Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht
32. Sitzung
Inhalt:
(Drucksachen 17/200, 17/201, 17/601 bis Dr. Michael Meister (CDU/CSU) . . . . . . . . . 2997 D
17/616, 17/619 bis 17/622, 17/623, 17/624,
Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3000 B
17/625, 17/1077) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2979 B
Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . 3001 D
Petra Merkel (Berlin) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 2979 C
Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3003 B
Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2981 C
Leo Dautzenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 3004 A
Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2982 C
Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . 3006
. . . . B, 3006 B
Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 2983 B
Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2984 C Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3007
. . . . C, 3009 D
Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 2985 A
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 2985 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3012 C
Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . 2986 C
Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3012 D
Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2988 C
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister Anlage 1
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2990 D Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 3013 A
Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2992 D
Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2994 D Anlage 2
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 2996 A Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3013 D
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010 2951
(A) (C)
Redetext
32. Sitzung
Ewald Schurer
(A) minus 500 000 Euro. Titel 684 69 – Modellmaßnahmen Sie wollen 40 Millionen Menschen zu Bittstellern eines (C)
und Forschungsvorhaben auf dem Gebiet des Drogen- komplizierten Antragsverfahrens machen. Damit verun-
und Suchtmittelmissbrauchs –: minus 740 000 Euro. Das sichern Sie die Menschen. Viele werden sich fragen, ob
sind die falschen Weichenstellungen bei dem ansonsten sie die eine oder andere medizinische Leistung noch be-
natürlich wichtigen Bestreben, den Haushalt zu konsoli- zahlen können, vor allen Dingen wenn man in Vorleis-
dieren. tung treten muss.
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Sven- Herr Minister, ich unterstelle Ihnen, dass Sie einen
Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Paradigmenwechsel im Gesundheitssystem wollen; das
NEN]) ist offensichtlich. Liebe Freunde von der CSU, haben
Herr Söder und Herr Seehofer nicht recht, wenn sie
Herr Minister, natürlich beschäftige ich mich als – wie Seehofer vorgestern in hart aber fair – von einer
Haushälter auch mit Ihren gesundheitsökonomischen geplanten Demontage der Solidarität im System spre-
Überlegungen. Ich frage mich, welche Logik sie in sich chen? Liegt Herr Seehofer damit so falsch?
tragen, wenn es um das Ziel geht, das System umzu-
bauen. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Wir
haben hier doch keine Fragestunde! – Elke
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Du musst Ferner [SPD]: Er liegt völlig richtig!)
über den Haushalt reden und nicht über die
Logik!) Hat er nicht recht, wenn er Herrn Karl Lauterbach oder
der geschätzten Kollegin Elke Ferner beispringt?
– Ich komme dazu. – In der Generaldebatte am Mitt-
woch hatte die Frau Bundeskanzlerin Angela Merkel (Beifall bei der SPD)
nun wirklich alles versucht, um Herrn Rösler beizusprin- Herr Minister, so wie es aussieht, würden
gen; das kann man wirklich sagen. Sie hatte zwei Grund- 50 Millionen Versicherte der GKV – einschließlich der
aussagen getroffen. Sie hat erstens ihre Hausphilosophie Mitversicherten sind es sogar 70 Millionen Menschen –
noch einmal erneuert, dass künftig Solidarität im System im Extremfall zu Bittstellern. Ich muss Ihnen unterstel-
nur noch über den Steuerausgleich zu bewerkstelligen len, dass Ihre Strategie auf eine Abschaffung des Sach-
ist. Das ist ja die Formel, die Sie im Land predigen. Die kostenprinzips hinausläuft und dass schließlich ein Kos-
zweite war das Bekenntnis dazu, die Lohnnebenkosten tenerstattungsprinzip gilt. Das alleine würde nach
von den steigenden Gesundheitskosten zu entkoppeln. meiner Meinung zu einer manifesten Leistungsausgren-
Das waren also die beiden Grundaussagen, die die Frau zung der Menschen führen, die keinen dicken Geldbeu-
Bundeskanzlerin in den Mittelpunkt gestellt hat. tel haben. Diese müssen sich dann zweimal überlegen,
(B) ob sie in Vorleistung gehen. Schon wenige Hundert Euro (D)
(Heinz Lanfermann [FDP]: Zu Recht!)
wären eine große ökonomische Belastung für viele
– Ich hoffe, dass Sie nachher die Chance haben, sich Haushalte mit Kindern oder für Menschen, die keine
wirklich manifest dazu zu äußern. Gutverdiener sind.
So wollen Sie die Gesundheitskosten begrenzen. Das (Beifall bei der SPD)
ist zunächst einmal ein ehrenwertes Ziel, geht aber, so Blackboxmodelle haben einen gewissen Charme. Es
glaube ich, zulasten der Versicherten; ich werde auch sa- herrschen Laborbedingungen. Wenn Sie aber die Fach-
gen, warum. welt und die Leistungserbringer im System fragen, dann
Wenn Sie die Arbeitgeberbeiträge im Rahmen der werden Sie feststellen, dass diese von Ihrem System – so
volkswirtschaftlichen Wertschöpfungskette einfrieren, ist es in der Ärzte Zeitung zu lesen – nicht überzeugt
dann gefährden Sie das bewährte paritätische System. sind. Aktuelle Umfragen haben ergeben: Mehr als
Im Gesundheitsbereich gibt es 4,6 Millionen Beschäf- 80 Prozent der Versicherten sowie der Patientinnen und
tigte und zahlreiche hochqualifizierte Jobs. Dort wird Patienten versprechen sich von Ihrer Kopfprämie oder
mittlerweile ein Neuntel des Bruttoinlandsproduktes er- Kopfgeldprämie – wie immer sie auch heißen mag –
wirtschaftet. Sie gefährden diese Wertschöpfungskette nichts Gutes. Sie haben eine negative Gefühlslage, ohne
durch ein ideologisches Versatzstück namens – ich kann vielleicht immer genau zu wissen, worum es geht.
mich an den genauen Ausdruck nicht mehr erinnern – Herr Minister, wenn Sie das bewährte Finanzierungs-
Kopfgeldpauschale. system, durch das Arbeitgeber und Arbeitnehmer im
(Heinz Lanfermann [FDP]: Falsche Begriffe Rahmen der Wertschöpfungskette zu gleichen Teilen be-
kommen von Herrn Lauterbach! – Georg lastet werden – das ist der Grundsatz – und in das auch
Schirmbeck [CDU/CSU]: Am besten, du Steuermittel zur Erfüllung gesellschaftlich notwendiger
bleibst gesund!) Aufgaben fließen, durch eine fragile Konstruktion eines
steuerfinanzierten Sozialausgleichs ersetzen wollen,
Sie variieren Ihre fachlichen Begründungen. Aber am dann muss ich Ihnen als Haushälter sagen: Das Geld ist
Schluss bleibt folgende Erkenntnis: Alle sollen einkom- nicht da. Der Gesamthaushalt hat ein Volumen von über
mensunabhängig die gleichen Beiträge zahlen. Es ist 320 Milliarden Euro. Der Anteil der Nettokreditauf-
also egal, wie viel man verdient. nahme liegt bei 25 Prozent.
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wer weniger (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Aber
verdient, hat es schwerer!) 75 Prozent nicht! 75 Prozent sind keine Netto-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010 2953
Ewald Schurer
(A) kreditaufnahme! Man muss das mal positiv se- drei Punkte beherzigen würden, hätten Sie eine Chance, (C)
hen!) aus der verfahrenen Situation herauszukommen. Dann
hätte das Gesundheitssystem eine gute Zukunft.
Allein der Bund muss aufgrund der Folgewirkungen der
internationalen Finanzkrise neue Kredite in Höhe von Wir Sozialdemokraten sind doch die Letzten, die
rund 80 Milliarden Euro aufnehmen. Herr Rösler, in der nicht für Beratung zur Verfügung stünden. Nicht nur der
letzten Stufe Ihres Modells geht es nicht um 10 Milliar- Kollege Lauterbach, der dafür prädestiniert ist,
den, sondern um 35 Milliarden Euro steuerfinanzierte
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wo der gelandet ist,
Zuschüsse. Das ist objektiv eine ökonomische Unmög-
haben wir schon mal gesehen! – Heinz
lichkeit. Sie müssen sich darauf einstellen: Sie werden
Lanfermann [FDP]: Das haben wir im letzten
auf diesem Weg, auf den Sie sich katapultiert haben, kei-
Antrag gesehen!)
nen Erfolg haben. Sie werden keine Chance haben.
sondern auch andere Kolleginnen und Kollegen bieten
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Ihnen jede Menge Sachverstand an. Das ist besser, als
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
sechs oder sieben Ministerkollegen einzuladen, die im
Wenn ich mir Herrn Singhammer und den Kollegen Karl Wesentlichen fachfremd sind und zum Thema Gesund-
von der CSU anschaue, dann weiß ich, dass sie aus Mün- heit nichts beizusteuern haben. Holen Sie sich Sachver-
chen kein Go! für Ihr Hasardeurspiel, Herr Minister, be- stand von den Krankenkassen, von den Leistungserbrin-
kommen werden, das ein bewährtes Finanzsystem in Ge- gern, den Patienten und den Versicherten. Versammeln
fahr bringt. Sie diese an einem Know-how-Tisch und lassen Sie sich
von diesen beraten. Das täte uns allen gut.
Ideologie ist sicherlich nicht schlecht. Bei wohlwol-
lender Betrachtungsweise ist Ideologie so etwas wie Pro- Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
grammatik, also ein Ansinnen, etwas zu verändern. Sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
sollten aber darüber nachdenken, dass Sie hier ideologi- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
sche Versatzstücke in den praktischen Vollzug bringen
wollen. Sie und auch der Herr Staatssekretär machen den
Menschen, wie ich finde, bei Ihren Auftritten Angst, an- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
statt ihnen Orientierung zu geben. Die Menschen müs- Das Wort hat nun Ulrike Flach für die Fraktion der
sen Angst um den sozialen Ausgleich in der Gesellschaft FDP.
und davor haben, wie es weitergehen soll. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(Heinz Lanfermann [FDP]: Sie machen doch der CDU/CSU)
(B) Angstkampagnen!) (D)
Ulrike Flach (FDP):
Wenn man die Entwicklung von Reichtum und Armut in
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
dieser Gesellschaft betrachtet, dann kommt man zu dem
Hauptberichterstatterin für dieses Ministerium möchte
Schluss, dass das Sachleistungsprinzip für die Men-
ich mich erst einmal bei den Kollegen bedanken, die uns
schen eine wichtige ökonomische und gesundheitspoliti-
positiv begleitet haben. Ich möchte mich auch bei Ihnen,
sche Grundlage darstellt, auf die zu verzichten sich die
Herr Schurer, bedanken,
Menschen schlicht und einfach nicht leisten können. Das
ist für mich der entscheidende Punkt. (Ewald Schurer [SPD]: Gebe ich zurück, Frau
Flach!)
Am Schluss möchte ich Ihnen sagen: Sie müssten drei
Aufgaben erfüllen, um diesen Irrweg zu verlassen. Ich auch wenn wir inhaltlich an vielen Stellen verschiedener
meine das nicht persönlich und nicht böse. Ich glaube, Meinung sind. Ich möchte mich weiterhin beim Ministe-
dass Sie subjektiv einen guten Weg finden wollen, ob- rium bedanken. Es hat uns auch in schweren Stunden po-
jektiv aber die falschen Rezepturen haben. Ich möchte sitiv begleitet und uns viel zugeliefert. So können wir
Ihnen daher drei Bitten bzw. Empfehlungen geben: Ers- weitermachen.
tens. Halten Sie an der paritätischen Finanzierung fest.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Bauen Sie diese wieder aus und ergänzen Sie sie da, wo
gesamtgesellschaftliche Aufgaben erfüllt werden müs- Lieber Herr Schurer, der Haushalt des Bundesgesund-
sen, durch Steuermittel. heitsministeriums hat bekanntlich eine etwas eigenwil-
lige Struktur. Wir haben den gesetzlich vorgeschriebenen
(Beifall bei der SPD – Daniel Bahr [Münster]
Zuschuss zum Gesundheitsfonds, in diesem Jahr übri-
[FDP]: Ihr habt doch die paritätische Finanzie-
gens mit einem einmaligen Zuschuss von 3,9 Milliarden
rung aufgehoben!)
Euro, die notwendig waren, weil Sie, lieber Herr
Zweitens. Versuchen Sie die Kostensteigerungen, die im Schurer, uns eine Lücke hinterlassen haben. Wenn wir
System tatsächlich vorhanden sind – Krankenhäuser, uns auf Ihren Sachverstand verlassen würden, hätten wir
Pharmamarkt –, durch Effizienzsteigerung in den Griff wahrscheinlich noch größere Lücken.
zu bekommen. Packen Sie den Stier der Pharmaindustrie
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
bei den Hörnern! Beweisen Sie Ihre Kraft! Das ist ganz
der CDU/CSU)
wichtig. Drittens. Steuern Sie die ärztliche Versorgung,
vor allen Dingen durch eine gute Abstimmung zwischen Die neue Regierung hat schnell gehandelt und verhin-
Kliniken und niedergelassenen Ärzten. – Wenn Sie diese dert, dass die Beiträge erhöht werden müssen. Auch das
2954 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010
Ulrike Flach
(A) muss wieder gesagt werden. Wir haben daneben Pro- nicht die einzigen Kürzungsvorschläge sind. Das ist der (C)
grammtitel und die nachgeordneten Behörden, die nur eine Punkt.
rund 450 Millionen Euro ausmachen.
(Ewald Schurer [SPD]: Meinen Sie die Staats-
Wenn man diese Struktur sieht, wird klar, dass wir mit sekretäre? – Lothar Binding [Heidelberg]
den Einsparungen von immerhin 40 Millionen Euro das [SPD]: Es geht ja um die Fakten, nicht um die
Ministerium doch recht hart herangenommen haben. Wir Erzählungen!)
haben einen Haushalt vorgefunden, der noch von dem
politischen Wunschzettel von Ulla Schmidt geprägt war. Das Zweite: Jede Regierung hat das Recht, ihre politi-
Wir haben auch feste Verträge vorgefunden, aus denen schen Schwerpunkte zu setzen.
wir, die wir eine neue politische Einstellung haben, nicht (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Sie kön-
sofort aussteigen können. Wir haben trotzdem einige nen kürzen, wo Sie wollen! Das stimmt!)
Pflänzchen, die, ehrlich gesagt, eher der medialen Dar-
stellung der Vorgängerin von Herrn Rösler dienten, be- Die Schwerpunkte der Ulla Schmidt sind nicht die
schnitten, so zum Beispiel im Zusammenhang mit der Schwerpunkte des Philipp Rösler.
von Ihnen eben angesprochenen Prävention oder bei
Modellmaßnahmen zum Suchtmittelmissbrauch. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
(Ewald Schurer [SPD]: Da können Sie doch
nicht kürzen, Frau Flach! Das geht doch Wir werden die Fehler der Ulla Schmidt natürlich nicht
nicht!) in die nächste Generation weitertragen. – Herzlichen
Dank.
Damit kein Irrtum aufkommt: Prävention ist für uns ein
Schwerpunktthema. Nur, wollen Sie den Leuten wirklich (Zuruf von der LINKEN: Antworten!)
klarmachen, dass wir eine Telefonhotline brauchen, über Ich will in meiner Rede fortfahren und damit ein biss-
die die Leute angerufen und gefragt werden, ob sie auf- chen zur Erleuchtung beitragen. Angesichts der Haus-
gehört haben, zu rauchen? Das hat uns Ulla Schmidt hin- haltslage sind wir an solche Titel herangegangen, bei
terlassen. Wollen Sie dafür Geld ausgeben? Ich frage denen zu kürzen dem Hause wehtut. Wir haben Kürzun-
mich, ob der Steuerzahler sein Geld nicht lieber behält gen bei den Bezügen der Beamten durchgeführt, bei
und auf vernünftige Programme der neuen Regierung Dienstreisen, bei der Öffentlichkeitsarbeit – bei Ulla
wartet. Schmidt ein sehr beliebtes Spektrum –, beim Geschäfts-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Elke bedarf und bei der Software. Ganz nebenbei haben wir
Ferner [SPD]: Da wartet er aber lange!) Sparvorschläge in Höhe von immerhin noch 6 Millionen
(B) Euro aus unserem hochgeliebten Liberalen Sparbuch (D)
Übrigens stellt sich in diesem Zusammenhang auch umgesetzt.
die Frage: Warum müssen Kitakinder in Berlin dazu be-
wegt werden, an einem Zirkusprogramm teilzunehmen? (Beifall bei der FDP – Christian Lange [Back-
nang] [SPD]: Welchen Staatssekretär haben
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Sie gestrichen?)
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Ich weiß nicht, was Sie da quält. Die Haushälter der FDP
Kollegen Lauterbach? haben an diesem Haushalt ziemlich massiv gearbeitet.
Die vor dem Hintergrund der milliardenschweren
Ulrike Flach (FDP):
Steuerzuschüsse an den Gesundheitsfonds kleinen Kor-
Ja, natürlich. rekturen werden natürlich nicht ausreichen. Da befinden
wir uns mit unserer Sorge um das Gesundheitssystem
Dr. Karl Lauterbach (SPD): auf demselben Weg, Herr Schurer. Wenn wir die Wachs-
Frau Flach, ich kann Ihrer Logik nicht folgen. tumsschwäche der GKV-Einkommensbasis nachhaltig
verbessern und Beitragserhöhungen verhindern wollen
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der
– darum geht es –, dann brauchen wir eine große und
FDP – Heinz Lanfermann [FDP]: Das erleben
wir öfter!) eine nachhaltige Korrektur bei der Finanzierung der ge-
setzlichen Krankenversicherung.
Sie tragen vor, Prävention habe Priorität für Sie. Gleich-
zeitig entfallen die einzigen konkreten Kürzungen, die (Jens Ackermann [FDP]: Sehr richtig!)
Sie bisher vorgeschlagen haben, auf diesen Bereich. 170 Milliarden Euro werden in diesem Jahr vom Ge-
Diese Logik erschließt sich mir nicht, Frau Flach. sundheitsfonds an die Kassen verteilt. Es fehlen 4 Mil-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) liarden Euro – das ist eine Erbschaft von Ihnen –, was
über Zusatzbeiträge ausgeglichen werden muss. Die Ex-
perten haben uns in diesen Tagen gesagt: Für die nächs-
Ulrike Flach (FDP): ten Jahre müssen wir mit Fehlbedarfen bis zu 15 Milliar-
Lieber Herr Lauterbach, hätten Sie die Sparvor- den Euro rechnen.
schläge der FDP in Ruhe zur Kenntnis genommen und
würden Sie auf das warten, was ich Ihnen in wenigen Se- (Ewald Schurer [SPD]: Aber die internationale
kunden erzähle, dann wüssten Sie, dass das natürlich Finanzkrise ist doch ein FDP-Folge-Modell!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010 2955
Ulrike Flach
(A) Das, lieber Herr Schurer, sind – trotz allem, was Sie eben zeigt, dass die Zeit der Schmidt’schen Klientelpolitik (C)
so filibusternd von sich gegeben haben – die Auswir- vorbei ist
kung und die Logik Ihrer Gesetze.
(Lachen bei der SPD – Christian Lange [Back-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Elke nang] [SPD]: Das ist ein guter Witz!)
Ferner [SPD]: Das stimmt doch überhaupt
nicht, Frau Flach!) und dass endlich Platz für nachhaltige Strukturen ge-
schaffen wird.
Die SPD stiehlt sich angesichts dieser desolaten finanz-
politischen Lage gesundheits- und haushaltspolitisch aus Herzlichen Dank.
der Verantwortung. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Ewald Schurer [SPD]: Selbst das ist falsch!
Da passt ja nichts zusammen bei Ihnen!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Wer fordert, die Zusatzbeiträge wieder abzuschaffen Das Wort hat nun Michael Leutert für die Fraktion
– die er selbst eingeführt hat – und den unter Rot-Grün Die Linke.
eingeführten Sonderbeitrag der Versicherten und die Pra- (Beifall bei der LINKEN)
xisgebühr, der muss ernsthaft die Frage beantworten,
wie diese Ausfälle kompensiert werden sollen. Da kom-
Michael Leutert (DIE LINKE):
men Sie mit Ihrer Bürgerversicherung, lieber Herr
Lauterbach. Von dieser Versicherung höre ich jetzt in der Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
vierten oder fünften Sitzung etwas, ohne dass wir von Bürgerinnen und Bürger interessiert im Gesundheits-
Ihnen auch nur eine einzige Seite vorgelegt bekommen bereich in erster Linie, dass sie im Krankheitsfall die
haben. bestmögliche Versorgung erhalten und dass diese auch
bezahlbar ist. Um die Finanzierung dieser Leistungen
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – wird in der Politik seit Jahren heftig gestritten. Was den
Heinz Lanfermann [FDP]: Wo bleibt denn der Bürger allerdings als Ergebnis dieser Debatten erreicht,
Antrag? – Christian Lange [Backnang] [SPD]: kann man mit den Worten „permanente Verschlechte-
Sie sind doch an der Regierung! Wo bleibt rung“ zusammenfassen.
denn Ihr Konzept? Bis heute nichts!)
Da ist zum Beispiel der Ärztemangel und die damit
Sie bleiben uns Ihr Konzept schuldig. Immer wieder ver- verbundenen langen Wartezeiten auf einen Arzttermin
weisen Sie pauschal, auch im Hinblick auf die Ausga- zu nennen. Insbesondere in den ländlichen Räumen feh-
(B) benseite. len Ärzte; die Wege sind zu lang. Da geht es zum Bei- (D)
spiel um das Thema der schlechteren Behandlung und
(Zuruf des Abg. Christian Lange [Backnang]
der schlechteren Pflege. Das Schlagwort „blutige Entlas-
[SPD])
sung“ ist ja jedem hier ein Begriff. Da sind zum Beispiel
– Ich rede doch mit Herrn Lauterbach, lieber Herr die Arztpraxen, die privatversicherte Patienten bevor-
Lange. zugt behandeln oder, noch schlimmer, nur diese behan-
deln. Die erste Frage beim Arzt lautet eben nicht mehr:
Angesichts Ihrer Vorschläge im Ausgabenbereich „Was fehlt Ihnen?“, sondern die erste Frage beim Arzt
muss ich an dieser Stelle noch einmal darauf verweisen, lautet heutzutage: „Sind Sie privat versichert oder Kas-
dass die SPD von 1998 bis 2009 an der Regierung war. senpatient?“.
Die Ausgaben der GKV für Arzneimittel haben sich in
dieser Zeit von 19,2 Milliarden Euro auf 32,4 Milliarden (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/
Euro erhöht. Was sind das denn für Arbeitsergebnisse? CSU]: Stimmt doch gar nicht!)
Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir an dieser Stelle ir-
– Na, dann gehen Sie einmal zum Arzt und fragen nach.
gendetwas von Ihnen übernehmen.
(Ewald Schurer [SPD]: Sie haben uns ja früher (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Bei mir hat
nie unterstützt an dieser Stelle! Niemals!) er das letzte Mal gesagt: Herr Schirmbeck, Sie
sehen gut aus!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dieser Haushalt, der
erste Haushalt der Ära Rösler, zeigt, dass die Koalition Und es findet natürlich immer wieder der Griff in die
auf dem richtigen Weg ist. Die Regierungskommission Geldbörse der Bürgerinnen und Bürger statt: Zuzahlung
wird eine tragfähige Finanzierung mit einer einkommens- zu Arzneimitteln, Praxisgebühr, Erhöhung der Kassen-
unabhängigen Prämie mit steuerlichem Sozialausgleich beiträge usw. usf.
vorlegen. Herr Minister Rösler, Sie setzen diese Politik der Ver-
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Nach der schlechterung nahtlos fort und führen seit Amtsantritt
NRW-Wahl! Sie wollen die Menschen hinters eine Debatte um die Kopfpauschale. Aber ob 25 oder
Licht führen!) 29 Euro – was bei den Bürgerinnen und Bürgern wieder
einmal ankommt, ist, dass es bald wieder einen Griff in
Die Vorschläge zur Kostendämpfung bei den patentge- die private Haushaltskasse geben wird. Jeder bereitet
schützten Arzneimitteln sind eine gute Basis für Ein- sich natürlich auf diese weiteren Einschnitte vor. Unklug
griffe auf der Ausgabenseite. Der Haushalt des BMG war es allerdings von Ihnen, Herr Minister, die Einfüh-
2956 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010
Michael Leutert
(A) rung einer Kopfpauschale mit dem eigenen Kopf, der ei- (Ulrike Flach [FDP]: Es ist doch bekannt, dass (C)
genen politischen Zukunft, zu verbinden. wir überhaupt keine Stimme bei der Entschei-
dung hatten! – Heinz Lanfermann [FDP]: Sie
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Gähn!) wissen noch nicht einmal, wer was abgestimmt
Wie lange wollen Sie eigentlich noch bis zu Ihrem Rück- hat!)
tritt warten, frage ich Sie.
Das, Herr Rösler, sind zusammengefasst die Ergeb-
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Tätä! Tätä! Tätä! – nisse Ihrer bisherigen Zeit als Gesundheitsminister. Da-
Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Ihre Witze bei könnten Sie doch mit ganz einfachen Mitteln vor-
waren auch schon mal besser!) weisbare Ergebnisse bringen, Ergebnisse im Übrigen,
die bei den Menschen auch einmal für eine positive Er-
Die Kanzlerin hat Ihnen in Ihrer Kommission sieben fahrung sorgen würden:
weitere Minister als Aufpasser zur Seite gestellt. Die Mi-
nister der Union sympathisieren zwar mit Ihren Ideen (Jens Spahn [CDU/CSU]: Sozialismus!)
– davon bin ich überzeugt –, aber sie wissen auch, dass
die Kopfpauschale für die Union zu dem werden kann, Sie könnten zum Beispiel zur Senkung der Arzneimit-
was Hartz IV für die SPD geworden ist. telkosten den Vorschlag der Linken unterstützen. Ich for-
dere Sie auf: Senken Sie die Mehrwertsteuer auf Arznei-
(Beifall bei der LINKEN – Ulrike Flach mittel.
[FDP]: Ach, Herr Leutert!)
(Beifall bei der LINKEN – Jens Spahn [CDU/
Wenn die Kopfpauschale kommt, bringt das für Millio- CSU]: Das sagt der Haushälter!)
nen von Haushalten in Deutschland eine Schlechterstel-
lung mit sich. Millionen würden dann zu Bittstellern ge- Für Steuersenkungen ist die FDP doch immer zu haben.
genüber dem Staat gemacht. Das sind alles Wählerinnen In dem Bereich könnten wir es doch einmal machen.
und Wähler, auch von Ihnen. Wenn die Union zwischen
(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Wissen
der Einführung einer Kopfpauschale – und als Folge
Sie, wie viel wir aus der Steuerkasse in diesem
Wahlniederlagen – oder dem Kopf des Ministers wählen
Jahr geben?)
muss, dann ist, wie ich denke, der Kopf des Ministers ein
lukrativeres Geschäft. Sie könnten auch unserem Antrag zustimmen, die nicht-
(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der kommerzielle Pharmaforschung zu stärken. Das wäre
CDU/CSU) doch auch in Ihrem Interesse, Herr Minister, wenn es Ih-
nen wirklich um die Beschränkung der Macht der Phar-
(B) Nun haben Sie zur Ablenkung die Debatte um die makonzerne geht. (D)
Ausgabenbegrenzung bei den Arzneimitteln angescho-
ben. Der Nebel hat sich wieder verzogen. Was allerdings (Beifall bei der LINKEN)
während des Nebels geschah, ist genau das Gegenteil Sie könnten sich mit uns gemeinsam an anderer Stelle
– Stichwort: Klientelpolitik – davon, der Pharmalobby dafür einsetzen, dass der Investitionsstau von 50 Milliar-
Paroli zu bieten. Die einzige sinnvolle Maßnahme, die den Euro bei den Krankenhäusern aufgelöst wird. – Das
im Zuge der Gesundheitsreform des Jahres 2004 unter wären Maßnahmen, mit denen altbekannte Probleme ge-
Ulla Schmidt eingeführt wurde, haben Sie begonnen zu löst oder die Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre
schleifen. Sie haben erst einmal im Apparat aufgeräumt korrigiert werden könnten. Im Übrigen wären das Maß-
und den Chef des Instituts für Qualität und Wirtschaft- nahmen, von denen die Bürgerinnen und Bürger tatsäch-
lichkeit im Gesundheitswesen beiseiteräumen lassen. lich etwas hätten und die sie sofort spüren würden.
(Beifall des Abg. Dr. Lutz Knopek [FDP] – Die Linke – das ist bekannt – ist gegen eine weitere
Zurufe von der LINKEN: Pfui! – Johannes Privatisierung und Kommerzialisierung im Gesundheits-
Singhammer [CDU/CSU]: Beachten Sie die wesen.
Wortwahl!)
(Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Zöller
Was am 15. März in Spiegel Online unter der Überschrift
[CDU/CSU]: Ihr seid für Verstaatlichung! –
„Operation Hippokrates“ zu lesen war, liest sich wie ein
Jens Spahn [CDU/CSU]: „VEB Kranken-
Räuberroman. Mit allen erdenklichen Mitteln und Tricks
kasse“ nennt sich das!)
ging es dem Chef des Instituts, Peter Sawicki, zielgerich-
tet an den Kragen. Krankenhäuser und Arztpraxen sind keine Profitcenter,
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Kannten Sie das In- sondern Einrichtungen der öffentlichen Daseinsvor-
stitut überhaupt vor dem Spiegel-Artikel?) sorge. Sie gehören dementsprechend geschützt.
Der war natürlich Ihnen und der Pharmaindustrie – ich (Beifall bei der LINKEN – Ulrike Flach
nenne wieder das Stichwort Klientel – seit langem ein [FDP]: Sie müssen uns sagen, wo die Milliar-
Dorn im Auge. Das ist ja auch kein Wunder, wenn der den herkommen, lieber Herr Leutert!)
Chef des Instituts, welches für die Kosten-Nutzen-Be- Sie wissen genau, dass die Menschen in unserem
wertung von Arzneimitteln verantwortlich ist, feststellt: Land keine Zweiklassenmedizin wollen.
Die pharmazeutische Industrie betrachtet Deutschland
als Selbstbedienungsladen. (Ulrike Flach [FDP]: Wir auch nicht!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010 2957
Michael Leutert
(A) Die Linke steht an ihrer Seite. Deshalb sind wir der Mei- und Ihren eloquenten Staatssekretären für die – „Einflüs- (C)
nung, dass der solidarische Charakter der Krankenversi- terungen“ hätte ich beinahe gesagt – guten Gespräche.
cherung erhalten und gestärkt werden muss. Letztlich Auch mit Ihnen, liebe Frau Flach, haben wir den vorlie-
halten wir eine solidarische Bürgerversicherung für genden Haushalt nach vielen Sitzungen auf den Weg ge-
den geeigneteren Weg, die Gesundheitsversorgung auf bracht.
gleichem Niveau für alle sicherzustellen. Wir halten die
Es wurde bereits angesprochen, dass der Haushalt un-
Bürger- und Bürgerinnenversicherung für einen geeigne-
gewöhnlich ist. Es ist ein Rekordhaushalt. In Zeiten, in
teren Weg, eine soziale und gerechte Finanzierung des
denen Sparen angesagt ist, ist das für sich gesehen kein
Gesundheitssystems zu realisieren.
Ruhmesblatt. Trotzdem haben wir das Volumen des
(Heinz Lanfermann [FDP]: Eine Bürger- Haushalts um über 16 Milliarden Euro – um über
verunsicherung!) 39 Prozent – ansteigen lassen.
Solange Sie diese Forderung im Haushalt nicht realisiert (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist mehr
haben, können und werden wir diesem Haushalt nicht als die Mehrwertsteuersenkung!)
zustimmen. Wir mussten durch die krisenbedingten zusätzlichen
(Beifall bei der LINKEN – Ulrike Flach Ausgaben dem Haushalt einmalig 3,9 Milliarden Euro
[FDP]: Das überrascht uns jetzt wirklich! – zuschießen, um die Zuschüsse an den Gesundheitsfonds
Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Da sind wir einigermaßen in den Griff zu bekommen. Ich hatte ei-
jetzt aber enttäuscht!) gentlich gedacht – in den Gesprächen mit Ihnen, Herr
Bundesminister, deutete einiges darauf hin –, dass diese
3,9 Milliarden Euro nicht nötig sein werden, weil sich
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: die Konjunktur gegenüber 2009 verbessern wird. Trotz-
Das Wort hat nun Kollege Alois Karl für die CDU/ dem ist es richtig, was Sie gesagt haben: Die 3,9 Milliar-
CSU-Fraktion. den Euro gehen nicht verloren, sondern fließen in die
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rücklagen des Gesundheitsfonds. – So wird das sicher-
Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Jetzt erklär lich auch kommen.
ihnen das mal!) Ich glaube übrigens schon, dass es eine starke Leis-
tung des Bundesgesundheitsministers war, dass er in den
Alois Karl (CDU/CSU): ersten Tagen seiner Amtszeit – ich glaube, es war am
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten 2. November – mit dem Finanzminister verhandelt und
3,9 Milliarden Euro bekommen hat. Es wurde, wie in
(B) Damen und Herren Kolleginnen und Kollegen! Lieber (D)
Herr Dr. Rösler! Herr Kollege Leutert, ich möchte kurz dieser Koalition üblich ist, eine schnelle Lösung gefun-
auf Ihre Rede eingehen. Ich muss sagen, das war eine den und saubere Arbeit geleistet. Herzlichen Glück-
von den Reden, von der ich den Anfang schon wieder wunsch, sehr geehrter Herr Dr. Rösler.
vergessen habe. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Das ist ja Dieser Haushalt zeichnet sich auf der einen Seite
das Problem bei Ihnen!) durch Sparsamkeit aus. Frau Kollegin Flach ist darauf
Den mittleren Teil habe ich nicht verstanden. Das Ende ja schon eingegangen. Ich brauche nur noch einige we-
habe ich herbeigesehnt. So ist das mit manchen Reden, nige Punkte zu erwähnen:
die man hier hört. Die Mittel für die Öffentlichkeitsarbeit sind um
20 Prozent gekürzt worden. Auch die Zuschüsse für die
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und
Erstattung der GKV-Beiträge für Aussiedler konnten
der FDP)
deutlich gekürzt werden. Ich muss auch sagen, dass ich
Ich danke dem Ältestenrat – der nicht häufig gelobt die Sache mit den Präventions- bzw. Aufklärungsmaß-
wird –, dass er den Haushaltsansatz des Gesundheits- nahmen anders sehe als Sie, Herr Schurer: 13,2 Millio-
ministers als Höhepunkt, nen Euro standen in den letzten Jahren immer im Haus-
halt. So ist es auch bei diesem Haushalt. Keine Kürzung,
(Elke Ferner [SPD]: Ja, das ist wirklich ein was die Prävention auf diesem Gebiet anbelangt. Keine
Höhepunkt!) Kürzung, was die Aufklärung anbelangt.
quasi als Schlussstein wie in einem gotischen Gewölbe, (Ewald Schurer [SPD]: Kollege Karl, was
an das Ende der politischen Auseinandersetzung gesetzt sagen Sie zu Seehofer?)
hat.
Herr Schurer, ich bin allerdings schon der Meinung,
(Beifall des Abg. Georg Schirmbeck [CDU/ dass wir dieses Thema im Rahmen der nächsten Haus-
CSU] – Christian Lange [Backnang] [SPD]: haltsberatungen in den Mittelpunkt rücken müssen.
So sind wir!)
(Ewald Schurer [SPD]: Kollege Karl, sagen
Ich danke auch Ihnen, Herr Rösler, Sie was zu Seehofer!)
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Reden Sie Es geht zum Beispiel um die Gelder, die wir für Aids-
doch mal über Seehofer!) vorsorge und -aufklärung in der Ukraine einsetzen.
2958 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010
Alois Karl
(A) Sextourismus ist sicherlich eine unappetitliche Sache, Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C)
aber in Zeiten der völligen Freizügigkeit, in Zeiten der Ich wollte Sie gerade fragen. Jetzt fragen Sie mich.
offenen Grenzen können wir das nicht kontrollieren. Die Daher erteile ich großzügig Genehmigung.
bisherigen Maßnahmen werden fortgesetzt, aber wir
können auch im nächsten Haushalt die Mittel nicht so er- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP)
höhen, um die Aufklärungsmaßnahmen auch auf das
sonstige Osteuropa, auf Afrika und auf Asien auszudeh- Ewald Schurer (SPD):
nen. Wir müssen in den nächsten Haushaltsberatungen Herr Kollege Karl, wir beide sind ja Haushälter und
auf diesem Gebiet mehr Haushaltsdisziplin an den Tag deswegen noch mehr als alle anderen zur Wahrheit ver-
legen. pflichtet.
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und
GRÜNEN]: Unglaublich!) der FDP – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sehr
Erfreulich ist, dass wir 25 Millionen Euro entsperren gut!)
konnten für die Stiftung, die jenen materielle Hilfe zu- Wahrheit und Klarheit! Kontrolle des Parlaments! – Kol-
kommen lässt, die vor über 20 Jahren mit HIV infiziert lege Karl, haben Sie schon einmal etwas von dem Pro-
worden sind.
gramm „RKI 2010“ gehört? Da ist über drei Jahre im
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Personalbereich und bei der Ausstattung dieses Spitzen-
der CDU/CSU) institutes, dieses Referenzinstitutes der deutschen Ge-
sundheitsmedizin viel gemacht worden, auch mit viel
So können wir diese Stiftung wenigstens materiell unter- Geld. Ich wollte Ihnen das begleitend andienen und dazu
stützen. Die immaterielle Not dieser Menschen kann so- sagen: Die Probleme des RKI sind nach meiner Meinung
wieso nicht gelindert werden.
nicht umfänglich, aber weitgehend gelöst worden, auch
Trotz des Willens, zu sparen, haben wir auf der ande- durch gute Planungen der ehemaligen Bundesregierung.
ren Seite auch investiert. Wir werden investieren, und Haben Sie das zur Kenntnis genommen? Das ist Punkt
zwar intelligent. eins.
(Elke Ferner [SPD]: Das wäre etwas Neues!) Punkt zwei ist: Sie arbeiten sich jetzt an guten, sub-
stanziellen Themen aus dem Bereich des BMG ab; das
Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinpro-
akzeptiere ich. Aber etwas vermisse ich. Ich habe den
dukte, das BfArM, wird in personeller Hinsicht deutlich
Freundinnen und Freunden der CSU, mit denen ich im-
gestärkt. Das hat damit zu tun, dass dieses Institut jedes
mer wieder sehr gerne diskutiere und den Dialog suche,
(B) Arzneimittel, bevor es auf den Markt kommt, auf seine ein Dialogangebot gemacht; ich nenne es einmal so. (D)
Unbedenklichkeit untersucht. Dafür fallen Gebühren an.
Durch das zusätzliche Personal können jetzt in kürzerer (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Ja,
Zeit mehr Arzneimittel getestet werden. Das will die In- genau! – Ulrike Flach [FDP]: Oh!)
dustrie so. Das kommt dem Patienten zugute. Die Phar-
maindustrie muss die Zulassungskosten sowieso bezah- Ich habe aber noch nichts gehört. Ich würde Sie oder
len. Also fließt das Geld lieber jetzt als später. Ich finde, Ihre Kollegen um eine manifeste Einschätzung bitten,
das, was wir hier auf den Weg gebracht haben, ist intelli- wie Sie die Einwürfe sozusagen von der Seite des Spiel-
gentes Investieren. felds sehen, die der bayerische Gesundheitsminister,
Herr Söder, und der bayerische Ministerpräsident, Horst
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Seehofer, immer wieder machen. Sie sagen: Nein, diesen
der FDP) Paradigmenwechsel weg von der Solidarität, eine
Wir investieren auch in das Robert Koch-Institut, Durchbrechung der Parität können wir nicht mitmachen.
die zentrale Forschungs- und Referenzeinrichtung der Mit uns geht das auf jeden Fall nicht. – Ich würde Sie
Bundesrepublik, wenn es um die Biomedizin geht. Das bitten, hier einmal eine Einschätzung vorzunehmen. Ich
Robert Koch-Institut ist auch zuständig für die Erken- bin davon überzeugt, dass die Menschen im Lande auf
nung und Schadensbegrenzung bei Anschlägen mit bio- eine Antwort vonseiten der CSU warten. Man ist ein biss-
logischen Agenzien. 2001, nach den Anschlägen von chen verunsichert, was jetzt zählt. Zählt das aus Mün-
New York, hat die Regierung Schröder/Fischer die Neu- chen, haben Sie hier eine eigene Meinung, oder haben
baumaßnahme auf den Weg gebracht. Aber es krankt bei Sie die gleiche Meinung?
der Umsetzung, um in der Sprache des Haushaltes zu
bleiben. Obwohl jetzt neun Jahre vergangen sind, ist vor Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
lauter Planung, vor lauter Visionen und vor lauter Kos-
tenschätzungen noch nichts Wesentliches geschehen. Ich Herr Kollege.
hoffe, dass mit unseren Haushaltsansätzen, sehr geehrte
Frau Flach, wir es wenigstens noch erleben können, dass Ewald Schurer (SPD):
der erste Stein gelegt wird. Das zieht sich in der Tat Man muss da ein bisschen Orientierung schaffen.
schon neun Jahre so hin.
Danke schön.
(Abg. Ewald Schurer [SPD] meldet sich zu
einer Zwischenfrage) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
– Der Herr Schurer möchte eine Zwischenfrage stellen. Danke schön,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010 2959
(A) Alois Karl (CDU/CSU): minister, das wird eine Überschrift für Ihre Arbeit sein. (C)
Lieber Herr Schurer, ich verstehe ja Ihre Intention, Aber wenn Sie diese Pläne weiterhin mit Konsequenz,
noch einmal ein Referat über das zu halten, was Sie vor- Nachdruck und großem Einsatz betreiben, werden Sie
hin schon nicht ganz klar vorgetragen haben. unsere Unterstützung haben.
(Ewald Schurer [SPD]: Ich frage Sie! – Harald (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elke
Weinberg [DIE LINKE]: Das liegt an Ihnen!) Ferner [SPD]: Wo ist ein konkreter Vor-
schlag?)
Meine Redezeit beträgt noch 3 Minuten und 33 Sekun-
den. Ich komme auf dieses Thema also noch zu spre- Die Monopolstellung der Pharmaindustrie bei der Ge-
chen. staltung der Preise für Arzneimittel muss gebrochen
werden.
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Du kannst
doch die Zeit jetzt nutzen!) (Lachen des Abg. Harald Weinberg [DIE
LINKE] – Elke Ferner [SPD]: Sie müssen sich
Sie können es offensichtlich kaum erwarten. Dass dieses einmal einen anderen Redenschreiber suchen! –
Thema – ich nehme es jetzt vorweg – noch nicht abge- Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
schlossen ist, hat der Bundesgesundheitsminister häufig So einen Stuss muss man doch nicht vorlesen!)
gesagt. Auch die Bundeskanzlerin hat hier häufig ausge-
führt, dass uns dieses Thema in den nächsten Jahren sehr Ich glaube, dass das von Ihnen zunächst ins Spiel ge-
intensiv begleiten wird. brachte Einsparvolumen von 2 Milliarden Euro – die Li-
teratur spricht davon, dass noch genug Potenzial nach
Um Ihre Frage zu beantworten: Ich bin der Meinung, oben vorhanden ist – zunächst einmal ein guter Anfang
dass es nicht sein kann, dass sich die Kosten der Arbeit ist. Zwangsrabatte und Preismoratorien sind gewiss
jedes Mal erhöhen, wenn die Gesundheit teurer wird. schnell wirkende Kostenbremsen. Wenn man bedenkt,
Das ist ein Stück, das wir nicht weiterführen können. dass eine Anhebung der Herstellerrabatte um nur
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 1 Prozent eine Einsparung zugunsten der GKV in Höhe
von etwa 100 Millionen Euro bedeutet, dann wissen wir,
Dass eine gewisse Abkopplung der Nebenkosten von auf welchem Gebiet wir angreifen müssen. Hierbei ha-
den Gesundheitskosten stattfinden muss, muss doch je- ben Sie unsere Unterstützung, Herr Rösler.
dem klar sein.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Da müssen wir der FDP – Elke Ferner [SPD]: Wo bleiben Ihre
uns einig sein!) Vorschläge?)
(B) Auf die Ergebnisse dieser Kommission, Herr Rösler, (D)
Es geht aber nicht allein um kurzfristige, sondern
sind wir natürlich gespannt. Politischer Dialog und poli- auch um langfristige Lösungen.
tische Auseinandersetzung müssen sein. Sie können aber
nicht im Vorfeld beendet werden, Herr Schurer. Sie wer- (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Richtig!)
den sich noch wundern, welch tolle Ergebnisse wir am
Ich denke an Festbetragslösungen auch für patentge-
Ende der Diskussion und des Dialogs haben werden.
schützte Arzneimittel, insbesondere dann, wenn es sich
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – um Analogpräparate handelt. Diese müssen in die Ver-
Ewald Schurer [SPD]: Ich bedanke mich für träge, die zwischen den Krankenkassen und der Pharma-
die Antwort!) industrie geschlossen werden, einbezogen werden.
Ich fahre in meiner Rede fort. Ich bin der Meinung Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Arznei-
– das ist vorhin schon ausgeführt worden –, dass wir mittelkosten sind in den letzten zehn Jahren um
auch im Gesundheitswesen auf die Gleichwertigkeit der 50 Prozent oder mehr gestiegen.
Lebensbedingungen in Stadt und Land achten müssen.
(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: 30 Prozent!)
Die Frage der Ärzteversorgung auf dem flachen Land
wird uns in den nächsten Jahren umtreiben. Die ländli- Man hat geradezu den Eindruck, dass in das Gesund-
chen Räume könnten deutlich ärmer werden, wenn wir heitssystem gar nicht so viel Geld hineingepumpt wer-
es nicht schaffen, dort in der Zukunft genügend Ärzte zu den kann, wie Jahr für Jahr durch übermäßige Medika-
installieren. tion und viel zu hohe Medikamentenpreise hinausfließt.
Der Bundesminister legt sich augenblicklich mit vie- Ich meine, hier ist der richtige Ort, um darauf hinzu-
len Interessengruppen an. weisen, dass die Arzneimittelbepreisung für nie-
manden ein Selbstbedienungsladen sein darf. Bei der
(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: CSU!)
Gestaltung der Arzneimittelpreise scheint jegliche Diszi-
Wer sich mit der Pharmaindustrie anlegt, muss harte plin verlorengegangen und Maßlosigkeit aufgekommen
Bandagen anlegen. zu sein.
(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Anlegen! – (Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Und wer hat
Elke Ferner [SPD]: Ach!) das befördert? Das wart doch ihr!)
Kurzfristige Erfolge wird es kaum geben. Trotzdem Hier müssen wir in der Tat eingreifen und Vergleiche im
meine ich: Viel Feind, viel Ehr, lieber Herr Gesundheits- Hinblick auf Kosten und Nutzen auf den Weg bringen.
2960 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010
Alois Karl
(A) (Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Dann tut es tung der Kanzlerin ist dennoch in mehrfacher Hinsicht (C)
doch! Los, anfangen!) falsch.
Das IQWiG ist nicht geschwächt worden, das IQWiG ist (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Was? Wieso?)
in seiner vollen Blüte erhalten.
Erstens wird die Kopfpauschalendiskussion wesent-
(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Ach du meine lich durch Mitglieder der Parteien, die die Regierungs-
Güte! Das ist seine volle Blüte?) fraktionen stellen, mit Hohn und Spott befeuert. Oder
Der Haushaltsansatz betrug in den letzten Jahren und be- zählt Frau Bundeskanzlerin die Herren Seehofer, Söder
trägt in diesem Jahr 800 000 Euro. und Dobrindt mittlerweile schon zur Opposition?
Lieber Herr Bundesminister, wir sind gespannt, was (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sie im Hinblick auf die Handelsspannen des Phar- sowie bei Abgeordneten der SPD – Harald
magroßhandels und damit auch bezüglich der Gestaltung Weinberg [DIE LINKE]: Das könnte man mei-
der Rabatte für Apotheken unternehmen werden. Wir nen!)
sind auch gespannt, welche Einsparpotenziale Sie hier Zweitens stützen wir Grünen uns bei der Bewertung
feststellen, was zulasten des Großhandels und was zulas- des Regierungshandelns auf Fakten, die uns die Regie-
ten der Apotheken geht. Lassen Sie sich dabei nicht von rung liefert.
Querschüssen aus Bayern irritieren. Ich meine nament-
lich den dortigen Wirtschaftsminister, Ihren Parteifreund Beim Thema Gesundheitsreform treiben Sie ein dop-
Martin Zeil, der sich dazu geäußert hat. peltes Spiel: Einerseits wird im Hinblick auf die Regie-
rungskommission immer darauf verwiesen, dass nichts
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der
feststehe. Andererseits gackert der Hühnerhaufen täglich
CDU/CSU und der FDP sowie des Abg.
wild aufs Neue los. Auch der Bundesgesundheitsminis-
Dr. Karl Lauterbach [SPD])
ter beteiligt sich rege am Diskussionsprozess. So ver-
Meine Damen und Herren, der demografische Wan- kommt Ihre Gesundheitspolitik doch in Wahrheit zur
del erfordert viel. Er erfordert auch ein Umdenken bei Gesprächstherapie in Ihrer zerrütteten eheähnlichen
der Finanzierung. Wunschkoalition.
(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das wird ja ein (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Filibuster!) sowie bei Abgeordneten der SPD – Harald
Ich habe es angesprochen: Es kann nicht richtig sein, Weinberg [DIE LINKE]: Das ist eine
dass die Gesundheitskosten allein an den Lohnnebenkos- Wunschehe!)
(B) (D)
ten hängen. Aber nun wird sich die „unfaire“ Opposition einmal
(Elke Ferner [SPD]: Auch an den Versicherten, den Fakten widmen. Wenn das Versprechen eines umfas-
oder nicht?) senden Sozialausgleichs erfüllt werden soll, dann wird
die Einführung einer Kopfpauschale erstens teuer für
Es liegen schwierige Aufgaben vor uns, die wir auch im den Bundeshaushalt und zweitens für die Bürgerinnen
Rahmen der nächsten Haushalte zu bewältigen haben. und Bürger zu einem bürokratischen Mehraufwand füh-
Für den Haushalt 2010, sehr geehrter Herr Gesundheits- ren.
minister, gebe ich Ihnen unser Plazet. Wir stimmen dem
Haushalt zu. Wir meinen, dass Sie gute Arbeit geleistet Die Rahmendaten sind im Wesentlichen klar. Bei der
haben. vollen Umwandlung des bisherigen Systems in ein
Kopfpauschalensystem ist ein Sozialausgleich mit
Vielen herzlichen Dank. Steuermitteln in Höhe von 22 bis 35 Milliarden Euro
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) notwendig. Fragt man den Finanzminister, wie sich dann
die Einkommensteuer verändern müsste, erfährt der er-
staunte Haushälter: Der Spitzensteuersatz müsste im
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
günstigsten Fall auf 73 Prozent steigen, im ungünstigs-
Das Wort hat nun Sven-Christian Kindler für die
ten Fall sogar auf 100 Prozent. Das ist anscheinend die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
neue FDP-Steuerpolitik.
Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
NEN): sowie bei Abgeordneten der SPD)
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen Aber auch die kleine Zusatzpauschale, gewisser-
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bun- maßen 29,99 Euro, kann nicht der richtige Weg sein.
deskanzlerin hat am Mittwoch in ihrer Rede zum Kanz- Denn selbst für den mit ungefähr 5 Milliarden Euro ver-
leramtsetat erklärt, es sei nicht fair, dass die Opposition gleichsweise günstigen Sozialausgleich würde der Bun-
beim Thema Gesundheit immer Dinge behauptet, die deshaushalt 2010 die Mittel nicht hergeben, erst recht
nicht stimmen. nicht, wenn die Steuersenkung kommt, die die FDP zu-
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Das ist ja auch so!) mindest bis zur NRW-Wahl fordern wird.
Die Beobachtung, dass viel über die Unsinnigkeit der (Ulrike Flach [FDP]: Die wird weiter ge-
Kopfpauschale hergezogen wird, ist richtig. Die Behaup- fordert! Und sie wird umgesetzt!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010 2961
Sven-Christian Kindler
(A) Wie sich die innere Logik dieser Reformen zusam- Das ist an und für sich schön; aber für die sozialen Si- (C)
menbringen lässt, kann anscheinend nur ein Orakel sa- cherungssysteme ist es eine Herausforderung.
gen. Die einzige Antwort der FDP ist: Das geht irgend-
wie. Eigentlich muss einen das erstaunen: Nach elf Die zweite Herausforderung ist der medizinische
Jahren in der Opposition hat die FDP gerade einmal zwei Fortschritt. Erkrankungen, die vor zwanzig oder dreißig
politische Themen, nämlich Steuersenkung und Kopf- Jahren nicht einmal diagnostiziert werden konnten, kön-
pauschale, und sie hat anscheinend keine Minute über- nen heute behandelt werden. So sind viele zusätzliche
legt, ob diese beiden Konzepte überhaupt zusammenpas- Lebensjahre möglich.
sen. Eine dritte große Herausforderung für uns – das sage
ich als Münsterländer, also als jemand, der aus einer eher
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
ländlichen Region kommt – ist die Frage, wie wir eine
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
flächendeckende Versorgung sicherstellen.
KEN)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Am schlimmsten finde ich persönlich, dass Sie, wenn der FDP)
der Steuerzuschuss kommt, Millionen Menschen, die
sich ihre Krankenversicherung bisher leisten konnten, zu Ich behaupte: Gerade die gute flächendeckende medizi-
Bittstellern degradieren, die zum Sozialamt gehen müs- nische Versorgung – 365 Tage im Jahr, 7 Tage die Wo-
sen. che, 24 Stunden am Tag, und das nicht nur in Berlin,
nicht nur in Hamburg, nicht nur in Düsseldorf, nicht nur
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in München, sondern auch in den ländlichen Regionen:
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- in der Eifel, in Mecklenburg-Vorpommern, im Bayeri-
KEN) schen Wald – ist das Qualitätsmerkmal des deutschen
Man kann also nur zu der Bewertung kommen, dass Gesundheitssystems, durch das sich unser System von
die Kopfpauschale Kleinverdiener und Geringverdiener anderen Gesundheitssystemen deutlich abhebt.
stärker belasten würde als Besserverdiener, dass die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Kopfpauschale Nonsens sei, dass die Kopfpauschale der FDP)
blanke Illusion sei, dass die Kopfpauschale – egal ob
groß oder klein – unsolidarisch sei usw. usf. Diese Be- Wer sich diesen Herausforderungen stellen will und
wertung finden Sie vielleicht unfair; aber dann melden die Qualität, die wir haben, halten will, der wird auf die
Sie sich bitte bei der CSU. Kostenentwicklung eine Antwort finden müssen. Denn
eines ist klar: Es wird auf jeden Fall teurer werden. So-
(B) Vielen Dank. viel wir uns auch bemühen werden, Effizienzreserven zu (D)
heben und da, wo es geht, ohne Qualitätsverlust zu spa-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ren, die ehrliche Botschaft muss lauten: Es wird teurer.
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
KEN) Wir haben in dieser Woche erste Schätzungen gehört,
wie sich das Defizit im nächsten Jahr entwickeln wird.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Je nachdem, wovon man ausgeht, wird das Defizit zwi-
schen 7 und 15 Milliarden Euro liegen. Der Wert in der
Das Wort hat nun Kollege Jens Spahn für die CDU/ Mitte – 11 Milliarden Euro – macht die Größe der He-
CSU-Fraktion. rausforderungen, vor denen wir stehen, deutlich, macht
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und deutlich, dass das Gesundheitssystem so, wie es heute
der FDP) ist, aber auch das System mit dem Zusatzbeitrag, das wir
übrigens gemeinsam verabschiedet haben, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen von der SPD, spätestens im nächs-
Jens Spahn (CDU/CSU): ten Jahr an Grenzen stoßen wird. Das System kann also
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ge- nicht bleiben, wie es heute ist. Darauf braucht es Ant-
sundheitspolitik ist im Grunde die soziale Frage des worten, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD,
21. Jahrhunderts; denn anders als bei den anderen sozia- Geschrei hilft nicht.
len Sicherungssystemen geht es hier nicht nur und nicht
unmittelbar um Geld, sondern um Lebensqualität und, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
wenn es ganz hart kommt, um zusätzliche Lebensjahre. der FDP – Elke Ferner [SPD]: Wo sind denn
Ihre Antworten?)
(Dr. Martina Bunge [DIE LINKE]: Sie sollten
die Beschäftigten nicht vergessen!) Wenn man Sie so reden hört – Herr Schurer hat gere-
det; gleich wird Herr Lauterbach reden –, bekommt man
Wir stehen bei diesem wichtigen sozialen Sicherungs- öfters den Eindruck, es wäre der 2. Februar.
system vor großen Herausforderungen. Die erste ist die
(Heinz Lanfermann [FDP]: Da ist Mariä Licht-
demografische Entwicklung. Wir werden alle gemein-
mess!)
sam – auch Sie, Frau Bunge – älter in diesem Land. 2050
wird ein Drittel der Bevölkerung über 60 sein. Am 2. Februar ist nämlich Murmeltier-Tag.
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das ist nicht (Heinz Lanfermann [FDP]: Den kennen wir
schlimm!) gar nicht!)
2962 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010
Jens Spahn
(A) Wenn ich Sie in den Debatten, die wir führen, reden wir in der Vergangenheit gemacht oder gesagt hätten, die (C)
höre, geht es mir wie Phil in Und täglich grüßt das Mur- Zeit stehlen, statt Ihre konkreten Vorschläge – Sie regie-
meltier. Woche für Woche wird Ihre Abkehr von elf Jah- ren doch, nicht wir –
ren Regierungspolitik immer deutlicher. Ihr neuer Partei-
vorsitzender, Sigmar Gabriel, hat kürzlich gesagt, (Beifall bei der SPD sowie der Abg.
künftig gelte: „Zuerst die Partei, dann das Land“, das sei Dr. Martina Bunge [DIE LINKE])
das neue Motto der SPD. vorzulegen? Erklären Sie uns doch, weshalb von Ihrem
(Widerspruch bei der SPD – Elke Ferner Minister nichts kommt, sodass Sie über unsere vergan-
[SPD]: Wo soll er das gesagt haben?) gene Regierung reden müssen und nicht über das spre-
chen, was Sie jetzt tun könnten, Herr Spahn.
– Das hat er so gesagt. Das können wir gerade in der Ge-
sundheitspolitik sehr deutlich erleben. (Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Jens Spahn (CDU/CSU):
Sie verabschieden sich von allem, was Sie in den letz- Über Ihre vergangene Regierung muss man deswegen
ten elf Jahren an Erkenntnissen gewonnen haben: reden, weil wichtige Erkenntnisse, die wir in der Großen
(Ulrich Kelber [SPD]: Ekelhaft!) Koalition gemeinsam gewonnen haben und die Sie auch
schon in der rot-grünen Regierungszeit gewonnen hatten
in der Frage der Entlastung der Arbeitskosten von den und die wir auch hier schon diskutiert haben, dass näm-
steigenden Gesundheitskosten, in der Frage der Zuzah- lich die von mir dargestellte ständige Steigerung der
lung, in der Frage der Zusatzbeiträge, die wir in der Gro- Kosten im Gesundheitswesen nicht automatisch und
ßen Koalition verabschiedet haben. Sie machen im ständig die Arbeitskosten belasten darf,
Grunde eine Abrechnung – das haben wir Ihnen schon
deutlich gesagt; das setzen Sie hier fort – vor allem mit (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das bestreitet
den Ministerjahren von Ulla Schmidt. niemand! Ich bitte Sie!)
(Ewald Schurer [SPD]: Wir entwickeln wei- heute von Ihnen infrage gestellt werden. Sie müssen be-
ter!) antworten, warum das so ist. Dieser Frage müssen Sie
sich einmal stellen.
Sie müssen den Menschen erklären, warum heute nicht
mehr gelten soll, was noch vor einem Jahr in den Debat- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
ten auch im Deutschen Bundestag von Ihrer Seite aus Heinz Lanfermann [FDP]: Sie waren doch mal
(B) klar und deutlich gesagt wurde. Das ist im Moment in klüger!) (D)
den Debatten Ihr Problem.
Angesichts dieser Debatten scheinen Sie eher er-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Karl schrocken zu sein, dass wir in einigen Feldern das, was
Lauterbach [SPD]: Ablenkung!) Sie in elf Jahren Regierungszeit im Bundesministerium
für Gesundheit nicht geschafft haben, nun tatkräftig an-
– Ablenkung ist ein gutes Stichwort, Herr Kollege gehen.
Lauterbach. Jede Woche kündigen Sie aufs Neue ein
durchgerechnetes Konzept zur Bürgerversicherung an. (Lachen bei Abgeordneten der SPD – Elke
Ferner [SPD]: Was denn? – Christian Lange
(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Sie regieren
[Backnang] [SPD]: Das ist das Problem, dass
doch! Kommen Sie zur Sache! Einfach zur Sa-
Sie nichts angehen!)
che! Ihre Vorschläge! – Harald Weinberg [DIE
LINKE]: Was denken Sie?) Wir werden – darauf hat der Kollege gerade schon
Sie haben hier im Deutschen Bundestag im Dezember hingewiesen – bei der Preisfindung im Arzneimittelbe-
angekündigt, Sie würden ein durchgerechnetes Konzept reich das, was Sie in elf Jahren nicht geschafft haben,
– ich habe mir das Protokoll geben lassen – zur Bürger- durchsetzen,
versicherung vorlegen. Auf dieses durchgerechnete (Elke Ferner [SPD]: Sie haben doch blo-
Konzept warten wir bis heute ebenso wie auf eine Ant- ckiert!)
wort.
nämlich dass wir bei Arzneimitteln nur für einen tatsäch-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
lich erwiesenen Zusatznutzen dauerhaft mehr Geld zah-
len, sodass es hier eine Verbindung zwischen Preis und
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Nutzen gibt. Sie haben elf Jahre lang regiert und das
Kollegen Lauterbach?
nicht geschafft.
Jens Spahn (CDU/CSU): (Ewald Schurer [SPD]: Sie haben uns nicht
Bitte schön. unterstützt!)
Nun sind Sie erschrocken darüber, dass es nun gerade
Dr. Karl Lauterbach (SPD): eine bürgerliche Koalition ist, die das erreichen wird.
Herr Spahn, können Sie uns erklären, weshalb Sie uns Warten Sie ab! Wir werden das noch dieses Jahr hinbe-
mit falschen Darstellungen dessen, was Sie glauben, was kommen!
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010 2963
Jens Spahn
(A) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – gelegt haben. Das ist es doch, was Sie an dem, was wir (C)
Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Wir warten schon jetzt angehen, so wurmt.
ewig und drei Tage!)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Ich will noch einige Sätze zum IQWiG sagen, zum der FDP – Elke Ferner [SPD]: Ist das eine An-
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Ge- drohung von Steuererhöhungen?)
sundheitswesen und seiner Kosten-Nutzen-Bewertung.
Warten Sie erst einmal ab, was am Ende herauskommt! Insofern kann ich Ihnen, weil Sie gerade ja auch nach
Ich sage Ihnen: Wir werden das IQWiG, das Institut für konkreten Vorschlägen fragten, nur sagen: Die Grund-
die Nutzenbewertung von Arzneimitteln, im Zweifel linie ist klar, die Zielrichtung auch. Wir wollen den
personell, inhaltlich und in den Verfahren eher stärken Einstieg in eine lohnunabhängige Finanzierung – insbe-
als schwächen. sondere auch für eine zukünftige moderate Kostenent-
wicklung –, bei der es nicht automatisch aufgrund der
(Ulrike Flach [FDP]: So ist es!) Steigerungen der Ausgaben im Gesundheitswesen zu ei-
ner Erhöhung der Arbeitskosten kommt. Mit dieser kla-
Messen Sie uns an unseren Taten, nicht an Ihren eigenen ren Zielvorgabe haben wir einen ebenso klaren Auftrag
Worten! an die Regierungskommission erteilt, die in dieser Wo-
che zum ersten Mal getagt hat.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ver- Ich empfehle Ihnen, diese Kommission jetzt einmal in
suchen wir verzweifelt! Wenn Sie welche hät- Ruhe arbeiten zu lassen, damit sie die Ergebnisse nach
ten!) und nach erarbeiten und dann vorlegen kann,
Sie scheinen in noch einem weiteren Punkt erschro- (Elke Ferner [SPD]: Wen meinen Sie denn jetzt?
cken darüber zu sein, dass wir etwas wahrmachen, wo- Herrn Söder oder Herrn Seehofer?)
von Sie viele Jahre lang nur geredet haben.
also einfach noch zwei, drei Monate zu warten, bis es
(Lachen der Abg. Elke Ferner [SPD]) erste Ergebnisse der Regierungskommission und eine
erste Richtung gibt, um dann tatsächlich in die inhaltli-
Sie haben immer eingefordert – in der Zielsetzung nicht che Auseinandersetzung einzusteigen, anstatt hier mur-
einmal zu Unrecht –, dass es für die gesetzliche Kran- meltierartig jede Woche mit uns die gleiche Debatte zu
kenversicherung eine breitere Finanzierungsgrund- führen.
lage geben muss. Es kann nicht sein, dass alleine die ab-
hängig Beschäftigten und insbesondere ihre Arbeitgeber (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das
(B) mit ihren Beiträgen das Gesundheitswesen finanzieren. größte Murmeltier steht vor uns!) (D)
(Elke Ferner [SPD]: Welche Steuern wollen Lieber Herr Kollege Lauterbach, vielleicht haben Sie
Sie denn erhöhen? – Ewald Schurer [SPD]: Sie bis dahin ja auch ein paar Zahlen zu Ihrem eigenen Kon-
haben uns dabei nicht unterstützt!) zept. Dann könnten Sie sich inhaltlich so einbringen, wie
der Kollege Schurer das gerade für die SPD-Fraktion an-
Wir haben dankenswerterweise in der Großen Koali- gekündigt hat. Das wäre ja auch schon einmal eine
tion einen ersten Schritt gemacht, indem wir die Zusatz- Menge wert.
beiträge eingeführt haben, die sich nun langsam entwi-
ckeln. Der entscheidende Punkt, um den es jetzt geht, ist, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
dass wir einen steuerfinanzierten Sozialausgleich ein-
führen wollen, Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Es gibt eine weitere Anfrage bezüglich einer Zwi-
schenfrage, und zwar des Kollegen Lemme.
der – das wissen wir im Übrigen ganz genau – natürlich
möglichst einfach und möglichst ohne großen zusätzli- Jens Spahn (CDU/CSU):
chen bürokratischen Aufwand funktionieren muss,
Bitte.
(Elke Ferner [SPD]: Sie haben den Sozial-
ausgleich blockiert!) Steffen-Claudio Lemme (SPD):
der aber als steuerfinanzierter Sozialausgleich das Ge- Herr Abgeordneter Spahn, woher nehmen Sie denn
sundheitswesen und insbesondere den Sozialausgleich die notwendigen Steuermittel in Höhe von 5 Milliarden
auf breitere Schultern stellen wird. Er wird auch zusätz- Euro? Der Haushalt wird ja heute hier verabschiedet.
liche Einnahmen wie Zinsen und Miet- und Kapitalein- Wenn Sie das anpeilen, was Minister Rösler der Öffent-
künfte durch die Steuern, die darauf erhoben werden, be- lichkeit schon angedeutet hat, nämlich eine Kopf-
rücksichtigen. pauschale von 29 Euro, dann fehlt Ihnen ja dieser steuer-
liche Anteil. Woher nehmen Sie den aus dem
(Elke Ferner [SPD]: Aha!) Nachtragshaushalt, und wann ist damit zu rechnen?
Damit erreichen wir das, wovon Sie seit vielen Jahren (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Auf Fehlinfor-
reden, aber bis heute nicht ansatzweise ein Konzept vor- mationen brauchen wir nicht zu antworten!)
2964 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010
Daneben sind die Zahlen, die Sie genannt haben, keine Ich möchte Sie an die Gesundheitsreform 2007 erin-
Zahlen, die – das hat der Minister auch schon dargestellt – nern. Im Haushaltsausschuss, dem wir damals gemein-
irgendetwas mit dem Ministerium zu tun haben, sondern sam angehört haben, war für die Jahre 2007 bis 2016
sie sind Gott weiß wo aus der Welt gegriffen worden. eine Unterfinanzierung von aufsummiert 90 Milliarden
Euro absehbar. Diese kam durch die Leistungen zu-
Ohne Zweifel haben Sie aber recht, dass wir für den stande, die wir in der Großen Koalition gemeinsam und
steuerfinanzierten Sozialausgleich auch Geld aus dem solidarisch für die Menschen und für die Patienten woll-
Bundeshaushalt brauchen; das ist ja überhaupt keine ten, für die es aber noch keine Gegenfinanzierung gab –
Frage. außer dem, was wir gemeinsam wollten und auch ge-
macht haben: Wir haben zugesagt, dass das aus Steuer-
(Elke Ferner [SPD]: Ja! Woher nehmen Sie es mitteln geschehen wird. Wir wollten damals eine solide
denn?) Gegenfinanzierung aufbauen.
Genau deswegen sitzen ja die mitbeteiligten und auch (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Gibt es noch
mitbetroffenen Ressorts in dieser Regierungskommis- eine Frage?)
sion mit am Tisch, um gemeinsam eine Lösung zu fin-
den. Das ist damals an der CDU/CSU gescheitert.
(Elke Ferner [SPD]: Sie sollen dann einen Kollege Spahn, jetzt ist es aber so, dass dieser in
Sparbeitrag leisten, oder wie!?) Treppenform ansteigende Steuerzuschuss geblieben ist
Eines geht aber eben nicht: Die Linke stellt hier An- (Ulrike Flach [FDP]: Frage!)
träge, 3 Milliarden Euro zusätzlich für Krankenhäuser und dass Sie mit der neuen Koalition beschlossen haben,
und andere Dinge zur Verfügung zu stellen, ohne zu sa- die Arbeitgeberbeiträge zu deckeln.
(B) gen, wie das finanziert werden soll. Ihr Kollege (D)
Lauterbach sagte in einer gemeinsamen Diskussion all- (Ulrike Flach [FDP]: Frage! – Heinz
gemein – ich kann mich noch gut daran erinnern –: Die Lanfermann [FDP]: Frage!)
künftigen Kosten der demografischen Entwicklung soll- Stimmen Sie mir zu,
ten wir einfach irgendwie aus dem Bundeshaushalt fi-
nanzieren. (Heinz Lanfermann [FDP]: Nein!)
Glauben Sie mir: Wir werden ein sauber finanziertes dass Sie die Versicherten und die Steuerzahler durch die
Konzept vorlegen. Dafür sitzt die Regierungskommis- Deckelung der Arbeitgeberbeiträge ab 2011 mit die-
sion zusammen, sen Mehrausgaben letzten Endes alleinlassen, ohne ein
Gegenfinanzierungskonzept zu haben?
(Elke Ferner [SPD]: Da sind wir aber ge-
spannt, Herr Spahn! – Christian Lange [Back-
nang] [SPD]: Das wäre das erste Mal!) Jens Spahn (CDU/CSU):
Die einfache Antwort wäre: Nein. Ich möchte aber zu
und sie diskutiert eben nicht nur in Überschriften, wie zwei Dingen, die Sie mir unterstellt haben, etwas sagen.
man sich das in der Opposition wohl leider erlauben Erstens. Sie haben mal wieder den Begriff der Kopfpau-
kann. schale, von dem ich nicht weiß, woher er kommt, ver-
wendet.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Lachen bei der SPD)
Deswegen bleibe ich bei dem, was ich auch in den
vergangenen Debatten gesagt habe. – Sie können einmal versuchen, darüber nachzudenken.
Wir gehen jetzt schließlich ins Wochenende. – Allein der
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Man Umstand, dass wir die beitragsfreie Mitversicherung von
kann das Falsche auch immer wiederholen; Ehepartnern und Kindern beibehalten,
das ist klar!)
(Elke Ferner [SPD]: Das ist aber sehr
Wir werden – – konstruiert!)
(Abg. Bettina Hagedorn [SPD] meldet sich zu macht deutlich, dass es im Ergebnis nicht um einen Pro-
einer Zwischenfrage) Kopf-Beitrag gehen wird,
– Herr Präsident. (Elke Ferner [SPD]: Pro Kopf Mitglied GKV!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010 2965
Jens Spahn
(A) sondern dass wir eine Lösung jenseits dessen finden Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C)
werden. Dies wird im Übrigen im Rahmen eines ver- Das Wort hat nun Elke Ferner für die SPD-Fraktion.
nünftigen steuerfinanzierten Sozialausgleichs gesche-
hen. Vielleicht geht das zur Abwechslung in Ihren Kopf (Beifall bei der SPD)
hinein.
(Zuruf der Abg. Bettina Hagedorn [SPD]) Elke Ferner (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
– Ich bin gerade dabei, Ihre Frage zu beantworten. Wenn man sich die Reden der schwarz-gelben Koalition
Zweitens. Sie haben gesagt, wir hätten die Absicht, anhört,
den Arbeitgeberbeitrag festzuschreiben. Ich weiß nicht, (Jens Spahn [CDU/CSU]: Christlich-liberal! –
ob Sie sich daran erinnern, dass wir das bereits zusam- Thomas Silberhorn [CDU/CSU]: Der Mitte!)
men mit Ihnen gemacht haben.
dann kann man wirklich nur sagen: Die schwarz-gelben
(Elke Ferner [SPD]: Nein! Nicht dauerhaft, Chaostage gehen weiter. Ich hätte mir gewünscht, dass
Herr Spahn! Lügen Sie hier nicht! Das ist nicht die Kollegen von der CSU einmal klar und deutlich sa-
dauerhaft!) gen, ob sie denken, dass der bayerische Gesundheits-
Wir haben mit der Einführung des Gesundheitsfonds die minister und der bayerische Ministerpräsident und CSU-
automatische Beitragssatzentwicklung bei den Kranken- Vorsitzende recht haben, und ob sie deren Haltung unter-
kassen durch eine zentrale Festsetzung des Beitragssat- stützen.
zes durch die Bundesregierung nach vorheriger Befas-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
sung durch den Bundestag abgelöst.
(Elke Ferner [SPD]: Aber nicht dauerhaft, Wir fragen uns auch, ob sie die Kosten, die sich durch
Herr Spahn!) die demografische Entwicklung und den medizinischen
Fortschritt ergeben, künftig allein und unsolidarisch – es
Das ist nichts anderes als eine Festschreibung des Ar- ist unsolidarisch, den Arbeitgeberbeitrag einzufrieren –
beitgeberbeitrags, die Sie vor wenigen Monaten noch für auf die Mitglieder der gesetzlichen Krankenversicherung
notwendig gehalten haben. verlagern wollen; so wollen es die schwarz-gelbe Koali-
tion und insbesondere Herr Rösler. Eine Antwort darauf
(Elke Ferner [SPD]: Das stimmt nicht!)
habe ich heute Morgen noch nicht gehört.
Ich bleibe dabei: Sie müssen einmal erklären, wieso
heute nicht mehr gelten soll, was noch vor wenigen Mo- (Beifall bei der SPD – Ulrike Flach [FDP]:
(B) naten gegolten hat. Dieses Glaubwürdigkeitsproblem ha- Das ist eine reine Verzerrung!) (D)
ben Sie in all diesen Debatten, liebe Frau Kollegin Man muss sich einmal anschauen, was in den letzten
Hagedorn. Tagen so hin- und hergeworfen wurde: So bezeichnet
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – zum Beispiel der eine den anderen als Quartalsspinner.
Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das wissen Sie Herr Söder sagt: Er ist gegen eine Kopfprämie, egal ob
besser, Herr Spahn!) groß oder klein.
Insofern bleibe ich im Ergebnis bei dem, was ich auch (Ulrike Flach [FDP]: Die sind alle nicht im
schon in den vergangenen Wochen gesagt habe: Wir ge- Bundestag!)
hen frohen Mutes gemeinsam mit dem Minister und un- Frau Merkel sagte am Mittwoch in Ihrer Rede: Das
serem Koalitionspartner an diese Aufgabe heran, Wichtigste in der Gesundheitspolitik ist, dass die Arbeit-
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist geberbeiträge festgeschrieben werden.
mal eine neue Botschaft!)
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Aber Sie haben es
weil wir glauben, dass die Perspektive steigender Ge- doch gemacht!)
sundheitskosten, die sich aus der demografischen Ent-
wicklung und dem medizinischen Fortschritt ergeben, Da frage ich mich, in welchem Land wir eigentlich le-
und das Ziel, für den sozialen Ausgleich eine breitere ben. Das Wichtigste in der Gesundheitspolitik ist, auch
Finanzierungsgrundlage zu schaffen, es notwendig ma- künftig sicherzustellen, dass alle Menschen, unabhängig
chen, über Wochen und Monate intensiv und gründlich von ihrem Einkommen und unabhängig von ihrer Kran-
zu diskutieren und daran zu arbeiten. Wir müssen sehen, kenversicherung, eine medizinisch hochwertige Versor-
wie man dies umsetzen kann, ohne es mit Kampfbegrif- gung bekommen, und zwar dann, wenn sie sie brauchen,
fen kaputtzumachen. Wir wollen dieses Ziel erreichen, und nicht nur dann, wenn sie das Geld dafür haben.
weil es ein hehres Ziel ist, das nicht die Partei in den (Beifall bei der SPD)
Vordergrund stellt. Es soll ein zukunftsfähiges Konzept
für das Land erarbeitet werden. Sie sollten an Inhalten Wer den Arbeitgeberbeitrag festschreiben will,
arbeiten, nicht an Überschriften. Vielleicht wäre das ein muss den Menschen klar und deutlich sagen, wie der
Ansatz dafür, sich in der Opposition eine neue Rolle zu Rest bezahlt werden soll.
suchen.
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: So ist
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) es!)
2966 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010
Elke Ferner
(A) Aber das tun Sie nicht. Sie faseln hier davon, wenn das haupt kein Interesse mehr daran hat, auf die Ausgaben- (C)
über Steuern finanziert werde mit einem Sozialausgleich seite zu achten.
– der weder finanzierbar noch organisierbar ist –, sei das
(Ulrike Flach [FDP]: Aber das ist doch Ihr Ge-
alles viel gerechter. Herr Spahn, welche Steuern wollen
setz! Das ist doch Schizophrenie! – Christine
Sie denn erhöhen? Sie haben eben gesagt, künftig sollen Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das haben Sie
auch Zinseinkünfte, Kapitaleinkünfte zur Finanzierung doch selbst so gemacht!)
herangezogen werden. Welche Steuer wollen Sie ganz
konkret erhöhen? Wenn Sie sagen, das führe dazu, dass mehr verschrieben
wird – in Klammern: das kostet dann auch mehr – und
(Christian Lange [Backnang] [SPD], an den dass das dann bezahlt werden kann, frage ich Sie: Von
Abg. Jens Spahn [CDU/CSU] gewandt: Ja, sa- wem soll das denn bezahlt werden? Von den Versicher-
gen Sie das mal!) ten oder von den Patienten über Zuzahlungen? Das wer-
Wenn Sie keine Steuer erhöhen wollen, heißt das, es gibt den Sie uns hoffentlich irgendwann noch erzählen, vor
keinen Sozialausgleich, zumindest keinen ausreichen- der NRW-Wahl sicher nicht mehr,
den, und das wiederum bedeutet, dass die Menschen hö- (Ulrike Flach [FDP]: Wir warten erst mal auf
here Krankenversicherungsbeiträge zahlen müssen, und Ihre Bürgerversicherung!)
zwar die GKV-Mitglieder allein. Das ist der Ausstieg aus
einem bewährten, solidarisch finanzierten System. weil das dann doch zu viele abschrecken würde, einen
gravierenden Fehler bei ihrer Wahlentscheidung zu ma-
(Beifall bei der SPD) chen. Das zeigt genau, wes Geistes Kind Sie sind. Sie
wollen die Versicherten mehr belasten als bisher und die
Das kann man vielleicht als kleine Fraktion wie die FDP
Arbeitgeber aus der Kostenverantwortung entlassen. Das
wollen; aber eine große Fraktion wie die CDU/CSU ist
wird mit uns nicht zu machen sein. Die Menschen in
wirklich schlecht beraten, einen solchen Weg zu gehen.
Nordrhein-Westfalen werden am 9. Mai an der Wahlurne
(Beifall bei der SPD) die Möglichkeit haben, darüber abzustimmen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Lotter von der FDP-Fraktion? Ein zweiter Punkt, dem ich mich jetzt widmen will:
Wir haben von Herrn Rösler die ganze Zeit nichts ande-
res gehört, als dass er die Kopfpauschale will.
Elke Ferner (SPD):
Aber sehr gerne. (Lars Lindemann [FDP]: Hat er nicht gesagt! –
(B) Ulrike Flach [FDP]: Was hören Sie eigent- (D)
lich?)
Dr. Erwin Lotter (FDP):
Frau Kollegin Ferner, die strikte Bindung der Ge- Es soll einen automatischen Sozialausgleich geben –
sundheitskosten an die Arbeitskosten hat, weil man die kein Mensch weiß, wie das gehen soll. Außerdem hören
Arbeitskosten nicht ausufern lassen wollte, zu einem wir, die Arzneimittelausgaben sollen jetzt begrenzt wer-
Budgetierungsdruck geführt, der schon nah an der Ratio- den und der Pharmaindustrie gehe es an den Kragen.
nierung war. Stimmen Sie mir zu, dass, wenn die Arbeit- (Ulrike Flach [FDP]: Jetzt wird es bizarr!)
geberkosten festgeschrieben werden, ein enormer Druck
aus diesem System herausgenommen wird Wo sind denn die Vorschläge dazu? Ich habe bisher
noch keinen Vorschlag auf dem Tisch dieses Hauses ge-
(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sehen.
DIE GRÜNEN – Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch! Ausgerech- (Heinz Lanfermann [FDP]: Er bespricht gar nicht
net bei den Versicherten! Da ist viel Geld zu alles mit Ihnen! Das ist das Problem!)
holen! So denkt ihr!) – Es ist sehr parlamentarisch, Herr Lanfermann, dass Sie
und die am Gesundheitswesen Beteiligten dann in der es nicht für notwendig halten, das, was in Gesetzen gere-
Lage sind, das für ihre Patienten zu tun und zu verord- gelt werden soll, dem Bundestag zur Beratung vorzule-
gen.
nen, was notwendig und angezeigt ist?
(Heinz Lanfermann [FDP]: Zur rechten Zeit,
(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Frau Ferner! Bei den Vorplanungen wird die
Wie war das mit Netto vom Brutto?)
Opposition nicht so sehr einbezogen! Das ist
durchaus in Ordnung so!)
Elke Ferner (SPD):
Ich bedanke mich sehr für diese Frage. Sie zeigt näm- Drittens will ich einen Blick auf die Defizitentwick-
lich wirklich, wes Geistes Kind Sie sind. lung werfen. Das Bundesversicherungsamt geht von bis
zu 15 Milliarden Euro im nächsten Jahr aus. In Sachen
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ausgabenbegrenzung geschieht nichts, zumindest bisher
nicht.
Wenn Sie den Arbeitgeberbeitrag festschreiben, errei-
chen Sie zunächst einmal eines: dass ein wichtiger (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Warten
Player in dem ganzen Finanzierungssystem künftig über- Sie es mal ab!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010 2967
Elke Ferner
(A) – Je länger Sie warten, umso schwieriger wird es. Das (Beifall bei der SPD – Ulrike Flach [FDP]: (C)
weiß eigentlich jeder, der sich in dem System auch nur Das glaube ich aber nicht, Frau Ferner! –
ein bisschen auskennt. – Wenn man sich einmal an- Heinz Lanfermann [FDP]: Traumtänzerei!)
schaut, was diese 15 Milliarden Euro für die Mitglieder
der GKV bedeuten, kommt man auf 24 Euro pro Monat Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
und Kopf. Das kann man ja wollen; aber dann sagen Sie
Das Wort hat nun der Bundesminister für Gesundheit,
mir bitte, mit welcher Begründung die Sekretärin ge-
nauso 24 Euro bezahlen soll wie ihr Chef. Philipp Rösler.
(Ewald Schurer [SPD]: Ökonomischer Unsinn (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
ist das!)
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit:
Weil sie ein niedrigeres Einkommen hat? Weil sie von ei-
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
ner Steuerentlastung, die Sie durchführen wollen – dann
Herren! Zunächst einmal möchte ich die gute Tradition
wieder nicht und dann wieder doch –, weniger profitiert
fortsetzen und mich bei den Berichterstattern des
als ihr Chef? Warum soll das eigentlich so geregelt wer-
den? Ich frage mich, welches Verständnis von Solidarität Einzelplans 15 ausdrücklich auch im Namen aller mei-
Sie haben. Keines, muss ich feststellen. Das Schlimme ner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für die gute Zu-
ist, dass auch die Union sich davon verabschiedet hat. sammenarbeit bedanken. Die Ergebnisse für den Haus-
halt waren nicht immer angenehm, aber zumindest die
(Beifall bei der SPD) menschliche Zusammenarbeit.
Jetzt möchte ich noch etwas zu den Vorwürfen von Die Gesundheitspolitik steht vor großen Aufgaben.
Herrn Spahn sagen. Wir haben nie den Arbeitgeberbei- Sie wurden schon zu Recht beschrieben. Wir werden im-
trag mer älter, wir werden auch gesünder älter. Wir freuen
(Heinz Lanfermann [FDP]: Na?) uns über den medizinisch-technischen Fortschritt. Er ist
ein Segen für die Menschheit. Aber all das muss natür-
einfrieren wollen. Nie! Das wissen Sie ganz genau. lich auch bezahlt werden. Deswegen müssen wir hier
(Heinz Lanfermann [FDP]: Nur festsetzen! alle ehrlich zu den Menschen sein. Zur Wahrheit gehört
Nicht einfrieren!) dann eben, dass Gesundheit und Gesundheitsversorgung
in Zukunft besser werden, aber eben nicht billiger. Diese
– Nein, schauen Sie mal in das Gesetz. Lesen bildet be- Wahrheit gehört zur Ehrlichkeit einer jeden gesundheits-
kanntlich, Herr Kollege. Wir haben ihn nicht dauerhaft politischen Debatte einfach dazu.
eingefroren.
(B) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf (D)
(Heinz Lanfermann [FDP]: Sie haben ihn per des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])
Gesetz festgesetzt! – Ulrike Flach [FDP]: Das
ist doch Ihr Gesetz gewesen!) Weil das so ist, brauchen wir ein robustes Finanzie-
rungssystem. Die Menschen müssen die Sicherheit ha-
Sie wollten erst wieder an den Beitrag heran, wenn die ben und die Gewissheit bekommen, dass das Geld, das
Einnahmen des Fonds nur noch 90 Prozent der Ausga- sie heute einbezahlen, morgen auch für Vorsorge und
ben der GKV ausmachen. Wir haben gesagt, dass schon Versorgung tatsächlich zur Verfügung steht. Diese Ge-
bei 98 Prozent eingegriffen werden muss. Das Ganze ist wissheit haben sie bisher nicht. Wir sind als christlich-
ein Kompromiss gewesen. liberale Regierungskoalition angetreten, diese Gewiss-
(Ulrike Flach [FDP]: Sie haben es doch heit herzustellen.
gemacht!)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Das wissen Sie genauso gut wie ich. Vor allen Dingen
können Sie uns nicht vorwerfen, dass wir unsere Posi- Ihr Finanzierungssystem, in dem wir uns heute befin-
tion durchsetzen wollen genauso wie Sie, die Sie schon den,
immer das Einfrieren des Arbeitgeberbeitrages und eine (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Reden
Entsolidarisierung im Gesundheitswesen wollten. Sie über Ihres!)
(Ulrike Flach [FDP]: So kann man sich die ist nicht in der Lage, diese Sicherheit den Menschen
Welt schönreden!) weiterhin zu geben,
Der Unterschied zwischen Schwarz-Gelb und uns ist (Elke Ferner [SPD]: Ihres erst recht nicht!)
folgender: Sie wollen die Versicherten alleine die zu-
künftig zusätzlichen Kosten tragen lassen. Wir wollen weil es sich im Prinzip in einem Zustand befindet wie
eine solidarische Finanzierung. Sie machen Politik ge- eine Straße nach einem elf Jahre langen Winter. Überall
gen die Mehrheit der Bevölkerung, und wir machen tun sich neue Löcher auf. Es reicht eben nicht, einfach
Politik für die Mehrheit der Bevölkerung. nur Notreparaturen durchzuführen. Statt Flickschusterei
brauchen wir endlich ein solides Finanzierungsfunda-
(Zurufe von der FDP: Oh!) ment für unsere gesetzliche Krankenversicherung.
Die Wähler und Wählerinnen in Nordrhein-Westfalen
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Elke
werden das am 9. Mai entsprechend quittieren.
Ferner [SPD]: Nach Flickschusterei wollen Sie
Herzlichen Dank. Abriss!)
2968 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010
Das, meine Damen und Herren, sind keine Zahlen von (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jens
CDU/CSU oder FDP, sondern Zahlen aus dem Spiegel Spahn [CDU/CSU]: Ich sage nur: Rotweingip-
der letzten Woche. Der Spiegel steht ja nicht im Ver- fel im Kanzleramt!)
dacht, ein reines Regierungsverlautbarungsblatt zu sein. Wir brauchen Innovationen im Arzneimittelmarkt.
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP) Wir wollen auch eine schnelle Markteinführung. Trotz-
dem können wir nicht akzeptieren, dass die Industrie den
Deswegen darf ich das Zitat weiterführen: Menschen die Preise diktiert. Das geht nämlich zulasten
der Versicherten, zulasten der Patientinnen und Patien-
Willkommen in der gesetzlichen Krankenversiche-
ten.
rung – dem vermutlich einzigen Solidarsystem der
Welt, wo Putzfrauen bisweilen ihre Chefs subven- Deswegen brauchen wir ein neues Preissystem. Künf-
tionieren … tig muss jedes Unternehmen, das einen höheren Preis
haben will, zunächst einmal einen höheren Nutzen für
Wer das System noch solidarisch nennt, der hat es Patientinnen und Patienten belegen. Ich finde, die Indus-
nicht verstanden. trie ist diesen Beweis bisher schuldig geblieben. Deswe-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gen werden wir sie gesetzlich dazu verpflichten, einen
solchen Beweis in Form von Studien vorzulegen. Wir je-
Das ist das Gegenteil von sozialer Gerechtigkeit, und denfalls lassen unsere Patientinnen und Patienten nicht
deswegen werden wir das System verbessern. im Stich.
(Lachen der Abg. Elke Ferner [SPD]) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Die Regierungskommission wird dazu die richtigen Vor- Diese Studien werden dann selbstverständlich die
schläge unterbreiten. Grundlage für Vertragsverhandlungen zwischen den
Wir wollen die Einnahmeseite stabilisieren, Kassen auf der einen Seite und der Industrie auf der an-
deren Seite sein. Seien Sie versichert: Wir werden dafür
(Elke Ferner [SPD]: Durch mehr sorgen, dass die Partner sich an einem Tisch zusammen-
Niedriglöhne, oder wie?) finden, um schnellstmöglich Verträge abzuschließen;
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010 2969
Bundesminister Dr. Philipp Rösler
(A) (Harald Weinberg [DIE LINKE]: Wer nicht rung einer kleinen Kopfpauschale oder eines kleinen Ge- (C)
mehr weiterweiß, der gründet einen Arbeits- sundheitsbeitrages, wie Sie es nennen. Es ist übrigens
kreis!) kein besonderer Ausweis von Konsequenz, wenn man
nach 140 Tagen Regierung und Koalitionsverhandlun-
denn neben den mittel- und langfristigen Maßnahmen gen eine Kommission aus acht Ministern – das ist das
werden wir selbstverständlich auch schnell wirksame In- halbe Kabinett – braucht, um endlich zu sagen, in welche
strumente einsetzen, beispielsweise Preismoratorien Richtung man gehen will.
oder verpflichtende Rabatte. Diese Maßnahmen und In-
strumente werden so lange erhalten bleiben, bis die mit- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Daniel
tel- und langfristigen Instrumente anfangen zu wirken. Bahr [Münster] [FDP]: Sie hatten doch die
Gute Versorgung mit Medikamenten zu niedrigeren Prei- Rürup-Kommission! Was soll das denn?)
sen, das, meine Damen und Herren, ist unser Ziel. Wenn ich mir das Verhältnis von großer Kopfpau-
(Elke Ferner [SPD]: Das wollen wir mal se- schale zu kleiner Kopfpauschale anschaue, dann fällt mir
hen, was Sie da vorlegen, Herr Rösler! Wir ein Vergleich aus der Landwirtschaft ein: Ob nun ein
sind ganz gespannt!) großer Haufen oder ein kleiner Haufen stinkt, beide stin-
ken; beide sind Mist. Der Weg, den Sie gehen, ist nicht
Wir als Regierungskoalition werden dabei erfolgreich vernünftig.
sein und dieses Ziel auch erreichen.
(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
– Sie können doch niemandem im Land erklären, warum
Sie sehen bei diesen Haushaltsberatungen: Selbstver- Sie etwas Großes nicht machen können, weil Teile der
ständlich kann es gelingen, auf der Einnahmeseite das eigenen Regierung sagen, das sei Mist, wohl aber etwas
System robuster und stabiler zu gestalten und die Ausga- Kleines nach dem Motto: Das bekommen wir schon hin.
ben besser als bisher zu kontrollieren. Wir sind angetre- Zur Gerechtigkeit. Wenn Sie sagen, eine Kopfpau-
ten, damit im deutschen Gesundheitssystem endlich et- schale – ob groß oder klein – sei gerechter, dann müssen
was passiert. Wir werden ein Gesundheitssystem auf den Sie auch sagen, wie Sie sich das steuerlich vorstellen.
Weg bringen, das zukunftsorientiert zu Ende gedacht ist Herr Rösler, Sie, der Sie einer Partei angehören, die für
(Elke Ferner [SPD]: Hauptsache, es passiert Steuersenkungen eintritt und sogar eine Flattax von
was, egal welche Auswirkungen!) 35 Prozent für Bestverdienende will, können hier doch
niemandem erzählen, dass die zusätzlichen Belastungen
und endlich wieder sozial gerecht ist. Das haben wir den durch den Sozialausgleich im Gesundheitswesen von de-
Menschen versprochen, und das, meine Damen und Her- nen bezahlt werden, die Sie steuerlich massiv entlasten
(B) ren, werden wir auch einhalten. wollen. Sie werden nicht bestreiten können, dass eine (D)
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Senkung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 35 Prozent
eine Entlastung für Bestverdienende ist.
(Anhaltender Beifall bei der FDP und der
CDU/CSU) Vor diesem Hintergrund frage ich Sie – das ist ehrlich
gemeint –: Warum behaupten Sie, dass eine kleine Kopf-
pauschale für mehr Gerechtigkeit sorgt, weil der Sozial-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ausgleich über Steuern finanziert wird?
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
Kollegen Fritz Kuhn. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD)
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Hat der keine Rede-
zeit gekriegt?) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Minister.
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Minister, Sie haben Ehrlichkeit als Prinzip in der Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit:
Gesundheitspolitik reklamiert. Das kann man natürlich Vielen Dank. Ich helfe gern. – Zuerst zu der Frage, in
immer tun, weil es niemanden gibt, der gegen Ehrlich- welche Richtung die Arbeit der Regierungskommission
keit ist. Aber Sie haben nicht gesagt, was Sie wollen. gehen soll. Das ist einfach und klar zu beschreiben. Das
Wenn die Forderung nach Ehrlichkeit und Glaubwürdig- ist auch nachzulesen; das steht im Koalitionsvertrag. Ich
keit irgendeinen Sinn haben soll, dann muss man in der schicke Ihnen diesen gerne zu. Es lohnt sich übrigens,
aktuellen Diskussion sagen, in welche Richtung man ge- sich auch alle anderen Kapitel durchzulesen. Herr Kol-
hen will. Das haben Sie noch nicht einmal ansatzweise lege, die Aufgabe der Regierungskommission ist nicht,
gemacht. Sie sind im Allgemeinen geblieben. das endgültige System zu beschreiben – das steht bereits
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie dürfen im Koalitionsvertrag –, sondern, den Weg vom Zustand
nicht schlafen!) heute zum Idealzustand von morgen genau vorzugeben;
denn nach elf Jahren roter und rot-grüner Gesundheits-
– So wach, wie ich bin, ist so schnell kein anderer. politik
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Zu Ihren Plänen!)
Ich habe mich aus folgendem Grund zu dieser Kurz- wird man nicht von heute auf morgen das System
intervention gemeldet: Sie diskutieren über die Einfüh- schlagartig verbessern können.
2970 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010
Birgitt Bender
(A) im nächsten Jahr garantiert sagen wird: 16 Milliarden Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C)
Euro Steuerzuschuss, darüber reden wir aber noch ein- Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Schluss kom-
mal. men.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN) Mache ich. – Der CSU wird nur wichtig sein, dass das
Geld aus dieser Kopfpauschale nicht in den Finanzaus-
Herr Schäuble, ich bin mir sicher, dass ich in Ihrem gleich der Kassen einbezogen wird, damit dieses Geld in
Sinne rede. Das, was die FDP plant, wird mit einem Fra- Bayern hängen bleibt. Auch das ist dann wieder ein
gezeichen versehen, und dann wird die Kopfpauschale, Stück Entsolidarisierung.
durch die einseitig die Versicherten belastet werden, (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
noch einmal höher. SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Fazit: Ruhe ist nur bis zur NRW-Wahl am 9. Mai. Wir glauben, dass diese Kommission dazu da ist, –
Dann folgen vier weitere Sitzungen dieser Kommission.
Diese Sitzungen wird man damit verbringen, einen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Kompromiss zu inszenieren. Wie könnte dieser Kom- Frau Kollegin!
promiss aussehen? Den Testballon mit 29 Euro Kopf-
pauschale, eingepreist 0,9 Beitragssatzpunkte, die bisher
von den Versicherten gezahlt werden, haben Sie schon Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
steigen lassen. Wie geht es dann weiter? Die Geringver- – ein Theaterstück aufzuführen, bei dem das heraus-
dienenden brauchen einen Sozialausgleich. In Ihrer kommt, was ich eben gesagt habe. Wir werden das zu
Rechnung sind das 5 Milliarden Euro – Geld, das Sie verhindern wissen.
nicht haben. Durchschnittsverdienende zahlen im Jahr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
100 Euro mehr und Gutverdienende ab einem Einkom- und bei der SPD)
men von 3 200 Euro würden entlastet. Ich gratuliere!
Ich sage Ihnen, Herr Minister: Ein solcher Teilaus- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
stieg aus dem Solidarsystem ist ebenfalls ein Ausstieg. Das Wort hat nun Kollege Rolf Koschorrek, CDU/
Natürlich verfolgen Sie damit das Ziel des Komplettaus- CSU-Fraktion.
stiegs. Die Versicherten sollen in Zukunft höher belastet (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(B) werden – das hat der Kollege Lotter vorhin mit bemer- (D)
kenswerter Unbefangenheit gesagt; da spürt man den Dr. Rolf Koschorrek (CDU/CSU):
politischen Neuling –, und die Arbeitgeber sollen an der
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir
Finanzierung nicht mehr beteiligt werden. Man glaubt,
sind in den Beratungen zum ersten Haushalt der neuen
dass man mehr Geld ins System holen kann, wenn man Regierung und des neuen Ministers Rösler selbstbewusst
den Versicherten in die Tasche langt. Das ist ungerecht, an die Arbeit gegangen und haben deutlich gemacht,
und es wird auch nicht funktionieren. dass wir zu dem stehen, was vorher in der Gesundheits-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN politik gemacht worden ist, und dass es uns nicht darum
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der geht, alles schlechtzureden, was vorher gelaufen ist, aber
LINKEN) sehr wohl darum, die Dinge weiterzuentwickeln. Wir
führen Bewährtes fort und wollen die Finanzierung an-
Sollen wir glauben, dass die CDU das nach den Wah- gefangener Projekte auch in Zukunft weiter sicherstel-
len in NRW verhindern wird? Nein! Die CDU wird sehr len. Ich nenne in diesem Zusammenhang die Verbesse-
einverstanden sein. Sollen wir glauben, dass die CSU, rung der Versorgung Pflegebedürftiger, die Förderung
die sich derzeit als Held des Solidarsystems gibt, das der Kindergesundheit und natürlich auch die Verbesse-
verhindern wird? Schauen wir uns einmal an, was rung der Versorgung chronisch Kranker. Kurz gesagt:
Markus Söder letzte Woche im Bayerischen Landtag ge- Wir machen nicht alles anders, aber Vieles und Wesentli-
sagt hat. Da wurde er von einer grünen Abgeordneten ches deutlich besser.
gefragt, wie er den Passus im Koalitionsvertrag interpre- Wichtige Entscheidungen, die angesichts der Verän-
tiere, dass man einkommensunabhängige Arbeitnehmer- derungen in unserer immer älter werdenden Gesellschaft
beiträge wolle. Seine Antwort war so: Die Anforderung und auch infolge der Einflüsse der Globalisierung nötig
der Einkommensunabhängigkeit beziehe sich nicht auf sind, wurden jahrelang aus ideologischen Gründen im
den ganzen Krankenversicherungsbeitrag, sondern nur BMG verhindert und verschleppt. Wir müssen jetzt
auf den Zusatzbeitrag, eine Kopfpauschale in ihrer längst überfällige Weichenstellungen vornehmen und
reinen Form lehne er ab. Im Klartext: Eine kleine Kopf- haben keine Zeit mehr zu verlieren, um tragfähige und
pauschale ist mit der CSU sehr wohl zu machen. Diese nachhaltige Lösungen auf den Weg zu bringen. Dabei
Haltung unterscheidet sich aber gar nicht von dem, was geht es nicht allein um die zukunftsfeste Finanzierung
Sie, Herr Minister, inzwischen sagen. Sie haben ja in- unseres Gesundheitssystems, die seit Monaten im Zen-
zwischen auch schon von der großen Ankündigung auf trum der öffentlichen Diskussion steht, oder um Einspa-
den kleinen Einstieg umgestellt. rungen im Arzneimittelbereich.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010 2973
Dr. Rolf Koschorrek
(A) Ich rate den Kolleginnen und Kollegen der Opposi- folgende nicht mehr. Zur Finanzierung dieses Bereichs (C)
tion, nicht immer jede Parole, die in irgendeinem sozia- kommen wir später. Es geht zunächst um das Definieren
listischen Kampfblatt montagmorgens durch den Äther einer wissenschaftlichen Gebührenordnung, die drin-
geistert, gend überfällig ist,
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
GRÜNEN]: Meinen Sie den Spiegel? – Ewald
und das nicht nur im zahnmedizinischen Bereich, son-
Schurer [SPD]: Bayernkurier! Herz-Jesu-
dern auch im ärztlichen Bereich; denn die Gebührenord-
Marxisten! – Christian Lange [Backnang]
nungen sind nicht mehr zeitgemäß – das müssen wir ak-
[SPD]: Spiegel oder Bayernkurier?)
zeptieren – und in Anbetracht der Tatsache, dass die
hier gleich zur Grundlage bzw. zur Basis der Regie- derzeitige Gebührenordnung seit 1988 gilt, mache ich
rungspolitik zu machen, sondern einmal abzuwarten, keinen Hehl daraus, dass die ein oder andere wirtschaft-
was denn die sehr wohl kompetent besetzte Kommis- liche Anpassung dieser Gebührenordnung erforderlich
sion der Regierung berät. Wir werden im Laufe dieses ist.
Jahres einen entsprechenden Vorschlag auf dem Tisch
Das werden wir in einer konstruktiven Zusammenar-
haben und können diesen dann sicherlich auch mit dem
beit zwischen Politik, Leistungserbringern, aber auch
von Herrn Lauterbach angekündigten durchgerechneten
den Kostenerstattern im Bereich der privaten Kranken-
Konzept einer Bürgerversicherung seitens der SPD ver-
versicherung sowie der Beihilfestellen lösen. Ich bin zu-
gleichen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir mit dem,
versichtlich – die Vorgespräche sind gut verlaufen –,
was wir gemeinsam mit Minister Rösler und der Regie-
dass wir schon in den nächsten Wochen Eckpunkte ver-
rungskommission dort entwickeln werden, am Ende zei-
einbaren und zügig, möglichst noch im Laufe dieses Jah-
gen können, dass es nachhaltiger, gesellschaftlich ver-
res, vorschlagsreif entwickeln können. Die Gebühren-
träglicher und vor allen Dingen auch gerechter sein wird.
ordnung für Zahnärzte wird eine Blaupause für das sein,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und was im ärztlichen Bereich ansteht. Ich bin zuversicht-
der FDP) lich, dass wir auch dort zu tragfähigen und zukunftsfes-
ten Konzepten kommen.
Lassen Sie mich aber den Fokus auch auf einige an-
dere Bereiche der Gesundheitspolitik der nächsten Mo- Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung,
nate und auch Jahre richten. Wir haben uns einige Bau- was die Angleichung der Verhältnisse zwischen den
stellen vorgenommen. Neben den mit der Neuordnung neuen Bundesländern und den restlichen Bundesländern
im Arzneimittelbereich verbundenen Einsparungen ha- angeht, ist eine letzte Aufgabe übriggeblieben, und zwar
ben wir noch mehr vor. Ich möchte einige Stichworte die Angleichung der Honorare im zahnmedizinischen
(B) (D)
nennen: Bereich. Auch diese Aufgabe müssen wir angehen, das
ist längst überfällig. Es ist nicht mehr zu rechtfertigen,
Wir werden uns der Sicherung der ärztlichen Versor-
dass unterschiedliche Honorare gezahlt werden, wenn
gung in der Fläche widmen.
man bedenkt, dass sich die Lebens- und Arbeitsverhält-
Wir werden neue Approbationsordnungen für Ärzte nisse zum Großteil angeglichen haben, und auch vor
und Zahnärzte auf den Weg bringen. dem Hintergrund, dass in allen anderen Bereichen eine
Angleichung bereits durchgeführt worden ist.
Wir werden den Aufbau einer telematischen Infra-
struktur beschleunigen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP)
Wir werden neue Gebührenordnungen zunächst im
privatärztlichen und privatzahnärztlichen Bereich auf Die Gesundheitspolitik darf sich nach unserer Über-
den Weg bringen. zeugung den notwendigen Neuansätzen nicht länger ver-
weigern. Die älter werdende Gesellschaft in Deutsch-
Als letzte Baustelle haben wir uns die Angleichung
land, die Folgen der globalisierten Wirtschaft und der
der zahnärztlichen Honorare zwischen Ost und West
medizinische Fortschritt, der allen Patienten in unserem
vorgenommen.
Lande zugänglich sein und bleiben muss, verlangen von
Das sind nur einige Beispiele für die Bereiche, in de- uns Mut für Neuerungen. Wir brauchen eine verbesserte
nen wir umgehend Initiativen ergriffen haben. Wir arbei- telematische Infrastruktur. Angesichts der älter wer-
ten daran, schnellstmöglich in Gesprächen mit den Be- denden Bevölkerung, aber auch angesichts der zuneh-
troffenen zu tragfähigen Ergebnissen zu kommen. menden Zahl von chronisch erkrankten Menschen, die
dank des medizinischen Fortschritts länger leben und da-
Die längst überfällige Novellierung der seit 1988 un-
mit länger chronisch krank sind, können wir nicht darauf
veränderten Gebührenordnung für Zahnärzte bringen
verzichten, uns der neuen technischen Möglichkeiten bei
wir als Erstes auf den Weg.
der Betreuung dieser Patienten zu bedienen.
(Zuruf von der SPD: Die armen Zahnärzte!)
Wir müssen erhebliche Anstrengungen machen, dass
– Es geht nicht um arme Zahnärzte, liebe Kolleginnen die Infrastruktur für telematische Anwendungen in der
und Kollegen, überhaupt nicht. Aber eine Gebührenord- Bundesrepublik verbessert wird. Wir haben das Pro-
nung, deren Inhalt in wissenschaftlich-fachlicher Hin- blem, dass wir durch die in Teilen sehr skurrile und auch
sicht seit 1988 nicht weiterentwickelt worden ist, erfüllt durchaus unsinnige Diskussion über die Einführung und
die Bedürfnisse der Versorgung für die Jahre 2010 und Organisation der E-Card in den letzten Jahren einiges an
2974 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010
Die einzige Verstärkung im Kabinett, die man sich (Lars Lindemann [FDP]: Die Sie betreiben!)
hier gewünscht hätte, ich sage einmal: die einzige Fach- und einen absurden Vorschlag zum Thema Pharma-
frau im Kabinett zur Kopfpauschale, ist nicht dabei. industrie.
(Ulrike Flach [FDP]: Aber die Kopfpauschale
(Heinz Lanfermann [FDP]: Es sind doch Ihre
wollen wir ja nicht!)
falschen Informationen, die die Leute verunsi-
Das ist nämlich Frau Merkel selbst. Frau Merkel ist da- chern!)
für nicht dumm genug. Sie kennt den alten Spruch der
Industrie: Einen Fehler zu machen, ist verzeihlich, aber Den Vorschlag, den die Pharmaindustrie selbst unterbrei-
wer den Fehler wiederholt, fliegt raus. Die Gefahr ist tet hat, wollen Sie uns jetzt verkaufen. Bei dem Vor-
hier groß; denn Frau Merkel, die Bundeskanzlerin, ist schlag geht es darum, dass die Pharmaindustrie wie die
mit der Kopfpauschale schon einmal auf die Nase gefal- Teppichhändler erst die Preise um 20 Prozent erhöht,
len. Sie wird zusehen, wie es Herrn Rösler ergeht. Sie was dann wieder zurückverhandelt werden soll. Dieser
selbst wird sich daran nicht die Finger verbrennen. Das Vorschlag ist so schlecht, dass sich sogar die Teppich-
Leipziger Programm hat die Union damals Stimmen händler bei mir beschwert haben, dass sie mit den unse-
ohne Ende gekostet. Das ist der Weg, den die FDP jetzt riösen Geschäftspraktiken der FDP nicht in Zusammen-
antritt. Das ist das, was Ihnen bei der Nordrhein-West- hang gebracht werden wollen.
falen-Wahl bevorsteht. Erinnern Sie sich an meine (Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem
Worte. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab-
(Beifall bei der SPD) geordneten der LINKEN)
Was soll bis zur NRW-Wahl passieren? Mit Täu- Wenn es so weit ist – bei allem Respekt vor dieser
(B)
schungsmanövern soll in der Öffentlichkeit die Absicht Handelsgruppe; nicht alle Teppichhändler sind unseriös; (D)
der Kommission verschleiert werden. Mal heißt es, die
(Elke Ferner [SPD]: Aber die FDP schon!)
Kopfpauschale ist gar keine Kopfpauschale, sondern nur
eine Prämie pro Kopf. Aber worin liegt der Unterschied auch das sind Wähler –, dass selbst die Teppichhändler
zwischen einer Pauschale pro Kopf und einer Kopfpau- die ehemalige Wirtschaftspartei FDP schmähen, wie
schale? weit ist es gekommen, wie weit sind die Vorschläge, die
(Ulrike Flach [FDP]: Sie werden das nie wir heute hören, von einer seriösen Gesundheits-, Haus-
begreifen!) halts- und Finanzpolitik entfernt? Wir hören keinen ein-
zigen konkreten Vorschlag. Die Vorschläge, die wir hö-
Ich frage Sie: Was sollen diese billigen semantischen ren, sind entweder unseriös oder nicht finanzierbar oder
Tricks? Wen glauben Sie damit noch täuschen zu kön- beides.
nen?
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Dann heißt es, es gäbe einen Sozialausgleich. Man des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
kann aber nicht sagen, wer diesen bezahlt, wie er bezahlt
und wie lange er bezahlt wird. Das Einzige, was wir hö- Demnächst sollen bis zu 35 Milliarden Euro aus ei-
ren, ist, dass er automatisch fließen soll. Das erinnert nem – ich nenne es einmal so – automatischen Sozial-
mich an den biblischen Spruch von der wundersamen ausgleich kommen.
Brotvermehrung. Bitte machen Sie sich doch nichts vor: (Ulrike Flach [FDP]: Das haben Sie schon
Wenn nicht klar ist, wer bezahlt, woher das Geld kommt, gesagt!)
wenn Bund, Länder und Kommunen pleite sind, was soll
denn dann automatisch fließen? Das ist doch plumpe Dabei sind Sie nicht in der Lage, die sinnvollen Vorbeu-
Wählertäuschung. geprogramme, die jetzt laufen, ausreichend zu finanzieren.
Sie müssen in diesem Haushalt 500 000 Euro bei Program-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
men für Bewegung und ausgewogene Ernährung sparen.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
Sie sparen 400 000 Euro bei der Armutsbekämpfung. Sie
Ulrike Flach [FDP]: Das ist Kasperletheater,
schränken um 1,24 Millionen Euro bei Programmen gegen
was Sie machen!)
den Drogenmissbrauch ein. 400 000 Euro sparen Sie bei
Daher würde es mich schon interessieren, was Herr der Bekämpfung von HIV-Infektionen. Sie müssen bei
Schäuble wirklich über diese Pläne denkt, was hier sei- den Kränksten und Ärmsten einzelne kleine Eurobeträge
ner Meinung nach wirklich gespielt wird, wer das seiner einsammeln. Sie müssen die Vorbeugung beschneiden,
2976 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010
(B) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (Ewald Schurer [SPD]: Sie scheinbar nicht! (D)
Das Wort hat nun Rudolf Henke für die CDU/CSU- Sie nicht! Kein Vorschlag!)
Fraktion. – Ich bin sehr gut in der Lage, zu unterscheiden. – Ich
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) habe mir genau gemerkt,
(Ewald Schurer [SPD]: Wieder nicht! Ein
Rudolf Henke (CDU/CSU): Wahnsinn!)
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! dass Herr Lauterbach hier behauptet und in den Mittel-
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr punkt stellt, dass die Politik der Koalition darauf gerich-
Lauterbach, Sie waren jetzt vier Jahre lang in der tet sei, den Ausstieg aus dem Solidarsystem herbeizu-
Schmollecke der SPD-Fraktion. führen.
(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das wäre das (Elke Ferner [SPD]: Ja, natürlich!)
erste Mal in meinem Leben gewesen!)
Ich sage Ihnen: Das, was Sie mit Ihrer Bürgerversiche-
Vier Jahre lang haben Sie hinnehmen müssen, dass Ulla rung anstreben, ist die Vorbereitung auf einen Ausstieg
Schmidt die Gesundheitspolitik gestaltet hat. Sie hatten aus dem Solidarsystem. Ich werde Ihnen jetzt erklären,
vier Jahre Zeit, sich auf den Zeitpunkt der Übernahme warum.
der gesundheitspolitischen Führungsrolle in der SPD
vorzubereiten. Wie schlecht haben Sie sich eigentlich in
den vier Jahren vorbereitet, um jetzt in dieser Haushalts- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
debatte eine solche Rede zu halten? Herr Kollege, gestatten Sie vorher eine Zwischen-
frage des Kollegen Lauterbach?
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Hier hätten Sie auftrumpfen können. Hier hätten Sie Rudolf Henke (CDU/CSU):
die ganze Kritik, die Sie seit einem halben Jahr vortra- Ja, natürlich. Wenn mir das nicht von der Redezeit ab-
gen, und Ihre Alternative beschreiben können. gezogen wird, gerne.
(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Sie regieren
doch! Wer stellt denn die Regierung? Regieren Dr. Karl Lauterbach (SPD):
wir oder Sie? – Elke Ferner [SPD]: Sie regie- Herr Henke, ich bin konkret gewesen und habe ein
ren!) paar Vorschläge gemacht. Aber hier ist niemand, der sich
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010 2977
Dr. Karl Lauterbach
(A) mit den Vorschlägen von Herrn Rösler beschäftigt hat. (Elke Ferner [SPD]: Legen Sie doch auch mal (C)
Tragen Sie doch Ihre eigenen Vorschläge vor, etwas vor!)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) weil Sie wissen, dass dieses Modell ohne Zukunft ist,
wenn die Bürger erfahren, wie Ihr Modell konkret aus-
ob positiv oder negativ, was auch immer. Aber ich bin
sieht.
doch noch nicht der Minister,
(Ewald Schurer [SPD]: Sie haben doch jetzt
(Heiterkeit – Heinz Lanfermann [FDP]: Gott die Mehrheit! Sie müssen jetzt regieren! Aber
sei Dank! – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Sie machen es nicht!)
Um Himmels willen! Dazu darf es niemals
kommen!) Sie wissen, dass es verfassungsrechtlich völlig ausge-
schlossen ist, eine Bürgerversicherung einzuführen, in
sondern Herr Rösler ist der Minister. Wo sind denn Ihre der Abgaben erhoben werden, für die das Äquivalenz-
konkreten Vorschläge? Nennen Sie Ihre eigenen Vor- prinzip verlassen wird. Aber Sie täuschen die Bürger,
schläge. Wir regieren doch noch nicht, Herr Henke. indem Sie sie darüber im Unklaren lassen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Elke
Ferner [SPD]: Nein! Sie lassen die Bürger im
Rudolf Henke (CDU/CSU): Unklaren!)
Lieber Herr Lauterbach, das, was Sie in den Mittel-
punkt der Debatte stellen, ist doch die Frage, Von der vermeintlich idealen Solidaritätsleistung in
der Bürgerversicherung sind gerade die ausgenommen,
(Zuruf von der SPD: Kommen jetzt mal denen es am besten geht, während gleichzeitig die
Vorschläge?) durchschnittliche Belastung der mittleren Schichten weit
ob mit einem steuerfinanzierten Sozialausgleich, stärker steigt, als es bei jedwedem einkommensunabhän-
gigen Beitrag mit sozialem Ausgleich je der Fall sein
(Elke Ferner [SPD]: Wer will den denn?) könnte.
wie er in allen Vorschlägen der Koalition und in der ge- Wo wir soziale Verantwortung ernst nehmen, da set-
samten Philosophie des Gesundheitsministers enthalten zen Sie sich für ein Modell ein, das nichts und nieman-
ist, oder mit einem beitragsfinanzierten Sozialausgleich den so sehr schont wie den leistungslosen Wohlstand.
besser auf die heutige Situation reagiert werden kann.
(Elke Ferner [SPD]: Ach! Das ist doch
Das, was Sie immer in den Vordergrund rücken, ist, dass
Quatsch!)
Sie unter allen Umständen und egal zu welchen Kosten
(B) (D)
und Bedingungen am beitragsfinanzierten Sozialaus- Mittwochs beklagen Sie hier den leistungslosen Wohl-
gleich als dem einzigen Instrument festhalten wollen, stand, und freitags werben Sie mit Ihrem Eintreten für
dem Sie überhaupt attestieren, das Prädikat „solidarisch“ die Bürgerversicherung dafür, leistungslosen Wohlstand
zu verdienen. Genau damit zementieren Sie eine finan- zu belohnen. Unsere Überzeugung ist, dass eine Zusatz-
zielle Engführung dessen, was im Gesundheitswesen zu finanzierung, in der Steuermittel den Sozialausgleich or-
leisten ist. ganisieren, eine stärkere Beteiligung derer sicherstellt,
die auf der sonnigsten Seite des Lebens stehen. Das ist
Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie gesagt haben, es
der Unterschied: Wir nehmen das Solidaritätsgebot
besteht Konsens darüber, dass wir eine Alterung der Be-
ernst, aber Sie tun nur so, als nähmen Sie es ernst, und
völkerung zu verzeichnen haben und dass der demogra-
versuchen, ein Verwirrspiel zu spielen.
fische Wandel seinen Preis verlangt. Ich bin Ihnen dank-
bar dafür, dass Sie sagen, der medizinische Fortschritt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elke
führt dazu, dass das Gesundheitswesen teurer wird. Aber Ferner [SPD]: Sie wollen den Sozialstaat platt-
dann müssen Sie doch auch eine Antwort auf die Frage machen! Das ist die Wahrheit!)
geben, wie Sie in dem von Ihnen propagierten Alterna-
Herr Lauterbach, vielleicht gestatten Sie mir, dass ich
tivmodell einer Bürgerversicherung den Solidaraus-
Ihnen in Erinnerung rufe, was die SPD-Fraktion zu Zei-
gleich verbessern wollen.
ten Ihrer Vorgänger über die Bürgerversicherung gedacht
(Elke Ferner [SPD]: Sagen Sie doch erst einmal, hat:
wie hoch Ihre Kopfpauschale sein wird!)
Eine ganz entscheidende Frage bei der Bürgerversi-
Mit genau dieser Frage möchte ich mich jetzt gerne cherung ist, bis zu welchem Einkommen Beiträge
auseinandersetzen, weil sie die Kernfrage ist: Brauchen gezahlt werden müssen.
wir bei der Finanzierung der Gesundheitsversorgung
(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Darum geht es
eine Stärkung der steuerfinanzierten Anteile, oder brau-
heute doch überhaupt nicht! Es geht um Ihre
chen wir eine Konzentration allein auf die Beitragsfinan-
Vorschläge!)
zierung? Das ist die Kernfrage.
Hier gibt es die Überlegung, die Beitragsbemes-
(Zuruf von der SPD: So ist es!)
sungsgrenze deutlich anzuheben oder sie ganz auf-
Sie weigern sich natürlich, Ihr angeblich klug konstru- zuheben. Das wird uns aus verfassungsrechtlichen
iertes Modell auch nur ein einziges Mal konkret zu be- Gründen aber nicht gelingen. Man kann nicht die
schreiben, Beitragsbasis beliebig ausweiten, ohne die Leistun-
2978 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010
Rudolf Henke
(A) gen anzupassen. Das hat das Bundesverfassungsge- Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck- (C)
richt in mehreren Urteilen deutlich gemacht. Daher sache 17/1039? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
wird die Grenze wohl in der Nähe des heutigen Be- Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen der Fraktio-
trags … bleiben … Das heißt, auch bei einer Bür- nen der CDU/CSU, der FDP und von Bündnis 90/Die
gerversicherung werden die Gutverdienenden auf Grünen gegen die Stimmen der Linksfraktion bei
einen großen Teil ihres Einkommens keine Beiträge Stimmenthaltung der SPD abgelehnt.
zahlen.
Wir kommen nun zu der Abstimmung über den
(Ulrike Flach [FDP]: So ist es! Das ver- Einzelplan 15 in der Ausschussfassung. Wer stimmt da-
schweigt die SPD!) für? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Einzelplan 15 ist mit den Stimmen der beiden Koali-
Besonders deutlich wird das Problem, wenn auch tionsfraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositions-
noch Zinsen oder Mieteinnahmen einbezogen wer- fraktionen angenommen.
den. Davon sind dann nämlich nur die Bezieher von
geringen und mittleren Einkommen betroffen. Die Ich rufe auf:
Reichen werden verschont. Das ist nicht das, was Einzelplan 32
ich mir unter einer guten Bürgerversicherung vor- Bundesschuld
stelle.
– Drucksache 17/621 –
Das hat Frau Schaich-Walch, damals stellvertretende
Fraktionsvorsitzende der SPD, im Jahr 2003 erklärt. Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Barthle
(Zuruf von der SPD: Fast zehn Jahre her!) Carsten Schneider (Erfurt)
Daran hat sich nichts geändert. Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Alexander Bonde
Eine Aussprache ist nicht vorgesehen. Wir kommen
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: daher gleich zur Abstimmung über den Einzelplan 32 –
Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Ende kommen. Bundesschuld – in der Ausschussfassung. Wer stimmt
dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Rudolf Henke (CDU/CSU): Einzelplan ist mit den Stimmen der beiden Koalitions-
Ja. – Wir haben diese Debatte fortgeführt. Deswegen fraktionen gegen die Stimmen der drei Oppositionsfrak-
(B) sind wir überzeugter denn je, dass es richtig ist, den Soli- tionen angenommen. (D)
darausgleich stärker auf Steuermittel abzustellen, als Sie
es wollen. Präsident Dr. Norbert Lammert:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe jetzt auf:
(Widerspruch bei der SPD)
Einzelplan 60
Das ist der konzeptionelle Unterschied, der in dieser De- Allgemeine Finanzverwaltung
batte deutlich wird.
– Drucksache 17/622 –
(Zuruf von der SPD: Wieder nichts Neues!)
Berichterstattung:
Ich bedanke mich sehr für die Aufmerksamkeit. Abgeordnete Norbert Barthle
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Carsten Schneider (Erfurt)
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Alexander Bonde
Ich schließe die Aussprache.
Auch hier ist eine Aussprache nicht vorgesehen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel-
plan 15 – Bundesministerium für Gesundheit – in der Bevor wir dem Einzelplan 60 in der Ausschussfas-
Ausschussfassung. Hierzu liegen drei Änderungsan- sung zustimmen können, müssen wir über zwei Ände-
träge der Fraktion Die Linke vor, über die wir zuerst ab- rungsanträge befinden, die die Fraktion Die Linke einge-
stimmen. bracht hat.
Wir kommen zunächst zu dem Änderungsantrag auf
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
der Drucksache 17/1040. Wer stimmt gegen diesen Än-
sache 17/1037? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
derungsantrag? – Wer enthält sich? – Damit ist der Än-
sich? – Der Änderungsantrag ist bei Zustimmung der
derungsantrag abgelehnt.
Fraktion Die Linke mit den Stimmen des übrigen Hauses
abgelehnt. Wer stimmt für den Änderungsantrag auf der
Drucksache 16/1041? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Druck-
hält sich? – Der Änderungsantrag ist abgelehnt.
sache 17/1038? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
Der Änderungsantrag ist mit der gleichen Mehrheit wie Wir stimmen jetzt über den Einzelplan 60 – Allge-
zuvor abgelehnt. meine Finanzverwaltung – in der Ausschussfassung ab.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010 2979
Präsident Dr. Norbert Lammert
(A) Stimmt jemand gegen diesen Einzelplan 60? – Wer ent- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (C)
hält sich? – Der Einzelplan ist in der Ausschussfassung die Aussprache zwei Stunden vorgesehen. – Ich höre
damit mehrheitlich angenommen. keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich rufe nun auf: Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Petra Merkel für die SPD-Fraktion das Wort.
Haushaltsgesetz 2010
(Beifall bei der SPD)
– Drucksachen 17/624, 17/625 –
Berichterstattung: Petra Merkel (Berlin) (SPD):
Abgeordnete Norbert Barthle Herr Präsident! Sehr geehrten Damen und Herren!
Carsten Schneider (Erfurt) Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei der Schlussrunde
Otto Fricke der ersten Lesung des Haushalts 2010 im Januar stand
Roland Claus ich auch hier und habe gesprochen. Wenn ich jetzt über-
Alexander Bonde lege, was in den letzten acht Wochen dazwischen pas-
Auch hier ist eine Aussprache in der zweiten Bera- siert ist, dann stelle ich fest, dass wir lange und intensive
tung nicht vorgesehen. Beratungen hinter uns haben.
Die einzelnen Fachausschüsse haben zum Haushalt
Wir kommen daher gleich zur Abstimmung über das
2010 getagt. Meine Kolleginnen und Kollegen aus dem
Haushaltsgesetz in der Ausschussfassung. Hierzu liegt
Haushaltsausschuss haben in Berichterstatterrunden be-
ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke auf der
raten. Vor allen Dingen gab es lange Sitzungen im Haus-
Drucksache 17/1009 vor, über den wir zuerst abstim-
haltsausschuss: 8 Sitzungen, runde 80 Stunden, über
men. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? – Wer
1 130 Anträge haben wir im Haushaltsausschuss abge-
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Änderungs-
stimmt, damit wir hier im Plenum in dieser Woche die
antrag ist mit Mehrheit abgelehnt.
abschließenden Beratungen des Haushalts 2010 durch-
Wer stimmt für das Haushaltsgesetz 2010 in der Aus- führen konnten. Wir sind jetzt wenige Meter vor dem
schussfassung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält Ziel.
sich? – Das Haushaltsgesetz ist mit der Mehrheit der
„Sind Sie denn mit dem Ergebnis zufrieden?“, wurde
Koalition gegen die Oppositionsfraktionen angenom-
ich am Tag nach der Bereinigungssitzung von der Presse
men.
gefragt. Na ja, ich war erst einmal froh, dass ich nach der
Wir kommen nun zum Finanzplan des Bundes 2009 14-stündigen Bereinigungssitzung, die erst gegen
(B) bis 2013 auf den Drucksachen 16/13601 und 17/626. 3.30 Uhr morgens beendet war, wieder aus den Augen (D)
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung gucken konnte. Das ging sicherlich allen Kolleginnen
auf Drucksache 17/626, den Finanzplan zur Kenntnis zu und Kollegen so. Natürlich kann kein Haushälter und
nehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – keine Haushälterin mit einer Nettokreditaufnahme von
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die erkenn- 80,2 Milliarden Euro zufrieden sein.
bar große Mehrheit des Hauses ist bereit, den Finanzplan
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist wahr!)
zur Kenntnis zu nehmen, was hiermit so protokolliert
wird. Das ist nun einmal eine Rekordverschuldung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt II auf: (Otto Fricke [FDP]: Stimmt!)
Dritte Beratung des von der Bundesregierung ein- Das ist wahrlich kein Grund zum Jubeln.
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
LINKEN)
Haushaltsjahr 2010 (Haushaltsgesetz 2010)
Jetzt kommt sicherlich der Hinweis darauf, dass im
– Drucksachen 17/200, 17/201, 17/601 bis 17/616,
Verlauf der parlamentarischen Beratungen immerhin
17/619 bis 17/622, 17/623, 17/624, 17/625,
5,6 Milliarden Euro eingespart werden konnten. Ja, das
17/1077 –
stimmt.
Berichterstattung:
(Otto Fricke [FDP]: Auch das!)
Abgeordnete Norbert Barthle
Carsten Schneider (Erfurt) Aber das ist nicht Ihr Verdienst, liebe Kolleginnen und
Otto Fricke Kollegen von der schwarz-gelben Koalition. Das ist auf
Roland Claus eine bessere Konjunktur und auf zum Glück weniger
Alexander Bonde Ausgaben für Arbeitslosigkeit zurückzuführen.
Es wurden insgesamt 13 Entschließungsanträge ein- 80,2 Milliarden Euro schmerzen mich besonders, weil
gebracht, über die wir nach der Schlussabstimmung ab- Peer Steinbrück 2008 dicht vor dem Ziel war, keine
stimmen werden. Ich weise darauf hin, dass wir später neuen Schulden mehr aufnehmen zu müssen. Dann kam
über das Haushaltsgesetz sowie über einen Entschlie- die Finanz- und Wirtschaftskrise. Wir haben gehandelt.
ßungsantrag der Fraktion der SPD namentlich abstim- Wir mussten riesige Summen in die Hand nehmen und
men werden. wieder Schulden machen, um der Krise zu begegnen.
2980 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010
(Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Wir wissen doch: Der Bund hat kein Geld, die Kom-
Egal, ob vernünftig oder nicht: Ihr hättet das munen erst recht nicht, und die Länder auch nicht. Ge-
einfach gemacht! Hauptsache 79, weil sich das rade weil das so ist, muss es zumindest jetzt einen Kon-
besser anhört! So seid ihr!) sens dahin gehend geben, dass die Steuern in allen
Bundesländern in gleichem Maße erhoben werden müs-
Was fällt auf? Bei Steinbrück lag die strukturelle sen, Stichwort: Bundessteuerverwaltung. Meine Frak-
Verschuldung, nämlich die Verschuldung, die Investi- tion hat sich im Rahmen der Föderalismuskommission
tions- und Wachstumsförderung bedingt, bei knapp dafür eingesetzt, dieses Thema endlich in Angriff zu
40 Milliarden Euro. Ihre liegt jetzt bei 68 Milliarden nehmen. Schätzungen zufolge wurde von jährlichen
Euro. Sie müssen doch erklären, warum Sie trotz besse- Mehreinnahmen in Höhe von mindestens 8 Milliarden
rer wirtschaftlicher Entwicklung und trotz einer nicht so Euro ausgegangen. Die Bundessteuerverwaltung bringt
stark wie befürchtet gestiegenen Arbeitslosigkeit eine so auch eine Vereinfachung und eine Entbürokratisierung
hohe Verschuldung aufnehmen. Sie hätten locker unter mit sich. Herr Finanzminister Schäuble, auch Sie müssen
eine Neuverschuldung von 80 Milliarden Euro kommen ein Interesse daran haben. Diskutieren Sie mit Ihren Kol-
können. Wenn Sie gewollt hätten, dann hätten Sie durch- leginnen und Kollegen aus den Ländern, auf welche
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010 2981
Petra Merkel (Berlin)
(A) Weise Steuern zu erheben sind. Diskutieren Sie mit ih- Präsident Dr. Norbert Lammert: (C)
nen bitte noch einmal über eine Regelung in Bezug auf Zunächst freuen wir uns auf die nächste Rede, die
eine Bundessteuerverwaltung. Es gibt verschiedene Mo- vom Kollegen Norbert Barthle für die CDU/CSU-Frak-
delle; diese liegen alle vor. tion gehalten wird.
Es ist wirklich ein Skandal, wenn in einem Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
land Steuerfahnder aus dem Amt gedrängt oder gemobbt neten der FDP)
werden, weil sie zu erfolgreich sind. In einer Zeit, in der Ich weise vorsichtshalber darauf hin, dass die vorge-
diskutiert wird, ob Steuerdaten-CDs aus der Schweiz ge- sehene Redezeit zur Verlesung des dicken Bandes, das
kauft werden, um so Steuerhinterzieher zu verfolgen, Sie mitgebracht haben, sicher nicht reicht.
müssen wir im eigenen Land doch alle Möglichkeiten
ausschöpfen, um die dem Staat zustehenden Steuern zu (Heiterkeit)
erhalten.
Norbert Barthle (CDU/CSU):
(Beifall bei der SPD) In Ordnung. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Ich komme zum Schluss. Für mich war es eine Pre- Damen und Herren! Ich will sagen: Heute ist ein schöner
und ein guter Tag.
miere; denn es war der erste Etat, den ich als Vorsitzende
des Haushaltsausschusses begleiten konnte. Deshalb (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
möchte ich mich jetzt bei einigen Menschen bedanken: NEN]: Ein schlechter Tag! – Zuruf von der
Herr Finanzminister Schäuble, ich danke Ihnen ganz be- LINKEN: Für wen denn?)
sonders, dass Sie heute an der Abschlussrunde teilneh-
Denn wir können heute den Bundeshaushalt 2010 ab-
men. Gestatten Sie mir außerdem ein ganz persönliches
schließend beraten. Nach langer harter Arbeit wird er
Wort: Wir alle haben uns Sorgen um Sie gemacht. Wir
dem Bundespräsidenten und dem Bundesrat übergeben
hoffen sehr, dass Sie die nächste Zeit nutzen, um Kraft und somit in das Gesetzblatt gehievt. Damit endet nicht
zu tanken, und sich diese Zeit auch nehmen können. Sie nur der Winter, sondern auch die vorläufige Haushalts-
haben harte Wochen und Monate vor sich. Denn Sie führung.
müssen Ihre Kolleginnen und Kollegen von einem rigi-
den Sparkurs überzeugen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP)
(Otto Fricke [FDP]: Nein! Überzeugen muss
er nicht!) Lassen Sie mich nach diesen Beratungen zunächst al-
(B) len Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss (D)
Dafür wünschen wir Ihnen viel Erfolg. und deren Mitarbeitern einen ganz herzlichen Dank aus-
sprechen. Ich weiß, wie viel Arbeit dahintersteckt. Ich
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP möchte auch dem Haushaltsausschusssekretariat, das
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) uns unter neuer Führung hervorragend unterstützt hat,
ganz herzlich danken: herzliches Dankeschön. Ich danke
Ich möchte mich ganz offiziell bei meinen Kollegin- natürlich auch der Frau Vorsitzenden für die gute Füh-
nen und Kollegen im Haushaltsausschuss für die gute rung. Liebe Frau Kollegin, ich wünsche Ihnen noch eine
Zusammenarbeit bedanken. Mein Dank gilt auch den jahrelange, vielleicht auch jahrzehntelange Ausübung
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des gesamten Haus- dieser Aufgabe.
haltsausschusssekretariats, die die langen Sitzungen vor-
bereitet, nachbereitet und uns während der Sitzungen bis (Heiterkeit und Beifall – Petra Merkel [Berlin]
in die Morgenstunden begleitet haben. Einige von ihnen [SPD]: Keine Hoffnung!)
haben hinter der Bundesratsbank Platz genommen. Mein herzlicher Dank richtet sich auch an Bundes-
finanzminister Wolfgang Schäuble und seine Staatsse-
(Beifall)
kretäre. Dies gilt natürlich auch für sein Haus, das uns
Ich bedanke mich außerdem bei den Mitarbeiterinnen unter neuer Führung bestens unterstützt hat.
und Mitarbeitern der Ministerien, beim Parlamentari- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
schen Staatssekretär Steffen Kampeter, beim Rech-
nungshof und bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Lassen Sie mich nun auf den Haushalt zurückkom-
der Fraktionen sowie aus den Abgeordnetenbüros. Auch men. Die Fakten bleiben Tatsachen, auch wenn es von-
wenn Sie es nicht so recht glauben: Ich freue mich schon seiten der Opposition immer wieder anders dargestellt
auf die Beratungen für den nächsten Haushalt, die im wird. Wir befinden uns in einer historischen Krisen-
Herbst stattfinden werden. situation. Dieser historischen Krisensituation ist auch
eine historisch hohe Nettokreditaufnahme geschuldet.
Schönen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Das erfreut niemanden in diesem Hause, im Gegenteil.
Nicht nur wir Haushälter sehen das mit großer Sorge und
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei empfinden diesen Schuldenberg sozusagen fast als kör-
Abgeordneten der LINKEN und des BÜND- perlich spürbare Last. Ich bin deshalb unserer Bundes-
NISSES 90/DIE GRÜNEN – Otto Fricke kanzlerin sehr dankbar, dass sie diese bedrückende Si-
[FDP]: Ich glaube ihr das!) tuation in aller Deutlichkeit dargelegt hat.
2982 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010
Norbert Barthle
(A) Aber der Schuldenberg liegt nicht am mangelnden unter dem Strich 44 Milliarden Euro mehr ausgegeben (C)
Sparwillen der christlich-liberalen Koalition, werden sollten, frei nach dem Motto: Im Himmel ist
Jahrmarkt, wir schöpfen aus dem Vollen.
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Aber auch!)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
weit gefehlt. Denn trotz der Krise haben wir die Netto- Herr Kollege Barthle, der Kollege Bonde wollte ver-
kreditaufnahme durch schwierige, schmerzhafte Ein- mutlich zu Ihren Anmerkungen zu den Vorschlägen der
schnitte um 5,6 Milliarden Euro abgesenkt; Grünen noch eine Zwischenfrage stellen.
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Das hatten wir doch schon mal!) Norbert Barthle (CDU/CSU):
das sind 6,5 Prozent. Eigentlich waren es sogar Gerne.
5,9 Milliarden Euro. Da wir aber auf der Einnahmeseite
sehr vorsichtig kalkuliert haben, verbleiben 5,6 Milliar- Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
den Euro. Nennen Sie mir eine andere Koalition als die Herr Kollege Barthle, sind Sie bereit, Ihre doch sehr
der christlich-liberalen, die so etwas schon einmal ge- reduzierten Lesekünste auf das gesamte Antragswerk der
schafft hätte! Da werden Sie wahrscheinlich sprachlos Grünen auszuweiten und zu bestätigen, dass wir mit den
bleiben müssen. Haushaltskonzepten, die wir Ihnen vorgelegt haben, un-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ter anderem durch den Abbau von klima- und umwelt-
schädlichen Subventionen in Höhe von 9 Milliarden
Schauen wir uns einmal die Sparbemühungen der Op- Euro und durch eine vorgeschlagene Reduzierung im
position an. Denn eines muss festgehalten werden: Eine Haushalt in einer Größenordnung von 4,7 Milliarden
um 1 oder 2 Milliarden Euro niedrigere Nettokreditauf- Euro, ein Paket geschnürt haben, mit dem wir einerseits
nahme rettet die Welt nicht. Mehr war aber auch bei der belegt haben, dass wir sowohl die eine oder andere von
Opposition nicht zu sehen. uns gewünschte Investition mehr hätten tätigen können,
Schaue ich mir die Änderungsanträge der SPD an, aber andererseits auch gezeigt haben, dass die Netto-
stelle ich fest, dass mit ihnen unter dem Strich eine um neuverschuldung für dieses Jahr um 7,5 Milliarden Euro
2 Milliarden Euro niedrigere Nettokreditaufnahme vor- niedriger hätte liegen können als bei Ihrer Rekordver-
gesehen ist als bei der Koalition. So weit, so gut. Bei ge- schuldung?
nauerer Betrachtung der Einzelpläne aber sieht man,
dass in Summe 840 Millionen Euro mehr ausgegeben Norbert Barthle (CDU/CSU):
werden sollten, die Einsparungen aber nur durch niedri- Lieber Herr Kollege Bonde, ich gehe gerne nochmals (D)
(B) gere Zins-ausgaben, eine globale Minderausgabe und un-
mit Ihnen jeden einzelnen Antrag der Grünen durch. Ich
realistisch angesetzte Steuermehreinnahmen erreicht habe die Auflistung in meinem Büro; wir können sie uns
werden sollten. Das sind, mit Verlaub, Luftbuchungen. gerne anschauen. Dann kann ich Ihnen zeigen, dass Sie
(Bettina Hagedorn [SPD]: Stimmt ja gar zwar innerhalb der einzelnen Einzelpläne durchaus Ge-
nicht!) genfinanzierungen für die von Ihnen geplanten Mehraus-
gaben vorgesehen hatten, dass aber über alle Einzelpläne
– Doch, schauen Sie es nach. hinweg – mit Ausnahme der Einzelpläne 32 und 60 – un-
Ähnlich sieht es bei den Grünen aus. Die Grünen ter dem Strich 14 Milliarden Euro Mehrausgaben blie-
wollten über alle Haushalte hinweg 14 Milliarden Euro ben. Das können wir uns gerne noch einmal anschauen;
mehr ausgeben. Auch hier sollten Einsparungen nur dann werden auch Sie vielleicht schlauer werden. –
durch unrealistische Steuermehreinnahmen und eine um Danke.
1,1 Milliarden Euro geringer veranschlagte Position bei
den Zinsausgaben erfolgen. Auch das sind Haus- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
haltstricks. Vor diesem Hintergrund erscheinen viele der in dieser
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Woche hier aus den Reihen der Opposition vorgetrage-
GRÜNEN]: Quatsch!) nen Vorwürfe in einem ganz anderen Licht. Da wurde
immer wieder behauptet, wir wollten gar nicht, nicht
Dass die Grünen überdies im Verteidigungsetat mal eben ernsthaft oder zu wenig sparen. Das relativiert sich sehr
1,8 Milliarden Euro kürzen wollten, will ich nur am schnell.
Rande erwähnen, vielleicht auch in Richtung des Kolle-
gen Johannes Kahrs, der unsere Einsparungen vehement Lassen Sie mich an dieser Stelle noch kurz zurück-
kritisiert hat, obwohl auch die SPD-Fraktion fast kommen auf die ominöse 900-Millionen-Euro-Sperre
140 Millionen Euro in diesem Etat einsparen wollte. bei den Eingliederungshilfen für Langzeitarbeitslose.
Dann weiß der Kollege Kahrs, wo seine wahren Freunde (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
sind. NEN]: Das ist in der Tat ominös, was Sie da
Jetzt lassen Sie mich noch auf die Linken blicken. Die gemacht haben!)
Änderungsanträge der Linken zeigen, dass trotz einer Das war schon eine besondere Nummer. Da stellen die
Kürzungsorgie von 3,7 Milliarden Euro im Verteidi-
Haushälter der SPD-Fraktion diese Sperre als Kürzung
gungsetat
dar. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel bringt es gar
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) fertig, öffentlich per Pressemitteilung nur noch von Kür-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010 2983
Norbert Barthle
(A) zung zu reden. Dabei kennen die erfahrenen Kollegen im Als wir in der Bereinigungssitzung mit Frau von der (C)
Haushaltsausschuss den Unterschied zwischen einer Leyen über die Sperre gesprochen haben, habe ich sie
Sperre und einer Kürzung ganz genau. Darüber hinaus gefragt, wann diese Sperre aufgehoben sein muss, damit
wissen sie sogar, dass wir in aller Regel – mit wenigen die 900 Millionen Euro noch in diesem Jahr für aktive
Ausnahmen – diese Sperre irgendwann im Haushaltsaus- Arbeitsmarktpolitik ausgegeben werden können. Die
schuss aufheben. Ministerin hat daraufhin gesagt, sie müsste spätestens in
der Plenarwoche im April aufgehoben werden, damit das
(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Das muss aber Geld noch ausgegeben werden kann. Können Sie das be-
schnell passieren! In der April-Sitzung!) stätigen? Wird Schwarz-Gelb die Sperre am 21. April in
Sie wird also nicht zu einer Kürzung führen. Das wissen der Haushaltsausschusssitzung aufheben?
Sie genau. Trotzdem stellen Sie es in der Öffentlichkeit
anders dar. Das finde ich nicht korrekt. Norbert Barthle (CDU/CSU):
Verehrte Frau Kollegin, ich möchte Ihnen Folgendes
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
antworten:
An diesem geradezu paradigmatischen Beispiel kann
Erstens. Sie haben tatsächlich von einer faktischen
man sehen, dass viele der hier aus den Reihen der Op-
Kürzung gesprochen. Aber darunter versteht die Öffent-
position vorgetragenen Kritikpunkte billige Effektha-
lichkeit eben eine Kürzung. Ihre feine Unterscheidung
scherei und teilweise Polemik waren. Leider ist in dieser
versteht kein Mensch.
Woche die Kritik teilweise in persönliche Diffamierun-
gen ausgeartet. Da wünsche ich mir für künftige Haus- (Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des
haltsberatungen wieder etwas mehr Kultur in den Debat- Abg. Dr. Michael Meister [CDU/CSU])
ten.
Zweitens. Sie haben vollkommen recht: Die Frau Mi-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nisterin hat im Ausschuss dargelegt, dass es sinnvoll und
gut wäre, wenn diese Sperre noch in den ersten beiden
Präsident Dr. Norbert Lammert: Quartalen aufgehoben werden könnte, möglichst bis
Ende April. In diesem Monat haben wir noch eine Sit-
Herr Kollege Barthle, möchten Sie eine Zwischen-
zungswoche. Ich bin sehr zuversichtlich, dass es unserer
frage der Kollegin Hagedorn beantworten?
Ministerin, die sehr tüchtig ist, gelingen wird, bis zu
diesem Termin ein Konzept vorzulegen, das zeigt, wie
Norbert Barthle (CDU/CSU): dieses Geld zweckentsprechend, zielgerichtet und öko-
Gerne. nomisch sinnvoll eingesetzt werden kann.
(B) (D)
Verehrte Frau Kollegin, ich muss Ihnen noch eines sa-
Präsident Dr. Norbert Lammert: gen: Die SPD hat dieses Land elf Jahre lang regiert. Da
Ich will zwischendurch darauf hinweisen, dass ich kann es nicht falsch sein, einmal nachzuschauen, ob das
aufgrund der von uns vereinbarten Gesamtredezeit nicht Geld tatsächlich ökonomisch sinnvoll und zielgerichtet
geneigt bin, eine sich abzeichnende substanzielle Aus- eingesetzt wird. Dies ist im Sinne von uns Haushältern.
weitung der Debattenzeit durch eine Fülle von Zusatz-
fragen und Kurzinterventionen zuzulassen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Zurück zum Haushalt 2010. Wir haben erste Signale
Ich möchte daher schon jetzt um eine freiwillige Sortie- hin zu einer Konsolidierungspolitik für künftige Haus-
rung entsprechender Wünsche bitten. – Bitte, Frau Kol- halte bereits in diesem Gesetz gegeben. Ich erinnere
legin Hagedorn. daran: Im Bereich der Verwaltungs- und Personalkosten
haben wir 500 Millionen Euro eingespart. Rund 2 600 Stel-
len brutto werden durch eine wieder eingeführte pau-
Bettina Hagedorn (SPD):
schale Stelleneinsparung abgebaut.
Die Anzahl der Wünsche nach Zwischenfragen wird
sich sicherlich reduzieren, wenn das, was hier vorgetra- An dieser Stelle möchte ich gerne mit Erlaubnis des
gen wird, auch den Tatsachen entspricht. Präsidenten aus der Neuen Osnabrücker Zeitung zitie-
ren. Dort gab es am 16. März Lob vom Bund der Steuer-
Herr Kollege Barthle, zu der 900-Millionen-Euro- zahler. Das ist ja eher die Ausnahme als die Regel. Der
Sperre. Ich habe nicht von einer Kürzung, sondern von Präsident des Bundes der Steuerzahler, Herr Däke, wird
einer faktischen Kürzung gesprochen. Sie haben vorhin folgendermaßen zitiert:
gesagt, dass jede Sperre irgendwann einmal aufgehoben
wird. Die Änderungen zeigten, „dass das Parlament sein
Budgetrecht ernst nimmt und nicht jedem Wunsch
der Bundesregierung erliegt“ …
Norbert Barthle (CDU/CSU):
Nicht jede, aber viele. Das bestätigt die Anstrengungen von uns Haushältern.
Ich gebe dieses Lob gerne an die gesamte christlich-libe-
Bettina Hagedorn (SPD): rale Koalition weiter.
Irgendwann, haben Sie gesagt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
2984 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010
Norbert Barthle
(A) Wir alle wissen, dass man es sich beim Sparen bei den Präsident Dr. Norbert Lammert: (C)
Ausgaben nicht leicht machen darf. Das ist ein schwieri- Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Kahrs
ges Unterfangen. Dabei gibt es immer wieder auch das Wort.
scharfen Gegenwind aus den Reihen der Fachpolitiker,
aus den Ländern, aus den Kommunen. Deshalb haben
Johannes Kahrs (SPD):
wir uns in mühevoller Kleinarbeit darangemacht, diese
5,9 Milliarden Euro einzusparen. Das lassen wir uns von Lieber Norbert, du hast gesagt, dass die SPD sich zu
niemandem, auch nicht von der Opposition, madigma- Recht über die Kürzungen im Verteidigungsbereich
chen. Das ist eine großartige Leistung in diesem Haus- aufgeregt hat.
halt. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Nein!)
Wir haben den Blick schon auf die Maastricht-Krite- Den Vorgang muss man sich einmal auf der Zunge zer-
rien und auf die Schuldenbremse gerichtet. Das steht gehen lassen. Der Inspekteur des Heeres hat alle
vor uns. Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Rede dazu ge- 91 Flugabwehrpanzer Gepard, jede Menge Schützenpan-
sagt: Es wird eine Herkulesaufgabe sein, die Vorgaben zer Marder und die Panzerhaubitzen stillgelegt, weil
zu erfüllen. Wir werden uns mit großem Elan daranma- schon jetzt kein Geld mehr für Munition und Instandhal-
chen. tung vorhanden ist. In dieser Situation der Bundeswehr
Die Schuldenbremse ist ein historischer Erfolg der – mit Einsätzen in Afghanistan, auf dem Balkan und an-
letzten Legislaturperiode. Gerade in dieser Krisenzeit derswo – habt ihr in laufender Sitzung über 450 Millio-
zeigt die Schuldenbremse bereits, dass sie ihre Wirkung nen Euro aus dem Verteidigungsetat herausgestrichen:
entfalten wird. Das wird den Druck zur Konsolidierung 100 Millionen Euro beim A400M, 30 Millionen Euro
aufrechterhalten, und dafür bin ich sehr dankbar. beim Tiger, 30 Millionen Euro beim NH-90 usw. Zu al-
lem gibt es feste Verträge. Da kommt man gar nicht he-
Nun gab es in diesen Tagen die Aufforderung der EU- ran. Das heißt, der Staatssekretär Wolf muss im laufen-
Kommission an Deutschland, noch mehr zu sparen. Das den Haushaltsjahr 450 Millionen Euro aus dem
betrifft aber nicht den jetzigen Haushalt; das betrifft Verteidigungsetat herausstreichen, wo doch schon jetzt
kommende Haushalte. Das betrifft natürlich insbeson- Panzer stillgelegt werden, weil nicht genug Geld da ist.
dere unsere Partnerländer. Wenn ich dorthin schaue,
stelle ich fest, dass wir mit unserer Defizitquote von Das Ganze habt ihr gemacht, ohne eure eigenen Fach-
5,5 Prozent an der Spitze liegen. Das ist im Vergleich zu politiker, die von der CDU/CSU, zu beteiligen. Das
Frankreich – 8 Prozent –, Spanien – rund 10 Prozent – Ganze habt ihr gemacht ohne Wissen eures Ministers.
und Großbritannien – rund 13 Prozent – deutlich besser. Das Ganze habt ihr gemacht ohne Absprachen mit den
(B) Das heißt, dieses Land wurde und wird gut regiert. Wir Staatssekretären. Das heißt, ihr habt in einer Nacht-und- (D)
stehen in dieser Krisenzeit besser da als so manch an- Nebel-Aktion den Verteidigungshaushalt rasiert. Nichts
dere. Deshalb hat Jean-Claude Juncker dieser Tage das gegen Sparen, aber es muss schon schlau sein. Das ist
deutsche Modell der Schuldenbremse als ein Modell für hier nicht der Fall.
die Euro-Zone in ganz Europa dargestellt. Dem ist ei- Im nächsten Jahr werden die Soldaten an allen Ecken
gentlich nichts mehr hinzuzufügen. und Enden bespart werden: bei Infrastruktur, bei In-
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Dann kön- standhaltung; das tägliche Leben wird eingeschränkt –
nen wir ja aufhören!) und das nach all den warmen Worten, die ihr bei dem
Beschluss zu Afghanistan gefunden habt, dass nämlich
Meine Damen und Herren, damit Sie auch sehen, dass den Soldaten, die wir irgendwo hinschicken, immer das
wir nicht nur in Milliarden- oder Millionenbeträgen den- beste Gerät mitgegeben wird. Ich finde, das ist schäbig.
ken, habe ich den ersten Band des Haushalts 2009 mitge-
bracht. Der gesamte Haushalt erscheint ja in zwei Bän- (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
den. Die sind mir zu schwer; deshalb habe ich nur einen
Ihr hättet wenigstens mit euren Fachpolitikern, dem Kol-
Band mitgebracht. Wir Haushälter haben auch im Klei-
legen Beck und den anderen Kollegen aus dem Verteidi-
nen gespart. Wir werden den Haushalt 2010 nicht mehr
gungsausschuss, reden können, um zu erfahren, was sie
vielhundertfach in zwei solch dicken Bänden drucken,
zu dem Thema sagen. Fragt doch mal den Minister, wa-
sondern nur noch in geringer Stückzahl. Wir werden ihn
rum er in der Debatte über den Einzelplan seines Minis-
für die Kolleginnen und Kollegen in elektronischer Form
teriums nicht geredet hat! Fragt doch mal die Staatsse-
zur Verfügung stellen. Dann kann sich jeder den Part
kretäre und die Berichterstatter!
ausdrucken, den er braucht, und wird nicht von zwei
schweren Bänden sozusagen erschlagen. Auch da sparen Ich finde, so kann man mit der Bundeswehr, der
wir also Geld ein. Truppe nicht umgehen: auf der einen Seite schöne, wohl-
Sie sehen: Wir Haushälter lassen keine Gelegenheit feile Sonntagsreden halten und auf der anderen Seite un-
aus, mit dem Geld der Steuerzahler sorgsam umzugehen. abgestimmt einen Haushalt regelrecht rasieren, der so-
In diesem Sinne freue ich mich auf die künftigen Haus- wieso schon knapp genäht ist, ohne eine Alternative
haltsberatungen. anzubieten. Norbert, das hat nichts mit Sparen zu tun.
Das ist eine unintelligente Schikane eines Ministers. Das
Danke schön. hat die Armee nicht verdient.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der SPD)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010 2985
(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: Aber solche Wunder gibt es in der Politik nicht. Machen (C)
Herr Kollege Barthle, da Sie offenbar erwidern wol- Sie endlich eine vernünftige, nachhaltige Politik und si-
len: Ich habe eigentlich den Eindruck, dass es noch ge- chern Sie die Einnahmeseite des Haushaltes!
nügend Redner gibt – angefangen mit dem Finanzminis-
(Beifall bei der LINKEN)
ter bis zu den Kollegen aus der Fraktion –, die auf die
angesprochenen Fragen antworten können, sodass wir Statt die Einnahmen zu sichern, diskutieren Sie über
wiederum im Sinne des vereinbarten Gesamtzeitbudgets eine wirklich irrwitzige Idee. Sie wollen noch vor der
auf eine weitere Erwiderung verzichten können. Können Wahl in Nordrhein-Westfalen quasi als Geschenk für die
wir das machen? Wählerinnen und Wähler – eigentlich als Geschenk für
Herrn Rüttgers, den Sie vor dem Untergang retten wol-
Norbert Barthle (CDU/CSU): len – Steuersenkungen mit einem Volumen von 10 Mil-
Nur einen Satz. Ich mache es ganz kurz. liarden Euro beschließen. Sie haben das halbherzig de-
mentiert. Aber ich glaube, wenn wir am kommenden
Sonntagabend den Fernseher einschalten, dann werden
Präsident Dr. Norbert Lammert: wir sehen, dass Sie Ihre Meinung geändert haben. Ich
Gut, einen Satz. sage Ihnen ganz deutlich: Für mich wäre es wirklich ein
Missbrauch der Demokratie, wenn die Vorsitzenden der
Norbert Barthle (CDU/CSU): Koalitionsparteien am Sonntag eine Blitzsteuerreform,
Herr Kollege Kahrs, ich will nicht auf die Einzelhei- wie sie es offensichtlich geplant haben, beschließen wür-
ten eingehen, da das zu weit führen würde. Nur so viel: den. Es darf nicht sein, dass wir hier im Parlament eine
Wir erleben hier ein Phänomen, das man häufiger be- ganze Woche um einen vernünftigen Haushalt ringen
obachten kann. Dort, wo wir gespart haben, schreien die und dann am Wochenende eine Steuerreform von drei
jeweiligen Fachpolitiker: Hilfe, bei uns nicht, lieber wo- Parteivorsitzenden beschlossen wird. So sieht seriöse,
anders! – Dort, wo es Zuwächse gibt, heißt es: Ihr habt demokratische Politik nicht aus, Frau Merkel.
zu wenig draufgelegt. Warum nicht mehr? – Das kann (Beifall bei der LINKEN)
man durch jeden Einzelplan durchdeklinieren. Aber die-
ses Spiel hilft uns nicht weiter. Ich will Ihnen erklären, welche Gemeinsamkeiten
zwischen der Arbeit der Bundesregierung und dem Köl-
Herzlichen Dank. ner U-Bahn-Bau bestehen. Beide haben die Stützpfeiler
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) verkauft und wundern sich nun, dass alles zusammen-
bricht. Der Bundeshaushalt, über den wir reden, hat nur
noch zwei Stützpfeiler: die Lohnsteuer und die Mehr-
(B) Präsident Dr. Norbert Lammert: (D)
wertsteuer. Den Stützpfeiler Gewinnsteuer haben die Re-
Die Kollegin Gesine Lötzsch ist die nächste Rednerin
gierungen der letzten 20 Jahre für ein paar Spenden an
für die Fraktion Die Linke.
ihre Klientel verkauft.
(Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN)
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Der Anteil der Einnahmen aus der Gewinnsteuer am ge-
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- samten Steueraufkommen betrug 1960, also vor 50 Jah-
ren! Sie, Frau Bundeskanzlerin Merkel, haben am Mitt- ren, 35 Prozent. Heute beträgt er nur noch 20 Prozent.
woch in Ihrer Rede kein Wort darüber verloren, wie Sie Das heißt, um es zu übersetzen: Die Arbeitnehmerinnen
den Haushalt langfristig sanieren wollen. Wir reden hier und Arbeitnehmer müssen nahezu die gesamte Steuerlast
über 80 Milliarden Euro Neuverschuldung. Hinzu kom- allein tragen. Das ist verantwortungslos, und das ist
men über 27 Milliarden Euro Kapitalhilfen und fast keine soziale Politik.
17 Milliarden Euro für den Tilgungsfonds. Das macht in (Beifall bei der LINKEN)
der Summe über 124 Milliarden Euro. Frau Merkel,
mehr Haushaltsnotstand geht wirklich nicht. Ich füge hinzu: Der Pfeiler Lohnsteuer gerät durch den
wachsenden Niedriglohnsektor weiter unter Druck. Wer
(Beifall bei der LINKEN) prekäre Arbeitsverhältnisse zum Standard machen will,
der darf sich nicht wundern, wenn Steuern und Sozialab-
Frau Merkel, Sie haben eine Rede gehalten, die ich – um
gaben spärlicher fließen. Darum brauchen wir endlich
einen Begriff der Börsensprache aufzugreifen – als einen
den gesetzlichen flächendeckenden Mindestlohn und
typischen Leerverkauf bezeichne.
vernünftige Arbeitsverhältnisse.
(Otto Fricke [FDP]: Da kennst du dich ja mit
(Beifall bei der LINKEN)
aus!)
Damit hätten wir nebenbei endlich auch europäischen
Sie haben eine große Steuerreform versprochen, ohne
Standard erreicht, wo sich die Regierung doch gerne als
dafür einen einzigen Euro in der Tasche zu haben. Was
Lehrmeister Europas aufspielt. Wenn wir uns an europäi-
Sie wirklich haben, ist über 1 Billion Euro Schulden.
schen Standards orientieren würden, dann müssten wir
Damit sich die Zuschauer das vorstellen können:
diese Maßnahme endlich im Bundestag beschließen.
1 Billion ist eine Zahl mit zwölf Nullen. Sie, Frau
Merkel, gehen riskante Wetten ein und hoffen, dass die Wir als Linke wollen nicht, dass der Bundeshaushalt
Einnahmeverluste durch Wunder ausgeglichen werden. das gleiche Schicksal wie das Kölner Stadtarchiv erlei-
2986 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010
Wenn diese Regierung prekäre Arbeitsverhältnisse und Präsident Dr. Norbert Lammert:
Minijobs zur Dauereinrichtung machen will, dann wird Nächster Redner ist der Kollege Jürgen Koppelin für
sich diese Situation immer mehr verschärfen. Wir brau- die FDP-Fraktion.
chen, um unseren Haushalt zu stützen, um die Sozialkas-
sen zu stärken und um den Menschen die Möglichkeit zu (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
geben, in Würde zu arbeiten, endlich gute Arbeit zu gu- der CDU/CSU)
ten Löhnen, aber keine prekären Verhältnisse.
(Beifall bei der LINKEN) Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Bundeskanzlerin hat die Lohnzurückhaltung der Nach den vielen Beratungen im Haushaltsausschuss und
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gelobt und die den vielen Debatten hier im Plenum zum Bundeshaus-
Gier der Manager getadelt. Schauen wir uns einmal an, halt 2010 wird heute ein Bundeshaushalt in schwieriger (D)
(B)
ob die Manager diesen Tadel beherzigen. Er hat sie über- finanz- und wirtschaftspolitischer Zeit verabschiedet.
haupt nicht beeindruckt. Es ist doch geradezu unanstän- Genauso wie meine Vorredner möchte ich erst einmal
dig, dass Herr Ackermann, der diese Krise durch sein den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Haushalts-
Verhalten mit verursacht hat und der durch hochriskante ausschusses einen ganz herzlichen Dank sagen. Ich
Spekulationen sein Geld verdient, jetzt schon wieder ein möchte mich auch für die faire Zusammenarbeit mit den
Gehalt von fast 10 Millionen Euro im Jahr bekommt. Da Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen bedanken,
können Sie sehen, Frau Merkel, wie Ihre Tadel wirken. bei dem einen mehr, bei dem anderen weniger; das ist
Augenscheinlich sind die gar nicht ernst gemeint. Was ganz klar.
tun Sie wirklich, um die Gier zu begrenzen? Wir brau-
chen endlich Gesetze zur Finanzmarktregulierung. Wir hatten einen schwierigen Haushalt zu beraten.
Schwierig war er dadurch, dass er noch vom Finanz-
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. minister Steinbrück vorgelegt wurde.
Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]) (Johannes Kahrs [SPD]: Steinbrück, guter
Mann! – Zurufe von der SPD)
Der Internationale Währungsfonds, IWF, soll noch in
diesem Jahr einen Vorschlag zur Beteiligung der Banken – Ja, sicher. Das ist doch bekannt; das ist kein Geheim-
an den Krisenkosten vorlegen. Warum eigentlich nur nis. – Er hatte eine sehr hohe Neuverschuldung vor-
eine Beteiligung? Warum, frage ich Sie, gilt nicht die gesehen. Unsere Koalition hatte sich ganz fest vorge-
alte Regel, dass derjenige, der einen Schaden verursacht, nommen, sich mit einer Neuverschuldung in der von
auch dafür aufkommen muss? Wir als Linke werden uns Steinbrück geplanten Höhe nicht der deutschen Öffent-
nicht damit abfinden, dass die Banken nur einen symbo- lichkeit zu präsentieren. Uns war zwar klar, dass wir mit
lischen Beitrag zahlen sollen. Wir haben klare Forderun- einer hohen Neuverschuldung leben müssen; aber sie
gen an die Banken. An dieser Stelle zeigt sich, dass un- sollte weniger hoch ausfallen.
sere Forderung richtig war, den Rettungsschirm für die Kollegin Merkel von der SPD – Sie sind hier heute als
Banken mit klaren Bedingungen zu verbinden. Sie haben haushaltspolitische Sprecherin aufgetreten –, Sie sagen,
das abgelehnt. Jetzt haben Sie keinerlei Druckmittel ge- die Neuverschuldung könnte geringer als 80 Milliarden
gen die Banken in der Hand. Das ist nicht hinnehmbar. Euro sein.
Sie lassen sich weiter von den Banken erpressen. Diese
Politik muss endlich beendet werden. (Bettina Hagedorn [SPD]: Deutlich!)
(Beifall bei der LINKEN) – „Deutlich“. – Dazu sage ich Ihnen Folgendes:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010 2987
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
(A) Erstens. Wir betreiben keine Schönfärberei, sondern – Das können Sie nachlesen. Auch der Kollege (C)
wir wollen Haushaltswahrheit und Haushaltsklarheit. Schneider hat diese Erhöhung in seiner Rede kritisiert. –
Ich nenne Ihnen den Unterschied zwischen Ihrer und un-
Zweitens. Dieser Vorwurf geht doch ins Leere. Wür- serer Politik: Wir haben das Kindergeld angehoben. Wir
den wir all den von Ihnen gestellten Erhöhungsanträgen sind für eine gerechte Familienbesteuerung. Sie hinge-
folgen, dann würde die Neuverschuldung noch höher als gen haben – das war eine Ihrer letzten großen Taten –
von Steinbrück vorgesehen ausfallen. 5 Milliarden Euro für die Abwrackprämie bereitgestellt.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns.
der CDU/CSU – Widerspruch bei Abgeordne- (Beifall bei der FDP)
ten der SPD)
Ein Wort zu den Grünen. Wenn wir hier noch eine
– Empören Sie sich ruhig. – Ich nenne nur ein Beispiel: Woche länger debattiert hätten, dann hätte ich womög-
Haben Sie in der Kulturdebatte hier einen einzigen lich geglaubt, die FDP sei der Erfinder von Hartz IV
Streichvorschlag gemacht, oder haben Sie eine einzige gewesen; so haben Sie hier diskutiert. Sonst kam gar
Kürzung für in Ordnung erklärt? Stattdessen haben Sie nichts. Sie hatten nur ein einziges Motto: Sie haben sich
zig Erhöhungsvorschläge gemacht und haben uns dafür am Parteivorsitzenden der FDP, am Außenminister, ab-
kritisiert, dass wir an diversen Stellen nicht mehr Mittel gearbeitet.
zur Verfügung stellen. Lesen Sie nach, was Sie gesagt
haben, als Sie hier am Rednerpult gestanden haben. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Erfolglos!)
Ähnlich war es bei allen anderen Beratungen: Sie haben Ich will das einmal an einem Beispiel erläutern: Es ist
nur Erhöhungsvorschläge gemacht. doch peinlich, wenn man hier in einer Diskussion über
Ich sage Ihnen bei dieser Gelegenheit auch: Ich bin den Justizetat fast den Eindruck gewinnt, Herr
sehr stolz darauf, dass wir über 50 Prozent der Punkte Westerwelle sei der neue Justizminister, da Sie sich
unseres Liberalen Sparbuchs – wir haben es hier lange hauptsächlich mit ihm beschäftigen. Warum konnten Sie
Zeit präsentiert – durchgesetzt haben. nicht zur Sache kommen? Warum konnten Sie mit uns
nicht sachlich diskutieren? Sie hatten nur ein Thema.
(Beifall bei der FDP – Volker Beck [Köln] Das war mehr als peinlich.
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist ei-
gentlich aus dem Vorschlag geworden, Staats- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
sekretäre abzuschaffen?) Ich möchte auf einen weiteren Aspekt aufmerksam
Ich schaue jede Woche in die Spiegel-Bestsellerliste. machen. Hier ist kritisiert worden, wir hätten keine Sym-
(B) Allmählich müsste auch das Liberale Sparbuch dort er- pathie für die Kommunen, die sich in einer schwierigen (D)
scheinen, so oft ist das zitiert worden. Finanzsituation befänden. Ich kann Ihnen sagen: Es
stimmt, deren Finanzsituation ist schwierig. Nur, darauf
(Beifall bei Abgeordneten der FDP) haben wir Freien Demokraten, zum Beispiel meine Kol-
Das Verlangen danach ist anscheinend groß. Vielleicht legin Piltz und andere, schon seit mehreren Jahren hin-
stimmt mit dieser Liste etwas nicht. Ich kann nur sagen: gewiesen.
Wir haben das Liberale Sparbuch nicht zu den Akten ge- Was haben Sie denn gemacht? Sie haben sich doch
legt. Wir arbeiten die darin enthaltenen Punkte weiter ab. darum überhaupt nicht gekümmert. Soll ich Ihnen sagen,
Ich muss die Opposition fragen: Wo sind Ihre Ein- was Sie gemacht haben? Ich sage es Ihnen:
sparvorschläge gewesen? Sie können uns kritisieren, (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
auch im Hinblick auf dieses Sparbuch – das muss man GRÜNEN]: Gewerbesteuer abschaffen!)
aushalten können –; aber legen Sie doch selber einmal
ein solches Sparbuch vor. Das tun Sie nicht; denn dann Peer Steinbrück hat mehrfach in seinen Reden bis zum
müssten Sie Farbe bekennen und erklären, an welchen Schluss hier erklärt, dass es den Städten doch besser
Stellen gespart werden sollte. Allerdings täten Sie damit gehe als dem Bund. Das hat er hier wörtlich erklärt. Sie
auch Ihrer Klientel weh, und deswegen verweigern Sie hatten damals Redeverbot; Sie durften nichts dazu sa-
sich dem. Sie sind nicht in der Lage, ein solches Spar- gen.
buch vorzulegen. (Widerspruch bei der SPD – Bettina Hagedorn
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten [SPD]: Stimmt doch überhaupt nicht!)
der CDU/CSU) Jetzt sind Sie in der Opposition und beklagen die Situa-
Ich fordere Sie auf, bis zu den nächsten Haushaltsbera- tion der Kommunen. Auch dieses Themas werden wir
tungen selber ein solches Sparbuch vorzulegen. uns annehmen.
Die einzige Alternative zu unserer Politik und zur Schade, dass Peer Steinbrück sich hier nicht selber
Politik dieser Koalition, die ich in dieser Woche gehört äußern kann; denn man liest ja im Spiegel, Peer
habe, war die Kritik der Sozialdemokraten an der Erhö- Steinbrück habe Redeverbot – nicht von der SPD; das
hung des Kindergeldes. kommt vielleicht noch – bis zum Sommer, bis zum Er-
scheinen seines Buches, für das er ein Honorar in Höhe
(Nicolette Kressl [SPD]: Das ist nicht wahr! von 200 000 Euro bekommt. Bis dahin dürfe er keine
Das war der Freibetrag!) Aussage machen. Das finde ich interessant. Ich hätte
2988 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010
Sven-Christian Kindler
(A) tet, 420 Millionen Euro zusätzlich – ich betone: zusätz- NRW-Wahl keine Giftlisten vorlegen, in denen aufge- (C)
lich – für Klimaschutz in Entwicklungsländern bereitzu- führt wird, wo gestrichen werden soll.
stellen. Doch in beiden Fällen haben sie unversehens
(Otto Fricke [FDP]: Aber Sie haben uns doch
und ohne Scham die Versprechen gebrochen. Das ist
gerade Giftlisten vorgeworfen!)
eine Bankrotterklärung der Bundesregierung. Damit ver-
spielen Sie die Glaubwürdigkeit der Bundesrepublik auf Dabei wäre es doch für alle interessant, auch für die
dem internationalen Parkett. Wählerinnen und Wähler, wie das alles zusammengehen
soll. Einerseits haben Sie eine Rekordverschuldung, die
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie in den kommenden Jahren abbauen müssen, anderer-
sowie bei Abgeordneten der SPD) seits haben Sie die Steuern gesenkt. Sie diskutieren über
Damit ist klar: Die richtigen Schwerpunkte werden in die Abschaffung der Gewerbesteuer, obwohl die Kom-
diesem Haushaltsentwurf nicht gesetzt. Die Rekordver- munen sowieso schon unter Ihrem Steuersenkungswahn
schuldung wird nicht genutzt, um Investitionen in die leiden,
Zukunft zu ermöglichen. Das ist ganz und gar nicht ge- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN –
nerationengerecht. Der Gestaltungsspielraum wird durch Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Wer hat Ih-
zusätzliche Zinsbelastungen weiter eingeschränkt, und nen diesen Unsinn aufgeschrieben?)
Sie investieren nicht in Projekte, von denen Kinder und
Jugendliche heute und in Zukunft profitieren würden. und jetzt wollen Sie auch noch Ihren Kopfpauschalen-
Warum nicht? Sie meinen, dafür sei kein Geld da. Aber nonsens finanzieren und weitere Steuersenkungen
warum ist kein Geld da? Weil Sie, statt in den sozial- durchführen.
ökologischen Umbau der Wirtschaft zu investieren, lie- Das heißt dann: 10 Milliarden Euro Senkung der Neu-
ber Klientelgeschenke verteilen. Das konnte man ganz verschuldung, 10 Milliarden Euro Kopfpauschale und
klar am „Schuldenbeschleunigungsgesetz“ sehen, mit bis zu 20 Milliarden Euro Steuersenkungen. Insgesamt
dem Sie vor allem Erben, Gutverdiener und Hoteliers sind das bis zu 40 Milliarden Euro, die Sie finanzieren
entlastet haben. müssen. Herr Schäuble, wo wollen Sie das eigentlich
hernehmen? Das passt alles nicht zusammen. Damit trei-
(Beifall bei Abgeordneten des BÜND-
ben Sie den Bundeshaushalt und die Kommunen weiter
NISSES 90/DIE GRÜNEN)
in den Ruin.
Wer aber in die Zukunft und in soziale Gerechtigkeit (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
investieren will, darf die Einnahmen des Staates nicht und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
weiter verkleinern, weil er ihn sonst irgendwann hand- LINKEN)
(B) lungsunfähig macht. Im Gegenteil: Für eine gerechte (D)
Zukunft brauchen wir eine Einnahmeverbreiterung. Wenn man wie ich frisch in den Bundestag gewählt
Diejenigen, die vor der Finanzkrise von den laxen Regu- worden ist, ist am Anfang vieles neu und ungewohnt.
lierungen profitiert haben, müssen jetzt, in der Krise, an (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das merkt
den Kosten der Krise beteiligt werden. man!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Da ist es wirklich schön, wenn einem eine Sache vertraut
sowie bei Abgeordneten der LINKEN) ist, wenn da etwas ist, das man kennt. So hat sich bei mir
Deshalb fordern wir eine Abgabe auf große Vermö- ein Gefühl eingestellt, das mich durch meine ganze
gen und setzen uns für eine Finanztransaktionsteuer ein, Kindheit und meine Jugendzeit begleitet hat und mich
damit auch die Spekulationen auf den Finanzmärkten der Politik nahegebracht hat. Schon damals habe ich ver-
eingeschränkt werden. Frau Bundeskanzlerin, Sie haben standen – das bestätigt sich leider jeden Tag aufs Neue –:
sich verbal für eine solche Steuer eingesetzt, gemacht Schwarz-Gelb kann es einfach nicht.
haben Sie bisher aber noch gar nichts. Dieser Haushalts- Vielen Dank.
entwurf macht klar: Ihnen fehlt der Wille, aus der Fi-
nanzkrise zu lernen und endlich umzusteuern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN KEN)
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Wie geht es nun weiter?
Das Wort hat nun der Bundesfinanzminister
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das fragen Dr. Wolfgang Schäuble.
wir uns auch!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Sie denken kein Stück über das Jahr 2010 hinaus. Sie ha-
ben keinen aktuellen Finanzplan vorgelegt. Sie haben Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
vergessen, einen einzubringen. Stattdessen haben Sie, zen:
Herr Schäuble, in allerletzter Minute den alten Finanz- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
plan Ihres Vorgängers vorgelegt. Dass dieser Finanzplan Herren! Gegen Ende der Haushaltsberatungen möchte
völlig veraltet und damit wertloser Schrott ist, ist Ihnen ich mich zunächst bedanken bei den Mitgliedern und der
offensichtlich total egal. Hauptsache, Sie müssen vor der Vorsitzenden des Haushaltsausschusses, bei den Mitar-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010 2991
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
(A) beitern des Haushaltsausschusses und allen Abgeordne- (Widerspruch bei der SPD, der LINKEN und (C)
ten, bei den Mitarbeitern des Bundesfinanzministeriums, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sven-
besonders bei den Parlamentarischen und beamteten Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Staatssekretären. Dass wir am 19. März 2010 im Bun- NEN]: Abbau von Privilegien!)
destag den Haushalt 2010 verabschieden können, beruht
Wir glauben, dass in der gegebenen wirtschaftlichen Ge-
auf einer Anstrengung aller, in ungewöhnlich kurzer Zeit
samtsituation Steuererhöhungen für die weitere wirt-
die vorläufige Haushaltsführung zu Ende zu bringen. Ich
schaftliche Entwicklung Gift wären.
möchte mich für die gute Zusammenarbeit bedanken.
Ich bedanke mich auch für die guten Wünsche an mich; (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ich kann sie gebrauchen und werde davon Gebrauch ma-
chen. Nun stehen wir vor dieser außergewöhnlich anstren-
genden und herausfordernden Aufgabe, die die Bundes-
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und kanzlerin am Mittwoch in der Generalaussprache be-
der FDP) schrieben hat: Auf der einen Seite müssen wir in einer
ungewöhnlich schwierigen und unsicheren wirtschaftli-
Wie auch immer Sie das interpretieren wollen. chen Lage Schritt für Schritt die Voraussetzungen für
wirtschaftliche Nachhaltigkeit, Leistungsfähigkeit und
Herr Kollege Kindler, die Argumente sind zwar schon Wettbewerbsfähigkeit gewährleisten. Übrigens ist in die-
oft vorgebracht und oft widerlegt worden, aber – viel- sem Haushalt eine Stärkung der Aufwendungen für For-
leicht haben auch Sie das früher gehört – repetitio est schung und Bildung von 12 Milliarden Euro für diese
mater studiorum, die Wiederholung ist die Mutter des Legislaturperiode enthalten. Das sind Aufwendungen für
Lernens. Warum haben wir es geschafft, den Haushalt so die Infrastruktur, für die Zukunftssicherung unseres Lan-
schnell vorzulegen, den Entwurf so schnell zu beraten des.
und zu verabschieden? Wir sind von einem Haushalts-
entwurf ausgegangen, den wir schon in der vergangenen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Legislaturperiode aufgestellt haben. Sonst wäre das
Auf der anderen Seite müssen wir die kurzfristig zu hohe
nicht möglich gewesen.
Neuverschuldung in den Haushalten von Bund, Ländern
(Zuruf des Abg. Sven-Christian Kindler und Gemeinden zurückführen.
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Die Bundeskanzlerin hat zu Recht gesagt, dass dies
Diesen haben wir um bestimmte Sofortmaßnahmen zum vor dem Hintergrund einer älter werdenden Gesellschaft
1. Januar 2010 ergänzt. Wir haben darauf verzichtet, eine geschehen muss, einer Gesellschaft, die durch rückläu-
(B) Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung vor- fige Geburtenzahlen und – das ist ein Glück für uns alle – (D)
zulegen, was gesetzlich möglich war. Sie wird mit dem steigende Lebenserwartung geprägt ist.
nächsten Haushaltsentwurf vorgelegt. Ferner haben wir Diesen Dreiklang müssen wir leisten. Er ist unge-
die wirtschaftliche Lage und die Situation auf dem wöhnlich herausfordernd. Deswegen ist es richtig, dass
Arbeitsmarkt dazu genutzt, die Verschuldung weiter wir den Haushalt für das Jahr 2010 mit dieser Neuver-
zurückzuführen. Die Neuverschuldung ist mit 80,2 Mil- schuldung, auf Sicht und mit den Impulsen, die wir ge-
liarden Euro außergewöhnlich hoch, und das macht setzt haben, so umsetzen, wie wir ihn jetzt zur Verab-
Sorgen. Übrigens, Frau Kollegin Merkel, ob es nun schiedung vorschlagen. Deswegen bitte ich Sie um
79,9 oder 80 Milliarden Euro sind, ist nicht so wichtig. Zustimmung zum Bundeshaushalt 2010.
(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: 77 Milliarden (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Euro!)
Im internationalen bzw. europäischen Vergleich sind
– Na gut. – Wissen Sie, es hat mit Kosmetik zu tun, ob wir übrigens gar nicht so schlecht. Die britische Zeit-
man die Zahl nun knapp unter oder knapp über schrift The Economist – in britischen Zeitschriften wer-
80 Milliarden Euro ansetzt. Wir haben uns bei den Haus- den wir nicht immer nur gelobt – hat davon gesprochen,
haltsberatungen sehr bewusst für Substanz statt Kosme- Deutschland sei wirtschaftspolitisches Vorbild.
tik entschieden. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das ist
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) aber nicht Ihr Verdienst! – Gegenruf des Abg.
Otto Fricke [FDP]: Es ist doch ganz egal, wes-
Dahinter verbirgt sich genau wie hinter Ihrer Doppel- sen Verdienst das ist!)
kritik ein Problem – liebe Kolleginnen und Kollegen, – Daran haben wir alle mitgewirkt. Herr Kollege
das wissen wir doch alle; Kollege Koppelin hat es gerade Schneider, Sie sollten bei Ihrer Kritik gelegentlich be-
noch einmal beschrieben und glossiert –: Sie kritisieren denken, dass ich immer erwähnt habe: Der erste Entwurf
natürlich auf der einen Seite, dass die Verschuldung viel dieses Haushalts ist noch von meinem Vorgänger
zu hoch ist. Zugleich kritisieren Sie, dass wir viel zu we- Steinbrück in der vergangenen Legislaturperiode vorge-
nig ausgeben. Das passt nicht richtig zusammen. Sie legt worden. Warum die Gräben tiefer machen, als sie
müssten dann Steuererhöhungen fordern. Sie nennen das sind? Die Aufgabe ist groß genug. Wir sollten die Grä-
Subventionsabbau, aber in Wahrheit meinen Sie, wenn ben nicht tiefer machen, als sie sind.
Sie Subventionsabbau sagen, Steuererhöhungen; damit
wir uns da klar verstehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
2992 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010
Joachim Poß
(A) Herr Schäuble, Sie werden schon im Bundeskabinett Inzwischen schauen auch internationale Organisa- (C)
keinen Entwurf zu einer Bankenabgabe durchbekom- tionen mit immer größerer Sorge auf die politischen Füh-
men, weder im April noch später, rungsprobleme in unserem Lande. Dass jetzt wieder die
(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie Steuerpanik in der Regierung ausbricht, wird mit Sicher-
träumen!) heit nicht zur Beruhigung unserer Partner in Europa und
beim Internationalen Währungsfonds beitragen. Die EU-
weil Sie dazu nie und nimmer einen Konsens in der Re- Kommission hat Ihnen in dieser Woche eine schwere
gierungskoalition erreichen werden. Sie und die Kanzle- Rüge erteilt. Die deutsche Regierung, so die Kommis-
rin sind zu schwach, um sich gegen die Bankenlobbyisten sion, müsse ihre Konsolidierungsstrategie endlich präzi-
in der FDP und in Ihrer eigenen Partei durchzusetzen. sieren.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Otto Fricke [FDP]: Dann hat sie ja eine!)
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Bisher reiche die Konsolidierung allerdings nicht aus.
Ich zitiere aus dem Handelsblatt vom Dienstag zum Die größten Gefahren seien die Steuersenkungspläne der
Thema Bankenabgabe: Koalition. – Ein klarer Schuss vor den Bug der Bundes-
In der Union zeigte man sich überrascht über die regierung!
Ankündigung, Die EU-Kommission zeigt die Klarheit, die Sie ver-
– die Ankündigung Schäubles – weigern, die die Menschen aber immer stärker von Ihnen
einfordern werden. Die Wunschkombination Schwarz-
schon im April einen Regierungsbeschluss herbei- Gelb scheitert an der Praxis. Das konnten wir in den letz-
zuführen. ten Monaten jeden Tag erleben. In dieser Woche konnten
Herr Wissing von der FDP wird zitiert: „Noch ist kein wir es noch besser beobachten als sonst.
Konsens in Sicht.“
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(Otto Fricke [FDP]: Guter Mann, der des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wissing!)
Das ist Ihre Finanzmarktpolitik: reine Ankündigun- Präsident Dr. Norbert Lammert:
gen vor der NRW-Wahl, die dann auch noch in der Ko- Otto Fricke ist der nächste Redner für die FDP-Frak-
alition relativiert und dementiert werden. tion.
In der Steuerpolitik, Herr Schäuble, sind Sie der ver- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
antwortliche Minister. Aber ich frage Sie zur Idee eines der CDU/CSU)
(B) 5- bis 10-Milliarden-Euro-Paketes, die jetzt in der Koali- (D)
tion herumgeistert: Was wissen Sie eigentlich davon? Otto Fricke (FDP):
Werden Sie hier von der Kanzlerin und den Koalitions- Geschätzter Präsident! Meine sehr geehrten Damen
partnern vorgeführt? und Herren! Herr Poß, eigentlich fühlt man sich ja zu ei-
Es gibt keine einzige Vorstellung, kein Papier aus ner sofortigen Replik veranlasst, aber das will ich heute
dem Hause Schäuble darüber, was steuerpolitisch jetzt nicht tun.
passieren soll. Sie überlassen das Feld den Steuerfantas-
Ich will auf etwas hinweisen, was mir gestern Abend
ten der FDP und in Ihren eigenen Reihen. Es kann doch
aufgefallen ist: Ich war in der vergangenen Nacht vor
wohl nicht angehen, dass ein so wichtiges Land wie un-
ser Land de facto von Steuerfantasten geführt wird. 20 Jahren zum ersten Mal in meinem Leben in Berlin,
und es war für mich, damals noch als Student in einer
(Beifall bei der SPD) spontanen Aktion aus Freiburg kommend, schon bemer-
Politische Führung, lieber Herr Kollege Schäuble, lieber kenswert, zu sehen, was alles in einem Land möglich ist,
Herr Minister, sieht anders aus. wenn man ein Ziel hat. Schauen Sie sich an, was wir in
den 20 Jahren alles geschafft haben, was das für eine
Von Ihnen kommt immer nur ein Satz, nämlich der Herkulesaufgabe in diesen 20 Jahren war, wer die Ver-
Verweis auf die Steuerschätzung im Mai. Als ob man antwortung gehabt hat, wie Wahlen überraschend ausge-
im Mai etwas grundlegend Neues für die Entscheidun- hen können und wie dann andere Leute Verantwortung
gen in der Steuerpolitik erfahren würde! Eine solch bil- übernehmen und die Arbeit machen.
lige Ausrede ist weit unter Ihrem Niveau.
Sie werden sich wundern, was diese Koalition in den
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) vier Jahren, für die sie den Auftrag hat – Sie können so
Auch Sie gehen die Dinge ausschließlich parteipolitisch- viel reden, wie Sie wollen: Sie wird den Auftrag behal-
taktisch an, so wie die Bundeskanzlerin. ten –, noch erreichen wird. Sie werden sich auch über
das wundern, was im Bereich des Haushalts noch alles
(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was kommen wird und was ohne auch nur einen einzigen
machen Sie?) konstruktiven Vorschlag von der Opposition gemacht
Aber allein mit Taktik löst sich kein einziges Sachpro- werden muss, weil Sie nicht in der Lage sind, Wahrhei-
blem. Bisher haben Sie kein einziges Sachproblem ge- ten auf den Tisch zu legen, sondern nur kritisieren kön-
löst. nen.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010 2995
Otto Fricke
(A) Es ist viel von Herkulesaufgaben geredet worden. Da- Bei dem Papier, das wir erhalten haben, kann ich das im (C)
bei ist mir als Erstes eingefallen, dass es ja eigentlich Übrigen auch der SPD nur empfehlen.
„Herakles“ – er war ja ein Grieche – heißt und dass
Sie versuchen das immer auf 2 Milliarden Euro he-
„Herkules“ der lateinische Name ist. Bleiben wir aber
runterzurechnen, wenn es im wirklichen Leben tatsäch-
bei dem Begriff der Herkulesaufgaben.
lich 8 oder 9 Milliarden Euro sind, und dann sagen Sie
Es waren die zwölf Arbeiten des Herkules – oder des immer: Tut uns leid, wir haben uns halt verrechnet.
Herakles; wie man will –, die wichtig waren. Wenn ich
(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Jemand, der das
nach links gucke, würde mir bei manchen Dingen als
Wachstumsbeschleunigungsgesetz beschlossen
Erstes der Augiasstall einfallen, aber belassen wir es lie-
hat, sollte lieber ruhig sein! Wirklich!)
ber bei der Aufzählung von zwölf Punkten.
Ich glaube nicht, dass es Ihnen gelingen wird, auf Dauer
Wir haben 310 Ausgabensenkungen vorgenommen,
in diesem Windschatten zu fahren. Sie müssen dann
bei denen Sie fast immer mit Nein gestimmt haben, weil
auch Farbe bekennen,
Ihnen nichts anderes einfiel. Wir haben kurzfristig die
Hilfe für Haiti gesichert. Wir haben mehrere Steuersen- (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
kungen – unsere Steuersenkungen und übrigens auch Ihre GRÜNEN]: Haben wir doch!)
Steuersenkungen aus den Zeiten der Großen Koalition –
und die Farbe ist dann leider nicht grün, sondern eher
und unsere Kindergelderhöhung eingearbeitet. Wir haben
grau.
Subventionen gekürzt. Sicherlich kann man noch viel
weiter gehen, aber wir haben damit angefangen. Wir ha- (Beifall bei der FDP)
ben die CO2-Gebäudesanierung gesichert. Wir haben bei
Meine Damen und Herren, ich möchte einen ganz
den Flexibilisierungen pauschale Kürzungen vorgenom-
wichtigen Punkt noch einmal klarmachen, weil das auch
men. Wir haben Deckungsverbünde entflochten. Wir ha-
seitens der Vorsitzenden des Haushaltsausschusses ange-
ben nicht bei den Sozialleistungen gekürzt. Wir haben die
sprochen wurde, die ich zu ihrer Arbeit, aber natürlich
NKA so weit wie noch nie reduziert. Wir haben anderer-
auch zu ihrem Sekretariat beglückwünschen möchte.
seits die Mittel für Bildung und Forschung und für die
Kultur erhöht. Wir haben die Verwaltungsausgaben des Frau Merkel,
Staates, des Bundes, reduziert, was anderen Ebenen unse-
res Landes sehr schwerfällt, und wir haben den Perso- (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Herr Fricke!)
nalabbau vorangetrieben. Schließlich – das ist der zwölfte Sie sagen immer, die Koalition habe das nur durch güns-
Punkt; zählen Sie nach – haben wir die Investitionen kon- tigere wirtschaftliche Bedingungen erreicht.
stant gehalten.
(B) (Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Genau!) (D)
(Ulrike Flach [FDP]: So ist es!)
Ich erinnere die Bürger draußen daran: Es hat in der Ver-
Das ist eine Herkulesaufgabe, die wir in dieser Legis- gangenheit immer wieder günstigere wirtschaftliche Be-
laturperiode wiederholen werden. Das ist die erste, und dingungen gegeben.
es werden weitere folgen. Sie werden weiterhin auf den
Zuschauerplätzen sitzen bleiben. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: 10 Milliar-
den Euro habt ihr verprasst! Lobbyistenregie-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) rung!)
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die sich in den Der Unterschied war aber: Wann immer die SPD an der
letzten Wochen ja mehr oder weniger im Windschatten Regierung war, haben Sie gesagt: Oh, wir haben günsti-
befunden hat und meint, es seien eigene Leistungen, hat gere wirtschaftliche Bedingungen. Könnte nicht der So-
hier gerade wieder wunderbar vorgetragen, wie viel an- zialminister Scholz noch ein paar Milliarden Euro ausge-
ders sie das machen würde und dass sie ja ganz gerechte ben? Könnte man nicht da und nicht dort noch ein
Steuererhöhungen vorschlagen würde. bisschen mehr ausgeben? – Jedes Mal, sobald die wirt-
schaftlichen Bedingungen besser waren, haben Sie die
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
Ausgaben gesteigert.
GRÜNEN]: Genau!)
Das tun wir nicht. Im Gegenteil: In vertrauensvoller
Wenn es dann aber um die konkreten Steuererhöhun-
Zusammenarbeit – ich will das nochmals betonen – sen-
gen und darum geht, den Bürgern konkret zu sagen, wo
ken wir die Ausgaben in einem Rekordtempo, was Sie
Sie ihnen in den nächsten Jahren das Geld aus der Ta-
uns nicht zugetraut haben, worüber Sie jetzt aber gar
sche nehmen wollen, dann bleiben Sie die Antwort
nicht mehr gerne reden wollen.
schuldig,
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das stimmt nicht!) Ich möchte noch auf den Stil der Haushaltsberatungen
zu sprechen kommen. Ich habe hier wirklich viele Stun-
bewegen Sie sich in grünen Fantastereien und erzählen,
den gesessen und mir Reden zu unterschiedlichen Berei-
es sei alles gerecht. Rechnen Sie einmal aus, was Ihre
chen angehört. Im Rahmen der Fachdiskussionen hat
Anträge bedeuten!
niemand gesagt – das sollte der Bürger bei aller Kritik an
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE einer Regierung in einer Demokratie berücksichtigen –:
GRÜNEN]: Das haben wir ausgerechnet!) Lassen Sie uns an dieser Stelle mehr sparen. Lassen Sie
2996 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010
Otto Fricke
(A) uns da weniger ausgeben. Lassen Sie uns an jener Stelle kosten. Das geht zulasten der Erfüllung von freiwilligen (C)
etwas herunterfahren. – Aufgaben wie Kultur und Sport, aber auch Bildung ins-
besondere der jüngeren Generation.
(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Das stimmt ja
gar nicht!) (Beifall bei der LINKEN)
Die Linken sprechen immer von Verteilung – das ist un- Wir fordern Sie auf: Sorgen Sie für die Umsetzung
gefähr alles, was sie wollen – und fordern, international der finanziellen Eigenverantwortung der Kommu-
eingegangene Verpflichtungen aufzukündigen. nen. Geben Sie ihnen ausreichende Möglichkeiten zur
Selbstfinanzierung. Wandeln Sie die Gewerbesteuer in
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Wir wol- eine Gemeindewirtschaftsteuer um. Unser Vorschlag
len keinen Krieg! Das ist alles!) dazu liegt auf dem Tisch.
Andere sprechen von Ökologie. Über die SPD wollte ich (Beifall bei der LINKEN)
an dieser Stelle eigentlich nicht mehr reden. Ein großer
Sozialdemokrat, der aufgrund seiner Lebensleistung in Sie sparen bei den Kommunen; Sie sparen aber auch
die Geschichtsbücher eingegangen ist, hat aber einmal an vielen anderen Stellen. Herr Bundesfinanzminister
gesagt: Opposition ist Mist. – Deswegen muss man aber Schäuble sagte, dieser Haushalt sei ein Haushalt der
keinen Mist machen und erst recht nicht Mist reden. Notwendigkeit. Da stellt sich schon die Frage: Sind alle
Dinge, die im Haushalt zu finden sind, notwendig? Ist
Herzlichen Dank. der Eurofighter notwendig,
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Nein!)
der untaugliche NATO-Hubschrauber,
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich erteile das Wort der Kollegin Barbara Höll für die (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Nein!)
Fraktion Die Linke. das Großraumtransportflugzeug A400M?
(Beifall bei der LINKEN) (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Nein!)
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Wir als Linke sagen klar: Nein.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und (Beifall bei der LINKEN)
Kollegen! Herr Barthle, vorneweg eine Bemerkung:
Diesen Haushalt als Kunstwerk zu bezeichnen, ist eine Notwendig sind lebenswerte Kommunen, in denen
sich alle Bürgerinnen und Bürger, Kinder, Rentner, Kul-
(B) Beleidigung der Kunst. turschaffende und Arbeiter, wohlfühlen können. (D)
(Beifall bei der LINKEN – Norbert Barthle
(Beifall bei der LINKEN)
[CDU/CSU]: Im Gegenteil!)
Frau Merkel, Ihrer Regierung und Ihrer Koalition fällt
Die Bundeskanzlerin nannte am Mittwoch hinsicht-
nichts weiter ein als Sparmaßnahmen auf Kosten der
lich der Verschuldung zwar Zahlen. Das war aber nicht
Mehrheit der Bevölkerung. Am Mittwoch kündigten Sie
einmal die halbe Wahrheit; denn gerade in der Debatte
notwendige jährliche Einsparungen in Höhe von 10 Mil-
über den Bundeshaushalt müssen wir die Situation des liarden Euro an. Die Vermögenden und die Unternehmen
gesamten Gemeinwesens im Blick haben. Genau in die- werden sicher nicht belastet werden.
sem Moment beträgt die Verschuldung der öffentlichen
Haushalte 1,684689 Billionen Euro. Die letzten Zahlen Ich möchte ein Beispiel aus diesem Haushalt nennen.
ändern sich so schnell, dass ich sie hier gar nicht vorle- Es gab einmal einen Goldenen Plan Ost – wir waren
sen kann. Die Schulden nehmen pro Sekunde um immer für einen Goldenen Plan Ost und West – für die
4 481 Euro zu. Das macht eine Pro-Kopf-Verschuldung Förderung von Sportstätten. Dafür waren 2 Millionen
in Höhe von 20 610 Euro. Das sind die Fakten, denen Euro vorgesehen. Diese sind in der letzten Sitzung, der
wir uns stellen müssen. Bereinigungssitzung, gestrichen worden. Dadurch kön-
nen in den neuen Bundesländern jährlich drei bis vier
Sie aber betreiben eine Politik nach dem Sankt- Sportstätten nicht mehr saniert werden. Diese Sanierung
Florians-Prinzip – verschon’ mein Haus, zünd’ andre an –, aber wäre lebenswert, nicht der Eurofighter.
indem Sie die Belastungen auf die Länder und insbeson-
dere die Kommunen, auf die Bürgerinnen und Bürger (Beifall bei der LINKEN – Norbert Barthle
abwälzen. So haben Sie zum Beispiel den Zuschuss des [CDU/CSU]: Wozu haben wir denn ein Kon-
Bundes für die Unterkunftskosten der Bezieherinnen und junkturprogramm?)
Bezieher von Hartz-IV-Leistungen rückwirkend ab Ja- Wir suchen trotz des Urteils des Bundesverfassungs-
nuar gekürzt, und zwar von 26 Prozent auf 23,6 Prozent. gerichts vergebens eine Erhöhung der Hartz-IV-Regel-
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Unglaub- sätze für Kinder. Wir suchen vergebens die überfällige
lich!) Angleichung des Rentenwertes Ost an den Rentenwert
West. Ebenso suchen wir vergebens die Schließung der
Das heißt, Sie lassen die Kommunen auf Problemen sit- Überführungslücke im Rentenrecht. Ich kann Ihnen sa-
zen, die sie weder verursacht haben noch lösen können. gen: Die in der DDR geschiedenen Frauen sind sehr ver-
Gerade für Städte wie meine Heimatstadt Leipzig bedeu- bittert, dass diese Regierung scheinbar auf eine biologi-
ten diese verringerten Bundeszuschüsse enorme Mehr- sche Lösung hofft.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010 2997
Dr. Barbara Höll
(A) Trauen Sie sich doch endlich einmal an den Geldbeu- Dadurch ließen sich die 25 Milliarden Euro für Kinder- (C)
tel derjenigen heran, die das finanziell locker verkraften: betreuung, die Anhebung des Rentenwertes Ost auf das
an die Profiteure der Finanzkrise, Vermögende und Spit- Niveau West, einen Hochschulpakt und die Aufstockung
zenverdiener! Die Idee einer Bankenabgabe ist endlich der Hartz-IV-Regelsätze locker finanzieren.
auch bei Ihnen angekommen; aber mit der Umsetzung
lassen Sie sich fahrlässig viel Zeit. Angekündigt ist wie- Herr Barthle, es ist schlicht gelogen, wenn Sie am
Ende der Haushaltsberatungen sagen, wir hätten keine
der: irgendwie vor dem Sommer, vielleicht, ein bisschen.
Gegenfinanzierungsvorschläge gemacht.
(Beifall bei der LINKEN) (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Eine Streichor-
Zudem spielen Sie die Bankenabgabe auch noch gegen gie bei der Bundeswehr! Das habe ich doch
die notwendige Finanztransaktionsteuer aus, statt die gesagt!)
Kraft und den Mut zu entwickeln, beides durchzusetzen; Eine Vielzahl von Vorschlägen liegt auf dem Tisch. Man
denn beides ist notwendig, um Finanzmärkte zu regulie- muss sich natürlich die Mühe machen, diese zu lesen
ren, Spekulationen zu begrenzen und Einnahmen zu er- und vielleicht auch geistig zu verarbeiten.
zielen. Doch Ihnen fällt lediglich eine Kopfpauschale in
der gesetzlichen Krankenversicherung ein, sozial unge- (Beifall bei der LINKEN – Norbert Barthle
recht wie Ihre gesamte Politik. [CDU/CSU]: Nehmen Sie das zurück!)
(Beifall bei der LINKEN) Tun Sie nicht so, als ob es keine Vorschläge gäbe! Wir
Linken bieten konkrete Alternativen für eine sozial ge-
Wir fordern Sie als Linke auf: Führen Sie endlich den rechte, demokratische Politik. Ihren Haushalt können
gesetzlichen Mindestlohn ein, wir nur ablehnen.
(Beifall bei der LINKEN) Ich danke Ihnen.
da auch dadurch die sozialen Sicherungssysteme ge- (Beifall bei der LINKEN)
stärkt und die Steuereinnahmen erhöht werden! Ein Min-
destlohn gibt vielen Menschen ihre Würde zurück – das Präsident Dr. Norbert Lammert:
sollte für uns entscheidend sein –, Dr. Michael Meister ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Menschen, die heute trotz Erwerbsarbeit auf staatliche neten der FDP)
(B) Unterstützung angewiesen sind. Des Weiteren würde ein (D)
gesetzlicher Mindestlohn dafür sorgen, dass die Binnen-
nachfrage gestärkt wird und Handelsungleichgewichte Dr. Michael Meister (CDU/CSU):
abgebaut werden. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Kol-
lege Barthle ist ein aufrechter und wahrhaftiger Kollege.
Damit sind wir beim Thema Gerechtigkeit. Gerech- Die Beleidigung lassen wir uns als Fraktion nicht gefal-
tigkeit heißt auch, gerecht zu besteuern. Ihr laut Koali- len.
tionsvertrag geplanter Stufentarif für die Einkommen-
steuer, von dem wir nicht wissen, wann er kommen (Lachen bei der LINKEN)
wird, ist alles andere als gerecht. Jeder Stufentarif ver- Der Kollege Barthle macht hervorragende Arbeit im
stößt gegen das Gerechtigkeitsprinzip der Besteuerung Haushaltsausschuss.
nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit; denn er
entlastet vorrangig Bezieher hoher Einkommen und reißt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
riesige Finanzlöcher, die im Endeffekt zu weiteren Ein- Ich stelle erstens fest, dass die Bundesrepublik
sparorgien führen. Laut Bundesfinanzministerium ist zu- Deutschland hervorragend vorbereitet in die Wirt-
mindest der FDP diese Entlastung der Reichen 67 Mil- schafts- und Finanzkrise gegangen ist – das ist ein Ver-
liarden Euro wert. Dabei muss der Bund in diesem dienst der Arbeit, die wir seit 2005 geleistet haben – und
Haushalt 80 Milliarden Euro Schulden aufnehmen. dadurch überhaupt in der Lage war, Krisenbekämpfung
Trotzdem sind Sie der Ansicht, dass Sie die 67 Milliar- aktiv zu betreiben.
den Euro für den Stufentarif aufbringen können, nach
dem Motto: Das Geld haben wir locker, auch wenn wir Ich stelle zweitens fest: Wir haben in dieser Haus-
uns wieder Geld borgen müssen. haltsdebatte gesehen, dass das außergewöhnliche Defizit
– ein Defizit in Höhe von 80 Milliarden Euro hatten wir
Besteuern Sie endlich Kapitalerträge genauso hoch noch nie – eine Folge bewusst getroffener politischer
wie Lohneinkommen! Die Abgeltungsteuer gehört abge- Entscheidungen ist, durch Konjunkturprogramme und
schafft. Erhöhen Sie den Spitzensteuersatz! Heben Sie über das Wirkenlassen der automatischen Stabilisatoren
die Körperschaftsteuersätze an! Drücken Sie bei der der Wirtschafts- und Finanzkrise entgegenzusteuern. Da-
Bankenabgabe und der Finanztransaktionsteuer aufs mit haben wir die Krise entschärft. Die Folge ist das
Tempo! Und erheben Sie endlich wieder die Vermögen- extrem hohe Defizit, das wir dieses Jahr in Kauf nehmen
steuer! müssen.
(Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU)
2998 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010
Florian Toncar
(A) fest: Wir machen es besser als alle vergleichbaren Län- bleme: Das eine ist der Bereich der privaten Investitio- (C)
der um uns herum. nen. Sie bleiben aus, weil Unternehmen oft nicht richtig
planen können und daher zurückhaltend sind. Das an-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
dere – das ist eine dauerhafte Schwäche Deutschlands –
Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Wo gibt es denn
ist der private Konsum, also das, was die Bürgerinnen
so was?)
und Bürger für ihren Bedarf ausgeben bzw. ausgeben
Sie als Opposition haben darauf hingewiesen, dass es können. An diesen beiden Punkten können Steuersen-
im vorliegenden Haushalt im Vergleich zum Regierungs- kungen ansetzen und für die Wirtschaft tatsächlich etwas
entwurf – auch im Vergleich zum Entwurf von Minister erreichen. Wir wollen diese Punkte angehen. Wir wollen
Steinbrück im letzten Jahr – Entlastungen durch die eine Entlastung der Bezieher kleiner und mittlerer Ein-
konjunkturelle Entwicklung und eine günstigere Arbeits- kommen, weil das fair ist und vor allem die Schwäche
marktentwicklung gegeben hat. Wir haben bereits darauf unserer Binnenkonjunktur beseitigt. Das ist die Voraus-
hingewiesen, dass wir die frei gewordenen Mittel für den setzung dafür, dass es wirtschaftlich wieder bergauf ge-
Abbau der Staatsschulden verwenden. hen kann.
Sie haben verschwiegen – das wäre bei einer vollstän- Darüber hinaus wollen wir eine Entlastung im investi-
digen Darstellung Ihrerseits zu erwarten gewesen –, dass ven Bereich, Stichwort steuerliche Forschungsförde-
wir im selben Zeitraum erhebliche Zusatzbelastungen rung. Es stellt sich die Frage, wie wir mit Investitionen,
hatten, Abschreibungen und all den Instrumenten umgehen, die
Unternehmen jetzt brauchen, damit sie wieder investie-
(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Ja, die Hotel- ren können. Diese Strategie ist abgestimmt. Wir werden
steuer zum Beispiel!) im nächsten Jahr die Schuldenbremse, die es in Deutsch-
für die wir Vorsorge treffen mussten. Als Ihre Regie- land zum Glück gibt, penibel einhalten. Wir werden den
rungsmitglieder im letzten Oktober abgetreten sind, ha- Haushalt Schritt für Schritt konsolidieren. Dieser Haus-
ben Sie uns ein heruntergewirtschaftetes Gesundheits- halt ist ein Anfang. Wir haben bereits einiges eingespart.
system hinterlassen. Einen Monat nach der Wahl ist Diesen Weg werden wir weitergehen.
herausgekommen, dass der Gesundheitsfonds eine Lü- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
cke von 3,9 Milliarden Euro aufweist, die wir mit Mit- Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
teln aus dem vorliegenden Haushalt stopfen müssen. Es NEN]: Nichts gespart habt ihr! – Sven-
sind Belastungen hinzugekommen, die Sie uns aufgebür- Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
det haben und die wir im vorliegenden Haushalt berück- NEN]: Nicht gespart! Klientelgeschenke habt
sichtigen mussten. ihr verteilt!)
(B) (D)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Joachim Poß [SPD]: Da muss Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
die Frau Merkel aber versagt haben!) Nun bitte ich Sie noch um Aufmerksamkeit für den
Selbstverständlich gab es weitere Belastungen, die letzten Redner in dieser Debatte. Es ist der Kollege Leo
wir einarbeiten mussten, wie die Afghanistankonferenz Dautzenberg für die CDU/CSU-Fraktion.
und die UN-Klimakonferenz in Kopenhagen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Kopenhagen haben Sie nicht ein- Leo Dautzenberg (CDU/CSU):
gearbeitet!) Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Zum Haushalt ist ausrei-
Man muss feststellen: Wir haben trotz dieser Zusatzbe-
chend viel gesagt worden. Darüber ist ausreichend de-
lastungen und unter Berücksichtigung der Entlastungen
battiert worden. Ich möchte für meine Fraktion dennoch
einen Haushalt hinbekommen, der hinsichtlich der ge-
einige Dinge zur Finanzmarktproblematik und zur
planten Neuverschuldung deutlich unter dem liegt, was
Finanzmarktpolitik darlegen, weil der Bund bei vielen
im letzten Jahr von Herrn Steinbrück und auch im zwei-
finanzmarktpolitischen Aufgaben in einer finanziellen
ten Regierungsentwurf vorgesehen war.
Verantwortung steht. Dieser Verantwortung kommen wir
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- in Form bestimmter Sonderfonds und Sonderhaushalte
NEN]: Sie verteilen Klientelgeschenke!) nach. Deshalb gehört es zu einer Haushaltsdebatte, dass
wir auch Bereiche des Finanzmarktes beleuchten. Auf-
Die Frage ist, wie wir wieder zu mehr Wirtschafts-
grund der Folgen der Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise
wachstum kommen. Die Kolleginnen und Kollegen von
wurde der Bund schließlich in erheblichem Maße in An-
der Union haben bereits darauf hingewiesen, dass die
spruch genommen.
Koalition beabsichtigt, in diesem Jahr das Thema Steu-
ern anzugehen. Verehrter Herr Kollege Poß, Ihr Vorhalt geht im
Grunde fehl. Ich glaube, Sie sollten unser gemeinsames
(Joachim Poß [SPD]: Welche Rede haben Sie
Wirken hier nicht unter Wert verkaufen.
vor einem Jahr gehalten?)
(Joachim Poß [SPD]: Das mache ich nicht!)
Ich kann mich dieser Absicht nur anschließen, und zwar
aus zwei Gründen. Was das Wirtschaftswachstum an- Das gilt insbesondere für das, was wir mit dem Finanz-
geht, haben wir in der momentanen Situation zwei Pro- marktstabilisierungsgesetz und den Weiterentwicklun-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010 3005
Leo Dautzenberg
(A) gen dieses Gesetzes auf den Weg gebracht haben, und damit wir das umsetzen können, was in unserem Koali- (C)
dafür, wie wir die Stabilisierung des Finanzmarktes be- tionsvertrag steht. In Zukunft soll es keine Finanz-
trieben haben. märkte, keine Finanzprodukte mehr geben, die nicht ei-
nem Mindestmaß an Regulierung unterliegen.
(Joachim Poß [SPD]: Auch die Konjunktur-
pakete und die Managervergütung waren nicht (Joachim Poß [SPD]: Da sind wir uns ja
schlecht!) einig!)
Wir als Union werden die Politik auf dieser Grundlage Von daher sollten wir positiv registrieren, dass die
fortsetzen. Vorschläge, die Obama vorgelegt hat, zeigen, dass in den
USA zumindest Handlungsbedarf erkannt worden ist.
Wenn Sie dem Minister hier vorhalten, er hätte sich Wir sollten die Zeit nutzen, um das auch auf unserer
vorschnell zum EWF, zum Europäischen Währungs- Ebene, auf europäischer Ebene nach vorne zu bringen.
fonds, geäußert, sage ich Ihnen: Nehmen Sie bitte zur Wir sollten mit nationalen Maßnahmen anfangen.
Kenntnis, dass er unabhängig von der Situation Grie- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!)
chenlands das Erfordernis anderer Strukturen und Me-
chanismen als Handlungskasten sieht, um den Euro zu- Wir haben schon vor Monaten Eckpunkte vorgestellt
künftig weiterhin stabil zu halten. Wenn man das unter – das war nicht überraschend; denn daran arbeiten wir
das Thema „Europäischer Währungsfonds“ subsumiert, schon seit Monaten – und gesagt, wo wir auf nationaler,
kann das von der Aufgabenstellung her im Grunde nur europäischer und internationaler Ebene Handlungsbe-
richtig sein. Was damit in keiner Weise beabsichtigt war darf hinsichtlich der Regulierung der Finanzmärkte se-
– das ist hier immer klargestellt worden –, ist, den Ein- hen. Das ist im Grunde – ich nenne das einmal so – unser
druck zu vermitteln, dass wir nur vordergründig einen Dreiklang: eine verbesserte, effektivere Finanzaufsicht
Fonds gründen wollen, der nichts anderes als einen – durch Bündelung der Finanzaufsicht bei der Bundes-
Finanzausgleich herbeiführen soll. Das kann vielleicht bank – verbunden mit einem weiter gehenden Insolvenz-
am Ende eines Prozesses stehen, wenn der Instrumenten- recht für Finanzinstitute und einem Restrukturierungs-
kasten für eine Fortentwicklung des Stabilitätspaktes fonds, der diese Maßnahmen begleiten und auf den Weg
und der Maastricht-Verträge für alle Staaten vorhanden bringen soll.
ist. Von daher war das ein richtiger Beitrag, der in die
Das wollen wir mit einer Sonderabgabe für den
Zukunft wies.
Finanzsektor verbinden. Ich betone bewusst Finanzsek-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) tor, weil wir neben den Banken auch den Versicherungs-
bereich einbeziehen müssen. Von daher sollte Herr
(B) Was haben wir bisher schon auf den Weg gebracht? Brüderle überlegen, ob es sinnvoll ist, von Anfang an be- (D)
Das waren nationale Stützungsmaßnahmen. Es gibt stimmte Bereiche des Bankensektors davon auszuschlie-
jetzt eine stärkere Aufsicht über die Ratingagenturen; ßen. Gehen Sie davon aus, dass wir eine solche Sonder-
das werden wir umsetzen. Es gibt höhere Eigenkapital- abgabe in den jeweiligen Säulen des Bankensektors nach
vorgaben, auch vom Baseler Ausschuss, die wir um- Risikogewichtung und nicht pauschal für den ganzen
zusetzen haben. Außerdem haben wir ein Gesetz zur Banken- und Finanzsektor vornehmen werden.
Angemessenheit der Vorstandsvergütung auf den Weg
gebracht. (Joachim Poß [SPD]: Da sieht man, dass die
Koalition nicht handlungsfähig ist! Er spricht
(Joachim Poß [SPD]: Richtig! Alles Herrn Brüderle an!)
Vorschläge der SPD!) Von daher, Kollege Poß, sind wir hier auf gutem Wege.
Außerdem kann die Aufsicht über die Finanzinstitute Gehen Sie davon aus, dass der Finanzminister und die
jetzt aufgrund der Aufsichtsrichtlinie auch auf die Ver- Bundesregierung uns auf Grundlage dieser Forderungen
gütungssysteme in den Banken im Bereich unterhalb der im Frühjahr rechtzeitig Eckpunkte zu diesen Bereichen
Vorstandsebene Einfluss nehmen. präsentieren werden.
(Joachim Poß [SPD]: Was sagt die FDP? Was
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
sagt Herr Brüderle?)
Das sind doch entscheidende Beiträge, die wir schon auf Wir gehen davon aus, dass wir dies dann auch auf
den Weg gebracht haben. europäischer Ebene durchsetzen können.
Herr Kollege Poß, es wäre hilfreich gewesen, wenn (Joachim Poß [SPD]: Sie gegen die FDP zu unter-
Sie es positiv unterstützt hätten, als sich unsere Regie- stützen, das könnten wir uns überlegen!)
rung und unser Finanzminister am Montag auf der Fi-
nanzministerkonferenz für eine Regulierung von Hedge- Wir müssen aufpassen, dass die Maßnahmen, die wir na-
fonds eingesetzt haben. Da Großbritannien sich gegen tional in Gang setzen, mit den EU-Vorgaben kompatibel
die Umsetzung sperrt, müssen wir doch nachdrücklich sind; sonst wäre das im Endeffekt kontraproduktiv.
um Unterstützung nachsuchen, damit wir auch auf die- (Beifall bei der CDU/CSU)
sem Gebiet eine Regulierung auf den Weg bringen kön-
nen, Noch eines: Denen, die hier immer betonen, man
sollte einige Bereiche des Finanzsektors von der Sonder-
(Joachim Poß [SPD]: Da sind wir uns einig!) abgabe ausschließen, weil sie die Krise nicht mit verur-
3006 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010
Leo Dautzenberg
(A) sacht haben, muss ich sagen: Wenn der Staat und damit nicht der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und (C)
der Steuerbürger die erfolgten Rettungsaktionen nicht bitte auch hier die Schriftführer um die Auszählung.
unternommen hätte, wäre der gesamte Finanzbereich in Auch dieses Ergebnis wird Ihnen später bekannt gege-
Mitleidenschaft gezogen worden. Deshalb sollte man ben.2)
keinen Bereich von Anfang an aus einer bestimmten
Pflicht entlassen. Wie gesagt, die Sonderabgabe wird Nun, liebe Kolleginnen und Kollegen, bitte ich Sie,
risikoadjustiert sein. nach Möglichkeit Platz zu nehmen, damit wir die weite-
ren Abstimmungen vornehmen können und wir hier eine
Daran sehen Sie: Die Union bleibt in der Finanzpoli- Übersicht über die Mehrheitsverhältnisse haben.
tik auf Kurs.
Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE der SPD auf Drucksache 17/1082. Wer stimmt dafür? –
GRÜNEN]: Auf dem falschen Kurs!) Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs-
Schritt für Schritt werden wir die richtigen Maßnahmen antrag ist abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
umsetzen. Wir setzen darauf, dass wir sie auch auf inter- tionen bei Gegenstimmen der Oppositionsfraktionen.
nationaler Ebene umsetzen können, um damit einen we- Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion
sentlichen Beitrag zu leisten. der SPD auf Drucksache 17/1088. Wer stimmt dafür? –
Vielen Dank. Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungs-
antrag ist ebenfalls abgelehnt mit den Stimmen der Ko-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) alitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/Grünen und
der Fraktion Die Linke bei Gegenstimmen der SPD-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Fraktion.
Ich schließe die Aussprache.
Wir stimmen nun über sechs Entschließungsanträge
Wir kommen nun zur Schlussabstimmung über das der Fraktion Die Linke ab, zunächst über den Entschlie-
Haushaltsgesetz 2010. Es geht dabei um die Druck- ßungsantrag auf Drucksache 17/1081. Wer stimmt
sachen 17/200, 17/201, 17/601 bis 17/616, 17/619 bis dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Der Ent-
17/625 sowie 17/1077. Es ist namentliche Abstimmung schließungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitions-
verlangt. Ich weise darauf hin, dass nach dieser nament- fraktionen und den Stimmen der Fraktion Bündnis 90/
lichen Abstimmung noch eine weitere namentliche so- Die Grünen und der SPD abgelehnt gegen die Stimmen
wie zahlreiche einfache Abstimmungen über Entschlie- der Linken.
ßungsanträge folgen werden.
(B) Entschließungsantrag auf Drucksache 17/1084. Wer (D)
Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? –
ihre vorgesehenen Plätze an den Urnen einzunehmen. – Auch dieser Entschließungsantrag ist abgelehnt mit dem
Ist dies erfolgt? Sind die Plätze an den Urnen alle be- gleichen Stimmenverhältnis.
setzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstim-
mung. Entschließungsantrag auf Drucksache 17/1086. Wer
stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Auch
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
dieser Entschließungsantrag ist mit dem gleichen Stim-
Stimme bei dieser ersten namentlichen Abstimmung
menergebnis abgelehnt.
nicht abgegeben hat? – Ich frage vorsichtshalber noch
einmal, da gerade noch Stimmen abgegeben wurden: Wir kommen zum Entschließungsantrag auf Druck-
Haben alle anwesenden Abgeordneten ihre Stimme ab- sache 17/1087. Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? –
gegeben? – Das ist der Fall. Dann schließe ich die Ab- Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist ebenfalls
stimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift- abgelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
führer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1) Fraktion der SPD gegen die Stimmen der Linken.
Wir setzen die Abstimmungen fort und kommen nun Entschließungsantrag auf Drucksache 17/1089. Wer
zu den Entschließungsanträgen. Wir beginnen mit der stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Der
Abstimmung über drei Entschließungsanträge der Frak- Entschließungsantrag ist abgelehnt gegen die Stimmen
tion der SPD. der Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen
Über den Entschließungsantrag auf Drucksache 17/1083 Fraktionen.
soll namentlich abgestimmt werden. Dazu bitte ich die Nun kommen wir zum Entschließungsantrag auf
Schriftführerinnen und Schriftführer, ihre Plätze wieder
Drucksache 17/1090. Wer stimmt dafür? – Wer ist dage-
einzunehmen. Ist das erfolgt? Sind alle Plätze an den Ur-
gen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist ab-
nen besetzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Ab-
gelehnt mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
stimmung.
Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das die SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist offensichtlich Linke.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tion der SPD auf Drucksache 17/1083: abgegebene
Stimmen 565. Mit Ja haben gestimmt 253, mit Nein 311,
Nun kommen wir zu dem Ergebnis der namentlichen eine Enthaltung. Dieser Entschließungsantrag ist damit
Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak- abgelehnt.
3010 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010
Damit sind wir am Ende der Debatte über den Haus- Ich wünsche Ihnen ein angenehmes, wenn auch kur-
halt 2010 und auch am Schluss unserer heutigen Tages- zes Wochenende und schließe die Sitzung.
ordnung.
(Schluss: 13.45 Uhr)
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, 24. März 2010, 13 Uhr, ein.
(B) (D)
Berichtigung
31. Sitzung, Seite 2868 (A), erster Absatz, der erste
Satz ist wie folgt zu lesen: „Als darüber gesprochen
wurde, es solle eine Sondermünze geben, haben wir als
Fraktion Die Linke gesagt: Jawohl, wenn wir eine WM in
Deutschland austragen, dann möge sich der Bund beteili-
gen, zumal es zu zusätzlichen Einnahmen kommt.“
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 32. Sitzung. Berlin, Freitag, den 19. März 2010 3013
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Aken, Jan van DIE LINKE 19.03.2010 Kopp, Gudrun FDP 19.03.2010
Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 19.03.2010 Dr. Troost, Axel DIE LINKE 19.03.2010
Gohlke, Nicole DIE LINKE 19.03.2010 Werner, Katrin DIE LINKE 19.03.2010
(A) Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Drucksache 17/136 Nr. A.74 (C)
mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Ratsdokument 10883/09
Drucksache 17/136 Nr. A.75
Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- Ratsdokument 11374/09
ner Beratung abgesehen hat. Drucksache 17/136 Nr. A.76
Ratsdokument 11717/09
Drucksache 17/136 Nr. A.77
Innenausschuss Ratsdokument 11778/09
Drucksache 17/136 Nr. A.78
Drucksache 17/720 Nr. A.4 Ratsdokument 12671/09
Ratsdokument 17686/09 Drucksache 17/178 Nr. A.26
Drucksache 17/720 Nr. A.5 Ratsdokument 15305/09
Ratsdokument 17697/09 Drucksache 17/504 Nr. A.20
Drucksache 17/720 Nr. A.6 EuB-EP 1985; P7_TA-PROV(2009)0063
Ratsdokument 17702/09