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KPOL WS 20/21

KPOL WS 20/21
Univ.-Prof. Mag. Dr. Christian Steininger (christian.steininger@univie.ac.at)

Mittwochs von 9:45 bis 11:15 Uhr (Digital)

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1. THEMENBEREICHE DER VORLESUNG (14.10.2020)

1. Ziele und Themen der Lehrveranstaltung


2. Themen der Lehrveranstaltung

ZIELE UND THEMEN DER LEHRVERANSTALTUNG

• Vermittlung von Fachwissen


• Definitionen und Dimensionen der Medienpolitik
• Begründungen für medienpolitisches Handeln
• Zusammenspiel von Demokratie, Ökonomie und Medien

THEMEN DER LEHRVERANSTALTUNG

• Schwerpunkt Rundfunkpolitik
• Theorien zu Media Governance, Ko-und Selbstregulierung, Politischer Ökonomie
verweisen auf Zusammenhänge zwischen Medienpolitik und Medienökonomie
• Kommunikationswissenschaftler und Ökonomen konstatieren aktuell vermehrt, dass
Gesellschaften durch organisierte Gruppen geprägt werden. Die Einsicht in diesen
Umstand führt uns zum Institutionalismus
• Fallbeispiele: Medienpolitische Debatten, Bertelsmann Stiftung, Öffentlichkeit und
Markt sowie Trennungsgrundsatz im Fernsehen

1. ALLGEMEINER ÜBERBLICK

• Organisatorisches, Ablauf der Vorlesung, Überblick über die Themen

2. KOMMUNIKATIONS- UND MEDIENPOLITIK

• Definitionen und Dimensionen der Medienpolitik, Begründungen für Medienpolitik


• Handelt es sich bei Medienpolitik um ein eigenes Politikfeld?

3. REGULIERUNG UND GOVERNANCE

• Definitionen, theoretische Zugänge, Ziele, Akteure, eingesetzte Medien,


Problemfelder

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• Was bedeutet staatliche Medienregulierung?


• Nach Puppis: Medienregulierung bedeutet, dass staatliche Akteure Regeln für
Medienorganisationen und die massenmediale öffentliche Kommunikation setzen,
deren Einhaltung durchsetzen und Regelverstöße sanktionieren.
• Staatliche Medienregulierung = Kern der Medienpolitik
• Unterschiedliche Ansätze der Regulierungstheorien
• Fokus auf Interessen, Institutionen oder Ideen
• Interessen:
o Public Interest Theory: man geht davon aus, dass Regulierung öffentlichem
Interesse dient (normativer Ansatz: sagt, wie es sein sollte)
o Regulierungseinheiten werden von Industrie eingefangen und handeln in deren
Interesse (Capture Theory)
o Privat Interest Theory: Politiker*innen verfolgen eher private Interessen, als
öffentliche
• Institutionen:
o Agency Theory
o Neo-Institutionalismus
• Ideen:
o Warum unterscheiden sich die Medienregulierungen in Europa und den USA?
usw.
• Viel dominanterer Begriff als Regulierung ist Governance
• Mainz: Governance es geht um alle unterschiedlichen, nebeneinanderstehenden
Formen der kollektiven Regelung gesellschaftlicher Sachverhalte

4. MEDIENPOLITIK UND POLITISCHE ÖKONOMIE

• Theoretische Ansätze, zentrale Begrifflichkeiten, Anwendungsfelder, Wettbewerb,


Pressefreiheit und öffentliche Meinung

5. POLITISCHE ENTSCHEIDUNGS- UND STEUERUNGSSYSTEME AUS ÖKONOMISCHER SICHT

• Wirtschaft und Politik als interdependente Systeme, öffentliche und private


Medieninstitutionalisierung, Verhandlungssysteme und Kooperationsformen
zwischen Staat und Privaten

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6. MEDIENPOLITIK UND INSTITUTIONENÖKONOMIK

• Ziele und Bewertungsmaßstäbe der Institutionenökonomik, ökonomische


Institutionen: Markt, Wettbewerb und Unternehmen
• Parallele Entwicklungen Kommunikationswissenschaft und Wirtschaftstheorie insb. im
Bereich der Behandlung des Institutionalismus

GESCHICHTLICHE WURZELN DER WIRTSCHAFTSTHEORIE

(Schumann 1990, mit Ergänzungen Hannerer/Steininger 2009)

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ÖKONOMISCHER INSTITUTIONALISMUS IM WANDEL

(in Anlehung an Seifert/Priddat 1995)

7. FALLBEISPIEL: MEDIENPOLITISCHE DEBATTEN

• Markt, öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Rezipient, Rundfunkfinanzierung


• Medienpolitische Debatten

8. FALLBEISPIEL: DIE BERTELSMANN STIFTUNG

• Die Bertelsmann Stiftung als politische Institution, Einflussebenen der Stiftung,


bundesdeutsche Rundfunkpolitik

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9. FALLBEISPIEL: MARKT UND ÖFFENTLICHKEIT/TRENNUNG VON WERBUNG UND


PROGRAMM

• Begriffliche Grundlegungen, Öffentlichkeitstheorie, Markttheorie, öffentliche


Kommunikation, Öffentlichkeit und Güterlehre
• Trennungsgrundsatz, Markt, Medienkompetenz, Audiovisuelle Mediendienste
Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates

10. FALLBEISPIEL: JOURNALISMUS

• Journalismus und Medien als Institutionen, autonome Institutionen in einer


Gesellschaft, Sicherung autonomer Institution im Rahmen medienpolitischen
Handelns

11. PRÜFUNGSMODUS, BEISPIELFRAGEN UND FRAGEN ZUR KLAUSUR

• Prüfungsvorbereitung

12. PRÜFUNG (27.01.2021)

Wenn es unmöglich sein sollte, Präsenzprüfungen mit dem gewohnten Prüfungsmodus (siehe
unten) durchzuführen, wird die Prüfung als Online-Prüfung schriftlich mit offenen Fragen
durchgeführt.

Schriftliche Multiple-Choice-Prüfung im HS (Präsenzprüfung):

• Anzahl der richtigen Antworten wird angegeben


• Prüfungsdauer: 60 Minuten
• 35 Prüfungsfragen mit jeweils sechs Antwortmöglichkeiten

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2. KOMMUNIKATIONS- UND MEDIENPOLITIK (21.10.2020)

ALLGEMEIN

• Was ist Politik?


• Was sind Medien?
• Was ist Medienpolitik?

„Medienpolitik ist jenes Handeln, das auf die Herstellung und Durchsetzung allgemein ver-
bindlicher Regeln und Entscheidungen über Medienorganisationen und massenmediale
öffentliche Kommunikation abzielt.“ – Puppis

PROBLEME, DERER SICH MEDIENPOLITIK ANNIMMT

Politik nimmt sich der Medien an, da man davon ausgeht, dass Medien eine bedeutende Rolle
für das Funktionieren der Gesellschaft spielen.

• Öffentlich-rechtlicher Rundfunk
• Unternehmenszusammenschlüsse
• Technische Entwicklungen

DISZIPLINEN, DIE SICH MIT MEDIENPOLITIK BESCHÄFTIGEN

Medienpolitik ist bei Wirtschaftswissenschaft, Politikwissenschaft, Rechtswissenschaft und


Kommunikationswissenschaft Thema. Die Theorien und Methoden sind in der Politikwissen-
schaft und den Kommunikationswissenschaft ähnlich, weil beides Sozialwissenschaften sind.

• PKW
• Politikwissenschaft
• Wirtschaftswissenschaften
• Rechtswissenschaft

MEDIENPOLITIK ALS ZENTRALER GEGENSTAND DER PKW

• Annahme: Es gibt einen Zusammenhang zwischen Medienstrukturen und Medienin-


halten. (Strukturperspektive)
• Wenn die Politik Interesse an bestimmten (v.a. rhetorischen) Inhalten hat, dann muss
sie am Rädchen der Struktur drehen, um diese bereitstellen zu können.
• Wirkung von Medieninhalten auf Einstellungen und Verhalten

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KLASSISCHE GEBIETE DER PKW (PUPPIS 2010, 27)

• Verweis auf Lasswell

Diese Theorien zu Medieninhalten und Medienwirkungen sind wichtig aber um erklären zu


können, wie bestimmte Inhalte entstehen, müssen auch Medienstrukturen analysiert werden:

• Kommerzielle Unternehmen – Beispiel: Finanzierungsprobleme, Finanzierung durch


Werbung, Bereitstellungsformen serieller Produktion, Flohproduktion, Arbeit mit
Formaten und Stereotypen

EINBETTUNG VON MEDIEN IN DER GESELLSCHAFT (PUPPIS 2010, 28)

• Medien sind eingebettet in die Strukturen der Gesellschaft. Auch: ökonomische


Zwänge und politische Vorgaben

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MEDIENSTRUKTUR

„Mit Medienstruktur werden die politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen von


Medienorganisationen und die Art, wie die Medien organisiert sind, bezeichnet.“ (Puppis 2010,
28)

• Die Gesellschaftliche Struktur wirkt auf die Struktur von Medienorganisationen und
auf das Handeln von Medienorganisationen ein, auch das Handeln von
Journalist*innen ist davon betroffen.

„Eine Vielzahl an Medienorganisationen ist damit noch keine Garantie aber dennoch eine
Chance für inhaltliche Vielfalt.“ – Puppis

• Arbeitshypothese (nicht empirisch belegt): Strukturelle Vielfalt ® Inhaltliche Vielfalt


• Medienpolitik setzt bei Medienstruktur an, weil sie nicht viele Möglichkeiten hat auf
der inhaltlichen Ebene zu agieren (in demokratischen Staaten). Trotzdem gibt es
inhaltliche Vorgaben wie z.B. das ORF-Gesetz.

VERBINDUNG ZWISCHEN STRUKTUR UND INHALT /MODELL DER INDUSTRIELLEN


ORGANISATION (PUPPIS 2010, 29)

EINFLUSS DER MEDIENPOLITIK AUF DIE MEDIENSTRUKTUR (PUPPIS 2010, 30)

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FAZIT MEDIENSTRUKTUREN

„Medienstrukturen haben einen entscheidenden Einfluss auf das Handeln in und von
Medienorganisationen und damit auch darauf, wie und welche Medieninhalte entstehen. Mit
Medienpolitik wird versucht, über die Medienstruktur indirekt auf Medieninhalte
einzuwirken.“ (Puppis 2010, 31)

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DEFINITION: POLITIK & MEDIEN

DEFINITION VON POLITIK

normative Politikbegriffe

• Wie soll etwas sein?


• durch Politik zu erreichende Ziel wird definiert

deskriptiver Politikbegriff

• Was ist Politik?


• Wird von Puppis verwendet bei der Einführung!

Zwei Aspekte, die für normative als auch für deskriptive Politikbegriffe gelten:

• Politik als menschliches Handeln


• Herstellung und Durchsetzung allgemein verbindlicher Regeln und Entscheidungen

„Politik ist jenes Handeln, das auf die Herstellung und Durchsetzung allgemein verbindlicher
Regeln und Entscheidungen abzielt.“ (Puppis 2010, 32)

DEFINITION VON MEDIEN

„Medien als komplexe institutionalisierte Systeme um organisierte Kommunikationskanäle


von spezifischen Leistungsvermögen“ – Saxer

„Massenmedien können verstanden werden als in die Gesellschaft eingebettete


Medienorganisationen und die von diesen verbreitete massenmediale öffentliche
Kommunikation.“ (Puppis 2010, 33)

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MEDIENPOLITIK

• Kommunikationspolitik vs. Medienpolitik: Welcher Begriff ist richtig?


o Medienpolitik, da Individualkommunikation nicht im Zentrum unseres Faches
steht (laut Puppis)
o Im Marketing Mix ist Kommunikationspolitik als Werbung und PR definiert
• Ist Medienpolitik ein eigenes Politikfeld?
o Politikfeld: Akteure und deren Austausch, Beziehungen, Interessen
o klassische Politikfelder: Außenpolitik, Wirtschaftspolitik
o Medienpolitik durch andere Politikfelder (Industrie-, Kultur-, Wettbewerbs-,
Technologiepolitik) überfremdet (Saxer)
o Medienpolitik hat nicht den Stellenwert wie andere Politikfelder, ist aber
trotzdem relevant. Denn ohne freie Medien ist keine ungehinderte
Meinungsbildung in der Bevölkerung und daher auch keine Demokratie
möglich. (Kleinstäuber)

DEFINITION VON MEDIENPOLITIK

„Medienpolitik ist jenes Handeln, das auf die Herstellung und Durchsetzung allgemein
verbindlicher Regeln und Entscheidungen über Medienorganisationen und die
massenmediale öffentliche Kommunikation abzielt.“ (Puppis 2010, 36)

DIMENSIONEN DES POLITIKBEGRIFFS (PUPPIS 2010, 36)

1. Polity: Rahmen, Strukturen


2. Politics: Handlungsprozess
3. Policy/Output: Inhalte und politische Entscheidungen

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1. POLITY: STRUKTURELLE UND INSTITUTIONELLE BEDINGUNGEN (PUPPIS 2010, 39)

Unterschiedliche Formen von Demokratie haben unterschiedliche Strukturen und


unterschiedliche Prozesse:

• Konkordanzdemokratie z.B. in der Schweiz (Österreich auch eher hier einzuordnen) ®


Erlangen und Generieren von Konsens
• Konkurrenzdemokratie z.B. in Deutschland ® Mehrheitsprinzip
• direkte Demokratie z.B. Schweiz ® Volksabstimmungen, Initiativen
• repräsentative Demokratie z.B. Deutschland ® politische Repräsentation

Die Eigenschaften politischer Systeme und die damit verbundenen Vorstellungen von
Institutionalisierung bezüglich des Mediensystems prägen medienpolitische Prozesse und
damit auch die Einflussmöglichkeiten medienpolitischer Akteure.

2. POLITICS: POLITISCHER PROZESS UND BETEILIGTE AKTEURE

• Merkmale
• Individuelle / kollektive Akteure
• Arten von kollektiven Akteuren

DEFINITION AKTEUR

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„Ein Akteur hat Interessen und verfolgt bestimmte Ziele, verfügt über bestimmte normative
Orientierungen und Ressourcen, hat die Fähigkeit, strategisch zu handeln, versteht sich selbst
als Akteur und wird von anderen als solcher anerkannt. Dabei kann zwischen individuellen und
kollektiven Akteuren unterschieden werden.“ (Puppis 2010, 41)

• Akteure handeln stellvertretend für eine Gruppe und besitzen etwas, wie eine
kollektive Identität.
• Zielorientierung
• Wertorientierung (Werte als Kompass für Akteur)
• Akteure verfügen über Ressourcen und setzen diese ein, um ihre Interessen zu
verfolgen
• Strategiefähigkeit (Mittel und Ziele mittels einer Strategie kombinieren)
• Selbst- und Fremdbeschreibung (Akteur muss sich selbst als solcher sehen und von
anderen anerkannt werden)

UNTERSCHEIDUNG IN INDIVIDUELLE UND KOLLEKTIVE AKTEURE

• Individuelle Akteure: Einzelpersonen, die bestimmte Rolle in Organisation haben


• Kollektive Akteure: Zusammenschluss mehrerer Personen
o Geringer Organisationsgrad: Verbände, soziale Bewegungen
o Hoher Organisationsgrad: kooperative Akteure: Unternehmen, Behörden

• Kollektive Akteure der Interessensartikulation: Verbände, soziale Bewegungen,


Parteien
• Kollektive Akteure der Interessensaggregation: Parteien
• Kollektive Akteure der Interessensdurchsetzung: Regierung, Parlament, Ministerien,
Verwaltung, Regulierungsbehörden

MEDIENPOLITISCHE AKTEURE

Ökonomische, politische, gesellschaftliche Akteure:

• Unternehmen
• Medienspezifische Interessenverbände
• Politische Parteien
• Staatliche Akteure
• Zivilgesellschaftliche Akteure (Bewegungen, Kirchen, Wissenschaft)

Oft werden Partikularinteressen dieser Akteure als „öffentliches Interesse“ ausgegeben

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„Medienpolitik wird dominiert von ökonomischen und politischen Akteuren. Insbesondere die
Medienunternehmen selbst verfolgen wirtschaftliche Eigeninteressen. Das Publikum
hingegen ist kein Akteur.“ (Puppis 2010, 44)

EINFLUSS VON AKTEUREN AUF DEN POLITISCHEN PROZESS (PUPPIS 2010, 44)

• Problemdefinition: Probleme müssen bearbeitbar gemacht werden für das politische


System
• Politikdefinition: Parteien kümmern sich um ein Problem
• Politikformulierung: es wird ein Programm entwickelt, wie dieses Problem behoben
werden kann durch das politische Entscheidungszentrum
• Politikimplementierung: Behebung des Problems
• Politikevaluation: Ist das Problem gelöst oder muss es erneut bearbeitet werden?

3. POLICY: POLITISCHE ENTSCHEIDUNGEN (PUPPIS 2007, 47)

• protektiv: z.B. Quoten für die Ausstrahlung heimischer Produktionen in öffentlich-


rechtlichen Sendern
• distributiv: z.B. es muss Sportberichterstattung erfolgen, auch Minderheiten-
Sportberichterstattung berücksichtigen
• redistributiv: Gebührensystem, das auf Bürger*innen Rücksicht nimmt z.B.
Befreiungen für Mindestpensionist*innen

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KERN DER MEDIENPOLITIK

„Die allgemein verbindlichen Regeln und Entscheidungen über Medienorganisation und die
massenmediale öffentliche Kommunikation bilden den Kern der Medienpolitik.“ (Puppis 2010,
46)

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3. REGULIERUNG UND GOVERNANCE (21.10.2020)

REGULIERUNG

• Regulierung = Teilbereich von Politik

VERSTÄNDNIS VON REGULIERUNG

• als jegliche Form sozialer Kontrolle


o breite Definition: alle Mechanismen, die Verhalten beeinflussen können
• intendierter Staatseinfluss
o Gebote und Verbote und andere Einflüsse durch den Staat wie z.B.
ökonomische Anreize oder Subventionen
• Menge von Anordnungen
o ausschließlich Gebote und Verbote

• Puppis versteht Regulierung als intendierter Staatseinfluss


• keine Beschränkung nur auf Gebote und Verbote, sondern alle anderen Arten
staatlicher Einflussnahme werden mitberücksichtigt
• Klare Definition des Regulierungsakteurs ® Regierung, Verwaltung,
Regulierungsbehörden
• Konzeption mit bestimmter Intention, es geht um das Erreichen bestimmter
gesellschaftlich wünschenswerter Dinge
• Regulierung besteht aus 3 Komponenten: Regelsetzung, Regeldurchsetzung,
Sanktionierung von Regelverstößen

DEFINITION: REGULIERUNG

„Staatliche Medienregulierung bedeutet, dass staatliche Akteure Regeln für


Medienorganisationen und die massenmediale öffentliche Kommunikation setzen, deren
Einhaltung durchsetzen und Regelverstöße sanktionieren.“ (Puppis 2007, 51)

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ANSÄTZE DER REGULIERUNGSTHEORIE (PUPPIS 2007, 51)

• Interessen
o normativ: Public-Interest-Theorie
o positiv: Regulatory Failure und Private-Interest-Theorien
o Entstehung und Legitimierung von Regulierung
• Institutionen
o Art der Regulierung
• Idee
o Vergleich zwischen unterschiedlichen Regulierungstraditionen

„Mit Interessen kann analysiert werden, wem welche Regulierung Vorteile verschafft. Die
Bedeutung von Institutionen hilft bei der Analyse von Regulierungsbehörden. Und mit Ideen
lässt sich erklären, wie unterschiedliche Regulierungstraditionen entstehen konnten.“ (Puppis
2007, 55)

INTERESSENSZENTRIERTE ANSÄTZE

Um die Entstehung von Regulierung erklären zu können muss man wissen in wessen Interesse
Regulierung liegt und wie Kosten und Nutzen von der Regulierung in der Gesellschaft verteilt
sind.

UNTERSCHEIDUNG: NORMATIVE UND POSITIVE ANSÄTZE

normativ: Public-Interest-Theorie

• Staat als Vertreter des öffentlichen Interesses


• Begründet Regulierungen mit wie-auch-immer-definiertem öffentlichen Interesse
• Regulierung entsteht, weil es ein öffentliches Interesse an ihr gibt
• ökonomische (z.B. Korrektur von Marktversagen) oder soziale Gründe (Bildung,
Information im Fernsehen)

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positiv: Regulatory Failure und Private-Interest-Theorien

• Auswirkungen von Regulierung aufzeigen


• erklären welche Akteure Interesse an bestimmter Form der Regulierung haben
• Regulatory Failure Theorien gehen davon aus, dass Regulierungsbehörden sich mit der
Zeit von der Durchsetzung öffentlichen Interessen immer weiter entfernen
• Catcher Theory (berühmter Ansatz der Regualtory Failure Theorien): geht davon aus,
dass Regulierungsbehörde im Laufe ihrer Existenz von ressourcenstarken
ökonomischen Akteuren gefangen genommen wird
• Private-Interest-Theorie: die Regulierung erfolgt nicht aufgrund von öffentlichem
Interesse, sondern geschieht aufgrund von privater Einzelinteressen (Abhängigkeit
politischer Akteure von der Wirtschaft ® Regulierungsentscheidung gegen
Geld/Wählerstimmen), Regulierung dient vor allem Unternehmer*innen und
Politiker*innen

INSTITUTIONENZENTRIERTE ANSÄTZE

• Institutionelle Strukturen, Prozesse und Arrangements


• Agency-Theory (aus der neuen Institutionen-Ökonomik): man geht von einer
Informations-Asymmetrie zwischen dem Prinzipal (Regierung als politischer
Auftraggeber) und dem Agenten (Regulierungsbehörde als Auftragnehmer) aus;
Informations-Asymmetrie kann der Agent potentiell zu seinem eigenen Vorteil
ausnutzen;
• Neo-Institutionalistische Ansätze der Organisationstheorie: Trägt die Institution der
Behörde der institutionellen Umwelt Rechnung?

IDEENZENTRIERTE ANSÄTZE

• Ideen, Ideologien, kulturelle Traditionen spielen eine bedeutsame Rolle für die
Ausprägung von Regulierung
• USA-Regulierungstradition Regulierung nur bei mangelndem Wettbewerb gern
gesehen
• Französisches Konzept: Vernunft einer Gesellschaft in den Gesetzestexten zu finden,
allein das Recht kann den allgemeinen Volkswillen ausdrücken
• Deutsche Regulierungstradition: Regulierung als wesentliches Merkmal
grundsätzlichen staatlichen Handelns im Kontext eines öffentlichen Interesses, stark
ausgeprägte legalistische (starr an Paragraphen festhaltenden) Kultur
• Diese Regulierungstraditionen sind z.B. Grund dafür warum sich Radio in den USA
(freiem Markt überlassen) und Europa (Institutionalisierung von öffentlichen
Rundfunk-Organisationen) anders entwickelt haben.
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REREGULIERUNG/DEREGULIERUNG (PUPPIS 2007, 58)

• Durch rechte/neoliberale Parteien viel Privatisierung ab 1970er.

FORMEN DER PRIVATISIERUNG

• Organisationsprivatisierung: öffentliches Unternehmen wird in private Rechtsform


überführt, Staat bleibt Eigentümer
• Vermögensprivatisierung: Organisation, die bisher öffentliches Eigentum war, wird an
private Investors verkauft
• Aufgabenprivatisierung: staatliche Aufgaben werden in den privaten Sektor verlagert,
der Staat verzichtet auf bisher erbrachte Leistungen

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GOVERNANCE UND GOVERNMENT

„Governance meint (...) das Gesamt aller nebeneinander bestehenden Formen der
kollektiven Regelung gesellschaftlicher Sachverhalte.“ (Mayntz zit. nach Puppis 2007, 59)

Government bezieht sich auf Regulierung durch staatliche Akteure.

HORIZONTALE AUSWEITUNG DER MEDIENREGULIERUNG

• Selbstregulierung meint, dass statt des Staates private Akteure für die eigene Branche
Regeln setzen, deren Einhaltung durchsetzen und Regelverstöße sanktionieren.
(Puppis 2007, 60)
o Medienunternehmen versuchen oft durch Selbstregulierung staatliche
Eingriffe zu verhindern und sanktionieren nur, wenn es sonst der Staat tun
würde.
o Keine Verbindlichkeit zur Selbstregulierung
o Fehlende demokratische Legitimierung von Selbstregulierungsorganisationen
• Co-Regulierung meint, dass private Akteure im Auftrag des Staates (gemeinsam mit
staatlichen Akteuren) Regeln für die eigene Branche setzen ... (Puppis 2007, 61)

FORMEN DER MEDIA GOVERNANCE (PUPPIS 2007, 61)

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VERTIKALE AUSWEITUNG VON REGULIERUNG (PUPPIS 2007, 62)

• europäische Ebene z.B. Europarat


• globale Ebene z.B. ITU, UNESCO
• Global Media Governance ® grenzüberschreitende Regulierung durch private Akteure
und NGOs

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BEGRÜNDUNGEN FÜR MEDIENREGULIERUNG

• technische
• ökonomische
• gesellschaftlich-politische

TECHNISCHE GRÜNDE FÜR MEDIENREGULIERUNG

• Frequenzknappheit (Rundfunk): Wer darf die vorhanden Frequenzen nutzen? Durch


neue Techniken ist mehr möglich, trotzdem bleibt es offiziell beschränkt.
• Konzerne z.B. im Bereich der Kabelnetze können eine Gatekeeper-Funktion erfüllen
(wer darf senden?) ® Must-Carry-Regeln von der Regierung, um Diskriminierung zu
verhindern

ÖKONOMISCHE BEGRÜNDUNGEN FÜR MEDIENREGULIERUNG

• Markt und Marktversagen


• Öffentliche Güter
• externe Effekte
• Strukturprobleme des Wettbewerbs
• Informationsmängel
• meritorische Güter

MARKTVERSAGEN (PUPPIS 2007, 68)

• Marktversagen: man holt das Maximum aus Markt raus


• produktive Effizienz: so kostengünstig wie möglich produzieren
• allokative Effizienz: gemäß der Präferenzstrukturen der Konsument*innen produziert
• Medien funktioniert das so aber nicht immer, da gibt es viele Gründe, die zu
Marktversagen führen können

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Marktversagen ist gegeben bei:

Öffentliche Güter: Gegenteil von privaten Gütern

• Rivalität im Konsum
• Nicht-Auschliessbarkeit vom Konsum

Externe Effekte

• Politikerkarrieren
• Börsenkurse
• Wertewandel
• Befinden der Rezipienten

Strukturprobleme des Wettbewerbs

• Economies of Scale (Unternehmensgröße)


• Economies of Scope (Verbundsvorteile)
• Fixkostendegression (Geringere Kosten bei größeren Unternehmen)

Informationsmängel Information-Asymmetrie zwischen Produzenten und Konsumenten

• Homogene Güter
• Such- oder Inspektionsgüter
• Erfahrungsgüter

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• Vertrauensgüter (Informationssendungen)

meritorische Güter

• Güter die wichtig sind aber oft nicht konsumiert werden


• Beispiele: Bildung
• Umstritten, ob es Medien gibt, die meritorische Güter sind, kann aber schon sein

FOLGEN DES MARKTVERSAGENS

• Werbung
• Öffentliche Finanzierung

• Anzeigen-Auflagen-Spirale (Puppis 2007, 76):

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• Dreieckstausch der Werbefinanzierung (Puppis 2007, 77):

GESELLSCHAFTLICH-POLITISCHE BEGRÜNDUNGEN FÜR MEDIENREGULIERUNG

„Die soziale, kulturelle und politische Bedeutung der Massenmedien stellt eine wichtige
Begründung für Medienregulierung dar. Sollen die Medien dieser Bedeutung gerecht werden,
so kann sich Medienregulierung nicht mit der Korrektur von Marktversagen
begnügen.“ (Puppis 2007, 84)

• Medien stellen Öffentlichkeit her, für das Überleben moderner Demokratien


notwendig
• Medienfreiheit kann zu Marktfreiheit verkommen

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4. MEDIENPOLITIK UND POLITISCHE ÖKONOMIE

POLITISCHE ÖKONOMIE DER MEDIEN

Was versteht man unter Politischer Ökonomie der Medien?

Alle Ansätze mit Ausnahme der politischen Ökonomie auf Grundlage der modernen
Wirtschaftswissenschaften nehmen eine kritische Haltung gegenüber der Neoklassik ein. Es
gibt aber keine Einigkeit über das Erkenntnisziel, das Objekt oder die Methode. Daher kann
man die Frage nicht (nur) mit der Schulensystematik erklären.

Annäherung an die Frage in mehreren Schritten:

1. Schulensystematik
2. International Bibliography of Economics
3. Medienökonomik
4. Neue Politische Ökonomie

1. SCHULENSYSTEMATIK (STEINIGER 2003)

Bei der politischen Ökonomie kann folgendes unterschieden werden:

• Konfusion
• Unschärfe

2. INTERNATIONAL BIBLIOGRAPHY OF ECONOMICS (BÜRGIN/MAISSEN)

• Dogmengeschichte im Sinne einer History of Economic Thought beschreibt die


Entwicklung vom mittelalterlichen Islam bis hin zu den Klassikern.
• Wirtschaftliche Tätigkeit meint, dass politische Ökonomie im Spannungsfeld Politik
und Wirtschaft betrachtet werden wie z.B. deutsche Wiedervereinigung, irische
Friedenspolitik aber es andererseits auch eine Betrachtung des institutionellen
Rahmens gibt z.B. Property-Rights-Debatte.
• Der öffentliche Sektor findet Behandlung mit den Schwerpunkten Transformation,
Deregulierung und Privatisierung insbesondere in Osteuropa und „den wenig
entwickelten Ländern“.
• Die Betrachtung der Weltwirtschaft bedeutet, dass sich politische Ökonomie auch mit
Welthandel, Globalisierung, Liberalisierung und Protektionismus befasst.

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3. MEDIENÖKONOMIE (STEININGER)

• Politische Ökonomie ® Politik und Ökonomie sind miteinander verbunden


• Manche fordern eine Politisierung der Ökonomischen Theorien, andere sagen, dass
sich die politischen Akteure gemäß der ökonomischen Logik verhalten.

• Neoclassicism/Neoliberalism
• New Institutional Economy/New Political Economy
• Critical Political Economy
• Marxist Political Economy

4. NEUE POLITISCHE ÖKONOMIE (BEHRENDS)

Innerhalb der Volkswirtschaftslehre wird in zwei Bereiche unterschieden:

• Die Makroökonomie betrachtet wirtschaftliche Prozesse wie Beschäftigung,


Konjunktur und Wachstum aus der Perspektive von Aggregaten.
o Aggregate = zu Gruppen zusammengefasste Haushalte, Unternehmen oder
Güter
• Die Mikroökonomie betrachtet das individuelle Wirtschaftssubjekt und befasst sich
primär mit Kaufs-, Investitions- oder Produktionsentscheidungen einzelner Haushalte
oder Unternehmen.

Sowohl makro- als auch mikroökonomische Analysen gehen vom Modell des
methodologischen Individualismus aus.

• Nur Individuen sind der Handlung fähig, Gruppen besitzen keine eigenständigen
Präferenzen.
• Menschen reagieren auf Veränderungen des Handlungsraumes und entscheiden
rational oder begrenzt rational.
• rational = in Wahrung des größtmöglichen Vorteils handeln
• begrenzt rational = das Individuum ist über die Handlungsmöglichkeiten und deren
Folgen unvollkommen informiert

MAKROÖKONOMISCH GEPRÄGTE NEUE POLITISCHE ÖKONOMIE

Man geht davon aus, dass makroökonomische Variablen z.B. die Arbeitslosenquote, die
Inflationsrate, das Volumen der Realeinkommen usw. die wirtschaftliche Lage determinieren.
Ist die Mehrheit der Wähler*innen mit dieser Lage zufrieden, liegt die Regierung auf der
Popularitätsskala auf einem hohen Niveau, die Wahrscheinlichkeit einer Wiederwahl ist groß.

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POLITISCHE KONJUNKTURZYKLEN (NORDHAUS)

• Behrends: Im Mittelpunkt steht die Wahlzeit gerechte Steuerung makroökonomischer


Variablen von den politischen Parteien zu Gunsten bestimmter gesellschaftlicher
Gruppen.
• Michal Kalecki (Marxist Political Economy): In bestimmten Zyklen destabilisierende
Wirtschaftspolitik, um die Klasse der Kapitalisten zu begünstigen. ® von Nordhaus
aufgegriffen
• Nordhaus: Wähler*innen orientieren sich beim Wahlverhalten weniger an politischen
Parteiprogrammen, als an der allgemeinen wirtschaftlichen Lage (insb. an der Höhe
der Arbeitslosenquote und an der Inflationsrate).
o z.B. Politiker*innen senken vor der Wahl die Arbeitslosenquote, um sie
nachher wieder zu erhöhen und sich dann der Inflationsbekämpfung zu
widmen.
• Hibbs: Unterscheidung von Zielfunktionen linker (eher Vollbeschäftigung) und rechter
Parteien (eher Preisniveaustabilität)

WIRTSCHAFTSWACHSTUM (OLSON)

• Mancur Olson: Gruppentheorie, Theorie der öffentlichen Güter (bedeutsam im


medienökonomischen Kontext)
• Zusammenhang zwischen verbandlichem Organisationsgrad und dem Wachstum einer
Volkswirtschaft: je höher der Organisationsgrad, umso geringer das Wachstum
• Zusammenschlüsse einzelner Wirtschaftssubjekte mit dem Ziel der
Wettbewerbsbeschränkung auf dem Markt (Wirtschafts-, Berufsverbände,
Gewerkschaften, oligopolistische Kollisionen): Ihnen geht es um die Umverteilung und
nicht die Vergrößerung des Sozialproduktes.
• siehe auch: Bertelsmann Stiftung

MIKROÖKONOMISCH GEPRÄGTE NEUE POLITISCHE ÖKONOMIE

DEMOKRATIE (DOWNS)

• Joseph Alois Schumpeter (österreichischer Nationalökonom und Politiker):


• „Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie“ (1940er) ® unterzog die
Demokratietheorie einer ökonomischen Analyse
• wandte sich von der klassischen Demokratielehre ab, die davon ausgegangen war, dass
Politiker*innen das Gemeinwohl realisieren
• es gibt kein eindeutig bestimmbares Gemeinwohl: daher sehen Politiker*innen ihre
Chance in den unterschiedlichen Interessen von Individuen und Gruppen

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• „Zum Beispiel ist der Grund, warum es so etwas wie eine ökonomische Tätigkeit gibt
natürlich der, dass die Menschen sich nähren und kleiden (…) wollen. Die Mittel zur
Befriedigung dieser Wünsche zu liefern ist das soziale Ziel oder der soziale Sinn der
Produktion. In ähnlicher Weise ist der soziale Sinn oder die soziale Funktion der
parlamentarischen Tätigkeit ohne Zweifel die, Gesetze und teilweise auch
Verwaltungsmaßnahmen hervor zu bringen. Aber um zu verstehen, wie die
demokratische Politik diesem sozialen Ziele dient, müssen wir vom Konkurrenzkampf
um Macht und Amt ausgehen und uns klar werden, dass die soziale Funktion, so wie
die Dinge nun einmal liegen, nur nebenher erfüllt wird, im gleichen Sinne wie die
Produktion eine Nebenerscheinung beim Erzielen von Profiten ist.“

• Downs baut auf der positiven Demokratie Schumpeters auf ® baut auf These um den
Konkurrenzkampf um die politische Führung auf und verbindet sie zu einem
ökonomischen Verhaltensmodell (Modell des politischen Wettbewerbs)
• Politische Parteien handeln, um Einkommen, Prestige und Macht zu erlangen. Diese
Vorteile sind mit einem staatlichen Amt verbunden und sind nur durch die Wahl
erreichbar. Daher geht es den Regierenden hauptsächlich um die Wiederwahl.
• Auch die Bürger*innen lassen sich von ihrer Nutzenmaximierung leiten und stimmen
für die Partei, die ihnen das höchste Nutzeneinkommen ermöglicht.
• Interessensgruppen nehmen vermittelnde Stellung zwischen Parteien und
Wähler*innen ein.
• Deutschland 2000er: Vertreter*innen des kommerziellen Rundfunks, Vertreter*innen
der involvierten Kontrollinstanzen und Medienpolitiker*innen geben offen zu, dass
Medien- und insb. Rundfunkpolitik immer vor dem Hintergrund diskutiert wird, wie die
jeweilige Partei präsentiert wird. Vor allem bei CDU und CSU ging es um eine
„Entautorisierung des öffentlichen Rundfunks“ durch die Schaffung von Wettbewerb.

BÜROKRATIE (NISKANEN)

• William A. Niskanen (Chicago School of Economics)


• Modell des maximierenden Bürokraten: nimmt ökonomisches Verhaltensmodell
(siehe oben) und wendet es auf Bürokrat*innen an
• formulierte erstmals den Prinzipal/Agenten-Ansatz (siehe: INSTITUTIONEN-
ZENTRIERTE ANSÄTZE)
• Sowohl das Amt als auch die Finanzierungsagentur haben eine Monopolstellung inne
aber die Parameter des Amtes sind von geringerer Unsicherheit gekennzeichnet,
deshalb nimmt dieses Amt gegenüber der Finanzierungsagentur eine stärkere Stellung
ein. (Amt hat mehr Information bzw. einen Vorsprung zur Information)
o Amt = Verwaltungsorgan, Regulierungseinheit
o Finanzierungsagentur = Parlament, übergeordnete Behörde

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KPOL WS 20/21

POLITISCHE UNTERNEHMER (WAGNER)

• Figur des politischen Unternehmers soll erklären wie Interessen unorganisierter


Gruppen im politischen Willens- und Entscheidungsprozess doch berücksichtigt
werden. Der politische Unternehmer nimmt sich der Unzufriedenheit unorganisierter
Gruppen an, um Wähler*innenstimmen zu bekommen. Er versorgt diese Gruppen mit
Information und entwirft für sie Programme und Reden.
• Latente Gruppen können nicht nur durch selektive Anreize formiert werden, sondern
auch durch politische Unternehmer.

REGULIERUNG (STIGLER)

• Stigler begreift Regulierung nicht als eine Folge von Markt- oder Wettbewerbsversa-
gen, sondern von Interessensgruppenforderungen oder eigennutzenorientiertes
Verhalten der Regulierer*innen dafür verantwortlich sind. Unternehmen, Wirtschafts-
zweige und Berufsgruppen gelingt es Regulierungsaktivitäten des Staates zu ihren
Gunsten zu beeinflussen.
• Geht ein bisschen in Richtung Capture-Theorie und schließt ein bisschen an
Prinzipal/Agenten-Theorie an
• Behrends: „Im Laufe der Zeit entwickelt sich immer mehr eine größtenteils
unbemerkte verwandtschaftliche Beziehung, in welcher sich die Einstellung, das
Denken und das Handeln der Regulierten auf die Verhaltensweise vieler Regulierungs-
komissionsmitglieder überträgt.“
• Im Anschluss von Capture-Theorie (Bernstein) hat sich auch eine allgemeine Regulie-
rungstheorie entwickelt ® Ökonomische Gründe für Regulierung: Versagen des
Wettbewerbs, Existenz öffentlicher Güter, mangelnde Internalisierung, negative
externe Effekte

INSTITUTIONEN (WILLIAMSON)

• Die Institutionen- oder Transaktionskosten-Theorie nach Oliver Williamson (2009)


• Die Transaktionskosten-Theorie entstand aus der Erkenntnis, dass die Errichtung und
Erhaltung von Institutionen mit Kosten verbunden sind.
• Williamson untersuchte insb. die ökonomischen Institutionen, Unternehmen, Markt
und Kooperation und verdeutlichte, dass diese der Einsparung von Transaktionskosten
dienen.
• Wirtschaftliche Aktivitäten werden teilweise innerhalb von Unternehmen und nicht
ausschließlich über Märkte abgewickelt. Grund dafür ist, dass die Nutzung der
Institution Marktkosten der Beschaffung, der Auswertung von Information, sowie der
Aushandlung verursacht. Die Institution der Unternehmung dient dazu diese Kosten

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KPOL WS 20/21

einzusparen. Der institutionelle Rahmen ist demnach für ökonomische Ergebnisse


äußerst relevant.
• Man kann bestimmte marktliche und politische Ergebnisse nicht verstehen, wenn man
das gesamte institutionelle Gefüge (fundamentale Institutionen, Menschenrechte,
Verfassung, Gesetze, Konstellation an Organisationen) nicht im Blick hat.

ANWENDUNG DER GRUPPENTHEORIE (UND GÜTERLEHRE) AUF DIE MEDIEN

„Welchen Vorteil können am Gewinn orientierte Presseunternehmer aus einem Verhalten


ziehen, ein Gesprächsforum für kontroverse Diskussion bereitzustellen, wenn sie den Nutzen,
den diese Tätigkeit abwirft, individuell nicht zurechnen können, bei der Masse ihrer
gegenwärtigen und potentiellen Kunden der Verkauf des Produktes sogar
‚disutility‘ (Dissonanzen) auslöst?“ (Röpke 1970)

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KPOL WS 20/21

5. POLITISCHE ENTSCHEIDUNGS- UND STEUERUNGSSYSTEME

POLITISCHE ÖKONOMIE

• Wirtschaft und Politik sind interdependente (= nicht getrennte, nicht abegschottete)


Systeme.
• Politische Steuerungssysteme sind im Bereich der Wirtschaft nicht systemfremd.

POLITISCH-ÖKONOMISCHES MODELL

in diesem Modell wird Interdependenz graphisch dargestellt

• Ideologie: eine Regierung kann unterschiedliche Ideologien verfolgen; entweder eine


angebots- oder nachfrageorientierte Politik betreiben;
• angebotsorientierte Politik: Verbesserung der Investitionsbedingungen für die
Unternehmen; führt zu einer Verringerung der Staatsquote
• nachfrageorientierte Politik: Staat tritt als Nachfrager auf, Erhöhung der Staatsquote
• Staatsquote = (der staatliche Konsum + staatliche Investitionen) /
Bruttoinlandsprodukt
• Bruttoinlandsprodukt = Gesamtwert aller Güter, Waren und Dienstleistung, die in
einem Jahr von einer Volkswirtschaft hergestellt werden
• Ziel der Regierung: Zunahme an Beschäftigung und Wachstum ® Staatliche
Verwaltung ist darauf ausgerichtet

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KPOL WS 20/21

• Staatsausgaben: Staatliche Verwaltung und Umsetzung der ideologischen Ziele kostet


Geld ® Einfluss auf die Wirtschaft und ihre Variablen (Inflation, Arbeitslosigkeit,
Wachstum des realen Einkommens)
• Variablen der Wirtschaft nehmen Einfluss auf die Popularität der Regierung bei den
Wähler*innen
• hohe Popularität der Regierung bedeutet eine hohe Wiederwahlwahrscheinlichkeit
• Effizienzunterschiede sind in den Leistungszielen, aber nicht in den
Steuerungsmechanismen begründet.
• Leistungsziele können auch ganz andere sein, z.B. publizistische Ziele
(Meinungsfreiheit, Meinungspluralismus)
• (De-)Regulierungen lassen sich immer als Ergebnis politischer Auseinandersetzungen
(Verhandlungen) zwischen Interessensgruppen und Staat begreifen.

STAATLICH-POLITISCHES HANDELN

Staatlich-politisches Handeln vielfältig abgestuft möglich:

• direkte Leistungserstellung durch staatliche oder durch öffentliche Unternehmen


• Regulierung eines Bereich
• Auslagerung von Teilaufgaben in den privaten Sektor oder völlige marktliche
Bereitstellung

ORGANISATIONSFORMEN FÜR ÖFFENTLICHE LEISTUNGSPROZESSE

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KPOL WS 20/21

• Strategische Relevanz des Outputs: es geht darum welche Bedeutung eine Leistung für
die Erreichung eines vorgelagerten politischen Ziels hat
o Ö und DE: Planung und Bündelung des öffentlichen Rundfunks gehört zu den
Kernaufgaben, die Produktion des Programms kann aber durch Auftrags-
(Produktionsaufträge) und Kaufproduktionen (z.B. amerikanische
Fernsehserien) ersetzt werden.
• Spezifität des Inputs: Es gibt bestimmte Technologien, die so spezifisch sind, dass man
lieber den Auftrag nach außen abgibt. Bei der Abgabe von Aufträgen nach außen gibt
es immer die Gefahr der Ausbeutung.

a) Fachleute im öffentlichen Dienst: öffentliche Leistungsherstellung, öffentlicher


Rundfunk
b) Gesetzliche Normen/Regulierungen: regulierte private Bereitstellung, regulierter
privater Rundfunk
c) Markt: Beispiele für private über den Markt hergestellte Bereitstellung sind Büro- oder
Reinigungsdienste in Rundfunkunternehmen
d) Kooperation mit Externen: Produktionsaufträge

ÖFFENTLICHE UNTERNEHMEN UND REGULIERTE ERWERBSWIRTSCHAFTLICHE


PRIVATUNTERNEHMEN

• Streitpunkte bezüglich der Effizienz: regulierte erwerbswirtschaftliche Privatunterneh-


men wären effizienter als öffentliche Unternehmen, so kann man das aber nicht sagen:
o Handlungsparameter unterscheiden sich diametral (sind ganz und gar
entgegengesetzt)
o zentraler Unterschiede in den Zielhierarchien

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KPOL WS 20/21

MEDIENINSTITUTIONALISIERUNG

Liberalismus-Modell

Vielfalt durch mehr Anbieter Vielfalt innerhalb des Senders

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KPOL WS 20/21

PUBLIC VALUE KONZEPT

Debatte um den Stellenwert des öffentlich-rechtlichen Rundfunks: Momentan wird diese


Diskussion unter dem Gesichtspunkt „Public Value“ geführt. Die Diskussion wurde durch die
BBC und ihrem 2004 vorgelegtem Papier „Building Public Value“ ausgelöst.

Laut dem BBC-Papier „Building Public Value“ wird Public Value in drei Komponenten aufgeteilt:

1. Wert für Individuen: „Value to people as individuals“, also individuelle


Bedürfnisbefriedigung;
2. Befriedigung kollektiver gesellschaftlicher Bedürfnisse: „Value to society as a whole –
to people as citizens – by contributing to the wider well-being of society“, also
kollektiver Nutzen, Befriedigung kollektiver/gesellschaftlicher Bedürfnisse;
3. Notwendigkeit einer ökonomischen Kosten-Nutzen-Analyse, um die Existenz eines
öffentlich-rechtlichen Rundfunks begründen zu können: „Impact on the performance
of the commercial market – its net economic value“, also eine Art ökonomischer
Kosten-Nutzen-Analyse der Existenz der BBC und ihrer Dienste.

In weiterer Folge griff die EU-Kommission dieses BBC-Papier auf und legte in der novellierten
Rundfunkmitteilung von 2009 etwas wie einen EU-weiten 3-Stufen-Test vor. Mit Hilfe dieses
Tests sollten die Mitgliedsstaaten mit dualen Rundfunksystemen in einem Vorabverfahren
prüfen, ob neue audiovisuelle Mediendienste den demokratischen, kulturellen und sozialen
Bedürfnissen ihrer Gesellschaft dienen. Damit sollte festgestellt werden ob der Public Value
mögliche, durch Einführung neuer Mediendienste entstehende marktliche Nachteile übertrifft.

Der Begriff Public Value kommt ursprünglich aus den USA und wurde vom Harvard-Ökonomen
für Non-Profit-Organisationen Mark Moore als zentrales Konzept einer Management-
Strategie für die öffentliche Verwaltung entwickelt. Innerhalb der
Kommunikationswissenschaft wurde das Konzept der Public Value zwar aufgegriffen aber man
befasst sich kaum mit Moore. Moores Kernaussage: Public Value kann nur durch
Dienstleistungsangebote und Dienstleistungsnachfrage gemeinsam produziert werden. Das
Konzept zeichnet sich durch die Verknüpfung von Dienstleistungsökonomik mit Ansätzen zu
meritorischen Gütern aus. (Es reicht nicht nur eine Auftragsbeschreibung für den öffentlich-
rechtlichen Rundfunk, sondern es gibt auch eine Verpflichtung der Bürger*innen sich
meinungsfähig zu machen.)

• Wie kann das in der Regel unorganisierte Publikum hier seine Vorstellung von Public
Value bündeln und angemessen in den Meinungsbildungsprozess einbringen?
• Was muss das Publikum tun, um in die Planungs- oder Konzeptionsphase von Public
Value Angeboten miteinbezogen zu werden?
• In welchem Verhältnis stehen Programmauftrag, -interpretation und
Publikumsvorstellung von Public Value?

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KPOL WS 20/21

STAATLICHE REGULIERUNG

• Ökonomische Argumente: z.B. Marktversagen


• Gesellschaftliche Argumente: z.B. Meritorik
• Politische Argumente: z.B. Konsenserreichung

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KPOL WS 20/21

• Benchmarking: z.B. Wie läuft es im Ausland? Diese Technologie müssen wir auch
regulieren.
• Empirische Fakten: z.B. Erfahrungswerte, Studien miteinbeziehen in Entscheidungen

KOOPERATIONSFORMEN ZWISCHEN STAAT UND PRIVATWIRTSCHAFT

Wandelt sich der souveräne Hoheitsstaat angesichts der immer offenbar werdenden
Wirkungsschwächen des Verwaltungshandelns in Richtung eines kooperativen
Konsensualstaates?

Ökonom*innen unterscheiden drei Gruppen neuer Kooperationsformen zwischen Staat und


Privaten, die das hierarchische Zuordnungsverhältnis oder Subordinationsverhältnis ablösen
und durch die Mitwirkung der durch die Politik betroffenen nicht staatlichen Akteure geprägt
sind.

• Verhandlung
• Regulierungsvertrag
• Beteiligung, Public-private partnership

VERHANDLUNG, VERHANDLUNGS-/VEREINBARUNGSRECHT

• hier entscheidet der Staat über Änderungen von Recht nicht souverän sondern
konsensual (im Einvernehmen mit den betroffenen privaten Akteuren und
Interessensgruppen)
• Die maßgebliche Rechtsbeziehung zwischen dem Staat und dem Privaten wird also
durch Vereinbarung festgelegt.
• Beispiel: Novellierung der Konzentrationsmessung und Begrenzung des privaten
Fernsehens im Rahmen des Rundfunk-Staatsvertrages von 1997

REGULIERUNGSVERTRAG, REGULIERTE SELBSTREGULIERUNG, CO-SELBSTREGULIERUNG

• der Staat verzichtet in einem zu regulierenden Bereich detaillierte Regelungen und gibt
nur Rahmenbedingungen vor
• der Staat beschränkt sich auf eine strategische Regulierung
• Die privaten Akteure im zu regulierenden Bereich schaffen Formen der Selbstkontrolle,
die den vorgegebenen Rahmenbedingungen entsprechen.
• Beispiel: freiwillige Selbstregulierung im Fernsehen, Presseräte

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KPOL WS 20/21

BETEILIGUNG, PUBLIC-PRIVATE PARTNERSHIP

• Formen gemeinsamer Aufgabenerfüllung werden zusammengefasst


• spezielle Inputs, die aber nicht zum Kernbereich der öffentlichen Aufgabe zählen
werden von privaten Unternehmen als Kooperationspartner erstellt
• auch der Austausch von Führungstechniken und Leitungsprinzipien fällt darunter: z.B.
öffentliche Rundfunkanstalten lassen sich von privaten Firmen der
Unternehmensberatung beraten
• Beispiele: Auftragsproduktion eines Films (Auftraggeber: öffentlich-rechtlicher Sender,
Ausführung durch Private Firma), Synchronisation, Erwerb von Ausstrahlungsrechten

NEUE KOOPERATIONSFORMEN ZWISCHEN STAAT UND PRIVATWIRTSCHAFT

• Aus demokratietheoretischer Perspektive lassen sich diese Entwicklungen hin zu


Selbstregulierungen als problematisch beschreiben.
• Gefahr von Entscheidungskartellen der Wohlorganisierten und Wohlrepräsentierten
zu Lasten der Nichtorganisierten und Unterrepräsentierten.
• Neue Kooperationsformen zwischen Staat und Privatwirtschaft reproduzieren
gesellschaftliche Macht, Ungleichgewichte und es kommt zu einer Unterminierung der
repräsentativ demokratischen Entscheidungsinstanz.
• Neokorporatistische Kompromisssysteme
• Krisenkartelle
• Kompromisssysteme sind an Voraussetzungen gekoppelt
• Im Medienbereich muss solchen Kompromisssystemen mit Skepsis begegnet werden.
Grund: mangelnde Organisiertheit und Organisierbarkeit des Publikums.

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KPOL WS 20/21

6. MEDIENPOLITIK UND INSTITUTIONENÖKONOMIK

MEDIENPOLITIK UND AUSHANDLUNGEN

Auf der Ebene des dualen Rundfunksystems hat sich für die Politik und die Wirtschaft als
institutionelles Arrangement die Beherrschungsstruktur Aushandlung durchgesetzt.

„[I]mmer stärker begibt sich die Politik mit den gesellschaftlichen Akteuren auf den Weg von
Aushandlungen“. (Grimm zit. n. Steininger 2001, S. 206) (Zitat eines Bundesverfassungsrichter)

Parteien und staatliche Instanzen streben primär nach der Maximierung des Einflusses auf die
öffentliche Meinung. Medienverbände und ihre Verbände hingegen interessieren sich vor
allem für ökonomische Aspekte.

• Lindbecks Vorwurf gegenüber der Ökonomik in den 1970ern: Vernachlässigung der


Interaktionen zwischen politischen und ökonomischen Faktoren ® dieser Vorwurf
muss auch der Kommunikationswissenschaft gemacht werden
• In Bezug auf die Innenpolitik bestand Lindbecks Kritik darin, dass Ökonomen die
Aktivitäten ökonomisch und politisch gut organisierter Gruppen weitgehend negiert
haben. Sie haben auch deren Einfluss auf die Gesetzgebung und die öffentliche
Verwaltung auf Kosten unterprivilegierter Minderheiten negiert.

AUSHANDLUNGEN UND DEREN KOSTEN

Erst Kiefer verdeutlichte in ihrer Medienökonomik, dass die aus Aushandlung resultierenden
Vorteile lediglich Politik und Wirtschaft lukrieren.

„Für den Bereich der Medien ist die mangelnde Organisiertheit und Organisierbarkeit des
Publikums ein zentraler Punkt, der Skepsis gegenüber neokorporatistischen
Kompromisssystemen angeraten sein lässt“. (Kiefer 2001, S. 390)

WIE STELLT SICH MEDIENPOLITIK AUS ÖKONOMISCHER PERSPEKTIVE DAR?

Das Verhältnis von Ökonomie und Politik wird unterschiedlich zu fassen versucht. Manche
Autoren fordern eine ‚Politisierung’ ökonomischer Theorien, manche betonen, dass
politische Akteure sich der ökonomischen Logik gemäß verhalten.

MAKROÖKONOMISCH GEPRÄGTE NEUE POLITISCHE ÖKONOMIE

• Politische Konjunkturzyklen (Nordhaus)

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KPOL WS 20/21

(Behrends 2001)

MIKROÖKONOMISCH GEPRÄGTE NEUE POLITISCHE ÖKONOMIE

• Demokratie (Downs)
• Bürokratie (Niskanen)
• Politische Unternehmer (Wagner)
• Regulierung (Stigler)
• Institutionen (Williamson)

(Behrends 2001)

BEGRIFF INSTITUTION

Institution der Unternehmung dient dazu Kosten einzusparen (Transaktionskosten machen


mehr als die Hälfte des Bruttosozialproduktes eines Industriestaates aus) ® der institutionelle
Rahmen ist für ökonomische Ergebnisse äußerst relevant

Auch die Organisationsstrukturen moderner Unternehmungen können als Systeme zur


Einsparung von Transaktionskosten und vor allem zur Risikominderung verstanden werden.
Hier werden Markt und Wettbewerb, die üblicherweise als wichtiges Koordinationsmittel
gelten, durch die ökonomische Institution Unternehmung ersetzt. Aber auch
Verhandlungssysteme dienen primär der Einsparung von Transaktionskosten.

Die Definition des Begriffs „Institution“ ist nicht eindeutig geklärt:

• Schriftlich fixierte Regeln


• Tradierte Normen und Werte
• Ordnung
• Beschränkungen/Restriktionen

Dort wo Institutionen in den Wirtschaftswissenschaften anerkannt werden, ist auch deren


Einfluss auf die Wirtschaftssubjekte unbestritten. Die herkömmliche Neoklassik („Mainstream
der Ökonomie“) hat hingegen Institutionen zu bloßen Restriktionen umgedeutet. Und auch in
der Politikwissenschaft geht man meist von einem sehr handfesten Institutionenbegriff aus:
hier geht es um reale Gebilde wie Parlamente, Regierungen und dergleichen. Im Rahmen der
ökonomischen Theorie der Medien begreift Kiefer Institutionen als Formen sozialer
Handlungen, die unser Leben strukturieren und dadurch Unsicherheit vermindern.

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KPOL WS 20/21

„Institutionen schaffen Richtlinien für Interaktionen.“ Kiefer bezieht sich bei ihrer Definition
auf Schmoller, welcher meint, dass die Organisation die persönliche Seite der Institution ist.
So werden beteiligte Personen ins Zentrum gerückt und eine Unterscheidung in formale und
in formelle Organisationen wird ermöglicht.

Diese unterschiedlichen Definitionen haben eine Gemeinsamkeit: sie bilden die Grundlage
von Erwartungen. Gewöhnlich werden Institutionen unterschieden ob sie Regeln und Normen
oder kooperative Gebilde (= organisierte soziale Zusammenschlüsse wie z.B. Staaten, Parteien
oder Unternehmen) sind. Man spricht hier auch von sekundären oder abgeleiteten
Institutionen, die auf vorgelagerten Institutionen ruhen.

INSTITUTION UND ORGANISATION

Institutionen werden geschaffen, um Möglichkeitsräume zu schaffen oder einzuschränken.


Organisationen werden geschaffen, um diese Möglichkeitsräume nutzen zu können.

Organisationen gelten anders als fundamentale Institutionen als gestaltbar. Werden aber
hinsichtlich ihres Gestaltungsspielraumes durch vorgelagerte Institutionen begrenzt. Diese
Begrenzung sichert die Kohärenz eines gesellschaftlichen Institutionengefüges, auch wenn
sich dieses auf den unterschiedlichen Stufen mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ständig
wandelt. Beim Wandel von Institutionen spielen Organisationen eine zentrale Rolle. Wenn
beispielsweise ein Unternehmen als ökonomische Organisation erkennt, dass es mit der
Veränderung des institutionellen Rahmens größere wirtschaftliche Erfolge erzielen kann, dann
ist der erste Schritt getan, um auch die Institutionen zu verändern.

Institutionenhierarchie (Kiefer 2005 nach Dietl 1993)

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KPOL WS 20/21

BEISPIEL BERTELSMANN STIFTUNG

Fundamentale Institutionen = Menschenrechte

bilden Rahmen für

sekundäre (abgeleitete) Institutionen (Stufe 1) = Verfassungsrechtliche Kodifizierung der


Presse- und Rundfunkfreiheit

bilden Rahmen für

sekundäre (abgeleitete) Institutionen (Stufe 2) = Bertelsmann Stiftung

bilden Rahmen für

sekundäre (abgeleitete) Institutionen (Stufe 3) = Bertelsmann AG

bilden Rahmen für

sekundäre (abgeleitete) Institutionen (Stufe 4) = Journalistische Berufsformen

Die Frage des Wandels von Institutionen ist bedeutsam. Organisationen spielen dabei eine
zentrale Rolle, weil sie Interessen verfolgen. Wesentlich für die Hierarchien der Institutionen
ist, dass Wandel von unten nach oben passiert.

• z.B.: Die Bertelsmann Stiftung versucht (Medien-)Gesetzesänderungen


herbeizuführen, die ihr entgegenkommen. Die Stiftung hat dann auch noch
Vorstellungen wie ein Sozialstaat aussehen sollte und tangiert vorgelagerte

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KPOL WS 20/21

institutionelle Stufen, die sich dadurch möglicherweise langsam verändern.


Letztendlich gibt es in einem langen Zeitraum auch die Möglichkeit, dass auf
fundamentale Institutionen eingewirkt wird.

MEDIENWANDEL / WANDEL VON MEDIENPOLITIK

• Saxer fordert zu Recht „[v]ermehrt wissenschaftstheoretische Reflexionen über die


Theoretisierung von Wandel“. Zur Befassung mit Medienwandel bedürfe es
‚vieldimensionaler, hochkomplexer Modelle’.
• Begründet wird dies von Saxer (1994, 348) wie folgt: „Das Mediensystem ist ja über
sein Produkt Medienkommunikation ein unendlich multideterminiertes System, und
schon das Problem der disparitären Wandlungsgeschwindigkeiten all der involvierten
Systeme wirft die größten Schwierigkeiten auf, Wandel hier modellhaft abzubilden.“

Dass die Institutionenökonomik etwas über Wandel aussagt ist praktisch für die
Kommunikationswissenschaft, weil dies zu Überlegungen zum Medienwandel anstößt. Ulrich
Saxer forderte eine vermehrt wissenschaftstheoretische Reflexion über die Theoretisierung
von Wandel. Er sagte, dass es zur Befassung mit Medienwandel vieldimensionaler,
hochkomplexer Modelle bedarf. Belege für die Feststellung Saxers lassen sich in der Literatur
an vielen Stellen finden. Oftmals werden als verantwortlich für den Medienwandel mehrere
meist ökonomisch determinierte Prozesse benannt, wie etwa der Wandel des Verhältnisses
von Presse und Rundfunk, der Wandel des Werbevolumens oder des Verhältnisses von
Medien zu Politik und Wirtschaft sowie Konzentration und Internationalisierung.

Innerhalb der Medienwissenschaft gibt es unterschiedliche Positionen: die einen propagieren


ein medientechnisches a priori, welches die Medienentwicklung determiniert, die anderen
(z.B. Hickethier) verweisen (zurecht) darauf, dass die Betonung der Technik als die politik-,
ökonomie- und kulturdeterminierende Basis nicht mit Befunden der
Mediengeschichtsschreibung in Einklang zu bringen ist. Dabei gilt bislang ein Modell einer
sozial- und alltagsgeschichtlichen Einbettung der Medien.

Die Befunde Saxers und Hickethiers korrespondieren mit jenen von Krotz, der sich mit der
Frage nach dem Zusammenhang von Medienwandel und Gesellschaftswandel beschäftigt.
Nach Krotz wird Medienwandel von einigen Autoren als Teil und Ausdruck von
Gesellschaftswandel begriffen, andere sehen ihn als Folge gesellschaftlichen Wandels,
wiederum andere als Ursache des gesellschaftlichen Wandels. Krotz kommt zu dem Schluss,
dass alle drei Typen von Zusammenhängen wahrscheinlich gleichzeitig stattfinden.

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KPOL WS 20/21

WANDEL POLITISCHER UND ÖKONOMISCHER STRUKTUREN

„Sie [die Evolution, Anm. d. Verf.] ist zwar mächtig, aber dennoch lediglich ein blinder und
planloser Prozess.“ (Meyer 2007,30)

• Der Begriff der Evolution im ökonomischen Prozess ist aber nicht geklärt.

EVOLUTORISCHE ÖKONOMIE

Geschichtliche Wurzeln der Wirtschaftstheorie (Schumann 1990, mit Ergänzungen


Hannerer/Steininger 2009)

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INSTITUTIONENÖKONOMIK

• Merkantilismus: die Praktiken der antiken und mittelalterlichen Kaufleute


• Die Kameralisten hatten das Wohl des Staates im Auge und sahen dieses in
Abhängigkeit von der Größe, der Bevölkerung und der Geordnetheit der Finanzen. Sie
beeinflussten die deutsche historische Schule.

• Die ersten Arbeiten, die man als „kommunikationswissenschaftlich“ bezeichnen kann,


entstammen dem Bereich der deutschen historischen Schule.
• Vertreter der älteren historischen Schule
o Knies: betonte die Notwendigkeit einer nationalen, institutionellen
Infrastruktur für die ökonomische Entwicklung; befasste sich schon 1854 mit
dem Medium Telegraph;
o Schäffle: befasste sich mit dem Zeitungswesen;
o Bücher: gilt als der Gründungsvater der Zeitungskunde; 1884-1890 hielt er
Vorträge zum Pressewesen in Basel; definierte die Zeitung als ein
kapitalistisches Unternehmen;

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KPOL WS 20/21

• Vertreter der jüngeren historischen Schule


o Schmoller, Sombart: forderten eine Verbindung von Institutionenlehre und
Geschichte;

• Historische deutsche Schule nahm Einfluss auf Veblen und Commons (alter
amerikanischer Institutionalismus).
o Veblen: wollte evolutorische und postdarwinistische Ökonomie (Mischung aus
politischer Ökonomie und Kulturanthropologie); Konflikte zwischen Instinkten
und Institutionen sind zu betonen, wenn man sich mit Wandel
auseinandersetzt; grenzte sich von der Klassik, der Neo-Klassik und der
Grenznutzenschule ab;

• Neuer Institutionalismus wurde von Veblen (alter amerikanischer Institutionalismus)


UND Neo-Klassik beeinflusst und lässt sich in vier Bereiche gliedern:
o Konstitutionen Ökonomik
o Evolutorische Ökonomik
o New organizational economics: befasst sich mit Transaktionskosten, Property
Rights, Erklärung institutioneller Arrangements im Sinne von Auftraggeber-
oder Auftragnehmerverhältnissen (Prinzipal/Agenten-Theorie, Agency-Theory)
o Theorie des institutionellen Wandels: North: siehe unten, Olson (Güterlehre)

INSTITUTIONELLE ENTWICKLUNG

„Die Entscheidungen von heute und von morgen werden durch die Vergangenheit
mitgestaltet. Und die Vergangenheit lässt sich nur als Geschichte institutioneller Evolution
deuten. Die Einbeziehung von Institutionen in die Wirtschaftstheorie und
Wirtschaftsgeschichte ist ein wesentlicher Schritt zur Verbesserung solcher Theorie und
Geschichte.“ (North 1992, VII)

• Wandel = Art und Weise wie Institutionen über die Zeit geschaffen, verändert oder
zerstört werden
• Normen werden als Auslegung der Wirklichkeit begriffen
• Normen werden aus Ideologien abgeleitet
• Verbindung der Normen mit Verfassungsregeln sorgt für die Stabilität von
Institutionen, die zueinander in Beziehung stehen und in ihrer Gesamtheit ein
politisch-ökonomisches System bilden
• Ihre Verbindung mit Verfassungsregeln sorgt dafür, dass der Wandel von Institutionen
nur langsam vor sich geht
• North schreibt den Verfassungsregeln die bedeutendste systemordnende Funktion zu:
„Sie werden in der Absicht entwickelt erstens ein Schema der Vermögens- und
Einkommensverteilung zu erstellen, zweitens ein System des Schutzes nach außen in

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KPOL WS 20/21

einer Welt konkurrierender Staaten festzulegen und drittens die Voraussetzungen für
ein System von Ablaufregeln zur Senkung der Transaktionskosten wirtschaftlicher
Tätigkeit zu schaffen.“
• Deutlich wird, dass ein ökonomisches Verständnis von Institutionenwandel auch einen
wichtigen Beitrag für die theoretische Entwicklung der Kommunikationswissenschaft
aber auch der Kommunikationspolitik leisten kann.

VERSTÄNDNIS VON INSTITUTIONENWANDEL

• Ein Verständnis von Institutionenwandel kann einen wichtigen Beitrag zur Analyse
einzelner Institutionen und Organisationen leisten.
• Dies wird schon im Rahmen der Beschäftigung mit dem Governance-Begriff deutlich.
So konstatiert Donges (2007, S. 10f.), dass alle mit Governance befassten
wissenschaftlichen Disziplinen einen gemeinsamen Kern aufweisen: „Die
institutionelle Struktur sowie auch Prozesse der Interdependenzbewältigung im Sinne
einer Handlungskoordination zwischen Akteuren.“

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7. MEDIENPOLITISCHE DEBATTEN

ORGANISATIONSFORMEN FÜR ÖFFENTLICHE LEISTUNGSPROZESSE

BUNDESDEUTSCHE DEBATTEN ZUR RUNDFUNKFINANZIERUNG

„Wenn Sie sich die Bild am Sonntag kaufen, ist das Ihre freiwillige Entscheidung. Zu Gebühren
werden Sie verdammt oder verdonnert. Das ist ein großer Unterschied.“ (Doetz 2004, 108)

• Jürgen Doetz: langjähriger SAT.1-Chef, Präsident des Verbandes Privater Rundfunk und
Telekommunikation (VPRT), 2000-2004 Vorstand Medienpolitik und Regulierung der
ProSiebenSat.1 Media AG.

MIT MARKT UND ÖFFENTLICHKEIT VERBUNDENE FUNKTIONEN, INSTRUMENTE UND


WERTE IM MEDIENBEREICH (STEININGER 2007)

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KPOL WS 20/21

Sehr viel, was man über „den Markt“ feststellen kann, gilt auch für „die Öffentlichkeit“.
Insbesondere die Bewertungsmaßstäbe – bei dem Markt geht es um Effizienz, so auch bei der
Öffentlichkeit, die durch den Markt bzw. durch eine marktähnlich geformte Sphäre Vielfalt,
Relevanz, Aktualität und Richtigkeit gewähren soll.

PRÜFUNG DER STRINGENZ DER ARGUMENTATION VON J. DOETZ

• Warum bedient sich ein kommerzieller Rundfunkanbieter eines Beispiels aus dem
Printbereich?
o Aus dem eigenen Bereich kann er womöglich keine Argumente bringen, SAT1
war immer schon eher ein Minus-Geschäft.
• Warum greift er als Beispiel die Bild am Sonntag auf?
o Möglicherweise weil das Wochenende die Privatheit des nicht arbeitenden und
deshalb kaufenden Bürgers herausstreichen soll.
• Warum wird der Bild am Sonntag der Begriff Gebühr entgegengesetzt?
o Weil man mit dem öffentlichen Rundfunk Kosten und nicht Leistungen
verbinden soll.
• Warum werden Rezipienten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verdammt oder
verdonnert?
o Weil öffentlich-rechtlicher Rundfunk von einigen Kreisen als
institutionalisierter verlängerter Arm des Staates begriffen wird, der für seine
treuen Dienste Gebühren eintreiben darf.
• Worin besteht obig postulierter großer Unterschied tatsächlich?
o Zwischen Printmedien und Rundfunk besteht ein Unterschied: Im Printbereich
kann der Preis seine Funktionen erfüllen, was er im Bereich des Rundfunks
nicht kann. Äpfel mit Birnen vergleichen?

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MEDIENINSTITUTIONALISIERUNG

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FINANZIERUNG UND RUNDFUNK

• Finanzierung von Rundfunkprogrammen ist ein entscheidender Engpassfaktor auf


Fernsehmärkten
• Werbefinanzierte kommerzielle Anbieter versuchen mit ihrem Programmangebot,
jene Zielgruppe anzusprechen, die für die Werbewirtschaft von Interesse ist, um hohe
Umsätze generieren zu können. ® Die Art der Finanzierung wird bewusst ausgewählt.
• Wir haben es auf dem Rezipientenmarkt mit Marktversagen zu tun, deshalb bewegen
sich die kommerziellen und auch die öffentlich-rechtlichen auf dem Werbemarkt, um
sich dort zu refinanzieren.
• Der öffentlich-rechtliche Rundfunk wählt aber noch einen anderen Weg:
Rundfunkgebühren. Man versucht durch diese Form der Finanzierung die
Interdependenzen zwischen Einnahmen und dem Programmangebot zu minimieren.
• Bestimmte Formen der Finanzierung hängen auch mit bestimmten Formen der
Inhalten zusammen. Flow-Produktion oder seriale Produktion sind immer Ergebnis
werblicher Finanzierung.
• Unterschiedliche Wege der Finanzierung (Preis, Gebühr oder Werbung) resultieren aus
dem Umstand, dass die Finanzierung von Rundfunkprogrammen für Unternehmen
schwierig ist.

GÜTERLEHRE

• Siehe Puppis: Ökonomische Gründe für Regulierung


• Das liegt an der Gutspezifik (öffentliches Gut), welche die Durchsetzung von
Eigentumsrechten erschwert. Aber auch an den Erwartungen, die in spezifischen
Funktionszuschreibungen münden. Die Erfüllung der Erwartung hängt aber stark von
der Art der Rundfunkfinanzierung ab. Sind die Ziele Güter wie Wahrheit,
Meinungsvielfalt oder Öffentlichkeit (Güter, die keinen Warencharakter haben), dann
ist eine Finanzierung durch eine Form kollektiv organisierter Zwangsentgelte
angemessen. Da bedeutet nicht, dass mit der Gebührenfinanzierung die Produktion

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KPOL WS 20/21

von Gütern wie Wahrheit, Meinungsvielfalt oder Öffentlichkeit garantiert ist, sie ist
aber wenigstens möglich.

MARKT UND RUNDFUNK

„Was Märkte sind, weiß eigentlich niemand so recht, aber alle reden davon.“ (Pirker 1999, 27)

Ökonomische Perspektive: Markt = Steuerungsmechanismus neben anderen


Steuerungsmechanismen

Das radikale und singuläre Festhalten am Markt sabotiert das Verstehen von Marktwirtschaft.
Eine Marktwirtschaft funktioniert nämlich nur dann, wenn z.B. Verträge eingehalten werden.
Das heißt es geht neben individuell ausgehandelten Verträgen auch um nicht-vertragliche
sozial generierte Institutionen, um historisch evolvierte Verhaltensregeln, um eine
gesellschaftliche Wertebasis, die die Vollständigkeit von Verträgen erst absichern kann. An der
Mitgewährleistung dieser marktlichen Rahmenbedingungen arbeitet gerade auch der
öffentlich-rechtliche Rundfunk. Es lässt sich hier also argumentieren, dass auch der öffentlich-
rechtliche Rundfunk letztlich die Marktwirtschaft funktionstüchtig hält und nicht allein der
Markt. Würde die Rundfunkpolitik in Deutschland Markt als alleinigen
Allokationsmechanismus begreifen, so würde sie damit auf jeglichen politischen
Gestaltungswillen verzichten.

POSITIONEN IM RAHMEN DER INTERPRETATION VON MEINUNGSFREIHEIT

Ethisch-individualistische Interpretation: Meinungsfreiheit als zweckfrei zu gewährleistendes


Grundrecht (Verfechter des kommerziellen Rundfunks z.B. Doetz)

Utilitaristisch-kollektive Interpretation: Meinungsfreiheit als Bedingung für die öffentliche


Meinungsbildung und damit für die Funktionsfähigkeit einer Demokratie (Verfechter des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks, Regulierungsbefürworter sowie Mitglieder des
Bundesverfassungsgerichts)

ÖFFENTLICH-RECHTLICHER RUNDFUNK IM MARKT

• Bausch spricht von einer grundsätzlichen Denksperre bei der Vorstellung, dass der
Staat Anstalten instituiert, ohne sie mit originären Staatsaufgaben zu versehen oder
auch nur zu überwachen.
• ® Öffentlich-rechtlichem Rundfunk wird eine notorische Staatsnähe nachgesagt.
• „Dabei wird vergessen, dass öffentliche Monopole ihren Ursprung in den limitierten
finanziellen Möglichkeiten kommerzieller Unternehmen hatten, die letztlich nur auf

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KPOL WS 20/21

Rentabilität abzielten. Deshalb haben fast alle europäischen Staaten sich die
Verwaltung ihrer Dienstleistungen auf dem Gebiet des Verkehrs selbst vorbehalten.“
• Für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk sprechen auch andere historische Umstände:
nicht der deutsche Staat wollte unbedingt einen öffentlichen Rundfunk es war
vielmehr eine Zielsetzung der Rundfunkpolitik der Alliierten, die vor dem Hintergrund
ihrer eigenen Rundfunktraditionen und Erfahrungen mit dem zentralisierten Rundfunk
im dritten Reich den Rundfunk im Nachkriegsdeutschland mit organisatorischer
Autonomie und publizistischer Unabhängigkeit ausstatten wollten. Die Leitidee des
vom Staat und gesellschaftlichen Gruppen unabhängigen Rundfunks führte dann zur
öffentlich-rechtlichen Organisationsform.

• Öffentlichem Rundfunk wird auch vorgeworfen, dass er ein öffentliches Unternehmen


sei. Öffentliche Unternehmen seien nicht nur überflüssig, sie seien auch mit der
marktwirtschaftlichen Grundordnung unvereinbar.
• Gründe für diese Position sieht Löwe einerseits in der einzelwirtschaftlichen Interessen
kommerzieller Unternehmen, in den Positionen des Mainstreams der Ökonomik aber
auch auf der Ebene der europäischen Kommission, die sich von diesem Mainstream
des Wettbewerbsrecht sehr stark beeinflussen lässt. Heterodoxe Strömungen, die es
anders sehen als der Mainstream, sind sehr selten.
• Wider besseren Wissens wird den öffentlichen Unternehmen „der Mühlstein der
Staatsnähe um den Hals gelegt“ ohne jegliche Differenzierung zwischen markt-
inkonformen Interventionismus des Staates und markt-konformer Teilhabe
öffentlicher Unternehmen am Wettbewerb.
• Erstaunlich ist, dass der kommerzielle Rundfunk immer nach Markt schreit aber den
Wettbewerb als wenig erstrebenswert erachtet.
• Tauschgeschäfte, Subunternehmerschaft, Lizenzverträge, Joint Ventures, Profit
Centers, … ® alles Verhaltensweisen im Wettbewerb, um Marktpartner zu
diskriminieren, auszubeuten oder vom Markt zu verdrängen
• Die Annahme, dass öffentliche Unternehmen überflüssig sind und nicht mit der
marktwirtschaftlichen Grundverordnung vereinbar sind, wird völlig ad absurdum
geführt, wenn man Marktwirtschaft als eine Wettbewerbswirtschaft interpretiert. Hier
entscheidet nicht der Umstand ob ein Unternehmen privat ist oder dem Staat gehört
oder öffentlich-rechtlich verfasst ist, sondern nur der Umstand ob ausgeprägter
Wettbewerb zu konstatieren ist, darüber ob Dinge wie Kostenreduktion, höhere
Effizienz, gesteigerte Produktivität usw. gewährleistet sind. An der Stelle wird klar,
dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk allein wegen seiner Existenz die
Wettbewerbssituation für kommerzielle Unternehmen verschärft und das muss
eigentlich von jedem Marktwirtschaftler (von jedem, der den Steuerungsmechanismus
Markt bevorzugt) begrüßt werden.
• Die seiner Institutionalisierungsform innewohnenden vielfältigen Aufgabenfelder des
öffentlich-rechtlichen setzen aber voraus, dass er sich im Markt bewegen kann, dass
er Erwerbseinkünfte erzielen kann und darf. Gebühren deshalb als

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KPOL WS 20/21

Wettbewerbsverzerrende Beihilfen oder Quersubventionen zu begreifen wäre vor


dem Hintergrund der bisherigen Ausführung nicht berechtigt.
• Man könnte sagen, dass öffentliche-rechtlicher Rundfunk ein wesentlicher Träger
einer immer weniger sozialen Marktwirtschaft bleibt. Der öffentlich-rechtliche
Rundfunk garantiert noch immer einen Standardvorteil der (deutschen)
Volkswirtschaft im globalen Wettbewerb. Vor diesem Hintergrund bedarf der
öffentlich-rechtliche Rundfunk keiner speziellen Rechtfertigung.

REZIPIENTEN UND RUNDFUNKFINANZIERUNG

Die Wahl der Bild am Sonntag sei eine individuelle vom mündigen Bürger getroffene
Entscheidung, der am besten weiß was ihm guttue. Doetz verdeutlicht mit dem von ihm
gewählten Beispiel des Kaufs, dass auch im Medienbereich das Kredo liberaler Gesellschaften
und gleichzeitig eine ökonomische Basisannahme, nämlich die Konsumentensouveränität,
hochgehalten wird. Wenn von Konsumentensouveränität die Rede ist, dann wird immer
argumentiert, dass diese nicht nur für die Marktwirtschaft gelte, sondern dass hier auch ein
demokratisches Gut verteidigt würde.

Das ökonomische Axiom vom rational persönliche Interessen verfolgenden Individuum


impliziert nicht nur mündige Konsumenten. „Konsumentensouveränität meint (...) auch das in
seiner Rolle als Konsumenten mit Marktmacht ausgestattete Individuum.“ (Kiefer 1998, 229)

Marktmacht beruht immer auf der Bezahlungsbereitschaft des Konsumenten und seiner
Möglichkeit diese Zahlungsbereitschaft zu dosieren oder zu verweigern.

Bei Doetz Beispiel funktioniert diese Dosierung aber nicht wirklich, weil wir es hier mit einer
Mischfinanzierung (Preis + Werbung) zu tun haben.

Konsumentensouveränität im Rundfunk: Zahlungsbereitschaft stellt für Produzenten ein


Mittel dar um Verbraucherpräferenzen zu erkennen und die Produkte daran zu orientieren.

„Der Mythos vom souveränen Konsumenten auch im Bereich der Medien endet endgültig bei
den voll werbefinanzierten Medien.“ (Kiefer 1998, 237)

FAZIT

• Frage: Was sollte im Rahmen der Vorlesung geprüft werden?


• Antwort: Die Grade logischer Beweisführung im Rahmen bundesdeutscher
medienpolitischer Debatten zur Rundfunkfinanzierung
• Jede Form der Finanzierung des Rundfunks kann Ineffizienzen aufweisen. Öffentliche
Güter (wie auch der Rundfunk) bedürfen aber einer Solidarfinanzierung. Man kann sich
Rundfunk zwar als ein reines Marktgut vorstellen, Fakt ist aber dass aus
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KPOL WS 20/21

unterschiedlichsten Gründe (siehe Puppis) ein ökonomisches Dilemma der


Rundfunkproduktion besteht.
• Aus der Medienökonomie wissen wir, dass im Rahmen der Produktion medialer Inhalte
Produktivitätszuwächse nur in begrenztem Ausmaß zu erreichen sind. Wir wissen auch,
dass der Transfer tertiärer Dienste in sekundäre Güter im Rahmen der
Rundfunkproduktion nicht möglich ist. Wir wissen, dass wir es in der Realität mit Flow-
Produktion, mit der durch Werbefinanzierung bedingten Produktion kontinuierlicher
Zuschauer- oder Leserschaften zu tun haben. Wir wissen, dass zwangläufig auf der
Inhaltsebene Produktivität generiert werden muss und dass dies mit spezifischen
Produktionsstrategien passiert, insbesondere geht es hier um die Etablierung von
Stereotypen, Formaten und Routinen und genau diese Dinge sind es, die den
werbefinanzierten Rundfunk und seine Rezipienten zu dem verdammt oder
verdonnert, was kommerziellen Rundfunk heute ausmacht.

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KPOL WS 20/21

8. BERTELSMANN STIFTUNG

Die Bertelsmann Stiftung ist eine operative Stiftung, also eine Stiftung, die im Unterschied zu
fördernden Stiftungen die Anliegen Dritter nicht finanziell unterstützt.

Die Bertelsmann Stiftung finanziert sich über einen Medienkonzern (anders als z.B. Siemens
Stiftung oder Stiftungen von Banken) ® größte europäische Stiftung stellt einen Sonderfall
dar

• Durch ihr gesellschaftspolitisches Interesse und Engagement sowie der


satzungsgemäßen Gemeinnützigkeit dient die Bertelsmann Stiftung der Herstellung
eines günstigen Meinungsklimas für den Gesamtkonzern (Bertelsmann AG) sowie der
Kontaktherstellung zu Mitgliedern politischer und gesellschaftlicher Eliten.
(Hachmeister/Rager 2000, 70)
• „(Die Stiftung soll ihre) Fähigkeit (ausbauen), politische Entscheidungsträger direkt zu
beraten.“ (Thielen 2008), Thielen war Aufsichtsrat-Vorsitzender der Bertelsmann AG
• Reinhard Mohn: „Es wäre schön, wenn einer vorangehen könnte, wie einst Christus,
der hatte ja in relativ kurzer Zeit einen enormen Reformerfolg. Aber Propheten haben
es heute nicht mehr so leicht.“

BERTELSMANN AG

• 19. Jhd bis Ende der 1920er: Bertelsmann AG widmete sich als theologischer Verlag
„Gottes Werk“
• Später reklamierte sie für sich „dem deutschen Volke das Buch zu bringen“.
• 1950er Jahre: Lesering im Dienste der Volksbildung
• Stiftung ist Hauptgesellschafter der Bertelsmann AG (76,9% allerdings ohne
Stimmrechte ® finanzielle Vorteile)
• 106 Mio Euro pro Jahr, weil sie noch mit gemeinnützigen Stiftungen
zusammenarbeiten

GRÜNDUNG DER STIFTUNG – REINHARD MOHN

„Wenn man [...] als Unternehmer gelernt hat, komplexe Aufgaben zu übernehmen, ein
Unternehmen zu gestalten und täglich Problemlösungen zu entwickeln, blickt man auf die
Ordnungsstrukturen von Gesellschaft, Staat und Politik mit anderen Augen. Es wird einem
deutlich, dass in diesen öffentlichen Bereichen eine Führungssystematik vorherrscht, die den
Erfordernissen der Zeit nicht angepasst ist. (...)

Aus diesem Unbehagen, welches eigentlich jeder Bürger und jeder Demokrat empfinden muss,
wenn die Gesellschaft nicht zufriedenstellend geordnet ist, erwuchs mein Wunsch, bei der

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KPOL WS 20/21

Besserung der Dinge behilflich zu sein. Dabei ließ ich mich von der Verpflichtung leiten, in der
jeder von uns gegenüber der Gemeinschaft steht. Dies führte [1977; Anm. d. Verf.] [...] zur
Gründung der Bertelsmann Stiftung.“ (Mohn 1997a, 25)

DIENST AN DER GESELLSCHAFT

Es war aber nicht nur die Bertelsmann Stiftung, die gegründet wurde:

• 1. deutsche Privatuniversität Witten/Herdecke seit 1985 mit Bertelsmann Stiftung


verbunden um „zeitgemäße Führungs- und Berichtsinstrumente“ in die Universität
einzuführen, um die wirtschaftliche Effizienz der Universität zu erhöhen und zugleich
„mehr Freiheit in Forschung und Lehre zu ermöglichen“
• Ab 1988 wurden unterschiedliche Preise (z.B. Carl Bertelsmann Preis) für innovative,
modellhafte Lösungsansätze in zentralen gesellschaftspolitischen Aufgabenfeldern
vergeben.
• International Bertelsmann Forum: alle 2 Jahre; Hier treffen sich Staats- und
Regierungschefs, aktive Entscheidungsträger aus Wirtschaft, Medien, Wissenschaft
und Kultur sowie namhafte Verantwortungsträger, die sich aus der aktiven Politik
zurückgezogen haben.
• Seit 1992 gibt es die Debatte um die soziale Marktwirtschaft: Forschungsprogr. Soziale
Marktwirtschaft (Weiterentwickeln und Perspektiven der sozialen Marktwirtschaft)
® Leitlinien für eine ordnungspolitische Neuorientierung und für institutionelle
Reformen sollen entwickelt werden
• Reformkommission Soziale Marktwirtschaft schlug vor, dass der Staat die Möglichkeit
zur Teilzeitarbeit erhöhen soll, dass die staatlichen Aktivitäten in Deutschland
erheblich zurückgefahren werden sollen, dass Deregulierung unerlässlich ist, dass
Produktivitätsanstieg für die Beschäftigung zusätzlicher Arbeitskräfte anstatt für
höhere Löhne verwendet werden soll, …
• Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) Leitbild: „Die Hochschule der Zukunft ist
autonom, profiliert und dem Wettbewerb verpflichtet. Sie arbeitet zugleich
wissenschaftlich und wirtschaftlich. Ziel dieser Einrichtung ist es, die Leistungsfähigkeit
der Hochschulen zu fördern und ihre Evaluationsfähigkeit zu
stärken.“ Hochschulranking der CHE erscheint in Deutschland in der Zeit und soll zur
Orientierung bei der Hochschulwahl dienen
• Bertelsmann Wissenschaftsstiftung: setzt sich für Förderung der Wissenschaft ein
• Kommunikationsordnung 2000 u. 2010: Seit 1997 arbeitet die Stiftung auch
Empfehlungen für „die Medienwelten der Zukunft“ aus, auf Grundlage dieser
Empfehlungen wurde auch die Kommunikationsordnung 2000 veröffentlicht (1997),
es folgte die Kommunikationsordnung 2010; als wichtige Regulierungsprinzipien im
Informationszeitalter sehen die Konzepte die Selbstkontrolle der Anbieter und die
Eigenverantwortung der Nutzer vor

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KPOL WS 20/21

• 1998 gründeten die Bertelsmann Stiftung und die Universität St. Gallen und die Heinz
Nixdorf Stiftung gemeinsam mcm Institut für Medien- und Kommunikations-
management in St. Gallen
• Medienakademie Köln: Multimediafachkräfte für das e-Business qualifizieren
• it akadamie ostwestfalen: „Absolventen sind für die Wirtschaft wie gemacht“,
Unternehmen suchen sich bei Studienbeginn die Leute aus, die für sie arbeiten sollen
und bekommen diese nach der Ausbildung
• Berliner Forum

SATZUNG DER STIFTUNG

Die Aufgaben der Bertelsmann Stiftung sind nach §2 der Satzung 2007:

„(a) die Förderung der Medien-Wissenschaft, insbesondere durch Maßnahmen zur


Verbesserung von Kompetenz und Verantwortung in den Medien und bei den Nutzern sowie
durch Erforschung und Weiterentwicklung der Rolle der Medien und ihrer Ordnung in der
Gesellschaft,

(b) die Erforschung und Entwicklung von innovativen Konzepten der Führung und
Organisation in allen Bereichen der Wirtschaft und des Staates, insbesondere durch
Systementwicklung und anschließende Implementierung,

(c) die Förderung der internationalen Zusammenarbeit, insbesondere in den Bereichen Politik,
Bildung und Kultur,

(d) die Förderung der Aus-und Weiterbildung sowie der Systementwicklung in allen Bereichen
des Bildungswesens, insbesondere durch Unterstützung von Forschung und Modellversuchen,
Lehr-und Beratungsinstituten usw.,

e) die Förderung gemeinnütziger Maßnahmen in der Arbeitswelt (beispielsweise die


Erforschung des Arbeitsmarktes und von Arbeitsbedingungen), insbesondere durch die
Unterstützung von Forschungsprojekten, Konzeptentwicklungen, Modellversuchen und die
Förderung entsprechender steuerlich begünstigter Einrichtungen,

(f) die Förderung zeitgemäßer und wirkungsvoller Strukturen und Ordnungen in der
Gesellschaft, den internationalen Beziehungen, den Medien, der Medizin, der Wirtschaft und
den Unternehmen, insbesondere durch die Unterstützung von Forschungsvorhaben,
Konzeptentwicklungen, Modellversuchen usw. (Stiftungssatzung 2007)

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DIE BERTELSMANN STIFTUNG ALS POLITISCHE INSTITUTION UND ORGANISATION

Versucht man die Stiftung als eine politische Organisation zu fassen, sollte man
berücksichtigen, dass politische Entscheidungen sich sowohl durch einen technisch
organisatorischen als auch durch einen symbolischen Aspekt auszeichnen.

Werner Weidenfeld (ehem. Vorstandsmitglied): „Wirkung erzielen wir als Stiftung im


wesentlichen und vornehmlich durch die Überzeugungskraft unserer Angebote und die
Modellhaftigkeit unserer Lösungsperspektiven.“ ® betont genau diese Aspekte und
verdeutlicht letztlich, die Sinnhaftigkeit den Verbund von Bertelsmann Stiftung und AG als
politische Institution mit Akteuren und diese zugleich als Organisation zu beschreiben

Die Bertelsmann Stiftung und die Bertelsmann AG können nicht getrennt betrachtet werden

• Organisationen nützen Möglichkeitsräume


• Institutionen schaffen öffnen oder schließen Möglichkeitsräume
• Organisation: Steuerung ® der Leitideen (Innen und Außen), Symbolische Politik
durch ein Set von Leitideen
• Institution: Orientierung ® der Leitideen (Innen und Außen), Orientierung durch
Symbole und Schaffung eines Resonanzbodens für die Steuerung vermittels Symbolen

• Steuerung vermittels Symbolen ist immer auf einen Resonanzboden (dafür sorgt
Bertelsmann AG) angewiesen als darauf, dass der Adressat eine Disposition
hinsichtlich der Symbolik aufweist.

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KPOL WS 20/21

• Bertelsmann AG sichert den Resonanzboden durch die eigens erzeugten


Medieninhalten, denn Medien wurden schon von den nationalökonomischen Wurzeln
der Kommunikationswissenschaft als ein der Erhaltung von Ideen dienendes
Symbolgut begriffen.

BERTELSMANN STIFTUNG IM INSTITUTIONENGEFÜGE

Bertelsmann AG betont ihren Charakter als Organisation (Unternehmen)

Bertelsmann Stiftung jenen der orientierenden und integrierenden Institution

Orientierungs- und Ordnungsleistungen werden effizient und effektiv in das institutionelle


Gefüge exportiert und stärken rückwirkend den Konzern, der durch seine Produktion von
medialer Inhalten Steuerung vermittels Symbolen betreiben kann. Dass die Produktion
lediglich als Nebenerscheinung im Kontext der unternehmerischen Gewinnmaximierung zu
begreifen ist, mag für Unternehmen, die nicht-mediale Inhalte produzieren eine adäquate
Beschreibung sein, für die Bertelsmann AG als Medienunternehmen trifft diese Beschreibung
nicht zu. Die Bertelsmann AG wirkt ordnend auf die organisationsinterne Normgebung als
auch im Rahmen von Aushandlungsprozessen auf die Mediengesetzgebung. Nach innen
ordnet die Bertelsmann AG menschliches Handeln, gemäß des Organisationszwecks, und
delegiert die Orientierungsleistung weitgehend an die Bertelsmann Stiftung.

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EINFLUSSEBENEN DER BERTELSMANN STIFTUNG

Verbund aus Stiftung und AG = Institutionell geprägter Verbund

ABGELEITETE INSTITUTIONEN NIEDERER STUFE/ORGANISATIONSINTERNE NORMEN

• Einführung einer neuen Führungstechnik ist laut Mohn nötig, um die angestrebten
Reformen schneller voranzutreiben „Schon jetzt wird erkennbar, dass bald nicht mehr
die Eigentumsrechte, sondern nur bewiesene Führungskompetenz das Mandat zur
Leitung eines Unternehmens rechtfertigt…“
• Beispiele aus „fortschrittlichen Großbetrieben“ ® bezieht sich eigentlich nur auf die
Bertelsmann AG: Wirtschaftsbetriebe hätten überholte hierarchische Strukturen, bei

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KPOL WS 20/21

fortschrittlichen Betrieben sollte man nicht immer nur auf Gewinnmaximierung aus
sein (widersprüchlich: Bertelsmann AG ist aber hauptsächlich darauf ausgelegt)
• Mohn ist Anhänger der amerikanischen Management-Lehre: Strikte Gewinnvorgaben
für die Manager*innen, wer das nicht erreicht ® Befragungen und Bewährungsfrist;
bei erneutem Scheitern wird ganzer Teilbereich der Firma geprüft und dann
geschlossen, verkauft oder in anderen Teilbereich eingegliedert
• Der Aspekt der Führung wird auf dieser Ebene permanent betont ® Führung wird als
Lösung aller unternehmensinterner Probleme erachtet

FUNDAMENTALE INSTITUTIONEN/MENSCHENRECHTE

• Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit, Sicherheit und Wohlfahrt


• Lässt sich Wohlfahrt mit den Anstrebungen der Bertelsmann Stiftung und AG
vereinbaren? Werden demokratische Grundrechte aus den Augen gelassen?
• Sozialstaatlichkeit wird im Grundgesetz unteranderem durch einen individuellen
Fürsorgeanspruch und die staatliche Daseinsvorsorge verwirklicht. Es gibt also einen
Anspruch auf staatliche Sicherung eines Existenzminimums. Das ist schwer vereinbar
mit Beispielen der Demokratie in den USA, die Mohn gerne heranzieht: „Die
Amerikaner sagen aus Überzeugung: so wenig Staat wie möglich.“ Mohn geht davon
aus, dass alle selbst in der Lage sein sollten ihre Probleme zu lösen und entsprechendes
Urteilvermögen haben. Dieses Urteilsvermögen spricht er der Bevölkerung aber ab,
wenn es um politische Themen geht: „Der mangelnde Sachverstand Wähler, wird noch
dazu durch die Manipulation ihrer Meinungen mit Hilfe der Medien in
kontraproduktiver Weise ausgenutzt.“ Dabei leitete er selbst einen Medienkonzern…
• Fundamentale Institutionen können also von den Aktivitäten einer Stiftung betroffen
sein.
• Wohlfahrtsgedanken im Artikel 20 des Grundgesetz Sozial Staat

ABGELEITETE INSTITUTIONEN HÖHERER STUFE/BUNDESDEUTSCHE RUNDFUNKPOLITIK –


ROEGELE

„Liest man Äußerungen oder auch Vorschläge [zur Medienpolitik; Anm. d. Verf.] so gewinnt
man den Eindruck, dass ihre Autoren die verfassungsrechtliche Literatur entweder nicht
kennen oder die Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Fragen für unerheblich halten. Ein
großer Teil der Diskussion verläuft so, dass die Zuhörer glauben müssen, das Grundgesetz sei
schon nicht mehr in allen seinen Teilen gültig oder könne nach Belieben geändert werden. [...]

Es wird ein Klima erzeugt, in dem Widerstände der Verfassung gegen ‚fortschrittliche’
Regelungen als unbedeutend erscheinen. Dabei wird bisher viel zu wenig beachtet, dass die

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Massenmedien den einzigen Produktionszweig bilden, der ständig seine eigene Publizität
mitproduziert. (...)

Alle anderen Institutionen und Gruppen der Gesellschaft –einschließlich Regierungen und
Parteien – sind in ihrer Wirkung auf die Öffentlichkeit darauf angewiesen, dass die
Massenmedien sie und ihre Lebensäußerungenzur Kenntnis nehmen, ihre Beiträge zur
öffentlichen Diskussion vermitteln, also der Allgemeinheit bekannt geben, in den Kontext des
gesellschaftlichen Zeitgesprächs hineinstellen und dem Prozess der Meinungs-und
Willensbildung zuführen.“ (Roegele 1974)

STIFTUNGSEINFLUSS AUF DEN DREI POLITIKEBENEN

Der Stiftungseinfluss auf die bundesdeutsche Medienpolitik lässt sich auf allen drei Politik-
Ebenen festhalten:

Policy-Ebene (Inhaltlicher Aspekt)

• Die Policy-Ebene wird über diverse Veranstaltungen und Diskussionsforen, bei denen
die Teilnehmer*innen anhand von der Stiftung ausgearbeiteten Papieren diskutieren.
So gehen die Inhalte der Stiftung in die Politik ein

Politics-Ebene (Prozess Ebene)

• Auf dieser Ebene betätigt sich die Stiftung besonders. Entscheidend ist hierfür, dass
die formalen Prozesse und Verfahren politischer Entscheidungsfindung zunehmend an
Bedeutung verlieren und durch Netzwerke und Beziehungsgeflechte ersetzt werden
(Marktbeherrschung, flächendeckende Politikberatung).
• Politiker*innen suchen Rat und Unterstützung bei der Stiftung, die Stiftung empfiehlt
ihnen dann die Mohnsche Führungsphilosophie.
• Bis zu Gremien europäischer Wirtschafts-, Bildungs-, Sozial- und Sicherheitspolitik in
denen die Repräsentant*innen des Bertelsmann Konzerns als Akteur*innen der
Wirtschaft dabei sind.
• Die Akteur*innen der Bertelsmann Stiftung und AG entscheiden so also über die
Rahmenbedingungen der eigenen Geschäfte.

Polity-Ebene (Ebene der politischen Institutionen/Ebene von Rahmen und Strukturen)

• Auch auf dieser Ebene kann und will die Bertelsmann Stiftung Einfluss nehmen.
Obgleich die grundsätzlichen Entwicklungslinien der Rundfunkrechtsentwicklung in

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der Bundesrepublik Deutschland deutlicher von der verfassungsgerichtlichen


Rechtsprechung als vom Gesetzgeber bestimmt werden. Die Stiftung ist aber trotzdem
nicht einflusslos, auch da die verfassungsrechtliche Kodifizierung der Presse und
Rundfunkfreiheit als abgeleitete Institution mittelbar gestaltbar ist.

VERFASSUNGSÖKONOMIK

„Autonome Institutionen sollen dem Kurzzeitrhythmus der Politik eine Langfristorientierung


entgegensetzen, so die langfristigen Vorteile der gesellschaftlichen Kooperation gegenüber
kurzfristigem und zügellosem Anspruchsdenken und -druck der ‚rentensuchenden
Gesellschaft’ sichern und dadurch die Demokratie stabilisieren.“ (Kiefer 2007b, 7)

• Verfassungsökonomik: Institutionen als Ausfluss des Gesellschaftsvertrags


• Normalerweise müssen Institutionen dem Grundsatz der Volkssouveränität folgen und
deshalb auch demokratisch kontrollierbar sein. Es gibt in demokratischen
Gesellschaften aber auch Ausnahmen, das sind die autonomen Institutionen. Diese
sind dem unmittelbaren Einfluss von Regierung und Parlament entzogen.
• autonome Institutionen im engeren Sinn: Gerichte
• autonome Institutionen im weiteren Sinn: öffentlich-rechtlicher Rundfunk,
kommerzielle Rundfunkanbieter
• Autonome Institutionen existieren deshalb, weil sie dem Kurzzeitrhythmus der Politik
eine Langfristorientierung entgegensetzen sollen.

INSTITUTIONELLE VERORTUNG DER BERTELSMANN STIFTUNG

Es handelt sich bei der Bertelsmann Stiftung um ein kooperatives Gebilde, einen organisierten
sozialen Zusammenschluss, der in der Institutionenhierarchie als eine sogenannte sekundäre
abgeleitete Institution und zugleich Organisation verortet werden kann. Weiters ist die
Stiftung der Gruppe politischer Institutionen mit Akteuren zuzuordnen, deren Ziel mit der
Herstellung gesamtgesellschaftlich relevanter Entscheidungen beschrieben werden kann. Im
Rahmen der Zielerreichung wirkt die Bertelsmann Stiftung auf Normensysteme formeller Art

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(Verfassungen) sowie informeller Art (Symbolsysteme) ein. Als quasi-autonome Institution ist
die Bertelsmann Stiftung Teil der rentensuchenden Gesellschaft, die dem Ideal autonomer
Institutionen nur im Sinne der Stabilisierung des wirtschaftlichen Systems nachkommt.

Anm.: Die Bertelsmann Stiftung hat sich mittlerweile aus der Medienpolitik zurückgezogen
und ist nur mehr in der Wirtschaftspolitik (welche die Medienpolitik tangiert) aktiv.

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9. MARKT UND ÖFFENTLICHKEIT

MARKT UND ÖFFENTLICHKEIT

• Begriff der „Öffentlichkeit“ wird in Kommunikationspolitik zunehmend durch den


Begriff „Markt“ ersetzt.
• Begriff des Marktes bereits bekannt durch: Begründung von Regulierung,
Medienpolitische Debatten, Bertelsmann Stiftung

• „Was marktwirtschaftliche Ordnungen so kompatibel mit Demokratien erscheinen


lässt –angesichts der gemeinsamen Wurzeln und parallelen historischen Entwicklung
wenig verwunderlich – ist, dass Märkte als eine demokratische Form der Äußerung
und Durchsetzung von Bedürfnissen begriffen werden.“ (Kiefer 2001, 79)

• Hickethier konstatiert diesbezüglich, dass "gerade diese kritische Einführung des


Marktbegriffs in den Medientheorien dazu [führte], daß sukzessive der
Öffentlichkeitsbegriff durch den Begriff des Marktes ersetzt wurde und dieser nach
und nach seiner negativen Konnotation entkleidet und schließlich in den neunziger
Jahren positiv aufgewertet wurde." (2000, 8)

• Ab den 1990ern haben immer mehr Ansätze der Öffentlichkeit auf das Konzept
„Markt“ zurückgegriffen.
• Alle Akteure wurden sehr ähnlich definiert (Unternehmen), alles wurde sofort zur
Konkurrenz (politische, militärische, intellektuelle, künstlerische, religiöse) erklärt.
• Grund für die Position des Marktes in den mit Öffentlichkeit befassten Ansätzen mag
auch der Umstand sein, dass Wettbewerb bzw. Konkurrenz als dem Theoriendiskurs
ähnlich begriffen werden, so dass eine wissenschaftsintern bewährte Spielregel auch
auf das gesellschaftliche Umfeld übertragen wird.

• Da Öffentlichkeit in der Topographie der Gesellschaft im Vorhof zur Macht platziert sei,
gilt auch sie als ein umkämpftes Gebiet. Insofern übernehme Öffentlichkeit "ähnliche
Funktionen wie der Markt für die Wirtschaft" (Gerhards/Neidhardt 1990, 11).
• Deutsches Grundgesetzt Artikel 5: es geht um die Konzeption eines offenen, freien
Meinungsmarktes, der politischen Wettbewerb ermöglicht

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• Es handelt sich bei Öffentlichkeit scheinbar um eine marktähnlich gestaltete Sphäre.


Sowohl für Präsenzöffentlichkeiten als auch für Medienöffentlichkeiten werden
Metaphern wie Forum, Arena und Markt verwandt (vgl. Schulz 1997, 101).

MARKT UND DIE VERSCHIEBUNG DER BEWERTUNGSMAßSTÄBE FÜR ÖFFENTLICHKEIT

"Wie sollen nun aber soziale Zusammenhänge aus dem Zusammenspiel nutzenmaximierender
Individuen erklärt werden, wenn Nutzen weder empirisch messbar noch intersubjektiv
vergleichbar ist?" (Frank 1998, 88)

• Die Ökonomik beantwortet diese Frage, indem sie die individuelle Verwendung
knapper Ressourcen als Wahlhandlung und die Wahl selbst als Präferenzoffenbarung
interpretiert.

FUNKTIONEN, INSTRUMENTE UND BEWERTUNGSMAßSTÄBE VON UND FÜR MARKT UND


ÖFFENTLICHKEIT

• Markt und Öffentlichkeit sind ganz unterschiedlich (siehe Funktionen)!


• Markt – ökonomische Funktion/Allokation: Verteilung knapper Ressourcen, wie
Produktionsfaktoren verteilt werden
• Öffentlichkeit – politische Funktionen: Informationen gewährleisten und
Meinungsbildung ermöglichen

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• Markt verfügt im Gegensatz zu Öffentlichkeit über Instrumente: zwar gibt es auch bei
der Öffentlichkeit Ziele (Verhandlung und Diskussion von Themen mit öffentlichem
Interesse) aber es sind keine spezifischen Vorgangsweisen festgelegt, beim Markt
schon
• Markt – Instrumente: Preis und Wettbewerb (Regeln)
• Aufgrund des Wettbewerbs zwischen Produzenten und Konsumenten kommt es zu
einer Bildung eines Preises
• Preis = informatorische Kopplung zwischen Produzenten und Konsumenten
• Öffentlichkeit hat keine wirklichen Instrumenten aber orientiert sich auch an Preis
und Wettbewerb, obwohl das eigentlich nichts mit ihrer politischen Funktion
(Information, Meinungsbildung) zu tun hat
• Der Bewertungsmaßstab im ökonomischen Kontext für den Markt ist der Begriff
„Effizienz“
• produktive Effizienz: so wirtschaftlich wie möglich produziert (so kostengünstig wie
möglich)
• allokative Effizienz: Produktion geschieht genau gemäß der Präferenzen von
kaufkräftigen Konsumenten
• Öffentlichkeit – Bewertungsmaßstäbe der Zielerreichung: Vielfalt, Aktualität,
Richtigkeit, Relevanz UND/ODER Effizienz (da ja auch die Instrumente des Marktes in
Frage kommen, ist auch der Bewertungsmaßstab unter Umständen der gleiche)

GESELLSCHAFTLICHE MEINUNG

• "Gesellschaftliche Meinung' entsteht laufend aus dem Zusammenspiel von


individueller und öffentlicher Meinung. Meinungswettbewerb führt tendenziell zu
einem Maximum an vielfältigen Meinungen, die einer Gesellschaft zur Verfügung
stehen. Mit ihm erfolgt eine 'Institutionalisierung des sozialen Wandels'." (Braun 1990,
98f.)
• Meinung wird hier von Braun scheinbar als bedarfshomogenes Gut begriffen, sonst
müsste von verschiedenen Märkten die Rede sein.
• Dass die mediale Güterspezifik zu Marktversagen führt, insbesondere im Rahmen der
Argumentation auf Ebene der Medieninhalte, wird von Braun negiert.
• Folgt man Brauns Argumentation, so wäre das Konzept des free market place of ideas
geeignet, öffentliche Meinungsbildungsprozesse in offenen Systemen dezentraler
Steuerung zu beschreiben.
• Für Röpke spielt sich der Wettbewerb nicht in einem sozialen Vakuum ab, sondern er
ist – entsprechend der Eigenart der in ihm getauschten Produkte – in einen
kommunikationssoziologischen Zusammenhang eingebettet.

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• Einige finden also, dass der Markt quasi Voraussetzung für journalistische Beiträge und
deren Vielfalt ist. Das entspricht aber nicht Habermas Verständnis.
• Habermas: Marktorientierung als Grund für den Degenerationsprozess
demokratischer Öffentlichkeit
• Öffentlichkeit lässt sich also NICHT allein als „Meinungswettbewerb“ definieren.
• Brauns Ideen passen auch nicht zusammen. Wir haben es ja im Bereich der Medien
auch mit „Marktversagen“ zu tun.

• Jochen Röpke: Wettbewerb spielt sich nicht in einem sozialen Vakuum ab, sondern ist
entsprechend der Eigenart, der in ihm getauschten Produkte immer auch in einem
kommunikationssoziologischen Zusammenhang eingebettet.
• Jochen Röpke (Wettbewerb, Pressefreiheit und öffentliche Meinung):
o öffentliche Meinung ist nicht optimal durch Märkte bereitstellbar;
o wettbewerbliche Bereitstellung führt zu einer Homogenisierung der Inhalte;
o bei der Öffentlichkeit werden die Bewertungsmaßstäbe der Zielerreichung
verändert (rationale Diskussion wird durch Effizienz überlagert);

Wettbewerbspolitik ist kein geeignetes Mittel, um die Vielfalt der Meinungen im


Medienbereich zu garantieren!

MARKT IST KEINE ÖFFENTLICHKEIT

Markt und Öffentlichkeit unterscheiden sich. Es gibt trotz ihrer gemeinsamen


Fundamentalnorm eine Kollision der Auffassung von Öffentlichkeit als Forum der
demokratischen Willensbildung mit der Auffassung von Öffentlichkeit als Markt.

• Öffentlichkeit: Das Individuum wird auf politischer Ebene als Bürger definiert, der
öffentliche Rechte (Meinungsäußerung, Wahl) innerhalb einer gesellschaftlich
akzeptierten Normenstruktur ausübt.
• Markt: Auf wirtschaftlicher Ebene wird der Einzelne hingegen als Produzent und
Konsument verstanden, der private Rechte ausübt, indem er sie durch seine Kaufkraft
am Markt in Verfolgung privater Interessen einsetzt. Die zentrale Norm im Bereich der
Wirtschaft ist die Maximierung individuellen Nutzens.

MEDIEN UND MARKTVERSAGEN

• Sinkende Durchschnittskosten, Grenzkosten von Null, externe Effekte der Produktion


und des Konsums unvollkommene Märkte, verzerrte Präferenzen sowie das nicht

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durchsetzbare Ausschlussprinzip sind Mängel, die – folgt man der ökonomischen


Theorie – zu partiellem oder völligem Marktversagen führen.
• Verständnis von Ausschluss, das das Ökonomische stark prägt: Märkte funktionieren
nur dann, wenn Wirtschaftssubjekte vom Konsum eines Gutes ausgeschlossen werden
können.
• Allein am Ausschlussprinzip lässt sich feststellen, dass Markt und Öffentlichkeit
unterschiedlich sind. Ausschluss ist dezidiert kein konstituierendes Moment in
kommunikationswissenschaftlichen Konzeptionen von Öffentlichkeit, auch wenn sie
von Markt- und Wettbewerbsanomalien nur so strotzen.

ÖKONOMISCHES DILEMMA DER KULTURPRODUKTION

• Medienproduktion bedarf handwerklichen Könnens und muss dem


Dienstleistungssektor zugerechnet werden, einem Sektor, der auf kaum
substituierbarer Arbeitsleistung beruht.
• Obwohl im Rahmen der Medienproduktion Anschluss an die Produktivität industrieller
Fertigung gesucht wird, bleiben die Möglichkeiten des Produktionszuwachses
begrenzt.
• ® zu geringe Produktivität bei Dienstleistungen in der Medienproduktion

• Produktionsstrategien, die das ökonomische Dilemma der Kulturproduktion aufheben


wollen, führen immer zu mangelnder Meritorik der Medieninhalte.
• Bewertungsmaßstäbe:
o Vielfalt als Bewertungsmaßstab weicht Formaten oder Stereotypen
o Richtigkeit ist für den Konsumenten in der rein kommerziellen
Medienbereitstellung nicht (mehr) abschätzbar
o Relevanz: kommerzielle, marktgesteuerte Medienunternehmen orientieren
sich immer an den Präferenzen der kaufkräftigen Konsumenten

Dass der Markt im Sinne eines Netzes kommerzieller Beziehungen für den Austausch knapper
Güter nicht für alle Bereiche des sozialen Lebens als Anreiz- und Steuerungssystem funktional
ist, soll hier ebenso deutlich werden, wie der Umstand, dass dessen Versagen die
Funktionslogik öffentlicher Kommunikation ebenso tangiert wie jene demokratischer
Gesellschaften.

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TRENNUNGSGRUNDSATZ

Durch die Mitgliedschaft in der EU hat Österreich seinen Rundfunk in gewisser Weise der
Definition als Wirtschaftsgut unterstellt.

Saxer: „Wohl bleibt die kulturelle Autonomie der EU-Mitglieder auch hinsichtlich der
institutionellen Ausgestaltung des Rundfunks unbeeinträchtigt sie erhält aber in Gestalt dieser
Mitgliedschaft und natürlich durch die generelle Ökonomisierung der Mediensysteme ein
immer größeres wirtschaftliches Gegengewicht.“

Die EU sieht also den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Wirtschaftsgut und somit auch als
Dienstleistung. Die Liberalisierung der Rundfunkmärkte führte auch dazu, dass das Interesse
der EU am öffentlich-rechtlichen Rundfunk stieg. Die Kompetenzen der EU sind auf
wirtschaftliche Aspekte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beschränkt. Die Qualifizierung
des Rundfunks als Dienstleitung und der öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter als
Unternehmen ist aber trotzdem folgenreich. Aus diesem Verständnis heraus entsteht ein
Streit zwischen der EU und den Mitgliedsstaaten, die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk
stärker als eine nationale, kulturelle Institution begreifen und den wirtschaftlichen
Dienstleistungscharakter verneinen. Unumstritten zuständig ist die EU-Kommission aber dafür,
dass die rechtliche und finanzielle Ausgestaltung mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.
Im Rahmen der Etablierung der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVND-Richtlinie)
wurde das Trennungsverbot von Werbung und redaktionellen Inhalten deutlich aufgeweicht
(Produktplatzierungen müssen nur im Vor- und Nachspann, sowie bei Werbeunterbrechungen
gekennzeichnet sein). Für Werbung gilt grundsätzlich immer eine zeitliche Beschränkung, für
Produktplatzierungen gibt es das nicht. Aufgrund dieser rechtlichen Adaptionen kommt es zu
einer Liberalisierung im Bereich der programmintegrierten Werbung bzw. der
Produktplatzierung. Begründet wurde die Revision der Richtlinie mit dem Ziel der Förderung
der europäischen Rundfunk und Filmindustrie, es ging darum breitere
Finanzierungsmöglichkeiten zu schaffen. Zudem wurde die Revision mit den
Selbstregulierungskräften der nationalen Rundfunkmärkte begründet („Der Markt wird’s
schon richten“). Weiters wurde argumentiert, dass es unbedenklich wäre diesen Weg zu
gehen, weil es die Kompetenzen der Rezipient*innen gibt solche werblichen Botschaften
erkennen zu können.

Was sagt die Kommunikationswissenschaft zu den Behauptungen, dass die Rezipient *innen
kompetent wären und der Markt schon alles richten würde?

• Bei Werbespots und bei Produktplatzierungen handelt es sich um ganz


unterschiedliche Angebotsformen, mit unterschiedlichen Wirkungen.
• Auf der Einstellungsebene sind programmintegrierte Werbungen vorteilhafter, in
Bezug auf Gedächtniseffekte sind Werbespots vorteilhafter.
• Auf Unabhängigkeit und Angemessenheit journalistischer Berichterstattung zu
vertrauen ist Voraussetzung für das Funktionieren von Angeboten öffentlicher

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Kommunikation und hat zur Folge, dass Zuschauer*innen den dort geteilten Aussagen
vertrauen.
• Das Vertrauen, das Medieninhalten entgegengebracht wird ist Folge der bisherigen
Trennung von Journalismus und PR oder Werbung.
• Durch die Revision der Fernsehrichtlinie ist das Vertrauen tangiert. Wenn es Zweifel an
der Leistungsfähigkeit der Medien gibt, dann bedeutet das in letzter Konsequenz, dass
sich die Medien selbst ihrer Existenzgrundlage berauben.

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10. JOURNALISMUS

• Innerhalb der Kommunikationswissenschaft ist eine vermehrte Befassung mit


Strukturfragen und damit mit Organisationen und Institutionen zu konstatieren.
• Vorlesung bezieht sich auf das Buch „Journalismus jenseits von Markt und Staat –
Festschrift für Marie Luise Kiefer“ von Christian Steininger

GRUNDÜBERLEGUNGEN KIEFERS

• Institution = Formen sozialer Handlungen, die unser Leben strukturieren und dadurch
Unsicherheit vermindern
• Institutionen schaffen Richtlinien für Interaktionen

MEDIEN ALS INSTITUTIONEN

Medien = komplexes System institutionalisierter, formaler und informeller, interner und


externer Regeln ® Medien sind sowohl auf konstitutioneller also auf verfassungsrechtlicher
Ebene (z.B. Pressefreiheit), auf kollektiver (Mediengesetze) als auch auf operativer
Regelebene (Regeln auf Produktions- und Rezeptionsseite) verankert.

Medien werden aber auch so als Institutionen begreifbar, wenn man Funktionen von
Institutionen in den Mittelpunkt der Betrachtung rückt.

GÖBEL FUNKTIONEN VON INSTITUTIONEN

• Ordnungsfunktion: Medien reduzieren Komplexität


• Entlastungsfunktion: Medien selektieren Information journalistisch für
Rezipient*innen
• Motivationsfunktion: Medien begünstigen Rezeptionsverhalten in Richtung
Informationsaufnahme
• Koordinationsfunktion: Medien bringen die Informationsstände von Interaktions-
partner auf einen gemeinsamen Stand

• Darüber hinaus sind Medien auch Faktor der Vergemeinschaftung und sie liefern
Beurteilungsmaßstäbe (Wertmaßstabsfunktion).
• Man kann Medien als Institutionen begreifen und beschreiben.

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JOURNALISMUS ALS INSTITUTION

Kiefer vertritt die These, dass Journalismus als zentrale institutionelle Struktur von
Öffentlichkeit zu begreifen ist.

Kiefer: „In der Gesellschaft, die die moderne Massenmedien heute darstellen, ist
Öffentlichkeit mit all den mit diesem Begriff verknüpften deskriptiven und normativen
Konnotationen funktionsfähig nur durch die eingezogene institutionelle Struktur des
Journalismus. Eine institutionelle Struktur, die die Verklammerung von Öffentlichkeit und das
Öffentliche sichert.“

Sie findet also, dass Journalismus und nicht die Massenmedien die modernen Demokratien
potentiell funktionsfähig macht.

1. Begründung: Journalismus hat eine beratende Funktion für den Bürger, er soll die
Aufmerksamkeit aller Bürger der Gesellschaft auf die gemeinsamen Interessen aller
Bürger, also auf das Öffentliche, fokussieren. Nur so kann dem Bürger
Meinungsbildung in Sachen kollektiv relevanter und erforderlicher Angelegenheiten
ermöglicht werden.
2. Begründung: Journalisten fungieren neben Parlamentariern und zivilgesellschaftlichen
Gruppen als demokratietheoretisch zentrale institutionalisierte Akteure. Sie agieren
zwischen politischen und nicht-politischen Akteuren oder Akteursgruppen und der
Bevölkerung in ihrer Rolle als Publikum.

ÖFFENTLICHKEIT

• Kiefer begreift wie Habermas Öffentlichkeit nicht als Institution, sondern sagt, dass
Öffentlichkeit sich gewiss nicht als Institution oder als Organisation begreifen ließe. Die
Öffentlichkeit ist selbst kein Normengefüge mit Kompetenz und Rollendifferenzierung.
• Öffentlichkeit ist aber von Institutionen geprägt. „Öffentlichkeit gehorcht den
materiellen Interessen der Institutionen, die von ihr leben.“

• Journalismus versteht Kiefer als die zentrale institutionelle Struktur von Öffentlichkeit
in Demokratien.
• Erst die institutionelle Struktur des Journalismus ermöglicht der Öffentlichkeit in den
modernen Massenmedien ihre Funktionsfähigkeit.

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ENTSTEHUNG UND WANDEL VON INSTITUTIONEN

Kiefer kommt zu dem Schluss, dass es letztlich nicht Techniken sind, die konkurrieren, sondern
immer Organisationen.

Sie sieht technischen Wandel immer verknüpft mit institutionellem Wandel.

Wandel der von Organisationen langsam von unten nach oben im Institutionen Gefüge
ausgeht

Organisationen sind für institutionellen Wandel entscheidend. Organisationen verändern in


Verfolgung ihrer Ziele, ihres Organisationszwecks das institutionelle Gefüge schrittweise. Das
kann intendiert oder nicht-intendiert geschehen. Welche Organisationen entstehen, wie sie
sich weiterentwickeln hängt insbesondere von den institutionellen Rahmenbedingungen ab.
Die unternehmerische Zielerreichung behinderte Faktoren sind in der institutionellen
Rahmenordnung angelegt, die Akteure mit vielschichtigen Dilemma-Situationen konfrontiert
(konfligierende Normensysteme, unterschiedliche institutionelle Regelungen). Daher wollen
Institutionen das institutionelle Gefüge und dessen Regeln zu ihren eigenen Gunsten
verändern.

(Medien-)Unternehmen gilt als ökonomische Institution und Organisation. Es ist der


institutionalisierte Ort der Produktion. Das Unternehmen ist gleichzeitig ein wirtschaftlich-
rechtlich organisiertes Gebilde mit einem konkreten Ziel (mittels produktiver Leistungen auf
Märkten Gewinne erwirtschaften). Unternehmen nehmen so Einfluss auf die Gestaltung und
damit den Wandel ihrer institutionellen Umwelten. Durch ihre Zielverfolgung verändert die
Organisation die Institutionenordnung.

Veränderungen, auch wenn sie nur langsam in dem institutionellen Gefüge vor sich gehen,
rühren immer daher, dass Unternehmer*innen in unterschiedlichen politischen und
ökonomischen Organisationen erkennen, dass sie größere Erfolge erzielen können, wenn sie
den gegebenen institutionellen Rahmen in ihrem Sinne verändern. Für das Verständnis von
langfristigem wirtschaftlichen Wandel ist das bedeutsam. Er wird so als eine kumulative Folge
unzähliger kurzfristiger Entscheidungen politischer und ökonomischer Unternehmer*innen
begreifbar.

AUTONOME INSTITUTIONEN

Wie kann man autonome Institutionen (z.B. Medien, Journalismus) in einer heutigen
Gesellschaft argumentieren, konstituieren und sichern? S.26ff

• Gefahren für die Institution Journalismus – Regina Schnellmann


• Regulierungsperspektive (rechtswissenschaftliche Perspektive) – Wolfang Schulz
• Argumentation, Konstituierung und Sicherung (Unabhängigkeit durch Medienrecht) –
Birger B.
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ZUSAMMENFASSUNG

• Laut Kiefer kann man also die Medien aber auch den Journalismus als Institutionen
begreifen.
• Öffentlichkeit ist keine Institution aber von Institutionen geprägt.

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