):
Ich finde die Frage der Zusätzlichkeit so nicht beant-
Vizepräsidentin Petra Pau: wortet. Es erstaunt mich schon, dass Sie, wenn ich nach
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. dem Vergleich der Zahlen von 2009 und 2010 frage, nur
Zahlen des Jahres 2010 nennen. Die spannende Frage
(B) wäre doch, in welchem Bereich die Mittel erhöht wur- (D)
Dr. Bärbel Kofler (SPD): den.
Danke. – Frau Staatssekretärin, ich möchte noch ein-
mal auf die zusätzlichen Mittel, die im Einzelplan 23 Es gab Anfang des Jahres Aussagen des Ministers, in
sein sollen, zu sprechen kommen. Sie haben den Kopen- denen er sich von dem Kopenhagen-Akkord nicht über-
hagen-Akkord zitiert, nach dem – zu Recht – in den mäßig begeistert gezeigt hat, und auch in der Presse war
Haushalten für die nächsten drei Jahre und damit auch nicht von einem großen Engagement in diesem Bereich,
im Haushalt 2010 jeweils ungefähr 400 Millionen Euro von Mittelaufwüchsen im Einzelplan 23, zu lesen. Wie
vorzusehen sind. wollen sich das BMZ und der Minister, aber auch Ihre
Person engagieren? Werden Sie die Mittel für den Kli-
Jetzt sprechen Sie von 205 Millionen Euro, die im maschutz im Haushalt 2011 erhöhen, und wie soll das
Einzelplan 23 zusätzlich vorhanden sein sollen. Deshalb ausgestaltet werden? Wie werden die Mittel explizit für
meine Nachfrage: Wo finden sich diese 205 Millionen den Klimaschutz in Entwicklungsländern steigen? Bei
Euro? Können Sie mir im Bereich der finanziellen und 400 Millionen Euro im letzten Jahr – Vergleichszahlen
technischen Zusammenarbeit Vergleichszahlen aus dem wurden gerade nicht genannt – liegt für mich ehrlich ge-
Jahre 2009 nennen, damit wir sehen können, wie sich die sagt der Schluss nahe, dass wir in diesem Bereich mehr
Zahlen entwickelt haben? Der eine Titel, den es im Ein- als diese Summe einbringen müssten.
zelplan 23 gibt – Klimaschutz in den Entwicklungslän-
dern –, umfasst 35 Millionen Euro, aber nicht 205 Mil- Ich würde auch gerne wissen, wie die Abstimmung
lionen Euro. Also müssten die übrigen 170 Millionen mit dem Umweltressort in diesem Bereich erfolgt. Denn
Euro in anderen Titeln versteckt sein. Daher hätte ich in beiden Ausschüssen wird immer wieder auf den je-
zum Vergleich gerne die Zahlen aus dem Jahre 2009. weils anderen Ausschuss verwiesen und darauf hinge-
wiesen, dass neue Mittel nicht allein im eigenen Ressort
eingestellt werden. Mich interessiert deshalb die Ge-
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
samtsumme und die Zusammenschau.
minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung:
Frau Kollegin Kofler, ich kann Ihnen Zahlen aus dem Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
Haushalt für 2010 nennen. Ich sprach eben davon, dass minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
Mittel im Umfang von 205 Millionen Euro eingestellt wicklung:
sind. Diese Mittel verteilen sich wie folgt: jeweils rund Frau Kollegin Kofler, die Vergleichszahlen 2009
85 Millionen Euro für die bilaterale finanzielle und tech- würde ich Ihnen gerne nachliefern, wenn Sie einverstan-
3768 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp


(A) den sind. Denn ich habe sie jetzt nicht parat. Aber ich nigkeit erzielt wurde. Stimmen Sie mir zu, dass die Bun- (C)
liefere sie Ihnen gerne nach. deskanzlerin auf diesem Gipfel 420 Millionen Euro für
Klimaschutzmaßnahmen versprochen und dieses Ver-
Selbstverständlich gleichen wir unsere Initiativen
sprechen in diesem Haushalt eiskalt gebrochen hat, in-
auch ressortübergreifend ab. Das heißt, Klimaschutz-
dem nur 70 Millionen Euro eingestellt wurden? Sie hat
maßnahmen sind sowohl im BMU als auch bei uns im
also die Weltgemeinschaft um 350 Millionen Euro belo-
BMZ entsprechend verankert. Dabei gibt es auch ein ko-
gen. Stimmen Sie mir auch zu, dass dies genauso ein
härentes Verfahren. Unabgestimmte Maßnahmen gibt es
Wortbruch ist, der internationale Glaubwürdigkeit kos-
nicht.
tet, wie die Tatsache, dass sie das Versprechen gebro-
Was den Klimagipfel in Kopenhagen und die, wie Sie chen hat, die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit in
es ausgedrückt haben, sehr zögerlichen oder eher negati- diesem Jahr auf 0,51 Prozent des Bruttoinlandsprodukts
ven Äußerungen von Minister Niebel betrifft, sind wir zu steigern? Sie können einfach mit Ja antworten. Dann
uns, glaube ich, einig, dass dieser Klimagipfel enttäu- können wir weitermachen.
schend verlaufen ist. Wir sind doch davon ausgegangen,
dass es ein substanzielles Ergebnis im Sinne eines Ver- Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
trages geben könnte, an dem alle mitwirken können. minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
Dies war aber nicht möglich. Das haben wir zur Kennt- wicklung:
nis genommen. Ich wähle die Freiheit, schlicht und ergreifend Nein
Ich finde, wir sollten nicht weiter zurückblicken. Die- zu sagen. Nein, Sie haben nicht recht.
ser Tage hat in Bonn die Petersberger Konferenz stattge-
funden, bei der Vertreter von rund 50 Ländern mit am Vizepräsidentin Petra Pau:
Tisch saßen, um den Klimagipfel im November in Can- Ich rufe die Frage 10 der Kollegin Kofler auf:
cún vorzubereiten. Das Ergebnis liegt mir noch nicht Welche bilateralen und multilateralen Programme/Pro-
vor, aber ich glaube, dass alle teilnehmenden Länder jekte der deutschen Entwicklungszusammenarbeit werden im
durch internationalen Druck auf uns alle zu einem wie Bereich der erneuerbaren Energien gefördert, und wie verhält
auch immer gearteten Ergebnis mit Substanz beitragen sich das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenar-
beit und Entwicklung zu Anfragen von Partnerländern zur
wollen. Förderung von Vorhaben im Bereich der Atomenergie?
Ich denke, dass wir im November erneut die Möglich- Bitte, Frau Staatssekretärin.
keit haben, das, was in Kopenhagen nicht optimal gelau-
fen ist, entsprechend zu korrigieren, ohne die Erwartun-
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
gen zu hoch zu schrauben. Wie gesagt, es kommt auf
(B) internationaler Ebene darauf an, dass sich alle einig sind. minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- (D)
wicklung:
Das ist immer die Schwierigkeit. Man muss am Ende
meist Kompromisse schließen und kann nie 100 Prozent Vielen Dank. – Ich will es etwas abkürzen. Das BMZ
erreichen. unterstützt derzeit im Bereich der erneuerbaren Energien
83 Programme in 40 Ländern.
Lassen Sie uns nach vorne blicken und uns bemühen,
gemeinsam zu einem substanziellen Ergebnis zu kom- Das Volumen der in Durchführung befindlichen Er-
men. Ich bin zuversichtlich, dass das gelingen kann. neuerbare-Energien-Programme beträgt 773 Millionen
Euro. Mit 16 Ländern hat das BMZ einen Energie-
schwerpunkt vereinbart. Diese Länder sind Afghanistan,
Vizepräsidentin Petra Pau: Albanien, Bangladesch, Bosnien-Herzegowina, Geor-
Bevor ich die nächste Nachfrage aufrufe, gestatten gien, Indien, Kosovo usw. Bei den Regierungsverhand-
Sie mir einen Hinweis. In Anbetracht der Tatsache, dass lungen mit Südafrika am 9. April 2010 in Pretoria hat
wir noch ganze 25 Minuten für die Fragestunde haben, das BMZ beispielsweise 60 Millionen Euro für Maßnah-
bitte ich die Kolleginnen und Kollegen um kurze, prä- men im Bereich der erneuerbaren Energien zugesagt.
zise Fragestellungen, Diese Liste könnte ich erweitern, erspare mir es jetzt
(Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]) aber aufgrund der knappen Zeit.
sodass es dann wiederum der Bundesregierung ermög-
Vizepräsidentin Petra Pau:
licht wird, kurz und präzise zu antworten, damit wir auch
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
den anderen Kolleginnen und Kollegen noch die Mög-
lichkeit zu einer Nachfrage geben können.
Dr. Bärbel Kofler (SPD):
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Raabe das Wort. Ich möchte meine Nachfrage gern zu dem Bereich
stellen, den Sie in Ihrer Antwort jetzt elegant umgangen
Dr. Sascha Raabe (SPD): haben. Es geht um die Haltung des BMZ zur Atomener-
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich will eine kurze gie und zur Förderung von Projekten im Bereich der
Frage stellen, die auch einfach mit Ja beantwortet wer- Atomenergie. Der Hintergrund ist: In der letzten Legisla-
den kann, Frau Staatssekretärin. Es hielt mich nicht mehr turperiode hatten wir bereits die Diskussion über die
auf dem Stuhl, als Sie sagten, der Klimaschutzgipfel in Hermesbürgschaften zum Beispiel für brasilianische
Kopenhagen sei ein Erfolg gewesen, und falls nicht, Atomkraftwerke. Das BMZ hat sich damals vehement
dann habe es daran gelegen, dass international keine Ei- gegen solche Hermesbürgschaften gestemmt. Mich
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3769
Dr. Bärbel Kofler
(A) würde interessieren, wie sich das BMZ in solchen Fra- Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen (C)
gen in Zukunft verhält oder auch in den letzten Wochen Amt:
schon verhalten hat und wo es einen Konflikt mit der Frau Abgeordnete, die Bundesregierung hat sich un-
eben beschriebenen Förderung der erneuerbaren Ener- abhängig von den jetzt vorgebrachten Vorwürfen seit
gien sieht. längerem dafür eingesetzt, dass das Freihandelsabkom-
men zwischen der EU und Kolumbien sowie Peru und
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- gegebenenfalls später auch Ecuador und Bolivien klare
minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- Menschenrechtsverpflichtungen enthält, deren Verlet-
wicklung: zungen sanktionierbar sind. Das Abkommen erklärt be-
Das kann ich mit dem einfachen Satz beantworten, reits in seinem ersten Artikel die Einhaltung der Allge-
dass dem BMZ keine formellen Anforderungen vorlie- meinen Menschenrechtserklärung und der allgemeinen
gen. Rechtsstaatsprinzipien zu einem essenziellen Element.
Es ist eigentlich ungewöhnlich, so etwas in ein Freihan-
delsabkommen aufzunehmen, aber das macht deutlich,
Vizepräsidentin Petra Pau: dass es der Bundesregierung in diesem Fall sehr wichtig
Ihre zweite Nachfrage, bitte. war. Die Bundesregierung hat daher keine Bedenken ge-
gen die Paraphierung des Abkommens durch die Euro-
Dr. Bärbel Kofler (SPD): päische Kommission. Zu den im genannten Artikel der
Dann frage ich nach: Hat das BMZ zu den beschlos- taz beschriebenen Aktivitäten des DAS liegen der Bun-
senen Ausfallbürgschaften für das brasilianische Atom- desregierung keine Erkenntnisse vor.
kraftwerk eine Meinung, und äußert es diese Meinung
auch im Kabinett? Vizepräsidentin Petra Pau:
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
Heike Hänsel (DIE LINKE):
wicklung:
Danke schön, Frau Staatsministerin. – Soll das hei-
Natürlich haben wir Meinungen, und die äußern wir
ßen, dass Sie keinerlei Information haben, während eine
auch. Das ist völlig klar.
Zeitung ausführlich berichtet, dass der kolumbianische
(Dr. Bärbel Kofler [SPD]: Welche sind das?) Geheimdienst ein Büro in Europa unterhält und systema-
tisch die Arbeit von Europaparlamentariern überwacht,
Noch einmal: Das Projekt, das Sie eben erwähnt haben, gleichzeitig gezielt mit Propaganda versucht, die Men-
(B) ist kein neues. Wir haben im Augenblick keinerlei Dis- (D)
schenrechtsarbeit im Europäischen Parlament zu beein-
kussions- oder gar Entscheidungsbedarf, weil uns kei- flussen, und dies nach Kolumbien rückmeldet? Diesen
nerlei Anfragen vorliegen. Informationen müssen Sie doch in irgendeiner Weise
nachgehen. Meine konkrete Frage lautet: Wie reagiert
Vizepräsidentin Petra Pau: die Bundesregierung auf diese Meldungen?
Danke, Frau Staatssekretärin. – Wir sind damit am
Ende dieses Geschäftsbereichs. Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen
Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanz- Amt:
lerin und des Bundeskanzleramts. Zur Beantwortung In der Tat nehmen wir solche Meldungen ernst. Wir
steht der Staatsminister Eckart von Klaeden zur Verfü- sind ihnen nachgegangen. Ich kann Ihnen sagen: Die
gung. Die Frage 11 der Kollegin Tabea Rößner und die Bundesregierung hat keinerlei Hinweise darauf, ob und
Fragen 12 und 13 der Kollegin Angelika Krüger-Leißner gegebenenfalls in welchem Umfang der DAS in Ländern
werden schriftlich beantwortet. der Europäischen Union nachrichtendienstliche Opera-
tionen gegen Zivilpersonen, Nichtregierungsorganisatio-
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen nen oder Einrichtungen der Europäischen Union durch-
Amtes. Zur Beantwortung steht die Staatsministerin geführt hat.
Cornelia Pieper zur Verfügung. Die Frage 14 des Kolle-
gen Dr. Ilja Seifert wird schriftlich beantwortet. Im Übrigen ist uns das Thema Menschenrechte sehr
wichtig. Das habe ich hier schon zum Ausdruck ge-
Wir kommen zur Frage 15 der Kollegin Heike
bracht. Die Bundesregierung weiß natürlich, dass der zi-
Hänsel:
vile kolumbianische Nachrichtendienst DAS nach einer
Wie verhält sich die Bundesregierung zu der Empfehlung Entscheidung der Regierung Uribe unter anderem auch
von Menschenrechtsorganisationen und EU-Abgeordneten, die
anlässlich der jüngsten Enthüllungen über das Vorgehen des
aufgrund eines seit Monaten anhaltenden Abhörskandals
kolumbianischen Geheimdienstes DAS gegen Menschenrecht- aufgelöst und unter Beschränkung auf die Kernkompe-
ler, Nichtregierungsorganisationen und EU-Politiker, welche tenzen Aufklärung, Spionageabwehr und Migrations-
die Menschenrechtssituation in Kolumbien anprangern (siehe kontrolle neu aufgebaut werden soll. Wir unterstützen
taz vom 27. April 2010, „Geheimdienst gegen Menschenrecht- natürlich diese Reformbestrebungen der kolumbiani-
ler“), fordern, dass das EU-Freihandelsabkommen mit Kolum-
bien auf keinen Fall unterzeichnet werden darf, bevor diese Af- schen Regierung, die wir positiv beurteilen.
färe vollständig aufgeklärt ist?
Die Regierung selbst hat das Büro der VN-Hochkom-
Bitte. missarin für Menschenrechte in Bogota gebeten, diese
3770 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

Staatsministerin Cornelia Pieper


(A) Reform zu begleiten. Für die Fortsetzung dieser Refor- Vizepräsidentin Petra Pau: (C)
men durch die neue Regierung sorgen neben der Beteili- Zu einer Nachfrage hat der Kollege Ströbele das
gung regierungsunabhängiger Stellen wie der obersten Wort.
Disziplinarbehörde auch das große Interesse der Medien
vor Ort und nicht zuletzt die erfolgreiche Einbeziehung
internationaler Akteure wie die bereits erwähnte Hoch- Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
kommissarin für Menschenrechte. NEN):
Frau Kollegin, ich will Sie und schon gar nicht die
Frau Abgeordnete, die Zeitungsmeldungen beunruhi- Bundesregierung auf Zeitungsrecherchen reduzieren.
gen Sie zu Recht. Aber ich bitte Sie darum, zur Kenntnis Deshalb rate ich der Bundesregierung, über ihre Bot-
zu nehmen, dass wir ihnen nachgegangen sind, und sich schaft in Bogota mit der Staatsanwaltschaft in Kolum-
auch auf die Ergebnisse der Recherche der Bundesregie- bien Kontakt aufzunehmen. Die Staatsanwaltschaft in
rung zu stützen. Wir alle im Parlament handeln verant- Kolumbien, die das Büro des Geheimdienstes DAS
wortungsvoll und sollten uns daher nicht einseitig nur auf durchsucht hat, beschlagnahmte dort eine ganze Reihe
Zeitungsberichte, gerade was die deutsche Außenpolitik von Unterlagen. Auf einer dieser Unterlagen findet sich
anbelangt, stützen, sondern eine genaue Recherche vor- ein handschriftlicher Vermerk, der auf deutsche Nach-
nehmen. Uns allen sind die Menschenrechtsfragen welt- richtendienste Bezug nimmt.
weit wichtig. Deswegen wird die Bundesregierung die
Entwicklung weiter beobachten. Ich frage Sie: Ist die Bundesregierung bereit, sich auf
diesem Wege richtig zu informieren und dem Deutschen
Vizepräsidentin Petra Pau: Bundestag dazu Auskunft zu erteilen, in welcher Weise
Ihre zweite Nachfrage, bitte. es Verbindungen des DAS, der in Kolumbien wegen
schwerer Menschenrechtsverletzungen unter die Räder
gekommen und sogar einer Durchsuchung durch die
Heike Hänsel (DIE LINKE):
Staatsanwaltschaft ausgesetzt gewesen ist, zu bundes-
Mich würde noch interessieren, in welchem Umfang
deutschen Nachrichtendiensten gibt, was Inhalt dieser
Sie recherchiert haben. Haben Sie zum Beispiel auch re-
Verbindungen war und welchen Inhalts diese Zusam-
cherchiert, ob der kolumbianische Geheimdienst in menarbeit gewesen ist?
Deutschland in ähnlicher Weise agiert und auch hier die
Arbeit von Parlamentarierinnen und Parlamentariern do-
kumentiert? Gibt es von Ihrer Seite diesbezüglich ir- Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen
gendwelche Erkenntnisse? Sind Sie in irgendeiner Weise Amt:
(B) aktiv geworden? Wenn nein, würde mich interessieren, Nach derzeitigem Kenntnisstand, Herr Abgeordneter, (D)
weshalb nicht. so kann ich nur wiederholen, liegen uns dazu keine Er-
kenntnisse vor. Wir haben großes Vertrauen in die Aus-
Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen landsvertretungen und natürlich auch in die Botschaft in
Amt: Kolumbien. Ich werde gern Ihren Hinweis aufgreifen,
Ich kann nur sagen, dass die Bundesregierung allum- dem noch einmal nachgehen und Ihnen die entsprechen-
fassend keine Hinweise hat, ob und gegebenenfalls in den Informationen persönlich zukommen lassen.
welchem Umfang der DAS in Ländern der Europäischen
Union – dazu gehört auch Deutschland – nachrichten- (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
dienstliche Operationen gegen Zivilpersonen, Nichtre- GRÜNEN]: Nicht mir, dem Deutschen Bun-
gierungsorganisationen usw. durchgeführt hat. Ich bitte destag!)
Sie einfach, dies zur Kenntnis zu nehmen. Die Ergeb-
nisse im Detail vorzutragen, ginge aus meiner Sicht zu Vizepräsidentin Petra Pau:
weit. Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Dağdelen.
Ich bitte Sie daher noch einmal, Frau Abgeordnete,
sich nicht nur auf Zeitungsmeldungen zu berufen, son- Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
dern im Detail dem zu vertrauen, was wir Ihnen hier vor-
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Staatsministe-
legen. Wir sind sehr daran interessiert, dass die Refor-
men in Kolumbien vorangehen. Dazu gehört auch die rin Pieper, ich will daran anknüpfen, dass Sie im Vorfeld
die Frage meiner Kollegin Hänsel so beantworteten, die
Reform des Geheimdienstes DAS.
Regierung habe sich allumfassend informiert und umfas-
Wir sind zuversichtlich, was die Entwicklung in die- send recherchiert. In diesem Zusammenhang frage ich
sem Land anbelangt. Sie wissen, dass in Kolumbien noch einmal nach: Was heißt „umfassend“ konkret?
demnächst, am 30. Mai 2010, Präsidentschaftswahlen Heißt dies: aus öffentlich zugänglich Quellen, aus nach-
anstehen und dass Präsident Uribe unter anderem die richtendienstlichen Quellen, aus bilateralen Gesprächen?
Entscheidung des Verfassungsgerichts vom 26. Februar Wie informiert sich die Bundesregierung ihrer Meinung
2010 gegen ein Referendum respektiert hat, das ihm ein nach umfassend? Der Kollege Ströbele hat gesagt, dass
drittes Mandat ermöglicht hätte. Das Verhalten der Re- es eine Untersuchung der Staatsanwaltschaft gegeben
gierung zeigt, dass es dort inzwischen relativ stabile Ver- hat und ein Vermerk mit Bezug auf den BND dort gefun-
hältnisse gibt und dass man Vertrauen in die demokrati- den worden ist. Oder wird die Bundesregierung vom
schen Institutionen des Landes gewinnen kann. BND nicht allumfassend informiert?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3771

(A) Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C)
Amt: Danke. – Frau Staatsministerin, Ihrer Antwort ist zu
Frau Dağdelen, ich sagte schon auf die Frage des Ab- entnehmen, dass es dringend notwendig ist, diese Krite-
geordneten Ströbele: Allumfassend heißt, dass wir natür- rien zu konkretisieren. Ich habe erwartet, dass sich die
lich alle Quellen nutzen, die uns zur Verfügung stehen, Bundesregierung aufgrund des Wissens, dass der Abzug
und die Recherche dementsprechend vornehmen. Ich der Truppen wahrscheinlich im Juli 2011 anfangen soll,
werde das jetzt nicht im Einzelnen darlegen; das ginge zügig darauf vorbereitet und Kriterien für diese Maßnah-
zu weit. Aber ich betone noch einmal ausdrücklich, dass men entwickelt. Dabei geht es vor allem darum, die
ich den Hinweis des Abgeordneten Ströbele durchaus Bevölkerung im zivilen Bereich darin zu unterstützen,
sehr ernst nehme, auch im Namen der Bundesregierung, Verantwortung zu übernehmen. Es ist schlichtweg uner-
und dass ich dies selbstverständlich noch einmal aufgrei- träglich, dass hier überhaupt noch keine konkreten Krite-
fen und nicht nur Herrn Ströbele, sondern den Bundestag rien vorliegen.
darüber informieren werde.
Ich möchte deshalb nachfragen. In den Provinzen
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Badakhshan und Kunduz gibt es zu wenig Polizei, die
GRÜNEN]: Sehr gut!) Polizisten werden schlecht bezahlt, und wir wissen, dass
Arbeitsplätze fehlen. Machen wir es einmal an diesen
Vizepräsidentin Petra Pau: drei konkreten Kriterien fest. Was gedenkt die Bundes-
regierung in dieser Hinsicht zu tun? Werden die Gelder,
Die Fragen 16 und 17 des Kollegen Nouripour, die die im Auswärtigen Amt, aber auch im BMZ zur Verfü-
Frage 18 der Kollegin Keul und die Frage 19 des Kolle- gung stehen, dafür ausgegeben und die Maßnahmen auf-
gen Dr. Frithjof Schmidt werden schriftlich beantwortet. gestockt, die dringend erforderlich sind?
Ich rufe die Frage 20 der Kollegin Ute Koczy auf:
Welche konkreten Kriterien müssen im Bereich des zivilen Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen
Aufbaus in den Provinzen Badakhshan, Kunduz, Baghlan er- Amt:
füllt sein, um mit der Einleitung eines schrittweisen Abzugs
der Bundeswehr zu beginnen?
Frau Abgeordnete, Sie fragen, was die Bundesregie-
rung im zivilen Bereich konkret tut, um die von ISAF
Bitte, Frau Staatsministerin. entwickelten Kriterien im Norden des Landes zu erfül-
len. Ein zentraler Bestandteil der Strategie der Bundes-
Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen regierung bleiben der Aufbau und die Ausbildung der
Amt: afghanischen Sicherheitskräfte in Nordafghanistan. Da-
neben fokussiert die Bundesregierung ihre zivile Unter-
(B) Sehr geehrte Frau Abgeordnete Koczy, der Bundes- (D)
stützung im Rahmen ihrer Entwicklungsoffensive noch
wehreinsatz in Afghanistan bettet sich in die internatio-
stärker auf Nordafghanistan und richtet neue flexible
nale Sicherheitsunterstützungstruppe für Afghanistan ein
Programme ein, zum Beispiel einen Stabilisierungs-
und orientiert sich daher an den im NATO-Rahmen ge-
fonds, einen Regionalentwicklungsfonds und Infrastruk-
billigten Grundsätzen und Zielen. Dies gilt für die soge-
turfazilität. Dadurch soll die lokale Verwaltung bei der
nannte Transitionsphase, deren Kern die Übergabe der
eigenständigen Planung und Umsetzung von Wiederauf-
Sicherheitsverantwortung an die afghanischen Sicher-
bau- und Entwicklungsmaßnahmen unterstützt werden.
heitskräfte ist. Entscheidendes Kriterium für die Einlei-
So wird zum einen die Wahrnehmung der afghanischen
tung eines schrittweisen Abzugs ist neben der Sicher-
Verwaltung als Dienstleister gegenüber der eigenen Be-
heitslage vor allem die Fähigkeit der afghanischen
völkerung gestärkt; zum anderen vermitteln solche Maß-
Sicherheitskräfte, die Sicherheitsverantwortung zu über-
nahmen der Bevölkerung vor Ort eine spürbare Entwick-
nehmen. Hinzu kommen die Fähigkeit der afghanischen
lungsdividende.
Regierung zu guter Regierungsführung sowie das Vor-
handensein grundlegender Voraussetzungen für eine Erlauben Sie mir, eines noch kurz zu ergänzen, weil
tragfähige sozioökonomische Entwicklung. es zu meinem Aufgabenbereich gehört. Die verstärkte
Ausbildung der Polizei- und Sicherheitskräfte in Afgha-
Daher soll auf der für den 20. Juli 2010 geplanten
nistan liegt uns zu Recht am Herzen, weil dadurch er-
Konferenz in Kabul ein zwischen der afghanischen Re-
möglicht wird, dass das Land seine Geschicke zukünftig
gierung, der internationalen Gemeinschaft, der Unter-
selbst in die Hand nehmen kann. Uns allen ist bewusst,
stützungskommission der Vereinten Nationen in Afgha-
dass die Analphabetenrate gerade unter den Polizei- und
nistan, UNAMA, und ISAF abgestimmter Plan zur
Sicherheitskräften sehr hoch ist; sie liegt bei 70 Prozent.
Durchführung der Verantwortungsübergabe beschlossen
Die Bundesregierung hat seit 2009 ein Alphabetisie-
werden, der auch Kriterien im zivilen Bereich umfasst.
rungsprogramm auf den Weg gebracht. Ich persönlich
Diese Kriterien werden dann mit Blick auf die Lage in
glaube, dass wir für die Polizei- und Sicherheitskräfte
den einzelnen Provinzen durch die afghanische Regie-
– aber nicht nur für diese – mehr tun müssen; wir müs-
rung, UNAMA, ISAF und die Führungsnationen des je-
sen mehr in Bildung investieren. Deswegen haben wir
weiligen regionalen Wiederaufbauteams weiter konkreti-
im Auswärtigen Amt dafür gesorgt, dass die Mittel für
siert.
die Bildungsinitiative Afghanistan, die natürlich die
Ausbildung der Polizei- und Sicherheitskräfte ein-
Vizepräsidentin Petra Pau: schließt, verdoppelt werden und in diesem Jahr bei rund
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage. 11 Millionen Euro liegen.
3772 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen (C)


Ihre zweite Nachfrage, bitte. Amt:
Sie werden wahrscheinlich verfolgt haben, dass die
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): NATO-Außenministerkonferenz bei ihrem Treffen in
Daran kann ich anschließen. Es geht mir um die drei Tallinn das Verfahren zur Identifizierung übergabefähi-
Provinzen, die ich explizit genannt habe, weil sich daran ger Provinzen beschlossen hat. Die Übergabe soll in
konkret zeigt, wie die Übergabe in Verantwortung aus- zwei Stufen erfolgen. Die erste Stufe ist die Identifizie-
sehen kann. Welche der von Ihnen vorgeschlagenen rung von übergabefähigen Provinzen in einem monatlich
Punkte werden in Badakhshan, in der Provinz Kunduz stattfindenden Assessment Process. Dabei wird die Lage
und in Baghlan umgesetzt werden? in der jeweiligen Provinz hinsichtlich der Sicherheit, der
Fähigkeit der afghanischen Regierung zu guter Regie-
rungsführung sowie der Nachhaltigkeit der sozioökono-
Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen mischen Entwicklung analysiert. In der zweiten Stufe
Amt: entwickelt ein Transition Board Empfehlungen für die
Alle Punkte. mögliche Übergabe der Sicherheitsverantwortung in be-
stimmten Provinzen, über die die afghanische Regierung
Vizepräsidentin Petra Pau: und natürlich der NATO-Rat beschließen werden.
Damit kommen wir zur Frage 21 der Kollegin Koczy:
Die Kabuler Konferenz wird die in London beschlos-
In welcher Hinsicht bedingen sich die Abzugskriterien im sene Strategie der internationalen Gemeinschaft zur
zivilen Bereich und beim Aufbau der afghanischen Sicher-
heitskräfte?
Übergabe in Verantwortung präzisieren und mit konkre-
ten Zielen und Vereinbarungen unterfüttern. ISAF beab-
Bitte, Frau Staatsministerin. sichtigt, die Grundlage für die Übergabe der Sicherheits-
verantwortung bis zum NATO-Gipfel in Lissabon im
Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen November 2010 vorzulegen und dort die erste Tranche
Amt: der zu übergebenen Provinzen zu verkünden.
Frau Abgeordnete Koczy, meine Antwort für die Bun- Dass besonderes Vertrauen der Bevölkerung in die
desregierung lautet: Die von der Internationalen Sicher- Verwaltung und zu den politisch dort agierenden Perso-
heits- und Unterstützungstruppe, ISAF, entwickelten nen erst noch gewonnen werden muss, ist uns allen
Kriterien für die Übergabe der Sicherheitsverantwortung bekannt. Diese Kriterien werden natürlich bei der zu-
beruhen auf einer umfassenden Bewertung der Lage in künftigen Auswahl, die ja auch durch die afghanische
(B) der jeweiligen Provinz. Dies trägt der Erkenntnis Rech- (D)
Regierung erfolgen soll, berücksichtigt.
nung, dass auch gut funktionierende afghanische Sicher-
heitskräfte alleine nicht dauerhaft für Stabilität sorgen
können. Funktionale Verwaltungsstrukturen, gute Regie- Vizepräsidentin Petra Pau:
rungsführung und die Aussicht der jeweiligen Provinz Ihre zweite Nachfrage, bitte.
auf eine tragfähige sozioökonomische Entwicklung wer-
den daher als Kriterien in die Lagebewertung einbezo-
gen. Ich habe das schon erwähnt, als ich Ihre vorherige Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frage beantwortet habe. Ich glaube, dass die beiden Fra- Danke, Frau Staatsministerin. – Ihre Antwort lässt
gen zusammengehören und Sie damit auf die Kriterien mich sehr nervös werden, und zwar hinsichtlich der Zeit-
insistieren wollen. Sie hatten dazu ja schon Nachfragen schiene, die Sie gerade beschrieben haben. Ist denn,
gestellt. wenn man analog der Obama-Strategie mit dem Abzug
im Juli 2011 beginnen will, diese Zeitschiene nicht fahr-
Vizepräsidentin Petra Pau: lässig lang in Bezug darauf, dass wir der Bevölkerung in
Ihre Nachfrage, bitte. Deutschland klarmachen, dass wir einen Abzug begin-
nen wollen? Alle diese Maßnahmen können ja erst be-
ginnen, wenn der Juli und, wenn ich Sie richtig verstan-
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): den habe, auch der November 2010 vorüber sind. Das
Gehen wir noch einmal konkret auf die Provinz bedeutet, dass wir ein halbes Jahr Zeit haben, die Krite-
Kunduz ein. Ich habe Informationen, dass es dort ein rien umzusetzen, um dann mit dem Abzug im Juli 2011
großes Misstrauen gegenüber dem Gouverneur und der zu beginnen. Das finde ich für die Menschen vor Ort
dortigen Provinzverwaltung gibt. Zwei der Kriterien schlichtweg gefährlich.
müssen natürlich die Korruptionsbekämpfung und eine
gute Regierungsführung durch die Gouverneursverwal-
tung sein. Wenn wir nun Unterstützung leisten und es Cornelia Pieper, Staatsministerin im Auswärtigen
eine Provinzregierung gibt, die nicht das Vertrauen der Amt:
Bevölkerung und meines Wissens auch nicht das der Frau Abgeordnete, es gibt keinen Grund für Ihre Ner-
deutschen Bundesregierung hat, dann stellt sich natür- vosität. Wichtig ist, dass die Übergabe der Sicherheits-
lich die Frage, wie die Kriterien, die Sie vorhin in Bezug verantwortung nicht gleichzusetzen ist mit dem Abzug
auf den Abzug genannt haben, umgesetzt werden kön- von ISAF-Kräften aus der jeweiligen Provinz, aber ein
nen. wichtiger Schritt dazu ist.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3773
Staatsministerin Cornelia Pieper
(A) Was die Obama-Strategie anbelangt: Obama hat sich Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am (C)
eindeutig zur ISAF-Strategie bekannt, und die Amerika- Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
ner haben diese auch zu ihrer Grundlage gemacht.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 6. Mai 2010,
Vizepräsidentin Petra Pau:
10 Uhr, ein.
Frau Staatsministerin, herzlichen Dank! Die übrigen
Fragen zu Ihrem Geschäftsbereich werden schriftlich be- Die Sitzung ist geschlossen.
antwortet, ebenso wie alle anderen nicht aufgerufenen
Fragen. (Schluss: 15.38 Uhr)

(B) (D)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3775

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 eine Angelegenheit des Denkmalschutzes und damit vor-


rangig eine Aufgabe der Länder, welche die Annahme
Liste der entschuldigten Abgeordneten der Stätten in die UNESCO-Weltkulturerbeliste bean-
tragt haben. Da nach Kenntnis der Bundesregierung
entschuldigt bis
ICOMOS eine Gefährdung des Weltkulturerbestatus für
Abgeordnete(r) einschließlich den Dom zu Speyer nicht zu erkennen vermag, ist nach
Ansicht der Bundesregierung kein Handlungsbedarf er-
sichtlich.
Behm, Cornelia BÜNDNIS 90/ 05.05.2010
DIE GRÜNEN
Anlage 3
Binder, Karin DIE LINKE 05.05.2010
Antwort
Bleser, Peter CDU/CSU 05.05.2010
des Staatsministers Eckart von Klaeden auf die Fragen
Bockhahn, Steffen DIE LINKE 05.05.2010 der Abgeordneten Angelika Krüger-Leißner (SPD)
(Drucksache 17/1534, Fragen 12 und 13):
Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 05.05.2010 Wie ist es in so kurzer Zeit gelungen, eine Einigung bei
den Gesprächen über das am 6. Mai 2010 von der Bundesre-
Brinkmann SPD 05.05.2010 gierung zu präsentierende neue Konzept zur Digitalisierung
der Kinos herbeizuführen, nachdem es anlässlich der Bera-
(Hildesheim), tung des Antrags der SPD-Fraktion „Für eine Kinodigitalisie-
Bernhard rung, die den Erhalt unserer Kinolandschaft sichert“ in der
Sitzung des Ausschusses für Kultur und Medien am 21. April
Connemann, Gitta CDU/CSU 05.05.2010 2010 von Ihrer Seite keinen Hinweis auf einen bevorstehen-
den Abschluss der Gespräche insbesondere mit den Verleihern
gab?
Groschek, Michael SPD 05.05.2010
Wird das am 6. Mai 2010 zu präsentierende Konzept, ohne
den Details vorgreifen zu wollen, der Vorgabe des Koalitions-
Höger, Inge DIE LINKE 05.05.2010 vertrags zwischen CDU, CSU und FDP gerecht, wonach die
Digitalisierung der Kinos flächendeckend erfolgen soll?
Hörster, Joachim CDU/CSU 05.05.2010
(B) (D)
Zu Frage 12:
Klöckner, Julia CDU/CSU 05.05.2010
Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und
Lindner, Christian FDP 05.05.2010 Medien, Staatsminister Bernd Neumann, wird am 6. Mai
2010 auf Einladung der CDU/CSU-Fraktion im Deut-
Dr. Luther, Michael CDU/CSU 05.05.2010 schen Bundestag erstmals seine Überlegungen für ein
Modell zur Digitalisierung der Kinos in Deutschland
Philipp, Beatrix CDU/CSU 05.05.2010 vortragen und mit Vertretern der Film- und Kinowirt-
schaft diskutieren. Von einem bereits erfolgten Ab-
Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ 05.05.2010 schluss der Gespräche und Diskussion dazu kann keine
DIE GRÜNEN Rede sein. In den Diskussionsprozess wird selbstver-
ständlich auch der Ausschuss für Kultur und Medien ein-
Schnieder, Patrick CDU/CSU 05.05.2010 bezogen.
Werner, Katrin DIE LINKE 05.05.2010 In der letzten Sitzung des Ausschusses für Kultur und
Medien am 21. April 2010 war ein Antrag der SPD-
Zapf, Uta SPD 05.05.2010 Fraktion im Deutschen Bundestag Beratungsgegenstand.
Ein Sachstandsbericht der Bundesregierung zur Digitali-
sierung der Filmtheater war nicht Gegenstand der Tages-
Anlage 2 ordnung und der Beratungen, Herrn Staatsminister
Bernd Neumann wurde deshalb in der Sitzung zum An-
Antwort trag der SPD-Fraktion auch nicht das Wort erteilt.
des Staatsministers Eckart von Klaeden auf die Frage der
Abgeordneten Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE Zu Frage 13:
GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 11): Die Überlegungen für ein Modell, die der Beauftragte
Was unternimmt die Bundesregierung, nachdem nun der der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsmi-
Internationale Rat für Denkmalpflege, ICOMOS, eine Über- nister Bernd Neumann, am 6. Mai 2010 auf Einladung
prüfung des Weltkulturerbestatus angekündigt hat, um den der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag vortra-
Status Weltkulturerbe für den Speyerer Dom zu schützen?
gen wird, gehen aus von der Aussage des Koalitionsver-
Die Erhaltung und Pflege von Weltkulturerbestätten trages zwischen CDU, CSU und FDP: „In einer Gemein-
ist nach der Kompetenzverteilung des Grundgesetzes schaftsaktion von Filmwirtschaft, Filmförderanstalt,
3776 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

(A) FFA, Bund und Ländern soll schrittweise die flächen- Anlage 5 (C)
deckende Digitalisierung der Kinos erfolgen, um die
Antwort
kulturelle Vielfalt in Deutschland zu erhalten.“ Daher
stehen Programm- und Filmkunstkinos sowie herkömm- der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des
liche Kinos mit besonderen strukturellen Komponenten Abgeordneten Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE
im Fokus der Bundesregierung, die den Umrüstungspro- GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 16):
zess von analoger auf digitale Projektionstechnik finan- Welche konkreten Kriterien müssen hinsichtlich des Auf-
ziell nicht aus eigener Kraft bewältigen können. baus der afghanischen Sicherheitskräfte auf Distriktebene er-
füllt sein, um mit der Einleitung eines schrittweisen Abzugs
der Bundeswehr zu beginnen?
Anlage 4 Die gemeinsam von der Internationalen Sicherheits-
unterstützungstruppe, ISAF, und der afghanischen Re-
Antwort gierung noch im Detail zu entwickelnden Kriterien für
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des die Übergabe der Sicherheitsverantwortung werden auf
Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) (Drucksa- die Lage in der jeweiligen Provinz abstellen.
che 17/1534, Frage 14): Hinsichtlich der Kriterien zur Sicherheitslage hat die
An welchen Gedenkveranstaltungen und Kranzniederle- Fähigkeit der afghanischen Sicherheitskräfte, gegenwär-
gungen oder anderen Feierlichkeiten an sowjetischen Gedenk- tigen oder zukünftigen Bedrohungen durch Aufständi-
stätten und Kriegsgräbern anlässlich des 65. Jahrestages der sche entgegenwirken zu können, eine zentrale Bedeu-
Befreiung Deutschlands vom Faschismus nehmen Vertreterin-
nen und Vertreter der Bundesregierung teil? tung.

Der Bundesminister des Innern, Dr. Thomas de Konkret geht es um die Fähigkeit der afghanischen
Maizière, hat am 30. April 2010 an einer Gedenkfeier an Armee, Afghan National Army, ANA, und der afghani-
der Kriegsgräberstätte Zeithain teilgenommen; dort sind schen Polizei, Afghan National Police, ANP, effektive
15 000 russische Kriegsgefangene bestattet. Von russi- Operationen zu führen und hierzu entsprechende Be-
scher Seite waren Vertreter des Generalkonsulats Leip- fehls- und Kommunikationsstrukturen vorzuhalten.
zig bei der Gedenkfeier vertreten. Der Ausbildungsstand der afghanischen Sicherheits-
kräfte unterliegt einer regelmäßigen Bewertung durch
Bundespräsident Professor Dr. Horst Köhler hat am
ISAF.
2. Mai 2010 anlässlich des 65. Jahrestages der Befreiung
des Konzentrationslagers Dachau, in dem auch sowjeti-
(B) sche Kriegsgefangene ermordet wurden, an einem Ge- Anlage 6 (D)
denkakt in der KZ-Gedenkstätte Dachau teilnehmen.
Antwort
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel wird am 9. Mai
2010 am zentralen Festakt zum 65. Jahrestag des Kriegs- der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des
endes in Moskau teilnehmen. Welche weiteren hochran- Abgeordneten Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE
gigen Vertreterinnen und Vertreter der Bundesregierung GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 17):
an dieser Veranstaltung teilnehmen werden, steht noch Inwiefern sind sicherheitspolitische Kriterien für die Ein-
nicht fest. leitung eines schrittweisen Abzugs der Bundeswehr aus Af-
ghanistan prioritär gegenüber der Erfüllung von Kriterien im
Der Koordinator für die deutsch-russische zwischenge- Bereich des zivilen Aufbaus?
sellschaftliche Zusammenarbeit, Dr. Andreas Schockenhoff, Die gemeinsam von der Internationalen Sicherheits-
MdB, hat den Botschafter der Russischen Föderation in unterstützungstruppe, ISAF, und der afghanischen Re-
der Bundesrepublik Deutschland sowie Vertreter aller gierung noch im Detail zu entwickelnden Kriterien für
Fraktionen des Deutschen Bundestages und weitere die Übergabe der Sicherheitsverantwortung werden auf
Gäste zu einer Gedenkveranstaltung und Kranzniederle- eine umfassende Bewertung der Lage in der jeweiligen
gung am 9. Mai 2010 im ehemaligen Kriegsgefangenen- Provinz abstellen.
lager StaLag III A bei Luckenwalde eingeladen.
Dabei geht es, neben der Sicherheitslage und der Fä-
Darüber hinaus planen verschiedene politische Stif- higkeit der afghanischen Regierung zur guten Regie-
tungen, Organisationen, Museen und Gedenkstätten ent- rungsführung, auch um die Schaffung von Grundlagen
sprechende Gedenkveranstaltungen in Deutschland. für eine eigenständige sozio-ökonomische Entwicklung.
Von russischer Seite sind sowohl in Deutschland als Die Erfüllung von Kriterien im Bereich des Wieder-
auch in Russland und vielen anderen Staaten ebenfalls aufbaus, etwa die Grundversorgung der Bevölkerung
Gedenkveranstaltungen vorgesehen. Wer von russischer und Voraussetzungen für eine sich selbst tragende lokale
Seite zu diesen Veranstaltungen über das jeweilige Wirtschaft, werden somit bei der Einleitung der Über-
Diplomatische Korps hinaus im Einzelnen eingeladen gabe von Sicherheitsverantwortung mit berücksichtigt.
wird, ist nicht bekannt.
Die Entscheidung über die Übergabe der Sicherheits-
Soweit eine deutsche Auslandsvertretung eine Einla- verantwortung in einer Provinz werden von der afghani-
dung erhält, wird der jeweilige Missionsleiter oder ein schen Regierung und vom NATO-Rat getroffen. Grundlage
Vertreter an der Veranstaltung teilnehmen. dafür werden Empfehlungen sein, die ein sogenanntes
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3777

(A) „transition board“, bestehend aus COMISAF, dem Ho- Ist es richtig, dass in einem Bericht über die Stimmungs- (C)
hen Zivilen Repräsentanten der NATO in Afghanistan, lage in den neun nördlichen Provinzen Afghanistans, den Ge-
neral Frank Leidenberger in Auftrag gegeben hat (Die Welt
dem Leiter der Unterstützungsmission der Vereinten Na- vom 23. April 2010), auf eine Bereitschaft der lokalen auf-
tionen in Afghanistan, UNAMA, dem Botschafter der ständischen Gruppen, namentlich von Maulawi Wakil Ahmed
jeweiligen Führungsnation des Regionalen Wiederauf- Muttawakil, Ex-Außenminister der Taliban, zu Gesprächen
bauteams, PRT, und der afghanischen Regierung, ge- über eine politische Lösung hingewiesen wird, und welche
meinsam entwickelt haben. politischen Schritte will die Bundesregierung ergreifen, um
diese Gesprächsbereitschaft vor Ort im Norden weiter auszu-
loten und im Sinne einer politischen Lösung des Konflikts zu
nutzen?
Anlage 7
Der Bundesregierung liegt kein entsprechender von
Antwort General Frank Leidenberger in Auftrag gegebener Be-
richt vor.
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der
Abgeordneten Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bei dem in der Presse zitierten Bericht handelt es sich
NEN) (Drucksache 17/1534, Frage 18): um einen Reisebericht des Leutnants zur See Marco
Welche Kriterien definiert die Bundesregierung für den
Hellgrewe, dessen Inhalt sich die Bundesregierung nicht
schrittweisen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan, und zu eigen macht und nicht kommentiert.
inwiefern unterscheiden sich diese von denen des Komman-
deurs der ISAF, Stanley McChrystal, für die Internationale
Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan, ISAF?
Anlage 9
Der Bundeswehreinsatz in Afghanistan erfolgt im
Rahmen der Internationalen Sicherheitsunterstützungs- Antwort
truppe für Afghanistan, ISAF. Grundsätzlich gelten die der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des
von ISAF entwickelten und im NATO-Rahmen gebillig- Abgeordneten Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
ten Grundsätze und Ziele der Operationsführung auch
NEN) (Drucksache 17/1534, Frage 22):
für die Bundeswehr.
Inwieweit orientieren sich die Kriterien, die die Bundes-
Dies gilt auch für die von ISAF entwickelten Grund- regierung für den schrittweisen Abzug der Bundeswehr aus
sätze für die nächste Operationsphase, die sogenannte Afghanistan aufstellt, am Abzugsplan der US-Streitkräfte,
bzw. sind sie von diesem unabhängig?
Phase IV, „Transition“, deren Kern die Übergabe der Si-
(B) cherheitsverantwortung an afghanische Sicherheitskräfte Der Bundeswehreinsatz und der Einsatz der US- (D)
ist. Streitkräfte in Afghanistan erfolgen im Rahmen der
Die gemeinsam von ISAF und der afghanischen Re- Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe für
gierung noch im Detail zu entwickelnden Kriterien für Afghanistan, ISAF. Grundsätzlich gelten die von ISAF
die Übergabe der Sicherheitsverantwortung werden auf entwickelten und im NATO-Rahmen gebilligten Grund-
die Lage in den jeweiligen Provinzen abstellen. Konkret sätze und Ziele der Operationsführung für die Bundes-
geht es um die Sicherheitslage, die Verbesserung der wehr wie auch für die US-Streitkräfte. Dies gilt auch für
Regierungsführung afghanischer Stellen insbesondere die von ISAF entwickelten Grundsätze für die nächste
auf subnationaler Ebene sowie um die Schaffung von Operationsphase, die sogenannte Phase IV, „Transition“,
Grundlagen für die sozio-ökonomische Entwicklung. deren Kern die Übergabe der Sicherheitsverantwortung
an afghanische Sicherheitskräfte ist.
Die Entscheidung über die Übergabe der Sicherheits-
verantwortung in einer Provinz werden von der afghani- Die afghanische Regierung ist an der Entwicklung
schen Regierung und vom NATO-Rat getroffen. Grund- dieser Kriterien beteiligt. Zudem ist es ein Ziel der für
lage dafür werden Empfehlungen sein, die ein Ende Juli angesetzten Kabuler Konferenz, die in London
sogenannte „transition board“, bestehend aus COM beschlossene Strategie der internationalen Gemein-
ISAF, dem Hohen Zivilen Repräsentanten der NATO in schaft zur „Übergabe in Verantwortung“ zu präzisieren
Afghanistan, dem Leiter der Unterstützungsmission der und mit konkreten Zielen und Vereinbarungen insbeson-
Vereinten Nationen in Afghanistan, UNAMA, dem Bot- dere im sozio-ökonomischen Bereich zu unterfüttern.
schafter der jeweiligen Führungsnation des Regionalen
Wiederaufbauteams, PRT, und der afghanischen Regie- Die Entscheidung über die Übergabe der Sicher-
rung, gemeinsam entwickelt haben. heitsverantwortung in einer Provinz werden von der
afghanischen Regierung und vom NATO-Rat getroffen.
Grundlage dafür werden Empfehlungen sein, die ein so-
genanntes „transition board“, bestehend aus COM ISAF,
Anlage 8 dem Hohen Zivilen Repräsentanten der NATO in Afgha-
Antwort nistan, dem Leiter der Unterstützungsmission der Ver-
einten Nationen in Afghanistan, UNAMA, dem Bot-
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des schafter der jeweiligen Führungsnation des Regionalen
Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ Wiederaufbauteams, PRT, und der afghanischen Regie-
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 19): rung, gemeinsam entwickelt haben.
3778 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

(A) Anlage 10 Im Moment lotet die internationale Gemeinschaft, (C)


konkret das „Joint Donor Comittee“ – alle Vertretungen
Antwort und Entwicklungsorganisationen vor Ort –, im Sinne ei-
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der ner Arbeitsteilung Unterstützungsmaßnahmen aus. Die
Abgeordneten Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ Bundesregierung ist aktiv durch die Deutsche Botschaft
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 23): in Khartum, die Außenstelle Dschuba und die Gesell-
Was unternimmt die Bundesregierung, damit vor dem Re- schaft für Technische Zusammenarbeit daran beteiligt.
ferendum über die Unabhängigkeit des Südsudan im Januar
2011 eine Sudan-Konferenz im UN-Rahmen stattfindet, wozu
Darüber hinaus erarbeitet die Bundesregierung ein
der Deutsche Bundestag in seinem interfraktionellen Antrag umfassendes Konzept für den Sudan, welches gegenwär-
(Bundestagsdrucksache 17/1158) die Bundesregierung aufge- tig zwischen den Ressorts abgestimmt wird.
fordert hat?
Der Ressortkreis zivile Krisenprävention wird am
Die Bundesregierung steht im ständigen Dialog mit 12. Mai 2010 diese Fragen ebenfalls erörtern. Sudan
ihren Partnern, insbesondere in der Europäischen Union, wird damit einen konkreten Anwendungsfall für unseren
den Vereinigten Staaten von Amerika und in Afrika zur neuen Ansatz der vernetzten Sicherheit im Afrikakon-
Abstimmung des weiteren Vorgehens im Bezug auf den zept der Bundesregierung darstellen.
Sudan.
Es werden gegenwärtig verschiedene Ansätze zur
Bestimmung einer gemeinsamen Position und Maßnah- Anlage 12
men der internationalen Gemeinschaft erörtert. Die Afri- Antwort
kanische Union, AU, hat das AU-High Implementation
Panel unter Vorsitz des ehemaligen südafrikanischen der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des
Präsidenten, Thabo Mbeki, mit der Begleitung des Re- Abgeordneten Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE
ferendums über die Umsetzung des Umfassenden Frie- GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 25):
densabkommens für Sudan, Comprehensive Peace Welche Position vertritt die Bundesregierung bezüglich
Agreement – CPA, beauftragt. Ein Koordinierungstref- des Wunsches Taiwans, sich als Beobachter an den Aktivitä-
fen in Addis Abeba ist für den 8. Mai 2010 geplant. ten der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation, ICAO, zu
beteiligen, und welche Schritte will die Bundesregierung un-
Die USA planen eine CPA-Folgekonferenz, mögli- ternehmen, um die sachlich gebotene Partizipation Taiwans zu
ermöglichen?
cherweise in Kairo. Die Bundesregierung ist in diese
Diskussionsprozesse involviert und unterstützt dabei In Übereinstimmung mit der großen Mehrheit der
konsensfähige Maßnahmen, die vor allem den Wün- Staatengemeinschaft erkennt Deutschland Taiwan nicht
(B) schen der Beteiligten im Sudan entsprechen und eine (D)
als souveränen Staat an. Die Bundesregierung hält un-
starke aktive Rolle der Vereinten Nationen vorsehen. verändert an ihrer Ein-China-Politik fest.
Die Bundesregierung ist fest davon überzeugt, dass
Anlage 11 die Taiwan-Frage friedlich und im konstruktiven Dialog
zwischen den Beteiligten gelöst werden muss.
Antwort
Deshalb hat die Bundesregierung pragmatische Lö-
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der sungen für die Mitarbeit Taiwans in internationalen Or-
Abgeordneten Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ ganisationen bisher unterstützt und beabsichtigt, das
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 24): auch in Zukunft zu tun.
Was unternimmt die Bundesregierung, damit vor dem Re-
ferendum über die Unabhängigkeit des Südsudan im Januar
Das gilt auch für die Mitarbeit Taiwans in der Interna-
2011 die strittigen Fragen wie die Aufteilung der Ölfelder, die tionalen Zivilluftfahrt-Organisation, ICAO.
Nutzung von Öltransportwegen, die Aufteilung der Öleinnah-
men und sonstigen staatlichen Vermögen, die mangelnde
Transparenz des Unity Fund, die Landverteilung, Wasser- und
Weiderechte, Handelsbeziehungen, das Staatsangehörigkeits-
Anlage 13
recht oder der Minderheitenschutz umfassend gelöst werden, Antwort
wozu sie der Deutsche Bundestag in seinem interfraktionellen
Antrag (Bundestagsdrucksache 17/1158) aufgefordert hat? der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des
Die südsudanesische Regierung hat am 8. April 2010 Abgeordneten Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE
offiziell bei den Vereinigten Staaten von Amerika und GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 26):
der EU und ihren Mitgliedstaaten, unter anderem auch Welche Position vertritt die Bundesregierung bezüglich
Deutschland, um technische Beratung zu den in Ihrer des Wunsches Taiwans, in die Mechanismen der Klimarah-
menkonvention der Vereinten Nationen, UNFCCC, eingebun-
Frage genannten Themen gebeten. Die sudanesische Re- den zu werden, und inwiefern widerspricht nach ihrer Ansicht
gierung in Khartum unterstützt dies, erwartet aber auch der Ausschluss des weltweit 22 größten CO2-Produzenten
die Einbeziehung des Nordsudan in Entwicklungspro- dem Geist und den Zielen der Konvention?
gramme.
Die Bundesregierung ist fest davon überzeugt, dass
Die Regierung im Südsudan hat eine Taskforce einge- die Taiwan-Frage friedlich und im konstruktiven Dialog
richtet, die mithilfe internationaler Experten Lösungen zwischen den Beteiligten gelöst werden muss. Die Bun-
für diese strittigen Fragen erarbeiten soll. desregierung unterstützt pragmatische Lösungen für die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3779

(A) Mitarbeit Taiwans in internationalen Organisationen, auf Zu Teil 2 der Frage, inwieweit hierdurch aktuelle (C)
die sich die beiden Seiten geeinigt haben, und beabsich- Friedensbemühungen konterkariert würden:
tigt, dies auch in Zukunft zu tun.
Die Bundesregierung unterstützt jegliche Bemühun-
Taiwan bemüht sich zurzeit erneut um einen Beobach- gen, die einen Fortschritt der laufenden Zypern-Verhand-
terstatus bei Konferenzen der Vertragsstaaten der Klima- lungen ermöglichen. Der Friedensprozess bedarf neuer
rahmenkonvention, UNFCCC. Die Bundesregierung Impulse, um die Chancen auf eine dauerhafte Lösung zu
würde Gespräche zwischen Taiwan und der Volksrepu- verbessern. Aus Sicht der Bundesregierung gehört hierzu
blik China über konkrete Schritte einer sinnvollen Mit- auch der Direkthandel mit dem nördlichen Teil Zyperns.
arbeit Taiwans bei UNFCCC begrüßen.
Beiträge Taiwans zum Klimaschutz tragen zur Errei- Anlage 15
chung des klimapolitischen Ziels bei, den Anstieg der
globalen Temperaturen auf zwei Grad zu begrenzen. Antwort
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage
des Abgeordneten Martin Dörmann (SPD) (Drucksa-
Anlage 14 che 17/1534, Frage 28):
Antwort Sind alle Ressorts der Bundesregierung der Auffassung,
die Bekämpfung kinderpornografischer Inhalte im Internet
der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der sollte sowohl durch das Löschen als auch das Sperren entspre-
chender Seiten erfolgen, oder ist dies eine Einzelmeinung des
Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE) (Druck- Bundesministers des Innern, der entsprechend in der Presse
sache 17/1534, Frage 27): zitiert wurde?
Inwieweit teilt die Bundesregierung die im Brief des zyp- Die Bundesregierung verweist in diesem Zusammen-
riotischen Parlaments vom 12. April 2010 geäußerte Feststel-
lung, dass die Aufnahme von Handelsbeziehungen mit dem hang auf die Koalitionsvereinbarung. Danach besteht
türkisch besetzten Teil Zyperns durch die EU internationalem Einigkeit, dass es notwendig ist, kriminelle Angebote
Recht widerspricht, nach dem ein souveräner Staat – in die- schnellstmöglich zu löschen statt diese zu sperren. Zu-
sem Fall durch die völkerrechtlich anerkannte Regierung der nächst für ein Jahr sollen kinderpornografische Inhalte
Republik Zypern – das Recht hat, Häfen zu schließen – in die-
sem Fall im türkisch besetzten Teil Zyperns – und sich Dritte
auf der Grundlage des Zugangserschwerungsgesetzes
an diese Entscheidung zu halten haben, und inwieweit teilt die nicht gesperrt werden. Stattdessen werden die Polizei-
Bundesregierung die Auffassung, dass die Aufnahme von behörden in enger Zusammenarbeit mit den Selbstregu-
Handelsbeziehungen mit dem türkisch besetzten Teil Zyperns lierungskräften der Internetwirtschaft wie der deutschen
die aktuellen Friedensbemühungen der Regierung konterka- Internetbeschwerdestelle sowie dem Beschwerdestellen- (D)
(B)
riert?
netzwerk INHOPE die Löschung kinderpornografischer
Zu Teil 1 der Frage, ob die Aufnahme von Handelsbe- Seiten betreiben.
ziehungen mit dem Nordteil von Zypern internationalem In der Koalitionsvereinbarung ist ferner festgelegt,
Recht widerspricht: dass dies nach einem Jahr im Hinblick auf Erfolg und
Vor dem Hintergrund der Ablehnung des Annan-Plans Wirksamkeit evaluiert und aufgrund der gewonnenen
durch die griechisch-zyprische Volksgruppe am 24. April Erkenntnisse ergebnisoffen eine Neubewertung vorge-
2004 hat die EU am 26. April 2004 beschlossen, der fak- nommen werden soll.
tischen Isolierung des nördlichen türkisch-zyprischen
Teils der Insel entgegenzuwirken. Zu diesem Zweck wur-
den mehrere Verordnungsvorschläge durch die EU-Kom- Anlage 16
mission ausgearbeitet, von denen die Trennungslinien- Antwort
und die Finanzhilfeverordnung in den Jahren 2004 bzw.
2006 in Kraft getreten sind. des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage
des Abgeordneten Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE
Der ebenfalls 2004 vorgelegte Entwurf einer Direkt- GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 29):
handelsverordnung konnte dagegen bisher nicht verab-
Wird die Bundesregierung der Aufforderung des Menschen-
schiedet werden, da insbesondere die Republik Zypern rechtskommissars des Europarates, Thomas Hammarberg,
hiergegen juristische und politische Bedenken erhob. nachkommen, der in seiner Rede vor der Parlamentarischen
Versammlung des Europarates am 28. April 2010 die europäi-
Mit Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages war die EU- schen Regierungen dazu aufforderte, keine Roma in den
Kommission verpflichtet, sämtliche schwebende Verfah- Kosovo abzuschieben, insbesondere weil aus Deutschland ab-
ren, die nach neuem Recht dem ordentlichen Gesetzge- geschobene Roma zum Teil in bleiverseuchten Lagern unter-
gebracht wurden?
bungsverfahren – Mitbestimmung durch das Europäische
Parlament – unterlagen, an das Europäische Parlament Nein. Die deutschen Ausländerbehörden schieben
weiterzuleiten. Darunter fiel nach Auffassung des juristi- ausreisepflichtige Roma und Personen anderer Ethnien
schen Dienstes der EU-Kommission auch der Entwurf für aus dem Kosovo, die der vorausgegangenen Aufforde-
die Direkthandelsverordnung. Aus Sicht der Kommission rung zur freiwilligen, von Bund und Ländern auch finan-
widerspricht die Möglichkeit des Direkthandels grund- ziell in beachtlicher Höhe unterstützten Ausreise aus
sätzlich nicht völkerrechtlichen Vorgaben. Die Bundesre- dem Bundesgebiet nicht nachgekommen sind, nicht in
gierung teilt diese Auffassung. eine bestimmte Kommune oder „Lager“ im Kosovo ab.
3780 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

(A) Vielmehr sind ab dem Zeitpunkt ihrer Einreise die koso- Die Bundesregierung sieht keine Veranlassung, Pres- (C)
varischen Stellen für die Aufnahme, Unterbringung und semeldungen zu waffenrechtlichen Sachverhalten in den
Reintegration der Rückkehrer verantwortlich. Darüber Bundesländern zu kommentieren. Dies gilt auch, soweit
hinaus steht es den rückgeführten Personen im Rahmen in den Pressemeldungen Mitglieder von Landesregierun-
der verfassungsmäßig garantierten Freizügigkeit bzw. gen genannt oder zitiert werden.
der nationalen Gesetzgebung der Republik Kosovo frei,
über ihren Aufenthaltsort selbst zu bestimmen. Unab-
hängig davon unterstützt die Bundesregierung zusam- Anlage 18
men mit den Ländern Nordrhein-Westfalen, Niedersach-
sen, Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt mit dem Antwort
Rückkehrprojekt URA in beachtlichem Umfang die des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage
Reintegration der Rückkehrer. Zu dem vielfältigen der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE)
Leistungsangebot dieses Projekts gehören auch die (Drucksache 17/1534, Frage 31):
Wohnraumvermittlung und die Gewährung von Miet- Wie häufig – absolut und relativ – wurden welche Bean-
kostenzuschüssen. Bisher konnte im Rahmen dieses Pro- standungen bei Kontrollen der Lagerung von Waffen in priva-
jekts jeder interessierte Rückkehrer in Wohnraum ver- ten Haushalten in den einzelnen Bundesländern seit der letz-
mittelt werden – im Jahr 2010 bis Ende Februar ten Änderung des Waffengesetzes festgestellt?
37 Personen, darunter 21 Angehörige ethnischer Min- Der Bundesregierung liegen zu festgestellten Bean-
derheiten, hiervon 15 Roma. standungen bei den Kontrollen der Lagerung von Waffen
in privaten Haushalten keine statistischen Daten vor. Die
Im Februar 2010 startete das Umsiedlungsprogramm Länder sind nicht verpflichtet, statistische Daten zu er-
der EU Mitrovica Support Initiative, EUMSRI, für die heben oder dem Bund zu berichten. Eine Abfrage bei
durch Umweltgifte kontaminierten Roma-Siedlungen in den Ländern war in der zur Verfügung stehenden Zeit
Nord-Mitrovica, Osterode und Cesmin Lug. Im ersten nicht möglich.
Projektabschnitt begannen zu diesem Zeitpunkt die Bau-
arbeiten für die Errichtung von 90 Häusern in der Sied-
lung Roma-Mahalla; in einem zweiten Abschnitt sollen Anlage 19
weitere 50 Häuser errichtet werden. Derzeit sind im
Camp Osterode noch 99 und in Cesmin Lug 46 Roma- Antwort
Familien untergebracht. Bereits seit Mitte 2008 besteht
des Parl. Staatssekretärs Dr. Max Stadler auf die Frage
für beide Camps ein Zuzugsverbot für Neuankömm-
der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE)
linge. Ausnahmen gelten nur in Einzelfällen für nahe
(B) Angehörige, die wegen ihrer im jeweiligen Camp woh- (Drucksache 17/1534, Frage 32): (D)
nenden Familienangehörigen um Aufnahme bitten. Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus
dem Widerruf des als „Schweine-Patent“ bekannt gewordenen
Patents EP 1651777, und wie wird die Bundesregierung die
Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat anläss- Neuverhandlung des EU-Patentrechts zum Schutze der Nicht-
lich der Unterzeichnung des deutsch-kosovarischen patentierbarkeit von Tieren, Pflanzen und Lebensmitteln vo-
Rückübernahmeabkommens am 14. April 2010 in Berlin ranbringen?
betont, dass Deutschland das seit Jahren bewährte Kon- Das Europäische Patentamt hat das Europäische Pa-
zept der schrittweisen Rückführung in das Kosovo auch tent 1651777 mit Entscheidung vom 20. April 2010 wi-
künftig fortsetzen wird. So wurden im Jahr 2009 von derrufen, nachdem der Patentinhaber Newsham Choice
circa 14 000 ausreisepflichtigen Kosovaren durch die Genetics im Einspruchsverfahen mit Schreiben vom
Ausländerbehörden nur 541 Personen abgeschoben, dar- 31. März 2010 erklärt hatte, das Patent nicht aufrecht
unter 76 Angehörige der Roma. erhalten zu wollen. Weitere Informationen liegen der
Bundesregierung nicht vor. Die Bundesregierung prüft
derzeit das weitere Vorgehen in Bezug auf tier- und
Anlage 17 pflanzenbezogene Patente.
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage Anlage 20
des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜND- Antwort
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 30):
des Parl. Staatssekretärs Dr. Max Stadler auf die Frage
Wie bewertet es die Bundesregierung, wenn Mitglieder der Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE)
von Regierungen in Bund und Ländern – wie in den vergange-
nen Tagen etwa in Baden-Württemberg; siehe Süddeutsche
(Drucksache 17/1534, Frage 33):
Zeitung vom 29. April 2010 – in der Diskussion über die voll- Inwieweit teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass
ständige Umsetzung des gesetzlichen Verbots von Waffen in Migrantinnen und Migranten, die die Meinung vertreten, dass
privaten Händen und Haushalten vom Besitz von Waffen in Kruzifixe in Klassenräumen staatlicher Schulen gegen die Re-
eigener Hand und ihren Erfolgen beim Übungsschießen ligionsfreiheit verstoßen, nicht nur in Übereinstimmung mit
schwärmen, und was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes stehen, das 1995
den Besitz von Schusswaffen in Ministerhand einzuschränken mit Blick auf Bayern festgestellt hat, ein Schulkreuz verstößt
und damit zur Abrüstung auch in Landesteilen zu kommen, in gegen die weltanschauliche Neutralität des Staates, sondern
denen die Waffenlobby verankert ist und die besonders vom auch mit dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Men-
Waffenhandel profitieren? schenrechte vom November 2009, und ist diese Meinung
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3781

(A) nicht Ausdruck von Toleranz und einer europäischen Gesin- gen den in dem Entwurf einer Richtlinie zur Bekämpfung des (C)
nung im Geiste der Aufklärung, ganz im Gegensatz zu jenen, sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von
die mittels des Kruzifixes eine einseitige Bezugnahme auf das Kindern sowie der Kinderpornografie, KOM(2010) 94, der
Christentum erzwingen wollen? EU-Kommission angelegten Vorschlag einer europaweiten
Einführung von Internetsperren aussprechen?
Nach dem sogenannten Kruzifix-Beschluss des Bun-
Ist die Bundesregierung der Meinung, dass die im Vor-
desverfassungsgerichts von 1995 verstößt das Anbringen schlag der EU-Kommission vorgesehene Verpflichtung der
eines Kruzifixes in den Unterrichtsräumen einer staatli- Mitgliedstaaten, eine Sperrung von Internetseiten vorzuneh-
chen Pflichtschule, die keine Bekenntnisschule ist, dann men, hinsichtlich der Notwendigkeit eines effektiven Kampfes
gegen die Religionsfreiheit, Art. 4 Abs. 1 des Grundge- gegen derartige Inhalte im Netz zielführend ist, oder vertritt die
Bundesregierung die Ansicht der Fragesteller, dass Netzsper-
setzes, wenn die Schülerinnen und Schüler dem Kruzifix ren für eine effektive Bekämpfung der Verbreitung der Darstel-
zwangsweise ausgesetzt werden. In ähnlicher Weise hat lung von Kindesmissbrauch im Internet nicht nur völlig unge-
eine Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Men- eignet, sondern letztlich sogar kontraproduktiv sind, da die
schenrechte, EGMR, 2009 in der Sache Lautsi gegen betreffenden Inhalte im Netz verbleiben?
Italien entschieden, es verstoße gegen das Recht auf Bil-
dung, Art. 2 des Zusatzprotokolls zur Europäischen Men- Zu Frage 35:
schenrechtskonvention, in Verbindung mit dem Recht auf
Die Verhandlungen über den Richtlinienvorschlag zur
Religionsfreiheit, Art. 9 der Europäischen Menschen-
Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuel-
rechtskonvention, wenn Schülerinnen und Schüler in öf-
len Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornogra-
fentlichen Schulen zwangsweise dem Anblick eines
fie haben in der vergangenen Woche mit einer ersten Sit-
Kruzifixes ausgesetzt würden. Diese Entscheidung ist
zung auf Ratsarbeitsgruppenebene begonnen. Art. 21 des
noch nicht endgültig, da Italien die Große Kammer des
Richtlinienvorschlags war bislang nicht Gegenstand der
EGMR angerufen hat.
Verhandlungen. Es ist derzeit auch nicht absehbar, wann
Die Auffassung, dass Kruzifixe in Klassenräumen diese Norm erstmals Gegenstand von Abstimmungsge-
staatlicher Schulen generell gegen die Religionsfreiheit sprächen auf Ratsarbeitsgruppenebene sein wird.
verstoßen, trifft somit nicht zu. Das Anbringen von Kru-
zifixen ist nach wie vor möglich, allerdings nicht gegen Zu Frage 36:
den erklärten Widerspruch der Schülerinnen und Schüler
beziehungsweise ihrer Erziehungsberechtigten. Die Bundesregierung verweist in diesem Zusammen-
hang auf die Koalitionsvereinbarung. Danach besteht
Einigkeit, dass es notwendig ist, kriminelle Angebote
schnellstmöglich zu löschen statt diese zu sperren. Zu-
Anlage 21
nächst für ein Jahr sollen kinderpornografische Inhalte
(B) Antwort auf der Grundlage des Zugangserschwerungsgesetzes (D)
nicht gesperrt werden. Stattdessen werden die Polizeibe-
des Parl. Staatssekretärs Dr. Max Stadler auf die Frage hörden in enger Zusammenarbeit mit den Selbstregulie-
des Abgeordneten Martin Dörmann (SPD) (Drucksa- rungskräften der Internetwirtschaft wie der deutschen
che 17/1534, Frage 34): Internetbeschwerdestelle sowie dem Beschwerdestellen-
Welche Position vertritt die Bundesregierung gegenüber netzwerk INHOPE die Löschung kinderpornografischer
Vorschlägen der EU-Kommission zur Bekämpfung kinderpor-
nografischer Inhalte im Internet, und welche gesetzliche Re-
Seiten betreiben.
gelung strebt sie selbst an? In der Koalitionsvereinbarung ist ferner festgelegt,
Die Verhandlungen über den Richtlinienvorschlag zur dass dies nach einem Jahr im Hinblick auf Erfolg und
Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der Wirksamkeit evaluiert und aufgrund der gewonnenen
sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kin- Erkenntnisse ergebnisoffen eine Neubewertung vorge-
derpornografie haben in der vergangenen Woche mit nommen werden soll.
einer ersten Sitzung auf Ratsarbeitsgruppenebene begon-
nen. Art. 21 des Richtlinienvorschlags war bislang nicht
Gegenstand der Verhandlungen. Es ist derzeit auch nicht Anlage 23
absehbar, wann diese Norm erstmals Gegenstand von
Antwort
Abstimmungsgesprächen auf Ratsarbeitsgruppenebene
sein wird. des Parl. Staatssekretärs Dr. Max Stadler auf die Frage
der Abgeordneten Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 37):
Anlage 22 Welche Position vertritt die Bundesregierung, auch vor
dem Hintergrund der Debatte um das zurzeit per Minister-
Antwort erlass ausgesetzte deutsche Zugangserschwerungsgesetz, be-
züglich der Einführung von Netzsperren als Instrument im
des Parl. Staatssekretärs Dr. Max Stadler auf die Fragen Kampf gegen die Darstellung von Kindesmissbrauch im Inter-
des Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz (BÜND- net sowohl auf deutscher als auch auf europäischer Ebene?
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Fragen 35
und 36): Die Bundesregierung verweist in diesem Zusammen-
Wird sich die Bundesregierung auf europäischer Ebene,
hang auf die Koalitionsvereinbarung. Danach besteht
auch vor dem Hintergrund des zwischen den Koalitionsfrakti- Einigkeit, dass es notwendig ist, kriminelle Angebote
onen vereinbarten Grundsatzes „Löschen statt Sperren“, ge- schnellstmöglich zu löschen statt diese zu sperren. Zu-
3782 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

(A) nächst für ein Jahr sollen kinderpornografische Inhalte Wie ist die Haltung der Bundesregierung zum Vorschlag (C)
auf der Grundlage des Zugangserschwerungsgesetzes des Vorsitzenden des Wissenschaftlichen Beirats beim Bun-
desministerium der Finanzen, Professor Dr. Clemens Fuest,
nicht gesperrt werden. Stattdessen werden die Polizei- angesichts hoher Staatsschulden Kirchenmitglieder durch eine
behörden in enger Zusammenarbeit mit den Selbstregu- Reform der Kirchensteuer am Sparen zu beteiligen, indem
lierungskräften der Internetwirtschaft wie der deutschen durch eine Aufspaltung in ein Beitrags- und ein Spendenele-
Internetbeschwerdestelle sowie dem Beschwerdestellen- ment nur die Hälfte des Kirchensteuerbetrages als Spende
steuerlich abzugsfähig sein soll (Interview in der Financial
netzwerk INHOPE die Löschung kinderpornografischer Times Deutschland vom 21. April 2010)?
Seiten betreiben.
Es ist nicht beabsichtigt, den Abzug der gezahlten
In der Koalitionsvereinbarung ist ferner festgelegt, Kirchensteuer als Sonderausgabe nach § 10 Abs. 1 Num-
dass dies nach einem Jahr im Hinblick auf Erfolg und mer 4 des Einkommensteuergesetzes zu verändern.
Wirksamkeit evaluiert und aufgrund der gewonnenen
Erkenntnisse ergebnisoffen eine Neubewertung vorge-
nommen werden soll. Anlage 26
Die Verhandlungen über den Richtlinienvorschlag zur Antwort
Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der
sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kin- des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage
derpornografie haben in der vergangenen Woche mit ei- der Abgeordneten Kirsten Lühmann (SPD) (Druck-
ner ersten Sitzung auf Ratsarbeitsgruppenebene begon- sache 17/1534, Frage 41):
nen. Artikel 21 des Richtlinienvorschlags war bislang Wie und an wen – Mühlenbesitzer oder Endverbraucher –
nicht Gegenstand der Verhandlungen. Es ist derzeit auch gedenkt die Bundesregierung nach der am 23. April 2010 er-
nicht absehbar, wann diese Norm erstmals Gegenstand folgten Zustimmung der EU zu den Regelungen der Besteue-
rung von Rapsöl im Wachstumsbeschleunigungsgesetz die
von Abstimmungsgesprächen auf Ratsarbeitsgruppene- überzahlten Steuern zurückzuzahlen?
bene sein wird.
Die im Wachstumsbeschleunigungsgesetz für Biodie-
sel und Pflanzenölkraftstoff festgelegte Fortschreibung
Anlage 24 der Steuerentlastungssätze des Jahres 2009 für die Jahre
2010 bis 2012 ist aufgrund der beihilferechtlichen Ge-
Antwort nehmigung der EU-Kommission vom 21. April 2010
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Fra- rückwirkend ab dem 1. Januar 2010 in Kraft getreten.
gen der Abgeordneten Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ Die zuständigen Behörden der Zollverwaltung sind
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Fragen 38 und 39): bereits mit Erlass des BMF vom 22. April 2010 ange- (D)
(B)
Bis wann wird der Truppenübungsplatz Wittstock vom wiesen worden, nunmehr ausschließlich die aktuellen
Bundesministerium der Verteidigung, BMVg, an die Bundes- Steuerentlastungssätze anzuwenden und die notwendi-
anstalt für Immobilienaufgaben im Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums der Finanzen, BMF, übergeben?
gen Korrekturen für die zurückliegenden Monate des
Jahres 2010 von Amts wegen vorzunehmen.
Ab wann wird das Gelände für die zivile Nutzung zur Ver-
fügung stehen? Die noch ausstehenden Beträge können aus rechtli-
chen Gründen nur an die Steuerentlastungsberechtigten
Zu Frage 38: ausgezahlt werden. Steuerentlastungsberechtigt sind die
Das Bundesministerium der Verteidigung hat mit Steuerschuldner, also in der Regel diejenigen Unterneh-
Schreiben vom 30. März 2010 das Bundesministerium men, die den Bioreinkraftstoff in den Verkehr gebracht
der Finanzen darüber informiert, dass nach einem Ver- haben – zum Beispiel die Ölmühlenbesitzer. Endver-
zicht auf die Nutzung des Truppenübungsplatzes Witt- braucher sind nicht steuerentlastungsberechtigt.
stock als Luft-Boden-Schießplatz ein Bedarf für eine an-
derweitige militärische Nutzung nicht besteht. Aufgrund
ihrer Zuständigkeit prüft die Bundesanstalt für Immo- Anlage 27
bilienaufgaben derzeit die Modalitäten einer Übernahme Antwort
der Liegenschaft.
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage
Zu Frage 39: des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 42):
Über den Zeitpunkt einer zivilen Nutzung des Gelän- Befürwortet die Bundesregierung eine Aufhebung der
des des Truppenübungsplatzes Wittstock lassen sich ge- Haushaltssperre für das Marktanreizprogramm, MAP, und,
genwärtig noch keine Aussagen treffen. wenn nein, welche alternativen Überlegungen existieren zur
weiteren Förderung des erneuerbaren Wärmemarktes?
Im Haushalt des BMU wurden beim Titel „Förderung
Anlage 25 von Einzelmaßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Ener-
Antwort gien“ − zu dem auch das Marktanreizprogramm zählt −
115 Millionen Euro qualifiziert gesperrt, weil die Ein-
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage nahmenentwicklung des Bundes aus dem Handel mit
des Abgeordneten Fritz Rudolf Körper (SPD) (Druck- CO2-Emissionszertifikaten mit erheblichen Unsicherhei-
sache 17/1534, Frage 40): ten behaftet war. Nach derzeitigem Stand hat sich keine
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3783

(A) wesentliche Verbesserung gezeigt. Eine Aufhebung der Die Ratingagentur Standard & Poor’s hat zuletzt die (C)
qualifizierten Sperre kommt somit derzeit aus Haushalts- Bewertung portugiesischer Staatsanleihen am 27. April
sicht nicht in Betracht. 2010 um zwei Stufen auf „A-“ und die Bewertung spani-
scher Staatsanleihen am 28. April 2010 um eine Stufe
Alternative Überlegungen zur Förderung des erneuer-
baren Wärmemarktes außerhalb des Marktanreizpro- auf „AA“ mit jeweils negativem Ausblick herunterge-
gramms gibt es derzeit nicht. Diese wären gegebenen- stuft. Zur Begründung ihrer Herabstufungen verweist die
falls im Rahmen des Energiekonzepts zu entwickeln. Agentur jeweils unter anderem auf vergrößerte haus-
haltspolitische Risiken, schlechte Wachstumsaussichten
und den aus Sicht der Agentur bestehenden Bedarf an
Anlage 28 zusätzlichen Sparanstrengungen.

Antwort Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse darü-


ber vor, dass die Entscheidungen der Ratingagentur auf
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Fra- andere Faktoren als die Veränderungen von wirtschaftli-
gen der Abgeordneten Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE chen- und finanzpolitischen Fundamentaldaten zurück-
GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Fragen 43 und 44): geführt werden könnten. Die Bundesregierung beabsich-
Wie bewertet die Bundesregierung die Möglichkeit, die tigt daher nicht, in dieser Richtung untersuchend tätig zu
Banken an der Finanzierung der Hilfen für Griechenland werden. Grundsätzlich gilt darüber hinaus, dass Ratings
durch die Einführung einer Finanzumsatzsteuer zu beteiligen, immer nur die Meinung der Ratingagenturen darstellen
wenn bereits ein Steuersatz in Höhe von 0,01 Prozent auf eu-
ropäischer Ebene Einnahmen von mindestens 90 Milliarden
und sich Investoren bzw. Marktteilnehmer ein eigenes
Euro generieren könnte? Bild von der Kreditwürdigkeit eines Landes machen
Wird die Bundesregierung eine neue Initiative zur Einfüh- müssen.
rung einer Finanzumsatzsteuer anregen vor dem Hintergrund
der nicht erfolgten Einigung zur Bankenabgabe beim letzten
G-20-Gipfel in Washington und der Tatsache, dass nun auch Anlage 30
Russland die Einführung einer Finanzumsatzsteuer erwägt
(Financial Times Deutschland vom 28. April 2010)? Antwort
Zu Frage 43: des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage
des Abgeordneten Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/
Vor dem Hintergrund der in den letzten Wochen auf DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 46):
europäischer Ebene geführten Diskussionen schätzt die
Bundesregierung die Möglichkeit als gering ein, auf EU- Wie erklärt die Bundesregierung, dass Deutschland mit ei-
nem Anteil von rund 30 Prozent an der Wertschöpfung – Brutto-
(B) Ebene Einstimmigkeit für die Einführung einer Finanz- inlandsprodukt – der Eurozone mit 47 Prozent einen – gemes-
(D)
transaktionsteuer herzustellen. sen an der Wertschöpfung – weit überproportionalen Anteil an
Abschreibungen der Banken verzeichnen muss – vergleiche
Zu Frage 44: IWF, Global Financial Stability Report, April 2010, 1. Kapitel –,
und inwiefern sieht die Bundesregierung hier Handlungsbe-
Die Diskussion der G-20-Finanzminister und Noten- darf?
bankgouverneure am 23. April 2010 in Washington hat
gezeigt, dass es international noch keinen Konsens für Die Finanzierungsstruktur in Deutschland ist traditio-
eine – wie auch immer geartete – Beteiligung des Fi- nell bankbasiert; deshalb hat der deutsche Finanzsektor
nanzsektors an den Krisenkosten gibt. ein verhältnismäßig hohes Gewicht. Die bankbasierte
Finanzierung sorgt in Verbindung mit dem Hausbanken-
Wichtige Schwellenländer, aber auch Kanada und prinzip und der dezentralen Bankenstruktur für eine si-
Australien, sind in dieser Frage sehr zurückhaltend. chere Unternehmensfinanzierung auch in wirtschaftlich
Noch größer ist die Ablehnung bei einer Finanztransak- schwierigen Zeiten. Außerdem wurde Deutschland als
tionsteuer im engeren Sinne. exportorientiertes Land von der Wirtschaftskrise in be-
Die Bundesregierung schätzt daher die Möglichkeit sonderem Maße betroffen und hatte einen besonders star-
als gering ein, im Kreis der G 20 Einstimmigkeit für die ken Einbruch der Wirtschaftsleistung zu verzeichnen.
Einführung einer Finanztransaktionsteuer herzustellen.
Die Bundesregierung unterstützt die Bemühungen auf
Ebene der G 20, des Financial Stability Boards und des
Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht zur Stärkung
Anlage 29
der Widerstandsfähigkeit des Finanzsektors.
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage
des Abgeordneten Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ Anlage 31
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 45): Antwort
Inwiefern liegen der Bundesregierung Erkenntnisse vor,
dass die jüngsten Herabstufungen durch Ratingagenturen der des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage
Länder Portugal und Spanien auf andere Faktoren als die Ver- der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE)
änderung wirtschaftlicher Fundamentaldaten – zum Beispiel (Drucksache 17/1534, Frage 47):
Absprachen mit Investoren – zurückzuführen sind, und, falls
nein, beabsichtigt die Bundesregierung, in dieser Richtung Hat die Bundesregierung mit den deutschen Banken, die
untersuchend tätig zu werden? griechische Anleihen halten, über ihren Beitrag zum Ret-
3784 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

(A) tungspaket für Griechenland verhandelt und, wenn nein, wa- Das Eingreifen zur Rettung Griechenlands liegt zual- (C)
rum nicht? lererst in unserem eigenen nationalen Interesse. Ohne
In Abstimmung mit den Eurozonen-Finanzministern ein Handeln des Internationalen Währungsfonds und der
sucht die Bundesregierung gegenwärtig den Dialog mit 15 Staaten des Euro-Währungsgebiets käme es zur Zah-
Vertretern der Finanzwirtschaft. Vertreter der deutschen lungsunfähigkeit Griechenlands, die nach Einschätzung
Finanzwirtschaft haben sich in einem Gespräch mit dem der Europäischen Zentralbank und der Europäischen
Bundesminister der Finanzen, Dr. Wolfgang Schäuble, Kommission die Finanzstabilität in der gesamten Euro-
am 4. Mai 2010 bereit erklärt, nach aller Möglichkeit, päischen Währungsunion gefährden würde.
bestehende Kreditlinien und des Anleihenengagement Bundeskanzlerin Merkel hat in einem gemeinsamen
gegenüber Griechenland für die Laufzeit des Hilfspro- Schreiben mit Präsident Sarkozy, dem luxemburgischen
gramms aufrechterhalten zu wollen. Außerdem haben Premierminister Juncker und dem griechischen Minister-
die Vertreter der Finanzwirtschaft ihre Bereitschaft er- präsidenten Papandreou vom 10. März 2010 die EU-
klärt, KfW-Anleihen zu zeichnen, die zur Finanzierung Kommission aufgefordert, möglichst rasch auf europäi-
des deutschen Beitrages ausgegeben werden. scher Ebene eine Untersuchung bezüglich der Rolle und
Auswirkungen von Spekulationen mit CDS-Geschäften
mit Staatsanleihen europäischer Länder durchzuführen
Anlage 32 und bei Verdacht auf einen maßgeblichen Einfluss spe-
kulativer Geschäfte auf die Entwicklung der Renditen
Antwort entsprechende Maßnahmen zu prüfen und gegebenen-
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage falls Rechtsakte zu entwerfen.
der Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) In Abstimmung mit den Euro-Zonen-Finanzministern
(Drucksache 17/1534, Frage 48): sucht die Bundesregierung den Dialog mit Vertretern der
Welche Schlussfolgerungen hat die Bundesregierung aus Finanzwirtschaft, um sich über die aktuelle Lage und die
der Griechenlandkrise für die Regulierung der Finanzmärkte jeweiligen Verantwortlichkeiten auszutauschen.
gezogen, und wann beginnt die Bundesregierung mit der Um-
setzung dieser Schlussfolgerungen?

Die Finanzkrise hat gezeigt, dass die Regulierung der Anlage 34


Derivatmärkte auf europäischer Ebene noch stärker vo-
rangetrieben werden muss. Hierbei sollen insbesondere Antwort
die Abwicklung standardisierter Derivate über zentrale des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Fra-
(B) Clearingstellen und die Transparenz von Derivatetrans- gen des Abgeordneten Siegmund Ehrmann (SPD) (D)
aktionen verbessert werden. Hierzu hat die Europäische (Drucksache 17/1534, Fragen 50 und 51):
Kommission im Oktober 2009 eine entsprechende Mit-
teilung veröffentlicht und plant, Mitte 2010 einen Recht- Werden die Interessen der Kultur, der Kulturschaffenden
und der Kultureinrichtungen in der Zusammensetzung der Ge-
setzungsvorschlag vorzulegen. Ferner ist es erforderlich, meindefinanzkommission und ihren inhaltlichen Beratungen
die Qualität von Ratingagenturen zügig zu verbessern. berücksichtigt – bitte begründen – und, wenn ja, in welcher
Aus diesem Grund ist es von großer Bedeutung, dass die Form?
operative Aufsicht über Ratingagenturen nach den Welche Vorschläge, Konzepte oder Modelle hat die Bun-
Vorgaben der EU-Ratingverordnung wie geplant im desregierung zum Erhalt und zur Sicherung von Kultur-
Sommer 2010 ihren Anfang nimmt. Die Bundesregie- einrichtungen und kulturellen Projekten, die aufgrund der
rung ist durch das derzeit im Bundestag verhandelte immensen Herausforderungen und Sparzwänge, denen die öf-
fentlichen Haushalte aufgrund der Finanz- und Wirtschafts-
Ausführungsgesetz auf einem guten Weg, die Vorausset- krise, aber auch der Steuerpolitik der Bundesregierung aktuell
zungen für die operative Aufsicht zeitnah zu schaffen. gegenüberstehen, von Einsparungen und Schließungen be-
droht sind vor dem Hintergrund, dass die Kommunen neben
den Ländern die Hauptförderer der Kultur – in Nordrhein-
Westfalen tragen die Kommunen fast 80 Prozent der gesamten
Anlage 33 öffentlichen Kulturfinanzierung – sind?
Antwort
Zu Frage 50:
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage
des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜND- Die Gemeindefinanzkommission steht unter dem Vor-
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Fra- sitz des Bundesministers der Finanzen. Weitere Mitglie-
ge 49): der sind die Bundesminister des Innern und für Wirt-
schaft und Technologie, die Finanzminister der Länder
Wie wird die Bundesregierung sicherstellen, dass deutsche Bayern, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-
Finanzhilfen jetzt für Griechenland und später vielleicht für
Portugal, Spanien, Italien letztlich nicht wieder den deutschen Pfalz sowie die Innenminister der Länder Brandenburg,
Großbanken zugutekommen und zufließen, die die Finanz- Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Der Kommis-
krise wesentlich mitverursacht haben und jetzt durch Beteili- sion gehören weiterhin die Präsidentin des Deutschen
gung an der Spekulation zulasten der genannten Staaten von Städtetages, die Präsidenten des Deutschen Städte- und
deren verzweifelter Finanzlage ohnehin profitieren, und wel-
che konkreten Schritte unternimmt die Bundesregierung, um
Gemeindebundes und des Deutschen Landkreistages
die Beteiligung deutscher Banken am Spekulationsgeschäft – also der Träger der von Ihnen angesprochenen Kultur-
zulasten etwa von Griechenland auszuschließen? einrichtungen – an.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3785

(A) Die Erarbeitung von Alternativen bei der Gemeinde- Koalitionsvertrag entsprochen wird. In Ausnahmefällen (C)
finanzierung hat Auswirkungen auf eine Vielzahl von kann es aber auch künftig erforderlich sein, ein BFH-Ur-
Handlungsfeldern, auch auf den Kulturbereich. Bereits teil nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus anzu-
im Rahmen der Kabinettbefassung zur Einsetzung der wenden.
Gemeindefinanzkommission hat der Beauftragte der
Bundesregierung für Kultur und Medien daher nach-
drücklich auf die Bedeutung einer Restrukturierung der Anlage 36
kommunalen Finanzen für den Kultursektor hingewie-
Antwort
sen. Die Bundesregierung ist sich der mittelbaren Aus-
wirkungen von Neuordnungen auf alle Bereiche kom- des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Fra-
munaler Infrastruktur – auch auf die Kultur – bewusst gen der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (DIE LINKE)
und wird sie nicht außer Acht lassen. (Drucksache 17/1534, Frage 53):
Welche steuerlichen Mehreinnahmen infolge des Progres-
Zu Frage 51: sionsvorbehalts auf Kurzarbeitergeld erwartet die Bundesre-
gierung für das Kassenjahr 2009/2010 durch die Verlängerung
Die Bundesregierung ist sich sehr wohl bewusst, dass der Bezugsfrist auf 24 Monate, und wie sieht die Bundes-
bei einer andauernden finanziellen Schieflage der Kom- regierung das Leistungsfähigkeitsprinzip gewahrt, wenn das
Kurzarbeitergeld dem Progressionsvorbehalt unterworfen ist,
munen ihre zentrale Funktion als Träger vielfältigster hingegen per Doppelbesteuerungsabkommen freigestellte
kultureller Einrichtungen beeinträchtigt wird und die Mieterträge aus dem europäischen Ausland nach § 32 b
Kulturlandschaft in Deutschland Schaden nehmen kann. Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes von diesem
Mit der Einsetzung der Gemeindefinanzkommission hat ausgenommen sind?
die Bundesregierung die notwendigen Schritte zur Be- Durch die Verlängerung des Kurzarbeitergeldes sind
wältigung der aktuellen Finanzprobleme der Kommunen keine Steuermehreinnahmen zu erwarten, da Kurzarbei-
eingeleitet. tergeld steuerfrei ist. Hingegen ist mit Steuerminderein-
Zuerst sind allerdings die Länder gefordert, die nach nahmen zu rechnen, soweit steuerpflichtige Löhne durch
der Finanzverfassung für eine angemessene Finanzaus- steuerfreies Kurzarbeitergeld ersetzt werden.
stattung ihrer Kommunen verantwortlich sind. Sie besit- Der Progressionsvorbehalt auf Kurzarbeitergeld ist
zen im kommunalen Finanzausgleich das geeignete gerechtfertigt, weil er den Grundsätzen einer Besteue-
Instrument, ihre Kommunen mit den Finanzmitteln aus- rung nach der Leistungsfähigkeit entspricht. Bezieht bei-
zustatten, die es ihnen erlauben, das gebotene Niveau an spielsweise ein Steuerpflichtiger während des Kalen-
kulturellen Angeboten aufrechtzuerhalten. derjahres nur steuerpflichtigen Lohn und ein anderer
(B) Steuerpflichtiger sowohl steuerpflichtigen Lohn als auch (D)
Kurzarbeitergeld in gleicher Gesamthöhe, so wäre der
Anlage 35 Steuersatz ohne Progressionsvorbehalt für beide Steuer-
pflichtige unterschiedlich. Der Progressionsvorbehalt
Antwort
bewirkt, dass bei gleichen Gesamteinnahmen der gleiche
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage Steuersatz auf die Löhne angewandt wird.
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Beim Progressionsvorbehalt für das Kurzarbeitergeld
(Drucksache 17/1534, Frage 52): und ausländische Mieterträge liegen unterschiedliche
Wie rechtfertigt die Bundesregierung die bisherige Veröf- Sachverhalte vor. Kurzarbeitergeld wird weder im Inland
fentlichung von vier Nichtanwendungserlassen durch das noch im Ausland steuerlich belastet. Hingegen sind die
Bundesministerium der Finanzen gegenüber dem im Koali-
tionsvertrag selbst gesetzten Ziel zu der Praxis der Nicht- in Rede stehenden Mieteinkünfte in Deutschland nur
anwendungserlasse, und welche Schlüsse zieht die Bundes- dann steuerfrei und vom Progressionsvorbehalt ausge-
regierung aus dem Urteil des Bundesfinanzhofes, BFH, vom nommen, wenn sie nach den Doppelbesteuerungsab-
18. März 2010 (IX B 227/09), in welchem der BFH entgegen kommen im Ausland steuerpflichtig und gegebenenfalls
dem Nichtanwendungserlass vom 15. Februar 2010 seine
Rechtsauffassung erneut bestätigt?
auch steuerbelastet sind. Nach geltendem Recht kommt
für ausländische Verluste aus Vermietung und Verpach-
Die Vereinbarung im Koalitionsvertrag enthält den tung kein negativer Progressionsvorbehalt zur Anwen-
Auftrag, sich in BMF-Schreiben auf die Auslegung der dung. Die Gesetzesänderung entspricht der auch unter
Gesetze zu beschränken und die Praxis der Nichtanwen- EU-Gesichtspunkten anerkannten Symmetriethese.
dungserlasse zurückzuführen. Die seit Beginn der
17. Legislaturperiode im Einvernehmen mit den obers-
ten Finanzbehörden der Länder ergangenen vier Nicht- Anlage 37
anwendungserlasse haben die Auslegung der Gesetze
Antwort
zum Gegenstand, wenn auch mit einem von der Auffas-
sung des Bundesfinanzhofs, BFH, abweichenden Ergeb- des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die
nis. Sie waren aus den in den BMF-Schreiben jeweils Frage der Abgeordneten Dr. Martina Bunge (DIE
angeführten Gründen geboten. LINKE) (Drucksache 17/1534, Frage 54):
Wie ist zu erklären, dass sämtliche Unternehmen auf die
Das BMF wird aber auch in Zukunft weiterhin darauf Liste der akkreditierten Stellen bei der Deutschen Akkreditie-
hinwirken, dass BFH-Urteile grundsätzlich allgemein rungsstelle ohne vorherige Überprüfung übernommen wur-
angewandt werden und damit der Vereinbarung im den, und wie stellt die Bundesregierung sicher, dass diese Un-
3786 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

(A) ternehmen in den nächsten fünf Jahren ihren Verpflichtungen Eckpunkte beschlossen, aber noch keine abschließende (C)
und Auflagen bei Zertifizierungen nachkommen? Entscheidung getroffen. Allerdings sind die Mitglied-
Die Unternehmen auf der Liste verfügen über gültige staaten aufgefordert, ihre nationalen Beiträge zur Erfül-
Akkreditierungen, die von Mitgliedern des Deutschen lung der EU-weiten Ziele bis zum Europäischen Rat im
Akkreditierungsrates, DAR, und/oder von staatlichen Juni zu definieren. Dies sind bekanntermaßen Ziele zur
Einrichtungen, zum Beispiel Zentralstelle der Länder für Beschäftigung, Forschung und Entwicklung sowie
Sicherheitstechnik, Zentralstelle der Länder für Gesund- Klima und Energie. Für die Ziele „Bildung“ sowie „För-
heitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten, derung der sozialen Integration, insbesondere der Ver-
Kraftfahrtbundesamt, vor Inkrafttreten des Akkreditie- minderung der Armut“, sind noch geeignete EU-weite
rungsstellengesetzes ausgestellt wurden. Die Deutsche Zieldefinitionen zu finden. Hierzu wie auch zu dem Teil-
Akkreditierungsstelle GmbH, DAkkS, führt diese Ak- ziel „Verbesserung der Energieeffizienz in Richtung auf
kreditierungen gemäß den Vorgaben der Verordnung, 20 Prozent“ ist die Meinungsbildung innerhalb der Bun-
EG Nr. 765/2008 in Verbindung mit den Regelungen des desregierung bzw. zwischen Bundesregierung und Län-
Akkreditierungsstellengesetzes fort. dern noch nicht abgeschlossen.
Die Akkreditierung trifft lediglich eine Kompetenz- In dieser Woche findet ein erster Gedankenaustausch
feststellung, also eine Aussage darüber, ob eine Konfor- mit der Kommission darüber statt, wie und in welchem
mitätsbewertungsstelle technisch dazu in der Lage, das Umfang Deutschland zu den EU-weiten Zielen beitragen
heißt kompetent ist, eine bestimmte Konformitätsbewer- kann.
tungstätigkeit durchzuführen. Mit der Akkreditierung
durch die DAkkS ist nicht verbunden, dass die jeweilige Zu Frage 56:
Konformitätsbewertungsstelle ihre Tätigkeit ausüben Das BMWi hat am 18. März 2010 eine Informations-
und zum Beispiel am Markt anbieten darf. Hier bestehen veranstaltung mit Vertretern der Zivilgesellschaft und
verschiedene gesetzliche Regelungen, nach denen eine den Sozialpartnern durchgeführt. Alle Beteiligten hatten
Konformitätsbewertungsstelle zusätzlich zur Kompetenz- Gelegenheit, ihre Position zur geplanten Strategie „EU
bestätigung, das heißt der Akkreditierung, eines weiteren 2020“ darzulegen. Des Weiteren findet ein kontinuierli-
formalen Aktes bedarf, um in bestimmten Bereichen tä- cher Informationsaustausch zu Einzelaspekten zwischen
tig werden zu dürfen, zum Beispiel Anerkennung, Zulas- den jeweils dafür federführenden Ressorts und den ent-
sung, Benennung, Notifizierung. Das Akkreditierungs- sprechenden Teilen der Zivilgesellschaft statt.
stellengesetz verwendet für diesen formalen Akt den
Begriff der Befugniserteilung. Ausgesprochen werden Eine gesonderte Unterrichtung des Bundestages zur
die Befugniserteilungen durch unterschiedliche Behör- Beteiligung der Zivilgesellschaft ist nicht vorgesehen.
(B) den des Bundes oder der Länder, im Bereich der Schon bisher hat aber eine intensive Befassung aller (D)
Medizinprodukte ist dies die ZLG, auf der Grundlage des relevanten Bundestagsausschüsse zum Komplex „EU
jeweiligen Fachrechts, das mit der Schaffung des Akkre- 2020“ stattgefunden. Die Bundesregierung wird diese
ditierungsstellengesetzes nicht geändert wurde. Die zu- Unterrichtung selbstverständlich fortführen. In diesem
ständigen Behörden überwachen im Rahmen der Befug- Kontext erinnere ich daran, dass die Bundeskanzlerin
niserteilung die Einhaltung von Verpflichtungen und zugesagt hat, vor einer abschließen Entscheidung im Eu-
Auflagen. Die befugniserteilenden Behörden sind ferner ropäischen Rat die Rückendeckung des Bundestages ein-
in den Akkreditierungsprozess mit einbezogen, vgl. § 2 zuholen.
Abs. 3 sowie § 10 Abs. 1 Nr. 3 Akkreditierungsstellen-
gesetz.
Anlage 39
Antwort
Anlage 38
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Fra-
Antwort gen der Abgeordneten Andrea Nahles (SPD) (Drucksa-
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Fra- che 17/1534, Fragen 57 und 58):
gen der Abgeordneten Dr. Eva Högl (SPD) (Drucksa- Wie ist der Sachstand der Arbeit der Initiative „Wirt-
che 17/1534, Fragen 55 und 56): schaftsfaktor Alter“ und des RLW-Arbeitskreises Tourismus
– RLW: Richtlinien für den ländlichen Wegebau – insbeson-
Welche werden die nationalen Ziele, vor allem in den Be- dere hinsichtlich der Frage zum aktuellen Stand der Umset-
reichen Wirtschaft, Umwelt, Soziales und Beschäftigung, zung des barrierefreien Tourismus und zur Gewinnung kleiner
sein, die sich die Bundesregierung im Rahmen der neuen Stra- und mittlerer Unternehmen in der Tourismusbranche für den
tegie für Wachstum und Beschäftigung setzt? Seniorentourismus?
Wie werden dabei die Sozialpartner und die Zivilgesell- Wie wird die Bundesregierung die Barrierefreiheit im
schaft einbezogen, und in welcher Form wird der Deutsche Tourismus konkret kurzfristig erreichen, und welchen Stand
Bundestag darüber informiert? hat die Umsetzung der Leitlinien für den Tourismus für diesen
Bereich?
Zu Frage 55:
Zu Frage 57:
Im Unterschied zur auslaufenden Lissabon-Strategie
wird die neue Strategie „EU 2020“ dadurch geprägt, Im Rahmen der Initiative „Wirtschaftsfaktor Alter“
dass sie fünf EU-weite Kernziele enthalten wird. Zu die- fanden bisher zwei Fachforen „Wirtschaftsfaktor Alter“
sen Kernzielen hat der Europäische Rat am 25./26. März statt. Das zweite Fachforum am 28. April 2010 im
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3787

(A) BMWi hatte das Ziel, Erkenntnisse zum Wirtschaftsfak- Im Ergebnis der Arbeit an der oben genannten Studie (C)
tor Alter in die kleinen und mittleren Unternehmen zu hat sich die Arbeitsgemeinschaft „Barrierefreie Reiseziele
tragen. Zu diesem Zweck wurden im Rahmen von Vor- in Deutschland“ gebildet. Ihr gehören inzwischen sieben
trägen und einer Ausstellung in sehr plastischer Form die Städte und Tourismusregionen an, die sich der Entwick-
heterogenen Bedürfnisse einer älteren Kundschaft darge- lung des barrierefreien Tourismus in Deutschland in
stellt. Außerdem wurden konkrete Umsetzungsstrategien besonderem Maße verschrieben haben – siehe: http://
von Unternehmen vorgestellt, Good Practice. Der Ar- barrierefreie-reiseziele.org
beitskreis Tourismus tagte bisher einmal im Oktober
2009. Die Teilnehmer waren sich einig, dass das Thema
„Wirtschaftsfaktor Alter“ nicht auf das Thema Barriere- Anlage 40
freiheit verkürzt werden sollte. Zentrales Thema bei der Antwort
Zielgruppe 50+ sei der Service. Der Arbeitskreis Touris-
mus wird sich im Herbst 2010 ein zweites Mal treffen. des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die
Frage des Abgeordneten Heinz Paula (SPD) (Drucksa-
Das Rationalisierungs- und Innovationszentrum der che 17/1534, Frage 59):
Deutschen Wirtschaft e. V., RKW, das die Arbeitskreise Hat die Bundesregierung im Vorfeld der anstehenden
organisiert, erarbeitet gerade eine Broschüre für kleine Sommerferienzeit mit den Ländern und der Tourismuswirt-
und mittlere Hotelbetriebe, gastronomische Betriebe und schaft konzeptionelle Gespräche geführt, um sich einen Über-
Freizeiteinrichtungen mit besonderem Fokus auf den blick über die zu erwartenden Touristenströme in Deutschland
zu verschaffen, und, wenn nein, aus welchen Gründen ist dies
Themen Service und Marketing. Des Weiteren sind re- nicht erfolgt?
gionale Aktivitäten rund um den Tourismus geplant,
zum Beispiel Veranstaltungen für Unternehmen und Die Bundesregierung steht im regelmäßigen Informa-
– gemeinsam mit dem Deutschen Städte- und Gemeinde- tions- und Meinungsaustausch mit den Bundesländern
bund – für die Bürgermeister als wichtige Promotoren wie auch mit der Tourismuswirtschaft und ihren Ver-
des Themas Wirtschaftsfaktor Alter. bänden. Beispielsweise befasste sich der Bund-Länder-
Ausschuss Tourismus am 26. und 27. April 2010 mit
aktuellen gegenseitig interessierenden Belangen der
Zu Frage 58:
Tourismuspolitik.
Das Ziel der Barrierefreiheit ist auch im Tourismus Eine Einflussnahme auf die Touristenströme in
ein gesellschaftspolitisches Ziel, das alle Lebensbereiche Deutschland ist ausschließlich über die Ferienstaffelung
umfasst und sich auf eine Vielzahl von Maßnahmen im Rahmen der langfristigen Sommerferienregelung
gründet. Mit Blick auf die grundsätzlich gleichberech- möglich, die derzeit bis zum Jahr 2017 festgelegt ist. (D)
(B) tigte Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftli-
Weitere Informationen hierzu enthält die Antwort auf
chen Leben sollen auch Urlaub und Reisen für behin- Frage Nr. 117. Insoweit besteht derzeit kein aktueller
derte Menschen zur Selbstverständlichkeit werden. Handlungsbedarf.
Dieses Ziel kann nur schrittweise erreicht werden und
bedarf des Engagements aller am Tourismus beteiligten
Unternehmen und Einrichtungen, Länder, Regionen, Anlage 41
Kommunen, touristische Unternehmen, insbesondere
das Gastgewerbe, Freizeitparks, Architekten, das Bau- Antwort
wesen, der Verkehrsbereich usw. Die Bundesregierung des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Fra-
kann hierzu nur Anstöße geben. gen der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm (SPD)
(Drucksache 17/1534, Fragen 60 und 61):
Die Tourismuspolitischen Leitlinien der Bundesregie-
Welche Projekte zur Förderung der Leistungssteigerung
rung sehen vor, das Ziel der Barrierefreiheit als Quer- im Tourismusgewerbe werden derzeit finanziert, welche Pro-
schnittsaufgabe in allen Politikbereichen stärker zu ver- jekte sind darüber hinaus für diese Legislaturperiode in der
ankern. Die Bundesregierung fördert kontinuierlich Planung, und wie stellt sich der jeweilige Beratungsstand mit
Projekte der Nationalen Koordinationsstelle Tourismus den Antragstellern, insbesondere der Deutschen Zentrale für
für Alle e. V., NatKo. Die Zahl der behindertenfreundli- Tourismus und dem Deutschen Tourismusverband, dar?
chen und behindertengerechten touristischen Angebote Welche Ergebnisse hat die Ressortabstimmung mit den an-
deren Bundesministerien erbracht, die ebenfalls tourismuspo-
steigt deutlich an. Auch viele private Anbieter berück- litisch relevante Projekte finanzieren und planen?
sichtigen bei Ausbau und Modernisierung die Anforde-
rungen der Barrierefreiheit. Zu Frage 60:
Die von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Eine aktuelle Übersicht über die Leistungssteige-
Studie „Barrierefreier Tourismus für alle in Deutschland – rungsprojekte des BMWi wurde dem Tourismusauschuss
Erfolgsfaktoren und Maßnahmen zur Qualitätssteige- des Deutschen Bundestages zuletzt mit Schreiben des
rung“, 2008, hat eine Bestandsanalyse vorgenommen Parlamentarischen Staatssekretärs Ernst Burgbacher
und Handlungsempfehlungen herausgearbeitet. Viele in vom 24. März 2010 zur Verfügung gestellt. Zu den lau-
der Tourismusplanung tätige Akteure haben den Hand- fenden Vorhaben gehören unter anderem gemeinsam mit
lungsbedarf erkannt und setzen ihn bereits um. Sie ver- dem Deutschen Tourismusverband, DTV, ein Projekt
stärken ihre Angebote für einen barrierefreien Touris- zum Gesundheitstourismus und ein Pilotprojekt zum
mus. Radtourismus. In der Planungsphase befindet sich zum
3788 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

(A) Beispiel gemeinsam mit der Deutschen Zentrale für Tou- und des Kindergeldes um 20 Euro je Kind ab 1. Januar (C)
rismus, DZT, ein Projekt zur Fußball-Frauen-WM 2011. 2010 werden Familien mit Kindern gezielt unterstützt.
Gemeinsam mit den Einkommensteuersenkungen, die
Zu Frage 61: bereits in der letzten Legislaturperiode beschlossen wur-
den, ist damit ein Sofortprogramm mit einem Entlas-
Der Beauftragte der Bundesregierung für Mittelstand tungsvolumen von rund 24 Milliarden Euro in Kraft
und Tourismus wird in naher Zukunft Gespräche mit an- getreten. Dies stärkt insgesamt die verfügbaren Einkom-
deren Ressorts führen. Dabei wird es auch um die ver- men, die in diesem und im nächsten Jahr um 1 Prozent
stärkte Koordination tourismusrelevanter Projekte in den bzw. 1,4 Prozent zunehmen dürften, und stimuliert auf
einzelnen Ressorts gehen. diese Weise die privaten Konsumausgaben. Isolierte Be-
rechnungen zu den Wachstums- und Beschäftigungswir-
kungen von einzelnen Politikmaßnahmen führt die Bun-
Anlage 42 desregierung grundsätzlich nicht durch.
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Anlage 44
Frage des Abgeordneten Garrelt Duin (SPD) (Drucksa-
che 17/1534, Frage 62): Antwort
Wie viele Mediationsverfahren hat der seit dem 1. März des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die
2010 von der Bundesregierung beauftragte Kreditmediator, Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜND-
Hans-Joachim Metternich, der laut Medienberichten ein Jah- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 64):
resgehalt von 200 000 Euro bezieht sowie samt Mitarbeiter-
stab den Bundeshaushalt mit jährlich rund 5 Millionen Euro Wie konkret soll der Zwischenbericht der Energieszena-
belastet, begleitet, und mit welchen Ergebnissen konnten rien für das Energiekonzept der Bundesregierung – Projekt
diese Verfahren abgeschlossen werden? Nr. 12/10 des Bundesministeriums für Wirtschaft und Techno-
logie – nach dem Willen der Bundesregierung ausgestaltet
Das Kreditmediationsverfahren wurde zum 31. März sein, und sollen insbesondere die Ergebnisse der verschiede-
2010 bei allen am Verfahren Beteiligten vollständig im- nen Szenarien bereits darin enthalten sein?
plementiert. Seitdem können mittelständische Unterneh- Im Auftragsschreiben ist vorgegeben, dass der Zwi-
men, deren Finanzierungsbemühungen bislang ohne Er- schenbericht der beauftragten Institute erste Ergebnisse
folg geblieben sind, einen Antrag auf Kreditmediation enthalten soll. In den begleitenden Arbeitsgesprächen
stellen. Auf die Homepage des Kreditmediators wurde werden die erzielten Fortschritte regelmäßig diskutiert.
bereits über 63 000 Mal zugegriffen. Der Antrag auf Er-
öffnung des Kreditmediationsverfahrens wurde über
(B) 2 000 Mal abgerufen. Bis Ende April sind davon 26 An- (D)
Anlage 45
träge mit einem angegebenen Volumen in Höhe von
44 Millionen Euro eingegangen. Hiervon mussten 8 An- Antwort
träge mit einem bei der Hausbank beantragten Kredit- des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Fra-
volumen in Höhe von insgesamt 1,34 Millionen Euro gen der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel
aufgrund fehlender Antragsvoraussetzungen abgelehnt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1534,
werden. Die übrigen Anträge werden gemäß dem defi- Fragen 65 und 66):
nierten Verfahren derzeit bearbeitet. Wie hoch beziffert die Bundesregierung die insgesamt
ausstehenden Forderungen deutscher Rüstungsunternehmen
gegenüber Griechenland, und in welcher Höhe sind frühere
Anlage 43 Exportlieferungen durch Kredite und staatliche Bürgschaften
von Deutschland abgesichert?
Antwort Kann die Bundesregierung Berichte bestätigen, nach de-
nen Griechenland bei der Begleichung von U-Boot-Lieferun-
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die gen gegenüber ThyssenKrupp neue Lieferungen in Auftrag
Frage des Abgeordneten Garrelt Duin (SPD) (Drucksa- gegeben hat, und welchen Einfluss hat die Bundesregierung
che 17/1534, Frage 63): auf diese Entscheidung genommen (Financial Times Deutsch-
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung be- land, „Deutsche U-Boote, griechischer Zorn“ vom 20. April
züglich der negativen Auswirkungen des Wachstumsbe- 2010)?
schleunigungsgesetzes, die Mitarbeiter des Sachverständigen-
rates mit Modellrechnungen nachgewiesen haben, da das Zu Frage 65:
Wachstumsbeschleunigungsgesetz die Wirtschaftsleistung
Deutschlands maximal um lediglich 0,07 Prozent erhöht und Umfassende Informationen über ausstehende Forde-
gleichzeitig – durch die Steuermindereinnahmen – sogar ne- rungen deutscher Rüstungsunternehmen gegenüber Grie-
gative Auswirkungen auf das Bruttoinlandsprodukt erwartet chenland liegen der Bundesregierung nicht vor. Die ihr
werden, und zu welchen Ergebnissen ist die Bundesregierung
bei ihren eigenen Berechnungen über die Wirkungsweise des bekannt gemachten Forderungen einzelner Unternehmen
Wachstumsbeschleunigungsgesetzes gekommen? liegen in einer Größenordnung von 750 bis 800 Millio-
nen Euro.
Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz setzt an vielen
Stellen Impulse: Die Steuerlast von Unternehmen wurde Zwischen den Jahren 1983 und 2003 wurden Exporte
gesenkt. Unternehmen können außerdem unter erleich- von Rüstungsfirmen in Höhe von rund 428 Millionen
terten Bedingungen vererbt werden. Mit der Erhöhung Euro abgesichert. Es bestehen Überfälligkeiten aus einer
des Kinderfreibetrags von 6 024 Euro auf 7 008 Euro Schlussrate in Höhe von 5,9 Millionen Euro.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3789

(A) Zu Frage 66: abgelöst worden. Steuer- und Beitragssenkungen kom- (C)
men danach allen Personen in Altersteilzeit, für die eine
Der Bundesregierung ist bekannt, dass ThyssenKrupp Bruttoaufstockung entsprechend der gesetzlichen Rege-
Marine Systems, TKMS, mit der griechischen Regierung lung im Altersteilzeitgesetz vereinbart wurde, zugute.
Verhandlungen über die Begleichung von Restforderun-
gen aus U-Boot-Lieferungen führt und dass die griechi- Die gesetzlichen Mindestnettobeträge gelten lediglich
sche Regierung die unter Vertrag befindliche Moderni- noch für Altersteilzeitverhältnisse, die vor dem 1. Juli
sierung zweier älterer U-Boote stornieren und 2004 begonnen wurden. Da die maximale Förderdauer
stattdessen zwei weitere neue U-Boote bei TKMS be- sechs Jahre beträgt, läuft die Förderung dieser Altfälle
stellen will. Auf diese Absicht der griechischen Regie- grundsätzlich spätestens zum 30. Juni 2010 aus. Nach
rung hat die Bundesregierung keinen Einfluss genom- Hochrechnungen der Bundesagentur für Arbeit gab es zu
men. Beginn des Jahres 2010 höchstens noch etwa 1 000 Fälle.
Die Bundesregierung appelliert an alle Betriebspart-
ner und (Tarif-)Vertragsparteien, bei ihren Vereinbarun-
Anlage 46 gen zur Altersteilzeit die vom Gesetzgeber im Jahr 2003
Antwort vorgenommene Umstellung auf Bruttoaufstockungen
nachzuvollziehen und so alle Personen in Altersteilzeit
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die an Steuer- und Beitragssenkungen teilhaben zu lassen.
Frage des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN (Drucksache 17/1534, Frage 67):
Beinhalten die Szenarien, welche die Bundesregierung Anlage 48
sich zur Erarbeitung ihres Energiekonzeptes erarbeiten lässt,
auch dynamische Simulationen, welche die Fluktuationscha- Antwort
rakteristik von Wind- und Solarenergie mit stündlicher Auf-
lösung für die Zieljahre unter realen meteorologischen und des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die
hydrologischen Bedingungen berücksichtigen, und, falls ja, Frage der Abgeordneten Hilde Mattheis (SPD) (Druck-
werden daraus Rückschlüsse auf die jeweiligen Jahresvolllast- sache 17/1534, Frage 69):
stunden konventioneller Kraftwerke – Atomkraftwerke, Koh-
lekraftwerke, Erdgaskraftwerke, Ölkraftwerke – im Betrach- Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass so-
tungszeitraum gezogen? lange die Mindestnettobetragstabelle nicht an die geltende
Rechtslage angepasst wird – der Differenzbetrag zwischen der
Alle Szenarien werden durch dynamische Simula- früheren Lohnsteuer und der neuen, ab 1. Januar 2010 gelten-
den Steuer – durch die Zahlung eines geringeren Aufsto-
tionsrechnungen gestützt. Im verwendeten Modell sind ckungsbetrags – beim Arbeitgeber verbleibt?
(B) die Fluktuationscharakteristiken von Wind- und Solaren- (D)
ergie hinterlegt und an empirische Zahlen kalibriert. Die Vereinbarung von Mindestnettobeträgen kann
Diese Fluktuationen übertragen sich auf den Strombe- dazu führen, dass infolge von Steuer- und sozialversi-
darf, der nach Berücksichtigung von „must-run-Kapazi- cherungsrechtlichen Entlastungen ein geringerer Aufsto-
täten“ noch verbleibt und durch konventionelle Kraft- ckungsbetrag gezahlt werden muss. Das Altersteilzeitge-
werke gedeckt werden muss, die „residuale Last“. Dies setz wurde bereits im Jahr 2003 geändert und auf diese
hat Auswirkungen auf die Fahrweise der konventionel- Weise die schon damals von vielen als ungerecht emp-
len Kraftwerke und somit auf die Volllaststunden. In der fundene Rechtsfolge vermieden. Steuer- und Beitrags-
langen Frist passt sich durch diesen Mechanismus auch senkungen kommen seitdem allen Personen in Altersteil-
der Kraftwerkspark an, was ebenfalls in den Simulatio- zeit, für die eine Bruttoaufstockung entsprechend der
nen berücksichtigt wird. gesetzlichen Regelung im Altersteilzeitgesetz vereinbart
wird, zugute.

Anlage 47
Anlage 49
Antwort
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die
Frage der Abgeordneten Hilde Mattheis (SPD) (Druck- des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die
sache 17/1534, Frage 68): Fragen der Abgeordneten Jutta Krellmann (DIE
LINKE) (Drucksache 17/1534, Fragen 70 und 71):
Hält die Bundesregierung es für gerechtfertigt, dass Be-
schäftigte in Altersteilzeit durch den Verzicht auf eine neue Wie soll nach den Plänen der Bundesregierung zur Bür-
Mindestnettobetragstabelle im Gegensatz zu den aktiv Be- gerarbeit die Zusätzlichkeit der Tätigkeiten sichergestellt wer-
schäftigten nicht von den Senkungen bei Steuern und Sozial- den, und ist dazu die verpflichtende Einrichtung von Beiräten
versicherungsbeiträgen profitieren? oder ähnlichen Einrichtungen vorgesehen?
Soll es nach den Plänen der Bundesregierung zur Bür-
Auch Arbeitnehmer in Altersteilzeit sind aktiv be- gerarbeit auch möglich sein, passive Leistungen zur Finanzie-
schäftigt und profitieren von den Senkungen bei Steuern rung heranzuziehen, also die entsprechenden Haushaltstitel
und Sozialversicherungsbeiträgen. Für Arbeitnehmer, – Arbeitslosengeld II, Beteiligung des Bundes an den Leistun-
gen für Unterkunft und Heizung – mit einem Haushaltsver-
die ihre Altersteilzeit ab dem 1. Juli 2004 begonnen ha- merk zu versehen, und mit welchen Maßnahmen will die Bun-
ben, gilt eine Bruttoaufstockung. Die bis zum 30. Juni desregierung bei der Bürgerarbeit verhindern, dass es zu
2004 gesetzlich geltende Mindestnettoaufstockung ist starken Creaming-Effekten kommt?
3790 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

(A) Zu Frage 70: mit aus dem Leistungsbezug Arbeitslosengeld II herauskom- (C)
men, und wie hoch soll das Bruttoeinkommen eines Singles
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat ohne Kind sein?
ein Interessenbekundungsverfahren zur Durchführung Wie viele Stellen sollen im Rahmen der Bürgerarbeit ein-
von Modellprojekten „Bürgerarbeit“ eingeleitet. Das In- gerichtet werden, und über welche arbeitsmarktpolitischen In-
teressenbekundungsverfahren wurde am 30. April 2010 strumente soll die Bürgerarbeit – bitte konkrete Instrumente
mit Sozialgesetzbuch und einzelnen Paragrafen bzw. Unterpa-
im Bundesanzeiger veröffentlicht. Im Rahmen der Mo- ragrafen angeben – finanziert werden?
dellprojekte „Bürgerarbeit“ können Arbeitgeber geför-
dert werden, die Arbeitsplätze für zusätzliche und im öf- Zu Frage 72:
fentlichen Interesse liegende Arbeiten im Sinne der
Vorschrift des § 261 Drittes Buch Sozialgesetzbuch ein- Gefördert werden sollen in der vierten Stufe der
richten. Danach sind Arbeiten zusätzlich, wenn sie ohne Modellprojekte „Bürgerarbeit“ befristete sozialversiche-
die Förderung nicht, nicht in diesem Umfang oder erst rungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse mit 30 Wo-
zu einem späteren Zeitpunkt durchgeführt werden. Ar- chenstunden mit einem Zuschussbetrag zum Arbeitsentgelt
beiten, die aufgrund einer rechtlichen Verpflichtung in Höhe von 900 Euro monatlich, zusätzlich wird der So-
durchzuführen sind oder die üblicherweise von juristi- zialversicherungsaufwand des Arbeitgebers, ohne Ar-
schen Personen des öffentlichen Rechts durchgeführt beitslosenversicherungsbeitrag, mit bis zu 180 Euro mo-
werden, sind nur förderungsfähig, wenn sie ohne die natlich gefördert. Die Beschäftigungsverhältnisse sollen
Förderung voraussichtlich erst nach zwei Jahren durch- nicht der Versicherungspflicht zur Arbeitslosenversiche-
geführt werden. rung unterliegen. Für Personen, denen eine Beschäfti-
gung mit 30 Wochenstunden nicht möglich ist, können
Die verpflichtende Einrichtung von Beiräten oder alternativ auch Beschäftigungen mit 20 Wochenstunden
ähnlichen Einrichtungen ist nicht vorgesehen. Das Bun- und einem Zuschuss von 600 Euro monatlich und bis zu
desministerium für Arbeit und Soziales geht davon aus, 120 Euro monatlich für den Sozialversicherungsaufwand
dass bei einer sorgfältigen Anwendung der Kriterien und des Arbeitgebers, ohne Arbeitslosenversicherungsbei-
der freiwilligen Einbindung der maßgeblichen Akteure trag, gefördert werden.
des regionalen Arbeitsmarktes die Zusätzlichkeit der Ar-
beiten gewährleistet werden kann. Bei einem Arbeitnehmerbruttoeinkommen von 900 Euro
monatlich würde eine Single-Bedarfsgemeinschaft die
Zu Frage 71: Hilfebedürftigkeit nicht vollständig überwinden, diese aber
deutlich reduzieren. Die Beschäftigungsstufe der Modell-
Die Zuschüsse für die vierte Stufe der Modellprojekte projekte „Bürgerarbeit“ ist jedoch keine Vollzeitarbeits-
„Bürgerarbeit“, der befristeten sozialversicherungs- stelle und nicht isoliert zu betrachten, sondern das
(B) pflichtigen Beschäftigung mit zusätzlichen und im öf- Modellprojekt „Bürgerarbeit“ im Interessenbekundungs- (D)
fentlichen Interesse liegenden Arbeiten, sollen aus den verfahren des Bundesministeriums für Arbeit und Sozia-
Eingliederungsmitteln und ESF-Mitteln des Bundes fi- les beschreibt einen Prozess aus den Komponenten
nanziert werden. Ein Deckungsvermerk zu anderen Beratung/Standortbestimmung, Vermittlungsaktivitä-
Haushaltstiteln ist nicht vorgesehen. ten, Qualifizierung/Förderung und der eigentlichen „Bür-
gerarbeit“, einer sozialversicherungspflichtigen Beschäf-
Das Interessenbekundungsverfahren des Bundesmi- tigung. Es soll erreicht werden, einen möglichst hohen
nisteriums für Arbeit und Soziales macht deutlich, dass Anteil der arbeitslosen erwerbsfähigen Hilfebedürftigen
ein möglichst hoher Anteil der arbeitslosen erwerbsfähi- durch qualitativ gute und konsequente Aktivierung, Min-
gen Hilfebedürftigen durch qualitativ gute und konse- destdauer sechs Monate, in den allgemeinen Arbeitsmarkt
quente Aktivierung in den allgemeinen Arbeitsmarkt in- zu integrieren und nur die arbeitslosen erwerbsfähigen
tegriert werden soll und nur diejenigen arbeitslosen Hilfebedürftigen in Bürgerarbeit zu beschäftigen, deren
Hilfebedürftigen in „Bürgerarbeit“ einmünden sollen, Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt während der
deren Integration in den allgemeinen Arbeitsmarkt nicht Aktivierungsphase nicht gelingt oder in absehbarer Zeit
möglich ist. Interessierte Grundsicherungsstellen müs- nicht möglich erscheint.
sen im Antrag für eine Teilnahme an den Modellprojek-
ten auch Aussagen zur Qualitätssicherung machen. Zu Frage 73:
Durch ein sorgfältig erarbeitetes und nachhaltig umge-
setztes Konzept für ein Modellprojekt „Bürgerarbeit“ Über das Fördervolumen der Modellprojekte wird
können Creaming-Effekte weitgehend vermieden, je- nach Auswertung des am 30. April 2010 im Bundesan-
doch nicht vollständig ausgeschlossen werden. zeiger veröffentlichten Interessenbekundungsverfahrens
des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales ent-
schieden.
Anlage 50 Die Aktivierungsstufen, bestehend aus den Kompo-
Antwort nenten Beratung/Standortbestimmung, Vermittlungsak-
tivitäten, Qualifizierung/Förderung, werden im Rahmen
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die der Dienstleistungen, zum Beispiel Beratung, Vermitt-
Fragen der Abgeordneten Sabine Zimmermann (DIE lung, und Eingliederungsleistungen, zum Beispiel § 16
LINKE) (Drucksache 17/1534, Fragen 72 und 73): Zweites Buch Sozialgesetzbuch – Leistungen zur Einglie-
Stellen die Pläne der Bundesregierung zur Bürgerarbeit si- derung – in Verbindung mit den Leistungen des Dritten
cher, dass Regelleistungsbezieher – Singles ohne Kind – da- Buches Sozialgesetzbuch, zum Beispiel Förderung aus
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3791

(A) dem Vermittlungsbudget, Maßnahmen zur Aktivierung Zu Frage 76: (C)


und beruflichen Eingliederung, Förderung der beruf-
lichen Weiterbildung, aus dem Gesamtbudget SGB II fi- Die Bundesregierung setzt sich in Brüssel dafür ein,
nanziert. dass die Europäische Union in der zuständigen Interna-
tionalen Kommission für die Erhaltung des atlantischen
Die Phase der befristeten sozialversicherungspflichti- Thuns, der ICCAT, eine weitere Reduzierung des Fischerei-
gen Beschäftigung „Bürgerarbeit“ soll aus Mitteln des drucks auf den Roten Thun fordert. Die nächste ICCAT-
Eingliederungstitels SGB II und Bundes-ESF-Mitteln fi- Tagung findet im November 2010 statt. Im November
nanziert und fördertechnisch im Wege der Zuwendung 2009 haben die ICCAT-Vertragsparteien bereits eine
durch das Bundesverwaltungsamt abgewickelt werden. Reihe wichtiger Beschlüsse dazu gefasst. Dazu zählen
eine drastische Verringerung der Fangmengen für 2010
um rund 40 Prozent, die Verpflichtung zur Reduzierung
Anlage 51 der Fangkapazitäten mit doppelt so hohen Reduzierungs-
Antwort sätzen wie im Vorjahr und die Verkürzung der Fangsaison
von zwei Monaten auf einen Monat. Hinzu kommt eine
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Notfallklausel, wonach ein Fangverbot für Roten Thun
Fragen des Abgeordneten Werner Dreibus (DIE erlassen wird, falls Wissenschaftler im Laufe des Jahres
LINKE) (Drucksache 17/1534, Fragen 74 und 75): 2010 feststellen, dass ein unmittelbarer Bestandskollaps
Woraus und in welcher Höhe ist nach den Plänen der Bun- droht.
desregierung zur Bürgerarbeit gegebenenfalls eine Trägerfi-
nanzierung vorgesehen? Nach Auffassung der Bundesregierung sind jedoch
Soll nach den Plänen der Bundesregierung zur Bürgerar- noch rigorosere Bewirtschaftungsmaßnahmen nach
beit die Maßnahmezuweisung im Rahmen der Bürgerarbeit Maßgabe wissenschaftlicher Empfehlungen, gegebenen-
über eine Eingliederungsvereinbarung erfolgen? falls auch ein mehrjähriges Fangverbot, notwendig.
Zu Frage 74: Bei der Reform der Gemeinsamen Fischereipolitik
setzt sich die Bundesregierung dafür ein, dass die EU
Im Rahmen der im Interessenbekundungsverfahren unter anderem in den durch internationale Abkommen
zur Durchführung von Modellprojekten „Bürgerarbeit“ begründeten Regionalen Fischereiorganisationen, wie
vorgesehenen Förderung durch den Bund ist eine Träger- zum Beispiel der ICCAT, eine aktivere Rolle bezüglich
finanzierung im Sinne der Kosten für die Einrichtung einer nachhaltigen wissenschaftlich basierten Bewirt-
des Arbeitsplatzes, Overhead, nicht vorgesehen. schaftung der weltweiten Fischbestände, zu denen auch
der Rote Thun gehört, unter Anwendung des Ökosys-
(B) Zu Frage 75: tem- und Vorsorgeansatzes, übernimmt. (D)
Das Modellprojekt „Bürgerarbeit“ im Interessen- Bezüglich des Schutzes von Dorn- und Heringshai im
bekundungsverfahren des Bundesministeriums für Ar- Nordostatlantik konnte Deutschland für 2010 ein Fang-
beit und Soziales beschreibt einen Prozess aus den verbot für Heringshai auf EU-Ebene durchsetzen. Beim
Komponenten Beratung/Standortbestimmung, Vermitt- Dornhai wurde die Fangmenge ebenfalls auf deutschen
lungsaktivitäten, Qualifizierung/Förderung und der ei- Druck hin auf null gesetzt, allerdings konnte im Rat das
gentlichen „Bürgerarbeit“, einer befristeten sozialver- Verbleiben einer geringen Beifangquote bis 2011 nicht
sicherungspflichtigen Beschäftigung. Die ersten drei verhindert werden.
Komponenten, die Aktivierungsphase, werden im Rah-
men des Regelinstrumentariums des Zweiten Buches So- Zu Frage 77:
zialgesetzbuch durchgeführt. Die Einmündung in die
Beschäftigungsphase soll daher auch im Rahmen einer Die Bundesregierung sieht die Union für das Mittel-
Eingliederungsvereinbarung gemäß § 15 Zweites Buch meer als Rahmen für konkrete projektorientierte Zusam-
Sozialgesetzbuch erfolgen. menarbeit, insbesondere auf Gebieten wie erneuerbare
Energien und Wasserfragen.
Für den Schutz der Meeresfauna bieten sich andere
Anlage 52 Foren an. Die Verantwortung für die Erhaltung und den
Antwort Wiederaufbau der Thunfischbestände im Atlantik, ein-
schließlich Mittelmeer, liegt bei der Internationalen
des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Fragen Kommission für die Erhaltung des atlantischen Thun-
des Abgeordneten Günter Gloser (SPD) (Drucksache fischs, ICCAT. Die Bundesregierung setzt sich in Brüs-
17/1534, Fragen 76 und 77): sel dafür ein, dass die Europäische Union in dieser Kom-
Welche Schritte wird die Bundesregierung im Hinblick auf mission eine weitere Reduzierung des Fischereidrucks
die Verhandlungen zur neuen europäischen Fischereipolitik auf den Roten Thun fordert, siehe Antwort auf die vor-
nach dem Scheitern der Verhandlungen der 15. Vertragskon-
ferenz zum Washingtoner Artenschutzabkommen zum Schutz
herige Frage.
des Roten Thunfisches, des Dorn- und des Heringshais unter- Die Rote Koralle ist in den vergangenen 50 Jahren in
nehmen?
ihren Verbreitungsgebieten im Mittelmeer und Pazifik
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung im Rah-
men der Union für das Mittelmeer, Maßnahmen zum Schutz
rapide zurückgegangen. Als Ursache gelten unter ande-
des Roten Thunfisches und der Roten Koralle im Mittelmeer rem die Übernutzung der Arten, der Beifang und die Be-
zu erreichen? schädigung der Riffe durch Fischerei. Zum Schutz der
3792 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

(A) Roten Koralle existiert bisher kein international binden- Die eigentliche Pflege der Gräber ist und bleibt Sache (C)
des Abkommen. Der Antrag der EU und der USA, die der Friedhofsträger, die diese Aufgabe bisher sehr ernst
Rote Koralle in Anhang II des CITES-Artenschutzab- genommen haben. Die Bundesregierung hatte bisher kei-
kommens aufzunehmen, wurde von der letzten Vertrags- nen Grund, sich über die Arbeit der Friedhofsträger zu
staatenkonferenz abgelehnt. Die Bundesregierung prüft beklagen.
derzeit, wie in dieser Sache weiter vorgegangen werden
kann. Gedenkstätten, die außerhalb von Kriegsgräberstätten
gelegen sind oder auf Kriegsgräberstätten keinen unmit-
telbaren Bezug zur den dort liegenden Toten haben, fal-
len nicht unter das Gräberrecht. Diese werden zu den
Anlage 53 Denkmälern gezählt. Der Denkmalschutz ist Angelegen-
Antwort heit der Länder und Gemeinden. Die Pflege erfolgt in
der Regel durch die Gemeinden, auf deren Territorien
des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage diese Denkmäler stehen.
des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 78):
Hat das Bundesministerium der Verteidigung Hinweise
Anlage 55
über thermobarische Sprengköpfe in den Händen von Taliban-
Gruppierungen, und kann die Bundesregierung die Darstellung
Antwort
von Spiegel Online („Das Gesicht des Feindes“ vom 12. April des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die
2010), wonach „Aufständische“ in Afghanistan im Besitz von
„Aerosol-Panzergranaten“ sein sollen, bestätigen? Frage der Abgeordneten Caren Marks (SPD) (Druck-
sache 17/1534, Frage 80):
Dem Bundesministerium der Verteidigung liegen keine Welche Kontakte finden im gesamten Jahr 2010 zwischen
Erkenntnisse darüber vor, dass sich funktionsfähige thermo- der Bundesregierung und anderen EU-Staaten statt, bei denen
barische Munition in den Händen von Taliban-Gruppie- es um einen Erfahrungsaustausch über familienpolitische
rungen bzw. „Aerosol-Panzergranaten“ im Besitz von Maßnahmen – bitte genaue Aufführung der Termine, der be-
teiligten Staaten, der anvisierten Gesprächsthemen, der je-
Aufständischen in Afghanistan befinden. weils beteiligten Arbeitsebenen wie zum Beispiel Referate
und Abteilungen im Bundesministerium für Familie, Senio-
ren, Frauen und Jugend, der beteiligten Politikerinnen und Po-
litiker – geht?
Anlage 54
Zum Erfahrungsaustausch über familienpolitische
Antwort Themen zwischen Deutschland und anderen EU-Staaten
(B) (D)
des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die haben im Jahr 2010 bereits folgende Veranstaltungen
Frage des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) stattgefunden: internationale Fachtagung am 29. Januar
(Drucksache 17/1534, Frage 79): 2010 in Berlin: Familienunterstützende Dienstleistungen
in Europa: aktuelle Herausforderungen und Entwicklun-
Auf welche Art und Weise wird die Erfüllung des Abkom- gen, veranstaltet von DV, ISS und BMFSFJ, Austausch
mens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Re-
gierung der Russischen Föderation über Kriegsgräberfürsorge mit: Belgien, Schweden Frankreich, Italien, Spanien, Li-
in der Bundesrepublik Deutschland vom 16. Dezember 1992 tauen, UK, Polen; internationale Fachtagung am 11. und
gewährleistet, um die Gräber und Gedenkstätten, die an die 12. Februar 2010 in Berlin: Förderung der Elternkompe-
Zehntausende sowjetischer Soldaten erinnern, die den Kampf tenz in Europa – Instrumente und Effekte, veranstaltet
um die Befreiung Deutschlands vom Faschismus mit ihrem
Leben bezahlt haben und nun in deutscher Erde ruhen, würdig
von ISS, DV und BMFSFJ, Austausch mit: Spanien,
zu erhalten und zu pflegen? Schweiz, Österreich, Frankreich, Ungarn, UK, Belgien,
Portugal, Malta, Finnland, Niederlande, Irland, Grie-
Die Gräber sowjetischer Soldaten, die im Zusammen- chenland, Rumänien, Estland; hochrangige Gruppe für
hang mit dem 2. Weltkrieg auf dem Gebiet der Bundes- Fragen der Demografie der EU-Kommission am
republik Deutschland zu Tode gekommen sind, fallen 22. Februar 2010 in Brüssel zum Thema Europäische
unter das Gräberrecht. Das heißt, dass diese Gräber dau- Allianz für Familien und Demografischer Wandel mit al-
ernd bestehen bleiben. Die Pflege und Instandsetzung len Mitgliedstaaten; Seminar der EU-Kommission am
aller Gräber, die unter das Gräberrecht fallen, wird von 23. Februar 2010 in Brüssel zum Thema „Familienpoli-
den jeweiligen Friedhofsträgern wahrgenommen. Dies tik in der Wirtschaftskrise“ mit verschiedenen Mitglied-
können Kommunen, Landkreise, Kirchengemeinden staaten und Informationsveranstaltung am 4. März 2010
oder auch Länder sein. in Brüssel zur „Familyplatform“, Austausch mit: Nieder-
lande, Belgien, Irland, UK, Spanien, Tschechien, Polen,
Der Bund stellt zurzeit knapp 22 Millionen Euro jähr- Österreich, Frankreich, Finnland, Zypern, Kroatien.
lich für die Pflege und Instandsetzung der Gräber zur
Verfügung. Dieser Betrag wird nach der Gräberpau- Geplant sind im Jahr 2010 unter anderem noch fol-
schalverordnung anteilig auf die Bundesländer verteilt, gende Termine: 1. Konferenz der Familyplatform im
die ihrerseits die Gelder an die jeweiligen Friedhofsträ- Auftrag der EU-Kommission in Lissabon am 25. bis
ger weiterreichen. Um notwendige größere Sanierungs- 27. Mai 2010: Research on Families in Europe – Critical
arbeiten durchführen zu können, sind die Länder berech- Review. Es wird der Stand der Forschung in Europa in
tigt, aus den Pauschalen Rücklagen zu bilden. Dieses zentralen familienpolitischen Themenfeldern aufbereitet,
System hat sich in den vergangenen Jahren bewährt. unter anderem Familienstrukturen und Familienformen,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3793

(A) staatliche Familienpolitik, außerdem werden wichtige Die Bundesregierung hat mit der Antwort auf die (C)
„policy issues“ einbezogen, Mutterschaft und Vater- Frage 87 der Fragestunde am 21. April 2010 lediglich
schaft in Europa, Vereinbarkeit etc.; Best Practice Work- darauf hingewiesen, dass das Bundesinstitut für Arznei-
shop der EU-Kommission am 2. Juni 2010 in Brüssel mittel und Medizinprodukte, BfArM, den Auftrag zur
zum Thema „Alleinerziehende im Rahmen der Europäi- Durchführung der Studie nicht erhalten hat, um mit de-
schen Allianz für Familien“; Treffen des europäischen ren Ergebnissen gesetzliche Änderungen vorzubereiten.
Expertennetzwerks für Familienpolitik am 25. Juni in Der Studieninhalt orientiert sich vielmehr unter anderem
Brüssel auf Einladung der EU-Kommission im Rahmen am Ergebnis des „Erfahrungsberichts zur Aufbereitung
der Europäischen Allianz für Familien: Policies for von Medizinprodukten in Deutschland“ vom März 2008.
families: focus on child well-being or promotion of Zitat aus Teil III des Berichts „Schlussfolgerungen und
employment; Treffen der Deutsch-Französischen-Kon- Maßnahmen“, Seite 18:
taktgruppe, BMFSFJ, Ministère du travail, des relations
Die Diskussionen in den vergangenen Monaten ha-
sociales, de la famille, de la solidarité et de la ville und
ben gezeigt, dass keine belastbaren Daten zur Qua-
Ministère de la santé et des sports, im Juni in Paris und
lität aufbereiteter Medizinprodukte in Deutschland
im Herbst in Berlin geplant, Themen sind noch nicht
vorliegen. So gibt es zwar vereinzelt Gutachten zur
abgestimmt; 2. Konferenz der Familyplatform am 4. und
Qualität von aufbereiteten, sogenannten Einmalpro-
5. November 2010 in Brüssel, Themen noch nicht abge-
dukten, die aber lediglich auf punktuellen, zum Teil
stimmt; Demografieforum der Europäischen Kommis-
von Fernsehmagazinen initiierten Stichproben ba-
sion, am 22. und 23. November 2010 in Brüssel, bislang
sieren. Bundesweite valide Daten, die Handlungs-
geplante Schwerpunktthemen: „Aktives Altern“ und
bedarf in der einen oder anderen Richtung begrün-
„Europäische Allianz für Familien“ sowie hochrangige
den könnten, liegen nicht vor. Zahlreiche Länder
Gruppe zu Fragen der Demografie der Kommission, vor-
haben daher das BMG gebeten zu prüfen, ob unter
aussichtlich im Juni und November 2010, Themen noch
Federführung des BfArM eine breit angelegte Stu-
nicht bekannt gegeben; alle Mitgliedstaaten.
die zur Qualität aufbereiteter Medizinprodukte
durchgeführt werden könnte.
Anlage 56 Auch wenn, wie bereits gesagt, die Feststellung, ob
im Bereich der Gesetz- oder Verordnungsgebung Hand-
Antwort lungsbedarf besteht, nicht zur Zielstellung der Studie ge-
des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die hört, wird die Bundesregierung selbstverständlich auch
Frage der Abgeordneten Caren Marks (SPD) (Drucksa- gesetzgeberische Konsequenzen ziehen, sollten die Er-
gebnisse der Studie dazu Anlass bieten.
(B) che 17/1534, Frage 81): (D)
Wann genau ist mit der Konkretisierung der geplanten
Einsparungen im Einzelplan 17 des Bundeshaushalts – bitte
exakten Termin nennen – zu rechnen? Anlage 58
Ihre Frage lässt vermuten, dass die Notwendigkeit Antwort
von Einsparungen im Einzelplan 17 bereits festgestellt der Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz auf
ist. Diese Annahme ist nicht zutreffend. die Fragen der Abgeordneten Kathrin Vogler (DIE
Soweit sich Ihre Anfrage auf Presseberichte zu einer LINKE) (Drucksache 17/1534, Fragen 83 und 84):
angeblich geplanten Kürzung des Elterngeldes bezieht, Welche gesetzlichen Neuregelungen erachtet die Bundes-
können solche Berichte nicht bestätigt werden. Entspre- regierung für notwendig angesichts der Festlegungen der Ge-
chend dem Koalitionsvertrag prüft die Bundesregierung sellschafterversammlung der Gesellschaft für Telematik-
anwendungen der Gesundheitskarte mbH, Gematik, vom
eine Weiterentwicklung, Flexibilität und Entbürokrati- 19. April 2010 zur Zukunft des Projektes „elektronische Ge-
sierung des Elterngeldes. Danach sollen die Partnermo- sundheitskarte“, und wann könnten diese erfolgen?
nate gestärkt und ein Teilelterngeld bis zu 28 Monaten Welches Einsparpotenzial erwartet die Bundesregierung
eingeführt werden. Ob es in diesem Rahmen zu einer durch eine Umsetzung der Festlegungen der Gesellschafter-
Veränderung der Haushaltsansätze kommen wird, kann versammlung der Gematik vom 19. April 2010, die eine Be-
derzeit noch nicht beurteilt werden. schränkung der Entwicklung und Einführung der elektroni-
schen Gesundheitskarte auf drei Kernbereiche vorsehen?

Zu Frage 83:
Anlage 57
Die Bundesregierung unterstützt die heute dazu im
Antwort Ausschuss für Gesundheit von den Fraktionen der CDU/
der Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz auf CSU und FDP eingebrachten Änderungsanträge zum
die Frage der Abgeordneten Dr. Marlies Volkmer Entwurf eines Gesetzes zur Änderung krankenversiche-
(SPD) (Drucksache 17/1534, Frage 82): rungsrechtlicher und anderer Vorschriften (Bundestags-
drucksache 17/1297).
Mit welchen Zielen hat die Bundesregierung die Studie
zur Sicherheit der Aufbereitung von Einmalprodukten in Auf- Zum einen wird mit praktikableren Regelungen zu
trag gegeben, wenn die Bundesregierung gesetzliche Ände-
rungen bereits vor Abschluss der Studie ausschließt (Nach-
den Schiedsverfahren sichergestellt, dass Leistungser-
frage zu Frage 87, Fragestunde des Deutschen Bundestages bringer ihre im Zusammenhang mit der Einführung der
am 21. April 2010, Bundestagsdrucksache 17/1388)? elektronischen Gesundheitskarte und dem Aufbau der
3794 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

(A) Telematikinfrastruktur entstehenden Ausstattungs- und 2007 bezifferte das Statistische Bundesamt die Zahl der (C)
Betriebskosten zeitnah ersetzt bekommen. Zum anderen nicht Krankenversicherten damals auf 196 000.
werden Regelungen zur Erstattung der beim Bundesamt
für Sicherheit in der Informationstechnik im Zusammen- Mit Wirkung vom 1. April 2007 wurden Nichtver-
hang mit dem Aufbau der Telematikinfrastruktur anfal- sicherte, die keinen anderweitigen Anspruch auf Absi-
lenden Kosten aufgenommen. Damit wird dem Umstand cherung im Krankheitsfall haben und der gesetzlichen
Rechnung getragen, dass die Sicherheit der Daten zu- Krankenversicherung, GKV, zuzuordnen sind, versiche-
nehmend an Bedeutung gewinnt. Da der Aufbau der Te- rungspflichtig in der GKV. Personen ohne Absicherung
lematikinfrastruktur Aufgabe der Selbstverwaltung ist, im Krankheitsfall, die der privaten Krankenversiche-
sind die damit zusammenhängenden Kosten auch grund- rung, PKV, zuzuordnen sind, konnten sich im Zeitraum
sätzlich von ihr zu tragen. vom 1. Juli 2007 bis 31. Dezember 2008 im sogenannten
modifizierten Standardtarif der PKV versichern. Seit
Ob darüber hinaus – entsprechend der Bitte der Kos- 1. Januar 2009 greift für diesen Personenkreis eine Ver-
tenträger in der Gesellschafterversammlung der Gematik sicherungspflicht in der PKV gemäß § 193 Abs. 3 Versi-
am 19. April 2010 – weiterer Regelungsbedarf besteht, cherungsvertragsgesetz.
wird derzeit geprüft.
Im Rahmen der Statistik der GKV wird monatlich die
Zu Frage 84: Zahl sogenannter Rückkehrer erfasst. Demnach waren
im März 2010 rund 110 000 Mitglieder aufgrund der
Es war von Beginn an beabsichtigt, die Anwendungen Neuregelung für Personen ohne anderweitigen Anspruch
der elektronischen Gesundheitskarte schrittweise einzu- im Krankheitsfall (§ 5 Abs. 1 Nr. 13 Fünftes Buch So-
führen. Die Selbstverwaltungspartner haben sich in der zialgesetzbuch – SGB V) in die GKV zurückgekehrt.
vorgenannten Gesellschafterversammlung darauf ver- Unter Berücksichtigung der durchschnittlichen Zahl bei-
ständigt, zunächst einen Notfalldatensatz, ein modernes tragsfrei mitversicherter Ehegatten und Kinder ist davon
Versichertenstammdatenmanagement sowie eine adres- auszugehen, dass insgesamt rund 154 000 Personen über
sierte Kommunikation zwischen den Leistungserbrin- diese Regelung wieder einen Versicherungsschutz in der
gern einzuführen. Andere Anwendungen haben ihre Pra- GKV erlangt haben. Die PKV verzeichnete nach aktuel-
xisreife noch nicht erreicht und müssen deshalb noch len Branchenangaben seit dem Jahr 2007 einen Zugang
überarbeitet und weiter getestet werden. von 53 000 Personen aus der Nichtversicherung.
Es haben sich also nicht die Anwendungen, sondern
Zu Frage 86:
die Schrittfolgen der Einführung der Anwendungen ver-
(B) (D)
ändert. Die Details der weiteren Projektplanung sind Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse darü-
jetzt von der Selbstverwaltung zu erarbeiten. Ob sich ber vor, wie viele Personen von einem Ruhen nach § 16
daraus finanzielle Auswirkungen ergeben, kann erst Abs. 3 a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betroffen
nach Abschluss der Arbeiten beurteilt werden. sind. Die Statistiken der gesetzlichen Krankenversiche-
rung sehen eine entsprechende gesonderte Erfassung
nicht vor.
Anlage 59
Antwort
Anlage 60
der Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz auf
Antwort
die Fragen des Abgeordneten Steffen-Claudio Lemme
(SPD) (Drucksache 17/1534, Fragen 85 und 86): der Parl. Staatssekretärin Annette Widmann-Mauz auf
Über welche Informationen verfügt die Bundesregierung die Frage der Abgeordneten Kathrin Senger-Schäfer
bezüglich des derzeitigen Personenkreises ohne gesundheitli- (DIE LINKE) (Drucksache 17/1534, Frage 87):
chen Versicherungsschutz in der Bundesrepublik Deutsch-
land? Ist es richtig, dass die Regierungskommission zum Ge-
sundheitswesen über Ausnahmeregelungen zur Kopfpauschale
Welche Kenntnis hat die Bundesregierung über den Um- bei Rentnerinnen und Rentnern nachdenkt (Süddeutsche Zei-
fang von in der gesetzlichen Krankenversicherung versicher- tung vom 30. April 2010), und zu welchen Ergebnissen kam
ten Personen, deren Versicherungsverhältnis aufgrund säumi- das für den 30. April 2010 geplante Treffen der Fachleute für
ger Beitragszahlung gemäß § 5 Abs. 3 a des Fünften Buches die Lösung der verwaltungstechnischen Probleme bei der Er-
Sozialgesetzbuch ruht? hebung der Kopfpauschale bei Rentnerinnen und Rentnern?

Zu Frage 85: Die Regierungskommission zur nachhaltigen und so-


zial ausgewogenen Finanzierung des Gesundheitswesens
Die Zahl der Personen, die nach eigenen Angaben hat in ihrer Sitzung auf Ebene der Staatssekretäre am
keine Krankenversicherung haben, wird alle vier Jahre 21. April 2010 vornehmlich verfahrenstechnische Fra-
aus Erhebungen des Statistischen Bundesamtes zum gen erörtert. Darüber hinaus wurden die derzeit gelten-
Krankenversicherungsschutz im Rahmen des Mikrozen- den beitragsrechtlichen Gegebenheiten der Mitglieder
sus hochgerechnet. Die aktuellste Erhebung hierzu der gesetzlichen Krankenversicherung angesprochen.
stammt aus dem Jahr 2007. Für den Jahresdurchschnitt Entscheidungen sind nicht getroffen worden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3795

(A) Anlage 61 Die Bundesregierung hat das Land Sachsen-Anhalt, (C)


welches gemäß den Art. 90 und 85 des Grundgesetzes
Antwort die Bundesfernstraßen plant, baut und betreibt, aufgefor-
des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage des dert, zu den aufgetretenen Schäden, deren Ursachen sowie
Abgeordneten Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ dem seitens des Landes Veranlassten kurzfristig detail-
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 88): liert Stellung zu nehmen.
Wie beurteilt die Bundesregierung die Tatsache, dass Mas- Parallel hierzu wurde die Staatsanwaltschaft Magde-
sentierhaltungsanlagen regelmäßig nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 des burg gebeten, zur Verifizierung der erhobenen Vorwürfe
Baugesetzbuchs als privilegierte Anlagen im Außenbereich und zur Festlegung der seitens der Bundesregierung ein-
genehmigt werden?
zuleitenden Prüfschritte Akteneinsicht zu gewähren.
Es entspricht der derzeitigen Praxis, dass gewerbliche
Eine Bewertung der Vorfälle beim Bau der auch mit
Tierhaltungsanlagen, sogenannte Massentierhaltungs-
EFRE-Mittel-kofinanzierten Bundesstraße 6 n ist der
anlagen, sofern es sich um ortsgebundene Anlagen han-
Bundesregierung vor Vorlage und Auswertung der ange-
delt, nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 des Baugesetzbuchs und
forderten Unterlagen nicht möglich.
unter Beachtung sonstiger gesetzlicher Vorgaben, insbe-
sondere umweltrechtlicher Vorgaben, genehmigt werden
können. Aus dieser Praxis erwächst für die Bundesregie-
rung derzeit kein gesetzgeberischer Handlungsbedarf. Anlage 64
Antwort

Anlage 62 des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage des
Abgeordneten Hans-Joachim Hacker (SPD) (Drucksa-
Antwort che 17/1534, Frage 92):
Wie begründet die Bundesregierung, dass die Entschei-
des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage der dung, den kontrollierten Sichtflug, CVFR, auf Antrag der Air-
Abgeordneten Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lines und nach Genehmigung durch das Luftfahrt-Bundesamt
NEN) (Drucksache 17/1534, Frage 89): zuzulassen, am Montag, dem 19. April 2010, erfolgte, ohne
dass das Forschungsflugzeug des Deutschen Zentrums für
Wie beurteilt die Bundesregierung den Ausbau des Flug-
Luft- und Raumfahrt Falcon 20E bereits gestartet war und ent-
hafens in Speyer unter der Berücksichtigung der Tatsache,
sprechende Messwerte über die Konzentration der Asche im
dass beim Genehmigungsverfahren die Höhe des Speyerer
deutschen Luftraum vorlagen?
Doms um circa 13 Meter zu niedrig angegeben wurde und nun
der Status des Weltkulturerbes in Gefahr ist, und teilt die Bun- Die Bundesregierung war bemüht, solche Flüge zu er-
(B) möglichen, um gestrandete Fluggäste so rasch wie mög- (D)
desregierung die Auffassung der Genehmigungsbehörde, dass
die Differenz in der Höhenberechnung des Doms für die Ge-
nehmigung des Flugplatzausbaus keine Rolle spielt? lich zurückzuholen. Die Ergebnisse mehrerer Testflüge
deutscher Luftfahrtunternehmen und die sehr guten Wet-
Die Zuständigkeit für den Ausbau des Verkehrslande- terbedingungen boten günstige Voraussetzungen hierfür.
platzes Speyer liegt bei der Luftfahrtbehörde des Landes Die Falcon des DLR konnte erst am späten Nachmittag
Rheinland-Pfalz. des 19. April starten, nachdem die Einrüstung mit den
Messgeräten und deren Kalibrierung abgeschlossen und
die vorläufige Verkehrszulassung erteilt war.
Anlage 63
Antwort
Anlage 65
des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Fragen des
Antwort
Abgeordneten Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Fragen 90 und 91): des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage des
In welcher Weise bemüht sich die Bundesregierung um Abgeordneten Hans-Joachim Hacker (SPD) (Drucksa-
Aufklärung der Ursachen für die Baumängel an der che 17/1534, Frage 93):
Bundesstraße 6 n in Sachsen-Anhalt bzw. der damit verbunde-
Plant die Bundesregierung nach den offensichtlichen In-
nen Kosten, die der Bund tragen muss, und welche neuen In-
formationsdefiziten für Reisende in der Zeit von Donnerstag,
formationen hat die Bundesregierung seit der Beantwortung
den 15. April 2010, bis Mittwoch, den 21. April 2010, als
der Kleinen Anfrage der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Überflüge über Deutschland oder An- und Abflüge an deut-
vom 6. Januar 2010 (Bundestagsdrucksache 17/396) zu die-
schen Flughäfen aufgrund der Aschewolke zeitweise nicht
sem Thema erhalten?
möglich waren, die Schaffung stabiler Informationsstrukturen
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den für Passagiere, und wird für ähnliche Ereignisse die Einrich-
aktuellen Presseartikeln, die darauf hinweisen, dass beim Bau tung einer kostenlosen Hotline für Betroffene erwogen?
der Bundesstraße 6 n erheblich betrogen worden sein soll und
die Landesbehörden das nicht ausreichend überprüft haben Die gigantische Aschewolke nach dem Vulkanaus-
sollen, und wie bewertet die Bundesregierung die Handlungs- bruch auf Island stellte den gesamten europäischen Luft-
weise der Landesbehörden, insbesondere die Begleitung der verkehr vor eine historisch bisher einmalige Herausfor-
Baumaßnahmen sowie die Informationen gegenüber dem
Bund?
derung. Die Bewältigung war für alle Beteiligten im
Luftverkehr Neuland. Bei der Krisenbewältigung wurde
Die Fragen werden wegen ihres Sachzusammenhangs im Interesse aller, insbesondere auch der Passagiere,
gemeinsam beantwortet. eine Herangehensweise gewählt, die der Sicherheit Vor-
3796 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

(A) rang einräumt. Diese Priorität ist auch in Zukunft ohne Bundesminister Brüderle hat am 19. April 2010 mit (C)
Alternative. Vertretern der betroffenen Wirtschaftszweige die Ein-
richtung einer Task Force vereinbart. Ziel der Task Force
Aufgrund der in dieser Krisensituation gemachten Er-
ist es, die wirtschaftlichen Auswirkungen des Flugver-
fahrungen wird für die Zukunft bereits an Maßnahmen
bots zu ermitteln und Strategien zu erarbeiten, wie in
gearbeitet, um bei ähnlichen Ereignissen optimal reagie-
vergleichbaren Fällen Unterbrechungen in der Wert-
ren zu können. Dies wird sicherlich auch den Bereich
schöpfungskette vermieden werden können.
der Information von Fluggästen betreffen.

Anlage 68
Anlage 66
Antwort
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage des
des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage der
Abgeordneten Michael Groß (SPD) (Drucksache 17/1534,
Abgeordneten Kirsten Lühmann (SPD) (Drucksache
Frage 96):
17/1534, Frage 94):
Von welchen Institutionen und Experten hat der Bundes-
Wurden die Schäden, insbesondere am Triebwerk des Nato-
minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Dr. Peter
Kampfjets F-16, der in der Zeit von Donnerstag, den 15. April
Ramsauer, in der Zeit von Donnerstag, den 15. April 2010, bis
2010, bis Mittwoch, den 21. April 2010, als Überflüge über
Mittwoch, den 21. April 2010, als Überflüge über Deutsch-
Deutschland oder An- und Abflüge an deutschen Flughäfen
land oder An- und Abflüge an deutschen Flughäfen aufgrund
aufgrund der Aschewolke zeitweise nicht möglich waren, zu
der Aschewolke zeitweise nicht möglich waren, fachkundigen
Testzwecken über Europa geflogen ist, ausführlich analysiert
Rat eingeholt, und welche deutschen Messungen der Asche-
und, wenn ja, mit welchem Ergebnis?
konzentration in der Luft wurden in diesem Zeitraum vor dem
Die Bundesregierung hat Kenntnis über militärische Flug der Falcon 20E durchgeführt?
Flüge, die am 21. April 2010 über Deutschland stattge- Herr Bundesminister Dr. Ramsauer hat fachkundigen
funden haben. Nach Aussage der US-Streitkräfte wurden Rat bei den am Krisenstab direkt und indirekt Beteiligten
dabei keine unmittelbar auf Vulkanasche zurückzufüh- eingeholt. In diesem Krisenstab waren Experten aus den
renden Schäden festgestellt. verschiedensten Bereichen der Luftfahrt eingebunden.
Darüber hinaus liegen der Bundesregierung keine ei- Bereits seit dem 16. April 2010 wurden in Deutschland
genen Erkenntnisse vor. von verschiedenen Institutionen Messungen der Vulkan-
aschekonzentration in der Atmosphäre vorgenommen, so
zum Beispiel durch die deutschen LIDAR-Stationen des
(B) Anlage 67 Instituts für Troposphärenforschungen in Leipzig, IFT, (D)
Antwort der Ludwig-Maximilians-Universität in München und
auf der Zugspitze. Der Deutsche Wetterdienst hat mithilfe
des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage des seines neuen Ceilometermessnetzes, bestehend aus
Abgeordneten Michael Groß (SPD) (Drucksache 17/1534, 52 Systemen in ganz Deutschland, die Vulkanasche-
Frage 95): wolke flächendeckend registriert. Da sich die Vernetzung
Hat die Bundesregierung Krisenpläne für den Fall eines noch im Aufbau befindet, standen diese Daten nicht un-
weiteren Vulkanausbruchs mit Aschewolkenbildung, ver- mittelbar zur Verfügung.
gleichbar mit der Situation in der Zeit von Donnerstag, den
15. April 2010, bis Mittwoch, den 21. April 2010, als Über- Die Warnungen vor Vulkanasche bis zum 21. April
flüge über Deutschland oder An- und Abflüge an deutschen 2010 wurden generell im Einklang mit ICAO-Vorschrif-
Flughäfen aufgrund der Aschewolke zeitweise nicht möglich
waren, und, wenn ja, wie sehen diese Krisenpläne aus, und
ten und nationalen Betriebsvorschriften vom DWD, auf
wann greifen sie? der Grundlage der Warnempfehlungen des VAAC Lon-
don, in Warnungen für den Luftverkehr umgesetzt. Dies
Die Bundesregierung hat unverzüglich die grundle- entspricht den internationalen gültigen Regelungen der
genden Arbeiten zur Vorsorge im Luftverkehr bei künfti- Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation, ICAO, fest-
gen Krisenfällen im Zusammenhang mit Vulkanasche gelegt im ICAO DOC EUR 019.
aufgenommen. Bundesminister Dr. Ramsauer hat am
27. April 2010 mit Vertretern der Wirtschaft und der zu-
ständigen deutschen sowie europäischen Behörden erör- Anlage 69
tert, wie das bereits vorhandene Regelwerk anzupassen
beziehungsweise fortzuentwickeln ist. An dieser Exper- Antwort
tenrunde nahm auch der Koordinator der Bundesregie-
des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage der
rung für Luft- und Raumfahrt beim Bundesministerium
Abgeordneten Ulrike Gottschalck (SPD) (Drucksache
für Wirtschaft und Technologie, Parlamentarischer
17/1534, Frage 97):
Staatssekretär Hintze, teil.
Wann hat der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadt-
Zu den laufenden Aktivitäten dieser Expertengruppe entwicklung, Dr. Peter Ramsauer, von der Einrichtung einer
gehört auch die Ausarbeitung von Krisenplänen für Task Force zum Umgang mit der Einstellung des Luftverkehrs
in Deutschland aufgrund der Aschewolke durch den Bundes-
eventuelle zukünftige Ereignisse dieser Art. Sobald kon- minister für Wirtschaft und Technologie, Rainer Brüderle, er-
krete Maßnahmen ausgearbeitet worden sind, wird die fahren, und auf welche Art und Weise war der Bundesminister
Bundesregierung diese bekannt geben. Dr. Peter Ramsauer in die Vorbereitung und Durchführung des
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3797

(A) ersten Treffens am Montag, dem 19. April 2010, involviert Auf welche Art und Weise wurden die Flughäfen – und (C)
und hat Empfehlungen des Treffens, die den Geschäftsbereich hier besonders die Regionalflughäfen – über die stundenweise
des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwick- Öffnung des Luftraums am Sonntagabend, dem 18. April
lung betreffen, wie zum Beispiel das temporäre Aussetzen des 2010, informiert, und was waren die Gründe dafür, dass die
Nachtflugverbots und des Sonntagsfahrverbots für Lkws, er- zeitweise Öffnung des Luftraums durch die Airlines nur in äu-
arbeitet? ßerst begrenztem Rahmen genutzt wurde?

Zwischen den Bundesministerien fand und findet eine Die Information über die Gebiete mit von Asche kon-
enge Abstimmung statt. Es ist selbstverständlich, dass taminierten Lufträumen erfolgte durch den Deutschen
die einzelnen Bundesminister dringliche Anliegen, die Wetterdienst auf der Basis von sogenannten SIGMETs,
im Rahmen ihrer Ressortzuständigkeit an sie herangetra- Significant Meteorological Information. Derartige Luft-
gen werden, aufgreifen und mit den Beteiligten erörtern. fahrtinformationen stehen allen am Luftverkehr Beteilig-
ten rund um die Uhr zur Verfügung. Aus den SIGMETs
Die Bundesministerien nehmen hierzu eine gegensei- ist ersichtlich, für welches Gebiet das kontaminierte Ge-
tige Unterrichtung sowie Beteiligung der anderen Res- biet vorhergesagt wird.
sorts vor; dies ist regelmäßig und fortlaufend auch wäh-
rend und nach den Tagen der Beeinträchtigung des Am 18. April 2010 änderte sich die Lage der kontami-
Luftverkehrs durch Vulkanasche geschehen. nierten Gebiete für einen kurzen Zeitraum so, dass Flüge
nach Instrumentenflugregeln durchführbar waren. Das
kurze Zeitfenster ermöglichte nur wenigen Fluggesell-
Anlage 70 schaften, ihre Passagiere zu informieren, den Flug vorzu-
bereiten und durchzuführen. Gleiches gilt für die Interna-
Antwort tionalen Verkehrsflughäfen und die Regionalflughäfen.
des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage der
Abgeordneten Ulrike Gottschalck (SPD) (Drucksache
17/1534, Frage 98): Anlage 72
Wie bewertet die Bundesregierung die widersprüchlichen Antwort
Äußerungen des Bundesministers Rainer Brüderle – „Brü-
derle schloss ... staatliche Hilfen nicht aus“, in Hamburger des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage des
Abendblatt vom 19. April 2010 – und des Bundesministers Dr. Abgeordneten Sören Bartol (SPD) (Drucksache 17/1534,
Peter Ramsauer – „Ich wehre mich gegen jeden Ruf an den
Staat“, in Hamburger Abendblatt vom 19. April 2010 – be- Frage 100):
züglich der Frage, ob es staatliche Unterstützung für die Air- Wer hat den Auftrag an die DFS Deutsche Flugsicherung
lines wegen der wirtschaftlichen Verluste infolge der Sperrung GmbH und Vertreter der deutschen Airlines erteilt, einen Lö-
des deutschen Luftraums aufgrund des Ausbruchs des Vulkans sungsweg zu finden, der eine schnellere Öffnung des deut-
(B) Eyjafjallajökull geben soll, und wird die Bundesregierung fi- schen Luftraums, der aufgrund der Aschewolke in der Zeit (D)
nanzielle Entschädigungen bzw. finanzielle Unterstützungen von Donnerstag, den 15. April 2010, bis Mittwoch, den
für die Airlines wie auch für die Flughäfen und von den Flug- 21. April 2010, weitestgehend geschlossen war, ermöglichen
ausfällen betroffenen deutschen Fluggäste zur Verfügung stel- sollte und dann konkret das Zulassen von Sondergenehmigun-
len? gen für Flüge im kontrollierten Sichtflugverfahren, CVFR,
beinhaltete, und auf welcher rechtlichen Grundlage haben die
Die Bundesregierung läßt sich im Hinblick auf mögli- DFS Deutsche Flugsicherung und die Airlines den Auftrag er-
che Forderungen von folgenden Überlegungen leiten: halten?

Bei den bisherigen Gesprächen ist nicht über Hilfen, Der Anspruch der Bundesregierung bestand darin, un-
sondern über Krisenmanagement gesprochen worden. ter Wahrung größtmöglicher Sicherheit, gemeinsam mit
Anträge auf Staatshilfe liegen dementsprechend zum allen Beteiligten eine Lösung zur Schadensminimierung
derzeitigen Zeitpunkt nicht vor. Die Bundesregierung ist zu finden. Alle Beteiligten haben innerhalb der gesetzli-
im Übrigen der Ansicht, dass der Staat nicht für unter- chen und internationalen Rahmenbedingungen an der
nehmerische Risiken in die Pflicht genommen werden Erarbeitung einer Lösung mitgewirkt.
darf. Eine staatliche Hilfeleistung kann nur ultima ratio
sein und muss zudem EU-weit koordiniert erfolgen.
Anlage 73
Die Situation ist nicht vergleichbar mit der in der
Folge des 11. Septembers 2001. Damals war für die eu- Antwort
ropäischen Luftverkehrsunternehmen durch die massi-
des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Fragen der
ven Subventionen der US-Regierung für die dortigen
Abgeordneten Ute Kumpf (SPD) (Drucksache 17/1534,
Luftverkehrsunternehmen ein erheblicher Nachteil im
Fragen 101 und 102):
Wettbewerb entstanden, den es auszugleichen galt. Dies
ist nun nicht der Fall. Wie bewertet die Bundesregierung die Feststellung, dass
der Luftraum entweder sicher sei oder er es eben nicht sei,
und welche technischen und/oder wissenschaftlichen Gründe
gab es für die Entscheidung der Bundesregierung, die Geneh-
Anlage 71 migung von Flügen im kontrollierten Sichtflugverfahren,
CVFR, zu erteilen?
Antwort Welche Vorteile im Hinblick auf die Sicherheit der Passa-
giere boten die durch die Bundesregierung in der Zeit von
des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage des Donnerstag, den 15. April 2010, bis Mittwoch, den 21. April
Abgeordneten Sören Bartol (SPD) (Drucksache 17/1534, 2010, genehmigten Flüge im kontrollierten Sichtflugverfah-
Frage 99): ren, CVFR, vor dem Hintergrund, dass es in weiten Teilen des
3798 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

(A) deutschen Luftraums keine mit bloßem Auge sichtbare Was war der Grund dafür, dass in der Zeit von Donnerstag, (C)
Aschewolke gab, und warum wurden vor diesem Hintergrund den 15. April 2010, bis Mittwoch, den 21. April 2010, als
in ein und demselben Luftraum Flüge im kontrollierten Sicht- Überflüge über Deutschland oder An- und Abflüge an deut-
flugverfahren, aber nicht im Instrumentenflugverfahren ge- schen Flughäfen aufgrund der Aschewolke zeitweise nicht
nehmigt? möglich waren, neben den unter Leitung der Deutschen Flug-
sicherung in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Wetter-
Die Fragen werden wegen ihres Sachzusammenhangs dienst und Eurocontrol ergriffenen Maßnahmen kein zentraler
gemeinsam beantwortet. Krisenstab beim Bundesministerium für Verkehr, Bau und
Stadtentwicklung angesiedelt wurde, in dem auch Vertreter
Die gigantische Aschewolke nach dem Vulkanaus- der Airlines, der Flughäfen, der Bundesländer, der Trieb-
bruch auf Island stellte für den gesamten europäischen werks- und Flugzeughersteller sowie der Bundesministerien
in den Bereichen Wirtschaft, Verbraucherschutz, auswärtige
Luftverkehr ein historisch erstmaliges Phänomen und Angelegenheiten sowie des Kanzleramtes eingebunden wa-
damit eine bisher erstmalige Herausforderung dar. Es ren?
war deshalb bei Vorliegen erster Erkenntnisse absolut Auf welche Art und Weise und zu welchem Zeitpunkt wa-
richtig und alternativlos, unverzüglich Vorsichtsmaßnah- ren in der Zeit von Donnerstag, den 15. April 2010, bis Mitt-
men zu ergreifen und am 15. April 2010 erhebliche Ein- woch, den 21. April 2010, als Überflüge über Deutschland
schränkungen des Flugverkehrs vorzunehmen. Sicher- oder An- und Abflüge an deutschen Flughäfen aufgrund der
Aschewolke zeitweise nicht möglich waren, die deutschen
heit und die Befolgung klarer internationaler Regeln Bundesländer, die für die Luftverkehrsverwaltung und damit
waren oberstes Gebot. Die Bundesregierung hielt sich unter anderem auch für Themen wie die temporäre Aufhe-
bei allen ergriffenen Maßnahmen deshalb an die Vor- bung des Nachtflugverbots verantwortlich sind, in das Krisen-
gaben der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation, management eingebunden?
ICAO. Das internationale Regelwerk untersagt Freigaben
für Flüge nach Instrumentenflugregeln in mit Vulkan- Zu Frage 103:
asche kontaminierten Lufträumen. Flüge nach Sichtflug- Die Bundesregierung hat unmittelbar am 15. April
regeln werden in dieser Vorschrift nicht adressiert. 2010 bei der DFS Deutschen Flugsicherung den zentra-
Flüge wurden im Einklang mit diesem Regelwerk ge- len Krisenstab aktiviert, durch den das BMVBS die Ak-
duldet, die nach den Kriterien des kontrollierten Sicht- tivitäten koordiniert hat.
fluges durchgeführt wurden, selbstverständlich unter Ein Austausch mit anderen betroffenen Stellen wie
bestmöglicher Nutzung der zur Verfügung stehenden In- Bundesressorts, Fluggesellschaften, Flughäfen, den
strumente und unter Wahrung der gebotenen Sicherheit. Bundesländern sowie der Herstellerindustrie hat regel-
Kontrollierte Sichtflüge setzen gute Sichtverhältnisse mäßig und anlassbezogen durch den Krisenstab oder im
voraus, sowie eine geringe Inanspruchnahme. Sollte die Rahmen der vorhandenen Strukturen stattgefunden. Der
Verkehrssituation es nicht zulassen, kann die Flugsiche- Krisenstab hat stets im engen Kontakt mit der Leitung
(B) rung Freigaben für entsprechende Flüge verweigern. (D)
des BMVBS gestanden, die vertreten durch den zustän-
digen Staatssekretär und Abteilungsleiter persönlich
Am 17. April 2010 erfolgten auf diese Weise eine
auch vor Ort präsent waren. Zusätzlich fanden mehrere
Reihe von Überführungsflügen unter anderem deutscher
Gespräche auf nationaler und europäischer Ebene statt.
Luftverkehrsgesellschaften, um die Flugzeuge für den
Die deutschen Fluggesellschaften waren ebenfalls eng
Normalbetrieb an ihren Bedarfsstandorten zu positionie-
eingebunden.
ren. Diese Flüge erfolgten ohne Passagiere und lieferten
zudem als technische Überführungsflüge der Bundes-
Zu Frage 104:
regierung und den zuständigen Fachbereichen wertvolle
Erkenntnisse. Am darauffolgenden Montag folgten erste Die Koordinierung mit den Bundesländern wurde
Passagierflüge unter den Bedingungen des oben be- durch eine Telefonkonferenz des Bundesverkehrsminis-
schriebenen kontrollierten Sichtflugs, um die seit Tagen ters Dr. Ramsauer mit den zuständigen Länderministern
im Ausland auf Flughäfen gestrandeten Urlauber nach am 18. April 2010 eingeleitet.
Deutschland zurückholen zu können.
Zur Nutzung von Zeitfenstern erging ein Appell an
Grundsätzlich gilt: Ein regelmäßiger, kommerzieller die für die Genehmigung zuständigen Landesluftfahrt-
Flugbetrieb nach den Regeln des Sichtflugverkehrs ist behörden in Abhängigkeit von der Wetterlage und der
im dicht belasteten europäischen und deutschen Luft- Vulkantätigkeit eine Lockerung bzw. Aussetzung von
raum sowie im Hinblick der herrschenden Wetterbedin- Nachtflugverboten, insbesondere zur Unterstützung der
gungen nicht möglich. Auch bei dieser Frage offenbaren Rückführung von Fluggästen, beizutragen.
sich die offenkundigen Defizite des bisherigen ICAO-
Regelwerks, welches die Bundesregierung nunmehr un-
ter Hochdruck weiterentwickeln will. Anlage 75
Antwort
Anlage 74 des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Fragen des
Abgeordneten Uwe Beckmeyer (SPD) (Drucksache 17/
Antwort 1534, Fragen 105 und 106):
Wann hat der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadt-
des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Fragen des entwicklung, Dr. Peter Ramsauer, von der drohenden Gefahr
Abgeordneten Uwe Florian Pronold (SPD) (Druck- erfahren, dass Überflüge über Deutschland oder An- und Ab-
sache 17/1534, Fragen 103 und 104): flüge an deutschen Flughäfen aufgrund der Aschewolke ver-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3799

(A) boten werden müssen und damit der Luftverkehr in Deutsch- wolke auf die Flugsicherheit über Europa, und sollte er an der (C)
land weitestgehend eingestellt werden muss, und wann hat er Telefon- und Videoschaltung nicht persönlich teilgenommen
die Bundeskanzlerin informiert und Kontakt zu seinen EU- haben, was war der Grund für seine Verhinderung?
Kollegen aufgenommen, um die notwendigen Maßnahmen zu
koordinieren? Bereits am Wochenende 17./18. April 2010 hat Bun-
Welche Krisenstäbe, geleitet durch Bundesminister, sind desverkehrsminister Dr. Ramsauer mehrere Gespräche
in Zusammenhang mit den Auswirkungen der Vulkanasche mit dem spanischen Verkehrsminister Blanco – EU-Rats-
auf den Luftverkehr von der Bundesregierung zu welchem präsidentschaft –, mehreren EU-Verkehrsministern so-
Zeitpunkt im Rahmen des Krisenmanagements in der Zeit
vom 15. April 2010 bis zum 21. April 2010 eingesetzt wor-
wie mit dem EU-Kommissar Kallas geführt. Unter spa-
den, um unter anderem die Kommunikation und Entschei- nischem Vorsitz hat dann am 19. April 2010 eine
dungsfindung zwischen den inhaltlich betroffenen Bundesmi- Telefon- und Videokonferenz der Verkehrsminister der
nisterien für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, für EU-Mitgliedstaaten stattgefunden. Ziel war die Abstim-
Wirtschaft und Technologie, für Ernährung, Landwirtschaft mung über ein koordiniertes europäisches Vorgehen, um
und Verbraucherschutz und dem Auswärtigen Amt herzustel-
len? den Flugverkehr unter sicheren Bedingungen wieder
aufnehmen zu können. Der spanische Verkehrsminister
Zu Frage 105: hat in Wahrnehmung der Ratspräsidentschaft Bundes-
verkehrsminister Dr. Ramsauer informiert; dieser war
Herr Bundesminister Dr. Ramsauer wurde am Don- per Telefon von unterwegs direkt zugeschaltet. Vor-Ort-
nerstag, den 15. April 2010 gegen Mittag zum Ende der Teilnehmer an der Videokonferenz war sein Vertreter
Verkehrsministerkonferenz mit den Bundesländern über Staatssekretär Professor Scheurle.
Warnmeldungen wegen der Aschewolke informiert. Eine
Information der Bundeskanzlerin und der EU-Kollegen
fand regelmäßig statt. Anlage 77

Zu Frage 106: Antwort


Die Bundesregierung hat unmittelbar am 15. April des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage des Ab-
2010 bei der DFS Deutschen Flugsicherung den zentralen geordneten Martin Burkert (SPD) (Drucksache 17/1534,
Krisenstab aktiviert, durch den das BMVBS die Aktivitä- Frage 108):
ten koordiniert hat. Ein Austausch mit anderen betroffe- Ist die Feststellung richtig, dass die Beantragung von Son-
nen Stellen wie Bundesressorts, Fluggesellschaften, dergenehmigungen für das Fliegen von Passagiermaschinen
Flughäfen, den Bundesländern sowie der Herstellerindus- im kontrollierten Sichtflugverfahren, CVFR, beim Luftfahrt-
trie hat regelmäßig und anlassbezogen durch den Krisen- Bundesamt bereits vor Montag, dem 19. April 2010, möglich
(B) stab oder im Rahmen der vorhandenen Strukturen stattge- gewesen wäre, und, wenn ja, was sind die Gründe dafür, dass (D)
die Airlines entsprechende Anträge nicht gestellt haben?
funden. Der Krisenstab hat stets im engen Kontakt mit der
Leitung des BMVBS gestanden, die vertreten durch den Die Luftverkehrsgesellschaften hätten bereits vor
zuständigen Staatssekretär und Abteilungsleiter persön- dem 19. April 2010 entsprechende Anträge beim Luft-
lich auch vor Ort präsent waren. Zusätzlich fanden meh- fahrtbundesamt stellen können. Der Bundesregierung
rere Gespräche auf nationaler und europäischer Ebene liegen keine Erkenntnisse vor, warum sie dies nicht ge-
statt. Die deutschen Fluggesellschaften waren ebenfalls tan haben.
eng eingebunden.
Die angesprochenen Ressorts Wirtschaft und Auswär-
tiges Amt wurden fallweise beteiligt. Anlage 78

Daneben hat Bundesminister Brüderle am 19. April Antwort


2010 mit Vertretern der betroffenen Wirtschaftszweige
die Einrichtung einer Task Force vereinbart. Ziel der der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage
Task Force ist es, die wirtschaftlichen Auswirkungen des des Abgeordneten Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/
Flugverbots zu ermitteln und Strategien zu erarbeiten, DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 109):
wie in vergleichbaren Fällen Unterbrechungen in der Auf welche Weise setzt die Bundesregierung die Ankündi-
Wertschöpfungskette vermieden werden können. gung des Bundesministers Dr. Norbert Röttgen um, sich in-
nerhalb der EU für die unkonditionierte Anhebung des EU-
CO2-Reduktionszieles auf 30 Prozent starkzumachen?

Anlage 76 Die Bundesregierung unterstützt ein konditioniertes


EU-Emissionsreduktionsziel bis 2020 von 30 Prozent
Antwort gegenüber dem Niveau von 1990 im Rahmen der Be-
des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage des schlusslage des Europäischen Rates vom 10./11. Dezem-
Abgeordneten Martin Burkert (SPD) (Drucksache 17/ ber 2009.
1534, Frage 107):
Sie wird sich im Rahmen der auf europäischer Ebene
Ist der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwick- anstehenden Diskussionen über die künftige Klima-
lung, Dr. Peter Ramsauer, der Urheber des von den europäi-
schen Verkehrsministern am Montag, dem 19. April 2010, in
schutzstrategie der EU auch mit der Frage befassen, ob
einer Telefon- und Videoschaltung beschlossenen Lösungs- die EU ihr Emissionsreduktionsziel auf 30 Prozent erhö-
weges für den Umgang mit den Auswirkungen der Asche- hen soll.
3800 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

(A) Anlage 79 Anlage 81 (C)


Antwort Antwort
der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage
des Abgeordneten Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/ der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 110): DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 112):
Welche Ergebnisse und Impulse hat der Petersberger Kli- Um welche Menge würde sich das radioaktive Inventar in
madialog vom 2. bis 4. Mai 2010 aus Sicht der Bundesregie- Bezug auf Radionukleide mit einer Halbwertzeit von zehn
rung für die kommenden Klimaverhandlungen gebracht, und Jahren erhöhen, wenn die Laufzeit sämtlicher in Betrieb be-
wie ist vor dem Hintergrund der auf dem Petersberger Dialog findlicher Atomkraftwerke um 10, 20 bzw. 28 Jahre – bitte die
diskutierten Finanzierung von Anpassungsmaßnahmen in Mengen sowohl für die 10, 20 als auch 28 Jahre getrennt an-
Entwicklungsländern durch die Industrieländer die Tatsache geben – erhöht würde?
aufgenommen worden, dass es sich bei den durch die Bundes-
regierung versprochenen Mitteln nur in kleinen Teilen um Bei einer Verlängerung der Laufzeiten sämtlicher in
nicht bereits zuvor für andere Projekte und Maßnahmen ver- Betrieb befindlicher Kernkraftwerke um zehn Jahre
sprochene Mittel handelt? würde sich bei der zurzeit jährlich anfallenden mittleren
Entlademenge von etwa 370 Tonnen die Gesamtmenge an
Der Petersberger Klimadialog fand vom 2. bis 4. Mai bestrahlten Brennelementen um 10 x 370 = 3 700 Tonnen
2010 auf gemeinsame Einladung von Deutschland und erhöhen. Damit ergibt sich bei einer Laufzeitverlänge-
Mexiko statt. Die Eröffnungsvorträge wurden von Bun- rung um zehn Jahre eine Erhöhung des Aktivitätsinven-
deskanzlerin Merkel und dem Mexikanischen Präsiden- tars um rund 1,5 x 1020 Bq (Becquerel).
ten Calderon gehalten. Geleitet wurde die Sitzung von
Bundesumweltminister Röttgen und dem mexikanischen Bei einer Verlängerung der Laufzeiten sämtlicher in
Umweltminister Elvira. Mit der Konferenz ist es gelun- Betrieb befindlicher Kernkraftwerke um 20 Jahre würde
gen, mit den zentralen Akteuren der internationalen Kli- sich die Gesamtmenge an bestrahlten Brennelementen
mapolitik ein gemeinsames Verständnis für die notwen- um 20 x 370 = 7 400 Tonnen erhöhen. Für die Aktivität
digen Schritte bis zur Klimakonferenz in Cancun und ergibt sich eine Erhöhung um rund 3 x 1020 Bq.
darüber hinaus zu entwickeln. Bei einer Verlängerung der Laufzeiten sämtlicher in
Auf der Konferenz wurde von vielen Ministern auf Betrieb befindlicher Kernkraftwerke um 28 Jahre würde
die Bedeutung der „fast start“-Finanzierung für den wei- sich die Gesamtmenge an bestrahlten Brennelementen
teren Prozess hingewiesen. Die Bundesregierung hat auf um 28 x 370 = 10 360 Tonnen erhöhen. Für die Aktivität
(B) dem Petersberg angekündigt, dass Deutschland 10 Mil- ergibt sich eine Erhöhung um rund 4,2 x 1020 Bq. (D)
lionen Euro in den UN-Anpassungsfonds einzahlen wird
und nochmals die „fast start“-Zusage von 1,26 Milliar-
den Euro 2010 bis 2012 unterstrichen. Hiervon sollen Anlage 82
mindestens 350 Millionen Euro, rund 30 Prozent der Antwort
Gelder, für Projekte zur Reduzierung von Entwaldung in
Entwicklungsländern zur Verfügung stehen. Mehr als der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage
30 Prozent der Gelder sollen zudem in Anpassung flie- des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE
ßen. GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 113):
Wo soll die Neuverpackung des Atommülls nach der Zwi-
schenlagerung in Ahaus erfolgen, wenn es zutrifft, dass der
Anlage 80 schwach- und mittelradioaktive Abfall, der im Brennelemen-
tezwischenlager Ahaus zwischengelagert werden soll, vor
Antwort dem Transport von Ahaus in das Endlager Schacht Konrad
neu verpackt werden muss, und war den zuständigen Behör-
den die Tatsache der erforderlichen Neuverpackung bei der
der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage Genehmigung der Zwischenlagerung des Atommülls in
der Abgeordneten Heike Hänsel (DIE LINKE) (Druck- Ahaus bekannt?
sache 17/1534, Frage 111):
Die Bezirksregierung Münster hat am 9. November
Weshalb hat die Bundesregierung keine Regierungsdele-
gation zum alternativen Klimagipfel der Völker – auch: Welt-
2009 eine Genehmigung nach § 7 Strahlenschutzverord-
konferenz der Völker über Klimawandel und die Rechte der nung erteilt, im westlichen Lagerbereich, Lagerbereich I,
Mutter Erde – im bolivianischen Cochabamba vom 19. bis des Transportbehälterlagers Ahaus radioaktive Rest-
22. April 2010 geschickt, welcher als alternative Folgekonfe- stoffe und Abfälle sowie ausgebaute oder abgebaute ra-
renz des gescheiterten UN-Klimagipfels ausgerichtet wurde? dioaktive Anlagenteile bis zu ihrem Abtransport zum
Endlager Konrad oder zum Abtransport in eine Einrich-
An der Weltkonferenz der Völker über Klimawandel tung zur Behandlung oder zur weiteren Zwischenlage-
und die Rechte der Mutter Erde vom 19. bis 22. April rung radioaktiver Abfälle und Reststoffe zu lagern.
2010 in Cochabamba, Bolivien, wurde die Bundesrepu-
blik Deutschland durch die deutsche Botschaft La Paz Die Abfälle stammen in der Regel aus dem laufenden
vertreten. Auf diese Ebene der Wahrnehmung hatten sich Betrieb und der Stilllegung kerntechnischer Anlagen in
die EU-Mitgliedstaaten verständigt. Deutschland.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3801

(A) Es handelt sich um eine Pufferlagerung von radioakti- trums für Neurodegenerative Erkrankungen im Bereich von (C)
ven Abfällen in der Regel für die Betriebsstätte der Ge- Orphan Diseases und insbesondere von ALS gesetzt?
sellschaft für Nuklear-Service mbH, GNS, in Duisburg. Die Bundesregierung fördert im Rahmen des Gesund-
Im Übrigen wurde diese Nutzung des Transportbehäl- heitsforschungsprogramms Forschung zu Krankheitsur-
terlagers Ahaus bereits in der Antwort der Bundesregie- sachen, Diagnostik und Therapie von seltenen Erkran-
rung auf die Kleine Anfrage von Bündnis 90/Die Grünen kungen mit einer Fördermaßnahme, die darauf abzielt,
vom 17. Dezember 2009 behandelt. nationale Kompetenzen zu Gruppen von seltenen Er-
krankungen in Forschungsnetzen zu bündeln, 30 Millio-
nen Euro für den Förderzeitraum 2003 bis 2009, 70 Mil-
Anlage 83 lionen Euro vorgesehen für 2009 bis 2018.

Antwort Die internationale Netzwerkbildung von Wissen-


schaftlern wird durch ein internationales Konsortium
der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage von Förderorganisationen – unter Beteiligung des
der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE BMBF – derzeit mit 20 Millionen Euro gefördert. Diese
GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 114): Maßnahmen sollen konsequent weiterentwickelt und die
Wie sollen die Gutachter, die derzeit die Energieszenarien klinische Forschung ausgebaut werden.
der Bundesregierung berechnen, realistische Werte für die
Kosten der Atomkraft ansetzen, wenn sie nach Aussage der Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass Anträge zur Er-
Bundesregierung vom 28. April 2010 noch keine verlässli- forschung seltener Erkrankungen auch bei allgemeinen
chen Vorgaben der Bundesregierung zu den Kosten für Si-
cherheitsnachrüstungen, zur Besteuerung von Brennelemen-
Maßnahmen zur Forschungsförderung durchaus konkur-
ten oder zur Kostenbeteiligung der Betreiber bei der renzfähig, das heißt erfolgreich, sind.
Sanierung der Schachtanlage Asse haben – vergleiche Ant-
wort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Fraktion Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Er-
Bündnis 90/Die Grünen auf Bundestagsdrucksache 17/1531? krankungen, DZNE, befindet sich noch im Aufbau, so-
dass derzeit noch keine abschließenden Aussagen über
Die Bundesregierung und die Gutachter tauschen sich
die konkreten Projekte des Instituts möglich sind. Das
ständig über die den Energieszenarien zugrunde liegen-
DZNE hat seinen Forschungsschwerpunkt bei alters-
den Annahmen aus. Die relevanten Aspekte werden in
bezogenen neurodegenerativen Volkskrankheiten wie
den Ergebnissen der Gutachter Berücksichtigung finden.
zum Beispiel Parkinson, der Alzheimer-Erkrankung und
anderen Formen der Demenz. Seltenere Formen der neuro-
degenerativen Erkrankungen wie Prionen-Erkrankungen,
Anlage 84 Chorea Huntington oder die Amyotrophe Lateralskle- (D)
(B)
Antwort rose, ALS, sind explizit Teil des Themenspektrums des
DZNE.
der Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche auf die Frage
der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE Um eine national abgestimmte Strategie zur Verbesse-
GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 115): rung der gesundheitlichen Situation von Menschen mit
Unterstützt die Bundesregierung auf europäischer Ebene seltenen Erkrankungen auszuarbeiten, wurde im März
eine Erhöhung des EU-Ziels zur Emissionsreduzierung bis 2010 unter der Federführung des BMG ein Nationales
2020 von 20 Prozent auf 30 Prozent, angesichts der Tatsache, Aktionsbündnis ins Leben gerufen, das sich zum Ziel
dass die Europäische Kommission in ihrer jüngsten Kommu- gesetzt hat, die Empfehlung des Rates der Europäischen
nikation „Unlocking Europe’s potential in clean innovation
and growth“ die geringen Kosten und erheblichen wirtschaft- Union umzusetzen. Dazu gehört unter anderem die
lichen Chancen eines solchen Schritts hervorgehoben hat? Erstellung eines Nationalen Aktionsplans für seltene Er-
krankungen und die Förderung der Bildung von Fach-
Die Bundesregierung unterstützt ein konditioniertes zentren. Wesentliche Akteure der Regierung, des Ge-
EU-Emissionsreduktionsziel bis 2020 von 30 Prozent sundheitswesens und der Forschung sind aktiv
gegenüber dem Niveau von 1990 im Rahmen der Be- eingebunden.
schlusslage des Europäischen Rates vom 10./11. Dezem-
ber 2009.
Anlage 86
Anlage 85 Antwort
Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Helge Braun auf die Frage
des Parl. Staatssekretärs Dr. Helge Braun auf die Frage des Abgeordneten Heinz Paula (SPD) (Drucksache
der Abgeordneten Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) 17/1534, Frage 117):
(Drucksache 17/1534, Frage 116): Welches Engagement hat die Bundesregierung mit den
Ländern/der Kultusministerkonferenz aufgebracht, die Som-
Wie wird die Bundesregierung der Forderung des Gutach-
merferienzeiten zu entzerren, und wie ist die mittelfristige
tens 2009 des Sachverständigenrates zur Begutachtung der
Einschätzung hierzu?
Entwicklung im Gesundheitswesen nachkommen, die For-
schung zu Diagnostik und Therapie von seltenen oder Wai-
senkrankheiten, Orphan Diseases, und insbesondere für die
Auf ihrer 194. Amtschefskonferenz hat die Kultusmi-
Amyotrophe Lateralsklerose, ALS, zu verstärken, und inwie- nisterkonferenz am 15. Mai 2008 die „Langfristige Som-
weit werden Forschungsschwerpunkte des Deutschen Zen- merferienregelung 2011 bis 2017“ beschlossen.
3802 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010

(A) Die Regelung der Sommerferientermine fällt in die Während eines Auslandsaufenthalts wird das Stipen- (C)
Kultuszuständigkeit und damit in die alleinige Verant- dium in gleicher Höhe fortgezahlt. Alternativ kann das
wortung der Länder. Stipendium unterbrochen werden, zum Beispiel um eine
Fördermöglichkeit des DAAD zu nutzen. Voraussetzung
Hierzu stimmt sich die Kultusministerkonferenz mit ist jeweils, dass der oder die Studierende nicht für den
der Wirtschaftsministerkonferenz ab. Rest des Studiums an die ausländische Hochschule
In Vorbereitung der letzten Beschlussfassung hatte wechselt, sondern weiterhin an der Hochschule immatri-
sich der Beauftragte der Bundesregierung für Tourismus kuliert ist, die das Stipendium bewilligt hat, oder dass
im Zusammenwirken mit der Wirtschaftsministerkonfe- ein beabsichtigter Verbleib an der Hochschule auf andere
renz mit großem Nachdruck für eine noch stärkere Ent- Weise deutlich gemacht wird.
zerrung der Ferienzeiten eingesetzt, frühzeitig den Kon-
takt zum Sekretariat der KMK aufgenommen und sich
unter anderem auch direkt an die Ministerpräsidenten Anlage 89
der Länder gewandt. Antwort
des Parl. Staatssekretärs Dr. Helge Braun auf die Frage
Anlage 87 der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 120):
Antwort
Wie definiert die Bundesregierung die im Entwurf eines
des Parl. Staatssekretärs Dr. Helge Braun auf die Frage Gesetzes zur Schaffung eines nationalen Stipendienprogramms,
Stipendienprogramm-Gesetz, StipG, (unter § 1 Abs. 1) genannten
des Abgeordneten Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE Kriterien „Begabung und Leistung“, und warum sind „gesell-
GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 118): schaftliches Engagement, die Bereitschaft, Verantwortung zu
Wie plant die Bundesregierung – unter anderem personell übernehmen, oder besondere soziale, familiäre oder persönli-
und finanziell –, die Hochschulen in die Lage zu versetzen, die che Umstände“ anders als „Begabung und Leistung“ als Soll-
komplette Organisation und Verwaltung ihres nationalen Sti- kriterien geführt (unter § 3 StipG)?
pendienprogramms zu übernehmen, und welche Vorschläge
will die Bundesministerin für Bildung und Forschung der
Die Stipendien dienen der Förderung begabter Studie-
Hochschulrektorenkonferenz angesichts des erheblichen Auf- render. Bisher erbrachte besondere Leistungen in Schule,
wands für die Einwerbung und Administration von privaten Studium oder Beruf sind für die Begabung ein wichtiges
Mitteln und der Erfahrungen aus anderen Ländern wie etwa Indiz. Besondere Leistungen werden vor dem Hinter-
Großbritannien – wo mehr als ein Drittel der eingeworbenen grund der jeweiligen persönlichen Biografie gewürdigt.
Beträge allein durch diese Bürokratiekosten aufgebraucht
wurde – unterbreiten? Zusätzliche Kriterien, die das Begabungskriterium er-
(B) gänzen, aber nicht ersetzen, sind gesellschaftliches (D)
Artikel 104 a Abs. 5 Grundgesetz (GG) schreibt vor, Engagement und die Bereitschaft, Verantwortung zu
dass der Bund und die Länder die bei ihren Behörden übernehmen, sowie besondere soziale, familiäre oder
entstehenden Verwaltungsausgaben tragen. persönliche Umstände. Ihre Berücksichtigung ist der Re-
gelfall. In atypischen Fällen, zum Beispiel bei der Wür-
digung besonderer künstlerischer Begabungen, ist es
Anlage 88 denkbar, dass Zusatzkriterien keine Rolle spielen. Durch
diesen Begabungsbegriff ist gewährleistet, dass die gesamte
Antwort Persönlichkeit und ihr Hintergrund betrachtet werden.
des Parl. Staatssekretärs Dr. Helge Braun auf die Frage
des Abgeordneten Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 119): Anlage 90
Wieso hat laut dem Entwurf eines Stipendienprogramm- Antwort
Gesetzes der Studienortwechsel eines Stipendiaten im Inland
einen Verlust des Stipendiums zur Folge, insbesondere vor des Parl. Staatssekretärs Dr. Helge Braun auf die Frage
dem Hintergrund, dass sich diese Regelung mobilitätsfeind- der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn) (BÜND-
lich auswirken dürfte, und unter welchen Bedingungen und
Voraussetzungen können Stipendien aus dem nationalen Sti-
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/1534, Frage 121):
pendienprogramm mit ins Ausland genommen werden? Wie kommt die Annahme der Bundesregierung zustande,
den Hochschulen im Rahmen des nationalen Stipendienpro-
Es wird davon ausgegangen, dass die privaten Mittel- gramms entstünden maximal 30 Millionen Euro Mehrausga-
geber gezielt Studierende derjenigen Hochschule fördern ben, obwohl es Hinweise zum Beispiel aus Großbritannien
möchten, der sie Mittel zur Verfügung stellen. Zudem gibt, wonach der Aufwand allein für Einwerbung privater
Mittel unter anderem für Stipendien ein Drittel der eingewor-
soll die Herstellung eines Kontakts zwischen Stipendia- benen Mittel beträgt, und auf welchen Annahmen basiert die
tinnen und Stipendiaten und privaten Mittelgebern mög- Feststellung aus dem Entwurf eines Stipendienprogramm-Ge-
lich sein. Im Falle eines Hochschulwechsels, sei es im setzes, dass im Endausbau des nationalen Stipendienpro-
Inland, sei es im Ausland, gibt ein Übergangssemester, gramms 100 Millionen Euro an Steuermindereinnahmen
während dessen das Stipendium von der abgebenden durch mögliche Steuererleichterungen für private Stipendien-
geber zu erwarten seien?
Hochschule fortgezahlt wird, die Gelegenheit, sich an
der aufnehmenden Hochschule erneut um ein Stipen- Für die Mittelaquisekosten im Rahmen des nationalen
dium zu bewerben oder eine andere Möglichkeit der Stu- Stipendienprogramms sind der Bundesregierung keine
dienfinanzierung zu suchen. geeigneten internationalen Vergleichswerte bekannt. In
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 39. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 5. Mai 2010 3803

(A) der Projektförderung ist ein Verwaltungskostenanteil vate Geldgeberinnen und Geldgeber, wenn in der Endausbau- (C)
von fünf Prozent üblich. Die Annahmen zu den voraus- stufe rund 430 Millionen Euro – Zuschuss, Verwaltungskos-
ten, Steuermindereinnahmen – von Bund und Ländern, jedoch
sichtlichen Steuermindereinnahmen beruhen auf Schät- nur 200 Millionen Euro von privater Seite getragen werden,
zungen des Bundesministeriums für Finanzen anhand was einem Anteil von lediglich 31,75 Prozent entspricht und
ähnlicher Konstellationen. nicht den im Gesetzentwurf benannten und in der Öffentlich-
keit suggerierten 50 Prozent?

Anlage 91 Die von den Hochschulen vergebenen Stipendien


werden, wie der Gesetzentwurf richtig ausführt, zu je-
Antwort weils 50 Prozent aus privaten und öffentlichen Mitteln
des Parl. Staatssekretärs Dr. Helge Braun auf die Frage finanziert. Die Steuermindereinnahmen entstehen durch
der Abgeordneten Nicole Gohlke (DIE LINKE) (Druck- Steuererleichterungen, die im Nachhinein für Spenden in
sache 17/1534, Frage 122): Anspruch genommen werden können. Darin liegt kein
Warum spricht die Bundesregierung von einer hälftigen Widerspruch zu der Aussage über die Zusammensetzung
Finanzierung des nationalen Stipendienprogramms durch pri- der Stipendienmittel.

(B) (D)
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
ISSN 0722-7980

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