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Plenarprotokoll 17/60

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

60. Sitzung

Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: Reinhold Sendker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6286 C


(Fortsetzung)
Dr. Max Lehmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 6288 B
a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes über die Feststellung des Bundes- Schlussrunde:
haushaltsplans für das Haushaltsjahr Haushaltsgesetz 2011 . . . . . . . . . . . . . . . 6289 C
2011 (Haushaltsgesetz 2011)
(Drucksache 17/2500) . . . . . . . . . . . . . . . . 6267 A Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 6289 D
b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . 6291 D
Finanzplan des Bundes 2010 bis 2014 Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . 6294 C
(Drucksache 17/2501) . . . . . . . . . . . . . . . . 6267 B
Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE) . . . . . . . . 6296 B
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/
Einzelplan 12 DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6300 B
Bundesministerium für Verkehr, Bau Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister
und Stadtentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . 6267 B BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6302 C
Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . 6303 B
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6267 B
Klaus Hagemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6305 C
Michael Schlecht (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 6269 D
Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6307 C
Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6269 D Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . 6309 C
Uwe Beckmeyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6270 B Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 6310 D
Dr. Claudia Winterstein (FDP) . . . . . . . . . . . . 6272 C Dr. Claudia Winterstein (FDP) . . . . . . . . . . . . 6312 C
Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 6274 A Norbert Brackmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 6313 D
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ Leo Dautzenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 6315 C
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6275 A
Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6316 D
Bartholomäus Kalb (CDU/CSU) . . . . . . . . 6275 D
Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 6277 A
Anlage 1
Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6279 A
Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 6317 A
Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6281 D
Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 6283 C
Anlage 2
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6285 B Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6317 D
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6267

(A) (C)

Redetext

60. Sitzung

Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Beginn: 9.01 Uhr

Präsident Dr. Norbert Lammert: aussah. Die Verkehrsinfrastruktur war vollkommen ver-
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz. nachlässigt, und Teile der wertvollen Bausubstanz waren
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle dem Verfall preisgegeben. Das war die bittere Wahrheit.
herzlich, jedenfalls diejenigen, die zu dieser frühen Uhr-
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das kann man
zeit schon eingetroffen sind.
wohl sagen!)
Wir setzen unsere Haushaltsberatungen – Tagesord-
nungspunkt 1 – fort: Wenn wir uns heute im geeinten Deutschland und ins-
besondere in den neuen Bundesländern umsehen, so dür-
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- fen wir mit Fug und Recht sagen: In der Stadtentwick-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die lung, im Bereich der Verkehrsinfrastruktur und im
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Bereich der gesamten Bausubstanz und Baukultur ist Be-
Haushaltsjahr 2011 (Haushaltsgesetz 2011) eindruckendes geschaffen worden.
(B) – Drucksache 17/2500 – (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der (D)
Überweisungsvorschlag: FDP)
Haushaltsausschuss
Gerade auch die Verkehrs-, Bau- und Stadtentwicklungs-
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre- politik des Bundes hat dazu Erhebliches beigetragen.
gierung
(Johannes Kahrs [SPD]: So ist das!)
Finanzplan des Bundes 2010 bis 2014
– So ist das, Herr Kahrs, genau. Danke.
– Drucksache 17/2501 –
Überweisungsvorschlag:
(Iris Gleicke [SPD]: Das muss fortgesetzt wer-
Haushaltsausschuss den! – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das muss
fortgesetzt werden, Herr Minister!)
Vereinbarungsgemäß soll die heutige Aussprache eine
Redezeit von insgesamt dreieinhalb Stunden umfassen. – Wir sind bestens dabei.
Dazu gibt es offenkundig keine neuen Anträge. Von der Vielzahl an Verkehrs- und Bauprojekten so-
Wir beginnen die heutigen Haushaltsberatungen mit wie Maßnahmen der Städtebauförderung profitieren da-
dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für bei nicht nur die Bürgerinnen und Bürger in den neuen
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Einzelplan 12. Ländern, sondern Gewinner dieser Entwicklung sind wir
alle, ist unser ganzes Land in West und Ost.
Das Wort erhält zunächst der Bundesminister
Dr. Peter Ramsauer. Liebe Kolleginnen und Kollegen, damals wie heute
ist sich die unionsgeführte Bundesregierung des überra-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) genden Stellenwerts einer gut ausgestatteten Verkehrsin-
frastruktur für den Wohlstand und die Chancen unseres
Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr, Landes bewusst. Ich darf zunächst einmal den Verkehrs-
Bau und Stadtentwicklung: bereich ansprechen. Wir müssen mit Blick auf unsere
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Verkehrswege zwei ganz zentrale Aufgaben schultern.
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren auf Wir müssen erstens die gute Qualität unseres Bestands-
den Rängen und vor den Fernsehgeräten! In 16 Tagen netzes erhalten, und wir dürfen es nicht auf Verschleiß
begehen wir den 20. Jahrestag der Wiedervereinigung fahren. Wir müssen uns zweitens bereits heute rüsten für
unseres Vaterlandes, und die meisten von uns wissen die sich ständig weiterentwickelnden Mobilitätserfor-
noch und haben noch vor Augen, wie das DDR-Erbe dernisse der Menschen und der Wirtschaft von morgen.
6268 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Bundesminister Dr. Peter Ramsauer


(A) Hier ist natürlich die herausragende Herausforderung die (Patrick Döring [FDP]: Nur dass wir jetzt auch (C)
Verkehrszunahme, die wir prognostizieren müssen. Wir mitklatschen!)
brauchen also weiterhin einen bedarfsgerechten Aus-
und Neubau neben dem Erhalt, und zwar für alle Ver- – Stimmt, und weit darüber hinaus.
kehrsträger. Wir alle, glaube ich – jetzt komme ich zu einem wich-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tigen Punkt –, sind gut beraten, immer den gesamtwirt-
schaftlichen Nutzen derartiger Projekte deutlich stärker
Unsere Verkehrswege sind die entscheidenden Le- in das öffentliche Bewusstsein zu rücken.
bensadern unserer Gesellschaft und unserer Wirtschaft.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Deshalb müssen wir auch bereit sein, die dazu erforderli-
der FDP sowie des Abg. Johannes Kahrs
chen finanziellen Mittel in ausreichender und verant-
[SPD])
wortbarer Weise zur Verfügung zu stellen.
Jeder von uns weiß um das Konfliktpotenzial von Groß-
(Johannes Kahrs [SPD]: Das wäre schön!)
projekten. Das war immer so, und leider Gottes fängt es
– Das machen wir schön, Herr Kahrs, wenn es in den an- jetzt wieder an. Wir wissen um die langen Planungszeit-
stehenden Haushaltsberatungen darum geht, dies sicher- räume, und wir wissen um die langen, oft jahrzehntelan-
zustellen. gen Entscheidungsprozesse. Wenn dann aber endlich
der Startschuss für die Realisierung eines Projekts fällt,
(Johannes Kahrs [SPD]: Wir helfen!) dann sollten die Entscheidungen, die diesen Projekten
– Ich nehme Sie beim Wort. Mit Ihnen ist manchmal vorangegangen sind, auch respektiert und mitgetragen
noch ganz gut reden. Aber dann hört es schon bald auf, werden.
wenn man in die Weiten Ihrer Fraktion hineingeht. Ich möchte hier ganz offen das Projekt Stuttgart 21
(Heiterkeit bei der CDU/CSU) ansprechen. Die Bundeskanzlerin hat vorgestern an die-
ser Stelle schon das Notwendige gesagt. Stuttgart 21,
Ich glaube, es ist uns gelungen, im Bundeshaushalt liebe Kolleginnen und Kollegen, ist ein Projekt, das über
eine durchaus ansehnliche Verkehrsinvestitionslinie zu 15 bis 20 Jahre hinweg nach allen Regeln rechtsstaatli-
verankern. Für die Jahre 2011 bis 2014 wird sie ausweis- cher Kunst als Projekt und als Baurecht zustande gekom-
lich des vorliegenden Finanzplans mit konstant men ist.
9,7 Milliarden Euro auf einem höheren Niveau festge-
schrieben, als dies in den Jahren 2001 bis 2008 mit (Zurufe von der LINKEN)
durchschnittlich 9,4 Milliarden Euro der Fall war. Das Es kann deshalb nicht hingenommen werden, dass nach
(B) kann sich durchaus sehen lassen. Aber eine klare Priori- einer solchen Rechtsfindung nach allen Regeln des (D)
tätensetzung ist dennoch erforderlich. Priorität müssen Rechtsstaats entgegenstehende Kräfte für sich ein ver-
solche Projekte haben, die den größten gesellschaftli- meintlich höherrangiges Recht reklamieren, das dem
chen, aber vor allen Dingen auch den größten ökonomi- Recht nach rechtsstaatlichen Regeln entgegensteht.
schen Nutzen aufweisen. Beim Neubau wird es also vor-
rangig um die Beseitigung von Engpässen und den (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ausbau überlasteter Hauptverkehrsachsen gehen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Staat – –
Ich möchte beispielhaft ein Zukunftsprojekt heraus-
greifen. Für unser Land als führende Exportnation ist Präsident Dr. Norbert Lammert:
eine Verbesserung der Hinterlandanbindung der Hä- Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
fen auch und vor allen Dingen auf der Schiene von he- Kollegen Schlecht?
rausragender Bedeutung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
bei Abgeordneten der SPD – Uwe Beckmeyer Bau und Stadtentwicklung:
[SPD]: Ich nehme Sie beim Wort!) Ich bin mitten in diesem Gedanken. Das ist ein sehr
zentraler Gedanke; er ist nicht nur verkehrspolitisch,
– Herr Beckmeyer, Sie auch. Es wird schon besser. – Die
sondern gesamtgesellschaftspolitisch wichtig.
Realisierung der sogenannten Y-Trasse – das ist die Ver-
bindung von Hannover, die sich y-mäßig Richtung Bre- (Beifall bei der CDU/CSU – Renate Künast
men und Hamburg verzweigt – ist ein Projekt, das kein [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir halten
isoliertes Prestigeprojekt darstellt, sondern ist pure Not- ihn fest, den Gedanken!)
wendigkeit, damit wir für die Zielorte und für die Ab-
satzwege fertiger Produkte in Gesamtdeutschland eine Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Staat, der dies
stimmige und zukunftsfähige Verkehrsinfrastruktur be- hinnehmen würde, würde sich als Rechtsstaat dem Zwei-
reitstellen können. fel preisgeben. Die Politik muss natürlich zu den Resul-
taten klarer rechtsstaatlicher Prozeduren stehen. Die
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Politik muss zu dem stehen, was der Rechtsstaat hervor-
bei Abgeordneten der SPD) gebracht hat.
– Das ist ja fast wie früher zu Zeiten der Großen Koali- (Johannes Kahrs [SPD]: Sie muss auch über-
tion. zeugen!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6269
Bundesminister Dr. Peter Ramsauer
(A) Zu diesen Prozeduren gehören ganz ausdrücklich auch (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie (C)
Bürgerbeteiligungen. Dazu gehören Parlamentsbe- des Abg. Johannes Kahrs [SPD])
schlüsse, Gemeinderatsbeschlüsse, Gerichtsverfahren,
Gerichtsurteile und vieles mehr. Tut die Politik dies Beim Thema energetische Gebäudesanierung gehört
nicht, dann wirkt sie selbst daran mit, dass Respektlosig- auch zur Wahrheit, dass, weil das Programm ein Renner
keit ihr selbst gegenüber und gegenüber dem Rechtsstaat war, wir noch im Jahr 2009 damit begonnen haben,
um sich greift. Haushaltsmittel aus den Jahren 2010 und 2011 vorzuzie-
hen, um sie in diesen Bereich hineinzupumpen. Vorzie-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) hen heißt, dass sie später haushaltsmäßig nicht mehr zur
Verfügung stehen. Das wissen auch Sie von der SPD,
An die Adresse der SPD als größte Oppositionsfrak- weil Sie selbst daran mitgewirkt haben. Jetzt müssen wir
tion sage ich: Stehen Sie zu diesem Projekt! Nehmen Sie sehen, wie wir damit in den schwierigen Verhandlungen,
sich ein Beispiel an Ihren Kolleginnen und Kollegen von die in den Haushaltsberatungen vor uns stehen, zurecht-
der Südwest-SPD im Landtag von Baden-Württemberg! kommen.
Ihr Spitzenkandidat Nils Schmid hat noch am vergange-
nen Samstag klipp und klar festgestellt: Eine Reihe von weiteren Themen wäre zu nennen,
beispielsweise die Verkehrssicherheit. Wir müssen uns
(Johannes Kahrs [SPD]: Guter Mann!) Gedanken darüber machen, wie wir sie im Haushalt noch
Aber wir wackeln nicht … Die SPD steht in der Sa- besser dotieren können. Ich nenne die Elektromobilität,
che weiter zu Stuttgart 21 und dem Bau der Neu- die Stärkung des Logistikstandorts Deutschland und die
strecke Wendlingen–Ulm. Vernetzung von Verkehrsträgern. Wir haben in den kom-
menden Wochen reichlich Gelegenheit, all diese Themen
Und vorgestern, am Mittwoch: zu erörtern. Ich als verantwortlicher Ressortminister
freue mich auf diese Gespräche und lade die Opposition
Die verkehrlichen, ökologischen und städtebauli- ein, konstruktiv mitzuarbeiten.
chen Vorteile überwiegen deutlich. Ein Ausstieg
aus dem Projekt würde sich auf die Verkehrsinfra- Besten Dank.
struktur in Baden-Württemberg fatal auswirken.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Besser noch:
Ich persönlich bin auch bereit, Seite an Seite mit Präsident Dr. Norbert Lammert:
den Kollegen von den anderen Befürworter-Par- Für eine Kurzintervention erteile ich dem Kollegen
teien gegen den Ausstieg zu streiten. Schlecht das Wort.
(B) (D)
Donnerwetter, kann ich nur sagen. Klatschen! Michael Schlecht (DIE LINKE):
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Herr Minister Ramsauer, seit Jahren wird in Stuttgart
Johannes Kahrs [SPD]: Guter Mann!) gegen Stuttgart 21 protestiert. Seit Ende Juli hat dieser
Protest gewaltige Ausmaße angenommen. Es wird dort
– Guter Mann, Herr Kahrs. mehrmals in der Woche protestiert. Große Teile der Stutt-
(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) garter Bevölkerung beteiligen sich an diesen Demonstra-
tionen. Wir hatten in der letzten Woche eine Demonstra-
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ich weiß tion mit 70 000 Teilnehmern. Man kann schätzen, dass in
zwar nicht, wer von der SPD sprechen wird, aber Herr Stuttgart mittlerweile bei den vielen Demonstrationen ein
Beckmeyer würde zum Beispiel gleich sagen: Zu dem Personenkreis von 100 000 bis 200 000 Menschen aktiv
haben Sie nichts gesagt, dazu haben Sie nichts gesagt, an den Protesten gegen Stuttgart 21 beteiligt war. Das
dazu haben Sie nichts gesagt. Sie wissen ganz genau, heißt, fast die Hälfte der Bevölkerung in Stuttgart hat sich
dass ich zu allem gern stundenlang sprechen würde. In durch aktives Handeln gegen dieses Projekt ausgespro-
den verbleibenden anderthalb Minuten möchte ich noch chen. Vor diesem Hintergrund finde ich es schon sehr
einige Punkte anreißen. merkwürdig, wenn Sie diesen Protest als „entgegenste-
hende Kräfte“ bezeichnen. Das empfinden die Menschen
Zukunft der Städtebauförderung: Das ist ein Thema, in Stuttgart sicherlich als eine Verhöhnung ihres Einsat-
das uns allen intensiv am Herzen liegt. Die Einschnitte, zes für ihre Interessen und für ihre demokratischen
die jetzt im Entwurf stehen, sind für uns alle schmerz- Rechte.
lich. Ich möchte mir aber den Hinweis erlauben: Wir alle
miteinander können stolz darauf sein, in den schwierigen Danke schön.
Jahren der Wirtschafts- und Finanzkrise gerade den
Kommunen mit zweistelligen Milliardensummen aus (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Herr Präsident,
dem Konjunkturpaket II – 10 Milliarden Euro, die durch haben die diesmal keine Redezeit?)
Komplementärmittel und Länder- und Gemeindemittel
aufgestockt wurden – geholfen zu haben. Diese Mittel Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
sind vom Zweckcharakter her in Bereiche der Städte- Bau und Stadtentwicklung:
bauförderung und der energetischen Gebäudesanierung Sehr geehrter Herr Kollege, ich bedanke mich für
hineingeflossen. Das waren großartige Erfolge, und da- diese Frage. Wenn Sie sagen, es habe seit Jahren Proteste
ran war natürlich auch die SPD beteiligt. größerer und kleinerer Art gegeben, dann möchte ich da-
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Bundesminister Dr. Peter Ramsauer


(A) ran erinnern, dass dieses Projekt seit Jahren von einem wählt. Die Kanzlerin hat vorgestern deutlich gemacht: (C)
großen Lager ständig gefordert worden ist. Das wird ein wichtiges Thema in diesem Wahlkampf
sein. Die Bürger in Baden-Württemberg werden die Ge-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
legenheit haben, bei dieser Abstimmung zu zeigen, wo-
Ich betone, dass heute, wie ich zitiert habe, auch die für sie sind. – So weit zur Beteiligung der Bürger. Wir
Landtagsfraktion der SPD im Landtag von Baden- wünschen uns eigentlich noch mehr Beteiligung; viel-
Württemberg ganz offensichtlich nach wie vor zu die- leicht gibt es das.
sem Projekt steht, und zwar unmissverständlich. Seit‘ an
Herr Minister, ich habe mich über Ihre Rede zum Teil
Seit‘, hat der Spitzenkandidat gesagt, stehe er dazu. Ich
gefreut. An manchen Stellen habe ich mich aber auch
erinnere auch daran, dass im Rahmen aller rechtsstaatli-
gefragt: Warum sagt er nicht noch mehr zu seinem Haus-
chen Genehmigungs-, Verwaltungs- und Verfahrenspro-
halt? – Das ist doch Ihr Haushalt, Herr Minister, den Sie
zeduren und Gerichtsverfahren alle erdenklichen zur De-
uns hier als Entwurf vorlegen. Dazu hätten wir eigent-
batte stehenden Aspekte abgewogen worden sind und
lich gern noch etwas mehr gehört
dass alle an diesem Prozess Beteiligten mit allen rechts-
staatlichen Mitteln das Ihre haben beitragen können. Das (Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister: Kommt
ist das, was ein Rechtsstaat bieten muss, und das, was er noch!)
bieten kann. Ich als verantwortlicher Politiker muss aber
dann auch fordern, dass die Ergebnisse solcher rechts- – das ist wunderbar –, weil das, was in diesem Haus-
staatlichen Prozeduren gesamtgesellschaftlich akzep- haltsentwurf zu finden ist, schmerzlich, in einigen Berei-
tiert werden. chen aber auch unverständlich ist.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der SPD)

Ich erinnere an ein weiteres Moment: die Legitima- Als oppositioneller Sozialdemokrat muss ich das in die-
tion. Ich habe von 15 bis 20 Jahren gesprochen. Gerade ser Rede natürlich sagen; ich werde daran nicht vorbei-
in den letzten Jahren haben Wahlen aller Art stattgefun- kommen.
den. Zwei Beispiele: Zu dem Zeitpunkt, als das letzte Zum Fachpolitischen. Es gibt Schwerpunktsetzun-
Mal der Stuttgarter Oberbürgermeister Schuster gewählt gen – es geht immerhin um viel Geld –, die mit meinem
worden ist, war es nicht so, dass von diesem Projekt fachpolitischen Verständnis von Verkehrs- und Baupoli-
noch nie die Rede gewesen wäre. Dieses Projekt war da- tik überhaupt nicht in Einklang zu bringen sind. Man
mals zur Kommunal- und Oberbürgermeisterwahl klar kann nicht sagen: „Wir machen etwas mit Elektromobili-
auf der Tagesordnung. Dieser Oberbürgermeister ist mit tät“, dann aber im Haushalt die Ansätze dafür vergessen.
einem guten Ergebnis wiedergewählt worden, und die Das geht nicht. Man kann doch nicht am Ende die (D)
(B) Menschen wussten, wofür er steht.
Finanzausstattung für all die Elektromobilitätsprojekte in
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Er hatte den Regionen in Deutschland vergessen. Man kann doch
eine Bürgerbefragung versprochen!) nicht die Ansätze für Maßnahmen zur CO2-Reduzie-
rung – wir alle wissen, dass das Handwerk und die Bun-
Vor vier Jahren wurde der baden-württembergische desrepublik Deutschland insgesamt sehr davon profitiert
Landtag mit einem Ergebnis gewählt, das mich nur haben – im Grunde halbieren. Wir haben in Deutschland
freuen kann. Auch damals hat Stuttgart 21 klar im Raum zurzeit eine Debatte über Integration. Und was passiert in
gestanden. Ihrem Haushalt? Die Mittel für die Städtebauförderung
(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Nein!) und für das Programm „Soziale Stadt“ werden halbiert.
Das sind doch gerade die Programme, mit denen wir in
Diejenigen, die heute für dieses Projekt stehen, sind den Städten und Kommunen wirken können.
nicht nur irgendwann in letzter Zeit gewählt worden,
sondern sie sind mit hervorragenden Ergebnissen wie- (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stephan
dergewählt worden vor dem Hintergrund, dass sie für Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
dieses Projekt stehen. Ich lasse deshalb keinerlei Zweifel Das ist doch das, was Politik ausmacht. Es geht nicht
an der rechtsstaatlichen sowie gesellschaftlichen und ge- immer nur um Milliarden, sondern auch darum, kleine
samtpolitischen Legitimation dieses Projekts. Projekte zu pflegen, zu unterstützen, am Leben zu hal-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ten, zu helfen, dass die Gesellschaft zusammenwächst.
Dafür haben Sie in Ihrem Haushalt ein ganz wesentli-
ches Werkzeug. Und was passiert? Wir stellen fest: Sie
Präsident Dr. Norbert Lammert: halbieren die Ansätze. Vor der bundesrepublikanischen
Nächster Redner ist der Kollege Uwe Beckmeyer für Öffentlichkeit muss offengelegt werden, weshalb Sie das
die SPD-Fraktion. tun. Warum kürzen Sie dort? Ist das Ihr Politikverständ-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) nis? Ist das Ihre Schwerpunktsetzung, von der Sie ge-
sprochen haben?
Uwe Beckmeyer (SPD): Das geht so weiter. Wir haben im Norden schon über
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Jahre ein maritimes Bündnis. Mit Kanzler Schröder hat
ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, zu das angefangen, Kanzlerin Merkel hat es fortgesetzt. Da-
dem zuletzt angesprochenen Thema ein Satz. Nach mei- mit wollen wir etwas für Kapitäne und die Ausbildung
ner Kenntnis wird in 2011 in Baden-Württemberg ge- an der Küste machen. Und was passiert? Es wird massiv
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6271
Uwe Beckmeyer
(A) gekürzt. Das maritime Bündnis wird von der öffentli- ferenz zu lesen und zu hören war. Die Bauminister aller (C)
chen Seite aufgekündigt. Da kann mich der Hinweis: Länder in Deutschland haben gesagt: Herr Ramsauer, so
„Wir bekommen die Y-Trasse“, für die Sie momentan geht das nicht, machen Sie bitte bei der Städtebauförde-
die Planungsmittel bereitstellen, aber auch keinen Cent rung ordentlich weiter! – Ich war in der Sommerpause
mehr, gar nicht beruhigen. Das ist nur die Wurst, die uns beim Oberbürgermeister von Stralsund, einem CDU-
vor die Nase gehängt wird, aber am Ende des Tages ist Mann, gut mit Frau Merkel bekannt. Stralsund ist wie
keine Substanz vorhanden. Ihre Staatssekretäre gehen auch Wismar eine der Städte in Deutschland, die zum
von einer Veranstaltung in der Bundesrepublik zur Weltkulturerbe gehört. Er hat gesagt: Wenn das eintritt,
nächsten, verkünden alles, versprechen alles, was geplant ist, kann ich hier meinen Laden dichtmachen.
Ich kann nichts Neues beginnen. – Die Konsequenz Ihrer
(Johannes Kahrs [SPD]: Wir hören es gern!) Pläne ist, dass eine so wunderschöne und kulturhistorisch
aber es ist keine Substanz da. bedeutsame Stadt ihre Ausbaumaßnahmen nicht fortset-
zen und bestimmte Projekte nicht mehr unterstützen
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ kann. Wollen wir das?
DIE GRÜNEN)
(Johannes Kahrs [SPD]: Nein!)
Wir hören das überall, in Bremen, in Hamburg, bei den
Vertretungen. Es wird alles versprochen. Schaut man in Nein. Darum ist es doch nur sinnvoll, zu überlegen, ob
den Haushalt, stellt man fest: Das ist irgendwie nur vir- es nicht vielleicht klüger ist, diese Förderung fortzuset-
tuell. Es steht nicht im Haushalt. Man kann es nicht fin- zen und vielleicht sogar besser auszustatten.
den. Es ist nicht finanziert. Dennoch wird es verspro- In solchen Momenten mache ich mir bewusst: Bei der
chen. Ich frage mich: Woher nehmen Sie eigentlich die Politik geht es nicht nur darum, Milliarden hin und her
Chuzpe, so zu verfahren? Ist das eine andere Wirklich- zu schieben, sondern auch um Gestaltung. Ich glaube,
keit? das ist ein wichtiger Aspekt, den zu berücksichtigen man
Sie selbst haben in Ihrem Koalitionsvertrag, um ein auch von Ihrem Ministerium erwarten kann. Darum ist
anderes Thema anzusprechen, gesagt: Wir wollen dem die Frage, meine sehr geehrten Damen und Herren: Wo
deutschen Verkehrsgewerbe helfen. Wir setzen die Maut- ist Ihre rote Linie? Wo ist Ihre Gestaltungskraft? Wo ist
erhöhung aus. – Das klingt erst einmal toll, aber wenn Ihr tragendes Konzept?
man sich das genauer anschaut, stellt man fest: Sie hel- (Johannes Kahrs [SPD]: Rot ist nicht ihre
fen der Verkehrswirtschaft überhaupt nicht. Es werden Farbe!)
erst einmal Einnahmen in Höhe von 80 Millionen Euro
weggekürzt, die Sie ansonsten im nächsten Jahr bekom- Wir können zunächst einmal in keinster Weise einen
(B) men würden und die dann vielleicht auch in die Straße Umbau des Haushaltes feststellen. Vielmehr halten Sie (D)
fließen könnten. Doch Sie setzen die Mauterhöhung aus krampfhaft an einer Investitionslinie fest. Sie selbst ha-
und verzichten auf die Einnahmen. Was heißt das dann ben gesagt, Sie müssten 10 Milliarden Euro halten. Doch
für die Verkehrswirtschaft? Alle Unternehmen, die so selbst das schaffen Sie nicht. Es sind nur 9,75 Milliarden
klug waren – das war ja auch unsere Absicht –, in die Er- Euro für Investitionen vorgesehen. Das hat zur Konse-
neuerung ihres Fuhrparks zu investieren, und eine Erhö- quenz, dass bei Straße, Schiene und Wasserstraße im
nächsten Jahr im Grunde kein neues Projekt angefangen
hung der laufenden Betriebskosten in Kauf genommen
werden kann, weil das Geld dafür nicht da ist. Sie kön-
haben, indem sie Euro-4- und Euro-5-Fahrzeuge ange-
nen neue Projekte im Augenblick in keiner Form dar-
schafft haben, werden nun bestraft.
stellen. Darum sind alle vollmundigen Ankündigungen,
(Iris Gleicke [SPD]: So ist es! – Patrick Döring die im Land getätigt werden, stark von der Realität ent-
[FDP]: Stimmt doch nicht!) fernt, um es nicht drastischer auszudrücken.
Und das betrifft nun überwiegend deutsche Unterneh- (Heiterkeit des Abg. Johannes Kahrs [SPD])
men. Alle diese können keine Vorteile aus ihren Investi-
tionen ziehen, während mehr als ein Drittel der nicht Ihr Spitzenpersonal erklärt etwas anderes. Ich sage an
dieser Stelle noch einmal: Das ist nicht seriös. Die
nachgerüsteten Euro-3-Fahrzeuge, für die nun keine hö-
Schiene ist unterfinanziert, die Straße ist unterfinanziert.
here Maut fällig wird, aus dem Ausland kommt.
Viele Warnrufe aus der Fachbeamtenschaft Ihres Hauses
(Johannes Kahrs [SPD]: So ist das!) werden leider ignoriert. Man hat so den Eindruck: Ent-
weder sind Sie nicht informiert, oder Ihre Entourage fil-
Was machen Sie also? Sie bestrafen im Grunde diejenigen tert alle entsprechenden Informationen weg und sie kom-
Unternehmen in Deutschland, die ihren Fuhrpark erneuert men nicht an Sie heran, oder aber die Spitze des Hauses
haben, und unterstützen die ausländischen Unternehmen, ist derart von sich selbst überzeugt, dass sie meint, fach-
die noch Euro-3-Fahrzeuge haben. Das ist völliger Un- lich alles besser zu wissen.
sinn. Das ist eine völlig falsche Schwerpunktsetzung in
der Mautpolitik. (Johannes Kahrs [SPD]: Ja, Letzteres!)
(Beifall bei der SPD) Das Ergebnis ist nicht in Ordnung. Es ist gefährlich für
die deutsche Verkehrswirtschaft und für die deutsche
Ich bin der Meinung, dass wir uns auch den Baubereich Bauwirtschaft, eine solche Politik fortzusetzen, meine
noch einmal genau anschauen sollten. Es war ziemlich hef- sehr geehrten Damen und Herren.
tig, was vonseiten der CSU, Ihrem eigenen Landesver-
band, Herr Minister, und vonseiten der Bauministerkon- (Beifall bei der SPD)
6272 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Uwe Beckmeyer
(A) Der legendäre Franz Josef Strauß hat einmal gesagt: Dr. Claudia Winterstein (FDP): (C)
Es kann nicht ein Neuer, noch bevor er sein Amt über- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
nimmt, Vollkommenheit erwerben, um das Amt über- Herren! Die letzten Regierungen sind immer den einfa-
nehmen zu dürfen. – Herr Minister, Ihr Amtsantritt ist chen Weg gegangen, nämlich über Schulden und Steuer-
jetzt ein Jahr vorbei. Nun geht es langsam ans Einge- erhöhungen ihre Ausgabenpolitik zu finanzieren. Das
machte. Wir erwarten von Ihnen, dass mehr dabei he- haben Sie, Herr Beckmeyer, eben sehr deutlich gemacht.
rauskommt. Kommen Sie heraus aus der Wagenburg Ih- Sie haben gesagt, wofür wir das Geld ausgeben sollen.
res Leitungszirkels! Machen Sie mit uns Politik! Aber Sie haben nicht gesagt, woher wir das Geld bekom-
men sollen, um es dann auszugeben.
Wir haben uns vorhin sehr darüber gefreut, dass Sie
ganz bestimmte Projekte angekündigt haben. Aber Sie (Uwe Beckmeyer [SPD]: Denken Sie mal ein
müssen jetzt auch etwas dafür tun, dass die Opposition bisschen an Mövenpick!)
mit Ihnen zusammenarbeitet. Ich habe schon einmal in Der Haushalt für das Jahr 2011 wird eine deutliche
einer Haushaltsdebatte gesagt: Machen Sie Vorschläge, Trendwende einleiten. Hier stellt sich die christlich-libe-
und wir werden darüber nachdenken. Machen Sie bei- rale Koalition ihrer Verantwortung, die enorme Ver-
spielsweise Vorschläge zu einer Nutzerfinanzierung von schuldung, die Sie mit zu vertreten haben, endlich in den
Verkehrsprojekten. Griff zu bekommen, um dann wieder Gestaltungsmög-
lichkeiten zu haben.
Aber was Sie momentan machen, ist abenteuerlich.
Sie wollen demnächst – auch das haben Sie angekündigt – (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
die Mittel aus der Maut der Straße zuführen. Aber das
reicht für die Straße nicht. Sie werden also weiterhin Fi- Das sind wir auch unserer jungen Generation schuldig.
nanzierungsbeiträge aus dem Haushalt für die Straße Für sie müssen wir die Grundlagen für ein stabiles
brauchen. Auch für die Schiene werden Sie mehr Finan- Wachstum unserer Volkswirtschaft erhalten und aus-
zierungsmittel aus dem Haushalt einsetzen müssen. bauen. Eine gut ausgebaute und intelligent vernetzte
Wenn Sie sich die Zahlen anschauen, dann werden Sie Verkehrsinfrastruktur ist eine der wichtigsten Grundla-
feststellen, dass auch das nicht zu einer Art Geldvermeh- gen.
rung in diesen Bereichen führt. Es führt möglicherweise (Johannes Kahrs [SPD]: Daran sparen Sie
nur dazu, dass Sie damit eine Diskussion zur Einführung doch!)
einer Pkw-Maut anstoßen.
Deswegen betrachtet die Koalition neben der Konso-
lidierung der Staatsfinanzen den Ausbau der Infra-
Präsident Dr. Norbert Lammert: struktur als ein sehr wichtiges Ziel ihrer Politik.
(B) (D)
Herr Kollege Beckmeyer! (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Bettina Hagedorn [SPD]:
Uwe Beckmeyer (SPD): Dann müssen Sie doch Geld dafür vorsehen!)
Jawohl, Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Ohne solide Staatsfinanzen nehmen wir uns den Hand-
lungsspielraum, um auch in Zukunft Verkehrspolitik zu
Präsident Dr. Norbert Lammert:
gestalten. Jeder Euro, den wir für Kredite ausgeben müs-
sen, fehlt uns nicht zuletzt bei den Straßen und Schienen.
Wie schön.
Der hier vorliegende Entwurf zum Einzelplan 12 be-
rücksichtigt beide Ziele in gleicher Weise. Trotz der
Uwe Beckmeyer (SPD): schwierigen Rahmenbedingungen durch die Schulden-
Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie merken, bremse und das Sparpaket bleiben die Investitionen im
in diesem Haushaltsentwurf ist der Wurm drin. Ich habe Verkehrsbereich auf einem akzeptablen Niveau. Denn
versucht, dies an einigen Beispielen darzustellen. Ich Sie müssen bedenken: Fast 10 Milliarden Euro werden
hoffe, dass die Koalitionsfraktionen aus sich heraus ein im nächsten Jahr in Straße, Schiene und Wasserstraße in-
wenig mehr Kraft entfalten, um das eine oder andere vestiert. Im Haushalt 2008, also vor den Konjunkturhil-
noch zu korrigieren. Wir würden uns jedenfalls darüber fen, lagen die Investitionen im Verkehrsbereich bei
freuen. Wir Sozialdemokraten werden einige Anträge für knapp über 9 Milliarden Euro. Es fließt im Jahre 2011
die Haushaltsberatung am 6. Oktober einbringen, um Ih- also mehr Geld in die Sanierung und den Ausbau unserer
nen ein bisschen zu helfen. Verkehrswege als vor der Wirtschaftskrise.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Auch Sie, Herr Beckmeyer, hätten in den letzten vier
(Beifall bei der SPD)
oder acht Jahren die Möglichkeit gehabt – ich frage
mich: wo waren Sie eigentlich in diesen Jahren? –,
Präsident Dr. Norbert Lammert:
(Uwe Beckmeyer [SPD]: Wir haben gestaltet! –
Dr. Claudia Winterstein ist die nächste Rednerin für Johannes Kahrs [SPD]: Hat er gemacht!)
die FDP-Fraktion.
diese Ansätze noch höher zu setzen, da Sie sich ja keine
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Gedanken darüber machen, woher Sie das Geld bekom-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6273
Dr. Claudia Winterstein
(A) men, sondern sich nur Gedanken darüber machen, wie Insofern möchte ich noch einmal darauf hinweisen, (C)
Sie es ausgeben. dass wir jetzt über das Energiekonzept der Bundesregie-
rung zu diskutieren haben, insbesondere natürlich auch
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
im Hinblick auf das ehrgeizige Ziel, bis 2050 alle Ge-
der CDU/CSU)
bäude emissionsfrei umzubauen. Hier gibt es, denke ich,
Ob das nun eines verantwortungsbewussten Politikers noch viele offene Fragen wirtschaftlicher und auch juris-
würdig ist, darüber kann man streiten. tischer Art.
Jedenfalls muss der Einzelplan 12 auch seinen Bei- (Johannes Kahrs [SPD]: Ihr Haushalt ist auch
trag erbringen. Einer von vielen Einsparvorschlägen der eine offene Frage!)
Regierung betrifft die Kürzung von Programmmitteln im
Bereich der Stadtentwicklung; Sie haben das schon ge- Es ist zum Beispiel fraglich, ob ein Zwang zur Sanie-
sagt. Dieser Bereich wurde in den beiden letzten Jahren rung nicht einen unzulässigen Eingriff in das Eigentum
um zusätzliche Mittel aus dem Konjunkturprogramm I darstellt.
aufgestockt. Diese Sonderausgaben fallen jetzt weg. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Die Frage stellt
Darüber hinaus leistet der Bereich Städtebau seinen sich bei dem Thema doch gar nicht!)
Beitrag zur Haushaltskonsolidierung. Das ist eben leider Wir dürfen Hauseigentümer und Mieter nicht überfor-
so. Wenn Sie jetzt sagen: „Wir brauchen das nicht, wir dern. Nicht jeder ist in der Lage, entsprechende Summen
wollen weiterhin die Gelder ausgeben“, dann sagen Sie zur Sanierung aufzubringen.
uns bitte, woher sie kommen sollen. Durch die Förder-
summe von 305 Millionen Euro, die der Bund den Län- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Hans-
dern und Kommunen für städtebauliche Projekte zur Joachim Hacker [SPD]: Unsinn!)
Verfügung stellt, bleibt die Möglichkeit erhalten, auch Wir wollen die nächsten Wochen nutzen, um darüber
weiterhin Impulse für die Stadtentwicklung zu setzen. zu diskutieren, wie wir das CO2-Gebäudesanierungspro-
Die Städtebauförderung ist durch ihre Vielzahl von gramm in Zukunft ausgestalten können.
Programmen kompliziert und zum Teil unüberschaubar Eines muss man aber ehrlicherweise sagen: Derzeit
geworden. Ich denke, dass eine Verknappung der Mittel befinden sich die Bauzinsen auf einem sehr niedrigen
vielleicht auch dazu führt und Anreize bietet, Pro- Niveau. Dadurch besteht auch ohne staatliche Förderung
gramme zu bündeln und effizienter zu gestalten. ein hoher Anreiz für Sanierungsmaßnahmen. Außerdem
(Beifall bei der FDP – Uwe Beckmeyer [SPD]: sind bei solchen Förderprogrammen auch Mitnahme-
Das glauben aber auch nur Sie!) effekte zu beachten, wenn zum Beispiel ein Bauherr den
(B) Neubau sowieso nach den neuesten Standards geplant (D)
– Ja. – Ein weiterer Sparbetrag soll nach bisheriger Pla- hatte. Die Förderung muss also vor allen Dingen dort an-
nung das CO2-Gebäudesanierungsprogramm erbringen. kommen, wo sie gebraucht wird.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Falsche Weichen- Wir denken über den aktuellen Haushaltsentwurf hi-
stellung!) naus darüber nach, wie in Zeiten knapper öffentlicher
Seit dem Start im Jahre 2006 wurde die energetische Kassen eine ausreichende Finanzierung der Verkehrs-
Haussanierung mit 7,2 Milliarden Euro durch den Bund wege erreicht werden kann. Das schaffen wir einerseits
unterstützt. Jetzt soll das Programm zurückgefahren durch die effektive Verteilung der vorhandenen Gelder,
werden, mit Mitteln von 440 Millionen Euro in 2011 indem wir klare Schwerpunkte in der Verkehrspolitik
aber noch aktiv bleiben. setzen, wie etwa Erhalt vor Ausbau und die Beseitigung
von Engpässen an wichtigen Knotenpunkten und Haupt-
Nun erinnere ich mich sehr gut daran, dass Herr strecken.
Tiefensee dafür in der letzten Regierung verantwortlich
war, Herr Beckmeyer. Ich frage mich: Warum hat er Andererseits wollen wir mehr privates Kapital für die
denn die 1,5 Milliarden Euro, die er pro Jahr zur Verfü- Infrastruktur mobilisieren. Es werden zu den bereits er-
gung gestellt hat, nicht noch weiter erhöht? Warum hat folgreich laufenden Projekten in öffentlich-privater Part-
er den Einsatz von 400 Millionen Euro vorgezogen? nerschaft neue hinzukommen. Darüber hinaus wollen
wir durch die Weiterentwicklung der Verkehrsinfrastruk-
(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Reden sie ein-
turgesellschaft einen geschlossenen Finanzierungskreis-
mal von den nächsten Jahren und nicht immer
lauf bei der Straße schaffen. Die Einnahmen aus der
von der Vergangenheit!)
Lkw-Maut sollen vollständig in die Straße zurückflie-
– Sie müssen auch einmal die Vergangenheit sehen. Sie ßen. Das entspricht übrigens einer langjährigen Forde-
haben doch gesagt: Die Mittel haben nie gereicht. So ge- rung der FDP. Es erhöht die Akzeptanz der Maut.
sehen hätte Herr Tiefensee den Bereich der CO2-Gebäu- Zusätzlich soll die Verkehrsinfrastrukturgesellschaft kre-
desanierung in den letzten Jahren noch wesentlich besser ditfähig werden, um bei der Finanzierung von Auto-
ausstatten können. Er hat es aber nicht getan. Aus wel- bahnprojekten mehr Spielraum zu erhalten.
chem Grund? Weil eben schlichtweg die Gelder nicht
Meine Damen und Herren, wir wollen ganz klar eine
vorhanden waren.
Trendwende in der Haushaltspolitik einleiten: solide
(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Es ist doch Staatsfinanzen statt ungezügelter Ausgabenpolitik. Das
Humbug, was Sie erzählen!) ist das Versprechen gegenüber unserer jungen Genera-
6274 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Dr. Claudia Winterstein


(A) tion; denn auf Schuldenbergen können unsere Kinder Meinem Unternehmen geht der Gewinn flöten. Sie sagen (C)
nicht spielen. auch, aber nicht nur: Es geht um Arbeitsplätze. Sie argu-
mentieren mit gesellschaftlicher Verantwortung und sa-
Vielen Dank.
gen Ihnen die Wahrheit. Die Wahrheit ist: Sie machen
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) mit dieser Politik das Gemeinwesen und die Demokratie
kaputt; wir erleben hier einen Anschlag auf unser demo-
Präsident Dr. Norbert Lammert: kratisches Gemeinwesen.
Nächster Redner ist der Kollege Roland Claus für die (Beifall bei der LINKEN)
Fraktion Die Linke.
Das ist das Neue am Widerstand gegen Ihre vermeint-
(Beifall bei der LINKEN) liche Sparpolitik, die nicht wirklich Sparpolitik ist: Wäh-
rend wir hier eine Woche lang darüber debattieren, wie
Roland Claus (DIE LINKE): man 10 Milliarden Euro im Bundesetat einsparen kann,
Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle- werden Garantien in Höhe von 40 Milliarden Euro – er-
gen! Die Linke steht für eine Verkehrs-, Bau- und Stadt- neut für die Hypo Real Estate – am Parlament vorbei
entwicklungspolitik, die stets von sozialer Verantwor- ausgereicht.
tung und demokratischer Teilhabe aller an den Gütern
der öffentlichen Daseinsvorsorge ausgeht: Was alle brau- (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Garantien,
chen, muss öffentlich zugänglich sein; Mobilität und ur- nicht Barmittel!)
banes Leben müssen bezahlbar sein. Ich will Ihnen von einem Erlebnis erzählen. Ich stand
Wir reden hier über den Infrastrukturhaushalt. Um es vor kurzem auf einer halb fertiggestellten ICE-Brücke in
einmal plastisch zu machen: Es gibt nicht einen einzigen meinem Wahlkreis, die über die Unstrut führt. Sie gehört
Wahlkreis eines Bundestagsabgeordneten, der von die- zur ICE-Strecke Nürnberg–Leipzig. Ingenieurtechnisch
sem Etat nicht berührt wäre; er hat enorme Auswirkun- ist das außerordentlich beeindruckend; die Fahrstrecke
gen. Wenn Sie von der Bundesregierung etwas mutiger wird dann irgendwann eine halbe Stunde kürzer sein.
wären, dann hätten Sie einen wirklichen Infrastrukturetat Die Wahrheit der neuen Trasse heißt aber auch, dass
geschaffen, indem Sie das Wirtschafts- und Landwirt- dann Kulturstädte wie Weimar, Naumburg und andere
schaftministerium hier integriert hätten. regelrecht vom Fernverkehr abgehängt werden. Ich
glaube, diese Logik der Metropolendominanz ist keine
Sie sehen: Die Opposition geht den Haushalt lustvoll Logik von heute, sondern von gestern. Das Interessante
und kreativ an. Das Zahlenwerk von Bundesminister dabei ist: Ihre Ideen von vorgestern werden heute in Be-
Ramsauer ist allerdings ein Anschlag auf Mut und Krea- ton gegossen; aber es sind eben Ideen von vorgestern.
(B) (D)
tivität.
Es gibt auch ganz andere Logiken. In Sachsen-Anhalt
(Beifall bei der LINKEN) fand die Internationale Bauausstellung statt, eine sehr
Dafür will ich ein paar Beispiele nennen. beeindruckende Veranstaltung, deren Motto „Weniger ist
Zukunft“ lautete. Es ging um die Hinwendung zu einer
Sie wollen mit diesem Haushalt die Etats zweier be- anderen Entwicklungslogik. Aber dafür braucht es eine
sonders erfolgreicher Förderprogramme – die Städte- zukunftsfähige Infrastrukturpolitik. Dafür muss man
bauförderung und die energetische Gebäudesanie- Mut haben und dann auch Geld anfassen.
rung – im Vergleich zu diesem Jahr halbieren. Wer sich
so seiner eigenen Stärken beraubt, nimmt sich doch den Herr Bundesminister, in Ihrem Etat sind alle Baulich-
Spielraum zum Gestalten. Ich finde, das, was Sie hier keiten des Bundes in Berlin und Bonn versammelt. Sie
vorführen, ist nun wirklich absurd. tragen künftig eine spezielle Verantwortung dafür, den
Umzug der Bundesregierung von Bonn nach Berlin
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- zu vollziehen. Die Linke hat Ihnen dazu bereits im Jahr
neten der SPD) 2006 einen entsprechenden Antrag vorgelegt. Nun hat
Deshalb bekommen Sie wie wir Briefe von Architek- auch der Bundesverteidigungsminister – er ist ein re-
ten, Wohnungsgesellschaften, Kirchen und Mieterverei- formfreudiger Typ – erkannt, dass es besser wäre, sein
nigungen, die sich darüber beschweren. Es muss Ihnen Ministerium in Berlin anzusiedeln.
doch zu denken geben, wenn sich Ortsvereine von CSU, (Johannes Kahrs [SPD]: Da hat er recht,
Grünen, SPD und Linken gleichermaßen über diesen ausnahmsweise!)
Unsinn beschweren. Dass Sie nicht in der Lage sind, da-
raus Schlüsse zu ziehen, ist ebenfalls absurd. Herr Ramsauer, wir fordern Sie auf: Packen Sie es an!
Treten Sie für die Wiedervereinigung der Bundesregie-
(Johannes Kahrs [SPD]: Ja, weil die Linke rung in Berlin ein! Wir versprechen Ihnen dabei: Kei-
dabei ist!) nem Bonner wird es schlechter gehen.
– Das schreckt inzwischen niemanden mehr. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der
(Heiterkeit des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) SPD)
Das Neue an diesem Widerstand ist: Diejenigen, die Herr Minister, wir Ossis haben gut gelernt, zwischen den
uns diese Beschwerdebriefe schicken, argumentieren in Zeilen zu lesen, auch bei Ihrer Rede. Demnach wollen
erster Linie nicht betriebswirtschaftlich. Sie sagen nicht: Sie, dass Ihr Etat nicht so bleibt, wie er ist. Hierin stim-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6275
Roland Claus
(A) men wir überein. Bessern Sie Ihren Etat; denn so, wie er der geringere Kapazitäten hat, der schlechter für die (C)
ist, ist er Mist. Kunden ist, bei dem der Taktverkehr nicht mehr funktio-
niert, aber richtig teuer ist und nur der Immobilienwirt-
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
schaft und den Tunnelbauern nutzt?
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Präsident Dr. Norbert Lammert: sowie bei Abgeordneten der LINKEN –
Herr Kollege Claus, es wird in Bonn sicher nachhal- Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ein Blöd-
tige Beruhigung auslösen, wenn ein Vertreter Ihrer Frak- sinn!)
tion die Bundesregierung zur Wiedervereinigung auffor- Sie fragen sich: Wie kann es sein, dass sich Politiker
dert. in Gremien über Jahre hinweg schöne Zahlen vorlegen
(Heiterkeit) lassen und nie kritisch nachfragen? Wie kann es sein,
dass ein Gremium wie der Haushaltsausschuss des Deut-
Nächster Redner ist der Kollege Winfried Hermann schen Bundestages – Herr Kollege Barthle, Sie waren
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. dabei – das Projekt Stuttgart 21 und die Neubaustrecke
vor anderthalb Jahren verabschiedet hat, was mit
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): 2,8 Milliarden Euro veranschlagt wurde und inzwischen
Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine Damen und 4,1 Milliarden Euro kosten soll?
Herren! Liebe Kollegen! Wir debattieren heute über die (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wer sagt das?)
Grundzüge des Haushalts des Ministeriums für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung. Die Neubaustrecke wurde damals mit 2 Milliarden Euro
veranschlagt, inzwischen wurde zugegeben, dass es
(Johannes Kahrs [SPD]: Genau!) 3 Milliarden Euro sind.
Eines der Grundprobleme dieses Haushalts – vor allem (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wer sagt das?)
im Verkehrsbereich – ist, dass wir eine große Lücke ha-
ben zwischen den Ansprüchen, die gestellt werden, und In einem von uns vorgelegten Gutachten haben wir Ih-
den Mitteln, die tatsächlich zur Verfügung stehen. nen dargelegt, dass es wohl eher 4 oder 5 Milliarden
Euro sein werden.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!)
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das war ein
Die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit – man bestelltes Gutachten!)
müsste eigentlich sagen: zwischen Wahn und Wirklich-
(B) keit – ist gewaltig. Alles in allem schlucken beide Projekte 10 bis 11 Mil- (D)
liarden Euro. Das ist die Summe, die Sie zum Ausbau
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des gesamten deutschen Schienengüterverkehrs drin-
der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) gend brauchten.
Schauen wir uns an, welche Kosten im Bundesver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
kehrswegeplan für den vordringlichen Bedarf vorgese- und bei der SPD)
hen sind: im Bereich Schiene noch 35 Milliarden Euro
und im Bereich Straße noch 28 Milliarden Euro. Im Diese Art von Geldverschwendung geht den Leuten so
Schienenbereich stehen uns in den kommenden 5 Jahren was von auf den Keks, in Schwaben ganz besonders.
aber nur maximal 5 bis 6 Milliarden Euro und im Stra-
(Patrick Döring [FDP]: Das ist doch schlicht
ßenbereich maximal 10 Milliarden Euro für Neubau-
gelogen!)
investitionen zur Verfügung. In dieser Situation hätte
ich vom Minister erwartet, dass er sagt: Es ist Zeit zur
Einkehr, zum Nachdenken, zum Nachrechnen und auch Präsident Dr. Norbert Lammert:
zur Umkehr. Wir müssen uns von unbezahlbar teuren, Herr Kollege Hermann, darf Ihnen der Kollege Kalb
nicht durchsetzbaren Projekten verabschieden. eine Zwischenfrage stellen?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE]) Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Gerne, das verlängert meine Redezeit, und ich kann
Das tun Sie nicht. Dazu haben Sie nicht den Mut. dann meine Gedanken noch besser ausführen. Vielen
Das ist übrigens der Grund, warum in Stuttgart so Dank.
viele Menschen Tag für Tag auf die Straße gehen. Sie
protestieren nicht, wie die Kanzlerin meint, gegen einen Bartholomäus Kalb (CDU/CSU):
neuen Bahnhof. Nein, diese Menschen fragen sich: Wa- Herr Kollege Hermann, würden Sie erstens zugeben,
rum wird in Stuttgart ein gut funktionierender Kopf- dass es eine klare Finanzierungsvereinbarung zwischen
bahnhof nicht einfach bezahlbar und schnell moderni- dem Bund und den übrigen Beteiligten gibt und dass die
siert? Warum wird er zerstört? Warum wird ein Park für finanzielle Beteiligung des Bundes seinerzeit auf
einen unterirdischen Durchgangsbahnhof zerstört, Vorschlag des damaligen Bundesverkehrsministers
Tiefensee
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Er wird renatu-
riert!) (Johannes Kahrs [SPD]: Guter Mann!)
6276 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Bartholomäus Kalb
(A) exakt begrenzt wurde und hier keine nachteiligen Aus- Noch etwas ärgert die Leute. Hier wird so getan, als (C)
wirkungen zu erwarten sind? wären diese Beschlüsse unumkehrbar, als sei von allen
zuständigen Gremien längst alles beschlossen. Die Be-
Würden Sie zweitens zugeben, dass Sie die Öffent- völkerung ist nie gefragt worden. Eine Bürgerbeteili-
lichkeit in die Irre führen, weil bei allen Planungen und gung ist immer abgelehnt worden. Ein Bürgerentscheid
Kostenangaben der Kostenstand des Jahres 2004 zu- ist immer abgelehnt worden. Am Anfang hat man ge-
grunde gelegt wird und es natürlich eine Eskalation bei sagt, dafür sei es zu früh. Später hat man gesagt, es sei zu
der Preisentwicklung gibt? spät dafür. Abgelehnt worden ist die Beteiligung immer.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sabine Was aber wirklich ärgerlich ist, ist, dass man, obwohl
Leidig [DIE LINKE]: „Natürlich“!) das Projekt Stuttgart 21 in wesentlichen Teilen noch
nicht rechtskräftig planfestgestellt ist und die Neubau-
strecke in fast allen Teilen noch nicht rechtskräftig plan-
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): festgestellt ist,
Vielen Dank. – Tatsächlich wird bei diesen Großpro-
(Patrick Döring [FDP]: Das ist doch gut! Dann kön-
jekten immer mit veralteten Zahlen gerechnet, damit
nen sich die Bürger doch noch beteiligen!)
nicht auffällt, wie teuer sie sind.
den Bahnhof abreißt und damit Tatsachen schafft. Man
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist un- will das Projekt durchprügeln, und das stinkt den Leuten.
verschämt, was Sie hier sagen! – Patrick Es stinkt ihnen, dass Sie so tun, als sei über alles ge-
Döring [FDP]: Unglaublich!) schwätzt worden, als sei alles geregelt, als könne man
Wir wissen heute zum Beispiel – nach Angaben der nichts mehr umkehren.
Bahn –, dass die Neubaustrecke 3 Milliarden Euro kos- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
tet. Das ist exakt das Doppelte von dem, was der Haus- und bei der LINKEN – Patrick Döring [FDP]:
haltsausschuss vor anderthalb Jahren als Verpflichtungs- Es gibt ein Planfeststellungsverfahren!)
ermächtigung beschlossen hat. Bei Neubaustrecken
– das wissen Sie so gut wie ich – ist der Bund alleiniger Das ist die Wahrheit, aber die verstehen Sie nicht.
und ausschließlicher Finanzier. Dass Baden-Württem-
Sie haben gesagt, dass es genügend Möglichkeiten
berg dem Bund in diesem Zusammenhang ungefähr
gab, Einfluss zu nehmen.
1 Milliarde Euro schenkt, ist eher ein Glück, man könnte
auch sagen: Dummheit. Auf jeden Fall muss das nicht (Patrick Döring [FDP]: Gibt es doch!)
geschehen.
(B) Sie täuschen sich. Ich begleite dieses Projekt seit Anfang (D)
Beim Bahnhof ist es das Gleiche. Der Bund wird der 90er-Jahre. Die Bevölkerung ist nie gefragt worden,
nicht alleine bezahlen. Alle Beteiligten werden mehr be- ob sie einen neuen Bahnhof haben möchte, ob sie einen
zahlen. Aber auch hier hat man jahrelang mit falschen Nutzen in diesem Projekt sieht. Sie ist nie gefragt wor-
Zahlen gerechnet. den. In den allgemeinen Wahlen hat die Bevölkerung der
CDU die Mehrheit gegeben. Die Krux an einer allgemei-
(Patrick Döring [FDP]: Völliger Unsinn!) nen Wahl ist nun einmal, dass man nicht über einzelne
Jetzt komme ich zum Thema Demokratie. Herr Punkte abstimmen kann. Viele CDU-Wähler haben Sie
Minister, Sie haben gefragt: Was haben diese Leute für zweifellos gewählt, obwohl sie gegen Stuttgart 21 wa-
ein Demokratieverständnis? Bei den Protesten in Stutt- ren. Das wird sich ändern. Das werden Sie sehen. Das
gart höre ich von den Leuten immer wieder, dass sie erkennt man an den aktuellen Umfragen. Ich kann nur
nicht verstehen können, dass sich gewählte Parlamenta- sagen: Es ist noch Zeit zum Umdenken. Wir sagen klipp
rierinnen und Parlamentarier so wenig mit der Frage be- und klar: Es ist höchste Zeit zum Nachdenken und zum
schäftigen, was solche Großprojekte wirklich kosten, Einlenken. Schluss mit den Abrissarbeiten! Moratorium!
wie hoch die Baurisiken und die Kostenrisiken sind. Die Die Zahlen müssen auf den Tisch. Wir müssen wissen,
Leute fragen: Wie kann es sein, dass solche Gremien auf was das kostet und welchen Nutzen das wirklich bringt.
der Basis völlig falscher Zahlen Beschlüsse fassen und Es muss auch auf den Tisch, was der Ausstieg kosten
diese anschließend noch nicht einmal korrigieren? würde. Wir brauchen seriöse und ehrliche Berechnungen
und keine Mondzahlen.
(Patrick Döring [FDP]: Nur Sie haben die
Wahrheit gesagt, oder wie?) Präsident Dr. Norbert Lammert:
Nach der Haushaltsordnung des Deutschen Bundestages Herr Kollege Hermann.
und den darin festgelegten Prinzipien der Sparsamkeit
und der Wirtschaftlichkeit wäre es Ihre Pflicht, diese Be- Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
schlüsse von vor anderthalb Jahren komplett infrage zu Wenn diese Zahlen auf dem Tisch liegen, dann kann
stellen. die Bevölkerung abstimmen. Entweder Sie machen bei
der Volksbefragung und dem Volksentscheid mit oder
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie bekommen bei der Wahl, bei der Sie sowieso dabei
und bei der LINKEN – Dr. Claudia sind, die Quittung.
Winterstein [FDP]: Wie war es denn unter Rot-
Grün?) Vielen Dank.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6277
Winfried Hermann
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie wollen mit einer Minderheit der Mehrheit Ihren Wil- (C)
und bei der LINKEN) len aufzwingen. Das ist undemokratisch. Das ist das Ge-
genteil von dem, was ich unter Demokratie verstehe.
Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Arnold Vaatz ist der nächste Redner für die CDU/ Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
CSU-Fraktion. NEN]: Wir werden sehen, wer die Mehrheit
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) hat! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Vielleicht sind Sie ja bald die
Minderheit, die das durchpeitschen will! War-
Arnold Vaatz (CDU/CSU):
ten Sie nur ein paar Tage ab!)
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Abweichend von dem, was ich ei- Wir reden heute über den Einzelplan 12. Wenn Sie ge-
gentlich vorhatte, muss ich erst einmal etwas zu der statten, möchte ich Sie bitten, vor allen Dingen diejeni-
Rede von Herrn Hermann sagen. gen, die schon länger im Parlament sind, ehrlich zurück-
Wenn ich über Stuttgart 21 rede, ist das nicht authen- zublicken, was in aller Regel geschehen ist, wenn von
tisch, weil ich nicht von dort komme Haushaltskonsolidierung die Rede war. In aller Regel ist
der konsumtive Teil des Haushaltes nahezu unangetastet
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Dann geblieben, und der investive Teil war sozusagen der
sollte man es lassen!) Steinbruch, wo man sich bedient hat. Das mag ein be-
quemer Weg sein, aber diesen bequemen Weg ist die Ko-
und in meinem Wahlkreis andere Probleme habe. Ich
alition, insbesondere Wolfgang Schäuble, in diesem Fall
möchte Ihnen etwas Prinzipielles zu dem Gesamtpro-
nicht gegangen. Vielmehr haben wir zum ersten Mal
blem sagen. Ihre Politik, die Politik der Grünen,
Konsolidierung und Schonung des investiven Haushalts-
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- teils zusammengebracht. Das halte ich für eine ganz
NEN]: Sind Sie nervös?) große Leistung dieser Koalition.
besteht seit vielen Jahren darin, Planungsprozesse so (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
lange wie möglich zu verzögern, immer neue Ein- neten der FDP)
spruchsmöglichkeiten zu schaffen
Wir haben also auch im Verkehrshaushalt die Investi-
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tionslinie auf hohem Niveau gehalten. Kern unserer
NEN]: Das sagt er als ehemaliger DDR-Bür- Verkehrspolitik bleibt – das bildet der Haushalt ganz ein-
(B) ger! Früher haben Sie sich nach Rechtsmitteln deutig ab – die Sicherstellung unserer Infrastruktur- (D)
gesehnt und sind dafür auf die Straße gegan- finanzierung. Allerdings brauchen wir, da auch in Zu-
gen! Herr Vaatz, Herr Vaatz!) kunft das Geld knapp sein wird, neue umfassende
und nach erfolgreicher Verzögerung mit der veränderten Konzepte, um das, was wir uns vorgenommen haben,
Sachlage zu argumentieren und zu sagen, das Ganze sei durchzusetzen. Wir müssen in erster Linie beachten
jetzt nicht mehr zeitgemäß. – hier verändern sich die Dinge in Deutschland ein klein
wenig –, dass die Erhaltung unserer Verkehrswege in
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Zukunft mehr Aufmerksamkeit fordern wird als früher.
Wenn Sie diese Strategie in diesem Land weiter bis zum Peter Ramsauer ist am Anfang seiner Rede auf das
Exzess treiben, kommen wir an einen Punkt, an dem wir Thema 20 Jahre deutsche Wiedervereinigung eingegan-
in diesem Land nicht mehr investieren können. Das müs- gen. Wenn Sie sich fragen, weshalb ein so ungeheuer
sen Sie wissen. Sie tragen dafür die volle Verantwortung. großer Finanz- und Investitionsbedarf in Ostdeutschland
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- bestanden hat, dann müssen Sie sich vergegenwärtigen,
neten der FDP – Renate Künast [BÜND- dass Instandhaltung über viele Jahre in Ostdeutschland
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Hier ist BRD und ein Fremdwort war. Wir bekamen ab und zu schöne neue
nicht DDR!) Straßen – das ist richtig –, aber an denen wurde dann
über ein, zwei oder drei Jahrzehnte nichts getan. Das
Im Übrigen sollten Sie nicht so laut nach Volksent- führte zu dem Zustand, den wir 1990 hatten. Dies dürfen
scheiden rufen. Ich habe in Dresden erlebt, wie Sie mit wir in der Bundesrepublik Deutschland auf keinen Fall
dem Resultat von Volksentscheiden umgehen. jemals wieder zulassen. Demzufolge ist Instandhaltung
(Patrick Döring [FDP]: So ist es! In Hamburg wichtig.
auch!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Sie holen dann eine Reihe von Demonstranten auf die
Für den Schienenbereich haben wir die Leistungs-
Straße. Diese Demonstranten waren in Dresden immer
und Finanzierungsvereinbarung für das Bestandsnetz.
die Minderheit. Sie waren allerdings, wenn sie gesam-
Das ist eine gute Tat, die unter der Ägide unserer sozial-
melt auftraten, ganz eindrucksvolle Kulissen.
demokratischen Freunde vernünftig unter Dach und
(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Fach gebracht worden ist. Dergleichen brauchen wir in
NEN]: Dresden ist nicht Stuttgart! Sie verglei- Zukunft für die Straße aber auch. Ich hoffe, dass uns das
chen Unvergleichbares!) gelingen wird.
6278 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Arnold Vaatz
(A) Wir sagen aber auch ganz deutlich, und unser Haus- also nicht zusätzlich verschulden. Das ist alles in Ord- (C)
halt bringt das zum Ausdruck: Mobilität muss bezahlbar nung. Sie kann sich aber auf diese Weise etwas mehr aus
bleiben. Das ist ein ganz wichtiger Zielpunkt, den wir der Klammer der Kameralistik befreien. Sie kann steti-
anstreben. Das heißt insbesondere, dass man nicht dau- ger finanzieren. Das führt zu mehr Effizienz. Demzu-
ernd mit kostentreibenden Vokabeln in der Öffentlich- folge müssen wir uns darum bemühen, dass das stattfin-
keit jonglieren sollte. Über Finanzierungsfragen sollten det, meine Damen und Herren.
wir erst reden, wenn sich diese aus einem Konzept he-
raus ergeben. Es darf nicht zuerst eine Vokabel in die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Welt geworfen und dann die konzeptionelle Frage nach- Ich möchte eine weitere Aussage machen. Auch ein
gereicht werden. Das ist keine richtige Politik. Demzu- guter Haushalt verdient es, gelegentlich nachjustiert zu
folge sagen wir auch, dass die Einführung einer Pkw- werden. Neben den Verkehrsinvestitionen sind auch die
Maut nicht auf der Tagesordnung steht. Investitionen im Städtebaubereich von elementarer
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Bedeutung. Ich halte es für richtig, dass wir stärker dem
Gedanken nachgehen, dass sich die Städtebaumittel we-
Das Bundesverkehrsministerium hat jetzt die große gen ihrer enormen Hebelwirkung, wegen der daraus re-
Möglichkeit, möglicherweise ideologisch bedingte sultierenden zusätzlichen Investitionen selbst refinanzie-
Denkverbote von früher abzustreifen und die vorhande- ren.
nen Spielräume besser auszunutzen. Grundlage seriösen
Handelns ist es meines Erachtens, dass man nicht zuerst (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Uwe
nach mehr ruft, sondern mit dem, was man hat, so effi- Beckmeyer [SPD]: Aber jetzt konsequent
zient wie möglich umgeht. sein! – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Sagen
Sie das der FDP!)
Wir konnten die Infrastrukturinvestitionsmittel auf
hohem Niveau verstetigen. Wir müssen uns aber überle- – Wissen Sie, wir sind der Deutsche Bundestag. Wir ha-
gen, ob wir uns in bestimmten Bereichen des Bundes- ben die Haushaltssouveränität, und wir können in unse-
haushalts in Zukunft von diesen nicht unabhängiger ma- ren Verhandlungen über den Bundeshaushalt genau über
chen können und machen müssen; denn Unabhängigkeit diese Fragen ausführlich reden. Dazu leiste ich hier ei-
ist eine wichtige Grundlage für Planungssicherheit. nen Beitrag.

Wir brauchen verkehrsträgerbezogene Finanzie- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
rungskreisläufe. Das gilt sowohl für die Einnahmen aus der CDU/CSU und des Abg. Patrick Döring
der Lkw-Maut, die wieder vollständig für die Straße ein- [FDP] – Johannes Kahrs [SPD]: Bravo! Guter
(B) zusetzen sind, wie auch für die Trassenerlöse der Mann!) (D)
Schiene, die komplett in die Schieneninfrastruktur zu- – Sie brauchen nicht zu klatschen.
rückfließen müssen. Das halte ich für ein wichtiges Ge-
bot der Transparenz. Wenn wir das unterlassen, dann (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
werden wir das nötige Vertrauen in eine vernünftige Ver-
kehrspolitik in der Öffentlichkeit nicht einwerben kön- Einen Satz muss ich Ihnen noch sagen. – Herr Präsident,
nen. Demzufolge müssen wir dies mit aller Konsequenz einen Augenblick Geduld.
angehen. Ich sage auch: Wir müssen aufpassen, dass wir aus
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) unseren Fachhaushalten nicht ein Sammelbecken für al-
les machen.
In einem ersten Schritt müssen wir noch für den
Haushalt 2011 die haushaltstechnischen Änderungen be- (Patrick Döring [FDP]: So ist es!)
zogen auf die Straße schaffen. Die Einnahmen aus der Dazu gehört zum Beispiel, dass wir einmal überprüfen,
Lkw-Maut müssen wieder ausschließlich für Investitio- ob es passend ist, das Programm „Soziale Stadt“ tatsäch-
nen in die Straße eingesetzt werden. In diesem Zusam- lich aus diesem Investitionshaushalt zu finanzieren.
menhang sehe ich auch den mit der Lkw-Maut verbun-
denen Anspruch, im Bundeshaushalt prinzipiell mehr (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Transparenz herzustellen.
Das ist es nicht. Stadtfeste zu organisieren, ist nicht Auf-
In einem zweiten Schritt gilt es dann, ein Geschäfts- gabe des Bundesbau- und Verkehrsministers.
modell für die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungs-
gesellschaft zu entwickeln. Dieses muss die direkte (Uwe Beckmeyer [SPD]: Sie haben überhaupt
Zuweisung der Lkw-Maut an die Gesellschaft unter nichts verstanden!)
Wegfall der Jährlichkeit ermöglichen. Dabei muss ihr Aus dem Grunde sage ich: Das mag Sinn haben, aber es
auch eine beschränkte Kreditfähigkeit eingeräumt wer- gehört in den richtigen Haushalt, nämlich in den Haus-
den. halt für Arbeit und Soziales. Ich hoffe, dass uns hier ein
Wir haben über die Kreditfähigkeit der VIFG schon bisschen mehr Ordnung gelingt.
viel diskutiert. Es ist richtig, wenn das Finanzministe- Vielen Dank.
rium sagt: Die VIFG kann Kredite nicht zu besseren
Konditionen als der Bundeshaushalt aufnehmen und un- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Uwe
terliegt zudem auch der Schuldenbremse. Sie kann sich Beckmeyer [SPD]: Das war allerdings dumm!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6279

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: nen Euro geschlagen. Abgesehen davon, dass das mit Ih- (C)
Nun hat der Kollege Kahrs für die SPD-Fraktion das rem Haushalt überhaupt nichts zu tun hat: Wie soll ich
Wort. das jetzt in meiner Fraktion erklären?
(Beifall bei der SPD) (Heiterkeit bei der SPD)
Was der Herr Schäuble dazu sagt, das können wir ja ein-
Johannes Kahrs (SPD): mal in einer stillen Stunde diskutieren.
Guten Morgen, Herr Präsident! Herr Minister! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Weit besser als der Kollege Röttgen ist allerdings Ihr
eigener Staatssekretär. Man liest ja nun wirklich selten
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Moin, die Bild-Zeitung, aber manchmal lernt man etwas dabei.
Moin!) Ich hoffe, ich finde das jetzt in meinen Unterlagen. Diese
Zettelwirtschaft liegt daran, dass die Presse in letzter
Wenn man die Reden heute hier hört, dann fragt man
Zeit so fantastisch geworden ist. – Wenn man die Bild-
sich, wer hier gerade in welche Rolle geschlüpft ist. Herr
Zeitung liest, dann erfährt man, dass der Kollege Mücke
Minister, ich habe Ihre Rede gehört und zu großen Teilen
von der FDP – Frau Winterstein, Sie müssen einmal mit-
klatschen können. Sie war fantastisch. Ich frage mich
einander reden –
aber, wer hier jetzt die Regierung stellt und wie das am
Ende funktionieren soll. (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Da hinten sitzt
er!)
Ich habe gerade eben auch den Kollegen Vaatz gehört,
der nun ob seiner Rede von allen beglückwünscht wird. eine Kehrtwende der Regierung bei der Förderung der
Ich habe ernsthaft nicht verstanden, wie das, was Sie sa- Energiesanierung von Wohnungen angedeutet hat. Er
gen, mit dem, was Sie uns schriftlich vorgelegt haben, in sagte der Bild-Zeitung:
irgendeiner Form übereinstimmt.
Das CO2-Sanierungsprogramm sollte auf bis zu
(Beifall bei der SPD) 3 Milliarden Euro im Jahr aufgestockt werden.
Herr Minister, Sie und Ihre Staatssekretäre – Ihre fünf (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Jungs hinter Ihnen – sind wirklich eine feine Truppe. Es des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
macht viel Spaß, mit Ihnen zusammenzuarbeiten, und
ich muss sagen: Es ist auf der privaten Ebene immer eine Also: Lesen bildet, Denken hilft!
helle Freude. Jetzt haben wir hier also einen Haushaltsentwurf zum
(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das reicht aber CO2-Gebäudesanierungsprogamm, in dem 400 Millio-
(B)
nicht!) nen Euro stehen. Der Bundesumweltminister sagt: Es (D)
müssen mindestens 2 Milliarden Euro sein, sonst sind die
Bei aller persönlichen Sympathie muss ich aber auch Ziele der Bundesregierung überhaupt nicht zu halten. –
ganz ehrlich sagen: Ich weiß angesichts dessen, was Sie Was ich davon zu halten habe, weiß ich ja. Schließlich
tun, nicht, ob Sie auf der Sachebene Ihrer Aufgabe wirk- kommt noch der Herr Staatssekretär Mücke von der
lich ernsthaft gewachsen sind. FDP, damit alle Parteien im gleichen Boot sitzen: die
CSU mit ihrem Entwurf über 400 Millionen Euro, die
Wenn man sich einmal die unterschiedlichen Aussa-
CDU, der Minister, mit dem Entwurf über 2 Milliarden
gen zu Ihrem Haushalt anhört, dann wundert man sich.
Euro und die FDP, Ihr Staatssekretär, mit gleich 3 Mil-
Zum einen haben Sie einen Kollegen – das sind manch-
liarden Euro.
mal die Gefährlichsten –, nämlich den Kollegen Röttgen.
Der erklärte zu den Streichungen beim CO2-Gebäude- Die Kollegin Winterstein hat die ganze Zeit etwas da-
sanierungsprogramm – man soll es ja gar nicht für von erzählt, dass man keine Schulden machen dürfe und
möglich halten –: sparen müsse; hier ganz besonders.
Diese Kürzungen werden die Sanierungsrate mas- (Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Das ist auch
siv senken und drastische Auswirkungen auf Wirt- so!)
schaft und Arbeitsmarkt haben.
Dazu kann ich nur sagen, dass das eine lustige Mischung
Wenn Deutschland seine ambitionierten Klimaschutz- ist. Was das allerdings mit einer soliden Haushalts-
ziele verwirklichen wolle, müssten dauerhaft wieder und Regierungspolitik zu tun hat – Haushaltsklarheit
2 Milliarden Euro pro Jahr für das Gebäudesanierungs- und -wahrheit, das sagen Sie ja immer gerne –, weiß
programm zur Verfügung stehen. – Das sagte Minister nicht einmal der Kollege Barthel Kalb. Er schüttelt näm-
Röttgen. lich die ganze Zeit den Kopf. Er ist ein feiner Kerl, aber
auch er ist ratlos.
(Beifall bei der SPD)
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Ich habe
Als Sozialdemokrat habe ich jetzt ein kleines Problem noch kein nervöses Zucken!)
damit. Ich habe in meiner Fraktion tapfer dafür ge-
kämpft, dass wir von den mieseligen 400 Millionen – Ich weiß, dass du nicht nervös bist. Du bist schon so
Euro, die Sie für dieses CO2-Gebäudesanierungspro- lange dabei; dich wird niemand aus der Ruhe bringen. –
gramm übergelassen haben, auf 1,5 Milliarden Euro Ich bemühe mich in dieser Frage nicht. Ich finde, dass
hoch wollen. Jetzt hat mich der Röttgen um 500 Millio- eher der Minister unruhig werden sollte.
6280 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Johannes Kahrs
(A) Wenn man sich die Presse weiter anschaut, liest man tung des Hamburger Hafens alle diejenigen Dinge er- (C)
so schöne Überschriften wie: „Soziale Kälte statt Heiz- wähnt, die für uns Norddeutsche für die Hinderlandver-
kostenzuschuss“. Über den Heizkostenzuschuss können kehre richtig, wichtig und gut sind: Elbe rauf und runter
wir noch an anderer Stelle reden. ausbauen, Nord-Ostsee-Kanal – das sind wunderbare
Geschichten – und Y-Trasse. Er hat gesagt: All das soll,
Ein Thema, das auch ganz amüsant ist, ist das Thema wird und muss kommen.
Städtebauförderung; das hatten wir eben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Ich rufe
gleich „Sarrazin“ dazwischen!) Als Hamburger mit dem Wahlkreis Hamburg-Mitte kann
ich dem nur zustimmen. Super!
Sie haben uns gerade gesagt, die Mittel hierfür würden
halbiert. Über den Sinn, Unsinn und Zweck der Städte- (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: So viel
bauförderung ist bereits viel gesagt worden. Dass sie Unterstützung bekommst du von uns!)
richtig, wichtig und gut ist, hat die CDU/CSU-FDP-Ko-
Aber das klitzekleine Problem bei der Sache ist, dass
alition in ihrer Koalitionsvereinbarung geschrieben. In
die anderen Jungs, die da sitzen, das Gleiche tun. Sie alle
der Koalitionsvereinbarung, die Sie geschrieben haben
gehen durch ihre Wahlkreise und Bundesländer – egal ob
– das ist die Grundlage Ihrer Arbeit; das, was Sie für vier
in Bayern oder Baden-Württemberg – und erzählen den
Jahre vereinbart haben –, kann man nachlesen
Leuten das, was sie hören wollen. Auch ich als Sozialde-
(Patrick Döring [FDP]: Das lohnt immer!) mokrat tue das immer gerne. Aber wenn man schon
durch die Länder und Kommunen geht und Ortsumge-
– sie ist nicht für jeden Sozialdemokraten die Grundlage hungen, Elbvertiefungen, die Y-Trasse und all das, was
einer vernünftigen Politik; aber lichte Momente sollte richtig, wichtig und gut ist, verspricht, dann müsste man
man durchaus zitieren –: das auch im Haushalt wiederfinden – Stichwort: „Haus-
Die Städtebauförderung leistet einen unverzichtba- haltsklarheit und Haushaltswahrheit“.
ren Beitrag zur lebenswerten Gestaltung von Städ- (Beifall bei der SPD)
ten und Gemeinden.
Allerdings ist das, was wir sehen, mehr Wunsch und
– Herr Vaatz, das haben Sie eben als Stadtteilfeste so ab- Wahn, weil finanziell nicht unterlegt. Wir haben doch
gekanzelt. – das Problem, dass all die schönen Dinge nicht unterlegt
Wir werden die Städtebauförderung als gemein- sind. Bei der Y-Trasse, so erklärte uns Herr Grube vor
schaftliche Aufgabe von Bund, Ländern und Kom- kurzem, habe er leider nur die Planungskosten, von Bau
(B) munen auf bisherigem Niveau, aber flexibler fort- und Investitionen nichts, gar nichts. (D)
führen. (Patrick Döring [FDP]: Man muss ja erst ein-
Gegen Flexibilität hat niemand etwas. Aber das Niveau mal planen, bevor man Baukosten hat!)
war die Ansage. – Das ist richtig. Aber wir haben doch eine mittelfristige
und eine langfristige Finanzplanung, und Sie wissen: Es
In einer Presseerklärung des Bundesverbandes deut-
gibt bestimmte Vorläufe, und es muss Geld da sein. Das
scher Wohnungs- und Immobilienunternehmen – ein sehr
Problem ist: Es ist kein Geld da.
solider, sehr ehrenwerter Verband, meistens von Hanse-
aten geführt – steht – manchmal hilft es, zu lesen –: Den- Herr Grube sagte, dass die Y-Trasse unverzichtbar
noch sieht der Haushaltsentwurf der Bundesregierung und notwendig, zurzeit aber nicht finanzierbar ist. Vor
vor, im Haushalt des BMVBS die Mittel für die Städte- diesem Hintergrund erscheint die Arbeit dieser Regie-
bauförderung zu halbieren, von ursprünglich geplanten rung, dieser Koalition in einem anderen Licht. Frau
610 Millionen Euro auf 305 Millionen Euro. – Jetzt neh- Dr. Winterstein sagt zwar zu Recht: Man muss das, was
men wir den Koalitionsvertrag dieser Regierung, dann man tut, auch finanzieren können. Aber da erinnere ich
nehmen wir den Haushaltsentwurf, und dann wundern immer an Theo Waigel;
wir uns; denn eigentlich sollte man glauben, dass hier
die gleichen Herrschaften tätig gewesen sind. (Heiterkeit der Abg. Bettina Hagedorn [SPD])

Nachdem wir jetzt die Presselage studiert, die unter- er ist ja ein respektabler Mann.
schiedlichen Ministermeinungen und die Unterschiede (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Oh! Auf ein-
zwischen CSU, CDU und FDP zur Kenntnis genommen mal? Das sollten wir festhalten! – Weiterer Zu-
haben, kann ich noch kurz auf den Haushalt zu sprechen ruf von der CDU/CSU: Für Sie aber auch erst
kommen. Herr Minister, ich habe wirklich sehr ge- seit heute, oder?)
schätzt, was Sie zu den wichtigen Themen gesagt haben,
nämlich zu den Häfen, dass sie die Lebensader unserer – Ja, ja. – Er hat gesagt: Haushaltssanierung gelingt
Republik seien, und zu den Hinterlandverkehren. Es nur in einem Dreischritt: erstens Einnahmeverbesserun-
ist eine Supersache, dass Sie als Bayer das verstanden gen, zweitens Wachstumsförderung, drittens Einsparun-
haben. Ich nehme an, der Kollege Ferlemann hat etwas gen.
damit zu tun. Er – der übrigens von mir sehr geschätzte Die Einnahmeverbesserungen haben Sie versemmelt.
Kollege ist aus Otterndorf; bei der Elbsanierung ist das
für ihn nicht immer so einfach – hat auf einer Veranstal- (Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6281
Johannes Kahrs
(A) Ich will jetzt nicht wieder mit Ihrer Nummer mit den Ich warte die ganze Zeit auf Vorschläge aus den Reihen (C)
Hotels anfangen. Sonst bekomme ich gleich Ärger von der Koalition, dass sie einen Teil ihrer Redezeit für wei-
meinem Lieblingsstaatssekretär; tere Belobigungen von Regierungsmitgliedern, insbe-
sondere von Mitgliedern früherer Bundesregierungen,
(Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär: zur Verfügung stellen will.
Jawohl!)
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU
das muss ich nicht haben. Auch über die anderen Punkte
und der FDP)
haben wir schon diskutiert; auch da haben Sie geloost.
Wachstumsförderung ist das, was wir in der Großen Eine solche Meldung habe ich aber nicht erhalten. Des-
Koalition so wunderbar getan haben. Wir haben Kon- wegen nähern wir uns dem grausamen Ende Ihrer Rede-
junkturpakete geschnürt. Sie canceln jetzt leider all diese zeit.
Konjunkturpakete. Dabei kommt aber nichts heraus. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der
Wachstumsförderung findet bei Ihnen also nicht statt. CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS-
Sie fördern nicht Wachstum, sondern Sie streichen. SES 90/DIE GRÜNEN)
(Patrick Döring [FDP]: Das ist doch
unglaublich!) Johannes Kahrs (SPD):
– „Unglaublich“, Herr Döring, ist in der Tat das einzige Herr Präsident, ich komme zum Schluss, allerdings
Wort, mit dem man beschreiben kann, was Sie leisten, nicht, ohne noch darauf hinzuweisen: Stuttgart 21 ist
wenn man das überhaupt „leisten“ nennen kann. richtig; die SPD hat dazu eine klare Ansage gemacht. Es
ist aber auch richtig, die Bevölkerung zu fragen, zu über-
(Beifall bei der SPD) zeugen und in der Sache mitzunehmen.
Zum Schluss möchte ich ganz kurz sagen: Die Elb- (Patrick Döring [FDP]: Ach nein! Welchen
vertiefung wollen wir natürlich alle. Bei Otterndorf müs- Beitrag leisten denn Sie dazu? – Weiterer Zu-
sen wir aufpassen; das wissen wir. Der Nord-Ostsee- ruf von der FDP: Dann machen Sie das doch
Kanal ist super, die Y-Trasse auch. mal!)
Ein allerletztes Wort zu Stuttgart 21. Da wir hier und
heute gehört haben, dass die CSU Lobeshymnen auf die Dadurch vermeidet man solche Demonstrationen.
SPD in Baden-Württemberg gesungen hat, sage ich Ih- Herr Minister, Sie haben gute Argumente. Nutzen Sie
nen: Erstens ist die SPD in Baden-Württemberg gut, sie, statt auf die Demonstranten, die das Gefühl haben, (D)
(B) zweitens in den Umfragen deutlich unterbewertet,
dass sie von Ihnen alleine gelassen werden, immer nur
(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜND- „einzudreschen“.
NIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Barthle
Vielen Dank.
[CDU/CSU]: Na ja! Na ja!)
und drittens glauben wir, dass das, was in Baden- (Beifall bei der SPD)
Württemberg geschieht, kluge, kühle und solide den-
kende Köpfe erfordert. Ich kann den Kollegen Hermann Präsident Dr. Norbert Lammert:
verstehen. Ein kleiner Wutanfall ist gut für Wahlaussa- Das Wort erhält nun der Kollege Patrick Döring für
gen. die FDP-Fraktion.

Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Lieber Kollege Kahrs.
Patrick Döring (FDP):
Johannes Kahrs (SPD): Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
Ich komme zum Ende. ist ein Stück weit tragisch, dass die Opposition immer
virtuelles Geld ohne Ende hat,
Präsident Dr. Norbert Lammert: (Lachen bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Ich könnte Ihnen zwar noch stundenlang zuhören. der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN – Uwe Beckmeyer [SPD]: Die Re-
(Heiterkeit bei der SPD – Dr. Hans-Peter
gierung! – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/
Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Wir nicht, Herr
DIE GRÜNEN]: Die Opposition? Die Koali-
Präsident!)
tion! – Bettina Hagedorn [SPD]: Wie bitte?)
Bedauerlicherweise hat Ihnen Ihre Fraktion aber eine
miserabel kurze Redezeit zugestanden. dass diejenigen, die regieren, aber mit der Realität ope-
rieren müssen. Ebenso ist es intellektuell unredlich, dass
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Sie über diesen Einzelplan völlig losgelöst von der
CDU/CSU und der FDP – Patrick Döring Haushaltswirklichkeit der Bundesrepublik Deutschland,
[FDP]: Völlig unverständlich!) unseres Staatswesens, diskutieren.
6282 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Patrick Döring
(A) Das, was wir gehört haben, war ein Wunschkonzert, zur Erreichung unserer Klimaziele leistet, dann werden (C)
wir sie auch finanzieren. So einfach ist das.
(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das ist doch von Ihnen veranstaltet (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
worden!) Johannes Kahrs [SPD]: Geld drucken!)
insbesondere vonseiten der Sozialdemokraten. Sie be- Insofern muss man sein Horizontproblem – keiner weiß,
tonten zwar, all Ihre Vorschläge seien wohlfeil durch- wie klein sein Horizont ist – auch dadurch lösen, dass
dacht und leicht umsetzbar. Aber die Kollegin man andere Politikbereiche mit einbezieht.
Winterstein und andere haben schon deutlich gemacht:
Wir investieren mehr in die Verkehrswege, als es die Re- Ich persönlich finde es auch bemerkenswert, ge-
gierungen, an denen Sie beteiligt waren, jemals getan ha- schätzte Kolleginnen und Kollegen, dass alle bisherigen
ben. Redner der Opposition es geschafft haben, kein einziges
Wort über die gesamtstaatliche Situation zu verlieren.
(Johannes Kahrs [SPD]: Das stimmt nicht! – Ganz im Gegenteil, Herr Kahrs hat eben gesagt, wir wür-
Uwe Beckmeyer [SPD]: Nein! – Bettina den angeblich kein Wachstum bewirken. Dabei ist die
Hagedorn [SPD]: Nicht wahr!) deutsche Wirtschaft in diesem Quartal so stark gewach-
Mit Ausnahme der zwei Jahre, in denen sich Deutsch- sen, wie es in den meisten Quartalen der Regierungszeit
land in einer Konjunkturkrise befunden hat und wir Kon- der Sozialdemokraten nicht der Fall war.
junkturpakete aufgelegt haben, investieren wir mehr. Wir brauchen keine Konjunkturprogramme, weil wir
(Uwe Beckmeyer [SPD]: Das ist Quatsch!) gute Politik machen. Das ist die Wirklichkeit.

Das ist die Wahrheit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Lachen bei der SPD)
(Bettina Hagedorn [SPD]: Nein! Das Gegen-
teil!) Wir haben so wenig Arbeitslose in unserem Land wie
nie zuvor in der Regierungszeit der Sozialdemokraten.
Mit diesem Phantomschmerz kommen Sie nicht klar,
liebe Kolleginnen und Kollegen. (Uwe Beckmeyer [SPD]: Dazu habt ihr nichts
beigetragen!)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Johannes Kahrs [SPD]: Sie kürzen doch! – Auch das ist offensichtlich ein Phantomschmerz. Denn
Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- das ist die Wahrheit in diesem Land, auch wenn Sie noch
NEN]: Glauben Sie das wirklich?) so viele nette Reden halten: Die Wirtschaft funktioniert
(B) sehr gut, weil diese Regierung gute Politik macht. (D)
Man kann über Unterfinanzierung, Planungen oder
Versprechungen diskutieren, aber eines ist auch klar: Die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Projekte, über die wir aktuell sprechen und die so stark Ich will nicht auf die gespielte Empörung des Kolle-
im Fokus sind, sind alle unter einer anderen Regierung gen Hermann zu dem Infrastrukturprojekt in Stuttgart
entstanden. Auch die Finanzierungsvereinbarung zu dem eingehen, weil ich glaube, dass die Art der Diskussion,
umstrittenen Projekt im Südwesten trägt die Unterschrift die Sie dort anzetteln, weit über die Grenzen Stuttgarts
eines Sozialdemokraten, nämlich von Wolfgang hinaus und auch für dieses Haus eine große Bedeutung
Tiefensee. hat.
(Johannes Kahrs [SPD]: Ein guter Mann!) (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Jetzt werfen Sie das uns vor die Füße und beklagen sich, NEN]: Das ist wahr!)
dass wir nicht genug Mittel auskehren können. Auch das Es ist demokratietheoretisch und politisch brandgefähr-
ist intellektuell unredlich. lich, einen Unterschied zwischen Legalität und Legiti-
(Johannes Kahrs [SPD]: Das haben wir nie ge- mität zu machen.
macht! – Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/ (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
DIE GRÜNEN]: Sie waren in Baden- NEN]: Das muss zusammenpassen!)
Württemberg beteiligt!)
Das tun Sie permanent.
– Geschätzter Kollege Hermann, ich komme noch da-
rauf, keine Bange. Es gibt ein Planfeststellungsverfahren. Das ist übri-
gens spannend, weil die Kollegin Künast, die die
Man kann auch das Thema CO2-Gebäudesanie-
Debatte leider nicht mehr verfolgen kann, immer von
rungsprogramm isoliert betrachten und den Blick nur
Bürgerrechten redet: Wir haben in Stuttgart ein Plan-
in den Einzelplan werfen. Aber falls es Ihnen entgangen
feststellungsverfahren durchgeführt, in dem über
ist: Diese Bundesregierung und diese Koalition arbeiten
10 000 Einwendungen von Bürgerinnen und Bürgern
gerade an einem umfangreichen Energiekonzept, durch
von den Behörden einzeln und individuell abgearbeitet
das es zu zusätzlichen Haushaltseinnahmen kommt.
worden sind.
Selbstverständlich werden wir darüber reden, wie wir
die Mittel aus diesem Sondervermögen einsetzen wer- (Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
den. Wenn wir uns in der Koalition darüber einig sind, NEN]: Das ist noch nicht fertig! Noch nicht
dass die Gebäudesanierung einen wesentlichen Beitrag rechtskräftig!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6283
Patrick Döring
(A) Deshalb hat es über 15 Jahre gedauert. Jetzt der Bundes- Präsident Dr. Norbert Lammert: (C)
republik Deutschland – unabhängig davon, wer regiert – Sabine Leidig ist die nächste Rednerin für die Frak-
vorzuwerfen, dass das ganze Projekt nicht mehr legitim tion Die Linke.
und legal ist, weil es 15 Jahre gedauert hat und zu Kos-
tensteigerungen gekommen ist, ist schlicht unredlich. (Beifall bei der LINKEN)
Das wird das Land nicht weiterbringen.
Sabine Leidig (DIE LINKE):
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte tatsäch-
des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) lich noch einmal dafür werben, den Beschluss zu
Es gibt klare Prozesse und Verfahren. Bürgerbeteili- Stuttgart 21 zu überdenken und zu verhindern, dass dort
gung ist ein hohes Gut. Es gibt kein Land in der Europäi- viele Milliarden unsinnig vergraben werden. Wir glau-
schen Union, das seine Bürgerinnen und Bürger in Plan- ben nicht, dass virtuelles Geld in Massen zur Verfügung
feststellungsverfahren so stark und intensiv beteiligt wie steht. Wir wissen, dass das Geld knapp ist. Genau des-
die Bundesrepublik Deutschland. halb muss man diesen Beschluss überdenken. Es ist doch
völlig unsinnig, dass Großprojekte auf jeden Fall durch-
(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gezogen werden, nur weil irgendwann einmal vertragli-
NEN]: Ohne Alternativen!) che Grundlagen geschaffen worden sind, die jedoch auf
völlig falschen Fakten beruhen.
Aber worüber soll eigentlich abgestimmt werden,
Frau Kollegin? Soll über die Oberverwaltungsgerichts- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-
urteile oder über die 1 200 Seiten der Planfeststellung NIS 90/DIE GRÜNEN)
abgestimmt werden? Nein, liebe Kolleginnen und Kolle- Wir haben die Wiederaufbereitungsanlage in Wackers-
gen, wenn wir anfangen, Legitimität und Legalität ge- dorf nicht gebaut. Der Schnelle Brüter in Kalkar ist nicht
geneinander auszuspielen, dann werden wir in diesem in Betrieb gegangen, weil sich die Grundlagen verändert
Land – das hat der Kollege Vaatz richtigerweise gesagt – hatten. Es gehört doch zum politischen Vermögen, zu er-
keine Möglichkeit haben, Infrastrukturprojekte durchzu- kennen, dass sich Verhältnisse verändern. Es hat von An-
setzen, wenn wir gleichzeitig unsere Verfahren zumin- fang an begründete Skepsis gegenüber dem Projekt
dest halbwegs am Leben erhalten wollen, und ich bin Stuttgart 21 gegeben. Schon vor 14 Jahren ist ein Büch-
sehr dafür, dass man das tut. lein erschienen, in dem ganz vieles wunderbar zusam-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) mengefasst ist. Es hat allerdings auch eine Menge Ver-
sprechungen und Vorstellungen gegeben, was es Tolles
(B) Ich komme zum Schluss. Der Deutsche Bundestag hat gibt. (D)
sich kurz vor der Wahl 2005 einstimmig für das Projekt
Wendlingen–Ulm und für Stuttgart 21 positioniert. Es (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Es genügt
gab einen Antrag der damaligen rot-grünen Koalition. eigenes logisches Denken, um den Sinn zu er-
Der verkehrspolitische Sprecher der SPD hat damals in fassen!)
einer Pressemeldung gejubelt: Schön, dass auch Union In den letzten Monaten ist aber eine ganze Reihe von
und FDP bei diesem tollen Projekt mit im Boot sind! Fakten auf den Tisch gekommen, die bisher unter Ver-
schluss gehalten waren.
Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der LINKEN – Patrick Döring
Die Zurückweisung muss jetzt ganz knapp erfolgen. [FDP]: Dann können sie nicht auf den Tisch
gekommen sein, Frau Kollegin!)
Patrick Döring (FDP): – Die bisher unter Verschluss waren.
Nun, wo es ein bisschen brenzlig wird, gehen einige
(Patrick Döring [FDP]: Es ist alles öffentlich!)
von der Fahne. Der Kollege Kahrs hat sich positioniert;
das habe ich sehr wohlwollend zur Kenntnis genommen. Ich spreche noch darüber. – Es ist deshalb nicht ehren-
rührig, wenn man seine Meinung ändert; das ist eigent-
(Johannes Kahrs [SPD]: Die SPD, Herr lich das Vernünftige. Der vernünftige und erst recht der
Kollege!) politische Verstand gebietet es, dann die Meinung zu än-
Ich sage Ihnen: Es war klug, dass der Deutsche Bun- dern.
destag neben vielen anderen Institutionen im Jahre 2005 (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
den Weg bereitet hat. Ihr Minister hat dann eine Finan- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
zierungsvereinbarung geschlossen. Diese Regierung
wird sich ganz getreulich der Umsetzung dieses einstim- Ich will noch etwas zum Rechtsstaat sagen. Er kennt
migen Beschlusses des Deutschen Bundestages – ein- das Prinzip von Treu und Glauben. Dieses Prinzip ist
stimmig, also mit Ihren Stimmen, Kollege Hermann – verletzt worden. Wer vor diesem Hintergrund nach dem
zuwenden. Motto verfährt: „Augen zu und durch“, und wie die
Kanzlerin sagt, das sei standfest, der irrt. Das ist nicht
Vielen Dank. standfest, sondern starrsinnig oder sogar suspekt.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN)
6284 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Sabine Leidig
(A) Schon im Oktober 2008 hat der Bundesrechnungshof (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Reden Sie mit (C)
Fundamentalkritik geübt und gesagt: Stuttgart 21 muss den Experten von der Bahn!)
als Projekt des Bundes anerkannt und unter parlamenta-
rische Kontrolle gestellt werden. – Das haben Sie igno- Die Folge davon sind Menschenketten und spontane
riert. Die Deutsche Bahn AG hat beschlossen, dass der Straßenblockaden. Sie müssen sich einmal Ursache und
Bau jetzt losgeht. Wirkung vor Augen führen.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-
(Patrick Döring [FDP]: Wie bei allen
NIS 90/DIE GRÜNEN)
Bahnhofsbauten!)
Am 26. August bringt der Stern ein Interview mit dem
Seit dieser Bau losgegangen ist, gibt es jede Woche eine berühmten Architekten Frei Otto, der diesen unterirdi-
Demonstration, und zwar jeden Montag. Das Wort schen Bahnhof übrigens einmal entworfen hat. Dieser
„Montagsdemonstrationen“ haben Sie, glaube ich, schon Architekt befürchtet ein schlimmes Baudesaster, nach-
einmal gehört. dem er die geologischen Untersuchungen gesehen hat,
(Patrick Döring [FDP]: Das ist schon peinlich! die auch nicht veröffentlicht worden sind.
Anmaßend gerade von Ihnen!) (Patrick Döring [FDP]: Das ist auch Quatsch,
– Es ist nicht die Linke, die dort demonstriert, sondern schlimmer Quatsch!)
die Bevölkerung von Stuttgart. Gehen Sie doch einfach Er sagt, man müsse jetzt die Notbremse ziehen. Über die
einmal dorthin, und schauen Sie sich an, mit welchen Kostensteigerungen muss ich gar nicht mehr sprechen;
Leuten Sie es dort zu tun haben! denn dazu hat der Kollege Winfried Hermann geredet.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Dessen
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Verhalten ist besonders ehrenwert!)
Am Anfang waren es nur zwei Leute, die dort demon- Die Bürgerinnen und Bürger im Schwabenland sind
striert haben. Als ich im Februar dort war, waren es über diese Expertisen und Argumente bestens informiert.
schon 2 000. Als ich vor 14 Tagen dort war, waren es Das, womit wir es hier zu tun haben, ist kein Kommuni-
20 000 Leute. Damals hat der evangelische Prälat von kationsproblem.
Stuttgart gesprochen. Er hat dieses Projekt mit dem
Turmbau zu Babel verglichen. Sie sollten darüber nach- (Beifall bei der LINKEN)
denken, was das bedeutet. Die Bürgerinnen und Bürger fragen sich mit Recht,
warum dieses Projekt auf Biegen und Brechen durchge-
Am 8. Juli hat der Stern über ein Gutachten berichtet,
(B) zogen werden soll und warum die Alternativen, die vor- (D)
das die Landesregierung vor zwei Jahren in Auftrag ge-
liegen, systematisch ignoriert werden, obwohl sie kos-
geben, aber auch zwei Jahre unter Verschluss gehalten
tengünstiger sind.
hatte. Darin ist die Rede vom „hohen Stabilitätsrisiko“
und von „einer geringen Gestaltungsmöglichkeit des (Patrick Döring [FDP]: Weil sie keine Alter-
Fahrplanes“. Es wird konkret nachgewiesen, dass sich nativen sind!)
der Schienennahverkehr durch das Projekt verschlech-
tern wird. – Sie müssen sie sich einmal angucken. Lassen Sie uns
im Parlament darüber reden.
(Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE]
(Patrick Döring [FDP]: Darüber gibt es Ober-
und Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE
verwaltungsgerichtsurteile! Das sind doch
GRÜNEN])
Zerrbilder!)
Am Ende dieses Berichts heißt es wörtlich: Man fragt sich, warum sich Bahnchef Grube wie ein
Aufgrund der Brisanz der vorliegenden Resultate Rambo gebärdet und einen intakten Bahnhof zerstört,
ist absolutes Stillschweigen erforderlich. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das ist eine Be-
Ich bitte Sie, das ist doch unverantwortlich. Da können leidigung! Das nehmen Sie zurück!)
Sie nicht von Demokratie reden. der übrigens zusammen mit Leipzig einen Wettbewerb
(Beifall bei der LINKEN) gewonnen hat, welcher Bahnhof der pünktlichste ist.

Am 11. August hat das Umweltbundesamt seine Stu- Präsident Dr. Norbert Lammert:
die zur Entwicklung der Schieneninfrastruktur vorgelegt, Frau Kollegin!
und die Verfasser meinen, dass Stuttgart 21 umgehend
gestoppt werden müsste, weil es kein Nadelöhr beseitigt,
sondern ein neues schafft. Sabine Leidig (DIE LINKE):
Man fragt sich natürlich auch, warum Ministerpräsi-
(Patrick Döring [FDP]: Das ist völlig dent Mappus eigentlich sein Amt als Regierungschef
unbewiesen!) aufs Spiel setzen will.
Zwei Tage später lässt Grube das erste Loch in den Herr Präsident, wollen Sie mir sagen, dass meine Re-
Nordflügel des Bahnhofs reißen. dezeit zu Ende ist? – Okay.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6285
Sabine Leidig
(A) Man fragt sich natürlich auch, ob ein Grund ist, dass Man muss den Eindruck haben, dass die Bundesregie- (C)
Vertreter von Bilfinger Berger in diesem Beirat sitzen. rung nicht nur nach der Pfeife der vier großen Energie-
Man fragt sich, ob ein Grund ist, dass die Bahnvorstände konzerne tanzt, sondern offensichtlich auch nach den
aus der Automobilindustrie kommen. Jedenfalls be- Lobbyinteressen der großen Baukonzerne. Wie wäre es
fürchtet man, dass die Verantwortlichen für dieses Pro- anders zu erklären, dass weiterhin überdimensionierte
jekt so verstrickt und so bestochen sind, dass sie nicht sowie verkehrlich und volkswirtschaftlich unsinnige
mehr zurückkönnen. Die Leute begreifen nicht, was hier Verkehrsprojekte umgesetzt werden? Kleine und mittel-
abläuft. Die Mehrheit der Menschen in Baden-Württem- ständische Unternehmen, regionale Baufirmen und
berg hat dafür kein Verständnis. Handwerker, die noch vor Ort ihre Steuern zahlen – das
ist im Bauhauptgewerbe die überwiegende Mehrheit –
Das Schild, das ich jetzt hochhalte, hängt in Stuttgart und die eine Vielzahl an Arbeitsplätzen anbieten und si-
inzwischen überall: in den Wohnblocks, in denen die chern, haben das Nachsehen, weil Sie die Mittel für die
einfachen Leute wohnen, aber auch in der Halbhöhen- Städtebauförderung halbieren und die verbliebenen Mit-
lage, in der die Architekten, die Künstler, die Lehrerin- tel für das CO2-Gebäudesanierungsprogramm – es sind
nen und Lehrer wohnen. nur noch Restmittel – ebenfalls halbieren. In diesem Jahr
stehen 1,35 Milliarden Euro für das CO2-Gebäudesanie-
Präsident Dr. Norbert Lammert: rungsprogramm zur Verfügung, und dieses Geld wird
Frau Kollegin, Sie sind nun wirklich weit über Ihre nicht bis zum Ende des Jahres ausreichen. Ich frage
Redezeit. mich, wie man im nächsten Jahr mit 450 Millionen Euro
auskommen will. 300 000 Arbeitsplätze hängen davon
ab. Jetzt, da das Konjunkturprogramm ausläuft, strei-
Sabine Leidig (DIE LINKE):
chen Sie dieses Programm zusammen.
Diese Leute, viele ehemalige CDU-Wählerinnen und
-Wähler, sind nicht einfach gegen irgendetwas. Sie Wenn man sich den Etat ganz genau anschaut, wird
kämpfen für ihre Stadt. man feststellen, dass dieser Kahlschlag nur im Baube-
reich stattfindet. 10 Prozent der Kürzungen beziehen
Präsident Dr. Norbert Lammert:
sich auf den Bauetat. Der Verkehrsetat ist mehr oder we-
niger ausgenommen; die Kürzungen dort betragen ge-
Ich entziehe Ihnen jetzt das Wort. rade einmal 2,5 Prozent.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nachgewiesen ist bekanntlich, dass sich die Städte-
bauförderung und das CO2-Gebäudesanierungspro-
Sabine Leidig (DIE LINKE): gramm rechnen. Diese Programme bringen mehr ein,
(B) (D)
Es ist höchste Zeit, dass der Bundesrat sie dabei un- als sie kosten. Im vergangenen Jahr wurden durch das
terstützt. CO2-Gebäudesanierungsprogramm private Investitio-
nen in Höhe von 18 Milliarden Euro ausgelöst. Bei der
(Beifall bei der LINKEN) Städtebauförderung haben wir nachweislich eine Hebel-
wirkung von 1 : 8 in Bezug auf private Investitionen.
Präsident Dr. Norbert Lammert: Um zu sehen, dass sich diese Programme rechnen,
Im Übrigen schließe ich die Kolleginnen und Kolle- braucht man sich nur die Umsatzsteuermehreinnahmen
gen der Linken, die glauben, den Plenarsaal mit T-Shirts anzuschauen. Wenn Sie, Herr Minister, also sparen wol-
bereichern zu müssen, vom weiteren Verlauf der Sitzung len, dann fangen Sie endlich an, bei den umweltschädli-
aus. Sie verlassen bitte unverzüglich den Plenarsaal. chen Subventionen zu sparen. Davon ist in Ihrem Etat-
entwurf nichts zu sehen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ab-
geordnete der LINKEN verlassen den Plenar- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
saal – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist un- Stattdessen werden Sie, wenn der Etatentwurf nicht
glaublich, dass sich die nur wieder Freizeit geändert wird, die Investitionstätigkeit im Bereich der
verschaffen wollen!) energetischen Gebäudesanierung und der Stadtentwick-
Nächster Redner ist der Kollege Stephan Kühn für die lung komplett zum Erliegen bringen. Sie beschneiden
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. wieder einmal massiv die Handlungsfähigkeit der Kom-
munen und lassen sie mit den Problemen des demografi-
schen Wandels und des ökologischen Umbruchs alleine.
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Sehr ge- Der Haushalt ist das in Zahlen gegossene politische
ehrter Herr Minister Ramsauer, das Engagement, das Sie Programm. Leider hat dieser Haushaltsentwurf mit Ih-
hier für Stuttgart 21 an den Tag legen, hätte ich mir bei rem politischen Programm überhaupt nichts zu tun.
der Aufstellung des Etats für das CO2-Gebäudesanie- Wenn man sich Ihr Energiekonzept anschaut, dann stellt
rungsprogramm und für die Städtebauförderung ge- man fest, dass es dem Haushaltsentwurf widerspricht. Im
wünscht. Energiekonzept kommt man zu der richtigen Erkenntnis,
dass in Bezug auf den Klimaschutz der größte Hand-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN lungsspielraum bei Maßnahmen liegt, die Gebäude und
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Verkehr betreffen, und man deshalb die größte Reduzie-
KEN) rung des Energieverbrauchs in diesen Bereichen errei-
6286 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Stephan Kühn
(A) chen kann. Deshalb heißt es in Ihrem Konzept zu Recht: Tages ein anderes Ergebnis haben als das, das uns mit (C)
Die Gebäudesanierung muss deutlich besser ausgestattet dem heutigen Entwurf vorgelegt wurde.
werden.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Patrick Döring [FDP]: So ist es!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Außerdem heißt es dort: Der Schlüssel zur Energieeffi- sowie bei Abgeordneten der SPD)
zienz ist der Gebäudebereich.
Doch Sie haben Ihre Hausaufgaben bei der Etatauf- Präsident Dr. Norbert Lammert:
stellung einfach nicht gemacht. Nächster Redner ist der Kollege Reinhold Sendker für
die CDU/CSU-Fraktion.
(Patrick Döring [FDP]: Man muss Zusammen-
hänge erkennen!) (Beifall bei der CDU/CSU)
Ich habe manchmal den Eindruck, wir seien die Regie-
Reinhold Sendker (CDU/CSU):
rung und Sie die Opposition. Herr Ramsauer spricht sich
öffentlich gegen diese Kürzungen aus, obwohl er für den Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Etat zuständig ist. Staatssekretär Mücke fordert sogar Es lohnt, nicht nur über Stuttgart 21 zu sprechen,
3 Milliarden Euro für das CO2-Gebäudesanierungspro- sondern auch über herausragende Essentials des Einzel-
gramm. Richtig! Sie haben mich das letzte Mal noch plans 12, des Verkehrshaushalts. In den zurückliegenden
schief angeschaut, als ich – bescheiden, wie ich war – 20 Jahren, also seit der Einheit Deutschlands, wurden al-
2 Milliarden Euro für das CO2-Gebäudesanierungspro- lein im Rahmen der Verkehrsprojekte „Deutsche Ein-
gramm gefordert habe. Herr Staatssekretär Mücke geht heit“ fast 40 Milliarden Euro in Straße, Schiene und
richtigerweise noch darüber hinaus. Wasserwege investiert. Die Bahnfahrt von Berlin nach
Hamburg – das werden unser hochverehrter Kollege
(Roland Claus [DIE LINKE]: Populist!) Dirk Fischer und andere mir bestätigen – dauert nicht
mehr vier Stunden, sondern, bei Pünktlichkeit, 99 Minu-
Lassen Sie mich abschließend auf die Bedeutung der
ten. Dank der milliardenschweren Investitionen geht
Städtebauförderung eingehen. Es ist nicht so – das ist
heute vieles besser und komfortabler. Damit sind wir auf
angesprochen worden –, dass die Bauminister sich im-
einem guten Kurs.
mer einig sind und ihre Beschlüsse im Verhältnis 16 : 0
treffen. Aus gutem Grund ist das so; denn sie wissen ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
nau, dass, wenn die Städtebauförderung in dem Ausmaß neten der FDP)
gekürzt wird, wie Sie das im Etat vorgesehen haben, ein
(B) Investitionsstopp droht und in den Kommunen keine Gerade weil gute Verkehrsinfrastruktur Wettbe- (D)
neuen Projekte mehr begonnen werden können. Es wird werbsvorteile bringt, neigt ein Großteil der Investoren in
ein ganz wichtiger Aspekt angesprochen, den Sie, Herr unserem Land dazu, eine moderne Infrastruktur deutlich
Kollege Vaatz, diffamiert haben. Ich meine den sozialen höher zu gewichten als niedrige Arbeitskosten. In die-
Zusammenhalt. Dabei geht es nicht um irgendwelche sem Licht sind es drei Punkte, die beim vorliegenden
Stadtteilfeste. Ich bringe ein Zitat aus der Bauminister- Etatentwurf 2011 als hocherfreulich zu nennen sind:
konferenz: Erstens. Wir können heute miteinander feststellen,
Die Städtebauförderung stärkt wie kein anderes dass die Investitionen im Bereich von Verkehr, Bau und
Politikinstrument die Integration unterschiedlicher Stadtentwicklung inklusive der Konjunkturpakete, die in
sozialer Schichten und von Zuwanderern vor Ort. den beiden zurückliegenden Jahren auf Rekordniveau
gelegen haben, ihre Wirkung voll erreicht haben. Das
Das ist der Kern des Programms „Soziale Stadt“, nicht war erfolgreiche Politik zur Bekämpfung der Krise.
die Finanzierung von irgendwelchen Stadtteilfesten.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD) Zweitens. Auch vom Bundeshalt 2011 geht ein klares
Bekenntnis zur Stärkung von Wachstum und zur Siche-
Sie, Herr Vaatz, wissen genauso gut wie ich, dass die rung und Schaffung von Arbeitsplätzen aus. Deshalb ist
Städtebauförderung ein unverzichtbarer Beitrag zum es erfreulich, wenn unser Minister hier feststellen kann,
Aufbau Ost ist. Wenn wir demografische Prozesse, die dass es trotz Auslaufens der Konjunkturprogramme und
im Osten wesentlich eher und massiver als in den alten auch bei Berücksichtigung der Haushaltskonsolidie-
Bundesländern auftreten, bremsen wollen, dann ist es rungsbeiträge keine nennenswerten Abstriche bei der
entscheidend, ob es uns gelingt, die Innenstädte und die Verstetigung der Investitionslinie auf knapp 10 Milliar-
Wohnquartiere aufzuwerten, oder ob nichts passiert und den Euro jährlich geben wird. Auch das ist ein großer
wir sie der Abwanderung preisgeben. Erfolg – das sollte man hier nicht bestreiten – und findet
in der Öffentlichkeit sowie bei den Verbänden breite An-
Wir werden unsere Vorschläge in die Etatverhandlun- erkennung. Fakt ist auch, dass diese Investitionslinie
gen einbringen. Wir haben gehört, dass die Regierung deutlich höher liegt als in den Jahren vor der Finanz- und
mit dem von ihr vorgelegten Entwurf nicht zufrieden ist. Wirtschaftskrise.
Ich bin gespannt auf die Haushaltsberatungen und hoffe,
dass wir gerade in den Bereichen CO2-Gebäudesanie- Drittens. Im kommenden Jahr, 2011, summieren sich
rungsprogramm und Städtebauförderung am Ende des die Investitionen sowie die Mittel nach dem Gemeinde-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6287
Reinhold Sendker
(A) verkehrsfinanzierungsgesetz und für den Verwaltungsbe- Auch die Verkehrsbeanspruchung unserer Straßen (C)
reich auf insgesamt 11,6 Milliarden Euro. 40 Prozent wird in den nächsten Jahren weiter ansteigen. Daher sind
sind Investitionen. Damit ist dieser Einzelhaushalt nach Substanzerhaltung und funktionssichernde Maßnahmen
wie vor der größte Investitionshaushalt des Bundes, ver- unabdingbar. Hierfür sieht der Etat 2,2 Milliarden Euro
ehrte Anwesende. Darin steckt nicht der Wurm; das ist vor. Der Bewältigung wachsender Verkehre dienen na-
weiterhin eine gute Basis für die Ertüchtigung unserer türlich auch integrierte Systeme – wir wollen sie weiter
Verkehrsinfrastruktur als einem der Grundpfeiler einer nach vorne bringen – sowie die Forschung im Bereich
erfolgreichen Wirtschaftspolitik. des Verkehrsmanagements. Deshalb fördert die Bundes-
regierung auch die Telematik.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Die Bundesregierung fördert ferner die Elektromobi-
Sie, meine Damen und Herren der Opposition, haben lität. Die Anfang Mai gegründete Nationale Plattform
in den vergangenen Tagen und auch heute Morgen wie- Elektromobilität arbeitet nun an dem sich selbst gesteck-
der unsere Haushaltskonsolidierungsbeiträge kritisiert. ten ambitionierten Ziel, bis 2020 1 Million Elektrofahr-
Da muss ich Sie nach Ihren Alternativen fragen. Auch zeuge auf deutschen Straßen fahren lassen zu können.
bei mir hat sich der Eindruck verfestigt: Die Opposition Das bleibt unser Kurs, meine Damen und Herren, und
hat Geld im Überfluss wie in einem Märchenland. Meine dieser Kurs ist richtig.
Damen und Herren, kommen Sie in die Realität zurück!
Kritisieren Sie nicht nur, sondern nennen Sie bitte auch (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ihre Alternativen! Das ist Haushaltspolitik. Darum bitten Zudem ist und bleibt es erklärtes Ziel der Koalition,
wir Sie. dem Lkw-Stellplatzdefizit wirksam zu begegnen. Bis
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- 2012, also innerhalb von zwei Jahren, sollen 8 000 neue
neten der FDP) Lkw-Parkstände entstehen. Mit Blick auf die internatio-
nalen Wettbewerbsverzerrungen im Gütertransportge-
Vielleicht wollen Sie aber auch gar nicht sparen, son- werbe begrüßen wir an dieser Stelle auch ausdrücklich
dern weiter Schulden machen, wie das aktuell in Nord- die Entscheidung der Bundesregierung, die Erhöhung
rhein-Westfalen der Fall ist. Was dort geschieht, ist in der Lkw-Maut nicht durchzuführen. Das Moratorium ist
meinen Augen verantwortungslos; denn weiter Schulden völlig richtig.
auf dem Rücken unserer Kinder zu machen, ist doch in
Wahrheit die unsozialste Politik, die es gibt. Im Bereich Schiene stehen die laufenden Bedarfs-
planvorhaben im Mittelpunkt: der Substanzerhalt, die
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – notwendige Lärmsanierung an bestehenden Schienenwe-
Klaus Hagemann [SPD]: Ihr macht auch gen und das Bahnhofssanierungsprogramm. Damit in-
(B) Schulden! Eine ganze Menge: 60 Milliarden!) (D)
vestieren wir direkt in die Sicherheit unserer Mitbürge-
Natürlich hätten wir angesichts steigender Verkehrs- rinnen und Mitbürger.
leistungen in unserem Land gern mehr oder zumindest In diesem Zusammenhang ist auch die Verlagerung
so viele Finanzmittel wie in den beiden Vorjahren zur der Schwerlastverkehre, unter anderem auf die Was-
Verfügung; das räume ich ein. Da dem nicht so ist, müs- serwege, Anliegen der Koalition. Es werden allein
sen wir Prioritäten setzen, auch – das will ich hier in die 672 Millionen Euro für Um-, Aus- und Neubaumaßnah-
Diskussion einbringen – mithilfe privater Investoren, men bereitgestellt. Hiermit steigern wir die Leistungsfä-
vor allem was die Effizienz der Verkehrsprojekte angeht, higkeit des Wasserwegenetzes.
die man mit Planungssicherheit deutlich verbessern
kann, insbesondere beim mehrstufigen Ausbau unserer (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Bundesautobahnen. Meine Damen und Herren, erfolgreiche und zukunfts-
fähige Verkehrspolitik muss auf alle wesentlichen An-
ÖPP – lassen Sie mich das noch hinzufügen – sind
sprüche des Menschen ausgerichtet sein, somit auch auf
nicht nur eine wirtschaftliche Alternative zum konven-
seine Sicherheitsbedürfnisse. Seit 1970 hat sich die da-
tionellen Straßenbau, sondern erreichen mit der Bün-
mals sehr hohe Zahl von fast 20 000 Verkehrstoten pro
delung der baubedingten Staus auf einen bestimmten
Jahr auf nunmehr circa 4 000 verringert. Dem Bemühen
Zeitraum auch einen gesamtwirtschaftlichen Nutzen.
um mehr Verkehrssicherheit dient auch unsere Initia-
Deswegen unterstütze ich das, was meine Vorredner aus
tive zur Einführung des begleiteten Fahrens mit 17 zum
der Koalition gesagt haben: Zielführend ist die Herstel-
1. Januar 2011 als Dauerrecht. Der Modellversuch er-
lung eines Nutzerfinanzierungskreislaufs Straße, wie
brachte in den letzten fünf Jahren im Ergebnis 20 Pro-
ihn der Koalitionsvertrag ausdrücklich vorsieht – vor
zent weniger Unfälle bei den Fahranfängern. Auch hier
dem Hintergrund der Forderung nach mehr Transparenz,
ist ein deutlich positives Ergebnis zu verkünden.
nach mehr Planungs- und Finanzierungssicherheit.
(Uwe Beckmeyer [SPD]: Den Mopedführer-
Vor allem, weil Deutschland über eines der am besten
schein mit 15 ziehen Sie jetzt zurück!)
ausgebauten Verkehrsnetze Europas verfügt, ist es von
hoher Bedeutung, die Qualität der Bestandsnetze bei – Herr Kollege Beckmeyer, wir sind der Auffassung,
Schiene, Straße und Wasserwegen zu sichern und, wenn dass wir auch die jungen Menschen früh an die Risiko-
nötig, durch Aus- und Neubau Engpässe zu beseitigen, bereitschaft im Verkehrsgeschehen heranführen sollten.
insbesondere mit Blick auf die leistungsfähige Hinter- Es ist ganz besonders im ländlichen Raum zielführend,
landanbindung deutscher Seehäfen. die Menschen da heranzuführen.
6288 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Reinhold Sendker
(A) (Uwe Beckmeyer [SPD]: Der Minister sieht Umso mehr begrüße ich es, dass es mit dem vorlie- (C)
das anders!) genden Entwurf gelingt, Deutschland auch in verkehrs-
politischer Hinsicht zukunftsfähig zu machen. Die knap-
Überaus erfolgreich im Bereich von Bau- und Stadt- pen Mittel werden gezielt und, so meine ich, richtig
entwicklung entwickelte sich das CO2-Gebäudesanie- eingesetzt. Dies sichert den Wirtschaftsstandort
rungsprogramm, konjunkturpolitisch, wohnungspoli- Deutschland.
tisch und klimapolitisch. Daher ist die Kürzung der
Ansätze für dieses Programm im Rahmen der Haushalts- Gerade eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur
konsolidierung schmerzlich: Ich freue mich aber nun da- ist für eine wettbewerbsfähige Volkswirtschaft wie die
rüber, dass durch das Energiekonzept der Bundesregie- unsere eine Grundvoraussetzung, wie wir alle wissen.
rung neue Perspektiven eröffnet werden. Angesichts dessen ist es ein großer Erfolg, dass bei den
Wachstum generierenden Verkehrsinvestitionen nicht
Die Städtebauförderung leistet ein Vielfaches des- gekürzt wird. Die Verkehrsinvestitionslinie von knapp
sen, was sie kostet. Das heißt, auch sie stellt eine Er- 10 Milliarden Euro kann über den gesamten Finanzpla-
folgsgeschichte dar. Die Kritik an den Kürzungen ist nungszeitraum aufrechterhalten werden. Damit steht
also sachlich begründet, wir nehmen sie ernst. mehr Geld zur Verfügung als in den Jahren vor der Fi-
Verehrte Frau Kollegin Dr. Winterstein, die Debatte nanz- und Konjunkturkrise. Zusätzlich darf auch noch
über die Mittelkürzungen sollten wir darüber hinaus als einmal erwähnt werden, dass wir mit den Konjunktur-
Möglichkeit betrachten, die Effizienz der Programme programmen zusätzlich über 2 Milliarden Euro für Ver-
durch Bündelung insgesamt zu verbessern, – kehrsinvestitionen verwenden konnten.
Dies findet auch Anerkennung. Unmittelbar nach dem
Präsident Dr. Norbert Lammert: Kabinettsbeschluss zum Haushalt 2011 stellte zum Bei-
Herr Kollege! spiel die Allianz pro Schiene fest, dass es dem Bundes-
verkehrsminister gelungen sei, die um die Konjunktur-
Reinhold Sendker (CDU/CSU): pakete bereinigten Haushaltsmittel für Schienenprojekte
– um den immer wieder kritisierten Überschneidun- sogar noch leicht zu erhöhen.
gen zu begegnen. Natürlich erreicht die vorgesehene Summe für Ver-
Meine Damen und Herren, wir freuen uns darüber, kehrsinvestitionen noch lange nicht die Höhe, von der
dass unser Minister hier Nachprüfungen angekündigt jeder Verkehrspolitiker träumt. Aber in dieser Angele-
hat. Wir freuen uns auch darüber – damit komme ich genheit sind auch Realismus und Pragmatismus gefragt.
zum Schluss, Herr Präsident –, dass er ein Herz für länd- Wir müssen unser Geld ganz gezielt in notwendige Pro-
(B) liche Räume hat. Wir begrüßen ebenso den Einzelplan 12 jekte investieren und in diesem Zusammenhang insbe- (D)
insgesamt, nicht nur vor dem Hintergrund der notwendi- sondere auch einen Schwerpunkt auf den Lärmschutz le-
gen Haushaltssanierungsmaßnahmen, sondern auch des- gen. Der Schutz der Menschen vor Lärm ist ein zentrales
halb, weil er das Fundament für die Fortsetzung einer er- Anliegen, das wir trotz aller Sparzwänge verwirklichen
folgreichen und zukunftsfähigen Politik im Bereich von wollen.
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung für unser Land dar- (Uwe Beckmeyer [SPD]: Darauf kommen wir
stellt. noch einmal zurück!)
Herzlichen Dank. Noch ein Wort zur Lkw-Maut. Politik muss realitäts-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nah und verlässlich sein. Deshalb wird die Lkw-Maut
neten der FDP) 2011 nicht erhöht. Deutschland wird damit als Logistik-
standort gestärkt. Ich denke, auch das ist verantwortliche
Politik.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Letzter Redner zu diesem Geschäftsbereich ist der Verkehrs- und Baupolitik wird zumeist am dafür ein-
Kollege Dr. Max Lehmer, ebenfalls für die CDU/CSU- gesetzten Geld gemessen. Das greift aber zu kurz; denn
Fraktion. eine gute und im Sinne der Bürgerinnen und Bürger vor-
teilhafte Politik ist auch bei knappen Kassen möglich.
Ich nenne hier zum Beispiel die Stichworte „begleitetes
Dr. Max Lehmer (CDU/CSU):
Fahren mit 17“ und „Wechselkennzeichen“. Die damit
Sehr verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
verbundenen Maßnahmen hat unser Verkehrsminister
Damen und Herren! Der vorgelegte Haushalt zeigt, wie
sehr pragmatisch und schnell umgesetzt. Das ist es, was
man Verkehrspolitik unter den gegebenen Bedingungen
wir beispielhaft unter freiheitlicher Verkehrspolitik im
verantwortbar gestalten kann. Das sage ich ganz aus-
Sinne der Bürger verstehen.
drücklich. Im Rahmen des allgemeinen Sparzwangs
beim Gesamthaushalt ist es leider unvermeidlich, dass Aus dem Baubereich hierzu noch ein Beispiel. Die
auch der Haushalt des Bundesministers für Verkehr, Bau Geräusche spielender Kinder dürfen nicht wie Maschi-
und Stadtentwicklung Einschränkungen hinnehmen nenlärm und damit als Lärmbelästigung behandelt wer-
muss. Ich sage das als jemand, der, was die Realisierung den. Durch eine Gesetzesänderung im Bau- und Immis-
von Großprojekten angeht, betroffen ist. Ich erwähne sionsschutzrecht werden wir Kindertagesstätten auch in
zum Beispiel die Projekte im Großraum München und reinen Wohngebieten ermöglichen. Ich glaube, da gehö-
die TEN-Strecke Paris–München–Bratislava–Budapest. ren sie auch hin.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6289
Dr. Max Lehmer
(A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- die es dem Bürger ermöglichen, seinen Beitrag zum Kli- (C)
neten der FDP) maschutz zu leisten. Ausdrücklich wollen wir dazu keine
eigentumsähnlichen Eingriffe und Malusregelungen.
Die Städtebauförderung schreibt seit 40 Jahren Er-
folgsgeschichte, wie uns allen bekannt ist. Aber auch Vielen herzlichen Dank.
hier müssen wir verantwortungsvoll handeln. Nicht nur (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
das Bundesverkehrsministerium muss sparen, sondern
auch die Länder haben enorme Haushaltszwänge und
Präsident Dr. Norbert Lammert:
stehen unter Druck. Das hat sich, wie der Herr Minister
richtig ausgeführt hat, auf der Konferenz der Landesbau- Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
nicht vor.
minister deutlich gezeigt. Wir sind also gemeinsam mit
den Beteiligten gefordert, hier eine tragfähige Lösung zu Bevor wir nun zur Schlussrunde kommen, will ich
finden, damit die Städtebauförderung auf hohem Niveau nach einer Demonstration, die nach gemeinsamer Über-
fortgeführt werden kann, und zwar auch im Westen. zeugung ausnahmslos aller Fraktionen dieses Hauses mit
unserer Geschäftsordnung nicht vereinbar ist, auf den
Es ist dringend nötig, im Dialog mit allen Beteiligten Ausschluss einiger Mitglieder aus den Reihen der Frak-
die vielfältigen Programme, die es im Bereich Städtebau tion Die Linke zurückkommen.
gibt, zu bündeln, effizienter zu machen – das ist eine
große Herausforderung – und dafür zu sorgen, dass in Nach § 38 unserer Geschäftsordnung kann der Präsi-
den nächsten Jahren mit weniger Geld eine intelligentere dent ein Mitglied des Bundestages, auch ohne dass ein
Stadtentwicklung betrieben werden kann. Ich denke, das Ordnungsruf ergangen ist, für die Dauer der Sitzung aus
dem Saal verweisen. Bis zum Schluss der Sitzung muss
ist ein gutes Ziel.
der Präsident bekannt geben, für wie viele Sitzungstage
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der Betroffene ausgeschlossen wird. Ein Mitglied des
Bundestages kann bis zu 30 Sitzungstage ausgeschlos-
Ähnlich verhält es sich mit dem CO2-Gebäudesanie- sen werden.
rungsprogramm. Niemand bestreitet den Nutzen dieses Ich schließe die Kolleginnen und Kollegen Heidrun
Programms für den Klimaschutz und auch für die Volks- Dittrich, Heike Hänsel, Inge Höger, Annette Groth und
wirtschaft. Die durch das Programm ausgelösten Investi- Michael Schlecht für die beiden nächsten Sitzungstage
tionen sind so hoch und haben einen solchen Nutzen, am 29. und 30. September 2010 von den Sitzungen des
dass sich das Programm – das wurde schon ausgeführt – Deutschen Bundestages aus. Damit will ich sicherstel-
eigentlich selbst trägt. Denn zusätzliche Steuereinnah- len, dass die wiederholte, nicht mehr sonderlich origi-
(B) men und Sozialbeiträge in Verbindung mit vermiedenen nelle, spektakuläre, öffentlichkeitswirksame, im Übrigen (D)
Kosten der Arbeitslosigkeit führen zu Einnahmen, die aber folgenlose Demonstration an Freitagvormittagen
höher sind als die damit verbundenen Ausgaben. Auch nicht zu einer bequemen Verabschiedung in ein vorzeiti-
das ist nachgewiesen. ges Wochenende wird.
Außerdem müssen wir bedenken, dass die vorgese- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
hene Halbierung der Programmmittel – das hat der Bun- FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
desverkehrsminister richtig dargelegt – vor dem Hinter- SES 90/DIE GRÜNEN)
grund des Energiekonzepts der Bundesregierung eine Wir kommen nun zur Schlussrunde.
Neubewertung erfahren muss und erfahren wird. Das ist
sehr wichtig. Sie von der Opposition dürfen den aktuel- Erster Redner in der Schlussrunde ist der Kollege
len Haushaltsansatz in diesem Bereich nicht mit den Norbert Barthle für die CDU/CSU-Fraktion.
Zielvorgaben, die wir im Energiekonzept haben, ver- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
wechseln. Die Steigerung der Energieproduktivität um
durchschnittlich 2,1 Prozent jährlich und die Verdoppe-
lung der Sanierungsrate bei der Sanierung des Gebäude- Norbert Barthle (CDU/CSU):
bestands sind ohne Frage richtige und notwendige Maß- Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
nahmen, wenn wir unsere Klimaziele erreichen wollen. Kollegen! Wenn wir jetzt in die Schlussrunde der ersten
Lesung dieses Haushalts eintreten, dann ist es sicherlich
angebracht, die Debatten dieser Woche kurz Revue pas-
Präsident Dr. Norbert Lammert: sieren zu lassen. Wir werden jetzt in intensive Beratun-
Herr Kollege! gen im Haushaltsausschuss eintreten. Wir werden uns
jeden Einzelplan, jeden Titel noch einmal genau an-
schauen, und wir werden wägen und prüfen. Wir werden
Dr. Max Lehmer (CDU/CSU): sicherlich auch die einen oder anderen Vorschläge aus
Ich komme gleich zum Ende, Herr Präsident. – Es ist den Reihen der Opposition aufnehmen und schauen, was
aber nicht zielführend, diese Sanierungsrate mit Zwang sich realisieren lässt.
erreichen zu wollen. Hier setzen wir ganz klar auf An- Man kann zunächst einmal feststellen, dass einer der
reize, Höhepunkte dieser Woche die wirklich kämpferische
und ideenreiche Rede unserer Bundeskanzlerin war.
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sehr rich-
tig!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
6290 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Norbert Barthle
(A) Wir haben in einer wirklich gehaltvollen Rede unse- feststellen: Die Wirtschaftlichkeit einzelner Energiever- (C)
res Finanzministers hören können, wie die einzelnen sorgungsunternehmen bzw. -standorte ist noch nicht ge-
Punkte unseres Zukunftspakets zusammenzubinden sichert. Hier geht es immer noch darum, die Wirtschaft-
sind, wie das Konzept, das diesem Paket zugrunde liegt, lichkeit für die Zukunft zu sichern.
aussieht. Das fand ich sehr erhellend.
Ich habe den Eindruck, die Opposition ist erst dann
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- zufrieden, wenn man jeden Gewinn abschöpft und damit
neten der FDP) die Energieversorger an den Rand ihrer Wirtschaftlich-
keit drängt; aber das kann es nicht sein.
Die Opposition dagegen hat aus meiner Sicht einen
Fehlstart hingelegt. Kollege Gabriel trat als Oppositions- (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
führer auf und sprach davon, dass es keine große intel- GRÜNEN]: Oje, mir kommen die Tränen!
lektuelle Herausforderung sei, eine Oppositionsrede zu Echt!)
halten. Nun, seine Rede wurde diesem Anspruch ge-
recht. Aber leider macht es das nicht leichter, darauf zu Die Energieversorger leisten erstens einen wirkungsvol-
reagieren. Ein wirklich konstruktives, sinnvolles Alter- len Beitrag zur Reduzierung der Neuverschuldung.
nativkonzept zur Bewältigung der Herausforderungen Zweitens ebnen sie den Weg in das neue, regenerative
der Zukunft habe ich nicht hören können. Das muss man Zeitalter. Der Umweltminister sagt immer: Die Kern-
am Ende dieser Woche auch feststellen. energie bildet die Brücke. Ich sage: Wir haben eine gol-
dene Brücke, wenn nicht gar die Golden Gate Bridge in
(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ das regenerative Zeitalter geschaffen. Das muss man ent-
CSU]: Das ging mir auch so!) sprechend würdigen.
Wir stehen jetzt vor der anspruchsvollen Herausforde- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
rung, dass wir ab dem Jahr 2011 bis zum Jahre 2016
mindestens 80 Milliarden Euro weniger neue Schulden An dieser Stelle muss man schon betonen: Wenn Rot
machen, dies mit weiteren Impulsen für Wachstum und und Grün hier regieren dürften, würden sie 30 Milliarden
Beschäftigung verbinden und dabei die Sozialkassen Euro einfach auf der Straße liegen lassen.
nicht gefährden. Ich stelle fest: Die Koalition gestaltet (Joachim Poß [SPD]: Goldener Handschlag für die
Zukunft. Wir haben ein tragfähiges Konzept vorgelegt. Konzerne und keine goldene Brücke!)
Wir kürzen die Ausgaben um 3,8 Prozent. Wir verbes-
sern die Einnahmen, ohne das Wachstumspotenzial zu Das ist so, als ob Sie einen Lastwagen voller Geld vor
gefährden. die Tür gestellt bekommen und diesen anzünden, nur
(B) weil draufsteht: kommt von den Kernenergieunterneh- (D)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) men.
Wachstumsfördernde Investitionen und Impulse bleiben (Lachen der Abg. Priska Hinz [Herborn]
erhalten; wir sparen nicht bei Bildung und Forschung. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Priska Hinz
Wir nehmen aber durchaus Unternehmen, Banken, Ver- [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
waltungen und auch den Sozialbereich in den Blick, Das ist das Größte, was ich jemals gehört
wenn es um die Konsolidierung des Haushalts geht. habe! Wer hat denn immer die Anträge auf
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Einführung einer Brennelementesteuer ge-
stellt? Ohne Laufzeitverlängerung!)
Ein weiterer Höhepunkt dieser Woche war die De-
batte über den Etat des Umweltministers. Ich kann fest- Das wäre ein Verwerfen von Volksvermögen in großem
stellen: Es ist der Bundesregierung gelungen, ein zu- Umfang, wie es schlimmer kaum sein könnte. Wenn man
kunftsweisendes Energiekonzept zu erarbeiten, das nur eine Sekunde darüber nachdenkt, welche neuen
entscheidende Weichen für nachhaltiges wirtschaftliches Sparpakete notwendig wären, um diese 30 Milliarden
Wachstum stellt und in den kommenden Jahren Beschäf- Euro zu erwirtschaften, dann relativiert sich jede Kritik,
tigung sichern wird. Dabei werden die Energieversor- die Sie in dieser Woche vorgetragen haben.
gungsunternehmen in den nächsten Jahren einen Beitrag (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
von immerhin rund 30 Milliarden Euro leisten müssen.
Die Opposition stellt es aber so dar, als ob das Klientel- Lassen Sie mich auf das eingehen, was schon heute
politik wäre, als ob wir den Energieversorgern etwas früh besprochen wurde – das war auch ein Höhepunkt
hinterherwerfen würden. dieser Woche –: Stuttgart 21. Da gab es eine Rede des
Kollegen Winfried Hermann; er ist leider nicht mehr da.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD –
Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Ja, natürlich!) NEN]: Gute Rede!)
Meine Damen und Herren, schauen Sie sich doch ein- Er hat auch die Haushälter angesprochen. Erst einmal
mal die Situation an! Werfen Sie einen einzigen Blick in muss man dem Kollegen Winfried Hermann mit Blick auf
die Meldungen der Ratingagenturen. Schauen Sie sich den Umfang der Kosten für Stuttgart 21, nämlich rund
die Reaktion der Aktienmärkte an. Schauen Sie, was die 4,5 Milliarden Euro, sagen: Sie verschenken 30 Milliar-
Analysten zur Situation der Energieversorger sagen. den Euro; damit könnte man Stuttgart 21 sechsmal
Dann werden Sie schlauer. Eines muss man auch bauen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6291
Norbert Barthle
(A) Winfried Hermann meinte, wir Haushälter hätten uns der Krise gewesen seien. Das ist richtig. Man muss ge- (C)
das nicht genau angeschaut. Ich erinnere mich sehr gut meinsam mit der Ursache aber immer auch die Wirkung
an die Sitzung, bei der er extra zu uns in den Haushalts- im Blick haben; Ursache und Wirkung stehen immer im
ausschuss gekommen ist. Wir haben uns die Unterlagen Zusammenhang. Die Schwachen wurden auch von den
sehr genau angeschaut und lange mit uns gerungen, ob Wirkungen nicht betroffen. Die Verluste haben andere
wir die langfristigen Verpflichtungsermächtigungen in getragen. Die Wirkungen haben diejenigen, die von so-
die Haushalte einstellen. Wir haben uns also die Zahlen zialen Transferleistungen leben, überhaupt nicht betrof-
sehr genau angeschaut. Winfried Hermann hat als Aus- fen. Im Gegenteil: Wir haben sie verschont. Wenn man
schussvorsitzender Zugang zu diesen Zahlen und zu al- die Auswirkungen wieder korrigieren und zu einem kon-
len vertraglichen Vereinbarungen. Er weiß es also besser solidierten Haushalt zurückkehren muss, dann kommt
und nennt trotzdem falsche Zahlen; er stellt die Fakten- man nicht daran vorbei, ein sozial ausgewogenes Kon-
lage falsch dar. Das halte ich für nicht tragbar; das ist zept zu erarbeiten, an dem alle gesellschaftlichen
kein verantwortungsvolles Handeln. Das muss man dem Schichten teilhaben. Genau das machen wir.
Kollegen ganz klar sagen.
Ich füge hinzu: Dieses Konzept setzt vorwiegend auf
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der Ausgabenseite an und nicht auf der Einnahmeseite.
neten der FDP – Sabine Leidig [DIE LINKE]: Das ist der entscheidende Unterschied zu dem, was wir
Das ist doch gar nicht wahr!) bisher erlebt haben, und zu dem, was die Opposition vor-
schlägt. Von Ihnen höre ich ständig, man müsse die Ein-
Eines ist auch wichtig – Bundesbauminister
nahmeseite stärken, man müsse die starken Schultern
Ramsauer hat bereits darauf hingewiesen –: Bei Stutt-
stärker belasten, man müsse neue Steuern erfinden.
gart 21 geht es inzwischen nicht mehr nur um die Finan-
zen. Es geht um den Kernbereich unseres Rechtsstaates. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das macht
Es geht darum, ob man sich noch darauf verlassen kann, ihr schon! Luftverkehrsteuer!)
dass Verträge Gültigkeit haben.
Man muss immer wieder darauf hinweisen: Das oberste
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Drittel unserer Steuerpflichtigen trägt 80 Prozent des
NEN]: Es kommt darauf an, ob das Volk noch Aufkommens der Einkommensteuer. Wir belasten un-
etwas zu sagen hat oder ob ihr alles so ent- sere starken Schultern schon erheblich. Wenn es nach Ih-
scheidet!) nen ginge, dann würden wir die Steuererhöhungen so
Es geht darum, ob die Unterschrift eines SPD-Verkehrs- lange nach oben treiben, bis alle weggehen und gar kein
ministers unter einem Vertrag noch Gültigkeit hat. Es Geld mehr kommt. Das ist der entscheidende Unter-
geht darum, ob sich ein Investor noch darauf verlassen schied zwischen uns. Mit einer solchen Strategie
(B)
kann, wenn Projekte politisch und vertraglich festgelegt beheben wir aber nicht das strukturelle Defizit. Die Er- (D)
sind. Glaubt irgendein Mensch in diesem Saal, dass die fahrungen anderer Staaten zeigen es: Wer auf der Ein-
Bahn einen einzigen Euro in Stuttgart investieren würde, nahmeseite für Zuwachs sorgt, verbessert nicht die
wenn dieses Projekt bzw. diese begonnene Maßnahme strukturellen Defizite, sondern erlaubt sich auch mehr
gestoppt werden müsste? Glaubt irgendjemand, dass Ausgaben.
noch ein Investor in ein größeres Projekt investieren Uns geht es darum, das strukturelle Defizit abzu-
würde, wenn er sich auf vertraglich festgelegte Verein- bauen. Das ist der entscheidende Unterschied. An dieser
barungen nicht verlassen könnte? Wenn in Deutschland Stelle setzt unser Konzept an. Ich bin überzeugt: Mit un-
der Satz „Pacta sunt servanda“ keine Gültigkeit mehr serem Konzept, das wir in den kommenden Wochen in-
hat, dann werden wir zur Bananenrepublik, dann werden tensiv beraten und weiter gestalten werden, gelingt es
wir zum Entwicklungsland. Das müssen sich vor allem uns, den Bundeshaushalt wieder auf solide Beine zu stel-
die Grünen, die sich an dieser Stelle vom Acker gemacht len und damit die Voraussetzung für mehr Wachstum,
haben, genau überlegen. mehr Beschäftigung und mehr Wohlstand in diesem
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Lande zu schaffen. Das ist im Sinne der Menschen in un-
serem Land. Das erwarten sie von uns. Daran arbeiten
Wenn es so käme, dass dieses begonnene Bauprojekt, wir.
das sich in wirtschaftlicher Hinsicht rechnen wird – das
rechnet Ihnen der Bahnchef klipp und klar vor –, Herzlichen Dank.

(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
NEN]: Warum zeigt er es uns dann nicht? Wo
ist das Problem? Warum hält er das geheim?) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
gestoppt werden müsste, dann bekäme das in diesen Ta- Das Wort hat nun Carsten Schneider für die SPD-
gen aktuelle Buch „Deutschland schafft sich ab“ von Fraktion.
Herrn Sarrazin eine ganz neue Bedeutung. (Beifall bei der SPD)
Damit komme ich zu einem weiteren Kritikpunkt, der
in dieser Woche immer wieder vorgetragen wurde, und Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):
zwar dem der sozialen Schieflage. Die Kollegen von der Herr Präsident! Meine Kolleginnen und Kollegen!
Opposition weisen immer wieder darauf hin, dass die so- Herr Kollege Barthle hat eben begonnen, für die Redner-
zial Schwachen in unserem Lande nicht die Verursacher qualitäten und die Inhalte der Reden, die in dieser Wo-
6292 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Carsten Schneider (Erfurt)


(A) che gehalten wurden, Noten zu verteilen. Ich will daran schleiert haben, haben Sie gesagt: Wir nehmen das vo- (C)
anknüpfen, möchte mich aber nicht auf Personen, son- raussichtliche Ist. Das waren 65 Milliarden Euro. Das ist
dern auf den Haushalt und auf das, was Sie vorgelegt ha- derzeit der Ausgangspunkt für Ihren Abbaupfad.
ben, beziehen. Man kann klar sagen: Mathematik gerade
Wenn Sie dieser Logik folgen – das ist zwingend und
noch ausreichend, aber Volkswirtschaftslehre, Sozial-
im Geiste dessen, was wir als Gesetzgeber mit der
kunde und Ethik mangelhaft und ungenügend.
Schuldenbremse hier beschlossen haben –, müssen Sie
(Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Das im November, wenn wir den Haushalt in dritter Lesung
ist ja fast wie beim Steinbrück! – Norbert beschließen, das dann voraussichtliche Ist als Ausgangs-
Barthle [CDU/CSU]: Ich habe keine Noten punkt heranziehen. Das werden deutlich bessere Zahlen
verteilt!) sein.
Zu Beginn meiner Ausführungen möchte ich erklären, (Otto Fricke [FDP]: Wieso nicht im Dezem-
warum ich die Mathematik für gerade noch ausreichend ber? Was ist mit Dezember? Warum lassen Sie
halte. Es stellt sich die Frage: Ist das, was Sie hier vorge- den Dezember weg?)
legt haben, nicht nur nicht sozial ungerecht – darauf
– Ich merke, dass Sie getroffen sind.
komme ich noch –, sondern auch ausreichend im Hin-
blick auf die Erfordernisse der Schuldenbremse, so wie (Beifall bei der SPD)
wir sie im Grundgesetz im vergangenen Jahr mit großer
Mehrheit im Bundestag verabschiedet haben? Sie tun so, als wären Sie die Sparmeister der Nation.
Was die Konjunktur betrifft, läuft bisher alles von selbst.
(Otto Fricke [FDP]: Das erkläre jetzt mal!) Die Frage ist jetzt: Strengen Sie sich genügend an, wenn
es darum geht, Einnahmen und Ausgaben so anzupassen,
Der entscheidende Ausgangspunkt dafür ist das Jahr
dass wir das Defizit so schnell wie möglich verringern?
2010.
Das wird sich im November zeigen.
(Otto Fricke [FDP]: Das strukturelle Defizit
Herr Bundesfinanzminister, ich würde gerne heute
des Jahres 2010!)
hier Folgendes von Ihnen erfahren: Werden Sie die vo-
– Warten Sie doch einmal, Herr Kollege Fricke, Sie ha- raussichtlichen Ist-Zahlen im November akzeptieren
ben nachher genügend Zeit, zu antworten. – Bei der ers-
(Otto Fricke [FDP]: Wieso November?)
ten Anwendung der Schuldenbremse ist entscheidend,
dass wir im Parlament wissen, worüber wir abstimmen, und zur Grundlage machen, und zwar auch für die
Finanzplanung, die Sie im nächsten Jahr fortschreiben
(Otto Fricke [FDP]: Was ich bei euch
(B) werden? Wenn dem so wäre, müssten Sie die richtigen (D)
bezweifele!)
Zahlen in den Blick nehmen, könnten nicht tricksen und
das heißt, dass wir vom Finanzministerium bezüglich müssten außerdem die Einnahmeseite dieses Staates be-
der Zahlen nicht an der Nase herumgeführt werden und rücksichtigen.
es keine Tricksereien gibt.
(Beifall bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/
(Otto Fricke [FDP]: Das ist immer noch der- CSU]: Der Minister wird das alles genau er-
selbe Staatssekretär wie bei euch!) klären!)
Entscheidend ist die Frage: Wie sieht das voraussicht- Ich bin sehr gespannt, was Sie darauf sagen. Bisher be-
liche Ist, das Ergebnis des Jahres 2010 aus? stand Ihre Finanzpolitik nur aus einem Zickzackkurs.
Das ist der eine Kritikpunkt.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Genau!)
Der zweite Kritikpunkt betrifft die Frage: Wen belas-
Der Kollege Schäuble hat bereits einen Zickzackkurs ten Sie hier eigentlich? Wenn Einnahmen und Ausgaben
hingelegt. Am Anfang des Jahres gab Ihr Haus die Aus- so weit auseinanderklaffen, dann müssen Sie diese Lü-
kunft, dass Sie das Haushaltssoll des Jahres 2010 anset- cke schließen; das ist vollkommen klar. Diesem Vorha-
zen wollen. Das waren 80 Milliarden Euro. Das habe ich ben verschließen wir uns nicht.
schriftlich, und ich gebe es Ihnen gern. Das war die Ant-
wort Ihres Staatssekretärs, Herrn Kampeter, auf eine (Otto Fricke [FDP]: Ach!)
schriftliche Anfrage. Das wären 80 Milliarden Euro ge-
– Ich werde konkrete Vorschläge machen. Beruhigen Sie
wesen. Dann hätten Sie in den nächsten Jahren weniger
sich. Ich werde sagen, wie wir uns das vorstellen.
sparen müssen, als jetzt von ihnen vorgelegt.
(Otto Fricke [FDP]: Mehrwertsteuer-
(Otto Fricke [FDP]: Das war der Plan von
erhöhung!)
Steinbrück!)
Das, was Sie vorgelegt haben, geht einseitig zulasten
Dann haben Sie festgestellt, dass es aufgrund der
der sozial Schwachen, zulasten derer, die sich nicht weh-
Konjunkturprogramme und der erfolgreichen Politik, die
ren können. Bei denen schlagen Sie knallhart zu.
wir gemeinsam betrieben haben, bedeutend besser lief,
worüber wir uns freuen. Angesichts dessen war es wirk- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
lich nicht mehr zu akzeptieren, es bei den 80 Milliarden des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
Euro zu belassen. Sie sind also von weniger ausgegan- LINKEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das
gen. Im Juni, nachdem Sie bis zur NRW-Wahl alles ver- stimmt doch gar nicht!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6293
Carsten Schneider (Erfurt)
(A) Sie kürzen nur im Sozialbereich. Sie kürzen das Eltern- Ein zweiter ökonomischer Punkt, der gegen diesen (C)
geld für Arbeitslosengeld-II-Empfänger, sie kürzen beim Haushalt spricht: Die Investitionen sinken. Sie sinken
Rentenversicherungsanspruch für Arbeitslosengeld-II- nicht nur, weil die Konjunkturprogramme wegfallen.
Empfänger, und Sie kürzen bei den Eingliederungsleis- Das ist richtig; aber diese hatten wir ohnehin in einem
tungen. Alles, was konkret belegt ist, bezieht sich auf anderen Haushalt abgerechnet. Die Investitionen sinken
den Sozialbereich. um 1 Milliarde Euro von 28,2 auf 27,2 Milliarden Euro.
Sie haben andere Zahlen ausgewiesen, weil Sie die Mit-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten tel für die BA, die im Jahr 2010 noch als Zuschuss ver-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – bucht waren, jetzt als Darlehen darstellen und dieses als
Thomas Oppermann [SPD]: Eindeutige Investition verbuchen. Aber das ist natürlich Quatsch.
Schlagseite! – Dr. h. c. Hans Michelbach Die realen Investitionen sinken um 1 Milliarde Euro.
[CDU/CSU]: So eine Unwahrheit! Eine un- Wir haben das eben auch in der Verkehrs- und Baude-
glaubliche Polemik ist das!) batte gehört. Das wird für die Arbeitsplätze in Deutsch-
Kein einziger Vorschlag betrifft die Gehaltsklasse derer, land ein Minus bedeuten.
die hier sitzen. Weder bei der Steuer noch bei den staatli- Ich will, weil sich das in der ersten Lesung geziemt,
chen Leistungen sind für diese Gehaltsklasse Mehrbelas- auch sagen, wie unsere Vorschläge aussehen. Darauf wa-
tungen geplant – gar nichts. Sie sind vollkommen blind, ren Sie ja so gespannt. Wir werden unsere Vorschläge
wenn es um die soziale Balance in diesem Land geht. alle einbringen, und Sie können sich dann dazu verhal-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ ten.
DIE GRÜNEN) Erstens. Wir sind der Auffassung, dass die Quersub-
Im Gegenteil. Sie haben gesagt, Sie wollen die Steu- ventionierung von Niedrigstlöhnen aus dem Sozialetat
ern senken und die Abgaben nicht erhöhen. Das war im- von Frau von der Leyen aufhören muss. Da muss ein
mer Ihr Spruch. Jetzt führen Sie eine neue Steuer ein. Sie Stoppschild hin.
nennen das zwar Luftverkehrsabgabe; es ist aber eine (Beifall bei der SPD)
neue Steuer.
Wie gelingt das? Ganz einfach: Durch die Einführung ei-
(Otto Fricke [FDP]: Sind Sie dagegen?) nes flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns
Ich wünsche mir, dass das auf dem FDP-Parteitag end-
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
lich einmal beschlossen wird. Machen Sie sich doch ein-
mal ehrlich! schaffen Sie – das sind ganz normale Berechnungen, die (D)
(B)
die Bundesregierung unter alter Führung noch in Auftrag
(Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Sind
gegeben hat – 5 Milliarden Euro zusätzliche Einnahmen
Sie dagegen? Also sind Sie dagegen!)
in der Sozialversicherung und bei Steuern. Wir müssen
Ein wirkliches Problem, das wir in diesem Land ha- endlich damit aufhören, die Aufstocker – 1,2 Millionen
ben, ist die Binnennachfrage. Wir haben eine zu ge- Menschen in diesem Land, die arbeiten, obwohl sie es
ringe Bruttolohnentwicklung und eine sehr hohe Abga- nicht müssten, weil sie genauso viel Geld vom Sozialamt
benlast. Wir haben keine hohe Steuerlast, sondern eine bekämen – und damit die Arbeitsplätze bzw. Arbeitgeber
hohe Abgabenlast in den unteren Einkommensberei- in diesem Land querzusubventionieren.
chen.
(Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Wer
(Otto Fricke [FDP]: Wer hat die denn in den hat das denn eingeführt?)
letzten elf Jahren eingeführt?)
Zweitens. Wir plädieren dafür – wir halten das für den
Was passiert durch Ihre Politik? Aufgrund der Gesund- entscheidenden Punkt, damit Ihre Maßnahmen über-
heitspolitik Ihres Ministers, die die CDU/CSU mit ver- haupt in irgendeiner Weise akzeptiert werden könnten –,
antwortet, werden die privaten Krankenversicherungen dass dieses unsinnige Steuersenkungs- und Klientelge-
aus dem Steuersäckel quersubventioniert und gepäppelt, schenkegesetz für die Hotels vom Beginn dieses Jahres
und der normale Arbeitnehmer zahlt die Zeche dafür. zurückgenommen wird. Das macht 3 Milliarden Euro.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!) (Beifall bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/
CSU]: Stimmt doch nicht! – Otto Fricke
Die zusätzlichen Belastungen durch die Steigerung des [FDP]: Stimmt doch gar nicht! Das ist schlicht
Gesundheitsversicherungsbeitrages plus einmalige Leis- gelogen!)
tungen plus Steigerung des Arbeitslosenversicherungs-
beitrages um mehr als 1 Prozent führen bei einem – Das ist nicht gelogen. – Natürlich ist die Zahl bereinigt
Normalverdiener – 27 000 Euro pro Jahr – zu einer zu- um die Kindergelderhöhung. Sonst wäre es sogar mehr;
sätzlichen Belastung um monatlich 22,50 Euro. Das ist aber diese Erhöhung wollen wir gar nicht zurückneh-
die Rechnung, die Sie den normalen Arbeitnehmern in men.
Deutschland präsentieren.
(Otto Fricke [FDP]: Das ist doch gelogen! Das
(Beifall bei der SPD – Bettina Hagedorn [SPD]: ist doch unter deinem Niveau! – Norbert
Das ist weniger Netto vom Brutto!) Barthle [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)
6294 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Carsten Schneider (Erfurt)


(A) Drittens: effizienter Steuervollzug in Deutschland; Es wäre erstens zukunftsfähig, und zweitens würde es (C)
dazu gibt es auch ein Gutachten des Bundesrechnungs- eine Wahrung der sozialen Balance in Deutschland ge-
hofs. Führen Sie doch einmal in Ihrer Verantwortung als währleisten, die Sie wie eine Dampfwalze einreißen. In
Ressortminister Gespräche mit den Landesverwaltungen dieser Koalition hat reine Klientelpolitik begonnen, und
darüber, dass Unternehmen in Deutschland fast nicht Sie schreiben diese jetzt dauerhaft fort.
mehr geprüft werden, dass, wenn es dazu kommt, das
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
quasi schon ein Schicksalsschlag ist.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Otto
(Otto Fricke [FDP]: Wer macht das denn? Wer Fricke [FDP]: Meine Herren!)
macht denn die Prüfung? Die Länder! Ihr habt
elf Jahre Zeit gehabt!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Wir fordern die Einführung einer Bundessteuerverwal- Das Wort hat nun Kollege Jürgen Koppelin für die
tung, damit Steuermoral und Steuergerechtigkeit wieder FDP-Fraktion.
durchgesetzt werden. Das würde 11 Milliarden Euro (Beifall bei der FDP)
bringen.
(Beifall bei der SPD) Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
Ich weiß, dass das mit den Ländern besprochen werden finde, diese Haushaltswoche hat deutlich gemacht, was
muss. Aber die wollen auch ein bisschen Geld; man die Koalition will. Haushaltsdebatte ist keine Vertei-
muss nur an die Ausgaben für Bildung denken. Da muss lungsdebatte mehr,
man einmal verhandeln.
(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
Viertens. Zu den Kürzungen im Verwaltungsbereich, DIE GRÜNEN)
die Sie mit dem Rasenmäher machen, insbesondere im
wie das in früheren Jahren der Fall war. Hier geht es um
Bereich des Personalabbaus, will ich Ihnen klar sagen,
das Sparen und das Abbauen von Schulden.
dass ich das sehr kritisch sehe.
Das habe ich vermisst, Kollege Schneider. Sie haben
(Otto Fricke [FDP]: Aha!) nicht ein Wort zu unseren Schulden gesagt, nicht ein
Was passiert? Sie wollen dort mit der Sense ran. Wort zu den hohen Zinsen, die wir zahlen müssen, und
dass wir davon herunterkommen müssen. Ihre Redebei-
(Otto Fricke [FDP]: Wollen Sie im Personalbe- träge in dieser Woche vermitteln den Eindruck, dass
reich kürzen oder nicht?) zwei und zwei nicht vier sind, sondern fünf oder sechs. (D)
(B)
Etwas anderes bieten Sie hier nicht. Sie haben nicht ein
Das bedeutet, dass Sie weitere Auslagerungen – diese
Wort zu den Schulden gesagt.
halte ich für nicht mehr akzeptabel – vornehmen. Sie
wollen öffentliche Fürsorge und auch Beratung auf Bun- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
desebene, Beratung des Parlaments und der Regierung, der CDU/CSU)
also die Steuerung eines Landes, auf externe Berater,
Anwälte etc. und letztendlich Lobbyisten auslagern. Das Was Sie hier gerade vorgetragen haben, das sind doch
akzeptieren wir nicht mehr. Wir glauben vielmehr, dass Luftbuchungen. Sie wissen genau, dass das Luftbuchun-
wir die 65 Milliarden Euro für Beschaffung, die insge- gen sind.
samt im Bundeshaushalt sind, überprüfen sollten. Wir Kein Wort von der Opposition zu dem, was wir – ich
werden vorlegen, wie man dort 10 Prozent sparen kann. finde, das muss man anerkennen – zurzeit in Deutsch-
Auch dann kommen Sie auf eine Summe von land erleben: einen boomenden Export, Investitionen der
6 Milliarden Euro. deutschen Wirtschaft, Wachstumssprünge. Das heften
wir uns nicht allein an – das unterscheidet uns vielleicht
Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, setzt bei von früheren Regierungen –; aber wir haben die Rah-
der Gerechtigkeit von Besteuerung an. menbedingungen dafür geschaffen, dass die Wirtschaft
(Otto Fricke [FDP]: Kein einziger Vorschlag!) wachsen kann, dass wir diese Wachstumssprünge ma-
chen können.
Sie machen keinen einzigen Vorschlag – ich habe das
vorhin gesagt –, um diejenigen, die in diesem Land mehr (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
verdienen, ein bisschen zur Verantwortung zu ziehen. GRÜNEN]: Die Hotels werden alle größer,
Wir hatten in den vergangenen Jahren enorme Vermö- oder was?)
genszuwächse, und es betrifft im Übrigen auch die, die Das ist das Verdienst dieser Bundesregierung.
dafür gesorgt haben, dass wir in die Krise geschliddert
sind. Wir sind für eine Erhöhung des Spitzensteuersat- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
zes. Auch das bringt nach dem Konzept der SPD Ich glaube, es gibt keine Alternative zur Haushalts-
5 Milliarden Euro mehr Staatseinnahmen für den Bil- sanierung. Dazu haben Sie sich aber überhaupt nicht ge-
dungsbereich und für die Konsolidierung. äußert. Ich kann nur sagen: Dieser Boom bietet die
Unser Konzept steht. Chance zur Haushaltssanierung. Wir müssen aber sehr
vorsichtig damit umgehen. Den Fehler früherer Regie-
(Otto Fricke [FDP]: Das ist Ihr Konzept?) rungen, Steuermehreinnahmen gleich auszugeben und
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6295
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
(A) den Schuldenberg so zu belassen, werden wir Freien De- allerdings auch: Man kann das Kindergeld noch so sehr (C)
mokraten jedenfalls nicht begehen. anheben, dafür erntet man keinen Dank. Würden wir je-
doch das Kindergeld um 5 Euro kürzen, würden wir
Der Parteivorsitzende der SPD, Herr Gabriel, beklagt
viele böse Briefe bekommen. Wir haben uns schwer-
– ich will das einmal aufgreifen; man müsste eigentlich
punktmäßig dafür engagiert und über 4 Milliarden Euro
viel mehr Ihrer Argumente aufgreifen, sofern es über-
eingesetzt.
haupt Argumente sind –, wir würden nicht vom Gemein-
wohl sprechen. Er selbst hat übrigens kein Wort zum (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
Thema Gemeinwohl gesagt. Er hat uns auch nicht er- GRÜNEN]: Für die Hoteliers!)
klärt, was er unter Gemeinwohl versteht.
Das war richtig und wichtig.
Ich freue mich, dass der frühere Finanzminister Peer
Steinbrück, der ein Buch veröffentlicht hat, heute anwe- Genauso – und das fehlt bei Ihnen – setzen wir uns
send ist; denn heute kann man in der Süddeutschen Zei- jetzt schwerpunktmäßig für Bildung und Forschung
tung lesen – und das sollte auch Herr Gabriel lesen –: ein. Das wird ein Schwerpunkt der Arbeit dieser Regie-
rung sein. Dies dient kommenden Generationen und
Von den jüngsten politischen Beschlüssen seiner schafft Arbeitsplätze. Sie haben nicht mit einem Wort er-
Partei zeigte sich Steinbrück nicht begeistert: „Die wähnt, welche positiven Impulse wir als Koalition für
SPD hat in den letzten zwei Monaten im Wesentli- Bildung und Forschung setzen. Ich behaupte, damit ha-
chen Rentner und Transferempfänger angespro- ben Sie ein Problem, weil die sozialdemokratische Partei
chen.“ in den vergangenen Jahren immer forschungsfeindlich
(Dr. Peter Danckert [SPD]: Machen wir hier gewesen ist.
Buchwerbung, oder was ist los?) (Lachen des Abg. Klaus Hagemann [SPD])
Weiter heißt es: Sie sind die forschungsfeindliche Partei in Deutschland.
Steinbrück … zeigte sich auch skeptisch über die (Beifall bei der FDP – Thomas Oppermann
Reformfähigkeit der SPD. [SPD]: Das weisen wir zurück!)
Herr Steinbrück, ich werde mir Ihr Buch kaufen. Das Um es anders zu sagen: Die Sozialdemokraten haben
scheint wirklich spannend zu sein. sich 1966 zum letzten Mal für Forschung eingesetzt. Ich
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der kann mich noch gut daran erinnern. Willy Brandt
FDP und der CDU/CSU) drückte auf einen Knopf, und in Westdeutschland gab es
Farbfernsehen. Bei dieser Gelegenheit haben Sie sich
(B) Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich habe auch fest- zum letzten Mal für Forschung eingesetzt. (D)
gestellt, dass es vonseiten der Opposition nicht einen
einzigen Sparvorschlag gibt, (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der
CDU/CSU)
(Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das stimmt doch gar nicht! Sie haben Außerdem werfen Sie uns Klientelpolitik vor. Hierfür
nicht zugehört!) gibt es viele Beispiele. Der Herr Präsident hat dafür ge-
sorgt, dass wir im Plenum so tolle Tafeln haben. Viel-
sondern nur allgemeines Gejammer und allgemeines leicht wäre es möglich, während der Debatte auf diesen
Klagen, wir müssten mehr Geld ausgeben. Gleichzeitig Tafeln zu zeigen, was Gerhard Schröder und Joschka
fordern Sie uns auf, Schulden abzubauen. Ich kann Ihnen Fischer mit welchen Firmen verdienen. Dann zeigt sich,
nur sagen: Das wissen wir auch. Für Kürzungen, die wir was Klientelpolitik ist.
vornehmen müssen, für unangenehme Aufgaben bei der
Beratung des Haushalts werden wir keinen Beifall be- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie
kommen. Das weiß man. bei Abgeordneten der LINKEN – Klaus
Hagemann [SPD]: Die sind nicht mehr im Par-
Aber eines sage ich Ihnen auch bei dieser Gelegen- lament!)
heit: Die Haushaltspolitik von Rot-Grün in Nordrhein-
Westfalen wird uns jedenfalls kein Vorbild sein. Daneben haben Sie etwas völlig ausgeblendet, was im
letzten Jahr bei den Sozialdemokraten noch eine große
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Rolle gespielt hat – ich bin dem Minister Brüderle mehr
Da Herr Gabriel mehrmals aus Medien zitiert hat, ma- als dankbar –: Sie, die Sozialdemokraten, hätten die Mil-
che ich das jetzt auch, obwohl das eigentlich nicht meine liarden zu General Motors getragen. Sie hatten das vor,
Art ist. Vor einigen Wochen las ich zum Beispiel im wir haben das verhindert. Das ist der Erfolg unserer Poli-
Spiegel über die Haushaltspolitik der rot-grünen Koali- tik. Unser Weg war richtig und Ihrer war falsch. So hät-
tion in Düsseldorf: „Politik der neuen Löcher“. Dort ist ten Sie die Milliarden verbrannt.
auch beschrieben, wie Sie beim Schuldenmachen trick- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
sen. So viel dazu. Das wird für uns kein Vorbild sein.
Machen wir uns nichts vor: General Motors hat die SPD
Bei dieser Gelegenheit will ich auch sagen – weil im- an der Nase herumgeführt.
mer von Schieflage die Rede ist –, dass Sie offensicht-
lich vergessen haben, dass diese Koalition zu Beginn Gerade von den Sozialdemokraten könnte man mehr
dieses Jahres das Kindergeld angehoben hat. Ich weiß erwarten. Sie nehmen in diesen Tagen Ihre gesamte Re-
6296 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Dr. h. c. Jürgen Koppelin


(A) gierungspolitik zurück, und ich habe gelesen, Franz Regierung herbeigeführt worden sein. Ich vermute, ir- (C)
Müntefering – dafür habe ich viel Verständnis – habe er- gendwann wird auch der Sonnenschein noch mit der Re-
klärt, dass er zum Bundesparteitag der Sozialdemokraten gierung verbunden werden. Ich kann nach dieser Woche
nicht kommen werde, weil er etwas Besseres vorhabe. nur eines feststellen: Dieser schwarz-gelbe Haushalts-
So war es gestern in den Agenturmeldungen zu lesen. entwurf ist unsolide, er ist ungerecht, und er vertieft die
Ich kann das gut verstehen. Spaltung. Er ist durch und durch unsolide.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Sozial- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
demokraten, haben uns bei einer der größten und wich- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
tigsten Aufgaben, die diese Koalition in den letzten Mo- GRÜNEN)
naten bewältigt hat, völlig im Stich gelassen, nämlich bei
Gerade weil Herr Steinbrück heute auch hier ist, las-
der Rettung des Euros. Das war Schwerstarbeit. Das Ver-
sen Sie mich noch einmal daran erinnern: Es ist ja noch
dienst dieser Regierung ist es, den Euro mit stabilisiert
gar nicht so lange her, dass die Kanzlerin davon gespro-
zu haben,
chen hat, das Jahr 2011 werde das erste Jahr mit einem
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Oh!) ausgeglichenen Haushalt sein. Das war einmal das Ziel.
Nun weiß ich, dass die Krise und vieles andere mehr da-
während Sie versagt haben. Sie haben – unter einem so-
zwischengekommen ist. Die Zahlen, die wir heute ver-
zialdemokratischen Finanzminister – dafür gesorgt, dass
zeichnen können, sind aber ganz einfach: 60 Milliarden
Griechenland in die Euro-Zone aufgenommen wurde,
Euro an neuen Schulden in diesem Jahr, im nächsten
obwohl Sie genau wussten, dass die Daten nicht stimm-
Jahr werden es 57,5 Milliarden Euro sein, im Jahre 2012
ten. Wir haben das jetzt wiedergutzumachen. Das sind
über 40 Milliarden Euro und 2013 über 30 Milliarden
Ihre Fehler gewesen.
Euro. Diese Regierung macht neue Schulden in Höhe
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) von fast 200 Milliarden Euro.
Ich gebe zu – damit habe ich kein Problem –: Auch In der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland
diese Regierung hat Fehler gemacht, gerade zu Beginn. wurde in keiner Legislaturperiode ein solcher Schulden-
Eines ist aber klar – ich glaube, auch den Bürgern wird berg angehäuft. Sie hingegen kündigen das schon jetzt
das inzwischen klar –: Zu dieser Koalition gibt es trotz- an. Das ist die Realität.
dem keine Alternative; denn die Alternative wäre Rot-
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
Rot-Grün,
neten der SPD)
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Herr Schäuble löst Herrn Waigel als Schuldenminister
(B) und wir sehen gerade in Nordrhein-Westfalen und an- ab. Das ist die schlichte Realität. (D)
derswo – der Herr Präsident musste heute einige von den
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Da hat es aber
Linken ausschließen –, wohin das führt.
keine solche Krise gegeben!)
Herr Gabriel hat davon gesprochen, dass diese Regie-
Herr Schäuble ist der Schuldenminister. Das, was Sie
rung für die Opposition keine große intellektuelle He-
hier im Plenum immer postulieren, ist weder nachhaltig
rausforderung bedeute. Das hat man bei Ihren Reden ge-
noch verantwortungsbewusst und auch nicht solide. Sie
merkt. Schade; Sie hätten sich mehr Mühe geben sollen.
verfrühstücken mit Ihrer Politik die Einnahmen des Jah-
Ich kann nur sagen: Wir gehen einen unbequemen res 2040. Das ist die Zukunft unserer Kinder und Enkel.
und anstrengenden Weg, einen Weg, der nicht einfach
ist. Man bekommt wenig Beifall dafür. Ich habe hier in der Debatte – das ist völlig absurd –
von mindestens vier Leuten von der FDP – zum Beispiel
(Manfred Zöllmer [SPD]: Mir kommen die Frau Homburger, Frau Winterstein und Frau Piltz – den
Tränen!) wunderschönen Satz gehört: Kinder können nicht auf
Schuldenbergen spielen. – Dieser Satz ist richtig klasse.
Ich sage Ihnen aber auch: Kommende Generationen wer-
den es uns danken. (Beifall bei der FDP)
Herzlichen Dank. Handlungsmaxime dieser Regierung ist er aber eben
überhaupt nicht.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Otto Fricke [FDP]: Ach nein, deshalb be-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: schweren Sie sich, dass wir sparen!)
Das Wort hat nun Dietmar Bartsch für die Fraktion Das ist die Realität. Im Gegenteil: Sie betreiben Raub-
Die Linke. bau an der Zukunft unseres Landes und verengen die
(Beifall bei der LINKEN) Handlungs- und Gestaltungsspielräume durch Ihre
Schuldenaufnahme. Sie häufen nämlich Schuldenberge
an. Das ist die Realität.
Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
Koppelin hat eben davon gesprochen, dass Schulden ab- neten der SPD – Norbert Barthle [CDU/CSU]:
gebaut werden. Das ist mir hier im Haushalt wirklich Reden Sie über Berlin oder worüber reden
nicht aufgefallen. Daneben soll das Wachstum von der Sie?)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6297
Dr. Dietmar Bartsch
(A) Frau Merkel hat ja recht: Jeder fünfte Euro wird für Ich möchte daran erinnern: Ihre Koalition, insbeson- (C)
den Schuldendienst eingesetzt. Herr Schäuble, was pas- dere die FDP, hat im vorigen Jahr – das ist noch gar nicht
siert eigentlich, wenn die Zinsen ansteigen? Das ist ja so lange her; da war noch Wahlkampf – gesagt: Das ist
nicht völlig ausgeschlossen. Was tun Sie eigentlich, die Koalition mit Wirtschafts- und Finanzkompetenz. –
wenn wir hier in die Situation kommen, dass wir völlig Dann fiel der Spruch von der FDP, den ich sehr oft ge-
neue Aufgaben bewältigen müssen? hört habe: Wir wollen ein Steuersystem, das einfach,
niedrig und gerecht ist. – Was ist dabei herausgekom-
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Bezahlen natür-
men? Es ist die Entlastung der großen Hoteliers heraus-
lich!)
gekommen, die Mövenpick-Steuer, und Sie haben die
Als wenn das alles nicht schon schlimm genug wäre, großen Erben entlastet. Das ist die Realität. Das ist steuer-
müssen wir auch noch konstatieren, dass es nicht nur ei- politischer und haushaltspolitischer Unfug gewesen,
nen, sondern diverse Schattenhaushalte gibt. ohne Wenn und Aber. Deswegen: Einfach, niedrig und
gerecht sind die Umfrageergebnisse der FDP, und das ist
(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie
gut so.
wollen doch noch mehr Geld ausgeben!)
(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie
Über diese hat niemand hier vor laufender Kamera ir-
bei Abgeordneten der SPD)
gendein Wort verloren. Ich möchte nur noch einmal da-
ran erinnern: Im vergangenen Jahr haben wir den Ban- Sie sagen, mit dem Haushalt werde die Wirtschaft an-
kenrettungsschirm gemessen belastet. Aber niemand glaubt doch ernsthaft,
(Otto Fricke [FDP]: Sie wollen doch noch dass die Luftverkehrsteuer die Wirtschaft belastet. Sie
mehr Geld ausgeben!) alle sagen, dass diese Kosten selbstverständlich in Rich-
tung Passagiere weitergegeben würden. Ich bin nicht ge-
– ich komme noch dazu – mit 480 Milliarden Euro be- gen die Luftverkehrsteuer; das ist überhaupt nicht die
schlossen. Inzwischen schaut es bei den Sondervermögen Frage. Sie haben diese Steuererhöhung beschlossen, und
folgendermaßen aus: Der Finanzmarktstabilisierungs- ich finde sie vernünftig. Aber sagen Sie nicht, Sie wür-
fonds umfasst 36 Milliarden Euro, der Investitions- und den die Wirtschaft belasten. Das ist schlicht die Unwahr-
Tilgungsfonds 7,5 Milliarden Euro und der Euro-Rettungs- heit.
schirm fast 150 Milliarden Euro. Für Griechenland sind
über 20 Milliarden Euro vorgesehen. Noch unwahrer ist es bei der Brennelementesteuer.
Herr Barthle, es ist richtig, wenn gesagt wird, dass Sie
(Otto Fricke [FDP]: Ist das Geld ausgegeben den Energiekonzernen Geld hinterherwerfen. Das ist die
oder nicht?) Realität.
(B) (D)
– Das weiß ich doch, Herr Fricke; keine Belehrungen. – (Beifall bei der LINKEN – Norbert Barthle
Das alles sind Schattenhaushalte, und es besteht die Ge- [CDU/CSU]: Im Gegenteil!)
fahr, dass dieses Geld weg ist. Das ist die Realität.
Sie haben einen Deal mit den Energiekonzernen ge-
(Beifall bei der LINKEN) macht. Die Regierung hat eben keine angemessene Be-
Ich möchte an dieser Stelle nur eine Sache zur HRE teiligung der Wirtschaft bei der Überwindung der Krise
sagen: In der letzten Woche haben wir festgestellt, dass auf den Zettel genommen. Das ist unsere Hauptkritik.
die HRE offensichtlich ein Fass ohne Boden wird. Ein Markenzeichen Ihrer Politik ist, dass Sie die wirk-
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das ist doch lich Vermögenden nicht zur Kasse bitten. Damit spalten
eine Irreführung der Öffentlichkeit!) Sie das Land. Ich möchte noch einmal an die Zahlen er-
innern: Im letzten Jahr – das war das große Krisenjahr –
Die inzwischen über 140 Milliarden Euro für Hilfen und hatten wir beim Bruttoinlandsprodukt minus 5 Prozent.
Garantien umfassen, wie Sie alle wissen, den halben In diesem Jahr ist die Zahl der Vermögensmillionäre in
Bundeshaushalt. Deutschland relevant um 6,4 Prozent auf 861 700 gestie-
(Otto Fricke [FDP]: Wie viel ist garantiert?) gen. Sie sind nicht in der Lage, auch nur mit einer Maß-
nahme an die Reichen und Superreichen dieser Gesell-
Das ist die Realität. Ich erinnere mich noch: Herr schaft zu gehen. Sie schonen die privaten Geld- und
Steinbrück kam einmal in die Fraktion der Linken und Immobilienvermögen. Das ist inakzeptabel, meine Da-
hat bei der ersten Tranche von 25 Milliarden Euro ge- men und Herren von der Regierungskoalition.
sprochen. Danach sei aber wirklich Schluss, kein Euro
mehr, meinte er. Die Realität ist 140 Milliarden Euro, ein (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
Fass ohne Boden. neten der SPD)
Das Problem ist folgendes: An einem Wochenende Sie sagen zu Recht, eine Haushaltskonsolidierung
beschließen Sie weitere 40 Milliarden Euro am Parla- müsse mit Zukunftsinvestitionen verbunden werden.
ment vorbei. Es ist doch völlig klar, dass die Menschen Völlig d’accord. Ja, wir müssen investieren, wir müssen
dann sagen, das am Parlament vorbei und nach Gutsher- viel mehr machen. Mehr Geld für Bildung ist grundsätz-
renart zu tun, habe mit Demokratie nichts zu tun. Aber lich ein richtiger Ansatz. Aber das, was Frau Schavan
genau das tun Sie bei der HRE, und leider ist es so, dass vorgelegt hat, ist letztlich halbherzig und ein Ausdruck
letztlich Rentner und Steuerzahler für diese Summen zur der Kräfteverhältnisse in der Koalition. Insgesamt ist
Kasse gebeten werden. dieser Haushaltsentwurf vor allem auch Politik zulasten
6298 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Dr. Dietmar Bartsch


(A) der Länder und Kommunen. Das, was Sie hier beschlie- War Helmut Kohl etwa ein Linksradikaler? (C)
ßen, ist die Realität: Sie produzieren neue Haushalts-
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der
löcher.
LINKEN – Otto Fricke [FDP]: Wer hat den
Weil wir vorhin die Debatte dazu geführt haben, Steuersatz gesenkt?)
möchte ich eines noch deutlich hervorheben: Das, was – Ja, die Sozialdemokraten. Aber jetzt muss man ihn er-
Sie bei der Kürzung der Städtebauförderung machen höhen.
– mir muss einmal jemand erklären, wie man auf eine
solche Idee kommen kann –, ist grandios falsch. Dass (Otto Fricke [FDP]: Und wer hat ihn gesenkt?)
Sie die Mittel für die energetische Gebäudesanierung
Diese Krise hat uns nämlich vor andere Herausforderun-
streichen, ist grandios falsch. Das sind Zukunftsinvesti-
gen gestellt.
tionen. Hier muss trotz klammer Kassen eher noch etwas
draufgelegt werden. Korrigieren Sie das im Laufe der Die Finanztransaktionsteuer ist bereits mehrfach er-
Haushaltsberatungen! Unsere Unterstützung haben Sie wähnt worden. Hier haben Sie unsere volle Unterstüt-
dafür in jedem Fall. zung. Ich habe allerdings manchmal das Gefühl, dass Sie
dieses Vorhaben nicht mit vollem Enthusiasmus ange-
(Beifall bei der LINKEN) hen. Tun Sie das, Herr Schäuble! Ich wäre dafür. Die
Im Übrigen widerspricht das sogar Ihrem eigenen Unterstützung der Linken haben Sie. Das wird Ihnen auf
Koalitionsvertrag. Lesen Sie einmal nach, was Sie dort europäischer Ebene wirklich helfen.
zu diesen beiden Punkten geschrieben haben. Da steht (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)
nämlich etwas anderes. Sie verletzen also Ihren eigenen
Koalitionsvertrag. Mein nächster Punkt. Mit der Entlastung von Erben
großer Vermögen haben Sie zu Beginn dieser Legislatur-
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Na! Sauerei!) periode eine Fehlentscheidung getroffen.
Carsten Schneider hat darauf hingewiesen: Was die (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das
Binnenkonjunktur betrifft, ist die Frage des Mindest- war für die Fortführung von Firmen! – Otto
lohns natürlich relevant, ebenso wie die Aufstockerpro- Fricke [FDP]: Sie meinen wohl die mittelstän-
blematik. Ich glaube, das hat die SPD beschlossen. Kann dischen Unternehmen!)
das sein?
Nehmen Sie eine generelle Korrektur der Erbschaft-
(Otto Fricke [FDP]: Jawohl!) steuer vor! Über die Erbschaftsteuer nehmen wir viel zu
Das war ein großer Fehler. wenig Geld ein. Diese 4 Milliarden Euro sind faktisch
(B) nichts. (D)
(Otto Fricke [FDP]: Das sagen ausgerechnet
(Otto Fricke [FDP]: Die kriegt der Bund doch
Sie mit Ihrem Porsche-Aufstocker!)
gar nicht!)
Die Aufstockerproblematik wird durch die Einführung – Das ist mir klar. Herr Fricke, lassen Sie doch die Be-
eines Mindestlohns reduziert, und die Binnennachfrage lehrungen. Ich erkläre Ihnen das alles.
wird gestärkt. Für die Binnennachfrage tun Sie real näm-
lich gar nichts. Die Linke bleibt bei ihrer Forderung: (Otto Fricke [FDP]: Gerne! Aber Sie reden
Diejenigen, die die Krise zu verantworten haben und über die falschen Themen! Bleiben Sie doch
jetzt schon wieder sehr große Gewinne einfahren, müs- beim Haushalt! – Dr. h. c. Hans Michelbach
sen zur Kasse gebeten werden. [CDU/CSU]: Wie groß war eigentlich das
SED-Erbe?)
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
neten der SPD) Wir brauchen eine Reform der Erbschaftsteuer. Nehmen
Sie sich die USA zum Vorbild. Dann erzielen wir Ein-
Das ist in dieser Situation ohne Wenn und Aber notwen- nahmen im zweistelligen Milliardenbereich.
dig. Wir müssen die Einnahmen erhöhen. Herr Barthle,
Ihre Politik, auf der Einnahmeseite um Gottes willen (Beifall bei der LINKEN)
nichts zu tun, ist falsch. Deswegen möchte ich auf einige Die Kernforderung, die die Linke angesichts der
Punkte eingehen. Krise erhebt, ist die Einführung einer Millionärssteuer.
Es ist richtig, den Spitzensteuersatz bei der Einkom- Die Zahl der Vermögensmillionäre habe ich Ihnen ge-
mensteuer zu erhöhen. Er kann etwas später einsetzen; nannt. Was ist denn so schlimm daran, oberhalb eines
aber er muss wieder in Richtung 50 Prozent angehoben Freibetrags von 1 Million Euro eine Steuer in Höhe von
werden. Das ist angesichts dieser Krise notwendig. 5 Prozent zu erheben?

(Otto Fricke [FDP]: Wer war denn das mit dem (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Mein Gott!
Steuersatz?) Das würde ich auch gerne mal wissen!
5 Prozent sind für die doch lächerlich!)
– Wer das mit dem Steuersatz war? Zu Ihrer Regierungs-
zeit bis 1998 lag der Spitzensteuersatz bei 53 Prozent. Dadurch würde niemand verarmen. Für die zweite Mil-
lion müsste ein Betrag von 50 000 Euro gezahlt werden.
(Otto Fricke [FDP], an die SPD gewandt: Die Dadurch würden zweistellige Milliardenbeträge in die
haben ihn gesenkt!) öffentlichen Haushalte fließen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6299
Dr. Dietmar Bartsch
(A) (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Ja, ja! Das Diejenigen, die nicht gearbeitet haben, bekommen (C)
glauben Sie!) 300 Euro Elterngeld. Die Millionärsgattin bekommt El-
terngeld. Aber bei denjenigen, die nur ganz wenig ha-
Das ist die Realität. ben, streichen Sie. Ich kann Ihnen nur raten: Überdenken
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ge- Sie diese Entscheidung. Diese Maßnahme ist zutiefst un-
nau! – Otto Fricke [FDP]: Sie haben übrigens sozial. Sie trifft die Kinder und ist mit dem Ausdruck
gerade aus Vermögensmillionären Einkom- „christlich“ keinesfalls zu verbinden.
mensmillionäre gemacht! Das merken Sie aber (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
gar nicht!) neten der SPD)
Wir haben doch die völlig kuriose Situation, dass das Genauso verhält es sich im Übrigen mit dem Heizkos-
Volumen der Sparvermögen selbst im Krisenjahr 2009 tenzuschuss. Sie führen die Begründung an, die Energie-
um 200 Milliarden Euro gestiegen ist. Warum schöpfen kosten seien gesunken, und sagen, deswegen hätten sie
wir da nicht etwas ab? Das wäre angesichts der Situation ihn in etwa halbiert. Wenn Sie ihn halbiert hätten, wäre
notwendig. das noch nachzuvollziehen. Aber Sie streichen ihn gänz-
(Beifall bei der LINKEN) lich. Wieder sind es die sozial Schwächsten der Gesell-
schaft, bei denen Sie total „mutig“ sind. Natürlich ver-
Zu den Militärausgaben, zu denen ich sehr viel sagen handeln Sie mit denen auch nicht, anders als mit den
könnte, möchte ich mich jetzt nicht äußern. Energiekonzernen. Die Konzerne laden Sie sonntags ein,
dann schließen Sie einen Deal, und am Ende kommt ir-
Mich hat sehr gefreut, dass die Bonn/Berlin-Frage gendeine Summe heraus. Warum reden Sie nicht auch
auch von Abgeordneten der Union und der FDP ange- mit denjenigen, die von dieser Maßnahme betroffen
sprochen worden ist. sind, oder warum gelangen Sie nicht durch die Debatten
(Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Na, im Parlament zu der Erkenntnis, dass die Richtung Ihrer
na, na!) Politik eine grundsätzlich falsche ist?

– Ich unterstütze das sehr, Herr Westerwelle. Ich unter- (Beifall bei der LINKEN – Norbert Barthle
stütze es sehr, wenn endlich die Zusammenführung der [CDU/CSU]: Machen Sie doch mal vernünf-
Bundesregierung hier in Berlin erfolgt. tige Sparvorschläge! Dann reden wir weiter!
Ich höre immer nur etwas von Einnahmever-
(Otto Fricke [FDP]: Die ist doch schon da!) besserungen!)
Es ist grundsätzlich falsch, bei den sozial Schwächsten
(B) Das wäre auch eine Sparmaßnahme. (D)
zu sparen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich mache Ihnen gerne Sparvorschläge. Nehmen wir
Die Linke ist auf der Seite derjenigen, die dies vorschla- doch nur den Militärhaushalt. Wie finden Sie die Idee,
gen. den Transportflieger A400M zu streichen? Das würde
(Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Wir 9 Milliarden Euro ausmachen.
sind doch in Berlin! Hier sitzen wir!) (Otto Fricke [FDP]: Aha! In 2011?)
– Herr Westerwelle, Sie wissen doch, dass nach wie vor Wie denken Sie über den Eurofighter? Damit könnten
sechs Ministerien in Bonn sind. wir 10 Milliarden Euro einsparen.
(Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Ja! Wie könnten wir über eine Reform der Wehrpflicht
Das war doch nur ein Scherz! Der ist mir so – wir sind für die Abschaffung – dahin kommen, dass in
rausgerutscht!) diesem Bereich weniger Geld ausgegeben wird? Warum
denken Sie nicht darüber nach, die Auslandseinsätze
Das ist falsch. Alle Ministerien sollten nach Berlin um- wirklich zurückzufahren? Für den Afghanistan-Einsatz
ziehen. Sie können am Wochenende trotzdem in Ihre zahlen wir 1 Milliarde Euro. Das alles sind unsinnige
Heimat nach Bonn fahren; das verwehrt Ihnen ja nie- Geldausgaben.
mand.
(Beifall bei der LINKEN)
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Wo ist eigentlich Ihre Heimat, Herr Die Linke hat in den Beratungen reichlich Sparvor-
Bartsch?) schläge gemacht und wird dies auch weiter fortsetzen.
Ich würde auch gerne auf das Liberale Sparbuch der
Zu den Maßnahmen, die Sie durchgeführt haben, will FDP zurückkommen. Wie viele Staatssekretäre sollten
ich ein paar Bemerkungen machen. Mir muss einmal je- eingespart werden?
mand von der Union erklären, wie die Streichung des
Elterngeldes für Hartz-IV-Empfänger mit dem Adjektiv (Zurufe von der SPD: Ah!)
„christlich“ zu verbinden ist. Es ist leider kein einziger eingespart worden. Dabei bin
ich zutiefst davon überzeugt, dass man sich einige wirk-
(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Oh!
lich sparen könnte.
Wenn Sie von „christlich“ reden, ist Vorsicht
geboten!) (Otto Fricke [FDP]: Wen denn?)
6300 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Dr. Dietmar Bartsch


(A) – Ich sage Ihnen auch Namen, Herr Fricke, kein Pro- ten mit der Konsolidierung des Haushaltes nämlich (C)
blem. schon sehr viel weiter sein.
(Otto Fricke [FDP]: Ja! Sagen Sie es!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich will etwas ansprechen, das mir wichtig ist, weil Ganz besonders vergnüglich, Herr Koppelin, finde ich
mit diesem Haushalt auch die Problematik der Ost- den Vorwurf an die Opposition, dass wir immer Steuer-
West-Spaltung vertieft wird: Die Sozialkürzungen pro einnahmen erzielen wollten, die wir gleich wieder aus-
Einwohner sind in den neuen Ländern mit 76 Euro dop- geben wollten. Sie haben mit der Hoteliersteuer keine
pelt so hoch wie in den alten Bundesländern, wo sie etwa Einnahmen generiert, sondern gleich Steuerlöcher ge-
36 Euro betragen. Das sollten Sie sich auf der Zunge zer- schaffen.
gehen lassen, meine Damen und Herren. Wir wollen (Otto Fricke [FDP]: Ein neues Argument!)
doch nicht, dass 20 Jahre nach der deutschen Wiederver-
einigung die Menschen im Osten noch als Menschen Auch das macht vielleicht den Unterschied zur FDP aus.
zweiter Klasse betrachtet werden. Deswegen muss man (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sich, wenn es um Einsparungen geht, auch diesen Aspekt sowie bei Abgeordneten der SPD)
vor Augen führen.
Wir wissen auch, dass die Verschuldung des Bundes
Wir haben im Osten weiterhin fast doppelt so hohe gigantische 1,045 Billionen Euro beträgt und dass inzwi-
Arbeitslosenzahlen und eine geringere Wirtschaftskraft schen jeder fünfte Euro im Bundeshaushalt für Zinsen
als im Westen. Deshalb kann man in dieser Situation ausgegeben wird. Wir wissen aber auch, dass die Regie-
dort nicht besonders hohe Einsparungen vornehmen. rung mit dem Finanzplan bis zum Jahr 2014 nur die
Denn auch das vertieft die Spaltung in diesem Lande. Hälfte des Weges aufgezeigt hat, wie die Schulden-
(Beifall bei der LINKEN) bremse eingehalten werden kann, und zudem im Finanz-
plan einen Haufen Luftbuchungen vorgenommen hat.
Frau Merkel hat in ihrer Rede am Mittwoch viel über
Zusammenhalt gesprochen. Ich halte es grundsätzlich (Otto Fricke [FDP]: Sie hätten gerne kommu-
für einen richtigen Ansatz, dieses Substantiv und die da- nistische Vierjahrespläne!)
mit verbundene Problematik in den Mittelpunkt zu stel- Als globale Minderausgabe sind für das Jahr 2014
len. Realität ist aber, dass dieser Haushalt nicht den Zu- 5,6 Milliarden Euro veranschlagt. An Kürzungen der
sammenhalt fördert; er ist vielmehr durch und durch ein Verwaltungsausgaben sind für das Jahr 2014 3,9 Mil-
Haushalt für Lobbyisten. Er richtet sich gegen Arbeits- liarden Euro vorgesehen, und die Einsparungen durch
lose, Familien und Kinder. Er ist unsozial, ungerecht und die Streitkräftereform, die auch noch nicht hinterlegt ist, (D)
(B)
unsolide. sind mit 3 Milliarden Euro veranschlagt. Damit kommen
wir auf 12,5 Milliarden Euro, die sehr wackelig sind.
(Beifall bei der LINKEN)
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Jetzt warten Sie
Nehmen Sie die Vorschläge der Opposition an, damit doch mal ab! Darüber reden wir 2013!)
Deutschland gerechter wird!
Hinzu kommen Schattenhaushalte und möglicherweise
Danke schön. steigende Zinslasten. Sie häufen damit eine Hypothek
(Beifall bei der LINKEN) auf, die Sie der neuen Regierung vor die Füße kippen.
Aber ich sage Ihnen: Wir nehmen die Herausforderung
an. Wir werden es schaffen, die Tendenz hin zu einer so-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: zialen, ökologischen und finanziellen Verschuldung, die
Das Wort hat nun Kollegin Priska Hinz für die Frak- Sie vorantreiben, umzukehren. Wir werden in der nächs-
tion Bündnis 90/Die Grünen. ten Regierung bessere Finanzpläne vorlegen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Widerspruch bei der CDU/CSU – Otto Fricke
NEN): [FDP]: So wie in NRW! Da kann man es ge-
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr nau sehen!)
Barthle und Herr Koppelin, es war zu erwarten, dass Sie
sich und die gesamte Koalition heute wie schon die – Es ist mir klar, dass es Sie aufregt, dass wir die nächste
ganze Woche rühmen, welch tollen Sparhaushalt Sie Regierung übernehmen wollen. Aber Sie werden schon
vorgelegt haben und wie hervorragend Sie das Problem sehen, wie wir das schaffen.
der Schuldenbremse lösen. Ich will aber kurz daran er- Herr Schäuble, Sie haben bei der Einbringung des
innern, dass Sie Anfang des Jahres ein Schuldenbe- Haushalts darauf hingewiesen, dass es eine hohe Zustim-
schleunigungsgesetz verabschiedet haben mung in der Bevölkerung zum Sparkurs gibt. Das ist
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Ein Wachs- richtig; darin stimme ich Ihnen zu. Aber die Bevölke-
tumsbeschleunigungsgesetz!) rung will auch, dass es gerecht zugeht. Die Bürgerinnen
und Bürger haben derzeit überhaupt nicht das Gefühl
und dass Sie dann bis zur NRW-Wahl abgetaucht sind, und sind nicht der Meinung, dass diese Regierung in der
als es um die Reduzierung der Nettoneuverschuldung Lage ist, eine gerechte Steuerpolitik zu machen und ei-
und die Einhaltung der Schuldenbremse ging. Wir könn- nen gerechten Sparkurs zu fahren, weil zwei Drittel der
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6301
Priska Hinz (Herborn)
(A) Belastungen im Sozialbereich verankert werden und nur geln. Hier werden wir Ihnen ebenfalls auf die Sprünge (C)
ein Drittel der Belastungen auf die Wirtschaft zukommt. helfen, meine Damen und Herren.
(Otto Fricke [FDP]: Das sind doch Ihre (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Steuersätze!)
Sie erhöhen aber nicht nur die soziale Verschuldung
Das ist nicht gerecht. Das können Sie nicht einfach mit in diesem Haushalt, sondern Sie treiben mit der Kürzung
der allgemeinen Aussage wegwischen, auch die Bevöl- der Mittel für das Gebäudesanierungsprogramm und mit
kerung wolle sparen. Vielmehr müssen Sie aufzeigen, der Kürzung beim internationalen Klimaschutz auch die
wie es gerecht zugehen kann. Wir machen das in unseren ökologische Verschuldung voran. Sie sind nicht gut bei
Vorschlägen immer. dem Thema der ökologischen Modernisierung in die-
sem Land. Sie schaden aber nicht nur dem Klima. Sie
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schaden der Wirtschaft, und Sie schaden mit solchen
Sie streichen über 30 Milliarden Euro bei den Ärms- Kürzungsorgien dem Handwerk. Frau Flach hat gestern
ten und Arbeitslosen: beim Heizkostenzuschuss, beim angekündigt, dass die steuerliche Forschungsförderung
Wohngeld und beim Elterngeld für Langzeitarbeitslose. nicht mehr stattfinden wird.
In der gestrigen Debatte über die Sozialpolitik wurde (Klaus Hagemann [SPD]: Genau!)
über das Lohnabstandsgebot philosophiert. Sie sind bis-
lang nicht in der Lage, das Problem mit dem Lohnab- Das hat das BMBF uns schon vor ein paar Wochen er-
standsgebot durch die Einführung eines Mindestlohns zu zählt. Jetzt erklärt es auch die FDP. Auch hier ist Fehl-
lösen. Das wäre das Gebot der Stunde. anzeige, was das Thema ökologische und technologische
Modernisierung der kleinen und mittleren Unternehmen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in diesem Land angeht. Gerade hier wäre es aber not-
Sie verschieben auch noch zulasten der Zukunft und der wendig, Mittel einzusetzen, damit das Innovationspoten-
Kommunen, indem Sie die Streichung des Rentenbei- zial der Wirtschaft gehoben wird, weil eine ökologische
trags für die Arbeitslosengeld-II-Empfänger im Haushalt Modernisierung auf breiten Füßen stehen muss. Das ist
verankert haben. Das heißt, dass die Arbeitslosen ihre zum einen durch Programme zu erreichen. Zum anderen
Armut im Alter fortsetzen und die Kommunen als Träger ist das durch steuerliche Forschungsförderung zu errei-
der Grundsicherung dies künftig bezahlen müssen. So chen, damit die KMUs überhaupt die Möglichkeit haben,
sieht Ihre Haushaltspolitik aus; so sieht Ihre Konsolidie- sich auf diesem Feld zu betätigen.
rung aus. Das ist nicht in Ordnung, weil das eine falsche (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Prioritätensetzung ist.
(B) Ich komme nun zum Werbeblock für die Atomindus- (D)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN trie, den Sie, Frau Merkel, Herr Brüderle und Herr
sowie bei Abgeordneten der SPD) Röttgen, in dieser Woche mit Leben gefüllt haben. Auch
Der letzte Tag der Wirtschafts- und Finanzkrise wird der Bundesfinanzminister hat bei der Einbringung des
der erste Tag des Fachkräftemangels sein. Schon jetzt Bundeshaushaltes dazu gesprochen. Sie versuchen, den
fehlen Ingenieure und Pflegekräfte. Was tun Sie gerade schmutzigen Deal mit der Atomlobby kleinzureden, und
in diesem Bereich? Sie kürzen die Mittel für die Wieder- zwar die ganze Woche lang.
eingliederungsmaßnahmen. Aber gerade die Langzeit- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das nehmen Sie
arbeitslosen brauchen Möglichkeiten der Umschulung zurück! – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist
und der Weiterbildung und kein Streichkonzert. Notwen- ein Begriff aus der Drogenszene!)
dig wäre, dass die Bundesregierung im Ganzen ein Wei-
terbildungskonzept hätte. Aber auch im Bereich des Bil- – Herr Kauder, das haben Sie die ganze Woche lang ver-
dungsministeriums wird gespart, und zwar unter sucht, aber das wird Ihnen nicht gelingen;
anderem 20 Prozent bei der Weiterbildung. 20 Prozent!
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Zwar bleibt noch immer viel Geld übrig. Aber das wird
falsch ausgegeben. Da, wo Sie sparen, sparen Sie unge- denn Fakt ist, dass Sie den Atomkonzernen für ihre
recht. Das ist keine sinnvolle Haushaltspolitik. Wir ha- Laufzeitverlängerungen 100 Milliarden Euro an Zusatz-
ben Ihnen ein Konzept vorgelegt, aus dem hervorgeht, gewinnen schenken.
wie in drei Jahren 1 Million Weiterbildungsangebote
durch das Bildungsministerium geschaffen werden kann, (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Auch das
und zwar sowohl im Umschulungsbereich als auch im stimmt nicht!)
Bereich der Weiterbildung. Sie verschärfen dagegen den – Herr Barthle, die Brennelementesteuer wollen wir
Fachkräftemangel, anstatt ihm zu begegnen. schon seit vielen Jahren einführen, aber ohne Laufzeit-
Des Weiteren kommt hinzu: Sie brauchen vier Minis- verlängerung,
ter, die permanent Pressekonferenzen geben – Herr de (Otto Fricke [FDP]: Aber?)
Maizière, Frau Schavan, Frau von der Leyen und der all-
gegenwärtige Herr Brüderle –, um über eine Lösung des weil wir der Meinung sind, dass die Atomindustrie na-
Problems der Zuwanderung zu diskutieren. Aber Sie türlich auch in der Frage der Endlagersuche und in der
schaffen es nicht, eine Einigung herzustellen und in die- Frage, wie Müll entsorgt werden soll, beteiligt werden
sem Land die Zuwanderung für Hochqualifizierte zu re- muss.
6302 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Priska Hinz (Herborn)


(A) (Otto Fricke [FDP]: Wer hat das verhindert? (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie (C)
Wahrscheinlich Trittin! – Norbert Barthle der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])
[CDU/CSU]: Ihr redet, wir machen!)
Auch wir sind der Meinung, dass wir Strukturrefor-
Meine Damen und Herren, es kann doch wohl nicht men brauchen. Die Bundessteuerverwaltung ist schon
sein, dass es einen Deal am Parlament vorbei gibt und angesprochen worden. Es gibt weitere Bereiche. Weil
dass man die Zahlungen in den Fonds, den Sie jetzt im- wir einen handlungsfähigen Staat wollen und für eine
mer so in den Mittelpunkt stellen, dadurch reduzieren gerechte Steuerpolitik sorgen wollen, kämpfen wir für
kann, dass man in den einzelnen Atomkraftwerken Si- die Erhöhung des Spitzensteuersatzes, für eine gerechte
cherheitsauflagen erfüllt. Erbschaftsteuer und für eine Finanztransaktionsteuer auf
europäischer Ebene. Das ist die Alternative zur unsozia-
(Otto Fricke [FDP]: Die Sie nicht wollen!) len Politik von Schwarz-Gelb. Wir werden Ihnen in die-
– Wir wollen Sicherheitsauflagen, aber wir wollen kei- sen Haushaltsberatungen aufzeigen, wie man einen Zu-
nen Rabatt auf Sicherheit. Wir wollen nicht, dass sich kunftshaushalt aufstellen kann.
die Atomindustrie von Sicherheitsauflagen freikaufen Danke schön.
kann.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – sowie bei Abgeordneten der SPD)
Otto Fricke [FDP]: Jetzt auf einmal! – Weitere
Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Meine Damen und Herren, Herr Barthle, das, was an Das Wort hat nun der Bundesminister der Finanzen,
Zahlungen in den Fonds hineingeht, hat die Atomindus- Wolfgang Schäuble.
trie nach einer Betriebslaufzeit von drei Wochen wieder
raus. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das sollten Sie Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
sich einmal genau ansehen!) zen:
Das ist der Deal, den Sie mit der Atomindustrie gemacht Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
haben. Herren! Die erste Lesung des Entwurfs des Bundeshaus-
halts 2011 geht ihrem Ende entgegen. Ich will doch in
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dieser Debatte, nachdem ich den Rednerinnen und Red-
Und der Bundesumweltminister? Der Bundesumwelt- nern der Opposition sorgfältig zugehört habe, daran erin-
(B) minister saß während dieses Deals draußen vor der Tür. nern: Wir kommen aus der schwersten Wirtschaftskrise, (D)
Das muss man sich einmal vorstellen. aus dem schwersten wirtschaftlichen Einbruch, verur-
sacht durch die Finanz- und Bankenkrise von vor zwei
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Jahren. Deswegen haben wir höhere Defizite, als wir in
NEN]: Nein! Der hat geschlafen!) der mittelfristigen Finanzplanung unterstellt haben. Es
– Ja, vielleicht hat er vor der Tür oder zu Hause geschla- tut mir ein bisschen leid, Herr Kollege Bartsch. Es ist zu
fen, das ist mir auch egal. Wenn man als Bundesumwelt- einfach, zu sagen, Frau Merkel habe für 2011 ein Defizit
minister aber ein bisschen Selbstachtung hat, dann dürfte von null angekündigt. Klar, in der mittelfristigen Finanz-
man so etwas nicht nur nicht mitmachen, dann müsste planung stand es so, aber inzwischen hat sich die Welt
man eigentlich zurücktreten, meine Damen und Herren. ein wenig verändert.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Otto Fricke [FDP]: Es ist schwer, denen das
klarzumachen!)
In jedem Fall ist dies die dreisteste Klientelpolitik, die
das Land jemals gesehen hat. Das ist neben der sozialen Ich habe bisher nicht gehört, dass irgendjemand in die-
Schieflage und dem ökologischen Rückschritt das Be- sem Hause infrage gestellt hat, dass es richtig war, unter
merkenswerteste, was wir in dieser Haushaltswoche zu Inkaufnahme exorbitant hoher Defizite die schlimmen
diskutieren haben. Auswirkungen dieser Wirtschaftskrise, insbesondere auf
dem Arbeitsmarkt, zu bekämpfen. Deswegen sollten Sie
(Zuruf von der FDP) nicht in einer so billigen und demagogischen Weise zwei
Tage später so etwas tun.
Wir werden Ihnen in den Haushaltsberatungen zeigen,
dass es ganz anders gehen kann, dass man den Haushalt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
konsolidieren und trotzdem mehr in Klimaschutz, Bil-
Eine zweite Bemerkung: Wenn man der Opposition
dung und soziale Gerechtigkeit investieren kann. Wir ha-
zuhört, klingt es so, als würden wir nicht genügend kon-
ben die Möglichkeit, ökologisch schädliche Subventio-
solidieren, wenn wir aber konsolidieren, dann angeblich
nen zu streichen, und zwar, wie das Umweltbundesamt
an der falschen Stelle. Die Kunst ist, dass wir so konsoli-
sagt, in einer Höhe von über 40 Milliarden Euro.
dieren, dass wir die Chance für eine nachhaltige wirt-
Wir gehen noch nicht einmal so stark heran. Wir sa- schaftliche Aufwärtsbewegung nicht zerstören, sondern
gen, dass im ersten Jahr 12 Milliarden Euro ausreichen. fördern. Das nennt man wachstumsfreundliche Defizit-
Auch das wäre ein erklecklicher Teil, der zur ökologi- reduzierung. Die ist international vereinbart. Es ist viel
schen Modernisierung des Landes beitragen würde. bezweifelt worden, ob das geht. Die Bundesrepublik
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6303
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
(A) Deutschland beweist zurzeit zur Überraschung vieler in reinigt um das BA-Darlehen, um 1 Milliarde Euro sin- (C)
der Welt, dass es möglich ist. ken. Dann kann man eben nicht sagen, das sei 2010
konjunkturbedingt gewesen; denn der gesamte Konjunk-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
turteil – das wissen Sie – liegt separat im Sondervermö-
Damit wird der Instrumentenkasten für die nachhaltige gen „Investitions- und Tilgungsfonds“.
Reduzierung der zu hohen Defizite ein bisschen kleiner.
(Otto Fricke [FDP]: Aber die Gesamtausgaben
Die Vorstellung, man könne einfach beliebig Steuern er-
sinken doch auch!)
höhen
Deswegen müssen wir die bereinigten Zahlen 2010 mit
(Joachim Poß [SPD]: Das will keiner!)
denen für 2011 vergleichen, und da sinkt der Investi-
– ich komme gleich dazu –, hat wenig mit der wirtschaft- tionsanteil.
lichen Überzeugung zu tun, dass wir alles daransetzen
müssen, den Weg aus der Krise zu finden. Im letzten Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
Jahr ist das Bruttoinlandsprodukt um 4,7 Prozent zu- zen:
rückgegangen. Wenn das Bruttoinlandsprodukt in die- Herr Kollege Schneider, wenn Sie die Investitionen
sem Jahr wirklich um 3 Prozent steigt, dann liegen wir mit dem Gesamtvolumen des Haushalts vergleichen,
immer noch deutlich unter dem Niveau von 2008. Des- dann werden Sie feststellen, dass Sie nicht recht haben.
wegen müssen wir bei allem, was wir tun, die wirtschaft- Zum ersten Mal legen wir einen Haushalt vor, bei dem
lichen Auswirkungen mit bedenken. Daran führt kein die Ausgaben kontinuierlich von Jahr zu Jahr sinken.
Weg vorbei. Deswegen sind die meisten Instrumente, die
Sie uns vorschlagen, völlig ungeeignet, wenn wir eine (Otto Fricke [FDP]: Eben!)
wachstumsfreundliche und beschäftigungsfreundliche Das ist der Schlüssel für eine nachhaltige Defizitreduzie-
Defizitreduzierung vornehmen wollen. rung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist das!)
Es kommt noch etwas hinzu – das will ich für Ihre Ar- Wir haben bei unserem Zukunftspaket die investiven
gumentationslinien für die weiteren Beratungen doch Ausgaben sehr bewusst geschont, so gut es irgend ging.
noch einmal anmerken –: Wenn man Defizite reduzieren Natürlich haben wir im Bereich der disponiblen Mittel
will, muss man auch die Kraft haben, Leistungen, die in bei den Einzelplänen eine gewisse Vorgabe gemacht. Die
einer besonderen Situation vorübergehend eingeführt muss jedes Ressort in seiner eigenen Verantwortung er-
worden sind, dann, wenn die Voraussetzungen nicht füllen. Darüber wird es im Einzelnen noch Debatten ge-
(B) mehr gegeben sind, wieder zurückzunehmen. Deswegen, ben, auch im Zuge der weiteren Haushaltsplanung. Aber (D)
Herr Kollege Schneider, mit allem Respekt: Der Ver- insgesamt ist unser Konsolidierungskurs ein wachstums-
gleich der Investitionsquoten ohne Berücksichtigung freundlicher, der die Investitionen schont. Die Investitio-
dessen, dass das Konjunkturprogramm ausläuft, ist ein- nen in Bildung und Forschung haben wir sogar erhöht.
fach ein irreführender.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Die sind se- Weil Sie die Bemerkung gemacht haben, Herr Kol-
parat, Herr Schäuble! Das wissen Sie!) lege Schneider: Unterstellen Sie mir bitte nicht Trickse-
reien! Das ist nicht in Ordnung.
Genau so ist es übrigens mit dem Heizkostenzuschuss
für Wohngeldempfänger. Er ist eingeführt worden, als (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ich will
der Preis für einen Barrel Rohöl bei nahezu 200 Dollar doch, dass Sie konsequent sind!)
lag. Inzwischen beträgt er zum Glück wieder weniger als Ich habe frühzeitig hier gesagt, mehrfach, bei der ersten
die Hälfte. Deswegen ist es richtig, dass wir das zurück- wie bei der zweiten und dritten Lesung des Bundeshaus-
führen. halts 2010: Wir werden als Ausgangsmarke für das
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- strukturelle Defizit gemäß der Schuldenbremse des
neten der FDP) Grundgesetzes, die wir zum ersten Mal anwenden, das
zum Zeitpunkt der Fortschreibung der mittelfristigen Fi-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
nanzplanung – das ist der entscheidende Punkt –
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Nein!)
Kollegen Schneider?
absehbare tatsächliche strukturelle Defizit zugrunde le-
gen. – Genau das haben wir getan.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
zen: (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das sagt
Herr Kollege Schneider. die Bundesbank aber anders!)
– Genau so habe ich es gesagt, und genau so tun wir es.
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD):
(Otto Fricke [FDP]: Ja!)
Herr Minister, ich will gern auf Ihre Anmerkung zum
Vergleich der Investitionsquoten 2010 und 2011 einge- Wir können die mittelfristige Finanzplanung doch
hen. Vorhin habe ich ausgeführt, dass die Ausgaben, be- nicht im parlamentarischen Verfahren fortschreiben.
6304 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


(A) Deswegen gilt: Wir brauchen für die Schuldenbremse Kolleginnen und Kollegen, die schlimmste Gefahr für (C)
die mittelfristige Perspektive, und genau dies haben wir die soziale Ausgewogenheit unserer Politik ist eine zu
mit der Formulierung des strukturellen Defizits in 2010 hohe Arbeitslosigkeit. Das Beste, was wir für mehr so-
sichergestellt. Das hatte ich vorher angekündigt, und ge- ziale Gerechtigkeit in diesem Lande tatsächlich tun kön-
nau das machen wir. Werfen Sie mir also nicht Trickse- nen, ist, dafür zu arbeiten, dass alle Menschen mehr
reien vor! Das ist nicht in Ordnung. Chancen auf Beschäftigung bzw. auf Arbeit haben. Da
sind wir auf einem ausgesprochen guten Weg.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wider-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: spruch der Abg. Bettina Hagedorn [SPD])
Gestatten Sie noch eine Frage des Kollegen Alle Ihre Vorschläge führen jedoch genau in die falsche
Schneider? – Ja. Richtung. Für uns ist die Entwicklung am Arbeitsmarkt
(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: entscheidend. Was wir machen, ist wirklich sozial nach-
Carsten, nimm dich nicht so wichtig! – Zurufe haltige Politik, und diesen Weg werden wir fortsetzen.
von der FDP: Er hat doch schon geredet!) Herr Kollege Schneider, es hat mich schon tief betrof-
fen gemacht, wie Sie damit – womit Sie sich schon in
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): der rot-grünen Regierungszeit beschäftigt haben, womit
Herr Minister, ich wollte Ihnen in dem Punkt nicht wir uns während unserer gemeinsamen Regierungszeit
Tricksereien vorwerfen. Ich habe ja gesagt: Ich habe die über vier Jahre beschäftigt haben und womit wir uns
Sorge, dass es so sein könnte. Deswegen frage ich ganz auch in Zukunft beschäftigen müssen – umgegangen
gezielt und konkret: Was ist für die Aufstellung der Fi- sind, nämlich mit der Frage: Wie können wir angesichts
nanzplanung 2012, die Sie im Juni 2011 beschließen der Entwicklung des globalen Wettbewerbs um Arbeits-
werden, maßgeblich, das Ist-Ergebnis des Jahres 2011 plätze, Investitionsstandorte und Marktanteile ein ver-
nünftiges Beschäftigungsniveau für unser Land sichern?
(Otto Fricke [FDP]: Das geht doch gar nicht!) So einfach ist das Thema Mindestlohn nämlich nicht.
– Entschuldigung, 2010 –, was auch die Bundesbank in Wenn wir Regelungen treffen, die dazu führen, dass
ihrem letzten Monatsbericht empfiehlt, oder die nicht noch mehr Arbeitsplätze in der industriellen Produktion
ganz so guten Zahlen vom Juni dieses Jahres, weil die auf andere Kontinente verlagert werden, dann erweisen
dazu führen, dass Sie ein höheres Defizit haben und wir der sozialen Gerechtigkeit einen Bärendienst.
dementsprechend in den Folgejahren weniger abbauen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
müssen? Joachim Poß [SPD]: Das ist doch Ihre An-
(B) (D)
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Höher oder sicht! Das ist doch Ihre Behauptung!)
niedriger?) – Herr Kollege Poß, ich würde doch einmal nachlesen,
Sind Sie also engagiert oder nicht? welche Reden Sie persönlich im Zusammenhang mit der
Agenda 2010 gehalten haben.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan- (Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/CSU] –
zen: Otto Fricke [FDP]: Ja, ja; nein, nein!)
Herr Kollege Schneider, schauen Sie sich doch noch
Sie werden sehr schnell finden, dass Sie sich da sachlich
einmal die Schuldenbremse im Grundgesetz an. Ich
vertieft mit dem Problem des Lohnabstandsgebotes be-
empfehle übrigens überhaupt, sich noch einmal anzu-
schäftigt haben. Dabei geht es darum, dass wir darauf
schauen, was wir in der Föderalismuskommission ge-
achten müssen, dass nicht ein Niveau bei den Sozialleis-
meinsam erreicht haben und was nicht. Eine Bundes-
tungen festgeschrieben wird, das auf dem Arbeitsmarkt,
steuerverwaltung haben wir nicht erreicht. Deswegen
wie er im Zeitalter der Globalisierung – –
sollte man sie nicht ein paar Monate später schon wieder
als den großen Vorschlag zur Lösung aller Probleme in (Joachim Poß [SPD]: Aber doch nicht durch
die Debatte einbringen. Das ist doch unseriös. Abstand zu Dumpinglöhnen! Ich bitte Sie! –
Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Es
Nach den Regeln des Grundgesetzes müssen wir das
geht doch nicht nur in eine Richtung! –
im Jahr 2010 vorhandene strukturelle Defizit in gleichen
Joachim Poß [SPD]: Es geht doch nicht um
Jahresbeträgen
Subventionierung von Dumpinglöhnen!)
(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: So
– Warum lassen Sie mich eigentlich nicht einen Satz zu
ist das!)
Ende sprechen? Sie werden offenbar nervös, wenn man
bis 2016 zurückführen. Deswegen haben wir 2012 kei- Sie an Ihre eigenen Reden erinnert.
nen Beurteilungsspielraum. Die Entscheidung war bei
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der Aufstellung der mittelfristigen Finanzplanung im
der CDU/CSU)
Sommer 2010 zu treffen. Und wir haben sie getroffen.
Das Problem ist, dass wir bei dem Standard an Sozial-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
leistungen in Deutschland, der richtig ist und auf den wir
Jetzt würde ich gern noch eine Bemerkung zu der stolz sein können, den wir aber wieder und wieder durch
Frage machen, wie sich all das sozial auswirkt. Verehrte wirtschaftliche Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit er-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6305
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
(A) arbeiten müssen, ein Niveau haben, das weit über dem dann müssen wir genau diesen Weg mit Kraft, Entschie- (C)
liegt, zu dem in anderen Ländern Menschen arbeiten, ein denheit und ohne demagogische Verzerrung weiterge-
Problem, das wir nur durch eine vernünftige Kombina- hen. Darum bitte ich Sie in den weiteren Haushaltsbera-
tion bzw. Abgrenzung von Sozialleistungen und Löhnen tungen.
lösen können.
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der FDP)
Wenn Sie das als Quersubventionierung diffamieren,
versperren Sie sich den Weg zu einer sachgerechten Lö- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
sung dieser Probleme. Es ist nicht einfach, diesen Weg Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich dem
zu gehen, aber es ist notwendig. Man darf ihn aber nicht nächsten Redner das Wort erteile, möchte ich eine Mit-
durch Diffamierung versperren. Deswegen werbe ich da- teilung bekannt geben.
für, dass wir all das nicht aus dem Blick verlieren. Dafür Der Bundestagspräsident Norbert Lammert hat mir
brauchen wir übrigens die Tarifpartner. Was die zum ge- übermittelt, dass an dem Zwischenfall, der passierte,
setzlichen Mindestlohn sagen, sollten Sie sich im Einzel- während er präsidiert hat, auch der Kollege Herbert
fall auch etwas genauer anschauen. Dann könnten Sie Behrens von der Fraktion Die Linke beteiligt war. Die
auch hören: Dadurch wird die Tarifautonomie ausge- Anwesenden wissen, worum es sich handelt: ein unpar-
höhlt. lamentarisches Verhalten, eine Demonstration, die nicht
(Bettina Hagedorn [SPD]: Scheingewerk- in dieses Haus gehört. Der Bundestagspräsident möchte
schaften! Die christlichen Scheingewerkschaf- ausdrücklich den Kollegen Herbert Behrens in die Sank-
ten!) tionen einschließen. Auch für ihn gilt also der Aus-
schluss von Plenardebatten für zwei Tage.
Meine Damen und Herren, auch wenn wir uns auf
dem Weg aus der schwersten Krise seit langem befinden, Nun erteile ich dem Kollegen Klaus Hagemann von
sollten wir unsere Verantwortung für Europa nicht ge- der SPD-Fraktion das Wort.
ringschätzen. Wir haben in den ersten Monaten dieses (Beifall bei der SPD)
Jahres in der so auch nicht erwarteten Situation, dass
sich die Krise eines Landes ganz schnell und unabsehbar
Klaus Hagemann (SPD):
auf andere Euro-Länder und weit darüber hinaus aus-
breiten kann, eine neue Dimension der Verflechtung der Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Finanzmärkte erkennen können. Wir wissen, dass die In- Herren! Bundesfinanzminister Dr. Schäuble hat zum
(B) strumente des europäischen Stabilitäts- und Wachstums- Schluss das Thema Europa angesprochen. Lassen Sie (D)
paktes geschärft werden müssen, um in dieser Situation mich zu Beginn einige Gedanken hinzufügen; denn wir
bestehen zu können. Wir wissen, dass es dazu unver- diskutieren zurzeit nicht nur über den deutschen Haus-
meidlich ist, dass alle Länder ihre Defizite reduzieren, halt, sondern wir reden in den Gremien des Bundestages
so, wie wir es vereinbart haben. Wir wissen, dass dabei auch über den Haushalt 2011 der Europäischen Union
Deutschland beobachtet wird: Halten wir es ein oder und über die finanzielle Vorausschau 2014 bis 2020. Wir
nicht? Schaffen wir es in einer Weise, die Arbeitsplätze können also praktisch von einer Schicksalsgemeinschaft
nicht gefährdet, sondern fördert? Wenn wir das schaffen, reden.
nehmen wir unsere Verantwortung für Europa wahr. Wir hatten in diesem Jahr große Ereignisse zu bewäl-
Denken Sie daran: Hätten wir den Euro nicht gehabt, tigen. Ich nenne die Hilfe für Griechenland. Die deut-
wären die Auswirkungen der Krise für unser Land noch sche Beteiligung an der solidarischen Unterstützung
schlimmer gewesen. beträgt immerhin 6 Milliarden Euro. Kurz danach, sozu-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sagen nur Stunden danach, gab es die Ad-hoc-Entschei-
dung für den Rettungsschirm und für die Stabilität des
Wir müssen alles daransetzen, die Stabilität in Europa Euro. Hier geht es ebenfalls um eine Bürgschaft, die im
und für den Euro zu verteidigen. Dazu muss jeder seine Notfall in Anspruch genommen würde. Der Anteil der
Verantwortung wahrnehmen. Die Bundesrepublik Bundesrepublik Deutschland beträgt 148 Milliarden
Deutschland tut es auch nach dem Urteil aller sachver- Euro. Es geht schließlich noch um EU-Zahlungshilfen
ständigen Institutionen. Die Europäische Zentralbank für Nicht-Euro-Staaten wie Lettland oder Ungarn.
wie auch die Europäische Kommission sagen: Deutsch-
Der Kollege Jürgen Koppelin hat ebenfalls das Thema
land ist auf dem richtigen Weg.
Griechenland angesprochen. Herr Kollege, ich kann
Die Ergebnisse am Arbeitsmarkt, Wirtschaftsentwick- mich nicht daran erinnern, dass die FDP damals gegen
lung und Steuereinnahmen geben uns recht. Deswegen eine Aufnahme Griechenlands in den Euro-Raum ge-
dürfen wir nicht den Fehler machen, dass wir auf dem stimmt hat. Ich kann mich auch nicht daran erinnern,
Weg, den wir jetzt erfolgreich eingeschlagen haben und dass die Union gegen eine Aufnahme gestimmt hat. Das
wo sich die ersten Erfolge abzeichnen, in der Entschlos- sei hier unterstrichen.
senheit wieder nachlassen. Nein, wenn wir Generatio- (Beifall bei der SPD)
nengerechtigkeit und Nachhaltigkeit ernst meinen und
wenn uns die soziale Verpflichtung gegenüber allen Tei- Das jetzt Rot-Grün vorzuwerfen, empfinde ich als unfair.
len unserer Bevölkerung auch in der Zukunft wichtig ist, Das ist nicht gerecht und wäre auch historisch falsch.
6306 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Klaus Hagemann
(A) Ich möchte noch einen anderen Gedanken aufgreifen, das, was ich hier anmahne, entsprechend geschieht; (C)
der diese Woche geäußert worden ist. Frau Bundeskanz- denn, meine Damen und Herren, es ist den deutschen
lerin hat von der „historischen Schuld“ durch die Ände- und auch den europäischen Steuerzahlern sehr schwer zu
rung des Stabilitätspaktes im Jahre 2005 gesprochen. vermitteln, dass sie blindlings bürgen sollen, während
Er wurde ja deswegen geändert, um zukünftig solche von den deutschen Banken keine belastbaren Fakten zu
prozyklischen Phasen zu verhindern. ihrer Beteiligung und zu ihren risikolosen Gewinnen
vorgelegt werden können.
(Beifall bei der SPD – Joachim Poß [SPD]:
Das weiß sie auch selbst!) (Beifall bei der SPD)
Es sollte vielmehr in wirtschaftlich guten Zeiten gespart Ich bitte Sie also, Herr Minister, uns das dann im Haus-
werden, um in wirtschaftlich schlechten Zeiten, wie in haltsausschuss vorzulegen.
den Jahren 2008, 2009 und 2010, mehr ausgeben zu kön-
nen. Genau das ist in den Stabilitätspakt eingearbeitet Wir hatten uns – ich sagte es eben schon – wenige
worden, und das ist beschlossen worden. Tage nach den Ereignissen Griechenland betreffend in-
tensiv mit dem EU-Rettungsschirm zu beschäftigen.
Sehr verehrte Frau Bundeskanzlerin, Da hätte man das Parlament an den Beratungen und an
(Joachim Poß [SPD]: Hören Sie mal zu!) den Beschlussfassungen durchaus etwas stärker beteili-
gen können. Wir diskutieren jetzt sehr viel in den Gre-
wir hätten die von Ihnen zu Recht gelobten Konjunktur- mien, etwa im Unterausschuss zu Fragen der Europäi-
programme, die wir in der Großen Koalition beschlossen schen Union des Haushaltsausschusses. Wir hatten hier
haben, die Verlängerung beim Kurzarbeitergeld oder die ein Rettungspaket von 750 Milliarden Euro zu beraten.
Konjunkturprogramme I und II etwa, die wir vorgenom-
men haben, die Sie jetzt auch loben und die Ihnen auch Aber ich sage noch einmal: Die Informationspolitik
die guten Zahlen auf dem Arbeitsmarkt bringen, gar der Bundesregierung war sehr zurückhaltend, um es di-
nicht durchführen können, wenn nicht der Stabilitätspakt plomatisch auszudrücken. Wir mussten uns – damit
geändert worden wäre. Auch das sollten wir noch einmal meine ich das Parlament – vieles selbst erarbeiten. Wir
unterstreichen. mussten nachbohren und nachfragen. Unser Unteraus-
schuss hat auch eine Reise nach Brüssel unternommen,
(Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Das stimmt um dort nähere Fakten zu erfahren. Wir haben beispiels-
doch gar nicht! Das ist schlicht falsch!) weise festgestellt, dass die 60 Milliarden Euro, die sei-
Das Gleiche gilt auch für die Logik der Schulden- tens der Europäischen Union kommen, eigentlich virtu-
bremse. Auch das ist die Grundlage. Kollege Fricke, Sie elles Geld sind; denn sollte es notwendig werden – ich
(B) können es abstreiten. Es ist aber so. hoffe, das wird es nicht –, dann muss das auch erst finan- (D)
ziert und auf dem Markt aufgenommen werden. Das ist
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie eine schwierige Sache.
mich zu Griechenland noch einiges hinzufügen bzw. fra-
gen. Es wurden ja nun die Kontrollberichte vorgelegt. Die 440 Milliarden Euro, die dann noch aufzubringen
Da lobt die EZB die Entwicklung, und auch der Bundes- sind, könnten gar nicht in voller Höhe verwendet wer-
finanzminister tut dies. Die Kommission lobt die Ent- den, weil hier nämlich eine Belastung von 120 Prozent
wicklung. Der Internationale Währungsfonds lobt die notwendig ist, sodass effektiv nur 366 Milliarden Euro
Entwicklung. Nur, in den Medien hört und liest man et- zur Auszahlung kommen könnten.
was ganz anderes. Ich bin verunsichert. Ich weiß nun
Ich äußere also noch einmal die Bitte nach einer in-
nicht, was sich hier alles tut.
tensiveren Informationspolitik, zumal das auch in dem
Auf eine Frage, Herr Bundesfinanzminister, möchte Begleitgesetz zu den Beschlüssen des Lissabonner Ver-
ich noch eingehen. Sie hatten ja mit Herrn Ackermann in trags, die wir im vergangenen September hier gefasst ha-
einer öffentlichen Präsentation sehr groß herausgestellt, ben, gefordert wird und Verfassungsrang hat; daran
dass sich die privaten Banken an den Kosten mit betei- möchte ich doch immer wieder erinnern.
ligen, dass es hier um 8 Milliarden Euro gehe, an denen
sich die Privaten, also die, die verdienen, indem sie Kre- (Beifall bei der SPD)
dite auch nach Griechenland vergeben haben, beteiligen. Lassen Sie mich kurz die Zahlungshilfen für Ungarn
Ich habe Ihr Haus gefragt, welche Entwicklung die ansprechen. Auch hier ist unklar, wie es weitergeht. Am
Zahlen nehmen, welche Ergebnisse vorliegen. Ich habe 5. Oktober laufen die Verträge aus. Wie geht es weiter?
keine Antwort bekommen. Es hieß: Man könne es nicht Diese Frage steht hier im Mittelpunkt.
und wisse es nicht. – Ich hoffe und wünsche nur, dass die Lassen Sie mich nun die Reform des europäischen
Zahlen Ende dieses Jahres wirklich vorgelegt werden, Stabilitäts- und Wachstumspaktes ansprechen. Auch
dass dann geprüft wird und dass Sie dann genau so hef- hier scheint große Verwirrung zu herrschen:
tig darauf pochen – wie Sie es bei der gemeinsamen Prä-
sentation getan haben –, dass die privaten Banken sich (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Bei Ihnen!)
hier beteiligen, dass die, die Gewinne gemacht haben, an
Wie ist jetzt der Sachstand? Man bekommt keine klaren
den Kosten beteiligt werden.
Antworten. Die Vorschläge des BMF wurden mit gro-
Wir wissen, die Financial Times Deutschland titelte ßem Getöse und starken Ausdrücken öffentlich gemacht;
damals: „Ackermanns Charity Show“. Ich hoffe, dass hier war vom Rausschmiss aus der Euro-Zone, von
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6307
Klaus Hagemann
(A) Strafzahlungen und vom Entzug des Stimmrechts die Interessant ist, dass viele Projekte, bei denen der EU (C)
Rede. jetzt die Kosten davonlaufen – ich denke an das ITER-
Projekt, die Kernfusion –, über Mittel aus dem Agrartitel
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Nichts
finanziert werden. Da muss doch etwas nicht stimmen.
durchgesetzt! – Joachim Poß [SPD]: Alles auf
Wir müssen die Großprojekte wie „Galileo“, das euro-
der Strecke geblieben!)
päische GPS, und das Kernfusionsprojekt ITER stärker
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gestern in Brüssel ge- in den Blick nehmen; das wollen wir in den Ausschüssen
tagt; ich würde gerne wissen, welche Zwischenergeb- tun.
nisse – mehr ist jetzt noch nicht zu erwarten – es gibt.
Zum Schluss möchte ich sagen: Ich bin stolz, dass wir
(Joachim Poß [SPD]: Sie musste Sarkozy be- den Euro haben; ich bin stolz, dass wir die Europäische
sänftigen!) Union haben. Das ist die Zukunft für unser Land. Wir
müssen aber auch die Schwachstellen herausarbeiten.
Die Presse berichtet sehr negativ, dass hier noch alles of-
Das tun wir gemeinsam, auch in unserem Unteraus-
fen sei. Es scheint mir, als habe sich Deutschland in die-
schuss des Haushaltsausschusses zu Fragen der Europäi-
ser Frage stark isoliert.
schen Union.
(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Sie
Vielen Dank.
lesen die falschen Zeitungen! – Leo
Dautzenberg [CDU/CSU]: Sie dürfen nicht nur (Beifall bei der SPD)
Vorwärts lesen!)
Ich hoffe, es ist nicht so. Es gibt aber heftigen Wider- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
stand von Italien, Großbritannien und den osteuropäi- Das Wort hat nun endlich Kollege Otto Fricke.
schen Ländern. Herr Minister, Frau Bundeskanzlerin, ich
(Beifall bei der FDP)
frage nur: Wie ist der Sachstand? Was muss hier getan
werden? Wie kann das Parlament in die Entscheidungen
einbezogen werden? Otto Fricke (FDP):
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
Schließlich kann man den Medien entnehmen: Es gen! Ein Haushalt ist konkret; er besteht aus konkreten
scheint in der Unionsfraktion zu „rumoren“ – das ist Zahlen. Anscheinend ärgert es Sie von der Opposition
nicht mein Wort, Sie können es so nachlesen –, weil die unheimlich, dass Sie an den konkreten Zahlen nicht vor-
Maximalziele, die Sie genannt haben, nicht erreicht wer- beikommen, dass Sie nur Fantasie- und Theoriegebäude
den und es wenig Spielraum in der Gestaltung gibt. aufbauen können. Von Ihnen kommen keine konkreten
(B)
Gerade in der Sommerzeit konnte man lesen, dass die Zahlen, sondern nur Vorurteile. Wenn Sie das nicht ir- (D)
Bundeskanzlerin und der Außenminister von „deutscher gendwann einschränken, dann werden Sie sich nur noch
Stabilitätskultur“ sprechen, als ob am deutschen Wesen weiter aus der Haushaltspolitik verabschieden.
die Welt genesen müsste. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(Otto Fricke [FDP]: Was ist das denn für ein der CDU/CSU)
Ausdruck? So einen Satz würde ich hier nicht Was mich am meisten ärgert: Wenn man eine Woche
sagen!) Haushaltsdebatten verfolgt, wenn man hier also sitzt, die
Wir sollten zuerst vor der eigenen Türe kehren. Dann er- Eröffnungsrunde hört, dann die Fachdebatten und die
kennen wir: Wenn man mit dem Finger auf andere Men- Kanzlerrunde usw., denkt man immer, dass es in diesem
schen zeigt, zeigen drei Finger auf einen selbst. Mit un- Haus zwei verschiedene Oppositionen gibt. Es gibt die
serem Verhalten sind wir nämlich nicht solch ein großes Fachopposition, die sagt: Oh Gott, ihr spart da; das dürft
Vorbild; Kollege Fricke, das sage ich auch selbstkritisch. ihr nicht! Mehr Geld ausgeben! Ihr gebt auch an anderer
Auch die deutsche Verschuldungsquote liegt bei 80 Pro- Stelle nicht genug Geld aus, ihr tut dieses nicht, ihr tut
zent; auch unsere Neuverschuldungsquote liegt deutlich jenes nicht. – Und dann kommt der Kollege Schneider,
über 3 Prozent. Deshalb wäre es für die anstehenden stellt sich hier hin und sagt:
Verhandlungen sicherlich gut, ein wenig bescheidener (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ihr Steuer-
bei der Formulierung zu sein und etwas weniger groß- erhöher!)
spurig aufzutreten.
Ihr spart nicht. – Liebe SPD, ihr müsst euch irgendwann
Zum Schluss möchte ich auf den EU-Haushalt und entscheiden: Seid ihr der Meinung, dass ihr auf dem Bo-
die Beratungen, die dazu anstehen, eingehen – meine den der Verfassung steht und die Schuldenbremse ein-
Redezeit ist abgelaufen –: Warum sieht der Vorschlag halten wollt? Oder versucht der Kollege Schneider mit
vor, dass die Verwaltungskosten der Europäischen Union seinen Konstruktionen, die noch nicht einmal die Verfas-
so stark steigen? Warum müssen die Personalkosten so sung berücksichtigen, daran herumzudrehen? Was wollt
stark steigen? Diese Fragen sind zu stellen. Die Frage ist ihr? Ihr wollt die Zahlen sehen. Die Zahlen sind das, was
auch: Warum muss immer noch so viel Geld – 40 Pro- die Opposition so stört. Wir sind gemeinsam mit unseren
zent des EU-Etats – für die Agrarpolitik zur Verfügung Nachbarn, mit unseren Freunden in Polen,
gestellt werden? Frau Aigner hat gesagt, daran dürfe
nicht gerüttelt werden. Wir müssen jetzt über all diese (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das sind
Fragen diskutieren. auch Steuererhöher!)
6308 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Otto Fricke
(A) die Wachstumslokomotive in Europa. Das passt euch Die Linie, die Sie elf Jahre lang im Finanzministerium (C)
nicht. Das wollt ihr nicht wahrhaben. verfolgt haben, wird mit der schwarz-gelben Koalition
nicht verfolgt werden.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Das stimmt doch nicht!
Das hat die Große Koalition gemacht!) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Deswegen versucht ihr immer wieder, unser Land Konkrete Sparvorschläge von Ihnen? Nichts. Steuer-
schlechtzureden, statt den Leuten Mut zu machen, dass erhöhungsvorschläge haben Sie. Ich sage klar: Wenn wir
es nach vorne geht. in den nächsten Jahren die Neuverschuldung Stück für
Stück abbauen, dann ist das nicht nur eine Frage dessen,
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) dass auf der Ausgabenseite etwas passieren muss. Viel-
mehr werden die Steuerzahler selbst ohne Steuererhö-
Das Wachstum ist auf hohem Niveau, und die Ar- hung in erheblichem Umfang und weit mehr als auf der
beitslosigkeit befindet sich auf dem niedrigsten Stand. Ausgabenseite vorgesehen dazu beitragen, dass die Neu-
Das hatten Sie in elf Jahren SPD-Regierung nie. Auch verschuldung abgebaut wird.
das scheint Ihnen Probleme zu bereiten.
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Aber ihr
Dann erleben wir Folgendes – Carsten Schneider war macht doch Steuererhöhungen! – Dr. Dagmar
dafür das beste Beispiel –: Zu Beginn seiner Rede sagt er Enkelmann [DIE LINKE]: Ja, welche Steuer-
– die Bürger draußen im Land hören das –: Ich mache zahler?)
Ihnen nachher ein paar Vorschläge, wo wir einsparen
können. – Ich sage den Bürgern: Diese SPD, diese Grü- Im Sozialbereich ist eine Kürzung um 1,7 Prozent
nen und diese Linken können Ihnen keine Einsparvor- – 1,7 Prozent von diesen riesigen Ausgaben – vorgese-
schläge machen, weil sie unter Einsparen verstehen, dass hen. Man kann einzelne Punkte kritisieren, aber insge-
man mehr Geld einnimmt. samt zu sagen: „Das ist schlecht“, ist nicht ehrlich. Denn
man muss sich fragen: Wer sorgt denn mit über 3 bis
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Sie soll- 4 Prozent bei den Steuereinnahmen dafür, dass dieser
ten wenigstens zuhören bei den Reden von an- Staat endlich schwarze Zahlen schreibt? Das sind die
deren!) Steuerzahler, diejenigen, die arbeiten, diejenigen, die in
Für jeden verständigen Bürger bedeutet Einsparen, dass der Krise die größten Belastungen haben, Unternehmer,
man den Mut hat, an die Ausgaben heranzugehen. Das Selbstständige usw. Die verlieren Sie völlig aus dem
ist Verantwortungspolitik und nicht Gesinnungspolitik. Blick und vergessen, dass sie die wesentlichen Träger
Das müssten Sie sich mal merken. für die Einnahmen unseres Landes, unseres Sozialstaats
(B) sind. Die interessieren Sie gar nicht, das ist Ihr Problem. (D)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Sie lassen
NEN]: Wer hat Ihnen denn das aufgeschrie-
die Vermögenden außen vor! Das ist die Sub-
ben? Das wissen Sie doch selbst besser!)
stanz!)
Diese Regierung geht einen nicht einfachen Weg. Sie Sie versuchen immer wieder, zu unterstellen: Die Ko-
muss bittere Medizin verteilen. Sie muss sagen: Ja, wir alition hat ja noch gar nichts erreicht.
wissen, dass wir die Verfassung einhalten müssen; wir
wissen, dass wir in den nächsten Jahren aufgrund der (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Sie lassen die
Verfassung diese bittere Medizin nehmen müssen. Wir Superreichen außen vor! Das ist der Kern!)
gehen an Ausgaben heran, die wir für nicht notwendig
halten, Ich sage Ihnen klar: Es ist schon ziemlich viel erreicht
worden. Wir haben ein Wachstumsbeschleunigungsge-
(Bettina Hagedorn [SPD]: Hartz-IV-Empfän- setz verabschiedet, und was passiert? Das Wachstum
ger! – Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Für hat sich beschleunigt.
Soziales habt ihr nichts übrig!)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – La-
wir gehen auch an Ausgaben heran, die Sie nie abgebaut chen bei der SPD, der LINKEN und dem
haben. Wir machen das aus einem einfachen Grund: Wir BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
wollen diese Schuldenberge – Herr Kollege, Sie wissen,
– Ja, das tut Ihnen weh, aber es hat sich beschleunigt. Da
dass sie seit Jahrzehnten existieren –, auf denen Kinder
können Sie so viel reden, wie Sie wollen; es ist so. Wol-
nun wirklich nicht spielen und erst recht nicht, Herr Kol-
len Sie vielleicht auch noch bestreiten – das ist Ihr Pro-
lege Hagemann, lernen können, abbauen.
blem: Sie würden ja am liebsten das bestreiten –, dass
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: sich das Wachstum beschleunigt hat? Selbst das wollen
200 Milliarden mehr!) Sie nicht wahrhaben.

Wir wollen sie abbauen. Dafür muss man auch mal sa- Was ist mit der Sozialversicherung? Der Minister hat
gen: Nein, das geht nicht. Man kann nicht immer nur sa- das genau dargestellt. Wir haben ein Sozialversiche-
gen: Ja, wir geben mehr. rungsstabilisierungsgesetz auf den Weg gebracht. Und
was passiert? Die Beiträge laufen eben nicht aus dem
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!) Ruder.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6309
Otto Fricke
(A) (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ach, nein? Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): (C)
1 Prozent mehr!) Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es ist
Zeit, ein Fazit dieser Haushaltswoche zu ziehen.
– 1 Prozent mehr. Herr Schneider, Sie sagen, die Ar-
beitslosenversicherung wird um 1 Prozent erhöht? (Thomas Oppermann [SPD]: Machen Sie es
kurz!)
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Nein! Ge-
sundheit und Arbeitslosigkeit zusammen!) Die Debatten haben klar gezeigt, dass die Koalition auf
einem richtigen und guten Weg ist:
– Aha, das wird sie nicht, es sind nämlich nur (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
0,2 Prozent. Da kann man wieder einmal sehen: Zahlen NEN]: Und die Erde ist flach!)
sollte man immer klar und präzise nennen. Man sollte
nicht versuchen, herumzuschummeln. Das ist keine Die Krisenbekämpfung, das Krisenmanagement ist er-
Haushaltspolitik, sondern der Versuch, mit Polemik wei- folgreich; die Wirtschaft wächst weiter; die Themen
terzukommen. Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit werden strategisch
angegangen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Bei all diesen Debatten stellt sich die Frage: Warum
Ich möchte etwas zu dem Vorwurf sagen, unsere Poli- sind wir diesbezüglich erfolgreicher als alle anderen In-
tik sei unsozial. Wenn eine christlich-liberale Koalition dustriestaaten? Auf diese Frage muss es doch eine Ant-
in einem Sparhaushalt eine Sozialquote erreicht, die wort geben. Die Antwort lautet: weil wir die richtigen
über der Sozialquote von Rot-Grün liegt, wenn wir einen politischen Rahmenbedingungen schaffen, weil es eine
höheren Prozentsatz für Soziales ausgeben, als Rot-Grün konsequente Konsolidierungspolitik und neues Ver-
es jemals geschafft hat – dann zu sagen, das wäre unso- trauen in der Wirtschaft und am Finanzmarkt gibt.
zial, ist auch nur ein Ignorieren von Zahlen. Das sind
(Thomas Oppermann [SPD]: Das glauben Sie
Wunschgebilde, aber keine Politik.
doch selber nicht!)
(Bettina Hagedorn [SPD]: Das kommt doch So bieten wir den Menschen, insbesondere der jungen
durch den Rentenbeitrag!) Generation, neue Chancen. Wir sind derzeit das Wachs-
tums- und Chancenland Nummer eins in Europa. Das ist
Jetzt kann man sagen, dass SPD, Grüne und Linke
die Wahrheit.
sparen wollen. Sagen wir einmal, wir glauben ihnen.
Nehmen wir einfach an, dass das so ist. Können wir (Beifall bei der CDU/CSU – Volker Kauder
(B) dann nicht auch schauen, ob sie das tatsächlich machen? [CDU/CSU]: Sehr richtig!) (D)
Schauen Sie nach NRW – ich habe das bereits in der Er-
öffnungsrunde gesagt –: Natürlich gibt es in dieser Zeit viele Probleme, für die
wir in den weiteren Beratungen und darüber hinaus Lö-
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Gucken sungsansätze finden müssen. Wir haben – das sollte man
Sie mal nach Berlin!) sich vor Augen führen – innerhalb von nur zwei Jahren
einen makroökonomischen Wohlstandsverlust von etwa
Im Jahr 2011, in dem wir planen, die Neuverschuldung 170 Milliarden Euro zu verkraften und zu überwinden.
von 71 Milliarden Euro zur Zeit von Peer Steinbrück auf
57 Milliarden Euro zu reduzieren – wahrscheinlich wird (Thomas Oppermann [SPD]: Und nichts da-
es noch weniger werden –, wollen Sie die Neuverschul- von haben Sie von den Verursachern zurück-
dung in NRW erhöhen. Was plant Rot-Grün in NRW mit geholt! Keinen Cent!)
Unterstützung der Linken für das Jahr 2011, obwohl die Das ist eine Herkulesaufgabe. Wir wollen alles daran-
Verschuldungsbremse auch für die Länder gilt? Sie erhö- setzen, zukünftige Krisen dieser Art zu verhindern. Wir
hen die Ausgaben, obwohl sie eigentlich irgendwann bei werden nicht nachlassen. Wir werden Handlungsfähig-
null ankommen müssen. Das ist keine ehrliche Politik. keit, Verlässlichkeit und konzeptionelle Gestaltungskraft
Das ist Scheinpolitik und bringt dieses Land nicht voran. aufbringen, wenn es darum geht, die zweifellos beste-
henden Herausforderungen anzugehen.
Ich jedenfalls bin froh, dass diese Koalition in dieser
Woche Mut gefasst hat und ihre Ziele deutlich gemacht Von der Opposition habe ich in dieser Woche außer
hat. Sie hingegen sind planlos und ziellos. Das wird Ih- Polemik nichts gehört. Gerade heute muss ich sagen:
nen in den nächsten Wochen auf die Füße fallen. Hier werden teilweise Unwahrheiten gepflegt. Da ich
schon länger in diesem Hause arbeiten darf, möchte ich
Herzlichen Dank. sagen, was mich vor allem stört: Die Verunglimpfung
demokratischer Institutionen seitens der Opposition be-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
deutet einen Niedergang der demokratischen Kultur. Da-
mit sollten wir aufhören. Das sollten wir in dieser Form
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: nicht weiter betreiben.
Das Wort hat nun Kollege Hans Michelbach für die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
CDU/CSU-Fraktion.
Begriffe wie „Käuflichkeit“ und „Trickserei“ sind außen
(Beifall bei der CDU/CSU) vor zu lassen.
6310 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Dr. h. c. Hans Michelbach


(A) (Thomas Oppermann [SPD]: Sie haben doch terrolle hat der Bundesfinanzminister verantwortungsbe- (C)
„Gurkentruppe“ gesagt! Das waren Sie doch!) wusst wahrgenommen.
Wir gehen die Schuldenreduzierung aktiv an. Das (Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/
Konsolidierungspaket ist ausgewogen, maßvoll, kon- CSU])
junkturschonend und auf Nachhaltigkeit ausgerichtet. Es Ich danke Dr. Wolfgang Schäuble dafür.
gibt keinen sozialen Kahlschlag. Im Gegenteil: Der
Haushaltsansatz ist so hoch wie nie. Sie kommen nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
an der Tatsache vorbei, dass wir mehr als 50 Prozent des
Solide Staatsfinanzen sind ein wesentlicher Eckpfei-
Haushaltsvolumens für Soziales ausgeben.
ler für Wachstum und Beschäftigung und ein Markenzei-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) chen der Union. Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, den
Menschen die Wahrheit zu sagen und deutlich zu ma-
Die Opposition beklagt die Schulden, fordert aber chen, dass an der Haushaltskonsolidierung kein Weg
gleichzeitig neue Mehrausgaben. Wie passt das zusam- vorbeigeht. Das wissen die Menschen in unserem Land.
men? Welch ein Widerspruch! Sie kennen nur Neid- Sie wissen, dass wir aufhören müssen, Schulden zu ma-
debatten und sagen den Leuten nicht die Wahrheit. Es ist chen, dass wir nicht mehr über die staatlichen Verhält-
notwendig, bei den sozialen und staatlichen Leistungen nisse leben dürfen. Es ist nicht in Ordnung, wenn die
maßvoll einzusparen. Das ist es, was wir wahrnehmen Zinskosten höher sind als die Investitionen. Das muss
müssen. wieder vom Kopf auf die Füße gestellt werden.
Ich glaube, dass es eine Antwort auf die demografi- Unser Staat braucht Leistungsvermögen. Es muss
schen Veränderungen gibt; die populistische Aufkündi- möglich sein, dass sich Leistung für unsere Menschen
gung der SPD bezüglich der Verlängerung der Lebens- lohnt. Wir sagen Ja zu Leistung. Wir sagen Ja zu Eigen-
arbeitszeit ist das falsche Signal. Wir gehen auch die tum. Wir sagen Ja zu neuer moderner Technologie. Wir
steuerpolitischen Aufgaben an. Wir haben die Familien sagen Ja zu unserem Land, zu unseren Bürgern und zum
und die Bezieher geringer Einkommen zu Beginn dieses Erfolg in den nächsten Monaten und Jahren. Der Haus-
Jahres in wesentlichem Maße steuerlich entlastet. halt, den wir heute in erster Lesung beraten, ist dafür der
richtige Ansatz.
(Klaus Hagemann [SPD]: Wo?)
Danke schön.
Wir gehen die Steuervereinfachung an. Wir widmen uns
der Gemeindefinanzreform, und wir werden auch eine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Mehrwertsteuerreform in die politische Debatte einbrin-
(B) gen. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
(D)
Das Wort hat nun Lothar Binding für die SPD-Frak-
(Klaus Hagemann [SPD]: Was heißt das?) tion.
Es hilft überhaupt nicht, immer wieder die Hotel- (Beifall bei der SPD)
steuer, wie Sie es bezeichnen, anzusprechen. Tatsache
ist, dass hier eine Selbstfinanzierung stattfindet. Die In-
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD):
vestitionen in diesem Bereich haben viel mehr Umsatz-
steuer und auch Lohnsteuer generiert. Ich danke den Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!
Betrieben, dass sie diese Mittel inzwischen für Arbeits- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächst
plätze und Investitionen nutzen. eine Bemerkung zu Otto Fricke machen, weil es mich
gelegentlich erschreckt, wenn jemand von der FDP von
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – „notwendig“ spricht.
Dr. Peter Danckert [SPD]: Das glauben Sie
(Otto Fricke [FDP]: Das darf ich genauso wie
doch selber nicht!)
du!)
Wir gehen die Probleme im Zusammenhang mit der Er hat nämlich gesagt: Wir kürzen nur Ausgaben, die wir
Finanzmarktkrise, den Stabilitätsanforderungen an den für nicht notwendig halten. „Notwendig“ impliziert eine
Euro und der Finanzmarktregulierung an. Wir haben Not, zu wenden.
das Primat der Politik über die Finanzmärkte wieder
übernommen und die Finanzierungschancen für die (Otto Fricke [FDP]: Nein! Das ist ein Sprach-
Wirtschaft wieder erhöht. Es ist ganz klar: Wir wollen trick! Das ist immer dasselbe!)
eine Stärkung des europäischen Stabilitäts- und Wachs- Sie kürzen bei jemandem, dem 359 Euro zur Verfügung
tumspaktes zur Währungssicherung vornehmen. Eine stehen. Mich würde interessieren, ob Sie schon jemals
Verlängerung des Euro-Rettungsfonds ist von uns abzu- davon haben leben müssen, um überhaupt zu wissen,
lehnen. Es gibt europaweit Verhandlungen. Deshalb wovon Sie reden.
kann man nicht über Nacht eine Finanzmarkttransak-
tionsteuer beschließen. Das hätte Wettbewerbsnachteile (Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]: Ja!)
für den Finanzplatz Deutschland zur Folge. – All dies ist
– Ja, zu einer anderen Zeit.
auf der Agenda. Deutschland und die Bundesregierung
nehmen in all den Fragen der Regulierung des Finanz- Deshalb muss man einmal genauer reflektieren, was
marktes eine Vorreiterrolle in Europa ein. Diese Vorrei- Sie sagen und in welchen Bereichen Sie kürzen wollen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6311
Lothar Binding (Heidelberg)
(A) Ich würde nicht Begriffe wie Wildsäue, Gurkentruppe mit einem gewissen Betrag steht. Sie haben aber verges- (C)
oder „schlagende Verbindung“ nennen. Ich würde aber sen, dass dadurch die Bemessungsgrundlage der Gewer-
sagen, dass wir einen gravierenden Fachkräftemangel besteuer sinkt und sich diese Maßnahme damit unmittel-
haben – im Kabinett. bar auf die Einnahmen der Kommunen auswirkt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Beifall bei der SPD)
DIE GRÜNEN)
Weshalb dieser Haushalt aufgrund seiner inneren
Herr Minister Brüderle zum Beispiel reklamiert ein Struktur falsch sein muss, will ich in Bezug auf die vor-
großes Stoppschild für staatliche Maßnahmen, ruht sich getragene Analyse versuchen zu verdeutlichen. Frau von
aber gleichzeitig auf genau den staatlichen Maßnahmen der Leyen hat gesagt, aufgrund der Politik einer hohen
aus, die Steinbrück, Steinmeier und Olaf Scholz noch Verschuldung, die die Regierungen in den Jahren von
initiiert haben, und bezeichnet dies als sein Wachstum. Rot-Grün zu verantworten haben, sei der Haushalt unter
Das haben wir schon oft gehört. Wenn er einen Stopp Druck. Jetzt schauen wir einmal: Adenauer, Erhard,
staatlicher Maßnahmen fordert, erkennt man gleich den Kiesinger, Brandt, Schmidt, Kohl, Schröder, Merkel.
Gedankengang. Er lobt das Wachstum, um dann sofort Alle waren Regierungschefs.
wieder mit staatlichen Maßnahmen die Binnennachfrage
(Otto Fricke [FDP]: Das hast du doch schon
zu stören. Eine Kürzung bei den Schwachen trifft genau
zweimal gemacht!)
diejenigen, die maßgeblich die Nachfrage in Deutsch-
land erzeugen. – Ihr lernt es aber nicht. Ich bringe immer Bilder mit, da-
mit man es versteht. Die Gelben waren übrigens immer
Besonders gravierend sind die beabsichtigten Maß-
dabei. Ihr müsst also ganz still sein.
nahmen zur energetischen Sanierung. Die energetische
Sanierung führt doch dazu, dass der Handwerker einen Die Verschuldung hat sich über 60 Jahre aufgebaut.
Auftrag bekommt. Das Besondere daran ist: Wenn die Was macht aber Frau von der Leyen? Nehmen wir ein-
Gemeinden die energetische Sanierung durchführen, die mal diesen Zollstock als Maßstab für die Verschuldung.
Krise vorbei ist und vielleicht schon die nächste Krise Die rot-grünen Jahre machten dann bestenfalls 20 Zenti-
kommt, dann erzielen diese Gemeinden im Betriebs- meter aus. Man kann das doch nicht als Analysegrund-
haushalt dieser Gebäude hohe Einsparungen. Das ist da- lage für diesen Haushalt nehmen. Die Verschuldung ist
rüber hinaus sogar ökologisch sinnvoll, weil sie dann Öl über viele Jahre aufgebaut worden.
einsparen. So einfach ist das, und so schlecht ist Ihre
Politik, wie man anhand dieses Beispiels zeigen kann. Ausgerechnet dieser Finanzminister sagt: Zum ersten
Mal ist die Neuverschuldung kontinuierlich gesun-
(B) (Beifall bei der SPD) ken. – Herr Dr. Schäuble, kennen Sie diese Grafik? Sie (D)
hat einen ganz charakteristischen Punkt. Bis zu diesem
Die Kürzungen bei der Städtebauförderung werden Punkt war Steinbrück Finanzminister, danach Sie. Den
vorgenommen, nachdem die Kommunen schon mehr- dicken Bauch, dieses Ausmaß der Neuverschuldung,
fach belastet wurden. Die Gewerbesteuereinnahmen werfe ich Ihnen nicht vor. Er ist Folge der Krise. Den
wurden durch die Absenkung der Zurechnungen redu- Entschuldungspfad aber – diese dünne Stelle hier – ver-
ziert. Außerdem wurde die Gewinnverlagerung für Kon- danken wir Steinbrück. Dafür hat er ein dickes Lob ver-
zerne erleichtert. Hinzu kommt die Umsatzsteuerredu- dient; denn das ist die Basis, auf der Sie heute arbeiten
zierung für Hotels. All das wirkt auf den Haushalt der können.
Kommunen.
(Beifall bei der SPD)
Ich möchte einen Gedankengang aufgreifen, den
Peter Friedrich gestern geäußert hat. Er hat einen Kolle- Zum Stabilitätspakt hat der Freund Klaus Hagemann
gen der Koalition gefragt, wie Wirtschaftspolitik im Zu- das Notwendige gesagt. Ich glaube, dass Sie sich damit
sammenhang mit der Umsatzsteuerermäßigung für auf sehr dünnem Eis bewegen.
Hotels eigentlich funktioniert. Man gibt zum Beispiel
Ich will noch ein Beispiel nennen, weil ich Elektriker
den Hotels 1 Milliarde Euro. – Er hat allerdings etwas
bin. Sie sprechen von Elektromobilität und preisen sie.
vergessen. Davon ziehen wir 1 Million Euro Möven-
Jetzt habe ich ein Problem: Ich finde den Haushalt an
pick-Steuer ab, damit es korrekt ist. Dann sind wir bei
dieser Stelle geradezu magersüchtig und würde gerne
999 Millionen Euro. – Laut Angaben des DEHOGA sind
von einem von Ihnen wissen wollen, wo dazu eigentlich
bisher gut 100 Millionen Euro investiert worden. In die-
etwas steht. Wie kann ich aus dem Haushalt ableiten,
sem Jahr wurden 200 Millionen Euro investiert, also
dass Sie die Elektromobilität befördern wollen?
100 Millionen Euro mehr. Wenn Sie 1 Milliarde Euro für
100 Millionen Euro Investitionen eingesetzt haben, dann Sie sagen: Wir haben kein Geld. Wo soll das ganze
frage ich mich, was das mit Wirtschaftspolitik zu tun hat. Geld herkommen?
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein, nein! Ho-
DIE GRÜNEN) len Sie den Zollstock noch einmal heraus! Ich
zeige Ihnen, wo das ist!)
Auch die Kürzungen beim Wohngeld nach SGB II
und bei arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen belasten Herr Döring hat gesagt, wir würden bei diesem Einzel-
die Kommunen. Ein kleiner Rechenfehler ist, dass in Ih- plan ein Wunschkonzert veranstalten, ohne das Gesamte
ren Finanztableaus ein Brennelementesteueraufkommen zu sehen, und spricht dann noch von einem Energiekon-
6312 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Lothar Binding (Heidelberg)


(A) zept. Frau Winterstein fragte am letzten Tag der Debatte: (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Richtig!) (C)
Wo sollen wir das Geld hernehmen? – Wir haben es Ih-
nen mehrfach erklärt. Die Antwort ist gar nicht kompli- Eines will ich sagen: Wenn ich mich auf irgendjemanden
ziert; Sie müssen der Opposition nur ein bisschen zuhö- nie mehr verlassen werde, dann sind es die Ratingagen-
ren. Es ist viel Geld da, und zwar in bestimmten Händen. turen.
Wenn Sie sich das unversteuerte Privatvermögen in (Beifall bei der SPD)
Deutschland und der Welt anschauen, haben Sie sofort
eine gute Idee, wenn Sie sie denn haben wollen. Schauen Darauf beziehen Sie sich aber, wenn es um Deutschlands
wir einmal auf die Gewinne der Energiekonzerne. Fällt Wachstumsprognose geht. Das ist ein ganz schwerer
Ihnen da etwas ein? Schauen Sie auf die Entwicklung Fehler.
der privaten Vermögen, auf die Einkommen in der Hier ist nichts einfach, niedrig und gerecht, hier ist al-
Finanzwirtschaft – der Banker zum Beispiel – und auf les hoch und an der falschen Stelle, kompliziert und un-
die Gewinngestaltung der Konzerne, die Sie durch das gerecht. Außerdem ist aus mehr Netto vom Brutto viel
Außensteuergesetz erleichtert haben. Jährlich werden weniger Netto vom Brutto geworden.
250 Milliarden Euro vererbt. Die Einnahmen aus der
Erbschaftsteuer haben 4 Milliarden Euro ausgemacht. Es (Beifall bei der SPD sowie der Abg.
gab einen schwierigen Kompromiss, und Sie haben das Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE] und
noch einmal abgesenkt. Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN])
Zur Gegnerschaft im Kabinett hinsichtlich der
Finanztransaktionsteuer. Man ist immer ein bisschen
irritiert, wenn das von Einzelnen vorgetragen wird. Ich Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
habe gestern die Probe aufs Exempel gemacht. Für den Das Wort hat nun Claudia Winterstein für die FDP-
Haushalt für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent- Fraktion.
wicklung ist Dirk Niebel zuständig. Ich habe ihn gefragt: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Trägst du die Finanztransaktionsteuer mit? – Hat er ge-
nickt oder den Kopf geschüttelt? Was glauben Sie, was
er gemacht hat? Nein, er trägt sie nicht mit; er hat den Dr. Claudia Winterstein (FDP):
Kopf geschüttelt. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die vergangenen Tage der Haushaltsdebatte ha-
Man könnte sich auch noch einmal mit einer Verbrei- ben aufschlussreiche Erkenntnisse über den Zustand der
terung der Bemessungsgrundlage bei der Einkommen- Opposition hier im Deutschen Bundestag geliefert. Herr
(B) steuer befassen oder mit diesem verrückten Kreditmedia- Schneider, als Replik auf Ihre oberlehrerhafte Benotung (D)
tor, der einige Millionen Euro kostet kann ich nur sagen: Setzen, sechs! Sie haben nichts ver-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) standen.

und eine wahnsinnige Wirksamkeit haben soll. Dieses (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Georg
Wort höre ich immer wieder in der Volkswirtschaft. Schirmbeck [CDU/CSU])

(Otto Fricke [FDP]: Hat doch funktioniert!) Ich frage mich, wie es dazu nach so vielen Jahren im
Haushaltsausschuss kommen kann. Das ist enttäuschend.
Das sind schon tolle Ergebnisse dieses Kabinetts. Das
Meisterstück ist das Auslassen der Banken, der Verursa- (Joachim Poß [SPD]: Das war aber sehr ober-
cher der gravierendsten Krise der Nachkriegsgeschichte. lehrerhaft!)
Das nehmen wir Ihnen persönlich übel. Es wurde viel polemisiert, gepoltert und gepöbelt,
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie aber leider eben nicht sachgerecht diskutiert. Den Auf-
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE takt damit machte der Möchtegern-Oppositionsführer
GRÜNEN) Sigmar Gabriel am Mittwoch bei der Generaldebatte.
Sein Auftritt war wirklich ein Glanzstück. Zur Debatte
Auch durch so etwas wie den Mindestlohn würde Ihr über den Bundeshaushalt hat er gesagt, sie sei keine in-
Haushalt stabilisiert werden. Dazu fällt Ihnen aber nichts tellektuelle Herausforderung; so begann er seine Rede.
ein. Ich würde nach Theo Waigel sagen: Einnahmever- Dadurch erklärt sich wohl auch, warum die SPD-Frak-
besserung? Fehlleistung! Wachstumsförderung? Fehl- tion gerade ihn als Redner ausgewählt hat.
leistung!
(Heiterkeit und Beifall bei der FDP sowie bei
(Otto Fricke [FDP]: Was? Über 3 Prozent Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus
Wachstum!) Hagemann [SPD]: Sehr gehaltvoll!)
Einsparungen? Bei den Armen! Trotzdem muss ich sagen: Ich hatte das Gefühl, dass er
das überhaupt nicht verstanden hat.
Ich bedanke mich vielmals für Ihre Aufmerksamkeit,
wobei ich noch auf Norbert Barthle eingehen will; denn Herr Gabriel zitierte sehr gerne negative Zeitungs-
er hat uns einen ganz wichtigen Hinweis gegeben. Er hat schlagzeilen, um die Politik der Regierung zu kritisieren.
nämlich gesagt, wir sollten uns einmal die Bewertungen Das geht aber auch andersherum. Focus Online schrieb
der Ratingagenturen für Deutschland angucken. nach den Reden von Sigmar Gabriel und der Bundes-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6313
Dr. Claudia Winterstein
(A) kanzlerin: Staatsfrau punktet gegen Politrambo. – Ich zungen dar. Wir konsolidieren den Haushalt und werden (C)
finde das sehr bezeichnend. damit auch nachfolgenden Generationen gerecht.
(Thomas Oppermann [SPD]: Das ist ein biss- (Abg. Bettina Hagedorn [SPD] meldet sich zu
chen sehr einseitig kommentiert!) einer Zwischenfrage)
Es ist auch eine schöne Beschreibung für die weiteren
Debatten, die wir in den letzten Tagen zwischen Koali- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
tion und Opposition erlebt haben. Bei der Opposition Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Das
war an konstruktiver Kritik überhaupt nichts zu hören. verlängert Ihre Redezeit.
Es war eher wie eine Märchenstunde. Im Prinzip wurden
nur selektive Wahrnehmungen deutlich. Man redete an Dr. Claudia Winterstein (FDP):
den Realitäten vorbei. Nein, ich würde gerne fortfahren.
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Diese Die Sozialausgaben umfassen mehr als die Hälfte des
Rede ist auch nicht sehr gehaltvoll!) gesamten Haushaltes; das wissen Sie. Es ist klar, dass
auch in diesem Bereich gespart werden muss. Die Oppo-
Sie stimmen zwar mit uns überein, dass wir einen Ab- sition hat in den Debatten aber keine eigenen Vorschläge
bau der Staatsverschuldung im Interesse der jungen hierzu eingebracht. Das ist ein finanzpolitisches Armuts-
Generation brauchen, aber gleichzeitig halten Sie uns bei zeugnis.
jedem Einzelplan vor, dass wir ganz schrecklich seien,
weil wir Kürzungen vornähmen. Sie sagen, wir dürften (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
es nicht hier tun und nicht dort, aber benennen keine Al-
Wir werden, mit dem Sparpaket als Grundlage, einen
ternativen. Wenn es ernst wird, tauchen Sie ab und ver-
Paradigmenwechsel in der Finanzpolitik einleiten. Vor-
leugnen die Realität. Das ist eine Haltung nach dem
herige Regierungen sind immer den einfachen Weg der
Motto: Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass.
Ausgabensteigerung über Steuererhöhungen und neue
– Damit kann man keine verantwortungsvolle Politik
Schulden gegangen.
machen, meine Damen und Herren von der Opposition.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Sie schaffen die größte
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Neuverschuldung der Nachkriegszeit!)
Sie haben in den guten Jahren vor der Krise, als die Die christlich-liberale Koalition ist entschlossen, die
Steuereinnahmen sprudelten, die Chance vertan, die Schuldenpolitik der letzten Jahrzehnte zu beenden. So-
Haushaltskonsolidierung ernsthaft anzugehen. Das war lide Staatsfinanzen statt ungezügelter Ausgabenpolitik,
(B) verantwortungslos, Herr Schneider. Ich frage mich, was so lautet unser Motto. Das sind wir unserer jungen Gene- (D)
Sie in den letzten Jahren eigentlich getan haben. Sie ration schuldig.
müssen sich im Nachhinein doch einmal überlegen, wel-
che Chancen Sie gehabt haben. Sie aber haben nichts ge- Vielen Dank.
tan; Sie haben einfach nur weiterhin Geld ausgegeben.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Die Netto-
kreditaufnahme ist nicht gesunken, nein?) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das ist nicht der Weg, den wir einschlagen. Das Wort hat nun Norbert Brackmann für die CDU/
CSU-Fraktion.
Ein Vorwurf, der von der Opposition in den letzten
Tagen vorgebracht wurde, war, der Haushaltsentwurf sei (Beifall bei der CDU/CSU)
sozial unausgewogen. Als Berichterstatterin für den So-
zialetat möchte ich dazu nur kurz sagen: Es ist nicht nur Norbert Brackmann (CDU/CSU):
so, dass sich Ihr Vorwurf von der sozialen Schieflage Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
längst abgenutzt hat, auch inhaltlich ist er nicht haltbar. Kollegen! Der vorgelegte Haushaltsentwurf inklusive
Trotz Kürzungen wird der Anteil der Sozialausgaben im der Finanzplanung bis 2014 markiert einen Zeitenwech-
Haushalt 2011 noch immer deutlich höher liegen als je- sel. Wir haben seit 60 Jahren immer davon gelebt, dass
mals zu rot-grünen Regierungszeiten. wir jedes Jahr mehr ausgegeben haben, und uns gestrit-
ten, wo wir die Prioritäten setzen. Wir sind jetzt das erste
(Zuruf von der SPD: Das ist eine selektive Mal in einer Phase, in der wir nicht darüber diskutieren,
Darstellung!) in einem Jahr Ausgaben zurücknehmen zu müssen. Viel-
Auch bei der Arbeitsmarktförderung des Bundes steht mehr leiten wir ein Jahrzehnt ein, in dem wir uns immer
2011 deutlich mehr Geld pro Kopf zur Verfügung als wieder hier werden treffen müssen, um darüber zu dis-
noch vor fünf Jahren. Statt 2 860 Euro werden es im Jahr kutieren, wie wir den Haushalt wieder in Ordnung brin-
2011 4 400 Euro pro Arbeitslosem sein. Der Vorwurf, gen und Ausgaben kürzen.
Schwarz-Gelb sei unsozial, ist also völlig absurd. Dies tun wir nicht nur, um die Schuldenbremse einzu-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) halten; dahinter stehen auch Ziele. Bei der Verfolgung
dieser Ziele dürfen wir die Menschen, für die wir hier
Der vorliegende Etatentwurf stellt einen fairen Aus- sitzen und von denen wir gewählt worden sind, nicht aus
gleich aus Abgaben der Wirtschaft und vertretbaren Kür- dem Blick verlieren. Wir müssen an die junge Genera-
6314 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Norbert Brackmann
(A) tion denken, die eine Perspektive braucht. „Perspektive“ (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (C)
heißt, das Leben selbst gestalten zu können. „Selbst ge- Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Ich sage
stalten“ heißt, diese Möglichkeit auch in finanzieller nur: 200 Milliarden Euro!)
Hinsicht zu haben und nicht nur alte Schulden abtragen
zu müssen. Eine intellektuelle Leistung wäre es gewesen, in die-
ser Woche eine langfristige Alternative zum vorgelegten
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Finanzplan aufzuzeigen.
Bettina Hagedorn [SPD]: Und dann wollen Sie
den Rechtsanspruch auf den Hauptschulab- (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das wäre
schluss abschaffen?) ja wohl eine leichte Überforderung!)
– Liebe Frau Hagedorn, wir wollen auch allen arbeitsfä- Dazu habe ich in dieser Woche aber überhaupt nichts
higen Menschen – darauf komme ich nachher zurück – von Ihnen gehört.
eine realistische Möglichkeit geben, einen Arbeitsplatz
(Bettina Hagedorn [SPD]: Wir sind doch ge-
zu bekommen; auch an diese Menschen müssen wir den-
rade in den Haushaltsberatungen, oder etwa
ken.
nicht?)
(Bettina Hagedorn [SPD]: Erst mal wären Ausbil-
dung und Qualifizierung wichtig!) Was die Einzelthemen, die Sie emotionalisiert haben, be-
trifft, gibt es eine lange Liste; aber eine langfristige Per-
– Frau Hagedorn, das Ergebnis Ihrer Politik, ein paar spektive zeigen Sie nicht auf.
Jahre hochgerechnet, können Sie in Griechenland be-
trachten. Sie haben schon bei den Beratungen des Haushal-
tes 2010 bestritten, dass diese Regierung Erfolg haben
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La- wird. Was ist tatsächlich passiert? Wie hoch war denn
chen bei der SPD – Bettina Hagedorn [SPD]: die Arbeitslosigkeit zum Ende der Amtszeit von Herrn
Das glaube ich jetzt ja wohl nicht! Das ist un- Schröder, von dem bei seiner heutigen Tätigkeit – –
glaublich! Wir haben zusammen regiert!)
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Herr
Wir müssen auch an diejenigen denken, die eine sichere Schröder arbeitet einfach viel zu gut! – Heiter-
Rente wollen und nicht erleben wollen, dass ihre Rente keit bei Abgeordneten der SPD)
auf einmal um 20 Prozent gekürzt wird.
– Ja, ja. Aber bei seiner heutigen Tätigkeit ahnt niemand,
(Bettina Hagedorn [SPD]: Haben Sie schon ver- dass er noch der SPD angehört. – Zum Ende von Schröders
gessen, dass wir zusammen regiert haben?) Amtszeit gab es fast 5 Millionen Arbeitslose. Wir haben
(B) Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wir müssen diese Zahl auf deutlich unter 4 Millionen Arbeitslose ge- (D)
über den Tag hinaus denken und ganz deutlich sagen senkt. Es wurde vorausgesagt, dass die Arbeitslosigkeit
– das geht ein wenig unter –: Eine schleichende Enteig- krisenbedingt wieder auf dasselbe Niveau wie zu Zeiten
nung durch immer höhere Preissteigerungsraten wollen der SPD-Regierung steigen wird, also auf fast 5 Millio-
wir verhindern. Zur Stabilität gehört auch, dass wir den nen Arbeitslose.
Menschen, die wenig verdienen, Sicherheit geben.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist doch absurd,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) was Sie da erzählen! Wir haben in der Großen
Koalition die richtigen Antworten gegeben,
Die Voraussetzungen dafür sind solide Staatsfinanzen, und das gemeinsam!)
langfristig angelegt und vor allen Dingen nachhaltig an-
gelegt; Tatsächlich läuft die Entwicklung darauf hinaus, dass
wir in diesem Jahr nur noch gut 3 Millionen Arbeitslose
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wieso
machen Sie dann so viele Schulden?) zu verzeichnen haben. Die Wirtschaftsforschungsinsti-
tute prognostizieren, dass wir im nächsten Jahr im
sonst wird aus unseren Bemühungen nichts werden. Durchschnitt sogar deutlich weniger als 3 Millionen Ar-
Maßnahmen, durch die die Ausgaben reduziert werden, beitslose haben werden.
sind deutlich wachstumsfreundlicher als einnahmeorien-
tierte Maßnahmen wie die, die Sie heute Morgen vorge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
schlagen haben; denn diese führen nicht dazu, dass wir Bettina Hagedorn [SPD]: Ja! Aber nicht dank,
vorankommen. Die Verschuldungsspirale müssen wir sondern trotz Schwarz-Gelb! – Zuruf von der
durchbrechen. CDU/CSU: Daran ist nicht die SPD beteiligt!)
(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja! Das tun Sie aber Gerade die SPD sollte wissen, dass die beste Sozialpoli-
nicht! – Gegenruf von der CDU/CSU: Das ma- tik, die es gibt, diejenige ist, die die Menschen in Arbeit
chen wir seit Jahren!) bringt und ihnen eine persönliche Perspektive eröffnet.
Nur wenn wir dauerhaft höchstens so viel ausgeben, wie (Bettina Hagedorn [SPD]: Richtig! Da haben
wir einnehmen, Sie recht! Und zwar zu auskömmlichen Löh-
nen!)
(Bettina Hagedorn [SPD]: Ach! Das tun Sie
doch auch nicht!) Genau das werden wir mit unserer Politik erreichen.
kommen wir auf einen vernünftigen Kurs. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6315
Norbert Brackmann
(A) Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer dem (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (C)
Rufer im eigenen Land nicht glaubt, der kann gerne in Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das begreifen
die Welt schauen. die nicht!)
(Otto Fricke [FDP]: Das ist für die Sozialde- Was wir wegen der Mehrjährigkeit unserer Anforde-
mokraten zu viel!) rungen benötigen, ist Nachhaltigkeit und das Wir-Ge-
fühl, dass wir da durch wollen. So wie es uns bei der
Schauen wir uns doch einmal an, was in der amerikani- Umweltpolitik gelungen ist, brauchen wir auch in der
schen Presse im Moment über Deutschland geschrieben Haushaltspolitik Nachhaltigkeit.
wird.
Für die Sicherheit dieser und der nachfolgenden Ge-
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Die ha- nerationen, für eine nachhaltige Haushaltskonsolidie-
ben ja keinen Steinbrück!) rung und für solide Finanzen müssen wir auch die Netto-
Deutschland wird als „Powerhouse“ bezeichnet. kreditaufnahme in 2011 deutlich unter die Zahl von 2010
bringen. Diese Erkenntnis ist mittlerweile Allgemeingut.
(Thomas Oppermann [SPD]: Ja, ja! Das habe Wir alle wissen es, aber nur wenige handeln danach.
ich heute Morgen schon in der Bild-Zeitung
Alexander von Humboldt hat einst gesagt: „Gelehrte
gelesen!)
Leute wissen es, tapfere tun es.“ Alle in diesem Hause
Es ist die Rede von „Germany’s Superstar Economy“. wissen es. Die christlich-liberale Koalition wird es tun.
Im Wall Street Journal hieß es in der letzten Woche
Danke schön.
schlicht: das deutsche Wunder.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja! Das deutsche
Wunder sind Peer Steinbrück, Frank-Walter
Steinmeier, Olaf Scholz usw.!) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Als letztem Redner in der heutigen Debatte erteile ich
Unser Plan, durch Ausgabenkürzungen Wachstum zu dem Kollegen Leo Dautzenberg für die CDU/CSU-Frak-
generieren, wird als intelligent bezeichnet. Sie hingegen tion das Wort.
beurteilen unsere Leistung als katastrophal. Herr
Schneider bewertete unsere Konsolidierungsbemühun- Leo Dautzenberg (CDU/CSU):
gen vorhin als ungenügend. Herr Binding sprach von ei-
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
ner Fehlleistung.
Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, dass die erste
(B) (Bettina Hagedorn [SPD]: Sie können ja auch Beratung des Haushaltes gezeigt hat – so sehen wir das (D)
einmal Herrn Rösler zitieren!) als Finanzpolitiker –, dass die Haushaltskonsolidie-
rung Grundlage einer nachhaltigen Finanz-, Finanz-
Ich sage Ihnen: Wer zu solchen Einschätzungen kommt, markt- und damit auch Wirtschaftspolitik ist. Wann,
der hat nicht die vielen Arbeitslosen, die danach streben, wenn nicht jetzt sollten wir das schaffen, wo uns die
endlich in Arbeit zu kommen, im Blick, sondern der hat konjunkturellen Aspekte wieder hoffnungsfroh stimmen
den Blick auf die Menschen in unserem Land verloren. und wir, wie Herr Schäuble ausgeführt hat, vielleicht im
Das werden wir nicht zulassen. nächsten Jahr wieder so weit sind, dass wir das aufgeholt
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – haben, was wir in der Wirtschaftskrise als Einbruch im
Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ich sage Wachstum, nämlich um knapp 5 Prozent, ertragen muss-
nur: Schleswig-Holstein!) ten? Dadurch wird noch einmal klar, um welche Dimen-
sionen es dabei geht.
Darauf, dass sich eine so gute Wirtschaftspolitik, die
auf Wachstum und Stabilität ausgerichtet ist, auch woan- Wenn man jetzt, wo die Konjunkturlage wieder besser
ders auszahlt, wird und wir auch Gott sei Dank gemeinsam mit der
SPD die Schuldenbremse in der Verfassung verankert
(Thomas Oppermann [SPD]: Wo?) haben, Ihre heutigen Ausführungen hört und wenn man
daran denkt, wie sich manche Bundesländer und auch
ist noch gar nicht eingegangen worden. Wir als Muster- die neue Ministerpräsidentin in Nordrhein-Westfalen äu-
knaben in Europa sind derzeit die Einzigen neben Finn- ßern, dann muss man fragen: Haben Sie aus dem, was
land, die keine Risikoaufschläge zahlen, wenn wir uns wir gemeinsam gemacht haben, nichts gelernt? Wollen
am Finanzmarkt bedienen. Es wird häufig beklagt, dass Sie jetzt wieder den gegenteiligen Weg gehen?
wir 38 Milliarden Euro für Zinsen aufwenden müssen.
Wenn wir ein europäisches Mittelmaß an Zinsen aufzu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
bringen hätten, dann müssten wir allein in diesem Haus- neten der FDP – Lothar Binding [Heidelberg]
halt 15 Milliarden Euro mehr für Zinsen aufbringen und [SPD]: Woraus leitest du das denn ab?)
damit das Sparpaket, das die Regierung für das nächste Das ist Ihr Dilemma. Die Umfragewerte sind auch da-
Jahr vorgeschlagen hat, mehr als verdoppeln. Darunter von abhängig, dass man zu etwas steht, das man gemein-
würden alle Menschen in der Republik leiden, insbeson- sam gemacht hat, und sich nicht davon verabschiedet.
dere diejenigen, die von Transferleistungen des Staates
leben, weil wir sie einfach nicht mehr bezahlen könnten. (Bettina Hagedorn [SPD]: Stehen Sie einmal zu
Auch das ist ein Stück Wahrheit. der Großen Koalition und ihrer Leistung!)
6316 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

Leo Dautzenberg
(A) Was Stabilitätspolitik anbelangt, Kollegin Hagedorn, auf die Agenda zu setzen. Mit dem Finanzmarktstabili- (C)
haben Sie kritisiert, wir würden uns auf europäischer sierungsgesetz und dem Finanzmarktstabilisierungsfort-
Ebene als Musterknaben aufspielen. Schröder und entwicklungsgesetz haben wir die Grundlagen für die
Eichel waren es doch, die 2003 den Stabilitäts- und Rettung und Stabilisierung von Banken gelegt. Wenn
Wachstumspakt aufgeweicht haben, was dazu geführt man dem Wortlaut dieser Gesetze weiterhin folgt, dann
hat, dass auch die anderen europäischen Ländern keine wird einem klar, dass nach der Phase der Konsolidierung
Haushaltsdisziplin mehr befolgt haben eine Neustrukturierung im öffentlichen Bankensektor,
insbesondere bei den Landesbanken, stattfinden muss.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Da haben Sie nicht Wenn man sieht, wie sich die Auswirkungen von
gut zugehört! – Lothar Binding [Heidelberg] Basel III demnächst darstellen werden, dann muss man
[SPD]: Sonst hätten wir K I und K II gar nicht sagen, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, in der Über-
machen können!) gangsphase die entsprechenden Maßnahmen auf den
und dass die Verschuldung in den Ländern gestiegen ist. Weg zu bringen.
Das ist dann in der Euro-Krise kulminiert. Wenn wir Ur- Die Regierung zieht eine weitere Konsequenz aus der
sache und Wirkung genau auseinanderhalten, dann war Finanzkrise auf nationaler Ebene und bringt den Entwurf
es auch die nicht mehr verantwortbare Verschuldung der eines Restrukturierungsgesetzes auf den Weg. Dieses
einzelnen Staaten in Europa, die zur Schwäche des Euro Gesetz soll gewährleisten, dass sogenannte systemische
geführt hat. Banken restrukturiert und abgewickelt werden können;
Von daher ist es eine konsequente Politik, dass sich das war bisher nicht möglich. Mit der Bankenabgabe
auch unser Finanzminister gemeinsam mit der Kanzlerin und dem Restrukturierungsgesetz einschließlich eines
zuletzt noch vorgestern, glaube ich, auf europäischer Insolvenzrechts für Finanzinstitute wird der richtige
Ebene dafür eingesetzt hat, dass wir zu weiteren Krite- Weg beschritten.
rien der Stabilitätspolitik auf europäischer Ebene kom- Diese Bundesregierung und die Regierungskoalition
men und dass wir dort Vereinbarungen und Systeme leisten mit dem Haushalt, der einen Einstieg in die Kon-
schaffen, die keine kurzfristigen Euro-Rettungsschirme solidierung darstellt, und den Regelungen betreffend die
mehr erforderlich machen. Damit kommen wir zu einer Finanzmärkte einen wesentlichen und notwendigen Bei-
langfristigen Stabilitätspolitik. Das ist die Grundlage, trag zur Sicherung der Zukunft Deutschlands.
um innerhalb des Euro-Raums zu Stabilität zu kommen
und die Inflation zu bekämpfen. Deshalb betonen wir Fi- In diesem Sinne vielen Dank.
nanzpolitiker, dass mittelfristig die Vorgaben des Konso-
lidierungspakets in jedem Haushalt Schritt für Schritt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(B) umgesetzt werden müssen. Wir haben jetzt die Chance, (D)
dies auf den Weg zu bringen. Es kann sicherlich in ein- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
zelnen Bereichen noch zu Veränderungen bei den Stell- Ich schließe die Aussprache.
schrauben kommen. Aber es muss klar sein, dass nun die
vereinbarten Eckpunkte und Volumina, die die Grund- Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
lage bilden, realisiert werden. auf den Drucksachen 17/2500 und 17/2501 an den Haus-
haltsausschuss vorgeschlagen. – Sind Sie damit einver-
Wir können bereits Erfolge in den Fragen betreffend standen? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisun-
den Finanzmarkt und insbesondere im Bereich einer ef- gen so beschlossen.
fizienten Regulierung vorweisen, Stichwort Basel III.
So hat sich die deutsche Finanzierungskultur bei den Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
Banken im angelsächsischen Raum durchgesetzt, wenn ordnung.
es um die Anerkennung des Kernkapitals geht. Beim Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
Kernkapital geht es nicht nur um reines Beteiligungska- destages auf Mittwoch, den 29. September 2010, 13 Uhr,
pital, sondern auch um sogenannte Mezzanine-Struktu- ein.
ren wie stille Beteiligungen. Aber das ist nur der Über-
gang. 2023 muss das Ganze neu austariert werden. Es ist Ich wünsche Ihnen ein freundliches Wochenende.
daher richtig, dass unser Finanzminister dies zum Anlass Die Sitzung ist geschlossen.
nimmt, weitere Strukturmaßnahmen im öffentlichen
Bankensektor und insbesondere bei den Landesbanken (Schluss: 13.09 Uhr)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6317

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis


Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Aigner, Ilse CDU/CSU 17.09.2010 Dr. Schui, Herbert DIE LINKE 17.09.2010

Dr. Bartels, Hans-Peter SPD 17.09.2010 Dr. Seifert, Ilja DIE LINKE 17.09.2010

Bartol, Sören SPD 17.09.2010 Dr. Sitte, Petra DIE LINKE 17.09.2010

Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/ 17.09.2010* Dr. Steinmeier, Frank- SPD 17.09.2010
Marieluise DIE GRÜNEN Walter

Bernschneider, Florian FDP 17.09.2010 Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/ 17.09.2010
DIE GRÜNEN
Binder, Karin DIE LINKE 17.09.2010
Weinberg, Harald DIE LINKE 17.09.2010
Birkwald, Matthias W. DIE LINKE 17.09.2010
Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 17.09.2010
Duin, Garrelt SPD 17.09.2010
Werner, Katrin DIE LINKE 17.09.2010
Ehrmann, Siegmund SPD 17.09.2010
Wieczorek-Zeul, SPD 17.09.2010
Erdel, Rainer FDP 17.09.2010 Heidemarie

(B) Friedhoff, Paul K. FDP 17.09.2010 Wieland, Wolfgang BÜNDNIS 90/ 17.09.2010 (D)
DIE GRÜNEN
Herzog, Gustav SPD 17.09.2010 * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates
Lay, Caren DIE LINKE 17.09.2010

Lenkert, Ralph DIE LINKE 17.09.2010 Anlage 2


Meierhofer, Horst FDP 17.09.2010 Amtliche Mitteilung
Der Bundesrat hat in seiner 873. Sitzung am 9. Juli
Möller, Kornelia DIE LINKE 17.09.2010 2010 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu-
stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2
Nahles, Andrea SPD 17.09.2010
des Grundgesetzes nicht zu stellen:
Nink, Manfred SPD 17.09.2010 – Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Arti-
kel 91 e)
Oswald, Eduard CDU/CSU 17.09.2010

Pitterle, Richard DIE LINKE 17.09.2010 Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie-
ßung gefasst:
Pothmer, Brigitte BÜNDNIS 90/ 17.09.2010
DIE GRÜNEN I.
Kern des Regelungsanliegens des Gesetzes für mo-
Pronold, Florian SPD 17.09.2010 derne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt war die Zu-
sammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe zu
Roth (Augsburg), BÜNDNIS 90/ 17.09.2010 einer einheitlichen Leistung, der Grundsicherung für
Claudia DIE GRÜNEN Arbeitsuchende. Damit die Verwaltung der Leistung
aus einer Hand erfolgen kann, sieht § 44b SGB II die
Dr. Schmidt, Frithjof BÜNDNIS 90/ 17.09.2010 Bildung von Arbeitsgemeinschaften aus den Agentu-
DIE GRÜNEN ren für Arbeit und den kommunalen Trägern vor. Mit
Urteil vom 20. Dezember 2007 (BVerfGE 119, 331)
Schnieder, Patrick CDU/CSU 17.09.2010 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass
6318 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

(A) Arbeitsgemeinschaften gemäß § 44b SGB II dem – Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisation (C)
Grundsatz eigenverantwortlicher Aufgabenwahrneh- der Grundsicherung für Arbeitsuchende
mung widersprechen, der den zuständigen Verwal-
– Drittes Gesetz zur Änderung des Vierten Buches
tungsträger verpflichtet, seine Aufgaben grundsätz-
Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze
lich durch eigene Verwaltungseinrichtungen, also mit
eigenem Personal, eigenen Sachmitteln und eigener – Zweites Gesetz zur Änderung des Bundeswaldge-
Organisation wahrzunehmen. Das Bundesverfas- setzes
sungsgericht hat insofern die entsprechende Regelung
– Sechstes Gesetz zur Änderung des Weingesetzes
in § 44b SGB II für unvereinbar mit dem Grundgesetz
erklärt und dem Gesetzgeber aufgegeben, bis zum – Gesetz zur Änderung des Betriebsprämiendurch-
31. Dezember 2010 einen verfassungsgemäßen Zu- führungsgesetzes und anderer Gesetze
stand herzustellen.
– Gesetz zur Änderung des Katzen- und Hundefell-
Einfuhr-Verbotsgesetzes und zur Änderung des
II. Seefischereigesetzes
Mit dem vom Deutschen Bundestag am 17. Juni 2010 – Gesetz über die aufsichtsrechtlichen Anforderun-
beschlossenen Gesetz zur Änderung des Grundgeset- gen an die Vergütungssysteme von Instituten und
zes wird die verfassungsrechtliche Grundlage für eine Versicherungsunternehmen
Neuorganisation der Aufgabenwahrnehmung in der – Gesetz zur Änderung krankenversicherungs-
Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) entspre- rechtlicher und anderer Vorschriften
chend den Absprachen einer interfraktionellen Bund-
Länder-Arbeitsgruppe geschaffen. Das Gesetz ergänzt – Gesetz zu dem Staatsvertrag vom 16. Dezember
das Grundgesetz um einen neuen Zuständigkeitstitel 2009 und 26. Januar 2010 über die Verteilung von
für die Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsu- Versorgungslasten bei bund- und länderübergrei-
chende. Es ermöglicht dem Gesetzgeber im Bereich fenden Dienstherrenwechseln
der für dieses Aufgabengebiet nunmehr ausdrücklich – Gesetz zur Schaffung eines nationalen Stipendien-
zugelassenen Verwaltungsformen (Artikel 91 e Ab- programms (Stipendienprogramm-Gesetz –
satz 1 und 2 GG) nicht nur kompetenzielle, sondern StipG)
auch materielle, in der Zusammenschau mit anderen
verfassungsrechtlichen Prinzipien tragfähige Lösun- – Sechstes Gesetz zur Änderung des Filmförde-
gen. rungsgesetzes
(B) 1. Der Bundesrat stellt fest, dass sich die gemeinsame – Gesetz zur Einführung einer Musterwiderrufs- (D)
Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsu- information für Verbraucherdarlehensverträge,
chende durch die der Bundesagentur für Arbeit zu- zur Änderung der Vorschriften über das Wider-
gehörigen örtlichen Agenturen für Arbeit und die rufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen und
jeweils zuständigen kommunalen Träger grund- zur Änderung des Darlehensvermittlungsrechts
sätzlich bewährt hat. Die Zusammenarbeit von Ar- – Zweites Gesetz zur Harmonisierung des Haf-
beitsagenturen und Kommunen gewährleistet, dass tungsrechts im Luftverkehr
die erwerbsfähigen Hilfebedürftigen aus einer
Hand betreut werden und Leistungen aus einer – Gesetz zur Vermeidung kurzfristiger Markteng-
Hand erhalten. pässe bei flüssiger Biomasse
– Gesetz zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtli-
2. Der Bundesrat begrüßt, dass die gemeinsame nie auf dem Gebiet des Umweltrechts sowie zur
Durchführung daher als Regelfall fortgesetzt wer- Änderung umweltrechtlicher Vorschriften
den soll. Daneben sollen die bisher in einer Experi-
mentierklausel im SGB II geregelten Zulassungen – Gesetz zur Änderung wehr- und zivildienstrecht-
von einzelnen Kommunen zur alleinigen Aufga- licher Vorschriften 2010 (Wehrrechtsänderungs-
benwahrnehmung verstetigt und die Grundsiche- gesetz 2010 – WehrRÄndG 2010)
rung für Arbeitsuchende von einer begrenzten An-
zahl von Gemeinden und Gemeindeverbänden auf Der Bundesrat hat ferner die nachstehenden Ent-
ihren Antrag und mit Zustimmung der obersten schließungen gefasst:
Landesbehörde auch künftig allein wahrgenom-
men werden können. 1. – Der Bundesrat stellt fest, dass sich die mit dem Ge-
setz verbundene Verkürzung des Zivildienstes auf
3. Der Bundesrat bekräftigt in Ansehung des im Text sechs Monate unmittelbar auf die soziale Infra-
der neuen Verfassungsnorm verankerten Regel- struktur in den Ländern auswirkt. Angesichts des-
Ausnahme-Verhältnisses zwischen der Aufgaben- sen begrüßt der Bundesrat, dass das Gesetz die
wahrnehmung in gemeinsamen Einrichtungen und Möglichkeit der freiwilligen Verlängerung des Zi-
Optionskommunen, dass hiernach die Zahl der Op- vildienstes vorsieht. In diesem Zusammenhang bit-
tionskommunen bezogen auf die bestehende Ge- tet er Bundesregierung und Bundestag, dafür Sorge
samtzahl der Aufgabenträger im Bundesgebiet bis zu tragen, dass die Eigenständigkeit der Jugend-
zu einem Viertel betragen kann. freiwilligendienste, wie sie im Gesetz zur Förde-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6319

(A) rung der Jugendfreiwilligendienste vom 16. Mai – Gesetz zur Änderung des Güterverkehrsgesetzes (C)
2008 geregelt sind, auch mittel- und langfristig ge- und des Fahrpersonalgesetzes
wahrt bleibt.
– Gesetz über die Feststellung des Wirtschaftsplans
– Der Bundesrat stellt fest, dass die Absenkung der des ERP-Sondervermögens für das Jahr 2010
Förderung für Kriegsdienstverweigerer nach § 14c (ERP-Wirtschaftsplangesetz 2010)
ZDG in einigen Bereichen der Jugendfreiwilligen- – Gesetz zu dem Abkommen vom 3. Dezember 2009
dienste zu Finanzierungsproblemen der Träger und zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
Einsatzstellen führt. Er begrüßt allerdings die Ab- der Föderativen Republik Brasilien über Soziale
sicht der Bundesregierung, die Jugendfreiwilligen- Sicherheit
dienste durch Bundesmittel zu verstärken und die
Bundesmittel in Höhe von jährlich 35 Millionen – Gesetz zu dem Abkommen vom 2. März 2009 zwi-
Euro, die durch die Absenkung der Förderung nach schen der Regierung der Bundesrepublik
§ 14c ZDG frei geworden sind, künftig zur Förde- Deutschland und der Regierung der Insel Man
rung der Jugendfreiwilligendienste zu verwenden. zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von im
internationalen Verkehr tätigen Schifffahrtsun-
– Mit Blick auf die Folgen des Gesetzes für die Län- ternehmen
der fordert der Bundesrat, die Mittel für die Ju- – Gesetz zu dem Abkommen vom 2. März 2009 zwi-
gendfreiwilligendienste generell anzuheben und schen der Regierung der Bundesrepublik
die Förderhöhen bei FSJ und FÖJ unter Berück- Deutschland und der Regierung der Insel Man
sichtigung der jeweiligen Strukturen dem erheblich über die Unterstützung in Steuer- und Steuer-
angewachsenen Bedarf an pädagogischer Betreu- strafsachen durch Auskunftsaustausch
ung anzupassen. Er fordert überdies, auch Träger
der Jugendfreiwilligendienste in die Förderung – Gesetz zu dem Abkommen vom 26. März 2009
einzubeziehen, die nach § 10 JFDG von den zu- zwischen der Regierung der Bundesrepublik
ständigen Landesbehörden zugelassen sind und Deutschland und der Regierung von Guernsey
keinem der acht bundeszentralen Träger angehö- über den Auskunftsaustausch in Steuersachen
ren. – Gesetz zu dem Abkommen vom 13. August 2009
– Der Bundesrat fordert die Bundesregierung ein- zwischen der Regierung der Bundesrepublik
Deutschland und der Regierung von Gibraltar
dringlich auf, bei weiteren Überlegungen zur Re-
über die Unterstützung in Steuer- und Steuer-
form des Wehrdienstes deren Auswirkungen auf
den Zivildienst einschließlich aller Folgewirkun- strafsachen durch Auskunftsaustausch
(B) (D)
gen insbesondere auf die Jugendfreiwilligendienste – Gesetz zu dem Abkommen vom 2. September
und die soziale Infrastruktur maßgeblich zu be- 2009 zwischen der Regierung der Bundesrepublik
rücksichtigen und die Länder bei gesetzlichen Vor- Deutschland und der Regierung des Fürstentums
haben dieser Bedeutung künftig frühzeitiger zu be- Liechtenstein über die Zusammenarbeit und den
teiligen. Informationsaustausch in Steuersachen
– Er bittet die Bundesregierung, dem Bundesrat über – Gesetz zu dem Vertrag vom 27. November 2008
die Auswirkungen des Gesetzes auf die soziale In- über die Änderung des Vertrags vom 11. April
frastruktur bis zum 30. Juni 2012 zu berichten. 1996 über die Internationale Kommission zum
Schutz der Oder gegen Verunreinigung
2. Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, die – Gesetz zu den Änderungen vom 2. Oktober 2008
Länder im Rahmen der anstehenden Strukturverände- des Übereinkommens vom 3. September 1976
rungen bei der Bundeswehr – beginnend mit dem über die Internationale Organisation für Mobile
Wehrrechtsänderungsgesetz 2010 – angemessen und Satellitenkommunikation (International Mobile
frühzeitig zu beteiligen, um zu einem Konzept zu ge- Satellite Organization – IMSO)
langen, das auch die Interessen der Länder hinrei-
chend berücksichtigt. – Gesetz zur Vorbeugung gegen missbräuchliche
Wertpapier- und Derivategeschäfte
Dies gilt insbesondere hinsichtlich der möglichen
Auswirkungen auf – … Gesetz zur Änderung des Gerichtsverfassungs-
gesetzes
– die Standorte der Bundeswehr; – … Gesetzes zur Änderung des Erneuerbare-Ener-
gien-Gesetzes
– die zivil-militärische Zusammenarbeit und die Er-
haltung der Einsatzfähigkeit des Zivil- und Kata-
strophenschutzes; Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mitgeteilt,
dass sie den Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung
– den gesamten sozialen Sektor wie den Zivildienst, des Grundgesetzes – Ausführung von Bundes-
die Surrogatdienste (FSJ, FÖJ, anderer Dienst im gesetzen auf dem Gebiet der Grundsicherung für Ar-
Ausland), den Ausbau der Jugendfreiwilligen- beitsuchende (Artikel 87g und 125d) auf Drucksache
dienste. 17/206 zurückzieht.
6320 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010

(A) Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mit- Innenausschuss (C)
geteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 Drucksache 17/136 Nr. A.15
der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu der Ratsdokument 11715/3/09 REV 3
Drucksache 17/1100 Nr. A.3
nachstehenden Vorlage absieht: Ratsdokument 6213/10
Drucksache 17/1492 Nr. A.7
Ratsdokument 7264/10
Auswärtiger Ausschuss Drucksache 17/1492 Nr. A.8
Ratsdokument 7936/10
– Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 17/2071 Nr. A.5
Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des Ratsdokument 9273/10
Europarates im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni Drucksache 17/2071 Nr. A.6
2010 Ratsdokument 9604/10
Drucksache 17/2408 Nr. A.6
– Drucksachen 17/1495, 17/1819 Nr. 1.2 – Ratsdokument 11172/10
Drucksache 17/2408 Nr. A.7
– Unterrichtung durch die Bundesregierung Ratsdokument 11173/10
Bericht der Bundesregierung über die Tätigkeit des
Europarates im Zeitraum vom 1. Juli bis 31. Dezember
2009 Rechtsausschuss
– Drucksachen 17/1496, 17/1819 Nr. 1.3 – Drucksache 17/1492 Nr. A.10
EuB-EP 2009; P7_TA-PROV(2010)0018

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie


Haushaltsausschuss
– Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 17/2071 Nr. A.11
Koordinierungsrahmen der Gemeinschaftsaufgabe Ratsdokument 9193/10
„Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ ab Drucksache 17/2071 Nr. A.14
2009 Ratsdokument 9875/10
Drucksache 17/2071 Nr. A.15
– Drucksachen 16/13950, 17/591 Nr. 1.27 – Ratsdokument 9877/10

– Unterrichtung durch die Bundesregierung


Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
des Europäischen Parlaments und des Rates über End- Drucksache 17/2071 Nr. A.22
energieeffizienz und Energiedienstleistungen Ratsdokument 9793/10
– Drucksache 17/1719 –
(B) hier: Stellungnahme des Bundesrates und Gegenäuße- (D)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
rung der Bundesregierung
Verbraucherschutz
– Drucksachen 17/2280, 17/2373 Nr. 4 –
Drucksache 17/136 Nr. A.69
Ratsdokument 13632/09
Drucksache 17/2071 Nr. A.24
Ausschuss für Bildung, Forschung und Ratsdokument 9585/10
Technikfolgenabschätzung Drucksache 17/2071 Nr. A.25
Ratsdokument 9821/10
– Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 17/2071 Nr. A.26
Bericht der Bundesregierung zur Bildung für eine Ratsdokument 9888/10
nachhaltige Entwicklung Drucksache 17/2224 Nr. A.6
Ratsdokument 10229/10
– Drucksachen 16/13800, 17/591 1.18 – Drucksache 17/2408 Nr. A.19
Ratsdokument 10499/10
– Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 17/2408 Nr. A.20
Achtzehnter Bericht nach § 35 des Bundesausbildungs- Ratsdokument 10500/10
förderungsgesetzes zur Überprüfung der Bedarfssätze, Drucksache 17/2408 Nr. A.21
Freibeträge sowie Vomhundertsätze und Höchstbeträge Ratsdokument 10501/10
nach § 21 Absatz 2 Drucksache 17/2408 Nr. A.22
Ratsdokument 10502/10
– Drucksache 17/485 – Drucksache 17/2408 Nr. A.23
Ratsdokument 10503/10
– Unterrichtung durch die Bundesregierung Drucksache 17/2408 Nr. A.24
Gutachten zu Forschung, Innovation und technologi- Ratsdokument 10505/10
scher Leistungsfähigkeit 2010 Drucksache 17/2408 Nr. A.25
Ratsdokument 11060/10
– Drucksache 17/990 –

– Unterrichtung durch die Bundesregierung Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und


Bundesbericht Forschung und Innovation 2010 Reaktorsicherheit
– Drucksache 17/1880 – Drucksache 17/136 Nr. A.96
Ratsdokument 12109/09
Drucksache 17/859 Nr. A.12
Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben Ratsdokument 5614/10
mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Drucksache 17/1100 Nr. A.10
Ratsdokument 6826/10
Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- Drucksache 17/1270 Nr. A.4
ner Beratung abgesehen hat. Ratsdokument 6759/10
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 60. Sitzung. Berlin, Freitag, den 17. September 2010 6321

(A) Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und (C)
Entwicklung
Drucksache 17/136 Nr. A.100
Ratsdokument 11872/09 Drucksache 17/2071 Nr. A.34
Drucksache 17/1649 Nr. A.8 Ratsdokument 6142/10
Ratsdokument 8250/10 Drucksache 17/2071 Nr. A.35
Drucksache 17/1649 Nr. A.9 Ratsdokument 7261/10
Ratsdokument 8433/10 Drucksache 17/2071 Nr. A.37
Ratsdokument 9329/10
Drucksache 17/2071 Nr. A.38
Ausschuss für Bildung, Forschung und Ratsdokument 9631/10
Technikfolgenabschätzung
Drucksache 17/592 Nr. A.9
Ratsdokument 5026/10
Drucksache 17/1821 Nr. A.20
Ratsdokument 9424/10

(B) (D)
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
ISSN 0722-7980

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