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Plenarprotokoll 17/137

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

137. Sitzung

Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 29: Zusatztagesordnungspunkt 7:


Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Antrag der Abgeordneten Michael Schlecht,
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Sahra Wagenknecht, Dr. Barbara Höll, weiterer
Gesetzes zur Neuordnung des Kreislauf- Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE:
wirtschafts- und Abfallrechts Aufbauprogramm gegen die Krise –
(Drucksachen 17/6052, 17/6645, 17/7505 Schutzschirm für Arbeitsplätze
(neu)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16303 A (Drucksache 17/7338) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16324 A
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister Garrelt Duin (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16324 B
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16303 B
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 16325 C
Gerd Bollmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16305 B
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) . . . . . . 16326 B
Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 16307 B
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) . . . 16327 D
Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 16310 B
Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . 16328 C
Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16312 B Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 16329 C
Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 16314 D Dr. Hermann Otto Solms (FDP) . . . . . . . . . . . 16330 C
Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 16316 C Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . 16331 B
Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16318 A Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/
Johannes Röring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 16318 D DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16332 C

Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 16319 C Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 16334 C


Franz Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 16320 D Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) . . . . . 16337 A
Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 16322 A Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 16337 A
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 16337 B
Zusatztagesordnungspunkt 6: Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) . . . . . . . . 16338 C
Antrag der Fraktion der SPD: Wirtschafts- Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 16340 C
und Finanzpolitik der Bundesregierung als
Risiko für die Konjunktur Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 16341 D
(Drucksache 17/7461) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16324 A
Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . 16343 B
in Verbindung mit Wolfgang Tiefensee (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 16344 B
II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Tagesordnungspunkt 31: zes zur Änderung des Rechts der Ver-


braucherinformation
a) – Zweite und dritte Beratung des von der (Drucksache 17/7374) . . . . . . . . . . . . . . . 16362 A
Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Verbesse- b) Beschlussempfehlung und Bericht des
rung der Versorgung bei besonderen Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
Auslandsverwendungen (Einsatz- schaft und Verbraucherschutz
versorgungs-Verbesserungsgesetz –
EinsatzVVerbG) – zu dem Antrag der Abgeordneten
(Drucksachen 17/7143, 17/7377, Elvira Drobinski-Weiß, Petra Crone,
17/7389) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16345 C Petra Ernstberger, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der SPD:
– Bericht des Haushaltsausschusses ge- Verbraucherinformationsgesetz zü-
mäß § 96 der Geschäftsordnung gig reformieren
(Drucksache 17/7542) . . . . . . . . . . . . . 16345 C
– zu dem Antrag der Abgeordneten
b) Beschlussempfehlung und Bericht des Caren Lay, Karin Binder, Dr. Gesine
Verteidigungsausschusses zu dem Antrag Lötzsch, weiterer Abgeordneter und
der Abgeordneten Harald Koch, Kathrin der Fraktion DIE LINKE: Verbrau-
Vogler, Jan van Aken, weiterer Abgeord- cherinformationsgesetz jetzt ver-
neter und der Fraktion DIE LINKE: Be- braucherfreundlich ausgestalten
handlungs- und Betreuungsangebote
für traumatisierte Soldatinnen und Sol- – zu dem Antrag der Abgeordneten
daten, zivile Kräfte und Angehörige Nicole Maisch, Ulrike Höfken,
ausbauen Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter
(Drucksachen 17/6342, 17/7389) . . . . . . . 16345 D und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN: Verbraucherinformations-
Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 16346 A gesetz jetzt novellieren
Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16347 C
– zu der Unterrichtung durch die Bun-
Elke Hoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16349 D desregierung: Bericht der Bundes-
regierung über die Ergebnisse der
Harald Koch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 16351 A Evaluation des Verbraucherinfor-
Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/ mationsgesetzes
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16352 A (Drucksachen 17/2116, 17/1576, 17/1983,
Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 16353 B 17/1800, 17/3928) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16362 A
Mechthild Heil (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 16362 C
Tagesordnungspunkt 17: Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . 16364 D
Beschlussempfehlung und Bericht des Innen- Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 16365 D
ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten
Jan Korte, Ulla Jelpke, Petra Pau, weiterer Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 16367 A
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE:
Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 16367 C
Befugnis des Bundeskriminalamtes zur
Online-Durchsuchung aufheben Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/
(Drucksachen 17/2423, 17/3633) . . . . . . . . . . 16354 C DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16368 D
Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 16354 D Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . 16369 D
Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 16356 A
Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16357 A Tagesordnungspunkt 34:
Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . 16358 B Beratung der Großen Anfrage der Abgeordne-
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ ten Volker Beck (Köln), Kai Gehring, Ingrid
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16359 B Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für
Armin Schuster (Weil am Rhein) eine an den Bürgerrechten ausgerichtete
(CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16360 C Polizei
(Drucksachen 17/4519, 17/6736) . . . . . . . . . . 16370 C
Tagesordnungspunkt 33: Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16370 D
a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Günter Baumann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 16371 D
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 III

Wolfgang Gunkel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 16374 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16380 C


Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16375 A Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16380 B

Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/


DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16375 C Anlage 1
Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16376 D Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 16381 A

Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/


DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16377 C Anlage 2
Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 16379A Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16382 C
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16303

(A) (C)

Redetext

137. Sitzung

Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsidentin Petra Pau: tik, die wir vor wenigen Monaten debattiert und be-
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! schlossen haben.
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Es ist nunmehr auch das Leitmotiv des neuen Kreis-
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf: laufwirtschafts- und Abfallgesetzes als eines ganz wich-
tigen und wesentlichen Bereiches, in dem Ressourcen-
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- politik konkret gestaltet wird. Zunächst benötigt man
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes einen Kompass für die notwendigen Prinzipien und Wer-
zur Neuordnung des Kreislaufwirtschafts- und teüberzeugungen. Diese gilt es dann konkret zu verwirk-
Abfallrechts lichen. Die Bundesregierung macht dies Stück für Stück.
– Drucksache 17/6052, 17/6645 – Das geltende Kreislaufwirtschaftsgesetz ist nunmehr
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- 16 Jahre alt. Es war ein Meilenstein in der Umweltpoli-
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- tik. Das ist ein bleibendes Verdienst von Klaus Töpfer,
(B) (D)
heit (16. Ausschuss) der diesen Gedanken in die Umweltpolitik eingeführt
hat. Jetzt schaffen wir ein neues Gesetz zur Regelung
– Drucksache 17/7505 (neu) – des Kreislaufwirtschafts- und Abfallrechts, das die
Grundlage für eine echte Kreislaufwirtschaft bietet.
Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Brand (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Gerd Bollmann
Horst Meierhofer In der neuen fünfstufigen Hierarchie werden drei
Ralph Lenkert Kerngebote der Kreislaufwirtschaft begründet: Erstes
Dorothea Steiner Gebot: Abfallvermeidung. Zweites Gebot: Wiederver-
wertung von Abfall. Drittes Gebot: Recycling. Auf dem
Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion Weg dorthin haben wir bereits einige erfolgreiche
Die Linke und ein Entschließungsantrag der Fraktion Schritte hinter uns. Anfang der 90er-Jahre wurden nur
Bündnis 90/Die Grünen vor. Nach einer interfraktionel- rund 30 Prozent der Siedlungsabfälle wiederverwertet
len Vereinbarung sind für die Aussprache anderthalb oder recycelt. Jetzt nehmen wir uns vor, diesen Wert auf
Stunden vorgesehen. – Ich höre keinen Widerspruch. 65 Prozent zu erhöhen, das heißt, die vorgeschriebene
Dann ist so beschlossen. Mindestgrenze umfasst zwei Drittel dieser Abfälle. Die
Gesellschaft, die Unternehmen, die Kommunen können
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält der Bun-
und werden immer noch besser sein; die Einhaltung die-
desminister Dr. Norbert Röttgen.
ser Grenze ist aber das, was wir von ihnen verlangen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Für den Bauschutt soll die Grenze auf 70 Prozent erhöht
werden.
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt, Ab 2015 werden Bioabfälle, Papier, Metalle, Kunst-
Naturschutz und Reaktorsicherheit: stoffe und Glas getrennt gesammelt. Wir werden – das
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten ist das nächste Projekt – eine Wertstofftonne einführen.
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das wird dazu führen, dass noch einmal 7 Kilogramm
Ich finde, man kann es nicht oft genug sagen, dass wir Wertstoffe, Rohstoffe pro Einwohner und Jahr getrennt
lernen müssen, mehr Wachstum mit weniger Ressourcen erfasst und der Wiederverwertung bzw. dem Recycling
zu erzeugen. Das ist das übergreifende ökonomische und zugeführt werden. Ich sage hier ganz klar: Wir werden
ökologische Leitmotiv der Politik der Bundesregierung. auch über dieses zweite wichtige Projekt beraten und
Es war und ist eine tragende Säule unserer Energiepoli- eine einheitliche Wertstofftonne per Gesetz einführen;
16304 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Bundesminister Dr. Norbert Röttgen


(A) denn wir wollen eine parlamentarische Debatte und Ent- dieser Ordnungsgestaltung für Wirtschaft und Gesell- (C)
scheidung. Das ist ganz wichtig; das ist die Politik der schaft auftreten, nämlich mit den durchaus konkurrieren-
Bundesregierung. den Aspekten der Daseinsvorsorge und Sicherheit einer-
seits und des privaten wirtschaftlichen Wettbewerbs
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) andererseits? Ich glaube – dafür bin ich dankbar –, dass
Ich glaube, dass unsere Bürgerinnen und Bürger, wir wir in dem Spannungsfeld, das es bei diesem Thema
alle, ein Bewusstsein für die Bedeutung der Abfall- und gibt, einen wirklich guten, fairen Kompromiss gefunden
Kreislaufwirtschaft haben; die Industrie hat es auch. Ich haben, der sowohl eine ordnungspolitische Balance wie
möchte gerne die wirtschaftliche, ressourcenpolitische auch einen fairen Interessenausgleich gewährleistet. Ich
Bedeutung der Abfallwirtschaft im Hinblick auf Roh- bin allen, die daran mitgewirkt haben, ausgesprochen
stoffe aufzeigen. dankbar dafür, dass dieses Ergebnis zustande gekommen
ist.
Wir alle kennen die Probleme und Herausforderungen
im Zusammenhang mit Rohstoffknappheit: endliche, im- Die Suche nach einer Balance und einem Interessen-
mer teurer und in ihrer Preisgestaltung immer volatiler ausgleich ging von der Frage aus: Nach wem rufen die
werdende Rohstoffe, auf die unsere Wirtschaft aber fußt Bürgerinnen und Bürger eigentlich, wenn etwas schief-
und basiert. Darum geht es hier: um eine ökonomische geht, wenn der Müll auf der Straße liegen bleibt? Dann
Notwendigkeit, die mit einer ökologischen Notwendig- rufen sie nicht: „Wo ist das private Unternehmen, das
keit zusammenfällt. Insofern ist es ein enormer Erfolg uns dieses Problem vom Halse schafft, das den Müll
– es zeigt die Bedeutung der Abfallwirtschaft –, dass be- sammelt und entsorgt?“ In einer solchen kritischen Si-
reits heute schätzungsweise 13 Prozent der natürlichen tuation werden die Bürgerinnen und Bürger nach dem
Rohstoffe durch Abfallwertstoffe, Sekundärrohstoffe, er- Staat oder konkret nach ihrer Gemeinde rufen.
setzt werden. Das ist eine enorme Substitution: 13 Pro- (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
zent der Rohstoffe, die wir für die Produktion brauchen, NEN]: Das fällt Ihnen ja früh ein!)
müssen wir nicht mehr aus der Erde nehmen. Wir setzen
die Rohstoffe also nicht nur ein einziges Mal ein. Denn – So haben wir es immer geregelt.
wenn wir diese Stoffe endgültig verbraucht haben, sind (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
sie unwiederbringlich verloren. NEN]: Deshalb sage ich es ja!)
Wir reden hier in diesem Haus die ganze Zeit völlig Eine gewisse Sachkenntnis tut sogar manchem Zwi-
zu Recht über unverhältnismäßige, unvertretbare Fi- schenruf gut. Von Anfang an haben wir festgelegt, dass
nanzschulden, über Staatsverschuldung, Fiskalschulden Müllentsorgung und Abfallwirtschaft kommunale Auf-
(B) und Spekulation. Wir leben heute alles in allem ein gabe, Pflicht und Daseinsvorsorge sind. (D)
Schuldenleben. Das bedeutet, dass die heutigen Genera-
tionen auf Kosten der nächsten Generationen leben. Das (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Aufnehmen von Ökoschulden, meine Damen und Her- Das war von Anfang an so. Wenn Sie das richtig finden,
ren, ist im Prinzip nichts anderes als ein Leben auf Kos- dann ist es ja gut. Es freut mich, dass Sie dem ausdrück-
ten der nächsten Generationen. Es ist noch viel schwieri- lich zustimmen.
ger, sich aus dieser Situation zu retten: Wenn wir erst
einmal die Ökokatastrophe vor Augen haben, dann wer- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
den selbst Rettungspakete in Billionen-Euro-Höhe nicht Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
mehr reichen; dafür sind die Ökosysteme zu langsam. NEN]: Nein, Sie schaffen es ja in der Praxis
Darum müssen wir eine präventive, nachhaltige Politik, wieder ab!)
also eine Ressourcenpolitik, betreiben. Sie muss prinzi- Genauso haben wir die Voraussetzung dafür geschaf-
piell gestaltet und konkret umgesetzt werden. fen, dass die Kommune, die diese Aufgabe optimal und
(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE hochwertig erfüllt, dies auch in Zukunft machen kann.
GRÜNEN]: Macht es doch!) Die Organisationshoheit und die wirtschaftlichen Be-
lange der Kommunen werden geschützt; die Gebühren
Das neue Abfallwirtschaftsrecht wird diesem Anspruch bleiben verlässlich und stabil. Da sich die kommunalen
gerecht. Spitzenverbände und der VKU gemeinsam mit denjeni-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gen, die diese Anliegen im Parlament in besonderer
Weise vertreten, konstruktiv eingebracht haben, sind die
Die Abfallwirtschaft macht einen Umsatz von 50 Mil- kommunalen Belange auch voll berücksichtigt worden.
liarden Euro. Wir gestalten also heute die Rahmenbedin- Ich danke ausdrücklich für die konstruktiv-kritische Zu-
gungen für eine bedeutende Wirtschaftsbranche, nach sammenarbeit und für die Zustimmung, die wir am Ende
dem Prinzip der Kreislaufwirtschaft und der Wiederver- als Ergebnis dieses Prozesses von der kommunalen Fa-
wertung, unter Abkehr von einem alten Denken des Ver- milie bekommen haben. Es freut mich außerordentlich,
brauchens, des Verbrennens und Verbuddelns. dass dies gelungen ist.
(Ulrich Kelber [SPD]: Sie erleichtern doch ge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
rade das Verbrennen!)
Es ist ein enormer Erfolg, mit der Zustimmung der Kom-
Wir haben am Ende eine schwierige Frage intensiv munen eine Öffnung in Richtung Wettbewerb zu errei-
diskutiert: Wie gehen wir mit zwei Aspekten um, die bei chen. Das haben wir geschafft.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16305
Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
(A) Richtig ist aber auch: Dieser Schutz, von dem ich ge- (Beifall bei der SPD) (C)
rade gesprochen habe, gilt natürlich nur dann, wenn
Wertstoff- und Reststoffsammlungen qualitativ optimal Ich denke, die Gesetze und Regelungen, die in den
durchgeführt werden – heute und vor allem in Zukunft. letzten Jahren verabschiedet worden sind – Deponie-
Wenn eine Gemeinde das heute oder in Zukunft nicht rungsverbot, Verpackungsverordnung mit den verschie-
kann oder nicht will, dann ist das selbstverständlich eine densten Novellen, Elektro-Altgerätegesetze –, sind alle
Chance und Gelegenheit für privatwirtschaftliche Unter- nicht hundertprozentig perfekt, sondern sie sind alle ver-
nehmen. Das ist auch richtig so. besserungswürdig. Aber wir haben auch einiges nach
vorne gebracht; und das war notwendig. Denn Deutsch-
Das heißt, es gibt diese Balance: Auf der einen Seite land ist ein rohstoffarmes Land. Deutschland soll und
steht die Gewährleistung der Erfüllung dieser Aufgabe muss Industriestandort bleiben. Wer, wenn nicht wir,
durch die Kommunen zu stabilen Preisen; und auf der sollte ein Interesse an einer wirklich überzeugenden,
anderen Seite steht die Öffnung hin zu mehr Wettbe- funktionierenden Kreislaufwirtschaft haben? Dies ist
werb, als wir jemals auf diesem Gebiet hatten. Dies wird wichtig für unsere Gesellschaft.
auf Basis der geltenden Rechtslage geschehen, sodass
ein fairer Wettbewerb sichergestellt ist. Das ist nicht nur (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
europarechtlich vorgeschrieben, sondern das ist auch der CDU/CSU)
ordnungspolitisch richtig.
Bereits heute stammen beispielsweise 50 Prozent des
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) eingesetzten Kupfers aus Abfallmaterial. Oder denken
wir an die Aluminiumherstellung: Auf dem normalen
Ich glaube, dass wir auf dieser Basis einen wirklich
Wege müssten wir Bauxit aus Afrika einführen. Wenn
fairen Ausgleich haben, der ordnungspolitisch stimmt
wir beispielsweise Rezyklate nehmen, dann sparen wir
und der die Zustimmung der beteiligten Kreise hat. Des-
halb ist dieses Gesetz ein ganz wichtiger Baustein in ei- 50 Prozent der eingesetzten Energie. Diese Beispiele
ner Politik, die Ökonomie und Ökologie nicht mehr als zeigen die dringende Notwendigkeit, die Kreislaufwirt-
Gegensätze versteht, sondern vom Gedanken der Nach- schaft weiterzuentwickeln. Wir können uns nicht erlau-
haltigkeit geprägt ist und darum Ökonomie und Ökolo- ben, stehen zu bleiben. Die Abfallrahmenrichtlinie, die
gie als die wahren Geschwister erkennt. Diese Politik wir heute in deutsches Recht umsetzen, gibt uns dazu
setzt damit einen weiteren Baustein in die Realität um. Gelegenheit.

Ich bin sehr froh darüber, dass heute die zweite und Herr Minister, leider ist der heute vorgelegte Gesetz-
die dritte Lesung stattfinden, und danke noch einmal für entwurf, mit dem die europäische Abfallrahmenrichtli-
die konstruktiv-positive Zusammenarbeit, ohne die die- nie in nationales Recht umgesetzt werden soll, nicht der
(B) ses Ergebnis nicht erreicht worden wäre. große Wurf, wie das eben hier oder von einigen Abge- (D)
ordneten im Umweltausschuss dargestellt worden ist.
Vielen Dank. Die großen Chancen für einen wirklichen Einstieg in
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – eine Kreislaufwirtschaft, für stärkeren Ressourcenschutz
Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und für mehr Wiederverwendung und Recycling wurden
NEN]: Papier ist ja wohl echt geduldig!) nicht genutzt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Vizepräsidentin Petra Pau: DIE GRÜNEN)
Das Wort hat der Kollege Gerd Bollmann für die
SPD-Fraktion. Wer dieses Gesetz als großen Wurf feiert, leidet entwe-
der unter Realitätsverlust
(Beifall bei der SPD)
(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Gerd Bollmann (SPD):
NEN]: Ja, genau!)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! – man könnte sich angesichts des Zustandes der Koali-
Bei dem Thema Abfallwirtschaft denke ich zunächst an tion schon denken, warum – oder muss unbedingt einen
ein Plakat aus den 80er-Jahren, auf dem eine ungeord- Erfolg herbeireden.
nete Mülldeponie zu sehen war. Darunter stand: Wenn
wir weiter so auspacken, können wir bald einpacken. Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP,
in der letzten Woche haben Sie in diesem Haus ver-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) stärkte Rohstoffsicherung und Ressourcenschutz als
Ich denke, seit dieser Zeit hat sich – jenseits der politi- wichtige Zukunftsaufgaben dargestellt. Der vorliegende
schen Farbenlehre; egal ob Töpfer, Trittin oder Gabriel Gesetzentwurf sieht für das Jahr 2020 eine Recycling-
die entsprechenden Minister waren – einiges positiv ent- quote für Siedlungsabfälle von 65 Prozent vor, dabei
wickelt und verändert. wurden bereits im Jahr 2008 64 Prozent aller Siedlungs-
abfälle recycelt. Bei Bau- und Abbruchabfällen soll nach
Ohne die Verdienste von Herrn Töpfer schmälern zu dem Willen der Regierung bis 2020 eine Quote von
wollen, Herr Minister: Auch das gültige Kreislaufwirt- 70 Prozent erreicht werden, dabei betrug die Quote 2008
schaftsgesetz ist damals erst im Vermittlungsausschuss bereits 93,7 Prozent.
entstanden, und wie man mir sagte, ist es deutlich besser
als der ursprüngliche Entwurf. Auch darauf darf man (Zurufe von der SPD: Oh! – Bärbel Höhn [BÜND-
hinweisen. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Rückschritt!)
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Gerd Bollmann
(A) War im Arbeitsentwurf des BMU noch von einer Ver- Von der Regierung, der FDP und der privaten Entsor- (C)
pflichtung die Rede, wurde dies zu einer Sollvorgabe gungswirtschaft wird behauptet, dass verstärkter Wettbe-
weichgespült. werb dem Umwelt- und Ressourcenschutz dient. Es wird
behauptet, dass nur durch private Entsorgungswirtschaft
Glauben Sie wirklich, dass es ausreicht, in einem Ent- der derzeit hohe Standard im Bereich Recycling erreicht
schließungsantrag anspruchsvolle Abfallvermeidungs- wurde. Es steht der Vorwurf im Raum, dass die kommu-
ziele und -programme zu fordern, im Gesetzentwurf aber nalen Entsorger nur ihre Müllverbrennungsanlagen fül-
den Begriff „Abfallvermeidung“ ohne jegliche Ausge- len wollen. Schauen wir uns doch die Realität an: Altpa-
staltung aufzunehmen? Gleichzeitig lehnen Sie Ände- pier, Altbatterien, Bioabfälle, Sondermüll und andere
rungsanträge zur verbesserten Abfallvermeidung ab. Das Abfallfraktionen werden von zahlreichen Kommunen
reicht nicht. Dies ist keine Fortentwicklung der Kreis- getrennt gesammelt,
laufwirtschaft.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Genau!)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert und das dauerhaft, unabhängig von der Marktlage, mit
[DIE LINKE]) gutem Service, guten Löhnen und oftmals ohne Gewinn.
Gut ausgebaute Wertstoffhöfe wurden zum Beispiel in
Wer es mit der stofflichen Verwertung ernst meint, Bayern errichtet. Dies alles geschah, bevor es gesetzlich
der darf die Mitverbrennung in Kraftwerken nicht als verlangt wurde oder wirtschaftlich rentabel war.
stoffliche Verwertung zählen. Wer mehr recyceln will,
darf mit einem allgemeinen Kriterium die energetische Eines ist klar: Für einen zukunftsorientierten Ausbau
Verwertung nicht mit stofflicher Verwertung gleichset- der Kreislaufwirtschaft ist eine Politik nach Marktlage
zen. Mit einem Heizwertkriterium von 11 000 Kilojoule der falsche Weg.
ist beispielsweise die Verbrennung von Altpapier mög- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
lich der LINKEN)
(Michael Brand [CDU/CSU]: Wer verbrennt denn Dafür sind Vorschriften, Richtlinien und gesetzliche Vor-
Altpapier? Das ist doch viel zu teuer!) gaben notwendig, und zwar für private und kommunale
und einem Papierrecycling gleichwertig. So ist der Vor- Entsorger. Wir Sozialdemokraten haben das in unseren
rang der stofflichen Verwertung nicht umzusetzen. Das Änderungsanträgen deutlich gemacht.
hat auch die EU-Kommission in ihrem Notifizierungs- Das Bundesverwaltungsgericht hat diese Fragen in ei-
schreiben ausdrücklich betont. nem wegweisenden Urteil zum Thema Altpapier geklärt.
(B) All diese Punkte hätten in den letzten Monaten im Mit- Gewerbliche Sammlungen wurden eingeschränkt. Kein (D)
telpunkt der Auseinandersetzungen über das Kreislauf- privater Entsorger musste deswegen Insolvenz anmel-
wirtschaftsgesetz stehen müssen. Aber die Diskussion den. Von interessierter Seite wurde sofort gegen dieses
wurde von der Frage über das Verhältnis von kommunaler Urteil geklagt. Die private Entsorgungsindustrie, die
und privater Zuständigkeit in der Abfallwirtschaft be- FDP und einige aus dem Ministerium haben behauptet,
herrscht. Wir Sozialdemokraten haben von Anfang an dass dieses Urteil nicht europarechtskonform sei. Liebe
klargemacht, dass wir weitere Privatisierung im Zustän- Kolleginnen und Kollegen, ich bin kein Jurist, ich berufe
digkeitsbereich der kommunalen Entsorgungswirtschaft mich auch nicht auf die zahlreichen Gutachten aus ange-
ablehnen. sehenen Anwaltskanzleien oder den Länderministerien.
Ich weise aber darauf hin, dass das höchste dafür zustän-
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Ralph dige deutsche Gericht die Europarechtskonformität ge-
Lenkert [DIE LINKE]) prüft hat. Einstimmig hat das Bundesverwaltungsgericht
die Übereinstimmung mit dem Europarecht festgestellt.
Die Hausmüllentsorgung gehört für uns zur Daseins-
Zweimal, zuletzt im Juli dieses Jahres, hat das Gericht
vorsorge. Der Bürger muss sich darauf verlassen kön-
seitdem diese Ansicht bekräftigt. Bezüglich der Europa-
nen, dass sein Abfall unabhängig vom Marktpreis jeder-
rechtsfragen ist diese Aussage der höchsten deutschen
zeit und zuverlässig abgeholt und nach ökologischen
Verwaltungsrichter für uns ausschlaggebend.
Standards entsorgt wird. Dies trauen wir nur den Kom-
munen, die dazu verpflichtet sind, wirklich zu. Eine Si- (Beifall bei der SPD – Michael Brand [CDU/
tuation, wie wir sie vor Jahren im Bereich Altpapier hat- CSU]: Die Fachgerichte haben alle anders ent-
ten, lehnen wir ab. Als der Altpapierpreis spekulativ schieden!)
hoch war, wurden von privaten Entsorgern Papiertonnen
aufgestellt. Als der Preis im Verlauf der Wirtschaftskrise Unter dem Druck interessierter Kreise hat das BMU
zusammenbrach, wurde das Altpapier nicht nur nicht einen Entwurf vorgelegt, welcher den Bestand der öf-
mehr abgeholt, nein, man ließ sogar die aufgestellten fentlich-rechtlichen Entsorger stark gefährdet. Gegen
Tonnen einfach stehen. Die Kommunen mussten ein- den Widerstand der Räte in einigen Hundert Kommunen,
springen. Eine solche Entsorgung nach Marktlage zulas- des Bundesrates, der Verbände, der Opposition, aber
ten der Bürger lehnen wir ab. auch vieler Abgeordneter aus den eigenen Reihen war
dieser Entwurf nicht durchsetzbar. Nur wegen des dro-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ henden Scheiterns ist das BMU auf die kommunalen
DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert Spitzenverbänden zugegangen. In letzter Minute ist ein
[DIE LINKE]) sogenannter Kompromiss erreicht worden. Tatsächlich
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16307
Gerd Bollmann
(A) sind einige Verbesserungen enthalten: die Verlängerung Die Aufnahmefähigkeit der Natur für Abfälle und (C)
der Anzeigepflicht, der Wegfall der neutralen Stelle, die andere Umweltbelastungen ist begrenzt.
Beteiligung der öffentlich-rechtlichen Entsorger, die Be-
rücksichtigung der Stabilität des Gebührenhaushalts. All Seitdem hat sich Gott sei Dank sehr viel getan. Was De-
dies sind Verbesserungen. ponieverbot und Lösung der Müllprobleme betrifft, ha-
ben wir viel erreicht. Wie man am heutigen Tage sieht,
(Beifall des Abg. Michael Brand [CDU/CSU]) haben wir aber auch noch viel vor. Es sind noch viele
Dinge zu klären.
Gleichzeitig bleibt es aber bei vielen ungeklärten
Rechtsbegriffen, die die Gerichte beschäftigen werden. Wir wollen es besser machen. Wir wollen es aber
Schon jetzt ist abzusehen, dass dieses Gesetz viele nicht nur für den Verbraucher besser machen – das habe
Rechtsanwaltskanzleien wirklich gut verdienen lässt. ich schon gesagt –, sondern auch besser machen für die
Man kann sich auf spannende Auseinandersetzungen Umwelt – es geht um Recycling –, für die Wirtschaft und
einrichten. für die Kommunen, Herr Bollmann. Der von uns vorge-
legte Gesetzentwurf mit der dazugehörigen Entschlie-
Das Signal zeigt mir, dass ich leider schon zum Ende ßung bringt, glaube ich, für alle Beteiligten eine Verbes-
kommen muss. Ich kann nur sagen: Auch wir Sozialde- serung im Vergleich zum Status quo. Das ist bei der
mokraten sind für eine Wertstofftonne, allerdings – das Gesetzgebung nur sehr selten der Fall. Deswegen bin ich
muss hier ganz klar gesagt werden – in Verantwortung sehr stolz auf das, was hier vorliegt.
der Kommunen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten CDU/CSU)
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN) Wir haben etwas für die Umwelt erreicht, indem wir
die Wiederverwendung stärken. Wir wollen, dass man-
Durch dieses Gesetz wird eine Vorentscheidung getrof- che Dinge gar nicht erst auf dem Müll landen. Wir haben
fen. Den Kollegen aus Bayern kann ich nur sagen: Wenn uns darauf verständigt, dafür zu sorgen, dass soziale Ini-
demnächst das Wertstoffgesetz in Kraft getreten ist, dann tiativen, die zum Beispiel alte Möbel und andere Gegen-
können Sie Ihre Wertstoffhöfe vergessen. Nicht zuletzt stände wiederaufbereiten und verkaufen, unterstützt
aus diesem Grunde lehnen wir dieses Urteil ab. werden. Davon hält die SPD nichts. Das ist eine soziale
(Michael Brand [CDU/CSU]: Welches Urteil Frage, reduziert aber auch das Müllaufkommen. Dazu
denn?) haben Sie nichts gesagt.
Ich habe vorhin schon gesagt: Auch das gültige Ge- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(B) setz ist im Vermittlungsausschuss entstanden. Ich denke, der CDU/CSU) (D)
wir sehen uns im Vermittlungsausschuss wieder. Wir wollen durch Wertstofftonnen erreichen, dass –
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. die Zahl stammt vom Umweltbundesamt – 600 000 Ton-
nen weniger verbrannt werden; dies betrifft öffentlich-
(Beifall bei der SPD) rechtliche und private Anlagen. Diese 600 000 Tonnen
mehr sollen recycelt werden. Das wollen Sie nicht. Wa-
Vizepräsidentin Petra Pau: rum, das weiß ich nicht. Dies wird zu weiteren Verbesse-
Das Wort hat der Kollege Horst Meierhofer für die rungen führen; das ist entscheidend. Vor allem für die
FDP-Fraktion. Umwelt ist dies gut.
(Beifall bei der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: (Dr. Matthias Miersch [SPD]: Aber nicht über
Begründen Sie einmal dieses Gebührenerhö- Ihr Gesetz!)
hungsgesetz!) Alle Umweltverbände und Experten sind sich einig, dass
uns dies nach vorne bringt. Sie sagen: Nein, das wollen
Horst Meierhofer (FDP): wir nicht, wir wollen, dass alles so bleibt, wie es ist;
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! denn alles ist ganz hervorragend.
Herr Bollmann, es war spannend, dass Sie am Anfang (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
Ihrer Rede darauf hingewiesen haben, dass es hier nur CDU/CSU – Zuruf der Abg. Dorothea Steiner
um den Verbraucher und um den Service geht. Es war [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ihnen wichtig, das zu betonen. Sie haben behauptet, wir
würden uns nur darüber streiten, wer ein größeres Stück Wir wollen den Grundsatz Recycling vor Verbren-
vom Kuchen bekommen solle. Im nächsten Satz haben nung umsetzen. Diesen klaren Vorrang übertragen wir
Sie aber gesagt: Das darf kein Privater machen, sondern von europäischer Ebene auf deutsches Recht. Dadurch
das müssen immer die Kommunen machen. Ihnen geht werden wir mehr Recycling haben als bisher.
es überhaupt nicht um das beste Ergebnis. Ihnen geht es
um Besitzstandswahrung und sonst gar nichts. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP)
Dennoch werden wir die Strukturen, die Müllverbren-
Ich habe mir alte Texte angeschaut. In den Freiburger nungsanlagen, die Müllheizkraftwerke, aus denen wir
Thesen von 1971 stand zum Beispiel: Strom und Wärme erzeugen, erhalten. Herr Bollmann,
16308 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Horst Meierhofer
(A) diese sind zu 50 Prozent in privater und zu 50 Prozent in (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (C)
öffentlicher Hand. Frau Steiner, die Grünen wollen das Haben Sie eben nicht gesagt, dass alle profitie-
Heizwertkriterium komplett abschaffen; dies hat auch ren? Das passt doch nicht zusammen!)
Herr Bollmann gerade durch die Blume gesagt. Es wäre
gut, wenn Sie darauf hinweisen, Jetzt sage ich Ihnen, warum die Wirtschaft profitiert.
Die Wirtschaft profitiert, weil es Investitionssicherheit
(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gibt; dies gilt für die Kommunen, und beim Heizwertkri-
NEN]: Wir reden über die Höhe und nicht über terium gilt es natürlich genauso für die privaten Investo-
das Abschaffen!) ren. Wir haben durch die neutrale Stelle, die geschaffen
wird, klare Wettbewerbsverhältnisse. Davon profitieren
dass wir dann alle Anlagen schließen müssten; denn es die Kommunen, aber auch die Privaten. Jeder weiß: Es
würde sich für die Kommunen nicht mehr lohnen. Auch gibt keine Eigeninteressen bei der Wertstofferfassung,
wenn Sie den Kommunen alles andere zuschustern wür- sondern das macht jemand, der das beste Ergebnis für
den, würde es sich für sie nicht mehr lohnen. Im Ergeb- den Bürger erzielen möchte. Das ist ein echter Vorteil.
nis würden die Kommunen, die weiterhin an Müllheiz- Das war bisher nicht so. Für Verpackungen war aus-
kraftwerken beteiligt sind, die Gebühren erhöhen. Dann schließlich das Duale System und für den Restmüll aus-
würde es teurer für den Verbraucher werden. Wir wollen schließlich die Kommune zuständig. Wenn bei Wertstof-
genau das Gegenteil. Wir wollen es besser und günstiger. fen nun eine neutrale Stelle zuständig ist, ist das ein
großer Vorteil.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Ulrich Kelber (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
[SPD])
Ich erwarte, dass Wertstoffe sowohl von den Kommunen
– Wenn die nicht ausgelastet sind, dann muss es mehr als auch von den Privaten sinnvoller und besser recycelt
kosten, Herr Kelber, das ist doch logisch. Wer bezahlt werden.
das dann? Natürlich der Verbraucher und der, der den
Wir werden dafür sorgen, dass sich bei der gewerbli-
Müll anliefert.
chen Sammlung einiges entwickelt. Es hieß immer, dort
(Ulrich Kelber [SPD]: Wenn Sie das einzig würde Rosinenpickerei betrieben. Herr Bollmann, das
Lukrative herausnehmen, dann steigen die Ge- haben wir doch dadurch verhindert, dass wir die Frist für
bühren! Reden Sie einmal mit einem Prakti- die Anzeigepflicht auf drei Monate – natürlich geht dies
ker! Das ist ein Gebührenerhöhungsgesetz, das nicht von einem Tag auf den nächsten – festgelegt haben
Sie da machen! – Zuruf der Abg. Bärbel Höhn und den Mindestsammelzeitraum auf drei Jahre – am
(B) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Anfang war ein Jahr im Gespräch – erhöht haben. (D)
Deswegen müssen wir das Heizwertkriterium beibehal- (Dr. Matthias Miersch [SPD]: Ja und?)
ten. Es kann gar nicht anders funktionieren. Es ist nicht so, dass ein Privater hier schnell Geld verdie-
nen kann, und kurz darauf, wenn die Wertstoffe wieder
Wir wollen gleichzeitig dafür sorgen, dass wir durch
billiger geworden sind, erneut die Kommune dafür zu-
eine Kaskadennutzung – diese haben wir vorgesehen –
ständig ist. Zu Ihrer Information: Kein Mensch ver-
möglichst wenig verbrennen müssen.
brennt Papier; denn dafür gibt es Geld. Wie erklären Sie
(Ulrich Kelber [SPD]: Selbst Altpapier darf sich sonst, dass alle so scharf darauf sind, Papier zu sam-
man in Zukunft verbrennen!) meln? Herr Bollmann, daher war Ihr Beispiel nicht ganz
überzeugend.
Wir wollen möglichst viel recyceln und schrittweise im-
mer weniger verbrennen. Dieser Übergang ist einerseits (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
eine Garantie für Investitionen und führt andererseits der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Wenn
langfristig zu deutlich mehr Recycling. Wahrscheinlich es kein Geld gibt, dann verbrennen wir es! Das
haben Sie sich inhaltlich nicht damit beschäftigt, deswe- ist FDP-Umweltpolitik!)
gen müssen Sie jetzt bei Ihrer tumben Antihaltung blei- Es gibt nun einmal leider auch Kommunen, die die
ben. Probleme bei der Wertstofferfassung, vor allen Dingen
bei der Papiererfassung, nicht optimal lösen. Die, die es
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
nicht optimal lösen, wollen Sie trotzdem schützen, in-
der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Das ist
dem Sie, SPD und Grüne, ihnen die Möglichkeit geben,
unerträglich!)
komplett zu verhindern, dass Private einen besseren Ser-
Was bedeutet das für die Wirtschaft? Die Wirtschaft vice anbieten.
hat dadurch große Vorteile. Wir haben in den letzten Ta- (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
gen gehört, dass auch Teile der Wirtschaft mit dem Ge- NEN]: Sie reden wider besseres Wissen, Herr
setz nicht ganz glücklich sind. Hier heißt es ja immer, Meierhofer! – Gegenruf des Abg. Michael
nur die Kommunen hätten damit Probleme. Herr Brand [CDU/CSU]: Lesen Sie doch einmal
Bollmann, dies ist ein Kompromiss; das muss man offen den Gesetzentwurf, Frau Steiner!)
sagen. Alle müssen ein Stück beigeben, vielleicht nicht
die Opposition. Aber später im Bundesrat muss man et- Das ist nicht nur aus Sicht des Verbrauchers eine Unver-
was verantwortungsvoller handeln als Sie gerade hier. schämtheit, sondern auch ökologisch irrsinnig. In eini-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16309
Horst Meierhofer
(A) gen Gemeinden gibt es keine Papiertonnen. In solchen Zitieren Sie einmal, was der BDE gesagt hat. Er hat er- (C)
Gemeinden sollen Private die Möglichkeit haben, diesen klärt, es sei unzumutbar.
Service anzubieten. Dies ist aus Sicht des Recyclings
und des Bürgers besser. Mir ist vollkommen unverständ- Das Entscheidende ist doch, dass man in einem Kom-
lich, was man dagegen haben kann. promiss zwei verschiedene Seiten zusammenbringt und
am Schluss jeder sagt: Unter Bauchschmerzen kann ich
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten zustimmen. – Das ist der Status quo, den wir hier errei-
der CDU/CSU) chen müssen. Sie können sich natürlich auf eine Seite
stellen.
Sie bekommen Unterstützung von Ihrem Kollegen
Ude aus München, der für den Deutschen Städtetag (Ulrich Kelber [SPD]: Sie sind ein Gebühren-
spricht und der für die Kommunen in die Bresche erhöher! – Gegenruf des Abg. Michael Brand
springt. [CDU/CSU]. Sie sind ein Schwätzer!)
(Dr. Matthias Miersch [SPD]: Zu Recht!) – Im Gegenteil: Es wird günstiger. Das werden Sie auch
noch sehen.
München hat aber in Deutschland die niedrigste Recy-
clingquote: 5 Kilogramm im Vergleich zu knapp 30 Kilo- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
gramm. Der Mann hat von Recycling keine Ahnung; das Ulrich Kelber [SPD]: Sie sind persönlich für
weiß ich. Was den Rest angeht, hoffe ich, dass es nicht die Gebührenerhöhung verantwortlich!)
so ist. Von Recycling hat er aber keine Ahnung. Die Frage der Wertstoffhöfe ist gerade für uns in
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP) Bayern entscheidend. Bei uns gibt es viele Kommunen
und Landkreise, die überhaupt kein Holsystem haben.
Trotzdem erklärt er uns allen, wie man es besser machen Wir hatten natürlich auch in der Koalition unterschiedli-
muss. Dann sind wir nämlich bei den Wertstoffhöfen. Da che Meinungen und haben uns verständigt, wie wir es
hat er den Beweis noch nicht erbracht, Herr Bollmann. hinbekommen. Wir haben gesagt: Wir wollen die Wert-
Der Beweis wird erst noch zu erbringen sein. stoffhöfe nicht zerschlagen, sondern wir wollen, dass die
(Gerd Bollmann [SPD]: Das können Sie ihm Wertstoffhöfe es auch weiterhin machen können.
in Bayern gut erklären!) Uns geht es darum, eine Wertstofferfassung von
Wenn es nicht funktioniert, möchte ich ein besseres Er- höchster Qualität zu erreichen. Deswegen steht in unse-
gebnis haben. rem Gesetzentwurf auch: Wertstoffhöfe oder Wertstoff-
erfassung vergleichbarer Qualität. – Das fordere ich ein.
(B) Dieses Gesetz ist für die Kommunen besser, weil sie Die Qualität muss vergleichbar sein. Einfach nur zu sa- (D)
Planungssicherheit haben. Es ist für die Kommunen gut, gen: „Wir wollen ein System beibehalten“ – es führt, wie
weil jetzt endlich klar ist, was man darf und was nicht. im Fall des geschätzten Oberbürgermeisters Ude, zu ei-
nem Sechstel der Sammelmengen –, reicht uns nicht. Es
Wenn die Gebühren gefährdet sind, können die Kom- muss nachgewiesen werden, dass die gleichen Mengen
munen den Wettbewerb ganz leicht mehr oder weniger und die gleiche Qualität erreicht werden. Von der Rein-
verhindern. Das ist etwas, worüber sich die Privaten be- heit her ist es meist sogar ein bisschen besser. Zum
schwert haben. Wenn für den Verbraucher ein optimales Schluss müssen wir es bewerten. Dann kommen wir zu
System bereitgestellt wird, kann ein Privater nicht in die- einem Ergebnis.
sen Markt hinein. Die Kommunen haben Sicherheit ohne
Ende. Es wird keine Rosinenpickerei geben. Die Kom- Wir machen nichts kaputt, sondern versuchen, das
munen haben Möglichkeiten, über die die Privatwirt- Beste für den Verbraucher herauszuholen. Das lassen Sie
schaft ächzt. völlig unberücksichtigt bei Ihren tumben Vorwürfen, die
leider nichts mit der Realität zu tun haben.
Man sollte einmal zugeben, dass hier wirklich ein
Ausgleich gefunden wurde, den die Hauptgeschäftsfüh- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
rer aller kommunalen Spitzenverbände unterschrieben der CDU/CSU)
haben. Einen letzten Punkt will ich noch ansprechen. Ich
(Dr. Matthias Miersch [SPD]: Weil unter Schwarz- habe gesagt, dass dies alles gut für die Wirtschaft, die
Gelb nicht mehr rauszuholen war!) Kommunen und vor allem die Umwelt ist. Man sollte
aber vielleicht nicht ganz außer Acht lassen, dass es für
Wenn die alle damit leben können, dann würde es mich den Verbraucher besser ist. Für den Verbraucher ist es
doch sehr wundern, wenn nicht auch die SPD in der dann am besten, wenn ein höchst qualitatives Recycling
Lage wäre, zuzustimmen – es sei denn, wegen Scheu- erreicht wird und er es möglichst bequem hat, damit er
klappen und um einfach Nein zu sagen. das Angebot auch nutzt. Das ist nämlich der Unter-
(Ulrich Kelber [SPD]: Herr Meierhofer, zitie- schied. Dort, wo es ein gutes Angebot gibt, ist auch die
ren Sie doch einmal aus deren Reden!) Recyclingquote höher.

– Die haben gesagt, sie seien einverstanden. Das Ganze muss auch verständlich sein. An dieser
Stelle muss man selbstkritisch anmerken, dass es bisher
(Michael Brand [CDU/CSU]: Die SPD vertritt nicht verständlich war, wenn zwar eine Plastiktüte, in
Maximalpositionen!) der ein Legostein verpackt war, recycelt wurde, der Le-
16310 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Horst Meierhofer
(A) gostein aber in den Restmüll geworfen wurde. Das ist schafts- und Abfallgesetzes, die wir heute beschließen, (C)
der Status quo bei der momentanen Verpackungssamm- wird von der Regierungskoalition als Kompromiss aller
lung. Es muss in Zukunft so sein, dass wir uns daran Beteiligten verkauft. Lassen Sie mich eines klarstellen:
orientieren, was ein Wertstoff ist. Wenn es ein Wertstoff Das ist Müll.
ist, müssen wir ihn möglichst gut recyceln.
(Beifall bei der LINKEN)
Eine solche Verbesserung gegenüber dem Status quo
haben Sie in den sieben Jahren Verantwortung von Rot- In Wirklichkeit wollten Sie mit Ihrem Entwurf priva-
Grün und auch später nicht hinbekommen. Deswegen ten Abfallfirmen das lukrative Geschäft mit Wertstoffen
sind wir auch besonders stolz; denn wir holen ökolo- aus dem Hausmüll zuschanzen. Das hat aber zu viel
gisch mehr heraus, als Sie sich jemals zugetraut hätten. Staub in den Kommunen aufgewirbelt, weil diese da-
durch Einnahmen verlieren würden. Deshalb mussten
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Sie auf diesen Druck mit Änderungen reagieren. Wahr-
der CDU/CSU) scheinlich war den zuständigen Ministerien bewusst,
Es muss ein einfaches System sein, es muss ein klares dass auch die Bürgermeister der Union nicht einfach zu-
System sein. Es muss auch so sein, dass derjenige, der sehen, wenn man ihren kommunalen Eigenbetrieben
sich nicht an die Spielregeln hält, stark bestraft wird. Wir Einnahmen in Höhe von rund 800 Millionen Euro aus
haben für die schwarzen Schafe die Strafsätze deutlich dem Verkauf von Altpapier und Metallschrott weg-
erhöht. nimmt.

Wir schaffen mehr Bürger- und Informationsrechte (Beifall bei der LINKEN – Michael Brand
– dies gilt auch für die kleinen und mittleren Unterneh- [CDU/CSU]: Im Gegensatz zu Ihnen sind wir
men –, indem wir die Kommunen dazu auffordern, ihre eine Kommunalpartei!)
Beratungstätigkeiten in Bezug auf Müll deutlich nach
Denn etwa 10 Prozent der Kosten der Abfallbeseitigung
vorne zu bringen. Alles in allem ist das für alle Beteilig-
wurden und werden durch diese Einnahmen gedeckt.
ten deutlich besser.
Kein Bürgermeister erhöht gern die Müllgebühren, aber
Das Letzte, was mir von Rot-Grün in Erinnerung ge- eine Erhöhung wäre unumgänglich gewesen.
blieben ist – das ist auch das Einzige im Bereich Abfall
und Wertstoffe, woran ich mich erinnere –, war der Ver- Darum hat die Regierung bis kurz vor Ladenschluss
such des Dosenpfandes. Die Situation ist im Endeffekt so getan, als ob das Abschaffen der kommunalen Abfall-
deutlich schlechter geworden als vorher. Man wollte die wirtschaft zugunsten der Privatwirtschaft eine unverän-
Mehrwegquote stärken. Erreicht hat man eine Mehrweg- derliche europäische Vorgabe ohne Wenn und Aber ist.
(B) quote, die so niedrig ist wie nie. Erreicht hat man ein Re- So eine plumpe Privatisierungsmasche ist mir selten un- (D)
vival der Dose. Erreicht hat man Einweg ohne Ende. tergekommen.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
Woran lag es wohl? An der CDU und der FDP neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
in den Ländern! Das ist es doch! Sie haben das GRÜNEN – Lachen des Abg. Michael Brand
verhindert, Herr Meierhofer!) [CDU/CSU])
Das ist Ihr Erfolg gewesen. Für die EU ist die Abfallhierarchie entscheidend. Da-
bei steht die Abfallvermeidung über der Wiederverwen-
Wir werden vergleichen, was unser Erfolg ist. Das, dung. Diese steht wiederum über der stofflichen Verwer-
was Sie gemacht haben, wäre etwas für die Tonne gewe- tung. Erst dann kommen die Verbrennung und zuletzt die
sen. Mit dem, was wir machen, tun wir etwas für die Entsorgung des Abfalls. Warum nur erzählen deutsche
Wertstoffe. Sie haben bis jetzt nichts nachgewiesen – au- Vertreter in Brüssel, dass die Abfallhierarchie im Ge-
ßer dagegen zu sein. Ich bin gespannt auf Ihre Debatten- setzentwurf wegen der kommunalen Entsorger verletzt
beiträge. werde? Weil sie ihre Müllverbrennungsanlagen auslas-
Herzlichen Dank. ten wollen. Völlig überraschend wird dann von diesen
Vertretern eine Privatisierung der Abfallwirtschaft vor-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – geschlagen. So macht man keine Gesetze.
Ulrich Kelber [SPD]: Ihren Erfolg werden wir
an den Gebührenerhöhungen genau messen (Beifall bei der LINKEN)
können!)
Hier sollten die Bürgerinnen und Bürger für zusätzliche
Profite der gewerblichen Müllindustrie zahlen. Nicht mit
Vizepräsidentin Petra Pau: uns!
Das Wort hat der Kollege Ralph Lenkert für die Frak-
tion Die Linke. Wer wie ich die Themen Abfall und Wertstofftonne
verfolgt, dem blieb nicht verborgen: In den Augen der
(Beifall bei der LINKEN) Verantwortlichen der privaten Abfallindustrie blinken
dank Schwarz-Gelb die Dollarzeichen. Liebe Chefs von
Ralph Lenkert (DIE LINKE): Banken, Hotels und privaten Entsorgern: Diese Regie-
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geehrte Kolleginnen rung steht fest an Ihrer Seite. Ich sage: Diese Politik ist
und Kollegen! Die Überarbeitung des Kreislaufwirt- Müll.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16311
Ralph Lenkert
(A) (Beifall bei der LINKEN – Ulrich Kelber und zwar mit fairen Löhnen bei guten Arbeitsbedingun- (C)
[SPD]: Wir recyceln den Müll!) gen.
Die Linke kämpfte, zusammen mit anderen Opposi- (Beifall bei der LINKEN)
tionsparteien, mit Hunderten Kommunalvertretungen,
Einer konsequenten Einhaltung der Abfallhierarchie
Kreistagungen und Stadträten, für eine kommunale Ab-
stehen reine Profitinteressen im Weg. Der private Betrei-
fallentsorgung. Diese Entsorgung beinhaltet alle wert- ber einer Müllverbrennungsanlage verdient mit dem
vollen Abfallbestandteile wie Papier, Glas und Metalle. Auslastungsgrad seiner Anlage mehr oder weniger Geld.
Der Kampf hat sich gelohnt. Denn die Koalitionsfraktio- An Müllvermeidung, an stofflichem Verwerten ist er de-
nen stärkten in letzter Minute die Position der öffentli- finitiv nicht interessiert.
chen Entsorger. Dafür danke.
Die beste Möglichkeit zur Einhaltung der Abfallhier-
Warum aber konnten Sie sich nicht vollständig zu den archie liegt aus unserer Sicht in der Hoheit der Kommu-
Kommunen bekennen? Die eingeführten Wirtschaftlich- nen. Aber auch diese müssen auf die tatsächlich anfal-
keitskriterien bei der Wertstofferfassung öffnen eine lenden Abfallmengen eingestellt werden. Das ergibt
Hintertür für die privaten Entsorger. Wer billig ist, ge- Probleme, weil bei steigendem stofflichen Recycling, er-
winnt die Wertstofferfassung. Seien Sie offen: Sie spie- folgreicher Abfallvermeidung und den schon jetzt beste-
len den tariflich bezahlten Angestellten, den öffentlichen henden privaten und öffentlichen Überkapazitäten in
Müllmann, gegen den Leiharbeiter beim privaten Ent- Müllverbrennungsanlagen und Restbrennstoffkraftwer-
sorger aus. ken die zu verbrennenden Abfallmengen zukünftig deut-
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- lich zurückgehen. Deshalb müssen ab sofort der Neubau
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE weiterer Verbrennungskapazitäten und die Mitverfeue-
GRÜNEN) rung, zum Beispiel in Stahlwerken und Zementfabriken,
eingestellt werden.
Mit Preisvorteilen durch Lohndumping ermöglichen
Sie Konzernen wie Veolia und ALBA erneut den Zugriff (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gerd
Bollmann [SPD])
auf die Wertstoffentsorgung. Das muss die Linke einfach
verhindern. Jetzt können Sie, meine Damen und Herren von den
anderen Fraktionen, schon einmal zum Protest ausholen:
(Beifall bei der LINKEN – Michael Brand
Ohne langfristige Planung der Kapazitäten geht es in der
[CDU/CSU]: Das ist doch einfach unwahr! Sie Abfallwirtschaft nicht. Sonst laufen die Kommunen Ge-
wissen es doch besser, oder doch nicht?) fahr, durch mangelnde Abstimmung in überdimensio-
(B) Mal ganz nebenbei: Viele meiner heimatlichen Thü- nierte Kapazitäten zu investieren. (D)
ringer Kommunen werden diese Hintertürenteignung Die Abfallvermeidung muss eine zentrale Rolle spie-
nicht dulden und sich gerichtlich wehren. Dieses zusam- len. Dies lässt sich durch Ressourcenverbrauchsabgaben
mengeschusterte Gesetz wird eine teure Arbeitsbeschaf- und durch Bonussysteme bei der Wiederverwendung
fungsmaßnahme für Anwälte und Richter. Das lehnen von Altprodukten erreichen.
wir ab.
Das Duale System, bekannt als der Grüne Punkt, ist
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- eine unbeherrschbare Krake und gehört abgeschafft.
neten der SPD)
(Beifall bei der LINKEN)
Auch im Hinblick auf den Umweltschutz ergibt dieses
Gesetz ein differenziertes Bild. Positivem, wie dem Ver- Das Duale System organisiert Sammlung, Sortierung
mischungs- sowie Verdünnungsverbot für gefährliche und Verwertung von Abfällen. Dafür kaufen die Herstel-
Abfälle, steht die Nichteinhaltung der Abfallhierarchie ler von Verpackungen Lizenzen für das Vertreiben von
gegenüber. Verpackungen entsprechend der Art und Menge der Ver-
packungen. Nach dem Kauf der Lizenz darf der Grüne
(Michael Brand [CDU/CSU]: Das scheint mir Punkt auf die Verpackung.
auch sehr dünn zu sein!)
Betrüger drucken den Punkt auch ohne Bezahlung
Die Koalitionsfraktionen haben Etliches am Entwurf der auf. Seit Jahren ist das Duale System nicht in der Lage,
Regierung verbessert, aber zu einem zukunftsweisenden den Missbrauch des Systems durch unehrliche Firmen zu
Gesetz fehlte der Mut. unterbinden. Für etwa die Hälfte der in Verkehr gebrach-
ten Verpackungen wurde der aufgedruckte Grüne Punkt
(Michael Brand [CDU/CSU]: Von Ihnen ist nicht bezahlt. Bis jetzt gehen weder die Dualen Systeme
das ein Lob! Das ist schon mal viel!) noch die Behörden ernsthaft gegen die Betrüger vor.
Wir wollen ein anderes Abfall- und Kreislaufwirt- Damit Ehrlichkeit nicht länger bestraft wird, setzt die
schaftssystem. Deshalb bringen wir unseren Entschlie- Linke auf eine Verpackungsabgabe. Diese muss zweck-
ßungsantrag ein. Darin fordern wir ein System, das eine gebunden zur Finanzierung einer kommunalen Erfas-
bestmögliche Übereinstimmung zwischen den Lebens- sung und der anschließenden Verwertung der Verpa-
verhältnissen der Bevölkerung, den Arbeitsbedingungen ckungen eingesetzt werden und wird wie eine Steuer
der Beschäftigten und den Erfordernissen der Umwelt eingetrieben.
ermöglicht. Das bedeutet, die Abfallwirtschaft für Sied-
lungsabfälle unter kommunaler Hoheit zu organisieren, (Beifall bei der LINKEN)
16312 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Ralph Lenkert
(A) Damit wird das Duale System mit seiner bürokratischen sind, nicht auf Nimmerwiedersehen entsorgen und alle (C)
Lizenzierung überflüssig. Diese betrügerische Profit- wertvollen Rohstoffe zurückgewinnen und sie wieder
quelle gehört abgeschafft. nutzen. Nur dann, wenn wir das alles beachten, kommen
wir eines Tages zu einer echten Kreislaufwirtschaft.
(Beifall bei der LINKEN)
In 1 Tonne alter Mobiltelefone stecken fast 70 Kilo- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
gramm Kupfer. Das sind 20 Kilogramm mehr als in sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
1 Tonne Kupfererz. Zusammen mit Gold, Silber, Nickel, KEN)
Aluminium und Eisen haben diese sogenannten Sekun- Das neue Abfallgesetz könnte dazu ambitionierte
därrohstoffe deutschlandweit einen jährlichen Wert von Ziele vorgeben und einen wirksamen Impuls für mehr
über 6 Milliarden Euro, Tendenz steigend. Die Einrich- Recycling setzen. Das hat uns auch Herr Röttgen fast im
tung von Pfandsystemen für technische Geräte würde Predigerstil vorgetragen.
eine saubere Erfassung von Altgeräten wie Handys so-
wie die Möglichkeit der Wiederverwendung und die (Michael Brand [CDU/CSU]: Was haben Sie
Nutzung der enthaltenen Wertstoffe ermöglichen. gegen Prediger?)
Auf dem Weg zu einer sozial-ökologischen Gesell- Ich sage Ihnen: Diese Chance haben Sie mit diesem Ge-
schaft sind Pfandsysteme Teil einer ressourcenschonen- setzentwurf vertan. Diesen Anforderungen, die Sie selbst
den Wirtschaftsweise. Übrigens: In diesem Bereich war formuliert haben, werden Sie mit diesem Gesetzentwurf
der VEB SERO, was seine Quoten betrifft, deutlich wei- nicht gerecht.
ter als Sie mit dem, was Sie hier anstreben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN – sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael
Michael Brand [CDU/CSU]: Hoffentlich wol- Brand [CDU/CSU]: Ich habe doch gesagt, Sie
len Sie nicht auch noch die Mauer wieder auf- müssen den Gesetzentwurf lesen!)
bauen!)
Eine zukunftsfähige Abfallwirtschaft muss nämlich
Unser Entschließungsantrag stärkt die kommunalen Ressourceneffizienz, Umweltverträglichkeit und Klima-
Abfallbetriebe, reduziert den Ressourcenverbrauch und schutz zum Ziel haben. Zu Klimaschutz findet sich in
schafft gute Arbeitsplätze in der regionalen Kreislauf- dem gesamten Gesetzentwurf von Schwarz-Gelb über-
wirtschaft. haupt nichts. Zwar weiß das Bundesumweltministerium,
(Michael Brand [CDU/CSU]: Occupy VEB!) dass die Abfallwirtschaft einen erheblichen Beitrag zum
Erreichen der Klimaschutzziele der Bundesregierung
(B) Der Entwurf der Koalition jedoch sichert die Profite der leisten muss. Aber wie sollen das bitte auch die Bürge- (D)
Entsorgungskonzerne zulasten der Kommunen und Bür- rinnen und Bürger erfahren, wenn das nicht einmal im
ger. Alles in allem muss die Linke Ihren Entwurf eines Gesetz steht?
Kreislaufwirtschaftsgesetzes trotz der Verbesserungen in
letzter Minute ablehnen. (Michael Brand [CDU/CSU]: Was für eine Lo-
gik! Für wie dumm halten Sie die Leute ei-
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- gentlich?)
neten der SPD – Rainer Brüderle [FDP]: Da-
mit müssen wir leben!) Reicht es Ihnen vielleicht aus, dass das Umweltministe-
rium eine Broschüre mit dem Titel Recycling stoppt
Vizepräsidentin Petra Pau: Treibhausgase herausgibt? Ich finde, das reicht nicht.
Das Wort hat die Kollegin Dorothea Steiner für die Hier muss mehr aufgeklärt und diskutiert werden.
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ich will Ihnen kurz zwei Beispiele für Klimaschutz
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha-
im Abfallbereich nennen:
ben den Umweltminister gehört: Mehr Wachstum mit
weniger Ressourcen erzeugen, das ist der progressive Erstens. Wenn wir das heute mehrfach erwähnte Alt-
Ansatz in der Abfallpolitik. Das teilen wir und stellen an papier richtig recyceln, werden unsere Treibhausgas-
die Abfallgesetzgebung einen hohen Anspruch. Wir wol- emissionen um 5,9 Millionen Tonnen CO2-Äquivalente
len uns von der Wegwerfgesellschaft zur Recycling- pro Jahr gesenkt.
gesellschaft entwickeln; denn Abfälle sind Ressourcen,
die wir wieder nutzen können. (Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Deshalb
machen wir das auch richtig!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Bis 2020 kann man das ohne Probleme auf 8,2 Millionen
Das betrifft uns alle: Politik, Industrie, Handel, Ver- Tonnen pro Jahr steigern.
braucherinnen und Verbraucher. Wir alle müssen einen
Beitrag zu mehr Kreislaufwirtschaft leisten, indem wir Zweitens. Durch eine einfache Wertstofftonne – nur für
Abfälle vermeiden, Abfälle, die sich nicht vermeiden Verpackungen und stoffgleiche Nichtverpackungen –
lassen, konsequenter getrennt sammeln und mit hoher kann man im Vergleich zum gelben Sack 92 Prozent mehr
Qualität recyceln, Produkte, die noch funktionsfähig Emissionen pro Jahr einsparen – von aktuell 2,3 Millionen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16313
Dorothea Steiner
(A) Tonnen CO2-Äquivalente auf über 4,3 Millionen Tonnen von fünf Jahren zu einem Rückgang der Zahl dieser Tü- (C)
in 2020. ten von über 90 Prozent geführt. Ohne Probleme sind iri-
sche Bürger auf wiederverwendbare Einkaufstaschen
(Michael Brand [CDU/CSU]: Das wird doch
umgestiegen. Wir ziehen daraus die Konsequenz, dass
gemacht! – Horst Meierhofer [FDP]: Das ma-
wir eine solche Umweltabgabe auf Plastiktüten auf Erd-
chen wir doch sowieso!)
ölbasis auch als Instrument für Deutschland vorschlagen
Ich sage Ihnen: Wir sind kein Gegner der Wertstoff-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
tonne – mitnichten. Wir fordern sie auch und begrüßen
Michael Brand [CDU/CSU]: Bei uns werden
sie, aber erwecken Sie hier doch nicht den Eindruck, wir
Tüten wiederverwertet und recycelt!)
würden heute – das lese und höre ich die ganze Zeit; Sie
sagen es auch – eine gesetzliche Regelung für die Wert- Für die Plastikfetischisten in der FDP:
stofftonne verabschieden.
(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Michael Brand [CDU/CSU]: Nein, das haben NEN und bei der SPD – Michael Kauch
wir doch gar nicht gesagt!) (FDP): Was wissen Sie denn, was wir für einen
Fetisch haben?
Wenn sie Ihnen wirklich so wichtig wäre, dann hätten
Sie es nach den zwei Jahren, in denen Sie sich mit der Niemand würde dazu gezwungen, Plastiktüten mit Um-
Wertstofftonne beschäftigt haben, bis heute zu einem weltabgabe zu kaufen, da es ja genügend Alternativen
Konzept gebracht. für Umsteiger gibt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE
sowie bei Abgeordneten der SPD – Michael GRÜNEN]: Vor allem: Gelber Sack!)
Brand [CDU/CSU]: Wir rütteln nicht an der
Tonne!) Ich muss sie hier nicht alle aufzählen. Das geht von der
Papiertasche über die Stofftasche bis hin zum einfachen
Aber nein, erst im nächsten Jahr soll sie mit dem Wert- Einkaufskorb, den man auch einmal zum Einkaufen mit-
stoffgesetz endlich kommen. Viel Vergnügen! Bis dahin nehmen kann. Deswegen brauchen Sie hier gar nicht
werden wir uns über die Zusammensetzung noch ordent- lange über Zwangsabgaben herzuziehen.
lich unterhalten müssen.
Wir denken, die Einnahmen aus dieser Abgabe – das
(Michael Brand [CDU/CSU]: Stimmt!) ist der Vorteil, wenn eine Abgabe zweckgebunden ist –
kann man für die Förderung umweltverträglicher Verpa-
Meine Damen und Herren, auch der Umweltschutz
(B) kommt im Gesetzentwurf zu kurz, weil die Abfallver- ckungen, für Öffentlichkeitsarbeit, für Abfallvermeidung (D)
und für die höhere Qualität des Kunststoffrecyclings ver-
meidung gering geachtet wird. Sie alle wissen: Der beste
wenden.
Abfall ist der, der gar nicht erst anfällt. Ich sage Ihnen:
Wir müssen unsere Wegwerfgesellschaft gründlich um- Ich sage Ihnen eines: Wer heute seine Plastiktüten gu-
krempeln, die sinnlose Verpackungsflut eindämmen und ten Gewissens in den gelben Sack steckt, der sollte wis-
ein abfallarmes Produktdesign durchsetzen. Hier müssen sen, dass große Teile davon verbrannt werden – auch
alle an einem Strang ziehen. hier sind es weit über 50 Prozent –, dass viele Ballen ge-
presster Plastikmüll in Osteuropa oder China landen und
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie des Abg. René Röspel [SPD] – Michael dass in den Müllteppichen auf den Meeren auch Plastik-
tüten aus Deutschland herumtreiben. Damit muss
Brand [CDU/CSU]: Das ist wirklich arm, was
Schluss sein, wenn wir nicht tatsächlich zu einem Plastic
Sie hier erzählen!)
Planet werden wollen.
Ich frage Sie: Wann erhöhen wir endlich die Repara-
turfähigkeit und die Langlebigkeit von Produkten? Es (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
gibt bereits jetzt genügend Beispiele dafür – aber eben sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
punktuell –, wie soziale Betriebe aus Alt wieder Neu KEN)
machen: Möbel aufarbeiten, Fahrräder aufarbeiten, PCs Beim Ressourcenschutz produziert die Regierung viel
reparieren. Dabei schaffen sie ganz nebenbei die drin- heiße Luft. Umweltminister Röttgen hat sich vorhin über
gend benötigten Arbeitsplätze für auf dem Arbeitsmarkt Ressourcenschutz in dem Sinne geäußert, wie wir das
Benachteiligte und sichern bereits vorhandene. Das auch tun, und betont, wie sehr ihm das Thema am Her-
muss man ausweiten. zen liegt. Da sage ich nur: Dann machen Sie doch mal!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Mit diesem Gesetz könnten Sie viel für den Ressourcen-
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- schutz tun, aber Sie tun es nicht. Stattdessen gibt es wie-
KEN) der heiße Luft, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes.
Sie öffnen nämlich der Verbrennung wertvoller Ressour-
Wir haben Ihnen zu einem anderen Punkt einen kon- cen Tür und Tor, indem Sie als Grenzen für die energeti-
kreten Vorschlag gemacht, nämlich zur Reduzierung der sche Verwertung 11 000 Kilojoule festlegen. Dabei kön-
Plastiktüten auf Erdölbasis – immer unter dem Gesichts- nen theoretisch Altpapier, Altöl und Plastik einfach in
punkt „Wegwerfgesellschaft“. Eine Umweltabgabe auf den Ofen; all dies sind Stoffe, die sich gut recyceln las-
diese Plastiktüten hat zum Beispiel in Irland innerhalb sen. Das ist ein schwerer Fehler. Ich hoffe, dass Ihnen
16314 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Dorothea Steiner
(A) die EU bei diesem Vorhaben ordentlich auf die Finger Ich sage Ihnen: Dieser Pseudokompromiss ist eine „Lex (C)
klopfen wird. Gelbe Tonne plus“ für DSD und andere große Unterneh-
men. Das gibt es mit uns nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
LINKEN) sowie bei Abgeordneten der SPD)
Zu den Reyclingquoten möchte ich nicht mehr sehr Die Kommunen – das wissen wir – wären dann für
viel sagen, weil dies vom Kollegen Bollmann von der die Reste zuständig, für das, was nichts wert ist. Ge-
SPD schon deutlich benannt worden ist. Eine Steigerung winne aus werthaltigem Abfall fallen weg. Damit stei-
um 1 Prozentpunkt in zwölf Jahren ist wirklich kein am- gen zwangsläufig die Müllgebühren für alle Bürgerinnen
bitioniertes Ziel. Zurzeit liegt die Quote bei 64 Prozent. und Bürger – für die Gewinne einiger weniger großer
Sie wollen eine Quote von 65 Prozent erreichen, verteilt Unternehmen. Darauf wird es hinauslaufen. Das, meine
auf zwölf Jahre. Was soll daran ein großer Wurf sein? Damen und Herren von der FDP, nenne ich eine
Zwangsabgabe, die vor allem die Wettbewerbspartei
(Michael Brand [CDU/CSU]: Deswegen gibt
FDP Bürgerinnen und Bürgern verordnet.
es eine Wertstofftonne! Wer ist denn Re-
cyclingweltmeister? Ist das vielleicht Deutsch- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
land?) sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
KEN)
Auch stellen Sie keinerlei Anforderungen an die Qua-
lität des Recyclings. So ist Ressourcenschutz bei Ihnen Wir haben feststellen können, dass sich auch im Bun-
nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Damit, Herr Minis- desrat eine Mehrheit vehement gegen diesen Vorschlag
ter Röttgen, machen Sie sich unglaubwürdig. der Regierung ausspricht. Wir warten gespannt auf die
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Verhandlungen über dieses Gesetz und wünschen den
Bundesländern dabei viel Erfolg.
Letztes Thema, um das viel gestritten wurde und
– das prophezeie ich Ihnen – noch weiter gestritten wer- Ich kann dazu nur kurz und schmerzlos sagen – das
den wird: Wer hat Zugriff auf den wertvollen Abfall? ergibt sich logisch aus dem, was ich ausgeführt habe –:
Meine Damen und Herren von CDU/CSU und FDP, mit Diesen Gesetzentwurf müssen wir als Grüne ablehnen.
den Regelungen in Ihrem Entwurf wird eine Bresche für Mit unseren Vorschlägen kämen wir sehr viel weiter.
den Vormarsch großer privater Entsorgungsunternehmen Vielen Dank.
unter dem Deckmantel des freien Wettbewerbs geschla-
(B) gen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D)
sowie bei Abgeordneten der SPD)
(Michael Brand [CDU/CSU]: Gut, wenn man
seine Ideologie hat!)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Was bedeutet das in der Realität? Die Kommunen Das Wort hat nun der Kollege Michael Brand für die
müssen sich um den ganzen Abfall kümmern, die Ton- Unionsfraktion.
nen müssen geleert werden, illegale Müllhalden müssen
beseitigt werden, und auch nach Großveranstaltungen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
müssen die Kommunen den Müll entsorgen.
Michael Brand (CDU/CSU):
(Michael Brand [CDU/CSU]: Seltsam, dass
die Kommunen diesen Kompromiss begrü- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
ßen!) Christian Ude lobte die Koalition, und recht hat er. Liebe
Kolleginnen und Kollegen der SPD, ich weiß nicht, ob
– Sie sind doch gleich an der Reihe, Herr Brand. Sie Sie die Botschaft der Kommunen und der Länder bis ins
müssen doch nicht dauernd ein Koreferat halten, wäh- Willy-Brandt-Haus gehört haben: Die Kommunen be-
rend ich rede. grüßen diesen Kompromiss.
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Ulrich Kelber [SPD]: „Unter Rückstellung
Richtig! – Michael Brand [CDU/CSU]: Wenn schwerer Bedenken“ – wörtliches Zitat!)
es aber falsch ist!)
Liebe Frau Steiner, wenn das für die Kommunen
Nach dem Entwurf der Regierung soll es den gewinn- wirklich alles so schlimm wäre, dann frage ich mich, wa-
orientierten, privaten Unternehmen de facto freigestellt rum die Kommunen diesem Kompromiss zugestimmt
werden, alle profitablen Abfälle aus dem Abfall heraus- haben.
zunehmen, und zwar über Sammlungen parallel zu
denen der Kommunen, um die Rohstoffe, die etwas ein- (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
bringen, herauszuholen und wiederzuverkaufen. Die Un- NEN]: Wann haben die Kommunen zuge-
ternehmen müssen es nur noch anzeigen. Das hebelt so- stimmt?)
gar die bisherige eher restriktive Rechtsprechung des Bei Ihrer Rede fällt mir nur Wilhelm Busch ein:
Bundesverwaltungsgerichts aus, in der zum Beispiel beim
Altpapier festgelegt war, dass – wenigstens bisher – paral- Wer durch des Argwohns Brille schaut,
lele Sammlungen von Genehmigungen abhängig sind. sieht Raupen selbst im Sauerkraut.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16315
Michael Brand
(A) Das Kreislaufwirtschaftsgesetz war eine schwere Ge- Dass die kommunalen Spitzenverbände gestern den heu- (C)
burt mit viel Lobbyismus, der uns Abgeordneten und der tigen Beschluss begrüßt haben und sich die kommunale
Bundesregierung über Monate um die Ohren flog. Nun Familie hinter den Kompromiss stellt, ist ein großartiger
können wir sagen: Ein gutes Gesetz hat das Licht der Erfolg nach intensiven Gesprächen mit allen Beteiligten.
Welt erblickt. Die Umsetzung des europäischen Abfall-
Manche wollten Vollkommunalisierung – Herr
rechts ist auf typisch deutsche Weise gut gelungen: Wir
Bollmann hat dies heute wieder gefordert – statt EU-
reden von Kreislaufwirtschaft, nicht von Abfall. Wir set-
Recht. Dies hätte nicht nur niemandem geholfen, son-
zen hohe Umweltstandards und bauen sie aus. Wir steu-
dern auch große Risiken für die Kommunen gebracht.
ern mit dem Wertstoffgesetz, das wir als nächstes großes
Als Union sehen wir natürlich, dass sich jede Seite be-
Projekt im nächsten Jahr beraten und beschließen wer-
wegen musste, soweit das EU-Recht dies zulässt. Gerade
den, eine weitere qualitative Stufe an.
bei dem umstrittenen Thema gewerbliche Sammlung ist
Das Thema Abfall betrifft Millionen von Menschen, der Wurf gelungen, nämlich private Sammlungen und
jeden Haushalt und jedes Unternehmen. Die Bedeutung fairen Wettbewerb zu ermöglichen, und dabei die kom-
des schonungsvollen Umgangs mit natürlichen Ressour- munale Selbstverwaltung und die Daseinsvorsorge auf
cen kennt in Deutschland schon jedes Kind. Bei der ers- Dauer rechtssicher zu gestalten.
ten Stufe, der Vermeidung von Abfall, haben wir noch Dass wir bei vielen Einzelfragen wie der Verwendung
aufzuholen. Auch das kann man mit dem neuen Kreis- von Wirtschaftsdünger, Biogasanlagen und anderen Fra-
laufwirtschaftsgesetz leisten. gen nicht allen Wünschen aller Betroffenen entgegen-
Wir setzen die neue fünfstufige Abfallhierarchie der kommen konnten, liegt in der Natur der Sache. Dabei ha-
EU konsequent und auf hohem Niveau um. Es sind ben wir großen Wert darauf gelegt, dass bei neuen
Grundprinzipien des deutschen Umweltansatzes, die un- Vorgaben der bürokratische Aufwand in minimalen
ter den deutschen Umweltministern – der frühere Um- Grenzen bleibt und dass die Länder im Vollzug die nö-
weltminister Klaus Töpfer wurde ja bereits genannt – in tige Flexibilität erhalten.
diese europäische Gesetzgebung stark eingeflossen sind. Insgesamt – das ist sicher Konsens hier im Hause –
wollen wir eine neue Qualität erreichen: Wir wollen im-
Bei der Umsetzung des EU-Rechts in deutsches Recht mer weiter weg von der Wegwerfgesellschaft, und wir
sind wir umso mehr gehalten, das EU-Recht zu achten wollen den Weg in die Recyclinggesellschaft zügig wei-
und nicht zu missachten. Dies hat die Koalition insbe- tergehen.
sondere bei dem fairen Ausgleich zwischen kommunaler
Daseinsvorsorge und privatwirtschaftlichem Engage- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
ment zu beachten gehabt. Sicher, es gab, weil es beiden der FDP)
(B) (D)
Seiten neben und manchmal auch vor der Umwelt ums
Dazu zählt auch, dass wir den Weg zu hochwertiger Ver-
liebe Geld geht, Maximalpositionen, die nicht gangbar
wertung stärken, die Kaskadennutzung fördern und die
sind. Umso mehr ist dem Bundesumweltminister dafür
Abfallvermeidung umsetzen werden, um nur wenige
zu danken, dass er in seiner typischen Art Ruhe und
Elemente herauszugreifen.
Übersicht bewahrt und sich die Argumente offen ange-
hört hat. Die flächendeckende Einführung der Biotonne wird
ebenso ein wesentlicher Markstein werden wie die ein-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und heitliche Wertstofftonne, die wir in einem eigenen Wert-
der FDP – Gerd Bollmann [SPD]: Schöngere- stoffgesetz verankern werden, das die Verpackungs-
det hat! – Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/ verordnung ablöst. Dadurch werden wir wertvolle
DIE GRÜNEN]: Das nenne ich stur!) Rohstoffe aus Kunststoff und Metall aus den privaten
– Das ist die Realität, Frau Steiner. Sie müssen den Ge- Haushalten zurückgewinnen, statt sie zu verbrennen.
setzentwurf lesen: 48 Änderungen seit der Anhörung. In einem Einzelfall haben wir als Abgeordnete aus
Dass seitdem nichts passiert ist, wie Sie behauptet ha- besonderem Grund eine besondere Freude darüber, dass
ben, ist schlicht falsch. das Umweltministerium unseren Argumenten gefolgt ist:
Die gemeinnützige Sammlung, zum Beispiel von Sport-
Wir haben insbesondere als Union immer wieder so- vereinen, Jugendgruppen, kirchlichen Gruppen wie zum
wohl den Kommunen als auch den Privaten gesagt, dass Beispiel Kolping und anderen ehrenamtlichen Organisa-
wir einen fairen Ausgleich und Rechtssicherheit für alle tionen, konnten wir dauerhaft absichern. Uns war das
Beteiligten anstreben. Wir haben zur Kompromissfähig- deshalb sehr wichtig, weil wir das ehrenamtliche Enga-
keit gemahnt und öffentlich wie nichtöffentlich dafür gement gerade im Bereich Umwelt nicht durch bürokra-
viel Zeit und Mühe in viele Gespräche und auch Papiere tische Auflagen erstickt sehen wollen. Es ist eine gute
investiert. Geste der Regierung, hier dem Ehrenamt vor Ort die
Heute können wir sagen: Es hat sich gelohnt. Der Möglichkeiten für die Zukunft gesichert zu haben. Auch
Konsens mit den Kommunen war der Union als größter dafür ein herzlicher Dank!
Kommunalpartei in Deutschland immer wichtig. Wir ha- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
ben ihn erreicht, und darauf sind wir stolz. der FDP)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Ich weiß sehr wohl, dass manche enttäuscht sind. Das
der FDP) wurde in der Debatte bei allen Rednern der Opposition
16316 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Michael Brand
(A) deutlich. Sie lassen die Ohren hängen, weil der Kompro- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (C)
miss geschafft worden ist und Sie mehr auf den Konflikt
der Kommunen mit der Regierung als auf Konsens ge- Vizepräsidentin Petra Pau:
setzt haben. Wer das erwartet hat, muss aber wissen: Die Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Miersch für
Union ist auch beim Schutz der Umwelt die Partei des die SPD-Fraktion.
Mittelstandes und des fairen Wettbewerbs, der die wich-
tigen Innovationen bringt. (Beifall bei der SPD)
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Mein Gott! Was ist das für eine Rede, Herr Dr. Matthias Miersch (SPD):
Brand? Das ist ja furchtbar! – Gegenruf des Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Abg. Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Eine sehr Lieber Herr Brand, ich kann Sie beruhigen: Die Kom-
gute Rede! – Gegenruf der Abg. Bärbel Höhn munen werden sich auf die Sozialdemokratie verlassen.
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die kann er Wir werden die Bedenken, die die vier Spitzenvertreter
zu jedem Thema halten!) geäußert haben, sehr ernst nehmen und gerade deswegen
dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen.
Schließlich sind wir die Partei der sozialen Marktwirt-
schaft. Aber die Union hat auch – das ist ebenso wichtig – (Beifall bei der SPD – Ingbert Liebing [CDU/
ein kommunales Herz und eine kommunale Seele. Das CSU]: Aber die erwarten doch Zustimmung! –
sage ich als Kreistagsabgeordneter in Fulda, der auch Michael Brand [CDU/CSU]: Sie setzen sich
dort mit Abfallpolitik befasst ist. doch ein für den Kompromiss!)
Wir waren immer gegen die Extreme. Das unterschei- Sie haben dargelegt, dass fairer Wettbewerb zu einer
det uns von Ihnen, Frau Steiner. Wir wollen bei der Ab- Verbesserung führt. Ich glaube, dass es sich auch hier um
fallwirtschaft weder die Vollprivatisierung noch die einen ideologischen Punkt handelt. Wir haben erst vor
Vollkommunalisierung, weil diese Vorstellungen der wenigen Stunden hier festgestellt, dass der Markt eben
Umwelt, der Wirtschaft und den Gebührenzahlern nicht nicht alles regelt.
helfen. Heute geht mein Appell an die andere große (Michael Brand [CDU/CSU]: Wer hat denn
Kommunalpartei, die SPD, dem Ansinnen der Kommu- das behauptet?)
nen Rechnung zu tragen
Angesichts einer der entscheidenden Zukunftsherausfor-
(Lachen bei Abgeordneten der SPD) derungen sagen der Bundesumweltminister, die FDP,
und sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat den große Teile der CDU und einige Abgeordnete der CSU:
(B) Weg freizumachen für eine qualitativ hochwertige Um- Der faire Wettbewerb soll es regeln. – Ich sage Ihnen: (D)
setzung der Abfallrahmenrichtlinie. Wir haben den Kon- Der faire Wettbewerb wird es nicht regeln. Er wird die
sens mit den Kommunen, Daseinsvorsorge nicht sicherstellen. Deswegen schlagen
Sie mit Ihrem Gesetz einen falschen Weg ein.
(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Wo denn?) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael
und die SPD darf den Kommunen jetzt nicht in den Rü- Brand [CDU/CSU]: Die Kommunen sind doch
cken fallen. Die SPD-geführten Länder haben sich hier viel weiter als Sie! Die wollen doch den Kom-
als Anwalt der Kommunen präsentiert. Jetzt muss das promiss!)
Wort der SPD auch gelten. Wenn Sie nicht auf mich hö-
ren wollen, dann hören Sie auf Herrn Ude – er ist be- Die Rosinenpickerei, die wir in den letzten Jahren
kanntlich Oberbürgermeister in München und der SPD landauf, landab erlebt haben, beenden Sie nicht. Auf
angehörig – und viele andere Sozialdemokraten. Wir Druck der Kommunalverbände legen Sie ein Netz über
sind bis an die Grenzen des EU-Rechts gegangen. Jetzt die Rosinen. Aber dieses Netz hat große Löcher.
muss die SPD einen wichtigen Schritt tun; denn Kom-
(Michael Brand [CDU/CSU]: Wie kann man
munen und Mittelstand wollen diesen Kompromiss.
so verbohrt sein?)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir werden in den nächsten Monaten erleben: Es wird
Deutschland wird mit dem Kreislaufwirtschaftsgesetz Rechtsstreitigkeiten ohne Ende geben. Sie schaffen mit
einen großen Schritt auf dem Weg in die Recyclinggesell- diesem Gesetz alles andere als Planungssicherheit.
schaft machen. Wir haben bei schwerer Geburt ein gutes
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
Gesetz aus der Taufe gehoben.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Da Sie sich hinter dem Europarecht verstecken – so
Es wird Zeit, dass die Botschaft, die Ihnen die Kommu- ist es meistens, Herr Liebing –, kann ich Ihnen nur sa-
nen gesendet haben, bei Ihnen endlich ankommt. Legen gen: Schauen Sie sich einmal an, wie beispielsweise
Sie die Ideologie beiseite, und gehen Sie zur Sache über! Österreich die Abfallhierarchie organisiert. Sie werden
feststellen, dass es da nicht um Wettbewerb, sondern um
(René Röspel [SPD]: Jetzt wird es schizo-
die Daseinsvorsorge geht. Die Kommission prangert das
phren!)
dort geltende Gesetz nicht an. Daran hätte sich die Bun-
Vielen Dank. desregierung orientieren sollen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16317
Dr. Matthias Miersch
(A) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem dersetzungen in diesem Bereich erleben werden. Die (C)
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael wahren Handlungsfelder, die hätten bearbeitet werden
Brand [CDU/CSU]: Die Kommunen werden müssen, lassen Sie leider außen vor.
sich über Ihre Rede wundern!)
(Beifall bei der SPD)
Ich weiß nicht, ob so etwas schon einmal in der Bun-
desrepublik Deutschland passiert ist, aber das, was Sie Herr Döring, Sie sind in Hannover – daher kommen
hier machen, ist in der Tat ein Paradigmenwechsel. Ich wir ja beide – von einem Journalisten gefragt worden, ob
hätte mich gerne mit dem Bundesumweltminister – weil sich vielleicht etwas an den Gebühren ändere. Die Presse
Herr Röttgen auch Jurist ist; er ist aber nicht mehr da – zitiert Sie mit den Worten: Das kann man noch nicht sa-
darüber gestritten gen. Wenn sich etwas ändert, dann ändert sich etwas. –
So geht man nicht in eine Gesetzesberatung. Mir ist
(Michael Brand [CDU/CSU]: Doch! Der sitzt nicht egal, ob sich Gebühren erhöhen oder nicht.
doch da! Das ist genauso falsch wie Ihre
Rede!) (Michael Brand [CDU/CSU]: Das machen wir
doch nicht! Deshalb haben wir das Gesetz!)
– Entschuldigung, er ist da und hört auch zu –, was es ei-
gentlich mit dem neuen § 17 KrWG auf sich hat; denn Wir wollen Ihnen dieses Gebührenerhöhungsgesetz
hier passiert etwas, was ich jedenfalls in dieser Form nicht durchgehen lassen.
noch nicht erlebt habe. In den ersten Absätzen wird die
Daseinsvorsorge gelobt und werden die öffentlichen In- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
teressen hervorgehoben. Aber in Abs. 3 heißt es plötz- DIE GRÜNEN)
lich – das wird entscheidend sein –, dass Gebührenstabi- Sie haben eben gesagt – vielleicht ist das nicht überall
lität und überwiegende öffentliche Interessen nicht mehr verstanden worden –: Sie kennen die Kalkulation des
gelten sollen, wenn die Kommune nicht in der Lage ist, Saftladens doch auch. – Dazu sage ich Ihnen: Da sitzen
eine höherwertige Leistung zu erbringen. Was kann ei- 1 600 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die hof-
gentlich öffentliche Interessen infrage stellen? Das ist fentlich alles, was Sie hier gesagt haben, gehört haben.
die Grundfrage, die wir uns in diesem Hause stellen Das sind Leute, die sich im Dienst an der Allgemeinheit
müssen. krummmachen, und Sie bezeichnen dieses Unternehmen
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem als Saftladen. Das kann doch wohl nicht wahr sein.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingbert (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Liebing [CDU/CSU]: Das steht im Gesetz!) der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
(B) Wir müssen uns fragen, Herr Döring, was „höherwer- GRÜNEN) (D)
tig“ eigentlich heißt, wenn wir sehen, dass gerade in der Ich weiß nicht, ob Sie in der Region Hannover herum-
Privatwirtschaft Unternehmen mit Dumpinglöhnen ar- kommen, ob Sie sich die Wertstoffhöfe anschauen und
beiten, die öffentlichen Entsorgungsträger aber – zu die Recyclingquoten kennen. Die Haltung, die Sie hier
Recht und zum Glück – an Tarife gebunden sind. Das ist offenbaren, hat zu dem geführt, was wir in den letzten
kein fairer Wettbewerb. Dafür müssten Sie ganz andere Jahren gesehen haben. Der Wettbewerb und der Markt
Kriterien in diesem Gesetz zugrunde legen. sollen es richten. Das Gegenteil ist der Fall. Sie müssen
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem das neue Denken noch lernen. Ich weiß nicht, ob es bei
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – René Röspel Ihnen zu spät ist. Wir jedenfalls sagen: Gerade bei einem
[SPD]: Das ist nicht höherwertig, das ist nie- solchen Gesetz wäre das neue Denken wichtig; es wäre
derträchtig!) falsch, alles dem Markt zu überlassen.
Wie ist zu beurteilen, dass die Kommunen, wie Herr (Michael Brand [CDU/CSU]: Es wird doch
Röttgen zu Recht gesagt hat, die ersten Ansprechpartner gar nicht dem Markt überlassen! So ein
sind, wenn etwas schiefgeht? Wo spielt dieses Kriterium Quatsch!)
eigentlich eine Rolle? Sie haben in § 17 Abs. 3 weitere
unbestimmte Rechtsbegriffe zulasten der Kommunen Insofern freuen wir uns auf das Vermittlungsverfahren.
aufgenommen. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
Stattdessen wäre es angezeigt gewesen, zu überlegen, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael
wie wir den Herausforderungen, die Sie durchaus richtig Brand [CDU/CSU]: Warum stimmen die
angesprochen haben, eigentlich gerecht werden. Wie Kommunen denn zu, wenn das alles so
schaffen wir es, beispielsweise Abfallvermeidung durch- schlimm ist für die Kommunen?)
zusetzen? Davon steht in Ihrem Gesetz fast nichts.
(Horst Meierhofer [FDP]: Das, was drinsteht, Vizepräsidentin Petra Pau:
haben Sie abgelehnt im Ausschuss!) Das Wort hat der Kollege Michael Kauch für die
FDP-Fraktion.
Anstatt sich über diese Fragen zu verständigen, erzeugen
Sie auf diesem Feld eine große Rechtsunsicherheit und (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
tragen dazu bei, dass wir endlose rechtliche Auseinan- der CDU/CSU)
16318 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

(A) Michael Kauch (FDP): Der Wettbewerb soll dafür sorgen, dass sie sich anstren- (C)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Diese gen, und zwar im Interesse der Bürger, die am Schluss
Debatte zeigt wieder eines: Während wir vor vielen Jah- nämlich gezwungen werden, diesen Unternehmen die
ren damit begonnen haben, den Kampf gegen den Müll Müllgebühren zu zahlen.
aufzunehmen, herrscht inzwischen der Kampf um den (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Müll. Das ist die Wahrheit, die sich hinter ganz vielen der CDU/CSU)
Äußerungen verbirgt. Wenn Herr Bollmann und Herr
Miersch den Kompromiss, den die Bundesregierung mit Dieses Gesetz ist ein Fortschritt für die Umwelt. Das
den kommunalen Spitzenverbänden und den kommuna- zeigt sich zum Beispiel daran, dass wir die Wiederver-
len Unternehmen geschlossen hat, wieder aufbohren wendung, nicht nur die Wiederverwertung voranbringen.
wollen, dann ist das nicht nur ein Beitrag dazu, dass Was zum Beispiel den Altmöbelbereich angeht, nützt
Kompromissfähigkeit in diesem Land beschädigt wird, dies gerade den Sozialkaufhäusern. Unser Gesetz ist also
sondern man stellt sich auch die Frage, ob Sie hier eine auch sozial ausgerichtet. Es reicht eben nicht, Strukturen
Bewerbungsrede für künftige hochbezahlte Posten in der zu erhalten, auch auf die Gefahr hin, dass man Müllver-
kommunalen Entsorgungswirtschaft halten wollen. brennungsanlagen schlechter auslastet. Vereinzelt kom-
men kommunale Unternehmen zu mir und sagen: Dieses
(Widerspruch bei der SPD – Ulrich Kelber Gesetz ist schlecht, weil die Auslastung meiner Müllver-
[SPD]: Klientelpolitik FDP!) brennungsanlage schlechter wird. – Wenn Sie von der
Wenn nicht für Sie, dann vielleicht für Ihre Partei- SPD das unterstützen, dann haben Sie nicht verstanden,
freunde, die diese Unternehmen beherrschen. was Umweltschutz eigentlich bedeutet. Umweltschutz
bedeutet auch, die Recyclingquoten zu erhöhen, und das
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) macht diese Bundesregierung.
Getroffene Hunde bellen. Ihre Reaktion zeigt, dass ich (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
nicht ganz falsch lag.
Meine Damen und Herren, die Ehrlichkeit gebietet es, Vizepräsidentin Petra Pau:
festzustellen, dass es vielen hier offensichtlich nicht um Das Wort hat der Kollege Johannes Röring für die
die Umwelt geht und nicht um die Verbraucher. Der Unionsfraktion.
Kampf um den Müll ist dann richtig, wenn wir Müll des- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
wegen zum Wertstoff machen, weil er etwas wert ist. Es der FDP)
ist richtig, wenn es mehr Wettbewerb gibt und die Ver-
(B) braucher damit einen besseren Service vor der Haustür Johannes Röring (CDU/CSU): (D)
bekommen, und es ist richtig, wenn die Unternehmen
sich dadurch bemühen, Innovationen für bessere Um- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit
welttechnologien zu schaffen. 25 Prozent der weltweiten dem Vorliegen der ersten Entwürfe zum Kreislaufwirt-
Patente für bessere Mülltrennung, für besseres Recy- schaftsgesetz im Frühjahr 2010 haben wir uns als Parla-
cling stammen aus Deutschland. Es sind private Unter- ment in der Diskussion mit den Bundesländern, den
nehmen, die diese Patente entwickelt haben. Ministerien, aber auch allen betroffenen gesellschaftli-
chen Gruppen intensiv mit diesem Gesetzentwurf aus-
(Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ einandergesetzt. Im Kern ging es darum, die bewährten
CSU]) Strukturen des Gesetzes fortzuentwickeln, die neuen
Vorgaben der europäischen Abfallrahmenrichtlinie eins
Es ist eben nicht so, dass Privatwirtschaft dazu führt,
zu eins zu integrieren und die Ressourceneffizienz der
dass es der Umwelt schlechter geht. Nein, durch private
Kreislaufwirtschaft zu verbessern. Zum Abschluss des
Unternehmen haben wir bessere Umwelttechnologien
Gesetzgebungsverfahrens am heutigen Tage kann man
bekommen,
eine durchweg positive Bilanz ziehen.
(Zuruf von der FDP: Genau so ist es!) Ein Kernpunkt der Diskussion, die Ausgestaltung der
eine bessere Entsorgung und eine bessere Wertstoffnut- Regelungen für die Abfall- und Entsorgungswirtschaft,
zung des Abfalls. Das ist die Wahrheit. wurde aus meiner Sicht sehr gut geregelt. Es wurden Re-
gelungen zugunsten kommunaler Interessen gefunden,
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten die gleichzeitig den Wettbewerb zulassen. Die berechtig-
der CDU/CSU) ten Interessen der Kommunen wurden berücksichtigt;
denn die Kommunen sind es, die lokal und regional in
Die FDP steht nicht für die Privaten, und sie steht
der Verantwortung für eine flächendeckende, bürger-
nicht für die Kommunalen, sondern wir stehen dafür,
freundliche und preiswerte Abfallentsorgung stehen.
dass es einen fairen Wettbewerb gibt, damit sich alle an-
strengen. Es gibt gute Kommunale, und es gibt schlechte (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Kommunale. Es gibt Schnarchnasenvereine, und es gibt
kommunale Unternehmen, die richtig gut sind. Grundsätzlich haben wir uns darum bemüht, dass alle
anstehenden gesetzlichen Regelungen keine zusätzliche
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bürokratie bedeuten, auch wenn durch das Gesetz, bei-
Es gibt gute Parteien, und es gibt schlechte spielsweise bei der immissionsschutzrechtlichen Geneh-
Parteien! Das sieht man an den Umfragen!) migung von Biogasanlagen, Rahmenbedingungen ver-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16319
Johannes Röring
(A) schärft wurden. In unserem Entschließungsantrag müssen uns weiter intensiv mit dem Thema befassen. (C)
machen wir deutlich, dass ein praxisgerechter Vollzug Wir brauchen Rahmenbedingungen für Forschung und
der Vorschriften sicherzustellen ist. Ich bedanke mich Entwicklung in diesem Fachgebiet. Sie müssen ausge-
bei unserem Minister für die Zusage, dies auch so umzu- baut werden. Wir müssen Strategien entwickeln, die, wie
setzen. von uns formuliert, mit weniger Ressourcenverbrauch
unseren Wohlstand erhalten.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Mit dem vorliegenden Gesetz machen wir einen wei-
Wichtig war für uns aber auch, das Thema Ressour- teren Schritt in die richtige Richtung. Wir werden den
ceneffizienz, Ressourcenmanagement und Kreislaufwirt- Weg konsequent weitergehen.
schaft verstärkt in die politische Diskussion zu bringen.
Nicht nur in diesem Gesetz spielt das Thema eine ent- Vielen Dank.
scheidende Rolle. Ich erinnere beispielsweise an die
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
klimaschutzfreundlichen Regelungen im neuen Erneuer-
bare-Energien-Gesetz. Die Förderung der Reststoffnut-
zung bei der Erzeugung von klimafreundlicher Energie Vizepräsidentin Petra Pau:
wurde hier stark angereizt. Das Wort hat die Kollegin Kirsten Lühmann für die
SPD-Fraktion.
An dieser Stelle möchte ich genau diesen Aspekt ver-
tiefen. Die Endlichkeit fossiler Ressourcen ist stets im (Beifall bei der SPD)
Fokus der öffentlichen und gesellschaftlichen Diskus-
sion. Meist spricht man dann über Öl, Kohle oder diverse Kirsten Lühmann (SPD):
Seltene Erden. Keine bis wenig Beachtung erhalten in Frau Präsidentin! Sehr geehrte Herren und Damen!
dieser Debatte lebenswichtige Stoffe wie Phosphat, Ka- Wir haben heute schon sehr viel gehört. Ich beschränke
lium, Magnesium und Calcium. Das alles sind Grund- mich daher auf drei Aspekte.
nährstoffe für den Pflanzenbau.
Erstens. Herr Kollege Brand, ich finde es schon selt-
Exemplarisch ist hier Phosphor hervorzuheben, für sam, wie Sie und Ihre Kollegen und Kolleginnen seit
den man die Endlichkeit der fossilen Vorräte in etwa Tagen versuchen, uns weiszumachen, dass die kommu-
100 Jahren prognostiziert. Zwischen 2007 und 2008 stieg nalen Spitzenverbände über den ausgehandelten Kom-
der Weltmarktpreis für Phosphat um 100 Prozent. China promiss jubeln und Ihnen dafür Beifall geben.
hat den Export seiner Phosphate im letzten Jahr wegen
des erhöhten Eigenverbrauchs gestoppt. (Michael Kauch [FDP]: Sie haben
(B) unterschrieben!) (D)
Deutschland – das ist wichtig, meine Damen und Her-
ren – hat keine eigenen Phosphatvorkommen, sodass Ich glaube, Sie haben den Begriff Kompromiss nicht
man extrem importabhängig ist. Phosphat ist in der Dün- richtig verstanden.
gerproduktion ein nicht austauschbarer Stoff. Es ist für
Wahrscheinlich beziehen Sie sich auf das schon ange-
das Wachstum unserer Pflanzen unabdingbar und somit
sprochene Schreiben der kommunalen Spitzenverbände.
Grundlage unseres Lebens.
In dem steht zwar, dass sie dem Gesetzentwurf jetzt zu-
(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau!) stimmen;
Folglich gilt es, das vorhandene Phosphat im Kreislauf (Horst Meierhofer [FDP]: Das ist doch super! –
zu bewirtschaften. Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist das, was
ich gesagt habe!)
Sehr häufig stehen Tierhaltungsregionen in Deutsch-
land wegen der hohen Konzentration von Nährstoffen, darin findet sich aber auch die Aussage, dass sie es nur
unter anderem Phosphat, stark in der Kritik. Ich möchte unter Zurückstellung schwerster Bedenken tun.
an dieser Stelle darauf hinweisen, dass diese Nährstoff-
(Beifall bei der SPD – Michael Brand [CDU/
konzentration auch in der Zusammenballung von mensch-
CSU]: Das ist ja das Wesen eines Kompromis-
licher Ansiedlung zu finden ist, das heißt in Großstädten.
ses! Aber sie unterstützen ihn!)
Auch hier gibt es Überschüsse von Stickstoff und Phos-
phat. Diese Bedenken teilt die SPD.
Wir brauchen grundsätzliche Strategien für eine Damit komme ich zum nächsten Punkt. Sie sagen,
Rückgewinnung, in diesem Fall von Phosphat aus Klär- jetzt endlich bestehe Rechtssicherheit bei der Frage der
schlamm, tierischen Exkrementen und weiteren Abfäl- Zulassung bzw. Nichtzulassung privater Anbieter. Wie
len. Das größte Potenzial im Stoffstrommanagement heißt es so schön: Ein Blick ins Gesetz erleichtert die
liegt im Recycling dieser Stoffe. Recycling steht hier Rechtsfindung. Zumindest sollte das so sein.
nicht nur für ökologische, sondern insbesondere auch für
langfristig ökonomische Vernunft; denn dies verringert Wenn ich mir aber Ihren Gesetzentwurf anschaue,
unsere Abhängigkeit von Importen. dann finde ich nur unbestimmte Rechtsbegriffe, die zwar
die Kassen der Juristen zum Klingeln bringen, aber
Folglich ist es die Aufgabe der Politik, das Thema keine Sicherheit für die Kommunen schaffen. Auch der
„Ressourceneffizienz und -management“ mit Verab- Inhalt des Kompromisses hilft uns nicht wirklich weiter.
schiedung dieses Gesetzes nicht zur Seite zu legen. Wir Ich gebe allerdings zu, dass der Begriff der Beitragssta-
16320 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Kirsten Lühmann
(A) bilität ein wichtiges neues Kriterium sein könnte, um die Die Gebührenstabilität wird auch dadurch gefährdet, (C)
Privatisierung im Müllsektor einzudämmen. dass durch die zunehmenden gewerblichen Sammlungen
die Müllentsorgung zumindest in Teilbereichen ihren
Die Müllentsorgung ist bis heute eine Aufgabe der Status als eigentümliche und der öffentlichen Hand vor-
Daseinsvorsorge und daher dem privaten Wettbewerb behaltene Leistung verlieren könnte. Das würde bedeu-
weitgehend entzogen. Dazu gibt es sogar eine höchstrich- ten, dass sie der Umsatzsteuerpflicht unterliegt. Da hilft
terliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, auch nicht das Schreiben des Bundesfinanzministeriums,
die – in Klammern: eigentlich – bindend für alle deut- das diese Kritik als unbegründet verwirft, ohne ein einzi-
schen Gerichte sein sollte. ges Argument dafür anzuführen.
Worauf läuft nun Ihr Gesetzentwurf hinaus? Er (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
schreibt vor, dass ein Privatanbieter sehr wohl Müll sam- DIE GRÜNEN)
meln darf, wenn er damit das überwiegende öffentliche
Interesse nicht beeinträchtigt – ich frage Sie, was das Es ist doch offensichtlich, dass eine Leistung, die
heißt –, indem er zum Beispiel die Funktionsfähigkeit auch von Privaten erbracht wird, nicht mehr der öffentli-
der öffentlichen Entsorgungsträger nicht behindert chen Hand vorbehalten ist. Das beinhaltet im Übrigen
– noch so ein schöner unbestimmter Rechtsbegriff –, der Begriff „vorbehalten“. Das bedeutet, dass niemand
anderes diese Leistung erbringt.
(Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Das definieren
wir im Gesetz! Schauen Sie ins Gesetz! Da Wenn wir uns den Koalitionsvertrag dieser Regierung
steht drin, was das heißt!) anschauen, verwundert uns diese Regelung jedoch nicht.
Dort steht – ich zitiere –:
und der kommunale Abfallentsorger die Leistung nicht
zumindest gleichwertig erbringt. Mit Blick auf die Abfallwirtschaft befürworten wir
die grundsätzliche steuerliche Gleichstellung von
Was ist gleichwertig? Im Gesetzentwurf steht, dass öffentlichen und privaten Unternehmen.
unter anderem Qualität und Umfang entscheidend seien.
Was aber beinhaltet der Begriff Qualität? Und was ist (Beifall des Abg. Dr. Lutz Knopek [FDP])
der Umfang einer Sammlung? Auf einmal erschließt sich, warum die Steuerproble-
matik ungelöst bleibt; denn die Gleichwertigkeitsklausel
(Michael Brand [CDU/CSU]: Sind wir jetzt in
ist nichts anderes als die Hintertür zum Koalitionsver-
einer Philosophiestunde?)
trag, eine Hintertür, die wir wahrscheinlich der FDP zu
Wird der Umfang schon erhöht, wenn die Privaten ein- verdanken haben, die sich einfach nicht damit abfinden
(B) mal pro Woche öfter einsammeln oder einmal im Mo- konnte, dass ihre Privatisierungsträume auf dem Altar (D)
nat? des Konsenses mit den kommunalen Spitzenverbänden
geopfert werden sollten.
(Michael Brand [CDU/CSU]: Was ist Leben?)
(Beifall bei der SPD)
Eindeutige Regelungen sehen wirklich anders aus.
Mit diesem Gesetzentwurf riskieren Sie eine deutli-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten che Gebührenerhöhung für die Bürgerinnen und Bürger
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE in vielen Regionen. Das ist für uns nicht akzeptabel.
GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Was ist mit dem neuen Begriff der Gebührenstabili- DIE GRÜNEN)
tät? Ist nicht alles gerettet, wenn es heißt, dass durch pri-
Darum gibt es nur einen Ort, wo dieses Gesetz hinge-
vate Sammlungen die Gebühren nicht erhöht werden
hört, nämlich den Vermittlungsausschuss.
dürfen? Das wäre es, wenn Sie von der Regierung sich
nicht noch ein kleines Schlupfloch offen gelassen hätten: Herzlichen Dank.
Die Gebührenstabilität sei dann kein Kriterium, wenn
die private Sammlung höherwertig sei. Da haben wir ihn (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
wieder, diesen schwammigen Begriff, aus dem jeder das DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU:
herausliest, was er gerne hören möchte. Die Kommunen werden sich schämen für
diese Rede!)
(Michael Brand [CDU/CSU]: Ich frage mich,
warum die Kommunen diesen Kompromiss ei- Vizepräsidentin Petra Pau:
gentlich unterstützen!) Das Wort hat der Kollege Franz Obermeier für die
Damit erzeugen Sie genau das Gegenteil von Rechts- Unionsfraktion.
sicherheit. Sie treiben die Kommunen vor die Gerichte, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
die sie anrufen müssen, damit sie den Menschen in ihrer
Region weiterhin gute und bezahlbare Leistungen anbie-
Franz Obermeier (CDU/CSU):
ten können. Das ist unlauter, meine Herren und Damen.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Frau
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Lühmann, an Ihrem Redebeitrag hat man ganz genau ge-
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE merkt, dass Sie abfallwirtschaftlich noch in der Zeit vor
GRÜNEN) 1990 leben.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16321
Franz Obermeier
(A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Lassen Sie mich noch über die Frage nach öffentlich- (C)
der FDP) rechtlicher oder privater Durchführung reden. In Bayern
betreiben wir seit vielen Jahren die Wertstoffhöfe. Mit
Ihre Wortwahl – speziell indem Sie von „Müll“ gespro- dem System, das wir jetzt kreieren – auch mit der Wert-
chen haben – ist der Beweis dafür, dass Sie sich mit dem stofftonne –, sehe ich die Wertstoffhöfe in keiner Weise
Entwurf des Gesetzes zur Neuordnung des Kreislauf- in Gefahr.
wirtschafts- und Abfallrechts überhaupt nicht auseinan-
dergesetzt haben. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP – Gerd Bollmann [SPD]: Das kommt
Wir sind uns in diesem Hause darüber einig, dass wir aber noch!)
in der Abfallwirtschaft einen Pfad hin zur Kreislaufwirt-
schaft beschreiten wollen. Das ist in unserem schönen – Nein, das kommt nicht.
Land auch notwendig; denn wir sind ein extrem rohstoff- (Dr. Matthias Miersch [SPD]: Ach so! Sagt
armes Land und sollten alles daransetzen, die benutzten Herr Meierhofer!)
Produkte, wenn sie nicht mehr gebraucht werden, so zu
zerlegen, dass alle verwertbaren Stoffe in den Stoffkreis- Das, was wir derzeit in den Wertstoffhöfen sammeln,
lauf zurückgeführt werden können. kann auch weiterhin gesammelt werden; denn wir kön-
nen und werden genau regeln, was flächendeckend über
(Bettina Hagedorn [SPD]: Das Ziel stimmt, die Wertstofftonne gesammelt werden soll.
aber Sie setzen es nicht um!)
Dieses gemischte System ist der eigentliche Schlüssel
Ich bin jemand, der sich seit Jahrzehnten auf den ver- zum Erfolg. Ich will nicht, dass wir in der Wertstoff-
schiedensten Ebenen mit diesen Themen auseinanderge- tonne alle sogenannten Wertstoffe ablagern, die wir in
setzt hat: zunächst in der kommunalen Wirtschaft über den Stoffkreislauf zurückführen. Ich will auf der anderen
dreimal sechs Jahre als Bürgermeister und als Mitglied Seite nicht, dass alle Wertstoffe zum Wertstoffhof ge-
des Kreistags, dann in der privaten Abfallwirtschaft und bracht werden müssen, denn wir wissen ganz genau – da
jetzt in der Legislative. Daher kann ich sagen: In Deutsch- gibt es Lehrbeispiele; München wurde schon genannt –,
land befinden wir uns auf einem extrem guten Weg – was dass die Recyclingquote in einem reinen Wertstoffhof-
sich mit Zahlen ohne Weiteres belegen lässt –, system bei nur einem Drittel dessen liegt, was man mit
(Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/ einer Wertstofftonne am Haus sammeln könnte. Be-
CSU]) stimmte Materialien können wir trotzdem, wie bisher, im
Wertstoffhof sammeln. Hier meine ich die sehr erfolgrei-
weil wir ein gemischtes System haben. Zwischen den che Sammlung von Papier – wir können dort weiterhin
(B) Kommunen und der gewerblichen Abfallwirtschaft be- alle Papierarten sehr erfolgreich sammeln – und Altholz. (D)
steht eine Kooperative. Herr Bollmann, Ihre Diskreditie-
rung der privaten Abfallwirtschaft war unqualifiziert. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das große Geld
wird weder beim Papier noch beim Altholz verdient; das
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und muss man doch laut sagen. Ich glaube also nicht, dass
der FDP) die reine Ökonomie, die Aussicht auf Erträge – einer
sprach von „Dollarzeichen in den Augen“ –, das Motiv
Man muss deutlich herausstellen, dass die Erfolge der
der Kommunen in dem Kampf ist, den sie hier führen.
zurückliegenden Jahre – im Grunde genommen seit den
Das Motiv ist vielmehr, den guten Weg, den wir in der
90er-Jahren –, die wir in Bezug auf die Rückführung in
Vergangenheit beschritten haben, weiter zu gehen, eine
die Stoffkreisläufe erreicht haben, das Ergebnis dieser
Erhöhung der Recyclingquote zu erreichen und Gebüh-
hervorragenden Zusammenarbeit zwischen den Kommu-
renerhöhungen zu vermeiden.
nen und der privaten Wirtschaft sind.
Da müssen wir gegenüber allen Betreibern von Müll-
Lassen Sie mich noch kurz erklären, wie das Ganze
verbrennungsanlagen ehrlich sein: Wenn wir die Recy-
funktioniert, weil Herr Dr. Miersch in dem Gesetzent-
clingquote erhöhen, dann verbleibt weniger Masse in der
wurf einen deutlichen Hinweis auf eine Vermeidungs-
Müllverbrennung.
strategie vermisst. Herr Dr. Miersch, das funktioniert
folgendermaßen: Der große Erfolg in der Abfallwirt- (Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Richtig! –
schaft, den wir in der Vergangenheit erzielen konnten, Dr. Matthias Miersch [SPD]: Das hat auch kei-
basiert auf dem Lizenzierungssystem. Das heißt: Jeder, ner bestritten!)
der ein Produkt in den Verkehr bringt, muss vor dem In-
Diese Ehrlichkeit sollte auch die Opposition an den Tag
Verkehr-Bringen eine bestimmte Gebühr für die Rück-
führung der Verpackungsmaterialien in den Stoffkreis- legen. Es ist unfair, wie Sie hier über das Ganze diskutie-
ren. Es wäre wesentlich besser, wenn wir allen am Pro-
lauf entrichten.
zess des Recyclings und der Wiederverwertung Beteilig-
Dieses System führt automatisch dazu, dass der Her- ten reinen Wein einschenken und sagen würden: „Wir
steller dieser Produkte allergrößtes Interesse daran hat, erhöhen den Anteil der Stoffe, die in den Stoffkreislauf
die Produkte so in den Verkehr zu bringen, dass sie rela- zurückgeführt werden.“ Das bedeutet: weniger energeti-
tiv kostengünstig – sprich: massearm – wieder in den sche Verwertung in der Müllverbrennung.
Stoffkreislauf zurückgeführt werden können. Das konn-
Vielen Dank.
ten wir in der Vergangenheit lernen – bei all den Proble-
men, die in dem Zusammenhang noch bestehen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
16322 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: Gewerbliche Sammlungen können untersagt werden, (C)
Der letzte Redner in dieser Debatte ist der Kollege wenn zum Beispiel die Gebührenstabilität gefährdet ist
Ingbert Liebing für die Unionsfraktion. – ein wichtiges Kriterium – und die kommunalen entsor-
gungspflichtigen Körperschaften bereits ein flächende-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ckendes, hochwertiges, haushaltsnahes Sammlungssys-
neten der FDP) tem gewährleisten. Sie können auch dann untersagt
werden – das ist mir wichtig –, wenn Kommunen kon-
Ingbert Liebing (CDU/CSU): kret in die Planungen für ein hochwertiges Sammlungs-
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und system eingetreten sind.
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In den ver- (Bettina Hagedorn [SPD]: Da freuen sich die
gangenen Monaten ist in Deutschland ein heftiger Kon- Rechtsanwälte! – Gegenruf von der CDU/
flikt geführt worden, bei dem insbesondere über die Be- CSU: Jetzt freuen Sie sich doch mal!)
sorgnisse in den Kommunen diskutiert wurde, über die
Frage, ob ihrer Verantwortung als entsorgungspflichtige Denn wenn wir das nicht mit aufgenommen hätten, dann
Körperschaften ausreichend Rechnung getragen wird. könnte ja der Fall eintreten, dass eine Kommune oder ein
Dies zog sich wie ein roter Faden auch durch die heutige Landkreis gerade Beschlüsse gefasst hat und in ein Aus-
Debatte. Ich möchte diesen Punkt in den Mittelpunkt schreibungsverfahren eingetreten ist und dann ein Priva-
meiner Betrachtung zum Abschluss dieser Debatte stel- ter kommt und versucht, in attraktiven Einzelregionen
len, um mit einigen Irrtümern und Fehldarstellungen aus Sonderverträge mit Großkunden abzuschließen. Dann
der Opposition aufzuräumen. würde die Kalkulationsbasis gefährdet. Auch dies schlie-
ßen wir aus.
Es wurde über Europarecht gestritten und Rosinen-
Meine Damen und Herren, wir bleiben bei dem An-
pickerei befürchtet. All dies hat jetzt ein gutes Ende,
zeigeverfahren und gehen nicht zu einem aufwendigeren
denn es ist uns, der Koalition, und der Bundesregierung
Genehmigungsverfahren über. Aber wir erweitern die
gelungen, einen Kompromiss zu finden, den wir ins Ge-
Frist von vier Wochen auf drei Monate. Das gewährleis-
setz aufnehmen.
tet den notwendigen Spielraum für eine sorgfältige Prü-
(Beifall bei der CDU/CSU) fung.

Dabei liegt es bei einem Kompromiss in der Natur der Wir verzichten auf die Einrichtung einer sogenannten
Sache, dass alle Beteiligten nicht zu 100 Prozent zufrie- neutralen Stelle. Wir vertrauen darauf, dass die Bundes-
den sind. Uns liegen unterschiedlichste Stellungnahmen länder am ehesten entscheiden können, welche zustän-
dige Behörde nach Landesrecht die Beurteilungen im
(B) vor, auch aus der privaten Entsorgungswirtschaft: Die ei- (D)
nen betonen eher ihre Kritik und Unzufriedenheit, an- Anzeigeverfahren vornehmen kann.
dere aber sagen: „Jawohl, das ist ein Ergebnis, mit dem Da hier wieder einmal das Gespenst der Gebühren-
auch wir leben können.“ Für mich ist es entscheidend erhöhung aufgrund der Umsatzsteuerpflicht an die Wand
– das ist ein Wert, den wir schätzen sollten –, dass sich gemalt wurde, möchte ich ausdrücklich auf Folgendes
die vier kommunalen Spitzenverbände ausdrücklich zu hinweisen: Uns liegt die Stellungnahme des Bundes-
diesem Kompromiss bekennen. Das ist ein Fakt, den finanzministeriums vor. Diese ist für uns eine wichtige
auch die Opposition zur Kenntnis nehmen sollte. Grundlage, die zeigt, dass es mit dieser Entscheidung,
mit diesem Kompromiss, mit diesem Gesetz keine Ver-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
anlassung dafür gibt, jetzt in eine Umsatzsteuerpflicht
Wir tragen dem Europarecht Rechnung. Gewerbliche einzusteigen. Wenn Sie etwas anderes behaupten, dann
Sammlungen bleiben grundsätzlich möglich. Es gibt ist das nichts anderes als eine gezielte Verunsicherung
kein generelles Verbot gewerblicher Sammlungen, was gerade der Kommunen. Meine Damen und Herren, das
manche von uns erwartet hatten. Wir müssen zugleich sollten Sie einmal sein lassen!
feststellen, dass der bisherige Zustand unbefriedigend (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
war: Über die Zulässigkeit gewerblicher Sammlungen Ulrich Kelber [SPD]: Die Verunsicherung ma-
wurde trefflich vor Gericht gestritten; es gab unter- chen Sie!)
schiedlichste Gerichtsurteile quer durch die Republik.
Da war es unsere Aufgabe und unser Ziel, Rechtssicher- Wir reden heute über das Kreislaufwirtschaftsgesetz.
heit herzustellen. Im nächsten Jahr werden wir über die Wertstofftonne
sprechen. Wir sind offen für gleichwertige Systeme. Wir
(Dr. Matthias Miersch [SPD]: Da warten wir haben über die bayerischen Wertstoffhöfe gesprochen,
mal ab! Da wollen wir mal gucken!) aber es gibt auch andere innovative Ansätze, zum Bei-
Das haben wir jetzt mit dem Kompromiss erreicht. Jetzt spiel in der Region Trier. Dann werden wir die Diskus-
gibt es klare Regelungen, wann gewerbliche Sammlun- sion über kommunale Verantwortung und privatwirt-
gen zugelassen werden können. Rosinenpickerei wird schaftlichen Wettbewerb noch einmal führen.
rechtssicher ausgeschlossen. Die kommunale Verant- (Ulrich Kelber [SPD]: So, so!)
wortung bleibt gesichert. Das, meine Damen und Her-
ren, nenne ich einen fairen Interessenausgleich. Wir wollen dies in einem Gesetz regeln, da sind wir wie-
der mit im Boot. Weil wir es beim Kreislaufwirtschafts-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gesetz geschafft haben, in diesem Bereich einen guten
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16323
Ingbert Liebing
(A) Interessenausgleich und Kompromiss zu finden, bin ich Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- (C)
sehr zuversichtlich, dass uns dies im nächsten Jahr auch desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Neuord-
bei der Wertstofftonne gelingen wird. nung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallrechts. Der
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – heit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussemp-
Ulrich Kelber [SPD]: Das Gesetz wird nach fehlung auf Drucksache 17/7505 (neu), den Gesetzent-
dem Bundesrat dann schon ganz anders ausse- wurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/6052
hen!) und 17/6645 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
Ich möchte einen persönlichen Rat anfügen: Das bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschuss-
Thema eignet sich meiner Auffassung nach nicht für ei- fassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer
nen Grundsatzstreit, Kollege Miersch sprach hier von ei- stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzent-
ner ideologischen Auseinandersetzung zwischen Privat wurf ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der
und Staat. Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen die Stim-
men der SPD-Fraktion, der Fraktion Die Linke und der
Ich selbst komme aus einem Landkreis, der auf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Basis einer kommunalen Ausschreibung die Hausmüll-
entsorgung privatwirtschaftlich organisiert. Dies ist im Dritte Beratung
vergangenen Jahr nach der ersten Erfahrungsperiode
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
wieder bestätigt worden. Auch diese privaten Unterneh-
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
men, die Dienstleister für die Kommunen sind, die be-
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
auftragten Dritten, brauchen einen gewissen Schutz in
entwurf ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der
einem fairen Wettbewerb. Die Regelungen, die wir im
FDP-Fraktion gegen die Stimmen der SPD-Fraktion, der
Rahmen unseres Kompromisses getroffen haben, dienen
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
also nicht nur den Kommunen, sondern auch den priva-
Grünen angenommen.
ten Unternehmen, die im Auftrag von Kommunen tätig
sind und handeln. Denn es kann auch nicht sein, dass (Frank Schwabe [SPD]: Wer hatte die
eine Kommune Leistungen ausschreibt und nachträglich Mehrheit?)
die Kalkulationsgrundlagen verändert. Wir schützen
auch diese, oft genug mittelständischen, Unternehmen. – Soweit ich das überblicke, besteht bei der Feststellung
Auch deshalb ist dies ein guter und sinnvoller Kompro- dieses Abstimmungsergebnisses im Präsidium Einigkeit.
miss.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
(B) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (D)
Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Was? Die Opposition war in der Mehr-
Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hatte heit!)
einen guten Gesetzentwurf vorgelegt. Aber kein Gesetz-
entwurf ist so gut, dass er im Parlament nicht noch ver- Wir setzen die Abstimmung zur Beschlussempfeh-
bessert werden könnte. Dies haben wir mit der Unter- lung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Re-
stützung des Umweltministeriums in der vergangenen aktorsicherheit fort. Unter Buchstabe b seiner Beschluss-
Woche erreicht. Ich möchte Minister Norbert Röttgen empfehlung auf Drucksache 17/7505 (neu) empfiehlt der
ausdrücklich Lob und Anerkennung aussprechen; denn Ausschuss, eine Entschließung anzunehmen. Wer
ich weiß aus vielen Gesprächen, dass es auch ihm per- stimmt für die Beschlussempfehlung? – Wer stimmt da-
sönlich ein Herzensanliegen gewesen ist, hier zu einer gegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung
gemeinsamen Lösung zu kommen. Herzlichen Dank da- ist angenommen.
für!
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Entschlie-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ßungsanträge. Abstimmung über den Entschließungsan-
Unser Gesetz schafft die Voraussetzung für eine bür- trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7509. Wer
gerfreundliche, ökologisch hochwertige und kostengüns- stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
tige Abfallentsorgung. Unser Gesetz sichert kommunale dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungs-
Interessen, schafft einen fairen Wettbewerb dort, wo er antrag ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und der
möglich ist, und bietet Rechtssicherheit. Dies ist ein gu- FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
ter Gesetzentwurf, dem wir mit gutem Gewissen zustim- Linke bei Enthaltung der SPD-Fraktion und der Fraktion
men können – auch Sie als Opposition. Herzlich will- Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
kommen! Abstimmung über den Entschließungsantrag der Frak-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/7510.
Ulrich Kelber [SPD]: Mit gutem Gewissen, Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer
das glaube ich Ihnen nicht!) stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen der Unionsfraktion und
der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion
Vizepräsidentin Petra Pau: Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der SPD-Frak-
Ich schließe die Aussprache. tion und der Fraktion Die Linke abgelehnt.
16324 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Vizepräsidentin Petra Pau


(A) Ich rufe die Zusatzpunkte 6 und 7 auf: aus Unterlassungen, aufgeschobenem Handeln und man- (C)
gelndem Mut in der Wirtschaftspolitik resultiert.
ZP 6 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Ein paar Fakten dazu: Der Ifo-Geschäftsklimaindex ist
Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundes-
zum vierten Mal in Folge gefallen. Die Verbraucherpreise
regierung als Risiko für die Konjunktur
und damit die Inflationsrate erklimmen ein Dreijahres-
– Drucksache 17/7461 – hoch, nicht zuletzt wegen steigender Energiepreise. Die
Exportzahlen gehen deutlich zurück. Am besorgniserre-
ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Michael gendsten ist, dass wir deutlich weniger Investitionen ha-
Schlecht, Sahra Wagenknecht, Dr. Barbara Höll, ben. Das sind nicht irgendwelche theoretischen Werte.
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE Wenn Sie in diesen Tagen mit Unternehmensvertretern
LINKE sprechen – die Größenordnung des Unternehmens ist
Aufbauprogramm gegen die Krise – Schutz- egal; es ist gleich, ob Sie mit einem Mittelständler oder
schirm für Arbeitsplätze dem Vertreter eines Dax-Unternehmens sprechen –, hö-
ren Sie überall die gleichen Botschaften: Investitionsent-
– Drucksache 17/7338 – scheidungen werden zurzeit nicht getroffen. Sie werden
Überweisungsvorschlag: auf die lange Bank geschoben, zumindest auf die mittlere.
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Das bedeutet für den Standort Deutschland und für die
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales wirtschaftliche Entwicklung eine große Gefahr.
Haushaltsausschuss
Im IMK-Report steht – Zitat –:
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich Alles in allem werden sich die Perspektiven für die
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. Ich deutsche Exportwirtschaft stark eintrüben. Dies
bitte, die notwendigen Umgruppierungen zügig vorzu- wird wiederum die Investitionstätigkeit deutscher
nehmen, damit ich die Aussprache eröffnen kann. Unternehmen spürbar belasten, sodass deren Zu-
nahme deutlich schwächer sein wird.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Garrelt Duin für die SPD-Fraktion. Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Regierungs-
koalition, nehmen Sie diese Warnsignale endlich ernst.
(Beifall bei der SPD) Tun Sie nicht so, als ob man sich ausruhen könnte auf
dem Aufschwung, der hinter uns liegt. Dieser Auf-
Garrelt Duin (SPD): schwung war im Übrigen nicht Ihr Erfolg, sondern der
(B) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erfolg der Maßnahmen, die von der Vorgängerregierung (D)
Meine Damen und Herren! „Aufschwung XXL“, durchgeführt worden sind.
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Gut er- (Beifall bei der SPD)
kannt!) Ruhen Sie sich darauf nicht aus. Fangen Sie jetzt an, die
hieß es einmal. Die Zeiten sind leider vorbei. Ich will Ih- Weichen richtig zu stellen.
nen ganz deutlich sagen, dass wir diesen Antrag einge-
Was wir brauchen – das machen wir in unserem
bracht haben, weil wir das Herbstgutachten und die Pro-
Antrag deutlich –, ist eine Investitionsstrategie zur nach-
gnosen für das kommende Jahr sehr ernst nehmen und
haltigen Stabilisierung der Konjunktur. Wir brauchen
weil wir der Meinung sind, dass wir in Deutschland und
Anreize für Investitionen und eine stärkere Binnennach-
in Europa jetzt an einem Punkt angekommen sind, an
frage, gerade mit Blick auf den Rückgang bei den Ex-
dem die Politik handeln muss. Die Politik darf nicht län-
porten. Weder von verstärkten Investitionen noch von ei-
ger nur abwarten. Wir brauchen Tatkraft und Mut in der
ner Strategie kann bei dieser Bundesregierung zurzeit
Politik. Die Zeit des Abwartens und Teetrinkens muss
die Rede sein. Hier und da gibt es ein paar Einzelmaß-
endlich vorbei sein. Wir brauchen eine Wirtschaftspoli-
nahmen – gestern haben wir im Rahmen der TKG-No-
tik, die anpackt und nicht tatenlos zusieht. Das ist der
velle über den Breitbandausbau gesprochen –, aber das
Grund für unseren Antrag.
reicht nicht. Das ist keine Gesamtstrategie, die wir
(Beifall bei der SPD) brauchten. Stattdessen gibt es wieder einmal Steuersen-
kungspläne, auch wenn klar ist – denn darüber reden Sie
Deutschland braucht eine vorausschauende Politik. seit Jahren –, dass davon bei den Bürgerinnen und Bür-
Schauen wir uns einmal verschiedene Meldungen an, gern nichts ankommt. Sie wollen aber immer noch eins
zum Beispiel über die DIHK-Umfrage. Das Resümee draufsetzen. Selbst Norbert Barthle, der haushaltspoliti-
des DIHK zur aktuellen Lage ist ein Alarmsignal. Der sche Sprecher der CDU/CSU-Fraktion, sagt: Statt Steu-
Tenor der DIHK-Umfrage lautet: Wirtschaftspolitik ist ersenkungen brauchen wir mehr Investitionen. Das ist
ein Risikofaktor. Damit ist die Wirtschaftspolitik dieser der entscheidende Punkt.
Bundesregierung gemeint, sofern man überhaupt eine
feststellen kann. Im weiteren Verlauf heißt es: Die Kri- Hören Sie endlich auf, den Leuten Sand in die Augen
senpolitik der Bundesregierung verunsichert die Unter- zu streuen. Mit Steuersenkungen in Höhe von 6 oder
nehmen. Der angeführte Prozentsatz ist so hoch wie nie. 7 Milliarden Euro können Sie nicht das erreichen, was
Das ist ein besorgniserregender Wert. Das hat sehr viel wir in Deutschland brauchen. Damit lösen Sie keine In-
damit zu tun, dass es einen Vertrauensverlust gibt, der vestitionen aus. Das wäre ein Tropfen auf den heißen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16325
Garrelt Duin
(A) Stein. Es ist völlig unzulässig, in dieser Zeit weiter über Untersuchung sickern bereits durch – man konnte in den (C)
Steuersenkungen nachzudenken. Nach der Konsolidie- Zeitungen darüber lesen –: 1,3 Millionen Menschen ver-
rung brauchen wir jetzt Investitionen in die Infrastruktur dienen weniger als 5 Euro die Stunde, 2,2 Millionen
und in die Bildung. Menschen weniger als 6 Euro die Stunde und 3,3 Millio-
nen Menschen weniger als 7 Euro die Stunde. Wenn wir
(Beifall bei der SPD)
dieses Problem endlich einmal beheben würden, würden
Wir brauchen ein Impulsprogramm für Investitionen zur 7 Milliarden Euro zusätzlich im Haushalt zur Verfügung
Modernisierung der Verkehrs-, Energie- und Telekom- stehen. Das wäre nicht nur ein haushaltspolitisches Si-
munikationsinfrastruktur. Wir brauchen Investitionen in gnal – dieses Geld könnten wir zusätzlich für Investitio-
Bildung und Qualifizierung. nen ausgeben –, sondern es hat auch mit der Würde der
Menschen zu tun, diesen unhaltbaren Zustand endlich zu
Seit Monaten, schon fast seit Jahren sprechen wir beenden.
über das Thema Fachkräfte. Der Wirtschaftsminister
stellt sich hier immer wieder hin, positioniert sich und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
sagt, was man alles machen könnte. Aber konkret ist bis- der LINKEN)
her überhaupt nichts passiert. Bei diesem Thema Stimmen Sie unserem Antrag zu, und verschließen
herrscht Stillstand, auch bei diesem Thema gibt es Streit Sie nicht länger die Augen vor der drohenden wirtschaft-
in der Regierungskoalition. lichen Entwicklung.
Nehmen wir als Beispiel die Förderung von Unter- Herzlichen Dank.
nehmen im Bereich der Energie- und Ressourceneffi-
zienz. Wir werden im Laufe der Debatte auf dieses (Beifall bei der SPD – Dr. Michael Fuchs [CDU/
Thema noch näher eingehen. Wir haben in der letzten CSU]: Sie waren schon einmal besser!)
Sitzungswoche im Wirtschaftsausschuss mit Herrn
Dr. Schröder von der KfW gesprochen. Er hat uns noch Vizepräsidentin Petra Pau:
einmal sehr deutlich vor Augen geführt, dass es diese Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Fuchs für die
Bundesregierung ist, die es gerade großen Mittelständ- Unionsfraktion.
lern nicht ermöglicht, die Programme der KfW zu nut-
zen. Das ist ein Versagen dieser Bundesregierung. Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
behindert die notwendigen Investitionen im Bereich von
Energie- und Ressourceneffizienz. Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
(Beifall bei der SPD)
Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Lieber (D)
(B)
Lassen Sie mich noch auf einen Punkt unseres An- Kollege Duin, auch ostfriesische Unkenrufe ändern es
trags ausdrücklich hinweisen. Das Institut für Arbeits- nicht: Die Konjunktur läuft. Sie läuft sehr gut. Wir haben
markt- und Berufsforschung – es hat auch für das im letzten Jahr 3,6 Prozent Wachstum verzeichnet.
Herbstgutachten Zahlen vorgelegt – geht davon aus, dass
(Garrelt Duin [SPD]: Im letzten Jahr!)
die Unternehmen, wenn sich die wirtschaftliche Ent-
wicklung eintrübt und nicht mehr so ist wie im ersten Wir werden dieses Jahr annähernd 3 Prozent Wachstum
Quartal 2011, auf ein Instrument wie die Kurzarbeit wie- haben.
der werden zurückgreifen müssen. Deswegen schlagen
(Garrelt Duin [SPD]: Wegen des ersten Quar-
wir vor, die Regierung zu ermächtigen, die auslaufenden
tals!)
Sonderregeln für die Kurzarbeit, also das Kurzarbeiter-
geld plus, im Falle eines Abschwungs wieder in Kraft Auch im nächsten Jahr werden wir Wachstum haben.
setzen zu können. Das deckt sich mit der Forderung des Die Beschlüsse, die vor zwei Tagen in Brüssel gefasst
DGB. wurden, werden das Wachstum stabilisieren. Davon ge-
hen wir aus.
Wenn Sie dem DGB und der Sozialdemokratie nicht
glauben, dann sprechen Sie einmal mit Ihrem ehemali- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
gen Kollegen Göhner; er ist jetzt Hauptgeschäftsführer
der BDA. Er sagt: Wir brauchen dieses Instrument über Das Bruttoinlandsprodukt hat das Vorkrisenniveau be-
das Jahresende hinaus. Für den Fall der Fälle müssen wir reits überschritten. Das zeigt sich vor allen Dingen auf
gewappnet sein. – Deswegen sagen wir: Ermächtigen dem Arbeitsmarkt. Das macht mir die allermeiste Freude.
Sie die Regierung, damit das Kurzarbeitergeld plus auch Im letzten Monat waren nur noch 2,79 Millionen Men-
im Jahre 2012 möglich ist. Verschließen Sie doch da schen arbeitslos. Von dieser Zahl hat Gerhard Schröder
nicht die Augen. nur geträumt. In der Zeit, in der Rot-Grün regiert hat, ha-
ben Sie solche Zahlen nicht erreicht. Erst als wir angefan-
(Beifall bei der SPD) gen haben, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, hat sich die
Situation verbessert. Sie werden es erleben: Auch in die-
Ein letzter Punkt. Auf diesen haben Sie sicherlich
sem Monat sinkt die Arbeitslosigkeit. Erste Informatio-
schon gewartet. Man muss es gerade in Zeiten wie die-
nen zeigen, dass es in diesem Monat erneut weniger Ar-
sen – Sie haben es in der Presse verfolgen können – er-
beitslose gibt.
wähnen: Diese Bundesregierung hat sechs Institute da-
mit beauftragt, die Auswirkungen eines Mindestlohns Die Arbeitslosenquote liegt aktuell bei 6,6 Prozent.
auf die Wirtschaft zu untersuchen. Die Ergebnisse dieser Am allermeisten freut mich – dies freut mich auch ganz
16326 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Dr. Michael Fuchs


(A) persönlich, weil ich mich als Arbeitgeber und Unterneh- tise dieser Partei, um sich hier in die Debatte zu diesem (C)
mer immer dafür eingesetzt habe –, dass die Jugendar- Thema einzubringen?
beitslosigkeit in Deutschland de facto kein Problem
mehr ist. In meinem Wahlkreis gibt es zurzeit 300 offene Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Azubi-Stellen und keinen einzigen Bewerber mehr, der Lieber Herr Kollege Lindner, ich kann Sie trösten.
nicht vermittelt ist. Das dauert nicht mehr lange; denn demnächst regiert die
Darüber müssen wir allerdings einmal sehr intensiv CDU in Berlin mit. Dann wird es besser. Das ist die
nachdenken; denn wenn wir nicht mehr genügend Aus- Chance, die Berlin hat. Gott sei Dank hat Berlin diese
zubildende haben, kann das zu einem Flaschenhals, ei- Chance auch ergriffen. Herr Wowereit hat gemerkt, dass
nem Bottleneck, für unsere Wirtschaft werden. Wir müs- er mit den Grünen nicht weiterkommt. Mit den Linken
sen uns gemeinsam intelligente Ideen einfallen lassen. hat er gar nicht erst angefangen, irgendetwas zu errei-
chen. Es wird jetzt besser. Warten wir es ab. Darüber
Ich würde mir wünschen, dass die Goethe-Institute in können wir uns gemeinsam freuen.
Spanien oder in Portugal vielleicht ein bisschen mehr
Deutschunterricht erteilen, damit wir unter Umständen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
jungen Leuten aus diesen Ländern helfen können. Spa-
nien hat eine Jugendarbeitslosigkeit von 42 Prozent. Wo die Linke regiert, sind die Zahlen nun einmal
Hier wäre europäische Solidarität durchaus angebracht. schlechter. Herr Lindner, das können wir nicht ändern.
Wir sind aber auf einem guten Weg dahin, dass sich das
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) immer mehr reduziert. Deswegen finde ich es auch gut,
dass es in Berlin zu einer Großen Koalition kommen
Wenn wir uns ansehen, wie sich die Beschäftigung
wird. Berlin hat das verdient. Berlin hat eine bessere
insgesamt entwickelt hat, können wir feststellen: Wir
Politik verdient als die der letzten zehn Jahre. Das ist
werden auch im Jahresdurchschnitt weniger als 3 Millio-
ganz sicher. Die Bürgerinnen und Bürger haben dies
nen Arbeitslose haben. Das sind ausgesprochen positive
auch gewollt.
Entwicklungen.
Das Ganze hat natürlich auch in allen anderen Berei- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
chen Effekte. So werden wir im nächsten Jahr die Ren- der FDP)
ten endlich wieder vernünftig erhöhen können. Die Zah- Um auf die Rente zurückzukommen: Nicht nur die
len sind seit heute bekannt: 2,3 Prozent im Westen und Rentner selber haben etwas von der Erhöhung. Auch die
3,2 Prozent im Osten. Das ist ja wirklich schon einmal Rentenbeiträge können demnächst sinken. Weil die
ein Schluck aus der Pulle. Nachhaltigkeitsrücklage die Höhe von 1,5 Monatsausga-
(B)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ben erreicht, ja sogar überschritten hat, dürften wir in der (D)
Lage sein, in Bälde den Rentenversicherungsbeitrag zu
Auch darüber können wir froh sein. Das sollten wir alle senken. Das Geld geht direkt in die Taschen der Arbeit-
sein; denn die Rentner haben in den letzten Jahren keine nehmerinnen und Arbeitnehmer. Das ist für die Unter-
besonders gute Zeit gehabt. nehmen und für die Arbeitnehmer gut.
Meine Damen und Herren, das ist eine positive Bi-
Vizepräsidentin Petra Pau: lanz. Diese positive Bilanz lassen wir uns auch von nie-
Kollege Fuchs, gestatten Sie eine Frage oder Bemer- mandem kaputtreden.
kung des Kollegen Lindner?
Gleichzeitig ist es dieser Regierung gelungen, die
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): Haushaltssituation zu stabilisieren. Wir haben im letzten
Gerne. Das gibt mir zusätzliche Redezeit. Jahr 44,3 Milliarden Euro Schulden gemacht – viel zu
viel. Allerdings darf ich daran erinnern, dass der Kollege
Steinbrück – Ihr Wundermann, der von Schmidt Ge-
Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): salbte –
Kollege Fuchs, Sie sprachen gerade von der Jugendar-
beitslosigkeit, die in ganz Deutschland meiner Kenntnis (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nur kein Neid!)
nach auf etwas über 8 Prozent gesunken ist und damit noch 86 Milliarden Euro geplant hatte, also doppelt so
etwa gleichauf mit der Gesamtarbeitslosigkeit liegt. Ist
viel, wie wir erreicht haben. Das zeigt doch, dass wir auf
Ihnen bekannt, dass in Berlin, wo die SPD jetzt seit über
einem guten Wege sind. Im letzten Jahr haben wir für
zehn Jahren in der Regierungsverantwortung steht und 2011 dann 30 Milliarden Euro angesetzt. Diesen Betrag
auch zusammen mit der Linken regiert hat, die Jugendar-
werden wir unterschreiten. Für nächstes Jahr sieht es so
beitslosigkeit, also die Arbeitslosigkeit der 18-Jährigen
aus, dass wir auf dem Weg zu unter 25 Milliarden Euro
und Jüngeren, bei über 23 Prozent liegt? sind; denn die Steuereinnahmen sind deutlich besser, als
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist mehr als wir alle gemeinsam erwartet haben. Das ist positiv. Dies
die FDP! Sie hatte 1,8 Prozent!) zeigt, dass diese Bundesregierung auf einem guten Weg
ist und dass der Konsolidierungskurs weitergeht. Das ist
Obwohl Berlin auf Kosten anderer Länder wie beispiels- notwendig. Wir wollen es auch so haben.
weise Hessen pro Kopf die höchsten Ausgaben für Bil-
dung hat, gibt es dort die höchste Jugendarbeitslosigkeit Wir haben als eines von wenigen Ländern in Europa
im ganzen Land. Halten Sie das für die richtige Exper- die Maastricht-Kriterien eingehalten. Jetzt liegen wir bei
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16327
Dr. Michael Fuchs
(A) 1,1 Prozent. 3 Prozent dürften wir, wollen wir aber nicht (Klaus Barthel [SPD]: Nonsens!) (C)
haben. Wir arbeiten gemeinsam daran, das weiter zu un-
Ich finde es gut, dass Sie sagen, wir sollen die Ener-
terschreiten. Wir müssen auch zusammen mit allen Kol-
gie- und Rohstoffeffizienz, also die Nutzung unserer
legen in den europäischen Ländern auf diesem Weg wei-
Ressourcen, verbessern und dafür zusätzliche Investitio-
tergehen. Deswegen bin ich sehr froh über die
nen machen. Jetzt erklären Sie mir aber bitte einmal, wa-
Beschlüsse von Mittwochabend. Sie werden dazu beitra-
rum Sie dann unsere Maßnahmen zur energetischen Ge-
gen, dass Europa auf Stabilitätskurs geht. Nur wenn alle
bäudesanierung im Bundesrat blockieren. Das ist doch
Länder, nicht nur Deutschland, diesen Stabilitätskurs
unlauter, was Sie machen.
verfolgen, ist der Euro sicher. Wir brauchen ihn; er ist
gerade für Deutschland ein ausgesprochen gutes Instru- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ment.
Sie müssten das doch unterstützen. Hier fordern Sie es,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und und im Bundesrat blockieren Sie es. Das ist Ihre typische
der FDP) Politik. Denn Sie sind nicht bereit, anzuerkennen, dass
das notwendig ist. Sie wollen im Bundesrat alle sinnvol-
Was die weiteren Beschlüsse angeht, so freue ich
len Maßnahmen, die wir ergreifen und die auch Sie hier
mich darüber, dass die Eigenkapitalbasis der Banken ge-
als sinnvoll anerkennen, blockieren. Das finde ich schon
stärkt wird, dass 9 Prozent Kernkapital in Zukunft die
ein bisschen schäbig.
Vorgabe ist und dass dies bis Mai nächsten Jahres zu er-
reichen ist. Da, wo es nicht erreicht wird, haben wir die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
EFSF und sind somit in der Lage, den Banken zu helfen, Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Da haben Sie
die dieses Ziel nicht erreichen können. Gott sei Dank doch erst gekürzt, Herr Fuchs!)
werden wir wohl in Deutschland nicht auf die EFSF zu-
rückgreifen müssen, aber in anderen europäischen Län- Wir haben uns sehr intensiv mit dem Thema Roh-
dern dürfte das mit Sicherheit der Fall sein. stoffe beschäftigt. Ich finde es richtig, dass die Bundes-
kanzlerin in der Mongolei war und dort ein Rohstoffab-
Ferner haben wir Brandschutzmauern um diejenigen kommen für Deutschland geschlossen hat. Ich finde es
herum errichtet, die in Schwierigkeiten geraten, weil ebenfalls richtig, dass wir die entsprechende Zusammen-
Griechenland eben ein solch starkes Problem darstellt. arbeit mit Kasachstan und Aserbaidschan ausweiten.
Wir verlangen, in Zukunft alle systemrelevanten Banken Das ist notwendig. Deutschland ist ein rohstoffarmes
zur Aufstockung ihres Kernkapitals zu verpflichten. Das Land. Auch um dieses Problem müssen wir uns sehr in-
ist notwendig. Denn wir wollen nicht, dass Staaten in tensiv kümmern. Denn die Gefahr, dass wir von der Zu-
eine Krise geraten, weil die Banken zu hohe Schulden fuhr von Ressourcen abgeschnitten werden – beispiels-
(B) gemacht haben. weise im Falle einer Blockadepolitik der Chinesen oder (D)
der Erhebung von Exportzöllen auf Rohstoffe –, ist für
Wir werden auch Griechenland helfen. Ein 50-pro-
Deutschland groß. Deswegen müssen wir uns im Hin-
zentiger Haircut ist enorm. Dazu darf es aber nur kom-
blick auf Rohstoffe breiter aufstellen.
men, wenn die Griechen ihre Hausaufgaben auch wirk-
lich machen. Deswegen finde ich es richtig und wichtig, Recycling gehört genauso dazu. Auch in diesem Be-
dass wir in Athen einen Sparkommissar installieren, der reich ist die deutsche Wirtschaft sehr erfolgreich. Wir
überwacht, ob die Hausaufgaben wirklich gemacht wer- haben zum Beispiel bei Kupfer mittlerweile eine Recy-
den. Nur so kann die Party endlich beendet werden. clingquote – das dürfte insbesondere die Grünen freuen –
Denn nur wenn die Griechen auf den Pfad der Tugend von 54 Prozent, bei Aluminium eine von 35 Prozent, bei
zurückkehren, wird das Ganze funktionieren. Blei von 59 Prozent und bei Stahl von 90 Prozent. Das
sind alles positive Zahlen. Wir brauchen diese Erfolge,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
weil wir unsere Rohstoffvorkommen schonen müssen.
Lieber Herr Kollege Duin, es wäre gut, wenn Sie sich
die von der Bundesregierung geplanten Maßnahmen an- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
sehen, bevor Sie einen Antrag einbringen. Natürlich Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
werden wir den Ausbau der Bundesfernstraßen, der Bun- Kollegin Enkelmann?
deswasserstraßen und der Schienenwege intensivieren.
Am 6. November 2011 tagt der Koalitionssausschuss
zum nächsten Mal. Da werden die Zahlen sowie erneut Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
spürbare Erhöhungen festgelegt. Das muss schon allein Natürlich. – Sie waren schließlich dabei und haben
deswegen geschehen, weil wir wissen, dass ein vernünf- gesehen, wie wichtig dieses Abkommen ist.
tiges Schienennetz und ein vernünftiges Straßennetz,
eine vernünftige Infrastruktur, für Deutschland extrem Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE):
wichtig sind. Sie auch, Herr Kollege Fuchs.
Wir haben bereits eine ganze Reihe von Maßnahmen (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Na, Donner-
ergriffen. Zum Beispiel werden im Rahmen des TKG die wetter!)
LTE-Frequenzen und die Funknetze gestärkt. Das ist
Deswegen: Sind wir beide uns an dieser Stelle einig,
notwendig, damit wir einen möglichst flächendeckenden
Internetzugang haben. Dies wird durch die Maßnahmen, (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Nein! Wir wol-
die wir in diesem Bereich getroffen haben, verbessert. len keinen demokratischen Zentralismus!)
16328 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Dr. Dagmar Enkelmann


(A) dass es sich bei der Zusammenarbeit, zum Beispiel mit Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Heil? (C)
der Mongolei, tatsächlich um eine Zusammenarbeit auf
gleicher Augenhöhe handelt und dass es nicht nur darum Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
gehen kann, die Rohstoffe aus dem Land herauszuholen, Wenn es denn unbedingt sein muss.
sondern dass es natürlich auch darum gehen muss, dafür
zu sorgen, dass dort nachhaltig gewirtschaftet wird und (Bernd Scheelen [SPD]: Das dient der Wahr-
beispielsweise auch so etwas wie ein Technologietrans- heitsfindung! – Peter Hintze, Parl. Staatssekre-
fer stattfindet? Handelt es sich also wirklich um eine Zu- tär: Denkt daran: Es ist Freitag!)
sammenarbeit auf gleicher Augenhöhe?
(Beifall bei der LINKEN) Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Kollege Fuchs, da meine Frage der Wahrheitsfindung
dient, sollten Sie sie an dieser Stelle zulassen. Dass Sie
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
das tun, finde ich sehr gut.
Verehrte Frau Kollegin Enkelmann, Sie haben auf der
Reise gut aufgepasst. Genau das wollen wir. Ich will Sie nur auf Folgendes hinweisen: Nach allen
Expertenmeinungen wurden durch das Kurzarbeitergeld
(Heiterkeit bei der FDP – Fritz Kuhn [BÜND-
plus, das Olaf Scholz eingeführt hat, in den Jahren 2008
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht doch mal zu-
und 2009 Hunderttausende von Arbeitsplätzen in Deutsch-
sammen einen Kaffee trinken!)
land gerettet.
Wir wollen den Ländern helfen, ihre Rohstoffe auszu-
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: 1,3 Millionen so-
beuten. Bei der Erarbeitung und Verbesserung der ent-
gar! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Mit der
sprechenden Möglichkeiten wollen wir dabei sein. Wir
Zustimmung der Gewerkschaften! – Andreas G.
wollen selbstverständlich auch die dafür erforderlichen
Lämmel [CDU/CSU]: Aber das kann doch
Maschinen liefern. Wir wollen die Wertschöpfung in
keine Dauerlösung sein!)
diesen Ländern erhöhen. Auch darüber haben wir in der
Mongolei gesprochen. Ich nehme an, Sie haben gut auf- Im Übrigen hat Ihre Ministerin diese Regelung auf unse-
gepasst. ren Druck verlängert. Jetzt verkürzt sie das Ganze zum
1. Januar nächsten Jahres.
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Jetzt
haben wir es im Protokoll! Danke!)
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Verehrte Kollegen, wir haben das Kreislaufwirt- Nein.
schaftsgesetz gerade novelliert. Auch das ist richtig und
(B) (D)
wird uns beim Recycling, das ich eben angesprochen
habe, weiterhelfen. Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Doch. Im Rahmen der Instrumentenreform wird das
Alles in allem kann man also sagen: Die Wachstums- verkürzt. Es war ursprünglich auf eine längere Dauer an-
prognosen sind positiv. Das Krisenmanagement dieser gelegt; auch Sie wissen, dass das stimmt. Nun wird das
Regierung funktioniert. Ich mache mir da nicht so viele Ganze von März auf Januar nächsten Jahres vorgezogen.
Sorgen wie Sie, Herr Duin. Ich bin zum Beispiel dage-
gen, dass wir die jetzigen Regelungen zur Kurzarbeit, Wir schlagen nicht vor – da haben Sie den Kollegen
die zu Mitnahmeeffekten führen können, prolongieren. Duin bewusst missverstanden –, das Kurzarbeitergeld
Wenn es wirklich zu einer Krise kommen sollte plus einfach weiterlaufen zu lassen; das bezieht sich auf
die Laufzeit und die Sozialversicherungsbeiträge. Wir
(Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD] meldet sagen lediglich: Schreiben Sie es so ins Gesetz, dass wir
sich zu einer Zwischenfrage) es im Fall der Fälle, dass die Wirtschaft stärker einbricht
– jetzt ist Schluss, Herr Heil –, als prognostiziert – was wir nicht wollen –, schneller
wieder scharf schalten können, als wenn wir erst ein lan-
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein! Noch ges Gesetzgebungsverfahren anleiern müssten.
lange nicht!)
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das kann man in
dann werden wir diese Maßnahmen selbstverständlich einer Woche machen!)
erneut ergreifen. Das können wir mit einem Gesetz ganz
kurzfristig machen. Da brauchen wir jetzt keine Verord- Herr Fuchs, ich sage Ihnen an dieser Stelle: Sie ma-
nungsermächtigungen zu schaffen. Ich halte das für chen in Ihrer Denke einen Fehler. Sie ruhen sich seit
nicht notwendig, weil ich der Meinung bin, dass wir der zwei Jahren auf Wachstumszahlen und Erfolgen der Vor-
deutschen Wirtschaft genügend Möglichkeiten zur Ver- gängerregierung aus,
fügung gestellt und genügend Hilfen gegeben haben. (Beifall des Abg. Bernd Scheelen [SPD] – La-
chen bei der CDU/CSU und der FDP –
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das glau-
Herr Kollege, Sie holen so selten Luft; ich komme ben Sie doch wohl selber nicht!)
kaum dazwischen.
betreiben keine Prävention und nehmen nicht zur Kennt-
(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Er hat nis, dass man Vorsorge für den Fall der Fälle treffen
nun einmal so viel Richtiges zu erzählen!) muss. Die Arbeitszeitkonten bei den Unternehmen sind
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16329
Hubertus Heil (Peine)
(A) im Moment leerer als 2008. Sie werden erleben, dass wir finden, schlechtgeredet wird und dass ostfriesische Un- (C)
die Kurzarbeit wieder brauchen werden. kenrufe zu hören sind. Das hilft uns nicht weiter.
Meine Bitte ist: Unterstellen Sie uns nicht, dass wir Die deutsche Wirtschaft ist in guter Verfassung. Die
diese Regelung einfach verlängern wollen. Wir wollen Beschlüsse, die in dieser Woche Gott sei Dank auch mit
die Regierung lediglich ermächtigen, sie schnell wieder Ihrer Zustimmung getroffen wurden – das war in dieser
scharf zu schalten. Ich weiß gar nicht, was Sie dagegen Legislaturperiode bei den Beschlüssen zu Europa ja
haben, der Regierung ein Instrument an die Hand zu ge- nicht immer so –, waren richtig. Wir sind auf einem gu-
ben, das wir gut gebrauchen könnten. Reden Sie einmal ten Weg, und ich gehe davon aus, dass sich das in
mit Ihrem Kollegen Göhner. Sie kennen ihn ja noch. Er Europa sehr schnell zeigen wird.
war Bundestagsabgeordneter und ist jetzt bei der BDA.
Dort kennt man sich mit der Situation in den Unterneh- Danke.
men aus. Meine Frage ist, warum Sie Ihr Vorhaben stur (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
durchziehen und einen konstruktiven Vorschlag, den wir
gemacht haben, nicht aufgreifen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Das Wort hat nun Jutta Krellmann für die Fraktion
Die Linke.
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): (Beifall bei der LINKEN)
Verehrter Herr Kollege Heil, um das ganz klar zu sa-
gen: Wir haben dieses Gesetz damals gemeinsam Jutta Krellmann (DIE LINKE):
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: So ist es! Ge- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
meinsam haben wir das gemacht!) Kollegen! Am Donnerstag, dem 11. Oktober 2011, stand
in der Süddeutschen Zeitung ein Artikel mit der Über-
auf den Weg gebracht. schrift: „Rettungsschirm Kurzarbeit“. Darunter stand:
(Beifall des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU]) Arbeitgeberpräsident Hundt und DGB-Chef Sommer
Wir haben das in relativ kurzer Zeit gemacht. drängen die Bundesregierung zur Vorsorge – falls
ein Abschwung kommt.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Gegen die
FDP!) Die Linke im Bundestag will ein Aufbauprogramm
gegen die Krise: einen Schutzschirm für Arbeitsplätze,
Wir brauchen dieses Gesetz nicht weiterlaufen zu lassen. Sofortmaßnahmen, um das Kurzarbeitergeld ab dem
(B) Wir können das alte Gesetz jederzeit aus der Schublade 1. Januar 2012 zu verlängern, die Einführung eines flä- (D)
ziehen und sagen: Jetzt ist es wieder notwendig. Jetzt chendeckenden gesetzlichen Mindestlohns, damit die
verlängern wir es. Jetzt machen wir ein neues Gesetz Binnennachfrage gestärkt wird,
und sehen uns das Ganze noch einmal genau an.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ja!)
und die gemeinsame Entwicklung eines Aufbau- und
Ich möchte aber nicht, dass man an die Kassen der Zukunftsinvestitionsprogramms mit den Ländern und
Bundesagentur für Arbeit geht, Kommunen, das durch eine Millionärssteuer finanziert
(Rolf Hempelmann [SPD]: Die haben Sie doch werden soll.
schon geplündert! Die können Sie ja nicht
(Beifall bei der LINKEN)
zweimal plündern! – Jutta Krellmann [DIE
LINKE]: Aber an die Steuerzahler schon!) Und täglich grüßt das Murmeltier: Das sind Diskus-
sionen, die wir teilweise schon vor zwei Jahren geführt
weil ich befürchte, dass sie zurzeit zu leer sind, um ein
haben, als ich ganz neu hier in den Bundestag kam. Die
solches Maßnahmenpaket finanzieren zu können. Ich
Bundesregierung spannt einen Rettungsschirm nach dem
halte es für notwendig, dass wir jetzt erst einmal über-
anderen, allerdings nicht für Arbeitsplätze, sondern für
prüfen, ob es eventuell Mitnahmeeffekte gibt.
Banken.
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr gut! Sehr
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das ist mehr als
richtig!)
billig!)
Wenn es sie nicht gibt und wenn es notwendig wäre,
Hinsichtlich der Arbeitsplätze wird die Regelung zur
könnten wir ein solches Gesetz jederzeit innerhalb von
Kurzarbeit, die bis Ende März 2012 gelten sollte, sogar
einer Woche – Ihre Unterstützung haben Sie uns ja jetzt
auf Ende 2011 verkürzt.
schon zugesagt – auf den Weg bringen. Das werden wir
auch tun, wenn es notwendig ist. Insofern rege ich mich Die Sorgen der Sozialpartner werden nicht ernst ge-
in dieser Stelle gar nicht auf. nommen. Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften ge-
ben doch nicht leichtfertig gemeinsame Erklärungen ab –
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Arbeitgeber aus Sorge um ihre Gewinne nicht und Ge-
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich kann nur sa- werkschaften aus Sorge um die Arbeitsplätze nicht. Und
gen, dass wir in gutem Fahrwasser sind. Eines möchte die Bundesregierung? Sie schläft den Schlaf der Gerech-
ich aber nicht: dass die gute Situation, in der wir uns be- ten.
16330 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Jutta Krellmann
(A) Ich habe zu diesem Thema am 11. Oktober 2011 eine (Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Die Frage (C)
Frage an die Bundesregierung gestellt. Die Antwort war: ist zurückgezogen! – Ernst Hinsken [CDU/
CSU]: Herr Präsident, ich habe tief Luft geholt
Wegen der im Allgemeinen nach wie vor guten ar- und auf die Frage verzichtet!)
beitsmarktlichen Entwicklung ist ein vorzeitiges
Auslaufen der während der Wirtschaftskrise einge-
führten Sonderregelungen zur Kurzarbeit bereits Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ende dieses Jahres gerechtfertigt. Reden Sie weiter, sonst geht Ihre Redezeit verloren.

(Jens Ackermann [FDP]: Gute Antwort!) Jutta Krellmann (DIE LINKE):


Weiter hieß es: Okay. – Verlängern Sie die Regelung zum Kurzarbei-
tergeld, und führen Sie einen gesetzlichen Mindestlohn
Wegen der erheblichen finanziellen Auswirkungen zur Stärkung der Binnennachfrage ein!
und hohen politischen Bedeutung der angesproche-
nen Regelungen wäre es nicht angemessen, etwaige (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wie hoch ist er
künftige Entscheidungen von derartiger Reichweite denn heute bei Ihnen? Sind Sie schon bei
lediglich durch Verordnung ohne Zustimmung des 11 Euro?)
Parlaments … zu treffen. Spannen Sie einen Schutzschirm für die Arbeitsplätze im
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Da ist was dran! Interesse der Menschen hier im Land!
Das sehe ich genauso!) (Beifall bei der LINKEN)
Bei Milliarden für die Banken müssen wir um Beteili-
gung kämpfen, bei Millionen aus selbst erbrachten Bei- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
tragsmitteln wird nichts gemacht, außer dass gesagt Das Wort hat nun Hermann Otto Solms für die FDP-
wird, es geschehe nichts ohne die Zustimmung des Par- Fraktion.
laments. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Wie leichtfertig die Koalitionsparteien mit den Men- der CDU/CSU)
schen und ihren Schicksalen umgehen, wird für mich
durch folgendes Beispiel gezeigt, das gerade auch schon Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
wieder eine Rolle gespielt hat, als es um die Ju- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
gendarbeitslosigkeit ging – auch gestern haben wir da- Herren! Der XXL-Aufschwung hat sich bis heute verlän-
rüber geredet, als es um die Kündigungsfristen für unter gert, Herr Duin. (D)
(B)
25-Jährige gegangen ist –: Frau Connemann, die jetzt lei-
(Thomas Oppermann [SPD]: Gegen den Wil-
der nicht hier ist – ich kann sie zumindest nicht sehen –,
len der FDP! Sie haben das Konjunkturpro-
hat davon gesprochen, dass Deutschland nur 8 Prozent
gramm abgelehnt!)
jugendliche Arbeitslose hat. Das sei ganz toll in
Deutschland und in Europa. Er findet immer noch statt. Was im nächsten Jahr statt-
findet, wollen wir einmal abwarten. Dass es eine Norma-
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Spitzen- lisierung des Wachstums geben wird, ist zu erwarten.
position!) Aber die Wachstumsentwicklung bleibt positiv.
Sie sagte aber nicht dazu, was diese 8 Prozent eigentlich Das Entscheidende ist: Nach den Entscheidungen
bedeuten. vom Mittwoch zum Euro wird eine Beruhigung auf den
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: 8 Prozent sind Märkten und allgemein mehr Zuversicht eintreten. Das
8 von 100!) sehen Sie schon jetzt an der Börsenentwicklung und der
Entwicklung des Euros, dessen Kurs wieder auf
Von daher will ich das noch einmal ganz deutlich ma- 1,40 Dollar gestiegen ist.
chen; ich habe mich vor der Debatte extra danach erkun-
digt. Zunächst einmal sind zum aktuellen Zeitpunkt (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
9,1 Prozent der 15- bis 24-Jährigen arbeitslos. Das sind Deswegen wird die wirtschaftliche Entwicklung im
sage und schreibe 430 000 junge Menschen. Das ist ein- nächsten Jahr besser ausfallen, als es heute prognosti-
fach unerträglich. Was wird hier gemacht? ziert wird.
(Beifall bei der LINKEN – Abg. Ernst (Beifall des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU])
Hinsken [CDU/CSU] meldet sich zu einer
Zwischenfrage) Da bin ich sehr zuversichtlich. Deswegen gibt es jetzt
überhaupt keinen Grund für ein übereiltes Konjunktur-
– Sofort. – Ich habe manchmal das Gefühl, Ihre Schön- programm, in welchem Umfang auch immer.
schwätzerei ist ein Teil Ihrer Wahrnehmung; das ist so.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Menschen außerhalb dieses Bundestages haben aber eine
ganz andere Wahrnehmung. Arbeitgeber und Arbeitneh- Wir sind in einer gesunden Entwicklung. Wir haben
mer machen sich an dieser Stelle sehr große Sorgen, und die richtige Politik gemacht. Wir haben am Anfang der
diese Bundesregierung tut nichts. – Ich habe mitbekom- Legislaturperiode die Nachfragekräfte mit 24 Milliarden
men, dass jemand eine Zwischenfrage stellen wollte. Euro unterstützt. Wir haben viele Entlastungsmaßnah-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16331
Dr. Hermann Otto Solms
(A) men getroffen. Auch Sie können stolz sein, weil die Ar- frage von Forsa dahin gehend, ob die Menschen lieber (C)
beitsmarktreformen aus der rot-grünen Regierungszeit auf die Rente erst ab 67 Jahren verzichten und dafür ei-
dazu einen wichtigen Beitrag geleistet haben. nen höheren Beitrag von 6 Euro im Monat für einen
Durchschnittsverdiener zahlen würden oder ob die Bei-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
träge gesenkt werden sollten. 79 Prozent der Befragten
sowie bei Abgeordneten der SPD –
sagen: Wir möchten auf die Beitragssatzsenkung ver-
Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie bekennen sich
zichten und dafür dann die Rente erst ab 67 abschaffen.
doch heute gar nicht mehr dazu!)
Die vorgesehene Beitragssatzsenkung von 0,3 Pro-
Ich wundere mich darüber, dass bei Ihnen Stimmen lau-
zentpunkten macht bei durchschnittlich Verdienenden
ter werden, die eine Rückabwicklung fordern. Da ist völ-
3,80 Euro im Monat aus. Halten Sie es nicht für viel
lig unsinnig.
sachgerechter und vor allen Dingen für sozial gerechter,
(Beifall des Abg. Dr. Daniel Volk [FDP]) auf die Beitragssatzsenkung in der Rente zu verzichten
und dafür den Menschen die Rentenkürzung durch die
Das war eine erfolgreiche Politik. Wir haben sie unter- Rente erst ab 67 Jahren zu ersparen?
stützt. Wir sagen Ihnen auch heute noch: Das war eine
gute Sache. (Beifall bei der LINKEN)
(Beifall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])
Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
So gut, wie die Entwicklung jetzt ist, haben auch wir Das Ergebnis ist nicht verwunderlich, wenn Fragen so
sie nicht vorausgesehen. Dass wir in diesem Jahr über gestellt werden, dass man dann entsprechende Antwor-
500 000 Erwerbstätige mehr ten bekommt.
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sehr wahr!) (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das war eine
als im letzten Jahr haben – der aktuelle Stand liegt bei sehr manipulative Fragestellung!)
41,2 Millionen Erwerbstätigen –, war doch nicht vorher- Es ist die Kunst der Umfrageinstitute, die Antworten zu
zusehen. Genauso war nicht vorherzusehen, dass die erhalten, die sie von vornherein haben wollten.
Renten im nächsten Jahr stärker steigen – 3,2 Prozent im
Osten, 2,3 Prozent im Westen –, dass die Rentenbeiträge (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aber
um 0,3 Prozent gesenkt werden können, dass die Steuer- es war eine sehr klare Frage!)
einnahmen über alle Erwartungen hinaus steigen. Im Angesichts der demografischen Entwicklung in
Handelsblatt ist heute zu lesen, dass die neue Steuer- Deutschland – wie sie weiter verläuft, kann man berech-
(B) schätzung wahrscheinlich von einem Steuermehrauf- nen – müssen wir Vorsorge für die Zukunft betreiben. (D)
kommen von 40 Milliarden Euro bis 2015 ausgehen Deswegen gibt es keinen Grund, die Rente mit 67 rück-
wird. abzuwickeln.
(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ganz im
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Gegenteil!)
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Birkwald von der Linksfraktion? Wir als FDP sind allerdings der Meinung, dass wir ein
völlig anderes Verfahren des Renteneintritts brauchen.
Dr. Hermann Otto Solms (FDP): Wir brauchen sehr viel mehr Freiwilligkeit.
Ja, wenn ich den Gedanken zu Ende geführt habe. – (Beifall bei der FDP)
Das gibt uns den Spielraum, die Haushaltskonsolidie-
rung noch mehr zu beschleunigen Wir brauchen kein Fallbeilsystem, sondern Anreize zur
längeren Arbeit. Es gibt viele tüchtige Leute, die bis 70
(Garrelt Duin [SPD]: Steuersenkung ist doch – auch ich bin 70 – oder länger arbeiten können und wol-
keine Haushaltskonsolidierung!) len. Diese Menschen brauchen wir, und auf sie sollten
und gleichzeitig die krasse Steuerungerechtigkeit der wir zurückgreifen, statt weiterhin auf das Fallbeilsystem
kalten Progression zu beseitigen. Das haben übrigens zu setzen.
auch Sie von der SPD in Ihrem Wahlprogramm gefor- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
dert. der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Ich sehe gerade nach der Entscheidung von Mittwoch
der CDU/CSU) die Situation günstiger als die Forschungsinstitute und
Jetzt bitte der Kollege Birkwald. auch die Bundesregierung. Deswegen möchte ich auf die
Entscheidung etwas näher eingehen: Das ist der Weg zu-
rück zur Stabilitätsunion, die allerdings jetzt mit schar-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: fen Instrumenten und automatischen Sanktionen ausge-
Kollege Birkwald, bitte. stattet ist. Es gibt keine Hilfe ohne Auflagen. Deswegen
entgegne ich den Pessimisten, die da sagen: „Das Haf-
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): tungsvolumen würde auch mit dem Hebel bei 211 Mil-
Herr Kollege Dr. Solms, herzlichen Dank, dass Sie liarden Euro bleiben, aber die Eintrittswahrscheinlich-
die Zwischenfrage zulassen. – Es gab neulich eine Um- keit der Haftung der Steuerzahler würde dadurch
16332 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Dr. Hermann Otto Solms


(A) erhöht“: Genau das Gegenteil ist der Fall. Denn bei jeder Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C)
Hilfsmaßnahme wird ein Paket von Auflagen verbind- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
lich festgelegt, die die Schuldnerländer erfüllen müssen. schwarz-gelbe Regierung ist immer ein Risiko für die
Konjunktur, und zwar nicht nur im Abschwung, sondern
Der erweiterte Rettungsschirm hilft, die Implosion
auch im Aufschwung. Denn Sie senden keine klaren
der Märkte zu verhindern, und die Hilfsmaßnahmen füh-
Signale an die Unternehmer und die Bevölkerung.
ren dazu, dass die Haushaltssituation auch in den hoch-
Schauen Sie sich doch einmal den Murks und den Mist
verschuldeten Ländern Jahr für Jahr besser wird. Deswe-
Ihrer Steuerpolitik an! Bei Regierungsantritt haben Sie
gen wird im Zeitablauf die Wahrscheinlichkeit des
große Steuersenkungsversprechen gemacht. Steuersen-
Eintritts der Haftung des deutschen Steuerzahlers sinken.
kungen gab es aber nur für die Hoteliers. Ansonsten kön-
Das ist ein wichtiges Argument, weil die Öffentlichkeit
nen Sie gar keine Steuersenkungen vornehmen. Dann
immer weiter verunsichert wird.
ging es hin und her. Es war die langweiligste Soap, die in
Natürlich ist nichts sicher. Aber die Hilfsmaßnahmen Deutschland überhaupt geboten wurde. Am Schluss
sind so ausgestaltet, dass jede Hilfsmaßnahme mit einem kommt Herr Rösler zusammen mit Herrn Schäuble he-
Memorandum of Understanding verbunden sein muss, in raus und sagt: Jetzt machen wir etwas gegen die kalte
dem die Bedingungen und damit diese scharfen Aufla- Progression. – Die Herzen in der Bevölkerung gehen auf,
gen festgelegt werden. weil Sie jetzt etwas gegen die kalte Progression machen
wollen. Eine Viertelstunde später kommt die CSU und
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sagt: Ätschibätsch, das machen wir überhaupt nicht! –
der CDU/CSU) Glauben Sie, dass mit einer solchen Politik irgendetwas
Das ist für die Regierungen der betroffenen Länder für die Konjunktur getan wird? Die Menschen merken
nicht angenehm, aber sie werden sich dem nicht entzie- nur: Sie haben es nicht im Griff.
hen können, weil sie sonst kein Geld kriegen. Deswegen Laut Tickermeldungen hat Herr Brüderle heute er-
bin ich sehr froh, dass es gelungen ist, diese Strategie ge- klärt, dass der Solidaritätszuschlag reduziert werden soll,
gen die Mehrheit der Schuldnerländer durchzusetzen, indem der Freibetrag von 15 000 Euro bis zu dem man
und dass nun die Währungsunion auf den Stabilitätskurs keinen Soli zahlen muss, erhöht wird. Die FDP hat aber
zurückgeführt wird. Das wird die wirtschaftlichen Aus- noch vor zwei Wochen gesagt: Wir ändern den Tarifver-
sichten in Deutschland und in ganz Europa auf Dauer lauf wegen der kalten Progression. – Das alles ist doch
deutlich verbessern und dazu führen, dass der Wohlstand Irrsinn! So werden Sie auch wahrgenommen. Sie wissen
in der Breite deutlich wachsen wird. nicht, was Sie tun und wie es geht. Das ist das Gesetz der
Aktuell notwendig sind keine neuen Ausgabenpro- schwarz-gelben Wirtschaftspolitik.
(B) (D)
gramme, sondern weitere Erleichterungen, vielleicht in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
begrenztem Umfang im steuerlichen Bereich. Aber die sowie bei Abgeordneten der SPD – Ernst
Steuerforderungen, die Sie von SPD und Grünen uns an- Hinsken [CDU/CSU]: Sagen Sie mal, was Sie
drohen, sind eine Bedrohung für die weitere wirtschaftli- wollen!)
che Entwicklung. Denn damit würgen Sie den Auf-
schwung, dessen wir uns heute erfreuen können, wieder Ordnungspolitisch ist nicht viel los mit euch. Ihr redet
ab. davon – genauso wie Herr Solms gerade –, dass ihr die
Marktkräfte stärken wollt. In Baden-Württemberg hat
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der man einen Energiekonzern verstaatlicht. Das haben nicht
CDU/CSU) die Grünen und die SPD gemacht, sondern das war die
Deswegen ist es besser, dass diese Regierung an der Mappus-Gefolgschaft, also die CDU und die FDP. Jetzt
Macht bleibt, von der solche Maßnahmen nicht zu er- distanzierten Sie sich davon, weil es in der Union inzwi-
warten sind. Sie sorgt, weil die FDP beteiligt ist, viel- schen gefährlich ist, mit einer solchen Politik identifi-
mehr dafür, dass wir statt einer solchen Politik der Steuer- ziert zu werden.
erhöhungen eine Politik der sozialen Marktwirtschaft (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
bekommen, sowie bei Abgeordneten der SPD)
(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Lobbyisten- Aber klar ist: Eure energiepolitische Konsequenz ist Ver-
partei!) staatlichung. Hier wird nicht viel geboten.
die die Marktkräfte stärkt. Die Marktkräfte lösen Investi- Ich will einen weiteren Punkt ansprechen, der für die
tionen und Wachstum aus, deren wir uns heute erfreuen wirtschaftliche Entwicklung wichtig ist. Wie sehen die
können. Rahmenbedingungen in der Sozialgesetzgebung aus?
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. Herr Bahr hat das Jahr der Pflege verkündet. Aber was
ist dabei herausgekommen? – Null! Fünf verschiedene
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Vorschläge von Union und FDP oszillieren freischwe-
bend im Raum. Aber eine Konzeption für die Pflegever-
sicherung habt ihr nicht.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Fritz Kuhn für die Fraktion Bünd- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
nis 90/Die Grünen. sowie bei Abgeordneten der SPD)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16333
Fritz Kuhn
(A) Ihr macht des Weiteren in der Rentenpolitik nichts für – Herr Hinsken, dieses Parlament hat Frau Merkel mäch- (C)
die Bezieher von Kleinstrenten. Zuerst wurde die Ein- tig geschoben.
führung einer Garantierente verkündet. Wenn man sich
Ich bin der Meinung, dass das, was jetzt beschlossen
aber anschaut, was gemacht wurde, stellt man fest:
worden ist, schon vor fünf Monaten hätte beschlossen
„Bonsai“ ist noch ein euphemistischer Begriff für das,
was Sie dort veranstalten. werden können. Dann hätte man sich fünf Monate Ver-
unsicherung der Märkte erspart.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sie reden nur, machen aber nichts. So kommt es auch bei und bei der SPD – Dr. Michael Fuchs [CDU/
den Industrieverbänden, zum Beispiel beim BDI, an. CSU]: Nie im Leben! Die anderen wären nicht
Diese Regierung ist nicht auf der Höhe der Zeit. dabei gewesen!)
Herr Schäuble war vor einem guten Jahr bereits an dem
Alle wissen: In einer Marktwirtschaft, wo es auf die Punkt,
Verbraucher ankommt – insbesondere beim Binnen-
markt –, ist die Psychologie, für die auch Sie mit verant- (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Aber die an-
wortlich sind, elementar. Dabei geht es vor allem um die deren Länder nicht! – Gegenruf des Abg.
Frage, wie sich die Marktakteure aufstellen. Wer eine so Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ihre Koalition
miese Performance hat wie Sie, schadet der Psychologie, nicht! Das ist die Wahrheit!)
insbesondere auf dem Binnenmarkt. Beim Binnenmarkt
als er davon gesprochen hat, schneller einen europäi-
kommt noch etwas anderes hinzu: Ihre hartnäckige Wei-
gerung, einen allgemeinen Mindestlohn einzuführen, schen Währungsfonds einzuführen. Das wäre möglich
führt dazu, dass wir auf dem Binnenmarkt schwächer gewesen. Dann hätten wir diese Spekulationen jedenfalls
aufgestellt sind, als es sein müsste. Sie bauen hier ein gi- nicht gehabt.
gantisches Konjunkturrisiko auf. (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Mit wem denn?)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Deutschland hätte in die Richtung marschieren müs-
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- sen. – Das Problem war doch ein ganz anderes. Die
KEN) CDU-geführte Regierung – die FDP hat dabei assistiert –
hat zuerst immer gesagt, dass sie es nicht mache, nach
Jeder, der die empirischen Daten zum Mindestlohn zwei Monaten hat sie es dann aber doch getan. Das hat
kennt, weiß, dass es klug gewesen wäre, einen allgemei- zu Verzögerungen geführt. Das steht in jeder Wirt-
nen Mindestlohn während eines konjunkturellen Höhe- schaftszeitung. Darüber brauchen wir in diesem Haus
punkts einzuführen. Dann sind nämlich die Folgewir- nicht zu debattieren.
(B) kungen leichter und besser zu handhaben. Das kann man (D)
in England sehr schön sehen. Aber Sie wollen einfach (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
nicht oder bekommen es nicht hin. Deswegen sind wir sowie bei Abgeordneten der SPD – Ernst
auf dem Binnenmarkt schwächer aufgestellt, als es sein Hinsken [CDU/CSU]: Man drückt auf den
müsste. Knopf, und alles läuft von selbst!)

(Beifall des Abg. Hubertus Heil [Peine] Wir sehen es nicht als Aufgabe der Opposition – des-
[SPD]) wegen sind wir auch angesichts des Tenors des SPD-An-
trags skeptisch –, die Konjunktur schlechtzureden.
Gerade wenn die Konjunktur fragil ist – das ist ein Kern- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das geht auch
punkt der Konjunkturforschung –, wäre eine bessere nicht!)
Entwicklung des Binnenmarktes von Vorteil. Man darf
nicht allein auf den Export setzen. Wenn man genau hinschaut, dann stellt man fest, dass es
völlig offen ist, ob wir in eine Wirtschaftskrise geraten
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN oder nicht.
und bei der SPD)
(Garrelt Duin [SPD]: Dafür muss man sich
Ein Konjunkturrisiko stellt natürlich auch das dar, aber wappnen!)
was Sie auf EU-Ebene veranstaltet haben. Jetzt kommen
Sie und sagen: Alles toll. – Aber entscheidend für die Deswegen muss man sich auf die Frage, was jetzt zu tun
konjunkturelle Entwicklung wird sein, ob wir es schaf- ist, konzentrieren; das haben Sie in Ihrem Antrag auch
fen, die Euro-Krise, die Währungskrise und die Banken- an einigen Stellen getan. Was ist jetzt zu tun, falls die
krise so schnell wie möglich zu beenden. Wenn wir es Lage schwieriger wird, damit die Konjunktur nicht so
schaffen, wird sich die Konjunktur eher positiv entwi- stark einbricht?
ckeln. Wenn wir es nicht schaffen, wird es schwieriger Sie haben zum Teil ein verheerendes Erbe hinterlas-
werden. Aber auch nach dem vergangenen Mittwoch sen. Ich will eine Zahl nennen. Vor der letzten Krise
muss man sagen: Sie haben zu lange gezögert. Wir könn- hatte die Bundesagentur für Arbeit 18 Milliarden Euro
ten an einer ganz anderen Stelle stehen als da, wo wir Überschuss in ihren Kassen. Jetzt haben Sie die Kassen
jetzt stehen. geplündert, weil Sie sonst die Haushaltskonsolidierung
nicht erreicht hätten.
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Das hat die
Merkel glänzend gemacht! Da gibt es kein (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das ist doch
Wenn und Aber!) das Kurzarbeitergeld!)
16334 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Fritz Kuhn
(A) Jeder muss wissen, dass beim nächsten Abschwung Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): (C)
diese 18 Milliarden Euro fehlen werden und es viel Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
schwieriger wird, die Arbeitsmarktprobleme auf eine ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deutschland steht
vernünftige Art und Weise anzugehen. 2011 besser da als die meisten anderen Länder in
Europa. Deutschland steht 2011 auch besser da als in der
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zeit der rot-grünen Regierung und der schwarz-roten
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Regierung. Das sind die Fakten.
Wenn man an die Substanz geht – Herr Fuchs, Sie als Wir sind besser durch die Krise gekommen als die an-
Unternehmer wissen das –, ist das immer schlecht. deren Länder in Europa. Auch wir haben nicht hundert-
Ich möchte noch einen Punkt zum Abschluss erwäh- prozentig gewusst, ob wir den richtigen Weg beschrei-
nen. Sie sagen, es sei noch etwas Luft im Haushalt, und ten. Erinnern wir uns: Auch 2008 wurden Schirme
plädieren für eine Steuersenkung. Man spricht von aufgespannt. Es wurden 480 Milliarden Euro zur Verfü-
6 Milliarden Euro, manchmal von 4 Milliarden Euro; gung gestellt für Garantien, Bürgschaften für die natio-
aber eigentlich geht es nur darum, dass Sie das Wort nalen Bank- und Finanzsysteme, Konjunkturprogramme
– das Label – „Steuersenkung“ irgendwie über die Run- und anderes. Jetzt wissen wir: Unser Weg hat sich in
den kriegen. Ich finde, dass eine FDP, die bei 3 Prozent Europa und in der Welt als der richtige Weg herausge-
steht, auch mit diesem Label nicht wiederbelebt wird. stellt. Das war nicht von Anfang an klar. Das haben viele
Herr Solms, diese Hoffnung können Sie sich sparen. in Europa und in der Welt noch im letzten Jahr und auch
in diesem Jahr bestritten.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie nähern sich
mit großen Schritten an! Sie haben heute Ich verweise auf die Zahlen, die wir im letzten Jahr
3 Prozent in der Freitagsfrage!) und in diesem Jahr vorlegen konnten: Das Wirtschafts-
wachstum – es ist angesprochen worden – betrug im
Das Entscheidende ist, dass Sie gar nicht auf das ach- letzten Jahr 3,6 Prozent und wird in diesem Jahr 2,9 Pro-
ten, was der Staat machen müsste, aber gegenwärtig zent betragen. Das ist das höchste Wirtschaftswachstum,
nicht tut. Ein Beispiel: Sie haben den Atomausstieg das wir in diesem Land seit der Wiedervereinigung ha-
beschlossen, aber die Mittel für den Einstieg in die Ener- ben.
giewende – Stichworte: Energieeinsparfonds und Ge-
bäudesanierung – sind nicht ausreichend. Das heißt, der (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Wir hatten ja
Weg, wie wir ohne Atomkraft auskommen können, auch vorher den größten Einbruch!)
schlägt sich nicht in haushaltspolitischen Entscheidun- – Sie wissen doch, dass wir, was das Bruttoinlandspro-
gen nieder. Mir hat der Vorstandsvorsitzende eines Ener- dukt, also die absoluten Zahlen, anbelangt, heute besser (D)
(B)
gieunternehmens in diesen Tagen gesagt: Röttgen findet dastehen als vor der Krise.
gegenwärtig in der Energiepolitik nicht statt. – Rösler
findet sowieso nicht statt. Gar nichts. Sie nehmen die Sa- Das sind die Fakten. Sie sind nicht vom Himmel ge-
che nicht in die Hand. Wenn wir 2 Milliarden, 3 Milliar- fallen, sondern sind das Ergebnis wachstumsorientierter
den oder 4 Milliarden Euro übrighätten und uns noch im Politik. Wir haben unter dieser Regierung ein Wachs-
Rahmen der Schuldenbremse bewegen würden, dann tumsbeschleunigungsgesetz und ein Bürgerentlastungs-
müsste dieses Geld investiert werden, gesetz beschlossen, was im letzten Jahr die größte Ent-
lastung gebracht hat, die es jemals in Deutschland gab:
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: In Bildung!) fast 23 Milliarden Euro.
und zwar in die Zukunft, in Klimaschutz und in For- (Beifall bei der CDU/CSU)
schung und Bildung; denn das sind die Investitionen, die
Deutschland voranbringen. Das schlägt sich jetzt im Aufschwung natürlich positiv
nieder: in Investitionen im privaten, aber auch im öffent-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lichen Sektor. Dadurch wird das Wachstum verstetigt
und bei der SPD) und weiter ausgebaut.
Was Sie mit der Steuersenkung machen, ist nichts an- Dies ist auch das Ergebnis von Konsolidierung, von
deres als das Vervespern der Steuermehreinnahmen, die verantwortlichem Handeln in der Krise und jetzt auch
uns der Aufschwung gebracht hat. Sie stehen dann ziem- nach der Krise. In der Krise wurden Impulse gesetzt.
lich schlecht da, wenn die wirtschaftlichen Zeiten wieder Nach der Krise ist man sehr schnell und deutlich zurück-
schwerer werden. Deswegen gilt die Überschrift im gegangen und hat gesagt: Jawohl, wir müssen die Ver-
SPD-Antrag zu Recht, in der Schwarz-Gelb als Risiko schuldung zurückführen. Schließlich ist die Verschul-
für unsere Wirtschaft bezeichnet wird. Ich füge hinzu: dung in der Tat eine der Hauptgeißeln, die wir uns alle
ganz egal, ob im Aufschwung oder im Abschwung. selber auferlegt haben. Warum sind wir denn heute so
abhängig von Finanzsystemen, von internationalen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Geldgebern? Weil auch wir in Deutschland eine Ver-
und bei der SPD)
schuldung von 85 Prozent des Bruttoinlandsproduktes
haben. Auch wir brauchen in diesem Jahr Refinanzierun-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: gen von über 300 Milliarden Euro, um unsere Kredite zu
Das Wort hat nun Joachim Pfeiffer für die CDU/CSU- revolvieren und entsprechende Zins- und Tilgungsleis-
Fraktion. tungen zu tätigen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16335
Dr. Joachim Pfeiffer
(A) Dass wir in Europa den richtigen Weg eingeschlagen Da können wir nicht nach Brüssel fahren und dort sa- (C)
haben, zeigt sich jetzt. Wir hatten Anfang, Mitte des Jah- gen, wo es langgeht. Die anderen Staaten haben ihre ei-
res eine Verschuldung von 85 Prozent des Bruttoinlands- genen Vorstellungen. Das war im letzten Jahr zu sehen.
produktes. Ende des Jahres wird dieser Wert in Richtung Erinnern wir uns einmal: Im letzten Jahr war Deutsch-
80 Prozent gesunken sein. Unser Staat wird einer der land mit seiner Linie bei den Weltgipfeln und bei den
wenigen, wenn nicht der einzige in Europa sein, der in Gipfeln in Europa ganz allein. Alle haben noch mehr
diesem Jahr, relativ gesehen, Schulden abbaut. Konjunkturprogramme und noch mehr Verschuldung
von Deutschland gefordert. Wir haben gesagt: Nein, das
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Jawohl!)
machen wir nicht; wir konsolidieren, und wir wachsen
Dies ist das Ergebnis einer Politik des Konsolidierens trotzdem.
und des Wachsens gleichermaßen. Wir zeigen, dass so
etwas geht. Jetzt, nach einem Jahr, sind diese Stimmen fast ver-
stummt. Man folgt uns in Europa, nicht deshalb, weil wir
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nach Brüssel gefahren sind, dort gepoltert haben und an
Wo bauen wir denn Schulden ab?) der einen oder anderen Ecke vielleicht einen marginalen
– Wir bauen, relativ gesehen, also am Bruttoinlandspro- Erfolg erzielt haben – wie früher Gerhard Schröder –,
dukt gemessen, Schulden ab. Wenn unsere Verschuldung sondern deshalb, weil wir – die Bundeskanzlerin und der
Ende des Jahres 80 oder 81 Prozent, vielleicht sogar un- Bundesfinanzminister vorneweg – über ein Jahr lang
ter 80 Prozent des BIP ausmacht, dann ist das ein relati- Überzeugungsarbeit geleistet und gezeigt haben, dass
ver Rückgang. wir in Deutschland auf dem richtigen Weg sind. Das
restliche Europa folgt uns jetzt, weil man sieht, dass un-
(Beifall des Abg. Patrick Schnieder [CDU/ ser Weg der richtige ist.
CSU])
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Das ist uns noch nicht genug. Wir wollen in Zeiten guter
Konjunktur überhaupt keine Schulden mehr aufnehmen, Wohin wären wir denn gekommen, wenn wir vor eini-
und wir wollen die Schuldenaufnahme, so wie es die gen Monaten der SPD mit ihrem „Hurra!“-Patriotismus
Schuldenbremse vorsieht, auf eine strukturelle Kompo- Richtung Europa gefolgt wären und Euro-Bonds einge-
nente beschränken, die möglichst nicht zum Einsatz führt hätten? Sie standen an dieser Stelle und haben die
kommt. Unsere Politik geht auf, weil wir wahrscheinlich Einführung von Euro-Bonds gefordert, am Anfang sogar
im nächsten Jahr – wie 2007 und 2008 – einen ausgegli- unkonditioniert. Erst am Ende ist Herr Steinmeier zu-
chenen Haushalt vorlegen können. rückgerudert und hat gesagt: Natürlich müssen auch ent-
(B) Sie schreiben in Ihrem Antrag, die Bundesregierung sprechende Fortschritte bei der Integration und anderem (D)
habe zu den Finanzproblemen in Europa durch ihre mehr erreicht werden. – Anfangs waren Sie der Mei-
„Politik des Zögerns und Zauderns“ beigetragen. Jetzt nung, man brauche nur die Euro-Bonds einzuführen und
sind wir noch nicht am Ende der Krise, sondern noch dann würde alles gut.
mittendrin. Aber von Zögern und Zaudern kann nicht die Andere sind der Meinung, man müsse die Griechen
Rede sein. Ich würde das eher eine Politik des Überle- aus der Euro-Zone werfen und Sonstiges mehr. Das ist
gens und des Überzeugens nennen. nicht unsere Politik. Wir wollen einen anderen Weg ge-
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Jawohl!) hen. Es gilt, die Balance zu finden zwischen glaubhaf-
tem, dauerhaftem Konsolidieren in jedem einzelnen
Wir sind nämlich nicht im demokratischen Sozialismus, Staat in Europa und in der Europäischen Union auf der
wie es von Ihnen gestern veranstaltet wurde. einen Seite und der Organisation von Wachstum auf der
(Garrelt Duin [SPD]: Das haben Sie veranstal- anderen Seite. Wenn wir das deutlich machen, können
tet! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: wir Vertrauen zurückgewinnen und haben die Chance,
Das war Ihr Antrag!) aus dieser Situation herauszukommen.
Im Übrigen hat auch der Kollege Bartels für die SPD die Blicken wir einmal darauf zurück, wie es vor rund
Deutungshoheit über den Begriff „demokratischer So- 20 Jahren vor der Einführung der gemeinsamen Wäh-
zialismus“ angemeldet; auch da weiß man nicht so recht, rung war. Da haben alle gesagt: Der Euro wird eine wei-
was man davon halten soll. Wir sind vielmehr in einem che Währung. Die Spanier und die Italiener werden nie-
Europa der Demokratien. Es sind 27 Staaten, die gleich- mals die Stabilitätskriterien einhalten. Die haben höhere
berechtigt sind. Inflationsraten. – Heute ist der Euro stabiler, als es die
D-Mark je war, nach innen und nach außen. Der Weg ist
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: in Europa akzeptiert, aus Einsicht, weil es nämlich der
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der richtige Weg ist, und nicht deshalb, weil wir polternd
Kollegin Enkelmann? nach Brüssel gefahren sind. Ich erhoffe mir, dass wir in
10 oder 15 Jahren rückblickend sagen können: Das war
damals die Erkenntnis, dass wir nicht dauerhaft über un-
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):
sere Verhältnisse leben können, sondern dass wir auf der
Nein. Ich habe heute keine Zeit dafür; ein anderes
einen Seite sorgsam und nachhaltig mit den Finanzen
Mal wieder.
umgehen müssen und auf der anderen Seite Wachstum
(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) organisieren müssen.
16336 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Dr. Joachim Pfeiffer


(A) Ich will jetzt ein paar Punkte zum Arbeitsmarkt an- Sie fordern mehr Investitionen. An dieser Stelle muss (C)
sprechen. Die Arbeitslosenzahlen sind schon genannt ich Sie fragen, in welchen Bereichen Sie mehr Investi-
worden. Die sind aber nur ein Aspekt. Viel entscheiden- tionen fordern. Ich gehe davon aus, dass Sie diese nicht
der ist, dass wir noch nie in der Geschichte der Bundes- bezogen auf den privaten Bereich fordern, weil wir
republik Deutschland so viele Beschäftigte hatten wie in Investitionen im privaten Bereich nur eingeschränkt be-
diesem Jahr. einflussen können, zum Beispiel über die steuerlichen
Rahmenbedingungen. Das haben wir gemacht, und wir
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jutta wollen sie weiter optimieren. Zudem wollen wir in die-
Krellmann [DIE LINKE]: Wie viele Vollzeit- ser Legislaturperiode noch eine steuerliche Forschungs-
beschäftigte denn?) förderung auf den Weg bringen und anderes mehr.
Es sind über 41 Millionen Beschäftigte. Der Zuwachs (Garrelt Duin [SPD]: Da sind wir sehr ge-
bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ist spannt!)
höher als bei den anderen Beschäftigten.
(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Prekäre Die privaten Investitionen machen in diesem Jahr
1,3 Prozent des Wachstumsbeitrags aus. Von diesen
Beschäftigung!)
1,3 Prozent entfallen 0,7 Prozentpunkte auf Ausrüs-
– Von wegen „prekär“! Sie tun immer so, als wären wir tungsinvestitionen und 0,2 Prozentpunkte auf Bauinves-
hier das Land der Lohndumper und was weiß ich. titionen. Die Investitionen sind also weitaus höher als in
der Vergangenheit.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
(Garrelt Duin [SPD]: Das stimmt nicht!)
Das Gegenteil ist der Fall!
Wenn Sie nun mehr öffentliche Investitionen fordern,
(Beifall bei der CDU/CSU)
dann muss ich Sie fragen, welche. Wir machen zwei
Sie behaupten die Unwahrheit, und zwar wider besseres Dinge, und dazu stehen wir. Zum einen investieren wir
Wissen. auf hohem Niveau in die Infrastruktur. Wir investieren
über 10 Milliarden Euro.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
(Garrelt Duin [SPD]: Die Bauinvestitionen
Wir haben noch nie so viele sozialversicherungspflichtig sind so niedrig wie nie!)
Beschäftigte gehabt wie in diesem Jahr,
Ich gehe davon aus, dass wir sogar noch etwas draufle-
(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Aber nicht in gen werden. In den weiteren Gesprächen und Verhand- (D)
(B) Vollzeit!) lungen der nächsten Wochen wird sich das zeigen. Das
nicht in Teilzeit und nicht in prekären Arbeitsverhältnis- werden Sie sehen. Es wird mehr investiert, als man in
sen. Was Sie sagen, ist völlig abwegig. der Vergangenheit investiert hat.

(Widerspruch bei der LINKEN) Zum anderen investieren wir so viel wie nie zuvor in
Forschung und Entwicklung. 2004 – im letzten Jahr vor
Die Binnenkonjunktur ist auch schon angesprochen Schwarz-Rot – wurden 8,8 Milliarden Euro in For-
worden. Es wurde gesagt, sie sei schwach. Das stimmt schung und Entwicklung in Deutschland investiert. In
nicht. Herr Duin, in diesem Jahr ist die Binnenkonjunk- diesem Jahr investieren wir knapp 13 Milliarden Euro in
tur ein größerer Wachstumsträger als der Export. Durch Forschung und Entwicklung. Das sind gut 40 Prozent
die private Binnennachfrage haben wir einen Wachs- mehr als zu rot-grünen Zeiten. Wir ergreifen also die
tumsbeitrag von 0,7 Prozentpunkten und durch den richtigen Maßnahmen, um das Land voranzubringen.
staatlichen Konsum einen von 0,2 Prozentpunkten, wäh-
rend wir vom Export nur einen Wachstumsbeitrag von (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
0,4 Prozentpunkten haben. Insofern ist die Behauptung
falsch, die Binnenkonjunktur laufe nicht. Im Gegenteil, Ich kann das ZIM nur erwähnen – Herr Präsident, ich
sie läuft besser denn je. komme zum Schluss –, das den Mittelstand in das
Wachstum mit einbezieht.
Im Übrigen sind mit dieser Entwicklung der Binnen-
konjunktur direkte positive Auswirkungen für die Ar- Wir sind auf dem richtigen Weg. Konsolidieren und
beitnehmer verbunden. Die niedrigeren Beiträge zur wachsen, das ist der Weg für Deutschland, das ist der
Rentenversicherung sind vorhin schon angesprochen Weg für Europa. Diesen müssen wir konsequent weiter-
worden. Es ist doch das Beste, was man den Arbeitneh- gehen. Wir sind aber noch nicht aus der Krise heraus,
mern bieten kann, wenn sie weniger Abgaben zahlen und es gibt Gefahren. Wir müssen gemeinsam daran ar-
müssen, weil sie dann mehr im Geldbeutel haben. beiten, dass sich diese nicht realisieren, sondern dass es
positiv weitergeht. Dann besteht nicht nur für Deutsch-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) land, sondern auch für Europa die Chance, gestärkt aus
Darüber hinaus gibt es in diesem Jahr und im nächsten der Krise hervorzugehen.
Jahr kräftige Reallohnzuwächse, die den Arbeitnehmern Vielen Dank.
zugutekommen. Aber nicht nur die Arbeitnehmer, son-
dern auch die Rentner profitieren von dieser Lösung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16337

(A) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: werden. Jeder weiß, dass die anderen Methoden viel bes- (C)
Eine Kurzintervention von Dagmar Enkelmann. ser und erfolgversprechender waren.
(Beifall bei der SPD)
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE):
Herr Kollege Pfeiffer, Sie haben vorhin behauptet, Werfen wir einmal einen Blick darauf, was die Regie-
dass die Linke gestern eine Debatte über den demokrati- rung nach dem Status quo, den sie vorgefunden hat – In-
schen Sozialismus angezettelt habe. Darf ich Sie daran vestitionen, Programme zum Anstieg der Beschäftigung
erinnern, dass es ganz offenkundig Ihr Bedürfnis war, usw. –, gemacht hat:
über das neue Parteiprogramm der Linken zu diskutie- Phase 1: der Holperstart – „Gurkentruppe“, „spätrö-
ren? Sie haben diese Aktuelle Stunde beantragt. Übri- mische Dekadenz“. Phase 2: Phase der Ruhe – Europa
gens kann man ab der nächsten Woche alles auf der Seite wartet auf Deutschland, Deutschland fürchtet Steuersen-
www.die-linke.de nachlesen. kungen. Phase 3: Herbst der Entscheidungen – Verlänge-
Sie wollten also darüber reden. Sie hatten offenkun- rung der AKW-Laufzeiten, Desaster in der Gewerbe-
dig großes Interesse daran. Diesem Interesse sind wir steuerreform.
sehr gerne nachgekommen. Wenn es weiteres Interesse Phase 4: Die eiserne Kanzlerin – kein Geld für die
an einer Diskussion über unser Parteiprogramm gibt, Griechen. Der eiserne Finanzminister – keine Steuersen-
sind wir gern bereit, diese Debatte im Bundestag weiter kungen. Ich zitiere die Kanzlerin: Niemand hat die Ab-
zu führen. Ganz herzlichen Dank für Ihr Interesse. sicht, Atomkraftwerke abzuschalten. Niemand hat die
(Beifall bei der LINKEN) Absicht, die Wehrpflicht abzuschaffen. Niemand hat die
Absicht, Griechenland umzuschulden.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich werde es immer für unsinnig halten, technisch
Kollege Pfeiffer, wenn Sie Lust haben. sichere Kernkraftwerke abzuschalten. Sie werden
sehen: Eines Tages werden auch die Sozialdemo-
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): kraten das einsehen.
Das ist in der Tat gestern diskutiert worden. Dass das So viel zur Stabilität Ihrer Ankündigungen und der Art,
ein neues Programm gewesen sei, ist aber falsch. wie Sie Politik machen. Es geht mir übrigens nicht da-
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Dann rum, zu sagen, dass die Regierung einen Fehler gemacht
lesen Sie es mal nach!) hat – oder zwei oder drei –; es geht mir darum, dass das
System, wie Sie Politik machen, falsch angelegt ist. Sie
Vielmehr wollen Sie den demokratischen Sozialismus betreiben eine systemische Hinwendung zu einem into- (D)
(B) wiederbeleben. Dieser ist jedoch aus dem 19. Jahrhun-
leranten System. Das führt permanent zu Fehlern; das ist
dert. Das wollten wir deutlich machen, und das haben das große Problem.
wir deutlich gemacht.
Phase 5: Korrekturen und Kehrtwende – AKW doch
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – abschalten, Wehrpflicht doch abschaffen und doch Geld
Zurufe von der LINKEN) für die Griechen.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Phase 6 – das ist der Punkt, der uns wirklich Sorgen
Das Wort hat nun Lothar Binding für die SPD-Frak- macht –: Mitten in der größten Krise – wir müssen uns
tion. um eine Bankenkrise kümmern, um eine Marktkrise und
um eine Staatsverschuldungskrise – kommen Sie und
(Beifall bei der SPD – Hubertus Heil [Peine] diskutieren über eine Steuersenkung, die von allem ab-
[SPD]: Endlich mal zur Sache!) lenkt, was wirklich wichtig ist, und die überdies keiner-
lei positive Wirkung für Arbeit, Wirtschaft und Wachs-
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): tum zeitigt.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der SPD)
Sehr verehrte Damen und Herren! Ich habe mich ein
bisschen gewundert, dass sich Herr Pfeiffer nach dem Die FDP hat sich dafür einen Moment ausgesucht, in
Desaster mit der Mövenpick-Hotelsteuer überhaupt ge- dem der Finanzminister und auch die Kanzlerin unter ex-
traut hat, das Wachstumsbeschleunigungsgesetz noch tremem Druck stehen. Beide mussten in Europa tagelang
einmal anzuführen. Man muss einmal zurückschauen – verhandeln, mussten sich in neue Konzepte einarbeiten
Garrelt Duin hat schon darauf hingewiesen –: Wir haben und müssen Maßnahmen ergreifen, deren Wirkung heute
die Konjunkturprogramme I und II sowie das Programm keiner übersehen kann. Das Haus brennt, und in dieser
Kurzarbeitergeld plus gehabt. Das war die Basis für ei- Phase kommen Sie und wollen über Steuersenkungen re-
nen langanhaltenden Wachstumspfad – übrigens als Kri- den. Ich nehme an, Herr Schäuble hat gesagt: Was kostet
senbewältigungsprogramm – und hat auch zum Abbau eure Steuersenkung? 6 oder 7 Milliarden Euro? Ich habe
der Arbeitslosigkeit geführt. Was können wir daraus ler- gerade ein richtig dickes Problem. Ihr bekommt sie, aber
nen? Investitionen sind gut. Sich um Arbeitsplätze zu dann lasst mich in Ruhe. – Das Problem ist, dass Sie mit
kümmern, ist gut. Beides schafft Wachstum. Und wo- Steuersenkungen daherkommen, obwohl Sie genau wis-
rüber reden wir heute? Von einer kleinen Steuersenkung, sen, dass das zu nichts anderem führt als zu neuen Pro-
von der alle behaupten, dadurch solle Wachstum erzeugt blemen im eigenen Land. Denn die Steuersenkungen
16338 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Lothar Binding (Heidelberg)


(A) – das wissen wir ja – werden letztlich nichts weiter be- das, was gegenwärtig passiert und uns jenseits aller (C)
wirken, als die Staatsverschuldung zu erhöhen. Möglichkeiten, die wir als Politiker haben, in den Ab-
grund reißen könnte, neu zu organisieren. Denn es kann
Wenn Sie Steuersenkungen damit begründen, dass es nicht sein, dass die Politik letztendlich die Getriebene
der Konjunktur gut gehe, dann liegt darin ein systemi- auf einem High-Frequency-Markt ist, der nicht nur an
scher Fehler; denn die Konjunktur geht auf und ab, aber der Börse stattfindet – 20 Millionen Kontrakte am Tag –,
die Steuersenkungen sind von Dauer. Wenn Sie konstant sondern überall. Wir sind permanent die Getriebenen.
auf Steuereinnahmen verzichten, werden Sie spätestens Wir müssen uns aber an die Spitze stellen. Die Politik
in der nächsten Rezession ein Riesenproblem bekom- muss so langsam verfahren dürfen, dass sie gut und
men. Das ist ein systemischer Fehler, den wir unbedingt überlegt entscheiden kann. Ich glaube, dass uns dieses
vermeiden müssen. Ich hoffe sehr, dass sich in diesem Grundverfahren verloren gegangen ist. Da wäre es wich-
Fall die CSU durchsetzt; denn die CSU trägt das nicht tig, dass die Regierung über Veränderungen nachdenkt.
mit. Dann können wir auf einen guten Weg kommen.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD)
Worüber wir ernsthaft nachdenken müssen, ist die
Frage, wie wir Europa retten. Vielleicht sollten wir doch Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
noch einmal über ein Trennbankensystem nachdenken; Das Wort hat nun Martin Lindner für die FDP-Frak-
denn heute haftet der Sparer für die Zocker. Es wird im- tion.
mer gesagt, der Zocker sei der Investmentbanker. Das er- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
innert ein wenig an Investitionen; dabei will der Banker
gar nicht investieren. Wir wissen ja: Das Bruttoinlands-
produkt weltweit bewegt sich in der Größenordnung von Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP):
60 Billionen Euro. Die Banker aber handeln in einem Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren!
Finanzraum von etwa 700 Billionen Euro. Daran erkennt Nach diesem aufgeregten Politpotpourri kommen wir
man sofort: Die Arbeit der Banker findet in einem vir- jetzt wieder zurück zu dem, um was es hier eigentlich
tuellen Raum statt. Sie hat mit dem realen Wachstum, ei- geht: Was sind Risiken für die Wirtschafts- und Finanz-
ner realen Investition, einem realen Arbeitsplatz über- politik dieses Landes? Die Kollegen Dr. Solms,
haupt nichts zu tun. Deshalb ist es so gefährlich, sich auf Dr. Pfeiffer und andere haben dargestellt, was wir getan
diesen finanzpolitischen Irrweg zu begeben. haben, um in die exzellente wirtschafts- und finanzpoli-
tische Situation zu kommen, in der wir uns im Moment
(Beifall bei der SPD und der LINKEN) befinden. Ich sage Ihnen, was tatsächlich die Risiken für
Wir müssen sicher einmal über unsere Maßstäbe die Konjunktur und die deutsche Wirtschaft sind:
(B) (D)
nachdenken; denn Ratingagenturen haben sich maßlos Erstens: eine grassierende Infrastrukturmüdigkeit und
geirrt. Wir haben das überhaupt nicht reflektiert. Wir teilweise -feindlichkeit. Da schaue ich nicht zu Unrecht
müssen überlegen, ob wir uns überhaupt noch von denen in die mittleren Reihen, zu den Grünen.
beurteilen lassen. Wahrscheinlich müssen wir etwas
ganz anderes machen und, ganz konkret auf die EFSF (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/
bezogen, sagen: „Wir verzichten auf das Triple-A-Rating DIE GRÜNEN]: Totaler Quatsch!)
– die Ratingagenturen sind ohnehin nicht seriös – und Das, was in diesem Land teilweise aus purem Linkspopu-
nehmen den Betrag, für den wir haften, also 780 Milliar- lismus aufgeführt wird – zum Beispiel bei Stuttgart 21,
den Euro“. Das wäre schon etwas ganz anderes; es wäre beim Netzausbau, bei Nachtflugverboten und Ähnli-
nicht so mühsam wie das, was wir über die Hebelwir- chem –, gefährdet den Industriestandort Deutschland.
kung erreichen wollen. Ich glaube, wir brauchen ganz
neue Ideen: Wir müssen den Versuch unternehmen, uns (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
als Staat auf soziale Weise auf diesem Markt durchzuset- Es ist eines der zentralen Risiken, dass Sie sich an jede
zen und uns den Leuten, denen es überhaupt nicht auf Bürgerinitiative klemmen, die selbstsüchtig alles be-
die Gemeinschaft ankommt, in den Weg zu stellen. kämpft, was dieses Land braucht, um Punkte zu sam-
Es darf keine Denkverbote geben. Wir haben schon meln.
wieder gehört, dass der Ankauf bestimmter Staatsanlei- (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das ist ja
hen und Gemeinschaftsanleihen problematisch sei. Wir lachhaft! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
alle warten natürlich darauf, dass Sie es doch beschlie- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Nacht-
ßen. Die Frage ist: Warum ist es eigentlich grundsätzlich flugverbot war ein Versprechen der hessischen
verkehrt, wenn man das, was ohnehin schon passiert, Landesregierung!)
systematisch organisiert? Auch die Staatsfinanzierung
über die EZB wird verteufelt, findet aber statt. Ich Zweitens. Der einheitliche gesetzliche Mindestlohn
glaube, wenn man in solchen Widersprüchen lebt, kann ist ein weiteres Risiko für die Wirtschaft und für dieses
man keine kluge Politik entwickeln. Deshalb glaube ich, Land. Ich diskutiere mit Ihnen jederzeit über branchen-,
dass all die Dinge, die Sie heute noch ausschließen, mor- bezirks- und regionalbezogene Mindestlöhne, die mit
gen kommen werden. der Wirtschaft ausgehandelt werden; darüber können wir
gerne reden. Aber ein einheitlicher gesetzlicher Mindest-
Die Frage ist, ob FDP und CDU/CSU die Entwick- lohn in Höhe von 8,50 Euro, wie Sie, Herr Duin, ihn for-
lung eines völlig neuen Regelungsbegriffs überdenken, dern, geht doch in der Metallindustrie und den meisten
der im Spannungsverhältnis zum Liberalismus steht, um verarbeitenden Industrien völlig ins Leere.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16339
Dr. Martin Lindner (Berlin)
(A) (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Die brauchen haben, IG-Metall-Mitglieder oder NABU-Mitglieder (C)
das doch nicht! Die verarbeitende Industrie sind – alles, was man auf der linken Seite als Auszeich-
braucht doch keinen Mindestlohn! Das ist nung für Wirtschaftskompetenz gebrauchen kann.
doch Blödsinn!)
Das Interessante mit Blick auf die Diskussion über
Beim Friseurhandwerk in Mecklenburg-Vorpommern Exporte – zum Beispiel im wehrtechnischen Bereich –
und in anderen Bereichen würde er dazu führen, dass die ist, dass wir immer Beschwerdebriefe der Betriebsräte
Leute, die im Moment in Lohn und Brot sind, wieder auf dieser Unternehmen bekommen, die alle IG-Metall-Mit-
der Straße landen. glieder sind. Die leite ich beim nächsten Mal an Sie wei-
(Garrelt Duin [SPD]: Herr Kollege, lesen Sie ter. Sollen Sie sich doch einmal darum kümmern, die Sie
doch mal die Untersuchungen! – Matthias W. in diesem Bereich jederzeit gegen die deutsche Wirt-
Birkwald [DIE LINKE]: Das ist ein Ammen- schaft agieren.
märchen!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Solch einen Unsinn machen wir nicht mit; es wäre ein Garrelt Duin [SPD]: Sie kriegen bestimmt
Risiko für die Wirtschaft. ganz viele Briefe von der IG-Metall! – Zuruf
von der LINKEN: Gern! Da bin ich gespannt!)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Fünftes Risiko: Missbrauch von Finanzmarktregulie-
Drittens. Wir sind mit der Energiewende an das äu- rung zum Plattmachen des Finanzstandortes Deutsch-
ßerste Limit dessen gegangen, was unsere Industrie an land. Ich bekenne an dieser Stelle ausdrücklich: Wir
Ökostandards – Ökologie versus Ökonomie – vertragen
brauchen eine stärkere Regulierung der Finanzmärkte,
kann. Es ist richtig und wichtig, was wir getan haben;
aber es geht nicht, dass wir in dieser Legislaturperiode (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Neue Platte!)
und darüber hinaus die Standards im ökologischen Be-
reich weiter erhöhen. Wir brauchen die Industrie, um das um das, was man Realwirtschaft nennt, mit den notwen-
zu finanzieren, was wir an anderer Stelle für richtig hal- digen Finanzmitteln zu versorgen. Das, was Sie in Ihrer
ten, um die Ökologie zu stärken. Man kann das aber rot-grünen Regierungszeit eingeführt haben, muss zum
auch überziehen. Wir sind hier an der äußersten Grenze. Teil wieder rückgängig gemacht werden. Wir brauchen
Das müssen wir jederzeit berücksichtigen. einen funktionierenden Finanzmarkt.
(Beifall bei der FDP) Das Thema Bankenregulierung ist ein ernstes Thema.
Aber Teile von Ihnen benutzen es, um gezielt gegen die
Viertes Risiko: sinnlose Regulierung der Wirtschaft. wenigen funktionierenden Großbanken dieses Landes zu
Ein Beispiel dafür war diese abwegige Quotendiskus- feuern. Das ist auch ein Risiko. Eine der größten und be-
(B) sion: einheitliche Frauenquoten in der deutschen Wirt- (D)
deutendsten Industrienationen wird man nicht nur über
schaft. Sparkassen mit Geld versorgen können. Das kann ich Ih-
(Garrelt Duin [SPD]: Fragen Sie mal Ihre nen an dieser Stelle ganz klar sagen.
Ministerin!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Als hätte dieses Land keine anderen Probleme, als über Sechstes Risiko: ein weiterer Ausbau des Sozialstaa-
so etwas zu diskutieren!
tes. Ich habe wieder mit großem Interesse gehört, mit
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der welcher Verve, mit welchem Genuss Sie gegen Steuer-
CDU/CSU) senkungen, gegen minimale Anpassungen im unteren
und mittleren Bereich, um die kalte Progression zu be-
Das muss man sich einmal vorstellen: In manchen Indus-
trieunternehmen liegt der prozentuale Anteil von Frauen seitigen, diskutieren. Ich bin sehr gespannt darauf, ob
an der Gesamtbeschäftigtenzahl gerade einmal bei 6 bis Sie die Argumente, die Sie hier angeführt haben – das
7 Prozent. Und da wollen Sie eine Quote von 30 Prozent können wir uns nicht leisten –, beim Thema Hartz-IV-
einführen. Das ist völliger Unsinn! Erhöhung auch wieder anführen.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- (Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND-


NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist bei der Män- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das werden wir noch
nerpartei FDP ja klar, dass sie von Quoten sehen, wer davon profitiert! Sie haben über-
keine Ahnung hat! – Zuruf des Abg. Hubertus haupt kein Konzept dafür! – Matthias W.
Heil [Peine] [SPD]) Birkwald [DIE LINKE]: Völlig andere Bau-
stelle!)
Wir haben wirklich andere Sorgen, als hier Quotendis-
kussionen zu führen. Wenn es um die Versorgung Ihrer Klientel oder um die
Subventionen für die Ökologie geht, dann kann es nicht
Ein weiteres Thema sind Exportbeschränkungen für genug Geld sein, dann kommen Sie nicht mit solchen
die deutsche Wirtschaft. Das ist ja auch immer herrlich; Argumenten daher.
da sind Sie immer ganz vorne dabei.
(Beifall des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/
(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Exportüber-
CSU] – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
schüsse werden reduziert!)
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 43 Prozent
Ich habe jetzt wieder gelesen, dass alle Ihre Wirtschafts- Staatsverschuldung! Sie machen doch über-
experten, die Sie von der Linken hier heute aufgefahren haupt nichts!)
16340 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Dr. Martin Lindner (Berlin)


(A) Aber wenn es einmal darum geht, die Facharbeiter, die Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (C)
einfachen Leute, die Angestellten zu entlasten, dann sind Das Wort hat nun Axel Troost für die Fraktion Die
Sie natürlich immer dagegen. Dafür ist nie Geld da. Das Linke.
ist bei uns anders, und dazu bekennen wir uns auch.
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- Dr. Axel Troost (DIE LINKE):
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Zusätzliche Subven-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Si-
tionen für Hotels und andere!)
cherlich haben die Kolleginnen und Kollegen der SPD
Es ist ja völlig lächerlich, dass ausgerechnet von mei- recht, wenn sie die Wirtschafts- und Finanzpolitik der
nem Vorredner die Mehrwertsteuersenkung für das Ho- Bundesregierung als Risiko für die Konjunktur bezeich-
telgewerbe angeführt worden ist. Ihr Herr Beck, mit dem nen und staatliche Investitionen fordern. Dennoch will
Sie eine Koalition bilden, setzt sich gerade dafür ein, ich nicht verschweigen, liebe Kollegen von der SPD,
dass die von uns abgeschaffte Mehrwertsteuer für die dass Ihr Antrag – sicherlich nicht nur bei mir – auch ein
Flusswirtschaft wieder eingeführt wird. Das ist Ihre gewisses Befremden auslöst. Sie haben vorgestern Ihre
Klientelpolitik. Das ist doch lächerlich! Sie dürften doch Zustimmung zu einem Euro-Rettungsschirm bekräftigt,
die Worte „Mehrwertsteuersenkung für die Hotellerie“ der Ländern nur dann hilft, wenn sie sich hemmungslos
nicht mehr in den Mund nehmen, seitdem Sie hier so ei- kaputtsparen und damit ihre eigene Wirtschaft in eine
nen kleinlichen Lobbyismus machen. Das muss man Abwärtsspirale stürzen.
auch einmal sagen. (Zuruf von der SPD: Das ist doch Unsinn!)
(Beifall bei der FDP – Abg. Hubertus Heil Man darf den bevorstehenden Konjunktureinbruch in
[Peine] [SPD]: War das ein Fehler oder war Deutschland sicher nicht auf die leichte Schulter neh-
das kein Fehler? – Garrelt Duin [SPD]: Ihr men. Eine verantwortungsvolle Politik muss ihm unbe-
Staatssekretär sagt, es war ein Fehler! – dingt entgegenwirken.
Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der eine
Lindner sagt so, der andere Lindner sagt so! (Beifall bei der LINKEN)
Christian Lindner so und Martin Lindner so!) Aber im Vergleich zu der Tiefe der wirtschaftlichen Tal-
fahrt in Griechenland und Portugal ist der zu erwartende
Es ist eine schizophrene Vorgehensweise, ausgerechnet Konjunktureinbruch in Deutschland geradezu eine Lap-
hier in dieser Weise noch einmal so die Backen aufzu- palie.
blasen.
(B) (D)
(Klaus Barthel [SPD]: Warten wir es ab!)
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der doppelte
Lindner! – Garrelt Duin [SPD]: Zusammen Griechenland und Portugal haben sozusagen eine
3 Prozent!) schwere Lungenentzündung, liegen auf der Intensivsta-
tion und bekommen jetzt noch heftige Abführmittel zur
Um es kurz zusammenzufassen: Alles, was Sie hier völligen Austrocknung ihres Wirtschaftskörpers. Wenn
vorgeschlagen haben, ist ein Risiko für die deutsche Deutschland aus ökonomischer Vernunft eine konjunktu-
Wirtschaft. Alles, was Sie hier vorschlagen, wäre risiko- relle Stimulierung vertragen kann, wie viel mehr muss
reich. das erst für Griechenland und Portugal gelten?
(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜND- (Beifall bei der LINKEN)
NIS 90/DIE GRÜNEN]: 1,8 Prozent!) Ihnen sprechen Sie aber das Recht auf ökonomische Sti-
Wir führen unseren Kurs fort und bekennen uns zum In- mulierung ab. Wie geht das zusammen?
frastruktur- und Industriestandort Deutschland, zu einem (Dr. Hermann Otto Solms [FDP]: Das stimmt
aktivierenden Sozialstaat, der differenziert, ob jemand doch gar nicht!)
arbeitet oder Geld vom Staat bekommt, zu einer maßvol-
len Steuer- und Abgabenpolitik, zu einer vernünftigen Wenn auch die Forderungen in Ihrem Antrag im Ein-
Regulierung der Finanzmärkte, zu einer Intensivierung zelnen nicht falsch sind, so greifen Sie doch aus unserer
der Forschungsförderung, zur Rohstoffversorgung und Sicht bei Ihrer Analyse der Mängel zu kurz. Wir brau-
zur Fachkräftepolitik. Das ist unser Programm. Das Ein- chen nicht nur eine kurze Intervention oder konjunktu-
zige, was Sie dem entgegengesetzt haben, war: ein paar relle Stimulierung gegen den Kriseneinbruch, sondern
mehr Konjunkturprogramme, Kurzarbeit und Mindest- wir brauchen einen grundlegenden Paradigmenwechsel
lohn. – Es ist doch lächerlich, dass Sie uns heute kurz in der Wirtschaftspolitik.
vor dem Ende der Woche noch mit diesem läppischen (Beifall bei der SPD)
Programm belästigen.
Glauben Sie wirklich, dass wir Investitionen in Bildung
Herzlichen Dank. und Qualifizierung nur aus konjunkturpolitischen Grün-
den brauchen? Das kann doch nicht ihr Ernst sein!
(Beifall bei der FDP – Hubertus Heil [Peine]
[SPD]: Sie wollen wohl schon Feierabend ma- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das behauptet
chen!) doch keiner!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16341
Dr. Axel Troost
(A) In unseren Schulen und Hochschulen fällt der Putz von mit CDU/CSU und FDP verantwortlich für die Veranke- (C)
der Wand. Auch ohne konjunkturellen Einbruch müsste rung der Schuldenbremse im Grundgesetz. Wie passt das
etwas getan werden. Es ist doch eine Schande, dass mir zu ihrem Antrag, zur Stimulierung der Konjunktur öffent-
letztes Jahr eine Schulleiterin berichtet hat: „Gott sei liche Investitionen auszuweiten und private Investitionen
Dank gibt es die Weltwirtschaftskrise; denn jetzt wird steuerlich zu fördern? Wer soll das bezahlen, wenn
endlich mein Turnhallendach repariert.“ gleichzeitig die Staatsschulden nicht steigen sollen?
(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wo Sie Wer wie wir eine grundlegend andere Form von Wirt-
regieren! Nicht in Bayern!) schafts- und Strukturpolitik will, muss auch eine grund-
legend andere Steuerpolitik wollen. Eine deutlich stär-
Die steuerliche Förderung von Energie- und Ressourcen- kere Belastung von Menschen, die im Jahr etliche
effizienz sollte auch keine Frage der Konjunktur sein. Hunderttausend Euro verdienen oder Millionen Euro an
Was ich damit sagen will: Die deutsche Wirtschaftspoli- Vermögen besitzen oder erben, finden wir völlig ange-
tik ist bereits seit langem, auch unter Rot-Grün und bracht und wünschenswert.
Schwarz-Rot, nicht nur ein Risiko, sondern auch eine
Bremse für binnenwirtschaftliches Wachstum und Be- (Beifall bei der LINKEN)
schäftigung, und zwar jenseits der jeweiligen aktuellen Auch die großen Konzerne müssen endlich wieder in
Konjunktur. relevantem Maße zur Finanzierung des Gemeinwesens
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein herangezogen werden.
[CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht!) (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ihr wollt
Ich will daher ein paar Eckpunkte eines alternativen die Industrie plattmachen! Das ist es!)
Aufbauprogramms skizzieren. Wir hatten einige Punkte Wenn wir uns diesbezüglich einigen können, liebe Kol-
schon angesprochen: die Bezugsdauer des Kurzarbeiter- leginnen und Kollegen von der SPD, werden wir Ihrem
geldes muss verlängert werden, die Einführung eines ge- nächsten Antrag zum Thema Konjunktur zustimmen.
setzlichen Mindestlohns, die Erhöhung des Arbeitslosen-
geldes II und die Einführung einer Grundsicherung. Aber Danke schön.
wir brauchen auch ein langfristig angelegtes Zukunfts- (Beifall bei der LINKEN)
programm. Dazu gehört eine vernünftig geförderte öf-
fentliche Beschäftigung. Wir haben über 880 000 Lang-
zeitarbeitslose, von denen die Bundesagentur für Arbeit Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
ausgeht, dass sie nicht mehr in den ersten Arbeitsmarkt Das Wort hat nun Georg Nüßlein für die CDU/CSU-
zu integrieren sind. Fraktion.
(B) (D)
(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Nicht ohne Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):
Weiteres!)
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Eine
Wir brauchen langfristig angelegte Investitionen. Ich grundlegend andere Wirtschaftspolitik fordert der Kol-
will Ihnen einige Beispiele nennen. Das Deutsche Insti- lege Troost hier. Im Zusammenhang mit der derzeitigen
tut für Urbanistik hat errechnet, dass wir allein im kom- Finanzkrise treibt mich die Tatsache, dass sich einige
munalen Bereich bis zum Jahr 2020 einen Investitions- hier einen systemischen Wandel zum Ziel gesetzt haben,
bedarf von über 700 Milliarden Euro haben. Es gibt eine massiv um.
neue Studie, die nächste Woche durch den Hauptvor-
(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das mache ich
stand der GEW, der Gewerkschaft Erziehung und Wis-
seit 30 Jahren!)
senschaft, vorgestellt wird, die den Finanzierungbedarf
für den Bildungsbereich nach Bundesländern aufschlüs- – Ja, aber Sie versuchen, ein Einfallstor zu finden. –
selt. Sie kommt zu dem Ergebnis, dass ein zusätzlicher Wenn das von den Linken kommt, belastet mich das
jährlicher Bedarf an Mitteln von über 50 Milliarden Euro nicht so sehr. Wir haben gestern in einer spannenden
besteht und dass allein zur Auflösung des Investitions- Debatte darüber diskutiert, was mit „demokratischem
staus noch einmal 45 Milliarden Euro benötigt werden. Sozialismus“ gemeint sein könnte. Wir haben festge-
Wir haben große Bedarfe an Investitionen im Bereich stellt, dass sich diese Themen widersprechen.
des ökologischen Umbaus. Das gilt nicht nur für den ge-
samten Energiebereich, für den Bereich Wärmedäm- (Zurufe von der LINKEN)
mung und viele andere mehr, sondern auch für den ge- – Ich komme gleich von den Linken ab, weil es sich
samten Verkehrsbereich mit dem Ausbau des Nah- und nicht lohnt, sich mit ihnen zu beschäftigen.
Fernverkehrs. Es gibt in der Tat große Bedarfe, die zwar
auch konjunkturpolitisch notwendig sind, die aber lang- Etwas anderes belastet mich in diesem Zusammen-
fristig angelegt werden müssen. Sie sollen kein Stroh- hang mehr. Ich habe nicht so ganz verstanden, was der
feuer sein, sondern die Beschäftigung in den Kommunen Kollege Binding mit dem Begriff „systemischer Wan-
langfristig sichern. del“ gemeint hat. Dass die SPD sich nicht klar von den
Forderungen der Linken abgrenzt, finde ich beschä-
(Beifall bei der LINKEN) mend.
Zum Schluss nur so viel: Ja, wir Linke haben für diese (Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da
Ausgaben ein seriöses Finanzierungskonzept. Die SPD klatscht noch nicht einmal Ihre eigene Frak-
bleibt das in ihrem Antrag schuldig. Sie sind zusammen tion, Herr Kollege!)
16342 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Dr. Georg Nüßlein


(A) Wenn man mit Blick auf unsere Konjunktur über Risi- auf einer Euro-Krise, die eigentlich keine Euro-Krise ist, (C)
ken spricht, muss man feststellen: Auch Anträge wie der, sondern eine staatliche Schuldenkrise.
den Sie, meine Damen und Herren von der SPD, heute
vorlegen, sind ein besonderes Risiko. Sie schämen sich (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Lehman Brothers
nicht, aus parteitaktischem Kalkül einen Zusammenhang war keine staatliche Schuldenkrise!)
zu konstruieren, den es aus meiner Sicht so nicht gibt. Wenn ich das Lamento auf der linken Seite höre, wie
(Klaus Barthel [SPD]: Wir haben die Gutach- man jetzt mit Portugal und Griechenland umgehe, dann
ten gelesen, Herr Nüßlein! – Dr. Axel Troost möchte ich noch einmal deutlich unsere Sicht der Dinge
[DIE LINKE]: Sagen Sie doch einmal etwas unterstreichen. Es gibt nur eine Chance, aus dieser Mi-
zur gesellschaftlichen Debatte, zur Bildung sere herauszukommen: Die Staaten müssen sich auf eine
zum Beispiel!) Konsolidierung ihrer Haushalte besinnen und dafür
Sorge tragen, dass ihr Haus in Ordnung ist. Dies gilt im
Sie stellen die konjunkturelle Entwicklung schon jetzt Übrigen auch für unser Land; da sollten wir nicht nur auf
infrage und tun so, als würde die Finanzkrise zwangsläu- die anderen zeigen. Deshalb ist Konsolidierung eine vor-
fig in eine realwirtschaftliche Krise führen. Das ist zur- nehme Pflicht.
zeit nicht geboten.
Mich hat in der Diskussion auch überrascht, dass nie-
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was macht ei- mand von der SPD die Schuldenbremse im Grundgesetz
gentlich Ihr Universaldienst, Herr Nüßlein?) angesprochen hat. Das war eine der zentralen gemeinsa-
Noch mehr ärgert mich, dass Sie so tun, als sei die men Leistungen der Großen Koalition, etwas, das wir
positive Entwicklung in diesem Land ausschließlich auf gemeinsam beschlossen haben, bei dem wir unsere
die Vorgängerregierungen zurückzuführen. Sie haben grundgesetzändernde Mehrheit zielorientiert und sinn-
sich nicht nur auf die Große Koalition bezogen, sondern voll genutzt haben. Auch da drängt sich mir der Verdacht
auch auf Rot-Grün. Ich möchte Ihnen sagen, was seiner- auf, den Kollege Solms heute schon einmal geäußert hat,
zeit Kollege Schröder in diesem Zusammenhang verkün- nämlich dass Sie auch zu dieser Thematik nicht mehr
det hat. Er hat das ähnlich gemacht wie Sie heute. Er hat stehen. Viele von Ihnen hatten schon damals Sorge, dass
den Aufschwung, der schon vor der Tür stand, bevor er Ihre Art von Wirtschaftspolitik, Keynes, letztlich nicht
Kanzler war, für sich reklamiert. Das scheint typisch zu so funktioniert, wie viele glauben.
sein. (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das wurde er-
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nennen Sie den folgreich gemacht bei den Konjunkturpro-
Bundeskanzler Schröder nicht Kollege!) grammen!)
(B)
– Er war Bundestagskollege, mit Verlaub. Zunächst zu Griechenland. Ich glaube, dass wir in den (D)
nächsten Wochen und Monaten den Unterschied zwi-
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ich dachte schen Spanien, Portugal und Griechenland deutlicher he-
Verdi-Kollege!) rausarbeiten müssen. Bei Griechenland handelt es sich
– Verdi-Kollege war er auch, aber nicht von mir. – Ich um einen postsozialistischen Lotterstaat. Die Unterschiede
zitiere: müssen wir mit Blick auf die immer noch bestehenden Ri-
siken, dass ein Schuldenschnitt für Griechenland eventuell
Wenn wir es nicht schaffen, die Arbeitslosigkeit si- nicht zu vermeiden ist, deutlich herausarbeiten. Ich
gnifikant zu senken, dann haben wir es nicht ver- weiß, dass Sie nicht geneigt sind, das zu tun.
dient, wiedergewählt zu werden.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Reden Sie ein-
Das hat Bundeskanzler Schröder am 21. September mal mit der Bayerischen Landesbank!)
1998 verkündet. Bis 2002 wollte die SPD die Zahl der
Arbeitslosen unter die 3,5-Millionen-Marke drücken. Außerdem ärgert mich, dass Sie immer versuchen,
Das Versprechen wurde von Fachleuten damals ange- darzustellen, wir würden nicht konsequent und schnell
sichts der Entwicklungen im Bereich der New Economy genug handeln. Ich weiß nicht, wie dieses schnelle Han-
und angesichts der demografischen Entwicklung als zu- deln, das Sie immer einfordern, erreicht werden soll und
rückhaltend und nicht sonderlich ambitioniert betrachtet. wohin es führen soll. Letztendlich geht es, glaube ich,
Trotzdem war man Anfang 2002 bei 4,2 Millionen Ar- um Fragen, über die man hier im Deutschen Bundestag
beitslosen. Das waren 324 000 Arbeitslose mehr als zum seriös diskutieren muss. Wir haben klargestellt, wie die
Zeitpunkt von Schröders Regierungsantritt. Wir wissen, Rechte des Deutschen Bundestages in diesem Zusam-
dass das nicht das Ende der Fahnenstange war: Mit mehr menhang aussehen müssen. Die Maßnahmen sind wohl-
als 5 Millionen Arbeitslosen wurde die Regierung abgewogen, und man sollte den Druck auf die Staaten
Schröder im Jahr 2005 aus dem Amt gejagt. Ich meine, nicht abschwächen. Bezüglich der Haushalte, der Schul-
daher sollten Sie ein bisschen kleinlauter sein, wenn es densituation muss sich etwas ändern. Ich habe den Ver-
um die Frage geht, wer für den Aufschwung, den wir in dacht, dass Sie versuchen, mit Ihren Forderungen das
den letzten Monaten erlebt haben, letztendlich verant- eigene Verschulden an dieser aktuellen Krise zu überde-
wortlich ist. cken.
Sie machen etwas anderes. Sie stellen das alles jetzt Ich will es noch einmal deutlich machen, weil ich
plötzlich infrage, weil Sie versuchen, uns die Problema- glaube, dass wir Sie so nicht einfach davonkommen las-
tik in die Schuhe zu schieben. Die Problematik basiert sen dürfen. Die Aufnahme Griechenlands in den Euro-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16343
Dr. Georg Nüßlein
(A) Raum war falsch. Sie wurde von der Regierung Schröder deutlich herauszuarbeiten, weil ich der festen Überzeu- (C)
seinerzeit betrieben, und zwar wider besseres Wissen; gung bin, dass wir in den letztgenannten Ländern auf-
grund der dortigen Strukturen, des industriellen Hinter-
(Garrelt Duin [SPD]: Sie vermissen den grundes und der Organisation eine Chance auf Sanierung
Schröder wohl echt! – Hubertus Heil [Peine] haben. Bei Griechenland bin ich nach wie vor ausge-
[SPD]: Mit Schröder haben Sie es gerade! Was sprochen skeptisch.
ist mit Stoiber und der Landesbank?)
Deshalb unterstreiche ich noch einmal ganz deutlich:
ich unterstreiche das ganz deutlich. Der Kollege Gerd Sie haben wider besseres Wissen – obwohl Griechenland
Müller die Anforderungen nicht erfüllt hat und Sie gewusst ha-
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ich kenne nur ben, dass die Zahlen falsch waren – die Aufnahme Grie-
einen Fußballer Gerd Müller!) chenlands in den Euro-Raum betrieben.

hat bei einer Debatte im Jahr 2000, als Eichel die Auf- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wer hat denn
nahme Griechenlands in den Euro-Raum feierte, zwei Italien aufgenommen? Berlusconi ist Ihr Par-
Dinge ganz klar formuliert: Erstens ist das ein schwerer teifreund! – Garrelt Duin [SPD]: Alles Post-
Fehler, und zweitens sind die Zahlen manipuliert. Da sozialisten!)
stellt sich mir die Frage: Wenn Kollege Müller als einfa- – Mit Verlaub – –
cher Abgeordneter das damals gewusst hat, warum
konnten Sie als Regierung das nicht wissen? Sie haben (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Berlusconi ist
gewusst, dass Griechenland bei den Zahlen trickst. Das doch einer von Ihnen! Die gleiche Partei! –
halte ich zumindest für blamabel. Gegenruf von der CDU/CSU: Wer schreit,
fühlt sich getroffen! – Heiterkeit bei der CDU/
(Beifall des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU] – CSU)
Garrelt Duin [SPD]: Sehr vereinzelter Beifall! –
Drittens. Lassen Sie uns auch über die Frage reden,
Hubertus Heil [Peine] [SPD]: La Ola!)
wer anschließend die Deregulierung des Finanzsektors
Zweitens. Sie haben den Stabilitätspakt aufgeweicht. betrieben hat. Unbestritten war das seinerzeit ebenfalls
Auch das wollen Sie nicht mehr hören. Es ist aber eben- Eichel. Gestern haben Ihnen die Linken das noch einmal
falls in Ihre damalige Regierungszeit und damit in Ihre deutlich vorgehalten. Das sollten Sie dann untereinander
Verantwortung gefallen. Rot-Grün hat den Stabilitäts- ausmachen.
pakt aufgeweicht und damit die Grundlagen für diese Viertens. Bei den von Ihnen eingeforderten schnellen
Krise gelegt. Lösungen, bei denen es darum geht, dass der deutsche
(B) (D)
Michel die Zeche zahlen soll – denn Sie wollen die
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Schulden vergemeinschaften
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Genau das
Kollegen Heil? machen Sie jetzt!)

Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): und am Schluss auch eine hohe Inflation in Kauf
nehmen –, sind Sie immer auf dem Weg, die Grundsätze
Des Kollegen Heil? Bitte schön.
der SPD in die Richtung des alten Spruchs von Helmut
Schmidt „Lieber 5 Prozent Inflation als 5 Prozent Ar-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: beitslosigkeit“ zu lenken.
Bitte schön.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Helmut Schmidt
können Sie nicht das Wasser reichen!)
Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Das zeigt nach wie vor, wo die Linie der SPD letztend-
Gucken Sie doch nicht so gequält. Oder wollen Sie
lich liegt. Dass Sie das jetzt hier verschleiern wollen, ist
heute schon Feierabend machen?
etwas,

Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Wer ist
eigentlich rückwärtsgewandt?)
Da geht es mir wie vielen anderen Kollegen.
was Sie nicht besonders auszeichnet.
Hubertus Heil (Peine) (SPD): (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Weltökonom
Herr Nüßlein, können Sie mir eines erklären? Wer hat Nüßlein!)
eigentlich Italien in den Euro-Raum aufgenommen?
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie dieses parteipoliti-
sche Kalkül zurückstellen und die Sorgen der Bürger
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): wirklich ernst nehmen, statt so zu tun, als ob die Verge-
Ich habe deshalb vorhin versucht, die Unterschiede meinschaftung aller Schulden am Schluss tatsächlich
beispielsweise zwischen Griechenland, Italien, Spanien hilfreich wäre.
und Portugal
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Genau das
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und Irland!) machen Sie doch gerade!)
16344 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Dr. Georg Nüßlein


(A) – Nein. Der Unterschied zwischen dem, was wir ma- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C)
chen, und dem, was Sie vorhaben, ist folgender: Wir set- der LINKEN)
zen darauf, dass die disziplinierenden Kräfte des Mark-
tes erhalten bleiben. Uns treibt aber nicht um, dass wir die Konjunktur
schlechtreden wollen.
(Lachen bei der SPD – Garrelt Duin [SPD]:
Das glaubt doch kein Mensch!) Vor welchen Schwierigkeiten stehen Sie? Die erste
Schwierigkeit ist, dass Sie sich in einer schwierigen Si-
Es ist nämlich ganz entscheidend, dass nicht am Schluss tuation, in der ein Schiff auf Sicht geführt werden muss,
alle denselben Zinssatz zahlen und dass wir nicht eine auf der Brücke streiten. Ein wesentliches Asset für wirt-
Gesamtbonität haben, die insbesondere zulasten der schaftliche Entwicklung, nämlich dass wir in Deutsch-
deutschen Bonität gehen würde. Das ist etwas ganz Ent- land und für Deutschland und Europa Vertrauen aus-
scheidendes; denn auch von der Marktseite her müssen strahlen, ist nicht gegeben. Es ist ein ständiges Hin und
wir dafür Sorge tragen, dass die Euro-Staaten auf den Her und ein ständiger Hickhack. Unser Appell an Sie ist:
Pfad der haushaltspolitischen Tugend zurückkommen. Führen Sie eine ordentliche Regierungspolitik vor! Zei-
Dies halte ich für das oberste Gebot. gen Sie Verlässlichkeit, damit in Deutschland das Ver-
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Mit Steuer- trauen in die Märkte wieder wächst!
senkungen?) (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ja! So
Wenn Sie das nicht so sehen, wie in Ihrer Regierungszeit vielleicht?)

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Jetzt den Das ist unsere Forderung an Sie.
Schlusssatz finden!) (Beifall bei der SPD)
entlarvt Sie das nur und zeigt letztendlich, wie wenig Sie Der zweite Punkt, den ich Ihnen gern ins Stammbuch
dem abgewinnen können. schreiben würde – Herr Lindner, Sie haben in einem
Vielen Dank. Ihrer Redebeiträge darauf hingewiesen, dass Infrastruk-
turmaßnahmen durch Bürgerinitiativen verhindert wer-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den –: Sorgen Sie dafür, dass das Vertrauen in demokra-
tische Verfahrensweisen wächst! Was Sie zum Beispiel
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: beim Umgang mit dem Parlament im Hinblick auf die
Als letztem Redner zu diesem Debattenpunkt erteile Regelung der schweren Finanzkrise vorführen, führt bei
ich Kollegen Wolfgang Tiefensee für die SPD-Fraktion den Bürgern dazu, dass sie den demokratischen Instru-
(B) das Wort. menten nicht mehr vertrauen. Wir erwarten, dass Sie die (D)
Parlamente – hier und anderswo – mitnehmen. Wir er-
(Beifall bei der SPD) warten auch, dass Sie die Bürger mitnehmen. Dann wird
eine Entscheidung zur Infrastruktur in der Bevölkerung
Wolfgang Tiefensee (SPD): auch akzeptiert.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Bei allen Debatten um den Euro-Rettungsfonds und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
die Stabilität der Finanzmärkte ist in der Öffentlichkeit der LINKEN – Dr. Martin Lindner [Berlin]
untergegangen, dass das Herbstgutachten der Wirt- [FDP]: Es gibt nicht ein Land im Euro-Raum,
schaftsforschungsinstitute einige bedrohliche Analysen das so viel Parlamentsbeteiligung hat wie
enthält. So wird für das nächste Jahr ein Wirtschafts- Deutschland! Das wissen auch Sie!)
wachstum von unter 1 Prozent diagnostiziert. An einer Das Dritte – das ist der entscheidende Punkt – ist,
anderen Stelle heißt es, anders als im Euro-Raum sei dass Sie glauben, dass der wirtschaftlich gute Pfad, auf
eine Rezession in Deutschland wohl nicht auszuschlie- dem wir uns in den letzten Jahren befunden haben, etwas
ßen. mit Ihren Maßnahmen zu tun hat. Dabei geht es uns
Die SPD hat ihren hier vorliegenden Antrag einge- nicht darum, die Weichenstellungen der letzten Bundes-
bracht, weil uns die Sorge umtreibt, dass die schwarz- regierungen infrage zu stellen. Wir befürchten vielmehr,
gelbe Regierung, die Koalitionsfraktionen und die ent- dass Sie nicht das tun, was in dieser Phase nötig ist. Das
sprechenden Parteien auf diese Situation weder vorberei- möchte ich Ihnen anhand einiger Beispiele deutlich ma-
tet sind noch angemessen reagieren. chen.

Sie gehen nach wie vor davon aus – das zeigen Ihre Erstens. Es geht darum, dass wir zum Beispiel im Te-
Debattenbeiträge –, dass die Instrumente, die Sie in den lekommunikationssektor Incentives setzen, die Investi-
letzten zwei Jahren angewandt haben, die Ursache für tionen ermöglichen.
die einigermaßen gute wirtschaftliche Entwicklung sind. (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das machen
Sie sind ferner der Meinung, dass die von Ihnen jetzt wir doch!)
vorgesehenen Instrumente geeignet sind, um den Wirt-
schaftspfad zu stabilisieren. Uns treibt die Sorge um, Die FDP ist aus ideologischen Gründen strikt dage-
dass die Wirtschaft stagnieren könnte, dadurch Arbeits- gen. Wir haben die Fragen gestern debattiert. Wir von
plätze gefährdet werden, wir somit in Schwierigkeiten der SPD schlagen eine gigantische Investition im Tele-
geraten und die Regierung darauf nicht vorbereitet ist. kommunikationssektor vor – 50 Milliarden Euro sind
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16345
Wolfgang Tiefensee
(A) nötig –, indem wir ein Sonderprogramm über die KfW damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die (C)
auflegen. Überweisung so beschlossen.
(Alois Karl [CDU/CSU]: Jawohl! – Andreas Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun den Ta-
G. Lämmel [CDU/CSU]: 50 Milliarden!) gesordnungspunkt 31 a und b auf:
Zweitens, die Forschung. Sie wissen, dass es im Mit- a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
telstand und in der Industrie zu wenig Forschung gibt. desregierung eingebrachten Entwurfs eines Ge-
Wir brauchen eine steuerliche Forschungsförderung. Wir setzes zur Verbesserung der Versorgung bei
brauchen eine Entlastung für diejenigen, die in unserem besonderen Auslandsverwendungen (Einsatz-
Land forschen. Auf diese Weise wird Deutschland ein versorgungs-Verbesserungsgesetz – Einsatz-
Eldorado für diejenigen, die hier forschen und Patente VVerbG)
anmelden wollen. – Drucksachen 17/7143, 17/7377 –
(Beifall bei der SPD – Manfred Grund [CDU/ Beschlussempfehlung und Bericht des Vertei-
CSU]: Auch 50 Milliarden, oder? – Gegenruf digungsausschusses (12. Ausschuss)
des Abg. Garrelt Duin [SPD]: Nicht reden!
Machen!) – Drucksache 17/7389 –
Nehmen Sie ein weiteres Gebiet, die Energiepolitik. Berichterstattung:
Nach einem Hin und Her – Ausstieg aus der Atomener- Abgeordnete Henning Otte
gie, Wiedereinstieg in die Atomenergie, Ausstieg aus der Fritz Rudolf Körper
Atomenergie – müssen Sie jetzt die Weichen für Investi- Elke Hoff
tionen – zum Beispiel in die Kraft-Wärme-Kopplung, Harald Koch
die dezentrale Stromerzeugung und die Realisierung von Agnes Malczak
Netzen – stellen. All das ist Fehlanzeige, wenn es darum – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus-
geht, eine verlässliche Strategie zu entwickeln. Die schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Stadtwerke sind aber aufgrund Ihres Ausstiegs aus dem
Atomausstieg im Herbst 2010 noch immer verunsichert. – Drucksache 17/7542 –
Das ist keine verlässliche Politik. Berichterstattung:
Herr Nüßlein, es nützt nichts, polemisch auf das ein- Abgeordnete Klaus-Peter Willsch
zugehen, was Helmut Schmidt irgendwann einmal ge- Bernhard Brinkmann (Hildesheim)
macht hat oder was Sie sich von Gerhard Schröder aus Dr. h. c. Jürgen Koppelin
(B) dem Jahr x notiert haben. Entscheidend ist, dass Sie be- Dr. Gesine Lötzsch (D)
greifen: Sie müssen in dieser Situation ähnliche Instru- Dr. Tobias Lindner
mente ansetzen und Geschlossenheit zeigen. Sie müssen b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Vertrauen bilden, so wie es die Regierungen seit 1998 richts des Verteidigungsausschusses (12. Aus-
gemacht haben. Dann wird es möglich sein, diese Krise schuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Harald
zu bewältigen und einen Wirtschaftsabschwung zu ver- Koch, Kathrin Vogler, Jan van Aken, weiterer
hindern. Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Vorher Behandlungs- und Betreuungsangebote für
nicht?) traumatisierte Soldatinnen und Soldaten, zi-
Folgen Sie dem. Dann kann es gut werden. vile Kräfte und Angehörige ausbauen

Vielen Dank. – Drucksachen 17/6342, 17/7389 –


Berichterstattung:
(Beifall bei der SPD – Manfred Grund [CDU/
Abgeordnete Henning Otte
CSU]: Das war ja unterirdisch!)
Fritz Rudolf Körper
Elke Hoff
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Harald Koch
Ich schließe die Aussprache. Agnes Malczak
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der Zu dem Gesetzentwurf liegen ein gemeinsamer Ent-
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/7461 mit dem Titel schließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD,
„Wirtschafts- und Finanzpolitik der Bundesregierung als FDP und Bündnis 90/Die Grünen sowie ein Entschlie-
Risiko für die Konjunktur“. Wer stimmt für diesen An- ßungsantrag der Fraktion Die Linke vor.
trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der An-
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
trag ist mit den Stimmen von CDU/CSU, FDP und Lin-
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
ken gegen die Stimmen der SPD bei Enthaltung der
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Grünen abgelehnt.
Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegen
Zusatzpunkt 7: Interfraktionell wird Überweisung der
Henning Otte für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Vorlage auf Drucksache 17/7338 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
16346 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

(A) Henning Otte (CDU/CSU): zahlung an juristische Personen ab, wie zum Beispiel die (C)
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Abtretung im Falle einer Hausfinanzierung.
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir
Meine Damen und Herren, unsere Soldaten sind be-
verabschieden heute in dritter Lesung ein wichtiges Ge-
reit, sich für die Sicherheit unseres Landes mit Leib und
setz, das Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz. Die
Leben einzubringen: im Kampf, im Gefecht, im Krieg.
bestehenden Gesetzesregelungen haben Lücken deutlich
Sie sehen sich in diesen Einsätzen zum Teil mit extre-
werden lassen, die wir mit diesem Gesetz schließen wer-
men Situationen konfrontiert. Diese Situationen sind
den.
sehr belastend und dauern teilweise bis zu sechs Monate.
Zwei für den Einsatz unserer Soldaten maßgebliche
Die Zahl der psychisch belasteten Soldaten, die aus
Gesetze, das Einsatzversorgungsgesetz und das Einsatz-
dem Einsatz zurückkommen, steigt an. Im Jahr 2010 wa-
Weiterverwendungsgesetz, haben im Einsatz Lücken
ren es 729 Fälle von PTBS, Posttraumatischen Belas-
deutlich werden lassen, die wir heute schließen. Im Kern
tungsstörungen. Allein 557 Fälle davon waren durch den
geht es darum, die Entschädigungszahlungen zu erhö-
Einsatz in Afghanistan bedingt. Die zeitliche Dichte und
hen, die Versorgungssicherheit auch für Zeitsoldaten und
die Intensität der Erlebnisse des Soldaten im Einsatz sind
für Reservisten im Einsatz zu gewährleisten und die Sol-
unvergleichbar hoch. Diese Erlebnisse sind anschließend
daten von der schwierigen und bürokratischen Beweis-
mit hohen physischen, psychischen und sozialen Belas-
last zu befreien.
tungen verbunden. Die Erkrankung an PTBS tritt häufig
Warum bringen wir nun dazu ein neues Gesetz ein? erst später, also verzögert, hervor.
Als Abgeordnete des Deutschen Bundestages senden wir
Nach bisheriger Rechtslage wird eine Einsatzentschä-
die Soldaten unserer Bundeswehr mit unserer Parlaments-
digung nur anerkannt, wenn der Ursachenzusammenhang
entscheidung in notwendige, aber gefährliche Einsätze.
zwischen wehrdienstbedingten Umständen und der erlit-
Aus diesem Parlamentsrecht als Ausdruck besonderer
tenen Schädigung zumindest wahrscheinlich ist. Die Be-
demokratischer Legitimation ergibt sich für uns jedoch
weislast hierfür liegt bisher allerdings bei dem geschädig-
auch eine besondere Fürsorgepflicht, nämlich die
ten Soldaten, der vor ganz anderen Herausforderungen
Pflicht, die Soldaten mit einem umfassenden Versor-
steht als der, sich durch den bürokratischen Dschungel zu
gungspaket auszustatten.
kämpfen. Gelingt es dem Soldaten, auch wegen seiner Er-
Der Slogan „Ich diene Deutschland, weil …“ in der krankung, nicht, die Ursächlichkeit nachzuweisen, geht
Broschüre des Bundesverteidigungsministeriums „Wir. er bisher leer aus und verliert oft den Kampf mit der Bü-
Dienen. Deutschland.“ darf keine Einbahnstraße sein. rokratie. Das kann nicht sein. Deswegen ändern wir das
Das Parlament muss dem zuständigen Dienstherrn, hier mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf.
(B) dem Bundesverteidigungsministerium, die notwendigen (D)
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
Haushaltsmittel, aber auch den gesetzlichen Rahmen zur
Verfügung stellen. Das machen wir heute. Das ist Aus- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
druck einer Parlamentsarmee. Es ist ein Ausdruck von Fürsorge, wenn dem Soldaten
Die Koalition aus CDU/CSU und FDP hat einen ent- diese Beweiserbringung, bürokratisch gesehen, erleich-
scheidenden Schritt getan und einen Antrag zur Verbes- tert wird, indem die Glaubhaftmachung der Ursächlich-
serung der Versorgung im Ausland versehrter Soldaten keit ausreicht. Aus Gesprächen mit Betroffenen wissen
auf den Weg gebracht. Denn, meine Damen und Herren, wir dies. Wir sind dankbar, dass uns in der Anhörung
wie sich unser Staat um seine Soldaten kümmert, die im über entsprechende Erfahrungen berichtet wurde. Ich
Einsatz für unser Land stehen, und vor allem, wie sich sehe übrigens den Vorsitzenden des Deutschen Bundes-
unser Staat auch um die Angehörigen kümmert, deren wehrVerbandes, Oberst Kirsch, hier oben auf der Tri-
Sohn, Tochter, Freund, Freundin, Mann, Ehefrau, Vater büne sitzen. Auch bei ihm bedanke ich mich für diese
oder Mutter im Einsatz gefallen ist, bringt zum Aus- Anregungen, die notwendig sind. Die Berichte zu hören,
druck, wie wir die Staatsverantwortung wahrnehmen, war schmerzlich, aber daraus ziehen wir die notwendi-
die wir als Parlamentarier und die Ministerien tragen. gen Konsequenzen. Alles andere würde zu Unfrieden, zu
Die Art und Weise, wie wir mit den Verwundeten in un- Staatsverdrossenheit und zu einer maßgeblichen Verzö-
serer Bundeswehr umgehen und wie wir sie nach dem gerung der Wehrdienstbeschädigungsverfahren führen.
Einsatz wieder aufnehmen, das ist für den Soldaten ent- Unsere Soldaten haben jedoch einen Anspruch auf eine
scheidend. Was für den Soldaten im Einsatz wichtig ist schnelle Entscheidung. Die Nichterweislichkeit geht nun
und was ihm nützt, das zählt, und das ist wichtig. Dem nicht mehr zulasten des geschädigten Soldaten. Die
tragen wir mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf Glaubhaftmachung reicht unter bestimmten Vorausset-
Rechnung. zungen, die auf dem Verordnungswege noch weiter gere-
gelt werden müssen, aus. Deswegen ist der Gesetzent-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wurf richtig und wichtig.
Wir schließen mit diesem Gesetzentwurf eine Versor- Was wird noch verbessert? Der Grad der Schädigungs-
gungslücke bei den Hinterbliebenen von sogenannten folgen wird künftig von 50 Prozent auf 30 Prozent abge-
Nichtberufssoldaten wie Zeitsoldaten und Reservisten, senkt. Warum das? Körperliche Verwundungen treten au-
die für unser Land im Einsatz stehen, wir erhöhen die ein- genscheinlich hervor, psychische Belastungsstörungen
maligen Entschädigungszahlungen beispielsweise von meistens aber nicht. Häufig sind es junge Soldaten, die
80 000 auf 150 000 Euro, und wir sichern auch die Aus- bereits eine Schädigung erfahren und Schwierigkeiten
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16347
Henning Otte
(A) haben, auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen. Des- Meine Damen und Herren, wir setzen uns für unsere (C)
wegen sagen wir: Wenn eine Belastungsstörung hervor- Soldatinnen und Soldaten ein. Das ist Ausdruck unserer
getreten ist, die durch einen Einsatz begründet und glaub- Fürsorgepflicht. Dieser Einsatz kommt allen, die für un-
haft gemacht worden ist, dann reichen 30 Prozent für eine ser Vaterland im Ausland im Einsatz sind, zugute. Daher
Weiterbeschäftigung aus. Diese Soldaten bekommen da- hoffe ich auf die Zustimmung aller Fraktionen. Wir Par-
mit die Chance, bei der Bundeswehr bleiben zu können lamentarier müssen uns unserer Verantwortung bewusst
und weiterverwendet zu werden, und das ist wichtig. Sie, sein. Die Koalition ist sich dieser Verantwortung be-
die Menschen, stehen im Vordergrund unseres Gesetzent- wusst. Wir haben dieses Gesetz erarbeitet und einge-
wurfes, sie müssen geschützt werden. bracht. Wir werden es mit voller Überzeugung beschlie-
ßen.
Es passt nicht zur Fürsorgepflicht und auch nicht zu
unserem christlichen Menschenbild, wenn Soldaten, die Herzlichen Dank.
unserem Land in unserer Bundeswehr dienen und dabei (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
körperlich oder seelisch verwundet werden, nach offi- bei Abgeordneten der SPD)
ziellem Dienstende als junger Mensch auf die Straße
müssen. Ich bin unserem Verteidigungsminister und dem
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Ministerium sehr dankbar dafür, dass die entsprechenden
Das Wort hat nun Lars Klingbeil für die SPD-Frak-
Regelungen in dieses Gesetz so Eingang gefunden ha-
tion.
ben, wie wir das aus den entsprechenden Erfahrungsbe-
richten abgeleitet haben. Hierfür auch unserem Minister, (Beifall bei der SPD)
Herrn Dr. de Maizière, ein herzliches Dankeschön!
Lars Klingbeil (SPD):
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Heute ist ein guter Tag. Es ist ein guter Tag,
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Solda- weil wir hier im Parlament maßgebliche Verbesserungen
tenberuf hat ein Alleinstellungsmerkmal, das bei keiner für unsere Soldatinnen und Soldaten erreichen. Es ist ein
anderen Berufsgruppe so offensichtlich ist: Soldaten die- guter Tag, weil wir als Parlament selbstbewusst zeigen,
nen auf Grundlage von Befehl und Gehorsam, gehen in dass wir unsere Ziele fraktionsübergreifend durchsetzen
Einsätze und sind von Verwundung und Tod betroffen. können und wollen. Und es ist ein guter Tag, weil die
Der Soldatenberuf ist in den vergangenen Jahren noch Bundeswehr ein Stück weit mehr die Anerkennung be-
mehr als zuvor zu einem besonderen Beruf geworden. kommt, die sie verdient hat. Darin sind wir uns sicher-
lich einig. Aus diesen Gründen ist das heute ein guter (D)
(B) Dieser Beruf verdient besondere Aufmerksamkeit in der
Gesellschaft und auch durch ein solches Gesetz. Tag und eine wichtige Debatte, die wir hier führen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Wir werden die Geltung der Regelungen rückdatieren,
der CDU/CSU und der FDP)
damit auch die Soldaten unter die Regelungen dieses Ge-
setzes fallen, die aufgrund von Entscheidungen des Es war ein langer Weg bis zur heutigen Entscheidung;
Deutschen Bundestages schon in Kambodscha, Somalia der Kollege Otte hat das beschrieben. Diese Debatte ist
oder im Kosovo im Einsatz waren und dort verwundet sicherlich nicht für parteitaktische Diskussionen geeig-
wurden. Wir werden die Mindestdauer für die doppelte net, sondern bei dieser Debatte sollte die Gemeinsamkeit
Anerkennung von ruhegehaltsfähigen Dienstzeiten auf in den Vordergrund gestellt werden. Wir Verteidigungs-
180 Tage Auslandseinsatz reduzieren. Das führt dazu, politiker sind uns schon länger darüber einig, dass die
dass bei mehr Soldaten diese Regelung zur Anwendung Verbesserungen, die wir heute beschließen, überfällig
kommt. Wir stehen hinter unseren Soldaten. Wir wissen sind. Vielleicht kommen sie sogar zu spät. Wir sind aber
um ihren Einsatz. froh, dass sie überhaupt kommen.
Wir wollen mit einem Entschließungsantrag errei- Die Auslandseinsätze der Bundeswehr werden immer
chen, dass im Rahmen des Reformbegleitprogramms riskanter. Gerade die Jahre 2010 und 2011 haben uns im-
auch die Möglichkeit der Rückdatierung für Entschädi- mer wieder mit erschreckenden Nachrichten, etwa aus
gungszahlungen geprüft wird. Darauf haben wir bisher Afghanistan, konfrontiert: 15 gefallene Soldaten, viele
verzichtet, weil es uns wichtig war, dieses Einsatzversor- Schwerverwundete. Es muss ein Konsens hier im Parla-
gungs-Verbesserungsgesetz jetzt zu beschließen. Aber ment herrschen: Diejenigen, die ihr Leben im Auftrag
auch hier sind wir auf dem richtigen Weg. des Deutschen Bundestages riskieren, haben ein Anrecht
darauf, dass wir alles Mögliche tun, um ihre Situation zu
Wir stehen unter einem enormen Haushaltskonsoli- verbessern, und dafür sorgen, dass sie gut dastehen.
dierungsdruck. Aber wir wollen eine Anerkennung der
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Leistungen unserer Soldatinnen und Soldaten, aber auch
der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS-
der Beamtinnen und Beamten. Deswegen haben wir uns
SES 90/DIE GRÜNEN)
auch stets für die Zahlung des Weihnachtsgeldes in der
früheren Höhe eingesetzt. Auch das wird jetzt umge- Es war deswegen richtig, dass wir im Oktober letzten
setzt. Auch haben wir ein Attraktivitätsprogramm im Jahres gemeinsam unseren Forderungskatalog auf den
Rahmen der Bundeswehrreform aufgelegt. Ich nenne Weg gebracht haben. Es war richtig, dass wir uns ge-
hier als Stichwort das Reformbegleitprogramm. meinsam um Verbesserungen gekümmert haben, dass
16348 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Lars Klingbeil
(A) wir immer wieder Druck gemacht haben. Wir machen len. Wir haben hier etwas Vernünftiges auf den Weg ge- (C)
aber auch heute mit einem gemeinsamen Entschlie- bracht.
ßungsantrag deutlich, dass die Verbesserungen im Ge-
setz nur ein Zwischenstopp sind und dass unser Engage- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP
ment weitergehen wird. Viele haben sich im Parlament, und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
aber auch weit darüber hinaus für dieses Gesetz starkge- bei Abgeordneten der LINKEN)
macht. Wir machen deutlich, dass wir diejenigen, die wir in ei-
Ich denke, ich darf im Namen von uns allen dem nen Auslandseinsatz schicken, nicht im Regen stehen
Deutschen BundeswehrVerband, dem Reservistenverband, lassen.
aber auch dem Bund Deutscher Veteranen danken, dass Mit unserem Entschließungsantrag machen wir aber
sie uns immer wieder mit der Situation von Soldatinnen auch deutlich, dass es noch weiteren Bedarf gibt, die
und Soldaten und von Zivilbeschäftigten konfrontiert Einsatzversorgung zu verbessern. Im Hinblick auf die
und uns gezeigt haben, an welchen Stellen Verbesse- Entschädigungszahlungen wollen wir, dass auch diejeni-
rungsbedarf besteht. Sie alle haben mit Leidenschaft und gen davon profitieren, die seit 1992 Einsatzunfälle hat-
Nachdruck für die Verbesserung der Einsatzversorgung ten und bisher eine niedrigere Entschädigungszahlung
gestritten. Oberst Kirsch ist auf der Besuchertribüne an- bekommen haben. Wir alle wissen, wie komplex dieses
wesend. Von uns allen herzlichen Dank für Ihr Engage- Thema ist. Aber wir sind uns auch einig, dass diese Un-
ment! gleichbehandlung beendet werden muss und dass wir zu
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP einer Lösung kommen müssen, die eine gleichmäßige
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Entschädigung für alle vorsieht.

Der Gesetzentwurf wird heute im Deutschen Bundes- Es ist den Soldaten und ihren Angehörigen nicht er-
tag große Zustimmung erhalten. Wir alle wissen, dass klärbar, warum es für die Entschädigungszahlungen zwei
die Anhebung der Entschädigungszahlungen für ver- unterschiedliche Rechtslagen gibt. Es ist nicht erklärbar,
wundete Soldatinnen und Soldaten sowie für Hinterblie- warum die Höhe der Entschädigung von Stichtagen ab-
bene von Gefallenen notwendig, richtig und unumstrit- hängt. Wenn wir uns einig sind, dass Einsatz Einsatz ist
ten ist. Ein Staat wird niemals Wiedergutmachung für und alle Soldaten gleich behandelt werden müssen, dann
den Verlust eines Menschen leisten können. Ein Staat brauchen wir auch hier eine Regelung. Das fordern wir
wird auch niemals eine lebenslange Schädigung finan- in unserem Entschließungsantrag. Das Parlament defi-
ziell ausgleichen können. Aber wir können heute ein niert hier einen klaren Auftrag. Wir haben die Erwar-
Zeichen für Absicherung und Unterstützung setzen. Das tung, Herr Minister, dass unser Auftrag umgesetzt wird.
(B) tun wir gemeinsam mit der Verbesserung des Gesetzes. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (D)
(Beifall des Abg. Rainer Arnold [SPD]) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
CDU/CSU und der FDP)
Die doppelte Anrechnung der Einsatzzeit bei Ruhege-
halt und Rente ist ebenfalls eine Maßnahme, die immer Im Rahmen der Anhörung im Verteidigungsausschuss
wieder eingefordert wurde und nun endlich Realität zum vorliegenden Gesetzentwurf ist uns allen noch ein-
wird. Die Hinterbliebenenversorgung bei Soldaten auf mal die schwierige Situation derjenigen verdeutlicht
Zeit, Reservisten und freiwillig länger Dienenden wird worden, die unter Posttraumatischen Belastungsstörun-
endlich auf das Niveau der Berufssoldaten angehoben. gen zu leiden haben. Uns ist deutlich geworden, was für
Ich glaube, wir alle sind uns auch einig, dass ein Soldat eine Tortur es für viele Menschen ist, gegenüber dem
im Auslandseinsatz, egal welchen Status er im Heimat- Staat in häufig langwierigen Verfahren versuchen zu
land hat, gleiche Rechte verdient. müssen, eine eigene Schädigung geltend zu machen, und
wie schwer es für viele Menschen ist, die Mauern der
Der Stichtag für die Geltung des Einsatz-Weiterver- Bürokratie zu überwinden.
wendungsgesetzes wird auf das Jahr 1992, dem ersten
Jahr des Einsatzes deutscher Soldaten im Ausland, zu- Uns ist klar geworden, dass wir die Beweislast verein-
rückdatiert. Auch dieser Schritt ist folgerichtig. Einsatz fachen müssen. Wir haben es mit Menschen zu tun, die
ist Einsatz, und alle haben die gleichen Rechte. Es darf die schrecklichen Erlebnisse aus dem Einsatz häufig
hier keine Ungleichbehandlung geben. nicht verarbeiten können. Der Staat muss hier Hilfe und
Unterstützung leisten, statt Hürden aufzubauen. Allen
Obwohl die Bundesregierung vorgeschlagen hatte,
muss eine vollumfängliche Hilfe zur Verfügung stehen.
dass ein Anspruch auf eine Weiterbeschäftigung im Bun-
Wir stehen in der Verantwortung. Deswegen ist es rich-
desdienst weiterhin erst ab einer einsatzbedingten Er-
tig, dass wir hier für notwendige Verbesserungen sorgen.
werbsminderung von 50 Prozent bestehen soll, haben
Das fängt bei den Kriterien für die Begutachtung an. Es
wir als Parlament gemeinsam durchgesetzt, dass diese
muss aber auch ausreichend Fachpersonal vorhanden
Grenze auf 30 Prozent gesenkt wird.
sein, das die Begutachtungen durchführen kann. Auch
(Beifall der Abg. Agnes Malczak [BÜND- hier erwarten wir als Verteidigungsausschuss vom
NIS 90/DIE GRÜNEN]) Minister, dass es zu deutlichen Verbesserungen kommt.
Das ist für mich eine der entscheidenden Regelungen im (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Gesetzentwurf. Dass wir als Parlament diese Regelung DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
durchbringen, kann uns, glaube ich, alle mit Stolz erfül- FDP)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16349
Lars Klingbeil
(A) Liebe Kolleginnen und Kollegen, Auslandseinsätze der Soldatinnen und Soldaten beschäftigen. Es ist für (C)
sind seit nunmehr 20 Jahren fester Bestandteil des Auf- mich unverständlich, dass unsere Soldaten im Auslands-
gabenspektrums der Bundeswehr. Wir haben an vielen einsatz erleben müssen, dass ihre Kameraden aus ande-
Stellen versucht, Verbesserungen zu erreichen. Es war ren Nationen kostengünstiger telefonieren und viel bes-
der damalige Verteidigungsminister Peter Struck, der ser Kontakt mit der Heimat aufnehmen können. Gerade
nach der Amtsübernahme, geprägt durch erste Erfahrun- jetzt, wo wir eine schleichende Verlängerung der Stand-
gen mit Auslandseinsätzen, das Einsatzversorgungsge- zeiten auf sechs Monate erleben, ist es umso wichtiger,
setz auf den Weg gebracht hat. Das war ein wichtiger die Rahmenbedingungen für die Betreuungskommunika-
Meilenstein. Heute, knapp zehn Jahre nachdem dieses tion so zu verbessern, dass eine regelmäßige, ausführli-
Gesetz verabschiedet wurde, passen wir es an eine neue che und kostengünstige Kommunikation mit den Fami-
Zeit an. Wir tun das, wohl wissend, dass noch viel zu tun lien stattfinden kann. Es ist schade, dass im Rahmen der
bleibt. Haushaltsberatungen der SPD-Antrag, der auf eine Ver-
besserung abzielte, abgelehnt wurde. Ich bin mir aber si-
Das Gesetz, dessen Entwurf heute zur Verabschie- cher, dass wir fraktionsübergreifend an diesem Thema
dung ansteht, entlässt uns nicht aus der Pflicht, uns wei- dranbleiben werden und Verbesserungen erreichen kön-
ter mit der Frage zu befassen, was wir zusätzlich für Sol- nen.
datinnen und Soldaten sowie Zivilbeschäftigte sowohl
vor dem Einsatz, während des Einsatzes als auch nach Ich habe es schon zu Beginn gesagt, liebe Kolle-
dem Einsatz tun können. Wir Abgeordnete sind es, die ginnen und Kollegen: Heute ist ein guter Tag. Der Bun-
die Bundeswehr mit einer entsprechenden Beschlussfas- destag sendet das gemeinsame Signal an Soldatinnen,
sung des Deutschen Bundestages immer wieder in Soldaten und Zivilbeschäftigte, dass wir ihren Dienst
schwierige Auslandseinsätze schicken. Wenn wir das anerkennen, dass wir sie unterstützen. Auf Drängen des
tun, haben wir für die bestmöglichen Rahmenbedingun- Parlaments wird heute das Einsatzversorgungs-Verbes-
gen zu sorgen. Wir haben aber auch die Pflicht, die Ent- serungsgesetz verabschiedet. Ich hoffe, dass es schnell in
scheidungen, die wir treffen, mit aller Konsequenz in der Kraft tritt. Wir alle wissen aber, dass es keinen Grund
Öffentlichkeit zu vertreten. Wir haben in der Bevölke- gibt, sich auszuruhen, sich zurückzulehnen und zufrie-
rung um Verständnis dafür zu werben, dass Soldaten ins den zu sein. Es bleibt viel zu tun. Lassen Sie uns weiter-
Ausland gehen, und unsere Ziele, die wir mit Auslands- hin fraktionsübergreifend zusammenarbeiten. Die SPD
einsätzen verfolgen, zu erklären. steht hierfür bereit.
Es geht bei der Verbesserung der Einsatzbedingungen Herzlichen Dank fürs Zuhören.
nicht nur um finanzielle Hilfen. Wir alle kennen als Mit-
glieder des Verteidigungsausschusses aus Gesprächen (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP
(B) und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D)
mit Soldaten, die aus einem Auslandseinsatz zurückge-
kommen sind, folgende Situation: Soldaten, die das Ge-
fühl haben, etwas Sinnvolles getan zu haben, treffen hier Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
in Deutschland auf eine Stimmung, die das nicht ver- Das Wort hat nun Elke Hoff für die FDP-Fraktion.
steht. Sie stoßen auf eine weit verbreitete Skepsis, wenn
nicht sogar auf Ablehnung gegenüber Auslandseinsät- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
zen. – Wir alle sind in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass
es mehr Respekt, mehr Anerkennung und mehr Wert- Elke Hoff (FDP):
schätzung für die Arbeit der Soldatinnen und Soldaten Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!
gibt. Das ist unsere Aufgabe als Parlamentarier. Das Liebe Kollegen! Es gibt nur wenige Tage, an denen man
kann man nicht per Gesetz beschließen. Das ist eine mit so viel Freude in das Parlament kommt, und zwar
politische Haltung, die wir noch deutlicher vertreten deswegen, weil man weiß, dass wir als Parlamentarier
müssen. gemeinsam den politischen Willen dieses Hauses durch-
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der gesetzt haben. Bereits meine Vorredner haben darauf zu
FDP) Recht und sehr nachdrücklich aufmerksam gemacht.
Eine Verbesserung der Einsatzversorgung bedeutet Auch wir, meine Damen und Herren, sind nah an der
auch, dass wir bei der Vorbereitung und Ausrüstung bes- Truppe. Uns wurde in vielen Gesprächen an unterschied-
ser werden müssen. Ich danke ausdrücklich dem Wehr- lichsten Stellen immer wieder auf den Weg mitgegeben:
beauftragten, der den Finger immer wieder auf die Kümmert euch um diejenigen, die verwundet aus einem
Wunde legt. Er tut das öffentlich – auch gegenüber dem Einsatz zurückkommen. – So freue ich mich, dass heute
Ausschuss und dem Minister – und erfüllt so eine wich- nicht nur Herr Oberst Kirsch bei uns ist, sondern auch
tige Funktion. Ich wünsche mir, dass das weiterhin in der eine Gruppe von Mitstreitern und von unmittelbar Be-
bisherigen Tonlage geschieht; denn hier kann viel für die troffenen, denen wir an dieser Stelle ein großes Kompli-
Soldatinnen und Soldaten erreicht werden. ment für ihren Mut machen, den sie in einer Zeit bewie-
sen haben, in der im Prinzip nur das Perfekte zählt. Sie
Das letzte Thema, das ich ansprechen will, weil es für hatten den Mut, in die Öffentlichkeit zu treten und uns
mich dazugehört, wenn es um die Verbesserung der Ein- auf ihre Probleme und ihre Schwierigkeiten hinzuwei-
satzbedingungen geht, ist die Betreuungskommunika- sen. Herzlich willkommen und vielen Dank auch an Sie!
tion. Auch mit diesem Thema sollte sich der Ausschuss
im Zusammenhang mit der Verbesserung der Situation (Beifall im ganzen Hause)
16350 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Elke Hoff
(A) Der heutige Tag ist ein Anlass, darüber nachzuden- ßen –, dann geht davon ein sehr, sehr wichtiges Signal (C)
ken, für wen wir dieses Gesetz machen. Für wen haben aus.
wir gemeinsam im Deutschen Bundestag Verbesserun-
gen der Einsatzversorgung auf den Weg gebracht? Es Ich bin wirklich stolz auf unser Parlament, dass wir
geht um Männer und Frauen, die wir in einen sogenann- uns an dieser Stelle über viele Oberbedenkenträger – das
ten asymmetrischen Konflikt hineinschicken. Das ist ein sage ich ganz bewusst – auch in der Administration hin-
weggesetzt haben. Herr Kollege Klingbeil, Sie haben
schönes Wort. Auf den ersten Blick lässt sich das theore-
sehr richtig gesagt, dass wir keinen Grund haben, uns zu-
tisch nachvollziehen. Aber was bedeutet das in Wirklich-
rückzulehnen. Jetzt fängt nämlich die eigentliche Arbeit
keit? Wir schicken Männer und Frauen in einen Kon-
erst an. Wir haben ein Gesetz verabschiedet. Aber ein
flikt, in dem der Feind nicht klar zu erkennen ist. Der
Gesetz lebt davon, dass es umgesetzt wird. Ich glaube,
Gegner ist nicht uniformiert. Er sieht aus wie ein Zivi-
dass wir mit allem Nachdruck gemeinsam, auch mit den
list. Wir erwarten aber zugleich von den Soldatinnen und Betroffenen, dafür sorgen müssen, dass dieses Gesetz
Soldaten, auch die Zivilbevölkerung zu schützen. Wir auch vom Bundesministerium der Verteidigung und von
bringen die Soldatinnen und Soldaten damit in ein ethi- den Landesbehörden umgesetzt wird.
sches und moralisches Dilemma, weil sie zu keiner Zeit
und an keinem Ort sicher sein können. Sie müssen jeder- (Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD
zeit damit rechnen, dass sie – wie man so schön sagt – und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
„angesprengt“ werden, dass Kameraden in einen Hinter-
halt geraten, dass selbst die Feldlager mit Raketen oder Das wird nämlich die Nagelprobe sein. Das wird den
mit Mörsern beschossen werden. Das ist eine psychische Männern und Frauen zeigen, ob das, was wir hier be-
schließen, auch ernst genommen wird. Daran werden wir
Belastung, die sich niemand von uns vorstellen kann.
letztendlich gemessen werden.
Das bringt mit sich, dass wir anerkennen müssen, dass
eine seelische Verwundung die gleiche Qualität wie eine Ich möchte an dieser Stelle auch darauf hinweisen,
körperliche Verwundung hat. dass dieses Gesetz nicht nur für die Soldatinnen und Sol-
daten gilt, sondern selbstverständlich auch für die Poli-
Jemand, der aus einem Einsatz zurückkommt und in zei, für die Zivilbeschäftigten des Auswärtigen Amtes
körperlich sichtbarer Form verwundet worden ist, wird und der Entwicklungszusammenarbeit. Das heißt, alle
zu Hause ehrenhaft empfangen. Es muss genauso ehren- die, die durch unsere politische Entscheidung in eine
haft mit Männern und Frauen umgegangen werden, die schwierige Lage kommen können, werden durch dieses
sagen: Ich habe eine psychische Verwundung erlitten. – Gesetz abgedeckt und erfasst. Ich denke, auch das ist es
Sieht man sich die großen Konflikte und Kriege an, die wert, an dieser Stelle heute erwähnt zu werden.
(B) diese Menschheit leider schon ertragen musste, stellt (D)
man fest, dass sowohl im Ersten Weltkrieg als auch im Ich glaube, dass die Erkenntnisse, die die Forschung
Zweiten Weltkrieg, im Koreakrieg und im Vietnamkrieg heute hergibt – es gibt viele Länder, die hier wesentlich
mehr Männer und Frauen wegen einer psychischen Ver- weiter sind als wir –, in Kriterien zur Festlegung einer
wundung kampfunfähig wurden als wegen einer körper- psychischen Verwundung überführt werden können. Un-
lichen Verwundung. Deshalb bringen wir mit diesem ser Traumazentrum hier in Berlin kann sicherlich noch
Gesetz zum Ausdruck, dass wir keinen Unterschied ma- viel mehr erreichen. Auch im Forschungsbereich können
chen, ob jemand mit körperlicher oder seelischer Ver- wir noch viel mehr tun. Betroffene Männer und Frauen
wundung nach Hause kommt. dürfen nicht nur einer einzigen medizinischen Sicht-
weise ausgesetzt sein. Es kommt darauf an, was beim
Vor allen Dingen müssen wir aber auch den Angehö- Patienten wirkt. Was für den einen gut ist, muss für den
rigen das Gefühl geben, für sie da zu sein. Schauen wir anderen noch lange nicht gut sein. Eine Vielfalt an For-
uns an, was sich in den Familien mit einem psychisch schung und wissenschaftlicher Erkenntnis muss durch
verwundeten Soldaten abspielt: Die Ehefrauen schlafen den Dienstherrn an dieser Stelle umgesetzt werden.
keine Nacht mehr durch, weil sie Angst haben müssen,
Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen, ich komme
dass ihr Ehemann wach wird, sie für einen Gegner hält zum Schluss. Im Kleinen Prinzen schreibt Antoine de
und sie im Bett angreift. Die Kinder haben keine Ruhe Saint-Exupéry: „Man sieht nur mit dem Herzen gut.“ Ich
mehr, weil ihre Väter, die ihre Erinnerungen und ihre hoffe, dass alle diejenigen, die jetzt unser Gesetz umset-
Gedanken nicht loswerden, jede Nacht durch die Woh- zen sollen und hoffentlich auch umsetzen wollen, an die-
nung wandern. Wir reden hier über Männer und Frauen, ser Stelle auch mit dem Herzen hinschauen. Ich bedanke
die damit fertig werden müssen, dass sie ihre Kamera- mich noch einmal bei allen Kollegen für diesen tollen
den, mit denen sie gemeinsam auf Patrouille waren, bei Tag.
einem Angriff nicht schützen konnten und diese vertrau-
ten Menschen auf einmal in deren eigenem Blut liegen Vielen Dank.
sahen, ohne Gesicht und ohne Gliedmaßen. Wir müssen
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD
wissen, dass wir hier etwas für Menschen auf den Weg
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
bringen, die nicht mehr in einen Supermarkt gehen kön-
nen, weil sie den Anblick einer Fleischtheke nicht mehr
ertragen können. Wenn wir das im Deutschen Bundestag Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
zum Ausdruck bringen und aussprechen – das ist näm- Das Wort hat jetzt der Kollege Harald Koch von der
lich die andere Seite von dem, was wir heute beschlie- Fraktion Die Linke.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16351
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
(A) (Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN) (C)
Es kann nicht sein, dass schwer traumatisierte Soldatin-
Harald Koch (DIE LINKE): nen und Soldaten im Bürokratiedschungel alleingelassen
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! werden, von Gutachter zu Gutachter geschickt werden
Wer Kriegseinsätze will, nimmt Opfer in Kauf. Und wer und dabei den Kopf nicht freibekommen, um sich um
Opfer in Kauf nimmt, muss für eine angemessene Ver- ihre Genesung zu kümmern.
sorgung von verletzten und traumatisierten Soldatinnen
und Soldaten, aber auch von Hinterbliebenen sorgen. So Gerade für die Soldatinnen und Soldaten, die mit psy-
sehe zumindest ich das. chischen Verletzungen aus dem Auslandseinsatz zurück-
kommen, wird noch immer viel zu wenig getan – und
Leider wurde dies von der Bundesregierung bisher das, obwohl die Zahl der Betroffenen von Jahr zu Jahr
vernachlässigt. Obwohl mit dem jetzt vorliegenden Ge- höher wird. In diesem Jahr – diese Zahl möchte ich ein-
setzentwurf und dem dazugehörigen Änderungsantrag mal nennen – wurden bis September schon 587 Fälle von
viele für die Betroffenen wichtige Forderungen endlich PTBS allein im Zusammenhang mit dem ISAF-Einsatz
umgesetzt werden, zeigt sich das schleppende Vorgehen bekannt. Das sind bereits mehr als im gesamten Jahr
auch hier wieder. Die Verbesserungen sind wieder erst 2010, und das ist nur die Spitze des Eisbergs; die Dun-
durch entsprechenden öffentlichen Druck bzw. durch kelziffer liegt noch viel höher.
massive Kritik von Betroffenenverbänden, wie zuletzt
die Anhörung am 17. Oktober gezeigt hat, zustande ge- Um dem entgegenzuwirken, sind dringend Maßnah-
kommen. Nichtsdestotrotz werden wir dem Gesetzent- men zu ergreifen. So müssen beispielsweise sowohl die
wurf, wie schon im Ausschuss signalisiert, zustimmen, Einsatzvor- als auch die -nachbereitung deutlich verbes-
weil viele Betroffene endlich die notwendige Hilfe be- sert werden. Kuren im Anschluss an Auslandseinsätze
kommen werden. sollten obligatorisch sein. Die Stehzeiten in Auslands-
einsätzen sind zu verkürzen. Es muss eine intensivere
(Beifall bei der LINKEN) wissenschaftliche Forschung zu PTBS außerhalb der
Wir sind allerdings nicht der Meinung, dass damit Strukturen der Bundeswehr stattfinden.
jetzt alle Lücken geschlossen sind. Auch der jetzige Ge- (Beifall bei der LINKEN)
setzentwurf setzt noch immer nicht alle Forderungen des
ursprünglichen Entschließungsantrages aus dem Herbst Das heißt, das Psychotraumazentrum ist aus den Struktu-
2010 um und weist noch immer Mängel auf. ren der Bundeswehr auszugliedern. Vor allem aber müs-
sen die Familien und Angehörigen viel intensiver in die
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Betreuung eingebunden werden;
(B) Beispielsweise fehlt noch immer ein rückwirkender Aus- (D)
(Beifall bei der LINKEN)
gleich bei Entschädigungszahlungen; denn die betroffe-
nen Soldatinnen und Soldaten können nichts dafür, dass denn auch diese fühlen sich zunehmend alleingelassen.
ihre Schädigung vor einem willkürlich festgelegten Nicht zuletzt muss man sich um zivile Mitarbeiter ver-
Stichtag eingetreten ist. Der Entschließungsantrag von mehrt kümmern, da diese noch schlechtergestellt sind als
CDU/CSU, FDP, SPD und den Grünen thematisiert dies betroffene Soldatinnen und Soldaten.
zwar, gibt aber keine konkreten Handlungsempfehlun- Dennoch muss gesagt werden, dass all diese Maßnah-
gen, men nur die Symptome, nicht aber den Auslöser des Pro-
(Agnes Malczak [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- blems bekämpfen. Der Auslöser ist der Krieg, in dem die
NEN]: Das ist nicht richtig!) Soldatinnen und Soldaten sowie die zivilen Mitarbeiter
traumatisiert werden. Daher tritt die Linke für die unver-
und zwar solche, welche die rückwirkende Benachteili- zügliche Beendigung des Krieges in Afghanistan
gung auf absehbare Zeit beheben würden.
(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE
(Agnes Malczak [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- LINKE])
NEN]: Das ist einfach falsch!)
und den Abzug der Bundeswehr aus allen Einsatzgebie-
Dies ist uns zu wenig. Daher können wir uns zu diesem ten ein.
Antrag nur enthalten.
(Beifall bei der LINKEN)
Darüber hinaus fordern wir, dass die Verfahren zur
Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung deutlich Nur eine andere, eine friedensorientierte Ausrichtung
entbürokratisiert, beschleunigt und transparenter gestal- der deutschen Außenpolitik würde das Leid der deut-
tet werden. schen Soldatinnen und Soldaten, ihrer Familien sowie
der zivilen Bundeswehrangestellten wirklich vermeiden.
(Beifall bei der LINKEN)
Danke schön.
Eine zeitliche Begrenzung dieser Verfahren auf zwölf
Monate und eine vorläufige Anerkennung einer Wehr- (Beifall bei der LINKEN)
dienstbeschädigung würden es den Soldatinnen und Sol-
daten, vor allem denen mit einer Posttraumatischen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Belastungsstörung, ermöglichen, sich endlich um das zu Jetzt hat das Wort die Kollegin Agnes Malczak von
kümmern, was sie brauchen, nämlich eine Therapie. Bündnis 90/Die Grünen.
16352 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

(A) Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): mit einem grün-roten Änderungsantrag noch einmal mit (C)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Dieses Nachdruck deutlich machen. Ich bin sehr froh und sehr
Gesetz ist ein Erfolg, ein Erfolg für die Betroffenen, für dankbar, dass wir uns nun doch auf den vorliegenden ge-
ihre Angehörigen und auch für die Verbände. Diese ha- meinsamen Entschließungsantrag einigen konnten. An
ben in den vergangenen Jahren mit Leidenschaft und dieser Stelle muss ich dem Kollegen Koch widerspre-
Herzblut verschiedenste Formen der Selbsthilfe aufge- chen; denn dieser Entschließungsantrag bringt sehr deut-
baut. Aber Selbsthilfe kann und darf kein Ersatz für gute lich zum Ausdruck, dass wir eine Rückdatierung wollen.
und verlässliche Rahmenbedingungen sein. Wir werden allerdings sehr genau darauf achten – dabei
schaue ich sehr bewusst nicht in die Reihen des Parla-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ments, sondern zur Regierungsbank –, dass die Umset-
Sie haben mit Nachdruck und mit sehr viel Ausdauer für zung wirklich zeitnah und schnell angegangen wird.
Verbesserungen bei der Einsatzversorgung geworben. Wenn wir Soldatinnen und Soldaten sowie zivile
Dafür gilt ihnen Dank und Respekt. Kräfte in den Einsatz zur Konfliktlösung entsenden, ha-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ben wir eine besondere Fürsorgepflicht für sie. Eine an-
gemessene finanzielle Unterstützung und Entschädigung
Dieses Gesetz ist aber auch ein Erfolg für das Parla- bei bleibenden körperlichen und seelischen Schäden sind
ment. Lange haben die Fachpolitikerinnen und Fachpoli- nur eine Seite unserer Fürsorgepflicht. Die andere Seite
tiker dieses Hauses beim Bundesministerium der Vertei- ist die Art unseres Umgangs mit den Betroffenen. Dabei
digung Verbesserungen eingefordert. Es hat viel Zeit und spielt die Bundeswehr selbst eine ganz zentrale Rolle.
auch viel Überzeugungskraft gekostet, bis dieser Gesetz- Vor allem die seelisch Versehrten müssen immer wieder
entwurf schließlich vorgelegt wurde. Dies zeigt deutlich, die Erfahrung machen, dass der eigene Dienstherr seine
dass es sich lohnt, beim Bohren besonders dicker Bretter Fürsorgepflicht vor allem als einen aufwendigen büro-
a) hartnäckig zu bleiben und b) gemeinsam zu streiten. kratischen Verwaltungsakt gestaltet hat. Schnelle Hilfe,
Deshalb ein Dank an die Kolleginnen und Kollegen für selbstverständliche und durchdachte Unterstützung, das
die konstruktive Zusammenarbeit! vermissen leider noch viel zu viele der Betroffenen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei Außerdem vermissen sie die Bereitschaft zu wohl-
der CDU/CSU, der SPD und der FDP) wollenden Entscheidungen. Wir Mitglieder des Verteidi-
Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf gungsausschusses haben in den letzten Jahren immer
wies allerdings erhebliche Lücken auf. Die Erleichte- wieder von Schicksalen von Soldatinnen und Soldaten
rung bei der Beweislast und die Absenkung des für An- gehört und sie manchmal auch miterlebt, die sich in
langwierigen Verfahren mit der Bundeswehrverwaltung
(B) sprüche notwendigen Schädigungsgrades im Einsatz- über Ansprüche streiten und am Ende sogar nur noch (D)
Weiterverwendungsgesetz wurden zunächst als nicht
machbar dargestellt. Insbesondere für jene Soldatinnen den Rechtsweg gehen können. Für die Betroffenen sind
und Soldaten, die an einer Posttraumatischen Belas- diese Unsicherheiten furchtbar. Diese stehen auch einer
tungsstörung leiden, hätte das Gesetz in der von der erfolgreichen Therapie im Weg. Meine Damen und Her-
Bundesregierung beschlossenen Form die darin gesetz- ren, da läuft etwas gewaltig schief.
ten Hoffnungen zerschlagen. Hier wurde durch die Ver- Darum sind mit diesem Gesetzentwurf noch lange
bände sowie die Fachpolitikerinnen und Fachpolitiker nicht alle Probleme im Bereich der Einsatzversorgung
weiter Druck gemacht – und das mit Erfolg, wie der Än- gelöst. Nicht nur der gesetzliche Rahmen, sondern auch
derungsantrag der Koalitionsfraktionen im Ausschuss die Verfahren bedürfen einer Überarbeitung. Sie müssen
zeigt. an ihren Gegenstand angepasst werden. Das bedeutet
Doch auch dieser Änderungsantrag hat noch nicht alle zum Beispiel, dass Verfahrensschritte dahin gehend
Lücken des Gesetzes geschlossen. Auch in Bezug auf überprüft werden müssen, ob sie wirklich notwendig
die fehlende Stichtagsregelung für Einmalzahlungen sind und ob sie zur Klärung beitragen.
nach einem Einsatzunfall hat sich gezeigt, dass Aus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
dauer eine wichtige Tugend für die Arbeit im Bundestag und bei der SPD sowie der Abg. Elke Hoff
ist. [FDP])
Mit dem ursprünglichen Gesetzentwurf wären zwei Die Verfahren müssen einem eindeutigen Weg folgen.
Klassen von Betroffenen geschaffen worden: jene, die Ihre Dauer muss verkürzt werden.
ihre Ansprüche vor dem Inkrafttreten des neuen Geset-
zes geltend gemacht haben, und jene, die nach seinem Es ist Aufgabe des Bundestags, darauf zu achten, dass
Inkrafttreten eine Entschädigung beantragen. Für die das Wort Fürsorge in der Parlamentsarmee nicht nur eine
gleiche Verletzung, den gleichen Verlust wären unter- Leerformel, sondern ein handlungsleitendes Prinzip ist.
schiedliche Beträge ausgezahlt worden – eine Ungleich- Wir müssen sicherstellen, dass die Betroffenen schnelle
behandlung, für die es keine Rechtfertigung geben kann. Hilfe bekommen und dass sie die Gewährung dieser
Hilfe nicht als ein mühsam erkämpftes Recht, sondern
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN als eine Selbstverständlichkeit empfinden können.
und bei der SPD)
Für einige der Betroffenen kommt dieser Gesetzent-
In der Diskussion im Verteidigungsausschuss in der wurf leider zu spät. Die teils jahrelange Auseinanderset-
vergangenen Woche mussten wir den Handlungsbedarf zung mit dem Dienstherrn hat das Verhältnis zur
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16353
Agnes Malczak
(A) Bundeswehr schwer belastet und auch zu einer Ver- tung, Verwundete und Hinterbliebene umfassend abzusi- (C)
schlechterung ihres Gesundheitszustandes geführt. Eine chern.
Reintegration in die Gesellschaft wird für sie immer
Daher ist es ein gutes und weit in die Bundeswehr hi-
schwieriger. Ich bedauere das zutiefst. Das macht deut-
nein wirkendes Signal, dass Koalition und Opposition
lich, dass Zeit eine entscheidende Rolle spielt und Han-
bei der Verbesserung der Versorgung unserer Soldatin-
deln nicht auf die lange Bank geschoben werden darf.
nen und Soldaten an einem Strang ziehen. Es zeigt, dass
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN die Verantwortungskultur gegenüber unseren Streitkräf-
sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. ten lange gewachsen und fest in unserem Verständnis
Elke Hoff [FDP]) verankert ist.
Ich erwarte von der Bundesregierung, dass die Lö- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
sung der Verfahrensprobleme sich nicht abermals über neten der SPD, der FDP und des BÜNDNIS-
Monate oder gar Jahre hinzieht. Deshalb muss man aktiv SES 90/DIE GRÜNEN)
handeln, die Probleme ehrlich benennen und zügig ange- Weil ich sonst immer so gerne – und natürlich auch
hen. Die grüne Bundestagsfraktion wird sich weiter mit immer berechtigt – die Linke beschimpfe, möchte ich
Nachdruck dafür einsetzen, dass endlich eine grundle- Sie heute ausdrücklich loben.
gende Verbesserung der Verfahren erfolgt.
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das
Vielen Dank. muss im Kalender vermerkt werden! – Stefan
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Nicht be-
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der schimpft ist gelobt genug!)
CDU/CSU und der FDP) Sie konnten heute einmal Ihre ideologische Betonhal-
tung überwinden und haben sich für die Menschen ent-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: schieden.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das
nun der Kollege Florian Hahn von der CDU/CSU-Frak- tun wir öfter, als Sie denken!)
tion das Wort.
Ich hoffe, das bleibt so und ist kein Einmaleffekt.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Seit der Beteiligung der Bundeswehr an Auslandsein-
sätzen haben 99 Soldaten ihr Leben verloren; mehr als
Florian Hahn (CDU/CSU): 300 sind körperlich verwundet und mindestens 400 an
(B) Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen (D)
der Seele verletzt worden. Die Zahl derer, die aus falsch
und Kollegen! Gerade die Debatten in diesem Hohen verstandener Stärke ihre Verwundungen an der eigenen
Haus um die Entsendung von Soldatinnen und Soldaten Seele zunächst nicht angezeigt haben, dürfte dabei noch
sowie zivilen Kräften in Einsatzgebiete führen uns im- höher liegen. Hinter all diesen Menschen stehen Fami-
mer wieder unsere besondere Verantwortung als Parla- lien – Eltern, Frauen und Kinder –, die von diesen Ereig-
mentarier vor Augen. nissen auch ein Stück weit getroffen wurden und bei der
Ich bin seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestags Verarbeitung des Erlebten bzw. der Genesung der Ver-
und habe schon zu vielen Mandatsverlängerungen ge- letzten unverzichtbare Hilfe leisten. Mit diesem Gesetz
sprochen. Allein dieses Jahr haben wir siebenmal über zeigen wir auch ihnen unsere Anerkennung.
eine Entsendung deutscher Soldaten abgestimmt. Jedes In Deutschland haben wir kein gesellschaftlich veran-
Mal ist mir dabei bewusst, dass wir in diesen Momenten kertes Bild von Veteranen. Daraus resultiert leider, dass
nicht nur über Friedenseinsätze und unseren Beitrag zur meist auch die Anerkennung fehlt, die anderswo Solda-
weltweiten Sicherheitspolitik entscheiden. Nein, wir set- tinnen und Soldaten nach dem Einsatz in ihrem Heimat-
zen gleichzeitig die uns anvertrauten Menschen Gefah- land genießen. Damit meine ich keine bedingungs- und
ren für Leib und Seele aus. vorbehaltlose Heldenverehrung, sondern vielmehr den
verdienten Respekt für den Einsatz des eigenen Lebens
Alle Bundesregierungen, egal unter welcher Führung
für andere.
sie standen, haben immer eines klar gemacht: Die Bun-
desrepublik Deutschland übernimmt mit der Entsendung (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
von unseren Soldatinnen und Soldaten eine große Ver-
antwortung, für die wir ohne Wenn und Aber einstehen Ich wünsche mir daher, dass diese Debatte auch dazu
müssen, eben auch dann, wenn es zu bleibenden Verlet- beiträgt, dass wir in unserem Land mehr Respekt für die
zungen oder gar zu Gefallenen kommt. Leistungen unserer Soldaten aufbringen; denn diese
Leistungen übertreffen vieles, was man sich im warmen
Bundesminister Thomas de Maizière hat dankenswer- Abgeordnetenbüro oder in der Redaktionsstube vorzu-
terweise mehrfach deutlich gemacht, dass die bei der Ei- stellen vermag.
desleistung geschworene Treue und Loyalität der Solda-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
ten keine Einbahnstraße ist. Für Staat und Gesellschaft
bei Abgeordneten der SPD)
erwächst daraus nämlich nicht nur die Verpflichtung zur
Sorge, sondern auch zur umfassenden Nachsorge. Wir Meine Damen und Herren, der Gesetzentwurf, den
alle haben daher die moralische und faktische Verpflich- wir heute verabschieden, ist neben dem Gebot der Ge-
16354 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Florian Hahn
(A) rechtigkeit und neben der überfälligen Anerkennung für Abstimmung über den Entschließungsantrag der (C)
Geleistetes auch der richtige Weg, um die Wertschätzung Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/7499. Wer stimmt
für die Arbeit von Soldatinnen und Soldaten, aber auch für diesen Entschließungsantrag? – Gegenstimmen? –
von zivilen Kräften in unserer Gesellschaft zu erhöhen. Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist bei Zu-
Der Gesetzentwurf ist eine Initiative des Parlaments. An stimmung der Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller
dieser Stelle möchte ich mich bei allen, die daran einen übrigen Fraktionen abgelehnt.
Anteil hatten, bedanken. Stellvertretend für die Union
darf ich dabei die Kollegen Henning Otte und Jürgen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ver-
Hardt nennen. Tausend Dank auch dem Bundeswehrver- teidigungsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die
band, der sich einmal mehr stark für die Interessen seiner Linke mit dem Titel „Behandlungs- und Betreuungsan-
Soldaten eingesetzt hat. gebote für traumatisierte Soldatinnen und Soldaten, zi-
vile Kräfte und Angehörige ausbauen“. Der Ausschuss
Über dieses Signal sind die uns anvertrauten Men- empfiehlt unter Buchstabe b seiner Beschlussempfeh-
schen und ihre Familien dankbar. Wir dagegen können lung auf Drucksache 17/7389, den Antrag der Fraktion
stolz darauf sein, dass wir mit einer absehbar größtmög- Die Linke auf Drucksache 17/6342 abzulehnen. Wer
lichen Mehrheit des Parlaments ein bleibendes Zeichen stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
und vor allem ein belastbares Ergebnis zurücksenden, men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
nämlich: Wir stehen für die Bundeswehr ein, und wir mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegen-
kennen unsere Verantwortung. stimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung von
SPD und Grünen angenommen.
Ich danke allen zivilen Kräften und Bundeswehrange-
hörigen – egal ob im Einsatz oder wieder zu Hause im Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:
Heimatland – für ihre vielfältigen Leistungen und wün-
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
sche ihnen jetzt und für die Zukunft alles Gute und Got-
richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
tes Segen.
dem Antrag der Abgeordneten Jan Korte, Ulla
Herzlichen Dank. Jelpke, Petra Pau, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Befugnis des Bundeskriminalamtes zur Online-
Durchsuchung aufheben
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: – Drucksachen 17/2423, 17/3633 –
Ich schließe die Aussprache. Berichterstattung:
(B) (D)
Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun- Abgeordnete Armin Schuster (Weil am Rhein)
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Verbesse- Frank Hofmann (Volkach)
rung der Versorgung bei besonderen Auslandsverwen- Gisela Piltz
dungen. Der Verteidigungsausschuss empfiehlt unter Jan Korte
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- Wolfgang Wieland
che 17/7389, den Gesetzentwurf der Bundesregierung Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
auf Drucksachen 17/7143 und 17/7377 in der Aus- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen.
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen Ich möchte die Kollegen, die dieser Debatte nicht bei-
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent- wohnen wollen, bitten, den Saal zu verlassen, sodass
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung sich die anderen auf die Debatte konzentrieren können.
einstimmig angenommen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
Dritte Beratung ner dem Kollegen Clemens Binninger von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange- der FDP)
nommen.
(Beifall im ganzen Hause) Clemens Binninger (CDU/CSU):
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Wir kommen nun zur Abstimmung über die Ent- Gestatten Sie mir, bevor ich zu dem eigentlichen Tages-
schließungsanträge. ordnungspunkt komme, auf ein trauriges Ereignis in
Deutschland hinzuweisen. Ich darf im Namen aller Red-
Abstimmung über den Entschließungsantrag der ner, die nach mir folgen – das haben wir so bespro-
Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die chen –, dazu ein paar Sätze äußern.
Grünen auf Drucksache 17/7498. Wer stimmt für diesen
Entschließungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltun- Heute Morgen gegen 4 Uhr wurde in Augsburg ein
gen? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen al- 41 Jahre alter Polizeibeamter in Ausübung seines Diens-
ler Fraktionen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke an- tes von einem Straftäter erschossen. Bei dem Versuch,
genommen. ein Motorrad zu kontrollieren, kam es zu einem Schuss-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16355
Clemens Binninger
(A) wechsel. Der Kollege erlag noch am Tatort seinen Ver- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C)
letzungen. Ich darf im Namen aller Fraktionen dieses NEN]: Da habe ich ihn anders verstanden! –
Hauses der Familie unsere Anteilnahme und unser tiefes Gegenruf von der CDU/CSU): Doch, das hat
Mitgefühl aussprechen. Das Ereignis zeigt wieder ein- er gesagt!)
mal, wie gefährlich der Polizeiberuf ist. Ich hoffe, dass
– Genau so hat er es gesagt, auch wenn Sie es nicht
es möglichst schnell gelingt, diesen Verbrecher zu fassen
gerne hören, Herr Kollege Wieland. Wir haben in dem
und vor Gericht zu stellen.
Gesetz dieses Urteil berücksichtigt.
Nun zum Antrag zum Thema Onlinedurchsuchung, Aber interessant ist Folgendes: Als wir das BKA-Ge-
den wir heute hier beraten. Es ist ein etwas älterer An- setz hier beraten haben, haben die Linken die Bürger
trag; er stammt aus dem letzten Jahr. Herr Kollege Korte, verunsichern wollen, indem sie das Szenario entworfen
der Antrag ist nicht besser geworden. Sie fordern pau- haben, dass zukünftig in jeden Rechner geschaut werden
schal, ein Instrument abzuschaffen, das wir für das Bun- kann, dass die Rechner aller Bürger überwacht werden
deskriminalamt eingeführt haben: die Onlinedurchsu- können und dass die Maßnahme grenzenlos und flächen-
chung. Man hat den Eindruck, dass Sie mit den Piraten deckend angewandt wird.
im Schlepptau ein bisschen nervös werden
(Jan Korte [DIE LINKE]: Das habe ich nicht
(Jan Korte [DIE LINKE]: Der Antrag ist viel gesagt!)
älter!)
– Ihre Kollegin Jelpke hat das aber gesagt. Sie gehört ja
und sich pauschal auf jedes Thema draufsetzen, das ver- Ihrer Fraktion an, insofern müssen Sie sich das zurech-
meintlich populär klingt. Ich kann Ihnen aber garantie- nen lassen.
ren: Das ist in der Innenpolitik der falsche Weg. Pau-
schale Forderungen führen da überhaupt nicht weiter. (Jan Korte [DIE LINKE]: Wir wissen es ja
leider nicht!)
(Beifall bei der CDU/CSU)
Mit der Aussage, dass diese Maßnahme flächendeckend
Ich hätte mir gewünscht, dass Sie in Ihrem Antrag in angewandt wird, haben Sie die Bevölkerung verunsi-
ein paar Sätzen auf die Bedrohungslage eingegangen chert.
wären und darauf, warum wir überhaupt die Möglichkeit
der Onlinedurchsuchung für das BKA eingeführt haben. (Jan Korte [DIE LINKE]: Wir wissen es doch
nicht!)
Alleine in den letzten zwölf Monaten gab es mehrere
sicherheitsrelevante Vorkommnisse: die Terrordrohung Dieses Szenario ist aber nicht eingetreten. Und jetzt
(B) gegen den Reichstag, der Anschlag am Frankfurter Flug- schreiben Sie in der Begründung zu Ihrem Antrag, dass (D)
hafen mit toten amerikanischen Soldaten und nicht zu- diese Maßnahme offensichtlich nie angewandt wurde
letzt die Enttarnung und Festnahme der Düsseldorfer und deshalb gestrichen werden soll. Absurder und wi-
Zelle, die vorhatte, an einer Bushaltestelle einen An- dersprüchlicher geht es wirklich nicht, Herr Kollege
schlag zu begehen. Das zeigt, dass wir eine ernste Be- Korte – erst zu viel, jetzt zu wenig, nur nie richtig.
drohungslage haben und dass wir wachsam sein müssen. (Beifall bei der CDU/CSU)
Es zeigt auch, dass die Polizei und die Sicherheitsbehör-
den Befugnisse brauchen, um dieser Bedrohungslage Wir haben immer gesagt, dass wir an diese Maß-
Herr zu werden. In solch einer Bedrohungslage einfach nahme so hohe rechtliche Anforderungen stellen, dass
pauschal die Streichung von Maßnahmen zu fordern, sie nur in Einzelfällen angewandt wird. Auf die Anwen-
halte ich für einigermaßen unlogisch und auch absurd. dung solcher Maßnahmen in Einzelfällen können wir
nicht verzichten, weil von diesen Einzelfällen ein großes
(Beifall bei der CDU/CSU) Gefahrenpotenzial ausgeht.
Sie hätten auch einmal darlegen können, warum ver- (Zuruf von der CDU/CSU: Genau!)
deckte Maßnahmen notwendig sind. Aber das haben Sie
Das gilt für Maßnahmen wie die Wohnraumüberwa-
nicht getan; diese Debatte scheuen Sie.
chung, die es bald seit über zehn Jahren gibt und die
Wir wissen heute, dass Tatverdächtige im Bereich des vielleicht ein- bis fünfmal pro Jahr angewandt wird. Das
Terrorismus immer konspirativer vorgehen: Sie kommu- gilt auch für andere verdeckte Maßnahmen, und das gilt
nizieren verschlüsselt und agieren höchst verdeckt. Mit auch für die Onlinedurchsuchung. Uns das vorzuhalten,
herkömmlichen Methoden ist es kaum noch möglich, halte ich für wenig überzeugend.
Terrornetzwerke oder fanatische Einzeltäter zu erken-
Was wäre eigentlich, Herr Kollege Korte, wenn wir
nen. Aus diesem Grund und aufgrund der bestehenden
den Anträgen der Linken folgen würden? Ich meine jetzt
Bedrohungslage haben wir das Bundeskriminalamtgesetz
nicht den auf Ihrem Parteitag diskutierten Antrag, alle
geändert und die Möglichkeit der Onlinedurchsuchung
Drogen freizugeben, auch wenn man das Gefühl hat,
in § 20 k eingeführt. Wir haben uns dabei bewusst an die
man würde ein bisschen merken.
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe
gehalten. Sogar der Bundesdatenschutzbeauftragte hat (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Wolfgang
neulich gesagt: In diesem Paragrafen ist alles so be- Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der
schrieben, wie es auch aus datenschutzrechtlichen Erwä- galt ja nur für drei Stunden! Dann waren sie
gungen notwendig ist. wieder drogenfrei!)
16356 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Clemens Binninger
(A) Was würde passieren, wenn wir all Ihren Anträgen zu Es ist richtig und wichtig, dass wir als Gesetzgeber (C)
dem heutigen Thema folgen würden? Die Polizei könnte den Behörden die entsprechenden Instrumente an die
in diesem Land keine verdeckten Maßnahmen mehr Hand geben. Dazu gehört für uns auch die Onlinedurch-
durchführen. Sie hätte keine Instrumente mehr, um ge- suchung, für die 2008 durch das BKA-Gesetz der Rah-
fährliche Täter enttarnen zu können. Sie wäre nicht mehr men vorgegeben wurde, den wir 2009 konkretisiert ha-
in der Lage, Quellen-TKÜ, Telefonüberwachungen oder ben. Die Onlinedurchsuchung darf lediglich zur Abwehr
Onlinedurchsuchungen durchzuführen. terroristischer Gefahren eingesetzt werden. Es gilt das
Ultima-Ratio-Prinzip, das heißt, vor Einsatz der Online-
Hier geht es aber nicht um harmlose Ladendiebe, son- durchsuchung müssen alle anderen Ermittlungsmetho-
dern hier geht es um gefährliche Terrorverdächtige, die den ausgeschöpft werden. Es reicht nicht mehr aus, dass
bereit sind, sich und andere Menschen in die Luft zu die Länderpolizeien Möglichkeiten der Gefahrenabwehr
sprengen. Um diese zu überführen, sind herkömmliche haben; denn Planungen von Terrorverdächtigen machen
Ermittlungsmethoden nicht mehr ausreichend. Das ist keinen Halt vor den Grenzen der Bundesländer und auch
die Botschaft. Deshalb können wir auf die Onlinedurch- nicht an den deutschen Grenzen.
suchung nicht verzichten. Verzichten können wir aller-
dings auf Ihren Antrag. Deshalb werden wir ihn auch ab- Uns ist bewusst, dass diese Maßnahme ein Eingriff in
lehnen. die Grundrechte bedeutet. Deshalb haben wir hohe An-
forderungen an den Einsatz dieses Instruments gestellt.
Herzlichen Dank. Voraussetzung für die Onlinedurchsuchung ist, dass
durch Tatsachen belegbar ist, dass eine Gefahr vorliegt,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) entweder für Leib und Leben oder Freiheit einer Person
oder für die Grundlagen oder den Bestand des Staates.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die Maßnahme muss für die Aufgabenerfüllung des
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gabriele Fograscher Bundeskriminalamts erforderlich sein. Es dürfen nur die
von der SPD-Fraktion. unbedingt notwendigen Veränderungen an dem zu unter-
suchenden IT-System vorgenommen werden, die nach
(Beifall bei der SPD) Beendigung des Eingriffs wieder rückgängig gemacht
werden müssen. Der Eingriff muss durch ein Gericht an-
geordnet werden. Beantragt werden kann dieser nur vom
Gabriele Fograscher (SPD):
Präsidenten des BKA oder seinem Vertreter. Die nach-
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! trägliche Einholung einer richterlichen Genehmigung ist
Wir beraten heute abschließend über den Antrag der nicht zulässig. Der schriftliche richterliche Beschluss
(B) Fraktion Die Linke, die Befugnis des Bundeskriminal- muss neben der Begründung auch Art, Umfang und (D)
amts zur Onlinedurchsuchung aufzuheben. Aber vermut- Dauer der Maßnahme beinhalten.
lich ist das nicht das Ende der Debatte über die Befug-
nisse von Sicherheitsbehörden. Auch die anderen Ermittlungsmethoden wie Raster-
fahndung und Wohnraumüberwachung werden nur sehr
Sie von der Linksfraktion begründen Ihren Antrag da- selten eingesetzt. Es ist aber absurd, sie aufgrund der
mit, dass man die sogenannte Onlinedurchsuchung nicht geringen Zahl der Anwendungen für überflüssig zu er-
brauche, da man sie bisher noch nicht angewandt habe. klären. Deutschland ist nicht aus dem Visier des interna-
Sie schreiben in Ihrem Antrag: „Die Norm hat sich prak- tionalen Terrorismus verschwunden. Deshalb ist es un-
tisch als überflüssig erwiesen.“ Für uns ist sie nicht über- verzichtbar, dass wir Ermittlungsmethoden, zu denen
flüssig, sondern sie wird nicht leichtfertig eingesetzt. Die auch die Onlinedurchsuchung gehört, bereithalten.
Sicherheitsbehörden gehen sehr verantwortungsvoll mit
diesem Instrument um und wägen ab, ob es notwendig Die Länderpolizeien sind mit Befugnissen zur Gefah-
ist. Ob die Onlinedurchsuchung zum Beispiel im Vorfeld renabwehr und zur Strafverfolgung sowie mit präventi-
der Verhaftung von Terrorverdächtigen in Düsseldorf ven und repressiven Zuständigkeiten ausgestattet. Durch
eingesetzt wurde, konnte die Bundesregierung wegen das BKA-Gesetz hat das Bundeskriminalamt die Mög-
des laufenden Ermittlungsverfahrens aus Geheimhal- lichkeit erhalten, im Bereich des Terrorismus nicht nur
tungsgründen verständlicherweise noch nicht mitteilen. Strafverfolgung, sondern auch Gefahrenabwehr zu be-
treiben. Damit haben wir eine Lücke unserer Sicher-
Terroristische Angriffe und Bedrohungen sind eine heitsarchitektur geschlossen, die Sie mit Ihrem vorlie-
Gefahr weltweit, auch in Deutschland. Es gibt Bedro- genden Antrag wieder aufreißen wollen.
hungsszenarien, die wir uns nie vorstellen konnten: Sie von den Linken sind nicht auf der Höhe der Zeit
11. September in New York, die Anschläge in Madrid
und London, das Aufdecken der Sauerland-Gruppe. Die (Zurufe von der LINKEN: Doch! – Wir sind
neuen Kommunikationstechniken ermöglichen es Straf- weit darüber hinaus!)
tätern, sich im Netz zusammenzufinden, sich zu radikali- und verbreiten Unwahrheiten. Auf der Homepage Ihrer
sieren und zusammenzuarbeiten. Diese Bündelung von Fraktion ist über die Onlinedurchsuchung immer noch
Wissen, Handlungsbereitschaft und krimineller Energie zu lesen – ich zitiere –:
stellt die Strafverfolgung und die Gefahrenabwehr vor
völlig neue Aufgaben. Deswegen müssen auch die Si- Sie kann ohne Richtervorbehalt, d. h. direkt von der
cherheitsbehörden Möglichkeiten haben, Schritt zu hal- Polizei eingesetzt werden und sich auch gegen Un-
ten. verdächtige, sog. Kontaktpersonen richten.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16357
Gabriele Fograscher
(A) Das ist falsch. erste ein solcher Erfolg gewesen wäre! – Zuruf (C)
des Abg. Jan Korte [DIE LINKE])
(Beifall bei der SPD)
Der Antrag der Linken ist unverantwortlich. Schließ- Herr Korte, es ist kein Geheimnis, dass sich die FDP-
lich fordert keiner, die Feuerwehr in einer Stadt abzu- Fraktion mehr hätte vorstellen können. Vor ziemlich ge-
schaffen, nur weil es dort einige Jahre nicht gebrannt hat. nau drei Jahren wurde hier im Haus das BKA-Gesetz
verabschiedet. Das war am 12. November 2008. In der
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: So ist damaligen Debatte habe ich gesagt – bevor Sie es mir
es!) vorwerfen –:
Das wäre absurd, und deshalb lehnen wir Ihren Antrag Heimliche Durchsuchungen sind ein Novum in der
ab. deutschen Geschichte, ein Novum, auf das der
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Rechtsstaat aus unserer Sicht besser verzichten
sollte.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
GRÜNEN)
Das Wort hat jetzt die Kollegin Gisela Piltz von der Dazu steht meine Fraktion nach wie vor. Wir wissen aber
FDP-Fraktion. auch: Demokratie bedeutet, dass die jeweils demokra-
(Beifall bei der FDP) tisch bestimmte Mehrheit entscheidet. Die Mehrheit in
der letzten Wahlperiode hat sich nicht für den Weg ent-
schieden, den die FDP für den besten Weg hielt. Die
Gisela Piltz (FDP): Mehrheit in dieser Wahlperiode will das nicht ändern.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Das nehmen wir zur Kenntnis.
Dank der Fraktion Die Linke haben wir heute erneut die
Gelegenheit, über Trojaner zu sprechen. Ich finde, das ist (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
ein spannendes Thema. Dazu kann man allerlei sagen. NEN]: Und Binninger ist immer dabei! Er ist
Natürlich kann man auch amüsiert bis interessiert zur bei jeder Mehrheit immer dabei!)
Kenntnis nehmen, dass jetzt auch die Linke den
Staatstrojaner fordert. Das ist gestern Morgen im Haus- Für den Kernbereichsschutz werden wir aber gemeinsam
haltsausschuss passiert. Herr Korte, vielleicht sollten Sie kämpfen. Ich finde, auch das ist eine Verbesserung.
sich einmal mit Ihren Haushaltspolitikern zusammenset- Ich könnte immer wieder sagen, was die Grünen alles (D)
(B)
zen. Das ist eine interessante Entwicklung. nicht verbessert haben.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Besser als privat (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
und dann abschaffen!) NEN]: Ja! Das fehlt uns doch sonst!)
Ich bin gespannt, wie Sie das hier erklären wollen. Die Erst gestern Abend haben wir hier das Bundesverfas-
Entwicklung von diesem Antrag zur Forderung nach ei- sungsschutzgesetz, das Rot-Grün auf den Weg gebracht
nem Staatstrojaner ist ein interessanter Weg zu sich hat, deutlich verbessert.
selbst.
(Beifall bei der FDP – Jan Korte [DIE (Lachen des Abg. Wolfgang Wieland (BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Wieland
LINKE]: Sie wissen genau, wie es gemeint
ist!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verschärft
habt ihr es!)
Ich nehme die Gelegenheit hier gerne wahr, zu den
technischen und rechtlichen Feinheiten von Überwa- Sehr geehrte Kollegen und sehr geehrte Frau Kollegin
chungssoftware Stellung zu nehmen. Im Koalitionsvertrag von den Grünen, an Ihrer Stelle würde ich die Kirche
haben CDU, CSU und FDP vereinbart, das BKA-Gesetz mal im Dorf lassen.
zu überarbeiten. Wir wollen gemeinsam den Kernbe- (Beifall bei der FDP)
reichsschutz verbessern und das Verfahren im Sinne von
mehr rechtsstaatlicher Kontrolle stärken. Ich weiß, dass das nicht die reine Lehre ist. Man muss
hier aber Kompromisse machen. Wir sind der Verfas-
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sung verpflichtet – das gilt übrigens für uns alle –, und
NEN]: Wird ja auch langsam Zeit!) wir bemühen uns um eine Balance zwischen Sicherheit
– Man muss ja auch in der zweiten Halbzeit noch etwas und Freiheit. Deshalb werden wir den § 20 k des BKA-
zu tun haben. Gesetzes daraufhin überprüfen, wie der Schutz des unan-
tastbaren Kernbereichs privater Lebensgestaltung besser
(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) gewährleistet werden kann. Wir werden uns überall dort,
Sonst wäre es ja langweilig. Was würdet ihr denn sagen, wo es um den Kernbereichsschutz geht, um Verbesse-
wenn wir jetzt nichts mehr zu tun hätten? rungen bemühen.
(Beifall bei der FDP – Wolfgang Wieland In der eben schon erwähnten Rede habe ich auch ge-
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Als ob die sagt: Koalitionsrunden müssen ein wirklich wunderbares
16358 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Gisela Piltz
(A) Vergnügen sein. Nach zwei Jahren kann ich sagen: Das politik auf die nächste Große Koalition vor. Das ist (C)
trifft es. schlecht für das Land. Die FDP – das finde ich witzig –
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Gisela Piltz [FDP]: Immerhin!)
NEN]: Aha! Was für Enthüllungen!)
richtet auf allen Ebenen Flächenbrände an, in der Wirt-
Sie sind aber nicht nur ein bevorzugter Zeitvertreib, son- schafts- und Finanzpolitik und leider auch in der Innen-
dern auch Ausdruck dessen, was die Wählerinnen und politik.
Wähler erwarten. Sie erwarten vernünftige Kompro-
misse. Weil das so ist, muss ich an dieser Stelle feststel- (Gisela Piltz [FDP]: Ja, ist klar!)
len, dass man nicht immer 100 Prozent bekommt. Wenn Jetzt erzählen Sie uns hier, dass die Linke das löschen
man aber, wie in diesem Fall, 50 Prozent bekommt und soll. Wir versuchen ja, das zu tun. Sie könnten unserem
dadurch Verbesserungen beim Kernbereichsschutz er- Antrag zustimmen, und dann könnte man den Brand ein-
reicht, dann ist das schon eine ganze Menge. dämmen. So sieht es aus.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der LINKEN)
NEN]: Wo haben Sie die denn?)
Das war ein bemerkenswerter Beitrag.
Es gibt in diesem Haus, um das noch einmal zu sagen
– das haben wir auch in der Rede eben gehört –, keine Nun zum Thema. Erinnern wir uns an das BKA-Ge-
parlamentarische Mehrheit für Ihren Antrag, Herr Korte. setz und an die Einführung der Onlinedurchsuchung. Da
Sie können ihn tausendmal stellen. Sie können versu- gab es hysterische Interviews vor allem in Sonntagszei-
chen, uns tausendmal zu ärgern. Es wird nicht funktio- tungen, in denen erklärt wurde, dass wir dies unbedingt
nieren. Wir müssen mit der Realität umgehen. Das tun brauchen, um im Kampf gegen den internationalen Ter-
wir. rorismus bestehen zu können. Dann wurde die Online-
Bei jedem Einsatz von Überwachungssoftware wer- durchsuchung gegen unsere Stimmen eingeführt; denn
den wir natürlich sehr genau darauf achten, dass die ohne Onlinedurchsuchung, so die Auskunft der Bundes-
rechtlichen Vorgaben genau eingehalten werden. regierung und derjenigen, die sie wollten, könne man
den Terrorismus nicht effektiv bekämpfen. Es sei uner-
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- lässlich, sie einzuführen. Das waren Ihre Aussagen.
NEN]: Das wäre ja mal etwas Neues!)
Nun haben wir – es ist schon zitiert worden – 2010 in
Das ist in unserem Rechtsstaat selbstverständlich. Ich einer Kleinen Anfrage die Bundesregierung gefragt: Wie
glaube, das sieht das gesamte Haus so. oft wurde die Onlinedurchsuchung überhaupt durchge-
(B)
Norbert Blüm hat einmal gesagt – nein, ich meine führt? Die Antwort der Bundesregierung: kein einziges (D)
nicht: „Die Rente ist sicher!“, sondern ein anderes Zitat –: Mal. Das war die erste Täuschung der Öffentlichkeit;
denn wenn Sie sagen, sie sei unerlässlich, und dann in
Wer in der Regierung sitzt, muss Brände sofort lö- der Antwort auf die Kleine Anfrage schreiben, dass Sie
schen. sie kein einziges Mal durchgeführt haben, besteht dort
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ein gewisser logischer Widerspruch, den Sie nicht wider-
NEN]: Da habt ihr aber viel zu löschen!) legen können.

Die Opposition kann über die Verbesserung der (Beifall bei der LINKEN)
Feuerwehr in Ruhe nachdenken. Dann ging es weiter. Wir haben 2011 eine Kleine An-
Deshalb überlasse ich es den Linken, in ihrem Wol- frage zum selben Thema gestellt und gefragt: Wie oft ha-
kenkuckucksheim nachzudenken, während wir gemein- ben Sie die Onlinedurchsuchung angewandt? Die Aus-
sam mit der Union ganz konkrete rechtsstaatliche Ver- kunft der Bundesregierung lautete jetzt: Dazu geben wir
besserungen durchsetzen. aus Geheimhaltungsgründen keine Auskunft. Das ist
schlicht unseriös, weil man so nicht ernsthaft über die
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Notwendigkeit oder Sinnlosigkeit der Onlinedurchsu-
NEN]: Wo denn?) chung diskutieren kann. Das war die zweite Täuschung
Vielen Dank. der Bundesregierung gegenüber der Öffentlichkeit. So
sieht es aus.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU) (Clemens Binninger [CDU/CSU]: Es gibt ein lau-
fendes Verfahren! Das wissen Sie doch!)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Jetzt wollen wir weiterdiskutieren. Wir sagen – auch
Das Wort hat jetzt der Kollege Jan Korte von der aufgrund der Erfahrung aus den Auskünften, die die
Fraktion Die Linke. Bundesregierung der Linken gegeben hat –, dass wir die-
(Beifall bei der LINKEN) sen massiven Eingriff in die Grund- und Freiheitsrechte
nicht brauchen, weil er erstens unnütz, zweitens unver-
hältnismäßig und drittens unangemessen für einen de-
Jan Korte (DIE LINKE):
mokratischen Rechtsstaat ist. Das möchte ich klar sagen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
SPD bereitet sich offenbar auch im Bereich der Innen- (Beifall bei der LINKEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16359
Jan Korte
(A) Die letzten Tage haben gezeigt, dass unser Antrag, der – Darüber lässt sich streiten. Ich lehne es ja gar nicht (C)
ein Jahr alt ist, aktueller denn je ist. Das wurde durch ab. – Aber wahre Gesetzesmacher müssen Sie noch wer-
den Chaos Computer Club eindrucksvoll belegt. Der den. Wer die Bundesregierung zu Hilfe ruft und um eine
Chaos Computer Club, der Arbeitskreis „Vorratsdaten- Vorlage bittet, um einen Paragrafen im BKA-Gesetz zu
speicherung“, das Aktionsbündnis „Freiheit statt Angst“ streichen, der muss es trotz des hervorragenden Justi-
und die Linke sind übrigens die wahren Verfassungs- ziars Wolfgang Nešković offenbar noch lernen, Gesetze
schützer, und Sie haben ein Problem mit der Verfassung. zu machen. Das sage ich Ihnen einmal vorneweg.
(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des und bei der SPD – Jan Korte [DIE LINKE]:
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die können Sie ja dann schreiben!)
So sieht es aus. – Die Streichung eines Paragrafen traue ich Ihnen schon
zu.
Ich freue mich übrigens, dass Kollege Uhl anwesend
ist. Er hat sich in der FAZ darüber aufgeregt, dass er, Zweitens. Liebe Kollegin Piltz, Sie haben sich selber
wenn Korte redet, sauer wird. Das freut mich. Ich hoffe, wunderbar zitiert. Da haben wir Beifall geklatscht. Es
er wird heute noch saurer; denn es zeigt, dass wir richtig- waren aber leider die Worte aus der letzten Legislatur-
liegen. periode.
Davon einmal abgesehen, steht im Antrag Folgendes: (Gisela Piltz [FDP]: Aber Sie wissen doch,
Bei diesem schwerwiegenden Eingriff in die Grund- und was der Unterschied ist, Herr Kollege!)
Freiheitsrechte – dort geht es um geschützte Räume – ist Nun kündigen Sie an, nachdem der Herbst der Ent-
Abhilfe notwendig. Wir brauchen die Onlinedurchsu- scheidung letztes Jahr verstrichen ist – er war ein Herbst
chung nach Auskunft vieler überhaupt nicht. Man kann der Fehlentscheidung – und nachdem dieser Herbst dem-
übrigens – dies ist heute möglich und war auch vor der nächst auch vorbei sein wird,
Einführung der Onlinedurchsuchung möglich – die
Computer von Verdächtigen einfach beschlagnahmen. (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Jetzt kommt
Es ist ja nicht so, dass man vor Einführung der Online- der Winter der Geschlossenheit!)
durchsuchung keine Verbrechensbekämpfung machen
konnte. Deswegen ist, wenn wir uns der Aufklärung ver- dass Sie irgendwann einmal den ganz großen bürger-
pflichtet fühlen, die logische Schlussfolgerung aus den rechtlichen Entwurf machen und irgendwann einmal den
Skandalen der letzten Wochen, dass wir erstens keine Kernbereichsschutz durchsetzen wollen. Wer soll Ihnen
das denn glauben?
(B) Onlinedurchsuchung mehr durchführen und dass wir (D)
zweitens – das ist der aktuelle Hintergrund – auch keine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Onlinedurchsuchung über die Hintertür der Quellen- bei der SPD und der LINKEN)
TKÜ zulassen.
Gestern Abend haben Sie die Regelungen für den
(Beifall bei der LINKEN) Verfassungsschutz und die Nachrichtendienste zweimal
an entscheidender Stelle verschärft. Das Surfen in zen-
Wir brauchen mehr parlamentarische Kontrolle. Man
tralen Datenbanken und das Surfen in den Flugreservie-
kann in einer Demokratie Behörden selbstverständlich
rungssystemen
vertrauen, man muss sie aber auch immer kontrollieren.
Was man keinesfalls machen sollte, ist, dieser Bundes- (Gisela Piltz [FDP]: Herr Kollege, Sie haben
regierung auch nur in einem Politikbereich zu vertrauen. es immer noch nicht verstanden!)
Das wäre grob fahrlässig und schlecht für dieses Land.
Deswegen sollten Sie dem Antrag zustimmen, sodass haben Sie immer bekämpft wie der Teufel das Weihwas-
wir Vertrauen aufbauen und nicht abbauen, wie Sie es ser. Jetzt haben Sie es zugelassen.
jede Woche hier tun. (Gisela Piltz [FDP]: Sie haben doch mit dem
Schönen Dank. Surfen angefangen, Herr Kollege!)
Nun kommen wir einmal zur Onlinedurchsuchung.
(Beifall bei der LINKEN)
Sie haben es – anders als sonst – ja nicht für nötig gehal-
ten, hier mit den sogenannten Otto-Katalogen aufzufah-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ren. Dann mache ich es an Ihrer Stelle. Darin war sie
Das Wort hat jetzt der Kollege Wolfgang Wieland von nicht enthalten.
Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN)
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Es gab unter Rot-Grün Onlinedurchsuchungen ohne ge-
Kollege Korte, darüber, ob Sie nun die wahren Verfas- setzliche Grundlage. Staatssekretär Diwell – wir hätten
sungsschützer sind, lässt sich streiten. ihn gerne dazu befragt; die SPD war zu feige, ihn in den
Innenausschuss zu schicken – sagte, er sei mit einem
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das Zettel in das Parlamentarische Kontrollgremium gegan-
hat er sehr gut gesagt!) gen und habe gar nicht gewusst, was eine Onlinedurch-
16360 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Wolfgang Wieland
(A) suchung ist; das habe man ihm aufgeschrieben und ihn mit noch wahrhaft Liberalen wie Herrn Baum und Herrn (C)
falsch unterrichtet. Hirsch gegen das BKA-Gesetz geklagt. Wir werden se-
hen, was dabei herauskommt.
Wir haben diesen Begriff bei den Haushaltsberatun-
gen gelesen. Liebe Kollegin Piltz, auf Ihre Tendenzwende, die Sie
hier herbeiformulieren, warten wir nicht. Der trauen wir
(Gisela Piltz [FDP]: Nicht Sie, wir!) nicht. Das ist alles Humbug; tut mir leid. Aus Merde der-
Da stand: Onlinedurchsuchung, Fernabfrage von Com- maßen Gold zu machen, das geht hier nicht durch.
putern. Ich fragte meine Assistenten, die ein bisschen Vielen Dank.
jünger sind: Was kann das denn sein? Auch sie hatten
keine Ahnung. Ich dachte – sehr rechtsstaatlich, so ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
man ja geprägt –, dass sie in Nürnberg einen Computer Gisela Piltz [FDP]: Das war aber schon ein
beschlagnahmen und dann von Wiesbaden aus die Fest- bisschen unparlamentarisch, Herr Kollege!)
platte auswerten. Das war meine Vorstellung.
Erst als ein Richter am BGH gesagt hat: „Ich lasse das Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
nicht zu; das ist keine Durchsuchung“, wussten wir, was Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
die Onlinedurchsuchung ist. Sie kam genauso durch die das Wort der Kollege Armin Schuster von der CDU/
Hintertür in die parlamentarische Beratung, wie sie CSU-Fraktion.
heimlich auf die Festplatten der Computer kommt. (Beifall bei der CDU/CSU)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU):
Wir sagen nach wie vor: Auch wir wollen sie nicht, und
wir brauchen sie nicht. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sie ist aber Herren! Die Linke wird leider nicht müde, uns einreden
zulässig!) zu wollen – auch Herr Wieland hat da gerade mitge-
Herr Kollege Korte, Sie rätseln immer, wie häufig die macht –, dass der Staat permanent durch nichtverfas-
sungsgemäße Eingriffe unsere Privatsphäre bedroht.
Onlinedurchsuchung eingesetzt wurde. Das hat man uns
in der Unterrichtung der Obleute gesagt – auch der Ver- (Widerspruch bei der LINKEN)
treterin Ihrer Fraktion –: Sie wurde dieses Jahr einmal
durchgeführt, und zwar bei der Düsseldorfer Zelle. Wir kennen dieses Déjà-vu-Phänomen der Linken be-
reits zur Genüge. Ich habe mir die Mühe gemacht, die
(B) Nun kann man sagen – das tun ja Binninger & Co –: Bedeutung des Wortes „Déjà-vu“ einmal nachzuschla- (D)
Einmal ist keinmal; das ist so wenig, dass wir es ver- gen. Es beschreibt ein psychologisches Phänomen und
nachlässigen können. bedeutet: qualitative Gedächtnisstörung oder auch Er-
innerungs- bzw. Bekanntheitstäuschung.
(Helmut Brandt [CDU/CSU]: Das zeigt, wie
sorgfältig damit umgegangen wird!) (Raju Sharma [DIE LINKE]: Das ist doch Ihr
Déjà-vu!)
Man kann auch sagen: Sie haben es im Hinblick auf
diese Diskussion gemacht, damit Sie sagen können: Wir Meine sehr verehrten Damen und Herren von den
brauchen dieses Instrument. – Ob es irgendein Ergebnis Linken, den Ihnen aus Ihrer Erinnerung bekannten und
hatte, wissen wir übrigens bis heute nicht. auch in Ihrer Fraktion wahrscheinlich umschwärmten
übergreifenden Staat, von dem Sie ständig sprechen, ha-
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Der An-
ben wir 1990 hinter uns gelassen.
schlag wurde doch verhindert!)
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das war
Das sollte man noch auswerten.
gut so!)
Lieber Kollege Binninger, das Entscheidende ist doch
Ihr Versuch, analoge Verhältnisse in unserem Rechts-
etwas völlig anderes. Die Gefährdungseinschätzung, die
staat ausfindig zu machen, ist also eine klassische Be-
Sie gegeben haben, teilen wir. Daraus kann aber nicht
kanntheits- oder Erinnerungstäuschung. Ich halte das für
folgen, dass der Staat alles darf,
behandelbar.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Jan Korte [DIE LINKE]: Na ja, dann haben
sowie bei Abgeordneten der LINKEN –
Sie ein Borderline-Problem!)
Clemens Binninger [CDU/CSU]: Das darf er
ja auch nicht!) Ich würde aber einen Versuch ohne Rezeptgebühr unter-
nehmen, Ihnen das zu erklären.
sondern daraus muss folgen, dass es einen starken
Schutz der Bürgerrechte gibt. Passwortdiebstahl im Netz, Datenklau, Cyberstalking
und Betrug mit Millionenschäden sind im Moment die
(Helmut Brandt [CDU/CSU]: Den gibt es
realen Bedrohungen der Privatsphäre im Netz. Davor
doch!)
möchten Internetnutzer in erster Linie geschützt werden.
Diese Frage wird im Übrigen nicht hier entschieden. Allen netzaffinen Usern sollte klar sein, dass im Zeitalter
Sie wird in Karlsruhe entschieden. Wir haben zusammen der IT neue Kriminalitätsbedrohungen entstanden sind,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16361
Armin Schuster (Weil am Rhein)
(A) die das Vertrauen in die digitale Welt nachhaltig erschüt- Daher wollen wir Tätern, die das Vertrauen der Men- (C)
tern können. Wenn wir dieser Gefahr durch die Anwen- schen zerstören, mit zeitgemäßen Mitteln, zum Beispiel
dung passender polizeilicher Instrumente erfolgreich be- mit der Quellen-TKÜ, der Onlinedurchsuchung oder der
gegnen, stören wir nicht. Nein, wir schützen eine Vorratsdatenspeicherung, wirkungsvoller begegnen. Die
gedeihliche Entwicklung dieser Informationstechnolo- Onlinedurchsuchung ist das letzte Mittel, also ein Instru-
gie. Das ist unser erklärtes Ziel. ment, das nur dann zum Einsatz kommt, wenn die beson-
dere Gefährdungslage dies anzeigt und andere Instru-
Natürlich dürfen Ermittlungsbehörden – so Ihr Vor- mente nicht erfolgversprechend sind. Die gesetzlichen
wurf – nie einen Blankoscheck ausgestellt bekommen, Hürden sind so hoch, dass das BKA bisher kaum auf
mit dem sie ungehemmt und ohne richterliche Überwa- diese Weise auf Festplatten zugegriffen hat.
chung auf Daten zugreifen können. Wir müssen den Er-
mittlern aber wirkungsvolle und zugleich verfassungs- Die Linke will diese Befugnis aus dem BKA-Gesetz
gemäße Mittel an die Hand geben, um zum Beispiel streichen; ich weiß nicht, ob aus politischem Kalkül, auf-
Terrorplanungen oder schwerste Kriminalität unter Zu- grund mangelnden juristischen Sachverstands oder ganz
hilfenahme der IT erfolgreich bekämpfen zu können. einfach aufgrund ihrer Inkompetenz im Hinblick auf
Dafür kann es im Extremfall auch sinnvoll sein, auf die polizeiliches Fachwissen.
von Verdächtigen genutzten Rechner unbemerkt zuzu-
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Aus beidem
greifen – und das mit rechtsstaatlichen Verfahren, so wie
wahrscheinlich! – Weiterer Zuruf von der
es in § 20 k BKA-Gesetz sehr präzise geregelt ist. Eine
CDU/CSU: Eine Gemengelage ist das! –
Onlinedurchsuchung findet lediglich zur Abwehr terro-
Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wie
ristischer Gefahren statt. Die Maßnahme darf nur ange-
kann man nur so arrogant sein?)
ordnet werden, wenn die Aufgabenerfüllung des BKA
sonst aussichtslos oder wesentlich erschwert würde. Wir Wir in der Union sehen das jedenfalls diametral anders.
haben sehr konkrete technische Bedingungen und die Wenn das Internet als Tatmittel genutzt wird, ist die On-
Protokollpflicht der Ermittler formuliert. So sieht linedurchsuchung eine der wirksamsten Methoden, um
Rechtsstaatlichkeit im Detail aus. kryptierte Beweismittel zu sichern. Ob wir unter Um-
ständen die gesetzlichen Hürden zu hoch angesetzt ha-
Wer dem Bundesverfassungsgericht, an dessen Vorga- ben, sollten wir allerdings evaluieren.
ben wir uns orientiert haben, den anordnenden Richtern,
dem Präsidenten, dem Datenschutzbeauftragten und den (Jan Korte [DIE LINKE]: Mit der FDP können
ermittelnden Beamten des BKA nicht vertraut, der miss- Sie das ja machen!)
traut letztendlich dem demokratischen Rechtsstaat. Das
(B) müssen Sie sich vorhalten lassen. Da wir gerade bei diesem Thema sind: Warum es die (D)
Onlinedurchsuchung – wir halten sie für wirkungsvoll –
(Jan Korte [DIE LINKE]: Was hat das mit nicht in der Strafprozessordnung gibt, auch darüber müs-
Kontrolle zu tun? Meinen Sie, das braucht sen wir noch einmal diskutieren. Mir erschließt sich das
keine Kontrolle, oder was? Warum lassen Sie nicht.
sich dann in den Bundestag wählen?)
(Jan Korte [DIE LINKE]: Oh! Oh! Das gibt
Meine Damen und Herren, Grundrechte schützen wir Ärger!)
nicht, indem wir rechtsfreie Räume schaffen. Wer Bür-
Abschließend: Abenteuerlich, Herr Korte, ist Ihr An-
gerrechte schützen will, muss die Strafverfolgungsbe-
trag. Sie mühen sich einerseits, die Gefahr des Überwa-
hörden dazu ertüchtigen, Schwerstkriminalität und Ter-
chungsstaates an die Wand zu malen. Andererseits stel-
rorismus wirksam zu verfolgen. Herr Korte, in der
len Sie in Ihrem Antrag fest, dass das BKA dieses Mittel
letzten Woche haben Sie in einer Debatte behauptet, dass
gar nicht oft nutzt.
der Einsatz von Staatstrojanern die Menschen verunsi-
chere. (Zuruf von der LINKEN: Es wird gar nicht ge-
nutzt!)
(Zurufe von der LINKEN: Ja!)
Was denn nun? Erinnern Sie sich an den Anfang meiner
Ich weiß nicht, in welchen Kreisen Sie verkehren. Rede: Ein Déjà-vu ist eine qualitative Gedächtnisstö-
(Jan Korte [DIE LINKE]: Nicht in Ihren rung. Ich weiß nicht, was Ihr Arzt oder Apotheker emp-
offenbar!) fiehlt. Den Kolleginnen und Kollegen empfehle ich je-
denfalls die Ablehnung Ihres Antrags. Den Menschen in
Die Menschen, mit denen ich spreche, haben ganz an- diesem Land empfehle ich beim Thema „innere Sicher-
dere Sorgen, und zwar die tatsächliche Kriminalitätsbe- heit“ die Union.
lastung im Netz. Die Informationen dazu kommen durch
Danke schön.
die zunehmend öffentliche Berichterstattung bei den
Bürgen an. Deshalb werden sie im Umgang mit dem In- (Beifall bei der CDU/CSU – Jan Korte [DIE
ternet und elektronischer Kommunikation vorsichtiger. LINKE]: Grauenhafte Nebenwirkungen!)
Das kann doch nicht unser Wunsch sein.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Also keine Öffent- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
lichkeit mehr, oder was?) Ich schließe die Aussprache.
16362 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Innenaus- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die (C)
schusses zu dem Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
Titel „Befugnis des Bundeskriminalamtes zur Online- derspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das
Durchsuchung aufheben“. Der Ausschuss empfiehlt in sei- so beschlossen.
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/3633, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/2423 Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin das Wort der Kollegin Mechthild Heil von der
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
CDU/CSU-Fraktion.
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die Be-
schlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
der Koalitionsfraktionen und der SPD gegen die Stim-
men von Linken und Grünen. Mechthild Heil (CDU/CSU):
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 33 a und b auf: Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Heute ist ein guter Tag für die Verbraucherinnen
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- und Verbraucher. Heute bringen wir das neue, anwen-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- dungsfreundlichere Verbraucherinformationsgesetz in den
rung des Rechts der Verbraucherinformation parlamentarischen Prozess ein. Das VIG, wie es kurz
– Drucksache 17/7374 – heißt, ist eines der wichtigsten verbraucherschutzpoliti-
Überweisungsvorschlag: schen Vorhaben der Koalition in dieser Legislatur-
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und periode.
Verbraucherschutz (f)
Innenausschuss Die Union bringt mit unserer Ministerin Ilse Aigner
Rechtsausschuss nun auf den Weg, woran seit 2001, seit Renate Künast
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie von den Grünen, viele gescheitert sind. Es gab im parla-
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit mentarischen Verfahren insgesamt vier Anläufe. Sechs
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Anhörungen wurden zu diesem Thema durchgeführt. Im
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- November dieses Jahres gibt es auf Wunsch der SPD
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) eine siebte Anhörung, frei nach Karl Valentin: Es ist al-
les gesagt, nur noch nicht von jedem.
– zu dem Antrag der Abgeordneten Elvira
Drobinski-Weiß, Petra Crone, Petra Ernstberger, Fast könnte man meinen, die Opposition habe nicht
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der den Willen, diesen Meilenstein des Verbraucherschutzes
SPD auf den Weg zu bringen. Seit Inkrafttreten des VIG im
(B) Mai 2008 sind mehr als drei Jahre vergangen. Wie in der (D)
Verbraucherinformationsgesetz zügig refor- Großen Koalition vereinbart, wurde das Gesetz nach
mieren zwei Jahren Anwendungszeit evaluiert. Wir stellten das
– zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Gesetz auf den Prüfstand: Was läuft gut? Was läuft
Karin Binder, Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Ab- schlecht? Welche Konsequenzen ziehen wir daraus? Wir
geordneter und der Fraktion DIE LINKE wollen ein umfassenderes, schnelleres und kostengünsti-
geres Verbraucherinformationsgesetz schaffen. Uns ist
Verbraucherinformationsgesetz jetzt ver- ein guter Balanceakt zwischen berechtigten Verbrau-
braucherfreundlich ausgestalten cherinteressen und berechtigten Bedenken der Wirt-
– zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole schaft gelungen.
Maisch, Ulrike Höfken, Cornelia Behm, weite- Drei unabhängige Studien hat das Verbraucherschutz-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- ministerium in Auftrag gegeben und so die vorliegenden
NIS 90/DIE GRÜNEN Verbesserungen wissenschaftlich untermauert. Zu die-
Verbraucherinformationsgesetz jetzt novel- sem Gesetzentwurf wurde eine eigene Homepage ge-
lieren schaltet. Es gab eine sechsmonatige Dialogphase unter
Beteiligung von Vertretern des Verbraucherschutzes und
– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- von Wirtschaftsverbänden. Auch die Erkenntnisse aus
rung dem Skandal, dass Dioxin in Futtermitteln gefunden
wurde, haben Eingang in dieses Gesetzeswerk gefunden.
Bericht der Bundesregierung über die Er-
Wir setzen mit diesem Gesetz also auch Teile der Maß-
gebnisse der Evaluation des Verbraucherin-
nahmen des „Aktionsplanes Verbraucherschutz in der
formationsgesetzes
Futtermittelkette“ vom Januar 2011 um.
– Drucksachen 17/2116, 17/1576, 17/1983, 17/1800,
Meine Damen und Herren, Sie sehen: Dieser Gesetz-
17/3928 –
entwurf ist sehr intensiv begleitet worden. Die unter-
Berichterstattung: schiedlichen Lager sind klar: Die einen würden am liebs-
Abgeordnete Peter Bleser ten eine Lex WikiLeaks aus dem VIG machen, andere
Elvira Drobinski-Weiß fürchten Industriespionage und die Offenlegung ihrer
Dr. Erik Schweickert Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse. Die Wahrheit liegt
Caren Lay wie so oft in der Mitte. Wo ist die Mitte? Sie ist immer
Nicole Maisch bei der CDU/CSU. Wir sind bekannt für die Mitte.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16363
Mechthild Heil
(A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. antwortung mehr als 1 000 Euro betragen. Es darf nicht (C)
Dr. Erik Schweickert [FDP]) sein wie bisher, dass die Lobbygruppen die Kosten für
den Rechercheaufwand der Behörden auf die Allgemein-
Die vom Bundestag beschlossene Evaluation des VIG heit abwälzen.
zeigte: 80 Prozent der 487 Anfragen waren kostenfrei,
70 Prozent wurden fristgerecht beantwortet. (Beifall bei der CDU/CSU)
Dem schieben wir einen Riegel vor.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Frau Kollegin Heil, erlauben Sie eine Zwischenfrage (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Na großartig!)
des Kollegen Kelber von der SPD? Das neue VIG ist nicht nur gerechter, sondern zudem
wird eine breitere Produktpalette abgedeckt. Neben In-
Mechthild Heil (CDU/CSU): formationen zu Lebensmitteln und Kosmetika können
Nein. Verbraucher künftig auch Auskunft über Spielzeug,
Haushaltsgeräte, Heimwerkerartikel und andere techni-
(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Pech sche Verbrauchsartikel erhalten.
gehabt! – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/
CSU], an den Abg. Ulrich Kelber [SPD] ge- Da die Opposition eine Ausweitung auf den Finanz-
wandt: Dann müssen Sie selber reden! – Ge- bereich fordert, sei an dieser Stelle schon betont: Das
genruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD]: Norma- wird im IFG, dem Informationsfreiheitsgesetz des Bun-
lerweise nennt man so was Angst! Das passt des, geregelt. Bereits jetzt können Informationen über
vermutlich nicht zur aufgeschriebenen Rede!) Finanzdienstleistungen bei der BaFin nachgefragt wer-
den. Einen Grund zur Ausweitung des VIG auf den Fi-
487 Anfragen sind nicht viel. Daraus lernen wir: Für nanzbereich gibt es also nicht. Anstatt über eine Auswei-
die Bürger war das Abfragen von Informationen häufig tung zu debattieren, konzentrieren wir uns lieber darauf,
zu kompliziert, die Verfahrenswege waren zu lang, und den Auskunftsanspruch auch inhaltlich zu erweitern und
die Unsicherheit über mögliche Kosten war zu groß. zu stärken.
Dies ändern wir jetzt. Dadurch machen wir das VIG
noch praxisnäher und verbraucherfreundlicher. Zu dem Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
bisherigen Kernziel des VIG, der Transparenz, kommen Würden Sie jetzt eine Zwischenfrage zulassen?
jetzt kostengünstigere Informationen und Schnelligkeit
hinzu.
Mechthild Heil (CDU/CSU):
Die meisten Anfragen, für die ein Verwaltungsauf- Nein.
(B) wand von bis zu 250 Euro anfällt, werden vollständig (D)
kostenfrei gestellt. Bei Rechtsverstößen ist das Einholen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
von Auskünften sogar bis 1 000 Euro kostenfrei. Gleich- Das ist eben schon abgelehnt worden; das gilt für die
zeitig wird auf einen schriftlichen Antrag verzichtet. ganze Aussprache.
Eine formlose E-Mail oder ein Anruf reicht künftig
schon aus. Dies stellt eine enorme Verbesserung gegen-
über dem bisherigen Gesetzentwurf dar. Mechthild Heil (CDU/CSU):
Genau.
Bei einer einfachen Anfrage war es bei Bundesbehör-
den bisher üblich, eine Gebühr zwischen 5 Euro und (Ulrich Kelber [SPD]: Auf dem Zettel stehen
25 Euro zu erheben. Bei ausführlichen Auskünften die Antworten halt nicht!)
konnten es auch schon einmal 250 Euro werden. Jetzt ist Künftig können die Bürger auch nach Informationen
für den Verbraucher klar: In der Regel hat er keine Kos- zur Produktsicherheit fragen, also beispielsweise da-
ten zu erwarten. Sollte sich jedoch abzeichnen, dass hö- nach, ob den Behörden Erkenntnisse darüber vorliegen,
here Kosten anfallen werden, wird vorab ein Kostenvor- dass bestimmte ausländische Produkte nicht den euro-
anschlag erstellt. Wir sorgen also für Klarheit und päischen Sicherheitsstandards entsprechen. Wir machen
Sicherheit. Kein Verbraucher wird zukünftig durch hohe das Gesetz schneller, indem wir die seit Jahren bewähr-
Verwaltungskosten abgeschreckt werden. ten Regelungen aus dem Umweltinformationsrecht über-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nehmen und im Ergebnis Einspruchsmöglichkeiten und
neten der FDP) Fristen für Unternehmer straffen.
Die schriftliche Anhörung betroffener Dritter entfällt.
Wir sollten uns jedoch davor hüten, aus dem berech-
Stattdessen gibt es künftig die Möglichkeit der formlo-
tigten Informationsanspruch der Bürgerinnen und Bür-
sen Anhörung, zum Beispiel durch das Telefon. Mit ei-
ger einen Infostand für Verbände und Lobbyisten zu ma-
ner solchen Maßnahme können wir bis zu vier Wochen
chen. Ich spreche von den sogenannten Globalanfragen.
Zeit sparen. Bei erheblichen Täuschungsfällen gibt es
Es gibt Fälle, in denen Behörden ganze Broschüren mit
zudem eine Veröffentlichungspflicht der Behörden.
mehr als 100 Fragen abzuarbeiten hatten. Das hat nichts
mehr mit Verbraucherinformation zu tun. Wir wollen ein Durch eine Ergänzung des Lebensmittel- und Futter-
Verbraucherinformationsgesetz und kein Verbändeinfor- mittelgesetzbuches werden die Behörden außerdem ver-
mationsgesetz schaffen. Deshalb sind umfangreiche Glo- pflichtet, alle Rechtsverstöße durch Grenzwertüber-
balanfragen kostenpflichtig, wenn die Kosten für die Be- schreitungen zwingend zu veröffentlichen. Alle sonstigen
16364 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Mechthild Heil
(A) Verstöße, zum Beispiel gegen Hygienevorschriften, wer- (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Das ist aus (C)
den veröffentlicht, wenn ein Bußgeld von mindestens dem Zusammenhang gerissen! – Ulrich Kelber
350 Euro zu erwarten ist. Einige Bundesländer sind hier [SPD]: Wir wollten nur nicht so schlecht da-
schon vorangegangen, zum Beispiel das Saarland. Dort stehen wie Sie!)
werden bußgeldbewehrte Verfahren bereits ins Internet
Liebe SPD, stehen Sie, wie Ihre Sprecherin, an der Seite
gestellt, ohne dass dies zu wirtschaftlichen Verwerfungen
der christlich-liberalen Koalition und damit an der Seite
geführt hätte.
der Bürgerinnen und Bürger, oder wollen Sie sich vor
Mit diesem Gesetz bewegen wir uns auf dem schma- den Karren von einzelnen Verbänden spannen lassen?
len Grat zwischen dem Anspruch auf Informationsfrei- Wir werden die Beratungen weiter im Ausgleich zwi-
heit und dem Schutz von Betriebsgeheimnissen. Deshalb schen Verbraucherinnen und Verbrauchern auf der einen
möchte ich noch einmal ganz deutlich festhalten: Das und Unternehmen auf der anderen Seite führen. Sie sind
Betriebs- und Geschäftsgeheimnis bleibt auch weiterhin herzlich eingeladen, sich daran konstruktiv zu beteiligen.
geschützt. Klar ist jedoch: Mess-, Analyse- und Kon-
trollergebnisse bei Grenzwerten fallen nicht unter den Vielen Dank.
Geheimnisschutz. Natürlich werden Rezepturen und
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Mischverhältnisse nicht offengelegt. Dies ist bei den be-
stehenden gesetzlichen Regelungen gar nicht möglich.
Ein zu hoher Dioxingehalt in Lebens- oder Futtermitteln Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
gehört allerdings nicht zu einer Rezeptur. Damit ist es Ich will nur kurz darüber informieren, dass das Licht
auch nicht als Geheimnis schützenswert. ausgegangen ist, weil die Sicherungen herausgesprungen
sind.
Mir geht es in erster Linie um Vertrauensschutz. Die
Lehre aus der Lebensmittel- und Futtermittelkrise hat (Ulrich Kelber [SPD]: Kein Wunder!)
gezeigt: Wenige schwarze Schafe und Kriminelle dürfen Das ist keine besondere Sparmaßnahme des Präsidiums
nicht länger eine ganze Branche in Verruf bringen. des Deutschen Bundestages gewesen. Dafür sind jetzt
(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Na also!) die Ventilatoren angegangen. Die Techniker versuchen,
auch das Problem zu lösen.
Dioxin und Ehec haben gezeigt: Die beste Maßnahme
gegen Angst und Unsicherheit im Krisenfall sind seriöse (Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ich dachte, es
und zeitnahe Informationen von öffentlicher Stelle. Mit wäre ein Staubsauger! – Gisela Piltz [FDP]:
diesem Gesetz erteilen wir behördlicher Geheimniskrä- Ich dachte, wir würden rausgesaugt!)
(B) merei eine Absage, bauen Besorgnisse in der Bevölke- Wir können in der Debatte fortfahren. Das Wort hat (D)
rung ab und stellen verlorenes Vertrauen wieder her. Das die Kollegin Elvira Drobinski-Weiß von der SPD-Frak-
Verbraucherinformationsgesetz ist so gesehen ein Wirt- tion.
schaftsvertrauensaufbaugesetz.
(Beifall bei der SPD)
Wie es bei den Sozialdemokraten, lieber Herr Kelber,
bezüglich des Vertrauens in die deutsche Wirtschaft und Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
des ernsten Wunsches nach mehr Informationen für die Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
Verbraucher steht, lässt sich an den Beratungen im Bun- gen! Ich hatte schon gedacht, weil jetzt die CDU zum
desrat sehen. VIG spricht, gehen die Lichter aus. – Bevor ich konkret
(Ulrich Kelber [SPD]: Lassen Sie jetzt eine auf das Verbraucherinformationsgesetz eingehe, möchte
Zwischenfrage zu?) ich den Rahmen noch etwas weiter spannen. Ich denke,
dass wir in der Beschäftigung mit den Details oft den
Die verbraucherschutzpolitische Sprecherin der SPD- Blick fürs Wesentliche verlieren und für das, worum es
Fraktion im Bundestag sah sich genötigt, schriftlich ein- eigentlich geht.
zugreifen. Den Staatskanzleien, Wirtschafts- sowie den
Verbraucherschutzministerien der SPD-geführten Län- Ich möchte das hier kurz ausführen. Es geht um das
der schrieb sie – ich zitiere aus dem Handelsblatt –: Verhältnis zwischen Verbrauchern, Markt und Staat. Es
geht darum, Verbraucherinnen und Verbraucher zu stär-
Das VIG … sei verbraucherfreundlich. ken. Es geht darum, verantwortungsvolle Anbieter zu
stärken. Und es geht darum, mit einer neuen Transpa-
(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Aber nicht in renzkultur dafür zu sorgen, dass Verbraucherinnen und
allen Punkten!) Verbraucher erkennen können, welchen Angeboten sie
Der Wirtschaftsausschuss wolle den Entwurf „ver- trauen können. Es geht um einen zukunftsfähigen Markt,
wässern“. So entstehe das Bild, die SPD sei weni- den die Konsumenten mitgestalten und dem der Staat
ger verbraucherfreundlich als Schwarz-Gelb. dort Grenzen setzt, wo unverantwortlich gehandelt wird.
Das erwarten die Menschen von uns. Da muss auch ich
(Beifall bei der CDU/CSU) als Abgeordnete klar Position beziehen, auch wenn man
sich damit nicht überall beliebt macht.
Liebe Frau Drobinski-Weiß, in mir haben Sie eine
Verbündete gegen Ihre verbraucherschutzfeindlichen Liebe Kolleginnen und Kollegen und liebe Zuhörerin-
SPD-Kollegen. nen und Zuhörer auf der Tribüne, eines der häufigsten
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16365
Elvira Drobinski-Weiß
(A) Wörter in dieser Woche war, wenn es um die Verbrau- vorgelegt wird, ist ein gesetzlich festgeschriebener Aus- (C)
cherpolitik ging, das Wort „Pranger“. Laut Bundesamt kunftsanspruch vorgesehen.
für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit wur-
Heute, nach über fünf Jahren, sind wir in dieser Frage
den in den amtlichen Kontrollen in Gaststätten und Le-
bensmittelgeschäften bei rund einem Viertel der Betriebe keinen Schritt weiter. Wo bleibt der gesetzliche Aus-
Verstöße festgestellt. Diese Zahl ist leider seit fünf Jah- kunftsanspruch gegenüber den Unternehmen?
ren stabil auf hohem Niveau. In den meisten Fällen geht Ebenfalls schon im Antrag von 2006 vorgesehen war
es dabei um Hygienemängel. die Erweiterung auf alle Produkte und Dienstleistungen.
Ich frage Sie alle: Welche Beweise braucht es noch, Heute: keine Spur davon. Dabei ist dies noch im April
damit endlich alle verstehen, dass die Ergebnisse amtli- dieses Jahres sogar von der FDP gefordert worden.
cher Kontrollen grundsätzlich veröffentlicht werden (Ulrich Kelber [SPD]: Da hat Frau Happach-
müssen? Kasan nicht aufgepasst an dem Tag!)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Im April forderte der Kollege Professor Schweickert
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE in einer Pressemitteilung – Zitat –:
GRÜNEN)
Angesichts der Finanzkrise und der offensichtli-
Sie müssen für Verbraucher direkt an der Eingangstür chen Transparenzlücken bei Finanzanlagen streben
der Betriebe sichtbar sein, sei es in Form des bereits be- wir eine Ausweitung des Verbraucherinformations-
kannten Smiley-Symbols nach dänischem Vorbild oder gesetzes auf den Bereich der Finanzaufsicht an.
in Form des Hygienekontrollbarometers in Ampelfar-
ben. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
Bereits im Mai haben sich die Verbraucherminister GRÜNEN)
der Länder auf die Hygieneampel verständigt. Sie muss
endlich kommen. Die miserablen Kontrollergebnisse Das sind leider leere Worte geblieben. Offensichtlich
sind eklig und für die Branche beschämend. Doch statt strebt die FDP immer noch.
die Veröffentlichung zu unterstützen und zu nutzen, um Schließlich die Kostenregelung. Die zeigt uns nun
schwarze Schafe – auch die Kollegin Heil hat diese an- wirklich, wie es um die Transparenzkultur dieser Bundes-
gesprochen – aus den eigenen Reihen zu drängen, verun- regierung bestellt ist. Kostendeckende Gebühren will
glimpfen einige Vertreter der Branche die Transparenz Schwarz-Gelb verlangen, wenn die Kosten von Anfragen
für Verbraucher als Pranger. zu Rechtsverstößen die Grenze von 1 000 Euro über-
(B) Als Pranger wird auch das Internetportal schreiten. Damit wollen Sie natürlich kritische Journalis- (D)
www.lebensmittelklarheit.de beschimpft, und zwar von ten und NGOs abschrecken. Für uns Sozialdemokratin-
der Lebensmittelbranche, die eigentlich froh sein sollte, nen und Sozialdemokraten haben aber gerade NGOs wie
dass sie hier direkt vom Verbraucher erfahren kann, wo- BUND, vzbv, Foodwatch, Greenpeace oder auch die Stif-
rin er sich getäuscht fühlt. Davon können die Wirtschaft tung Warentest eine wichtige Funktion bei der Vermitt-
und auch die Politik profitieren – vorausgesetzt, man lung von Informationen. Genau denen wird die Arbeit
geht auf die Bedürfnisse der Verbraucher ein. Wir von nun erschwert. Das ist eine enorme Verschlechterung;
der SPD begrüßen den Erfolg dieses Portals. Allerdings denn bislang waren alle Anfragen zu Rechtsverstößen
zeigt die große Resonanz, dass in Sachen Verbraucher- kostenfrei. Darauf, so finden wir, haben die Bürgerinnen
vertrauen einiges im Argen liegt. Wir finden, das muss und Bürger ein Recht.
politische Konsequenzen haben.
Das hier ist keine Transparenzkultur. Im Gegenteil:
(Beifall bei der SPD) Bei dieser Bundesregierung besteht Verdunkelungsge-
fahr. Da machen wir nicht mit.
Warum begreifen nicht alle Anbieter die Transparenz
gegenüber dem Verbraucher als Chance, sondern fühlen Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
sich an den Pranger gestellt? Diese Haltung ist alles an-
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
dere als vertrauenerweckend. Eher ist man geneigt, zu
vermuten, dass es etwas zu verbergen gibt. Warum leis-
tet die Bundesregierung dieser Verdunkelungskultur Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Vorschub, indem sie den Entwurf eines Verbraucher- Das Wort hat jetzt der Kollege Professor Dr. Erik
informationsgesetzes vorlegt, welches immer noch kei- Schweickert von der FDP-Fraktion.
nen Auskunftsanspruch der Verbraucherinnen und Ver-
braucher gegenüber den Unternehmen enthält? (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Im August 2006 haben wir gemeinsam mit der CDU/ Dr. Erik Schweickert (FDP):
CSU in einem Entschließungsantrag zum VIG die Eva- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nicht nur
luierung und Überprüfung innerhalb von zwei Jahren im Plenum geht das Licht bei Schwarz-Gelb an. Ich bin
festgeschrieben. Der Antrag enthielt aber noch mehr: sicher, dass auch beim Verbraucherinformationsgesetz
Die Unternehmen wurden darin aufgefordert, Vorschläge den Verbrauchern ein Licht aufgehen wird.
vorzulegen, wie sie Verbrauchern Informationszugang
gewähren und die Vergleichbarkeit sicherstellen wollen. (Caren Lay [DIE LINKE]: Jetzt werden Sie ja
Für den Fall, dass kein solches Angebot der Anbieter ganz poetisch!)
16366 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Dr. Erik Schweickert


(A) Warum? Das Verbraucherinformationsgesetz ist seit nun- sen – und den öffentlichen Interessen der Verbraucher (C)
mehr gut drei Jahren in Kraft. Es sollte den Verbrauche- gefunden. Wenn die öffentlichen Interessen die Interes-
rinnen und Verbrauchern mehr Information und mehr sen zur Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnis-
Transparenz bringen. Wir haben dieses Gesetz der Gro- sen berühren, dann darf eine Behörde auf der Grundlage
ßen Koalition evaluiert und über die gewonnenen des VIG entscheiden.
Erkenntnisse im breiten Dialog mit den Verbraucherorga-
nisationen, den betroffenen Branchen und den Unterneh- Viertens. Kollege Kelber hat das bereits angespro-
chen: Wir weiten den Informationsanspruch auf die Pro-
men diskutiert. Wir haben daraus unsere Schlüsse gezo-
duktsicherheit aus; denn für den Verbraucher ist es ge-
gen und legen Ihnen nun ein gegenüber dem Istzustand
nauso wichtig, zu wissen, ob ein Elektrogerät einen
deutlich verbessertes Gesetz vor.
gefährlichen Herstellungsschaden aufweist, wie es wich-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – tig zu wissen ist, ob ein Lebensmittel ungenießbar ist.
Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Spärlicher Bei- Wenn mir der Föhn am Kopf explodiert, dann ist das ge-
fall!) nauso schlecht, wie wenn ich vergammeltes Fleisch esse.
Daher ist es richtig, den Informationsanspruch auszu-
Das VIG ist konzipiert, um den Bürgerinnen und Bür- weiten.
gern ein Instrument an die Hand zu geben, das dazu
dient, mehr Informationen zu bekommen. In gewisser (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ulrich
Weise wurde durch das VIG auch bei den Behörden ein Kelber [SPD]: Warum nicht auf alles?)
Trend zu mehr proaktiver Information insbesondere im
Lebensmittelbereich hervorgerufen. Das ist ein erfreuli- – Wenn man etwas fragen will, Herr Kelber, dann muss
man das tun.
ches Ergebnis des VIG und zeigt seine steuernde Wir-
kung. Wir fördern auch die Verbraucherinformation bei
(Ulrich Kelber [SPD]: Was ist mit den Finanz- Grenzwertüberschreitungen und Verstößen gegen das Le-
produkten?) bensmittelgesetzbuch. Wir schützen die redlich arbeiten-
den Unternehmen, weil bei einer Veröffentlichung das
– Wenn Sie eine Frage stellen wollen, Herr Kelber, dann öffentliche Interesse gegenüber dem Schutz von Be-
melden Sie sich. triebsgeheimnissen – ich habe es vorhin gesagt – klar
überwiegen muss. Durch die Einführung der Bagatell-
Der Istzustand des Verbraucherinformationsgesetzes grenze von 350 Euro bei dem zu erwartenden Bußgeld
zeigt aber auch gravierende Schwächen. Dabei ist insbe- wird es nicht passieren, dass wegen jeder Fliese, an der et-
sondere hervorzuheben, dass laut Evaluationsbericht in- was abgebrochen ist, sofort ein Riesenverfahren ange-
nerhalb eines Jahres nur 487 Anfragen erfolgt sind. Nur strengt wird. Es ist richtig, dass über die wichtigen Infor-
(B) ein Bruchteil davon stammte von Privatpersonen. Das (D)
mationen Auskunft gegeben wird. Wir wollen die
Gesetz wurde also von denen, für die es eigentlich ge- Verbraucher nicht mit überflüssigen Informationen zu-
macht wurde, so gut wie nicht genutzt. Daher müssen müllen; wir brauchen vielmehr wichtige Informationen
wir uns zu Recht fragen, ob das VIG zu kompliziert ist. und Transparenz.
Wir sind der Meinung, dass es bislang zu kompliziert, zu
wenig transparent und zu bürokratisch ist. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Ach, Sie be-
Lassen Sie mich dazu vier Punkte anführen: stimmen, was für den Verbraucher wichtig ist?
Erstens. Ein Gesetz, das zu mehr Transparenz beitra- Unglaublich! Es geht doch um den mündigen
gen sollte, war wenig transparent; denn wenn man eine Bürger!)
Anfrage stellen wollte, wusste man nicht, ob auf einen Wir machen das VIG für den Bürger unbürokrati-
Kosten zukommen und, wenn ja, wie hoch sie sein wer- scher, weil künftig die Anträge auf Information auch
den. Aus Sorge um hohe Kosten haben viele Menschen formlos per Telefon oder E-Mail gestellt werden können.
erst gar keine Anfrage gestellt. Gleichzeitig schaffen wir Transparenz bei den Gebüh-
Zweitens. Das VIG ist ziemlich formalistisch und ren. Der Verbraucher weiß künftig vorher, wie viel das
nicht sehr bürgerfreundlich, wenn es um die Durchfüh- kostet. Anträge auf Informationen bis zu einem Verwal-
rung einer Anfrage geht. tungsaufwand von 250 Euro – das ist ganz wichtig – sind
grundsätzlich kostenfrei, für bestimmte Informationen
Drittens. Das VIG hat zwar zu proaktiven Veröffentli- sogar bis zu einem Verwaltungsaufwand von 1 000 Euro.
chungen geführt. Verstöße wie beim Dioxinskandal blie- Das heißt, das Gebührenwirrwarr wird ein Ende finden.
ben aber für die Bürger und auch für die Behörden viel Aber eines ist auch klar: Wir können kein Gesetz schaf-
zu lange unsichtbar. Aus diesem Grund haben wir nun fen, das dazu führt, dass eine Verwaltung zwei Monate
die Schwerfälligkeiten beseitigt. Wir haben bereits da- mit fünf Mann daran arbeiten muss, dass irgendjemand,
mals in der Opposition auf die Unzulänglichkeiten des der die Arbeit auf die Verwaltung abwälzen will, Infor-
Gesetzes hingewiesen. Jetzt, wo wir in der Regierung mationen für seine Forschungsarbeiten erhält. Die An-
sind, sorgen wir für entsprechende Änderungen. Wir le- fragen der Bürgerinnen und Bürger sollen in der Regel
gen Ihnen den Entwurf eines Gesetzes vor, das den Bür- kostenlos sein, aber es kann nicht sein, dass man wegen
gerinnen und Bürgern deutlich mehr Transparenz bringt. persönlicher Interessen die Verwaltung bindet. Bei kos-
Dabei haben wir einen guten Ausgleich zwischen den tenlosen Anfragen bis zu einem Verwaltungsaufwand
berechtigten Interessen zur Wahrung von Betriebs- und von 1 000 Euro bestehen für die Verbraucher genügend
Geschäftsgeheimnissen – diese darf man nicht verges- Möglichkeiten.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16367
Dr. Erik Schweickert
(A) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Möglichkeit, über das IFG die Informationen zu bekom- (C)
der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Finanz- men, die er braucht.
produkte?)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Anders als die Opposition lehnen wir die Ausdehnung der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Man
der Informationspflichten auf Unternehmen ab; denn das sollte einfach wahrheitsgemäß antworten,
würde insbesondere für die kleinen und mittelständischen nicht nur antworten!)
Unternehmen einen bürokratischen Aufwand darstellen, Somit haben wir mehr Transparenz statt Bürokratie,
dem diese nicht gewachsen sind. Außerdem haben die einfachere, aber dafür für den Verbraucher verständliche,
Behörden die Möglichkeit, Auskünfte einzuholen; denn im Alltag anwendbare Informationen. Wir als Freie De-
die Unternehmen sind gegenüber den Behörden aus- mokraten haben dafür gesorgt, dass die christlich-libe-
kunftspflichtig. Das ist aus meiner Sicht ausreichend. rale Koalition bei dieser Novellierung das VIG nicht nur
(Ulrich Kelber [SPD]: Was ist mit den Finanz- weiterentwickelt, sondern auch verbessert.
produkten?) Vielen Dank.
– Ist das eine Frage, Herr Kelber? Wenn ja, dann stellen (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Sie sie. – Das macht er nicht.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat die Kollegin Karin Binder von der Frak-
Würden Sie eine Frage des Kollegen Kelber zulas- tion Die Linke.
sen?
(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Erik Schweickert (FDP):


Karin Binder (DIE LINKE):
Die würde ich zulassen, ja. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Be-
sucherinnen und Besucher! Der Bedarf, das gar nicht so
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: alte Verbraucherinformationsgesetz zu ändern, ist enorm.
Bitte schön, Kollege Kelber. Aber ihn hatte ich schon bei der Einbringung in der letz-
ten Legislaturperiode angemahnt; Sie wollten es damals
nur nicht hören. Umso mehr freut es mich jetzt, dass mit
Ulrich Kelber (SPD): der Novellierung einige Vorschläge der Opposition und
Sie haben auf den langen Überprüfungszeitraum seit auch der Verbraucherorganisationen in das VIG einflie-
(B) dem ersten Gesetzentwurf hingewiesen. Könnten Sie uns (D)
ßen sollen. Die Erfahrungen der Verbraucherorganisatio-
darstellen, welche Gründe dazu geführt haben, dass der nen mit dem bisherigen Gesetz, nämlich wenig echte In-
Auskunftsanspruch nicht auf alle Produkte und Dienst- formationen zu erhalten, lange Fristen für die Auskünfte
leistungen, insbesondere nicht auf die Produkte und und hohe Gebühren für die wenigen Informationen, ha-
Dienstleistungen der Finanzindustrie, ausgeweitet wurde, ben unsere Befürchtung bestätigt.
nachdem Sie als Person in der Öffentlichkeit genau dies
gefordert haben? (Beifall bei der LINKEN)
Bereits in einer Konferenz im Juni 2009 hatte die
Dr. Erik Schweickert (FDP): Linke mit Expertinnen und Experten die Defizite des
Herr Kelber, vielen Dank für die Frage. Ich habe auf Gesetzes und die Möglichkeiten, es zu verbessern, erör-
tert. Mit einem Antrag haben wir die Thematik im Mai
diesen Umstand hingewiesen, weil in unserem Koali-
2010 wieder in den Bundestag getragen. Aber erst der
tionsvertrag zum Beispiel steht, dass wir die drei
Dioxinskandal Anfang 2011 hat die Regierung endlich
Gesetze, Verbraucherinformationsgesetz, Informations-
zu der Einsicht geführt, dass hier dringender Handlungs-
freiheitsgesetz und Umweltinformationsgesetz, zusam- bedarf besteht.
menführen wollen. Mit der Zusammenführung dieser
drei Gesetze hätte sich die Ausdehnung des Informa- Trotz alledem wiegen die Interessen der Wirtschaft
tionsanspruchs im VIG auch auf Finanzprodukte ausge- immer noch schwerer als die Interessen der Verbrauche-
wirkt. rinnen und Verbraucher. Einige durchaus sinnvolle Re-
gelungen wurden aus den Entwürfen der Novellierung
(Ulrich Kelber [SPD]: Aus dem Umweltinfor- wieder entfernt. Zum Beispiel sollen die Konsumentin-
mationsgesetz!) nen und Konsumenten auch künftig nicht erfahren, unter
– Nein, aus dem IFG. Das wissen Sie genau. – Das war welchen sozialen, ökologischen und ethischen Bedin-
unser Ziel. Weil es sich beim UIG und beim IFG um ge- gungen ein Produkt entsteht. Dieses Informationsrecht
verschwand leider spurlos aus einem ersten, nicht veröf-
trennte Bundes- und Ländergesetze handelt und das VIG
fentlichten Entwurf. Ich finde, das ist ein Armutszeugnis
ein reines Bundesgesetz ist, hatten wir nicht die Mög-
für einen Staat, der sich die soziale Marktwirtschaft auf
lichkeit, diese drei Gesetze zusammenzuführen. Was war die Fahnen schreibt.
die Lösung? Haben wir uns zurückgelehnt und nichts ge-
macht? Nein, wir haben gesagt, dass wir den Anspruch (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-
der Verbraucherinnen und Verbraucher ausdehnen müs- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Elvira
sen. Der Verbraucher hat bei Finanzprodukten jetzt die Drobinski-Weiß [SPD])
16368 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Karin Binder
(A) Ebenso verschwand aus § 8 des Referentenentwurfs sollte, wäre nach meiner Auffassung das Smiley eine (C)
der Novelle zum Verbraucherinformationsgesetz der Auf- wesentlich freundlichere und verbraucherfreundlichere
trag an den Bundesbeauftragten für Datenschutz und In- Kennzeichnung als ein bürokratischer Hygienebalken.
formationsfreiheit, über die Einhaltung der Informations-
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg.
rechte zu wachen. Das ist leider typisch für die
Elvira Drobinski-Weiß [SPD])
rückwärtsgewandte, konservative Politik des Verbrau-
cherministeriums. Dabei zeigen die Erfahrungen in Groß- Ich bedaure sehr, dass die Ministerin diesen Reformpro-
britannien, dass die Kontrolle durch eine unabhängige In- zess bisher nicht genutzt hat, um über das BMELV die
stanz zu einer besseren Verbraucherinformation führt. Rechtsgrundlage für eine solche bundesweite Einfüh-
Auch deshalb bin ich der Meinung, dass die Novellierung rung des Lebensmittel-Smileys zu schaffen. Stattdessen
des VIG durchaus verbesserungswürdig ist. stiehlt sie sich aus der Verantwortung und schiebt diese
den Ländern zu. Die 16 Länder sollen es dann halt rich-
Die Linke fordert ein VIG, das seinem Namen gerecht
ten.
wird. Deshalb brauchen wir, erstens, Informationen zu
allen Produkten, mit denen Verbraucherinnen und Ver-
braucher in Berührung kommen, wie auch Informatio- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
nen über Dienstleistungen und sogenannte Finanzpro- Kommen Sie bitte zum Schluss.
dukte. Gerade bei den Finanzdienstleistungen werden
Verbraucherinnen und Verbraucher nach wie vor aufs Karin Binder (DIE LINKE):
Glatteis geführt. Zweitens brauchen wir das Recht, In- Nun, ich neige dazu: besser ein Balken als gar keine
formationen direkt bei den Unternehmen einzufordern, Kennzeichnung. Aber vielleicht gibt es doch noch ein
Herr Professor Schweickert; dann hätten wir nämlich Einsehen auf der Regierungsbank.
manche Probleme mit den Behörden nicht.
(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Eher weniger
(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Das machen wir zu erwarten! – Zuruf von der LINKEN: Das ist
aber nicht!) nicht zu erwarten! Aber die Hoffnung stirbt
Der Umweg über die Behörden ist nicht nur bürokra- zuletzt!)
tisch, sondern auch unsinnig, da die Behörden meist kei- Ich danke jetzt erst einmal für Ihre Aufmerksamkeit.
nen direkten Zugang zu den gewünschten Informationen
haben. (Beifall bei der LINKEN)

Die Novellierung ist in diesem Punkt eine klare Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
(B) Kampfansage an die unabhängigen Verbraucherver- Als letzter Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt (D)
bände. Herr Staatssekretär Müller, ich hoffe, Sie über- erteile ich das Wort der Kollegin Nicole Maisch von
bringen diese Information der Frau Ministerin. Nach ih- Bündnis 90/Die Grünen.
rem Entwurf können sachkundige Verbraucheranfragen
von den Behörden, die sich mit einer solchen Anfrage
überfordert fühlen, nun sogar abgelehnt werden, wenn Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
sie nicht von vornherein durch hohe Gebührenforderun- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Was uns
gen verhindert werden. Das halte ich für Unsinn. heute von Schwarz-Gelb vorliegt, ist kein großer Wurf.
Wir sehen hier ganz kleines Karo. Frau Heil hat nach ih-
(Dr. Erik Schweickert [FDP]: 1 000 Euro ist ren zwölf Minuten von dieser Debatte offensichtlich
doch nicht zu viel!) schon genug gehabt
Das Ganze mit dem Stichwort Globalanfragen abzutun, (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Flucht-
Frau Kollegin Heil, halte ich für ein verbraucherpoliti- artig den Saal verlassen!)
sches Armutszeugnis.
und ist in die Heimat entschwunden.
(Beifall bei der LINKEN – Christian Lange
[Backnang] [SPD]: Die ist doch gar nicht mehr Es war ein großer Wurf angekündigt. Herr Goldmann
da! – Ulrich Kelber [SPD]: Die hat nach der hatte die Idee eines Superinformationsgesetzes, in dem
Vorlesung den Raum verlassen!) sich alle Informationsgesetze zusammenfinden sollten.
Herr Schweickert forderte die Ausweitung auf Finanz-
Ich hätte jetzt noch einige Punkte. Zuletzt möchte ich produkte und – vernünftigerweise – das Smiley-System
wenigstens noch auf das Thema Smiley-Kennzeichnung für Gaststätten. Das alles sind hervorragende Ideen. Lei-
zu sprechen kommen. Ich bin der Meinung: Wir brau- der findet sich im Entwurf nichts davon wieder. Wenn
chen eine bundeseinheitliche Regelung für die Hygiene- man einen Schweickert hat, ist es gut; nur, dann muss
kennzeichnung der Gaststätten und Lebensmittelbe- man manchmal auch auf ihn hören.
triebe; denn die Konsumentinnen und Konsumenten
haben einen Anspruch darauf, zu wissen, in was für ein (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Lokal sie gerade gehen. NEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Produkt-
information!)
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Wenn ich mir den Entwurf ansehe, dann finde ich keine
Da Essen nicht nur Nahrungsaufnahme ist, sondern der guten Ideen wieder, die groß durch die Presse getrie-
immer auch etwas mit Genuss und Kultur zu tun haben ben wurden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16369
Nicole Maisch
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C)
bei der SPD und der LINKEN) NEN und bei der SPD – Abg. Dr. Erik
Schweickert [FDP] meldet sich zu einer Zwi-
Sie scheitern daran, das Ungleichgewicht im Markt schenfrage)
zwischen Anbietern und Konsumenten auszugleichen.
Sie schaffen kleine Verfahrensänderungen, und im – Ich bringe den Gedanken noch kurz zu Ende; dann
Bereich der Gebühren – ich nenne das Thema Globalan- gern.
fragen – verschlechtern Sie sogar die Rechtslage im Ver- Wir wollen, dass Frau Aigner diese Beerdigung ab-
gleich zu dem, was gegenwärtig gilt. Aber die Beratun- bläst und ein bisschen politisches Engagement zeigt, um
gen sind noch nicht zu Ende. Es gibt eine ganze Menge das Kontrollbarometer oder das Smiley an die Restau-
von Dingen, die man verbessern kann. ranttür zu bringen. Pressemitteilungen und Ankündigun-
Sie weiten den Anwendungsbereich aus. Es ist sehr gen reichen nicht. Manchmal muss man für das, was ei-
gut, dass der Föhn jetzt nicht mehr auf dem Kopf explo- nem wichtig ist, auch kämpfen.
dieren soll, aber Konsumenten sind im Alltag nicht nur (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
mit Produkten, sondern auch mit Dienstleistungen kon- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
frontiert. Wir fordern die Ausweitung auf verbraucher- LINKEN)
nahe Dienstleistungen und natürlich insbesondere auf
den Finanzsektor. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Kollegin Maisch, erlauben Sie eine Zwischen-
und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten frage des Kollegen Schweickert?
der SPD)
Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wir fordern weiterhin: Schaffen Sie einen Informa-
Gern.
tionsanspruch gegenüber Unternehmen! Viele relevante
Daten liegen nur den Unternehmen vor. Auf diese Forde-
rung wird vonseiten der Union und der FDP oft gekon- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
tert, damit wären die Unternehmen einer Bürokratieflut Bitte schön, Herr Schweickert.
ausgesetzt. Das ist natürlich Quatsch. Wenn man sich die (Zuruf von der SPD: Der Mann für Schlag-
Zahlen dazu anschaut, wie das VIG genutzt wurde, stellt zeilen!)
man fest: Es ist eine kleine, handhabbare Zahl von An-
(B) fragen. Wenn man diese Informationspflicht nicht mit ei- Dr. Erik Schweickert (FDP): (D)
ner Informationsbeschaffungspflicht zusammenkoppelt,
dann kann das wunderbar funktionieren, und dann ist das Frau Kollegin, vielen Dank, dass Sie mir die Zwi-
mehr Verbraucherschutz, aber nicht mehr Bürokratie. schenfrage gestatten. – Ich möchte fragen: Ist Ihnen be-
kannt, dass für die Umsetzung eines Smiley- oder eines
Nächster Punkt. Sorgen Sie für aktive Information der Hygienekontrollbarometer-Systems – was auch immer
Öffentlichkeit durch die Behörden! Wir haben aus den kommen wird – die Länder verantwortlich sind, und ist
Erfahrungen mit dem VIG gelernt: Die wenigsten Ver- Ihnen ferner bekannt, wie viele Länder es nach dem Sta-
braucher nutzen den langen Antragsweg, um eine Infor- tus quo bei der Kontrolldichte – im Durchschnitt gibt es
mation zu bekommen. Sie wollen andere Informations- einen Lebensmittelkontrolleur für 300 Betriebe – hinbe-
quellen. Wir schlagen vor: Veröffentlichen Sie im Netz! kommen würden, heute oder bis Anfang nächsten Jahres
Beispiel Luftfahrtbundesamt. Das hat alle relevanten In- die Betriebe zu zertifizieren und, soweit Mängel festge-
formationen, etwa dazu, welche Airlines gegen Flug- stellt werden, zeitnah auch nachzuzertifizieren?
gastrechte verstoßen. Warum steht das nicht auf der
Homepage? Warum muss ein Geheimnis daraus gemacht Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
werden? Wir fordern aktive Information.
Herr Schweickert, ich danke Ihnen, dass Sie, der Sie
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, schon im Januar in Pressemitteilungen das Smiley gefor-
bei der SPD und der LINKEN) dert haben, mir die Möglichkeit geben, hier noch einmal
Stellung zu nehmen.
Sorgen Sie dafür, dass an der Restauranttür veröffent-
Natürlich sind die Länder in der Verantwortung, das
licht wird, sei es mit dem Smiley, sei es mit dem Kon-
Smiley umzusetzen. In Berlin haben wir auf kommuna-
trollbarometer. Wir sind dafür, dass man Gammelbuden
ler Ebene sogar schon ein gutes Smiley-Modell gehabt.
auf den ersten Blick identifizieren kann. Hier hat sich
Schauen wir einmal, ob es wieder eingeführt wird, sollte
Frau Aigner gemeinsam mit den FDP-Verbraucherschüt-
das Kontrollbarometer scheitern.
zern weit aus dem Fenster gelehnt. Das wurde jedoch
von den Wirtschaftsministerinnen und -ministern der Wir hätten aber natürlich gern eine national einheitli-
Länder schnell wieder eingesammelt. Jetzt sollen sich che Regelung. Deshalb ist die Bundesregierung in der
die Länder in einer AG zum Kontrollbarometer zusam- Pflicht, dies voranzutreiben, natürlich in Zusammen-
menfinden und Einvernehmen herstellen. „Einvernehmen“ arbeit mit den Ländern. Eine Ministerin aber, die sich so
steht in der Politikersprache für „Beerdigung zweiter weit aus dem Fenster lehnt, muss in einer solchen Ar-
Klasse“. beitsgruppe auch dafür sorgen, dass der Bund vorangeht,
16370 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Nicole Maisch
(A) damit einheitliche Standards für ganz Deutschland ge- gegen die Stimmen der Linken und der Grünen bei Ent- (C)
schaffen werden. haltung der SPD-Fraktion.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Wir brauchen verbraucherfreundliche und für den
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1983
Vollzug handhabbare Standards im VIG. Leider ist ein
mit dem Titel „Verbraucherinformationsgesetz jetzt novel-
Betriebsgeheimnis immer noch ein irgendwie nebulöses
lieren“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Ding. Unternehmen dehnen diesen Begriff wie Kau-
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
gummi. Sie hätten definieren können, was genau ein Be-
fehlung ist angenommen mit den Stimmen der Koali-
triebsgeheimnis ist und was kein Betriebsgeheimnis ist.
tionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken und der
Ein Betriebsgeheimnis ist aber nicht all das, was einem
Grünen bei Enthaltung der SPD-Fraktion.
Unternehmen peinlich ist. So wird es im Moment aber
oft von interessierter Seite interpretiert. Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 34 auf:
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Ich möchte das an einem Beispiel deutlich machen. Volker Beck (Köln), Kai Gehring, Ingrid
Das genaue Rezept der Currywurstsauce ist sicher ein Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Frak-
Betriebsgeheimnis. Das Gammelfleisch in der Wurst ist tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
aber kein Betriebsgeheimnis. Dies im Gesetz klarzustel- Für eine an den Bürgerrechten ausgerichtete
len, daran sind Sie gescheitert. Das halte ich aufgrund Polizei
des langen Beratungsprozesses eher für peinlich.
– Drucksachen 17/4519, 17/6736 –
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Wir stehen am Anfang der parlamentarischen Bera- Bündnis 90/Die Grünen vor.
tung. Man kann also noch eine ganze Menge verbessern.
Als konstruktive Opposition stehen wir natürlich mit un- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
seren Anträgen zur Verfügung. Ich freue mich auf die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
Diskussion. Vielleicht nimmt dann auch wieder Frau derspruch dagegen? – Nicht der Fall. Dann ist das so be-
Heil an den Beratungen teil. schlossen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
sowie bei Abgeordneten der SPD) ner dem Kollegen Volker Beck von Bündnis 90/Die Grü-
(B) nen das Wort. (D)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich schließe die Aussprache. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die große
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- Mehrheit aller Polizistinnen und Polizisten in Deutsch-
wurfs auf Drucksache 17/7374 an die in der Tagesord- land – sowohl bei der Bundespolizei als auch bei den
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es Polizeien der Länder – erfüllt ihre Aufgaben professio-
anderweitige Vorschläge? – Nicht der Fall. Dann ist die nell, im Einklang mit den Gesetzen und unter Wahrung
Überweisung so beschlossen. der Menschenrechte.
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
fehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz auf Drucksache 17/3928. Der Dennoch gibt es einige beklagenswerte Einzelfälle – so-
Ausschuss empfiehlt in Kenntnis des Berichts der Bun- wohl was den Umgang mit Bürgerinnen und Bürgern in
desregierung über die Ergebnisse der Evaluation des Ver- Polizeigewahrsam angeht als auch bei Großlagen wie
braucherinformationsgesetzes auf Drucksache 17/1800 Demonstrationen, bei Stuttgart 21 oder den Castortrans-
unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die porten –, bei denen es Übergriffe von Polizisten auf Bürge-
Ablehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Druck- rinnen und Bürger gegeben hat. Amnesty International hat
sache 17/2116 mit dem Titel „Verbraucherinformationsge- in einer Studie mit dem Titel „TÄTER UNBEKANNT“ da-
setz zügig reformieren“. Wer stimmt für diese Beschluss- rauf hingewiesen, dass es oftmals nicht gelingt, diese
empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Straftaten von Polizeibeamten gegen Bürgerinnen und
Beschlussempfehlung ist angenommen mit den Stimmen Bürger aufzuklären. Es ist gut, dass der Innenausschuss
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi- in der nächsten Sitzungswoche über das Thema „Kenn-
tionsfraktionen. zeichnungspflicht von Polizeibeamtinnen und Polizeibe-
amten“ redet; unser Antrag geht in seinen Forderungen
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab- aber darüber hinaus.
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 17/1576 mit dem Titel „Verbraucherinformations- Bei der Aufklärung solcher Straftaten gibt es zwei
gesetz jetzt verbraucherfreundlich ausgestalten“. Wer große Probleme: Das ist zum einen das Problem, festzu-
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim- stellen, von wem der Übergriff ausging, das andere Pro-
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist blem ist das System unserer Übermittlungen. Der Euro-
angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen parat verlangt im Rahmen der Antifolterkonvention von
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16371
Volker Beck (Köln)
(A) den Mitgliedstaaten, dass sie unabhängige Ermittlungs- tionen eine anonyme Kennzeichnung der Beamten erfor- (C)
einheiten einsetzen, gerade wenn es um Straftaten von derlich ist.
Polizeibeamten gegen Bürgerinnen und Bürger geht.
Denn der enge Zusammenhang zwischen Staatsanwalt- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
schaften und Polizei bei der Kriminalitätsbekämpfung Diese Fragen müssen wir mit den Polizeigewerkschaften
verhindert im Alltagsgeschäft häufig, dass im Bereich in einem Dialog klären.
dieser Straftaten mit der gleichen Akribie wie bei ande-
ren Taten aufgeklärt wird. Es gibt aber keinen Grund, hier nicht den nächsten
Schritt zu tun. Ich hoffe, dass Sie sich in der nächsten
Großbritannien hat hier sehr gute Erfahrungen mit un- Sitzungswoche im Innenausschuss bei der Anhörung zu
abhängigen Ermittlungseinheiten gemacht. Man braucht diesem Thema überzeugen lassen, dass die Kennzeich-
aber keine neue Behörde, um dem Rechnung zu tragen; nungspflicht ein wichtiges Mittel ist, um das Vertrauen
hierfür reicht der Einsatz von Polizeibeauftragten und der Bürgerinnen und Bürger in unsere Polizei zu stärken
Sondereinheiten innerhalb von Staatsanwaltschaft und
Polizei. Ich denke, wir sollten im Interesse des Ansehens (Günter Baumann [CDU/CSU]: Die Bürger
unserer Polizei und unseres Rechtsstaates dafür sorgen, haben Vertrauen! Die brauchen die Kennzeich-
dass auf diesem Feld mit der notwendigen Unabhängig- nung nicht!)
keit ermittelt wird. Die Bürgerinnen und Bürger müssen
wissen, dass auch ein Polizeibeamter, der einmal über und um klarzumachen, dass Deutschland ein Rechtsstaat
das Ziel hinausschießt oder vorsätzlich handelt, der ge- ist und dass wir eine gute Polizei haben. In den wenigen
rechten Ermittlung in einem Verfahren zugeführt wird, Einzelfällen, bei denen es zu Übergriffen kommt, wird
in dem seine Schuld zweifelsfrei festgestellt werden dieser Rechtsstaat den Vorfällen entsprechend nachge-
kann. hen und dafür sorgen, dass sich solche Ereignisse nicht
mehr wiederholen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die Bundesregierung lehnt weiterhin die Kennzeich- Vizepräsidentin Petra Pau:
nungspflicht von Polizeibeamten ab. Sie begründet das Kollege Beck, ich weiß: Für das Einbringen einer
– und das ist für mich nicht nachvollziehbar – mit den Großen Anfrage sind vier Minuten Redezeit wenig; aber
Persönlichkeitsrechten der Polizisten. Es ist eine Sache, wir sind jetzt bei fünf Minuten.
ob man bei Großlagen die Polizistinnen und Polizisten
tatsächlich mit Namen kennzeichnet. Es bedarf in be- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
stimmten Situationen sicherlich einer anonymen Kenn-
(B) zeichnung – zum Beispiel durch Nummern oder Buch- Ich komme zum Schluss. – Der Europäische Gerichts- (D)
stabenkombinationen –, damit die Persönlichkeitsrechte hof für Menschenrechte hat festgestellt, dass die Nicht-
gewahrt werden. Diese Möglichkeiten haben wir aber. aufklärung von Straftaten, die von Polizistinnen und
Damit kann man die Feststellung des Täters sichern, Polizisten ausgehen, eine schwere Menschenrechtsver-
ohne die Persönlichkeitsrechte des einzelnen Polizeibe- letzung ist. Ich denke, wir in Deutschland sollten dafür
amten zu verletzen, zum Beispiel bei Demonstrationen sorgen, dass so etwas nicht vorkommen kann.
von Neonazis Vielen Dank.
(Günter Baumann [CDU/CSU]: Das ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
unmöglich!) sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
oder Demonstrationen, bei denen es zu Gewalt von links
kommt. Vizepräsidentin Petra Pau:
(Günter Baumann [CDU/CSU]: Auch die Poli- Das Wort hat der Kollege Günter Baumann für die
zisten haben Persönlichkeitsrechte! – Weitere Unionsfraktion.
Zurufe von der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
– Was wollten Sie mir sagen? Sie können gerne eine neten der FDP)
Zwischenfrage stellen. Wenn Sie alle zusammen dazwi-
schenrufen, bin ich nicht in der Lage, Ihre Einwürfe zu Günter Baumann (CDU/CSU):
würdigen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE Kollegen! Lieber Kollege Beck, beim Durchsehen Ihrer
GRÜNEN]: War auch nicht nötig!) Großen Anfrage hat man im ersten Moment den Ein-
druck, es ginge Ihnen darum, die Arbeits- und Einsatzbe-
Wir wollen, dass es zu einer Identifizierung kommt, dingungen der Polizisten zu verbessern. Wenn man die
und zwar unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Fragen im Einzelnen liest, merkt man: Sie haben ein ge-
Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten. Berlin hat das. nerelles Misstrauen gegenüber unserer Polizei. Das kann
Bei den Koalitionsverhandlungen in Rheinland-Pfalz man einfach nicht nachvollziehen.
habe ich es selbst mit durchgesetzt. Ich weiß, dass es
Vorbehalte bei den Polizeigewerkschaften gibt. Deshalb (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
muss man gemeinsam darüber reden, wann eine nament- neten der FDP – Widerspruch beim BÜND-
liche Kennzeichnung erfolgen soll und in welchen Situa- NIS 90/DIE GRÜNEN)
16372 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Günter Baumann
(A) Ihre Große Anfrage ist mit Unterstellungen und Verall- sprochen. Wir haben bereits am 7. April hier im Plenum (C)
gemeinerungen einiger weniger Fälle durchsetzt. Wenn darüber diskutiert. Am 7. November findet dazu eine
man Ihre Fragen liest, denkt man, man sei in einer Bana- Anhörung im Innenausschuss des Deutschen Bundesta-
nenrepublik, aber nicht im deutschen Rechtsstaat. ges statt. Gestatten Sie, dass ich die Meinung meiner
Fraktion hier deutlich sage: Wir sind eindeutig gegen
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- eine Kennzeichnungspflicht. Sie suggerieren mit Ihren
neten der FDP – Josef Philip Winkler [BÜND- Fragen, die Bundesregierung wolle mit dem Verzicht auf
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt darf man schon die Kennzeichnungspflicht bei Bundespolizisten eine
nicht mehr fragen!) Möglichkeit zu polizeilichen Straftaten einräumen.
– Kollege Winkler, der Punkt ist, wie man fragt und was (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
man fragt. NEN]: Nee, nee, nee! Das ist die Folge!)
Ich möchte gerne einige Punkte aus der Großen An- Das ist ungeheuerlich. Darüber hinaus suggerieren Sie,
frage wiedergeben, die Sie angeführt haben: Sie spre- dass ein strafrechtliches Vorgehen bewusst verhindert
chen von Vorwürfen gegen Polizisten „wegen Misshand- werden solle. Die Ideologie, die Ihren Fragen zugrunde
lungen oder unverhältnismäßiger Gewaltanwendung“, liegt – –
von „mangelnder Aufklärung“ – das richtet sich gegen
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
unsere Behörden –, von Strafermittlungsbehörden, die
NEN]: Das ist die Folge!)
„untätig“ blieben. In Ihrer Rede haben Sie sogar das
Wort „vorsätzlich“ verwendet. Sie sprechen von einer – Kollege Wieland, das sind die Fragen Ihrer Fraktion;
„neuen Kultur im Umgang mit Fehlverhalten“. Das alles es tut mir leid.
gipfelt in Ihrer Formulierung: „Ein Klima der Straflosig-
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
keit … bei Menschenrechtsverletzungen durch Vertrete-
NEN]: Wir haben die Folgen geschildert!)
rinnen und Vertreter des Staates …“. Dazu fällt einem ei-
gentlich nichts mehr ein. Wir alle wissen, dass sich Bundespolizisten und Lan-
despolizisten bei Aufforderung mit dem Dienstausweis
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE ausweisen; das wird so gehandhabt.
GRÜNEN]: Zu Ihrer Rede auch nicht!)
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Man kann sich nur bei unseren Polizistinnen und Polizis- NEN]: Nee! – Josef Philip Winkler [BÜND-
ten in Bund und Ländern für die Unterstellungen und NIS 90/DIE GRÜNEN]: Gehen Sie mal zum
Beschimpfungen durch die Grünen entschuldigen; etwas Castortransport und fragen Sie die nach dem
anderes kann man einfach nicht machen. Ausweis! Dann lachen sie Sie aus!)
(B) (D)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Bei geschlossenen Einheiten wird bereits heute – das
neten der FDP) weiß jeder – eine taktische Kennzeichnung der Einsatz-
Ihr Misstrauen gegenüber Polizei und Staat ist nicht bereiche vorgenommen. Das funktioniert gut.
nachzuvollziehen. Wir – ich denke, die Mehrheit des Liebe Kolleginnen und Kollegen, es geht hier um ei-
Hauses – teilen das in keiner Form. nen ausgewogenen Mittelweg zwischen den Interessen
der Öffentlichkeit und den Interessen der Polizeibeam-
Es kann nicht schaden, einmal konkrete Zahlen zurate
ten, ihrer Anverwandten und der jeweiligen Diensther-
zu ziehen. Ich habe das heute gemacht: Ich habe mir die ren. Hier darf natürlich nicht in irgendeiner Form ge-
Zahlen einer größeren Bundespolizeidirektion, nämlich schwächt werden.
der in Pirna, besorgt; sie ist in den Ländern Sachsen,
Thüringen und Sachsen-Anhalt tätig. Dort sind weit über Meine Damen und Herren, wir dürfen die Rechte un-
3 000 Bundespolizistinnen und -polizisten im Einsatz. serer Polizisten, die jeden Tag für uns auf der Straße ste-
2010 hatten sie relativ schwere und große Einsätze. hen und ihren Job machen, in keinster Weise gefährden.
Dazu gehörten Einsätze beim Castortransport, bei einer Sie haben einen Anspruch darauf, dass sich der Staat als
Vielzahl von schwierigen Fußballspielen und natürlich Dienstherr dafür einsetzt, dass diese Rechte gewahrt
auch die Demonstration im Februar in Dresden, an die werden. Deswegen kann man Ihre Forderung nur ableh-
wir alle uns erinnern. Kollege Beck, wenn es Sie interes- nen.
siert: 2010 gab es im Zusammenhang mit den Einsätzen (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
keine einzige Anzeige gegen die Bundespolizisten. Im GRÜNEN]: Deswegen können die doch eine
Jahre 2011, in dem es wieder schwierige Einsätze gab Nummer tragen! Was soll das denn? –
– wir alle haben im Plenum über die Demonstration im Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Februar in Dresden diskutiert –, ist es bisher zu drei Er- NEN]: In Berlin machen das viele freiwillig,
mittlungsverfahren gekommen, die gegenwärtig offen Herr Kollege!)
sind und noch durchgeführt werden. Man kann also nicht
von einer Vielzahl irgendwelcher Vorkommnisse spre- – Kollege Winkler und Kollege Wieland, Sie wissen
chen, wie Sie es in Ihrer Großen Anfrage suggerieren. ganz genau: Bei einer Kennzeichnung mit Nummern
kann man schnell herausfinden, wie der Polizist heißt,
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich gehe wo er wohnt und möglicherweise wer seine Verwandten
auf einige Themen Ihrer Anfrage ein, bei denen es abso- sind. Es geht um die Sicherheit dieser Bürgerinnen und
luten Klärungsbedarf gibt. Ich beginne mit dem Thema Bürger und dieser Polizisten. Der Staat hat die Pflicht,
Kennzeichnungspflicht; Kollege Beck hat es hier ange- für diese Sicherheit Sorge zu tragen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16373
Günter Baumann
(A) Meine Damen und Herren, ich möchte noch auf § 113 – Das haben wir ja gerade besprochen. Jetzt geht es um (C)
des Strafgesetzbuches eingehen, der in Ihrer Anfrage Anzeigen, wenn Straftaten begangen wurden.
eine große Rolle spielt. Wir haben im Deutschen Bun-
destag per Gesetz eine Verbesserung des strafrechtlichen Kollege Beck, wir haben in Deutschland eine unab-
Schutzes von Vollzugsbeamtinnen und -beamten be- hängige Gerichtsbarkeit, zu der fast alle in diesem
schlossen. Es ist eigentlich schlimm, wie Sie diese Ver- Hause, denke ich, stehen. Deswegen fragt man sich, was
besserung charakterisieren. Ich möchte dazu wörtlich zi- die Forderung nach einer neuen unabhängigen Untersu-
tieren: Sie sprechen davon, dies sei Ausdruck einer um chungsbehörde soll. Das ist absolut unverständlich.
Zustimmung buhlenden Symbolpolitik, die Abschot- In Ihrem Fragenkatalog führen Sie noch das Thema
tungstendenzen, Korpsgeist und Intransparenz verstärkt. Menschenrechte auf. Menschenrechtsverletzungen mit
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE unseren Polizisten in Verbindung zu bringen, ist zu-
GRÜNEN]: Das befürchten wir!) nächst einmal ein Hohn. Wenn Sie dann noch davon
sprechen, dass unsere Polizisten nicht auf der Grundlage
Man kann absolut kein Verständnis dafür haben, wenn unserer Gesetze handeln, dann fällt einem dazu absolut
mit solchen Themen derartig umgegangen wird. nichts mehr ein.
Die Polizeiliche Kriminalstatistik belegt eindeutig: In (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
den letzten zehn Jahren haben die Angriffe gegen Voll- NEN]: Es geht um die Ausnahmen!)
zugsbeamte extrem zugenommen. Der Staat ist ver- Da kann man nur fragen: Welche Ideologie haben Sie ei-
pflichtet, seine Bürgerinnen und Bürger zu schützen und gentlich, Herr Beck? – Ich kann Ihnen ja die Fragen vor-
natürlich auch diejenigen, die diesen Schutz gewährleis-
lesen, die Sie aufgeschrieben haben.
ten, nämlich die Polizistinnen und Polizisten. Dies muss
in Bund und Ländern umgesetzt werden. Bei der Betreuung der in Polizeigewahrsam unterge-
brachten Personen haben Sie Probleme mit Blick darauf
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- formuliert, wer dabei eingesetzt wird. Unsere Polizisten
NEN]: Das sehen wir auch so!) haben eine hervorragende Ausbildung, und ich denke,
– Hervorragend! Dann können wir schon einmal festhal- sie machen ihren Job ordentlich.
ten, dass ein Teil der Grünen die gleiche Meinung hat (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
wie ich. Wir haben eine Fürsorgepflicht für unsere Poli- GRÜNEN]: Heiligendamm!)
zisten, der wir gerecht werden müssen.
Jeder, der in Gewahrsam genommen wird – Kollege
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wieland, es ist schon so –, hat alle Rechte; er kann einen
(B) Wir haben den § 113 des Strafgesetzbuches aber nicht Anwalt, einen Rechtsbeistand und einen Arzt kontaktie- (D)
nur verschärft, sondern auch erweitert und wollen auch ren. Das alles stellen Sie infrage. Das ist nicht mehr
den Schutz unserer Kameradinnen und Kameraden der nachzuvollziehen.
Feuerwehren, der Rettungskräfte, der Hilfeleistenden (Zuruf von der LINKEN)
des Katastrophenschutzes und des THW mit aufnehmen.
Ich denke, es war dringend notwendig, dies zu tun. Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Polizis-
ten werden während ihrer Ausbildung – Kollege Tempel
Meine Damen und Herren, Polizeibeamte stehen im- weiß das vielleicht am besten von uns allen – in einer
mer stärker im Mittelpunkt von Angriffen. In dieser Wo- Reihe von Fächern unterrichtet. Sie zweifeln an, dass das
che gab es gerade die Auseinandersetzungen im Rahmen ausreicht.
des Fußballspiels zwischen Dresden und Dortmund.
Diese Bilder kann man sich fast nicht mehr anschauen. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Zwischen diesen Chaoten – das sind ja keine Fußballfans NEN]: Drogenkunde!)
mehr – – Nein, das ist nicht dabei, Kollege Wieland.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Sächsische Chaoten!) NEN]: Drogenkunde ist nicht dabei?)
stehen unsere Polizisten und müssen für Ordnung sor- Sie werden in Staats- und Verfassungsrecht, Eingriffs-
gen. Wir haben die Pflicht, uns für unsere Polizisten mit recht und Psychologie in den Themen Menschenrechte,
allen zur Verfügung stehenden Mitteln einzusetzen. Das Grundrechte, Diskriminierungsverbot, Verbot von Miss-
ist die Pflicht des Staates. handlungen und Folter unterrichtet. Sie sind also eigent-
lich komplett geschult. Deshalb kann man nicht sagen,
Meine Damen und Herren, mögliche Amtspflichtver- dass sie nicht in der Lage sind, ihre Aufgaben ordnungs-
letzungen von Polizisten werden von einer ordentlichen
gemäß zu erfüllen. Das ist nicht mehr nachzuvollziehen.
Gerichtsbarkeit aufgeklärt; und es gibt auch ordentliche
Methoden, diese zur Anzeige zu bringen. Wir brauchen Meine Damen und Herren von den Grünen – alle sind
eigentlich keine anderen Methoden in irgendeiner Form. es ja nicht –, dass Sie unsere Polizisten von Bund und
Ländern unter Generalverdacht stellen, weisen wir deut-
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE lich zurück.
GRÜNEN]: Wenn man weiß, wer es war! –
Zuruf von der LINKEN: Kennzeichnungs- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
pflicht!) NEN]: Niemals!)
16374 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Günter Baumann
(A) – Herr Kollege Beck hat mit seinen Fragen die Polizis- Dann hätten Sie auch die Resonanz, die Sie mit dieser (C)
ten unter Generalverdacht gestellt. Wir stehen zu unserer Showeinlage offensichtlich beabsichtigt haben.
Polizei von Bund und Ländern. Wir bedanken uns für
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD –
ihre Tätigkeit, die sie jeden Tag für uns ausüben. Wir
Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
wünschen ihnen alles erdenklich Gute und dass solche
NEN]: Herr Gunkel, warum hatten Sie keine
Sachen wie gestern Nacht in Augsburg möglichst selten
Kennzeichnung in Ihren aktiven Jahren?)
vorkommen.
Herr Kollege Beck, ich habe ein paar mehr Minuten
Vielen Dank.
als Sie. Deswegen möchte ich noch auf die Punkte ein-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gehen, die entscheidend sind.
(Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜND-
Vizepräsidentin Petra Pau: NIS 90/DIE GRÜNEN])
Das Wort hat der Kollege Wolfgang Gunkel für die
SPD-Fraktion. – Herr Beck, Sie können dazwischenrufen, das stört
mich nicht weiter.
(Beifall bei der SPD)
(Lachen bei Abgeordneten der SPD)
Wolfgang Gunkel (SPD): Rufen Sie an anderer Stelle dazwischen, dann kann ich
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich meine Rede besser aufbauen.
finde es schon interessant, dass das Thema zum heutigen
Kommen wir zu dem, was eigentlich Sache ist. Es
Tage und zu dieser Zeit angesetzt wird.
wurde bereits betont, dass in dem Bericht von Amnesty
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- International teilweise schwere kriminelle Straftaten er-
NEN]: Es ist doch noch Tagesbetrieb!) wähnt worden sind. Es gab insgesamt 15 Fälle, in denen
Menschen zu Tode gekommen sind, und auch schwere
In zehn Tagen gibt es eine Anhörung auf Antrag der
Verletzungen konnten nachgewiesen werden. Man kann
Linkspartei, die sich ausführlich mit dem Thema Kenn-
also nicht generell sagen: Das gibt es nicht, das ist alles
zeichnungspflicht von Polizeibeamten auseinandersetzt.
menschenrechtskonform; denn das ist es eben nicht.
Wenn wir im Parlament den Anspruch erheben, etwas
mit Sachkenntnis entscheiden zu wollen, erscheint es Was dort zusammengetragen worden ist – Stand Juli
sehr kontraproduktiv, wenn wir schon jetzt die Debatte 2010 –, hat natürlich solche Dinge zum Inhalt. Ich bitte
führen, ohne die Sachkenntnis zu haben, die uns die Sie aber, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Bundespoli-
Sachverständigen erst noch vermitteln werden. zei – es geht hier um die Bundespolizei, etwas anderes (D)
(B)
ist auch nicht möglich – nur ein einziges Mal betroffen
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
ist. Das ist einmal zu viel, keine Frage, aber wenn man
NEN]: Die CDU weiß doch schon Bescheid!)
über dieses Thema diskutiert, dann muss man feststellen,
– Ja, Herr Wieland, die sind eben in eine anderen Rich- dass die Mehrzahl der Taten im Bereich der Länderpoli-
tung gepolt als Sie oder andere. Das ist klar. zei vorkommt.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des Die Bundespolizei ist immer dann im Geschäft, wenn
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang es sich um geschlossene Einsätze handelt, wenn die Ein-
Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!) heiten, die die Bundespolizei vorhält, zum Einsatz kom-
men, siehe Stuttgart 21 oder andere Großeinsätze wie
Es scheint ein bisschen unsinnig, eine solche Debatte zu
der Castortransport usw. usf. In diesem Zusammenhang
führen.
können Vorkommnisse dieser Art relevant sein. Den
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Einzeldienst bestreiten nun einmal die Länderpolizeien.
NEN]: Herr Wieland kennt sich gut aus!) Wenn man die Statistik hinzuzieht – Kollege Baumann
hat das getan –, dann stellt man fest, dass die überwie-
Eine solche Art von Selbstdarstellung brauchen wir dem
gende Anzahl von Fällen im Länderpolizeibereich vor-
Volk eigentlich nicht zu bieten.
kommt. Das ist auch völlig klar; denn der Einzeldienst
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wird sehr viel häufiger mit Gewalttaten konfrontiert, wo-
NEN]: Nun zur Sache bitte!) durch Gegengewalt erzeugt wird. Da kommt es schon
vor, dass das ein oder andere Mal die legale Grenze
Wenn Sie sich umschauen, dann stellen Sie fest, dass
überschritten wird.
nicht mehr all zu viele auf der Tribüne sitzen, und auch
das Plenum hier unten ist nicht gerade gut gefüllt. Mit anderen Worten: Wenn ich eine Kennzeichnungs-
pflicht der Bundespolizei fordere, dann sollte ich mir ge-
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
nau überlegen, was ich damit meine. Die SPD hat sich
NEN]: Dafür ist es ein qualitativ hochstehen-
schon vor einiger Zeit dazu erklärt. Unsere Stellung-
des Plenum!)
nahme liegt vor. Sie können das auch in einer Rede
Die Frage, die jetzt diskutiert wird, hätte es eigentlich nachlesen, die ich am 7. April zu diesem Thema gehalten
verdient, ein größeres Publikum zu finden. habe. Ich kann es auch noch einmal wiederholen:
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das ist wahr!) NEN]: Wir hören es immer wieder gerne!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16375
Wolfgang Gunkel
(A) Meine Einstellung hat sich durch das, was hier vorgetra- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C)
gen wird, nicht geändert. Natürlich bin ich daran interes- NEN]: Wie immer!)
siert, was die Sachverständigen sagen werden. Es kann
sein, dass das ein oder andere zu einer Korrektur meiner Die Sache ist jetzt beim Verwaltungsgericht. Schießen
Auffassung führt. Immerhin fahren wir in der Sozialde- Sie doch nicht übers Ziel hinaus! Lassen Sie das Verwal-
mokratischen Partei zwei Modelle: Das Rheinland- tungsgericht entscheiden, wie man das behandeln muss.
Pfalz-Modell und das Berliner Modell. In Rheinland- Jedenfalls ist die Sache erst einmal angehalten worden.
Pfalz findet eine Kennzeichnung des Einzeldienstes Das ist ein entscheidender Fakt, der mich dazu bringt, zu
statt, nicht aber der geschlossenen Einheiten. sagen: Das ist in der Diskussion. Oder ist sie dadurch be-
endet, dass die Behörde diese Maßnahme schlicht und
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einfach per Geschäftsanweisung durchsetzt? Es bleibt
NEN]: Auf die kommt es gerade an!) abzuwarten, wie das Gericht entscheidet. Dann kann
man darüber sprechen, ob das gut oder schlecht ist; denn
– Darüber kann man doch diskutieren. – In Berlin findet
dann ist es endgültig.
nach dem vorliegenden Modell eine Kennzeichnung des
Einzeldienstes statt – wahlweise durch Namen oder
durch Kennziffern – und eine Kennzeichnung der ge- Vizepräsidentin Petra Pau:
schlossenen Einheiten über Kennziffern, also über Buch- Kollege Gunkel, gestatten Sie eine Frage des Kolle-
staben und Zahlen. gen Wieland?
(Günter Baumann [CDU/CSU]: Auch der Polizist
hat Rechte! Und seine Familie!) Wolfgang Gunkel (SPD):
Ja. – Bitte schön.
Vizepräsidentin Petra Pau: (Gisela Piltz [FDP]: Müsst ihr heute eure
Kollege Gunkel, gestatten Sie eine Frage oder Bemer- Koalitionsgeschichte aufarbeiten?)
kung des Kollegen Beck?
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wolfgang Gunkel (SPD):
Nein, die Zeit reicht nicht, um die Koalitionsge-
Ja, selbstverständlich. – Bitte, Herr Beck.
schichte aufzuarbeiten.
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lieber Kollege Gunkel, da sicherlich niemand in die-
Wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die sem Saal so viel Erfahrung mit Einsätzen in geschlosse-
(B) neue Landesregierung in Rheinland-Pfalz beschlossen nen Einheiten hat wie Sie, (D)
hat – das steht im Koalitionsvertrag –, dass auch dort in (Günter Baumann [CDU/CSU]: Sie auch!)
Zukunft alle Polizeibeamten entweder namentlich oder
anonymisiert – je nach Lageeinschätzung – gekenn- würde uns Ihre persönliche Meinung interessieren. Wir
zeichnet werden? wollen nicht nur hören, dass viel diskutiert wird, dass
man das so oder so sehen kann, sondern wir wollen auch
(Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Das ist die
wissen, wie Sie aufgrund Ihrer ganzen Lebenserfahrung
traurige Wahrheit! – Günter Baumann [CDU/
zur Kennzeichnung stehen.
CSU]: Traurig! Ganz traurig!)
(Günter Baumann [CDU/CSU]: Jetzt sprechen
Wolfgang Gunkel (SPD): zwei Experten hier!)
Das nehme ich gerne zur Kenntnis. Ich freue mich
über diese Information; Sie wissen da etwas mehr als Wolfgang Gunkel (SPD):
ich, Herr Beck. Vielen Dank für die Ergänzung. Das war Sie haben mich jetzt erwischt. Sie wissen ganz genau,
ein netter Zug von Ihnen. wie meine Einstellung dazu ist. Ich sage: Wenn ich zu
(Günter Baumann [CDU/CSU]: Da können dem Zeitpunkt noch in der Berliner Polizei gewesen
wir noch Straße und Hausnummer draufschrei- wäre, hätte ich die Auffassung des Innensenators und
ben!) des Präsidenten Glietsch unterstützt. Ich hätte diese
Kennzeichnung mitgetragen.
Die Kennzeichnung in Berlin sieht folgendermaßen
aus: Im Einzeldienst kann sie wahlweise getragen wer- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-
den. Bei geschlossenen Einheiten erfolgt die Kennzeich- NIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ullrich
nung durch Buchstaben und Ziffern. Die Kennzeichnung Meßmer [SPD])
kann man über eine geschützte Datei auswerten und so – Sie klatschen jetzt, aber Sie müssen sich den Rest
den Namen des Betroffenen herausbekommen. Dazu trotzdem anhören.
kann man nur sagen: Das ist diskussionswürdig.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Wir haben vorsorglich geklatscht! –
NEN]: Das ist doch sehr gut!)
Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
– Darüber wird doch diskutiert. Der Hauptpersonalrat GRÜNEN]: Wir haben der Vorsicht halber
hat dagegen Beschwerde eingelegt. schon mal geklatscht!)
16376 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Wolfgang Gunkel
(A) – Okay. Vielleicht können Sie danach auch noch klat- Meine Erkenntnis zu diesem Thema ist, dass jede (C)
schen. – Ich hätte die Kennzeichnung vor dem Hinter- Anzeige – diese wird ja von Landesbehörden weiter ver-
grund mitgetragen, dass ich bei meinen Einsätzen, die folgt –, die mit einer möglichen Straftat eines Polizeibe-
Sie zum Teil ja auch genießen durften, amten im Amt zu tun hat, durch eine Sonderstaats-
anwaltschaft, die als Dezernat mit dieser Aufgabe
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – betraut ist, bearbeitet wird. Gerade bei diesen Ermittlun-
Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gen im Zusammenhang mit der Polizei sind sie sehr prä-
NEN]: Unvergessen!) zise. Wenn sie hier ermitteln, ermitteln sie eher etwas ge-
immer dafür eingetreten bin, dass Straftaten im Amt nauer und schlampen nicht; schließlich wollen sie ein
nicht vorkommen. Ich habe meinen Beamten immer ge- belastbares Ergebnis vorweisen.
sagt, dass ich sie rigoros verfolgen werde. Aus dieser Ich bitte darum, sich zu erinnern, dass die Polizeibe-
Grundeinstellung resultiert, dass ich nicht widersprechen amten Ermittlungsbeamte der Staatsanwaltschaft sind.
kann; denn eine solche Kennzeichnung erleichtert es un- Der Staatsanwalt ist Herr des Verfahrens. Wenn er der
ter Umständen, dass Straftäter in den Reihen der Polizei Auffassung ist, dass es nicht genügend ausermittelt ist,
festgestellt werden können. Straftäter in der Polizei sind gibt er es im Regelfall an die Behörde, an die Beamten,
sowohl für die Polizei als auch für ihr Image schlecht. zurück und sagt: Das möchte ich etwas präziser wissen,
Das war immer meine Grundhaltung. das reicht mir so nicht.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Daher sage ich: Die Staatsanwaltschaft erfüllt ihre
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Aufgabe, und Sonderbehörden sind für diese Angelegen-
heiten aus meiner Sicht nicht erforderlich. Diese Mei-
Das heißt natürlich nicht, dass ich manche, wie Sie, ge- nung teilt auch meine Fraktion. Daher brauche ich hier
streichelt habe. nicht lange meine eigene Meinung zu äußern.
Kommen wir von den vielen Ablenkungsmanövern (Gisela Piltz [FDP]: Glück gehabt!)
zu dem zurück, was ich ansprechen will. Natürlich unter-
scheidet sich meine Auffassung von Ihrer. Die Ziffern 3 Das ist Meinung der SPD-Fraktion.
und 4 Ihres Entschließungsantrags können Sie verges- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
sen. Die Grundausbildung der Bundespolizei sieht natür- NEN]: Herr Hofmann hat erklärt, die Polizei
lich vor, dass man das Verhältnismäßigkeitsprinzip ver- macht das und die Staatsanwaltschaft unter-
steht und dass man lernt, was Menschenrechte und schreibt das nur! Vielleicht sollten Sie das in
Personenrechte sind. Das ist klar. Für die Arbeit in Ge- Ihrer Fraktion klären!)
(B) wahrsamseinrichtungen ist keine Spezialausbildung er- (D)
forderlich. Erforderlich sind Grundkenntnisse, die in der Ich habe nun doch auf die Eigendarstellung des Kol-
Grundausbildung vermittelt werden. Als Gewahrsams- legen Beck geantwortet. Aber es bleibt einem nichts an-
beamte werden im Regelfall Leute eingesetzt, die über deres übrig, wenn Sie hier zehn Tage vor einer Anhö-
eine entsprechende Erfahrung verfügen. Man muss nicht rung dieses Thema aufwerfen. Schön, dass Sie mir
dafür Sonderbeamte schaffen. Die Punkte 3 und 4 in Ih- zugehört haben.
rem Antrag können Sie also vergessen. Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Im Punkt 5 geht es um Statistik. Unter Umständen ist (Beifall bei der SPD)
es überlegenswert, eine Statistik erstellen zu lassen, die
ausweist, wie viele Verfahren gegen Polizeibeamte eröff- Vizepräsidentin Petra Pau:
net worden sind, die aber auch ausweist, wie viele davon
Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz für die FDP-
eingestellt werden; denn eine Zahl, die dies ausweist,
Fraktion.
gibt es nicht. Da gibt es also keine statistischen Erhebun-
gen. Das könnte man unter Umständen diskutieren und (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
eventuell in eine Gesetzesänderung aufnehmen. der CDU/CSU)
Punkt 1 habe ich schon abgehandelt.
Gisela Piltz (FDP):
Punkt 2 betrifft die Forderung nach einer Sonderbe- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
hörde, nach einem sogenannten Polizeibeauftragten, gen! Immerhin erkennen die Grünen – anders als die
oder wie auch immer Sie sich da ausgedrückt haben. Linke, deren Antrag zum gleichen Thema mit der glei-
Wenn ich lese, dieser müsse unabhängig und chen Forderung uns dieses Jahr im April hier beschäf-
tigte – an – ich zitiere –, „dass der deutsche Rechtsstaat
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE grundsätzlich gut funktioniert.“
GRÜNEN]: Weisungsungebunden!)
(Günter Baumann [CDU/CSU]: Na ja! Diese
– ja, richtig – weisungsungebunden sein, muss ich sagen, Unterstellungen hier! – Wolfgang Wieland
dass Sie damit insinuieren und der Staatsanwaltschaft [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist das richtig
vorwerfen, dass sie keine sauberen Ermittlungsverfahren oder nicht?)
führt.
Ich bin mir nicht sicher, wie die Angehörigen des heute
(Günter Baumann [CDU/CSU]: So ist das!) Nacht ums Leben gekommenen Polizisten die Formulie-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16377
Gisela Piltz
(A) rung „grundsätzlich“ in diesem Zusammenhang finden. Gisela Piltz (FDP): (C)
Ich glaube, ich spreche für das ganze Haus, Immer. Gerne.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Haben wir schon gemacht!) Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
wenn ich sage, dass wir in diesen Stunden bei den Ange- Frau Kollegin Piltz, auch wenn ich, ehrlich gesagt,
hörigen sind. Da hat jemand zum Schutz von unser aller den Zusammenhang zwischen der Frage einer Kenn-
zeichnung bzw. einer unabhängigen Untersuchung und
Leben und zum Schutz dieses Staates sein Leben gelas-
sen. Da ist Mitgefühl angezeigt. der linksextremen Szene und dem Schottern nicht ver-
stehe, möchte ich Sie fragen: Hätten Sie die Güte, zur
Ich komme zurück zur Formulierung „grundsätzlich“. Kenntnis zu nehmen, dass wir als Grüne ausdrücklich
„Grundsätzlich“ heißt – das weiß jeder Jurist – so viel gesagt haben – insbesondere auch der Bundesvorstand –,
wie „eigentlich ja, aber“. Die Grünen schreiben hier also dass wir nicht schottern und dass auch niemand sonst
mit anderen Worten – ich übersetze es einmal –, dass es schottern sollte? Das ist eine eindeutige Aussage gewe-
mit der Rechtsstaatlichkeit in unserem Lande doch nicht sen.
so weit her ist.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Gisela Piltz (FDP):
NEN]: Nicht perfekt ist! – Volker Beck [Köln] Herr Kollege, es gibt nicht nur den Entschließungsan-
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht grund- trag, sondern wir debattieren hier auch eine Große An-
sätzlich! – Günter Baumann [CDU/CSU]: frage zur Polizei.
Habt ihr aber geschrieben! – Gegenruf des
Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das ist FDP-Position!) GRÜNEN]: Darin steht, man solle schottern,
oder was?)
Das ist, mit Verlaub, eine schwierige Behauptung der
Grünen. Ich möchte ein paar Beispiele nennen. Ein grü- Wir nehmen also zu beidem Stellung. Und aus beidem
ner Bezirksbürgermeister in Friedrichshain in Berlin wird klar, wie durchaus kritisch Ihr Verhältnis zur Poli-
zeigte sich solidarisch mit der von den Grünen gehät- zei in manchen Bereichen ist. Deshalb habe ich meine
schelten sogenannten Szene, Beispiele genannt. – Das ist das eine.

(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ Nun das andere, Herr Kollege: Ich weiß, dass es nicht
DIE GRÜNEN) fein und vielleicht auch nicht protokollgemäß ist. Aber
(B) ich beantworte Ihre Frage mit einer Gegenfrage. Stim- (D)
deren Gewaltbereitschaft den Einsatz von 2 500 Polizis- men Sie mir denn zu, dass es einige Mitglieder aus Ih-
ten notwendig machte. rem Bundesvorstand gegeben hat, die das Schottern be-
fürwortet haben?
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Wer hat Ihnen das aufgeschrieben?) (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Nein! Wir haben einen kleinen
Mitglieder des Bundesvorstandes der Grünen unter-
Bundesvorstand! Das wüsste ich!)
schrieben Aufrufe zum Schottern von Gleisen.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich glaube, dann finden wir zueinander. Dass es Grüne
NEN]: Nein! Das stimmt nicht!) gegeben hat, die sich für das Schottern eingesetzt haben
– das eine Straftat ist –, ist dem Hohen Haus insgesamt
– Mal ganz ehrlich, Herr Kollege. bekannt, glaube ich. Darauf wollte ich hinweisen, Herr
Kollege.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Nein! Das stimmt wirklich nicht!) (Beifall bei der FDP – Wolfgang Wieland
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein einziges
– Herr Kollege, vielleicht sollten Sie – nicht Sie persön- Mitglied des Bundesvorstandes!)
lich; das weiß ich – bzw. einige von Ihnen Ihr Verhältnis
zum Rechtsstaat klären, bevor Sie mit dem Finger auf – Für diejenigen, die nicht das Protokoll lesen, sondern
die Polizei zeigen. nur die Zwischenfrage gehört haben, möchte ich darauf
hinweisen, dass er gesagt hat: nur ein einziges Mitglied
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – des Bundesvorstandes.
Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das ist Mottenkiste!) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Kein einziges!)
Die Polizei ist hier nicht der Aggressor. Das ist eine
linke Lebenslüge. Ich wundere mich, dass Sie da mitma- So gesehen war ich doch auf der richtigen Fährte, Herr
chen. Kollege Wieland.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Vizepräsidentin Petra Pau:
NEN]: Kein einziges!)
Kollegin Piltz, gestatten Sie eine Frage oder Bemer-
kung des Kollegen Wieland? – Habe ich das falsch verstanden?
16378 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

(A) Vizepräsidentin Petra Pau: sie sei für Datenschutz, ist das in meinen Augen – ich (C)
Kollegin Piltz, gestatten Sie eine weitere Bemerkung? sage das jetzt einmal, weil wir hier gleich auch zu Ende
sind –
Gisela Piltz (FDP): (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
Kein einziges oder ein einziges? GRÜNEN]: Sie sind mit Ihren Argumenten
am Ende!)
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Kein einziges. Wenn Sie schon für das Protokoll re- eine nette Formulierung, eine interessante Variante.
den, Frau Kollegin Piltz: kein einziges. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
Ich weiß das, weil wir vorher darüber diskutiert ha- GRÜNEN]: Herr Gunkel hat gesagt, dass es
ben. An sich sind wir ja mit den Demonstrantinnen und solche Fälle gibt! Das ist Ihnen völlig egal! –
Demonstranten im Wendland solidarisch. Wir haben Zuruf des Abg. Jan Korte [DIE LINKE])
aber gesagt: Das sind Bahnanlagen, das geht nicht. Da In unserem Rechtsstaat ist es selbstverständlich
gibt es immer Irre, wie wir jetzt auch durch die Brandan- – Herr Korte, das müssen auch Sie einsehen –, dass Poli-
schläge bestätigt bekommen haben. Daher darf es keinen zistinnen und Polizisten, die im Dienst Grenzen über-
Eingriff in Bahnanlagen geben. schreiten und sich strafbar machen, wie jeder andere
Unser Bundesvorstand ist überschaubar. Sie müssten auch zur Rechenschaft gezogen werden müssen. Es ist
jetzt einmal einen Namen nennen. Solange das nicht ge- selbstverständlich, dass in solchen Fällen genauso sorg-
schieht, sage ich: kein einziges – nach vorheriger Dis- fältig, wenn nicht sogar sorgfältiger ermittelt werden
kussion –, also ausdrücklich nicht begrüßt und nicht un- muss als in anderen Fällen. Wie das funktioniert, ist von
terstützt. den Kollegen eindrucksvoll dargestellt worden. Das
brauche ich nicht im Einzelnen zu wiederholen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wer so tut, wie das hier zwischen den Zeilen deutlich
Gisela Piltz (FDP): wird, als gäbe es in unserer Polizei eine generelle Vertu-
Ich hatte nicht den Eindruck, dass das noch eine Frage schungskultur, schürt Misstrauen und Ängste, löst aber
war. Von daher habe ich mich gefreut, dass ich die Rede- keine Probleme.
zeit der Grünen zu ihrer Großen Anfrage hier verlängern (Günter Baumann [CDU/CSU]: Unerhört ist
konnte. das!)
Eines muss man aber sagen: Wenn Sie von grüner Natürlich kann man immer noch alles besser machen; (D)
(B)
Seite oft genug so tun, als sei die Polizei selber schuld das ist gar keine Frage. Ob die Namensschilder dazu bei-
– das tun andere hier im Haus auch –, verkehren Sie tragen oder nicht, ist streitig – quer durch die Republik,
doch die Tatsachen ins Gegenteil. Grundsätzlich ist es quer durch alle Landesverbände, quer durch alle Land-
doch so, dass Gewalt meist mit Gegengewalt beantwor- tagsfraktionen und auch quer durch die einzelnen Par-
tet wird und dass man nicht einfach nur sagen kann: Die teien.
Polizei ist schuld.
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
Ganz besonders befremdlich finde ich im Übrigen die
GRÜNEN]: Wir haben wenigstens eine Mei-
Forderung nach Videokameras in Gewahrsamszellen,
nung dazu!)
wie das in Ihren Fragen insinuiert und in dem Entschlie-
ßungsantrag angedeutet wird. Ich versuche mir vorzu- Ich bin gespannt, was im Rahmen der Anhörung in der
stellen, was hier im Deutschen Bundestag passieren nächsten Woche dazu gesagt wird.
würde, wenn wir als Koalition darüber nachdenken wür-
den, solche Technik standardmäßig in den Gewahrsams- (Jan Korte [DIE LINKE]: Was ist Ihre Mei-
zellen zu installieren – also Kameras, die eine in nung?)
Gewahrsam genommene Person noch bei intimsten Ver- Wer meint, dass es eine Vertuschungskultur gibt, der
richtungen filmen. wird den Anforderungen, denen unsere Polizistinnen
Angeblich zum Schutz der Person vor der nach ihrer und Polizisten jeden Tag auf der Straße ausgesetzt sind,
Vermutung wohl allgegenwärtigen Gefahr der Miss- nicht gerecht. Interne Supervision und innere Organisa-
handlung durch Polizei wollen die Grünen jetzt auch tion können sehr wohl dazu beitragen, dass sich negative
noch den Persönlichkeitsschutz ebenjener Betroffenen Auswirkungen eines quasi falsch verstandenen Korps-
über Bord werfen. Das ist aus meiner Sicht eine ausge- geistes nicht verfestigen oder gar nicht erst entstehen.
sprochen krude Vorstellung von Rechtsstaat und von Da-
Richtig ist, dass nach Abzug der zahlreichen unbe-
tenschutz.
rechtigten Anzeigen bei tatsächlich rechtmäßiger Ge-
Denn es ist ganz klar Augenwischerei, dass die Ka- waltanwendung durch die Polizei nur eine relativ
meras nur auf freiwilliges Verlangen der Betroffenen geringe Anzahl von Gerichtsverfahren wegen Körper-
eingeschaltet werden könnten. Bei den Vorwürfen, die verletzung im Amt durchgeführt werden. Das gehört zur
hier immer wieder erhoben werden, wäre doch klar, dass Wahrheit dazu. Ob das tatsächlich Anlass zur Sorge ist,
sie schon zur Selbstentlastung eigentlich dauernd einge- gehört bislang jedenfalls allenfalls in den Bereich der
schaltet würden. Für eine Fraktion, die sonst immer sagt, Mutmaßung. Dieses Problem durch die Einführung ge-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16379
Gisela Piltz
(A) sonderter Statistiken lösen zu wollen, ist nicht der Weis- ten von Polizisten dokumentieren. Laut Antwort der (C)
heit letzter Schluss. Bundesregierung sollen diese Bilder ausreichend dazu
beitragen, Fehlverhalten von Polizisten zu identifizieren.
Zur Wahrheit – ich komme zum Schluss, Frau Präsi- Das reicht aber nicht aus.
dentin – gehört aber auch, sich mit der Frage zu befas-
sen, in wie vielen Fällen die vermeintlichen Opfer von (Günter Baumann [CDU/CSU]: Aber keine
Polizeigewalt schon von vornherein aggressiv und mit Vielzahl!)
Gewaltdrohungen auf die Polizistinnen und Polizisten
zugegangen sind. Es gehört zur Wahrheit dazu, beide – Doch eine Vielzahl. Wer die Medien verfolgt, weiß,
Seiten zu betrachten. Das werden wir von der FDP-Frak- dass es allein aus Stuttgart etliche solcher Bilder gibt.
tion immer tun. Trägt ein Polizist im Einsatz einen Helm oder – das
Vielen Dank. gibt es auch – zusätzlich eine Sturmhaube, dann helfen
Fotos allerdings nicht viel. Was Sie dabei völlig außer
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Acht lassen, ist: Es gibt Fehlverhalten von Polizeibeam-
ten nicht nur in den großen Einsätzen, welche auch im
Vizepräsidentin Petra Pau: Fernsehen zu sehen sind, sondern auch bei kleinen Ein-
Das Wort hat der Kollege Frank Tempel für die Frak- sätzen, im Streifeneinzeldienst, von denen keine Fotos
tion Die Linke. und Videos vorhanden sind.

(Beifall bei der LINKEN) Die Polizei – das muss uns bewusst sein – handelt im
Rahmen einer besonderen Verantwortung. Wenn es Fehl-
verhalten gibt, müssen Politik und Polizei gemeinsam
Frank Tempel (DIE LINKE): überlegen, wie dem vorzubeugen ist. Wir müssen garan-
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen tieren, dass transparent und offen mit diesem Thema um-
und Herren! Vom Tod des Polizeibeamten habe ich wäh- gegangen wird.
rend der Arbeit an der Rede zu diesem Thema erfahren.
Wir reden hier über die Polizei. Da ich selbst Polizeibe- Lassen Sie mich den einen Vorschlag, der bereits dis-
amter bin, möchte ich den Angehörigen und Kollegen kutiert wurde – die Kennzeichnungspflicht –, aufgreifen.
des Beamten mein Beileid aussprechen. Was ihm pas- Sie wollen kein Namensschild, weil Sie dadurch die
siert ist, ist etwas, was mich selbst immer sehr betroffen Wahrung der Persönlichkeitsrechte und das Sicherheits-
macht. bedürfnis der Beamten gefährdet sehen.
Bei der Polizei arbeiten Menschen, Menschen, die (Günter Baumann [CDU/CSU]: Ja! –
(B) den Querschnitt unserer Gesellschaft mit all ihren unter- Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Wir haben eine (D)
schiedlichen Aspekten repräsentieren. Nach 16 Jahren Verantwortung den Polizisten gegenüber!)
im Polizeidienst weiß ich, wovon ich spreche. In einer
Das sind Argumente, die ich akzeptiere und die zu-
Demokratie sollte eine an den Bürgerrechten ausgerich-
mindest in der Diskussion eine Rolle spielen sollten. Al-
tete Polizei doch eigentlich normal sein. Ich will beto-
lerdings: Eine Alternative wäre die individuelle und an-
nen, dass das dem Selbstverständnis der Polizei ent-
onyme Kennzeichnung. Bei der Landespolizei in
spricht. Was meint man aber damit? Genau an dieser
Thüringen zum Beispiel, wo vielleicht auch ich irgend-
Stelle scheiden sich die Geister.
wann wieder Dienst tue, könnte meine Kennzeichnung
(Jan Korte [DIE LINKE]: Genau!) so aussehen: „TH“ für Thüringen, „G“ für die Direktion
Gera und „1234“ als individuelles Element. Das wäre
Wir sprechen im Parlament – ob im Hinblick auf den einfach, klar erkennbar und ist in Europa absolut normal.
Haushalt oder die Studie zur Berufszufriedenheit der Ein solches Modell ließe sich auch für die Bundespolizei
Polizei – intensiv über die sozialen und strukturellen finden.
Probleme der Polizei. Wir reden auch darüber, dass Poli-
zisten häufig Opfer von Fehlverhalten werden; auch das (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/
wird hier angesprochen. Wir müssen uns aber auch fra- DIE GRÜNEN)
gen, wie die Polizei mit Bürgerrechten umgeht. Deswe-
Im Vergleich zu Namensschildern wie „Schmidt“
gen ist die Anfrage der Grünen wichtig.
oder „Müller“ bietet das bei Bedarf eine eindeutige Iden-
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- tifizierung ohne Verletzung der Persönlichkeitsrechte
NIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Wieland von Polizeibeamten. Klarnamen kann man übrigens
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN], zu Abg. auch unter Richtervorbehalt stellen. Das heißt – für die-
Günter Baumann [CDU/CSU] gewandt: Er jenigen, die den Begriff „Richtervorbehalt“ nicht kennen –,
weiß Bescheid! Anders als Sie! Der Mann ist sie werden freigegeben, wenn ein Richter feststellt, dass
vom Fach!) Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass ein Hinweis
auf eine Straftat vorliegt. Insofern ist auch das Argu-
Fakt ist, dass es Fehlverhalten bei Polizisten gibt. Das ment, das auf den Generalverdacht abstellt, ausgehebelt.
kann hier keiner leugnen. Wer das thematisiert, dem In Europa ist die individuelle Kennzeichnung völlig nor-
wird schnell unterstellt, er richte den Generalverdacht mal.
gegen alle Polizisten; so hat das zum Beispiel der Kol-
lege Baumann gerade zum Ausdruck gebracht. Das ist Sie haben angesprochen, dass ein Polizeibeamter sei-
falsch. Es gibt eine Vielzahl von Bildern, die Fehlverhal- nen Namen, seine Amtsbezeichnung und seine Dienst-
16380 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

Frank Tempel
(A) stelle benennen muss. Genau das funktioniert in der Pra- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (C)
xis oft nicht. Gerade wenn ein Fehlverhalten vorliegt, ist NIS 90/DIE GRÜNEN – Jan Korte [DIE
die Situation oft unübersichtlich; es kommt auch vor, LINKE]: Das war Sachkenntnis!)
dass die Nennung des Namens einfach verweigert wird.
Wenn dem Bürger die Möglichkeit genommen wird, ge- Vizepräsidentin Petra Pau:
nau zu sagen, welchen Beamten der Vorwurf trifft, dann Ich schließe die Aussprache.
kommen viele Anzeigen gar nicht erst zustande. Das ist
Dem allgemeinen Wunsch nach weiterer Betrachtung
die Praxis, und das müssen Sie zur Kenntnis nehmen.
und Erörterung des Gegenstandes kommen wir insofern
Hinzu kommt: Viele Bürgerinnen und Bürger haben nach, als wir jetzt nicht sofort über den Entschließungs-
ein ungutes Gefühl, wenn sie sich bei der Polizei über antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
die Polizei beschweren. Deswegen ist es auch richtig, sache 17/7502 abstimmen, sondern ihn an die Aus-
schüsse überweisen, wobei die Federführung beim
über die Schaffung einer Beschwerdestelle oder über
Innenausschuss liegen soll. Gibt es dazu anderweitige
eine ähnliche Struktur zu diskutieren.
Auffassungen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist so be-
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. schlossen. Zur Mitberatung wird die Vorlage an den
Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
NEN] – Bernhard Kaster [CDU/CSU]: Das ist und den Rechtsausschuss überwiesen.
doch Unsinn! – Günter Baumann [CDU/CSU]: Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit am
Das schafft nur Parallelstrukturen!) Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
„Diskutieren“ heißt, wir müssen darüber reden, und wir Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
müssen gemeinsam bereit sein, Lösungen zu finden. destages auf Mittwoch, den 9. November 2011, 13 Uhr,
Wenn wir dazu gemeinsam bereit sind, müssen alle an ein.
einen Tisch: die Politik, die Bürgerrechtsbewegungen Die Sitzung ist geschlossen.
und vor allen Dingen die Polizeigewerkschaften. Dann
Ich wünsche Ihnen alles Gute.
muss man Lösungen finden. Aber dazu muss man, wie
gesagt, bereit sein. (Schluss: 15.22 Uhr)

(B) (D)
Berichtigung
136. Sitzung, Seite 14678 B, letzter Absatz, dritter
Satz ist wie folgt zu lesen: „Lediglich die Umsetzung der
ersten Entlastungsstufe sowie eine für die Kommunen
nachteilige Abrechnung auf Basis der Daten des Vorvor-
jahres!“
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011 16381

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis


Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Aigner, Ilse CDU/CSU 28.10.2011 Dr. Koschorrek, Rolf CDU/CSU 28.10.2011

Andreae, Kerstin BÜNDNIS 90/ 28.10.2011 Kunert, Katrin DIE LINKE 28.10.2011
DIE GRÜNEN
Kurth (Kyffhäuser), FDP 28.10.2011
Bär, Dorothee CDU/CSU 28.10.2011 Patrick

Barnett, Doris SPD 28.10.2011 Dr. Lehmer, Max CDU/CSU 28.10.2011

Bluhm, Heidrun DIE LINKE 28.10.2011 Lindemann, Lars FDP 28.10.2011

Bülow, Marco SPD 28.10.2011 Ludwig, Daniela CDU/CSU 28.10.2011

Burchardt, Ulla SPD 28.10.2011 Lutze, Thomas DIE LINKE 28.10.2011

Caesar, Cajus CDU/CSU 28.10.2011 Menzner, Dorothée DIE LINKE 28.10.2011

Claus, Roland DIE LINKE 28.10.2011 Merkel (Berlin), Petra SPD 28.10.2011

Dağdelen, Sevim DIE LINKE 28.10.2011 Dr. h.c. Michelbach, CDU/CSU 28.10.2011
(B) Hans (D)
Deligöz, Ekin BÜNDNIS 90/ 28.10.2011
DIE GRÜNEN Mißfelder, Philipp CDU/CSU 28.10.2011

Dörflinger, Thomas CDU/CSU 28.10.2011 Nahles, Andrea SPD 28.10.2011

Dörner, Katja BÜNDNIS 90/ 28.10.2011 Nink, Manfred SPD 28.10.2011


DIE GRÜNEN
Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 28.10.2011
Ernstberger, Petra SPD 28.10.2011
Philipp, Beatrix CDU/CSU 28.10.2011
Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ 28.10.2011
DIE GRÜNEN Pieper, Cornelia FDP 28.10.2011

Gohlke, Nicole DIE LINKE 28.10.2011 Ploetz, Yvonne DIE LINKE 28.10.2011

Gottschalck, Ulrike SPD 28.10.2011 Roth (Augsburg), BÜNDNIS 90/ 28.10.2011


Claudia DIE GRÜNEN
Granold, Ute CDU/CSU 28.10.2011
Roth (Heringen), SPD 28.10.2011
Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/ 28.10.2011 Michael
DIE GRÜNEN
Dr. Ruppert, Stefan FDP 28.10.2011
Hunko, Andrej DIE LINKE 28.10.2011*
Sager, Krista BÜNDNIS 90/ 28.10.2011
Kahrs, Johannes SPD 28.10.2011 DIE GRÜNEN

Kiesewetter, Roderich CDU/CSU 28.10.2011 Scheel, Christine BÜNDNIS 90/ 28.10.2011


DIE GRÜNEN
16382 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 137. Sitzung. Berlin, Freitag, den 28. Oktober 2011

(A) Anlage 2 (C)


entschuldigt bis
Abgeordnete(r) einschließlich Amtliche Mitteilungen
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
Dr. Schockenhoff, CDU/CSU 28.10.2011 mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3
Andreas Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung
zu den nachstehenden Vorlagen absieht:
Seiler, Till BÜNDNIS 90/ 28.10.2011
DIE GRÜNEN
Auswärtiger Ausschuss
Senger-Schäfer, Kathrin DIE LINKE 28.10.2011
– Unterrichtung durch die Bundesregierung

Simmling, Werner FDP 28.10.2011 Bericht der Bundesregierung über die Ergebnisse ihrer
Bemühungen um die Weiterentwicklung der politischen
und ökonomischen Gesamtstrategie für die Balkanstaa-
Dr. Stadler, Max FDP 28.10.2011 ten und ganz Südosteuropa
(Berichtszeitraum: 1. März 2010 bis 10. Februar 2011)
Dr. Steinmeier, Frank- SPD 28.10.2011 – Drucksache 17/5590, 17/5820 Nr. 1.8 –
Walter
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Dr. Stinner, Rainer FDP 28.10.2011
– Unterrichtung durch die Bundesregierung
Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 28.10.2011 Wohngeld- und Mietenbericht 2010
DIE GRÜNEN
– Drucksache 17/6280, 17/6961 Nr. 1.1 –

Dr. Wadephul, Johann CDU/CSU 28.10.2011*


Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 28.10.2011 mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden
Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei-
Werner, Katrin DIE LINKE 28.10.2011 ner Beratung abgesehen hat.

Dr. Wiefelspütz, Dieter SPD 28.10.2011 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
(B) Verbraucherschutz (D)
Wolff (Wolmirstedt), SPD 28.10.2011 Drucksache 17/7260 Nr. A.3
Waltraud Ratsdokument 13701/11

Wunderlich, Jörn DIE LINKE 28.10.2011 Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Zapf, Uta SPD 28.10.2011 Drucksache 17/5302 Nr. A.13
Ratsdokument 6986/11
Zimmermann, Sabine DIE LINKE 28.10.2011 Drucksache 17/5302 Nr. A.14
Ratsdokument 6987/11
Drucksache 17/5434 Nr. A.18
Zöller, Wolfgang CDU/CSU 28.10.2011 EP P7_TA-PROV(2011)0090
Drucksache 17/5434 Nr. A.19
EP P7_TA-PROV(2011)0094
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver- Drucksache 17/6985 Nr. A.80
sammlung des Europarates Ratsdokument 13253/11
Drucksache 17/6985 Nr. A.81
Ratsdokument 13254/11

Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
ISSN 0722-7980

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