Sie sind auf Seite 1von 120

Plenarprotokoll 17/59

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

59. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Inhalt:

Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- Garrelt Duin (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6165 D


nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6151 A
Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 6167 D
Nachträgliche Ausschussüberweisung . . . . . . 6152 B Michael Schlecht (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 6169 D
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6170 C
Tagesordnungspunkt 1: Dr. Michael Luther (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 6172 A
(Fortsetzung)
Garrelt Duin (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6172 D
a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes über die Feststellung des Bundes- Einzelplan 11
haushaltsplans für das Haushaltsjahr
Bundesministerium für Arbeit und So-
2011 (Haushaltsgesetz 2011)
ziales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6173 D
(Drucksache 17/2500) 6152 C
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin
b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6174 A
Finanzplan des Bundes 2010 bis 2014
(Drucksache 17/2501) . . . . . . . . . . . . . . . . 6152 C Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 6174 D
Elke Ferner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6176 B
Einzelplan 09 Dr. Claudia Winterstein (FDP) . . . . . . . . . . . . 6178 C
Bundesministerium für Wirtschaft und Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 6180 A
Technologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6152 C
Dr. Claudia Winterstein (FDP) . . . . . . . . . . . . 6180 C
Rainer Brüderle, Bundesminister
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6152 D Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 6181 A

Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/


6154 B
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6182 B
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6156 D
Ingrid Fischbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 6184 A
Peter Friedrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 0000
6158 A
C Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 6186 C
Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 6160 A Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 6188 A
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6160 B Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6189 C
Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) . . . . . . . . . 6160 C Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 6190 B
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . 6161 D Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 6191 A
Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6164 A Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 6192 B
Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . 6165 A Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 6193 C
II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6194 B d) Antrag der Abgeordneten Markus Kurth,


Fritz Kuhn, Ekin Deligöz, weiterer Abge-
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
(CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6195 B DIE GRÜNEN: Bedarfsgerechte Regel-
sätze und ein zuverlässiges Hilfesystem
für Kinder, Jugendliche und Erwach-
Tagesordnungspunkt 2: sene statt Experimenten
(Drucksache 17/2921) . . . . . . . . . . . . . . . 6197 C
a) Erste Beratung des von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- e) Antrag der Abgeordneten Brigitte Pothmer,
zes zum Vorschlag für eine Verordnung Beate Müller-Gemmeke, Fritz Kuhn, wei-
des Europäischen Parlaments und des terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
Rates über Finanzbeiträge der Europäi- NIS 90/DIE GRÜNEN: Kein Sachgrund,
schen Union zum Internationalen Fonds keine Befristung – Befristete Arbeitsver-
für Irland (2007 bis 2010) träge begrenzen
(Drucksache 17/2629) 6196 D (Drucksache 17/2922) . . . . . . . . . . . . . . . 6197 C
b) Erste Beratung des von der Bundesregie- f) Antrag der Abgeordneten Daniela Wagner,
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Bettina Herlitzius, Markus Kurth, weiterer
zes zur Modernisierung der Regelungen Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
über Teilzeit-Wohnrechteverträge, Ver- NIS 90/DIE GRÜNEN: Heizkostenkom-
träge über langfristige Urlaubsprodukte ponente beim Wohngeld erhalten
sowie Vermittlungsverträge und Tausch- (Drucksache 17/2923) . . . . . . . . . . . . . . . 6197 C
systemverträge
(Drucksache 17/2764) g) Antrags der Abgeordneten Sabine Leidig,
6196 D
Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens,
c) Erste Beratung des von der Bundesregie- weiterer Abgeordneter und der Fraktion
rung eingebrachten Entwurfs eines Vier- DIE LINKE: Stuttgart 21, Neubaustre-
ten Gesetzes zur Änderung der Wirt- cke Wendlingen–Ulm und Sparpaket
schaftsprüferordnung – Wahlrecht der der Bundesregierung
Wirtschaftsprüferkammer (Drucksache 17/2914) . . . . . . . . . . . . . . . 6197 D
(Drucksache 17/2628) 6197 A h) Antrag der Abgeordneten Katja Kipping,
d) Erste Beratung des von der Bundesregie- Matthias W. Birkwald, Diana Golze, wei-
rung eingebrachten Entwurfs eines Neun- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE
ten Gesetzes zur Änderung des Bundes- LINKE: Maßnahmen zur Gewährleis-
Immissionsschutzgesetzes tung eines menschenwürdigen Existenz-
(Drucksache 17/2866) 6197 A und Teilhabeminimums
(Drucksache 17/2934) . . . . . . . . . . . . . . . 6197 D
i) Antrag der Abgeordneten Uwe Beckmeyer,
Zusatztagesordnungspunkt 1: Rainer Arnold, Sören Bartol, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD: Kein
a) Antrag der Abgeordneten Dr. Harald Terpe,
Weiterbau von Stuttgart 21 bis zur Volks-
Birgitt Bender, Katrin Göring-Eckardt, wei-
abstimmung
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
(Drucksache 17/2933) . . . . . . . . . . . . . . . 6198 A
NIS 90/DIE GRÜNEN: Gesundheitliche
Risiken des Drogengebrauchs verrin-
gern – Drugchecking ermöglichen
(Drucksache 17/2050) . . . . . . . . . . . . . . . . 6197 A Tagesordnungspunkt 3:
a) Beschlussempfehlung und Bericht des
b) Antrag der Abgeordneten Winfried Hermann,
Haushaltsausschusses:
Kerstin Andreae, Birgitt Bender, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜND- – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.
NIS 90/DIE GRÜNEN: Sofortiger Bau- Bärbel Kofler, Sören Bartol, Dirk Becker,
stopp für Stuttgart 21 und die Neubau- weiterer Abgeordneter und der Frak-
strecke Wendlingen–Ulm tion der SPD: Marktanreizprogramm
(Drucksache 17/2893) . . . . . . . . . . . . . . . . 6197 B und nationale Klimaschutzinitiative
fortsetzen
c) Antrag der Abgeordneten Tabea Rößner,
Agnes Krumwiede, Ekin Deligöz, weiterer – zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver
Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Krischer, Sven-Christian Kindler, Hans-
NIS 90/DIE GRÜNEN: Kultur und Rund- Josef Fell, weiterer Abgeordneter und
funk nicht durch die Frequenzumstel- der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
lung schädigen NEN: Aufhebung der Haushaltssperre
(Drucksache 17/2920) . . . . . . . . . . . . . . . . 6197 B und Weiterführung des Marktan-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 III

reizprogramms und der nationalen Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . 6211 C


Klimaschutzinitiative zur Förderung
erneuerbarer Energien Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6213 A

(Drucksachen 17/2119, 17/2007, 17/2477) Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 6214 C


6198 A
b) Beschlussempfehlung und Bericht des Haus- Monika Lazar (BÜNDNIS 90/
haltsausschusses zu dem Antrag des Präsi- DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6216 A
denten des Bundesrechnungshofes: Rech- Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 6217 B
nung des Bundesrechnungshofes für das
Haushaltsjahr 2009 – Einzelplan 20 – Kai Gehring (BÜNDNIS 90/
(Drucksachen 17/1730, 17/2489) . . . . . . . 6198 C DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6219 A

c) Beschlussempfehlung und Bericht des Haus- Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6219 D


haltsausschusses Andreas Mattfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6221 A
– zu dem Antrag des Bundesministe- Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6222 B
riums der Finanzen: Entlastung der
Bundesregierung für das Haushalts-
jahr 2008 – Vorlage der Haushalts- Einzelplan 07
und Vermögensrechnung des Bun-
Bundesministerium der Justiz . . . . . . . . 6223 C
des – (Jahresrechnung 2008)
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger,
– zu der Unterrichtung durch den Bun-
Bundesministerin BMJ . . . . . . . . . . . . . . . 6223 C
desrechnungshof: Bemerkungen des
Bundesrechnungshofes 2009 zur Haus- Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/
halts- und Wirtschaftsführung des DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6224 C
Bundes (einschließlich der Feststel-
lungen zur Jahresrechnung 2008) Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 6225 B

– zu der Unterrichtung durch den Bundes- Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU) . . . . . . . 6227 B
rechnungshof: Bemerkungen des Bun- Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen)
desrechnungshofes 2009 zur Haus- (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6229 B
halts- und Wirtschaftsführung des
Bundes – Weitere Prüfungsergeb- Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 6229 C
nisse – Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . 6229 D
(Drucksachen 16/12620, 17/790 Nr. 21, Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/
17/77, 17/317 Nr. 3, 17/1300, 17/1644 DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6231 A
Nr. 2, 17/2492) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6198 D
Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6232 A

Einzelplan 17 Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 6233 B

Bundesministerium für Familie, Senio- Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU) . . . . . . 6234 B


ren, Frauen und Jugend . . . . . . . . . . . . . 6199 A Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . 6235 B
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE
BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6199 B GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6236 C
Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/ Raju Sharma (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 6237 D
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6201 A
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/
Dagmar Ziegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6201 C DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6238 D
Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6202 D Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . 6239 C
Steffen Bockhahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 6204 B Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/
Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6240 A
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6205 C Dr. Eva Högl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6241 B
Georg Schirmbeck (CDU/CSU) . . . . . . . . 6206 A Alexander Funk (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 6242 B
Ingrid Fischbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 6208 A
Steffen Bockhahn (DIE LINKE) . . . . . . . . 6208 B Einzelplan 06
Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ Bundesministerium des Inneren . . . . . . 6243 B
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6210 B
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister
Rolf Schwanitz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6211 B BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6243 C
IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Olaf Scholz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6245 D Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6264 D


Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . 6248 A
Steffen Bockhahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 6249 C Anlage 1

Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 6265 A


DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6250 C
Dr. Günter Krings (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 6251 D Anlage 2
Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 6253 D Erklärung des Abgeordneten Jörn Wunderlich
(DIE LINKE) zur Abstimmung über die Be-
Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6255 A schlussempfehlung des Haushaltsausschusses
Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 6255 D zur Entlastung der Bundesregierung für das
Haushaltsjahr 2008 (Drucksache 17/2492 Nr. 1)
Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 6256 C (Tagesordnungspunkt 3 c) . . . . . . . . . . . . . . . 6265 C
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6257 D
Anlage 3
Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 6258 D Erklärung des Abgeordneten Jörn Wunderlich
Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 6260 C (DIE LINKE) zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Haushaltsausschusses
Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6262 A zu Aufforderungen an die Bundesregierung zur
Jürgen Herrmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 6262 D Aufstellung und Durchführung der Bundes-
haushaltspläne (Drucksache 17/2492 Nr. 2)
Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 6264 A (Tagesordnungspunkt 3 c) . . . . . . . . . . . . . . . 6265 D
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6151

(A) (C)

Redetext

59. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Norbert Lammert: – Drucksache 17/2920 –


Die Sitzung ist eröffnet. Guten Morgen, liebe Kolle- Überweisungsvorschlag:
ginnen und Kollegen! Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbundene Verbraucherschutz
Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführ- Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
ten Vorlagen zu erweitern:
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
ZP 1 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
Kurth, Fritz Kuhn, Ekin Deligöz, weiterer Abge-
fahren
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
Ergänzung zu TOP 2
GRÜNEN
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Bedarfsgerechte Regelsätze und ein zuverlässi-
Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Katrin Göring-
(B) ges Hilfesystem für Kinder, Jugendliche und (D)
Eckardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
Erwachsene statt Experimenten
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 17/2921 –
Gesundheitliche Risiken des Drogengebrauchs
Überweisungsvorschlag:
verringern – Drugchecking ermöglichen Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
– Drucksache 17/2050 – Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Überweisungsvorschlag: e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte


Ausschuss für Gesundheit (f) Pothmer, Beate Müller-Gemmeke, Fritz Kuhn,
Rechtsausschuss weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
NIS 90/DIE GRÜNEN

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Kein Sachgrund, keine Befristung – Befristete
Hermann, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, wei- Arbeitsverträge begrenzen
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- – Drucksache 17/2922 –
NIS 90/DIE GRÜNEN Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Sofortiger Baustopp für Stuttgart 21 und die Rechtsausschuss
Neubaustrecke Wendlingen–Ulm Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
– Drucksache 17/2893 –
Überweisungsvorschlag: f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Wagner, Bettina Herlitzius, Markus Kurth, weite-
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
Ausschuss für Tourismus NIS 90/DIE GRÜNEN
Haushaltsausschuss
Heizkostenkomponente beim Wohngeld erhal-
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tabea
ten
Rößner, Agnes Krumwiede, Ekin Deligöz, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- – Drucksache 17/2923 –
NIS 90/DIE GRÜNEN Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Kultur und Rundfunk nicht durch die Fre- Ausschuss für Arbeit und Soziales
quenzumstellung schädigen Haushaltsausschuss
6152 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesord- (C)
Leidig, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens, nungspunkt 1 – fort:
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Stuttgart 21, Neubaustrecke Wendlingen–Ulm Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das
und Sparpaket der Bundesregierung Haushaltsjahr 2011 (Haushaltsgesetz 2011)
– Drucksache 17/2914 – – Drucksache 17/2500 –
Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Haushaltsausschuss
Haushaltsausschuss
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja gierung
Kipping, Matthias W. Birkwald, Diana Golze, Finanzplan des Bundes 2010 bis 2014
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE – Drucksache 17/2501 –
Überweisungsvorschlag:
Maßnahmen zur Gewährleistung eines men- Haushaltsausschuss
schenwürdigen Existenz- und Teilhabemini-
mums Für die heutige Haushaltsberatung hatten wir bereits
am Dienstag eine Redezeit von insgesamt siebeneinhalb
– Drucksache 17/2934 – Stunden beschlossen. Auch dabei soll es offensichtlich
Überweisungsvorschlag: bleiben.
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Rechtsausschuss Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend ministeriums für Wirtschaft und Technologie, Einzel-
Haushaltsausschuss plan 09.
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Das Wort erhält zunächst der Bundesminister Rainer
Beckmeyer, Rainer Arnold, Sören Bartol, weite- Brüderle.
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Kein Weiterbau von Stuttgart 21 bis zur der CDU/CSU)
(B) Volksabstimmung (D)
– Drucksache 17/2933 – Rainer Brüderle, Bundesminister für Wirtschaft und
Technologie:
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Auf-
Haushaltsausschuss schwung hat Flügel bekommen. Das letzte Quartal war
das wachstumsstärkste seit 20 Jahren. Ganz Deutschland
Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratun- hat die Wirtschafts- und Finanzkrise schneller verdaut
gen, soweit erforderlich, abgewichen werden. als erwartet. Es gibt zwar noch Risiken, aber wir haben
die Kurve bekommen.
Außerdem mache ich auf eine nachträgliche Aus-
schussüberweisung im Anhang zur Zusatzpunktliste auf- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wir!)
merksam:
Die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben
Der in der 55. Sitzung des Deutschen Bundestages ihre Wachstumsprognose für Deutschland in den letz-
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz- ten Wochen flächendeckend erhöht. Zwar wird sich die
lich dem Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Dynamik im Herbst etwas normalisieren, doch das Brutto-
Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zur Mitberatung inlandsprodukt könnte aufs Jahr gerechnet um deutlich
überwiesen werden. mehr als 2,5 Prozent wachsen.
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
weitere Bereinigung von Bundesrecht Das ist mehr als doppelt so viel, wie wir Anfang des Jah-
res prognostiziert haben.
– Drucksache 17/2279 –
Ich habe die Berufspessimisten noch im Ohr. Doch
Überweisungsvorschlag: mit Nörgelei kommen wir nicht weiter. Deutschland
Rechtsausschuss (f) braucht Zuversicht und Optimismus. Die Zuversicht ist
Innenausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und auch berechtigt. Deutschland ist wirtschaftlich wieder
Verbraucherschutz die Nummer eins in Europa. Die grün-rote Laterne aus
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Massenarbeitslosigkeit und jahrelanger Stagnation ha-
ben wir längst abgegeben.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich
der Fall. Dann ist das so beschlossen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6153
Bundesminister Rainer Brüderle
(A) Unser Aufschwung ist ein Beschäftigungsaufschwung. und nicht durch Forderungen nach Steuererhöhungen (C)
Seit Jahresmitte 2009 hat die Beschäftigung zugenom- oder die Wiederbelebung der klassenkämpferischen Ver-
men. Die Arbeitslosigkeit geht stetig zurück. mögensteuer. Das alles sind letztlich Vorschläge, die
Wachstum und Dynamik in Deutschland abwürgen.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wer hat denn
Über 80 Prozent der Unternehmen in Deutschland sind
bis 2009 regiert? Sie nicht!)
Personengesellschaften. Für sie ist die Einkommensteuer
In Bayern und Baden-Württemberg haben wir quasi Unternehmensteuer. Diesen Gesellschaften will die SPD
Vollbeschäftigung: eine Vier vor dem Komma. Ein 50, 60 Prozent des Gewinns wegsteuern. Ein Unterneh-
Rückgang der Arbeitslosenzahl auf unter 3 Millionen im men, das keinen Gewinn hat, kann nicht investieren. Wer
Herbst dieses Jahres ist erreichbar. Das ist enorm wichtig nicht investieren kann, kann keine Jobs, keine Arbeits-
für die wirtschaftliche Psychologie und die Stimmung. plätze schaffen.
Das deutsche Jobwunder, wie es im Ausland ge- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
nannt wurde, löst Hunderttausende persönliche Kon-
Diese wirtschaftspolitische Binsenweisheit kennen in
junkturprogramme aus. Das ist besser als jedes staatliche
der aktiven Sozialdemokratie offenbar nur noch wenige.
Konjunkturprogramm Nummer drei, vier, fünf oder
Einem Klaus von Dohnanyi sind solche Dinge noch ge-
sechs.
läufig.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
der CDU/CSU)
Wir müssen sogar aufpassen, dass wir nicht schon
Ökonomisch sinnvolle Politik sieht anders aus. Öko-
bald ein großes Fachkräfteproblem bekommen. Deshalb
nomisch sinnvolle Politik setzt auf Vorfahrt für die so-
brauchen wir in Deutschland auch Fachkräfte aus dem
ziale Marktwirtschaft und ein großes Stoppschild für
Ausland. Kollege de Maizière hat von der Willkom-
staatliche Eingriffe; darum geht es dieser Regierung. Wir
menskultur gesprochen. Er hat recht. Wir sollten den
haben entschieden, dass die Krisenmaßnahmen jetzt suk-
besten Talenten der Welt den roten Teppich ausrollen.
zessive auslaufen. Das fängt in der Realwirtschaft mit
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE dem Deutschlandfonds an, und das wird sich auch in der
GRÜNEN]: Dazu brauchen wir ein anderes Finanzwirtschaft – bis hin zur Commerzbank – fortset-
Zuwanderungsgesetz!) zen. Auch beim Bundeshaushalt schalten wir vom Kri-
senmodus auf Wachstummodus um. Vernünftige Priori-
Wir brauchen ein Umsteuern von unkontrollierter Zu- täten setzen heißt, alle zu fordern, aber niemanden zu
wanderung in die Sozialsysteme hin zur Zuwanderungs- überfordern. Das verstehe ich unter intelligentem Spa-
(B) steuerung zum Erhalt unserer Sozialsysteme. (D)
ren.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Wir bauen den Haushalt des Bundeswirtschaftsminis-
der CDU/CSU) teriums strukturell um, weg von überholten Subventio-
Die sehr positive Wirtschaftsentwicklung kommt nen, hin zu Innovation und Investition. Wir straffen die
nicht von ungefähr. Die deutschen Unternehmen haben Regionalhilfen. Die Steinkohlebeihilfen werden deut-
sich seit Jahren gut aufgestellt. Sie haben sich auf den lich um 10 Prozent zurückgefahren. In diesem Thema ist
wachsenden Weltmärkten hervorragend positioniert. Der derzeit viel Bewegung. Wie auch immer die abschlie-
Aufschwung ist exportgetrieben. Die entscheidenden ßende Haltung der Europäischen Kommission sein wird,
Impulse kamen aus dem Export. Die Unternehmen ha- eines ist klar: Es geht um einen Auslaufbergbau in
ben in der Krise alles darangesetzt, ihre Mitarbeiter zu Deutschland.
halten. Bei den ersten Anzeichen der Belebung konnten (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
sie voll durchstarten. Oft haben betriebliche Bündnisse der CDU/CSU)
mit den Betriebsräten vor Ort das ermöglicht. Auch
wenn jetzt die Lohnfindung im Aufschwung ansteht, Überraschend finde ich die Reaktionen der Grünen. In
muss das einzelbetrieblich bewertet werden. Manche Nordrhein-Westfalen kämpfen sie engagiert für die Fort-
Betriebe verdienen so gut, dass mehr drin ist. Bei ande- führung der Kohlesubventionen bis 2018. Hier im Bun-
ren heißt es: mehr Maßhalten, damit sie ihre Wettbe- destag stellen die Grünen einen Antrag nach dem ande-
werbsfähigkeit nicht verlieren. ren auf sofortigen Ausstieg aus der subventionierten
Kohle.
Der Aufschwung zeitigt auch Entlastungen für Bür-
ger und Unternehmen: Circa 10 Milliarden Euro Ein- (Beifall bei der FDP)
kommensteuerentlastung hatte das Bundesverfassungs-
Der tiefere Sinn dieser ökologisch-ökonomischen Dia-
gericht uns verordnet. 6 Milliarden Euro Entlastungen
lektik bleibt mir völlig verschlossen.
der alten Regierung haben wir beibehalten, und
8 Milliarden Euro haben wir noch draufgelegt, und zwar (Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das ist
genau an den Stellen, wo Bürger, Mittelstand und Wirt- die Green Economy!)
schaft gestärkt werden. 24 Milliarden Euro steuerliche
„Hauptsache dagegen“ reicht nicht für die größte Volks-
Entlastung! Das nenne ich Wachstumsbeschleunigung.
wirtschaft Europas. Deswegen legt die Bundesregierung
So stärkt man die Binnennachfrage
das erste umfassende Energiekonzept seit über zehn
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Jahren vor. Wir vereinen Ökonomie und Ökologie. Wir
6154 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Bundesminister Rainer Brüderle


(A) zeigen den Weg in das regenerative Zeitalter auf. Be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C)
zahlbare Energien, technologische Machbarkeit und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
CO2-Minderung müssen sinnvoll miteinander verzahnt
werden. Dafür brauchen wir die Laufzeitverlängerung Sich hier mit fremden Federn zu schmücken, ist das eine.
bei den Kernkraftwerken um durchschnittlich zwölf Wenn man sich anschaut, was Sie in den letzten Mona-
Jahre. ten zustande gebracht haben, dann kann man nur sagen,
das Brüderle-Prinzip sah bis dato so aus: Sie haben et-
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der was Wildes angekündigt, aber keiner musste sich Sorgen
CDU/CSU) machen, weil es doch nicht gekommen ist.
Meine Damen und Herren, unser besonderes Augen- (Zuruf von der FDP)
merk gilt dem Mittelstand. Die anwendungsorientierten
Ein Beispiel dafür gab es im Herbst letzten Jahres, als
Programme für kleine und mittlere Unternehmen haben
es um das Thema Kreditklemme ging. Sie schlugen wie
Priorität. Gerade für den Mittelstand ist die erneute hohe
Kai aus der Kiste vor, dass die Kreditanstalt für Wieder-
Förderung im Außenwirtschaftsbereich notwendig. Ich
aufbau auch ein Hausbankprinzip haben sollte. Alle
will, dass alle Programme des Bundeswirtschaftsminis-
Fachleute haben den Kopf geschüttelt, aber keiner
teriums zukünftig noch besser auf den Mittelstand zuge-
musste sich Sorgen machen; denn das war ja nur eine
schnitten werden. Ich habe deshalb eine Prüfung aller
Ankündigung.
Förderprogramme angeordnet; denn ich bin mir sicher:
Mit dem eingesetzten Geld können wir noch mehr errei- Ein paar Wochen später kamen Sie auf die glorreiche
chen für den Mittelstand und noch mehr Freiheiten für Idee, ein Entflechtungsgesetz für die Wirtschaft anzu-
Entscheidungen und für Gestaltung schaffen. kündigen. Gott sei Dank ist das über den Referentensta-
tus nicht hinausgekommen. Daraus wird auch nichts
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
mehr. Im Sommer dieses Jahres kündigten Sie dann ein
der CDU/CSU)
„Begrüßungsgeld für Gastarbeiter“ an. Auch daraus ist
Der jetzige Aufschwung soll keine Eintagsfliege sein. nichts geworden.
Nein, es geht darum, unser langfristiges Potenzial zu er- Herr Brüderle, ich muss mich korrigieren. Wir haben
höhen. Das ist unser Ziel. Das werden wir auch gemein- Sie in den letzten Monaten immer dafür kritisiert, dass
sam schaffen: für die Unternehmen, für den Mittelstand, Sie nichts entschieden, sondern nur angekündigt haben.
für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer – kurzum für Heute muss ich aber sagen: Das ist immer noch besser
die Menschen in unserem Land. Lassen Sie uns deshalb als das, was Sie jetzt tun, nämlich das Falsche zu ma-
bei den Beratungen wie immer gut und zügig zusam- chen. Das sieht man vor allen Dingen im Bereich der (D)
(B) menarbeiten. Das hat Deutschland verdient.
Energiepolitik. Ich frage mich angesichts dessen, was
Vielen Dank. Sie im sogenannten Energiekonzept machen, ob Sie bei
Ludwig Erhard nur die Klappentexte gelesen haben;
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) denn die verlängerten Restlaufzeiten für alte und abge-
schriebene Atommeiler sind nichts anderes als die Ver-
Präsident Dr. Norbert Lammert: festigung des Oligopols von vier großen Energiekonzer-
nen. Herr Brüderle, Sie behindern Wettbewerb, und das
Für die SPD-Fraktion erhält nun der Kollege als liberaler Minister.
Hubertus Heil das Wort.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei der SPD) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
LINKEN)
Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Verlängerte Restlaufzeiten für alte, abgeschriebene
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her- Atommeiler behindern vor allen Dingen Investitionen in
ren! Herr Minister Brüderle, nach Ihrer Rede kann man moderne Kraftwerkstechnik, auch in erneuerbare Ener-
sagen: Man kann Ihnen viel nachsagen, aber zwei Eigen- gien. Wenn Sie das nicht glauben, dann schauen Sie sich
schaften nicht, nämlich Dankbarkeit und Demut. Sie an, was die kommunale Energiewirtschaft zu diesem
sollten dankbar dafür sein, dass die Vorgängerregierung Thema zu sagen hat.
die Maßnahmen ergriffen hat, die Deutschland durch die
Krise gebracht haben: die Konjunkturpakete, die Rege- (Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]:
lungen bei der Kurzarbeit. All diese Grundlagen hat die Werden Sie von Gazprom gesponsert?)
Große Koalition gelegt, und zwar auf Vorschläge von so-
zialdemokratischen Ministern hin, von Frank-Walter Herr Brüderle, vor allem reicht es überhaupt nicht,
Steinmeier, Peer Steinbrück und Olaf Scholz. Jetzt stel- sich nur über den Aufschwung zu freuen. Auch wir
len Sie fest, dass wir besser durch die Krise gekommen freuen uns über den Aufschwung. Sie tun aber nichts da-
sind, als zu erwarten war. für, dass es ein langfristiger Aufschwung, ein nachhalti-
ger Aufschwung, ein Aufschwung für alle Menschen in
Herr Minister Brüderle, Sie sollten demütig sein, weil diesem Land, nicht nur für wenige, wird. Sie haben eben
Sie als Oppositionspolitiker gegen jede dieser Maßnah- eingeräumt, dass der jetzige Aufschwung exportgetrie-
men zu Felde gezogen sind. Herr Brüderle, Sie haben ben ist, weil unsere deutsche Wirtschaft wettbewerbsfä-
mit dem Aufschwung nichts zu tun. hig ist. Mit den deutschen Produkten, Verfahren und
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6155
Hubertus Heil (Peine)
(A) Dienstleistungen sind wir auf den Märkten der Welt er- von der Leyen sparen, wenn wir nicht ergänzendes Ar- (C)
folgreich. beitslosengeld II zahlen müssten.
(Zuruf von der FDP: Trotz sozialdemokrati- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
scher Politik!) DIE GRÜNEN)
– Nein, wegen sozialdemokratischer Politik, Herr Kol- Wir müssen aber auch dafür sorgen, dass die Kaufkraft
lege. Wir haben die notwendigen Reformen durchge- nicht weiter eingeschränkt wird, wie Sie das gerade ma-
setzt, die Sie damals in diesem Hause bekämpft haben. chen.
Ich kann mich sehr gut daran erinnern. Den Mut, den wir
hatten und für den wir viel Prügel bekommen haben, ha- Herr Minister Brüderle, zusammenfassend muss man
ben Sie nicht. feststellen, dass Sie zwar launige Reden auf öffentlichen
Veranstaltungen halten, aber bisher so gut wie kein Ge-
(Beifall bei der SPD) setz zustande gebracht haben. Das Entflechtungsgesetz
ist die einzige Reform, die Sie auf den Weg gebracht ha-
Wir haben mitgeholfen, dass die deutsche Wirtschaft ben, aber auch die ist im Sand verlaufen. Jetzt versuchen
im Export erfolgreich sein kann. Es ist aber festzustellen, Sie, den Schalter umzulegen. Sie behaupten, die wirt-
dass Sie ein Problem der deutschen Wirtschaft vollstän- schaftliche Entwicklung, die dem Export und den Ent-
dig aussparen, nämlich dass die Binnennachfrage in scheidungen der Vorgängerregierung zu verdanken ist,
diesem Land zu schwach ist. Die Binnennachfrage hängt sei Ihr Verdienst. Das glaubt Ihnen kein Mensch. Sie
von privaten und öffentlichen Investitionen ab. Wir meinen, sich jetzt gegen den früheren Minister für Reak-
brauchen eine höhere Investitionsquote. Ein weiterer torsicherheit, Herrn Röttgen, in der Energiepolitik
Faktor ist die Kaufkraft in diesem Land. Wenn man ei- durchsetzen zu müssen. Sie verwechseln an diesem
nen Blick in den Bundeshaushalt wirft, dann fällt auf, Punkt aber Energie- und Wirtschaftspolitik mit Klientel-
dass Sie gerade im Bereich der Investitionen Maßnah- politik.
men ergriffen haben, die dazu angetan sind, ganze
Wirtschaftszweige zu beschädigen. Wie kommen Sie ei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
gentlich auf die Idee, Mittel für die energetische Gebäu- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
desanierung zu kürzen? Das ist ein Bereich, in dem wir
Die Verlängerung der Restlaufzeiten – ich sage es Ihnen
Energiesparen mit sozialer Politik verbinden und gleich-
noch einmal – ist nicht nur aus Gründen der Energie-
zeitig dem Bauhandwerk und der Bauindustrie Impulse
sicherheit fragwürdig, sondern auch aus Gründen der
geben können. Das ist ein sehr gutes Programm, aber Sie
Reaktorsicherheit.
machen es kaputt.
(B) (Ulrike Flach [FDP]: Darum haben Sie sich (D)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nie gekümmert!)
DIE GRÜNEN)
Es ist nicht nur ein Ding der Unmöglichkeit, weil das
Wie kommen Sie auf die Idee, Mittel für die Städte- Problem der Endlager nirgendwo hinreichend gelöst ist,
bauförderung zu kürzen? Unterhalten Sie sich doch ein- Sie aber dafür sorgen, dass es mehr Atommüll gibt, son-
mal mit der Bauindustrie, dem Bauhandwerk und den dern auch deshalb, weil es handfeste wirtschaftliche
Kommunen. Jeder in diesem Bereich eingesetzte Euro Gründe gibt, warum die Verlängerung von Restlaufzei-
ist eine sinnvolle Investition, weil durch diese Pro- ten für alte, abgeschriebene Atommeiler keine gute Idee
gramme das Achtfache an privaten und öffentlichen In- ist. Die Verlängerung verhindert Investitionen in mo-
vestitionen ausgelöst wird. In Sachen Kaufkraft spre- derne Kraftwerkstechnik und erneuerbare Energien. Ich
chen Sie, Herr Minister, auf einmal davon, dass man sage es Ihnen noch einmal: Sie machen das Geschäft von
intelligente Tarifabschlüsse braucht. Das wissen auch vier großen Konzernen zulasten des Wettbewerbs im
Arbeitgeber und Gewerkschaften, dafür brauchen sie Energiesektor. Deren Profite haben Sie im Blick, aber
keinen Brüderle. nicht das volkswirtschaftliche Wohl. Das ist eines Bun-
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Und keinen deswirtschaftsministers nicht würdig, zumal wenn er in
Heil!) der Tradition von Ludwig Erhard und Karl Schiller ste-
hen will, was Sie immer vorgeben.
Tatsache ist: Wir müssen etwas dafür tun, damit die
Kaufkraft in diesem Land wächst und Nachfrage erzeugt (Beifall bei der SPD)
wird. Es gilt das alte Wort von Henry Ford: Autos kau- Herr Brüderle, Sie sind bisher gut im Ankündigen ge-
fen keine Autos. – wesen. Bitte, bleiben Sie dabei! Denn es ist schlimmer,
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das war aber wenn Sie versuchen, tatsächlich Politik zu beeinflussen.
eine hochintelligente Einschätzung! So alt Das zeigt sich wieder dieser Tage beim Energiekonzept.
kann ich gar nicht werden, wie der Spruch ist!) Es gibt keine Vorstellung davon, wie Deutschland auf ei-
nen nachhaltigen Wachstumspfad kommen soll, wie wir
Wenn die Wirtschaft wächst, muss man dafür sorgen, wettbewerbsfähig bleiben und wie wir neben einem
dass auch die Kaufkraft wieder stärker wächst. Die erste starken Auswärtsspiel ein starkes Heimspiel auf dem
Voraussetzung dafür ist, einen Mindestlohn einzuführen, Binnenmarkt organisieren können. Es gibt über die Tat-
damit Menschen von ihrer Arbeit leben können. Wir sache, dass Sie immer davon sprechen, dass ein Fach-
könnten uns 11 Milliarden Euro im Haushalt von Frau kräftemangel in diesem Land droht, und Broschüren
6156 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Hubertus Heil (Peine)


(A) und Flugblätter Ihres Ministeriums hinaus keine Vor- (Ulrike Flach [FDP]: Wo wollen Sie denn zum (C)
schläge, wie dieser Entwicklung zu begegnen ist. Beispiel sparen?)
Sie behaupten, Sie würden im Bundeshaushalt bei der weil es in Ihr beschränktes FDP-Weltbild passt. Aber die
Bildung nicht kürzen. Das ist falsch; denn Sie haben mit Menschen in diesem Land spüren, dass bei der FDP das,
den Klientelgeschenken, die Sie beispielsweise den Ho- was sie für sich reklamiert, nämlich Politik aufgrund
teliers gegeben haben – es war Ihr Herr Burgbacher in wirtschaftlicher Kompetenz, verwechselt wird mit Poli-
Ihrem Ministerium, Herr Minister Brüderle, der diesen tik für wenige zulasten von vielen,
Unsinn mit der „Hotelsteuer“ angerichtet hat –, die öf-
(Ulrike Flach [FDP]: Ach!)
fentlichen Finanzen, vor allen Dingen von Kommunen
und Ländern, geschädigt. Dort kann man nun eben weni- Politik für Pharmakonzerne verwechselt wird mit der Si-
ger in Bildung investieren. Ich weiß gar nicht, warum cherung des Gesundheitswesens, Politik für große Hotel-
Sie diesen Zusammenhang nicht begreifen. ketten verwechselt wird mit Initiativen zur Belebung des
Tourismus in Deutschland, Politik für große Energiekon-
Sie können nicht über Fachkräftemangel jammern
zerne, vier Stück, und deren Profite
und gleichzeitig veranlassen, dass der Staat im Bereich
Bildung weniger Geld zur Verfügung stellt. Das ist nicht (Ulrike Flach [FDP]: Das müssen Sie gerade
in Ordnung. Stattdessen sollten Sie in diesem Bereich et- sagen!)
was tun. Nicht ein Begrüßungsgeld für sogenannte Gast-
verwechselt wird mit Politik für einen modernen Ener-
arbeiter brauchen wir, sondern vor allen Dingen erst ein-
giebereich. Klientelpolitik statt gemeinwohlorientierte
mal Investitionen in die Köpfe und Herzen der jungen
Politik, Einzelinteressen statt volkswirtschaftlicher
Menschen in diesem Land, egal ob mit Migrationshinter-
Nutzen, kurzfristige Ankündigungen statt langfristiges
grund oder nicht.
Wachstum – diese kurzatmige Politik à la Brüderle ist
(Beifall bei der SPD) schon heute gescheitert. Die Menschen sehen das auch
so. Sie als FDP werden das nicht nur bei den nächsten
Kümmern Sie sich darum! Sie hätten die Gelegenheit. Wahlen erleben, sondern erleben das schon jetzt täglich.
Sie haben nicht angesprochen, dass es immer noch Sie haben jegliche Glaubwürdigkeit im Bereich der
70 000 junge Menschen sind, die Jahr für Jahr in Wirtschaftspolitik verspielt, Herr Minister Brüderle.
Deutschland die Schule ohne schulischen Abschluss ver- (Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP:
lassen. Wir haben auf dem Arbeitsmarkt eine Entwick- Gucken Sie mal in den Spiegel!)
lung zu gewärtigen, die in ganzen Regionen zu einem
wirtschaftlichen Problem wird. Es gibt einen gespalte-
(B) nen Arbeitsmarkt: auf der einen Seite Fachkräfteman- Präsident Dr. Norbert Lammert: (D)
gel, auf der anderen Seite viele junge Menschen – im Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Fuchs
Übrigen auch ältere Menschen –, die in Langzeitarbeits- für die CDU/CSU-Fraktion.
losigkeit landen, weil sie den Einstieg in den Arbeits- (Beifall bei der CDU/CSU)
markt nicht geschafft haben. Wo ist die Initiative des
Bundesministers für Wirtschaft und der Bundesministe-
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
rin für Arbeit, um diesem Fachkräftemangel entgegenzu-
wirken? Wo sind die Maßnahmen, die wir brauchen, um Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
denjenigen, die erst einmal durchgefallen sind, eine Meine sehr geehrten Damen und Herren! Lieber Herr
zweite und eine dritte Chance zu geben? Heil, wenn man das Unheil hört, das Sie hier von sich
gegeben haben,
Ich habe Sie bei der Verleihung des Gründerpreises
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wortspiele mit
gehört. Sie haben immer viel davon geredet. Aber wo
Namen, Herr Fuchs, sind Gänsespiele!)
sind die konkreten handfesten Ansätze? Ein Wirtschafts-
minister der Bundesrepublik Deutschland sollte kein kann einem eigentlich nur schlecht werden.
Grußaugust sein, sondern ein Innovator, einer, der Im-
pulse gibt, der den Finger in die Wunde legt, der Vor- (Beifall bei der FDP)
schläge und Konzepte auf den Tisch bringt und sich Sie haben bei den Konjunkturpaketen mitgearbeitet – da
nicht in Dampfplauderei auf öffentlichen Veranstaltun- gebe ich Ihnen recht –,
gen ergeht, Herr Minister Brüderle.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Mitgearbeitet?
(Beifall bei der SPD – Christian Ahrendt Wir haben sie vorgeschlagen – gegen Ihren
[FDP]: Was ist das jetzt für eine Dampfplaude- Widerstand, Herr Fuchs!)
rei?)
Sie haben mit uns einiges mit umgesetzt,
Herr Brüderle, wir werden in diesem Haus, im Aus-
schuss und auch im Plenum, konkrete Vorschläge ma- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Fuchs, du hast
chen. die Gans gestohlen!)

(Ulrike Flach [FDP]: Das ist aber neu!) aber jetzt sind Sie gerade dabei, alles wieder zurück auf
null zu drehen. Ihr Vorsitzender hat soeben beschlossen,
Sie mögen sich hinstellen und alte Vorurteile über So- dass man die Rente mit 67, die er selber im Kabinett mit
zialdemokraten verbreiten, beschlossen hat, wieder zurücknehmen sollte. Was ist
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6157
Dr. Michael Fuchs
(A) das für eine Politik? Sie wissen überhaupt nicht, was Sie (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Professor (C)
wollen. Vor vier Jahren haben Sie gesagt: „Wir brauchen Binsen!)
die Rente mit 67; das ist notwendig“, und haben mit uns
Leuten die Chance zu geben, am Wirtschaftswachstum
verantwortungsvolle Politik gemacht. Jetzt können Sie
teilzuhaben.
das nicht mehr, weil wir nicht mehr an Ihrer Seite sind.
Sie tun mir leid. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie sind ja ein
ganz Schlauer! – Ulla Lötzer [DIE LINKE]:
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Leiharbeit! Prekäre Beschäftigung!)
Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Bei Ihnen bin
ich für die Rente mit 50!) Wir haben mittlerweile nur noch 3 Millionen Arbeits-
lose. Als Schröder aufgehört hat, waren es 5 Millionen.
Wenn ich mir anschaue, wie die wirtschaftliche Situa- Sie konnten es nicht. Sie haben uns gebraucht.
tion sich darstellt, kann ich eigentlich verstehen, dass die
Opposition so gequält guckt. Sie guckt deswegen so ge- (Lachen des Abg. Hubertus Heil [Peine]
quält, weil sie die Zahlen, die wir jetzt erreicht haben, [SPD])
nie erreicht hätte. Auf dem Weg dahin haben wir mit Ihnen richtige Ent-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) scheidungen getroffen.
Die christlich-liberale Koalition ist der Garant dafür, (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie waren ge-
dass es bei Wachstum und Beschäftigung in Deutschland gen alle Entscheidungen der Großen Koali-
wirklich vorwärtsgeht. Die EU hat gerade eine Wachs- tion!)
tumsprognose für dieses Jahr für uns aufgestellt: Aber mittlerweile wird es noch besser; denn wir können
3,4 Prozent Wachstum hätte uns doch vor einem halben darauf hoffen, dass die 3-Millionen-Grenze bei den Ar-
Jahr keiner zugetraut. Ich weiß noch, als der Bundeswirt- beitslosen vielleicht schon im September nach unten
schaftsminister am Anfang des Jahres zögerlich mit durchbrochen wird. Das hieße, dass wir dann die nied-
1,4 Prozent plante. Das war sehr niedrig angesetzt, aber rigste Arbeitslosenquote seit der Wiedervereinigung ha-
wir wollten vorsichtig sein. Jetzt sind wir auf einem ben würden. Das ist wirklich eine Erfolgsgeschichte. Da
Weg, den einzuschlagen uns wirklich keiner in ganz Eu- können Sie erzählen, was Sie wollen.
ropa zugetraut hat.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Fuchs, du hast
Natürlich haben wir Glück, weil der Export boomt. die Gans gestohlen!)
Das hat auch etwas mit dem weicheren Euro zu tun; so
weich ist er allerdings gar nicht: Gestern lag er im Ver- Ich weiß, dass Sie das nicht gerne hören.
(B) hältnis zum Dollar bei 1,29. Das ist eine mittlere Zahl (D)
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was hat das mit
und ein vernünftiger Durchschnitt. Es hat auch etwas da- Brüderle zu tun?)
mit zu tun, dass der Binnenmarkt angesprungen ist.
Auch das hätte eigentlich kein Mensch geglaubt. Frau Aber das ist das beste Konjunkturprogramm für alle.
Lagarde hat uns ja vor nicht allzu langer Zeit noch auf- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
gefordert, etwas mehr für den Binnenmarkt zu tun. Ich
glaube, die Franzosen wären verdammt froh, wenn sie Schauen wir uns einmal die Arbeitslosenquoten welt-
unser Binnenmarkt- und Exportwachstum hätten. In weit in den großen Industrieländern an: Bei der EU-27
Frankreich liegt das nämlich bei 1,7 Prozent; bei uns lag liegt sie bei 9,2 Prozent, in Spanien bei 18,7 Prozent, in
es im zweiten Quartal dieses Jahres bei 3,7 Prozent. Kein Frankreich bei 9,6 Prozent und in den USA, wo sie bis-
Industrieland in der Welt, auch nicht die USA, hat solche her immer deutlich unter der unsrigen gelegen hat, bei
Wachstumsperspektiven, wie wir sie zurzeit haben. Das 9,7 Prozent, während sie in Deutschland zurzeit bei
sollte man einmal ganz deutlich sagen. 7,6 Prozent, Tendenz fallend, liegt. Man spricht im
Ausland vom „German Job Wonder“. Das ist mehr als
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was hat das mit positiv. So sollten wir das jedenfalls sehen. Wenn wir
Brüderle zu tun?) weiterhin die richtigen Entscheidungen treffen, dann
Das Weltwirtschaftsforum in der Schweiz hat gerade funktioniert das auch noch länger.
festgestellt, dass Deutschland hinsichtlich der Wett- Wir haben richtige Entscheidungen getroffen, von de-
bewerbsfähigkeit auf Platz eins in Europa liegt. Die nen Sie heute vielfach gar nichts mehr hören wollen. Sie
deutsche Wirtschaft hat ihre Hausaufgaben gemacht, die haben ja noch mit uns das Bürgerentlastungsgesetz auf
Arbeitgeber haben ihre Hausaufgaben gemacht und zu- den Weg gebracht. Wir haben dieses um das Wachstums-
sammen mit den Gewerkschaften dafür gesorgt, dass es beschleunigungsgesetz ergänzt. Beide Gesetze zusam-
wieder Wachstum in Deutschland gibt. Als wir im letz- men haben dazu geführt, dass wir sowohl beim Binnen-
ten Jahr beim Wachstum ein Minus von fast 5 Prozent wachstum als auch bei der wirtschaftlichen Entwicklung
hatten, konnte sich kaum einer vorstellen, dass wir so wieder nach vorn kommen. Das ist in Ordnung. Das
schnell wieder aus dieser Krise herauskommen. Das hat brauchen wir so.
kein anderes Land geschafft.
Es war auch richtig, die Rettungsschirme, die wir für
Das beste Konjunkturprogramm, Herr Heil, das Sie Griechenland und den Euro gespannt haben, zu beschlie-
völlig ausgeblendet haben, ist die Schaffung zusätzlicher ßen. Sie als Opposition aber haben diesen Rettungsschir-
Arbeitsplätze, men Ihre Zustimmung verweigert.
6158 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Dr. Michael Fuchs


(A) (Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Präsident Dr. Norbert Lammert: (C)
NEN) Lieber Kollege Fuchs, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Peter Friedrich?
Das war falsch. Sie sehen ja jetzt – –
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
NEN]: Nun einmal vorsichtig!) Von mir aus.

– Es stimmt, nicht alle. In diesem Falle haben Sie sich Präsident Dr. Norbert Lammert:
sogar ausgesprochen positiv verhalten, Frau Künast. Das Bitte schön.
möchte ich loben. Entschuldigung! Aber die Herrschaf-
ten auf der linken Seite des Hauses haben sich verwei- Peter Friedrich (SPD):
gert, und das war falsch. Lieber Kollege Fuchs, danke, dass Sie mir Gelegen-
heit zu einer Frage geben.
(Beifall des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/
CSU]) Sie haben gerade davon gesprochen, dass es Konsoli-
dierungsanstrengungen brauchte. Zuvor haben Sie Ihr so-
Die Weltwirtschaft wächst in diesem Jahr um 4 Pro- genanntes Wachstumsbeschleunigungsgesetz gelobt. In die-
zent. Wenn es uns tatsächlich gelingt, ein Wirtschafts- sem Gesetz ist der abgesenkte Mehrwertsteuersatz für die
wachstum in einer Größenordnung von 3,4 Prozent, wie Hotellerie enthalten. Knapp 1 Milliarde Euro hat es ge-
es uns die OECD voraussagt, zu erzielen, dann wäre die- kostet. Dieses Geld steht jetzt nicht mehr für die Konso-
ses Jahr das erste Jahr seit annähernd 20 Jahren, wo wir lidierung zur Verfügung. Ich frage Sie, wie Sie folgenden
ungefähr im Gleichschritt mit der Weltwirtschaft wach- Satz, der von der DEHOGA stammt, beurteilen – ich zi-
sen. Auch diese positive Entwicklung hat uns keiner zu- tiere mit Erlaubnis des Präsidenten –:
getraut. Mit 208 Millionen Euro lag das konkret belegbare
Investitionsvolumen der einheimischen Hotellerie
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) bereits Anfang August deutlich über dem Niveau
Die Binnennachfrage ist ausgesprochen stark. Wa- kompletter Normaljahre von 118 Millionen Euro.
rum? Weil wir eine Menge an Maßnahmen im Wachs- – Müssen wir das so verstehen, dass Sie 1 Milliarde Euro
tumsbeschleunigungsgesetz ergriffen haben – Sie, Herr eingesetzt haben, damit 100 Millionen Euro an zusätzli-
Heil, hören das ja nicht so gerne –, die für die Bürgerin- chen Investitionen auf den Weg gebracht werden? Hal-
nen und Bürger positiv waren. Wir haben die Kinderfrei- ten Sie das für eine sinnvolle Wirtschafts- und Konjunk-
(B) beträge und das Kindergeld erhöht und dafür gesorgt, turpolitik? (D)
dass die Krankenkassenbeiträge steuerlich absetzbar
sind. Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Wir haben gesagt – das ist Ihnen bekannt –, dass wir
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Entschuldigung,
die Regelungen zu den Mehrwertsteuersätzen in einer
das waren wir! Das war das Bürgerentlas- Kommission komplett überarbeiten werden.
tungsgesetz!)
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Erst komplizierter
Wir haben Familien mit Kindern um 4,6 Milliarden Euro machen und dann überarbeiten! Super!)
entlastet. Außerdem haben wir etliche Maßnahmen für
die Unternehmen ergriffen, um das zu korrigieren, was Wir werden uns dann ansehen, ob das vernünftig war.
wir aufgrund Ihrer falschen Positionen in der letzten Re- Wenn die Zahlen so sind, wie Sie sie gerade genannt ha-
gierung falsch gemacht haben. Beispielsweise sind die ben, dann wurde eben nicht ausreichend investiert. Ges-
geringwertigen Wirtschaftsgüter jetzt wieder voll steuer- tern Abend hat mir der Präsident der DEHOGA mitge-
teilt, es seien bereits 750 Millionen Euro investiert
lich absetzbar, wie das von Anfang an der Fall war. Das
worden. Wir wollen die Zahlen überprüfen und abwar-
war richtig.
ten, was am Ende des Jahres dabei herauskommt.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Garrelt Duin [SPD]: Herr Lindner sagt doch
selber, es sind nur die 208 Millionen! – Hans-
Das Ganze haben wir parallel zu einem sehr ambitio- Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Die sind im-
nierten Programm gemacht. Der Finanzminister hat voll- mer ein bisschen der Zeit hinterher!)
kommen recht: Wir müssen den Pfad der Konsolidierung
des Haushaltes einhalten. Ich erinnere daran: Als Herr Wir haben das Konsolidierungsprogramm auf den
Steinbrück letztes Jahr den ersten Entwurf des Haushal- Weg gebracht. Ich möchte einige Zahlen nennen, die zei-
tes für dieses Jahr vorgelegt hat, gen, dass Ihre Argumentation, dieses Programm habe
eine gewaltige soziale Schieflage, völlig aus der Luft ge-
(Garrelt Duin [SPD]: Mit Ihnen zusammen!) griffen ist. Im Jahr 2000 – damals regierte Gerhard
Schröder – betrug der Anteil der sozialen Sicherung
waren darin noch 86 Milliarden Euro Neuverschuldung am Bundeshaushalt 41,2 Prozent. Letztes Jahr, als wir
enthalten. Wir werden, lieber Herr Finanzminister noch gemeinsam regierten, Herr Heil, betrug er rund
Schäuble, dieses Jahr auf rund 60 Milliarden Euro kom- 50,3 Prozent. In diesem Jahr beträgt er 54,5 Prozent. Das
men. Wir machen dies, weil Konsolidierung unser zen- heißt, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik
trales Ziel ist, das wir dringend erreichen müssen. Deutschland hatten wir einen solch hohen Anteil der so-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6159
Dr. Michael Fuchs
(A) zialen Sicherung wie jetzt. Dann von sozialer Schieflage Die Grünen, Greenpeace, NABU, BUND. Das ist doch (C)
zu sprechen, halte ich schon für sehr verwegen. keine verantwortliche Politik. Dann gehen Sie bitte hin
und fördern mit uns den Leitungs- und Netzbau, und ver-
Am Sparpaket hat der Bereich Soziales einen Anteil suchen Sie nicht, ihn zu verhindern.
von etwa einem Drittel. Aber der Anteil am Haushalt
liegt über 40 Prozent. Das heißt, wir sparen im sozialen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Bereich unterproportional im Vergleich zu allen anderen Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Bereichen. Das ist richtig und eine vernünftige Politik, NEN]: Ja, aber nur, wenn Sie die Atomenergie
die wir da machen. Das soll auch so bleiben. aufgeben! Entweder oder!)
Wenn ich die Opposition predigen höre, wir müssten Ich sage Ihnen noch eines. Wir wollen Offshore-
noch mehr Deficit Spending machen – diese Forderung Windanlagen bauen. Dafür bin ich absolut. Da stören sie
kommt vor allen Dingen vom ganzen linken Teil dieses nicht; da sieht man sie nicht. Sie sind irgendwo draußen.
Hohen Hauses –, dann kann ich mich nur noch wundern. Das ist eine komplizierte Geschichte und sehr teuer.
Sie haben Keynes anscheinend nur bis zum ersten Kapi- Auch das wird in Zukunft mit dem Erneuerbare-Ener-
tel gelesen. Im zweiten Kapitel sagt er genau, was man gien-Gesetz gefördert werden. Aber der Strom wird
in Aufschwungphasen tun sollte. Sie sollten das ganze nicht in der Nordsee gebraucht. Nach meiner Kenntnis
Buch lesen; das hilft Ihnen weiter. lieben Fische keinen Strom.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das hilft auch (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der Zitteraal
dann nichts!) vielleicht!)
Was wir in der Energiepolitik machen, ist verant- Wenn es uns nicht gelingt, ein vernünftiges Leitungs-
wortliche Politik. Ich halte es für richtig, dass wir die netz von der Nordsee und der Ostsee in die Gegenden zu
Laufzeiten um durchschnittlich zwölf Jahre verlängern. bauen, in denen wir den Strom brauchen – zum Beispiel
Ich halte es auch für richtig, dass wir die großen Erträge in das Ruhrgebiet oder nach Bayern, wo man heute noch
in hohem Maße abschöpfen. 65 Prozent Kernkraftstrom nutzt –, dann funktioniert das
ganze System nicht. Deswegen brauchen wir ein Lei-
(Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Das ist ja wohl der tungsnetz, das wirklich vernünftig ist. Dieses Leitungs-
größte Witz!) netz müssen wir aufbauen. Ich erwarte von den Grünen,
In den ersten zwei Jahren zahlen die Kernkraftwerksbe- dass sie ihre Kameraden in den Ländern zurückpfeifen
treiber 2,6 Milliarden Euro pro Jahr. 2,3 Milliarden Euro und dafür sorgen, dass diese Dinge auch umgesetzt wer-
gehen direkt in den Haushalt und 300 Millionen Euro in den können.
(B) den Fonds. In den vier Folgejahren zahlen sie 2,5 Mil- (D)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
liarden Euro, wovon wiederum 2,3 Milliarden Euro in Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
den Haushalt und 200 Millionen Euro in den Fonds flie- NEN]: Aber nur ohne Laufzeitverlängerung!
ßen. Dann gehe ich mit Ihnen mit!)
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und was haben
Sie in der Tasche?) Präsident Dr. Norbert Lammert:
Wir sind auf diese Art in der Lage, viel Geld in den Ein- Herr Kollege Fuchs, darf Ihnen der Kollege Lenkert
stieg in erneuerbare Energien, in Speichertechnologien, noch eine Zwischenfrage stellen?
in Forschung, in Netzausbau etc. zu investieren.
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU):
Zum Thema Netzausbau darf ich Ihnen einmal eines
sagen: Sie alle fordern hier erneuerbare Energien. Auch Nein, es reicht jetzt. – Wir werden durch diese Mög-
ich tue das; ich finde das auch richtig. Nur, wir wissen, lichkeiten auch in der Lage sein, den Strompreis in
dass erneuerbare Energien dezentral entstehen. Schach zu halten. Es ist in den Energieszenarien, die wir
erstellt haben, bewiesen, dass der Strompreis sinken
(Beifall des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD] – wird und dass die erneuerbaren Energien besser ausge-
Zurufe von der SPD: Genau!) baut werden.
Wenn Sie dezentral entstehen, dann brauchen wir Lei- Das ganze Geschwätz, dass der Kernkraftstrom die
tungsnetze, damit sie dahin kommen, wo sie gebraucht Leitungen verstopfen würde, zeigt doch, dass entweder
werden. keinerlei Ahnung vorhanden ist oder demagogisch falsch
argumentiert wird.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Das sagen wir schon seit zehn Jahren!) (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das unterstel-
len Sie dem Verband kommunaler Unterneh-
Und wer macht etwas gegen Leitungsnetze? Verehrte men?)
Frau Künast, kommen Sie in meinen Wahlkreis. Da soll
eine 380-kVA-Leitung gebaut werden. Wer ist dagegen, Wie soll denn, bitte schön, Atomkraft die Leitungsnetze
dass diese Leitung gebaut wird? verstopfen, wenn erneuerbare Energien einen Leitungs-
vorrang haben?
(Hans-Joachim Otto [Frankfurt] [FDP]: Na,
wer?) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
6160 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Dr. Michael Fuchs


(A) Die erneuerbaren Energien werden zuallererst durchge- Präsident Dr. Norbert Lammert: (C)
lassen, und nichts anderes passiert. Das wissen Sie ganz Ich vermute, dass ein größerer Teil dieser außerge-
genau. Deswegen sollten Sie hier auch nicht solche Un- wöhnlich geistreichen wechselseitigen Zwischenrufe gar
wahrheiten verbreiten; denn das verunsichert die Bevöl- nicht das Protokoll erreichen, sodass sich für einen sol-
kerung. Wir wollen der Bevölkerung Sicherheit geben. chen Fall eine rechtzeitige Absprache empfiehlt, damit
Wir wollen dafür sorgen, dass die erneuerbaren Energien sie überhaupt aufgenommen werden können.
ausgebaut werden, aber zu Preisen, die die Bürgerinnen
und Bürger bezahlen können, Nun hat die Abgeordnete Sahra Wagenknecht für die
Fraktion Die Linke das Wort.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das glaubt (Beifall bei der LINKEN)
Ihnen kein Mensch!)
und vor allen Dingen zu Preisen, die die Unternehmen Sahra Wagenknecht (DIE LINKE):
nicht aus Deutschland vertreiben. Das ist uns wichtig. Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Wir brauchen in Deutschland die Industrie. Wenn eine Regierung jeden Bezug zur Realität verliert,
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Absolut!) (Zuruf von der CDU/CSU: Dann stellt sie
Die Linke!)
Mein Bild von Deutschland ist ein Industrieland. Wir
sind deswegen so gut aus der Krise gekommen, weil un- ist das in der Regel nicht besonders gut für das Land.
sere Industrie Arbeitsplätze aufgebaut hat und weiter ge-
(Zuruf von der FDP: Da kennen Sie sich ja
wachsen ist, und das muss auch so bleiben.
aus!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Brüderle, Sie träumen vom Wirtschaftsaufschwung
mit Flügeln. Ich will Ihnen nicht Ihre Träume nehmen;
Präsident Dr. Norbert Lammert: aber eigentlich sollten Sie wissen, auf welch wackeligen
Für eine Kurzintervention erhält der Kollege Lenkert Fundamenten das Wachstum, das wir aktuell in Deutsch-
das Wort. land haben, beruht. Sie träumen von einem Jobwunder,
aber wissen ganz genau, dass Sie die Statistik fälschen,
weil Sie etwa 1 Million Menschen, die in diesem Lande
Ralph Lenkert (DIE LINKE):
verzweifelt nach Arbeit suchen, schlicht nicht mehr er-
Herr Kollege Fuchs, eine kurze Frage: Ist Ihnen be- fassen und einrechnen.
kannt, dass die Netzbetreiber verpflichtet sind, eine Lei-
Noch eine andere Zahl ist interessant: Die Summe der
(B) tung zu legen, egal wohin ein Kraftwerksbetreiber sein (D)
Kraftwerk bauen will, dass dies volkswirtschaftlich rela- Löhne und Gehälter liegt heute in der Bundesrepublik
tiv sinnlos ist und dass es in früheren Zeiten, bevor Sie inflationsbereinigt auf dem Niveau von 1991. Das muss
Netze und Betreiber getrennt haben, üblich war, die man sich einmal vergegenwärtigen. Diese Zahl ergibt
Kraftwerke zum einen dorthin zu bauen, wo Strom ge- sich trotz der ganzen gefeierten tollen neuen Jobs, die
braucht wurde, damit man nicht so viele Leitungen angeblich geschaffen wurden: Billigjobs, Minijobs so-
bauen musste, und zum Zweiten, wo Leitungen frei wa- wie Leiharbeit, die wieder auf Vorkrisenniveau boomt.
ren? Dieses Prinzip ist außer Kraft gesetzt. Würden Sie All das sind Jobs, von denen Menschen eben nicht leben
mir zustimmen, dass das natürlich die Akzeptanz der Be- können. Das ist das Grundproblem.
völkerung für Leitungsneubauten deutlich reduziert? Im Gegenzug sind die Einkommen aus Gewinnen und
(Zuruf von der FDP: Offshore am Bodensee!) Vermögen in diesem Jahr schon wieder nach oben ge-
schossen, und zwar um 22 Prozent. Herr Brüderle, das
ist Ihr Aufschwung, aber er trägt nicht. Denn diejenigen,
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): die diese dicken Einkommen beziehen, schieben das
Ist Ihnen denn bekannt, dass Anlagen zur Nutzung er- Geld nur in die Finanzmärkte, während der Binnenmarkt
neuerbarer Energien dort gebaut werden, wo der Betrei- und der Konsum unverändert am Boden liegen.
ber es wünscht, dass deshalb natürlich Netze vorhanden
sein müssen? Wir haben einen Einspeisevorrang für er- (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Beste-
neuerbare Energien; die Netze müssen ihn gewährleis- chend einfach!)
ten. Gerade deshalb ist Ihr Sparpaket eben nicht nur ein
Ich halte es übrigens für richtig, dass die Netzbetrei- sozialer Skandal, sondern auch ein wirtschaftspolitischer
ber von den Kraftwerksbetreibern getrennt sind. Dieses Irrsinn. Sie können doch nicht im Ernst glauben, dass
Unbundling ist auch europäische Politik. Die Grünen Sie die Wirtschaft dadurch stabilisieren, dass Sie denen,
sollten sich damit beschäftigen. die nun wirklich jeden Euro für ihre dringendsten Le-
bensbedürfnisse brauchen, das letzte Geld aus der Ta-
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das sind aber sche ziehen.
die Linken! – Gegenruf des Abg. Dr. Michael
(Beifall bei der LINKEN)
Fuchs [CDU/CSU]: Ja! Die Linken! –
Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Alles Kommu- Hören Sie doch endlich auf, uns zu erzählen, das sei
nisten! Alle doof, die Linken! – Weitere Zu- ein Sparpaket. Sie sparen doch gar nicht. Die annähernd
rufe) 40 Milliarden Euro, die Sie Hartz-IV-Empfängern, Ar-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6161
Sahra Wagenknecht
(A) beitslosen und Geringverdienern in den nächsten Jahren Nutzen gezogen haben, jetzt auch den Schaden tragen (C)
aus der Tasche ziehen wollen, haben Sie doch schon und nicht Arbeitslose und Geringverdiener.
vorab bei der HRE versenkt.
(Beifall bei der LINKEN)
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Wo wird
denn da was versenkt?) Aber diese Regierung hat noch nicht einmal das Kreuz,
eine Politik zu machen, wie sie im Sinne von Walter
Das ist doch keine Sparpolitik. Das machen Sie wirklich: Eucken wäre.
Sie arbeiten daran, den Sozialstaat im Interesse einer un-
gebremsten und ungehemmten Profitmacherei endgültig Kennen Sie übrigens den Urheber von folgendem
zu entsorgen. Das ist doch das, was hier läuft; das läuft schönen Satz:
leider seit Jahren in diesem Land. Der Tatbestand der sozialen Marktwirtschaft ist …
(Beifall bei der LINKEN – Torsten Staffeldt nur dann als voll erfüllt anzusehen, wenn entspre-
[FDP]: Beim Kollegen Ernst!) chend der wachsenden Produktivität … echte Real-
lohnsteigerungen möglich werden.
Ich muss allerdings auch sagen, dass ich immer wie-
der wirklich verblüfft bin, mit welcher Selbstgefälligkeit Es ist schon interessant, dass niemand auf die Idee kom-
die SPD hier den Robin Hood der sozial Entrechteten men würde, diesen Satz irgendeinem Mitglied der aktu-
gibt. Ja, wann hat das denn alles angefangen mit Billig- ellen Bundesregierung zuzuordnen. Der Satz stammt
jobs, Rentenkürzungen, Leiharbeit und Hartz IV? von Ludwig Erhard. Wenn man seine Aussage ernst
nimmt, dann ist völlig klar, dass wir in unserem Lande
(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: In der DDR seit vielen Jahren definitiv keine soziale Marktwirt-
hat das angefangen! Flächendeckend!) schaft mehr haben. Was wir tatsächlich haben, ist ein ge-
Das alles fing doch im Wesentlichen bei Ihnen an, unter wissenloser und zunehmend rabiater Kapitalismus, von
Rot-Grün: Arbeitslose werden in übelster Weise gede- dessen wenigen Profiteuren Sie sich die Agenda Ihrer
mütigt, Banken finanzieren lieber Finanzwetten als inno- Politik diktieren lassen: von der Atomlobby, von den
vative Mittelständler, die Löhne sinken, Banken, von den Konzernen und von einer kleinen,
steinreichen Oberschicht, die Sie alle, wie Sie hier sitzen
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das war bei – von SPD und Grünen bis FDP und CDU/CSU –,
der SED so!)
(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Genau:
Dividenden sind wichtiger als Ausgaben für Forschung alle!)
und Entwicklung. Die Weichen in diese Sackgassen wur-
den doch im Wesentlichen unter Beteiligung der SPD mit Ihrer neoliberalen Politik gemästet haben und immer
(B) noch mästen. (D)
gestellt.
Nun will ich jeder Partei zubilligen, dass sie sich kor- (Beifall bei der LINKEN)
rigieren kann. Das ist das Grundproblem. Das ist schlimm für die De-
(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Eurer mokratie und gefährlich für die Zukunft. Es wird Zeit,
nicht!) dass sich die Menschen gegen Ihre verhängnisvolle Poli-
tik mit gleicher Vehemenz zur Wehr setzen, wie es die
Das Erschreckende ist aber: Sie korrigieren sich gar Stuttgarter gegenwärtig mit gutem Grund bei diesem
nicht. Sie tun einfach nur so, als hätten Sie mit dem in aberwitzigen Tunnelbahnhof tun.
diesem Lande angerichteten sozialen Desaster einfach
nichts zu tun. Da kann ich Sie nur fragen: Merken Sie Vielen Dank.
überhaupt nicht, wie unglaubwürdig diese Inszenierung (Beifall bei der LINKEN)
ist, die Sie hier immer wieder abziehen?
(Beifall bei der LINKEN) Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich komme zurück zur Regierung. Für Walter Eucken, Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Fritz Kuhn für
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Den kennen
Sie gar nicht!) (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Der neolibe-
rale Fritz Kuhn!)
einen der geistigen Väter des Konzepts der sozialen
Marktwirtschaft – den Sie wahrscheinlich alle wieder Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
nicht gelesen haben –,
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
(Zurufe von der SPD: Oh!) Kollegen! Liebe Frau Wagenknecht, eine Partei bzw.
eine Fraktion, die sich in den letzten Monaten nur mit
war das Prinzip der Haftung die Voraussetzung für eine
den Reallohnsteigerungen ihres Vorsitzenden beschäftigt
funktionierende Wettbewerbsordnung. Eucken wörtlich:
hat und mit sonst gar nichts, sollte etwas weniger aufs
„Wer den Nutzen hat, muss auch den Schaden tragen.“
Blech hauen, als Sie es gemacht haben.
Herr Brüderle, wir verlangen nicht, dass Sie auf uns, die
Linke, hören, aber hören Sie wenigstens auf Walter (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Eucken und sorgen Sie dafür, dass diejenigen, die aus bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP –
der Spekulationsparty und dem Dividendenregen den Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
6162 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Fritz Kuhn
(A) NEN]: Auf den Satz habe ich mich schon ge- den Löhnen machen, nicht vereinbar. Wenn Löhne von (C)
freut! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Menschen, die ganztags arbeiten, nicht ausreichen, um
Das ist selbst unter Ihrem Niveau! – Sevim eine Familie zu ernähren, wenn diese Menschen zusätz-
Dağdelen [DIE LINKE]: Das müssen Sie von lich zur Arbeitsagentur gehen müssen, dann ist das keine
den Grünen gerade sagen!) soziale Marktwirtschaft mehr. Von jemandem, der in der
Tradition Ihres Hauses steht, verlange ich, dass er sich
Herr Brüderle, zu dem, was Sie vorgetragen haben, endlich einmal um das Soziale bei der sozialen Markt-
kann ich nur sagen: Ich muss mich schon wundern. Sel- wirtschaft kümmert. Herr Brüderle, gehen Sie runter von
ten hat sich ein Minister, der in dem bis jetzt knapp einen der Bremse beim gesetzlichen Mindestlohn und bei den
Jahr seiner Amtszeit so gut wie nichts gemacht hat – bis- branchenspezifischen Mindestlöhnen, die wir anstreben!
her haben Sie nur Ankündigungen gemacht –,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Außer sowie bei Abgeordneten der SPD)
Opel natürlich! – Heinz-Peter Haustein [FDP]:
Opel!) Eine kurze Bemerkung, weil wir über den Haushalt
reden. Den Kreditmediator brauchen wir nicht. Dafür ha-
die wirtschaftliche Entwicklung so sehr auf die Fahnen ben Sie wieder, wie schon im letzten Jahr, 5 Millionen
geschrieben, wie Sie das eben getan haben. Alle Exper- Euro in den Haushalt hineingeschrieben. Hinter diesen
ten im In- und Ausland schreiben, Posten sollten Sie schreiben: Abwickeln. Ich hoffe, dass
(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Alle, das, was da angesagt ist, Ihrem rheinland-pfälzischen
ausnahmslos!) Freund, Herrn Metternich, vermittelbar ist.
dass der Umstand, dass wir schneller bzw. gut aus der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Krise gekommen sind, im Wesentlichen arbeitsmarktbe- Für das, was man nicht braucht, gibt man auch nichts
gründet ist. Das hat mit der Kurzarbeiterregelung und aus. Das ist eine relativ vernünftige kaufmännische Re-
den Konjunkturprogrammen zu tun. Gegen beides sind gel.
Sie kräftig zu Felde gezogen.
Ich komme zu dem, was Sie im Bereich der Energie-
Ihr Weltbild ist klar: Geht es der Wirtschaft schlech- politik, für die Sie eine genuine Zuständigkeit haben,
ter, ist Rot-Grün schuld; geht es der Wirtschaft besser, angerichtet haben bzw. anrichten wollen. Zunächst ein-
sind Sie dafür verantwortlich. mal: Dass ein Wirtschaftsminister ein Energiekonzept
(Torsten Staffeldt [FDP]: Stimmt ja auch!) mitträgt – dabei geht es auch um Arbeitsplätze und Ener-
giesicherheit –, dessen wissenschaftliche Grundlagen,
(B) – Das ist das Schöne bei euch. Solange ihr das glaubt, wie das ja in den Gutachten nachgelesen werden kann, (D)
seid ihr harmlos ohne Ende. Ihr solltet euch aber gele- so fragwürdig sind, kann ich nicht nachvollziehen. Dass
gentlich mit der Frage beschäftigen, wieso ihr von rund Sie verschiedene Szenarien untersuchen und bei den
14 Prozent auf etwa 5 Prozent geschrumpft seid, wo Szenarien mit einer Laufzeitverlängerung hohe Einspar-
doch der Aufschwung so großartig und FDP-geschuldet potenziale beim Energieverbrauch unterstellen, aber
ist. Irgendwie verstehen die Menschen draußen nicht, beim Referenzszenario ohne Laufzeitverlängerung da-
wie toll ihr seid. von ausgehen, dass weniger Energie eingespart wird, ist
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – doch völlig skurril und politisch unglaubwürdig. Gerade
Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wenn Sie die Laufzeiten nicht verlängern und nicht län-
NEN]: Das ist reziprok proportional, Fritz!) ger Atomstrom ins Netz speisen, werden Sie für die Effi-
zienzsteigerung doch umso mehr tun. Das ist nicht lo-
Wir müssen aufpassen, dass der Aufschwung eine gisch, was in Ihrem Konzept steht.
nachhaltige Ergänzung auf dem Binnenmarkt erfährt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
Ich kenne die Zahlen. In diesem Bereich sieht es besser
des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD])
aus, aber ich halte die Entwicklung nicht für nachhaltig,
weil die Menschen lange mit Konsumausgaben gezögert Dass Sie es auf so etwas gründen, können wir wirklich
haben, die sie jetzt dringend tätigen müssen. Die Binnen- nicht nachvollziehen.
marktentwicklung muss nachhaltig sein, sonst bekom-
men wir erneut die Leistungsbilanzprobleme, die uns die Dass wir nach Ihrem Laufzeitverlängerungsszenario
EU ins Stammbuch geschrieben hat. Wann wäre die im Jahr 2050 einen Stromimport von 30 Prozent haben –
Stunde, wenn nicht jetzt, den Binnenmarkt zu stabilisie- was hat das mit Energiesicherheit und einer fortschrittli-
ren, indem man vernünftige Mindestlöhne in Deutsch- chen Energierevolution zu tun?
land einführt? (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das Gegenteil!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie der Abg. Bettina Hagedorn [SPD]) Das ist einfach blanker Unsinn, und wer auf Unsinn
gründet, kommt nicht zu vernünftigen politischen Vor-
Bei diesem Thema sind Sie der Oberbremser, weil Sie
schlägen.
den Kabinettsvorbehalt nutzen, wie jüngst bei der Zeit-
arbeit, um immer wieder auf die Bremse zu treten. Ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
kann nur sagen: Mit dem ordnungspolitischen Kernkon- und bei der SPD – Sevim Dağdelen [DIE
zept einer sozialen Marktwirtschaft ist das, was Sie bei LINKE]: Wie die Grünen!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6163
Fritz Kuhn
(A) Jetzt muss ich fragen: Herr Brüderle, wo ist eigentlich profitieren – das sind die kleinen Betriebe, der Mittel- (C)
Ihr marktwirtschaftlicher Kompass? Einer der elemen- stand und das Handwerk –,
tarsten Grundsätze der deutschen sozialen Marktwirt-
(Zuruf des Abg. Christian Lindner [FDP])
schaft, von den Gründervätern angefangen bis jetzt, war
immer: Es ist Aufgabe des Staates, den Wettbewerb zu werden durch Ihre Politik behindert. Sie schaffen eine
stärken, Oligopole und Monopole zurückzudrängen und Innovationsbremse. Es ist doch völlig klar, dass das
dafür zu sorgen, dass wir stets einen freien Wettbewerb Marktsignal Ihrer Politik, das Sie jetzt aussenden, ist:
als Voraussetzung für wirtschaftliche Kreativität haben. Aha, es geht wieder in die alte Richtung, zu Atomkraft
Das ist das Kerncredo der sozialen Marktwirtschaft. Am und Kohlekraft, und die neue Energiepolitik wird erst
Anfang haben Sie mit dem Ansatz für ein Entflechtungs- einmal gebremst. – Die Brücke zu den erneuerbaren
gesetz – den haben Sie still und heimlich in die Tüte ge- Energien ist ja keine wirkliche Brücke. Vielmehr haben
tan – den Eindruck erweckt, als würde Ihnen das Thema Sie mit Ihrer Politik einen Sperrriegel aufgestellt.
ordnungspolitisch am Herzen liegen. Das gehört ja zur
Grundrhetorik der Marktwirtschaftler. Und jetzt? Was (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das ist
machen Sie jetzt mit den Laufzeitverlängerungen? Sie Unfug!)
geben den vier Oligopolisten zusätzliche Marktvorteile. Ich glaube, es ist bei den Leuten deutlich angekommen,
Die vier Großen, die den Markt beherrschen, erhalten dass man nicht sagen kann, man wolle die erneuerbaren
durch Ihr Energiekonzept mindestens 60 Milliarden Energien fördern, und dann erst einmal eine Politik
Euro, die sie nicht an den Staat oder an Fonds geben macht, die die alten Energieformen stabilisiert.
müssen.
Selbstverständlich kommt es im Netz zu einer Kon-
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das ist doch kurrenz. Herr Fuchs, ich wundere mich über Ihre Naivi-
Quatsch! Die zahlen Steuern!) tät. Natürlich ist der Ausdruck vom Verstopfen nur eine
politische Metapher, aber es ist tatsächlich so, dass wir
Das heißt, Sie machen die marktbeherrschenden Akteure in Deutschland schon heute an vielen Tagen unseren
am Energiemarkt um ein Vielfaches stärker, als sie es Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien bezie-
heute sind. Ich frage: Wo ist da der Wettbewerbshüter hen können. Doch dann passiert Folgendes: Die Atom-
Rainer Brüderle? kraftwerke können nicht kurzfristig heruntergefahren
werden, weil sie nicht wie kleine Gaskraftwerke von
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
heute auf morgen flexibel regulierbar sind. Daher haben
und bei der SPD)
Sie das Problem, dass es eine Konkurrenz zwischen den
Sie verschlechtern die Wettbewerbsmöglichkeiten, an- großen Kraftwerken einerseits und den erneuerbaren
(B) statt sie zu verbessern. Sie reden zwar über den Wettbe- Energien andererseits gibt. Die Definition von Grundlast (D)
werb, helfen aber denen, die ihn kaputtmachen und wei- wird sich in den nächsten Jahren massiv verschieben.
ter kaputtmachen werden. Deswegen gibt es keine Koexistenz zwischen den gro-
ßen Kraftwerken und der dezentralen Energieversor-
Diese Kritik am Wirtschaftsminister betrifft nichts gung.
Nebensächliches, sondern bedeutet klipp und klar, dass
Sie die Kernaufgabe „Hüter des Wettbewerbs und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Kämpfer gegen die Monopole“ auch nicht einmal im sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg]
Ansatz wahrnehmen, sondern ins Gegenteil verkehren. [SPD])
Deswegen stehen Sie nicht in der Tradition der sozialen Über das, was Sie zum Leitungsbau gesagt haben,
Marktwirtschaft, die besagt, für Wettbewerb einzustehen brauchen wir uns nicht zu streiten. Aber dann machen
und ihn nicht kaputtzumachen. Sie auch eine vernünftige Energiepolitik! Dann sprechen
wir über die Frage, wie man vor Ort in den Landkreisen
Mir gefallen ja die elektronischen Anzeigetafeln gut, auftreten muss, damit Leitungen dort akzeptiert werden.
die wir jetzt im Plenarsaal haben. Bei Ihren Reden Und: Zeigen Sie bei Blockaden nicht immer auf die Grü-
müsste in Zukunft dort stehen: Rainer Brüderle, sponso- nen!
red by RWE, EnBW, Eon und Vattenfall. – Denn nichts
anderes machen Sie in der Energiepolitik. Ich sage Ihnen: Bei Ihrer ach so geliebten CCS-Tech-
nik, dem Verbringen von CO2 in die Erde, sollten Sie
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einmal Peter Harry Carstensen in Schleswig-Holstein
sowie bei Abgeordneten der SPD – Renate fragen, wie begeistert die CDU dort von dieser Idee ist.
Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Sie führt dort den Widerstand an; also Vorsicht bei sol-
Mövenpick! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ chen Geschichten. Klar ist doch: Sie müssen die Bevöl-
DIE GRÜNEN]: Das ist für den Außenminis- kerung überzeugen, wenn Sie etwas Notwendiges ma-
ter!) chen wollen. Sie können sie nur mit einem vernünftigen
Gesamtkonzept überzeugen, mit einer echten Brücke in
Jetzt muss man natürlich die FDP-Rhetorik sehen:
die erneuerbaren Energien, aber nicht mit Lobbypolitik
Hüter des Mittelstands wollen Sie sein. Aber Sie machen
für die Atomkraft.
Folgendes: Sie streichen bei den Programmen zur ener-
getischen Gebäudesanierung, die im Etat von Herrn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ramsauer sind, und fördern die Atomlobby. Das heißt, sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg]
diejenigen, die von den Energieeinsparungsprogrammen [SPD])
6164 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Fritz Kuhn
(A) Ich komme zum Schluss. Herr Brüderle, mit Markt- denbergen spielen können. Das können Sie vielleicht in (C)
wirtschaft hat das, was Sie gepredigt haben, nichts zu Nordrhein-Westfalen machen, aber nicht hier in Berlin.
tun. Sie haben nicht erklärt, warum der Entwurf Ihres
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Entflechtungsgesetzes jetzt plötzlich in der Schublade
ist. Natürlich haben Sie zum Beispiel auch in der Ge- Der Einzelplan 09 von Rainer Brüderle beteiligt sich
sundheitspolitik gemerkt, dass Sie auf die eine oder an- übrigens in einem sehr beträchtlichen Maße an der Kon-
dere Problematik bei den PKVs stoßen. solidierung. Er leistet allein in diesem Jahr einen Beitrag
zur Haushaltskonsolidierung von 67 Millionen Euro und
Präsident Dr. Norbert Lammert: setzt gleichzeitig auf Bildung und Innovation. Das ist
der Unterschied zwischen dem linken Teil dieses Hauses
Herr Kollege.
und dem rechten Teil dieses Hauses. Wir sparen und in-
vestieren in die Zukunft. Das tun wir auch mit diesem
Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Haushalt.
Wir werden hier in diesem Hause nicht mehr durchge-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
hen lassen, dass Sie die Erbschaft der sozialen Markt-
wirtschaft für sich reklamieren und gleichzeitig die Rainer Brüderle hat vorhin zu Recht darauf hingewie-
Macht der Oligopole stärken, wie Sie es jetzt bei Ihrem sen, dass er gleichzeitig neue Akzente gesetzt hat. An
Energiekonzept tun. dieser Stelle möchte ich auf die Fachkräftesicherung
zu sprechen kommen. Wo waren eigentlich die Vor-
Ich danke Ihnen. schläge von Rot, von Grün und von ganz Rot zum
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Thema „fehlende Fachkräfte“? Was ist denn mit dem
sowie bei Abgeordneten der SPD) Zuwanderungskonzept, das wir seit vielen Jahren einfor-
dern? Was ist denn mit den vielen Punkten, wo man an-
setzen könnte, damit qualifizierte Menschen in dieses
Präsident Dr. Norbert Lammert: Land kommen und keine Zuwanderung in die Sozialsys-
Ulrike Flach ist die nächste Rednerin für die FDP- teme erfolgt? All das ist von diesem Wirtschaftsminister
Fraktion. thematisiert worden. Sie werden erleben, dass wir das in
den nächsten Monaten auf den Weg bringen werden.
(Beifall bei der FDP)
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Meinen Sie das
Ulrike Flach (FDP): Begrüßungsgeld?)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Denn unsere Wirtschaft kann nur boomen, wenn wir
(B) Kuhn, wie sich ein Vertreter einer Fraktion, die nun qualifizierte Köpfe haben. Ansonsten laufen wir ins (D)
wirklich eine alles andere als ausgereifte Vorstellung von Leere.
der Energieversorgung in den nächsten Jahrzehnten hat,
an dieser Stelle so äußern kann, wird mir ewig unklar (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
sein. Sie wollen Atomkraft nicht, Sie wollen Kohlekraft Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Die muss man
nicht, Sie wollen kein CCS. Was wollen Sie eigentlich? hier ausbilden!)
Sie wollen dieses Land vor allen Dingen abhängig ma- – Herr Heil, Sie sollten sich den Haushalt einmal an-
chen von Importen aus anderen Ländern. schauen, bevor Sie hier so herumlärmen. Lesen hilft
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: immer: 9 Millionen Euro allein für die Vermittlung von
Jugendlichen aus geringfügigen Beschäftigungsverhält-
Wir sind schon abhängig! 30 Prozent macht
nissen.
ihr!)
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: 9 Millionen?)
Ich muss an dieser Stelle etwas zu dem Vorwurf, den Sie
immer so wohlfeil in die Welt setzen und in dem von 9 Millionen Euro für die Hilfe von Kammern bei der Be-
Lobbyismus die Rede ist, sagen: Wo sind denn eigent- wertung ausländischer Qualifikationen. Vergleichen wir
lich die führenden Köpfe der Grünen und der SPD ge- das doch einmal mit dem, was Sie gemacht haben. Sie
blieben? Sie sind ohne eine Schamfrist zu den Energie- haben in diesem Bereich nichts unternommen. Deswe-
versorgern gegangen, nachdem sie aufgehört haben, zu gen ist das ein deutlicher Fortschritt.
regieren. Das war Lobbyismus pur und hat mit dem, was
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: 9 Millionen
hier heutzutage läuft, überhaupt nichts zu tun. bundesweit!)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dieses Ministerium ist übrigens auch ein Technolo-
Meine Damen und Herren, der Haushalt 2011 stellt gieministerium. An dieser Stelle will ich namens der In-
die Weichen neu. Die Wirtschafts- und Finanzkrise ist novationspolitiker der FDP deutlich sagen: Wir drängen
zwar noch nicht für alle Branchen überwunden, aber es seit vielen Jahren auf eine steuerliche Forschungsför-
ist Zeit, die Rettungsschirme zu schließen und den Wirt- derung. Sie sehen daran, dass wir sehr wohl in der Lage
schaftsfonds auslaufen zu lassen. Das war richtig; denn sind, die politischen Bereiche – –
wir leben in einer Zeit, in der wir sicherstellen müssen, (Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD] meldet
dass unsere Kinder ohne Schulden leben. Wir müssen se- sich zu einer Zwischenfrage)
hen, dass wir die Schulden, die Sie hinterlassen haben,
abbauen. Wir wissen alle, dass Kinder nicht auf Schul- – Gerne.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6165

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: Das Ende des Konsolidierungspfades bedeutet für uns (C)
Dazu fällt einem manches ein. Jedenfalls wünscht und auch, dass wir erneut eine Debatte über andere Instru-
erhält nun der Kollege Heil die Gelegenheit zu einer mente führen müssen; darüber haben wir gerade gespro-
Zwischenfrage. chen.
Ich will zum Schluss auf einen weiteren Aspekt hin-
Hubertus Heil (Peine) (SPD): weisen: Die Steinkohleförderung wird unter dieser Re-
Geschätzter Herr Präsident, herzlichen Dank. – Liebe gierung erneut abgesenkt, und sie wird – die Haushälter
Frau Flach, wir haben zum Thema „steuerliche For- haben sich das vorgenommen – noch weiter abgesenkt
schungsförderung“ eine Anfrage an diese Bundesregie- werden. Auch dies ist übrigens ein Punkt, der uns deut-
rung gestellt. lich von Ihnen, Herr Kuhn, unterscheidet. Es wäre schön
gewesen, wenn wir in den Zeiten der rot-grünen Regie-
(Ulrike Flach [FDP]: Natürlich!) rung auch nur einmal erlebt hätten, dass eine Kürzung
Die Antwort lautet: Wir werden das, was wir im Koali- von Subventionen in „alten“ Bereichen wie der Stein-
tionsvertrag beschrieben haben, nicht umsetzen. – Wa- kohle, die Sie ja immer einfordern, durchgeführt worden
rum verschwenden Sie also Ihre Redezeit mit der Forde- wäre.
rung nach etwas, das Sie selbst nicht umsetzen? Das ist (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
durchaus vernünftig; aber dazu gibt es laut Angaben der CDU/CSU)
Bundesregierung kein Konzept und keine Unterfütte-
rung. Wir tun das, und in den nächsten Jahren werden wir das
fortführen.
Ulrike Flach (FDP): Der Technologieminister Rainer Brüderle wird die
Lieber Herr Heil, ich habe vorhin schon darauf hinge- Programme straffen. Er hat gerade darauf hingewiesen:
wiesen, dass es gut wäre, wenn Sie ein bisschen warten Es wird Zeit. Wir haben von der Großen Koalition und
und sich erst dann äußern würden. Ich war gerade dabei, von der rot-grünen Koalition einen Bauchladen über-
zu erläutern, warum wir auf die steuerliche Förderung in nommen. Dieser Bauchladen wird nun zusammenge-
dieser Legislaturperiode verzichten, nämlich aus dem führt. Er wird zu einem effektiven, schlagkräftigen In-
einfachen Grund, weil wir im Gegensatz zu Ihnen über strument gemacht. Im nächsten Jahr werden wir darüber
den Haushalt nachdenken, weil wir im Gegensatz zu Ih- diskutieren, wie man Technologie in diesem Land mit ei-
nen wissen, an welcher Stelle es entscheidend ist, mit er- nem stringenten Konzept durchgehend fördern kann.
folgreichen Programmen weiterzumachen Das ist der große Unterschied zur Politik unserer Vor-
gängerregierungen.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(B)
NEN]: Dieser Zustand kann aber nicht lange Ich wünsche uns allen eine gute Haushaltsberatung (D)
andauern!) und dass wir den Haushalt so auf den Weg bringen können.
und die Mittel dafür aufzustocken. Wir haben uns auf (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
den mittelständischen Bereich konzentriert, weil wir
wissen, dass Mittel im erforderlichen Umfang nicht vor- Präsident Dr. Norbert Lammert:
handen sind. Deshalb haben wir allein 500 Millionen Nächster Redner ist der Kollege Garrelt Duin für die
Euro zusätzlich für ZIM, das Zentrale Innovationspro- SPD-Fraktion.
gramm Mittelstand, bereitgestellt, das übrigens unter Ih-
rer werten Führung eingeführt wurde. (Beifall bei der SPD)

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Danke schön!) Garrelt Duin (SPD):


Dieses Programm haben wir immer als gut gepriesen. Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-
Die Mittel für dieses Programm stocken wir auf, weil legen! Sehr geehrter Herr Bundeswirtschaftsminister
wir wissen, dass wir die steuerliche Förderung in dieser Brüderle, zunächst einmal nachträglich herzlichen Glück-
Periode nicht umsetzen können. wunsch! Heute und Stern haben Ihnen im Juli einen Titel
verliehen: „König des Sommerlochs“. Diesen Eindruck
Sie fordern von uns doch immer Realismus ein. hatte man in der Tat. Mit Vorschlägen wie einer Begrü-
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja, Hotel!) ßungsprämie für – Zitat – „Gastarbeiter“ oder der Ab-
schaffung der Rentengarantie haben Sie medial für viel
Jetzt ist Realismus da, und Realismus heißt, dass man Wirbel gesorgt. Tatsächlich passiert ist aber nichts. Inso-
eine Förderungsform nicht einführen kann, wenn die fern hat Bundesgesundheitsminister Rösler, der jetzt lei-
Mittel im Haushalt nicht vorhanden sind. Das unter- der nicht hier ist – allerdings kenne ich ihn aus vielen Jah-
scheidet uns von Ihnen. Aus diesem Grunde kommen ren in Niedersachsen gut und kann deswegen auch seine
wir zu einem nachhaltigen Haushalt. Wir kommen zu ei- Reden gut einschätzen, insbesondere dann, wenn er, was
ner sinkenden Neuverschuldung. Gleichzeitig kommen ihn durchaus auszeichnet, gelegentlich ins Humoristische
wir zu einer erhöhten Förderung im mittelständischen verfällt –, in der Rede, die er letzte Woche gehalten hat, in
Bereich. Ich denke, selbst Kollege Riesenhuber, der im- einem Punkt absolut recht. Er hat gesagt: Wir haben zehn
mer so gern zur steuerlichen Förderung spricht, wird da- Monate nichts getan. – Dann fügte er hinzu:
mit zufrieden sein.
Das waren genau die zehn Monate, die die Wirt-
(Garrelt Duin [SPD]: Das glaube ich nicht!) schaft gebraucht hat, um sich zu erholen.
6166 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Garrelt Duin
(A) Da kann man ihm wirklich nicht widersprechen. gleich noch einmal zurück –, und die weltwirtschaftliche (C)
Lage – insbesondere in den USA, aber auch die Zeichen
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem aus China deuten darauf hin – ist nach wie vor schwie-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN rig. Wer in Deutschland allein auf den Erfolg von Expor-
Diese Bundesregierung hat mit dem Aufschwung ten und damit auf Außenhandelsüberschüsse setzt, der
und den positiven Zahlen, die in vielen Prognosen zum macht sich von den Risiken und Schwankungen des
Ausdruck kommen, nichts zu tun. Deswegen können Sie Weltmarktes in zu starkem Maße abhängig. Deswegen
sich auch nicht darauf ausruhen. Vielmehr wäre es drin- ist es so wichtig, die Binnennachfrage zu stärken. Dazu
gend erforderlich, dass Sie sich einmal fragen: Was wa- sagen Sie aber eigentlich nichts. Das, was Sie ankündi-
ren eigentlich die Ursachen der Krise? Ich meine, es wa- gen, ist Subventionsabbau. Frau Flach hat das gerade an-
ren der Irrglaube an die Effizienz unregulierter Märkte, ders formuliert und gesagt, die Dinge würden zusam-
der Druck auf Löhne zugunsten rapide wachsender Ver- mengeführt. Ich will Ihnen etwas sagen – noch einmal
mögenseinkommen und vor allen Dingen die weltwirt- mit Bezug auf Ihre Kollegin Frau von der Leyen –: Der
schaftlichen Ungleichgewichte: Auf der einen Seite gibt wichtigste Subventionsabbau in Deutschland wäre der,
es Länder, die nur auf Pump gelebt haben, und auf der endlich mit der Subventionierung von zu niedrigen Löh-
anderen Seite gibt es Länder – zu diesen würde ich nen aufzuhören, indem man sich für Mindestlöhne ent-
Deutschland zählen –, die eher unter ihren Verhältnissen scheidet. Die Milliarden, die dort verschenkt werden,
und nicht über ihre Verhältnisse gelebt haben, könnten in andere, sinnvolle Dinge investiert werden.
(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Sehr wahr!) (Beifall bei der SPD)
wie es vonseiten Ihrer Regierung immer dargestellt wird. Herr Brüderle, Sie nehmen weniger hier am Pult, aber
in anderen Gesprächen und auch im Ausschuss gerne
Sie als Wirtschaftsminister müssten sich endlich mit Bezug auf die Erfahrungen, die Ihr Vater, ein, wie ich
folgenden Fragen befassen: Wie bekomme ich globale fest überzeugt bin, ehrbarer Kaufmann, im Einzelhandel
und europäische Ungleichgewichte in den Griff? Wie gemacht hat. Das Instrument des Mindestlohns dient
kann ich das erreichen, indem ich die Stärkung der Bin- dazu, den normalen, ehrbaren Kaufmann, der, wie Ihr
nennachfrage, also der Kaufkraft in Deutschland, in den Vater, als Einzelhändler oder in anderen Branchen tätig
Blick nehme, insbesondere durch gerechtere Löhne? ist, vor Dumpingkonkurrenz zu schützen. In diesem Be-
Wie kann ich durch eine kräftige und nachhaltige Unter- reich tun Sie nichts. Sie lassen den sogenannten ehrbaren
stützung das Technologieland Deutschland voranbrin- Kaufmann, der im Mittelstand tätig ist, im Regen stehen;
gen? Wie kann ich unsere Städte und Gemeinden wieder er sieht sich dieser Konkurrenz tagtäglich ausgesetzt.
zu starken Helfern im Hinblick auf die Wirtschaft vor Wir müssen dort endlich etwas tun. Das Bundeswirt- (D)
(B) Ort und den Zusammenhalt in unserer Gesellschaft ma-
schaftsministerium sieht dieser Entwicklung aber taten-
chen? los zu.
Es ist schon gesagt worden: Die jetzigen Erfolge, die (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Fritz
Früchte, die jetzt geerntet werden, sind auf vergangene Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Entscheidungen zurückzuführen, auf Entscheidungen in
der Arbeitsmarkt-, der Finanz-, der Wirtschafts- und der Aus der Geschichte der Wirtschaft wissen wir, dass
Energiepolitik. Eines wird dabei aber immer wieder ver- sich wirtschaftliche Eliten nicht automatisch der Demo-
gessen – deswegen will ich es Ihnen in Erinnerung rufen; kratie, dieser Gesellschaft, dem gesellschaftlichen Zusam-
Frau von der Leyen, die neben Ihnen sitzt, wird das mög- menhalt und irgendwelchen Standorten verpflichtet fühlen.
licherweise bestätigen können –: Einen ganz wesentli- Dazu bedarf es der Einflussnahme, und dafür – das glaube
chen Anteil daran, dass wir so gut durch die Krise ge- ich jedenfalls – machen wir alle hier überhaupt Politik.
kommen sind, hat das Modell der Mitbestimmung. Wir wollen Einfluss nehmen; wir wollen Ordnungsrah-
Ohne Betriebsräte und Gewerkschaften, die mit dafür ge- men setzen, und wir wollen Orientierung und Regeln ge-
sorgt haben, dass passgenaue Lösungen gefunden wur- ben. Lieber Herr Brüderle, lieber Herr Röttgen und an-
den, wären wir nicht so gut durch die Krise gekommen. dere, so herum wird ein Schuh daraus: Wir müssen als
demokratisch legitimierte Vertreter unseres Volkes Ein-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
fluss nehmen auf die Wirtschaftseliten und auch auf die
der CDU/CSU)
wirtschaftlichen Abläufe in unserem Land. Es darf nicht
Deswegen, Herr Brüderle, ist es gefährlich, wenn Sie, andersherum sein: dass Sie sich von der Wirtschaft auf-
wie heute Morgen in Ihrer Rede, davon sprechen, dass schreiben lassen, was Sie zu tun haben. Das ist der falsche
wir wieder einzelbetriebliche Lösungen brauchen. Wir Weg, und es würde das Vertrauen in unsere Demokratie
Sozialdemokraten sagen klipp und klar: Das Instrument erschüttern, wenn Sie auf dem Weg, den Sie in der Ener-
des Flächentarifvertrages ist ein ganz wichtiger Bestand- giepolitik beschritten haben, weiter vorangehen würden.
teil unserer Politik und muss auch in Zukunft erhalten
(Beifall bei der SPD – Patrick Kurth [Kyffhäuser]
bleiben. – Das wird in Ihrem Programm und in Ihren Re-
[FDP]: Sie fordern hier Staatswirtschaft!)
den natürlich nicht erwähnt.
(Beifall bei der SPD) Wir müssten stattdessen Dinge tun, die wir hier schon
häufig diskutiert haben, zum Beispiel die Förderung von
Die Konjunkturprogramme laufen jetzt aus, die Inves- Investitionen in die Zukunft. Wir alle wissen: Der Schlüs-
titionstätigkeit bleibt schwach – ich komme darauf sel zur Schaffung von Arbeit für morgen ist die gezielte
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6167
Garrelt Duin
(A) Erhöhung der Investitionsquote im öffentlichen und im schen Vorstellungen in Einklang zu bringen ist, lieber (C)
privaten Bereich. Die Nettoinvestitionsquote in Deutsch- Herr Brüderle. Das ist industriefeindlich und diesem
land ist mit 4 Prozent zurzeit auf einem historisch niedri- Standort nicht zuträglich.
gen Stand. Die anderen positiven Zahlen sollten uns den
(Beifall bei der SPD)
Blick nicht vernebeln. Jede Investition in Wissenschaft,
Forschung und Bildung ist eine Investition, die dieses Ich bin ganz sicher, dass wir in den nächsten Monaten
Land voranbringen würde. eine Debatte darüber brauchen, wie qualitatives Wachs-
tum in Zukunft aussehen muss. Sie berauschen sich an
Sie haben daher unsere Zustimmung dafür – auch den BIP-Wachstumszahlen; das allein wird für dieses
wenn Sie danach gar nicht gefragt haben –, dass Sie in den Land aber nicht ausreichen. Wir brauchen einen anderen
Koalitionsvertrag aufgenommen haben, dass Sie zusätz- Wachstumsbegriff. Wir werden gemeinsam mit den Grü-
lich zu der bisherigen Projektförderung ein neues Instru- nen eine Enquete-Kommission auf den Weg bringen, die
ment auf den Weg bringen wollen, nämlich die steuerli- das zum Thema hat; denn wir streben einen Wohlstand
che Forschungsförderung. Frank-Walter Steinmeier hat an, der sich nicht nur am Bruttoinlandsprodukt, sondern
dieses Instrument in seinem „Deutschland-Plan“ eben- auch an der Lebensqualität einer möglichst großen Zahl
falls vorgeschlagen und gesagt: Wir müssen noch darüber von Menschen bemisst. Deswegen ist die Einrichtung ei-
diskutieren, ob wir das auf die mittelständischen und klei- ner Enquete-Kommission richtig.
nen Betriebe konzentrieren oder ob auch größere mit da-
bei sein sollen. – Man kann hier über viele Details spre- Lassen Sie mich abschließend Folgendes sagen, lieber
chen. Auch mit den Abgrenzungsschwierigkeiten werden Herr Brüderle: Wir alle sind froh darüber, dass es diese
wir uns, wenn wir es denn machen, befassen müssen. Wachstumszahlen, diese Prognosen gibt. Sie haben sich
nicht nur im Sommer, sondern bis heute an diesen
Frau Flach sitzt gerade bei Herrn Riesenhuber. Ich Wachstumszahlen berauscht. An den Zahlen, die die
gehe davon aus, dass Ihre soeben getätigte Aussage, FDP in Umfragen bekommt, können Sie das nicht.
Frau Flach, dass Herr Riesenhuber einverstanden sei, auf
sehr tönernen Füßen gestanden haben dürfte. Es gibt
viele wie Herrn Riesenhuber in der Koalition, die mit Präsident Dr. Norbert Lammert:
uns gemeinsam dafür gestritten haben, dass wir das In- Herr Kollege!
strument der steuerlichen Forschungsförderung endlich
bekommen. Sie haben heute zugegeben, dass Sie heim- Garrelt Duin (SPD):
lich, still und leise etwas, was in Ihrem Koalitionsvertrag Der Zusammenhang ist ganz eindeutig: Die Men-
steht, zu Grabe tragen. Das werden wir nicht hinnehmen. schen wissen, dass es in diesem Land wieder aufwärts-
(B) Wir werden weiterhin für die steuerliche Forschungsför- geht. Aber die FDP und diese Bundesregierung, nament- (D)
derung in diesem Land kämpfen. Wir brauchen sie für lich dieser Bundeswirtschaftsminister, haben damit
Innovationen. nichts zu tun.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Herzlichen Dank.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD)
Subventionsabbau war ein weiteres Stichwort. Sie sa-
gen – auch mit Blick auf das Haushaltsbegleitgesetz, das Präsident Dr. Norbert Lammert:
wir noch diskutieren werden –, dass man im Bereich der Dr. Joachim Pfeiffer ist der nächste Redner für die
Energiesteuern kürzen müsse. Ich bin ganz bei Ihnen, CDU/CSU-Fraktion.
wenn Sie sagen: Dort, wo es zu Mitnahmeeffekten
kommt, kann man kürzen. – Aber wir reden hier über ein (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Volumen von insgesamt ungefähr 1,3 Milliarden Euro.
Das, was wir an Mitnahmeeffekten konkretisieren können, Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU):
sind lediglich 300 Millionen Euro. Die andere Milliarde Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
geht zulasten ganz normaler, aber im internationalen Wett- ren! Deutschland ist in der Tat durch eine Kombination
bewerb stehender Unternehmen, den sogenannten ener- von kluger Politik und gemeinsamen Anstrengungen von
gieintensiven Unternehmen. Sie als Wirtschaftsminister Unternehmern und Arbeitnehmern besser durch die
hätten die Aufgabe – Herr Fuchs, Sie gucken gerade Krise gekommen, als wir uns dies vorgestellt haben und
ganz verkniffen; Sie nämlich auch –, sich an die Seite als wir es noch vor zwei Jahren auch hier im Deutschen
dieser Unternehmen zu stellen. Wir müssen ihnen abver- Bundestag gehofft haben.
langen, dass Energieeffizienzpläne aufgestellt werden.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ohne
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: So ist es!) Brüderle!)
Wir müssen ihnen abverlangen, dass sie sorgsamer mit Deshalb verstehe ich nicht, warum wir uns nicht alle da-
Material und anderen Energieressourcen umgehen. Aber rüber freuen.
wir dürfen sie in dieser schwierigen Wettbewerbssitua-
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das tun wir
tion nicht hängen lassen und riskieren, dass sie ins Aus-
doch!)
land abwandern, wenn wir diese Einsparungen vorneh-
men. Das ist eine falsche Politik. Ich verstehe nicht, wie Nur weil der Wähler letztes Jahr die SPD aus der Regie-
das mit Ihren ordnungspolitischen und wirtschaftspoliti- rung entlassen hat, distanzieren Sie sich heute von Maß-
6168 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Dr. Joachim Pfeiffer


(A) nahmen und Instrumenten, die Sie damals mit beschlos- halb der Konjunkturprogramme weiter auf die alten (C)
sen und die uns auf den richtigen Weg gebracht haben. Bundesländer ausdehnen, verstetigen und bei einem
Aufwuchs auf über 500 Millionen Euro auf höchstem
(Garrelt Duin [SPD]: Nein! Wir freuen uns!)
Niveau fortführen.
Wir haben es geschafft, durch Stabilisierung mit den
Konjunkturprogrammen Vertrauen zu schaffen. Gleich- Wir werden – da können Sie sicher sein – in dieser
zeitig haben wir aber auch entlastet. Man muss sich noch Legislaturperiode die steuerliche Forschungsförde-
einmal in Erinnerung rufen, dass wir zu Beginn dieses rung einführen.
Jahres die größte Entlastung in Deutschland hatten, die
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
es jemals gab.
der FDP – Garrelt Duin [SPD]: Sie hat das Ge-
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was?) genteil gesagt! Frau Flach hat gesagt: in dieser
Wahlperiode nicht!)
Durch das Bürgerentlastungsgesetz und das Wachstums-
beschleunigungsgesetz wurden Bürger und Wirtschaft in Wir werden aber nicht alles auf einmal machen können.
diesem Land um 23 Milliarden Euro entlastet. Auch das Deshalb werden wir sie nicht im Jahr 2011 einführen
ist ein Grund dafür, dass wir wieder solche Wachstums- können. Wir sind noch mitten in den Haushaltsberatun-
zahlen haben. gen, sodass sich noch das eine oder andere ändern wird.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein!) Aber wir werden in dieser Legislaturperiode mit der
steuerlichen Forschungsförderung weiterkommen.
Wir haben, wie schon erwähnt wurde, eine kluge Ar-
beitsmarktpolitik gemacht. Statt der befürchteten 5 Mil- Bei allen Sparnotwendigkeiten wollen wir die Chan-
lionen liegen wir jetzt bei 3 Millionen Arbeitslosen. Für cengleichheit und Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
den Bundeshaushalt bedeutet das, dass rund 40 Milliar- Industrie nicht gefährden. Deshalb werden wir im weite-
den Euro weniger in die Sozialetats fließen. Das sind ren Haushaltsverfahren Änderungen bei der Ökosteuer
40 Milliarden Euro, die für das Wachstum zur Verfügung vornehmen, durch die die Mitnahmeeffekte beschränkt,
stehen. Deshalb ist es richtig, wenn wir diese beschäfti- die Wettbewerbsfähigkeit der energieintensiven Indus-
gungsorientierte Lohnpolitik weiterverfolgen. Die Ar- trie aber nicht gefährdet wird. Wenn Sie dabei mithelfen,
beitnehmer werden in diesem Jahr von den Maßnahmen dann ziehen wir gemeinsam an einem Strang in dieselbe
und Erfolgen profitieren. Es wird dieses Jahr kräftige Richtung.
Reallohnsteigerungen geben, allein deshalb, weil die
Kurzarbeit zurückgeht. Neben den Maßnahmen einer wachstumsorientierten
modernen Regulierung im Bereich „Post und Telekom-
(B) (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Ach so!) munikation“ werden wir mit intelligenten neuen Produk- (D)
ten weitere Arbeitsplätze schaffen. Auch in den Berei-
Durch die Ausweitung des Arbeitsvolumens wird es zu
chen Bahn, Strom und Gas werden wir uns in neuen
Reallohnsteigerungen kommen, und durch eine beschäf-
tigungsorientierte Lohn- und Arbeitsmarktpolitik wird Sphären bewegen, vor allem im Energiebereich. Diese
– auch das müssen wir uns vergegenwärtigen – im Regierung legt gerade einen energiepolitischen Marshall-
Wachstum die Binnennachfrage gestärkt. Die Zahlen sa- plan vor, der den Umbau der deutschen Energiewirtschaft
gen ganz klar – Adam Riese lässt sich auch durch die grundlegend angeht. Rot-Grün hat kein Energieprogramm
Linken nicht widerlegen –: 0,1 Prozent Lohnsteigerung zustande gebracht. Das letzte Energieprogramm ist
bedeutet 0,3 Prozent Zuwachs der Binnenmarktnach- 20 Jahre alt; es datiert noch aus der Regierung Kohl.
frage. Eine Beschäftigungsausweitung um 1 Prozent be- Man hat Rumpfprogramme und Rumpfmaßnahmen auf
deutet 0,8 Prozent Zuwachs der Binnenmarktnachfrage. den Weg gebracht. Zum ersten Mal seit 20 Jahren wer-
Das heißt, die beste Binnenmarktpolitik ist eine beschäf- den wir ein Programm auf den Weg bringen, das nicht
tigungsorientierte Arbeitsmarktpolitik, die das Arbeits- nur isoliert einzelne Sektoren oder nur die Angebots-
volumen erhöht und die Menschen in Arbeit bringt. und Nachfrageseite betrachtet, sondern wir werden so-
wohl den Stromsektor als auch den Gebäudesektor und
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- die Mobilität entsprechend berücksichtigen und den Um-
neten der FDP) bau mit über 60 Maßnahmen und Instrumenten be-
schleunigen.
Das ist die Politik, die wir verfolgen, und wir werden da-
mit das Wachstum verstetigen. Wir werden nicht nach Die Kernenergie ist Mittel zum Zweck. Sie wird un-
der Rasenmähermethode sparen; wir werden Deutsch- ser Ziel, den Hauptanteil der Energieversorgung aus er-
land mit intelligentem Sparen fitmachen. neuerbaren Energien zu bestreiten, im Gegensatz zu
Wie werden wir das Wachstum verstetigen? Wir wer- dem, was bisher auf den Weg gebracht wurde, beschleu-
den nicht nur blindlings sparen. Vielmehr wird der Be- nigen statt ausbremsen. Der volkswirtschaftliche Nutzen
reich „Forschung und Entwicklung“ weiter gestärkt und der Kernenergie wird diesem Umbau zugutekommen.
aufgebaut. Im Haushalt 2011 stehen mehr Mittel zur Ver- Otto Schily hat recht: Die Kernenergie und ihr volks-
fügung als bisher. wirtschaftlicher Nutzen sind in der Tat so etwas wie ein
Lastwagen voller Geld, den Sie verbrennen wollen.
Das Programm ZIM ist bereits angesprochen worden.
Es ist ein maßgeschneidertes Programm für den Mittel- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Klaus Töpfer
stand in Industrie und Wirtschaft. Wir werden es außer- ist schlauer!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6169
Dr. Joachim Pfeiffer
(A) Wir werden ihn nicht verbrennen. Wir werden vielmehr Grünen vor Ort sind in der Regel gegen Biogasanlagen (C)
den volkswirtschaftlichen Nutzen und das Geld für den und Biomassekraftwerke. Das, was Sie hier im Deut-
Umbau einsetzen und ihn beschleunigen, indem wir schen Bundestag für notwendig erachten, sollten Sie
Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz, des auch vor Ort vertreten. Leider ist das bislang nicht der
Netzausbaus – Stichwort „intelligente Netze“ –, der Fall.
Speicherung, der Energieforschung und im Gebäudebe-
reich finanzieren. Der Gebäudebereich wird ein zentraler (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Punkt des Energieprogrammes werden. 40 Prozent des neten der FDP – Christine Scheel [BÜND-
Endenergieverbrauchs sind schließlich gebäudebezo- NIS 90/DIE GRÜNEN]: In meinem Wahlkreis
gen. Sie werden sehen, was herauskommt. Wir werden war die CDU dagegen! Die Grünen waren da-
im Vergleich zu den bisherigen Ansätzen mehr Geld für für!)
die energetische Gebäudesanierung ausgeben. Wir Wir werden mit diesem Haushalt in einem Dreiklang
werden das Maßnahmenpaket in diesem Bereich weiter- aus Konsolidieren, Reformieren und Wachsen einen Bei-
entwickeln. trag dazu leisten, dass Deutschland aus der Krise nicht
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das kürzen Sie nur gestärkt hervorgeht, sondern in einigen Jahren in al-
gerade!) len Bereichen deutlich besser dasteht als zu Beginn die-
ser Legislaturperiode. Dann wird abgerechnet. Ich bin si-
– Warten Sie doch ab, was als Ergebnis herauskommt! cher: Deutschland wird dann entscheiden, dass es gut
regiert worden ist. Wir werden sehen, wohin wir dann
(Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gekommen sind. Wir sehen jedenfalls den kommenden
NEN]: Wieso kürzt man das Programm, wenn Entwicklungen gelassen entgegen.
es so toll ist?)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Wir werden steuerliche Möglichkeiten aus der Ver- neten der FDP)
gangenheit entsprechend nutzen. Von den 30 Milliarden
Euro – so hoch ist der volkswirtschaftliche Nutzen der
Kernenergie; ohne sie hätten wir dieses Geld nicht – Präsident Dr. Norbert Lammert:
werden wir bis zu 3 Milliarden Euro pro Jahr einsetzen, Nächster Redner ist der Kollege Michael Schlecht für
um den Umbau umzusetzen und zu beschleunigen. die Fraktion Die Linke.
(Beifall bei der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN)
Sie haben von Verträgen gesprochen. Ich darf daran
Michael Schlecht (DIE LINKE):
(B) erinnern: Die Ersten, die in diesem Land einen Vertrag Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen (D)
mit der Energiewirtschaft geschlossen haben – und
zwar über den Ausstieg –, waren Sie von Rot-Grün, und Herren! Herr Brüderle, ich finde es immer gut, wenn
nicht wir. Aber Sie haben einen Vertrag zulasten der Menschen fröhlich und guter Laune sind. Aber Ihre gute
deutschen Volkswirtschaft geschlossen. Wir schließen Laune betreffend den Aufschwung kommt mir fast so
nun einen Vertrag zugunsten der deutschen Volkswirt- vor, als ob sich Ihr Geist so stark beflügelt wie bei
schaft Ikarus, der bekanntlich die beste Laune hatte, kurz bevor
er abgestürzt ist. Ich hoffe nicht, dass dies auch der Kon-
(Garrelt Duin [SPD]: Aber zulasten des Vol- junktur so ergeht. Aber man muss die Lage realistisch
kes! – Ulla Lötzer [DIE LINKE]: Zulasten der einschätzen.
Demokratie, zugunsten der großen Vier!)
Die wirtschaftliche Verbesserung, die wir im zweiten
und werden die volkswirtschaftlichen Potenziale nutzen. Quartal dieses Jahres erleben, ist zu einem Drittel einzig
und allein darauf zurückzuführen, dass der Lageraufbau
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- deutlich zugenommen hat. Das, was dann an Auf-
neten der FDP) schwung bleibt, ist nicht Ihr Aufschwung, Herr
Lieber Herr Kuhn, was Sie machen, ist nicht zu über- Brüderle, nicht der Aufschwung der Bundesregierung,
bieten. Sie stellen sich hier hin und sagen: Jawohl, wir sondern zuallererst der Aufschwung von Obama und den
brauchen Netze und erneuerbare Energien. – Das höre Chinesen; denn diese haben in der Krise milliarden-
ich nicht nur von Ihnen, sondern auch von Ihren Kolle- bzw. billionenschwere Konjunkturprogramme aufgelegt.
gen. Wenn man aber vor Ort geht, stellt man fest, dass Solchen Programmen hat man sich hier in Deutschland
Sie die Fähnleinführer und Rädelsführer derjenigen sind, verweigert.
die gegen den Ausbau der Netze sind. Wenn man nach (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wir haben
Baden-Württemberg geht, stellt man fest, dass die Grü- einen Sozialstaat!)
nen an der Spitze der Bewegung gegen Pumpspeicher-
kraftwerke sind, obwohl diese Kraftwerke die Speiche- Das, was hier gelaufen ist, war relativ mickrig. Die deut-
rung von Strom aus regenerativen Energiequellen sche Exportindustrie profitiert bislang von den Konjunk-
ermöglichen und die Netzintegration verbessern. Wenn turprogrammen in anderen Ländern. Diese Programme
man nach Baden-Württemberg geht, stellt man fest, dass werden aber zurückgefahren. In den USA steht die wei-
die Grünen gegen den Ausbau von Kraftwerken im tere wirtschaftliche Entwicklung auf wackligen Beinen.
Kleinwasserbereich sind, weil sie der Meinung sind, Insoweit stehen wir in der Frage, wie es weitergeht, vor
dass das zum Beispiel für die Fische nicht gut ist. Die einem sehr großen Risiko. Es wird bereits eine Ab-
6170 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Michael Schlecht
(A) schwächung prognostiziert. Wir bräuchten dringend eine für Erwerbslose gestrichen werden. Das passt alles nicht (C)
deutliche Steigerung der Binnennachfrage, um diesen zusammen mit der Verpulverung von Milliarden und
Gefahren vorzubeugen. Abermilliarden Euro für ein wahnsinniges Bahnprojekt.
Ein ganz wichtiges Instrument ist die Steigerung der Eines ist auch klar: Spätestens am 27. März wird es in
Löhne. Nebenbei gesagt: Bei der SPD wird immer so ge- Stuttgart und in Baden-Württemberg in der Tat eine
tan, als ob die SPD mit der Lohndepression, der deutlich Volksabstimmung geben. Die Kanzlerin hat das gestern
verschlechterten Lohnentwicklung der letzten zehn fröhlich angekündigt. Bei dieser Volksabstimmung am
Jahre, nichts zu tun hat. Man muss klar sagen, es ist ge- 27. März werden die Tunnelparteien SPD, CDU und
nau umgekehrt. Der eigentliche Täter – die CDU hat das FDP mit Sicherheit abgestraft. Es ist zynisch, wenn die
fortgesetzt – der schlechten Binnennachfrage war die Bürgerinnen und Bürger – wie gestern von der Kanzlerin –
rot-grüne Koalition mit den Agendagesetzen, die dazu verhöhnt werden. Wer Stuttgart 21 – so ihr Zitat – zu ei-
geführt haben, dass die Lohnentwicklung in Deutschland nem Symbol der Zukunftsfähigkeit Deutschlands erklärt
in den Keller gefahren worden ist und wir in Deutsch- und alle Gegner als rückwärtsgewandte Technikfeinde
land den großen Niedriglohnsektor haben. Das ist ein beschimpft, der hat unrecht. Das Volk in Stuttgart würde
Skandal. Hier wäre bei Ihnen wirklich eine ganze Menge auf solche Behauptungen ganz anders reagieren. Die
an Vergangenheitsbewältigung notwendig, nicht immer Stuttgarter würden sagen: Lügenpack!
diese fröhlichen Sprüche.
(Zuruf von der FDP: Sehr schlecht!)
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Vergangenheitsbe-
Das ist dort die Hauptparole.
wältigung ist ein gutes Stichwort!)
Danke schön.
Darüber hinaus muss die Binnennachfrage durch
massive Besteuerung Reicher gestärkt werden, damit der (Beifall bei der LINKEN)
Staat wieder mehr ausgeben kann und damit nicht ge-
spart werden muss, denn das führt dazu, dass den Ärms- Präsident Dr. Norbert Lammert:
ten der Armen Geld genommen wird, dass sie weniger Dr. Georg Nüßlein ist der nächste Redner für die
Geld haben. CDU/CSU-Fraktion.
Es gibt einen Punkt, für den wir sehr wohl Kürzungs- (Beifall bei der CDU/CSU)
vorschläge haben. Dieser Punkt heißt: Stoppen Sie
Stuttgart 21.
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):
(Beifall bei der LINKEN) Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Herr
(B)
Dieses aberwitzige Eisenbahnprojekt, das offiziell Schlecht, es fällt mir schon ein bisschen schwer, auf das (D)
7 Milliarden Euro kosten soll, einzugehen, was Sie hier an Unsäglichkeit vorgetragen
haben. Sie geben, was die wirtschaftliche Entwicklung
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Hat uns Herr angeht, eine düstere Prognose, als wollten Sie daraus ei-
Ulrich Maurer eingebrockt!) nen parteipolitischen Nutzen ziehen. Sie machen falsche
wird voraussichtlich, nach bahnunabhängigen Experten, Vorschläge, wie man dem Ganzen auf die Sprünge hel-
auf 10, 13 oder noch mehr Milliarden hochlaufen. Die fen könnte, als ob höhere Steuern jemals zu Wachstum
vielen vermeintlich demokratischen Beschlüsse für geführt hätten. Dann machen Sie Einlassungen zu
Stuttgart 21 basieren alle auf Halbheiten und Falschmel- Stuttgart 21, die ich beim allerbesten Willen nicht nach-
dungen. vollziehen kann. Bemerkenswert war insbesondere Ihr
Hinweis auf – wie haben Sie sich ausgedrückt? – „ver-
(Zuruf von der FDP: Was heißt hier „vermeint- meintliche“ Demokratie. Eine vermeintliche Demokratie
lich“?) gab es in der DDR, da, wo Sie hingehören, aber sicher
nicht in Stuttgart und in der Bundesrepublik Deutsch-
Seitdem die Fakten in Stuttgart bekannt sind, leisten die
land.
Menschen breit Widerstand. Seit Ende Juli wird mehr-
mals in der Woche auf Demonstrationen dagegen protes- (Beifall bei der CDU/CSU)
tiert. Zuletzt waren 70 000 Menschen auf der Straße.
Das kommt faktisch einem Volksaufstand nah. Es wäre Ich möchte jetzt einmal die Berufsdemonstranten und
auch der Demokratie halber angezeigt, dass dort endlich diejenigen, die versuchen, Großprojekte in Deutschland,
korrigiert wird. die uns wirtschaftlich voranbringen, kaputtzumachen,
beiseite lassen. Ich möchte auch wegen der Landtags-
Viele lehnen Stuttgart 21 deshalb ab, wahl – auch darum ging es in Ihrem Beitrag – und um
vom Parteigezänk wegzukommen, ein, zwei nachdenkli-
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ulrich Maurer
che Töne anschlagen. Das Wort „alternativlos“ war das
auch?)
Wort, das uns wie kein anderes zwei Jahre lang in der
weil es auch in der relativ reichen Schwabenmetropole Krise begleitet hat. Wir waren von dieser Krise getrieben
viele soziale Missstände gibt. In Schulen bröckelt der und wussten bei vielen Entscheidungen, dass wir keine
Putz von den Decken. In Stuttgart sind vier Turnhallen andere Chance haben, das Vertrauen in der Wirtschaft
wegen Baumängeln geschlossen. Die Kinderarmut ist wieder zurückzugewinnen. Es ist uns gelungen, dieses
hoch, und es fehlen 3 000 Kitaplätze. Jetzt soll auch Vertrauen wiederherzustellen. Ich glaube, dass viele von
noch im Rahmen Ihres Sparprogramms das Elterngeld uns, die meisten und die Vernünftigen jedenfalls, nicht
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6171
Dr. Georg Nüßlein
(A) damit gerechnet haben, dass sich dieser Erfolg so schnell Lassen Sie mich etwas zu dem ausführen, was hier (C)
und in diesem Ausmaß einstellt. über das Thema Kernkraft gesagt wurde.
Wenn Herr Heil von Demut spricht, hat er durchaus (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
recht. Es geht aber nicht um Demut untereinander, son- „Atom“ heißt das!)
dern es geht um Demut gegenüber denjenigen, die den Es steht ganz klar fest – Herr Kuhn, natürlich kann man
Rahmen, den wir mit Bürgschaften, Verlängerung der über die Szenarien diskutieren –, dass uns die Laufzeit-
Kurzarbeit und Konjunkturprogrammen geschaffen ha- verlängerung einen volkswirtschaftlichen Nutzen bringt,
ben, intelligent und mutig ausgefüllt haben. Es waren die dass sie für Arbeit und Beschäftigung sorgt, preisdämp-
Unternehmer, die Handwerker, die Arbeitnehmerinnen fend wirkt und die Chance bietet, eine Brücke zu den er-
und Arbeitnehmer und viele Mittelständler, die ihre Auf- neuerbaren Energien zu schlagen, und zwar in doppel-
gabe gut erfüllt haben. Ihnen gegenüber müssen wir de- tem Sinne. Zum einen, weil wir die Chance haben, die
mütig sein. höheren Preise – Sie werden nicht bestreiten, dass die
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Einführung der erneuerbaren Energien teuer ist – durch
neten der FDP) die preisdämpfende Wirkung der Laufzeitverlängerung
auszugleichen, zum anderen, weil wir diesen Fonds auf-
Ich möchte unterstreichen: Zu dieser Demut gehört auch, legen.
dass man zugibt, dass wir nicht damit gerechnet haben,
dass alles so gut läuft. Etliche Vorredner haben gesagt, man habe den Kon-
zernen zu wenig abgeknöpft. Wir sind hier unter Wirt-
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das stimmt!) schaftsfachleuten. Ich darf Ihnen dringend empfehlen,
die aktuellen Analystenberichte zu lesen. Die Analysten
Wenn man jetzt feststellt, dass Deutschland wieder Kon- schreiben nämlich: In Anbetracht der Tatsache, dass so
junkturlokomotive in Europa ist und die Arbeitslosen- viel abgeschöpft wird, ist nicht sicher, wie sich die Kurse
zahlen zurückgehen – demnächst werden sie unter entwickeln. – An der Börse zeichnet sich das ab. Die
3 Millionen liegen –, dann sollte man auch mit diesen Kurse sind in den letzten Tagen gesunken. Wenn es so
Zahlen – das gebe ich offen zu – mit einer gewissen De- wäre, wie Sie behaupten, dass wir den Konzernen große
mut umgehen. Man sollte den Optimismus jetzt nicht Geschenke gemacht hätten, wären die Kurse gestiegen.
übertreiben. Auch das bitte ich zu berücksichtigen.
Ich erkenne an, sehr geehrter Herr Brüderle, dass wir
aufgrund der demografischen Entwicklung und der wirt- Präsident Dr. Norbert Lammert:
(B) schaftlichen Zahlen, die uns vorliegen, irgendwann mit Herr Kollege. (D)
einem Fachkräftemangel rechnen müssen. Ich will auch
unterstreichen, dass Sie recht mit der Aussage haben, Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):
dass wir, wenn wir Zuwanderung brauchen, die Zuwan- Letzter Satz, Herr Präsident.
derung von qualifizierten Menschen brauchen und nicht
eine Zuwanderung in unser Sozialsystem. Wenn aber das Die Geschichte mit dem Wettbewerb ist ein Märchen.
Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung gleich for- Was ist denn das für eine Argumentation? Die Stadt-
dert, 500 000 Zuwanderer pro Jahr zuzulassen, dann ist werke sagen uns: Wir brauchen höhere Preise, die preis-
das übertrieben. Mit einer solchen Zuwanderung würden dämpfende Wirkung der Kernenergie
wir die Bundesrepublik Deutschland und ihre Bürgerin-
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
nen und Bürger deutlich überfordern.
„Atomenergie“!)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. muss unterbunden werden, damit unsere Anlagen wirt-
Heinz-Peter Haustein [FDP]) schaftlich sind.
Ich sage das auch in dem Bewusstsein, dass wir die Vo- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Investitionen!)
raussetzung für einen Fachkräftezuzug haben. Spitzen-
kräfte können schon heute von überall auf der Welt zu Das ist etwas, was wir so nicht akzeptieren können. In
uns kommen, wenn sich ihr Fachwissen in ihrem Gehalt diesem Sinne bitte ich Sie, über die Argumentation in
niederschlägt und sie mehr als 66 000 Euro jährlich zu Sachen Kernenergie im Fachausschuss noch einmal
verdienen in der Lage sind. Das ist die Sachlage. Des- nachzudenken.
halb muss man an dieser Stelle gar nichts tun. Wir müs- Vielen herzlichen Dank.
sen uns vielmehr darum kümmern, dass es keine Zuwan-
derung in die Sozialsysteme gibt. Ich unterstreiche, dass (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
es dazu einer intelligenten Politik in einer Phase bedarf, neten der FDP)
in der Deutschland über Integration diskutiert, wobei ich
zu bedenken gebe, dass diese Diskussion von jemandem Präsident Dr. Norbert Lammert:
angestoßen wurde, der als SPD-Finanzsenator in Berlin Letzter Redner zu diesem Geschäftsbereich ist der
keinen Beitrag dazu geleistet hat, dass sich die Verhält- Kollege Dr. Michael Luther für die CDU/CSU-Fraktion.
nisse hier in Berlin bessern, aber im Nachhinein schlaue
Bücher schreibt. Auch darüber sollte man einmal nach- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
denken. neten der FDP)
6172 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

(A) Dr. Michael Luther (CDU/CSU): den haben. Wir sollten für die Zukunft einmal darüber (C)
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und nachdenken: Wie schaffen wir es gemeinsam, da herun-
Kollegen! Ich bin nun schon eine Weile im Parlament, terzukommen?
nämlich seit 20 Jahren. Wenn man am Ende einer sol-
Diejenigen, die als Erstes darüber nachdenken, die
chen Debatte resümiert, was gesagt worden ist, kann
Neuverschuldung dadurch zu senken, dass man die Steu-
man feststellen: Das Ritual ist immer dasselbe. Der Bun-
ern erhöht, sind auf dem Holzweg. Das Erste, was wir
deswirtschaftsminister legt einen Haushalt vor – aus
tun müssen, ist, Ausgabensenkungen durchzuführen. Ich
meiner Sicht einen guten –, die Regierungsfraktionen, in
komme aus Sachsen – das ist bekannt –, und Sachsen
diesem Fall CDU/CSU und FDP, loben das, was vor-
zeigt seit Jahren, dass das funktioniert.
liegt, und die Opposition sagt das Gegenteil. Das ist klar;
das ist nichts Neues. (Heinz-Peter Haustein [FDP]: Nicht wie in
NRW!)
Besonders schwierig wird es allerdings für diejeni-
gen, die sagen: „Wir haben richtige Maßnahmen auf den Eine solche Politik ist letztendlich gut für die Wirtschaft
Weg gebracht“, aber zukünftig – das erkennt man, wenn und für die Menschen.
man die aktuellen Beschlüsse ansieht – genau das Ge-
genteil machen wollen und – das prognostiziere ich für Zur Schuldensenkung muss auch das Wirtschafts-
den Fall, dass sie irgendwann wieder an der Regierung ministerium seinen Beitrag leisten. Das zu sagen, fällt
sind – genau das Gegenteil machen werden. mir natürlich besonders schwer. Wer den Haushalt des
Wirtschaftsministeriums anschaut, wird feststellen, dass
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie haben recht: darin sehr viele Förderprogramme sind – das wird
Wir sind bald wieder an der Regierung!) manchmal despektierlich als Bauchladen bezeichnet –,
Das ist das, was Politik unglaubwürdig macht. Es die aber genau die Leistungsträger unserer Gesellschaft,
wäre viel besser, wenn wir einen Moment bei dem Zu- die Basis, nämlich den Mittelstand, auf verschiedene
stand, den wir heute haben, bleiben und feststellen wür- Art und Weise unterstützen und fördern. Der Mittelstand
den: Wir können uns auf die Schulter klopfen. Wir haben ist wichtig. Deswegen haben wir die positive Entwick-
das, was infolge der größten Krise nach dem Zweiten lung in Deutschland. Deswegen müssen wir aufpassen,
Weltkrieg in Deutschland passiert ist, mit klugem politi- ob es richtig ist, wenn wir dort Veränderungen vorneh-
schen Handeln wirklich gut begleitet. Deswegen können men, insbesondere wenn wir dort sparen.
wir heute sagen: Wir haben Wachstum. Wir haben die Ich bin erst einmal froh, dass es gleichwohl gelingt,
Krise überwunden. Die Arbeitslosigkeit liegt nicht, wie Schwerpunkte zu setzen. Ein paar sind genannt worden:
wir befürchtet haben, bei 5 Millionen, ZIM als Programm für den Mittelstand oder Maßnahmen
(B)
(Beifall des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD] – gegen den Fachkräftemangel. Ich gehe einmal näher auf (D)
Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Aber 3 Millio- den Bereich Luft- und Raumfahrt ein. Da geht es nicht in
nen sind immer noch zu viel!) erster Linie um den Flug zum Mond, sondern darum,
dass Hochtechnologie in unserem Land entwickelt wird,
sondern bei 3 Millionen oder weniger. Das müssen wir, die dann auch vielen zugutekommt und wodurch sich
denke ich, einmal sagen können. Deutschland als Hochtechnologiestandort auszeichnen
kann.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP) Es geht auch um Zukunftsthemen wie die Ener-
gieforschung. Wir wissen, dass die Energiebasis in Zu-
Wir, die Regierung von CDU/CSU und FDP, sind
kunft anders aussehen muss als heute. Wir können uns
jetzt ein Jahr im Amt.
auch trefflich darüber streiten, wie wir dieses Ziel errei-
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ein Jahr zu chen. Ich denke, es ist erst einmal wichtig, dass hier
viel!) noch viel Know-how hineingesteckt wird, um unabhän-
gig von fossilen Energieträgern zu werden. Das Energie-
Wir haben diesen Prozess auch nachträglich unterstützt. konzept, was Union und FDP jetzt vorgelegt haben, zeigt
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo denn? – ja einen Weg hin zu einer Energieversorgung ohne fos-
Bettina Hagedorn [SPD]: Nein, die erfolgrei- sile Energieträger.
chen Instrumente, die wir eingeführt haben,
werden kassiert!) Präsident Dr. Norbert Lammert:
Deswegen ist es doch ein Gemeinschaftswerk. Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Duin?
Es kommt als Nächstes darauf an – jetzt rede ich als
Haushälter –, dass wir uns um die Zukunft unseres Lan-
Dr. Michael Luther (CDU/CSU):
des kümmern, das heißt konsolidieren. Wenn man wie-
derum einen Blick in die Geschichte wirft, muss man sa- Gerne.
gen: Wir haben einen sehr hohen Schuldenstand, wir
haben eine hohe Neuverschuldung, und wir haben ent- Garrelt Duin (SPD):
sprechend hohe Zinszahlungen im Haushalt. Wir müssen Vielen Dank, Herr Kollege, für die Gelegenheit. – Sie
da einfach runter. Alle, die hier im Haus sitzen, haben weisen darauf hin, dass Sie im Haushalt eine Reihe von
letztendlich daran mitgewirkt, dass wir so hohe Schul- Maßnahmen ergreifen, die Positives bewirken sollen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6173
Garrelt Duin
(A) Teilen Sie die Einschätzung, dass in der Vergangenheit der alten Länder; sie liegt also noch nicht bei (C)
insbesondere die Mittel, die für die Gemeinschaftsauf- 100 Prozent. Wir werden hier also noch eine ganze
gabe „Verbesserung der regionalen Wirtschafts- Weile einen besonderen Schwerpunkt setzen und die
struktur“ aufgewendet wurden, sehr erfolgreich einge- richtigen Instrumente finden müssen, um den sogenann-
setzt wurden? ten Aufbau Ost fortzusetzen. Lassen Sie uns im Rahmen
der Haushaltsberatungen prüfen, ob man, um dieses Ziel
(Ulrike Flach [FDP]: Das sieht Herr Steiner zu erreichen, vielleicht doch noch anders vorgehen
aber anders!) müsste.
Ausweislich der vom Ministerium veröffentlichten Da- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Jetzt könnten
ten ist es nämlich so, dass zum Beispiel im Zeitraum von Ihre Kolleginnen und Kollegen ruhig klat-
2007 bis 2009 mit insgesamt 4,1 Milliarden Euro GA- schen!)
Mitteln Investitionen in Höhe von 26,2 Milliarden Euro
angestoßen wurden und in den geförderten Betrieben ein Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, vor der Zwi-
Beschäftigungszuwachs von 4,6 Prozent und ein Lohn- schenfrage hatte ich eine Reihe von Schwerpunkten, die
zuwachs von 6 Prozent zu verzeichnen gewesen ist. Tei- ausgebaut werden sollen, genannt. Ich war bei der Ener-
len Sie angesichts dieser Zahlen – ich gehe einmal davon gieforschung stehen geblieben. Zu nennen ist noch die
aus, dass sie stimmen – die von uns vertretene Auffas- Elektromobilität. Ich habe auch davon gesprochen, dass
sung, dass es ein Fehler ist, im Haushalt die Fördermittel es Kürzungen geben muss. Das Thema Gemeinschafts-
für diese Gemeinschaftsaufgabe zu kürzen? Herr aufgabe ist in diesem Zusammenhang aus meiner Sicht
Brüderle hat in seiner Rede eben geradezu mit einem ge- zu Recht schon angesprochen worden. Ich habe das dazu
wissen Stolz verkündet, dass das vorgesehen ist. Notwendige bereits gesagt.
(Beifall der Abg. Andrea Wicklein [SPD]) Ich will noch einen Punkt hervorheben, der ebenfalls
schon erwähnt worden ist. Das sind die Subventionskür-
Dr. Michael Luther (CDU/CSU): zungen für sogenannte energieintensive Unternehmen.
Ich warte noch, ich wollte den Beifall abklingen las- Hier müssen wir im Rahmen der Haushaltberatungen prü-
sen. fen, ob das, was wir momentan haben, tatsächlich so ge-
wollt ist. Wir müssen uns überlegen, ob die Subventionen
(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Hubertus Heil für diejenigen, die viel Energie verbrauchen – das ist die
[Peine] [SPD]: Wir können das noch einmal Grundstoffindustrie; dazu gehört zum Beispiel auch die
machen! – Beifall des Abg. Hubertus Heil Chipindustrie; AMD in Dresden hat ein eigenes Kraft-
[Peine] [SPD]) werk, weil für die Reinräume viel Energie gebraucht wird –,
(B) richtig sind oder ob wir es anders machen müssen. (D)
– Noch ein zweiter. Schön.
(Beifall bei der SPD – Hubertus Heil [Peine]
Ich möchte nun gerne auf Ihre Frage antworten: Man
[SPD]: Das heißt, der Haushalt ist gar nicht so
kann natürlich einen Haushalt nicht konsolidieren, wenn
gemeint! – Garrelt Duin [SPD]: Wir wissen
man nirgendwo Geld kürzen will. Jetzt gibt es einen
auch nicht, ob das richtig ist!)
Haushaltsentwurf, in dem zu meinem Bedauern auch die
genannte Gemeinschaftsaufgabe von Kürzungen betrof- Für mich – das will ich ganz klar sagen – bleibt das
fen ist. Wir sind allerdings erst bei der ersten Lesung und Ziel der Haushaltskonsolidierung bestehen. Aber eine
nicht am Ende der Haushaltsberatungen. So plädiere Haushaltsberatung ist eben nicht dazu da, das abzuni-
auch ich dafür, in den weiteren Beratungen zu schauen, cken, was die Regierung vorgibt, sondern dass man da-
ob man es bei der Kürzung der Mittel für dieses Förder- rüber redet, wie man den Haushalt vernünftig ausgestal-
instrument belassen oder ob man sie zurücknehmen tet.
sollte.
(Garrelt Duin [SPD]: Sehr gut!)
Bevor ich dazu Weiteres sage, möchte ich noch einen
anderen Aspekt ins Spiel bringen: Manchmal ist es auch Dazu wünsche ich uns allen viel Kraft in den nächsten
gut, zu versuchen, andere Schwerpunkte zu setzen. Wir Wochen.
setzen jetzt insbesondere einen Schwerpunkt bei ZIM. Danke schön.
Auch die Fördermittel aus diesem Programm fließen zu
einem Großteil in die neuen Bundesländer. Der Mit- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
telaufwuchs bei diesem Programm ist vom Umfang her
sogar höher als die Einsparungen bei der Gemeinschafts- Präsident Dr. Norbert Lammert:
aufgabe. Hier wird nun ein neuer Weg eingeschlagen, Weitere Wortmeldungen zu diesem Geschäftsbereich
um Forschung und Entwicklung neuer Technologien zu liegen nicht vor.
fördern.
Ich rufe nun auf den Geschäftsbereich des Bundes-
Wir müssen aber – deshalb bin ich auch so dankbar ministeriums für Arbeit und Soziales, Einzelplan 11.
für die Frage – uns eines in diesem Hause sehr wohl im-
Ich erteile als erster Rednerin der Bundesministerin
mer wieder bewusst machen: Wir haben in den letzten
Frau Dr. Ursula von der Leyen das Wort.
20 Jahren in den neuen Bundesländern – das Land war
vorher ja geradezu ruiniert worden – viel erreicht. Die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Wirtschaftsleistung beträgt jetzt ungefähr 80 Prozent der neten der FDP)
6174 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

(A) Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für Sozialetat führt, nicht aus. Unser Haushalt ist damit nicht (C)
Arbeit und Soziales: nur Bilanz der guten Krisenbewältigung, sondern auch
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und schon Vorbote für die nächsten Herausforderungen,
Herren! Der Haushaltsentwurf, über den wir heute de- nämlich der ganz klaren Ansage: Dieses Land muss
battieren, steht immer noch sehr deutlich unter den Aus- strukturell konsolidieren.
wirkungen der Krise. Wir haben auf der einen Seite viel
Geld investiert, gerade um den Arbeitsmarkt zu stabili- Es gibt deshalb zu den Einsparungen in Höhe von
sieren. Ich nenne die Konjunkturprogramme und die 10 Milliarden Euro weitere 4,3 Milliarden Euro an struk-
Ausgaben für das Kurzarbeitergeld. Das hat sich aus- turellen Einsparungen, die für die Schuldenbremse rele-
gezahlt. Wenn man die Arbeitslosendaten im August vant sind. Das sind 3 Prozent des Sozialhaushalts. Das
nimmt, dann sieht man, dass es gerade aus dem verarbei- ist schmerzhaft, aber das ist nicht unverhältnismäßig.
tenden Gewerbe, also der Branche, die am stärksten un- Natürlich ist es im Sozialhaushalt immer schwierig,
ter den Auswirkungen der Krise gelitten hat, weniger wenn man Prioritäten setzen muss. Was tun in einem
Zugänge in Arbeitslosigkeit gibt. Gleichzeitig wird die Etat, der von Ausgaben für Rentnerinnen und Rentner,
Kurzarbeit abgebaut. Das heißt, die Menschen gehen aus von Leistungen für Menschen mit Behinderungen, von
der Kurzarbeit wieder in die volle Beschäftigung. Dieses Leistungen für Langzeitarbeitslose und ihren Lebensun-
Prinzip, die Kurzarbeit als Brücke über die Krise zu nut- terhalt dominiert ist?
zen, hat sich bewährt. Wir haben bewusst nichts bei den Renten der Rentne-
Wir sehen auch, dass wir am Arbeitsmarkt auf einem rinnen und Rentner und bei den Leistungen für Men-
Niveau aus der Krise herauskommen, das niemand für schen mit Behinderungen verändert, und auch bei dem
möglich gehalten hätte. Experten haben uns noch im Etat für den Lebensunterhalt und die Warmmiete für Ar-
Jahr 2008 Arbeitslosenzahlen um 5 Millionen vorherge- beitslose hat sich nichts verändert. Wir sparen aber da
sagt. Wenn der positive Trend dieses Jahres weitergeht, ein, wo nach reiflichen Überlegungen das eingesetzte
dann könnte es gelingen, gegen Ende des Jahres die Geld kaum Wirkung hat. Der Bund zahlt zum Beispiel
3-Millionen-Marke zu unterschreiten. jährlich 1,8 Milliarden Euro dafür, dass ein Langzeitar-
beitsloser später gerade einmal 2 Euro Rente mehr im
Auch im internationalen Vergleich hat sich der deut- Monat hat. Daran sieht man: Man kann es drehen und
sche Arbeitsmarkt gut gehalten. Die Arbeitslosigkeit ist wenden, es reicht für den Einzelnen in Zukunft niemals
in der Krise bei den EU-27 im Durchschnitt um 28 Pro- für eine auskömmliche Rente. Deshalb ist die Entschei-
zent gestiegen, in Spanien um 60 Prozent, in Frankreich dung gefallen, dafür heute nicht Milliarden einzusetzen,
um 23 Prozent und in England um 35 Prozent. Aber in wenn es später keine Wirkung hat, sondern dies heute
Deutschland ist die Arbeitslosigkeit nur um 3 Prozent strukturell einzusparen. Das wird auch für die späteren (D)
(B)
gestiegen. Das, meine Damen und Herren, ist eine Bi- Generationen die richtige Rendite sein.
lanz, die sich sehen lassen kann.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Fritz
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alters-
Das alles wirkt sich natürlich positiv auf den Sozial- armut fördern!)
haushalt aus. Für das Jahr 2011 liegen wir in der Gesamt- Eine einfache Wahrheit lässt sich an diesem Beispiel
summe der Ausgaben des Einzelplanes 11 mit rund auch ablesen: Aus Langzeitarbeitslosigkeit kann man
131,8 Milliarden Euro deutlich unter dem alten Finanz- keine Rente erwirtschaften. Die einzige Möglichkeit, Al-
plan, nämlich um 14,6 Milliarden Euro. Der größte Bat- tersarmut zu vermeiden, sind möglichst viele Beitrags-
zen in Höhe von 10 Milliarden Euro sind Einsparungen jahre in Arbeit.
aufgrund des Anziehens der Wirtschaft und des Absin-
kens der Arbeitslosigkeit. Diese konjunkturellen Einspa-
Präsident Dr. Norbert Lammert:
rungen sind nicht, wie sie so gerne bezeichnet werden,
Windfall Profits. Nein, sie sind Einsparungen auf der Frau Ministerin, darf die Kollegin Hagedorn Ihnen
Grundlage eines beherzten Krisenmanagements der Re- eine Zwischenfrage stellen?
gierung. Sie beruhen auf richtigen politischen Entschei-
dungen, aber vor allem auch auf dem außergewöhnlichen Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Zusammenhalt von Gewerkschaften und Arbeitgebern. Arbeit und Soziales:
Das ist in der Tat etwas, was dieses Land auszeichnet. Gerne.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP) Bettina Hagedorn (SPD):
Frau Ministerin, Sie haben die 1,8 Milliarden Euro,
So weit die Auswirkungen der Krise am Arbeits-
die nach Ihren Vorschlägen für die Arbeitslosengeld-II-
markt. Im Prinzip gibt es eine positive Entwicklung
Empfänger künftig nicht mehr in die Rentenkasse einge-
durch ein gutes Krisenmanagement.
zahlt werden sollen, eben als Einsparung bezeichnet.
Wir wissen natürlich auch, dass die Krise ihre Spuren Stimmen Sie mir zu, dass man unter Sparen gemeinhin
im Staatshaushalt durch eine exorbitant hohe Verschul- versteht, dass man etwas für die Zukunft zurücklegt?
dung hinterlassen hat. Deshalb reichen die Verbesserun- Stimmen Sie mir weiterhin zu, dass diese 1,8 Milliarden
gen, die ich eben geschildert habe, durch sinkende Ar- Euro, die in Zukunft nicht mehr aus Ihrem Etat bezahlt
beitslosigkeit, was automatisch zu Einsparungen im werden, vor allem den Effekt haben, dass es ein Loch in
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6175
Bettina Hagedorn
(A) der Rentenkasse von jährlich 1,8 Milliarden Euro geben ein neues Fenster der Chancen für genau diejenigen Ar- (C)
wird, und dass darum die Schwankungsreserve, die wir beitslosen zu öffnen, die in der Vergangenheit abgehängt
haben, früher aufgebraucht sein wird, was de facto ein waren, weil sie einfach durch die Konkurrenz der vielen
Verlagern von Kosten in die Zukunft ist, weil die Bei- Menschen, die in den Arbeitsmarkt hineindrängten, fast
träge für die Rente früher ansteigen müssen, als es bisher keine Chancen gehabt haben.
geplant war?
Es gibt einen weiteren positiven Punkt. Wir haben
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ jetzt mit der Jobcenterreform die Grundlage für ein mo-
DIE GRÜNEN) dernes, effizientes, selbstlernendes System der Vermitt-
lung geschaffen. Deshalb wird es jetzt notwendig sein,
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für sich in der aktiven Arbeitsmarktpolitik auf die Pro-
Arbeit und Soziales: gramme und Maßnahmen zu konzentrieren, die nach-
Frau Hagedorn, die Reduktion der Einzahlungen in weislich Menschen in Arbeit bringen. Eine Maßnahme,
die Rentenversicherung wird nicht die Auswirkung ha- die wenig wirkt und viel Geld kostet, zementiert letztlich
ben, dass sie – das sind Ihre Worte gewesen – ein Loch Arbeitslosigkeit. Deshalb werden wir auf der Grundlage
in die Rentenkasse reißen wird, sondern sie ist dank der wissenschaftlicher Evaluationen im nächsten Jahr prü-
demografiefesten Leitplanken, die die Rente jetzt hat, fen: Wo können wir wirksamer werden? Welche Maß-
durchaus verkraftbar. nahme bewirkt in der Tat eine zügige Vermittlung in Ar-
beit? Worauf können wir verzichten?
Aber ich finde den zweiten Gedanken noch wichtiger,
den Sie angesprochen haben. Sie haben zu Recht gesagt, Wenn wir einen Teil der unwirksamen Maßnahmen
die gängige Vorstellung ist, dass man, wenn man etwas aufgeben, dann können wir im Ergebnis beides tun, näm-
spart, etwas zurücklegt, damit man in der Zukunft etwas lich deutlich zur Haushaltssanierung beitragen und mit
hat. Ich muss ganz deutlich sagen: Ich wäre froh, wenn den bewährten Mitteln, mit erfolgreichen Maßnahmen,
Deutschland in dieser Situation wäre. Aber unsere Haus- Menschen gezielt wieder in Arbeit bringen. Gute Ar-
halte sind weiß Gott nicht so, dass wir, wenn wir etwas beitsmarktpolitik hängt nicht von der absoluten Summe
einsparen, mehr auf der hohen Kante für die Zukunft ha- der eingesetzten Mittel ab, sondern zuallererst von der
ben; denn auch aufgrund der Politik einer hohen Ver- Qualität der Maßnahmen.
schuldung, die die Regierungen in den Jahren von Rot- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Grün zu verantworten haben, ist die Verschuldung jetzt
so hoch, dass wir es gerade eben schaffen können, ein Arbeitslosigkeit entsteht aber vor allem durch
Anwachsen der Schulden zu verhindern. Das heißt, Spa- schlechte und fehlende Ausbildung. Es ist ganz fatal,
wenn sich Bildungsarmut und Benachteiligung von ei-
(B) ren bedeutet eigentlich nur, Ausgaben nicht wieder mit (D)
neu aufgenommenen Schulden tätigen, die sich drei- und ner Generation in die nächste vererben und so Langzeit-
vierfach negativ in den Haushalten der nächsten Jahre arbeitslosigkeit in Familien zementiert wird. Das Bun-
und damit zulasten der Kinder auswirken werden. desverfassungsgericht hat hier mit seinem Urteil im
Februar den Finger in eine Wunde gelegt: Der Bund hat
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) bei Kindern von Langzeitarbeitslosen und Sozialhilfe-
empfängern, die von der schwierigen Situation ihrer El-
Es ist ganz entscheidend, in den kommenden Jahren
tern genauso betroffen sind, eine Fürsorgepflicht. Die
die Geschichte eines robusten Arbeitsmarktes fortzu-
Fürsorgepflicht des Bundes bedeutet: Ja, Kinder müssen
schreiben. Wir kehren bei den Mitteln der aktiven Ar-
zur Schule gehen; aber sie müssen auch eine Chance ha-
beitsmarktpolitik auf das Vorkrisenniveau zurück:
ben, in der Schule mitzukommen und an den Aktivitäten
9,5 Milliarden Euro für 2011. Das sind 400 000 Euro
der Gleichaltrigen im Alltag teilzunehmen.
mehr, als 2008 zur Verfügung standen, obwohl das
Niveau der Arbeitslosigkeit von 2008 schon heute wie- Wir wissen doch zu gut, wie sehr sich der Kreislauf
der erreicht ist. Das heißt, dieser Haushaltsansatz ist ver- von wenig Bildung, wenig Chancen am Arbeitsmarkt
tretbar. Er ist mit Blick auf den Arbeitsmarkt verhältnis- und Transferabhängigkeit von einer Generation in die
mäßig. Zugleich ist er verantwortlich gegenüber dem nächste fortsetzen kann, wenn man nicht von Anfang an
Gesamthaushalt. gegensteuert. Man kann da mehr tun. Wir brauchen kei-
nen teuren Reparaturmechanismus später, sondern reelle
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Chancen für die Kinder von Anfang an; das muss unser
Der Etat meines Hauses für den Arbeitsmarkt beträgt leitendes Prinzip sein.
auch jetzt noch rund 48 Milliarden Euro. Hinzu kommen
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
die Ausgaben der Bundesagentur für Arbeit aus Mitteln
der Arbeitslosenversicherung. Das ist – keine Frage – Wir werden deshalb für Kinder, deren Eltern langzeitar-
noch immer viel Geld. Aber die Rahmenbedingungen beitslos sind oder von Sozialhilfe leben, zusätzlich zum
der Vermittlung von Arbeitslosen verändern sich: Die Lebensunterhalt, der wie bisher gezahlt wird, ein Bil-
Wirtschaft fasst wieder Tritt; die Zahl der offenen Stellen dungspaket entwickeln. Es geht um Lernförderung für
wächst. Wir fangen schon an, die Auswirkungen eines Kinder, die in wichtigen Schulfächern nicht mitkommen.
kommenden Fachkräftemangels in zahlreichen Branchen Es geht um das notwendige Schulmaterial. Es geht um
zu spüren. Das bedeutet aber auch: Wenn man passge- ein warmes Mittagessen in der Schule oder in der Kita.
naue Maßnahmen zur Vermittlung in Arbeit und zur Es geht um Teilhabe außerhalb der Schule bei Sport und
Weiterqualifizierung entwickelt, dann kann es gelingen, Spiel.
6176 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen


(A) Entscheidend ist, dass diese Kinder nicht länger aus- Bankiersgattin das Elterngeld weiterhin bekommt – (C)
gegrenzt werden und nicht bereits in den allerersten Le- wenn das nicht unverhältnismäßig ist, dann weiß ich
bensjahren den Anschluss an ihre gleichaltrigen Kame- nicht mehr, was verhältnismäßig sein soll.
radinnen und Kameraden verlieren. Man könnte all das
auf lange Sicht unkompliziert und unbürokratisch über (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
eine Bildungskarte abrechnen. Manche sehen das als der LINKEN)
Stigmatisierung an. Ich sage: Die Stigmatisierung findet Es ist unverhältnismäßig, dass der Heizkostenzu-
schon heute statt, nämlich wenn Kinder von Langzeit- schuss beim Wohngeld gekürzt werden soll, dass die
arbeitslosen nicht beim eintägigen Schulausflug mitma- KdU pauschaliert werden sollen, mit all dem Bürokratie-
chen können, wenn bedürftige Kinder nicht am gemein- aufwand und den Ungerechtigkeiten. Ich sage voraus,
samen, warmen Mittagessen in der Schule teilnehmen dass es die nächste Verfassungsklage provozieren wird,
können, wenn bedürftige Kinder nicht mit ihren Klas- wenn jemand keine Wohnung findet, die er mit seinem
senkameraden im Fußballklub sind, beim Turnen oder Budget bezahlen kann, und er die Miete aus dem Le-
bei der „Kindermucke“. Eine solche Stigmatisierung fin- bensunterhalt bestreiten muss.
det bereits heute statt, und der wollen wir ein Ende berei-
ten. (Beifall bei der SPD)

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich kann die Koalition nur davor warnen, diesen Weg zu
gehen. Unsere Zustimmung dafür werden Sie auf alle
Ich möchte die logistische Aufgabe nicht kleinreden. Fälle nicht bekommen.
Sie ist sicher nicht trivial. Man kann es auch umgekehrt
sagen. Die kurzfristig bequemste, aber meines Erachtens (Otto Fricke [FDP]: Das überrascht uns!)
langfristig teuerste, da wirkungsärmste Variante wäre: Gerade beim Eingliederungstitel wird Geld gespart.
Geldbetrag erhöhen, aufs Konto überweisen, das Thema Man kann sagen: Gut, es gibt weniger Arbeitslose. Aber
Bildungschancen ist erledigt. Das ist nicht mein Ver- bei den Langzeitarbeitslosen ist die Arbeitslosigkeit viel
ständnis von nachhaltiger Politik. verfestigter als bei denen, die im Regelkreis des SGB III
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sind. In diesem Bereich zu sparen, den Menschen Chan-
cen zu nehmen und dann noch die Arbeitsmarktleistun-
Es ist unsere vornehmliche und verantwortungsvolle gen, auf die man bisher Rechtsansprüche hatte, in
Aufgabe, uns der Mühe zu unterziehen, etwas zu unter- Ermessensleistungen umzuwandeln, sozusagen nach
nehmen, indem wir es organisieren, dass im Zusammen- Haushaltslage oder Qualifizierungsmaßnahmen in den
spiel aller vor Ort die Lebensperspektiven bedürftiger Jobcentern nach Gutdünken zu verteilen, ist keine nach-
(B) Kinder verbessert werden. Die Anstrengung lohnt sich. haltige Politik, sondern Politik à la Gutsherrenart. Das ist (D)
Sie zahlt sich aus, nicht nur für eine Wirtschaft mit zu- möglicherweise auch so etwas wie Klientelpolitik, wie
nehmendem Fachkräftemangel, nicht nur für eine Ge- das in vielen anderen Bereichen der Fall ist. Für den Ar-
sellschaft im demografischen Wandel, nicht nur für eine beitsmarkt ist das alles andere als stimulierend. Vor allen
Gemeinschaft, die heute eher teure Reparatursysteme Dingen bedeutet das für die Betroffenen weniger Chan-
bezahlt, sondern vor allem für das einzelne Kind, das cen, wieder in den regulären Arbeitsmarkt einzusteigen.
bessere Lebenschancen und Lebensperspektiven hat.
Lassen Sie uns deshalb diese Aufgabe gemeinsam ange- (Beifall bei der SPD)
hen. Wir haben heute festgestellt, dass wir gut durch die
Vielen Dank. Krise gekommen sind. Das sind wir, insbesondere we-
gen der Maßnahmen, die wir gemeinsam in der Großen
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Koalition beschlossen haben. Aber natürlich hatten die
Tarifpartner einen großen Anteil daran. Die Sozialpart-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: nerschaft hat sich bewährt, gerade in der Krise. Deshalb
Nächste Rednerin ist die Kollegin Elke Ferner für die ist dieses Land so gut durch die Krise gekommen.
SPD-Fraktion. In Ihrer Rede fehlte einiges. Sie haben einen Gesetz-
(Beifall bei der SPD) entwurf zur Leiharbeit eingebracht. Darüber haben Sie
nicht gesprochen. Sie haben auch nicht über das Thema
Mindestlohn gesprochen. Allein das zeigt, wohin die
Elke Ferner (SPD):
Reise geht. In Ihren Koalitionsvertrag haben Sie hinein-
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und Kolleginnen! geschrieben, dass Sie die Kombilöhne ausweiten wollen.
Frau von der Leyen, Sie haben eben gesagt, die Kürzun- Sie wollen sogar die Minijobregelung ausweiten. Das
gen in Ihrem Haushalt seien nicht unverhältnismäßig. produziert aber gleichzeitig neue Hilfsbedürftigkeit: Je
Ich muss sagen: Ein Stück weit wundert mich das schon. mehr Leute im Niedriglohnsektor arbeiten, umso gerin-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) ger ist das Einkommen, umso eher muss aufgestockt
werden, umso weniger Geld fließt in die Steuerkasse und
Kürzungen bzw. Streichungen beim Elterngeld für SGB- in die Sozialversicherungskassen. Umgekehrt wird ein
II-Empfängerinnen und -Empfänger und auch für dieje- Schuh daraus: Ein flächendeckender Mindestlohn
nigen vorzunehmen, die arbeiten und Aufstockungsleis- sorgt bei vielen dafür, bei den Alleinstehenden ohnehin,
tungen in Anspruch nehmen müssen, weil sie nicht dass sie keine aufstockenden Leistungen mehr benöti-
genug Geld bekommen, während die nichtarbeitende gen, die Sozialversicherungskassen mehr Beitragsein-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6177
Elke Ferner
(A) nahmen und auch die Steuerkassen mehr Einnahmen ha- gerichtsurteil ist ganz klar. Ich kann Neugierige nur da- (C)
ben und die Binnennachfrage zusätzlich stimuliert wird. vor warnen, zu glauben, man könne sich die Regelsätze
Insofern gehen Sie genau den falschen Weg. schönrechnen. Wir haben ein Drei-Säulen-Modell vorge-
legt. Wir wollen Regelsätze, die transparent berechnet
(Beifall bei der SPD) sind, die bedarfsgerecht sind, die die Bedarfe abdecken
Frau von der Leyen, in der letzten Wahlperiode waren und nicht künstlich heruntergerechnet werden, wie man
Sie auch für das Thema Gleichstellung zuständig. Sie gestern in der Süddeutschen Zeitung und heute in der taz
haben nichts dazu gesagt, wie die Situation von Frauen lesen konnte. Da steht die Überschrift: „Regierung rech-
auf dem Arbeitsmarkt ist. Wir haben noch immer einen net sich die Hartz-IV-Sätze passend“. Davor kann ich
sehr geschlechterspezifischen Arbeitsmarkt. Die Frauen nur warnen. Wir sind im Interesse der Betroffenen bei
arbeiten vielfach Teilzeit. Wenn sie Vollzeit arbeiten, diesem Thema gesprächsbereit.
sind sie deutlich schlechter bezahlt als ihre männlichen
Kollegen. Was ist denn mit dem Thema Entgeltgleich- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist ja schon
heit und Durchsetzung der Entgeltgleichheit? Was ist mit einmal ein Anfang!)
dem Thema „gleiche Teilhabe an Karriere und Beruf“?
Ich kann Neugierige nur davor warnen, zu glauben, man
Was ist mit partnerschaftlicher Teilhabe von Männern
und Frauen? Was ist mit der Zeit, sich um Familie zu könnte bei der Festsetzung der Referenzgruppe einfach
kümmern, nicht nur um Kinder, sondern auch um pflege- statt der unteren 20 Prozent die unteren 15 Prozent he-
bedürftige Angehörige? Was ist damit, dass existenz- ranziehen, weil sich die Regelsätze nach der Kassenlage
sichernde Erwerbsarbeit der beste Schutz vor Armut im zu richten hätten und nicht so bemessen sein müssten,
Erwerbsleben, im Alter und vor allen Dingen vor Kin- dass das Existenzminimum gesichert wird; denn das war
derarmut ist? Kinder sind arm, weil ihre Eltern arm sind. die Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts. Dafür wer-
Das fällt ja nicht vom Himmel. Das hat mit fehlender den Sie – das kann ich Ihnen hier sagen – von uns keine
Beschäftigung und fehlenden Mindestlöhnen zu tun. Zustimmung bekommen, weder von uns noch von den
Auch dazu haben Sie nichts gesagt. SPD-geführten Bundesländern.
Zum Thema Rente haben Sie nur gesagt: Es ist ver- (Beifall bei der SPD)
tretbar, 1,8 Milliarden Euro Zuschuss für die Rentenver-
sicherung zu streichen. Die Frage, wie wir Teilhabe gewährleisten, ist wich-
tig. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie schon vor August
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das hat die SPD mit den Ländern gesprochen hätten; denn die Umsetzung
auch schon mal gemacht!) muss vor Ort passieren. Der Finanztransfer ist dabei nur
ein Punkt. Stattdessen werden Diskussionen über die
(B) – Das haben wir auch schon einmal gemacht. Deshalb Einführung einer Chipkarte aufgemacht, und gestern war (D)
muss es nicht richtig sein. Das ist damals nicht richtig
gewesen, und Sie machen es auch jetzt nicht richtig, zu lesen, dass Sie die Umbenennung von Hartz IV pla-
Herr Kolb. nen. Wissen Sie, Frau von der Leyen, uns ist es wichtig,
was drin ist, wie wir die Bildungsteilhabe ermöglichen,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Heinrich wie wir die soziokulturelle Teilhabe für Kinder, aber
L. Kolb [FDP]: Mea culpa!) auch für Erwachsene ermöglichen. Uns ist weniger
Der Rentenversicherung fehlen jedes Jahr 1,8 Milliarden wichtig, wie nachher das Geld fließt oder was draufsteht.
Euro. Mit Ihrer Beitragserhöhung bei der Krankenversi- Frau von der Leyen, ich kann Sie nur auffordern, uns
cherung kommen noch einmal weitere 300 Millionen frühzeitig und umfassend die Informationen zur Verfü-
Euro hinzu, die zusätzlich ausgegeben werden müssen. gung zu stellen, die wir alle hier im Parlament brauchen,
Das heißt, jedes Jahr fehlen 2,1 Milliarden Euro. Die um eine transparente und sachgerechte Bewertung der
Beitragssatzsenkung ab 2014 bei der Rentenversiche- Zahlen des Statistischen Bundesamtes vorzunehmen und
rung können Sie schon einmal knicken. Sie wird nicht eine parlamentarische Beratung durchzuführen, die den
mehr möglich sein, und die darauffolgende auch nicht. Vorgaben des Verfassungsgerichtes entspricht.
Das viel Schlimmere an der Tatsache, dass der Zuschuss
jetzt komplett gestrichen wird, ist aber, dass Anwart- Wenn ich mir anschaue, dass von Ihrem Haus ver-
schaftszeiten unterbrochen werden. Diejenigen, die noch schiedene Varianten in Auftrag gegeben worden sind,
keine Anwartschaft auf eine Erwerbsminderungsrente liegt der Verdacht nahe, dass die Regelsätze je nach Kas-
komplett haben, verlieren sie. Wenn sie wieder Arbeit senlage angepasst werden sollen. Herr Fuchs fordert bei-
haben, müssen sie von vorne anfangen. Das ist der spielsweise eine härtere Gangart gegenüber integra-
Punkt. Die Riester-Förderung ist davon betroffen. Daran tionsunwilligen Migranten. Anfang dieses Jahres hat er
sieht man, dass Sie mal eben mit einem Federstrich ver- gesagt, das dürfe alles nicht mehr kosten, sondern müsse
suchen, etwas – ich sage das in Anführungszeichen – im Hartz-IV-Bereich umgeschichtet werden. Das wird
„einzusparen“. In Wahrheit ist das eine Verschiebung auf mit uns nicht möglich sein. Um das Zitat von Herrn
die kommenden Jahre; denn dadurch werden mehr Leute Fuchs bezüglich der integrationsunwilligen Migranten
im Alter in die Grundsicherung fallen als bisher. Die noch einmal zu bemühen: Ich frage mich wirklich, ob in
Folgen, die damit zusammenhängen, bedenken Sie nicht. dieser Koalition einige noch alle Tassen im Schrank ha-
(Beifall bei der SPD) ben. Er fordert:
Frau von der Leyen, über das Thema Regelsätze ha- Wenn etwa die Kinder nicht in die Kita oder die
ben Sie sehr ausführlich gesprochen. Das Verfassungs- Schule geschickt werden,
6178 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Elke Ferner
(A) – wir haben eine Schulpflicht – Schönen Dank. (C)
dann muss das mit Hartz-IV-Kürzungen sanktio- (Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb
niert werden. [FDP]: Wir auch nicht!)
Das heißt, die Regelleistungen sollen dann gekürzt
werden. Gleichzeitig will diese Koalition ein Betreu- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
ungsgeld einführen, das genau für die Menschen gedacht Für die FDP-Fraktion spricht nun die Kollegin
ist, die ihre Kinder nicht in Kitas schicken, das heißt, die Claudia Winterstein.
Bildungsteilhabe verhindern. Wie soll das zusammen-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
passen?
der CDU/CSU)
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das stimmt
doch gar nicht!) Dr. Claudia Winterstein (FDP):
– Natürlich, in Ihrem Koalitionsvertrag steht, dass dieje- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
nigen Betreuungsgeld erhalten sollen, die darauf ver- Herren! Auf die Schwarzmalerei von Ihnen, Frau Ferner,
zichten, ihre Kinder in eine Einrichtung zu schicken. und der Opposition, will ich jetzt gar nicht weiter einge-
hen; denn wir können positiv nach vorne schauen. Es
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Aber die ers- geht wieder aufwärts, meine Damen und Herren.
ten drei Jahre! – Karl Schiewerling [CDU/
CSU]: Es geht um die ersten drei Jahre! (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Elke
Trauen Sie den Eltern nicht mehr zu, dass sie Ferner [SPD]: Trotz Ihrer Regierung!)
ihre Kinder ordentlich erziehen können?)
Es kann gar nicht oft genug gesagt werden: Die Wirt-
– Ich traue den Eltern zu, dass sie ihre Kinder erziehen. schaft boomt. Deutschland ist wieder die Wachstumslo-
Ich traue aber auch den Einrichtungen zu, dass sie den komotive in Europa. Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig
Kindern guttun, besonders den Kindern, die einen Mi- wie seit 18 Jahren nicht mehr. Die Erwerbstätigkeit ist
grationshintergrund haben oder aus bildungsferneren nahe am Rekord des Jahres 2008. Auch beim Haushalt
Schichten kommen. Dabei geht es um die Frage der spä- sind wir auf einem guten Wege. Ich bitte die Opposition,
teren Bildungsteilhabe in der Kita und in der Schule. dies endlich einmal zur Kenntnis zu nehmen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Man muss die
Sie wollen alle in die Einrichtungen bringen!) Regierung auch mal loben, wenn sie gut ist!)
(B) (D)
Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns: Sie Bei der ersten Lesung des Haushalts 2010 hatten wir
wollen, dass die Kinder aus den Einrichtungen herausge- es beim Einzelplan 11 mit einem Etatentwurf der negati-
halten werden. Wir wollen es den Eltern ermöglichen, ven Rekorde zu tun. Sein Volumen belief sich damals
dass die Kinder einen Zugang dazu haben. auf 19 Milliarden Euro mehr als im Jahr zuvor. Der
aktuelle Etatentwurf hingegen ist auf dem klaren Weg
(Miriam Gruß [FDP]: Das ist Unsinn! – Max
zur Konsolidierung; denn sein Volumen liegt 11,3 Mil-
Straubinger [CDU/CSU]: Das ist das sozialis-
liarden Euro unter dem Soll des Jahres 2010, nämlich bei
tische Familienbild der SPD!)
131,8 Milliarden Euro.
Wichtig ist für uns bei der Frage der Bildungsteilhabe
auch der kostenfreie Zugang zur Infrastruktur, zu einem Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Mittagessen und natürlich auch zu Sport- und Musikver- Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
einen sowie anderen Freizeitmöglichkeiten jenseits der Kollegin Hagedorn?
Schule. Aber ich kann auch da nur davor warnen, das al-
les auf diejenigen zu beschränken, die im SGB-II-Bezug
sind. Was ist denn mit den Kindern von den Eltern, die Dr. Claudia Winterstein (FDP):
so eben jenseits der Grenzen sind? Wollen wir diese aus- Nein. Ich glaube, Sie werden mehr lernen, wenn Sie
grenzen? Auch da muss es Möglichkeiten geben. Des- jetzt erst einmal weiter zuhören, Frau Hagedorn.
halb, Frau von der Leyen, brauchen wir ganz schnell (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu-
eine Verständigung mit den Ländern und der kommuna- rufe von der SPD: Oh! – Katja Kipping [DIE
len Ebene, wie wir das bewerkstelligen können. LINKE]: Da hat wohl jemand Angst!)
Ich kann nur dafür werben, bestehende Strukturen zu Das ist keineswegs nur ein Ergebnis der gut laufenden
nutzen, sie auszubauen und vor allen Dingen mit der Konjunktur. Das ist auch das Ergebnis des aktiven politi-
Ganztagsbetreuung sowohl im schulischen als auch im schen Handelns.
vorschulischen Bereich schneller voranzukommen, da-
mit die Infrastruktur zur Verfügung steht. Das alles ist Unter SPD-Ministern kannte der Haushalt des Ar-
zeitlich sehr knapp bemessen. Insofern hoffe ich, dass beitsministeriums immer nur eine Richtung, nämlich:
wir da zu einem guten Ergebnis kommen. Ich sage Ihnen Erhöhung der Ausgaben. Das galt insbesondere bei den
auch: Die Lösungen müssen alle verfassungskonform Ausgaben für die Arbeitsmarktpolitik im Bereich von
sein, zu etwas anderem werden wir die Hand nicht rei- Hartz IV. Ob steigende Arbeitslosigkeit oder sinkende
chen. Arbeitslosigkeit, das Rezept hieß immer: mehr Geld.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6179
Dr. Claudia Winterstein
(A) Diese Entwicklung haben wir gestoppt. Ich bin der Gesetz zu entwerfen. Insofern wollen wir doch einmal (C)
Ministerin sehr dankbar, dass auch ihr Haus den notwen- sehen, wie es dann letztendlich ausgestaltet wird.
digen Beitrag zum Sparpaket leistet.
(Elke Ferner [SPD]: Hat es Aufträge aus dem
Im nächsten Jahr wollen wir bei den Ausgaben des Ministerium gegeben, oder nicht?)
Bundes für arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und
Hartz-IV-Verwaltung 500 Millionen Euro gegenüber Tatsache ist, dass 1,8 Milliarden Euro pro Jahr ausge-
dem alten Finanzplan einsparen. Das ist angesichts der geben werden und dass das so nicht sonderlich sinnvoll
sinkenden Arbeitslosenzahlen vertretbar. ist. Ich denke, man kann mit dem Geld effektiver umge-
hen. Man muss dazusagen: Altersarmut lässt sich mit
Im Haushaltsentwurf werden für das sogenannte Ein- solchen Instrumenten ganz sicher nicht verhindern, son-
gliederungsbudget im nächsten Jahr insgesamt 9,5 Mil- dern das geht nur mit sozialversicherungspflichtiger Be-
liarden Euro zur Verfügung gestellt. In den Folgejahren schäftigung, meine Damen und Herren.
werden weitere Einsparungen möglich sein, nämlich
durch die Evaluation der arbeitsmarktpolitischen Instru- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Elke
mente, die die Koalition vereinbart hat. Ferner [SPD]: Die muss aber auch genug ein-
bringen!)
Ziel des Sparpakets ist es, das Eingliederungsbudget
bis 2013 auf 8 Milliarden Euro zurückzuführen. Auf die- Für die Einsparungen im Bereich der Sozialleistungen
sem Niveau lagen die Ausgaben schon einmal im Jahr gilt, was der Bundesfinanzminister schon bei der Präsen-
2006. Dazu muss man wissen, dass die Arbeitslosenzah- tation des Haushaltsgesetzes gesagt hat: Wir haben den
len im Jahr 2006 bei 4,5 Millionen lagen. Jetzt sind wir – ich zitiere – „Sinn sozialer Leistungen dort hinterfragt,
bei 3,2 Millionen Arbeitslosen und sind auf dem Weg, wo sie weder zum Schutz vor existenziellen sozialen Be-
unter die 3-Millionen-Grenze zu gelangen. Das heißt, drohungen nötig sind noch soziale Aufstiegschancen er-
wir können das Absenken der Mittel sehr wohl vertreten öffnen“. Kurzum, unser Ziel ist es nicht, Hartz IV zu
und bleiben weiterhin bei einem hohen Leistungsniveau. optimieren. Unser Ziel ist es, optimale Chancen zum
Ausstieg aus Hartz IV zu schaffen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Elke
Ferner [SPD]: Aha! Und deswegen kürzen Sie
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: die Eingliederungshilfe? Das ist doch ein
Frau Kollegin, darf ich Sie noch einmal unterbre- Witz!)
chen? Die Kollegin Mast möchte Ihnen eine Frage stel-
len. Angesichts der guten Entwicklung auf dem Arbeits-
(B) markt wird die Bundesagentur für Arbeit schon in die- (D)
sem Jahr ein deutlich geringeres Defizit aufweisen als
Dr. Claudia Winterstein (FDP): zunächst befürchtet; es wird wahrscheinlich bei 8 bis
Ich habe es schon einmal gesagt: Ich glaube, es ist 9 Milliarden Euro liegen. Auch durch die Anhebung des
besser, Sie hören erst einmal zu, weil Sie dann mehr da- Beitragssatzes von 2,8 auf 3 Prozent wird sich die
zulernen können Finanzgrundlage für die BA bessern. Deshalb bleibt es
dabei: Wir haben in diesem Jahr einen Zuschuss ge-
(Elke Ferner [SPD]: Dazu müssten Sie eine
währt. Im kommenden Jahr wird aber ein Darlehen ge-
andere Rede halten!)
währt. Das muss zurückgezahlt werden. Es gibt keinen
und sich Ihre Schwarzmalerei vielleicht ändern wird, Zuschuss mehr.
weil Sie dann mehr verstehen und die Zahlen zur Kennt-
Meine Damen und Herren, mit diesem Haushaltsent-
nis nehmen.
wurf liegt zum ersten Mal seit Jahren ein echter Spar-
Rechnet man die Bundesmittel im Eingliederungs- haushalt vor. Das ist ein ganz entscheidender Wende-
budget auf die Zahl der Arbeitslosen nach SGB II um punkt. Dem Vorwurf der sozialen Schieflage, der immer
– das ist für Sie sehr interessant –, so ergibt sich, dass im wieder geäußert wird, können wir ganz gelassen begeg-
Jahr 2006 pro Arbeitslosen 2 860 Euro zur Verfügung nen.
standen, während im kommenden Jahr 4 400 Euro zur
(Elke Ferner [SPD]: Ja, ja! Sie können das!)
Verfügung stehen werden. Von einem sozialen Kahl-
schlag kann also weiß Gott nicht die Rede sein, meine 51,7 Prozent des Bundeshaushaltes,
Damen und Herren von der Opposition. Nehmen Sie das
einmal zur Kenntnis: 2 860 Euro und jetzt 4 400 Euro. (Elke Ferner [SPD]: Ich sage nur:
Mövenpick!)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
158,8 Milliarden Euro,
Einen zweiten großen Sparbeitrag erbringt dieser
Haushaltsentwurf beim Arbeitslosengeld II. Das Spar- (Katja Mast [SPD]: Ich sage nur:
paket sieht zwei Maßnahmen vor, nämlich die Abschaf- Atomwirtschaft!)
fung des befristeten Zuschlags und den Wegfall der sind im Jahre 2011 für den Bereich der sozialen Siche-
Rentenversicherungsbeitragszahlung. Frau Ferner, ich rung vorgesehen.
wundere mich, was Sie schon alles dazu gesagt haben
und was Sie schon alles wissen. Wir sind dabei, dieses (Elke Ferner [SPD]: Pharmaindustrie!)
6180 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Dr. Claudia Winterstein


(A) Das ist mehr als jemals unter der rot-grünen Regierung, Haushaltsjahr nach der Finanz- und Wirtschaftskrise (C)
meine Damen und Herren. war, also nach dem Fall von Lehman Brothers?
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Fritz (Otto Fricke [FDP]: Was stand denn in eurem
Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich Finanzplan? – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]:
sage nur: 5 Prozent!) Die Frau Kollegin Hagedorn hat immer noch
nichts gelernt! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]:
Wir gehen in dieser Regierung den verantwortungs-
Nichts gelernt, aber alles vergessen!)
vollen Weg einer dauerhaften und echten Konsolidie-
rung des Haushalts, indem wir die Ausgaben tatsächlich
senken. Das sind wir auch der jungen Generation schul- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
dig; denn Kinder können auf Schuldenbergen nicht spie- Frau Kollegin Winterstein, bitte.
len.
Danke. Dr. Claudia Winterstein (FDP):
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Liebe Bettina Hagedorn, ich will gerne auf diese Fra-
gen antworten. Vor allen Dingen möchte ich darauf hin-
weisen, dass es schon ein Leben vor der Krise gab. Es
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: gab Zeiten, in denen wir sprudelnde Steuereinnahmen zu
Das Wort zu einer Kurzintervention hat nun die Kol- verzeichnen hatten, in denen wir sehr wohl in der Lage
legin Hagedorn. gewesen wären, einen ausgeglichenen Haushalt vorzule-
(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: gen,
Ich dachte, die spricht nachher noch!) (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es!)

Bettina Hagedorn (SPD): in denen wir sehr wohl auch in der Lage gewesen wären,
für den Bereich Arbeit und Soziales einen wesentlich
Frau Kollegin Winterstein, ich habe mich gemeldet,
besseren Haushalt vorzulegen. Diese Chance ist von Ih-
weil Sie meine Zwischenfrage bedauerlicherweise nicht
nen vertan worden.
zugelassen haben.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Haben Sie denn (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
inzwischen etwas gelernt, Frau Hagedorn?) In guten Zeiten sollte man etwas zurücklegen, damit
Da wir von der medialen Öffentlichkeit beobachtet wer- man in schlechten Zeiten etwas hat.
(B) (D)
den, sollten wir dazu beitragen, dass aufgeklärt und nicht (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Genau! Spare zu
versucht wird, die Menschen zu verdummen. guten Zeiten!)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
Diese wahnsinnig hohe Neuverschuldung haben wir
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
auch Ihrer schlechten Regierungszeit zu verdanken;
Sie haben vorhin einen sehr kruden Vergleich ange-
stellt, als Sie gesagt haben, die Neuverschuldung sei (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Anette
2009 gegenüber 2008 enorm gestiegen und 2011 werde Kramme [SPD]: Die arme Frau Merkel!)
sie im Vergleich zu 2010 gesenkt. Damit haben Sie in sonst würden wir uns heute nicht in dieser Situation be-
der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, der vorlie- finden.
gende Haushalt sei ein Sparhaushalt.
Nehmen Sie insofern doch bitte auch zur Kenntnis,
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist er dass wir jetzt – das habe ich auch gesagt – auf einem
auch!) sehr guten Weg sind, weil wir bei uns sparen und diesen
Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass der Haushalt, der Haushalt durch eigene konsequente und dauerhafte Spar-
2010 aufgestellt worden ist, die höchste Neuverschul- maßnahmen sozusagen wieder auf die gerade Schiene
dung der Nachkriegszeit bedeutet hat. Auch wenn wir, bringen wollen und nicht über Steuereinnahmen versu-
was wir alle hoffen, aufgrund der guten Konjunkturlage chen, zu sanieren. Es ist leider so, dass das jetzt Zeit be-
und des gestiegenen Wachstums, das vermutlich 3,4 Pro- nötigt, weil die Verschuldung derartig hoch ist. Damit
zent betragen wird, bei einer Neuverschuldung von gut müssen wir leben. Umso wichtiger ist aber, dass wir jetzt
50 Milliarden Euro landen, wird sich das Haushaltsjahr wirklich intensiv sparen. Auf diesem Wege sind wir.
2010 diesen Spitzenplatz in der gesamten Nachkriegszeit
Insofern sind die Maßnahmen, die wir ergriffen ha-
mit dem Haushaltsjahr 2011 teilen, weil Sie jetzt eine
ben, sehr ausgewogen: Auf der einen Seite sorgen wir
Neuverschuldung in Höhe von 57 Milliarden Euro vor-
eben tatsächlich für Einsparungen, auf der anderen Seite
gesehen haben.
haben wir aber sehr wohl auch die soziale Komponente
(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Scheinheilig!) im Blick. Dementsprechend haben wir unsere Sparmaß-
nahmen sozialverträglich angelegt.
Geben Sie mir außerdem recht, dass den dritten Platz
der Haushalt 1996 von Theo Waigel einnimmt und dass (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
das Haushaltsjahr, das Sie herangezogen haben, das der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6181

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Von der Beachtung des Verursacherprinzips sind wir (C)
Nun hat der Kollege Klaus Ernst für die Fraktion Die weit entfernt. Wir sind aber auch weit weg von einer ei-
Linke das Wort. nigermaßen vernünftigen Verteilung dessen, was in die-
sem Land erwirtschaftet wird. Auch dafür ist die Bun-
(Beifall bei der LINKEN – Bartholomäus Kalb desregierung aus meiner Sicht mitverantwortlich.
[CDU/CSU]: Es ist keine Schande, reich zu
sein!) Wir haben festgestellt, dass die Situation bei den Ar-
beitgebern, bei den Reichen wieder dieselbe ist wie vor-
Klaus Ernst (DIE LINKE): her.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir erleben (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
eine Ministerin, die ihre Arbeit selbstverständlich gut Na ja!)
darstellt. Dafür habe ich Verständnis. Trotzdem müssen
wir schon ein bisschen genauer hinschauen, Frau von der Jetzt sagen Sie: Der Aufschwung kommt an. – Frau
Leyen. Winterstein, ich habe gerade von Ihnen gehört, es gehe
aufwärts.
(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/
CSU]: Die Arbeit ist gut!) (Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Ja!)
Wenn Sie sagen: „Es geht wieder aufwärts“, dann stellt Ich sage Ihnen: Es geht aufwärts, weil die Industrieunter-
sich natürlich die Frage, für wen. Ich zitiere aus Spiegel nehmen wieder die Leiharbeiter einstellen, die sie vorher
Online vom 4. September 2010. Dort heißt es – Zitat –: entlassen haben. Es geht nicht aufwärts im Bereich der
Die Verluste aus der Finanzkrise sind laut einer normalen Vollzeitjobs. Im Gegenteil: Wir stellen bei Be-
DIW-Studie inzwischen komplett ausgeglichen. trachtung eines längeren Zeitraums fest – diese steht ja
Davon profitieren besonders die Reichen: Noch nie durchaus zur Verfügung –, dass die Anzahl der sozialver-
gab es hierzulande so viele Vermögensmillionäre. sicherungspflichtigen Vollzeitbeschäftigten, die es 2000
noch gab, inzwischen um 2,3 Millionen gesunken ist. Die
Es geht aufwärts, aber nicht für die Bevölkerung. Anzahl anderer Jobs ist demgegenüber gestiegen: Die
Anzahl der Menschen in Leiharbeit, der Menschen in be-
Frau von der Leyen, wenn ich mir Ihren Haushalt an- fristeten Beschäftigungsverhältnissen und der Menschen
sehe, dann stelle ich fest: Das Elterngeld für Hartz-IV- in prekärer Beschäftigung hat zugenommen. – Nicht zu-
Bezieher wird um 500 Millionen Euro gekürzt, bei der genommen hat jedoch die Anzahl der Menschen mit einer
Rentenversicherung wird um 1,8 Milliarden Euro ge- vernünftigen Beschäftigung in diesem Land. Dafür sind
kürzt, und die Ausgleichszahlungen für den Übergang Sie mitverantwortlich, unter anderem deshalb, weil Sie, (D)
(B)
vom Arbeitslosengeld I zum Arbeitslosengeld II sinken Frau von der Leyen, eine vernünftige Regelung für den
um 200 Millionen Euro. – Daneben stellen wir fest, dass Bereich der Leiharbeit nach wie vor verhindern.
die Eingliederungstitel gekürzt werden, die für die Men-
schen gedacht sind, die Hilfe brauchen, um tatsächlich Beim Thema Leiharbeit geht es nicht nur darum, den
wieder Arbeit zu bekommen. Das alles passt überhaupt Drehtüreffekt zu verhindern, dass Menschen zunächst
nicht mit dem zusammen, was Sie hier darstellen. Es entlassen und anschließend im selben Betrieb wieder
geht offensichtlich nicht allen besser. Vielmehr wird bei eingestellt werden. Vielmehr geht es beim Thema Leih-
den sozial Schwachen ganz besonders gekürzt. arbeit um ein ganz einfaches Prinzip – das müsste doch
Es wurde von dem Prinzip des sozialen Ausgleichs für uns selbstverständlich sein –, nämlich dass man bei
gesprochen, und die Bundeskanzlerin sagte, als es um gleicher Arbeit das gleiche Geld bekommt, dass Equal
das Kürzungspaket ging, es sei ausgewogen. Die Ausge- Pay gilt. Aber das machen Sie in Ihrem Gesetz nicht.
wogenheit ist schon deshalb nicht gegeben, weil in Ih- Damit sind Sie für eine ungleiche Verteilung in diesem
rem Haushalt, Frau von der Leyen, letztendlich 37 Pro- Land verantwortlich, Frau von der Leyen.
zent der gesamten Kürzungen vorgenommen werden. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg.
Ich kann Ihnen nur sagen: Es ist falsch, das mit dem Anton Schaaf [SPD])
Prinzip der Ausgewogenheit zu erklären.
Dasselbe Problem gibt es bei befristeten Arbeitsver-
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: hältnissen. Inzwischen sind 40 Prozent aller neu abge-
Porsche für alle!) schlossenen Arbeitsverhältnisse – das trifft natürlich
Warum verfahren Sie eigentlich nicht nach dem Ver- auch jetzt für die Zeit des Aufschwungs zu – nur noch
ursacherprinzip? befristet. Betrachten Sie das als Aufschwung? Betrach-
ten Sie es als Aufschwung, wenn die überwiegend jun-
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Ja!) gen Leute, die nach der Krise wieder einen Job bekom-
Es wird unter anderem deshalb eine hohe Verschuldung men und vorher möglicherweise als Leiharbeiter
im Haushalt ausgewiesen, weil wir eine Bankenkrise zu beschäftigt waren, jetzt nur noch solche Beschäftigungs-
finanzieren haben, für die all diejenigen, die Sie jetzt be- verhältnisse bekommen, bei denen sie von vornherein
lasten, nicht die geringste Verantwortung haben, und das wissen, dass dieses Arbeitsverhältnis in kürzester Zeit
ist falsch an Ihrem Haushalt, Frau von der Leyen. wieder beendet ist? Ich kann Ihnen sagen: Damit geben
Sie den Menschen in diesem Land keine Zukunft. Im
(Beifall bei der LINKEN) Gegenteil: Damit tragen Sie dazu bei, dass die Menschen
6182 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Klaus Ernst
(A) eine Zukunft haben, die aus Unsicherheit, schlechten Ar- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C)
beitsbedingungen und Niedriglöhnen besteht. sowie bei Abgeordneten der SPD)
Angesichts der Feststellung, dass mit diesem Auf- Erst kürzlich – Herr Schiewerling, auch Sie waren
schwung die Gewinne wieder deutlich steigen – Sie dabei – hat das Institut der deutschen Wirtschaft eine
freuen sich darüber natürlich ganz besonders; wir freuen Evaluation vorgelegt, in der die Berufsbildungswerke
uns vor allem darüber, dass die Krise vorbei ist –, hätte untersucht wurden, die sehr teure Weiterbildungs-, Qua-
ich erwartet, dass wir hier von Ihnen etwas hören, wie lifizierungs- und Umschulungsmaßnahmen anbieten. Das
Sie dazu beitragen wollen, die ungleiche Vermögensver- Institut der deutschen Wirtschaft hat festgestellt, dass die
teilung, die ungleiche Verteilung des gesellschaftlichen Rendite aus den Investitionen in Weiterbildung 11,7 Pro-
Reichtums zu beenden. Dazu habe ich keinen einzigen zent beträgt, erwirtschaftet durch eingespartes Arbeits-
Satz von Ihnen gehört, Frau von der Leyen. losengeld II, durch zusätzliche Steuereinnahmen und durch
zusätzliche Sozialversicherungsbeiträge. Sie rechnen kurz-
(Beifall bei der LINKEN) sichtig und nicht nachhaltig und langfristig.
Ich könnte gerne noch den einen oder anderen Punkt auf- (Elke Ferner [SPD]: Und falsch! – Max
zählen, der für Ihren Haushalt noch von Bedeutung Straubinger [CDU/CSU]: Da wird doch nichts
wäre. gekürzt!)
Frau von der Leyen, wir haben viel über Mindest- Dramatisch finde ich auch, dass Sie blind sparen. Sie
löhne und Aufstocker diskutiert. sparen ins Blaue hinein. Frau von der Leyen hat hier aus-
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: geführt, dass sie eine Evaluation der arbeitsmarktpoliti-
Sie sind auch so ein Aufstocker!) schen Instrumente in Auftrag gegeben hat und dass sie
im nächsten Jahr die Ergebnisse erwartet. Warum warten
Dazu nenne ich Ihnen folgende Berechnung: In den letz- Sie denn die Ergebnisse nicht ab, um dann festzustellen,
ten Jahren wurden 50 Milliarden Euro an Lohnsubventi- was das effektivste Instrument ist? Dann könnte man den
onen gezahlt, weil Sie die Einführung eines gesetzlichen Einsparungen unter Wirtschaftlichkeitsgesichtspunkten
Mindestlohns verhindern. Wären wir in der Lage, die noch zustimmen. Aber Sie sparen einfach drauflos, weil
Menschen in diesem Lande tatsächlich auf einem ver- Sie unter Druck gesetzt worden sind, Frau von der
nünftigen Lohnniveau zu bezahlen, dann hätten Sie in Leyen.
Ihrem Haushalt das, was Sie machen, nämlich diese Kür-
zungsorgien, überhaupt nicht nötig. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN – Axel E.
Verweigern Sie sich deshalb an der Stelle nicht län- Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: Nein!
(B) ger! Schaffen Sie einen gesetzlichen Mindestlohn! Re- (D)
Wir haben viel weniger Arbeitslose!)
geln Sie Leiharbeit mit gleichem Lohn für gleiche Ar-
beit! Sorgen Sie dafür, dass die Menschen eine Der Vergleich mit dem Jahr 2006 hinkt überdies.
unbefristete Beschäftigung haben und dass wir kein Pre- Nicht nur dass im Jahr 2006 der Eingliederungstitel nicht
kariat erleben müssen. vollständig ausgeschöpft wurde, sondern auch die Zahl
der Langzeitarbeitslosen, die einer besonders intensiven
Ich danke fürs Zuhören. und qualifizierten Förderung bedürfen, ist gegenüber
(Beifall bei der LINKEN) 2006 nicht gesunken.
(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Doch! Sie ist
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: gesunken!)
Nächster Redner ist der Kollege Markus Kurth für die An diesem Punkt müssen wir ansetzen.
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): sowie bei Abgeordneten der SPD)
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- Im Ergebnis ist die Folge klar absehbar: Diese Spar-
gen! Dieser Haushalt präsentiert sich zwar als Sparhaus- politik wird immer kurzatmigere Maßnahmen seitens der
halt, aber tatsächlich verschiebt er Lasten auf andere Bundesagentur für Arbeit erzwingen, weil diese ihre so-
Zweige der Sozialversicherung und in die Zukunft. Dies genannten Aktivierungsquoten hochhalten wird, und im
ist kein Sparhaushalt. Ergebnis den Druck auf Langzeitarbeitslose und Be-
schäftigte erhöhen. Unterm Strich kann man sagen: Die-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
ser Haushalt vergrößert die soziale Verschuldung in
sowie bei Abgeordneten der SPD)
diesem Lande.
Es werden Lasten auf die Rentenversicherung und auf
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
die Bundesagentur für Arbeit verschoben, die sich jetzt
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
verschulden können soll und die einen Schattenhaushalt
KEN)
begründen wird. Am schlimmsten ist: Auch zulasten der
Arbeitslosen werden finanzielle Belastungen in die Zu- Wenn Sie den Haushalt schon so offensiv in den Kon-
kunft verschoben, indem Sie beim Eingliederungstitel, text der Staatsverschuldung stellen, Frau von der Leyen,
bei der Qualifizierung, bei der Weiterbildung und bei der dann frage ich Sie, warum Sie Stimmen wie die von
Förderung von Langzeitarbeitslosen einsparen. Gerhard Cromme nicht ernst nehmen. Gerhard Cromme,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6183
Markus Kurth
(A) Aufsichtsratsvorsitzender von Siemens, Multimillionär Bildungsanspruch in kleinlicher und geradezu beschä- (C)
und früherer Vorstandschef des Konzerns Thyssen- mender Weise kleingerechnet wird und nur dann geltend
Krupp, ist dafür bekannt, dass er kein Kind von Traurig- gemacht werden kann, wenn ein Todesfall oder eine
keit ist, wenn es um harte Sanierungseinschnitte in Un- schwere Krankheit in der Familie vorliegt. Dann gönnen
ternehmen geht. Derselbe Gerhard Cromme sagt in Sie sich im Sommer einen großen Auftritt zur Präsenta-
einem Interview mit einer angesehenen deutschen Ta- tion einer Bildungschipkarte, die finanziell voraussicht-
geszeitung in der Sommerpause, er könne sich eine be- lich so kläglich ausgestattet sein wird, dass sie auch nur
fristete Vermögensabgabe vorstellen, um einen Beitrag für fünf Stunden Nachhilfe im ganzen Jahr reicht. Das ist
zur Überwindung der Krise zu leisten. Warum greifen ein politisches Täuschungsmanöver.
Sie diese Bereitschaft, die viele Menschen in diesem
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Lande zeigen, nicht auf?
sowie bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich empfinde es auch als Täuschungsmanöver, wenn
der Eindruck erweckt wird, mit der Chipkarte stünde
Die Verteilungswirkungen sind das eine. Das andere jetzt allen der Weg zur Musikschule und zur künstleri-
ist die Wirkung auf die Menschen, die davon betroffen schen Bildung offen. Was ist denn in den letzten Jahren
sind. Ich werfe Ihnen vor, dass Sie – ob willentlich oder in den Kommunen mit solchen Bildungsangeboten pas-
unbewusst – eine Politik der Diskriminierung gegenüber siert? Ihre Zahl ist um mehr als ein Drittel verringert
denjenigen betreiben, die Unterstützung benötigen. Am worden, und die verbleibenden sind mit Gebühren verse-
augenfälligsten wird das bei der Streichung des Elterngel- hen worden, die Ihre Chipkarte nicht einmal zu einem
des für Eltern, die Grundsicherung beziehen müssen. Sie Bruchteil abdecken wird. Diese Bundesregierung drückt
diskriminieren gezielt die Bezieher einer bestimmten So- durch Steuergeschenke den Städten und Gemeinden fi-
zialleistung und entziehen diesen die Familienförderung. nanziell die Gurgel zu und präsentiert dann einen Gut-
Deutlicher kann man, ob gewollt oder nicht, die Botschaft schein, den man vielerorts überhaupt nicht mehr einlö-
nicht aussenden: Wir wollen nicht, dass ihr Kinder be- sen kann, weil die Angebote fehlen.
kommt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Glauben Sie bei der SPD und der LINKEN)
den Blödsinn eigentlich selber, den Sie da von
sich geben?) Weil Sie dies wissen, entwerfen Sie eine Szene von der
Einbindung der Privatwirtschaft bei der Finanzierung
Genau diesem Muster folgt die Tonlage im Hinter- der Chipkarte. Aber diese Finanzierungsbeteiligung der
grund, wenn es um die Idee eines elektronisch gestütz- Privatwirtschaft ist noch nicht einmal am Horizont zu se- (D)
(B)
ten Gutscheinsystems für Kinder aus Arbeitslosengeld- hen. Darüber hinaus kann man getrost die Frage stellen,
II-Haushalten geht. Die Botschaft lautet: Wir trauen den ob wir eine öffentliche Regelfinanzierung von Kinder-
langzeitarbeitslosen Eltern von Kindern die Erziehung förderung an Institutionen durch private Almosengewäh-
und eigenständige Lebensführung nicht wirklich zu. Zu- rung an diese Institutionen ersetzen wollen. Wir jeden-
mindest wird dies von nicht wenigen Abgeordneten und falls wollen dies nicht. Im Ergebnis laufen Ihre Pläne auf
Akteuren aus der schwarz-gelben Koalition so orches- Bevormundung und weniger Freiheit für Langzeit-
triert. arbeitslose und alle anderen hinaus, die auf das Arbeits-
losengeld II angewiesen sind.
Damit wir uns nicht missverstehen: Es spricht alles
dafür, statt rechnerisch 1 Euro für das Mittagessen eines Das korrespondiert mit anderen Vorhaben wie der so-
Kindes im Regelsatz anzusetzen, ein vollwertiges Essen genannten Bürgerarbeit. Hier sollen fünfmal mehr Bür-
als reguläre Sachleistung in der Schule anzubieten. Ich ger aktiviert werden, als überhaupt Plätze in der Bür-
füge hinzu: wenn es denn in allen Schulen einen Mit- gerarbeit zur Verfügung stehen. Das heißt – das scheint
tagstisch gibt. offenbar von vornherein das Ziel zu sein –, ein Großteil
der zu Aktivierenden soll letzten Endes aus dem Leis-
Oder nehmen wir das Beispiel Bildung, von dem Sie
tungsbezug ausgesteuert werden. Ich finde, dass sich
ausführlich gesprochen haben: Es wäre mehr als sinn-
dies alles in Richtung des vormodernen Sozialstaats be-
voll, die 4 Euro im Monat, die für Nachhilfe angesetzt
wegt, wo Armenpolizei und Arbeitshaus die Armen zu
sind, aus dem Regelsatz herauszunehmen. Für 4 Euro im
Objekten eines Obrigkeitsstaates machten und wo nur
Monat kann man sich ohnehin keine Nachhilfestunden
der sittliche Arme Anspruch auf öffentliche Fürsorge
leisten. Es wäre sinnvoll, stattdessen einen eindeutigen
hatte. Ich erlebe eine erstaunliche Renaissance dieses
Rechtsanspruch auf Nachhilfe festzuschreiben, der als
Denkens. Michael Fuchs etwa sagt – das wurde schon
einmalige Leistung im notwendigen Umfang zu gewäh-
erwähnt –: Eltern, die ihre Kinder nicht erziehen, müssen
ren ist.
ALG-II-Kürzungen hinnehmen. – Ich will ein Urteil des
Aber was tun Sie? Zunächst sehen Sie tatenlos zu, wie Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1967 zitieren,
die Bundesagentur für Arbeit den Nachhilfeanspruch, ein Urteil, das ich wirklich wegweisend finde. Das Bun-
der seit Februar durch das Urteil des Bundesverfassungs- desverfassungsgericht hat in diesem Urteil, das das Ende
gerichts besteht, maximal einschränkt. Anstatt den Rich- der Arbeitshäuser im Nachkriegsdeutschland besiegelte,
terspruch zum Anlass zu nehmen, auf einem Gebiet den gesagt: Es ist nicht die Aufgabe des Staates, seine Bürger
Bildungsanspruch und Bildungsziele durchzusetzen, las- zu bessern. – Das ist ein wichtiger und zentraler Satz, an
sen Sie zu, dass der vom Verfassungsgericht definierte den wir uns in der Sozialpolitik öfter erinnern sollten.
6184 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Markus Kurth
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gen müssen. Das mussten Sie nicht. Um den Menschen (C)
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Sicherheit zu geben und die Zahl der Arbeitslosen nicht
KEN) wieder auf 5 Millionen steigen zu lassen, sorgen wir da-
für, dass die Menschen in Arbeit bleiben und nicht ar-
Es geht um die Stärkung und die Befähigung von
beitslos werden; das ist doch gut. Deshalb war es richtig,
Menschen, die zeitweise nicht in der Lage sind, ihren
das Geld zur Verfügung zu stellen. Das bedeutet aber
Lebensunterhalt selbstständig zu erwirtschaften. Wir
nicht, dass wir jetzt aufhören können, diese Schulden zu-
Bündnis 90/Die Grünen wollen die Menschen ernst neh-
rückzufahren.
men. Wir wollen ein Wunsch- und Wahlrecht, Möglich-
keiten, sich die Angebote selber auszusuchen. Miteinan- (Bettina Hagedorn [SPD]: Das machen Sie
der statt Obrigkeit, das erzielt die besten Ergebnisse. Das doch gar nicht! Das ist alles Etikettenschwin-
ist am effektivsten. Wir stehen für einen Ausbau der In- del!)
frastruktur zur Bildung und Förderung von Kindern so-
Herr Kurth, deshalb ist es auch nicht richtig, dass Sie
wie Jugendlichen. Wir stehen für Teilhabe und Selbstbe-
sagen, dieser Haushalt sei kein Sparhaushalt. Wir redu-
stimmung statt Verhaltenskontrolle durch Nannys im
zieren, und das ist wichtig – –
Sozialministerium.
(Zuruf der Abg. Bettina Hagedorn [SPD])
Danke.
– Dann hören Sie zu, vielleicht erfahren Sie doch noch,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
was Sparen heißt, wenn Sie selbst es noch nicht wissen
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
und noch nicht können.
KEN)
Wir haben eine Aufgabe, nämlich die Neuverschul-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: dung zurückzufahren und Einsparungen vorzunehmen.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun das Wort die Kol- Das bedeutet: Alle Ministerien sind gefordert, auch das
legin Ingrid Fischbach. Sozialministerium. Ich möchte an dieser Stelle deutlich
machen, dass wir bisher 12 Prozent des Bundeshaushal-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tes allein für Zinszahlungen ausgeben. Davon müssen
neten der FDP) wir runter, weil wir das Geld für andere Dinge brauchen.
Mittlerweile ist jeder fünfte Euro kreditfinanziert. Sie
Ingrid Fischbach (CDU/CSU): tun hier so, als hätten wir ein Wunschkonzert nach dem
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen Motto: Wer noch etwas haben möchte, der soll sich mel-
und Kollegen! den, dann packen wir noch ein bisschen drauf.
(B) (D)
Wer aufhört zu werben, um Geld zu sparen, kann (Bettina Hagedorn [SPD]: Das macht doch gar
ebenso seine Uhr anhalten, um Zeit zu sparen. keiner!)
Diese Worte hat Henry Ford einmal gesprochen. Sie sind Das haben wir in den letzten Jahren und Jahrzehnten ge-
wohl wahr. Wenn wir jetzt aufhören, zu sparen und den tan, und das war falsch. Sie monieren Kürzungen, statt
Haushalt zu konsolidieren, können wir gleich einpacken. zuzuhören, warum gekürzt wird und an welchen Stellen
Sie haben recht, Frau Hagedorn: Wir haben hohe Schul- gekürzt wird.
den. Da ich ein bisschen länger dabei und gut bei Ver-
(Bettina Hagedorn [SPD]: Weil Sie an den fal-
stand bin und mein Erinnerungsvermögen vorhanden ist,
schen Stellen kürzen!)
erinnere ich mich noch an einen Sparminister – ich
glaube, er kam aus Ihrer Fraktion, meine Damen und – Darüber, ob die Stellen richtig sind oder nicht, können
Herren von der SPD –, der im Jahr 2004, als sich der da- wir reden.
malige Kanzler rühmte, den Aufschwung habe er allein
Ich bin jetzt bei dem Punkt der arbeitsmarktpoliti-
durch seine Kandidatur und sein Kanzlersein erwirt-
schen Maßnahmen. Frau Hagedorn, Sie gehen doch
schaftet, eine Neuverschuldung in Höhe von 43 Milliar-
wie ich in Ihrem Wahlkreis mal zu den Arbeitsagenturen.
den Euro auf den Weg gebracht hat. Theo Waigel, den
Sie reden auch mit den Bürgerinnen und Bürgern, auch
Sie angesprochen hatten, war 1996 bei 40 Milliarden
mit denen, die länger arbeitslos sind.
Euro angelangt.
(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Wir tun das!)
(Bettina Hagedorn [SPD]: Wir sind aber unter
40 Milliarden Euro geblieben!) Ich höre von vielen Kolleginnen und Kollegen und von
vielen Bürgerinnen und Bürgern die Frage bzw. Aussa-
Die Zuschauer vor den Bildschirmen können nun errech-
gen: „Wieso gibt es eigentlich so viele Maßnahmen, die
nen, wer eine höhere Neuverschuldung zu verantworten
uneffektiv sind?“, „Jetzt schicken die mich schon in den
hatte. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen
dritten Computerkurs.“ „Ich muss jetzt wieder eine Um-
werfen.
schulung für einen Beruf machen, der dann, wenn ich
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) fertig bin, überhaupt nicht.“ – –
Die Situation 2004 war anders als die heutige. Deswe- (Beifall bei der CDU/CSU – Brigitte Pothmer
gen ist das, was Sie hier machen, unfair, unsozial und [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen
effekthascherisch. Wir haben eine so hohe Neuverschul- Sanktionen, wenn sie den dritten Computer-
dung, weil wir eine noch nie dagewesene Krise bewälti- kurs nicht machen!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6185
Ingrid Fischbach
(A) – Jetzt hören Sie doch einmal gut zu. Was wir mit Recht Frau Ferner, jetzt bin ich bei Ihnen. Sie haben bei der (C)
wollen, ist doch, dass wir kontrollieren und nach Ziel- Aussage der Ministerin moniert, dass sie im Bereich der
genauigkeit und Effizienz auswählen und an dieser Kinderregelsätze einiges auf den Weg bringe, was nicht
Stelle den Menschen – – richtig sei. Darf ich Sie bitte noch einmal daran erinnern,
wer die Hartz-IV-Regelung auf den Weg gebracht hat?
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Sie kürzen, bevor Sie ausgewählt ha- (Elke Ferner [SPD]: Wer war im Vermittlungs-
ben! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE ausschuss dabei? Waren Sie das nicht?)
GRÜNEN)
– Frau Ferner, ich unterstelle Ihnen jetzt nicht, dass Sie
– Sie können sich gern melden und eine Zwischenfrage damals den Anteil für die Bildung der Kinder bei der
stellen; aber immer reinzurufen, ist unsinnig, weil die Berechnung der Eckregelsätze absichtlich herausgelas-
Zuhörer draußen nicht hören, was Sie rufen. Wenn ich sen haben. Das sage ich jetzt nicht. Ich vermute, Sie ha-
Ihnen dann antworte, dann ist meine Rede nicht so lo- ben nicht daran gedacht.
gisch; das finde ich nicht so prickelnd.
(Elke Ferner [SPD]: Sie im Vermittlungsaus-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schuss auch nicht!)
Also, wir haben gemeinsam beschlossen, die Schul- Wenn ich der Verursacher wäre, dann wäre ich ganz ru-
denbremse ins Grundgesetz aufzunehmen und daran zu hig. Ich würde nicht damit argumentieren, was alles
arbeiten. Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Der Ab- falsch läuft. Sie haben nicht daran gedacht.
bau von Schulden ist zukunftsorientierte Politik. Das ist
eine Politik für unsere Kinder, für unsere Nachfolger und (Zurufe von der SPD)
für unsere Enkelkinder, und daran halten wir fest. Sie haben das auch nicht auf den Weg gebracht. Sie
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) hätten damals an dieser Stelle sagen müssen, das sei
wichtig. So wie Sie heute sagen, das werde vor dem Ver-
Mit den Einsparungen und Kürzungen bei den Ausga- fassungsgericht keinen Bestand haben, hätten Sie es da-
ben des Sozialministeriums sind wir bei Zahlen, die wir mals genauso sagen können.
im Jahr 2008 hatten. Wir liegen sogar noch darüber. Frau
Hagedorn, hatten Sie, als wir in der Großen Koalition (Elke Ferner [SPD]: Das hätten Sie doch da-
waren, bei 123 Milliarden Euro Ausgaben im Sozialetat mals schon alles sagen können im Vermitt-
den Gedanken, wir hätten den sozialen Kahlschlag ver- lungsausschuss!)
abreicht? Das habe ich von Ihnen in der Diskussion nicht – Sie haben das doch mitgetragen.
(B) gehört. (D)
(Elke Ferner [SPD]: Wo waren Sie denn im
(Elke Ferner [SPD]: Die Frage ist, wo Sie Vermittlungsausschuss?)
sparen!)
Ich persönlich war nicht im Vermittlungsausschuss,
Wir sind heute bei 143 Milliarden Euro. Sie sprechen
vom sozialen Kahlschlag, wenn wir von 143 Milliarden (Elke Ferner [SPD]: Ihre Fraktion aber!)
Euro auf 131 Milliarden Euro heruntergehen. Sie müs-
sen bei Ihrer Argumentation ein bisschen darauf aufpas- aber Sie waren vielleicht darin. Ich sage nur: Sie haben
sen. ein Gesetz auf den Weg gebracht und den Bildungsanteil
nicht berücksichtigt. Ich habe nicht gesagt, dass Ihnen
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- das bewusst war – diese Einschätzung überlasse ich Ih-
neten der FDP) nen –, aber Sie haben ihn nicht berücksichtigt.
Die Außenwirkung ist wichtig. Wir geben trotz der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Kürzungen immer noch 131,8 Milliarden Euro für den
Sozialhaushalt aus. 131,8 Milliarden Euro! Ich sage das Jetzt haben wir gesagt: Wir machen es transparent,
so deutlich und so oft, weil ich glaube, dass viele nicht und dieser Anteil muss vorhanden sein. – Das Verfas-
verstehen, über welche Summe wir reden. Das ist ein sungsgericht gibt uns den Auftrag, nicht nur für diesen
Anteil am gesamten Bundeshaushalt von weit über Anteil zu sorgen, sondern auch dafür zu sorgen, dass er
50 Prozent. Wenn ein Drittel der gesamten Einsparungen bei den Kindern ankommt. Deshalb halte ich die Idee der
von diesem Teil erbracht werden muss, dann ist das rich- Ministerin, eine Bildungschipkarte einzuführen, für eine
tig, dann ist das vertretbar. sehr gute. Dass wir noch schauen müssen, wie das im
Detail geht, ist klar. Das werden wir klären. Das ist aber
(Elke Ferner [SPD]: Elterngeld streichen, das kein gänzlich neues Instrument. Einige tun so, als sei das
ist sozial!) eine Erfindung über Nacht und als müssten wir schauen,
Wir müssen diesen Weg gehen, weil wir Politik für un- wie wir das auf den Weg bringen. Die Bildungskarte gibt
sere Kinder machen und weil wir wollen, dass die Schul- es als ergänzende Familienhilfekarte in vielen Kommu-
den heruntergehen. Das werden wir anders nicht hinkrie- nen, wo sie sich sehr gut bewährt hat. Wir übernehmen
gen; das ist richtig, Frau Ferner. das, was gut läuft, und notwendige Verbesserungen wer-
den wir vornehmen. Ich finde, das ist ein guter und rich-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tiger Schritt; denn in die Kinder zu investieren, ist eine
neten der FDP) Investition in die Zukunft. Das ist christlich-liberale
6186 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Ingrid Fischbach
(A) Politik. Daran werden wir festhalten, und wir werden Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C)
uns von Ihnen nicht von unserem Weg abbringen lassen. Frau Kollegin.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP) Ingrid Fischbach (CDU/CSU):
Ich höre jetzt auf, Frau Präsidentin.
Ich möchte kurz auf die Situation der Langzeit- Vielen Dank.
arbeitslosen eingehen. Herr Kurth verbreitet hier, die
Zahlen seien nicht rückläufig. Sie sind aber zurückge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
gangen und liegen jetzt unter 1 Million. Sie können die
Zahlen abrufen und werden feststellen, dass sie zurück- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
gegangen sind. Ich habe heute Morgen die aktuellsten Bettina Hagedorn hat das Wort für die SPD-Fraktion.
Zahlen abgerufen. Wir müssen vor allem die Menschen
in Arbeit bringen, die schon lange keine Arbeit mehr ha- (Beifall bei der SPD)
ben. Dazu sind manche Maßnahmen – das habe ich vor-
hin schon gesagt – nicht geeignet, weil sie nicht effizient Bettina Hagedorn (SPD):
sind und die Menschen in Langzeitarbeitslosigkeit hal- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
ten. gen! Sie von Schwarz-Gelb versuchen seit Tagen, uns
von der SPD zu unterstellen, dass wir die Verschuldung
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: auf die leichte Schulter nehmen würden.
Dann werten Sie doch erst aus!)
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Natürlich!)
Die beste Vorsorge für das Alter und die besten Mittel
gegen Altersarmut sind Arbeit Dazu sage ich Ihnen hier ganz klipp und klar: Die SPD
steht selbstverständlich zur Schuldenbremse.
(Elke Ferner [SPD]: Existenzsichernde Arbeit!
Deswegen lehnen Sie den Mindestlohn ab!) (Max Straubinger [CDU/CSU]: Ich sage nur:
Nordrhein-Westfalen!)
und ein vernünftiger Lohn. Deshalb müssen die Men- Die SPD nimmt die Verantwortung gegenüber künftigen
schen in Arbeit gebracht werden. Wir werden im Rah- Generationen mindestens so ernst wie Sie. Das Problem
men der Reform viel stärker auf die individuellen Be- ist, dass Sie das, was Sie hier vorgelegt haben, täglich
dürfnisse der Arbeitslosen eingehen können. Das werden mindestens 20-mal Sparhaushalt nennen, es aber in
wir auch tun. Wir werden uns auch über die Hinzuver- Wirklichkeit kein Sparhaushalt ist; denn Sie sparen
(B) dienstgrenzen unterhalten müssen. Ich höre oft von nicht, sondern Sie verschieben Lasten auf die nächste (D)
Langzeitarbeitslosen – vielleicht höre nur ich das immer Generation, und Sie schichten zulasten der sozialen Si-
in meinem Wahlkreis und Sie nicht –, wenn es darum cherungssysteme um. Wir werden uns in wenigen Jahren
geht, einen 400-Euro-Job anzunehmen: Ich darf nur damit zu beschäftigen haben, dass sowohl die Beiträge
160 Euro dazuverdienen. – Ich frage dann: Wieso dürfen zur Arbeitslosenversicherung als auch die zur Renten-
Sie nur 160 Euro dazuverdienen? Die Antwort lautet: versicherung nicht stabil gehalten werden können. Das
Der Rest wird mir angerechnet. – Ich entgegne dann, alles haben Sie zu verantworten. Sie organisieren mit
dass der Langzeitarbeitslose 400 Euro und den anderen diesem Haushalt in allererster Linie eine gigantische
Teil selber verdient und damit nicht auf Sozialtransfers Umverteilung von unten nach oben.
angewiesen ist. Ich glaube, wir müssen etwas tun, damit
das Verständnis, selbst etwas zum Lebensunterhalt bei- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
zutragen, wächst. Deshalb werden wir uns über die Hin- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Max
zuverdienstgrenzen noch unterhalten müssen. Es ist ein Straubinger [CDU/CSU]: Was wird jetzt in
richtiger Weg, Anreize zu schaffen, eine Arbeit aufzu- Nordrhein-Westfalen gemacht, Frau
nehmen. Es muss aber auch deutlich werden, dass dieje- Hagedorn?)
nigen, die in Arbeit sind, mehr Geld haben müssen als Es ist richtig – das wurde schon mehrfach gesagt –:
diejenigen, die nicht arbeiten. Das Lohnabstandsgebot Wir reden hier über 132 Milliarden Euro. Das ist knapp
wird immer das Credo unserer Politik sein. Daran halten die Hälfte des Bundeshaushalts. Aber die Größe an sich
wir fest. Die christlich-liberale Koalition wird dafür sor- sagt noch gar nichts darüber aus, wie viel soziale Ge-
gen, dass die Menschen, die lange Zeit arbeitslos sind, in rechtigkeit davon ausgeht. Vor diesem Hintergrund will
Arbeit kommen. ich mit einem Ammenmärchen aufräumen: Indem Sie
immer wieder vorbringen, der prozentuale Anteil des
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Einzelplans am Gesamthaushalt habe sich in den letzten
Frau Kollegin. Jahren vergrößert, versuchen Sie, deutlich zu machen
– das hat Michael Fuchs versucht, das hat Frau
Dr. Winterstein versucht, und das ist auch von Frau
Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Fischbach versucht worden –, dass Sie doch so sozial
Die Prognosen für das nächste Jahr stimmen uns opti- seien. Dazu muss ich Ihnen sagen: Verdummen Sie die
mistisch. Ein Wirtschaftsinstitut hat heute gemeldet, Menschen bitte nicht! Der größte Brocken in diesem
dass es 2011 2,8 Millionen Arbeitslose geben wird. Wir Einzelplan ist mit über 80 Milliarden Euro der Zuschuss
sind auf einem guten Weg. zur Rentenversicherung.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6187
Bettina Hagedorn
(A) (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Der ist aber nicht (Max Straubinger [CDU/CSU]: Weil sie ja (C)
wesentlich gewachsen, Frau Hagedorn!) über Hartz IV mehr bekommen!)
Ich möchte in Erinnerung rufen, dass dieser Steuerzu- Das sind die gleichen Familien mit Kindern, die durch
schuss 1990 noch bei 30 Milliarden Euro lag, 1998 bei die Streichung des Heizkostenzuschusses pünktlich zum
52 Milliarden Euro und dass es in den letzten zwölf Jah- bevorstehenden Winter eiskalt betroffen sein werden.
ren einen Aufwuchs von 28 Milliarden Euro gegeben Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist soziale Kälte
hat, für den gesetzliche Grundlagen bestehen, die wir pur.
alle miteinander geschaffen haben und die auch richtig
sind. Wenn Sie die 80 Milliarden Euro in Ihre prozen- (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]:
tuale Rechnung einbeziehen, verkennen Sie aber völlig, Das glauben Sie wohl selber nicht!)
dass die Einschnitte, Frau von der Leyen, die übrigens in Das ist menschenverachtend und kinderfeindlich.
keinem Einzeletat so groß sind wie in Ihrem Etat, sich
– richtigerweise – nicht bei der Rente abspielen, sondern (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
sich auf die übrigen 51 Milliarden Euro konzentrieren. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das sind genau die Milliarden, mit denen für die anderen
Die Frage ist gar nicht, ob gespart wird – darauf kön-
Generationen in unserer Gesellschaft Chancen im Be-
nen wir uns, glaube ich, verständigen –; die Frage ist,
reich Arbeit geschaffen werden sollen.
wie gespart wird und zu wessen Lasten. In Ihrem soge-
(Katja Mast [SPD]: Genau so ist es!) nannten Sparpaket

Sie und vor allen Dingen Ihre Kollegen stellen sich (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]:
hin und sagen, hier werde etwas für Kinder und für Fa- Zukunftspaket!)
milien geleistet. Das ist einfach absurd und infam, weil sind allein für 2011 Kürzungen im Bereich Arbeit und
die wirklichen Zahlen etwas anderes besagen. Dieser Soziales in Höhe von 4,7 Milliarden Euro geplant. Das
Haushalt schmälert die Chancen von Kindern, von Al- ist fast die Hälfte des kompletten Pakets. Bis 2014 wer-
leinerziehenden und von Familien den es nahezu 32 Milliarden Euro sein. Bei der anderen
(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Das ist einfach Hälfte der Maßnahmen, die sich bei der Wirtschaft ab-
nicht wahr, was Sie sagen!) spielen sollen, handelt es sich um unseriöse Luftbuchun-
gen. Sie sparen de facto – nein, „sparen“ ist nicht der
– das ist sehr wohl wahr –, und das ist genau die falsche richtige Ausdruck –,
Stelle. Sie sparen sogar bei der Bildung!
(Elke Ferner [SPD]: Sie kürzen!)
(B) (D)
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingrid Sie kürzen de facto lediglich bei denjenigen, die unserer
Fischbach [CDU/CSU]: Das ist nicht wahr! Unterstützung am meisten bedürfen,
Das können Sie auch dreimal sagen! – Max (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich glaube, Sie
Straubinger [CDU/CSU]: Da haben Sie gerade reden schon auf Konto Ihrer Fraktionskolle-
über die Verschuldung geklagt, und jetzt jam- gen, Frau Hagedorn!)
mern Sie wieder!)
und das, obwohl wir alle diese jungen Menschen als gut-
Sie streichen bei Familien und Alleinerziehenden, die ausgebildete Arbeitskräfte in unserem Land brauchen,
schlechtbezahlte oder gar keine Jobs haben, die und zwar unabhängig davon, ob sie einen Migrationshin-
300 Euro Erziehungsgeld. Dabei waren Sie es, Frau von tergrund haben oder nicht.
der Leyen, die mit uns Sozialdemokraten das Elterngeld
ausdrücklich einkommensunabhängig eingeführt hat. (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Sie müssen
Mit der FDP zusammen kassieren Sie es jetzt bei circa aber gefördert werden und nicht nur von einer
85 000 geringverdienenden Paarhaushalten und bei circa Maßnahme in die nächste kommen!)
50 000 Alleinerziehenden wieder ein, während die Mil- Genau denen und ihren Eltern fallen diese Kürzungen
lionärsgattin es behält. Wie können Sie als Christin nach nämlich auf die Füße.
diesem Rückwärtssalto eigentlich noch in den Spiegel
schauen? (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
(Beifall der Abg. Elke Ferner [SPD]) LINKEN)
Welche Wertvorstellungen liegen einer solchen Politik
eigentlich zugrunde? Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Frau Kollegin, Sie haben schon das Ende der Redezeit
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
erreicht.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Das sind übrigens die gleichen Familien mit Kindern, Bettina Hagedorn (SPD):
die schon von Ihrer vielgepriesenen Kindergelderhöhung Dann war das das Ende meiner Rede.
ab Januar dieses Jahres nicht einen einzigen Cent erhal-
ten haben. Ich danke.
6188 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Bettina Hagedorn
(A) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Jetzt muss man auch zu dem Versprechen stehen, das mit (C)
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Aufnahme der Schuldenbremse in die Verfassung gege-
LINKEN) ben worden ist.
(Elke Ferner [SPD]: Aber nicht zu den Luftbu-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: chungen und Kürzungen! – Bettina Hagedorn
Der Kollege Dr. Heinrich Kolb hat das Wort für die [SPD]: Sie haben nicht zugehört!)
FDP-Fraktion.
Man muss doch einmal klar sagen, dass es einen Sinn
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten hat, dass wir die Schuldenbremse eingeführt haben. Mit
der CDU/CSU) jeder weiteren Entscheidung, Konsum schuldenfinan-
ziert anzustoßen,
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
(Elke Ferner [SPD]: Mövenpick-Steuer!)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn Sie mich morgens um 7 Uhr suchen, finden Sie engen wir die Spielräume in der Zukunft ein. Aber die
mich regelmäßig auf meinem Heimtrainer. Dort habe ich Kinder können in der Zukunft nicht auf Schuldenbergen
heute Morgen radelnd und Frühstücksfernsehen schau- spielen. Deswegen ist heute der Zeitpunkt gekommen,
end die für mich wichtigste Nachricht des Tages schon wo wir Ansätze kürzen und Einsparungen vornehmen
vernommen: müssen.
(Zuruf von der SPD: Steinbach!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
In 2011, so lauten die Prognosen, wird die Zahl der Ar- der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)
beitslosen in Deutschland auf durchschnittlich 2,8 Mil- Im Grundsatz sind wir uns ja einig, dass gespart wer-
lionen sinken. Das sind im Durchschnitt 400 000 weni- den muss. Sie jedoch sagen: Aber nicht so. Da fällt mir
ger als noch in diesem Jahr. ein Wort von Graf Lambsdorff ein: Wenn es darum geht,
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten den Gürtel enger zu schnallen, fummelt jeder am Gürtel
der CDU/CSU) des anderen. Wir wollen einmal schauen, wie das kon-
kret gehen kann. Der größte Einzelposten im Sozialbe-
Das zeigt mir – das will ich an der Stelle einmal sagen –, reich, bei dem wir sparen,
dass die Maßnahmen zur Belebung der Konjunktur, die
diese Regierung nach ihrem Regierungsantritt unternom- (Zuruf der Abg. Brigitte Pothmer [BÜND-
(B) men hat, auch tatsächlich wirken. NIS 90/DIE GRÜNEN]) (D)
(Elke Ferner [SPD]: Herr Rösler hat doch gesagt, betrifft Rentenversicherungsbeiträge in Höhe von
Sie haben gar nichts gemacht!) 1,8 Milliarden Euro für ALG-II-Empfänger. Hier kön-
nen Sie sich nicht ganz unschuldig fühlen, Frau Kollegin
Das muss man hier einmal sagen. Sie sollten so ehrlich Hagedorn.
sein, das auch anzuerkennen.
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten NEN]: Das macht es nicht besser!)
der CDU/CSU)
Genau so etwas haben auch Sie schon getan. Die Be-
Sie konzentrieren sich immer nur auf eine Maß-
hauptungen der Kollegin Ferner, da würden keine An-
nahme; wir haben aber viele entlastet, vor allen Dingen
spruchszeiten mehr entstehen, sind so nicht zutreffend;
Familien mit Kindern und Arbeitnehmer.
das sollten wir einmal abwarten. Das Gesetz ist noch
(Elke Ferner [SPD]: Hoteliers!) nicht geschrieben.

Der Taxpayer’s Day, der Tag, ab dem die Menschen in (Elke Ferner [SPD]: Aha!)
diesem Lande für sich selbst und nicht mehr für den
Staat arbeiten, lag in diesem Jahr zehn Tage früher. Da- Den Einsparsachverhalt als solchen haben Sie selbst in
mit steht mehr Geld zur Verfügung. Das belebt die Kon- diesem Hause mehrheitlich beschlossen. Sie, Frau
junktur. So macht man das. Das muss in diesem Land Hagedorn, können sich jetzt nicht hier hinstellen und sa-
auch einmal gesagt werden. gen: An dieser Stelle wollen wir keine Einsparungen
vornehmen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Elke
Ferner [SPD]: Ja, Hoteliers!) Jetzt wollen wir uns das Ganze noch etwas konkreter
anschauen, insbesondere weil der Kollege Ernst, der ja
Liebe Frau Hagedorn, wir haben die Schulden- der bekannteste Aufstocker in diesem Land ist,
bremse gemeinsam in die Verfassung hineingeschrie-
ben. (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der
FDP und der CDU/CSU)
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Könnten Sie
einmal Herrn Scholz oder Herrn Steinbrück lo- hier gesagt hat, alle unsere Maßnahmen gingen immer
ben? Haben Sie die Größe?) nur zulasten der Ärmsten.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6189

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Anton Schaaf (SPD): (C)


Herr Kolb, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kol- Weil Sie mich so freundlich darum gebeten haben,
legen Schaaf? verlängere ich mit dieser Frage Ihre Redezeit. Frau
Winterstein hat sich den Fragen ja noch verweigert.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Herr Kolb, ich gebe Ihnen recht: Wir sind, was die
Er kann gerne später fragen; ich möchte meinen Ge- Zuschüsse an die Rentenversicherung für Langzeit-
dankengang zu den Ausführungen des Kollegen Ernst arbeitslose angeht, nicht ganz unschuldig. Aber wir ha-
gerade noch zu Ende bringen. – Kollege Ernst sagt, das, ben in den Wahlkämpfen der letzten Jahre auch nicht im-
was wir machen, gehe immer zulasten der Ärmsten. mer wieder gebrüllt, dass die Menschen mehr Netto vom
Wenn zum Beispiel der Zuschuss für die einigungsbe- Brutto haben sollen. Wie verhält sich diese Forderung zu
dingten Leistungen nach § 291 c SGB VI gekürzt wird, Ihrer Politik heute?
dann bekommt keiner derjenigen, die entsprechende
Leistungen erhalten, auch nur 1 Cent weniger. Es handelt Die Nachhaltigkeitsrücklage in der Rentenversiche-
sich vielmehr um einen geringeren Zuschuss an die Ren- rung soll für einen Ausgleich sorgen. Arbeitgeber und
tenversicherung. Die Betroffenen erhalten weiterhin ge- Arbeitnehmer haben dieses Geld gleichermaßen einge-
nau die Beträge, die sie bisher bekommen haben. zahlt. In der mittelfristigen Planung der Rentenversiche-
rung ist die Absenkung der Beiträge vorgesehen, damit
(Elke Ferner [SPD]: Aber nicht bei der Rente Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie Arbeitge-
nachher!) ber einen Teil des angesparten Geldes zurückbekommen.
Aber diese 1,8 Milliarden Euro werden sie nicht zurück-
Es ist also falsch, wenn Sie sagen, es werde zulasten der erhalten. Was hat das Ganze mit „Mehr Netto vom
Ärmsten gespart. Brutto“ zu tun? Das müssen Sie den Menschen einmal
Nun reden wir einmal darüber, dass durch die Kür- erklären.
zung dieser Rentenversicherungsbeiträge den Langzeit- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
arbeitslosen weniger Ansprüche entstehen. der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
(Elke Ferner [SPD]: Aha!)
Aus heutiger Sicht ist das für die allermeisten Betroffe- Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
nen in diesem und im nächsten Jahr mit hoher Sicherheit Herr Kollege Schaaf, es gilt der altbekannte Satz: Das
irrelevant. Schwierige an der Prognose ist die Vorhersage des Zu-
(B) (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Aber später!) künftigen. (D)

Aber es stellt sich natürlich die Frage der Alters- (Elke Ferner [SPD]: „Was interessiert mich mein
armut. Diese möchte ich nicht kleinreden. Wir sind an- Geschwätz von gestern!“, meinen Sie!)
getreten, hier etwas zu tun. Das können Sie in unserem Das können Sie sehr genau erkennen, wenn Sie sich die
Koalitionsvertrag nachlesen. Entwicklung der Überschüsse bzw. der Defizite in der
(Zurufe von der LINKEN) Rentenversicherung ansehen. Es ist nur wenige Jahre
her, dass wir in Zeiten einer sehr guten Konjunktur satte
Wir werden im nächsten Jahr eine Expertenkommission Überschüsse in der Rentenversicherung erzielt haben.
einberufen und beraten, was man da tun kann, und wir Im letzten Jahr hatten wir den schwersten Einbruch in
werden noch in dieser Legislaturperiode Ergebnisse prä- der Wirtschaftsgeschichte der Bundesrepublik mit einem
sentieren. Aber durch einen zusätzlichen Renten- ebenso satten Defizit in der Rentenversicherung, weil
anspruch von 2,09 Euro pro Jahr Langzeitarbeitslosig- Kurzarbeiter weniger Beiträge in die Rentenversiche-
keit wird man das Problem nicht lösen können. Auch das rung eingezahlt haben. Wenn Sie sagen, Sie wüssten
muss man hier einmal klar sagen. schon heute sicher, wie sich die Rentenbeiträge in den
Jahren 2013/2014 entwickeln werden, dann sagen Sie
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten einfach nicht die Wahrheit.
der CDU/CSU)
Wir setzen darauf, über die Stärkung der Wirtschaft
sowie über die Schaffung und Sicherung von Arbeits-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
plätzen ein möglichst hohes Erwerbspotenzial zu er-
Herr Kolb, wäre jetzt der Moment, wo Sie eine Zwi- reichen. Eine möglichst hohe Zahl sozialversiche-
schenfrage des Kollegen Schaaf zulassen würden? rungspflichtig Beschäftigter ist immer noch die beste
Bestandsgarantie für alle Sozialkassen und insbesondere
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): für die Rentenversicherung.
Ja, das wäre jetzt der Moment, wo eine Zwischen- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
frage gestellt werden kann. – Bitte schön, Herr Schaaf.
Herr Kollege Ernst, ich will mit zwei Beispielen wei-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
termachen. Wo sparen wir denn?
Bitte schön. (Bettina Hagedorn [SPD]: Gar nicht!)
6190 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Dr. Heinrich L. Kolb


(A) Wir haben konkrete Vorschläge vorgelegt. Wo es bisher (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der FDP) (C)
Pflichtleistungen gibt, wollen wir Ermessensleistungen.
Ist es denn wirklich sinnvoll, dass wir demjenigen, der Wird es Ihnen nicht ein wenig mulmig und macht es
dreimal erfolglos eine Firmengründung versucht hat, Sie nicht ein wenig nachdenklich, wenn man feststellen
auch noch ein viertes Mal 10 000 Euro hinterherwerfen? muss, dass am Ende dieser Krise die Klientel, die Ihnen
Ich sage: Das macht keinen Sinn. besonders zugewandt ist – das sind die Besserverdienen-
den, Hoteliers und andere –, offensichtlich wieder auf
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- demselben Niveau ist wie vor der Krise? Auf der ande-
NEN]: Firmengründungen sind eine Pflicht- ren Seite haben nach der Krise ausgerechnet diejenigen,
leistung! – Zurufe von der SPD) die schon vor der Krise am wenigsten hatten, noch weni-
ger. Da können Sie auf die einzelnen Punkte so viel ein-
Der Berater vor Ort muss die Möglichkeit haben, an die-
gehen, wie Sie wollen. Sie müssen doch feststellen, dass
ser Stelle Nein zu sagen. Auch das gehört dazu.
als Ergebnis Ihrer Politik – ich nenne beispielsweise die
(Beifall bei der FDP) Streichung des Übergangsgelds für den Übergang vom
Arbeitslosengeld I zum Arbeitslosengeld II – den Leuten
Ein letztes Beispiel, Herr Kollege Kurth. Wenn es da- ganz konkret Geld fehlt, wenn sie ihren Job verlieren.
rum geht, sozialpolitische Hecken zu pflanzen, dann sind Auch in Zukunft wird es Leute geben, die ihren Arbeits-
Sie alle da. Aber wenn es darum geht, die sozialpoliti- platz verlieren. Sie können nicht davon ausgehen, dass
schen Hecken zu schneiden, will keiner die Schere in die es keine Kündigungen mehr gibt.
Hand nehmen. Andere haben in Zeiten, als die Energie-
kosten auf einem Rekordniveau waren, einen Heizkos- Ist es nicht so, dass die Kürzungen, die wir insbeson-
tenzuschuss für Hartz-IV-Empfänger eingeführt. Ich dere beim Elterngeld für die Bezieher von Arbeitslosen-
frage Sie: Wenn wir unsere Haushaltsverantwortung geld II haben, massive Einschränkungen ausgerechnet
ernst nehmen, ist es dann nicht unsere Pflicht in Zeiten, für die bedeuten, die schon vorher weniger hatten? Sind
in denen die Energiepreise gesunken sind, die Heizkos- Sie nicht auch der Meinung, dass die fehlende soziale
tenzuschüsse zurückzunehmen? Ausgewogenheit bei dem, was Sie da machen – wir sind
der Meinung, die Verursacher der Krise, also Ihre Klien-
(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Elke tel, soll dafür zahlen –, die Politikverdrossenheit in die-
Ferner [SPD]: Wo leben Sie eigentlich?) sem Land fördert?
Genau das halten Sie uns vor. Aber ich halte das für not- (Beifall bei der LINKEN)
wendig.
Das sind mehrere Beispiele, die zeigen, wo wir kon- Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
(B) kret und verantwortlich handeln werden. (D)
Herr Kollege Ernst, dazu, was Politikverdrossenheit
Zum Schluss noch eine Bemerkung zu den Regelsät- in diesem Sommer befördert hat, habe ich meine eigene
zen. Frau Ferner, wir müssen Ihre Scherbenhaufen weg- Meinung. An dieser Stelle will ich gar nicht persönlich
räumen. werden.

(Elke Ferner [SPD]: Sie waren doch damals (Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)
dabei!) Die Verhältnisse treiben natürlich auch uns um. Wenn
In zwei Urteilen haben Sie vom Bundesverfassungs- Sie in der Sommerpause aufmerksam Zeitung gelesen ha-
gericht Ohrfeigen bekommen, nämlich bei der Organisa- ben, wird Ihnen nicht verborgen geblieben sein, dass die
tionsreform der Jobcenter und auch bei den Regelsätzen. FDP zum Beispiel aus Sorge um die Einkommenssitua-
tion von Personen, die einer Zeitarbeit nachgehen, einen
(Elke Ferner [SPD]: Sie haben doch damals Vorschlag gemacht hat. Wir sehen die von Ihnen ange-
mit Ihren Ländern im Vermittlungsausschuss sprochene Problematik also schon. Wir wünschen uns na-
zugestimmt!) türlich ebenfalls, dass möglichst viele Menschen Arbeits-
Es ist doch nicht so, dass wir das falsch gemacht hätten. losengeld I oder II überhaupt nicht in Anspruch nehmen
Sie haben damals ins Blaue hinein Regelsätze festge- müssen. Sie verwenden unglaublich viel Energie auf die
setzt. Deswegen wundere ich mich über das, was Sie Frage: Was machen wir, wenn das Kind in den Brunnen
heute schon wieder alles wissen. gefallen ist? Wir hingegen verfolgen einen präventiven
Ansatz. Wir wollen erreichen, dass die Rahmenbedingun-
gen für möglichst viel Arbeit in diesem Land geschaffen
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: werden.
Herr Kolb, Sie sind jetzt schon fast am Ende Ihrer Re-
dezeit. Aber Herr Ernst würde Ihnen gerne noch eine Ich komme auf den Anfang meiner Rede zurück, Herr
Zwischenfrage stellen. Ernst. 2,8 Millionen Arbeitslose im Jahresdurchschnitt
2011 werden immer noch 2,8 Millionen Arbeitslose zu
viel sein. Aber es werden 400 000 weniger als in diesem
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Jahr sein, und es werden rund 2,2 Millionen weniger als
Bitte sehr, Herr Ernst. das sein, was die Prognosen für das Jahr 2011 besagten.
Das heißt, man kann etwas tun. Es geht darum, dass wir
Klaus Ernst (DIE LINKE): gute Rahmenbedingungen schaffen, damit möglichst
Herr Kolb, sozusagen von Aufstocker zu Aufstocker. viele Menschen ihr Einkommen aus eigener Kraft er-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6191
Dr. Heinrich L. Kolb
(A) wirtschaften können. Das ist das Ziel unserer Politik. Sie dere Sie wirklich auf: Geben Sie die Rohdaten für das (C)
kaprizieren sich mit mehr oder weniger großem Erfolg Parlament frei. Machen Sie Schluss mit dieser Geheim-
auf andere Felder. Da unterscheiden wir uns. Dass es niskrämerei.
Unterschiede zwischen der Linken und der FDP gibt, ist
auch gut so. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Hier gibt es
keine Geheimniskrämerei!)
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Diese Daten sind nicht Ihre Privatangelegenheit; sie ge-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) hen auch den Gesetzgeber an.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
neten der SPD)
Katja Kipping hat für die Fraktion Die Linke das
Wort. Wenn Sie mit dieser Geheimniskrämerei so weiterma-
chen, dann muss man wirklich den Eindruck gewinnen,
(Beifall bei der LINKEN)
dass Sie erst dann etwas herausrücken wollen, wenn das
Ergebnis vorliegt. Hier wird so agiert, als würde man
Katja Kipping (DIE LINKE): beim Pokern die Regeln erst dann festlegen, wenn alle
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute Karten ausgeteilt sind und der Bestimmende weiß, was
läuft vor dem Bundestag die Aktion „Das letzte Hemd“ für Karten er hat.
von Campact. Diese Aktion zeigt, dass das Kürzungspa-
ket so manchem wirklich ans letzte Hemd geht. Die Bot- Inzwischen ist aus vertraulichen Quellen in die Me-
schaft ist klar: Die Interessen der Atom- und Spekula- dien gelangt, dass das Ergebnis zwar längst vorliegt,
tionslobby sind Schwarz-Gelb wichtiger als das letzte dass es der CDU aber nicht in den Kram passt, weil der
Hemd der Erwerbslosen und Geringverdienenden. Regelsatz – würde man ihn wie bisher berechnen – wohl
bei deutlich über 400 Euro liegen würde. Inzwischen
Der Sozialhaushalt 2011 weist 20,9 Milliarden Euro gibt es – auch das ist herausgekommen – die klare An-
für das Arbeitslosengeld II aus. Das sind 3 Milliarden sage: Hier muss gerechnet werden, bis der Regelsatz
Euro weniger als in diesem Jahr. Eigentlich kann die Re- deutlich unter 400 Euro liegt.
gierung gar nicht wissen, wie viel Geld sie für das
Arbeitslosengeld II braucht; denn – erinnern wir uns – im Bisher erfolgte die Berechnung wie folgt – nur zur Er-
Februar hat das Bundesverfassungsgericht die Hartz-IV- läuterung –: Es werden die Ausgaben derjenigen gemes-
Regelsätze, das Arbeitslosengeld II, als verfassungswid- sen, die zu den ärmsten 20 Prozent der Bevölkerung zäh-
rig eingestuft, len. Schon damit haben wir Linke Probleme. Wir können
(B) uns im Ausschuss einmal detaillierter über die Methode (D)
(Max Straubinger [CDU/CSU]: Aber nicht der der Berechnung unterhalten. Weil jetzt der Regelsatz zu
Höhe nach!) hoch erscheint, werden nicht mehr die ärmsten 20 Pro-
und wir haben alle den Auftrag bekommen, die Grund- zent der Bevölkerung in die Berechnung einbezogen,
sicherung verfassungskonform auszugestalten. Angeb- sondern nur noch die ärmsten 10 oder 15 Prozent. Das ist
lich weiß die Bundesregierung noch gar nicht, wie hoch Manipulation pur.
die Regelsätze ausfallen sollen. Also sollten wir festhal- (Beifall bei der LINKEN)
ten: Der Titel für das Arbeitslosengeld II im Sozialhaus-
halt ist entweder eine reine Luftbuchung, oder das Ganze Frau Ministerin, Sie schlittern mit dieser Methode direkt
ist das Eingeständnis, dass hier Manipulationen geplant in einen Verfassungsbruch. Ich fordere Sie auf: Geben
sind. Beides ist skandalös. sie die Rohdaten frei! Machen Sie Schluss mit dieser
Manipulation!
(Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger
[CDU/CSU]: Wir sind in erster Lesung, Frau (Beifall bei der LINKEN – Ingrid Fischbach
Kollegin!) [CDU/CSU]: Die Linke manipuliert!)
Der Auftrag des Verfassungsgerichts lautet, die Regel- Die Linke meint: Wir müssen das Urteil des Bundes-
sätze nachvollziehbar neu zu berechnen. Die zentrale Kri- verfassungsgerichtes ernst nehmen. Dazu gehört, dass
tik des Gerichts war, dass man damals unter Müntefering wir endlich anerkennen, dass es sich hier um ein Grund-
bei der Berechnung den Eindruck gewinnen musste, dass recht handelt: um das Grundrecht auf soziale und kultu-
es sich um eine politisch gewollte Punktlandung bei einer relle Teilhabe. Ich höre hier immer, man müsse auf die
Zahl, die vorher politisch ausgehandelt war, gehandelt Schuldenbremse und auf die Kassenlage Rücksicht neh-
hat. Insofern wäre es richtig gewesen, zunächst die Me- men. Bei einem Grundrecht kann man aber nicht nach
thode festzulegen und erst danach auf Grundlage der vor- Lust und Laune oder nach Kassenlage verfahren. Das
liegenden Daten nachzurechnen, wie hoch der Betrag ist. wäre so, als wenn Sie das Grundrecht auf freie und ge-
Doch wie agiert das Haus von Frau von der Leyen? heime Wahlen nur dann gewährten, wenn Ihnen die Um-
Frau von der Leyen, Sie verweigern uns bisher die He- fragewerte gefielen.
rausgabe der Rohdaten. Ich habe diese Herausgabe in ei- (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Blödsinn!)
nem Brief angefragt. Sie haben sich geweigert, diese Da-
ten herauszugeben. Sie halten damit das Parlament – Ich hoffe, ich habe Sie jetzt nicht auf dumme Gedan-
bewusst in Unwissenheit. Frau von der Leyen, ich for- ken gebracht. –
6192 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Katja Kipping
(A) (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ tes, das heißt über 150 Milliarden Euro, fast 160 Milliar- (C)
CSU]: Da gibt es Parteien, die haben in der den Euro, stehen für die sozialen Belange der Bürgerin-
Historie gezeigt, wie man sich die Ergebnisse nen und Bürger in Deutschland zur Verfügung. Das zeigt
so macht, wie man sie braucht! Ich glaube, da sehr deutlich: Deutschland ist das sozialste Land, das es
gehören Sie dazu!) in Europa und auf der Welt gibt.
Der Regelsatz muss also das soziale und kulturelle Exis- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
tenzminimum garantieren. Das muss sich auch im Haus- neten der FDP)
halt widerspiegeln.
Damit die Leistungen aller sozialen Sicherungssys-
Zum Ernstnehmen des Urteils gehört es aber auch, teme – Rente, Pflege, Gesundheit, Arbeitslosigkeit, fami-
festzustellen, dass die Sanktionen im Hartz-IV-Bereich liäre Unterstützungsleistungen – gewährt werden können,
endlich abgeschafft werden müssen, brauchen wir als Fundament eine tragfähige Wirtschaft.
(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Gilt das auch Die Wirtschaft entwickelt sich gut. Dadurch wird insbe-
für Ihre Partei?) sondere die Arbeitslosigkeit bekämpft. Hier sind wir sehr
erfolgreich. Unter Rot-Grün gab es 5 Millionen Arbeits-
weil das Grundrecht im Grunde nicht verfügbar ist. lose; dank dieser bürgerlich-liberalen Koalition gibt es in
(Beifall bei der LINKEN) Zukunft 2,8 Millionen Arbeitslose. Das sind 2,8 Millio-
nen zu viel; aber wir arbeiten daran, dass diese Zahl
Da ein Hilfsbedürftiger bei der Garantie des Grundrech- weiter sinkt. Wir verstehen eine konsequente Wirtschafts-
tes – das ist jetzt ein Zitat aus dem Urteil – „nicht auf politik als Grundlage für die Finanzierung unseres So-
freiwillige Leistungen … Dritter verwiesen werden“ zialstaates.
darf, gehört auch die Bedarfsgemeinschaft auf den Prüf-
stand. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
(Beifall bei der LINKEN)
Werte Kolleginnen und Kollegen aus dem linken
Um es zusammenzufassen: Sollte sich der Posten für Spektrum dieses Parlaments, es ist entscheidend, dass wir
das Arbeitslosengeld II im Haushalt nicht ändern, dann auch für Zukunftsinvestitionen, für moderne Technolo-
ist dieser Haushalt ein klares Indiz für einen geplanten gien stehen. Wenn die Bundesregierung ein Energiekon-
Verfassungsbruch. Ich hoffe, das Parlament lässt sich zept bis zum Jahr 2050 verabschiedet hat, dann gilt es,
nicht entmündigen und geht diesen Weg nicht mit. Ich dies zu unterstützen und nicht zu bekämpfen, weil mit ei-
hoffe auf eine Allianz gegen den geplanten Verfassungs- nem solchen Konzept Arbeitsplätze in unserem Land ge-
(B) bruch. Ich hoffe auf eine Allianz für das Grundrecht auf sichert werden. Alle Ausstiegsszenarien aus der linken (D)
soziale und kulturelle Teilhabe. Ecke bedeuten für unser Land Arbeitsplatzverluste und
Danke. keine Arbeitsplatzgewinne. Das muss deutlich gesagt
werden.
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elke
Ferner [SPD]: Das Gegenteil ist der Fall!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Der Kollege Max Straubinger spricht jetzt für die Das gilt auch für strukturpolitische Entscheidun-
CDU/CSU-Fraktion. gen. Sobald eine strukturpolitische Entscheidung für die
Zukunft, etwa beim Bahnhof in Stuttgart,
(Beifall bei der CDU/CSU)
(Elke Ferner [SPD]: Koste er, was er wolle!)
Max Straubinger (CDU/CSU):
getroffen wird – dieser Bahnhof soll nach den Vorstel-
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! lungen der Linken nicht mehr gebaut werden –, zeigt
Ich glaube, die heutige Botschaft muss sein: Die Men- sich, dass die Fraktionen des linken Spektrums dieses
schen können sich auf unseren Sozialstaat verlassen. Hauses arbeitsplatzfeindlich handeln.
Diese Bundesregierung wird den Sozialstaat stärken,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall des Abg. Axel E. Fischer [Karlsruhe-
Land] [CDU/CSU])
insbesondere mit dem Haushalt für das Jahr 2011.
Sie alle haben gegen den Flughafenneubau in München
(Elke Ferner [SPD]: Das glaubt doch keiner!) demonstriert. Jetzt ist dieser Flughafen zu einem Jobmo-
tor in unserem schönen Bayernland geworden.
Heute wurden hier in einer gemeinsamen Front der Op-
positionsfraktionen SPD, Grüne und Linke Zweifel ge- (Lachen der Abg. Elke Ferner [SPD] und der
sät. Dies zeigt sehr deutlich, dass Sie den Sozialstaat Abg. Bettina Hagedorn [SPD])
letztendlich nicht stärken, nicht zukunftsfest machen
wollen. Im Klartext: Sie sind nicht bereit, ihn nachhaltig Das ist eine Auszeichnung. Sie sind letztendlich gegen
in die Zukunft zu führen. jeden Straßenbau und gegen jeden Schienenausbau.
Es muss, auch für die Öffentlichkeit, immer wieder (Elke Ferner [SPD]: Das stimmt doch über-
dargestellt werden: Über 50 Prozent des Bundeshaushal- haupt nicht, Herr Straubinger!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6193
Max Straubinger
(A) Früher hat die rot-grüne Stadtregierung in München den Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C)
Transrapid bekämpft, jetzt wird gejammert, dass es Herr Kollege Straubinger, möchten Sie eine Zwi-
keine Schnellbahnverbindung zum Flughafen gibt. schenfrage des Kollegen Schaaf zulassen?
(Elke Ferner [SPD]: Warum hat Herr Stoiber Max Straubinger (CDU/CSU):
ihn nicht selber bezahlt?)
Ja, gerne. Das machen wir sofort.
Das zeigt deutlich, dass sich SPD, Grüne und Linke bei
strukturellen Entscheidungen in unserem Land verwei- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
gern und Arbeitsplatzvernichter sind. Damit untergraben Sie sind auch am Ende Ihrer Redezeit.
sie die soziale Sicherheit der Menschen.
Anton Schaaf (SPD):
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Lieber Max Straubinger, ich komme auf die Behaup-
In unserem Sozialstaat geht es auch darum, dass wir tung zu sprechen, wir würden auf dem Parteitag be-
das Prinzip „Fordern und Fördern“ umsetzen. schließen, die Rente mit 67 zurückzunehmen. Wir haben
in der Großen Koalition gemeinsam ein Gesetz verab-
(Elke Ferner [SPD]: Die Förderung kürzen Sie schiedet, in dem eine Klausel enthalten ist, die festlegt,
doch gerade!) dass die Bundesregierung in diesem Jahr einen Bericht
dazu abgeben muss, wie die arbeitsmarkt- und sozialpo-
Die Redebeiträge des Herrn Kollegen Kurth und ver- litische Situation der älteren Arbeitnehmerinnen und Ar-
schiedener Redner der SPD zeigen, dass Sie die Rückab- beitnehmer tatsächlich ist und ob vor diesem Hinter-
wicklung der Politik, wie sie unter Schröder gemacht grund die Rente mit 67 ab 2012 eingeführt wird. Haben
wurde, im Sinn haben. Sie wollen nicht mehr fordern, wir das gemeinsam vereinbart? Ist es daher nicht richtig,
sondern nur noch fördern. dass wir diese Überprüfungsklausel, die Teil dieses Ge-
setzes ist – von Ihnen wird das gern ignoriert; aber wir
(Elke Ferner [SPD]: Sie streichen die Förde- nehmen sie ernst –, inhaltlich gefüllt haben?
rung und die Chancen!)
(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]:
Das zeigt sich bei den jetzigen Haushaltsplanungen in Das ist jetzt der Ausstieg vom Ausstieg, oder
Nordrhein-Westfalen. Frau Kollegin Hagedorn wirft uns was?)
ständig vor, dass wir die Verschuldung angeblich in zu Ich finde im vorliegenden Positionspapier keinen ein-
geringem Maße abbauen. Was ist mit Nordrhein-Westfa- zigen Satz dazu, dass ein höheres Renteneintrittsalter in
(B) len? Dort ist eine Neuverschuldung in Höhe von 6 Mil- Zukunft unnötig oder falsch ist. Wir haben die Überprü- (D)
liarden Euro geplant. Das zeigt deutlich, dass Sie eine fungsklausel inhaltlich gefüllt, im Gegensatz zur Minis-
unverantwortliche Politik zulasten der nachfolgenden terin, die, ohne dass eine Überprüfung stattgefunden hat,
Generationen betreiben. gesagt hat: Wir können die Rente mit 67 ab 2012 einfüh-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Elke ren.
Ferner [SPD]: Taschenspielertricks!) (Beifall bei der SPD)
Bei der SPD tritt das noch stärker in den Vordergrund.
Max Straubinger (CDU/CSU):
Auf dem Parteitag wird die Rente mit 67 diskutiert.
Letztendlich soll eine Rückabwicklung erfolgen; viel- Lieber Kollege Schaaf, ich bin sehr dankbar für diese
Frage, weil sie mir Gelegenheit gibt, hier etwas klarzu-
leicht unterstützt der Kollege Toni Schaaf das nicht, aber
stellen:
die anderen schon. Das zeigt sehr deutlich, dass die SPD
keine Verlässlichkeit in der Rentenpolitik gewährleistet. Erstens. Die Beschäftigungsquote älterer Arbeitneh-
Sie verfahren wieder nach dem gleichen Schema wie merinnen und Arbeitnehmer steigt.
1998. Norbert Blüm und die christlich-liberale Koalition
(Elke Ferner [SPD]: Ist sie hoch genug?)
hatten zuvor vor dem Hintergrund der schon damals ab-
sehbaren demografischen Entwicklung den demografi- Das zeigen die Zahlen. 1999 waren in der Altersgruppe
schen Faktor in die gesetzliche Rentenversicherung ein- der 60- bis 65-Jährigen 32 Prozent sozialversicherungs-
geführt. pflichtig beschäftigt. Im Jahr 2009 waren es bereits
44 Prozent, die eine Beschäftigung fanden. Das zeigt
(Elke Ferner [SPD]: Über die Sozialversicherung sehr deutlich, dass die ältere Generation wieder wesent-
hat die Regierung Kohl alles finanziert!) lich stärker am Arbeitsmarkt teilnimmt.
Sie haben das aus billigen parteipolitischen Gründen be- Zweitens. Wenn die SPD in ihrem Parteiprogramm
kämpft, sind in den Wahlkampf gezogen und haben an- möglicherweise beschließt, dass eine Rente ab 67 Jahren
gekündigt, dass Sie diesen Faktor aussetzen werden. Sie für sie erst dann akzeptabel ist, wenn in der Altersgruppe
haben das hinterher auch getan. Nach zwei, drei Jahren der 60- bis 65-Jährigen eine Quote an sozialversiche-
hat Bundeskanzler Schröder festgestellt: Das war das rungspflichtig Beschäftigten von über 50 Prozent zu ver-
Dümmste, was die neue Koalition machen konnte. zeichnen ist – zumindest habe ich es so den Zeitungen
entnommen –, so möchte ich Sie, verehrte Kolleginnen
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und Kollegen der SPD, darauf hinweisen, dass nach Eu-
6194 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Max Straubinger
(A) rostat die Beschäftigungsquote der 40- bis 60-Jährigen in teiligung der Bürgerinnen und Bürger in Baden- (C)
Deutschland – wohl gemerkt, es geht um sozialversiche- Württemberg ernst ist.
rungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse – derzeit bei
(Beifall bei der SPD – Max Straubinger [CDU/
gerade einmal 48,6 Prozent liegt. Das zeigt sehr deut-
CSU]: 15 Jahre Diskussion ohne Bürger! Das
lich: Die SPD will sich ganz scheinheilig aus der Rente
stimmt doch gar nicht!)
mit 67 verabschieden,
Sie sind doch nur sauer, weil Sie es nicht hinbekommen
(Elke Ferner [SPD]: Scheinheilig sind Sie!)
haben, in den letzten Monaten inhaltlich für dieses Pro-
die sie richtigerweise mit Franz Müntefering als damali- jekt zu kämpfen, weil Sie stattdessen nur die Gegner
gem Bundesminister für Arbeit und Soziales an der lautstark haben demonstrieren lassen und weil Ihre Lan-
Spitze mit beschlossen und mit durchgesetzt hat, weil desregierung, zu der auch die FDP gehört, jetzt – endlich
das Generationengerechtigkeit bedeutet. einmal – kämpfen muss für dieses Projekt. Das ist Ihr
Problem beim Thema Stuttgart 21.
Bis zum Jahr 2029 rechnen wir – und das ist schön für
die Menschen – mit einer Steigerung der Lebenserwar- (Beifall bei der SPD – Max Straubinger [CDU/
tung um bis zu drei Jahre. Wir verlängern die Lebens- CSU]: Die SPD macht sich billig aus dem
arbeitszeit um nur zwei Jahre. Das ist der einzig vernünf- Staub!)
tige Weg. Die Erhöhung des Beitrages, die Sie vorhin
Heute geht es aber nicht um Stuttgart 21. Ich möchte
bereits kritisiert haben,
nicht weiter über Themen philosophieren, die nicht den
(Elke Ferner [SPD]: Die zusätzliche Belastung Haushalt für Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik betreffen.
der Rentenversicherung schaffen Sie doch Mir geht es um das, was in dem Haushalt, den Ursula
durch Ihre Politik! Sie entziehen der Renten- von der Leyen uns als Sozialministerin vorlegt, steckt.
versicherung jedes Jahr 1,2 Milliarden!) Ich sage Ihnen: Darin steckt erstens ein Wortbruch Ihrer
Koalition und Ihrer Regierung, zweitens sozialer Kahl-
die Kürzung der Rente und die Verlängerung der Wo-
schlag – das wurde heute schon ausreichend begründet –,
chenarbeitszeit sind weitere Parameter, an denen man
drittens weniger Netto vom Brutto, viertens ist es ein
ansetzen könnte. Das wollen wir aber nicht, und das wer-
Bildungskürzungsprogramm,
den wir auch nicht tun. Diese Bundesregierung steht in
diesem Sinne zum Generationenvertrag und für Genera- (Bettina Hagedorn [SPD]: Richtig!)
tionengerechtigkeit. Das muss man so sehen.
und fünftens ist es ein Chancenabbauhaushalt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP – Elke Ferner [SPD]: Oh Gott, (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das wollen Sie
(B) uns alles in vier Minuten erklären? Ich bin ge- (D)
oh Gott!)
spannt!)
Man kann nicht populistisch ein Renteneintrittsalter
von 67 Jahren ablehnen, wie SPD und Linke es tun, und Der Wortbruch ist schnell erklärt. Mit Ihrer Erlaubnis,
gleichzeitig den jungen Bürgerinnen und Bürgern exor- Frau Präsidentin, zitiere ich aus einem Interview mit
bitant hohe Zukunftslasten aufhalsen. Das darf unserer Angela Merkel, abgedruckt in der FAZ vom 11. Juni 2010:
Gesellschaft nicht zugemutet werden. Deshalb sparen wir nicht bei Bildung und For-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schung, sondern erhöhen diese Ausgaben …
neten der FDP – Bettina Hagedorn [SPD]: Das Die Haushaltskürzungen im Bereich Arbeitsmarkt-
machen Sie doch!) und Sozialpolitik betreffen ausschließlich fördernde Ar-
Wir werden dafür sorgen, dass dieser Sozialstaat auch beitsmarktpolitik und somit Kürzungen im Bildungsbe-
in der Zukunft generationengerecht gestaltet ist. reich. Damit, Frau von der Leyen, sind Sie Bildungskür-
zungsministerin Nummer eins in Deutschland.
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jörn
Wunderlich [DIE LINKE]: Mehrfache Wie- Bildungskürzungen für zukünftige Generationen
derholung der Unwahrheit macht sie auch lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Mein Vorredner
nicht zur Wahrheit!) sprach von Generationengerechtigkeit. Das, was Sie ma-
chen, ist das Gegenteil von Generationengerechtigkeit.
Bildungskürzungen und Chancenabbau im Haushalt las-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: sen wir Ihnen auch deshalb nicht durchgehen, weil wir
Die Kollegin Katja Mast hat das Wort für die SPD- hier über diejenigen diskutieren, die die stärkste Hilfe
Fraktion. und Unterstützung von uns brauchen. Wir reden über al-
(Beifall bei der SPD) leinerziehende Mütter, über Migrantinnen und Migran-
ten, die langzeitarbeitslos sind, über Jugendliche, die
Chancen brauchen, um in Ausbildung zu kommen, und
Katja Mast (SPD):
über Menschen mit Behinderungen in Deutschland. Ge-
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
nau denen nehmen Sie die Chancen auf Beteiligung weg.
gen! Verehrter Kollege Straubinger, als Baden-Württem-
bergerin muss ich kurz etwas zu Stuttgart 21 sagen. Sie Ich möchte Ihnen ein Beispiel nennen. In meinem
sind doch nur sauer, dass es uns von der SPD mit der Be- Wahlkreis in Pforzheim besuche ich oft die Förder-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6195
Katja Mast
(A) schule, die Bohrainschule. Antonio und Katharina wer- Das zweite Ziel – auch dies ist klar; Frau Hagedorn, Sie (C)
den dieses Jahr diese Schule verlassen, vermutlich nicht sprechen gerade von Mittelkürzungen –
mit einem Hauptschulabschluss. Sie werden ihn auch in
(Bettina Hagedorn [SPD]: Jawohl!)
einem Jahr wahrscheinlich nicht haben, obwohl sie sich
anstrengen. Wir haben in der Großen Koalition einge- ist die Konsolidierung des Haushaltes. Der Etat im Ein-
führt, dass sie ein Leben lang ein Recht darauf haben, zelplan liegt – die Frau Ministerin hat darauf hingewie-
den Hauptschulabschluss nachzuholen, damit sie Per- sen – 10 Prozent unter dem, was im Finanzplan von
spektiven und Chancen in dieser Gesellschaft haben. Minister Peer Steinbrück für 2011 vorgesehen war. Er
liegt nicht bei 146,4 Milliarden Euro, sondern bei
(Bettina Hagedorn [SPD]: Richtig!) 131,8 Milliarden Euro. Das sind 11,4 Milliarden Euro
Sie wollen Pflicht- in Ermessensleistungen umwandeln, weniger als im Etat 2010, und zwar ohne Einschnitte bei
nehmen die entsprechende Haushaltsgrundlage weg, der Rente, ohne Einschnitte beim ALG II und ohne Ein-
16 Milliarden Euro in vier Jahren, und sagen Antonio schnitte bei den Mitteln für Behinderte.
und Katharina, dass sie keine zweite Chance mehr in Möglich wurde dies, weil wir relativ gut aus der größ-
dieser Gesellschaft haben werden. ten Wirtschafts- und Finanzkrise seit dem Zweiten Welt-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten krieg gekommen sind. Es ist völlig klar, dass wir den
der LINKEN) Haushalt an die positiv veränderten Rahmenbedingun-
gen anpassen. Weniger Arbeitslose, eine bessere Wirt-
Sie betreiben Schuldenabbau zulasten der kommen- schaftsentwicklung und mehr sozialversicherungspflich-
den Generationen und nicht für die kommende Genera- tige Beschäftigte – das wirkt sich positiv auf den
tion, und Sie begehen Wortbruch, weil Sie Ausgaben für Bundeshaushalt aus. Die Entscheidungen, die wir in der
Bildung kürzen und nicht erhöhen, wie Angela Merkel Großen Koalition getroffen haben, um die Krise zu be-
das in dem erwähnten Interview gesagt hat. Deshalb wältigen, waren richtig. Sie waren ja dabei, Frau
werden wir von den Oppositionsparteien Ihnen eine Hagedorn. Sie sehen, dass wir diesen Kurs in der christ-
Kampfansage zu diesem Haushalt machen, Frau von der lich-liberalen Koalition richtungsweisend fortsetzen.
Leyen, nicht nur wegen der Regelsätze, nicht nur wegen
der Kürzungen bei der Rente, nicht nur wegen der Kür- (Bettina Hagedorn [SPD]: Das tut ihr ja nicht!)
zungen beim Elterngeld, sondern auch, weil Sie Bil- Wenn die Wirtschaft brummt, geht es den Menschen in
dungschancen wegnehmen. Deutschland besser. Das halten wir fest.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
der LINKEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]:
(B) Und der Rest bleibt ungehört und ungesagt!) Wir haben ganz klar gesagt, dass es wichtig ist, dafür (D)
zu sorgen, dass die Mittel aus den Eingliederungstiteln
besser bei den Menschen ankommen. Im Jahr 2010 soll
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: die Bundesagentur für Arbeit mit 12,8 Milliarden bezu-
Der Kollege Axel Fischer hat jetzt das Wort für die schusst werden.
CDU/CSU-Fraktion.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Das glauben Sie
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- doch im Ernst nicht! Das werden viel weni-
neten der FDP) ger!)
Dies ist der Wirtschafts- und Finanzkrise geschuldet. Im
Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) (CDU/CSU): nächsten Jahr geben wir ein Darlehen von etwa
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und 6,6 Milliarden Euro. 2012 gehen wir aufgrund weiterer
Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! positiver Entwicklungen am Arbeitsmarkt von 2,2 Mil-
Liebe Kollegin Mast, weil Sie Stuttgart 21 angesprochen liarden Euro aus. Ab 2013 kann die BA diese Darlehen
haben, einen Satz von mir dazu: Wenn die Menschen vor zurückzahlen.
Ort erkennen, dass der Verzicht auf Stuttgart 21 das
Gleiche kostet wie die Umsetzung, werden sie, glaube (Bettina Hagedorn [SPD]: Nach der Bundes-
ich, für Stuttgart 21 sein. tagswahl, genau! Da wird das alles zurückge-
zahlt!)
Heute reden wir aber über den Haushalt für Arbeit
und Soziales. Der vorgelegte Haushalt für den Einzel- Auch das ist positiv für den Bundeshaushalt.
plan 11 trägt erstmals die Handschrift der christlich-libe- Im Frühjahr dieses Jahres haben wir verabredet, ge-
ralen Koalition. nauer die Frage zu untersuchen, wie Arbeitslose wieder
(Caren Marks [SPD]: Das merkt man!) in den Arbeitsmarkt gebracht werden können und wel-
che Instrumente hierfür erforderlich sind. Wir haben be-
Er hat zwei wesentliche Ziele. Das erste Ziel ist, Men- schlossen, eine Evaluation durchzuführen und zu
schen wieder in Arbeit zu bringen. Das ist eine unserer schauen, welche Instrumente wirkungsvoll und welche
Zielsetzungen; sie ist vernünftig und richtig. weniger wirkungsvoll sind.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Mein Dank gilt Bundesministerin Dr. von der Leyen
Bettina Hagedorn [SPD]: Deshalb kürzen Sie und dem Ministerium dafür, dass sie dieses Thema vo-
die Mittel!) rantreiben und eine Instrumentenreform vornehmen
6196 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land)


(A) wollen. Mein Dank gilt genauso Herrn Weise sowie den Vorgang und in der Sache völlig richtig. Ich kann Ihre (C)
Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bundesagentur Kritik daran nicht nachvollziehen.
für ihre Arbeit, weil sie sich intensiv um dieses Thema
Sie weisen immer wieder darauf hin, dass in Deutsch-
kümmern.
land starke Schultern mehr tragen sollen als schwache
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Schultern. Dabei haben Sie uns auf Ihrer Seite. Auch wir
sind der Auffassung, dass starke Schultern mehr tragen
So können wir ohne große Probleme feststellen: Im sollen als schwache Schultern. Schauen wir uns dazu
Jahr 2006 – bei 4,5 Millionen Arbeitslosen – belief sich einmal die Realität an: Weniger als ein Zehntel der Men-
der Eingliederungstitel auf 8 Milliarden Euro. Für 2014 schen trägt über die Hälfte der Steuerlast. Starke Schul-
– bei dann etwa 3 Millionen Arbeitslosen – planen wir tern tragen also mehr. Die Hälfte der Menschen trägt
ebenfalls 8 Milliarden Euro ein. Das ist meines Erach- etwa 6 Prozent der Steuerlast. Schwache Schultern tra-
tens ein gutes Verhältnis, ein gutes Ziel. Wir werden in gen also weniger. Deshalb ist es wichtig, dass man diese
diesem Bereich vorankommen. Dass die Konjunktur, un- Diskussion offen und fair führt.
sere wirtschaftliche Entwicklung besser ist als erwartet,
ist doch positiv. Genauso positiv ist es, wenn weniger Meine Damen und Herren, mit dem Regierungsent-
Mittel gebraucht werden, weil es weniger Bedürftige wurf haben wir eine gute Vorlage, die wir heute in erster
gibt. Lesung und dann in den Ausschüssen beraten. An eini-
gen Punkten gibt es für uns noch Diskussions- und Ver-
Sparen heißt in erster Linie: weniger Geld ausgeben. änderungsbedarf. Wir werden darüber nachdenken, wie
Wenn der Anteil der Sozialausgaben im Bundeshaushalt wir bei ALG-II-Aufstockern mit der Anrechnung des El-
über 50 Prozent beträgt und wir zu Einsparungen in die- terngeldes umgehen. Wir werden das Urteil des Bundes-
sem Bereich von gut 30 Prozent kommen, dann ist das verfassungsgerichts umsetzen. Das heißt, wir werden
nun einmal sozial ausgewogen. In Zeiten knapper Kas- eine Neuberechnung des Arbeitslosengeldes II vorneh-
sen muss man sich auf die Kernaufgaben konzentrieren, men müssen. Wir müssen in diesem Hause dann auch
und das tun wir in diesem Bereich. über Folgendes diskutieren: Gehören zum Arbeitslosen-
Meine Damen und Herren, vorhin kam die Diskussion geld II auch Genussmittel wie Alkohol oder Tabak? Ge-
über das Elterngeld auf: Wer bekommt Elterngeld? Wie hört das mobile Internet dazu? Muss Hundefutter usw.
wird das ausgestaltet? bezahlt werden? Diese Diskussion werden wir offen füh-
ren und dann einen bestimmten Satz festlegen.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Wir haben doch zu-
Außerdem werden wir dafür sorgen, dass die Bil-
sammen beschlossen, dass das einkommens-
dungsleistungen treffsicher bei den Kindern ankom-
unabhängig sein soll!)
(B) men. Wir stehen dazu, dass wir die Bildungsleistungen (D)
Elterngeld bekommt jeder. Es ist aber völlig klar und lo- als Sachleistungen gewähren wollen. Ich bin mir sicher,
gisch, dass wir bei einer Familie, die Arbeitslosengeld II dass die Bundesarbeitsministerin und das Bundesarbeits-
bezieht und mit der Geburt eines Kindes eine Erhöhung ministerium Vorschläge machen werden, wie wir dies
dieses Satzes bekommt, zielführend hinbekommen können.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Fragen Sie doch Herzlichen Dank.
mal Frau von der Leyen! Sie hat das doch ein- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
geführt als Familienministerin, und zwar ein-
kommensunabhängig!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
weil auch das Kind einen Anspruch hat, dann das Eltern- Damit ist die Aussprache zu diesem Einzelplan been-
geld anrechnen. Das liegt in der Natur der Sache. det.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 2 a bis d sowie die
Zusatzpunkte 1 a bis 1 i auf – es handelt sich um Über-
Unsere Sozialsysteme sind geschaffen, um Bedürfti- weisungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte –:
gen zu helfen, aber nicht, um Luxus zu finanzieren.
2 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
(Katja Kipping [DIE LINKE]: Wie können Sie gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vor-
bei 400 Euro von Luxus reden? Was haben Sie schlag für eine Verordnung des Europäischen
für ein Luxusverständnis?) Parlaments und des Rates über Finanzbei-
Wer arbeitet, muss in Deutschland mehr haben als der, träge der Europäischen Union zum Internatio-
der nicht arbeitet. Das muss unsere Prämisse sein. nalen Fonds für Irland (2007 – 2010)
– Drucksache 17/2629 –
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Zuruf von der SPD: Dann reden wir über Min- Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
destlöhne! Dann klappt das!) Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss
Nun zur Diskussion über den Heizkostenzuschuss.
Bei gesunkenen Energiekosten wird der den Wohngeld- b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
empfängern bei höheren Preisen gewährte Heizkosten- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Moder-
zuschuss wieder gestrichen. Das ist ein völlig normaler nisierung der Regelungen über Teilzeit-Wohn-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6197
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
(A) rechteverträge, Verträge über langfristige Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und (C)
Urlaubsprodukte sowie Vermittlungsverträge Verbraucherschutz
Ausschuss für Kultur und Medien
und Tauschsystemverträge Haushaltsausschuss
– Drucksache 17/2764 – d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Markus
Überweisungsvorschlag: Kurth, Fritz Kuhn, Ekin Deligöz, weiterer Abge-
Rechtsausschuss (f) ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Tourismus GRÜNEN
c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Bedarfsgerechte Regelsätze und ein zuverlässi-
gebrachten Entwurfs eines Vierten Gesetzes zur ges Hilfesystem für Kinder, Jugendliche und
Änderung der Wirtschaftsprüferordnung – Erwachsene statt Experimenten
Wahlrecht der Wirtschaftsprüferkammer – Drucksache 17/2921 –
– Drucksache 17/2628 – Überweisungsvorschlag:
Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Rechtsausschuss
Finanzausschuss e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, Beate Müller-Gemmeke, Fritz Kuhn,
d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
gebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes NIS 90/DIE GRÜNEN
zur Änderung des Bundes-Immissionsschutz-
gesetzes Kein Sachgrund, keine Befristung – Befristete
Arbeitsverträge begrenzen
– Drucksache 17/2866 –
Überweisungsvorschlag: – Drucksache 17/2922 –
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f) Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Rechtsausschuss
ZP 1 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Dr. Harald Terpe, Birgitt Bender, Katrin Göring- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Eckardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela
Wagner, Bettina Herlitzius, Markus Kurth, weite-
(B) Gesundheitliche Risiken des Drogengebrauchs rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- (D)
verringern – Drugchecking ermöglichen NIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksache 17/2050 – Heizkostenkomponente beim Wohngeld erhal-
Überweisungsvorschlag: ten
Ausschuss für Gesundheit (f)
Rechtsausschuss – Drucksache 17/2923 –
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Ausschuss für Arbeit und Soziales
Haushaltsausschuss
Hermann, Kerstin Andreae, Birgitt Bender, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
NIS 90/DIE GRÜNEN Leidig, Dr. Dietmar Bartsch, Herbert Behrens,
Sofortiger Baustopp für Stuttgart 21 und die weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
Neubaustrecke Wendlingen–Ulm LINKE

– Drucksache 17/2893 – Stuttgart 21, Neubaustrecke Wendlingen–Ulm


und Sparpaket der Bundesregierung
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) – Drucksache 17/2914 –
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tabea
Rößner, Agnes Krumwiede, Ekin Deligöz, weite- h) Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- Kipping, Matthias W. Birkwald, Diana Golze,
NIS 90/DIE GRÜNEN weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Kultur und Rundfunk nicht durch die Fre-
quenzumstellung schädigen Maßnahmen zur Gewährleistung eines men-
schenwürdigen Existenz- und Teilhabemini-
– Drucksache 17/2920 – mums
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f) – Drucksache 17/2934 –
6198 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) Überweisungsvorschlag: erneuerbarer Energien“ ebenfalls für erledigt zu erklä- (C)
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) ren. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Ge-
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend genstimmen? – Enthaltungen? – Ebenfalls einstimmig
Haushaltsausschuss angenommen.
i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe Tagesordnungspunkt 3 b:
Beckmeyer, Rainer Arnold, Sören Bartol, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)
Kein Weiterbau von Stuttgart 21 bis zur zu dem Antrag des Präsidenten des Bundesrech-
Volksabstimmung nungshofes
– Drucksache 17/2933 – Rechnung des Bundesrechnungshofes für das
Überweisungsvorschlag: Haushaltsjahr 2009
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f) – Einzelplan 20 –
Haushaltsausschuss

Die Fraktionen schlagen vor, die Vorlagen an die in – Drucksachen 17/1730, 17/2489 –
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu überwei- Berichterstattung:
sen. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so be- Abgeordnete Rüdiger Kruse
schlossen. Bernhard Brinkmann (Hildesheim)
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkt 3 a bis c auf. Es Dr. Claudia Winterstein
handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu Michael Leutert
denen keine Aussprache vorgesehen ist. Sven-Christian Kindler

Tagesordnungspunkt 3 a: Wer stimmt für Nr. 1 der Beschlussempfehlung, die


Feststellung der Erfüllung der Vorlagepflicht? – Gegen-
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- stimmen? – Enthaltungen? – Damit ist diese Beschluss-
richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) empfehlung angenommen.
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Bärbel Wer stimmt für Nr. 2 der Beschlussempfehlung, die
Kofler, Sören Bartol, Dirk Becker, weiterer Ab- Erteilung der Entlastung? – Gegenprobe! – Enthaltun-
geordneter und der Fraktion der SPD gen? – Diese Beschlussempfehlung ist ebenfalls einstim-
Marktanreizprogramm und nationale Kli- mig angenommen.
(B) maschutzinitiative fortsetzen (D)
Tagesordnungspunkt 3 c:
– zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver
Krischer, Sven-Christian Kindler, Hans-Josef Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion richts des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – zu dem Antrag des Bundesministeriums der
Aufhebung der Haushaltssperre und Weiter- Finanzen
führung des Marktanreizprogramms und Entlastung der Bundesregierung für das
der nationalen Klimaschutzinitiative zur Haushaltsjahr 2008 – Vorlage der Haus-
Förderung erneuerbarer Energien halts- und Vermögensrechnung des Bundes –
– Drucksachen 17/2119, 17/2007, 17/2477 - (Jahresrechnung 2008)
Berichterstattung: – zu der Unterrichtung durch den Bundesrech-
Abgeordnete Bernhard Schulte-Drüggelte nungshof
Sören Bartol
Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
Heinz-Peter Haustein
2009 zur Haushalts- und Wirtschaftsfüh-
Michael Leutert
rung des Bundes (einschließlich der Feststel-
Sven-Christian Kindler
lungen zur Jahresrechnung 2008)
Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung, den Antrag der Fraktion der SPD – zu der Unterrichtung durch den Bundesrech-
auf Drucksache 17/2119 mit dem Titel „Marktanreizpro- nungshof
gramm und nationale Klimaschutzinitiative fortsetzen“ Bemerkungen des Bundesrechnungshofes
für erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschluss- 2009 zur Haushalts- und Wirtschaftsfüh-
empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Das rung des Bundes – Weitere Prüfungsergeb-
scheint einstimmig angenommen zu sein. nisse –
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss, den An- – Drucksachen 16/12620, 17/790 Nr. 21, 17/77,
trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa- 17/317 Nr. 3, 17/1300, 17/1644 Nr. 2, 17/2492 –
che 17/2007 mit dem Titel „Aufhebung der Haushalts-
sperre und Weiterführung des Marktanreizprogramms Berichterstattung:
und der nationalen Klimaschutzinitiative zur Förderung Abgeordneter Dr. Michael Luther
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6199
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
(A) Unter Nr. 1 seiner Beschlussempfehlung schlägt der (Zuruf von der LINKEN: Das klingt wie eine (C)
Haushaltsausschuss die Erteilung der Entlastung der Drohung!)
Bundesregierung für das Haushaltsjahr 2008 vor. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt Zunächst zu den wichtigsten Zahlen: Der Einzel-
dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschluss- plan 17 im Haushalt 2011 umfasst 6,4 Milliarden Euro.
empfehlung angenommen. Dafür haben CDU/CSU, FDP Das sind 106 Millionen Euro weniger als 2010. Insge-
und SPD gestimmt. Dagegen hat das Bündnis 90/Die samt beträgt der Sparbeitrag der Bundesregierung im
Grünen gestimmt. Die Fraktion Die Linke hat sich ent- Rahmen meines Ressorts 605 Millionen Euro jährlich ab
halten.1) 2011. Damit klar wird, von welcher Größenordnung wir
hier reden: Dieser Sparbeitrag entspricht 0,35 Prozent al-
Unter Nr. 2 seiner Beschlussempfehlung empfiehlt ler ehe- und familienbezogenen Leistungen.
der Haushaltsausschuss, die Bundesregierung aufzufor-
dern, a) bei der Aufstellung und Ausführung der Unangetastet blieb das Kindergeld; das haben wir zu
Bundeshaushaltspläne die Feststellungen des Haushalts- Beginn dieses Jahres deutlich erhöht. Es geht hier also
ausschusses zu den Bemerkungen des Bundesrechnungs- nicht um Haushaltskonsolidierung auf Kosten von Kin-
hofes zu befolgen, b) Maßnahmen zur Steigerung der dern und Jugendlichen, sondern um Haushaltskonsoli-
Wirtschaftlichkeit unter Berücksichtigung der Entschei- dierung für Kinder und Jugendliche; denn die größte Ge-
dungen des Ausschusses einzuleiten und fortzuführen fahr für den künftigen Wohlstand und für die soziale
und c) die Berichtspflichten fristgerecht zu erfüllen, da- Sicherheit von Familien entsteht doch, wenn wir nichts
mit eine zeitnahe Verwertung der Ergebnisse bei den tun, um die Staatsverschuldung in den Griff zu bekom-
Haushaltsberatungen zu gewährleisten ist. Wer stimmt für men. Deshalb ist es gerade unter familienpolitischen Ge-
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – sichtspunkten richtig, dass Union und FDP für solide
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist ange- Staatsfinanzen eintreten.
nommen. Die Fraktion Die Linke hat sich enthalten, alle Ich habe als Abgeordnete der Schuldenbremse im
anderen haben zugestimmt.2) Grundgesetz aus voller Überzeugung zugestimmt. Ich
hoffe, bei der SPD gab es dieselbe volle Überzeugung.
Jetzt kommen wir wieder zu den Haushaltsberatun-
gen. Wir setzen fort mit dem Geschäftsbereich des Bun- (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das sehen
desministeriums für Familie, Senioren, Frauen und wir ja heute!)
Jugend, Einzelplan 17.
Deswegen war ich auch von Anfang an bereit, im Rah-
Zur Einbringung gebe ich das Wort der Kollegin men meines Ressorts einen Beitrag zu den gemeinsa-
Dr. Kristina Schröder. men Sparanstrengungen zu leisten. Entscheidend war
(B) (D)
für mich dabei, dass wir nicht dort sparen, wo wir da-
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami- durch Kräfte abgewürgt hätten, die wir für die Zukunfts-
lie, Senioren, Frauen und Jugend: fähigkeit unseres Landes brauchen. Deshalb habe ich
versprochen: Am Ausbau der Kindertagesbetreuung
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
wird nicht gerüttelt. Dieses Versprechen habe ich gehal-
In vielleicht keinem anderen Politikfeld zeigt sich das
ten.
Dilemma eines hochverschuldeten Staates so eindeutig
wie in der Familienpolitik. Einerseits sind wir gerade als (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Jugendpolitiker doch verpflichtet, im Sinne der jungen
Generation unseren Beitrag zum Abbau der Staatsver- Der Bund steht auch in wirtschaftlich schwierigen
schuldung zu leisten; andererseits treffen Sparmaßnah- Zeiten zu seiner Zusage, in die frühkindliche Bildung
men im Familienressort zwangsläufig immer auch Fami- zu investieren und bis 2013 4 Milliarden Euro für den
lien und Kinder. Ausbau der Kindertagesbetreuung beizusteuern; denn
die schlimmste Form von Kinderarmut ist doch Bil-
Dieses Dilemma lässt sich nicht auflösen. Haushalts- dungsarmut.
politisch können wir aber die Weichen dafür stellen, dass
die knappen finanziellen Mittel, die wir haben, vor allen (Caren Marks [SPD]: Damit haben Sie gar
Dingen dort eingesetzt werden, wo sie im Hinblick auf nichts zu tun!)
faire Zukunftschancen von Kindern und Jugendlichen Deshalb brauchen wir die Förderung für alle Kinder und
am meisten bewirken. Dafür habe ich in den vergange- Jugendlichen von Anfang an.
nen Wochen und Monaten gekämpft.
Das ist auch der Grund, warum wir allen Sparmaß-
(Caren Marks [SPD]: Von Kämpfen haben wir nahmen zum Trotz mehr Geld für den Kinder- und Ju-
nichts gemerkt! Und wenn, dann haben Sie gendplan zur Verfügung stellen, warum wir, wie ver-
verloren!) sprochen, 5 Millionen Euro mehr für die Programme für
Der Einzelplan 17 im Bundeshaushalt 2011 zeigt: Union Demokratie, Toleranz und Vielfalt zur Verfügung stellen
und FDP stellen sich der Verantwortung für die Zukunft und warum wir die Investitionen in frühkindliche Bil-
unserer Kinder. dung und Förderung deutlich aufstocken. Damit sorgen
wir für faire Chancen für alle Kinder in unserer Gesell-
schaft.
1) Anlage 2
2) Anlage 3 (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
6200 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Bundesministerin Dr. Kristina Schröder


(A) Im neuen Haushaltstitel „Qualifizierungsoffensive“ sind nern bei Fürsorgeaufgaben und im Hinblick auf den (C)
2011 dafür 82 Millionen Euro zusätzlich und bis 2014 Wandel in unserer Arbeitswelt? Die Antwortet lautet: in-
insgesamt 488 Millionen Euro vorgesehen. dem wir dort sparen, wo Elterngeld bisher häufig dazu
beigetragen hat, die Abhängigkeit von Sozialleistungen
Dadurch zeigt sich: Sparen und Gestalten schließen zu verstärken.
sich nicht aus. Union und FDP konsolidieren den Haus-
halt, und dennoch investieren wir in die Zukunftschan- (Dagmar Ziegler [SPD]: Das kann nicht sein! –
cen unserer Kinder. Caren Marks [SPD]: Zynikerin!)
Ich bin davon überzeugt, dass das der richtige Weg Die SGB-II-Leistung deckt ab, was Menschen zum
ist; denn mit der Förderung von Kindern aus bildungs- Leben brauchen. Die Anrechnungsfreiheit für das El-
fernen Schichten müssen wir viel früher anfangen als terngeld war deshalb von Anfang an systematisch nicht
bisher. richtig. Wenn ein Paar im Hartz-IV-Bezug ein Kind be-
kommt, dann wird gelegentlich so getan, als gebe es kei-
(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Wir reden
nerlei staatliche Leistungen. Vielmehr ist es aber so, dass
nicht darüber, wir machen es!)
dieses Paar für das Kind selbstverständlich einen eige-
Wir setzen viel zu sehr auf kompensatorische Maßnah- nen Bedarfssatz bekommt. Die Zuschüsse für die Woh-
men, und wir setzen zu wenig auf vorbeugende Maßnah- nung werden erhöht. Es gibt eine Erstausstattung für das
men, und das, wo doch mittlerweile wirklich Einigkeit Kind; auch dafür gibt es noch Extrageld. Wenn es sich
darüber besteht, dass die Förderung in den ersten Jahren um Alleinerziehende handelt, dann bekommt diese oder
entscheidend für alle Bildungs- und Entwicklungschan- dieser Alleinerziehende monatlich einen Mehrbedarfszu-
cen ist, die ein Kind hat. Deshalb werde ich die Offen- schlag. All das leistet der Staat. Zusätzlich zu diesem
sive „Frühe Chancen“ starten. Bis 2014 investieren wir Existenzminimum noch Elterngeld zu zahlen, kann auch
rund 400 Millionen Euro in bis zu 4 000 Schwerpunkt- eine negative Wirkung entfalten.
Kitas zur Sprach- und Integrationsförderung.
(Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) [DIE LINKE]: Unglaublich!)
Damit tragen wir insbesondere in sozialen Brennpunkten Schauen Sie sich nur einmal eine vierköpfige Familie an,
dazu bei, faire Chancen für alle Kinder, insbesondere für die ausschließlich von Hartz IV lebt und eine durch-
Kinder mit Migrationshintergrund, zu schaffen; denn ich schnittliche Miete zahlt. Diese Familie erhält vom Staat
bin – wie wahrscheinlich viele hier – nicht der Meinung, 1 585 Euro netto.
dass bei der Geburt eines Kindes bereits alle Würfel für
(B) die weitere Entwicklung gefallen sind. Vielmehr hat je- (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Reichtum (D)
des Kind Talente und Potenzial. Unsere Aufgabe ist es, versaut die von Anfang an!)
diese Talente zu fördern und dieses Potenzial auszu- Wenn dann noch 300 Euro Elterngeld draufkommen,
schöpfen. Das ist die richtige Antwort auf die massiven dann sind wir bei 1 885 Euro netto. Das ist ein Problem
Integrationsprobleme, die wir in unseren Städten haben in Bezug auf das Lohnabstandsgebot.
und die wir weder leugnen noch kleinreden sollten.
(Widerspruch von der LINKEN)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Dann fragen sich diejenigen Leute, die arbeiten gehen,
GRÜNEN]: Ganz schlechter Scherz! – Caren die jeden Tag früh aufstehen und hart arbeiten, warum
Marks [SPD]: Das muss eine Parallelwelt sie das überhaupt tun. Das kann nicht in unserem Sinne
sein!) sein. Derjenige, der arbeiten geht, muss mehr haben als
der, dessen Auskommen die Gemeinschaft finanziert.
Meine Damen und Herren, die notwendige Haushalts-
konsolidierung sehe ich auch als eine Gelegenheit, die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Weichen neu zu stellen: weg von Sozialtransfers, die den Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Frau Golze
Status quo zementieren, hin zu Investitionen in faire Zu- schüttelt den Kopf, sie sieht das anders!)
kunftschancen und in den gesellschaftlichen Wandel.
Das war der Grundgedanke für meine Entscheidung, Deshalb unsere Entscheidung, Elterngeld all denjenigen
welchen Konsolidierungsbeitrag ich im Rahmen des zu gewähren, die vor der Geburt gearbeitet haben,
Sparpakets der Bundesregierung leiste.
(Caren Marks [SPD]: Und die nicht gearbeitet
Dass beim Elterngeld gekürzt werden musste, war haben?)
schon deshalb klar, weil es nun einmal zwei Drittel mei-
nes Etats ausmacht. Aber bei der Frage, wo wir ansetzen, einschließlich Minijobbern und Aufstockern – gemein-
galt für mich die zentrale Überlegung: sam mit den Koalitionsfraktionen arbeite ich hierzu an
sachgerechten Lösungen –, bei voller Anrechnung des
(Caren Marks [SPD]: Wo sind die Elterngelds auf Leistungen nach dem SGB II, also dann,
Schwächsten?) wenn Familien ausschließlich von Hartz IV leben.
Wie bekommen wir es hin, beim Elterngeld zu sparen,
ohne dass es seine gesellschaftspolitische Gestaltungs- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
kraft verliert, im Hinblick auf die Beteiligung von Män- Gestatten Sie eine Zwischenfrage, Frau Ministerin?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6201

(A) Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C)
lie, Senioren, Frauen und Jugend: neten der FDP)
Ja.
Der Einzelpan 17 trägt der Tatsache Rechnung, dass
sich die soziale Gerechtigkeit unserer Gesellschaft nicht
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: in erster Linie auf der Umverteilungsebene entscheidet.
Bitte, Frau Deligöz. Die soziale Gerechtigkeit unserer Gesellschaft entschei-
det sich vielmehr dort, wo es um die Verteilung von Chan-
Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): cen auf Bildung und Entwicklung von Kindern geht. Wir
Frau Ministerin, ich bin über Ihre Ausführungen ein wollen eine Gesellschaft, in der jedes Kind eine faire
bisschen erstaunt. Sie sagen, dass eine vierköpfige Fami- Chance erhält. Wir wollen eine Gesellschaft, in der sich
lie, also eine Familie mit zwei Kindern, mit einem Be- Menschen Zeit für Verantwortung nehmen können: für
trag von 1 585 Euro zu viel bekommen würde, Kinder, Partnerschaft, pflegebedürftige Angehörige und
Engagement.
(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Das hat sie
gar nicht gesagt!) Wir wollen eine Gesellschaft, die zusammenhält, weil
sich Menschen durch Leistung Aufstiegschancen erar-
daher frage ich Sie, welchen Betrag Sie für diese Familie beiten können und weil Menschen Verantwortung für-
zum Leben adäquat finden. einander übernehmen. Dafür setzt sich die christlich-
liberale Koalition ein. Das sind die Schwerpunkte, die
(Zuruf von der CDU/CSU: Schlecht zuge- wir im Einzelplan 17 unseres Haushaltes setzen.
hört!)
Herzlichen Dank.
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
lie, Senioren, Frauen und Jugend:
Ich habe nicht gesagt, dass diese 1 585 Euro zu viel
sind. Ich habe vielmehr gesagt: Wenn weitere 300 Euro Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Elterngeld hinzukommen – – Nächste Rednerin ist die Kollegin Dagmar Ziegler für
die SPD-Fraktion.
(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Dann ist das zu viel?) (Beifall bei der SPD)
– Sie müssen berücksichtigen, dass der Betrag von
(B) 1 885 Euro das Nettoeinkommen der Familie wäre, wenn Dagmar Ziegler (SPD): (D)
Sie den Mietzuschuss mit einrechnen. Dafür muss man Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
erst einmal entsprechend viel brutto verdienen. legen! Frau Ministerin Schröder, Sie haben es nicht ge-
merkt, deshalb muss ich es Ihnen sagen: Durch Deutsch-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) land geht ein Riss.
Das Lohnabstandsgebot ist ein entscheidendes Ge-
(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Ein Ruck!)
bot der Gerechtigkeit, nämlich dass derjenige, der arbei-
tet, mehr hat als derjenige, der nicht arbeitet. Sie können Auf der einen Seite sprudeln die Gewinne der Unterneh-
ausrechnen, was man für 1 885 Euro netto brutto verdie- men wieder, und die Menschen finden wieder Beschäfti-
nen muss. Der Anreiz, arbeiten zu gehen, ist in diesen gung. Das ist gut und auch Folge der SPD-Modernisie-
Fällen ausgesprochen gering. rungspolitik und der Konjunkturprogramme aus Zeiten
der Großen Koalition. Das haben Sie uns in den letzten
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
beiden Tagen mehrfach bestätigt.
Wir sparen damit 450 Millionen Euro. Betroffen sind
16 Prozent aller Elterngeldbezieher. Familien, die ein Auf der anderen Seite wird der Abstand zwischen
höheres Einkommen beziehen, sind übrigens von den El- oben und unten immer größer; das ist schlimm. Aber
terngeldkürzungen stärker betroffen. Sie bekommen un- noch schlimmer ist, dass unter den Einkommensarmen
ter anderem deshalb weniger als bisher, weil wir bei den- immer mehr sind, die keinerlei Hoffnung haben, aus ei-
jenigen, deren Nettoeinkommen mehr als 1 200 Euro gener Anstrengung aus ihrer Situation herauszufinden.
beträgt, den Prozentsatz für das Elterngeld von 67 Pro- Diese Menschen sind nämlich von Teilhabe und Bildung
zent auf 65 Prozent absenken. ausgeschlossen, von der Sie gerade so großspurig ge-
sprochen haben, Frau Schröder, und geben diesen Aus-
Was sich allerdings nicht ändert – das ist der entschei- schluss oft an die eigenen Kinder weiter. Das ist der
dende Punkt –, ist die Grundstruktur des Elterngeldes. Kern der Armuts- und auch der Integrationsdebatte.
Denn nur dann, wenn es von der Kernidee her seine Wir- Was tun Sie in dieser Situation? Sie legen einen Haushalt
kung als Lohnersatzleistung entfaltet, bleibt das Eltern- vor, mit dem Sie den Keil zwischen die ohnehin ausei-
geld auch weiterhin attraktiv für Väter. Nur dann entfal- nanderdriftenden Teile unserer Gesellschaft noch tiefer
tet es auch weiterhin seine Wirkung auf die Kultur in der treiben; denn Sie kürzen ausgerechnet die Mittel für Ju-
Arbeitswelt, vor allem in der Form, dass familiäre Auf- gendliche, Familien und ältere Menschen und nennen
gaben und private Verpflichtungen ebenfalls eine Rolle das Konsolidierungsbeitrag im Sinne der Zukunft genau
spielen. dieser Personengruppen. Das ist perfide.
6202 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Dagmar Ziegler
(A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sie diskriminieren die Armen und bereichern Menschen, (C)
der LINKEN) die es gar nicht nötig haben.
Sie lassen die Schwächsten unserer Gesellschaft für die Ihre Kürzungsorgie geht weiter, und zwar – diesen Be-
Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise bluten. griff scheinen Sie offenbar gar nicht zu kennen – bei der
Jugendpolitik. Während Ihre Kollegin von der Leyen
Wenn man den Haushaltsentwurf genau anschaut, von besserer Bildung schwadroniert, kürzen Sie in Ihrem
muss man sich fragen, ob die Kürzungen der Mittel für Haushalt Leistungen zusammen, die gerade für viele be-
Familien, Jugendliche und Ältere noch schlimmer hätten nachteiligte Jugendliche wichtig sind. Dann wundern Sie
ausfallen können, wenn es keine zuständige Bundes- sich, wenn diese jungen Menschen keinen Platz in der
ministerin Schröder gäbe. Ich glaube nicht. Gesellschaft finden. Auch das ist unanständig. Schauen
(Miriam Gruß [FDP]: Welche Jugendlichen?) Sie sich bitte die Bewilligungen an! Es handelt sich aus-
schließlich um Senkungen, ob es sich um die Ansätze für
– Da Jugendpolitik bei Ihnen nicht stattfindet, ist Ihnen den internationalen Jugendaustausch oder die politische
dieses Wort tatsächlich fremd. Bildung handelt. Schauen Sie sich die Ansätze an! Dann
werden Sie sehen, wie alles gesenkt wurde, mit dem Ar-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
gument: Irgendwo müssen wir sparen. – Aber Sie sparen
Frau Schröder, waren Sie an der Diskussion über- genau an den falschen Stellen. Ich könnte Ihnen die Liste
haupt beteiligt, oder haben Sie sich da genauso wegge- vollständig vortragen, wenn Sie sie nicht kennen. Es ist
duckt wie in der Debatte über Kinderarmut und die Neu- schade, dass Sie an einer Haushaltsdebatte teilnehmen!
berechnung der SGB-II-Leistungen? Nirgends hat (Beifall bei der SPD)
man Sie gehört oder gesehen. Wir diskutieren darüber,
wie wir das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu Frau Ministerin, Sie wollen in die Qualität von Kitas
den Regelsätzen und der Teilhabe von Kindern bis zum investieren. Das ist richtig und wichtig. Aber wo bleibt
1. Januar 2011 umsetzen können. Aber Sie haben nichts die Initiative, um den ins Stocken geratenen Kitaausbau
Besseres zu tun, als ausgerechnet den Beziehern von wieder anzuschieben? Wo ist die Initiative für mehr gut
SGB-II-Leistungen und Kinderzuschlag das Elterngeld ausgebildete Erzieherinnen und Erzieher? Vielen Kom-
zu streichen. Das tun Sie mit dem unanständigen Argu- munen steht das Wasser bis zum Hals. Der Kitaausbau
ment – das haben Sie heute wiederholt –, Sie wollten Er- droht zu scheitern, und zwar auch – das sieht man schon
werbsanreize stärken. Schauen Sie doch einmal hin, wer heute – als Folge Ihrer verfehlten Steuerpolitik. Sie se-
die Betroffenen sind – ich glaube, Sie verlassen zu selten hen das nicht und schauen ruhigen Auges zu. Frau
Ihr Ministerzimmer, als dass Sie solche Menschen tref- Ministerin, machen Sie endlich Ihre Hausaufgaben! Wir
(B) fen könnten –: Alleinerziehende, kinderreiche Familien, brauchen keine Modellprojekte, bei denen am Ende Län- (D)
Kinderzuschlagsempfängerinnen und -empfänger. Diese der und Kommunen nicht mehr wissen, wie sie sie wei-
Eltern finden oft keine Beschäftigung wegen fehlender ter finanzieren sollen.
Kinderbetreuung. Oder sie arbeiten Tag für Tag, aber ihr (Beifall bei der SPD)
Lohn reicht nicht für die gesamte Familie, weil Sie und
Ihre Koalition nicht willens sind, einen gesetzlichen Der Ausbau von Kitas und auch der Ausbau von Ganz-
Mindestlohn einzuführen, und deshalb gerade viele Frauen tagsschulen kann nur als gemeinsame nationale Kraftan-
für einen Hungerlohn arbeiten müssen. Ich finde, Ihre strengung gelingen. Bund, Länder und Gemeinden müs-
Argumentation ist so schräg, dass man sich schämen sen an einen Tisch, um gemeinsam das Beste für unsere
muss, dass diese hier überhaupt vorgetragen wird. Kinder zu bewegen. Laden Sie endlich alle Ebenen zu
einer Kinderkonferenz, oder wie Sie das auch immer
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie nennen wollen, ein. Laden Sie sie endlich ein. Nehmen
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Sie die Beteiligten ernst. Die Zeit läuft Ihnen, aber vor
GRÜNEN) allem unseren Kindern davon. Frau Schröder, Sie tragen
Sie sagen, diese Menschen verdienten das Mindest- als Familienministerin allein die Verantwortung dafür.
elterngeld nicht. Ausgerechnet für diese Menschen sol- Machen Sie Schluss mit Ihrer Politik nach dem Motto:
len 300 Euro zu viel sein? Aber was ist mit der nicht er- So tun als ob. Rechtfertigen Sie endlich Ihr Amt!
werbstätigen Gattin des Notars oder dem nicht erwerbs- Vielen Dank.
tätigen Gatten der Unternehmerin? Diese dürfen das
Elterngeld behalten. Dann spielt das Lohnabstandsgebot (Beifall bei der SPD und der LINKEN)
keine Rolle. Welches Gesellschaftsbild haben Sie eigent-
lich? Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege Florian
(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Was haben Toncar.
Sie denn für ein Frauenbild? Diese Frauen gibt
es nicht!) (Beifall bei der FDP)
Was halten Sie von sozialer Gerechtigkeit? Was halten
Florian Toncar (FDP):
Sie vom Leistungsgedanken? Der zählt hier überhaupt
nichts. Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Ich glaube, gerade am Einzelplan 17 sieht man
(Beifall bei der SPD und der LINKEN) sehr deutlich, dass wir an der Struktur des Bundeshaus-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6203
Florian Toncar
(A) halts erhebliche Veränderungen vorgenommen haben Sie beschlossen. Heute stellen Sie dieses Prinzip Ihrer (C)
und dass wir ein Stück weit auch den Ansatz in der Fa- eigenen Reform infrage und sagen, man müsse Ausnah-
milienpolitik verändern. Es geht – etwa beim Elterngeld – men machen.
um Einsparungen, es geht zum Teil aber auch um ganz
(Dagmar Ziegler [SPD]: Wir haben das Eltern-
neue Schwerpunkte, die es bisher nicht gegeben hat, wie
geld beschlossen!)
beispielsweise um das Thema frühkindliche Bildung und
Sprachförderung. Zum Teil geht es auch um ganz ent- Ich halte es nicht für besonders konsequent, wie Sie hier
scheidende Strukturveränderungen, über die wir etwa im argumentieren.
Zusammenhang mit dem Zivildienst zu diskutieren ha-
ben. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Wir müssen aber auch deutlich feststellen, dass sich in
Zum Elterngeld: Es ist zweifelsohne so, dass hier eine
vielen wichtigen Bereichen Verbesserungen ergeben.
hohe Summe eingespart wird. Es sind knapp 600 Millio-
Das Bundesverfassungsgericht hat das zentrale Projekt
nen Euro an Einsparungen, die unterschiedliche Gruppen
der Regierung Schröder/Fischer, die Agenda 2010, an
treffen, aber natürlich auch sehr stark die Arbeitslosen-
zwei ganz entscheidenden Punkten gekippt. Der eine
geld-II-Empfängerinnen und -empfänger. Das fällt nie-
Punkt war die organisatorische Seite, nämlich die Job-
mandem leicht. Ich glaube aber, dass es richtig ist, was die
center. Das, was Sie da gemacht haben, war verfassungs-
Ministerin zum Thema Lohnabstandsgebot gesagt hat,
widrig. Der andere Punkt war die Bemessung der Regel-
und dass das auch ein notwendiger Beitrag zur Haushalts-
sätze, insbesondere der Regelsätze für Kinder, weil Sie
konsolidierung ist.
dort das Thema Bildung und kulturelle Teilhabe schlicht-
Wir haben im Sozialbereich insgesamt geringere Kür- weg nicht mit einbezogen haben. Das sagt das Bundes-
zungen vorgenommen, als der Anteil des Sozialbereichs verfassungsgericht. Das wird jetzt korrigiert. Ich glaube,
am gesamten Haushalt vermuten lässt. Es ist anhand von dass das eine Korrektur ist, bei der wir sehr darauf ach-
Zahlen absolut nicht belegbar, dass im Sozialbereich ten, dass sie auch bei den Kindern ankommt und Wir-
mehr gespart und mehr gekürzt werde, als es sich pro- kung zeigt.
portional nach dem gesamten Volumen des Konsolidie-
Vor allem aber gehen wir an die Ursache von Proble-
rungspaketes ergeben würde. Das Gegenteil ist der Fall,
men, gerade auch von Integrationsproblemen, heran, in-
es wird an dieser Stelle weniger gekürzt.
dem wir dafür sorgen, dass die Kinder anständige Bil-
Ich möchte gerade an die Kolleginnen und Kollegen dungschancen bekommen, die sie ausweislich des
von der Opposition die Frage richten: Wo kommen wir Bundesverfassungsgerichts nach der bisherigen und von
eigentlich her? Ich finde, in der Debatte ist sehr viel Un- Ihnen zu verantwortenden Rechtslage noch nicht hatten.
(B) ehrlichkeit. Ich gehe zurück in das Jahr 2005. Frau Kol- Das werden wir tun, und ich glaube, dass das eine Ver- (D)
legin Ziegler, da hat ein Bundeskanzler, der den gleichen besserung für die Betroffenen ist.
Namen trägt wie unsere heutige Familienministerin, im
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Kern sehr ähnliche Dinge gesagt wie sie heute, und Ihre
Fraktion hat damals applaudiert. Damit komme ich zum zweiten Punkt. Wir haben ei-
nen ganz neuen Schwerpunkt in diesem Haushalt, für
(Dagmar Ziegler [SPD]: Was?) den wir im nächsten Jahr einen hohen Geldbetrag anset-
Im Übrigen hat auch die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- zen. Das ist das Thema Qualifizierungsoffensive. Wir
nen applaudiert. Es ist schon erstaunlich, wer sich hier in werden als Bundesregierung in vier Jahren 12 Milliarden
welcher Weise bewegt. Euro extra für Bildung und Forschung ausgeben. Ich
glaube, schon dadurch wird erkennbar, dass wir eine Re-
(Dagmar Ziegler [SPD]: Was hat er gesagt?) gierung sind, die sich darüber Gedanken macht, wie sie
– Selbstverständlich hat er das gesagt. die Zukunftschancen der Deutschen fördern kann. Einen
Teil dieser Bildungsoffensive, nämlich 400 Millionen
Was war 2005 die Rechtslage? Es gab kein Eltern- Euro, bringen wir in den Bereich der frühkindlichen För-
geld, es gab für niemanden Elterngeld, ganz gleich ob er derung und der Sprachförderung ein. Gerade in Gegen-
Arbeitslosengeld II bezogen hat oder nicht. den, in denen Integrationsprobleme bestehen und wo
(Caren Marks [SPD]: Erziehungsgeld gab es Handlungsbedarf besteht, tun wir sehr viel.
aber!) Ich glaube, dass es gut ist, dass schon im nächsten
– Selbstverständlich, aber es gab kein Elterngeld, und Jahr 3 000 Kitas durch qualifiziertes Personal geholfen
das ist auch von der Größenordnung her im Endeffekt et- werden soll. Das ist eine konkrete Maßnahme, die zeigt,
was ganz anderes. dass wir nicht nur über Integrationsprobleme sprechen,
sondern an die Ursachen der Probleme herangehen. Das
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Erst die ist mir allemal lieber als wohlfeile Rhetorik und das Ab-
Hälfte, dann alles weg! Ihr macht das schön singen von Gesinnungen. Am Ende zählt die Tat. Ich
scheibchenweise!) glaube, dass dieser Haushalt sehr deutlich macht, dass
wir gerade für die Integration und die Bildungschancen
Es war einer der Kerngedanken Ihrer eigenen Reform
junger Kinder sehr viel mehr tun, als es bisher der Fall
und nicht irgendein Randaspekt, dass Sie gesagt und be-
gewesen ist.
schlossen haben: Jeder Vermögenszufluss wird auf den
Regelsatz angerechnet, egal woher er kommt. Das haben (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
6204 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Florian Toncar
(A) Wir haben darüber hinaus über den Zivildienst zu (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Dafür gibt es (C)
sprechen. Bisher rechnen wir im Haushaltsentwurf mit 12 Milliarden Euro vom Bundesministerium
einem sechsmonatigen Zivildienst. Es zeichnet sich aber für Forschung!)
ab, dass durch eine mögliche Aussetzung der Wehr-
pflicht auch beim Zivildienst Handlungsbedarf entsteht. Diese Frau schaut sich an, wie die Situation für Frauen
Letzten Endes muss man feststellen, dass der Zivildienst in Deutschland zurzeit aussieht. Sie sieht: Frauen be-
verfassungsrechtlich ein Anhängsel der Wehrpflicht ist kommen durchschnittlich für die gleiche Arbeit, die
und ihr Schicksal teilt. Insofern müssen wir uns gut Männer leisten, nur drei Viertel des Geldes – bis heute.
überlegen, wie man mit der möglichen Aussetzung der Was tut die Frauenministerin? –
Wehrpflicht, die wir als FDP begrüßen, umgehen. Dann (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Eine ganze
müssten Freiwilligendienste in die Bresche springen und Menge!)
einige der Aufgaben übernehmen, die heute von Zivil-
dienstleistenden übernommen werden. Wir müssen ein Nichts.
Konzept erarbeiten, in dem wir sehr deutlich machen,
dass ein Freiwilligendienst attraktiv ist. Wenn wir da- Der ehemalige sächsische Ministerpräsident Kurt
rüber reden, ob das ein freiwilliger Zivildienst oder ein Biedenkopf hat als Leiter der Zukunftskommission An-
Freiwilliges Soziales Jahr sein soll und wie das Verhält- fang der 90er-Jahre festgestellt, dass die erhöhte Er-
nis dieser beiden Dienste zueinander ist, wird man da- werbsneigung ostdeutscher Frauen eine der Ursachen für
rauf achten müssen – das werden wir Liberale auch tun –, die großen Probleme am Arbeitsmarkt im Osten ist. Die
dass es nicht zu Verdrängungseffekten kommt und das Arbeitslosigkeit von Frauen ist dort deutlich höher als
Freiwillige Soziale Jahr geschwächt wird. Ich glaube, die von Männern. Die Inanspruchnahme von Sozialleis-
dass es dafür Lösungen gibt. Wir wollen nicht, dass Frei- tungen durch Frauen ist dort deutlich höher als die von
willige, die für jede Form von möglichen Diensten ak- Männern. Was tut die Ministerin dagegen?
quiriert werden sollen, nur bestimmte attraktive Dienste (Zuruf von der SPD: Nichts!)
ableisten und niemand Interesse an weniger attraktiven
Diensten bekundet. Darüber werden wir sprechen. Die – Nein, nicht nichts. – Sie hat vielmehr eine Steuerungs-
Diskussion ist erst am Anfang. Wir haben noch keine gruppe zum Aktionsprogramm „Perspektive Wiederein-
Klarheit über den Zeitplan, aber das wird sich bis zur ab- stieg“ eingerichtet, dazu einen Stufenplan für mehr
schließenden Beratung des Einzelplans im November Frauen in Führungspositionen. Anfang des Jahres haben
geändert haben. Dann werden wir unser Konzept mit wir erfahren, dass die Telekom eine Selbstverpflichtung
Zahlen unterlegen können. eingegangen ist, mehr Frauen in Führungspositionen zu
bringen. Was ist seitdem passiert? Nichts. Es gibt ein
(B) Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Ressortgespräch „Entgeltungleichheit“. Super! Was ist (D)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) dabei herausgekommen? Nichts!
(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Jetzt wird es
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: langweilig, Steffen!)
Nächster Redner ist der Kollege Steffen Bockhahn für
die Fraktion Die Linke. – Es wird bei dieser Statistik leider langweilig; das ist
völlig richtig, Kollege Mattfeldt. – Das Problem dabei
(Beifall bei der LINKEN) ist, dass wir immer noch auf ein Gleichstellungskonzept
der Bundesregierung warten müssen. Das Einzige, was
Steffen Bockhahn (DIE LINKE): sich im Bundeshaushalt tatsächlich zur Gleichstellung
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und findet, ist die Aussage des Bundesministeriums der Fi-
Herren! Ich habe im Sommer eine sehr schöne Veranstal- nanzen, dass die Gleichstellungspolitik die Sache der
tung bei mir zu Hause in Rostock besucht, nämlich die einzelnen Ressorts sei. Und was macht die Ministerin,
Feier anlässlich des 20. Jahrestages der Gründung des um ihren Auftrag als Frauenministerin insofern zu erfül-
Frauennetzwerks „Die Beginen“. Frau Ministerin len? –
Schröder, Sie sind die Frauenministerin. Ich glaube, die-
sen Frauen haben Sie heute richtig Kraft gegeben. Was (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
sagt die Frauenministerin zum Thema Frauen? – Nichts. NEN]: Nichts!)
Für Gleichstellungspolitik sind in diesem 6,4-Milliar- Nichts! Frau Ministerin, es tut mir leid, Ihnen Folgendes
den-Euro-Etat ganze 17 Millionen Euro vorhanden. attestieren zu müssen: Sie lassen die Frauen alleine.
4,5 Millionen Euro davon sind für die Förderung von
Jungen und Männern mit Programmen wie „MEHR (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem
Männer in Kitas“ und „Neue Wege für Jungs“ vorgese- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
hen. Es bleiben also 12,5 Millionen Euro für Gleichstel-
Die Frauen sind aber nicht die Einzigen, die von Ih-
lungspolitik im Sinne von Frauenpolitik.
nen alleingelassen werden. Sie sind auch für den Zivil-
Machen wir einmal ein Gedankenexperiment. Stellen dienst zuständig. Was haben Sie hier heute zum Zivil-
wir uns einmal eine Studentin vor, die in Wiesbaden stu- dienst gesagt? In Zeitungen, im Fernsehen, in
diert, vier Jahre Studium hinter sich hat, demnächst fer- Gesprächen mit vielen Betroffenen höre ich, dass das ein
tig ist und kurz davor ist, in das Berufsleben einzustei- großes Thema ist. Was sagen Sie zu dem Thema?
gen. Nichts!
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6205
Steffen Bockhahn
(A) Was soll ein 18-jähriger Azubi, der nächstes Jahr fer- gute Werbung. Wenn Bundeswehr-Jugendoffiziere in (C)
tig wird, heute denken? Worauf soll er sich einstellen? Schulen gehen können, dann können dort auch Men-
Er muss sich jetzt darüber im Klaren werden, ob er einen schen auftreten, die für Freiwilligendienste werben.
Arbeitsplatz für die Zeit nach dem Ende der Ausbildung
suchen oder ob er sich um eine Zivildienststelle küm- (Beifall bei der LINKEN)
mern muss. Er weiß aber gar nicht, ob es den Zivildienst Vor allem aber brauchen wir die Finanzierung gesell-
nach dem 30. Juni 2011 überhaupt noch geben wird. schaftlich notwendiger Arbeit – und das zu existenzsi-
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das ist das chernden und sozialversicherungspflichtigen Einkom-
Geheimnis von Politik!) men.
Ich danke Ihnen.
Er weiß auch gar nicht, wo er sich heute noch um eine
Zivildienststelle bewerben kann. Er weiß nicht, ob er ei- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
nen Pflichtzivildienst machen muss oder ob er einen frei- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
willigen Zivildienst machen muss.
(Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Einen freiwilli- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
gen muss er nicht machen, den kann er ma- Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Dörner für
chen! – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Er die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
kann ja zum Militär gehen, das bleibt!)
Wie der freiwillige Zivildienst bezahlt wird und was für Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ein Dienstverhältnis er dann tatsächlich haben wird, Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
weiß er heute ebenfalls noch nicht. Auch diesen jungen Liebe Kollegen! Frau Ministerin, Sie haben Ihre Rede
Mann, Frau Ministerin, lassen Sie allein. mit dem begonnen, was Sie schon häufiger gesagt ha-
ben: Alle müssen sparen. – Dafür haben auch wir durch-
Fragen wir uns einmal, was die Eltern eines behinder- aus Sympathien. Nur: Im Verfahren der Haushaltsauf-
ten Kindes denken müssen, das in der Kita von einem stellung haben wir erlebt, dass Sie sich quasi in die erste
Zivi betreut wird! Fragen wir uns, was mit der 94-jähri- Reihe gedrängelt haben nach dem Motto: Ich möchte
gen Oma ist, die vom Zivi das Essen auf Rädern be- auch sparen dürfen.
kommt und für die der Zivi der einzige Kontakt zur Au-
ßenwelt ist! (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das zeugt
von Verantwortung! – Dagmar Ziegler [SPD]:
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Darum kümmern Das zeugt von „keine Ahnung“! – Gegenruf
(B) wir uns!) (D)
des Abg. Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Wie
Auch sie weiß nicht, was in Zukunft passieren soll. Sie Politik gemacht haben, haben wir ja gese-
hen!)
Was ist mit den Trägern der Zivildienststellen, die
Wenn man sich das jetzt anschaut, kommt man ange-
heute nicht wissen, ob sie wieder neue Stellen schaffen
sichts des kleinen Etats, den das Familienministerium
können? Was ist mit den Angestellten in den Einrichtun-
hat, zu dem Ergebnis, dass Sie tatsächlich mit am meis-
gen, in denen Zivis arbeiten? Wer macht die Arbeit, die
ten sparen müssen. Das, liebe Kolleginnen und Kolle-
heute der Zivi macht, wenn er weg ist?
gen, ist kein Kämpfen für Familie und Kinder in unse-
(Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Ist das ein Plä- rem Land.
doyer für die Wehrpflicht oder wie?)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
– Nur um richtig verstanden zu werden: Die Wehrpflicht bei der SPD und der LINKEN)
muss weg. Sie darf nicht nur ausgesetzt, sondern muss Ich habe mir für die heutige Rede das Beispiel der Fa-
abgeschafft werden. milie im ALG-II-Bezug, das Sie im Juni über Twitter in
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten die Welt gepustet haben, extra noch einmal herausge-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sucht, weil ich finde, dass diese Twitter-Nachricht, diese
Aussage für die Politik der Bundesregierung symptoma-
Die Freiwilligendienste dürfen wir nicht gegeneinan- tisch ist. Sie ist regelrecht perfide.
der ausspielen. Das gilt auch für einen möglichen frei-
willigen Zivildienst und das Freiwillige Soziale Jahr. Sie machen Folgendes: Sie stellen geringverdienende
Wir brauchen stattdessen eine Ausweitung des Zivil- Eltern gegen Eltern, die gar kein Einkommen haben, und
dienstes oder vielmehr der Freiwilligendienste auch auf Sie hetzen die Leute, die wenig haben, gegen die auf, die
16- und 17-Jährige, damit eine berufliche Frühorientie- noch weniger haben. Dabei hoffen Sie, dass niemand
rung stattfinden kann. Wenn Sie wollen, dass junge mitbekommt, dass die großen Fische völlig unbehelligt
Menschen nach dem Zivildienst oder dem Freiwilligen- bleiben.
dienst sich beispielsweise für einen Pflegeberuf ent- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
scheiden, dann müssen Sie auch an Haupt- und Real- bei der SPD und der LINKEN)
schülerinnen und -schüler denken. Diese brauchen
spätestens mit 16 ein Angebot. Wir brauchen eine Kam- Das ist zutiefst unsozial, und das unterhöhlt den Zusam-
pagne für einen Freiwilligendienst. Wir brauchen eine menhalt in unserer Gesellschaft.
6206 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Katja Dörner
(A) Wer bei den armen Familien spart, aber der Atom- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C)
lobby, Hoteliers und Banken Milliardenbeträge hinter- neten der FDP – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/
herschmeißt, DIE GRÜNEN]: Peinlich!)
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Und der Pharmaindustrie!) Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege, die Geschichte der Kernenergie und
der befördert die soziale Spaltung in unserem Land und auch die Geschichte des Protestes gegen die Atomener-
– ich möchte das hier auch sagen – der gefährdet unsere gie kenne ich sehr gut. Ich bin hier seit langem enga-
Demokratie. Das ist ein sehr weitgehender Vorgang. giert. Was Sie hier gesagt haben, ist reinste Geschichts-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, klitterung; das ist überhaupt nicht zutreffend. Wir
bei der SPD und der LINKEN) müssen uns heute damit auseinandersetzen, was Ihre
Kanzlerin in irgendwelchen Geheimverträgen um
Nun kommen Sie mal nicht mit dem Argument, wie 5.23 Uhr morgens mit den Chefs der großen Energiekon-
wir es eben auch von der Ministerin gehört haben, das zerne zulasten der gesamten Gesellschaft ausbaldowert
Elterngeld würde jetzt zu einer echten Lohnersatzleis- hat,
tung umgestaltet.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: LINKEN – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]:
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Bei Schröder war das morgens um 7 Uhr! –
Kollegen Schirmbeck? Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
RWE-Kanzlerin!)
Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
und vor allem damit, dass sie den Ausverkauf der Si-
Natürlich. cherheit der Anlagen betrieben hat. Das ist die Tatsache,
mit der wir uns jetzt auseinandersetzen müssen, und
Georg Schirmbeck (CDU/CSU): nicht irgendwelche Vorgänge aus dem letzten Jahrhun-
Verehrte Frau Kollegin, es gibt ja keinen Einzelplan, dert.
bei dem man nicht die Geschichte erzählt, dass auf der
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
rechten Seite des Hauses die säßen, die bestochen wür-
sowie bei Abgeordneten der SPD – Georg
den und Schmiergelder bekämen, um bestimmte Gesetze
Schirmbeck [CDU/CSU]: Bei den Schimären,
(B) zu machen. die Sie hier erzählen, sollten Sie bei der Wahr- (D)
(Zuruf von der SPD: Davon war doch gar nicht heit bleiben!)
die Rede!)
Ich war beim Elterngeld und komme jetzt, nachdem
Das ist ja eigentlich so das Leitmotiv von allem. Sie von Schimären gesprochen haben, zu Ihrer nächsten
Schimäre, nämlich wie die Ministerin es ausgeführt hat,
dass – – Sie können sich wieder setzen.
Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Von Schmiergeldern habe ich nicht gesprochen! (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Sie haben
mich doch gerade angesprochen! Sie haben
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Von Demokratie- gesagt: Ihre Schimäre! Frau Kollegin, ich habe
gefährdung hat sie gesprochen!) gelernt, wie man im Parlament höflich mitei-
nander umgeht! – Gegenrufe von der SPD)
Georg Schirmbeck (CDU/CSU):
– Okay. – Ich fahre mit einer Schimäre fort, genau ge-
Ich möchte Sie fragen, ob Sie die ganze Geschichte
nommen einer Schimäre der Ministerin. Es geht jetzt um
der Kernenergie kennen. Wussten Sie, dass der Kern-
die Frage, ob das Elterngeld tatsächlich zur Lohnersatz-
energiekonsens, den Rot-Grün gemacht hat, damit er-
leistung weiterentwickelt wird. Wir wissen doch alle,
kauft wurde, dass die Anteilseigner der Kernenergie-
wie es kommen soll: Hausfrauen ohne vorheriges eige-
werke
nes Einkommen sollen weiterhin den Sockelbetrag be-
(Zuruf von der SPD: Atomkraftwerke! Das ziehen können.
geht besser über die Lippen!)
(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das erzäh-
ihre Industriebeteiligungen steuerunschädlich verkaufen len Sie mal meiner Frau!)
durften? Das hat dazu geführt, dass die Kommunen ne-
gative Körperschaftsteueraufkommen hatten. So ist man Das entlarvt sich doch von selbst. Das ist schwarz-gelbe
in der Vergangenheit mit der Großindustrie umgegangen. Klientelpolitik pur.
Die Leute, die damals diesen Kernenergiekonsens einge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
kauft haben, sollen besser sein als diejenigen, denen Sie sowie bei Abgeordneten der SPD)
jetzt diese Vorwürfe machen? Sie sollten Obacht geben,
dass Sie sich nicht selbst mit dem beschmutzen, was Sie Wie steht es eigentlich um das Elterngeld für die Auf-
hier ausführen. stocker? Die Ministerin hat dazu nichts gesagt.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6207
Katja Dörner
(A) (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Doch! Hat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C)
sie!) sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Es bleibt im Prinzip so, wie es schon im Haushaltsbe- Es darf uns nicht nur um die Platzzahlen gehen. Es
gleitgesetz steht: Es gibt einen Prüfauftrag. Mehr wissen muss uns auch um die Qualität der Angebote gehen. Ich
wir nicht. habe häufig den Eindruck, dass dieser Aspekt in der
Rechtsanspruchsdebatte etwas unter den Tisch fällt, ob-
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Doch! Natürlich wohl wir alle wissen, dass eine bessere Vereinbarkeit
klären wir das!) von Familie und Beruf eben nur gelingt, wenn die Eltern
ein gutes Gefühl haben, wenn sie ihr Kind in die Kita ge-
Wir können uns sehr wohl vorstellen, zu welchem Er- ben. Gute frühpädagogische Maßnahmen und Bildung
gebnis dieser Prüfauftrag kommen wird. können nur erfolgreich sein, wenn die Erzieher und Er-
zieherinnen in den Kindertagesstätten tatsächlich die
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Nein! Können Sie Möglichkeit haben, gute Angebote zu machen.
sich nicht vorstellen!)
Im Juli hat die Ministerin den KiföG-Bericht vorge-
Wir müssen vermuten, dass die Ministerin an dem fest- stellt. Darin – ich zitiere aus diesem Bericht – hat sie
halten wird, was meine Kollegin Frau Gruß als irrsinnig dargelegt, dass in einigen Bundesländern die Personal-
bezeichnet hat und was meine Kollegin Frau Bär völlig einsatzschlüssel in einer Größenordnung liegen, die un-
zu Recht als unsinnig bezeichnet hat, nämlich dass das ter fachlichen Gesichtspunkten als bedenklich einzustu-
Elterngeld bei den Aufstockern in irgendeiner Art und fen sind. Ich denke, hier ist die Bundesregierung ganz
Weise angerechnet wird. klar gefragt im Konzert mit Ländern und Kommunen;
denn der Kitaausbau ist eine gesamtgesellschaftliche
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Nein! Wird es Aufgabe, die für den Bund nicht 2013 endet.
nicht!)
Nun sollen in den nächsten Jahren 100 Millionen
Das ist wirklich widersinnig. Es wäre gut gewesen, heute Euro in die Sprachförderung in Schwerpunkt-Kitas in-
von der Ministerin eine klare Ansage zu bekommen, vestiert werden. Dagegen ist im Prinzip nichts zu sagen.
dass das nicht der Fall sein wird. Aber auch da kennen wir das Konzept und die Zielver-
einbarung mit den Ländern noch nicht. Deshalb würde
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ich sagen: Vorsicht mit Vorschusslorbeeren. Wir müssen
sowie bei Abgeordneten der LINKEN – erst einmal schauen, ob die Kitas nicht doch nur Place-
Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ich sage schon bos bekommen.
noch etwas dazu!)
(B) Die Unklarheit, was überhaupt geplant ist, setzt sich (D)
– Ich freue mich darauf, wenn Frau Bär gleich dazu et- beim Zivildienst fort. Auch da sind – die Ministerin war
was sagt. gestern bei uns im Ausschuss – viele Fragen unbeant-
wortet geblieben. Ich fand es gut, dass der Herr Kollege
Die Bilanz der Familienministerin nach einem knap- Toncar darauf hingewiesen hat, dass es keine zwei Klas-
pen Jahr Regierungszeit ist wirklich ein Trauerspiel: El- sen bei den künftigen Freiwilligendiensten geben soll.
terngeld gekürzt, Einführung von Teilelterngeld und Er- Wir Grünen finden es positiv, dass wir wegkommen von
höhung der Zahl der Partnermonate verschoben, der Pflicht und hinkommen zur Freiwilligkeit. Aber die
wahrscheinlich auf den Sankt-Nimmerleins-Tag; von Äußerungen der Ministerin konnten uns noch nicht da-
Verbesserungen beim Unterhaltsvorschuss, vom Zu- von überzeugen, dass es da tatsächlich ein gutes Konzept
kunftskonto, von steuerlichen Entlastungen für Alleiner- gibt.
ziehende redet auf der Regierungsbank kein Mensch
mehr. All das war im Koalitionsvertrag versprochen (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Denken Sie
worden. Man kann nur sagen: versprochen – gebrochen. einmal darüber nach! Dann wird es besser!)
Ich komme zum Schluss. Als Sachwalterin für die In-
Umso bizarrer ist es eigentlich, dass sich die Ministe- teressen von Kindern, Jugendlichen und Familien haben
rin immer noch nicht von den Plänen zum Betreuungs- Ministerin Schröder und auch die komplette Bundes-
geld verabschiedet hat. Ein solches wäre tatsächlich irr- regierung bis dato völlig versagt.
sinnig und unsinnig.
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wenn Sie
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das jetzt nicht gesagt hätten, hätte uns das sehr
sowie bei Abgeordneten der SPD) überrascht!)
Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich sagen, dass Es bleibt zu hoffen, dass es einen Herbst der Erkenntnis
ich es gut finde, dass die Ministerin den vorgesehenen aufseiten der Koalition gibt und nicht ein böses Erwa-
Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz für unter Dreijäh- chen für alle nach den Haushaltsverhandlungen.
rige verteidigt. Aber auch hier verschließt sie die Augen Vielen Dank.
vor der Realität: Ob man wirklich davon sprechen kann,
dass der Rechtsanspruch umgesetzt werden kann, wenn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
für 35 Prozent der Kinder ein Kitaplatz zur Verfügung bei der SPD und der LINKEN – Georg
steht, wird zu Recht angezweifelt. Wir brauchen ganz Schirmbeck [CDU/CSU]: Wenn Sie Ihre Rede
dringend eine Bedarfsanalyse, die auch über das Jahr zu Protokoll gegeben hätten, hätte uns das Zeit
2013 hinausgeht. gespart!)
6208 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die (C)
Das Wort hat nun die Kollegin Ingrid Fischbach für Veränderungen bzw. die Nichtveränderungen beim Zi-
die CDU/CSU-Fraktion. vildienst definitiv haushaltswirksam sind und sie deswe-
gen auch ein Thema in einer Haushaltsdebatte sein soll-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ten? Ist Ihnen bekannt, dass es eine Studie gibt, die zeigt,
dass die Gleichstellungspolitik auch budgetgerecht dar-
Ingrid Fischbach (CDU/CSU): gestellt werden könnte? Sind Sie bereit, anzuerkennen,
Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Liebe Kolleginnen dass das gegenwärtig nicht der Fall ist? Dann müssten
und Kollegen! Herr Bockhahn, ich würde Ihnen einmal wir uns aber über haushaltspolitische Gleichstellungsfra-
empfehlen, in den Ausschuss zu kommen. gen unterhalten, was im Zweifel auch in eine Haushalts-
debatte gehört.
(Zuruf von der LINKEN)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
– Sie sind da drin? Ich habe Sie da noch nie gesehen. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Er war noch nie
da! – Diana Golze [DIE LINKE]: Er ist im Ingrid Fischbach (CDU/CSU):
Haushaltsausschuss!) Wir reden über den Haushalt 2011. Wenn Sie sich die-
Wahrscheinlich handelt es sich um eine Halluzination. sen Haushalt anschauen, dann können Sie feststellen,
dass wir beim Wehretat für 2011 keine Änderungen vor-
Sie haben vorhin beklagt, dass die Ministerin zu den genommen haben.
und den Punkten nichts gesagt hätte.
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
(Iris Gleicke [SPD]: Frau Fischbach, das ist GRÜNEN]: Genauso schlimm!)
doch billig! – Sönke Rix [SPD]: Die Ministe-
rin ist doch auch selten im Ausschuss!) Das haben Sie doch mitbekommen. Worüber wir jetzt re-
den, sind zukünftige Entscheidungen, die mit folgenden
– Darauf will ich doch eingehen. Lassen Sie mich einmal Fragen zu tun haben: Wie gehen wir mit der Wehrpflicht
ausreden. Wenn Sie eine Frage haben, stellen Sie sie um? Wird sie ausgesetzt, oder soll sie abgeschafft wer-
bitte. Dann habe ich auch eine längere Redezeit. den? Dazu gibt es Diskussionen innerhalb der Fraktio-
Sie haben Punkte aufgeführt, zu denen die Ministerin nen und der Parteien. Wenn wir zu einer Entscheidung
nichts gesagt hat. Sie hat über die Punkte gesprochen, kommen, wie wir mit dem Wehrdienst umgehen, dann
die für den Haushalt relevant sind. Sie hat also genau das müssen wir uns überlegen, welche Auswirkungen dies
(B) gemacht, was die Kollegin von den Grünen, die im Mo- auf den Zivildienst hat. (D)
ment nicht zuhört, eingefordert hatte. Hätte sich die Deswegen fand ich es nicht so prickelnd, dass Sie ge-
Ministerin über Themen wie Konzepte zum Wiederein- rade sagten, Sie sind für die Abschaffung des Wehr-
stieg, Entgeltgleichheit, Möglichkeiten zur Anrechnung dienstes, aber den Zivildienst müssen wir erhalten. Das
der Pflegezeit, Frauen in Führungspositionen und Stu- passt irgendwie nicht.
fenplan ausgelassen, dann hätte die Kollegin zu Recht
angemerkt: Wir reden heute über den Haushalt und nicht (Zuruf von der SPD: Das hat er nicht gesagt! –
allgemein über die Aufgaben und Leistungen des Fami- Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
lienministeriums. GRÜNEN]: Sie kann noch nicht mal zuhören!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – – Doch, er hat am Anfang gesagt: Was sage ich heute ei-
Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: nem Zivildienstleistenden – O-Ton –, wenn er sich um
Tut sie denn etwas für die Entgeltgleichheit?) eine Stelle bewerben will, sie aber nicht mehr findet? –
Wie kommen Sie darauf, dass man keine Zivildienst-
Darauf muss man schon achten. Da läuft eine ganze stelle mehr findet?
Menge. Dazu kann ich Ihnen gleich noch etwas sagen.
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wenn man
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: nicht zuhört, dann kann man schlecht kritisie-
ren!)
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Bockhahn? Unsere Bewerber finden noch Zivildienststellen; diese
sind noch da.
Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Sie wollen darauf hinaus, was passiert, wenn es keine
Ja, vielleicht kann er noch etwas lernen. Wehrpflicht mehr gibt. – Ich bin noch nicht fertig mit der
Antwort auf Ihre Frage. Deswegen möchte ich Sie bitten,
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: noch stehen zu bleiben. Ich würde das gerne zu Ende
Bitte. ausführen.
Wenn wir über den Wehrdienst entschieden haben,
Steffen Bockhahn (DIE LINKE): kommen wir zu den weiteren Auswirkungen, und dann
Bildung wird ja großgeschrieben. Insofern bin ich auf werden wir darüber informieren. Es macht überhaupt
Ihre Antwort sehr gespannt. keinen Sinn, jetzt über etwas zu diskutieren, von dem ich
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6209
Ingrid Fischbach
(A) zum Beispiel gar nicht weiß, wie meine Partei damit um- (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Der kannte (C)
geht. die CDU nicht!)
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE Das tun wir. Das Zukunftspaket der Bundesregierung
GRÜNEN]: Aber das Parlament hat mit Mehr- macht deutlich, dass wir bis 2014 über 80 Milliarden
heit beschlossen, dass der Wehrdienst auf Euro einsparen wollen. Das ist richtig; das ist wichtig.
sechs Monate verkürzt wird! – Sönke Rix Wir haben die Schuldenbremse gemeinsam im Grundge-
[SPD]: Stuttgart 21 ist auch nicht im Haushalt, setz verankert. Deswegen ist es unsere gemeinsame Auf-
und die Kanzlerin hat darüber geredet! – Wei- gabe, hier für eine Konsolidierung zu sorgen. Dazu muss
tere Zurufe von der SPD) auch das Familienministerium im Sinne von Generatio-
nengerechtigkeit etwas beitragen. Wir müssen uns an
– Aber es ging doch jetzt um die Abschaffung. Er sagte dieser Konsolidierung beteiligen, damit unsere Kinder
doch gerade, er will ihn abschaffen. auch Perspektiven haben.
(Zurufe von der SPD) Das Elterngeld – die Frau Ministerin hat es gesagt –
– Meine Damen und Herren, ich lasse mich jetzt nicht macht mit 4,48 Milliarden Euro einen großen Anteil des
auf eine Zwischendiskussion ein. Wenn die Entscheidun- Haushalts des Familienministeriums aus. Auch hier
gen anstehen, werden wir es mitteilen. Dann werden wir Sparmaßnahmen anzugehen, ohne die Grundstrukturen
darüber reden und mit Ihnen darüber diskutieren. Wir zu verändern und aufzuheben, halte ich für richtig. Ge-
werden Vorschläge machen; das ist schon richtig. So ma- nau das passiert. Wir werden die Quote von 67 auf
chen wir das. Aber wir werden erst einmal intern bera- 65 Prozent absenken, und wir werden die Anrechnungs-
ten, wie wir damit umgehen. So machen wir das in der freiheit des Elterngeldes beim Bezug von Leistungen im
CDU und in der CSU. Wie das bei den Linken ist, weiß Rahmen des Arbeitslosengeldes II und der Sozialhilfe
ich nicht. Wahrscheinlich ist es da anders. aufheben. Das hat sicherlich einschneidende Auswirkun-
gen; das streite ich gar nicht ab. Aber das Elterngeld ist
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Da ist alles als Lohnersatzleistung konzipiert.
anders!)
(Caren Marks [SPD]: Ist es nicht, das ist
Da wird es bestimmt, und dann ist es so. Wir diskutieren falsch!)
darüber, wir binden die Basis mit ein. Wenn wir die Ent-
scheidungen haben, dann werden wir auch wissen, wel- – Das ist nicht falsch. Sie waren in der Runde, die da-
che weiteren Schritte zu gehen sind. mals das Elterngeld konzipiert hat, gar nicht dabei, Frau
Marks. Da war Frau Humme dabei; Sie waren nicht da-
(B) (Beifall bei der CDU/CSU) bei. (D)
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und (Caren Marks [SPD]: Schlechtes Gedächtnis,
Kollegen, wenn ich auf den Beginn der Finanz- und ich war dabei!)
Wirtschaftskrise zurückblicke, dann sind mir noch sehr
wohl die immensen Zahlen, die im Raum standen, und – Sie waren in der Koalitionsrunde nicht dabei, nein.
die Sorgen der Menschen und Familien in Erinnerung: Das ist jetzt auch egal. Ich war jedenfalls die ganze Zeit
Wie gehen wir damit um? Um Gottes willen, was pas- dabei.
siert da? Wie können wir jemals die Schulden, die wir
aufnehmen, zurückzahlen? Die konjunkturelle Entwick- (Sönke Rix [SPD]: Normalerweise wird das
lung ist im Moment positiv. Die Zahl der Arbeitslosen im Parlament beschlossen, oder war das hier
geht deutlich zurück. Die Wachstumsraten betragen 3 bis nicht der Fall?)
3,5 Prozent. – In der Koalitionsrunde – darum geht es – war sie nicht
Die freundliche Aufbruchstimmung darf uns aber dabei. Da haben wir gesagt: Das ist eine reine Lohn-
nicht dazu verleiten, uns aus dem Konsolidierungspro- ersatzleistung. Wir haben die Menschen im Blick ge-
zess zu verabschieden; vielmehr gibt es weiterhin die habt, die für Kindererziehung auf ihre Erwerbsarbeit ver-
Aufgabe und den klaren Auftrag an die Politik, für eine zichten und zu Hause bleiben. Wir haben das Mindest-
Konsolidierung des Haushalts zu sorgen. Das ist ver- elterngeld gemeinsam beschlossen. Ich kann mich erin-
antwortungsvolle Familien- und Jugendpolitik. Das ist nern, dass Sie das gar nicht wollten. Sie wollten das El-
Politik für die nachfolgenden Generationen. Sie muss terngeld auch nicht für ein Jahr, sondern nur für sechs
nachhaltig sein. Auch unsere Kinder und Enkelkinder Monate zahlen; ein Jahr Bezugszeit war Ihnen viel zu
müssen die Chance haben, in diesem Staat zu leben und lang. All das ist aber Schnee von gestern. Wir haben ge-
noch über Haushalte beraten zu können. Das können sie meinsam entschieden, dass wir es so machen. Das war
nicht, wenn wir uns jetzt aus der Konsolidierung verab- auch gut und richtig so.
schieden und weitermachen wie bisher. Deswegen tun Es war aber von Anfang an nicht richtig, dass wir da-
wir es nicht. bei gegen die Systematik der Grundsicherung versto-
(Beifall bei der CDU/CSU) ßen haben. Auch Sie erinnern sich: Wir waren damals im
Aufschwung und hatten vor Augen, dass wir 2011 keine
George Bernard Shaw hat nicht umsonst gesagt: Was neue Kreditaufnahme, keine Neuverschuldung, mehr
man „sparen“ nennt, heißt nur, einen Handel für die Zu- brauchen. Da haben wir gesagt: Wenn die Entwicklung
kunft abzuschließen. so ist, können wir Elterngeld in dieser Weise zahlen. –
6210 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Ingrid Fischbach
(A) Es war aber schon damals falsch, weil es nicht der Syste- Ingrid Fischbach (CDU/CSU): (C)
matik der Grundsicherung entsprach. Das klärt sich in genau den Verhandlungen, die anste-
hen und schon auf den Weg gebracht sind. Davon sind
Jetzt dürfen Sie nicht mich, uns oder die Frau Minis- unterschiedliche Ministerien betroffen. Wenn man eine
terin dafür verantwortlich machen; denn Sie haben die gemeinsame Lösung haben will, dann muss man sie
Grundsicherung, damit auch die Systematik der Grund- auch gemeinsam finden. Wir wollen und werden eine
sicherung, mit verabschiedet. Da haben Sie festgelegt, Lösung finden. Das kann ich Ihnen versichern.
dass bei Transferleistungen Einkommen bestimmter Ar-
ten angerechnet werden müssen. Das ist nicht geändert (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so-
worden, auch nicht von Ihnen. Insofern tun wir jetzt wie der Abg. Miriam Gruß [FDP] – Katja
nichts anderes, als diese Systematik anzuwenden. Das Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da
fällt an der einen oder anderen Stelle schwer; aber es ent- können wir ja gespannt sein!)
spricht der Grundausrichtung, die auch von Ihnen auf
den Weg gebracht wurde. Das möchte ich einmal festhal- Der Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen
ten. ist ein wichtiger Schwerpunkt unserer Familienpolitik,
der Familienpolitik der Frau Ministerin. Sie hat deutlich
(Beifall bei der CDU/CSU – Dagmar Ziegler gemacht, dass es an dieser Stelle zu keinen Einschnitten
[SPD]: Und die Ehegatten?) kommen wird. Wenn Sie die Ergebnisse des letzten Mo-
nitor Familienleben im Kopf haben, dann wissen Sie,
Frau Dörner, vielleicht haben Sie es vorhin nicht ge- dass flexible – nicht starre – Betreuungsangebote für
hört: Wir sehen Änderungsbedarf bei den Aufstockern Kinder das A und O sind. Wir müssen die Angebote
und Minijobbern; das hat auch Frau Ministerin gesagt. schaffen, die Eltern brauchen. Da müssen wir weiter an-
Sie wissen aber, dass die Zuständigkeit für Aufstocker setzen. Die Mittel dafür bleiben erhalten.
bei einem anderen Ministerium liegt und wir auch hier
Absprachen treffen müssen. Hier sind wir auf einem gu- Es ist erfreulich, dass die Länder mit ihren Anträgen
ten Weg. Ich kann Ihnen versichern – wir sind hier heute nachgezogen sind. Das lief etwas schleppend; jetzt läuft
in der ersten Lesung –, dass wir in den Beratungen da- es besser. Wir können deshalb davon ausgehen, dass wir
rauf eingehen und Lösungen dafür anbieten werden. eine Betreuungsquote von 35 Prozent – wir haben sie ge-
meinsam beschlossen – erreichen werden; daran halten
(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wir erst einmal fest. Dann wird man sehen – Sie wissen,
NEN]: An welcher anderen Stelle wird denn dass Angebote auch Nachfrage schaffen –, ob später ein
gekürzt? Die Summe steht ja schon fest!) Mehrangebot nötig ist. Darüber werden wir mit den bei-
den anderen Verhandlungspartnern diskutieren; es ist
(B) Das Erfolgsmodell Elterngeld bleibt in der Grund- nicht die ureigenste Aufgabe des Bundes, die Kinderbe- (D)
struktur erhalten. Das ist richtig so. Wir haben festge- treuungsangebote vor Ort zu finanzieren. Wir müssen
stellt – Frau Ministerin hat es gesagt –, dass gerade auch das mit den Ländern und den Kommunen absprechen;
Väter diese Möglichkeit nutzen, sich um die Kinder zu das können wir nicht alleine tun. Das wird auch stattfin-
kümmern. Es könnten ruhig noch mehr Väter diese den. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Sie,
Möglichkeit nutzen, auch länger als zwei Monate. Daran Frau Schröder, dass Sie daran festgehalten haben. Damit
wäre uns gelegen. Deswegen halten wir daran fest. helfen Sie den jungen Familien, den Eltern, Vätern und
Müttern. Das ist gut so.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg.
Frau Kollegin, Frau Dörner würde gerne eine Zwi- Miriam Gruß [FDP])
schenfrage stellen.
Eine Aufgabe, ein Aspekt Ihrer künftigen Politik
– das interessiert vielleicht auch Herrn Bockhahn – ist
Ingrid Fischbach (CDU/CSU): die Sprachoffensive, die anlaufen soll. Sie werden eine
Ja. größere Summe in die Hand nehmen und in Kitas, die
besondere Bedarfe haben, eine Sprachoffensive starten;
denn auch hier stellen wir fest: Wenn wir über Bildung
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: reden, reden wir über Sprache. Wenn die Kinder der
Bitte. Sprache nicht mächtig sind, ist das schlimm. Wir müssen
für Angebote sorgen, damit sie sprachfähig werden. Lei-
Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): der betrifft das nicht nur Kinder mit Migrationshinter-
grund, auch viele Kinder mit deutschem Hintergrund ha-
Frau Fischbach, ich möchte auf das Elterngeld zu- ben Sprachschwierigkeiten. An dieser Stelle muss man
rückkommen. Zunächst einmal ist es ein positives Zei- ansetzen. Wir müssen gezielt in die Brennpunkte hinein-
chen, dass Sie den Prüfauftrag, der im Haushaltsbegleit- gehen und für eine Sprachoffensive sorgen. Das halten
gesetz geregelt ist, bei der Frage des Elterngelds für wir, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion, für eine ver-
Aufstocker ernst nehmen. Da die Summe der Einsparun- nünftige politische Entscheidung. Das ist Politik für die
gen bezogen auf das Elterngeld schon feststeht und ent- Bedürfnisse der Menschen und nicht an den Menschen
sprechend im Haushalt verankert ist, möchte ich Sie aber vorbei.
fragen: An welcher Stelle wollen Sie ansonsten Einspa-
rungen vornehmen? (Beifall bei der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6211
Ingrid Fischbach
(A) Frau Ministerin, mit der Familienpflegezeit rücken Generalaussprache mit keinem einzigen Satz begründet, (C)
Sie ein Thema in den Fokus der Öffentlichkeit, das weshalb sie die vorgesehenen Kürzungen als sozial ge-
wichtig ist. In der Erwerbsbiografie gerade von Frauen recht empfindet. Das schreiben heute auch einige Zei-
ist die Pflegezeit die zweite große Lücke. Oft müssen El- tungen. Nun begründet die Familienministerin diese
tern, Schwiegereltern oder kranke Angehörige gepflegt Kürzungen mit abstrusen und fadenscheinigen Argu-
werden. Es ist gut, dass Sie sich dieses Themas anneh- menten. Keiner hier im Haus – das behaupte ich – ist der
men und mit dem Konzept der Pflegezeit eine erste Of- Überzeugung, dass es nicht wichtig ist, im Interesse der
fensive starten. Das ist ein mutiger Schritt. Machen Sie künftigen Generationen Schulden abzubauen.
weiter so!
(Florian Toncar [FDP]: Aha!)
(Dagmar Ziegler [SPD]: Das ist eine tolle
Aber es kann programmatisch doch nicht sinnvoll sein,
Ministerin!)
die Kinder von morgen scheinbar zu entlasten, indem ich
Das ist ein erster Schritt, der ausgebaut werden muss, die Kinder von heute belaste. Das halte ich für einen zy-
und er wird auch ausgebaut werden. Wenn sich die Kon- nischen Ansatz.
junktur weiter so entwickelt wie im Moment, haben wir
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
gute Chancen. Wenn nicht, müssen wir schauen, dass wir
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
es anders geregelt bekommen, um den Bedürfnissen der
GRÜNEN)
Frauen und der Menschen gerecht zu werden.
Die Opposition hat eben deutlich gemacht, wie ver- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
heerend, schrecklich und furchtbar die Familien-, Frau- Herr Schwanitz, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
en- und Jugendpolitik der Bundesregierung ist.
(Christel Humme [SPD]: Ja!) Rolf Schwanitz (SPD):
Bitte schön.
Ich sage Ihnen: Lesen Sie die 16. Shell-Studie, die ge-
rade veröffentlicht wurde. Seit 2006 hat sich der Anteil
junger Menschen, die sich Kinder wünschen, erhöht. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Bitte sehr.
(Zuruf von der SPD: Der Wunsch war immer
da!)
Thomas Jarzombek (CDU/CSU):
Es ist die Familienpolitik der Union, die sich in diesem Herr Kollege, Sie sind nicht der erste Redner der
Bereich ausgezeichnet hat. Wenn sie so furchtbar wäre, SPD-Bundestagsfraktion, der sich heute zu diesem
(B) würden die jungen Menschen keine Kinder bekommen Thema äußert und erklärt, wo überall wir nicht sparen (D)
wollen. Sie wünschen es sich. Wir werden alles dafür sollen. Wenn mich mein Gedächtnis nicht vollständig
tun, dass der Wunsch nach Kindern und Familie in Erfül- trügt, beruhen die Einsparbemühungen nicht zuletzt
lung gehen kann. Dafür arbeiten wir. Dafür stehen wir. auch auf der gesetzlichen Grundlage der Schulden-
Darauf können sich die Menschen in unserem Land ver- bremse, die Ihre Fraktion mit unserer Fraktion beschlos-
lassen. sen hat. Wie ich der Presse entnehme, wollen Sie auch
noch gegen die Brennelementesteuer und den Laufzeit-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
kompromiss klagen, sodass weitere Einnahmequellen
wegfallen. Ich frage Sie: Wo würden Sie stattdessen spa-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: ren? Die Beantwortung dieser Frage gehört zur Ehrlich-
Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege Rolf keit der Diskussion dazu.
Schwanitz.
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Es muss doch
(Beifall bei der SPD) nicht konstruktiv sein!)

Rolf Schwanitz (SPD): Rolf Schwanitz (SPD):


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Ich weiß nicht, ob Sie in der gestrigen Debatte dabei
Herren! Familien und Kinder sind die großen Verlierer waren und zugehört haben. Es gab eine ganze Reihe von
des Entwurfs der schwarz-gelben Bundesregierung zum Vorschlägen – übrigens auch zu dem unzulänglichen
Bundeshaushalt 2011. Das ist so. Das liegt an den Kür- Vorschlag einer Brennelementesteuer, den Sie in die De-
zungen beim Elterngeld. Es geht um 600 Millionen Euro batte eingebracht haben –, beispielsweise das Zurück-
insgesamt, 155 Millionen Euro sind es im Einzelplan 17, nehmen der Subventionen zugunsten von Hotels und
bei der Familienministerin. Nebenbei bemerkt: Welchen reichen Erben, die am Anfang Ihrer schwarz-gelben
Stellenwert das Thema für Sie hat, sieht man auch an der „Traumkoalition“ gestanden haben.
Präsenz der Bundesregierung bei dieser Debatte. Das
Kanzleramt hat wenigstens noch einen Aluminiumkoffer (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das macht unge-
hingestellt. fähr 300 Milliarden! Die verballert der so! Ist
ja lächerlich!)
(Beifall bei der SPD)
In dieser Woche habe ich sehr intensiv mit Kolleginnen
Apropos Kanzleramt. Ich fand folgenden Vorgang be- und Kollegen aus Ihrer Fraktion darüber gestritten, ob
merkenswert: Die Bundeskanzlerin hat gestern in der und in welchem Umfang wir in dieser Situation im land-
6212 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Rolf Schwanitz
(A) wirtschaftlichen Bereich Subventionen draufsatteln müs- Spitzenverbänden ab, damit nicht nur ein netter Fototer- (C)
sen. Ich kenne diese Diskussionen bei Ihnen: Den Be- min zustande kommt und ein Strohfeuer entsteht, son-
griff „Subventionen“ führt man nur dann ein, wenn man dern es zu einer nachhaltigen und dauerhaften Verbesse-
es nicht mag; ansonsten heißt das immer „Hilfe“. Ich rung der frühkindlichen Bildung in Deutschland kommt!
rate zu einer ehrlichen und offenen Debatte über alle
Einzelpläne. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordne-
ten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Ich will eine dritte Bemerkung zum Thema Jugendpo-
Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Dann kön- litik machen. Die Shell-Studie hat ja gerade schon eine
nen wir bei der Kohlesubvention anfangen! – Rolle gespielt. Die Süddeutsche Zeitung hat getitelt:
Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ja, wir sind ehr- „Die Ideenlosigkeit einer Ministerin“ und hat reflektiert,
lich! Das ist der Punkt!) dass die Shell-Studie nicht nur Positives berichtet. Sie
berichtet auch, dass es abgehängte Jugendliche im Alter
Ich will eine zweite Feststellung machen: Es gibt in zwischen 12 und 25 Jahren gibt. Das Motto scheint ja zu
dem Einzelplan 17 eine Verstärkung im Bildungsbereich sein: Optimismus kann man nur haben, wenn man ihn
in der Größenordnung von 82 Millionen Euro. Das will sich leisten kann. Die Studie zeigt also sehr wohl gegen-
ich nicht kritisieren. Die Sozialdemokraten haben mehr- läufige Entwicklungen auf.
fach die Stärkung der frühkindlichen Bildung angemahnt
und die Verbesserung der Qualität der Betreuungsange- Deswegen muss man einmal schauen, was in diesem
bote gefordert. Ich will dazu aber zwei Anmerkungen Entwurf im Bereich Jugendpolitik passiert. Ich muss
machen: sagen: Die Kürzungen erstrecken sich in der Tat großflä-
Erste Anmerkung. Wenn Sie, Frau Ministerin, die chig auf den Bereich des Kinder- und Jugendplanes.
82 Millionen Euro, diese große Summe hier so heraus- Beim Freiwilligen Sozialen Jahr im Sport haben Sie eine
streichen, dann muss auch ein Wort dazu gesagt werden, Verstärkung vorgenommen. Das hängt selbstverständlich
welche Einsparungen an anderer Stelle im Bundeshaus- mit der Wehrrechtsänderung zusammen. Aber diese Er-
halt stattfinden. Im Einzelplan 30 entfällt der Titel für höhung wird zu fast 60 Prozent durch Kürzungen im
das vor- und außerschulische Lernen im Lebenslauf Kinder- und Jugendplan finanziert.
– das sind die lokalen Bildungsbündnisse für benachtei- Ich will die Dinge einzeln benennen: 9 Prozent weni-
ligte Kinder und Jugendliche –: minus 18 Millionen ger für soziale und berufliche Integrationsförderung von
Euro. Beispielsweise entfallen die Sprachstandstests für Jugendlichen. Darin enthalten ist zum Beispiel die För-
Kinder im vierten Lebensjahr. Das ist Sprachförderung
(B) im Vorschulalter. Das sind 5 Millionen Euro weniger für derung der Jugendsozialarbeit. Es gibt 24 Prozent Kür- (D)
zungen bei den „Neuen Wegen“ der Kinder- und Jugend-
Sprachförderungsprogramme. Ich finde, es gehört dazu,
hilfe, zum Beispiel in den Schulen. Der Bereich der
dass die Ministerin nicht nur ressortegoistisch auf ihren
„sonstigen Fördermaßnahmen“ im KJP wird fast hal-
Einzelplan schaut, sondern auch schaut, was für Kinder
biert.
insgesamt dabei herumkommt.
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Eben! Eben! Ich will nicht verschweigen: Ein absolutes Alarmsig-
Eben! Eben) nal ist, was mit den Verpflichtungsermächtigungen
beim Kinder- und Jugendplan passiert, also wo es darum
Das Prinzip „rechte Tasche – linke Tasche“ verschwei- geht, Bewilligungen für die folgenden Jahre möglich zu
gen Sie. machen. Diese Verpflichtungsermächtigungen senken
Sie um sage und schreibe 23 Millionen Euro ab; das sind
Zweitens möchte ich dazu sagen – meine Vorrednerin minus 31 Prozent. Die Botschaft ist völlig klar: Langfris-
aus meiner Fraktion hat das schon angesprochen –: tige Arbeit über das Haushaltsjahr hinaus wird sukzes-
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ziegler heißt sie!) sive zurückgefahren. Der KJP wird nur noch auf Sicht
gefahren, und neue Kürzungen sind vorprogrammiert.
Die 82 Millionen Euro werden ja aufwachsen. Das ergibt Deswegen haben Sie auch eine globale Minderausgabe
nach Ihrem Plan irgendwann einmal ein Volumen in der als neuen Titel eingebracht. Da steht zwar noch keine
Größenordnung des gesamten Kinder- und Jugendplans Zahl, aber Sie erwarten, dass die Koalitionäre das im
in einem Haushaltsjahr. Eine solche Summe kann man Verfahren ausführen, so, als hätten Sie damit nichts zu
natürlich nicht nur mit einem einzelnen Titel ausbringen, tun.
sondern man muss vorsorgen, dass etwas Nachhaltiges
entsteht. Diesbezüglich ist Ihrem Entwurf nichts zu ent- Die Kinder, die Familien und die Jugendlichen erwar-
nehmen. Was wird denn eigentlich, wenn die Modellpro- ten von Ihnen nicht, dass Sie die Kürzungspolitik, die im
jekte, die Sie fördern wollen – 4 000 –, ausgelaufen Hause Schäuble ersonnen worden ist, rechtfertigen, son-
sind? Was wird dann eigentlich mit den Elternbeglei- dern, dass Sie als echte Anwältin für Kinder, Jugend und
tern? Werden sie dann kommunale Angestellte, Beschäf- Familie auftreten. Das sind Sie uns schuldig geblieben.
tigte?
Schönen Dank.
Ich fordere Sie auf: Legen Sie noch vor Abschluss der
Haushaltsberatungen ein Nachhaltigkeitskonzept vor! (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Stimmen Sie das mit den Ländern und den kommunalen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6213

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der (C)
Nächste Rednerin die die Kollegin Miriam Gruß für CDU/CSU)
die FDP-Fraktion. Das sind die drei wesentlichen Merkmale unserer Regie-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten rungsarbeit und der Arbeit unserer Fraktionen.
der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Miriam Gruß (FDP):
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Frau Präsi- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
dentin! Ich habe mir die Debatte jetzt eine ganze Weile Frau Kollegin, darf ich Sie unterbrechen? Frau
angehört und muss feststellen: Wir sind bei diesem The- Dörner würde gern eine Zwischenfrage stellen.
menfeld auch dafür zuständig, Politikverdrossenheit ab-
zubauen. Wenn ich mir die vielen jungen Menschen an-
Miriam Gruß (FDP):
schaue, die hier auf den Besuchertribünen sitzen, dann
muss ich an dieser Stelle sagen: Wir haben in der bisheri- Nein, ich bin gerade so in Fahrt; tut mir leid.
gen Debatte keinen Beitrag dazu geleistet, dass die Poli- (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
tikverdrossenheit etwas weniger wird. Denn hier wird NEN]: Oh! – Sönke Rix [SPD]: Vielen Dank
nur unehrlich argumentiert, falsche Tatsachen werden für den fachlichen Beitrag!)
auf den Tisch gelegt, und es findet einfach nur Verdum-
mung statt, statt Tatsachen zu benennen und über sie zu – Ja, gerne. – Ich finde es schon wichtig, dass in dieser
diskutieren. Debatte die großen Linien der Politik aufgezeigt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Wider- (Zuruf von der SPD: Sie sind ja gerade dabei!)
spruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Man nutzt ja die Haushaltswoche dazu, die Daten und
DIE GRÜNEN) Fakten auf den Tisch zu legen, aber auch darüber zu re-
Von daher bin ich dafür, dass wir die Debatte jetzt etwas den, wo es hingehen soll, was gemacht worden ist und
versachlichen und uns auf die Fakten konzentrieren. wo die Schwerpunkte in der Zukunft gesetzt werden sol-
len.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Zu den Themen Kinder und Jugend. Beim Thema
der CDU/CSU – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/
Kinder stehen für uns nach wie vor Schutz und Chancen
DIE GRÜNEN]: Das sind doch nur Sprechbla-
an erster Stelle. Zum Thema Kinderschutz werden wir
sen von Ihnen!)
(B) ein Kinderförderungsgesetz auf den Weg bringen. Natür- (D)
Da sich die SPD gerade so aufregt, möchte ich sagen: lich werden wir auch die Ergebnisse der runden Kinder-
Ich habe gestern bei der Debatte sehr wohl zugehört. tische präsentieren. Beim Thema Chancen – das hat Herr
Sigmar Gabriel, Ihr Vorsitzender, ist als Erzengel Toncar schon ausgeführt – stellen wir die Finanzierung
Gabriel aufgesprungen, letzten Endes aber wie viele von vom Kopf auf die Füße und denken zunächst einmal da-
Ihnen als Wolf im Schafspelz gelandet. ran, das Geld dann zu investieren, wenn es dringend not-
wendig ist und wenn wir es auch so investieren können,
(Widerspruch bei der SPD, der LINKEN und dass es sich später mehrfach auszahlt. Ein Beispiel ist
dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) die Initiative zur frühkindlichen Bildung.
Denn das, was Sie machen, ist nichts anderes, als mit Auch zum Thema Jugendliche sollten Sie sich meine
dem Scheckbuch durch die Lande zu ziehen – schauen Reden aus den letzten Jahren ansehen. Es war mir immer
Sie sich doch an, wie Sie es in Nordrhein-Westfalen ma- ganz wichtig, zu sagen, dass wir eine eigenständige Ju-
chen! – und den jungen Leuten zu sagen: Wir verteilen gendpolitik brauchen; Kai Gehring wird das bestätigen.
jetzt Geld. – Aber dieses Scheckbuch ist nicht gedeckt. Daran halten wir weiterhin fest. Auch über die Inhalte
Vielmehr bedeutet es eine Hypothek für die nächsten des Kinder- und Jugendplans muss im Rahmen der Spar-
Generationen. maßnahmen diskutiert werden. Da komme ich zum Aus-
Wir machen das Gegenteil. Wir stellen einen Haushalt gangspunkt zurück.
auf, der treffsicher ist; das ist wichtig. Wir stellen einen (Zuruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/
Haushalt auf, der gegen Umverteilung ist: Wir nehmen DIE GRÜNEN])
den Leuten nicht erst etwas weg, um es dann wieder
großgönnerhaft auszugeben. Herr Schwanitz, schauen Wir wollen treffsicher arbeiten. Deswegen muss man
Sie sich einmal meine Reden zum Thema „linke Tasche/ sich auch in diesem Bereich anschauen, ob etwas funk-
rechte Tasche“ an; das können viele von Ihren Kollegin- tioniert oder nicht. Aber eine eigenständige Jugendpoli-
nen und Kollegen schon fast nicht mehr hören. Das wa- tik ist selbstverständlich.
ren unsere Themen; wir haben das immer wieder gesagt. Als FDP-Fraktion und als Koalitionsfraktion werden
(Widerspruch bei der SPD und dem BÜND- wir darauf achten, dass die Partizipation und die Chan-
NIS 90/DIE GRÜNEN) cen von Jugendlichen in Zukunft in den Vordergrund
gestellt werden. Im Übrigen – ich bin auch Mitglied im
Wir stellen einen Haushalt auf, der generationengerecht Ausschuss für Arbeit und Soziales – muss man einmal
ist. sehen, wo das verankert wird. Chancen von Jugendli-
6214 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Miriam Gruß
(A) chen sind hauptsächlich im Ministerium für Arbeit und als noch vor ein paar Jahren. Deshalb ist es richtig, weiter (C)
Soziales verankert, aber nicht im Familienministerium. mutig voranzuschreiten.
Dennoch bin ich davon überzeugt, dass es wichtig ist,
dass das Familienministerium und auch wir als Koali- Ein Thema, das in letzter Zeit viel Beachtung gefun-
tionsfraktionen dies entsprechend begleiten. den hat, ist das Thema Integration. Ich bin überzeugt,
dass wir von familienpolitischer Seite noch einen wichti-
Zum Thema Familie. Es hat sich nichts daran geän- gen Debattenbeitrag jenseits der Paragrafendiskussion
dert: Familien brauchen Zeit, Geld und Infrastruktur. leisten können. Ich ermuntere zumindest dazu und freue
Beim Thema Familienzeit – Frau Fischbach hat schon mich auf anregende Diskussionen in diesem Hause.
darauf hingewiesen – diskutieren wir nicht nur über die
Familienpflegezeit, sondern auch über Zeit für Familien, Vielen Dank.
für Mütter wie Väter, die sich Zeit nehmen wollen, für (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
die Familie da zu sein. Ich bin fest davon überzeugt, dass Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
wir keine Gesetze brauchen, sondern dass wir beispiels- GRÜNEN]: Wo war die Sachlichkeit? – Sönke
weise im Rahmen des Audits „Beruf & Familie“ einen Rix [SPD]: Das ist die neue Sachlichkeit und
verstärkten Fokus auf die Zeit legen können. Dabei geht die neue Einigkeit!)
es um die Anerkennung dieses Labels durch die Unter-
nehmen. Das wird im Übrigen schon sehr gut angenom-
men. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Die Kollegin Diana Golze von der Fraktion Die Linke
ist nun die nächste Rednerin.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kollegin, es gibt den Wunsch des Kollegen (Beifall bei der LINKEN)
Gehrcke nach einer Zwischenfrage.
Diana Golze (DIE LINKE):
Miriam Gruß (FDP): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
Nein, jetzt nicht. Ich weiß, dass die Kurzintervention nen und Kollegen! Ich muss zunächst einmal etwas zur
sowieso kommt. Das ist jetzt auch wurscht. Ruhe kommen. Nach diesem doch sehr selbstkritischen
Zum Thema Geld. Es geht um Geld für Familien. Wir und aufrüttelnden Beitrag meiner Kollegin Gruß möchte
treten dafür ein, dass Geld nicht erst weggenommen, ich dieser Debatte etwas Sachliches hinzufügen.
dann umverteilt und gönnerhaft ausgegeben werden soll. (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie
Vielmehr sollten wir schauen, wie wir das Geld treffsi- bei Abgeordneten der SPD und des BÜND-
(B) cher investieren. NISSES 90/DIE GRÜNEN) (D)
Damit komme ich zum Thema Elterngeld. Ich ver- Sehr geehrte Frau Ministerin, am 15. September
hehle nicht und stehe nach wie vor dazu, dass ich zum konnte ich der Märkischen Allgemeinen entnehmen, dass
Thema Elterngeld andere Vorschläge hatte. Meine Vor- Sie besorgt zur Kenntnis nehmen, „dass die soziale Spal-
schläge werde ich auch wieder einbringen, und dann tung in der jungen Generation immer weiter zunimmt“.
werden wir darüber diskutieren. Wir befinden uns in der Es ist sicher gut, dass die Familienministerin die Situa-
ersten Haushaltsberatung. tion eines viel zu großen Teils der in Deutschland leben-
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: den Jugendlichen endlich zur Kenntnis nimmt. Es ist
Thema Betreuungsgeld!) auch gut, dass sie deren Situation besorgt stimmt. Ich be-
zweifle aber, dass dies den Jugendlichen in irgendeiner
Ich mache auch keinen Hehl daraus, dass ich keine Ver- Art und Weise helfen wird; denn sonst sähe der Haus-
fechterin des Betreuungsgeldes bin. Das können Sie im haltsentwurf des Familienministeriums grundsätzlich an-
Protokoll der vergangenen Sitzung nachlesen. ders aus.
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
Sie regieren doch jetzt!) neten der SPD)
Lesen Sie sich im Übrigen den Koalitionsvertrag einmal
Die einzelnen Haushaltstitel sprechen eine deutliche
genau durch. Außerdem haben wir jetzt nicht das Jahr
Sprache. Frau Ministerin, Sie klopfen sich dafür auf die
2013, sondern das Jahr 2010, und jetzt beraten wir den
Schulter, dass der Kinder- und Jugendplan um gut
Haushalt für das Jahr 2011. An dieser Stelle sollten Sie
2 Millionen Euro aufgestockt wurde. Sie verschweigen
deshalb einfach einmal ruhig sein.
jedoch, dass diese 2 Millionen Euro nicht einmal im An-
Nun zum Thema Infrastruktur. An dieser Stelle ein satz das wiedergutmachen, was in den vergangenen Jah-
herzliches Dankeschön an Sie, liebe Frau Ministerin, dass ren beim Kinder- und Jugendplan weggenommen wurde.
– es ist schon mehrfach gesagt worden, aber noch nicht Doch genau die Folgen dieser Kürzungen sind die Ursa-
von jedem; deswegen sage ich es gern noch einmal – am che für das, was Ihnen bei der Vorstellung der Shell-Ju-
Ausbau der Betreuungsplätze nicht gerüttelt wird, und gendstudie die Sorgenfalten auf die Stirn getrieben hat.
zwar nicht nur bis 2013. Alles, was da in Gang gesetzt Es sind die Kürzungen bei der Jugendsozialarbeit, bei
wird, funktioniert natürlich auch und wird mit Sicherheit den Hilfen zur Erziehung sowie bei der allgemeinen,
von den Kommunen und den Ländern übernommen. Die politischen und kulturellen Bildung. Es sind also Kür-
Kommunen und Länder sind jetzt schon sehr viel weiter zungen an den Stellen, durch die die steigende soziale
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6215
Diana Golze
(A) Spaltung in der jungen Generation aufgefangen werden Für einige Jahre gibt es ein paar Euro Trostpflaster, und (C)
müsste. dann heißt es: Jetzt seht selbst zu, wie es weitergeht.
Frau Schröder, wenn Sie etwas zur Kenntnis nehmen (Miriam Gruß [FDP]: Hier haben wir aber
könnten, dann ist es die Tatsache, dass Sie über Ihren Etat keine Bundeszuständigkeit!)
konkret etwas an der Situation der Kinder und Jugendli-
chen verbessern könnten, wenn Sie es denn wollten, so Dann landet auch diese Aufgabe bei den Kommunen.
zum Beispiel, dass man in den Städten und Gemeinden Auch das ist eine unehrliche Haushaltspolitik.
gut ausgestattete Jugendeinrichtungen vorfindet. Sie (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
können dafür sorgen, dass Kinder und Jugendliche die um- neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
fassenden Angebote wie Jugendsozialarbeiter oder Bera- GRÜNEN)
tungsstellen auch an ihrer Schule und in ihrem Wohnort
vorfinden. Ich weiß, dass Sie die Verantwortung dafür Glauben Sie ernsthaft, dass Sie die Probleme in die-
gerne auf die Kommunen schieben möchten. Ich weiß sem Bereich durch solche Modellprojekte lösen können?
auch, dass Sie diese Aufgaben an die Kommunen dele- Glauben Sie ernsthaft, dass Sie dem Mangel an qualifi-
giert haben. Jetzt ist es Ihre Aufgabe, diesen Aufgaben ziertem Personal, der auf über 100 000 Stellen beziffert
auch die für ihre Erfüllung notwendigen Mittel folgen zu wird, mit 4 000 Schwerpunktkitas begegnen können? Ich
lassen. Ansonsten ist diese Politik unehrlich. glaube das nicht.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Dann ma-
NIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Caren chen Sie also lieber gar nichts?)
Marks [SPD]) Sie müssen endlich so handeln, wie es die Linke, andere
Nächstes Thema: Kitaausbau. Frau Schröder, Sie las- Fraktionen in diesem Hause und viele Sozialverbände
sen sich dafür loben, dass Sie sich an Recht und Gesetz von Ihnen fordern. Sie müssen mehr Geld investieren
halten. und über das Ziel, 35 Prozent der unter Dreijährigen bis
2013 einen Betreuungsplatz anzubieten, nachdenken.
(Caren Marks [SPD]: Ja!) Das ist eine Forderung, die auch außerhalb dieses Hau-
Sie lassen sich dafür loben, dass beim Kitaausbau nicht ses erhoben wird. Ich fordere Sie auf, dieser Forderung
gespart wird. Das Kinderförderungsgesetz ist in diesem endlich nachzukommen.
Hause verabschiedet worden. Das Sondervermögen ist (Beifall bei der LINKEN)
mit Ländern und Kommunen vereinbart worden. Davon
kann man sich nicht einfach verabschieden. Dafür wol- Zum Elterngeld. Es ist heute schon mehrfach ange-
(B) len Sie sich auch noch loben lassen? Wenn es bei der sprochen worden: Kinderarmut ist immer auch Familien- (D)
Bundesregierung schon so weit ist, dass man sich dafür armut. Aber Sie bekämpfen Familienarmut, indem Sie
loben lassen muss, dann spricht das eine deutliche Spra- arme Familien bekämpfen. Das ist für mich ziemlich un-
che. logisch. Denn während eine nicht erwerbstätige Hausfrau,
die Frau eines Spitzenverdieners, 3 600 Euro Mindest-
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- elterngeld bekommt, werden einer langzeiterwerbslosen
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Frau 3 600 Euro weggenommen, und das mit der Be-
GRÜNEN) gründung, dies sei eine Lohnersatzleistung. Na prima!
Ebenfalls bei der Lektüre meiner Zeitung habe ich er- Die eine Frau will nicht arbeiten, die andere Frau kann
fahren – Sie haben das heute selbst gesagt –, dass Sie für nicht arbeiten, aber beide werden ungleich behandelt.
bestimmte Pilotprojekte mehr Geld in den Haushalt ein- Diese Ungleichbehandlung ist zutiefst sozial ungerecht.
stellen werden. Sie sprachen von 400 Millionen Euro, die (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem
Sie im Bereich der frühkindlichen Bildung für Schwer- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingrid
punktkitas bereitstellen wollen. Da ich selbst kommunale Fischbach [CDU/CSU]: Wer bekommt denn
Abgeordnete bin, weiß ich, dass die Kommunen in diesem zum Beispiel die Erstausstattung bezahlt?)
Bereich jeden Cent zusammenkratzen, um die Kinder
möglichst früh zu fördern und Fehlbedarfen möglichst Die ALG-II-Beziehenden bekamen schon bei der Ein-
früh entgegenzuwirken. Die von Ihnen vorgesehenen führung des Elterngeldes durch die Halbierung der Be-
400 Millionen Euro sind auf vier Jahre angelegt. Ich kann zugsdauer die erste massive Kürzung zu spüren. Nun
mir schon vorstellen: Die Entscheidung, welche Kitas zu nehmen Sie diesen Familien auch noch den letzten ver-
den Glücklichen gehören, welche also zu Modellkitas bliebenen Anspruch. Dafür werden Sie unsere Zustim-
werden, geht bestimmt aus wie das Hornberger Schießen. mung auf keinen Fall bekommen.
(Caren Marks [SPD]: Ja!) (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das gehört
zur Demokratie dazu!)
Was passiert danach mit diesen Kitas?
Auch die von Ihnen angekündigten Sonderregelungen
(Miriam Gruß [FDP]: Haben Sie hier denn gar
für Aufstocker liegen immer noch nicht vor; sie sind
keine Zuständigkeit? Sie regieren in den Län-
heute schon eingefordert worden. Wenn Sie gemeinsam
dern doch auch!)
mit Ihrer Kollegin so schnell eine Bildungskarte vor-
– Frau Gruß, was passiert danach mit diesen Kitas? Es schlagen können, dann können Sie uns doch wohl auch
wird so ausgehen wie bei den Mehrgenerationenhäusern. sagen, wie Sie sich die geplanten Sonderregelungen vor-
6216 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Diana Golze
(A) stellen: Wollen Sie den Aufstockern das Elterngeld las- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C)
sen oder nicht? und bei der LINKEN)
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das haben wir doch Die Extremismustheorie hat auch obrigkeitsstaatliche
schon gesagt! Hören Sie doch mal zu!) Züge. Überspitzt formuliert: Weil dem Staat eine demo-
Wollen Sie fördern, dass die Menschen arbeiten gehen, kratische Verfassung zugrunde liegt, ist gemäß dieser Lo-
oder nicht? Machen Sie hierzu Vorschläge! Hören Sie gik auch jedes staatliche Handeln gut. – Kritik am Staat
auf, nur anzukündigen! Tun Sie endlich etwas! gerät also schnell unter Generalverdacht, extremistisch
zu sein, weil die Differenzierung zwischen dem konkre-
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- ten staatlichen Handeln, das nicht zwingend demokra-
neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN tisch sein muss, und der zugrunde liegenden demokrati-
und des Abg. Sönke Rix [SPD]) schen Verfassung nicht mehr vorgenommen wird.
Ich fordere Sie auf: Nehmen Sie die Planungen zum Ab wann handelt ein Mensch extremistisch? Die Bun-
sogenannten Sparpaket – ich sage viel lieber und treffen- desregierung antwortete darauf im Rahmen der Antwort
der: Kürzungspaket – vom Sommer zurück! Lassen Sie auf eine Kleine Anfrage zu den politischen Dimensio-
diejenigen die Zeche für die Krise zahlen, die sie verur- nen:
sacht haben, nämlich die Banken und die Spekulanten,
und holen Sie sich das Geld nicht bei denen, die eh Wesentliche Aktionsfelder von Linksextremisten
schon nichts mehr haben! sind Antirepression, Antimilitarismus und Antifa-
schismus.
Vielen Dank.
Wenn dies als linksextrem diffamiert wird, dann stellt
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- sich die Frage: Was ist mit den Initiativen gegen Rechts-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE extremismus? Sie geraten doch schnell unter General-
GRÜNEN) verdacht.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Bündnis 90/Die Grünen stehen auf der Seite von zi-
Nächste Rednerin ist die Kollegin Monika Lazar für vilgesellschaftlichen Initiativen, die sich vor Ort mutig
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. und engagiert Rassisten und Antisemiten entgegenstel-
len. Solche Menschen sind für uns keine Störenfriede,
sondern Verteidiger unserer Demokratie.
Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
(B) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (D)
Mit vielen Förderansätzen im Einzelplan 17 wird das sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
Anliegen verfolgt, das Zusammenleben unserer Gesell- KEN)
schaft zu verbessern. Ein Programm heißt „Maßnahmen
zur Stärkung von Vielfalt, Toleranz und Demokratie“. Wir fordern die Bundesregierung auf, für solche Projekte
29 Millionen Euro will die Bundesregierung ab 2011 einen eigenen Fördertitel mit Mitteln gegen Rassismus,
jährlich dafür ausgeben. Antisemitismus und gruppenbezogene Menschenfeind-
lichkeit bereitzustellen – ohne eine Ausweitung auf die
(Florian Toncar [FDP]: Mehr als bisher!) sogenannten weiteren Extremismusformen.
Bündnis 90/Die Grünen begrüßen alle Aktivitäten für Welche Blüten die Diskussionen um Extremismus
mehr Vielfalt, Toleranz und Demokratie. Doch wenn treiben können, haben wir in der letzten Haushaltsde-
man sich das Programm im Einzelnen anschaut, sieht batte am Beispiel der sächsischen Kleinstadt Limbach-
man, dass man sehr kritisch darauf eingehen muss. Oberfrohna diskutiert. Der eine oder andere wird sich er-
Das Programm ist ein Sammeltopf, aus dem Maßnah- innern. Heute nenne ich ein anderes absurdes Beispiel.
men gegen Extremismen aller Art gefördert werden. In der ebenfalls sächsischen Kleinstadt Delitzsch bean-
tragte der NPD-Stadtrat seine Aufnahme in den örtlichen
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das ist ja auch Arbeitskreis gegen Extremismus mit der Begründung, er
gut!) sei auch gegen Extremismus und Gewalt und spreche
sich auch gegen Fremdenfeindlichkeit aus, die es nicht
Das heißt für das Ministerium: Rechtsextremismus, gäbe, wenn nicht Millionen fremder Menschen aus ihrer
Linksextremismus und islamischer Extremismus. Heimat gelockt und als entwurzelte Arbeitsnomaden
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Ja, sehr richtig!) nach Deutschland geschleust werden würden. – Man
darf den Neonazis mit diesen Begriffen doch kein
Die Bundesregierung geht davon aus, dass es eine Mitte Podium bieten.
der Gesellschaft und als Gegenstück extreme Ränder
gibt, an denen sich Menschen tummeln, die unsere De- Wichtig ist bei der Programmgestaltung außerdem,
mokratie abschaffen wollen. Wer sich allerdings die Stu- dass die Träger ein solides eigenständiges Antragsrecht
dien zu diesem Themenbereich anschaut, zum Beispiel beim Bund erhalten. Das gilt insbesondere für Projekte
der Professoren Heitmeyer, Brähler und Decker, der aus den Regionen, in denen die Kommunen selbst nicht
weiß: Diese These hält einer wissenschaftlichen Prüfung an einer Auseinandersetzung teilnehmen wollen oder
nicht stand. diese gar ablehnen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6217
Monika Lazar
(A) Besonders problematisch und ignorant ist es aber, dass Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen (C)
bei einem auf Extremismus orientierten Förderansatz und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir bera-
gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und ein wach- ten heute den Einzelplan 17; das haben wir heute schon
sender Rechtspopulismus in Teilen der sogenannten ge- gehört.
sellschaftlichen Mitte ausgeblendet werden.
(Sönke Rix [SPD]: Echt?)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie der Abg. Caren Marks [SPD]) – Man merkt das Erstaunen in der Opposition; sie ist
aufgewacht. – Der Einzelplan 17 umfasst gut 6,4 Mil-
Wir müssen uns doch fragen, wieso etwa Thilo Sarrazin liarden Euro. Damit liegen wir leider Gottes über
mit seinen kruden Thesen so viel Sympathie in der Be- 100 Millionen Euro unter dem Niveau des Vorjahres. Es
völkerung erntet. ist schon mehrfach angesprochen worden – das gehört
Aber auch jenseits dieser aufgeheizten Debatte zeigt zur Ehrlichkeit dieser Koalition –, dass dies zwar
sich in verschiedenen Studien seit Jahren Zustimmung schmerzlich, aber für uns unvermeidbar ist.
zu rassistischen Aussagen. So werden häufig pauschali- (Christine Lambrecht [SPD]: Schmerzlich ist
sierende Thesen in Bezug auf Migranten bejaht. Es ist diese Regierung!)
zwar zutreffend, dass sich ein geringer Teil der Muslime
in Deutschland der notwendigen Integration verweigert Natürlich ist es immer schöner, noch eins draufzusatteln.
oder sich schwer damit tut. Wem gefällt das nicht? Welchem Politiker gefällt es
nicht, zu Hause lieber ein Band durchzuschneiden, statt
(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das darf man ein „Geschlossen“-Schild hinzuhängen?
aber als Grüne nicht sagen! – Gegenruf des
Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
NEN]: Das tut sie doch gerade!)
– Weil Sie gerade Bayern erwähnen, Herr Kollege: In
Diesem Problem muss man sich natürlich widmen. Al- Bayern legen wir sogar einen ausgeglichenen Haushalt
lerdings kann man sich nicht darauf beschränken, das vor.
auf die Religionszugehörigkeit zurückzuführen. Es fehlt
eine fundierte Definition, was die Bundesregierung und Da uns die Zukunft so am Herzen liegt, versuchen
das Ministerium überhaupt unter Islamismus verstehen. wir, einen zukunftsgerichteten Haushalt aufzustellen.
Hier wäre die Frage angebracht, welche politischen, so-
zialen und kulturellen Faktoren es braucht, um aus ei- (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
nem Menschen einen sogenannten Islamisten zu ma- GRÜNEN]: Auf Atommüllbergen können
(B) chen. Wenn es keine differenzierte Analyse hierzu gibt, auch keine Kinder spielen!) (D)
kann die Bundesförderung gegen Islamismus leicht von Für mich wäre es wünschenswert – auch Ihnen sollte das
neonazistischen Gruppen als Bestätigung für ihre ethno- in Ihrem Alter wünschenswert erscheinen –, dass man
pluralistische Ideologie gebraucht werden – ein Beispiel einen Haushalt aufstellt, der keine Schulden auf Kosten
habe ich vorhin genannt – und so kontraproduktiv wir- der nachfolgenden Generationen macht. Ich möchte das
ken. nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU)
und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
der SPD) Jeder weiß, wie schwer wir es bei der Wirtschafts-
Sie verstehen es wahrscheinlich noch immer nicht. und Finanzkrise hatten. Trotzdem ist es uns gelungen,
Wie so häufig kann ich nur sagen: Noch besteht Zeit, die die Neuverschuldung um fast 8 Milliarden Euro zu sen-
Bundesprogramme zu ändern. Ich fordere Sie hiermit ken. Aber wir stellen uns nicht hin und sagen: Wir spa-
nochmals auf: Verbessern Sie die Ausgestaltung der ren 8 Milliarden Euro. – Nein, wir sagen: Wir machen
Bundesprogramme! trotzdem noch über 50 Milliarden Euro Schulden. Das
ist ein Zustand, der nicht hinzunehmen ist – auch das ge-
Danke. hört zur Ehrlichkeit –; denn die Schulden, die wir heute
machen, müssen unsere Kinder und Kindeskinder mit
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Zins und Zinseszins zurückzahlen. Diese Verantwortung
bei der SPD und der LINKEN) möchte ich nicht übernehmen. Ich möchte später von
meiner jetzt vierjährigen Tochter nicht gefragt werden:
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: „Du warst damals im Bundestag. Warum habt ihr nur
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun die Kollegin ausgegeben, ausgegeben, ausgegeben?“,
Dorothee Bär das Wort.
(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Ja, genau!
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Vollkommen richtig! – Katja Dörner [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Atommüll pro-
Dorothee Bär (CDU/CSU): duziert!)
Kommen wir einmal zum Haushalt zurück; denn wie wenn sie einmal alt ist und mich fragt, wie das war.
vielleicht nicht jeder weiß, haben wir heute Haushaltsbe-
ratungen. (Beifall bei der CDU/CSU)
6218 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Dorothee Bär
(A) Dann werde ich mich nicht dafür rechtfertigen, dass die (Diana Golze [DIE LINKE]: Also auch die (C)
Opposition unsinnige Vorschläge ohne Ende gemacht Millionärsgattin!)
hat. Wir stehen zu der Haushaltskonsolidierungspolitik.
Frau Präsidentin, ich finde es hervorragend, dass wir
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: jetzt diese großen Bildschirme haben. Vielleicht kann
Was ist mit der Hotellerie?) man sie später nicht nur für unsere Namen nutzen, son-
dern auch einmal an die Wand werfen, wie dieser Haus-
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Ausschuss, halt ausschaut. Wenn man sich nämlich den Haushalt
ich betrachte unseren Ausschuss nicht nur als Ausschuss ansehen würde – der Sozialstaatssekretär ist gerade an-
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Man kann es wesend – dann könnten auch diejenigen, die ihn unsozial
auch kürzer fassen: Wir sind der Ausschuss für Genera- nennen, sehen, wie sozial er ist. Weit über die Hälfte des
tionengerechtigkeit. Haushaltes ist für Sozialausgaben vorgesehen. Davon
profitieren auch Kinder und Jugendliche.
(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Das darf aber keine Sprechblase sein!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP)
Wer das nicht kapiert hat, lernt es hoffentlich noch. An-
sonsten tut es mir sehr leid. Weil mehrfach nachgefragt, es aber offensichtlich
nicht kapiert wurde, richte ich die nächste Bemerkung an
Natürlich tun diese Einschnitte weh. Hier schreit doch Frau Dörner und Frau Golze – durch ständiges Wieder-
niemand: Juhu, wir dürfen jetzt etwas kürzen. – Es ist holen verstehen es vielleicht die einen oder anderen doch –:
auch eine Unverfrorenheit, das der Ministerin vorzuwer- Ich freue mich ganz besonders, dass wir es erreicht ha-
fen. Aber es wäre doch verlogen, wenn die jüngste ben, dass das Elterngeld für Aufstocker auch künftig
Ministerin im Kabinett sagen würde, dass bei ihr nicht nicht gekürzt wird und es für Minijobber bei der bisheri-
gespart werden dürfe. Natürlich muss auch sie ihren Bei- gen Regelung bleibt.
trag dazu leisten. (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Wo steht denn das?)
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Immer bei den Armen! – Katja – Ich sage Ihnen das, und auch Frau Gruß hat es Ihnen
Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau gesagt. Man kann das zwar in Zweifel ziehen; aber ich
Schavan musste nicht kürzen!) finde, Frau Dörner, zur Politik gehört auch ein bisschen
gegenseitiges Vertrauen.
Wir unterstützen sie dabei.
(B) (Zurufe von der SPD und der LINKEN: Oh (D)
Wir haben uns vorgenommen, das Elterngeld weiter- nein!)
zuentwickeln. Kollegin Gruß und ich haben hervorra-
gende Ideen, um es noch besser an die Bedürfnisse jun- – Wenn ich mit Misstrauen darangehe, dann werde ich
ger Eltern anzupassen. Wir werden diese Pläne nicht nie etwas in der Welt verändern.
aufgeben, sondern versuchen, sie aufgrund der Haus- Wir haben dafür gekämpft, und wir werden es auch
haltslage zurückzustellen. Wir ducken uns nicht weg, durchsetzen. Das werden wir nach dieser Debatte sehen,
sondern wir sprechen es offensiv an. Das merken Sie wenn wir zur zweiten und dritten Beratung kommen.
auch daran, dass sich heute kein Redner der Regierungs-
koalition vor diesem Thema weggeduckt hat, sondern
dass es ganz offen angesprochen wurde. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kollegin, darf ich Sie unterbrechen? Ich habe
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zwei Wortmeldungen zu einer Zwischenfrage.

Für die Zuhörer hier oder außerhalb ist Folgendes


Dorothee Bär (CDU/CSU):
vielleicht ganz interessant: Wenn man sich die Reden an-
hört, dann merkt man ganz klar, wie unterschiedlich un- Frau Dörner hat schon gesprochen, aber Herr Gehring
ser Menschenbild ist. noch nicht. Deswegen darf er eine Zwischenfrage stel-
len.
(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
– Die Wahrheit tut weh. Hören Sie einmal zu! – Wir ha- Herr Gehring wird vorgezogen.
ben ein christliches Menschenbild. Wir sagen: Der
Mensch hat eine Selbstverantwortung; Dorothee Bär (CDU/CSU):
Nein, er wird nicht vorgezogen. Nur er darf seine
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zwischenfrage stellen, weil Frau Dörner schon genug
Super!) Redezeit hatte.
jeder hat erst einmal für sich selbst zu sorgen. Wir müs-
sen uns um diejenigen kümmern, die eine Leistung für Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
die Gesamtbevölkerung bringen. Ich habe schon verstanden. – Herr Gehring.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6219

(A) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ich möchte noch auf eine sehr wichtige Zahl einge- (C)
Zu Ihrem absurden Verständnis von Sparen und Ge- hen, die man nicht oft genug wiederholen kann. Im Etat
nerationengerechtigkeit möchte ich Sie nichts fragen. des Familienministeriums sind zusätzliche Mittel in
Ich finde, das sprach für sich. Höhe von 82 Millionen Euro zur Förderung von Modell-
projekten der Sprach- und Integrationsförderung ein-
Um zum Thema dieser Debatte zurückzukommen: Es gestellt. Auch das hat Frau Golze kritisiert und bemän-
gibt einen Bereich, in dem Sie frei werdende Mittel um- gelt, dass die Mittel nicht ausreichen und auf bestimmte
verteilen können, nämlich den Umbau des Zivildiens- Bereiche beschränkt seien.
tes. Ich hätte gerne an irgendeiner Stelle eine Aussage
der Koalition gehört. Wir sind schließlich als Bundes- (Diana Golze [DIE LINKE]: Das war schon
tagsabgeordnete Haushaltsgesetzgeber. Die Ministerin etwas deutlicher!)
hat nichts dazu gesagt. Was wird aus den frei werdenden Wenn wir etwas tun, dann passt Ihnen das nicht; wenn
Zivildienstmitteln? Wie viel davon werden Sie in den nichts getan wird, passt es Ihnen auch nicht. Konstruk-
künftigen Haushalten für die längst überfällige Offen- tive Politik sieht meines Erachtens anders aus.
sive beim Ausbau der Freiwilligendienste nutzen? Das
wäre zum Beispiel ein Thema, das die Menschen interes- (Diana Golze [DIE LINKE]: Ich habe schon
sieren würde, weil die ganze Bundesrepublik darüber etwas konstruktiver gesprochen!)
diskutiert, was nach Wehrpflicht und Zivildienst kommt. – Das haben Sie leider nicht. Sie haben eben nicht aner-
Das wäre vielleicht ein Beitrag gegen die Politikverdros- kannt, dass wir unterstrichen haben, wie wichtig die
senheit. Was Sie bisher abgeliefert haben, macht es Sprachförderung ist, und zwar in jedem einzelnen Be-
schwierig. Bei den Ärmsten zu sparen, verstehe ich nicht reich.
als Generationengerechtigkeit.
Ich muss noch einmal auf den Kollegen Toncar zu-
rückkommen, weil man auch diese Zahl nicht oft genug
Dorothee Bär (CDU/CSU): wiederholen kann: Wir investieren mit einem Aufwuchs
Herr Kollege Gehring, auch das gehört zu unserer von 12 Milliarden Euro in Bildung und Forschung. Ge-
ehrlichen Politik. Herr Toncar hat es bereits angespro- rade die Bildungspolitik, in die so viel Geld fließt, ist
chen: Wir sind mitten in den Beratungen über Wehr- eine aktive Politik für Kinder, Familien und die Zukunft.
pflicht und Zivildienst, und es wäre unehrlich, heute zu Ich wünsche mir, dass Sie das alles mehr anerkennen.
sagen, in welche Richtung die Diskussion laufen wird. Die nachfolgenden Generationen werden uns unsere
Wir haben doch gerade erst damit begonnen. ehrliche Politik danken. Sie können später die Be-
(Miriam Gruß [FDP]: So ist es!) schwerden Ihrer Kinder und Enkelkinder entgegenneh-
(B) (D)
men, weil Sie diejenigen sind, die schon jetzt das Geld
Zur Ehrlichkeit gehört auch, dass wir für den Fall X, für ihre Zukunft ausgeben wollten. Wir machen das
falls die Aussetzung oder Abschaffung der Wehrpflicht nicht. Deswegen sind wir zu Recht die Politiker der Ge-
oder was auch immer zustande kommt, gerüstet sind. nerationengerechtigkeit.
Wir hätten auch sagen können: Wir warten erst einmal
Danke schön.
ab, bis etwas passiert. Aber das tun wir nicht, sondern
wir beschäftigen uns mit der Frage. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Was wollen Sie denn?)
Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Caren
Wie Sie wissen, müssen wir, weil die Freiwilligen- Marks.
dienste bei den Ländern angesiedelt sind, gemeinsam (Beifall bei der SPD)
mit den Ländern zu einer Lösung kommen; wir können
nicht alleine auf Bundesebene entscheiden. Deswegen
müssen Bund und Länder gemeinsam klären, ob wir ei- Caren Marks (SPD):
nen freiwilligen Zivildienst oder mittelfristig einen ein- Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
zigen Freiwilligendienst bundesweit einführen. Das wird Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Jahr 2010 ist das
alles in die Verhandlungen eingebracht werden. Es ist Europäische Jahr zur Bekämpfung von Armut und sozia-
wieder einmal symptomatisch, dass Sie jetzt schon Geld ler Ausgrenzung. Der von Ihnen vorgelegte Haushalts-
ausgeben wollen, obwohl die Mittel noch nicht frei ge- entwurf, Frau Ministerin, ist allerdings das genaue Ge-
worden sind. genteil. Seine Maßnahmen sind auf Ausgrenzung
gerichtet. Er wird vor allem – das haben wir heute schon
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: mehrfach gehört – für Familien zusätzliche Armut be-
Umverteilen!) deuten.
Das tun wir nicht. Lassen Sie sich überraschen, was wir Hört man Ihnen und den anderen Kolleginnen und
noch alles in petto haben. Kollegen von Union und FDP zu, dann wird einem sehr
deutlich: Sie leben in einer Parallelwelt. Das schwarz-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kai gelbe Kürzungspaket – dreisterweise von einigen auch
Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist Zukunftspaket genannt – verheißt Familien in Deutsch-
das eine Drohung?) land alles andere als eine gute Zukunft. Haben Sie, Frau
6220 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Caren Marks
(A) Schröder, anfangs noch vollmundig angekündigt, das ersatzrate beim Elterngeldbezug von 67 auf 65 Prozent (C)
Elterngeld auszuweiten, soll es nun ganz anders kom- gesenkt werden. Bei einem Nettoeinkommen in Höhe
men. In vorauseilendem Gehorsam haben Sie dem Fi- von 1 500 Euro führen die Kürzungen immerhin zu Ein-
nanzminister Kürzungsvorschläge unterbreitet. bußen in Höhe von circa 360 Euro pro Jahr. Falls das für
Sie, Frau Ministerin, Peanuts sind: Das sind die Kosten
(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Das zeugt zum Beispiel für Kinderwagen und die Erstlingsausstat-
von großer Verantwortung!) tung für ein Baby. Für Hausfrauen mit gut verdienendem
Brav, wird der Minister wahrscheinlich zu Ihnen gesagt Partner hingegen – darauf wurde schon hingewiesen –
haben. Die Verbesserungsvorschläge zum Elterngeld? bleibt das Mindestelterngeld erhalten. Genauso bleibt
Schnee von gestern, passé, stattdessen massive Kürzun- der Höchstsatz von 1 800 Euro für Gutverdienende un-
gen! Familien im Hartz-IV-Bezug streichen Sie künftig angetastet. Ich sage dazu: Das ist ein sehr merkwürdiges
das komplette Mindestelterngeld in Höhe von 300 Euro Verständnis von sozialer Ausgewogenheit. Frau
im Monat. Ob Sie das anrechnen oder streichen, ist egal. Schröder, Sie müssen sich die Frage stellen lassen: Wa-
Das ist nichts anderes als eine perfide Differenzierung. rum vertreten Sie als Familienministerin eigentlich nicht
Die Betroffenen werden jedenfalls keinen Euro bekom- die Interessen aller Familien, sondern ausschließlich der
men. Ihre Begründung, Arbeitsanreize müssten erhalten Familien, denen es ohnehin am besten geht?
bleiben – und das in einer Familienphase, bei der es sich (Beifall bei der SPD und der LINKEN)
nach unserer gemeinsamen Auffassung um eine Erzie-
hungsphase handelt, in der es um die Kleinsten geht –, Die SPD lehnt diese Kürzungen beim Elterngeld ab.
ist mehr als zynisch. Das ist arrogant und lebensfremd, Sie sind gesellschaftspolitisch falsch. Falsch ist auch,
Frau Ministerin. dass Sie sich immer noch nicht vom unsinnigen Betreu-
ungsgeld verabschiedet haben, das Kinder von Bildung
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ fern hält. Das ist ein Indiz dafür, dass Sie es mit der Inte-
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der gration, die am besten bei den Kleinsten gelingt, nicht
LINKEN) wirklich ernst meinen.
Rund 130 000 Familien werden von dieser Streichung Frau Ministerin, auch beim Betreuungsausbau von
des Elterngeldes – um nichts anderes handelt es sich – Krippenplätzen sollten Sie endlich in der Realität der
betroffen sein, darunter 47 000 Alleinerziehende; das Familien ankommen. Der Betreuungsausbau muss
sind vor allem Frauen. Sie und Ihre Frau Kollegin Ar- schneller vorankommen. Eltern haben ein Recht auf gute
beits- und Sozialministerin reden zwar immer großspu- Angebote für ihre Kinder, damit die Vereinbarkeit von
rig davon, dass Alleinerziehende besonders unterstützt Beruf und Familie besser gelingt. Werden Sie endlich tä-
(B) werden. Man merkt es aber nicht. Außerdem soll das El- tig, und zwar gemeinsam mit Ländern und Kommunen. (D)
terngeld beim Kinderzuschlag vollständig als Einkom- Bereits beschlossenes Geld nicht infrage zu stellen und
men angerechnet werden. Die betroffenen Familien zah- sich dafür feiern zu lassen, das ist definitiv ein bisschen
len die Zeche für die Krise, die sie definitiv nicht zu wenig.
verursacht haben.
Und: Kinder haben ein Recht auf Bildung und Teil-
(Beifall bei der SPD) habe. Wir warten auf den Vorschlag zur Umsetzung des
Für die SPD ist es eine Frage der sozialen Gerechtig- Bundesverfassungsgerichtsurteils zu den Regelsätzen.
keit, dass der Staat mit dem Elterngeld die Erziehungs- Bisher ist die Diskussion zum Chipkartenvorschlag nur
leistung aller Eltern anerkennt. Wir wollen Eltern bei der ein Ablenkungsmanöver von der Leyens. Von Ihnen hört
Erziehung unterstützen, und wir wollen, dass alle Kinder man auch dazu sehr wenig. Hören konnten wir aller-
gleich gute Startchancen haben. dings, dass Sie die gute Arbeit der Mehrgenerationen-
häuser ins Leere laufen lassen. Sie haben es versäumt,
(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Sie haben das Er- gemeinsam mit Ländern, Kommunen und Trägern nach
ziehungsgeld abgeschafft! So ein Blödsinn!) einer tragfähigen Finanzierung zu suchen. Auch Genera-
tionensolidarität ist für Sie nur ein Schlagwort.
Frau Fischbach, Familien mit kleinen Kindern haben be-
sondere Anforderungen zu meistern, und zwar alle Fa- Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der
milien. Wenn noch niedriges Einkommen oder sogar Union, Sie führen das Wort „christlich“ im Namen Ihrer
Erwerbslosigkeit hinzukommen, dann geraten diese Fa- Partei. Frau Bär hat es noch einmal betont. In Ihren
milien schnell an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Unge- Sonntagsreden und Grußworten betonen Sie die Bedeu-
achtet dessen kürzen Sie von Union und FDP bei denen, tung von Familie und die Notwendigkeit ihres Schutzes.
die definitiv ohnehin am wenigsten haben. Viele Kinder
werden deshalb künftig von Geburt an zusätzlich be- (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das ist auch
nachteiligt sein. Das ist alles andere als sozial ausgewo- richtig!)
gen und angemessen. Ihre reale Politik spricht dagegen eine ganz andere Spra-
che.
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Nein!)
GRÜNEN)
Okay, von der FDP war nichts anderes zu erwarten. Gern
Doch damit nicht genug. Das sozialdemokratische sprechen Union und FDP immer wieder davon, dass
Projekt Elterngeld wird weiter rasiert. So soll die Lohn- Kinder unsere Zukunft sind. Ja, das sind sie auch. Liebe
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6221
Caren Marks
(A) Kolleginnen und Kollegen, erst einmal sind Kinder aber sich eben nicht – jetzt kommen wir zur Legendenbildung – (C)
unsere Gegenwart. Sie brauchen jetzt, hier und heute, in aus Kürzungen im Familienbereich, sondern zum Groß-
der Gegenwart unsere Unterstützung. teil aus der Verkürzung des Zivildienstes sowie aus An-
passungen, die wir beim Elterngeld richtigerweise vor-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nehmen. Wir geben damit immer noch mehr Geld für
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Familien aus, als es die rot-grüne Koalition in ihrer Re-
Darum haben die Kinder – und zwar alle – eine bessere gierungszeit je getan hat. Das zeugt von großer Klugheit
Regierung und eine Ministerin verdient, die ihr Amt hier im Hause.
ernst nimmt, um für Kinder und für Familien zu streiten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Herzlichen Dank.
Lassen Sie mich zu den Änderungen beim Elterngeld
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem kommen, gerade um der Legendenbildung vorzubeugen.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Arbeitende Eltern, die für die Kindererziehung ihren Job
und damit ihr Einkommen aufgeben, bekommen als Er-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: satzleistung das Elterngeld. Hartz-IV-Empfänger hinge-
Nächster Redner ist der Kollege Andreas Mattfeldt gen erhalten, wenn sie ein Kind bekommen, wie bisher
für die CDU/CSU-Fraktion. in voller Höhe ihre durch den Steuerzahler erarbeitete
Hartz-IV-Leistung, sprich: ihr Einkommen. Natürlich
(Beifall bei der CDU/CSU) werden auch Neugeborene bei den Sozialleistungen be-
rücksichtigt. Bislang hat dieser Personenkreis – hier lag
Andreas Mattfeldt (CDU/CSU): ein großer Fehler im System – zusätzlich zu den Hartz-IV-
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Leistungen, dem Einkommen, noch als Bonbon das El-
Ministerin! Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen und terngeld obendrauf bekommen.
vor allen Dingen sehr verehrte Gäste hier im Reichstag! (Caren Marks [SPD]: Was heißt „als Bonbon“? –
Wir hören es in jeder Rede: Die Haushaltsberatungen Bettina Hagedorn [SPD]: „Bonbon“? – Wei-
stehen unter dem besonderen Diktat der Einhaltung der tere Zurufe von der SPD)
von allen beschlossenen Schuldenbremse. Genau des-
halb ist es wichtig, dass wir jetzt, in Zeiten guter wirt- Deshalb ist es richtig, dass das Elterngeld zukünftig auf
schaftlicher Entwicklung, entscheidungswillig sind, um den Regelsatz angerechnet wird. Die bisherige Praxis
unseren Haushalt zu sanieren. – da können Sie ruhig schreien – führte dazu, dass ein
Hartz-IV-Paar mit zwei Kindern, das für ein Kind Eltern-
Meine Damen und Herren, es war in der Krise völlig geld bezog, über ein Nettoeinkommen von insgesamt (D)
(B)
richtig, mehr neue Schulden zu machen, als uns eigent- 1 885 Euro verfügt. Auf solch eine Summe muss ein
lich lieb war. Damit haben wir Deutschland gestärkt aus normaler Arbeitnehmer erst einmal kommen. Wenn Sie
der Wirtschafts- und Finanzkrise herausgeführt. Aber von der Opposition meinen, immer von Gerechtigkeit
jetzt, da sich auch dank richtiger politischer Entschei- sprechen zu müssen,
dungen die Arbeitsmarkt- und die Wirtschaftsdaten posi-
tiv entwickeln und das Ausland vom deutschen Wunder (Diana Golze [DIE LINKE]: Sie machen es ja
spricht, müssen wir beginnen, den Haushalt zu konsoli- nicht!)
dieren. Jedes Ministerium muss hierzu seinen Beitrag
dann frage ich Sie: Was ist daran gerecht, dass diejeni-
leisten, auch das Familienministerium, über dessen Etat
gen, die dafür gesorgt haben, dass durch ihre Steuern So-
wir gerade sprechen.
zialleistungen gezahlt werden können, weniger als die
Unser früherer Bundespräsident Theodor Heuss hat Bevölkerungsschichten bekommen, die diese Leistung
seinerzeit zum Thema Sparen gesagt, Sparen sei die vielfach schon lange in Anspruch nehmen? Die Haltung,
richtige Mitte zwischen Geiz und Verschwendung. Ich die Sie vertreten, ist ungerecht gegenüber den Arbeiten-
meine, genau hiernach müssen wir handeln. Wir müssen den dieser Bevölkerung. Das sage ich ganz deutlich.
schauen, wo Geld verschwendet wird und wo Haushalts-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
mittel für Maßnahmen ausgegeben werden, die die Men-
schen nicht erreichen. Wir müssen uns aber genauso fra- Doch kommen wir nun zu dem Bereich, in den wir
gen, in welchen Bereichen Geiz unangebracht ist und wo mit gutem Grund erheblich mehr Geld investieren und
wir mehr Geld in die Bildung unserer Kinder investieren der wohl die bedeutendste Neuerung im Einzelplan 17
müssen. darstellt. Wir werden 2011 bis 2014 insgesamt 400 Mil-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lionen Euro in die Verbesserung frühkindlicher Bil-
dung investieren. Allein für 2011 sind hierfür 82 Millio-
Der Regierungsentwurf zum Etat des Familienminis- nen Euro vorgesehen. Gerade vor dem Hintergrund der
teriums schafft eine gute Balance zwischen Verschwen- aktuellen Integrationsdebatte halte ich es für einen äu-
dung und Geiz. An einigen Stellen wird gespart, an an- ßerst sinnvollen Schritt, Kinder ausländischer Herkunft,
deren Stellen wird mehr Geld ausgegeben. In diesem aber auch deutsche Kinder mit Sprachschwierigkeiten zu
Haushaltsentwurf der Regierung ist vorgesehen, insge- fördern. Sprache ist die Basis, um Kinder zu integrieren
samt 6,4 Milliarden Euro für den Einzelplan auszuge- und ihnen einen guten Start in den gesamten Bildungs-
ben, das sind 106 Millionen Euro weniger als im laufen- weg zu ermöglichen. Ich habe als Bürgermeister mit
den Haushalt für das Jahr 2010. Diese Einsparung ergibt einem Sprachförderprogramm ausschließlich positive Er-
6222 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Andreas Mattfeldt
(A) fahrungen gemacht. Dieses Sprachförderprogramm – das müssen, haben dann die Anschlusslösung mit einem frei- (C)
haben mir Erzieherinnen und Eltern gleichermaßen be- willigen Zivildienst erlebt, und jetzt geht es um den
stätigt – hat Erfolg gebracht. Deshalb unterstütze ich un- Wegfall des Zivildienstes, auch wenn die ersten Ideen
sere Familienministerin Kristina Schröder bei der Um- noch dahin gehen: Wir wollen ihn doch noch irgendwie
setzung ihrer Idee, Sprachförderung bundesweit in aufrechterhalten, zumindest als freiwilliges Element.
Kindergärten mit großem Förderbedarf einzuführen.
Wir sind uns alle einig, dass es zu Nachfolgelösungen
Hiermit setzt die Familienministerin neue Maßstäbe;
für den Zivildienst kommen muss. Ich glaube, jeder von
denn dieses Programm erreicht die Kinder direkt, es
uns hat die Einsicht gewonnen, was es bedeutet, wenn
setzt frühzeitig an und bietet damit Zukunft und Perspek-
die Zivildienststellen in den sozialen Einrichtungen weg-
tive.
brechen. Wir haben allerdings unterschiedliche Auffas-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sungen zur Lösung des Problems.
Damit wir aber auch zukünftig solche sinnvollen Pro- Die einen sagen: Es muss jetzt staatlich organisiert
jekte, die auch wirklich die Menschen erreichen, finan- werden, dass in den sozialen Einrichtungen junge Men-
zieren können, werde ich als zuständiger Haushälter jede schen ihren Dienst tun können. – Wir sagen: Es muss
einzelne Ausgabe dieses Etats auf den Prüfstand stellen bürgerschaftlich organisiert werden, dass junge Men-
und vor allem auf seine Wirksamkeit überprüfen. Es schen dort ihren Dienst tun können; denn die Freiwillig-
kann einfach nicht sein, dass wir in diesem Land Pro- keit ist dabei eines der wichtigsten Elemente.
jekte fördern, von denen die Familien noch nie etwas ge-
(Beifall bei der SPD)
hört haben. Es gibt in dem Einzelplan 17 unzählige Pro-
gramme, Projekte und Institute, die die Familienpolitik Deshalb lautet mein Appell an Sie für die kommenden
gerade in den Kommunen unterstützen sollen. Ich sage Gespräche und Verhandlungen: Setzen Sie in dieser Sa-
Ihnen ganz ehrlich: Ich habe von vielen Projekten und che möglichst wenig auf Staatlichkeit und möglichst viel
Instituten – zahlreichen ehemaligen Bürgermeisterkolle- auf gesellschaftliches Engagement!
ginnen und -kollegen geht es ähnlich – noch nie gehört,
sie sind mir noch nie begegnet. Deshalb müssen wir uns Es wird von dem sogenannten freiwilligen Zivildienst
wirklich fragen, ob die Finanzierung dieser zahllosen auf der einen Seite und den Jugendfreiwilligendiensten
Ausgabepositionen sinnvoll und zielführend ist oder ob auf der anderen Seite gesprochen. Suggeriert wird: Wir
es sich in der ein oder anderen Position nur um eine brauchen den freiwilligen Zivildienst; denn es sei nicht
Selbstbedienung – das sage ich jetzt ganz provokant – verfassungsgemäß, wie wir im Moment mit den Jugend-
gewisser Berufsgruppen aus dem Bundeshaushalt han- freiwilligendiensten umgingen. – Solche Dienste hat es
delt. aber die letzten Jahre durchaus gegeben, und ich hoffe
(B) nicht, dass wir uns im rechtsfreien Raum bewegt haben (D)
Ich freue mich auf die vor uns stehenden Haushalts- oder immer noch bewegen. Man hört immer wieder,
beratungen. Ich lade Sie herzlich ein, sachlich daran mit- auch heute hier: Wir müssen parallel in Jugendfreiwilli-
zuwirken. Ich bin sicher, dass wir am Ende der Beratun- gendienste investieren. – Wenn wir das weiterhin kön-
gen ein gutes Ergebnis vorlegen werden. nen, dann sollten wir dieses Modell als Grundlage für
Herzlichen Dank. eine Nachfolgeregelung für den Zivildienst nehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der SPD)
Gestern wurde uns im Ausschuss kurz berichtet: Wir
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: sind verteidigungspolitisch von Freunden umzingelt,
Das Wort hat nun für die SPD-Fraktion der Kollege und deshalb organisiert sich die Bundeswehr neu. – Das
Sönke Rix. ist auch richtig; das sehen die Sozialdemokraten ebenso.
Auch die Freiwilligendienste sind von Freunden umzin-
(Beifall bei der SPD) gelt. In jeder Rede und Sonntagsrede wird gesagt, dass
wir sie stärken und weiter ausbauen wollen. Deshalb
Sönke Rix (SPD): geht mein Appell dahin, die freiwerdenden Mittel zum
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und großen Teil in die Freiwilligendienste zu investieren und
Herren! Auch auf die Gefahr hin, dass ich mir von Frau nicht künstlich einen staatlichen Dienst aufrechtzuerhal-
Fischbach anhören muss, nicht ganz konkret nur zu die- ten.
sem Haushalt zu sprechen, sondern generell zur Familien-
(Beifall bei der SPD)
und Jugendpolitik – ich hoffe, das ist mir gestattet –,
möchte ich auf ein Thema eingehen, das vonseiten der Nur so fördern wir Engagement. „Engagement“ heißt
Oppositionskollegen schon öfter angemahnt wurde; von auch: Engagement für Demokratie. Da ist die Frage
der anderen Seite des Hauses haben wir dazu bis jetzt – das ist von der Kollegin Lazar, aber wiederum nicht
aber noch nichts gehört. Es geht um die große Debatte, von der Jugendministerin angesprochen worden –: Wie
die wir im Moment führen: Was passiert eigentlich mit gehen wir mit Demokratiefeindlichkeit um? Wir haben
dem Zivildienst? Dazu gibt es ein paar Gesprächskreise, in unserem Haushalt mehrere Millionen Euro zur Verfü-
ein paar Ideen, aber die Unsicherheit, die Sie bis jetzt gung, und das ist auch richtig so. Das haben wir unter
verbreitet haben, ist damit längst noch nicht ausgeräumt. Rot-Grün eingeführt. In der Großen Koalition haben wir
Diese Unsicherheit gilt es zu bekämpfen. Wir haben zu- als Sozialdemokraten für den Erhalt gekämpft, und auch
nächst die Verkürzung auf sechs Monate hinnehmen Sie tasten das nicht an. Wir haben aber eine Bitte. Die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6223
Sönke Rix
(A) unterschiedlichen Arten von Extremismus brauchen un- wahre Problem, das Sie unter Schwarz-Gelb erst einmal (C)
terschiedliche Programme. Schmeißen Sie das nicht in lösen müssen.
einen Topf, und schmeißen Sie das nicht in einen Haus-
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
halt!
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Erlauben Sie mir zum Abschluss noch eine Bemer- Zu diesem Einzelplan liegen keine weiteren Wortmel-
kung. Wer die gesamte Debatte verfolgt hat, kommt auf dungen mehr vor.
die Idee, dass es in der einen oder anderen Sache viel- Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
leicht Uneinigkeit bei Schwarz-Gelb gibt, etwa was das desministeriums der Justiz, Einzelplan 07.
Betreuungsgeld oder das Elterngeld angeht. Es wurde
immer wieder erwähnt, dass wir unterschiedliche Gesell- Ich erteile als erster Rednerin das Wort der Bundes-
schafts- und Familienbilder haben. Ich überlege immer, justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.
welches Familienbild Schwarz-Gelb antreibt (Beifall bei der FDP)
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Freiheit! Wahl-
möglichkeit! Wahlfreiheit!) Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:
oder welches Familienbild Sie antreibt, Frau Ministerin. Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-
Da gibt es die Idee der Pflegezeit. Es wird darauf geach- legen! Der Justizetat ist auch in diesem Jahr wieder das
tet, dass man möglichst zu Hause bleiben kann, um äl- Aushängeschild des Bundeshaushalts. Wir geben weniger
tere Angehörige zu pflegen. Dann soll es das Betreu- Geld aus – minus 0,5 Prozent –, wir nehmen mehr Geld
ungsgeld geben. Damit wird gefördert, dass Mütter oder ein – plus 1,2 Prozent –, und wir steigern damit unsere
Väter zu Hause bleiben können, um zu Hause zu erzie- Deckungsquote auf ein neues Rekordhoch von 85 Pro-
hen oder frühkindliche Bildung zu vermitteln. Für mich zent. Wenn man diese Zahlen zugrunde legt, dann kostet
steckt zum Teil folgendes Gesellschaftsbild dahinter: die Bundesjustiz den Bürger jährlich lediglich 89 Cent.
Die Frauen sollen zu Hause bleiben. Denen werden aber
dann entsprechende Jahre der Erwerbstätigkeit fehlen. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Es ist verkehrt, solche Modelle zu entwickeln, anstatt in NEN]: Die Bundesjustiz!)
die frühkindliche Bildung und in die Ausbildung von Er- – Natürlich nur die Bundesjustiz. Die Kosten der Län-
zieherinnen und Erziehern sowie von Pflegekräften zu derjustiz habe ich in diesen Betrag nicht eingerechnet.
(B) investieren. (D)
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Beifall bei der SPD) NEN]: Die ist teurer!)
Uns fehlen männliche Erzieher. Das betrifft auch Diese einmalige Haushaltsbilanz spiegelt sich aber
mich; denn ich habe diesen Beruf einmal gelernt. Ich auch in den bisher gefundenen Ergebnissen und unter-
könnte diesen Job gerne auch irgendwann wieder ma- breiteten Vorschlägen wider, die schon im Kabinett be-
chen, aber jetzt im Moment möchte ich mich politisch schlossen worden sind. In dem knappen Jahr seit Beginn
damit beschäftigen. Angesichts Ihrer, Frau Ministerin, in dieser Legislaturperiode ist eine Fülle von Vorhaben
einem Interview getätigten Äußerung, Sie fänden es gut, auf den Weg gebracht worden. Lassen Sie mich einige
wenn man Arbeitslose umschule, damit sie in Kindergär- Gesetzesvorhaben, weil es wichtige sind, hier kurz be-
ten arbeiten können, frage ich mich: Welches Bild haben nennen:
Sie eigentlich von dem, was die Erzieherinnen und Er-
zieher im Kindergarten leisten? Es ist doch nicht so, dass Das Vertrauensverhältnis zu den Anwälten wird bes-
man einmal eben jemanden umschulen und damit eine ser geschützt.
vier- bis fünfjährige Ausbildung nachholen kann, damit Die Pressefreiheit wird gestärkt, indem wir die Bei-
jemand in der Lage ist, Kinder zu betreuen. Es geht eben hilfe zur Verletzung eines Dienstgeheimnisses nicht
nicht nur um das Aufpassen auf Kinder, sondern es geht mehr unter Strafe stellen und damit das Einfallstor für
auch darum, dass frühkindliche Bildung stattfindet. strafrechtliche Ermittlungen geschlossen wird. Das ist
Dazu braucht es eine richtige Ausbildung. Hier müssen zwar keine Verpflichtung aus dem Cicero-Urteil, aber
Sie noch beträchtlich nachholen. wir wollten das tun.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Wir haben, noch die schrecklichen Bilder aus dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Fall Kevin vor Augen, eine Änderung des Vormund-
Ganz zum Schluss: Dass das Elterngeld aus Reihen schaftsrechts dahin gehend beschlossen, dass ein Vor-
der Union als „Bonbon“ bezeichnet wird, ist wirklich mund in Jugendämtern und anderen Einrichtungen nur
entlarvend 50 Kinder betreuen soll, weil von einem Vormund, der
230 Kinder zu betreuen hat, wie es im Fall Kevin war,
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten keine ausreichende Fürsorge geleistet werden kann.
der LINKEN)
Wir haben jetzt auch für die Restrukturierung der
und zeigt uns, dass weder von allen das System verstan- Banken – das war schon in der letzten Legislaturperiode
den wurde noch von allen so gewollt ist. Das ist das ein Thema, ohne dass das in einen Gesetzentwurf mün-
6224 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger


(A) dete – in gemeinsamer Federführung mit dem Finanz- Einen Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung (C)
ministerium Regelungen für ein Insolvenzverfahren un- werden Sie in dieser Zwischenbilanz nicht finden. Es
ter Einbeziehung der Gläubiger vorgeschlagen, damit gab ein Urteil, in dem ein Gesetz aus der letzten Legisla-
Fälle, wie wir sie jetzt noch immer im Zuge der Altlast turperiode für verfassungswidrig erklärt wurde. Zurzeit
HRE aus der letzten Legislaturperiode haben, künftig wird die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung eva-
möglichst verhindert werden. luiert. Die zuständigen Kommissarinnen sehen selbst die
Notwendigkeit, sich intensiv mit dieser Richtlinie zu be-
Wir haben natürlich auch die Insolvenzrechtsreform
fassen. Unser Handeln als Bundesgesetzgeber wird sich
auf unserer Agenda, liebe Kolleginnen und Kollegen,
strikt an die Ergebnisse der Prüfung durch die Europäi-
mit der wir das Ziel verfolgen, die Planverfahren zu ver-
sche Kommission anlehnen.
bessern und die Eigenverwaltung zu stärken. Der Ge-
setzentwurf befindet sich in der Abstimmung.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Wir beraten hier auch das Haushaltsbegleitgesetz. Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Deshalb bin froh, dass erreicht werden konnte, dass es Kollegen Ströbele?
das sogenannte Fiskusprivileg und die pauschale Bevor-
zugung der Sozialkassen nicht geben wird.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ministerin der Justiz:
Aber es sind Ersatzmöglichkeiten im Haushaltsbegleit- Ja, bitte.
gesetz vorgesehen, die gewisse Interessen des Staates
berücksichtigen. Ich denke dabei an § 55, „Sonstige Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Masseverbindlichkeiten“, und § 14 der Insolvenzord- NEN):
nung, die im Vorschlag zu einer grundlegenden Insol- Frau Ministerin, ich habe eine Frage zur Vorratsdaten-
venzrechtsreform enthalten sind. Wir haben bestimmt speicherung. Ihr Ministerium soll ein Gutachten in Auf-
noch ausreichend Gelegenheit, über bestimmte Punkte in trag gegeben haben – ich glaube, an das Max-Planck-In-
den Ausschüssen zu beraten. Wir müssen abwarten, zu stitut –, das Sie aber zurückgegeben haben, weil Sie mit
welchen Ergebnissen der Rechtsausschuss und das Par- dem Inhalt nicht einverstanden waren. Meine Fragen:
lament hierbei kommen. Zu anderen Punkten wie Mus- Gibt es ein solches Gutachten? Haben Sie ein solches
terbelehrungen bei Verbraucherdarlehen will ich keine Gutachten in Auftrag gegeben? Können Sie über den In-
weiteren Ausführungen machen. halt und über Ihre Kritik an dem Inhalt etwas sagen?
Ich möchte lediglich noch den Gesetzentwurf zum
(B) Schutz vor überlangen Gerichtsverfahren erwähnen. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes- (D)
Hierzu liegt ein Kabinettsbeschluss vor. Es ist ein Vorha- ministerin der Justiz:
ben, das schon viele Regierungen in den letzten zehn Herr Ströbele, erstens. Jawohl, es ist ein Gutachten
Jahren beschäftigt hat. Wir müssen hier etwas tun, weil bei Professor Albrecht vom Max-Planck-Institut in Auf-
uns der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte trag gegeben worden. Zweitens. Es geht überhaupt nicht
schon seit Jahren dazu auffordert. In einer Entscheidung darum, ob mir der Inhalt passt oder nicht. Drittens. Wenn
in einem jüngeren Verfahren hat er vor kurzem aus- wir Gelder für ein Gutachten ausgeben, habe ich darauf
drücklich begrüßt, dass die Bundesregierung gehandelt zu achten, dass der Auftrag vollständig erfüllt wird. Nur
hat. Es gibt die Möglichkeit einer Verfahrensrüge, mög- darum geht es. Die Ergebnisse werden dann natürlich
licherweise verbunden mit einer zu zahlenden Entschä- hier vorgetragen und insgesamt bewertet werden.
digung. Das ist mit den Ländern, den obersten Gerichten
Lassen Sie mich einen wichtigen weiteren Punkt er-
und auch dem Bundesverfassungsgericht im Vorfeld ab-
wähnen, ein Thema, das gerade in der Sommerpause
gestimmt. Die unternommenen Anläufe zeigen: Der Re-
nicht wenige intensiv beschäftigt hat, und zwar die Siche-
gierung ist es gelungen, hier zu einem Erfolg zu kom-
rungsverwahrung. In der Koalitionsvereinbarung haben
men. Sie haben jetzt die Möglichkeit zu einer intensiven
wir uns auf eine Neuordnung der Sicherungsverwahrung
Beratung im Rechtsausschuss.
verständigt, und zwar unabhängig davon, wie die – dann
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) rechtskräftig gewordene – Entscheidung des Europäi-
schen Gerichtshofs für Menschenrechte ausgefallen ist;
Beim Vorgehen gegen Kinderpornografie im Internet
denn wir sehen angesichts zahlreicher einzelner Gesetz-
verfolgen wir den Grundsatz „löschen statt sperren“. Wir
gebungen in den letzten elf Jahren die dringende Notwen-
sehen deutlich, dass es eine schrittweise Zunahme der
digkeit, hier ein in sich möglichst widerspruchsfreies
Erfolge gibt. Unsere Anstrengungen sollen mit aller
Konzept für die Zukunft zu erstellen. Sicherungsverwah-
Macht intensiviert werden. Nach unserer Überzeugung
rung heißt ja, auf der einen Seite das zu tun, was rechts-
ist es natürlich das Allerwichtigste, dass diese widerli-
staatlich verantwortbar ist, um die Allgemeinheit vor ge-
chen Inhalte tatsächlich aus dem Netz verschwinden.
fährlichen verurteilten Tätern auch nach Haftverbüßung
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) zu schützen, und auf der anderen Seite natürlich alles zu
tun, um die rechtsstaatlichen Grundsätze zu beachten.
Auch Überlegungen, wie man an die Täter herankommt,
stehen ganz klar in unserem Fokus. Wir müssen prüfen, Wenn jemand seine Strafe verbüßt hat, gilt zunächst
ob es da an irgendeiner Stelle noch Verbesserungsmög- der Grundsatz, dass er dann auch entlassen wird, sodass
lichkeiten gibt. die Möglichkeit, jemanden dann weiter in Verwahrung
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6225
Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
(A) zu nehmen – natürlich immer mit Überprüfung und mit Doch ich habe mittlerweile Zweifel daran, dass dieses (C)
Begutachtung –, ganz strikter Vorgaben bedarf. Deshalb aus unserer Sicht vernünftige Konzept zumindest in die-
wollen wir für die Zukunft – die Eckpunkte sind vom sem Bereich tatsächlich mit Leben erfüllt wird. Auch der
Kabinett beschlossen worden – ganz klar die primäre ursprüngliche Entwurf sah – außer dem Vorschlag, eine
und vorbehaltene Sicherungsverwahrung stärken, und Fußfessel einzuführen – noch keine Regel bezüglich der
wir wollen die Sicherungsverwahrung generell auf Ge- Altfälle vor. Das ist eigentlich keine Fessel, sondern eine
waltdelikte konzentrieren; denn genau da liegen dann Möglichkeit, Straftäter zu orten. Auch da war es so, wie
auch die Probleme und Gefährdungen für die Allgemein- man es aus den Reihen der Koalition kennt – man ist es
heit, für das Wohl des Einzelnen. schon gewohnt, dass es in dem Moment, in dem endlich
etwas vorliegt, munter losgeht –: Einerseits gab es von
Zum Zweiten – das hat die Debatte natürlich bewegt – Frau Voßhoff Zustimmung zu dem Vorschlag; nach ihrer
haben wir uns darauf verständigt, im Rahmen dessen, was Meinung macht eine Fußfessel Sinn; andererseits hält es
auf Bundesebene nach der Entscheidung des Bundesver- Herr Bosbach für Unsinn. Die Positionen gingen da
fassungsgerichts 2004 überhaupt kompetenzrechtlich querbeet durcheinander.
möglich ist, auf der Grundlage von Artikel 5 e der Euro-
päischen Menschenrechtskonvention in einem rechts- Es gab weitere Vorschläge, wie man mit Altfällen um-
staatlichen Konzept die Unterbringung von psychisch gehen sollte, also mit Menschen, die jetzt zum Teil ent-
Gestörten in schwerwiegenden Fällen zu ermöglichen. lassen werden müssen. Beispielsweise gab es den Vor-
An der Umsetzung arbeiten wir derzeit. Ich denke, es ist schlag des bayerischen Innenministers Herrmann von
mit den Maßnahmen zur Führungsaufsicht ein Gesamt- der CSU, einen Internetpranger einzuführen. Die Kol-
konzept, das der rechtsstaatlichen Verantwortung, aber legen Geis und Grindel hielten das zumindest für diskus-
auch unserem Auftrag Rechnung trägt. sionswürdig; andere fanden es völlig absurd. Ich will da-
mit nur aufzeigen, was für ein Chaos bei solch einem
Ich bedanke mich für die Geduld. wichtigen Thema ausgebrochen ist, bei dem die Bürgerin-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) nen und Bürger ein sehr hohes Sicherheitsbedürfnis ha-
ben. Deswegen bin ich sehr zurückhaltend bei der Frage,
ob das, was Sie jetzt vorgestellt haben, tatsächlich von
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Erfolg gekrönt sein wird.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Christine Lambrecht
für die SPD-Fraktion. Ich habe meine Bedenken nicht nur, weil ich Ihnen
von der Koalition momentan – aus Ihrer Sicht wahr-
(Beifall bei der SPD) scheinlich völlig unbegründet, aus unserer schon be-
(B) gründet – kaum zutraue, dass Sie zu einem Ergebnis (D)
kommen, sondern auch wegen einiger sachlicher Punkte,
Christine Lambrecht (SPD):
die ich einmal beleuchten möchte.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Frau Ministerin, ich Frau Ministerin, Sie haben angesprochen, dass Sie für
kann genau da weitermachen, wo Sie aufgehört haben. psychisch gestörte Täter eine Art der Unterbringung
Ich glaube, das Thema „Zukunft der Sicherungsverwah- nach der Strafhaft schaffen wollen. Unser Strafrecht
rung“ muss mit noch mehr Inhalt gefüllt werden, als Sie kennt den Begriff des psychisch Kranken. Wenn jemand
es gerade getan haben. Aber ich möchte gleich sagen: psychisch krank ist, kommt er schon heute nicht in Straf-
Als in diesem Sommer deutlich wurde, dass hier so lang- haft, sondern sofort in die Psychiatrie; das regelt schon
sam etwas getan wird, nachdem das Urteil bereits letztes heute das StGB. Jetzt kreieren Sie einen neuen Begriff:
Jahr im Dezember gefasst worden ist, hat Ihnen die psychisch gestört. Damit wollen Sie ein bisschen das
SPD-Fraktion frühzeitig eine konstruktive Zusammenar- umgehen, was Ihnen vom Europäischen Gerichtshof für
beit angeboten, damit wir in diesem Bereich zu einem Menschenrechte vorgegeben wurde. Uns fehlt da die
Ergebnis kommen, das dann auch sachgerecht umgesetzt klare Ansage: Was ist denn bitte mit „psychisch gestört“
werden kann. gemeint? Jetzt kann man es natürlich so verstehen: Jeder,
der ein grausames Gewaltverbrechen begeht, muss irgend-
Ich kann an dieser Stelle auch sagen: Wir begrüßen wie gestört, also nicht normal sein. Ich glaube aber, das
ausdrücklich, dass nach den Eckpunkten, die Sie angespro- wäre ein bisschen zu weit gegriffen. Ich kann nur sagen:
chen haben, die Sicherungsverwahrung auf Gewalt- und Wir erwarten eine deutlichere Ansage dazu, was konkret
auf Sexualverbrechen begrenzt sein soll. Darauf sollte es mit dem Begriff gemeint ist, damit wir mitreden können.
dann auch beschränkt bleiben. Die Bevölkerung hat kein
Interesse daran, vor Betrügern oder vor Dieben durch Si- Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen, bei dem
cherungsverwahrung geschützt zu werden; durch allge- wir dringend mehr Informationen brauchen: Wie soll die
meines Strafrecht natürlich schon, damit nicht ein fal- Unterbringung ausgestaltet sein? Das ist genau der
scher Eindruck entsteht. Die Sicherungsverwahrung ist in Punkt, der uns vor die Füße gefallen ist: In der Regel
diesen Bereichen, glaube ich, der absolut falsche Weg. ging es für diejenigen, die in Sicherungsverwahrung un-
Deswegen begrüße ich ausdrücklich, dass Sie das auf tergebracht wurden, quasi mit der Haft weiter; für sie
diese Bereiche beschränken wollen. Das wird ebenso un- waren keine neuen Umstände gegeben. Da kann ich Ih-
sere Unterstützung erfahren wie die Abschaffung der nen nur raten: Schauen Sie sich einmal an, was beispiels-
nachträglichen Sicherungsverwahrung, um stattdessen weise Rheinland-Pfalz hier unternimmt. Das Land – mit
die vorbehaltene Sicherungsverwahrung auszubauen. dem Ministerpräsidenten Kurt Beck und dem zuständi-
6226 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Christine Lambrecht
(A) gen Justizminister Bamberger – ist da schon einen sich haben Sie bis heute nichts vorgelegt. Sie haben es (C)
Schritt weiter: Es plant gerade den Bau einer entspre- großmütig angekündigt, aber bis heute liegt nichts vor.
chenden Unterkunft in Diez. Da wird schon jetzt – quasi Wenn Sie ernsthaft an das Problem herangehen wollen,
vorauseilend – versucht, entsprechende Möglichkeiten kann ich Sie nur auffordern: Machen Sie Vorschläge!
der Unterbringung zu schaffen. Vielleicht ist das einmal Wir werden bereit sein, konstruktiv mitzuarbeiten. Nur:
eine Reise wert; ich kann Ihnen das nur empfehlen. Tun Sie endlich was!
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: An- (Beifall bei der SPD)
scheinend wie beim Nürburgring!)
Ich habe den Eindruck, Sie sind gar nicht gewillt, et-
– Was dem Kollegen dazu einfällt, lassen wir jetzt ein- was zu tun. Das muss ich ehrlich sagen.
mal weg.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Der ist
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage es Ihnen falsch, eindeutig falsch!)
noch einmal: Hier geht es um ein ganz wichtiges Thema.
Ich kann Ihnen im Namen der SPD-Fraktion bei all den Deswegen möchte ich zum Schluss ein Thema anspre-
Fragestellungen, die sich ergeben, den Bedenken, ob das chen, bei dem man auf den ersten Blick den Eindruck
Ganze verfassungs- und europarechtlich konform ausge- haben könnte, dass es gar nichts mit der Haushaltsde-
staltet werden kann, eine konstruktive Zusammenarbeit batte zum Bereich Justiz zu tun hat, aber nur auf den ers-
anbieten. Das ist kein Persilschein; uns ist nicht egal, ten Blick. Es geht um die Vereinbarung zum Atomaus-
was Sie uns vorlegen. Wir werden aber konstruktiv mit- stieg, den sogenannten Geheimvertrag, der so geheim
arbeiten. Das kann ich Ihnen zusagen. Dafür brauchen nicht mehr ist.
wir jetzt endlich einen Gesetzesentwurf, nicht nur Eck- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was?
punkte und Diskussionsentwürfe. Es eilt: Wir brauchen Das hat wirklich nichts mit Justiz zu tun!)
eine Regelung, bevor alle Alttäter entlassen sind.
– Ja, darauf komme ich gleich zu sprechen. Auch Sie
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) werden es verstehen, wenn ich ein paar Sätze dazu ge-
Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen: die sagt habe, Herr Grosse-Brömer.
Frage des Sorgerechts. Auch hier gibt es ein Urteil aus In einem Geheimvertrag zwischen Vertretern von
Europa und vom Bundesverfassungsgericht. Wir müssen Energieversorgungsunternehmen und einem Vertreter
die elterliche Sorge bei nichtehelichen Eltern neu regeln. der Bundesregierung – der zuständige Minister ist es
Es kann nicht weiterhin so sein, dass Vätern das gemein- nicht, sondern es ist ein Staatssekretär – morgens um
same Sorgerecht versagt wird und die Mutter allein da- 4.30 Uhr –
(B) rüber entscheidet. Auch da möchte ich Sie dringend bit- (D)
ten: Legen Sie etwas vor! Das, was da momentan wabert (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sie ha-
– ob es eine Regellösung oder eine Antragslösung gibt –, ben früher angefangen!)
ist nicht sonderlich konkret und nicht geeignet, um sich das ist in deutscher Gründlichkeit auf diesem Vertrag so-
damit zu beschäftigen. gar vermerkt – wurde vereinbart, dass Laufzeiten für
(Beifall bei der SPD) Atomkraftwerke verlängert werden und dass auf Steuer-
zahlungen verzichtet wird, wenn die Betreiber die ge-
Ich kann für uns sagen: Wir favorisieren eine An- setzlich auferlegte Pflicht, Sicherheitsstandards einzu-
tragslösung. Wir glauben nämlich, es wäre sachgerecht, halten, erfüllen und die Kosten die Steuerlast über-
dass ein Vater, der sich um sein Kind kümmert, Unter- steigen. Ich frage Sie in Ihrer Funktion als Rechtspoliti-
halt zahlt und tatsächlich ein Umgangsrecht wahrnimmt ker, als Juristen, als Parlamentarier: Lassen Sie sich so
– also das umsetzt, was man unter elterlicher Sorge ver- etwas allen Ernstes gefallen? Ich kenne Sie eigentlich
steht –, ein Recht darauf hat, die gemeinsame elterliche ganz anders. Bei Ihnen können selbst die letzten Hinter-
Sorge übertragen zu bekommen. Insofern gibt es eine bänkler vor Kraft manchmal nicht mehr laufen.
klare Ansage von uns: Wir favorisieren eine Antragslö-
sung. Wir werden auch hier sehr konstruktiv mit Ihnen (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die
zusammenarbeiten. gibt es nicht!)
(Beifall bei der SPD) Zwischenrufe werden einfach so hereingeblökt, aber in
einer solchen Frage sitzen Sie stumm da, genau wie jetzt,
Aber auch hier fehlt es an einem konkreten Vorschlag.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sollen wir
Lassen Sie mich einen weiteren Punkt ansprechen, bei dazwischenrufen oder nicht? Was jetzt?)
dem etwas fehlt. Sie haben in der Koalitionsvereinba-
rung angekündigt, dass Sie etwas gegen Mietnomaden und lassen sich einfach von der Regierung Ihr höchstes
tun wollen. Der erste Vorschlag, der gemacht wurde, Recht nehmen. Sie lassen sich kastrieren und sitzen da
war: Wir verändern die Kündigungsfristen. Als ob das wie die Lämmer.
gegen Mietnomaden auch nur im Geringsten etwas nüt- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Vor-
zen würde! Der Vorschlag ist offensichtlich vom Tisch. sicht!)
Sie haben in der Deutschen Richterzeitung erklärt, dass
Sie das nicht infrage stellen wollten. Einige aus der Ko- Ich kann Ihnen nur sagen: Wachen Sie endlich auf und
alition sahen das anders. Gegen die Mietnomaden an nehmen Sie Ihre Verantwortung wahr!
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6227
Christine Lambrecht
(A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des liberalen Rechtspolitik zur Debatte. Im Koalitionsver- (C)
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) trag haben wir die Überschrift für unsere Themenfelder
genannt: Freiheit und Sicherheit durch Bürgerrechte und
Gerade wir als Rechtspolitiker – der Vorsitzende des
starken Staat. Ich finde, das ist für die Themen der
Rechtsausschusses ist anwesend – haben die Pflicht, alle
Rechtspolitik eine sehr gute Überschrift. Dass nach ei-
Gesetze auf Rechtmäßigkeit und Verfassungsgemäßheit
nem Jahr – um mit der Sprache der Haushälter zu spre-
zu überprüfen.
chen – Soll und Haben in diesem Bereich noch nicht
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ge- ausgeglichen ist, erwarten Sie auch nicht; das ist gar
nau!) keine Frage. Wir haben aber schon einiges auf den Weg
gebracht, einiges auch schon verabschiedet – die Minis-
Diese Möglichkeit wird uns dadurch genommen, dass
terin hat einiges davon genannt –: EU-Geldgesetz, Di-
der Verzicht auf Steuern am Parlament vorbei vereinbart
vergenzvorlage. Das wissen Sie.
wurde. Wo leben wir denn?
Auch wenn das nicht unbedingt ein typisches rechts-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des
politisches Thema ist, möchte ich hier doch erwähnen,
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
dass sich der Gesetzentwurf zur SED-Opfer-Pension in
Die Überprüfung ist unsere herausragende Pflicht als der parlamentarischen Beratung befindet. Die wird bald
Parlament. Es kann doch nicht wahr sein, dass man sich abgeschlossen sein. Ich sagte bereits, dass das kein typi-
so etwas entziehen lässt. Wachen Sie endlich auf, wer- sches rechtspolitisches Thema ist. Es ist uns zur Feder-
den Sie wieder zu den selbstbewussten Parlamentariern, führung zugewiesen worden. Ich finde aber schon, dass
die Sie eigentlich sind. man das im Jahr 20 nach der Wiedervereinigung hier er-
wähnen darf. Es geht dabei um die Verbesserung der
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Rot-
SED-Opfer-Bezüge. Daran arbeiten wir. Wir treffen uns
Grün hat auch einen Vertrag geschlossen! Wo
in einer großen Berichterstatterrunde des Rechtsaus-
ist da der Unterschied?)
schusses. Ich hoffe dabei auf Ihre aktive und intensive
Lassen Sie sich nicht rasieren. Sie werden sonst viel Zeit Mithilfe. Ich denke, im Jahr 20 nach der Wende darf man
vor Gerichten verbringen müssen, um solche Vereinba- auch beim Thema Rechtspolitik erwähnen, dass dies ein
rungen zu vertreten. Das ist sicherlich nicht im Sinne ei- gutes und sinnvolles Unterfangen ist.
ner sinnvollen Haushaltsführung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vielen Dank.
Zu den umfangreicheren rechtspolitischen Gesetzes-
(Beifall bei der SPD) vorhaben gehört – die Ministerin hat es erwähnt – die
(B) Reform des Insolvenzrechts. Schon vor der Sommer- (D)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: pause wurde ein Diskussionsentwurf des BMJ dazu ver-
Die Kollegin Andrea Voßhoff hat jetzt das Wort für sandt. Unabhängig von den Detailproblemen, auf die die
die CDU/CSU-Fraktion. Ministerin hingewiesen hat, wurde er in der Fachwelt
durchaus sehr positiv bewertet. Wir wollen damit die
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Chancen für die Sanierung von Unternehmen in der
Krise verbessern. Die Bundeskanzlerin hat formuliert:
Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU): Wir wollen, dass Deutschland stärker aus der schwersten
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle- Finanz- und Wirtschaftskrise seit 80 Jahren heraus-
gen! Frau Lambrecht, Sie haben eingangs zum Thema kommt, als es vorher war. Die christlich-liberalen
Sicherungsverwahrung unter anderem gesagt, dass die Rechtspolitiker werden mit der Reform des Insolvenz-
Koalition unterschiedliche Vorschläge gemacht habe. Ich rechts dazu einen guten Beitrag leisten.
habe im Zuge der Diskussion irgendwo gelesen, dass
In diesem Zusammenhang muss man selbstverständ-
Herr Montag gesagt habe, man habe 2004 der nachträgli-
lich auch das vom Kabinett beschlossene Bankenre-
chen Sicherungsverwahrung nur zugestimmt, weil sonst
strukturierungsgesetz nennen. Wir wollen sicherstel-
die Koalition geplatzt wäre. Also, so ganz unstreitig
len, dass Bankinstitute weit unterhalb der Schwelle der
dürfte das unter Rot-Grün auch nicht gewesen sein.
Enteignung in einem geordneten Verfahren frühzeitig sa-
(Christine Lambrecht [SPD]: Bei Ihnen ist es niert werden können. Hier werden Finanz- und Rechts-
die eigene Partei!) politiker der Koalition sehr intensiv zusammenarbeiten.
Auch das ist eine rechts- und finanzpolitische Antwort
Zu dem Thema, das Sie zum Schluss angesprochen
der christlich-liberalen Koalition auf die Banken- und
haben. Die Koalition ist mehr als wach. Nach meinem
Finanzkrise.
Kenntnisstand gab es auch bei Ihnen damals Nebenver-
einbarungen. Wenn Sie die jetzt kritisierten Nebenver- Frau Kollegin Lambrecht, Sie erwähnten die Neure-
einbarungen rechtsförmlich zu beanstanden haben, dann gelung des Sorgerechts für nichteheliche Kinder. Es ist
können Sie das jederzeit gerne tun. richtig, dass der EGMR, kürzlich aber auch das Bundes-
verfassungsgericht uns dazu aufgefordert haben, die
(Beifall bei der CDU/CSU – Christine Lambrecht
Rechte der Väter auf den Erwerb der gemeinschaftlichen
[SPD]: Da gab es ein Gesetz!)
Sorge zu stärken. Das werden wir auch tun. Es ist rich-
Meine Damen und Herren, mit der ersten Lesung zum tig, dass unterschiedliche Modelle in der Diskussion
Einzeletat Justiz steht auch das erste Jahr der christlich- sind. Auch Sie wissen, dass die Diskussion darüber nicht
6228 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Andrea Astrid Voßhoff


(A) einfach ist. Sie können aber sicher sein, dass wir in ab- denn die Bürger auf der Straße fragen uns. Sie verstehen (C)
sehbarer Zeit einen guten Vorschlag vorlegen werden, nicht, was das soll, dass jemand, der nach wie vor als ge-
über den wir dann gemeinsam diskutieren können. Viel- fährlich gilt, rund um die Uhr von 20 Polizisten über-
leicht können wir dann auch Sie davon überzeugen. wacht werden muss.
Ein sehr wichtiges Unterfangen, der Gesetzentwurf (Christine Lambrecht [SPD]: Dann tun Sie et-
bezüglich der Entschädigung bei überlangen Gerichts- was! Was?)
verfahren, ist von der Ministerin schon genannt worden.
– Ja, natürlich, wir sind dabei; das haben Sie vorhin mit-
Wir werden in Kürze aber auch eine Verschärfung der bekommen. – Der Bürger verliert das Vertrauen in den
Strafbarkeitsvorschriften in Bezug auf Gewalt gegen Rechtsstaat, wenn wir nicht zumindest versuchen, eine
Polizeibeamte auf den Weg bringen. Polizeibeamte, Antwort zu finden. Die Union kämpft da um jeden Milli-
aber auch Rettungskräfte sehen sich bei ihrer Arbeit im- meter.
mer dreisteren Angriffen Dritter ausgesetzt, auf die eine
angemessene Reaktion des Staates erforderlich ist. Die (Christine Lambrecht [SPD]: Nur die Union?)
Union steht hier an der Seite der Polizeibeamten, die tag-
täglich ihre Gesundheit für uns alle riskieren, und wird Deshalb haben wir – lassen Sie mich doch ausreden –
dafür sorgen, dass der Staat einen angemessenen Schutz nicht nur diese Diskussion innerhalb der Koalition ge-
bereitstellt. führt, sondern wir haben auch – da danke ich ganz aus-
drücklich nicht nur dem Innenminister de Maizière, der
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) vorhin da war, sondern auch der Justizministerin – einen
Zwei weitere Punkte hat die Ministerin genannt: Stär- Kompromiss gefunden, der diesem Anspruch gerecht
kung des Vertrauensverhältnisses zu Rechtsanwälten und werden kann. Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur The-
den Gesetzentwurf zur Stärkung der Pressefreiheit im rapierung und Unterbringung psychisch gestörter Ge-
Straf- und Strafprozessrecht. Auch das muss man nen- walttäter möchten wir das Problem, das ich vorhin ge-
nen. nannt habe, in den Griff bekommen. Das ist eine gute
Beratungsgrundlage. Ich sagte es: Das Gesetzgebungs-
Dann kommen wir zu dem Thema, das die Debatte verfahren muss jetzt laufen; der Gesetzentwurf muss ein-
heute logischerweise beherrschen muss – das ist gar gebracht werden. Wir müssen sehen, dass wir ihn zügig
keine Frage –, weil es eines der schwierigsten rechtspoli- – ich hoffe, noch in diesem Jahr – verabschieden. Ich
tischen Themen überhaupt ist, zur Frage der Neuord- denke, das Thema wird uns hier in diesem Hause noch
nung der Sicherungsverwahrung. Es ist überhaupt häufiger beschäftigen.
keine Frage, dass das bei uns oben auf der Tagesordnung
(B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (D)
steht. Wir wissen, dass wir durch die Entscheidung des
EGMR zum Handeln gezwungen sind. Ich habe es ein- neten der FDP)
gangs gesagt: Rot-Grün hat die nachträgliche Siche-
rungsverwahrung eingeführt, die heute zur Diskussion Ich möchte noch zwei Punkte ansprechen; die Minis-
und zur Disposition steht. Heute ist schon deutlich ge- terin hat sie genannt. Dies muss man hier ansprechen
worden, dass mit dem Lösungsansatz, mit den Eckpunk- dürfen. Für uns als Union – ich denke, wir werden in der
ten, die seitens des BMJ und des BMI erarbeitet wurden Koalition einen Weg finden, auch wenn er vielleicht
– Konzentration der primären, Ausbau der vorbehalte- nicht ganz einfach ist – ist es wichtig, dass das Thema
nen, aber auch der im Detail sicherlich noch zu diskutie- Vorratsdatenspeicherung sobald als möglich wieder
rende Vorschläge zur Regelung der sogenannten Alt- oder auf die Tagesordnung kommt. Wir wissen, dass es auf
Parallelfälle –, eine gute Regelung auf den Weg gebracht der europäischen Ebene einen Evaluierungsbericht ge-
wurde. Ich hoffe – das ist wichtig und notwendig –, dass ben soll. Gleichwohl ist das für uns von Bedeutung. Die
der Gesetzentwurf möglichst bald vorliegt. Dann können Frage muss angegangen werden. Nach dem Urteil des
wir im Detail darüber diskutieren, was erforderlich ist Bundesverfassungsgerichts ist dieses wichtige Ermitt-
und was nicht. lungsinstrument in Deutschland nicht mehr verfügbar.
Das Verfassungsgericht hat klar gesagt, dass eine Spei-
Weil Sie es vorhin erwähnt haben, darf ich in diesem cherung von Verbindungsdaten nicht per se verfassungs-
Zusammenhang sagen, dass die Ausgestaltung natürlich widrig ist. Das wissen Sie; wir haben die Diskussion da-
schwierig ist: Aber um was geht es dabei? Sie, meine rüber schon häufig geführt. Außerdem müssen wir die
Damen und Herren von der SPD und den Grünen, haben EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umsetzen,
die nachträgliche Sicherungsverwahrung damals be- und zwar schon seit September 2007 bzw. für die Inter-
schlossen, weil vier oder fünf Straftäter, bei denen nach- netdaten seit März 2009.
weislich klar war, dass sie nicht auf freien Fuß gesetzt
werden durften, drohten freizukommen. Das war das In diesem Zusammenhang – auch das ist vorhin ange-
Motiv, warum Sie das damals gemacht haben. Im Zuge sprochen worden – möchte ich betonen, dass die Fragen
der EGMR-Entscheidung – das wissen Sie – steht theo- im Zusammenhang mit dem Zugangserschwerungsge-
retisch in über 70 Fällen die Freilassung an. Deshalb war setz geklärt werden müssen, Stichwort „Darstellung kin-
es gerade für uns als Union in der Diskussion in der derpornografischer Abbildungen im Internet – Löschen
Sommerpause wichtig, zu fragen: Was können wir an statt Sperren“. Ja, wir haben in der Koalitionsvereinba-
dieser Stelle tun, um dem Schutz der Bevölkerung ge- rung eine Regelung getroffen. Auf dieser Grundlage
recht zu werden? Der Rechtsstaat verliert an Akzeptanz; werden wir hoffentlich gemeinsam eine Lösung finden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6229
Andrea Astrid Voßhoff
(A) Frau Ministerin, Sie haben vorhin auf die Daten hinge- Dabei haben Sie einen Teil der Mitglieder dieses Hohen (C)
wiesen. Ich kenne unterschiedliche Daten und Informa- Hauses als Hinterbänkler bezeichnet. Ich halte diesen
tionen, zum Beispiel einen Artikel aus der Frankfurter Begriff für unparlamentarisch und bitte Sie, ihn zurück-
Allgemeinen Zeitung vom 3. September 2010, in dem steht, zunehmen.
dass die Internetwirtschaft sich korrigieren muss, weil es
mit dem Löschen nicht so funktioniert wie gedacht. Das Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Kriminalwissenschaftliche Institut der Leibniz-Universi- Frau Lambrecht, bitte.
tät Hannover hat veröffentlicht, dass 170 000 bis 180 000
sicher zugeordnete kinderpornografische Bilder in der
Datenbank des BKA vorhanden sind. Die Dunkelziffer Christine Lambrecht (SPD):
dessen, was im Internet ersichtlich ist, ist enorm groß. Ich glaube, wir alle sind uns einig, dass nicht jeder in
der ersten Reihe Platz nehmen kann. Ansonsten müssten
Ich denke, dass wir an dieser Stelle zu einer Lösung wir diese ziemlich verlängern.
kommen müssen. Wir dürfen uns, wie ich meine, dem
Thema Sperren nicht in Gänze verschließen. Zunächst einmal halte ich den Begriff „Hinterbänk-
ler“ nicht für eine Beleidigung. Ich glaube, dabei bin ich
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) mit vielen Kolleginnen und Kollegen aus den hinteren
Reihen einer Meinung, weil natürlich auch diejenigen,
Wir werden aber in dieser Frage weiter miteinander ver- die nicht in der ersten Reihe sitzen oder stehen, wert-
handeln. Wir haben einen Koalitionsvertrag. Uns Rechts- volle Arbeit leisten.
politikern ist das ein Anliegen, weil es unerträglich ist,
diesen Schund im Internet sehen zu müssen. Wir sollten (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
im Interesse unserer Kinder alles daransetzen, etwas da- der LINKEN)
gegen zu tun. Je eher wir löschen können, umso besser. Herr Kauder, im Allgemeinen bin ich es von Ihnen
Aber wenn es technische Probleme gibt, kann man schon gewohnt, dass Sie zuhören. Das haben Sie in diesem Fall
einmal sozusagen den Vorhang zuziehen, bis gelöscht offensichtlich aber nicht getan. Das liegt vielleicht da-
werden kann. Deshalb ist es der Union ein Anliegen – wir ran, dass der Vorwurf so saß. Ich habe ausdrücklich ge-
sind dabei, auch wenn es nicht ganz einfach ist –, dass wir sagt: Ich kenne Kolleginnen und Kollegen – auch als
dort gemeinsam einen Weg finden. Hinterbänkler –, die ansonsten vor Kraft nicht laufen
In diesem Zusammenhang stehen viele Themen an. können. – Ich bitte, ganz genau zuzuhören und erst dann
Ich hätte noch einige nennen können, zum Beispiel das Kritik zu üben. So viel zu den Hinterbänklern.
Mietrecht; die Kollegin Lambrecht hat es angesprochen. Offensichtlich hat die Aussage richtig gesessen, dass
(B) Seien Sie gewiss, dass Sie demnächst von uns einen gu- Sie als Regierungskoalition, dass Sie als Parlamentarier (D)
ten Vorschlag auch zum Thema Mietnomaden bekom- diese Umgehung nicht stoppen und sich gegen diese
men. Wir werden im Rechtsausschuss viel zu debattieren Umgehung auch nicht wehren, sondern wie die Lämmer
und zu diskutieren haben. Ich fordere Sie als Opposition zusehen, wie am Parlament vorbei Vereinbarungen zu-
auf, sich daran aktiv zu beteiligen – ich weiß, Sie werden lasten der Bevölkerung getroffen werden.
es tun –, und wenn es auch noch konstruktiv erfolgt,
würde uns das als Rechtspolitiker der christlich-liberalen Vielen Dank.
Koalition sehr freuen. (Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/
Vielen Dank. CSU: Die billigen Plätze sind nicht die hinte-
ren, sondern die auf den Oppositionsbänken!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Die Kollegin Halina Wawzyniak hat jetzt das Wort für
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem die Fraktion Die Linke.
Kollegen Kauder, der vorhin nicht zum Zuge kam, weil (Beifall bei der LINKEN)
Frau Lambrecht so schnell weg war und gar nicht mehr
hören konnte, dass ich sie nach der Frage fragen wollte.
Halina Wawzyniak (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
Siegfried Kauder (Villingen-Schwenningen) (CDU/ nen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Man
CSU): soll in der Opposition nicht immer nur kritisieren. Des-
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen! Frau Kollegin halb möchte ich zunächst zwei Gesetzentwürfe aus Ih-
Lambrecht, Sie haben im Zusammenhang mit der beab- rem Ministerium lobend erwähnen. Dies ist zum einen
sichtigten Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraft- der Gesetzentwurf zum Schutz vor überlangen Verfahren
werken das Hohe Haus attackiert. Sie haben erklärt, dass und zum anderen der Gesetzentwurf zur Stärkung der
Sie nicht verstünden, dass sich die Mitglieder des deut- Pressefreiheit. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie unseren
schen Parlaments nicht dagegen wehren würden, dass Gesetzentwurf aus der vergangenen Wahlperiode kom-
ein Teil in Geheimverträgen geregelt würde. plett übernommen hätten.
(Christine Lambrecht [SPD]: Der Koalition! (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Wir wehren uns ja!) NEN]: Oder unseren!)
6230 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Halina Wawzyniak
(A) Dann müssten wir nicht nur von „ein bisschen Stärkung stand Ihrer Partei, mit schicken gelben T-Shirts, war di- (C)
der Pressefreiheit“ reden, aber na gut. rekt neben dem der Linken aufgebaut. Nunmehr fordert
Ihr Koalitionspartner in Form von Herrn Bosbach von
Wir alle wissen, wie intellektuell arm ein Land ist, in
Ihnen eine Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung
dem es keine umfassende Pressefreiheit gibt. Deshalb ist
und der Internetsperren. Ich habe eine Bitte an Sie:
es zu begrüßen, dass Journalistinnen und Journalisten
Lassen Sie die Union einfach rechts liegen – da, wo sie
künftig zumindest nicht wegen Beihilfe zum Geheimnis-
hingehört –, und verlassen Sie sich an dieser Stelle auf
verrat angeklagt werden können.
Rot-Rot-Grün! Denn soweit ich weiß, teilen wir hier im
Doch damit ist es – bedauerlicherweise – genug des Grundsatz Ihre Positionen, und wir sind bereit, diese
Lobes. Angesichts Ihrer persönlichen Geschichte bzw. Positionen mit Ihnen gemeinsam gegen die Union zu
Ihrer Biografie habe ich kein Verständnis für den Kom- verteidigen.
promiss bei der Sicherungsverwahrung und dem Einsatz
der elektronischen Fußfessel. Hierbei sind Sie leider im (Beifall bei der LINKEN – Michael Grosse-
Sommer gegenüber den Sicherheitsfanatikern der Union Brömer [CDU/CSU], an die LINKE gewandt:
in Ihrer liberalen Haltung eingeknickt. Was? Da klatscht ihr auch noch?)

Mir ist klar, dass man in einer Koalition Kompro- Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, Politik hat
misse schließen muss, insbesondere als Juniorpartner die Pflicht, aufzuklären. Ich habe mir drei Punkte aus
und mit nicht sonderlich erbaulichen Umfragewerten. dem Haushalt dieses Bundesministeriums herausge-
Dass aber die CDU/CSU ihr vermeintlich verloren ge- sucht, an denen man exemplarisch zeigen kann, dass die
gangenes konservatives Profil ausgerechnet im sensiblen Koalition leider kein Interesse an Aufklärung und Sach-
Bereich des Jugendstrafrechts und des Strafrechts schär- politik hat.
fen darf, finde ich nicht hinnehmbar.
Da wären die Zuschüsse an die Kriminologische Zen-
(Beifall bei der LINKEN) tralstelle in Wiesbaden, die Deutsche Bewährungshilfe
und das Präventionsprojekt Dunkelfeld der Humboldt-
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Linke Universität. Diese Zuschüsse seitens des Justizministeri-
lehnt die Sicherungsverwahrung ab. Die Sicherungs- ums sind seit Jahren äußerst gering. Obwohl die Einnah-
verwahrung ist verfassungswidrig, europarechtlich be- men im Haushalt im Jahr 2011 insgesamt um circa
denklich und hält rechtsstaatlichen Prinzipien nicht stand. 5 Millionen Euro steigen, sinken die Ausgaben um
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- 3,5 Millionen Euro – Geld, welches die drei Institute gut
NEN]: Unsinn!) gebrauchen könnten. Aber vielleicht besteht ja gar kein
Interesse an einer seriösen rechtswissenschaftlichen For-
(B) Vielleicht sagen Ihnen folgende Stichworte etwas: schung. Denn diese würde den Law-and-Order-Wün- (D)
Verbot der Doppelbestrafung, Schuldprinzip. Wenn ja, schen der konservativen Politik die empirischen Grund-
dann wüssten Sie selbst, warum die Sicherungsverwah- lagen entziehen.
rung rechtsstaatlich bedenklich ist. Bei der Sicherungs-
verwahrung handelt es sich um eine Inhaftierung für Die Deutsche Bewährungshilfe beispielsweise hat die
noch nicht begangene Straftaten, um eine präventive Si- Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung kriti-
cherungshaft, und das ist mit dem deutschen Strafrecht siert. Die Kriminologische Zentralstelle in Wiesbaden
nicht vereinbar. veröffentlicht regelmäßig Forschungsergebnisse, Studien
und Aufsätze. Diese stellen der vor allem im Strafrecht
(Burkhard Lischka [SPD]: Da haben Sie man-
und Jugendstrafrecht stammtischorientierten Rechtspoli-
ches missverstanden!)
tik kein gutes Zeugnis aus.
Auch der zwangsweise Einsatz der sogenannten elek-
tronischen Fußfessel begegnet erheblichen Bedenken. Schließlich möchte ich auf das sehr bemerkenswerte
Dies stellt eine Totalüberwachung der Betroffenen dar, Präventionsprojekt Dunkelfeld an der Berliner Charité
welche in einer freien Gesellschaft nicht toleriert werden aufmerksam machen. In diesem Präventionsprojekt wer-
darf. Sie wirkt stigmatisierend und behindert die Reso- den kostenlos Therapieplätze angeboten für Nutzer von
zialisierung der ehemaligen Gefangenen. Die Wiederein- Kinderpornografie mit auf Kinder oder Jugendliche ge-
gliederung wird erheblich erschwert, wenn der Betrof- richteten sexuellen Fantasien und Wünschen, die ihren
fene die ganze Zeit das Gefühl haben muss, beobachtet Konsum einstellen wollen und deswegen therapeutische
zu werden. Hilfe suchen. Aber leider gibt es bundesweit neben Ber-
lin nur noch in Kiel ein vergleichbares Angebot. Genau
Bisher war es in der bundesrepublikanischen Rechts- solche Projekte brauchen aber in viel größerer Zahl Un-
wissenschaft und Rechtspolitik Konsens, dass tragende terstützung.
Säulen des Strafrechts und des Jugendstrafrechts die Re-
sozialisierung und der Erziehungsgedanke sind. Dieser Eine rationale Rechtspolitik ist auf seriöse empirische
Konsens wird mit dem Gesetz zur Neuordnung des Daten angewiesen. Es ist Aufgabe des Staates, diese, be-
Rechts der Sicherungsverwahrung und zur Stärkung der vor er zu restriktiven und einschneidenden Maßnahmen
Führungsaufsicht aufgelöst. greift, in Zusammenarbeit mit Expertinnen und Experten
zu erheben, auszuwerten und entsprechende Schlussfol-
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der FDP, sehr gerungen für die Politik daraus zu ziehen.
geehrte Frau Ministerin, am vergangenen Samstag fand
die Demonstration „Freiheit statt Angst“ statt. Der Info- (Beifall bei der LINKEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6231
Halina Wawzyniak
(A) Dies erfordert aber eine Diskussion, in der man sich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (C)
auch einmal den einfachen Wahrheiten der konservati-
ven Stammtischpolitik entgegenstellen muss. Bei der Das Stichwort Mediation ist bisher noch nicht gefal-
Union ist da Hopfen und Malz verloren. Ich hoffe, Sie, len. Wir müssen die EU-Richtlinie zur Mediation hier im
Frau Justizministerin, haben mehr Standvermögen. Bundestag bis Mai 2011 umsetzen. Auch hierfür liegt ein
Entwurf vor, der einige positive Aspekte enthält. Es feh-
(Beifall bei der LINKEN) len aber einige wichtige Punkte:
Zum Beispiel ist die Aus- und Fortbildung ein wichti-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ger Bestandteil der Qualitätssicherung der Mediation,
Für Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Ingrid und die Aus- und Fortbildung muss fortlaufend gesichert
Hönlinger das Wort. werden.
Das Gleiche gilt für die Antwort auf die Frage, wie
Ingrid Hönlinger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
wir einkommensschwachen Schichten den Zugang zur
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Mediation gewähren. Wir meinen, dafür brauchen wir
Kollegen! Sehr geehrte Frau Ministerin! Ein zentrales ein Mediationskostenhilfeverfahren in Anlehnung an die
Anliegen unserer Diskussionen im Rechtsausschuss und Prozesskostenhilfe. Wir reden jetzt gerade über den
im Plenum ist die Frage: Wie ermöglichen wir den Bür- Haushalt. Natürlich kostet so etwas Geld, aber aufgrund
gerinnen und Bürgern den gleichen Zugang zum Recht? der spürbaren Entlastung der Gerichte können wir auch
Hierzu möchte ich auf fünf zentrale Punkte eingehen. wieder Geld einsparen. Unsere Nachbarländer haben es
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat uns schon vorgemacht. In den Niederlanden, in Frank-
die Bundesrepublik in 54 Fällen wegen überlanger Ver- reich und in Norwegen gibt es eine Mediationskosten-
fahren gerügt. Sicher sind das Einzelfälle. Dennoch gibt hilfe.
es bei uns im Lande zu viele Gerichtsverfahren, die zu Die Mediation ist ein demokratisches Verfahren,
lange dauern. durch das die Selbstbestimmung und auch die Mitwir-
Bürgerinnen und Bürger haben nur dann Vertrauen in kung gestärkt werden. Ich meine, es lohnt sich, auf die-
die Gerichtsbarkeit, wenn sie innerhalb absehbarer Zeit sem Weg weiterzugehen, und wir Grünen werden uns
auch ein gut begründetes Urteil erhalten. Um dies zu ge- dafür nachhaltig einsetzen.
währleisten, brauchen wir strukturelle Verbesserungen in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
den Verfahren, die Länder müssen sich die Frage nach
der Personalausstattung stellen lassen, und wir brauchen Zugang zum Recht bedeutet auch, dass alle Menschen
(B) ein effektives Verfahren. Da reicht uns der Entwurf, der Zugang zum Recht erhalten, unabhängig von der Größe (D)
vorgelegt wurde, nicht aus. Eine Untätigkeitsbeschwerde ihres Geldbeutels. Es liegt jetzt ein Gesetzentwurf des
könnte hier zusätzlich Abhilfe schaffen. Bundesrates zur Beratungshilfe vor. Die Beratungshilfe
soll eingeschränkt werden, obwohl die Kosten für die
Insgesamt 18 Jahre dauerte ein Rechtsstreit um eine
Beratungshilfe in den letzten Jahren zweimal hinter-
Hinterbliebenenrente. Das ist eine unzumutbare Heraus-
einander gesunken sind. Das haben wir aus einem ak-
forderung für den Rechtsuchenden, aber auch für An-
tuellen Bericht aus dem Bundesamt für Justiz erfahren.
wälte und Gerichte. Ein solcher Fall darf sich nicht wie-
Die Kosten sind um insgesamt 2,7 Millionen Euro ge-
derholen. Dafür müssen wir hier sorgen.
sunken. Dennoch soll die Beratungshilfe weiter einge-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schränkt werden.
sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Frau Ministerin, Sie haben sich zu dem Bundesrats-
Eine weitere Ohrfeige aus Straßburg hat diese Bun- entwurf kritisch geäußert. Ich kann Sie darin nur bestär-
desregierung beim Thema Sorgerecht erhalten; das ken und hoffe, dass Sie diese kritische Einschätzung
wurde schon gesagt. weiterhin aufrechterhalten.
(Florian Toncar [FDP]: Uralt! – Christian (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ahrendt [FDP]: Uralt!)
Zum Insolvenzrecht. Mit drei Änderungen im Haus-
Es wurde festgestellt, dass nichteheliche Väter durch das haltsbegleitgesetz wollen Sie den Fiskus gegenüber an-
Sorgerecht, wie es jetzt geregelt ist, diskriminiert wer- deren Gläubigern besserstellen. Das soll dem Fiskus
den. Wir alle kennen aber Paare, bei denen sich sowohl jährlich 390 Millionen Euro einbringen. Meine Damen
die Mutter als auch der Vater bestens um die Kinder und Herren von der Regierungsbank, damit zeigen Sie
kümmern. Wir meinen: Bei einer Neuregelung des Sor- leider zum wiederholten Male, dass Ihnen kurzfristige
gerechts muss das Kindeswohl im Vordergrund stehen, Gewinne wichtiger als langfristige wirtschaftspolitische
und wir müssen die Rechte und Pflichten für verheiratete Konzeptionen sind. Sie wollen kurzfristig staatliche Ein-
und nicht verheiratete Väter möglichst weitgehend an- nahmen erzielen, vergessen aber völlig, dass Sie damit
gleichen. Bis heute hat es die Regierung leider nicht ge- langfristig einen wirtschaftlichen Schaden anrichten, der
schafft, eine brauchbare Vorlage zu liefern. Wir Grünen um ein Vielfaches größer sein wird. Ihre Pläne führen zu
werden uns jedenfalls energisch für eine Neuregelung einem Liquiditätsabfluss bei den Unternehmen. Dadurch
des Sorgerechts einsetzen – im Sinne eines Antragsver- wird eine Sanierung der betroffenen Unternehmen im-
fahrens. mer schwieriger, und es besteht die Gefahr, dass Sie die
6232 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Ingrid Hönlinger
(A) Betriebe und damit auch die Gläubiger direkt von der In- attestieren, dass die Gnade der späten Wahl Sie zu fast (C)
solvenz in den Ruin treiben. allem berechtigt, was Sie hier kritisieren oder vortragen.
Aber ich glaube, es hätte auch schon in vorherigen Wahl-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
perioden Gelegenheit gegeben, das zu korrigieren, im
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Übrigen auch für das Bundesverfassungsgericht. Das
Wir Grünen wollen Betriebe retten, damit diese Be- wird jetzt gemacht – die Ministerin hat es in ihrer heuti-
triebe auch morgen wieder Beschäftigung schaffen und gen Rede sogar angesprochen – und in absehbarer Zeit
Steuern zahlen können. Das ist für uns die Konzeption Realität werden.
der Zukunft. Aus diesem Grund können wir uns dieser
(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: „In
Strohfeuerfinanzpolitik nicht anschließen.
kürzester Zeit“, – demnächst! –, nicht „in ab-
Vielen Dank. sehbarer Zeit“!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir haben über den Haushalt zu sprechen. Der Haus-
sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Günter halt hat eine ganz besondere Struktur. Diese Struktur er-
Krings [CDU/CSU]: Da muss sie selber la- klärt sich aus dem hohen Anteil an Personalkosten in
chen!) diesem Haushalt. Das Personal, vor allem in Gestalt von
Richtern und Beamten, aber auch Angestellten, ist im
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Durchschnitt älter als in anderen Bereichen – ein Bei-
Jetzt hat der Kollege Florian Toncar für die FDP- spiel sind unsere Bundesrichter – und oft auch hoch qua-
Fraktion das Wort. lifiziert. Hier, insbesondere bei den Pensionierungen,
schlagen sich auch die Auswirkungen des demografi-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten schen Wandels sehr viel stärker nieder, als es in anderen
der CDU/CSU) Gebieten der Fall ist.
Gleichwohl hat das Justizministerium immer gesagt:
Florian Toncar (FDP):
Wir akzeptieren, dass auch in einem solch personalkos-
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tenlastigen Haushalt, in dem es vielleicht weniger Verän-
Die Ministerin hat anhand vieler Vorhaben, die sie hier derungsspielräume gibt als in anderen Haushalten, ge-
vorgetragen hat, sehr deutlich gemacht, was diese Bun- spart wird. – Das sind im Ansatz 7 Millionen Euro
desregierung unter einer modernen Rechtspolitik und weniger, als der Finanzplan ursprünglich vorgesehen hat.
unter Rechtsstaatlichkeit versteht, nämlich dass sie die Das ist selbstverständlich nur ein kleiner Beitrag zur
Bürgerrechte stärken möchte, dass sie selbstverständlich Haushaltskonsolidierung. Aber ich denke, die Einstel-
(B) für Sicherheit sorgen möchte, aber dass sie Sicherheit lung stimmt, dass man wie alle anderen Bereiche einen (D)
immer als Beitrag zur Verwirklichung unserer freiheitli- Beitrag zur Konsolidierung leistet.
chen Gesellschafts- und Rechtsordnung und nicht als
Gegensatz sieht. Das begrüßt die FDP-Bundestagsfrak- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
tion nachhaltig. der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Trotz aller Einsparbemühungen und Einsparvorgaben
der CDU/CSU) gibt es im Haushalt Schwerpunkte. Sie finden im Ent-
wurf einen neuen Titel, nämlich den Titel „Stiftungsver-
Ich möchte neben dem, was die Ministerin an Vorha- mögen zur Errichtung der Magnus-Hirschfeld-Stif-
ben und Erfolgen vorgetragen hat, noch eines heraus- tung“. Sie greift etwas auf, was der Bundestag bereits
greifen, weil dieser Prozess sehr lange gedauert hat, und vor über zehn Jahren einstimmig beschlossen hat.
zwar die Rücknahme des Vorbehalts zur Kinder-
rechtskonvention, die Deutschland in diesem Jahr er- (Christine Lambrecht [SPD]: Der Bundesrat
klärt hat. Wir setzen damit ein deutliches Zeichen, dass hat es verhindert!)
wir für Kinderrechte sind und dass wir auch bereit sind,
Das soll jetzt Realität werden. Zu diesem Ziel bekennen
internationale Standards in diesem Bereich durchzuset-
wir uns. Wir möchten im nächsten Jahr den Einstieg in
zen und offensiv zu vertreten. Die FDP-Fraktion als Teil
die Arbeit dieser Stiftung schaffen. Was soll sie machen?
dieser Regierungskoalition ist stolz darauf, dass es die-
Sie soll einmal das Unrecht aufarbeiten, das Homo-
ses Jahr endlich gelungen ist, diesen Vorbehalt zurück-
sexuellen während der Nazizeit widerfahren ist. Sie soll
zunehmen.
aber nicht nur Klarheit über das schaffen, was in der Ver-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gangenheit passiert ist, sondern sie soll sich auch mit
der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Josef Philip Ressentiments oder Vorurteilen befassen, die es in der
Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Gegenwart gibt, und einen Beitrag dazu leisten, dass un-
sere Gesellschaft in diesem Bereich zu Toleranz und
– Ich glaube, dass das wirklich ein Anlass zur Freude ist,
auch zu Akzeptanz kommt. Dazu wollen wir mit diesem
Kollegen.
Haushalt einen Einstieg schaffen.
Bevor wir zum Haushalt selbst kommen, möchte ich
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
noch kurz etwas zum Thema Sorgerecht sagen. Frau
der SPD)
Kollegin, es ist vielleicht ein bisschen übertrieben, zu sa-
gen, das sei eine Ohrfeige für diese Bundesregierung. Darüber hinaus haben wir im letzten Jahr, also im lau-
Dieser Zustand währt schon sehr lange. Ich würde Ihnen fenden Haushalt, die Mittel für die internationale
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6233
Florian Toncar
(A) rechtliche Zusammenarbeit aufgestockt. Das ist mir Was folgt daraus beispielsweise? Obwohl Vorstände (C)
persönlich sehr wichtig. Hier sollen Rechtsberatung ge- und Aufsichtsräte in der Vergangenheit unkontrollier-
leistet und Dialoge auch mit anderen Ländern geführt bare Risiken eingegangen sind und riesige Schäden ver-
werden. Das liegt in unserem wohlverstandenen Eigen- ursacht haben, ist bis heute kaum jemand dafür haftbar
interesse. Denn einerseits wollen sich andere Länder gemacht worden. Besteht hier nicht eigentlich gesetzge-
vielleicht einmal anschauen, wie Dinge im deutschen berischer Handlungsbedarf?
Recht gelöst werden, andererseits gibt es große Gemein-
samkeiten mit ihnen. Das ist für unsere Gesellschaft und (Beifall bei der SPD)
auch für unsere Wirtschaft ein großer Vorteil.
Was folgt aus der nach wie vor engen Verflechtung
Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen, der im von Vorständen und Aufsichtsräten in einigen börsenno-
Haushalt etatisiert ist, und zwar eine neue Aufgabe, das tierten Unternehmen? Macht das nicht eine effektive
sogenannte Europäische Geldsanktionsgesetz. Im Kontrolle unmöglich? Müssen wir nicht für bessere Auf-
Kern geht es darum, dass Ordnungswidrigkeiten im Ver- sichtsstrukturen in unserem Aktienrecht sorgen? Müssen
kehrsbereich, die Deutsche im Ausland begehen – auf wir nicht zuletzt auch die Vergütung und Verantwortung
gut Deutsch: wenn jemand im Urlaub im europäischen im Aktienrecht noch viel stärker miteinander verzahnen,
Ausland zu schnell fährt –, zukünftig auch in Deutsch- als es in der Vergangenheit der Fall gewesen ist?
land vollstreckt werden, jedenfalls ab einer Summe von
70 Euro. Das erfordert gehörige neue Ressourcen, die Als vor etwa eineinhalb Jahren die Wellen hochschlu-
wir an dieser Stelle bereitstellen. gen, die Aktienkurse abschmierten, einige Banken auf
der Kippe standen und nur mit Staatsgeld gerettet wer-
Nichtsdestotrotz – deswegen möchte ich es hier an- den konnten und damals die Frage aufkam, wer die Ze-
sprechen – möchte und erwarte ich nach einem Anschub, che für all das bezahlen soll, hieß es, es werde keine
dass die Lücke zwischen dem, was dort eingenommen Sozialkürzungen geben. Spätestens seit diesem Haus-
und ausgegeben wird, nicht so groß wird. Ich denke, es halt wissen wir: Das ist unwahr. Diese Bundesregierung
ist nicht vermittelbar, wenn am Ende der deutsche Steu- bedient sich bei den Schwächsten. Sie verschont gleich-
erzahler möglicherweise noch draufzahlen muss, wenn zeitig die Reichen und Vermögenden.
Landsleute im Ausland zu schnell fahren. Wir als Haus-
hälter werden sehr genau darauf achten, dass das nicht Sie versuchen nicht mit der notwendigen Ernsthaftig-
passiert. keit, derartige Krisen im Keim zu ersticken bzw. Vor-
sorge dagegen zu treffen. Dabei steht doch fest: Wir
Es gibt also trotz einer schwierigen Haushaltslage, brauchen bessere Regelungen in unserem Aktienrecht,
was die Konsolidierungszwänge angeht, im Haushalt ei- um Führungs- und Kontrollfunktionen in unseren Unter-
(B) nige Bereiche, in denen wir Schwerpunkte setzen kön- nehmen glasklar voneinander abzugrenzen. (D)
nen. In der Rechtspolitik gibt es klare Akzente zuguns-
ten der Stärkung der Bürgerrechte. Diesen Weg wollen Wir brauchen bessere Regelungen in unserem Aktien-
wir weitergehen. recht, damit sich Pflichtverstöße auch unmittelbar auf
Haftung und Vergütung auswirken. Wir brauchen einen
Herzlichen Dank.
Rechtsrahmen, der in allen Unternehmensbereichen eine
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nachhaltige Unternehmenspolitik festschreibt.
der CDU/CSU)
Weil wir zu alledem keinerlei Aktivitäten von Ihrer
Seite erkennen können, Frau Ministerin, und Sie auch in
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ihrer Rede nichts dazu gesagt haben, werden wir als
Der Kollege Burkhard Lischka hat jetzt das Wort für SPD-Bundestagsfraktion in den kommenden Wochen ei-
die SPD-Fraktion. nen Antrag in den Deutschen Bundestag einbringen, wie
(Beifall bei der SPD) wir unser Aktienrecht so weiterentwickeln können, dass
sich derartige Krisen nicht wiederholen. Das sind wir
nicht zuletzt denjenigen schuldig, die derzeit die Zeche
Burkhard Lischka (SPD): dieser Krise zu zahlen haben.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir de-
battieren auch den Justizhaushalt 2011 noch unter den (Beifall bei der SPD)
Auswirkungen der größten Finanz- und Wirtschaftskrise
der letzten Jahrzehnte. Diesem Auseinanderfallen von Ich will noch ein zweites Thema ansprechen, nämlich
Finanz- und Realwirtschaft mit seinen immensen Schä- das Fiskusprivileg. Sie haben gesagt, dass das nicht ein-
den, das wir erlebt haben, müssen wir klare Regeln ent- geführt wird. Das ist auch kein Wunder, weil Schwarz-
gegensetzen. Das ist die Kernbotschaft der letzten zwei Gelb in den letzten Wochen von allen Experten und
Jahre. Sachverständigen massiver Gegenwind frontal ins Ge-
sicht geblasen ist bei Ihrem Plan, dass sich bei der Insol-
Das ist aber nicht nur die Aufgabe der Finanz- und venz eines Unternehmens der Staat vor allen anderen
Wirtschaftspolitik, Frau Ministerin. Es ist eigentlich das Gläubigern, ob Handwerker oder Lieferanten, an der In-
ureigene Feld der Justiz, klare Regeln zu setzen. Ich solvenzmasse bedienen kann.
habe aber den Eindruck, dass Ihnen dazu teilweise der
Mut fehlt. Sie glänzen dabei geradezu durch Tatenlosig- Aber das, was Sie jetzt präsentieren, ist eine Mogel-
keit. packung.
6234 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Burkhard Lischka
(A) (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Jan Korte [DIE LINKE]: Das ist so plattes (C)
NEN]: Richtig! So ist es!) Zeug!)
Sie erklären einfach Steuerschulden zu Masseverbind- – Anscheinend langweilt Sie das. Ich werde Ihnen gleich
lichkeiten mit der Folge, dass diese dann vorab befrie- erklären, warum Mitglieder Ihrer Fraktion das teilweise
digt werden müssen. Den betroffenen Handwerkern und sogar toll finden. Ich sage Ihnen ganz klar: In diesen
Lieferanten ist es relativ egal, Punkten sind wir Sicherheitsfanatiker, und das ist auch
gut so.
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Warum er sein Geld nicht bekommt!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jan
Korte [DIE LINKE]: In Hamburg regieren Sie
auf welchem Weg sich der Staat bei insolventen Unter- doch wohl, oder nicht? Das ist so platt!)
nehmen bedient. Entscheidend ist doch, dass Betriebs-
fortführung und erfolgreiche Sanierung nicht mehr mög- – Oh, da scheine ich mit diesem Thema einen Punkt ge-
lich sind, wenn kein Geld mehr im Unternehmen troffen zu haben, der Sie stört. Das ist ja richtig schön.
vorhanden ist, weil Sie es vorher weggeschafft haben, (Jan Korte [DIE LINKE]: Populisten!)
und die Handwerker und Lieferanten auf ihren Rechnun-
gen sitzen bleiben. Wir mögen es nicht, wenn Polizisten angepöbelt wer-
den; wir finden es einfach nicht gut. Die Zahl der An-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ griffe auf Polizisten hat sich seit 1998 allein in Nord-
DIE GRÜNEN) rhein-Westfalen verdoppelt.
Das alles wird Arbeitsplätze vernichten. Das alles (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
fügt unserer Volkswirtschaft Schaden zu. Sie missbrau- Ich dachte, seit dem Regierungsantritt!)
chen das Insolvenzrecht als Steinbruch, um Geld für Ih-
Allein die Zahl der linken Gewalttaten hat sich seit 2009
ren Haushalt lockerzumachen.
um rund 60 Prozent erhöht. Die Zahl der Brandstiftun-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) gen hat sich verdoppelt. Die Zahl der Körperverletzun-
gen stieg um 40 Prozent. 6 600 Personen aus dem links-
Wieder einmal lernen wir: Es trifft die Schwächsten. Es extremistischen Spektrum werden nun als gewaltbereit
trifft diesmal diejenigen, die dann ihre Arbeitsplätze ver- eingestuft. Ja, wir sind gerne Sicherheitsfanatiker. Wir
lieren. Es trifft diejenigen, die auf unbezahlten Rechnun- wollen uns mit diesem Zustand nicht abfinden.
gen sitzen bleiben und so selber in den Ruin getrieben
werden. Das alles folgt dem alten Strickmuster: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP – Jan Korte [DIE LINKE]: Hat
(B) Schwarz-Gelb will sparen, und die Schwächsten sollen (D)
die Zeche dafür zahlen. – Diesmal macht auch noch das Frau Wawzyniak etwas dazu gesagt?)
Justizministerium kräftig mit. Das habe ich mir bei Ih- – Hören Sie weiter zu!
rem Amtsantritt, Frau Ministerin, etwas anders ge-
wünscht. Dafür werden Sie unsere Unterstützung nicht (Jan Korte [DIE LINKE]: Oh!)
bekommen. Die Empörung müsste eigentlich groß sein. Das
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ würde man jedenfalls annehmen. Aber Politiker und
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Stimmen aus dem linken Lager zeigen sogar Verständnis
LINKEN) für die vermeintlich gerechten Motive: Da geht es doch
um soziale Gerechtigkeit; da geht es doch um Antifa-
schismus; da muss man doch nicht so genau hinschauen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Michael Grosse-Brömer hat jetzt das Wort für die (Jan Korte [DIE LINKE]: Wer sagt das?)
CDU/CSU-Fraktion. Nein, in diesem Punkt sind wir gerne Sicherheitsfanati-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ker. Da gibt es keinen Unterschied zwischen rechter und
linker Gewalt. Wir sind gegen jede Form von Gewalt.
Es wäre schön, wenn das auch bei Ihnen so wäre.
Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jan
Ich habe vorhin mit großem Interesse zugehört, Frau Korte [DIE LINKE]: Das ist so daneben!)
Wawzyniak, und erfahren, dass meine Fraktion für Law Ich nenne Ihnen Beispiele. Ich will mit den Grünen
and Order zuständig ist und dass wir alle Sicherheitsfa- anfangen. Die Grünen sind vom Bezirksbürgermeister in
natiker sind. Da ich zu diesem Thema ohnehin etwas sa- Neukölln hinausgeworfen worden, weil sie sich gewei-
gen wollte – ich gehe auf einzelne Mitglieder Ihrer Frak- gert haben, eine Resolution gegen linke Gewalt zu unter-
tion gleich noch ein –: schreiben.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Das trifft sich gut!) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das ist falsch!)
Wir wollen uns nicht damit abfinden, dass zum Beispiel
in Berlin und Hamburg regelmäßig Autos brennen. Wir Das hat mich ein bisschen verwundert; denn Sie sind
wollen uns nicht damit abfinden, dass es am 1. Mai Kra- doch aus dem Milieu schon weg. Ein anderes Beispiel:
walle gibt. Ulla Jelpke, Inge Höger und Sevim Dağdelen, alle drei
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6235
Michael Grosse-Brömer
(A) MdBs von der Linken, unterzeichnen Solidaritätserklä- Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): (C)
rungen für Mitglieder der Militanten Gruppe, die we- Nein, ich habe gesagt, dass Sie Solidarität mit Straftä-
gen Brandanschlägen gegen Polizei, Feuerwehr und tern üben, die zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt
Bundeswehr zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wur- wurden.
den. Das ist Ihre Art von Sicherheitsfanatismus: lockere
Solidaritätsbekundungen für Straftäter, die zu mehrjähri- Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
gen Haftstrafen verurteilt wurden. Nein, Sie haben gesagt, dass Sie gegen jede Form von
Gewalt sind, und haben so getan, als ob wir nicht gegen
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
Gewalt wären. Dem ist aber nicht so. Deshalb frage ich
GRÜNEN]: Hä? – Jan Korte [DIE LINKE]:
Sie: Wenn Sie gegen Gewalt sind, wie erklären Sie dann,
Wer denn?)
dass Sie hier im Bundestag jedes Mal für Kriegseinsätze
Die militante Antifaschistische Linke Berlin, die schon stimmen, bei denen Menschen ums Leben kommen?
auf verschiedene Weise verdeutlich hat, dass es sie be- Beim Kunduz-Bombardement im letzten Jahr sind über
sonders freut, dass die Bullen ab und zu so richtig etwas 142 Menschen gestorben. Aber nicht nur in Afghanistan,
abbekommen, sondern auch in vielen anderen Ländern der Welt werden
Menschen getötet. Wie können Sie das mit Ihrem Gewis-
(Jan Korte [DIE LINKE]: Mann, Mann, sen vereinbaren, wenn Sie doch gegen Gewalt sind? Er-
Mann!) klären Sie uns das einmal.
ist mit der Homepage Ihrer Jugendorganisation verlinkt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Wenn Sie das stört, sollten Sie sich einmal darum küm-
mern. Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU):
Das will ich gern tun. Im Übrigen scheint mir Ihr
Eine überregionale Berliner Zeitung titelte jüngst: Schweigen zu Ihrer Solidaritätsbekundung eine Bestäti-
Brandanschläge sind wieder hipp. gung dessen zu sein, was ich vorhin gesagt habe. Das ist
gut zu wissen.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Kümmern Sie sich
um Ihre burschenschaftlichen Truppen am (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
rechten Rand!)
Zu Ihrer konkreten Frage. Ich will Ihnen sagen: Diese
– Sie haben überhaupt keine Vorurteile, oder? aus Ihrer Sicht sogenannten Kriegseinsätze sind interna-
tional abgestimmt und rechtlich unterlegt. Im Übrigen
(B) (Jan Korte [DIE LINKE]: Doch, doch!) sind nach meiner Kenntnis – wenn Sie Afghanistan (D)
meinen – die Deutschen nicht allein dort, sondern 42
Schlagen Sie nach, ob ich in der Burschenschaft war! weitere Nationen. Fragen Sie in puncto Gewalt einmal
Immer locker bleiben! Ihnen gehen die Argumente aus, die Frauen, die nicht mehr gesteinigt werden und nicht
und jetzt werden Sie polemisch. Das brauchen wir doch mehr zu Hause eingeschlossen werden, wie sie diese
gar nicht. vermeintlichen Kriegseinsätze sehen, die Sie gerade als
solche bezeichnen. Fragen Sie einmal diejenigen, die
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La- keine Angst mehr haben, umgebracht zu werden, nur
chen bei der LINKEN) weil sie eine andere Auffassung haben oder unter Um-
Schon die Anschaffung großer Autos wird in der ständen Frauen sind.
linksextremen Szene als Provokation empfunden. – Frau (Jan Korte [DIE LINKE]: Dann sollte man im
Dağdelen, Sie können widersprechen, wenn ich unrecht Iran auch einmarschieren!)
habe.
Fragen Sie doch einmal, ob deren Auffassung von Ge-
walt so eingeschränkt ist wie Ihre.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Frau Dağdelen möchte Ihnen gerne eine Zwischen-
frage stellen. Wir kommen hier in Schwung, und das finde ich gut.
Ich will Ihnen ganz konkret sagen: Es gibt die Verfas-
sungsschutzchefin Claudia Schmid aus Berlin. Sie hat
Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): ein Interview gegeben. Weil ich sogar verschiedene Mit-
Selbstverständlich. Wenn Sie meine Zeit anhalten, glieder Ihrer Fraktion genannt habe, wollen wir jetzt ein-
gern. mal jemanden zu Wort kommen lassen, der wahrschein-
lich mehr Ahnung davon hat als wir alle zusammen.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Die Zeit ist bei Ih- Frau Schmid sagt:
nen stehen geblieben; das stimmt!)
Zumindest sollten Parteien und Organisationen
links von der Mitte, die sich auf die Bündnis-Politik
Sevim Dağdelen (DIE LINKE): von Linksextremisten einlassen, eine strikte Ab-
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Herr Kollege, grenzung zu Gewalt vertreten. Es ist verheerend,
Sie haben eben gesagt, dass Sie Sicherheitsfanatiker wenn Politiker das nicht tun oder sogar Gewalt
sind, und zwar gerne. rechtfertigen, wie das bei der Militanten Gruppe die
6236 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Michael Grosse-Brömer
(A) Bundestagsabgeordnete der Linken, Inge Höger, den Schutz der Polizisten einmal in den Vordergrund (C)
getan hat. stellen muss.
So viel zu Ihrem Gewaltbegriff. Ich würde noch einmal (Zuruf von der LINKEN)
darüber nachdenken, ob Sie hier auf dem richtigen Weg Wir arbeiten gerade daran, und Sie werden zur gegebe-
sind. nen Zeit, und zwar rechtzeitig, darüber informiert, was
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – im Gesetz konkret geändert werden soll.
Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Sind wir!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Wie ich es vorhin erwähnte, sind wir nach wie vor
nicht bereit, die zunehmende Gewalt gegen Polizisten Herr Kollege, der Kollege von Notz würde Ihnen gern
zu akzeptieren. Deshalb arbeiten wir als CDU/CSU da- eine Zwischenfrage stellen. Möchten Sie die zulassen?
ran, ein Stück weit den Konsens zu schaffen, den wir,
wie ich finde, sinnvollerweise und übereinstimmend bei Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU):
politisch rechts motivierter Gewalt geschafft haben. Der Ja. Wir sind zwar noch nicht bei der Vorratsdatenspei-
Konsens lautet nämlich, dass wir grundsätzlich nicht be- cherung, zu der ich auch noch kommen wollte, aber Sie
reit sind, Gewalt zu akzeptieren, und schon gar nicht, können auch jetzt schon eine Zwischenfrage stellen.
Gewalt zu motivieren oder zu unterstützen. Es muss
vielmehr unser aller Ziel sein, auch einen demokrati- Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE
schen Konsens in der Abgrenzung links motivierter Ge- GRÜNEN):
walt herzustellen. Ich halte das gerade angesichts der Herr Kollege, dazu muss ich keine Zwischenfrage
derzeitigen Entwicklung, die wir allerorten verzeichnen stellen, dazu darf ich nachher selbst reden. Zu der Straf-
müssen, für einen wichtigen Punkt. verschärfung, die Sie ansprechen: Es würde mich inte-
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE ressieren, ob Sie hier kurz aus dem Stand einen relevan-
GRÜNEN]: Zur Rechts- oder zur Innenpoli- ten Sachverhalt formulieren könnten, der heutzutage
tik?) nicht adäquat bestraft werden kann und den Sie mit Ihrer
Strafverschärfung härter bestrafen wollen. Nennen Sie
– Herr Ströbele, das ist relativ einfach erklärt. Sie sind einfach einen schlichten Sachverhalt, der heute vom
doch so lange dabei. Sie kennen § 113 Strafgesetzbuch. StGB nicht erfasst ist.
Wir halten den für verbesserungswürdig.
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU):
(B) NEN]: Das hat mit linker und rechter Gewalt Wenn Sie diese Debatte intensiv verfolgt haben, dann (D)
nichts zu tun!) wissen Sie vielleicht, dass es nicht allein darum geht, ob
man den bestrafen kann. Die Frage ist doch, wie man
– Nein, aber erst einmal mit Gewalt gegen Polizei. Die den bestraft. Wir sind der Auffassung, dass eine höhere
Gewalt gegen Polizei ist in ganz erheblichem Maße auch Bestrafung vielleicht auch eine höhere Abschreckungs-
von linker Gewalt gekennzeichnet. wirkung hat und dass deshalb eine Änderung notwendig
ist.
(Zurufe von der LINKEN)
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Law and
– Es muss doch erlaubt sein, auch wenn es emotional Order! – Hans-Christian Ströbele [BÜND-
oder psychisch schwer fällt, in dieser Debatte darauf zu NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo hat die Höchst-
reagieren und solche Sachen anzusprechen. strafe nicht ausgereicht? – Dr. Konstantin von
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nennen
NEN]: Welche Änderung schlagen Sie jetzt Sie mir bitte einen Fall, wo es nicht ausgere-
vor? Was wollen Sie ändern?) icht hat!)
Ich habe mir die Entwicklung, die ich aufgezeigt – Das habe ich gerade.
habe, nicht ausgedacht. Das sind gesellschaftliche Ent- Ich habe Ihnen gesagt, was wir als gesetzgeberische
wicklungen, die mir ein Stück weit Sorge machen. Maßnahme vorhaben.
(Zuruf von der SPD: Wie sieht Ihr Vorschlag (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
aus?) NEN]: Nein! – Zuruf des Abg. Hans-Christian
Deshalb denke ich, wir müssen den Straftatbestand des Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
§ 113 Strafgesetzbuch ändern. Wir müssen hier ein Stück – Herr Ströbele, überlassen Sie es mir, zu entscheiden,
weit besser werden. ob ich Fragen ausreichend beantwortet habe oder nicht.
(Beifall bei der CDU/CSU – Jerzy Montag Sie wissen zwar fast alles besser, aber in diesem Fall
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Werden Sie bitte ich Sie um etwas Zurückhaltung.
konkret!) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Das weiß ich viel besser als Sie!)
– Man kann zum Beispiel darüber nachdenken, ob man
weiterhin von einer Privilegierung des Widerstandes ge- Viele werden einwenden, das alles sei nicht genug.
gen Vollstreckungsbeamte ausgehen kann oder vielmehr Vielleicht war das der Hintergrund der Frage. Ich finde
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6237
Michael Grosse-Brömer
(A) es im Übrigen richtig, dass wir das ergänzen. Unsere Fa- schlagen. Dort steht – das ist mit Sicherheit ordentlich (C)
milienministerin Kristina Schröder hat angekündigt, ein recherchiert –, dass die Zugangssperren in Norwegen
Modellprojekt gegen Linksextremismus einzurichten. täglich 18 000 Zugriffe auf solche widerlichen Seiten
Ich halte eine solche Begleitung und dass man nicht nur verhindern. Hochgerechnet auf Deutschland würde das
bestraft, für klug. Man sollte aber – das ist unsere Auf- bedeuten, dass 350 000 Zugriffe auf Internetseiten mit
fassung – schärfer bestrafen, damit diese Entwicklung, kinderpornografischem Inhalt verhindert würden. Das ist
die wir alle nicht wollen, nicht so weitergeht. es uns wert, nicht nur zu löschen, sondern auch zu sper-
ren.
Wir haben eben über Personen gesprochen, die ein
noch besseres Hintergrundwissen als wir haben. Kirsten (Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Konstantin
Heisig, die leider kürzlich verstorbene Jugendrichterin, von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
hat ein Buch geschrieben, das ich gelesen habe. Das zu Fragen Sie einmal Ihren Koalitionspartner
lesen, lohnt sich mehr als manch anderes Buch. Sie dazu!)
schreibt,
Wir haben rechtspolitisch schon viel erreicht. Wir ar-
… dass sich am linken Rand der Gesellschaft in beiten gut zusammen. Das Insolvenzrecht ist schon an-
Großstädten wie Hamburg oder Berlin ein hohes gesprochen worden. Die Reform wird die Kollegin
Aggressionspotenzial entwickelt, das meiner Ein- Winkelmeier-Becker mit dem Kollegen Ahrendt bear-
schätzung nach in den nächsten Jahren völlig ent- beiten. Es gibt Fortschritte in diesem Bereich. Mir war es
gleisen wird, wenn nicht bei den „Linken“ genauso wichtig, heute einen speziellen Teil anzusprechen, der in
konsequent reagiert wird wie bei den „Rechten“. dieser Gesellschaft aus unserer Sicht, aus Sicht von Si-
cherheitsfanatikern, schiefläuft. Ich hoffe, Sie sind sensi-
Das ist unsere Politik. Dahinter stehen wir, und es war
bilisiert worden und demnächst dabei, wenn es darum
mein Anliegen, das deutlich zu machen.
geht, Gewalt auch rechtspolitisch zu bekämpfen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Jan Korte [DIE
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
LINKE]: Wobei Sie bei den Rechten sehr kon-
sequent reagiert haben!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wir kümmern uns übrigens auch um den Opfer-
schutz. Es war überhaupt nicht hinnehmbar, dass Opfer Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
linker Gewalt und Opfer rechter Gewalt völlig unter- Der Kollege Raju Sharma hat jetzt das Wort für die
schiedlich behandelt wurden. Unter Rot-Grün wurde das Fraktion Die Linke.
damals damit begründet, dass man Zeichen setzen
(B) müsse. Die Zeiten, um Zeichen allein gegen rechte Ge- (Beifall bei der LINKEN) (D)
walt zu setzen, sind vorbei. Wir müssen Zeichen gegen
jede Form von Gewalt in Deutschland setzen. Deswegen Raju Sharma (DIE LINKE):
ist es richtig, dass es keinen Unterschied mehr macht, ob Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Frau
Opfer von Gewalttaten von einem Kampfstiefel eines Ministerin! Im Verhältnis von FDP und Linken gibt es
Linksextremisten oder eines Rechtsextremisten getrof- Punkte, die uns trennen, und solche, die uns verbinden,
fen wurden. Das ist eine wichtige Änderung, die wir um-
setzen konnten. (Zuruf von der FDP: Wir sitzen beide im Bun-
destag!)
(Jan Korte [DIE LINKE]: Wie viele sind denn
von Linken und von Rechten umgebracht wor- es gibt Politikfelder, in denen wir möglicherweise grö-
den? Sagen Sie das einmal! Wie viele Tote gab ßere Schnittmengen haben als die derzeitigen Partner in
es denn?) der Regierungskoalition. Die Rechtspolitik ist tenden-
ziell eines dieser Politikfelder. Deshalb haben wir Linke
– Ja, ich weiß, das passt Ihnen nicht. Setzen Sie sich immer gesagt, dass wir bereit sind, die FDP in ihren Be-
doch einmal damit auseinander. mühungen um eine freiheitliche Rechtspolitik auch ge-
gen ihren Koalitionspartner zu unterstützen. Wie not-
Über Kinderpornografie hat schon Frau Kollegin
Voßhoff gesprochen. Zurzeit läuft ein riesiger Prozess in wendig das ist, hat meine Fraktionskollegin vorhin sehr
anschaulich aufgezeigt. Tatsache ist auch, dass die Bun-
Darmstadt. Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass
desjustizministerin in ihren Bemühungen um eine frei-
das Löschen von Seiten nicht ausreicht. Wir sind dafür,
dies zu tun, wo wir es tun können. Das ist auch wichtig, heitliche Rechtspolitik bisher oft genug den Kürzeren
gegen Sicherheitsfanatiker wie Grosse-Brömer und all
aber wir treten weiterhin für das Sperren von Internetsei-
die anderen Law-and-Order-Politiker und die schwarzen
ten mit kinderpornografischem Inhalt ein.
Sheriffs von der Union gezogen hat.
(Zuruf von der SPD: Wer ist wir? Die Koali-
tion?) Leider gilt das auch für den Justizhaushalt. Seit Jah-
ren können wir einen ständigen Aufgabenzuwachs und
Herr von Notz, ich will Ihnen etwas sagen, weil Sie das eine immer stärkere Arbeitsbelastung der Beschäftig-
beim letzten Mal in Zweifel gezogen haben. Das Bei- ten im Justizressort beobachten. Der Bundesjustizminis-
spiel Norwegen zeigt, dass auch das Sperren wirksam terin ist es dennoch nicht gelungen, diesen Aufgabenzu-
ist, nicht nur das Löschen. – Sie winken ab, aber Sie soll- wachs mit einem angemessenen Personalzuwachs zu
ten die Süddeutsche Zeitung vom 15. Januar 2009 nach- begleiten. Das ist den ohnehin stark belasteten Beschäf-
6238 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Raju Sharma
(A) tigten in der Justiz nicht zuzumuten, und es tut auf Dauer (Beifall bei der LINKEN) (C)
auch der Aufgabenerledigung nicht gut.
Wir werden Ihnen in den nächsten Wochen einen ent-
Ein Bereich, in dem der Haushaltsplan einen Perso- sprechenden Gesetzentwurf vorlegen. Dann können Sie
nalzuwachs vorsieht, ist das Bundesjustizamt. Hier sol- alle Farbe bekennen und zeigen, wie ernst Sie es mit den
len 99 neue Stellen für Mitarbeiter geschaffen werden, Werten „Toleranz“, „Meinungsfreiheit“ und „Gleichbe-
die sich um die Beitreibung von im europäischen Aus- handlung der Religionsgemeinschaften“ meinen.
land verhängten Bußgeldern kümmern sollen. Dass so
Wenn wir schon einmal dabei sind, könnten wir auch
etwas jetzt überhaupt möglich wird, ist sicher ärgerlich
gleich über das Thema Staatsleistung reden. Dafür gibt
für manchen Urlaubsraser, der bisher ungeschoren da-
es in einer gesonderten Debatte aber vielleicht mehr
vongekommen ist. Im Hinblick auf die notorisch klam-
Zeit; denn dabei geht es um wesentlich mehr als nur ums
men öffentlichen Kassen ist es aber vielleicht nicht
Geld, nämlich darum, wie es in unserem Land um eine
falsch.
konsequente Trennung von Staat und Religion bestellt
(Zuruf des Abg. Florian Toncar [FDP]) ist.
– Darauf komme ich gleich zu sprechen. (Beifall bei der LINKEN)
Doch während es in jeder Kommune eine Selbstver- Offensichtlich fällt es der Bundesregierung ohnehin
ständlichkeit ist, dass die eingetriebenen Bußgelder zu- schwer, staatliche von eindeutig nichtstaatlichen Aufga-
nächst genutzt werden, um die Kosten für die zu diesem ben zu trennen. Anders lässt sich jedenfalls nicht erklä-
Zweck eingesetzten Ordnungshüter und Politessen zu fi- ren, warum die Banken und die Versicherungswirtschaft
nanzieren, gilt das für den Bundeshaushalt erstaunlicher- bei der Akquise neuer Märkte mit knapp 4 Millionen
weise nicht. Euro Steuergeldern unterstützt werden sollen. Auch da-
rum geht es der Deutschen Stiftung für internationale
(Christine Lambrecht [SPD]: Das stimmt auch rechtliche Zusammenarbeit, die von der Regierung so
für den Kommunalhaushalt nicht!) großzügig bedacht wird. Zweck des Vereins ist laut Sat-
Was jeder schwäbischen Hausfrau einleuchtet, gilt beim zung insbesondere die Unterstützung ausländischer Staa-
Umgang mit dem schwäbischen Chefhaushälter offenbar ten beim Übergang von der Planwirtschaft in die soziale
nicht. Frau Leutheusser-Schnarrenberger bezahlt das Marktwirtschaft.
Personal, und Herr Schäuble kassiert die Einnahmen. (Florian Toncar [FDP]: Ja, genau das machen
Herr Kollege Toncar, dass ausgerechnet Sie die Ein- wir!)
sparung im Justizhaushalt vorhin als positiv hervorgeho- Kein Wunder, dass sich unter den Stiftungsmitgliedern (D)
(B) ben haben, finde ich tatsächlich bemerkenswert. Bisher
die Bundesverbände der deutschen Banken, der deut-
bin ich davon ausgegangen: Wir müssen Ihre Justiz- schen Industrie und der deutschen Versicherungswirt-
ministerin vor den Kollegen der CDU/CSU schützen. schaft finden! Deren Interesse in allen Ehren, aber was
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein!) haben Mittel für diesen Verein im Bundeshaushalt zu su-
chen?
Jetzt merke ich, dass man sie vielleicht auch vor ihren ei-
genen Parteifreunden in Schutz nehmen muss. Ich finde auch in diesem Punkt den missionarischen
Eifer der Bundesregierung völlig unangemessen. Nie-
(Beifall bei der LINKEN – Florian Toncar [FDP]: mand bestreitet Ihnen das Recht, an die Vorzüge eines
Sie haben da etwas falsch verstanden!) bestimmten Wirtschaftssystems zu glauben – glauben
Wenn wir heute über den Haushalt reden, können Sie Sie, was Sie wollen –; aber verschonen Sie bitte den Rest
von der Opposition mit Recht erwarten, dass wir nicht der Welt mit Ihren ideologischen Beglückungsversu-
nur die Regierung kritisieren – dazu gibt es ja, wie wir chen!
alle gesehen haben, reichlich Grund –, sondern dass wir Vielen Dank.
auch konstruktive Vorschläge für mögliche Einsparun-
gen machen. Da ich nicht nur Mitglied des Rechtsaus- (Beifall bei der LINKEN)
schusses, sondern auch religionspolitischer Sprecher
meiner Fraktion bin, bietet es sich an, dass ich Ihnen ei- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
nen Einsparvorschlag unterbreite, der gleich beide Be- Jerzy Montag hat das Wort für Bündnis 90/
reiche betrifft. Die Grünen.
Sparen Sie eine Norm im Strafgesetzbuch ein! Strei-
chen Sie den „Gotteslästerungsparagrafen“ 166 StGB Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
und ersparen Sie uns eine unnötig lange Debatte da- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr ge-
rüber! Nach den Aussagen der meisten Fraktionen vor ehrte Frau Ministerin, gestern jährte sich ein Datum, das
einigen Monaten müsste in diesem Haus eigentlich ein für die Rechtspolitik in Deutschland von einer ganz
breiter Konsens darüber bestehen, dass dieser Paragraf überragenden Bedeutung ist: Gestern vor 75 Jahren sind
nicht nur veraltet und überflüssig ist, sondern in seiner die Nürnberger Gesetze erlassen worden. Ich finde, dass
praktischen, höchst einseitigen Handhabung das Zusam- deutsche Rechtspolitik heute und auch in Zukunft dies
menleben der verschiedenen Religionen unnötig belas- als Mahnung und Auftrag begreifen soll: dass Gesetze in
tet. einem demokratischen Gemeinwesen nicht schon dann
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6239
Jerzy Montag
(A) Recht sind, wenn sie auf formal korrektem Weg zustande Union, von der FDP, von der Koalition und von der Bun- (C)
gekommen sind – das ist notwendig –; vielmehr müssen desregierung: Mit der Verabschiedung von Eckpunkten
Gesetze auch die Menschenrechte, die Grundrechte ach- vom 7. Juni, vom 9. Juni, vom 27. August und wiederum
ten, und sie müssen dem Grundsatz der Menschenwürde vom 1. September kommen wir nicht weiter.
jedes einzelnen Menschen verpflichtet sein.
(Zurufe von der SPD)
(Beifall im ganzen Hause)
Seit einem Jahr haben wir dieses Problem. Spätestens
Ich wollte deswegen darauf hinweisen, weil ich über seit Sommer dieses Jahres verhudeln Sie die Zeit. Sie ha-
die Sicherungsverwahrung reden will, die ja die Natio- ben noch nicht einmal einen Entwurf vorgelegt, wie Sie
nalsozialisten ins deutsche Recht im Jahre 1933 einge- diesen menschenrechtswidrigen Zustand in Deutschland
führt haben. beenden wollen. Das halte ich für einen Skandal.
(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Hört! Hört!) Ich fordere Sie auf, statt neue Regelungen zum Um-
gang mit sogenannten psychisch gestörten Tätern zu er-
Heute stehen wir in einer Debatte, in der ich für meine lassen, endlich dem Hohen Hause eine gesetzliche Rege-
Fraktion sagen kann und muss: Wir brauchen die Siche- lung vorzulegen, durch die die Übergangsbestimmungen
rungsverwahrung. Es gibt leider einige wenige Men- von 1998, die Sie, Schwarz-Gelb, damals erlassen ha-
schen, die für andere eine so aktuelle und große Gefahr ben, endlich im Sinne der Europäischen Menschen-
sind, dass wir potenzielle Opfer nicht anders schützen rechtskonvention nachgebessert werden.
können als dadurch, dass diesen Menschen die Freiheit
entzogen wird. Aber wenn wir das tun und uns grund- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sätzlich dazu bekennen, dann müssen wir ganz beson- sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Günter
ders prüfen, ob die Regelungen zur Sicherungsverwah- Krings [CDU/CSU]: Die Grünen wollen alle
rung an den Grundsätzen der Menschenrechte, der entlassen! Klare Aussage!)
Grundrechte und der Menschenwürde ausgerichtet sind.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
sowie bei Abgeordneten der SPD) Der Kollege Stephan Mayer hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
Den Vollzug der Sicherungsverwahrung in Deutsch-
land hat der Europarat bereits Ende 2005 als einen Ver- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
stoß gegen die Europäische Menschenrechtskonven- der FDP)
tion gerügt. In den Ländern hat sich jedoch beim
(B) Vollzug nichts geändert. Dann hat im Dezember des Jah- Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): (D)
res 2009 der Europäische Gerichtshof für Menschen- Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-
rechte eine ganz bestimmte, konkrete Ausgestaltung der ginnen und Kollegen! Rechtspolitik ist immer auch Ge-
Sicherungsverwahrung – die Einzelheiten kennen die sellschaftspolitik; denn sie wird von der gesamten Ge-
Fachleute hier im Kreise – als einen Verstoß gegen die sellschaft wahrgenommen und betrifft die gesamte
Menschenrechte erachtet; das betraf übrigens eine Rege- Gesellschaft. Es gibt wahrscheinlich keinen Bereich in-
lung, die Schwarz-Gelb im Januar 1998 eingeführt hat. nerhalb der Justizpolitik, der so im Zentrum der öffentli-
Was hören wir nun – das halte ich für unglaublich – chen Wahrnehmung steht wie die Strafrechtspolitik. Ich
aus den Reihen der Rechtspolitiker der Union? Der möchte auf Aspekte eingehen, die meines Erachtens
rechtspolitische Sprecher erklärt in der ZRP, dieses Ur- höchste Priorität haben.
teil sei ein Anschlag auf das demokratisch legitimierte Ein Aspekt ist die schon eben erwähnte Sicherungs-
Strafrechtssystem der Bundesrepublik Deutschland. Der verwahrung. Kollege Montag, ich bin Ihnen dankbar,
Kollege Dr. Uhl fordert öffentlich dazu auf, das Urteil dass Sie zum Ausdruck gebracht haben, dass Sie das In-
nicht zu beachten. Meine Damen und Herren, so geht es stitut der Sicherungsverwahrung für richtig halten und
nicht! daran festhalten wollen. Sie können sich sicher sein: Wir
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN werden nicht nur Konzepte und Eckpunktepapiere vorle-
sowie bei Abgeordneten der SPD) gen; die christlich-liberale Koalition wird alsbald auch
ein fundiertes Gesetzespaket vorlegen, um so den Be-
Wir sind Signatarstaaten der Europäischen Menschen- reich der Sicherungsverwahrung effektiv und vor allem
rechtskonvention. Wir sind stolz darauf, 60 Jahre dabei verfassungsgemäß zu regeln. Ziel muss es sein, dass
zu sein. Wir sind stolz darauf, dass wir beim Kampf um diese Regelung verfassungsgemäß und auch menschen-
Menschenrechte immer in der ersten Reihe gestanden rechtskonform ist. Ich sage Ihnen aber auch: Das darf
haben. nicht das einzige Ziel sein.
Wenn uns der Europäische Gerichtshof für Men- Ein weiteres Ziel muss sein – dafür sind wir als Abge-
schenrechte sagt, eine bestimmte Regelung sei men- ordnete des Deutschen Bundestages verantwortlich –,
schenrechtswidrig, dann ist es unsere Pflicht, darauf zu dass eine Regelung geschaffen wird, die absolut gewähr-
reagieren. Wie sollten wir darauf reagieren? Indem wir leistet, dass höchst gefährliche Gewaltstraftäter und
diesen Missstand, der ja ein gesetzlicher ist, auch gesetz- Sexualstraftäter keine Gefahr mehr für die öffentliche
lich beheben! Darauf warten wir jetzt seit einem Jahr. Sicherheit darstellen, dass sie keinen Schaden mehr an-
Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren von der richten, dass sie beispielsweise keine Mädchen mehr
6240 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Stephan Mayer (Altötting)


(A) vergewaltigen können. Ich bin mir sicher, dass die Was den Bereich der Sicherungsverwahrung anbe- (C)
Grundlage, die mittlerweile durch das gemeinsame Pa- langt, gibt es auf Basis des Grundlagenpapiers aus dem
pier des Bundesinnenministers und der Bundesjustizmi- BMI und dem BMJ durchaus noch Diskussionsbedarf.
nisterin geschaffen wurde, die richtige Basis für die wei- Man kann beim Thema „Notwendigkeit der nachträgli-
teren Verhandlungen sein wird. chen Sicherungsverwahrung“ unterschiedlicher Meinung
sein. Da die Anzahl derjenigen, die sich in nachträglicher
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sicherungsverwahrung befinden, verschwindend gering
ist, glaube ich, dass der Ausbau der vorbehaltenen Siche-
Herr Kollege, möchten Sie die Frage von Herrn
rungsverwahrung grundsätzlich der richtige Schritt ist.
Montag zulassen?
Ich möchte trotzdem die Frage stellen, ob es neben
Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): der primären Sicherungsverwahrung und neben dem
Selbstverständlich. Sehr gerne. Ausbau der vorbeugenden Sicherungsverwahrung nicht
doch erforderlich wäre, im Instrumentenkasten die nach-
trägliche Sicherungsverwahrung zumindest vorzuhal-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ten. Diese Frage muss erlaubt sein. Sie wird im weiteren
Bitte schön. Gang des Verfahrens mit Sicherheit erörtert werden.
Ich möchte in aller Deutlichkeit auch ansprechen,
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dass meines Erachtens eine Verlängerung der Rückfall-
Herzlichen Dank, Herr Kollege Mayer, für Ihre Aus- verjährungsfrist unabdingbar erforderlich ist. Fünf Jahre
führungen. – Jetzt habe ich auch von Ihnen gehört, dass sind deutlich zu wenig. Es sei dahingestellt, ob man die
Sie bei der generellen Reform die Sicherungsverwah- Frist auf 20 Jahre verlängern muss. Zumindest eine Ver-
rung auf schwerste Gewaltdelikte und schwere Sexual- doppelung der Rückfallverjährungsfrist ist aus meiner
straftaten begrenzen wollen. Dies hat die Ministerin in Sicht unerlässlich.
ihrer Eingangsrede heute ebenfalls gesagt. Sie ist vonsei-
ten der SPD dafür gelobt worden. Der zweite Aspekt, der in der Strafrechtspolitik derzeit
größte Beachtung finden sollte, ist die rasant ansteigende
Der Diskussionsentwurf des Bundesjustizministeri- Zahl der Straftaten im Internet und mittels des Inter-
ums soll die Grundlage dieser generellen Reform wer- nets. Es ist höchst besorgniserregend, dass sich die An-
den. zahl solcher Straftaten von 2008 bis 2009 um immerhin
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Dann gibt es 20 Prozent erhöht hat. Im Jahr 2009 wurden in Deutsch-
also doch einen Entwurf!) land insgesamt 200 000 Straftaten im und über das Inter-
(B) net begangen. Die Kriminalität mittels der Informations- (D)
– Aber nicht zu den Altfällen, Herr Kollege; zu den Alt- und Kommunikationstechnologie im engeren Sinn ist so-
fällen gibt es nichts. – In diesem Diskussionsentwurf ist gar um etwa 33 Prozent gestiegen. Ich glaube, dass diese
die Sicherungsverwahrung entgegen den Aussagen von Entwicklung uns nicht ruhig lassen darf. Sie stellt eine
heute nicht auf Gewaltstraftaten und auf schwere Sexu- echte Bedrohung für das digitale Zeitalter dar und verur-
alstraftaten begrenzt, sondern umfasst auch andere Straf- sacht außerdem einen immensen wirtschaftlichen Scha-
taten. Stimmen Sie meiner Einschätzung zu, oder bedeu- den. Laut einer Prognose der BITKOM wird der Schaden,
tet Ihr Beitrag von heute, dass der Diskussionsentwurf in der in Deutschland in diesem Jahr im Internet angerichtet
diesem Punkt geändert wird? wird, aller Voraussicht nach um die 17 Millionen Euro
betragen.
Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Es geht nicht nur darum, dass dadurch möglicher-
Lieber Herr Kollege Montag, ich sage Ihnen in aller weise ein rasant steigender wirtschaftlicher Schaden ein-
Deutlichkeit, dass mein Fokus auf dem Bereich der Ge- tritt. Wir sollten uns vielmehr auch der Frage zuwenden,
waltstraftäter und vor allem der Sexualstraftäter liegt. ob die Wahrnehmung von wichtigen Freiheitsrechten
Wir haben in Deutschland derzeit ungefähr 500 Perso- langfristig nicht dadurch eingeschränkt wird, dass immer
nen, größtenteils Männer – diese Zahl nenne ich zur Ver- mehr Menschen persönlich Schaden nehmen, wenn sie
deutlichung –, die in Sicherungsverwahrung sind. 100 sich im Internet aufhalten, um zum Beispiel Überwei-
davon sind nach dem Urteil des Europäischen Gerichts- sungen vorzunehmen oder Bestellungen zu tätigen. Es
hofs für Menschenrechte vom 17. Dezember letzten Jah- gibt immer mehr gebrannte Kinder. Auf die Dauer wird
res von der sogenannten Altfallregelung betroffen. Zual- dadurch ein immer größerer Anteil unserer Bevölkerung
lererst auf diesen Personenkreis muss unser Augenmerk lieber die Finger vom Internet lassen, also beispielsweise
gerichtet sein. kein Onlinebanking mehr betreiben oder Bestellungen
dort vornehmen. Wenn wir dem tatenlos zusehen, wird
Wir brauchen eine verlässliche, verfassungs- und es sogar zu einer Einschränkung der Freiheitsrechte
menschenrechtskonforme Regelung, mit der dauerhaft kommen.
gewährleistet ist, dass von diesem Täterkreis in Zukunft
keine Gefahren mehr ausgehen können. Was die Siche- Der Kreditkartenbetrug nimmt immer mehr zu. Auch
rungsverwahrung angeht, muss der Fokus auf Sexual- der Betrug mittels des Missbrauchs von Bankverbindun-
straftätern und nicht auf Serienbetrügern und ähnlichen gen nimmt immer mehr zu. Um hier keinem Trugschluss
Kriminellen liegen. Ich glaube, das sind wir den Bürge- aufzusitzen: Es ist nicht so, dass halbwüchsige Internet-
rinnen und Bürgern in Deutschland schuldig. freaks von 16 oder 17 Jahren in einem Kellerverließ sit-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6241
Stephan Mayer (Altötting)
(A) zen und Kreditkartenbetrug betreiben. Der Präsident des Auch wenn wir mit dem Endergebnis nicht zufrieden (C)
BKA hat im Rahmen seiner Pressekonferenz vom sind, so haben wir, wenn wir es mit dem vergleichen,
6. September 2010 deutlich gemacht, dass es sich mitt- was am Anfang gewesen ist, eine ganze Menge erreicht.
lerweile um ein hochprofessionelles Geschäft handelt.
Frau Ministerin, dazu brauchen wir aber – Sie wissen
Es gibt außerhalb Deutschlands hochprofessionelle und
es auch aus den Verhandlungen – Mut, Entschlossenheit,
hochkriminelle Banden, die den Kreditkartenbetrug und
Beharrlichkeit und politische Gestaltungskraft. Wenn ich
den Missbrauch von Benutzernamen, Passwörtern und
das so offen sagen darf: Da kann an der einen oder ande-
Bankverbindungen gewerbsmäßig betreiben. Dem müs-
ren Stelle noch eine Schippe draufgelegt werden.
sen wir uns zuwenden.
Da wir gleich über die Innenpolitik diskutieren und
Besorgniserregend ist nicht nur der Anstieg der Zahl
Sie neben Ihrem Kollegen, dem Innenminister, sitzen,
der Straftaten im Internet, sondern auch, dass es immer
sage ich Ihnen in Bezug auf die Balance von Sicherheit,
schwieriger wird, diese Straftaten aufzuklären. Vor dem
Freiheit und Bürgerrechten ganz offen: Überlassen Sie
Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Thema Vorrats-
bitte die Rechtspolitik nicht dem Innenministerium! Set-
datenspeicherung war es noch möglich, 800 von 1 000
zen Sie sich durch! Nehmen Sie Ihre Aufgabe als An-
Verdächtigen zu ermitteln. Nach diesem Urteil – das ist
wältin der Bürgerrechte war! Darum möchte ich Sie in-
nicht meine Aussage, sondern die von Herrn Ziercke vom
ständig bitten.
6. September 2010 – ist es nur noch möglich, etwa 7 von
1 000 Verdächtigen zu ermitteln. Es muss jedem ein- (Beifall bei der SPD)
leuchten, dass wir hier effektive Regelungen brauchen.
Der Kollege Mayer hat eben den Datenschutz ange-
Wir brauchen eine Verbindungsdatenspeicherung. Diese sprochen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sind in
Forderung bezieht sich nicht nur auf Kinderpornografie der Position, hier etwas vorzulegen. Wir aber warten. Ich
im Internet, sondern auch darauf, dass es einen galoppie- sage Ihnen ganz offen: Entweder verschläft die Koalition
renden Anstieg der Zahl der Straftaten im Internet gibt. wichtige Themen, oder sie ist nicht handlungsfähig, weil
Diese Straftaten können nur ermittelt werden, wenn das sie sich nicht einigen kann; das gilt insbesondere für die
BKA und die Ermittlungsbehörden auf die Verbindungs- Bereiche Inneres und Justiz. Wir brauchen zum Beispiel
daten zurückgreifen können. Ich appelliere deshalb an dringend mehr Datenschutz für Beschäftigte. Da hat
alle in diesem Hause, dieser wichtigen Regelung schnell auch das Justizministerium eine Aufgabe. Ich frage
näher zu treten. mich, warum die Bundesregierung über Monate untätig
blieb, obwohl wir schlimme Skandale hatten und der
Ich danke ganz herzlich für die Aufmerksamkeit. Handlungsbedarf mehr als deutlich erkennbar wurde.
(B) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Frau Ministerin, ich lege Ihnen deswegen ans Herz: (D)
Setzen Sie sich für den Datenschutz ein, insbesondere
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: für den dringend erforderlichen Datenschutz der Be-
Die Kollegin Dr. Eva Högl hat jetzt das Wort für die schäftigten! Wir von der SPD haben etwas vorgelegt.
SPD. Wir haben die Interessen von Beschäftigten und Arbeit-
gebern in ein richtiges Verhältnis gebracht. Wir haben
(Beifall bei der SPD)
klar gesagt, was erlaubt und was verboten sein soll. Hier
ist dringender Handlungsbedarf.
Dr. Eva Högl (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Ich will ein anderes Thema ansprechen: Google
Kollegen! Frau Ministerin, es ist jetzt an der Zeit, die Street View. Wir haben intensiv darüber diskutiert.
Bürgerrechte stärker in den Blick zu nehmen. Damit Auch hier haben wir gesehen, dass die Koalition nicht in
möchte ich beginnen. Herr Kollege Grosse-Brömer, wir der Lage ist, rechtzeitig Rahmenbedingungen zu formu-
brauchen weniger Sicherheitsfanatiker. Wir brauchen lieren. Sie konnten sich nicht einigen, ob es gut oder
überhaupt weniger Fanatismus in dieser ganzen Debatte. schlecht ist, Google Street View zu haben. Sie hatten
keine Vorstellung davon, welches Vorgehen richtig ist.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Auch hier hören wir wieder – nicht nur in dieser Debatte,
sondern schon den ganzen Tag –: „Demnächst“, „irgend-
Was wir stattdessen brauchen, ist eine vernünftige Ba-
wann“, „bald“
lance zwischen Sicherheit und Freiheit. Darum geht es.
Da haben wir jetzt eine echte Chance. (Christine Lambrecht [SPD]: „In Kürze“!)
Ich will ein Beispiel nennen, das vielleicht ein biss- oder, wie meine Kollegin sagt, „in Kürze“ werde irgend-
chen ungewöhnlich ist; aber ich sehe es so. Wir haben etwas vorgelegt. Das Beispiel Google Street View zeigt,
bei der Debatte um das SWIFT-Abkommen gesehen, dass wir eines auf keinen Fall zulassen dürfen: Politik
dass es möglich ist, die Bürgerrechte stärker zu veran- darf nicht handlungsunfähig und hilflos dastehen. Das
kern, als viele zu Beginn der Verhandlungen gedacht war hier aber der Fall. Ich fordere deswegen von der
hätten, und dass man sogar mit den USA – wenn ich das Bundesregierung, hier tätig zu werden.
so sagen darf – über Datenschutz verhandeln und Ver-
besserungen erreichen kann. Zwei Sätze zur Vorratsdatenspeicherung. Frau
Ministerin, Sie haben es selbst angesprochen: Es reicht
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht, die europäische Entwicklung, die Überarbeitung
NEN]: Die waren sehr hartleibig!) der Richtlinie, abzuwarten. Auch wir erwarten von Ihnen
6242 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Dr. Eva Högl


(A) eigene Akzente und eine klare Vorstellung davon, was keit, auf die wir stolz sein können. Natürlich will auch (C)
die Koalition in diesem Bereich zu tun gedenkt. dieser Einzelplan seinen Beitrag zum Zukunftspaket der
Bundesregierung leisten.
Damit komme ich zum Stichwort „Europa“. Ich will
kurz ansprechen, dass wir mit der Grundrechte-Charta Auch in diesem Einzelplan wird gespart. Schon die
und dem Stockholmer Programm jetzt gute Grundlagen Ausgaben im aktuellen Plan für das Jahr 2010 sind um
für mehr Bürgerrechte in ganz Europa haben. Auch hier 2,2 Prozent gesunken. 2011 sollen die Ausgaben noch
müssen wir engagiert auftreten. Frau Ministerin, ich will einmal um 0,5 Prozent sinken. Das ist für diesen Verwal-
kurz sagen, dass wir es mit einer sehr engagierten Vize- tungshaushalt angesichts der Tatsache, dass 77 Prozent
präsidentin der Europäischen Kommission zu tun haben dem Personalhaushalt zuzurechnen sind, eine enorme
– wir werden sie morgen in Berlin treffen –, die sich Leistung. Dafür gebührt dem Ministerium unser Dank.
nicht die Butter vom Brot nehmen lässt, sondern klare
Initiativen anstößt, deutliches Engagement zeigt und Ein weiteres Indiz dafür, dass das Ministerium mit den
sehr durchsetzungsstark ist. Ich wünsche mir auch von vorhandenen Mitteln sparsam umgeht, sind die Haus-
unserer Bundesjustizministerin, dass sie so kämpferisch haltsreste. Als Haushälter bin ich geteilter Meinung: Auf
auftritt. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ich habe die der einen Seite freue ich mich, wenn nicht alle veran-
dringende Bitte, dass Sie in Europa gestalten und sich schlagten Mittel am Ende des Jahres ausgegeben wurden.
einbringen. Treten Sie nicht auf die Bremse! Setzen Sie Auf der anderen Seite gehören zu einem Haushalt auch
nicht nur das durch, was nach deutschem Recht ohnehin Wahrheit und Klarheit. Die Titelansätze sollten so veran-
möglich ist! schlagt werden, dass man das, was man benötigt, auch
ausgibt. Mittlerweile beläuft sich die Höhe der Haushalts-
Frau Ministerin, in den verbleibenden Sekunden reste auf über 62 Millionen Euro, weshalb durchaus
möchte ich noch ein Thema ansprechen, das mir sehr am Zweifel bestehen, ob in der Vergangenheit immer richtig
Herzen liegt: Menschenhandel. Dabei handelt es sich gehaushaltet wurde. Wir fordern deshalb, die Haushalts-
um das abscheulichste Verbrechen, das man sich vorstel- reste abzubauen.
len kann. Wir haben hier im Großen und Ganzen gute
Rechtsgrundlagen; aber ich habe zwei Bitten: Viele Ausgaben sind durch gesetzliche Vorgaben ge-
bunden. Dort müssen wir ansetzen, wenn wir den Haus-
Erstens. Ratifizieren Sie endlich die Konvention des halt konsolidieren wollen. Das Einsparpotenzial im Ver-
Europarates zum Menschenhandel! Das ist dringend er- waltungshaushalt, aber auch im Personalbereich neigt
forderlich; hier haben wir Handlungsbedarf. Wir müssen sich dem Ende zu. Wir sind alle aufgefordert, Vorschläge
uns engagiert in die Diskussion um die neue Richtlinie zu machen.
einbringen, die die Kommission vorgelegt hat. Wir müs-
(B) sen sie noch verbessern. Ein Vorschlag war in dieser Woche erneut in der Dis- (D)
kussion – ich schließe mich dem sehr gerne an –, näm-
Zweitens. Ich möchte Ihr Augenmerk auf § 233 Straf- lich der Berlin-Umzug. Es gibt sicherlich gute Gründe,
gesetzbuch richten, den wir 2005 eingeführt haben. Es komplett von Bonn nach Berlin umzuziehen,
muss genau untersucht werden, ob er tatsächlich dabei
hilft, Menschenhandel zum Zweck der Ausbeutung der (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Arbeitskraft zu bekämpfen, oder ob er zu überarbeiten
zumal Bonn hohe Kompensationszahlungen erhalten
ist. Ich bitte Sie inständig, sich dieses wichtigen Themas
hat. Ich kann an dieser Stelle nur für das Justizministe-
gestaltend anzunehmen.
rium sprechen. Es gibt noch drei Referate in Bonn und
Ich fordere Sie auf: Seien Sie mutig! Setzen Sie sich zwei Referate – „Kriminalprävention“ und „Täter-Opfer-
gegen Ihren Kollegen durch! Gestalten Sie Europa und Ausgleich“ –, die sowohl in Bonn als auch in Berlin be-
Deutschland in der Rechtspolitik! Dann haben Sie auch heimatet sind. Ich bin der Überzeugung, dass diese Dop-
unsere Unterstützung. pelstrukturen beendet werden können. Auch das wäre
ein Beitrag zur Haushaltskonsolidierung.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP])
DIE GRÜNEN)
Wir müssen intelligent sparen. Deshalb werden wir in
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: den Haushaltsberatungen alle Sparvorschläge exakt prü-
Alexander Funk hat jetzt das Wort für die CDU/CSU- fen. Dazu gehören auch Stelleneinsparungen beim Deut-
Fraktion. schen Patent- und Markenamt. Es stellt sich die Frage,
ob diese Einsparungen wirklich sinnvoll sind. Die Be-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) deutung des Deutschen Patent- und Markenamtes wird
häufig unterschätzt. Die Bundesrepublik Deutschland ist
Alexander Funk (CDU/CSU): ein rohstoffarmes Land. Es ist ein Land der Ideen. Un-
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen sere wichtigste Ressource ist die Kreativität der Men-
und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Justiz- schen. Hierfür ist das Deutsche Patent- und Markenamt
etat hat mit Ausgaben in Höhe von rund 486 Millionen ein Spiegelbild. Trotz der Krise wurden im vergangenen
Euro einen relativ geringen Anteil am Gesamthaushalt Jahr rund 60 000 Erfindungen zum Patent angemeldet.
des Bundes. Trotzdem hat er eine enorme Bedeutung für Die rund 2 700 Mitarbeiter sorgen für Einnahmen in
unsere Demokratie und für eine sichere Rechtsstaatlich- Höhe von 293 Millionen Euro. Nach dem jetzigen Haus-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6243
Alexander Funk
(A) haltsentwurf ist auch dieses Amt von Stelleneinsparun- Das Wort erteile ich dem Bundesminister Thomas de (C)
gen betroffen. Das werden wir in den Haushaltsberatun- Maizière.
gen kritisch durchleuchten; denn dort gibt es einen
Bearbeitungsstau. Wir wissen alle, dass schnelle Verfah- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ren für unsere Wirtschaft wichtig sind.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nern:
der FDP)
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
Trotz aller Spardiskussionen wollen wir dort, wo es legen! Der Einzelplan des Bundesministeriums des
sinnvoll ist, Schwerpunkte setzen. Ich komme zum Innern hat im Haushaltsentwurf des Jahres 2011 ein Vo-
Thema „Dunkelfeld“, das heute in der Debatte bereits lumen von 5,4 Milliarden Euro. Das sind 105 Millionen
angesprochen wurde, allerdings in unangemessener, po- Euro weniger als im Soll des Jahres 2010.
lemischer Wahlkampfrhetorik. „Dunkelfeld“ ist deutsch-
(Wolfgang Gunkel [SPD]: Schade!)
landweit die erste Initiative, die auf den Umgang mit
pädophilen sexuellen Störungen ausgerichtet ist. Diese Für einen kleinen und vergleichsweise personalintensi-
Initiative setzt auf Prävention. Sie bietet Menschen Hilfe ven Haushalt ist das ein respektabler, spürbarer Beitrag
an, die sich selbst als Gefahr wahrnehmen und sich zum zur Sanierung des Bundeshaushalts. Er ist notwendig,
Schutz der Kinder um eine Therapie bemühen. Das Ziel aber nicht in allen Politikfeldern leicht umzusetzen.
ist, die Nutzung von Kinderpornografie einzudämmen,
um sexuellem Missbrauch vorzubeugen. Wir halten das Lassen Sie mich zu einigen wenigen inhaltlichen
für ein sehr sinnvolles und sehr wichtiges Projekt. Im Schwerpunkten des Geschäftsbereichs ein paar Worte
Jahr 2007 hat die damalige Justizministerin Zypries das sagen. Dabei geht es wahrlich darum – ich weiß nicht,
Projekt vor dem Aus gerettet. Ich bin sowohl ihr als auch ob die Abgeordnete Högl noch anwesend ist –, wer sich
der jetzigen Justizministerin dankbar, dass sie hinter die- innerhalb der Bundesregierung gegen wen durchsetzt,
sem Projekt stehen und sich klar zu diesem Projekt be- sondern darum, wie die Justizministerin und der Innen-
kennen. Die Justizministerin möchte das Projekt aus- minister gemeinsam für mehr Freiheit und Sicherheit in
bauen und eine zentrale Koordinierungsstelle einrichten, unserem Land sorgen. Das ist unsere Aufgabe, und der
die dafür sorgen soll, dass das Projekt bundesweit etab- stellen wir uns.
liert wird. Zu Migration und Integration. Darüber haben wir in
Die Mittel, die jetzt im Haushaltsentwurf stehen, rei- den vergangenen Wochen in verschiedenen Foren inten-
chen aus, um die Therapie fortsetzen zu können. Die siv diskutiert. Das ist sicher eine der Kernfragen unserer
(B) Mittel für die Koordinierungsstelle müssen in den Haus- Zeit. Ja, es gibt heute Defizite. Ja, es gab in der Vergan- (D)
haltsberatungen noch sichergestellt werden. Dafür sage genheit Fehler. Da wurde so manche Chance verpasst.
ich meine Unterstützung zu. Ich gehe sogar noch einen Aber seit einigen Jahren arbeiten wir entschlossen an
Schritt weiter. Leider läuft die Forschungsförderung Lösungen, und das lassen wir uns auch nicht nehmen.
Ende 2010 aus. Damit würde die wissenschaftliche Be- Migration und Integration sind untrennbar miteinan-
gleitung der Therapie wegfallen, was misslich ist, weil der verbunden. Wir müssen sachlich, fair und wahrhaftig
die Einblicke in das Dunkelfeld mittlerweile auf einer diskutieren und an Lösungen arbeiten. Wir müssen auch
weltweit einmaligen Stichprobengröße basieren. Gerade klar differenzieren: Wir fördern die ganz große Mehrheit
diese Daten liefern praxisrelevante Erkenntnisse für die der integrationsbereiten Ausländer und Migranten durch
Prävention gegen sexuellen Missbrauch, wie mir Pro- eine Fülle von Angeboten. Von der kleinen Minderheit
fessor Beier ausführlich dargelegt hat. Insofern sollten der Integrationsunwilligen fordern wir mehr Anstren-
wir nach Möglichkeiten suchen, die Forschungsförde- gungen. Diese Forderungen müssen wir notfalls auch
rung zu verlängern. Jeder Euro, der dazu beiträgt, dass mit Sanktionen durchsetzen.
ein Kind nicht Opfer sexueller Gewalt wird, ist ein gut
investierter Euro. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Wer eine neue Heimat gefunden hat, der muss auch
bei Abgeordneten der SPD) heimisch werden wollen. Wer heimisch wird, muss seine
Herkunft nicht verleugnen. Im Gegenteil; gerade darin
Uns stehen sicherlich spannende Haushaltsberatun- liegt ja auch die kulturelle Bereicherung. Aber es gelten
gen bevor. Ich bitte alle um konstruktive Mitarbeit. die Regeln der neuen Heimat und nicht mehr die Regeln
Vielen Dank. der Herkunft.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Die Integrationskurse sind das wichtigste integra-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: tionspolitische Förderinstrument des Bundes. Die Teil-
Damit ist die Aussprache zu diesem Einzelplan been- nahme daran ist teilweise verpflichtend. Deutschkennt-
det. nisse sind die Grundvoraussetzung für jede Form von
Integration. Viele Migranten nehmen erfolgreich an den
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- Kursen teil. Diese Integrationskurse umfassen nicht nur
ministeriums des Innern, Einzelplan 06. einen Deutschkurs im Umfang von rund 600 Stunden,
6244 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Bundesminister Dr. Thomas


Dr. Thomas de Maizière, de Maizière des Innern
Bundesminister
(A) sondern auch einen Orientierungskurs über Geschichte, Natur der Sache. Aber niemand soll daraus, dass nicht (C)
Recht und Kultur in Deutschland. viel darüber geredet wird, schließen, dass nicht Tag und
Nacht daran gearbeitet wird. Erfolgreich ist das im
Der Haushaltsentwurf 2011 sieht – trotz der sonst
Übrigen nur – das sage ich der Opposition mit Blick auf
zum Teil unvermeidlichen Haushaltskürzungen – für
einen anderen Kontext der letzten Wochen –, wenn alle
diese Integrationskurse den gleichen Ansatz in Höhe von
Sicherheitsbehörden, selbstverständlich im Rahmen ih-
218 Millionen Euro vor wie der Haushalt für dieses Jahr.
rer Zuständigkeiten, sehr eng zusammenarbeiten.
Dies wurde auch durch eine Hilfe aus dem Bildungsbe-
reich von Frau Kollegin Schavan möglich, wofür ich Zu den zwei Guantánamo-Häftlingen möchte ich nur
dankbar bin. zwei Worte sagen. Erstens. Ja, sie sind da. Zweitens. Ich
richte an alle die Bitte, sie in Ruhe zu lassen.
Rund 30 Prozent der Verpflichteten nehmen an diesen
Kursen nicht über die gesamte Dauer oder gar nicht teil. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
Darüber müssen wir in Deutschland offen reden. Wir ha- und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
ben Sanktionen. Sie reichen von der Verhängung eines
Besondere Sorge bereitet mir die Entwicklung im Zu-
Bußgelds über die Kürzung des SGB-II-Satzes bis hin zu
sammenhang mit der Internetkriminalität. Im Jahr
der Möglichkeit der Veränderung des Aufenthaltsstatus
2009 haben wir im Bereich der engeren IuK-Kriminalität
und Ausweisung.
– Herr Mayer hat darauf hingewiesen – einen Anstieg
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- von rund einem Drittel zu verzeichnen. Kinderpornogra-
NEN]: Ja, eben!) fie, Bot-Netze und Wirtschaftskriminalität sind da Stich-
worte. Eines ist jedoch klar: Ohne die notwendigen
Wir haben hier überwiegend kein Gesetzesproblem, son-
rechtlichen Befugnisse machen wir den Ermittlern ihre
dern ein Vollzugsproblem.
Arbeit teilweise fast unmöglich.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Sehr
NEN]: Eben!)
richtig!)
– Herr Wieland, ich freue mich, wenn wir uns darüber
Deswegen halte ich es für zwingend erforderlich, dass
einig sind.
wir uns rasch auf eine Neuregelung der Mindestspei-
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- cherungsfristen für Telekommunikationsverbindungs-
NEN]: Ja! – Gegenruf der Abg. Gisela Piltz daten einigen.
[FDP]: Was ist denn mit dir in der Sommer-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
pause passiert?)
(B) Wenn man einen neuen Begriff findet, ist das vielleicht (D)
Die Anwendung obliegt im Wesentlichen den
ein Weg zu einem neuen Denken.
600 Ausländerbehörden in Deutschland. Die Frage, ob,
in welchem Umfang und warum nicht von solchen Sank- (Zuruf von der SPD: Mit wem einigen Sie
tionsmöglichkeiten Gebrauch gemacht worden ist, sich?)
werde ich versuchen zu beantworten. Ich werde dies bei
– Mit wem wir uns einigen, können Sie sich doch den-
der nächsten Innenministerkonferenz im Gespräch mit
ken.
meinen Kollegen zum Gegenstand machen und dann
gerne die Öffentlichkeit darüber unterrichten. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Aber wann denn?)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Aber dass wir alle Debatten, die wir zu führen haben – es
Zum Thema der öffentlichen Sicherheit. Deutsch-
ist auch kein Geheimnis, dass wir sie führen –, in Anwe-
land bleibt eines der sichersten Länder der Welt. Die
senheit der Öffentlichkeit vor dem Deutschen Bundestag
polizeilich registrierte Kriminalität ist und bleibt rück-
führen, das werden Sie jedenfalls bei mir nicht erleben.
läufig. Dennoch gibt es eine Reihe von Entwicklungen,
die mir Sorgen machen. Wir können sie aus Zeitgründen Freiheit und Sicherheit sind elementare Werte unseres
hier jetzt nicht im Einzelnen und umfänglich bereden. Zusammenlebens, auch im Internet. Wir müssen diese
Über das Thema Gewalt war eben schon gesprochen Werte auch im Internet sicherstellen. Das Internet ist
worden. Ich nenne die Themen organisierte Kriminalität, eine kritische Infrastruktur wie die Strom- und Was-
Terrorismus und Internetkriminalität. serversorgung. Das hat erhebliche Folgen. Kritische In-
frastrukturen müssen zuverlässig zur Verfügung stehen.
Bezüglich des Terrorismus bestätigen auch jüngere
Dies ist auch eine Aufgabe der Daseinsvorsorge der öf-
Beobachtungen unserer Sicherheitsbehörden: Der inter-
fentlichen Hand. Was das im Einzelnen bedeutet, wird
nationale Terrorismus stellt nach wie vor eine ernst zu
uns in den nächsten Jahren noch intensiv beschäftigen.
nehmende Bedrohung für die Sicherheit unseres Landes
Daran arbeiten wir: sichere Regierungsnetze, europäi-
und das Leben unserer Bürgerinnen und Bürger dar. Im
sche Zusammenarbeit, Abwehr von Angriffen auf das
Fokus unserer Sicherheitsbehörden befinden sich knapp
Regierungsnetz und andere Angriffe, die Bot-Netz-Ini-
über 1 000 Personen, über die sicherheitsrelevante Hin-
tiative, der neue Personalausweis, das De-Mail-Gesetz.
weise und Erkenntnisse vorliegen. 130 Personen davon
werden als sogenannte Gefährder eingestuft, knapp Das Internet ist ein sehr freiheitliches Medium. Diese
280 als sogenannte relevante Personen. Dass sich nähere Freiheit müssen wir bewahren und schützen, und zwar
öffentliche Informationen darüber verbieten, liegt in der vor einzelnen Unternehmen, die ihre Marktmacht aus-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6245
Bundesminister Dr. Thomas
Dr. Thomas de Maizière, de Maizière des Innern
Bundesminister
(A) spielen wollen, ebenso wie vor dem individuellen Miss- sicher auch Gelegenheit sein, im Deutschen Bundestag (C)
brauch durch Kriminelle. Es gibt eine breite Debatte um darüber zu diskutieren.
die zentralen Zukunftsfragen unserer Informationsge-
sellschaft. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Aber leider nicht alle!)
Meine Damen und Herren, Google Street View ist nur
– Warum nicht alle? Warum können wir nicht alle da-
ein Wimpernschlag im Internetzeitalter. Es geht nicht
rüber diskutieren?
nur um Fassaden und öffentliche Plätze. Es werden neue
Dienste entwickelt und Verknüpfungen hergestellt, die (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
eine weit größere Auswirkung auf das Leben des Einzel- NEN]: Ich war noch bei München! – Gegenruf
nen haben als die reine Abbildung von Häuserfassaden. von der CDU/CSU: Aufpassen, Herr Kollege!)
Gefragt sind Nüchternheit und Klarheit beim Blick auf
die Chancen und auf die Risiken.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Wir müssen darauf achten, dass wir mit einer gesetz- Es dürfen alle Abgeordneten kommen, wenn wir den
geberischen Reaktion nicht die Maßstäbe verrücken. Bericht zur deutschen Einheit diskutieren.
Alles, was wir tun, muss vor dem Hintergrund der inter-
nationalen Entwicklungen auch durchsetzbar sein. Wir Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
brauchen deswegen eine angemessene Balance zwischen nern:
Offenheit für Informationen, für Innovationen, für das Das wäre schön. Darin sind die Präsidentin und ich
offensichtliche Informationsinteresse der Bürger, aber uns vollkommen einig. Wenn wir bei dieser Diskussion
auch für den Schutz der Privatsphäre und legitimer Si- ein volles Haus hätten, wäre das schön.
cherheitsinteressen.
Ich will jetzt keine Einzelheiten zu dem Bericht und
Am kommenden Montag werden wir bei einem von zu der Entwicklung der vergangenen 20 Jahre nennen.
mir initiierten Treffen Eckpunkte für künftige Regelun- Ich will nur zwei Punkte zum Schluss sagen. Bei allen
gen beraten, welche alle Geodaten und vor allem ihre Turbulenzen und Debatten, die wir haben, sollten wir im
Verknüpfung im Internet in den Blick nehmen. politischen Tagesgeschäft hin und wieder auch – und
Vorhin war vom Beschäftigtendatenschutz die Rede. dazu boten die vergangenen Tage einen Anlass – an den
Die Regierung hat einen Gesetzentwurf zur Regelung Mut und die Tatkraft von Menschen wie Bärbel Bohley
des Beschäftigtendatenschutzes beschlossen. Damit ist denken. Dann können wir vielleicht, wenn wir uns zag-
dieser Bundesregierung etwas gelungen, was vielen haft und schüchtern fühlen, manches zurückstellen und
(B) Bundesregierungen zuvor nicht gelungen ist. uns vornehmen, schwierige Dinge gemeinsam anzupa- (D)
cken.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Das stimmt!)
Das Zweite. Unsere Nationalhymne hat einen sehr
Der Gesetzentwurf schafft einen angemessenen Aus- schönen Eingangsvers: „Einigkeit und Recht und Frei-
gleich zwischen den berechtigten Interessen der Arbeit- heit“. Das betrifft nicht nur die deutsche Einheit, sondern
nehmer und den berechtigten Interessen der Arbeitgeber. ist für die Bundesregierung, für den Bundesminister des
Er dient auch einem effektiven Betriebsablauf und der Innern und hoffentlich für uns alle auch ein konkreter
Korruptionsbekämpfung. Wir werden diesen Gesetzent- Handlungsauftrag, über den Haushalt hinaus.
wurf hier noch beraten und dann Gelegenheit haben,
Herzlichen Dank.
ausführlich darüber zu diskutieren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
Meine Damen und Herren, im nächsten Jahr bietet die
des Abg. Wolfgang Gunkel [SPD])
Frauenfußballweltmeisterschaft unserem Land wieder
die Gelegenheit, sich als guter Gastgeber zu präsentie-
ren, und unsere Frauen sind ganz gut drauf. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Der Kollege Olaf Scholz hat jetzt das Wort für die
Genau dasselbe wünsche ich mir für die Olympischen SPD-Fraktion.
Winterspiele 2018 – möglichst in München. Die Bewer-
bung Münchens um die Ausrichtung der Spiele findet
unsere volle Unterstützung. Katarina Witt ist ein Glücks- Olaf Scholz (SPD):
fall für diese Bewerbung. Ich bitte den Deutschen Bun- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es gibt
destag, wie bisher die Bundesregierung, die Stadt Mün- Fragen, die von den beiden Verfassungsressorts, dem
chen und den Freistaat Bayern bei der Bewerbung um Justiz- und dem Innenministerium, gemeinsam bewältigt
diese Olympischen Winterspiele zu unterstützen. werden müssen. Über ein solches Thema haben wir eben
gesprochen: darüber, wie wir bei der Sicherungsver-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des wahrung eine neue Regelung zustande bekommen. Ich
Abg. Christian Lange [Backnang] [SPD]) sage ausdrücklich, dass die Dauer des Diskussionspro-
zesses zwischen den beiden Ressorts mittlerweile die er-
In diesem Jahr feiern wir den 20. Geburtstag der deut- trägliche Zeitschwelle überschritten hat.
schen Einheit. Demnächst werden wir im Kabinett den
Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
schließen und der Öffentlichkeit vorstellen. Dann wird des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
6246 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Olaf Scholz
(A) Es hätte längst ein Gesetzentwurf vorgelegt werden Lachen des Abg. Dr. Günter Krings [CDU/ (C)
müssen, den wir dann im Bundestag hätten beraten kön- CSU])
nen. Aber der Prozess dauert zu lange, obwohl wir genau
wissen, dass hier etwas getan werden muss. Deshalb ha- Ist es nicht notwendig, dass man die Regelungen, die
ben wir als sozialdemokratische Fraktion der Regierung man will, in einem Gesetz trifft? Bei diesen Fragen re-
angeboten, bei der Erarbeitung der Regelungen, die not- den Sie sich zu leicht und übrigens auch zu irre lachend,
wendig sind, schnell zu helfen. An einer Stelle haben wir wenn ich das dazusagen darf,
unsere Bereitschaft, uns zu beteiligen, gemeinsam mit (Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des
vielen anderen schon bewiesen, indem wir nämlich die BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Divergenzvorlage ermöglicht haben, mit der vermieden
werden soll, dass all diese Straftäter aufgrund sehr unter- mit dem Hinweis auf den alten Vertrag heraus. Denn da-
schiedlicher Praktiken aus den Gefängnissen entlassen rin waren nur Regelungen getroffen, die als Begleitung
werden. für die gesetzlich geregelten Umstände zu verstehen wa-
ren.
Uns geht es um das gesamte Vorhaben. Das gilt
selbstverständlich für die Vorschläge zu einer Neurege- (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Und was war
lung, die eingangs von der Justizministerin gemacht mit der Wesentlichkeit?)
worden sind und die vom Kabinett getragen werden. Es Das, was wir heute vorfinden, hat es damals nicht gege-
gilt aber auch für die Frage: Wie gehen wir mit dem Pro- ben.
blem der sogenannten Altfälle um?
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Ja! Weil Sie
Das, was die Regierung jetzt vorgeschlagen hat, ist sich gar nicht gekümmert haben! Die Sicher-
– ich glaube, das wissen auch die Beteiligten – ein Ritt heit war bei Ihnen doch kein Thema!)
auf Messers Schneide. Es ist gefährlich und kann auch
misslingen. Trotzdem hat Ihnen unsere Fraktion zuge- Wir müssen uns wirklich fragen, ob das so geht. Sie
sagt: Wir wollen, wenn es geht, gerne helfen und diesen sollten nicht den Respekt der Bevölkerung unseres Lan-
Weg mit Ihnen gemeinsam gehen. Aber wir brauchen ei- des vor der Verfassung riskieren, weil Sie etwas be-
nen Gesetzentwurf, den wir prüfen können. Denn es schließen, das offensichtlich kurze Zeit später vor dem
kann sein, dass man zwar einen guten Einfall hatte, die- Bundesverfassungsgericht scheitern wird.
ser am Ende, wenn man ihn in gesetzgeberische Worte (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
fassen muss, aber nicht funktioniert. DIE GRÜNEN)
Es kann nicht angehen, dass es noch länger dauert, bis Vergessen Sie auch nicht, dass die Atomenergie ge-
(B) Sie einen Gesetzentwurf vorlegen. Jetzt hieß es, es dau- fährlich ist, wie auch immer man das politisch bewertet. (D)
ert noch bis Dezember oder sogar länger. Es muss jetzt Jedenfalls gibt es eine Schutzpflicht des Staates, die
ein Gesetzentwurf her. Wir versprechen Ihnen, alles zu nicht einfach durch einen Vertrag geregelt werden kann.
tun, was dazu beiträgt, dass in diesem Haus und im Bun- Ich habe große Zweifel an der Zulässigkeit dieses Vertra-
desrat eine schnelle Beratung erfolgen kann. Wir brau- ges, und ich bitte die Verfassungsressorts, sich dazu zu
chen nämlich schnell ein neues Gesetz, das endlich die äußern.
alten ersetzt.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
DIE GRÜNEN) LINKEN)
Es gibt ein zweites Vorhaben, bei dem beide Verfas- Meine Damen und Herren, das Thema Integration ist
sungsressorts gefragt sind, bei dem sie allerdings nicht jetzt in aller Munde, und das ist fast schon das Problem.
aufgepasst haben. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstel- Natürlich ist es richtig, dass darüber gesprochen wird;
len, dass der Vertrag, den die Regierung mit der Atom- aber viel wichtiger, als dass wir reden, ist, dass wir han-
wirtschaft geschlossen hat, die Billigung beider Verfas- deln. Wenn man das mitbekommt, was hier gegenwärtig
sungsressorts gefunden hat. Es gibt zu viele Fragen, die stattfindet, dann hat man in vielen Fällen den Eindruck,
mit diesem Vertrag verbunden sind, die seine verfas- dass zwar geredet wird, dass das aber mit den Handlun-
sungsrechtliche Zulässigkeit thematisieren. gen, die hinterher stattfinden, nichts zu tun hat. Dann
wird man sehr schnell unehrlich. Zudem ist es gefähr-
Dabei geht es um solch einfache Fragen wie: Wird lich, wenn Reformvorschläge, die eigentlich vernünftig
das Kopplungsverbot missachtet? Sind hier nicht Rege- und richtig sind, nur gemacht werden, damit die Ressen-
lungen, die nur durch Gesetz oder hoheitliches Handeln timents, die man in Wahrheit vortragen möchte, einen
getroffen werden dürfen, in einen Vertrag gegossen und sozialadäquaten Rahmen bekommen.
mit Gegenleistungen versehen worden, die man als de-
mokratischer Staat nicht hätte geben dürfen? Außerdem Deshalb sage ich: Ich bin mit dem, was wir hier hö-
geht es um das Prinzip der Wesentlichkeit: Kann man ren, nicht einverstanden. Überall wird gesagt: „Deutsch
wirklich akzeptieren, dass solche Regelungen nicht vom zu lernen, ist wichtig“, was richtig ist; aber gleichzeitig
Parlament, sondern in einem Vertrag getroffen werden? wird die Möglichkeit, die deutsche Sprache zu erlernen,
in allen Verantwortungsbereichen der Bundesregierung
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Meinen Sie erschwert und nicht verbessert. Das ist das, was gegen-
jetzt Ihren alten Vertrag oder den aktuellen? – wärtig stattfindet.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6247
Olaf Scholz
(A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten denn nur, wenn man diese Frauen beschützt, macht man (C)
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sie auch mutig dafür, dass sie sich jetzt und hierzulande
gegen das wehren, was sie nicht in Ordnung finden.
Wir haben vor kurzem die Mitteilung bekommen,
dass es nicht mehr möglich ist, dass alle, die sich freiwil- Das Gleiche gilt hinsichtlich der Antwort auf die
lig melden, an Integrationskursen teilnehmen können. Frage, was wir eigentlich mit denjenigen machen, die sich
Das ist aber das, was wir eigentlich wollen: dass nicht anstrengen. Die Botschaft unseres Landes muss doch
nur diejenigen, die neu hierhin kommen, sondern auch sein, dass sich Anstrengung lohnt. Wir haben den Vor-
diejenigen, die bereits hier sind und Sprachprobleme ha- schlag gemacht, dass zum Beispiel ein junger Mensch,
ben, gefördert werden. der geduldet ist und in einer Familie lebt, die geduldet ist,
seinen Aufenthaltsstatus in Deutschland mit dem Schul-
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- abschluss verbessern kann. Das wäre doch einmal eine
NEN]: Eben!) Botschaft, wenn man sagen würde: Wenn ihr das tut,
Das wird ihnen aber verweigert, und darüber hinaus wird (Beifall des Abg. Dr. Dieter Wiefelspütz
gesagt, man müsse monatelang auf solche Kurse warten. [SPD])
Während wir also über mehr Deutschkurse reden, wer-
was wir hier ständig fordern, dann hat das auch eine gute
den die Deutschkurse nicht in dem nachgefragten und er-
Konsequenz für euren Aufenthalt hier. – Es wäre richtig,
forderlichen Maße angeboten. Das ist unehrlich, unse-
das zu tun.
riös und bei einem so wichtigen Thema auch nicht in
Ordnung. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Daneben gibt es noch die leidige Geschichte der An-
erkennung im Ausland erworbener Abschlüsse. Auch
Es geht hier möglicherweise um 20 000 Menschen, die darüber ist schon viel geredet worden. Was man machen
freiwillig teilnehmen würden, dies aber aufgrund der fal- muss, ist der Bundesregierung auch von dem früheren
schen Haltung der Bundesregierung nicht können. Arbeitsminister schon einmal vorgeschlagen worden.
Das haben die damals verantwortlichen Ressortminister
Man vergesse auch nicht die Verknüpfung mit ande- und -ministerinnen – es sind immer noch die gleichen –
ren Ressorts. Wir stellen fest, dass es Integrationsver- damals nicht gewollt. Danach stand es so ähnlich im Ko-
weigerer gibt, die aufgrund ihrer Möglichkeiten nicht alitionsvertrag, aber jetzt, nach einem Jahr, gibt es dieses
auf dem Arbeitsmarkt klarkommen oder den Zugang Gesetz, das schon seit weit über einem Jahr fertig sein
(B) vielleicht auch nicht suchen. Viel entscheidender ist könnte, immer noch nicht. Wir brauchen ein Anerken- (D)
aber, dass man Angebote macht. Wie kann man die Mit- nungsgesetz, um deutlich zu machen, dass diejenigen,
tel für die aktive Arbeitsmarktpolitik um Milliarden kür- die sich anstrengen, hierzulande auch eine gute berufli-
zen, wie es diese Regierung will, und sich hinterher che Chance haben.
trauen, eine Rede darüber zu halten, dass man mehr tun
muss, um die Leute aus der Situation von Unterbeschäf- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
tigung bzw. Nichtbeschäftigung zu befreien? Das ist un- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
ehrlich und unseriös, und dadurch wird Politikverdros-
Wir brauchen also Taten – die durchaus anstrengend sein
senheit gefördert.
können.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Folgendes möchte ich noch anmerken: Wenn man
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – sagt, es müsse auch Sanktionen geben, während man
Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Sie richten al- gleichzeitig alles dafür tut, dass man niemanden sanktio-
les mit Steuergeldern!) nieren kann, dann ist das die doppelte Verstärkung von
Genau das alles tun Sie heute, und das ist ein sehr gro- unseriösen Argumentationen. Wer Sprachkurse nicht in
ßes Problem, weil Sie dadurch dazu beitragen, dass wir ausreichendem Maße anbietet, kann niemanden sanktio-
nicht vorankommen. Wenn wir etwas wollen, dann müs- nieren, weil er nicht teilnimmt, und wer die Arbeitsmarkt-
sen wir auch handeln. förderung nicht so gestaltet, wie es notwendig ist, der
kann das ebenfalls nicht. Das ist also auch etwas, was
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Geld ausge- man hinterfragen muss: Wird das nur gesagt, damit es ge-
ben!) sagt worden ist oder damit wir das Land und unser Zu-
sammenleben verbessern?
Das gilt übrigens auch für manch andere Dinge, die bei
der Integrationspolitik eine zentrale Rolle spielen. Wir Meine Damen und Herren, ich möchte noch eine
beklagen die Situation mancher Frauen in Ehen, die hier letzte Bemerkung machen zur Frage der Internetnutzung
nach erfolgter Migration geschlossen worden sind. und zu der Frage, wie wir damit umgehen wollen. Nicht
Gleichzeitig kommen wir bei der Verbesserung des alles, was wir in den letzten Wochen und Monaten in der
Rückkehrrechts von Frauen, die Opfer von Zwangsehen Debatte zum Beispiel über Google Street View gehört
gewesen sind, nicht voran. Das ist unehrlich; haben, ist wirklich zu Ende gedacht. Ich glaube, dass
man klug handelt, wenn man dort nicht jeder Aufregung
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ nachgibt. Auch die Panoramafreiheit gehört zu den Din-
DIE GRÜNEN) gen, die in unserem Land eine große Rolle spielen. Es
6248 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Olaf Scholz
(A) kann nicht sein, dass etwas, was wir uns schon immer er- dies die rot-rot-grüne Opposition propagiert, muss (C)
laubt haben, plötzlich verboten ist, nur weil es im Inter- Deutschland in der Integrationspolitik endlich positiv
net stattfindet. denken.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP) (Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
So ein Quatsch!)
Wenn man sich auf diese Dinge konzentriert, dann ge-
schieht es ganz schnell, dass man die eigentlich wichti- Wir brauchen eine Kultur der Anerkennung für diejeni-
gen Dinge vergisst; denn die große Gefahr ist doch die gen, die es geschafft haben. Wir halten integrierte Zu-
Verknüpfung von Daten, die Möglichkeit, dass nicht nur wanderer mit ihren Erfahrungen und ihrer Kultur für
das Bild da ist, sondern dass wir auch noch herausfinden eine große Bereicherung unserer Gesellschaft.
können, wer da wohnt und welche Lebensgewohnheiten
er hat, und dass das alles ungefragt und ungewünscht ge- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
schieht. Das müssen wir verhindern, und darum müssen der CDU/CSU)
wir uns kümmern, aber nicht darum, ob ein Bild im In- Wir wollen noch weiter gehen, um Integrationsleistun-
ternet ist oder nicht. Das ist nicht die entscheidende gen zu unterstützen und zu honorieren. Dabei gehören
Frage; vielmehr ist die Verknüpfung von Daten ein wich- Fördern und Fordern zusammen.
tiges Thema, bei dem wir gesetzgeberische Fortschritte
brauchen, und zwar ziemlich schnell. Wir haben trotz des allgemeinen Spardrucks – der
Minister hat darauf hingewiesen – die Mittel für die Inte-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten grationskurse aufgestockt
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Memet Kilic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Unzureichend!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Das Wort geht an den Kollegen Hartfrid Wolff für die und werden sie auch in Zukunft halten. In besonders he-
Fraktion der FDP. rausragenden Fällen, bei denen Integration ausgezeich-
net verläuft, wollen wir die Einbürgerung beschleunigen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Einbürgerung ist für uns das Ziel und der Abschluss des
der CDU/CSU) Integrationsprozesses.

Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE


GRÜNEN]: „Wir“ heißt in dem Fall: nur die
Dank der öffentlichen Debatte um die Ausführungen
FDP!)
eines bekannten Sozialdemokraten ist die Integrations-
(B) politik derzeit wieder in aller Munde. Manchmal wird Eine Einbürgerungsregelung allerdings, die von weiten (D)
leider weniger über die Integration als über den Sozial- Teilen der Bevölkerung nicht akzeptiert wird, stärkt kei-
demokraten diskutiert. nesfalls die Akzeptanz von Migranten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Nach Auffassung von Rot-Rot-Grün sollen die Be-
treffenden durch eine Doppelstaatsangehörigkeit gene-
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
rell privilegiert werden. Die Abschaffung des Options-
NEN]: Ah, das fehlte!)
modells jetzt zu fordern, ist unverständlich, da wir noch
Wir wollen die Chancen der Zuwanderung in den Mittel- keine verwertbaren Daten zur Verwendung des Gesetzes
punkt rücken, statt ständig über die Probleme zu spre- haben.
chen. Die Koalition hat sich auf eine konsequente Steue-
(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
rung der Zuwanderung nach Deutschland und eine
GRÜNEN]: Sie sind mir ein schöner Libera-
aktive Integrationspolitik geeinigt. Dabei muss der Zu-
ler!)
sammenhalt der durch Zuwanderer bereicherten zukünf-
tigen deutschen Gesellschaft im Mittelpunkt stehen. Aus Wir werden die Erfahrungsberichte auswerten und da-
Sicht der FDP müssen gerade die Betroffenen selbst be- nach die rechtlichen Fragen prüfen. So ist es im Koali-
reit sein, sich den Herausforderungen der Integration zu tionsvertrag vereinbart; so werden wir es tun.
stellen. Wer dauerhaft hier leben möchte, muss die ei-
gene Integration aktiv voranbringen und die Chancen er- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
greifen. der CDU/CSU – Josef Philip Winkler [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht hier aber um
(Aydan Özoğuz [SPD]: Das macht keiner!) Menschen!)
Wir halten es nicht für unzumutbar, Deutsch zu lernen Aber einen Punkt möchte ich den Freunden der dop-
und das Rechtssystem zu kennen. Wir halten Zuwande- pelten Staatsangehörigkeit schon jetzt zu bedenken ge-
rer nicht für bemitleidenswerte und unfähige Menschen, ben: Die Einführung des Optionsmodells vor einigen
denen nur mit Nachsicht oder Sozialhilfe begegnet wer- Jahren wurde zu Recht als Einstieg in das Jus soli und
den kann. als Abkehr vom Jus sanguinis gefeiert. Wer die Doppel-
staatsangehörigkeit fordert, stoppt die Hinwendung zum
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Jus soli; denn die Beibehaltung der Herkunftsstaatsange-
Statt der Unkultur eines auf Dauer erniedrigenden Mit- hörigkeit bedeutet die Beibehaltung des Abstammungs-
leids und des Verzichts auf Integrationsforderungen, wie rechts.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6249
Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
(A) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Steffen Bockhahn (DIE LINKE): (C)
NEN]: Sie haben da etwas missverstanden! Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Die CDU soll konservatives Profil zeigen, Damen und Herren! Bei der letzten Beratung des Bun-
nicht Sie, Herr Kollege Wolff) deshaushaltes zum Einzelplan 06 im Frühjahr dieses
Jahres habe ich versucht, der Verlagerung der Zuständig-
– Herr Wieland, denken Sie einfach in Ruhe darüber keit für den Osten der Republik etwas Positives abzu-
nach! Lesen Sie es nachher noch einmal durch und den- gewinnen. Leider bin ich schwer enttäuscht worden – ich
ken Sie in aller Ruhe darüber nach! hatte es aber fast vermutet –; denn es ist absolut dürftig,
was die Bundesregierung in diesem Bereich unternimmt.
Alles, was in unserer freiheitlich-aufgeklärten Gesell-
schaft als reaktionär gilt, wird bei Rot-Rot-Grün wieder Ich nenne einige Beispiele. Beim ersten Beispiel muss
hoffähig, wenn man ihm nur das Mäntelchen „Migra- ich den Minister ein bisschen in Schutz nehmen; er
tionshintergrund“ umhängt. Da muss man plötzlich frauen- wollte etwas anderes: Der Goldene Plan Ost zur Sanie-
feindliche Bekleidungssitten hinnehmen, Verständnis für rung der Sportstätten für den Breitensport wurde gestri-
orientalische Machokultur aufbringen oder Vorstellun- chen.
gen zur Familienehre tolerieren, die in einer fortschrittli-
chen Gesellschaft nur Unverständnis hervorrufen. Die Förderung von Forschungsnetzwerken im Osten
der Republik wird zurückgefahren. Der Titel zur Förde-
Ich würde mir wünschen, dass die Rot-Rot-Grünen rung Ostdeutschlands insgesamt wird ebenfalls abge-
statt Multikulti und Nachgiebigkeit ihre sonst so de- schmolzen.
monstrativ zur Schau gestellte Fortschrittlichkeit gerade Wie sieht es 20 Jahre nach dem Beitritt der neu gebil-
in puncto Integration nachdrücklich einforderten. deten Bundesländer am 3. Oktober 1990 in den neuen
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ländern aus? Die Arbeitslosenquote ist mit 11,5 Prozent
im Durchschnitt fast doppelt so hoch wie im Westen mit
Das bedeutet dann auch, dass für diejenigen, die sich der 6,5 Prozent. 14,4 Prozent aller erwerbsfähigen Ostdeut-
Integration dauerhaft verschließen, die bestehenden schen leben von Hartz IV. Dazu kommen die Kinder und
Sanktionsmöglichkeiten konsequenter als bisher ange- viele andere Menschen, die von Grundsicherung leben
wandt werden. Dazu gehört, dass ethnisch-kulturelle Ab- müssen.
sonderung nicht hingenommen wird. Dazu gehört, dass Ich bin 1978 im Osten der Republik geboren, in der
Eltern in Verantwortung genommen werden, die die Bil- schönsten Stadt der Welt: Rostock. Ich kann Ihnen ver-
dung und Ausbildung ihrer Kinder schleifen lassen. Die sichern, dass ich völlig frei davon bin, in irgendeiner
Durchsetzung der Schulpflicht auch mit Bußgeldern ge- Form nostalgisch zu sein. Keineswegs, ich genieße die (D)
(B)
gen Eltern von Schulverweigerern ist bereits jetzt recht- Freiheiten, die ich in diesem System habe. Ich wünsche
lich möglich und muss auch konsequent durchgesetzt mir mehr Freiheiten auch in diesem System. Ich bin frei
werden. davon, mir die DDR zurückzuwünschen.
(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig!) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Toleranz gegenüber Tätern etwa bei der Zwangsheirat Aber sagen Sie mir bitte, wie sich jemand, der seit
ist fehl am Platz. Ein eigenständiger Straftatbestand zur 20 Jahren zu Hause sitzt, keine Arbeit mehr findet oder
Bekämpfung der Zwangsheirat muss eingeführt werden. sich von einer Hartz-IV-Maßnahme in den nächsten
Es müssen aber nicht nur die Täter bestraft, sondern 1-Euro-Job gedrängelt hat, über die Situation heute
auch die Opfer unterstützt werden, etwa beim Rückkehr- freuen soll. Wir hören immer nur, dass alles toll ist, und
recht für Zwangsverheiratete. Das werden wir auch tun. zwar von fast allen. Der Minister – das muss ich sagen –
ist konsequent und verspricht im Gegensatz zu vielen
Wir wollen Mitbürgerinnen und Mitbürgern aus Zu- seiner Vorgänger jetzt nicht mehr die schnelle Herbei-
wandererfamilien alle Chancen eines weltoffenen Lan- führung gleichwertiger Lebensverhältnisse. Ich hoffe
des eröffnen und ihre gesellschaftliche, wirtschaftliche aber, dass er trotzdem intensivst daran arbeitet. Denn als
und kulturelle Teilhabe ermöglichen – mit allen Rechten Verfassungsminister weiß er, dass die Herstellung
und Pflichten. So wird der Zusammenhalt der gesamten, gleichwertiger Lebensverhältnisse in allen Teilen der
durch Zuwanderung bereicherten deutschen Gesellschaft Republik ein Auftrag des Grundgesetzes ist.
gestärkt.
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Ach was, wo
Deutschland verändert sich. Die Bundesregierung aus steht das denn?)
Union und FDP wird diese Veränderung gestalten. Dann müsste er allerdings beim sogenannten Sparpa-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ket der Bundesregierung aufbegehren. Denn gerade in
Regionen mit vielen sozial Benachteiligten schlägt die-
ses sogenannte Sparpaket durch. Die Kürzungen beim
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wohngeld und bei den Heizkosten für Hartz-IV-Empfän-
Das Wort hat jetzt der Kollege Steffen Bockhahn von ger und die Streichung des Elterngeldes für diese Klien-
der Fraktion Die Linke. tel führen nämlich zu einem weiteren Kaufkraftverlust
und damit zu einer weiteren Schwächung des Wirt-
(Beifall bei der LINKEN) schaftsstandortes. Als Ostminister müsste der Innen-
6250 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Steffen Bockhahn
(A) minister wissen, dass dies nicht nur einige Regionen im CO2-freundlich sind und deswegen diese Komponente (C)
Westen betrifft, sondern vor allem den gesamten Osten zum Tragen kommt. Fakt ist aber: Wenn ein elektroni-
der Republik. Schon deshalb müsste er dem Sparpaket scher Personalausweis eingeführt wird und dafür Lese-
widersprechen. geräte gebraucht werden, dann gehört das in den „nor-
malen“ Haushalt des Innenministeriums und nicht
(Beifall bei der LINKEN)
irgendwo anders hin. Das ist ein Beispiel dafür, dass
Sie fordern immer wieder und auch völlig zu Recht auch dieser Haushalt leider nicht besonders transparent
Einsparvorschläge von der Opposition. Sie behaupten, ist. Es gibt noch andere Beispiele. Wie wir gehört haben,
alle müssten in diesem Bundeshaushalt etwas dazu bei- werden die Kosten beim Digitalfunk aufgeteilt. Wie dies
tragen, dass Geld gespart werde könne. Bereits im Früh- im Detail aussieht, wird nicht richtig klar. Auch hier ist
jahr haben wir Ihnen einen Vorschlag gemacht; den es wieder intransparent.
möchte ich gerne wiederholen. Wir schlagen Ihnen vor,
Geheimhaltung gehört zweifelsfrei zum Innenminis-
die Mittel für den sogenannten Bund der Vertriebenen
terium. Aber zum Haushalt des Innenministeriums sollte
zu streichen.
sie nicht gehören.
(Beifall bei der LINKEN – Georg Schirmbeck
(Beifall bei der LINKEN)
[CDU/CSU]: Das ist ja ein innovativer Vor-
schlag!)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
In den letzten Tagen ist eindeutig klar geworden, wie Das Wort hat der Kollege Wolfgang Wieland von
richtig diese Forderung ist. Die Präsidentin dieses Ver- Bündnis 90/Die Grünen.
bandes erweckt den Eindruck, Polen sei am Zweiten
Weltkrieg mitschuldig. Für den Stiftungsbeirat werden
Leute vorgeschlagen, die meinen, Staaten wie Polen und Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Tschechien hätten den Zweiten Weltkrieg genutzt, um Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr de
die Deutschen loszuwerden. Dieser sogenannte Bund der Maizière, Ihr Schlussappell betreffend Einigkeit und
Vertriebenen bekommt auch in diesem Jahr Recht und Freiheit hat mir gefallen. Einigkeit kann na-
2,013 Millionen Euro, ohne jede Kürzung. „Maßnah- türlich nicht bedeuten, dass wir alle hier immer einer
men, die geeignet sind, die Verständigung und Aussöh- Meinung sind. Wir sind aber d’accord, wenn es um Ei-
nung mit unseren östlichen Nachbarn zu fördern“, so nigkeit in den Grundfragen geht. Ich habe zudem festge-
heißt dieser Haushaltstitel. Was die Debattenbeiträge stellt, dass die Rolle des konservativen Hardliners an den
von Vertreterinnen und Vertretern des sogenannten Bun- Kollegen Wolff von der FDP outgesourct wurde.
des der Vertriebenen in den letzten Tagen mit diesem (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(B) (D)
Ziel zu tun haben, erschließt sich mir in dieser Haus- und bei der SPD – Heiterkeit bei der CDU/
haltsberatung noch nicht. CSU und der FDP – Dr. Günter Krings [CDU/
(Beifall bei der LINKEN) CSU]: Ich habe noch nicht geredet! Meine
Rede kennt er noch nicht!)
Der Bund der Vertriebenen hat einen Auftrag zur Aufar-
beitung der eigenen Geschichte und dafür auch Geld aus Man erlebt Erstaunliches. Alle fragen, wo das konserva-
dem Haushalt bekommen. Diesen Auftrag hat er bis tive Profil der CDU bleibt. Nun ist es schon bei Herrn
heute nicht zufriedenstellend abgearbeitet. Im Normal- Wolff. Bei ihm war es auch gut aufgehoben.
fall führt so etwas zu Sanktionen. Im Normalfall, aber Da es mir noch immer schwerfällt, etwas Positives
nicht beim Bund der Vertriebenen! über die Tonalität des Innenministers zu sagen, lese ich
Ein weiterer Punkt, über den man in Haushaltsbera- folgende Stelle aus dem in Berlin erscheinenden Tages-
tungen immer sprechen sollte, ist der Anspruch, dass ein spiegel aus der vergangenen Woche vor:
Haushalt Klarheit und Wahrheit widerspiegelt. Um Der Christdemokrat bevorzugt die leisen Töne. Es
das kurz zu erklären: Das bedeutet, dass jeder, der sich ist äußerst unwahrscheinlich, dass sich de Maizière
den Haushaltsentwurf anschaut, versteht, welches Geld zu einer Äußerung hinreißen ließe, wie sie Otto
an welcher Stelle wofür ausgegeben wird. Es muss auch Schily im Juni 2004 von sich gab: Wenn ihr den
deutlich werden, woher das Geld kommt. Damit komme Tod so liebt, dann könnt ihr ihn haben, schleuderte
ich zu einem spannenden Punkt, dem E-Perso, also dem Schily den militanten Islamisten entgegen. Das
elektronischen Personalausweis, der nun eingeführt wer- klang nach High Noon und nicht nach Rechtsstaat.
den soll. Wir haben gerade gelernt, dass 24 Millionen
Euro ausgegeben werden, um entsprechende Lesegeräte Weiter heißt es:
anzuschaffen. Diese haben bei freundlicher Betrachtung In konservativen Milieus wird de Maizière als
zumindest leichte Defizite im Bereich der IT-Sicherheit. Wohlfühlminister abgetan. Der Eindruck ist offen-
Aber es gibt nun eine Kampagne des Ministers, um die sichtlich falsch.
IT-Sicherheit zu erhöhen. Ich hoffe, dass auch die Lese-
geräte davon betroffen sind. Diese Lesegeräte werden je- Das sehen wir auch so. Der Eindruck ist falsch, die To-
denfalls nicht mit den klassischen Mitteln des Bundes- nalität ist angenehmer. Sie gefällt uns durch den Verzicht
haushalts, also des Einzelplans 06, sondern im Rahmen auf großes Brimborium besser. Meine lieben Freundin-
der Investitionsprogramme des Konjunkturpaketes ange- nen und Freunde von den Liberalen, aber die Melodie ist
schafft. Ich weiß nicht, ob diese Lesegeräte besonders die gleiche geblieben.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6251
Wolfgang Wieland
(A) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wenn Sie meinen, die Lücke, die wir nicht sehen, sei (C)
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- da, dann können Sie nicht einfach sagen: Warten wir
KEN – Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Gott doch ab, wann bei unserem Koalitionspartner ein Stim-
sei Dank!) mungsumschwung kommt.
Sie waren es, die uns nach dem Sicherheitsmarsch der Zur Frage Migration und Integration hat der Kol-
Vorgänger so etwas wie einen Freiheitsblues verspro- lege Scholz einiges gesagt. Hinzuzufügen wäre eigent-
chen hatten. Auf den warten wir seit nunmehr beinahe lich nur noch die Frage der Bezahlung der Kursleiter.
einem Jahr vergeblich. 70 Prozent der Kursleiter arbeiten auf Honorarbasis und
ohne Sozialversicherung. Sie sind nach einem Gutachten
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
aus Ihrem Haus viel schlechter bezahlt als alle vergleich-
Zuruf des Abg. Hartfrid Wolff [Rems-Murr]
bar Tätigen. Dass der Haushaltsansatz, den Sie hier lo-
[FDP])
bend herausgestellt haben, gleichgeblieben ist, reicht
Keines der Sicherheitsgesetze wurde auch nur modi- eben nicht, weil wir die sogenannten Bestandsausländer
fiziert. Das BKA-Gesetz soll so bleiben, wie es ist. Das schon jetzt nicht in die Kurse hineinbekommen haben.
Bundesverfassungsgericht hat einen sehr interessanten
Fragenkatalog versandt. Wir sind insbesondere auf die Wenn man diese leidige Sarrazin-Debatte führt, dann
Antworten aus dem Haus Leutheusser-Schnarrenberger muss man auch zu Ergebnissen kommen. Wir werden als
gespannt. Wir sind auch gespannt, ob Sie wieder diese Politiker nicht dafür gewählt, dass wir jammern und kla-
Doppelrollen spielen werden: als Kläger und Beklagter, gen, sondern wir werden dafür gewählt, dass wir Lösun-
als Held und als Schurke, als Mörder und als Ermordeter. gen suchen und finden. Daher muss ich in einem Haus-
Wir sind wirklich gespannt. halt auch eine Lösung anbieten.

(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Das ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
die Vergesslichkeit von Rot-Grün!) sowie bei Abgeordneten der SPD)

Politisch machen Sie das im Moment. Sie ermorden Ich muss die Kurse verbessern, und ich muss sie auch für
sich selbst, da brauchen wir gar nicht viel zu tun. Das diejenigen verbessern, die schon länger hier sind.
schaffen Sie als FDP im Moment ganz allein.
Fazit: Die Kanzlerin hat einen Herbst der Entschei-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) dungen angekündigt. Ich fürchte mit Blick auf diesen
Haushaltstitel, dass es ein Herbst der Fehlentscheidun-
Fazit ist, was vom Kollegen Scholz und von anderen gen wird.
schon erwähnt wurde: Der E-Personalausweis sollte am
(B) 1. November eingeführt werden. Niemand hat so richtig (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (D)
und so zutreffend davor gewarnt wie Sie, liebe Frau Kol-
legin Piltz. Sie haben noch nach der Entscheidung zu Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
den Vorratsdaten gesagt: Da müssen wir jetzt ran.
Gleichzeitig haben wir erlebt, dass eine konservativ-li- Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Günter Krings von
berale Regierung in Großbritannien gesagt hat: Raus aus der CDU/CSU-Fraktion.
der Biometrie, wir haben in Großbritannien zu viel (Beifall bei der CDU/CSU)
Überwachung. Hier passiert gar nichts. Hier haben wir
auf zwei Feldern einen einjährigen Waffenstillstand,
mehr ist das nicht. Dr. Günter Krings (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herren! Der Blick in den Haushalt des Bundesinnen-
Wer eben zugehört hat, der hat zu dem Stichwort In- ministers zeigt: Die innere Sicherheit ist bei der christ-
ternetsperren von überall her aus der CDU-Fraktion ge- lich-liberalen Koalition und vor allem bei ihrem Innen-
hört: Wir wollen wieder sperren. Bei der Vorratsdaten- minister Thomas de Maizière in guten Händen. Ich hatte
speicherung ist das ganz genauso. Herr Kollege Uhl, Sie ehrlich gesagt bei keinem der Redebeiträge der Opposi-
schreiben herzerweichende Briefe darüber, welche Si- tion die Befürchtung, dass uns jemand den Rang in die-
cherheitslücke hier besteht. ser Beziehung ablaufen könnte. Für die Sicherheit unse-
rer Bürger und den Rechtsfrieden in unserem Land zu
(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Ich habe Ih- sorgen, stellt – den Hinweis auf diese Grundlage ließen
nen noch nie einen Brief geschrieben, werde einige Beiträge vermissen – eine Kernaufgabe unseres
ich auch nicht tun!) Staates dar, ja, sie bildet seine Existenz- und Legitima-
Der Kollege Bosbach spricht heute in der Osna- tionsgrundlage. Nur solange der Staat in der Lage und
brücker Zeitung davon, welche große Sicherheitslücke willens ist, die Sicherheit seiner Bürger mit allen rechts-
hier besteht. Sie sitzen da und sagen: Das ist aber eine staatlich möglichen Mitteln zu verteidigen, kann er er-
schöne große Sicherheitslücke. Aber Sie tun nichts. Wir warten, dass diese Bürger seine Gesetze befolgen und
sehen beim Fehlen der Vorratsdatenspeicherung weniger pünktlich ihre Steuern zahlen. Vor diesem Hintergrund
eine Sicherheitslücke, wir sehen eine Glaubwürdigkeits- sind die 6 Milliarden Euro, die für den Justiz- und Innen-
lücke bei Ihnen als Innenpolitiker der CDU/CSU. haushalt zusammen veranschlagt werden, gut angelegtes
Geld für den Rechtsfrieden und die Sicherheit unserer
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Bürger.
6252 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Dr. Günter Krings


(A) Trotz der Bedeutung der Innenpolitik war es unver- gibt den einen oder anderen Punkt, über den wir noch (C)
meidlich und richtig, dass auch das Innenressort seinen diskutieren müssen, aber ich bin sehr zuversichtlich,
Beitrag zum Sparen und damit seinen Beitrag zur Gene- dass wir mit den Kollegen von der FDP, mit Gisela Piltz
rationengerechtigkeit in diesem Bundeshaushalt er- und Hartfrid Wolff, sehr erfolgreich daran arbeiten wer-
bringt. Es ist dem Minister zu verdanken, dass er die den, eine wertegebundene Integrationspolitik voranzu-
100 Millionen Euro, die im Haushalt einzusparen waren, bringen. Für eine erfolgreiche Integration ist das ent-
klug erwirtschaftet hat. So hat er zum Beispiel die be- scheidende und erste Kriterium – ich habe es bereits
sonders personalintensiven Bereiche des BKA, des Ver- erwähnt – das Erlernen der Sprache des Gastlandes.
fassungsschutzes und der Bundespolizei, die besonders Ohne das sind alle weiteren Integrationsschritte von
sicherheitsrelevant sind, von Kürzungen ausgenommen. vornherein zum Scheitern verurteilt. Aus dem Grund ist
es richtig, dass wir daran festhalten, und zwar auch ge-
In einem ganz wichtigen Bereich ist ebenfalls keine gen den Widerstand aus den Fraktionen der Grünen und
Einsparung erfolgt – wenn wir das in längerer Perspektive der SPD, dass beispielsweise nachziehende Ehegatten
sehen, so stellen wir fest, dass wir in den letzten Jahren erst Grundkenntnisse der deutschen Sprache erwerben,
die Mittel erheblich ausgeweitet haben –: Es ist der große bevor sie nach Deutschland kommen.
Bereich der Integration. Integrationskurse sind inzwi-
schen so weit finanziert, dass bereits über 600 000 Zu- Wer das ablehnt,
wanderer entsprechende Integrationskurse begonnen ha-
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
ben. Es ist nicht richtig, wie hier darzustellen versucht
NEN]: Lehnen wir ab!)
wurde, dass in dieser Hinsicht nicht genug getan worden
ist. Keine Bundesregierung hat so viel für die Integration wer sagt: „Das brauchen wir nicht“, der tut denjenigen,
getan wie die aktuelle. Immer mehr Zuwanderer kom- die nach Deutschland kommen und sich hier integrieren
men in den Genuss solcher Kurse. Wir haben gerade wollen, in Wahrheit einen Tort an. Er behindert Integra-
durch solche Kurse, die vor allem die deutsche Sprache tion, betreibt das Gegenteil von Integrationsförderung.
vermitteln, einigen Erfolg gehabt, gerade bei den Wir werden weiter fordern: Diejenigen, die nach Deutsch-
4 Millionen muslimischen Zuwanderern in Deutschland. land kommen, müssen Grundkenntnisse der deutschen
Wir sind damit in puncto Fördern Spitze in Europa, ja, Sprache haben.
Spitze nahezu weltweit. Wir bieten Kurse an, auf die an-
dere Staaten gar nicht kämen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Herr Scholz, es ist bezeichnend, dass Sie den Staat in An diesem letzten Beispiel wird auch deutlich, dass
der alleinigen Verantwortung sehen. In vielen anderen SPD und Grüne der aktuellen Integrationsdebatte, die
(B) Ländern ist es üblich, dass jemand, der die Sprache des über sie gekommen ist, offenbar weniger denn je ge- (D)
Gastlands erwerben möchte, das auf eigene Rechnung wachsen sind.
tut und sich selbst darum bemüht. Auch das muss für un- (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE
seren Staat eine Option sein. Integration hat mit Fördern, GRÜNEN]: Über Sie ist die Debatte gekom-
aber auch mit Fordern zu tun. Wir müssen von denen, men!)
die wir fördern, auch etwas fordern können. Daher ist es
vollkommen richtig, dass wir darauf fokussieren, dass Sie können gut philosophieren, Sie können gut von Mul-
diejenigen, die zu uns kommen, sich integrieren wollen, tikulti, von sogenannten Gesellschaftsverträgen spre-
die Motivation dazu haben und das eigene persönliche chen,
Engagement mitbringen. Fördern ist der kleinere Teil.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE
Das Wichtigere ist, dass die Menschen Integration auch
GRÜNEN]: Sie regieren doch seit sechs Jah-
wollen. Sie müssen unsere Rechtsordnung anerkennen,
ren!)
unsere kulturellen Werte respektieren und insbesondere
unsere Sprache erlernen. aber wenn es um hilfreiche Ideen geht, um den Mut,
auch problematische Entscheidungen zu treffen, herrscht
(Beifall bei der CDU/CSU) bei Ihnen weitgehend Fehlanzeige.
Wenn wir zu Recht unsere Hand zur Integration weit (Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE
ausstrecken, müssen wir auch deutlich machen, was mit GRÜNEN]: Das ist ja lächerlich!)
denjenigen passiert, die diese Hand ausschlagen. Wer
diesen Staat ablehnt, wer Integration ablehnt, darf nicht Es ist doch schon eine Art Realsatire, wenn der SPD-
auf finanzielle Unterstützung von ebendiesem Staat hof- Parteivorsitzende und der Erste Parlamentarische Ge-
fen. Wer nicht bereit ist, unsere Sprache zu erlernen und schäftsführer der SPD-Fraktion in ihrer Verzweiflung
unsere Werte aufzunehmen, gehört nicht in unser Land. jetzt auf den Neuköllner Bezirksbürgermeister Heinz
Wer hier erhebliche Straftaten begeht, hat das Gastrecht Buschkowsky als Kronzeugen für SPD-Politik rekurrie-
in unserem Land ein für allemal verwirkt. ren. In der Tat, das ist einer der wenigen in der SPD, der
die Probleme noch beim Namen nennt, der Klartext
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) spricht. Aber weder der rot-rote Senat in Berlin noch die
SPD im Bund wollten jemals auf ihn hören.
Wir haben mit unserem Koalitionspartner, der FDP,
eine große Übereinstimmung. Ich habe das aktuelle Inte- (Beifall des Abg. Hartfrid Wolff [Rems-Murr]
grationspapier der FDP sehr positiv aufgenommen. Es [FDP])
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6253
Dr. Günter Krings
(A) Noch vor wenigen Tagen klagte Herr Buschkowsky Gewalttaten weiter an Intensität zunehmen. Die Polizis- (C)
in der Berliner Morgenpost über seine eigene Partei tinnen und Polizisten halten im wahrsten Sinne des Wor-
– ich zitiere –: tes Tag für Tag ihren Kopf für uns hin, damit wir sicher
und frei leben können.
Ich bin nicht Teil von Arbeitsgruppen der SPD zur
Integration oder Migration. Meine Position ist dort Es mögen Abgeordnete, auch exponierte Abgeordnete
nicht gewünscht. Der größte Feind einer vernünfti- in diesem Hause, ihren Beitrag darin sehen, die Arbeit
gen Integrationspolitik ist die Ignoranz. von Polizisten noch zu erschweren, indem sie beispiels-
weise an illegalen Sitzblockaden teilnehmen,
Ignoranz, meine Damen und Herren, scheint ohnehin
zum Markenzeichen der Politik der SPD in diesen Fra- (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
gen zu werden.
wir jedenfalls als Koalition sehen unsere Aufgabe darin,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) auch den Schutz von Polizisten in Deutschland zu ver-
bessern – er muss sich auch im Strafrecht widerspiegeln –,
Ignoranz ist auch ein schlechter Ratgeber, wenn es
und daran werden wir arbeiten.
um die Bekämpfung des Extremismus geht. Wir haben
in der Rechtsdebatte schon einiges dazu gehört. Wir (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
müssen Extremisten in unserem Land genau beobachten, neten der FDP)
gerade auch durch den Verfassungsschutz beobachten
lassen. Ich kann Ihnen dazu sozusagen aus erster Hand Ich komme gern zum Schluss und will noch ein paar
aus meinem Wahlkreis berichten. Dort gründet sich eine Worte zu der grassierenden Internetkriminalität sagen.
neue Salafistengruppe, eine extremistische Gruppe aus Dieser Bereich wird von einigen Fraktionen in diesem
dem religiösen Umfeld. Wir müssen nicht nur alles un- Hause nicht ausreichend ernst genommen. Es ist heute
ternehmen, um die genauestens zu beobachten, sondern möglich, Kreditkartendaten in einem vollautomatisierten
auch dafür sorgen, dass wir uns abgrenzen, dass wir Internetshop ähnlich denen von Amazon und iTunes im
Grenzen ziehen, dass wir solche Gruppen nicht als nor- Zehnerpack oder Hunderterpack zu erwerben. Das lässt
malen Bestandteil des religiösen oder gesellschaftlichen ein deutliches Anwachsen dieser Kriminalität befürch-
Lebens in unserem Land akzeptieren. Wir wissen, dass ten. Wir müssen die Infrastrukturverantwortung des
solche extremistischen Gruppen, auch aus dem religiö- Staates, wie es der Minister gesagt hat, gerade in dem
sen Bereich, Nährboden für Terrorismus darstellen kön- Bereich ernst nehmen. Wir sind bereit, uns dieser He-
nen. Dem müssen wir mit aller Entschlossenheit entge- rausforderung zu stellen. Dazu gehören natürlich auch
gentreten. Mindestspeicherfristen im Netz. Das ist ein wichtiger
Bereich, um dieses Medium, diese Infrastruktur sicher
(B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- und funktionsfähig zu halten. (D)
neten der FDP)
Wir als CDU und CSU kämpfen in gleicher Ent- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
schlossenheit gegen jedwede Form des Extremismus, ob Herr Kollege Krings!
er von rechts oder von links kommt oder ob es sich um
religiös motivierten Extremismus handelt. Aktuell ist Dr. Günter Krings (CDU/CSU):
nach wie vor das rasante Anwachsen der Zahl von Ge- Genug Aufgaben haben wir. Diesen Aufgaben wollen
walttaten aus dem linksextremen Milieu besorgniserre- wir uns unter anderem in den Haushaltsberatungen stel-
gend. Linksextreme Gewalt hat rechtsextreme Gewalt len. Ich freue mich auf diese Beratungen. Vielleicht
inzwischen sogar überflügelt. Besonders besorgniserre- kommt ja auch von der Opposition noch etwas Kon-
gend ist, dass es immer noch Parteien und Abgeordnete struktives.
in diesem Haus gibt, die linksextreme Gewalt verharm-
losen, verniedlichen Vielen Dank.
(Zuruf von der SPD: Keine Ahnung!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
und damit indirekt fördern.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Das Wort hat die Kollegin Gabriele Fograscher von
neten der FDP – Dr. Dietmar Bartsch [DIE der SPD.
LINKE]: Wer denn? – Weitere Zurufe)
(Beifall bei der SPD)
– Diejenigen haben sich gerade eindrucksvoll gemeldet.
Vielen Dank für diese Bestätigung. Gabriele Fograscher (SPD):
Nicht nur aus diesem linksextremen Milieu – Ihre Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Partei ist offenbar nicht bereit, sich davon eindeutig ab- Die geplanten Kürzungen und Einsparungen, Herr
zugrenzen –, Krings, sind kein Beitrag zur Generationengerechtigkeit;
sie sind vor allen Dingen und zuallererst die Folge Ihrer
(Jan Korte [DIE LINKE]: Sagen Sie was zu einseitigen Steuergeschenke
Frau Steinbach!)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
aber eben auch daraus gibt es immer mehr Gewalt gegen
Polizisten. Es ist nicht hinnehmbar, dass diese brutalen und Ihrer Unfähigkeit und Unwilligkeit,
6254 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Gabriele Fograscher
(A) (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Ganz Drittes Beispiel: Datenschutz, insbesondere Beschäf- (C)
üble Finanzpolitik in den letzten elf Jahren! tigtendatenschutz. Ihr Urteil, Herr Bundesinnenminister,
Steinbrück, Eichel, Lafontaine!) dass der in den Ressortabstimmungen weichgespülte
Entwurf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen aus-
die Verursacher der Finanz- und Wirtschaftskrise zur Be- gleicht, teilen wir nicht. Wir kritisieren, dass es einen
wältigung der Folgen zur Kasse zu bitten. Blankoscheck für die Videoüberwachung gibt, dass sie
einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Privatsphäre
(Beifall bei der SPD und der LINKEN) darstellt und
Für den Innenhaushalt gilt, Herr Krings: Markige (Gisela Piltz [FDP]: Hatten wir nicht die heim-
Worte und Vorwürfe an alle möglichen Seiten helfen liche Videoüberwachung verboten?)
nicht weiter. Deutliche Schwerpunktsetzung im Einzel-
plan 06 für mehr Integration, für mehr Demokratieförde- dass die Sanktionierung der zweckfremden Datenver-
rung und Extremismusbekämpfung, für mehr öffentliche wendung lückenhaft ist. Dieser Entwurf stellt somit kei-
Sicherheit: Fehlanzeige! Ich will das mit Beispielen be- nen fairen Ausgleich zwischen den Interessen der Ar-
legen. beitgeber und den Schutzbedürfnissen der Arbeitnehmer
dar. Das BMI muss hier noch nachbessern.
Erstes Beispiel: Bundespolizei. Ziel der 2008 be-
schlossenen Bundespolizeireform war, mehr Präsenz in (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
der Fläche und mehr Sicherheit an Bahnhöfen, Flughä- Viertes Beispiel: Technisches Hilfswerk.
fen und Grenzen zu schaffen. Zusätzlich sollte die Bun-
despolizei auch noch schwierige und gefährliche Aus- (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Gute
landseinsätze bewältigen können. Diese Ziele sind nicht Einrichtung! Sehr hervorragend!)
erreicht worden. Das haben die Sachverständigen in der
Anhörung im Innenausschuss im Juli dieses Jahres dras- Beim THW sollen in den nächsten vier Jahren 80 haupt-
tisch dargestellt. Ich zitiere Rainer Wendt, den Vorsitzen- amtliche Stellen, also 10 Prozent der Stellen, wegfallen.
den der Deutschen Polizeigewerkschaft: Damit gefährden Sie die erfolgreiche Organisations-
struktur des THW. Die vielfach unter Beweis gestellte
Wenn Sie geglaubt haben, mit einer Neuorganisa- Fähigkeit des THW, erfolgreich und effektiv im In- und
tion aus zu wenig Personal ausreichend Personal Ausland Hilfe leisten zu können, liegt in dem Verhältnis
machen zu können, dann haben Sie sich getäuscht. und dem Zusammenwirken von haupt- und ehrenamtli-
Das wird nicht funktionieren. Zu wenig Personal chen Kräften. Derzeit stehen 800 hauptamtliche Mitar-
heißt zu wenig Personal. Da können Sie organisie- beiter 80 000 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern
(B) ren, was sie wollen. gegenüber. Wenn Sie die Zahl der hauptamtlichen Mitar- (D)
beiter um 10 Prozent reduzieren, dann wird das auch
Anstatt dieses Problem anzugehen, planen Sie, Herr Auswirkungen auf den Einsatz der Helferinnen und Hel-
Bundesinnenminister, in Ihrem Haushalt bis 2014 rund fer haben. Diese Auswirkungen werden nicht nur wir in
weitere 1 000 Stellen bei der Bundespolizei zu streichen. Deutschland spüren, sondern auch die Menschen in den
Ländern, in denen das THW hilft, wie zurzeit in Pakis-
(Zuruf von der SPD: Aha!) tan. Die neuen Herausforderungen, die das THW in Zu-
So steht es zumindest in dem Schwerpunktepapier Ihres kunft bewältigen muss, zum Beispiel die Gewinnung
Hauses für den Einzelplan 06. Wie das zu einer spürba- Freiwilliger, wenn Sie – wie geplant – die Wehrpflicht
ren Entlastung, mehr Präsenz in der Fläche und mehr öf- aussetzen, lassen sich so nur schwerlich meistern.
fentlicher Sicherheit führen soll, bleibt Ihr Geheimnis. Über die Integration – zu diesem Beispiel will ich
jetzt noch etwas sagen – ist schon viel gesprochen wor-
Ich will ein zweites Beispiel anführen: Demokratie-
den. Es ist ein Megathema. Sie sprechen von Sanktionen
förderung und Extremismusbekämpfung. Der Haus-
gegen integrationsunwillige Migrantinnen und Migran-
haltstitel, in dem die Mittel für die Bekämpfung des Ex-
ten, können aber mit den jetzt eingestellten Mitteln noch
tremismus enthalten sind, wird trotz steigender Zahlen
nicht einmal all denen, die sich freiwillig zu einem
bei politisch motivierten Gewalt- und Straftaten redu-
Sprachkurs melden, ein Angebot machen.
ziert. Zwar erhält das Bündnis für Demokratie und Tole-
ranz weiterhin 1 Million Euro, weitere Aktivitäten auf (Gisela Piltz [FDP]: Es gibt aber mehr Geld als
diesem Gebiet sind wegen nicht eingestellter Haushalts- bei Ihnen!)
mittel offensichtlich nicht geplant.
Ihre Ministerkolleginnen und -kollegen Schavan, von
Auch die Bundeszentrale für politische Bildung wird der Leyen, Ramsauer und Schröder kürzen und streichen
durch den vorliegenden Haushalt geschwächt. In diesem dort, wo Integration stattfindet oder stattfinden muss. Zu
Jahr sind Kürzungen in Höhe von 1,5 Millionen Euro ge- gelingender Integration gehören neben qualifizierenden
plant, in den Folgejahren sogar von bis zu 5 Millionen Sprachkursen auch die schnelle Anerkennung ausländi-
Euro. Politische Bildung aber ist Voraussetzung für Teil- scher Bildungsabschlüsse, die Stärkung der interkultu-
habe und Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger am de- rellen Bildung, das Programm „Soziale Stadt“, die Ver-
mokratischen Gemeinwesen. Kürzungen gehen zulasten besserung der Nachqualifizierung, eine aktive Arbeits-
von Information, Aufklärung und demokratischer Kul- marktpolitik, zielgerichtete Sozialleistungen und früh-
tur. kindliche Förderung in Kitas und Schulen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6255
Gabriele Fograscher
(A) Die FDP, Herr Wolff, hat sich wohl von einer libera- – Wir tun etwas im Haushalt. Es gibt trotz Konsolidie- (C)
len Ausländerpolitik – so muss man es nach Ihrer Rede rungsbemühungen für den Datenschutz 1,8 Millionen
hier feststellen – in dieser Regierung verabschiedet. Euro mehr als im vergangenen Haushalt.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hartfrid Wolff NEN]: Das wird Google nun erschüttern!)
[Rems-Murr] [FDP]: Sie haben nicht zuge- Ich finde, das ist aller Ehren wert. Ein Vorschlag zum
hört!) Arbeitnehmerdatenschutz, eine Stiftung Datenschutz,
Im Haushalt des BMI sollen 100 Millionen Euro ein- die nächstes Jahr aus der Taufe gehoben wird, und ein
gespart werden. Das ist zwar weniger, als andere Res- modernes Datenschutzrecht: Das ist mehr als Sie, Rot-
sorts einsparen müssen. Aber diese Kürzungen sind be- Rot-Grün, gemeinsam oder anderweitig in den letzten
sonders schmerzhaft, weil sie zulasten der öffentlichen Jahren auf den Weg gebracht haben.
Sicherheit und zulasten der Integration gehen. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Wir hatten noch nicht das Vergnügen!)
Vielen Dank.
Darauf sind wir sehr stolz.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich bin froh darüber, dass wir das als christlich-libe-
Das Wort hat die Kollegin Gisela Piltz von der FDP- rale Koalition auf den Weg gebracht haben. Herr Minis-
Fraktion. ter, ich bin mir sicher, dass wir auch für die Vorratsda-
tenspeicherung eine Lösung finden.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Gisela Piltz (FDP): Frau Kollegin Piltz, darf ich Sie kurz unterbrechen? –
Erlauben Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Korte
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
von den Linken?
möchte heute mit einem Zitat beginnen:
Wenn es etwas gibt, wovon Sie nicht wollen, dass Gisela Piltz (FDP):
es irgendjemand erfährt, sollten Sie es vielleicht oh- Ja, ich habe schon darauf gewartet.
(B) nehin nicht tun. (D)
(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Das sagt Jan Korte (DIE LINKE):
Schmidt von Google!) Frau Kollegin Piltz, Rot-Rot-Grün hat ja noch gar
nicht regiert. Wir versuchen, das 2013 hinzubekommen.
– Herr Kollege, Sie haben es verraten. – Der eine oder
(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Aha!)
andere glaubt vielleicht, dieser Satz stamme von einem
ehemaligen Innenminister oder von CDU-Kollegen. Aber das ist jetzt nicht das Thema.
Nein, das ist nicht richtig. Es ist der Chef von Google.
Ich habe eine ernst gemeinte Frage. Wir haben heute
Ich finde es besorgniserregend, wie mit unserer Privat-
von der Justizministerin etwas zur Vorratsdatenspeiche-
sphäre umgegangen wird.
rung gehört. Dagegen haben wir in der letzten Legisla-
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Das stimmt!) turperiode durchaus zusammen gekämpft. Wir wollen
uns praktisch einbringen. Meine Frage richtet sich des-
Grundsätzlich muss es jedem Menschen möglich sein, halb an die Vertreterin der FDP, die auf der Demonstra-
selbst zu entscheiden, wer mit seinen Daten umgehen tion eindrucksvoll vertreten war: Was können wir tun,
darf und wie sie verknüpft werden. Die Informationsge- damit Sie sich gegen die CDU durchsetzen können
sellschaft macht aus unserer Sicht Privatheit nicht über-
flüssig, im Gegenteil: Je mehr solche Daten verfügbar (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)
sind und sozusagen mit einem Mausklick um die Welt und die Bundesregierung auf der europäischen Ebene
transportiert werden können, umso wichtiger ist der Da- gegen die neue Richtlinie vorgehen kann?
tenschutz bei der Erhebung dieser Daten.
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Welche neue
Schon lange ist der Datenschutz im nichtöffentli- Richtlinie? Sie haben ja keine Ahnung!)
chen Bereich – das wissen Sie alle – mein persönliches Wir wären Ihnen dabei behilflich. Was gedenken Sie zu
Anliegen und das Anliegen meiner Fraktion. Umso mehr tun?
freue ich mich, dass das ein zentrales Thema dieser
christlich-liberalen Koalition geworden ist.
Gisela Piltz (FDP):
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Herr Korte, ich habe nicht nur demonstriert, sondern
der CDU/CSU – Wolfgang Wieland [BÜND- habe gemeinsam mit anderen erfolgreich geklagt. Aus
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss aber was diesem Grund glaube ich, dass ein neuer Name allein
tun! Gut gebrüllt, Löwin! Was tun Sie jetzt?) diesem Problem nicht gerecht wird.
6256 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Gisela Piltz
(A) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir werden in den nächsten Monaten an der Reform (C)
NEN]: Wie bei Hartz IV!) der Bundespolizei arbeiten. Dazu werden wir Vorschläge
einbringen. Denn klar ist – das hat auch die Anhörung
Sie können Folgendes tun: Beobachten Sie es, und haben ergeben –, dass es so nicht weitergehen kann. Wir müs-
Sie Spaß daran. sen dringend Maßnahmen ergreifen. Das haben wir be-
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE reits vereinbart. Wir werden auch an anderen Themen
GRÜNEN]: Bisher war es aber nicht sehr lus- wie zum Beispiel der Sicherheitsarchitektur arbeiten.
tig!)
Ich bin zuversichtlich, dass es ein Herbst der Ent-
Ich bin mir sicher, dass sich die christlich-liberale Koali- scheidungen und nicht der Fehlentscheidungen wird.
tion auch in diesem Punkt einigt. Aber das machen wir Fehlentscheidungen hatten wir in den letzten Jahren un-
schon selber. Dazu brauchen wir die Hilfe der Linken ter Ihrer Ägide genug.
nicht. Aber herzlichen Dank für Ihr freundliches Ange-
bot. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Peter
Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Danckert [SPD]: Warten wir mal ab!)
GRÜNEN]: Haben Sie am letzten Wochen-
ende auch demonstriert?) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Wir sprechen im Rahmen dieses Haushalts auch über Das Wort hat der Kollege Frank Tempel von der Frak-
den Sport. Ein aktuelles Ereignis hat uns beschäftigt, und tion Die Linke.
zwar die Entscheidung des EuGH zum Glücksspiel-
staatsvertrag. Aufgrund der Aktualität möchte ich dazu (Beifall bei der LINKEN)
Folgendes sagen – auch wenn der Bund dafür nicht klas-
sischerweise zuständig ist –: Das Urteil des Europäi- Frank Tempel (DIE LINKE):
schen Gerichtshofs aus der vergangenen Woche hat für Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
Deutschland doch erhebliche wirtschaftliche und damit und Herren! Zum Haushaltsentwurf gibt es relativ viel
auch haushalterische Bedeutung. Im Sportwettenmarkt zu sagen. Deswegen ist es auch problematisch, sich in
werden jedes Jahr ungefähr 8 Milliarden Euro umge- fünf Minuten zu äußern. Ich will versuchen, wenigstens
setzt. Wenn auch die Musik zunächst formal in den Län- drei Themen anzureißen.
dern spielt, bin ich doch der Auffassung, dass auch wir
auf der Bundesebene gehalten sind, die Einführung eines Es heißt: Wer sich an Schwächeren vergreift, ist ein
(B) durchdachten Konzessionsmodells endlich voranzutrei- Feigling. Die derzeitige Bundesregierung greift ständig (D)
ben. Ich hoffe, dass wir hier eine gute Lösung finden. denen in die Tasche, die sich am wenigsten dagegen
wehren können. Ist es nun Feigheit oder Klientelpolitik,
(Beifall bei Abgeordneten der FDP) die das Verursacherprinzip in Ihrer Finanzpolitik außer
Der Haushaltsansatz für das Jahr 2011 steht insgesamt Kraft setzen? Beim jetzigen Aufschwung werden viel-
unter dem Ziel der Konsolidierung. Das ist aber nicht so fach Lohnsteigerungen gefordert. Bei den Beamten, also
einfach. Das können Sie nicht einfach so von der Hand den Beschäftigten im eigenen Verantwortungsbereich,
weisen. Denn ganz ehrlich: Auf Schuldenbergen können will die Regierungskoalition aber genau das Gegenteil.
Kinder nicht spielen. Das gilt übrigens auch für die Die auf fünf Jahre befristete Kürzung der Sonderzah-
Sammlung von Daten – dieses Thema möchte ich noch lung in der Beamtenbesoldung – das ehemalige Weih-
einmal ansprechen –: Auf Datenbergen kann keine Pri- nachtsgeld und Urlaubsgeld – sollte Ende 2010 auslau-
vatsphäre wachsen. fen. So war es vereinbart. Hier geht es übrigens um
immerhin 2,5 Prozent des Jahresgehalts. Jetzt soll das
(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Richtig!) Tarifergebnis für die Beamten in das Bundesbesoldungs-
Wenn ich mir anschaue, was Ihre rot-grüne Minderheits- anpassungsgesetz übernommen werden. Die Regie-
regierung in Nordrhein-Westfalen macht: Sie steigert ge- rungskoalition brachte aber dazu einen Änderungsantrag
rade die Nettoneuverschuldung um 35 Prozent. ein, der unter anderem die Fortsetzung dieser Kürzung
beinhaltet. Zugleich kommen Sie im Innenausschuss mit
(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Hört, einem mündlichen Antrag, der genau diese Kürzung
hört! Aber wie!) wieder zurücknimmt, um dann wiederum diesen Ände-
rungsantrag zum eigenen Änderungsantrag zurückzu-
Besser kann man den Unterschied zwischen einer christ-
nehmen.
lich-liberalen Koalition und einer rot-grünen Minder-
heitsregierung in Nordrhein-Westfalen nicht aufzeigen. (Wolfgang Gunkel [SPD]: Verschleierung!)
Wir senken die Nettoneuverschuldung; Sie erhöhen sie.
Das ist der Unterschied. Sie machen Politik zulasten un- Bei dem Thema herrscht also entweder komplettes
serer Kinder. Das ist nicht in Ordnung. Chaos, oder Sie haben ein schlechtes Gewissen; denn
Polizeibeamte stehen Ihnen offensichtlich sehr nahe.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Vielleicht denken Sie auch bei diesem Thema einmal an
Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE die Polizeibeamten; denn auch sie betrifft das.
GRÜNEN]: Der Unterschied ist, dass ihr abge-
wählt worden seid!) (Beifall bei der LINKEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6257
Frank Tempel
(A) So etwas nennt man jedenfalls Vertrauensbruch. Ich an der Verbesserung der Arbeitsbedingungen noch an (C)
muss Ihnen ganz ehrlich sagen: Wer soll denn dieser Re- der Verbesserung der Qualität der Integrationskurse inte-
gierung noch vertrauen, wenn selbst die Beamten und ressiert.
Beamtinnen das Vertrauen in ihren eigenen Dienstherren
(Beifall bei der LINKEN)
verlieren! Bei den Beamten ist hier sehr stark die Rede
von Vertrauensbruch und Vertrauensmissbrauch. Viele Eine solche Integrationspolitik nach Kassenlage können
von ihnen haben mir geschrieben. Ein Beamter schrieb wir uns im Interesse der Menschen und der Gesellschaft
mir dazu: schlicht nicht leisten.
(Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Der muss (Beifall bei der LINKEN)
aber sehr verzweifelt sein!)
Kollege Bockhahn hat es zwar schon kurz angespro-
Die Beamten haben jeweils in den letzten fünf Jah- chen; aber die Bedeutung dieses Themas ist gerade für
ren auf Zahlungen zwischen 3 000 und 6 500 Euro die neuen Bundesländer sehr hoch. In den Jahren 1999
verzichten müssen, und so habe auch ich einen An- bis 2009 erhielten die neuen Bundesländer aus dem Son-
teil zur Sanierung des Bundeshaushaltes geleistet. derförderprogramm „Goldener Plan Ost“ insgesamt
Jedoch habe ich weder die HRE vor den Baum ge- 71 Millionen Euro für die Sanierung und den Neubau
fahren noch die Commerzbank ruiniert. von Sportstätten für den Breitensport. Der Breitensport
ist wichtig, auch wenn es um Sicherheit geht: Er trägt
Wie schrieb der Beamte weiter? „Ein funktionierender
zur Kriminalprävention bei; das sollten Sie bedenken.
Staatsdienst“ – das sollten Sie sich merken – „ist für das
Bestehen der Bundesrepublik genauso systemrelevant Bereits ab 2004 wurden die Mittel massiv herunterge-
wie das Überleben wichtiger Banken!“ fahren. 2010 erfolgte die Streichung der Mittel. Wir ha-
ben aber folgende Problemlage: Im Jahr 2008 waren
(Beifall bei der LINKEN)
60 Prozent der Sportstätten im Osten und 40 Prozent der
Sie haben bereits die Demotivation durch fortlau- Anlagen im Westen sanierungsbedürftig. Aufgrund der
fende Stellenstreichungen angesprochen. Hier steht der Finanzlage der Kommunen sind mittlerweile immer
Staatsdienst übrigens vor einer riesigen demografischen mehr Anlagen auch im Westen schwer sanierungsbe-
Herausforderung. 70 000 Beschäftigte gehen in den dürftig. Die Linke fordert deswegen dringend die Wie-
nächsten zehn Jahren in den Ruhestand. Wo bitte haben deraufnahme des Goldenen Plans und eine Ausweitung
Sie haushalterisch auf die seit Jahren bekannten Pro- auf strukturschwache Regionen im Westen. Wir werden
bleme hingearbeitet? Es ist nichts zu finden. auch dazu einen entsprechenden Antrag einbringen.
(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Das stimmt Ich stelle fest: Der Einzelplan 06 des Haushaltsent-
(B) (D)
aber nicht!) wurfs ist ebenfalls ein Beweis dafür, dass die Regierung
keine Politik im Sinne der Bürgerinnen und Bürger
Man könnte über dieses Thema sicherlich eine eigene
macht, sondern weiterhin am falschen Ende spart – Spa-
Debatte führen.
ren ist eigentlich gut – und dabei langfristige Folgen aus-
Zum nächsten Thema. Das Thema Integration ist in klammert.
aller Munde und auch heute eines der Hauptthemen. Ich Danke schön.
kann aber im Haushalt keine verstärkten Bemühungen
erkennen. (Beifall bei der LINKEN)
(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Was? Le-
sen haben Sie aber gelernt, oder?) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Dr. Konstantin von Notz
Ich erinnere: Kürzung der Gelder für Migrationsbera- von Bündnis 90/Die Grünen.
tung um 2 Millionen Euro. Das nennen Sie „verstärkte
Bemühungen“. Im letzten Jahr hatte das Ministerium
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE
noch eine Aufstockung der Mittel um 8,5 Millionen
GRÜNEN):
Euro gefordert. Genau das fordert die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Herren! Liebe Kollegin Piltz, Ihr Streben um bürger-
rechtliche Anerkennung in dieser Debatte hat durchaus
Damit nicht genug: Sie brüsten sich offensichtlich da-
etwas Putziges. In Wahrheit ist es doch so: Trunken von
mit, dass der Ansatz für Integrationskurse in Höhe von
dem Wahlergebnis nach der letzten Bundestagswahl und
218 Millionen Euro trotz Sparvorgaben unberührt bleibt.
in Vorbereitung auf die Traumhochzeit mit Ihrem Koali-
Haben Sie eventuell vergessen, dass die Mittel bereits in
tionspartner Union, haben Sie sich in drei Wochen Ko-
diesem Jahr um 15 Millionen aufgestockt werden muss-
alitionsverhandlungen im Bereich Bürgerrechte völlig
ten? Das Geld reicht offensichtlich nicht.
über den Tisch ziehen lassen.
Es kommt noch mehr hinzu: Wir fordern seit langem
(Lachen des Abg. Hartfrid Wolff [Rems-Murr]
massiv angemessene Arbeitsbedingungen und Bezah-
[FDP] – Gisela Piltz [FDP]: Nein, nein!)
lung für Lehrkräfte bei Integrationskursen. Lehrkräfte
leisten unter schwierigsten Bedingungen weit mehr als Nun sind Sie außerstande, den Bereich der Bürgerrechts-
bloß Sprachvermittlung. Das ist wichtig. Ich muss kon- politik aktiv zu gestalten. Vor lauter Prüfaufträgen fehlt
statieren: Die Bundesregierung ist offensichtlich weder Ihnen jede Linie. Sie sind in einen aussichtslosen Ab-
6258 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Dr. Konstantin von Notz


(A) wehrkampf gegen den eigenen Koalitionspartner ver- auch bei Ihnen im Ministerium von Angesicht zu Ange- (C)
strickt. sicht ausgetauscht worden. Die interessante Frage ist:
Was folgt daraus? Gar nichts! Sie wollen weiterhin Netz-
(Gisela Piltz [FDP]: Den Abwehrkampf gegen sperren, ohne Abstriche.
den eigenen Koalitionspartner kennen Sie
gut!) Gegen das Problem der Darstellung von Kindesmiss-
brauch im Internet ist im zurückliegenden Jahr effektiv
Er ist so aussichtslos, dass sich Herr Wolff gar nicht nichts passiert. Alle drei Oppositionsfraktionen haben in
mehr mit der Bürgerrechtspolitik beschäftigt, sondern ir- der Vergangenheit immer wieder Anträge und Gesetz-
gendeinen anderen Acker bestellt. Dafür empfinde ich entwürfe mit Vorschlägen vorgelegt. Von Ihnen kamen
keine Anerkennung, sondern bestenfalls Mitleid. keine neuen Ansätze und keine Idee. Sie lassen sich vom
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- BKA treiben und sind beim Thema Netzsperren in einer
SES 90/DIE GRÜNEN – Gisela Piltz [FDP]: finalen Sackgasse angekommen. Einen Dialog zu führen
Sie kennen den Brecht-Spruch „Mitleid ist die – den Sie ja gesucht haben –, heißt auch, dazuzulernen.
schlimmste Form der Verachtung“?) Wenn man das nicht tut, dann ist es nur PR.
Herr Bundesinnenminister, wahr ist auch, dass Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Hoffnungen enttäuscht haben. Bei der Vorratsdaten- Bei Facebook haben Sie noch nicht einmal PR ge-
speicherung haben wir von Anfang an auf die Verfas- macht. Frau Aigner hat sich wortreich abgemeldet und
sungswidrigkeit hingewiesen. Sie mussten erst vom 8 Millionen Nutzerinnen und Nutzer im Regen stehen
Bundesverfassungsgericht gestoppt werden. Heute in der lassen. Von Ihnen, Herr de Maizière, kam in der Debatte
Debatte forderten Sie wieder die Vorratsdatenspeiche- kein konstruktives Wort. Ein Gesetzgeber, der Einzel-
rung, als ob nichts gewesen wäre. Mir ist ein Wider- boykotte von Ministerinnen inszeniert, statt Gesetze zu
spruch aufgefallen. In Ihren jüngsten Interviews spre- machen, offenbart nichts anderes als Handlungsunfähig-
chen Sie häufig davon, dass man Private vor Privaten keit.
schützen soll. Der Staat soll also das Individuum nicht
nur vor seinen eigenen bösen Überwachungsfantasien (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
schützen, sondern auch vor großen Konzernen. Es ist ein Als Abgeordneter aus dem Wahlkreis, in dem sich be-
Widerspruch, wenn man dann die Vorratsdatenspeiche- dauerlicherweise der Pannenreaktor Krümmel befindet,
rung fordert und damit die Unternehmen verpflichtet, kann ich Ihnen in der heutigen Debatte folgende Ausfüh-
mehr Daten länger zu speichern. Das ist nicht nur wider- rung nicht ersparen: Herr de Maizière, Sie sind auch Ver-
sprüchlich, das ist geradezu schizophren. fassungsminister. Insofern tragen Sie Mitverantwortung
(B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) für das Verfahren und Ergebnis der Atomverhandlun- (D)
gen der letzten Wochen. Im Zuge des Verfahrens hat
Auch im Hinblick auf ELENA haben Sie sich ver- man am Parlament vorbei Geheimverträge ausgehandelt,
weigert, aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts das Haushaltsrecht und das Demokratiegebot nach Art. 20
zur Vorratsdatenspeicherung zu lernen. Im Februar ha- Grundgesetz verletzend, den Versuch unternehmend, auch
ben wir Sie in einem Antrag aufgefordert, das Bürokra- zukünftige Regierungen an diesen schmutzigen Lobby-
tie- und Datenmonster ELENA auszusetzen und zu über- deal zu binden. Von Ihnen, Herr Bundesinnenminister,
arbeiten. Frau Piltz, Sie haben daraufhin medienwirksam gab es – ganz im Gegensatz zum Bundestagspräsidenten –
angekündigt, ELENA zu stoppen. weder ein Veto noch Widerspruch. Sie, werte Kollegin-
(Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Das passt nen und Kollegen von der FDP, haben als vermeintliche
doch auch!) bzw. ehemalige Bürgerrechtspartei noch nicht einmal ge-
schwiegen. Sie haben diesen unwürdigen Prozess als
Dann haben Sie ELENA gegen unseren Antrag im In- treibende Kraft mitbestimmt. Ich sage Ihnen: Das wird
nenausschuss durchgewunken. Vor der Sommerpause Sie noch einholen.
haben selbst die Bundeskanzlerin und der Bundeswirt-
schaftsminister ein Moratorium gefordert. Herzlichen Dank.

(Gisela Piltz [FDP]: Da können Sie einmal (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
sehen, was ich erreichen kann!)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ein Moratorium bedeutet den sofortigen Stopp. Es ist Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Uhl von der
Monate her. Wir diskutieren hier über ELENA, und die CDU/CSU-Fraktion.
Daten werden weiterhin übertragen. Eines wird deutlich:
Sie versagen in der Bürgerrechtspolitik bei den einfachs- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
ten Fragestellungen. neten der FDP)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU):
Gisela Piltz [FDP]: Wie gut, dass die Grünen
das früher so toll gemacht haben!) Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und
Kollegen! Bei Haushaltsberatungen ist es vielleicht nicht
Beim Thema Netzsperren haben Sie, Herr Innen- schlecht, wenn man daran erinnert, wie die finanzielle
minister, immerhin den Dialog mit der Netzgemeinde Ausgangslage ist. Wir müssen sparen. Das heißt, auch
gesucht. Alle überzeugenden und guten Argumente sind die Haushaltsmittel des Innenministeriums müssen ge-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6259
Dr. Hans-Peter Uhl
(A) kürzt werden, und zwar um 2 Prozent. Wir haben also stellen, dass er unsicher sei. Zugegeben, Herr Wieland: (C)
nicht mehr Geld zu verteilen, Herr Wieland, sondern we- Totale, hundertprozentige Sicherheit wird es niemals ge-
niger. Ich meine, dass wir die Sorgen und Ängste der ben, wenn es um Dinge von Menschenhand geht.
Bürger ernst nehmen müssen und trotz weniger Geld für
Sicherheit sorgen müssen und auch sorgen können. (Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Er ist aber unsicherer als der alte!
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das ist das Problem!)
NEN]: Eben! Sparen und Gestalten haben Sie
versprochen!) Aber egal, wer Deutschland regiert, es geht darum, ein
Höchstmaß an Sicherheit herzustellen, und das wird mit
Beispiel Sicherungsverwahrung. Das Gesetz zur Si- diesem elektronischen Personalausweis erreicht.
cherungsverwahrung, dessen Entwurf wir Ihnen in aller-
nächster Zeit vorlegen werden, wird in dem ganz sensi- (Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang
blen Bereich der Täter, die einschlägig vorbestraft sind Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ge-
und nach Verbüßen ihrer Strafhaft entlassen werden rade nicht!)
müssen, obwohl von ihnen da und dort noch erkennbar Das heißt, dass Kriminelle lange Zeit brauchen werden
eine Gefahr ausgeht, ein Mehr an Sicherheit bringen. und hohe Hürden nehmen müssen, um dieses System zu
Wir können es uns nicht leisten, Tag und Nacht solche überwinden. So ist es bei diesem Personalausweis.
potenziellen Schwerkriminellen mit einer Unzahl von
Polizeibeamten zu bewachen. Es muss eine Möglichkeit Im Bereich des Datenschutzes werden wir sehr viel zu
zur Sicherungsverwahrung geben. tun haben. Das ist ein langer Prozess, der in dieser Le-
gislaturperiode nicht zu bewältigen sein wird. Es ist si-
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE cher richtig, dass die Fassaden von Häusern kein Persön-
GRÜNEN]: Da schüttelt Ihre Justizministerin lichkeitsrecht haben, das zu schützen ist. Aber es ist
den Kopf! – Wolfgang Wieland [BÜND- genauso richtig, dass man mit den Fassadenbildern an-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Die gibt es leider dere, hochsensible Daten verknüpfen kann.
nicht, Herr Uhl! Die wollen wir einmal sehen!)
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE
Das wird kommen. Der Gesetzentwurf ist in Vorberei- GRÜNEN]: Dann los!)
tung, wie Sie wissen.
Der Staat muss auf solche Verknüpfungen achten, damit
Zweites Thema: Vorratsdatenspeicherung. Gehen er die Menschen schützen kann. Wir sind dabei. Die
Sie bitte zum Bundeskriminalamt nach Wiesbaden – wir Aussage dieses Herrn aus Amerika, der zurzeit Google
haben das getan, ebenso die FDP-Fraktion –, und lassen leitet, ist unsäglich. Er war ja letzte Woche in Berlin und (D)
(B) Sie sich von den Fachleuten erklären, wie es um die Si-
hat Audienz gehalten. Ich bin nicht hingegangen. Sol-
cherheit im Internet und um die Sicherheit beim Online- chen Leuten muss man heimleuchten, um es einmal et-
banking und wie es um die Sicherheit bestellt ist, wenn was salopp zu formulieren. Das geht natürlich nicht.
es darum geht, Kriminelle bei der Vorbereitung ihrer
Straftaten via Internet, via Skype zu überwachen. Es ist (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
hochdramatisch, dass sich im Internet ein ermittlungs- NEN]: Wären Sie mal hingegangen und hätten
freier, ein fast rechtsfreier Raum entwickelt. Dabei geht dem den Bayerischen Defiliermarsch gebla-
es, wie bei Google, nicht nur um Fassaden, sondern um sen!)
ganz andere Dinge, von denen eine ganz massive Ge-
– Nein, das muss man nicht tun. – Wir machen Gesetze,
fährdung der Bürger in unserem Land ausgeht. Wir müs-
und er wird die Gesetze auch in Amerika nachlesen kön-
sen das Bundeskriminalamt und die anderen Sicherheits-
nen.
behörden endlich in die Lage versetzen, auf die
Vorratsdaten zurückzugreifen. Wir verzeichnen – ich möchte das letzte Thema noch
kurz ansprechen – glücklicherweise bei einer großen
(Beifall bei der CDU/CSU)
Zahl von ausländischen Menschen erfolgreiche Inte-
Die Welt des Internets beherrscht die reale Welt im- grationsprozesse; das ist zu begrüßen. Die Menschen ha-
mer mehr. Die Menschen haben blindes Vertrauen in die- ben sich in diesem Land integriert. Aber es gibt eben
ses Medium, obwohl das Medium hoch unsicher ist. Mit auch eine Minderheit, über die man reden muss. Es ist
dem De-Mail-Gesetz tun wir alles, um wenigstens unsere Aufgabe als Gesetzgeber, zu überlegen, wie wir
Rechtsgeschäfte und bestimmte Kommunikationsmög- mit dieser Minderheit umgehen. Jetzt kommen Sie mit
lichkeiten sicherer zu organisieren. Dieser Gesetzent- den Integrationskursen, Herr Wieland.
wurf wird demnächst in den Bundestag kommen.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Wir versuchen, mit dem neuen elektronischen Perso- NEN]: Ja!)
nalausweis, der am 1. November 2010 eingeführt wird,
für mehr Sicherheit zu sorgen. Wir geben auch im nächsten Jahr 218 Millionen Euro für
Integrationskurse aus; das ist genauso viel wie im Jahr
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- zuvor. Das ist sehr viel Geld. Wenn wir mehr zu vertei-
NEN]: Nein! Er ist ein Unsicherheitsfaktor!) len hätten, würden wir da noch mehr Geld ausgeben.
– Lassen Sie sich von allerlei Fernsehsendungen nicht ir- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
remachen, in denen immer wieder versucht wird, darzu- NEN]: Man muss jedes Mal aufstocken!)
6260 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

Dr. Hans-Peter Uhl


(A) Aber wir haben nicht mehr, sondern weniger zu vertei- Dr. Peter Danckert (SPD): (C)
len. Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Mo-
ment sind noch die beiden für das Problem Zuständigen
(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Fragen Sie
anwesend, das ich jetzt kurz ansprechen will, die Frau
mal die Atomlobby!)
Justizministerin und der Herr Innenminister. Ende dieses
Als wir mit dieser millionenschweren Aufgabe be- Monats jährt sich zum 30. Mal der Tag, an dem in Mün-
gonnen haben, haben Sie bei den Grünen noch von Mul- chen am Rande des Oktoberfestes das schrecklichste At-
tikulti geschwafelt. tentat in der Nachkriegsgeschichte Deutschlands passiert
ist. Es gab 13 Tote und über 200 zum Teil sehr schwer
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Verletzte.
NEN]: Ach, wer hat diese Kurse denn einge-
führt? Sie waren gegen diese Kurse!) Der Vorgang ist meines Erachtens noch nicht genü-
gend aufgeklärt. Es gibt inzwischen zusätzliches Mate-
Da haben wir schon Sprachkurse finanziert. Das unter- rial. Ich verstehe nicht, warum die Justizministerin, die
scheidet Sie von uns. Generalbundesanwältin oder, besser gesagt, ihre Be-
(Beifall bei der CDU/CSU – Wolfgang hörde, das BKA und der Innenminister hier nicht ent-
Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie scheidende Impulse setzen. Wir können nicht immer nur
haben immer nur gesagt, wir sind kein Ein- über den Kampf gegen Rechtsextremismus reden, wäh-
wanderungsland! – Dr. Konstantin von Notz rend wir hier nichts machen, obwohl dort grausame
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben Mordtaten geschehen sind.
jahrzehntelang nichts getan!) Ich appelliere an Sie und das Parlament, endlich mit
Wir wollen Ernst machen mit Integration. Das habe dem nötigen Nachdruck dafür zu sorgen, dass die Er-
ich schon vor 20 Jahren gesagt. Da bin ich von den Grü- mittlungen wieder aufgenommen werden. Wir haben
nen im Münchener Rathaus ausgebuht worden. Was genügend neues Material. An diesem Jahrestag ist es an-
heißt denn Integration in Deutschland? Das heißt, gezeigt, dass Sie sich dazu bekennen und die entspre-
Deutsch, Deutsch und nochmals Deutsch lernen. Da hieß chenden öffentlichen Erklärungen abgeben. Darum bitte
es: Zwangsgermanisierer. „Administrativer Rassismus“ ich Sie. Ich bitte auch die Kolleginnen und Kollegen im
und ähnlichen Unflat musste ich mir anhören. Jetzt sagt Parlament, sich mit dieser Materie zu beschäftigen. Der
sogar ein grüner Ströbele: Ja, man muss in Deutschland 30. Jahrestag des schlimmen Oktoberfestattentats ist
Deutsch lernen. Das heißt, Sie haben dazugelernt. Res- ja, Gott sei Dank, in diesen Tagen auch in der Presse et-
pekt, aber es kommt sehr spät. was stärker beachtet worden. Meine herzliche Bitte an
(B) die Mitglieder des Parlaments und der Bundesregierung (D)
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- ist, hier etwas zu tun.
NEN]: Bei Ihnen darf man heute noch nicht
„Einwanderungsland“ sagen! – Zuruf des Abg. Zum Haushalt. Herr Minister, es ist schon gelobt wor-
Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE den – dem kann ich mich anschließen –: Das war eine
GRÜNEN]) Rede der sanften, der leisen Töne, die aber insgesamt,
wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten, etwas sehr
Jetzt haben wir mit den Spätfolgen Ihrer völlig ver- wolkig war. Sie haben sich an keiner Stelle richtig zu
korksten Multikultipolitik zu kämpfen, und das tun wir. den Problemen geäußert.
(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- In der kurzen verbleibenden Zeit kann ich noch ein
NEN]: Sie haben jahrzehntelang regiert!) paar Stichworte nennen, unabhängig von der Frage, wie
sich die Kürzungen auswirken; das will ich nicht be-
Wir werden mit 218 Millionen Euro versuchen, dieses
leuchten.
Problem Jahr für Jahr weiter zu lösen. Wer nicht zum
Sprachkurs geht, wird dazu gezwungen werden, notfalls Für die Bundespolizei ist im Zusammenhang mit der
durch Kürzung von Hartz IV. Reform eine Studie erstellt worden, wonach 25 Prozent
der Angehörigen der Bundespolizei an einem Burn-out-
Ich darf mich beim Minister und seinem Haus bedan-
Syndrom leiden. Das ist eine Erkrankung, die man ernst
ken. Es wurde schon gesagt, dass er der Minister der lei-
nehmen muss. Entweder das stimmt, und man muss et-
sen, der sanften Töne ist. Das ist nicht entscheidend.
was dagegen tun und sich dazu äußern, oder man sagt öf-
Entscheidend ist die Sicherheit in Deutschland. Dafür
fentlich: Diese Studie ist falsch.
kämpft er wie kein anderer und wir mit ihm an seiner
Seite: die CDU, die CSU und die FDP. Sie werden se- Außerdem will ich mich noch zum Thema Digital-
hen, die nächsten Gesetze kommen bestimmt. funk äußern. Auch das ist ein leidiges Thema. Wir ha-
ben Mittel freigegeben, und man hat den Eindruck, dass
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
sich an dieser Stelle fast gar nichts tut. Seit August ver-
neten der FDP – Wolfgang Wieland [BÜND-
gangenen Jahres wissen wir, dass die besonderen Sicher-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Ha!)
heitsnetze des Bundes, der Länder und der Dienste nicht
im vorgesehenen Regelbetrieb betrieben werden können.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Es ist eine ganz beschränkte Ausschreibung gelaufen.
Das Wort hat der Kollege Dr. Peter Danckert von der Seit über einem Jahr ist noch keine Entscheidung getrof-
SPD-Fraktion. fen worden. Ich weiß gar nicht, was in diesem Hause ge-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6261
Dr. Peter Danckert
(A) schieht. Da muss doch einmal einer richtig Druck ma- zeigt sich kein besonders erfreulicher Saldo. Wir erwe- (C)
chen. Entweder wir brauchen diese Netze – dann muss cken den Eindruck, dass 18 Millionen Euro hinzukom-
beschleunigt daran gearbeitet werden –, oder wir brau- men. Tatsächlich wird der Haushalt der Bundeszentrale
chen sie nicht, und dann müssen wir nicht Milliarden da- aber um 10 Millionen Euro gekürzt. Auch das ist sehr
für ausgeben. widersprüchlich. Wenn wir über das Thema Bildung dis-
kutieren, das das wichtigste Thema dieser Regierung
Zu den Kosten. Das Problem ist nicht nur, dass der und dieses Parlaments ist, dann sollten wir ehrlich sein
Anteil des Bundes von ursprünglich 2,6 Milliarden Euro und nicht die Mittel für die Einrichtung kürzen, die jahr-
auf 3,6 Milliarden Euro angestiegen ist. Den Anteil der zehntelang erfolgreich gearbeitet hat.
Länder, der sich auf etwa die gleiche Höhe belaufen soll,
kennen wir gar nicht. Ich verstehe nicht, warum das so
intransparent ist. – Ich bitte Sie, sich mit dem nötigen Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Nachdruck dafür einzusetzen, dass dieses Thema endlich Herr Kollege!
wirklich befördert wird. Ich hätte auch nichts dagegen,
wenn es hier und da zu Personalentscheidungen kommt, Dr. Peter Danckert (SPD):
damit es endlich vorangeht. Ich halte das für nicht vertretbar. Ich bitte Sie, in den
Haushaltsberatungen darüber noch einmal vernünftig zu
Wir haben heute in ganzer Breite die Frage der Inte-
reden. Ich glaube, bei dieser Frage werden wir sehr
grationskurse besprochen. Das ist richtig und wichtig.
schnell Einigkeit zwischen Koalition und Opposition er-
Angefangen von Rot-Grün über Schwarz-Rot bis hin zur
reichen.
jetzigen Koalition haben alle daran mitgewirkt; das ist gar
keine Frage. Die Zahlen sind auch interessant. Insgesamt Vielen Dank.
haben wir seit Beginn dieser Maßnahme 945 Millionen
Euro hierfür ausgegeben. Rund 700 000 Menschen haben (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
– Gott sei Dank in den meisten Fällen erfolgreich – an den Es ist bedauerlich, dass in keiner der Reden ein Wort
Integrationskursen teilgenommen und davon profitiert. zum Sport gesagt worden ist, Klaus Riegert.
Das ist ein ganz wichtiger Beitrag.
(Gisela Piltz [FDP]: Dann haben Sie bei mir
Heute gehören aber immer noch 1,4 Millionen Men- nicht zugehört!)
schen diesem Personenkreis an und brauchen diese Maß-
nahmen. Ich weiß gar nicht, wann wir das abarbeiten wol- Spielt der eigentlich keine Rolle?
len. Neulich habe ich einen Bericht des Bundesamtes
(B) gelesen, wonach das noch etwa zehn Jahre dauern soll. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (D)
Das ist natürlich überhaupt nicht zu vertreten. Wenn diese Herr Kollege Danckert!
Menschen integriert werden und deutsch sprechen kön-
nen, was man wirklich erwarten kann – da gebe ich Peter
Uhl recht –, dann können sie viel schneller in den Arbeits- Dr. Peter Danckert (SPD):
prozess eingegliedert werden. Dann sparen wir an dieser Der Minister hat etwas zu den Olympischen Spielen
Stelle Geld. Wir müssen also zusehen, dass das etwas um- und zur Frauenfußballweltmeisterschaft gesagt, aber
fassender behandelt wird. nichts zu dem laufenden Etat. Da wird nämlich überpro-
portional gekürzt.
Nun zu den Zahlen. Bereits in der vergangenen Haus-
haltsrede habe ich gesagt, dass diese 218 Millionen Euro Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
ein wichtiger Beitrag gewesen sind. Wir wussten aber
bereits Anfang des Jahres, dass diese Mittel nicht ausrei- Herr Kollege Danckert!
chen würden. Fakt ist auch – der Kollege Tempel hat es
gesagt –, dass wir in diesem Jahr die 218 Millionen Euro Dr. Peter Danckert (SPD):
noch um 15 Millionen Euro aus Haushaltsmitteln ergän- Vielen Dank.
zen mussten. Diese Mittel waren übrigens nicht für die
laufenden Kurse erforderlich. Wenn ich richtig infor- (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
miert bin, waren diese Mittel erforderlich für noch of-
fene Posten aus dem vergangenen Jahr. An dieser Stelle Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
ist also ein ehrlicher Umgang geboten. Ihre Redezeit ist vorbei. Die Chance, für den Sport zu
reden, ist nicht mehr gegeben.
Noch ein letztes Wort zur politischen Bildung. Wir
sind uns alle einig, dass Bildung ein wichtiges Thema
ist. Wenn aber die Haushaltsmittel für die Bundeszen- Dr. Peter Danckert (SPD):
trale für politische Bildung im nächsten Haushaltsjahr Sie waren sehr großzügig.
um 1,4 Millionen Euro, dann um 4,2 Millionen Euro und
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
dann um 4,4 Millionen Euro gekürzt werden sollen,
dann verstehe ich nicht, was die Kürzung an dieser Stelle
soll. Sie haben gesagt, man müsse die 18 Millionen Euro Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
hinzurechnen, die aus einem anderen Haushalt kommen. Jetzt hat das Wort der Kollege Florian Toncar von der
Das kann man machen. Wenn wir das aber bilanzieren, FDP-Fraktion.
6262 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

(A) Florian Toncar (FDP): sam bekämpfen können. Wir sind der Auffassung, dass (C)
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und die Löschung und die Strafverfolgung, also die Durch-
Herren! Der Einzelplan 06, der Haushalt des Bundesin- setzung der Gesetze, der effektivste Weg sind.
nenministeriums, steht wie alle Einzelpläne ganz klar
unter dem Vorzeichen der Konsolidierung. Ich will aus- (Manuel Höferlin [FDP]: So ist es!)
drücklich sagen: Wir begrüßen sehr, dass Ihr Haus, Herr Wir wollen außerdem, dass unsere Sicherheitsorgane
Minister, immer und von vornherein akzeptiert hat, dass handlungsfähig bleiben.
gespart werden muss. Das war eine vorbildliche Einstel-
lung, die den Haushaltspolitikern natürlich gefallen hat. Ich möchte noch einen weiteren Bestandteil dieses
Einzelplans ansprechen, der unsere besondere Aufmerk-
Frau Kollegin Fograscher, natürlich haben wir in die- samkeit verdient: das THW, das Technische Hilfswerk.
sem Etat gespart, aber nicht, wie Sie sagen, bei Sicherheit Natürlich sind viele Bereiche wichtig. Aber hier besteht
und Integration. Im Übrigen finde ich es bemerkenswert, die besondere Situation, dass beim THW neben dem
dass die Sozialdemokraten bei jedem Einzelplan – die hauptamtlichen ein ganz hohes Maß an ehrenamtlichem
Haushaltsdebatte dauert mittlerweile ja schon ein paar Engagement zu verzeichnen ist. Dessen ist sich diese
Tage – sagen: Auch wir sehen ein, dass gespart werden
Koalition bewusst. Wir werden in den Haushaltsberatun-
muss. Aber hier haben wir ganz besondere Pflichten. Hier
gen, wenn es um die Haushaltsansätze und den Stellen-
darf nun wirklich nicht gespart werden. – Das passt aller-
dings gut ins Bild und zu dem, was Sie in NRW machen, plan geht, sicherstellen, dass das THW, trotz gestiegener
wo Sie die Verschuldung deutlich nach oben treiben. Anforderungen und Belastungen, weiterhin so hervorra-
gende Arbeit leisten kann wie bisher. Damit werden wir
(Manuel Höferlin [FDP]: Ja, genau!) uns genau befassen.
Sie können eben nicht sparen. Das bringen Sie in dieser (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Debatte zum Ausdruck, und das zeigen Sie dort, wo Sie
regieren, in aller Deutlichkeit. Darüber hinaus werden wir uns mit folgenden Fragen
beschäftigen: Wo sind primär Bundesaufgaben betrof-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten fen? Wo sind im Hinblick auf den Bundeshaushalt viel-
der CDU/CSU) leicht auch Aufgaben anderer staatlicher Ebenen betrof-
Aufgrund der finanziellen Rahmenbedingungen ha- fen? Es ist in Anbetracht der jetzigen Haushaltslage
ben wir die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass die Leistun- nicht zwangsläufig so, dass man alles, was man einmal
gen, die der Staat erbringt, effizient erbracht werden, für andere Ebenen bezahlt hat, noch leisten muss. Dies
dass man eher auf Qualität als auf Quantität, auf schiere wird im Rahmen der Detailarbeit zu klären sein. Ich
Geldbeträge, achtet. Das wollen wir tun. möchte allerdings ankündigen, dass man auch diesen
(B) Punkt beachten muss. (D)
In diesem Sinne haben wir in der Innenpolitik natür-
lich auch die Aufgabe, sicherzustellen, dass die Gesetze Weil der Kollege Danckert den Sport vermisst hat,
vollzogen werden. Wir haben nicht den Ansatz, gerade möchte ich nicht zuletzt zum Ausdruck bringen, dass
wir Liberalen nicht, immer neue Gesetze zu erfinden, sich die FDP-Fraktion sehr wünscht, dass die Olympia-
sondern wir wollen gewährleisten – auch das ist eine bewerbung von München erfolgreich ist. Ich glaube, das
Haushaltsfrage –, dass die Gesetze, die es gibt, zur An- wäre ein Aushängeschild für unser Land. Natürlich gibt
wendung kommen. Dafür sorgen wir, unter anderem in- es, was das Konzept betrifft, immer Gesprächsbedarf.
dem wir im Haushaltsgesetz festlegen, dass im gesamten Aber ich glaube, man darf ein Konzept nicht mit Ein-
Sicherheitsbereich keine Stellenkürzungen vorgenom- wänden zerreden, sondern wir müssen aufpassen, dass
men werden – was Sie wissen sollten, weil das immer so Deutschland eine Gesellschaft bleibt, die auch größere
war, liebe Kollegin. Herausforderungen stemmen kann. Das Thema Olympia
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ist nur ein Aspekt in dieser Diskussion. Wir sollten keine
der CDU/CSU) Dagegen-Republik werden. Man kann das Konzept na-
türlich noch verbessern. Aber wir wollen Olympia, und
Wenn wir über die Wirksamkeit von Gesetzen disku- das sollten wir auch deutlich sagen.
tieren, müssen wir eines zur Kenntnis nehmen: Im Hin-
blick auf die Bekämpfung der Kriminalität im Internet (Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Sehr gut!)
bestehen große Zweifel daran, ob die Sperre einer Seite Die FDP-Fraktion und diese Koalition jedenfalls tun das.
ein wirksames Instrument ist. Dies wird fachlich weitge-
hend bestritten. Ich glaube, in dieser Diskussion wird oft (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
unterschätzt, dass diese Gefahr nicht nur auf das Thema
Kinderpornografie beschränkt ist. Der eigentliche Ein- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
wand gegen dieses Vorgehen ist, dass man dadurch ein
Als letztem Redner zu diesem Einzelplan erteile ich
ineffektives Mittel schafft, allerdings mit der Folge, dass
plötzlich eine Stelle existiert, die darüber entscheidet, das Wort dem Kollegen Jürgen Herrmann von der CDU/
was sichtbar sein darf und was nicht. Das ist die ganze CSU-Fraktion.
Dimension dieses Problems.
Jürgen Herrmann (CDU/CSU):
(Beifall bei der FDP)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich glaube, dadurch ist auch der Rahmen abgesteckt, in Verehrte Damen und Herren! Die ersten Berichterstatter-
dem wir diese schreckliche Form der Kriminalität wirk- gespräche zum Haushalt des Jahres 2011 und zum
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6263
Jürgen Herrmann
(A) Einzelplan 06 sind bereits gelaufen, und ich darf an die- Sicherlich ist es nicht schön, wenn es um Stellenab- (C)
ser Stelle noch einmal feststellen – das ist mir auch im bau geht. Es ist aber bemerkenswert, dass wir in diesem
letzten Haushaltsjahr aufgefallen –, dass unter den Be- Bereich den niedrigsten Beschäftigtenstand seit der Wie-
richterstattern ein sehr gutes Klima herrscht. Das hätte dervereinigung haben.
ich damals nicht erwartet.
Es geht allerdings auch – Herr Tempel, vielleicht hö-
(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Stimmt!) ren Sie noch einen Moment zu – um die Weiterbeschäf-
Nichtsdestotrotz gibt es unterschiedliche Meinungen. tigung der Auszubildenden. Wenn die Auszubildenden
Wir haben sehr kontrovers, aber auch zielgerichtet dis- ihre Lehre beendet haben, bleiben sie meist noch ein
kutiert. Das sollte im Vordergrund stehen; das haben wir, oder zwei Jahre in den Behörden, je nachdem, wie sie
glaube ich, auch geschafft. die Lehre abgeschlossen haben. Hier muss sicherlich die
demografische Entwicklung mitberücksichtigt werden;
Herr Minister, auch an Sie und Ihr Haus ein herzlicher sonst laufen wir in ein Tal. Das haben wir aber aufge-
Dank für die Vorbereitung des Haushalts! Wenn Mittel nommen; wir werden uns hierüber entsprechende Ge-
gestrichen werden, ist das nicht ganz einfach. Wir wer- danken machen. Man sollte vielleicht auch nicht mehr
den darüber diskutieren; aber ich glaube, Sie haben es nur in Richtung Stellenpläne denken, sondern über Per-
geschafft, die grundlegenden Dinge zu vermitteln. Also sonalbudgets nachdenken, sodass man auch Leute wei-
noch einmal: Herzlichen Dank auch an Ihre Mitarbeiter! terbeschäftigen kann, ohne ihnen eine Stelle zuweisen zu
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie müssen.
des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD])
Frau Fograscher, auch der Stellenabbau beim THW
Die Ausgangssituation beim Einzelplan 06 ist auf- war Thema. Wir haben es ja in den letzten Jahren ge-
grund von 18 Behörden sicherlich anders als in anderen schafft – das muss man immer wieder sagen –, den THW
Ressorts. Hier geht es um sehr personalintensive Behör- weitestgehend zu verschonen, allerdings mit der Auflage,
den. Bei acht der 18 Behörden betragen die Personalaus- dass diese Stelleneinsparungen dann in den anderen Be-
gaben über 60 Prozent der Gesamtausgaben. 52 Prozent hörden zusätzlich erbracht werden mussten. Wir sind da-
der Ausgaben für die Bundespolizei sind Personalausga- bei – ich habe eben noch ein Gespräch mit dem Minister
ben. Das verdeutlicht schon, wie schwierig es ist, hier ein- geführt –, diese Aufgabe zu bewältigen; denn es kann
zusparen. Trotz alledem – Kollege Toncar hat es ange- nicht richtig sein, dass wir dort trotz mehr als 80 000 eh-
sprochen – verlangt die Haushaltskonsolidierung auch renamtlichen und über 800 hauptamtlichen Mitarbeitern
ein entsprechendes Vorgehen beim Einzelplan 06. Auf- noch weitere Stellen aufbauen – insbesondere, weil dort
grund der Schuldenbremse im Grundgesetz und der dezentral geführt wird. Ich glaube, wir werden hier, Peter
(B) Maastricht-Kriterien sind auch wir verpflichtet, unseren Danckert, mit den Berichterstattern zu einer gemeinsa- (D)
Beitrag zu leisten. Wir tun dies mit einer Beschneidung men Lösung kommen.
unseres Haushalts in Höhe von circa 105 Millionen Euro.
Das führt natürlich zu Diskussionen – gar keine Frage –; Integration war heute das große Thema in dieser
aber wir sind ja auch angetreten, um diese Dinge aufzu- Runde. Ich halte auch für wichtig, dass wir darüber dis-
arbeiten. kutieren, nicht nur nachdem sich Sarrazin in vielen Be-
Wenn ich mir die Haushaltsentwicklung der letzten Jahre reichen so unflätig geäußert hat. Das ist ein Thema, das
ansehe, dann erkenne ich natürlich, dass es einen Aufwuchs uns als Abgeordnete in den Wahlkreisen betrifft. Ich er-
gegeben hat. 2007 hatten wir ein Budget von 4,5 Milliarden lebe tagtäglich, dass darüber gesprochen wird – positiv
Euro; im Jahr 2011 werden wir bei circa 5,4 Milliarden und negativ. Da findet sich letztlich die Diskussion der
Euro landen. Mehr als zwei Drittel dieses Geldes wird letzten Wochen wieder. Ich bin dankbar, dass der Minis-
weiterhin für die innere Sicherheit ausgegeben. Ich ter dieses Thema offen angesprochen hat. Kollege Wolff
glaube, das ist ein klares Zeichen der Koalition in die und Kollege Krings, Sie haben sehr deutliche Worte ge-
richtige Richtung. Denjenigen, die sich darüber beschwe- funden. Ich persönlich glaube, dass wir, wenn wir Teil-
ren, dass an den verschiedenen Stellen gespart wird, halte habe und Chancengleichheit in unserem Land wollen,
ich entgegen, dass aus den Konjunkturmitteln schon er- verpflichtet sind, Integrationskurse durchzuführen.
hebliche Anschaffungen getätigt worden sind – das gilt
insbesondere hinsichtlich der Sachbeschaffung –, wes- Integrationskurse und Alphabetisierungskurse sind
halb der Schmerz sicher nicht allzu groß sein dürfte. Inte- ein wichtiger Aspekt. Ich sage an dieser Stelle noch ein-
ressant ist, dass Sie, Herr Minister, dafür gesorgt haben mal: In diesem Bereich gibt es keine Einsparungen. Herr
– das finde ich auch richtig –, dass alle Bereiche Ihres Minister, ich lobe Sie ausdrücklich dafür, dass Sie, als in
Hauses sparen müssen. Es ist also sehr darauf geachtet diesem Haushaltsjahr Probleme bei der Finanzierung
worden, dass es gerecht zugeht. Alle Bereiche müssen auftraten, 15 Millionen Euro obendrauf gelegt haben.
sparen; ich glaube, diese Botschaft ist auch angekommen. Das ist ein deutliches Zeichen dafür, dass wir in dieser
Richtung vernünftig arbeiten wollen und auch in Zu-
Es ist natürlich wichtig, dass wir in den Berichterstat- kunft arbeiten werden.
tergesprächen viele Dinge aufgreifen. Am vergangenen
Montag haben wir mit dem Hauptpersonalrat des Innen- Die Mittel sind in 2009 und 2010 um 44 Millionen
ministeriums gesprochen. Zwei Dinge sind uns dabei ge- Euro aus dem Bildungsfonds aufgestockt worden. Aber
sagt worden, die von den Kollegen bereits angesprochen damit nicht genug: In den Jahren 2012 und 2013 werden
worden sind. wir zusätzlich 50 Millionen Euro bekommen.
6264 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: werden, dann stellt man fest, dass sie im Vergleich zum (C)
Herr Kollege Herrmann, erlauben Sie eine Zwischen- täglichen Leben überproportional hoch sind. Hier stellt
frage des Kollegen Danckert? sich die Frage, ob man eine Kinderbetreuung nicht in-
nerhalb der Familie organisieren kann. Ich glaube, das
Jürgen Herrmann (CDU/CSU): ist der richtige Weg. Hier finden wir wahrscheinlich eine
Sehr gerne. Lösung; wir haben das in den Berichterstattergesprächen
schon angesprochen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Bitte schön, Herr Danckert. neten der FDP)
Meine Damen und Herren, wir werden in den nächs-
Dr. Peter Danckert (SPD): ten Wochen intensiv über diesen Haushalt sprechen. Si-
Herr Kollege Herrmann, auch Ihnen ist in diesem Zu- cherlich werden wir die eine oder andere kontroverse
sammenhang das Problem der Fahrtkosten bekannt. In Diskussion führen. Das ist richtig, und das ist auch gut.
2009 waren es 21,6 Millionen Euro. Derzeit sind es et- Das belebt nicht nur das Geschäft, sondern auch die De-
wa 22 Millionen Euro. Ende des Jahres werden wir mokratie. Ich freue mich auf die Gespräche, weil ich
30 Millionen Euro für Fahrtkosten aufzubringen haben, glaube, dass uns das deutlich voranbringt. Die letzte Be-
die aus diesem Etat bezahlt werden. Teilen Sie meine ratung hat gezeigt, dass man auch mit den Kollegen der
Auffassung, dass wir für dieses Sonderproblem eine Lö- Opposition in vielen Bereichen vernünftig Politik ma-
sung finden müssen, damit das Geld für Integrations- chen kann. Sie sollten sich auf jeden Fall anhören, was
kurse und nicht für Fahrten ausgegeben wird? wir Ihnen zu bieten haben.

Jürgen Herrmann (CDU/CSU):


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich gebe Ihnen recht, Herr Danckert. Da kommt ein
Riesenproblem auf uns zu. Wir müssen hier eine Lösung Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
finden. Ich sage an dieser Stelle ganz offen: Wenn wir Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
über das Fördern sprechen, dann müssen wir auch über nicht vor.
das Fordern reden. Jeder Kilometer wird genau abge-
rechnet. Für mich stellt sich die Frage, ob jemand, der Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
die zwei Kilometer zum Integrationskurs vielleicht zu ordnung.
Fuß zurücklegen kann, dies finanziell abrechnen können Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
(B) muss. Diese Frage muss man einmal stellen. destages auf morgen, Freitag, den 17. September 2010, (D)
Im Übrigen kommen nicht nur im Bereich der Fahrt- 9 Uhr, ein.
kosten Probleme auf uns zu. Auch Kinderbetreuungs- Die Sitzung ist geschlossen.
kosten sind ein solches Thema. Wenn man sich einmal
die Mittel anschaut, die für diesen Bereich ausgegeben (Schluss: 18.19 Uhr)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 59. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 16. September 2010 6265

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis


Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Aigner, Ilse CDU/CSU 17.09.2010 Dr. Seifert, Ilja DIE LINKE 17.09.2010

Dr. Bartels, SPD 17.09.2010 Dr. Steinmeier, Frank- SPD 17.09.2010


Hans-Peter Walter

Bartol, Sören SPD 17.09.2010 Dr. Terpe, Harald BÜNDNIS 90/ 17.09.2010
DIE GRÜNEN
Beck (Bremen), BÜNDNIS 90/ 17.09.2010*
Marieluise DIE GRÜNEN Weinberg, Harald DIE LINKE 17.09.2010

Bernschneider, FDP 17.09.2010 Wieland, Wolfgang BÜNDNIS 90/ 17.09.2010


Florian DIE GRÜNEN
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
Binder, Karin DIE LINKE 17.09.2010 sammlung des Europarates

Birkwald, Matthias W. DIE LINKE 17.09.2010


Anlage 2
Duin, Garrelt SPD 17.09.2010
Erklärung
Erdel, Rainer FDP 17.09.2010
des Abgeordneten Jörn Wunderlich (DIE
(B) Herzog, Gustav SPD 17.09.2010 LINKE) zur Abstimmung über die Beschluss- (D)
empfehlung des Haushaltsausschusses zur
Lay, Caren DIE LINKE 17.09.2010 Entlastung der Bundesregierung für das Haus-
haltsjahr 2008 (Drucksache 17/2492 Nr. 1) (Ta-
Lenkert, Ralph DIE LINKE 17.09.2010 gesordnungspunkt 3 c)

Meierhofer, Horst FDP 17.09.2010 Für die Fraktion Die Linke erkläre ich: Das Votum
lautet Ablehnung.
Nahles, Andrea SPD 17.09.2010

Nink, Manfred SPD 17.09.2010 Anlage 3


Oswald, Eduard CDU/CSU 17.09.2010 Erklärung

Pothmer, Brigitte BÜNDNIS 90/ 17.09.2010 des Abgeordneten Jörn Wunderlich (DIE
DIE GRÜNEN LINKE) zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Haushaltsausschusses zu
Roth (Augsburg), BÜNDNIS 90/ 17.09.2010 Aufforderungen an die Bundesregierung zur
Claudia DIE GRÜNEN Aufstellung und Durchführung der Bundes-
haushaltspläne (Drucksache 17/2492 Nr. 2) (Ta-
Schnieder, Patrick CDU/CSU 17.09.2010 gesordnungspunkt 3 c)

Dr. Schui, Herbert DIE LINKE 17.09.2010 Für die Fraktion Die Linke erkläre ich: Das Votum
lautet Zustimmung.
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
ISSN 0722-7980

Das könnte Ihnen auch gefallen