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FOKUS

Wann funktionieren politische


Kampagnen?
Bei politischen Kampagnen kommt die Auswertung oft zu kurz. Damit verspielen die
politischen Akteure eine Chance.  Urs Bieri

Abstract  Politische Kommunikation erfolgt nie im luftleeren Raum. Sie trifft Politische Kommunikation geht somit über
oft auf vorhandene Wertehaltungen, sie findet unter einem bestimmten ge- den Transport von Inhalten via geeignete Me-
sellschaftlichen Klima statt, und sie reibt sich an Konfliktmustern auf der dienkanäle hinaus. Vielmehr handelt es sich
Ebene der meinungsbildenden Eliten. Die komplexen Wechselwirkungen um einen komplexen und interdependenten
zwischen diesen Faktoren und der geplanten Botschaft machen eine Ana-
Austausch von Information in einem nicht nur
lyse der eigenen Kommunikation meist unabdingbar. Für die Evaluationen
steht eine breite Palette von Instrumenten zur Verfügung: Je nach Zielgrup- wohlgesinnten Umfeld.
pe und Zielsetzung der Kommunikation eignen sich etwa Fokusgruppenge-
spräche, Topics-Analysen, Befragungen und Modellierungen von Daten. Dispositionsansatz von GFS Bern
Zum systematischen Verständnis von Kommu-

W  enn Exekutivpolitiker von mittelgrossen


Städten die Smartphone-Kamera nicht
nur zum Fotografieren von Landschaftsbil-
nikation in einem (gesellschafts)politischen
Umfeld entwickelte das Forschungsinstitut GFS
Bern den sogenannten Dispositionsansatz. Der
dern benutzen, weiss das am Schluss die ganze Ansatz trägt der Tatsache Rechnung, dass poli-
Schweiz. Eine Affäre um Nacktbilder am Arbeits- tische Kommunikation nie im luftleeren Raum
platz kostete den ehemaligen Stadtpräsidenten stattfindet, sondern stark von verschiedenen
von Baden, Geri Müller, das politische Amt. Auch intervenierenden Elementen abhängt.   Eine
wenn ein solcher Skandal in der Politik nicht der Meinung zu einem politischen Phänomen ent-
Normalfall darstellt, zeigt er exemplarisch, dass steht dabei in Abhängigkeit von vier intervenie-
politische Kommunikation in der Wirkungskraft, renden Variablen.
aber auch im notwendigen Professionalisie- Die erste Variable sind die Prädispositio-
rungsgrad anspruchsvolle Kommunikation ist. nen. Damit sind Werthaltungen, Stereotypen,
Die Komplexität beginnt schon bei der kom- Einstellungen und Alltagserfahrungen rund
munikativ relevanten Zielgruppe – der Öffent- um das (gesellschafts)politische Phänomen ge-
lichkeit. Als Faustregel gilt: Je grösser die ad- meint. Die Prädispositionen bilden die Basis für
ressierte Öffentlichkeit, desto komplexer und die politische Meinungsbildung. Sie entschei-
anforderungsreicher ist politische Kommu- den, welchen Einfluss politische Kommunika-
nikation.1 Braucht es für Öffentlichkeit am tion überhaupt haben kann. Sind sie stark aus-
Stammtisch nicht viel mehr als den Willen, geprägt, kann man erzählen, was man will – die
sich auszutauschen, bedingt das Spielen auf Meinung wird sich nicht ändern. So geschehen
der kommunikativen Klaviatur der massenme- bei der Kommunikation zur Abzockerinitiative,
dialen Öffentlichkeit gute Kenntnisse aller re- wo die Wirtschaft mit grossem Aufwand ver-
levanten Intermediäre, der massenmedialen suchte, eine Gegenposition sichtbar zu machen,
(und sozialmedialen) Kanäle, aber auch der dis- und damit deutlich scheiterte.
persen Zielgruppen. Als würde dies nicht genü- Die zweite Variable ist das zu einem be-
gen, kommt erschwerend hinzu, dass man mit stimmten Zeitpunkt vorherrschende Klima:
der eigenen Kommunikation nie allein ist und Es spielt eine Rolle, in welchem wirtschaftli-
1 V gl. Gerhards und um Medienaufmerksamkeit buhlen muss. Oft chen, gesellschaftlichen, aber auch individu-
Neidhardt (1990).
2 Schneider Stingelin
nimmt jemand zudem – ebenfalls öffentlich – ellen Umfeld eine politische Meinung gemacht
(2014). eine dezidierte Gegenposition ein. wird. So kann eine Rezession die politische

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POLITIKEVALUATION

Kommunikation zum Wirtschaftsstandort schätzt und was sie zu allen vier intervenieren-
sichtbar befördern. Allerdings können sich den Variablen denkt.
die Klimata schnell verändern. Exemplarisch Auch wenn unterdessen nur noch selten auf
hat das Schweizer Stimmvolk im Februar 2014 eine Evaluation der eigenen Kommunikation
die Masseneinwanderungsinitiative angenom- verzichtet wird, beobachten wir noch viel zu oft,
men, welche eine rigidere Einwanderungspoli- dass man die Evaluation auf ein absolutes Mini-
tik forderte. Drei Jahre später akzeptierte das mum beschränkt. Ein Medienclipping gibt allen-
gleiche Volk eine sehr niederschwellige Umset- falls Einblick in das Medieninteresse gegenüber
zungsgesetzgebung, und das der eigenen Kommunikation, sagt aber nichts
Referendum dagegen schei- aus über eine Verhaltensänderung in der Bevöl-
Das Stimmvolk prüft terte an der Unterschriften- kerung, geschweige denn über die Effizienz des
hürde. Mitteleinsatzes.
nicht jedes politische
Politische ­Meinungsbildung Die Zürcher Kommunikationswissenschaft-
Vorhaben im Detail. geschieht auch nicht auf der lerin Colette Schneider Stingelin unterscheidet
berühmten ­­«grünen ­Wiese», drei Arten von Evaluation.2 Der erste Typus ist
wo alles zum ersten Mal gedacht wird. Viel- die formative Evaluation: Sie bildet die strate-
mehr kommen bestimmte Konfliktmuster in- gische Informationsanalyse für die Kommuni-
nerhalb der meinungsbildenden Eliten (dritte kationskonzeption. Dies beinhaltet Kenntnis
Variable) zum Zuge: Parteien, Verbände und Be- zum Informationsstand in der Zielgruppe wie
hörden beziehen zu einem Kommunikationsvor- auch deren Einschätzung zu allen relevanten
haben unterschiedliche Positionen. Diesen Eli- intervenierenden Faktoren. Als zweite Evalua-
ten kommt eine grosse Bedeutung zu, denn das tionsart nennt Schneider Stingelin die Prozess-
Stimmvolk prüft nicht jedes politische Vorha- evaluation: Eine permanente Beobachtung der
ben im Detail. Oft werden Entscheidungen auf Kommunikationsschritte wie auch des Kommu-
Basis einer Parteiparole oder eines grundsätzli- nikationsumfelds ermöglicht, die Kommuni-
chen Behördenvertrauens getroffen, manchmal kation an eine veränderte Realität anzupassen.
setzen sich die Stimmbürger aber auch über Ent- Schliesslich gilt es mit der Post-Evaluation die
scheidungen der Eliten hinweg, um «mal ein Zei- Kommunikationswirkung zu analysieren.
chen zu setzen». In dieser Ambivalenz wird er- Gerade bei grossen und langfristigen Kom-
klärbar, wieso die unbekannte Behördenvorlage munikationskampagnen erscheint die Nutzung
zum «Pulverregal» im Jahr 1997 über 80 Prozent aller drei Evaluationsarten vor, während und
Zustimmung erhielt, während die Minarettini- nach einer Kommunikation zwingend. Bei klei-
tiative im Herbst 2009 trotz klarer Ablehnung im neren Kommunikationsanstrengungen gilt es
Parlament vom Stimmvolk angenommen wurde. pragmatisch zu sein, ohne auf Evaluation ganz
Erst an vierter Stelle entfacht die politische zu verzichten.
Kommunikation ihren Einfluss, sei dies in Form
einer Präventionskampagne einer Bundesver- Werkzeugkasten zur Evaluation
waltung oder einer Abstimmungskampagne.
Dabei ist zentral, dass politische Kampagnen oft Spezialisten für die Evaluation von politischer
eine Gegenkommunikation anregen. In einer Kommunikation haben eine Vielzahl an Instru-
Abstimmungssituation ist das selbsterklärend; menten zur Hand. Das ideale Werkzeug oder die
aber auch bei einer Präventionskampagne kann ideale Kombination verschiedener Werkzeuge
es eine Metakommunikation darüber geben, ob bestimmen sich dabei durch die relevante Ziel-
die öffentliche Hand nicht Behördenpropaganda gruppe, die Zielsetzung und Stossrichtung der
betreibt. Kommunikation sowie das vorhandene Budget.
Um erfolgreich zu kommunizieren, gilt es all Mittels qualitativer Befragungsmethoden (Fo-
diese Variablen schon bei der Analyse der Aus- kusgruppen oder Grossgruppengespräche) kön-
gangslage proaktiv mitzudenken. Das heisst: nen beispielsweise Einstellungen oder Verhal-
Bevor man zu kommunizieren beginnt, sollte tensabsichten zu politischen Themen gemessen
man wissen, wie die Zielgruppe das Thema ein- werden, deren Meinungsbildung stark diskursiv

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FOKUS

entsteht und wenig auf Fachexpertise angewie- ter Personen aufweisen, die mit dem Rauchen
sen ist. Stark werthaltige Themen oder Themen aufgehört haben. In einem zweiten Schritt nutzt
mit grossem Alltagsbezug eignen sich ideal dazu. man das Modell, um für jeden (statistisch er-
Um den Diskurs in Massenmedien oder auf fassten) Raucher eine Wahrscheinlichkeit zu be-
Social Media zu evaluieren, eigenen sich Topics-­ rechnen, dass er, richtig motiviert, mit Rauchen
Analysen. Eine Topics-Analyse geht dabei den aufhören könnte. Eine Rauchstopp-Kampagne
entscheidenden Schritt über das einfache Sam- könnte in der Folge konkret Gruppen angehen,
meln und Lesen von Beiträgen hinaus: Die Inhal- welche erhöhte Erfolgschancen aufweisen.
te werden auf relevante Inhalte zurückgeführt, Letztlich gilt: Kommunikation ist im Wan-
anschliessend wird eruiert, in welchem inhalt- del, das trifft auch auf die politische Kommuni-
lichen Rahmen eine Diskussion stattfindet res- kation zu. Die Grundsätze hinter der Kommu-
pektive nicht stattfindet. So lässt sich erkennen, nikation und deren Evaluation gelten aber nach
in welchem Kontext und mit welchen Worten wie vor. Eine wirksame und effiziente Kommu-
ein Thema diskutiert wird, aber auch, wie die- nikation ist angewiesen auf Professionalität in
se Rahmen aufeinander wirken. Damit erkennt Planung, Durchführung – und eben auch auf
man frühzeitig, auf welchen Widerstand die Evaluation. Der Verzicht auf eine vollständi-
eigene Kommunikation stossen könnte und wie ge Analyse der Ausgangslage und eine fundier-
relevant dieser Widerstand ist. te Erfolgskontrolle ist vergleichbar damit, mit
dem Auto von Bern nach Zürich zu fahren, ohne
Auf Zielgruppe fokussieren den Weg zu kennen, und am Schluss nicht mal
zu prüfen, ob man Zürich nun erreicht hat. Viel-
Meinungen und Verhaltensabsichten wiederum leicht kommt man irgendeinmal in Zürich an,
können mit Erhebungen abgefragt werden. Die vermutlich aber nicht, und effizient ist es ganz
geeignete Erhebungsmethode richtet sich nach sicher nicht.
der relevanten Zielgruppe und variiert zwi-
schen Online- und Telefonbefragungen sowie
persönlichen und schriftlichen Interviews. Bei-
spielsweise ist die durchschnittliche Urnengän-
gerin in der Schweiz älter als 57 Jahre alt. Inte-
ressiert die Meinung der mobilisierungsfähigen
Stimmberechtigten, macht es wenig Sinn, die-
se Altersgruppe mit einer Onlineumfrage anzu-
sprechen – Telefonbefragungen bleiben hier der Urs Bieri
Goldstandard. Politikwissenschafter, Co-Leiter und Mitglied des
­Verwaltungsrats von GFS Bern
Mittels einer Modellierung, die auf erhobe-
nen oder vorhandenen Daten basiert, lassen sich
auf statistischem Weg bis hin zum einzelnen In- Literatur
Gerhards, J. und Neidhardt, F. (1990). Strukturen und Funktionen
dividuum Wahrscheinlichkeitsmodelle für an- ­moderner Öffentlichkeit. Fragestellungen und Ansätze. Berlin: WZB.
gestrebtes Verhalten errechnen. Beispielsweise Schneider Stingelin, C. (2014). Gesundheitskampagnen in der
Schweiz: Integriertes Kampagnenmanagement mit theoretischer
kann man statistisch modellieren, welches Mus- Fundierung und Evaluation. Konstanz: UVK.

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