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Forschung – gern übersehenen Unterschiede

Besprechungen zwischen Medien und Journalismus noch deut-


licher hervortreten und das Beziehungsverhält-
Marie Luise Kiefer nis schließlich auf nachvollziehbare Weise prä-
Journalismus und Medien als Institutionen zisiert werden kann. Auf dem Weg dahin wer-
den zunächst „Institution“ und „Organisati-
Konstanz: UVK, 2010. – 244 S. on“ analytisch voneinander unterschieden und
ISBN 978-3-86764-232-3 gesellschaftliche Aspekte von Medien als Or-
ganisationen thematisiert. Dem Journalismus,
Die Forschung zum Journalismus in Deutsch- den die Autorin schließlich als „unterschätz-
land oszilliert zwischen der Mikro- und der te“ und „gefährdete Institution“ charakterisiert
Makro-Perspektive, wobei die beiden Lager ei- (S. 217) wird die – normativ basierte – Funktion
ne recht hermetische Attitüde pflegen. Die Me- „Sicherung von Volkssouveränität in der De-
so-Perspektive, also die Beschäftigung mit in- mokratie“ zugewiesen. Im Vergleich mit Medi-
stitutionellen und organisatorischen Aspekten en sei er fundamentaler, da diese nur durch ite-
der Aussagenentstehung, erscheint im Ver- rative Verknüpfung mit Journalismus Institu-
gleich dazu eher unterentwickelt – Ausnahmen tionen-Status gewinnen. In Hinblick auf aktuell
(z. B. Altmeppen) bestätigen die Regel. Die Au- diskutierte Wandlungsprozesse in den Kom-
torin versucht, diese Lücke zu füllen, indem sie munikationssystemen lässt sich so auch plausi-
sehr gründlich, ja, penibel, Konzepte und Mo- bel erklären, warum (technikinduzierter) Me-
delle zur Entstehung und zum Wandel von In- dienwandel sehr schnell erfolgen kann, wäh-
stitutionen auf kommunikationswissenschaft- rend die Institution Journalismus offenbar trä-
liche Fragestellungen und Befunde bezieht und ge auf Veränderungen reagiert. Dies ist auch
das dann auf grundlegende Erkenntnisse über hinsichtlich der behaupteten potenziellen Sub-
das Zusammenspiel von Journalismus und Me- stitution des Journalismus durch Internet-ba-
dien hinführt – unterhalb universaltheoreti- sierte Kommunikation zu bedenken, die angeb-
scher Höhenflüge, aber oberhalb eines Radars, lich bald jeden zum Journalisten macht.
der nur Einzelhandlungen von Journalisten er- Grundlage für Kiefers nach und nach gewon-
fasst. Rekurriert wird dabei zunächst auf diver- nene Einsichten ist ein Koordinatensystem, das
se Ansätze in Soziologie, Politologie und vor die gesamte Untersuchung trägt und aus fol-
allem Ökonomik. genden Paaren besteht: Medien / Journalismus,
Theoretischer Leitwolf der Autorin ist frei- Organisation / Institution, privatwirtschaft-
lich kein Ökonom und auch kein Soziologe, lich / öffentlich-rechtlich, Werbung / Redakti-
sondern der neue Philosophie-Star John R. Se- on. Mit seiner Hilfe, diverse Studien aus den
arle. Seine „Theorie institutioneller Tatsa- Beständen der Kommunikationswissenschaft
chen“ kreist um „Statusfunktion“, also die Me- referierend, kann sie ihr auf den ersten Blick et-
lange von zwei klassischen soziologischen Ter- was anachronistisches, aber sympathisches Plä-
mini, die aber m. E. per se keinen großen Er- doyer für die Erhaltung eines Journalismus,
kenntnisgewinn bringt. Es geht dabei so unge- welcher der Öffentlichkeit dient, munitionie-
fähr darum, dass Institutionen, die auf der ren. Da sie sehr filigran argumentiert, weiß sie
Kombination von Regeln basieren, eine be- auch die insbesondere für die politische Kom-
stimmte gesellschaftliche Funktion wahrneh- munikation zentrale Differenzierung zwischen
men müssen, mit Hilfe von exklusiven Regeln Journalismus (bzw. Nachrichten) auf der einen
operieren und gesellschaftliche Akzeptanz be- Seite und Werbung sowie Unterhaltung auf der
anspruchen können. Das erinnert natürlich an anderen Seite herauszuarbeiten. Das ist alles viel
die Funktionssysteme der Systemtheorie. Ma- überzeugender als das, was Niklas Luhmann in
rie Luise Kiefer weiß diesen Ansatz jedoch mit seiner Schrift „Die Realität der Massenmedi-
Gewinn auf die Verhältnisse im Medienbereich en“ dazu präsentiert hat. Umso mehr ist zu be-
zu übertragen, wobei sie – und das ist heutzu- dauern, dass sich Marie-Luise Kiefer um einen
tage ungewöhnlich – keine Scheu vor altbacken nahe liegenden Vergleich zwischen System-
wirkenden normativen Argumenten hat. theorie und Institutionentheorie nicht wirklich
Dabei legt sie sich unterwegs eine Selbstbe- bemüht hat.
schränkung auf. Angetreten mit dem Ziel, eine Nach einem recht langen Vorlauf und sehr
generelle Medienanalyse vorzulegen, fokussiert viel Deskription überrascht sie mit klaren Ur-
sie ihr Erkenntnisinteresse auf den Journalis- teilen: zur Legitimation eines kompetenten,
mus als Institution und lässt nicht-journalisti- kritischen Journalismus, dessen Krise oder gar
sche Medien außen vor. Dies erweist sich als Verschwinden wir uns nicht leisten können, zur
sinnvoll, weil so die – von der einschlägigen Erhaltung seiner Wirklichkeitsorientierung als

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https://doi.org/10.5771/1615-634x-2011-2-260
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Literatur · Besprechungen

Basis seiner Identität und zu dem Gesellschafts- turschau extrahieren Ruud Koopmans und Paul
vertrag, den wir mit dem öffentlich-rechtlichen Statham daraufhin drei theoretisch unter-
Rundfunk geschlossen haben, damit gerade er – scheidbare Formen europäisierter Öffentlich-
im Unterschied zu privat-kommerziellen Me- keit, auf die spätere Kapitel teils Bezug nehmen
dien – diesen Journalismus stützt und fördert; (vgl. 38ff.): Die erste ist eine „supranational Eu-
man müsse, schreibt sie (S. 184), den öffentli- ropean Public Sphere“, bei der (v. a. kollektive)
chen Organisationstyp journalistischer Medien Akteure aus ganz Europa interagieren und eu-
„wohl als den gesellschaftlich risikoärmeren ropaweite Massenmedien darüber berichten.
von zwei Kompromissen der organisatorischen Die zweite ist die „vertical Europeanization“,
Konkretisierung von Journalismus als Institu- bei der EU- und nationale Akteure miteinander
tion in der Massendemokratie begreifen.“ Am entweder „bottom up“ auf Initiative nationaler
Ende plädiert die Autorin dann für die Wieder- Akteure oder „top down“ auf EU-Initiative in-
entdeckung des Themas „innere Pressefrei- teragieren. Drittens unterscheiden sie eine „ho-
heit“ zur Sicherung der Autonomie des Journa- rizontal Europeanization“ mit einer „weak va-
lismus als Institution und sogar für eine Debatte riant“, bei der sich europäische Akteure länder-
über das Ende des offenen Berufszugangs zur übergreifend wahrnehmen, und einer „strong
Gewährleistung seiner Kompetenz. variant“, bei der sie zudem miteinander kom-
Damit liegt endlich mal wieder eine Studie munizieren.
vor, die den Journalismus als soziale Einrich- Diesen Modellen stellt das Projekt eine Fülle
tung ernst nimmt und sich mit Augenmaß und von Daten gegenüber, die durch einen mehrfa-
(auch ein wenig) Leidenschaft gegen die post- chen Vergleich angeleitet werden (vgl. über-
moderne Verwässerung seiner Funktion wen- blicksweise Koopmans/Statham, 47ff.): einen
det – nach dem Motto: Erlaubt ist, was gefällt. Ländervergleich (Deutschland, Großbritanni-
Sprachlich hätten die Indizienbeweise gern et- en, Frankreich, Niederlande, Spanien, Italien
was süffiger ausfallen dürfen. Auffallend die und Schweiz), einen Medienvergleich (unter-
zahlreichen Zeichensetzungsfehler. schiedliche Printmedien, Internet), einen Zeit-
Siegfried Weischenberg vergleich (1990 bis 2002) sowie einen Themen-
vergleich (von stark national geprägten Themen
wie Alterssicherung bis zu europäischer Inte-
Ruud Koopmans / Paul Statham (Hrsg.) gration). Zum Einsatz kamen verschiedene Me-
The Making of a European Public Sphere thoden (qualitative Interviews, eine standardi-
sierte Befragung, Dokumentenanalysen), wo-
Media Discourse and Political Contention bei eine aufwändige „claim-making analysis“
Cambridge u. a.: Cambridge University Press, von Printmedien das Herzstück darstellt.
2010. – 335 S. Codiert wurden mit dieser in Medien auffind-
(Communication, Society and Politics) bare „public speech acts (including protest
events) that articulate political demands, calls to
ISBN 978-0-521-13825-3
action, proposals, or criticisms, which, actually
„The Making of a European Public Sphere“ or potentially, affect the interests or integrity of
präsentiert Ergebnisse eines von 2001 bis 2004 the claimants or other political actors” (55).
geförderten EU-Projektes, an dem Teams aus In den folgenden empirischen Teilen des Bu-
sieben Ländern beteiligt waren. Analysiert ches beschäftigen sich die Autorinnen und Au-
wurde die (vermeintliche) Europäisierung po- toren mit unterschiedlichen Stufen des politi-
litischer Kommunikation und politischer Mo- schen Kommunikationsprozesses. Teil II un-
bilisierung „to address the unanswered questi- tersucht mittels der „claim-making analysis“
ons and myths about the emergence and per- die Sichtbarkeit („visibility“) unterschiedlicher
formance of a European public sphere by re- Akteure in europäischen Medien sowie die „in-
course to systematic empirical evidence“ (Stat- clusiveness“ (61) der entsprechenden Debatten.
ham, 277). Ruud Koopmans, Jessica Erbe und Martin F.
Zu Beginn des Buchs – im konzeptionell an- Meyer (63ff.) prüfen bspw., ob sich Urheber
gelegten Teil I – begründen Jos de Beus (13ff.) und/oder Adressaten medialer „claims“ euro-
und die Herausgeber (34ff.) zunächst die Rele- päisiert haben, und zeigen dabei einen der zen-
vanz dieser Stoßrichtung. Die EU-Politik des tralen Befunde des Buches auf: Sowohl dia-
bürgerfernen „permissiven Konsens“ sei ge- chron als auch synchron und sowohl länder- als
scheitert und die Bedeutung öffentlicher De- auch themenübergreifend dominieren nach wie
batten entsprechend gestiegen, allerdings weise vor einheimische Akteure und Themen die öf-
die bisherige Forschung zahlreiche Lücken und fentliche Debatte. Eine Europäisierung lässt
offene Fragen auf. Aus einer knappen Litera- sich nur mit zwei wesentlichen Einschränkun-

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