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Andrea Bilanovic WS 2022/23

THEO: VO KOMMUNIKATIONSPOLITIK
ZUSAMMENFASSUNG

1. Vorlesung

Einführung

Ziele und Themen der Lehrveranstaltung


- Vermittlung von Fachwissen
- Definitionen und Dimensionen der Medienpolitik
- Begründungen für medienpolitisches Handeln
- Zusammenspiel von Demokratie, Ökonomie und Medien

Themen der Lehrveranstaltung


- Schwerpunkt Rundfunkpolitik

- Theorien zu Media Governance, Ko- und Selbstregulierung, Politischer Ökonomie verweisen


auf Zusammenhänge zwischen Medienpolitik und Medienökonomie

- Kommunikationswissenschaftler und Ökonomen konstatieren aktuell vermehrt, dass


Gesellschaften durch organisierte Gruppen geprägt werden. Die Einsicht in diesen Umstand
führt uns zum Institutionalismus

- Fallbeispiele: Medienpolitische Debatten, Bertelsmann Stiftung, Öffentlichkeit und Markt


sowie Trennungsgrundsatz im Fernsehen

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2. Vorlesung

Grundlagen

Kommunikations- und Medienpolitik

Medienpolitik – Definitionen und Dimensionen

- Was ist Politik?


- Was sind Medien?
- & wenn man diese beiden Bereiche zusammenführt → Was ist Medienpolitik?

→ Wenn öffentlich über Medienpolitik diskutiert wird, so sind das meistens Themen, die sich rund
um ökonomische Fragen drehen. Es geht beispielsweise um Gebührenerhöhungen, Möglichkeit der
Erweiterung der Finanzierung über Werbung insbesondere im Bereich der Öffentlich-rechtlichen.
Außerdem ist es ein Themenblock, der mitunter auch verhandelt wird, wenn von Übernahme die
Rede ist, wenn Fragen der Konzentration aufgegriffen werden.
Man kann also sagen, dass es offensichtlich Probleme gibt in dem Politik Bereich und dass die
Medienpolitik sich dieser Probleme annimmt. Das tut sie, weil man davon ausgeht das die Medien
eine bedeutende Rolle für das Funktionieren der Gesellschaft spielen und es ist auch nicht nur die
Kommunikationswissenschaft, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzt.

Probleme, derer sich Medienpolitik annimmt


- Öffentlich-rechtlicher Rundfunk
- Unternehmenszusammenschlüsse
- Technische Entwicklungen

Disziplinen, die sich mit Medienpolitik beschäftigen


Es gibt eine Reihe von wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit Medienpolitik auseinandersetzen:

- PKW
- Politikwissenschaft
- Wirtschaftswissenschaften → bei ökonomischen Fragen
- Rechtswissenschaft

→ Da die Publizistik und Komunikationswissenschaft und die Politikwissenschaft beide


Sozialwissenschaften sind, gleichen sich hier die Theorien und Methoden. Es ist kein Zufall, dass die
fachgesellschaften aus diesen beiden Disziplienen regelmäßsig auch gemeinsame Tagungen
ausrichten.

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Warum ist Medienpolitik zentraler Gegenstand der PKW?


- Annahme:
• Es gibt einen Zusammenhang zwischen Medienstrukturen und Medieninhalten.

→ Innerhalb der KOWI ist die Befassung mit der Medienpolitik sehr stark durch eine
Strukturperspektive getrieben, d.h. die interne Annahme das es einen Zusammenhang zwischen
Medienstrukturen und Medieninhalten gibt. Konkretes Bsp.: Das, was man im Free-TV sieht, ist in
gewisser Weise inhaltlich auch eine Folge wie sich diese Fernsehsender finanzieren. Wenn die Politik
in gewisser Weise ein Interesse an bestimmten Inhalten insbesondere meritorischen Inhalten hat,
dann muss sie am Rädchen der Struktur drehen, um diese auch bereitstellen zu können. Sehr häufig
wird das auch damit begründet, dass diese Inhalte eine ganz bestimmte Wirkung entfalten. Es gibt
nicht nur die Wirkung, die die Medien durch ihre Existenz haben, sondern auch die konkrete Wirkung
von Medieninhalte auf Einstellungen und Verhalten.

Klassische Gebiete der PKW (Puppis)

→ Der Bereich der Struktur wurde nicht originär im Fach angelegt. Es gibt Kommunikatorforschung,
Medien- und Inhaltsforschung und Rezeptionsforschung aber die Frage nach der Struktur, die
insbesondere im Bereich der Medienforschung vorkommen sollte, ist etwas das lange im Fach
ignoriert wurde wie auch ökonomische Fragestellungen.

Die Erforschung von Journalisten, Medieninhalten und Medienwirkungen beim Publikum ist nach wie
vor wichtig. Doch um zu erklären, wie bestimmte Inhalte entstehen, genügt es nicht, nur einzelne
Individuen zu untersuchen, sondern auch die Medienstrukturen müssen analysiert werden.

So haben kommerzielle Unternehmen Finanzierungsprobleme und müssen sich über Werbung


finanzieren. Das führt zu bestimmten Bereitstellungsformen, serieller Produktion, Flow-Produktion
und das bedeutet, dass auch mit Formaten und Stereotypen gearbeitet werden muss.

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Einbettung von Medien in der Gesellschaft (Puppis)

→ verdeutlicht die
Bedeutung von Struktur

- Medien existieren nicht in einem Vakuum, sondern die Medienorganisation ist eingebettet in
die Strukturen der Gesellschaft.
- Es gibt ökonomische Zwänge, politische Vorgaben, die man berücksichtigen muss.
- All das ist ein Rahmen, den man mitdenken muss, wenn man sich mit
Kommunikatorforschung, Medieninhaltsforschung oder Rezipientenforschung befasst.

Medienstruktur
Definition von Jarren → Medienstruktur eines Landes setzt sich aus Medienorganisation, Verbänden,
politischen und gesellschaftlichen Akteuren sowie deren Interaktionen zusammen.

Definition von Puppis → Mit Medienstruktur werden die politischen und wirtschaftlichen
Rahmenbedingungen von Medienorganisationen und die Art, wie die Medien organisiert sind,
bezeichnet.

- Medienstrukturen haben also entscheidenden Einfluss darauf, wie und welche


Medieninhalte entstehen
- Anders gesagt: Gesellschaftliche Strukturen beeinflussen die Strukturen von
Medienorganisationen und das Handeln von Medienorganisationen als Ganzes.
- Strukturen der Medienorganisationen wiederum beeinflussen das Handeln der
Journalistinnen und Journalisten, also das Handeln in Medienorganisationen.

Verbindung zwischen Struktur und Inhalt / Modell der industriellen


Organisation (Gomery)
→ Verbindung zwischen Struktur und Inhalt verdeutlicht das Modell der industriellen Organisation,
welches Gomery (1989) auf die Medien anwendet.

- publizistischen Leistungen der Medien stehen darin in engem Zusammenhang mit


wirtschaftlichen und politischen Bedingungen
- Es lassen sich Struktur (Structure), Verhalten der Medienorganisationen (Conduct) und
Leistung (Performance), d. h. die Medieninhalte, unterscheiden

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- Gesellschaftliche und organisationale Strukturen haben einen Einfluss darauf, wie


Medienorganisationen funktionieren und damit auf die Entstehung von Medieninhalten

- Strukturelle Vielfalt (source diversity) hat einen Einfluss auf die inhaltliche Vielfalt (content
diversity)
- konkreten Zusammenhänge sind nicht unbedingt klar und auch nicht empirisch erforscht
- es ist eine Arbeitshypothese in der Medienpolitik, dass hier strukturelle Vielfalt auch
inhaltliche Vielfalt nach sich zieht

- Eine Vielzahl an Medienorganisationen ist damit noch keine Garantie, zumindest aber eine
Chance für inhaltliche Vielfalt. (Puppis)

- auch wenn den Medienorganisationen mit Medienpolitik gewisse inhaltliche Vorgaben


auferlegt werden, so setzt Medienpolitik doch vielfach an den Medienstrukturen an.
- einer direkten Einflussnahme des Staates auf Medieninhalte ist in demokratischen Staaten
nur schon dadurch eine Grenze gesetzt, als dass die Medien unabhängig vom Staat
funktionieren sollen

Einfluss der Medienpolitik auf die Medienstruktur (Puppis)

Mit Medienpolitik versucht die Gesellschaft, ihre Medien zu gestalten, indem indirekt durch die
Beeinflussung der Medienstruktur auf die Medieninhalte eingewirkt werden soll:

- Durch die Gestaltung der Medienstruktur soll das Handeln der Medienorganisationen
beeinflusst werden, um so bestimmte Medienleistungen zu erreichen
- Dadurch, dass eine öffentliche Rundfunkorganisation gegründet wird oder
Zusammenschlüsse von Medien- unternehmen genau geprüft werden, sollen letztlich
bestimmte inhaltliche Ziele verwirklicht werden, beispielsweise inhaltliche Vielfalt und
Qualität.

Fazit Medienstrukturen
„Medienstrukturen haben einen entscheidenden Einfluss auf das Handeln in und von
Medienorganisationen und damit auch darauf, wie und welche Medieninhalte entstehen. Mit
Medienpolitik wird versucht, über die Medienstruktur indirekt auf Medieninhalte einzuwirken.“
(Puppis)

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Definition von Politik


→ Grundsätzlich können normative und deskriptive Politikbegriffe unterschieden werden

- Normative Politikbegriffe definieren Politik über das mit Politik zu verwirklichende Ziel, z. B.
soll Politik dann zu einer als gerecht erachteten Ordnung führen.
- Hier steht allerdings ein deskriptiver Politikbegriff im Zentrum, der beschreiben will, was
Politik ist, und nicht postuliert, was Politik soll.

Zwei Aspekte eines deskriptiven Politikbegriffs:

- Politik als menschliches Handeln


• Menschliches Handeln ist immer geprägt von bestimmten Normen, Interessen und
Wertvorstellungen. Zudem beziehen Menschen ihr Handeln auf die Handlungen
anderer Menschen, weshalb auch von sozialem Handeln gesprochen wird.
• Politisches Handeln ist damit jenes soziale Handeln, welches auf die Herstellung und
Durchsetzung allgemein verbindlicher Regeln und Entscheidungen abzielt.
• Politisches Handeln bringt eine bestimmte politische Wirklichkeit (Rollen,
Organisationen, Institutionen) hervor und verändert diese.

- Herstellung und Durchsetzung allgemein verbindlicher Regeln und Entscheidungen


• Allgemeine Verbindlichkeit dagegen verweist darauf, dass menschliches
Zusammenleben Regeln erfordert: Je komplexer eine Gesellschaft ist, desto größer
der Regelungsbedarf.
• Entscheidungen, die allgemein verbindlich sind, können nur Regierung und
Parlament als politisches Entscheidungszentrum fällen.
• Die Bemühungen, solche allgemein verbindlichen Regeln und Entscheidungen
herbeizuführen, müssen indes nicht erfolgreich sein: Politisches Handeln muss nicht
gelingen, sondern kann auch scheitern (vgl. Patzelt 2003: 23-28).

„Politik ist jenes Handeln, das auf die Herstellung und Durchsetzung allgemein verbindlicher Regeln
und Entscheidungen abzielt.“ (Puppis)

Definition von Medien


→ Saxer definiert Medien als komplexe institutionalisierte Systeme um organisierte
Kommunikationskanäle von spezifischen Leistungsvermögen zu unterscheiden

- Medien sind damit zugleich Kommunikationskanäle, Organisationen, komplexe Systeme


sowie Institutionen und sie erbringen gewisse Leistungen.
- Massenmedien sind mehr als nur technische Kommunikationskanäle
• „Erst durch ihre Institutionalisierung, also durch die gewählte Organisationsform und
die damit verbundenen rechtlichen, ökonomischen und kulturellen Regeln, erhalten
Medien ihre soziale Bedeutung.“

Puppis → „Massenmedien können verstanden werden als in die Gesellschaft eingebettete


Medienorganisationen und die von diesen verbreitete massenmediale öffentliche Kommunikation.“

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Medienpolitik
→ in den 1960er Jahren hat Ronneberger den Begriff der Kommunikationspolitik als etwas der
Medienpolitik Übergeordnetes begriffen

- Hier zielt die Politik nicht nur auf massenmediale öffentliche Kommunikation ab, sondern
auch auf Individualkommunikation.

Definition von Medienpolitik


→ laut Puppis ist der Begriff der Medienpolitik der richtige

„Medienpolitik ist jenes Handeln, das auf die Herstellung und Durchsetzung allgemein verbindlicher
Regeln und Entscheidungen über Medienorganisationen und die massenmediale öffentliche
Kommunikation abzielt.“ (Puppis)

- öffentliche Kommunikation ist der zentrale Gegenstand der Publizistik- und


Kommunikationswissenschaft
• Individualkommunikation – etwa Telefongespräche oder persönliche
Unterhaltungen – interessiert nur am Rande
• damit sei in erster Linie jene Politik relevant, welche die massenmediale öffentliche
Kommunikation betrifft
• auch im digitalen Zeitalter habe öffentliche Kommunikation einen anderen
Stellenwert als Individualkommunikation und mit Medienpolitik ließen sich die
relevanten Aspekte der Telekommunikation (z. B. technische Infrastruktur) genauso
wie „Neue Medien“ (z. B. das Internet) problemlos fassen
- ein zweites Problem resultiert daraus, dass Kommunikationspolitik in der Betriebswirtschaft
als Bezeichnung für die Marketingstrategien von Unternehmen dient, welche auf den Absatz
von Produkten auf dem Markt bezogen sind
- drittens ist in der Politikwissenschaft wie in der Politik selbst nicht von Kommunikations-,
sondern von Medienpolitik die Rede

Ist Medienpolitik ein eigenes Politikfeld?

- Medienpolitik ist ein wichtiges Politikfeld mit eigenen Akteuren, Themen und spezifischen
Interaktionsformen
- Zwar hat Medienpolitik in der öffentlichen Wahrnehmung nicht denselben Stellenwert wie
andere Politikfelder (z. B. Sozial-, Verkehrs- oder Asylpolitik), doch handelt es sich deswegen
nicht um irgendein, schon gar nicht um ein irrelevantes Politikfeld

„Ohne freie Medien ist keine ungehinderte Meinungsbildung des Bürgers und damit keine
Demokratie möglich.“ (Kleinsteuber)

- Allerdings werden Medienorganisationen und die massenmediale öffentliche


Kommunikation nicht nur von Medienpolitik beeinflusst.

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- Auch andere Politikfelder sind von Bedeutung: Die Industriepolitik, welche sich der
Standortförderung verschrieben hat, die Wettbewerbspolitik, welche den Missbrauch von
Marktmacht verhindern soll, die Kulturpolitik, die Technologiepolitik und das Strafrecht
haben entscheidende Auswirkungen auf den Mediensektor.

Dimensionen des Politikbegriffs (Puppis)


- Polity versteht Politik als Rahmen, womit die politischen Strukturen gemeint sind. Geprägt
werden diese Strukturen von Normen und es liegen ihnen bestimmte politische Werte als
Leitideen zugrunde. Mit Polity ist die formale Dimension von Politik angesprochen, also
Normen, Regeln, Institutionen etc. Sinnbildlich kann Polity mit einem Flussbett verglichen
werden, in welchem die politischen Prozesse fließen: Die politischen Strukturen begrenzen
und ermöglichen politisches Handeln.

- Politics bezeichnet eben diese Prozessdimension von Politik, womit auf den Prozess der
Herstellung und Durchsetzung allgemein verbindlicher Entscheidungen sowie die an diesem
Prozess beteiligten Akteure und deren Einflussversuche fokussiert wird. Politics ist vor allem
Input-orientiert, geht es doch um die Herbeiführung bestimmter Entscheidungen. Dieser
Dimension von Politik lassen sich Begriffe wie Interessen, Konflikte, Akteure, Macht und
Einfluss zuordnen.

- Policy schließlich ist die Umschreibung für die politischen Inhalte, welche für allgemein
verbindlich erklärt werden sollen: Probleme sollen gelöst, die Gesellschaft gestaltet werden.
Policy stellt den politischen Output, die tatsächlich gefällten Regeln und Entscheidungen, in
den Mittelpunkt.

→ Dieser dreiteilige Politikbegriff kann auf jedes Politikfeld und damit auch auf die
Medienpolitik angewendet werden!

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Polity: Strukturelle und institutionelle Bedingungen (Puppis)


→ Mit Polity sind die strukturellen und institutionellen Bedingungen gemeint, welche Medienpolitik
prägen. Normen, Regeln, Werte etc. haben einen Einfluss darauf, wie der Prozess der Entstehung
von Medienpolitik aussieht und welche medienpolitischen Akteure wie Einfluss nehmen können.

4 Möglichkeiten, Demokratien zu typologisieren (nach Schmidt):

- Konkordanz- vs. Konkurrenzdemokratie


• Hauptunterschied zwischen Konkordanz- und Konkurrenzdemokratie liegt im
zentralen Entscheidungsmechanismus → Konsensprinzip (Schweiz) vs.
Mehrheitsprinzip (Deutschland)
• Österreich eher in der Konkordanzdemokratie

- direkte vs. repräsentative Demokratie


• unterscheiden sich bezüglich der Ausübung von Herrschaft
• In einer repräsentativen Demokratie wird Herrschaft durch von den Bürgerinnen
und Bürgern gewählte Repräsentanten ausgeübt
• die direkte Demokratie kennt die unmittelbare Herrschaft des Volkes

- präsidentielle vs. parlamentarische Demokratie


• Grundformen von politischen Systemen, in denen das Parlament der Gesetzgeber ist
• Hauptunterschied ist die Abberufbarkeit der Regierung durch das Parlament

- Mehrheits- vs. Konsensusdemokratie


• In Mehrheitsdemokratien ist die Exekutive in den Händen einer allein regierenden
Partei, und die Regierung dominiert auch das aus einer Kammer bestehende
Parlament
• Konsensusdemokratien bilden das genaue Gegenteil → die Regierung besteht aus
einer Vielparteienkoalition
o zwischen dem aus zwei Kammern bestehenden Parlament und der Regierung
gibt es ein Kräftegleichgewicht
o Staatsaufbau ist föderalistisch, und gewählt wird nach Verhältniswahlrecht

Fazit → Die Eigenschaften politischer Systeme und Vorstellungen über die Institutionalisierung von
Medien prägen medienpolitische Prozesse und die Einflussmöglichkeiten medienpolitischer Akteure.

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Politics: Politischer Prozess und beteiligte Akteure


→ Politics verweist auf den politischen Prozess der Entstehung von Medienpolitik und damit auf die
beteiligten Akteure und ihre Interessen. Nicht nur Ziele, Interessen, Ressourcen und Strategien
einzelner Akteure, sondern auch Akteurkonstellationen, Konflikte und Entscheidungsprozesse sind
relevant.

Typen von Akteuren

→ Begriff Akteur stammt aus der Handlungstheorie und bezeichnet handelnde Rollenträger.
Akteure handeln stellvertretend für eine Gruppe und besitzen eine kollektive Identität.

Akteure verfügen über die folgenden zentralen Merkmale (Donges/Jarren):

a) Zielorientierung: Akteure haben Interessen und verfolgen bestimmte Ziele

b) Wertorientierung: Akteure handeln basierend auf bestimmten Werten

c) Ressourcen: Akteure verfügen über gewisse Ressourcen (Geld, Einfluss, Personal,


Unterstützer, Mitglieder u. Ä.) und setzen diese ein, um ihre Ziele zu verfolgen

d) Strategiefähigkeit: Akteure handeln nicht nur zielgerichtet, sondern auch strategisch, d. h.,
Akteure besitzen die Fähigkeit, Mittel und Ziele mittels einer Strategie zu kombinieren

e) Selbst- und Fremdbeschreibung: Akteure verstehen sich selbst als Akteur und werden von
anderen als Akteur anerkannt.

Akteure können unterschieden werden in individuelle und kollektive Akteure (Donges/Jarren):

• Individuelle Akteure sind einzelne Personen, die innerhalb einer Organisation eine
bestimmte Rolle innehaben.

• Bei kollektiven Akteuren handelt es sich um einen Zusammenschluss von Individuen. Dabei
kann der formale Organisationsgrad gering (z. B. Verbände oder soziale Bewegungen) oder
Organisationsgrad hoch sein (z. B. Unternehmen, Behörden). Letztere werden teilweise auch
als korporative Akteure bezeichnet.

Zur Analyse politischer Prozesse bietet sich eine weitere Aufgliederung der kollektiven Akteure in
Akteure der Interessenartikulation, Interessenaggregation und Interessendurchsetzung an
(Donges/Jarren):

f) Kollektive Akteure der Interessenartikulation greifen Themen auf und versuchen diese für
politisch relevant zu erklären. Sie sind problemnah, auf ein Thema spezialisiert und nahe bei
den Bürgerinnen und Bürgern. Beispiele sind Verbände (z. B. Gewerkschaften oder
Arbeitgeberverbände) und (neue) soziale Bewegungen (z. B. Greenpeace).

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g) An der Artikulation von Interessen sind auch die Parteien als kollektive Akteure der
Interessenaggregation beteiligt. In erster Linie aber greifen sie bereits formulierte Interessen
auf, die mit ihren eigenen Positionen übereinstimmen, und versuchen diese in das politisch-
administrative System einzubringen.

h) Die kollektiven Akteure der Interessendurchsetzung (auch: Akteure des politischen


Entscheidungszentrums oder des politisch-administrativen Systems) schließlich fällen die
allgemein verbindlichen Entscheidungen (Regierung, Parlament) und sind für die
Implementation zuständig (Verwaltung, Ministerien, Regulierungsbehörden).

→ Während es sich bei den kollektiven Akteuren der Interessendurchsetzung um im weitesten Sinne
staatliche Akteure handelt, sind die kollektiven Akteure der Interessenartikulation und
Interessenaggregation Teil des sogenannten intermediären Systems.
Anders als die Akteure der Interessendurchsetzung verfolgen sie Partikularinteressen (was die
Akteure des politisch-administrativen Systems eigentlich nicht dürften) und können keine allgemein
verbindlichen Entscheidungen treffen.
Zum intermediären System gehören auch die Massenmedien. Das intermediäre System vermittelt
Interessen von der Gesellschaft an die politischen Entscheidungsträger und politische
Entscheidungen von den politischen Entscheidungsträgern an die Gesellschaft.

Definition Akteur

„Ein Akteur hat Interessen und verfolgt bestimmte Ziele, verfügt über bestimmte normative
Orientierungen und Ressourcen, hat die Fähigkeit, strategisch zu handeln, versteht sich selbst als
Akteur und wird von anderen als solcher anerkannt. Dabei kann zwischen individuellen und
kollektiven Akteuren unterschieden werden.“ (Puppis)

Medienpolitische Akteure

Folgende ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Akteure lassen sich in der


Medienpolitik unterscheiden:

i) Unternehmen → Medienorganisationen (Verlage, Rundfunkorganisationen),


Werbewirtschaft, Distributionsunternehmen (Kabelnetz- und Satelliten- betreiber),
Telekommunikations- und Internetfirmen sowie Filmwirtschaft (Produzenten)

j) Medienspezifische Interessenverbände → Verbände von Verlegern, Rundfunk- veranstaltern


oder Medienschaffenden (Gewerkschaften)

k) Politische Parteien

l) Staatliche Akteure → Regierung, Parlament, Verwaltung und Regulierungsbehörden

m) Zivilgesellschaftliche Akteure → Bewegungen, Kirchen und Wissenschaft

→ All diese Akteure sind am medienpolitischen Prozess beteiligt und versuchen, auf die letztlich von
Regierung und Parlament getroffenen medienpolitischen Entscheidungen Einfluss zu nehmen. Die
verschiedenen Akteure vertreten dabei ihre je eigenen Interessen. Aus einer kritischen Perspektive
kann angemerkt werden, dass diese Partikularinteressen häufig mit einem öffentlichen Interesse

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kaschiert werden, um die eigennützigen Ziele als vorteilhaft für die Gesellschaft erscheinen zu lassen.
Politische Rhetorik muss – auch bei den staatlichen Akteuren – immer kritisch hinterfragt werden.

Die Entscheidungen, welche letztlich gefällt werden, stellen einen Kompromiss zwischen den
verschiedenen Interessengruppen dar.

Publikum als Akteur?

„Medienpolitik wird dominiert von ökonomischen und politischen Akteuren. Insbesondere die
Medienunternehmen selbst verfolgen wirtschaftliche Eigeninteressen. Das Publikum hingegen ist
kein Akteur.“ (Puppis)

Einfluss von Akteuren auf den politischen Prozess (Puppis)

Problemdefinition → Probleme, die von der Politik gelöst werden sollen, müssen für das politische
System bearbeitbar gemacht werden

Politikdefinition → Parteien kümmern sich in erster Linie die um ein Problem und mögliche Lösung

Politikformulierung → meint, dass nun ein politisches Programm entwickelt wird, mit dem das
Problem gelöst werden soll; dies ist die Aufgabe der Akteure des politischen Entscheidungszentrums

Politikimplementation → für die Umsetzung ist die Verwaltung in der Politikimplementation


zuständig

Politikevaluation → politische Prozess endet mit einer Politikevaluation, bei der entschieden wird,
ob das Problem gelöst wurde oder ob der politische Prozess wieder von vorne beginnen soll

→ Wie der politische Prozess genau aussieht, hängt von den Strukturen des politischen Systems ab.
Das hier dargestellte Modell gilt für repräsentative Demokratien.

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Policy: Politische Entscheidungen (Puppis)


→ Policy schließlich sind die Inhalte der Medienpolitik, also die medienpolitischen Regeln und
Entscheidungen. Auf alle drei Dimensionen von Politik wird im Folgenden detailliert eingegangen.

„Die allgemein verbindlichen Regeln und Entscheidungen über Medienorganisation und die
massenmediale öffentliche Kommunikation bilden den Kern der Medienpolitik.“ (Puppis)

Typen politischer Entscheidungen

Ebene der Regelsetzung

n) Restriktiv → Einschränkung bisheriger Rechte


o) Regulativ → geringe Eingriffe in die bisherige Rechtslage
p) Extensiv → Ausdehnung bisheriger Rechte

Ebene der Leistungen

q) Distributiv → Normalfall von Leistungsgesetzen


r) Redistributiv → Umverteilung von inkommen und Leistungen
s) protektiv → geringe Kosten, Schutz durch Normsetzung

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Regulierung und Governance


→ Die allgemein verbindlichen Regeln und Entscheidungen über Medienorganisationen und die
massenmediale öffentliche Kommunikation sowie deren Implementation stellen den Kern der
Medienpolitik dar. Dieser Kern kann als Regulierung bezeichnet werden.
Regulierung ist folglich ein Teilbereich von Politik: Nicht die Herstellung von regeln und
Entscheidungen, sondern die für allgemein verbindlich erklärten Regeln und Entscheidungen selbst
sowie deren Umsetzung durch Regulierungsakteure stehen im Zentrum.

Regulierung (Baldwin und Cave)


- Regulierung als jegliche Form sozialer Kontrolle
• stellt die breiteste Definition des Begriffes
• alle Mechanismen, die in irgendeiner Form das Verhalten beeinflussen, wären damit
bereits Regulierung. Hierunter fällt auch die Begriffsbestimmung von Ogus, wonach
Regulierung „any form of behavioral control, whatever the origin“ bezeichnet. Dieses
Verständnis von Regulierung ist noch sehr allgemein, weshalb solche Definitionen
letztlich zu wenig genau sind, um von großem Nutzen zu sein.
- Regulierung als intendierter Staatseinfluss
• benennt klar den Staat als Regulierungsakteur
• Regulierung umfasst in diesem Verständnis nicht nur Gebote und Verbote, sondern
auch andere Arten der Einflussnahme, etwa das Setzen ökonomischer Anreize,
Subventionen oder die Bereitstellung von Informationen zur Problemlösung. Zugleich
wird deutlich, dass Regulierung beabsichtigt ist, also aus bestimmten Gründen
erfolgt.
- Regulierung als Menge von Anordnungen
• Engt den Begriff weiter ein, indem Regulierung auf Gebote und Verbote beschränkt
wird. Andere Arten staatlicher Einflussnahmen werden dagegen nicht erfasst.

Definition
→ Regulierung wird als intendierter Staatseinfluss verstanden. Somit wird der Begriff erstens nicht
auf Gebote und Verbote beschränkt, womit auch andere Arten staatlicher Einflussnahme wie
finanzielle Anreize oder Überzeugung einbezogen sind.

→ Zweitens wird der Regulierungsakteur klar benannt, indem die Fähigkeit zur Regulierung nur
staatlichen Akteuren (Regierung, Verwaltung, Regulierungsbehörden) zugeschrieben werden.

→ Regulierung ist drittens mit einer bestimmten Intention verbunden. Es geht um das Erreichen
gesellschaftlich erwünschenswerter Dinge.

→ Viertens besteht Regulierung aus den drei Komponenten Regelsetzung, Regeldurchsetzung und
Sanktionierung von Regelverstößen.

„Staatliche Medienregulierung bedeutet, dass staatliche Akteure Regeln für Medienorganisationen


und die massenmediale öffentliche Kommunikation setzen, deren Einhaltung durchsetzen und
Regelverstöße sanktionieren.“ (Puppis 2007, 51)

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Ansätze der Regulierungstheorie (Puppis)


→ die theoretischen Ansätze zu Regulierung können anhand der Themen Interessen, Institutionen
und Ideen unterschieden werden.

Die Entstehung und Legitimation von Regulierung wird vornehmlich in interessenzentrierten


Ansätzen behandelt, während sich institutionenzentrierte Ansätze stärker auf die Art der
Regulierung innerhalb spezifischer institutioneller Arrangements konzentrieren. Ideenzentrierte
Ansätze schließlich kommen vor allem zur Anwendung beim Vergleich unterschiedlicher
Regulierungstraditionen und Kulturräume.

Interessenzentrierte Ansätze
→ Man unterscheidet zwischen normativen und positiven interessenszentrierten Ansätzen

Normative interessenszentrierte Ansätze


- Public-Interest-Theorie
• Staat als Vertreter des öffentlichen Interesses
• es wird die Aufgabe zugeschrieben, mit Hilfe von Regulierung kollektive Ziele
gegenüber individuellen Zielen zu verteidigen
• in der ökonomischen Perspektive geht es darum, im öffentlichen Interesse
Marktversagen zu korrigieren
o Märkte versagen beispielweise bei öffentlichen Gütern oder bei
Strukturproblemen des Wettbewerbs
o Regulierung besteht deshalb, weil es an ihr ein öffentliches Interesse gibt
• es gibt auch soziale Gründe für Regulierung
o Ziele wie qualitativ hochwertige Unterhaltungs-, Informations- und
Bildungsprogramme, Unparteilichkeit, größtmögliche Reichweite und
Unabhängigkeit sollen mittels Regulierung erreicht werden
• „Die Public-Interest-Theorie begründet Regulierung also normativ mit einem – wie
auch immer definierten – öffentlichen Interesse.“ (Puppis)

Positive interessenszentrierte Ansätze

- aus der Kritik an der Public-Interest-Theorie entstanden


- versuchen nicht Regulierung normativ zu begründe, sondern Auswirkungen von Regulierung
aufzuzeigen und zu erklären, welche Akteure ein Interesse an einer bestimmten Form der
Regulierung haben
- Regulatory Failure
• einzelne Regulierungsbehörden haben sich im Laufe der Zeit zunehmend von dem
Ziel der Durchsetzung des öffentlichen Interesses entfernt und stärker die Interessen
derjenigen in den Vordergrund gestellt, die sie eigentlich regulieren sollen

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• Capture Theory → geht davon aus, dass eine Regulierungsbehörden im Laufe ihrer
Existenz von ressourcenstarken ökonomischen Akteuren „gefangen genommen“
oder vereinnahmt wird
- Private-Interest-Theorie
• Annahme, dass Regulierung nicht aufgrund öffentlicher, sondern privater
Einzelinteressen erfolgt
• Grundlage der Theorie legte Stigler, der die Abhängigkeit politischer Akteure von der
Wirtschaft analysierte
o hier kann es zu einem Tausch von günstigen Regulierungsentscheidungen
gegen (Wahlkampf-)Gelder eingehe oder einem Einfluss auf Wählerstimmen
• Becker teilt die Grundannahme von Stigler, dass Regulierung in erster Linie den
privaten Interessen kleiner Gruppen – also Unternehmen und Politikern – dient und
damit eine Umverteilung gesellschaftlicher Ressourcen zur Folge hat
- positive Ansätze werden aus verschiedensten Gründen kritisiert
• ausschließliche Orientierung an der Nutzenmaximierung der einzelnen Akteure wäre
eindimensional es gibt auch andere Beweggründe wie Altruismus oder Ideologie
- sie helfen allerdings dabei, wichtige Aspekte des Regulierungsprozesses und Probleme der
Regulierung zu beleuchten – etwa den Einfluss, den (Medien-)Organisationen auf die
Regulierung haben

Institutionenzentrierte Ansätze
→ Beide Stränge der interessenzentrierten Ansätze blenden die Rolle von Institutionen aus und
vernachlässigen das Innenleben von Regulierungsbehörden:

→ Unter der Bezeichnung institutionenzentrierte Ansätze können verschiedenste Theorien


subsumiert werden, welche nicht Interessen, sondern institutionelle Strukturen, Prozesse und
Arrangements in den Mittelpunkt stellen.

- Agency-Theorie / Prinzipal-Agent-Theorie
• kommt aus der neuen Institutionsökonomie
• man geht davon aus, dass es eine Informationsasymmetrie zwischen dem Prinzipal
(Regulierung als politischer Auftraggeber) und Agent (Regulierungsbehörde als
Auftragnehmer) besteht und der Agent kann dies potenziell zum eigenen Vorteil
ausnutzen
• prinzipielle Frage → Wie kann es dem Prinzipal gelingen, den Agenten zu
kontrollieren, um sicherzustellen, dass die zugeteilten Aufgaben erfüllt werden?
- Neoinstitutionalismus
• betrachtet, inwiefern Strukturen und Prozesse der Regulierungsbehörde (verstanden
als eine Organisation) den Anforderungen der institutionellen Umwelt dieser
Behörde entsprechen

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Ideenzentrierte Ansätze
- Ideen, Ideologien und kulturelle Traditionen spielen eine bedeutsame Rolle
- US-amerikanische Regulierungstradition
• sehr zurückhaltend mit staatlichen Eingriffen
- Regulierung soll nur gewährleisten, dass wirtschaftliche Freiheit und freier Wettbewerb
gegeben sind
- Staatliche Eingriffe sind nur bei mangelndem Wettbewerb gern gesehen
- Französische Konzept der régulation
• eng verknüpft mit der Vorstellung, dass der Gesamtwille oder die Vernunft einer
staatlichen Gemeinschaft im Gesetz selbst zu finden ist
• allein dem Recht wird die Fähigkeit zugesprochen, den allgemeinen Volkswillen
auszudrücken
• die eigentlichen Entscheidungen werden hier vom Präsidenten und in einer
zentralistisch orientierten Verwaltung gefällt
- deutsche Regulierungstradition
• Regulierung als wesentliches Merkmal staatlichen Handelns und das immer Kontext
eines öffentlichen Interesses
• stark ausgeprägte legalistische (starr am Paragrafen festhaltend) Kultur

→ Mit ideenzentrierten Ansätzen kann beispielsweise erklärt werden, weshalb Rundfunk in den USA
dem Markt überlassen wurde, während in Europa soziale Ziele eine wichtigere Rolle spielten und es
zur Institutionalisierung öffentlicher Rundfunkorganisationen kam.

Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung


→ Ab dem 1970er Jahren kam es zu einer vermehrten Kritik an staatlicher Regulierung. Die Rede war
hier von Staatsversagen und vor dem Hintergrund der Krise der Weltwirtschaft kamen hier rechte
neoliberale Parteien an die Regierungen, die sehr starkes Vertrauen in die Kräfte des Marktes hatten.

Verständlich wird es erst unter Berücksichtigung der französischen Regulationstheorie, die


verdeutlicht, dass es einen Wechsel vom Fordismus in den Postfordismus gegeben hat.

Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung schlugen weitestgehend durch. Ausgangslage für


die Liberalisierung unterschied sich in den USA und Europa indes deutlich. Während in den USA
private Monopole geduldet und dafür staatlich reguliert wurden, verstaatlichten die
westeuropäischen Länder im 19. und 20. Jahrhundert private Monopolbetriebe, d.h. es wurden
öffentliche Monopolunternehmen gegründet. Bedingt durch diese unterschiedliche Ausgangslage,
erfolgte auch die Liberalisierung, als der Übergang zu mehr Wettbewerb, wiederum unterschiedlich.
Während in den USA die regulierten Märkte dereguliert wurden, war in Europa zusätzlich eine
Privatisierung der ehemals öffentlichen Monopolunternehmen notwendig.

→ Deregulierung wir in der politischen Debatte häufig mit einer Befreiung des Marktes vor angeblich
unnötigen Einschränkungen, also mit der Abschaffung von Regulierung gleichgesetzt.

→ Privatisierung bezeichnet ganz allgemein eine Übertragung aus dem öffentlichen in den privaten
Sektor. Etwas bisher staatliches wird also in den nichtstaatlichen Bereich verlagert.

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Formen der Privatisierung


- Organisationsprivatisierung (formelle Privatisierung) → Ein öffentliches Unternehmen wird
in eine private Rechtsform (z.B. Aktiengesellschaft) überführt, wobei der Staat Eigentümer
der Organisation bleibt.

- Vermögensprivatisierung → Eine Organisation, die bisher öffentliches Eigentum war, wird an


private Investoren verkauft.

- Aufgabenprivatisierung → Bisher staatliche Aufgaben werden ganz oder teilweise in den


privaten Sektor verlagert.

• Vollständige Aufgabenprivatisierung → Der Staat verzichtet darauf, eine bestimmte


Leistung weiterhin zu erbringen und deren Erbringung zu finanzieren. Damit
überlässt er die Erbringung dieser Leistung dem Markt.
• Finanzierungsprivatisierung → Kosten werden aus dem öffentlichen in den privaten
Sektor verlagert.
• Teilprivatisierung → Bisher vom Staat wahrgenommene Aufgaben werden zwar an
private Organisationen übergegeben, die Zuständigkeit und die Verantwortung für
die Aufgaben verbleiben indes beim Staat.

Reregulierung (Puppis)
→ Von dieser Entwicklung blieben auch die Massenmedien und die Telekommunikation nicht
verschont. Im Rundfunksektor beschränkte dich die Liberalisierung in den meisten Ländern auf eine
Deregulierung. Deshalb ist auch der Begriff der Dualisierung gebräuchlich: Der öffentliche Rundfunk
wurde nicht privatisiert, sondern neben ihn trat eine neue, private Säule.

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

Governance und Government


„Governance meint (...) das Gesamt aller nebeneinander bestehenden Formen der kollektiven
Regelung gesellschaftlicher Sachverhalte.“ (Mayntz zit. nach Puppis 2007, 59)

→ Während unter Government traditionelle Regulierung durch staatliche Akteure verstanden wird,
ist Governance ein umfassenderer Begriff, welcher neben staatlicher Regulierung auch Regulierung
udrch private Akteure umfasst. Insofern kann Governance als eine horizontale Ausweitung von
Government begriffen werden.

Formen der Media Governance (Puppis)

Horizontale Ausweitung der Medienregulierung


- Selbstregulierung meint, dass statt des Staates private Akteure für die eigene Branche
Regeln setzen, deren Einhaltung durchsetzen und Regelverstöße sanktionieren.
• Mit Selbstregulierung wird eine Reihe von Vorteilen in Verbindung gebracht:
o äußerst flexibel
o Fachwissen liegt bei den privaten Leuten
o für den Staat kostengünstiger
o unabhängig von Landesgrenzen
o Postulat der Unabhängigkeit der Medien vom Staat (laut Puppis sehr
wichtiger Vorteil von Selbstregulierung)
• Nachteile
o Medienorganisationen haben oft ein Interesse daran, mit Selbstregulierung
staatliche Eingriffe zu verhindern
o Es besteht die Gefahr, dass Selbstregulierung den Unternehmen lediglich zur
Kosmetik dient oder dass Selbstregulierung zu Durchsetzung eigennütziger
ökonomischer oder politischer Interessen missbraucht, wird
o Fehlende demokratische Legitimität von Selbstregulierungsorganisationen

- Co-Regulierung meint, dass private Akteure im Auftrag des Staates (gemeinsam mit
staatlichen Akteuren) Regeln für die eigene Branche setzen.

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

Vertikale Ausweitung von Regulierung (Puppis)


→ Medienorganisationen und die massenmediale öffentliche Kommunikation sind nicht nur von
Regulierung nationaler Ebene betroffen. Neben einer horizontalen ist folglich auch eine vertikale
Ausweitung von Government festzustellen: Staatliche Medienregulierung wird erweitert zu einer
European und Global Media Governance.

→ in der Global Media


Governance gewinnt heute
transnationales Regieren,
das heißt, die
grenzüberschreitende
Regulierung durch diese
privaten Akteure, an
Bedeutung

Begründungen für Medienregulierung

t) Technische Begründungen

• liefen sehr häufig über Frequenzknappheit → gilt für den Rundfunk


• Die Verbreitungsengpässe wurden durch technische Entwicklungen teilweise
beseitigt. Sowohl die Einführung neuer Distributionskanäle wie Satellitensysteme
oder Kabelnetze als auch die Digitalisierung der Übertragungstechnik erhöhten die
Zahl der übertragbaren Programme erheblich.
• Doch auch wenn das Frequenzspektrum zunehmend effizienter genutzt wird, bleibt
es beschränkt, weshalb die technische Begründung für Medienpolitik nicht völlig ihre
Relevanz verloren hat.
• Es gibt neue Gründe für staatliche Eingriffe: In den Fokus rücken diejenigen Firmen,
welchen die Distributionskanäle gehören, sie bestimmen als Gatekeeper darüber,
welche Sender verbreitet werden und somit, wer Zugang zum Publikum erhält.
• Häufig gehören sie Distributionsunternehmen zu vertikal integrierten Konzernen und
haben damit nicht nur die Mittel, sondern auch einen starken Anreiz, die eigenen
Programme zu favorisieren und Programme der Konkurrenz zu benachteiligen.
• Mit Regulierung können Betreiber von Kabelnetzen und anderen
Distributionskanälen verpflichten werden, gewisse Sender zu verbreiten → Must
Carry Regeln
• Es kann auch verlangt werden, dass die eingesetzte Technik und Software keinen
Anbieter diskriminiert.

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

u) Ökonomisch Begründungen

• Neoklassische Ansätze der Medienökonomie stellen Medienmärkte in den


Mittelpunkt.
• Medien werden wie alle anderen Güter – etwas Brot, Pullover oder Teller –
betrachtet.
• Güter werden auf dem Markt gehandelt und solange der Markt funktioniert, besteht
in dieser theoretischen Perspektive kein Grund für staatliche Eingriffe.
• Das zentrale Argument lautet, dass Medienmärkte eben nicht funktionieren, d.h. es
kommt zu einem sogenannten Marktversagen.
• Damit ist Regulierung auch ökonomisch rechtfertigt.

v) Gesellschaftlich-politische Begründungen

• „Die soziale, kulturelle und politische Bedeutung der Massenmedien stellt eine
wichtige Begründung für Medienregulierung dar. Sollen die Medien dieser
Bedeutung gerecht werden, so kann sich Medienregulierung nicht mit der Korrektur
von Marktversagen begnügen.“ (Puppis 2007, 84)
• Medien sind nicht nur Wirtschaftsgüter, sondern auch Kulturgüter.
• Die meisten Erfahrungen, die wir in unserem Leben machen, sind medienvermittelt.
• Massenmedien beeinflussen das soziale und kulturelle Leben, sie kreieren durch die
Verbreitung von Werten, Normen und Wissen eine gemeinsame Identität und tragen
damit zum Zusammenhalt und zur Integration der Gesellschaft bei.
• Besonders betonen kann man die politische Bedeutung der Massenmedien. Medien
stellen ein Forum für politische Debatten dar.
• Puppis formuliert es so, dass sie sogar Öffentlichkeit herstellen, dass wäre für das
Funktionieren moderner Demokratien überlebenswichtig.
• Wenn Medien nicht nur Wirtschaft, sondern auch Kulturgut sind, so stehen sie eben
in einem Spannungsverhältnis von Profitmaximierung und Wahrnehmung ihrer
öffentlichen Aufgaben.
• In rein kommerziellen Systemen entwickelt sich Medien Freiheit sehr schnell sich in
Richtung reiner Marktfreiheit oder zu dieser verkommt.

Ökonomische Begründungen für Medienregulierung


Markt und Marktversagen
- Märkte holen aus den vorhandenen Ressourcen das Maximum an nützlichen Gütern und
Dienstleistungen heraus
- Optimum wird dann erreicht, wenn so kostengünstig wie möglich das produziert wird, was
die Konsumenten wünschen
- Produktive Effizienz → ist dann gewährleistet, wenn so kostengünstig wie möglich
produziert wird
- Allokative Effizienz → ist dann gewährleistet, wenn das Güterangebot entsprechend den
Präferenzstrukturen der Konsumenten erstellt wird

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

Ursachen und Folgen von Marktversagen (Puppis)

Öffentliche Güter

→ Ein Gut hat dann den Charakter eines öffentlichen Gutes, wenn es vor allen Nachfragern
konsumiert werden kann und wenn kein Ausschluss vom Konsum möglich ist

- Nicht-Rivalität im Konsum → ein Gut kann von vielen Personen gleichzeitig konsumiert
werden, ohne dass dadurch der Konsum einer anderen Person eingeschränkt wird → führt
zur mangelnden Zahlungsbereitschaft → das führt wiederum zur mangelnden Bereitschaft
des Produzenten zu produzieren → Marktversagen
- Nicht-Ausschließbarkeit → Nichtzahler können nicht von der Nutzung des Gutes
ausgeschlossen werden

Externe Effekte

→ Bei externen Effekten handelt es sich um unmittelbare Auswirkungen ökonomischer Aktivitäten


auf unbeteiligte (= nicht in der monetären Interaktion) Dritte, die nicht berücksichtigt wurden und
auch nicht kompensiert werden.

→ Zeitungsberichte und Fernsehsendungen können Politikerkarrieren, Börsenkurse, Wertewandel,


Kriminalität oder ganz einfach das Befinden der Rezipienten beeinflussen.

Strukturprobleme des Wettbewerbs

→ Strukturprobleme des Wettbewerbs entstehen, wenn die Stückkosten der Produktion mit
steigender Ausbringung (kontinuierlich) sinken.

- Economies of Scale (Größenvorteile) → Wird die Betriebsgröße erhöht, steigen die


Produktionskosten weniger schnell als die produzierte Menge. Folglich sinken die Kosten je
produziertes Stück (Durchschnittskosten).

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

- Economies of Scope (Verbundvorteile) → Die Herstellung mehrerer Produkte durch dasselbe


Unternehmen ist billiger als die Produktion dieser Produkte durch verschiedene
Unternehmen.

→ Die Folge dieser Strukturprobleme des Wettbewerbs ist, dass der Monopolist am billigsten
produziert und für die Unternehmen in einem Markt ein großer Anreiz besteht, ein Monopol zu
Bildern und so den Wettbewerb auszuschalten.

→ Je größer ein Medienunternehmen ist, umso stärker können die sehr stark ausgeprägten Fixkosten
auf einzelne Output-Einheiten aufgeteilt werden.

- Fixkostendegression
• Im Mediensektor existiert eine einzigartige Fixkostendegression. Die Fixkosten im
fernseh-, Radio- und Zeitungsbereich sind sehr hoch, d.h. Medienprodukte zeichnen
sich durch hohe First-Copy-Kosten aus.

Informationsmängel

→ Können die Konsumenten die Qualität eines Produktes nicht erkennen und bewerten, hat dies
Auswirkungen auf das Funktionieren von Märkten. Die Qualitätsbewertung hängt von der Art des
Gutes ab

- Homogene Güter → Produzent und Konsument sind über die Qualität des Gutes vollständig
informiert

- Such- oder Inspektionsgüter → die Qualität des Gutes lässt sich vor dem Kauf durch
Beobachtung erfassen

- Erfahrungsgüter → die Qualität des Gutes kann erst nach dem Kauf und Konsum beurteilt
werden

- Vertrauensgüter → die Qualität des Gutes kann auch nach dem Konsum nur schwer beurteilt
werden

→ Die Konsumenten können ihre Qualitätspräferenzen nicht mit ihrer Zahlungsbereitschaft deutliche
machen. Folge davon ist die sogenannte adverse Auslese. Die Konsumenten sind nicht bereit, hohe
Preise für Güter zu zahlen, deren Qualität und Nutzen sie nicht kennen. Damit haben die
Produzenten keinen Anreiz, gute Qualität zu höheren Kosten herzustellen.

→ Wir wissen nicht, welche Qualität wir kaufen und welchen Nutzen das Produkt für uns hat, und die
Konsumentensouveränität ist stark eingeschränkt. Auf Medienmärkten kommt es somit zur
geschilderten adversen Auslese.

Meritorische Güter

→ Es handelt sich um gesellschaftlich erwünschte Güter, die nicht im ausreichenden Maße


produziert oder konsumiert werden. Das liegt daran, dass Konsumenten Präferenzen verzerrt sind.
Der Nutzer kann den Nutzer einzelner Güter selbst nicht beurteilen. Deshalb würden diese Güter –
klassische Beispiele sind Gesundheit, Bildung oder Kultur – nicht in dem Ausmaß konsumiert werden,

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

wie die als gesellschaftlich wünschenswert erachtet wird. Damit existiert eine Unternachfrage und
daraus resultierend eine Unterproduktion meritorischer Güter.

Folgen des Marktversagens


- Werbung → Die werbetreibende Wirtschaft zahlt Marktpreise für die verbreitung von
Werbebotschaften und die Kontaktchance mit bestimmten Publika. Das Publikum ist lediglich
eine Ware, dessen Aufmerksamkeit an die Werbewirtschaft verkauft wird.

- Öffentliche Finanzierung → Steuern, Gebühren oder Beiträge werden erhoben, um den


öffentlichen Rundfunk zu finanzieren. Das Publikum steht in seiner Rolle als Staatsbürger im
Mittelpunkt.

Anzeigen-Auflagen-Spirale (Puppis)

Dreieckstausch der Werbefinanzierung (Puppis)

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

Formen der Medienkonzentration (Puppis)


Horizontale Konzentration → Zusammenschluss von Medienunternehmen in einem Markt

Vertikale Konzentration → Zusammenschluss von Medienunternehmen auf vor- und nachgelagerten


Märkten

Multimediale (mediendiagonale) Konzentration → Zusammenschluss von Medienunternehmen


verschiedener Märkte (Multimediakonzerne)

Konglomerate (branchendiagonale) Konzentration → Zusammenschluss von Medienunternehmen


mit Unternehmen außerhalb des Mediensektors (Mischkonzerne)

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

5. Vorlesung

Medienpolitik aus verschiedenen Perspektiven

Medienpolitik und Politische Ökonomie

→ Will man die Implikationen gesellschaftlicher Entscheidungsverfahren (Preismechanismus,


Demokratie und wirtschaftliche Interessensgruppen) für die Medienpolitik fassen, so macht es Sinn,
sich mit Politischer Ökonomie näher zu beschäftigen.

Was versteht man unter Politischer Ökonomie der Medien?

Annäherung an die Frage in mehreren Schritten:


1. Schulensystematik
2. International Bibliography of Economics
3. Medienökonomie
4. Neue Politische Ökonomie

1. Schulensystematik (Steininger 2003)

- Konfusion und Unschärfe lassen sich bezüglich des Begriffs Politische Ökonomie zweifellos
diagnostizieren.
- Die einzelnen Begriffe übertreffen zahlenmäßig deutlich Differenzierungs- sowie
Systematisierungsversuche.
- Schikora unterscheidet etwa die marxistische Schule, die neo-ricardianische Schule und die
der Ökonomischen Theorie der Politik.
- Brandt hingegen Politische Ökonomie, Ökonomik, Politökonomie, Politische Wirtschaftslehre,
Sozialökonomie sowie Neue politische Ökonomie.
- Das, was einzelne Autoren versuchen zu betonen, was all diese Ansätze ausmacht, ist, dass
(mit Ausnahme der Politischen Ökonomie auf Grundlage der Modernen
Wirtschaftswissenschaft) alle eine kritische Haltung gegenüber der Neoklassik verbindet.
• es gibt aber keine Einigkeit über das Erkenntnisziel, das Objekt oder die Methode
dieser Theorien

2. International Bibliography of Economics (Bürgin und Maissen)

→ Aufgrund dieser begrifflichen Beliebigkeit und Unübersichtlichkeit haben Bürgin und Maissen
einen Blick in die International Bibliography of Economics geworfen und einige Kategorien
festgehalten, in denen unter „Political Economy“ subsumierte Artikel häufiger vorkommen:

1. Dogmengeschichte „History of Economic Thought“ → beschreibt die Entwicklung vom


mittelalterlichen Islam bis hin zu den Klassikern, vereinzelt auch bis zum 20. Jhdt.

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

2. Wirtschaftliche Tätigkeit „Economic Acticity“ → meint, dass hier Politische Ökonomie


einerseits im Spannungsfeld Politik und Wirtschaft gemeint wird (deutsche
Wiedervereinigung, irische Friedenspolitik usw.) und andererseits auch eine Betonung des
institutionellen Rahmens (vor allem „Property Rights“ Debatte)

3. Öffentlicher Sektor „Public Economy“ → mit starkem Gewicht auf Transformationen,


Deregulierung und Privatisierung, etwa in Osteuropa und der Dritten Welt

4. Weltwirtschaft „International Economics“ → meint, dass sich Politische Ökonomie auch mit
Welthandel, Globalisierung, Liberalisierung und Protektionismus befasst

3. Medienökonomie (Knoche)
- Neoklassik / Neoliberalismus (Neoclassicism/Neoliberalism)
- Neue Institutionen Ökonomie / Neue Politische Ökonomie (New Institutional
Economy/New Political Economy)
- Kritische Politische Ökonomie (Critical Political Economy)
- Marxistische Ökonomie (Marxist Political Economy)

4. Neue Politische Ökonomie (Behrends)

→ Theorien, die in den Kontext einer Politischen Ökonomie gestellt werden, verweisen zumindest
explizit auf eine Verbindung zwischen Ökonomie und Politik. Das wird in ganz unterschiedliche
Richtungen interpretiert. Manche fordern eine Politisierung ökonomischer Theorien, andere sagen,
dass sich politische Akteure gemäß der ökonomischen Logik verhalten würden.

Innerhalb der Volkswirtschaftslehre wird zwischen 2 Bereichen unterschieden: Makro- und


Mikroökonomie.

Makroökonomie → betrachtet wirtschaftliche Prozesse, wie Beschäftigung, Konjunktur und


Wachstum aus der Perspektive von Aggregaten (= zu Gruppen zusammengefasste Haushalte,
Unternehmen oder Güter)

Mikroökonomie → betrachtet das individuelle Wirtschaftssubjekt und befasst sich primär mit Kauf-,
Investitions- oder Produktionsentscheidungen einzelner Haushalte oder Unternehmen

→ Makroökonomische als auch mikroökonomische Analysen haben gemeinsam, dass sie vom Modell
des methodologischen Individualismus ausgehen.

Methodologischen Individualismus → Nur Individuen sind der Handlung fähig, Gruppen besitzen
keine eigenständigen Präferenzen.

→ Menschen entscheiden rational oder begrenzt rational. Das Individuum reagiert auf
Veränderungen seines Handlungsraumes ‚rational‘, d.h. in Wahrung seines relativen Vorteils. Es
handelt so, dass es den aus seiner Sicht unter den gegebenen Handlungsmöglichkeiten größten
Vorteil erzielen kann. Die Einschränkung ‚begrenzt rational‘ anerkennt dabei, dass das Individuum
über seine Handlungsmöglichkeiten und deren Folgen in der Regel nie vollkommen, sondern immer
nur unvollkommen informiert ist.

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

Makroökonomisch geprägte Neue Politische Ökonomie


→ Im Rahmen dieser geht man davon aus, dass makroökonomische Variablen (z.B.
Arbeitslosenquote, Inflationsrate, Volumen der Realeinkommen) die wirtschaftliche Lage
determinieren. Ist die Wählermehrheit mit dieser Lage zufrieden, liegt die Regierung auf der
Popularitätsskala auf einem hohen Niveau, also die Wahrscheinlichkeit einer Wiederwahl ist groß.

- Politische Konjunkturzyklen (Nordhaus)


• Im Mittelpunkt steht hier die wahlzeitgerechte Steuerung makroökonomischer
Variablen von den politischen Parteien, zu Gunsten bestimmter gesellschaftlicher
Gruppen.
• Nordhaus geht davon aus, dass es tatsächlich rational für Regierungsparteien ist,
solche politischen Konjunkturzyklen zu induzieren.
• Er begründet, dass damit die Wähler sich in ihrem wahlpolitischen Verhalten weniger
an den einzelnen Parteienprogrammen und vielmehr an der allgemein
wirtschaftlichen Lage insbesondere an der Höhe der Arbeitslosenquote und der
Inflationsrate orientieren.

- Wirtschaftswachstum (Olson)
• Olson ist draufgekommen, dass es ein Zusammenhang zwischen dem verbandlichen
Organisationsgrad und dem Wachstum einer Volkswirtschaft gibt

→ Je höher der Organisationsgrad, umso geringer das Wachstum

• Olson hat erkannt, dass es Zusammenschlüsse einzelner Wirtschaftssubjekte gibt,


mit dem Ziel der Wettbewerbsbeschränkung auf dem Markt (das können
Wirtschaftsverbände, Berufsverbände, Gewerkschaften oder oligopolistische
Kollusionen sein)
• Solchen Organisationen geht es um Umverteilung und nicht um die Vergrößerung
des Sozialprodukts → Umverteilung statt Vergrößerung

Mikroökonomisch geprägte Neue Politische Ökonomie


- Demokratie (Downs)
• unterschiedliche Interessen der verschiedenen Gruppen machen Politik aus
• Modell des politischen Wettbewerbs → politische Parteien handeln um
Einkommen, Macht und Prestige zu erlangen (mit einem staatlichen Amt verbunden
und können nur erreicht werden, wenn man gewählt wird)
• das Hauptziel der Regierenden = Wiederwahl
• auch die Bürger lassen sich von ihrer Nutzenmaximierung leiten und stimmen für
diejenige Partei, die ihnen durch ihre politischen Aktivitäten das höchste
Nutzeneinkommen ermöglicht
• Interessensgruppen nehmen eine vermittelnde Stellung zwischen Parteien und
Wähler ein

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

- Bürokratie (Niskanen)
• Modell des maximierenden Bürokraten → geht davon aus, dass der Bürokrat auf
eine Maximierung des Budgets (Gehalt, Nebenbezüge, Macht, öffentliches Ansehen)
aus ist
• Prinzipal-Agent-Ansatz → Sowohl das Amt (Verwaltungsorgan, Regierungseinheit)
als auch die Finanzierungsagentur (Parlament, übergeordnete Behörde) haben eine
Monopolstellung inne, aber die Parameter des Amtes sind von geringerer
Unsicherheit gekennzeichnet, deshalb nimmt dieses Amt gegenüber der
Finanzierungsagentur eine stärkere Stellung ein.

- Politische Unternehmer (Wagner)


• die Figur des politischen Unternehmers soll erklären, wie Interessen unorganisierter
Gruppen in politischen Willens- und Entscheidungsprozessen doch berücksichtigt
werden
• und zwar vor dem Hintergrund der Strategie der Wählerstimmenmaximierung lohnt
es sich für politische Unternehmer sich dieser Unzufriedenheit unorganisierter
Gruppen anzunehmen
• der politische Unternehmer versorgt diese Gruppen mit Information und entwirft für
sie Programme oder Reden
• somit kann gezeigt werden, dass latente Gruppen nicht nur durch selektive Anreize
formiert werden können, sondern auch durch politische Unternehmer

- Regulierung (Stigler)
• Stigler begreift Regulierung nicht als eine Folge von Markt- oder
Wettbewerbsversagen, sondern er ist ursprünglich davon ausgegangen, dass
Interessensgruppenforderungen oder eigennutzorientiertes Verhalten der Regulierer
dafür verantwortlich sind
• er befundet, dass es Unternehmen, Wirtschaftszweigen und Berufsgruppen gelingt,
Regulierungsaktivitäten des Staates zu ihren Gunsten zu beeinflussen
• regulierte Unternehmen, Wirtschaftszweige und Berufsgruppen können die
Regulierer einfangen und benutzen
• „Im Laufe der Zeit entwickelt sich immer mehr eine größtenteils unbemerkte
verwandtschaftliche Beziehung in welcher sich die Einstellung, das Denken und
Handeln der Regulierten auf die Verhaltensweise vieler
Regulierungskomissionsmitglieder überträgt.“ (Behrends)
• Ökonomischen Gründe für Regulierung → existenzöffentliche Güter, mangelnde
Internalisierung, negative externe Effekte

- Institutionen (Williamson)
• Institutionen- und Transaktionstheorie → stammt aus der Erkenntnis, dass
Errichtung und Erhaltung von Institutionen letztlich dazu führt, dass Kosten
verursacht werden → es geht darum Kosten zu minimieren
• Williamson untersuchte insbesondere die ökonomischen Institutionen,
Unternehmen, Markt und Kooperation und verdeutlichte, dass diese der Einsparung
von sogenannten Transaktionskosten diene.

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

• Williamson verdeutlicht warum wirtschaftliche Aktivitäten teilweise innerhalb von


Unternehmen und nicht ausschließlich über Märkte abgewickelt werden
• Grund hierfür ist der Umstand, dass die Nutzung der Institution Markt, Kosten der
Beschaffung, Auswertung von Information sowie der Aushandlung verursacht →
Transaktionskosten
• die Institution der Unternehmung dient dazu, solche Kosten einzusparen
→ der institutionelle Rahmen ist demnach äußerst wichtig für ökonomische
Ergebnisse
• Grundsätzlich kann man sagen, dass die politische Ökonomie und die
Institutionenökonomik diesen Bereich der Institution sehr stark ins Auge fassen, weil
sie sagen, man kann bestimmte marktliche Ergebnisse nicht verstehen, wenn man
dieses gesamte institutionelle Gefüge (fundamentale Institutionen, Menschenrechte,
konkrete Gesetze) nicht mit in den Blick nimmt.

Anwendung der Gruppentheorie (und Güterlehre) auf die Medien


„Welchen Vorteil können am Gewinn orientierte Presseunternehmer aus einem Verhalten ziehen, ein
Gesprächsforum für kontroverse Diskussion bereitzustellen, wenn sie den Nutzen, den diese Tätigkeit
abwirft, individuell nicht zurechnen können, bei der Masse ihrer gegenwärtigen und potentiellen
Kunden der Verkauf des Produktes sogar ‚disutility‘ (Dissonanzen) auslöst? (Röpke 1970)

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

6. Vorlesung

Medienpolitik aus verschiedenen Perspektiven

Politische Entscheidungs- und Steuerungssysteme

Politische Ökonomie
- Wirtschaft und Politik sind interdependente (= nicht getrennte) Systeme

- Politische Steuerungssysteme sind im Bereich der Wirtschaft nicht systemfremd

Politisch-ökonomisches Modell
Die Interdependenz von staatlichem und wirtschaftlichem Sektor einer Gesellschaft lässt sich im
Grundmuster grafisch darstellen:

→ Der untere Teil der Grafik stellt den Einfluss wirtschaftlicher Variablen wie Inflationsrate,
Arbeitslosenquote etc. auf die ‚Popularität‘ der Regierung bei den Wählern dar und damit auf ihre
Chance, bei den nächsten Wahlen wieder- oder abgewählt zu werden. Der obere Teil der Grafik
skizziert den Einfluss politischer Variablen auf die Wirtschaft, wobei hier – gestrichelte Linie –
Regulierung als eine für die Medienwirtschaft wichtige Einflussnahme hinzugefügt wurde. Die
regierenden Parteien versuchen mit Hilfe des der Regierung zur Verfügung stehenden
wirtschaftspolitischen Instrumentariums ihre Ideologien, zum Beispiel in Form einer
angebotsorientierten (Verbesserung der Investitionsbedingungen für die Unternehmen/Anbieter)
oder einer nachfrageorientierten (Staat tritt als Nachfrager auf) Politik durchzusetzen und etwa die
Staatsquote zu verringern (angebotsorientierten) oder zu erhöhen (nachfrageorientierten).

Staatsquote → (Staatlicher Konsum + Staatlichen Investitionen) / Bruttoinlandsprodukt

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

Restriktionen, die sich sowohl aus der staatlichen Verwaltung einschließlich gesetzlicher oder
vertraglicher Festlegungen als auch aus Budgetbeschränkungen ergeben, setzen dem politischen
Handeln Grenzen. Aber immer beeinflusst der politische Bereich die Wirtschaft und umgekehrt.

Geht man mit der Verfassungsökonomik davon aus, dass im Gesellschaftsvertrag die Bürger eines
Landes sowohl die Abgrenzung zwischen privat und kollektiv geregeltem Bereich wie auch die Frage,
welche Entscheidungsmechanismen wann und wie zur Anwendung kommen sollen, im Grundsatz
geklärt haben, dann geht es im konkreten Fall nicht mehr um eine prinzipielle, sondern um eine
pragmatische Frage, wenn beide Steuerungssysteme laut Grundkonsens möglich sind.
Diese pragmatische Frage lautet, welches der Steuerungssysteme Markt oder öffentliche
Verwaltung das mit Blick auf gegebene Leistungsziele – wirtschaftliche, im Medienbereich vor allem
gesellschaftliche und publizistische Ziele wie Meinungsfreiheit und Meinungspluralismus –
geeignetere, effektivere und/oder effizientere ist.

→ Wenn es um das Erreichen von öffentlichen ziele geht, dann ist das Zielkriterium der Effizienz
besonders wichtig. Dabei zeigen sich entgegen der weit verbreiteten Annahme von der geringen
Effizienz öffentlicher Unternehmen keine Unterschiede zwischen öffentlicher und privater
Produktion, wenn genau die gleichen (also homogene) Güter produziert werden und die
Rahmenbedingungen für beide Arrangements identisch sind.
Das legt den Schluss nahe, dass Effizienzunterschiede, wenn sie auftreten, in den Leistungszielen und
nicht in den Steuerungsmechanismen begründet sind.

→ Regulierung und Deregulierung lassen sich aber auch als Ergebnis politischer
Auseinandersetzungen zwischen Interessengruppen und Staat bzw. als Ergebnis von Verhandlungen
begreifen. (Kiefer)

Staatlich-politisches Handeln
Staatlich-politisches Handeln ist vielfältig abgestuft möglich…

- direkte Leistungserstellung (durch staatliche oder öffentliche Unternehmen)


- Regulierung (Auslagerung von Teilaufgaben in den privaten Sektor oder eine völlig
marktliche Bereitstellung)
- Markt

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

Organisationsformen für öffentliche Leistungsprozesse


Wolff bietet zwei Kriterien an, nach denen die Zuordnung zu den vier Organisationsmöglichkeiten
erfolgen kann:

→ Strategische Relevanz des Outputs (x-Achse) meint die Bedeutung der Leistung bzw. Teilleistung
für die Kernaufgabe der Organisation, bei öffentlicher Organisation, dass „eine Leistung
unverzichtbares Mittel zur Erreichung vorgelagerter politischer Ziele ist. In Österreich und
Deutschland hat man im Bereich des Rundfunks den Eindruck, dass die Planung und Bündelung von
Rundfunk-Programmen zu den Kernaufgaben gehört. Aber die Produktion vom Programm kann
durch Auftrags- oder Kaufproduktionen ersetzt werden.

→ Spezifität des Inputs (y-Achse) meint die Spezifität von Investitionen. Also, für welche Stufen des
Leistungsprozesses sind spezifische Investitionen (Rundfunkfrequenzen oder Fachleute wie
Auslandskorrespondenten z.B.) erforderlich. Hohe Spezifität von Investitionen ist immer mit der
Gefahr potenzieller Ausbeutbarkeit verbunden und daher einer der wichtigsten Gründe für vertikale
Integration, das gilt auch für öffentliche Unternehmen.

Sektor A → hohe strategische Bedeutung des Leistungsbereichs für die Kernaufgabe der
Organisation sowie hohe Spezifität der Investitionen erfordern öffentliche Leistungserstellung,
Fachleute im öffentlichen Dienst werden tätig → öffentlich-rechtlicher Rundfunk

Sektor B → bei strategisch wichtigen Aufgaben/gesetzlichen Normen von geringer Spezifität bietet
sich die Regulierung als Organisationsform an → reguliert-privater Rundfunk

Sektor C → Sowohl die Inputspezifik wie die strategische Bedeutung des Outputs sind gering. Vor
allem Dienstleistungen für die nur unspezifisches Humankapital erforderlich ist, können auf dem
Markt nachgefragt werden.

Sektor D → Expertenwissen zum Beispiel ist erforderlich, aber für die Kernaufgabe ist die Bedeutung
der Teilleistung gering. Zumeist handelt es sich um Aufgaben, die Projektcharakter haben, wie die
Einführung eines neuen Datenverarbeitungssystems, bei dessen Entwicklung und Einführung man
mit einem spezialisierten externen Dienstleister zusammenarbeitet.

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

Öffentliche Unternehmen und regulierte erwerbswirtschaftliche


Privatunternehmen
- Handlungsparameter unterscheiden sich diametral

- zentrale Unterschiede in den Zielhierarchien

Medieninstitutionalisierung
→ Idealtypische Organisationsprinzipien öffentlichen und privaten Rundfunks

→ Aus ökonomischer Perspektive sind öffentliche Unternehmen nur dann zulässig, wenn sie
besondere öffentliche Aufgaben wahrnehmen und sie müssen gemeinwohlorientiert sein.

Man kann öffentliche und private Medienunternehmen als Modelle einer unterschiedlichen
Institutionalisierung von Medien begreifen. Private Medienunternehmen wären dann dem
Liberalismus-Modell zuzuordnen, öffentliche Medienunternehmen dem

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

Sozialverantwortungsmodell. Im ersten Modell haben, dem Marktmodell folgend, das Individuum


und seine Bedürfnisse Vorrang vor der Gesellschaft, im zweiten wird eine Verantwortung der Medien
gegenüber der Gesellschaft postuliert, gesellschaftliche Bedürfnisse stehen gleichberechtigt neben
privaten.

Öffentlich-rechtlich organisierte Medien gehören in den Bereich der öffentlichen Wirtschaft. So hat
der öffentliche Rundfunk in Deutschland die Rechtsform einer Anstalt des öffentlichen Rechts und ist
eine Nonprofit-Organisation. Private Medienunternehmen sind erwerbswirtschaftlich orientiert, also
Forprofit-Organisationen.

Beim Organisationszweck wird differenziert zwischen einem Sachziel und einem Formalziel.

Sachziel bei den Privatwirtschaftlichen → Einschaltquoten; Publikumsmaximierung in einer


bestimmten Zielgruppe

Sachziel bei den Öffentlich-Rechtlichen → Erfüllung der öffentlichen Aufgabe oder des
Programmauftrags

Formalziel bei den Privatwirtschaftlichen → Rendite für privates Kapital zu erwirtschaften;


Gewinnmaximierung

Formalziel bei den Öffentlich-Rechtlichen → wirtschaftliche Haushaltsführung

→ bei den Privatwirtschaftlichen gibt es eine Dominanz des Formalzieles → Gewinnmaximierung

→ bei den Öffentlich-Rechtlichen gibt es eine Dominanz des Sachzieles → Erfüllung der
###
öffentlichen Aufgabe

Außenpluralismus (Privatwirtschaftlich) → es soll eine Vielzahl von Anbietern geben, die sich auf
Märkten treffen

Binnenpluralismus (Öffentlich-Rechtlich) → Vielfalt der Gesellschaft soll in Gremien innerhalb des


Unternehmens angelegt werden

Public Value Konzept


→ Es gibt schon seit immer eine Debatte über den gesellschaftlichen Stellenwert der öffentlich-
rechtlichen Organisationsform von Rundfunk. Geführt wird diese Debatte bevorzugt unter dem
Begriff Public Value.

In Europa ausgelöst wurde sie von der BBC mit dem 2004 vorgelegten Papier „Building public value“.
Das Papier, zur Abstützung der BBC-Position in der öffentlichen Auseinandersetzung über eine
Verlängerung der Royal Charta, der rechtlichen Basis der britischen Institution publiziert, definiert
„Public Value“ als aus drei Komponenten bestehend:

1. „Value to people as individuals“ → also individuelle Bedürfnisbefriedigung

2. „Value to society as a whole – to people as citizens – by contributing to the wider well-


being of society“ → also kollektiver Nutzen, Befriedigung kollektiver/gesellschaftlicher
Bedürfnisse
35
Andrea Bilanovic WS 2022/23

3. „Impact on the performance of the commercial market – its net economic value“ → also
eine Art ökonomischer Kosten-Nutzen-Analyse der Existenz der BBC und ihrer Dienste

→ Die EU-Kommission griff im Rahmen medien- und wettbewerbspolitischer Auseinandersetzungen


über die Gebührenfinanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und dessen Engagement im
Onlinebereich Ideen des BBC-Papiers auf und legte in der novellierten Rundfunkmitteilung von 2009
Eckdaten für einen EU-weiten Drei-Stufen-Test fest.
Danach sollen die Mitgliedsstaaten mit dualem Rundfunksystem in einem Vorabverfahren prüfen, ob
neue audiovisuelle Dienste ihrer öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten den demokratischen,
sozialen und kulturellen Bedürfnissen ihrer Gesellschaft dienen und dieser ‚Public Value‘ eventuelle
nachteilige Marktwirkungen übertrifft.

→ Der Begriff „Public Value“ kommt aus den USA und wurde vom Harvard-Ökonom für Nonprofit-
Organisation Mark H. Moore als zentrales Konzept einer Managementstrategie für die öffentliche
Verwaltung entwickelt.

Kernaussage von Moore → Public Value kann nur durch Dienstleistungsangebote und
Dienstleistungsnachfrage gemeinsam produziert werden.

→ Die Verknüpfung von Dienstleistungsökonomik mit den Ansätzen zu meritorischen Gütern ist
ebenso an Moore seinem Public Value-Konzept interessant. Laut ihm gibt es eine Verpflichtung der
Bürger sich meinungsfähig zu machen.

Fragen, die hier auftauchen können:

Wie kann das in der Regel unorganisierte Publikum seine Vorstellungen von Public Value bündeln
und angemessen in den Meinungswettbewerb einbringen? Muss das Publikum, und wenn ja, wie
kann es in die Planungs-/Konzeptionsphase von Public Value-Angeboten einbezogen werden? In
welchem Verhältnis stehen Programmauftrag, Auftragsinterpretation der öffentlichen Organisation
und Publikumsvorstellungen von Public Value?

Staatliche Regulierung
→ Abgrenzungsvarianten von Regulierung (Seufert/Gundlach)

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

Unter Regulierung werden alle Maßnahmen des Staates zur gezielten Beeinflussung von Pro-
duzenten und Konsumenten verstanden, einschließlich aller Aktionsprogramme und finanziellen
Anreizsysteme. Außer rein hoheitlichen Regulierungsinstitutionen werden auch institutionelle Ar-
rangements der Ko-Regulierung einbezogen, in denen Institutionen der Selbstregulierung auf ge-
setzlicher Grundlage tätig werden.

→ Mögliche Determinanten der Entscheidung eines Regulators (Kyrer)

Kooperationsformen zwischen Staat und Privatwirtschaft


Mit Blick auf das auch im Medienbereich konstatierte Staatsversagen stellt sich die Frage, ob
Verhandlungssysteme und andere kooperative und konsensuale Formen administrativen
Entscheidens auch hier Anwendung finden könnten oder bereits finden. Wandelt sich der souveräne
Hoheitsstaat angesichts der offenbar werdenden Wirkungsschwächen imperativ-hierarchischen
Verwaltungshandelns auch im Medienbereich zum kooperativen Konsensualstaat?

Ökonomen unterscheiden drei Gruppen neuer Kooperationsformen zwischen Staat und Privaten, die
das hierarchische Subordinationsverhältnis ablösen durch eine Mitwirkung der von der Politik
betroffenen nichtstaatlichen Akteure: Verhandlung, Regulierungsvertrag und Beteiligung.

Verhandlung

- Der Staat entscheidet über Änderungen, die Auslegung und Anwendung von Recht nicht
souverän, sondern konsensual, d.h. im Einvernehmen mit den betroffenen privaten
Akteuren und Interessengruppen.
- Die maßgebliche Rechtsbeziehung zwischen dem Staat und den Privaten wird durch
Vereinbarung festgelegt.
- Die Novellierung der Konzentrationsmessung und -begrenzung des privaten Fernsehens im
Rundfunkstaatsvertrag von 1997 kann ganz offensichtlich als Verhandlungsrecht im oben
definierten Sinne eingestuft werden.

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

Regulierungsvertrag (regulierte Selbstregulierung)

- Der Staat verzichtet in einem zu regulierenden Bereich auf detaillierte ex ante-Regelungen


und gibt nur Rahmenbedingungen vor, beschränkt sich auf eine sogenannte strategische
Regulierung.
- Die privaten Akteure im zu regulierenden Bereich schaffen Formen der Selbstkontrolle, die
den Rahmenbedingungen entsprechen.
- Beispiele wären die Gründungsgeschichte von Presseräten oder die Freiwillige
Selbstkontrolle Fernsehen.

Beteiligung (Public Private Partnership)

- Der Staat Diese dritte Gruppe der neuen Kooperationsformen zwischen Staat und
Privatwirtschaft fasst Formen gemeinsamer Aufgabenerfüllung zusammen.
- Spezielle Inputs, die aber nicht zum Kernbereich der öffentlichen Aufgabe zählen, werden
mit privaten Unternehmen als Kooperationspartnern erstellt.
- Auch der Austausch von Führungstechniken und Leitungsprinzipien gehört hierher, so wenn
sich öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten von privaten Firmen der
Unternehmungsberatung eine neue Organisations- und Managementstruktur im Sinne von
New Public Management anpassen lassen.
- Als ein typisches Beispiel für Public Private Partnership sind die Aufwendungen des
öffentlich-rechtlichen Fernsehens für Leistungen der Filmwirtschaft (Auftragsproduktionen,
Kopierarbeiten, Ateliermieten, Synchronisation und Erwerb von Ausstrahlungsrechten) zu
verstehen, deren Bedeutung für die deutsche Filmwirtschaft unbestritten ist.

Neue Kooperationsformen zwischen Staat und Privatwirtschaft (Himmelmann)


Die neuen Kooperationsformen zwischen Staat und Privatwirtschaft, die ja, wie die Regulierung im
klassischen Sinn Formen von öffentlicher Bindung vor allem auch privater Unternehmen darstellen,
sind an einige Erfolgsbedingungen geknüpft. Himmelmann sieht als wesentliche Bedingungen:

- starke Verflechtungen zwischen Staat und Wirtschaft → beide Seiten müssen über
wirksame Veto-Positionen verfügen, um autonome Entscheidungen des jeweils anderen
Kooperationspartners blockieren zu können

- hoher Organisations- und Zentralisationsgrad der gesellschaftlichen Interessen → die an


den Verhandlungen teilnehmenden Organisationen müssen hohe Repräsentativität
gewährleisten und ein Disziplinierungspotenzial gegenüber ihren Mitgliedern, vor allem aber
auch gegenüber Außenseitern haben

- Kooperationsbereitschaft der Vertreter von zu regulierenden Interessen aber auch auf


Seiten des Staates.

→ Neokorporatistische Kompromisssysteme und Krisenkartelle gleichen sich

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

Aus einer demokratie-theoretischen Perspektive lassen sich diese Entwicklungen in Richtung


Selbstregulierung als problematisch beschreiben. Himmelmann sieht vor allem folgende Gefahren…

- Dass hier neue Formen geschlossener Kartelle von Entscheidungsprivilegierten geschaffen


werden. Die Insider solcher Entscheidungssysteme einigen sich auf Kosten von Außenseitern
und Nichtrepräsentierten.
- Dass diese neuen Formen sozioökonomische Machtungleichgewichte in der Gesellschaft
reproduzieren, weil Organisations- und Artikulationsfähigkeit in der Gesellschaft ungleich
verteilt sind
- Dass außer- und vorparlamentarische Entscheidungskonsultationen noch stärker als bisher
- vermachten und verkrusten
- Dass dies die Gefahr einer weiteren Unterwanderung und Delegitimierung der zuständigen
repräsentativ-demokratischen Entscheidungsinstanzen, insbesondere der Parlamente, birgt
- Dass sich der Charakter der Spitzenverbände organisierter Interessen verändert, indem sie zu
einer quasi-hoheitlichen Instanz gegenüber Mitgliedern und Außenseitern werden.

→ Im Medienbereich muss solchen Kompromisssystemen mit Skepsis begegnet werden. Grund dafür
ist die mangelnde Organisiertheit und Organisierbarkeit des Publikums.

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

Medienpolitik und Institutionenökonomik

→ Staatliches Handeln ist heute immer stärker durch kooperative weiche Steuerung geprägt. Es gibt
Absprachen mit der Medienwirtschaft, es werden finanzielle Anreize geboten, es gibt informelles
Verhandlungshandeln. Auf der Ebene des dualen Rundfunksystems hat sich für die Politik und die
Wirtschaft als institutionelles Arrangement die Beherrschungsstruktur Aushandlung durchgesetzt.

Medienpolitik und Aushandlungen


„[I]mmer stärker begibt sich die Politik mit den gesellschaftlichen Akteuren auf den Weg von
Aushandlungen“. (Grimm, 2001)

→ Etwa von Vogel wird verdeutlicht, dass Parteien und staatliche Instanzen primär nach der
Maximierung des Einflusses auf die öffentliche Meinung streben. Medienunternehmen und ihre
Verbände zielen hingegen primär auf ökonomische Interessen ab.

Was Lindbeck schon in den 70er Jahren gegenüber der Ökonomik formuliert hat, nämlich den
Vorwurf der Vernachlässigung der Interaktionen zwischen ökonomischen und politischen Faktoren.
Dieser Vorwurf muss der Kommunikationswissenschaft trotzdem gemacht werden.

In Bezug auf die Innenpolitik bestand Lindbecks Kritik daran, dass Ökonomen die Aktivitäten
ökonomisch und politisch gut organisierter Gruppen weitgehend negiert haben. Sie haben auch
deren Einfluss auf die Gesetzgebung und die öffentliche Verwaltung auf Kosten unterprivilegierte
Minderheiten negiert.

Aushandlungen und deren Kosten


→ Erst Kiefer verdeutlichte in ihrer Medienökonomik, dass die aus Aushandlungen resultierenden
Vorteile lediglich Politik und Wirtschaft lukrieren.

„Für den Bereich der Medien ist die mangelnde Organisiertheit und Organisierbarkeit des Publikums
ein zentraler Punkt, der Skepsis gegenüber neokorporatistischen Kompromisssystemen angeraten sein
lässt“. (Kiefer 2001, S. 390)

Wie stellt sich Medienpolitik aus ökonomischer Perspektive dar?


→ Das Verhältnis von Ökonomie und Politik wird unterschiedlich zu fassen versucht. Manche
Autoren fordern eine Politisierung ökonomischer Theorien, manche betonen, dass politische Akteure
sich der ökonomischen Logik gemäß verhalten.

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

Wiederholung: Makroökonomisch geprägte Neue Politische Ökonomie


- Politische Konjunkturzyklen (Nordhaus)

Wiederholung: Mikroökonomisch geprägte Neue Politische Ökonomie


- Demokratie (Downs)
- Bürokratie (Niskanen)
- Politische Unternehmer (Wagner)
- Regulierung (Stigler)
- Institutionen (Williamson)

Begriff Institution
→ Die Institution der Unternehmung dient beispielsweise Kosten einzusparen, Transaktionskosten
machen mehr als die Hälfte des Bruttosozialproduktes eines Industriestaates aus. Der institutionelle
Rahmen ist für ökonomische Ergebnisse äußerst relevant.

Auch die Organisationsstruktur moderner Unternehmungen können als Systeme zur Einsparung von
Transaktionskosten und vor allem zur Risikominderung verstanden werden. Hier werden Markt und
Wettbewerb, die üblicherweise als wichtiges Koordinationsmittel gelten, durch die ökonomische
Institution Unternehmung ersetzt. Aber auch Verhandlungssysteme dienen primär der Einsparung
von Transaktionskosten.

Zum Begriff Institutionen ist zu sagen, dass dieser definitorisch nicht eindeutig geklärt ist.
Definitionen reichen von schriftlich fixierten Regelungen bis hin zu tradierten Normen und Werten
einer Gesellschaft.

Spricht ein Autor von Ordnung, so betont ein anderer in seiner Begriffsdefinition die Beschränkung.

Aber: Dort wo Institutionen in den Wirtschaftswissenschaften anerkannt werden, ist auch deren
Einfluss auf die Wirtschaftssubjekte unbestritten.

Die Neoklassik hat hingegen Institutionen zu bloßen Restriktionen umgedeutet.

Und in der Politikwissenschaft geht man zumeist von einem ‚sehr handfesten’ Institutionenbegriff
aus. Es geht um reale Gebilde wie Parlamente, Regierungen oder Kabinette.

Im Rahmen ihrer ökonomischen Theorie der Medien begreift Kiefer Institutionen als Formen sozialer
Handlungen, die unser Leben strukturieren und dadurch Unsicherheit vermindern – „Institutionen
schaffen Richtlinien für Interaktionen.“

Die vielfältigen als Institutionen bezeichneten Phänomene haben eine Gemeinsamkeit, sie bilden die
Grundlage von Erwartungen. Gewöhnlich werden Institutionen auch danach unterschieden, ob sie
Regeln und Normen oder korporative Gebilde sind. Korporative Gebilde werden auch als organisierte
soziale Zusammenschlüsse (Staaten, Parteien, Unternehmen) bezeichnet. Man spricht hier auch von
sekundären oder abgeleiteten Institutionen, die auf vorgelagerten Institutionen ruhen.

Kiefer bezieht sich in ihrer definitorischen Klärung der Begriffe Organisation und Institution letztlich
auch auf Schmoller, der erstere als „die persönliche Seite der Institution“ begreift.

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

So werden beteiligte Personen ins Zentrum gerückt, eine Unterscheidung in formale und informelle
Organisationen wird ermöglicht.

Institutionen → werden geschaffen, um Möglichkeitsräume entweder zu schaffen oder


einzuschränken

Organisationen → werden geschaffen, um diese Möglichkeitsräume nutzen zu können

Organisationen gelten anders als fundamentale Institutionen als gestaltbar, werden aber hinsichtlich
ihres Gestaltungsspielraums durch vorgelagerte Institutionen begrenzt.

„Diese Begrenzung sichert letztlich die Kohärenz eines gesellschaftlichen Institutionengefüges, auch
wenn sich dieses, auf den unterschiedlichen Stufen noch dazu mit unterschiedlicher Geschwindigkeit,
ständig wandelt.“ (Kiefer)

Beim Wandel von Institutionen spielen Organisationen eine zentrale Rolle. Wenn Unternehmen als
ökonomische Organisation erkennen, dass sie mit der Veränderung des institutionellen Rahmens
größere wirtschaftliche Erfolge erzielen könnten, ist der erste Schritt getan, um auch die
Institutionen zu verändern.

Institution und Organisation

→ Institutionenhierarchie

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

Institution und Organisation (Beispiel Bertelsmann Stiftung)

Medienwandel / Wandel von Medienpolitik


- Saxer fordert zu Recht „vermehrt wissenschaftstheoretische Reflexionen über die
Theoretisierung von Wandel“.
- Zur Befassung mit Medienwandel bedürfe es „vieldimensionaler, hochkomplexer Modelle“.

- Begründet wird dies von Saxer (1994, 348) wie folgt:


„Das Mediensystem ist ja über sein Produkt Medienkommunikation ein unendlich
multideterminiertes System, und schon das Problem der disparitären
Wandlungsgeschwindigkeiten all der involvierten Systeme wirft die größten Schwierigkeiten
auf, Wandel hier modellhaft abzubilden.“

- Belege für die Feststellung Saxers lassen sich in der Literatur an vielen Stellen finden.
- Oftmals werden dabei als verantwortlich für Medienwandel mehrere, zumeist ökonomisch
determinierte Prozesse benannt:
• etwa der Wandel des intermediären Verhältnisses von Presse und Rundfunk
• des Werbevolumens
• des Verhältnisses von Medien zu Politik und Wirtschaft
• sowie Konzentration und Internationalisierung

- Hinsichtlich der Ursachen medialen Wandels gibt insbesondere die Medienwissenschaft sehr
heterogene Antworten.

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

- So postuliert Maresch ein ‚medientechnisches Apriori’, welches die Medienentwicklung


determiniere.
- Hickethier verweist zu Recht darauf, dass die Betonung der Technik als die Politik, Ökonomie
und Kultur determinierende Basis nicht mit den Befunden der Mediengeschichtsschreibung
in Einklang zu bringen ist.
• „Denn bislang gilt [...] das Modell einer sozial- und alltagsgeschichtlichen Einbettung
der Medien“.

- Die Befunde Saxers und Hickethiers korrespondieren auch mit jenen von Krotz, der sich mit
der Frage nach dem Zusammenhang von Medienwandel und Gesellschaftswandel
beschäftigt.
- So wird nach Krotz Medienwandel von einigen Autoren als Teil und Ausdruck von
Gesellschaftswandel begriffen, andere sehen ihn als Folge gesellschaftlichen Wandels,
wieder andere als Ursache.
- Krotz konstatiert wohl zu Recht, dass alle drei Typen von Zusammenhängen wahrscheinlich
gleichzeitig stattfinden.

Wandel politischer und ökonomischer Strukturen


→ Bis heute zeichnen sich die Arbeiten der Evolutorischen Ökonomik dadurch aus, dass der Begriff
der Evolution in ökonomischen Systemen als nicht geklärt gilt. Gemeinhin wird mit Evolution eine
allmählich fortschreitende Entwicklung, in der Biologie die stammesgeschichtliche Entwicklung der
Lebewesen von niederen zu höheren Formen beschrieben. Der Begriff der Evolution ist aber selbst
unter Evolutionsbiologen nicht konsensual festgelegt.

„Sie [die Evolution, Anm. d. Verf.] ist zwar mächtig, aber dennoch lediglich ein blinder und planloser
Prozess.“ (Meyer)

Evolutorische Ökonomie - Geschichtliche Wurzeln der Wirtschaftstheorie

→ er ist auf die Abbildung


nicht näher eingegangen

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

Institutionenökonomik

- Im Merkantilismus fanden die Praktiken der antiken und mittelalterlichen Kaufleute ihre
Fortschreibung.
- Anders als im Colbertismus, der die Förderung gewerblicher Manufakturen forderte,
betonten die deutschen Kameralisten, dass das Wohl des Staates von der Größe der
Bevölkerung und geordneten Finanzen abhängt.
- Die Deutsche Historische Schule wurde von den Kameralisten beinflusst.

- Vertreter der jüngeren Historischen Schule sind Schmoller und Sombart.


- Knies, Schäffle und Bücher zählen zur älteren Historischen Schule.
- Vor allem Bücher ist aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive von Interesse, gilt er
doch als Gründervater der Zeitungskunde.
- Schon zwischen 1884 und 1890 hielt er Vorlesungen zum Pressewesen in Basel.
- In seiner Entstehung der Volkswirtschaft befundet er, dass die Zeitung eine kapitalistische
Unternehmung sei.

- Knies betonte die Notwendigkeit einer nationalen institutionellen Infrastruktur für die
ökonomische Entwicklung und befasste sich schon 1857 mit dem Medium Telegraf.

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

- Schäffle befasste sich ebenso mit dem Zeitungswesen.


- Sombart zeichnete sich durch wissenschafstheoretische Systematisierungsversuche der
Ökonomik aus und plädierte für eine ordnende Nationalökonomie.
- Schmoller forderte eine Verbindung von Institutionenlehre und -geschichte, stellte sich dem
Liberalismus entgegen und interpretierte den Merkantilismus als Formationsprozess des
Nationalstaats.

- Die Deutsche Historische Schule beeinflusste sowohl Veblen, als auch Commons – beide
gelten hier als Vertreter des Alten (Amerikanischen) Institutionalismus.
- Veblen wollte eine evolutorische und postdarwinistische Ökonomie.
• eine Mischung aus politischer Ökonomie und Kulturantropologie.
- Konflikte zwischen Instinkten und Institutionen betonte er und grenzte sich von Klassik und
Neoklassik sowie Grenznutzenschule ab.
- Der von Veblen wie der Neoklassik beeinflusste Neue Institutionalismus lässt sich in vier
Bereiche untergliedern:
(1) Evolutorische Ökonomik
(2) New organizational economics → diese befasst sich mit Transaktionskosten, Property
Rights sowie der Erklärung institutioneller Arrangements im Sinne von Auftraggeber-
Auftragnehmer-Verhältnissen (Principal-Agent-Theory)
(3) Theorie institutionellen Wandels
(4) Konstitutionenökonomik

Institutionelle Entwicklung
„Die Entscheidungen von heute und von morgen werden durch die Vergangenheit mitgestaltet. Und
die Vergangenheit lässt sich nur als Geschichte institutioneller Evolution deuten. Die Einbeziehung von
Institutionen in die Wirtschaftstheorie und Wirtschaftsgeschichte ist ein wesentlicher Schritt zur
Verbesserung solcher Theorie und Geschichte.“ (North 1992)

→ Wandel wird bei North als „die Art und Weise, wie Institutionen über die Zeit geschaffen,
verändert oder zerstört werden“ begriffen.

- Normen werden aus Auslegungen der Wirklichkeit, North bezeichnet diese als Ideologien,
abgeleitet.
- Die Verbindung dieser Normen mit Verfassungsregeln sorgt für die Stabilität von
Institutionen, die zueinander in Beziehung stehen, und in ihrer Gesamtheit ein politisch-
ökonomisches System bilden.
- Ihre Verbindung mit Verfassungsregeln sorgt dafür, dass der Wandel von Institutionen nur
langsam vor sich geht.

- North schreibt den Verfassungsregeln die bedeutendste systemordnende Funktion zu:


„Sie werden in der Absicht entwickelt, (1) ein Schema der Vermögens- und
Einkommensverteilung zu erstellen, (2) ein System des Schutzes nach außen in einer Welt
konkurrierender Staaten festzulegen, (3) die Voraussetzungen für ein System von
Ablaufregeln zur Senkung der Transaktionskosten wirtschaftlicher Tätigkeit zu schaffen.“

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

Verständnis von Institutionenwandel


- Ein ökonomisches Verständnis von Institutionenwandel kann einen wichtigen Beitrag zur
Analyse einzelner Institutionen und Organisationen leisten.

- Dies wird schon im Rahmen der Beschäftigung mit dem Governance-Begriff deutlich.
- So konstatiert Donges (2007), dass alle mit Governance befassten wissenschaftlichen
Disziplinen einen gemeinsamen Kern aufweisen:
„Die institutionelle Struktur sowie auch Prozesse der Interdependenzbewältigung im Sinne
einer Handlungskoordination zwischen Akteuren.“

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

8. Vorlesung

Fallbeispiele

Medienpolitische Debatten
→ Medienpolitische Debatten werden in vielen Ländern geführt, nicht nur in Deutschland oder in
Österreich. In dieser Einheit wird ein konkretes Beispiel einer Bundesdeutschen Debatte zum Thema
Rundfunkfinanzierung hergenommen.

Im Rahmen dieser soll deutlich werden, dass nicht allein der Wahrheitsgehalt der Inhalte über deren
Durchsetzung entscheidet. Es ist viel mehr die Opportunität für die jeweilige auch politische
Situation ausschlaggebend.

Wiederholung: Organisationsformen für öffentliche Leistungsprozesse

→ Erklärungen zur Abbildung


sind auf S. 33

Bundesdeutsche Debatten zur Rundfunkfinanzierung


„Wenn Sie sich die Bild am Sonntag kaufen, ist das Ihre freiwillige Entscheidung. Zu Gebühren
werden Sie verdammt oder verdonnert. Das ist ein großer Unterschied.“ (Doetz)

→ das Statement von Doetz ist in einer medienpolitischen Diskussionsrunde getätigt worden

Jürgen Doetz → langjähriger SAT.1-Chef, Präsident des Verbandes Privater Rundfunk und
Telekommunikation (VPRT), 2000-2004 Vorstand Medienpolitik und Regulierung der ProSiebenSat.1
Media AG.

→ In der Gesellschaft handelt der Mensch meist dann kommunikativ, persuasiv oder rhetorisch,
wenn einen Konsens in Fragen finden will, die mit logischer Beweisführung allein nicht entschieden
werden können.

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

→ Ende der 90er Jahre war der Marktmechanismus weitgehend unhinterfragt. Jemand der an ihm
gezweifelt hat oder mit den Begrifflichkeiten des Marktversagens gearbeitet hat, ist ein wenig schräg
angesehen worden. Es gab zu der Zeit ein Marktdogma und alternative Werte im Rundfunkbereich
galten fast als unmöglich.

Mit Markt und Öffentlichkeit verbundene Funktionen, Instrumente und Werte im


Medienbereich (Steininger)

Prüfung der Stringenz der Argumentation von J. Doetz


→ Wenn man die Stringenz der Argumentation von Jürgen Doetz prüft, stellen sich spontan folgende
Fragen:

1. Warum bedient sich ein kommerzieller Rundfunkanbieter eines Beispiels aus dem
Printbereich?
→ Weil das eigene Unternehmen nur noch deshalb besteht, da seine Gesellschafter, seit
dessen Gründung dauerhaft negative Ergebnisse akzeptierten.

2. Warum greift er als Beispiel die Bild am Sonntag auf?


→ Weil das Wochenende die Privatheit des nicht arbeitenden und deshalb kaufenden
Bürgers herausstreichen soll.

3. Warum wird der Bild am Sonntag der Begriff Gebühr entgegengesetzt?


→ Weil man mit öffentlich-rechtlichem Rundfunk Kosten und nicht Leistungen verbinden
soll.

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

4. Warum werden Rezipienten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verdammt oder


verdonnert?
→ Weil öffentlich-rechtlichem Rundfunk als institutionalisierter verlängerter Arm des Staates
begriffen wird, der für seine treuen Dienste Gebühren eintreiben darf.

5. Worin besteht obig postulierter großer Unterschied tatsächlich?


→ Zwischen Printmedien und Rundfunk besteht tatsächlich ein Unterschied, zumal im
Printbereich der Preis seine Funktion erfüllen kann, war er im Rundfunkbereich nicht kann –
von diesem Umstand ist aber auch der kommerzielle Rundfunk betroffen. Hier werden Äpfel
mit Birnen verglichen. Es wäre folglich sinnvoller, nach den unterschiedlichen
Problemlösungswegen von öffentlich-rechtlichem und kommerziellem Rundfunk im Kontext
ihrer jeweiligen Finanzierung zu fragen.

Wiederholung: Medieninstitutionalisierung
→ Idealtypische Organisationsprinzipien öffentliche und privaten Rundfunks

→ Erklärungen
zur Abbildung
auf S.34/35

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

Finanzierung und Rundfunk


- Finanzierung von Rundfunkprogrammen ist ein entscheidender Engpassfaktor auf
Fernsehmärkten

- Werbefinanzierte Kommerzielle Anbieter versuchen mit ihrem Programmangebot eben jene


Zielgruppe anzusprechen, die für die Werbewirtschaft von Interesse ist, um so hohe Umsätze
generieren zu können.

- Das heißt die Entscheidung für die eine oder andere Art der Finanzierung ist nicht zufällig.
Auf dem Rezipienten Markt hat man es mit Marktversagen zu tun und deshalb bewegen sich
kommerzielle und auch teils die öffentlich-rechtlichen auf den Werbemarkt, um sich dort zu
refinanzieren.

- Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wählt aber auch noch einen anderen Weg. Er versucht
sich über die Rundfunkgebühren oder die Haushaltsabgaben zu refinanzieren. Man versucht
hier durch diese Form der Finanzierung auch die Interdependenzen zwischen Einnahmen
und dem Programmangebot zu minimieren.

- Man geht davon aus, dass bestimmte Formen der Finanzierung dann auch mit bestimmten
Inhalten zusammengeführt werden können. Die Flow-Produktion oder serielle Produktion
sind immer Ausfluss werblicher Finanzierung.

- Unterschiedliche Wege der Finanzierung (über Preis, Gebühr oder Werbung) resultieren aus
dem Umstand, dass die Finanzierung von Rundfunkprogrammen für Unternehmen
schwierig ist.

- Dies liegt an der Gutspezifik, welche die Durchsetzung von Eigentumsrechten erschwert, dies
liegt aber auch an den Erwartungen, die in spezifische Funktionszuschreibungen münden.

- Die Erfüllung dieser Erwartungen hängt von der Art der Rundfunkfinanzierung ab. Sind die
Ziele Güter wie Wahrheit, Meinungsvielfalt oder Öffentlichkeit, also Güter, die keinen
Warencharakter haben, „dann ist eine Finanzierung durch eine Form kollektiv organisierter
Zwangsentgelte angemessen, weil jede andere Finanzierungsart den Warencharakter der
Produktion implizierte.

- Dies heißt nicht, dass mit einem „Regime kollektiver Zwangsfinanzierung" die Produktion
obiger Güter garantiert ist, sie ist aber zumindest möglich.

Güterlehre
→ Öffentliche Güter, Mischgüter und private Güter

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

Markt und Rundfunk


„Was Märkte sind, weiß eigentlich niemand so recht, aber alle reden davon.“ (Pirker)

→ Aus einer ökonomischen Perspektive handelt es sich um einen Steuerungsmechanismus, aber es


ist ein Steuerungsmechanismus neben anderen Steuerungsmechanismen.

→ Das radikale und singuläre Festhalten am Markt sabotiert das Verstehen von Marktwirtschaft.
Eine Marktwirtschaft funktioniert nämlich nur dann, wenn Verträge eingehalten werden. Es geht
neben individuell-ausgehandelten Verträgen auch um nicht-vertragliche, sozial-generierte
Institutionen. Es geht um historisch evolvierte Verhaltensregeln, um eine gesellschaftliche
Wertebasis, die die Vollständigkeit von Verträgen erst absichern kann.

An der Mitgewährleitung dieser marktlichen Rahmenbedingungen arbeiten gerade auch die


Öffentlich-rechtlichen. Es lässt sich hier argumentieren, dass auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk
letztlich die Marktwirtschaft funktionstüchtig hält und nicht allein der Markt.
Würde die Rundfunkpolitik in Deutschland den Markt als alleinigen Allokationsmechanismus
begreifen, so würde sie damit auf jeglichen politischen Gestaltungswillen verzichten.

Weiterhin gibt es in der rundfunkpolitischen Diskussion - Schmitz diagnostizierte dies schon für die
1980er Jahre - zwei gegensätzliche Positionen, welche beide ihren Ursprung in unterschiedlichen
Interpretationen der Zielgröße Meinungsfreiheit haben.

Positionen im Rahmen der Interpretation von Meinungsfreiheit


- Ethisch-individualistische Interpretation → Meinungsfreiheit als zweckfrei zu
gewährleistendes Grundrecht
• Verfechter des kommerziellen Rundfunks

- Utilitaristisch-kollektive Interpretation → Meinungsfreiheit als Bedingung für die


öffentliche Meinungsbildung und damit für die Funktionsfähigkeit einer Demokratie
• Verfechter des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Regulierungsbefürworter sowie
Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts

Öffentlich-rechtlicher Rundfunk im Markt


Laut Bausch besteht eine grundsätzliche Denksperre bei der Vorstellung, „dass der Staat Anstalten
instituiert, ohne sie mit originären Staatsaufgaben zu versehen oder auch nur zu überwachen.
Und so verwundert es auch nicht, wenn Lerg zu dem Befund kommt, dass dem öffentlich-rechtlichen
Rundfunk eine notorische Staatsnähe nachgesagt wird. Die Kritik an diesem zeichne sich dabei durch
den „Verzicht auf kommunikationshistorische Erkenntnisse im allgemeinen und
rundfunkgeschichtliche Erfahrungen im besonderen" aus.

So wurde und wird ausgeblendet, dass öffentliche Monopole ihren Ursprung in den limitierten
finanziellen Möglichkeiten kommerzieller Unternehmen hatten, die auf Rentabilität abzielten.
Deshalb haben fast alle europäischen Staaten sich die Verwaltung ihrer Dienstleistungen auf dem
Gebiet des Verkehrs selbst vorbehalten.

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sprechen aber auch noch andere historische Umstände: Es
war nicht der deutsche Staat, der sich den öffentlich-rechtlichen Rundfunk gewünscht hat; dieser war
vielmehr eine zentrale Zielsetzung der Rundfunkpolitik der Alliierten, die vor dem Hintergrund ihrer
eigenen Rundfunktraditionen und Erfahrungen mit dem zentralisierten Rundfunk im Dritten Reich
den Rundfunk im Nachkriegsdeutschland mit „organisatorischer Autonomie und publizistischer
Unabhängigkeit" ausstatten wollten.
Die Leitidee des vom Staat und gesellschaftlichen Gruppen unabhängigen Rundfunks führte zur
öffentlich-rechtlichen Organisationsform.

Öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der sich notwendigerweise im Markt bewegen muss, wird aber
auch noch vorgeworfen, dass er ein öffentliches Unternehmen sei.
Öffentliche Unternehmen seien nicht nur überflüssig, sie seien auch mit der marktwirtschaftlichen
Grundordnung unvereinbar.

Löwe nennt die folgenden Gründe für diese Position:


- die einzelwirtschaftlichen Interessen der kommerziellen Unternehmen
- die Position des Mainstreams der Ökonomik
- die Europäische Kommission, die sich von diesem Mainstream Wettbewerbsrecht
interpretieren lässt.

Wider besseren Wissens wird den öffentlichen Unternehmen der Mühlstein der Staatsnähe um den
Hals gelegt ohne jegliche Differenzierung zwischen marktinkonformen Interventionismus des Staates
und einer marktkonformen Teilnahme öffentlicher Unternehmen am Wettbewerb.

Man kommt somit zur Einsicht, dass kommerzielle Rundfunkunternehmen nach Markt schreien und
den Wettbewerb als wenig erstrebenswert erachten. Die zwischen diesen Polen anzusiedelnden
Organisationsformen wie Tauschgeschäft, Sub-Unternehmerschaft, Lizenzverträge, Joint Ventures
sowie Profit-Centers sind letztlich Verhaltensweisen im Wettbewerb, um Marktpartner zu
diskriminieren, auszubeuten und vom Markt zu verdrängen.

Die Annahme, dass öffentliche Unternehmen nicht nur überflüssig sind, sondern auch mit der
marktwirtschaftlichen Grundordnung unvereinbart sind, wird völlig sinnlos geführt, wenn man
Marktwirtschaft als eine Wettbewerbswirtschaft interpretiert.

Denn hier entscheidet nicht der Umstand, ob ein Unternehmen „privaten" juristischen Personen
oder dem Staat gehört, darüber, ob Marktwirtschaft in idealer Weise realisiert ist, sondern der
Umstand, ob ausgeprägter Wettbewerb zu konstatieren ist, der idealtypisch Kostenreduktion,
höhere Effizienz, gesteigerte Produktivität und sinkende Verkaufspreise nach sich zieht.

An dieser Stelle wird klar, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk durch seine Existenz die
Wettbewerbssituation für kommerzielle Unternehmen verschärft. Auch wenn eine Intensivierung des
Wettbewerbs nicht den Interessen der einzelnen Anbieter entspricht, so muss sie doch von jedem
Marktwirtschaftler begrüßt werden.

Die vielfältigen Aufgabenfelder des öffentlich-rechtlichen Rundfunks setzen voraus, dass er


Erwerbseinkünfte erzielen kann und darf. Diese als wettbewerbsverzerrende Beihilfen oder
Quersubventionen zu begreifen, wäre vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen völlig
unberechtigt. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist wesentlicher Träger einer immer weniger
sozialen Marktwirtschaft, deren verbleibende soziale Fragmente - so schmerzlich einem die

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

Notwendigkeit einer solchen Argumentation aus demokratietheoretischer Perspektive erscheinen


mag - immer noch einen Standortvorteil der deutschen Volkswirtschaft im globalen Wettbewerb
darstellen. Auch deshalb bedarf der öffentlich-rechtliche Rundfunk keiner speziellen Rechtfertigung.

Rezipienten und Rundfunkfinazierung


→ Die Wahl der Bild am Sonntag ist eine individuelle, vom mündigen Bürger getroffene
Entscheidung, der am besten weiß, was ihm guttut. Doetz verdeutlicht mit dem Beispiel des Kaufs,
dass auch im Medienbereich das Credo liberaler Gesellschaften und gleichzeitig eine ökonomische
Basisannahme - die Konsumentensouveränität - hochgehalten wird. Diese gelte ja schließlich nicht
nur für die Marktwirtschaft, hier werde auch ein demokratisches Gut verteidigt.

Das ökonomische Axiom von den rational persönlichen Interessen verfolgenden Individuum
impliziert nicht nur mündige Konsumenten. „Konsumentensouveränität meint (...) auch das in seiner
Rolle als Konsumenten mit Marktmacht ausgestattete Individuum.“ (Kiefer)

Diese Marktmacht ruht auf der Zahlungsbereitschaft des Konsumenten und seiner Möglichkeit, diese
zu dosieren oder zu verweigern.

Diese Dosierung funktioniert aber schon bei der Bild am Sonntag nicht so recht, wenn man sich deren
Mischfinanzierung aus Preis und Anzeigen ansieht.

Wie steht es dann mit der Konsumentensouveränität im Rundfunk?


Zahlungsbereitschaft stellt - wie schon ausgeführt - für Produzenten ein Mittel dar,
Verbraucherpräferenzen zu erkennen, um seine Produkte daran zu orientieren. Anders kann der
Konsument nicht als Souverän im Marktgeschehen begriffen werden.

Wo bitte ist es im Rundfunk dem Konsumenten möglich über seine Zahlungsbereitschaft Präferenzen
zu signalisieren? Wo kann der Preis hier seine Orientierung ermöglichende Wirkung entfalten? Wo ist
die auf ökonomische Austauschbeziehungen angewiesene Konsumentensouveränität beim
kommerziellen Rundfunk gegeben, dessen Finanzierung durch Werbung geschieht? Nirgends.

Fazit: „Der Mythos vom souveränen Konsumenten auch im Bereich der Medien endet endgültig bei
den voll werbefinanzierten Medien.“ (Kiefer)

Fazit
→ Was sollte im Rahmen der Vorlesung geprüft werden?

Antwort: Die Grade logischer Beweisführung im Rahmen bundesdeutscher medienpolitischer


Debatten zur Rundfunkfinanzierung.

Hier soll nicht konstatiert werden, dass es eine Finanzierungsform von Rundfunk gibt, die keine
Ineffizienzen aufweist. Dass öffentliche Güter wie der Rundfunk der Solidarfinanzierung bedürfen,
sollte jedoch deutlich geworden sein.

Man kann Rundfunk als Marktgut begreifen, den Spaß darf man sich gerne machen. Tatsache ist
aber, dass er - neben den beschriebenen Besonderheiten seiner Finanzierung – wie jede Kunst – oder
Kulturproduktion unter dem ökonomischen Dilemma der Kulturproduktion leidet.

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

So befanden Baumol und Bowen schon 1967 den mangelnden Produktivitätszuwachs im


Dienstleistungssektor Kunst- und Kulturproduktion als ursächlich für das ökonomische Dilemma der
Kulturproduktion.

„Gemessen an den produktiven Sektoren einer Volkswirtschaft wird der ‚unproduktive' künstlerische
Sektor folglich immer teurer, da er an der allgemeinen Lohn- und Einkommensentwicklung ja
notwendig teilnimmt."

Während im Rahmen der medialen Inhalteproduktion Produktivitätszuwächse nur in begrenztem


Ausmaß zu erreichen sind, ist dies im Bereich der medialen Distribution grundsätzlich möglich.

Der Transfer tertiärer Dienste in sekundäre Güter ist jedoch im Rahmen der Rundfunkproduktion
nicht möglich.

Hier wird deutlich, dass bei der Flow-Produktion, der durch Werbefinanzierung bedingten Produktion
einer kontinuierlichen Zuschauer- bzw. Leserschaft, zwangsläufig auf der Inhaltsebene Produktivität
generiert werden muss.

Dies geschieht mit spezifischen Produktionsstrategien, insbesondere der Etablierung von


Stereotypen, Formaten und Routinen, die werbefinanzierten Rundfunk und seine Rezipienten zu dem
verdammt oder verdonnert, was kommerziellen Rundfunk heute ausmacht.

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Andrea Bilanovic WS 2022/23

Die Bertelsmann Stiftung

Bertelsmann Stiftung
→ Die Bertelsmann Stiftung als operative Stiftung unterstützt im Unterschied zu fördernden
Stiftungen nicht finanziell die Anliegen Dritter.

Durch ihr gesellschaftspolitisches Interesse und Engagement sowie der satzungsgemäßen


Gemeinnützigkeit dient die Bertelsmann Stiftung der Herstellung eines günstigen Meinungsklimas
für den Gesamtkonzern sowie der Kontaktherstellung zu Mitgliedern politischer und
gesellschaftlicher Eliten.

Nach Thielen soll die Stiftung ihre Fähigkeit ausbauen, politische Entscheidungsträger direkt zu
beraten.

Oder wie es Reinhard Mohn (Vorstandsvorsitzender der Stiftung) formuliert: „Wir brauchen
Sendboten überall, die unsere Gedanken verbreiten. Es wäre schön, wenn einer vorangehen könnte,
wie einst Christus. Der hatte ja in relativ kurzer Zeit einen enormen Reformerfolg. Aber Propheten
haben es heute nicht mehr so leicht.“

Gründung der Stiftung (Reinhard Mohn)


„Wenn man [...] als Unternehmer gelernt hat, komplexe Aufgaben zu übernehmen, ein Unternehmen
zu gestalten und täglich Problemlösungen zu entwickeln, blickt man auf die Ordnungsstrukturen von
Gesellschaft, Staat und Politik mit anderen Augen. Es wird einem deutlich, dass in diesen öffentlichen
Bereichen eine Führungssystematik vorherrscht, die den Erfordernissen der Zeit nicht angepasst ist.
(...)

Aus diesem Unbehagen, welches eigentlich jeder Bürger und jeder Demokrat empfinden muss, wenn
die Gesellschaft nicht zufriedenstellend geordnet ist, erwuchs mein Wunsch, bei der Besserung der
Dinge behilflich zu sein. Dabei ließ ich mich von der Verpflichtung leiten, in der jeder von uns
gegenüber der Gemeinschaft steht. Dies führte [...] zur Gründung der Bertelsmann Stiftung.“ (Mohn)

Dienst an der Gesellschaft


- Die Stiftung wurde 1977 von Reinhard Mohn gegründet.
- 1983 wurde die erste deutsche Privatuniversität Witten/Herdecke gegründet.
- Seit 1985 ist die Bertelsmann Stiftung mit dem Aufbau dieses Hochschulmodells verbunden
• um über zeitgemäße Führungs- und Berichtsinstrumente die wirtschaftliche Effizienz
der Universität zu erhöhen und zugleich mehr Freiheit in Forschung und Lehre zu
ermöglichen
- Im gleichen Jahr gründete die Stiftung einen eigenen Verlag, um ihre Projektarbeit zu
dokumentieren.
- 1988 wurde erstmals der Carl Bertelsmann Preis vergeben.
- Seither wird der Preis jedes Jahr für innovative und modellhafte Lösungsansätze in
zentralen gesellschaftspolitischen Aufgabenfeldern vergeben.

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- 1991 zog sich Reinhard Mohn an seinem 70. Geburtstag aus dem Aufsichtsrat der
Bertelsmann AG zurück.
• Er blieb Ehrenvorsitzender und übernahm den Vorstandsvorsitz der Bertelsmann
Stiftung.
- Seit 1992 veranstaltet die Stiftung alle zwei Jahre ein International Bertelsmann Forum, an
dem laut Homepage der Stiftung „ein gesamteuropäischer Gedankenaustausch“ in Gang
kommt.
• Es treffen sich amtierende Staats- und Regierungschefs, aktive Entscheidungsträger
aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Medien sowie namhafte
Verantwortungsträger, die sich aus der aktiven Politik zurückgezogen haben.
- Ebenfalls seit 1992 steht die Soziale Marktwirtschaft zur Diskussion.
- Mit dem gemeinsamen Forschungsprogramm Weiterentwicklung und Perspektiven der
Sozialen Marktwirtschaft wollten Bertelsmann Stiftung, Friedrich Spee Stiftung und Ludwig-
Erhard-Stiftung eine „Debatte über den Modellcharakter und die Erfolgsfaktoren der Sozialen
Marktwirtschaft anstoßen.
- Ziel des Projektes war es Leitlinien für eine ordnungspolitische Neuorientierung sowie für
institutionelle Reformen zu entwickeln.
- 1997 Reformkommission Soziale Marktwirtschaft → um einen praxisorientierten Beitrag zur
Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft zu leisten
- Vorschläge der Reformkommission Soziale Marktwirtschaft
• Möglichkeit zur Teilzeitarbeit erhöhen
• Aktivitäten des Staates in Deutschland deutlich zurückfahren
• Deregulierungen sind unerlässlich
• den Produktivitätsanstieg für die Beschäftigung zusätzlicher Arbeitskräfte verwenden
und nicht für höhere Löhne
• Lohnerhöhungen sollen moderat ausfallen

- 1994 gründeten die Bertelsmann Stiftung und die Stiftung zur Förderung der
Hochschulrektorenkonferenz das Centrum für Hochschulentwicklung (CHE)
• Die Hochschule der Zukunft ist autonom, profiliert und dem Wettbewerb
verpflichtet, sie arbeitet zugleich wissenschaftlich und wirtschaftlich.
• Ziel dieser Einrichtung ist es, die Leistungsfähigkeit der Hochschulen zu fördern und
ihre Evaluationsfähigkeit zu stärken.
- 1995 gründete die Bertelsmann AG die Bertelsmann Wissenschaftsstiftung
• eine selbstständige Stiftung des privaten Rechts
• sie setzt sich in verschiedenen Projekten für die Förderung der Wissenschaft,
insbesondere der Politik- und Sozialwissenschaft ein
- Es stellt sich bei derartigen Konstruktionen die Frage, wie unabhängig die Bertelsmann
Stiftung vom Konzern arbeitet bzw. wie glaubwürdig die gesamten Reformen unter dem
Deckmantel der Gemeinwohlorientierung sind.

- Im 19. Jahrhundert und bis Ende der zwanziger Jahre hat sie als theologischer Verlag Gottes
Werk verrichtet.
- Später hat sie für sich reklamiert, dem deutschen Volk das Buch zu bringen.
- In den fünfziger Jahren folgte der Lesering – im Dienste der Volksbildung.

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- 1997 arbeitet die Bertelsmann Stiftung Empfehlungen für die Medienwelten der Zukunft
aus.
- Auf Grundlage der 1997 veröffentlichten Kommunikationsordnung 2000 entwarf die Stiftung
in den folgenden Jahren die Kommunikationsordnung 2010.
- Als wichtige Regulierungsprinzipien im Informationszeitalter sieht dieses Konzept die
Selbstkontrolle der Anbieter und die Eigenverantwortung der Nutzer vor.

- 1998 gründete die Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit der Universität St. Gallen und der
Heinz Nixdorf Stiftung das mcm insititute für Medien- und Kommunikationsmanagement in
St. Gallen.
- 1998 eröffneten die Medienakademie Köln
• Multimedia-Fachkräfte werden für die Herausforderungen des E-Business qualifiziert

- 2000 gründete die Bertelsmann Stiftung die it akademie ostwestfalen


• weil Nachwuchskräfte Mangelware sind
• und weil Absolventen der it akademie ostwestfalen für die Wirtschaft wie gemacht
sind
- Denn jeder Studierende wurde bereits vor Studienbeginn von dem Unternehmen
ausgewählt, in das er oder sie nach erfolgreichem Abschluss naht los wechseln wird.

- Als konkurrierende Stiftungen zur Bertelsmann Stiftung auf europäischer Ebene nennt
Böckelmann beispielsweise die Siemens-Stiftung oder die Stiftungen großer Banken und
Sparkassen.
- Allerdings finanziert sich keine dieser Stiftungen über einen Medienkonzern.
- Deshalb stellt Bertelsmann – als größte europäische Stiftung – einen Sonderfall dar.

- Als Hauptgesellschafter der Bertelsmann AG gehören der Stiftung 76,9 Prozent am


Gesamtunternehmen, allerdings ohne Stimmrechte – ein sogenannter „Beneficial Owner“.
- Das garantierte der Stiftung nach Angaben des Jahresberichtes 2006 eine Dividende von 96,7
Millionen.
- Aufgrund von Kooperationen mit anderen gemeinnützigen Organisationen und aus der
Verwaltung ihres Vermögens stehen der Stiftung weitere Finanzmittel zur Verfügung.
- Im Geschäftsjahr 2006 verfügte die Stiftung über 106,4 Millionen Euro.
• Diese Summe kann sie nach Abzug von Personal- und Verwaltungskosten sowie der
gesetzlich geforderten Rücklage vollständig in die operative Projektarbeit einbringen.

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Satzung der Stiftung


Die Aufgaben der Bertelsmann Stiftung sind nach § 2 der Satzung 2007:

„(a) die Förderung der Medien-Wissenschaft, insbesondere durch Maßnahmen zur


Verbesserung von Kompetenz und Verantwortung in den Medien und bei den Nutzern sowie
durch Erforschung und Weiterentwicklung der Rolle der Medien und ihrer Ordnung in der
Gesellschaft,

(b) die Erforschung und Entwicklung von innovativen Konzepten der Führung und
Organisation in allen Bereichen der Wirtschaft und des Staates, insbesondere durch
Systementwicklung und anschließende Implementierung,

(c) die Förderung der internationalen Zusammenarbeit, insbesondere in den Bereichen Politik,
Bildung und Kultur,

(d) die Förderung der Aus- und Weiterbildung sowie der Systementwicklung in allen Bereichen
des Bildungswesens, insbesondere durch Unterstützung von Forschung und Modellversuchen,
Lehr- und Beratungsinstituten usw.,

(e) die Förderung gemeinnütziger Maßnahmen in der Arbeitswelt (beispielsweise die


Erforschung des Arbeitsmarktes und von Arbeitsbedingungen), insbesondere durch die
Unterstützung von Forschungsprojekten, Konzeptentwicklungen, Modellversuchen und die
Förderung entsprechender steuerlich begünstigter Einrichtungen,

(f) die Förderung zeitgemäßer und wirkungsvoller Strukturen und Ordnungen in der
Gesellschaft, den internationalen Beziehungen, den Medien, der Medizin, der Wirtschaft und
den Unternehmen, insbesondere durch die Unterstützung von Forschungsvorhaben,
Konzeptentwicklungen, Modellversuchen usw.

(Stiftungssatzung 2007)

Die Bertelsmann Stiftung als politische Institution und Organisation


→ Versucht man die Bertelsmann Stiftung als politische Institution zu fassen, so macht es Sinn zu
berücksichtigen, dass politische Entscheidungen sich sowohl durch einen technisch-organisatorischen
als auch durch einen symbolischen Aspekt auszeichnen.

Wenn das ehemalige Vorstandsmitglied der Bertelsmann Stiftung Werner Weidenfeld formuliert:
„Wirkung erzielen wir als Stiftung im Wesentlichen und vornehmlich durch die Überzeugungskraft
unserer Angebote und die Modellhaftigkeit unserer Lösungsperspektiven“, dann betont er genau
diese Aspekte und verdeutlicht letztlich die Sinnhaftigkeit des hier unternommenen Versuchs, den
Verbund von Bertelsmann Stiftung und AG als politische Institution ‚mit Akteuren’ zugleich als
Organisationen zu beschreiben.

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Merken für die Prüfung


→ Diese Form der Steuerung über Symbole ist letztlich auf einen Resonanzboden angewiesen,
darauf, dass der Adressat eine Disposition hinsichtlich der Symbolik aufweist. Für diesen
Resonanzboden sorgt auch die Bertelsmann AG mit den von ihr produzierten Medieninhalten.
Denn Medien wurden schon von den nationalökonomischen Wurzeln der
Kommunikationswissenschaft als ein der Erhaltung von Ideen dienendes Symbolgut begriffen.

Bertelsmann Stiftung im Institutionengefüge


→ Der beschriebene Verbund aus Konzern und Stiftung ist mehr als die Summe seiner Teile. Dies
nicht zuletzt durch die vermeintliche Trennung von organisationalen und institutionellen Leistungen
und Ideen: die Bertelsmann AG betont ihren Charakter als Organisation (Unternehmen), die Stiftung
jenen der orientierenden und integrierenden Institution.

Orientierungs- und Ordnungsleistungen werden so effizient und effektiv in das institutionelle Gefüge
exportiert und stärken rückwirkend den Konzern, der durch seine Produktion medialer Inhalte
Steuerung vermittels Symbolen betreiben kann.

Dass die Produktion lediglich als Nebenerscheinung im Kontext der unternehmerischen


Gewinnmaximierung zu begreifen ist, mag für Unternehmen, die nichtmediale Inhalte produzieren,
eine adäquate Beschreibung des alleinig maßgeblichen Unternehmensziels darstellen, für die
Bertelsmann AG als Medienunternehmen trifft diese Beschreibung nicht zu.

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→ Die Bertelsmann AG wirkt ordnend sowohl auf die organisationsinterne Normgebung als auch im
Rahmen von Aushandlungsprozesse auf die Mediengesetzgebung.

Nach innen ordnet die Bertelsmann AG menschliches Handeln gemäß Organisationszweck und
delegiert die Orientierungsleistung weitestgehend an die Bertelsmann Stiftung, welche letztlich
einem rigiden unternehmerischen Ökonomismus das Wort redet.

Einflussebenen der Bertelsmann Stiftung

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1. Abgeleitete Institutionen niederer Stufe: Organisationsinterne Normen

- Die Einführung einer neuen Führungstechnik ist nach Mohn nötig, um die angestrebten
Reformen schneller voranzutreiben.

„Schon jetzt wird erkennbar, dass bald nicht mehr die Eigentumsrechte, sondern nur
bewiesene Führungskompetenz das Mandat zur Leitung eines Unternehmens rechtfertigen. –
Fürwahr: ein epochaler kultureller Umbruch!“ (Mohn)

- Die Beispiele Mohns „aus fortschrittlichen Großbetrieben“ verweisen bei der Lektüre der
Schriften Mohns vordergründig auf die Bertelsmann Stiftung und den Konzern selbst.

- Wirtschaftsbetriebe haben überholte hierarchische Strukturen und sind ausschließlich an


Gewinnmaximierung interessiert, dass wäre bei fortschrittlichen Großbetrieben nicht so.
- Entgegen dieser Aussage ist auch in der Bertelsmann AG die strikte Gewinnorientierung ein
viel beachtetes Thema.
• Es gibt keinerlei zentrale Vorgaben, was Inhalte oder Programme angeht.
• Grundsätzlich gibt es aber bei der Bertelsmann AG gewisse Vorgaben bezüglich der
Rendite.

- Mohn, der sich an die amerikanische Managementlehre hält, misst seine Manager mithilfe
strikter Gewinnvorgaben. Minimum ist eine Rendite von 12 bis 13 Prozent auf das
eingesetzte Kapital.
• Werden die Renditevorgaben verfehlt, werden die angeblich unabhängigen
Geschäftsführer zu einer hochnotpeinlichen Befragung einberufen.
• Sie erhalten noch eine Bewährungsfrist, aber wenn sie erneut scheitern, kommt die
ganze Firma auf den Prüfstand.
• Sie wird dann geschlossen oder verkauft oder in andere Konzernteile eingegliedert.

- Das Widersprüchliche an Mohns Aussagen zeigt sich nicht an den von ihm vorgegebenen
Renditevorgaben, sondern darin, dass er das „falsche Ziel“ der Gewinnorientierung anderen
Unternehmen abspricht, das eigene Unternehmen aber strikt danach ausrichtet.

- Führung ist auf dieser Ebene die Lösung für alle Probleme!

2. Abgeleitete Institutionen höherer Stufe: Mediengesetze

- Wenn man sich die bundesdeutsche Rundfunkpolitk anschaut, gibt es einige die sich sehr
kritisch dazu äußern.

- Ein Beispiel von Roegele:


„Liest man Äußerungen oder auch Vorschläge [zur Medienpolitik; Anm. d. Verf.] so gewinnt
man den Eindruck, dass ihre Autoren die verfassungsrechtliche Literatur entweder nicht
kennen oder die Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Fragen für unerheblich halten. Ein
großer Teil der Diskussion verläuft so, dass die Zuhörer glauben müssen, das Grundgesetz sei
schon nicht mehr in allen seinen Teilen gültig oder könne nach Belieben geändert werden. [...]

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Es wird ein Klima erzeugt, in dem Widerstände der Verfassung gegen ‚fortschrittliche’
Regelungen als unbedeutend erscheinen. Dabei wird bisher viel zu wenig beachtet, dass die
Massenmedien den einzigen Produktionszweig bilden, der ständig seine eigene Publizität
mitproduziert. (...)
Alle anderen Institutionen und Gruppen der Gesellschaft – einschließlich Regierungen und
Parteien – sind in ihrer Wirkung auf die Öffentlichkeit darauf angewiesen, dass die
Massenmedien sie und ihre Lebens-äußerungen zur Kenntnis nehmen, ihre Beiträge zur
öffentlichen Diskussion vermitteln, also der Allgemeinheit bekannt geben, in den Kontext des
gesellschaftlichen Zeitgesprächs hineinstellen und dem Prozess der Meinungs- und
Willensbildung zuführen.“ (Roegele 1974)

3. Fundamentale Institutionen: Menschenrechte

- Zu den allgemeinen demokratischen Kernzielen gehört neben Freiheit, Gleichheit,


Gerechtigkeit und Sicherheit auch Wohlfahrt.
- Es stellt sich die Frage, ob sich Wohlfahrt als Kernziel der Demokratie mit ausschließlicher
Wettbewerbs- und Marktorientierung, wie Mohn sie anstrebt, vereinbaren lässt.
- Zudem gehören zum unveränderlichen Verfassungskern der Bundesrepublik Deutschland die
Unantastbarkeit der Menschenwürde (Art. 1 GG) und die daraus abgeleiteten Grundrechte
sowie die Prinzipien von Republik und Demokratie, Rechts-, Bundes- und Sozialstaat.
- Sozialstaatlichkeit wird im Grundgesetz unter anderem verwirklicht über einen individuellen
Fürsorgeanspruch und staatliche Daseinsvorsorge
• es gibt also einen Anspruch auf staatliche Sicherung eines Existenzminimums

- Am Beispiel der Demokratie in den USA lässt sich nach Mohn ein anderes politisches Konzept
konstatieren: „Die Amerikaner sagen aus Überzeugung: So wenig Staat wie möglich.“

- Mohn geht davon aus, dass die Menschen aufgrund ihres Urteilsvermögens häufig selbst in
der Lage sind, Rat zu geben oder die Verantwortung für die Lösung eines Problems zu
übernehmen.
- Dieses Urteilsvermögen spricht Mohn der Bevölkerung an anderer Stelle allerdings wieder
ab.
- Er geht davon aus, „dass die zu behandelnden politischen Themen heute so komplex sind,
dass der normale Bürger dem vorgetragenen Sachverhalt kaum noch folgen kann.
- Mohn: „Der mangelnde Sachverstand der Wähler wird noch dazu durch die Manipulation
ihrer Meinungen mithilfe der Medien in kontraproduktiver Weise ausgenutzt.“

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Stiftungseinfluss auf den drei Politikebenen


Der Stiftungseinfluss auf die Medienpolitik lässt sich auf allen drei Politikebenen festhalten.

- Policy – Ebene
• Die Policy-Ebene (inhaltlicher Aspekt der Politik) beeinflusst die Bertelsmann Stiftung
über diverse Veranstaltungen und Diskussionsforen, an denen die Teilnehmer auf
Grundlage eines von der Stiftung ausgearbeiteten Papiers diskutieren.
• So gehen die Inhalte der Stiftung in die Politik ein. Um zu veranschaulichen, für
welche Werte und Interessen die Bertelsmann Stiftung und der Konzern eintreten,
kann die Äußerung vom Schmidt-Holz herangezogen werden.
• So sei es nicht die Aufgabe eines Senders, sein Publikum zu erziehen oder zu bilden,
sondern die Aufgabe des Staates, durch gezielte Medienpädagogik dafür zu sorgen,
dass dem Privatfernsehen mündige Zuschauer vorgesetzt werden.
- Rolf Schmidt-Holz ist CEO von Sony BMG und war Kuratoriumsmitglied der Bertelsmann
Stiftung.

- Politics – Ebene
• Auf der Politics-Ebene (prozessualer Aspekt der Politik) kann man eine besonders
intensive Betätigung der Stiftung ausmachen.
• Entscheidend ist hierfür, dass die formalen Prozesse und Verfahren politischer
Entscheidungsfindung zunehmend an Bedeutung verlieren und durch Netzwerke und
Beziehungsgeflechte ersetzt werden.
• Die „Gütersloher Symbiose von Marktbeherrschung und flächendeckender
Politikberatung“ verstärkt die Tendenz zur Ökonomisierung und somit zur
Privatisierung der Politik.
• Politiker suchen Rat und Unterstützung in der Stiftung.
• Die Stiftung empfiehlt den Politikern in verschiedenen Ausdeutungen die Mohn’sche
Führungsphilosophie für deren Probleme – bis hin zu den Gremien der europäischen
Wirtschafts-, Sozial-, Bildungs- und Sicherheitspolitik, in denen die Repräsentanten
des Bertelsmann Konzerns als Akteure der Wirtschaft dabei sind.
• Sie beraten so über die Rahmenbedingungen ihrer eigenen Geschäftstätigkeit mit.

- Polity – Ebene
• Auch auf der Politiy-Ebene (politische Institutionenordnung) kann und will die
Bertelsmann Stiftung, wie eingangs dieses Abschnitts ausgeführt, Einfluss ausüben,
obgleich die grundsätzlichen Entwicklungslinien der Rundfunkrechtsentwicklung in
der Bundesrepublik Deutschland weit deutlicher von der verfassungsgerichtlichen
Rechtsprechung als vom Gesetzgeber bestimmt werden.
• Als einflusslos kann die Stiftung unter Berücksichtigung der bisherigen Ausführungen
nicht erachtet werden, zumal letztlich auch die verfassungsrechtliche Kodifizierung
der Presse- und Rundfunkfreiheit als abgeleitete Institution mittelbar gestaltbar ist.

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Verfassungsökonomik
→ Die Verfassungsökonomik begreift Institutionen als „Ausfluss des Gesellschaftsvertrages“.
Institutionen müssen dem Grundsatz der Volkssouveränität folgen und deshalb demokratisch
kontrollierbar sein.

Ausnahmen von dieser Regel demokratischer Kontrolle betreffen hier vornehmlich so genannte
autonome Institutionen die eine bestimmte „rechtliche und faktische Kompetenz-Kompetenz“
haben. Sie sind dem unmittelbaren Einfluss von Regierung und Parlament entzogen.

→ Als autonome Institutionen im engeren Sinn gelten Gerichte, als autonome Institutionen im
weiteren Sinne können der öffentlich-rechtliche Rundfunk als auch der kommerzielle Rundfunk
gelten.

„Autonome Institutionen sollen dem Kurzzeitrhythmus der Politik eine Langfristorientierung


entgegensetzen, so die langfristigen Vorteile der gesellschaftlichen Kooperation gegenüber
kurzfristigem und zügellosem Anspruchsdenken und -druck der ‚rentensuchenden Gesellschaft’
sichern und dadurch die Demokratie stabilisieren.“ (Kiefer)

Institutionelle Verortung der Bertelsmann Stiftung


→ Abschließend soll die institutionelle Verortung der Bertelsmann Stiftung resümiert werden:

Es handelt sich bei der Bertelsmann Stiftung um ein korporatives Gebilde, einen organisierten
sozialen Zusammenschluss, der in der Institutionenhierarchie als sekundäre (abgeleitete) Institution
und zugleich Organisation verortet werden kann.

Weiters ist die Stiftung der Gruppe politischer Institutionen „mit Akteuren“ zuzuordnen, deren Ziel
mit der Herstellung gesamtgesellschaftlich relevanter Entscheidungen beschrieben werden kann.

Im Rahmen der Zielerreichung wirkt die Bertelsmann Stiftung auf Normensysteme, verstanden als
politische Institutionen „ohne Akteure“ formeller Art (Verfassungen), sowie Symbolsysteme
informeller Art, ein.

Als quasiautonome Institution ist die Bertelsmann Stiftung Teil der rentensuchenden Gesellschaft,
die dem Ideal autonomer Institutionen nur im Sinne der Stabilisierung des wirtschaftlichen Systems
nachkommt.

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10. Vorlesung

PRÜFUNGSFRAGEN
→ Lösungen sind im Moodlekurs

1) Warum ist Medienpolitik zentraler Gegenstand der Publizistik- und


Kommunikationswissenschaft? (2)

a) Weil sich die PKW mit interpersoneller Kommunikation befasst.


b) Weil es einen Zusammenhang zwischen Medienstrukturen und Medieninhalten gibt.
c) Weil es einen Zusammenhang zwischen Medienregulierung und Medieninhalten gibt.
d) Weil es keinen Zusammenhang zwischen Medienorganisation und Medieninhalten gibt.
e) Weil die Kommunikationswissenschaft nicht interdisziplinär ausgerichtet ist.
f) Weil es keine Zusammenhänge zwischen den Gegenständen Politik, Ökonomie und Medien
gibt.

2) Welche medienpolitischen Akteursgruppen gibt es? (4)

a) Unternehmen
b) Medienspezifische Interessenverbände
c) Politische Parteien
d) Staatliche Akteure
e) Öffentlichkeit
f) Publikum

3) Laut Saxer sind Medien: (3)

a) Kommunikationskanäle
b) Massenkommunikation
c) Organisationen
d) unterkomplexe Systeme
e) komplexe Institutionen
f) überkomplexe Akteure

4) Welche Typen von Demokratien können nach Puppis unterschieden werden? (4)

a) Konkordanzdemokratie
b) Korrespondenzdemokratie
c) Direkte Demokratie
d) Repräsentative Demokratie
e) Minderheitendemokratie
f) Konsensusdemokratie

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5) Welche Definitionen von Regulierung lassen sich nach Baldwin und Cave unterscheiden? (3)

a) Regulierung als jegliche Form sozialer Kontrolle


b) Regulierung als jegliche Form der Steuerung
c) Regulierung als nichtintendierter Staatseinfluss
d) Regulierung als Menge von Anordnungen
e) Regulierung als Gesamtheit aller steuernden Kontrollen
f) Regulierung als intendierter Staatseinfluss

6) Welche Ansätze der Regulierungstheorie gibt es? (3)

a) Neoinstitutionalismus
b) Public-Agency-Theory
c) Regulatory-Interest Theory
d) Rolle von Ideen und Traditionen
e) Private Failure Theory
f) Agency-Theorie

7) Marktversagen ist gegeben bei: (3)

a) Informationsmängeln
b) Privaten Gütern
c) Internen Effekten
d) Strukturproblemen des Wettbewerbs
e) Meritorischen Gütern
f) Staatsversagen

8) Welche Politikbegriffe können nach Puppis unterschieden werden? (2) → Lösung S.6

a) Normative
b) Analytische
c) Regulative
d) Staatliche
e) Deskriptive

9) Welche Organisationsformen für öffentliche Leistungserstellung gibt es? (4) → Lösung auf S.33

a) Kooperation mit Externen


b) Markt
c) Experten
d) Fachleute im öffentlichen Dienst
e) Wettbewerb
f) gesetzliche Normen/Regulierung

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10) Welche Zielsetzungen kennzeichnen privatwirtschaftliche Medieninstitutionalisierung? (4) →


Lösung auf S.34

a) Gewinnmaximierung
b) Produktion von Kontaktchancen mit einem Publikum
c) Erfüllung der öffentlichen Aufgabe
d) Einschaltquotenmaximierung in der Zielgruppe
e) Rendite für privates Kapital erwirtschaften
f) Wirtschaftliche Haushaltsführung

11) Zur Analyse politischer Prozesse bietet sich nach Puppis eine Aufgliederung der kollektiven
Akteure an. Welche Akteure werden unterschieden? (3) → Lösung auf S.10/11

a) Kollektive Akteure der Interessenartikulation


b) Kollektive Akteure der Interessenformulierung
c) Kollektive Akteure der Interessenaggregation
d) Kollektiven Akteure der Interessendurchsetzung
e) kollektiven Akteure der Interessensublimierung

12) Die Ausgangslagen für die Liberalisierung und deren Verläufe unterschieden sich in den USA
und Europa deutlich. Warum?

→ Lösung nachlesen auf S.17

Viel Glück bei der Prüfung ☺

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