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Plenarprotokoll 17/16

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

16. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Inhalt:

Wahl der Abgeordneten Angelika Krüger- Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 1368 A


Leißner als Mitglied und der Abgeordneten
Ulla Schmidt (Aachen) als stellvertretendes Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 1369 A
Mitglied in den Verwaltungsrat der Filmför- Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 1370 C
derungsanstalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1355 B
Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 1371 C
Wahl der Abgeordneten Bärbel Bas in den
Stiftungsrat der Stiftung „Humanitäre Hilfe Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 1372 C
für durch Blutprodukte HIV-infizierte Perso- Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . 1373 A
nen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1355 B
Anette Kramme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1373 C
Erweiterung der Tagesordnung . . . . . . . . . . . 1355 B
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)
(CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1375 B
Tagesordnungspunkt 2 (Fortsetzung):
Erste Beratung des von der Bundesregierung Einzelplan 09
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Bundesministerium für Wirtschaft und Tech-
die Feststellung des Bundeshaushaltsplans nologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1376 C
für das Haushaltsjahr 2010 (Haushaltsge-
setz 2010) Rainer Brüderle, Bundesminister
(Drucksache 17/200) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1355 C BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1376 C
Garrelt Duin (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1379 A
Einzelplan 11 Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 1381 C
Bundesministerium für Arbeit und Sozia- Peter Friedrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 1383 B
les . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1355 D
Dr. Barbara Hendricks (SPD) . . . . . . . . . . 1385 A
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1355 D Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 1386 A
Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 1358 C Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1387 C
Dr. Claudia Winterstein (FDP) . . . . . . . . . . . . 1360 D
Ernst Hinsken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 1389 B
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . 1362 B
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 1390 C
Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1363 B Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 1392 A
Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 1365 B Christian Lindner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 1394 B
Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . 1366 B Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 1394 D
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . 1367 A Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . 1395 B
II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Michael Schlecht (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 1396 C Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 1408 C


Dr. Michael Luther (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 1397 C Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1410 B
Georg Schirmbeck (CDU/CSU) . . . . . . . . 1410 D
Tagesordnungspunkt 3: Nicole Bracht-Bendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 1412 C
Erste Beratung des von der Bundesregierung Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 1413 C
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum
Vertrag über die Errichtung des IT-Pla- Erwin Josef Rüddel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 1414 C
nungsrats und über die Grundlagen der Rolf Schwanitz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1415 D
Zusammenarbeit beim Einsatz der Infor-
mationstechnologie in den Verwaltungen Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1417 C
von Bund und Ländern – Vertrag zur Aus- Andreas Mattfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 1419 A
führung von Artikel 91 c GG
(Drucksache 17/427) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1399 A
Einzelplan 16

Zusatztagesordnungspunkt 1: Bundesministerium für Umwelt, Natur-


schutz und Reaktorsicherheit . . . . . . . . . . . 1420 C
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister
dem Übereinkommen Nr. 187 der Interna- BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1420 C
tionalen Arbeitsorganisation vom 15. Juni Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . 1423 D
2006 über den Förderungsrahmen für den
Arbeitsschutz Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1426 A
(Drucksache 17/428) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1399 A Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 1427 A
Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/
Tagesordnungspunkt 4: DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1428 A
a) Beirat bei der Bundesnetzagentur für Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 1429 C
Elektrizität, Gas, Telekommunikation,
Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1431 B
Post und Eisenbahnen
(Drucksache 17/460 (neu)) . . . . . . . . . . . . 1399 B Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 1431 B
b) Beirat für Fragen des Zugangs zur Ei- Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 1432 A
senbahninfrastruktur (Eisenbahninfra-
strukturbeirat) Angelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 1433 C
(Drucksache 17/461) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1399 B Sabine Stüber (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 1434 B
c) Beirat zur Auswahl von Themen für die Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/
Sonderpostwertzeichen ohne Zuschlag DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1435 A
beim Bundesministerium der Finanzen
(Programmbeirat) Marie-Luise Dött (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 1436 B
(Drucksache 17/462) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1399 C Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . 1437 B
d) Beirat für die grafische Gestaltung der Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU) . . . 1438 A
Sonderpostwertzeichen beim Bundes-
ministerium der Finanzen (Kunstbeirat)
(Drucksache 17/463) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1399 C Einzelplan 15
Bundesministerium für Gesundheit . . . . . . 1439 A
Einzelplan 17
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister
Bundesministerium für Familie, Senioren, BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1439 A
Frauen und Jugend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1399 C
Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1440 B
Dr. Kristina Köhler, Bundesministerin
BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1399 D Johannes Singhammer (CDU/CSU) . . . . . . . 1442 B
Dagmar Ziegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1401 C Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 1444 C
Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1402 D Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1446 A
Steffen Bockhahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 1404 C
Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 1447 A
Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1406 A Heinz Lanfermann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . 1447 C
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 III

Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 1448 D Dr. Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 1455 C
Bärbel Bas (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1449 B Karin Maag (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 1457 B
Alois Karl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1450 C
Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1458 D
Dr. Martina Bunge (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 1452 B
Maria Anna Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1453 B Anlage
Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 1454 A Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 1459 A
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1355

(A) (C)

Redetext

16. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Beginn: 9.01 Uhr

Präsident Dr. Norbert Lammert: zu überweisen. Können wir so verfahren? – Das ist of-
Die Sitzung ist eröffnet. fensichtlich der Fall.
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Wir setzen nun die Haushaltsberatungen – Tagesord-
begrüße Sie alle herzlich. Es wird wieder etwas über- nungspunkt 2 – fort:
sichtlicher.
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Bei Ihnen gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
auch!) Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
Wir haben vor Eintritt in die Fortsetzung unserer Haushaltsjahr 2010
Haushaltsberatung noch einige Nachwahlen vorzuneh- (Haushaltsgesetz 2010)
men. – Drucksache 17/200 –
(B) Die SPD-Fraktion hat mitgeteilt, dass die ehemalige Überweisungsvorschlag:
(D)
Abgeordnete Monika Griefahn aus dem Verwaltungsrat Haushaltsausschuss
der Filmförderungsanstalt ausgeschieden ist. Als Nach- Für die heutige Aussprache haben wir am Dienstag
folgerin wird die Kollegin Angelika Krüger-Leißner eine Beratungszeit von insgesamt siebeneinhalb Stunden
vorgeschlagen. Als deren Stellvertreterin ist die Kollegin beschlossen. Wir beginnen die heutigen Beratungen mit
Ulla Schmidt vorgesehen. Können wir das so vereinba- dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
ren? – Sie sind damit offenkundig einverstanden. Dann Arbeit und Soziales, Einzelplan 11.
sind Frau Krüger-Leißner als Mitglied und die Kollegin
Schmidt als stellvertretendes Mitglied in den Verwal- Das Wort erhält zunächst die Bundesministerin Frau
tungsrat der Filmförderungsanstalt gewählt. Dr. von der Leyen.
Die SPD-Fraktion schlägt ferner vor, für den früheren (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Abgeordneten Christian Kleiminger die Kollegin Bärbel
Bas in den Stiftungsrat der Stiftung „Humanitäre Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Perso- Arbeit und Soziales:
nen“ zu wählen. Sind Sie auch damit einverstanden? –
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Das ist augenscheinlich der Fall. Dann ist die Kollegin
Kolleginnen und Kollegen! Wenn man internationale
Bas in diesen Stiftungsrat gewählt.
Berichte über die Arbeitsmärkte in der globalen Krise
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene liest, ist vor allem ein Tenor einheitlich und durchge-
Tagesordnung um Zusatzpunkt 1: hend, nämlich die Verblüffung darüber, dass der deut-
sche Arbeitsmarkt so robust ist. Die Arbeitslosigkeit ist
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- trotz des drastischen Einbruchs der Wirtschaftsleistung
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem nicht wie befürchtet gestiegen. Das ist die gute Nach-
Übereinkommen Nr. 187 der Internationalen richt.
Arbeitsorganisation vom 15. Juni 2006 über
den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz Die schlechte Nachricht ist: Wir sind noch lange nicht
über den Berg. Wir werden die Krise am Arbeitsmarkt
– Drucksache 17/428 –
noch lange spüren. Die Arbeitslosigkeit wird steigen.
Überweisungsvorschlag: Aber die Prognosen sind nicht mehr ganz so düster, wie
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
sie es vor einigen Monaten gewesen sind, das heißt, wir
zu erweitern und diesen Gesetzentwurf ohne Aussprache werden voraussichtlich bei der Arbeitslosenzahl unter
zur Beratung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales 4 Millionen bleiben.
1356 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen


(A) Hinter dieser Entwicklung steht nicht nur die begin- müssen die Menschen viel stärker und viel gezielter für (C)
nende Erholung der Wirtschaft. Nein, hinter dieser Ent- Zukunftsberufe ausbilden. Wir müssen uns vollständig
wicklung steht ein neuer, ein breiter Konsens in neu aufstellen beim Thema Bildung für Ältere. Wir brau-
Deutschland: Oberste Priorität hat der Erhalt von Fach- chen mehr flexible Kinderbetreuung und mehr Ganz-
wissen und damit der Erhalt von Arbeitsplätzen. Diesen tagsschulen, nicht nur, weil das eine Frage von Bil-
neuen Konsens am Arbeitsmarkt wollen wir als Regie- dungschancen ist, sondern auch, weil das die Conditio
rung mit aller Kraft unterstützen. sine qua non, die Grundvoraussetzung für Eltern ist, dass
sie überhaupt Arbeit annehmen können.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Am Arbeitsmarkt hat unser Land das notwendige
Das spiegelt der Haushalt ganz klar wider. Mit
Maß an Flexibilität gewonnen. Wir haben viele Diskus-
146,8 Milliarden Euro müssen wir rund 19 Milliarden
sionen darüber geführt, was Flexibilität am Arbeits-
Euro mehr einsetzen als im Jahr davor. Der Löwenanteil
markt bedeutet. Das wird immer ganz unterschiedlich
dieser Steigerung geht in die Arbeitsmarktförderung.
interpretiert, etwa: Ist das positiv oder negativ? Ich finde
Das setzt sich aus zwei Komponenten zusammen:
es ganz wichtig, dass wir jetzt sehen, dass Flexibilität
Erstens. Mehr Arbeitslose heißt natürlich mehr Aus- nicht gleichbedeutend sein muss mit dem Drohszenario
gaben für die Bundesagentur für Arbeit und weniger „hire and fire“: Weil es Flexibilität gibt, mal eben
Einnahmen. Wir wollen nicht, dass die Bundesagentur schnell entlassen, weil ja schnell wieder eingestellt wer-
für Arbeit mitten in der Krise in eine Schuldenspirale ge- den kann. Nein, wir sehen: In der Krise findet genau das
rät. Wir wollen nicht, dass mitten in der Krise damit der Gegenteil statt. Weil auf der betrieblichen Ebene viel
Druck auf den Arbeitslosenbeitrag steigt und damit der mehr Absprachen im Konsens möglich sind, zeichnet
Druck auf die Lohnnebenkosten. Das wäre Gift in der sich Deutschland inzwischen auch im internationalen
Krise. Deshalb planen wir, der BA jetzt, in der Krise, ei- Vergleich durch eine sehr hohe betriebsinterne Flexibili-
nen Zuschuss von 16 Milliarden Euro zu geben und tät aus. Da sind zu nennen: das Kurzarbeitergeld, der
nicht das übliche Darlehen. Abbau von Überstunden, Arbeitszeitkonten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ale- Ich sage aber auch ganz deutlich: Dieses Mehr an Fle-
xander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- xibilität muss immer in einer Balance mit dem notwendi-
NEN]: Und was ist 2011?) gen Schutz der Beschäftigten stehen. Soziale Marktwirt-
schaft heißt, der Wirtschaft Freiheit zu geben, aber
Die zweite Komponente ist das Kurzarbeitergeld.
immer im richtigen Rahmen.
Das kostet Arbeitnehmer, Arbeitnehmerinnen, Arbeitge-
ber, aber auch die Politik viel Geld. Aber natürlich ist es (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(B) allemal besser, in den Erhalt von Arbeitsplätzen, in (D)
Fachwissen, in Familieneinkommen zu investieren, als Das bedeutet im Alltag: Wir brauchen keine starren Pau-
Kündigung, Arbeitslosigkeit und Kompetenzschwund schalvorschriften beim Mindestlohn, sondern wir brau-
teuer zu bezahlen. chen das Vertrauen – das muss auch entwickelt werden –
auf das, was Gewerkschaften und Arbeitgeber miteinan-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der vereinbaren. Sie sind die Experten in der eigenen Sa-
Dieses konjunkturelle Kurzarbeitergeld ist in der che, sie wissen genau, wo die Untergrenze des Markt-
Krise entwickelt worden. Ich danke an dieser Stelle aus- lohns liegt, damit Arbeitsplätze nicht zerstört werden,
drücklich meinen beiden Vorgängern, Olaf Scholz und damit es andererseits auch Schutz in der jeweiligen
Franz Josef Jung, die dieses konjunkturelle Kurzarbei- Branche gibt. Ich sage deutlich: Wenn es einstimmige
tergeld immer mit Augenmaß und genau abgestimmt auf Vereinbarungen gibt, dann hilft die Politik, diese Verein-
die Entwicklung der Krise weiterentwickelt haben, ge- barungen auf den Rest der betreffenden Branche zu
wissermaßen am Puls der Zeit. Wir wollen diesen Weg übertragen,
in der akuten Krise in enger Abstimmung mit den Ar- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Weiß das auch
beitnehmervertretungen und den Arbeitgebern weiterge- die FDP?)
hen.
um die Beschäftigten zu schützen, aber auch die Unter-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nehmen vor Konkurrenten, die zu Hungerlöhnen Arbeit
Abgesehen von der akuten Krise ändert sich die anbieten, zu schützen.
Struktur des Arbeitsmarktes langfristig natürlich un- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)
aufhaltsam. Die Industriearbeitsplätze werden immer an-
spruchsvoller. Dienstleistungsberufe nehmen an Bedeu- Deshalb haben wir bei der Abfallwirtschaft bewusst die-
tung zu, wachsen in ihrer Zahl, in ihrer Vielfalt. Mehr sen Weg gewählt und den Mindestlohn jetzt wieder ver-
Frauen arbeiten; das ist gut so. Wir haben mehr Ältere ankert. Ich glaube, das war die richtige, das war eine
am Arbeitsmarkt; auch das ist gut so. Dieser Wandel fin- gute Entscheidung.
det statt. Wenn wir ihn ignorieren, weil er uns vielleicht
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
nicht passt, dann werden wir von dieser Entwicklung
neten der FDP)
einfach überrollt werden. Deshalb ist es so wichtig, pro-
aktiv zu reagieren und frühzeitig zu erkennen, was es in Bei der Zeitarbeit ist es weiterhin richtig und wich-
Zukunft bedarf, wenn wir diesem Strukturwandel am tig, zu sagen: Sie hat ihren Platz, damit Unternehmen
Arbeitsmarkt aktiv begegnen wollen. Das heißt, wir schnell auf Auftragsspitzen reagieren können. Aber das
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1357
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
(A) darf nicht heißen, dass die Zeitarbeit zur dauernden Bil- Nicht wir haben vor dem Bundesverfassungsgericht ge- (C)
ligkonkurrenz für die eigene Belegschaft wird. Ich sage klagt. Wir halten die Arbeit vor Ort, so wie sie struktu-
Ihnen: Wenn die Zeitarbeit, die ich – wenn es den richti- riert ist, für richtig und gut. Das sollte man noch einmal
gen Schutzrahmen gibt – für grundsätzlich richtig halte, gemeinsam hier in diesem Saal festhalten.
von einzelnen Unternehmen zum Schaden der Beschäf-
tigten missbraucht wird, dann müssen und werden wir (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
die Gesetze ändern. Denn das ist nicht im Sinne des Ge- Jetzt zwingt uns das Urteil zum Handeln. Klar, aus der
setzgebers gewesen. Sicht der meisten Arbeitsmarktpolitikerinnen und -politi-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ker wäre eine Grundgesetzänderung richtig, um das zu
neten der FDP) erhalten, was man will.
Auch bei der Arbeitsvermittlung hat sich viel Gutes (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Hubertus
getan. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bun- Heil [Peine] [SPD]: Oh! Aber Sie haben ja Pro-
desagentur für Arbeit leisten gute Arbeit. Ich glaube, bleme, das in Ihrer Fraktion durchzusetzen! –
man muss sagen – wir alle haben unsere Vorurteile über Weiterer Zuruf von der SPD: Genau! In Ihrer
die Bundesagentur für Arbeit –: Diese schwerfällige Be- eigenen Fraktion!)
hörde ist ein moderner Dienstleister geworden. Es ist, Aber aus der Sicht der meisten Rechtspolitikerinnen und
glaube ich, an der Zeit, manches Vorurteil abzubauen. -politiker wäre sie aus rechtspolitischen Gründen nicht
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) richtig.
Ich will Ihnen eine Zahl nennen, die mir ins Auge gefal- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Geht das viel-
len ist. Wenn man die durchschnittliche Dauer der Ar- leicht ein bisschen konkreter? – Thomas Op-
beitslosigkeit im Boomjahr 2006 mit der im Krisenjahr permann [SPD]: Ist das eine Frage der Rechts-
2009 vergleicht, dann sieht man, dass Arbeitssuchende politik oder der Arbeitsmarktpolitik? –
im Krisenjahr 2009 im Durchschnitt 36 Tage weniger ar- Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sehen die ande-
beitslos gewesen sind als in der guten Zeit 2006. Das ren das auch so?)
heißt, trotz Krise werden die Arbeitssuchenden deutlich
schneller vermittelt als früher. Ich denke, diese Arbeit Ich will Ihnen deutlich sagen: Wir müssten dazu nicht
der Bundesagentur sollte man auch anerkennen. nur eine Mehrheit finden – es wird ja immer gesagt, es
gebe sie bereits –, sondern diese Mehrheit müsste sich
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- auch auf ein und denselben Text einigen. Da liegt der
neten der SPD) Hase im Pfeffer, meine Damen und Herren.
(B) Wir können noch besser werden. Der alte Grundsatz, (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (D)
dass man nicht unbedingt mehr Geld, sondern mehr Effi- neten der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]:
zienz braucht, gilt natürlich auch bei der aktuellen Dis- Ein schwaches Argument für eine Arbeitsmi-
kussion über die Vermittlung der Langzeitarbeitslosen. nisterin!)
Ich sage ganz klar: Unsere Aufgabe ist es, gerade denen,
die schon lange arbeitslos sind, bestmöglich zu helfen Das ist zwei Jahre lang erfolglos versucht worden.
und sie nicht über einen Kamm zu scheren. Ja, ich weiß, (Zurufe von der SPD: Nein! – Thomas Oppermann
es gibt in Einzelfällen Menschen – dies beobachtet man [SPD]: Das stimmt nicht!)
überall –, die staatliche Hilfen auf Kosten anderer aus-
nutzen. Aber schon jetzt können die Jobcenter in solchen Es hat sich nichts bewegt.
Fällen die Leistungen kürzen, im Extremfall auf null,
und sie tun das auch. Der Normalfall sieht doch ganz an- (Thomas Oppermann [SPD]: Was? Mit Rüttgers
ders aus: Die große Mehrheit der Langzeitarbeitslosen waren wir uns schon einig!)
will raus aus Hartz IV. Sie können es aber nicht, weil ih- Deshalb ist jetzt Pragmatismus gefragt.
nen die Kinderbetreuung fehlt, weil ihnen der Schulab-
schluss fehlt, weil ihnen die Berufsausbildung fehlt. Da (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Von wegen!
müssen wir genau hinschauen und besser werden. Das Ideologie ist das!)
muss unser erklärtes Ziel sein. Ich kann Ihnen zur allgemeinen Beruhigung sagen:
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Für die Betroffenen wird sich nicht viel ändern; das ist
das Entscheidende – wir führen eine sehr statische Dis-
Wir haben in den vergangenen fünf Jahren bei dieser kussion: Die Arbeitslosen werden in den allermeisten
kontroversen Diskussion viel gelernt. Ich möchte deut- Fällen in dasselbe Gebäude gehen wie jetzt.
lich sagen: In diesen Jahren hat sich bei den Jobcentern
ein Erfahrungsschatz herausgebildet, der unverzichtbar (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ich gehe auch
ist. jeden Tag in dasselbe Gebäude! Na und?)
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Warum wollen Sie werden zu ein und demselben Arbeitsvermittler ge-
Sie die dann verschlanken?) hen wie jetzt. Sie werden über den Flur in das nächste
Zimmer zu ein und derselben Schuldnerberaterin gehen
Deshalb will ich zur Reform der Jobcenter jetzt nur so
wie jetzt. Wenn in den Kommunen die Zusammenarbeit
viel sagen:
mit der Bundesagentur für Arbeit offensichtlich – bisher
(Klaus Brandner [SPD]: „Nur so viel“!) allerdings unter gesetzlichem Zwang – so ausgezeichnet
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Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen


(A) geklappt hat, dass sie jetzt alle erhalten wollen, warum Meine Damen und Herren, zum Schluss sage ich: Ja, (C)
soll sie nicht auch weiterhin freiwillig mit kooperativen es liegen schwierige Aufgaben und schwierige Monate
Verträgen funktionieren, meine Damen und Herren? vor uns. Wir sind uns hier im Hohen Haus einig, dass
Deutschland stärker aus dieser Krise hervorgehen muss.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Mir ist wichtig, dass die Menschen am Ende dieser Krise
Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: sagen: Es war eine schwierige Zeit, aber wir haben das
So ist es! Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg!) gemeinsam geschafft.
Um dies zu gewährleisten, werde ich Anfang kommen- Vielen Dank.
der Woche Vorschläge für die neue Jobcenterorganisa-
tion vorlegen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Christel Humme [SPD]: Oh! Da sind wir aber
gespannt!) Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Kollege Hubertus Heil für die
Ich weiß, meine Zeit ist schon abgelaufen; zwei The- SPD-Fraktion.
men sind mir allerdings noch sehr wichtig.
(Beifall bei der SPD)
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ihre Zeit nicht!
Nur Ihre Redezeit! – Heiterkeit und Beifall bei
Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP) Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
– Ja, die Redezeit. ren! Sehr geehrte Frau Ministerin, das war Ihre erste
(Thomas Oppermann [SPD]: Ihre Zeit als Rede als Arbeitsministerin. Sie haben zum Schluss ge-
Familienministerin!) sagt, Sie seien am Ende oder Ihre Zeit sei abgelaufen.
Ich wünsche Ihnen – das will ich sagen – viel Lebenszeit
Ich hoffe, dass meine Zeit im Allgemeinen noch nicht und von Herzen Erfolg in Ihrem Job. Es ist nicht unsere
abgelaufen ist. Aber meine Redezeit ist schon abgelau- Aufgabe, Ihnen jeden Tag die Daumen zu drücken, dass
fen. Sie politisch strahlen; aber im Interesse der arbeitslosen
Menschen in diesem Land wünschen wir Ihnen durchaus
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wir wünschen alles Gute für Ihre Amtsführung.
Ihnen Lebenszeit, aber nicht Amtszeit!)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
– Meine Lebenszeit ist hoffentlich auch noch nicht abge- der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS-
(B) laufen. – Mir liegen, wie gesagt, vor allem noch zwei SES 90/DIE GRÜNEN) (D)
Themen am Herzen; deshalb muss ich sie ansprechen.
Dass unser Arbeitsmarkt in dieser Krise robuster da-
Wir haben uns vorgenommen, die Situation für Men- steht – dies ist zu Recht beschrieben worden –, hat Ursa-
schen mit Behinderung zu verbessern. Unsere Vorgabe chen: Eine rot-grüne Bundesregierung hat Strukturrefor-
ist die UN-Behindertenrechtskonvention. Wir wollen sie men durchgeführt, die geholfen haben, die Dauer des
umsetzen und entwickeln, und zwar gemeinsam mit den Verweilens in Langzeitarbeitslosigkeit zu verkürzen. Vor
Beteiligten, die es angeht. Mir ist wichtig, auch einen allen Dingen aber hat es mit beherztem Arbeiten und
Bewusstseinswandel herbeizuführen, unsere Perspek- Handeln sozialdemokratischer Minister in der Großen
tive zu verändern und weiterzuentwickeln: weg von der Koalition zu tun. Deshalb ist es richtig, dass Sie Olaf Sc-
Fürsorge, hin zu einer Sichtweise, nach der die selbstbe- holz erwähnt haben, der Änderungen an den Regeln für
stimmte und gleichberechtigte Teilhabe der Menschen Kurzarbeit durchgesetzt hat – mit dem Effekt, dass in
mit Behinderung eine Voraussetzung ist. Das heißt, wir Deutschland im letzten Jahr der Arbeitsmarkt stabil ge-
wollen die Inklusion gemeinsam mit den Menschen mit blieben ist, aber auch mit dem Effekt, dass die Binnen-
Behinderung zur erfahrbaren Wirklichkeit machen, und nachfrage erstaunlich robust geblieben ist in einer ganz
zwar in allen Lebensbereichen. schwierigen Zeit. Umso weniger, Frau von der Leyen,
20 Millionen Rentnerinnen und Rentner in unserem verstehe ich, dass die neue Bundesregierung die Rege-
Land, die sich ein ganzes Leben lang angestrengt haben lungen für Kurzarbeit verschlechtert und Kurzarbeit
und an ihrer Einkommenssituation jetzt nichts mehr än- unattraktiver gemacht hat.
dern können, erwarten zu Recht eine verlässliche Rente. (Beifall bei der SPD)
Das Fundament dafür ist gelegt. Die gesetzliche Renten-
versicherung ist stabil und generationengerecht. Ich Verbessern Sie sie stattdessen! Wir wissen nämlich, dass
glaube, man sollte zur Kenntnis nehmen, dass sie gerade in diesem Jahr, 2010 – und deshalb gibt es keinen Grund
jetzt, in der Krise, stabiler ist als erwartet und sich auch zur Entwarnung –, die Krise nicht überstanden ist. Die
im internationalen Vergleich sehr viel besser hält als die Kapazitäten der deutschen Wirtschaft sind auch bei ei-
Systeme anderer Länder. Wenn man berücksichtigt, dass nem Wachstum von 1,5 Prozent bei weitem nicht ausge-
die Löhne und Gehälter in Deutschland zum ersten Mal lastet. Wir werden erleben, dass die Arbeitslosigkeit
seit 50 Jahren gesunken sind, kann man erahnen, welch steigt und die Binnennachfrage zurückgeht. Deshalb ist
hohen Wert die Rentengarantie hat, indem sie gewähr- es wichtig, dafür zu sorgen, dass für die Arbeitgeber wie
leistet, dass die Renten nicht sinken, obwohl die wirt- für die betroffenen Arbeitnehmer Kurzarbeit attraktiv
schaftliche Entwicklung so negativ war. bleibt.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1359
Hubertus Heil (Peine)
(A) Wir schlagen vor, die Dauer der Kurzarbeit – wie es Leyen! Das ist unsere Nachricht. Wir sind bereit, daran (C)
früher möglich war – zu verlängern, sie nicht zu be- mitzuwirken.
grenzen. Die Bundesagentur für Arbeit soll auch über
(Beifall bei der SPD)
2011 hinaus die sogenannten Remanenzkosten, das heißt
die Lohnnebenkosten, übernehmen. Auch die Weiterbil- Ich kann Ihnen ein Weiteres nicht ersparen. Sie haben
dung muss stärker gefördert werden. Tragen Sie das mit, in Ihrer Rede – das hat Gründe, die mit Ihrem Koalitions-
Frau von der Leyen – im Interesse der arbeitslosen Men- partner zu tun haben – über ein Thema weidlich ge-
schen in diesem Land! schwiegen, nämlich über die Tatsache, dass wir in diesem
Land immer mehr prekäre Arbeitsverhältnisse haben.
(Beifall bei der SPD)
Der Deutsche Bundestag ist dringend aufgerufen, zu tun,
Ich kann überhaupt nicht verstehen – Sie sind mit was in seinen Möglichkeiten als Gesetzgeber steht, um
warmen Worten darüber hinweggegangen –, warum Sie dafür zu sorgen, dass Menschen in Arbeit kommen, und
in einer Zeit, in der die Arbeitslosigkeit steigen wird, in zwar in ordentliche, in gute Arbeit, in Arbeit, von der sie
diesem Jahr, in Kauf nehmen, die Jobcenter in Deutsch- leben können.
land zu zerschlagen.
Frau Homburger hat gestern als Motto ausgegeben:
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Sozial ist, was Arbeit schafft. Nach dieser Philosophie
wäre auch Sklavenarbeit sozial. Wir sagen: Sozial ist Ar-
Hilfe aus einer Hand und nicht nur unter einem Dach ist beit, von der Menschen auch leben können, nämlich gute
notwendig, wenn man arbeitslosen Menschen, zumal Arbeit. Das ist der Unterschied.
langzeitarbeitslosen, effektiv helfen will. Ich kann Ihre
Argumentation nicht nachvollziehen, Frau von der (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Jörg
Leyen. Ich habe den leisen Verdacht, dass Sie es eigent- van Essen [FDP]: Ich würde mich doch schä-
lich genau wie wir sehen, aber Probleme haben, es Ihrem men, wenn ich so etwas vortragen würde!)
eigenen Laden zu verklickern. Da sage ich Ihnen als
Was hat es übrigens mit Ordnungspolitik zu tun, wenn
neuer Ministerin: Zeigen Sie mehr Kreuz und mehr Mut!
Herr Rüttgers und diese Koalition einfach nur Zuver-
Aber auch Rückendeckung von der Kanzlerin täte gut.
dienstmöglichkeiten erweitern wollen und damit einen
Darauf kann man sich allerdings nicht verlassen; das dauerhaft subventionierten Niedriglohnsektor auf Kos-
hat Olaf Scholz erleben müssen, als er im letzten Jahr ten der Steuerzahler etablieren? Führen Sie endlich Min-
zusammen mit den 16 Ministerpräsidenten einen Kom- destlöhne in weiteren Branchen ein, und sorgen Sie auch
promiss für die Fortführung der Jobcenter geschaffen für einen gesetzlichen Mindestlohn, damit Menschen
hat, der tragfähig ist, der pragmatisch ist, der Hilfe aus von ihrer Arbeit leben können!
(B) einer Hand ermöglicht, der Argen als Zentren für Grund- (D)
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
sicherung und Arbeit erhält und der auch den Optierern
die Sicherheit gibt, die sie brauchen. Frau Merkel hat ihn Frau von der Leyen, ich habe mich schon ein bisschen
im Regen stehen lassen, weil einige Ideologen aus ihrer gewundert, dass Ihnen das Thema „Missbrauch von
Fraktion, namentlich Herr Röttgen und Herr Kauder, und Zeit- und Leiharbeit“ erst beim Problem Schlecker
einige Rechtspolitiker ihrer Fraktion Sand ins Getriebe zum ersten Mal begegnet zu sein scheint. Tatsache ist,
gestreut haben. Das ist inakzeptabel. Ich wünsche Ihnen dass es nicht nur Schlecker betrifft. Das ist in vielen Be-
mehr Pragmatismus, und zwar, wie ich schon letztes Mal reichen das Problem. Es war richtig – damals haben es
gesagt habe, im Sinne von Karl Popper – pragmatisches Politik und Gewerkschaften übrigens gemeinsam ge-
Handeln zu sittlichen Zwecken – und weniger Volker macht –, Zeit- und Leiharbeit aus der Schmuddelecke
Kauder. geholt zu haben. Wir haben damals den Grundsatz „glei-
cher Lohn für gleiche Arbeit von Stamm- und Leihbe-
(Beifall bei der SPD)
legschaften“ in das Gesetz geschrieben. Aber wir haben
Wollen Sie denn, dass in diesen Zeiten mit den Ar- alle miteinander den Fehler gemacht, eine Öffnungsklau-
beitslosen wieder Pingpong gespielt wird zwischen kom- sel zu schaffen, die besagt, dass Tarifverträge davon ab-
munaler Verwaltung und Arbeitsagentur, wie es früher weichen könnten. Dies taten wir in der Hoffnung, dass
üblich war? Wollen Sie eine doppelte Bürokratie und Gewerkschaften und Arbeitgeber stark genug sind, ver-
doppelte Bescheide? Wollen Sie Rechtsunsicherheit? nünftig damit umzugehen. Dann allerdings ist über
Denn all das, was Sie jetzt in die Diskussion bringen, Scheintarifverträge und Scheingewerkschaften, auch
hält verfassungsrechtlich nicht stand. Allein die Entfris- wenn sie sich christlich nennen und durch CSU-Abge-
tung der Optierer ist ohne Verfassungsänderung nicht ordnete in diesem Haus präsent sind, diese Klausel be-
zu machen, sagen führende Experten, sagen die kommu- nutzt worden, um Lohndumping und dem Auflösen der
nalen Spitzenverbände, der Deutsche Städte- und Ge- Stammbelegschaften in Richtung Leihbelegschaften
meindebund, der Deutsche Landkreistag – von dem Sie Vorschub zu leisten. Dem müssen wir einen Riegel vor-
ja vor einigen Tagen entsprechend Nachricht bekommen schieben, meine Damen und Herren, und dazu habe ich
haben –, aber auch der Deutsche Städtetag. Auch die von Ihnen nichts gehört.
Chefs und die Praktiker vor Ort in den Arbeitsagenturen
(Beifall bei der SPD)
bitten Sie, die erfolgreiche Einrichtung Jobcenter nicht
zu zerschlagen und damit zurück zu einem Zustand zu Da reicht es nicht, Frau Ministerin, wenn Sie in Inter-
gehen, als Bürokratie und Pingpong mit Langzeitarbeits- views die Folgen beklagen, selbst aber nichts tun. Es
losen angesagt waren. Kehren Sie um, Frau von der reicht auch nicht, wenn Herr Rüttgers darüber schwadro-
1360 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Hubertus Heil (Peine)


(A) niert, nur weil am 9. Mai Landtagswahlen stattfinden men, um Ihre Steuergeschenke für Wohlhabende und (C)
werden. Wir werden Ihnen im Februar in diesem Haus Ihre Klientelgruppen zu finanzieren. Das darf nicht sein.
einen Gesetzentwurf mit drei konkreten Maßnahmen
und Vorschlägen vorlegen, und wir werden jeden Einzel- (Beifall bei der SPD)
nen von Ihnen in namentlicher Abstimmung befragen,
wie Sie es damit halten. Erstens. Sind Sie bereit – das ist Präsident Dr. Norbert Lammert:
notwendig –, die Rechte der Betriebsräte zu stärken, was Herr Kollege Heil, Sie müssen auch gelegentlich auf
den Einsatz von Zeit- und Leiharbeit betrifft? Zweitens. die Endlichkeit Ihrer Redezeit achten.
Sie haben vorhin davon gesprochen, Gewerkschaften
und Arbeitgeber sollten Mindestlöhne tarifvertraglich Hubertus Heil (Peine) (SPD):
festschreiben. D’accord, wo sie es können, aber es gibt
ja bei der Zeit- und Leiharbeit einen Tarifvertrag. Warum Ich komme zum Schluss. – Es ginge zulasten der Ar-
sorgen Sie nicht für einen Mindestlohn im Bereich der beitnehmerinnen und Arbeitnehmer, was die Umvertei-
Zeit- und Leiharbeitsbranche? Drittens. Die wichtigste lungswirkung betrifft. Aber es ginge vor allen Dingen
Frage ist: Warum wehren Sie sich dagegen, den Grund- zulasten von ordentlicher Arbeit.
satz „gleicher Lohn für gleiche Arbeit von Stamm- und (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ordentliche Ar-
Leihbelegschaften“ durchzusetzen? Ich verstehe es beit müssen Sie erst mal machen!)
nicht; denn dies ist das wirksamste Instrument gegen den
Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit. An diesem Punkt Das dürfen Sie nicht zulassen. Dazu muss endlich ein
können Sie mithelfen. klares Wort gesagt werden. Kehren Sie um, Frau von der
Leyen!
(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb
[FDP]: Sie selbst haben Abweichungen davon Herzlichen Dank.
zugelassen! Sie waren es!) (Beifall bei der SPD)
– Herr Kolb, wenn Sie ein ähnliches Hörvermögen wie
Schreivermögen hätten, hätten Sie eben vernommen – Sie Präsident Dr. Norbert Lammert:
können es im Protokoll nachlesen –, was der Hinter- Die Kollegin Dr. Claudia Winterstein ist die nächste
grund dieser Geschichte ist. Die Frage ist, wie wir jetzt Rednerin für die FDP-Fraktion.
damit umgehen und was Sie tun.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Elf Jahre hatten der CDU/CSU)
Sie Zeit!)
(B) (D)
Frau von der Leyen, Arbeitsmarktpolitik ist das eine, Dr. Claudia Winterstein (FDP):
Wirtschaftspolitik ist das andere. Wir werden nachher Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
mit Herrn Brüderle noch darüber diskutieren. Unser zen- Herren! Lieber Herr Heil, Ihrer Rede hat man wirklich
traler Vorwurf ist nicht, dass wir im Hinblick darauf, angemerkt, dass die SPD keine Regierungsverantwor-
dass es in der Analyse des letzten Jahres und auch des tung mehr für die Zukunft dieses Landes trägt, und das
Beginns dieses Jahres noch ganz gut aussieht, einer Mei- ist auch gut so.
nung sind. Das haben wir in der Großen Koalition ge-
meinsam gemacht, Frau Bundeskanzlerin. Unser Vor- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
wurf ist, dass Sie diesen Pfad verlassen, dass Sie kein
Sehr wohl aber tragen Sie die Verantwortung für Fehl-
Konzept und keine Wachstumsstrategie, aber auch keine
entscheidungen und Versäumnisse der vergangenen
kohärente Vorstellung im Bereich der Arbeitsmarktpoli-
Jahre. Ich weiß, dass Sie davon nichts mehr wissen wol-
tik haben. Wer in Zeiten, in denen Langzeitarbeitslosig-
len, Herr Heil. Ich erinnere aber daran: Ohne Wirt-
keit wächst, Jobcenter zerschlagen will – ich sage es
schaftskrise bei sprudelnden Steuermehreinnahmen und
noch einmal –, der ist wirklich mit dem Klammerbeutel
der größten Steuererhöhung aller Zeiten haben Sie den
gepudert.
Haushalt und den Schuldenberg stetig wachsen lassen
Dann gibt es noch etwas, was uns auch noch nicht so und damit die Chancen zur Konsolidierung verpasst.
klar ist und was mit der Haushaltspolitik im unmittelbaren
Sinne zu tun hat: Können Sie uns wirklich versichern, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
dass Sie den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung dau- der CDU/CSU)
erhaft, das heißt über die ganze Legislaturperiode, stabil Unter SPD-Finanzministern ist der Schuldenberg in den
halten? Ich habe gestern eine Zwischenfrage an Herrn letzten elf Jahren um 300 Milliarden Euro gewachsen.
Friedrich gestellt, der locker sagte: Natürlich, dagegen
werden wir uns stemmen, das soll nicht über 3 Prozent Zu Ihrem Redebeitrag wäre vieles zu sagen, Herr
steigen. – Aber mir fehlt eine klare Aussage in Ihrer Heil, allerdings nichts Gutes.
Rede, Frau Ministerin. Was wird sich eigentlich nach (Joachim Poß [SPD]: Was gibt’s denn da zu kriti-
dem 1. Januar 2011 im Bereich der Arbeitslosenversi- sieren? Nennen Sie mal ein Beispiel!)
cherung entwickeln? Der Beitrag wird auf 3 Prozent
steigen. Aber wir dürfen nicht ins Unendliche gehen. Ich Das will ich Ihnen und mir ersparen. Teilweise hatte ich
warne Sie davor, die aktive Arbeitsmarktpolitik oder den bei Ihrer Rede das Gefühl, das grenzte schon an partielle
Arbeitslosenversicherungsbeitrag als Steinbruch zu neh- Amnesie.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1361
Dr. Claudia Winterstein
(A) (Beifall bei der FDP – Anette Kramme [SPD]: aber Fallstricke im System, die das Verlassen des Netzes (C)
Ohne Substanz!) eher behindern als fördern. Das betrifft vor allen Dingen
die Hinzuverdienstregelungen. Deshalb haben wir im
Der Haushalt 2010 entsteht also unter sehr schwieri-
Koalitionsvertrag festgelegt, die Hinzuverdienstregelun-
gen Bedingungen. Trotzdem gibt es für das Jahr 2010 die
gen deutlich zu verbessern. Es muss sich lohnen, eine so-
positive Nachricht, dass der Einzelplan mit einem deut-
zialversicherungspflichtige Beschäftigung aufzuneh-
lich geringeren Ansatz, nämlich 6,3 Milliarden Euro we-
men. Nur so können wir auch die Sozialkassen entlasten.
niger, auskommt, als noch unter Finanzminister Stein-
brück für 2010 geplant. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hört, hört!)
Eine zweite wichtige Änderung bei Hartz IV hat die
Dieser Einzelplan hat somit einen wichtigen Beitrag Koalition bereits auf den Weg gebracht. Mit dem Sozial-
dazu geleistet, dass es uns gelungen ist, gleich zu Beginn versicherungsstabilisierungsgesetz verdreifachen wir die
unserer Regierungszeit Steuersenkungen durchzuführen Freibeträge für die Altersvorsorge in der Grundsiche-
und zugleich die von Steinbrück ursprünglich geplante rung für Arbeitsuchende von 250 Euro auf 750 Euro pro
Neuverschuldung sogar etwas geringer zu halten. Lebensjahr. Das erhöht den Anreiz für die private Alters-
Ich will auf einige wichtige Themen eingehen, die un- vorsorge.
sere Arbeit in diesem ersten Regierungsjahr bestimmen In diesem Gesetz gibt es eine weitere Regelung, die
werden. Das Bundesverfassungsgericht hat die derzei- sich direkt im Haushalt des Arbeitsministeriums für
tige Struktur der Arbeitsgemeinschaften verworfen. 2010 niederschlägt. Die Bundesagentur für Arbeit hat
Hier besteht also dringender Handlungsbedarf. Unter nach erheblichen Beitragssenkungen, aber auch nach
SPD-Arbeitsministern hat es allerdings keine Lösung ge- jahrelangen massiven Leistungs- und Personalauswei-
geben; das muss man ganz deutlich sagen. tungen in diesem Jahr ein Defizit in Milliardenhöhe zu
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist doch ein erwarten. Damit das Defizit nicht zu deutlichen Bei-
Witz!) tragserhöhungen führt, erhält die Bundesagentur für Ar-
beit, wie gesagt wurde, vom Bund einen Zuschuss in
Die neue Regierung wird nun eine Lösung vorlegen. Die Höhe von circa 16 Milliarden Euro, vielleicht auch et-
Ministerin hat einen entsprechenden Gesetzentwurf an- was weniger. Aber die Bundesagentur für Arbeit muss
gekündigt. sich darüber im Klaren sein, dass dieser Zuschuss nur
Allen Vorschlägen der SPD liegt eine Änderung der eine einmalige Maßnahme ist und sie ab dem folgenden
Verfassung zugrunde. Das wollen wir nicht. Haushaltsjahr selbstverständlich nur mit Darlehen rech-
(B) nen kann. (D)
(Anette Kramme [SPD]: Aus nichtigen
Gründen!) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Rechentricks! – Weitere Zurufe von
Insofern sind sie keine Lösung des Problems. den Grünen: Aha!)
Ich möchte noch auf einen anderen Teilaspekt dieser – Das ist doch klar. – Deshalb ist es wichtig, die Ausga-
Gesetzgebung eingehen. Das Modell der Optionskom- ben in den Griff zu bekommen.
munen hat sich bewährt. Deshalb haben wir im Koali-
tionsvertrag festgelegt, dass die Optionskommunen ihre Im Koalitionsvertrag haben wir festgelegt, Aufgaben
Aufgabe unbefristet wahrnehmen können. und Strukturen der Bundesagentur für Arbeit einer Kritik
zu unterziehen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU) (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Das darf man doch erst im Juni sagen!)
Wir werden prüfen, ob wir nicht sogar einen Schritt wei-
ter gehen und die Möglichkeit schaffen können, die An- Die Arbeitsmarktinstrumente der Arbeitsverwaltung
zahl der Optionskommunen zu erhöhen, wenn dies ge- müssen auf den Prüfstand gestellt werden. Wir wollen
wünscht wird. die Vielzahl der Arbeitsmarktinstrumente deutlich redu-
zieren, effizienter gestalten und damit natürlich auch
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ohne Verfas- Kosten sparen. Es gab bereits unter der Vorgängerregie-
sungsänderung geht das nicht!) rung den Versuch einer Neuordnung, allerdings mit der
Hierfür muss ein rechtssicherer Weg ohne Verfassungs- klaren Absicht, an der Höhe der Ausgaben ja nichts zu
änderung gefunden werden. verändern. Das wollen wir anders machen. Wenn wir ei-
nen Anstieg des Beitragssatzes vermeiden wollen – das
(Anton Schaaf [SPD]: Den finden Sie aber wollen wir natürlich –, dann führt an der strikten Be-
nicht!) grenzung der Ausgaben kein Weg vorbei.
Änderungen bei Hartz IV sind derzeit ein großes Ab 2011 müssen wir die Vorgaben der Schulden-
Thema und in der Tat sehr notwendig. In der Koalition bremse einhalten. Das heißt, wir müssen erhebliche
gibt es dazu klare Verabredungen. Die Grundsicherung Sparbemühungen unternehmen. Dazu haben wir im
für Arbeitsuchende ist ein Sicherheitsnetz, das zugleich Koalitionsvertrag die goldenen Regeln verankert, nach
dazu anregen soll, dieses Netz wieder zu verlassen und denen alle staatlichen Aufgaben auf ihre Notwendigkeit
sich finanziell wieder auf eigene Füße zu stellen. Es gibt überprüft werden müssen und alle Ministerien ihren Bei-
1362 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Dr. Claudia Winterstein


(A) trag zur Eindämmung der Ausgaben erbringen müssen. der Bundesrepublik hinterlassen. Martin Kohlhaussen (C)
Der Einzelplan 11 ist mit 147 Milliarden Euro der größte war Vorstand und Aufsichtsrat der Commerzbank, der
Etat im gesamten Bundeshaushalt und muss somit zu Bank, die vom Staat über 18 Milliarden Euro erhalten
den notwendigen Einsparungen ab 2011 einen erhebli- hat, damit sie nicht in Konkurs gehen musste. Auch
chen Beitrag erbringen. sein Name steht unter dieser zynischen Anzeige.
Dr. Thomas Middelhoff, damaliger Aufsichtsrat der
Im Haushalt 2010 halten sich die Möglichkeiten, Ein-
KarstadtQuelle AG, hat ein Traditionsunternehmen rui-
sparungen zu verwirklichen, noch in engen Grenzen. Es
niert und Tausende Verkäuferinnen in die Arbeitslosig-
ist aber jetzt unsere Aufgabe, Einsparungen im Jahr 2011
keit entlassen. Auch er hat diese Schmähschrift unter-
den Boden zu bereiten. Wir werden im Jahr 2010 die im
schrieben. Der eigentliche Skandal aber ist, dass keiner
Koalitionsvertrag beschlossenen Prüfaufträge zügig be-
von diesen Managern um sein Schonvermögen und seine
arbeiten, um im Jahr 2011 aufgrund der Ergebnisse zu
Rente fürchten muss. Keiner von ihnen ist auf das demü-
Umstrukturierungen und mehr Effizienz zu kommen.
tigende Hartz IV angewiesen. Ich fordere die Bundesre-
Wir werden ebenso aufgrund der bereits vorliegenden
gierung auf, diese Menschen endlich zur Verantwortung
Istergebnisse des Haushaltes 2009 – das ist der Vorteil
zu ziehen, statt Hartz-IV-Empfänger zu drangsalieren.
dieses Haushaltsentwurfs – sehr genau prüfen, ob höhere
Dass Sie das nicht tut, ist der eigentliche Skandal.
Ansätze für das Jahr 2010 überhaupt gerechtfertigt sind.
Wir wollen beim Eingliederungsbudget ein deutliches (Beifall bei der LINKEN)
Stoppsignal setzen. Einen weiteren Aufwuchs in diesem
Laut Haushaltsentwurf sollen für Sozialausgaben ins-
Bereich soll es nicht geben. Wir werden außerdem sehr
gesamt mehr als 176 Milliarden Euro ausgegeben wer-
genau darauf achten, inwieweit es verantwortbar ist,
den; Herr Schäuble hat das am Dienstag dargestellt. Das
neue Projekte ins Leben zu rufen, die uns für mehrere
betrachtet diese Regierung als Ausweis ihrer sozialen
Jahre finanziell binden. Außerdem muss sorgfältig ge-
Politik. Ich sage: Genau das Gegenteil ist der Fall. Diese
prüft werden, in welcher Form und Höhe laufende Pro-
extrem hohen Ausgaben sind ein Warnsignal. Diese Re-
jekte weitergeführt werden können.
gierung treibt wie ihre Vorgängerin die Sozialversiche-
rungssysteme systematisch in den Ruin. Das muss be-
Präsident Dr. Norbert Lammert: endet werden.
Frau Kollegin Winterstein!
(Beifall bei der LINKEN)
Dr. Claudia Winterstein (FDP): Menschen mit hohen Einkommen zahlen überdurch-
Mit dem Haushalt 2010 leiten wir somit eine klare schnittlich wenig in die Systeme ein. Wir als Linke hal-
Trendwende ein. ten es für unerträglich, dass die Sekretärin von Deut-
(B) (D)
sche-Bank-Chef Ackermann genauso viel in die
Vielen Dank. Versicherungssysteme einzahlt wie der Chef, der mehr
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) als das Tausendfache des Gehalts der Sekretärin erhält.
Wir als Linke fordern darum die sofortige Anhebung der
Bemessungsgrenzen und die Einführung einer solidari-
Präsident Dr. Norbert Lammert:
schen Bürgerversicherung.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gesine Lötzsch für
die Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN) Der Bundeshaushalt wird von Ihnen auch ruiniert,
weil Sie den Unternehmen jedes Jahr Lohnsubventionen
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): von über 9 Milliarden Euro in die Taschen stecken. Sie
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- haben einen Niedriglohnsektor geschaffen, der ehrlich
ren! Am 3. Oktober 2004 erschien eine ganzseitige An- arbeitende Menschen zwingt, als Aufstocker beim Ar-
zeige in der Süddeutschen Zeitung mit der Überschrift beitsamt um Almosen zu bitten. Das ist nicht Ausdruck
„Auch wir sind das Volk“. Ich zitiere daraus: sozialer, sondern Ausdruck unsozialer Politik.

Die unter dem Angst machenden und abschrecken- Ich erwarte von der Bundesministerin Frau von der
den Schlagwort Hartz IV beschlossenen Änderun- Leyen, dass sie sinnvolle Projekte unterstützt und nicht
gen in der Arbeitslosen- und Sozialhilfe sind über- torpediert. Heute haben wir in allen Zeitungen gelesen,
lebensnotwendig für den Standort Deutschland. dass der öffentlich geförderte Beschäftigungssektor in
Berlin, der ein vorbildliches Modell ist und mit dem
Weiter heißt es: Menschen in würdige Arbeit gebracht werden, durch
Entscheidungen Ihres Ministeriums gefährdet und torpe-
Jetzt hilft nur noch ein radikaler Kurswechsel. Sol-
diert werden soll. Ich fordere Sie auf: Nutzen wir die
che Einschnitte tun weh wie alle schweren
Haushaltsberatungen, um diese fatale Entwicklung um-
Operationen …
zukehren! Unterstützen Sie das Bundesland Berlin und
Aber den in Geld schwimmenden Unterzeichnern die- drangsalieren Sie es nicht!
ser Anzeige haben die Reformen nicht wehgetan. Unter
(Beifall bei der LINKEN)
ihnen ist zum Beispiel der ehemalige Vorstandschef der
WestLB, Dr. Thomas Fischer. Er hat den Steuerzahlern Es ist schon angesprochen worden, dass die Bundes-
mit der WestLB einen der größten Bankensanierungsfälle regierung Milliarden von Euro in die Rentenversiche-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1363
Dr. Gesine Lötzsch
(A) rung zuschießen muss. Das hat aber weniger mit der de- auf die Verzögerung der Auswirkungen der Krise zu- (C)
mografischen Situation zu tun als mit der rückzuführen ist. Ich wünsche Ihnen viel Glück. Ich
Niedriglohnpolitik der Regierung. Sie haben nämlich die kann mir vorstellen, wie Kabinettssitzungen im Moment
gesetzlichen Voraussetzungen dafür geschaffen, dass ablaufen, wenn über Steuersenkungen diskutiert wird
Unternehmen vollwertige versicherungspflichtige Ar- und alle gierigen Blicke auf Sie und Ihren Etat gerichtet
beitsplätze in Minijobs umwandeln konnten. Das muss sind.
beendet werden. Wir brauchen endlich einen gesetzli-
chen Mindestlohn, der den Menschen die Würde zurück- Es wundert mich, dass Sie hier zu der Frage schwei-
gibt, aber auch dazu beiträgt, dass der Bundeshaushalt gen, wie es über das Jahr 2010 hinaus mit Ihrem Etat
entlastet wird und die Sozialsysteme, insbesondere das weitergehen soll. Dazu schweigen Sie, die Kanzlerin und
Rentensystem, gestärkt werden. Die Einführung eines der Finanzminister. Wir alle wissen: Im Hintergrund
gesetzlichen Mindestlohns wäre die Entscheidung der braut sich etwas zusammen, nämlich Grundsatzentschei-
Stunde. dungen, die Sie uns und den Menschen im Lande erst
nach der Nordrhein-Westfalen-Wahl offenlegen wollen.
(Beifall bei der LINKEN) Sie planen Steuersenkungen in Milliardenhöhe und ha-
Der Finanzminister hat in der Debatte am Dienstag ben gleichzeitig die Schuldenbremse zu beachten. Sie
darauf hingewiesen, dass nach den Wahlen in Nordrhein- machen die Einnahmeseite kaputt und wissen, dass die
Westfalen auch Leistungsgesetze geändert werden sol- Ausgaben Ihnen schon heute über den Kopf wachsen.
len. Ich finde, die Bevölkerung hat aber ein Anrecht dar- Sie legen – das ist für diesen Einzelplan von besonderer
auf, dass jetzt, während wir den Bundeshaushalt disku- Bedeutung – keinen Finanzplan vor, der deutlich macht,
tieren, die Wahrheit gesagt und Klartext gesprochen wohin die Reise in den nächsten Jahren gehen wird und
wird. Sie planen nämlich in Wirklichkeit die Anhebung für welche zentralen Aufgaben Sie im Bereich „Arbeits-
der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung, und Sie wol- markt und Soziales“ Ausgaben vorsehen.
len Kürzungen bei Hartz IV durchsetzen. Sie haben ja Eine zentrale Frage ist: Wie geht es weiter mit der
schon deutlich gemacht, dass Sie Kürzungen bei den Unterstützung der Bundesagentur für Arbeit? Auch 2011
Eingliederungsmaßnahmen erreichen wollen. Wir als sind wesentliche Entscheidungen zu treffen. Dazu
Linke werden uns damit nicht abfinden und dem unseren herrscht bei Ihnen Schweigen. Damit verunsichern Sie
Widerstand entgegensetzen. die Bürgerinnen und Bürger und die Wirtschaft. Wichtig
(Beifall bei der LINKEN) in einer Krise wie dieser ist, dass bezüglich der Rolle des
Staats auf dem Arbeitsmarkt Verlässlichkeit herrscht.
Zum Abschluss will ich Ihnen verraten, welcher
Name noch auf der eingangs zitierten Anzeige vom 16 Milliarden erhält die Bundesagentur für Arbeit
(B)
3. Oktober 2004 stand: Dr. Wendelin Wiedeking. Dieser dieses Jahr als Bundeszuschuss. Übrigens haben Sie (D)
Mann wollte aus einem Porsche eine Heuschrecke ma- auch dazu im Wahlkampf geschwiegen. Da haben Sie
chen und wunderte sich, dass die Aktionäre diesen Mo- noch so getan, als ob der BA ein zinsloses Darlehen ge-
dellwechsel nicht akzeptierten. Er ist damit grandios ge- geben würde, als sei das alles kein Problem. Kaum war
scheitert. Ich kann der Bundesregierung nur raten, sich die Wahl vorbei, war klar: Der BA muss ein Bundeszu-
von solchen aufgeblasenen Beratern endlich zu trennen, schuss gewährt werden. Ihre Entscheidung, die Bundesa-
wenn sie diesen Bundeshaushalt in Ordnung bringen und gentur in dieser Situation mit einem Zuschuss zu stabili-
endlich eine soziale Politik in unserem Land durchsetzen sieren, war richtig.
will. Für diese soziale Politik steht die Linke. (Beifall der Abg. Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/
Vielen Dank. DIE GRÜNEN] und Peter Weiß [Emmendin-
gen] [CDU/CSU])
(Beifall bei der LINKEN)
Da haben Sie von der Koalition einmal recht gehabt. Das
Präsident Dr. Norbert Lammert: darf man offen sagen.
Das Wort hat nun der Kollege Alexander Bonde, Auf dem entscheidenden Gebiet spielen Sie jedoch
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Roulette. Der Arbeitslosenversicherungsbeitrag wird
zum 1. Januar 2011 geringfügig auf 3 Prozent angeho-
Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ben. Um die Kosten zu decken, müssten Sie ihn eigent-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! lich auf 4,8 Prozent anheben, also fast verdoppeln. Teile
Frau Ministerin von der Leyen, auch ich wünsche Ihnen Ihrer Koalition reden schon darüber. Wir wollen von Ih-
viel Erfolg in Ihrem neuen, wichtigen Amt. Uns als Op- nen jetzt einmal wissen: Wird es eine Steigerung des
position lässt es nämlich nicht kalt, dass gerade diejeni- Beitrags geben oder nicht? Prognostiziert wird, dass die
gen Menschen, die von Ihrem Etat, dem Arbeits- und So- BA 2011 ein Defizit von 11 Milliarden Euro, 2012 von
zialhaushalt, betroffen sind, jetzt Stück für Stück spüren, mehr als 8 Milliarden Euro und 2013 von 5 Milliarden
dass die Auswirkungen der Krise auch bei ihnen ankom- Euro haben wird. Sie sprechen immer wieder von
men werden. Wir alle wissen, dass das Jahr 2010, aber Schutzschirmen auch für den Arbeitsmarkt. Für 2011 ist
auch das Jahr 2011 die Bewährungsprobe dafür sind, ob Regen auf dem Arbeitsmarkt angekündigt. Ich frage Sie:
die in Anbetracht der Schwere der Krise positive Situa- Ziehen Sie den Regenschirm weg oder nicht? Die Ant-
tion des Arbeitsmarktes tatsächlich anhält oder ob die wort auf diese Frage bleiben Sie uns schuldig. Das geht
Tatsache, dass wir bisher vergleichsweise gut dastehen, nicht, Frau von der Leyen.
1364 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Alexander Bonde
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ins Schaufenster hängen, obwohl Sie genau wissen, dass (C)
sowie bei Abgeordneten der SPD) die Auslieferung auf dem Rechtsweg schon verhindert
wird. Das, was Sie hier durchziehen, ist die unehrliche
Sie haben verschiedene Möglichkeiten. Eine Mög-
Politik der FDP.
lichkeit ist, der BA wieder ein Darlehen zu gewähren;
das hat Frau Winterstein gerade angedroht. Das hieße, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sie setzten auf eine dauerhafte Überschuldung der Bun- sowie bei Abgeordneten der SPD)
desagentur für Arbeit, für die Arbeitnehmerinnen und
Die Minijobs sind die nächste Baustelle, auf der Sie
Arbeitnehmer in Zukunft zahlen müssten. Das ist in die-
Unfug anstellen. Jetzt reden Sie über die Lockerung der
ser Situation – demografischer Wandel plus Wirtschafts-
Obergrenzen. Das heißt, Ihre Antwort auf die Situation
krise – eine unverantwortliche Strategie. Das sage ich
auf dem Arbeitsmarkt ist eine Ausweitung des Niedrig-
Ihnen ganz offen.
lohnbereichs. Damit lösen Sie ähnliche Folgeprobleme
Eine andere Möglichkeit ist, auf Kürzungen zu set- aus wie das Mehrwertsteuerchaos bei den Hotels. Sie
zen. Auch diese Drohung liegt bereits auf dem Tisch. Ich dachten, Sie tun etwas Gutes, hatten aber die Folgepro-
weiß nicht, Frau Winterstein, ob diese Information schon blematiken nicht im Blick. Sie wissen doch genau, dass
freigegeben worden ist oder ob Sie etwas ausgeplaudert die Lockerung der 400-Euro-Grenze dazu führt, dass die
haben, was erst im Juni auf den Tisch soll. Ihre Idee ist, Minijobs attraktiver werden. Das wiederum führt dazu,
bei Qualifizierungs- und Eingliederungsmaßnahmen zu dass es bei den Sozialversicherungen zu Einnahmeein-
kürzen. Auch das ist eine absurde Strategie, weil wir ge- bußen kommt und der Niedriglohnsektor weiter wächst.
nau wissen, dass über den Eingliederungstitel gerade Machen Sie endlich eine Politik für echte Jobs! Setzen
diese Qualifizierungsmaßnahmen in der Krise die Sie auf Jobs mit Perspektiven anstatt auf Minijobs und
Chance bieten, den Fachkräftemangel, der nach der die Ausweitung von Zuverdienstgrenzen!
Krise droht, zu verhindern. Wir alle wissen, dass dies die
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
nächste Gefahr auf dem Arbeitsmarkt sein wird.
sowie bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ich frage Sie: Auf was setzen Sie? Welche Chancen
sowie bei Abgeordneten der SPD)
auf Vermittlung geben Sie den Schwächsten? Welche
Im Zusammenhang mit der Beitragserhöhung stellt Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe geben Sie ihnen?
sich auch die Frage der sozialen Verteilung der Kosten. Es ist in der Krise nicht einfach, den Arbeitslosengeld-II-
Wer wäre von einer Verdopplung des Arbeitslosenversi- Betrag anzupassen. Ich glaube aber, dass es trotz Krise
cherungsbeitrages betroffen? Dem gegenüber steht die dringend an der Zeit ist, den Regelsatz auf 420 Euro an-
Frage: Was bedeutete eine Steuerfinanzierung in einer zuheben. Das ist das absolute Minimum, um ernsthaft
(B) (D)
Krise, wie wir sie heute erleben? von einer Absicherung und einer Teilhabe sprechen zu
können.
Eine ähnliche absurde Positionierung der Koalition
erleben wir in der Frage der Neuorganisation der Ar- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
beitsgemeinschaften. Jetzt hat sich in diesem Bereich
Ich gebe zu: Die Debatte muss für Sie als Koalition
endlich eine funktionierende Arbeitsweise etabliert, so-
eine Zumutung sein. Wir reden über das Zimmermäd-
dass diejenigen, die Unterstützung brauchen, nicht stän-
chen, das hart arbeitet und trotzdem kein Einkommen
dig von Pontius zu Pilatus laufen müssen, sondern Hilfe
zum Überleben hat, weil es keinen Mindestlohn gibt, an-
aus einer Hand bekommen. Die Software funktioniert
statt über die Hotelkettenbesitzer, die im Fokus Ihrer Po-
endlich.
litik stehen. Aber ich glaube, das wirklich Wichtige in
(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Das tut sie dieser Republik sind die Leute, die hart arbeiten, nicht
nicht!) die, die hart an die Koalition spenden.
Das Anfangschaos ist beseitigt. In dieser Situation wol- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
len Sie dieses Paket wieder aufschnüren. Ich glaube, Sie sowie bei Abgeordneten der SPD)
schlagen den falschen Weg ein. Sie schicken die Leute
Von Ihrer Politik sind auch die Kommunen betroffen.
zurück in die Mühlen der Bürokratie und verursachen
Das haben wir beim Wachstumsbeschleunigungsgesetz
neue Friktionen, die gerade in der Krise niemandem hel-
erlebt. Das erleben wir aber auch in diesem Bereich. Ich
fen.
nenne das Stichwort Kosten der Unterkunft. Ich meine
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN jetzt nicht die Unterkunftskosten im Hotel – nicht nervös
sowie bei Abgeordneten der SPD) werden! –, sondern die Kosten zur Finanzierung der
Wohnung von Arbeitslosengeld-II-Beziehern. Die Miete
Ich bin davon überzeugt: Wir brauchen eine verfas-
für deren Wohnung kostet im Monat etwa so viel wie
sungssichere Fortführung der Jobcenter und eine Aus-
eine einzige Übernachtung in einem 5-Sterne-Hotel.
weitung der Optionsmöglichkeiten, die es den Kommu-
nen erlauben, den für sie richtigen Weg zu finden. Aber Sie betreiben eine Finanzpolitik, mit der Sie weiter
es muss auch darum gehen, dass die Hilfe für die wesentliche Lasten auf die Kommunen schieben. Eine
Schwächsten effizient organisiert wird. Mit Verlaub: Das, weitere Absenkung des Bundesanteils hätte zur Folge,
was Sie hier in Aussicht gestellt haben, das Optionsmo- dass die kommunalen Ausgaben im nächsten Jahr um
dell ohne eine Verfassungsänderung verfassungskon- 17 Prozent von 10,3 auf rund 12,1 Milliarden Euro stei-
form auszuweiten, ist ungefähr so, als ob Sie eine Wurst gen. Sie wissen genau, welche zusätzlichen Belastungen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1365
Alexander Bonde
(A) Sie damit den Kommunen aufbürden, denen Sie schon Die Arbeitsmarktpolitik übernimmt in dieser Krise (C)
mit Ihren bisherigen Klientelgeschenken geschadet ha- eine der wichtigsten Aufgaben. Ich denke, dass der vor-
ben und die Sie mit Ihren Steuersenkungsandrohungen gelegte Haushalt für 2010 dem auch gerecht wird. Ich
nun wirklich an die Wand spielen. Überlegen Sie sich darf in aller Bescheidenheit und in aller Deutlichkeit an-
endlich einmal, was die Grundlage dieser Gesellschaft merken: Der Haushalt, über den wir jetzt reden, ist von
ist, und hören Sie auf, auf Kosten der Kommunen und Peer Steinbrück entwickelt und nur unwesentlich geän-
der Schwächsten Ihre Steuersenkungsfantasien auszule- dert worden. Aus meiner Sicht ist es durchaus ein großes
ben! Verdienst der FDP, dass sie akzeptiert hat, dass wir in
dieser Krise verantwortungsbewusst miteinander umge-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
hen müssen und schnell verlässliche Grundlagen brau-
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
chen.
KEN)
Frau von der Leyen, Sie wollten diesen Job. Jetzt (Otto Fricke [FDP]: So sind wir! – Hubertus
machen Sie ihn aber auch! Sie wissen genau, dass die Heil [Peine] [SPD]: Wir beschimpfen Sie
Ergebnisse der nächsten Steuerschätzung keine dramati- nicht, wenn Sie SPD-Politik machen!)
schen Veränderungen bringen werden, sondern höchs- Die Dinge, die im Einzelplan 11 stehen, sind also im We-
tens marginale. Sie wissen, wenn die Einnahmeseite des sentlichen Dinge, die Sie selbst entwickelt und für die
Bundeshaushaltes von Ihrer Koalition systematisch ka- auch Sie gestimmt haben.
puttgemacht wird, dann wird die Koalition Ihren Einzel-
plan als Steinbruch nutzen müssen. Dann bezahlen die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Schwächsten in der Gesellschaft die Steuersenkungen neten der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]:
für die Reichsten. Eine Arbeits- und Sozialministerin hat Da ist der Heil sprachlos!)
den Job, das zu verhindern. Daran messen wir Sie. Ab
heute stehen Sie unter Beobachtung nicht nur des Kabi- Allein für den Arbeitsmarkt werden 62,6 Milliarden
netts, sondern auch der Menschen im Land, die sich dar- Euro bereitgestellt. Das sind 17 Milliarden Euro mehr
auf verlassen, dass es wenigstens einer in der Koalition als im vergangenen Jahr. Das ist im Wesentlichen Geld,
gibt, die verhindert, dass die Reichen auf ihre Kosten das der Bundesagentur für Arbeit zugutekommt. Wir
noch reicher werden. wissen nämlich, dass weiterhin Kurzarbeit finanziert
werden muss und wir dafür der Bundesagentur für Ar-
Herzlichen Dank. beit einen Zuschuss geben müssen. Es gab, Herr Kollege
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Bonde, während des Bundestagswahlkampfes kein Her-
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der umgeeiere, sondern wir haben nach einem richtigen und
(B)
LINKEN) vernünftigen Weg gesucht. Wir haben dann den Weg ge- (D)
wählt, den wir auch jetzt noch verantworten können.
Präsident Dr. Norbert Lammert: Meine Damen und Herren, betrachtet man all diese
Karl Schiewerling ist der nächste Redner für die Zahlen, die wir auf den Tisch legen, dann stellen wir fest,
CDU/CSU-Fraktion. dass von sozialer Kälte und sozialem Kahlschlag nicht
die Rede sein kann. Alles das, was Sie unserer Koalition
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
anheften wollen, wird an uns abprallen. Sie werden fest-
stellen, dass wir uns sehr verantwortungsbewusst von
Karl Schiewerling (CDU/CSU): unserem Prinzip und unserem Menschenbild leiten las-
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe sen,
Kolleginnen und Kollegen! Wachstum, Bildung, Zusam-
menarbeit – das ist die Antwort der Koalition auf die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Krise. Wir stecken noch mitten in dieser Krise. Bilden
nämlich dem Menschenbild von Solidarität, Subsidiari-
wir uns nichts ein: Wenn es, wie mir die Chefin der
tät, Eigenverantwortung und personaler Würde. Das
Agentur für Arbeit des Landes Nordrhein-Westfalen vor
steht im Mittelpunkt der Politik, übrigens auch der Ar-
einigen Tagen gesagt hat, etwa 100 000 Menschen gibt,
beitsmarkt- und Sozialpolitik.
die zwar noch einen Job haben, sich aber bereits arbeit-
suchend gemeldet haben, weil ihnen die Kündigung aus- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Vor allem bei
gehändigt wurde, dann wissen wir, dass diese Krise nicht Roland Koch!)
vorbei ist. Ich sage Ihnen: All unsere Anstrengungen
sind gefordert, diesen Menschen trotz allem Sicherheit Das gilt auch für die Neuorganisation im Bereich
zu geben und Perspektiven aufzuzeigen. Deswegen ist es der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Es gibt das
wichtig, in diesem Hohen Hause kein dummes Zeug von Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Dezem-
Sozialabbau zu erzählen, hier nicht zu erzählen, wer ih- ber 2007; Frau Dr. von der Leyen hat darauf hingewie-
nen den Boden unter den Füßen wegziehen will, sondern sen. Dieses Urteil hat niemand in diesem Hohen Hause
zu akzeptieren, dass wir eine verlässliche, vernünftige herbeigeführt; es hat auch niemand so haben wollen. Wir
Politik machen, um diesen Menschen, wenn ihnen Ar- müssen uns der Herausforderung stellen, eine verfas-
beitslosigkeit droht, Hilfe und Unterstützung anbieten zu sungsmäßige, ordentliche Form zu finden.
können.
Herr Kollege Heil, die Menschen sind, bevor wir die
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Grundorganisation, die Organisation für Arbeitsu-
1366 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Karl Schiewerling
(A) chende im SGB II, geschaffen haben, nicht zwischen Schiewerling: Ich glaube, dass wir beide uns, wenn wir (C)
dem Sozialamt in der Kommune und der Arbeitslosen- uns einen Abend auf ein Bier zusammensetzen würden,
versicherung wie in einem Pingpongspiel hin und her ge- ganz schnell einig wären. Das Problem ist nur Ihre Frak-
schoben worden, weil es zwischen diesen beiden über- tion. Kann das sein?
haupt keine Beziehung gab.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber das droht Karl Schiewerling (CDU/CSU):
jetzt!) Erstens, Herr Kollege Heil, wird Jürgen Rüttgers Mi-
nisterpräsident bleiben,
Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozial-
hilfe war übrigens eine Grundforderung der CDU/CSU. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Diese ist dann aufgegriffen und über den Bundesrat von weil er eine gute Politik betreibt.
uns mitgestaltet worden. Die Zusammenlegung ist er-
folgt, damit wir den Menschen Hilfe aus einer Hand und (Zuruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD])
auch den Sozialhilfeempfängern die erforderlichen ar-
– Ja, das werden Sie feststellen.
beitsmarktpolitischen Hilfestellungen geben können.
Das soll auch weiterhin geschehen. Zweitens müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass es
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ach ja? – auch innerhalb unserer Fraktion heftige Diskussionen in
Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Wie dieser Frage gegeben hat. Das halte ich für hochanstän-
denn?) dig; denn es zeigt, dass bei uns lebendig diskutiert wird.
Wenn ich aber zur Kenntnis nehmen muss, dass der Kri-
Daran wird sich auch nichts ändern, wenn wir eine Form tik an einer Regelung, die nicht mit der Verfassung kon-
finden, wie wir den Menschen die Hilfe möglichst aus form ist, nur dadurch begegnet werden kann, dass man
einer Hand und möglichst unter einem Dach gewähren die Verfassung ändert mit der Konsequenz, dass dann
können. möglicherweise die klare Struktur, die wir in der
Föderalismusreform I geschaffen haben, nicht mehr ein-
Frau Dr. von der Leyen hat in ihrer Rede darauf hin-
gehalten werden kann, weil wir in einem Teilbereich,
gewiesen, und ich kann das nur unterstreichen: Heute
nämlich im Bereich der Grundsicherung für Arbeitsu-
kommen die Menschen in ein Jobcenter und sprechen
chende, neben den bestehenden staatlichen Strukturen
mit ihrem Fallmanager. Sie haben bei der Kommune ei-
zusätzliche Aufbauten organisieren, die ausschließlich
nen Ansprechpartner etwa im Falle einer Erkrankung
für eine bestimmte Personengruppe in dieser Gesell-
oder Schuldnerberatung. Ich glaube, dass sich an dieser
schaft gedacht sind, was dann mit der Verfassung mögli-
Form der bewährten Zusammenarbeit auch dann nichts
cherweise nicht zusammengebracht werden könnte,
(B) ändern wird, wenn wir keinen strengen gesetzlichen (D)
dann darf man die Diskussion, die in unserer Fraktion
Rahmen dafür haben.
geführt wurde, als ernsthaft ansehen. Man muss uns we-
nigstens unterstellen, dass wir versuchen, nicht nur die
Präsident Dr. Norbert Lammert: Lebenssituation der Menschen in den Blick zu nehmen,
Herr Kollege Schiewerling, gestatten Sie eine Zwi- sondern das auch mit der Verfassung kompatibel zu hal-
schenfrage des Kollegen Heil? ten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Karl Schiewerling (CDU/CSU):
Ja. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich auf die
Frage der Solidarität anhand eines Punktes eingehen, der
Präsident Dr. Norbert Lammert: mir sehr am Herzen liegt, nämlich der Lebenssituation
Bitte schön. der Rentnerinnen und Rentner und des Zustandes der
Rentenversicherung. Wir können froh sein, dass wir den
Rentnerinnen und Rentnern heute sagen können, dass
Hubertus Heil (Peine) (SPD):
die Rücklagen der Rentenversicherung so hoch sind wie
Sehr geehrter Kollege, ich glaube, dass es in dem
seit vielen Jahren nicht mehr und dass wir deswegen eine
Menschenbild, das Sie als Zielsetzung beschrieben ha-
verlässliche Grundlage für die Alterssicherung haben.
ben, keine großen Unterschiede zu unserem gibt, jeden-
Das soll auch so bleiben. Die Rentenversicherung ist auf
falls nicht, wenn ich mir Ihre Worte anhöre. Können Sie
einem Solidarsystem aufgebaut, auf der Solidarität der
mir bitte Folgendes erklären: Wenn Sie weiterhin Hilfe
jüngeren Generation mit der älteren. Wir können – das
nicht nur unter einem Dach, sondern sogar aus einer
wissen wir – nicht mehr Rente zahlen, als letztendlich
Hand haben wollen, warum ist dann jetzt getrennte Auf-
erwirtschaftet wird.
gabenwahrnehmung Ihr Weg, zumal wir einen Kompro-
miss hatten, der zwischen Olaf Scholz, damals Bundesar- Was wir in die Rentenversicherung an staatlichen Zu-
beitsminister, Ihrem Ministerpräsidenten Jürgen Rüttgers schüssen einzahlen – im nächsten Jahr sind das übrigens
circa 80 Milliarden Euro –, ist nicht das Ergebnis von
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Noch-
Minijobs, Frau Kollegin Lötzsch, sondern ist das Ergeb-
Ministerpräsident!)
nis von Beschlüssen des Hohen Hauses aus den zurück-
– Noch-Ministerpräsident – und Kurt Beck aus Rhein- liegenden Jahren. Ich nenne unter anderem die Anerken-
land-Pfalz vereinbart wurde, den alle 16 Bundesländer nung von Erziehungsleistungen im Rentenrecht. Dafür
mitgetragen haben? Ich will Ihnen nur sagen, Herr und für viele andere Dinge mehr gibt es staatlicherseits
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1367
Karl Schiewerling
(A) eine finanzielle Unterstützung, weil es nicht Aufgabe entsprechenden Einkommen für die einzelnen Arbeit- (C)
des Beitragszahlers ist, diese Mittel aufzubringen. Ich nehmer.
bin sehr stolz darauf, dass unser Sozialstaat im Rahmen
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
der Rentenversicherung dieses leistet und dass wir dies
beibehalten werden. Auch das ist ein wichtiger Beitrag Ich möchte noch kurz auf einen Punkt eingehen, der
zur sozialen Gerechtigkeit in diesem Lande. mir sehr am Herzen liegt. Es geht um die Situation in der
Zeitarbeit. Ich sage an dieser Stelle sehr deutlich, dass
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ich meinem Kollegen Dr. Kolb und Frau Bundesministe-
neten der FDP) rin von der Leyen dankbar bin, dass sie meine Anregun-
gen zur Überprüfung der Auswüchse von fehlgeleiteten
Präsident Dr. Norbert Lammert: Entwicklungen in der Zeitarbeit aufgegriffen haben. Das
Herr Kollege Schiewerling, darf Ihnen die Kollegin Ministerium ist zurzeit dabei, die Fälle zusammenzutra-
Lötzsch nun noch eine Zwischenfrage stellen? gen. Ich sage an dieser Stelle in aller Deutlichkeit und in
aller Klarheit: Es wäre gut, wenn die Tarifpartner selbst
organisieren könnten, dass dieser Missbrauch in ihrer
Karl Schiewerling (CDU/CSU): Branche nicht vorkommt. Es wäre ein Zeichen von
Ja. Stärke der Tarifautonomie und der Verantwortung der
Tarifpartner. Sollte das nicht gelingen, werden wir ge-
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): setzliche Maßnahmen ergreifen müssen, damit wir den
Menschen, die dort tätig sind, ordentliche und gesicherte
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr Rahmenbedingungen bieten können.
Kollege, die solideste Basis für solide Finanzen der Ren-
tenversicherung sind gute Arbeitsplätze, die gut bezahlt (Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil
werden, und nicht prekäre Jobs, die sich immer mehr [Peine] [SPD]: Weiß das die FDP?)
ausweiten. Stimmen Sie darin mit mir überein? Wenn ja: Wir brauchen für die Überwindung dieser Krise eine
Können Sie einmal kurz erläutern, was Sie dafür tun funktionierende Arbeitsmarktpolitik. Wir sind auf ei-
wollen, dass wir mehr solide Arbeitsplätze auf solider nem guten Weg. Wir fangen nicht bei null an. Die Union
Grundlage mit entsprechender Bezahlung und weniger hat in den letzten Jahren erfolgreich gearbeitet. Wir wer-
prekäre Beschäftigungsverhältnisse haben? den diese erfolgreiche Arbeit fortsetzen gemeinsam mit
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) unserer Bundesarbeitsministerin Frau Dr. von der Leyen.
Die CDU/CSU-Fraktion freut sich auf eine gute Zusam-
menarbeit. Das hat alles prima angefangen.
Karl Schiewerling (CDU/CSU):
(B) (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das sieht Herr (D)
Erstens. Arbeitsplätze werden nicht durch die Ar-
beitsmarktpolitik geschaffen, sondern in der Wirtschaft, Jung aber anders!)
indem wir Wirtschaftswachstum generieren und indem Die Menschen im Land werden merken, dass mit Ihnen,
Menschen dort investieren. Frau Ministerin, ein guter Wind in diesem Hause weht
und dass wir die Aufgaben gemeinsam geschultert be-
(Jörg van Essen [FDP]: Sehr richtig!) kommen. Wir freuen uns auf eine gute Zusammenarbeit
Gelingt uns dies, schaffen wir Arbeitsplätze. mit Ihnen und auf Ihr Wirken.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
Zweitens. Auch ich möchte gerne, dass die Menschen
ordentlich bezahlt werden. Aber das ist eine Frage der Präsident Dr. Norbert Lammert:
Rahmenbedingungen und der Abmachungen zwischen Bevor ich dem nächsten Redner das Wort gebe,
Arbeitgebern und Gewerkschaften, die die Tarife festle- möchte ich insbesondere die neuen Kolleginnen und
gen und die letztendlich ihre Branche und die Produkti- Kollegen darauf hinweisen, dass der nicht nur gut ge-
vität ihres Bereiches besser kennen als zum Beispiel der meinte, sondern natürlich auch begrüßenswerte Eifer,
Deutsche Bundestag. die Debatte durch Zwischenfragen und Kurzinterventio-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nen zusätzlich zu beleben, an die natürliche Grenze der
der FDP) zu Beginn jeder Debatte vereinbarten Redezeiten stößt,
die beschlossen werden. Es gehört zu den undankbaren
Deswegen sind wir – ich sage dies, bevor Sie auf diesen Aufgaben des jeweiligen sitzungsleitenden Präsidenten,
Punkt abheben – gegen gesetzliche Mindestlöhne, und die tatsächliche Debattenzeit in der Nähe der beschlosse-
deswegen sind wir für tarifliche Mindestlöhne. Wir sa- nen Debattenzeit zu halten. Deswegen bitte ich um
gen: Wenn eine Branche so ist, wie sie ist, dann haben Nachsicht, dass die Zahl der zusätzlich zugelassenen
wir nicht zu bestimmen, ob die dort beschäftigten Men- Zwischenfragen und Kurzinterventionen jedes Mal mit
schen mehr verdienen oder ob sie weniger verdienen. einem hoffentlich halbwegs nachvollziehbaren Maß an
Denn eine entsprechende Vereinbarung kann letztendlich Fingerspitzengefühl in Grenzen gehalten werden muss.
darüber entscheiden, ob ihr Arbeitsplatz erhalten bleibt Nun erteile ich das Wort der Kollegin Bettina Hage-
oder nicht. Wir haben ein Interesse daran, dass jeder zu- dorn für die SPD-Fraktion.
nächst das tut, was er unter den gegebenen Rahmenbe-
dingungen leisten kann. Wenn das der Fall ist, gibt es die (Beifall bei der SPD)
1368 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

(A) Bettina Hagedorn (SPD): engagierte Vermittler ein Affront. Über 22 000 kommunale (C)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin- Mitarbeiter, von denen derzeit nur jeder Dritte ursächlich
nen und Kollegen! Sie dürfen mir übrigens trotzdem kommunale Aufgaben wahrnimmt, schweben im Hin-
reichlich Zwischenfragen stellen, sofern Sie mögen. blick auf ihre berufliche Zukunft ab Januar 2011 in Un-
gewissheit. Frau Ministerin, es ist doch vollkommen
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) klar, dass die Motivation zur engagierten Arbeit zuguns-
Ich rede hier über den Etat des Arbeits- und Sozialmi- ten von Millionen Arbeitsuchenden dadurch einen hefti-
nisteriums und damit über Ausgaben von über 146 Mil- gen Knick erhält. Dieser Wahnsinn wird beim Bund und
liarden Euro im Jahr 2010. Das sind 6,3 Milliarden Euro bei den Kommunen einen zusätzlichen Bürokratieauf-
weniger, als im ersten Regierungsentwurf von Peer wand mit Kosten in Höhe von mindestens 300 Millionen
Steinbrück für diesen Bereich vorgesehen waren; Kolle- Euro verursachen. Frau von der Leyen, das Geld wäre
gin Winterstein hat darauf hingewiesen, hat aber ver- nicht nur in diesem Krisenjahr für die Qualifizierung und
sucht, den Eindruck zu erwecken, als sei dies das Ergeb- Vermittlung von Arbeitslosen und für Antworten auf den
nis von Sparbemühungen von Schwarz-Gelb. Allerdings drohenden Fachkräftemangel besser angelegt gewesen.
ist diese Reduzierung alleine darauf zurückzuführen, (Beifall bei der SPD)
dass wir glücklicherweise seit dem Frühsommer 2009 ei-
nen günstigeren Konjunkturverlauf haben, als damals Wie soll das denn konkret aussehen? Sie haben ver-
noch angenommen werden musste: Damals sind wir sucht, es hier herunterzuspielen, aber die Betroffenen
noch von 4,6 Millionen Arbeitslosen im Jahr 2010 aus- müssen zu zwei Behörden – vielleicht unter einem Dach;
gegangen. Sie haben die Zahl in Ihren Annahmen auf das weiß man aber noch nicht –, es müssen zwei Be-
4,1 Millionen Arbeitslose reduziert. Wenn ich vorhin scheide ausgestellt werden, denen zweimal widerspro-
den Worten von Frau von der Leyen richtig gelauscht chen werden kann und die auch beide beklagt werden
können. Die große Sorge ist doch, dass die Arbeitsu-
habe, gehen Sie jetzt schon von unter 4 Millionen Ar-
chenden, wenn sich diese Bescheide widersprechen,
beitslosen aus. Damit wollten Sie vermutlich ankündi-
durch den Rost fallen. Dies alles sind Fragen, die noch
gen, dass die Ansätze weiter gesenkt werden. Das wer-
nicht geklärt sind.
den Sie uns dann in der zweiten und dritten Lesung
wahrscheinlich wieder als Einsparung verkaufen, wollen In Ihrem Koalitionsvertrag steht – Zitat –:
damit dann aber an anderer Stelle Sonderwünsche finan- Unser Ziel ist eine bürgerfreundliche Verwaltung,
zieren. die unnötige Doppelarbeit vermeidet.
Es wurde zu Recht von meinen Kollegen darauf hin- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ach ja?)
gewiesen: Dass wir im Vergleich zu den Annahmen vom
(B) letzten Sommer auf 500 000 Arbeitslose weniger hoffen In der Praxis macht diese Koalition nicht nur in diesem (D)
dürfen, ist weder vom Himmel gefallen noch auf höhere Bereich leider genau das Gegenteil dessen, was sie zu
Gewalt zurückzuführen, sondern allein der Erfolg einer tun vorgibt.
aktiven Arbeitsmarktpolitik, die 2009 unter Olaf Scholz (Beifall bei der SPD)
als Arbeits- und Sozialminister durchgesetzt worden ist.
Und wie steht es um die Finanzierung? Ein Blick in
(Beifall bei der SPD) den Haushaltsentwurf 2010 gibt erste Hinweise. Da wer-
den einerseits gegenüber dem ersten Regierungsentwurf
Frau von der Leyen, das sind Erfolge, die diese Regie-
von Peer Steinbrück 1,8 Milliarden Euro beim Arbeits-
rung jetzt leider fahrlässig verfrühstückt.
losengeld, 300 Millionen Euro bei den Leistungen zur
Unbestritten bleibt, dass 2010 mit einer steigenden Eingliederung in Arbeit und 600 Millionen Euro bei der
Arbeitslosigkeit zu rechnen ist. Bei einer Umfrage zum Beteiligung des Bundes an den Leistungen für Unter-
Jahreswechsel haben 47 Prozent der Bundesbürger ge- kunft und Heizung eingespart, also 2,7 Milliarden Euro.
sagt, die größte Sorge für das Jahr 2010 sei die Angst um Aber andererseits werden schon einmal vorsorglich bei
ihren Arbeitsplatz. Was machen jetzt CDU/CSU und den Verwaltungskosten für die Durchführung der Grund-
FDP in dieser Situation? Sie muten der Bundesagentur sicherung für Arbeitsuchende 300 Millionen Euro mehr
für Arbeit und den Kommunen mit ihren insgesamt veranschlagt.
60 000 Mitarbeitern, die in 370 Argen und 69 Options- Der größte Kracher ist aber, Frau von der Leyen, dass
kommunen im Lande engagiert arbeiten – davon war Sie für eine Öffentlichkeitskampagne für diesen
schon die Rede –, ohne jede Not eine Umstrukturie- Murks, den Sie da machen wollen, knapp 1,8 Millionen
rung zu. Euro aus dem Fenster werfen. Das ist das Neunfache
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das Urteil des Ver- dessen, was im letzten Jahr unter Olaf Scholz für Öffent-
fassungsgerichts ist Ihnen bekannt, oder?) lichkeitsarbeit ausgegeben worden ist, und dies mit ei-
nem Koalitionspartner FDP, der seit Jahren die Kosten
Sie führt zu einem Bürokratiemonster und stellt eine un- für Öffentlichkeitsarbeit als zu hoch skandalisiert und
verantwortliche Rückwärtsrolle in der Sozialpolitik dar; den Bürokratieabbau ebenso lange wie eine Monstranz
vor sich her trägt. Ich sage Ihnen: Sparen Sie sich diesen
(Beifall bei der SPD)
ideologischen Umstrukturierungswahnsinn auf dem Rü-
sie zerschlägt mutwillig die in der Praxis erfolgreiche ge- cken von Arbeitslosen, der zu einem absoluten Chaos in
meinsame Arbeitsvermittlung aus einer Hand. Das ist nicht der Vermittlungsarbeit vor Ort führen wird. Sparen Sie
nur für die Langzeitarbeitslosen, sondern auch für deren sich die Millionen für Bürokratieaufbau.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1369
Bettina Hagedorn
(A) Sie haben vorhin gesagt, Frau von der Leyen, Sie Armut. Transfers verhindern Armut, die bestehen (C)
stünden für Pragmatismus bei der Umstrukturierung der würde, wenn wir diese Transfers in Deutschland nicht
Argen. Wenn das denn so ist, dann kommen Sie zur Ver- hätten. Wir sind ein Sozialstaat und leistungsfähig, weil
nunft und stimmen Sie mit der SPD und mit allen Bun- wir uns diese Transfers in dieser Größenordnung leisten
desländern für die auf dem Tisch liegende Verfassungs- können. In diesem Einzelplan wird ein ganz wesentli-
änderung. Dann bleiben die Argen in ihrer bewährten cher Grundstein dafür gelegt.
gemeinsamen Struktur erhalten, dann behalten wir Hilfe
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
aus einer Hand, und dann brauchen Sie keine
1,8 Millionen Euro für diese Öffentlichkeitskampagne, Ich will etwas zum Thema Zeitarbeit und Schlecker
die dann überflüssig ist wie ein Kropf. wiederholen, was ich auch schon in den Medien gesagt
habe. Für uns, die FDP, und auch für die Koalition insge-
Vielen Dank.
samt, Herr Kollege Schiewerling, ist das, was bei Schle-
(Beifall bei der SPD) cker läuft, absolut inakzeptabel.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Dr. Heinrich Kolb ist der nächste Redner für die FDP- Zeitarbeit ist nicht dazu da, ganze Belegschaften durch
Fraktion. Zeitarbeiter zu ersetzen.

(Beifall bei der FDP) Ich habe aber den Eindruck, dass manche mit ihrem
jetzigen Angriff auf die Zeitarbeit dieses Instrument
gerne insgesamt schleifen würden.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die (Zurufe von der SPD: Nein! – Hubertus Heil
schwarz-gelbe Koalition hat erst vor wenigen Monaten [Peine] [SPD]: Was wollen Sie denn konkret
ihre Arbeit aufgenommen, und die heutige Beratung des gegen Missbrauch machen?)
Einzelplans 11 gibt mir Gelegenheit, darauf hinzuwei- Wir stellen ein klares Stoppschild auf: Zeitarbeit hat aus
sen, dass wir mit großer Umsicht, mit sehr viel Sorgfalt unserer Sicht eine wesentliche Funktion am Arbeits-
und Augenmaß an die Arbeit gegangen sind. Der markt. In der Frühphase des letzten Aufschwunges sind
Einzelplan 11, Arbeit und Soziales, erreicht ein Rekord- 75 Prozent der neuen Arbeitsplätze im Bereich der Zeit-
volumen von 146,8 Milliarden Euro. Herr Heil, damit ist arbeit entstanden und das, Herr Heil, mit einem hohen
klar: Ihre Warnung vor Schwarz-Gelb, vor einem So- Klebeeffekt. Das darf man nicht vergessen. Er ist statis-
zialabbau, der stattfinden werde, tisch belegt. Viele Menschen, die zunächst durch Zeitar-
(B) (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nach der beit in ein Unternehmen kommen, bleiben auf Dauer (D)
NRW-Wahl!) dort. Das zeigt, dass die Brücke zum ersten Arbeitsmarkt
durch Zeitarbeit funktioniert. Wir werden nicht zulassen,
wenn diese bürgerliche Regierung an die Macht kommt, dass sie zerstört wird.
war nichts anderes als Wahlkampfgetöse, sie hatte keine
Grundlage, und die Menschen in diesem Land haben das (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
sehr wohl bemerkt. der CDU/CSU – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]:
Der Klebeeffekt ist minimal!)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Wir werden prüfen – darin bin ich mit dem Kollegen
Insgesamt geben wir im Bundeshaushalt 177 Milliar- Schiewerling und auch der Ministerin völlig einer Mei-
den Euro für soziale Zwecke aus, mehr als 54 Prozent nung –, wie man diese Missstände beseitigen kann.
des Gesamtetats. Wenn man auch diejenigen Bereiche
der sozialen Sicherung hinzunimmt, die außerhalb des Wir haben in dieser Woche mit den drei großen Zeit-
Bundeshaushalts laufen, dann kommen wir auf eine arbeitsverbänden Gespräche geführt. Wir sehen Ansatz-
Summe von über 750 Milliarden Euro, die in Deutsch- punkte. Natürlich wäre es wünschenswert – da stimme
land für soziale Zwecke ausgegeben werden. Dies ist für ich Karl Schiewerling zu –, wenn die Tarifpartner in ih-
mich der Beleg: Deutschland ist ein sozialer Staat, und ren Tarifverträgen selbst regeln könnten, dass die Ab-
von Jahr zu Jahr haben wir mehr Geld aufgewendet. Das weichung vom Equal-Pay-Grundsatz, der im Arbeitneh-
ist hier deutlich festzuhalten. Geld ist genug da. Aller- merüberlassungsgesetz steht, bei einer konzerninternen
dings müssen wir uns die Frage stellen, ob wir das Geld Überlassung von vornherein verhindert wird, dass die
auch immer richtig ausgeben, ob es tatsächlich bei den Tarifverträge also nicht anwendbar sind und damit der
wirklich Bedürftigen ankommt. Diese Frage ist aus mei- Equal-Pay-Grundsatz nicht ausgehebelt werden kann.
ner Sicht durchaus offen. Sollte das nicht gelingen, werden wir als Gesetzgeber
handeln müssen, um das gewünschte Ziel zu erreichen:
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Missbrauch verhindern, aber die im Grundsatz wün-
der CDU/CSU) schenswerte Zeitarbeit weiterhin ermöglichen. Das ist
unser Kurs.
Nun sagen Sie immer, wenn mehr Geld für soziale
Zwecke ausgegeben werde, sei das ein Indiz dafür, dass Ich will etwas zum Thema Mindestlohn sagen. Wir
alles hier schlecht laufe und die Menschen arm seien. An haben anders als die SPD, die wenige Monate nach dem
dieser Stelle weise ich darauf hin: Jeder Euro, den wir in Regierungswechsel so tut, als sei sie nie in Regierungs-
Deutschland für soziale Zwecke ausgeben, verhindert verantwortung in Deutschland gewesen,
1370 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Dr. Heinrich L. Kolb


(A) (Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Ach, hö- schlagen, als wir noch an der Regierung wa- (C)
ren Sie doch auf, Herr Kolb!) ren, Herr Kollege!)
gesagt: Wir müssen den Übergang von einer Großen Ko- Sie werden sich am Ende nicht bereitfinden, das Not-
alition auf eine bürgerliche Koalition verantwortlich wendige mitzumachen, Herr Heil. Deswegen sind wir
handhaben. Wir haben Regelungen gefunden, wie wir gut beraten, uns an dieser Stelle auf das zu konzentrie-
vorgehen wollen. Für den Bereich des Arbeitnehmer- ren, was wir aus eigener Kraft realisieren können, näm-
Entsendegesetzes und des Mindestarbeitsbedingungsge- lich die einfachgesetzliche Regelung bei weitestgehen-
setzes gibt es eine klare Verabredung in der Koalition, der Ausschöpfung des vorhandenen Rahmens.
die besagt: In den Branchen, die derzeit in § 4 Arbeit-
nehmer-Entsendegesetz aufgeführt sind, gibt es den kla- In diesem Sinne freue ich mich auf die weiteren Bera-
ren Weg, mit einem einstimmigen Votum neue Mindest- tungen mit Ihnen im Ausschuss, aber auch, was den
löhne zu vereinbaren. Sie werden feststellen, dass die Haushalt anbelangt, und bedanke mich für Ihre Auf-
Zeitarbeit in § 4 nicht enthalten ist. Deswegen stellt sich merksamkeit.
die Frage, wie man in diesem Bereich vorgeht. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja, aufnehmen!)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
– Herr Heil, im Moment gibt es bei nahezu hundertpro-
zentiger Tarifbindung im Bereich der Zeitarbeit für uns Die Kollegin Katja Kipping hat nun das Wort für die
keinen Handlungsbedarf. Fraktion Die Linke.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das sind (Beifall bei der LINKEN)
Scheintarifverträge! Das ist doch Quatsch! Se-
hen Sie sich die Tarifverträge an!) Katja Kipping (DIE LINKE):
Die Frage, die sich mit Blick auf die Freizügigkeit, Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ein zu-
die in Europa entsteht, stellt, lautet: Wird Handlungsbe- kunftsorientierter Haushalt müsste an den zentralen Pro-
darf entstehen? Diese Frage muss man prüfen und disku- blemen unserer Gesellschaft ansetzen. Zu diesen Proble-
tieren. Das werden wir tun und dann entscheiden. Aber men gehört einerseits die Erosion der Demokratie und
die Behauptung, dass es derzeit einen zwingenden Be- andererseits, dass immer mehr Menschen sozial ausge-
darf für einen Mindestlohn im Bereich der Zeitarbeit grenzt werden. Wir haben also einen doppelten Not-
gibt, ist aus unserer Sicht nicht zu halten. stand, einen demokratischen und einen sozialen.

Zum Schluss möchte ich zum Thema Hartz IV, spe- Zur Erosion der Demokratie gehört unter anderem,
(B)
ziell zur Organisation, Folgendes ausführen. Wir ste- dass die Möglichkeiten, in diesem Land auf politische (D)
hen auf dem Boden der Koalitionsvereinbarung. Das ist Entscheidungen Einfluss zu nehmen, sehr unterschied-
keine Frage. Das heißt: Absicherung der Optionskom- lich verteilt sind.
munen, getrennte Aufgabenwahrnehmung in den übri- (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Richtig!)
gen, keine Grundgesetzänderung. Aber ich denke, es ist
der Anstrengungen aller Edlen wert, sich zu fragen, ob Wer viel Geld hat, hat viel Einfluss, sei es durch großzü-
ohne Grundgesetzänderung möglicherweise mehr drin gige Spenden, mit denen man politische Entscheidungen
ist. Ich sage das vor dem Hintergrund des Gutachtens beeinflusst, sei es durch Lobbyisten, die in den Ministe-
von Professor Henneke, das dieser vor wenigen Tagen rien gleich an den Gesetzen mitschreiben, oder sei es da-
vorgelegt hat. Es macht für den Landkreistag deutlich, durch, dass man Institute finanzieren kann und deren
dass es vorstellbar ist, dass man allen Kommunen, die scheinbar unabhängige Fachleute in Talkshows reden,
optieren wollen, ein solches Angebot macht. ohne dass im Untertitel steht: sponsored by. Wer arm ist,
hat all diese Möglichkeiten nicht. Erwerbsloseninitiati-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ven bleiben sogar dann außen vor, wenn die Höhe der
der CDU/CSU) Hartz-IV-Regelleistungen festgelegt wird, also das Exis-
Das ist zunächst einmal eine Meinungsäußerung unter tenzminimum. Wer auf Hartz IV angewiesen ist, der
vielen in diesem Bereich, aber ich finde, wir sollten das kann noch nicht einmal alle demokratischen Grund-
zum Anlass nehmen, noch einmal drüberzugucken. Wir rechte wahrnehmen, weil für Bezieher des Hartz-IV-Re-
sind jedenfalls nicht dogmatisch festgelegt, nach dem gelsatzes die Monatskarte für den öffentlichen Nahver-
Motto „Was einmal geschrieben ist, muss für alle Zeit kehr einfach nicht drin ist. Wir können also festhalten:
gelten“. Vielmehr sind wir der Meinung, dass Neuent- Demokratischer und sozialer Notstand verstärken einan-
wicklungen möglicherweise die Chance für neue Lösun- der.
gen bieten. Das werden wir prüfen. Wir werden uns al- Dieser Entwicklung setzt die Linke ein anderes Leit-
lerdings nicht auf ein fadenscheiniges Angebot der SPD bild entgegen: Wir halten es mit dem demokratischen
einlassen. Ich habe den Eindruck, dass mit Ihren Worten, Sozialstaat; denn wir gehen davon aus, dass es ein sozia-
Sie seien bereit, eine Verfassungsänderung mitzutragen, les Grundrecht auf Teilhabe gibt.
nichts anderes gewollt ist, als die Regierung aufs Glatt-
eis zu führen. (Beifall bei der LINKEN)
(Widerspruch bei der SPD – Hubertus Heil Wer es ernst meint mit der Demokratie, der muss sicher-
[Peine] [SPD]: Das haben wir schon vorge- stellen, dass keiner ausgegrenzt wird.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1371
Katja Kipping
(A) Was nötig wäre, ist ein Gipfel für Demokratie und los. Die Betreuung durch das Jobcenter bedeutete für ihn (C)
soziale Grundrechte. Zu diesem Gipfel sollten alle ver- Endstation Obdachlosenheim.
antwortungsbewussten gesellschaftlichen Kräfte einge-
laden werden, vor allen Dingen diejenigen, die die Deswegen sagt die Linke: Dieser Sanktions-
Suppe am Ende auslöffeln müssen, also die Betroffenen. paragraf 31 des SGB II gehört abgeschafft.
(Beifall bei der LINKEN)
Zum sozialen Notstand gehört auch, dass der Hartz-
IV-Regelsatz weit unter der offiziellen Armutsgefähr- Das Sanktionsregime Hartz IV verstößt gegen die Men-
dungsgrenze liegt. Herr Kolb, leider verhindern soziale schenrechte. Während Roland Koch meint, er müsse
Transfers in unserem Land nicht Armut. Die Armutsge- zum Arbeitszwang aufrufen, sagen wir als Linke: Das ist
fährdungsgrenze ist keine Größe, die wir Linke uns ein- eine altbekannte Masche. Hier wird der Boden für wei-
fach ausgedacht haben. Es gibt zum Beispiel einen tere Kürzungen vorbereitet. Hier bekommen wir einen
Bericht zur Bekämpfung von Armut und eine Entschlie- Vorgeschmack auf das, was nach den NRW-Wahlen
ßung des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2008. droht. Sie wollen die Kosten der Krise am Ende offen-
Darin bekennt sich das Europäische Parlament klar zu sichtlich auf die Ärmsten abwälzen. Wir als Linke gehen
dem Ziel, dass in keinem europäischen Land ein Mensch einen anderen Weg. Wir meinen: Die Kosten der Krise
unter diese Armutsgrenze fallen darf. Die Berichterstat- müssen diejenigen tragen, die sie verursacht haben.
terin war übrigens Gabi Zimmer. Aber auch alle Sozial-
Herzlichen Dank.
demokraten und große Teile der CDU im EP haben dem
zugestimmt. (Beifall bei der LINKEN)
Diese Armutsgefährdungsgrenze liegt in unserem
Land bei 913 Euro. Der Hartz-IV-Regelsatz liegt, wenn Präsident Dr. Norbert Lammert:
man von durchschnittlichen Kosten der Unterkunft aus- Max Straubinger hat nun für die CDU/CSU-Fraktion
geht, bei rund 650 Euro. 913 Euro zu 650 Euro – es ist das Wort.
offensichtlich, dass hier eine große Lücke klafft. Deswe- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
gen sagt die Linke: Der Regelsatz von Hartz IV muss
dringend auf 500 Euro angehoben werden, und das wäre
auch zu finanzieren, wenn wir einfach eine Börsenum- Max Straubinger (CDU/CSU):
satzsteuer einführen würden. Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, dass in dieser Haushaltsdebatte sichtbar
(Beifall bei der LINKEN) wird – Kollege Kolb hat es ja nochmals dargestellt –,
(B) dass dies vor allen Dingen ein Haushalt ist, der auch in (D)
Selbst das ohnehin niedrige Arbeitslosengeld II wird der Krisenzeit mit einer großen sozialen Verantwortung
heutzutage noch gekürzt. So sieht es § 31 SGB II vor. Es für die Menschen in unserem Land gespickt ist.
gibt ein breites gesellschaftliches Bündnis für die Ein-
führung eines Sanktionsmoratoriums. Eine der Initiati- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ven, die dieses Bündnis mit ins Leben gerufen hat, hat in Wir können stolz darauf sein, dass fast 54 Prozent des
einer sehr beeindruckenden Broschüre, die ich Ihnen zur Haushaltsvolumens für soziale Leistungen des Arbeits-
Lektüre empfehlen möchte, Fälle von Sanktionen zu- marktes, der Rentenversicherung, des Gesundheitssys-
sammengestellt. tems und für die Familienunterstützung einschließlich
Kindergeld vorgesehen sind. Diese Ausgaben sind sozu-
Da gibt es zum Beispiel den Fall eines Industriekauf-
sagen die mitbestimmenden Tangenten.
manns, dem einfach ein Drittel des Arbeitslosengeldes II
gestrichen wurde, mit dem Vorwurf, er hätte die Auf- Dies alles ist natürlich nur möglich, wenn die entspre-
nahme eines 1-Euro-Jobs vereitelt. Was ist wirklich pas- chenden wirtschaftlichen Grundlagen gegeben sind. Von
siert? Er bekam den Auftrag, sich bei einem Träger zu den Vorrednern der Opposition ist unser Wachstumsbe-
bewerben. Da er diesen Träger telefonisch mehrmals schleunigungsgesetz, das wir in der neuen Regierung
nicht erreicht hat, hat er sich schriftlich beworben. Das bereits im Dezember letzten Jahres verabschiedet haben,
ist alles nachweisbar. Da aber im Bescheid stand, dass er vielfältig kritisiert worden. Dieses Gesetz ist letztendlich
sich telefonisch oder persönlich melden soll, hat man die Grundlage dafür, dass unser Sozialstaat weiterhin so
ihm unterstellt, die Aufnahme des 1-Euro-Jobs vereitelt leistungsfähig bleibt. Denn aufgrund dieses Gesetzes
zu haben. Er hat immer wieder versucht, den Fall aufzu- werden Arbeitsplätze geschaffen, werden sozialversiche-
klären und seine Sachbearbeiter zu erreichen. Erfolglos, rungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstehen.
all seine Anrufe landeten in der Endstation Callcenter.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Noch schlimmer erging es Wolfgang Dinse. Das ist neten der FDP)
ein Analphabet aus Greifswald. Über ihn wurde kürzlich Da das Wachstumsbeschleunigungsgesetz hier klein-
in der ARD berichtet. Er hatte von Anfang an darauf hin- lich kritisiert wird, möchte ich darauf hinweisen, dass
gewiesen, dass er Analphabet ist. Da er als Analphabet der Großteil der darin vorgesehenen Maßnahmen zu-
keine Bewerbungsschreiben verfassen konnte, hat man gunsten der Familien ist.
ihm fehlende Mitwirkung unterstellt und für neun
Monate das Arbeitslosengeld II komplett entzogen. Er (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
konnte seine Miete nicht zahlen und wurde wohnungs- NEN]: Welche Familien?)
1372 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Max Straubinger
(A) Ich glaube, niemand in diesem Haus möchte die fami- Gebilde vorträgt, wie es die Frau Kollegin vorhin getan (C)
lienpolitischen Leistungen schmälern. Im Gegenteil: hat.
Man sollte sie mit ausbauen. Darüber hinaus ist es wich-
tig, dass Unternehmungen durch veränderte Abschrei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
bungsbedingungen bessergestellt werden. Damit werden neten der FDP)
die Grundlagen für zukünftige Investitionen gelegt. So-
mit entsteht ein wichtiger Baustein für die soziale Siche- Präsident Dr. Norbert Lammert:
rung unserer Menschen. Das kann man nicht trennen. Nun möchte die Frau Kollegin Kipping Ihre Redezeit
In diesem Hohen Haus haben wir uns bereits ausführ- gerne durch eine Zwischenfrage verlängern.
lich mit dem Umfang der sozialen Sicherung für die
Menschen auseinandergesetzt. Die Opposition ist natür- Max Straubinger (CDU/CSU):
lich immer gerne bereit, das Füllhorn noch größer zu Dann bedanke ich mich bei der Frau Kipping.
machen, als es gegenüber der Allgemeinheit, gegenüber
den Steuerzahlern verantwortbar ist. Dafür habe ich
Präsident Dr. Norbert Lammert:
durchaus Verständnis. Auch heute wurden wieder viele
Forderungen gestellt. Vor allen Dingen sind die Sätze, Bitte schön.
die dem Arbeitslosengeld II zugrunde liegen, kritisiert
worden. Meine Vorrednerin hat diese kritisiert, und auch Katja Kipping (DIE LINKE):
von Herrn Bonde wurde eine Erhöhung angesprochen. Gern geschehen, Herr Straubinger. – Sie haben das
Ich möchte darstellen, was eine Erhöhung der Sätze be- Lohnabstandsgebot angesprochen. Darüber kann man
deuten würde. Wir haben eine umfangreiche soziale Si- unterschiedlicher Meinung sein. Nehmen wir aber ein-
cherung für die Menschen – das ist richtig und gut –, mal an, wir fänden das Lohnabstandsgebot sehr wichtig.
aber ein Lohnabstandsgebot muss in diesem Zusam-
menhang gegeben sein. Ich möchte Sie fragen: Teilen Sie meine Auffassung,
dass es zwei Möglichkeiten gibt, das Lohnabstandsgebot
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- einzuhalten? Eine Möglichkeit ist, immer dafür Sorge zu
neten der FDP – Markus Kurth [BÜND- tragen, dass die sozialen Leistungen möglichst niedrig
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Gibt es doch!) ausfallen, damit sie unter jedem Dumpinglohn liegen.
Die zweite Möglichkeit, das Lohnabstandsgebot einzu-
Es kann nicht nur um hohe Leistungen gehen, sondern
das gehörige Lohnabstandsgebot muss auch gegeben halten, besteht darin, dafür zu sorgen, dass die Löhne so
hoch ausfallen, dass man auch die Höhe der sozialen
sein.
(B) Leistungen armutsfest gestalten kann. (D)
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Guter Lohn für
gute Arbeit! Das war unser Vorschlag!) (Beifall bei der LINKEN)

Die Frau Bundesministerin wurde in einer Fernseh- Max Straubinger (CDU/CSU):


sendung am vergangenen Sonntag mit einer Familie
Frau Kollegin Kipping, es kann natürlich nicht Ziel
konfrontiert. Es ist sicherlich bedauerlich, wenn eine Fa-
und Zweck sein, die Löhne staatlich festzulegen.
milie mit drei Kindern auf die Leistungen des Sozialstaa-
tes mit angewiesen ist. (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Mindestlöhne! – Jörn Wunderlich [DIE
Ich glaube aber, dass es trotzdem wichtig ist, darauf
LINKE]: Eine Untergrenze!)
hinzuweisen, dass eine fünfköpfige Familie eine Netto-
leistung von ungefähr 2 500 Euro erhält. Über die nor- Es gab in Deutschland einmal ein System, in dem die
male Geldleistung hinaus werden die Kosten für Woh- Löhne staatlich festgelegt worden sind.
nung bzw. Unterkunft erstattet, der Staat leistet Beiträge
zur Rentenversicherung, und die Kosten für Gesund- (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
heitsleistungen werden übernommen. Im Vergleich zum NEN]: Gnade, Herr Straubinger! – Dr. Dagmar
Einkommen des Durchschnittsverdieners ist das sehr Enkelmann [DIE LINKE]: Und was sagen Sie
viel. Wie das Statistische Bundesamt ermittelt hat, liegt zur Situation in den USA? – Zurufe von der
der Durchschnittsverdienst bei 3 300 Euro brutto, wäh- SPD: Oh! Oh! – Nicht das schon wieder!)
rend eine fünfköpfige Familie mit einem Ernährer bzw. Ich habe nicht den Eindruck, dass die Arbeitnehmerin-
einer Ernährerin ein Nettoeinkommen von rund 2 500 nen und Arbeitnehmer dort bessergestellt waren.
bis 2 600 Euro erzielt.
Ihre Forderung nach Einführung eines Mindestlohns
Präsident Dr. Norbert Lammert: hat überhaupt nichts mit der sozialen Sicherung der
Menschen zu tun. Hinzu kommt, dass es zur Höhe des
Herr Kollege Straubinger, – –
Mindestlohns unterschiedlichste Vorstellungen gibt: Die
einen fordern 7,50 Euro pro Stunde, Sie gehen mit Ihrer
Max Straubinger (CDU/CSU): Forderung sogar noch etwas weiter. Geht man von einer
Das zeigt sehr deutlich: Wir erbringen bereits sehr 40-Stunden-Woche aus, würde aber selbst die Höhe des
umfangreiche soziale Leistungen. Das kann man nicht Mindestlohns, die Sie fordern, nicht ausreichen, um eine
einfach abtun, indem man irgendwelche theoretischen Familie mit drei Kindern zu ernähren.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1373
Max Straubinger
(A) (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- mit Menschen eine Arbeit annehmen. Frau Kollegin (C)
NEN]: Das ist doch eine statistisch völlig Kipping, Sie haben vorhin zum Ausdruck gebracht, dass
schräge Konstruktion!) grundsätzlich jeder alimentiert werden sollte, auch ohne
dafür eine Leistung erbringen zu müssen. Das ist meines
Hier sind wir auf staatliche Unterstützung angewiesen.
Erachtens nicht sozial. Es gibt kein Recht auf Faulheit,
Deshalb ist das bestehende Transfersystem sehr sinnvoll.
Frau Kipping. Vielmehr ist es so – das wird auch in der
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Arbeitsgesetzgebung deutlich –, dass jeder Mensch,
neten der FDP) auch derjenige, der sozialamtlich alimentiert wird, alles
daransetzen muss, seine Hilfsbedürftigkeit zu beenden.
Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Kollege Straubinger, möchten Sie noch eine letzte
mögliche Zwischenfrage, diesmal vom Kollegen Heil, Das ist letztendlich das Gebot des Sozialen, auch im
beantworten? Sinne der vielen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler und
im Sinne der Beitragszahlerinnen und Beitragszahler, die
unsere sozialen Sicherungssysteme finanzieren. Ich bin
Max Straubinger (CDU/CSU):
überzeugt, dass diese Bundesregierung die richtigen
Da kann ich nicht widerstehen. Wegmarken setzen wird, um weiterhin zu großer sozialer
(Zurufe von der SPD: Oh! Oh!) Sicherheit für die Menschen einen Beitrag zu leisten.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Ich danke Ihnen. Ich nehme es Ihnen nicht übel, dass (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Sie das nicht können. – Ich danke auch Ihnen, Herr Prä- neten der FDP)
sident, für Ihre Großzügigkeit.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Straubinger, angesichts Ihrer Gleichset-
Die Kollegin Anette Kramme hat jetzt für die SPD-
zung von Mindestlöhnen und kommunistischen Plan-
Fraktion das Wort.
wirtschaften frage ich Sie: Halten Sie Großbritannien
und 22 andere europäische Staaten, in denen es einen
Mindestlohn gibt, auch für kommunistische Planwirt- Anette Kramme (SPD):
schaften? Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen und
Kolleginnen! Lieber Herr Straubinger, Sie haben gesagt,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der in den Ländern, in denen Mindestlöhne existieren, wür-
(B) Abg. Katja Kipping [DIE LINKE]) den andere soziale Verhältnisse herrschen als in der Bun- (D)
desrepublik Deutschland. Darf ich Sie fragen: Ist Ihnen
Max Straubinger (CDU/CSU): bekannt, dass wir aufgrund Ihrer Politik im Niedriglohn-
Herr Kollege Heil, Sie wissen haargenau, dass in Eng- sektor mittlerweile bedauerlicherweise eine Situation
land und anderen Ländern andere Verhältnisse herrschen ähnlich der in den USA haben?
(Lachen bei Abgeordneten der SPD, der LIN- (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Sind Sie
KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- schon einmal da gewesen? Haben Sie sich das
NEN – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Ja, schon einmal angeguckt? – Dr. Heinrich L.
die sprechen englisch!) Kolb [FDP]: Der Niedriglohnsektor, der von
SPD und Grünen eingeführt wurde?)
und die staatlichen Fürsorgeleistungen bei weitem nicht
so umfassend ausgebaut sind wie in Deutschland. Meine Damen und Herren, wir alle wissen: Die Zeiten
sind schwierig. Haushaltspolitik kann aber nur dann
(Jörg van Essen [FDP]: Genau so ist es näm-
funktionieren, wenn alle politischen Bereiche voraus-
lich!)
schauend und vernünftig handeln. Das gilt für den Bun-
Deshalb verbieten sich solche Vergleiche. deshaushalt in gleicher Weise wie für den Gemeinde-
haushalt, für den Bundeshaushalt vielleicht sogar noch
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Sie haben
ein klein wenig mehr. Es muss darum gehen, präventiv
wirklich keine Ahnung!)
zu handeln, damit Einschnitte in das Sozialsystem und
Ich glaube, dass wir in Deutschland mit der Tarifautono- soziale Härten vermieden werden können.
mie bisher sehr gut gefahren sind. Wir stehen für starke
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Gewerkschaften, genauso aber auch für starke Arbeitge-
berverbände. Leider ist es manchmal so – in Zeiten wie diesen
umso häufiger –, dass die Unvernunft das politische
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Handeln beherrscht. Manchmal kann man nicht sicher
Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Sie sollten
sein, ob etwas einfach nur töricht oder bösartig ist.
ab und zu mal über den eigenen Tellerrand
schauen! Die Welt ist größer als Bayern!) (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Hallo?!)
Werte Damen und Herren, auch in dieser Woche Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, dass Sie aktuell
wurde immer wieder darüber diskutiert, welche Sank- nicht präsentieren, was Sie künftig an Einsparungen vor-
tionsmöglichkeiten es gibt und was man tun kann, da- nehmen wollen. Das würde uns alle sehr interessieren.
1374 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Anette Kramme
(A) Offensichtlich ist es so, dass wir noch bis nach der Wahl (Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Aha! Das hat die (C)
in Nordrhein-Westfalen warten müssen, SPD nämlich auch schon einmal gemacht!)
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das musste Ich denke, es ist nur fair und sinnvoll, wenn wir zunächst
mal wieder gesagt werden, was? Das ist heute einmal evaluieren und dann darüber nachdenken,
ja noch gar nicht gesagt worden!)
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber ohne Er-
bis Sie die Katze, nein, besser: den Knüppel aus dem gebnis! – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]:
Sack lassen. Was Sie denken, ist eine Drohung!)
(Beifall bei der SPD – Georg Schirmbeck
ob weitere Handlungen erforderlich sind.
[CDU/CSU]: Hallo?!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, über Maggie Thatcher Zum Thema Kurzarbeit. Wer hat’s erfunden? Sie alle
erzählte man sich ein Gerücht. kennen den hübschen Spruch der Ricola-Werbung. Olaf
Scholz war’s.
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Und dieses
Gerücht verbreiten Sie hier?) (Olaf Scholz [SPD]: Wer kennt denn Scholz?)
Man sagte, sie könne nichts Soziales sehen, ohne mit ih- Es ist eine komplett falsche Politik, in der Wirtschafts-
rer Handtasche darauf einzuprügeln. Ich frage mich: Wo krise die Bedingungen für das Kurzarbeitergeld zu ver-
schlagen Sie zu, wen trifft Ihre Handtasche? Wir hören schlechtern. Es gibt Betriebe, die bereit sind, auch im
an der einen oder anderen Stelle Andeutungen: Herr dritten Jahr ihre Mitarbeiter zu behalten und dafür ihre
Barthle von der Union fordert, dass die Beitragssätze zur Eigenkapitalbasis anzugreifen. Es wird Unternehmen
Arbeitslosenversicherung enorm heraufgesetzt werden. geben, die erst jetzt in die Kurzarbeit müssen, weil sie
Frau Homburger sagt: Kürzungsmöglichkeiten bei der durch die wirtschaftlichen Umstände dazu gezwungen
Bundesagentur für Arbeit. sind. Es ist nicht einsichtig, wenn diese Betriebe, die
enorm schlechte Bedingungen hinzunehmen haben, jetzt
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wenn das
von Kürzungen beim Kurzarbeitergeld betroffen sind.
das Programm der SPD ist, wird die SPD dem-
nächst unter 15 Prozent liegen!) (Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb
Kommen wir zunächst zu den Beiträgssätzen bei der [FDP]: Es gibt keine Kürzungen!)
Arbeitslosenversicherung. Sie wissen genau, dass diese Davon abgesehen ist Kurzarbeitergeld wesentlich bil-
Wirtschaftskrise, was den Arbeitsmarkt angeht, mindes- liger als Arbeitslosengeld. Im Regelfall ist nur ein Drittel
(B) tens bis zum Jahr 2013 dauern wird. Wenn Sie den Ar- der Arbeitszeit Kurzarbeit. Also geht es auch nur darum, (D)
beitslosenversicherungsbeitrag stark erhöhen, werden dass staatliche Finanzierung für ein Drittel des Lohnes
Sie jeden Beschäftigungsaufschwung abwürgen; das eingreift.
sieht sogar die FDP so. Vor allen Dingen: Es wäre zu-
tiefst sozial ungerecht, wenn Sie die Beitragssätze zur (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Woher wis-
Arbeitslosenversicherung heraufsetzen würden. sen Sie das alles? – Gegenruf des Abg.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Es gibt
Leute, die kümmern sich! – Hubertus Heil
Das würde nämlich bedeuten, dass Geringverdiener die [Peine] [SPD]: Die Ahnung haben!)
Steuerentlastungen für Hoteliers finanzierten.
Ein weiteres Thema ist der Niedriglohnsektor. Sie
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Georg haben uns in Ihrem Koalitionsvertrag dargelegt, dass Sie
Schirmbeck [CDU/CSU]: Früher hatte der eine konsequente Politik der Ausdehnung des Niedrig-
Steinmeier bessere Leute um sich!) lohnsektors betreiben wollen.
Meine Damen und Herren, es ist allgemein bekannt, (Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]:
dass der Koalition, vor allen Dingen Herrn Niebel, Sie reden konsequent Unfug, Frau Kollegin! –
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Herr Minis- Beifall bei der FDP – Gegenruf des Abg.
ter Niebel!) Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Na, na,
na!)
die Bundesagentur für Arbeit nicht sonderlich liegt. Ich
sage aber: Es ist unvernünftig, die Instrumente der ak- Es ist unvernünftig, sich gegen Mindestlöhne zu stellen,
tiven Arbeitsmarktpolitik gedankenlos zusammenzu- wie Sie es tun. Mit Mindestlöhnen in einer Höhe von
streichen. 7,50 Euro pro Stunde könnten wir allein bei den Aufsto-
ckern circa 1,5 Milliarden Euro einsparen. Was Sie mit
(Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Nicht gedan-
den Hinzuverdienstgrenzen machen, ist völlig unklar.
kenlos!)
Was soll das? Dies bedeutet nur eines: Es sind mehr Be-
Zum einen haben wir mit einer vernünftigen Arbeits- zieher von Arbeitslosengeld II möglich, und vor allen
marktpolitik in den letzten Jahren erreichen können, dass Dingen ist es möglich, dass mehr Unternehmen Lohn-
die Zahl der Arbeitslosen enorm gesunken ist, zum ande- dumping betreiben. Ergebnis ist die Ausdehnung des
ren haben wir erst vor einem Jahr eine Straffung bei den Niedriglohnsektors, was für den gesamten Haushalt in-
Instrumenten vorgenommen. konsequent und unvernünftig ist.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1375
Anette Kramme
(A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Georg Wir müssen zu einem Grundsatz zurückkommen: Es (C)
Schirmbeck [CDU/CSU]: Frau Kollegin, Ihre kann nur verteilt werden, was auch erwirtschaftet wird.
Zeit ist um!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Frau von der Leyen, Sie sagen immer, dass Sie sich
Längerfristig, das heißt, mit Blick auf Generationenge-
für Frauen einsetzen. Aber was machen Sie im Bereich
rechtigkeit und gerechte Entlohnung für Lebensleistung,
der Minijobs? Eine Ausdehnung von 400 auf 600 Euro.
muss das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts ohne
In den letzten Jahren haben wir sehr genau beobachtet,
Konsum auf Pump verwirklicht werden. Der von Frau
was in diesem Sektor passiert ist. Unendlich viele Voll-
Ministerin von der Leyen vorgelegte Haushaltsentwurf
zeitarbeitsplätze sind gegen Minijobs ausgetauscht wor-
für den Einzelplan 11 zeigt in die richtige Richtung:
den. Auch dies belastet wegen der Aufstockung den
6,3 Prozent weniger als im ersten Entwurf. Insofern sind
Haushalt.
wir auf einem guten Weg. Daran werden wir weiter ar-
beiten.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin, Sie denken an Ihre Redezeit? Des Weiteren haben wir gemeinsam mit Ihnen eine
Schuldenbremse ins Grundgesetz aufgenommen, die mit
dafür sorgen wird, dass der Haushalt auf einen guten
Anette Kramme (SPD):
Weg kommt.
Ich komme zum Ende. – Wir beobachten, dass Sie
keinerlei Initiativen für eine Politik für Arbeitnehmer (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Sehr gut!)
zeigen. Wir können Ihnen eine Menge Ideen aufzeigen.
Dass aber in einer Zeit der Rezession eine sinkende Zahl
Werden Sie bei der Leiharbeit konsequent tätig, machen
von Menschen immer mehr Geld bezahlen muss, um
Sie dort Equal Pay, nicht nur die schlappen Ansätze, die
eine zunehmende Zahl von Menschen zu finanzieren,
Sie dort aufzeigen. Machen Sie etwas beim Arbeitneh-
kann auf Dauer nicht gut sein. Deshalb muss der Staat
merdatenschutz, und seien Sie mutig bei den Argen.
seine Ausgaben kritisch hinterfragen.
Herzlichen Dank.
Meine Damen und Herren, eine Steuersenkung
(Beifall bei der SPD) würde sich nach Erkenntnissen des wirtschaftspoliti-
schen Chefberaters von Präsident Barack Obama mit ei-
Präsident Dr. Norbert Lammert: nem Faktor von 1,2 bis 1,5 positiv auf das wirtschaftli-
Letzter Redner zum Einzelplan 11 ist der Kollege che Wachstum auswirken. Vor diesem Hintergrund ist es
Axel Fischer für die CDU/CSU-Fraktion. klar und richtig, dass wir an dem Vorhaben einer Steuer-
reform mit Entlastungen festhalten, um unsere Wirt-
(B) (Beifall bei der CDU/CSU) (D)
schaft wieder in Schwung zu bringen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist auch völlig richtig, dass unsere Bundeskanzlerin
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Kramme, Angela Merkel mit Guido Westerwelle und Horst
Sie haben eben von der Kurzarbeit gesprochen. Sie gab Seehofer das vor wenigen Tagen noch einmal klarge-
es schon unter Konrad Adenauer; das will ich einmal stellt hat.
klarstellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Herr Steinmeier – es ist schön, dass Sie da sind –, Sie
Der Haushaltsentwurf, den wir heute diskutieren, ori- sollten sich eines merken: Dafür, dass die Menschen im-
entiert sich am Entwurf der Großen Koalition, sprich: an mer besser leben, wie Sie gestern gesagt haben, ist nicht
dem damaligen Entwurf des Bundesfinanzministers allein der Staat zuständig.
Steinbrück. Ich verstehe Ihre Aufregung hier überhaupt
(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das müs-
nicht. Das haben Sie damals mitgetragen.
sen Sie gerade sagen, Herr Fischer!)
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie verstehen
Ihre gestrige Aussage unterstreicht lediglich Ihren Hang
vieles nicht! – Georg Schirmbeck [CDU/
zur fortwährenden Umverteilung. Mehr Umverteilung
CSU]: Wer ist Steinbrück?)
führt nicht zu mehr Wohlstand. Der Kuchen wird da-
Der Entwurf steht damit voll im Zeichen von Wachs- durch nicht größer.
tumsbeschleunigung und zielt im Wesentlichen auf eine
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: So ist es!)
Ankurbelung unserer Wirtschaft ab. Das ist auch gut so.
Meine Damen und Herren, wir kommen im Sozialbe-
Schon in der letzten Legislaturperiode wurden unter-
reich an einer Überprüfung von Leistungen nicht vor-
stützende Maßnahmen ergriffen, die die neue Bundesre-
bei. Auch auf die Personal- und Sachmittel werden wir
gierung durch weitere wachstumsstärkende Maßnahmen
im Rahmen der Haushaltsberatungen ein besonderes Au-
ergänzt hat. All dies spiegelt sich im Entwurf 2010 in der
genmerk richten und dabei konsequent spezifische Stel-
Höhe der Nettokreditaufnahme wider. Die Überwindung
leneinsparungen prüfen.
der Wirtschafts- und Finanzkrise und ihrer Symptome ist
nur mit wirtschaftlichem Wachstum möglich; mit Sparen Bei der Suche nach Einsparpotenzialen müssen wir
allein ist noch niemand reich geworden. auch die Bundesagentur für Arbeit genau in den Blick
1376 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)


(A) nehmen. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit Frank- dingt der Weisheit letzter Schluss ist. Auch das werden (C)
Jürgen Weise selbst hat kürzlich im Focus gesagt – ich wir im Rahmen der Haushaltsberatungen debattieren
zitiere –: müssen.
40 Prozent unserer Arbeitsmarktsprogramme füh- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ren zu einer dauerhaften Beschäftigung. 60 Prozent
Ich freue mich auf eine angeregte Debatte zu diesem
der Mittel sind also nicht sofort wirksam. Das muss
Thema.
besser werden.
Danke sehr.
Wo er recht hat, hat er recht. Ob es allerdings Einsparpo-
tenziale in Milliardenhöhe gibt, wie manche meinen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
wage ich sehr zu bezweifeln.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Da haben Sie Präsident Dr. Norbert Lammert:
recht, Herr Fischer!) Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.
Dies müssen wir im Rahmen der Haushaltsberatungen Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
überprüfen. desministeriums für Wirtschaft und Technologie,
Einzelplan 09.
Eines ist klar: Wir wollen nicht, dass das Sozialsys-
tem als soziale Hängematte verstanden wird. Wir wol- Ich erteile das Wort dem Bundesminister für Wirt-
len, dass unser Sozialsystem als Sprungbrett zurück in schaft und Technologie, dem Kollegen Brüderle.
den Arbeitsmarkt verstanden wird. Solidarität ist keine
Einbahnstraße. Rainer Brüderle, Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie:
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Nur so geht Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Das
es!) Wachstum in Deutschland ist zurückgekehrt. Der Welt-
handel hat seine Lethargie überwunden, vor allem dank
Es macht mich betroffen, wenn ich aus meinem Wahl- der Dynamik in Teilen Asiens. Davon profitiert die Ex-
kreis Briefe bekomme, in denen mir Menschen schrei- portnation Deutschland. Die Auftragsbücher füllen sich
ben, dass sie ihren Arbeitsplatz verloren haben, weil das allmählich wieder. Die Zuversicht kehrt zurück. Aber ich
Unternehmen, in dem sie jahrzehntelang beschäftigt möchte auch klar sagen: Wir werden noch zwei bis drei
waren, aufgrund der Wirtschafts- und Finanzkrise insol- Jahre brauchen, bis wir das Wohlstandsniveau von 2008
vent geworden ist. Diese Menschen verdienen unsere wieder erreicht haben.
(B) Solidarität. (D)
Es gibt jedoch ermutigende Signale. Der Arbeits-
Aber es ärgert mich, wenn ich von Menschen höre, markt ist erstaunlich robust. Von Horrorszenarien sind
die Hartz IV beziehen, nebenher schwarz dazuverdienen wir weit entfernt. Dank Kurzarbeit, vernünftiger Ab-
und dadurch mehr Einnahmen haben als ein Geringver- schlüsse der Tarifvertragsparteien auf dem Lohnmarkt
diener. Diese Menschen haben unsere Solidarität nicht und flexibler Regelungen sind die befürchteten noch
verdient. Auch das muss man an dieser Stelle anspre- stärkeren Auswirkungen gottlob ausgeblieben. Die Net-
chen. toreallöhne steigen das erste Mal seit fünf Jahren wieder
an. Die Menschen haben also netto mehr im Geldbeutel.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deshalb lautet mein Appell an die Tarifpartner: Handeln
Deshalb ist es gut, dass wir in Deutschland derzeit eine Sie weiter so verantwortungsvoll! Es geht zuerst um die
Gerechtigkeitsdebatte führen, in die solche Punkte mit Sicherung von Beschäftigung. Daher sind maßvolle Ta-
hineingehören. rifabschlüsse wichtig. Überzogene Lohnforderungen ge-
fährden das zarte Konjunkturpflänzchen, zumal weitere
Im vorliegenden Haushaltsentwurf hat die Bundesre-
Entlastungen von der Steuerseite kommen.
gierung mit erhöhter Arbeitslosigkeit als Folge der Wirt-
schafts- und Finanzkrise gerechnet. Neben den steigen- Wir legen den ersten Entwurf eines Bundeshaushalts
den Kosten für das Arbeitslosengeld II verursachen mehr der liberal-christlichen Koalition vor. Er steht im Zei-
Arbeitslose auch höhere Verwaltungskosten. Das dafür chen des historischen Wachstumseinbruchs aus dem
notwendige Geld muss bereitgestellt werden; denn wir letzten Jahr. Die Bewältigung der Wirtschaftskrise recht-
können und wollen die Arbeitslosen nicht im Regen ste- fertigt die enorme Neuverschuldung. Wir müssen den
hen lassen. Unser Ziel ist es, sie möglichst zeitnah wie- Rahmen weiter richtig setzen. Ab dem nächsten Jahr
der in Arbeit zu bringen. Dieser finanzielle Mehrauf- brauchen wir eine Exit-Strategie. Das heißt: Raus aus
wand soll und wird aber nach meiner festen der massiven Beteiligung des Staates, runter mit den
Überzeugung nicht von Dauer sein; denn die Arbeitslo- Ausgaben, runter mit der Staatsverschuldung!
sigkeit wird wieder sinken. Dafür wollen wir alles tun.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Wenn unsere Politik für Wachstum und Beschäftigung
Erfolg haben wird – davon bin ich überzeugt –, dann Der neuen Regierung geht es um Wachstum, Leistung
wird der Verwaltungsaufwand für die Verwaltung von und Beschäftigung. Wir wollen Deutschland in die ge-
Arbeitslosen in absehbarer Zeit sinken. Dies ist der ordneten Bahnen der sozialen Marktwirtschaft zurück-
Grund, warum die Einrichtung neuer dauerhafter Ar- führen. Als Erstes entlasten wir die Familien mit Kin-
beitsplätze in der Arbeitslosenverwaltung nicht unbe- dern. Hart arbeitende Mütter und Väter bekommen netto
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1377
Bundesminister Rainer Brüderle
(A) mehr. Sie haben es verdient. Familien sind Leistungsträ- (Joachim Poß [SPD]: Quatsch!) (C)
ger. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Für die
Erhöhung des Kindergeldes sind 4,2 Milliarden Euro Wir haben das Gegenteil gemacht. Wir haben die Be-
und für die Erhöhung des Kinderfreibetrags 0,4 Milliar- steuerung der Unternehmenssubstanz entschärft. Bei den
den Euro etatisiert. So kann kein falscher Eindruck in Unternehmenssteuern beseitigen wir die größten
der Diskussion entstehen. Schnitzer. Ich nenne nur die Stichworte Zinsschranke
und Zurechnung bei der Gewerbesteuer. Auch die Erb-
Die liberal-christliche Koalition hat zudem dafür ge- schaftsteuer wird mittelstandsfreundlich verändert. Die
sorgt, dass im Erbrecht Bruder und Schwester nicht Voraussetzungen für eine steuerliche Verschonung des
mehr wie Fremde behandelt werden. Familienmitglieder, Betriebsvermögens werden deutlich verbessert. Damit
die sogar über den Tod hinaus füreinander einstehen, erleichtern wir den Betriebsübergang und die Erhaltung
sollen nicht durch den Fiskus bestraft werden. von Familienbetrieben, die gesellschaftspolitisch ganz
besonders wichtig sind. All dies ist konkrete Politik für
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
den Mittelstand.
Steuerpolitik ist auch Gesellschaftspolitik. Bei der
Steuerpolitik geht es nicht nur um konkrete Entlastun- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
gen. Es geht um das Verhältnis zwischen Staat und Bür- Der Mittelstand muss weiter investieren können.
ger, zwischen Privat und Staat, zwischen eigenverant- Manchmal geht es derzeit um überlebensnotwendige Li-
wortlicher Entscheidung und Kollektiventscheidung. quidität. Es darf keine Kreditklemme geben. Da sind zu-
Hier wollen wir eine andere Balance. nächst die Banken in der Verantwortung. Das Wirt-
(Beifall bei der FDP – Garrelt Duin [SPD]: schaftsministerium hilft den Unternehmen mit dem
Das befürchten wir!) Wirtschaftsfonds Deutschland. Der Fonds hat über
10 000 Unternehmen unterstützt. Das hat geholfen,
Wir wollen keinen sozialen Untertan. Wir wollen freie, 200 000 wettbewerbsfähige Arbeitsplätze zu sichern.
mündige Bürger. Die Menschen wissen selbst am besten,
was sie mit ihrem Geld machen wollen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Mit Staatsgeld!)

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wenn sie Da sind die Auswirkungen der KfW-Hilfen noch nicht
welches haben!) mitgerechnet. Damit wurden 700 000 Arbeitsplätze gesi-
chert. Über 50 Prozent der Kreditsummen entfallen auf
Eine vernünftige Steuerpolitik ist auch immer Freiheits- mittelständische Unternehmen.
politik.
Aber wir gehen noch weiter. Ich nenne das Stichwort
(B) Eines ist allen in der Koalition klar: Wir werden spa- Kreditmediator. Es wird aus dem Ansatz des Wirt- (D)
ren müssen. Im Haushalt des Bundesministeriums für schaftsministeriums ein Arbeitsstab finanziert; das ist
Wirtschaft und Technologie gibt es übrigens schon ein gut angelegtes Geld. Der Mediator soll – die Franzosen
leichtes Signal zur Konsolidierung. Gegenüber dem haben gute Erfahrungen damit gemacht – zwischen be-
ersten Regierungsentwurf sinkt das Volumen dieses Ein- troffenen mittelständischen Unternehmen und Banken
zelhaushalts leicht ab. Es ist aber auch klar: Wir werden vermitteln. Er macht keine Kreditprüfung und vergibt
nicht den Versuch machen, über Steuererhöhungen den auch keine Kredite, sondern soll Strukturen klären, hel-
Haushalt zu sanieren. Durch Wachstum sanieren und fen, falsche Einschätzungen zu beseitigen, und damit
durch Sanieren wachsen, das ist die Konsolidierungs- versuchen, das Aufkommen einer Kreditklemme zu ver-
strategie der Regierung. hindern. Er soll ein unabhängiger Partner von Banken
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) und Unternehmen sein, der zwischen ihnen, zwischen
Angebot und Nachfrage vermittelt.
Steuersenkungen und Haushaltssanierung sind zwei
Seiten derselben Medaille. Ich bin übrigens erstaunt über die vereinzelte Kritik
aus Kreisen der SPD. Immerhin stand die Forderung
Ohne Wachstum gibt es keine Konsolidierung. Aber nach einem Kreditmediator im Deutschlandplan des
ohne Konsolidierung gibt es auch weniger Wachstum, Kanzlerkandidaten.
denn die Menschen müssen darauf vertrauen können,
dass die Entlastung nachhaltig ist und dass die Schulden (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber mit
von heute nicht die Steuern von morgen sind. Deshalb Instrumenten! Nicht so!)
gehört beides zwingend zusammen. Manchmal, Herr Heil, habe ich den Eindruck, dass Teile
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) der SPD in elf Wochen vergessen, was sie in elf Jahren
an Regierungspolitik in Deutschland gemacht haben.
Sozialdemokratische Finanzminister haben 250 Mil-
liarden Euro Schulden gemacht; da ist die Erblast aus (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hu-
diesem Jahr noch nicht mitgerechnet. Zu oft wurde dabei bertus Heil [Peine] [SPD]: Reden Sie nicht so
probiert, den Haushalt über Steuererhöhungen zu sanie- einen Unsinn, Herr Brüderle!)
ren. Gelungen ist es nicht.
Der neue Haushalt des Wirtschaftsministeriums steht
Jetzt wärmt die SPD den alten Vorschlag einer Ver- unter der Überschrift „Zukunft, Technologie und Inno-
mögensteuer wieder auf. Sozialdemokraten wollen of- vation“. 2,3 Milliarden Euro fließen in die Technologie-
fenbar an die Unternehmenssubstanz. förderung. Wir geben mehr Geld für Forschung und Ent-
1378 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Bundesminister Rainer Brüderle


(A) wicklung aus als für Kohlehilfe. Das ist etwas Neues in Das Wirtschaftsministerium und das Verkehrsministe- (C)
Deutschland. rium werden in Kürze eine gemeinsame Geschäftsstelle
Elektromobilität eröffnen. Dadurch erhält dieses Thema
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten zusätzlichen Schwung. Das Ziel ist 1 Million Elektro-
der CDU/CSU) fahrzeuge in Deutschland im Jahr 2020. Mit Innovatio-
Wir investieren in helle Köpfe statt in dunkle Schächte. nen und einer besseren Mittelstandstechnologie können
Wir investieren in die Zukunft, nicht in die Vergangen- wir gestärkt aus der Krise hervorgehen.
heit. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Wenn Deutschland auch zukünftig an der Spitze sein der CDU/CSU)
will, müssen wir unser Wachstumspotenzial steigern. Lassen Sie mich aus aktuellem Anlass – ich denke an
Darin liegt eine der strategischen Größen. Das Wachs- die heutige Presseberichterstattung – etwas zu unserem
tum des Produktionspotenzials ist mit 0,75 Prozent bis Konzept, das Wettbewerbsrecht zu novellieren und ihm
1 Prozent in Deutschland zu niedrig; wir hatten früher das Instrument der Entflechtung hinzuzufügen, sagen.
2 Prozent bis 3 Prozent. Das müssen wir steigern, denn
das ist die nachhaltige Perspektive. Da muss (Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Innovations- und Technologiepolitik ansetzen. Ich will NEN]: Sagen Sie etwas zur Post!)
zwei Bereiche aus dem Wirtschaftsministerium exem- Anders als berichtet, wird diese Regelung für alle Bran-
plarisch ansprechen: die Informations- und Kommunika- chen der Wirtschaft gelten.
tionstechnologie sowie die Elektromobilität. Bei beiden
geht es um Vernetzung, Infrastruktur und neue Wert- (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
schöpfungsketten. Was machen wir mit der Post?)

Das A und O bei der Informations- und Kommunika- Das ist keine Regelung für einen Sektor, sondern gene-
tionstechnologie ist der Breitbandausbau. Wir brau- rell ein letztes Mittel – die Amerikaner kennen den
chen in allen Gewerbegebieten nicht nur gute Verkehrs- „Sherman Antitrust Act“ seit über 100 Jahren –, um
anbindungen, sondern auch ein schnelles Internet. klare Signale zu setzen. Mit anderen Worten: Wenn es
beim „Monopoly“ zu toll getrieben würde, hätte die Ge-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten meinschaft ein Instrument, um korrigierenden Einfluss
der CDU/CSU) auszuüben. Deshalb soll dieses Instrument in das Kar-
tellrecht aufgenommen werden.
Die Erwartungen an die Telekommunikationsunter-
nehmen sind entsprechend groß. Die weißen Flecken auf (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(B) der Breitbandlandkarte müssen beseitigt werden. Die der CDU/CSU) (D)
Bundesregierung flankiert hier mit Geld und auch da- Lassen Sie mich eine weitere Anmerkung zur Ener-
durch, dass sie durch ein Auktionsverfahren Frequenzen giepolitik machen. Wir alle wollen in das Zeitalter der
für zusätzliche Angebote und Anwendungsmöglichkei- regenerativen Energien eintreten, und zwar möglichst
ten freigibt. Daneben geht es um neue Möglichkeiten, in- schnell. Wir wollen über die Verlängerung der Laufzeit
telligente Stromnetze zu nutzen. Das hat positive Aus- von Kernkraftwerken als Brückentechnologie zusätzli-
wirkungen bis hin zum Klimaschutz. Für Informations- che Mittel generieren, um diesen Umstieg schneller zu
und Kommunikationstechnologien sind 118 Millionen bewerkstelligen. Mehr Gelder sollen in Forschung und
Euro vorgesehen. Entwicklung fließen, etwa in die Speichertechnologien.
Elektromobilität ist das zweite Schwerpunktthema. Wir werden die regenerativen Energien bei diesem Um-
Deutschland hat das Automobil einst erfunden. bau letztlich nur dann umfassend nutzen können, wenn
wir eine entsprechende Speichertechnologie haben. Der
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wind weht nicht immer dann, wenn wir das Licht ein-
Baden-Württemberg!) schalten. Deshalb ist hier ein weiterer Schwerpunkt zu
setzen. Dadurch sollen viele Sektoren befruchtet werden.
Wir müssen es neu erfinden, mit einer anderen Antriebs-
technologie. Die Elektromobilität ist der Ansatz dafür. Das Ziel ist ambitioniert. Wir wollen bis zur Sommer-
500 Millionen Euro werden für den Themenschwer- pause Klarheiten haben. Im Herbst, spätestens Ende Ok-
punkt Mobilität bereitgestellt. tober, wollen wir ein Energiekonzept, das einen ganz-
heitlichen Ansatz verfolgt, vorlegen, was in elf Jahren
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: zuvor nicht geschafft wurde: Weder die Große Koalition
Das ist zu wenig!) noch Rot-Grün haben ein solches Energiekonzept vorge-
Dabei geht es um weit mehr als um die Ersetzung des legt. Es ist Zeit, ein solches Konzept vorzulegen: Auch
Verbrennmotors durch den Elektromotor. Wir brauchen auf europäischer Ebene wird über die Erarbeitung eines
neue Schnittstellen zwischen Stromnetzen und Autos. solchen Konzepts diskutiert. Deshalb muss das auf nati-
Hier liegen große Chancen für unsere Industrie. Ich er- onaler Ebene geklärt sein. Der Ansatz ist, zusätzliche
warte hiervon einen weiteren Innovationsschub, durch Mittel zu generieren. Brückentechnologien brauchen
den viele Bereiche unterstützt würden. wir, weil wir nicht schnell genug über eine ausreichende
Menge an Zukunftstechnologien verfügen können. Bis
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: dies der Fall ist, ist ein längerer Weg zu beschreiten. Das
Das Auto muss grün werden!) Ziel – auch andere verfolgen es; das gebe ich zu – wird
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1379
Bundesminister Rainer Brüderle
(A) schneller erreicht, wenn wir in dem geplanten Umfang sind nicht mehr die der 50er-Jahre. Das ist nicht mehr zu (C)
zusätzliche Mittel investieren. vergleichen. Der Einzige, der noch mit dem Politikver-
ständnis und mit den wirtschaftspolitischen Vorstellun-
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gen der 50er-Jahre unterwegs ist, ist dieser Minister.
Niemals! Langsamer! Glauben Sie mir!)
(Beifall bei der SPD)
Ganz ohne Geld lassen sich Forschung und Entwicklung
nicht voranbringen. Ein bisschen nett zu den Leuten sein, ihnen jovial auf
Meine Damen und Herren, ich bitte Sie um Unterstüt- die Schulter klopfen und sagen: Es wird so schlimm
zung meines Haushalts. schon nicht kommen. Die Wirtschaft wird in der Wirt-
schaft gemacht. – Das ist das angestaubte Credo Ihrer
Vielen Dank. Politik. Das ist im persönlichen Umgang – das will ich
ausdrücklich sagen – durchaus angenehm. Aber es langt
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) nicht für dieses Amt. Vielleicht wären Sie ein guter
Kreditmediator geworden. Dafür haben Sie
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: 5 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt. Ich habe
Der nächste Redner ist der Kollege Garrelt Duin für mir im Detail angeschaut, wofür diese 5 Millionen Euro
die SPD-Fraktion. ausgegeben werden. Wenn Sie Kreditmediator geworden
wären, hätten Sie finanziell keine Einbußen hinnehmen
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) müssen. Was tut ein Mediator, wenn es hakt? Er lädt die
Leute zum Essen und Trinken ein. Wenn nichts dabei he-
Garrelt Duin (SPD): rauskommt, ist das egal, weil er niemandem Rechen-
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich schaft schuldig ist. Dieser Job wäre wie für Sie gemacht.
glaube, wir alle erinnern uns an die vielen Auftritte des
Kollegen Brüderle hier, nachdem der Haushalt der frühe- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
ren Wirtschaftsminister aufgerufen worden ist. Wir müs- der LINKEN)
sen leider feststellen: Mit Blick auf seine immer wieder Leider hat Sie das Schicksal in Form von Herrn Wes-
gleichen Reden, die er hier über Jahre gehalten hat, ist terwelle zum Minister gemacht. Da wird etwas anderes
zwar ein Verlust an Originalität zu spüren, aber leider gebraucht. Was ein Minister in diesem Amt braucht, ist
kein Gewinn an inhaltlicher Schärfe oder Tiefe. mehr Klarheit, mehr Entschlossenheit, mehr Mut, mehr
(Beifall bei der SPD) Wille, um den Betrieben, den Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern zu sagen, wo die Perspektive für unser
(B) Herr Brüderle, wir haben hier im Rahmen der Regie- Land ist. In einem Wort: Was wir brauchen, ist Tatkraft. (D)
rungserklärung im November neun Minuten von Ihnen Die Rede, die Sie hier heute gehalten haben, hat diese
gehört, ohne dass man hätte erkennen können, in welche Tatkraft erneut vermissen lassen.
Richtung Ihre Politik eigentlich gehen soll. Das Gleiche
hat sich heute hier wiederholt. In den knapp 100 Tagen, (Beifall bei der SPD)
die Sie jetzt in diesem Amt sind, ist nichts von dem, was Aber man kann diese Tatkraft natürlich nur zeigen,
Sie gemacht haben, als bleibender Wert in Erinnerung wenn man weiß, was man überhaupt erreichen will. Ich
geblieben. Eine Ausnahme: Sie haben in China die sage Ihnen, was für ein Ziel Sie haben sollten, nämlich
Weinkönigin vorgestellt. Aber ich sage Ihnen ehrlich: die Voraussetzungen für Wachstum zu schaffen, quanti-
Genau das haben wir von Ihnen erwartet und gedacht. tativ, aber eben auch qualitativ, um so – das muss das
(Beifall bei der SPD) Ziel sein – den Zusammenhalt unserer Gesellschaft zu
fördern. Den Zusammenhalt zu fördern, das muss die
Herr Brüderle, Sie sind – dessen müssen Sie sich Messlatte unseres Handelns sein. Ich bin überrascht,
langsam bewusst werden – der Wirtschaftsminister einer dass Sie gerade gesagt haben: Wirtschaftliche und ge-
der größten Industrienationen der Welt. Das ist kein Job sellschaftliche Entwicklung gehören zusammen. In Ihrer
in Altersteilzeit für verdiente Landesminister. Das ist praktischen Politik ist davon leider nichts zu spüren.
hier nicht der Vorruhestand. Füllen Sie dieses Amt als
Wirtschaftsminister einer der wichtigsten Nationen auf (Beifall bei der SPD)
der Welt endlich aus! Fangen Sie damit an!
Wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gehören in der Tat zusammen. Das galt schon vor der
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Krise und ist jetzt aktueller denn je. Wir brauchen einer-
seits ein Bewusstsein dafür, dass Wirtschaft und Gesell-
Sie haben in Ihrer Rede natürlich auf die soziale schaft eng zusammengehören. Wir brauchen andererseits
Marktwirtschaft Bezug genommen. Völlig richtig! Lud- eine solidarische und nachhaltige Ökonomie, damit
wig Erhard als einer derjenigen, die die soziale Markt- diese Gesellschaft zusammenbleibt. Ich habe den Ein-
wirtschaft in unserem Land vorangebracht haben, wird druck, dieses Bewusstsein fehlt Ihnen. Sie verschleudern
von Ihnen oft zitiert. Das, was Sie aber nicht verstehen, Ihre Kraft für Steuererhöhungen – Steuersenkungen na-
Herr Brüderle, ist, dass Erhards Antworten immer auf türlich, Entschuldigung.
der Höhe der Zeit gewesen sind. Ich bin sicher, dass er
gerade deswegen heute andere Antworten geben würde; (Lachen bei der FDP – Dr. Guido Westerwelle,
denn die Zeiten haben sich radikal verändert. Die Zeiten Bundesminister: Da kommt der alte Freud!)
1380 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Garrelt Duin
(A) – Machen Sie sich keine Sorgen, Herr Westerwelle. – Sie Fragen: Mit welchen Anreizen können wir bei der ökolo- (C)
verschleudern Ihre Kraft, Herr Brüderle, für Steuersen- gischen Modernisierung des Maschinenparks in Deutsch-
kungen, anstatt sich um die Liquidität wertschöpfender land vorankommen? Wie stellen Sie sich die Förderung
Betriebe zu kümmern. von Forschung und Entwicklung im Mittelstand vor?
Auf all diese Fragen, ob es um die Energieversorgung
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
oder anderes geht, antworten Sie: Ja, das machen wir im
Ihre Haltung, wie Sie das mit der Liquidität bei den Sommer. Ja, das machen wir im Oktober. – Vertagen und
wertschöpfenden Betrieben machen wollen, ändert sich verzagen, das ist das Motto dieses Wirtschaftsministers.
alle naselang. Sie haben jetzt gerade nichts dazu gesagt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Im November letzten Jahres hieß es bei Ihnen:
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir werden die Kreditanstalt für Wiederaufbau in
ihrer Funktion als Mittelstandsbank stärken. Die Antworten auf die Zukunftsfragen kann man nur
finden – Sie haben dazu ein bisschen gesagt –, wenn
Dazu haben Sie jetzt nichts gesagt. Im Ausschuss haben man sich die Arbeitsteilung der Akteure verdeutlicht.
Sie erklärt: Wir denken darüber nach, das Hausbankprin- Um in diesen Punkten voranzukommen, muss man sich
zip temporär auszusetzen. Was ist aus dieser Idee gewor- fragen: Was hat der Staat, was hat der Markt, was haben
den? Wollen Sie das immer noch, oder nehmen Sie diese die Bürgerinnen und Bürger für eine Funktion?
Idee zurück? Ich jedenfalls höre aus der Koalition oft un-
terschiedliche Töne. Erstens brauchen wir – das ist unzweifelhaft – eine
Erneuerung der Industrie: Die Betriebe im Mittelstand
Im Übrigen will ich Sie noch einmal zitieren. Folgen- müssen mit Liquidität ausgestattet werden, aber auch
des haben Sie vor gut einem Jahr in der Haushaltsdebatte junge Unternehmen mit innovativen Ideen; denn sie sind
gesagt: der Motor der Entwicklung, sie stellen die Zugkraft dar,
Wer jetzt nicht entschieden handelt, versündigt sich um unseren Wohlstand auf hohem Niveau sichern zu
an der Entwicklung. Wir können nicht länger auf können. Dazu brauchen wir aber ordnungspolitische
Impulse der Weltwirtschaft warten. Wir können uns Klarheit und natürlich auch Anreizprogramme, die wie-
nicht länger auf den Export verlassen. der eine neue Investitionskultur in Deutschland ermögli-
… chen. Das Wort „Investitionen“ kommt in Ihrem Koali-
Wir brauchen einen kräftigen zusätzlichen Impuls. tionsvertrag genau ein einziges Mal vor. Dann muss man
… sich natürlich nicht wundern, dass da wenig passiert.
Wir brauchen jetzt Nachfrage und ein Ankurbeln Neben der Stärkung dieser Faktoren braucht man
der Binnenkonjunktur, … zweitens zwingend auch öffentliche Investitionen in In- (D)
(B)
Wenigstens an Ihren eigenen Ansprüchen, Herr Brü- novationen und Infrastruktur. Wir brauchen jetzt noch
derle, müssen Sie sich doch messen lassen. Wir brau- keine Exit-Strategie, sondern wir brauchen Ideen dafür,
chen in der Tat eine neue Balance von Export einerseits wie auch von öffentlicher Seite aus Investitionen ge-
und Binnennachfrage andererseits. Aber kein einziges stärkt werden können. Wer dieses ignoriert, sollte sich
Institut, niemand, der sich ernsthaft damit beschäftigt, ist über die derzeit stattfindende Debatte nicht wundern;
in der Analyse Ihres sogenannten Wachstumsbeschleuni- denn öffentliche Investitionen erfordern einen hand-
gungsgesetzes zu dem Schluss gekommen, dass es auch lungsfähigen Staat. Sie haben gerade von Ihrem Staats-
nur einen Hauch von Stärkung der Binnennachfrage mit bild gesprochen. Auch ich will keinen fetten, selbstge-
sich bringen würde. Das, was Sie da auf den Weg ge- rechten, die Menschen bevormundenden oder ihre
bracht haben, führt zur Entlastung einiger weniger, Freiheit beschränkenden Staat,
bringt aber für das, was wir wirklich brauchen, nämlich (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ja, doch!)
einen kräftigen Schub – das sind ja Ihre Worte –, über-
haupt nichts, Herr Brüderle. Das ist ausgesprochen ent- jedoch einen handlungsfähigen und – ich füge hinzu –
täuschend. auch einen von den Bürgerinnen und Bürgern anerkann-
ten Staat, also einen Staat, der seine Reputation nicht
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten aufs Spiel setzt.
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der LINKEN)
Was wir brauchen, ist eine Auseinandersetzung
– dazu haben Sie nichts gesagt – mit den entscheidenden Beides, Herr Brüderle und liebe Kolleginnen und
Zukunftsfragen: Wie können wir dafür sorgen, dass in Kollegen von der FDP, die Handlungsfähigkeit und die
den nächsten Jahren neue zukunftsfähige Arbeitsplätze Anerkennung, wird durch Sie jeden Tag untergraben und
entstehen? Wie können wir die Leitmärkte von morgen beschädigt, und zwar bewusst und absichtlich. Das ent-
erschließen? Welchen Ordnungsrahmen brauchen wir spricht nämlich Ihrer Ideologie.
dafür? Bei all diesen Fragen spielen natürlich die Ener- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
gieversorgung, aber auch die Entwicklung anderer Bran- der LINKEN)
chen eine wichtige Rolle. Aber nur eine Entflechtung vor-
zunehmen, wird da nicht ausreichen. Eine solche Man braucht zum Beispiel für die Handlungsfähigkeit
Forderung ist nichts anderes als eine Nebelkerze. Wir des Staates stabile Kommunen. Zwei Drittel der Infra-
brauchen vielmehr Antworten zum Beispiel auf folgende strukturinvestitionen werden dort getätigt. Sie jedoch
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1381
Garrelt Duin
(A) tragen die Verantwortung dafür, dass die Kommunen Dem kann ich mich nur vollinhaltlich anschließen. (C)
jetzt in eine massive Krise kommen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
im letzten Jahr haben wir noch gemeinsam Milliarden-
der LINKEN)
hilfen auf den Weg gebracht, um die Städte und Gemein-
den dabei zu unterstützen, längst Überfälliges endlich zu
realisieren, zusätzliche Investitionen tätigen zu können. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Wir haben damit die Fähigkeiten vor Ort mobilisiert und Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Joachim Pfeiffer
damit auch das Handwerk und den Mittelstand – Stich- für die CDU/CSU-Fraktion.
wort: Vergaberecht – vor Ort gestärkt. Jetzt lassen Sie (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
sich von der FDP genau das Gegenteil diktieren. Wie Der spricht doch für die EnBW!)
können eigentlich Sie von der CDU, einer Partei, die in
vielen Orten mit Bürgermeistern und Kommunalpoliti-
kern vor Ort Verantwortung für die Menschen in ihrer Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):
Heimat trägt, noch ruhig schlafen, wenn Sie wider besse- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
res Wissen diese katastrophale Lage der Kommunen Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Gegensatz
mitverursachen? Ich kann das nicht verstehen. zu Ihnen, Herr Kuhn, habe ich etwas Rechtes gelernt und
auch gearbeitet und nicht bloß blöd dahergeredet. Inso-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten fern habe ich bezüglich meiner Vergangenheit nichts zu
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE bereuen.
GRÜNEN)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Lassen Sie mich abschließend sagen: Noch schlim-
mer ist das Bild – das meinte ich mit meinen Worten von Deutschland ist bisher besser durch die Krise gekom-
der Anerkennung des Staates durch die Bürgerinnen men, als wir es im letzten Jahr noch befürchtet haben.
und Bürger –, das insbesondere von Ihnen von der FDP Das Wirtschaftswachstum ist um 5 Prozent statt um
vom Staat gezeichnet wird. 6 Prozent zurückgegangen; dennoch ist es der größte
Rückgang, den wir in der Geschichte der Bundesrepu-
Die Aussage, der Staat sei ein „teurer Schwächling“, blik Deutschland jemals zu verzeichnen hatten. Der
ist nicht nur eine Frechheit und eine unglaubliche Rückgang machte sich im vergangenen Jahr auch in der
Dummheit derer, von denen sie kommt; darüber hinaus Industrie deutlich bemerkbar: Er wird bei voraussicht-
ist es für unsere Gesellschaft auch gefährlich, den Staat lich 15 bis 18 Prozent liegen. Auch was die Verschul-
und seine handelnden Ebenen zu verunglimpfen, ver- dung anbelangt, sind wir, zumindest in 2009, mit circa (D)
(B)
ächtlich zu machen und den Privaten in jeder Frage den 3 Prozent noch mit einem blauen Auge davongekom-
Vorrang zu geben. Ich bin sicher: Polizisten, Lehrer, Er- men. In Großbritannien, den USA und Frankreich sind
zieherinnen, Richter, Staatsanwälte, Krankenschwestern es 10 bis 15 Prozent. Dort ist die kumulierte Verschul-
und Ärzte, die im öffentlichen Dienst tätig sind, sind dung innerhalb von einem oder zwei Jahren von einem
keine Repräsentanten eines Schwächlings; vielmehr sind deutlich niedrigeren Niveau aus als in Deutschland ver-
sie die Voraussetzung für eine funktionierende Gesell- doppelt worden, und zwar von 40 auf 80 Prozent. Das ist
schaft und den Wohlstand in Deutschland. eine Größenordnung, die auch für uns gelten wird.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN) Auch der Arbeitsmarkt ist bisher vergleichsweise
Das ist es, was Ihnen fehlt, Herr Brüderle, was Ihrer ungeschoren davongekommen. Statt der befürchteten
Partei fehlt, was der ganzen Bundesregierung, die ja lei- 5 Millionen Arbeitslosen hatten wir im Jahresdurch-
der mehr vom FDP-Programm als von allem anderen ge- schnitt 3,4 Millionen Arbeitlose. Das ist allerdings diffe-
prägt ist, fehlt: der Sinn dafür, dass wir gerade im Be- renziert zu betrachten: In bisher schwierigen Regionen,
reich der Wirtschaft eine Politik brauchen, die das zum Beispiel in Ostdeutschland, ist die Arbeitslosigkeit
Gemeinwohl im Mittelpunkt sieht. Sie stehen für eine in 2009 sogar zurückgegangen, während sie in anderen
schlechte Mischung aus Egoismus und Stillstand. Regionen – ich komme aus der Region Stuttgart – um
Deutschland aber braucht Gemeinschaft und Fortschritt. 30 Prozent gestiegen ist.

Deswegen will ich mit einem Zitat von Ihnen, Herr Es ist also gelungen, zu stabilisieren und den totalen
Brüderle, schließen. Sie haben, gerichtet an die Bundes- Absturz zu verhindern, international durch eine beispiel-
kanzlerin, die uns leider schon verlassen hat, lose und beispielhafte gemeinsame Aktion, die aus mei-
ner Sicht noch nicht abgeschlossen sein darf – ich werde
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gleich noch darauf zu sprechen kommen –, national
Was heißt „leider“?) durch Konjunkturprogramme. Da hat auch die bisherige
Große Koalition gute Arbeit geleistet, zum Beispiel
im November 2006 hier eine Haushaltsrede mit folgen-
durch die Kurzarbeiterregelung. Unorthodoxes Han-
den Worten beendet:
deln war hier richtig, um zu stabilisieren und das not-
Frau Kanzlerin, befreien Sie Ihre Regierung vom wendige Vertrauen zu schaffen. Das erleichtert den er-
Mehltau der unteren Mittelmäßigkeit! forderlichen Aufbau.
(Zuruf von der FDP: Selbst das muss er (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
ablesen!) Abwrackprämie!)
1382 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Dr. Joachim Pfeiffer


(A) Jetzt befinden wir uns im Jahr 2010, das sicher zu ei- ja gelacht, wenn wir im 21. Jahrhundert nicht in der (C)
nem Schicksalsjahr und dem Jahr der Wahrheit werden Lage wären, ein zeitgemäßes und wirksames Regulie-
wird: Ist der Tiefpunkt wirklich erreicht, und geht es rungssystem zu schaffen. Das Fenster ist da, und dieses
wieder aufwärts? Schaffen wir es vor allem, einen Fenster müssen wir nutzen.
selbsttragenden Aufschwung zu organisieren? Die mo-
mentane Lage ist im Wesentlichen durch die Konjunk- Aber auch national ist die Aufsicht des Finanzsektors
turpakete und die staatlichen Aktivitäten erreicht wor- auf den Prüfstand zu stellen. Ich bin der Meinung, dass
den, die Bündelung der Finanzaufsicht in einer Hand, also
eine Allfinanzaufsicht, durchaus Sinn macht und Syner-
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: gieeffekte bringt. Wir können dies auch so organisieren,
Abwrackprämie!) dass die Unabhängigkeit der Bundesbank hinsichtlich ih-
was sich im Jahr 2010 entsprechend niederschlagen rer klassischen Zuständigkeit bei geldpolitischen Ange-
wird. Ziel muss aber sein, einen selbsttragenden Auf- legenheiten gewährleistet ist.
schwung zu erreichen und zu organisieren. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Zentrales Thema ist in diesem Zusammenhang die Si- Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
cherung der Kreditversorgung der deutschen Wirt- Mit Versicherung!)
schaft auch im Aufschwung. Ich unterstütze deshalb vor-
behaltlos und nachdrücklich, was die Bundesregierung – Selbstverständlich. Allfinanzaufsicht heißt: mit Versi-
bisher auf den Weg gebracht hat: Überarbeitung des Kre- cherungen. Das meine ich damit.
dit- und Bürgschaftsprogramms im Rahmen des Wirt- Wir wollen und werden Möglichkeiten finden, um zu-
schaftsfonds, längere Laufzeiten für Investitionskredite, künftig zu verhindern, dass sich solche Dinge wiederho-
Flexibilisierung der Zinsbindungsfristen, Betriebsmittel- len. In den USA gibt es im Moment den Versuch, die Be-
kredite und andere Dinge mehr. Auch der Kreditmedia- teiligten quasi rückwirkend an der Refinanzierung der
tor wird helfen, die Situation zu verbessern. Mittel zu beteiligen. Manche sind nicht mehr auf dem
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Markt. Manche, die keine Mittel benötigten, kommen
Abwarten!) jetzt ebenfalls in das Obligo. Ob das der richtige Weg ist,
wage ich zu bezweifeln.
Diese positive Entwicklung und die ersten Anzeichen,
dass der Anleihemarkt wieder in Bewegung kommt, so- Ich halte es für viel sinnvoller, wenn wir in die Zu-
dass sich Großunternehmen wieder besser refinanzieren kunft blicken und dafür sorgen, dass sich so etwas nicht
können, sind ermutigend. Trotzdem steht zu befürchten, wiederholen kann. Wir brauchen eine Art Krisenprä-
(B) dass wir in diesem Jahr, auch wenn es aktuell noch keine ventionsfonds als weitere Säule, ähnlich dem Einlagen- (D)
Kreditklemme gibt, in Schwierigkeiten kommen können. sicherungsfonds. Dies hat Herr Ackermann vorgeschla-
Deshalb müssen wir hier weiter justieren und weiter ar- gen. In diese Richtung muss es gehen. Dieser Fonds ist
beiten. Wir werden das, Herr Duin, mit einem klaren natürlich nicht durch den Staat zu füllen, sondern er ist
ordnungspolitischen Kompass tun. Den haben wir. Wir durch diejenigen zu füllen, die im Falle einer Krise für
werden das Hausbankprinzip bei der KfW nicht durch- eine Stabilisierung verantwortlich sind. Das heißt, die
brechen. Banken, die in der Zukunft hoffentlich wieder erfolg-
reich sind, müssen diesen Fonds füllen. Das ist eine in
(Garrelt Duin [SPD]: Aha!) die Zukunft gerichtete Lösung.
Etwas anderes macht keinen Sinn. Wir haben gemerkt,
dass die KfW viel Positives bewegt hat. Aber es hat (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so-
lange gedauert, die Dinge entsprechend umzusetzen. wie des Abg. Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE
Jetzt sind wir dabei, dass wir etwas schneller, was die GRÜNEN])
Fristen anbelangt, handeln können. Wir wollen aber Ich möchte – die Zeit schreitet schnell voran – noch
nicht, wie gesagt, das Hausbankprinzip durchbrechen. kurz auf zwei Punkte eingehen, die zeigen, wie wir
Ich denke, es ist besser, das Konzept der Globaldar- Wachstum generieren können. Es wird unsere Hauptauf-
lehen mit Portfoliogarantie umzusetzen. Dieses ist ein gabe in diesem Jahr sein, selbstständiges Wachstum zu
intelligentes Instrument, mit dem die KfW den Kredit- generieren, damit es höhere Steuereinnahmen gibt. Der
instituten Nachrangrisiken abnimmt, finanziert aus ei- Bundesfinanzminister – ich sehe, er ist anwesend – hat
nem Topf, der die Mittel für Kredite beinhaltet. Es gibt es dieser Tage in seiner Rede zur Einbringung des Haus-
also keine Rosinenpickerei. Das führt zu einer Entlas- halts angesprochen: In diesem Jahr haben wir Minder-
tung der Banken. Wir werden dafür sorgen – das kann einnahmen in Höhe von 43 Milliarden Euro aufgrund
über die KfW geschehen –, dass die so zur Verfügung der Wirtschafts- und Finanzkrise, die uns als Steuerein-
stehenden Mittel direkt in die Kreditversorgung fließen. nahmen fehlen. Nur durch mehr Wachstum wird es uns
Dann wird ein Schuh daraus. Das ist ordnungspolitisch gelingen, diese Einnahmen wieder zu generieren. Inso-
richtig. fern ist die Förderung von Wachstum die beste Konsoli-
dierungs- und Sanierungspolitik, die wir machen kön-
Neben diesen Kreditmaßnahmen werden wir ein nen.
internationales Regulierungssystem – die Bundes-
kanzlerin hat dies gestern angesprochen –, das von der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
G 20 auf den Weg gebracht wurde, unterstützen. Es wäre neten der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1383
Dr. Joachim Pfeiffer
(A) Dann tun Sie doch mal was für Wachstum, nerieren, der Meinung, dass sich die Atomwirtschaft (C)
nicht für Hotels!) vollumfänglich an den Kosten der Entsorgung von
Atommüll beteiligen sollte?
Wenn wir es aber allein mit Wachstum nicht schaffen
können, werden wir im nächsten Jahr selbstverständlich (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
konsolidieren. Asse!)
Wie aber wollen wir Wachstum schaffen? Ich nenne Gilt dies insbesondere für die Milliardenkosten, die in
hier – Herr Brüderle hat es bereits angesprochen – den Verbindung mit dem Endlager Asse auf uns zukommen,
Energiebereich. Ein Stichwort in diesem Zusammen- und für EnBW, von der 60 Prozent des Mülls in der
hang ist: Energieeffizienz als Königsweg. Wir können Asse stammen? Bleibt denn für Ihr großes Projekt, die
mit neuen, innovativen Ansätzen und Dienstleistungen, erneuerbaren Energien bzw. die Solarenergie querzu-
die wir auch exportieren können, ein Vorbild für die Welt subventionieren, noch etwas übrig, wenn man alle Kos-
sein. Damit schaffen wir eine Win-win-Situation, indem ten der Atomenergie mit einpreist?
wir neue Technologien und Dienstleistungen, die Wachs-
tum schaffen, einführen, Arbeitsplätze sichern und beim (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
Klimaschutz Gutes bewirken. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin
Lindner [Berlin] [FDP]: Das hat doch mit der
Wir werden die erneuerbaren Energien sinnvoll aus- Laufzeitverlängerung nichts zu tun!)
bauen. Wir legen gerade eine Revision des Bereichs der
Fotovoltaik vor, wo Überförderungen bestehen. Es geht
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):
darum, diese zurückzuführen, zu beschneiden und mit
einem intelligenten Ansatz in die Zukunft zu gehen, der Vielen Dank für diese Frage, die in der Tat wichtig
sogar eine Erhöhung der Ziele im Bereich der Fotovol- und richtig ist. Sie ist nicht einfach zu beantworten. Er-
taik im Zusammenhang mit erneuerbaren Energien be- lauben Sie mir deshalb, ausführlich darauf einzugehen.
deutet. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU
Es geht auch darum, intelligente Anreize zu setzen, und der SPD – Dr. Martin Lindner [Berlin]
zum Beispiel beim Eigenstromverbrauch. Bisher können [FDP]: Das habt ihr davon!)
im Bereich der Ein- und Mehrfamilienhäuser gerade ein- Ich möchte Ihre Frage gerne beantworten.
mal 20 Prozent des Bedarfs mit Eigenstrom abgedeckt
werden. Wenn wir dort Anreize setzen, kann neue Tech- In der Tat bringt eine Laufzeitverlängerung einen
nologie zum Einsatz kommen, die eine Speicherung von volkswirtschaftlichen Nutzen von bis zu 250 Milliar-
(B) Energie ermöglicht und wiederum zum Exportschlager den Euro, die sonst unwiederbringlich verloren gingen. (D)
werden kann. So können wir die Eigenstromversorgung Dieser volkswirtschaftliche Nutzen darf und soll nicht
auf 40 bis 60 Prozent des Bedarfs steigern und damit In- nur als betriebswirtschaftlicher Gewinn bei den großen
vestitionen in den Ausbau des Verteilungsnetzes einspa- Vier ankommen. Vielmehr wollen wir diese Mittel ein-
ren. Auch das ist eine Win-win-Situation für alle Betei- setzen, um die Energieeffizienz, die Speichertechnologie
ligten; so wird Wachstum geschaffen. und die Systemintegration der erneuerbaren Energien zu
verbessern. Damit haben wir die Chance, mehrere Flie-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
gen mit einer Klappe zu schlagen: Wachstum zu generie-
Wir werden den volkswirtschaftlichen Nutzen in ren, Arbeitsplätze zu sichern und der Umwelt etwas Gu-
Höhe von bis zu 250 Milliarden Euro, den eine Verlän- tes zu tun.
gerung der Laufzeiten der sicheren deutschen Kernkraft-
Die Verlängerung der Laufzeiten der deutschen Kern-
werke mit sich bringt, auch für die Generierung von
kraftwerke, die uns im Moment Emissionen in Höhe von
Wachstum und die Steigerung der Energieeffizienz ein-
über 150 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr ersparen – das
setzen.
sind 20 Prozent der Emissionen in Deutschland –, führt
(Abg. Peter Friedrich [SPD] meldet sich zu ei- dazu – –
ner Zwischenfrage)
(Zuruf von der SPD: Sagen Sie doch mal was
– Mir kommt jemand zur Hilfe, damit ich noch ein biss- zur Endlagerung! – Weitere Zurufe von der
chen reden kann. Vielen Dank. SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
– Ich komme sofort darauf zu sprechen. Es handelt sich
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: schließlich um ein Gesamtkonzept, das ich Ihnen darle-
Sie möchten die Zwischenfrage zulassen? – Bitte gen muss. Herr Friedrich hat das Konzept bisher nicht
schön. verstanden. Deshalb hat er darum gebeten, dass ich es er-
läutere; das mache ich gerne. – Das Gesamtkonzept sieht
Peter Friedrich (SPD): vor, dass wir den Anteil der erneuerbaren Energien an
Herr Kollege Pfeiffer, danke, dass Sie die Zwischen- der Energieversorgung bis 2020 auf 30 Prozent oder
frage zulassen. mehr steigern. Wenn wir die Kernenergie im jetzigen
Umfang beibehalten – –
Sie haben eben über die bei einer Laufzeitverlänge-
rung zu erwartenden Erlöse gesprochen. Sind Sie, wenn (Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD] meldet
es möglich ist, so viel Geld in der Atomwirtschaft zu ge- sich zu einer Zwischenfrage)
1384 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Dr. Joachim Pfeiffer


(A) – Da gibt es eine weitere Frage. Wir können sie gerne (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (C)
hinzunehmen. Wer hier komisch ist, sind Sie!)
(Heiterkeit bei der CDU/CSU) Er sagt immer, die Frage der Endlagerung sei nicht ge-
löst, hat aber alles unternommen, dass die Endlagerung
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nicht vorangetrieben werden kann.
Bitte beantworten Sie erst einmal die erste Frage. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Wir werden sie jetzt vorantreiben. Wenn wir weitere Un-
Okay, dann gehe ich weiter auf die Frage ein. tersuchungen durchführen, dann werden wir wissen, ob
dieser Standort geeignet ist oder nicht. Wenn wir dies
Wir haben dann in 2020 die Chance, 60 Prozent und nicht tun, dann werden wir es auch nicht wissen.
mehr CO2-freien, versorgungssicheren und wettbewerbs-
fähigen Strom für den Standort Deutschland zu erzeu- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie reden da-
gen. rum herum! – Dr. Martin Lindner [Berlin]
[FDP]: Das hat nichts mit der Laufzeit zu tun!)
(Peter Friedrich [SPD]: Was ist mit dem
Müll? – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE Jetzt komme ich zu Asse.
GRÜNEN]: Asse!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
Jetzt komme ich zur Frage der Entsorgung. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Asse ist natürlich für alle Beteiligten kein besonderes
Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das ist Ruhmesblatt. Als Versuchskraftwerk wurde es im Übri-
doch völlig unabhängig von der Laufzeitver- gen nicht von der Wirtschaft und von Unternehmen, son-
längerung!) dern von staatlicher Seite initiiert.
Selbstverständlich ist die Entsorgungsfrage zu lösen. (Peter Friedrich [SPD]: Das ist kein Kraft-
Wir haben uns in Deutschland entschlossen, den Brenn- werk, sondern ein Lager!)
stoffkreislauf nicht zu schließen, wie es in anderen Län-
– Ein Endlager; vielen Dank für den Hinweis.
dern der Fall ist, so in Frankreich und in Japan,
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt besteht die Frage – dafür gibt es ein Konzept –:
Wiederaufarbeitung!) Können wir den Müll dort herausholen?

(B) also keine Wiederaufarbeitung vorzunehmen. Deshalb (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wer finanziert (D)
haben wir gesagt: Wir gehen im Entsorgungsbereich den das?)
Weg der Endlagerung. – Diejenigen, die es verursacht haben. Das Verursacher-
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wie wird die prinzip ist hier ziemlich klar nachzuvollziehen. Das kön-
Asse finanziert? Wer finanziert die Asse? – nen Sie in einem Protokoll vom Frühjahr letzten Jahres
Weitere Zurufe von der SPD) nachlesen, als der zuständige Minister, ein Herr Gabriel,
den Sie wohl kennen, hier an diesem Pult eindeutig ge-
– Moment, wenn Sie mich immer unterbrechen, werden sagt hat: Es gibt keine rechtlichen Möglichkeiten. Verur-
wir heute gar nicht fertig. Aber ich habe Zeit; ich habe sacherprinzip heißt letztlich, dass diejenigen zahlen, die
mir nichts weiter vorgenommen. etwas verursacht haben, also in diesem Fall der Staat.
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Redezeit muss nicht verlängert werden!) Der Staat zahlt! Staatspolitik!)
Wir haben uns also für die Endlagerung entschieden. In den Laufzeitverlängerungsgesprächen haben wir
95 Prozent des Volumens haben wir jetzt im Sack, indem die Chance, dies zu thematisieren und einen Beitrag der
wir den Schacht Konrad rechtssicher im Bau haben; er Unternehmen zu erreichen. Dann entsteht ein Gesamt-
wird ab 2013 in Betrieb gehen. Bleibt noch eine Größen- konzept, und es wird ein Schuh daraus.
ordnung von 5 Prozent des Volumens im Zusammen-
hang mit der Endlagerung von hochradioaktiven Sub- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
stanzen.
Es gab aber eine weitere Frage.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Er hat nach
Asse gefragt! – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/ Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
DIE GRÜNEN]: Das darf doch nicht wahr Herr Pfeiffer, angesichts des Zeitumfangs Ihrer Be-
sein!) antwortung lasse ich nur noch diese Zwischenfrage zu.
– Ich komme noch auf Asse zu sprechen. – Was machen (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Da finden sich
wir mit diesem Volumen? Wir haben einen nachvollzieh- sicherlich noch ein paar! – Fritz Kuhn
baren, an international üblichen Kriterien orientierten [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fasse dich
Prozess gestartet, indem wir Gorleben einer Prüfung un- kurz!)
terziehen. Das hat Ihr komischer Herr Trittin durch ein
Moratorium verhindert. Frau Hendricks, bitte.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1385

(A) Dr. Barbara Hendricks (SPD): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C)
Frau Präsidentin, ich möchte übrigens keine Frage neten der FDP – Kerstin Andreae [BÜND-
stellen, sondern eine Zwischenbemerkung machen, was NIS 90/DIE GRÜNEN]: Alchimisten!)
nach dem Protokoll ja möglich ist. Ich erwarte also keine
Antwort. Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):
(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Dann ist es Wir sind nicht bei Grimms Märchenstunde.
nicht nach der Geschäftsordnung!)
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Pfeiffers
– Zwischenbemerkungen sind nach der Geschäftsord- Märchenstunde! – Hubertus Heil [Peine]
nung erlaubt. Das steht in § 27. Ich erwarte also keine [SPD]: Pfeiffer mit drei F!)
Antwort.
Ich habe versucht, darzulegen, wie wir in den verschie-
Ich darf zunächst Ihnen, Frau Präsidentin, sagen: Ich denen Sektoren des Energiebereichs Wachstum schaffen
hätte eine geschäftsleitende Bemerkung von Ihnen zu wollen. Das wird eine zentrale Aufgabe sein. Ich habe
der Art und Weise erwartet, wie der Kollege mit seiner die Energieeffizienz, die erneuerbaren Energien und die
Antwort umgegangen ist. Aber das ist eine Kritik, die weitere Nutzung der Kernkraft angesprochen. Es gäbe
man vielleicht an anderer Stelle vertiefen kann. weitere Dinge hinzuzufügen, zum Beispiel die grüne
Kohle, sprich CCS.
(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Jetzt
kommt die Frau Oberlehrerin!) (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Kohle ist nicht grün! Kohle ist schwarz!)
Jetzt komme ich zu meiner Zwischenbemerkung.
Nach den Reden des Herrn Minister Brüderle und nach Bei dieser Technologie steht Deutschland an der Spitze;
den Aussagen des Herrn Kollegen Pfeiffer stelle ich fest: diese Technologie können wir einsetzen.
(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Frau Ma- Mit all dem schaffen wir Wachstum. Das ist keine Al-
gister!) chemie, sondern diese Maßnahmen sind geeignet, um ei-
nen Wachstumsbeitrag zu leisten, damit wir mehr
Dies ist die Regierung, die Koalition der Alchimisten.
Steuereinnahmen generieren und letztlich einen Beitrag
Wie Sie wissen, haben die Alchimisten immer versucht,
zur Konsolidierung des Haushalts leisten können.
Gold zu schaffen. Sie haben jetzt schon zwei Punkte be-
nannt, wie Sie Gold – mit anderen Worten: bleibenden (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Wohlstand für die Menschen in Deutschland – schaffen Grünkohl heißt das!)
(B) wollen. Das eine sind völlig unsinnige und nicht verant- (D)
wortbare Steuersenkungen, Frau Hendricks hat sich wieder hingesetzt. Dann
werde ich jetzt mit meiner Rede fortfahren.
(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Was soll
denn das jetzt hier?)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
und das andere ist nach Aussage des Kollegen Pfeiffer Sie haben noch 30 Sekunden.
die Verlängerung der Laufzeit der Atomkraftwerke.
Diese Regierung der Alchimisten hat also schon zwei (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Wir hören dem
Perpetuum mobile erfunden und erklärt den Bürgerinnen Kollegen Pfeiffer so gern zu!)
und Bürgern allen Ernstes,
(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Darauf muss er Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):
antworten!) Wir werden darüber hinaus in Bildung – es wurde an-
gesprochen –, in Familien, Innovationen, Forschung und
damit sei der Wohlstand für die Zukunft zu gewinnen. Entwicklung investieren.
Ich bedauere sehr, dass offenbar keine anderen, tiefer ge-
henden Gedanken in dieser Koalition und in dieser Re- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
gierung zu finden sind. DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine]
[SPD]: Das ist eine gute Idee!)
(Beifall bei der SPD – Eduard Oswald [CDU/
CSU]: Der Kollege Pfeiffer braucht Redezeit, Wir werden eine steuerliche Forschungsförderung ein-
um darauf zu antworten! – Zuruf von der führen.
CDU/CSU: Frau Hendricks, stehen bleiben!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU): Wir wollen das ZIM-Programm ausbauen, mit dem wir
Frau Präsidentin, was sagen Sie denn jetzt? große Erfolge erzielt haben – leider kann ich das nicht
weiter ausführen –, dessen Geltungsdauer wir gemein-
sam verlängert und dessen Geltungsbereich wir auf die
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
alten Bundesländer ausgedehnt haben.
Frau Kollegin Hendricks, unabhängig davon, ob Sie
eine Antwort erwarten oder nicht, muss der Kollege (Zuruf von der CDU/CSU: Das wurde auch
Pfeiffer natürlich die Chance haben, zu antworten. Zeit!)
1386 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Dr. Joachim Pfeiffer


(A) Das werden wir im nächsten Jahr hoffentlich auch so Ich sage das, damit die Größenordnungen klar werden (C)
beibehalten. Das ist die beste einzelbetriebliche Förde- und nicht jemand anfängt, Bundesminister Brüderle für
rung, um langfristig Wachstum zu schaffen einen großen Wirtschaftslenker zu halten.
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das wäre rich-
„Generieren“ heißt das!) tig!)
und den Haushalt zu konsolidieren. Diese Gefahr bestand heute nicht, aber manchmal
kommt einem das so vor.
Wir sind in unserer Wunschkonstellation auf dem
richtigen Weg. Wir werden Herrn Brüderle mit Wort und (Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Lindner
Tat unterstützen und ihn auf dem richtigen Weg halten. [Berlin] [FDP]: Jetzt wollen wir etwas zum
Herr Brüderle, wir sind uns einig: Wir brauchen Freiheit, Wirtschaftskonzept der Linken hören!)
um Wachstum nach vorne zu bringen. Diesen 6 Milliarden Euro, über die Sie bis zu jedem
Bleistift Rechenschaft ablegen, stehen über 20 Milliar-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
den Euro gegenüber, die im sogenannten Investitions-
und Tilgungsfonds, einem Sondervermögen, zur Verfü-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: gung stehen; man kann dazu auch Schattenhaushalt
Das Wort hat der Kollege Roland Claus für die Frak- sagen. Mehr als das Dreifache des Etats wird der Öffent-
tion Die Linke. lichkeit entzogen und allenfalls mit sehr dürftigen Infor-
mationsblättern vor dem Haushalts- und Wirtschaftsaus-
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Lindner [Ber- schuss begründet.
lin] [FDP]: Jetzt kommt die Antifreiheit!)
(Zuruf von der CDU/CSU: Was will uns der
Dichter damit sagen?)
Roland Claus (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Nun zitiere ich aus den Bemerkungen des Bundes-
Linke steht für eine Wirtschaftspolitik, die zu mehr so- wirtschaftsministeriums zum Haushalt:
zialer Gerechtigkeit und Stabilität beiträgt, die Mittel- Das BMWi unterstützt den Kurs aus Stärkung der
stand und Existenzgründern Zukunftschancen eröffnet Wachstumsgrundlagen und krisenbedingten Mehr-
und nicht verbaut, und die Arbeit schafft, von der Be- ausgaben bei gleichzeitig kluger Sparsamkeit.
schäftigte auch gut leben können.
Sie wollen also zeitgleich mehr ausgeben und mehr spa-
(Beifall bei der LINKEN) ren. Sollten Sie nicht gleich sagen: „Bis zur NRW-Wahl (D)
(B)
Einem solchen Anspruch wird der Etat des Bundeswirt- wird die Mathematik außer Kraft gesetzt“? Das ist ver-
schaftsministers in keiner Weise gerecht. Eigentlich ordnete Schizophrenie. Das ist Wahlbetrug mit Ansage,
schlimmer noch: Er setzt sich keine Ziele und stellt auch liebe Kabinettsmitglieder.
keine Ansprüche, (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Carsten
Schneider [Erfurt] [SPD])
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Na, na, na!)
Sie wollen gestärkt aus der Wirtschaftskrise heraus-
abgesehen von der beabsichtigten Rolle rückwärts bei kommen – das haben wir jetzt oft genug gehört –, sind
der Atomenergie. aber nicht wirklich bereit, die Ursachen dieser Krise zu
Ich glaube, in den letzten Minuten ist eines deutlich analysieren. Ich sage Ihnen: Ein vernünftiges Wirtschaf-
geworden: Mit dieser Rolle rückwärts in Sachen Atom- ten wird es erst dann wieder geben, wenn die Übermacht
energie werden all Ihre Beschwörungen zur Förderung der Finanzwirtschaft gegenüber der sogenannten Real-
erneuerbarer Energien in diesem Lande total unglaub- wirtschaft gebrochen wird. Wir müssen, auch wenn es
würdig. Das haben wir jetzt begriffen. uns schwerfällt, die Fantasie aufbringen, uns eine Fi-
nanz- und Wirtschaftswelt vorzustellen, in der die Börse
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem auf ihren ursprünglichen, vernünftigen Ansatz zurückge-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin führt wird. Kleiner geht es nicht.
Lindner [Berlin] [FDP]: Ich glaube, Herr
Pfeiffer muss eine Kurzintervention machen!) (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Mach doch einmal einen Fünfjahresplan!)
Für die Öffentlichkeit will ich diesen Etat zunächst
Ein alter Hase aus der Industrie hat mir das letztens
ein bisschen einordnen. Wir reden von 6 Milliarden Euro
plausibel gemacht. Er hat gesagt: Wissen Sie, früher hat
bei weit über 300 Milliarden Euro im Gesamtetat. Zieht
sich ein Industrieller eine Bank gesucht, um Finanzge-
man davon die Subventionierung der Steinkohle und Ih-
schäfte abzuwickeln und zu Krediten zu kommen. Heute
rer Raumfahrtlobby ab, bleiben etwa 4,5 Milliarden
suchen sich die Banken Betriebe aus, um sie auszuneh-
Euro, das sind 1,5 Prozent des Gesamtetats. Nur zum
men. Einer solchen Entwicklung muss doch, verdammt
Vergleich: Im vergangenen Jahr wurden allein für das In-
noch mal, etwas entgegengesetzt werden.
strument Abwrackprämie 5 Milliarden Euro eingesetzt.
Mir ist natürlich klar, dass auch anderswo Wirtschaftspo- (Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Lindner
litik gemacht wird. Allein in der BA wird über das Kurz- [Berlin] [FDP]: Ein alter Wirtschaftshase aus
arbeitergeld in größerem Umfang dazu beigetragen. dem VEB!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1387
Roland Claus
(A) Herr Wirtschaftsminister, Sie täten gut daran, zu sa- landen Sie im Tal der Untätigkeit. Das wollen wir nicht (C)
gen: Ich habe mich lange, was meine wirtschaftspoliti- hinnehmen. Deshalb sind bei diesem Etat sehr viele Ver-
sche Vorstellung angeht, gründlich geirrt; aber jetzt habe änderungen nötig.
ich verstanden, dass man zur Stärkung der Binnennach-
frage den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn (Beifall bei der LINKEN)
braucht. – Ich habe das heute nicht erwartet, aber die
Forderung ist deswegen trotzdem richtig. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Das Wort hat die Kollegin Kerstin Andreae für
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein Bündnis 90/Die Grünen.
[CDU/CSU]: Mehr Sozialismus!)
Leider ist die Wahrheit eine andere: 1,4 Millionen Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vollzeitjobs weniger in den letzten zehn Jahren, dafür Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
1,3 Millionen mehr im Teilzeitbereich. Ein Viertel der Sehr verehrter Herr Minister Brüderle, Sie haben in Ihrer
Beschäftigten ist inzwischen im Niedriglohnbereich be- Rede die konjunkturelle Entwicklung und Belebung be-
schäftigt. Im Osten arbeiten weit über 40 Prozent in die- schworen. Sie haben davon gesprochen, wie sich der Ar-
sem Sektor. Das ist natürlich ein Ergebnis von Rot-Grün beitsmarkt entwickelt. Aber wir müssen doch ehrlicher-
und Schwarz-Rot. Ich will aber auch daran erinnern, weise auch davon sprechen, dass wir schon jetzt
dass das alles der FDP noch nicht rigoros genug war. Ein erkennen können, welche Strohfeuer mit diesen Kon-
bisschen wundere ich mich über die Sozialdemokratin- junkturpaketen teilweise entfacht wurden. 5 Milliarden
nen und Sozialdemokraten, denen es flächendeckend ge- Euro wurden für die Abwrackprämie zur Verfügung ge-
lungen ist, den Begriff „Agenda 2010“ ganzkörperlich stellt. Schon jetzt gibt es wieder Absatzeinbrüche auf
abzustreifen und völlig aus der Erinnerung zu streichen. dem Pkw-Markt. Insofern lohnt es sich, sehr genau hin-
(Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil zuschauen, wie sich die konjunkturelle Entwicklung im
[Peine] [SPD]: Das kommt gleich noch! – Einzelnen darstellt.
Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Die Ab-
Das war ein schlechter Begriff!) wrackprämie haben nicht wir beschlossen!)
Wir müssen auch über das Wort „Kreditklemme“ re- Wir haben die Situation, dass die Unternehmer Angst
den. Sie haben wie wir die Prognosen auf dem Tisch lie- vor der Kreditklemme haben, dass sie Angst vor Absatz-
gen. Im laufenden Jahr ist mit über 45 000 Insolvenzen schwächen haben. Aber auch die Arbeitnehmerinnen
zu rechnen. Sie haben dafür eine neue Geheimwaffe er- und Arbeitnehmer haben Angst um ihren Arbeitsplatz
funden, den Kreditmediator. Den haben Sie im Dezem- und vor existenziellen Nöten. Die Aufgabe der Regie- (D)
(B)
ber vollmundig angekündigt. Ich habe mir gedacht: rung ist es, an dieser Stelle Vertrauen zu schaffen und
Bereite dich auf die Debatte vor und rufe dort einmal an. Wege aus der Krise zu zeigen. Sie aber machen das ab-
Das habe ich gestern versucht. Es gibt weder eine Tele- solute Gegenteil. In einer Umfrage ist dieser Koalition
fonnummer noch einen sonstigen Verweis. Mir ist klar, im Januar 2010 die Schulnote 3,9 gegeben worden. Bei
dass Herr Metternich den Beginn für März angekündigt einer Note von 3,9 werden in Baden-Württemberg Eltern
hat. Aber was ist das für eine Bundesregierung? Im De- zum Gespräch eingeladen. Da sagen die Lehrer schon
zember veranstaltet sie einen Gipfel, aber danach pas- einmal: So geht es nicht; sehen Sie zu, dass dies besser
siert lange nichts. wird.
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Wie ist das in
Die Linkspartei braucht auch einen Mediator! – Berlin?)
Gegenruf des Abg. Hubertus Heil [Peine]
[SPD]: Das ist wahr!) Fehlstart, Streit und schließlich das Gezerre um die
Steuerreform dominieren das Bild. Das ist auch kein
Wenn Sie mir die Kritik nicht abnehmen, dann sollten
Wunder. Im Wahlkampf haben Sie, vor allem Sie von der
Sie zumindest einem Ihrer Parteifreunde zuhören, Herr
FDP, vollmundigste Versprechen gemacht, und auf ein-
Brüderle, der dazu sagt:
mal herrscht Verwunderung über die leeren Kassen. Jetzt
Es ist nicht sinnvoll, vor Weihnachten die Ankunft hat Sie jede Vernunft verlassen. Das zeigt die Politik, die
eines Kreditmediators … auszurufen, Sie uns heute vorlegen.
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ihr braucht einen Lafontaine-Mediator!) sowie bei Abgeordneten der SPD)
ohne konkret zu sagen, was er tun soll und wie er Von der Wirtschaftskompetenz der Bundesregierung
vernetzt ist. – das haben Sie als FDP sich immer auf die Fahne ge-
schrieben – ist nichts mehr übrig. Die Presse nimmt Sie
Die Verunsicherung in der Krise werde damit nur ver-
auseinander. Selbst die Wirtschaftsverbände müssen Sie
größert. Der, der das sagt, heißt Jörg Bode, ist Wirt-
inzwischen anschreiben und anmahnen. Wir werden
schaftsminister in Niedersachsen und gehört bekanntlich
noch öfter die Debatte über dieses sogenannte Wachs-
der FDP an. Nehmen Sie diesen Rat an.
tumsbeschleunigungsgesetz und über die reduzierte
Wir sagen Ihnen: Wann immer Sie von einem Ihrer Mehrwertsteuer bei Hotelübernachtungen führen. Ich
zahllosen Gipfel im Bundeskanzleramt heruntersteigen, möchte Ihnen eines sagen: Wenn Sie hier noch einmal
1388 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Kerstin Andreae
(A) über Bürokratieabbau reden, dann machen Sie sich wirk- (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (C)
lich lächerlich. Denn Sie haben bezüglich der Hotelüber- Aha! Aha!)
nachtungen sehr viel Bürokratie aufgebaut.
Wie wollen Sie erklären, dass Sie, wenn Sie in der Op-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN position sind, tolle Sparvorschläge machen, und dann,
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der wenn Sie an der Regierung sind, keinen einzigen dieser
LINKEN) Vorschläge umsetzen? Ihr Sparwille ist vollkommen er-
lahmt.
Die FDP spricht ständig über Steuersenkungen. Uns
liegt heute ein Bundeshaushalt vor mit einer Rekordneu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
verschuldung in Höhe von – wenn man alles zusammen- und bei der SPD – Dr. Martin Lindner [Berlin]
nimmt – 131 Milliarden Euro, mit einer Bundesverschul- [FDP]: Das kriegt ihr schon noch!)
dung, die die 1-Billion-Euro-Marke reißt. Ich weiß gar – Oh ja, das kriegen wir schon noch. Da bin ich sehr ge-
nicht, ob Sie alle wissen, wie viele Nullen eine Billion spannt.
hat.
Nehmen wir doch einmal den Staatssekretär, den Sie
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einsparen wollten.
NEN]: Fast so viele wie die Regierung!)
(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Bei
Das sind zwölf Nullen. Es gibt keinerlei Generationen- Wirtschaft?)
gerechtigkeit. Jeder achte Euro wird inzwischen für Zins
und Tilgung ausgegeben. Das ist die Bremse beim Wirt- – Ja, Herr Lindner, Sie wollten im Bereich Wirtschaft ei-
schaftswachstum. Sie schaffen kein Vertrauen, wenn Sie nen Staatssekretär einsparen. Jetzt haben Sie drei Staats-
weiterhin über Steuersenkungen reden, die weder 2010 sekretäre, von denen zwei ein FDP-Buch haben.
noch 2011 noch 2012 finanzpolitisch irgendwie verant- (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Wo wir doch so
wortbar sind. viele Leute haben, die etwas werden wollen!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Ja, Herr Oswald, das scheint genau der Punkt zu sein.
In den Debatten sind immer wieder die Kommunen (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/
angesprochen worden. Die Kommunen sind ein ganz DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Ab-
enorm wichtiger Wirtschaftsfaktor. Aber mit Ihren Steu- geordneten der CDU/CSU – Hubertus Heil
ersenkungen und mit Ihren sogenannten Entlastungen [Peine] [SPD]: Ein Anflug von Ehrlichkeit!)
(B) (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ja, furcht- – Ein Anflug von Ehrlichkeit und, Gott sei Dank, proto- (D)
bar!) kollarisch aufgenommen.
– ja, furchtbar, Herr Lindner –, die Sie auf den Weg brin- Sie wollten bei Dienstreisen sparen; das ist überhaupt
gen, machen Sie zwei Sachen: Zum einen lassen Sie die kein Thema mehr. Sie wollten auch bei der Öffentlich-
Kommunen, die ihre Aufgaben nicht mehr finanzieren keitsarbeit sparen. Ich kann sogar verstehen, dass Sie das
können, im Regen stehen, und zum anderen ist es ein to- doch nicht tun. Denn Sie bräuchten eine richtig gute Öf-
taler Witz, von mehr netto vom Brutto zu sprechen, fentlichkeitsarbeit, um die Politik, die Sie machen, zu-
wenn die Leute aufgrund der erhöhten Gebühren und mindest ein bisschen besser zu verkaufen.
Beiträge, die auf kommunaler Ebene anfallen, am Ende
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
nicht mehr in der Tasche haben. Das ist wiederum eine
Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das war
ganz falsche Politik. Das ist so richtige FDP-Politik,
jetzt kokett!)
Klientelpolitik. Sie versprechen irgendetwas, und am
Ende kommt nichts dabei heraus. Sie wollten außerdem bei Sachverständigen sparen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie (Zuruf von der FDP: Regen Sie sich nicht so
der Abg. Ulla Lötzer [DIE LINKE]) auf! Wir beraten heute doch erst in erster Le-
sung! Das alles kommt später noch einmal zur
Ich erinnere mich noch gut an die Diskussionen, die Sprache! Keine Sorge!)
wir immer wieder geführt haben. Sie haben hier mit dem
Liberalen Sparbuch gewedelt. – Sie könnten in den laufenden Haushaltsberatungen je-
den einzelnen dieser Punkte aufgreifen, jeden einzelnen
(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ja, ja!) Vorschlag Ihres Liberalen Sparbuchs einbringen.
Ich glaube, es enthält 400 Einzelvorschläge für die Etats. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der arme Brü-
derle!)
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sparen wir uns
doch den Niebel!) Ich bin sehr gespannt, wie Sie sich verhalten werden.
Wenn ich mir nur unseren Bereich, den Wirtschaftsetat, Mein Vorschlag: Sparen Sie doch bei den Sachver-
ansehe, stelle ich fest, dass Sie – und das in einem Mi- ständigen; das wollten Sie nämlich tun. Ehrlich gesagt,
nisterium, das von der FDP geführt wird – keinen einzi- habe ich manchmal den Eindruck, das könnten Sie wirk-
gen dieser ach so tollen 400 Einzelvorschläge aus dem lich tun. Sie hören nämlich überhaupt nicht auf das, was
Liberalen Sparbuch umgesetzt haben. Ihnen die Sachverständigen sagen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1389
Kerstin Andreae
(A) (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das sagen aus- Kollegin! Ich hoffe, Sie wissen das zu würdi- (C)
gerechnet Sie! Soll das etwa heißen, das war gen!)
unter Rot-Grün alles ganz anders?)
Kein einziger Sachverständiger hat gesagt, dass die Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Mehrwertsteuersenkung für die Hotellerie etwas bringt. Auf jeden Fall geht es dabei auch um Glaubwürdig-
keit.
(Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU] meldet sich
zu einer Zwischenfrage) Ich danke Ihnen für Ihre Frage, weil ich nun die Mög-
lichkeit habe, Ihnen ausführlich zu antworten. – Frau
Man findet im Augenblick keinen Sachverständigen, der Präsidentin, darf ich eigentlich genauso ausufernd ant-
erklären kann, wie Sie Ihre Steuerreform gegenfinanzie- worten, wie es der Kollege Pfeiffer gerade getan hat? Es
ren wollen. Wenn Sie nicht auf die Sachverständigen hö- gibt nämlich noch viele Punkte, die ich gerne ansprechen
ren, dann können Sie diese Kosten tatsächlich einsparen. würde.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
sowie bei Abgeordneten der SPD) SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Eduard
Oswald [CDU/CSU]: Wenn es genauso in-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: haltsreich wie beim Kollegen Pfeiffer ist,
Frau Andreae, möchten Sie die Zwischenfrage zulas- gerne!)
sen?
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Redezeit wird gestoppt, und Herr Hinsken bleibt
Ja, bitte. bitte so lange stehen.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):


Bitte schön. Ich gebe eine kurze Antwort: Herr Hinsken, Sie soll-
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ten sich informieren. Diese Forderung steht nicht in un-
NEN]: Das ist aber kein Sachverständiger! – serem Wahlprogramm. Hiermit ist Ihre Frage beantwor-
Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNIS- tet, und Sie können sich wieder setzen.
SES 90/DIE GRÜNEN) (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Die bayerischen
Grünen haben das in ihrem Wahlprogramm
(B) Ernst Hinsken (CDU/CSU): drin!) (D)
Frau Kollegin Andreae, Sie haben die Mehrwertsteu-
– Herr Hinsken, die Grünen haben diese Forderung nicht
ersenkung für die Hotellerie gegeißelt.
in ihrem Wahlprogramm.
Kerstin Andreae (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Doch! Die baye-
Ja. rischen Grünen!)
Wir können das gerne textlich belegen. Aber Ihre Frage,
Ernst Hinsken (CDU/CSU): Herr Hinsken, ist hiermit beantwortet.
Waren Sie dabei, als entschieden wurde, diese Forde-
(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Ich rede doch
rung in Ihr Wahlprogramm aufzunehmen? Wie haben
von den bayerischen Grünen! – Alexander
Sie sich damals dazu geäußert?
Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr
(Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/ Hinsken, Sie sollten unser Programm mal le-
DIE GRÜNEN]: Das haben wir doch gar nicht sen! Das lohnt sich nämlich! Lesen bildet! –
in unserem Wahlprogramm stehen!) Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Ich gebe Ihnen nachher ein Exemplar unseres
Haben Sie damals dagegengestimmt und diese Forde-
Wahlprogramms! Dann können Sie sich ein
rung abgelehnt,
Bild machen!)
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Jetzt ha-
ben Sie sich aber geirrt, Herr Kollege! Das Der Wirtschaftsetat ist ein kleiner Etat, aber einer mit
steht nicht im Wahlprogramm der Grünen! Das großer Wirkung. Denn die Möglichkeit, zum Beispiel
war Die Linke!) über Förderprogramme im wirtschaftlichen Bereich tätig
zu sein, hat eine große Hebelwirkung zur Folge. Ein
oder haben Sie dafür gestimmt, dass diese Forderung in Wirtschaftsminister, der die Möglichkeit hat, diese He-
Ihr Wahlprogramm aufgenommen wird? Hat es nicht belwirkung zu nutzen, und dabei an die Zukunft denkt,
auch etwas mit Glaubwürdigkeit zu tun, nach der Wahl muss alles, was er im wirtschaftlichen Bereich unter-
bei dem zu bleiben, was man vor der Wahl versprochen nimmt, an diesem Ziel ausrichten.
hat, was diese Regierung im Übrigen getan hat?
Das bedeutet, dafür zu sorgen, dass sich die neuen
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Fragen, die sich angesichts des Klimawandels und der
der FDP – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: ökologischen Herausforderungen stellen, in einem wirt-
Das war jetzt kostenfreier Sachverstand, Frau schaftspolitischen Profil und im Haushalt abbilden. Man
1390 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Kerstin Andreae
(A) muss also die Förderprogramme durchforsten: Was ist Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): (C)
zukunftsgerichtet, wo geht es also um erneuerbare Ener- Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich
gien oder um Umwelttechnologien? Wo betreiben wir möchte mit einem Appell an unseren früheren Koali-
Technologieförderung insgesamt? Ich bin mit Ihnen tionspartner beginnen. Wir haben in einer für die deut-
durchaus einer Meinung, dass es richtig ist, alle Techno- sche Wirtschaft schwierigen Phase zusammengearbeitet.
logien in den Blick zu nehmen. Wir müssen die Techno-
logien allerdings auf Möglichkeiten zur Effizienzsteige- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja! Das war
rung und auf die Ausrichtung auf Umwelttechnologien vernünftig!)
überprüfen, damit wir die Zukunftsmärkte erschließen – Das war vernünftig, Herr Heil. – Wir haben Richtiges
können. und Wichtiges getan, vom Bankenrettungsschirm, der al-
Ein Wirtschaftsminister und die wirtschaftspolitische ternativlos war, über das Konjunkturprogramm bis hin
Kompetenz in diesem Hause müssen folgende Fragen zur Verlängerung des Zeitraums, für den man Kurzarbeit
beantworten: Was kommt nach dem Ölzeitalter? Wie er- anmelden kann.
reichen wir ein CO2-armes und ressourcenschonendes (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Alles unsere
Wirtschaften? Diese Fragen muss ein Wirtschaftsminis- Vorschläge!)
ter mit den ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten
beantworten, und seine Antwort muss im Haushalt in All die Dinge, die wir – gemeinsam, Herr Heil – be-
Form von Förderprogrammen und Ähnlichem deutlich schlossen haben, haben ihre Konsequenzen. Diese Kon-
werden. Das vermissen wir total. sequenzen schlagen sich in dem Haushalt, den wir heute
beraten, nieder. Ich registriere, dass Sie in der Opposi-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tionsrolle angekommen sind; aber ich bitte Sie herzlich,
Wir müssen in das investieren, was für die kommen- sich nicht aus der Verantwortung zu stehlen. Meine Da-
den Generationen wirklich wichtig ist. Wir müssen Kli- men und Herren, wir haben gemeinsam gelöscht, und
makiller abbauen, national, aber auch global. Und wir jetzt müssen wir uns – diese neue Regierung tut das –
müssen unser Handeln auf Zukunftsmärkte und auf Zu- mit den Löschwasserschäden beschäftigen.
kunftsrendite ausrichten. Ich sage Ihnen eines: Das ist (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und damit, wer
keine Veranstaltung von Bündnis 90/Die Grünen, das ist den Brand gelegt hat!)
die Herausforderung überhaupt, das muss das Thema für
unsere Volkswirtschaft sein. Die Frage ist nicht mehr: – Sie wollen doch nicht behaupten, dass den Brand die
Wie stellt sich das in 50 Jahren dar? Die Frage ist viel- letzte Regierung oder diese Regierung gelegt hat.
mehr: Wie müssen wir heute umsteuern, wie müssen wir
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein! Aber
heute die Wirtschaftspolitik neu ausrichten, wenn wir
(B) nehmen Sie die Finanzwirtschaft jetzt an die (D)
unsere Chancen nutzen wollen?
Kandare! – Gegenruf des Abg. Eduard Oswald
Für Technologien, mit denen man Energie und Roh- [CDU/CSU]: Wir müssen noch in der Asche
stoffe effizienter nutzen kann, werden sich Zukunfts- suchen!)
märkte eröffnen. Entweder man ist als Volkswirtschaft
und als Nation dabei, oder man ist es nicht. Was Sie uns Wir müssen uns jetzt mit einem Haushalt beschäfti-
immer wieder vorlegen, macht mich nicht optimistisch, gen, dessen Neuverschuldung in der Tat allen Sorgen
dass wir dabei sein werden. macht, von der aber 80 Milliarden Euro der Krise ge-
schuldet sind. Wir stehen in der Pflicht, uns damit aus-
Wir werden Sie in dieser Sache treiben; denn wir einanderzusetzen, wie es weitergehen soll. Der Bundes-
müssen die gesamte Volkswirtschaft neu aufstellen. Wir wirtschaftsminister hat Richtungsweisendes dazu gesagt.
müssen Antworten geben auf die Herausforderungen.
Dazu müssen wir aber wissen: In welche Richtung soll Wir sind uns alle darüber im Klaren, dass ein Gutteil
es gehen, wo liegt die Zukunft? des zarten Pflänzchens Wachstum, das wir registrieren
können, geborgt ist. Deshalb ist es richtig gewesen, eine
Aus unserer Sicht ist die Frage vor allem: Wie schaf- Schuldenbremse in das Grundgesetz zu integrieren. Da,
fen wir es, CO2-arm zu wirtschaften, wie schaffen wir es, Herr Heil, können Sie über die Rolle der SPD nachden-
ressourcensparend zu wirtschaften? Auch über die ken; denn es war schon zu spüren, dass viele Kollegin-
Wachstumsfrage müssen wir diskutieren. Diesen Fragen nen und Kollegen von Ihrer Seite davon nicht begeistert
müssen wir uns stellen. Dies gehört zu den Aufgaben ei- waren.
nes Wirtschaftsministers. Sie haben sich dem wieder
nicht gestellt. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Und Sie
sind nicht begeistert, wenn Sie das umsetzen
Vielen Dank. müssen!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Das wird nicht einfach; darüber brauchen wir nicht zu
sowie bei Abgeordneten der SPD) diskutieren.
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Eben!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Georg Nüßlein für Hier war einiges zu hören zu dem, was uns noch be-
die CDU/CSU-Fraktion. vorsteht. Etliches musste einen verwundern, insbeson-
dere das, was der Kollege Claus zum Thema Finanzge-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) werbe gesagt hat. Wir dürfen uns jetzt doch nicht damit
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1391
Dr. Georg Nüßlein
(A) beschäftigen, wie man die Banken nach Möglichkeit Das wissen wenige so gut wie die Mittelständler in die- (C)
knebelt und in die Mangel nimmt, wir müssen überlegen, sem Lande.
wie man ihnen den Spielraum eröffnet, in der schwieri-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
gen wirtschaftlichen Situation, die wir haben, Kredite zu
geben. Für mich als einen Vertreter des ländlichen Raumes
ist ein Aspekt, den der Wirtschaftsminister ebenfalls an-
(Zuruf von der LINKEN: Das nächste gesprochen hat, besonders wichtig: der Ausbau des
Kasino!) Breitbands. Ich stelle in aller Deutlichkeit fest, dass wir
Das wird in den nächsten Monaten die entscheidende hier nicht in dem Maß vorangekommen sind – nicht erst
in den letzten drei Monaten, sondern über viele Jahre –,
Frage sein.
wie wir es uns vorstellen.
Da treibt es mich um, wenn ich registrieren muss, (Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Leider wahr!)
dass unser durchaus intelligentes Bad-Bank-Konzept
nicht so aufgenommen wird, wie wir das erwartet haben. Wir müssen uns deshalb überlegen, wie wir gerade den
Darüber werden wir in den nächsten Monaten noch ein- ländlichen Raum vollumfänglich mit schnellem Breit-
mal diskutieren müssen. Wenn es darum geht, wie die band versorgen.
Anforderungen an das Eigenkapital angepasst werden (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
können, wird es nicht nur darauf ankommen, welche
wohlüberlegten Schritte man macht, sondern vor allem, Das kann man nicht immer nur mit Wettbewerb lösen,
zu welchem Zeitpunkt sie stattfinden sollen. Hier kommt sondern das muss auch einmal unkonventionell gesche-
es ganz entscheidend auf den Zeitpunkt an. Wir dürfen hen. Da ist die jetzt angedachte Leerrohrstrategie ein
keinen Beitrag dazu leisten, dass letztendlich eine Kre- wichtiger Aspekt. Sie setzt allerdings voraus, dass in den
ditklemme auftritt. Kommunen kräftig genug investiert wird, was wir dann
staatlicherseits finanziell flankieren können. Aber ich
Der Minister hat das Thema Forschung und Bildung bitte noch einmal, darüber nachzudenken, ob wir nicht
angesprochen. Ich halte dies für ein zentrales Thema im Rahmen eines Konzessionsmodells ganze Landkreise
auch der Wirtschaftspolitik. 12 Milliarden Euro zusätz- im Wettbewerb an Betreiber vergeben können, die ein
lich sind kein Pappenstiel; aber es ist auch nicht immer Angebot machen, woraufhin wir ihnen die Chance
alles nur eine Frage des Geldes. Zum einen geht es da- geben, über fünf Jahre hinweg das Geld, das sie in Infra-
rum, Zukunftsfelder zu identifizieren; Frau Kollegin An- struktur investiert haben, zurückzuverdienen, um danach
dreae hat vorhin unbestreitbar richtige und wichtige ge- den Wettbewerb um jeden einzelnen Kunden zuzulassen.
nannt. Darüber hinaus gibt es allerdings weitere. Die Solche Dinge müssen wir unkonventionell handhaben;
(B) verengte Perspektive der Grünen ist falsch, da es im Be- anderenfalls kommen wir an dieser Stelle nicht voran. (D)
reich der Nanotechnologie und der industriellen Biotech- Ich bin mir sicher, dass der amtierende Wirtschaftsminis-
nologie über das Thema Umweltschutz- und Klimatech- ter dazu auch bereit ist.
nologie hinaus, um nur ein paar Beispiele zu nennen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus
auch noch andere Felder gibt, mit denen wir uns be- Heil [Peine] [SPD]: Interessant!)
schäftigen wollen und sollen. Ich bestreite trotzdem
nicht, Frau Kollegin, dass Sie recht haben: Die Umwelt- Lassen Sie mich als letzten Aspekt das Thema Ener-
technologie und insbesondere die Frage der Energieef- giepolitik ansprechen. Es ist richtig und wichtig, dass
fizienz werden im Wirtschaften der Zukunft eine ent- wir ein Energiekonzept auf den Weg bringen. Es ist ein
scheidende Rolle spielen. Novum, dass wir dies nach vielen Jahren wieder zuwege
bringen. Entscheidend dabei ist, dass wir mit der Mär
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) aufräumen, die heute auch wieder vorgebracht worden
ist, Herr Kollege Claus, dass die Kernenergie die erneu-
Uns geht es aber darum, meine Damen und Herren, erbaren Energien kannibalisieren würde. Das ist falsch,
dass dies nicht staatlich gelenkt, wie es die Linken im- weil wir einen Einspeisevorrang haben. Die erneuerba-
mer predigen, sondern ergebnisoffen stattfindet. Zum ei- ren Energien sind deshalb auch ganz vorne in der Merit-
nen können wir die Zukunftsfelder nicht nur politisch Order. Tun Sie nicht so, als müsste man das eine gegen
identifizieren, und zum anderen wollen wir, dass dies auf das andere ausspielen. Wir sind auf einem guten Weg,
unternehmerische Initiative hin stattfindet; da spielt der auch im Bereich der Klimapolitik etliches voranzubrin-
Mittelstand eine besondere Rolle. gen,
Von dem, was in unserem Koalitionsvertrag steht, (Beifall des Abg. Eduard Oswald [CDU/
halte ich das Thema steuerorientierte Förderung von In- CSU])
novation und Forschung vor allem im Bereich des Mit- indem wir auf beides setzen: auf die erneuerbaren Ener-
telstands für ganz entscheidend. gien auf der einen Seite und auf die Kernenergie auf der
(Beifall der Abg. Ulrike Flach [FDP]) anderen Seite. Denn wir werden die Klimaschutzziele,
die wir uns zu Recht selbst aufgebürdet haben, nicht in
Ob man dies steuerorientiert oder mit Zulagen macht, ist wirtschaftlich vertretbarer Weise erreichen, wenn wir in
völlig egal. Aber wir haben hier eine Chance, über den dieser Republik auf die Kernenergie verzichten.
Markt zu steuern, dass das erforscht und entwickelt wird, Vielen herzlichen Dank.
was auf dem Markt wirtschaftlich zum Tragen kommen
und am Schluss unsere Wirtschaft voranbringen wird. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
1392 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Kapazitäten in der deutschen Volkswirtschaft nicht aus- (C)
Jetzt hat der Kollege Hubertus Heil das Wort für die gelastet. Die Einbrüche im Maschinenbau in Baden-
SPD-Fraktion. Württemberg im vergangenen Jahr beispielsweise wer-
den damit nicht aufgefangen.
(Beifall bei der SPD – Dr. Joachim Pfeiffer
[CDU/CSU]: Jetzt droht Unheil!) An dieser Stelle setzt unsere Kritik an. Sie haben
keine Wachstumsstrategie, um dieser Entwicklung Ein-
Hubertus Heil (Peine) (SPD): halt zu gebieten. Ihre Politik ist entweder Klientelpolitik
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und oder Klein-Klein. Sie führt jedenfalls nicht zu neuen In-
Herren! Sehr geehrter Herr Brüderle, ich kann es Ihnen vestitionen und damit nicht zu Beschäftigungssicherung
nicht ersparen: Angesichts dessen, was in der Weltwirt- und -aufbau. Das ist eines Bundeswirtschaftsministers
schaft passiert und was die Sachverständigen für dieses unwürdig, Herr Brüderle.
Jahr für unsere Volkswirtschaft prognostizieren, war das, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
was Sie vorgetragen haben, gelinde gesagt, etwas unter- DIE GRÜNEN)
komplex. Wir haben zum Beispiel nichts darüber gehört,
wie es nach dem dramatischen Einbruch der Wirtschaft Sie als FDP verwechseln offensichtlich Klientelpoli-
des letzten Jahres um minus 5 Prozent, der in Deutsch- tik mit Wirtschaftskompetenz. Hier ein bisschen was für
land dank der aktiven Politik von Peer Steinbrück und reiche Erben, da ein bisschen weniger Wettbewerb für
Olaf Scholz glücklicherweise nicht die befürchteten Fol- Apotheker, dort etwas für die Hoteliers, und dann vertre-
gen gehabt hat, in diesem Jahr weitergeht. ten Sie noch die Interessen privater Krankenversiche-
rungskonzerne. Das ist keine Wirtschaftspolitik, sondern
(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Abwrack-
Klientelpolitik.
prämie!)
– Ja, auch die Abwrackprämie. Danke für den Hinweis. Wenn Ihr neuer Generalsekretär unseren demokrati-
Diese haben wir mit der Union gemeinsam beschlossen. schen Rechtsstaat einen Schwächling nennt, dann kann
Das hat in meiner Heimatregion und in vielen Regionen ich Ihnen nur eines ins Stammbuch schreiben: Sie sollten
Deutschlands einen Zusammenbruch der deutschen Au- sich einmal mit der verfassungsmäßigen Ordnung dieses
tomobilwirtschaft verhindert. Darauf sind CDU/CSU Landes beschäftigen. Den sozialen und demokrati-
und SPD sicherlich gemeinsam stolz. Das muss man schen Rechtsstaat zu diffamieren und ihn gleichzeitig
aber der FDP noch erklären. Herzlichen Glückwunsch zur Beute von Interessengruppen zu machen, wie es
zum neuen Koalitionspartner! durch Ihre Klientelpolitik geschieht, ist nicht in Ord-
nung. Das werden Sie sich vorhalten lassen müssen.
(B) (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Der (D)
koreanischen!) (Beifall bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/
CSU]: Vier Finger weisen auf Sie selber zu-
– Sie haben offensichtlich keine Ahnung, Herr Lindner. rück!)
Das zeigt sich auch in der Berliner FDP. Sie sollten sich
mehr mit der Automobilwirtschaft in Deutschland befas- Das hat aber auch etwas mit dem Umgang mit der öf-
sen, zum Beispiel mit Volkswagen. Das ist kein Automo- fentlichen Hand zu tun. Wir haben Konjunkturpro-
bilkonzern aus Korea; es ist ein deutscher Konzern. Es gramme aufgelegt, um auch kommunale Investitionen
war richtig, eine Brücke zu bauen, um einen Absturz in auszulösen. Für die Jahre 2009 und 2010 ist das der Fall.
diesem Bereich zu verhindern. Deshalb ist die Entwicklung besser als befürchtet. Der
Arbeitsmarkt ist robuster als erwartet. Was aber wird im
(Beifall bei der SPD) Jahr 2011, wenn die Konjunkturprogramme auch für die
Gleichzeitig stellt sich die Frage, Herr Brüderle, was Kommunen auslaufen, aber gleichzeitig Ihre Steuersen-
wir im laufenden Jahr machen. Letztes Jahr sind durch kungspolitik und die Steuermindereinnahmen aufgrund
die Maßnahmen der alten Bundesregierung, der Großen der Weltwirtschaftskrise Löcher in die kommunalen
Koalition, durch die Konjunkturprogramme und durch Haushalte reißen und damit die Investitionsmöglichkei-
die Kurzarbeitsregelungen die Einbrüche in der Export- ten der Kommunen mindern? Es gibt keine Antwort auf
wirtschaft teilweise von der Binnennachfrage stabilisiert diese Frage.
worden.
Reden Sie doch einmal mit Ihren Bürgermeistern und
Die Binnennachfrage und die Kaufkraft in Landräten! Die CDU/CSU stellt schließlich eine ganze
Deutschland sind im letzten Jahr allen Prognosen zum Reihe davon.
Trotz erstaunlich stabil geblieben. Leider können wir im
laufenden Jahr nicht damit rechnen, dass das so weiter- (Widerspruch bei der FDP)
geht. Wie wir alle wissen, wird die Arbeitslosigkeit zu- Reden Sie mit ihnen über die Lage der Kommunen und
nehmen. Das wird auch zu einem Rückgang der Kauf- über die Tatsache, dass öffentliche Investitionen in Infra-
kraft führen. Der Exportmotor springt aber nicht in dem struktur, Bildung und Kinderbetreuung aufgrund der fal-
Maße an, wie es notwendig wäre, um die Kapazitäten schen Politik dieser Bundesregierung zurückgehen wer-
auszulasten. Im Jahreswirtschaftsbericht, der nächste den.
Woche vorgelegt wird, wird ein Wirtschaftswachstum
von 1,5 Prozent prognostiziert. Das klingt zwar gran- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
dios, Herr Nüßlein, aber damit werden die bestehenden DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1393
Hubertus Heil (Peine)
(A) Herr Brüderle, Sie haben, wie der Kollege Duin aus- wir unkonventionell und gezielt geantwortet. Wir hatten (C)
geführt hat, bisher in Ihrer Amtszeit außer einem symbo- Glück, dass die meisten Staaten und Zentralbanken auf
lischen Entflechtungsgesetz, das in der Praxis keine der Welt im Gegensatz zu 1929/30 nicht restriktiv rea-
Wirkung entfalten wird, nicht viel zustande gebracht. giert, sondern auch Konjunkturprogramme aufgelegt
Das Gesetz ist ein Placebo. Ich muss darauf hinweisen, haben. Das ist in einer vernetzten Weltwirtschaft das
dass eine ähnliche Regelung in der amerikanischen Kar- A und O. Wenn Sie, Herr Brüderle, schon jetzt über eine
tellrechtspraxis keine zentrale Rolle gespielt hat. Wir Exit-Strategie reden, dann ist es umso notwendiger,
werden uns das anschauen. Aber das wird Sie nicht da- dass Sie sich in Europa koordinieren. Dass Sie den Vor-
von befreien, Vorschläge für eine Wachstumsstrategie schlag des neuen EU-Ratspräsident Zapatero zur Koor-
zu machen. Wie wollen Sie private und öffentliche In- dinierung in Bausch und Bogen ablehnen und einfach
vestitionen in Deutschland auslösen? Das ist die ent- vom Tisch wischen, zeigt, wie begrenzt Ihr wirtschafts-
scheidende Frage. Was tun Sie konkret für kleine und politischer Horizont ist. Man darf nicht mehr an nationa-
mittlere Unternehmen? Von Herrn Pfeiffer von der len Grenzen haltmachen. Wir brauchen eine europäische
CDU/CSU habe ich vorhin gehört, dass Sie steuerliche Diskussion.
Forschungsförderung zugunsten von Unternehmen be-
treiben wollen, Stichwort „tax credits“. Das ist keine (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
schlechte Idee. Dagegen sind wir nicht. Aber ich rate Ih- DIE GRÜNEN)
nen, ein Konzept vorzulegen, das gezielt kleinen und
mittleren Unternehmen das ermöglicht und nicht Mit- Ja, es muss an der richtigen Stelle über eine Exit-Strate-
nahmeeffekte zugunsten der Großindustrie hervorruft. gie gesprochen werden. Aber es geht um das Timing, das
Das ist der Unterschied: Sie haben nur heiße Luft und Wann und Wie, und um Koordinierung. Einfach zu be-
kein Konzept. schließen, dass die Krise ab 1. Januar 2011 vorbei ist und
dass man dann alles zurückfahren kann, hat mit den wirt-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten schaftlichen Realitäten und Entwicklungen nichts zu tun.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Brüderle, dazu haben wir von Ihnen bisher wenig
Wie wäre es, angesichts der Unterauslastung im Ma- gehört.
schinenbau dafür zu sorgen, dass andere Bereiche des
Wirtschaftspolitik in diesem Land ist mit der Steuer-
produzierenden Gewerbes ihren Maschinenpark in
und Finanzpolitik, aber auch stark mit der Arbeitsmarkt-
Deutschland ökologisch erneuern, dass sie sich moderne
und der Bildungspolitik verbunden. Wenn es gelingt, die
deutsche Maschinen kaufen, weil die Exportnachfrage
Grundlagen dieses Landes wieder zu stärken, die uns auf
nicht ausreicht? Wie wäre es beispielsweise mit Investi-
dieser Welt erfolgreich gemacht haben, nämlich Investi-
tionsanreizen in diesem Bereich? Wir könnten im Be-
(B) tionen in Bildung und Forschung zu tätigen und im wis- (D)
reich des Maschinenparks Instrumente wie eine degres-
senschaftlichen Bereich dafür zu sorgen, dass die besten
sive AfA oder eine Art Investitionsprämie einsetzen.
Das sind intelligente Instrumente, um Beschäftigung in Produkte und Verfahren in diesem Land nicht nur er-
Deutschland zu sichern. Aber aus dem Hause Brüderle dacht, sondern auch produziert und angewendet werden
kommt nichts. Das ist eines Bundeswirtschaftsministers können, wenn wir die Infrastruktur in diesem Land er-
unwürdig. neuern und wenn wir in dieser Gesellschaft soziale Ba-
lance halten, haben wir Chancen, unseren Wohlstand zu
Auch im Bereich der Dienstleistungspolitik gibt es halten. Aber dazu bedarf es einer aktiven Politik. Das
keine Ideen von Ihrer Seite, obwohl wir in diesem Land heißt nicht, dass sich der Staat zurückhalten darf. Der
riesige Potenziale an modernen Dienstleistungen für Staat kann sicherlich nicht alles machen. Wir sind keine
Menschen von Menschen haben. In der Gesundheits- Etatisten. Wir sind für den Marktmechanismus. Aber der
wirtschaft und im Pflegebereich, der angesichts einer äl- Markt braucht einen klaren Ordnungsrahmen und eine
ter werdenden Gesellschaft immer wichtiger wird, haben aktive Politik, die Impulse setzt. Das haben viele in der
Sie keinen Ansatz. Im Bereich der ökologischen Indus- FDP nicht begriffen. Die Bedrohung für die offene Ge-
triepolitik, eines der wichtigsten Märkte von morgen, auf sellschaft und eine erfolgreiche Marktwirtschaft geht im
denen wir nur mit den besten Produkten und Dienstleis- Moment nicht vom Sozialstaat in Deutschland aus, son-
tungen und nicht mit den niedrigsten Löhnen erfolgreich dern eher von Entwicklungen in staatskapitalistischen
sein werden, gibt es keine Initiativen und keine Ideen, Ländern in anderen Regionen dieser Welt, mit denen wir
sondern nur ein paar Broschüren. Für den Bereich der in Konkurrenz stehen. Amerika wird nicht mehr wie vor
Kreativwirtschaft haben Sie jetzt einen Arbeitskreis ge- der Krise das Zentrum sein. Es kommen neue, aufstre-
gründet. Herzlichen Glückwunsch! Aber keine Vor- bende Staaten hinzu, mit denen wir konkurrieren. Wenn
schläge, keine Konzepte! Das ist Politik à la Brüderle: Deutschland ein demokratischer und sozialer Rechtsstaat
unterkomplex, unzulänglich und des größten Industrie- bleiben soll, brauchen wir eine aktive Wirtschaftspolitik
standortes in Europa nicht würdig. Das werden wir deut- und nicht nur alte Parolen aus FDP-Programmen.
lich machen.
Herr Brüderle, Max Weber, der große Nationalöko-
(Beifall bei der SPD)
nom und vor allen Dingen, wenn man so will, Erfinder
CDU/CSU und SPD haben gemeinsam in den schwie- der Politikwissenschaften, hat einmal einen Maßstab
rigen Zeiten einer Weltwirtschaftskrise richtig reagiert. für gute Politik definiert. Er hat gesagt, Politik brauche
Zu einer Zeit, als Herr Brüderle als Oppositionspolitiker drei gute Eigenschaften: Verantwortung, Leidenschaft
Konjunkturpolitik reif für die Mottenkiste hielt, haben und Augenmaß. Die unverantwortliche Klientelpolitik
1394 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Hubertus Heil (Peine)


(A) der FDP – bei Ihnen läuft im Moment wirklich alles wie rer gesamten Wirtschaftstätigkeit haben. Aber können (C)
geschmiert – wir denn zufrieden sein, etwa mit der Handlungsfähig-
keit des Staates im Bildungssektor? Brauchen wir da
(Zuruf von der CDU/CSU: Oppositions-
nicht noch sehr viel mehr Handlungsfähigkeit des Staa-
gerede!)
tes?
zugunsten weniger und zulasten vieler zeigt, wie verant-
Sie unterliegen einem Irrtum. Das Gegenteil des teu-
wortungslos Sie mit der Wirtschaftspolitik in diesem
ren Schwächlings ist, anders, als Sie es uns unterstellen,
Lande umgehen.
nicht der Minimalstaat. Das Gegenteil des teuren
(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Euer Pro- Schwächlings ist der effiziente, handlungsfähige und
blem ist, dass Ihr gar keine Klientel mehr starke Staat. Er ist stark als Regulierer und Garant so-
habt!) zialer Chancen, aber er ist kein unfairer Mitspieler in
Markt und Gesellschaft.
– Ich weiß gar nicht, wie Sie heißen, Herr Schreihals.
(Beifall bei der FDP)
(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Lindner!)
Wer so dreist Klientelpolitik macht wie Sie, beschädigt Sie selbst, Herr Heil, haben, als Lord Dahrendorf ver-
leider nicht nur die FDP, sondern das Ansehen demokra- storben ist, einen großen Nachruf veröffentlicht.
tischer Institutionen dieses Land. Herr Lindner, Sie sind (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja!)
hier in Berlin schon als Intrigant verschrien. Sie sollten
sich schämen! Deshalb will ich Ihnen auch mit Dahrendorf antworten.
In seiner großen Schrift „Die Chancen der Krise“ von
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ 1983 hat Dahrendorf gefragt: Was, wenn sich der wohl-
DIE GRÜNEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] wollende Staat irgendwann als teurer Versager heraus-
[FDP]: Ihr schrumpft trotzdem!) stellt? – Im gleichen Buch hat Dahrendorf, auf den Sie
Leidenschaft habe ich bei der Rede von Herrn Brü- sich gern berufen, das Ende des sozialdemokratischen
derle eben auch nicht gespürt; ich weiß nicht, wie es Ih- Jahrhunderts prognostiziert.
nen geht. Aber man braucht auch eine leidenschaftliche (Zuruf von der SPD: Aber unrecht gehabt!)
Überzeugung für eine neue Ordnungspolitik. Damit ha-
ben Sie nicht viel am Hut. Außerdem kann ich beim Offensichtlich hatte er mit beiden Prognosen recht.
Handeln dieser Regierung in der Haushaltspolitik auch (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
kein Augenmaß erkennen. Herr Brüderle, wir hatten in der CDU/CSU)
diesem Land große Wirtschaftsminister, zum Beispiel
(B) (D)
Ludwig Erhard, Karl Schiller und – auch wenn wir nicht
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
immer einer Meinung waren – Otto Graf Lambsdorff.
Herr Heil bitte zur Antwort.
(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Den Ludwig
Erhard habt ihr immer gut unterstützt!) Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Es ist ein Trauerspiel, dass Sie als Nachfolger dieser gro- Ich freue mich, dass ich zumindest auf einen ange-
ßen Männer keine Wirtschaftspolitik zustande bringen, strengt intelligenten Lindner antworten darf und nicht
die auf der Höhe der Zeit ist. Deswegen werden Sie eine auf den anderen antworten muss. Wenn wir das umkeh-
harte Opposition erfahren, und die brauchen Sie auch. ren, heißt das also, dass Sie keinen teuren Schwächling,
sondern einen billigen Autoritären wollen. In dieser Dis-
Herzlichen Dank.
kussion wird deutlich, dass Sie uns unterstellen, es ginge
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ uns nicht darum, den Staat effektiv zu machen. Das ist
DIE GRÜNEN – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: eine Banalität. Es ist die Aufgabe der Politik, dafür zu
Ein würdiger Nachfolger!) sorgen, dass der Staat den Menschen nicht vor der Nase
sitzt, sondern an ihrer Seite ist. Das ist unsere Aufgabe.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Aber mit einer pauschalen Diffamierung unseres de-
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Christian mokratischen und sozialen Rechtsstaats in dieser Zeit
Lindner das Wort.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das macht er
doch gar nicht!)
Christian Lindner (FDP):
Herr Kollege Heil, Ihre heutigen Einlassungen hätten werden Sie Ihrer Aufgabe nicht gerecht. Wie war das
an vielen Stellen eines Kommentars bedurft. Ich will denn im letzten und vorletzten Jahr, als ungezügelte Fi-
aber, weil Sie mich persönlich angesprochen haben, nur nanzmärkte unseren Wohlstand und unsere Arbeitsplätze
auf einen Aspekt eingehen. Einige Vertreter der Sozial- gefährdet haben? Es war der von Ihnen als teurer
demokratie sind erzürnt über meinen Ausdruck des teu- Schwächling bezeichnete Staat, der intervenieren
ren Schwächlings. musste, erfolgreich interveniert hat und so die Menschen
geschützt hat. Sie unterliegen einem Irrtum. Sie sind
(Dr. Barbara Hendricks [SPD]: Zu Recht!)
heute keine Liberalen mehr, sondern in Ihrer Wirt-
Niemand kann doch bestreiten, dass wir gegenwärtig schafts- und Finanzpolitik Nachfolger der Neokonserva-
einen immens hohen Anteil von Staatsausgaben an unse- tiven. Sie haben nicht begriffen, was große liberale Den-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1395
Hubertus Heil (Peine)
(A) ker als positive und negative Freiheit beschrieben Sie gar nicht, was dort geleistet wird. Forschung und (C)
haben. Entwicklung bzw. Innovationen im Mittelstand, Stich-
wort ZIM: Frau Andreae, wir fördern die Energiefor-
Ja, es ist richtig: Es muss eine Freiheit des Bürgers,
schung mit einem großen Einzeltitel. Zur Förderung der
der Menschen, auch der Unternehmer vor staatlicher Un-
Energieeffizienz gibt es einen weiteren Einzeltitel.
terdrückung, vor Willkür und vor Bürokratie geben. Es
Schauen Sie einmal nach! Für die Informations- und
gibt eine negative Freiheit des Menschen vor dem Staat.
Kommunikationstechnologien gibt es ein Extrapro-
Dafür zu sorgen, ist eine Aufgabe, die wir gemeinsam zu
gramm. Die innovativen Arbeiten der Luft- und Raum-
erfüllen haben. Ich denke dabei gerade an das, worüber
fahrt und der maritimen Wirtschaft werden ebenso unter-
im Bereich der inneren Sicherheit diskutiert wird. Aber
stützt.
es gibt auch eine positive Freiheit: die sozialen Voraus-
setzungen, um Freiheit leben zu können – der Staat muss Ich möchte auf das ZIM – Zentrales Innovationspro-
diese Voraussetzungen schaffen –, und die öffentlichen gramm Mittelstand – zu sprechen kommen; denn es ist
Güter, die wir gewähren müssen, damit Menschen ein entscheidender Punkt im Haushalt des Bundeswirt-
selbstbestimmt leben können. Das ist unsere Vorstellung schaftsministeriums. Dieses Programm ist ein riesiger
von vorsorgender Sozialstaatlichkeit. Erfolg: 2009 sind allein 8 400 Anträge auf Teilnahme an
diesem Programm eingegangen und bearbeitet worden.
Was Sie in der Praxis tun, ist, den Staat handlungsun-
fähig zu machen, ihn krankenhausreif zu reden, um sich Ich komme zur Hebelwirkung; Frau Andreae, Sie ha-
hinterher als Sanitäter anzubieten. Das ist nichts anderes ben sie angesprochen. Nachdem ein Antrag eines Unter-
als das, was Ronald Reagan Anfang der 1980er-Jahre nehmens positiv beschieden worden ist, müssen 70 bis
gemacht hat: Steuersenkungen für Reiche, hinterher 75 Prozent Eigenmittel beigesteuert werden; es stammt
keine erfolgreiche Konsolidierung und damit den Sozial- also nur ein Viertel der Mittel aus der staatlichen Förde-
staat rasieren. Das ist Ihr Konzept, das ist Ihre Ideologie. rung, während drei Viertel der Mittel privat aufgewendet
Das hat mit sozialem Liberalismus à la Dahrendorf über- werden. Daran können Sie ermessen, was für eine ge-
haupt nichts mehr zu tun, Herr Lindner. Sie sollten sich waltige Hebelwirkung von diesem Programm ausgeht,
nicht in diese Tradition stellen. um Forschung und Technologie voranzubringen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Nachdem die Programme für den gesamten deutschen
DIE GRÜNEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] Mittelstand geöffnet worden sind, sind mittlerweile rund
[FDP]: Also, einen intelligenten Heil gibt es 100 000 Unternehmen in der Lage, Anträge auf Teil-
jedenfalls nicht bei der SPD!) nahme an diesem Programm zu stellen. Die Aufstockung
der Mittel für das ZIM innerhalb des Konjunktur-
(B) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: paketes II war eigentlich nur die logische Konsequenz. (D)
Andreas Lämmel hat jetzt das Wort für die CDU/ Wir müssen uns allerdings Gedanken machen, wie die
CSU-Fraktion. Ausstattung des ZIM nach 2011 weitergehen soll.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kaum einer hat den Gedanken formuliert, dass die
Existenzgründer im innovativen Bereich die Grundlage
des Wirtschaftswachstums von morgen schaffen. Auch
Andreas G. Lämmel (CDU/CSU):
wenn sich die Gründungsszene wegen des wirtschaftli-
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und chen Umfeldes im Moment ziemlich schwertut, müssen
Herren! In meiner Naivität habe ich gedacht, dass wir in uns die Existenzgründer sehr wichtig sein.
dieser Debatte über den Wirtschaftshaushalt diskutieren.
Aber ich hatte nicht den Eindruck, dass der Großteil der Noch ein Wort zur steuerlichen FuE-Förderung. Wir
Redner auch nur einen Blick in diesen Haushalt gewor- möchten diese Förderung sehr gern; aber wir wollen kei-
fen hat; vielmehr hat er sich im Wesentlichen eigentlich nen Ersatz für die Projektförderung. Das muss eine
mit Phrasen begnügt. selbstständige Säule sein; ob in Form einer Zulage oder
in Form einer Gutschrift, mag dahingestellt sein.
Frau Andreae, Sie haben mit leichten Worten aller-
hand gefordert, was das Wirtschaftsministerium leisten Die Luft- und Raumfahrttechnik ist ein ganz wich-
soll. Wenn Sie einmal einen Blick in den Haushalt des tiger Innovator in Deutschland. Das, was in den For-
Bundesministeriums für Wirtschaft geworfen hätten, schungsprogrammen der Luft- und Raumfahrt entwi-
dann hätten Sie festgestellt, dass genau das realisiert ckelt wird, spielt auch im zivilen Leben eine große
wird: Rolle. Wir erwarten natürlich von der Luftfahrtindustrie,
dass es mit den Produkten, welche mit deutschem
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)
Steuergeld entwickelt werden, hier in Deutschland auch
Das zur Verfügung stehende staatliche Geld wird dahin zu einer Wertschöpfung kommt.
gelenkt, wo es den größten Effekt erzielt, nämlich in die
(Beifall bei der CDU/CSU)
Investitionsförderung, in die Forschungsförderung und
in die Außenwirtschaftsförderung. Das sind die Aufga- Wir wollen keine Entwicklung in Deutschland fördern,
ben, die der deutsche Staat hat, um die Wirtschaft zu un- die dann zu einer Produktion in China, Amerika oder
terstützen, damit sie aus der Krise gestärkt hervorgeht. Russland führt.
Ich komme zum Thema Forschungsförderung. Kei- Ein anderes großes Thema ist die Außenwirtschafts-
ner ist darauf richtig eingegangen. Offensichtlich wissen förderung. Ich möchte noch einmal die Zahlen nennen:
1396 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Andreas G. Lämmel
(A) In Deutschland leben ungefähr 2 Prozent der Weltbevöl- die Krise überwindet und das Wirtschaftswachstum in (C)
kerung, aber unser Anteil am gesamten Welthandel be- den nächsten Jahren vorankommt.
trägt 10 Prozent, bei den Green Technologies beträgt er
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
sogar 16 Prozent. Daran kann man ermessen, welche
Rolle der Außenhandel, der Export für die deutsche (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Wirtschaft spielt. Deutschland ist Exportvizeweltmeis- neten der FDP)
ter. Wir hoffen, dass wir wieder Weltmeister werden.
Aber es spielt letztlich keine Rolle, ob wir nun Erster Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
oder Zweiter sind. Wir hoffen, dass die im Haushalt ver- Das Wort hat Michael Schlecht für die Fraktion Die
anschlagten Mittel für die Außenwirtschaftsförderung Linke.
ausreichen, dass die German Trade and Invest GmbH auf
die Beine kommt und nicht nur ihren Personalkörper (Beifall bei der LINKEN)
aufbaut.
Michael Schlecht (DIE LINKE):
Ein weiteres Thema ist die Regionalförderung, die
ebenfalls von niemandem erwähnt wurde. Es geht um Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Die Regierung und auch Herr Brüderle haben zentrale
die Investitionsförderung, GRW, GA, je nachdem, wel-
Ziele für die Wirtschaftspolitik formuliert. Eines besteht
chen Begriff man wählt. 674 Millionen Euro sind dafür
darin, darauf zu hoffen, dass bis zum Jahr 2011 die Wirt-
im Haushalt veranschlagt. Hier setzt eine große Hebel-
schaft wieder läuft und man in eine Exit-Strategie ein-
wirkung ein, denn die 674 Millionen Euro sind nur die
steigen kann. Vor allen Dingen trägt die Regierung das
Mittel des Bundes. Dazu kommen Mittel in gleicher
Mantra vor sich her: Wir wollen stärker aus dieser Krise
Höhe von den Ländern, also noch einmal 674 Millionen
wieder herauskommen.
Euro, dass heißt, insgesamt 1,3 Milliarden Euro an In-
vestitionsfördermitteln. Das aber sind meist nur 20 Pro- Die spannende Frage ist natürlich, was das eigentlich
zent einer Investition. 80 oder 70 Prozent, je nachdem, in heißt: „stärker wieder herauskommen“. Stärker werden
welchem Fördergebiet investiert wird, bringt die Wirt- heißt bei der Regierung nicht, dass, wie wir wollen,
schaft selber auf. Sie können also selbst rechnen, dass zu 30 Milliarden Euro mehr für Universitäten, Schulen
den 1,3 Milliarden Euro noch Milliarden Euro an weite- und Kinderbetreuung ausgegeben werden. Stärker
ren Mitteln hinzukommen. Genau dieses Investitionsvo- werden heißt auch nicht, deutlich mehr für soziale
lumen brauchen wir in Deutschland zur Sicherung von Dienste sowie für Kranke und alte Menschen in diesem
Arbeitsplätzen und zum Aufbau neuer Arbeitsplätze. Lande auszugeben und damit wirklich deutliche Verbes-
Trotzdem muss man feststellen: Die Mittel für die Inves- serungen in diesem Bereich zu erzielen. Stärker werden
(B)
titionsförderung im Haushalt des BMWi sind niedriger heißt auch nicht, wirklich massiv – wir denken, mindes- (D)
als die für die Steinkohlesubventionierung. Man muss tens 50 Milliarden Euro sind dafür angezeigt – in die
also immer im Blick haben, dass die Kosten der Stein- marode deutsche Infrastruktur zu investieren und vor
kohle nach wie vor enorm sind. allen Dingen die Industrieproduktion nachhaltig umzu-
bauen hin zu binnenländisch verwendbaren Produkten,
Dass die Investitionsförderung in Deutschland funk- ökologischen Technologien und dergleichen mehr. Wir
tioniert, zeigt sich daran, dass selbst die Mittel für die brauchen vor allen Dingen die Stärkung der Binnen-
Sonderprogramme 2009 abgearbeitet sind und die Gel- nachfrage; denn selbst dann, wenn man die wunder-
der in Deutschland investiert wurden. Gemäß den barsten ökologischen Produkte entwickelt, wird die
Prognosen für 2010 und 2011 wird der Bedarf an Inves- Nachfrage nicht automatisch kommen. Vielmehr muss
titionsfördermitteln eher ansteigen. Es ist ein sehr positi- hier der Staat handeln. Stärker werden heißt vor allen
ves Zeichen, dass die deutsche Industrie in der Krise in- Dingen auch, mehr in die Berliner S-Bahn und ICEs zu
vestiert. Das sind für die nächsten Jahre gute investieren, damit diese wieder ordentlich fahren kön-
Nachrichten. nen. All das würde dazu beitragen, dass man wirklich
wieder stärker wird.
Wir werden uns über die Förderkulisse dieses Jahr
noch einmal unterhalten. Wir wollen, dass die C-Förder- (Beifall bei der LINKEN)
gebiete erhalten bleiben, damit die strukturschwachen Die Linke will ein Zukunftsprogramm, mit dem die
Gebiete in Gesamtdeutschland von der Regionalförde- Binnennachfrage wirklich nachhaltig gestärkt wird. So
rung profitieren können. könnte eine Umsteuerung erfolgen. Wir wollen, dass auf
diese Weise 2 Millionen neue Jobs geschaffen werden –
Zusammenfassend kann ich sagen: Hätten Sie sich
die Arbeit von morgen. Finanzierbar wäre das Ganze
den Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums einmal
zum Beispiel durch Einführung einer Millionärssteuer.
intensiver angeschaut, dann wären Sie von den Opposi-
tionsfraktionen nicht zu der Schlussfolgerung gekom- Stärker werden darf nicht heißen, dass man immer
men, dass das Wirtschaftsministerium nicht in der Lage mehr darauf setzt, dass die Exporte ansteigen. Die deut-
sei, die Wirtschaftspolitik in Deutschland zu gestalten, sche Wirtschaft hat seit 2002 einen Exportüberschuss
sondern Sie wären zu dem Schluss gekommen, dass die- von kumuliert fast 1 Billion Euro erzielt. Die Regierung
ser Haushalt im Bereich der Investitionen und der Unter- ist darauf auch noch stolz. Der Haken an der Sache ist
stützung für Forschung und Technologie hervorragende nur, dass dies nur funktioniert, wenn sich immer mehr
Voraussetzungen bietet, damit die deutsche Wirtschaft andere Länder entsprechend weiter verschulden. Es gab
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1397
Michael Schlecht
(A) ein Land, das den Exportjunkies Deutschland, Japan und Dr. Michael Luther (CDU/CSU): (C)
China die Exportüberschüsse abgekauft hat. Das waren Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
die USA. Möglich wurde dies durch eine dramatisch ge- Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Her-
stiegene Verschuldung. Insofern – das muss man einmal ren! Sehr geehrter Herr Brüderle! Ich bin sozusagen der
deutlich sagen – gehören die Verschuldung der USA letzte Redner in dieser Debatte,
und die deutsche Wirtschaftspolitik fast so zusammen
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Wieso
wie die FDP und Mövenpick.
„sozusagen“?)
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Martin Lindner kurz bevor der Haushalt – und es geht ja um das Haus-
[Berlin] [FDP]: Ha! Ha! Ha! Ein guter Witz!)
haltsgesetz – dem Haushaltsausschuss durch Überwei-
Das durch die Agenda 2010 hervorgerufene Lohn- sung überantwortet wird. Ich habe sehr aufmerksam die
dumping hat die Bevölkerung enteignet und deutschen letzten anderthalb Stunden der Debatte verfolgt
Unternehmern massive Wettbewerbsvorteile im Ausland (Zuruf der SPD: Wir auch!)
beschert. Die Exporte wuchsen immer stärker an.
Gleichzeitig wurde die Binnennachfrage immer mehr und habe mir dabei meine eigenen Gedanken gemacht.
beschnitten. So entstand ein gigantischer Exportüber- Ich glaube, das Parlament hat seine Rolle genau wahrge-
schuss. Im Finanzdesaster der USA ist dieses System nommen. Die Regierung, Herr Brüderle, und die Redner
kollabiert. Der Ausbruch der Verschuldungskrise in den der Union haben versucht, deutlich zu machen, worauf
USA ist in bestimmter Weise auch ein von der deutschen es in der Wirtschaftspolitik in den nächsten Wochen und
Wirtschaftspolitik hervorgerufenes Desaster. Wer aber Monaten ankommt.
nach wie vor glaubt, die Binnennachfrage nicht stärken (Lisa Paus [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
zu müssen, und darauf hofft, 2011 mit einer Exit-Strate- Versucht! Es ist leider nicht gelungen!)
gie eine Wende einleiten zu können, ist ein wirtschafts-
politischer Geisterfahrer, der eine große Gefahr für die Auch die Opposition hat ihre Rolle gespielt. Sie hat all
weitere wirtschaftliche Entwicklung darstellt. das benannt, was nicht geht. Am meisten verwundert
mich natürlich die SPD: Nach elf Jahren in der Regie-
Im Rahmen der G 20 wurde in Pittsburgh zuletzt ver- rungsverantwortung hat sie – schwupps – den Schalter
einbart, dass Länder mit einem nachhaltigen und deutli- umgelegt und sagt heute genau das Gegenteil von dem,
chen Exportüberschuss ihre Strategie ändern und für was sie im letzten Jahr erzählt hat.
mehr Binnennachfrage sorgen sollen. Davon ist hier in
Deutschland überhaupt nichts zu spüren. Diese auf dem (Zuruf von der LINKEN: Das ist wie bei
G-20-Treffen eingegangene Verpflichtung wird in der FDP!)
(B) Deutschland überhaupt nicht umgesetzt, findet über- (D)
Das war für mich schon spannend.
haupt keinen Niederschlag im Regierungshandeln.
(Zuruf von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Da
Neben einem massiven Investitionsprogramm in haben Sie offenbar nicht richtig zugehört!)
Höhe von 100 Milliarden Euro – ich sagte das schon –
benötigen wir vor allen Dingen eine deutliche Stärkung Gleichwohl glaube ich, dass wir uns in diesem Hause
der Löhne, um die Binnennachfrage zu stärken. über eine Wahrheit einig sein sollten, nämlich dass der
Wirtschaftsminister mit seinem Haushalt eine zentrale
(Beifall bei der LINKEN) Verantwortung für die Wirtschaft in Deutschland trägt.
Die Einkommen der Beschäftigten müssen steigen. Vor Denn die Wahrheit heißt: Wenn die Wirtschaft floriert,
allen Dingen müssen auch die Einkommen der Beschäf- dann geht es Deutschland gut; dann gibt es genügend Ar-
tigten im öffentlichen Dienst steigen. Insofern ist es ei- beitsplätze und gute Löhne; dann fließen Steuern und
gentlich unverantwortlich, wenn ein Wirtschaftsminister Sozialabgaben.
dazu aufruft, bei Lohnforderungen ganz kurz zu treten. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und Milch und
Genau das erleben wir ja jetzt bei der aktuellen Tarif- Honig!)
runde des öffentlichen Dienstes. Ich hoffe, dass meine
Kolleginnen und Kollegen im öffentlichen Dienst mit Damit können wir dann unseren Sozialstaat finanzieren.
Entschiedenheit durch Gegenmaßnahmen, auch durch (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Streiks, nicht nur ihre eigenen Interessen vertreten, son-
dern Sie damit auch zu einem Kurs der wirtschaftspoliti- Ich denke, dass – und davon ist die Debatte auch nicht
schen Vernunft zwingen. Das würde unser Land voran- unbeeindruckt geblieben – die Finanz- und Wirt-
bringen. schaftskrise, die wir 2008/2009 auch in Deutschland er-
leben mussten, bislang gut „gehändelt“ worden ist. Wir
Danke schön. haben durch die Konjunkturpakete richtige Schwer-
punkte gesetzt, um letztendlich Schlimmeres zu verhin-
(Beifall bei der LINKEN)
dern. Das ist uns, glaube ich, auch gelungen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Jetzt aber, zu Beginn des Jahres 2010, stellen wir fest,
Michael Luther hat jetzt das Wort für die CDU/CSU- dass unsere Wirtschaft wieder wächst, zwar nicht so
Fraktion. sehr, wie wir uns das wünschen würden, aber immerhin.
Die Aufschwungkräfte sind aber noch zu gering. Wir
(Beifall bei der CDU/CSU) müssen aus fiskalischer und wirtschaftspolitischer Sicht
1398 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Dr. Michael Luther


(A) noch manches tun, um sie zu stärken und voranzubrin- eine Basis für unseren Mittelstand. Er braucht diese För- (C)
gen. Ich denke, die Große Koalition – ich meine: die Ko- derung, gerade um FuE-Projekte voranzubringen. Dafür
alition, ohne groß – ist dieses Programm genau die richtige Maßnahme. Als
jemand, der aus den neuen Bundesländern kommt, will
(Lachen bei der SPD – Dr. Martin Lindner
ich betonen: Es ist sinnvoll, Programme, die sich in den
[Berlin] [FDP]: Die ist doch groß!)
neuen Bundesländern als erfolgreich erwiesen haben,
– die Koalition ist groß; in Ordnung – erfüllt genau diese auf Gesamtdeutschland zu übertragen. Das passiert an
Aufgabe. dieser Stelle. Dem Minister danke ich herzlich für das
Signal, das er mit Aufstellen dieses Haushalts gegeben
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ich kann verste-
hat.
hen, dass Sie Sehnsucht nach uns haben – bei
der FDP!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wir haben mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz Ich möchte noch etwas zu dem Thema Gemein-
begonnen. Es ist ein wichtiges Signal, schaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirt-
(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schaftsstruktur“ sagen. Dafür sind 670 Millionen Euro
NEN]: Nein!) vorgesehen. Diese Förderung, die hauptsächlich für die
neuen Bundesländer vorgesehen ist, ist nach wie vor
dass Entlastungen vorgenommen und Wachstumshemm- sehr wichtig. Unabhängig von den Maßnahmen gegen
nisse abgebaut werden. die Wirtschaftskrise – auch in den neuen Bundesländern
(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: muss diese Krise natürlich überwunden werden – ist es
Bürokratieaufbau und Schulden machen!) allerdings so, dass hier noch mehr gemacht werden
muss. Wenn ich mir den Zeitraum von 1990 bis heute
Wir müssen auch in schwierigen haushaltspolitischen ansehe, dann muss ich sagen: Nach dem Konkurs der
Zeiten genau diesen Weg weitergehen. Ansonsten wer- DDR, als die Wirtschaft am Boden lag, haben wir in den
den wir das Konjunkturpflänzchen, das langsam wieder letzten 20 Jahren viel, aber noch nicht alles erreicht. Wir
zu wachsen beginnt, nicht weiterwachsen sehen. stehen jetzt bei einem Volumen von circa 80 Prozent des
(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Westniveaus. Parallel zu der Krisenbewältigung ist es
NEN]: Die Schulden erdrücken!) also unbedingt notwendig, dass wir den Wirtschaftsauf-
bau Ost fortsetzen; denn es muss unser gemeinsames
Meine Damen und Herren, ich will noch einiges zum Ziel sein, dass die neuen Bundesländer in absehbarer
Haushalt selbst sagen. Wir haben ein Volumen von Zeit von ihrem eigenen Geld leben können. Wir setzen (D)
(B) knapp 6,3 Milliarden Euro; das ist eine leichte Etatstei-
uns dafür ein, dass dies mithilfe der im Haushalt des
gerung. Diese leichte Etatsteigerung resultiert aus der Wirtschaftsministeriums vorgesehenen Maßnahmen er-
Strategie der Bundesregierung, die Bildungs- und For- reicht werden kann.
schungslandschaft in Deutschland für die Zukunft fit-
zumachen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sehr gut!) der FDP)

Auch im Wirtschaftsbereich stellen wir uns dieser Auf- Liebe Kolleginnen und Kollegen, dem Haushaltsaus-
gabe, und ich denke, das ist ein wichtiges Signal an die schuss wird ein Haushalt mit einer sehr hohen, aber, wie
Wirtschaft für die Zukunft in unserem Land. ich glaube, wohlbegründeten Neuverschuldung vorge-
legt. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass wir eine
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schwere Finanz- und Wirtschaftskrise zu tragen haben
Ein zweiter Punkt: Auch in diesem Haushalt setzt die und überwinden müssen. Für die Zukunft müssen wir
Bundesregierung jetzt darauf, Altes zurückzufahren und von dieser Verschuldung herunterkommen. Denn die
Neues zu fördern. Zinsen als Folge der Neuverschuldung müssen wir eben-
falls im Haushalt tragen. Sie belasten uns zunehmend.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Erneuerbare Ich kann Ihnen zusagen, dass wir uns in den Haushalts-
zurück!) beratungen diesem Thema stellen werden. Wir werden
Der Rückgang der Kohlebeihilfen ist ein wichtiges Sig- jeden Titel genau überprüfen und schauen, ob die Neu-
nal, da es sich um eine Technologie handelt, die ausläuft. verschuldung nicht vielleicht ein Stück zurückgeführt
Wir können die Mittel, die dadurch frei werden, für et- werden kann. Jeder Schritt in dieser Richtung ist wich-
was anderes einsetzen. 2,3 Milliarden Euro – das ist das tig. Ich bin gespannt, was wir mit einer gemeinsamen
Kernstück des Einzelplans – werden für Technologie Kraftanstrengung erreichen können.
und Innovationsförderung zur Verfügung gestellt. Das
ist genau das richtige Signal für die Zukunft. In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine gute
Haushaltsberatung. Lassen Sie uns gemeinsam ans Werk
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gehen!
Das zentrale Innovationsprogramm für den Mittel- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
stand wurde schon vom Kollegen Lämmel angespro-
chen. Wir geben dafür viel Geld aus und legen damit (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1399

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Dann sind auch diese Wahlvorschläge einstimmig ange- (C)
Zu diesem Einzelplan liegen keine weiteren Wortmel- nommen.
dungen vor.
Tagesordnungspunkt 4 c:
Wir unterbrechen die Haushaltsberatungen für einen
kurzen Moment. Beirat zur Auswahl von Themen für die Son-
derpostwertzeichen ohne Zuschlag beim Bun-
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 sowie Zusatz- desministerium der Finanzen (Programmbei-
punkt 1 auf: rat)
3. Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- – Drucksache 17/462 –
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Ver-
trag über die Errichtung des IT-Planungsrats Dazu liegen Ihnen Wahlvorschläge der Fraktionen der
und über die Grundlagen der Zusammenar- CDU/CSU, SPD und FDP auf Drucksache 17/462 vor.
beit beim Einsatz der Informationstechnologie Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? – Gegenstim-
in den Verwaltungen von Bund und Ländern – men? – Enthaltungen? – Diese Wahlvorschläge sind ein-
Vertrag zur Ausführung von Artikel 91 c GG stimmig beschlossen.

– Drucksache 17/427 – Tagesordnungspunkt 4 d:


Überweisungsvorschlag: Beirat für die grafische Gestaltung der Son-
Innenausschuss (f) derpostwertzeichen beim Bundesministerium
Rechtsausschuss
der Finanzen (Kunstbeirat)
ZP 1 Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem – Drucksache 17/463 –
Übereinkommen Nr. 187 der Internationalen Auf Drucksache 17/463 liegen Ihnen die Wahlvor-
Arbeitsorganisation vom 15. Juni 2006 über schläge der Fraktionen der CDU/CSU und SPD vor. Wer
den Förderungsrahmen für den Arbeitsschutz stimmt für diese Wahlvorschläge? – Gegenstimmen? –
– Drucksache 17/428 – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Auch diese Wahl-
vorschläge sind einstimmig so beschlossen.
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) Wir setzen jetzt die Haushaltsberatungen fort und
Hierbei handelt es sich um Überweisungen im ver- kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministeri-
einfachten Verfahren ohne Debatte. ums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Ein-
(B) zelpan 17. Als Erste hat das Wort die Bundesministerin (D)
Zwischen den Fraktionen ist verabredet, die Vorlagen Dr. Kristina Köhler.
an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Dann ist es (Beifall bei der CDU/CSU)
so beschlossen.
Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 4 a Dr. Kristina Köhler, Bundesministerin für Familie,
bis 4 d. Hier geht es um vier Gremienwahlen, die wir Senioren, Frauen und Jugend:
mittels Handzeichen durchführen werden. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Mit einiger Verwunderung habe ich in den letzten Wo-
Tagesordnungspunkt 4 a: chen eine offenbar weit verbreitete Auffassung zur
Beirat bei der Bundesnetzagentur für Elektri- Kenntnis genommen: In der Familienpolitik seien die
zität, Gas, Telekommunikation, Post und großen, grundsätzlichen Themen abgehakt. Das ist na-
Eisenbahnen türlich ein schönes Kompliment für die Familienpolitik
der Union in den letzten vier Jahren; insofern freue ich
– Drucksache 17/460 (neu) – mich darüber. Ich teile allerdings nicht die Befürchtung,
Dazu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/ dass uns im Familienressort in den nächsten Jahren die
CSU, SPD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen großen Themen ausgehen. Ich nutze die heutige Haus-
vor. haltsdebatte gern für ein paar grundsätzliche Ausführun-
gen.
Wer stimmt für die Wahlvorschläge auf Drucksache
17/460 (neu)? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Kabinettsentwurf des Bundeshaushaltes 2010
Dann ist das einstimmig so beschlossen. sieht für den Einzelplan 17 einen Etat von insgesamt
6,56 Milliarden Euro vor. Damit stünden dem Familien-
Tagesordnungspunkt 4 b: ressort rund 171 Millionen Euro mehr als im Vorjahr zur
Verfügung. Dieses Plus käme den Familien in unserem
Beirat für Fragen des Zugangs zur Eisenbahn-
Lande zugute; denn es ist zum größten Teil auf Mehraus-
infrastruktur (Eisenbahninfrastrukturbeirat)
gaben für die gesetzlich festgelegten Familienleistun-
– Drucksache 17/461 – gen zurückzuführen, von denen ich drei hervorheben
möchte:
Dazu liegen wiederum Wahlvorschläge aller Fraktio-
nen vor. Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? – Ge- Erstens. Familien erhalten seit dem 1. Januar mehr
genstimmen? – Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Kindergeld. Davon ist zwar nur der geringste Teil in un-
1400 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Bundesministerin Dr. Kristina Köhler


(A) serem Einzelplan etatisiert; dennoch ist die Kindergeld- hätten, wohlgemerkt für Kinder, die in den nächsten Jah- (C)
erhöhung ein wichtiges familienpolitisches Signal. ren erst noch geboren werden müssen. Das ist etwa so, als
würde man ein Jahr vor der Bundestagswahl die Sonn-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tagsfrage stellen und auf dieser Basis dann Koalitionsver-
Viele Familien kommen nämlich mit ihrem Einkommen handlungen führen. Die Panik, die hiermit geschürt wird,
gerade so über die Runden. Für sie ist jeder Euro mehr ist übertrieben. Wir sollten sie nicht schüren, sondern
ein Stück mehr Lebensqualität. Wir lösen damit das uns erst einmal anstrengen, um das gemeinsam verein-
wichtige Wahlversprechen ein, dass wir Eltern und Kin- barte Ziel zu erreichen.
dern gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten den Rü-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
cken stärken.
Der Bund trägt dazu seinen Anteil bei. Bis 2013 stel-
Zweitens. Wir geben mehr Geld für den Kinderzu-
len wir 4 Milliarden Euro zur Verfügung, zum einen für
schlag aus. Dafür sind im Etat 374 Millionen Euro ver-
die Investitionen, zum anderen für die Betriebskosten.
anschlagt. Diese Familienleistung kommt in allererster
Ab 2014 beteiligt sich der Bund dann mit rund 770 Mil-
Linie Geringverdienern zugute, die sonst nur wegen ih-
lionen Euro pro Jahr an den Kosten für den laufenden
rer Kinder in Hartz IV abrutschen würden. Wir sagen:
Betrieb. Darüber hinaus hat die Bundesregierung den
Kinder dürfen kein Armutsrisiko sein; der Fleiß dieser
Kommunen 6,5 Milliarden Euro mit dem Konjunktur-
Eltern muss sich lohnen. Sonst brauchen wir uns näm-
paket II zur Verfügung gestellt, Geld, das ausdrücklich
lich nicht zu wundern, wenn es immer wieder Kinder
auch für die Infrastruktur der frühkindlichen Bildung ge-
gibt, die nicht Kranführer oder Krankenschwester wer-
nutzt werden kann.
den wollen, sondern Hartz-IV-Empfänger.
Drittens. Größter Posten im Einzelplan 17 bleibt das (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Elterngeld. Dafür stehen 2010 knapp 4,5 Milliarden Deshalb appelliere ich im Gegenzug an Länder und
Euro zur Verfügung. Damit ermöglichen wir Müttern Kommunen: Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen,
und Vätern eine berufliche Auszeit nach der Geburt ei- dass alle Eltern, die einen Betreuungsplatz in Anspruch
nes Kindes. Im Vergleich zum Vorjahr sind dies 80 Mil- nehmen wollen, ihn ab 2013 tatsächlich in Anspruch
lionen Euro mehr. Das ist aber gut ausgegebenes, gut an- nehmen können.
gelegtes Geld, denn Kostentreiber im positiven Sinne
sind vor allem die Väter. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zweitens geht es ebenfalls um ein ganz aktuelles
Thema, den Zivildienst. 650 Millionen Euro geben wir
(B) Diese zunehmende Akzeptanz der Vätermonate zeigt, für den Zivildienst aus, insgesamt rund 7 Millionen mehr (D)
dass wir damit ein Bedürfnis junger Familien getroffen als 2009, was mit der leicht erhöhten Zahl Zivildienst-
haben. Deshalb möchte ich auch noch in diesem Jahr die leistender zu tun hat. Wegen der Verkürzung der Wehr-
Zahl der Vätermonate erhöhen und ein Teilelterngeld pflicht auf sechs Monate zum 1. Januar 2011 stehen uns
einführen und bitte Sie dafür um Ihre Unterstützung, hier aber große Umbrüche ins Haus. Wenn 90 000 Zivil-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dienstleistende drei Monate weniger Dienst leisten, dann
fallen in den sozialen Einrichtungen 270 000 Dienst-
denn damit geben wir Vätern und Müttern mehr Zeit, um monate weg.
Verantwortung in der Familie zu übernehmen, und dies
kommt vor allen Dingen den Kindern zugute. Im Moment arbeiten wir mit dem Koalitionspartner
intensiv an einer Lösung hierfür. Der Zivildienst muss
So viel erst einmal zu den gesetzlich festgelegten Fa- für junge Männer attraktiv bleiben, er muss auch für die
milienleistungen, die im Etat den mit Abstand größten Dienststellen attraktiv bleiben, und die „biografische Lü-
Ausgabenblock darstellen. Ich möchte aber aus dem cke“, die zwischen dem Ende des Zivildienstes und dem
Einzelplan 17 drei weitere Titel exemplarisch heraus- Beginn von Ausbildung oder Studium entsteht, muss so
greifen, die sich auf ganz aktuelle Diskussionen bezie- gering wie möglich sein. Aber ich bin zuversichtlich,
hen. dass wir hierbei bald zu einem Ergebnis kommen wer-
Erstens ist dies der Ausbau der Kinderbetreuung den, mit dem alle Beteiligten und alle Betroffenen wer-
für die unter Dreijährigen. Vor drei Jahren haben sich den gut leben können.
Bund, Länder und Kommunen auf ein gemeinsames Ziel (Beifall bei der CDU/CSU)
geeinigt: Bis zum Jahr 2013 sollen 35 Prozent der Kin-
der unter drei Jahren Betreuungsangebote nutzen kön- Gut leben können hoffentlich auch Sie, liebe Kolle-
nen. Ich bin überzeugt, dass das zu schaffen ist und dass ginnen und Kollegen aus den Oppositionsfraktionen, mit
wir den Bedarf damit werden decken können, denn das der Lösung, die ich für die Neuausrichtung der Pro-
35-Prozent-Ziel wurde auf guter empirischer Grundlage gramme zur Extremismusprävention erreicht habe. Ich
vereinbart. bin damit beim dritten aktuellen Thema. Es war in den
letzten Wochen schön zu beobachten, wie zuverlässig
Neue Zahlen, die der Deutsche Städte- und Gemein- die alten Reflexe funktionieren.
debund letzte Woche ins Spiel gebracht hat, sind unrea-
listisch, denn sie basieren auf einer Umfrage bei Frauen (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
mit Kinderwunsch, ob sie denn Interesse an Betreuung NEN]: Bei Ihnen aber auch!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1401
Bundesministerin Dr. Kristina Köhler
(A) Dabei ist es doch eigentlich eine Selbstverständlichkeit, Aber wie ein afrikanisches Sprichwort sagt: Die beste (C)
dass wir gegen alle Feinde unserer freiheitlich-demo- Zeit, einen Baum zu pflanzen, war vor 20 Jahren. Die
kratischen Grundordnung vorgehen: gegen Rechtsextre- zweitbeste Zeit ist heute.
misten, gegen Linksextremisten, gegen Antisemiten und
In diesem Sinne herzlichen Dank.
gegen Islamisten. Es gibt keine guten Extremisten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deshalb werde ich die Präventionsprogramme zur Ex- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
tremismusbekämpfung umbauen. Das Wort hat die Kollegin Dagmar Ziegler von der
Wir starten noch im Jahr 2010 zwei Pilotprojekte ge- SPD-Fraktion.
gen Linksextremismus und gegen Islamismus. Dafür ste- (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
hen 2 Millionen Euro aus Mitteln zur Verfügung, die
2009 nicht abgerufen wurden. Die im Einzelplan 17 vor- Dagmar Ziegler (SPD):
gesehenen 24 Millionen Euro für die bereits bestehenden Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
Bundesprogramme zur Extremismusprävention bleiben und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin, ich darf Ih-
unangetastet. Erst für 2011 plane ich eine Neukonzep- nen im Namen der SPD-Fraktion ganz herzlich zu Ihrer
tion der Programme. Grundlage sind dann auch die Er- Amtsübernahme gratulieren. Ich wünsche Ihnen ehrli-
fahrungen, die wir 2010 mit den erwähnten Pilotprojek- chen Herzens ein gutes und glückliches Händchen.
ten zur Bekämpfung des Linksextremismus und des
Islamismus machen werden. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
Der Einzelplan 17 des Bundeshaushalts 2010 zeigt SES 90/DIE GRÜNEN)
nicht nur, wo wir heute stehen, sondern er weist auch
den Weg zu einem großen familienpolitischen Thema Sehr geehrte Frau Dr. Köhler, Sie haben angekündigt,
der Zukunft. Denn er zeigt klar und deutlich: Wir tun sich als Ministerin für Gesellschaftspolitik zu verstehen.
viel, damit Eltern Zeit für Verantwortung haben. Aber Ich finde, das ist ein sehr guter Ansatz. Wenn wir hören,
wir tun viel zu wenig, damit pflegende Familienange- was Sie vorhaben – das haben Sie heute erläutert –, dann
hörige Zeit für Verantwortung haben. Als Familien- fragen wir uns: Wo sind die Visionen, von denen Sie ge-
ministerin verstehe ich mich nicht nur als Anwältin der sprochen haben? Wo sind die Dinge, die Sie voranbrin-
Eltern, sondern auch als Anwältin der Älteren. gen wollen? Wo sind die großen Leitprojekte, mit denen
Sie den sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft
Menschen, die in unserer Gesellschaft ein Leben lang – Sie sprechen immer so schön von den Bindekräften – (D)
(B) viel geleistet haben, einen würdigen Lebensabend zu er-
stärken wollen? Zumindest in Ihrer Rede konnten wir
möglichen – dazu verpflichtet uns unser Menschenbild. davon nichts erkennen. Nun sind Sie ganz neu im Amt,
Nicht nur aus ethischem Pflichtgefühl, sondern auch aus und wir hoffen darauf, dass sich das noch verändern
tiefem inneren Bedürfnis pflegen Menschen ihre betag- wird.
ten Angehörigen, und zwar im Schnitt gut acht Jahre
lang. Sie bringen dabei große persönliche Opfer. Viele (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Lachen
gehen dabei über die Grenzen ihrer persönlichen Belast- des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE] –
barkeit hinaus. Jeder von uns kennt doch jemanden, der Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das war gut!)
zu Hause die demenzkranke Mutter oder den vom Ich möchte Ihnen die Befürchtungen, die wir haben,
Schlaganfall gezeichneten Vater pflegt. Aber für uns mitteilen. Es reicht nicht, dass man nur Sprechblasen
selbst haben wir oft keine Antwort auf die Frage parat, loslässt. Sie müssen natürlich mit Inhalten gefüllt wer-
woher wir die Zeit dafür nehmen würden, wenn es un- den. Als ersten Punkt nehme ich die Gleichstellungspoli-
sere eigenen Eltern treffen sollte. tik. Wir haben es jahrelang mit freiwilligen Ansätzen
Das Statistische Bundesamt geht davon aus, dass die versucht, mussten aber feststellen, dass das nicht funk-
Zahl pflegebedürftiger Menschen in Deutschland von tioniert. Jetzt haben wir gesetzliche Initiativen ergreifen
derzeit etwas über 2 Millionen auf knapp 3 Millionen im wollen. Blockiert hat, zum Beispiel bei der Frauenquote
Jahr 2020 steigen wird. Spätestens dann stehen wir ein bei Aufsichtsräten, die Koalition.
zweites Mal vor dem Problem der Vereinbarkeit von Fa- Nehmen wir die Kinderbetreuung: Die letzte Koali-
milie und Beruf, dann allerdings mit Blick auf die Ver- tion hat einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz
einbarkeit von Pflege und Beruf. Zeit für Verantwor- ab dem ersten Geburtstag der Kinder ab 2013 gesetzlich
tung heißt deswegen auch: Zeit für Pflege. Da gibt es verankert. Diese Koalition schlägt den Ländern und
eine Menge zu tun. Ich glaube, das wird uns über Jahre Kommunen jetzt allerdings die finanziellen Mittel aus
hinweg beschäftigen. der Hand, die sie benötigen, um diesen gesetzlichen Auf-
Als Vertreterin der jungen Generation erlaube ich mir trag erfüllen zu können.
den Hinweis: Diese Frage hätte man auch schon früher (Beifall bei der SPD)
angehen müssen; schließlich ist der demografische Wan-
del nicht über Nacht über uns hereingebrochen. 1 Milliarde Euro für Hoteliers mehr – das kann man
nicht abstreiten –, aber 2,1 Milliarden Euro weniger für
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und die Kommunen. Allein diese Diskrepanz muss Ihnen zu
der FDP) denken geben. 1,5 bis 1,9 Milliarden Euro für das Be-
1402 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Dagmar Ziegler
(A) treuungsgeld, was am Ende heißt, dass viele Kinder von (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ach so! In der (C)
Bildungsangeboten, auf die Frau Schavan so sehr setzt, Opposition darf man keine Vorschläge ma-
ferngehalten werden. Das kann keine gute Familienpoli- chen?)
tik sein.
Wir waren die Inputgeber in allen Politikfeldern der
(Beifall bei der SPD) Großen Koalition. Jetzt müssen Sie alleine klarkommen.
Wenn ich die CDU/CSU-Abgeordneten höre, stellt (Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/CSU)
sich für mich schon die Frage, worauf sich das „C“ in Ih-
rer Partei bezieht. Sehr geehrte Frau Ministerin, was tun Sie für Allein-
erziehende, um sie wirksam vor Armut zu schützen? Das
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der ist im Übrigen eine Aufgabe, die Sie gemeinsam mit der
LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Fast-noch-Familienministerin, Frau von der Leyen,
Das frage ich mich seit Jahren!) wahrnehmen müssen. Wie gedenken Sie bei Ihren Steu-
ersenkungsideen Mehrgenerationenhäuser, Eltern-Kind-
Ich beantworte das damit, dass Sie den Spruch Jesu in Zentren und lokale Bündnisse für Familien zu erhalten?
abgewandelter Form im Munde führen: Herr vergib uns; Sie sagen: Die Verantwortung für die Erziehung von
denn wir wissen nicht, was wir tun. Kindern liegt vorrangig bei den Eltern. – Wie sollen die
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das ist ja wirklich ihre Verantwortung aber wahrnehmen, wenn die Ange-
billig!) bote für Beratung und Mitgestaltung wegbrechen? Wie
sollen die vielen hauptamtlich und die – das sind noch
– Das ist nicht billig, sondern das, was man aus Ihrer Po- mehr – ehrenamtlich Tätigen in diesen Bereichen zu-
litik herauslesen kann. rechtkommen, wenn Länder und Kommunen weniger
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Doch! Das ist Geld haben, weil Sie ihnen das Geld entziehen, um ande-
peinlich! – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das ren Steuergeschenke machen zu können? Wie sieht Ihre
ist das Gebet der SPD, Frau Kollegin!) Gesellschaftspolitik aus? Auf diese Fragen werden Sie
Antworten finden müssen. Das sind viele Fragen, die Sie
Ich werde Ihnen das ganz kurz an weiteren Beispielen heute leider nicht beantwortet haben.
belegen. Das Thema Pflege ist ein Thema, das, wie wir
gerade gehört haben, auch zu den Highlights der Politik Deshalb sage ich: Wir brauchen eine umfassende Fa-
der Ministerin gehören soll. milienpolitik, bei der der Bund seiner Verantwortung ge-
recht wird. Aber wir brauchen auch eine Bundesregie-
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ja! Sehr gut!) rung, die die Länder und die Kommunen in die Lage
(B) Auf die Fragen: „Was wollen Sie für die Pflegebedürfti- versetzt, ihrer Verantwortung gerecht werden zu können. (D)
Da müssen Sie noch eine ganze Menge tun, wenn Sie Ih-
gen tun?“ und „Was wollen Sie für eine verbesserte Ver- rem Anspruch „Freiheit in Verantwortung“ gerecht wer-
einbarkeit tun?“ fehlen aber die Antworten. den wollen.
(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Wir sind in der Vielen Dank.
ersten Sitzungswoche! Liebe Frau!)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
In der letzten Legislaturperiode hat die SPD eine bis zu der LINKEN)
zehn Tage dauernde bezahlte Freistellung vorgeschla-
gen, wenn ein Pflegefall in der Familie eintritt. Wer hat
das abgelehnt? Die jetzigen Koalitionäre, nicht die SPD. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Florian Toncar von der
(Beifall bei der SPD) FDP-Fraktion.
Zur Jugendpolitik. Sie taucht in Ihrem Spektrum (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
heute überhaupt nicht auf; die gibt es für Sie anschei- der CDU/CSU)
nend nicht.
(Miriam Gruß [FDP]: Wo waren Sie denn im Florian Toncar (FDP):
Ausschuss?) Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Ministerin, auch ich darf Sie zu Ihrer Amtsüber-
Was tun Sie für mehr Mitbestimmung von Jugendlichen? nahme beglückwünschen. Sie wissen die Liberalen im-
Für mehr Beteiligung in Schule, Kommunen und Ver- mer an Ihrer Seite, wenn es um moderne, weltoffene und
bänden? Wir reduzieren im Rahmen der Jugendpolitik verantwortungsorientierte Familienpolitik geht.
die Jugendlichen oftmals auf Defizite und Problemfami-
lien. Aber wo geben wir ihnen Chancen zu wirklicher (Zuruf von der SPD: Unsozial!)
Teilhabe an der Gesellschaft? Keine Antwort darauf bis-
her. Die Koalition stellt die Familie in den Mittelpunkt.
Das ist kein Zufall; denn Familien sind der Ort, an dem
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wo ist denn Ihr Freiheit in Verantwortung, an dem Zuwendung, Solidari-
Vorschlag?) tät und Mitmenschlichkeit jeden Tag gelebt werden. Das
sind die Werte, zu denen sich diese Koalition bekennt.
– Ich sitze in der Opposition und warte erst einmal Ihre
Vorschläge ab. Das ist doch wohl unser gutes Recht. (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1403
Florian Toncar
(A) Wenn man die ersten 100 Tage dieser Regierung be- Ich möchte zitieren, mit welchen Worten Vertreter Ih- (C)
trachtet, dann muss man feststellen, dass wir uns vor al- rer Fraktion in dieser Haushaltswoche, in den letzten
lem um die Familien und gerade die mit Kindern geküm- zwei Tagen, über das Wachstumsbeschleunigungsgesetz
mert haben und damit um die Zukunft unseres Landes. gesprochen haben, und zwar ohne zu unterscheiden, ob
Wir haben im Dezember letzten Jahres – sehr zügig nach es um Kindergeld oder andere Entlastungen geht.
der Regierungsübernahme der neuen Bundesregierung –
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
dafür gesorgt, dass der Kinderfreibetrag und das Kinder-
Haben Sie nicht zugehört?)
geld spürbar erhöht werden, und zwar weil wir wissen,
Ihr Fraktionsvorsitzender hat gestern über das Wachs-
(Zuruf von der SPD: Zwei Klassen!) tumsbeschleunigungsgesetz gesagt:
dass viele Familien, gerade die mit mehreren Kindern, Sie verschleudern das Geld, sodass es hinterher an
dringend auf größere Spielräume angewiesen sind. Es ist allen Ecken und Enden fehlt.
auch eine Frage der Fairness, liebe Kolleginnen und
Kollegen der Opposition, dass Kinder im Steuerrecht Der haushaltspolitische Sprecher Ihrer Fraktion hat vor-
nicht weiter wie Bürger zweiter Klasse behandelt wer- gestern in der allgemeinen Finanzdebatte über die So-
den. Wir haben versprochen, das zu ändern, und das ma- fortmaßnahmen der Regierung gesagt: 10 Milliarden
chen wir jetzt auch. Euro verjuxt und verjubelt.
(Caren Marks [SPD]: Stimmt doch!)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU) Die Familien in Deutschland, die diese Haushaltswoche
verfolgen, wissen, wer auf ihrer Seite steht und wer äu-
Mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz – das ßerst abwertend über Geld für Familien spricht. Das sind
muss man wirklich sagen – ist ein Gesetz in Kraft getre- Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen.
ten, das im Wesentlichen ein Familienentlastungsgesetz
ist. Wer sich die Zahlen anschaut – darüber sprechen Sie (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
nicht; das verstehe ich; aber Sie müssen mir zugestehen, der CDU/CSU – Dagmar Ziegler [SPD]: Sie
dass ich es tue –, der sieht, dass von den 8 Milliarden machen sich einen leichten Fuß, und die Kom-
Euro Entlastungsvolumen, Geld, das bei den Bürgern munen zahlen!)
bleibt – das Geld verschwindet ja nicht, sondern bleibt Es ist nicht zuletzt eine Frage des Familienbildes, ob
bei den Bürgern, die es erarbeitet haben –, man glaubt, dass Geld für Familien am besten vom Staat
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten verteilt wird, oder ob man glaubt, dass Familien sehr
der CDU/CSU) wohl in der Lage sind – jedenfalls in ihrer großen Mehr-
(B) (D)
heit –, selbst zu entscheiden, was gut für Kinder ist.
4,6 Milliarden Euro Entlastung bei den Familien an- (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
kommt. Das muss man einmal festhalten. Wenn das GRÜNEN]: Hartz-IV-Familien? – Katja Mast
keine Politik für Familien ist, weiß ich nicht, was Politik [SPD]: Was ist denn mit den anderen Fami-
für Familien sein soll. lien?)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten – Ich glaube nicht, dass es redlich und richtig ist, da ei-
der CDU/CSU – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/ nen Gegensatz zu konstruieren.
DIE GRÜNEN]: Welche Familien? Das ist
doch die Frage!) (Caren Marks [SPD]: Weil Sie keine Ahnung
haben!)
Insofern muss ich sagen, dass ich es umso verwunderli-
cher finde, dass die Opposition so gegen dieses Gesetz Ich glaube nicht, dass das ein Gegensatz ist, Frau Kolle-
wettert. gin. Wir müssen doch sehen, dass wir Familienpolitik
nicht nur für die Fälle machen, in denen etwas schiefge-
(Caren Marks [SPD]: Dagegen wettern auch gangen ist, sondern auch, um die Familien, die sich red-
CDU-Bürgermeisterinnen, nicht nur wir!) lich bemühen – das sind in Deutschland viele –, zu stär-
ken, ihre Kinder aus eigener Kraft zu erziehen.
Wissen Sie: Auch wir waren in der Opposition, und
wir haben immer wieder Punkte gefunden, bei denen wir (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
sehr unterschiedlicher Meinung waren. Darüber muss der CDU/CSU – Widerspruch bei der LIN-
gestritten werden. Aber ich finde es nicht nur eigenartig, KEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
sondern auch beschämend, dass sich der Bundestag nicht – Ihre Reaktion zeigt viel von Ihrer Haltung.
einmal geschlossen dazu durchringen kann, 4,6 Milliar-
den Euro Entlastung für Familien mit Kindern gutzuhei- Sie haben völlig recht, dass es auch und gerade bei
ßen und zu sagen: Hier hat die Regierung etwas richtig Kindern Probleme gibt, um die wir uns kümmern müs-
gemacht. sen. Das tun wir doch auch. Wir verbessern doch die In-
frastruktur bei der Betreuung vor Ort. Da hilft der Bund
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wi- den Kommunen. Den Grundgedanken teilen wir alle.
derspruch bei der SPD und der LINKEN – Dies ist eine Aufgabe, die in dieser Dimension neu ist
Dagmar Ziegler [SPD]: Das zahlen die alles und weitergeführt werden muss. Für uns als Freie Demo-
wieder drauf!) kraten ist es völlig selbstverständlich, dass Familie und
1404 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Florian Toncar
(A) Beruf vereinbar sein müssen, dass wir Integrations- und Diese Koalition will die Familien stärken, weil dort (C)
Bildungsangebote auch für sehr junge Kinder in den Verantwortung gelebt wird. Wir vertrauen auf die Ver-
Kommunen brauchen und dass der Bund hier auch finan- antwortungsbereitschaft der Familien. Der Staat ist für
ziell in der Pflicht steht. die Familien ein Partner, der gebraucht wird, aber kein
Übervater, der Familien reguliert und bevormundet.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
LINKE]: Das merken die Kommunen nicht!) Caren Marks [SPD]: Das war aber schwach! –
Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ganz, ganz
Der Einzelplan 17 wird natürlich weiterentwickelt. mies!)
Die Ministerin hat darauf hingewiesen: Das Elterngeld
soll teilzeitfähig gemacht und bis zu 28 Monate gezahlt
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
werden. Ich glaube, das ist etwas, was für viele Familien
wichtig ist, weil es ihre Flexibilität erhöht und Vätern Das Wort hat jetzt der Kollege Steffen Bockhahn von
wie Müttern erlaubt, ihre Arbeitsbiografien, ihre Wün- der Fraktion Die Linke.
sche und Vorstellungen noch besser aufeinander abzu- (Beifall bei der LINKEN)
stimmen. Es darf auch nicht zum Nachteil von Eltern
sein, wenn sie Teilzeitarbeit wollen. Wir werden das fle- Steffen Bockhahn (DIE LINKE):
xibilisieren und damit mehr Wahlfreiheit schaffen. Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Für die Liberalen war besonders wichtig – auch das Kolleginnen und Kollegen! Werte Besuchergruppe aus
werden wir umsetzen –, dass die Bezugsdauer des Unter- Mecklenburg-Vorpommern!
haltsvorschusses erweitert wird, sodass er bis zum (Beifall bei der LINKEN)
14. Lebensjahr gezahlt wird. Auch das ist etwas, was
man trotz aller Differenzen einmal hervorheben sollte. Im Vorfeld der Debatte zum Einzelplan 17 standen in der
Es ist doch eine gute Sache, wenn wir hier vorankom- Öffentlichkeit kaum die Themen Familie, Frauen, Senio-
men, liebe Kolleginnen und Kollegen. ren oder Jugend im Mittelpunkt der Debatte. Ich hatte
den Eindruck, es ging in erster Linie um die Extremis-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten musprogramme der Bundesregierung. Ich kann auch
der CDU/CSU) verstehen, dass man darüber intensiv diskutiert.
Wir haben im Koalitionsvertrag vorgesehen, ab 2013 In der Welt war am Dienstag, den 19. Januar, die
ein Betreuungsgeld einzuführen. Seine Konzeption ist große Schlagzeile zu lesen: „Kristina Köhler bricht ihr
noch offen. Für die FDP ist die eindeutige Anforderung erstes Versprechen.“ Das wünscht man sich nicht, wenn (D)
(B) an dieses Betreuungsgeld – darauf werden wir
man neu im Amt ist. Aber es stimmt. Denn bis zu diesem
drängen –, dass es kein Anreiz sein darf, Familien davon Zeitpunkt hieß es immer, dass an den Extremismuspro-
abzuhalten, sinnvolle Bildungsangebote vor Ort wahrzu- grammen in diesem Jahr vernünftigerweise nichts geän-
nehmen; dert wird. Noch am selben Tag meldete Spiegel Online,
dass doch noch 2 Millionen Euro gefunden wurden, um
(Dagmar Ziegler [SPD]: Gucken Sie mal nach
auch Linksextremismus und Islamismus ordentlich be-
Norwegen! Da können Sie das ablesen!)
kämpfen zu können.
darauf werden wir achten. (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Ja! Euch
(Dagmar Ziegler [SPD]: Wie denn? Werden muss man genau beobachten! – Heiterkeit bei
Sie doch mal konkret! – Weiterer Zuruf von Abgeordneten der CDU/CSU)
der SPD) – Ja, mich müssen Sie genau beobachten; da haben Sie
– Das werden wir bei unserem Vorschlag berücksichti- völlig recht. Aber ich meine das wahrscheinlich anders
gen, Frau Kollegin; da kann ich Sie beruhigen. Schließ- als Sie. – Darüber kann man sich erst einmal freuen.
lich sind die Liberalen an der Regierung beteiligt und Statt dieser Zurverfügungstellung von 2 Millionen Euro
werden sich dafür starkmachen. für Programme zur Bekämpfung von vermeintlichem
Linksextremismus und Islamismus wäre eine Auswei-
(Beifall bei der FDP – Katja Dörner [BÜND- tung der Programme zur Bekämpfung des Rechtsextre-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie kann man so et- mismus dringend notwendig gewesen.
was in einen Koalitionsvertrag schreiben,
wenn man keine Ahnung hat, was man damit Allein der Titel „Jugend, Vielfalt, Toleranz und De-
macht?) mokratie“, aus dem viele verschiedene Aktionspläne fi-
nanziert werden, ist völlig überlastet. Es gibt derzeit
Frau Ministerin, das Volumen des Einzelplans 17 90 lokale Aktionspläne, die bewilligt sind, und es gibt
wird steigen. Das liegt vor allem daran, dass die gesetzli- 149, die nicht bewilligt wurden,
chen Leistungen erweitert werden. Wir werden, wie in
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ja! „Saufen gegen
allen Einzelplänen, natürlich eine Konsolidierung auch
rechts“ zum Beispiel!)
bei den freiwilligen Leistungen brauchen. Das gilt eben-
falls für das Personal. Darüber müssen und werden wir in erster Linie, weil kein Geld da war. Es gibt 85 überre-
im Rahmen der Haushaltsberatungen in den nächsten gionale Projekte, die im Rahmen dieses Titels gefördert
Wochen sprechen. werden, und es gibt 241 Ablehnungen, in erster Linie,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1405
Steffen Bockhahn
(A) weil der Etat ausgelastet ist. Das macht deutlich, dass die auf das Konto rechtsextremistisch oder ausländerfeind- (C)
Anzahl der Programme gegen Rechtsextremismus längst lich motivierter Straftäter gehen. Wenn Sie sich das vor
nicht groß genug ist und dass hier viel mehr Förderung Augen führen, sehen Sie, wie wichtig es ist, auf die Be-
notwendig ist. Das fordert auch die Fraktion Die Linke. kämpfung des Rechtsextremismus das Augenmerk zu le-
gen und kein Stück nachzulassen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
und der Abg. Daniela Kolbe [Leipzig] [SPD]) neten der SPD)
Es heißt, in diesem Jahr werde an dem, was besteht, Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie Programme gegen
nichts verändert. Ich nehme zur Kenntnis: Vor einiger Linksextremismus stärker fördern wollen. In der heuti-
Zeit sind die Mittel für den Titel zur Förderung von Be- gen Ausgabe der Frankfurter Rundschau
ratungsnetzwerken von etwa 2,4 Millionen Euro auf
5 Millionen Euro erhöht worden, und dieser Betrag (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Lesen Sie
bleibt auch stabil. Nur, meine Damen und Herren: Es einmal die Bild-Zeitung!)
wird nicht mehr, wie bisher, nur ein Beratungsnetzwerk heißt es in einem Artikel von Steffen Hebestreit mit der
im Osten der Republik gefördert, sondern jetzt wird die Überschrift „Wundersame Geldvermehrung“:
ganze Republik gefördert. Ich habe nichts dagegen, dass
man Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus in Noch ist allerdings ziemlich unklar, welche Initiati-
ganz Deutschland einführt. Aber dafür reicht das Geld ven von diesem Geldsegen profitieren werden. Gibt
hinten und vorne nicht. es linke Aussteiger-Projekte?

Für Mecklenburg-Vorpommern, ein Bundesland, das Nein, die gibt es nicht. Die werden auch nicht gebraucht.
mit dem Rechtsextremismus leider ein überdurchschnitt- (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Nicht?)
lich großes Problem hat, bedeutet dies, dass die Zu-
schüsse des Bundes für diese Beratungsnetzwerke im Es passt also nicht zusammen, was Sie tun.
Jahr 2010 von 950 000 Euro auf nur noch ein Viertel, (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das sagt die
nämlich auf 250 000 Euro, zurückgefahren werden. Minderheit! Zurzeit sind wir die Mehrheit, und
Das wiederum hat zur Folge, dass Sie auch die demo- Sie sind die Minderheit!)
kratischen Strukturen, die zivilgesellschaftlichen Struk- Ich kann Sie nur warnen, zu machen, was Sie vorha-
turen vernichten, in denen Leute sich ehrenamtlich dem ben. Wenn Sie Rechtsextremismus und Linksextremis-
Kampf gegen Rechtsextremismus widmen und sich für mus gleichsetzen, vergleichen Sie Äpfel und Birnen mit-
die Förderung von Kultur und Demokratie und Toleranz einander. Das funktioniert nicht.
(B) (D)
einsetzen. Das kann doch nicht das Ziel Ihrer Politik
sein. Noch schlimmer ist aber, was Sie im Hinblick auf den
Islamismus tun wollen, nämlich das auch noch alles
(Beifall bei der LINKEN) gleichsetzen.
Forderungen, bei den Programmen gegen Rechts- (Zuruf von der CDU/CSU: Kommen Sie zum
extremismus nicht zu kürzen, hören Sie nicht nur von Thema!)
der Linken. Ich glaube BKA-Chef Ziercke ist unver-
dächtig, meiner Partei nahezustehen. Aber auch er sagt: – Zum Thema kommen? Schauen Sie sich den Einzel-
Kürzen Sie nicht bei den Programmen gegen Rechts- plan 17 an; in diesem Einzelplan sind die Extremis-
extremismus! Genau das haben Sie aber angekündigt. musprogramme der Bundesregierung aufgeführt. Also
gehört diese Debatte hierher. Hören Sie also zu!
Wie wichtig es ist, gegen Rechtsextremismus inten-
sivst vorzugehen, zeigt sich an so vielen verschiedenen (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
Punkten. Gestern wurde vor dem Landgericht Rostock neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
erneut ein Prozess gegen eine rechtsextreme Prügel- GRÜNEN)
gruppe eröffnet. 2007 sollen sie in Pölchow, direkt vor
Mit dem Islamismuswahn, den Sie verbreiten, ma-
den Türen von Rostock, mit Holzlatten auf linke De-
chen Sie etwas ganz Gefährliches: Sie tun so, als sei der
monstranten eingeprügelt haben. Mehrere Personen sind
Islam als Religion insgesamt gefährlich und demokra-
dabei teilweise schwer verletzt worden. Einer der Schlä-
tiefeindlich und toleranzfeindlich. Das stimmt aber
ger ist – das mag nicht überraschen – im Landesvorstand
nicht. Innenminister de Mazière hat am Dienstag gesagt:
der NPD.
Der Islam in Deutschland muss tatsächlich einiges klä-
Hier gilt es endlich etwas zu tun; denn das Problem ist ren, nämlich wie er sich in dieser Gesellschaft bewegen
groß: Die Zahl der rechtsextrem motivierten Straftaten will, aber auch sein Frauenbild. – Da sind wir an einem
hat sich zwischen 2004 und 2009 fast verdoppelt. Das ist interessanten Punkt. Ich würde nicht behaupten, dass es
ein unglaublicher Anstieg, der zeigt, wie wichtig es ist, nur im Islam ein problematisches Frauenbild gibt. Ich
dass Sie endlich aktiv werden und deutlich mehr tun glaube, das gibt es sehr wohl auch im Christentum, im
müssen als bisher. Judentum, im Hinduismus und im Buddhismus.
2008 sind von Rechtsextremen zwei Straftaten mit (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
Todesfolge verübt worden. Diese reihen sich ein in eine neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
Reihe von insgesamt über 130 Todesfällen seit 1990, die GRÜNEN)
1406 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Steffen Bockhahn
(A) Lassen Sie uns darüber reden, wie wir insgesamt ge- Wichtig ist beim Ausbau der U-3-Betreuung, dass es (C)
gen religiösen Fanatismus und gegen religiösen Funda- nicht allein um die Betreuung geht, sondern vor allen
mentalismus etwas tun können, um Demokratie und To- Dingen um Bildung und Integration, damit alle Kinder
leranz zu stärken. Was Sie vorschlagen, führt in eine gute Startchancen haben. Gerade die Kinder aus bil-
Sackgasse. dungsfernen Schichten brauchen Betreuung in gut aus-
gestatteten Kitas und Kinderbetreuungsstätten.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
GRÜNEN – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]:
Toll! – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Leider In Thüringen kann man heute schon sehen, was pas-
Thema verfehlt!) siert, wenn ein Betreuungsgeld eingeführt wird. Kinder
aus bildungsfernen Schichten wurden massenhaft von
den Kitas abgemeldet. Frau Köhler, es ist jetzt an der
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Zeit, sich zu entscheiden und Stellung zu beziehen, in
Das Wort hat jetzt der Kollege Sven-Christian Kindler welche Richtung es gehen soll. Wollen wir vorwärts in
von Bündnis 90/Die Grünen. eine moderne Zukunft mit gerechten Startchancen für
alle Kinder, oder geht es mit der Herdprämie zurück in
Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- die Vergangenheit, wo Frauen dafür belohnt werden, kei-
NEN): ner Erwerbsarbeit nachzugehen, und wo Kinder aus bil-
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und dungsfernen Schichten dabei hinten runterfallen? Ich
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es wird all- kann Ihnen nur raten, Frau Köhler, dieses Betreuungs-
gemein behauptet, Ursula von der Leyen habe als Fami- geld so schnell wie möglich zu entsorgen; es ist unsozial
lienministerin das Weltbild der Union verändert, die und integrationsfeindlich, und es fördert die Spaltung
Union neu aufgestellt, die Union modernisiert. Man der Gesellschaft.
muss zugeben: Mit der Einführung des Elterngeldes
– dessen Bezug auch an Vätermonate geknüpft wurde – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
und mit der Einführung des Rechtsanspruches auf einen bei der SPD und der LINKEN)
Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren ab 2013 hat Das Betreuungsgeld ist auch keine Maßnahme, die
die Union, gerade die konservative Union, eine gute wirklich Kinderarmut bekämpft. Das Thema Kinderar-
Leistung erbracht. Das muss man lobend anerkennen. mut wird seit Jahren intensiv diskutiert. Geändert hat
(Ute Kumpf [SPD]: Du bist falsch informiert! sich trotz vieler Absichtserklärungen leider nichts. Viel
Das war die SPD!) zu viele Kinder in unserer Gesellschaft sind weiterhin
(B) von Armut betroffen. Ein Viertel aller Kinder unter (D)
– Die SPD war beteiligt; aber die SPD war damals schon 15 Jahren, 26 Prozent, sind nach Daten des „Sozio-oeko-
weiter als die Union. nomischen Panels“ in der Bundesrepublik vom Armuts-
risiko betroffen. Das heißt, jedes vierte Kind in Deutsch-
Die Frage bleibt, ob die Union wirklich ihr gesell-
land ist von Armut bedroht. Es gibt verschiedene
schaftliches Weltbild verändert hat. Schauen wir uns das
Untersuchungen, warum dies trotz der vielfältigen Leis-
an: Gleich nachdem der Rechtsanspruch auf einen Be-
tungen für Familien so ist. Unter anderem erforscht das
treuungsplatz für Kinder unter drei Jahren festgeschrie-
Kompetenzzentrum für familienbezogene Leistungen für
ben war, hat die CSU quergeschossen und gefordert,
das Familienministerium, welche Wirkungen auf Kin-
dass Eltern, die ihr Kind lieber zu Hause betreuen wol-
derarmut Leistungen wie Ehegattensplitting, Kinderzu-
len, Geld dafür bekommen sollen, ein sogenanntes
schlag, Elterngeld und das Kindergeld haben. Anstatt
Betreuungsgeld.
jetzt aber einen Abschlussbericht durch dieses Kompe-
(Beifall der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU]) tenzzentrum vorlegen zu lassen, wird dieser Experten-
zirkel still und heimlich geschlossen und im Haushalts-
Das war ein Fehler. entwurf für 2010 ein neues Kompetenzzentrum für
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nachhaltige Familienpolitik eingerichtet. Da drängt sich
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- schon die Frage auf, ob das Ministerium gar kein Inter-
KEN) esse daran hat, dass das alte Kompetenzzentrum einen
Abschlussbericht vorlegt.
Der Streit geht in der neuen Koalition weiter. FDP
und CSU streiten sich jetzt um die Frage „Gutscheine (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
oder Barauszahlung“, obwohl dieser Streit nur davon ab- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
lenkt, dass das Betreuungsgeld an sich einfach widersin- KEN – Miriam Gruß [FDP]: Dass da die SPD
nig ist. Auf der einen Seite werden Betreuungseinrich- mitklatscht, ist schon der Hammer!)
tungen ausgebaut, was richtig ist, und auf der anderen
Seite werden Anreize geschaffen, die neuen Kitas zu Wie wir alle wissen, haben wir kein Erkenntnispro-
meiden und die Kinder eben nicht dorthin zu schicken. blem, sondern ein Umsetzungsproblem. Eigentlich wis-
Wo ist denn da die Logik? Das ist doch abstrus. sen wir, worum es bei Kinderarmut geht. Ein Umset-
zungsproblem haben wir zum Beispiel im Hinblick auf
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – das Ehegattensplitting. Es ist offensichtlich, dass das
Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wahlfreiheit heißt Ehegattensplitting nicht der Förderung von Kindern
das!) dient. Insbesondere kinderlose Ehepaare profitieren von
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1407
Sven-Christian Kindler
(A) den steuerlichen Vorteilen, und gleichzeitig wird für spielt, wie es leider von manchen jungen Liberalen oder (C)
Frauen ein Anreiz gesetzt, zu Hause zu bleiben und kei- jungen Konservativen gerne gemacht wird. Ich erinnere
ner Erwerbsarbeit nachzugehen. nur an die Debatte über künstliche Hüftgelenke.
(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Ich gebe Ihnen (Widerspruch bei der CDU/CSU)
mal die Studie des DIW!)
Generationengerechtigkeit muss auch immer Generatio-
Deswegen ist es jetzt an der Zeit, bei der steuerlichen nensolidarität sein. Gerade angesichts des demografi-
Förderung von Familien nicht mehr die Ehe, sondern die schen Wandels brauchen wir Antworten darauf, wie wir
Kinder in den Vordergrund zu stellen. solidarisch zusammen in einer Gesellschaft leben wol-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN len, die schrumpft und die älter, bunter und vielfältiger
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- wird. Deswegen sollten sich alte und junge Menschen
KEN) gemeinsam für einen guten ÖPNV, mehr und bessere
Jugendzentren, Bibliotheken, Sportvereine und kultu-
Jetzt entgegnet die Bundesregierung natürlich: Wieso, relle Initiativen einsetzen. Gerade junge und alte Men-
wir haben doch die Leistungen für Kinder im Rahmen schen sind besonders auf eine wohnortnahe Infrastruktur
des „Schuldenbeschleunigungsgesetzes“ erhöht. Kinder angewiesen.
in Gutverdienerfamilien bekommen wegen der Erhö-
hung des Freibetrages knapp 40 Euro, 20 Euro Kinder- Doch alle diese Angebote müssen wahrscheinlich we-
geld gibt es, wenn die Eltern durchschnittlich verdienen, gen der schlimmen Kassenlage der Kommunen, die
und genau null Euro, nämlich gar nichts, überhaupt durch das „Schuldenbeschleunigungsgesetz“ noch ver-
nichts, gibt es für die 1,8 Millionen Kinder, die in Hartz- stärkt wird, gekürzt werden oder wegfallen. Das ist nicht
IV-Familien leben. So bekämpft man keine Kinderar- nur im Hinblick auf Kinder- oder Altersarmut fatal. Es
mut. Im Gegenteil, so vergrößert man die Spaltung und ist auch katastrophal für das Engagement gegen Rechts-
die Chancenungleichheit zwischen armen und reichen extremismus; denn Rechtsextreme stoßen gezielt in
Kindern. diese Lücke vor mit Angeboten für Jugendliche, die auf
der Suche nach Orientierung sind. So gibt es Konzerte
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, mit rechter Musik, oder man kann Fußball spielen, zu-
bei der SPD und der LINKEN) sammen etwas unternehmen.
Die Entlastung für Besserverdienende, für Erben, für (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Aber die
Unternehmen, für Mövenpick ist nicht nur unsozial, son- Linksextremisten sind schon im Bundestag!
dern sie vergrößert die sowieso schon hohen Defizite, Da sollten Sie sich mal was einfallen lassen!
(B) die hohen Schulden in Bund, Ländern und Kommunen Das ist die Wahrheit! Die gehören aus dem (D)
um weitere 8,5 Milliarden Euro. Mit 8,5 Milliarden Euro Bundestag heraus! – Gegenruf der Abg.
entlasten Sie im Wachstumsbeschleunigungsgesetz Ihre Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Klientel; aber dieses Geld fehlt an anderer Stelle. Es NEN]: Das ist jetzt aber kein Thema!)
fehlt, um die notwendige Erhöhung der Kinderregelsätze
zu finanzieren. Es fehlt beim Ausbau der öffentlichen Das ist eine perfide, aber leider zum Teil auch erfolgrei-
Daseinsvorsorge. Gerade die öffentliche Daseinsvor- che Strategie, weil die Kommunen entsprechende Ange-
sorge bei der Bildung, beim öffentlichen Nahverkehr, bei bote kürzen oder einstellen. Wir dürfen dazu nicht
Büchereien und Kultureinrichtungen ist bei der Schaf- schweigen oder wegschauen; wir müssen das unterbin-
fung von Chancengleichheit und gerechten Perspektiven den. Wir müssen die Kommunen mit den notwendigen
für Kinder und Jugendliche so entscheidend. Generatio- finanziellen Mitteln für den Kampf gegen Rechtsextre-
nengerechte Politik würde hier wirklich Schwerpunkte mismus ausstatten. Insbesondere die zivilgesellschaftli-
setzen und neben massiven Investitionen in Klimaschutz chen Organisationen brauchen eine verlässliche Unter-
auch Investitionen in die Kindergrundsicherung, Bildung stützung beim Kampf gegen Nazis.
und öffentliche Daseinsvorsorge tätigen. Das wäre gene- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
rationengerecht, weil davon die jetzige und zukünftige bei der SPD und der LINKEN)
Generationen profitieren würden.
Am Montag hat Ministerin Köhler im Ausschuss an-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gekündigt, dass sie die Bundesmittel für den Kampf ge-
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- gen Rechtsextremismus auf alle Extremismusformen
KEN) ausweiten will; Kollege Bockhahn hat das bereits ange-
Deswegen fordere ich Sie auf, Frau Köhler: Stoppen Sie sprochen. Am Dienstag, also nur einen Tag später, zau-
diese teure Klientelpolitik, und setzen Sie sich für eine berte sie dann plötzlich 2 Millionen Euro zusätzlich ge-
gerechte Zukunft der Kinder und Jugendlichen ein! gen Linksextremismus und Islamismus aus dem Hut.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das muss
und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten auch sein!)
der SPD)
Ich frage mich schon: Was, bitte schön, ist Ihr Plan? Wo
Ich will noch auf das Thema Generationengerech- ist das Geld im Haushalt veranschlagt? Frau Köhler, er-
tigkeit eingehen. Generationengerechtigkeit heißt nicht, klären Sie uns bitte nachvollziehbar und haushaltstech-
dass man junge Menschen gegen alte Menschen aus- nisch korrekt, woher dieses Geld kommen soll.
1408 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Sven-Christian Kindler
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dorothee Bär (CDU/CSU): (C)
sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Die größte Bedrohung für unsere demokratische Ge- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf zunächst ein-
sellschaft sind nicht linksradikale Gruppen, sondern ex- mal unserer Ministerin zu ihrer guten Rede gratulieren.
trem rechte und menschenfeindliche Einstellungen in der Sehr geehrte Frau Dr. Köhler, das war eine sehr gute
Gesellschaft. Rede zur Haushaltseinbringung, die sich genau mit den
Themen befasst hat, um die wir uns zu kümmern haben.
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wer hat Sie war nicht ideologiegeprägt, wie das bei manch ande-
Ihnen das aufgeschrieben?) ren Reden heute der Fall war.
Allein 2009 gab es über 20 000 von Rechtsextremen be- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wider-
gangene Straftaten. Immer wieder werden Menschen spruch bei der SPD und der LINKEN)
von Nazis schwer verletzt oder sogar getötet. Seit der
Wende wurden 140 Menschen von Rechtsextremen er- Ihre Rede hat konkrete Vorstellungen und detaillierte
mordet. In wenigen Wochen, am 13. Februar, wollen in Programme enthalten.
Dresden wieder viele Tausend Nazis – das ist der größte Frau Ziegler, ich muss in diesem Zusammenhang
Naziaufmarsch in Europa – aufmarschieren. Sie werden schon sagen, dass Sie ein sehr seltsames Verständnis von
dabei die Schoah relativieren und deutsche Täter zu Op- Oppositionspolitik haben, wenn Sie sich hierhin stellen
fern machen. Es ist wichtig, am 13. Februar auf die und wortwörtlich sagen: Wir sind die Opposition; wir
Straße zu gehen, um den Naziaufmarsch friedlich zu blo- müssen keine Vorschläge machen. – Ich, die ich selber
ckieren. schon Oppositionspolitikerin war, finde das sehr beein-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, druckend.
bei der SPD und der LINKEN) (Dagmar Ziegler [SPD]: Die kommen schon
Das ist das Problem bei dieser Extremismusdebatte: noch!)
Jede Gleichsetzung des Rechtsextremismus mit anderen Ein bisschen Gestaltungswillen erwarte ich auch von der
Extremismusformen verharmlost die Gewalt und die Opposition in diesem Hohen Hause.
mörderische Ideologie von Nazis. Die Mittel für Pro-
gramme gegen Rechtsextremismus und für Vielfalt, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Toleranz und Demokratie müssen erhöht werden. Ge-
Wir debattieren heute über den Einzelplan 17. Es geht
rade in Problemregionen brauchen wir dringend mehr
um Ausgaben in Höhe von rund 6,56 Milliarden Euro.
demokratisch angelegte Angebote als bisher. Ihre
Das ist natürlich nur ein Bruchteil der Aufwendungen, (D)
(B) Scheindebatten, Frau Köhler, um einen angeblich be-
die jährlich für staatliche Maßnahmen und Leistungen
drohlichen Linksextremismus lenken leider in unverant-
für Familien aufgebracht werden; ich komme gleich zu
wortlicher Weise davon ab, dass das Problem in
den einzelnen Posten. Wir haben aber als Familien-,
Deutschland die Nazis sind.
Frauen-, Jugend- und Seniorenpolitiker mit einer Viel-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zahl von Themen zu tun, bei denen sehr viel nicht mit
und bei der LINKEN) Geld geleistet werden kann. Natürlich brauchen wir auch
mehr Geld. Nicht, dass der Herr Staatssekretär beim Fi-
Weil es um eine gerechte Zukunft geht, müssen wir nanzminister denkt, dass wir weniger Geld brauchen.
jetzt die Weichen richtig stellen und massiv in Infra- Das Gegenteil ist der Fall.
struktur investieren, sodass alle Kinder gute Startchan-
cen bekommen. Wir müssen in die Infrastruktur investie- Ein Beispiel für die Vielzahl der Themen, mit denen
ren, damit die Daseinsvorsorge für alle Generationen wir uns auseinandersetzen: Ich habe eine neue europäi-
gesichert ist und der Kampf gegen Rechtsextremismus sche Studie darüber gelesen, wie stark die Lust auf
erfolgreich geführt werden kann. Für die Zukunft brau- Kinder in den einzelnen europäischen Staaten ausge-
chen wir Gerechtigkeit. prägt ist. So wurde gefragt: Was ist für Sie die ideale
Kinderzahl? Die Antworten sind erschreckend. In Frank-
Vielen Dank.
reich haben 3 Prozent gesagt, dass gar keine Kinder die
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN perfekte Anzahl sind. In vielen anderen europäischen
und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Ländern sagen im Schnitt 5 Prozent, dass keine Kinder
der SPD) der gewünschte Idealzustand sind. In den Niederlanden
ist die Quote sehr hoch. Dort wünschen sich fast
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: 12 Prozent keine Kinder. Aber Spitzenreiter ist Deutsch-
Herr Kollege Kindler, ich darf auch Ihnen im Namen land, wo 17 Prozent sagen, dass sie, wenn sie es sich
des ganzen Hauses herzlich zu Ihrer ersten Rede im Bun- aussuchen können, keine Kinder haben wollen. Daran
destag gratulieren. müssen wir gesellschaftspolitisch arbeiten. Schließlich
geben wir schon sehr viel Geld für Familien aus. Nach
(Beifall) Berechnungen des Finanzministeriums und des Fami-
lienministeriums handelt es sich um ungefähr 180 Mil-
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dorothee Bär für die
liarden Euro, die nicht nur aus dem Gesamtetat des Bun-
CDU/CSU-Fraktion.
des, sondern auch von den Ländern und Kommunen
(Beifall bei der CDU/CSU) beigesteuert werden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1409
Dorothee Bär
(A) Wir investieren trotz einer wirtschaftlich schwierigen spektive für die Zeit nach dem Elterngeldbezug zu (C)
Lage weiter massiv in die Stärkung der Familie – das bieten.
wurde schon angesprochen –: Erhöhung des Kindergel-
des um volle 20 Euro pro Kind und Monat, des Kinder- Ich wollte das Thema heute nicht in aller Ausführlich-
freibetrags um fast 1 000 Euro sowie die bessere Absetz- keit ansprechen, aber möchte noch sagen, dass wir in den
barkeit von Aufwendungen für die Kranken- und nächsten Jahren sehr viel darüber debattieren müssen,
Pflegeversicherung, die ab dem 1. Januar dieses Jahres wie echte Wahlfreiheit für Familien aussieht. Man
wirksam sind und Familien erheblich entlasten. In der kann sich über die Ausgestaltung immer im Detail strei-
Haushaltsdebatte ringt man natürlich darum, wofür das ten. Aber mir ist wichtig, dass wir dies ideologiefrei tun.
Geld am besten ausgegeben werden kann. Es ist wichtig, Ich weiß, dass das einigen hier schwerer fällt als ande-
dass wir klug und umsichtig handeln, damit das Geld ren.
den Bürgern wieder zugutekommt. Ich denke, wir sind
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wem fällt
uns alle einig, dass das im Einzelplan 17 für Familien in-
das wohl schwer? – Caren Marks [SPD]: Das
vestierte Geld gut angelegt ist, weil das die beste Zu-
ist eine ideologische Debatte, die Sie hier füh-
kunftsinvestition ist. Ich verstehe natürlich den Bundes-
ren!)
finanzminister, Herr Staatssekretär Koschyk, dass er
versucht, Einsparungspotenziale zu finden. – Nein, unsere Partei hat noch nie eine Ideologie gehabt.
Wir haben Visionen.
Herr Kindler, Sie selber haben in Ihrer ersten Rede
– dazu herzlichen Glückwunsch – das Thema Genera- (Lachen bei der SPD und der LINKEN –
tionengerechtigkeit angesprochen. Aber man darf sich Caren Marks [SPD]: Inhalte haben Sie noch
nicht über andere erheben und so tun, als hätte die Ju- nie gehabt!)
gendorganisation der Grünen die Generationengerech-
tigkeit gepachtet. Ich würde Sie bitten, einmal zu versuchen, mit etwas we-
niger Schaum vor dem Mund mit uns darüber zu disku-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tieren.
neten der FDP)
Um diese Wahlfreiheit ermöglichen zu können,
Dieses Thema ist für alle Jugendorganisationen, egal braucht man den Ausbau der Kinderbetreuungsplätze.
welcher Partei, wichtig. Genauso wenig wie den Kolle- Frau Dr. Köhler hat bereits angesprochen, dass der Bund
gen von der Jungen Union und den Jungen Liberalen sich daran mit 4 Milliarden Euro beteiligt. Das ist kein
spreche ich der Grünen Jugend ab, sich um das Thema Pappenstiel, sondern wirklich viel Geld, das wir zur Ver-
(B) Generationengerechtigkeit zu kümmern. Nur so viel als fügung stellen, weil uns der Ausbau wichtig ist. Ich weiß (D)
kleine Zwischenbemerkung. gar nicht, ob sich jeder den Betrag von 4 Milliarden Euro
vorstellen kann. Außerdem beteiligen wir uns mit
Da wir nach Einsparungspotenzialen suchen, möchte 770 Millionen Euro an den Betriebskosten.
ich sowohl die Haushälter – auch die der Koalitionsfrak-
tionen – als auch das Bundesfinanzministerium bitten, Mir ist auch der Rechtsanspruch auf einen Betreu-
das nicht in unserem Einzelplan zu tun; denn es ist nicht ungsplatz sehr wichtig, weil gute Familienpolitik sich
möglich, hier Einsparungen vorzunehmen. Wir können für uns hauptsächlich durch Verlässlichkeit auszeichnet.
nicht weniger Geld für familienpolitische Leistungen Junge Paare müssen sich darauf verlassen können, einen
ausgeben, sondern brauchen eher mehr Geld. Ich bitte Betreuungsplatz zu bekommen. Natürlich verstehen wir
Sie, Herr Staatssekretär, das an den Minister weiterzuge- auch die Kommunen; aber das ist eine Gesamtaufgabe,
ben. an der sich Bund, Länder und Kommunen beteiligen
müssen. Wenn der Bund seine Hausaufgaben macht,
Als Familienpolitiker haben wir in den letzten Jahren müssen das die anderen politischen Ebenen genauso tun.
mit unserer verlässlichen Politik auf die sich stark verän- Ich sage das auch als Kreisrätin meines Landkreises.
dernde Gesellschaft reagiert. Es gibt neue Lebensent-
würfe und neue Möglichkeiten in Bildung, Wissenschaft (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
und Forschung, die jungen Menschen und besonders
jungen Frauen neue Perspektiven eröffnet haben. Es gibt auch gute Beispiele wie den Freistaat Bayern.
Anders als andere Länder schöpft der Freistaat Bayern
Ich bin sehr froh, dass wir in der letzten Legislaturpe- die Mittel des Bundes aus und legt noch eigenes Geld
riode unter Federführung von Ursula von der Leyen das drauf, um ohne Deckelung fördern zu können. Kein an-
Elterngeld eingeführt haben, dass wir die Partnerkom- deres Bundesland hat seinen Kommunen bisher so viele
ponente haben, die wir jetzt verstärkt fördern wollen. Ich Mittel bewilligt. Es waren Anfang Dezember 2009
bin auch Ihnen, Frau Ministerin Köhler, dankbar, dass schon über 230 Millionen Euro. Nirgendwo in Deutsch-
Sie im Ausschuss noch einmal deutlich gemacht haben, land geht der Ausbau so schnell voran. Wir werden es al-
dass Ihnen diese Weiterentwicklung wichtig ist. Es muss ler Voraussicht nach in Bayern schon bis Ende 2012 ge-
auch jungen Vätern die Möglichkeit eröffnet werden, schafft haben, die Quoten zu erfüllen und genügend
sich sehr stark an der Familienarbeit zu beteiligen. Der Betreuungsplätze zur Verfügung zu stellen. Ich würde
Erfolg des Elterngeldes hängt natürlich auch damit zu- mir wünschen, dass andere Bundesländer, die im Gegen-
sammen, inwieweit wir den Ausbau von Kinderbetreu- satz zu Bayern Mittel aus dem Länderfinanzausgleich
ungsplätzen unterstützen, um so eine gute Anschlussper- beziehen, dem Beispiel Bayerns folgen.
1410 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Dorothee Bär
(A) (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Wenn eine Partei für eine verbohrte Ideologie steht, dann (C)
GRÜNEN]: Sie haben lange genug Mittel aus ist es allen voran die CSU. Wir wären dankbar, wenn Sie
dem Länderfinanzausgleich bezogen!) auch einmal inhaltliche Vorschläge machten, jedenfalls
solche, die voranbringen.
Wir werden also versuchen müssen, in den nächsten
Jahren klug zu agieren. Ich hätte noch viel mehr The- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
men, die ich ansprechen möchte. Aber nachdem ich BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
mich auch mit unsinnigen Vorschlägen der Opposition
Heute wird mit einer Auftaktveranstaltung in Madrid
auseinandersetzen musste, fehlt mir jetzt leider die Zeit.
das Europäische Jahr 2010 gegen Armut und soziale
(Dagmar Ziegler [SPD]: Ich denke, wir haben Ausgrenzung eröffnet. Von der schwarz-gelben Regie-
keine!) rung aber werden die Armutsbekämpfung und auch der
Schutz vor Armut für Familien, Senioren, Frauen und
– Stimmt, mein Fehler. Sie haben ja gar keine Vor- Jugendliche nicht ernst genommen; stattdessen setzt sie
schläge. einseitig auf Klientelpolitik.
(Caren Marks [SPD]: Haben Sie eine Phantom- (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das muss
rede gehalten? – Britta Haßelmann [BÜND- auch mal gesagt werden! Eine Standardflos-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was war es denn kel!)
nun?)
Aktuelle Studien zeigen, dass die Situation von Kindern
Trotzdem biete ich von Unionsseite auch den Opposi- und Familien hierzulande weiter verbessert werden
tionsparteien einen konstruktiven Dialog an. muss. Wir dürfen uns auf dem bisher Erreichten nicht
(Dagmar Ziegler [SPD]: Lassen Sie mal!) ausruhen. Das wäre fatal; denn es gibt wirklich noch viel
zu tun in unserem Land.
– Frau Ziegler, Sie sagen jetzt: „Lassen Sie mal!“ Ich
frage mich, warum Sie sich in den Bundestag haben (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Gut, dass wir
wählen lassen, wenn Sie keine Vorschläge machen und da sind!)
keine konstruktive Oppositionspolitikerin sein wollen. Das Statistische Bundesamt hat Anfang dieser Woche
(Dagmar Ziegler [SPD]: Doch! Aber nicht Zahlen vorgelegt: Trotz positiver Entwicklungen liegt
heute!) die Betreuungsquote für unter Dreijährige in den west-
deutschen Landkreisen nur zwischen 5 und 15 Prozent.
Ich biete es Ihnen trotzdem an und hoffe, dass Sie noch Eltern haben es im Westen immer noch schwer, einen
zur Vernunft kommen. Krippenplatz zu finden. Vereinbarkeit von Familie und
(B) (D)
(Dagmar Ziegler [SPD]: Ich habe wenigstens Beruf – Fehlanzeige! Das gilt insbesondere für Nord-
die Chance! Sie nicht mehr! Sie sind so ver- rhein-Westfalen und Niedersachsen. Dort regieren CDU
bohrt!) und FDP.
Wenn man einmal Landesministerin war, sollte man ei- (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Hallo?)
gentlich wissen, wie man mit Opposition umgeht. Ich Die meisten Eltern aber wollen und müssen Familie und
freue mich auf weitere gute Verhandlungen und auf kon- Beruf in Einklang bringen. Gerade für Alleinerziehende
struktive vier Jahre Familienpolitik für die Familien in sind Betreuungsangebote unverzichtbar, damit sie eine
diesem Lande. Arbeit aufnehmen können und aus der Armutsfalle kom-
Danke schön. men.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Dagmar Ziegler [SPD]: Amen!)
Frau Kollegin Marks, erlauben Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Schirmbeck?
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat die Kollegin Caren Marks von der SPD-
Caren Marks (SPD):
Fraktion.
Gerne.
(Beifall bei der SPD)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Caren Marks (SPD): Bitte schön, Herr Schirmbeck.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Bär, Georg Schirmbeck (CDU/CSU):
ohne die Ideologie insbesondere der CSU Frau Kollegin, Sie haben die Ehre, ein paar Jahre jün-
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wir haben keine!) ger zu sein als ich. Vielleicht haben Sie im Geschichts-
unterricht über die Bundesrepublik Deutschland ver-
wären wir heute schon viel weiter beim Betreuungs- folgt, wer wann regiert hat.
platzausbau. Das steht jedenfalls fest.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Caren Marks (SPD):
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Mir ist das bekannt.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1411

(A) Georg Schirmbeck (CDU/CSU): Computer eigentlich kaputt, sodass Sie immer (C)
Wissen Sie, wer der einzige Bundeskanzler ist, der dieselbe Rede halten?)
das Kindergeld gekürzt hat? Wissen Sie, welcher Bun-
Diese Klientelpolitik ist unverantwortlich.
deskanzler gesagt hat: „Kindergeld, Familienpolitik, das
ist alles Gedöns“? Wissen Sie, wie lange in Nordrhein- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Westfalen die SPD regiert hat und seit wann dort CDU DIE GRÜNEN)
und FDP regieren? Wissen Sie also, wer in Nordrhein-
Mit dem sogenannten Wachstumsbeschleunigungsge-
Westfalen und in Niedersachsen für die Missstände, die
setz beschert die Regierung dem Staat Steuerausfälle in
Sie ansprechen, die Verantwortung trägt?
Milliardenhöhe. Bund, Ländern und Kommunen fehlt
dadurch dauerhaft Geld für die soziale Infrastruktur, aber
Caren Marks (SPD): auch für die frühkindliche Bildung. Dieser Regierung
Ihre Fragen wundern mich nicht. Wir sind von der sind Hotelbetten wichtiger als die Förderung von Kin-
CDU und auch von der FDP gewohnt, dass sie sich dern. Schwarz-Gelb lässt die Kommunen ausbluten.
weiße Füße machen und mit dem, was dort passiert, wo Viele Kommunen haben wegen Ihrer Steuerpolitik be-
sie schon einige Jahre regieren, nichts zu tun haben wol- reits höhere Gebühren angekündigt, auch höhere Kitage-
len. Ich kann nur sagen: Es war Bundeskanzler Gerhard bühren.
Schröder, an den ich mich gut erinnere, der das Kinder-
geld in einer rot-grünen Koalition deutlich erhöht hat (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Vor allem
sozialdemokratisch regierte!)
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das ist lei-
der falsch, Frau Kollegin!) Die Familien zahlen die Zeche für diese desaströse Steu-
erpolitik. Auch 20 Euro mehr Kindergeld pro Monat hel-
und die Defizite, die in den 16 Jahren unter Bundeskanz- fen da nicht weiter. Das wissen Sie;
ler Kohl entstanden sind, beseitigt hat.
(Miriam Gruß [FDP]: Wann gibt es denn bei
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Ihnen 20 Euro mehr?)
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Georg
Schirmbeck [CDU/CSU]: Im Geschichtsunter- erst recht wissen das die Familien in unserem Land.
richt durchgefallen!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
In den letzten Jahren haben andere Bundesländer, des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
zum Beispiel das SPD-regierte Rheinland-Pfalz, deutli- Mit der Forderung nach einem unsinnigen Betreu-
che und sichtbare Erfolge in diesem Bereich erzielt, und ungsgeld, das jährlich bis zu 1,9 Milliarden Euro ver-
(B) zwar nicht nur beim Ausbau, sondern auch bezüglich schlingen würde, setzt die neue Bundesregierung dem (D)
Qualität und Beitragsfreiheit. Vielleicht sollten Sie sich Ganzen wirklich die Krone auf. Dieses Geld wird drin-
davon einmal eine Scheibe abschneiden. Schauen Sie gend für den Ausbau von Krippen, Kitas und natürlich
nicht nur die Anfänge der Geschichte an, sondern führen auch Ganztagsschulen gebraucht. Nach Ihrer Argumen-
Sie sich auch einmal Bücher zur Zeitgeschichte zu Ge- tationslogik, meine Damen und Herren von Union und
müte. FDP, müssten Sie als Nächstes eine finanzielle Zuwen-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dung für diejenigen einführen, die keine öffentlichen Bi-
DIE GRÜNEN – Ingrid Fischbach [CDU/ bliotheken besuchen; denn mit dem Betreuungsgeld wol-
CSU]: Disqualifiziert! Kommen Sie mal nach len Sie gerade die Eltern belohnen, deren Kinder
Nordrhein-Westfalen! Gucken Sie sich das mal sinnvolle Einrichtungen nicht nutzen. Viele Studien be-
an, was die SPD in 40 Jahren verbockt hat und legen dagegen, dass sich Kinder wesentlich besser ent-
was wir jetzt in der kurzen Koalitionszeit ge- wickeln, wenn sie von frühkindlicher Bildung in einer
ändert haben! Das müssen Sie sich mal angu- Krippe profitieren.
cken! – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Totaler
Keine Frage richtig beantwortet!) Quatsch!)
Ab 2013 gilt der von der SPD gegen den erheblichen Zahlreiche Verbände haben das Betreuungsgeld als
Widerstand von CDU und CSU – Frau Fischbach, viel- grundsätzlich kontraproduktiv und als sozial- und
leicht erinnern Sie sich noch daran – in der Großen Ko- gleichstellungspolitischen Rückschritt abgelehnt. Dem
alition durchgesetzte Rechtsanspruch auf einen Krip- schließen wir uns an.
penplatz. Ich fordere die Bundesregierung auf, ihre
Kräfte zu bündeln, um gemeinsam mit den Ländern und (Beifall bei der SPD)
Kommunen den Betreuungsausbau schneller voranzu- Nicht nur das Betreuungsgeld, nein, grundsätzlich
treiben. Das erwarten die Eltern, und das brauchen un- lässt die konservative Gleichstellungspolitik nichts Gu-
sere Kinder. Dabei darf die Qualität der Einrichtungen tes erahnen. So lässt die Frauenministerin bei der
nicht auf der Strecke bleiben. Gleichstellungspolitik die Wirtschaft machen, was sie
will, und setzt unbeirrt weiter auf unverbindliche An-
Bisher hat die schwarz-gelbe Koalition ihre Kräfte für
kündigungen. So werden Sie den nach wie vor geringen
die steuerliche Entlastung von Hoteliers gebündelt.
Anteil von Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Auch das nicht erhöhen, Frau Köhler. Wenn Sie bei der Wirtschaft
musste mal wieder gesagt werden! Ist Ihr lediglich für mehr Entgeltgleichheit werben wollen,
1412 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Caren Marks
(A) dann ist das mehr als zu wenig. Die Lohnungleichheit Es reicht nicht aus, meine Damen und Herren von (C)
zwischen Frauen und Männern ist in den letzten Jahren Union und FDP, sich mantraartig als christlich-liberale
sogar noch größer geworden. Es muss Schluss sein mit Koalition zu bezeichnen.
freiwilligen Vereinbarungen mit der Wirtschaft.
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das sind
(Beifall bei der SPD) wir!)
Ihr Handeln ist weder christlich noch liberal. Sie sind
Frauen erwarten zu Recht verbindliche gesetzliche
bestenfalls die neoliberale Klientelkoalition.
Maßnahmen und endlich gleiche Löhne für gleiche und
gleichwertige Arbeit. Das ist nicht nur ein Gebot der Ge- Vielen Dank.
rechtigkeit. Es ist auch Voraussetzung für eigenständige
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Existenzsicherung und soziale Absicherung für Frauen
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
im Alter. Hier hilft nur ein Gesetz zur Herstellung von
LINKEN – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]:
Entgeltgleichheit. Es ist nicht hinnehmbar, dass der An-
Das musste doch wieder gesagt werden!)
teil von Frauen mit Niedriglohn doppelt so hoch ist wie
der Anteil der Männer. Ein gesetzlicher Mindestlohn
käme insbesondere Frauen zugute. Diesen lehnt Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Schwarz-Gelb kategorisch ab. Es ist wirklich alarmie- Das Wort hat die Kollegin Nicole Bracht-Bendt von
rend, dass über 63 Prozent der Minijobber sowie der FDP-Fraktion.
80 Prozent der Teilzeitbeschäftigten Frauen sind. Es (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
wäre falsch, hier noch zusätzliche Anreize für Teilzeitar- der CDU/CSU)
beit und prekäre Beschäftigung zu setzen, wie von der
Regierung geplant. Das Modell „die Frau als Zuverdie-
Nicole Bracht-Bendt (FDP):
nerin“ hat ausgedient. Andere Staaten sind hier längst
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
weiter.
Damen und Herren! In den Medien ist immer wieder die
Auch in Unternehmen bedarf es einer wirklichen Rede von der überalternden Gesellschaft. Demografen
Gleichstellungspolitik. Wir brauchen ein umfassendes und Ökonomen warnen seit Jahren vor den Folgen dieser
Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft. Dafür Entwicklung. Ich bin froh, dass sich jetzt im Gegenzug
werden wir als SPD weiter kämpfen; immer mehr Pragmatiker zu Wort melden, die die demo-
grafische Entwicklung nicht so negativ bewerten. Genau
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Der Sozia- hier müssen wir in der Seniorenpolitik anknüpfen. Äl-
(B) lismus lässt grüßen!) tere Menschen dürfen nicht zwangsweise aufs Abstell- (D)
gleis gestellt werden. Die Alterung unserer Gesellschaft
denn im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und Herren nur als Gefährdung unserer Sozialsysteme zu sehen, ist
von Union und FDP, haben wir begriffen: Wer nur auf dumm und kurzsichtig.
die Freiwilligkeit der Wirtschaft setzt, wird in der
Gleichstellungspolitik von Frauen auf dem Arbeitsmarkt (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
keine Fortschritte erleben. Fakt ist: Frauen sind in der Die Alterung unserer Gesellschaft als Herausforderung
Gesellschaft nach wie vor benachteiligt. Daher muss der zu sehen, um aus einem unermesslichen Erfahrungs-
bestehende Diskriminierungsschutz weiterentwickelt schatz eine moderne und menschliche Gesellschaft zu
werden. Die Verankerung einer Verbandsklage im Allge- formen, stellt eine Chance für uns alle dar, auch für uns
meinen Gleichbehandlungsgesetz würde hier helfen. Politiker.
Meine Damen und Herren von Union und FDP, ich Die FDP-Bundestagsfraktion drängt darauf, dass der
appelliere an Sie: Verabschieden Sie sich von einer Poli- Sechste Altenbericht „Altersbilder in der Gesellschaft“
tik, die Klientelinteressen bedient, zeitnah fertiggestellt wird. Die Ergebnisse müssen dann
schnell umgesetzt werden. Diskriminierende Altersgren-
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das hat zen müssen abgeschafft werden. Nicht nur Ärzte, Mana-
schon lange niemand mehr gesagt!) ger und Handwerksmeister empfinden die zwangsweise
Versetzung in den Ruhestand als Strafe. Nach einer
die die soziale Infrastruktur in den Kommunen aushöhlt Forsa-Umfrage wünscht sich ein Viertel der Menschen
und auf Fehlinvestitionen wie das Betreuungsgeld setzt. zwischen 60 und 80 Jahren einen bezahlten Job. 14 Pro-
Familien brauchen eine solide Infrastruktur, Kinder und zent haben einen, und deren Anteil wächst. Aber auch
Familien ein gerechtes und gebührenfreies Bildungssys- dem Ehrenamt müssen wir mehr Bedeutung schenken.
tem und Frauen wirkungsvolle Gesetze zur Gleichstel- Die Frage, wie wir ältere Menschen länger in Gesell-
lung. schaft und Arbeitsleben einbinden können, wird und
muss für uns ein zentrales Thema sein.
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Kinder brau-
chen Eltern, die sich um sie kümmern!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Das sind wirklich wichtige Bausteine zur Armutsbe-
kämpfung und Armutsvermeidung. Wir werden uns aber auch verstärkt um die Pflegebe-
dürftigen kümmern müssen. Nicht nur Eltern kleiner
(Beifall bei der SPD) Kinder brauchen Unterstützung beim Spagat zwischen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1413
Nicole Bracht-Bendt
(A) Familie und Beruf. Auch Frauen und Männer, die zu Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C)
Hause ihre alten Eltern pflegen, brauchen Hilfe. Damit Liebe Kollegin Bracht-Bendt, auch Ihnen gratuliere
Familien Erwerbstätigkeit und Pflege von Angehörigen ich im Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede
besser in Einklang bringen können, wollen wir mit der im Deutschen Bundestag.
Wirtschaft und dem öffentlichen Dienst unbürokratische
(Beifall)
Lösungen entwickeln. Stichworte sind hier die Ände-
rung des Sozialgesetzbuchs mit Blick auf Teilpflegezeit, Das Wort hat die Kollegin Diana Golze von der Frak-
die Prüfung flexibler Entgeltmodelle und neue Arbeits- tion Die Linke.
zeitmodelle. Das ist dann „Zeit für Verantwortung“.
(Beifall bei der LINKEN)
Als seniorenpolitische Sprecherin meiner Fraktion
setze ich mich auch für eine bessere Pflege und Betreu- Diana Golze (DIE LINKE):
ung in Heimen ein. Durch meine ehrenamtliche Tätig- Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-
keit im Heimbeirat eines Seniorenwohnheims in Hanno- nen und Kollegen! Frau Bundesfamilienministerin, Sie
ver und durch meine jahrelange Erfahrung in der haben am Montag im Familienausschuss die Schwer-
Betreuung Demenzkranker weiß ich nur zu gut, dass es punkte Ihres Ministeriums und Ihrer zukünftigen Arbeit
bei der Altenpflege um mehr gehen muss als um „satt vorgestellt. Sie haben uns dargelegt, dass Ihr Haus für
und sauber“. Sie mehr sei als nur ein Ministerium für Familien. Sie
sagten, es sei das Ministerium für Gesellschaftspolitik.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Außerdem haben Sie gesagt, dass Sie, um Ihren An-
der CDU/CSU) spruch zu erfüllen, von zwei Prämissen ausgehen: faire
Chancen für alle und Zeit für Verantwortung.
Unsere Aufgabe muss es aber auch sein, die Lebensqua-
lität derer zu verbessern, die nicht im Heim leben. Viele Ich habe mir den Einzelplan dieses Ressorts im Bun-
Alte möchten auch im hohen Alter in ihrer vertrauten deshaushalt 2010 deshalb einmal unter diesen Prämissen
Umgebung bleiben. Deshalb wird sich die FDP-Fraktion angeschaut. Er spricht eine deutliche Sprache bezüglich
dafür einsetzen, dass die Bedingungen für ein selbstbe- der Gesellschaftspolitik, die Sie meinen, und zeigt, für
stimmtes und barrierefreies Wohnen verbessert werden. welche Menschen Sie Politik machen und vor allem, für
welche nicht.
Meine Damen und Herren, im Einzelplan 17 ist auch
die Gleichstellungspolitik angesiedelt. Die Ziele der Beginnen wir beim Elterngeld. Das Elterngeld ist
FDP-Fraktion sind klar im Koalitionsvertrag festge- nach wie vor zu begrüßen, weil es die Situation von Fa-
milien verbessert, zumindest der Familien, in denen El-
(B) schrieben. Erstens: Der Anteil von Frauen in Führungs- (D)
positionen in der Wirtschaft und im öffentlichen Dienst tern ein mittleres oder höheres Einkommen haben, und
soll erhöht werden. Dazu wird ein Stufenplan festgelegt. weil die Einführung der Partnermonate zumindest dazu
Zweitens: gleicher Lohn für gleiche Arbeit. Es ist mit beiträgt, dass die Rollenverteilung überdacht wird und
nichts zu rechtfertigen, dass Frauen bei der Entlohnung die Erziehungsarbeit gerechter aufgeteilt wird. Aber al-
ihrer Arbeit immer noch schlechter gestellt sind als Män- lein die Einsparungen in Höhe von 20 Millionen Euro
ner. durch das allmähliche Auslaufen des Erziehungsgeldes
machen deutlich, auf wessen Kosten diese Verbesserun-
(Beifall bei der FDP und der LINKEN sowie gen gehen. Wir haben schon bei der Einführung des Ge-
bei Abgeordneten der CDU/CSU und des setzes kritisiert, dass gerade die Eltern mit keinem oder
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Caren einem sehr geringen Einkommen schlechter gestellt wer-
Marks [SPD]: Sie machen nichts!) den. Sie sind die Verlierer beim Elterngeld. Sie bekom-
men nur noch 300 Euro über zwölf Monate. Das ist ge-
Lassen Sie mich zum Schluss noch auf eines hinwei- nau die Hälfte der Leistung, die sie früher durch das
sen: Sowohl in der Seniorenpolitik als auch in der Frau- Erziehungsgeld bekommen haben. Wenn Sie also faire
enpolitik reicht Geld allein nicht aus, um ans Ziel zu Chancen für alle Eltern wollen, sollten Verbesserungen
kommen. Bei beiden Themen ist auch ein Bewusstseins- gerade für diese Familien angestrebt werden.
wandel in den Köpfen unerlässlich. Jedem, der Altenpo-
litik macht, muss klar sein, dass sich das Leben ab 60 (Beifall bei der LINKEN)
nicht nur um Windeln und Lätzchen dreht, und in der In den Ankündigungen Ihres Hauses zum Elterngeld
Frauenpolitik müssen wir endlich wegkommen von habe ich diese Aussage leider vermisst. Wir werden dazu
überholten Rollenklischees. Ein Beispiel: Solange deshalb als Fraktion einen Vorschlag zur finanziellen
grundsätzlich nur ich gefragt werde, aber nie mein Ausgestaltung eines sozial gerechten Elterngeldes ma-
Mann, wie ich Beruf und Familie unter einen Hut be- chen.
komme, ist Gleichberechtigung auch am Anfang des
neuen Jahrzehnts leider immer noch ein unerledigtes Für die Zeit nach dem Elterngeld schaffen Sie dage-
Thema. gen in unnachahmlicher Weise eine traurige Gleichheit
für alle Familien, denn die Suche nach einem Kitaplatz
Danke schön. wird bis 2013 und auch danach in vielen Regionen des
Landes ein regelrechtes Lotteriespiel sein. Es wird nur
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie wenige strahlende Gewinner geben. Der Ausbau verläuft
bei Abgeordneten der LINKEN) nach wie vor zu schleppend. Das Ziel, für ein Drittel der
1414 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Diana Golze
(A) Kinder einen Platz zu schaffen, ist viel zu niedrig ange- Das kann es wohl nicht sein, und das werden wir nicht (C)
setzt. Der Bund schiebt den Schwarzen Peter aber den durchgehen lassen.
Ländern und Kommunen zu. Denn dort werden die El-
(Beifall bei der LINKEN)
tern von ein- und zweijährigen Kindern 2013 an die Tü-
ren klopfen und nicht beim schönen neuen Familienmi- Meine Damen und Herren, ich denke, Ziel der Politik
nisterium. Die Kommunen werden dann erklären eines Familienministeriums sollte eine kinder- und fami-
müssen, warum sie – wenn überhaupt – nur für ein Drit- lienfreundliche Gesellschaft und das Miteinander der
tel und nicht für mehr Kinder Plätze vorhalten. Generationen sein. Wenn ich mir den Einzelplan 17 an-
schaue, dann muss ich allerdings sagen, dass ich andere
(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Wir sind
Vorstellungen von Gesellschaftspolitik habe. Es ist näm-
froh, dass es so viele sind!)
lich nicht der Haushalt eines Ministeriums für Gesell-
Mit dem zu niedrig angesetzten Sondervermögen, das schaftspolitik, sondern eines Ministeriums für Besser-
für den Kitaausbau geschaffen wurde, und mit der kon- verdienende. Faire Chancen für alle sehen anders aus,
sequenten Handlungsverweigerung, was die Ausbildung Frau Köhler. Es ist Zeit für Verantwortung, auch für Sie.
der Erzieherinnen und Erzieher betrifft, hat sich der
Vielen Dank.
Bund sträflichst aus der Verantwortung gezogen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei der LINKEN – Andreas Mattfeldt des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
[CDU/CSU]: Das stimmt einfach nicht!)
Kommunen und Länder werden das aus eigener Kraft Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
nicht leisten können. Ich bin selbst Mitglied in zwei Der Kollege Erwin Rüddel hat jetzt das Wort für die
kommunalen Vertretungen und weiß, was von den vielen CDU/CSU-Fraktion.
hier versprochenen Entlastungen bei den Kommunen tat-
sächlich ankommt, nämlich nichts. (Beifall bei der CDU/CSU)

Die Finanzpolitik der Regierung, aber auch die Ihres Erwin Rüddel (CDU/CSU):
Ministeriums, Frau Köhler, trägt nicht zu einer Entschär-
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
fung der Situation bei. Statt den Bundesanteil am Son-
und Herren! Die christlich-liberale Koalition wird die
dervermögen aufzustocken, betreiben Sie eine Wünsch-
Familienpolitik konsequent fortentwickeln.
dir-was-Politik für Besserverdienende und große Unter-
nehmen, und die Kommunen werden in den Ruin getrie- (Caren Marks [SPD]: Mantra!)
ben. Eine Politik, die sich, wie Sie, Frau Köhler, es be-
(B) zeichnen, um die Kräfte kümmert, die die Gesellschaft Wir wissen die Familienpolitik bei der neuen Bundesmi- (D)
zusammenhalten, sieht für mich anders aus. nisterin in guten Händen und werden sie in ihrer Arbeit
nach Kräften unterstützen; denn wir sind mit ihr der Auf-
Dass Ihnen zum Thema Kinderarmut in Deutsch- fassung, dass es sich hier um ein Politikfeld handelt, das
land nur die zaghafte Ausweitung der Zahl der Kinder- weit über die engeren Grenzen der Familien hinausreicht
zuschlagsberechtigten einfällt, spricht schon Bände. und sich nachhaltig auf Wirtschafts- und Arbeitsleben,
Auch Ihre Vorgängerin, Frau von der Leyen, hat ver- den Bildungsbereich, die Integrationspolitik, die gesell-
sucht, halbseidene Reförmchen durchzuführen, um den schaftliche Entwicklung insgesamt auswirkt.
Kinderzuschlag zu verbessern.
Deutschland wird älter, es wird internationaler, aber
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Was? Frau es wird auch kleiner, und das, obwohl Jahr für Jahr noch
Präsidentin! – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: immer viele Menschen aus anderen Ländern zu uns
Halbseiden?) kommen, um bei uns zu leben. Ein Land mit immer we-
niger Kindern ist aber ein Land mit immer weniger Zu-
Das ist nicht angekommen. Lesen Sie die Stellungnah- kunft. Deshalb fördern wir die Familien. Dabei orientie-
men dazu. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen ren wir uns an den Lebensrealitäten, den modernen
Bundestages und der Bundesrechnungshof sind wahrlich Lebensentwürfen von Männern und Frauen und an den
keine linken Institutionen. Schauen Sie sich an, wie viel Bedürfnissen der Kinder. Wir wollen, dass die Menschen
wirklich bei den Betroffenen ankommt. Schauen Sie sich in unserem Land alle Chancen auf ein erfülltes Familien-
an, dass gerade Kindern von Alleinerziehenden, die das leben und gleichzeitig auf beruflichen Erfolg haben.
höchste Armutsrisiko in Deutschland tragen, der Kinder-
zuschlag nicht hilft, sie aus dem Armutsrisiko herauszu- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
holen. Und dann schauen Sie sich an, was das Bundesfa-
Chancengleichheit für Frauen und Männer, Zusammen-
milienministerium zur Verbesserung plant, nämlich eine
halt der Generationen, Austausch von Erfahrungen und
Wahloption gegenüber dem Arbeitslosengeld II. Das
bürgerschaftliches Engagement machen eine lebendige
führt dazu, dass die Familien, die sich vor der Unterdrü-
Zivilgesellschaft aus.
ckungs- und Erpressungsmaschinerie der Argen retten
wollen, wählen können, dass sie lieber unter der De- Noch nie sind so viele Menschen so alt geworden wie
ckung ihres Bedarfs bleiben, indem sie den Kinderzu- heute. Noch nie waren sie dabei so gesund und so gut
schlag wählen. Dafür können sie dann aber immer noch ausgebildet. Unsere Volkswirtschaft, aber genauso un-
nicht ihren Bedarf und schon gar nicht den ihrer Kinder sere Gesellschaft insgesamt, braucht ihr Wissen und ihre
decken und kommen nicht über die Armutsschwelle. Erfahrung. Mit dem Verschwinden der Großfamilie, mit
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1415
Erwin Rüddel
(A) der Auflösung traditioneller sozialer Netze in der Ge- nehmen, um zusätzliche Betreuungsplätze für die Kinder (C)
meinde oder in der Nachbarschaft ist etwas, was früher ihrer Beschäftigten einzurichten.
selbstverständlich war, vielfach verloren gegangen, und
zwar die gegenseitige Hilfe und die Weitergabe von Er- Aber vergessen wir darüber nicht: Das Thema Arbeit
fahrungen zwischen Alt und Jung. Dem begegnen wir und Pflege ist nicht weniger wichtig als das Thema Fa-
mit der Errichtung der Mehrgenerationenhäuser. In- milie und Beruf. Längst nicht alle Menschen haben Kin-
zwischen gibt es in Deutschland 500 von ihnen. der, aber alle haben Eltern und andere nahe Angehörige.
Wir wissen, dass die Zahl pflegebedürftiger Menschen in
Damit die älter werdende Gesellschaft zu einer den kommenden Jahren weiter steigen wird. Schon heute
Chance für jeden Einzelnen und für unser Land wird, hat werden über zwei Drittel der Pflegebedürftigen zu Hause
die Bundesregierung ferner die Initiative „Alter schafft gepflegt. All diese pflegebedürftigen Menschen haben
Neues“ ins Leben gerufen. einen Anspruch auf menschenwürdige und fachgerechte
Pflege und qualifiziertes Personal genauso wie auf die
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Unterstützung der pflegenden Angehörigen.
Menschen aller Altersgruppen, insbesondere aber die
Älteren, sollen sich nach eigener Wahl für das Gemein- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
wohl engagieren können. Das Programm wird Schritt für Die Vereinbarkeit von Pflege der Angehörigen einer-
Schritt bundesweit etabliert und von der Bundesregie- seits mit Familie und Beruf andererseits wird deshalb ein
rung in vielfältiger Weise finanziell unterstützt. zentrales Thema christlich-liberaler Politik sein, um
Das Programm „Aktiv im Alter“ zielt vor allem auf künftig die Lebensqualität pflegebedürftiger älterer
die Kommunen. Die älteren Mitbürgerinnen und Mitbür- Menschen und ihrer nächsten Angehörigen zu sichern.
ger sollen hier verstärkt mitgestalten und mitentscheiden Es gibt vieles, woran sich in diesem Kontext denken
und sich für ihr örtliches Gemeinweisen engagieren. lässt: flexible Arbeitszeiten, mobiles Arbeiten, gezielte
Schließlich verknüpft die Initiative „Wirtschaftsfaktor Beratung und ein niederschwelliges Angebot von fami-
Alter“ Senioren-, Wirtschafts- und Verbraucherpolitik liennahen, unterstützenden Maßnahmen.
miteinander. Bessere Dienstleistungen und Produkte Wir begrüßen deshalb nachdrücklich, dass sich die
steigern die Lebensqualität älterer Menschen und stärken Frau Ministerin sehr deutlich dazu bekannt hat, die Ver-
sie als Verbraucher. einbarkeit von Pflege und Beruf zu verbessern. Denn
Ältere Menschen müssen sich auf die Solidarität der wie gesagt: Das Problem ist vorhanden; es wird in den
Gesellschaft verlassen können. Sie alle haben Anspruch nächsten Jahren drängender werden. Je eher wir hier tä-
auf ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes tig werden und im Sinne der Betroffenen zu einvernehm-
(B) Leben. Deshalb werden wir in den kommenden Jahr- lichen Lösungen kommen, auch unter Einbindung von (D)
zehnten auch neue und innovative Wohnformen und Unternehmen und Gewerkschaften, desto besser. Wir
Betreuungsangebote benötigen, die älteren und behin- werden dieses Anliegen in dieser Legislaturperiode vo-
derten Menschen gerecht werden. Besondere Aufmerk- ranbringen. Ich lade alle dazu ein, konstruktiv daran mit-
samkeit gilt zudem der Qualitätssicherung beim ambu- zuarbeiten.
lanten Betrieb betreuter Wohngemeinschaften, vor allem
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
für Menschen mit Demenz.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Nicole Bracht-Bendt [FDP])
Herr Rüddel, das war Ihre erste Rede hier im Hohen
Alter bedeutet nicht nur bürgerschaftliches Engage- Hause. Dazu gratulieren wir Ihnen herzlich und wün-
ment, neue Aktivität und Mobilität, Hilfestellung für die schen für Ihre Zukunft und Ihre Arbeit hier alles Gute.
Enkel oder Reisen in Länder, die während des Berufsle-
bens unerreichbar waren. Alter bedeutet auch Leid und (Beifall)
Krankheit, Hilfe und Pflegebedürftigkeit. Schicksals- Jetzt hat Rolf Schwanitz das Wort für die SPD-Frak-
schläge wie Demenz treffen nicht nur die Kranken, son- tion.
dern ebenso die unmittelbaren Angehörigen, die sehr oft
zeitgleich pflegende und berufstätige Angehörige (Beifall bei der SPD)
sind. Wir wollen darüber nachdenken, wie wir die viel-
versprechenden Ansätze aus den Bereichen Kindererzie- Rolf Schwanitz (SPD):
hung, Familie und Beruf auf dieses Problemfeld übertra-
gen können. Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Sehr geehrte Frau Bundesministerin Dr. Köhler,
In den letzten Jahren ist viel geschehen, um Familie ich will Ihnen auch von meiner Seite herzlich gratulieren
und Beruf besser miteinander zu verbinden. Es wurde und Ihnen einen guten Start im neuen Amt und Erfolg in
mehr Familienfreundlichkeit in die deutsche Wirtschaft der Amtsführung wünschen. Ich denke, das darf man
gebracht und ein Unternehmensnetzwerk geschaffen, in auch aus der Opposition heraus sagen; denn die vielen
dem Erfahrungen gegenseitig ausgetauscht werden, die Tausend Menschen im Land, die auf eine gute Arbeit Ih-
zu familiengerechten Arbeitsbedingungen führen. Die res Ministeriums angewiesen sind, setzen auf Ihren Er-
Bundesregierung setzt mit ihrem Förderprogramm auch folg. Ich denke, deswegen gehört das an den Anfang ei-
hier ganz gezielt Anreize für kleinere und mittlere Unter- ner solchen Rede.
1416 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Rolf Schwanitz
(A) Frau Ministerin, Sie haben am Anfang Ihrer Einbrin- (Caren Marks [SPD]: Keine Ahnung die (C)
gungsrede darauf hingewiesen, dass der Einzelplan 17 Frau!)
im Entwurf zum Haushalt 2010 ein Ausgabenvolumen
von insgesamt 6,56 Milliarden Euro beinhaltet. Das ist Ich persönlich habe mir noch keine abschließende
richtig. Anschließend haben Sie sich selbst dafür gelobt, Meinung gebildet, ob das wirklich Ihre Meinung ist,
dass das 170 Millionen Euro mehr sind, als im Haushalt Frau Ministerin, oder ob es dabei nicht auch darum geht,
2009 im Einzelplan 17 zur Verfügung standen. Ich ein paar Signale an die rechtskonservativen Teile der Ge-
denke, Sie haben Verständnis dafür, dass ich diesem Lob sellschaft auszusenden, was für mich schlimmer wäre.
nicht folgen kann. (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das ist echt abar-
tig! Das nehmen Sie zurück! Das ist ja pein-
Zum Ersten wäre es eigentlich redlich gewesen, da- lich! – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das ist
rauf hinzuweisen, dass von dieser Summe ein Betrag in unterstes Niveau! Das haben Sie überhaupt
Höhe von 64 Millionen Euro schon aus dem ersten Ent- nicht nötig!)
wurf zum Haushalt 2010 stammt, den der damalige Fi-
nanzminister Peer Steinbrück aufgestellt hat, dieser jetzt Ich rate Ihnen: Räumen Sie das weg.
quasi mit verbucht worden ist.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Zum Zweiten, meine Damen und Herren – zwar ha- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
ben andere das hier schon gesagt, aber ich erspare Ihnen GRÜNEN – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Un-
das dennoch nicht –, gehört dazu natürlich auch der würdig ist das! – Georg Schirmbeck [CDU/
Blick darauf, was Sie an anderer Stelle tun. Wir haben CSU]: Sie sollten sich wirklich schämen! –
gestern und auch heute noch einmal sehr intensiv in Er- Gegenruf der Abg. Caren Marks [SPD]: Sie
innerung gebracht, welche Geschenke Sie der Hotellerie sollten sich schämen!)
machen, verbunden mit einem gesamtstaatlichen Ausfall Sie stehen am Anfang Ihrer Amtsführung, Sie haben
von rund 1 Milliarde Euro Steuergeld. Das sind allein jetzt noch die Chance dazu. Räumen Sie das weg. Mei-
beim Bund 500 Millionen Euro, die weniger zur Verfü- nes Erachtens würde dies Ihre Tätigkeit in den nächsten
gung stehen. Das ist in etwa dreieinhalb Mal so viel wie Jahren wesentlich erleichtern.
der gesamte Etat für den Kinder- und Jugendplan im
Einzelplan 17. Das muss man noch einmal in Relation (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Unwürdig, wirk-
setzen, damit die Menschen verstehen, was hier eigent- lich unwürdig! – Weiterer Zuruf von der CDU/
lich passiert, wenn solche Geschenke mit der Gießkanne CSU: Das ist ein vergifteter Rat!)
in der Landschaft verteilt werden. – Das ist kein vergifteter Rat, sondern ein ernst gemein-
(B) ter Rat; (D)
(Beifall bei der SPD)
(Zuruf von der CDU/CSU: Nein, das ist eine
Ich will mich beim Einzelplan 17 auf zwei Fragen Unverschämtheit!)
konzentrieren. Zunächst will ich ein paar Bemerkungen
zu den Anti-Extremismus-Programmen machen. Die denn ich glaube, man darf die Amtsführung bei einem
Koalition hat im Koalitionsvertrag angekündigt, dass solch wichtigen Thema nicht mit solchen ideologisch ge-
künftig aus den Programmen, vor allen Dingen aus dem prägten Aussagen beschweren.
Programm „Vielfalt tut gut. – Jugend für Vielfalt, Tole-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
ranz und Demokratie“, auch Projekte gefördert werden,
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
die sich mit Tendenzen des Linksextremismus und des
GRÜNEN – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]:
Islamismus auseinandersetzen.
Das ist eine Unterstellung, was Sie hier ver-
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das wird breiten!)
auch Zeit!) Sie haben weiterhin in dieser Woche erklärt und es in
Es ist so, Frau Ministerin, dass Sie sich seit 2006, also Ihrer Rede hier wiederholt, dass da nicht gekürzt wer-
vor dem Antritt Ihres neuen Amtes, in den Medien – ich den soll, sondern 2 Millionen Euro zusätzlich aus nicht
habe noch einmal nachgeschaut – intensiv zu dieser genutzten Mitteln des Haushalts 2009 für dieses Prä-
Frage geäußert haben. Da ist zu lesen, dass Sie sagen, es ventionsprogramm und die einzelnen Projekte hinzu-
gebe bei den Projekten gegen Rechtsextremismus ein kommen sollen.
riesiges Sparpotenzial. Da ist zu lesen, dass Sie sagen, (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das hat sie auch
man müsse dort umschichten, und es ist in Welt Online gesagt!)
zu lesen – ich will das hier einmal zitieren –:
Ich will festhalten: Eine inhaltliche Korrektur der
Beide Phänomene eben von mir zitierten Aussagen ist dies nicht. Aber ich
will auch ausdrücklich sagen: Wir werden bei den Haus-
– damit meinen Sie den Linksextremismus und den Isla- haltsberatungen, ebenso bei den Berichterstattergesprä-
mismus – chen und auch im Ausschuss ganz intensiv nachfragen,
woher diese zwei Millionen Euro kommen;
sind etwa gleich groß und gleich gefährlich. Dies
sollte auch bei der Verteilung der Mittel berücksich- (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Als Haus-
tigt werden. hälter ist das Ihre Aufgabe!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1417
Rolf Schwanitz
(A) denn das ist eine nicht unbedeutende Frage. Das ist ein Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C)
ganz entscheidender Punkt, nicht nur für uns Sozialde- Herr Schwanitz, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
mokraten, sondern auch für viele Beteiligte, die in den
Regionen (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Jawohl, Frau
Präsidentin!)
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Unglaub-
lich!) Rolf Schwanitz (SPD):
schwer unter rechtsextremistischen Tendenzen und Um- Wir werden das auf den Prüfstand stellen. Sie haben
trieben leiden. Es ist entscheidend, dass die Projekte ge- heute angekündigt, dass zum 1. Januar 2011 die Dienst-
gen Rechtsextremismus durch diese Veränderungen zeitverkürzung kommt. Ich kann bei den Haushaltsansät-
keine Kürzung erfahren. zen keinerlei Vorbereitung hierfür sehen. Deswegen wird
auch das ein Schwerpunkt der Diskussionen und Aus-
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem einandersetzungen in den nächsten Wochen sein.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herzlichen Dank.
Dabei ist es meiner Meinung nach egal, ob das eine
direkte oder eine indirekte Kürzung ist, etwa bedingt (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
durch in der Vergangenheit nicht verausgabte Mittel. der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
Das werden wir klären. Dafür haben wir in den Bericht- GRÜNEN)
erstattergesprächen Zeit.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Aber die
Die Kollegin Miriam Gruß hat jetzt das Wort für die
Projekte müssen effizient sein! Da muss man
FDP-Fraktion.
nachfragen dürfen!)
(Christel Humme [SPD]: Jetzt kommt wieder das
Deutschland braucht nach meiner festen Überzeugung
Thema „Rechte Tasche, linke Tasche“!)
eine auf Dauer angelegte Auseinandersetzung gegen den
Rechtsextremismus. Darum geht es. Wir brauchen eine
Stärkung der Kultur. Deswegen ist das ein ganz sensibler Miriam Gruß (FDP):
Punkt. Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Ich finde, in der letzten Legislaturperiode war
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem die Opposition besser. Ich höre Frau Ziegler von der
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) SPD über ein Thema reden, wovon sie keine Ahnung
(B) Ihre Amtsvorgängerin hat sehr intensiv Öffentlich- hat, weil sie nicht im Ausschuss war und die Aufgaben- (D)
keitsarbeit betrieben. planung nicht mitbekommen hat.

(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das ist eine (Dagmar Ziegler [SPD]: Oh doch!)
fleißige Frau! Es waren Tausende Leute unter- Frau Marks spricht wieder einmal nicht frei, sondern
wegs, die sie sehen wollten! Bei Ihnen kommt liest lediglich ihre ideologischen Ausführungen, die sie
kein Mensch!) seit Jahren wiederholt, ab.
Ich glaube, sie ist bei fast allen Einweihungen von Mehr- (Caren Marks [SPD]: Wie bitte? Das ist ja un-
generationenhäusern vor Ort gewesen. glaublich!)
(Caren Marks [SPD]: Und beim Rechtsextre- Zu 50 Prozent der Linken kann ich nur sagen: Thema
mismus?) verfehlt, Note 6, bitte setzen.
Ich erinnere mich aber nicht daran, sie bei einem einzi- (Zurufe von der LINKEN – Ute Kumpf [SPD]:
gen Projekt gegen Rechtsextremismus gesehen zu ha- Note 6, Frau Kollegin, bitte setzen!)
ben. Frau Minister, ich würde mir wünschen, dass Sie
sich mehr darum kümmern. Das wäre ein wichtiges Si- Der Kollege von den Grünen hat heute Glück, weil er
gnal für die Menschen vor Ort, die sich in Initiativen seine erste Rede gehalten hat. Ich muss sagen – Sie wer-
stark machen und damit anderen Bürgern Mut beweisen, den mir sicherlich zustimmen –: Die FDP war in den
der nur bewundert werden kann und der zu unterstützen letzten vier Jahren besser.
ist. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Lachen
Ich will ein zweites Thema ansprechen – vielleicht ei- bei der SPD – Zurufe von der SPD: Oh! – Ute
nes der schwierigsten im Einzelplan 17 –, und zwar den Kumpf [SPD]: Ein bisschen mehr Demut! –
Zivildienst. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Selbstlob!)
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Muss nicht
sein!) Auch wir haben schließlich nachgedacht, Frau
Ziegler, was besser gemacht werden kann, und haben
Zunächst einmal stelle ich fest: Wir müssen in den Haus- konstruktive Vorschläge eingebracht. Da Sie, meine sehr
haltsberatungen intensiv darüber reden, ob der jetzt etati- geehrten Damen und Herren von der SPD, wieder ein-
sierte Titel tatsächlich das abbildet, was im Dritten Zivil- mal reflexartig reagieren und behaupten, uns seien Ho-
dienständerungsgesetz geregelt worden ist. tels wichtiger als Kinder,
1418 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Miriam Gruß
(A) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und der schrien. Das müsste eigentlich auch ihm gefallen. Wir (C)
LINKEN) werden eine eigenständige Jungen- und Männerpolitik
betreiben. Auch damit sind wir nahe dran an der gesell-
will ich Ihnen in Erinnerung rufen, dass Ihnen Autos
schaftlichen Realität. Wir wollen für Männer, die auch
wichtiger waren als Kinder. Ich sage nur: 100 Euro Kin-
für ihre Kinder da sein wollen, Freiräume schaffen, weil
derbonus, aber ungefähr 5 Milliarden Euro Abwrackprä-
auch sie sich kümmern wollen.
mie.
Wir müssen den Blickwinkel erweitern
(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Die Grünen nicht! – Caren Marks (Caren Marks [SPD]: Sie müssen Ihren Blick-
[SPD]: Die haben die Familien direkt bekom- winkel erweitern! Da haben Sie recht!)
men!)
und den Blick nicht immer nur auf Frauen richten. Wir
Sie haben ebenso von der Automobilindustrie Spenden werden unseren Blick nach wie vor auf die Frauen rich-
bekommen. Aber wir wollen das gar nicht thematisieren, ten, aber auch auf Jungs, die nachgewiesenermaßen die
weil es unanständig ist, solche Dinge anzuführen, wenn Bildungsverlierer von heute sind.
es um wichtige Zukunftsthemen wie Kinder geht.
(Zuruf der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/
Jetzt seien Sie doch einfach mal still und hören mir DIE GRÜNEN])
zu. Sie haben nicht nur elf Jahre lang geredet, sondern
auch elf Jahre lang regiert. Sie haben nicht das Richtige – Liebe Ekin, du hast ja auch einen Sohn. Ich glaube, wir
gemacht, sonst würden Sie die Defizite, die Sie heute an- werden uns da thematisch irgendwann annähern.
mahnen, nicht anmahnen müssen. Wenn Sie alles richtig (Caren Marks [SPD]: Haben Sie jetzt das Blatt
gemacht hätten, dann bräuchten wir heute nicht mehr da- verloren?)
ran zu arbeiten.
– Frau Marks, Sie brauchen Blätter, um überhaupt reden
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – zu können. Von daher müssten Sie eigentlich ganz still
Caren Marks [SPD]: Luft holen! Gleich plat- sein.
zen Sie!)
(Beifall bei der FDP)
Die FDP hat konstruktive Vorschläge eingebracht. Sie
finden auch Gehör. Darum richte ich ein herzliches Dan- Ich kann den Rest der Debatte auch ganz frei spre-
keschön an das Ministerium. Ihnen, liebe Ministerin, chen.
wünsche ich ein gutes Händchen und viel Erfolg für die (Die Rednerin legt ihr Manuskript zur Seite)
Arbeit. Wir werden Sie konstruktiv unterstützen.
(B) Das können Sie nicht, Frau Marks. (D)
Vereinbarkeit von Beruf und Familie steht nach
wie vor ganz oben auf der Agenda. Flexibilisierung ist (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
hier das große Stichwort; denn wir wollen lebensnah an Caren Marks [SPD]: Tapfer!)
den Familien dran sein. Ich weiß aus der Vorhabenpla- Für uns ist es ein ganz wichtiger Punkt, dass wir die
nung, dass das Ministerium und die Koalitionsfraktionen familienpolitischen Leistungen evaluieren und zielge-
den richtigen, den lebensnahen Weg gehen werden. richtet bewerten. Auch das haben Sie nur gefordert, in
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) den letzten vier Jahren aber nichts gemacht.
Beim Ausbau der Kinderbetreuung kann ich nur be- Zum Thema Wachstumsbeschleunigungsgesetz und
stätigen, was die Kolleginnen und Kollegen gesagt ha- zum Vorwurf, wir würden nichts für die Familien tun.
ben: Wir dürfen uns keinen Sand in die Augen streuen Was haben Sie gemacht? Sie haben erst einmal den Fa-
lassen. Die Vertreter der Kommunen saßen mit am milien das Geld weggenommen. Mein Sohn ist fünf
Tisch. Das Jahr 2013 kommt nicht überraschend. Ich Jahre alt. Er hat eines schon verstanden: Wenn man ihm
höre immer wieder, für Kinder sei kein Geld vorhanden, etwas wegnimmt und dann so tut, als würde man es ihm
aber ich höre nicht, dass für andere Prioritätensetzungen schenken, dann sagt er zu mir: Mama, das brauchst du
kein Geld vorhanden ist. Zu viele Sportstätten, zu viele mir nicht zu schenken; das gehört sowieso mir. So gehen
Prestigeobjekte werden von den Kommunen gebaut, ob- Sie mit den Steuergeldern um. Sie nehmen das Geld erst
wohl angeblich Geld in der Kasse fehlt. Wir setzen uns weg und tun dann so, als würden Sie es verschenken.
in den Kommunen und in den Ländern, in denen wir re- Wir lassen das Geld in den Taschen der Familien und
gieren, dafür ein, dass in die Zukunft investiert wird. Wir vertrauen darauf, dass die Familien wissen, was sie da-
halten unser Versprechen. mit zu tun haben.
(Ulrich Kelber [SPD]: Hessen und Nordrhein-
Westfalen vor allem!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Gruß, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Beim Kinderschutzgesetz war uns – jetzt sind Sie
bitte wieder ganz still, weil Ihnen das auch wichtig war – Miriam Gruß (FDP):
das Thema Prävention sehr wichtig. Prävention und In-
Frei gesprochen. Frau Marks, das nächste Mal bitte
tervention – auch das wird kommen. Wir werden eine ei-
von Ihnen.
genständige Jugendpolitik haben. Der Kollege Gehring
ist jetzt leider nicht da; der hat vorhin ganz laut ge- Danke.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1419
Miriam Gruß
(A) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Gerade die Erfolge in der Familienpolitik sind für uns (C)
Caren Marks [SPD]: Frei gesprochen, aber Ansporn, diesen Weg konsequent fortzuführen und aus-
Unsinn erzählt!) zubauen. Wir müssen Familien weiterhin wirksam unter-
stützen, egal ob Alleinerziehende oder Großfamilien.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Denn für uns in der Union sind Familien die Zukunfts-
Der Kollege Andreas Mattfeldt hat jetzt das Wort für träger unserer Gesellschaft. Deshalb haben wir zum
die CDU/CSU-Fraktion. 1. Januar dieses Jahres das Kindergeld und den Kinder-
freibetrag erhöht. Wir entlasten Familien damit um einen
(Beifall bei der CDU/CSU) erheblichen Betrag aus dem Bundeshaushalt.

Andreas Mattfeldt (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Mi-
nisterin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr Zur Stärkung der Familien trägt auch das Elterngeld
geehrten Damen und Herren! bei. Hier wurde der Haushaltsansatz erhöht, und zwar
Kinder sind unsere besten Richter. auf 4,48 Milliarden Euro. Das sind 80 Millionen Euro
mehr als im letzten Jahr. Diese Entwicklung zeigt die
Dieser Ausspruch von Otto von Bismarck ist auch heute positive Akzeptanz des Elterngeldes. Der Anstieg ist auf
noch der Maßstab für die Familienpolitik der Union. die verstärkte Inanspruchnahme der Vätermonate zu-
(Ute Kumpf [SPD]: Das weiße Band!) rückzuführen. Die Zahl der Väter, die ihre Kinder in den
ersten Lebensmonaten betreuen wollen, ist stetig gestie-
Wir müssen Familien unterstützen, die Kinder schüt- gen. Mit dem Elterngeld haben wir in der Union die
zen und den sozialen Zusammenhalt der Generationen Rahmenbedingungen geschaffen, dass sich beide Eltern-
ausbauen und festigen. Familie muss wieder das Erfolgs- teile in den so wichtigen ersten Lebensmonaten gemein-
modell der Gesellschaft werden. Die Familie ist ein fes- sam um ihr Kind kümmern können. Eine erheblich stär-
tes Fundament für Kinder und bietet Halt und Orientie- kere, vor allem aber auch emotional bessere Bindung
rung. zwischen Vater und Kind ist das positive Ergebnis.
(Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Im Gegensatz zu vielen in diesem Hause sprechen wir Der Erfolg des Elterngeldes hat uns gezeigt, dass wir
in der Union nicht nur davon, etwas für Familien zu tun, auf dem richtigen Weg sind. Deshalb bin ich der Minis-
sondern wir setzen unsere Worte auch in Taten um. Als terin sehr dankbar, dass sie dieses Erfolgsmodell in den
(B) ehemaliger Bürgermeister einer 15 000-Einwohner-Ge- kommenden Jahren ausbauen möchte. Auch wenn wir (D)
meinde war ich für sechs Kindertagesstätten verantwort- Haushälter sehr sparsam sind, halte ich es für erforder-
lich. Ich kann Ihnen sagen: Ich war beeindruckt, mit lich, das Teilelterngeld einzuführen. Eltern, die bewusst
welch einer Hartnäckigkeit unter Führung der Union der zum Wohle ihres Kindes Teilzeit arbeiten, sollen zukünf-
Krippenausbau durchgesetzt und vor allem auch mas- tig nicht mehr dadurch bestraft werden, dass bei gleich-
siv unterstützt wurde. zeitiger Inanspruchnahme ein doppelter Anspruchsver-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- brauch angerechnet wird. Damit wollen wir Eltern in
neten der FDP – Caren Marks [SPD]: Das ist ihrem Kinderwunsch mehr unterstützen. Die Eltern kön-
Geschichtsfälschung, aber macht nichts!) nen dann eine Zeit lang weniger arbeiten und müssen
nicht ganz aus dem Berufsleben aussteigen. Das kann
Deshalb dürfen wir mit Stolz sagen: Wir blicken auf gerade in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten sehr sinn-
eine äußerst fortschrittliche Familienpolitik in den letz- voll sein.
ten vier Jahren zurück. Familienpolitik ist das Schwer-
punktthema der Union. Wir werden die Rahmenbedin- Ein weiterer Ausblick gilt dem Jahr 2013. Wir werden
gungen für Familien weiter verbessern. Frau Golze, wir die Zeit bis dahin sorgfältig nutzen und intensiv beraten,
brauchen von Ihrer Seite nun wirklich keinen Nachhil- damit Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen und er-
feunterricht; denn dort, wo Sie regieren, nämlich hier, in ziehen möchten, Anerkennung erfahren. Es ist für mich
Berlin, ist die Kinderarmut am größten. Politik unter Ih- unerträglich, wie in diesem Haus das Betreuungsgeld
rer Führung bedeutet Armut für Kinder. Das ist mit uns als Herdprämie verunglimpft wird.
mit Sicherheit nicht zu machen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Aydan Özoğuz [SPD]: Weil es Unsinn ist!)
Die Menschen im Land haben es anscheinend auch Wir sind uns doch wohl einig, dass die große Mehrheit
verstanden. Einer Allensbach-Umfrage zufolge sind der Eltern ihrem Erziehungsauftrag gerecht wird. Die El-
50 Prozent der Befragten der Meinung, dass unsere Fa- tern leisten in der breiten Mehrheit eine ausgezeichnete
milienpolitik der letzten Jahre die Bedingungen für Fa- Arbeit zum Wohle ihrer Kinder.
milien verbessert hat. Dies zeigt sich beeindruckend an
der Entwicklung im Einzelplan 17. Der Einzelplan 17 (Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]:
hat sich von 2001 bis zum heutigen Entwurf um Auch die, die berufstätig sind!)
19 Prozent erhöht. Das ist eine stolze Leistung.
Es ist einfach nur unwürdig, wie Sie alle verantwor-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) tungsvollen Eltern hier unter Generalverdacht stellen
1420 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Andreas Mattfeldt
(A) und suggerieren, als würde das Betreuungsgeld nur ver- Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes- (C)
prasst werden. ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit, Einzelplan 16.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Aydan Özoğuz [SPD]: Völliger Blödsinn! – Ich gebe das Wort dem Bundesminister Dr. Norbert
Caren Marks [SPD]: Darum geht es gar nicht!) Röttgen.
Die Kindererziehung in den ersten Jahren durch Mütter (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da
und Väter verdient genauso Anerkennung wie die Arbeit kommt ja der Atomminister!)
unserer Erzieherinnen und Erzieher in den Kindertages-
stätten. Es geht um Anerkennung. Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Naturschutz und Reaktorsicherheit:
der FDP – Marlene Rupprecht [Tuchenbach] Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
[SPD]: Auch der erwerbstätigen Eltern! – nen und Kollegen! Diese Parlamentsdebatte ist die erste
Aydan Özoğuz [SPD]: Sie spalten!) Gelegenheit, hier im Parlament auf den Gipfel von Ko-
penhagen zu sprechen zu kommen. Darüber könnte viel
Die Herkulesaufgabe in den kommenden Jahren wird gesprochen werden. Über die Enttäuschung, die er aus-
bei der Arbeit im Seniorenbereich liegen. In 20 Jahren gelöst hat, über das, was er nicht gebracht hat, von dem
wird jeder dritte Bundesbürger älter als 60 Jahre sein. wir gesagt haben: Das ist unser dringendes Interesse und
Dieser Herausforderung müssen wir uns mit pragmati- das, was geleistet werden muss.
schen Lösungen stellen. Unsere vorrangige Aufgabe
wird es sein, diejenigen, die hilfe- und pflegebedürftig Ich möchte in dieser Debatte eine Konsequenz, die
sind, zu unterstützen. Sie haben Anspruch auf eine men- ich daraus ziehe – ich halte sie für die wichtigste –, an-
schenwürdige Pflege im Alter. Hierfür benötigen wir sprechen.
nicht nur qualifiziertes Fachpersonal, sondern es bedarf (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
auch der Unterstützung der pflegenden Angehörigen. Wollen Sie jetzt etwa doch Geld geben?)
Das haben Sie richtig gesehen, Frau Ministerin.
Diese Konsequenz lautet: Jetzt erst recht machen wir
(Caren Marks [SPD]: Wissen Sie, wer bisher Klimaschutz.
die Anrechnung von Pflegezeiten verhindert
hat?) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
Die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von GRÜNEN)
(B) Pflege, Beruf und Familie müssen verbessert werden. (D)
Wir lassen uns nicht zurückfallen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Meine Damen und Herren, bei all diesen Zielen dür- NEN]: Fangen Sie doch hier an!)
fen wir aber nicht vergessen, dass wir schon im kom-
menden Jahr deutlichere Anstrengungen unternehmen Alle Enttäuschten möchte ich davor warnen, dass ihre
müssen, die Schuldenbremse einzuhalten. Wie eingangs Enttäuschung in Resignation umschlägt. Mit Resigna-
gesagt, die Kinder sind unsere Richter. Das bedeutet, wir tion werden wir keine Veränderung erreichen. Das sage
müssen noch verantwortungsbewusster im Sinne nach- ich auch an die Adresse all derjenigen, die jetzt die Gele-
folgender Generationen mit unserem Geld haushalten. genheit wittern, unseren Kurs der entschlossenen Klima-
schutzpolitik ändern zu können. Nein, meine Damen und
Natürlich muss an gesetzlich zugesagten Familien- Herren: Jetzt erst recht.
leistungen festgehalten werden. Wir alle sind uns, wie
ich hoffe, genauso einig, dass wir in der Verantwortung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
stehen, sämtliche Ausgaben auf ihre Wirksamkeit zu
„Jetzt erst recht“ ist keine Trotzhaltung, die wir an
überprüfen. Auch dies wird eine große Aufgabe. Hier
den Tag legen, weil wir recht behalten wollen. „Jetzt erst
müssen wir ansetzen. Wir tun es für unsere Kinder; des-
recht“ ist eine Konsequenz aus einer ganz nüchternen,
sen müssen wir uns immer bewusst sein. Strengen wir
aber fundamentalen Einschätzung, die mir während mei-
uns also gemeinsam an!
ner Teilnahme an der Konferenz von Kopenhagen und
Herzlichen Dank. danach klarer geworden ist, als sie es vorher war. Für
den Kern und die entscheidende Rechtfertigung unserer
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Politik halte ich die Feststellung, dass Klimaschutz,
CO2-Reduzierung, Ressourcenschonung ganz allgemein,
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: im Zentrum der ökonomischen und geopolitischen
Herr Kollege Mattfeldt, das war Ihre erste Rede im Transformation stehen, in der sich unsere Welt derzeit
Deutschen Bundestag. Dazu gratulieren wir Ihnen recht befindet.
herzlich und wünschen viel Erfolg bei der Arbeit!
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
(Beifall) Warum wollen Sie die verzögern?)
Zu diesem Einzelplan liegen keine weiteren Wortmel- Das ist auch deshalb so, weil diejenigen, die vielleicht
dungen vor. kein Abkommen wollen, zum Beispiel China – China
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1421
Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
(A) hat sich jedenfalls nicht dafür ausgesprochen und einge- Wir wollen das in unserem Interesse, und wir machen (C)
setzt –, in ihrem eigenen Land erkannt haben, dass es das auch. Wir wollen, wie die Kanzlerin gestern gesagt
dieser Veränderungen bedarf. In China setzt man näm- hat, Europa dazu bewegen, den CO2-Ausstoß um
lich auf Technologie, weil man die Klimafolgen spürt 30 Prozent zu reduzieren; aber das müssen die anderen
und die Chancen auf den Märkten ergreifen will. Das Mitgliedstaaten mittragen.
Gleiche gilt für die amerikanische Administration. Sie
hat allerdings Probleme, dafür im eigenen Land Mehr- (Zuruf von der SPD: Das muss die Bundes-
heiten zu organisieren. kanzlerin mittragen!)
Das ist das, was wir erreichen wollen.
Ganz nebenbei: Die ökonomische Transformation, in
der wir uns befinden, hat nicht nur eine geopolitische Man kann es auch so formulieren: Wir haben in Ko-
Bedeutung, die man erleben kann, wenn der amerikani- penhagen versucht, dadurch, dass Deutschland und
sche Präsident mit dem stellvertretenden Außenminister Europa mit ambitionierten Zielen vorangehen, andere
Chinas in einem Raum verhandelt, um anschließend in Regionen, die Welt mitzuziehen. Damit waren wir nicht
das Hotelzimmer des chinesischen Ministerpräsidenten erfolgreich; ich mache bei dieser Feststellung keinerlei
zu gehen, in dem die anderen Führer der Basic-Staaten, Einschränkungen. Die Schlussfolgerung daraus, dass wir
der Schwellenländer, zusammensitzen. In dieser Situa- dabei, andere mitzuziehen, nicht erfolgreich waren, ist
tion wird geradezu hautnah spürbar, dass die Welt im für mich nicht, aufzugeben, sondern dazu überzugehen,
Fluss ist und dass mit Blick auf die Klimaschutzpolitik die anderen anzutreiben.
auch internationale Macht neu verteilt wird, aber noch
nicht neu verteilt ist. (Ulrich Kelber [SPD]: Das war das richtige
Verb! Fangen Sie endlich damit an!)
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Das ist in Europa nicht anders!) Denn wir sind in einem Wettbewerb, und wir wollen die-
sen Wettbewerb gewinnen.
Das ist auch ein Systemwettbewerb: Ist ein autoritäres
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Regime, das Ziele einfach in den Fünfjahresplan schrei-
ben kann, besser in der Lage, Ziele zu erreichen, als De- Unsere Strategie ist zugleich eine ökonomische wie
mokratien, in denen Politik immer der Legitimation und eine klimaschutzpolitische Strategie; ich habe das be-
der Akzeptanz bedarf? In diesem Wettbewerb sind wir, tont, und ich betone das. Die Energiepolitik ist ein zen-
und das möchte ich vermitteln. trales Feld, auf dem sich konkret erweist, wie wir die
Ziele unserer ökonomischen und klimaschutzpolitischen
Die deutsche Position – wir arbeiten daran, dass eine
Strategie umsetzen wollen. Die Vorgaben, die wir in der
(B) noch geschlossenere europäische Position zustande Energiepolitik machen – die in dieser Wahlperiode, ja in (D)
kommt – besteht darin, diesen Prozess, der so oder so
diesem Jahr 2010 eine wichtige Rolle spielen wird –,
stattfindet, mit unseren Werten, mit unseren Interessen
sind klar: Der CO2-Ausstoß ist bis 2020 um 40 Prozent
offensiv zu gestalten, statt alte Strukturen defensiv zu er-
zu reduzieren, bis 2050 um mindestens 80 Prozent.
halten. Für diese Offensivstrategie, für die wir eintreten,
bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. Die Stellschrauben sind klar: Sie heißen Energieeffi-
zienz, und sie heißen erneuerbare Energien. Das sind die
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Eckpfeiler unserer Energiepolitik. Zur CO2-Reduzierung
Wir sind in der besten Position von allen, aus diesem habe ich Ausführungen gemacht. Energieeffizienz wird
Prozess als Gewinner hervorzugehen. Dieser Prozess am meisten dazu beitragen – ich will diesen Aspekt beto-
findet statt, weil er eine ökonomische Notwendigkeit ist. nen –, dass wir die Ziele erreichen. Wir dürfen, wenn wir
Wenn wir so weiterleben und die Milliarden Menschen Energiepolitik machen, nicht nur auf die Angebotsseite
aus den ärmeren Ländern, die sich danach sehnen, unse- schauen, wir müssen auch die Nachfrage nach Strom
ren Wohlstand zu erreichen, die westliche Lebensweise betrachten. Wir dürfen den Bürger nicht wie bislang als
annähmen, würde der Planet das nicht aushalten. Um des passiven Stromabnehmer verstehen, sondern müssen ihn
Schutzes unseres Planeten willen – es geht um die Erhal- zu einem aktiven Teilnehmer am Strommarkt machen.
tung der natürlichen Lebensgrundlagen –, aber ebenso, Das ist möglich: Durch intelligente Messsysteme können
damit wir auch in Zukunft Wohlstand und Wachstum ha- wir das individuelle Verbrauchsverhalten steuern. Dazu
ben, ist es eine schiere Notwendigkeit, Klimaschutzpoli- brauchen wir aber ganz andere Netze – intelligente
tik zu betreiben. Das ist die Grundlage für die Politik, Netze –, und dafür brauchen wir Investitionen. Genau
die wir machen. das ist unsere Energiepolitik. Wir nehmen auch den Ver-
braucher in den Blick. Wir wollen auch durch indivi-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und duelle, intelligente Verbrauchssteuerung Energiepolitik
der FDP) machen. Das ist eine neue Sichtweise.
Darum bleiben wir bei dem nationalen Ziel, den CO2- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ausstoß um 40 Prozent zu reduzieren.
Zur Energiepolitik gehört – das ist keine Frage –, die
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Angebotsseite zu betrachten. Die Angebotsseite ist be-
NEN]: Wie denn? – Renate Künast [BÜND- stimmt durch eine politische Vorgabe. Das kann man an-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie erst ders sehen – andere Länder sehen das anders –, aber ich
mal als nationales Ziel festschreiben!) sage: Wir sehen es so, alle Parteien, die die Koalitions-
1422 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Bundesminister Dr. Norbert Röttgen


(A) vereinbarung verfasst haben, sehen es so. Wir zielen da- Meine beiden Vorgänger im Amt haben sich leider (C)
rauf ab, dass unsere Energieversorgung weitestgehend, – schön, dass einer da ist – um die Verantwortung für die
hauptsächlich auf erneuerbaren Energiequellen be- Entsorgung gedrückt. Das war keine Heldentat.
ruht. Wollen wir dieses Ziel bis 2050 erreichen, müssen
wir eine dynamische Entwicklung und Veränderung un- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
seres Energiemixes erreichen. Das heißt dann Brücken- Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
funktion: dass die erneuerbaren Energien insbesondere Das müssen sie am Sonntag aber beichten!)
die Kernenergie, aber auch die fossile Energie sukzes- Sie haben sich vor der Verantwortung gedrückt, weil
sive ersetzen, sobald und soweit dies sicher möglich ist. sie unangenehm ist. Ich halte mich gar nicht lange mit
Das ist unser Ziel, das ist der Prozess, an den wir heran- der Vergangenheit auf.
gehen, meine Damen und Herren.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
NEN]: Haben Sie nicht die Asse ruiniert? War
Das ist ein langer Prozess von 40 Jahren. Aber trotzdem das nicht Ihre Ministerin, die wegen Unfähig-
müssen wir heute die Entscheidungen treffen. keit abgelöst wurde? Reden Sie mal mit Frau
Schavan!)
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Dann müssen Sie die Laufzeiten ver- Ich sage es jetzt für mich: Ich bin nicht bereit, die Ent-
kürzen und nicht verlängern! Ich habe ein Pa- sorgungsfrage als ungelöste Frage zukünftigen Generati-
pier aus dem Umweltministerium, das besagt, onen zu überlassen.
der Ausbau der erneuerbaren Energien geht
schneller, als Sie denken!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
– Ja, wir werden das genau nach diesem Prinzip machen: Wir drücken uns nicht vor dieser Verantwortung für die
nicht mit politischer Willkür, sondern nach diesem Prin- nächsten Generationen. In diesem Sinne bin ich das
zip. Wir können ja unterschiedlicher Auffassung sein. Thema Asse angegangen, und in diesem Sinne werden
wir das Thema Gorleben angehen. In engem Kontakt
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- und im Austausch mit einer sehr konstruktiven örtlichen
NEN]: Sind wird, in der Tat!) Bevölkerung werden wir das tun. Wir werden weiterhin
Ich sage es noch einmal, damit es klar ist: Die erneu- um Vertrauen und Kooperation werben und an Lösungen
erbaren Energien werden in einem dynamischen Prozess arbeiten.
sukzessive die Kernenergie und fossile Energiequellen
ersetzen. Diese Koalitionsvereinbarung werden wir um- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
(B) Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (D)
setzen.
Da wünsche ich viel Spaß!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
In diesem Sinne werden wir auch die erneuerbaren
Entscheidungen treffen wir heute. Wenn wir dies von Energien weiter massiv fördern. Wir werden dies bei der
den Energieversorgungsunternehmen erwarten, wobei Fotovoltaik tun. Ich habe den Gesetzesvorschlag ges-
man auch die Marktpotenziale sehen muss, die für sie tern gemacht. Wir werden die Fotovoltaik und ihre Nut-
darin stecken, dann haben wir auch eine politische zung aus der Nischenrolle, die sie bislang mit 1 Prozent
Bringschuld. Die politische Bringschuld heißt Klarheit. an der Stromversorgung hat, dadurch herausholen, dass
Was wir wollen, setzt gewaltige Investitionen voraus. wir sie in einen verlässlichen, im Hinblick auf den Markt
Für solche Investitionen und Investitions- und Rendite- anpassungsfähigen Rahmen einfügen, und ihr so eine
zyklen brauchen wir heute Klarheit. Darum stellt sich neue Zukunft geben. In zehn Jahren werden wir im Ver-
diese Regierung anders als Vorgängerregierungen seit gleich zu heute bei einem Ausbauvolumen von 4 bis
zehn Jahren der Herausforderung, ein politisches Ge- 5 Prozent, also bei vier- bis fünfmal so viel Solarenergie
samtkonzept zu erstellen. in Deutschland sein. Das ist unser Ziel. Ich habe unsere
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vorschläge dazu gestern vorgelegt.
NEN]: Dass ich nicht lache!) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Das werden wir in diesem Jahr tun, um die notwendige NEN]: Sie wollen den Ausbau bremsen! Da
Klarheit zu geben. machen Sie gerade eine Industrie kaputt, aber
na ja!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vielleicht verlieren Sie Ihre Voreingenommenheit,
Nach der Verbrauchersicht und dem energiepoliti-
wenn Sie ein paar Kommentare aus der heutigen Presse-
schen Konzept bekunde ich Ihnen noch eine dritte Ver-
landschaft zur Kenntnis nehmen. Ich zitiere zunächst ei-
änderung gegenüber meinen beiden Vorgängern. Zur
nige Überschriften. Michael Bauchmüller in der Süd-
Energiepolitik und zu den Kernkraftwerken, die wir be-
deutschen Zeitung kommentiert in der Überschrift:
treiben, gehört auch die Entsorgung. Das ist eine Last
„Clever und hart“. Ich zitiere Jens Heitmann zu unseren
aus der Vergangenheit, die mit dem Betreiben von Kern-
Vorschlägen; die Überschrift in der Hannoverschen All-
kraftwerken verbunden ist, meine Damen und Herren.
gemeinen Zeitung lautet: „Solarbranche überfördert“.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Ich zitiere Thomas Exner, Die Welt: „Sinnvoller Ein-
NEN]: Und aus der Zukunft!) schnitt“. Aus der Frankfurter Rundschau zitiere ich
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1423
Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
(A) Frank-Thomas Wenzel etwas weiter gehend, weil er un- Wenn alle Menschen so lebten wie die Amerikaner, dann (C)
sere Politik sehr gut wiedergibt: würde die Erde 1,4 Milliarden Menschen vertragen.
Wenn alle so lebten wie die Westeuropäer, dann würde
… wir müssen möglichst bald die sogenannte Netz- der Planet 2,1 Milliarden Menschen vertragen.
parität erreichen. Das bedeutet, der Strom vom
Solardach wird dann so viel kosten wie der Strom Ich möchte mich insbesondere für die Worte des
aus der Steckdose. Das ist notwendig, um die Ver- Papstes bedanken.
hältnisse in der Energiewirtschaft zum Tanzen zu
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
bringen. Deshalb muss das Schmuckstück deut-
NEN]: Sie sind doch nicht Ministrant!)
scher Industriepolitik, das Erneuerbare-Energien-
Gesetz, weiterentwickelt werden. Genau so ist es. Wenn Politiker auf die Wertgrundlagen
des Handelns hinweisen, dann werden sie damit diskre-
Eine entscheidende Komponente hat bislang ge-
ditiert, dass sie handeln sollen, statt über Werte zu predi-
fehlt. Es gab nur eine unzureichende Rückkopplung
gen.
zur Markt- und Preisentwicklung – genau dies hat
die Innovationskraft erlahmen lassen. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Anfangen! Anfangen! Mut haben! Los-
Umweltminister Norbert Röttgen holt Versäumtes legen!)
nach: Je mehr Anlagen in einem Jahr hinzukom-
men, was darauf hindeutet, dass die solare Strom- Das ist richtig. Darum ist es gut, dass der Papst diese
erzeugung hoch rentierlich ist, umso stärker werden Werte betont hat.
die Einspeisevergütungen gekürzt. Noch wichtiger
ist: Erlahmt das Geschäft, fällt die Absenkung der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Vergütung geringer aus. Das stabilisiert. neten der FDP)
Ich möchte deshalb bekunden, dass die Natur für uns
Leider kommt das neue Instrument mit reichlich
einen Eigenwert hat.
Verspätung. Deshalb ist der zusätzliche Abschlag
nötig. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Gut geschwätzt! Loslegen!)
Genau das ist unsere Politik, die in der Breite Zustim-
mung findet, weil sie eine dem Markt angepasste Strate- Ich möchte auch betonen, dass wir um die Dienstleis-
gie für die Zukunft der erneuerbaren Energien ist. tungsfunktion ganzer Ökosysteme für den Menschen
wissen. Darum dient das Jahr der biologischen Vielfalt
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- dazu, den Raubbau und die Zerstörung der Natur zu be-
(B) neten der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ (D)
enden, ein Abkommen im Kampf gegen Biopiraterie zu
DIE GRÜNEN]: Die anderen nennen es Pfei- schließen und Institutionen zu stärken, um des Respektes
fen im Wald!) gegenüber der Natur, aber auch um des Menschen wil-
Ich will mit einem Hinweis darauf schließen, dass die len.
UNO dieses Jahr zum Jahr der biologischen Vielfalt Darum machen wir von der Klimaschutzpolitik über
erklärt hat. Leider ist die Zeit knapp, aber ich bitte um eine konkrete Energiepolitik mit der Förderung erneuer-
Erlaubnis, das noch vortragen zu dürfen. Ich will mit den barer Energien bis hin zum Schutz der biologischen
Worten und Einschätzungen von zwei Institutionen zum Vielfalt konkrete Politik für die Zukunft der Menschen
Schluss kommen. und der nächsten Generationen. Ich bitte alle, denen da-
Zum einen hat Papst Benedikt zu Beginn dieses Jah- ran etwas liegt, um Unterstützung.
res gegenüber der Weltöffentlichkeit von seiner großen Herzlichen Dank.
Sorge um die Bewahrung der Schöpfung als moralische
Herausforderung und wichtigen Faktor für Frieden und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Gerechtigkeit gesprochen. Die Wirtschaftskrise und die Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
globale Klimaproblematik haben nach der Auffassung Viel vorgelesen, nichts gesagt!)
des Papstes dieselben Wurzeln, nämlich eine egoistische
und materialistische Mentalität. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das Wort hat der Kollege Matthias Miersch für die
NEN]: Das hätten Sie bei uns schon vor SPD-Fraktion.
20 Jahren lesen können! Dazu brauchen Sie (Beifall bei der SPD)
nicht den Papst!)
Der geforderte Wandel bestehe deshalb vor allem in der Dr. Matthias Miersch (SPD):
moralischen Herausforderung, unser Verhalten zu än- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
dern. Herr Minister, ich habe sehr aufmerksam zugehört.
Diese Rede unterschied sich wenig von den anderen Re-
Das Worldwatch Institute ist in seinem Bericht Zur den, die wir bislang von Ihnen gehört haben.
Lage der Welt zu dem Ergebnis gekommen, dass 1987
der ökologische Fußabdruck der Menschheit erstmals (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
die Regenerationsfähigkeit der Erde überschritten hat. NEN]: Doch! Mehr Papst!)
1424 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Dr. Matthias Miersch


(A) Sie hören sich gut an, aber ich finde, es wird Zeit, Sie Ich frage Sie: Wo ist die Vorreiterrolle Deutschlands in (C)
auch ein bisschen an Ihren Taten zu messen. Das will ich diesem Prozess in Kopenhagen gewesen?
tun.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Sie haben in der Aussprache zur Regierungserklärung DIE GRÜNEN)
am 11. November 2009 gesagt, ein Ziel sei es, das Leit-
Was ist mit Ihrer Verhandlungstaktik geschehen? Sie ist
prinzip der Nachhaltigkeit durchzusetzen. Die wichtigs-
nicht aufgegangen. Schlimmer noch: Sie wurden durch
ten Felder der Umweltpolitik seien Klimaschutz, Ener-
den Minister Niebel regelrecht rasiert; denn der für Ihre
giepolitik und der Schutz der biologischen Vielfalt. Ich
Verhältnisse hervorragende Antrag, den wir im Umwelt-
möchte Ihnen fünf Beispiele nennen, an denen ich deut-
ausschuss durchgewunken hatten, wurde hier im Parla-
lich machen will, dass jedenfalls gegenwärtig Worte und
ment an zentralen Stellen geändert. Diese Änderungen
Taten weit auseinander liegen.
wurden von den Verhandlungsteilnehmern in Kopenha-
Erstes Beispiel ist das Thema Nachhaltigkeit, das gen deutlich kritisiert, lieber Herr Minister. Sie müssen
zwar in den Reden sehr häufig vorkommt, aber nur dann sich im Kabinett stärker durchsetzen und dürfen sich
spannend ist, wenn es wirklich konkret wird. Lassen Sie nicht von einem solchen Fossil – er ist ja zum Fossil des
uns den Blick auf den Haushalt mit seiner Rekordver- Tages gekürt worden – über den Tisch ziehen lassen.
schuldung und auf Ihren Wachstumsbegriff richten; denn (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Sie garnieren das Ganze noch mit einem sogenannten DIE GRÜNEN)
Wachstumsbeschleunigungsgesetz. Ich frage Sie: Wer
wächst eigentlich? Wohin wachsen wir? Wo sind unsere Sie sagen, dass Ihr Motto lautet: Jetzt erst recht. – Ich
Grenzen, die wir als Umweltpolitiker eigentlich sehr war aber über die Haushaltsrede der Kanzlerin gestern
deutlich sehen müssten? Ob Hoteliers oder Erben, sie erschrocken; denn diejenigen, die genau zugehört haben,
entziehen dem Staat wichtige Einnahmen, die dann feh- haben festgestellt, dass sie weiter daran festhält – das ist
len, um im Klimaschutz aktiv werden zu können. ein elementarer Fehler –, dass die Europäische Union
sich nicht auf das 30-Prozent-Ziel einigt, sondern erst
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ darauf wartet, dass andere nachziehen. So viel Zeit ha-
DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der CDU/ ben wir aber nicht mehr. Wenn wir eine Vorreiterrolle
CSU) einnehmen wollen, dann müssen wir hier unkonditio-
niert nach vorne gehen. Wir haben nichts zu verlieren.
Ich glaube, der Schlüssel ist, dass wir Wachstum neu
Selbst Sie haben sich in dieser Legislaturperiode auf eine
denken, dass wir Wachstum tatsächlich mit Nachhaltig-
Minderung des CO2-Ausstoßes um 40 Prozent geeinigt.
keit verbinden. Wir haben heute Morgen den Beirat für
(B) nachhaltige Entwicklung konstituiert. Wir haben in der Daher verstehe ich nicht, warum nach Kopenhagen eine (D)
solche Aussage kommt. Ich will nicht sagen, dass wir
letzten Legislaturperiode eine Nachhaltigkeitsprüfung
Europäer alleine für das Scheitern verantwortlich sind.
durchgesetzt, an die sich die Ministerien halten müssen.
Aber die Europäische Union hatte es in der Hand, Vor-
Wir haben aber nicht dafür gesorgt – das fällt nun auf –,
reiter zu sein. Das haben wir mit versemmelt; das konnte
dass auch die Gesetzesvorhaben, die aus dem Parlament
man in Kopenhagen deutlich vernehmen. Dafür hat die
kommen, einer Nachhaltigkeitsprüfung unterzogen wer-
Kanzlerin die Verantwortung zu tragen.
den müssen. Das wird schnellstens nachgeholt werden
müssen; denn uns hätte beispielsweise interessiert, was (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
eine solche Nachhaltigkeitsprüfung beim Wachstumsbe- DIE GRÜNEN)
schleunigungsgesetz erbracht hätte.
Ich frage Sie: Wo sind die in Kopenhagen zugesagten
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Mittel? Wo sind die konkreten Klimaschutzmaßnahmen?
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die 130 Millionen Euro, die in diesem Haushalt für das
Marktanreizprogramm und kommunale Investitionen
Sie haben in der FDP-CDU/CSU-Koalition einen anti- eingestellt sind, sind gesperrt. Lassen Sie es nicht zur
quierten Wachstumsbegriff und haben das Leitprinzip Verunsicherung bei den Kommunen kommen, denen Sie
der Nachhaltigkeit zumindest in diesem Haushalt an kei- an anderen Stellen sowieso schon Geld wegnehmen! He-
ner Stelle berücksichtigt. ben Sie diese Sperrung auf! Vertrauen ist an dieser Stelle
viel wichtiger. Zudem wurden die Mittel für das Gebäu-
Das zweite Beispiel ist der Klimaschutz als Haupt-
desanierungsprogramm – das betrifft nicht Ihren Etat,
ziel der Umweltpolitik in Ihrer Regierungszeit. Wir wis-
sondern den des Bauministers – von 2,2 Milliarden auf
sen, dass Klimapolitik nach Nicholas Stern viel mehr als
1,1 Milliarden Euro gekürzt. Dabei weiß jeder, dass in
nur Schutz ist. Es geht auch um zentrale ökonomische
diesem Bereich großes Potenzial steckt. So darf eine
Fragen. Sie haben in der Aussprache zur Regierungser-
Vorreiterrolle im Klimaschutz nicht aussehen, Herr Mi-
klärung am 11. November 2009 argumentiert:
nister.
… es gibt keinen Plan B … Die Konferenz von Ko- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
penhagen muss ein Erfolg werden. Wir haben in DIE GRÜNEN)
diesem Prozess eine Vorreiterrolle. Die Stimme un-
seres Landes – das zählt zu den Erfahrungen, die Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir werden Ihnen
man innerhalb von Tagen machen kann – hat Ge- die Gelegenheit geben, die Lehren aus Kopenhagen zu
wicht. ziehen. Wir werden im Rahmen eines Antrags ein ver-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1425
Dr. Matthias Miersch
(A) bindliches Klimagesetz fordern, und zwar versehen mit Ich möchte außerdem auf das hinweisen, was das (C)
einem Monitoring, sodass wir die notwendige Trans- Bundeskartellamt gestern noch einmal sehr deutlich ge-
parenz und Steuerung erreichen. Sie haben Klimapolitik sagt hat: Die Oligopolstruktur in diesem Gebiet, die
als zentrales Ziel definiert, aber ich glaube, dass Sie von Marktmacht von wenigen Konzernen wird gestärkt. Sie
diesem Ziel noch weit entfernt sind. gehen also genau in die falsche Richtung. Sie zementie-
ren falsche Strukturen. Auch insofern sollten Sie sich
Das dritte Beispiel ist die Energiepolitik. Heute tagt
den Ausstieg aus dem Ausstieg noch einmal überlegen.
im Kanzleramt eine Elefantenrunde zu diesem Thema.
Ich frage Sie: Wann lassen Sie die Katze aus dem Sack? Außerdem haben wir bei dieser Frage die Nachhaltig-
Wann wird der Ausstieg aus dem Ausstieg verkündet? keit, die Auswirkungen auf die nachfolgenden Genera-
Herr Kollege Röttgen, Ihre erste Handlung, die Beru- tionen zu berücksichtigen. Wir hinterlassen Müll, von
fung des Cheflobbyisten der Atomindustrie, Herr dem wir heute noch nicht wissen, was eigentlich damit
Hennenhöfer, zum Leiter der Abteilung für Reaktor- passiert. Wenn Sie mit Ihrer Regierungspolitik das Leit-
sicherheit, zeigt, dass Ihr Handeln nicht mit dem kompa- prinzip nachhaltiger Entwicklung verfolgen, dann kön-
tibel ist, was Sie heute hier wiederholt haben. nen Sie sich nicht aus dem Atomausstieg verabschieden.
Ich hoffe, es kehrt noch einmal Vernunft in Ihrer Regie-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
rung ein.
DIE GRÜNEN)
Angesichts der zu erwartenden Milliardengewinne fragt (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
man sich natürlich, welcher Ablasshandel da vonstatten Hoffen Sie lieber nicht!)
geht. Das vierte Beispiel ist die biologische Vielfalt. Da-
Selbst dieser Haushalt zeigt, dass Atomkraft nichts rüber kann man im Haushalt wenig nachlesen, dafür aber
mit Nachhaltigkeit zu tun hat. 40 Prozent des Stamm- einiges im Koalitionsvertrag. Darin steht nämlich, dass
haushaltes des Umweltministeriums sind schon jetzt für Sie das, was wir in der Großen Koalition mit großer
die Endlagerproblematik eingestellt – ohne Berücksich- Mühe zur Eingriffsregelung durchgesetzt haben, dass Sie
tigung der Asse. Herr Umweltminister, nach Schätzun- den Dreiklang von Vermeidung, Ausgleich und Ersatz
gen, die bislang vorliegen – darüber wird man noch aufheben wollen. Wir haben in Deutschland ein zentrales
streiten müssen –, müssen wir 1,5 Milliarden Euro al- Problem bei der biologischen Vielfalt, und das ist der
leine für die Beseitigung der Fehler in der Asse aufwen- Flächenverbrauch. Jeder, der die Nachhaltigkeitsstrate-
den. Das ist mehr als der gesamte Etat des Umweltminis- gie und den Fortschrittsbericht liest, kann das leicht fest-
teriums. Wer auf die Atomenergie setzt, hinterlässt damit stellen. Wer an der Eingriffsregelung rütteln will – so
eine schwere Hypothek für die Haushalte nachfolgender wie es im Koalitionsvertrag steht –, schützt nicht die bio-
(B)
Generationen. Insofern gehen Sie mit der Atomkraft logische Vielfalt, sondern tut genau das Gegenteil. Auch (D)
auch finanzpolitisch einen falschen Schritt. dieses vierte Beispiel passt also nicht zu Ihren Worten.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN – Georg Schirmbeck [CDU/ DIE GRÜNEN)
CSU]: Sagen Sie, wer Asse betrieben hat!) Das fünfte Beispiel schließlich ist das BMU selbst.
Wer sind Ihre Partner? – Der Chef von E.on Deutsch- Ich glaube, es ist richtig, über Personalaufstockungen
land hat erklärt, es gebe keine rechtliche Verpflichtung, in den Umweltverwaltungen nachzudenken. Es gibt ein
sich an den Kosten zu beteiligen. Was ist das für ein Bild sehr interessantes Gutachten des Sachverständigenrates
von Gesellschaft und Industrie? Ein bisschen erinnert für Umweltfragen, der uns aufgezeigt hat, dass es gerade
mich das an so manchen Bankmanager, der sagte, dass im Verwaltungsvollzug hapert. In diesem Zusammen-
die Bankenkrise wahrscheinlich ein Versehen war. Dann hang war wieder von „Indianern“ und „Häuptlingen“ die
wird aber selbstverständlich verlangt, dass der Steuer- Rede. Was machen Sie? Sie dehnen den Leitungsstab
zahler blechen muss. Zwei Drittel der Fässer kommen und vor allen Dingen das, was mit Kommunikation zu
aus Kernkraftwerken, wenn auch über den Umweg von tun hat, aus.
Forschungsanstalten. Aber die Ursache ist von der In- Lieber Herr Kollege Röttgen, lieber Herr Minister,
dustrie gesetzt worden, und insofern kann es nicht sein, diese fünf Beispiele machen deutlich, dass mehr Taten
dass der Steuerzahler allein bluten muss. Das muss in gefordert sind und nicht nur gute Kommunikation. Ich
den Verhandlungen deutlich gemacht werden. bitte Sie, auch hier zu prüfen, inwieweit ein bisschen
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ mehr Indianer und weniger Häuptlinge einzusetzen sind.
DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD)
Man sollte auch die Folgen bedenken, die man inzwi-
Die Kanzlerin hat gestern in ihrer Haushaltsrede in
schen erkennen kann, wenn man die Erkenntnisse der
Bezug auf die Finanzkrise gesagt: Wir standen am Ab-
Wissenschaft genau studiert. Sie werden durch eine
grund. Ich wünsche mir, dass auch bei uns das Bewusst-
Laufzeitverlängerung genau das verhindern, was Sie
sein geschärft wird, dass es nicht nur um ein finanzielles
selbst fordern, nämlich den Ausbau von erneuerbaren
Desaster gegangen ist, sondern auch darum, dass wir an
Energien.
anderer Stelle, nämlich im Bereich der Klimapolitik und
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: all der damit einhergehenden ökonomischen und sozia-
So ist es!) len Verwerfungen, am Abgrund stehen. Ich wünsche mir,
1426 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Dr. Matthias Miersch


(A) dass wir ein bisschen von dem Bewusstsein haben, das schaut hätten. Sie haben kritisiert, dass für das CO2- (C)
wir in diesem Haus hatten, als es innerhalb von einer Gebäudesanierungsprogramm dieses Jahr weniger
Woche möglich war, Milliardenbeträge zur Rettung von Mittel zur Verfügung stehen als im letzten Jahr. Sie soll-
Banken zur Verfügung zu stellen. Wenn es uns gelingt, ten der Ehrlichkeit halber auch sagen, woran das liegt:
die großen Themen, die wir hier nur ansatzweise bespre- Ihr Minister Tiefensee hat im Wahljahr das Geld, das für
chen können, in das Bewusstsein dieses Parlaments und dieses Jahr bestimmt war, ausgegeben, um noch vor der
dieser Regierung zu rücken, dann wäre viel gewonnen. Wahl zu glänzen. Das ist die Wahrheit über das CO2-
Nicht nur die Finanzindustrie steht am Abgrund – sie ist Gebäudesanierungsprogramm.
menschlich beherrschbar –, sondern auch die Natur. Sie
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
ist allerdings kein Verhandlungspartner; insofern müssen
der CDU/CSU)
Ihren Worten viel mehr Taten folgen.
Diese Koalition steht für den Ausbau erneuerbarer
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Energien. Deshalb halten wir in diesem Bundeshaushalt
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Mittel für das Marktanreizprogramm auf hohem Ni-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) veau konstant. Deshalb haben wir im Wachstumsbe-
schleunigungsgesetz die von der SPD geplante Erhö-
Vizepräsidentin Petra Pau: hung der Steuern auf Biokraftstoffe gestoppt. Deshalb
Das Wort hat der Kollege Michael Kauch für die haben wir das Vertrauen in das EEG wiederhergestellt,
FDP-Fraktion. indem wir rückwirkende Eingriffe in Investitionen ver-
hindert haben. Dass das Ganze in weniger als 100 Tagen
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten geschehen ist, ist eine gute Bilanz der neuen Koalition.
der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Michael Kauch (FDP):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Klima- Im Koalitionsvertrag finden sich eine Menge Festle-
schutz ist unser nationales Interesse. Klimaschutz ist gungen – viele auch langfristig – zugunsten der erneuer-
Wettbewerbsmotor. Deshalb ist es richtig, dass diese Ko- baren Energien. Der Einspeisevorrang für erneuerbare
alition auch nach Kopenhagen daran festhält: 40 Prozent Energien bleibt unbegrenzt erhalten. Wir werden die
Emissionsminderung bis 2020 ohne Wenn und Aber. Das Speicherbarkeit und die Netzintegration erneuerbarer
ist ein Erfolg. Energien verbessern. Wir werden – das schulden wir den
Verbraucherinnen und Verbrauchern – die Förderung
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wirtschaftlicher machen.
(B) der CDU/CSU) (D)
Wir bekennen uns zur Solarenergie als wichtiger Zu-
Die Opposition ist ihrer Verantwortung in Kopen- kunftstechnologie am Standort Deutschland. Wir Libe-
hagen – Kollege Miersch hat das hier angedeutet – nicht rale werden dafür sorgen, dass eine Reform der Förde-
gerecht geworden. rung den Markt für Solartechnik nicht abwürgt.
(Ute Kumpf [SPD]: Was? – Dr. Matthias Miersch (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
[SPD]: Die Opposition?) Doch!)
Es war bisher immer so, dass wir deutschen Abgeordne- Wir Liberale begrüßen es, wenn es höhere Ausbauziele
ten auf internationalen Konferenzen mit einer Stimme für Solarenergie als im bisherigen Erneuerbare-Ener-
gesprochen haben. Was haben Sie gemacht? Sie haben gien-Gesetz gibt. Wir befürworten es, wenn die Förde-
der Regierung Knüppel zwischen die Beine geworfen, rung flexibler gestaltet wird, je nach Markterfolg der er-
indem Sie sie diffamiert haben, was nicht richtig war. neuerbaren Energien mit Zu- oder Abschlägen. Die
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vorschläge des Bundesumweltministers sind nun Grund-
Sind Sie nicht bei Trost?) lage für die weiteren Beratungen in der Koalition. Ich
sage aber auch deutlich: Wir machen sie uns noch nicht
Am Schluss haben wir erreicht, dass wir genau in dem zu eigen. Klar ist: Die Förderung wird nicht in der Re-
Punkt, den Sie kritisiert haben – nämlich bei der Finan- gierung, sondern hier im Deutschen Bundestag entschie-
zierung der Transfers zwischen Industriestaaten und Ent- den.
wicklungsländern –, einen Erfolg erzielt haben. Das ist
ein Erfolg von Minister Röttgen und von Minister (Beifall bei der FDP)
Niebel. Da können Sie noch so viel zetern. Die FDP wird für eine Reform mit Augenmaß sorgen.
Wir sagen aber auch ganz klar in Richtung der Anwürfe
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
aus der Opposition: Es kann nicht sein, dass wir bei ei-
der CDU/CSU – Renate Künast [BÜND-
nem massiven Preisverfall von Anlagen dauerhafte
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum ging es also! –
Überförderungen hinnehmen. Die Renditen der Anla-
Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
genbetreiber fallen schließlich nicht vom Himmel, son-
NEN]: Niebel-Kerzen!)
dern sie werden von den Verbraucherinnen und Verbrau-
Herr Miersch übt eine neue Funktion aus und durfte chern bezahlt. Wenn die Renditen das normale Maß, das
deshalb lange reden. Es wäre trotzdem gut gewesen, für die Förderung der Zukunftstechnologien nötig ist,
wenn Sie, Herr Miersch, sich einmal die Fakten ange- überschreiten, dann, meine lieben Kolleginnen und Kol-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1427
Michael Kauch
(A) legen gerade von der SPD oder auch von der Linken, ist der Verlängerung der Laufzeit sollen eingesetzt werden, (C)
das nichts anderes als eine Umverteilung von unten nach um die Förderung des Übergangs zu regenerativen Ener-
oben: eine Umverteilung von der kinderreichen Arbei- gien zu stützen –, dann sage ich Ihnen: Das ist – das wis-
terfamilie hin zu dem Akademiker, der sich Investoren- sen Sie – nicht mehr und nicht weniger als eine Voraus-
modelle mit hoher Rendite für seine Geldanlage leisten setzung dafür, um den Ausstieg aus dem Ausstieg
kann. gesellschaftlich überhaupt durchzusetzen. Damit soll die
Atomenergie wieder salonfähig gemacht werden. Das
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wissen auch die Energieunternehmen. Deshalb werden
der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ sie diesen Preis zahlen.
DIE GRÜNEN]: Da kennt er sich super aus!
Er weiß, wovon er redet!) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das glaube ich nicht! Da kennen Sie
Deshalb sagen wir Nein zur Überförderung. Wir sa-
die schlecht!)
gen Ja dazu, die Solarenergie so zu fördern, dass sie aus-
gebaut werden kann, aber dass die Verbraucherinnen und Der Punkt ist aber ein anderer: die Verknüpfung des
Verbraucher dafür nicht mehr bezahlen müssen, als es energiepolitischen Roll-backs zur Atomenergie mit dem
unbedingt notwendig ist. Klimaschutz. Das ist die eigentliche umweltpolitische
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Strategie Ihrer Regierung. Ein Blick in den Haushalt zeigt
Ulrich Kelber [SPD]: Wie viele Atomkraft- das auch: Der Umweltetat steigt um ungefähr 7,3 Pro-
werke gehören Arbeiterfamilien?) zent. Das begrüßen wir natürlich.
(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Schön!)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Davon entfallen 15 Millionen Euro auf das Umweltinno-
Für die Fraktion Die Linke hat nun der Kollege vationsprogramm. Das ist die eine Säule des Aufwuch-
Michael Leutert das Wort. ses. Knapp 110 Millionen Euro gibt es mehr im Endla-
(Beifall bei der LINKEN) gerbereich. Das ist die zweite Säule des Aufwuchses.
Nicht hereingeschrieben in den Haushalt haben Sie
Michael Leutert (DIE LINKE): allerdings, welche enormen Folgekosten die Stilllegung
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! der Schachtanlage Asse verursachen wird. Sie wissen es
Es ist schon ein schöner Zufall, dass wir ausgerechnet einfach noch nicht.
heute über den Etat des Umweltministeriums sprechen.
Sie haben heute Abend zum Atomgipfel ins Kanzleramt Immer noch gesperrt ist zum Beispiel der Titel zum
(B) geladen und wollen dabei den Ausstieg aus dem Atom- Salzgitterfonds. Selbst im Berichterstattergespräch ges- (D)
ausstieg beschließen. Die Katze ist aus dem Sack, Herr tern bekam man keine Auskunft, ob denn die Energieun-
Kollege Miersch. Wirtschaftsminister Brüderle hat im ternehmen nun ihren Einzahlungsverpflichtungen nach-
Vorfeld der Verhandlungen versprochen – das konnte kommen und, wenn ja, in welcher Höhe.
man nachlesen –, dass alle Atomkraftwerke weiter be- (Zuruf von der LINKEN: Hört! Hört!)
trieben werden können. Herr Umweltminister Röttgen,
mit der Einstellung eines Atomlobbyisten als Leiter der Immer noch nicht ist im Haushalt abgebildet, wie
Abteilung für Reaktorsicherheit haben Sie nicht gerade denn die Stilllegungskosten von Endlagern refinanziert
ein Zeichen dagegengesetzt. werden sollen. Der Bundesrechnungshof hat letztes Jahr
im Juni in einem Bericht ausdrücklich auf dieses Pro-
(Beifall bei der LINKEN – Georg Schirmbeck blem hingewiesen. Da steht die Frage im Raum: Wie
[CDU/CSU]: Auch das ist schon 18-mal ge- wird dieses Problem geregelt? Soll dies ebenfalls der
sagt worden!) Steuerzahler übernehmen, wie zum Beispiel bei Morsle-
Meine Frage ist: Wenn Sie den Wünschen der Atom- ben oder Asse?
lobby sowieso entsprechen: Warum laden Sie dann über- Die Kosten vom Endlager Konrad haben Sie natürlich
haupt noch zu Verhandlungen ein? ebenfalls nicht unter Kontrolle. 1,7 Milliarden Euro ste-
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hen derzeit zu Buche. Das sind die geplanten Gesamt-
NEN]: Das kann der Hennenhöfer doch alleine kosten. 900 Millionen Euro waren ursprünglich veran-
machen!) schlagt. Es handelt sich also fast um eine Verdopplung.
– Genau. – Sie bezeichnen – das ist das neue Modewort Diese Zahlen zeigen deutlich: Sie haben erstens die
der Atomkraftbefürworter – die Atomkraft gerne als Kosten Ihrer Politik nicht unter Kontrolle, und Sie neh-
Brückentechnologie. Um in dem Bild zu bleiben: Warum men zweitens billigend in Kauf, dass die Bevölkerung
bauen Sie die Brücke nicht an der kürzesten Stelle? Wie die Risiken zu tragen hat, sowohl die finanziellen als
lange soll denn die Brücke werden? Wie lange wollen auch die technologischen und ökologischen Risiken.
Sie denn die Atomkraftwerke noch laufen lassen? Das
sind doch die spannenden Fragen. Indem Sie Atomkraft und Klimaschutz miteinander
verkoppeln wollen, versuchen Sie, der Atomenergie das
Wenn Sie jetzt entgegenhalten, dass Sie dafür der Image einer umweltfreundlichen Technologie zu verpas-
Atomindustrie große Zugeständnisse abverlangen wer- sen. Sie konstruieren hier letztendlich einen Zusammen-
den – es heißt sogar, bis zu 50 Prozent der Gewinne aus hang, der erstens so nicht existiert und der zweitens so-
1428 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Michael Leutert
(A) gar aus der PR-Abteilung der Atomlobby selbst kommen 1 Cent in den Haushalt ein. Da geht doch der Klima- (C)
könnte. kanzlerin a. D. der letzte Rest an Glaubwürdigkeit verlo-
ren.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
GRÜNEN) und bei der SPD)
Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist keine ökolo- Frau Merkel hat gestern das Zeitalter der erneuerba-
gisch nachhaltige Politik. Aus diesem Grund lehnen wir ren Energien ausgerufen. Wie verträgt sich das damit,
diese Politik auch strikt ab. dass Sie die Einspeisevergütung für Solarstrom so mas-
siv senken wollen, wie Sie es jetzt geplant haben? Wie
Danke.
verträgt sich diese Ansage damit, dass die erhöhte Nut-
(Beifall bei der LINKEN) zung der Windkraft immer wieder ausgebremst wird?
Das Repowering älterer Anlagen wird massiv behindert,
Vizepräsidentin Petra Pau: und bei den Offshore-Windparks in der Nordsee hakt es
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun ganz gewaltig. Das funktioniert so: Große Energiekon-
die Kollegin Dorothea Steiner. zerne sichern sich die Planungshoheit für die Offshore-
Windparks, die vom Volumen her mehrere AKWs erset-
zen könnten, und anschließend wird die Planung erst
Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
einmal auf Eis gelegt. Das ist auch nicht verwunderlich,
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr wenn man bedenkt, dass diese Konzerne gleichzeitig
Röttgen, Sie haben sich ja heute wieder einmal virtuell Atomkraftwerke betreiben.
das grüne Jäckchen angezogen. Sie haben sehr engagiert
verschiedene Entwicklungen geschildert, die aber für die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
informierte politische Öffentlichkeit nicht wirklich neu und bei der SPD)
waren. Das Neue war nur, dass sie ein Minister einer So kommen wir dem Zeitalter der Erneuerbaren, wie
schwarz-gelben Koalition ausgesprochen und für sich in
proklamiert, nicht näher, obwohl es für unsere Zukunft
Anspruch genommen hat. Das ist allerdings auch ein zwingend ist.
wichtiger Fortschritt.
Wir machen Ihnen einen Vorschlag: Streichen Sie die
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
umwelt- und klimaschädlichen Subventionen! Das kos-
Zu Recht haben Sie den Klimaschutz als Zukunfts- tet den Haushalt nichts, hat aber einen hohen Steue-
frage behandelt; denn es geht um unsere Lebensgrundla- rungseffekt für die Umwelt und für den Klimaschutz.
(B) gen und um die unserer Kinder und Enkelkinder. Außer- Streichen Sie zum Beispiel bei der Energiesteuer die (D)
dem bleiben uns nur wenige Jahre, um den Klimawandel Vergünstigungen für die Kohleverstromung und insbe-
wirksam abzubremsen. Die Weichen für das Abbremsen sondere die Begünstigungen für die Braunkohlewirt-
sind lange noch nicht richtig gestellt. schaft! Das bezieht sich auf den Verzicht auf Förderab-
gaben, auf Abgaben für die Wasserentnahme etc.
Wir führen ja eine Haushaltsdebatte. Deswegen prü- Nehmen Sie doch die Ermäßigungsregelungen bei
fen wir am vorgelegten Haushaltsentwurf, wie Herr Mi- Strom- und Energiesteuer – das sind Milliarden – und
nister Röttgen die vielen schönen weihevollen Worte die Ausnahmen von der Ökosteuer zurück!
auch in Taten umsetzen will.
Das Umweltbundesamt hat 2008 die Summe der um-
Fangen wir mit der Klimaschutzinitiative an, die mit
weltschädlichen Subventionen auf circa 42 Milliarden
den Einnahmen aus dem CO2-Emissionshandel finan- Euro beziffert. Jetzt sagen Sie mir bitte: Wie wollen Sie
ziert werden soll. Sie ist mit 460 Millionen Euro ausge- mit solchen Subventionierungen, mit einer solchen Pra-
stattet. Das ist schon einmal kein großer Wurf. Vorsorg-
xis den Ansprüchen im Klimaschutz gerecht werden und
lich sind außerdem noch 130 Millionen Euro aus dem das 40-Prozent-Ziel erreichen? Da müssen Sie schon
Haushaltsansatz für diese Initiative gesperrt, weil die ganz anders mit den Besitzstandswahrern umgehen.
Preise für die Zertifikate derzeit so niedrig sind. Das be-
deutet, Sie machen Klimaschutz abhängig von der Kon- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
junktur. Wenn die Preise im Keller sind, dann muss Kli- und bei der SPD)
maschutz eben mit halber Kraft betrieben werden. Ich
Herr Röttgen, wenn Sie effektive Klimaschutzpolitik
finde, das sollten Sie schleunigst ändern, wenn Sie wol-
machen wollen, dann werden Sie nicht umhinkommen,
len, dass diese Klimaschutzinitiative erfolgreich ist.
sich große Teile der Energiepolitik von Minister
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Brüderle zu holen; denn dieser Wahrer der Interessen der
sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Energiekonzerne wird uns allen beim Ausbau der Erneu-
erbaren nur Steine in den Weg legen.
Herr Röttgen, Sie haben in Kopenhagen im Zusam-
menhang mit dem internationalen Klimaschutz Schiff- Jetzt noch ein Satz zum Thema Atom. Viel muss man
bruch erlitten. Das haben wir alle festgestellt. Sie und die als Grüne hier dazu nicht sagen; Sie kennen die Position.
Kanzlerin haben gezaudert, als es um die Zusage einer Wir alle hier wissen, dass Sie heute Abend Gespräche
Unterstützung in Höhe von 420 Millionen Euro für die mit den AKW-Betreibern führen werden, und wir liegen
ärmsten Länder der Welt beim Klimaschutz ging. Und sicherlich nicht schief mit der Vermutung, dass Sie dort
was passiert jetzt? Sie stellen dafür noch nicht einmal Zusagen in punkto Laufzeitverlängerung machen wer-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1429
Dorothea Steiner
(A) den, die erst nach den Wahlen in Nordrhein-Westfalen Vielen Dank. (C)
öffentlich werden. Dass wir dann keinen Ausstieg aus
dem Ausstieg mit Samtpfötchen haben werden, wage ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
schon jetzt zu prophezeien. und bei der SPD)

Wenn Sie alte, unsichere Reaktoren länger laufen las- Vizepräsidentin Petra Pau:
sen, verursachen Sie nicht nur steigende Kosten für die
Das Wort hat der Kollege Dr. Christian Ruck für die
Sicherheit und besonders für die Entsorgung des Atom-
Unionsfraktion.
mülls. Sie belasten nicht nur Bürger, sondern auch den
zukünftigen Bundeshaushalt bzw. zukünftige Bundes- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
haushalte und blockieren im Höchstmaß den Ausbau der neten der FDP)
Erneuerbaren. Ich verspreche Ihnen auch hier, dass wir
Grüne große Anstrengungen in den Widerstand gegen Dr. Christian Ruck (CDU/CSU):
dieses Vorhaben investieren werden, vor allem wenn Sie
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
als erster Endlagerminister, der uns Gorleben als atoma-
Herren! Die Haushaltsdebatte 2010 fällt in ein umwelt-
res Endlager in Niedersachsen verpasst, in die Ge-
politisch sehr kritisches Jahr. Im Klimabereich müssen
schichte der Bundesrepublik Deutschland eingehen wol-
wir einen neuen Anlauf nehmen nach Kopenhagen und
len.
vor Mexiko. Die UNO hat das Jahr der biologischen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Vielfalt vor dem Hintergrund ausgerufen, dass auch hier
die internationalen Ziele verfehlt worden sind.
Bei jedem Haushalt gibt es auch Weichenstellungen
in der Personalpolitik. Wir haben mit Interesse vermerkt, Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang ein ganz
dass Sie eine neue Leitung des Kommunikationsstabs persönliches Wort zu dem, was Sie, Herr Miersch, nach
planen, die sich wegen der komplexen Aufgaben insbe- Kopenhagen über Frau Merkel gesagt haben. Ich bin in
sondere der Akzeptanz des Konzeptes der erneuerbaren diesem Hohen Hause jetzt 20 Jahre auf dem Gebiet der
Energien widmen soll. Ich sage Ihnen: In keinem Be- Umwelt- und Entwicklungspolitik tätig. Ich habe einige
reich ist die Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bürgern Kanzler kommen und gehen sehen. Aber niemand war
so hoch wie bei den Erneuerbaren. Was wollen Sie bei mit Abstand so stark engagiert
der Kommunikation eigentlich ändern? Oder verfolgen
Sie vielleicht ein anderes Ziel? Ist die Vermittlung der (Ulrich Kelber [SPD]: War!)
Brückenfunktion und der Klimanützlichkeit der Atom- und hat so oft national und international Kopf und Kra-
kraft der eigentliche Auftrag? gen für sowohl Umweltpolitik als auch Entwicklungspo-
(B)
Wir wollen solche Gelder anders verwendet sehen. litik riskiert wie Bundeskanzlerin Merkel. Deswegen (D)
Investieren Sie zum Beispiel in die Strategien in Bezug weise ich Ihre Anschuldigungen an die Kanzlerin zu-
auf Artenvielfalt, auf Biodiversität. Kommunizieren Sie rück. Sie ist einen Quantensprung besser als ihr Vorgän-
hier die Notwendigkeit, den Artenschwund zu stoppen, ger Schröder, der jetzt bei Gazprom gelandet ist.
und schreiben Sie die schönen Passagen, die Sie uns hier (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
vorgetragen haben, Ihren Parteifreunden ins Stamm- Ulrich Kelber [SPD]: Die Vergangenheitsform
buch, die immer wieder die Mopsfledermaus und die „war“ ist richtig!)
Armleuchteralge anführen, um den Artenschutz lächer-
lich zu machen. Man kann einen Kampf verlieren, aber man muss vor al-
len Dingen kämpfen. Das unterscheidet Frau Merkel von
Vizepräsidentin Petra Pau: ihrem Vorgänger fundamental.
Kollegin Steiner, würden Sie bitte auf mein Signal Auch ich war wie wir alle von Kopenhagen ent-
achten, auch wenn Sie Ihr Manuskript auf das Lämpchen täuscht. Es war ein Zirkus, der dem Ernst der Lage nicht
gelegt haben? gerecht geworden ist. Wir haben uns in Kopenhagen ge-
(Heiterkeit) troffen. Also wissen Sie, wovon ich spreche.
Ich gebe dem Minister Röttgen vollkommen recht:
Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Nachdem die erste Enttäuschung und die erste Wut ver-
Ja, das mache ich. Ich komme jetzt zum Schluss; ich flogen sind, gibt es nur eine Alternative: Wir müssen
war bereits in der Schlusskurve. – Hier Geld zu investie- nach vorne schauen, den Kampf wieder aufnehmen und
ren, ist eine Zukunftsaufgabe für uns alle und hat auch den Blick auf Mexiko und Bonn richten. So hoffe ich,
wirtschaftliche Auswirkungen. dass eine konstruktive internationale Konferenz der Um-
weltminister zustande kommt.
Herr Minister Röttgen, Sie sind mit beachtlichen Vor-
schusslorbeeren und imposanten Ankündigungen gestar- Kopenhagen hat natürlich nicht nur Negatives ge-
tet. Auch heute haben Sie wieder entsprechende Ankün- bracht. Kopenhagen hat bei genauerer Betrachtung zu-
digungen gemacht. Wir warten nun darauf, dass davon in mindest eines gebracht: Die Karten liegen auf dem
der Umweltpolitik und auch im Haushalt konkret etwas Tisch; die Befindlichkeiten und die Schwierigkeiten der
ankommt. Wir versprechen Ihnen unsererseits, in den einzelnen Länder sowie die Sinnhaftigkeiten und auch
Haushaltsberatungen handfeste Vorschläge zu machen. die Unsinnigkeiten sind klar zutage getreten. Es gibt also
Aber dann wollen wir auch endlich Taten sehen. genügend Hinweise, was bis Mexiko zu tun ist.
1430 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Dr. Christian Ruck


(A) Ich möchte entgegen der Meinung aller Untergangs- Ich nehme die Verhandlungen mit den Entwicklungs- (C)
spezialisten, die es auch im NGO-Bereich gegeben hat, ländern sehr ernst. Hier geht es nämlich um die Maßnah-
ganz ausdrücklich sagen: Wir werden einen neuen An- men, die am leichtesten und am dringendsten zu erfüllen
lauf nehmen. Dazu können auch wir Parlamentarier et- sind: um die Erhaltung der Senken und die Rettung des
was beitragen. Das indische Parlament spielt in diesem Waldes. Dazu brauchen wir auf jeden Fall die Entwick-
Zusammenhang eine starke Rolle. Wenn wir unsere gu- lungsländer. Nur, wir können das alles nicht in den
ten parlamentarischen Beziehungen zu Indien nutzen, Haushalt einstellen, bevor wir nicht ein für alle verbind-
können wir in den nächsten Monaten auf die indischen liches internationales Abkommen geschlossen haben.
Parlamentarier einwirken. Erstens wäre das verhandlungstaktisch unsinnig und
würde der Sache nicht dienen; zweitens wäre es unge-
Dasselbe gilt für die Amerikaner. Es ist doch offen- recht. Deswegen läuft der Vorwurf, wir hätten keine An-
sichtlich, dass Präsident Obama einen ganz anderen gebote gemacht, ins Leere.
Kurs fährt als der frühere Präsident Bush. Aber er
braucht dazu die Unterstützung des Kongresses. Auch da (Beifall der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/
können wir die nächsten Monate nutzen, um den einen CSU])
oder anderen auf dem Wege der transatlantischen Zum Ziel der Reduktion der CO2-Emissionen um
Freundschaft von unserer Position zu überzeugen. 40 Prozent – Norbert Röttgen hat es wiederholt – sage
Ich komme zu China. Natürlich hat China keine be- ich: Ich bin froh, dass weiterhin Mittel im Umfang von
sonders gute Rolle gespielt. Aber all diejenigen, die sich mindestens 30 Prozent des BMU-Haushalts für die Ver-
mit China beschäftigen, wissen auch, dass es dort viele wirklichung dieses Ziels zur Verfügung gestellt werden;
hochrangige Leute im Politbüro und auf Gouverneurs- die Ausgaben bleiben also auf hohem Niveau. Auch ich
ebene gibt, die mit uns im Bereich der Technologie auf bin dafür, dass die Spezialprogramme und -projekte, die
dem Kohlesektor gerne zusammenarbeiten wollen. Auch sehr erfolgreich gelaufen und mit einem Sperrvermerk
in Bezug auf Indonesien sollten wir – das gilt sowohl bedacht sind, weiter von uns unterstützt werden. Das gilt
für die Regierung als auch für das Parlament – die Zwi- zum Beispiel für die Regionalprogramme, die sehr er-
schenzeit nutzen. folgreich laufen. Das gilt auch für das Programm zur
Förderung von Miniblockheizkraftwerken
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
An die Adresse der Entwicklungspolitiker der SPD und das hocheffiziente CO2-Gebäudesanierungspro-
sage ich: Auch die Afrikaner haben zum Teil einen un- gramm, das im Haushalt des Kollegen Ramsauer ange-
säglichen Beitrag in Kopenhagen geleistet, allen voran siedelt ist. Hier ist es völlig unsinnig, Herrn Ramsauer (D)
(B) das demokratische Musterland Sudan. Inzwischen sagen
etwas vorzuwerfen, was sein Vorgänger verbockt hat.
alle Afrikaner – außer dem Sudan –: Zur Not machen wir Wir sollten lieber gemeinsam dafür streiten, dass die
mit. – Das sollten wir in gewisser Weise als Ermutigung Mittel für dieses Programm im Bundesverkehrsministe-
verstehen. rium aufgestockt werden können. Wir sollten hier nicht
Minister Ramsauer beschimpfen, sondern sagen: Wir ha-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ben ein Interesse daran, dass er in seinem Hause für die-
Lieber Norbert Röttgen, ich finde es richtig, dass wir ses Programm Unterstützung erhält.
Deutsche unverdrossen unseren Weg gehen: Wir kämp- (Beifall bei der CDU/CSU)
fen für ein rechtsverbindliches Abkommen noch heuer,
wir suchen die Koalition der Gutwilligen, und wir bieten Norbert Röttgen hat die entscheidende Rolle der
selber überzeugende Angebote. Dazu gehört auch die Energiepolitik angesprochen. In diesem Zusammen-
ausgestreckte Hand in Richtung der Entwicklungslän- hang wiederhole ich, was ich schon beim letzten Mal ge-
der. Hier kann ich den Vorwurf, wir hätten keine Ange- sagt habe: Es gibt nirgendwo so viele Scheinheiligkei-
bote gemacht, nicht nachvollziehen. Wir haben sehr um- ten, nirgendwo wird so viel gelogen wie in der
fangreiche Angebote gemacht. Vieles davon steht in den Energiepolitik. Ich bin davon überzeugt, dass wir die an-
Haushalten des BMZ und des BMU, und zwar seit Jah- spruchsvollen Ziele, die wir uns gemeinsam in diesem
ren. Die SPD tut jetzt aber immer so, als wären die letz- Hause auferlegt haben, ohne einen massiven technischen
ten vier Jahre erfolglos und spurlos an der Welt vorüber- Fortschritt und eine Politik der Technologie und der In-
gegangen. novation auf allen Gebieten nicht erreichen werden, egal
ob es, Frau Höhn, um die berühmte CO2-Abscheidetech-
(Ulrich Kelber [SPD]: Es ging um die neuen nik,
vier Jahre und nicht darum, das Alte noch ein-
mal zu verkaufen!) (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Genau! Da sind wir uns nicht einig!)
– Stehen Sie doch zu unseren gemeinsamen Erfolgen der um Desertec, Kernfusion oder viele andere Dinge mehr
letzten vier Jahre! Tun Sie nicht so, als wäre in den letz- geht. Bei all diesen Dingen kommt Deutschland nur mit
ten vier Monaten alles anders geworden! Das ist doch Technologieoffenheit voran.
scheinheilig und traurig.
(Beifall bei der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Vizepräsidentin Petra Pau:
Herr Dr. Ruck, Sie wissen es besser!) Kollege Ruck, achten Sie bitte auf das Zeichen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1431

(A) Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): Wir haben das Gebäudesanierungsprogramm unter (C)
Jawohl, letzter Gedanke. – Das bringt uns einen drei- Schwarz-Rot sehr ernst genommen.
fachen Vorteil: Mit Technologieoffenheit erreichen wir
(Ute Kumpf [SPD]: Und jetzt nicht mehr?)
unsere Klimaziele und mehr Wettbewerbsfähigkeit.
Der Kollege Tiefensee, der bekanntlich ein SPD-Mann
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
ist, hat
Dem Ingenieur ist nichts zu „schwör“!)
(Ulrich Kelber [SPD]: Einen Kabinetts-
Frau Höhn, mit dieser Wettbewerbsfähigkeit erreichen
beschluss umgesetzt!)
wir auch einen dritten Vorteil: einen Dominoeffekt, der
dazu führt, dass die anderen Länder, die anderen CO2- das Geld vorzeitig ausgegeben, auch aus Wahlkampf-
Emittenten, unsere Konkurrenten gar nicht anders kön- gründen,
nen als unsere CO2-arme Technologie nachzuahmen.
(Ulrich Kelber [SPD]: Das war ein Kabinetts-
beschluss! Die CDU/CSU hat zugestimmt!)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Ruck, Sie reden jetzt auf Kosten Ihrer nach- und zwar vorauseilend mit Blick auf den nächsten Haus-
folgenden Kollegen. halt. Jetzt können Sie seinem Nachfolger nicht vorwer-
fen, dass er das Geld, das Tiefensee ausgegeben hat,
nicht mehr in der Kasse hat. Das ist doch unsinnig.
Dr. Christian Ruck (CDU/CSU):
Dann haben wir den Effekt erreicht, den wir erreichen (Ulrich Kelber [SPD]: Sie sagen gerade die Un-
wollen. wahrheit! Das tut man nicht im Parlament!)
Danke. Ich habe es doch gesagt: Tun wir gemeinsam alles da-
für, dass Minister Ramsauer das Geld, das sein Vorgän-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ger hinausgeschmissen hat, wieder auffüllen kann.
neten der FDP)
(Dr. Matthias Miersch [SPD]: Das wurde doch
Vizepräsidentin Petra Pau: nicht hinausgeschmissen! Das sind sinnvolle
Förderungen!)
Zu einer Kurzintervention hat der Kollege Kelber das
Wort. – Richtig. Aber Sie können doch dem Kollegen
Ramsauer nicht vorwerfen, dass Tiefensee das Geld
Ulrich Kelber (SPD): schon verfrühstückt hat.
(B) (D)
Herr Kollege Ruck, ich finde es traurig, dass Sie in (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Ihrem Redebeitrag zu einer Sache nicht mehr stehen, der FDP)
nämlich zu dem gemeinsamen Beschluss von CDU/CSU
und SPD aus dem letzten Jahr, die Mittel für das Gebäu- Vielmehr muss es unser Ziel sein, dass neues Geld nach-
desanierungsprogramm so lange aufzustocken, bis je- kommt. Insofern kann ich nur sagen: Unterstützen Sie
dem einzelnen Antrag, der gestellt wird, um einen ver- uns doch
günstigten Kredit dafür zu bekommen, bei einem (Ulrich Kelber [SPD]: Wer hat diese Ausgabe
Gebäude eine Wärmedämmung vorzunehmen, womit beschlossen?)
Energiekosten reduziert, Arbeitsplätze geschaffen und
die Umwelt geschont wird, entsprochen werden kann. – ich glaube, Sie hören nicht zu, Herr Kelber – in dem
Das war ein Beschluss des gemeinsamen Kabinetts. Anliegen, diese Gelder wieder aufzufüllen.
Sie haben ihn eben kritisiert, genauso wie der Kollege (Ulrich Kelber [SPD]: Gerne! Das tun wir!)
Kauch, der ihn noch im letzten Jahr begrüßt und heute
kritisiert hat. So schnell ändert sich das, wenn man sich Als Umweltschützer und Umweltpolitiker habe ich kein
in anderen Konstellationen befindet. Wir werden be- Problem damit, dem Kollegen Ramsauer eine umwelt-
obachten: Wird eine Regierung aus CDU/CSU und FDP politische Maßnahme zu offerieren.
ebenso wie eine Regierung unter SPD-Beteiligung bereit (Ulrich Kelber [SPD]: Dann stimmen Sie doch
sein, dieses Gebäudesanierungsprogramm finanziell an- unserem Antrag zu!)
gemessen auszustatten?
– Ich stimme jedem vernünftigen Antrag zu; aber das
(Beifall bei der SPD) sind meist die Anträge, die von uns kommen.
(Ulrich Kelber [SPD]: Wir haben Ihre Zusage, die-
Vizepräsidentin Petra Pau:
sem Antrag zuzustimmen! Danke schön!)
Sie haben das Wort zu einer Erwiderung.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Dr. Christian Ruck (CDU/CSU):
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Dr. Bärbel
Lieber Herr Kollege Kelber, ich kann mich ganz kurz Kofler das Wort.
fassen, weil Herr Kauch auf das, was Sie uns vorwerfen,
schon eingegangen ist. (Beifall bei der SPD)
1432 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

(A) Dr. Bärbel Kofler (SPD): Aber ich glaube, das gehört zu einer Reihe von Fragen, (C)
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren! die sich hinter diesem Einzelplan verbergen. Herr Kol-
Ich hatte am gestrigen Abend das zweifelhafte Vergnü- lege Miersch hat dankenswerterweise auf die 1,5 Mil-
gen, über den Einzelplan für die wirtschaftliche Zusam- liarden Euro Folgekosten für Asse hingewiesen. Was ist
menarbeit und Entwicklung mitzudiskutieren. Eines mit den 400 Millionen Euro? Wir wissen es nicht.
kann ich am heutigen Tag positiv feststellen: Ich habe
heute vom Minister zumindest schöne Wort gehört. Mei- Ich möchte auf eines hinweisen – es ist heute einiges
nes Erachtens ist dies das Einzige, was Sie an dieser über die Halbwertszeit der Aussagen dieser schwarz-gel-
Stelle unterscheidet. ben Koalition gesagt worden –: Am 11. Dezember
wurde in Brüssel beschlossen, dass man sich im Rahmen
Kollege Ruck ist vorhin im Zusammenhang mit Kli- der Haushalte 2010 bis 2012, also auch im Rahmen die-
maschutz und der Konferenz von Kopenhagen auf das ses demnächst zu verabschiedenden Haushalts, an der
Thema Entwicklungspolitik eingegangen. Dazu möchte Hilfe für die Entwicklungsländer beteiligen werde – so
ich ein paar Punkte richtigstellen und einige Dinge deut- viel zu den Signalen; darauf werde ich noch eingehen,
lich machen. Überhaupt hat man, wenn man die Debatte Herr Kollege Ruck. Für den Klimaschutz der Entwick-
hier in den letzten zwei Tagen verfolgt, den Eindruck, lungsländer werden weltweit 30 Milliarden US-Dollar
dass das alles in Kopenhagen gar nicht so schlimm war.
und in der EU 10,6 Milliarden US-Dollar bereitgestellt.
Die einen versuchen, dies alles schönzureden und sagen,
man werde das Problem in Mexiko oder sonst wo schon Wo ist der deutsche Anteil? Man hört zwar, dass wir
noch in den Griff bekommen. Die anderen in der Regie- uns beteiligen wollen. Das steht auch auf der Internet-
rungskoalition, die das Scheitern zur Kenntnis nehmen, seite des BMU. Es wäre nur schön, wenn Sie sich am
machen dafür China oder die USA oder, wie ich heute Kabinettstisch einig wären. In der Welt am Sonntag vom
gelernt habe, die Opposition verantwortlich. 20. Dezember steht – Zeitung lesen hilft manchmal
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Genau!) wirklich –, dass der Kabinettskollege Niebel zu dieser
Frage sagt:
All diese Vorwürfe sind völlig aus der Luft gegriffen und
bedeuten einfach nur, dass Sie sich Ihrer Regierungsver- Das Fast-Start-Finanzierungspaket, das Teil des Be-
antwortung nicht stellen und sich Ihrer Verantwortung schlusses von Kopenhagen werden sollte, ist mit
für das Scheitern der Konferenz von Kopenhagen entzie- dem Scheitern des Gipfels auch vom Tisch.
hen.
Ja, was denn jetzt bitte? Hü oder hott, Beteiligung ja
(Beifall bei der SPD) oder nein? Was passiert mit dem Geld, das dringend für
Es ist schön, dass alle Konferenzländer anerkannt ha- den internationalen Klimaschutz benötigt wird? Auch
(B) ben, dass wir ein Klimaproblem haben; ich formuliere es dies ist ein Signal für die Entwicklungsländer, ein Si- (D)
einmal so, denn mehr ist ja nicht herausgekommen. Aber gnal, das man vorher anders hätte senden müssen, damit
dazu, welche konkreten Schritte und Maßnahmen man mehr Diskussionsbereitschaft und mehr Bereitschaft,
einleiten sollte, wurde in Kopenhagen nichts beschlos- sich einzubringen, vonseiten anderer Länder vorhanden
sen und auch hier nichts gesagt. Das ist nicht nur die gewesen wäre.
Erkenntnis der Opposition, sondern das haben auch Wis- (Beifall bei der SPD – Dr. Christian Ruck
senschaftler, die in dem Beirat „Globale Umweltverän- [CDU/CSU]: Da haben Sie die Diskussion
derungen“ der Bundesregierung sitzen, in der FAZ im
aber verpasst!)
Dezember geschrieben. Kopenhagen hinterlässt „Frus-
tration, Irritation und Konfusion“, so deren Urteil. Wenn man bei dieser Gelegenheit einmal nachliest,
Diese Konfusion und Frustration kann ich nachvoll- wer laut unserer Verfassung die Leitlinien der Politik be-
ziehen. Dies gilt auch für den vorliegenden Haushalts- stimmt, dann frage ich mich schon, wo in diesem Mo-
entwurf. Zum Einzelplan 16 sind viele schöne Worte ge- ment die Kanzlerin ist. Es ist ihr Kabinett, in dem der
fallen. Aber wenn es um die Frage des internationalen eine Minister hü und der andere Minister hott sagt bzw.
Klimaschutzes geht, dann fragt man sich: Wo finde ich der eine Minister nichts dazu sagt und der andere Minis-
dazu konkret etwas in diesem Haushalt, über den wir ter es ablehnt, etwas zu sagen.
diskutieren? Ich habe lange im Einzelplan 16 gesucht. (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Quatsch! –
Ich habe auch lange im Einzelplan 23 gesucht; denn es
Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sind Sie mit
könnte ja sein, dass irgendwo anders etwas steht.
dem Pferdefuhrwerk da?)
Nach langem Suchen habe ich im Einzelplan 16 ein
kleines Sternchen gefunden. Dort steht: Beim Stamm- Ich denke, es ist wichtig, dass Sie Ihrem Wissen-
haushalt in der Höhe von ungefähr 1,2 Milliarden Euro schaftlichen Beirat genauer zuhören, was bei internatio-
ist die Ermächtigung zu Mehrausgaben für den interna- nalen Verhandlungen das Gebot der Stunde wäre, wenn
tionalen Klimaschutz in Höhe von 400 Millionen Euro, es um den Klimaschutz geht. Das Verursacherprinzip
als Folge von Kopenhagen, noch nicht berücksichtigt. sollte anerkannt werden. Die Industrieländer, die über
Herr Minister, es wäre schön gewesen, heute von Ihnen Jahrhunderte hinweg durch Industrialisierung zum Kli-
ein klärendes Wort zu hören, wie Sie bis zur zweiten mawandel beigetragen haben, müssen sich entsprechend
bzw. dritten Lesung diese 400 Millionen Euro in den ihrer finanziellen Verantwortung stellen.
Haushalt einstellen wollen.
(Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Das ist jetzt
(Beifall bei der SPD) etwas ganz Neues!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1433
Dr. Bärbel Kofler
(A) – Ja, Sie schieben die Schuld immer auf die Schwellen- Dr. Bärbel Kofler (SPD): (C)
länder. Auch diese Länder, die jetzt viel CO2 emittieren, Ich komme zum Schluss.
müssen natürlich ihren Beitrag leisten; das bestreitet kei-
ner. Bisher liegt aber die maßgebliche Verantwortung bei Dieses kleine Beispiel für Außenwirtschaftsförde-
den Industrieländern. rung, die dieser Regierung sehr am Herzen liegt, zeigt ei-
nes ganz deutlich: dass Sie ins Atomzeitalter und damit
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten zu einer veralteten Technologie zurückwollen. Dadurch
der LINKEN) entziehen Sie neuen Technologien die finanzielle und
ökonomische Basis.
Wenn man in einer vielschichtigen Weise darüber dis-
kutiert, dann wird man bei den Entwicklungsländern Danke.
auf eine andere Akzeptanz stoßen und Glaubwürdigkeit (Beifall bei der SPD – Dr. Christian Ruck
beweisen. Denn das, was im Vorfeld zur Konferenz pas- [CDU/CSU]: Wieder ein Schmarrn!)
siert ist, hat dazu geführt, dass viele Länder gesagt ha-
ben: Das, was ihr macht, ist nicht glaubwürdig. Wir ver-
lassen uns nicht darauf. Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Angelika Brunkhorst.
Das kann man auch verstehen. Das ist ja auch ein weites (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Feld, wenn man sich die Gesamtsumme für die Entwick- der CDU/CSU)
lungsländer ansieht; darüber haben wir gestern gespro-
chen. Angelika Brunkhorst (FDP):
Die SPD-Fraktion hat deshalb einen entsprechenden Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Antrag eingebracht und gefordert, die Mittel für den Kli- Zu der Debatte über den Umwelthaushalt gehört auch
maschutz nicht mit den Mitteln für Armutsbekämpfung die Frage der Stilllegung des Schachtes Asse II. Zu Be-
zu verrechnen. Ich denke, wenn diesem Antrag im Vor- ginn des letzten Jahres, Anfang Januar 2009, gab es eine
feld der Konferenz Folge geleistet worden wäre, hätte Übertragung der Verantwortung auf das Umweltressort.
man ein wesentlich besseres Signal nach Kopenhagen Es kam zu einem Betreiberwechsel hin zum Bundesamt
senden können, auch was die Rolle Deutschlands anbe- für Strahlenschutz, zum BfS. Nun soll Asse II verfah-
langt. rensrechtlich wie ein Endlager abgewickelt werden. Da-
her muss es nach Atomrecht behandelt werden. Das BfS
(B) (Dr. Christian Ruck [CDU/CSU]: Ein als Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des BMU (D)
Schmarrn!) besitzt in diesem Bereich Kompetenz, weil es auch für
die Endlagerung und die Entsorgung radioaktiver Ab-
Neben der Konferenz von Kopenhagen möchte ich fälle zuständig ist.
eine andere Frage ansprechen, auf die viele Vorredner
eingegangen sind: das Verhältnis zwischen Stammhaus- Es ist konstatiert worden, dass für Asse II circa
halt und Endlagerhaushalt. Es ist schon gesagt worden, 98 Millionen Euro pro Jahr erforderlich sind. Das ist
dass der Endlagerhaushalt ungefähr ein Viertel des Um- aber noch keine konkrete Zahl. Das kann noch variieren,
welthaushalts ausmacht. Eine Politik, die die Nutzung weil wir den konkreten Bedarf erst dann kennen, wenn
der Atomenergie verlängert, erhöht auch die Folgekos- die Grundsatzentscheidung über das Stilllegungskonzept
ten. Ich glaube nicht, dass das, was Sie hier verschönt als tatsächlich gefallen ist.
Brückentechnologie dargestellt haben – Sie versuchen, Ende vergangener Woche hat das BfS nach Begutach-
den Leuten das schmackhaft zu machen –, wirklich Aus- tung der verschiedenen Optionen eine Empfehlung für
druck Ihrer Politik im Bereich Atomenergie ist, Herr Mi- die Rückholung der Abfälle herausgegeben, da dies nach
nister. Setzen Sie sich einmal mit dem Wirtschaftsminis- heutigem Wissensstand die beste Lösung darstellt. Das
ter zusammen. Fragen Sie einmal genau nach, was diese wird angestrebt. Die Optionen Vollverfüllung und Umla-
Regierung zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder gerung sind zunächst verworfen worden. Natürlich erge-
macht? Sie hat, bezogen auf Brasilien, Ausfuhrbürg- ben sich daraus für die nachfolgende Diskussion einige
schaften für Atomkraftwerke bzw. Atomtechnologien in Fragen.
Milliardenhöhe erteilt. Dies ist die erste Regierung seit
2000, die Hermesbürgschaften für den Bau eines Atom- Angesichts der drängenden Probleme hoffe ich, dass
kraftwerks in Brasilien vergibt. Das hat auch die Große Umweltminister Röttgen dafür sorgen wird, dass das
Koalition nicht gemacht, und zwar deswegen – das muss BfS zügig ein Konzept für das weitere Vorgehen vorlegt,
ich an dieser Stelle deutlich sagen –, weil der sozialde- was die bereits verschlossenen Kammern angeht. Man
mokratische Umweltminister, Sigmar Gabriel, auf die muss da schon hineinschauen. Man muss wissen, wie es
Bremse getreten ist. dahinter aussieht. Die Abfallgebinde müssen untersucht
werden, damit es keine bösen Überraschungen gibt. Das
(Beifall bei der SPD) BfS schlägt vor, dass das Konzept bis Ende Mai erarbei-
tet wird. Es ist zu fragen, wie diese Fässer aussehen:
Sind sie angeschlagen? Sind sie defekt? Sind sie in Ord-
Vizepräsidentin Petra Pau: nung? Immerhin sind sie aus Stahl, und es ist feucht. Die
Kollegin Kofler, kommen Sie bitte zum Schluss. Frage ist auch: Ist eine Rückholung ohne Gefahr mög-
1434 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Angelika Brunkhorst
(A) lich, oder sind die Fässer in einem, sagen wir einmal, praktisch nur 4 Prozent Minderung angeboten haben. (C)
fragilen Zustand, sodass sie eventuell bersten könnten? Zudem haben die EU und auch Deutschland signalisiert,
Wir müssen darauf achten, dass es keine unnötige dass die Finanzangebote an den Süden mit dem – bisher
Strahlenexposition gibt; denn das wäre eine unmittelbare unerfüllten – Versprechen einer höheren Entwicklungs-
Gefahr. Wir sind auch nach dem Atomgesetz strahlen- hilfe verrechnet werden sollen. Es ist kein Wunder, dass
schutzrechtlich in der Verantwortung. so Misstrauen entsteht und dass Verhandlungen in der
Sackgasse enden.
Die Experten sagen, die Standsicherheit des Gruben-
gebäudes sei bis 2020 gesichert. Für diesen Zeitraum Neben dem verpatzten Klimagipfel gab es in diesem
von zehn Jahren muss sichergestellt sein, dass keine zu- Monat noch ein Ereignis, das unserer ungeteilten Auf-
sätzlichen Störungen dazwischenkommen können. Ich merksamkeit bedarf: das von den Vereinten Nationen für
glaube, dass die Rückholung der 126 000 Fässer in zehn 2010 ausgerufene Internationale Jahr der biologischen
Jahren, wie das BfS es ausgerechnet hat, ein hoch ambi- Vielfalt.
tioniertes Vorhaben ist. Das Vorhaben muss geophysika-
lisch und technisch umsetzbar sein. Deshalb – das ist der (Beifall bei der LINKEN)
Kern der Forderung, die wir alle hier im Hause vertreten Der weltweite dramatische Artenschwund sollte bis
sollten –: Wir müssen parallel einen Notfallplan erarbei- 2010 gestoppt werden. Das war das global vereinbarte
ten. Denn ohne einen wirksamen und operativ sofort Ziel; aber es wurde nicht annähernd erreicht. Im Gegen-
umsetzbaren Notfallplan wird es nicht zu einem Plan- teil: Wir gehen in die entgegengesetzte Richtung. In der
feststellungsbeschluss kommen. Das hat auch der nie- Auftaktveranstaltung am 11. Januar hier in Berlin stellte
dersächsische Umweltminister angedeutet, der ja Leiter die Bundeskanzlerin in ihrer Rede eindeutig fest, dass
der zuständigen Planfeststellungsbehörde ist. wir einen wirksamen Schutz der Artenvielfalt und ihre
Bei allen etwaigen Unwägbarkeiten, die man in Be- nachhaltige Nutzung jetzt brauchen und nicht irgend-
tracht ziehen kann, muss auf jeden Fall Priorität sein, die wann, aber das sei schwierig. Da stimmen wir Linke der
Sicherheit der in der Region lebenden Menschen zu ge- Bundeskanzlerin einmal zu.
währleisten und sicherzustellen, dass die beschäftigten (Beifall bei der LINKEN – Dr. Dagmar
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Asse keinen un- Enkelmann [DIE LINKE]: Das passiert nicht
nötigen Gefahren ausgesetzt werden. oft!)
Ich danke für die Aufmerksamkeit. Nur sagen wir nicht „aber“, sondern „auch wenn es
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten schwierig ist“; denn es geht um unsere Lebensgrundla-
der CDU/CSU) gen.
(B) Von der Wissenschaft erreichte uns, auf den Punkt ge- (D)
Vizepräsidentin Petra Pau: bracht, die Botschaft: Klimaschutz ist ohne Naturschutz
Das Wort hat die Kollegin Sabine Stüber für die Frak- nicht möglich – und umgekehrt. Beides bedingt einan-
tion Die Linke. der.
(Beifall bei der LINKEN) Kolleginnen und Kollegen, kommen wir zum Geld.
Nichts zu tun, ist am teuersten. Zu wenig zu tun, wird
kaum billiger. Der Schutz der Biodiversität ist der preis-
Sabine Stüber (DIE LINKE):
werteste Klimaschutz. Täglich verschwinden 150 Arten
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- der Tier- und Pflanzenwelt. Investieren wir weltweit in
legen! Es wurde schon mehrfach gesagt: Die Konferenz den Schutz und die nachhaltige Bewirtschaftung der
von Kopenhagen ist grandios gescheitert. Wer hierfür nur Wälder, so ist das sowohl eine Maßnahme zur Reduzie-
China oder einige lateinamerikanische Entwicklungslän- rung der Treibhausgase als auch zum Schutz der Lebens-
der verantwortlich macht, betreibt unverantwortliche Des- räume vieler Arten. Das sind Synergien zwischen
information. Halten wir fest: Die Minderungsangebote Klima- und Artenschutz, die wirtschaftlich ausgespro-
der Industrieländer bewegten sich zwischen dem Start chen effizient sind.
der Konferenz und ihrem Ende keinen Zentimeter. Selbst
um das 2-Grad-Ziel überhaupt noch einhalten zu kön- (Beifall bei der LINKEN)
nen, sind die vorgelegten Angebote des Nordens völlig
unzureichend. Es ist ebenfalls unklar, welchen Beitrag Deutschland
zu einem Schnellstart-Klimaschutzprogramm im globa-
(Beifall bei der LINKEN) len Süden leisten will. Im Bundeshaushalt 2010 sind für
den Schutz des Klimas und der Artenvielfalt im Ausland
In der Summe machen sie auch bei der gutwilligsten In- 120 Millionen Euro vorgesehen. Wir denken, das ist zu
terpretation weniger als 20 Prozent Minderung bis 2020 wenig. Hinzu kommt, dass diese 120 Millionen Euro vor
gegenüber 1990 aus. Mindestens 25 bis 40 Prozent weni- allem in große Schwellenländer fließen sollen. Beson-
ger Treibhausgase sind aber die naturwissenschaftliche ders durch den Klimawandel verwundbar sind jedoch är-
Messlatte. mere Länder. Deshalb muss das Geld auch dorthin flie-
Die großen Schwellenländer hingegen haben natio- ßen. Das Geld für Klimaschutzmaßnahmen mit der
nale Aktionspläne vorgelegt, deren Ziele sogar am obe- Entwicklungshilfe zu verrechnen, lehnen wir Linke ab.
ren Rand des vom IPCC vorgegebenen Korridors liegen. (Beifall bei der LINKEN)
Versagt haben also in erster Linie die Industriestaaten,
die EU mit ihren 20 Prozent genauso wie die USA, die Das ist reine „Verniebelungstaktik“.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1435
Sabine Stüber
(A) Unser Vorschlag: Auch in Anbetracht der besonderen schung. Ich fordere Sie auf: Nehmen Sie die Steuerge- (C)
Verantwortung, die Deutschland mit dem Vorsitz der schenke für die Hoteliers zurück und sparen Sie sich das
UN-Konvention zur biologischen Vielfalt, CBD, noch Gerede von der Laufzeitverlängerung für Atomkraft-
bis zum Herbst dieses Jahres hat, sollten im Jahr 2010 werke! Sie sind eine Mauer und keine Brücke ins Solar-
mindestens 200 Millionen Euro für Klimaschutzmaß- zeitalter.
nahmen im Ausland zur Verfügung gestellt werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Eine letzte Bemerkung. Der Haushalt des BMU und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
macht gerade einmal 0,3 Prozent des Gesamthaushalts LINKEN)
aus. Somit ist die Suche nach Ausgabenminderungsmög-
lichkeiten aussichtslos. Daher kann es bei den zu lösen- Statt die Mittel für erneuerbare Energien und Energie-
den Aufgaben einzig und allein um eine Aufstockung effizienz kontinuierlich zu erhöhen, stecken Sie jetzt
des Haushalts gehen. sogar Gelder, die für das Marktanreizprogramm für er-
neuerbare Energien vorgesehen waren, in den Neubau
Danke. von Ölheizungen. So schaffen Sie niemals Klimaschutz.
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollegin Stüber, das war Ihre erste Rede im Hohen Es kommt noch schlimmer: In Zeiten, in denen China
Hause. Wir gratulieren Ihnen dazu recht herzlich und mit Subventionen für Solarfabriken Deutschlands Tech-
wünschen Ihnen Erfolg für Ihre Arbeit. nologieführerschaft ablösen will, streicht Umweltminis-
ter Röttgen, statt den deutschen Solarunternehmen zu
(Beifall) helfen, die Mittel für die Fotovoltaikforschung massiv
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun zusammen. Wie sollen die deutschen Unternehmen ver-
der Kollege Hans-Josef Fell. stärkt Innovationen entwickeln und die Kosten senken,
wenn Sie ihnen die öffentlichen Forschungsmittel strei-
(Michael Kauch [FDP]: Der Beste von den chen?
Grünen!)
Apropos streichen: Jetzt kündigen Sie auch noch an,
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dass die Vergütung für Strom aus Dachanlagen innerhalb
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und eines Jahres um 30 Prozent, für Strom aus Freiflächen-
Herren! Wir wollen möglichst schnell ins Zeitalter der anlagen sogar um 41 Prozent abgesenkt wird. Das ist
(B) erneuerbaren Energien. – Das sagte Kanzlerin Merkel eine drastische Kürzung. Sie haben keine belastbare wis- (D)
gestern sinngemäß an diesem Rednerpult. Umweltminis- senschaftliche Untersuchung vorgelegt, ob der Markt das
ter Röttgen erkannte in seiner Regierungserklärung an verträgt. Finanzunternehmen, die dies genau untersu-
– er betonte das auch heute –, dass Umweltschutzpolitik chen, unter anderem die LBBW, haben klar analysiert,
auch eine Innovations- und Wirtschaftsstrategie ist. Das dass die deutsche Fotovoltaikindustrie bei einer solch
sind richtige und gute Ziele, aber sehr späte Erkennt- heftigen Senkung der Vergütung zusammenbrechen
nisse. wird. Sie setzen Zehntausende Jobs, vor allem im Hand-
werk und im Mittelstand, aufs Spiel. Mit kompetenter
Nur, Ihre Politik ist das glatte Gegenteil. Wirtschaftspolitik in der Krise hat das nichts zu tun.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
NEN]: So ist es!) sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
Das lässt sich schon am Haushaltsentwurf ablesen. KEN)
Durch diesen Etat belasten Sie den Steuerzahler mit vie-
len Milliarden Euro, um die Altlasten der Atomkraft zu Das Segment der Freiflächenanlagen werden Sie da-
sanieren, statt die Atomkonzerne für ihre Vergangen- durch völlig abwürgen. Lösen Sie den Konflikt um die
heitssünden zur Kasse zu bitten. Nutzung fruchtbarer Ackerböden doch durch eine Dop-
pelnutzung: agrarische Bewirtschaftung unter PV-Flä-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN chen.
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
KEN) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN – Bartholomäus Kalb
Sie veranschlagen kein zusätzliches Geld für die Be- [CDU/CSU]: Sie haben keine Ahnung von
schleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien, Landwirtschaft! – Gegenruf von BÜND-
den Sie ja wollen, und die Steigerung der Energieeffizi- NIS 90/DIE GRÜNEN: Da machen Sie sich
enz. Bei wichtigen Branchen wie der Fotovoltaik oder mal keine Sorgen!)
der Mini-Kraft-Wärme-Kopplung setzen Sie sogar den
Rotstift an. Sie reden von der Erhöhung der Forschungs- Mit leeren Händen, Herr Umweltminister Röttgen,
mittel für erneuerbare Energien. In Wirklichkeit findet sind Sie aus Kopenhagen zurückgekommen. Statt den
sich im Haushaltsentwurf des BMU kein zusätzlicher Ausbau der Nutzung der erneuerbaren Energien national
Euro. Die Steuergeschenke für die Hoteliers belaufen voranzutreiben, treten Sie bei der Solarenergie massiv
sich auf das Zehnfache der BMU-Mittel für Energiefor- auf die Bremse.
1436 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Hans-Josef Fell
(A) Zwei kalifornische Universitäten haben einen Plan er- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C)
stellt, nach dem die Energieversorgung der ganzen Welt neten der FDP)
bis 2030 zu 100 Prozent auf erneuerbare Energien umge-
stellt werden kann. Die beiden Universitäten haben Umwelt- und Ressourcenschutz werden immer
nachgewiesen, dass das ökonomisch sinnvoll und tech- mehr zum Hebel für wirtschaftliche Entwicklung und so-
nisch machbar ist. Obwohl Sie wissen, dass dies der ziale Sicherheit. Dieser Hebel wirkt in zwei Richtungen
beste Beitrag zu Klimaschutz und neuen Arbeitsplätzen gleichzeitig: Nur die Volkswirtschaft wird künftig wett-
wäre, nehmen Sie diesen Plan nicht ernst: Sie haben ihn bewerbsfähig sein, die bei der Energie- und Ressourcen-
weder hier noch in Kopenhagen ins Gespräch gebracht. produktivität international vorn liegt. Unternehmen
Das bestätigt, dass Ihre Interessen in Wirklichkeit Kohle werden künftig nur die Produkte und Technologien ver-
und Atom gelten. kaufen, die umweltverträglich und ressourceneffizient
sind.
Auf der Weltkonferenz für erneuerbare Energien,
Wer heute den politischen Rahmen schafft, um erneu-
die gerade in Abu Dhabi zu Ende gegangen ist und auf
erbare Energien voranzubringen und die Entwicklung
der über 70 Länder durch Staatschefs oder Minister ver-
von Effizienztechnologien voranzutreiben, der macht die
treten waren, gab es nur ein Thema: Wo sind denn hoch-
Wirtschaft für den globalen Wettbewerb von morgen
rangige Vertreter der deutschen Regierung? Warum nur
fit. Deutschland ist in diesen Bereichen im internationa-
will die deutsche Regierung die so erfolgreiche deutsche
len Wettbewerb vorn.
Solarindustrie beerdigen? Das hat nur Unverständnis
und Kopfschütteln hervorgerufen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Aber dieser Spitzenplatz muss von Wissenschaft und
Vizepräsidentin Petra Pau: Unternehmen Hand in Hand täglich neu erkämpft wer-
Kollege Fell, kommen Sie bitte zum Schluss. den. Die Politik ist gefordert, für diesen Wettbewerb die
Rahmenbedingungen zu setzen. Diese Rahmenbedin-
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): gungen sind fairer Wettbewerb zwischen allen Beteilig-
Ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin. – Herr Mi- ten, Technologieoffenheit,
nister Röttgen, unter Kanzlerin Merkel wurde schon die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
heimische Biokraftstoffbranche weitgehend zerstört.
Jetzt treiben Sie mit Ihren Vorstellungen viele deutsche weniger Bürokratie, faire internationale Wettbewerbsbe-
Solarunternehmen in den Konkurs. Bei so viel Technik- dingungen und klare, anspruchsvolle und verlässliche
feindlichkeit sehe ich schwarz für die technologische umweltpolitische Vorgaben. Genau dafür werden wir mit
(B) und industrielle Zukunft Deutschlands. der Umsetzung des Koalitionsvertrages sorgen, und ge- (D)
nau dieser Weg spiegelt sich im Haushaltsentwurf wider.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD) Meine Damen und Herren, Ökonomie und Ökologie
sind kein Gegensatz. So richtig diese Analyse ist, einen
Automatismus gibt es dafür nicht. Umweltpolitik ist der
Vizepräsidentin Petra Pau: Bewahrung der Schöpfung verpflichtet. Sie ist aber auch
Für die Unionsfraktion spricht nun die Kollegin verpflichtet, Instrumente und konkrete Maßnahmen zu
Marie-Luise Dött. suchen, mit denen Umweltschutz, wirtschaftlicher Fort-
schritt und soziale Gerechtigkeit gleichermaßen erreicht
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
werden.
der FDP)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Marie-Luise Dött (CDU/CSU): Energiepolitik beispielsweise kann nicht zum alleini-
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Dieser gen Ziel haben, Deutschland CO2-frei zu machen. Dieses
Haushalt sichert umwelt- und klimapolitische Kontinui- aus Klimaschutzaspekten durchaus wünschenswerte Ziel
tät und schafft die Grundlagen für die Umsetzung der kann nicht der einzige Maßstab für die Politik sein. Der
ambitionierten Vorhaben unseres Koalitionsvertrages. Maßstab für Energiepolitik beinhaltet auch die sichere
Damit wird Deutschland beim Klima- und Umwelt- und bezahlbare Energiebereitstellung für die Bürger und
schutz weiterhin Schrittmacher bleiben. Ambitionierte für die Wirtschaft. Deshalb ist es richtig, vor einer Ent-
nationale Umwelt- und Klimapolitik, Impulse für die dy- scheidung über den künftigen Energiemix genau zu prü-
namische Entwicklung europäischen Handelns und glo- fen, wie die Anforderungen an eine moderne umwelt-
bale Zusammenarbeit sind die Schlüsselbegriffe dieser und ressourcenverträgliche Energieversorgung über die
Politik. Zeitschiene aussehen. Auf dieser Zeitschiene muss dann
auf wissenschaftlicher Grundlage, verantwortungsbe-
Deutschland hat die Wirtschafts- und Finanzkrise wusst und technologieoffen über den Energiemix ent-
dank einer tatkräftigen und gleichzeitig besonnenen Po- schieden werden. So haben wir es im Koalitionsvertrag
litik bislang vergleichsweise gut beherrscht. Die Krise vereinbart, und so ist es richtig.
ist aber noch nicht vorbei. Wir müssen nicht nur deswe-
gen die ökologische Modernisierung des Landes – die Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir brau-
Verringerung des Energie- und Ressourcenverbrauchs – chen im Umwelt- und Klimaschutz mehr Effizienz. Wir
als Chancen für Wachstum und Beschäftigung nutzen. müssen stärker als bisher das Kosten-Nutzen-Verhältnis
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1437
Marie-Luise Dött
(A) der Maßnahmen im Auge behalten. Das ist schon in zungskessel geschmissen: PVC, PUR-Schaum, Sprela- (C)
wirtschaftlich normalen Zeiten ein Gebot. In Zeiten der kart. Blankes Gift.
Wirtschafts- und Finanzkrise muss die Effizienz des Mit-
teleinsatzes ein ganz entscheidendes Beurteilungskrite- So geschehen vor 25 Jahren in einem Betrieb in der
rium sein. Jeder Euro, den wir für Umwelt- und Ressour- DDR. Dass die Wolke, die aus dem Schornstein heraus-
censchutz ausgeben, ob aus Haushaltsmitteln, von quoll, dann auch noch eine Kuhherde erreichte und ei-
Unternehmen oder vom Bürger, muss unter Effizienzge- nige Kühe gleich tot umfielen, sei auch noch erwähnt.
sichtspunkten gerechtfertigt sein. Das betrifft auch die Ich sage das an die Adresse der Linken gewandt, weil sie
erneuerbaren Energien. immer so tun, als hätten sie den Umweltschutz erfun-
den.
Die Bürger zahlen jährlich allein für die Fotovoltaik
Milliardenbeträge an Subventionen mit der Stromrech- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
nung. Deshalb ist es richtig, dass wir umgehend die För- In unseren Haushalt für Umwelt, Naturschutz und Re-
derung der Fotovoltaik reduzieren. Eine „Hängematte“ aktorsicherheit sind wirklich nur 1,58 Milliarden Euro
aus ungerechtfertigt hohen Einspeisevergütungen hilft eingestellt. Im Einzelnen sind 1,209 Milliarden Euro im
niemandem, auch nicht den Herstellern der Anlagen. Stammhaushalt und 372 Millionen Euro im Endlagerbe-
Die dringend erforderlichen Innovationsanreize er- reich eingestellt. Der Stammhaushalt wiederum unter-
reicht man nicht durch maximale, sondern durch opti- gliedert sich zum einen in den Verwaltungsteil und zum
male Förderung. Diese Innovationsanreize werden nicht anderen in den Programmhaushalt.
nur die Bürger entlasten. Sie werden auch dafür sorgen,
Nun könnte man meinen, dass das nicht allzu viel ist.
dass nicht chinesische Solarpaneele auf deutschen Dä-
Aber es ist ein Querschnittshaushalt, und auch in allen
chern montiert werden, sondern deutsche auf chinesi-
anderen Bereichen wird viel für die Umwelt getan. Neh-
schen Dächern.
men wir zunächst das Ministerium für wirtschaftliche
(Beifall bei der CDU/CSU) Zusammenarbeit und Entwicklung. Ich war letzte Woche
mit Minister Niebel und anderen Kollegen im Kongo,
Genau das schafft Arbeitsplätze in Deutschland, und ge- dem zweitgrößten Waldgebiet der Erde. Wir haben dort
nau das hilft dem globalen Klimaschutz. Projekte zum Schutz des Waldes im Sinne der Nachhal-
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: tigkeit besucht, die auch mit deutschem Geld gefördert
Aber genau das machen Sie doch kaputt!) wurden.

Nur so behalten die erneuerbaren Energien, Frau Höhn, Richten wir den Blick auf das Wirtschaftsministe-
(B) die Akzeptanz bei den Bürgern. rium. Auch die von Herrn Brüderle angekündigten (D)
500 Millionen Euro für die Förderung von Elektroautos
Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. sind in gewissem Maße Umweltschutz.
Es ist ein Grundsatz unserer Umweltpolitik, wo immer
es sinnvoll ist, Investitionsanreize auch für die Bürger zu Alles in allem können dem Umweltschutz in diesem
schaffen. Mit der Verstetigung des Marktanreizpro- Haushalt 6,3 Milliarden Euro zugerechnet werden. Da-
gramms zur Förderung der erneuerbaren Energien im bei rede ich nicht einmal von den Sanierungsmaßnah-
Wärmemarkt bei 400 Millionen Euro auch im kommen- men bei den Wismut-Halden. Wismut bzw. die Sowje-
den Haushaltsjahr erhalten die Bürger weiterhin verläss- tisch-Deutsche Aktiengesellschaft, die im Erzgebirge
liche Förderung bei Investitionen in neueste Technolo- massiv den Bergbau zur Uranförderung betrieben hat, ist
gien. Dies nutzt der Umwelt und dem Klima, hilft den sicherlich den meisten Deutschen bekannt. Die ganzen
Bürgern und schafft Arbeitsplätze im Handwerk und bei Überbleibsel aus dieser Zeit liegen noch dort. Auch da-
den Herstellern. für wird noch sehr viel Geld gebraucht werden.
Dieser Haushalt ist so angelegt, dass in vielen Berei- Es gibt in diesem Haushalt viel zu tun. Aber uns muss
chen die Gelder unmittelbar beim Bürger ankommen. nicht bange werden. Dieses Ministerium für Umwelt
wurde unter einer christlich-liberalen Regierung gegrün-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) det. Es war einmal mehr Hans-Dietrich Genscher, der
die Umweltpolitik in den Mittelpunkt unserer Politik
Vizepräsidentin Petra Pau: gestellt hat.
Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Heinz-
Peter Haustein das Wort. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP)
Umweltpolitik ist für unsere christlich-liberale Regie-
rung eine Herzenssache. Wir machen das mit Herz und
Heinz-Peter Haustein (FDP):
Emotionen, und wir werden viel erreichen. Uns ist auch
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und nicht vor den Herausforderungen bange, die noch kom-
Herren! Es war ein Septembermorgen. Es war kalt drau- men. Es ist unsere Herzenssache, und so soll es auch
ßen, und der Heizer schippte verzweifelt Rohbraunkohle bleiben.
in die Gusskessel. Aber der Dampfdruck stieg nicht. Der
Betrieb blieb kalt. Da kam die Anweisung: Anreichern. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
Plötzlich wurden Produktionsabfälle mit in den Hei- CDU/CSU)
1438 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Heinz-Peter Haustein
(A) Wir haben ein gutes Ministerium mit einem kompe- Investoren und Handwerksbetriebe auf uns verlassen (C)
tenten Minister, und jetzt, mit einer christlich-liberalen können.
Handschrift, wird es noch besser werden.
Ich unterstütze diejenigen, die Bedenken gegen die im
In diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erz- Regierungsentwurf ausgebrachte Sperre vorgetragen
gebirge. haben. Ich halte es für nicht richtig, dass eine Verknüp-
fung zwischen den Erlösen aus dem Verkauf von CO2-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Zertifikaten und den im Haushalt eingestellten Summen
der CDU/CSU) hergestellt wird.

Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und


Das Wort hat der Kollege Bernhard Schulte- der FDP)
Drüggelte für die Unionsfraktion. Ich bin der Meinung, dass ein Einzelhaushalt dieses Ri-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- siko nicht tragen kann. Wenn alle Einnahmen als De-
neten der FDP) ckungsmittel für alle Ausgaben dienen, dann bin ich der
Meinung, dass auch alle Einnahmen aus dem Handel mit
CO2-Zertifikaten im Gesamthaushalt zur Verfügung ste-
Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU): hen sollen.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Die Summe wurde gerade genannt: 1,5 Milliarden (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Euro werden in den Haushalt eingestellt. Das bedeutet
Man muss ganz klar sehen: Wenn man das so wie jetzt
eine Steigerung um 7,3 Prozent. Was den Anteil von
geplant machte, würde darunter das Marktanreizpro-
0,5 Prozent am Gesamthaushalt angeht, könnte man
gramm besonders leiden. Das führte wieder zu einer
meinen, das wäre nicht viel. Aber ich meine, dass der
Stop-and-go-Förderung. Das wäre für dieses Programm
Umweltschutz durchaus eine sehr wichtige Rolle spielt.
nicht gut. Dem stimme ich eindeutig zu.
Der Kollege Haustein hat den Umweltschutz gerade als
unsere Herzenssache bezeichnet. Darin kann ich ihm nur (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
zustimmen.
Wenn es stimmt, dass das Zeitalter der erneuerbaren Ener-
Die in den BMU-Haushalt eingestellten Mittel sind gien anbricht, dann sage ich dem Finanzminister – ich
nur ein Teil, nämlich 25 Prozent, der Gesamtausgaben, hoffe, er hört zu –: Lassen Sie diese Sperre fallen!
die in diesem Haushalt für den Umweltschutz veran-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
(B) schlagt sind. Daran sieht man, dass Umweltschutz eine (D)
Querschnittsaufgabe ist. Insgesamt werden über 6 Mil- SPD und der FDP)
liarden Euro veranschlagt. Das kann sich sehen lassen.
Ein weiterer wichtiger Bereich sind die Endlager. Ich
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- möchte mich bei der Endlagerung der schwachradioakti-
neten der FDP) ven Abfälle auf zwei Punkte beschränken. Der Schacht
Konrad in Salzgitter wird derzeit ausgebaut. Im Jahr
Ich meine, das unterstreicht auch die Aussage von Mi- 2007 begann das Bundesamt für Strahlenschutz mit den
nister Röttgen, dass wir es uns nicht leisten können, auf erforderlichen Arbeiten. Es ist beabsichtigt, dieses End-
Klimaschutzmaßnahmen zu verzichten. Ich finde es gut, lager bis 2014 fertigzustellen. Ich finde, das ist eine po-
dass er gerade nach den vielleicht enttäuschenden Ergeb- sitive Nachricht. Wer hat noch einmal vom „Endlager-
nissen von Kopenhagen gesagt hat: Jetzt erst recht; wir minister“ gesprochen? – Jedenfalls ist es noch dem
müssen diesen Weg weitergehen. – Das ist richtig, und Schwachendlagerminister Gabriel zu verdanken, dass
das unterstützen wir. hier eine vernünftige Lösung gefunden wird. Ich weiß
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- allerdings nicht, ob „Schwachendlagerminister“ die rich-
neten der FDP) tige Bezeichnung für ihn ist.

Ich möchte eine erfreuliche Entwicklung der letzten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Jahre erwähnen. Unter der Großen Koalition sind die der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Dafür haben
Verwaltungsausgaben gesunken. Von 2005 bis 2010 ist Sie aber lange gebraucht!)
ihr Anteil von 28 auf 16 Prozent zurückgegangen. Das – Wieso? Ich habe es nur aufgenommen.
bedeutet, dass nicht Behörden gefördert, sondern Maß-
nahmen im Umweltschutzbereich und die erneuerbaren Ich bin der Meinung, dass es richtig war, die Asse un-
Energien unterstützt worden sind. Im Zusammenhang ter Atomrecht zu stellen. Es war richtig, dass das Bun-
mit den erneuerbaren Energien möchte ich die Klima- desamt für Strahlenschutz das übernommen hat. Es ist
schutzinitiative und besonders das Marktanreizpro- ebenfalls richtig, dass nun das Umweltministerium ver-
gramm ansprechen. Wir haben in den letzten Jahren im- antwortlich ist. Nach dem vorliegenden Optionsver-
mer darüber gesprochen, dass es hier eine Verstetigung gleich bin ich der Meinung, dass wir trotz der schnell
geben muss; darauf haben bereits die Vorredner hinge- vorgelegten Lösungsvorschläge sehr sorgfältig beraten
wiesen. Die Mittel für Maßnahmen im Zusammenhang sollten. Ich möchte unterstreichen, was vorhin gesagt
mit dem Erneuerbare-Wärme-Gesetz wurden kontinuier- wurde, nämlich, dass die Sicherheit aller Beteiligten,
lich aufgestockt. Wir machen damit deutlich, dass sich insbesondere der Mitarbeiter in den Bergwerken, ge-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1439
Bernhard Schulte-Drüggelte
(A) währleistet sein muss. Wie Sie sehen, haben wir Bera- Zusatzbeiträge zu spüren bekommen, und zwar ohne (C)
tungsbedarf. jeglichen Sozialausgleich, Frau Ferner.
Herzlichen Dank. (Elke Ferner [SPD]: Weil Sie nichts unterneh-
men, Herr Rösler!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Es gilt, diesen Geburtsfehler zu beseitigen. Wir wollen
Vizepräsidentin Petra Pau: ein faires System.
Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen (Elke Ferner [SPD]: Deshalb schaffen Sie das
nicht vor. System ab!)
Wir kommen schließlich zu dem Geschäftsbereich Dazu gehören einkommensunabhängige Beiträge, aber
des Bundesministeriums für Gesundheit, Einzel- niemals ohne einen Ausgleich für die Schwächeren.
plan 15.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Das Wort hat der Bundesminister Dr. Philipp Rösler.
Für die CDU/CSU und die FDP jedenfalls gilt: kein Bei-
(Beifall bei der FDP) trag ohne Sozialausgleich. Diese Sicherheit müssen die
Menschen einfach haben.
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Abgeordneten! Der Haushalt des Bundesgesund- Es geht nicht nur darum, die Einnahmeseite zu stabili-
heitsministeriums ist mit 467 Millionen Euro einer von sieren, sondern gerade in der heutigen Zeit müssen wir
den kleineren Etats in diesem Haushaltsentwurf. Sie auch auf die Ausgaben Acht geben.
wissen allerdings alle, dass der Gesamtansatz des (Beifall bei der FDP)
Einzelplanes 15 mit 16,2 Milliarden Euro deutlich hö-
her ist. Das liegt natürlich an dem steuerlichen Bundes- Wir werden uns deshalb jeden Bereich im Gesund-
zuschuss von 15,7 Milliarden Euro. Damit sollen zum heitssystem ansehen und prüfen, ob dort effizient mit
einen die versicherungsfremden Leistungen und zum an- Versichertengeldern umgegangen wird oder nicht. Ich
deren die krisenbedingten Einnahmeausfälle ausgegli- will hier ausdrücklich festhalten: Dabei kann es für kei-
chen werden. nen der Beteiligten einen Freibrief geben. Im Gegenteil,
es gibt nur eine Gruppe, der wir als Koalition uns ver-
Die Koalition federt damit die krisenbedingten Belas- pflichtet fühlen, und zwar die 70 Millionen Versicherten.
(B) tungen der Menschen allein in diesem Jahr mit zusätzli- Das ist unser innerer Kompass, und daran werden wir (D)
chen 3,9 Milliarden Euro ab, und genau das haben CDU/ unsere Gesundheitspolitik ausrichten.
CSU und FDP in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart.
Wir stellen also fest: Diese Regierungskoalition hält ein- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
mal mehr ihr Wort. Bloße Kostendämpfungsgesetze halten wir für den
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) falschen Weg, denn sie enden immer in schleichenden
Rationierungen für die Versicherten. Es macht auch kei-
Dennoch wissen wir, dass die gesetzlichen Kranken- nen Sinn, von oben auf das System zu blicken und dann
versicherungen sich in einer schwierigen finanziellen Si- zu entscheiden, wo gekürzt wird und wo nicht. Stattdes-
tuation befinden. Aktuell diskutieren einige Kassen die sen brauchen wir echte Anreize und mehr Möglichkei-
Erhebung eines Zusatzbeitrages. Das zeigt, dass es nicht ten, sich wirtschaftlicher zu verhalten, als bisher. Im
ausreicht, Geld in das System hineinzugeben, vielmehr Zweifel ist der mündige Versicherte, der aufgeklärte Pa-
müssen wir das System insgesamt verbessern. Die Men- tient deutlich besser in der Lage, Kosten in den Griff zu
schen brauchen ein Gesundheitssystem, auf das sie sich bekommen als Gesetze, Verordnungen und Vorschriften.
verlassen können und das für jeden bezahlbar bleibt. Ge- Wir jedenfalls setzen zuallererst auf die Menschen und
nau dafür steht diese christlich-liberale Regierungskoali- nicht auf die Bürokratie im System.
tion.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Elke
Ferner [SPD]: Das glauben Sie selber nicht!) Deswegen bleiben wir dabei: Wir brauchen ein faires
System, das sich nicht anmaßt, alles bis ins kleinste De-
Denn Ihr System, in dem wir uns momentan befinden – es tail lenken zu wollen. Wir trauen den Menschen im Sys-
ist ein System der ehemals großen Volkspartei SPD –, tem deutlich mehr zu: den Leistungserbringern bei der
(Elke Ferner [SPD]: Und der CDU!) Auswahl ihrer Therapien, den Patientinnen und Patien-
ten bei der Auswahl ihrer Leistungserbringer und Thera-
ist unfertig, nicht zu Ende gedacht und für viele Men- peuten, den Krankenversicherungen bei der Betreuung
schen sozial ungerecht. ihrer Versicherten und den Versicherten bei der Auswahl
ihrer Krankenkassen.
(Elke Ferner [SPD]: Das stimmt ja nicht!)
(Elke Ferner [SPD]: Wer hindert Sie daran?)
Denn es trifft vor allem die Schwachen in unserem
Lande. Demnächst werden gerade diejenigen, die ohne- Darüber hinaus brauchen wir deutlich mehr Transpa-
hin schon wenig Einkommen zur Verfügung haben, Ihre renz als bisher; denn nur derjenige kann eine freie Ent-
1440 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Bundesminister Dr. Philipp Rösler


(A) scheidung treffen, der über Wissen verfügt und Informa- Wir haben es seit Ihrem Amtsantritt im Prinzip damit (C)
tionen erhält. Es gibt 4,3 Millionen Beschäftigte im zu tun, dass zumindest wöchentlich, teilweise täglich ir-
Gesundheitswesen und Millionen von Versicherten. All gendein Streit zwischen den Koalitionsfraktionen darü-
diese Menschen brauchen ein faires System. Hören wir ber ausgetragen wird, ob eine Kopfprämie erwünscht ist
endlich auf, diese Menschen ständig bevormunden zu oder nicht.
wollen!
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Seit Sonntag
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) nicht mehr!)
Wenn wir den Menschen mehr Freiheit im System ge- – „Seit Sonntag nicht mehr“, das stimmt nicht so ganz.
ben, dann müssen sie auch Verantwortung erwarten dür- Noch vor zwei Tagen titelte die Süddeutsche Zeitung
fen. Verantwortung heißt, anzuerkennen, dass es einen über den Kollegen Söder: „Söder gegen Rösler“. Heute
Unterschied zwischen einem beliebigen Markt auf der Morgen war Herr Söder im ARD-Morgenmagazin dann
einen Seite und dem sozialen Sicherungssystem gesetzli- wieder ganz handzahm – er trug gewissermaßen einen
che Krankenversicherung auf der anderen Seite gibt. Ge- Maulkorb –; schließlich haben sich jetzt alle lieb.
sundheit ist keine beliebige Ware, sondern ein hohes
Gut. Man kann sich aussuchen, ob man eine Ware kauft Schaut man sich die Reden an, die Frau Bundeskanz-
oder nicht; man kann sich aber nicht aussuchen, ob man lerin und Frau Homburger gestern gehalten haben, stellt
krank wird oder nicht. man schon Unterschiede fest: Es wird zwar nicht mehr
aufeinander eingedroschen, aber es wird etwas Unter-
(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schiedliches gesagt. Die Kanzlerin sagt: Wir wollen So-
NEN]: So ist es!) lidarität in unserer Gesellschaft, auch im Gesundheits-
Deswegen gehört zu einem gesunden System immer die system, und die Koalition steht dafür, dass es keine
Solidarität der Gesunden mit den Kranken. Zweiklassenmedizin gibt, dass jeder die medizinischen
Leistungen bekommt, die er braucht, aber in einer Art
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) und Weise, die die Beschäftigungsmöglichkeiten in un-
serem Land nicht unterminiert. Das ist ein neuer Unter-
Bei allen Bemühungen um mehr Wirtschaftlichkeit
ton. Das stellt die bisher vorhandene Solidarität unter
im System: Keine Reform dieser Welt darf diese Solida-
den Vorbehalt, dass Beschäftigungsmöglichkeiten nicht
rität infrage stellen. Verstehen Sie dies auch als Bot-
eingeschränkt werden.
schaft an all diejenigen, die ganz aktuell über Rationie-
rung und Priorisierung nachdenken. Wir jedenfalls Frau Homburger hat in einer Debatte auf die Zwi-
lehnen solche Diskussionen ab. Wir arbeiten an einem schenfrage des Kollegen Beck, ob es bei einer privaten
(B) System, das solche Diskussionen von vornherein über- deutschen Krankenversicherung Sondertarife für die (D)
flüssig macht. Klientelpartei FDP gibt, geantwortet: Wir wollen, dass
alle in diesem Land das Recht bekommen, ihre Kranken-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
kasse frei zu wählen, also die Möglichkeit erhalten,
Wir wollen eine Krankenversicherung, auf die sich selbst zu entscheiden, wo und in welchem Umfang sie
jeder Versicherte zu jeder Zeit verlassen kann. Wir wol- sich versichern und welche Zusatzversicherung sie ab-
len ein System, das dazu beiträgt, mit Beitragsgeldern schließen. Das heißt im Klartext: Die FDP will die ge-
effizient umzugehen, und eine Krankenversicherung, die setzliche Krankenversicherung abschaffen. Sie wollen,
trotz des demografischen Wandels und des medizinisch- dass diejenigen, die sich Solidarität eigentlich am meis-
technischen Fortschritts auch in Zukunft bezahlbar ist. ten leisten können, zur privaten Krankenversicherung
Wir arbeiten an einer Krankenversicherung, die Eigen- abwandern. Sie wollen, dass die, die in der gesetzlichen
verantwortung und Solidarität in Einklang bringt. Krankenversicherung oder in einem Mindestversor-
gungssystem zurückbleiben, wirklich Minimalmedizin
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
bekommen, während diejenigen, die es sich leisten kön-
(Anhaltender Beifall bei der FDP – Beifall bei nen, Medizin auf dem Stand der Technik erhalten.
der CDU/CSU)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der
CDU/CSU: Eine faule Interpretation!)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Elke Es hört sich gut an, wenn Sie sagen: Steuern sind ge-
Ferner das Wort. rechter als Beiträge. Die hohen Einkommen oberhalb der
Beitragsbemessungsgrenze zahlen eigentlich nicht ge-
nug ein. – Das stimmt.
Elke Ferner (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin- (Zuruf von der FDP: Na also!)
nen! Sehr geehrter Herr Minister Rösler, das waren zwar
Aber der Schluss ist falsch. Der Schluss bei Ihnen heißt
wohlfeile Worte, aber etwas Konkretes außer dem Hin-
nämlich: Wir machen eine einheitliche Kopfprämie.
weis auf einen einmaligen Zuschuss in Höhe von
Auf dieses System bezogen wären das 146 oder
3,9 Milliarden Euro an die gesetzlichen Krankenversi-
145 Euro pro Monat, wenn die Familienmitversicherung
cherungen in diesem Jahr haben Sie nicht gesagt.
beibehalten wird. Sie hatten ja die Gelegenheit – Herr
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Bahr, Sie schütteln den Kopf –, auf eine Kleine Anfrage
der LINKEN) meiner Fraktion zu antworten, aber Sie haben es vorge-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1441
Elke Ferner
(A) zogen, den Kopf in den Sand zu stecken und eine Kleine Anders als üblich sollen Vorerkrankungen kein Grund (C)
Anfrage in einer Art und Weise, wie ich das in 20 Jahren sein, den Versicherungsschutz zu verweigern. Familien-
noch nicht erlebt habe, zu beantworten, die das Frage- mitglieder werden mitversichert, und Wartezeiten gibt es
recht des Parlaments wirklich infrage stellt. auch nicht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Gleichzeitig kann man lesen, dass die Koalition die
Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Die Beitragslücke im Basistarif der PKV über Steuergelder
Frage hätte nicht zugelassen werden dürfen!) schließen will.

– Sie hätten sie nicht zugelassen. Damit haben wir im (Iris Gleicke [SPD]: Mövenpick lässt grüßen!)
Prinzip gerechnet. Dann hätten wir die Wertungen he- Das angeblich überlegene System scheint also nicht in
rausgenommen und es hätte immer noch die Möglichkeit der Lage zu sein, ein Minimum an Solidarität innerhalb
bestanden, zu antworten. dieser Versichertengemeinschaft zu leisten. Aber wenn
es darum geht, Solidarität mit den verarmten FDP-Mit-
(Jörg van Essen [FDP]: Sie haben sie nicht he-
gliedern zu leisten, dann ist alles möglich; denn die Ra-
rausgenommen!)
batte für diese zahlen die anderen Versicherten mit, die
Aber das wird Sie wieder einholen. nicht in den Genuss solcher Rabatte kommen. Man
könnte auch sagen: Diejenigen, die sich heute überhaupt
Ihr Motto ist: Diejenigen, die ungefähr 1 800 Euro nicht in der privaten Krankenversicherung versichern
und ein paar Zerquetschte brutto im Monat und darüber können, weil sie Vorerkrankungen haben, beispielsweise
verdienen, werden entlastet; die mit einem Einkommen psychisch krank sind, sollen doch in die FDP eintreten;
darunter müssen mehr bezahlen. Für die muss ein Sozial- dann können sie sich bei der DKV versichern, und zwar
ausgleich organisiert werden; immerhin knapp 37 Mil- zu besseren Konditionen.
liarden Euro. Hinzu kommen dann noch die Steuermit-
tel, die ohnehin schon im System sind. Gleichzeitig wol- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Heinz
len Sie die Steuern noch weiter senken. Es ist aber altbe- Lanfermann [FDP]: Sprechen Sie mal zum
kannt: Wenn man in den Steuertarif eingreift, kommt es Haushalt!)
dazu – auch bei Ihrem berühmten Stufentarif –, dass die Sie haben die ganze Zeit Ankündigungen völlig ohne
oben weniger bezahlen als die unten. Das bedeutet nicht Substanz gemacht.
mehr Solidarität im Gesamtzusammenhang Ihrer Politik,
sondern das bedeutet ganz klar eine Umverteilung von Mehr netto vom Brutto war im Wahlkampf verspro-
unten nach oben, und das ist alles andere als ein solida- chen. Es wird am Ende weniger netto vom Brutto sein.
(B) risch finanziertes Krankenversicherungssystem. Sie haben versprochen, dass es dank Ihres automati- (D)
schen Sozialausgleichs weniger Bürokratie geben
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
werde. Dabei weiß kein Mensch, wie er funktionieren
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
soll – Sie wahrscheinlich auch nicht –; denn zunächst
Was Sie machen, ist Klientelpolitik in Reinkultur. Sie einmal müsste man in Erfahrung bringen, wer bedürftig
haben vereinbart, den Kapitalstock für die private Pfle- ist. Die Bedürftigkeit könnte entweder so geprüft wer-
geversicherung in einem Zwangszusatzsystem im Rah- den, dass über 82 Millionen Zwangsveranlagungen beim
men der privaten Krankenversicherung zu schaffen. Sie Finanzamt durchgeführt werden, oder so, dass die ganze
möchten die Wechselmöglichkeiten von der GKV zur Republik ihre Einkommensverhältnisse bei den jeweili-
PKV erleichtern. Sie versprechen den Leistungserbrin- gen Krankenkassen offenlegt. „Viel Vergnügen!“, kann
gern Geldsegen. Sie wollen mehr Wahlfreiheit für dieje- ich da nur wünschen. Das bringt ja überhaupt keine Bü-
nigen, die es sich leisten können. Sie wollen Kostener- rokratie mit sich. Es wird also nicht weniger, sondern
stattung statt Sachleistungsprinzip. Das einmal unter mehr Bürokratie geben. Schließlich wird die Finanzie-
dem Stichwort „Bürokratieabbau“ zu beleuchten, wäre rung auch nicht gerechter, vielmehr wird sie ungerechter.
auch ganz interessant. Man braucht sich nur die Verwal- Wenn es wahr ist, was Sie eben in Ihren wohlfeilen
tungskosten der PKV pro Mitglied im Vergleich zu de- Worten gesagt haben, Herr Rösler, wenn Sie das wirklich
nen bei der gesetzlichen Krankenversicherung anzu- vorhaben, kann ich Sie nur auffordern: Lassen Sie ab
schauen. Sie krönen das Ganze damit, dass ein bisheriger von dieser ungerechten Gesundheitsreform und sehen
PKV-Spitzenfunktionär Leiter Ihrer Grundsatzabteilung Sie zu, dass das System, das wir haben, gerechter finan-
wird und auch noch die Zuständigkeit für die Pflege be- ziert wird, indem es zum Beispiel auf eine breitere, soli-
kommt, weil man ja der privaten Versicherungswirt- darischere Finanzierungsgrundlage gestellt wird und ein
schaft ein neues Geschäftsfeld – zwangsweise für die Risikostrukturausgleich auch zwischen privaten und ge-
Versicherten – eröffnen will. setzlichen Krankenversicherungen durchgeführt wird.
Schauen wir uns an, was die Süddeutsche heute unter Das entspräche der Bürgerversicherung, wie wir sie
der Überschrift „Die Rabatt-Könige der FDP“ schreibt! schon seit Jahren fordern.
FDP-Mitglieder und -Mitarbeiter können sich in der (Beifall bei der SPD – Widerspruch bei der
DKV günstiger versichern als jeder andere; es gibt FDP)
5 Prozent Rabatt.
Ich kann Sie auch nur ermuntern, die drängenden Pro-
(Iris Gleicke [SPD]: Hört! Hört!) bleme anzugehen. Auch Sie haben ja offensichtlich ge-
1442 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Elke Ferner
(A) merkt, dass es, ohne die Ausgabenseite zu betrachten, Dr. Klaus Theo Schröder, Staatssekretär im Bundes- (C)
nicht geht. Ich kann Sie nur auffordern, schnell zu han- ministerium für Gesundheit a. D.
deln; denn derjenige, der jetzt nicht handelt, wird auch
die Verantwortung dafür tragen müssen, wenn dieses (Mechthild Rawert [SPD]: Wer ist der
Jahr Zusatzbeiträge eingeführt werden. Sie können sich Anbieter?)
hier nicht hinstellen und alle Probleme auf ein von der Ich sage Ihnen: Kehr jeder vor der eignen Tür, gleich
SPD eingeführtes System schieben. Ihre jetzige Staatsse- sauber ist das Stadtquartier!
kretärin hat damals mit am Verhandlungstisch gesessen.
Sie weiß genauso gut wie ich, was wir nicht wollten und (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
welche Regelungen auf Kompromisse zurückgehen. Das neten der FDP)
gilt insbesondere auch für die Frage der Zusatzbeiträge. Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir wollen
Die CDU hätte es ja am liebsten gehabt, wenn diesen ein mit dem Haushalt 2010 eine nachhaltige Gesundheitspo-
noch stärkeres Gewicht zugekommen wäre und der Ge- litik erreichen, mit mehr Eigenverantwortung, aber
sundheitsfonds geringere Einnahmen gehabt hätte. Kol- nicht weniger Solidarität. Wer sich mit dem Gesund-
lege Zöller lächelt genüsslich. Er erinnert sich an die vie- heitswesen in Deutschland beschäftigt, der sollte zu-
len Stunden, die wir zusammengesessen haben, und nächst einmal mit der Beobachtung der Wirklichkeit be-
weiß genau, wovon ich rede. Sie, Herr Rösler, müssen ginnen. Die Realität ist: Voraussichtlich werden auch im
jetzt handeln. Sie stehen jetzt in der Verantwortung. Als Jahr 2010, also in diesem Jahr, erneut 24 Millionen Men-
Sie von uns das Haus übernommen haben, mussten die schen aus unserem Land eine Auslandskrankenversiche-
gesetzlichen Krankenversicherungen keine Zusatzbei- rung abschließen. Wer in Sizilien oder Spanien Urlaub
träge erheben. macht und dort erkrankt, möchte im Regelfall sehr
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf schnell zurück in die Heimat, um hier behandelt zu wer-
von der FDP: Katastrophal!) den. Das gilt auch, wenn in diesen Gegenden gerade die
Mandelbäumchen blühen und die Zitronenbäumchen
Wir haben die finanzielle Ausstattung der gesetzli- duften. Wir wollen, dass die Menschen aus Deutschland
chen Krankenversicherung gewährleistet. Sie retten sich zu Recht auch in diesem Jahr darauf vertrauen, dass die
jetzt in diesem Jahr mit einem einmaligen Zuschuss von Versorgung bei uns zu Hause besser ist als im Rest Euro-
3,9 Milliarden Euro über den Berg; dieser soll allerdings pas. Deshalb werden wir es nicht zulassen, dass unser
nur dieses Jahr gezahlt werden. Außerdem fehlen laut Gesundheitssystem schlechtgeredet wird.
Berechnungen des Schätzerkreises noch 4 Milliarden
Euro. Auch diese Mittel müssen irgendwie aufgebracht (Elke Ferner [SPD]: Es ist doch schlecht!)
werden, wenn die Berechnungen stimmen. Wir wollen aber sehr wohl Verbesserungen dort errei- (D)
(B)
Ich kann nur sagen, dass Ihre Prämisse „Freiheit in chen, wo es notwendig ist.
Verantwortung“, die Sie in dieser Haushaltsdebatte bei (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
jedem Einzelplan hochhalten, nichts mit Freiheit in Ver-
antwortung zu tun hat, sondern gekaufte bzw. gespon- Deshalb haben wir rasch gehandelt. Diese Bundesre-
serte Verantwortungslosigkeit darstellt. Ich hoffe im In- gierung hat in einer Blitzaktion auf das sich abzeich-
teresse der Menschen in unserem Lande, dass diese nende Defizit der gesetzlichen Krankenversicherung
Politik bald ein Ende hat. reagiert. Dabei werden 3,9 Milliarden Euro vor allem
von den Steuerzahlern aufgebracht und zusätzlich in den
(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb Gesundheitsfonds eingebracht. Das heißt, diese Bun-
[FDP]: Sie hat gerade erst angefangen!) desregierung hat keinen Stolperstart hingelegt, sondern
einen Blitzstart.
Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei der CDU/CSU – Birgitt Bender
Das Wort hat der Kollege Johannes Singhammer für [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pfeifen im
die Unionsfraktion. dunklen Walde nennt man das!)

Johannes Singhammer (CDU/CSU): Mit insgesamt 15,7 Milliarden Euro werden mehr Steu-
ergelder in die gesetzlichen Krankenkassen eingebracht
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
als je zuvor. Das ist ein großer Solidarbeitrag aller Steu-
Herren! Frau Kollegin Ferner, Sie haben kritisiert, dass
erzahler.
jemand als hoher Beamter neu eingestellt worden ist, der
zuvor bei der PKV eine wichtige Funktion innehatte. Ich (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
habe gerade heute eine Einladung in die Hände bekom-
men, auf der steht: Zur Wahrheit gehört auch, dass die gesetzlichen
Krankenversicherungen in diesem Jahr 170 Milliarden
Politisches Marketing Euro zur Verfügung haben. Auch das ist mehr als jemals
Grundlagen erfolgreichen Lobbyings für Akteure zuvor.
der Gesundheitswirtschaft
(Elke Ferner [SPD]: Das ist in jedem Jahr
Die Teilnahme kostet übrigens 465 Euro plus Mehrwert- mehr als je zuvor!)
steuer. Wer, glauben Sie, ist dort der Hauptreferent?
– Ich komme gleich dazu. – Trotzdem besteht – und da-
(Zuruf von der FDP: Herr Knieps?) rüber sind wir uns einig – in der Gesundheitspolitik die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1443
Johannes Singhammer
(A) ständige Notwendigkeit, die Einnahmesituation zu über- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf (C)
prüfen und zu verbessern. Das werden wir in den nächs- von der SPD: Und mehr Geld!)
ten Monaten auch tun. Es gehört zur Ehrlichkeit dazu,
Deshalb halte ich es für einen großen Erfolg, dass wir
dass wir die Situation des Haushalts – wir führen hier
uns in den Koalitionsvereinbarungen darauf verständigt
schließlich eine Haushaltsdebatte – nicht aus den Augen
haben, die freie Arztwahl, die freie Krankenhauswahl
verlieren. Auf der einen Seite besteht die Notwendigkeit,
und die freie Krankenkassenwahl für die Bürger in
in den nächsten Jahren zu konsolidieren. Auf der ande-
Deutschland zu erhalten.
ren Seite wollen wir Steuererleichterungen durchsetzen.
Deshalb ist es klar, dass der Spielraum für alle Formen (Elke Ferner [SPD]: Wo geht das denn heute
der Finanzierung nicht größer, sondern kleiner wird. nicht?)
Deshalb warnen wir auch davor, die Diskussion jetzt
– Ich komme jetzt zu Ihnen. – Mehr Planwirtschaft, die
ausschließlich auf die Frage „Prämie, ja oder nein?“ zu
Sie immer im Hinterkopf haben, führt nicht zu mehr Ge-
verengen.
rechtigkeit. Sie ist allenfalls weiße Salbe.
(Elke Ferner [SPD]: Sie sind auch schon um-
(Elke Ferner [SPD]: Wer will denn mehr Plan-
gefallen, Herr Singhammer!)
wirtschaft? – Gegenruf des Abg. Heinz
Ich glaube, entscheidend ist – und darauf werden wir Lanfermann [FDP]: Sie wollen es!)
Wert legen –, dass die Finanzierung sozial gerecht er- Wer wie die SPD Einheitsvergütungen verlangt, der eb-
folgt. Dafür werden wir sorgen. Ihr Modell einer Bürger- net letztendlich den Weg zur Einheitsmedizin.
versicherung ist weniger gerecht; denn im Endeffekt ho-
len Sie sich das Geld damit von den Kommunen wieder. (Beifall der Abg. Stefanie Vogelsang [CDU/
Wie das in der jetzigen Situation, die die Kommunen be- CSU])
klagen, gelingen soll, weiß kein Mensch. Dann wird die Versorgung der Menschen nicht solidari-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- scher, sondern in der Konsequenz schlechter.
ruf von der SPD: Er hat es gar nicht verstan- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
den!)
Zwischen uns besteht ein entscheidender Unter-
Wir wollen eine nachhaltige Gesundheitspolitik. schied: Wir sehen in Eigenverantwortung und Solidarität
Das bedeutet mehr als nur eine gesicherte Finanzierung. keinen Gegensatz. Ich will das an einem Beispiel deut-
Nachhaltige Gesundheitspolitik heißt erstens – das ist lich machen. Solidarität ist notwendig bei großen und
das Nachhaltigste überhaupt – Prävention, damit teuren Operationen, wie zum Beispiel bei Herzoperatio-
(B) Krankheit möglichst gar nicht erst eintritt, zum Beispiel nen. Auf der anderen Seite brauchen wir aber auch mehr (D)
Volkskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen Eigenverantwortung.
oder Diabetes. Deshalb werden wir einen ganz klaren
Schwerpunkt auf Prävention setzen. (Elke Ferner [SPD]: Wo sollen denn die Leute
mehr bezahlen?)
Zweitens. Gesundheit darf nicht zu einem Privileg für
bestimmte Bevölkerungsgruppen, Einkommensgruppen Bei Erkrankungen wie beispielsweise Erkältungen kann
oder Altersschichten werden. Eine Diskussion darüber, man, was die Mittel dagegen angeht, diese Eigenverant-
ob medizinische Leistungen wie Dialyse oder Herzope- wortung einfordern und mit ihr einiges erreichen.
rationen ab einem bestimmten Alter oder ab einem be- (Widerspruch bei der SPD – Elke Ferner [SPD]:
stimmten Einkommen nicht mehr erbracht werden sol- Das gibt es doch schon längst!)
len, würde ich für unerträglich halten. Deshalb werden
wir sie auch nicht führen. Schweden, das oft als Vorbild Wir werden 2010 voraussichtlich einen Honorar-
ins Spiel gebracht wird, ist für uns kein Vorbild, wenn anstieg bei den Ärzten haben.
dort beispielsweise die Behandlung gutartiger Tumore (Elke Ferner [SPD]: Und wer bezahlt das?)
von den Patienten selbst bezahlt werden muss.
Damit stellen wir sicher, dass die Ärzte für ihre schwie-
Drittens. Diejenigen, die im Gesundheitsbereich in rige und verantwortungsvolle Arbeit eine angemessene
unterschiedlichsten Berufen, als Mediziner oder Pflege- Honorierung erhalten. Wir erwarten aber – auch das sage
kräfte, tagtäglich einen anstrengenden, der Humanität ich an dieser Stelle –, dass die Ärzte ihre Serviceleistun-
gewidmeten Dienst für kranke Menschen leisten, gen gegenüber den gesetzlich Versicherten verbessern
(Elke Ferner [SPD]: Der gut bezahlt werden und unterschiedliche Wartezeiten verhindern, die als ein
muss!) Ärgernis empfunden werden.

sind nicht die Verursacher der Probleme im Gesundheits- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
wesen. Sie brauchen vielmehr unsere Unterstützung. der FDP – Elke Ferner [SPD]: Was tun Sie da-
gegen?)
(Elke Ferner [SPD]: Wer Ihre Unterstützung
bekommt!) – Wir tun eine ganze Menge.
(Lachen der Abg. Elke Ferner [SPD])
Mehr Unterstützung heißt – das ist uns wichtig – weni-
ger Gängelung und weniger Bürokratie, dafür aber mehr Ich darf noch Folgendes ankündigen. Wir haben uns
Verantwortung und mehr Freiheit. in der Koalition darauf geeinigt, rasch und ohne Verzö-
1444 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Johannes Singhammer
(A) gerung in den nächsten Wochen folgende Herausforde- Vizepräsidentin Petra Pau: (C)
rungen aufzugreifen. Das Wort hat die Kollegin Kathrin Vogler für die
Erstens. Wir werden ein Gesetz auf den Weg bringen, Fraktion Die Linke.
das sich die Verbesserung der ärztlichen Versorgung (Beifall bei der LINKEN)
vor allem in den ländlichen Regionen zum Ziel setzt.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kathrin Vogler (DIE LINKE):
Wir wollen, dass sich die Ärzte wieder mehr auf die Ver- Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen
sorgung der Patienten konzentrieren können und sich und Kollegen! Beim Gesundheitsetat geht es nicht nur
nicht ständig mit Gebührenordnungen, Richtlinien und um die 16 Milliarden Euro im Einzelplan 15, von denen
Bürokratie beschäftigen müssen. wir gerade gehört haben; den größten Pott in der Ge-
sundheitspolitik füllen die Beiträge der Versicherten
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf an die gesetzlichen Krankenkassen. Über die Höhe die-
der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) ser Beiträge und ihre Verteilung entscheiden wir eben-
falls hier im Bundestag. Deshalb müssen wir darüber re-
Zweitens. Wir werden in einem weiteren Gesetz den den.
Arzneimittelbereich deregulieren.
Jedes Mitglied in der gesetzlichen Krankenversiche-
(Elke Ferner [SPD]: Aha!) rung kennt doch die Probleme: Wartezeiten beim Fach-
– Selbstverständlich. – Zurzeit gibt es über zwei Dut- arzt, Zuzahlungen zu Medikamenten und Hilfsmitteln,
zend Steuerungsinstrumente, die an die unterschiedlichs- hohe Eigenbeteiligungen etwa beim Zahnersatz oder ein
ten Akteure gerichtet sind. Das sind viel zu viele. Was Hausarzt, der am Ende des Quartals mit dem notwendi-
zum Beispiel die Wirtschaftlichkeitsprüfung betrifft, gab gen Rezept geizt und es nicht ausstellt. Frau Merkel hat
es 1988 eine Vorschrift, die sich noch auf 150 Worte uns gestern darüber aufgeklärt – Kollegin Ferner hat das
beschränkte. Jetzt regelt das Gesetz das gleiche Verfah- schon zitiert –, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung
ren mit 2 300 Worten in sieben Absätzen. Das werden keine Zweiklassenmedizin möchte. Es gibt aber längst
wir ändern. schon eine Zweiklassenmedizin. Sogar Ärztepräsident
Hoppe hat zuletzt in der Frankfurter Allgemeinen Sonn-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tagszeitung festgestellt, was 70 Millionen Versicherte
längst wissen:
Drittens. Wir werden ein Gesetz zur Struktur der
(B) Krankenversicherungen auf den Weg bringen. Dabei Im deutschen Gesundheitswesen wird heimlich ra- (D)
geht es auch um das Verhältnis der gesetzlichen Kran- tioniert, weil nicht genügend Geld zur Verfügung
kenversicherung zur privaten Krankenversicherung. Wir steht, um allen Menschen die optimale Therapie zu
wollen, dass der Grundsatz, der sowohl das Nebeneinan- verschaffen.
der als auch die Abgrenzung betrifft, erhalten bleibt. Wir
wollen aber auch, dass die Möglichkeiten der Koopera- Er bezog sich damit allerdings nur auf „sehr teure“
tion zwischen GKV und PKV bei Zusatzversicherungen Krebsmedikamente, an denen sich die Pharmafirmen
gestärkt werden. gerne eine goldene Nase verdienen möchten.
(Zurufe von der SPD) Außer der Linken spricht niemand über die Probleme,
die Millionen Menschen schon mit der einfachsten Ge-
Gesundheitspolitik ist aber mehr, als nur auf die He- sundheitsversorgung haben.
rausforderungen zu reagieren, die uns auf der Einnahme-
und auf der Ausgabenseite über Jahre begleiten. Der Ge- (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
sundheitssektor ist vor allem ein Wachstumsmotor in Dummes Zeug! Woher haben Sie das: „Außer
Deutschland. Mit 4,4 Millionen Beschäftigten gibt es im der Linken“?)
Gesundheitswesen annähernd sieben Mal so viele Be-
schäftigte wie in der deutschen Vorzeigebranche, der Dazu möchte ich ein Beispiel aus meiner Heimat, dem
Automobilindustrie, in der 700 000 Arbeitnehmer be- Münsterland, erzählen. In der vorigen Woche hat in Dül-
schäftigt sind. Wir wollen, dass der Standard in unserem men eine neue Einrichtung Bilanz gezogen: die Medika-
Gesundheitswesen im internationalen Wettbewerb an mententafel. In den ersten drei Monaten haben dort
vorderer Stelle bleibt. Deshalb werden wir den Gesund- schon 115 bedürftige Menschen das Angebot genutzt,
heitssektor weder kaputtsparen noch ruinieren, sondern Medikamente zum halben Preis zu kaufen. Es geht hier
weiterentwickeln. Eines sage ich – Sie rufen ja immer wohlgemerkt um Medikamente, die der Arzt verschrie-
dazwischen – deutlich an Ihre Adresse: Wer den Men- ben hat, die aber nicht von den Kassen übernommen
schen Angst einjagt und behauptet, die medizinische werden und nicht von den Patienten aus eigener Tasche
Versorgung in Deutschland werde zum Risiko, der wird finanziert werden können. Ich schätze das soziale Enga-
selbst zum Risiko. gement sehr, das dieses Angebot möglich macht. Es ist
aber eine Schande, dass so etwas in diesem Land nötig
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elke ist.
Ferner [SPD]: Sie sind das Risiko für die Ver-
sorgung!) (Beifall bei der LINKEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1445
Kathrin Vogler
(A) So sieht nämlich die soziale Wirklichkeit in unserem drei Buchstaben vielleicht doch eher für „Freundeskreis (C)
reichen Land aus: Wer arm ist und krank wird, ist auf Al- der Privatversicherer“?
mosen angewiesen.
(Zuruf von der LINKEN: Freundeskreis
(Zuruf von der SPD: Quatsch!) Mövenpick!)
Damit werde ich mich nicht abfinden; damit wird sich 3,9 Milliarden Euro sollen in diesem Jahr als Steuer-
die Fraktion Die Linke nicht abfinden. zuschuss in den Gesundheitsfonds fließen, um die Min-
dereinnahmen durch die Finanzkrise auszugleichen; das
(Beifall bei der LINKEN) haben Sie gerade ganz stolz verkündet. Aber Sie wissen
doch ganz genau, dass den Krankenkassen 2010 voraus-
Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen von der sichtlich weitere 4 Milliarden Euro fehlen werden.
SPD, wir werden nicht vergessen, dass dies auch ein Er-
gebnis von zehn Jahren sozialdemokratischer Gesund- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wer bezahlt
heitspolitik ist, an der leider auch die Grünen und die denn die Milliarden?)
Union beteiligt waren.
Den Versicherten drohen also Zusatzbeiträge, denn ir-
Wenn Union und FDP nun versprechen, die Unter- gendwoher müssen die fehlenden Milliarden ja kommen.
finanzierung zu beenden, dann klingt das erst einmal Warum kommen Sie eigentlich nicht auf die Idee, die-
klasse; aber für die Versicherten bedeuten Ihre Pläne jenigen an den Kosten zu beteiligen, die die Krise verur-
eine weitere Umverteilung von unten nach oben. Sie sacht haben?
wollen also das Solidarprinzip abschaffen, demzufolge
Gesunde für Kranke und diejenigen, die gut verdienen, (Beifall bei der LINKEN – Heinz Lanfermann
für diejenigen, die weniger Einkommen haben, einste- [FDP]: So viel Geld hat die Frau Schmidt auch
hen. Das ist mit uns nicht zu machen. nicht! – Heiterkeit)
(Beifall bei der LINKEN) Aber nein: Auf die Unternehmer und Aktionäre entfällt
kein einziger Cent an höheren Beiträgen. Wieder sind es
Sie setzen auf die Kopfpauschale, die von der FDP nur die Beschäftigten, die Rentnerinnen und Rentner, die
beschönigend „Gesundheitsprämie“ genannt wird. Das Sie zur Kasse bitten werden.
heißt, Sie wollen, dass die Friseurin mit 800 Euro Mo-
natsgehalt denselben Beitrag zahlt wie die Chemietech- Die Linke hat immer wieder Vorschläge gemacht und
nikerin mit 3 000 Euro Gehalt im Monat. Sie haben im wird das auch weiterhin tun, wie die Kassen finanziert
Wahlkampf versprochen: „Mehr netto vom Brutto.“ Das und die Versicherten entlastet werden können. Wir wol-
(B) setzen Sie jetzt um, aber nur für diejenigen, die mehr als len bestmögliche Versorgung für die Patientinnen und (D)
2 000 Euro im Monat verdienen. Das sollen diejenigen Patienten, mehr Zeit für Zuwendung und für sprechende
finanzieren, die über deutlich weniger Einkommen ver- Medizin sowie mehr Beschäftigung bei besseren Ar-
fügen. Deren Beiträge werden nämlich steigen. Damit beitsbedingungen statt noch mehr Profite für die
treiben Sie die Spaltung der Gesellschaft voran. Das Pharmabranche und private Versicherungskonzerne.
werden wir Ihnen nicht durchgehen lassen. (Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN) Sie hingegen preisen im Koalitionsvertrag den Wett-
Herr Rösler, Ihr Versprechen, diese Ungerechtigkeit bewerb und den Markt als Steuerungsmechanismen und
mit einem Sozialausgleich abzufedern, kann ich Ihnen vergessen dabei eines: Ein kranker Mensch ist kein
ehrlich gesagt nicht abnehmen; denn ich glaube nicht, Kunde, der über Diagnose und Therapie frei entscheiden
dass es Ihnen gelingt, die Steuern zu senken – auch das kann. Wer krank ist, braucht Hilfe, schnell erreichbar,
haben Sie versprochen – und gleichzeitig 20 bis 40 Mil- unkompliziert und in guter Qualität, und das Ganze vom
liarden Euro aus der Staatskasse für den Sozialausgleich Darß bis zum Bodensee. Das zu schaffen ist unsere ge-
aufzubringen. Entweder können Sie nicht rechnen oder meinsame Verantwortung hier in diesem Haus. Deswe-
Sie wissen nicht, was da auf Sie zukommt, oder Sie wis- gen werden wir diesen Haushalt ablehnen, und wir wer-
sen genau, dass es nicht funktionieren wird, und belügen den weiter dafür streiten, dass Medikamententafeln in
die Leute. Das halte ich für eine Unverschämtheit. diesem Land überflüssig werden.
Danke schön.
(Beifall bei der LINKEN – Wolfgang Zöller
[CDU/CSU]: Na, na, na! Beide Behauptungen (Beifall bei der LINKEN)
sind beleidigend und unverschämt!)
Zweitens machen Sie damit Millionen Versicherte zu Vizepräsidentin Petra Pau:
Bittstellern beim Staat. Nach der Medikamententafel Kollegin Vogler, das war Ihre erste Rede im Deut-
kommt dann also demnächst die Krankenkassentafel. schen Bundestag. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg in Ih-
Dagegen werden wir uns wehren. Dass Sie diese Reform rer weiteren Arbeit.
zudem ausgerechnet von einem bisherigen Funktionär (Beifall)
der privaten Krankenversicherung erarbeiten lassen,
wundert uns da kaum noch. Es zeigt das wahre Wesen Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun
der FDP als Front der Privilegierten. Oder stehen diese die Kollegin Birgitt Bender.
1446 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

(A) Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wenn einer (C)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Brötchen klaut, wird ihm gekündigt! Wenn ei-
Minister Rösler, wenn ich nicht schon so lange Gesund- ner seine Spesen nicht richtig abrechnet, dann
heitspolitik machte, dann wären mir eben bei Ihrer Rede nicht?)
Tränen der Rührung gekommen. Es war ja so schön an-
zuhören, dass Sie jetzt derjenige sind, der aus lauter so- Aber wenn ausgerechnet jetzt die Ablösung von Sawicki
zialer Verantwortung mit der Hinterlassenschaft der Gro- gefordert wird – vor allem, wenn man weiß, dass schon
ßen Koalition aufräumt, die nämlich für dieses Jahr während der Koalitionsverhandlungen Papiere kursier-
Zusatzbeiträge für die Versicherten zur Folge haben ten, in denen seine Ablösung gefordert wurde –, dann
wird. wird klar, woher der Wind weht.

Ja, Herr Minister, wer soll Ihnen glauben, dass das (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ihre größte Sorge ist? In Wirklichkeit ist es doch so, dass und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
Ihnen das als Testfeld willkommen ist. Es werden Kos- LINKEN)
ten auf die Versicherten verschoben, zunächst eine Es geht darum, dass man einen Grund findet, um ei-
kleine Kopfpauschale, und das ist der ideale Test für die nen Kritiker loszuwerden. Ich sage Ihnen, Herr Minister:
von Ihnen geplante große Kopfpauschale. Die Kroko- Wenn das der Auftakt dazu ist, dass die Arbeit des
dilstränen über Zusatzbeiträge, Herr Minister, können IQWiG weichgespült wird, um der Pharmaindustrie ei-
Sie sich sparen; die glaubt Ihnen niemand. nen Gefallen zu tun, dann machen Sie einen Fehler. Es
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird nämlich für die Versicherten teurer,
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
(Elke Ferner [SPD]: Das ist denen doch egal!)
LINKEN)
Ob Sie wirklich aus sozialer Verantwortung für die und es ist auch nicht wirklich im längerfristigen Inte-
Versicherten handeln, wie Sie behaupten, darf man be- resse der Pharmaindustrie.
zweifeln. Werfen wir einmal einen Blick in Ihren Haus- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
halt. Da wird durchaus mehr Geld ausgegeben, und zwar und bei der SPD)
nicht nur via Steuerzuschuss für die GKV. Nein, da wird
beispielsweise ein Titel im Bereich der internationalen Es ist klar, dass sich ein Unternehmen nicht freut,
Arbeit deutlich erhöht. Wir lesen den Titel „Förderung wenn es durch ein Gutachten des IQWiG auf Anhieb et-
der deutschen Gesundheitswirtschaft im Ausland“. liche Millionen Euro Umsatz verliert. Aber wenn die
(B) Da geht es um die Mitwirkung der Bundesregierung an Unternehmen wissen: In Deutschland gilt die Kosten- (D)
Vermarktungs- und Kooperationsbemühungen gesund- Nutzen-Bewertung. Das sind die Kriterien, an die wir
heitswirtschaftlich tätiger Unternehmen im Ausland. Es uns halten müssen. Wenn wir etwas Neues auf den
findet sich eine deutliche Erhöhung des Titels. Herr Mi- Markt bringen, das den Patienten wirklich mehr Nutzen
nister, wir haben nichts gegen Wirtschaftsförderung. bietet, dann können wir auch einen höheren Preis reali-
Aber das Bundesgesundheitsministerium ist keine Un- sieren. – Dann wird in die richtige Richtung geforscht.
terabteilung des Wirtschaftsministeriums, und das sollte Das sind verlässliche Rahmenbedingungen. Das sollte
man deutlich unterscheiden können. man gerade als Minister nicht infrage stellen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD) und bei der SPD)
Wir sind uns nicht sicher, ob Sie diese Unterscheidung Man gewinnt den Eindruck, Herr Minister, dass Sie
treffen. Als Sie noch Landeswirtschaftsminister waren, nicht der Anwalt der Patienten sind, sondern dass Ihre
haben Sie an einer Resolution der Landeswirtschafts- Agenda eher die Klientelpflege ist. Nehmen wir als Bei-
minister mitgewirkt, in der es sinngemäß heißt, man spiel die private Krankenversicherung. Erst hieven
möge endlich dem IQWiG, also dem Institut für Quali- Sie einen Mann der PKV auf eine B-9-Stelle in Ihrem
tät und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, auf Ministerium. Ausgerechnet er soll für Sie die Grund-
die Finger klopfen, weil es die Pharmaindustrie so ver- sätze ausarbeiten. Dann erfahren wir, dass es exklusiv
unsichere und Arbeitsplätze in der Pharmaindustrie ge- für FDP-Mitglieder einen Rabattvertrag eines PKV-Un-
fährde. ternehmens gibt. Nicht nur, dass Sie dort niedrigere Prä-
(Elke Ferner [SPD]: Sie behindert in ihrem mien bezahlen. Nein, es gibt auch noch – wenn wir den
Profit!) Berichten glauben dürfen – besondere Aufnahmebedin-
gungen.
Was passiert jetzt? Es wird die Ablösung des pharma-
kritischen Leiters dieses Instituts betrieben. (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das ist ja ungeheuerlich! – Elke Ferner
(Mechthild Rawert [SPD]: Sauerei!) [SPD]: Das zahlen alle anderen!)
Was schließen wir daraus? Dass wir uns nicht missver- Das heißt offenbar nichts anderes, als dass der FDPler
stehen: Natürlich muss ein Leiter korrekte Spesen- krank sein darf und trotzdem von dieser PKV aufgenom-
abrechnungen vorlegen. men wird.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1447
Birgitt Bender
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ärzten einmal erklären, wie ihre Arztpraxen in Zukunft (C)
und bei der SPD – Elke Ferner [SPD]: Pein- wirtschaftlich bestehen sollen, wenn Sie das Kosten-
lich!) erstattungsprinzip tatsächlich einführen. Davor kann ich
Sie nur warnen.
Offensichtlich gilt hier seitens des PKV-Unternehmens:
Der FDP-Kranke ist uns lieb und teuer, weil die kurzfris- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
tige wirtschaftliche Belastung sich in langfristigen politi- und bei der SPD)
schen Nutzen umwandelt. So wird ein Schuh daraus.
Ich sage deswegen: Auf den Wahlplakaten der FDP
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hätte ähnlich wie auf Zigarettenpackungen ein Warnhin-
und bei der SPD – Britta Haßelmann [BÜND- weis stehen müssen, und zwar: FDP wählen kann tödlich
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Peinlich, sage ich sein, für die Gesundheit und fürs Gemeinwohl.
dazu! Nur peinlich!)
Danke schön.
Und siehe da: Es wird politisch angekündigt, dass
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
man in Zukunft einen höheren Zuschuss für PKV-versi-
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
cherte Hartz-IV-Empfänger zahlt. Das klingt schön. In
LINKEN)
Wirklichkeit nutzt es nur der PKV. Man wird die Warte-
frist verkürzen, ab wann gut verdienende GKV-Versi-
cherte in die PKV wechseln dürfen. Was sollen wir denn Vizepräsidentin Petra Pau:
davon halten? Das ist doch Klientelpflege reinsten Was- Das Wort hat der Kollege Heinz Lanfermann für die
sers. FDP-Fraktion.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der FDP – Elke Ferner [SPD]: Da
und bei der SPD) sind wir aber jetzt gespannt!)

Vizepräsidentin Petra Pau: Heinz Lanfermann (FDP):


Frau Kollegin Bender, gestatten Sie eine Zwischen- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
frage des Kollegen Straubinger? Damen und Herren! Der Haushalt des Bundesgesund-
heitsministeriums, um heute auch einmal darüber zu re-
den, zeigt noch die Grundstruktur, die Ulla Schmidt ihm
Max Straubinger (CDU/CSU):
in ihrer Amtszeit gegeben hat. Er wird jetzt dominiert
Werte Kollegin Bender, Sie haben sich mit dem Grup- von dem Zuschuss für den von der abgewählten Gesund-
penversicherungsvertrag der FDP auseinandergesetzt, heitsministerin falsch konstruierten und unterfinanzier- (D)
(B)
wie es auch schon einige Vorredner getan haben. Sind ten Gesundheitsfonds.
Sie der Meinung, dass Gruppenversicherungsverträge
grundsätzlich verboten werden müssten? (Elke Ferner [SPD]: Ihr Koalitionspartner war
dabei!)
Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dessen Einnahmen reichen eben nicht aus. Die Erblast
Nein, ich finde sogar, dass es in der GKV richtig beträgt im Augenblick 8 Milliarden Euro. Ich weiß gar
wäre, wenn man beispielsweise Gruppenverträge für Pa- nicht, warum Sie sich so darüber aufregen, dass diese
tientengruppen machen könnte, so wie das in den Nie- Koalition 4 Milliarden Euro dazugibt,
derlanden der Fall ist. Die Frage ist doch, warum eine
PKV ausgerechnet einer politischen Partei ein Angebot (Elke Ferner [SPD]: Wer regiert denn jetzt?
für rabattierte Prämien und besondere Aufnahmebedin- Sie oder wir?)
gungen macht. weil man sagt: Das sind Folgen, die die Steuerzahler und
nicht die Beitragszahler zu tragen haben. Ich weiß nicht,
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Weil euer
ob Ihre Kritik zu rechtfertigen ist.
Geschäftsführer geschlafen hat!)
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
Das stinkt zum Himmel. Es wundert mich, dass ausge-
CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Wer regt sich
rechnet jemand aus der CSU das jetzt anspricht. Sie pro-
denn auf? Wer hat das denn kritisiert?)
fitieren ja gar nicht.
Wenn die Krankenkassen sich jetzt gezwungen sehen,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Zusatzbeiträge von ihren Versicherten einzufordern,
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
dann ist das eine Erblast des Systems Ulla Schmidt.
LINKEN)
(Beifall bei der FDP)
Weil meine Redezeit abläuft, möchte ich es kurz ma-
chen. Es gibt viele Themen, Herr Minister, die Sie der- Um hier auch einmal über die Dinge zu sprechen, die
zeit in Interviews unter die Leute bringen. Angeblich in Zukunft zu tun sind: Wir wollen ein Gesundheits-
soll das alles der Freiheit von Patienten und Versicherten ministerium, das einen klaren Schwerpunkt auf die For-
dienen. Dazu kann ich nur sagen: Fragen Sie einmal in schung setzt. Der Wissenschaftsrat hat in seiner Unter-
Berlin-Neukölln oder in Stuttgart-Hallschlag, wer da suchung der nachgeordneten Behörden hierzu wertvolle
scharf ist auf Kostenerstattung, auf Arztbesuch gegen Hinweise geliefert. Ich würde Ihnen empfehlen, sich
Vorkasse. Sie müssen auch den dort niedergelassenen auch einmal über solche Dinge Gedanken zu machen.
1448 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Heinz Lanfermann
(A) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Elke Ferner [SPD]: Die entscheiden nicht (C)
der CDU/CSU) über Gesundheitspolitik!)
Wir wollen die Prävention zu einem Schwerpunkt und auch eine Partei dies tut, dann ist das doch ein ganz
machen; denn die beste und natürlich auch kostengüns- normaler Vorgang, so, wie ADAC-Mitglieder an be-
tigste Gesundheitspolitik ist, Krankheiten zu vermeiden. stimmten Tankstellen halt einen kleinen Rabatt beim
Dafür brauchen wir einen ressortübergreifenden Ansatz, Tanken bekommen.
der Doppelförderungen ebenso wie Förderlücken ver-
(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
meidet. Wir wollen nicht zuletzt, dass das Gesundheits-
NEN]: So ein Zufall, dass es die FDP bei der
ministerium als Innovationsmotor auf dem Weg zu
PKV ist! – Elke Ferner [SPD]: Was haben Sie
einem zukunftsfesten Gesundheitssystem mit mehr
denn für ein Staatsverständnis?)
Wettbewerb fungiert;
Ich weiß wirklich nicht, woher die Aufregung kommt.
(Elke Ferner [SPD]: Ein Innovationsmotor für Haben Sie bei der SPD nicht einmal damit geworben,
die private Versicherungswirtschaft!) dass Ihre Mitglieder günstige Reisen nach Kuba vermit-
denn Wettbewerb sichert und hebt die Qualität und be- telt bekommen? Ich kann mich an so etwas erinnern.
grenzt oder senkt sogar die Preise. (Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei
(Beifall bei der FDP) Abgeordneten der CDU/CSU – Elke Ferner
[SPD]: Ich nicht! Sonst hätte ich es schon in
Wir wollen ein Gesundheitssystem mit mehr Wahl- Anspruch genommen!)
freiheit für die Bürger;
– Prüfen Sie das noch einmal nach.
(Elke Ferner [SPD]: Für die, die es sich leisten Sie dürfen auch nicht mit Unwahrheiten arbeiten,
können!) Frau Ferner. Sie haben hier zum Beispiel wahrheitswid-
denn Wahlfreiheit schafft Transparenz und sorgt dafür, rig behauptet, die Koalition habe beschlossen, dass die
dass auf die individuellen Bedürfnisse eingegangen Zusatzversicherung in der Pflege von der PKV durchge-
wird. Wir werden mit einem sozialen Ausgleich über das führt werden soll. Das haben wir nie beschlossen, das
Steuersystem – da gehört er hin, weil das gerechter ist steht nicht im Koalitionsvertrag,
als die Ankopplung an die Gehaltshöhe – eine Neujustie- (Zuruf der Abg. Elke Ferner [SPD])
rung vornehmen.
und ich habe noch heute, Frau Ferner, eine bedeutende
(B) (Elke Ferner [SPD]: Wo wollen Sie denn das Vertreterin der gesetzlichen Krankenversicherung aus- (D)
Geld dafür hernehmen?) drücklich darum gebeten, dass auch sie, die Krankenver-
Diese wird sorgsam, umsichtig und verantwortungsvoll sicherungen, Vorschläge machen, wie man diese Zusatz-
vorgenommen. versicherung organisieren könnte.

(Beifall bei der FDP – Elke Ferner [SPD]: Und Vizepräsidentin Petra Pau:
geheim gehalten bis zur NRW-Wahl!) Kollege Lanfermann, gestatten Sie eine Zwischen-
Dies ist – das hat man deutlich gesehen – eine etwas frage des Kollegen Seifert? Ich mache darauf aufmerk-
asymmetrische Debatte. Während der Minister für das, sam, dass das die einmalige Chance ist, Ihre ablaufende
was er und die Koalition vorhaben, klare Worte gefun- Redezeit zu verlängern.
den hat
Heinz Lanfermann (FDP):
(Lachen bei der SPD – Elke Ferner [SPD]: Ja, ich gestatte gern die Zwischenfrage, wenn ich
Was hat er denn konkret gesagt? Da waren Sie eben kurz meinen Gedanken zu Ende führen darf.
in einer anderen Veranstaltung als wir!)
Ich habe sie ferner darum gebeten, zum Beispiel in
und der Kollege Singhammer auf die einzelnen Punkte Bezug auf die Pflegekassen Vorschläge zu machen, wie
konkret eingegangen ist, haben sich die drei Damen, die sie sich an dieser Zusatzversicherung beteiligen wollen.
für die Opposition gesprochen haben, gegenseitig gera-
dezu darin übertroffen, sich mit irgendwelchen Mutma- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
ßungen, Vorurteilen und selbstverständlich auch mit An- der CDU/CSU – Elke Ferner [SPD]: Aha, er
griffen, zum Beispiel auf die FDP, zu profilieren. Das scheint ein bisschen gelernt zu haben!)
war in weiten Teilen ziemlich unseriös.
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE):
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elke
Ferner [SPD]: Was?) Herr Kollege Lanfermann, Sie sagten gerade, dass es
viele Gruppen gibt, die solche Gruppenverträge mit
Ich will das Thema gerne aufgreifen – wir können da- privaten Versicherungen haben, und dass es gar nichts
rüber gerne öffentlich diskutieren; das ist doch gar kein Besonderes sei, dass die FDP das auch habe. Macht es
Problem –: Wenn weit über 700 Unternehmen und weit nicht einen kleinen Unterschied, ob zum Beispiel ein Be-
über 300 Verbände und Vereine Gruppentarifverträge hindertenverband eine Gruppenversicherung abschließt
für ihre Mitglieder anbieten oder die FDP, die unter anderem staatliche Zuschüsse
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1449
Dr. Ilja Seifert
(A) bekommt, während der Behindertenverband diese nie im sichtlich nicht in der Lage, diese immer zielgenau dort- (C)
Leben bekommt? hin zu steuern, wo die Menschen sie brauchen.
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist Auf-
Heinz Lanfermann (FDP): gabe der Selbstverwaltung!)
Die Versicherung wird ja nicht von der FDP abge-
schlossen, übrigens auch nicht von den Tanzlehrern, die Damit meine ich nicht nur die fehlenden Ärzte auf dem
auch diesen Gruppenvertrag bei dieser Versicherung ha- Lande. Auch Städte wie Duisburg weisen laut Statistik
ben. der KV eine ausreichende oder sogar Überversorgung
mit Haus- und Fachärzten auf. Trotzdem gibt es sozial
(Iris Gleicke [SPD]: Tanzlehrer entscheiden schwache Stadtteile, in denen zum Beispiel kein Kinder-
nicht über Gesundheit in diesem Land! Das ist arzt mehr zu finden ist. Alleine mit einer Aufhebung der
ja peinlich! Das wird ja immer schlimmer!) Budgetierung bei ambulanten Leistungen, die Sie, Herr
Vielmehr können die einzelnen Menschen, die sich dort Zöller, als Patientenbeauftragter vorgeschlagen haben,
versichern wollen, unter Hinweis auf ihre Mitgliedschaft werden wir keinen Arzt in diese Stadtteile bekommen,
in einem bestimmten Unternehmen, einem bestimmten einmal abgesehen davon, dass Sie nicht sagen, wie Sie
Verein oder in dem Fall einer bestimmten Partei in einen das finanzieren wollen.
Gruppenvertrag eintreten. Dadurch wird ihr individuel- (Beifall bei der SPD)
ler Vertrag ein wenig, aber nicht sehr viel billiger.
Solange es die unterschiedliche Honorierung von
(Elke Ferner [SPD]: Ein wenig billiger? An- Leistungen für gesetzlich und privat Versicherte gibt,
dere werden gar nicht versichert!) bleibt es für Ärzte attraktiv, sich in wohlhabenderen
Glauben Sie auch nicht die Märchen, die von Frau Stadteilen niederzulassen. Das Ergebnis sind unterver-
Bender erzählt werden, dass es in Deutschland eine pri- sorgte Gebiete in überversorgten Regionen.
vate Krankenversicherung gäbe, die sich danach drängte, Wo sind Ihre Vorschläge zur Verbesserung der Prä-
jetzt kranke Mitglieder aufzunehmen – Ihr Vorwurf ist ja vention und Kindergesundheit? Wo sind Ihre Vorschläge
immer, dass sie das nicht tun –, um irgendwelche Vor- für eine menschenwürdige und qualitätsgesicherte
teile zu erlangen. Wir werden Ihnen das noch einmal Pflege?
schriftlich geben, damit Sie das glauben.
(Beifall bei der SPD)
(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Au ja!) Das Einzige, das Ihnen einfällt, sind klientelorientierte
Systemumstellungen, und in der Pflege wollen Sie eine
(B) Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, für die (D)
verpflichtende private Zusatzversicherung einführen.
Aufmerksamkeit.
(Zuruf von der CDU/CSU: Falsch!)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Viele Bürgerinnen und Bürger wissen jetzt schon nicht,
Vizepräsidentin Petra Pau: wie sie die finanzieren sollen. In der Krankenversiche-
Das Wort hat die Kollegin Bärbel Bas für die SPD- rung wollen Sie eine einkommensunabhängige Kopfpau-
Fraktion. schale mit Sozialausgleich.

(Beifall bei der SPD) Durch Ihre angestrebten Finanzierungsmodelle und


Ihre einseitige Bevorzugung der Privatversicherung wer-
den weder die Qualität der Versorgung verbessert noch
Bärbel Bas (SPD): vorhandene Effizienzreserven im System erschlossen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Für Das Gegenteil dürfte der Fall sein. Fehlsteuerungen und
mich wie für Sie, Herr Dr. Rösler, ist das der erste Haus- Zweiklassenmedizin werden von Ihnen nicht beseitigt,
halt im Deutschen Bundestag. Da Sie mit den Worten sondern zementiert.
angetreten sind, das Kranken- und Pflegeversicherungs-
system verbessern zu wollen, habe ich einmal in den (Beifall bei der SPD)
Haushaltsentwurf geschaut, um mir zwischen den Zah-
Ich höre in Ihren Reden immer wieder die Worte
len und Zeilen einen Eindruck zu verschaffen, wo Sie
„mehr Wettbewerb“. Sie wollen Wettbewerb? Gerne,
Ihre Prioritäten setzen. Ich muss leider sagen: Ich habe
kann ich da nur sagen. Aber dann muss er auch fair sein.
keine gefunden.
Denn das geht nur, wenn GKV und PKV gleiche Wettbe-
(Zurufe von der FDP: Was?) werbsbedingungen haben.
Wo, Herr Dr. Rösler, sind zum Beispiel Ihre Kon- (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
zepte, um gerade für ältere, chronisch kranke und behin-
Dazu gehört unter anderem: keine unterschiedliche Ho-
derte Menschen eine wohnortnahe medizinische Versor-
norierung der Leistungen und voller Einbezug der PKV
gung zu gewährleisten?
in den Risikostrukturausgleich.
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP: Das
Wir leisten uns für fast 30 Milliarden Euro eine qualita- ist ein komisches Verständnis von Wett-
tiv hochwertige ambulante Versorgung, sind aber offen- bewerb!)
1450 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Bärbel Bas
(A) Sie reden auch viel von Gerechtigkeit und tun trotz- Vizepräsidentin Petra Pau: (C)
dem das Gegenteil. Mit Ihrer Kopfpauschale setzen Sie Kollegin Bas, das war Ihre erste Rede im Hohen
wichtige Prinzipien unseres Sozialsystems außer Kraft. Hause. Wir gratulieren Ihnen dazu recht herzlich und
Es mag sein, dass das nur mein Empfinden ist. Aber ich wünschen Ihnen viel Erfolg!
finde, dass Sie das Prinzip, dass Gesunde für Kranke und
(Beifall)
Leistungsstarke für sozial Schwache einstehen, außer
Kraft setzen. Für die Unionsfraktion spricht nun der Kollege Alois
Karl.
Ihre Kopfpauschale benötigt einen Sozialausgleich,
der nach Berechnungen Ihres Finanzministers mindes- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
tens 35 Milliarden Euro kosten wird. Finanzieren wollen der FDP – Elke Ferner [SPD]: Der muss jetzt
Sie den Sozialausgleich mit Steuereinnahmen aus dem erst mal versuchen, das zu toppen!)
Wirtschaftswachstum,
Alois Karl (CDU/CSU):
(Elke Ferner [SPD]: Automatisch!) Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
also mit Geld, das Sie noch nicht haben und von dem Sie Herren Kollegen! Ich gratuliere Ihnen zu Ihrer ersten
auch nicht wissen, wie viel es sein wird. Soll ich Ihnen Rede, Frau Kollegin.
sagen, wie ich das nenne? Das ist eine Finanzblase, (Iris Gleicke [SPD]: Das war eine gute Rede!)
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Birgitt Ich habe mit Verwunderung beobachtet, dass Sie einen
Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) echten Zwanziger aus der Tasche gezogen haben.

und die wird nach der Landtagswahl in Nordrhein-West- (Elke Ferner [SPD]: Ja! Wir täuschen eben
falen platzen. nicht!)
Ihre Fraktion allerdings ähnelt manchmal einem falschen
(Iris Gleicke [SPD]: So ist das!) Fuffziger, was ihren Umgang mit manchen Themen an-
Denn mit dem gleichen Wirtschaftswachstum wollen Sie geht.
die Mehrausgaben für Ihre Klientelpolitik decken, den (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der
Haushalt konsolidieren und die Steuerreform, wann im- CDU/CSU und der FDP)
mer sie kommt – 2011, 2012 oder 2013 –, finanzieren.
Das kann nicht funktionieren. Wir führen eine Haushaltsdebatte. Wir freuen uns,
(B) dass die Auguren vom Januar 2009, als Deutschland und (D)
Sie selbst, Herr Dr. Rösler, haben in einem Interview die Welt in einer üblen finanziellen Situation waren,
gesagt: nicht recht behalten haben. Unsere Arbeitslosenquote ist
nicht so stark gestiegen und unser Bruttoinlandsprodukt
Wir werden uns neben der Frage einer fairen Finan- ist nicht so stark eingebrochen, wie diese Weissager da-
zierung auch um die Ausgabenseite kümmern. mals vorausgesagt haben, und seit drei Quartalen befin-
den sich die Leistungen der deutschen Wirtschaft wieder
Heißt das, dass wir nach der Steuerschätzung im Mai auf dem aufsteigenden Ast.
und damit nach der Landtagswahl in Nordrhein-West-
falen mit Leistungskürzungen oder einer Gesundheits- Die Wirtschaftsweise Professor Beatrice Weder di
steuer, wie Herr Schäuble sie genannt hat, rechnen müs- Mauro hat erst kürzlich neben den Zentralbanken gerade
sen? der deutschen Bundesregierung für das letzte Jahr eine
ausgezeichnete Arbeit attestiert. Das Finanzmarktstabili-
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Fragen über Fra- sierungsgesetz, zwei Konjunkturprogramme und das Fa-
gen! – Heiterkeit bei der FDP – Weiterer Zu- milienentlastungsgesetz haben wir im letzten Jahr – alles
ruf) zusammen mit Ihnen, meine lieben Kollegen von der
SPD – richtigerweise auf den Weg gebracht. Das Bürger-
– Ja. entlastungsgesetz, das wir jetzt gemeinsam mit der FDP
realisieren, setzt diesen richtigen Weg fort. Wir suchen
Ihr Kollege Otto Fricke hat uns vorgestern übrigens die Zahl der Beschäftigten in diesem Jahr hoch zu halten
einen schönen Taschenspielertrick vorgeführt. Ich zeige – und das muss uns einiges wert sein –; denn viele Be-
Ihnen jetzt einmal, wie Ihre Finanzpolitik aussieht. Sie schäftigte bringen mehr Steuern und zusätzliche Beitrags-
stecken dem Bürger in Form von Steuersenkungen einnahmen.
10 Euro in die eine Tasche und nehmen ihm für die So-
zialversicherung 20 Euro aus der anderen Tasche. Das ist Die Bundesschulden – um auf den Haushalt zu kom-
Ihre Finanzpolitik. men – sind exorbitant. Das Jahr 2010 soll das Referenz-
jahr werden. Häufig wird gesagt, 2011 bis 2016 soll ge-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ waltig gespart werden. Ich meine, es ist nicht richtig, zu
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der sagen: Ab 2011 muss gespart werden. Wenn ich mit den
LINKEN – Heinz Lanfermann [FDP]: Aber Leuten rede, sagen sie mir: Schon 2010 muss gespart
Sie haben jetzt mit Ihren Geldscheinen ge- werden. – Da ist kein Haushalt zu gering, bei jedem
schummelt!) Haushalt kann man damit anfangen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1451
Alois Karl
(A) (Beifall bei Abgeordneten der FDP) Ein bloßes Weiter-so kann es aber nicht geben. Die (C)
Medizin wird nicht billiger werden. Also muss sie effi-
Die Entscheidung, zu sparen, ist richtig.
zienter werden, wenn sie bezahlbar bleiben soll.
Wir werden die Krise, die im letzten Jahr und in die-
(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
sem Jahr sichtbar geworden ist, ganz gewiss in den Griff
bekommen. Wir müssen aber auch die Lebensgrundla- NEN]: Eben!)
gen der Generationen, die nach uns kommen, erhalten; Schon in den nächsten Monaten, Herr Minister Rösler,
wir dürfen nicht deren Substanz heute verbraten. wird die Kommission, die eingesetzt worden ist, Vor-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und schläge für eine Reform des Gesundheitswesens vorle-
der FDP) gen. Ich hoffe, dass die Reform nicht wie eine der sieben
Plagen des Alten Testaments über uns kommt, sondern
Adenauer hat gesagt: Der Staatsmann schaut bis zur mutige Ansätze bringt, um das Gesundheitswesen für die
nächsten Generation, der Politiker bloß bis zur nächsten nächsten Jahre, vielleicht Jahrzehnte auf sichere Beine
Wahl. – Ich hoffe, dass viele von uns dem nachfolgen zu stellen.
und Staatsmänner sind. Wir haben in diesem Haus in den
letzten Tagen viel von Nachhaltigkeit gehört. Wenn sich (Iris Gleicke [SPD]: Ganz sicher sind Sie aber
alle nach diesem Prinzip richten, sind wir auf dem richti- selber nicht!)
gen Weg. Die Überlegungen des Bundesgesundheitsministers, die
Ein neues Jahrzehnt hat begonnen. Dieses Jahrzehnt Arbeitgeberbeiträge festzuschreiben, die Beiträge der Ar-
muss ein Jahrzehnt der Investitionen und der Innovatio- beitnehmer einkommensunabhängig zu erheben, gesamt-
nen werden. Wir müssen Antworten geben auf die gesellschaftliche Aufgaben den Staat, den Steuerzahler
demografische Entwicklung, wir müssen die Zukunft zahlen zu lassen, für Defizite einen Sozialausgleich ein-
unserer Sozialsysteme sichern. zurichten, diese Ansätze haben etwas Frappierendes an
sich. Es wird aber darauf ankommen, wie dieser Sozial-
Wir sind eine alternde Gesellschaft. Wir wissen alle,
ausgleich – wir haben Zahlen gehört: 20 Milliarden
dass diese alternde Gesellschaft für das Gesundheitswe-
Euro, 30 Milliarden Euro, 35 Milliarden Euro – in der
sen neue und zusätzliche Aufgaben bringt. Die Sozial-
systeme sind auf paritätische Finanzierung angelegt. Ein Praxis finanziert wird. Darüber kann heute aber nicht
Eckpfeiler dieser Parität ist jedoch schon vor Jahren diskutiert werden. Wir sehen mit Spannung den Empfeh-
weggebrochen, nämlich die Parität bei der Finanzierung lungen Ihrer Kommission entgegen, Herr Minister.
des Gesundheitssystems: 7 Prozent zahlen die Arbeitge- Dabei will ich eines für meine Fraktion und für meine
ber, 7,9 Prozent die Arbeitnehmer. Partei sagen: Der Grundsatz der Solidarität darf nicht
(B) aus dem Fokus gerückt werden. (D)
(Elke Ferner [SPD]: Fragen Sie einmal Herrn
Seehofer, wer das betrieben hat! Das waren (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Birgitt Bender
Sie, mein lieber Herr! Das waren Sie im Ver- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)
mittlungsausschuss! Jetzt verdrehen Sie hier
nicht die Tatsachen!) In der Tat müssen Besserverdienende – Sie haben dies in
Ihrer Rede auch erwähnt – über einen höheren Steuersatz
– Das ist in Ihrer Regierungszeit so beschlossen worden, auch mehr für diesen Sozialausgleich bezahlen.
Frau Ferner. Sie waren damals noch nicht stellvertre-
tende SPD-Vorsitzende. (Elke Ferner [SPD]: Aha, Sie wollen also eine
Gesundheitssteuer!)
(Elke Ferner [SPD]: Aber Mitglied des Parla-
mentes, im Gegensatz zu Ihnen!) Gleichwohl bitte ich zu bedenken, dass Mitbürger mit
hohen Einkommen eher Steuergestaltungsmöglichkei-
Damals war Ihr Stern noch nicht aufgegangen. Noch
heute leuchtet dieser Stern nicht besonders hell. ten als jene haben, die lediglich Lohneinkünfte beziehen.

(Elke Ferner [SPD]: Ihrer ist schon unterge- (Zurufe von der SPD: Aha! – Beifall des Abg.
gangen, bevor er aufgegangen ist!) Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN])
Unsere Bevölkerung wird immer älter. Eigentlich ist
das ein Grund zur Freude. Frühere Generationen haben Auch dies rechnen wir zu der Solidarität, die in den So-
nicht davon zu träumen gewagt, gesund in dieses hohe zialausgleich einfließen muss.
Alter zu kommen. Es ist dem medizinischen Fortschritt, Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Haushalt
es ist unseren hervorragenden Ärzten zu verdanken, dass des Gesundheitsministers weist etwa 16,2 Milliarden
wir diese gute Zeit erleben. Die alternde Gesellschaft Euro aus. Es ist der Einzelplan mit der größten Steige-
kostet aber etwas, und auch der medizinische Fortschritt rungsrate. Er steigt, wie wir gehört haben, um fast
ist nicht für umsonst zu bekommen. Alle 80 Millionen 40 Prozent gegenüber dem letzten Jahr. Dies ist kein
Menschen in unserem Land haben Anspruch auf beste Grund für Freudensprünge, weil 4,6 Milliarden Euro für
medizinische Versorgung – ohne Kontingentierung oder Bundeszuschüsse und 3,9 Milliarden Euro für die krisen-
Rationierung; Sie haben das ausgeführt, und dafür bin
bedingte Situation der Krankenversicherungen ausgege-
ich Ihnen dankbar.
ben werden. Übrigens mein Kompliment, Herr Minister,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und wie Sie Herrn Minister Schäuble in wenigen Stunden die
der FDP) 3,9 Milliarden Euro abgenommen haben. Das war schon
1452 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Alois Karl
(A) à la bonne heure, das war eine gute Leistung in Ihren ers- Aber dieses Loch könnte ganz einfach geschlossen (C)
ten Tagen als Minister. werden, indem man beispielsweise endlich die Verschie-
bebahnhöfe zwischen den Sozialversicherungszweigen
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU) aufkündigt.
97 Prozent des Haushalts sind determiniert. Es sind
(Beifall bei der LINKEN)
keine großen Sprünge zu machen. Trotzdem werden wir
die Ausgabenposten für die Öffentlichkeitsarbeit, für die In unserem Fall müssten für die Arbeitslosengeld-II-Be-
Präventivprogramme und die Aufklärungskampagnen zieherinnen und -Bezieher kostendeckende Beiträge ge-
kritisch unter die Lupe nehmen. Wer aber meinen sollte, zahlt werden; anstelle der heute eingezahlten 123 Euro
weil 97 Prozent des Haushalts determiniert seien, wären 260 Euro angemessen. Dies brächte der GKV
komme es auf die paar Millionen auch nicht mehr an, die rund 5 Milliarden Euro, und, schwups, das Loch wäre
disponibel sind, wird sich irren. weg.
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: So redet ein Eines ist klar: Hier wird mit Absicht die GKV totge-
echter Haushälter!) redet. Sie liegt nicht im Sterben. Sie reden sie tot, damit
ein neues System installiert werden kann. Dagegen weh-
Ich gehe davon aus, dass wir alle Haushaltsansätze sehr
ren wir uns, und das zum Glück nicht allein.
kritisch unter die Lupe nehmen.
Herr Minister, ich freue mich auf die Beratungen mit (Beifall bei der LINKEN)
Ihnen, Ihren Staatssekretären und Mitarbeitern. Wir wer- Sie, Herr Minister, haben heute gesagt:
den sicherlich einen guten Haushalt 2010 auf den Weg
bringen. Das geltende Recht hat einen entscheidenden Ge-
burtsfehler: Es findet kein Sozialausgleich statt.
Vielen Dank.
Deshalb seien die Kopfpauschale und ein steuerfinan-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zierter Sozialausgleich notwendig. Ich frage mich, wel-
ches Verständnis Sie von Solidarität haben. Ich will nicht
Vizepräsidentin Petra Pau: den Vergleich von der Lidl-Verkäuferin und dem Kon-
Das Wort hat die Kollegin Dr. Martina Bunge für die zernmanager bemühen. Fakt ist aber: Wer wenig ver-
Fraktion Die Linke. dient, zahlt wenig, und wer viel bekommt, zahlt mehr,
nämlich bis knapp 300 Euro. Das ist gerecht, und das
(Beifall bei der LINKEN) empfinden auch die meisten Bürgerinnen und Bürger so.
(B) Wenn Sie jetzt eine Kopfpauschale von circa 145 Euro (D)
Dr. Martina Bunge (DIE LINKE): einführen wollen – das ist kein Vorurteil, Herr
Danke, Frau Präsidentin. – Verehrte Kolleginnen und Lanfermann –,
Kollegen! Wenn dieser Tage von Geld und Gesundheit (Heinz Lanfermann [FDP]: Das müssen Sie im
oder umgekehrt die Rede ist, hört man regierungsseitig Neuen Deutschland gelesen haben! Das hat
permanent zwei Sätze: Erstens. Die gesetzliche Kran- noch nie irgendjemand gesagt, Frau Kollegin!)
kenversicherung hat einen Geburtsfehler. Zweitens. Die
gesetzliche Krankenversicherung ist tot, zumindest nicht dann werden die Gutverdienenden massiv entlastet und
zukunftsfähig. die Geringverdienenden massiv belastet. Mit Ihrem tol-
len Sozialausgleich – wie auch immer er aussehen wird –
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie sollten soll Gerechtigkeit hergestellt werden. Ich frage mich,
nicht wie Lafontaine reden!) was daran sozial ist, wenn es bei der Entlastung der Gut-
Die GKV, um die uns viele Länder beneiden, hat sehr verdienenden bleibt und die Geringverdienenden den
viele Jahre und viele Wirrnisse gesund überstanden. Al- Zuschuss, den sie beantragen können, über diverse Steu-
lerdings geht es ihr aktuell nicht gut. Zu den krisenbe- ern selbst mitfinanzieren müssen.
dingten Einnahmeausfällen – im Haushaltsentwurf sind
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
3,9 Milliarden Euro dazu eingestellt; das ist okay – ent-
neten der SPD – Heinz Lanfermann [FDP]:
steht nach offizieller Schätzung ein Loch von knapp
Lesen Sie mal etwas über Freibeträge! Die
4 Milliarden Euro. Doch dieses Loch ist keine Unzu-
zahlen gar keine Steuern!)
länglichkeit des Systems; es ist von der Politik gegraben.
Ich denke, das ist ein sozialpolitischer Skandal.
(Beifall bei der LINKEN)
Der Finanzminister hat gestern eingestanden, dass die
Wenn man mehr ausgibt, zum Beispiel für Palliativ-
derzeitige Rekordverschuldung nicht trivial ist und dass
medizin oder Ärztehonorare, muss man auch mehr rein
es auch 2011 und 2012 schwerwiegende Entscheidungen
tun. Aber das ist nicht geschehen.
geben wird. In dieser Situation wollen Sie ein funktio-
(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Haben nierendes System umswitchen und Milliardenbedarfe für
wir doch!) den Haushalt erzeugen? Ich denke, das ist reine Klientel-
politik für Arbeitgeber und Gutverdienende. Das wird
Wenn man dann noch bei den Medikamenten weniger die Linke nicht hinnehmen.
spart als erwartet, dann hat man ein Loch. Doch das ist
logisch entstanden und nicht krankhaft. (Beifall bei der LINKEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1453
Dr. Martina Bunge
(A) Ein Gesundheitsminister, der den Namen verdient, durchaus etwas stärker ausführen, wenn man es denn (C)
müsste sich um die Gesundheitsleistungen kümmern, wollte. Aber man will nicht. Vor der Wahl in NRW will
unabhängig vom Portemonnaie, sowie um lebenswerte man all das, was das niederländische Modell bedeutet,
und gesundheitsfördernde Bedingungen. Aber das Wort nicht aussprechen; denn natürlich käme dann heraus,
Gesundheitsförderung kommt weder im Koalitionsver- dass es um Zusatzbelastungen für die Versicherten geht.
trag noch im Haushalt vor. Hier ist die Koalition am Das ist das A und O auf der einen Seite.
Werk, der es nicht um moderne Prävention und Gesund-
heitsförderung geht. Der schwarz-gelbe Gesundheits- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
haushalt ist unseres Erachtens altbacken. Hier wird wei- und bei der SPD)
tergeführt, was nie funktionierte: Präventionskampag- Ich will aber auch die andere Seite ansprechen. Sie re-
nen, Aufklärung und Modellprojekte, die nicht flächen- den davon, dass Sie die Ausgabenseite nicht aus den Au-
deckend ausgeweitet werden. Ganz zu Recht hat der gen verlieren und etwas tun wollen. Aber auch hier sa-
GKV-Spitzenverband in seinem Präventionsbericht 2009 gen Sie nicht, was Sie tun und welche Instrumente Sie
festgestellt, dass Arme von der Gesundheitsförderung einsetzen wollen; denn Sie wissen ganz genau, dass es
kaum erreicht werden, obwohl sie es am nötigsten hät- dabei wieder um Verteilungsprobleme geht, die man vor
ten. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Wahlen besser nicht anspricht. Ich erinnere daran, wie
die Kassen nicht alleine bewältigen können. Deshalb Sie von der FDP in den vergangenen Debatten aufgetre-
wird die Linke Sie auch dieses Jahr wieder mit der For- ten sind und gesagt haben, wir müssten uns ehrlich ma-
derung konfrontieren, in den nächsten vier Jahren je- chen. Aber das, was ich nun erlebe, ist das Gegenteil von
weils 1 Milliarde Euro für einen Fonds für Gesundheits- ehrlich. Das ist eigentlich eine Form von Wählertäu-
förderung und Prävention bereitzustellen, damit im schung, die Sie bewusst in Kauf nehmen, um über die
Gesundheitssystem ein Paradigmenwechsel stattfinden NRW-Wahl hinwegzukommen.
kann. Ich denke, die Koalition mit ihrer fixen Idee völli-
ger Eigenverantwortung wird nicht dazu fähig sein, die- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
sen Paradigmenwechsel zu ermöglichen. Die Linke wird bei der SPD und der LINKEN – Zuruf von der
aber weiter dafür streiten. SPD: Klientelpolitik!)
Danke. Die SPD hat ebenfalls eine seltsame Haltung. Frau
Bas, ich habe mich über Ihren Beitrag sehr gefreut. Ich
(Beifall bei der LINKEN)
finde, Sie haben die richtigen Zukunftsthemen genannt:
die demografische Entwicklung, die soziale Schieflage
Vizepräsidentin Petra Pau: und die mangelnde Steuerung bei Fehlversorgung. Aber
(B) Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol- warum ist das nach so langer Zeit, in der die SPD an füh- (D)
legin Maria Klein-Schmeink das Wort. render Stelle Gesundheitspolitik betrieben hat, nicht an-
ders?
Maria Anna Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE (Elke Ferner [SPD]: Weil die alles blockiert
GRÜNEN): haben!)
Meine liebe Präsidentin! Meine lieben Kollegen und
Kolleginnen hier im Hause! Ich finde, die Debatte ist Dieser Frage müssen Sie sich stellen; das müssen Sie
bislang eigentümlich verlaufen; denn sie lässt zentrale den Wählerinnen und Wählern beantworten.
Fragen außen vor. Sie, die Koalitionsfraktionen, erlebe
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
ich als eine Mehrheit, die eigentlich nicht sprachfähig ist
bei Abgeordneten der CDU/CSU)
und mit sehr unterschiedlichen Zungen redet. Ich erlebe
einen Minister, der im Wesentlichen sehr kurze und An die Adresse der Linken muss ich sagen: Unser
überschaubare Sätze formuliert zentrales Problem ist nicht eine „Medikamententafel“,
sondern die Minimierung der Gesundheitsrisiken von so-
(Heinz Lanfermann [FDP]: Ja, natürlich! Damit
zial benachteiligten und einkommensschwachen Bevöl-
das alle verstehen! Das ist doch ganz klar!)
kerungsgruppen. Die Herausforderung heißt Präven-
und zentrale Aussagen vermissen lässt. Er wird auch tion. Ich bin sehr gespannt, was Sie dazu vorlegen
wissen, warum er auf zentrale Aussagen verzichtet; denn werden.
er ist nicht sprachfähig.
(Heinz Lanfermann [FDP]: Sie sind nicht hör- Vizepräsidentin Petra Pau:
fähig! Das ist viel schlimmer!) Frau Kollegin, ich weiß, dass es subjektiv sehr unge-
recht empfunden wird, wenn einem von seiner Fraktion
Sie müssen nämlich die gemeinsame Melodie dessen, nur drei Minuten Redezeit zugebilligt werden. Aber Sie
was kommen soll, noch erzeugen. Deshalb bleibt es bei sind nun schon über Ihrer Zeit. Sie müssen bitte zum
Schablonen wie „fair“ oder „solidarisch“, ohne zu sagen, Schluss kommen.
wie diese Schablonen auszufüllen wären.
(Heinz Lanfermann [FDP]: Jetzt müssen Sie
Wie wir alle wissen, haben Sie eigentlich ein Vorbild, noch etwas zur CDU sagen!)
an das Sie sich auch ein bisschen angelehnt haben, näm-
lich das niederländische Modell. Das könnte man – Das müssen wir jetzt verschieben.
1454 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

(A) Maria Anna Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE durch selbstständige und eigenständige Möglichkeiten (C)
GRÜNEN): im Bereich der Versorgungsforschung zu flankieren.
Ich werde sehr genau darauf achten, wie Sie den Prä- Zurzeit gibt es 1,1 Millionen Menschen mit Demenz
ventionsansatz ausgestalten und finanzieren wollen. Ich in unserem Land. Bis zum Jahre 2030 wird sich diese
habe das, was Sie gesagt haben, als Drohung aufgefasst Zahl auf 1,7 Millionen erhöhen. Für das Jahr 2050 lautet
und Sie so verstanden, dass Sie hier quasi eine neue die Prognose 2,3 Millionen Menschen. Das ist eine Zahl,
Sparkasse aufmachen und Gelder einsammeln wollen. die mir zumindest angst macht. Bisher gibt es kaum Er-
Das werden wir im weiteren Prozess auf jeden Fall kenntnisse, wie die Krankheit verhindert werden kann,
thematisieren. und es gibt keine Heilungsmöglichkeiten. Weitere For-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schung ist deshalb ein zwingendes menschliches Gebot.
Aber natürlich geht es nicht nur um die Erforschung der
Situation, sondern es ist auch wichtig, die gewonnenen
Vizepräsidentin Petra Pau: Erkenntnisse in die praktische Versorgung einfließen zu
Das Wort hat die Kollegin Stefanie Vogelsang für die lassen. Nur die Kombination von beidem ist nachhaltige
Unionsfraktion. Politik.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Seit dem Haushaltsjahr 2008 läuft das auf zwei Jahre
neten der FDP) angelegte Leuchtturmprojekt im Bereich der Verbesse-
rung der Versorgung von Demenzerkrankten. Die Bun-
Stefanie Vogelsang (CDU/CSU): desregierung hat umfangreiche Mittel aufgewendet, um
zur Entwicklung und Erprobung neuer Pflegekonzepte
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
beizutragen. In diesem Jahr ist die Ausfinanzierung die-
legen! Lieber Herr Minister, wenn man sich Ihren Haus-
ser Projekte etatisiert. Ab dem Haushaltsjahr 2011 wird
halt genau anschaut und sich vor Augen führt, dass
es darauf ankommen, Herr Minister, dass die gewonne-
11,8 Milliarden Euro als Zuschüsse gewährt werden und
nen Erkenntnisse nicht in einer Schublade verschwin-
die Kompensation für die krisenbedingte Minderausgabe
den, sondern dass für die Einführung in die Praxis finan-
3,9 Milliarden beträgt, denkt man, dass gar nichts mehr
zielle Vorsorge getroffen wird. So funktioniert
übrig ist und dass die restlichen Geldsummen keine
nachhaltige Politik
Bedeutung haben. Ich finde aber, dass dieser geringe
Rest in Ihrem Haushalt eine ganz wesentliche Bedeutung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
für das Gesundheitssystem und die gesundheitliche Si-
tuation in unserem Land hat. aus Verantwortung für die Menschen, die kranken wie
(B) den gesunden, aber vor allen Dingen aus Verantwortung (D)
Ich möchte mich nicht auf die Neuordnung der Kran- für unsere volkswirtschaftlichen Ressourcen.
kenkassen in mehr oder weniger ideologischer Weise,
die einzelnen Ansätze, die unterschiedlichen Schwer- Die institutionelle und projektbezogene Förderung
punktsetzungen und Schuldzuweisungen konzentrieren. der Aktion Psychisch Kranke ist nicht erst seit dem Frei-
Ich möchte meinen Blick vielmehr auf einzelne Haus- tod unseres Fußballnationaltorhüters Robert Enke von
haltsthemen wie die Versorgungsforschung, die Leucht- erheblicher Bedeutung. Aber durch dieses schreckliche
turmprojekte zur Demenz, die Aktion für psychisch Geschehen ist uns allen bewusst geworden, dass die Er-
Kranke, den Nationalen Krebsplan und nicht zuletzt krankungen der Seele zugenommen haben und dass wir
– dieser Punkt ist mir persönlich sehr wichtig – auf mehr auf diesem Feld unbedingt weiter vorankommen müs-
Wertschätzung für den Dienst am Menschen richten. sen.
Eine Studie der Weltgesundheitsorganisation zeigt,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
dass weltweit 121 Millionen Menschen von Depressio-
Für uns in der christlich-liberalen Koalition hat der nen betroffen sind. In der Bundesrepublik Deutschland
systematische Ausbau der Versorgungsforschung be- sind sie die zweithäufigsten Leiden nach Herz-Kreislauf-
sonderes Gewicht; denn uns ist klar: Nur auf der Basis Erkrankung; hier leiden rund 4 Millionen Menschen an
genauer Erkenntnisse lassen sich die richtigen Schluss- dieser Erkrankung. 300 000 Fälle depressiver Erkran-
folgerungen für das Fitmachen der Gesundheitsversor- kung pro Jahr führen übrigens zu 11 Millionen Tagen
gung in der Zukunft ziehen. Wir wissen, dass der finan- Arbeitsunfähigkeit in Deutschland. Dies scheint mir ein
zielle Spielraum auch in Zukunft eng bleiben wird. wichtiges Handlungsfeld des Gesundheitsministers zu
Gerade deshalb ist es wichtig, das Maximale an Leis- sein, um nachhaltige Politik fortzusetzen. Ich bin froh
tungskraft und Qualität für die Menschen herauszuholen. darüber, dass Sie, Herr Minister, die Ansätze so belassen
Das wiederum schafft man nur, wenn man die Erforder- haben, wie sie etatisiert worden sind.
nisse unter Alltagsbedingungen möglichst exakt kennt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
In den zusätzlichen 12 Milliarden Euro für das Bundes-
ministerium für Bildung und Forschung in dieser Wahl- Sehr kontinuierlich arbeitet das Bundesgesundheits-
periode ist ein kleiner Anteil – aber immerhin – an For- ministerium seit fast drei Jahren im Bereich der
schungsgeldern für die Versorgungsforschung enthalten. Krebserkrankungen. Im Jahr 2008 hat die Bundes-
Darüber freue ich mich. Für die kommenden Haushalte regierung die Maßnahmen im Kampf gegen den Krebs in
wird es aber wichtig sein, den Auftrag des Gesundheits- einem Nationalen Krebsplan gebündelt. In einer Gesell-
ministeriums zur Sicherung der Gesundheitsversorgung schaft, in der wir Menschen glücklicherweise immer äl-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1455
Stefanie Vogelsang
(A) ter werden, ist der Kampf gegen den Krebs aber auch Baumaßnahmen von den ihnen zur Versorgung der Men- (C)
eine wachsende Herausforderung. schen zur Verfügung stehenden Entgelten zu bezahlen.
In Deutschland erkranken jährlich 430 000 Menschen
neu an Krebs; das sind die Zahlen vom letzten Jahr. Vizepräsidentin Petra Pau:
Mehr als die Hälfte der krebserkrankten Menschen stirbt Kollegin Vogelsang, die Redezeitüberschreitung kann
daran. Damit ist Krebs die zweithäufigste Todesursache Ihnen nicht der Minister erlauben. Insofern bitte ich Sie
in Deutschland. Krebsfrüherkennung, Krebsvorsorge, jetzt, einen Punkt zu setzen und diese Debatte in den da-
Strukturen für die Erkrankten und die Qualitätssicherung für vorgesehenen Gremien fortzusetzen, bis wir hier zur
müssen weiterentwickelt werden. Dies ist ein Gebot der zweiten und dritten Lesung kommen.
Menschlichkeit. Immer noch werden Vorsorgeuntersu-
chungen zur Früherkennung von Brust- oder Prostata- Stefanie Vogelsang (CDU/CSU):
krebs nur sehr unzureichend wahrgenommen. Dass dies Ich bitte Sie darum – das ist mein Auftrag an Sie –,
nicht so bleibt, daran müssen wir dringend weiterarbei- dass Sie dafür kämpfen.
ten. Dafür müssen wir dem Gesundheitsminister auch
die Ressourcen zur Verfügung stellen. Ich bin froh da- Danke schön.
rüber, dass diese Ressourcen in Ihrem Bereich etatisiert (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
worden sind, Herr Minister.
Abschließend möchte ich auf einen Auftrag an diese Vizepräsidentin Petra Pau:
Regierung zu sprechen kommen, der nicht nur ein Auf- Das Wort hat der Kollege Karl Lauterbach für die
trag an das Ministerium für Gesundheit ist, sondern SPD-Fraktion.
letztendlich ein Auftrag an die gesamte Regierung, viel- (Beifall bei der SPD)
leicht sogar ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag. Als
christlich-liberale Koalition wissen wir um die Bedeu-
tung des Zusammenhalts in unserer Gesellschaft, um die Dr. Karl Lauterbach (SPD):
Akzeptanz des Staates und um die Wichtigkeit der Soli- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
darität. In unserer schnelllebigen, sich rasant entwickeln- Damen und Herren! In dem Papier „Kernforderungen an
den Gesellschaft bekommt derjenige, der sich dem eine schwarz-gelbe Gesundheitspolitik“, erstellt durch
Dienst am Menschen verpflichtet hat, viel zu wenig die Mitglieder der Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU/
Anerkennung CSU-Fraktion, heißt es:

(Beifall des Abg. Jens Ackermann [FDP]) Wir schlagen vor, die Arbeit des IQWiG
(B)
und vor allen Dingen viel zu wenig Wertschätzung. Dies – also des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im (D)
muss sich dringend ändern. Gesundheitswesen –

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der als Dienstleister im Gesundheitssystem neu zu ord-
FDP – Zurufe von der SPD: Mindestlohn!) nen. Diese Neuausrichtung muss sich auch an der
personellen Spitze des Hauses niederschlagen.
Wir brauchen mehr Wertschätzung für den Dienst am
Damit war die Rufmordkampagne gegen den Institutslei-
Menschen. Wir müssen Angebote für Menschen verbes-
ter Peter Sawicki eingeleitet; die schwarz-gelbe Koali-
sern, die Hilfe und Förderung brauchen. Die demografi-
tion hatte Sawicki zum Abschuss freigegeben. Die schä-
sche Entwicklung und der Wandel im Zusammenleben
bige Art und Weise, einen unbequemen, aber
der Menschen in unserem Land stellen uns vor große
kompetenten Wissenschaftler zu diffamieren,
Herausforderungen.
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Was ist denn das
Ich bekomme ein Zeichen der Präsidentin, dass meine
für eine menschenverachtende Sprache?)
Redezeit abgelaufen ist. Das akzeptiere und vor allen
Dingen respektiere ich natürlich. Ich möchte nur noch den die schwarz-gelbe Koalition nicht nur geduldet, son-
einen Gedanken zu Ende bringen. dern höhnisch lachend begleitet hat – das gilt übrigens
insbesondere für den heute nicht anwesenden Kollegen
Lieber Herr Minister, ich finde es vor dem Hinter- Spahn –, ist beispiellos. Sie ist ein Tiefpunkt der deut-
grund der Wertschätzung, die wir für Menschen erbrin- schen Gesundheitspolitik der letzten Jahre.
gen müssen, die Dienst am Menschen leisten, für unsere
Pflegerinnen und Pfleger, für die Krankenschwestern (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
und Krankenpfleger, für die Ärztinnen und Ärzte, sehr BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Steffen
wichtig, dass ihre Berufsfelder wieder das gesellschaftli- Kampeter [CDU/CSU]: Das ist eine unglaubli-
che Image bekommen, das sie verdienen, und sie wieder che Diffamierung, die Sie hier vortragen!)
Zeit für den Menschen und Zeit für Zuwendung haben.
Die Spender der CDU, Ferring Arzneimittel – 150 000
Ich halte es für einen Skandal, dass unsere Bundesländer
Euro im August 2009 –, Stefan Quandt, Mitinhaber der
– das gilt übrigens vor allen Dingen für das Land Berlin –
Heel GmbH – 150 000 Euro im Oktober 2009 –, und an-
ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Krankenhausfi-
dere, werden es Ihnen sicher danken.
nanzierung im Bereich der baulichen Investitionen
nicht nachkommen. Letztendlich sind die Träger der (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Ausgerechnet
2 100 Krankenhäuser in Deutschland gezwungen, diese der Lauterbach! Unglaublich!)
1456 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Dr. Karl Lauterbach


(A) Aber das werden sicherlich auch die Wähler tun. Der [CDU/CSU]: Man nennt Sie „Honorarprofes- (C)
Bürger ist nicht bereit, unwirksame Arzneimittel über- sor“! Warum eigentlich?)
teuert zu konsumieren und damit die Gewinne der Phar-
maindustrie hier in Deutschland zu stützen. Es wird bislang nicht konkret. Eben hat der Kollege
von der Union dem Minister für die klaren Worte ge-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten dankt. Ich persönlich muss ehrlich sagen – und ich habe
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE die gleiche Rede gehört –: Mit Verlaub, es waren leere
GRÜNEN – Willi Zylajew [CDU/CSU]: Aus- Worte. Konkret ist es nur in der Vergangenheit gewesen,
gerechnet Lauterbach!) als angekündigt wurde, dass Apotheker und Fachärzte,
die Stammwähler der FDP – die FDP hat sich früher
Das IQWiG, das Institut für Qualität und Wirtschaft-
selbst „Partei der Besserverdiener“ genannt –, vor Wett-
lichkeit im Gesundheitswesen, so heißt es in den die
bewerb geschützt werden sollen. Für die PKV soll es
Koalitionsverhandlungen begleitenden Papieren, soll die
jüngere und gutverdienende Neumitglieder geben.
betroffenen Pharmaunternehmen demnächst früher in
die Verhandlungen einbinden. – Was bedeutet das kon- (Elke Ferner [SPD]: Schneller vor allem!)
kret? Dass wir demnächst mit der Industrie wie auf ei-
nem Basar verhandeln müssen, zu welchen Bedingungen Die gesetzlich Versicherten können auf höhere Beiträge
ein Medikament verkauft und auch dann, wenn es nicht und Zusatzprämien in Form von kleinen Kopfpauschalen
wirkt, warten. Das ist das, was wir bisher konkret gehört haben
– im Gegensatz zu den leeren Worten, die wir heute er-
(Elke Ferner [SPD]: Oder gefährlich ist!) neut vernommen haben.
angeboten werden darf. Vielleicht kommt es so weit, (Beifall bei der SPD)
dass diese Medikamente zumindest von den Gesunden
genommen werden; denn bei denen werden sie weniger Der Cheflobbyist der privaten Krankenversicherung
Schaden anrichten. Darum geht es doch, meine sehr ver- wird Leiter der Grundsatzabteilung.
ehrten Damen und Herren. (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wäre es besser ge-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten wesen, wenn wir Sie genommen hätten?)
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Der Grundsatz „privat vor öffentlich“ passt zu der Partei,
Vielleicht hängen die Ergebnisse in Zukunft sogar davon die den Staat als teuren Schwächling diffamiert.
ab, wie groß die Spendenbereitschaft der Firmen ist. (Beifall bei der SPD)
Vielleicht werden die Ergebnisse vom IQWiG dem-
nächst zu versteigern sein; auch darauf könnte es hinaus- Trotzdem sind die Lobbyisten offenbar auf den teuren
(B)
laufen. Schwächling Staat angewiesen; denn sonst würden sie (D)
die FDP nicht – wie Baron von Finck – mit Spenden be-
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie reden viel- denken müssen.
leicht einen Quatsch!)
(Zuruf von der SPD: Überschütten! –
Ähnlich traurig sieht es in der Krankenversicherung Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist ja pein-
aus. lich! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Ach
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Da ist die Ge- Gott!)
nossin Fischer zuständig!) Die Einstellung des PKV-Lobbyisten Weber als Leiter
Am Montag werden zahlreiche Krankenkassen erste Zu- der Grundsatzabteilung ist jedoch etwas Neues, etwas
satzbeiträge ankündigen. Dagegen haben Sie, Herr Mi- anderes. Bisher wissen wir, dass der Lobbyist die FDP
nister, nichts unternommen. Auch hier lachen die bezahlt, um Einfluss zu gewinnen. Neu ist, dass der
schwarz-gelben Koalitionäre über den Bürger. Steuerzahler selbst demnächst den Lobbyisten zu bezah-
len hat.
(Lachen bei Abgeordneten der FDP)
(Beifall bei der SPD sowie des Abg.
– Sie lachen; ich sage es ja.
Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Heinz Lanfermann [FDP]: Was soll er denn NEN])
da unternehmen? Dann erzählen Sie Schlau-
Im Gegenzug wird es dann vielleicht bei der PKV niedri-
meier uns mal, was er unternehmen soll!)
gere Beiträge und günstigere Bedingungen für FDP-Mit-
– Sie lachen über den Bürger, natürlich. glieder geben.
(Heinz Lanfermann [FDP]: Nein, über Sie ha- Ich schließe mit einer Empfehlung an den Minister:
ben wir gelacht!) Wenn für Sie die Interessen der Pharmaindustrie mehr
wiegen als die Interessen der Kranken, die die Medika-
Sie lachen über den Bürger, aber Ihnen wird das Lachen
mente brauchen, wenn für Sie die Interessen der PKV
noch vergehen. Gott sei es gedankt: Ihre Umfragewerte
mehr wiegen als die Beitragssätze für die gesetzlich oder
sind schon gesunken. So dumm ist der Bürger nicht,
die privat Versicherten, wenn für Sie die Einkommensin-
Herr Lanfermann.
teressen der Apotheker und der Fachärzte wichtiger sind
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Sie waren unser als die der Patienten und der Beitragszahler, dann wer-
bester Wahlkämpfer! – Steffen Kampeter den Sie Minister für Wirtschaft und treten Sie die Nach-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1457
Dr. Karl Lauterbach
(A) folge des glück- und farblosen Kollegen Brüderle an, be- Teile der Opposition – Herr Kollege Lauterbach, ich (C)
vor Sie weiteren Schaden anrichten! schaue jetzt bewusst in Ihre Richtung – wollen die
Staatsmedizin.
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD – Maria
Michalk [CDU/CSU]: Das ist ja peinlich! – (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Wider-
Weitere Zurufe von der CDU/CSU: Ein biss- spruch bei der SPD)
chen mehr Niveau! – Sie produzieren nur
Polemik! Substanzlos!) Sie sagen es nicht ganz deutlich, sondern versuchen, uns
soziale Kälte oder Klientelpolitik nachzuweisen.
Wir als SPD werden in Kürze Vorträge dazu bringen,
(Elke Ferner [SPD]: Das ist ganz einfach, Ih-
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Bezahlte nen Klientelpolitik nachzuweisen!)
Vorträge?)
Das ist zu durchsichtig. Das ist Ihnen nicht gelungen.
wie die Praxisgebühr abzuschaffen ist, die uns damals Die christlich-liberale Koalition wird das Gesundheits-
von der Union in den Nachverhandlungen im Bundesrat wesen zukunftsfest machen,
aufgedrückt wurde. Wir wollen zurück zur Parität.
(Elke Ferner [SPD]: Ruinieren werden Sie es!)
Vizepräsidentin Petra Pau: sodass es auch die künftigen Herausforderungen meis-
Kollege Lauterbach, achten Sie bitte auf das Zeichen tern kann.
vor Ihnen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Dr. Karl Lauterbach (SPD): Meine Damen und Herren von der SPD, Sie haben ein
Vielen Dank. – Frau von der Leyen kündigt an, zu unglaublich kurzes Gedächtnis. Sie haben bekanntlich
überprüfen, ob Schlecker zu niedrige Löhne zahlt, den ersten Entwurf dieses Haushalts noch mitverantwor-
gleichzeitig soll Schlecker aber bei den Arbeitgeberbei- tet. Für die gesamtgesellschaftlichen Ausgaben der ge-
trägen zur Krankenversicherung entlastet werden. Wir setzlichen Krankenversicherung war 2010 lediglich der
wollen zurück zur paritätischen Finanzierung. Heute ist Bundeszuschuss in Höhe von 11,8 Milliarden Euro vor-
es nicht an der Zeit, einseitig die Arbeitgeber zu entlas- gesehen. Ich halte hier noch einmal fest: Im Entwurf der
ten. christlich-liberalen Koalition ist ein weiterer Bundeszu-
schuss in Höhe von 3,9 Milliarden Euro zur Kompensa-
(Beifall bei der SPD) tion der krisenbedingten Mindereinnahmen veran-
Wir wollen auch weg von der Zweiklassenmedizin, schlagt. Insgesamt werden die Kassen 2010 damit
(B) einer Medizin, bei der die Versorgungsqualität vom Ein- Bundeszuschüsse in Höhe von 15,7 Milliarden Euro er- (D)
kommen des Bürgers abhängt. halten.
(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Das ist
Vizepräsidentin Petra Pau: solidarisch!)
Kollege Lauterbach, ich bin ein geduldiger Mensch,
Der Etatansatz des Einzelplans 15 erhöht sich damit deut-
aber ich habe auch einen Knopf, um das Mikrofon ein-
lich von 11,6 Milliarden Euro in 2009 auf 16 Milliarden
fach auszuschalten.
Euro in 2010.
Dr. Karl Lauterbach (SPD): (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Höher als
Letzter Halbsatz. ursprünglich vereinbart!)
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Nein! – Wider- Damit stärken wir den Stellenwert des Gesundheits-
spruch bei der CDU/CSU und der FDP) wesens und stellen es auf stabile finanzielle Füße.
Es ist zu vermeiden, dass die Versorgungsqualität vom (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Einkommen oder demnächst möglicherweise sogar von Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
der Parteimitgliedschaft abhängt. Alles auf Pump!)
(Beifall bei der SPD – Dr. Martina Krogmann Wir als christlich-liberale Koalition haben uns ganz
[CDU/CSU]: Peinlicher Auftritt! – Heinz eindeutig und von Anfang an – das betone ich ausdrück-
Lanfermann [FDP]: Starker Beifall bei der lich – zur solidarischen und sozialen Verantwortung
SPD!) auch im Gesundheitssektor bekannt und tun das auch
weiterhin. Wir entlasten die gesetzlichen Kassen
Vizepräsidentin Petra Pau: (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Sehr gut!)
Das Wort hat die Kollegin Karin Maag für die
Unionsfraktion. und sorgen dafür, dass die Menschen nicht zusätzlich
durch die Wirtschaftskrise belastet werden. Soziale
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kälte sieht aus meiner Sicht anders aus.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Karin Maag (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin- Selbstverständlich werden wir auch in Zukunft unserer
nen! Eines zeichnet sich jetzt hier sehr deutlich ab: Weite sozialen Verantwortung gerecht. Wie Sie sich die Zu-
1458 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010

Karin Maag
(A) kunft vorstellen, Frau Bender, dazu haben Sie leider gar brauch hin. Wir müssen vor allem dagegen ankämpfen, (C)
nichts gesagt. dass das Thema Aids aus dem Fokus gerät. Die Mittel in
Höhe von insgesamt über 16 Millionen Euro stehen des-
Die Geschwindigkeit des medizinischen Fortschritts
halb auch in einem Krisenhaushalt weiterhin ungekürzt
nimmt rasant zu. Der demografische Wandel trifft uns je-
zur Verfügung. Besonders wichtig ist mir in diesem Zu-
doch erst in 15 bis 20 Jahren spürbar, wenn die geburten-
sammenhang auch das Thema Alkoholmissbrauch bei
starken Jahrgänge, zu denen auch ich gehöre, in den Ru-
Kindern und Jugendlichen. Im Vergleich zum Jahr 2000
hestand gehen. Gleichzeitig müssen die Kassen
ist die Zahl der stationären Behandlungen um 170 Pro-
Beitragsausfälle verkraften: 13. Monatsgehälter werden
zent gestiegen, Frau Dyckmans. Allein 4 500 Kinder
nicht mehr oder nur teilweise gezahlt. Kurzarbeit, Ar-
zwischen 10 und 15 Jahren mussten im Jahr 2008 auf-
beitslosigkeit, aber auch soziale Errungenschaften wie
grund einer Alkoholvergiftung stationär behandelt wer-
zum Beispiel die Arbeitszeitkonten tragen dazu bei, dass
den. Um diese Kinder und vor allem die Eltern dieser
Einnahmen fehlen.
Kinder zu erreichen, müssen wir neue Wege gehen.
Wir haben es im vergangenen Jahr gemeinsam ge- Diese neuen Wege kosten Geld. Die Botschaft lautet:
schafft, Frau Ferner und Herr Lauterbach, die Arbeitge- Das Geld steht trotz Krise auch in diesem Haushalt wei-
berbeiträge festzuschreiben und mit diesem Einstieg in terhin zur Verfügung.
die Abkopplung der Gesundheitskosten von den Lohn-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
zusatzkosten die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unter-
nehmen zu stärken. Bis dahin gingen die Kostensteige- Ich fasse zusammen: Die Versicherten, die Patientin-
rungen entweder zulasten der Lohnzusatzkosten – das nen und Patienten, können bei der christlich-liberalen
heißt, die Beiträge haben sich erhöht –, oder sie mussten Koalition sicher sein, dass ihnen weiterhin eine hoch-
von den medizinischen Leistungserbringern im System wertige, bezahlbare gesundheitliche Versorgung zur Ver-
aufgefangen werden; ich nenne hier nur das Stichwort fügung steht. Die Leistungserbringer – die Ärzte, die
Kostendämpfung. Das schadete einem Wachstumsmarkt Zahnärzte, all diejenigen, die im Gesundheitssystem tä-
mit über 4,4 Millionen Beschäftigten. tig sind – dürfen von uns eine faire Partnerschaft auch
im Hinblick auf ihre Vergütung erwarten. Wir werden
(Beifall bei der CDU/CSU)
diesen Weg mit Entschiedenheit gehen. Ich bin mir si-
Wir bekennen uns ausdrücklich weiterhin zu dem, cher, dass es der bessere Weg ist.
was wir in den vergangenen vier Jahren mit Ihnen von
Ihnen, Herr Minister Rösler, Ihren Mitarbeitern und
der SPD gemeinsam erreicht haben. Aber das muss wei-
uns allen wünsche ich, dass wir das in den kommenden
terentwickelt werden. Wir können jetzt nicht stehen blei-
Wochen gemeinsam erfolgreich gestalten.
ben und die Herausforderungen dieser Zeit ignorieren.
(B) (D)
Vielen Dank.
Unsere Hauptaufgabe in den nächsten vier Jahren
wird es sein, den Einstieg in die stabile Finanzierung (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
weiterzuentwickeln und vor allem darauf zu achten, dass
die gesetzlich Versicherten damit nicht überfordert wer- Vizepräsidentin Petra Pau:
den. Kollegin Maag, das war Ihre erste Rede im Deutschen
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Bundestag. Dazu gratulieren wir Ihnen recht herzlich
neten der FDP) und wünschen Ihnen auch weiterhin viel Erfolg.
Natürlich müssen wir auch die Ausgaben im Gesund- (Beifall)
heitsbereich im Griff behalten. Die Ausgaben für For- Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
schung, Aufklärung und Prävention sind gut angelegt. uns nicht vor.
Es ist mit Sicherheit angebracht, dort zu investieren;
denn das erspart am Ende die hohen Krankheitskosten. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
Ich nenne exemplarisch den Infektions- und den Ge- ordnung.
sundheitsschutz, den wir stärken müssen. Ich begrüße es
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
ausdrücklich, dass wir die Forschungsausgaben auch in
destages auf morgen, Freitag, den 22. Januar 2010,
Krisenzeiten konstant halten. Zu den Stichworten Auf-
9 Uhr, ein.
klärung und Prävention ist anzumerken, dass wir für eine
Sucht- und Drogenpolitik stehen, die Prävention, Thera- Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch
pie und Hilfe zum Ausstieg in den Mittelpunkt stellt. einen erfolgreichen Abend, wozu auch immer Sie ihn
jetzt nutzen wollen.
In diesem Zusammenhang weise ich ausdrücklich auf
die HIV/Aids-Problematik und auf den Alkoholmiss- (Schluss: 18.03 Uhr)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 16. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. Januar 2010 1459

(A) Anlage zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage
Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis
Abgeordnete(r) einschließlich

Bellmann, Veronika CDU/CSU 21.01.2010

Edathy, Sebastian SPD 21.01.2010

Ernst, Klaus DIE LINKE 21.01.2010

Dr. Fuchs, Michael CDU/CSU 21.01.2010

Günther (Plauen), FDP 21.01.2010


Joachim

Jelpke, Ulla DIE LINKE 21.01.2010

Lafontaine, Oskar DIE LINKE 21.01.2010

Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ 21.01.2010


DIE GRÜNEN

Dr. de Maizière, Thomas CDU/CSU 21.01.2010

Nahles, Andrea SPD 21.01.2010


(B) Nešković, Wolfgang DIE LINKE 21.01.2010 (D)

Steinbrück, Peer SPD 21.01.2010

Süßmair, Alexander DIE LINKE 21.01.2010

Zapf, Uta SPD 21.01.2010

Zimmermann, Sabine DIE LINKE 21.01.2010


Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Telefax (02 21) 97 66 83 44
ISSN 0722-7980

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