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Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht
31. Sitzung
Inhalt:
(A) (C)
Redetext
31. Sitzung
Wir beginnen unsere heutige Sitzung mit herzlichen – Drucksachen 16/13601, 17/626 –
Geburtstagsglückwünschen an die Kollegin Dr. Claudia
Berichterstattung:
Winterstein, die heute einen runden Geburtstag feiert
Abgeordnete Norbert Barthle
und der ich dazu im Namen des ganzen Hauses herzlich
Carsten Schneider (Erfurt)
gratulieren möchte.
Otto Fricke
(Beifall) Roland Claus
(B) Alexander Bonde (D)
Auf Vorschlag der Fraktion Die Linke soll die Kolle-
gin Petra Pau anstelle des aus dem Deutschen Bundes- Ich rufe zunächst den Tagesordnungspunkt I.13 auf:
tag ausgeschiedenen Abgeordneten Oskar Lafontaine
zum Mitglied des Gemeinsamen Ausschusses nach Einzelplan 10
Art. 53 a des Grundgesetzes gewählt werden. Als Bundesministerium für Ernährung, Landwirt-
neues stellvertretendes Mitglied ist die Kollegin Kersten schaft und Verbraucherschutz
Steinke vorgesehen. Sind Sie mit diesen Vorschlägen – Drucksachen 17/610, 17/623 –
einverstanden? – Heftiges Nicken insbesondere in den
Reihen der vorschlagenden Fraktion, keine Einwände Berichterstattung:
von anderer Seite. Damit sind die Kolleginnen Pau und Abgeordnete Georg Schirmbeck
Steinke in dieses Gremium gewählt. Rolf Schwanitz
Heinz-Peter Haustein
Es gibt außerdem noch eine nachträgliche Ausschuss- Roland Claus
überweisung. Der Antrag der SPD-Fraktion mit dem Alexander Bonde
Titel „Europa 2020 – Strategie für ein nachhaltiges Eu-
ropa – Gleichklang von sozialer, ökologischer und wirt- Hierzu liegen Ihnen die Beschlussempfehlungen des
schaftlicher Entwicklung“ auf der Drucksache 17/882 Haushaltsausschusses auf den Drucksachen 17/610 und
soll zusätzlich dem Ausschuss für Bildung, Forschung 17/623 vor.
und Technikfolgenabschätzung zur Mitberatung über-
wiesen werden. – Auch dazu gibt es offensichtlich Ein- Zu diesem Einzelplan liegen zwei Änderungsanträge
vernehmen. Dann ist das so beschlossen. der Fraktion Die Linke vor.
Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesord- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
nungspunkt I a und b – fort: die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann können wir so verfahren.
a) Zweite Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das nächst dem Kollegen Rolf Schwanitz für die SPD-Frak-
Haushaltsjahr 2010 (Haushaltsgesetz 2010) tion.
– Drucksachen 17/200, 17/201 – (Beifall bei der SPD)
2834 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
(A) Rolf Schwanitz (SPD): derung statt problembezogene Hilfe, beispielsweise bei (C)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und der landwirtschaftlichen Unfallversicherung.
Herren! Guten Morgen! Sehr geehrte Frau Ministerin
Sie sorgen auch nicht für schnelle Hilfe; denn zen-
Aigner, ich will mich, einer guten Tradition folgend,
trale, wichtige Dinge werden erst im vierten Quar-
zunächst einmal bei Ihnen recht herzlich für die Infor-
tal 2010 fällig.
mationen und bei den Kolleginnen und Kollegen
Berichterstatter für die kollegiale Zusammenarbeit im Aus meiner Sicht am problematischsten ist aber, dass
Haushaltsausschuss bedanken. Ich möchte mich speziell Sie rein konsumtiv hinter der Marktentwicklung herför-
bei Ihrem Haus bedanken. Die Informationen waren prä- dern. Es wird also gegen den Markt ansubventioniert,
zise und vollständig. Ich will das mit Blick auf andere statt Vorschläge für eine nachhaltige Landwirtschafts-
Ressorts, zu deren Einzelplänen ich heute noch die Ehre politik aufzugreifen; meine Kollegin Wolff wird darauf
habe zu sprechen, ausdrücklich loben und hervorheben. noch näher eingehen.
Ein Kompliment also an die Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter Ihres Hauses. (Beifall bei der SPD)
Sie werden Verständnis dafür haben, dass ich Ihnen, Früher hat man so etwas als Danaergeschenk bezeich-
was die politische Bewertung des Einzelplanes 10 an- net. Denn die Bauern, die landwirtschaftlichen Betriebe
geht, kein Kompliment machen kann. Nach meiner Ein- werden für die verpasste Chance einer in die Zukunft ge-
schätzung stehen drei Überschriften über diesem Einzel- richteten Subventionspolitik in Form eines viel höheren
plan des Ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft Anpassungsdrucks teuer bezahlen müssen, wenn sich die
und Verbraucherschutz. Die erste Überschrift lautet: Kli- Lage nach 2013 grundsätzlich verändert. Deswegen han-
entel- statt Strukturpolitik. delt es sich um Klientelpolitik statt um gezielte Subven-
tionspolitik.
(Beifall des Abg. Ulrich Kelber [SPD] – Zu-
rufe von der CDU/CSU: Oh!) Die zweite Überschrift, die über Ihrem Haushaltsplan
steht, lautet „Einsparungen an der falschen Stelle“. Was
Die zweite Überschrift lautet: Einsparungen an falscher meine ich damit? Sie schütten nicht nur Geld aus, son-
Stelle. dern sammeln auch Geld ein, kürzen und sparen ein. Vor
allem geschieht das bei der Gemeinschaftsaufgabe
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Oh!)
Agrar- und Küstenschutz. Ich erinnere mich noch sehr
Die dritte Überschrift lautet: Kein Zukunftskonzept für gut daran – das betrifft allerdings nicht den Kollegen
Verbraucherpolitik. – Das sind die drei Markenzeichen Schirmbeck –, dass in der ersten Lesung auch die Minis-
des Einzelplanes 10. terin noch gepriesen hat, dass der Plafond von 700 Mil-
(B) lionen Euro für die Gemeinschaftsaufgabe erhalten (D)
(Beifall bei der SPD) bleibt.
Ich will das kurz begründen. (Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Hört! Hört!)
Zunächst zu der Überschrift „Klientel- statt Struktur- Sie haben gesagt, das sei eine große Leistung und gut
politik“. Es wird Sie nicht wundern, dass ich in diesem eingesetztes Geld, Frau Aigner. In Ihrem Koalitionsver-
Zusammenhang als Allererstes das Grünlandmilchpro- trag steht sogar etwas von der Absicht einer Erhöhung
gramm erwähne. Denn was machen Sie damit? Unter der Mittel für die Gemeinschaftsaufgabe. All dies ge-
dem Deckmantel der Krisenhilfe – die Situation ist in der schieht aber nicht. Sie senken den Plafond um 25 Millio-
Tat nicht einfach – wird ein gigantisches Klientelpro- nen Euro ab und – das finde ich ganz besonders bitter –
gramm organisiert. Ich will daran erinnern, dass wir im kürzen die Verpflichtungsermächtigungen um 5,2 Mil-
Haushalt 2010 400 Millionen Euro dafür finden; im Jahr lionen Euro, gegenüber dem Entwurf von Peer
2011 werden noch einmal 300 Millionen Euro dazukom- Steinbrück sogar um 7,2 Millionen Euro.
men. Der Deutsche Bauernverband hält überall Ver-
anstaltungen ab und spricht – unter Einbeziehung der Diese Kürzung wirkt sich übrigens schwerpunktmä-
Absenkung der Agrardieselsteuer – von einer Subventio- ßig im investiven Bereich aus; denn darin sind Kürzun-
nierung im Umfang von 1,3 Milliarden Euro in den Jah- gen von Investitionsmitteln in Höhe von 15,5 Millionen
ren 2010 und 2011 zusammen. Euro enthalten. Sie haben also eine interessante Doppel-
strategie: Auf der einen Seite werden mit der Kuh-
(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Hört! schwanzprämie konsumtive Subventionen ausgereicht,
Hört!) auf der anderen Seite werden Investitionsmittel zusam-
Gegen echte Krisenhilfe wäre nichts einzuwenden. mengestrichen. Das sind Kürzungen an der falschen
Das ist auch der Grund, aus dem die Sozialdemokraten Stelle.
sich bei den Haushaltsberatungen dem Liquiditätshilfe- (Beifall bei der SPD)
programm in Höhe von 25 Millionen Euro nicht verwei-
gert haben; wir haben es vielmehr unterstützt und mitge- Besonders bitter ist aus meiner Sicht das, was bei den
tragen. Dieses Geld kommt an der richtigen Stelle an; Verpflichtungsermächtigungen geschehen ist. Sie haben,
das ist in Ordnung. Aber Sie machen etwas völlig ande- genau wie wir, Briefe der Landwirtschaftsminister aller
res. Sie legen ein Subventionsprogramm mit einer 16 Länder bekommen, in denen sie ausdrücklich auf die
durchsichtigen regionalen Schlagseite im südwestdeut- große Bedeutung der Verpflichtungsermächtigungen für
schen Raum und in Bayern auf. Das ist Gießkannenför- die Bindung europäischer Mittel hingewiesen haben.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2835
Rolf Schwanitz
(A) Das alles haben Sie ignoriert. Mit Ihren Einschnitten ist ser. In der zweiten Beratung muss es doch eigentlich da- (C)
ein Sinkflug bei der Gemeinschaftsaufgabe in den nächs- rum gehen, was sich durch die Beratungen im Ausschuss
ten Jahren vorprogrammiert. Das halten wir für falsch. geändert hat. Wir halten schließlich eine Haushaltsbera-
tung ab und kein allgemeines Palaver.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Keine Kritik an der Kanzlerin!)
Die dritte Überschrift lautet „Kein Zukunftskonzept
bei der Verbraucherpolitik“. Das von Ihnen selbst in – Frau Künast, wenn Sie ausgeschlafen sind und etwas
Auftrag gegebene Gutachten, wonach die Verbraucher- fragen wollen, dann stehen Sie auf und stellen eine or-
politik umfinanziert und verursachergemäß aufgebaut dentliche Frage, ansonsten schweigen Sie.
werden muss, wonach Betriebe, die die Verbraucher-
rechte missachten, Strafgebühren zahlen müssen, ist (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und
längst auf dem Tisch. Sie haben dieses Gutachten igno- der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Das entschei-
riert. Frau Aigner ist wie immer auf den Zug aufgesprun- det der Präsident und nicht Sie, Herr
gen und hat gesagt, dass sie das auch gut findet. Als wir Schirmbeck!)
einen konkreten Vorschlag gemacht haben, haben Sie Wir dürfen feststellen, dass sich nur wenige Punkte
ihn schlicht und einfach abgelehnt. Ich kann Ihnen nur geändert haben. Was hat sich geändert? Wir mussten im
sagen: Wenn Verbraucherpolitik bei Ihnen, Frau Aigner, Einzelplan – das gilt für alle anderen Einzelpläne auch –
eine folgenlose Ankündigung bleibt, dann werden Sie Einsparungen vornehmen. Wir haben diese Einsparun-
scheitern. gen im Bereich der GAK vorgesehen. Herr Kollege
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Schwanitz hat eben richtigerweise ausgeführt – wer mir
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE bei der ersten Beratung richtig zugehört hat, der hat das
GRÜNEN) kommen sehen, ich habe deutlich darauf hingewiesen –,
dass wir Einsparungen machen müssen. Das machen wir
Der Einzelplan 10 hat drei Überschriften: Klientel- bei der GAK.
politik statt Strukturpolitik, Einsparungen an der fal-
schen Stelle und null Zukunftskonzeption bei der Ver- (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: An
braucherpolitik. Der haushaltspolitische Sprecher der der falschen Stelle!)
CDU/CSU hat am Montag wunderbarerweise von einem Ich habe schon damals erläutert, dass das auch deshalb
„Gesamtkunstwerk“ gesprochen. gerechtfertigt ist, weil einige Länder in der Vergangen-
(Heiterkeit bei der SPD – Georg Schirmbeck heit nicht gegenfinanzieren konnten und die Mittel also
(B) [CDU/CSU]: Da hat er recht! – Iris Gleicke nicht überall in den Ländern gerecht verteilt worden (D)
[SPD]: Ein seltsames Kunstverständnis!) sind. Von daher ist unser Vorgehen richtig.
– Kollege Barthle, das wird ein richtiger Klassiker. – Mir (Ulrich Kelber [SPD]: Das haben Sie beim
fällt dazu nur die wunderbare Sendung „Kunst & Krem- Koalitionsvertrag noch nicht gewusst?)
pel“ des Bayerischen Rundfunks ein. Ihr Haushalt hat al- Wenn Sie nun sagen, das sei ein falsches Zeichen,
lerdings weniger mit Kunst, dafür mehr mit Krempel zu dann sage ich Ihnen: Die GAK ist in den letzten Jahren
tun. – auch in der Großen Koalition – durch unser Zutun auf-
Schönen Dank. gewachsen. Wir haben, wenn wir den Haushalt in der
vorliegenden Form beschließen, mehr Geld, als wir nach
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Künast jemals gehabt haben. Das ist also eine positive
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Sache.
Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Zur weiteren Erläuterung des Gesamtkunstwerks er- Ulrich Kelber [SPD]: Ein Wortbruch des
hält jetzt der Kollege Georg Schirmbeck von der CDU/ Koalitionsvertrages!)
CSU-Fraktion das Wort. Sie behaupten, wir hätten im Bereich Verbraucher-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schutz nichts getan. Wir werden dafür kritisiert, wenn
wir einen Aufwuchs bei den Planstellen haben.
Georg Schirmbeck (CDU/CSU): (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- NEN]: Das stimmt doch gar nicht!)
ren! Eigentlich ist heute ein schöner Tag. Draußen haben Es wurde die Zahl von 1 000 zusätzlichen Planstellen
wir ein klasse Wetter, eine nette Kollegin hat heute einen genannt. Ich weiß nicht, woher diese Zahl kommt. Es
runden Geburtstag – wir werden heute noch feiern –, und gibt Journalisten, die offensichtlich alles schreiben.
wir dürfen einen Einzelplan vorstellen, der den Wün-
schen der Fachleute aus dem Fachausschuss und des Be- (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
richterstatters aus dem Haushaltsausschuss entspricht. NEN]: Da gibt es Listen des Finanzministe-
riums!)
Wir können all das debattieren, was wir schon in der
ersten Beratung debattiert haben. All die alten Sprüche Die Realität ist, dass wir 1 600 Stellen einsparen, aber
werden aber durch mehrmaliges Wiederholen nicht bes- wir bekommen für den wirtschaftlichen Verbraucher-
2836 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Georg Schirmbeck
(A) schutz zusätzlich drei Stellen für den höheren und drei einandergerührt, sodass in der Öffentlichkeit nachher (C)
Stellen für den gehobenen Dienst. Wir setzen also einen – das muss man realistischerweise sagen – kaum noch
Schwerpunkt. Das haben wir versprochen, und wir hal- einer den Überblick hat.
ten Wort.
Dazu sage ich Ihnen eines: Wer mich ein bisschen
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – länger kennt, der weiß, dass ich alle Kritik, die uns be-
Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rechtigterweise vorgehalten wird,
NEN]: Endlich geht Ihnen mal der Kronleuch-
ter auf! Damals waren Sie dagegen!) (Ulrich Kelber [SPD]: An mir abperlen lasse!)
Ich möchte mich bei meinem Kollegen Peter Haustein sehr aufmerksam speichern kann. Der eine oder andere,
herzlich für die Zusammenarbeit bedanken. Wir bespre- der uns auf einer Biomesse vorwirft, wir würden im Bio-
chen und analysieren die Situation mit den Fachleuten in bereich jetzt den totalen Kahlschlag machen, der muss es
aller Ruhe. Dann bringen wir unsere Vorhaben auf den sich auch gefallen lassen, dass wir uns bei den nächsten
Weg, und der Ausschuss ist uns mit großer Einmütigkeit Haushaltsberatungen jeden einzelnen Antrag einmal
gefolgt. Wir werden das auch weiterhin so machen. ganz genau ansehen – gleich, ob es um 1 000, 10 000
oder 100 000 Euro geht – und schauen, was mit diesem
Ich möchte mich, nicht nur weil es guter Brauch ist, Geld gemacht wird. Wie effizient wird da gearbeitet?
sondern weil es in der Tat Unterschiede zwischen den Das Etikett „Bio“ oder „Öko“ bedeutet nicht, dass man
einzelnen Häusern gibt – das kann man im Haushaltsaus- mit Geld generös umgehen und es einfach unter die
schuss durchaus vergleichen –, bei der Ministerin für die
Leute streuen kann.
vorzügliche Zusammenarbeit bedanken. Auf CDU/CSU-
Seite war sie meine Vorgängerin, was die Haushaltsbe- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
richterstattung angeht. Sie hat das Ganze nicht verlernt. der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Bestrafungs-
Sie weiß, wie man mit Haushältern umgeht. Verehrte aktion nannte man das früher!)
Frau Ministerin, herzlichen Dank für diese Zusammen-
arbeit! Jeder, der uns kritisiert,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (Ulrich Kelber [SPD]: Wird bestraft!)
der FDP)
muss dann auch akzeptieren, dass wir ganz gezielt hinse-
– Ein bisschen mehr Stimmung, Kameradinnen und Ka- hen, was an der einen oder anderen Stelle gemacht wird,
meraden! und muss sich von uns gegebenenfalls Vorhaltungen ma-
(Ulrich Kelber [SPD]: Streicheln und Füttern!) chen lassen.
(B) (D)
Das gilt ganz besonders für die Haushaltsabteilung Ein Aspekt, der vollkommen untergeht: Wir setzen
des Ministeriums. Ich darf das einmal sagen: Auf Ulli nicht nur beim wirtschaftlichen Verbraucherschutz einen
Kuhlmann und seine Mannschaft ist immer Verlass. Die neuen Schwerpunkt. Es geht auch um die nationale Si-
angeforderten Ausführungen sind immer hundertprozen- cherheit unserer Küstenländer, wenn wir in den Küsten-
tig korrekt und sind schnell da. Damit kann man im Aus- schutz investieren. Wir haben ein nationales Programm
schuss überzeugen. Damit kann man dieses Ergebnis er- aufgelegt: jährlich 25 Millionen Euro über das hinaus,
zielen. was wir über die GAK finanzieren. Das ist doch eine
Leistung. Wir müssen den norddeutschen Ländern sa-
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sagen Sie gen, dass wir hier etwas für die Länder tun. Wenn ich nur
mal was Politisches! Gelobt haben Sie jetzt ge- das Geschwafel von einer Schlagseite Richtung Süden
nug!) höre: All die Zahlen, die Sie bringen könnten – Sie brin-
Meine Damen und Herren, ich habe gesagt, dass gen aber gar keine Zahlen –, geben das überhaupt nicht
heute ein schöner Tag ist, weil wir das Ganze so auf den her. Von daher darf ich sagen: Danke an das ganze Haus,
Weg bringen können. dass es möglich ist, dies auf den Weg zu bringen.
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das wissen Minister Seehofer hat vor einigen Jahren ein ganz
wir schon!) neues Thema aufgegriffen und hier in die Diskussion
eingebracht: die Breitbandverkabelung. Mittlerweile
Ich sage aber auch: Ich habe vernommen, wer uns in der weiß jeder, dass das gerade für den ländlichen Raum
Zeit zwischen der ersten Beratung und jetzt an der einen eine ganz wichtige Sache ist. Deshalb haben Sie, Frau
oder anderen Stelle mit Hinweisen kritisch begleitet hat. Ministerin, unsere volle Unterstützung, wenn Sie auch
In den Haushaltsdebatten werden wir auf der einen Seite bei diesem Thema künftig mit großem Engagement da-
dafür kritisiert, dass wir zu viele Schulden machen, aber bei sind. Es darf nicht sein, dass der ländliche Raum, wo
auf der anderen Seite werden wir für jeden Sparvor- es in vielfacher Hinsicht sehr innovative Köpfe gibt, von
schlag, den wir machen und durchsetzen, kritisiert. neuen Technologien abgeschnitten wird. Das würde
(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Falsche dazu führen, dass wir die volkswirtschaftliche Wert-
Priorität!) schöpfung, die wir in diesem Bereich generieren könn-
ten, nicht generieren. Von daher müssen wir hier eine
Auf der einen Seite wird uns vorgeworfen, dass wir zu ganze Menge auf den Weg bringen.
viel Personal haben, auf der anderen Seite wird uns vor-
geworfen, dass wir Personal abbauen. Alles wird durch- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2837
Georg Schirmbeck
(A) Sie wissen, dass ich mich in meiner Freizeit – wenn mich, ob wir dafür mehr öffentliche Mittel brauchen. (C)
Sie so wollen, ist das mein besonderes Hobby – für die Dass wir uns mehr bewegen müssen,
deutsche Forstwirtschaft engagiere.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Das wissen NEN]: Vor allem im Kopf!)
wir!)
dass wir uns vielleicht anders ernähren müssen und dass
Ich darf Ihnen sagen: Auch die Ansätze im Einzel- wir vielleicht weniger essen müssen, weiß jeder. Aber
plan 10, die im Vorgriff auf das Jahr des Waldes 2011 ich habe große Zweifel, ob wir dafür Ansätze in Millio-
eingebracht worden sind, stimmen mich heute Morgen nenhöhe im Bundeshaushalt brauchen; dies ist nur ein
froh. Wir haben heute mehr Unterstützung, als wir je- Beispiel.
mals für die deutsche Forstwirtschaft gehabt haben. Dass (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
der Wald-Klima-Fonds jetzt wächst bzw. auf den Weg NEN]: Aber Bauernverband!)
gebracht wird, ist eine positive Meldung, die die Bevöl-
kerung einmal hören darf. Auch hier wird also ein In jedem Dorf und in jeder Stadt bei uns gibt es Sport-
Schwerpunkt gesetzt. Es wird etwas gemacht. Ich bin da- vereine. Man muss nur rein in die Sportvereine,
für sehr dankbar.
(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wo es
Ich darf Ihnen aber auch sagen: Nachdem die Holzab- sie noch gibt!)
satzförderung per Gesetz nicht mehr möglich ist,
sich dort engagieren und bewegen und ein bisschen mehr
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- darüber nachdenken, was man isst. Dafür braucht man
NEN]: Bravo!) keine Haushaltsansätze.
nachdem das Bundesverfassungsgericht das in seiner un- (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der
endlichen Güte gekippt hat, ist es uns gestern Abend ge- CDU/CSU)
lungen, im Bereich der deutschen Forstwirtschaft auf Es ist vielleicht ein populäres, aber konkretes Beispiel
freiwilliger, privater Basis einen neuen Fonds oder eine dafür, wie wir im Bundeshaushalt einsparen können.
neue GmbH in die Welt zu setzen. Ich darf mich bei al-
len, auch denen aus dem Ministerium, bedanken, die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
mitgeholfen haben, dass das möglich wird. In der nächs-
Meine Damen und Herren, ich darf es noch einmal sa-
ten Woche werden Ullrich Huth und ich einen entspre-
gen: Wir sind mit diesem Einzelplan zufrieden. Ich darf
chenden GmbH-Vertrag unterzeichnen. Dann geht es
mich bei allen, die mitgeholfen haben, bedanken. Wir se-
(B) auch mit der Holzabsatzförderung in Deutschland wei- hen der Entwicklung im ländlichen Raum positiv entge- (D)
ter. Auch das ist ein gutes Beispiel für die Politik, die wir
gen; denn wir wissen, dass wir gerade im ländlichen
hier machen.
Raum die innovativen Köpfe haben, die unsere Gesell-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schaft braucht. Es hilft nicht, zu jammern, sondern man
muss morgens früh aufstehen, früh mit dem Tagwerk an-
Meine Damen und Herren, ich habe eben schon ange- fangen, hart arbeiten und kreativ sein, dann haben wir
sprochen, dass wir bei den Haushaltsplanberatungen auch eine gute Zukunft im ländlichen Raum und in ganz
für 2011 sicherlich an der einen oder anderen Stelle in- Deutschland.
tensiver über die Haushaltsansätze sprechen müssen,
weil wir – das hat ja eigentlich jeder gesagt – nicht jedes Herzlichen Dank.
Jahr 80 Milliarden Euro Neuverschuldung haben kön- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
nen. Das heißt, auch im Einzelplan 10 werden wir zu-
künftig überlegen müssen: Was ist wichtig, was ist ganz
wichtig, und was kann man vielleicht für eine gewisse Präsident Dr. Norbert Lammert:
Zeit oder ganz einsparen? Wir werden in allen Bereichen Die Kollegin Dr. Kirsten Tackmann ist die nächste
eine höhere Effektivität erreichen müssen. Es kann nicht Rednerin für die Fraktion Die Linke.
sein, dass jemand wilde Briefe oder Presseartikel (Beifall bei der LINKEN)
schreibt und aufgrund dessen dann mehr Geld erhält.
(Lachen bei Abgeordneten der SPD, der LIN- Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE):
KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
NEN – Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE Liebe Gäste! Ich werde die Propaganda erst einmal be-
GRÜNEN]: Was? – Rolf Schwanitz [SPD]: enden und zum Thema kommen.
Das ist ja Bestrafungspolitik!)
(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN – Hei-
Ich glaube, dass hier eine ganze Menge einzusparen ist. terkeit bei Abgeordneten der SPD – Dr. Hans-
Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: Da sind
Ich zeige Ihnen das an einem Beispiel; darüber kön- wir bei der Linken!)
nen Sie gleich wieder lachen. Es gibt Initiativen im
Land, die fordern, dass wir im Bereich Ernährung und Wir wollen in Deutschland und Europa eine multi-
Bewegung aufklären und mehr tun. Auch ich bin der funktionale Landwirtschaft; da sind sich alle Fraktio-
Meinung, dass wir da mehr tun müssen. Aber ich frage nen einig. Für die Linke heißt das: Die Landwirtschaft
2838 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Heinz-Peter Haustein
(A) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Wir haben ja erlebt, dass das Stiefkind dieses Ministe- (C)
der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: riums weiterhin der Verbraucherschutz ist; durch Fern-
Das war besonders originell!) sehinterviews zum Thema Google wird die Welt nicht
verändert.
Zu DDR-Zeiten, in den 60er-Jahren, habt ihr sämtlichen
Bauern Grund und Boden weggenommen und die Be- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
triebe verstaatlicht. Das nur zur Klarstellung. SES 90/DIE GRÜNEN – Georg Schirmbeck
[CDU/CSU]: Alex, du hältst die Rede vom
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten letzten Mal!)
der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Haben Sie das Wort „Block- Die Fragen sind: Welche Konsequenz ziehen Sie eigent-
parteien“ schon einmal gehört? LDPD, da ha- lich aus der Finanzkrise? Wo sind die qualitativen
ben Sie doch mitgemacht!) Verbesserungen gerade in den Bereichen Verbraucherbe-
ratung und Verbraucherschutz bei den Finanzdienstleis-
Zusammenfassend ist zu sagen: Heute ist ein guter tungen? – Überall dort passiert in Ihrem Haus nichts.
Tag für unsere Landwirtschaft. Wir können uns freuen, Auch in Bezug auf die Vorschläge, die wir in diese
einen so schönen Haushalt zu haben. Es wird Zeit, dass Haushaltsberatungen eingebracht haben – von den soge-
frischer Wind über unsere Scholle, über unsere Wein- nannten Watchdogs, also den Marktwächtern, bis hin zur
berge und Seen weht, dass es aufwärts geht in diesem Stärkung des finanziellen Verbraucherschutzes –, ist
Land. nichts passiert, und dazu findet sich in dem, was Sie
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten heute als Haushalt verabschieden wollen, nichts wieder.
der CDU/CSU – Alexander Bonde [BÜND- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Frischen Wind zur
Ablösung dieser Regierung finde ich gut!) Sie haben das Stiftungskapital bei der Stiftung Waren-
test erhöht. Das ist gut und richtig, aber das reicht eben
Zum Schluss, liebe Freunde, noch ein Spruch: Das nicht. Das ist keine Verbraucherschutzpolitik.
beste Wappen in der Welt ist der Pflug im Ackerfeld. In
diesem Sinne ein herzliches Glückauf aus dem Erzge- (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Aber es ist mehr,
birge! als Rot-Grün zustande gebracht hat!)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Kommen wir zum Bereich der Landwirtschaftspoli-
der CDU/CSU – Caren Lay [DIE LINKE]: tik. Sie haben in diesem Haushalt viele Umschichtungen
Das war ein Auftritt! – Alexander Ulrich [DIE vorgenommen: hier genommen, da gegeben.
(B) LINKE]: Helau! Karneval ist vorbei!) (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wo? (D)
Was denn?)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Wenn man sich genau anguckt, wie die Linie verläuft,
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist doch schön
dann wird deutlich, welche ideologische Wegmarke
und ermutigend, zu beobachten, wie man auch drögen
diese Koalition setzt. Es geht immer darum, die Industria-
Einzelplanberatungen eine gewisse philosophische Tiefe
lisierung der Landwirtschaft voranzutreiben, es geht um
abgewinnen kann.
Masse, Masse, Masse, und es geht um Export statt Qua-
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der lität.
CDU/CSU, der SPD, der FDP, der LINKEN Das sieht man besonders, wenn man sich anschaut,
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – was Sie unter dem Stichwort Grünlandmilchpro-
Ulrich Kelber [SPD]: Note, nicht Tiefe!) gramm gemacht haben: Kuhprämie, Stärkung der land-
Um die Fortsetzung dieser Bemühungen darf ich jetzt wirtschaftlichen Unfallversicherung usw. usf. All diese
den Kollegen Alexander Bonde für die Fraktion Die Maßnahmen sind nichts anderes als eine Brücke hinüber
Grünen bitten. zur nächsten Stufe des Höfesterbens, weil Sie am Kern-
problem, an der Überproduktion, überhaupt nichts än-
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- dern und weil Sie auch nicht bereit sind, etwas zu än-
SES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/ dern.
CSU: Das war’s dann mit der Tiefe!)
Wenn man sich anguckt, was durch Ihr Grünland-
Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
milchprogramm eigentlich passiert, dann sieht man – ich
will das einmal klar sagen, Frau Ministerin –: Durch die
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
übermäßigen Kürzungen bei der Förderung erneuerbarer
will jetzt keine Bauernweisheiten zum Besten geben, ich
Energien im Solarbereich, die Sie als Landwirtschafts-
will mich als Hauptberichterstatter bei den Kollegen,
ministerin im Kabinett mit zugelassen haben, wird den
beim Haus und bei der Ministerin für die gute Zusam-
meisten Höfen in dieser Republik auf Dauer mehr ge-
menarbeit ganz herzlich bedanken. Ich will dazu sagen:
schadet, als ihnen durch die Almosen geholfen wird, die
Dieser Dank gilt nur dem Verfahren und der Informa-
Sie ihnen hier für das Grünland geben.
tion, nicht dem Inhalt dieses Einzelplanes und nicht für
das, was die schwarz-gelbe Koalition im Einzelplan für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Ernährung im und bei der SPD – Georg Schirmbeck [CDU/
Laufe dieser Beratungen angestellt hat. CSU]: Willst du die Verbraucher abzocken,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2841
Alexander Bonde
(A) oder was willst du machen? – Zuruf von der Der Punkt ist: Sie sind dann in den nächsten Fettnapf (C)
FDP: Das ist für den Verbraucherschutz ganz reingetreten, weil Sie, um Ihre Exportförderung finan-
wichtig!) zieren zu können, dann die Verpflichtungsermächtigun-
gen bei der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe „Ver-
Sie wagen sich nicht an die Ursachen des Problems in
besserung der Agrarstruktur und des Küstenschutz“, der
der Landwirtschaft heran, und Sie gehen nicht gegen den
zweiten Säule der Agrarförderung, kürzen mussten. Dort
Preisverfall durch Überproduktion vor. Zum Schluss be-
geht es um die Agrarstrukturen, um ökologische Produk-
treiben Sie eine Dumpingpolitik, mit der Sie nicht nur
tion, um den Erhalt von Kulturlandschaften und um den
den Bäuerinnen und Bauern im Inland schaden, und
ländlichen Raum.
zwar insbesondere den kleinen Betrieben der bäuerlichen
Landwirtschaft in schwierigen Regionen – nicht nur bei (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Es ist mehr
mir im Schwarzwald, aber auch da –, sondern mit der Geld da als je zuvor! – Norbert Barthle [CDU/
Sie auch international Schaden anrichten. Denken Sie CSU]: Der Kollege Schirmbeck hat Ihnen er-
nur einmal daran, welche massiven Verwerfungen im klärt, wie es funktioniert!)
Landwirtschaftsbereich durch Ihre Exportstrategie in
Das sind genau die Bereiche, die jetzt eigentlich im Fo-
den Ländern der Dritten Welt hervorgerufen werden.
kus einer verantwortungsvollen Landwirtschaftspolitik
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN stehen müssten, und genau hier haben Sie gekürzt, um
sowie bei Abgeordneten der SPD) Ihren blinden Exportwahn gegenzufinanzieren.
Die Exportförderung ist ja die große neue heilige Diese Koalition hat nicht kapiert, wie die Lage in der
Kuh dieser schwarz-gelben Koalition. Überall, wo Sie in Landwirtschaft ist. Da machen sich manche lieber vom
diesem Haushalt etwas getan haben, ging es darum, die Acker, anstatt die bäuerliche Landwirtschaft zu unter-
Exportförderung wieder zu stärken, hier noch einen zu stützen. Ihre Exportstrategie führt in eine Sackgasse. Im
finden, der ein bisschen Überschuss in die dritte Welt Kern wissen Sie das auch.
liefern kann, und dort noch einen zu finden, der die In-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
dustrialisierung der Betriebe vorantreibt, damit man aus
sowie der Abg. Petra Crone [SPD])
jedem Acker und jedem Tier noch ein bisschen mehr he-
rausholt. Frau Aigner, als Verbraucherschutzministerin sind Sie
auch für die Frage des Etikettenschwindels zuständig.
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Kollege,
Bitte klären Sie endlich auf: Was hier die ganze Woche
kennen Sie eigentlich unsere Märkte? Wissen
als christlich-liberal gefeiert wird, ist am Ende doch nur
Sie, wo Sie die Wertschöpfung holen kön-
schnödes Schwarz-Gelb.
nen? – Gegenruf der Abg. Renate Künast
(B) (D)
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles Wol- Herzlichen Dank.
kenkuckucksheime!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Das genau sind die Veränderungen, die Sie in diesem und bei der SPD sowie der Abg. Caren Lay
Einzelplan geschaffen haben. Damit gehen Sie am Kern [DIE LINKE] – Dr. Erik Schweickert [FDP]:
des Problems vorbei. Einfach nur nachlesen!)
Interessant ist ja, wie Sie versucht haben, das gegen-
zufinanzieren. Sie haben die Verpflichtungsermächti- Präsident Dr. Norbert Lammert:
gungen beim Bundesprogramm Ökologischer Landbau Das Wort erhält nun die Bundesministerin Ilse
und die Mittel zur Absicherung der Forschungsprojekte Aigner.
zu nachwachsenden Rohstoffen gekürzt. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das ist doch
gar nicht wahr! Du redest die Rede vom Vor- Ilse Aigner, Bundesministerin für Ernährung, Land-
jahr! Das ist doch alles Kokolores!) wirtschaft und Verbraucherschutz:
Es gab dann massive Proteste von uns. Das war der Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Punkt, an dem deutlich wurde: Eine wachsame Opposi- Kollegen! Ich schließe mich der Meinung des Kollegen
tion zahlt sich aus. – Sie mussten dann zurückrudern. Schwanitz an: Heute ist „ein schöner Tag“. Hier geht es
– Herr Schwanitz, Sie haben es erwähnt – um ein „Ge-
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Hallo! samtkunstwerk“.
Hallo! Ach, hör doch auf!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
– Jawohl, Genosse Schirmbeck, Sie sind in der Bereini-
gungssitzung zum Glück umgekippt. Ich nehme gern stellvertretend für mein ganzes Haus,
für die Haushaltsabteilung, aber auch für die Parlamen-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) tarischen Staatssekretäre, den Dank für die gute Zusam-
menarbeit entgegen. Diese ist für meine Begriffe eine
Diese falschen Kürzungen haben Sie revidiert. Hier sind
Selbstverständlichkeit; denn der Haushalt ist eines der
Sie zurückgerudert, und das war richtig so; das attestiere
Kernstücke der parlamentarischen Tätigkeit. Ich kann
ich Ihnen ausdrücklich.
den Dank nur an alle Berichterstatter und den Fachaus-
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Ich bin Berg- schuss zurückgeben. Es war wirklich eine sehr gute Zu-
bauer; ich kann gar nicht rudern!) sammenarbeit.
2842 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Es ist doch auch eine Frage der Verlässlichkeit, wenn Allerdings vermisse ich die entscheidenden Sätze, für
wir in schwierigen Zeiten, in denen der Absatzförder- die Sie gewählt wurden und für die Sie bezahlt werden
fonds aus Gründen, die wir heute nicht mehr erörtern – wir können gemeinsam üben –: Ich habe einen Ge-
müssen, zusammengebrochen ist, für eine Übergangs- setzentwurf vorgelegt. Ich habe durchgesetzt. Ich habe
phase unterstützend tätig sind. Deshalb ist es wichtig ge- erreicht.
wesen, auch in diesem Bereich einen kleinen Schwer- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
punkt zu setzen und zu sagen: Es ist uns wichtig, dass der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
die guten Produkte auch international vertrieben werden GRÜNEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Sie
können. Das ist meines Erachtens eine Selbstverständ- nicht!)
lichkeit.
Dafür sind Sie gewählt worden. Dafür werden Sie be-
Nicht zuletzt – auch das möchte ich am Schluss noch zahlt. Innerhalb dieser Nichtregierungsorganisation, die
sagen – geht es um Zukunftsinvestitionen im Bereich der auf den Plätzen der Bundesregierung Platz genommen
Forschung. Ich sage mit großem Stolz: Unser Ministe- hat, sollten Sie eigentlich die Ministerin für Verbrau-
rium hat eine sehr große Ressortforschungseinrichtung. cherschutz sein. Sie sind eine tatenlose Ankündigungs-
Aber dieser Bereich ist nicht nur groß, nämlich der viert- ministerin.
größte, sondern auch gut. Das ist das Entscheidende. Ich
habe mich gestern mit den Spitzen der Forschungscom- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
munity getroffen. Dabei wurde uns bestätigt, dass unsere der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
Ressortforschungseinrichtung qualitativ auf einem sehr GRÜNEN)
hohen Niveau ist. Dass wir in den Neubau des Friedrich-
Herr Kollege Bleser von der CDU, wenn man einen
Loeffler-Instituts auf der Insel Riems investieren, näm- solchen Vorwurf macht, muss man ihn belegen; das ist
lich 300 Millionen Euro, ist ein hervorragendes Zeichen,
mir klar, das tue ich gerne. Lassen Sie uns über die Untä-
(B) nicht nur für die Forschung, sondern, mit Verlaub, auch tigkeit von Frau Aigner und ihre Nebelkerzen bei der Fi- (D)
für die Region. Es ist richtig, hier einen Schwerpunkt zu nanzierung des Verbraucherschutzes reden. Schauen
setzen. Das war eine ausgezeichnete Entscheidung. Ich
wir auf die Zögerlichkeit beim Kampf gegen Gebühren
freue mich, dass wir den Neubau dieses Jahr einweihen
an Geldautomaten, über die sich sogar der Koalitions-
können. partner zu Recht aufregt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Aufmerksamkeit verdient auch die Totalverweigerung
der FDP)
der Ministerin beim Verbraucherschutz im Finanzsektor.
Die christlich-liberale Regierung, die Koalition, hat Der Kampf gegen falsche Lebensmittelkennzeichnung
hier die richtigen Weichenstellungen vorgenommen. Wir findet im Wesentlichen in den Medien statt. Bei den Ver-
sind auf einem guten Weg. Er führt in die Zukunft. Ich braucherrechten im Gesundheitssektor ist die Ministerin
kann immer nur sagen: Verbraucherschutz, Ernährung ein Totalausfall, ausnahmsweise auch medial. Beim Da-
und Landwirtschaft sind Zukunftsthemen. Wir werden tenschutz stürzt sie sich auf die öffentlich leicht erklär-
sie gemeinsam gestalten. baren Vorgänge, obwohl Verbraucherschutzverbände
und Datenschutzbeauftragter bei anderen Themen weit
Herzlichen Dank.
mehr Handlungsbedarf sehen als bei Google Street View.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Krönender Abschluss ist: In Bayern ist die CSU-Politi-
kern Aigner gegen Gentechnik. In Berlin fährt sie als
Präsident Dr. Norbert Lammert: Ministerin einen Zickzackkurs, und in Brüssel unter-
Ulrich Kelber ist der nächste Redner für die SPD- stützt sie unbeirrt die Gentechniklobby.
Fraktion. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei der SPD) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
Dr. Erik Schweickert [FDP]: Was ist eure Posi-
tion?)
Ulrich Kelber (SPD):
Attackiert, befürchtet, bemängelt, drängt, fordert, gibt Erstes Beispiel, die Finanzierung des Verbraucher-
zu bedenken, hinterfragt, ist verärgert, kritisiert, kündigt schutzes. Am Tag vor Heiligabend erklärt die Ministerin
an, lehnt ab, macht Druck, regt an, schimpft über, schlägt lauthals: Wir geben der Stiftung Warentest einmalig ei-
vor, verlangt, verspricht, will, sollte, müsste, könnte – nen Zuschuss in Höhe von 50 Millionen Euro. – Nicht
dieser Überblick, Frau Ministerin Aigner, über die wun- erwähnt wird, dass man den jährlichen Zuschuss um
derbare Vielfalt unserer schönen deutschen Sprache 2,5 Millionen Euro kürzt. In den Haushaltsberatungen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2845
Ulrich Kelber
(A) gibt das Ministerium dann zu: Ja, es kommt plus/minus digungsweltmeisterin streitig zu machen. Sie haben ein (C)
null heraus, wenn die Stiftung jährlich 5 Prozent Gewinn Jahr gebraucht, nicht um es zu regeln, sondern um es zur
plus Inflationsausgleich erwirtschaftet. – Alle Experten Sprache zu bringen.
sagen, dass das völlig unrealistisch ist. In Wirklichkeit
Auch bei einer anderen Sache warten wir seit einem
wird es bereits 2011 eine reale Kürzung geben. 2012
Jahr auf eine nationale Regelung, die Sie schon längst
fehlt der Stiftung Warentest ein Betrag in Millionenhöhe.
hätten auf den Weg bringen können. In den Regalen der
Ich habe noch gut im Ohr, wie die Ministerin Ende Supermärkte steht Milch als Frischmilch, obwohl es sich
2009 gesagt hat: Die Bußgelder aus den Kartellrechts- gar nicht um Frischmilch handelt. Vor einem Jahr haben
verfahren verwenden wir für die Finanzierung des Ver- Sie gesagt: Das wollen wir verhindern. Wir können das
braucherschutzes. – Die SPD hat die Probe aufs Exem- national regeln. – Bis heute ist nichts passiert.
pel gemacht und genau das in den Haushaltsberatungen (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
beantragt. Das wurde von Schwarz-Gelb wie erwartet DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
abgelehnt. Nun muss ich Sie fragen: Frau Ministerin, ha- LINKEN – Peter Bleser [CDU/CSU]: Sie ist
ben Sie sich nicht durchsetzen können, oder waren Ihre gekennzeichnet!)
Ankündigungen wertlos?
Viertes Beispiel, die überhöhten Gebühren an Bank-
Zweites Beispiel, der Verbraucherschutz im Fi- automaten. Frau Ministerin, Sie haben diese Gebühren
nanzsektor. Sie haben zu Recht erwähnt, was die Große zu Recht kritisiert. Die Frage ist aber: Was tun Sie? Ges-
Koalition gemacht hat. Ich frage mich aber, was danach tern hat sich Herr Goldmann von der FDP, Ihrem Koali-
passiert ist. Wir haben damals die Dokumentations- tionspartner, öffentlich über die „Zögerlichkeit“ der Mi-
pflicht bei der Kundenberatung und die Verlängerung nisterin beschwert. Die Rache erfolgte sofort. Herr
der Verjährungsfrist bei Falschberatung gegen anfängli- Schirmbeck hat ja gesagt: Wer uns kritisiert, muss damit
chen Widerstand von CDU/CSU durchsetzen können. rechnen, dass wir ihn auseinandernehmen. – Herrn
Alles andere durfte aufgrund des Widerstands der CDU/ Goldmann ist das gestern passiert. CDU/CSU und das
CSU nur als Prüfungsauftrag beschlossen werden. Was Ministerium haben nach seiner Äußerung das Fachge-
ist daraus geworden? Im Zwei-Wochen-Rhythmus kün- spräch des Verbraucherausschusses boykottiert. Peinli-
digt die Ministerin Gesetzentwürfe an. Sie legt aber cher geht es nicht mehr.
keine vor. Aus Verzweiflung schmücken Sie sich jetzt
mit Informationsblättern, die aufgrund von EU-Vorgaben (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
sowieso bald notwendig sind. Weil Sie kein Gesetz be- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
schlossen haben, hat jede Bank ein eigenes Informations- LINKEN)
(B) system entwickelt. Einige dieser unterschiedlichen In- Einer Opposition fällt das politische Leben sicherlich (D)
formationssysteme sind nach wie vor so unverständlich, leichter, wenn eine Regierung ablehnt, zu regieren. Für
dass sie den Verbraucherinnen und Verbrauchern keinen das Land ist das nicht ganz so gut. Die Verbraucherinnen
Vorteil bringen werden. und Verbraucher brauchen Taten im Verbraucherschutz
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten und keine folgenlosen Ankündigungen. Setzen Sie nicht
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der auf die Vergesslichkeit, Frau Ministerin! Die SPD hat in
Abg. Caren Lay [DIE LINKE]) dieser Woche die erste Ausgabe des Schwarzbuches Ilse
Aigner vorgelegt. Wir werden es regelmäßig aktualisie-
Drittes Beispiel, die irreführenden Lebensmittel- ren und Ihre Versprechen und Ankündigungen prüfen.
kennzeichnungen. Das ist ein besonders trauriges Kapi- Ich glaube, die Verbraucherinnen und Verbraucher haben
tel. Das Ministerium von Frau Aigner selbst hat eine ein Recht: dass die Ministerin den Fachabteilungen ihres
Umfrage bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern Ministeriums endlich die gleiche Zeit widmet wie dem
gemacht, welche Form der Kennzeichnung wichtiger In- Pressestab und den Imageberatern.
haltsstoffe sie sich wünschen. Über 80 Prozent sagen:
Ich bevorzuge eine farbliche Kennzeichnung nach dem Vielen Dank.
Ampelprinzip; ich verstehe sie und halte sie für erfolg- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
bringend. – Das ist das Ergebnis einer Umfrage, die das der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
Ministerium von Frau Aigner selbst durchgeführt hat. GRÜNEN)
Die Ministerin hält aber der Lebensmittelkonzernlobby
die Treue und verhandelt in Brüssel dagegen. CDU/ Präsident Dr. Norbert Lammert:
CSU- und FDP-Abgeordnete des Europaparlaments ver- Der Kollege Hans-Michael Goldmann spricht jetzt für
suchen, die Ampelfarbenkennzeichnung zu Fall zu brin- die FDP-Fraktion.
gen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Weil es richtig der CDU/CSU)
ist!)
Bei Imitatkäse und -schinken brauchten Sie fast ein Hans-Michael Goldmann (FDP):
Jahr, um es in Brüssel zur Sprache zu bringen. Dabei Sehr geehrter Herr Präsident! Liebes Geburtstags-
hatte Frau Aigner hier doch Unterstützung durch das me- kind! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann noch
diale Dauerfeuer Ihrer neuen Staatssekretärin Klöckner, so viel drum herumreden: Es ist ein Superhaushalt, den
die versucht, Frau Aigner den Rang als tatenlose Ankün- wir hier heute verabschieden. Es sind sehr starke Säulen
2846 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Hans-Michael Goldmann
(A) darin, die die Landwirtschaft braucht. Ich nenne zum Sie sind doch nicht ernsthaft davon überzeugt, dass eine (C)
Beispiel die soziale Säule. Andere träumen davon, dass Ampelkennzeichnung – rot, gelb, grün –, bei der Coca-
im Haushalt 750 Millionen Euro bereitgestellt werden, Cola mit drei grünen Punkten und einem roten Punkt er-
um Schwächen des einen oder anderen landwirtschaftli- scheinen würde, die Qualitätsantwort auf die Interessen
chen Betriebs, zum Beispiel eines Milchviehbetriebs, der Verbraucher ist, denen es darum geht, zu wissen, was
aufzufangen. Wenn mir einer damals gesagt hätte, dass wirklich in den Produkten ist. Sie können doch nicht
wir aus dem Gespräch mit Frau Aigner – es war 10 Uhr ernsthaft behaupten, dass das etwas Gutes ist.
abends im Büro von Frau Aigner –
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
(Zurufe von der SPD: Oh! – Georg Ulrich Kelber [SPD]: Was sagen Sie zur Ver-
Schirmbeck [CDU/CSU]: Darauf musst du gar braucherbefragung?)
nicht hinweisen!) Sie wissen, dass die Kennzeichnung, die jetzt auf euro-
mit 750 Millionen Euro herausgehen – auch Herr Ripke päischer Ebene auf den Weg gebracht wird, Inhalts-
war dabei –, dann hätte ich gesagt: Du träumst. Wir ha- stoffe, auch allergene Inhaltsstoffe umfasst und die Qua-
ben die Summe zum Beispiel für die Unfallversicherung lität eines Produktes zum Ausdruck bringt. Damit sind
verwendet. Das ist eine Supersache, gerade für die Fami- wir genau auf dem richtigen Weg. Wir müssen dem Bür-
lienbetriebe. Wir haben ein Kredithilfeprogramm aufge- ger keine Lösungen vorgaukeln
legt, und wir haben etwas für die Grünlandbetriebe ge- (Ulrich Kelber [SPD]: Deshalb sind alle Verbrau-
macht. Liebe Freunde, lassen Sie uns doch aufhören mit cherverbände anderer Meinung als Sie!)
Nord und Süd, Ost und West, Groß und Klein. Das ist al-
les Kappes. Es geht darum, dass wir die landwirtschaftli- – ganz ruhig, Herr Kelber –, wir müssen für den Bürger
che Struktur in Deutschland insgesamt erhalten, dass wir Lösungen entwickeln. Sie müssen schlicht und ergrei-
eine solide Basis haben, um uns den wirklichen Zu- fend Ihre Meinung korrigieren.
kunftsaufgaben zuzuwenden, die in einem Maß auf uns (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
zurauschen, dass wir im nächsten Jahr noch unser blaues der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Lobby-
Wunder erleben werden. Wenn es darum geht, zum Bei- istensprachrohr!)
spiel die Mittel für unsere ländlichen Räume auf der eu-
ropäischen Arbeitsebene zu erkämpfen, dann müssen Nun will ich etwas zu den Bankgebühren sagen.
wir gemeinsam an einem Strang ziehen. Deswegen soll- Schauen Sie in die Pressemitteilung, dann werden Sie
ten wir heute den Haushalt nicht zerreden, sondern wir feststellen, dass der Journalist meinte, feststellen zu
sollten ihn mit Freuden zur Kenntnis nehmen. Er setzt müssen, dass die Vorgehensweise von Frau Ministerin in
(B) genau die richtigen Akzente: eine starke Säule für die diesem Punkt zögerlich ist. Ich habe einen ganz anderen (D)
Landwirtschaft, eine starke Säule für den ländlichen Ansatz. Ich führe solche Fachgespräche als Ausschuss-
Raum, eine starke Säule für Familienbetriebe, die nach- vorsitzender mit Unterstützung der Kolleginnen und
haltig wirtschaften. Kollegen aus dem Ausschuss – wenigstens ist das die
Regel –, um uns für ein schwieriges Thema zu konditio-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nieren.
der CDU/CSU)
Ich freue mich, dass meiner Einladung zehn Cracks
Lassen Sie mich noch etwas zur Ampelkennzeich- aus der Bankwirtschaft sowie aus dem Verbraucher-
nung sagen. Ich glaube, Sie, Herr Kelber, kommen aus schutzbereich und den Gewerkschaften gefolgt sind und
Bonn. Mit Haribo haben Sie es vielleicht nicht so, da Sie uns informiert haben. Wir sollten den richtigen Weg des
Haribo als Lebensmittelkonzernlobby bezeichnen. Das Miteinanders praktizieren. Frau Aigner, ich werde Ihnen
mag Ihre Einschätzung sein, aber Sie wissen genau, dass das Protokoll des gestrigen Gesprächs zuleiten; denn es
die Lebensmittelwirtschaft klassisch mittelständisch sind sehr viele gute Anregungen gekommen.
strukturiert ist.
Ich habe kein Verständnis dafür, dass die CDU/CSU
(Ulrich Kelber [SPD]: Nestlé, Coca-Cola: die aus Termingründen abgesagt hat.
kleinen Mittelständler!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Da muss man sich fragen, ob man den Mut zur Fachlich- So sollte mit dem Ausschuss und dem Ausschussvor-
keit hat oder ob man Botschaften hinterherläuft. Ich sage sitzenden nicht umgegangen werden. Das schadet unse-
Ihnen, Herr Kelber: An dieser Stelle muss man den Mut rer Arbeit im Ausschuss. Ich mache manchmal Fehler;
zur Fachlichkeit haben. aber andere machen auch Fehler. Wir sollten an einem
Strang ziehen und die Dinge gemeinsam voranbringen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]:Wir (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
zwingen die Bevölkerung in die Fachlichkeit!) der SPD und der LINKEN)
– Herr Kelber, Sie brüllen immer so. Überlassen Sie das Herr Kelber, ich will noch etwas zu Ihrem Schwarz-
mir. Ich habe das Mikro. buch sagen: Das ist doch wohl der größte Witz des Jahr-
hunderts. Nach zig Jahren Regierungsverantwortung
(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Wer kommen Sie vier Wochen nach Beginn der gemeinsa-
schreit, hat nicht immer recht!) men parlamentarischen Arbeit mit einem Schwarzbuch.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2847
Hans-Michael Goldmann
(A) In diesem Buch bringen Sie zum Ausdruck, dass Ver- (Beifall bei der LINKEN) (C)
braucherpolitik in Ihrer Zeit dunkel und schwarz war.
Unsere ist christlich-liberal. Wir machen eine zukunfts- Wir sagen: Verbraucherpolitik darf nicht länger eine Ne-
orientierte Politik, die wir weiterhin konsequent betrei- benrolle spielen.
ben werden. Die Finanzkrise hat es gezeigt: Verbraucherinnen und
Herzlichen Dank. Verbraucher sind den windigen Geschäftspraktiken der
Banken ausgeliefert. Da ist es unsere Verantwortung als
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Politikerinnen und Politiker, die Märkte verbraucherge-
recht zu regulieren. Wir können diese Verantwortung
Präsident Dr. Norbert Lammert: nicht einfach auf die Menschen abwälzen.
Das Wort erhält nun die Kollegin Caren Lay für die
Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN) Es gibt sehr viele Vorschläge, wie das geschehen soll,
beispielsweise die Einrichtung eines Marktwächters wie
in Großbritannien oder einer Behörde für finanziellen
Caren Lay (DIE LINKE):
Verbraucherschutz, wie in den USA geplant. Nichts von
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und alledem finden wir in Ihrem Haushalt. Sie können sich
Herren! Es ist wohl dem Weltverbrauchertag zu ver- nicht länger davor drücken, Verbraucherinnen und Ver-
danken, dass wir heute zur Kernzeit zum Thema Ver- braucher vor betrügerischen Praktiken von Unternehmen
braucherpolitik sprechen können. Den Rest der Zeit zu schützen. Mit freiwilligen Infoblättern ist es hier nicht
bleibt die Verbraucherpolitik für die Bundesregierung getan.
eher eine Nebensache; dieses Thema wird gern in die
Abend- und Nachtstunden verbannt. Wir haben zwar eine (Beifall bei der LINKEN)
Verbraucherministerin, die immer häufiger in Funk und
Fernsehen überaus markige Forderungen verkauft – das Ich freue mich sehr, dass Verbraucherministerin
hat heute mehrfach eine Rolle gespielt –, Aigner immer häufiger die Zusammenarbeit mit den
Verbraucherzentralen sucht – das ist gut und schön –;
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Eine aparte aber es kann nicht sein, dass eine Bundesregierung im-
Frau! Die hat etwas zu sagen!) mer stärker auf den Sachverstand und den Service von
so häufig, dass man leider immer wieder vergisst, dass Verbraucherschutzorganisationen zurückgreift, ohne
Ihr Ministerium in den wesentlichen Punkten gar nichts ihnen gleichzeitig auch nur einen einzigen Cent mehr zur
Verfügung zu stellen.
(B) zu entscheiden hat, sondern bestenfalls mitsprechen (D)
darf; aber egal ob es um den finanziellen, um den wirt- (Beifall bei der LINKEN)
schaftlichen oder um den digitalen Verbraucherschutz
geht, um Fahrgast- oder Patientenrechte: Zuständig für Allein mit der Anschubfinanzierung für die Verbraucher-
die harten Fakten sind immer die anderen Ministerien. stiftung ist es hier sicherlich nicht getan. Das ist nichts
Verbraucherinnen und Verbraucher bleiben so die Rand- anderes als eine Auslagerung des Problems, zumal man
figuren der Regierungspolitik. jetzt noch nicht einmal alle Gelder, die tatsächlich zur
Verfügung gestanden hätten, zur Verfügung stellt.
(Beifall bei der LINKEN)
Das schlägt sich auch im Haushalt nieder. Frau Wir Linke fordern mehr Geld für die Arbeit der Ver-
Aigner, Ihre PR in eigener Sache steht in keinem Verhält- braucherorganisationen, insbesondere für den Bereich
nis zu den Zahlen und Fakten Ihres Haushaltsentwurfs. finanzielle Verbraucherberatung. Wir erinnern uns:
Schauen wir uns die Zahlen einmal an: Von Ihrem Ge- Innerhalb von nur wenigen Tagen war es der Bundesre-
samtetat von fast 6 Milliarden Euro planen Sie für ver- gierung in der Krise möglich, einen Schutzschirm für
braucherpolitische Maßnahmen gerade einmal 2,5 Pro- Banken im Umfang von 470 Milliarden Euro zu span-
zent ein; das sind 148 Millionen Euro. Das steht in nen. Dagegen sind die 10 Millionen Euro, die wir heute
keinem Verhältnis zu den anderen Aufgaben Ihres für die Verbesserung der finanziellen Verbraucherbera-
Ministeriums. tung beantragen, doch wirklich ein Klacks.
Noch deutlicher wird die untergeordnete Stellung ver- (Beifall bei der LINKEN)
braucherpolitischer Maßnahmen durch einen Vergleich Wer Banken aus der selbstverschuldeten Krise retten
mit dem Etat des Wirtschaftsministers Brüderle, der kann, der kann und darf beim Schutz der Verbraucherin-
hauptsächlich für die unternehmerische Seite der Märkte nen und Verbraucher nicht sparen.
verantwortlich zeichnet. Wirtschaftsminister Brüderle
kann dieses Jahr allein 230 Millionen Euro, also deutlich Auch an anderer Stelle wäre mehr Geld für die Ver-
mehr Mittel, als für den Verbraucherschutz zur Verfü- besserung des Verbraucherschutzes notwendig gewesen:
gung stehen, für das Nationale Weltraumprogramm aus- zur Verbesserung der Forschung, für notwendige Auf-
geben. Es ist schön und sicherlich überaus zeitgemäß, klärungsarbeit, für ein Siegel „Ohne Gentechnik“, für
dass die Bundesregierung in die bemannte Raumfahrt in- eine Ampelkennzeichnung oder für Modellprojekte, die
vestiert; aber mit dem unterirdischen Stellenwert, den sich vielleicht auch einmal an einkommensschwache
die Verbraucherpolitik für sie hat, können wir uns als Haushalte richten. An all diesen Stellen wird gespart.
Linke nicht zufriedengeben. Hierfür ist kein Geld vorhanden.
2848 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Caren Lay
(A) Wir Linke wären offen gewesen für die Erschließung herbeiführen und tun das politisch auch. Das hat nichts (C)
alternativer Einnahmequellen. Es könnten sich ja auch mit Markt zu tun. Wie groß die Not ist, das sieht man an
einmal die Unternehmerinnen und Unternehmer an der dem entsprechenden Programm der Rentenbank: Die
Finanzierung des Verbraucherschutzes beteiligen. vorgesehenen Liquiditätsmittel waren innerhalb von
16 Stunden weg. Das war ein unwirksames Programm
(Beifall bei der LINKEN)
zulasten der Milchbetriebe genauso wie der Steuerzah-
Wenn man bedenkt, wie viele Beratungen die Verbrau- ler.
cherzentralen machen müssen, um die Verbraucher al-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
lein über Fallen im Bereich Internet und Telekommuni-
kation aufzuklären, wäre das nicht zu viel verlangt Zweitens, das Thema Exportförderung. Wunderbar,
gewesen. sie wäre – das hat der Kollege Bonde ja geschildert –
fast noch zulasten der paar Forschungsmittel für den
Verbraucherschutz ist eine öffentliche Aufgabe, ist
Ökolandbau gegangen. Auf Vieh- und Fleischtagen wird
eine notwendige Aufgabe. Wer hier spart, der spart an
der Entwicklung der Exportraten gehuldigt. Zugleich
der falschen Stelle.
bringen es die Referenten des Bauernverbandes fertig,
Vielen Dank. kein einziges Wort zur Einkommenssituation zu sagen,
die sich gleichzeitig verschlechtert. Sie betreiben eine
(Beifall bei der LINKEN)
aggressive Exportpolitik. Zu Recht sagen andere euro-
päische Länder wie auch Drittstaaten, dass das zu ihren
Präsident Dr. Norbert Lammert: Lasten geht.
Ulrike Höfken ist die nächste Rednerin für die Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen. (Peter Bleser [CDU/CSU]: Deutschland lebt
vom Export!)
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das verharmlost Herr Schäuble mit dem Fußballbeispiel.
Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Sehr Ich finde, eine solche Politik ist international nicht trag-
geehrte Kollegen! Die Dankbarkeit, die empfunden wer- bar.
den soll, Herr Schirmbeck, weil mehr Geld im Haushalt
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
ist als zu Zeiten von Frau Künast, beschränkt sich wohl
auf diejenigen, die profitieren, ist also die Dankbarkeit Drittens, die Agrogentechnik. 9,5 Millionen Euro
der Funktionäre, aber ganz gewiss nicht die des Volkes. mindestens sind dafür im Haushalt veranschlagt. Das ist
deutlich mehr, als für den Ökolandbau vorgesehen ist,
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Mein Volk
und das, obwohl dieser Bereich durch die Verunreini-
(B) war mit mir immer zufrieden! Das können Sie (D)
gungen einen ungeheuren wirtschaftlichen Schaden an-
nachlesen!)
richtet, der in die Milliarden geht, obwohl er von den
Ganz ernsthaft: Wenn Sie Drohungen gegen die Öko- Verbrauchern und vom Markt nicht gewollt ist, obwohl
landwirtschaft ausstoßen und fordern, dass sie für die er keine Erfolge auf der technischen Ebene zeigt. Mit der
Almosen, die sie bekommt, auch noch auf die Knie fal- Amflora-Kartoffel wurde ein Kniefall vor der BASF ge-
len soll, mag das Ihren Vorstellungen von der gekauften macht, und es ist ein veraltetes Produkt; das sagt sogar
Republik entsprechen. Sonnleitner. Dafür geben Sie Geld aus.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Viertens, zum Bereich Ernährung. Die Ministerin
Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Hallo! Gnä- sagt, die Verpflegung an Kitas und Schulen solle deut-
dige Frau, wollen Sie die Bauern beleidigen?) lich verbessert werden. Aber: Es gibt unwürdige Ver-
schiebebahnhöfe zwischen Bund und Ländern zulasten
In diesem Haushalt findet sich kein roter Faden und
der Länder, zum Beispiel bei Schulobst. Wir Grüne for-
erst recht kein grüner Faden, sondern Schwarz-Gelb be-
dern ein Bund-Länder-Programm. Sie haben die Verant-
treibt eine aggressive Industrialisierung, eine massive
wortung angesichts der 100 Milliarden Euro Kosten für
Exportorientierung und eine Förderung der Agrogen-
ernährungsbedingte Krankheiten, aber auch angesichts
technik, und zwar zulasten von Verbrauchern, Arbeit-
der Situation von Kindern und Jugendlichen, die schon
nehmern, Mittelstand und Steuerzahlern, von Umwelt
im Vorschulalter an Diabetes und Herzkrankheiten er-
und Klima. Mit Markt hat das nichts zu tun. Da ist so
kranken. Ich finde es fahrlässig, das lächerlich zu ma-
viel Markt drin wie früher in der DDR.
chen, indem Sie einfach sagen, die Kinder sollten sich
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – ein bisschen mehr bewegen, Herr Schirmbeck. Es ist die
Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Hallo! Sagen Verantwortung der Politik, eine vernünftige, flächende-
Sie einmal, Frau Höfken!) ckende Kindergarten- und Schulernährung zu entwi-
ckeln und zu garantieren.
Fünf Beispiele:
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Erstens. Das 750-Millionen-Euro-Milchpaket, worü-
sowie bei Abgeordneten der SPD)
ber ja schon viel gesagt wurde, ist ein verantwortungs-
loser Umgang mit Steuermitteln, weil Sie nämlich nicht Fünftens, zur Verbraucherpolitik. Es gab Ankündi-
an die Ursachen der Misere herangehen. Im Bereich des gungen zu verschiedenen Punkten: ESL-Milch-Kenn-
Milchmarktes wären vernünftige Marktanpassungsins- zeichnung, „Ohne Gentechnik“-Programme, Google Street
trumente nötig. Sie aber wollen bewusst Überschüsse View, Süßigkeiten an der Kasse. Dann haben Sie, Frau
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2849
Ulrike Höfken
(A) Ministerin, von den schönen Beipackzetteln der Banken für zusätzliche Leistungen im Umweltschutz, im Tier- (C)
gesprochen. Wir konnten ja am Weltverbrauchertag erle- schutz und beim Erhalt der Kulturlandschaft schaffen
ben, wie diese vom Verbraucherzentrale Bundesverband können.
in den Schredder gepackt wurden, und zwar völlig zu
Recht. Wir brauchen keine „Wächterin“, als die Sie sich Diese Linie fahren wir im Grunde genommen schon
in den Zeitungen bezeichnet haben – Sie sind auch leider seit dem Regierungswechsel 2005 konsequent. Wir ha-
keine Marktwächterin, sondern Ihre Politik ist eine Politik ben damals mit dem Ende der rot-grünen Politik die He-
der Nachtwächter –, bel umgelegt, eine neue Richtung eingeschlagen und
entlang der genannten Linie Politik gemacht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD) Wenn heute hier die minimalen Verpflichtungser-
mächtigungen und die damit verbundenen Einschrän-
sondern wir brauchen eine Politik, die sich an den neuen kungen im Agrarhaushalt kritisiert werden, dann muss
Herausforderungen orientiert: Klimaschutz, umwelt- man noch einmal daran erinnern, woher wir kommen.
und tiergerechte Erzeugung, eine gute Ernährung für die Unter Frau Künast gab es ständig Steinbrüche im Agrar-
Bevölkerung, Ernährungssicherheit, besonders für die haushalt, von der Agrardieselvergütung bis hin zur Re-
Kinder und Jugendlichen, ein vernünftiges Einkommen duzierung der Mittel für die GAK.
auch auf dem Land, eine gute Energie- und Klimapolitik
und eine moderne Verbraucherpolitik. Dafür stehen wir Wir gehen den umgekehrten Weg. Wir haben in den
Grüne, und dafür werden wir auch weiter kämpfen. letzten Jahren die investiven Mittel erhöht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir haben die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt. Das
sowie bei Abgeordneten der SPD) Milchprogramm, das vorhin genannt worden ist, dient
ebenfalls dazu, uns im Wettbewerb zu halten. Es gibt
dazu eine einfache Zahl: Trotz der schweren Krise in der
Präsident Dr. Norbert Lammert: deutschen Milchwirtschaft und trotz miserabler Preise
Ich erteile das Wort dem Kollegen Peter Bleser für die haben die deutschen Milcherzeuger ihre Produktion um
CDU/CSU-Fraktion. 2,8 Prozent gesteigert.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Alexander Bonde [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
neten der FDP) NEN]: Aber es hilft keinem! – Ulrike Höfken
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und das Ein-
(B) Peter Bleser (CDU/CSU): kommen?) (D)
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
Die Franzosen, die sich im Wettbewerb nicht so gut auf-
gen! Es wurde hier ja in sehr vielen Details herumge-
gestellt haben, haben eine Reduktion der Produktion um
wühlt,
4,1 Prozent zu verzeichnen.
(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Wir haben was
(Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Inhaltliches zu sagen!)
NEN]: Dafür verhungern sie!)
allerdings eher unkoordiniert in Richtung Verwirrung als
koordiniert in Richtung höhere Transparenz. Wenn jetzt jemand behauptet, man hätte damit der
Milchmengensteuerung das Wort geredet, dann muss ich
Ich will noch einmal unsere Linie aufzeigen, sagen: Das ist nicht der Fall. Unter den Bedingungen, die
ich genannt habe – auch andere Länder haben zugelegt –,
(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Das haben wir in der Europäischen Union im letzten Jahr eine
wäre schön!) Reduzierung der Milcherzeugung zu registrieren gehabt.
damit Sie wissen, wohin wir wollen und mit welchen In- Das heißt, wir sind im Wettbewerb besser geworden. Un-
strumenten wir unsere Ziele verfolgen. ser Ziel ist, Marktanteile zu halten, damit wir die Beschäf-
tigung in Deutschland auch in Zukunft sicherstellen kön-
(Ulrich Kelber [SPD]: Und wann Sie sie ein- nen.
setzen wollen!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Wir haben schon in den Koalitionsverhandlungen zwei Ulrich Kelber [SPD]: Eine Verdrehung der Re-
wichtige Grundsätze festgelegt: Erstens soll unsere Poli- alität!)
tik auf eine wettbewerbsorientierte Landwirtschaft
ausgerichtet sein, und zweitens sollen neue, innovative Deswegen ist es richtig, dieses Hilfsprogramm aufzule-
Technologien auf wissenschaftlicher Basis bewertet wer- gen.
den.
Frau Tackmann hat hier einen einzigen richtigen Satz
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La- gesagt.
chen der Abg. Ulrike Höfken [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]) (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie
hat viele richtige Sätze gesagt! – Alexander
Nur mit diesen Grundsätzen wird man das Verständnis Ulrich [DIE LINKE]: Das war vielleicht der
der Bevölkerung erreichen und die Grundlage für Hilfen einzige, den Sie verstanden haben!)
2850 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Peter Bleser
(A) Sie hat nämlich festgestellt, dass die Einkommen der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La- (C)
Milcherzeuger drastisch zurückgegangen sind. Das chen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE
Hilfsprogramm hilft den Bäuerinnen und Bauern, die in GRÜNEN)
diesem Bereich im letzten Jahr mit 19 000 Euro Gewinn
Wir behandeln beide Strategien gleich.
pro Arbeitskraft zurechtkommen mussten. Das ist nicht
nur eine soziale Hilfe, sondern auch vor allen Dingen Die nächsten Monate werden entscheidend dafür sein,
eine Hilfe, um das wirtschaftliche Tal zu überwinden. wie die Agrarpolitik der Europäischen Union nach
Damit stellen wir Beschäftigung weit über den Bereich 2013 aussehen wird. Deswegen sind wir als Union sehr
der Milcherzeugung hinaus sicher. Das ist unser Ziel. darauf bedacht, die ernährungspolitischen Ziele, die wir
für die deutsche Landwirtschaft für das Jahr 2020 anstre-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ben, sehr früh zu definieren. Wir haben in der Union
schon präzise Festlegungen getroffen. Wir wollen eine
Obwohl ich Sie, Frau Tackmann, persönlich schätze,
Sicherstellung der Ernährung der europäischen Bevölke-
muss ich Ihnen vorwerfen, dass Sie eine Politik machen,
rung. Wir wollen, dass die Einkommen der Bauern ad-
in die ich mich nicht hineindenken kann.
äquat bleiben. Wir wollen, dass die multifunktionale
(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das be- Landwirtschaft und die flächendeckende Landwirtschaft
ruhigt mich!) mit ihren Tierschutz- und Umweltzielen erhalten blei-
ben.
Sie haben sich hier als Anwalt der bäuerlichen Landwirt-
Wenn wir diese Ziele gesellschaftlich verankern kön-
schaft und der kleinen Betriebe dargestellt. Wenn ich als
nen, dann bin ich sehr sicher, dass wir es verhindern
Mitglied einer Nachfolgepartei der SED hier sitzen
können, dass der Agrarhaushalt der Europäischen Union
würde, würde ich mich wegen der Enteignung und der
als Steinbruch für andere Politikfelder genutzt wird, was
Zwangskollektivierung in den 50er- und 60er-Jahren
einige vorhaben. Lassen Sie uns gemeinsam diese öf-
im Nachhinein schämen.
fentliche Diskussion führen. Jetzt haben wir noch Ein-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und fluss, bevor die ersten Festlegungen in dieser Richtung
der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE vorgenommen werden.
LINKE]: Genossenschaften! Alle sind Eigen- Ich muss – ich tue das auch sehr gerne – noch etwas
tümer! – Iris Gleicke [SPD]: 1954 ist die CDU zum Verbraucherschutz sagen.
im Osten gegründet worden und hat das alles
mitgemacht! Steigbügelhalter!) (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Lieber nicht!)
(B) Ich freue mich deshalb, dass der Bauernbund jetzt ein Wir, die Union, machen Verbraucherpolitik aus der Sicht (D)
des Betroffenen heraus.
Denkmal für die Geschändeten in diesem Bereich errich-
tet hat, damit die Öffentlichkeit und die Nachwelt darauf (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Wo das denn?)
aufmerksam gemacht werden, welches Leid dort zuge-
fügt worden ist. Das greift in viele Politikfelder ein und führt dazu
– das kennen wir noch aus der vorherigen Koalition,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Frau Drobinski-Weiß –, dass die Kompetenzen in ver-
schiedenen Häusern angesiedelt sind. Ich bin deshalb
Frau Ministerin Aigner hat zu Recht darauf hingewie- froh, dass der Finanzminister jetzt nicht ohne Unterstüt-
sen, dass die Mittel des Hilfsprogramms in wenigen Ta- zung unserer Ministerin Aigner im Finanzmarktbereich
gen ausgeschöpft waren. Auch das ist ein Zeichen, dass aktiv wird und einen Gesetzentwurf für mehr Anleger-
die Menschen in diesem Bereich an die Zukunft glauben. schutz und zu anderen Fragen im Finanzbereich vorle-
Sie investieren, aber sie verkonsumieren das Geld nicht. gen wird.
Das ist für mich ein gutes Zeichen der Hoffnung.
Dass wir den Grauen Kapitalmarkt transparent ma-
Es wurde kritisiert, dass wir über Verpflichtungser- chen müssen, ist unstrittig. Dass wir Anlegerprotokolle
mächtigungen aus dem Ökolandbaubereich versucht brauchen, ist unstrittig.
haben, die Aufgaben der Exportförderung zu finanzie- (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Aber doch
ren. Diese Kritik war zwar unberechtigt. Trotzdem ha- nicht so!)
ben wir diese Regelung fallen gelassen. Es sollte von
Anfang an kein einziger Euro aus diesem Bereich weg- Ich rufe, weil wir eine Vertrauenskrise in der Finanzwelt
fallen. Die nicht ausgeschöpften Mittel hatten uns zu- haben, die Branche auf,
nächst dazu veranlasst, diese Form der Gegenfinanzie-
(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Darum
rung zu wählen.
lassen wir die auch wieder allein rummor-
(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Es wird keln!)
alles schöngeredet! – Ulrich Kelber [SPD]: Ihr wie bei den Beratungsprotokollen mit uns vor gesetzli-
eigener Minister hat es nicht ausgegeben!) chen Maßnahmen aktiv zu werden; dann braucht das
nicht geregelt zu werden.
Wir lassen es nun, damit hier nicht ein falscher Eindruck
entsteht. Mir ist wichtig, dass wir zwischen ökologischer (Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Ich weiß! Immer
und moderner Landwirtschaft unterscheiden. alles freiwillig! Ist klar! Das kennen wir!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2851
Peter Bleser
(A) Aber wenn es nicht geschieht, dann werden wir handeln. sparungen an der falschen Stelle“ und zu „Kein Konzept (C)
Ich stelle deshalb die klare Forderung auf: bei der Verbraucherpolitik“ gesagt hat, zieht sich, ohne
dass wir uns abgesprochen haben, auch durch meine Rede
Präsident Dr. Norbert Lammert: und durch die gesamte heutige Debatte.
Herr Kollege. Frau Aigner, Sie kommen bei der Verbraucherpolitik
einfach nicht weiter. Bei der Agrarpolitik haben Sie so-
Peter Bleser (CDU/CSU): gar den Rückwärtsgang eingelegt. Sie haben nur an einer
Wir wollen bei Geldautomaten die gleiche Transpa- Stelle richtig Geschwindigkeit aufgenommen: Eine sol-
renz wie bei Tankstellen. Man muss vorher wissen, was che Geschwindigkeit wie die, mit der Ihre Finanzpolitik
es kostet, nicht nachher. hinfällig geworden ist, habe ich in elf Jahren Bundestag
noch nicht erlebt. Sie haben uns bei der ersten Lesung
(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Das ist aktive des Haushaltes so viele Wohltaten versprochen.
Verbraucherpolitik!)
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das müssen
Ich will ein Letztes dazu sagen. Wir sind uns alle ei- Sie uns aber mal erklären!)
nig, und ich habe nicht das Bedürfnis, hier über verschie-
dene Verfahrensweisen zu streiten. – Dazu komme ich noch, Herr Schirmbeck. – Aber was
ist bei der zweiten und dritten Lesung? – Sie legen uns
Präsident Dr. Norbert Lammert: die Streichliste vor.
Das geht auch gar nicht, Herr Bleser, weil Sie weit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
über die vorgesehene Redezeit hinausgegangen sind. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Georg
Schirmbeck [CDU/CSU]: Welche denn? Wel-
Peter Bleser (CDU/CSU): che Streichungen?)
Herr Präsident, das schützt meinen Kollegen Goldmann Wir haben bereits bei der ersten Lesung deutlich ge-
vor einer Bewertung seiner Aussage.
macht, dass Sie ein 750 Millionen Euro teures Stroh-
feuer abbrennen. Davon geht weder für die Landwirt-
Präsident Dr. Norbert Lammert: schaft noch für die ländlichen Räume ein wirklich
Sehen Sie, die Fürsorge des Präsidenten reicht prä- nachhaltiger Effekt aus. Wir haben Ihnen damals schon
ventiv auch in diese Richtung. gesagt, dass, erstens, man so etwas nicht auf Pump ma-
chen kann – Sie machen das auf Pump – und, zweitens,
Peter Bleser (CDU/CSU): das vorrangig in Bayern – ich korrigiere: nicht im Süd-
(B) westen der Republik – ankommt. (D)
Das nehme ich gerne als Hilfe in Anspruch. Ich will
zum Schluss nur zur Kenntnis bringen, dass die Men- (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Glauben Sie
schen sich in der Verbraucherschutz- und Agrarpolitik selber, was Sie da erzählen?)
auf die Union verlassen können.
– Herr Schirmbeck, Sie haben selbst angekündigt, dass
(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: wir ab 2011 ganz genau hinschauen müssen, was wichtig
Dann sind sie verlassen!) ist.
Dann wird auch da der Frühling sehr bald wiederkom- (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Ehrlich in
men. die neue Zeit!)
Vielen Dank.
Ab dann werden nach Ihrer Aussage die Einsparungen
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) kommen. Das, was Sie jetzt auf Pump ausgeben, werden
Sie ab 2011 einsparen müssen. Ich hätte nicht gedacht,
Präsident Dr. Norbert Lammert: dass uns schon in den Haushaltsberatungen deutlich ge-
Die Kollegin Waltraud Wolff hat nun das Wort für die macht werden würde, wie recht wir als SPD in der ersten
SPD-Fraktion. Lesung hatten.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD – Georg Schirmbeck
[CDU/CSU]: Was haben Sie eigentlich elf
Jahre lang gemacht?)
Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Das Ökolandprogramm sollte um 3,3 Millionen Euro
Kollegen! Das staatstragende Mäntelchen, das Herr gekürzt werden. Es bringt überhaupt nichts, wenn Sie,
Bleser sich gerade umgehängt hat, Herr Bleser, jetzt sagen, das sei alles nicht so gemeint
gewesen. Schön, dass Ihnen das nicht geglückt ist.
(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Nicht mal
das!) (Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Das ist
unser Einsatz gewesen, nicht Ihrer!)
bedeutet nicht, dass die Politik, die mit diesem Haushalt
gemacht wird, eine solide ist. Das werden wir ganz Allerdings konnten wir nicht verhindern – das ist
schnell aufzeigen. Das, was mein Kollege Rolf Schwanitz schon mehrfach angesprochen worden –, dass es bei der
am Anfang zu „Klientel- statt Strukturpolitik“, zu „Ein- GAK Kürzungen in Höhe von 25 Millionen Euro gab.
2852 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Da ist die christlich-liberale Koalition Vorreiter. Wir (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
schaffen mehr als Sie in elf Jahren Regierungsbeteili- Mir ist bei diesem Sonderprogramm wichtig, dass wir
gung. nicht nur Milchbauern sehen – auch da unterliegen Sie
Herzlichen Dank. einem Irrtum, Herr Schwanitz; das wissen Sie als Haus-
hälter eigentlich –, sondern wir stabilisieren auch die
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) agrarsoziale Sicherung durch die Erhöhung der entspre-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2855
Franz-Josef Holzenkamp
(A) chenden Mittel. Unsere Ministerin ist schon auf das Ich frage mich: Wo war eigentlich das Interesse der (C)
Liquiditätsprogramm eingegangen. Hier hat man ein SPD?
Programm schnell umgesetzt. Hier ist man effizient, un-
bürokratisch und wirkungsvoll vorgegangen. Herzlichen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Dank an die Bundesregierung, insbesondere an unsere Ich bin sehr froh, dass der Sprecher der SPD, Wilhelm
Ministerin, Ilse Aigner. Danke schön! Priesmeier, dabei war. Er war der einzige Agrarpolitiker
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- der SPD, der anwesend war. Wenn Sie hier schon Sonn-
neten der FDP) tagsreden halten, sollten Sie auch einmal Interesse an der
tatsächlichen Arbeit zeigen. So, meine Damen und Her-
Ein Satz zum Verbraucherschutz. Die Verbesserung ren, geht es jedenfalls nicht.
des Anlegerschutzes ist immer wieder angesprochen
worden. Hier haben wir schnell reagiert; das ist gerade (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
schon deutlich gemacht worden. Eines wissen wir alle: Als letzten Punkt will ich den Export ansprechen.
Es handelt sich beim Verbraucherschutz um einen Pro- Wir wissen, dass es auf der nördlichen Welthalbkugel
zess, der ständig Anpassungen notwendig macht; das mehr Nutzfläche als auf der südlichen Welthalbkugel
weiß jeder normal denkende Mensch. Entscheidend ist, gibt. Wir wissen gleichzeitig, dass im südlichen Teil der
dass diese Bundesregierung nicht redet, sondern an- Welt mehr Menschen leben als im nördlichen Teil der
packt. Das machen wir sehr erfolgreich. Welt. Es ist ganz einfach: Das bedingt Export.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Ach du
Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Genau! Früh meine Güte!)
aufstehen und arbeiten, nicht palavern!)
Wir wissen auch, dass wir mittlerweile in fast allen Pro-
Jetzt noch ein Satz zur Ampelkennzeichnung – da- duktionsbereichen zu Nettoexporteuren geworden sind.
von, dass Sie Ihre Auffassung gebetsmühlenartig wie- Wir sind erfolgreich. Diesen Erfolg haben wir, insbeson-
derholen, wird es wirklich nicht besser –: Sie wollen ei- dere in den letzten Jahren, unserem Staatssekretär Gerd
nen unmündigen Verbraucher produzieren. Müller zu verdanken,
(Widerspruch bei der SPD)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Sie verbreiten in der Öffentlichkeit Falschinformationen,
der sich hier in ganz besonderer Weise engagiert hat. An
meine Damen und Herren von der Opposition.
dieser Stelle sage ich der Bundesregierung aus tiefster
(B) (Ulrich Kelber [SPD]: Alle Verbraucherschutzver- Überzeugung ein ganz herzliches Dankeschön. (D)
bände sehen das wie wir! Alle!)
Meine Damen und Herren, wir sind für die Zukunft
Was haben Sie eigentlich für ein Gesellschaftsbild? gut aufgestellt. Wir packen die Zukunftsthemen an. Wir
entwickeln die erneuerbaren Energien weiter. Wir ver-
(Ulrich Kelber [SPD]: Sie stehen allein gegen stehen beispielsweise auch das Problem der Nutzungs-
alle Verbraucherschützer!) konflikte. Wir wissen, dass wir bei der Biomassenutzung
Ich will Ihnen deutlich sagen: Man muss das tun, worauf eine Kaskadennutzung – erst der Magen, dann die ener-
es ankommt, und nicht das, was in der Öffentlichkeit getische Nutzung – auf den Weg bringen müssen. Hier
kurzfristig vermeintlich gut ankommt. Deshalb sind wir sind wir gut aufgestellt. Wir wissen, dass sich die glo-
Regierung und Sie Opposition. bale Nachfrage nach Nahrungsmitteln in den nächsten
Jahrzehnten verdoppeln wird.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Ulrich Kelber [SPD]: Dann müssen wir
Ich möchte noch etwas zur Zukunft sagen, und zwar Schweinefleisch verschicken!)
zur GAP-Reform 2013. Herr Kelber, Sie haben vorhin
von Untätigkeit gesprochen Wir haben allerdings mit der Marktvolatilität zu kämp-
fen. In diesem Zusammenhang will ich noch das Stich-
(Ulrich Kelber [SPD]: Nachgewiesen habe ich wort Risikoausgleichszulage nennen, für die wir Agrar-
das!) politiker uns einsetzen.
und gesagt, wir würden uns zu wenig kümmern. Ich will Meine Damen und Herren, es gibt Zukunftsthemen
Ihnen ein Beispiel nennen. ohne Ende. Bei diesen Themen sind wir sehr aktiv und
(Ulrich Kelber [SPD]: Ja! Los!) produktiv. Es handelt sich um eine Wachstumsbranche
und eine Zukunftsbranche. Dafür lohnt es sich zu arbei-
Der neue EU-Agrarkommissar Cioloş ten.
(Ulrich Kelber [SPD]: Oh! Den haben Sie als Herzlichen Dank.
Schwarz-Gelb beschlossen?)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
hat uns hier in Berlin besucht. Wir haben für unser Tref-
fen etwa anderthalb Stunden Zeit gehabt. Präsident Dr. Norbert Lammert:
(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ja, genau!) Ich schließe die Aussprache.
2856 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Jürgen Herrmann
(A) sein kann und dass man an der einen oder anderen Stelle, Wir hatten Anträge für das Netz des Bundes und den (C)
an der es der Minister nicht ganz so gerne sieht, streicht, Digitalfunk gestellt. Auch dort haben wir noch einmal
ist klar. Dieses Recht des Parlamentes haben wir uns he- eingespart, wohl wissend, dass wir in den nächsten Jah-
rausgenommen. Trotz allem gilt, dass wir sehr wohl ren in diesen Bereich investieren müssen.
diese Dinge mit ihm besprochen haben. Ihre Behauptung
wird auch nicht dadurch wahrer, dass Sie sie fünf- oder Auch bei der Ausstattung der Bereitschaftspolizei
sechsmal wiederholen. Ich denke, der Minister wird das der Länder – das war ein Anliegen des Bundesrech-
nachher selber klarstellen. nungshofes – haben wir gespart. Es gibt allerdings genug
Querschnittsaufgaben, bei denen wir die Kosten nicht
Der Entwurf für den Haushalt des BMI der christlich- vollständig deckeln können, sondern gut beraten sind,
liberalen Regierung enthält einen Gesamtetat von circa die Länder zu unterstützen.
5,5 Milliarden Euro. Das ist ein im Vergleich zum Ge-
Ein Anliegen bezüglich Haushaltswahrheit und -klar-
samthaushalt eher kleiner Haushalt. Er ist aber sehr
heit war für uns die Flexibilisierung. Am einfachsten
wichtig, weil es auch um die innere Sicherheit geht.
wäre es natürlich – auch das Ministerium würde es gerne
50 Prozent des Haushalts entfallen auf Personalausga-
so sehen –, wenn das Ministerium den Haushalt in
ben. Deswegen gibt es nur begrenzte Sparmöglichkeiten,
Gänze selbst aufstellen könnte, ohne dass wir bei einzel-
was es schwieriger macht, zu sparen. Nichtsdestotrotz
nen Positionen hineinreden können. Nichtsdestotrotz
sind 12 Prozent dieses Haushalts für Investitionen vor-
sind Flexibilisierungen in Teilbereichen natürlich sinn-
gesehen. Das ist nicht von der Hand zu weisen. Diese
voll; sie erleichtern die Verwaltungsarbeit. Hier haben
Ausgaben sind sicherlich sehr wichtig.
wir uns auf die Fahne geschrieben, die Dinge dort, wo es
Wir haben uns mit dem Ministerium intensiv – damit notwendig und sinnvoll ist, einzuschränken.
knüpfe ich an den Anfang meiner Rede an – über eine Trotz der Kürzungen, die wir vorgenommen haben
Ausgabenkürzung in Höhe von 2 Prozent unterhalten. – da widerspreche ich Ihnen, Herr Kollege Danckert,
Wir Haushälter haben gemeinsam mit dem Koalitions- ganz deutlich –, geben wir 67 Prozent des Haushalts für
partner durchgesetzt, dass 2 Prozent eingespart werden. das BMI für den Bereich der inneren Sicherheit aus.
Das heißt, 110 Millionen Euro sind noch vom Ausgangs- Das sind 3,7 Milliarden Euro. Sie können also nicht be-
volumen des Regierungsentwurfes abgezogen worden. haupten, dass die eingesparten 110 Millionen Euro zu-
Herzlichen Dank an Sie, Herr Minister, und an Ihr lasten der Sicherheit gehen. Das ist bei weitem nicht so.
Haus für die Informationen und für die gute Zusammen- (Dr. Peter Danckert [SPD]: Was ist mit der Bun-
arbeit, die insbesondere in den Berichterstattergesprä- despolizei und dem Bundeskriminalamt?)
(B) chen zum Ausdruck kam. Wir haben viele Dinge ange- (D)
sprochen, und es sind viele Berichte – mehr als sonst – Kollege Danckert hat es eben angesprochen: Der
angefordert worden. Es hat außerdem sehr viele Nach- Digitalfunk war Thema in mehreren Berichterstatterge-
fragen insbesondere im allgemeinen Haushaltsgespräch sprächen, und wir hatten eine Menge Fragen in Bezug
gegeben. Diese Nachfragen betrafen den Digitalfunk, auf Auftragsvergabe, Kosten und Struktur. Es gab hier
auf den ich gleich noch kommen werde, das Polizeiprä- eine lange Vorgeschichte. Otto Schily hat den Digital-
sidium in Potsdam und den Einsatz unserer Polizisten in funk als damals verantwortlicher Innenminister im
Afghanistan. Ich kann die Worte des Ministers im Be- wahrsten Sinne des Wortes auf die falsche Schiene ge-
richterstattergespräch nur unterstreichen, dass nicht un- setzt. Die angestrebte Zusammenarbeit mit der Deut-
gezügelte Ausgaben Sinn machen, sondern ein erfolgs- schen Bahn hat nicht funktioniert, und dadurch ist es zu
orientierter und nachhaltiger Einsatz der Mittel. Ich erheblichen Verzögerungen gekommen, insbesondere
glaube, das erreichen wir mit unserem Haushalt. bei der Aufarbeitung mit den Ländern. Die Beteiligung
der Länder ist nun einmal ein wesentlicher Faktor in die-
Die Koalition hat 30 Änderungsanträge gestellt. Die sem Bereich.
Opposition hat deutlich mehr Anträge gestellt, von de-
nen wir einigen zugestimmt haben. Es gab aber auch ei- Ich bin froh, dass wir über den sogenannten König-
nige abstruse Anträge, die wir nicht annehmen konnten. steiner Schlüssel zu einer Kostenverteilung gekommen
Es freut mich deshalb umso mehr, dass von den 30 An- sind. Wir haben uns auch über die einzuführenden Stan-
trägen, die wir gestellt haben, ein Großteil mit Stimmen dards unterhalten und sind dabei, die Ausgestaltung des
aus der Opposition angenommen worden ist, teilweise Kernnetzes voranzutreiben. Wir haben uns auf die An-
sogar mit Zustimmung des gesamten Ausschusses. zahl der Vermittlungsstellen, Basisstationen und Endge-
räte festgelegt. Allerdings sage ich auch an dieser Stelle,
Ich möchte noch die Ausgaben für die Presse- und dass ich nicht glaube, dass es möglich ist, heute eine zu-
Öffentlichkeitsarbeit im Zusammenhang mit der Ein- verlässige Aussage über die Kosten für ein Projekt zu
führung des elektronischen Personalausweises an- machen, das über mehr als zehn Jahre festgeschrieben
sprechen. Ja, wir sparen an dieser Stelle. Das geht zulas- wird. Von daher wird es sicherlich noch Nachbesserun-
ten – auch das ist eine Anmerkung, die der Minister gen geben. Ich bin froh, dass wir auch Hinweise auf das
gemacht hat – der Schulung derer, die in den Kommunen Ausschreibungsverfahren bekommen haben. Wir haben
dafür verantwortlich sind. Ich sage Ihnen aber ganz deut- daraufhin die Mittel entsperrt. Der Interimsbetrieb kann
lich: Zum 1. November dieses Jahres wird der elektroni- demnächst eingestellt und in den Regelbetrieb überführt
sche Personalausweis eingeführt. Daran gibt es keinen werden. Das bedeutet eine Kostenersparnis von 7 Millio-
Zweifel. nen Euro im Monat.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2859
Jürgen Herrmann
(A) Herr Minister, ich finde Ihren Entschluss richtig, den ßend zu Hause geblieben, oder sie haben sich bei ande- (C)
Digitalfunk vom Netz des Bundes abzukoppeln, weil wir ren afghanischen Sicherheitsbehörden verdingt oder sind
doch erhebliche Sicherheitsprobleme haben. Wir werden sogar zu den Taliban gegangen. Können Sie darüber
in den nächsten Monaten noch einmal darüber diskutie- konkrete Auskunft geben? Nach dem, was mir dort ge-
ren und haben das auch mit Sperrvermerken belegt. Ich sagt worden ist, gibt es derzeit eine afghanische Polizei
bin mir aber sicher, dass dieses Projekt im Sinne einer in Begleitung von deutscher Polizei in lediglich acht von
besseren Ausstattung der Behörden und Organisationen 120 Distrikten und auch nur im Norden.
mit Sicherheitsauftrag vor Ort äußerst wichtig ist.
Lassen Sie mich auch noch etwas zu Afghanistan sa- Jürgen Herrmann (CDU/CSU):
gen. Ich begrüße es ausdrücklich, dass auf der Londoner Herr Ströbele, 30 000 ist die Zahl, die mir vom Innen-
Konferenz Beschlüsse gefasst worden sind, die die Ar- ministerium genannt worden ist. Dabei handelt es sich
beit in Afghanistan auf militärischer, ziviler, aber eben um Sicherheitskräfte, die geschult worden sind. Wo die
auch auf polizeilicher Ebene voranbringen. Deutschland anderen geblieben sind, müssen Sie die afghanische Re-
hat als Lead-Nation beim Aufbau der Polizei in Afgha- gierung fragen; denn wir führen keine Personalakten.
nistan in den zurückliegenden Jahren sicherlich das eine Als Sie in Afghanistan waren, hätten Sie sicherlich die
oder andere Problem gehabt. Aber wir sind bemüht, die- Gelegenheit gehabt, mit den afghanischen Entschei-
ses Defizit aufzuarbeiten und stellen noch einmal zusätz- dungsträgern zu sprechen.
liche 7,5 Millionen Euro für die deutsche Mission, aber Das Personalsystem in Afghanistan ist leider nicht so
auch für EUPOL, wo 45 Beamte eingesetzt sind, zur ausgefeilt wie hier. Denken Sie an die Probleme, die da-
Verfügung. mals bei der Auszahlung des Lohnes aufgetreten sind.
Wir werden die Zahl der Ausbilder auf 200 steigern. Das kann nicht bargeldlos erfolgen, sondern da wird das
Das ist wichtig, damit die ANP, also die afghanische Geld direkt in die Hand gegeben. – Der eine oder andere
Polizei, demnächst auch selber ausbilden und ihre Auf- wird sicherlich abhandengekommen sein. Entscheidend
gaben übernehmen kann. Das geschieht an den drei ist aber doch – das beantwortet auch Ihre Frage –: Es
Standorten der Bundeswehr und in Kabul. Es ist ja nicht geht nicht nur darum, wer von der Fahne gegangen ist.
so, dass wir nicht erfolgreich gewesen wären. Seit 2002 Sie müssen auch zur Kenntnis nehmen, dass die Qualität
haben circa 30 000 afghanische Polizeioffiziere und -be- der Ausbildung, die wir zur Verfügung stellen, dazu
amte die Ausbildung durchlaufen; das ist sicherlich eine führt, dass weniger Polizeioffiziere oder -beamte in Af-
hohe Zahl. Wir haben uns das Ziel gesetzt, in den nächs- ghanistan getötet werden; denn wir haben im Bereich der
ten drei Jahren noch einmal 15 000 zu schulen. Polizei höhere Verluste als beim Militär. Wenn Sie nä-
here Informationen möchten, dann wird Ihnen die afgha-
(B) Wichtig ist, dass wir auch in diesem Bereich Hilfe zur nische Botschaft diese sicherlich zur Verfügung stehen. (D)
Selbsthilfe leisten. 500 afghanische Ausbilder sollen
demnächst die Arbeit der deutschen Ausbilder überneh- (Beifall bei der CDU/CSU)
men. Das Ziel, 80 000 Mann im Dienste der afghani-
Wir haben viel über die Polizeibeamten gesprochen.
schen Polizei zu haben, ist sicherlich wichtig. Die Um-
Ich möchte an dieser Stelle denjenigen meinen herzli-
setzung des Focused District Development Program
chen Dank aussprechen, die ihren Dienst in Afghanistan
erscheint mir auch erforderlich, damit wir in die Fläche
freiwillig versehen. Das ist nicht immer ganz leicht; das
hinausgehen und diese Aufgabe vor Ort leisten können.
sollte man an dieser Stelle unterstreichen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des bei Abgeordneten der SPD und des BÜND-
Kollegen Ströbele? NISSES 90/DIE GRÜNEN)
Zum Schluss möchte ich noch auf ein Erfolgsrezept
Jürgen Herrmann (CDU/CSU): zu sprechen kommen, das möglicherweise demnächst
Ja, bitte. sogar in China umgesetzt wird. Das hat mir zumindest
der Präsident der Organisation gesagt, die auch im In-
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE land ein sehr hohes Ansehen genießt. Ich spreche vom
GRÜNEN): THW. Wir können es tagtäglich verfolgen: Egal welche
Herr Kollege, Sie nennen Zahlen zum Polizeiaufbau Einsätze es wahrnimmt, ob der Einsturz des Stadtarchivs
in Afghanistan. Ich war vor zehn Tagen dort und habe in Köln, beim Wirbelsturm Nargis in Myanmar, beim
auch mit den Polizeiausbildern in Kunduz und Masar-i- Erdbeben in China oder aktuell in Haiti und Chile, aber
Scharif gesprochen. Die Zahl von über 30 000 Beamten auch die kleinen Hilfseinsätze vor Ort – all das wird in
oder Angestellten der Polizei in Afghanistan, die Sie ge- Deutschland zur Kenntnis genommen. Es gibt ein hohes
nannt haben, versehe ich mit einem großen Fragezei- Aufgabenspektrum.
chen. Ich frage Sie: Können Sie etwas dazu sagen, wo Ich möchte an dieser Stelle lobend erwähnen, dass wir
die eigentlich geblieben sind? Wie viele sind nach Ihrer in diesem Bereich 80 000 ehrenamtliche Helfer haben;
Kenntnis oder der des Bundesinnenministeriums nach dem stehen lediglich 800 hauptamtliche Helfer gegen-
wie vor als Polizisten in Afghanistan tätig und wo, und über. Ich glaube, wenn man weiß, welche Arbeit von
wie viele von ihnen waren „Schwund“? Man spricht von ihnen geleistet wird, dann kann man das gar nicht hoch
zwischen 30 und 50 Prozent. Entweder sind sie anschlie- genug schätzen. In den 668 Ortsverbänden wird her-
2860 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Jürgen Herrmann
(A) vorragende Arbeit geleistet. Der Haushalt, der mit Statt Unsummen in neue technische Überwachungs- (C)
178 Millionen Euro veranschlagt ist und noch einen klei- maßnahmen – Stichwort: Nacktscanner – zu stecken,
nen Aufwuchs erfahren hat, ist damit sehr gut aufge- wäre es vielleicht ratsam gewesen, mehr in Personal zu
stellt, insbesondere unter dem Aspekt, dass nur investieren. Sie haben das auf unsere Kleine Anfrage hin
25 Prozent des Etats für Personalausgaben eingestellt ja auch eingestanden. Wenn wir über öffentliche Sicher-
worden sind. heit, zum Beispiel an Flughäfen, reden, dann müssen wir
Auf den Bereich Sport gehe ich nur noch am Rande natürlich auch darüber reden, dass in diesem Bereich in
ein; der eine oder andere Kollege wird dazu bestimmt den letzten Jahren massiv privatisiert wurde. Eine Tätig-
gleich Stellung nehmen. Es ist ein wichtiges Thema, ins- keit wie die Fluggepäckkontrolle, die früher insbeson-
besondere nach den Winterspielen in Vancouver, aber dere von Beamtinnen und Beamten – gut ausgebildet, im-
auch im Hinblick auf die Paralympics, die derzeit statt- mer wieder geschult und vor allem vernünftig bezahlt –
finden. Ich wünsche unseren Athletinnen und Athleten erledigt wurde, wird jetzt von privaten Dienstleistern zu
alles Gute und auch, dass sie noch viele Medaillen errin- Dumpinglöhnen ausgeübt. Das kann nicht sein. Hier
gen. Das wird für die Zukunft wichtig sein; denn der Er- wäre eine Umkehr nötig gewesen. Wir brauchen mehr
folg hängt eng mit der Bewerbung Münchens zusam- Staat bei der Sicherheit und keine Dumpinglöhne; denn
men. Wenn wir uns in der Welt gut präsentieren, wird die das führt zu weniger Sicherheit. Von einer solchen Um-
Chance, dass wir die Olympischen Winterspiele 2018 kehr ist in diesem Haushaltsentwurf aber nichts zu se-
nach München holen, sicherlich steigen. hen.
Ich weiß, dass wir in Zukunft sparen müssen – wir (Beifall bei der LINKEN)
werden in diesem Jahr noch über die Haushaltsaufstel-
Da wir immer differenzierte Sachpolitik machen, be-
lung für das Jahr 2011 diskutieren –, wenn wir die im
grüßen wir ausdrücklich, dass es im Etat des Bundesbe-
Grundgesetz verankerte Schuldenbremse einhalten
wollen. Das wird nicht einfach; aber ich bin der festen auftragten für den Datenschutz einen gewissen Auf-
Überzeugung, dass wir dies in gemeinsamer Arbeit auch wuchs bei den Mitteln gibt. Das ist erst einmal
mit dem Bundesinnenministerium bewerkstelligen kön- erfreulich. Trotzdem – das gehört zu einer differenzier-
nen. ten Betrachtung natürlich dazu – steht das in überhaupt
keinem Verhältnis zu den Skandalen und Sauereien, die
Herzlichen Dank. wir im privaten Bereich in den letzten Monaten in der
Wirtschaft vernommen haben. Wir hätten es für sinnvoll
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
befunden, hier deutlich mehr Mittel einzusetzen, damit
der Bundesdatenschutzbeauftragte in Zusammenarbeit
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: mit seinen Länderkollegen auch einmal die staatliche (D)
(B)
Für die Fraktion Die Linke hat nun das Wort der Kol- Sammelwut stärker in den Fokus nehmen könnte. Das ist
lege Jan Korte. in der Tat zu wenig. Aber immerhin: Ein wenig mehr
gibt es.
(Beifall bei der LINKEN)
Was ich an dem Haushaltsentwurf noch ganz span-
Jan Korte (DIE LINKE): nend finde: Ich habe mir das FDP-Wahlprogramm ange-
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! schaut,
Wir reden über den Einzelplan 06 mit einem Volumen (Gisela Piltz [FDP]: Sehr gut!)
von ungefähr 5,6 Milliarden Euro. Es geht um den Haus-
halt des Bundesministeriums des Innern. Deswegen ver- und ich habe mir den Koalitionsvertrag noch einmal an-
wundert es nicht, das zwei Drittel der Mittel für die in- geschaut; man bereitet sich vernünftig vor. Groß ange-
nere Sicherheit vorgesehen sind. Ich kann hier und heute kündigt wurde – das ist interessant – die Bundesstiftung
nicht über die gesamte verfehlte Innenpolitik der letzten Datenschutz. Die wollten Sie; die haben Sie immer wie-
Jahre referieren und will mich deshalb auf die besonders der propagiert. Im Haushaltsentwurf findet man 0 Cent
verfehlten Punkte Ihrer Innenpolitik konzentrieren. dafür. 0 Cent sind für dieses Projekt angesetzt.
Man sieht dem Haushaltsentwurf an, dass mitnichten (Gisela Piltz [FDP]: Was noch nicht beschlos-
eine Änderung der Innenpolitik verfolgt wird, obwohl sen ist, braucht auch kein Geld, oder?)
die FDP das angekündigt hat. Vielmehr wird fortgesetzt,
was Schäuble und vorher Schily an Akzenten in der In- – Kollegin Piltz, vielleicht sagen Sie uns nachher einmal,
nenpolitik gesetzt haben. Es gibt keine Kurskorrektur in was aus diesem spannenden Projekt werden soll.
der Innenpolitik, auch nicht mit der FDP in der Regie- Ich möchte einen dritten Punkt zum Datenschutz kurz
rung. Das finden wir natürlich sehr schade. Namens des ansprechen. Nach dem Karlsruher Urteil zur Vorrats-
Kampfes gegen den internationalen Terrorismus wird datenspeicherung, die Sie nicht zu verantworten haben
auch mit diesem Haushalt eine Politik fortgesetzt, die – das muss man der Fairness halber dazusagen –, wäre es
erstens auf Aufrüstung im Bereich der inneren Sicher-
an der Zeit gewesen, einmal innezuhalten, in sich zu ge-
heit, zweitens auf Zentralisierung und drittens auf Mili-
hen und zum Beispiel bei ELENA, der Vorratsdatenspei-
tarisierung der Innenpolitik setzt. Das kritisieren wir als
cherung für Sozialdaten, das Stoppzeichen zu setzen und
Linke grundsätzlich. Eine Umkehr in der Innenpolitik
wäre dringend nötig gewesen. dieses Vorhaben auf Eis zu legen. Wir fordern ein Mora-
torium für diese Massenspeicherung von Sozialdaten.
(Beifall bei der LINKEN) Zum Glück haben schon 8 000 Leute Klage eingereicht.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2861
Jan Korte
(A) Stoppen Sie dieses Großprojekt! Es wird im Zweifel Hierzu mehrere Hinweise: Immer noch werden in Ost- (C)
wieder kassiert werden. deutschland geringere Löhne gezahlt. Das bedeutet vor
allem eine Abwanderung von jungen Menschen aus Ost-
(Beifall bei der LINKEN) deutschland. Ich erlebe das täglich in meinem Wahlkreis.
Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungs- Dies führt wiederum zu einem Ausbluten der ehrenamt-
schutz, Herr Fromm, hat noch einmal begründet, warum lichen Strukturen, zum Beispiel beim THW und in ande-
man die Linke unbedingt weiter beobachten sollte. ren wichtigen Bereichen des Katastrophenschutzes.
1,7 Millionen Menschen in Ostdeutschland leben von
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ja!) Hartz IV. Jedes vierte Kind in Ostdeutschland wächst
Das wäre in der Tat ein ganz praktisches Einsparpoten- unter Armutsbedingungen auf.
zial von mehreren Millionen Euro. Das würden wir so- Der für Ostdeutschland zuständige Minister sagt dazu
fort mittragen. nichts. Der Vorschlag im Innenausschuss war, eine Ar-
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Die Linke beitsgruppe zu bilden und darüber zu diskutieren; das
einsparen! Da machen wir sofort mit! Die kann man im Protokoll nachlesen. Das ist, finde ich, et-
Linke einzusparen, darauf können wir uns so- was wenig. Vom zuständigen Minister, von dieser Bun-
fort einigen!) desregierung kommt zum Thema Ostdeutschland über-
haupt nichts: null Ansage, null Plan, keine Idee, am
Die Linke macht nicht ständig verfassungswidrige Ge- besten gar nicht darüber sprechen.
setze, was Sie in den letzten Jahren gemacht haben, um
das einmal klar zu sagen. Stoppen Sie die Überwachung In dem Zusammenhang würde mich interessieren – Sie
der Linken. Das ist eine antidemokratische Methode der reden ja gleich noch, Herr Minister –, was Sie zu den ge-
politischen Auseinandersetzung. planten Kürzungen der Förderungen im Solarbereich
sagen. Denn das ist insbesondere für Ostdeutschland
(Beifall bei der LINKEN) schlecht. In Bitterfeld-Wolfen in meinem Wahlkreis sind
Noch ein Punkt, den ich ansprechen möchte: Wir re- die Industriearbeitsplätze, die in den letzten Jahren ent-
den hier über innere Sicherheit. Wenn man wirklich et- standen sind, allesamt in der Solarbranche entstanden.
was für die öffentliche Sicherheit in diesem Land tun Mich würde interessieren, was der für Ostdeutschland zu-
möchte, wäre ein verstärkter Kampf gegen den Rechts- ständige Minister von diesen Plänen der Koalition hält.
extremismus vonseiten der Bundesregierung ange- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
bracht. neten der SPD)
(Gisela Piltz [FDP]: Aber wenn Linke Autos Vielleicht sollten Sie Ihren Kollegen Seehofer unterstüt-
(B) anzünden, ist das in Ordnung?) (D)
zen, der fordert, dass man diese Kürzungen so nicht
In diesem Bereich herrscht aber völlige Fehlanzeige. durchführt.
Das kann man daran erkennen, dass die Bundesregie- Wenn man über Ostdeutschland redet, ist ein weiterer
rung weder die Statistiken ihrer eigenen staatlichen Stel- Punkt, den ich mir angesehen habe, interessant. Es geht
len zur Kenntnis nimmt noch auf Opferverbände hört bei diesem Gesamthaushalt um Milliardenbeträge; da
und auch nicht zur Kenntnis nimmt – das hat die Amadeu- fallen 2 Millionen Euro nicht besonders auf. Wenn man
Antonio-Stiftung gerade veröffentlicht –, dass seit 1990 in den Kommunen bis dato 2 Millionen Euro zur Förde-
in diesem Land 149 Menschen von Rechtsextremisten rung von ostdeutschen Sportstätten hatte, dann ist das
ermordet worden sind. Das wäre doch ein Grund gewe- in der Gesamtsumme nicht viel, aber für die einzelne
sen, endlich aufzuwachen. Stattdessen schwafeln Sie Kommune, die einen Bolzplatz für Jugendliche und für
von einem völlig unbelegten Extremismusbegriff. Sie Kinder und einen Sportplatz für den Breitensport unter-
haben keine Ahnung, was in einigen Gegenden in die- hält, ist das sehr viel. Dass Sie ausgerechnet diese
sem Land abgeht. Hier wäre eine Umkehr nötig. 2 Millionen Euro wegkürzen, können wir nicht verste-
(Beifall bei der LINKEN) hen. Das werden wir auch nicht akzeptieren.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
Deswegen fordern wir für das nächste Jahr mit Blick
neten der SPD – Dr. Peter Danckert [SPD]:
auf die Mittel für die Bundesprogramme, dass Sie umkeh-
Das hat er ja gar nicht gewusst!)
ren. Sie sollten die vielen Organisationen, die in diesem
Land eine hervorragende Arbeit machen, nicht immer Das kann nicht sein, wenn man sich ansieht – ich habe
wieder verunsichern, ob sie ihre Projekte weiterfinanzie- mir die Zahlen heute herausgesucht –, dass 60 Prozent
ren können, sondern endlich eine Garantie geben, dass der Sportstätten in Ostdeutschland sanierungsbedürftig
diese Projekte dauerhaft auf einem hohen Level finanziert sind. Man sollte diesen „Goldenen Plan Ost“ aufstocken,
werden. Unsere Anerkennung haben diese Organisatio- damit es auch für Kommunen im Westen Mittel gibt und
nen, die alltäglich gegen Rassismus und Antisemitismus die Kommunen im Osten weiterhin Mittel bekommen.
kämpfen. Das wäre eine richtige Politik. Dass Sie ausgerechnet
diese 2 Millionen Euro wegkürzen, ist absurd.
(Beifall bei der LINKEN)
(Dr. Peter Danckert [SPD]: Erbärmlich!)
Ich komme zu einem weiteren grundsätzlichen Punkt.
Das BMI ist ja jetzt auch für Ostdeutschland zuständig. Das zeigt deutlich, was Sie für Ostdeutschland übrig ha-
Ich sage das, weil das noch keiner mitbekommen hat. ben, nämlich überhaupt nichts.
2862 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Jan Korte
(A) Letzter Punkt, den ich ansprechen möchte. Der Ein- Das ist inkonsequent. Sprechen Sie in Ihrer Fraktion mit- (C)
zelplan 06, der darstellt, wie Sie sich die Innenpolitik der einander, und verhalten Sie sich in dieser Hinsicht ein
nächsten Monate weiter vorstellen, setzt die Politik des wenig konstruktiver.
Abbaus der Grundrechte fort, hat null Interesse an Ost-
deutschland, hat null Ideen für Ostdeutschland. Zur Be- (Dr. Peter Danckert [SPD]: Das ist ein Son-
kämpfung des Rechtsextremismus, die eigentlich ein ge- derthema!)
samtgesellschaftliches Projekt sein sollte von der – Kollege Danckert, aus Sicht der Fachpolitiker gibt es
Zivilgesellschaft bis in den Bundestag und die Bundesre- fast nur Sonderthemen.
gierung, ist von Ihnen überhaupt nichts zu hören. Sie
verharmlosen und nehmen nicht zur Kenntnis. Deswe- (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sehr richtig!)
gen lehnt die Linke auch diesen Einzelplan aus tiefstem
Ich glaube, dass wir hier eine andere Denkweise brau-
Herzen und aus tiefster Überzeugung ab. Wir fordern
chen. Es geht nicht um die Frage „Wie viel?“, sondern es
eine Umkehr in der Innenpolitik.
geht um die Frage: Was wird mit dem Geld gemacht,
Auf die FDP kann man in der Tat leider gar nicht set- und was wird mit dem Geld erreicht?
zen. Sie haben bis jetzt nichts durchbekommen. Das
(Dr. Peter Danckert [SPD]: Es geht auch um
erste Projekt, bei dem Sie eine Umkehr hätten erreichen
die Frage, wo es gemacht wird!)
können, war SWIFT. Sie hatten keine Chance, das
durchzusetzen. Sicherheit ist für diese Koalition kein Selbstzweck.
(Gisela Piltz [FDP]: Haben wir darüber nie ab- Sie ist kein Spielfeld, auf dem man mit Symbolik operie-
gestimmt?) ren kann. Sicherheit eignet sich auch nicht für Spiele mit
den Ängsten der Bürger, sondern sie dient der Verwirkli-
Ich bin gespannt, was Sie im Bereich der Vorratsdaten- chung der Freiheit der Bürger, sie dient unserer freiheit-
speicherung machen. Frau Leutheusser-Schnarrenberger, lichen Ordnung.
wir werden Sie in Ihrem Kampf gegen Ihren eigenen Ko-
alitionspartner auf jeden Fall unterstützen. (Dr. Peter Danckert [SPD]: Eben!)
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Die Freude ist Diesen modernen Sicherheitsbegriff vertreten wir.
unübersehbar!) In diesem Sinne kümmern wir uns auch nicht darum, uns
neue Gesetze, Eingriffsbefugnisse oder Überwachungs-
Wenn Sie eine Vorratsdatenspeicherung insgesamt ver- maßnahmen auszudenken, sondern wir tun ganz prakti-
hindern wollen, haben Sie unsere volle Unterstützung. sche Dinge.
Ich hoffe, dass Sie sich durchsetzen werden.
(B) (Dr. Peter Danckert [SPD]: Personal einspa- (D)
In diesem Sinne wünsche ich noch eine spannende ren!)
Debatte.
– Kollege Danckert, wir haben keine Stellen eingespart,
(Beifall bei der LINKEN) wie Sie es gesagt haben.
(Dr. Peter Danckert [SPD]: Doch!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Florian Toncar für Wir haben lediglich Personalkosten, die nicht benötigt
die FDP-Fraktion. werden, eingespart,
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Dr. Peter Danckert [SPD]: Lediglich?)
der CDU/CSU) aber Stellen ausdrücklich nicht. Es gibt im Haushalt eine
pauschale Stelleneinsparung, von der der gesamte Be-
Florian Toncar (FDP): reich der Sicherheit ausgenommen ist. Ich glaube, das
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wissen Sie auch. Deswegen sollten Sie hier nichts von
glaube, der Einzelplan 06 in der jetzigen Fassung ist ein Stelleneinsparungen erzählen.
gutes Gesamtkunstwerk. Er zeigt, dass man intelligent
sparen kann, dass es möglich ist, innere Sicherheit zu ge- Wir tun andere Dinge. Wir bringen nun endlich ein
währleisten, gleichzeitig den Datenschutz zu stärken und Projekt auf den Weg, das im Grunde eine Altlast ist – der
auch einen Beitrag zur Konsolidierung des Bundeshaus- Kollege Herrmann hat es schon angesprochen –: den
halts zu leisten. BOS-Digitalfunk. Unsere Sicherheitsbehörden brau-
chen diese modernen Funksysteme; das ist völlig unbe-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) stritten.
Kollege Danckert, ich werde nicht müde zu sagen: Es (Gisela Piltz [FDP]: Genau!)
kann nicht angehen, auch nicht für eine Oppositionsfrak-
tion, dass die SPD in Gestalt des Kollegen Schneider am Es ist allerdings ziemlich ernüchternd, festzustellen, wie
Dienstag sagt, wir würden zu wenig sparen, dass Sie, weit wir bei diesem Projekt bisher sind und was alles
wenn wir es tun, aber am Donnerstag derjenige sind, der noch aussteht. Dieses Projekt hat diese Koalition geerbt.
genau das kritisiert. Jetzt kümmern wir uns darum, dass die Sicherheitsbe-
hörden mit einem entsprechend guten Digitalfunk aus-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gestattet werden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2863
Florian Toncar
(A) (Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Ja! Darüber hinaus stärken wir den Datenschutz. Kol- (C)
Von Herrn Schäuble geerbt! – Dr. Peter lege Korte, die Stiftung Datenschutz wird gegründet; das
Danckert [SPD]: Wer war denn damals zustän- ist fest vereinbart. Da Sie diese Stiftung so vehement ge-
dig? Da war doch Herr Schäuble zuständig! – fordert haben, rechne ich damit, dass Sie an dem Tag, an
Gegenruf der Abg. Gisela Piltz [FDP]: Wer hat dem wir sie einrichten – das ist in Arbeit –,
denn damals den Handschlag gegeben? Das
(Jan Korte [DIE LINKE]: Kriege ich dann eine
war doch Herr Schily!)
Einladung?)
– Womöglich, Kollege Danckert, hat dieses ganze Miss-
nicht nur eine Einladung bekommen, sondern dass Sie
management auch unter Beteiligung Ihrer Fraktion statt-
uns, da Sie ja – wie wir Sie kennen – eine ganz konstruk-
gefunden; aber sei es drum.
tive Opposition sind,
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Na ja!)
der CDU/CSU)
auch loben werden, sobald wir dieses Vorhaben in die
Wir sollten den Blick nach vorne richten. Natürlich Tat umgesetzt haben. Damit rechne ich, wie gesagt, fest
gibt es einige Bereiche, in denen wir Haushälter erwar- und freue mich bereits auf diesen Tag.
ten, dass das Management besser wird. Herr Minister, es
muss zum Beispiel ermöglicht werden, dass Erfahrun- (Jan Korte [DIE LINKE]: Wann denn? Nur
gen, die dort, wo Digitalfunksender bereits installiert zum Vormerken!)
sind, gemacht werden – beispielsweise ob die Dichte der
Wir haben auch die Stellung des Bundesdaten-
installierten Anlagen ausreicht, um die Netzabdeckung
schutzbeauftragten gestärkt; das hatte die FDP übri-
zu gewährleisten, oder nicht –, sofort in die Planungsver-
gens schon in den vergangenen Haushaltsberatungen ge-
fahren in ganz Deutschland eingearbeitet werden, damit
fordert.
es hier nicht zu weiteren Verzögerungen oder unange-
nehmen Überraschungen kommt. Das Management in (Jan Korte [DIE LINKE]: Wir auch!)
diesem Bereich kann und muss noch besser werden.
Der EuGH hat geurteilt, dass die Stellung des Daten-
Außerdem müssen wir alle Bundesländer ermuntern schutzbeauftragten so angelegt sein muss, dass dessen
– ich glaube, hier sind wir uns einig –, das Ihre dazu bei- Unabhängigkeit sichergestellt ist. Wir werden uns überle-
zutragen, dass diese Anlagen installiert werden können. gen müssen, Herr Minister, wie wir die Unabhängigkeit
Die Situation ist von Bundesland zu Bundesland sehr un- des Bundesbeauftragten für den Datenschutz so gewähr-
terschiedlich. Ich glaube, auch hier gibt es Defizite. Mit leisten können, dass erfüllt wird, was das europäische
(B) den Bundesländern, die in diesem Bereich Nachholbedarf Recht von Deutschland fordert. (D)
haben, werden wir deutlicher reden müssen, als es bisher
Etliche Projekte im Haushalt haben eine hohe Daten-
der Fall gewesen ist.
schutzrelevanz. Ich erwähne den elektronischen Perso-
(Dr. Peter Danckert [SPD]: Mit dem Freistaat nalausweis.
Bayern!)
(Dr. Peter Danckert [SPD]: Der soll doch nicht
Das sind im Übrigen Punkte, an denen man etwas Kon- kommen! Sagen Sie einmal ein klares Wort
kretes für die Sicherheit tun kann, ohne ständig neue Ge- dazu: Kommt er, oder kommt er nicht? Gilt
setze auf den Weg zu bringen, die eher eine symbolische das, was Frau Piltz gesagt hat, oder nicht?)
Bedeutung haben. Wir haben an dieser Stelle, wie die FDP das immer
Die Polizeiausbildung in Afghanistan ist bereits an- wollte, dafür gesorgt, dass die Öffentlichkeitsarbeit auf
gesprochen worden. Ich glaube, das ist eine besonders das beschränkt wird, was nötig ist, nämlich eine sachli-
wichtige Aufgabe. Ich kann mich dem Dank des Kolle- che Information.
gen Herrmann an die Beamten, die dort tätig sind, nur (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
anschließen und das Ministerium bitten, weiterhin da- NEN]: Sie haben erklärt, Sie wollen ihn gar
rauf zu achten – ich weiß, Sie tun das –, dass diejenigen, nicht, zehn Jahre lang gar nicht, und nun: sach-
die sich für diese schwierige Aufgabe zur Verfügung ge- liche Information!)
stellt haben, auch Vorteile davon haben, wenn sie wieder
in Deutschland sind, und zwar nicht nur in materieller – Kollege Wieland, ich darf Sie darauf hinweisen – nur
bzw. finanzieller Hinsicht, sondern auch im Hinblick auf dass Sie auf dem Informationsstand eines Haushälters
ihre Laufbahn. sind –: Die Grünen – fragen Sie Ihren Kollegen! – woll-
ten, dass wir 3,5 Millionen Euro streichen. Wir haben
Wir werden 100 neue Ausbilder für die Polizeiausbil- 4 Millionen Euro gestrichen.
dung in Afghanistan bereitstellen und damit endlich die
internationalen Verpflichtungen erfüllen, die Deutsch- (Dr. Peter Danckert [SPD]: Herr Toncar, Sie
land schon vor Jahren eingegangen ist. Das ist ja keine haben 5 Millionen Euro gestrichen!)
neue Aufgabe für Deutschland, sondern etwas, was ei-
Wir sind also über das, was die Grünen in ihrem Antrag
gentlich schon vor Jahren hätte geschehen müssen, aber
gefordert haben, hinausgegangen.
nicht geschehen ist. Es wird also etwas nachgeholt. Auch
hier hat diese Koalition ganz konkrete Verbesserungen (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
erzielen können. NEN]: Abgeschrieben!)
2864 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Florian Toncar
(A) Insofern dürfte sich Ihr Zwischenruf an dieser Stelle in Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C)
der Sache erledigt haben. Informieren Sie sich, sprechen Wolfgang Wieland für die Fraktion Bündnis 90/Die
Sie miteinander! Wir haben mehr gemacht, als die Grü- Grünen ist der nächste Redner.
nen beantragt haben.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
NEN]: Abgeschrieben von uns! – Gegenruf Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
der Abg. Gisela Piltz [FDP]: Und dann heißt Kollege Herrmann, Herr Kollege Toncar, ich bin Ihnen
es: abgeschrieben! Was denn nun?) richtig dankbar. Ich habe gestern zugehört, als die Kanz-
Sie sollten uns loben, statt uns Vorwürfe zu machen! lerin geredet hat. Sie sprach von der „Herkulesaufgabe“,
den Haushalt zu sanieren. Der Bundesfinanzminister
(Zurufe des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD]) kündigte an, er wolle das Steuer radikal in Richtung Spa-
ren herumreißen.
– Kollege Danckert, es ist ja schön, dass ich Sie so he-
rausfordere. Aber ich darf Sie darauf hinweisen: Dass Ich habe mich die ganze Zeit gefragt: Wo denn eigent-
der elektronische Personalausweis kommt, steht im Ge- lich? Wo sind die Sparschritte? Nun haben Sie mich auf-
setz. Das hat nicht die FDP beschlossen, das haben an- geklärt, Herr Kollege Herrmann, dass wir sie hier finden,
dere Mehrheiten beschlossen. dass die 110 Millionen Euro, die Sie als Haushälter ge-
genüber dem Ansatz des Ministeriums eingespart haben,
(Jan Korte [DIE LINKE]: Dann ändern Sie es! der entscheidende Schritt seien. Wie soll das sein ange-
Sie könnten es jetzt ändern!) sichts der 80 Milliarden Euro – wir rechnen sogar mit
100 Milliarden Euro –, die der Haushalt diesmal in die
Es ist bemerkenswert, dass Sie das uns vorwerfen. Wir
Miesen geht?
haben natürlich bestimmte Anforderungen an den elek-
tronischen Personalausweis. Deswegen sagen wir: Da (Zurufe der Abg. Gisela Piltz [FDP])
muss nachgesteuert werden. Mit einer absoluten Mehr-
heit würden wir über den elektronischen Personalaus- – Frau Piltz, zu Ihnen komme ich noch in aller Ausführ-
weis vielleicht anders entscheiden. Aber wir sind eine lichkeit.
Rechtsstaatspartei; deswegen müssen wir, ob es uns ge-
fällt oder nicht, durchführen, was Sie ins Gesetz ge- Diese Regierung, diese Koalition verhält sich wie ein
schrieben haben. Automobilkonzern, der ankündigt, dass er neue Sparmo-
delle vorstellt. Dann zieht der Vorstandsvorsitzende am
(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Wenn Sie Vorhang, und da stehen die alten Spritschleudern mit
(B) eine Rechtsstaatspartei sind, dann müssen Sie neuen Chromleisten. Auf Fragen sagt er: Die Sparmo- (D)
es ändern!) delle kommen nächstes Jahr. Auf die Frage, ob er nicht
einen Prototyp oder wenigstens eine Skizze hat, sagt er:
Dabei will ich nicht verhehlen, dass wir als FDP an die- Die Skizze kommt im Mai; denn dann haben wir die
ser Stelle etwas anderes gemacht hätten. neueste Ölpreisschätzung. So glauben Sie sich drücken
(Beifall bei Abgeordneten der FDP) zu können vor der Aussage, wo Sie denn sparen wollen
Es gibt im Bereich Datenschutz weitere Aufgaben. (Eduard Oswald [CDU/CSU]: Wo sind denn
Weil meine Redezeit fast abgelaufen ist, will ich nur die Sparvorschläge der Opposition, der Grü-
noch das Projekt Arbeitnehmerdatenschutz anspre- nen? Legen Sie mal welche vor!)
chen. Wir wollen den Arbeitnehmerdatenschutz stärken. und was das denn bedeutet für die innere Sicherheit. Tun
Das ist ein Projekt, das die FDP-Fraktion mit hoher Prio- Sie hier doch nicht so, als ob Sie wirklich konsolidieren
rität verfolgt. und dabei den Bereich innere Sicherheit ausnehmen
Nachbesserungsbedarf sehen wir auch beim Thema könnten. Sämtliche Bundesländer haben immer, sozusa-
ELENA. Auch dort gibt es Entwicklungen, die wir mit gen litaneiartig, erklärt: An der inneren Sicherheit wird
einarbeiten müssen, wie das aktuelle Urteil des Bundes- nicht gespart. – Genau das haben Sie getan, und Sie wis-
verfassungsgerichts zur Vorratsdatenspeicherung. sen es auch. Sie versuchen, die Stunde der Wahrheit vor
sich herzuschieben. Diese Stunde wird aber kommen.
Es gibt im Bereich Datenschutz also noch viele Dann werden wir sehen, was diese Koalition zu leisten
Dinge, die diese Koalition aus Sicht der FDP-Fraktion in der Lage ist.
anpacken muss.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Insgesamt bietet der Haushalt die Grundlage dafür, sowie bei Abgeordneten der SPD)
dass wir innere Sicherheit und Datenschutz sowie die
Rechte und Freiheiten der Bürger gut miteinander in Mit diesem „Ab morgen wird gespart, und darauf gebe
Einklang bringen können. Wir werden dem Haushalt ich heute noch einen aus“ können Sie uns nicht überzeu-
selbstverständlich zustimmen. gen, selbst wenn wir uns – und das tun wir – über mehr
Mittel für den Datenschutzbeauftragten freuen und wenn
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wir auch sagen, für die Polizei im Ausland müsse mehr
der CDU/CSU – Jan Korte [DIE LINKE]: Voll getan werden. Das alles ist ja richtig, aber das ist nicht
inkonsequent!) die Herkulesaufgabe, von der die Kanzlerin geredet hat.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2865
Wolfgang Wieland
(A) Geld auszugeben, ist einfach, oder Frau Leutheusser-Schnarrenberger. Ja, das ist noch (C)
kein Jahr her. Jetzt müssen die Gondeln der FDP Trauer
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Darin sind die tragen.
Grünen gut!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Geld einzusparen, ist es nicht. Hier hören wir bisher nur und bei der SPD)
Rhetorik. Wir hören auch nur rhetorische Girlanden hin-
sichtlich der angekündigten bürgerrechtlichen Wende. Wir tun das allerdings nicht. Wir halten es mit Lothar
Das hat Ihre Fraktionsvorsitzende Homburger gestern ja de Maizière, der heute Freiligrath zitiert hat:
gesagt: Wir balancieren Freiheit und Sicherheit neu aus. – Ihr hemmt uns, doch ihr zwingt uns nicht. – Unser
Wo geschieht das denn? die Welt trotz alledem.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Richtig!) Das wird heute um 15 Uhr vor dem Brandenburger Tor
Erstes Beispiel. Die Kollegin Piltz hat nicht etwa er- gesungen werden, und wir werden hier im Herbst wieder
klärt: „Wir informieren jetzt korrekt und objektiv über eine Demonstration „Freiheit statt Angst“ von den vielen
erleben, die diese Wende erzwingen wollen und die mit
den E-Personalausweis“, sondern sie hat in der Neuen
dem, was Sie bisher geboten haben, wirklich nicht zu-
Osnabrücker Zeitung gesagt: Wir wollen ihn für ganze
frieden sind.
zehn Jahre bis 2020 aussetzen. – Die Internetgemeinde
hat gleich Hurra gebloggt und geschrieben: Deswegen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
haben wir die FDP gewählt. – Ja, und was machen Sie und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
heute? Sie heben heute die Hand für mehr Planstellen LINKEN – Otto Fricke [FDP]: Kein einziger
beim Bundesverwaltungsamt, für Forschung auf dem Vorschlag!)
Gebiet der Biometrie und für eine abgespeckte staatliche
Propagandaoffensive hinsichtlich dieses E-Personal- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
ausweises. Das ist angewandte Schizophrenie. Sie reden Nun hat der Bundesminister des Innern, Dr. Thomas
von einem Unsicherheitspapier und bewilligen das Geld de Maizière, das Wort.
dafür.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
bei der SPD und der LINKEN) nern:
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Das zweite Beispiel, das BKA-Gesetz, wurde hier Herren! Das Hohe Haus, die Mitglieder des Haushalts-
auch schon angesprochen. Herr Toncar sagt stolz: Die ausschusses, hat sich bei meinen Mitarbeitern und mir
(B) Planstellen, die wir dafür vorgesehen haben, wird es ge- für die professionelle Zuarbeit bedankt. Ich will das (D)
ben. – Für die neue Aufgabenwahrnehmung werden es gerne zurückgeben und mich für die konstruktive und
dann insgesamt 130 Planstellen mehr beim Bundeskri- professionelle Beratung dieses Einzelplans sehr herzlich
minalamt sein – allesamt für Befugnisse, die die FDP be- bedanken.
kämpft hat und gegen die die FDP durch ihre famosen
Vertreter Baum und Hirsch – leider nicht mehr ganz ak- Herr Abgeordneter Danckert, damit hier kein Miss-
tuell, aber immer noch famos – in Karlsruhe vor Gericht verständnis aufkommt: Dazu gehört auch, dass sämtliche
zieht. Anträge, die die Koalition beschlossen hat, dass sämtli-
che Beschlüsse vorab mit mir besprochen worden sind.
(Gisela Piltz [FDP]: Das müssen wir zurück-
(Dr. Peter Danckert [SPD]: Am Donnerstag-
weisen! Sie sind noch sehr aktuell!)
morgen!)
Diese Methode von Ihnen, sowohl auf Klägerseite als – Nein, nein, ehrlich gesagt: Wann wir das besprechen
auch auf Beklagtenseite zu sein, soll jetzt offenbar die
ständige Praxis werden. Forensisch können Sie damit (Gisela Piltz [FDP]: Das ist Datenschutz!)
nur gewinnen, weil Sie auf beiden Seiten sind. Hinsicht- – vielen Dank –, das ist Datenschutz.
lich der Glaubwürdigkeit verlieren Sie aber, und zwar ra-
sant. (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU
und der FDP)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der Richtig ist, dass alle Ressorts eine Kürzungsauflage
LINKEN) von 2 Prozent erhalten haben. Wir sind hier ja unter uns:
Ich kann Ihnen verraten, dass wir als Exekutive uns auch
Frau Kollegin Piltz, das muss ich Ihnen hier so sagen, überlegt haben, wo diese 2 Prozent so einzusparen sind,
weil Sie uns hier jahrelang erklärt haben, welche Versa- dass die Aufgabenerfüllung gerade nicht beeinträchtigt
ger die Grünen auf bürgerrechtlichem Gebiet sind. wird. Im Bereich des Personalhaushalts der Bundes-
(Zuruf von der FDP: Haben Sie es denn polizei ist es zum Beispiel so,
verstanden?) (Dr. Peter Danckert [SPD]: Ihr Haushalt hat
doch einen Zuwachs gehabt!)
Sie haben mit Frau Leutheusser-Schnarrenberger ge-
radezu darum gerangelt – das ist noch kein Jahr her –, dass der Abstand zwischen den Soll-Ausgaben und den
wer vor den Booten der Piratenpartei vor dem Schöne- Ist-Ausgaben der vergangenen Jahre es ermöglicht, die
berger Rathaus die Seeräuber-Jenny spielen darf, ob Sie von Ihnen genannte Summe einzusparen, ohne dass eine
2866 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Das ist auch ein Reflex der Spitzensportförderung, die
Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]) wir betreiben, die sich auch infrastrukturell weit über-
proportional stärker in den ostdeutschen Ländern als in
Von der Deutschen Islam-Konferenz war bisher den westdeutschen auswirkt. Auch das gehört zur Wahr-
noch nicht die Rede. Ich glaube, Sie haben Anspruch da- heit der Spitzensportförderung dieser Bundesregie-
rauf, dass ich etwas dazu sage. Ich möchte die Islam- rung.
Konferenz, die mein Vorgänger begonnen hat, fortset-
zen. Sie hatte mit der ersten Phase insoweit einen gewis- (Beifall bei der CDU/CSU)
sen Abschluss gefunden, als man sich auf gemeinsame
Erklärungen, Bekenntnisse und eine Grundlage des wei- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
teren Dialogs verständigt hat. Deswegen ist mein Ziel in Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischen-
der zweiten Phase der Deutschen Islam-Konferenz, unter frage der Kollegin Kunert?
Wahrung und Beachtung der dort gemeinsam erarbeite-
ten Grundlagen die Arbeiten konkreter und praktischer Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
zu machen. Deswegen wird auch die Teilnahme kommu- nern:
naler Vertreter und von Ländervertretern ausgeweitet. Gerne.
Ich bin insbesondere den Einzelpersönlichkeiten
dankbar, die bisher an der Deutschen Islam-Konferenz Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
beteiligt waren, dass sie auch weiter zur Verfügung ste- Bitte.
hen. Genauso dankbar bin ich, dass wir neue Persönlich-
keiten gefunden haben, die in diesem Dialog das ganze
Katrin Kunert (DIE LINKE):
vorhandene Spektrum von den sogenannten islamkriti-
schen Vertretern bis hin zu anderen abdecken, sodass wir Herr Minister, vielleicht teilen Sie die Auffassung, die
einen repräsentativen Querschnitt der Debatte haben, ich Ihnen jetzt vortragen werde. Es ist so, dass wir im
auch was die Einzelpersönlichkeiten angeht. Sportausschuss immer darüber reden, dass wir eine
Sportfamilie sind und dass wir bei anstehenden Ent-
Ich habe auch den bisher vertretenen Verbänden bis scheidungen immer im Interesse der Sache beschließen.
auf eine Ausnahme die Mitarbeit angeboten. Den besag- Ein Kollege im Haushaltsausschuss hat im Sportaus-
2868 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Katrin Kunert
(A) schuss vehement dafür geworben, 2 Millionen Euro für Aber die Ski-WM in Garmisch-Partenkirchen findet im (C)
die Ski-WM 2011 einzustellen. Als darüber gesprochen Winter 2011 statt. Im Sommer 2011 entscheidet das
wurde, es solle eine Sondermünze geben, haben wir als Olympische Komitee, ob die Olympischen Winterspiele
Fraktion Die Linke gesagt: Jawohl, wenn wir eine WM 2018 in München, Garmisch-Partenkirchen und Umge-
in Deutschland austragen, dann möge sich der Bund an bung stattfinden. Deswegen, ich sage: und nur deswe-
der Finanzierung der Sondermünze beteiligen, zumal es gen, weil die Veranstaltung exakt dort stattfindet, wo wir
zu zusätzlichen Einnahmen kommt. – Dazu, dass aber uns um die Olympischen Spiele bewerben, sind in die-
ausgerechnet dieser Abgeordnete, der für die Sonder- sem Fall diese Mittel gerechtfertigt und gut, begründen
münze geworben hat, den Antrag stellt, den Goldenen aber keinen Anspruch darauf, dass in Zukunft auch alle
Plan zu beerdigen, muss ich sagen: Da kommt es im anderen Weltmeisterschaften teure Kulturprogramme
Ausschuss schon zu Missstimmungen. bekommen. Das ist meine Antwort auf Ihre Frage.
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Unsere Haushälter haben (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
den Zusammenhang hergestellt, dass die Ski-WM auf Ich wünsche mir, dass es uns bei allem innenpoliti-
Kosten des Goldenen Plans Ost finanziert wird. Das schen Streit, den wir haben – da wende ich mich insbe-
kann nicht sein. Zum guten Ton gehört: Wenn man im sondere auch an die Grünen –,
Haushaltsausschuss Anträge stellt, dann muss man sie
zumindest im Fachausschuss ankündigen. Deshalb be- (Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Die haben von
daure ich sehr, dass das hier anders gelaufen ist. Aber Sport keine Ahnung!)
wir geben Ihnen natürlich die Möglichkeit, Herr Barthle, auf Regionalebene, nicht auf Bundesebene, gelingt, in
unserem Antrag zuzustimmen, wonach 20 Millionen einer erstklassigen Weise professionell, finanziell und in
Euro für den Goldenen Plan und damit für die ostdeut- der Art, wie wir uns um diese Olympischen Spiele be-
schen Kommunen eingestellt werden. Ich sage Ihnen: werben, alles daranzusetzen, was vertretbar ist, um im
Der Spitzensport kann nur dann gedeihen, wenn wir in Juli 2011 die Nachricht entgegennehmen können: Die
den Breitensport investieren. Ich frage Sie, Herr de Olympischen Spiele 2018 finden in Deutschland, in
Maizière: Stimmen Sie mir in diesem Punkt zu? München, Garmisch-Partenkirchen und Umgebung,
statt. Das wünsche ich mir. Im Übrigen wünsche ich mir
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In- bei allem Streit, dass wir in diesem Haus in dieser Frage
nern: einen Konsens erzielen.
Frau Kollegin, ich habe schon auf die Frage gewartet, Ich bitte herzlich um Zustimmung zum Einzelplan 06.
die dann zum Schluss kam. Ich will darauf gerne antwor-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Steffen
(B) ten und wäre darauf auch ohne Ihre Frage eingegangen. Bockhahn [DIE LINKE]: Leider nein!) (D)
Wir haben in Vancouver großartige Sportlerinnen und
Sportler erlebt. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
(Ute Kumpf [SPD]: Vor allem Frauen!) Herr Bundesminister, Sie sind zwar am Ende Ihrer
Rede, aber der Kollege Barthle möchte noch gerne eine
Wir erleben im Moment – wie soll ich sagen? – fast noch Zwischenfrage stellen.
großartigere Sportlerinnen und Sportler mit körperlicher
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Behinderung, die das Beste leisten, was man sich über-
NEN]: Ich auch, Frau Präsidentin!)
haupt nur vorstellen kann.
Darf ich ihm dazu die Möglichkeit geben?
(Beifall im ganzen Hause)
Das ist – Herr Herrmann hat es schon gesagt – die beste Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
Werbung für die Bewerbung um die Olympischen nern:
Spiele in München. Gerne.
(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Dann brau-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
chen wir das Kulturprogramm nicht!)
Die Redezeit ist noch nicht zu Ende. Auch Herr Jerzy
Was hat das mit dem zu tun, was Sie sagen? Ich sage Montag möchte Ihnen anschließend eine Zwischenfrage
Ihnen Folgendes – das habe ich auch schon im Aus- stellen. – Herr Kollege Barthle.
schuss gesagt –: Wenn das irgendeine Ski-WM – die
Garmischer mögen mir verzeihen – in irgendeinem Jahr Norbert Barthle (CDU/CSU):
gewesen wäre, hätte ich gesagt: Sie brauchen kein Geld Danke. – Herr Minister, können Sie mir erstens bestä-
für ein Kulturprogramm. Es gibt viele Weltmeisterschaf- tigen, dass der Goldene Plan Ost ursprünglich eine an-
ten in Deutschland. Auch bei der Frauenfußball-Welt- dere Intention hatte, als er über die Jahre bekommen hat?
meisterschaft in unserem Land haben wir, die Bundesre- Die Mittel dafür wurden sukzessive abgebaut, bis sie
gierung und der DFB, auf ein Kulturprogramm schließlich auf dem Level von 2 Millionen Euro gelan-
verzichtet. det waren.
(Dagmar Freitag [SPD]: Sie wollten (Dr. Peter Danckert [SPD]: Der Plan wurde
6 Millionen bereitstellen!) kaputt gemacht!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2869
Norbert Barthle
(A) Können Sie mir dazu bestätigen, dass über die Kon- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C)
junkturprogramme für die neuen Bundesländer ein Be- Herr Minister, eine weitere Zwischenfrage stellt der
trag von rund 600 Millionen Euro zur Verfügung steht Kollege Montag.
und dieser Betrag nicht in vollem Umfang abgerufen
werden kann, weil den Kommunen die Möglichkeiten
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
zur Kofinanzierung fehlen?
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Bundesinnenminis-
(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Das macht ter, Sie haben explizit die bayerischen Grünen angespro-
es doch nicht besser, Herr Barthle!) chen.
Angesichts dieser Tatsache ist der Betrag aus dem Gol-
denen Plan Ost eine wirklich zu vernachlässigende Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
Größe und ist insofern wirklich nur Symbolik. Diese nern:
Symbolik hat 20 Jahre nach der Wiedervereinigung viel- Ich habe es angedeutet.
leicht nicht mehr die Strahlkraft, die sie einmal hatte.
(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Wir haben Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ihnen die Ausweitung auf den Westen angebo- Da ich im Moment der einzige Grüne aus Bayern im
ten!) Saal bin, fühle ich mich angesprochen. Ich frage Sie, ob
Sie die Debatte, die die bayerischen Grünen über die Be-
Können Sie mir zweitens bestätigen, dass ich nicht werbung um die Olympischen Spiele 2018 führen,
Mitglied des Sportausschusses bin und dementsprechend überhaupt kennen. Uns geht es darum, dass diese Spiele
nicht an dem Beschluss beteiligt war, der im Sportaus- so ökologisch wie möglich sind, dass die Eingriffe in die
schuss mit den Stimmen der Linken getroffen wurde, für Alpen durch diese Olympischen Spiele so gering wie
die Ski-WM 2 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen? möglich sind und dass die öffentliche Infrastruktur da-
Können Sie mir drittens bestätigen, dass wir Haushäl- durch keinen Nachteil, sondern einen Fortschritt erfährt.
ter, weil wir sparsam sind, diesen Betrag um eine halbe Wissen Sie eigentlich, dass diese Debatte dazu geführt
Million unterschritten haben und nur 1,5 Millionen Euro hat, dass sich die Grünen, die in München für die Bewer-
zur Verfügung gestellt haben? bung zuständig sind und seit 20 Jahren mit der SPD in
der Stadt regieren, im Münchener Stadtrat einstimmig
(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Super! – für die Bewerbung ausgesprochen haben und sich die
Dr. Peter Danckert [SPD]: Dreimal Ja!) Münchener Grünen auf einer Vollversammlung mit
Mehrheit dafür entschieden haben? Wir werden aber die
(B) Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In- Diskussion, ob diese Bewerbung letztendlich zu ökolo- (D)
nern: gisch nachhaltigen Spielen führen wird oder nicht, wei-
Ich kann Ihnen alles bestätigen. Ich finde es nur etwas terführen.
seltsam, dass Sie eine Bestätigung brauchen, dass Sie
nicht Mitglied des Sportausschusses sind. Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
(Beifall des Abg. Dr. Dieter Wiefelspütz nern:
[SPD]) Herr Montag, ich begrüße Ihre Klarstellung ausdrück-
lich. Ich wollte die Grünen nicht tadeln und aus dem
Das ist sicherlich wahr. Konsens über die Bewerbung quasi herausnehmen. Viel-
Ich finde es falsch, einen Zusammenhang zwischen mehr wollte ich versuchen, sie komplett mitzunehmen,
der Kürzung der Mittel für den Goldenen Plan Ost und auch die Landtagsfraktion der Grünen in Bayern.
den Mitteln für die Ski-WM herzustellen. Einen solchen Unsere Bewerbung wird überhaupt nur eine Chance
Zusammenhang gibt es nicht. Ich habe ausdrücklich be- haben, wenn wir auf Nachhaltigkeit setzen. Ein Allein-
gründet, dass ich das eine nicht schön und das andere stellungsmerkmal unserer Bewerbung ist es gerade, dass
trotzdem richtig finde. vorhandene Sportstätten so genutzt werden sollen, wie
Ich füge aber eines hinzu: Der Bund ist nach der ver- es noch nie zuvor bei Olympischen Spielen der Fall war;
fassungsmäßigen Ordnung – ich sage ganz leise: wenn das ist ein Markenzeichen. Wir wollen in München zum
überhaupt – für die Förderung des Spitzensportes und Beispiel alles fußläufig machen. Wir können uns bei der
nicht für die Förderung des Breitensportes zuständig. Nachhaltigkeit höchstens gegenseitig überbieten. Aber
Die Förderung des Goldenen Plans Ost war aufgrund des darüber, dass diese Olympischen Spiele nachhaltig sein
Nachholbedarfs und des Erfordernisses des Zusammen- sollen, kann es keinen innenpolitischen Streit in
wachsens im Sport – ähnlich wie im Kulturbereich – Deutschland geben.
nach 1990 geboten, erforderlich und sinnvoll. Aber man Da wir uns darin offenbar einig sind, bitte ich Sie alle
muss fairerweise sagen, dass das nicht ganz der verfas- – bei allem Streit über die öffentliche Sicherheit, den Da-
sungsmäßigen Ordnung entspricht. tenschutz und den Goldenen Plan Ost – herzlich, in die-
(Dr. Peter Danckert [SPD]: Für Kultur sind Sie ser Frage an einem Strang zu ziehen.
doch auch nicht zuständig! – Steffen Ich bedanke mich herzlich.
Bockhahn [DIE LINKE]: Sie sind für gar
nichts zuständig, außer für Nacktscanner!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
2870 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Wie können Sie sich dann erklären – Sie haben vorhin (C)
Nächste Rednerin ist Kollegin Gabriele Fograscher versucht, es zu erklären –, dass die Mitglieder der CDU/
für die SPD-Fraktion. CSU und der FDP im Haushaltsausschuss die Kürzung
des Personaletats bei der Bundespolizei und beim Bun-
(Beifall bei der SPD) deskriminalamt durchgesetzt haben?
(Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben es immer
Gabriele Fograscher (SPD):
noch nicht verstanden!)
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Wir haben gerade in einer Gedenkstunde die Arbeit Ein Beitrag zu mehr Sicherheit ist das sicherlich nicht.
der 10. Volkskammer gewürdigt. Die Volkskammer war Was Sie erklärt haben, ist einigermaßen absurd: Sparen
fleißig und hat in nur sechs Monaten 164 Gesetze verab- durch Nichtbesetzung von Stellen.
schiedet. Sie, die schwarz-gelbe Koalition, haben in vier
(Otto Fricke [FDP]: Morgen erklären Sie wie-
Monaten nichts vorgelegt, auch nicht in der Innenpolitik.
der, wir würden zu viele Stellen schaffen!)
Wenn wir von der Tagesordnung für den Innenausschuss
und das Plenum in der nächsten Sitzungswoche die EU- Sie, Herr Innenminister, sprechen nicht mehr von innerer
Vorlagen und die Initiativen der Opposition wegnähmen, Sicherheit, sondern von öffentlicher Sicherheit. Neue
bliebe nichts mehr zur Beratung übrig. Begriffe sind leider keine neue Politik,
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Wolfgang (Beifall bei der SPD)
Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] –
Gerold Reichenbach [SPD]: Gähnende Leere!) und Sie haben heute nicht erklärt, was das heißt und wie
sich das in Ihrem Haushalt widerspiegelt.
Nun könnte man sagen: Die Vorgängerregierungen
haben alles zum Thema Innenpolitik geregelt, es gibt Politischer Extremismus ist eine Gefahr für die öf-
nichts mehr zu tun. – Aber so ist es nicht. fentliche Sicherheit und die Demokratie. Rechtsextre-
mismus, Linksextremismus und islamistischer Extremis-
Vielmehr sind Sie konzeptionslos, ideenlos, oder Sie mus sind aber von der Qualität und von der Quantität her
blockieren sich gegenseitig, zum Beispiel beim Thema völlig unterschiedliche Bedrohungen.
Vorratsdatenspeicherung. Nach dem Urteil des Bun-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
desverfassungsgerichts machen Sie, Herr Innenminister,
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Jan
massive Sicherheitslücken aus, die schnell geschlossen
Korte [DIE LINKE]: Richtig!)
werden müssen, die Justizministerin aber will sich Zeit
lassen und nationale Alleingänge und Schnellschüsse Ihnen muss mit unterschiedlichen Konzepten und Instru-
(B) verhindern. menten begegnet werden. Glauben Sie denn wirklich (D)
ernsthaft, dass sich mit den Modellprojekten, die zur Be-
Sie, Herr Innenminister, wollen Integrationspolitik
kämpfung des Rechtsextremismus entwickelt worden
zu einem Schwerpunktthema machen. Sie erhöhen die
sind und die im Bundesfamilienministerium angesiedelt
Mittel für die Sprachkurse, aber damit sichern Sie nur
sind, auch der islamistische Extremismus oder der
den Status quo. Mehr Qualität, mehr Kursangebote für
Linksextremismus effektiv bekämpfen lässt? Wäre es
spezielle Gruppen und bessere Stundenlöhne für die
nicht sinnvoller, anstatt im Einzelplan 17 die vorhande-
Lehrer lassen sich damit nicht finanzieren.
nen Mittel auf alle Formen des Extremismus auszuwei-
(Beifall bei der SPD) ten und damit die Bekämpfung des Rechtsextremismus
zu schwächen, in Ihrem Hause Konzepte zu entwickeln,
Unser Antrag greift diesen Mangel auf, und wir bitten wie den unterschiedlichen Formen des Extremismus be-
deshalb um Zustimmung zu unserem Antrag. gegnet werden kann?
Außerdem war die Neubesetzung der Leitung der Ab- (Beifall bei der SPD)
teilung „Migration, Integration, Flüchtlinge, Europäi-
sche Harmonisierung“ im Bundesinnenministerium mit Neu im Zuständigkeitsbereich des Bundesinnenmi-
einer entlassenen Staatssekretärin aus Sachsen schon nisteriums ist der Aufbau Ost. Doch was machen Sie
sehr zweifelhaft. Wir bezweifeln, dass Sie es mit Ihrer da? Wo sind Ihre Konzepte? Was tun Sie gegen die Ab-
Schwerpunktsetzung wirklich ernst meinen. wanderung? Wie wollen Sie gegensteuern, damit nicht
so viele junge Menschen die neuen Bundesländer verlas-
Sie haben zur Islamkonferenz gesprochen. Wir wer- sen? Wie wollen Sie dort neue und zukunftsfähige Ar-
den uns dazu äußern, wenn Sie Ergebnisse vorlegen; beitsplätze schaffen? Bisher sind von Ihnen noch keine
aber Voraussetzung dafür wäre, dass Sie die Ziele benen- Antworten auf diese Fragen gekommen.
nen, die Sie erreichen wollen.
Die große gesellschaftliche Bedeutung des Sports
(Beifall bei der SPD) war in den vergangenen Jahren die Begründung für den
In der ersten Lesung zum Bundeshaushalt haben Sie, Goldenen Plan Ost. Jetzt – wir haben es schon gehört
Herr Innenminister, erklärt – ich zitiere –: und darüber hier diskutiert – ist er ersatzlos gestrichen.
Herr de Maizière, Sie sind jetzt auch Beauftragter für die
Die erste Aufgabe eines demokratischen Staates ist, neuen Länder. Es gibt inzwischen aber auch in den alten
Sicherheit in Freiheit zu gewährleisten. Das spie- Bundesländern erhebliche Probleme mit dem Erhalt und
gelt auch unser Haushalt wider. dem Neubau von Sportstätten. Hier wäre Ihre Initiative
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2871
Gabriele Fograscher
(A) gefragt gewesen. Sie sind nicht nur für die Spitzensport- Gisela Piltz (FDP): (C)
förderung zuständig, sondern Sie sind auch Kommunal- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
minister und damit zuständig für die Kommunen. Die Innenpolitik ist – das weiß hier jeder – Verfassungspoli-
schlechte finanzielle Situation der Kommunen in Ost tik. Der Innenminister ist auch Verfassungsminister, und
und West sollte auch Ihr Thema sein. der Innenhaushalt ist der Verfassungshaushalt. Daher
muss es darum gehen, die richtigen Rahmenbedingun-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
gen auch über den Haushalt zu schaffen. Dazu gehört
DIE GRÜNEN)
aus unserer Sicht die richtige Balance zwischen Freiheit
Erfolge haben Sie, Herr Minister, bisher nicht vorzu- und Sicherheit. Ich glaube, wir haben angefangen, dieses
weisen. Ich nenne nur das Stichwort „SWIFT“: Die Art, Ziel zu erreichen, und wir sind mit dieser christlich-libe-
wie das Ganze gelaufen ist, war ein ziemliches Desaster. ralen Koalition auf einem guten Weg.
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Welche (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Pleite!) der CDU/CSU)
Das werden wir Ihnen auch in Zukunft vorhalten. Es gab Wir setzen nämlich neue Akzente.
nämlich kein gemeinsames und kein abgestimmtes Ver-
halten innerhalb der Bundesregierung. (Jan Korte [DIE LINKE]: Das stimmt doch gar
nicht!)
(Gisela Piltz [FDP]: Aber Sie haben es mit
verantwortet!) – Wenn Sie das so machen wie immer, müssen Sie sich
von mir auch gefallen lassen, dass es so wie immer
Sie hatte einen schlechten Start, und es geht auch nicht kommt.
viel besser weiter.
Ich möchte einmal ein Wort an die SPD richten. Sie
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – haben in den letzten elf Jahren Verantwortung in der In-
Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nenpolitik getragen – vier Jahre lang waren Sie in der so-
NEN]: Schwarz-gelbes Chaos!) genannten Großen Koalition mit der CDU/CSU –, und
Sie haben die Justizminister gestellt. Sie haben etliche
Die Bürgerinnen und Bürger wissen überhaupt nicht
Gesetze beschlossen, die vor dem Bundesverfassungsge-
mehr, was diese Bundesregierung plant oder will. Jeder
richt keinen Bestand gehabt haben. Ich verweise darauf,
in dieser Regierung sagt etwas anderes, will etwas ande-
dass vor gut zwei Wochen das Bundesverfassungsgericht
res. Thema „elektronischer Personalausweis“: Keiner
die Vorratsdatenspeicherung gekippt hat, für die Sie
weiß Bescheid. Eine Forsa-Umfrage bescheinigt Ihnen:
Verantwortung tragen.
(B) Nur noch 8 Prozent der Deutschen haben den Eindruck, (D)
dass in dieser Koalition an einem Strang gezogen wird. (Beifall bei der FDP)
(Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: Recht ha- Wenn nun Herr Gabriel sagt, die FDP sei eine Partei
ben sie! – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/ mit Führungspersonen, die – ich zitiere wörtlich – „jung“,
DIE GRÜNEN]: Wo kommen die 8 Prozent „gnadenlos“, „rücksichtslos“ und „verfassungsfeindlich“
her?) sind,
Das ist kein gutes Ergebnis. (Marco Buschmann [FDP]: Unerhört! –
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Florian Toncar [FDP]: Frechheit!)
Es wird Zeit, dass Sie der Verantwortung, die Ihnen dann muss ich sagen: Ich freue mich über die Bezeich-
von den Wählerinnen und Wählern übertragen worden nung „jung“ – vielen Dank! –; aber der Rest ist einfach
ist, gerecht werden: dass Sie nicht nur ankündigen, zum politische Amnesie. Eines ist klar: Sie haben das ent-
Beispiel ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz, sondern sprechende Gesetz verabschiedet und nicht wir.
dass Sie uns hier etwas vorlegen. Der Bundeshaushalt (Beifall des Abg. Marco Buschmann [FDP])
und der Haushalt des Bundesinnenministers werden den
Herausforderungen, vor denen wir stehen, nicht gerecht, Wer, wenn nicht Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen
und deshalb werden wir das Haushaltsgesetz ablehnen. von der SPD, hat denn das verfassungswidrige Luftsi-
cherheitsgesetz eingeführt? Wer hat denn die Vorratsda-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tenspeicherung hier mitzuverantworten? Wer hat die
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Pendlerpauschale zu verantworten? Wer hat die Be-
LINKEN) schneidung der Minderheitenrechte im Visa-Untersu-
chungsausschuss und der Parlamentsrechte bei den
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: AWACS-Einsätzen zu verantworten?
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gisela Piltz für die
FDP-Fraktion. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Frau Kollegin.
CDU/CSU – Dr. Peter Danckert [SPD]: Sie
spricht über den elektronischen Personalaus- Gisela Piltz (FDP):
weis! – Jan Korte [DIE LINKE]: Wir erwarten Das waren stets Sie, und das müssen Sie sich auch
eine Erklärung!) vorhalten lassen. Wenn Frau Fograscher uns hier auffor-
2872 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Gisela Piltz
(A) dert, uns einmal unsere Regierung vorzunehmen, dann (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (C)
kann ich Ihnen nur eines sagen: Ich warte auf den Tag, Dr. Peter Danckert [SPD]: Das war Herr
an dem sich die SPD endlich wieder zu dem bekennt, Wolf!)
was sie hier gemacht hat. Es schadet nämlich der Demo-
kratie, wie sie hier mit ihren eigenen Entscheidungen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
umgeht. Es geht nicht um das, was man in der Opposi- Frau Kollegin, gestatten Sie eine weitere Zwischen-
tion sagt, sondern um das, was man in Regierungsverant- frage des Kollegen Korte?
wortung gemacht hat.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Gisela Piltz (FDP):
der CDU/CSU) Ja, macht Spaß, vielen Dank.
Dazu müssen Sie stehen. Das tun Sie nicht, und das wer-
den Sie nicht tun. Das ist unser Problem. Sie spielen in Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
der Demokratie nämlich eine schlechte Rolle. Herr Korte, bitte.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU) Jan Korte (DIE LINKE):
Liebe Kollegin Piltz, vielleicht können wir uns darauf
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: einigen, dass Sie beide in der Innenpolitik Mist gebaut
Frau Kollegin Piltz, gestatten Sie eine Zwischenfrage haben.
des Kollegen Hartmann? (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Mich würde jetzt interessieren, dass Sie als FDP-Ab-
Gisela Piltz (FDP):
geordnete, deren Partei ja an der Bundesregierung betei-
Ja. ligt ist, dem Bundestag mitteilen, was Sie nun zu tun ge-
denken mit den ganzen Sachen, die mistigerweise
Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): beschlossen worden sind.
Liebe Kollegin Piltz, da wir ja beim Thema Bekennt-
nisse und Amnesie sind, möchte ich Sie fragen: Fällt Ih- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
nen denn das Bekenntnis leicht, dass es das Land Nord- NEN]: Außer es mit diesem Haushalt zu finan-
rhein-Westfalen mit einem FDP-Innenminister war, der zieren!)
die Onlinedurchsuchung ins Gesetzblatt schreiben Danach möchte ich fragen. Es wäre doch Aufgabe des
(B) wollte und dafür zu Recht vom Verfassungsgericht, das (D)
Mitglieds einer der Koalitionsfraktionen, das dem Bun-
dieses ablehnte, abgewatscht wurde? destag einmal mitzuteilen.
(Beifall bei der LINKEN)
Gisela Piltz (FDP):
Herr Hartmann, was mir zum Thema „Stellungnahme
des Bundesverfassungsgerichts zu den von NRW vorge- Gisela Piltz (FDP):
schlagenen Onlinedurchsuchungen“ vor allen Dingen Ich danke Ihnen für die Frage. Ich könnte jetzt un-
einfällt, ist, dass der damalige Innenminister Herr Schily fairerweise den Rest meiner Rede auf Ihre Kosten hal-
ten. Aber da ich Ihnen ersparen möchte, noch 3 Minuten
(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: und 53 Sekunden zu stehen, verspreche ich Ihnen schon
Nein! – Dr. Peter Danckert [SPD]: Herr Wolf! – jetzt, dass Sie gleich erfahren, was wir wollen. Damit ist,
Zuruf von der FDP: SPD!) wie ich glaube, die Frage beantwortet.
– vielen Dank –, SPD, Herr Kollege Wieland,
(Dr. Peter Danckert [SPD]: Das war doch Herr (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Wolf!) NEN]: Ich hatte schon Angst, Sie vergessen
sich auf Bundesebene nicht einmal bemüht hat, das uns!)
Ganze, obwohl es verfassungswidrig war, per Gesetz zu Sie sind doch jetzt mein persönlicher Mackie Messer.
regeln, sondern geglaubt hat, das Ganze mit einer inter-
nen Verwaltungsanweisung regeln zu können. Erst als (Heiterkeit bei der FDP)
die FDP Druck gemacht hat, nachdem wir es im Haus- Das, was Sie hier gemacht haben, ist nachvollziehbar,
halt gesehen hatten, wurde das überprüft. Der Anstoß aber auch sehr durchsichtig.
dazu kam nicht von Ihnen. Sie haben das mitverantwor-
tet; (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Nein!)
(Dr. Peter Danckert [SPD]: Das war doch Herr
Wolf!) Ich muss die Grünen jetzt doch wieder fragen – ich
hatte es mir heute eigentlich ersparen wollen –:
wir haben es kritisiert. Das fällt mir dazu ein. Das müs-
sen Sie sich vorhalten lassen, meine Damen und Herren (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
von der SPD. NEN]: Sie wollten nach vorne gucken!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2873
Gisela Piltz
(A) Was ist denn mit dem Luftsicherheitsgesetz, das Sie ver- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C)
abschiedet haben? Frau Kollegin Piltz, darf ich Sie noch einmal unter-
brechen? Sie sehen das zwar nicht, weil die Kollegen
(Otto Fricke [FDP]: Sehr richtig!) nicht aufstehen, wenn sie sich zu Wort melden. Das wäre
Was ist mit der Aufhebung des Bankgeheimnisses, die vielleicht eine gute Anregung.
Sie vorgenommen haben? Was ist mit den sogenannten
Otto-Katalogen, die Sie mitverabschiedet haben Gisela Piltz (FDP):
Also ehrlich, ich finde, ein bisschen Respekt könnte
(Otto Fricke [FDP]: Der Mackie Messer! –
Mackie Messer seiner Seeräuber-Jenny schon entgegen-
Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
bringen.
NEN]: Das hat vor dem Bundesverfassungsge-
richt Bestand gehabt!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
und durch die das Trennungsgebot aufgeweicht wurde,
mit denen Sie eine Vorverlagerung strafrechtlicher Er-
mittlungen, biometrische Datenerfassung eingeführt ha- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
ben, mit denen Sie den Verfassungsschutz ausgeweitet Der Kollege Wieland möchte eine Zwischenfrage
und, zur Krönung, noch die Weitergabe von PNR-Daten stellen; sie wird offensichtlich gestattet. – Bitte, Herr
an die USA ermöglicht haben? Dem hat Ihr damaliger Kollege.
Außenminister Fischer zugestimmt. Nur so viel zu Ihrer
(Jan Korte [DIE LINKE]: Sollen wir herausge-
tollen Bilanz als Bürgerrechtspartei. Das müssen Sie
hen?)
sich sagen lassen. Was Sie da gemacht haben, war nichts
Konstruktives. Sie wollen dazu nicht wirklich etwas sa-
gen. Sie können dazu nichts sagen. Auch zu diesem Gisela Piltz (FDP):
Haushalt haben Sie nichts Konstruktives gesagt. Das ist Nein, das Fernsehen ist dabei. Ich bin ja für Daten-
leider Ihre Bilanz. schutz.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU) Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Kollegin Piltz, ich habe so großen Respekt vor
Wir, die Koalition von CDU, CSU und FDP, haben Ihnen, dass ich mich nicht hinstellen wollte, bevor Sie
uns vorgenommen, den Datenschutz zu verbessern. Das meine Zwischenfrage zulassen. Nun, wo Sie es getan ha-
(B) ist ja etwas, was die SPD in elf Jahren nicht geschafft ben, tue ich das gerne. (D)
hat. Wir haben endlich eine personelle Aufstockung
beim Bundesdatenschutzbeauftragten durchgesetzt. Herr Sie haben eben zu Recht darauf hingewiesen, dass Rot-
Wiefelspütz hat das witzigerweise immer nach den Grün ein Luftsicherheitsgesetz beschlossen hat, das vor
Haushaltsberatungen gefordert, konnte sich damit aber dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand hatte. Ist
nie durchsetzen. So kann man das auch machen. Ihnen aber entfallen, dass bei den sogenannten Otto-Ka-
talogen insbesondere das von Ihnen gerügte, angeblich
Zur Stiftung Datenschutz. Wir arbeiten gerade daran, verfassungswidrige Eindringen in das Bankgeheimnis
aber, Herr Korte – das müssen Sie sich sagen lassen –, vom Bundesverfassungsgericht gerade nicht so gesehen
zur Haushaltswahrheit und -klarheit gehört auch, dass wurde, wie Sie es sehen? Vielmehr wurde hier Rot-Grün
man erst dann Beträge in den Haushalt einsetzt, wenn in der Ansicht bestätigt, dass man in bestimmten Fällen
die Mittel dafür auch benötigt werden. den Strömen des Geldes folgen kann und muss, auch
wenn es einer bestimmten Klientel und einer Partei, die
(Jan Korte [DIE LINKE]: Wann denn?) sich immer zur Schutzpatronin dieser Klientel macht,
wehtun mag.
Wir gehen davon aus, dass wir die entsprechenden Rege-
lungen bis Ende dieses Jahres verabschiedet haben. Da- (Dr. Peter Danckert [SPD]: Die Mövenpick-
für werden wir dann im nächsten Haushalt entspre- Partei!)
chende Mittel ansetzen.
(Zuruf von der SPD: Ich glaube euch! – Gisela Piltz (FDP):
Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD], an die CDU/ Herr Wieland, wenn ich das mit einer uncharmanten
CSU gewandt: Es ist eine Schande, mit einem Gegenfrage beantworten darf,
solchen Koalitionspartner Politik zu machen!)
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Wir setzen darüber hinaus auch auf die Arbeit von en- NEN]: Nein, eigentlich sollten Sie antworten! –
gagierten Polizistinnen und Polizisten, die in ihrer tägli- Ute Kumpf [SPD]: Sie weichen aus!)
chen Arbeit Recht und Gesetz selbstbewusst anwenden. dann frage ich Sie, ob Ihnen entfallen ist, dass die FDP
Deshalb haben wir – das fällt ja in den Bereich des Bun- immer der Ansicht war, dass nicht alles, was das Bun-
des – die operative Einsatzbereitschaft des BKA durch desverfassungsgericht für machbar erklärt hat, auch um-
Bereitstellung zusätzlicher Mittel verstärkt. Dass das zusetzen ist.
bisher nicht geschehen ist, haben wir in der Vergangen-
heit ja immer kritisiert. Das erfolgt nun. (Florian Toncar [FDP]: So ist es!)
2874 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Gisela Piltz
(A) Das ist unsere Maxime, und das gilt in diesem Fall wie (Jan Korte [DIE LINKE]: Das wäre hier auch (C)
auch bei allen anderen Entscheidungen des Bundesver- notwendig!)
fassungsgerichts.
möglicherweise ist da bei Ihnen schon ein Fortschritt zu
(Beifall bei der FDP – Ute Kumpf [SPD]: Ge- erkennen –, aber beim Haushalt hörte Ihre Liebe wohl
rade so, wie Sie es wollen! – Jan Korte [DIE auf. Das bedauern wir.
LINKE]: Was ist mit der Vorratsdatenspeiche- Zum Schluss noch kurz zum Sport; das Beste kommt
rung?) immer zum Schluss. Hier ist viel über den Goldenen
Ob Ihnen die Frage damit beantwortet scheint oder nicht, Plan Ost gesprochen worden. Ich glaube, es macht Sinn,
Herr Wieland, weiß ich nicht; aber mehr werden Sie, so auch einmal zu schauen, für was der Bund wirklich zu-
leid es mir tut, dazu von mir nicht hören. ständig ist und ob er auf ewig für Breitensportförderung
in den Kommunen zuständig ist.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Dann wird das jetzt ja wohl auch für (Dr. Peter Danckert [SPD]: Was ist denn mit
die Vorratsdatenspeicherung gelten! Wir wer- Kultur? – Gegenruf des Abg. Otto Fricke
den sehen!) [FDP]: Kultur ist Ländersache! – Gegenruf des
Abg. Dr. Peter Danckert [SPD]: Eben! Des-
Die Bundespolizei ist hier schon angesprochen wor- halb geben wir 1,5 Millionen für Garmisch!)
den. Leider ist sie nach der letzten Reform, die wir nur
kritisieren konnten, noch nicht ganz zur Ruhe gekom- Auch das gehört zur Ehrlichkeit. Wir freuen uns darüber,
men. Aber – das ist hier heute schon gesagt worden – mit dass wir die Großereignisse unterstützen können. Über
dem Einsatz in Afghanistan tragen die Kolleginnen und die Auflage einer Münze könnten sie sich fast selbst fi-
Kollegen Mitverantwortung für den Polizeiaufbau in der nanzieren. Wir werden alles dafür tun, dass die Olympi-
dortigen Region. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass schen Spiele 2018 nach Deutschland kommen.
wir hier mehr Mittel zur Verfügung stellen. Wir freuen uns auf die nächsten dreieinhalb Jahre und
Im Zusammenhang mit mehr Mitteln frage ich mich, würden uns auch über eine konstruktive Opposition
was die Opposition eigentlich will. Wenn wir mehr Mit- freuen.
tel für irgendetwas zur Verfügung stellen, werden wir (Florian Toncar [FDP]: Darauf warten wir
von Ihnen kritisiert. Aber wenn wir sparen, werden wir noch lange!)
ebenfalls kritisiert. Ich finde, das passt alles nicht zusam-
men, was Sie hier machen. Vielen Dank.
(Jan Korte [DIE LINKE]: Die Politik passt (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(B) (D)
nicht!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Das ist nicht klug, sondern eher langweilig für uns.
Nächster Redner ist der Kollege Stephan Kühn für die
(Josef Philip Winkler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
NEN]: Danke gleichfalls! – Dr. Peter Danckert
[SPD]: Langweilig, das stimmt!) Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die christlich-liberale Koalition hat sich auch auf die Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Fahne geschrieben – dazu hat der Minister bereits vorge- Kollegen! Ich möchte gleich an die Themen Goldener
tragen –, die Sicherheitsarchitektur auf Doppelzustän- Plan Ost und Ski-WM anknüpfen. Ich sage das einmal
digkeiten und Reibungsverluste zu überprüfen. Denn es aus haushalterischer Sicht: Sie haben einen investiven
macht keinen Sinn, dass man sich an der einen Stelle auf Haushaltstitel gestrichen und dafür einen konsumtiven
die Füße tritt, während anderswo Personal gebraucht Haushaltstitel aufgesetzt.
werden könnte. Wenn wir nur wenige Mittel zur Verfü- (Beifall des Abg. Dr. Peter Danckert [SPD])
gung haben, müssen wir sie effektiv einsetzen. Auch das
ist ein gemeinsames Ziel, das wir jetzt in Angriff neh- Wenn die Veranstaltung in Garmisch so lukrativ ist
men. – übrigens so lukrativ, dass dort in umfangreicher Form
Bergwald gerodet wurde –, verstehe ich nicht, warum
Zur Achtung der Grundrechte und des Rechtsstaates sich nicht ausreichend Sponsoren finden lassen, um das
gehört aus unserer Sicht auch die politische Bildung. Kulturprogramm für diese Veranstaltung zu finanzieren.
Hier werden die Grundlagen für unsere Verfassung und
unsere Gesellschaft geschaffen. Deshalb ist es richtig, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
dass wir die Bundeszentrale für politische Bildung mit sowie bei Abgeordneten der SPD)
3 Millionen Euro mehr ausstatten. Das ist übrigens mehr, Es ist natürlich richtig, dass der Breitensport eine An-
als von der SPD in den letzten Jahren zu diesem Thema gelegenheit der Kommunen ist. Wenn aber die schwarz-
zu hören war. gelbe Bundesregierung den Kommunen jeden finanziel-
(Beifall bei der FDP) len Spielraum, um überhaupt in ihre Sportstätten inves-
tieren zu können, raubt, dann ist das keine gute Voraus-
Denn auf die Große Anfrage der FDP-Fraktion in der setzung und schafft auch keine guten Bedingungen für
letzten Legislaturperiode antwortete das Justizministe- spätere Entwicklungen im Bereich des Spitzensports. So
rium zwar, dass politische Bildung notwendig sei – viel dazu.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2875
Stephan Kühn
(A) (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Reden Sie mal 30 Prozent innerhalb eines Jahres schaffen. Das ist si- (C)
mit Ihren Kollegen im Sportausschuss!) cherlich nicht machbar. Die Kürzung in dieser Form
würde bedeuten, dass das, was als Pflänzchen in den
Ich möchte zu dem Aspekt kommen, dass der Minis-
neuen Bundesländern aufgeblüht ist, wieder verwelkt.
ter die Zuständigkeit für die Angelegenheiten der neuen
Ich erwarte von Ihnen als Minister, dass Sie sich hör-
Länder sozusagen geerbt hat. Ich finde, es ist grundsätz-
und sichtbar – ähnlich wie Ihre Landeskollegen – gegen
lich eine richtige Entscheidung, dass nicht mehr das Ver-
diese überzogene Kürzung aussprechen.
kehrsministerium, sondern das Innenministerium dafür
zuständig ist. Wir betrachten also das Thema Aufbau (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ost nicht mehr durch eine reine Infrastrukturbrille. sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
Richtig ist auch, die Förderinstrumente für den Auf- KEN)
bau Ost zu evaluieren. Das haben Sie sich ja vorgenom- Zum Schluss möchte ich noch auf ein Thema zu spre-
men, Herr Minister. Ich denke, das ist richtig und chen kommen, das Kollegen vor mir schon angesprochen
notwendig. Es darf natürlich nicht nur bei wissenschaft- haben und das sehr wesentlich ist. Sie haben eine Haus-
lichen Analysen und Forschungsprogrammen bleiben. haltstiteländerung vorgenommen. Sie klingt zunächst ein-
Auch teilen wir die Ansicht, dass die Gießkanne kein ge- mal recht unspektakulär: „Förderung von Projekten gegen
eignetes Förderinstrument ist. Wir meinen, dass es eine Rechtsextremismus in den neuen Bundesländern“ heißt
stärkere und flexiblere Akteurs- und Innovationsförde- jetzt „Förderung von Projekten für demokratische Teil-
rung gerade für kleine und mittelständische Unterneh- habe und gegen Extremismus in Ostdeutschland“. Sie
men in den neuen Bundesländern geben muss. haben lautstark verkündet: Damit ist keine Kürzung des
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Programms verbunden. In der Erläuterung zum Bericht-
erstattergespräch heißt es aber: Die in Planung befindli-
Sie haben sich als Schwerpunkt Maßnahmen zur Stär- chen Programmansätze sind nicht auf eine Bekämpfung
kung der Strukturen und Innovationsfähigkeit der ost- des Rechtsextremismus beschränkt. – Das bedeutet bei
deutschen Wirtschaft gesetzt. Nun ist die Fotovoltaik eine gleichem Haushaltsansatz eine Kürzung der Mittel für
der wichtigsten Industrien in Ostdeutschland mit einem Projekte gegen rechts, und nichts anderes.
ausgeprägten Spitzencluster Solarvalley Mitteldeutsch-
land und mit großer wirtschafts- und arbeitsmarktpoliti- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
scher Bedeutung. Es gibt mehr als 55 000 Arbeitsplätze bei der SPD und der LINKEN)
und eine breite Forschungslandschaft. Es heißt ja immer, Obwohl alle 26 Minuten in Deutschland eine rechts-
im Osten würden nur verlängerte Werkbänke stehen. Das extremistische Straftat begangen wird – 20 000 im Jahr
ist in diesem Fall nicht so. Ostdeutschland hat sich zu ei- 2008 –, obwohl über 100 Todesopfer von Gewalttaten (D)
(B)
nem der weltweit bedeutendsten Standorte für die Pro- mit rechtsmotiviertem Hintergrund zu beklagen sind,
duktion von Solaranlagen entwickelt. 90 Prozent der werfen Sie rechten und linken Extremismus in einen
Produktion in Deutschland kommen aus den neuen Bun- Topf.
desländern. 20 Prozent der weltweiten Produktion fallen
auf die fünf neuen Bundesländer. In vielen Bereichen (Jürgen Herrmann [CDU/CSU]: Ist Links-
sind wir da Weltmarktführer. extremismus nicht so schlimm? Sie messen
mit zweierlei Maß! – Otto Fricke [FDP]: Was
Die von der Bundesregierung geplanten Kürzungen
der Solarförderung gefährden diese aufgebauten Struktu- ist denn weniger schlimm?)
ren. Sie werden Arbeitsplätze kosten und vor allen Din- Das ist meines Erachtens nicht verantwortbar. Herr Mi-
gen den Einstieg von chinesischen Billigprodukten be- nister, Sie kommen wie ich aus Sachsen und kennen die
deuten. Situation vor Ort. Gemessen an der Einwohnerzahl wer-
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den die meisten rechtsextremistischen Straftaten in Ost-
NEN]: Unglaublich! – Gisela Piltz [FDP]: deutschland verübt. Das muss man einfach zur Kenntnis
Sind Sie sicher, dass Sie zum Einzelplan 06 nehmen. In der Sächsischen Schweiz oder im Muldental-
sprechen?) kreis haben wir kein Problem mit Islamismus oder
Linksextremismus. Aber in den NPD-Hochburgen haben
Es geht hier um Industriepolitik und Technologieför- wir ein großes Problem mit Rechtsextremismus.
derung in den neuen Bundesländern. Insofern wundert es
mich, Herr Minister, dass Sie dazu kein Wort verloren (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
haben. bei der SPD und der LINKEN)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Arbeit gegen Rechtsextremismus braucht einfach
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- langfristige Sicherheiten vom Bund, damit lokale Initia-
KEN) tiven gegen rechts, mobile Beratungsteams, Opferbera-
tungsstellen und Bildungsprojekte arbeiten können.
Ich hätte erwartet, dass Sie sich als Minister, der für die Diese lassen Sie jetzt im Unklaren; dafür habe ich kein
neuen Bundesländer zuständig ist, gegen eine überhöhte Verständnis. Das ist keine verantwortungsvolle Politik,
Kürzung bei der Einspeisevergütung ausgesprochen meine Damen und Herren.
hätten. Es ist ganz klar: Aufgrund der Kürzung zum
1. Januar 2010 und der jetzt geplanten Kürzung müssten (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
die Unternehmen eine Produktivitätssteigerung von bei der SPD und der LINKEN)
2876 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
(A) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Personalausweis eingeführt werden wird. Er wird ein (C)
Das Wort hat nun Kollege Hans-Peter Uhl für die Mehr an Sicherheit bringen.
CDU/CSU-Fraktion.
(Dr. Peter Danckert [SPD]: Die FDP ist damit
(Beifall bei der CDU/CSU) nicht einverstanden! – Wolfgang Wieland
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Piltz
Dr. Hans-Peter Uhl (CDU/CSU): wird das verhindern!)
Herr Präsident! Meine verehrten Kolleginnen und – Auch Sie, Herr Wieland, werden mit einem solchen
Kollegen! Der Rückgang der Haushaltsmittel des BMI Ausweis sicher identifiziert werden können, auch im In-
um 128 Millionen Euro wird sicher schwierig umzuset- ternet.
zen sein; aber es wird nur der Einstieg in eine ganze
Kette von Reduzierungen unserer Haushalte, auch des (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Haushalts des BMI, sein. Deswegen halte ich es für rich- NEN]: Ich brauche den nicht! – Dr. Peter
tig, Herr Minister, dass Sie eine Kommission einrichten Danckert [SPD]: Den Wieland kennt man ja!)
werden, die sich die Sicherheitsarchitektur zumindest – Obwohl man Sie kennt, wird es auch Ihnen nichts
des Bundes, aber wohl auch in ganz Deutschland, vor- schaden. In München kennt Sie Gott sei Dank niemand,
nimmt. und da brauchen Sie einen solchen Ausweis.
Wir haben – daran wollen wir natürlich nichts ändern –
Dieser Ausweis wird kommen. 13 000 Kommunen
die Hoheit der Länder über die Polizeien.
sind dabei, sich darauf vorzubereiten. Über 100 Firmen
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sind jetzt schon dabei, zu investieren. Das lässt sich nicht
NEN]: Daran arbeiten wir! rückgängig machen, denn das löst Schadenersatzpro-
zesse in horrendem Ausmaß aus. Das will auch niemand
Dennoch muss man sehen, dass bei 16 Bundesländern rückgängig machen, das kommt zum Vollzug.
auch gewisse Zentrifugalkräfte wirken. Das ist wohl sys-
temimmanent, und deswegen muss man sehen, wie man (Dr. Peter Danckert [SPD]: Doch, die FDP!)
in einer Sicherheitsarchitektur, die in unsere Zeit passt,
Synergieeffekte erzeugen und Einsparungen erzielen Lassen Sie mich noch einen Satz zur Vorratsdaten-
kann, das heißt, mit gleichen Haushaltsmitteln mehr Si- speicherung sagen.
cherheit organisieren kann als zuvor. (Florian Toncar [FDP]: Aha!)
Wir haben im Bereich der IT-Kommunikation mit Das Urteil dazu haben wir zur Kenntnis genommen; wir
dem IT-Planungsrat bereits einen ersten Schritt getan. haben es in gewisser Weise sogar vorausgesehen.
(B) (D)
18 Milliarden Euro werden durch den Bund, die Länder
und die Kommunen jedes Jahr für IT-Beschaffungen (Florian Toncar [FDP]: Das war keine
ausgegeben. Das heißt, hier ist ein weites Feld für Koor- Überraschung!)
dination und Zusammenarbeit, hier kann man sparen, Ich habe immer gesagt – bei irgendeiner Fernsehsendung
wenn man sich auf die richtigen Systeme verständigt, die habe ich sogar eine Wette abgeschlossen –: Das Bundes-
dann auch von allen Sicherheitsbehörden genutzt werden verfassungsgericht wird diese Vorratsdatenspeicherung,
können. das Speichern von Verkehrsdaten dem Grunde nach für
E-Government wird unsere Welt revolutionieren. verfassungsgemäß erklären – das hat es getan –, wird
Dem werden wir Rechnung tragen. Wir werden auf an- aber wohl sagen, dass es mit Blick auf die Anwender-
dere Weise mit den Behörden beim Bund, bei den Län- seite vielleicht da und dort doch zu weit gehe; auch dies
dern und den Kommunen kommunizieren können. Das hat es getan. Dies setzen wir jetzt um.
Ganze wird benutzerfreundlicher, und dies ist gut so.
Jetzt erzähle ich Ihnen etwas. Gestern war der Präsi-
Das De-Mail-Gesetz, das wir mit der SPD in der letz- dent des Bundeskriminalamtes bei uns und hat von ei-
ten Wahlperiode nicht mehr verabschieden konnten, ge- nem erschütternden Fall berichtet. Ein Mann miss-
hen wir jetzt energisch an. Es wird dazu beitragen, dass braucht permanent seine beiden minderjährigen Töchter,
wir zertifizierte, sichere E-Mails versenden können, so- rühmt sich im Pädophilen-Chat fortlaufend mit dieser
wohl im geschäftlichen Bereich als auch im Umgang mit Tat und kündigt an: Ich mache das auch am kommenden
Behörden. Die Wirtschaft legt größten Wert auf dieses Wochenende. Das Bundeskriminalamt will diesem Ver-
Gesetz. Die deutschen Versicherer versenden pro Jahr brecher auf die Spur kommen und versucht, seine IP-
circa 800 Millionen Briefe. Sie könnten also durch einen Adresse zu bekommen. Wäre sie gespeichert, könnte das
sicheren E-Mail-Verkehr einen großen Teil dieser Briefe Bundeskriminalamt diesen Mann festnehmen und diese
elektronisch versenden. Dies bedeutet, dass dadurch al- unerträglichen Verbrechen sofort stoppen. Aber er hat
lein für die Versicherungswirtschaft Einsparungen von uns nachweisen können, dass die IP-Adresse vom Provi-
mehreren Hundert Millionen Euro erzielt werden könn- der nicht gespeichert wird. Durch das Urteil des Bundes-
ten. verfassungsgerichts darf die Information auch nicht ab-
gerufen werden, selbst wenn sie gespeichert worden
Der elektronische Personalausweis ist hier schon wäre.
mehrfach angesprochen worden; er wird kommen. Dazu
läuft gerade ein Countdown ab, der seinen Höhepunkt (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
am 1. November haben wird, wenn der elektronische NEN]: Das stimmt doch nicht! Sie haben eine
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2877
Dr. Hans-Peter Uhl
(A) Ausnahme für IP-Adressen gemacht! Sie ha- Es steht uns gut zu Gesicht, einen Moment an ihn und (C)
ben es offenbar nicht gelesen!) seine Angehörigen zu denken und uns gemeinsam vor
Augen zu führen, dass Polizist bzw. Polizistin zu sein ein
– Herr Wieland, ich werde es Ihnen schriftlich geben, lebensgefährlicher Beruf sein kann. Deshalb hat die
damit Sie den Ernst der Lage erkennen. Die Äußerung Polizei, egal wo sie eingesetzt ist, unsere volle und un-
der Linken, wir sollten bei solchen Verbrechen erst ein- eingeschränkte Unterstützung verdient.
mal innehalten, wird zu einer Zumutung für jeden Bür-
ger, der sich an die Regeln unseres Rechtsstaates hält. (Beifall im ganzen Hause)
(Beifall bei der CDU/CSU) Den größten Polizeikörper in Deutschland unterhält
der Bund mit seiner Bundespolizei. Rund 40 000 Beam-
Wir werden uns von den Sicherheitsbehörden Fälle tinnen und Beamten sind dort beschäftigt und versehen
dieser Art berichten lassen. Wir werden keine Ruhe ge- pflichtbewusst ihren Dienst. Es wird ihnen aber seit
ben, bis Fälle dieser Art in unserem Land gestoppt wer- 2008 mit dem, was sich Reform nennt, nicht leichter ge-
den und bis die Sicherheitsbehörden in die Lage versetzt macht, ihren Dienst pflichtbewusst und korrekt zu verse-
werden, durch Heraussuchen dieser Vorratsdaten solchen hen. Wir haben am 1. März 2008 ein Gesetz verabschie-
Verbrechern das Handwerk zu legen. Dazu sind wir ver- det – auch mit Stimmen der Sozialdemokratie –, das eine
pflichtet, egal in welcher Partei man ist. Reform der Bundespolizei auf den Weg bringen sollte.
Reform bedeutet Verbesserung. Es soll besser werden,
(Beifall bei der CDU/CSU – Britta Haßelmann auch wenn es beim Umorganisieren da und dort rumpelt.
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn
der gemeinsame Gesetzentwurf?) Wir sind nun bei der Evaluation. Dem Innenausschuss
wurde ein Bericht zugeleitet. Gott sei Dank haben wir
Ich freue mich, dass wir ein sehr viel weicheres als Sozialdemokraten im Jahr 2008 gefordert, dass diese
Thema hier bereits mehrfach besprochen haben. Deswe- Evaluation durchgeführt wird. Die Widerstände – ich er-
gen kann ich mich kurzfassen. Die Winterolympiade innere mich sehr gut an einzelne Diskussionen und Ver-
2018 sollte nach München und Garmisch kommen. Wie handlungsrunden – bei unserem damaligen Koalitions-
ich mitbekomme, sind alle dabei, dieses Vorhaben zu un- partner waren alles andere als gering.
terstützen. Das ist gut so. Das Mini Bid Book ist beim
Internationalen Olympischen Komitee eingegangen. Die (Frank Hofmann [Volkach] [SPD]: Oh ja!)
weiteren Vorbereitungen laufen auf Hochtouren. Alle Es war aber richtig, diese Evaluation durchführen zu las-
machen mit: auf Bundesebene federführend der Bundes- sen.
innenminister, der Bundesfinanzminister mit Unterstüt-
(B) zung des Bundesverteidigungsministers durch die Be- Nun liegt uns der Bericht vor. Herr Minister, über die- (D)
reitstellung der Flächen für das Olympische Dorf. Weil sen Bericht müssen wir intensiv und detailgenau reden.
alle mitmachen, bin ich zuversichtlich, dass wir im Wett- Das sind wir den Beamtinnen und Beamten schuldig.
bewerb mit Südkorea und Frankreich am 6. Juli nächsten
Lassen Sie mich eines sehr deutlich feststellen – viele
Jahres die Nase vorn haben und sagen können: Der Zu-
von uns haben Standorte der Bundespolizei in ihren
schlag geht an Deutschland. Ich danke allen Mitgliedern
Wahlkreisen; Sie wissen deshalb, dass ich das nicht
dieses Parlaments für jedwede Unterstützung dieses Vor-
leichtfertig oder aus einer einseitig gefärbten, parteipoli-
habens.
tisch geprägten Sicht der Dinge heraus formuliere –: In
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) diesem Bericht ist nur eine Feststellung richtig. Sie lau-
tet:
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Die personalwirtschaftliche Umsetzung der Neuor-
Das Wort hat nun Kollege Michael Hartmann für die ganisation dauert noch an.
SPD-Fraktion. Selbst diese Formulierung ist beschönigend und be-
(Beifall bei der SPD) mäntelnd. Das weiß man, wenn man sich anschaut, wie
sehr diese Reform eine misslungene ist. Sehr geehrter
Herr Minister, wir dürfen es nicht länger hinnehmen,
Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD): dass diese engagierte Polizeieinheit, die größte in der
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Bundesrepublik Deutschland, noch weiter beschädigt
ren! Es lag in der Natur der Sache, dass bei der heutigen wird durch große organisatorische und strukturelle Feh-
Debatte über den Haushalt des Innenministers viel von ler, die dieser Reform immanent sind.
innerer Sicherheit und der Polizei die Rede war.
(Beifall bei der SPD)
Ich möchte in diesem Zusammenhang an ein schreck- Ich will das im Einzelnen begründen – ich nenne einige
liches Ereignis erinnern, dass sich gestern in meinem wenige Punkte, die wichtig genug sind –:
Heimatbundesland Rheinland-Pfalz zugetragen hat. Dort
wurde ein Beamter des SEK von einem Hells Angel Erstens. Die Aussage Ihres Vorgängers war: mehr
ohne Vorwarnung, ohne Androhung und ohne erkenn- Polizei in der Fläche. Rund 1 000 Polizeibeamtinnen
bare Gefährdung durch die geschlossene Tür erschossen. und -beamte mehr sollten in der Fläche tätig sein und die
Er war trotz Schutzweste und allem anderen, was an Si- Bundespolizei bei bahnpolizeilichen und sonstigen Auf-
cherheitsmaßnahmen vorgenommen wurde, sofort tot. gaben offensiv unterstützen. Tatsächlich ist es so, dass
2878 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Reinhard Grindel
(A) dürfen es nicht zulassen, dass Versuche, den Zugriff auf Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen gegen die (C)
solche Seiten zu erschweren, durch Vergleiche mit Inter- Stimmen der drei Oppositionsfraktionen angenommen.
netzensur diskreditiert werden. Wir lernen jetzt immer
mehr, dass das Löschen solcher Seiten ausgesprochen Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den
schwierig ist und sich diese Seiten ohnehin janusköpfig Tagesordnungspunkt I.15 auf:
im Internet verbreiten. Ich räume ein: Auch das Sperren a) Einzelplan 07
ist sicher kein Königsweg. Aber mit ideologischen Gra- Bundesministerium der Justiz
benkämpfen helfen wir den Kindern nicht.
– Drucksachen 17/607, 17/623 –
(Beifall bei der CDU/CSU)
Berichterstattung:
Auch die Freiheit im Netz muss Grenzen haben. Wir Abgeordnete Alexander Funk
müssen umfassende Strategien zur wirksamen Bekämp- Ewald Schurer
fung der Kinderpornografie im Netz erarbeiten, von der Florian Toncar
Prävention über die Strafverfolgung bis zum Opfer- Steffen Bockhahn
schutz. Wir brauchen nicht nur eine nationale, sondern Manuel Sarrazin
wir brauchen auch eine internationale Strategie. Insofern
ist auch dies eine Aufgabe der Europäischen Union. Wir b) Einzelplan 19
müssen national prüfen, ob wir die Strafandrohung dem Bundesverfassungsgericht
Schutzgut, um das es hier geht, der körperlichen und see-
– Drucksachen 17/623, 17/624 –
lischen Unverletzlichkeit von Kindern, anpassen müs-
sen. Wir müssen etwas tun. Wir brauchen Runde Tische Berichterstattung:
nicht nur zum Schutz der Kinder in der realen Welt, son- Abgeordnete Norbert Barthle
dern wir brauchen sie auch zum Schutz der Kinder in der Carsten Schneider (Erfurt)
virtuellen Welt, die aber immer einen sehr realen und Otto Fricke
schrecklichen Hintergrund hat. Ich rufe dazu auf, dass Roland Claus
wir uns der Herausforderung stellen, die Kinder zu Alexander Bonde
schützen, auch mit Maßnahmen, die in der virtuellen
Welt zum Tragen kommen. Zu dem Einzelplan 07 liegt ein Änderungsantrag der
Fraktion Die Linke vor.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, da ich der letzte
Redner in dieser Debatte bin, will ich besonders gerne Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
betonen: Erstens. Wir stimmen dem Haushalt des Bun- die Aussprache eineinhalb Stunden vorgesehen. – Ich
(B) desministeriums des Innern zu. Zweitens. Lieber Herr de höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. (D)
Maizière, herzlichen Glückwunsch zu einem, wie ich Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
finde, guten Start im neuen Amt. Ewald Schurer für die SPD-Fraktion das Wort.
Herzlichen Dank. (Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ewald Schurer (SPD):
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Ich schließe die Aussprache. Sehr geehrte Damen und Herren! Als Hauptbericht-
erstatter zum Einzelplan des Bundesjustizministeriums
Wir kommen zur Abstimmung über den möchte ich zunächst einmal meiner Überzeugung nach-
Einzelplan 06, Bundesministerium des Innern, in der kommen und der Frau Bundesministerin sowie ihrem
Ausschussfassung. Haus – der Leitungsebene, aber auch den Mitarbeitern –
Hierzu liegen zwei Änderungsanträge der Fraktion ganz herzlich danken für die guten Arbeitsvorlagen und
Die Linke vor, über die wir zuerst abstimmen. für die gute Vorbereitung der Berichterstattung. Den
Kolleginnen und Kollegen aus der Berichterstatterrunde
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache möchte ich für die kollegiale Zusammenarbeit danken.
17/1033? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Änderungsantrag ist mit den Stimmen von CDU/ Der Justizhaushalt ist eine übersichtliche Veranstal-
CSU, SPD und FDP gegen die Stimmen der Linken bei tung, aber deswegen nicht minder bedeutend für das
Stimmenthaltung der Grünen abgelehnt. Rechtsleben und die Funktionsfähigkeit der Justiz in der
Republik. Ausgaben von 489 Millionen Euro stehen Ein-
Wer stimmt für den Änderungsantrag auf Drucksache nahmen von 409 Millionen Euro gegenüber. Das ist eine
17/1034? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Deckungsquote von sage und schreibe 83 Prozent. Eine
Änderungsantrag ist mit den gleichen Mehrheitsverhält- so hohe Finanzdeckung mit eigenen Mitteln zu errei-
nissen wie zuvor abgelehnt. chen, das ist im Bundeshaushalt ein Novum.
Wir kommen damit zur Abstimmung über den Geprägt ist dieser Haushalt durch die Personalausga-
Einzelplan 06, Bundesministerium des Innern, in der ben; sie machen 78 Prozent aus. Dem Wesen der Mate-
Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt da- rie entsprechend muss das Personal hochqualifiziert
gegen? – Enthaltungen? – Der Einzelplan 06 ist mit den sein.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2881
Ewald Schurer
(A) Ich habe es schon gesagt: Für die Funktionsfähigkeit auf 1 Million Euro aufgestockt. Werte Kolleginnen und (C)
des Justizwesens ist dieser Haushalt von großer Bedeu- Kollegen – vielleicht auch über alle Parteigrenzen
tung. Bedeutend ist er aber auch dafür – ich möchte das hinweg –, ich möchte an dieser Stelle sagen: Man sollte
unterstreichen –, wie die Bürgerinnen und Bürger die niemals den Fehler machen, die Übergriffsarten gegen-
Rolle der Justiz in der Gewaltenteilung, die wir in unse- einander auszuspielen. Es ist vorhin gesagt worden: Flä-
rer Demokratie haben, wahrnehmen. Das BMJ nimmt chendeckend ist der Rechtsradikalismus in Deutschland
hoheitliche Verfassungsaufgaben wahr. Unter anderem die Bedrohung mit den meisten, signifikant nachvoll-
stellen die ihm zugeordneten Gerichte den Justizgewäh- ziehbaren Opferzahlen. Das kann man nicht kleinreden.
rungsanspruch der Bürgerinnen und Bürger sicher, und Dennoch würde ich niemals auch einen vorhandenen
der Generalbundesanwalt gewährleistet die Strafverfol- Linksradikalismus kleinreden wollen.
gungspflicht. Dies sind eminent wichtige Güter für das
Rechtsleben einer demokratischen Kultur und eines de- Zur Gewichtung dieser Formen sage ich zum Schluss
mokratischen Staatswesens. aber ganz klar: Vergessen Sie bitte nicht, dass die rechts-
extreme Gewalt in Teilen des Landes mittlerweile flä-
Der größte und vielleicht markanteste Bereich in die- chendeckend vorhanden ist, wie in Teilen Sachsens oder
sem Hause ist das Deutsche Patent- und Markenamt in Teilen Brandenburgs. Das sollte und kann man in kei-
in München mit Außenstellen in Berlin und in Jena. ner Weise kleinreden, auch wenn so etwas auch in Mün-
2 500 hochqualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter chen oder sonst wo vorkommt.
wirken hier und erteilen und verwalten gewerbliche
Schutzrechte und geben Informationen über gewerbliche (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Schutzrechte in Deutschland heraus. Ich habe jüngsten
Recherchen entnehmen können, dass es im letzten Jahr Der Bezug ist, dass es darum geht, Programme weiter
60 000 Patentanmeldungen gab. Heute hat das Früh- zu evaluieren und zu entwickeln, die in den letzten Jah-
stücksfernsehen aktuell beigesteuert, in der europäischen ren über das Familienministerium und über das BMI ent-
Rangliste des Patentanmeldens belege Deutschland da- sprechend aufgebaut worden sind.
mit den dritten Platz. Das DPMA ist die Zentralbehörde
Für die Entwicklung des Justizwesens auf europäi-
auf dem Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes, also
scher Ebene ist es noch wichtig, das Europäische
eine eminent wichtige Institution. Es erwirtschaftet
Geldsanktionsgesetz zu erwähnen. Wir sind eines der
72 Prozent aller Einnahmen im Bereich des BMJ und
letzten Länder in Europa, die die entsprechende Richtli-
trägt so dazu bei, dass diese hohe Gegenfinanzierungs-
nie umsetzen. Hier geht es um die gegenseitige Anerken-
quote erreicht wird.
nung von rechtskräftigen Entscheidungen über die Zah-
(B) Im Jahr 2007 neu geschaffen wurde das Bundesamt lung von Geldstrafen und Geldbußen. Wenn ich richtig (D)
für Justiz, Kapitel 0708. Mit dem Bundesamt für Justiz, informiert bin, soll das hier am 1. Oktober 2010 Gültig-
dessen Aufbau über Jahre geplant worden war, wurde eine keit erlangen. Die entsprechenden Aufgaben können nur
neue, zentrale Dienstleistungsbehörde der Bundesjustiz erfüllt werden, wenn es an dieser Stelle einen Personal-
geschaffen, die, wie ich nachvollziehen konnte, zur Ent- aufwuchs um 99 Stellen gibt, die in diesem Haushalt be-
lastung anderer Bundesbehörden in dem Bereich „Justiz reits induziert und geplant sind.
und Recht“ geführt hat. Im Haushalt 2010 stehen Ausga-
ben von 41,6 Millionen Euro Einnahmen von voraussicht- Die Hochrechnungen besagen, dass es dann per an-
lich 70 Millionen Euro gegenüber. Das Bundesamt für num in etwa 100 000 Verfahren oder auch mehr geben
Justiz schafft größere Transparenz und Bürgernähe. Es hat wird. Das würde für die Gegenfinanzierung Mehrein-
zentrale Aufgaben im Bereich Registerwesen, Verfol- nahmen von circa 7 Millionen Euro bedeuten. Für die
gung von Ordnungswidrigkeiten, allgemeine Bundesjus- Anfinanzierung dieses Projektes stellen die Ausgabe-
tizverwaltung und dergleichen. reste, die ich vorhin erwähnt habe, sicherlich eine gute
Möglichkeit dar. Damit werden die Voraussetzungen ge-
Erlauben Sie mir einen kurzen Exkurs: Was mich als schaffen.
Haushälter überrascht hat, ist, dass in diesem Einzelplan 07
– Bundesjustizministerium – über die Jahre eine relativ Frau Ministerin, ich darf Sie selbst noch auf etwas an-
hohe Rate an Ausgaberesten aufgebaut wurde. Dazu ge- sprechen, was für mich im politischen Bereich von gro-
hören Stellen, die ausgewiesen, aber nicht besetzt wur- ßer Bedeutung ist. Sie persönlich waren innerhalb der
den, aber auch verschobene IT-Projekte und Bauvorha- FDP ja immer – das sage ich mit Anerkennung – eine
ben. Angesichts der dramatischen Haushaltssituation Fachfrau, die man mit Bürger- und Verbraucherrechten
müssen diese Ausgabereste in den nächsten Jahren verbunden hat, und Sie sind es auch jetzt. Das meine ich
selbstredend sinnvoll verwirtschaftet, sinnvoll eingesetzt so, wie ich es sage. Trotzdem habe ich einige Ängste und
werden, beim Personal oder bei notwendigen Investitio- auch ein schlechtes Gefühl, wenn ich mir das Ungefähre
nen. des Koalitionsvertrages hinsichtlich des Mietrechts an-
schaue.
Lassen Sie mich einen Titel aufgreifen, der für mich
politisch eine besondere Sensibilität darstellt, in Anleh- Sie beabsichtigen, eine Grundkoordinate der Gesell-
nung an die Diskussion zum Einzelplan 06: In dem Ka- schaft, die auch die Funktion des sozialen Ausgleichs
pitel für das Bundesamt für Justiz sind im Titel 681 01 haben muss, zu verändern, um das Mietrecht unter Um-
Härteleistungen für Opfer aller extremistischen Über- ständen einseitig zulasten bzw. zuungunsten der Miete-
griffe vorgesehen. Dieser Titel wird um 700 000 Euro rinnen und Mieter zu verschieben,
2882 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Ewald Schurer
(A) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: che Aufgabe in private Hände. Das ist mit uns Sozialde- (C)
Machen Sie sich keine Sorgen!) mokraten nicht zu machen. Wir werden uns dagegen ent-
sprechend wehren.
was für die soziale Sicherheit gerade von Familien und
anderen Lebensrealitäten und deren Haushalte im Lande Ich komme zu meiner Schlussaussage: Verschlechte-
sicherlich keine gute Sache wäre. rung des Mietrechts oder Privatisierungen, wie sie hier
aufgezeigt wurden, leisten meiner Meinung nach keinen
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Beitrag dazu, das Vertrauen der Menschen in die Politik
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
oder in das Rechtswesen, also in die juristischen Voll-
LINKEN)
züge und die Verantwortung der Gesellschaft gegenüber,
Deswegen will ich Sie fragen – das ist dann eine Sache zu erhöhen. Ich möchte Sie bitten, in diesem noch lau-
des Dialoges –, warum die FDP das Mietrecht eigentlich fenden Prozess nachzudenken und einen politischen
immer nur von der Seite der Vermieter aus denkt. Konsens mit uns Sozialdemokraten zu suchen. Wir sind
für Beratungen immer zu haben, vor allen Dingen wenn
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des es um die Verbesserung der Sache geht.
Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN] – Florian Toncar [FDP]: Tun wir Ganz herzlichen Dank.
doch gar nicht!)
(Beifall bei der SPD)
Ist es denn so, dass durch die zugegeben natürlich auch
vorhandene kriminelle Energie von wenigen Mietnoma- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
den – das bewegt sich im Promillebereich – der Schutz Das Wort hat nun die Bundesministerin der Justiz,
von Millionen von Menschen ausgehöhlt werden muss, Frau Leutheusser-Schnarrenberger.
die auf ein anständiges Mietrecht mit guten Kündigungs-
fristen angewiesen sind? (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
Diese Frage darf man doch höflich und bestimmt stellen, ministerin der Justiz:
weil sich die Antwort darauf in dieser doch nicht einfa- Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
chen Konstruktion von Schwarz-Gelb – wir alle wissen, gen! Lassen Sie mich auch mit Dank beginnen. Ich
dass Sie sich hier nicht sehr leicht tun – vielleicht auf danke den Haushaltsberichterstattern der Koalition,
Ihre weitere Meinungsbildung auswirkt. Herrn Funk und Herrn Toncar, sowie den Berichterstat-
(Alexander Funk [CDU/CSU]: Sie können sich tern der Opposition, also dem Hauptberichterstatter
(B)
gern mal besagte Wohnungen angucken!) Herrn Schurer, Herrn Sarrazin und Herrn Bockhahn. Ich (D)
bedanke mich außerdem für Ihren Dank an die Mitarbei-
Zum Schluss ist es für die Öffentlichkeit auch noch terinnen und Mitarbeiter des Justizministeriums. Sie sol-
wichtig, zu wissen – auch das macht mir, wiewohl nicht len wissen, dass wir Ihnen offen gegenüberstehen, wenn
Jurist, als Bundestagsabgeordneter, als Politiker und Sie Informationen oder Begründungen für Ansätze in
auch als Bürger schon ein bisschen Sorge –, dass Sie unserem Haushalt, der wirklich sehr überschaubar und
künftig auch Privatisierungen im Bereich des Rechtswe- dennoch sehr wichtig ist, benötigen.
sens vorsehen. Sie wollen zum Beispiel das Gerichts-
vollzieherwesen privatisieren. Lassen Sie mich mit drei kurzen Bemerkungen zum
Haushalt beginnen. Ich möchte als Erstes mit dem Punkt
Ich frage mich: Zu was soll das führen? Glauben Sie, beginnen, den Sie, Herr Schurer, angesprochen haben,
dass durch Privatisierungen in der Rechtspolitik mehr nämlich den Titel für Härteleistungen für Opfer extre-
Sicherheit geschaffen wird? Glauben Sie, dass damit die mistischer Übergriffe. Dieser Titel ist deutlich aufge-
Durchsetzung von Recht und Gesetz verbessert wird? stockt worden, und zwar um 700 000 Euro auf 1 Million
Glauben Sie, dass dadurch das Vertrauen der Bürgerin- Euro. Wir haben im Haushaltsausschuss mit den Haus-
nen und Bürger in den Rechtsstaat gestärkt wird? – Ich haltsberichtserstattern intensiv darüber gesprochen. Es
glaube das nicht. muss sich daher niemand Sorgen machen, dass aus die-
sem Titel keine ausreichenden Gelder gewährt werden
Sie stellen Analogien zu anderen Ländern her, in de-
können, um die Opfer, die rechts- oder linksextremisti-
nen es – das ist bei uns nicht der Fall – fragile zivilge-
sche Gewalt erfahren mussten, zu entschädigen. Wir ha-
sellschaftliche Strukturen gibt. Ich darf Ihnen das so sa-
ben die entsprechenden Richtlinien für die Verwendung
gen: In diesen Ländern ist dies eher vorzufinden,
dieser Gelder angepasst.
während das in unserem Rechtswesen nicht passend ist.
Ich möchte mich außerdem – das ist meine zweite Be-
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie
merkung – ganz herzlich dafür bedanken, dass für unsere
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
zukünftige Aufgabe nach dem Geldsanktionsgesetz,
GRÜNEN)
das wir nach der Bildung der Koalitionsregierung zügig
Deswegen glaube ich, dass es nicht notwendig und poli- auf den Weg gebracht haben, die Stellenausstattung im
tisch auch ein Fehler ist, die Aufgaben des Nachlassge- Haushalt mit dem Tag des beabsichtigten Inkrafttretens,
richtes auf Notare zu übertragen. Sie wollen vermeintliche dem 1. Oktober 2010, gesichert ist. Herr Schurer, Sie ha-
Einsparungen bei den Zwangsvollstreckungsverfahren ben die Grundlage für diese Berechnung bereits vorge-
erwirken, aber damit geben Sie eine hoheitliche staatli- tragen. Es ist eine wichtige Aufgabe. Wir sind verpflich-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2883
Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
(A) tet, diese EU-Vorgabe umzusetzen. Das ist in der letzten sein – den Opfern von Missbrauch aus der Vergangen- (C)
Legislaturperiode nicht mehr passiert. heit da, wo Verjährung eingetreten ist, aber auch im Hin-
blick auf Verhinderung Rechnung trägt.
Als dritte Bemerkung möchte ich das Präventions-
projekt Dunkelfeld der Charité Berlin erwähnen, das (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
seit dem Jahr 2008 durch den Haushalt des Bundesjustiz- der CDU/CSU und der SPD)
ministeriums mit jährlich 250 000 Euro gefördert wird.
Meine Vorgängerin hat es zusammen mit den Haushalts- Wir haben ein umfangreiches rechtspolitisches Pro-
berichterstattern in den Haushalt eingestellt bekommen. gramm, das sehr klar macht, dass wir sehr wohl in eini-
Ich bin froh, dass die Förderung dieses Jahr fortgesetzt gen Punkten Korrekturen vornehmen. Wir werden nach
wird. Für das nächste Jahr ist die Finanzierung aber der Sommerpause im Kabinett den ersten Gesetzent-
überhaupt nicht gesichert. wurf, der sich mit dem Schutz der Berufsgeheimnis-
träger befasst, nach Abstimmung mit den Ländern und
Gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte auch mit den Ressortkollegen beschließen und ihn die-
über Missbrauch in Institutionen von katholischen, evan- sem Haus zur Beratung und Beschlussfassung vorlegen.
gelischen und anderen Trägern ist es in meinen Augen
ganz entscheidend, dieses Projekt weiterzuführen. Am Wir müssen uns auch ausführlich und intensiv mit der
besten wäre es, es nicht nur weiterzuführen, sondern so- Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur anlass-
gar auszubauen. Denn es handelt sich um ein Projekt, losen Vorratsdatenspeicherung befassen, nicht nur im
das Männern, die die Gefahr ihrer pädophilen Neigung Hinblick darauf, was das für uns in Deutschland heißt
erkennen, die Möglichkeit gibt, sich an fachkundige Be- und was dort kritisiert wird, und nicht nur im Hinblick
rater zu wenden und entsprechende Therapien zu ma- auf Gesetzesformulierungen, die man nicht einmal aus
chen, bevor etwas passiert. Ich werbe daher schon jetzt dem Urteil abschreiben kann, sondern auch im Hinblick
dafür. Es wäre in unserem gemeinsamen Interesse, wenn auf Datensicherheit und die Bereiche, die ausgenommen
eine Fortsetzung des Projekts gesichert werden könnte. werden sollen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Parallel dazu findet auf EU-Ebene derzeit eine Eva-
der CDU/CSU – Christine Lambrecht [SPD]: luation statt, an der wir uns zu beteiligen haben, was wir
Macht es!) auch tun. Die Prüfung erfolgt auch auf der Grundlage
Wenn das nicht möglichst bald in Aussicht gestellt wird, der EU-Grundrechtecharta, die in Kraft getreten ist. Von
dann werden viele Therapien nicht mehr angewandt wer- daher werden wir und werde ich als zuständige Ministe-
den können, weil sie über einen längeren Zeitraum und rin sehr verantwortungsvoll mit diesem so sensiblen
somit über den Jahreswechsel hinaus andauern würden. Thema umgehen, wobei wir uns aber auch diese Ent-
(B) scheidung des Bundesverfassungsgerichtes in ihrer ge- (D)
Lassen Sie mich zur aktuellen Debatte über Miss- samten Tragweite auch im Hinblick auf zukünftige Pro-
brauch und insbesondere über die vielen Missbrauchs- jekte immer bewusst machen müssen.
fälle aus den vergangenen Jahrzehnten kommen. Ich
habe mich als Bundesjustizministerin von Anfang an mit (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
dem Gesichtspunkt eingebracht, der mich als Ministerin CDU/CSU)
besonders zu beschäftigen hat, nämlich die Durchset-
zung des staatlichen Strafanspruchs. Genau das habe ich Herr Schurer, Sie haben einige Punkte angesprochen,
eingefordert. auf die ich nur sehr kursorisch eingehen kann. Das allge-
meine Gespenst der Privatisierung muss hier nicht an
Ich denke, es ist ganz wichtig, dass von allen Verant- die Wand gemalt werden. Ich sage ganz deutlich: Alles,
wortlichen in Institutionen bei Anhaltspunkten, die sich was nur mit einer Grundgesetzänderung möglich ist
etwas verdichten, die Informationen an die Staatsanwalt- – dazu haben wir eine pauschale Aussage in unserem
schaft gehen, ohne dass wir wieder eine strafbewehrte Koalitionsvertrag –, werden wir nicht vorrangig als
Anzeigepflicht für alle Delikte in unser Strafgesetzbuch Thema der Koalitionsregierung und der Fraktionen an-
einführen. Ich habe heute zur Kenntnis genommen und gehen. Das haben wir ausdrücklich so vereinbart, sodass
freue mich darüber, dass gerade in Bayern von Erz- wir uns damit befassen werden, was außerhalb der
bischof Marx öffentlich gesagt wurde, dass er sich dafür Ebene einer Grundgesetzänderung möglich ist. Ich
einsetzt, dass die Leitlinien der Deutschen Bischofs- glaube, das kann schon als eine gewisse Bewertung auf-
konferenz genau in diesem Punkt entsprechend geändert genommen werden.
werden sollen.
Aber wir müssen uns auch mit einer Fülle von Vor-
Wir haben uns in der Bundesregierung – um auch hier schlägen aus den Ländern – über Ländergrenzen hinweg,
gleich Spekulationen und weiteren Überlegungen den nicht nur aus Ländern, in denen wir eine CDU/FDP-Re-
Boden zu entziehen –, nachdem ich diejenige war, die gierung oder CSU/FDP-Regierung haben – befassen und
als Erste einen runden Tisch ins Gespräch gebracht hat, gerade auch das Testamentsregister als erstes Projekt
auf einen gemeinsamen runden Tisch verständigt, der in forcieren. Das werden wir intensiv tun.
die Zukunft blickt, aber auch zurückblickt und sowohl
das Thema Prävention als auch rechtliche Fragen wie die Zum Mietrecht haben wir viele Punkte vereinbart.
Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs behandeln Dort werden wir und werde ich genau hinsehen: Was ge-
wird. Von daher mündet das, glaube ich, in eine positive hen wir zuerst an? Natürlich gehen wir das Thema Miet-
Entwicklung ein, die auch – das muss unser Anliegen nomaden an. Dabei geht es um das Berliner Modell oder
2884 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Das wollen wir schriftlich haben!) NEN]: Aber wir gehen trotzdem aufrecht!)
Von daher wenden wir uns zunächst einmal den anderen Sie hat die Lasten auf den Schultern der Menschen ver-
Punkten zu. mehrt. Sie lässt zu, dass sich die Schere zwischen Reich
und Arm täglich vergrößert. Freiheit hält sie für Wirt-
Vielen Dank, Herr Präsident, für Ihre Geduld. – schaftsliberalismus. Gleichheit ist für sie ein Fremdwort.
Danke schön. Die neoliberale Politik hat mit den technischen Mitteln
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – der Informationsgesellschaft – das war die vorherige
Christine Lambrecht [SPD]: Ihr seid euch Diskussion – begonnen, einen Überwachungsstaat zu er-
doch nie einig!) richten, der den Bürger mit immer neuen Unfreiheiten
beschwert. Am ferneren Ende dieses Weges dieser neoli-
beralen Politik werden wir eine andere Gesellschaft ha-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ben. In ihr werden Armut und Wut der Gebückten für so-
Das Wort hat nun Kollege Wolfgang Nešković für die ziale Kämpfe sorgen. Wir werden sehen, ob dann die
Fraktion Die Linke. Instrumente des Überwachungsstaates genutzt werden,
(Beifall bei der LINKEN) um den sozialen Protest der Menschen zu unterbinden.
All das ist nicht die Vision des Grundgesetzes. Die
Wolfgang Nešković (DIE LINKE): Vision des Grundgesetzes besteht darin, die Ideale von
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Freiheit und Gleichheit miteinander zu vereinen; denn es
(B) Kollegen! Sehr verehrte Ministerin! Das waren zum gibt keine wirkliche Freihheit ohne Gleichheit. Die (D)
Schluss optimistische Worte. Ich bin gespannt, was da- Linke – Sie werden das verstehen – hält es da mit Rosa
bei herauskommt. Luxemburg: Freiheit ohne Gleichheit ist Ausbeutung.
(Michael Groschek [SPD]: Wollen wir wet- Gleichheit ohne Freiheit ist Unterdrückung.
ten?) (Beifall bei der LINKEN)
Der Philosoph Ernst Bloch prägte einst das Bild vom Wenn Sie das aufregt, dann lesen Sie doch Urheber des-
aufrechten Gang: Ihn zu lernen, sei schwer, aber mög- selben Gedankens. Sie müssen nicht Rosa Luxemburg
lich. Zwei Lasten verwehren es den Menschen, aufrecht glauben,
zu gehen. Auf ihren seelischen Schultern lasten Un-
gleichheit und Unfreiheit. Auf der einen Schulter lasten (Zuruf von der CDU/CSU: Tun wir auch
soziale Not und Verelendung, auf der anderen Schulter nicht!)
staatliche Bevormundung und Entrechtung. Aufrecht Sie müssen auch nicht Ernst Bloch verstehen; Sie brau-
wollte Bloch uns sehen. Doch wirklich aufrecht geht der chen nur die Texte des Verfassungsgerichtes zu lesen.
Mensch nur als Freier unter Gleichen.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Gott
Freiheit und Gleichheit sind die tragenden Prinzipien sei Dank! – Caren Lay [DIE LINKE]: Die
unseres Grundgesetzes. Politik, insbesondere die Rechts- können ja nicht lesen!)
politik, bewegt sich innerhalb dieser Grenzen. Der
Rechtsstaat und die Freiheitsrechte des Grundgesetzes Am 17. August 1956 formulierten die Richter des
sollen es jedermann ermöglichen, sich gegen staatliche Bundesverfassungsgerichts:
Entrechtung zur Wehr zu setzen. Die Grundrechte als Die freiheitliche Demokratie ist von der Auffassung
Freiheitsrechte sind Abwehrrechte gegen den Staat. Sie durchdrungen, daß es gelingen könne, Freiheit und
stellen institutionalisiertes Misstrauen gegen einen un- Gleichheit der Bürger trotz der nicht zu übersehen-
vernünftigen Staat dar. den Spannungen zwischen diesen beiden Werten
Das Sozialstaatsprinzip hingegen verpflichtet den allmählich zu immer größerer Wirksamkeit zu ent-
Staat zum sozialen Ausgleich und zur Schaffung einer falten
gerechten Sozialordnung, oder – um es mit den Worten – jetzt kommt es –
von Heribert Prantl auszudrücken –: Der Sozialstaat ist
mehr als der liberale Rechtsstaat, er ist der Handausstre- und bis zum überhaupt erreichbaren Optimum zu
cker für die, die eine helfende Hand benötigen. steigern.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2885
Wolfgang Nešković
Neškoviæ
(A) So wörtlich das Bundesverfassungsgericht. Das ist der – Sie werden sich gleich noch wundern, Herr Grosse- (C)
Auftrag unseres Grundgesetzes. Das haben uns die Ver- Brömer.
fassungshüter in unser politisches Stammbuch geschrie-
ben. Ich fahre fort:
Die gesamte wirtschaftliche Tätigkeit dient dem
54 Jahre später hält Herr Westerwelle die Umsetzung
Gemeinwohl, insbesondere der Gewährleistung ei-
dieses Auftrages für spätrömische Dekadenz. Herr
nes menschenwürdigen Daseins für alle
Westerwelle vergleicht – das ist ein unglaublicher Zynis-
mus – die Lebenswirklichkeit von Hartz-IV-Empfängern (Zurufe von der CDU/CSU)
mit der Dekadenz der römischen Oberschicht in der Spät-
antike. – ich wundere mich, dass Sie so empört sind, wenn es
darum geht, dass es allen gut gehen soll –
(Florian Toncar [FDP]: Das hat er nicht ge-
sagt!) und der allmählichen Erhöhung der Lebenshaltung
aller Volksschichten.
Spätrömische Dekadenz existiert in diesem Land, für-
Ich betone: aller Volksschichten. Weiter heißt es – das
wahr. Nie zuvor gab es in der Bundesrepublik so viel
geht an die Adresse der Damen und Herren von der FDP –:
Reichtum in den Händen weniger, Reichtum, der nutzlos
an den Börsen dieser Welt verzockt wird, zulasten der Kapitalbildung ist nicht Selbstzweck, sondern Mit-
Allgemeinheit. Wenn Herr Westerwelle also wissen will, tel zur Entfaltung der Volkswirtschaft.
wie die Dekadenz der römischen Oberschicht in etwa
ausgesehen haben mag, dann sollte er das Lebensumfeld Das Geld- und Kreditwesen dient der Werteschaf-
einiger Menschen untersuchen, die seiner Partei ständig fung und der Befriedigung der Bedürfnisse aller
Großspenden zukommen lassen. Bewohner.
(Beifall bei der LINKEN) Jetzt müssten Sie alle eigentlich klatschen, besonders
die Kolleginnen und Kollegen aus Bayern; denn es han-
Seine von historischer Ahnungslosigkeit geleitete delt sich um Zitate aus der aktuellen bayerischen Ver-
Aufregung hatte allerdings Gründe. Sein aggressiver Ei- fassung. Das muss man zur Kenntnis nehmen.
fer wurde durch die Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts zu Hartz IV entfacht. Wieder hatte das Ge- (Beifall bei der LINKEN)
richt über den Wert der Gleichheit in unserer In dieser Verfassung steht nichts davon, dass das Geld
Gesellschaft zu entscheiden. Am 9. Februar 2010 stellte und der Geldkreislauf den Bedürfnissen einiger weniger
(B) es fest, dass die Berechnung der Hartz-IV-Regelsätze dienen sollen. Es ist also nicht richtig, dass Herr (D)
gegen den vornehmsten Artikel unseres Grundgesetzes Ackermann schon wieder 10 Millionen Euro einsacken
und gegen eines seiner tragenden und unveränderlichen darf, während andere Menschen in diesem Staat um ihr
Prinzipien verstößt: gegen die Menschenwürde und ge- Geld betteln müssen. Die bayerische Verfassung enthält
gen das Sozialstaatsprinzip. Das Bundesverfassungsge- in der Tat Vorstellungen für eine humanere Gesellschaft.
richt legte fest, dass ein einklagbarer Anspruch auf Sie enthält die Utopie, von der man auch in Bayern weit
Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzmini- entfernt ist. Das heißt jedoch nicht, dass man sich von
mums besteht. Dieser Anspruch ist laut Bundesverfas- dieser Utopie verabschieden sollte. Die Linke jedenfalls
sungsgericht unverfügbar, also nicht kürzbar, und muss wird sich von dieser Utopie, in der es darum geht, Frei-
stets gewährleistet sein. Das war eine kleine juristische heit und Gleichheit miteinander zu verbinden, nicht ver-
Revolution im Namen der Gleichheit. abschieden. Das ist im Bloch’schen Sinne der Weg zum
aufrechten Gang der Menschen. Das ist genau der Weg
Wir benötigen jedoch größere juristische Revolutio-
und der Auftrag, den das Bundesverfassungsgericht be-
nen, um endlich den aufrechten Gang im Bloch’schen
schrieben hat.
Sinne zu erlernen; denn die Vision des Grundgesetzes
scheitert daran, dass die Mehrheit in diesem Hause sich Diesen Weg beschreitet die gegenwärtige Koalition
dieser Vision in trotziger Uneinsichtigkeit verschließt. nicht. Sie hat Angst, die Banken an den Kosten der Ret-
Sie übersieht den sozialen Gehalt unserer Verfassung. tungspakete zu beteiligen. Sie zaudert und geizt bei den
Dieser Ignoranz muss auch ohne Hilfe des Bundesver- sozialen Ausgaben. Sie lehnt einen flächendeckenden
fassungsgerichts begegnet werden. Deswegen benötigen Mindestlohn ab. Sie befürwortet damit die Ausbeutung
wir Texte im Grundgesetz, die das Sozialstaatsprinzip der Menschen. Sie hat im Koalitionsvertrag Vorstellun-
präzisieren. Wir benötigen auch konkrete soziale Grund- gen zum Mietrecht offenbart, die den sozialen Zorn von
sätze. Millionen Menschen in unserem Land schüren werden.
Die Kündigungsfristen im Mietrecht zulasten der Mieter
(Beifall bei der LINKEN) zu verkürzen und die Mieter auch noch an energetischen
Wir benötigen zum Beispiel Formulierungen wie diese: Sanierungsmaßnahmen zu beteiligen, sind Ausdruck ei-
ner Klientelpolitik. Das ist die Politik des kalten Her-
Arbeit ist die Quelle des Volkswohlstandes und zens.
steht unter dem besonderen Schutz des Staates.
Die Koalition hat auch vor, das moderne Jugendstraf-
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Karl recht von seinem Erziehungsgedanken zu entfernen.
Marx?) Hier sollen wieder die deutschen Stammtische die Ober-
2886 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Wolfgang Nešković
Neškoviæ
(A) hand erhalten. Herr Koch lässt grüßen. Wir halten daran ken, was bei einem klassischen Verwaltungshaushalt mit (C)
fest: Bei Jugendlichen geht Erziehung vor Strafe. hohen Personalkosten, die allein 78 Prozent der Ausga-
ben ausmachen, nicht ganz einfach ist; denn die Zahlung
(Beifall bei der LINKEN)
von Gehältern und Löhnen können wir schlecht auf das
Diese Koalition steht trotz der von mir sehr geschätzten nächste Jahr verschieben.
Justizministerin weiterhin für eine freiheitsbedrohende
Sicherheitspolitik. Herr Schurer, Sie haben einen Punkt aus dem Etat he-
rausgegriffen, nämlich den Fonds für Opfer extremisti-
(Beifall bei der LINKEN) scher Gewalt, der um 700 000 Euro ansteigt und einen
Diese Politik ist für die Menschen in unserem Lande ein Betrag von 1 Million Euro beinhaltet. Ich gebe Ihnen
Debakel. Das liegt schon an den politischen Grundvor- recht, dass es nicht darum geht, die Opfer rechter Gewalt
stellungen, die beide Parteien in die Regierung einbrin- gegen die Opfer linker Gewalt auszuspielen. Genau des-
gen. Die CDU/CSU ist mit ihrer Sicherheitspolitik kein halb haben wir diesen Fonds nun für die Opfer jeglicher
Freund der Freiheit. Bei ihr gilt immer noch der Grund- extremistischer Gewalt umgewidmet; denn für das Opfer
satz: Im Zweifel für die Sicherheit und nicht für die Frei- macht es sicherlich keinen Unterschied, ob es von einem
heit. Die FDP dagegen ist kein Freund der Gleichheit. Baseballschläger eines Rechten oder von einem Molotow-
Sie ist eher ihr Feind. Diese beiden Partner treffen nun in cocktail eines Linken verletzt wurde. Dem haben wir
einer Wunschehe aufeinander. Die FDP trifft dort einen Rechnung getragen.
Partner, der kein Freund der Freiheit ist. Die CDU/CSU
trifft einen Partner, der ein Feind der Gleichheit ist. Die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Folgen für die Menschen sind bitter. Diese Koalition ist Christoph Strässer [SPD]: Darum geht es doch
eine Koalition aus Unfreiheit und Ungleichheit. gar nicht!)
(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei Die vergangenen Wochen haben jedem, auch wenn er
der CDU/CSU und der FDP) sonst mit dem Justizwesen wenig zu tun hat, klarge-
macht, wie wichtig Rechtsetzung und Rechtsprechung in
Sie bringt den Menschen den gebückten Gang, nicht den einer Demokratie sind. Seit der ersten Lesung des Haus-
aufrechten Gang. haltsplans gibt es einige Beispiele dafür, wie Rechtspre-
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wie lange darf chung Medien und Menschen bewegt. Heftig gestritten
der noch reden?) wurde und wird über die zukünftige Aufgabenwahrneh-
mung nach dem SGB II. Die Diskussion ist das Ergebnis
Sie führt uns weg vom Auftrag des Grundgesetzes, und einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
(B) sie entfernt uns von der humanen Utopie unserer Verfas- und wird nach unseren Vorstellungen in eine Änderung (D)
sung – hoffentlich nur für knappe vier Jahre. Ich halte es des Grundgesetzes münden. Das höchste deutsche Ge-
da mit der Hoffnung. Das war das Lieblingswort von
richt hat mit seiner Entscheidung zur Höhe des Regelsat-
Ernst Bloch.
zes für Hartz IV neue Maßstäbe gesetzt, die wir nun um-
Vielen Dank. setzen müssen. Ich warne aber vor einem populistischen
Schnellschuss, der nur auf die Landtagswahlen in Nord-
(Beifall bei der LINKEN) rhein-Westfalen ausgerichtet ist. Wenn die SPD nun ih-
ren Ausstieg aus den Arbeitsmarktreformen verkündet,
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: dann tut sie das mit haltlosen und nicht finanzierbaren
Das Wort hat nun Kollege Alexander Funk für die Versprechen. Nicht jeder Zweck heiligt die Mittel. Dass
CDU/CSU-Fraktion. die SPD von den Linken getrieben wird, ist unüberseh-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) bar. Nur frage ich mich in diesem Zusammenhang, wie
es um das Seelenleben von Frank-Walter Steinmeier be-
stellt ist, einem der Väter von Hartz IV. Der frühere
Alexander Funk (CDU/CSU): SPD-Popbeauftragte Gabriel demontiert mit einer atem-
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen beraubenden Radikalität sein Lebenswerk. Die einzige
und Herren! Nach diesen philosophischen, absurden und Reaktion des Oppositionsführers ist eine neue Brille.
utopischen Ausführungen komme ich wieder zu der Sein Sichtfeld mag sich damit verändern, vielleicht so-
Haushaltsberatung zurück. gar verengen; aber für seriöse Politik ist das zu wenig.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich möchte mit einem Dank für die konstruktive Zu-
sammenarbeit bei der Erstellung des Justizetats beginnen, Wir brauchen erst einmal die erforderlichen Daten des
der nicht spektakulär, aber deshalb nicht minder wichtig Statistischen Bundesamts, dann können wir vernünftiger-
ist. Wir haben in drei Sparrunden das vorgegebene Spar- weise die Regelsätze für Hartz IV berechnen und einen
ziel erreicht. Das Ministerium selbst hat Vorschläge erar- Gesetzentwurf vorlegen, der den betroffenen Menschen
beitet, der Regierungsentwurf enthielt weitere Sparvor- gerecht wird und den Vorgaben des Verfassungsgerichts
schläge, und in der Bereinigungssitzung haben wir entspricht. Schließlich müssen wir uns mit der sogenann-
weitere Ressourcen erschlossen. Mit anderen Worten: ten Vorratsdatenspeicherung befassen, nachdem Karls-
Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Die Ausgaben ruhe das entsprechende Gesetz für null und nichtig erklärt
sind im Vergleich zum Jahr 2009 um 2,23 Prozent gesun- hat.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2887
Alexander Funk
(A) In diesem Zusammenhang stellt sich aber nicht nur Alexander Funk (CDU/CSU): (C)
die Frage, welche Daten der Staat sammelt, sondern es Da Sie selbst wissen, welche Daten Sie im Internet
geht auch darum, wie ernst es die Bürgerinnen und Bür- veröffentlichen, haben Sie Kenntnis darüber, welche Da-
ger und vor allem bestimmte Unternehmen mit der infor- ten in einem solchen Datenbrief enthalten wären; des-
mationellen Selbstbestimmung nehmen. Der scheidende halb brauchen Sie darüber nicht informiert zu werden.
Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen
Papier, hat gesagt: Beim Datenbrief geht es um etwas ganz anderes: Die
Unternehmen sollen Auskunft darüber erteilen, welches
Wir stellen nicht erst seit gestern fest, dass dem Kundenprofil sie erfasst haben; die jeweiligen Daten
Grundrecht auf Datenschutz nicht nur von staatli- sollen sie übermitteln. Dementsprechend kann der
cher, sondern auch von privater Seite Gefahren dro- Kunde selbst entscheiden, ob diese Daten gelöscht wer-
hen. den. Genau darum geht es. Es handelt sich hier um einen
Vorschlag, der diskutiert wird und den ich für ausgespro-
Er meinte damit die Daten privater Unternehmen, die chen sinnvoll erachte.
ihre Beschäftigten ausspähen. Ebenso leichtfertig gehen
aber diejenigen mit ihren persönlichen Daten um, die Ein deutsches Sprichwort besagt: Es genügt nicht,
ihre Brieftaschen voller Bonuskarten haben; denn bei je- recht zu haben; man muss es auch bekommen. Das gilt
dem Einkauf hinterlassen sie Spuren. Anschließend be- für jeden Einzelnen, der sein vielzitiertes gutes Recht ge-
schweren sie sich über die vermeintliche Datensammel- genüber dem Staat geltend machen kann und manchmal
wut des Staates. Diese Koalition muss sehr besonnen die machen muss. Auch hier führe ich ein Beispiel an – es
Schutz- und die Freiheitsrechte der Bevölkerung abwä- berührt die Sozialgerichtsbarkeit –: Bei den Sozialge-
gen, bevor ein neuer Anlauf zur Vorratsdatenspeicherung richten gingen 2009 insgesamt 193 981 Klagen gegen
unternommen wird. Verwaltungsentscheidungen im Zusammenhang mit
Hartz IV ein; das waren 20 000 mehr als im Vorjahr. Der
Ausdrücklich begrüße ich den Vorschlag von Innen- Präsident des Bundessozialgerichts, Peter Masuch, for-
minister de Maizière, einen Datenbrief einzuführen. Da- dert von uns, also der Politik, die Erfahrungen der Ver-
nach sollen Unternehmen ihren Kunden einmal jährlich waltungspraxis und die Gerichtsentscheidungen in die
Auskunft über die gesammelten Daten geben. Wer seine Gesetzgebung einzubeziehen. 193 981 neue Klagen, hin-
Daten schützen will, muss wissen, welche Daten über ter dieser nüchternen Zahl verbirgt sich einerseits die
ihn kursieren; hier gebe ich dem Innenminister aus- hoffnungslose Überbelastung der Sozialgerichte; zu-
drücklich recht. Den Hinweis auf Kosten für die Unter- gleich ist sie Ausdruck des Vertrauens, dass die Bürge-
nehmen kann ich in diesem Zusammenhang nicht gelten rinnen und Bürger zu Recht in den Rechtsstaat und seine
(B) lassen. Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung Gerichte setzen. (D)
ist allemal das höhere Gut.
(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: So kann
(Gisela Piltz [FDP]: Dann sagen Sie mir doch man es auch sehen, ja!)
bitte mal, was Sie dagegen tun!)
Ich will hier nicht in den Chor derer einstimmen, die
der deutschen Gesetzgebung pauschal vorwerfen, sie
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: habe sich von der Lebenswirklichkeit entfernt. Dafür
Kollege Funk, gestatten Sie eine Zwischenfrage des gibt es überhaupt keinen Anlass. Aber ich bin der Über-
Kollegen von Notz, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen? zeugung, dass Recht dem Rechtsempfinden der Men-
schen nicht diametral gegenüberstehen darf;
Alexander Funk (CDU/CSU): (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Ja. NEN]: Was wollen Sie denn damit sagen?)
dann nämlich wird es weder akzeptiert noch befolgt.
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Selbstverständlich muss Recht eine verlässliche Größe
NEN): bleiben, an der sich die Menschen orientieren. Es darf
Herr Kollege, Sie haben den Datenbrief angespro- nicht in opportunistischer Weise einem ständig wech-
chen. Ich selbst finde das Wort „Datenbrief“ ebenfalls at- selnden Zeitgeist angepasst werden.
traktiv und interessant; das klingt nach einer guten Lö- (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
sung. Wie soll das Ganze in der Praxis aussehen? NEN]: Das ist gut! – Wolfgang Wieland
Nehmen wir nur einmal die Daten, die ein soziales Netz- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie das
werk wie Facebook über uns gespeichert hat: Soll man einmal Ihrem Koalitionspartner!)
jedes Jahr Dutzende von ausgedruckten Seiten – sie wür-
den unter anderem Fotos und Textkommentare enthalten – Ein Thema, das uns alle in diesen Wochen bewegt, ist
von Facebook zugeschickt bekommen? Wie soll sich das – ich formuliere es einmal juristisch – der Missbrauch
konkret darstellen? Glauben Sie tatsächlich, dass es dem von Minderjährigen und Schutzbefohlenen. Kaum ein
Datenschutz dient, wenn man Unternehmen dazu ver- Tag vergeht, an dem nicht neue Übergriffe bekannt wer-
pflichtet, persönliche Daten für einen solchen Datenbrief den. Auch wenn die Fälle in der Regel Jahrzehnte zu-
zusammenzuführen? Ist nicht vielmehr das Zusammen- rückliegen, müssen sie schonungslos aufgeklärt werden.
führen personalisierter Daten selbst ein Datenproblem? Darüber besteht Konsens. Ebenso wichtig ist es aber,
2888 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Alexander Funk
(A) künftige Übergriffe zu verhindern. Gesetze allein dürften Ich kann Ihnen versichern: In der Partei der Grünen (C)
hier nicht ausreichen. gibt es niemanden, der sexuellen Missbrauch fördert
oder bagatellisiert. Wir sind natürlich der festen Über-
(Christine Lambrecht [SPD]: Sondern?) zeugung, dass alle diese Dinge bekämpft und verurteilt
Bei dem von der Bundesregierung angeregten runden werden müssen. Deswegen möchte ich Sie bitten, solche
Tisch müssen die Ursachen für die Misshandlungen und Anschuldigungen mit einem solchen Unterton gegen un-
den Missbrauch von Kindern aufgeklärt werden. Nur so sere Fraktion und meine Partei zu unterlassen.
können wir Wege einer wirksamen Prävention finden. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
In der derzeitigen Diskussion wird versucht, die ka- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
tholische Kirche als eine Einrichtung darzustellen, in der LINKEN)
es, beispielsweise aufgrund des Zölibats, geradezu zum
sexuellen Missbrauch von Kindern kommen müsse. Alexander Funk (CDU/CSU):
Diese Versuche sind schlichtweg infam. Sie haben mich an dieser Stelle missverstanden. Ich
habe klipp und klar gesagt: Es wäre ebenso eine infame
(Zuruf von der LINKEN: Wieso denn?) Unterstellung.
Ebenso infam könnte ich behaupten, dass die Grünen Ich sage Ihnen auch, vor welchem Hintergrund ich
Mitverantwortung für Kindesmissbrauch tragen. Sie dieses Beispiel angesprochen habe. Ich finde es als Ka-
werden es nicht gerne hören, aber Tatsache ist: Im NRW- tholik, ich finde es als ehemaliger Messdiener, ich finde
Wahlkampf 1985 forderte die Grünen-Arbeitsgruppe es als Teil der katholischen Kirche unerträglich, wie ge-
„Schwule und Päderasten“, kurz: „Schwup“, den sexuel- rade von Ihrer Fraktionsvorsitzenden Renate Künast die
len Missbrauch von Gefangenen und Kranken sowie Ab- katholische Kirche angegangen wird.
hängigen, homosexuelle Handlungen an Jugendlichen
sowie den sexuellen Missbrauch von Kindern straffrei zu (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
stellen. GRÜNEN]: Das macht doch die katholische
Jugend auch! – Dr. Konstantin von Notz
(Zurufe von der CDU/CSU: Unglaublich!) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht
doch auch Ihre Justizministerin!)
Sex mit Kindern sei, so formulierten die Grünen damals,
„für beide Teile angenehm, produktiv, entwicklungsför- Es geht nicht an, dass finanzielle Sanktionen gegen eine
dernd“. Institution für Straftaten Einzelner angedroht werden. In
diesem Zusammenhang möchte ich auch klarstellen,
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Ungeheuer- dass die grüne Partei nicht in Haftung genommen wer-
(B) lich! – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE den kann und mit sexuellem Missbrauch in Verbindung (D)
GRÜNEN]: Wurde verworfen!) gebracht werden darf, wenn einzelne Gruppen eine solche
Dass Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, Forderung vor 25 Jahren gestellt haben. Darum geht es.
nur ungern an solche Forderungen erinnert werden wol- (Beifall bei der CDU/CSU)
len, liegt auf der Hand.
In Fällen von sexuellem Missbrauch darf es nicht um
gegenseitige Schuldzuweisungen gehen. Jeder einzelne
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Fall von Kindesmissbrauch ist verwerflich und schlimm.
Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Das Tabu des Schweigens muss gebrochen, die Taten
Montag? müssen aufgedeckt, die Opfer – soweit das überhaupt
(Burkhard Lischka [SPD]: Den Quatsch wol- geht – entschädigt und die Täter bestraft werden. Wenn
len wir nicht aufwerten!) es notwendig ist, müssen wir auch die entsprechenden
Verjährungsfristen verlängern.
Alexander Funk (CDU/CSU): (Christine Lambrecht [SPD]: Geht es
Ja. genauer?)
Wichtig ist in dieser Debatte aber auch, dass wir nicht
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): für die Straftaten Einzelner eine ganze Institution in Haf-
Danke, Herr Präsident. – Herr Kollege Funk, ich tung nehmen. So schlimm und schmerzhaft diese Miss-
möchte Sie fragen, nachdem Sie uns Grüne angespro- brauchsfälle sind, sie finden leider in allen gesellschaftli-
chen haben, ob Sie in dieser Runde auch erzählen kön- chen Gruppen statt, überwiegend in Familien. Es handelt
nen, welche unterschiedlichen Anträge im Laufe der sich also nicht um ein kirchliches oder ein katholisches
Jahrzehnte in Gremien der CDU bzw. der CSU entwor- Problem, sondern um ein gesellschaftliches Problem, das
fen worden sind. wir gemeinsam bekämpfen müssen. Hierzu fordere ich
alle auf.
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Solche be-
(Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/
stimmt nicht!)
DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwi-
Haben Sie je davon gehört, dass irgendein Organ der schenfrage)
Grünen, dass irgendein Parteitag der Grünen, dass ir- Vielen Dank.
gendein Wahlkampfaufruf der Grünen solche absurden
Forderungen beinhaltet hätte, wie Sie sie hier zitieren? (Beifall bei der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2889
(A) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ (C)
Herr Kollege, wollen Sie Ihre Redezeit verlängern? DIE GRÜNEN – Stephan Mayer [Altötting]
[CDU/CSU]: Kommen Sie auch mal zum
Thema?)
Alexander Funk (CDU/CSU):
Nein. – Das ist das Thema.
(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Das
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ist substanzlos! Haben Sie sonst überhaupt
Dann erteile ich Kollegen Jerzy Montag von der Frak- nichts zu sagen?)
tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.
Sie, nicht wir, lassen die Menschen daran zweifeln, dass
in den Parlamenten überhaupt noch ernsthafte Politik ge-
Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): macht wird.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
werde in meiner heutigen Rede die bayrische Verfassung (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
nicht zitieren, obwohl ich sie ausgesprochen gut finde bei der SPD und der LINKEN)
und sie im Studium immer als eine der besten Verfassun- Sie zerstören das Vertrauen in die Volksvertreter, in uns,
gen angesehen habe. Aber auch ich werde, bevor ich und in die Demokratie. Ihre Vorwürfe treffen nicht uns,
mich dem Justizsektor zuwende, etwas über unseren sondern Sie selber. Sie liefern ein beschämendes Bild
Bundesaußenminister sagen müssen. von Zerstrittenheit und Unfähigkeit.
Herr Westerwelle ist in der Kritik, und er antwortet (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
auf diese Kritik. Er sagt uns, der Opposition, die Kritik und bei der SPD sowie des Abg. Dr. Ilja
an ihm sei unanständig, sie schade der Demokratie und Seifert [DIE LINKE] – Norbert Barthle [CDU/
sie beschädige die Demokratie. Dabei ist es so, dass wir CSU]: Ich kann Ihnen gerne Zitate der Grünen
– ich hoffe, Sie erinnern sich noch daran – den Bundes- liefern! Die sind nicht besser!)
außenminister Westerwelle gelobt haben. Wir haben ihn
dafür gelobt, dass er zuerst nach Polen gefahren ist. Wir Jetzt im engeren Sinne zum Thema. Wir reden über
haben ihn dafür gelobt, dass er in der Vertriebenenstif- den Haushalt des Bundesverfassungsgerichts und den
tungsfrage hart geblieben ist. Aber wir kritisieren ihn des Bundesjustizministeriums. Ich will mit dem Bun-
auch, wenn er in der Bundesrepublik Deutschland Men- desverfassungsgericht anfangen.
schen beleidigt, die auf soziale Ausgleichsmaßnahmen
(B) angewiesen sind. Wir kritisieren ihn, wenn er Spenden Ich will Herrn Professor Dr. Papier meinen Dank aus- (D)
entgegennimmt und dann die Spender mit Steuererleich- sprechen. Vorgestern hat die Stabübergabe in Karlsruhe
terungen bedacht werden. Wir kritisieren ihn wegen sei- stattgefunden. Ich will ihm für seine Tätigkeit als Präsi-
ner Vetterleswirtschaft bei seinen Auslandsreisen. Meine dent des Bundesverfassungsgerichts danken. Daneben
Damen und Herren, es ist unsere Aufgabe und unsere will ich den Glückwunsch an den neuen Präsidenten Pro-
Pflicht als Opposition, eine solche Kritik zu üben. fessor Voßkuhle, den der Bundestagspräsident schon
heute Vormittag ausgesprochen hat, erneuern und auch
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den neuen Richter Professor Paulus beglückwünschen.
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Der Dank gilt nicht allen Urteilen. Aber der Dank gilt
Aber eines ist auch klar: Unsere Kritik ist und wird der Gradlinigkeit und der Klarheit, mit der das Gericht
nicht so verletzend, so bodenlos und so unanständig wer- über viele Jahre in Demokratiefragen, in Menschen-
den, wie sie in der Koalition gegenseitig ausgesprochen rechtsfragen und in Bürgerrechtsfragen Kurs gehalten
wird. Davon konnte man gestern – ich kann es Ihnen hat. Mal über Mal hat das Bundesverfassungsgericht
nicht ersparen – eine Kostprobe lesen. Zwei Abgeord- – sogar noch vor einigen Tagen – die Menschenwürde
nete, einer aus dem Bundestag und einer aus einem und das Recht des Individuums hochgehalten und die
Landtag, einer aus der CSU und einer aus der FDP, ha- Freiheit in der Abwägung von Freiheit und Sicherheit
ben gestern eine Unterhaltung geführt, und zwar über die nicht unter die Räder kommen lassen. Deswegen will ich
Medien, in aller Öffentlichkeit. Diese Unterhaltung ging an dieser Stelle sagen: Jeder Cent und jeder Euro, den
so: Der FDPler sagte: Bis auf die Schwarte werde ich auf wir im Haushalt für das Bundesverfassungsgericht ein-
die CSU eindreschen. Feuer frei auf sie! Ich freue mich setzen, ist gut angelegtes Geld mit einer bürgerrechtli-
über jede Sottise. – Antwort der CSU: Dem Kubicki ist chen Dividende für alle Bürgerinnen und Bürger.
wohl die Schweinegrippe aufs Gehirn geschlagen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
NEN und bei der SPD) KEN)
Für solche politischen Quartalsspinner wie Kubicki kann Da wir schon über Geld reden, will ich auch einen
sich die FDP nur schämen. – Antwort von Kubicki: BSE Posten im Haushalt des Bundesjustizministeriums er-
schlägt aufs Gehirn, nicht die Schweinegrippe. Diesen wähnen, der sich mit den Opfern rechtsextremistischer
CSU-Generalsekretär – gemeint ist Dobrindt – werden Gewalt beschäftigt hat und der sich nunmehr mit den
wir uns als Ersten vornehmen. Feuer frei auf ihn! Opfern extremistischer Gewalt beschäftigt.
2890 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Jerzy Montag
(A) (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Eine (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Mit (C)
gute Entscheidung!) Freude!)
Ich bin der Letzte, der Gewalt von linksextremer Seite Aber in Bürgerrechtsfragen und in Freiheitsfragen geht
beschönigen will. Ich bin der Meinung, dass die Strafta- es bei Ihnen immer noch am langsamsten.
ten von rechts wie von links verfolgt werden müssen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Aber, Herr Kollege Funk, weil Sie diesen Punkt ange-
Christine Lambrecht [SPD]: Rückwärts!)
sprochen haben, will ich Ihnen sagen: Darum geht es bei
diesem Topf überhaupt nicht. Es geht nicht um das Geld Deswegen sage ich: Jawohl, das ist für die Bundesjustiz-
für die Verfolgung von Straftätern. Das Geld für die Ver- ministerin eine harte Nuss. Die Koalition ist auch in der
folgung von Straftätern steht im Etat für das Innenressort Rechtspolitik heillos zerstritten und völlig handlungsun-
und wird dafür ausgegeben, sowohl linksradikale wie fähig.
auch rechtsradikale Straftäter zu verfolgen. Es geht bei
In der kurzen Zeit kann ich es Ihnen nur mit einem
diesem Topf um die Opferentschädigung.
Argument verdeutlichen: Die Rechtsausschusssitzung
(Alexander Funk [CDU/CSU]: Genau so ist der letzten Sitzungswoche dauerte elf Minuten, weil es
es!) vonseiten der Koalition und der Regierung nicht eine
einzige Vorlage gab. Auf der Tagesordnung des Rechts-
Dafür haben wir ein Opferentschädigungsgesetz, das als ausschusses für die nächste Sitzungswoche gibt es über-
Auffangposition allen Opfern rechtsextremistischer und haupt nur eine einzige Vorlage mit der Federführung des
linksextremistischer Straftaten zur Verfügung steht. Rechtsausschusses, und das ist ein Antrag der Grünen.
(Alexander Funk [CDU/CSU]: Wollen Sie den Von Ihrer Seite, von der Regierungsseite, von der Koali-
ganz streichen?) tionsseite gibt es keine einzige. Sie arbeiten nicht mehr,
Sie bringen keine einzige Vorlage, und deswegen sagen
Es geht um etwas anderes. Es geht darum, dass wir wir Ihnen: Sie sind zerstritten, Sie leisten nichts, Sie
seit 1989 die Situation haben, dass bei uns 150 Men- bringen überhaupt nichts zustande.
schen von Rechtsradikalen ermordet worden sind und
dass wir Hunderte, ja Tausende von Verletzten und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Schwerverletzten durch die Übergriffe von Neofaschis- sowie bei Abgeordneten der SPD)
ten und Rechtsradikalen haben. Deswegen hat dieses Ich hätte hier gern noch ausgeführt, dass ich in einem
Hohe Haus mit diesem Posten für die Opfer von rechts- gewissen Sinne darüber auch froh bin,
radikaler Gewalt ein politisches Zeichen setzen wollen.
Dieses politische Zeichen radieren Sie aus. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
(B) (D)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN denn wenn ich mir vorstelle, dass Sie das Erscheinen
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der und die Aussagepflicht bei der Polizei einführen wollen,
LINKEN – Florian Toncar [FDP]: Das ist doch dass Sie die Wiederaufnahme zulasten von Angeklagten
Unfug!) einführen wollen, dass Sie das Jugendstrafrecht ver-
schärfen und die Prozess- und die Beratungshilfe be-
Sie behandeln gleich, was ungleich ist. Das ist der Feh- schneiden wollen usw., dann bin ich in einem bestimm-
ler. Denn aufgrund des Ausmaßes und der Art und ten Sinne auch froh, dass es bei Ihnen ganz langsam
Weise, wie die Neonazis und die Rechtsradikalen unser geht.
Land bedrohen, Menschen Schaden zufügen und Men-
schen umbringen, haben wir es mit einer einzigartigen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gefahr zu tun. Es wäre schön, wenn diese Koalition das und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
endlich begreifen würde. LINKEN)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr geehrte Frau
und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger, bleiben Sie
der SPD – Norbert Barthle [CDU/CSU]: To- bitte bei den Zitaten, die ich aus Ihrem ersten Interview
sender Beifall bei den Linken!) vorgetragen habe. Kämpfen Sie weiter für mehr Bürger-
rechtsschutz und gegen mehr Überwachung, gegen das
Frau Bundesjustizministerin, Sie haben zu Beginn Ih- Ritual immer schärferer Gesetze und für einen Rich-
rer Amtszeit ein Interview im Stern gegeben und davon tungswechsel in der Rechtspolitik. Wenn Sie das durch-
gesprochen, dass nun ein neuer Geist in der Rechts- halten, haben Sie uns auf Ihrer Seite, aber leider nicht bei
politik einkehrt, dass es einen Richtungswechsel in der dem Haushaltstitel Justiz; ihn werden wir ablehnen müs-
Innen- und Sicherheitspolitik geben wird und dass das sen.
Ritual immer schärferer Gesetze durchbrochen wird. Sie
wollten und wollen für mehr Bürgerrechtsschutz statt für (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
mehr Überwachung sorgen. Ich habe das gerne gelesen. und bei der SPD)
Aber mir war von Anfang an klar: Das wird die härteste
Nuss mit diesem Koalitionspartner. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Michael Grosse-Brömer für die
So erweist es sich auch. Ich weiß, die Union ändert
CDU/CSU-Fraktion.
sich, die Union modernisiert sich mit Hängen und Wür-
gen und unter Schmerzen. (Beifall bei der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2891
(A) Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): mich ja auch, wenn Sie vermeintliche Diskurse zwischen (C)
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und FDP und CSU mit Interesse verfolgen.
Kollegen! Es wurde auch Zeit, dass man hier einmal zu (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Wort kommt. NEN]: Die gab es wirklich!)
Ich habe Ihre Vorlesung, Herr Nešković, wieder mit – Ja, die gab es, bestimmt. Ich habe sie nicht richtig ver-
Wonne genossen. Sie haben ausnahmsweise Ihren An- folgen können, aber ich glaube Ihnen natürlich.
kündigungen dann auch Taten folgen lassen. Ich habe
mich in der Tat gewundert, als Sie gesagt haben, die In diesem Zusammenhang sollte man noch erwähnen,
CDU sei kein Freund der Freiheit. Ich erlaube mir, nur dass zum Beispiel Rot-Grün von einer stetigen Harmo-
kurz daran zu erinnern, dass wir als CDU/CSU auch in nie geprägt war. Insbesondere der Außenminister und
diesem Bundestag bereits die Wiedervereinigung propa- der damalige Kanzler haben sich gemocht und nie etwas
giert und uns dafür eingesetzt haben, dass alle Deutschen Schlechtes übereinander gesagt. Vielmehr herrschte Ein-
in Freiheit leben können, tracht; es war Friede, Freude, Eierkuchen, im Gegensatz
zu anderen Geschichten. Was die Zerstrittenheit betrifft,
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Und für würde ich ein bisschen tiefer stapeln, als das in Ihren Re-
das Recht!) den der Fall ist.
bevor Sie überhaupt eine Stellungnahme dazu abgeben (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
konnten. Unserer Fraktion vorzuwerfen, sie habe ein fal-
sches Ideal von Freiheit und setze sich dafür nicht ein, Mich wundert es, dass Sie immer die Opferentschädi-
das ist so unerträglich an der Sache vorbei, dass Sie gung ansprechen. Sie beginnen Ihre Ausführungen im-
künftig bei Ihren Vorlesungen darauf verzichten sollten. mer folgendermaßen: Eigentlich gibt es keinen Unter-
schied. Wir bekämpfen linke Gewalt genauso wie rechte
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gewalt. – Aber Sie finden es jedes Mal komisch, dass
man die Opfer der jeweiligen Straftaten unterschiedlich
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: behandelt.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Kollegen Nešković? Weil es um die Bekämpfung geht!)
Ich will Ihnen sagen, was wir gemacht haben. Wenn
Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU):
es das politisch eindeutige Zeichen gegeben haben soll
Ja, selbstverständlich.
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(B) (D)
Wolfgang Nešković (DIE LINKE): NEN]: Sie haben das wieder nicht verstan-
den!)
Herr Kollege Grosse-Brömer, wollen Sie bitte zur
Kenntnis nehmen, dass ich mich natürlich freue, wenn – doch, ich glaube, ich habe das verstanden –, nur Opfer
Sie meinen Worten mit Andacht lauschen, und ich mich rechtsextremistischer Straftaten zu entschädigen, dann
noch mehr freue, wenn das bei Ihnen auch einen gewis- finde ich es gut, dass wir jetzt das Zeichen gesetzt haben,
sen Erfolg hat? dass es völlig gleichgültig ist, aus welchen politischen
Motiven ein Mensch schwer verletzt wird. Es ist sinn-
Aber nehmen Sie bitte auch Folgendes zur Kenntnis:
voll, hier keinen Unterschied zu machen und auch bei
Im Jahre 1990 war ich Mitglied im Landesvorstand der
linksextremistischen Straftaten das politische Zeichen zu
SPD und zu diesem Zeitpunkt ungefähr zehn Jahre lang
setzen,
Landesvorsitzender der SPD-Juristen in Schleswig-Hol-
stein. Da habe ich die gleichen Ideen und Vorstellungen (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Aber die
wie Sie hinsichtlich der Wiedervereinigung gehabt. Anzahl unterscheidet sich!)
Also, das war wieder ein Fehlschlag.
dass man sie unterlassen soll und man die Opfer in iden-
tischer Art und Weise wie die von rechtsextremistischen
Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Straftaten entschädigen sollte.
Nein, ich habe Sie auch gar nicht persönlich gemeint;
ich finde es toll. Das Einzige, was mich wundert, ist der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Umstand, dass Sie, wenn Sie früher einmal so klug poli- Wenn Sie so wollen, ist das ein politisches Zeichen, ins-
tisch aktiv waren, sogar mit einer juristischen Ausbil- besondere vor dem Hintergrund, dass linksextremisti-
dung in der SPD, dann diesen Fehler gemacht haben, sche Straftaten eine wesentlich höhere Steigerungsrate
jetzt bei der Linken mitzuarbeiten. Das verstehe ich dann haben als rechtsextremistische, was die Situation aber
nicht, aber das werden Sie sicherlich vor sich selbst ver- nicht besser macht.
antworten müssen.
(Zuruf von der LINKEN: Kein Problembe-
(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem wusstsein!)
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ich möchte darauf hinweisen, dass wir nach dem In-
Ungeachtet dessen muss ich natürlich noch kurz zu terview, das die Ministerin zu Beginn ihrer Amtszeit im
dem Kollegen Montag kommen; ich hatte gar nicht so Stern gegeben hat, festgestellt haben: Diese christlich-li-
viel Platz, alle Stichworte aufzuschreiben. Ich freue berale Regierung
2892 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Michael Grosse-Brömer
(A) (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- geltenden Recht beseitigen sollte; denn Zusehen und Be- (C)
NEN]: Bloß nicht „Schwarz-Gelb“ sagen! dauern reichen nicht mehr aus.
Dann gibt es Ärger mit Kauder!)
wird insbesondere im rechtspolitischen Bereich sehr er- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
folgreich sein, weil wir uns gut verstehen und uns ver- Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
nünftig darüber unterhalten, was gemacht werden soll. Kollegen Ströbele?
Hierin unterscheiden wir uns vielleicht von Rot-Grün.
Wir arbeiten nicht schnell, sondern wir arbeiten sorgsam, Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU):
Ja, gerne, wenn sie nicht so lang ist, wie das sonst bei
(Christine Lambrecht [SPD]: Arbeiten Sie ihm der Fall ist.
überhaupt?)
(Otto Fricke [FDP]: Das wird nicht möglich
dann muss man im Zweifel auch nicht so viel korrigie- sein!)
ren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE
Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Kommen GRÜNEN):
Sie zum Thema!) Herr Kollege, meine Fragen sind immer ganz kurz.
Ich wollte diese Frage schon vorhin Ihrem Kollegen stel-
Die Zusammenarbeit ist gut. Machen Sie sich keine Ge- len. Sie kritisieren, dass nur eine Auseinandersetzung
danken, dass wir in rechtspolitischer Hinsicht zu wenig mit der katholischen Kirche erfolgt, und weisen darauf
machen. hin, dass Fälle von sexuellem Missbrauch in vielen An-
stalten vorgekommen sind. Das ist ohne Zweifel richtig.
(Christine Lambrecht [SPD]: Man hört jeden Wir erfahren jeden Tag, dass Menschen aus allen mögli-
Tag davon, wie gut Sie sind!) chen Bereichen berichten, dass auch ihnen das passiert
Derzeit findet der Insolvenzrechtstag in Berlin statt. ist.
Wir sind mitten in der Arbeit. Sie werden noch früh ge- (Otto Fricke [FDP]: Ist das schon eine Frage?)
nug Entwürfe bekommen, die dazu dienen, den Wirt-
schaftsstandort Deutschland zu stärken. Im letzten Jahr Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU):
gab es 33 000 Insolvenzen. Wir alle müssen daran arbei- Das ist wieder eine sehr kurze Frage. Ich merke das
ten, dass Arbeitsplätze erhalten werden und Unterneh- schon.
men nicht dadurch stigmatisiert sind, dass sie in Zah-
(B) lungsschwierigkeiten kommen oder unter Umständen (D)
sogar Insolvenz anmelden müssen. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Die Neufassung des Insolvenzrechtes ist eine große Die entscheidende Frage ist doch: Wie gehen die da-
Aufgabe, die wir anpacken. Die Kollegin Winkelmeier- mit um? Die Kritik an der katholischen Kirche – gerade
Becker wird das für unsere Fraktion übernehmen. Ich seitens katholischer Laienorganisationen, der Katholi-
glaube, es ist sinnvoll, Insolvenzplanverfahren zu straf- schen Jugend und anderer – betrifft den Umgang der ka-
fen und zu vereinfachen. Es ist auch sinnvoll, über eine tholischen Kirche damit, dass solche Vorwürfe gemacht
verbesserte Eigenverwaltung nachzudenken. Der Insol- werden und sich Opfer melden.
venzrechtstag in Berlin ist ein guter Anlass, dieses
Thema anzusprechen. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wie ist denn
das mit der Odenwaldschule?)
Ich komme zum Thema Kindesmissbrauch; es ist Darum geht es doch. Sie müssen einmal sagen, wie Sie
mehrfach angesprochen worden. Es ist unstreitig, dass sich dazu verhalten. Ich denke, in vielen Fällen wäre hef-
das kein spezifisches Problem der katholischen Kirche tigere Kritik an der katholischen Kirche angebracht, so-
ist, sondern ein Problem von Einrichtungen, in denen wohl ganz oben als auch ganz unten. Geben Sie mir da
Kinder betreut und erzogen werden. Die Mehrzahl der recht? Schließen Sie sich dem an?
Fälle findet ohnehin im privaten Umfeld statt.
Wenn wir eine positive Lehre aus den Vorfällen der Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU):
letzten Zeit ziehen, dann ist es die, möglichst sensibel zu Nach meiner Kenntnis hat die katholische Kirche ei-
reagieren und zu überlegen, inwieweit dieser Miss- nen Sonderbeauftragten für diesen Bereich eingesetzt.
brauch verhindert werden kann. Das betrifft vor allem Sie wird am runden Tisch teilnehmen. Bischof Marx ist
die Sensibilität derjenigen, die in der Schule tätig sind. zitiert worden. Ich glaube, damit ist alles gesagt.
Vielleicht ist ein noch genaueres Hinsehen der Ärzte er-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
forderlich. Ich finde es richtig, dass es – auch auf Initia-
tive der Bundesjustizministerin – runde Tische gibt, wo- Wir sind der Auffassung, dass Kindesmissbrauch
bei die Beteiligten sowohl zurückblicken, um zu künftig als Verbrechen behandelt werden muss. Ich
überprüfen, was man noch an Entschädigung leisten glaube nicht, dass eine höhere Bestrafung per se der ein-
muss, als auch nach vorne, um darüber nachzudenken, zig wirksame Weg ist, um Straftaten zu verhindern, logi-
wie künftige Taten zu verhindern sind. Wir sind der Auf- scherweise. Deswegen sage ich ganz bewusst: Die Strafe
fassung, dass man in diesem Zusammenhang Mängel im muss mit Präventionsmaßnahmen einhergehen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2893
Michael Grosse-Brömer
(A) (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Bei aller Liebe, darüber sollten wir wirklich einmal (C)
GRÜNEN]: Die Strafe richtet sich nach der nachdenken.
Schuld!)
Wir sind der Auffassung, dass zivilrechtliche und
Wir müssen uns damit beschäftigen, wie man auch auf strafrechtliche Verjährungsfristen angepasst werden
anderen Feldern sexuellen Missbrauch beseitigen kann. müssten. Unter rechtspolitischen Gesichtspunkten müs-
Ich bin aber zusammen mit meiner Fraktion der Auffas- sen wir darüber nachdenken, wie wir das am besten ma-
sung, dass wir die Täter, diejenigen, die diese widerli- chen. Das hätte einen Vorteil: Das Opfer müsste nicht
chen Taten begehen, als das bestrafen sollten, was sie zweimal vor Gericht erscheinen. Es gibt das Adhäsions-
sind, nämlich als Verbrecher. verfahren. Im Rahmen eines Strafverfahrens kann man
gleichzeitig über Schadensersatz und Schmerzensgeld
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- verhandeln.
neten der FDP)
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Gleichzeitig denken wir über die Verjährungsfristen NEN]: Macht aber nie jemand!)
nach. Das wissen Sie; das haben Sie den Zeitungen ent-
nehmen können. Die Debatte darüber ist mittlerweile in – Das macht keiner. Das stimmt. Aber vielleicht ist das
vollem Gange. Wir wollen die strafrechtliche Verjäh- eine Möglichkeit, darauf hinzuweisen, dass es eigentlich
sinnvoll wäre, das zu machen. Das Opfer nicht zweimal
rungsfrist verlängern, weil wir anhand konkreter Bei-
einer öffentlichen Verhandlung auszusetzen, ist nämlich
spiele feststellen konnten, dass manche Opfer lange
auch eine Frage der Rücksichtnahme, die die Miss-
brauchen, um sich zu offenbaren. Insbesondere gilt dies
brauchten benötigen.
aber auch für die zivilrechtlichen Verjährungsfristen;
denn diese beginnen ab dem 21. Lebensjahr und betra- Abschließend will ich auf die Vorratsdatenspeiche-
gen derzeit drei Jahre ab Kenntnis. Eine Verlängerung rung eingehen; sie ist mehrfach angesprochen worden.
macht Sinn. Ich glaube, für das Opfer ist es wichtig, zu Meist wird behauptet, dass das Bundesverfassungsge-
wissen, dass der Täter für diese elende Tat bestraft wird; richt die Politik korrigiert. Ich erlaube mir nur den Hin-
aber mindestens genauso wichtig ist es, sagen zu kön- weis darauf, dass das Urteil mit 4 : 4 Stimmen verab-
nen: Ich bekomme Schmerzensgeld, ich habe einen An- schiedet wurde – da gibt es noch Abstufungen –,
spruch auf Schadensersatz für mögliche Therapiekosten. – (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Das sind sinnvolle Überlegungen in diesem Zusammen- NEN]: Das Ergebnis zählt!)
hang, die wir rechtspolitisch aufarbeiten müssen.
sodass das Gericht offenbar nicht vollständig überzeugt
Kollege Montag, weil wir ab und zu auch außerhalb war, dass alles falsch ist.
(B) des Plenarsaals diskutieren und fröhlich streiten, muss (D)
ich Ihnen sagen: An einer Stelle bin ich völlig entgegen- Wir christdemokratischen Rechtspolitiker sind jeden-
gesetzter Auffassung. Sie haben öffentlich gesagt, zahl- falls der Auffassung, dass wir die Hinweise des Präsi-
reiche Missbrauchsfälle seien einer kinderfeindlichen denten des BKA – der Kollege Uhl hat in der vorherigen
und verklemmten Gesellschaft zuzuschreiben. Wörtlich: Debatte, glaube ich, auf ein Beispiel hingewiesen –, die
er gestern in einer Sitzung unserer Fraktion gegeben hat,
Wer eine verlogene Sexualmoral predigt, ist mit- ernst nehmen sollten. Er sagte, dass man einen Sexual-
schuldig daran, dass hunderte, vielleicht tausende straftäter eigentlich schon längst hätte dingfest machen
von Kindern und Jugendlichen in Schulen sexuellen können, wenn es die Vorratsdatenspeicherung gäbe. Nur
Übergriffen ausgesetzt waren. weil wir sie nicht haben, ist er immer noch im Internet
unterwegs und prahlt dort mit seinen sexuellen Übergrif-
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- fen.
NEN]: So ist es!)
Wir sind der Auffassung, dass wir schnell handeln
Ich halte diese Argumentation für sehr, ich sage ein- müssen. Das Gericht hat ja bestätigt, dass die Vorratsda-
mal, nachdenkenswert. tenspeicherung an sich geeignet und zulässig ist. Nur bei
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- der Datensicherheit und -verarbeitung muss nachgebes-
NEN]: Das stimmt! Denken Sie!) sert werden.
Ich meine das in folgendem Sinne: Entlastet man nicht Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
in Wirklichkeit die Täter, wenn man sagt: „Die Gesell-
Herr Kollege, gestatten Sie, bevor Sie zu Ihren
schaft ist aufgrund ihrer falschen Moral schuld und nicht Schlussworten kommen, eine Zwischenfrage des Kolle-
der Täter, der sich persönlich an den Opfern vergeht“? gen Wieland? Das verlängert Ihre Redezeit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU):
Das ist die alte 68er-Debatte – ich dachte, wir hätten sie
überwunden –: Die Gesellschaft ist schlecht und produ- Würden Sie die Uhr dann auch anhalten?
ziert dadurch Täter, die nichts dafür können.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Sofort.
NEN]: Hat er überhaupt nicht gesagt! Das er-
finden Sie jetzt! Den Nachsatz haben Sie er- (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU
funden!) und der FDP)
2894 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
(A) Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Christine Lambrecht [SPD]: Beim IT-Be- (C)
Vielen Dank. – Herr Kollege Grosse-Brömer, Sie ha- reich! – Weitere Zurufe)
ben jetzt das Beispiel wiederholt, das der Kollege Uhl – Ja, ich jedenfalls finde, das ist eine nette Zusage.
vorhin in der innenpolitischen Debatte genannt hat. Den
Kollegen Uhl zu belehren, ist meist sehr schwierig bis (Lachen der Abg. Christine Lambrecht [SPD] –
unmöglich. Bei Ihnen versuche ich es einmal. Angelika Krüger-Leißner [SPD]: Legt sie
sonst die Hände in den Schoß?)
(Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Weil
er recht hat!) Es gibt dazu auch eine EU-Richtlinie. Durch gesetz-
geberisches Unterlassen würden wir die Sicherheit der
– Nein. – Wenn man das Urteil des Bundesverfassungs- Menschen gefährden. Dazu sind wir als CDU/CSU nicht
gerichtes liest – das muss man natürlich machen – bereit.
(Wolfgang Nešković [DIE LINKE]: Und ver- Abschließend möchte ich der Ministerin für die gute
stehen!) Zusammenarbeit herzlich danken.
und versteht, sieht man, dass die IP-Adressen ausdrück- (Lachen der Abg. Christine Lambrecht [SPD])
lich unter keinerlei Schutz gestellt werden. Es wird ge-
sagt: Die Vorratsdatenspeicherung bezogen auf IP- Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Man merkt an
Adressen ist – das kann man bedauern oder nicht – un- den Reden und Feststellungen der Opposition, dass Sie
verfänglich und darf durchgeführt werden. Die Auffor- das Gefühl haben, dass wir besser sind, als zurzeit be-
derung des Gerichtes zur Löschung hat sich deswegen merkt wird.
auch nicht auf die auf Vorrat gespeicherten IP-Adressen (Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
bezogen. Wenn ein Betreiber das falsch verstanden hat, DIE GRÜNEN – Wolfgang Wieland [BÜND-
wäre es Ihre Aufgabe als Rechtspolitiker Uhl und als NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war ein wahrer
Rechtspolitiker Grosse-Brömer, sowohl das BKA als Satz!)
auch die Betreiber darauf hinzuweisen. Sehen Sie das so
wie ich? In diesem Sinne freue ich mich auf die weitere gute Zu-
sammenarbeit.
Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Ich sehe ziemlich viele Sachen so wie Sie. In diesem neten der FDP)
Fall will ich Ihnen sogar zugestehen, dass Sie als Innen-
politiker im Zweifel noch mehr Spezialwissen haben als Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
(B) ich. Ich verlasse mich auf den Präsidenten des BKA und (D)
Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kolle-
auf dessen Mitarbeiter, gen Jerzy Montag.
(Wolfgang Nešković [DIE LINKE]: Da sehen
Sie, wie verlassen Sie sind!) Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Danke, Herr Präsident. – Lieber Kollege Grosse-
der seit Jahren speziell in diesem Bereich arbeitet und re-
Brömer, Sie haben mich persönlich angesprochen und
cherchiert.
einen Artikel zitiert, den ich in der Presse veröffentlicht
(Wolfgang Nešković [DIE LINKE]: Der ist habe. Deswegen will ich die Gelegenheit nutzen, Ihnen
noch nicht einmal Jurist!) zweierlei zu sagen.
Wenn dieser Mitarbeiter, der täglich damit zu tun hat, Als die schwarz-gelbe Koalition 1998 die Regie-
mir erklärt, dass es mit der Vorratsdatenspeicherung rungsgeschäfte an Rot-Grün abgeben musste, haben Sie
möglich gewesen wäre, einen Täter zu identifizieren, uns ein Sexualstrafrecht hinterlassen, das für den sexuel-
dann glaube ich ihm das erst einmal, ohne Ihre hohe len Missbrauch von Kindern Geldstrafen vorsah und bei
Kompetenz bei diesem Thema zu bestreiten. dem man von minderschweren Fällen ausging. Es be-
fand sich auf dem niedrigsten Bestrafungsniveau, das es
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- überhaupt in der BRD gab. Wir, Rot-Grün, haben das
NEN]: Also, machen Sie sich kundig! – Sexualstrafrecht verschärft. Wir haben die Geldstrafe ge-
Christine Lambrecht [SPD]: Das kann er noch strichen. Wir haben die mittelschweren und die schwers-
nachlesen!) ten Fälle zu Verbrechen gemacht, die mit Freiheitsstrafe
– Wir wehren uns ja nicht dagegen, täglich klüger zu von 5 bis 15 Jahre belegt sind. Deswegen würde ich Ih-
werden. Ich hoffe, das gilt für alle Fraktionen in diesem nen empfehlen, in diesem Bereich nicht wieder wie in ei-
Haus. nem Pawlow’schen Reflex erhöhte Strafen zu fordern.
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zu dem Text, den Sie kritisiert haben: Ich bin der fes-
NEN]: Ja!) ten Überzeugung, dass die Polizei und die Staatsanwalt-
schaft alles, was rechtsstaatlich möglich ist, tun müssen,
Zum Abschluss möchte ich sagen: Ich freue mich, um Sexualstraftaten aufzudecken. Die Täter müssen be-
dass die Bundesjustizministerin zugesagt hat, die Hände straft werden. Alle Straftaten geschehen aber in einem
in diesem Bereich nicht in den Schoß zu legen, sondern gesellschaftlichen Zusammenhang. Das Verhalten der
nachzuarbeiten. Opfer, der Täter und der Organisationen, in denen sie ge-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2895
Jerzy Montag
(A) schehen, ist Teil des gesellschaftlichen Kontextes. Wa- vom Acker machen, indem er sagt: Diese Gesellschaft (C)
rum haben sich Kinder und Jugendliche jahrzehntelang, hat mir gar keine andere Möglichkeit gelassen. – Das
bis sie Erwachsene im Alter von 30, 40 oder 50 Jahren lasse ich als Entschuldigung nicht gelten.
waren, nicht getraut, über diese sexuellen Übergriffe zu
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
reden? Meine These ist: Das hängt im Wesentlichen mit
Florian Toncar [FDP])
der verlogenen Sexualmoral in der Gesellschaft zusam-
men; das war zumindest in der Vergangenheit der Fall.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Wir hören jeden Tag – ich nenne die katholische Kir- Das Wort hat nun Christine Lambrecht für die SPD-
che nur als Beispiel, nicht um sie anzuprangern –, dass Fraktion.
solche Fälle in den 70er- und 80er-Jahren innerhalb der
Kirche bekannt geworden sind und die Pfarrer in andere (Beifall bei der SPD)
Bezirke oder andere Staaten versetzt wurden. Darüber
hat man geschwiegen. Ich sage: Das hängt mit der verlo- Christine Lambrecht (SPD):
genen Sexualmoral bestimmter Organisationen und der Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Gesellschaft zusammen. Lieber Kollege Grosse-Brömer, vorab möchte ich mich
Diese Situation hat sich gewandelt. Ich glaube, heut- ausdrücklich für Ihre Einschätzung bedanken, dass eine
zutage werden solche Fälle häufiger angezeigt. Wir kön- Mitgliedschaft in der SPD eine vernünftige politische
nen sexuellen Missbrauch erfolgreicher bekämpfen, Ausrichtung ist.
wenn wir über Sexualität offen reden. Wenn wir uns über (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das
dieses Thema in einer offenen Debatte austauschen, habe ich nicht gesagt! Ich habe gesagt: besser
dann haben die Menschen nicht eine so große Scham, als bei der Linken!)
solche Vorfälle anzuzeigen. Kinder und Jugendliche
müssen ertüchtigt werden, sich zu wehren und solche – Natürlich, das hast du nicht gesagt. Es war aber genau
Vorfälle sofort bei einer Vertrauensperson anzuzeigen. so. Wir können das gerne im Protokoll nachlesen,
Das habe ich gemeint, als ich geschrieben habe, dass die (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Dann
sexuelle Verklemmtheit und die verlogene Sexualmoral muss ich das korrigieren!)
in den vergangenen Jahrzehnten eine Mitschuld daran
hatten, dass diese Fälle so lange verschwiegen worden sofern du das noch nicht hast korrigieren lassen.
sind. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie mache ich! – Wolfgang Nešković [DIE
(B) des Abg. Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]) LINKE]: Gesagt ist gesagt!) (D)
– Gesagt ist gesagt.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich glaube, hinter dieser Einschätzung verbirgt sich
Herr Kollege, bitte schön. viel mehr, nämlich der tief empfundene Wunsch, in eine
Große Koalition zurückzukehren.
Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU):
(Lachen bei der CDU/CSU – Stephan Mayer
Lieber Herr Kollege Montag, mir ist diese Begrün- [Altötting] [CDU/CSU]: Bei Gott nicht! Keine
dung immer noch zu einfach. Diese Opfer schämen sich zweite Zwangsheirat! – Weiterer Zuruf von der
nicht, weil sie nicht mit Sexualität umgehen können, CDU/CSU: Ach herrje!)
sondern sie schämen sich, weil sie Opfer eines massiven
kriminellen bzw. sexuellen Übergriffs wurden. Auch Die Große Koalition hat gerade auf dem Gebiet der
nach Ihren Erklärungen, die ein bisschen umfangreicher Rechtspolitik unglaublich viel erreicht. Ich will nur ei-
waren als das, was Sie geschrieben haben – der Satz al- nen Bereich nennen, in dem wir alle, das gesamte Haus,
leine klingt ja ein bisschen anders –, bin ich der Auffas- an einem Strang gezogen haben: das Familienrecht.
sung, dass es sehr mutig ist, der Gesellschaft mit Verweis
(Wolfgang Nešković [DIE LINKE]: Insolvenz-
auf eine bestimmte Moralvorstellung die Schuld daran
recht auch!)
zu geben, dass sich Opfer nicht eher offenbaren.
Wir haben das gesamte Familienrecht umgekrempelt
Ich glaube, wer Opfer einer Straftat wird – es muss und es den neuen Herausforderungen angepasst. Dabei
sich dabei nicht unbedingt um eine Straftat mit sexuel- hatten wir alle im Boot.
lem Hintergrund handeln, sondern es kann sich auch um
einen Überfall handeln –, hat manchmal ein Problem da- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das
mit, sich zu offenbaren, weil er dann die genauen Um- war schön, ist aber vorbei!)
stände und den Ablauf schildern muss. Das Problem ist,
Wie geräuschlos ging das vonstatten! Das nenne ich
dass sich nicht nur Opfer sexueller Straftaten, sondern
sachgerechte Arbeit.
auch Opfer anderer Straftaten nicht offenbaren; dafür
gibt es Beispiele. (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja!)
Ich glaube, dass es wichtig ist, im Strafrecht die Ei- Wenn ich aber höre, dass der rechtspolitische Spre-
genverantwortung des Täters zu betonen. Wer Kinder cher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hier im Plenum
belästigt oder sexuell missbraucht hat, darf sich nicht sagt: „Im Zweifel arbeiten wir“, und weiter ausführt: „In
2896 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Christine Lambrecht
(A) dem Fall legt die Frau Ministerin nicht die Hände in den – Bis zur Osterpause werden Sie etwas vorlegen? Na, (C)
Schoß“, dann stellt sich mir die Frage: Im Zweifel arbei- dann ist ja nicht mehr viel Zeit. Wir sind gespannt da-
tet ihr? Wir haben große Zweifel daran, dass ihr arbeitet. rauf. – Ich befürchte aber, dass CDU, CSU und FDP in
Und wenn Sie sagen, dass die Frau Ministerin in dem dieser Frage ähnlich wie in vielen anderen Fragen nicht
Fall nicht die Hände in den Schoß legt, war das ein er- unbedingt schnell zu einer Lösung des Problems kom-
neuter Angriff innerhalb der Koalition. men werden. Ich habe den Eindruck, das ist hier wie im
richtigen Leben, wo Dreierbeziehungen auch immer ein
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Da muss Problem darstellen. Politische Dreierbeziehungen wer-
man schon suchen und konstruieren!) fen offensichtlich noch viel mehr Probleme auf.
Ich fand es entlarvend, was in der heutigen Debatte vor- Wir können uns viele weitere Themen anschauen. Es
getragen wurde. werden immer wieder runde Tische beschworen. Sie
sind doch nicht dafür gewählt worden und Sie sind doch
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
nicht dafür Justizministerin, um runde Tische einzurich-
Traditionell ist es doch so, dass die Haushaltsdebatte ten. Wenn man all die runden Tische, die von der Justiz-
zu Beginn der Legislaturperiode eine erste Möglichkeit ministerin, von der Familienministerin und von der Bil-
bietet, ein Resümee zu ziehen: Was ist passiert? Was hat dungsministerin eingerichtet werden, zusammenzählt,
sich die Regierung vorgenommen? Ich hatte gehofft, wird man feststellen, dass man damit einen Bankettsaal
heute passiert richtig etwas, heute wird etwas auf den füllen könnte. Ich glaube, das ist nicht das, was die Poli-
Tisch gelegt, zu dem man sich positionieren kann. Die tik machen sollte. Die Politik sollte Farbe bekennen, sie
Frau Ministerin hat während ihrer Zeit als Oppositions- sollte Vorschläge unterbreiten, statt, wie ich es von den
politikerin, aber auch im Wahlkampf hohe Erwartungen Koalitionspolitikern zu ganz vielen Fragen gehört habe,
geweckt: Kein Mast war zu hoch, um die Freiheitsfahne anzukündigen, über die Fragen mal nachdenken zu wol-
zu hissen. len.
Jetzt, nach nur wenigen Monaten, muss man sagen: Ich will Ihnen einmal ein paar Punkte vorschlagen;
Diese Fahne wurde relativ schnell eingerollt. Angefan- dann werden wir sehen, ob Sie über das reine „Wir wol-
gen hat das Ganze – ich muss das immer wieder erwäh- len mal darüber nachdenken“ vielleicht hinauskommen.
nen – mit der Positionierung zum SWIFT-Abkommen. Das Thema Kindesmissbrauch ist angesprochen wor-
Was haben Sie als Oppositionspolitikerin gegen dieses den. Es ist richtig und wichtig, dass wir uns mit diesem
Abkommen gewettert! Auf keinen Fall wollten Sie die- Thema in der gebotenen Ruhe beschäftigen und jetzt
ses Abkommen durchgehen lassen. Es war mit Ihre erste nicht populistisch irgendwelche Vorschläge unterbreiten.
(B) Amtshandlung, in dieser Frage einzuknicken. Ich Wenn man sich die Fälle und insbesondere die Situation (D)
glaube, das ist typisch für das, was uns in den nächsten der Opfer anschaut, erkennt man, glaube ich, dass es
Monaten und Jahren erwartet. wichtig ist, dass man über eine Verlängerung der Verjäh-
rungsfristen nicht nur nachdenkt, sondern Nägel mit
Sie haben in der Rechtspolitik kein abgestimmtes Köpfen macht. Die Rechtspolitik kann ihren Teil dazu
Konzept. Sie haben zwar einen Koalitionsvertrag; aber beitragen, dass solche Taten nicht vergessen werden,
wahrscheinlich wird das, was in diesem Koalitionsver- dass solche Taten geahndet werden und die Opfer zu ih-
trag steht, immer dann, wenn es darauf ankommt, nicht rem Recht kommen. Sie sollten sich einmal mit dem
umgesetzt. Sie haben vorhin gesagt, dass ein Vorhaben Vorschlag der SPD auseinandersetzen, in Bezug auf das
nur zustande kommt, wenn alle drei Koalitionsfraktio- Zivilrecht über eine Verlängerung der Verjährungsfristen
nen dem zustimmen. Wenn Sie etwas in Ihren Koali- auf 30 Jahre und in Bezug auf das Strafrecht auf 20 Jahre
tionsvertrag geschrieben haben, dann muss man doch nachzudenken. Nehmen Sie diesen Vorschlag an! Ma-
davon ausgehen können, dass Sie sich damals einig wa- chen Sie endlich etwas, statt mit Gemeinplätzen wie
ren. Da können Sie doch jetzt nicht damit ankommen, „Wir werden darüber nachdenken“ zu kommen.
eine Einigung müsse erst erreicht werden. Die Erklärung
der Ministerin war also entlarvend. Wir werden viele Ich glaube, es ist wirklich allerhöchste Zeit, dass die
Fragen – wir sind gespannt auf Ihre Vorschläge – vor Politik hier einmal klare Worte findet und dann auch et-
diesem Hintergrund beleuchten. was tut und sich nicht nur in Allgemeinplätzen verirrt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ich will anfangen mit einem Punkt, den Sie, Frau Mi-
nisterin, in der Öffentlichkeit gerne als eines Ihrer Pro- Ein weiteres Thema, mit dem Sie sich in diesem Zu-
jekte beschreiben, nämlich die Pressefreiheit zu stärken sammenhang vielleicht beschäftigen müssen – hierbei
und Journalisten vor Beschlagnahme zu schützen. In Ih- möchte ich mich jetzt gar nicht zu runden Tischen aus-
rer Regierungserklärung vom November haben Sie ge- lassen –, ist die Frage, wie wir mit den Fällen umgehen,
sagt – das kann man nachlesen –, dass Sie sich sofort mit die bereits verjährt sind. Auch dazu gibt es Vorschläge.
diesem Thema beschäftigen wollen. Heute mussten wir Diese würde ich Ihnen gerne unterbreiten, um auch dazu
erfahren, dass es bis zur Sommerpause dauern wird, bis einmal Ihre Position zu erfahren.
Sie etwas vorlegen.
Was halten Sie beispielsweise davon, eine Untersu-
(Christian Ahrendt [FDP]: Bis zur Osterpause! – chungskommission hier im Deutschen Bundestag einzu-
Gisela Piltz [FDP]: Blöd, wenn man nicht zu- setzen, die das ganze Ausmaß des Missbrauchs ermittelt,
gehört hat!) und zwar unabhängig, und die hierüber dann auch öf-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2897
Christine Lambrecht
(A) fentlich Bericht erstattet? Warum ergreifen wir ange- Florian Toncar (FDP): (C)
sichts solcher Fälle, die uns alle berühren und betroffen Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
machen, nicht die Möglichkeiten, die wir haben, um und Kollegen! Es ist schon eine interessante Debatte. Sie
auch in den Fällen, die verjährt sind, nichtsdestotrotz zu pendelt sich ein bisschen so ein: Die Sozialdemokraten
ermitteln und sie aufzuklären? werfen uns vor, dass es die Gesetze, die sie gemacht ha-
ben, immer noch gibt.
Ich glaube, das ist ein sehr konkreter Vorschlag. Den-
ken Sie einmal darüber nach, und legen Sie vielleicht (Christine Lambrecht [SPD]: Wo waren Sie denn
auch in diesem Fall nicht die Hände in den Schoß, son- in der letzten Legislaturperiode?)
dern werden Sie mal ein bisschen aktiver. Das ist ein bisschen schizophren, aber wir haben uns da-
Es ist viel darüber geredet worden, was Sie alles vor- ran gewöhnt. Herr Nešković bietet eine Mischung aus
haben. Ich hätte heute gerne zu viel mehr Punkten ganz Rechtspolitik und Klassenkampf, und Herr Montag wie-
konkret Stellung bezogen. Leider fehlen uns momentan derum ist sachfremd in die Debatte eingestiegen, aber
das mit Kubicki war in der Tat wenigstens unterhaltsam.
die Vorlagen, die alle angekündigt wurden – jetzt wieder
eine. Wie gesagt, ich gehe davon aus, dass Sie auch wei- Herr Montag, ich kann Ihnen aber sagen: Erstens ist
terhin nicht sonderlich viel dazu beitragen, weil die Zer- Kubicki nicht hier,
rissenheit spürbar ist.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Ich will dies an einem Punkt deutlich machen: Wir NEN]: Sein Geist schwebt über Ihnen!)
alle erinnern uns an die Frage, ob der Staat CDs, also
und zweitens ist das kein Fall für die Justiz und insofern
Datenträger, kaufen darf, auf denen Daten über Steuer- auch noch nicht Gegenstand der Beratung hier, solange
hinterzieher erfasst sind, und wie man in Zukunft damit er das nicht wahrmacht, was Sie vorgelesen haben. War-
umgeht. Gerade in der letzten Sitzungswoche gab es ten wir es doch einfach ab; schauen wir mal.
wieder einen schönen Chor von Stimmen aus der Koali-
tion. Der Kollege Siegfried Kauder, der Vorsitzende des (Beifall bei der FDP)
Rechtsausschusses, hat gefordert, dass es in Zukunft ver-
boten sein soll, solche CDs anzukaufen. Der Kollege Ich möchte nun etwas zum Haushalt sagen. Wir haben
hier zwar nicht viele Veränderungen vorgenommen, aber
Ahrendt von der FDP hat ihm sofort beigepflichtet und
doch die eine oder andere. Die Ministerin hat das Thema
gesagt, dass dies jetzt ganz dringend geregelt werden
der Entschädigung von Opfern extremistischer Gewalt
muss. Das kann man auch verstehen; denn beide kom- angesprochen. Es ist schon wieder kritisiert worden –
men aus Baden-Württemberg, und Baden-Württemberg Herr Montag, Sie haben es gesagt –, dass hier die Axt
(B) verweigert sich dem Ankauf. angelegt wird, weil jetzt Opfer jeglicher extremistischer (D)
(Gisela Piltz [FDP]: Wo waren Sie denn?) Gewalt begünstigt werden können. Ich finde, dass Sie
damit dem Titel und dem Thema nicht gerecht werden,
Schließlich sagte der stellvertretende Fraktionsvorsit- und ich will Ihnen auch sagen, warum.
zende der CDU/CSU, der für diesen Rechtsbereich zu- Zunächst einmal muss man sagen, dass die Mittel die-
ständig ist: Es kommt überhaupt nicht infrage; über so ses Titels um das Vierfache ansteigen, nämlich von
etwas denken wir nicht einmal nach. 250 000 Euro auf 1 Million Euro. Auch die Vorausset-
Das ist Ihre Art, mit Themen umzugehen: Hü, hott! zungen dafür, diese Mittel zu erhalten, werden verändert.
Hü, hott! Man weiß nicht mehr, wo man steht. Das ist im Sinne der Betroffenen. Es wurde also keine
Axt angelegt, sondern die Mittel steigen ganz beträcht-
Ich kann Ihnen nur sagen: Nehmen Sie Ihre Aufgabe lich, nämlich um den Faktor vier. – Das ist das eine.
endlich entsprechend verantwortungsbewusst wahr, und Das andere ist: Es geht am Ende doch darum, dass ein
hören Sie auf, die Probleme in Ihrer Dreierbeziehung öf- Opfer einer Gewalttat, das keinen Schadensersatz be-
fentlich auszutragen. kommt, weil man zum Beispiel den Schädiger nicht
kennt, weil er entschwunden ist oder weil er keinen
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sind
Schadensersatz leisten kann, diesen Schadensersatz aus
Sie neidisch?) Billigkeitsgründen erhält. Es wird zuerst geschaut: Be-
Machen Sie endlich eine richtige, eine sachgerechte kommt er für die Tat einen Ersatz von dem dafür Verant-
Politik. wortlichen? Deswegen kann man heute noch gar nicht
sagen, wie viele Betroffene im Jahr 2010 aufgrund links-
Vielen Dank. extremistischer und wie viele aufgrund rechtsextremisti-
scher Straftaten Leid erfahren und keinen Ersatz bekom-
(Beifall bei der SPD) men haben. Sie können das nicht sagen, und ich kann
das nicht sagen. Es ist völlig überflüssig, zu spekulieren,
welche Opfergruppe mit einer höheren Zahl vertreten ist.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Wir wollen etwas für die Opfer extremistischer Gewalt
Das Wort hat nun Florian Toncar für die FDP-Frak- tun. Dafür nehmen wir sehr viel mehr Geld in die Hand.
tion. Das ist gut und sollte hier nicht kleingeredet werden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU) der CDU/CSU)
2898 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Florian Toncar
(A) Der zweite Impuls, den wir als Koalition im Haushalt Da Sie die Große Koalition so gelobt haben und Vor- (C)
setzen, betrifft die internationale Partnerschaft, die schläge verlangen, möchte ich Sie darauf hinweisen,
Rechtsberatung der Bundesrepublik Deutschland zum dass die Große Koalition gerade in diesem Punkt sehr
Thema „Förderung von Demokratie und Marktwirtschaft unterschiedlicher Meinung war. Es gab einen Vorstoß
im Ausland“. Das ist ein wichtiges Anliegen. Wir kön- von Frau Zypries und Herrn Steinbrück sowie einen von
nen, glaube ich, sagen, dass das deutsche Recht – egal ob Herrn zu Guttenberg. Es hat aber eben nicht geklappt.
Strafrecht, Strafprozessrecht, Verwaltungsrecht oder Zi- Wir werden dafür sorgen, dass wir das Thema gemein-
vilrecht – im Ausland auf großes Interesse stößt. Wir sam lösen. Was das Ziel angeht, sind wir uns einig.
können sehr viel zur Verbesserung der Situation in Ent- (Christine Lambrecht [SPD]: Dann legen Sie
wicklungs- und Schwellenländern beitragen. Wir sollten was vor! Reden Sie nicht darüber, legen Sie
stolz darauf sein, anstatt unseren Rechtsstaat – so ist es was vor!)
in dieser Debatte teilweise auch wieder passiert –
schlechtzureden. Das ist an vielen Stellen völlig maßlos. Insofern ist das ein gutes Beispiel dafür, dass diese Ko-
Wir sollten stolz sein. Unser Recht ist international ge- alition bestens funktioniert, Frau Kollegin Lambrecht.
fragt, und das bildet diese Koalition im Haushalt ab. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Christine Lambrecht [SPD]: Wann soll denn
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
das so gewesen sein?)
der CDU/CSU – Wolfgang Wieland [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben nicht ge- Ich möchte noch einen Punkt ansprechen, der im Ko-
sagt, dass unser Recht schlecht ist! Die Regie- alitionsvertrag enthalten ist. Es geht dabei um ein sehr
rung ist schlecht! Das ist zweierlei!) wichtiges Thema, das Staatshaftungsrecht. Es ist inte-
ressant, dass wir in einem Land leben, in dem fast alles
Ich möchte noch auf einige rechtspolitische Themen umfassend gesetzlich geregelt ist. Aber die Frage, wann
eingehen. Aus liberaler Sicht ist die Entscheidung des der Staat seinen Bürgern Ersatz schuldet, wenn diese ei-
Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die Vorrats- nen Schaden erleiden, ist nur fragmentarisch geregelt,
datenspeicherung zu begrüßen. Wir haben diese Ent- und die entsprechenden Regelungen sind über etliche
scheidung erwartet, da sie der Argumentation unserer Gesetze verteilt, bis hin zum Grundgesetz, das zur An-
Fraktion, die wir in der Vergangenheit auch von diesem wendung gebracht werden muss, da es keine speziellen
Pult aus vorgetragen haben, entspricht. Ich denke, dass Gesetze gibt. Diese Frage ist seit Jahrzehnten offen ge-
dieses Thema bei der Ministerin in guten Händen ist. blieben. Ich finde, ein Rechtsstaat schuldet es seinen
Das hat sie in der Vergangenheit gezeigt. Bürgern, ihnen klare Regeln bzw. Ansprüche für den
(B) Fall zu geben, dass dieser Staat sie geschädigt hat und (D)
Sie hat auch ein weiteres Thema auf die Agenda ge- Ersatz leisten muss.
setzt – das wird von unserer Fraktion maßgeblich unter-
stützt –, und zwar die Reform des Insolvenzrechts. In (Christine Lambrecht [SPD]: Wann kommt
das?)
der jetzigen Krise müssen wir uns überlegen: Ist unser
Insolvenzrecht geeignet, den Erhalt von Arbeitsplätzen – Ja. Jedenfalls wird das kommen, Frau Kollegin. Sie
zu sichern, oder führt es dazu, dass Betriebe kaputtge- sind sicher froh, dass es diese Koalition jetzt aufgreift.
hen? Ich glaube, dass wir uns mit den Überlegungen zur
Stärkung des Insolvenzplanverfahrens und zu mehr Ei- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
genverwaltung auf einem guten Weg befinden. Denn ge- Herr Kollege, was auch kommt, ist das Ende Ihrer Re-
rade in der Krise müssen für den Erhalt von Unterneh- dezeit.
men und Arbeitsplätzen bessere Rahmenbedingungen
gesetzt werden. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Ende der Redezeit!)
Folgende Frage hat die Ministerin dankenswerter-
weise in einer Rede in Hamburg angesprochen: Wie kön- Florian Toncar (FDP):
nen wir das Insolvenzrecht in den Bereichen reformie- Das Problem sind die vielen Zwischenrufe, Frau Prä-
ren, in denen es heute nicht mehr richtig greift? Das gilt sidentin.
insbesondere für die Bankenkrise und den Umgang mit
den sogenannten systemrelevanten Banken. Ich denke, (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
dass es einer der wichtigen Aspekte dieser Insolvenz- NEN]: Damit muss man fertig werden und
rechtsreform ist, sich zu überlegen, wie man mit diesem darf nicht immer nur anderen die Schuld ge-
Problem umgeht und wie man wieder dazu kommt – das ben!)
ist in einer Marktwirtschaft nur billig und gerecht –, dass – Wir greifen das auf. Insofern ist die Dürre in der
jemand, der Fehler gemacht hat, auch die unternehmeri- Rechtspolitik der letzten elf Jahre endlich vorbei. Wir
sche Haftung – das geht bis zum Risiko der Insolvenz – werden das Thema lösen.
dafür übernehmen muss.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – La-
(Christine Lambrecht [SPD]: Dann machen chen der Abg. Christine Lambrecht [SPD] –
Sie mal einen Vorschlag! Machen Sie doch ei- Christine Lambrecht [SPD]: Da müssen Sie ja
nen runden Tisch dazu!) selbst lachen!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2899
(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (C)
Jetzt spricht der Kollege Stephan Mayer für die CDU/
CSU. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Herr Kollege, möchten Sie eine Zwischenfrage von
NEN]: Er spricht nur für die CSU, wie ich ihn Frau Wawzyniak zulassen?
kenne!)
Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU):
Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Sehr gerne.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-
ginnen! Sehr verehrte Kollegen! Ich komme nicht um- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
hin, auf den Beitrag des Kollegen Nešković einzugehen. Bitte schön.
Sehr geehrter Herr Kollege Nešković, ich mache das
nicht deshalb, weil ich den Beitrag so exzellent fand, Halina Wawzyniak (DIE LINKE):
sondern weil ich es für außerordentlich bemerkenswert Herr Kollege, ist Ihnen bekannt, dass sich Michael
halte, dass Sie die Dreistigkeit besitzen, diesen Redebei- Schumann bereits 1989 im Namen der Partei beim Volk
trag ausgerechnet am heutigen Tag zu halten, dem der DDR entschuldigt hat
20. Jahrestag der ersten freien und gleichen Wahl zur
Volkskammer in der DDR. Sie haben dem Bundesaußen- (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: „Die Par-
minister historische Unkenntnis vorgeworfen. tei“! Das ist schon bezeichnend! Die Partei,
die Partei, die hat immer recht!)
(Wolfgang Nešković [DIE LINKE]: Ahnungs-
losigkeit!) und dass wir einen Beschluss zur Offenlegung unserer
politischen Biografien gefasst haben? Ich frage Sie: Gibt
– Ahnungslosigkeit. Ich kann diesen Vorwurf an dieser es einen solchen Beschluss auch bei der CDU, die be-
Stelle nur an Sie zurückgeben. kanntlich Mitglieder der DDR-CDU in ihren Reihen hat?
(Wolfgang Nešković [DIE LINKE]: Das mei-
nen Sie doch nicht im Ernst!) Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU):
Frau Kollegin, mir ist bekannt, dass die Linkspartei
Es geht hier nicht um Sie persönlich; aber Sie sitzen auf die Nachfolgepartei der SED ist, dass die SED insgesamt
der Bank einer Fraktion, die Mitglieder hat, die der ehe- dieses Unrechtsregime aufrechterhalten, unterstützt und
maligen SED angehört haben, die teilweise sogar infor- gefördert hat, dass es in Ihren Reihen nach wie vor
(B) melle Mitarbeiter der Stasi waren, die also mit dazu Ewiggestrige gibt, die beispielsweise die wunderbare (D)
beigetragen haben, ein Unrechtsregime über 40 Jahre Gedenkstätte in Hohenschönhausen bekämpfen, lächer-
aufrechtzuerhalten, das den Forderungen, die Sie hier lich machen,
von sich gegeben haben, gerade nicht Genüge getan hat,
nämlich Gleichheit und Freiheit zum Durchbruch zu ver- (Beifall der Abg. Stefanie Vogelsang [CDU/
helfen. CSU])
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – dass die rot-rote Regierung in Berlin nach wie vor nicht
Wolfgang Nešković [DIE LINKE]: Ist es denn die erforderlichen Mittel für den Erhalt der Gedenkstätte
falsch, was ich gesagt habe?) beiträgt. Meine sehr verehrte Kollegin, das sind Dinge,
die mir bekannt sind. Ich glaube, es ist richtig, gerade am
Ich habe mir zufälligerweise heute Vormittag die 20. Jahrestag der ersten gleichen und freien Wahl der
Mühe gemacht, das ehemalige Stasi-Gefängnis in Ho- Volkskammer der DDR darauf hinzuweisen. Herr
henschönhausen zu besuchen. Es ist schon bemerkens- Nešković, vor diesem Hintergrund habe ich Ihren Bei-
wert, was man erfährt, wenn man dort durch die Zellen trag wirklich als deplatziert empfunden. Sie hätten hier
und Trakte geht. Man begreift: In einem Zeitraum von über jedes Thema sprechen können, aber nicht über die-
40 Jahren waren dort insgesamt 17 Millionen Menschen ses.
eingezäunt und hinter Mauern gefangen; Hunderttau-
sende Menschen wurden in der DDR tagein, tagaus be- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
spitzelt; mehrere Tausend Menschen wurden geknechtet Da kann man nur sagen: Si tacuisses, philosophus
und gefoltert. mansisses.
Sie stellen sich jetzt hier hin und halten ein großes Frau Bundesjustizministerin, ich bin Ihnen sehr dank-
Plädoyer für Gleichheit und Freiheit und werfen uns vor, bar, dass Sie das Thema Kindesmissbrauch so expo-
dass die Bundesrepublik Deutschland diesen Ansprü- niert dargestellt haben und Ihren Dank dafür zum Aus-
chen nicht genügt. druck gebracht haben, dass die bayerischen katholischen
(Wolfgang Nešković [DIE LINKE]: Nicht die Bischöfe heute auf ihrer Frühjahrskonferenz in Vier-
Bundesrepublik Deutschland, sondern Ihre zehnheiligen in Oberfranken deutlich gemacht haben,
Partei! Das ist ein Unterschied!) dass sie anregen werden, die diesbezüglichen Leitlinien
zu novellieren. Wir müssen klarmachen, dass es keiner-
Sehr geehrter Herr Kollege, das halte ich, mit Verlaub, lei Tabuisierung geben darf, dass es keinerlei Toleranz
für außerordentlich dreist und kühn. gegenüber diesen schrecklichen, unmenschlichen, bar-
2900 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Rolf Schwanitz
(A) Was jetzt hier passiert, ist, dass 94 Prozent der beim Zi- Ich versteife mich jetzt nicht darauf, dass Sie im Koali- (C)
vildienst eingesparten Gelder verschwinden. tionsvertrag wie eine Monstranz vor sich hertragen, dass
künftig auch gegen Islamismus und Linksextremismus
(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Skandal!) Projekte ins Leben gerufen werden sollen. Herr Staatsse-
Wenn die gleiche Relation bei der Operation in 2011 an- kretär Kues, habe ich gelesen, hat auf die Frage, was das
gelegt wird, kann ich nur sagen: Gute Reise! inhaltlich heißen soll, geantwortet, bis zum zweiten
Quartal wolle man dafür Ideen sammeln. Wir werden
Nachdem ich dargestellt habe, was uns ärgert, möchte also sehen. Aber dass Sie im Gegensatz zu dem Etat der
ich noch eine Bemerkung zu dem Thema „Evaluation fa- Bundesjustizministerin, die die Mittel dafür aufgestockt
milienpolitischer Leistungen“ machen. Ich habe einmal hat, den Plafond so gelassen haben, wie er ist, und dafür
bei Google die Wortgruppe „Evaluation familienpoliti- 2 Millionen Euro aus nicht verausgabten Mitteln für den
scher Leistungen“ eingegeben. Man erhält 217 000 Tref- Kinder- und Jugendplan nehmen, ist eine klare Drohung
fer, übrigens ohne Pressemeldungen, sondern rein infor- für die Zukunft.
mative Einträge auf Homepages im Internet. Da finden
sich zum Beispiel Stellungnahmen des DIW zum Fami- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
liensplitting und zum Elterngeld, des Ifo-Instituts zum
Herr Kollege!
Familienleistungsausgleich, des IAB zu Familienpolitik
und Beschäftigung sowie viele Stellungnahmen zur Fi-
nanzierung familienpolitischer Leistungen. Ihre Vorgän- Rolf Schwanitz (SPD):
gerin hat ein Kompetenzzentrum für familienpolitische Denn damit ist die Mittelkürzung vorprogrammiert.
Leistungen eingerichtet. Wichtige und honorige Profes- Da werden wir dranbleiben.
soren evaluieren dort unterstützend und begleitend, was Herzlichen Dank.
Sie in diesem Bereich tun.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
Ich frage mich: Was soll eigentlich im Rahmen dieser BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
neuen Evaluation geschehen; was soll da gemacht wer-
den?
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
(Caren Marks [SPD]: Vertagen! Aussitzen!) Andreas Mattfeldt ist der nächste Redner für die
CDU/CSU-Fraktion.
Wir haben diese Frage gestellt. Ihr Staatssekretär hat
auch geantwortet. Inhaltlich erschließt sich mir das trotz (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
der Antwort nicht. Was wollen Sie tun? Sie wollen jetzt neten der FDP)
(B) 5,1 Millionen Euro für diese Evaluation aus dem Titel (D)
für Familien, Gleichstellung und Ältere zur Verfügung Andreas Mattfeldt (CDU/CSU):
stellen. Die Kosten für diese neue Evaluation machen Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Mi-
28 Prozent des gesamten Titels aus. Da das Ganze ge- nisterin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr
meinsam mit dem Bundesfinanzministerium finanziert geehrten Damen und Herren! Zuallererst, Frau Präsiden-
wird und bis 2013 gehen soll, wird diese Evaluation am tin: Auch Männer verstehen etwas von Familienpolitik.
Ende 16,6 Millionen Euro gekostet haben. Das wird eine Ich denke, deshalb dürfen auch Männer heute zu diesem
Monsterevaluation von familienpolitischen Leistungen, Thema sprechen.
nachdem hier schon jahrelang evaluiert worden ist. Für
16 Millionen Euro können Sie locker eine kleine Uni (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
kaufen. Ich sage Ihnen: Was Sie dort tun wollen, werden Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
wir uns im Haushaltsausschuss gemeinsam gründlichst Das handhaben wir hier schon länger so!)
anschauen; Herr Schwanitz, Ihre Kritik an der Ministerin ist abso-
(Caren Marks [SPD]: Zu Recht!) lut nicht gerechtfertigt. Sie haben mehrfach die Möglich-
keit gehabt, Fragen an die Ministerin zu stellen.
denn es handelt sich um einen großen Batzen Geld, der
nicht in eine bisher jedenfalls inhaltlich nicht untersetzte (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Aktivität münden soll. Die wurden nur nicht beantwortet!)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich habe von Ihnen im Ausschuss nicht viele gehört. Die
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Ministerin und der Staatssekretär haben alle Fragen der
LINKEN) Berichterstatter und der Mitglieder des Haushaltsaus-
schusses beantwortet.
Letzte Bemerkung, meine Damen und Herren – meine
Nachredner werden sicherlich auch noch darauf einge- (Caren Marks [SPD]: Dass Sie nicht rot dabei
hen –: Das, was Sie im Bereich Rechtsextremismus tun, werden!)
ist völlig unzureichend. Wir haben das kritisiert. Frau Ministerin, ich darf Ihnen Dank aussprechen für die
gute Zusammenarbeit mit dem Haushaltsausschuss und
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie
insbesondere mit den Berichterstattern.
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN – Caren Marks [SPD]: Die Ministe- Der Haushalt des Familienministeriums weist für das
rin hört leider nicht zu!) Jahr 2010 6,543 Milliarden Euro aus und zeigt damit
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2905
Andreas Mattfeldt
(A) eine absolute Kontinuität zu den vergangenen Jahren. In leicht gefallen, meine Zustimmung zu dieser hohen Neu- (C)
zahlreichen Ausschussberatungen haben wir in den ver- verschuldung zu geben.
gangenen Wochen die einzelnen Posten des Entwurfes
beraten und zum Teil hart, aber sachlich gestritten. In (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Das kommt
meiner letzten Rede zum Regierungsentwurf habe ich erst morgen! – Caren Marks [SPD]: Sie kön-
gesagt, dass wir sparen müssen, um unsere Kinder vor nen morgen noch Nein sagen!)
allzu großen Schulden zu bewahren. Ich habe aber auch Aber vor dem Hintergrund der Finanz- und Wirtschafts-
gesagt, dass wir mit Verstand und vor allen Dingen an krise führt – das sollten auch Sie begriffen haben – leider
der richtigen Stelle sparen müssen, damit die Familien kein Weg daran vorbei.
von uns die Unterstützung bekommen, die sie wirklich
brauchen. Gerade deshalb, Herr Schwanitz, ist Evalua- Das bedeutet aber auch, dass jeder Einzelne von uns
tion so wichtig; denn so bekommen wir die Wirksamkeit die Verantwortung trägt, die Neuverschuldung nicht wei-
unserer familienpolitischen Maßnahmen deutlich vor ter ausufern zu lassen. Wir dürfen die aktuelle Krise
Augen geführt. nicht als Ausrede benutzen, alle Ausgabenwünsche, die
an uns herangetragen werden, zu erfüllen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ute
Kumpf [SPD]: Ich wünsche mir den Kollegen (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Stünker zurück!) Steuergeschenke für Hoteliers!)
– Dem geht es leider schlecht, Frau Kollegin. Deswegen ist jedes Ministerium gefordert, seinen Bei-
trag zu leisten und auch das eine oder andere Mal Nein
Wenn wir über das Familienressort sprechen, sollten zu der einen oder anderen Begehrlichkeit zu sagen.
wir uns ein Beispiel an unseren Kindern nehmen. Bei
meinen beiden Kindern sehe ich täglich, (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Zum Betreuungsgeld!)
(Ute Kumpf [SPD]: Wie sehen Sie das von
Berlin aus? Werden die überwacht?) Auch das gehört zur Politik.
wie sie ihr begrenztes Taschengeld zur Verwirklichung Herr Bockhahn, ich habe Ihre Ausgabenwünsche ge-
ihrer Wünsche einsetzen. Wenn am Monatsende kein sehen. Sie sind ausufernd. Das darf ich Ihnen sagen.
Geld mehr da ist, müssen sie eben auf CDs, Süßigkeiten Wenn ich mir die Anträge, die die Linke in die Beratun-
und die beliebte Jugendzeitschrift verzichten. Das haben gen eingebracht hat, anschaue, dann kommen mir Zwei-
sie sehr schnell gelernt; sie wissen mit ihrem Geld gut zu fel, ob so Oppositionsarbeit aussieht. Während sich alle
haushalten. Vor allen Dingen haben sie gelernt, ihr knap- anderen Oppositionsparteien mehr oder weniger um Vor-
(B) pes Budget nicht für unnütze Dinge auszugeben. schläge für eine Gegenfinanzierung bemüht haben, (D)
(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Wir auch!)
Das hätten Sie auch mal lernen sollen!)
fehlt das bei Ihnen völlig, Herr Bockhahn.
Daran sollten und müssen wir uns ein Beispiel nehmen.
Wir können den Bundeshaushalt nicht immer weiter aus- (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Das stimmt
ufern lassen und neue Schulden machen, um Dinge zu nicht!)
finanzieren, von denen wir von vornherein wissen, dass Herr Bockhahn, Sie haben Anträge eingebracht, in denen
wir sie uns nicht leisten können. doch tatsächlich gefordert wird, den Familienetat um
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 9,8 Milliarden Euro aufzustocken.
Die größte beschlossene Neuverschuldung al- (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Weil es
ler Zeiten!) nötig ist, Herr Mattfeldt!)
Dies gilt für alle Einzelpläne in diesem Haus, auch für Das ist erheblich mehr als die 6,5 Milliarden Euro, über
den Einzelplan 17, den Haushalt des Familienministe- die wir jetzt diskutieren. Dazu kann ich Ihnen nur sagen:
riums. So funktioniert Oppositionsarbeit nicht; so werden Sie
Nach den letzten, zugegebenermaßen äußerst anstren- nicht ernst genommen, nicht im Parlament und schon gar
genden Wochen der Haushaltsberatungen kann ich sa- nicht von den Bürgerinnen und Bürgern.
gen: Der Spagat zwischen Begehrlichkeiten und Spar- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
samkeit ist uns Haushältern gemeinsam mit den neten der FDP)
Fachpolitikern und dem Ministerium gelungen. In einem
gemeinsamen Kraftakt haben wir es geschafft, unseren Im Bereich des Familienetats ist es uns trotz eines ho-
Beitrag zur Konsolidierung des Haushaltes zu leisten. hen Anteils gesetzlich festgelegter Leistungen gelungen,
Darüber hinaus haben wir es geschafft, die Projekte, die einen Beitrag zur Haushaltskonsolidierung zu leisten.
in der Wirksamkeit für unser Land bedeutend sind, mit Wir haben es immerhin durch Einsparungen bei den un-
zusätzlichen Mitteln auszustatten. terschiedlichen Haushaltstiteln geschafft, ein Einsparvo-
lumen von 17 Millionen Euro zu erbringen.
Mir ganz persönlich liegt am Herzen, zu erwähnen,
dass es uns gelungen ist, die Nettokreditaufnahme um Eigentlich wollten wir sogar 22 Millionen Euro ein-
5,6 Milliarden Euro auf immer noch 80,2 Milliarden sparen. Allerdings haben wir in der Union es für sinnvoll
Euro abzusenken. Ich sage ganz ehrlich: Mir ist es nicht gehalten, die Mittel für die Bundesstiftung „Mutter
2906 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Andreas Mattfeldt
(A) und Kind“ um 5 Millionen Euro gegenüber dem Regie- Lassen Sie mich zum Schluss noch einen Ausblick (C)
rungsentwurf anzuheben. auf den nächsten Haushalt wagen. Für 2011 stehen wir
vor der großen Herausforderung, die im Grundgesetz
(Beifall bei der CDU/CSU)
verankerte Schuldenbremse einzuhalten. Das wird na-
Der Regierungsentwurf sah in diesem Bereich für 2010 türlich auch am Etat des Familienministeriums nicht
92 Millionen Euro vor. Weil wir in der Union von der spurlos vorbeigehen. Bei allen Ambitionen, die wir beim
Wirksamkeit der Arbeit, die die Stiftung leistet, über- Sparen haben, müssen wir aber genau hinsehen, wo wir
zeugt sind, sind wir der Auffassung, dass diese Stiftung sparen.
wie 2009 auch in diesem Jahr 97 Millionen Euro erhal-
Durch die im Koalitionsvertrag vereinbarte Verkür-
ten soll. Die Bundesstiftung hilft schwangeren Frauen in
zung des Wehrdienstes und damit auch der Dauer des Zi-
Notlagen ganz unbürokratisch. Sie unterstützt sie finan-
vildienstes werden in unserem Einzelplan – die Experten
ziell. Das Ziel der Stiftung ist es, das ungeborene Leben
streiten sich noch – zwischen 150 und 200 Millionen
zu schützen und die Bedingungen für die Schwangere zu
Euro frei. Ich sage aber hier ganz deutlich: Ich halte es
verbessern. Sie erleichtert unter ganz schwierigen Vo-
für äußerst gefährlich, Herr Schwanitz, dieses Geld aus-
raussetzungen nicht nur den Start in die Elternschaft,
schließlich zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes zu
sondern trägt auch zur Armutsprävention bei. Außerdem
verwenden.
leistet sie im System der Frühen Hilfen einen wertvollen
Beitrag und kann so helfen, Kinder zu schützen. Deshalb (Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Wo waren
haben wir diese 5 Millionen Euro zusätzlich eingestellt. die Anträge?)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ich werde mich dafür stark machen, dass diese Mittel zur
neten der FDP) Finanzierung von Anschlusslösungen sowie für die Stär-
Weiterhin unterstützen müssen wir die alleinerziehen- kung der Freiwilligendienste eingesetzt werden. Wir
den Frauen und Männer. Sie stehen mehr als andere vor müssen und werden den Zivildienstleistenden, die nicht
dem Problem, Familie und Erwerbsarbeit in Einklang zu direkt im Anschluss an ihren sechsmonatigen Zivildienst
bringen. Auch deshalb gelingt es leider einem hohen An- eine Lehrstelle oder einen Studienplatz bekommen,
teil Alleinerziehender nicht, sich aus der SGB-II-Be- Möglichkeiten bieten, die biografische Lücke zu schlie-
dürftigkeit zu befreien. Es ist unsere Pflicht, gemeinsam ßen.
mit den Unternehmen die Rahmenbedingungen so zu (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
setzen, dass auch Alleinerziehende mit kleinen Kindern der FDP – Sönke Rix [SPD]: Haben Sie das
einer Erwerbsarbeit nachgehen können. Stärkung von mit der FDP schon geklärt?)
Erwerbsarbeit ist die beste Armutsprävention.
(B) Außerdem müssen wir die Lücke, die durch die Verkür- (D)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – zung der Zivildienstzeit entsteht, durch verstärkte Nut-
Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Gerade bei zung der Freiwilligendienste füllen. Die jungen Erwach-
den Minijobs!) senen wollen ihren Beitrag für unseren Staat leisten.
Deshalb ist es weiterhin von großer Bedeutung, dass wir Damit sie dies können, sind wir alle hier gefordert, sie
unsere Kraftanstrengung fortführen und gemeinsam mit darin zu unterstützen, sich mit gesellschaftlichem Enga-
den Ländern und vor allem den Kommunen eine verläss- gement für die Allgemeinheit einzusetzen. Von dem En-
liche und qualitativ gute Kinderbetreuung für alle Al- gagement dieser jungen Menschen habe ich mich zusam-
tersgruppen weiterentwickeln. men mit Herrn Dr. Kreuter, unserem Zivildienst-
beauftragten, erst vor kurzem in einer Zivildienstschule
(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Dafür brau- überzeugen können.
chen die Kommunen aber Geld! – Caren
Marks [SPD]: Ihnen fehlt das Geld hierfür!) Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir sprechen
in diesen Tagen viel vom Sparen. Andererseits wird ge-
Wir müssen außerdem für flexible Arbeitszeitregelungen rade an uns Haushältern von allen Seiten eine Reihe von
werben, damit es diesen Müttern und Vätern möglich ist, Begehrlichkeiten herangetragen. Ich sage es ganz deut-
arbeiten zu gehen. Auf diese Weise können wir sie in lich: Wir alle in diesem Hause sind gefordert, nicht nur
den ersten Arbeitsmarkt zurückholen. die Haushälter, sich zukünftig in einer gemeinsamen
(Ute Kumpf [SPD]: Keine Sprechblasen! Sie Kraftanstrengung darüber Gedanken zu machen, an der
müssen Geld liefern!) richtigen Stelle zu sparen.
Wir können es uns allein aus volkswirtschaftlichen (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Gründen nicht leisten, auf einen arbeitsfähigen Bürger Sparen Sie doch die Wehrpflicht ein!)
und eine arbeitsfähige Bürgerin zu verzichten. Wir alle sollten und müssen unseren Beitrag zur Konso-
Mein Fazit ist: Wenn es uns gelingt, die Rahmenbe- lidierung des Bundeshaushaltes leisten. Lassen Sie uns
dingungen für alleinerziehende Mütter und Väter weiter gemeinsam diese Aufgabe bewältigen, damit auch kom-
zu verbessern und die Kinderbetreuung noch weiter aus- mende Generationen in unserem Land eine lebenswerte
zubauen, dann wird das für die Sozialsysteme und vor Zukunft haben.
allen Dingen auch für die Konsolidierung des Bundes- Vielen Dank.
haushalts von enormem Nutzen sein. Übrigens gilt das
auch für die kommunalen Haushalte. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2907
(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Wenn man wenigstens die Freiwilligendienste erheb- (C)
Für die Fraktion Die Linke spricht Steffen Bockhahn. lich ausbauen würde – wofür man Zeit bräuchte –, dann
wäre das ein Schritt in die richtige Richtung.
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN)
Steffen Bockhahn (DIE LINKE): Man könnte die Hoffnung haben, dass das passiert. Je-
doch sollen mehr als 150 Millionen Euro beim Zivil-
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und dienst eingespart werden; bei den Freiwilligendiensten
Herren! Herr Kollege Schwanitz hat es angesprochen: Es kommt nur 1 Million Euro hinzu. Das Verhältnis stimmt
gab durchaus Defizite bei den Berichten. Kollege nicht. – Ich habe noch eine tolle Idee der FDP kennenge-
Mattfeldt hat völlig zu Recht festgestellt, dass alle An- lernt: Wer Freiwilligendienst leistet, soll einen besseren
fragen beantwortet sind. Aber ich muss feststellen, dass Zugang zum Studium erhalten. Ich kenne das aus Ge-
die Antworten, die uns schriftlich überreicht wurden, of- sprächen mit Menschen, die in der DDR bei der NVA
fensichtlich nicht unbedingt mit dem Stand von heute waren. 18 Monate waren Pflicht, wer scheinbar freiwil-
übereinstimmen – und das ist ein Problem. lig 36 Monate machte, hatte bessere Studienmöglichkei-
ten. Das kann doch nicht das Ziel der FDP sein.
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der LINKEN – Thomas Jarzombek
[CDU/CSU]: Aber Ihres?)
Wir haben in Deutschland leider auch heute noch die
Wehrpflicht, also den Zwang für junge Männer, den Um- Ich schlage Ihnen stattdessen vor: Machen Sie sich
gang mit Waffen, das Zerstören und Töten zu lernen. Gedanken über eine Alternative zum Zivildienst! Ma-
Aber zum Glück gibt es wenigstens einen Wehrersatz- chen Sie sich Gedanken über einen öffentlich geförder-
dienst, um stattdessen zu helfen, zu unterstützen und Gu- ten Beschäftigungssektor! Bezahlen Sie Arbeit statt Ar-
tes zu tun. Aber auch der Wehrersatzdienst ist ein beitslosigkeit und finanzieren Sie so gesellschaftlich
Zwangsdienst. Herr Kollege Mattfeldt, ich kann mich notwendige Arbeit. Nehmen Sie Mecklenburg-Vorpom-
noch sehr genau an meine Zeit in der Zivildienstschule mern als Beispiel; dort gab es das. Schauen Sie sich Ber-
in Barth/Pruchten – ohne den Zivildienstbeauftragten – lin an; dort gibt es das. Das sind sehr gute Beispiele, die
erinnern. Ich darf Ihnen sagen: Die wenigsten meiner Ihnen allen helfen sollten, dieses Prinzip zu verstehen
Kolleginnen und Kollegen hatten das Gefühl, in erster und einzusehen, dass Sie damit etwas für die gesamte
Linie etwas für Deutschland zu tun. Die meisten haben Gesellschaft tun.
gesagt: Ich muss meinen Zivildienst abreißen. (Beifall bei der LINKEN)
(B) (D)
(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Ich darf!) Ich füge hinzu: Wir sind völlig schmerzfrei, wenn Sie
das als Ihr Programm ausgeben. Wir werden den Men-
– „Ich muss meinen Zivildienst abreißen“ haben die
schen zwar sagen, dass es nicht Ihr Programm ist, aber
meisten gesagt, weil es ein Zwangsdienst ist. – Dieser
wir werden Sie dabei unterstützen, es einzuführen.
Zwangsdienst sollte abgeschafft werden.
Ich komme zu einem anderen Thema. Frau Gruß, be-
(Beifall bei der LINKEN) vor Sie sich wieder aufregen: Herr Toncar sitzt neben Ih-
nen. Er kann Ihnen das erklären. Im Einzelplan 17 des
Das ist aber gar nicht so einfach; denn wir haben es
Bundeshaushaltes finden sich Extremismusprogramme
uns in unserer Gesellschaft mit den fleißigen und über-
wieder. Deshalb ist es richtig, wenn ich darüber spreche.
aus preiswerten jungen Männern, die im Zivildienst tä-
tig werden, bequem gemacht. Sie arbeiten in Kindergär- (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Aussteiger-
ten, in Alten- und Pflegeheimen, in Krankenhäusern und programme!)
vielen anderen Einrichtungen. Dort leisten sie gesell-
schaftlich zwingend notwendige Arbeit. Wenn man sich Die Bundesregierung hat – das ist heute mehrfach
von einem solchen System verabschieden will – die Ver- deutlich geworden – in allen Bereichen festgestellt, dass
kürzung des Zivildienstes auf sechs Monate kann nur als es keine Notwendigkeit gibt, eigenständige Programme
Einstieg in den Ausstieg vom Zivildienst betrachtet wer- gegen Rechtsextremismus zu führen. Es müssen immer
den –, dann muss man dies rechtzeitig vorbereiten. Vor Programme gegen Extremismus sein. Das offenbart ei-
allen Dingen muss man anständige Alternativen schaf- nen großen Mangel an Problembewusstsein. Ich möchte
fen. Genau das aber versäumt die Bundesregierung. Ihnen ein gravierendes Beispiel nennen. In Limbach-
Oberfrohna in Sachsen gibt es ein erhebliches Problem
Wenn man diese Verkürzung durchführt, muss man mit rechtsextremistischen Gewalt- und Straftaten. Allein
sich über Folgendes im Klaren sein. Es ist inzwischen im letzten Jahr – die Zahl stammt vom Verfassungs-
offenkundig, dass die meisten Träger des Zivildienstes schutz Sachsen, nicht von mir – gab es 37 eindeutig
sagen: Mit sechs Monaten können wir nichts anfangen. rechtsextreme Straftaten, keine einzige der Linken.
Die Zeit, die die Zivildienstleistenden bei uns in den (Zuruf von der LINKEN: Hört! Hört!)
Einrichtungen sind, ist viel zu kurz. – In der Folge wer-
den die Zivildienststellen abgebaut, aber die Aufgaben, In Limbach-Oberfrohna gibt es ein Bündnis, das sich für
die die Zivis erledigt haben, bleiben meistens liegen. Das Demokratie und Toleranz einsetzen möchte. Der CDU-
ist zum Nachteil aller in Deutschland. Landtagsabgeordnete Hippold lädt zu diesem Bündnis
2908 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Steffen Bockhahn
(A) das NPD-Mitglied des örtlichen Stadtrates ein, das mit- dern auch eine ziemlich schamlose Instrumentalisierung (C)
gestalten soll, wie dieses Bündnis arbeiten möge. des Extremismusproblems, was Sie hier betreiben.
(Lachen bei Abgeordneten der SPD) (Lachen bei der LINKEN – Caren Marks
[SPD]: Dass das Aussehen im Plenum Thema
Auf jede Kritik, auch der Kirchen, dass das doch wohl ist, ist wirklich eine Unverschämtheit! –
nicht sein könne, kommt die Reaktion, die NPD sei eine Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Frechheit! –
demokratisch legitimierte Partei, man dürfe sie nicht Gegenruf des Abg. Dr. Peter Tauber [CDU/
rausschmeißen, sondern müsse das mit ihnen zusammen CSU]: Ihr seid doch die rot lackierten Faschis-
regeln. Das ist fehlendes Unrechtsbewusstsein. ten!)
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Ich fordere Sie auf, dieses Thema in Zukunft vielleicht
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE etwas sachlicher zu diskutieren.
GRÜNEN)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu-
Die NPD ist eine verfassungsfeindliche Partei. rufe von der LINKEN – Gegenruf des Abg.
(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Dr. Peter Tauber [CDU/CSU]: Was war das
Aber die Linke auch! – Dorothee Bär [CDU/ eben? – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Er
CSU]: Die Linke auch!) hat gesagt, wir arbeiten mit den Nazis zusam-
men! – Gegenruf vom BÜNDNIS 90/DIE
Verstehen Sie das endlich! Der Rechtsextremismus ist GRÜNEN: In Sachsen ist es so! – Sebastian
ein großes Problem. Frau Bär, wenn Sie meinen, Pro- Edathy [SPD]: Ein unmögliches Verhalten! –
gramme gegen Rechtsextremismus sei „Saufen gegen Dorothee Bär [CDU/CSU]: Frau Präsidentin,
rechts“, dann glaube ich, dass Sie zu oft in Bayern unter- das geht nicht!)
wegs waren.
Frau Präsidentin, was machen wir denn jetzt?
(Beifall bei der LINKEN – Dorothee Bär
[CDU/CSU]: Pfui! Sie werden vom Verfas- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
sungsschutz beobachtet! Sie sind unter Be- Ich nehme an, dass Sie jetzt erst einmal Ihre Rede hal-
obachtung! Sie sind linksextrem!) ten. Wenn jemand eine Zwischenfrage stellen will, dann
Ich will Ihnen deutlich sagen: Wir haben ein Problem, wird er die stellen. Wir werden im Protokoll nach-
das Sie offensichtlich unterschätzen. Der Rechtsextre- schauen, was hier gesagt worden ist, weil wir nicht alles
mismus in Deutschland ist eine Gefahr für die Demokra- genau verstanden haben.
(B) tie und eine Gefahr für die Verfassung. Das sagen nicht (D)
nur Linke, das sagen auch der Präsident des Bundesver- Florian Toncar (FDP):
fassungsschutzes und viele andere. Reden Sie einmal mit Gut, Frau Präsidentin.
Opfern rechtsextremer Gewalt, dann werden Sie begrei-
fen, dass das, was Sie hier tun, eine Verharmlosung ist. Die Familienpolitik der Bundesregierung ist ein Poli-
tikbereich, dem große Priorität beigemessen wird. Ich
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem möchte darauf hinweisen, dass die Erhöhung des Kin-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hartwig dergeldes eine der Kernforderungen und eine der Kern-
Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie lenken maßnahmen unseres Wachstumsbeschleunigungsgeset-
doch von Ihrer Verfassungsfeindlichkeit ab!) zes gewesen ist, dass es mehr als die Hälfte des
Entlastungsvolumens des Wachstumsbeschleunigungs-
Wenn Sie sich anschauen, was in Dresden passiert ist gesetzes ausmacht und die Bundesregierung damit von
und was am Wochenende wieder in Lübeck bevorsteht, Anfang an klargemacht hat, dass ihr die materielle Ver-
dann werden Sie begreifen, warum der Kampf gegen sorgung von Familien mit Kindern ein wichtiges Anlie-
Rechtsextremismus viel wichtiger ist als alles andere, gen ist.
was Sie in Sonntagsreden immer wieder einfordern.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei der LINKEN und dem der CDU/CSU)
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab-
geordneten der SPD – Dorothee Bär [CDU/ Die Kindergelderhöhung hat direkten Einfluss auf die
CSU]: Sie sollten sich wirklich schämen!) Höhe des Kindesunterhalts. Das kann man in der Düssel-
dorfer Tabelle nachsehen. Die Sätze sind umgehend ge-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: stiegen. Das wirkt sich auch in unserem Bundeshaushalt
aus, und zwar im Bereich der gesetzlichen Pflichtleistun-
Für die FDP-Fraktion hat Florian Toncar das Wort.
gen, beim Unterhaltsvorschuss. Daran kann man able-
(Beifall bei der FDP) sen, welche Verbesserungen diese Koalition für die Fa-
milien geschaffen hat.
Florian Toncar (FDP): Wir haben darüber hinaus zusätzliche Ausgaben beim
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Elterngeld veranschlagt. Diese Leistung wird mehr
Kollege Bockhahn, wenn man Sie hört und vor allem Geld in Anspruch nehmen, und zwar aus Gründen, die
auch sieht, dann muss man sagen: Das ist nicht nur eine politisch gewollt sind. Die sogenannten Partnermonate
Verunglimpfung von parlamentarischen Parteien, son- werden heute stärker in Anspruch genommen als in der
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2909
Florian Toncar
(A) Vergangenheit. Aus diesem Grund haben wir höhere dene Redner haben dieses Thema angesprochen. Der (C)
Ausgaben im Bereich der Pflichtleistungen. Das ist für Koalitionsvertrag enthält die klare Aussage, dass die
die FDP eine erfreuliche Entwicklung. Verkürzung zum 1. Januar des Jahres 2011 in Kraft tre-
ten soll. Was das Ziel angeht, sind wir uns einig: Wir
(Beifall bei der FDP)
wollen die Verkürzung auf sechs Monate.
Wir haben uns darüber hinaus im Zusammenhang mit
(Sören Bartol [SPD]: Ich dachte, Sie wollen
dem Arbeitslosengeld II mit der Situation von Kindern
abschaffen!)
zu beschäftigen. Das hat uns das Bundesverfassungsge-
richt aufgegeben. Das hat keinen Einfluss auf diesen – Das ist das, was im Koalitionsvertrag steht. Sie haben
Einzelplan, aber natürlich große Bedeutung für das, was die weitergehenden Wünsche der FDP verstanden. Die
wir an ergänzenden Maßnahmen im Familien- oder Ju- haben wir weiterhin.
gendbereich zu vereinbaren haben. Für uns ist wichtig,
(Ute Kumpf [SPD]: Ach so! Das ist gar nicht
dass es eine Neuberechnung der Regelsätze gibt, die
gültig!)
nachvollziehbar ist und sich am eigenständigen Bedarf
von Kindern orientiert. Um es deutlich zu sagen: Es ist Wir haben einen Kompromiss gefunden, der, wie ich
völlig klar, dass ein Kind einen Bedarf an Windeln oder glaube, an dieser Stelle mehr Freiheit für die Betroffenen
Schulmaterial hat, der eingerechnet werden muss, aber bedeutet, jedenfalls besser ist als das, was heute Rechts-
eine fiktive Einrechnung von anteiligen Ausgaben für lage ist. Insofern ist das ein gehöriger Fortschritt für die
Alkohol oder Tabakwaren nicht dazugehört. Das muss Betroffenen.
eigenständig und nachvollziehbar berechnet werden.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Das wird diese Koalition machen.
Wir wollen das machen, indem wir klare Daten nennen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Das ist so von uns im Koalitionsvertrag festgelegt.
Wir haben uns darüber hinaus vorgenommen, die
Es ist völlig klar, dass wir parallel zur Verkürzung des
Teilhabe an Bildung, die soziale und kulturelle Teilhabe
Zivildienstes die Freiwilligendienste stärken müssen.
dieser Kinder zu verbessern. Das müssen wir nach dem
Es ist völlig klar, dass man das nicht ersatzlos wegfallen
Urteil des Bundesverfassungsgerichts machen. Das wol-
lassen kann. Das ist auch nicht geplant.
len wir auch tun – das ist jedenfalls die Vorstellung der
FDP-Fraktion –, und zwar insbesondere in Form von (Sönke Rix [SPD]: Wo spiegelt sich das im
Sachleistungen wie Schulessen oder Musikunterricht, Haushalt wider?)
um eine Mindestteilhabe dieser Kinder an Bildung und
– Das spiegelt sich auch im Haushalt wider, Herr Kol-
kulturellen Leistungen der Gesellschaft sicherzustellen.
(B) lege Rix. (D)
(Beifall bei der FDP – Caren Marks [SPD]:
(Caren Marks [SPD]: Wo denn?)
Wieso nur eine Mindestteilhabe? Teilhabe
komplett für alle!) Denn wir haben den Betrag für die Freiwilligendienste
erhöht. Die Verkürzung tritt erst nächstes Jahr in Kraft;
– So steht es auch im Urteil des Bundesverfassungsge-
das wissen auch Sie. Insofern ist die Aufregung auch
richts, das im Übrigen Ihr Gesetz kassiert hat, nicht un-
hier übertrieben und fehl am Platze.
seres.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Eigentlich wollte ich nur einmal darstellen – auch
der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Sie sind
wenn Sie das gar nicht mehr gewöhnt sind –, dass man
nicht auf dem Laufenden! – Was sagt Herr
lösungsorientiert denken kann.
Guttenberg?)
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Ich habe gesagt, dass der Koalitionsvertrag gilt. Das ist
Was ist denn Ihre Lösung? – Caren Marks
für mich die Grundlage dieses Haushalts.
[SPD]: Nur haben wir die Lösung nicht ge-
hört!) (Zuruf von der LINKEN: Hauptsache, die Re-
gierung weiß das auch!)
Ich finde, Schulessen und Musikunterricht sollten Dinge
sein, bei denen wir uns einig sind, dass Kinder sie be- Wir haben über das Thema Zivildienst auch unter der
kommen sollen. Wir müssen uns frei von Vorbehalten Frage zu diskutieren, ob es andere Instrumente geben
einmal überlegen, wie wir sicherstellen können, dass das soll, die ersatzweise greifen. Ich sage für die FDP-Frak-
Geld, das wir dafür in die Hand nehmen, auch da an- tion: Eine mögliche freiwillige Verlängerung des Zivil-
kommt und dafür verwendet wird. Das ist etwas, wo Sie dienstes darf zu einem nicht führen: Es darf nicht zu
nicht dazwischenrufen müssen, sondern sagen können, einem faktischen Zwang des Zivildienstleistenden kom-
dass Sie das auch so sehen. men, neun oder zwölf Monate arbeiten zu müssen, weil
nur solche Stellen existieren und ausgeschrieben werden.
(Beifall bei der FDP – Kai Gehring
Der entscheidende Unterschied zwischen Zivildienst und
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo lässt sich
Wehrdienst ist, dass der Wehrpflichtige in eine konkrete
das am Haushalt ablesen? – Sören Bartol
Einheit einberufen wird – er kann sich das nicht aussu-
[SPD]: Sie haben es nicht verstanden!)
chen –, wohingegen der Zivildienstleistende dazu ver-
Wir haben uns darüber hinaus in diesem Jahr mit der pflichtet ist, sich eine Stelle zu suchen. Wenn diese nur
Zukunft des Zivildienstes zu beschäftigen. Verschie- für neun oder zwölf Monate ausgeschrieben werden, hat
2910 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Florian Toncar
(A) er im Endeffekt keine andere Wahl. Das wollen wir na- wird und deshalb bei den Familien im Leistungsbezug (C)
türlich nicht; denn das würde dazu führen, dass Zivil- nicht ankommt, obwohl besonders sie dies brauchen
dienstleistende jedenfalls faktisch im Durchschnitt län- würden. Das ist vom Ministerpräsidenten sehr gut be-
ger dienen müssten als Wehrdienstleistende. Wir werden obachtet, allerdings sagt er gleich dazu, dass er keine
darauf achten, dass eine solche Ungerechtigkeit nicht Lösung für dieses Dilemma hat. Wir Grüne haben eine
eintritt. Lösung für dieses Dilemma. Wir schlagen eine Kinder-
grundsicherung vor. Diese würde gewährleisten, dass
Ich möchte für das Thema Familie, Beruf und Pflege die Kinderförderung in diesem Land endlich vom Kopf
auf die Rede der Kollegin Miriam Gruß verweisen. Wir auf die Füße gestellt würde.
haben etliche Baustellen im Bereich der Familienpolitik,
der Politik für Senioren, für Frauen und für die Jugend. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir als Koalition sind uns da einig und gut aufgestellt. Das dritte Beispiel ist das Betreuungsgeld. Frau von
Vielen Dank. der Leyen hat eigentlich das Richtige dazu gesagt. Sie
hat gesagt, das wäre eine „bildungspolitische Katastro-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) phe“. Dem ist nichts hinzuzufügen. Deshalb sollte man
es am besten sang- und klanglos beerdigen. Die ge-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: schätzten 2 Milliarden Euro jährlich, die uns das zukünf-
Das Wort hat die Kollegin Katja Dörner für tig kosten soll, sollte man besser in die Kitas investieren:
Bündnis 90/Die Grünen. in mehr Kitaplätze, in bessere Kitaplätze, beispielsweise
in kleinere Gruppen, in die Ausbildung der Erzieherin-
nen und Erzieher und auch in eine bessere Entlohnung
Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): dieser pädagogischen Fachkräfte, die eine höhere Wert-
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! schätzung in unserer Gesellschaft mehr als verdient hät-
Liebe Kollegen! Ich muss schon sagen, Herr Mattfeldt, ten. Ich denke, darüber sind wir uns alle hier einig.
Herr Toncar, Ihre schönen Sonntagsreden heute Abend
können nicht verschleiern, dass auch in familien- und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
kinderpolitischen Fragen in erster Linie Zwist und sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
Chaos in der schwarz-gelben Koalition herrschen. KEN)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die FDP hat in ihren Wahlprogrammen an diversen
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Stellen die Elternbeitragsfreiheit gefordert. Allerdings
KEN – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Wo habe ich jetzt vernommen, dass Herr Wissing auch diese
haben Sie das denn gesehen?) Leistung für unsinnig hält; darauf gehe ich an dieser
(B) Stelle aber nicht ein. Beitragsfreiheit – richtig so, sagen (D)
– Ich werde Ihnen jetzt Beispiele nennen. Dann werden wir Grünen. Aber Fakt ist: Durch Ihre kommunalfeindli-
Sie selber sehen, wie ich darauf komme. che Politik
Das erste Beispiel ist das Elterngeld. Von wegen El- (Caren Marks [SPD]: Ja, genau!)
terngeld verlängern, weiterentwickeln und ausbauen.
Herr Wissing, immerhin Finanzexperte der FDP, stellt haben Sie den Kommunen Milliarden Euro entzogen.
das Elterngeld sogar komplett infrage und bezeichnet es (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
als eine unsinnige Leistung, die die breite Masse gerne DIE GRÜNEN)
einmal mitnehme. Das hört sich nicht gut an für das El-
terngeld. In der Antwort auf meine schriftliche Frage in 20 Euro mehr Kindergeld, aber um 30 Euro höhere Kita-
der letzten Woche zu den Plänen beim Elterngeld lese gebühren, das ist die Folge schwarz-gelber Politik. Das
ich: Die Bundesregierung prüft, aber was es kosten soll, ist das Gegenteil von familienfreundlich.
weiß sie noch nicht so genau. Das hört sich nicht gut an (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
für das Elterngeld. Quo vadis, Elterngeld? sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Dr. Axel Troost [DIE LINKE] – Marcus
sowie bei Abgeordneten der SPD) Weinberg [Hamburg] [CDU/CSU]: Das war
fachlich falsch!)
Das zweite Beispiel ist das Kindergeld. Von wegen
Kindergelderhöhung. Der Ministerpräsident von Schles- Zurück zum Betreuungsgeld. Statt es einfach zu beer-
wig-Holstein, Peter Harry Carstensen – er ist von der digen, geht es beim Betreuungsgeld richtig rund: Bar-
CDU –, zahlung, Gutscheine, Sachleistungen, Gutscheine für
Hartz-IV-Beziehende, Barzahlungen für die anderen,
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das ist ein Einbeziehung in ein Bildungskonto und jetzt – tatarata –
sehr guter Mann!) Rentenanwartschaften. Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Elterngeld, Kindergeld, Betreuungsgeld – ich habe den
stellt das Recht auf Kindergeld komplett infrage, da wir Eindruck, in dieser Koalition darf jeder alles vorschla-
in Deutschland – ich zitiere – „Kindergeld zahlen an El- gen.
tern, die das gar nicht nötig haben“. Ich finde, das hört
sich nicht gut an für das Kindergeld in diesem Land. An (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wo sind denn Ihre
einer Stelle hat der Ministerpräsident allerdings recht, Vorschläge, Frau Dörner? – Thomas
und zwar wenn er bemängelt, dass die Kindergelderhö- Jarzombek [CDU/CSU]: Steht das eigentlich
hung auf Hartz-IV-Leistungen komplett angerechnet im Haushalt, Frau Kollegin?)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2911
Katja Dörner
(A) Jeder darf jederzeit alles sagen, alles infrage stellen, in- Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C)
klusive Koalitionsvertrag. Ich komme zu meinem letzten Satz. – Meine Kollegin
Renate Künast hat es in der gestrigen Debatte, wie ich
(Caren Marks [SPD]: Genau! Gemacht wird ja finde, absolut richtig auf den Punkt gebracht. Sie hat ge-
eh nichts!) sagt: Die Kinder bedürfen des besonderen Schutzes der
Gesellschaft und nicht der Papst. – Wir Grüne erwarten,
Jeder kann irgendwo ein Papier einreichen. Hauptsache, dass Ministerin Schröder als zuständige Ministerin dem
man steht damit dick in der Presse. gerecht wird.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Sönke und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
Rix [SPD]: Nur entschieden wird nichts! – LINKEN)
Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Steht das
denn im Haushalt oder nicht? Gucken Sie doch Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
mal nach! Dann wissen Sie, was passiert!) Das Wort hat die Bundesministerin Dr. Kristina
– Entschieden wird nicht, regiert wird nicht, und Ihre fa- Schröder.
milienpolitische Agenda, liebe Kolleginnen und Kolle- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
gen von der Koalition, ist nicht bemerkenswert. Das
Chaos, das hier produziert wird, ist bemerkenswert. Das Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fa-
ist aus meiner Sicht unübertroffen. milie, Senioren, Frauen und Jugend:
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
sowie bei Abgeordneten der SPD – Georg Gut ist ein Kompromiss ja angeblich dann, wenn jeder
Schirmbeck [CDU/CSU]: Seien Sie doch nicht glaubt, er hätte das größte Stück vom Kuchen bekom-
so hart mit uns!) men. Dies mit Blick auf den Einzelplan 17, der ein Ge-
samtvolumen von 6,54 Milliarden Euro hat, zu behaup-
Frau Ministerin, ich habe den Eindruck, nicht nur ten, wäre sicherlich etwas gewagt. Für die Familien und
Frau von der Leyen tanzt Ihnen auf der Nase herum, son- den Zusammenhalt unserer Gesellschaft haben wir den-
dern die halbe Koalition. Das muss ein Ende haben. noch gute Ergebnisse erzielt. Der Einzelplan 17 zeigt:
Schaffen Sie endlich Klarheit, auf was sich die Familien Diese Koalition stärkt Familien den Rücken, auch in
in den nächsten Jahren tatsächlich einstellen können wirtschaftlich schwierigen Zeiten, und diese Koalition
bzw. – das muss man fast so sagen – auf was sie sich bei investiert in den Zusammenhalt der Gesellschaft, gerade
in wirtschaftlich schwierigen Zeiten.
(B) dieser Regierung wohl einstellen müssen. (D)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Noch eine Anmerkung zu einem Thema, das uns alle
sicherlich sehr beschäftigt: zu den vielen Fällen sexuel- Ich danke allen, die sich dafür in den Haushaltsver-
len Missbrauchs von Kindern und Jugendlichen, die handlungen der letzten Wochen eingesetzt haben. Mein
in letzter Zeit öffentlich wurden. Vor zwei Wochen Dank gilt den Mitgliedern des Familienausschusses und
– noch zu einem Zeitpunkt, als drei Ministerinnen mein- den Berichterstattern für die bisher konstruktive Zusam-
ten, Zeit damit verplempern zu können, indem sie da- menarbeit.
rüber streiten, wer den schöneren runden Tisch veran- Herr Schwanitz, Sie haben gerade einige Punkte an-
staltet – habe ich den Satz von Ministerin Schröder gesprochen. Zu § 14 c des Zivildienstgesetzes werde ich
gelesen, es sei falsch, jetzt nur die katholische Kirche an später noch etwas sagen. Was das Thema Zivildienst an-
den Pranger zu stellen. Es stimmt: Missbrauchsfälle geht, scheint mir allerdings wirklich ein Missverständnis
kommen auch in Institutionen anderer Träger vor. Aber vorzuliegen. Die Vorschläge, die der Bundesverteidi-
von 27 katholischen Bistümern sind – so viel wissen wir gungsminister gestern präsentiert hat, besagen, dass die
bis jetzt – 22 betroffen. Ich erwarte von der Familienmi- Verkürzung der Dienstzeit schon für die wirken soll, die
nisterin, da sie auch für Kinder zuständig ist, dass sie zum 1. Oktober 2010 eingezogen werden. Ihr Dienst en-
sich ganz eindeutig zur Anwältin der Kinder und Ju- det also nicht am 30. Juni 2011, sondern am 31. März
gendlichen, zur Anwältin der Opfer dieser abscheulichen 2011.
Verbrechen macht und sich nicht etwa in die Phalanx
von Kleinrednern, Verharmlosern und Vertuschern ein- (Caren Marks [SPD]: Ja, wir können rechnen!)
reiht. Auf den Haushalt 2010 hat die Verkürzung also keinerlei
Auswirkungen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD – Dorothee (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)
Bär [CDU/CSU]: Das hat sie ja überhaupt Alles das, was Herr zu Guttenberg gestern vorgeschla-
nicht gemacht! – Thomas Jarzombek [CDU/ gen hat, wird erst 2011 wirksam. Deswegen ging Ihre
CSU]: Das ist jetzt aber nicht fair! Das ist ja Kritik an diesem Punkt leider ins Leere.
schon fast eine Unterstellung!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wenn sich
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Schwanitz besser vorbereitet hätte, hätte
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen. er das erkennen müssen!)
2912 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
(Caren Marks [SPD]: Das steht aber auch nicht Wichtig war mir dabei, dass die Träger der Freiwilli-
im Haushalt!) gendienste in den Bereichen Sport, Ausland und Kultur
nicht die Leidtragenden dieser Neustrukturierung sind;
Kinder wiederum haben vor allen Dingen das Bedürf- denn diese Träger sind zur Refinanzierung der Plätze be-
nis, behütet und geborgen aufzuwachsen und teilzuhaben sonders auf § 14 c Zivildienstgesetz angewiesen.
am Wohlstand und an den Chancen unserer Gesellschaft.
Herr Schwanitz, deshalb haben wir immer gesagt,
Das darf kein Privileg der Kinder starker Eltern sein. Mit
dass wir hier keine Übergangsregelungen, sondern eine
dem Ausbau der Kinderbetreuung investieren wir ge-
Sonderregelung schaffen müssen.
rade in die Bildungschancen derjenigen, denen diese
Chancen nicht in die Wiege gelegt wurden. Insofern sehe (Caren Marks [SPD]: Ja, am Parlament
ich in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur vorbei!)
(B) Höhe des Hartz-IV-Regelsatzes für Kinder auch einen (D)
familienpolitischen Auftrag, nämlich jedem Kind eine In der letzten Woche ist es uns mit den Trägern der Frei-
faire Chance zu geben. Es geht nicht nur um das finan- willigendienste gelungen, in den Bereichen Sport und
zielle Existenzminimum – Nahrung, Wohnen, Kleidung, Ausland eine solche Sonderregelung zu treffen, mit der
medizinische Versorgung –, es geht auch um faire Chan- ihr Platzangebot auf hohem Niveau abgesichert wird.
cen auf Bildung und damit auch auf gesellschaftlichen (Ute Kumpf [SPD]: Kungelrunde! Das hätten
Aufstieg. Sie transparenter und demokratischer machen
können!)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP – Sven-Christian Kindler Diese Mittel für 2010 stammen aus den Mitteln gemäß
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit § 14 c des Zivildienstgesetzes. Insofern sind das exakt
dem Betreuungsgeld?) die Mittel, die uns der Haushaltsausschuss für genau die-
sen Bereich gewährt hat.
Auch wir mussten einen Beitrag zur Haushaltskonso-
lidierung erbringen. Es ist mir wichtig, darauf hinzuwei- (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
sen, dass wir versucht haben, ausschließlich dort nach Was ist denn mit den anderen Freiwilligen-
Einsparpotenzialen zu suchen, wo Kinder und Familien diensten?)
möglichst wenig betroffen sind. Die Einsparungen, die Mit den Trägern im Kulturbereich sind wir noch in
im Einzelplan 17 realisiert wurden, werden überwiegend Gesprächen, aber ich bin mir sicher, dass wir auch hier
durch Einsparungen beim Zivildienst bestritten. Die eine gute Lösung finden werden.
Ausgaben für den Zivildienst sinken wegen der geplan-
ten Verkürzung der Wehrpflicht, die beim Zivildienst (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
nachvollzogen wird, ohnehin.
Weil wir aber unabhängig vom Zivildienst den Dienst Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
junger Menschen am Gemeinwohl für sehr wichtig hal- Frau Ministerin, Herr Schwanitz würde Ihnen gerne
ten, werden wir auch die Förderung der Jugendfreiwilli- eine Zwischenfrage stellen.
gendienste neu strukturieren. Junge Frauen und Männer
wollen sich engagieren, und die Gesellschaft ist auf die- Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami-
ses Engagement angewiesen. Deshalb ist es das Ziel der lie, Senioren, Frauen und Jugend:
Bundesregierung, die Freiwilligendienste erheblich aus- Ich will hier jetzt erst einmal im Zusammenhang vor-
zubauen. tragen. Danach können wir das gerne machen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2913
Bundesministerin Dr. Kristina Schröder
(A) Wenn wir über Investitionen in den Zusammenhalt gen pflegen, brauchen unsere Unterstützung, aber bitte (C)
unserer Gesellschaft reden, dann sollten wir aber nicht nicht den anmaßenden Vorwurf, sie hätten ein veraltetes
nur an Geld denken, sondern für den Zusammenhalt un- Familienbild oder ein veraltetes Frauenbild.
serer Gesellschaft wird Zeit mehr und mehr zur zweiten
Leitwährung. Deshalb wird allein mit Blick auf die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Haushaltslage schon eines klar: Wenn wir unserer Ver- Sönke Rix [SPD]: Sagt doch keiner!)
antwortung gegenüber nachfolgenden Generationen ge-
Es stimmt: Durch die Familien-Pflegezeit wird mehr
recht werden wollen, dann werden wir im nächsten Jahr
Flexibilität von uns allen und insbesondere auch von den
nicht jedes Problem allein nur mit mehr Geld lösen kön-
Arbeitgebern verlangt. Ich denke aber, dass die Unter-
nen.
nehmen ein Interesse daran haben, nicht auf dem Höhe-
punkt des Fachkräftemangels auf ihre erfahrensten Mit-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: arbeiter verzichten zu müssen.
Sie möchten eine Zwischenfrage auch jetzt nicht zu-
lassen? Mit der Familien-Pflegezeit gewinnen wir auf jeden
Fall Zeit für Verantwortung. Damit tragen wir den unter-
schiedlichsten Bedürfnissen, die ich gerade aufgezählt
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami- habe, Rechnung. Diese Bedürfnisse werden wir mit Geld
lie, Senioren, Frauen und Jugend: allein nie erfüllen können.
Neue Wege sind gefragt, um auf die Bedürfnisse von
Kindern, von Eltern und vor allen Dingen auch von älte- Ich finde, gerade auch in einer Haushaltsdebatte kön-
ren Menschen reagieren zu können. Die Familien-Pfle- nen wir auch von der Opposition erwarten – das gehört
gezeit, für die ich mich einsetze, ist ein solcher neuer zur Ehrlichkeit dazu –, dass sie ehrlich sagt, dass wir
Weg. Ich möchte den Menschen damit Zeit für Verant- nicht alle Probleme mit Geld werden lösen können. Das
wortung geben. erwarte ich gerade von einer Opposition, die in dieser
Woche so wortreich einen konsequenten Sparkurs ange-
Wir wissen, dass kranke und ältere Menschen so mahnt hat.
lange wie möglich zu Hause bei der Familie bleiben
möchten. Der Austausch mit denjenigen, die von der Familien-
Pflegezeit unmittelbar betroffen sind, ist mir sehr wich-
(Ute Kumpf [SPD]: Das hatten wir schon ein- tig. Das gilt auch bei anderen Themen. Denn ich glaube,
mal, Frau Schröder!) dass wir in der Gesellschaftspolitik nur dann etwas be-
wegen können, wenn wir den Dialog mit allen relevan-
(B) Wir wissen, dass die Zahl der Pflegebedürftigen demo- ten gesellschaftlichen Gruppen suchen. Angesichts der (D)
grafiebedingt rasant ansteigen wird. Wir wissen, dass schockierenden Fälle von Kindesmissbrauch habe ich
viele Menschen ihre betagten Angehörigen aus Verant- mich deswegen dafür eingesetzt, dass wir ein Gespräch
wortung, aber vor allen Dingen auch aus Liebe zu Hause mit Vertretern aller Institutionen führen, denen wir un-
pflegen. Wir wissen, dass diese Menschen dabei ein gro- sere Kinder anvertrauen. Meines Erachtens können wir
ßes Opfer bringen und dabei oft auch die Grenzen ihrer nur so ein wirksames Konzept für die Zukunft entwi-
Belastbarkeit überschreiten. Wir wissen auch, dass die ckeln.
meisten dieser Menschen berufstätig sind, dass sie ihr
Einkommen brauchen und dass es mit Mitte/Ende Fünf- Vielleicht sollte man aufgrund des Verlaufs dieser De-
zig ein sicherer Weg in die Arbeitslosigkeit wäre, länger batte Folgendes sagen: Ob es um wirksamen Kinder-
oder ganz aus dem Beruf auszusteigen. schutz, um Pflege oder um gesellschaftliches Engage-
ment geht: Neue Wege finden wir nur dann, wenn viele
Weil wir all das wissen, dürfen wir die Menschen, die
danach suchen. Neue Wege finden wir nicht, wenn einer
diese Doppelbelastung schultern, nicht alleinlassen. sucht und die anderen damit beschäftigt sind, Barrieren
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ute aufzubauen. Deshalb sollten gerade wir Familienpoliti-
Kumpf [SPD]: Geschultert wird das doch vor ker mit unserem vergleichsweise kleinen Etat, mit dem
allem von älteren Frauen!) wir auf eine Vielfalt von gesellschaftlichen Problemen
reagieren müssen, offen sein für einen konstruktiven und
Menschen, die ihr Leben lang viel gearbeitet haben, ver- sachlichen Austausch und eine konstruktive, sachliche
dienen einen würdigen Lebensabend, und Menschen, die sowie vertrauensvolle Zusammenarbeit.
ihnen diesen würdigen Lebensabend schenken, verdie-
nen unsere Unterstützung. Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Eine sehr
Deshalb hoffe ich auch auf Ihre Unterstützung und gute Rede! Das ist eine tolle Frau! Davon
Ihre konstruktive Kritik, wenn ich diesen Vorschlag in könnt ihr was lernen!)
die parlamentarischen Gremien einbringen werde, und
ich hoffe, dass nicht nur solche Vorwürfe geäußert wer-
den, wonach dem ein veraltetes Familienbild oder ein Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
veraltetes Frauenbild zugrunde liegt; denn ich sage Ih- Zu einer Kurzintervention gebe ich dem Kollegen
nen eines: Diese Menschen, die zu Hause ihre Angehöri- Sven-Christian Kindler das Wort.
2914 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
(A) Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C)
NEN): Der Kollege Sönke Rix hat jetzt das Wort für die
Frau Ministerin Schröder, Sie haben gerade von Ehr- SPD-Fraktion.
lichkeit und von einem konstruktiven Austausch gespro-
(Beifall bei der SPD)
chen. Ich finde es wichtig, dass man diesen in der Politik
pflegt. Sie haben gesagt, dass man neue Wege ausprobie-
ren und Barrieren abbauen sollte. Ich frage mich aller- Sönke Rix (SPD):
dings, warum Sie nicht auf die Frage des Kollegen Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Schwanitz bezüglich der Ausgabereste eingegangen Herren! Frau Ministerin, Sie haben gerade davon ge-
sind. Sie haben auch Zwischenfragen verweigert. An- sprochen, neue Wege zu gehen, konstruktiv und offen zu
scheinend können Sie oder wollen Sie sie nicht beant- sein; das ist gar keine Frage. Sie müssen uns aber geneh-
worten. migen, dass wir Sie zumindest darauf aufmerksam ma-
chen, wenn Sie falsche Wege gehen. Wir wollen keine
(Zurufe von der CDU/CSU) Barrieren legen, aber zumindest auf falsche Wege hin-
weisen.
– Lassen Sie mich bitte ausreden.
(Beifall bei der SPD)
Wir haben am 5. Februar 2010 einen Bericht bekom-
men, in dem es heißt, dass wir bis zur Rechnungslegung Wir haben das Gefühl, dass insbesondere bei der Ver-
warten müssen, die im April 2010 beendet wird. Erst kürzung des Wehrdienstes und damit auch bei der Ver-
dann könne man die Ausgabereste feststellen und sa- kürzung des Zivildienstes falsche Wege gegangen wer-
gen, wie hoch sie sind. Das BMU zum Beispiel hat uns den. Dass wir heute darüber diskutieren, liegt unter
die Ausgabereste bereits Anfang Januar zugestellt. anderem daran, dass es sich um einen Posten im Haus-
halt von immerhin über 631 Millionen Euro handelt. Das
Die Koalition hat innerhalb der Bereinigungssitzung ist nicht irgendeine Summe oder irgendein kleines Pro-
mehrere Anträge gestellt, in denen zu lesen war, dass die jekt am Rande, sondern eine erhebliche Maßnahme. Die
Mittel gekürzt werden können, weil Ausgabereste Debatte kocht nicht nur aufgrund der Tatsache hoch,
vorhanden sind. Ich finde es ungeheuerlich, dass an- dass der Verteidigungsminister vorgeschlagen hat, die
scheinend nur der Koalition Informationen über die Aus- Verkürzung vorzuziehen.
gabereste zugeleitet wurden. Die Opposition wurde au-
ßen vor gelassen. (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Der Vertei-
digungsminister ist auch ein guter Mann!)
(Zuruf von der CDU/CSU: Das stimmt ja
nicht!) Ich habe gelesen, dass Sie darüber nicht so erfreut sind
(B) und das unabgesprochen aus der Regierung gedrungen (D)
Neue Wege bedeutet für Sie anscheinend, die Koalition ist. So stand es zumindest in der Märkischen Allgemei-
zu bevorzugen und die Opposition weiterhin auszu- nen Zeitung.
schließen. Das ist ungeheuerlich.
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Was lesen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Sie denn für Zeitungen?)
bei der SPD und der LINKEN)
Ich wollte nur darauf aufmerksam machen. Ich kann es
verstehen, dass Herr zu Guttenberg diese Diskussion los-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: tritt – die Verteidigungspolitiker können wohl mehr dazu
Frau Ministerin, möchten Sie antworten? sagen –, um vielleicht von den Fehltaten seines Ministe-
riums im Rahmen der Kunduz-Affäre abzulenken.
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami- (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das war
lie, Senioren, Frauen und Jugend: jetzt billig!)
Herr Kollege Kindler, ich kann leider nichts daran än-
dern, dass wir erst am Ende der Rechnungslegung, also Die Debatte über die Verkürzung des Zivildienstes ist
Anfang April, einen vollständigen Überblick über die aber nicht neu; sie ist nicht nur deshalb in Gang gekom-
Restmittel im Haushalt vorlegen können. Ich weiß nicht, men, weil Herr zu Guttenberg vorgeschlagen hat, es vor-
worauf Sie sich beziehen. zuziehen; die Debatte über den Umgang mit diesem
Thema ist schon älter. So sagte beispielsweise der Chef
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE der CSU-Landesgruppe, Hans-Peter Friedrich, bei einer
GRÜNEN]: Auf die Koalition!) reduzierten Wehrpflicht lohne sich die Ausbildung von
Ich kann daran leider nichts ändern. Ich halte nichts da- Zivildienstleistenden für viele soziale Organisationen
nicht mehr; man müsse mehr Geld in die Hand nehmen
von, Ihnen unvollständige, eventuell falsche oder noch
und überlegen, den Zivildienst auf freiwilliger Basis zu
nicht wirklich geprüfte Berichte zukommen zu lassen.
verlängern. Der dafür zuständige Kollege von der FDP,
Sie werden sie nach Ende der Rechnungslegung erhal- Florian Bernschneider, sagt:
ten.
Der Vorschlag der Union bedeutet faktisch die
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Rückkehr zu einem Zivildienst, der länger als der
GRÜNEN]: Das haben Sie doch so beschlos- Wehrdienst dauert.
sen! – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wir
haben von Natur aus einen viel besseren Über- Ich kann Ihnen da nur zustimmen; Sie haben da voll-
blick!) kommen recht.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2915
Sönke Rix
(A) Der Streit ist also mitten in der Koalition; (Beifall bei der SPD) (C)
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wir haben keinen Gerade sind wir in der Debatte auf die Frage der
Streit! Wir diskutieren nur!) Extremismusprogramme gekommen. Sie haben die
Frage von Herrn Kindler, wie Sie mit den Haushaltsres-
die Debatte, wie man in Zukunft mit dem Zivildienst ten umgehen, nicht beantwortet. Es ist ein Skandal, dass
umgeht, ist in vollem Gange. Sie immer noch nicht erkennen: Die Bekämpfung von
(Zuruf der Abg. Ingrid Fischbach [CDU/ Rechtsextremismus und die Bekämpfung von Links-
CSU]) extremismus sind völlig unterschiedliche Dinge.
– Ich verstehe Ihre heftigen Reaktionen gar nicht. (Zuruf von der CDU/CSU: Beides muss getan
werden!)
Setzen Sie sich mit Ihrem Koalitionspartner an einen
Tisch und machen Sie keine faulen Kompromisse! Es ist Sie haben trotz der steigenden Zahl der Gewalttaten
doch folgendermaßen: Die FDP möchte den Wehrdienst im rechtsextremistischen Bereich immer noch nicht er-
abschaffen; das kann ich durchaus verstehen. Die Union kannt, dass Sie die Mittel erhöhen müssen. Stattdessen
möchte den Wehrdienst, so wie er jetzt ist, erhalten. bleibt es beim gleichen Betrag. Sie nehmen 2 Millionen
Aber es ist doch kein guter Kompromiss, den Wehrdienst Euro aus dem Kinder- und Jugendplan, um sie für zwei
dann einfach auf sechs Monate zu verkürzen. Projekte gegen Linksextremismus und Islamismus – so
heißt es, glaube ich, in Ihrem Titel – zu verwenden, die
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des nicht einmal definiert sind, von denen man in Hamburg
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) und Berlin, wo die Projekte angeblich umgesetzt werden
Das ist doch ein Kompromiss, der absolut nach Hilfe sollen, noch nichts gehört hat.
schreit, ein fauler Kompromiss. Frau Kollegin, Sie müssen hier schon deutlich ma-
chen, was Sie mit dem Geld – –
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Sie verste-
hen das nicht! Deshalb sind Sie in der Opposi- (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: „Frau Kolle-
tion!) gin“? Das heißt „Frau Ministerin“! Ein biss-
chen mehr Respekt! – Gegenruf der Abg.
Die Einrichtungen, die Zivildienstleistende einsetzen,
Caren Marks [SPD]: Ganz locker bleiben! Sie
können in sechs Monaten gar nichts mit den jungen
ist nach wie vor Abgeordnete! Sie hat ihr Man-
Männern anfangen. Ihre Idee ist konzeptlos. Hätten Sie
dat, glaube ich, nicht zurückgegeben! – Georg
sich doch auf unser Modell geeinigt!
Schirmbeck [CDU/CSU]: Wo sind wir denn
(B) (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Ja nicht! hier? Nur weil Sie hier mit Ihrer Gartenklei- (D)
Dann wären wir Opposition!) dung auftreten, können Sie die Ministerin
nicht beleidigen! Sie sitzt auf der Regierungs-
Hätten Sie doch gesagt: Wir wollen beim Wehrdienst bank, dann ist sie Ministerin! So viel Verstand
möglichst viel Freiwilligkeit einräumen und verstärkt die sollten sie von der SPD doch haben! Wo sind
Freiwilligendienste ausbauen! Dann hätten wir erheblich wir denn?)
mehr erreicht.
– Entschuldigung. – Frau Ministerin, Sie müssen schon
(Beifall bei der SPD) etwas deutlicher machen, wie Sie mit dem Geld im
Sie haben es heute wieder in Ihrer Rede erwähnt Haushalt umgehen, und nicht nur darauf verweisen, dass
– Frau von der Leyen hat das, glaube ich, auch erwähnt –: Ihre Ideen längst noch nicht umgesetzt sind. Einigen Sie
Die Mittel, die durch die Verkürzung des Zivildienstes sich mit dem Koalitionspartner in der Frage der Verkür-
frei werden, sollen quasi ungekürzt für die Freiwilligen- zung des Zivildienstes! Einigen Sie sich endlich mit
dienste zur Verfügung gestellt werden. Ihrem Kollegen Verteidigungsminister, wann das umge-
setzt werden soll, damit die Träger des Zivildienstes end-
(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Was hat denn lich Klarheit haben!
Frau von der Leyen damit zu tun?)
Schönen Dank.
Es liegen immer noch keine Konzepte vor. Stattdessen hat-
ten Sie die Idee – Sie haben das gerade angesprochen –, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
§ 14 c Abs. 4 Zivildienstgesetz zu streichen. Damit ha- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
ben Sie bei den Trägern der Freiwilligendienste in den GRÜNEN)
Bereichen Kultur und Sport und bei den Auslandsdiens-
ten für Unruhe gesorgt. Dann haben Sie in einer nächtli- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
chen Sitzung eine Einigung mit den Trägern erzielt. Da- Miriam Gruß hat das Wort für die FDP-Fraktion.
rüber ist die FDP wohl erst hinterher informiert worden,
das Parlament in Gänze gar nicht. Sie gehen da mit Ge- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
setzen und mit Mitteln in Millionenhöhe um; das betrifft der CDU/CSU)
den Haushalt. Heute sagen Sie, das werde nur für ein
Jahr gelten; die Organisationen werden dann zu Recht Miriam Gruß (FDP):
wieder bei Ihnen auf der Matte stehen. Es ist wirklich ein Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Skandal, dass Sie hier am Parlament vorbeiagieren. Herren! Auf Schuldenbergen können Kinder nicht spie-
2916 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Miriam Gruß
(A) len und erst recht nicht lernen. Das sage ich nicht nur frühe Phase der Kinder noch besser nutzen; denn in die- (C)
heute anlässlich der Haushaltsdebatte, sondern das habe ser Phase sind Kinder wie Schwämme, saugen alles auf,
ich schon in den letzten Jahren immer wieder gesagt. wollen alles wissen. Was wir im frühkindlichen Bereich
Dieser Satz muss gerade für uns als Familienpolitiker, investieren, wird sich später tausendfach auszahlen, wer-
die hier die Zukunft der Familien gestalten, eine ständige den wir als Staat später nicht ausgeben müssen.
Mahnung sein. Wir müssen darauf achten, dass wir die
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
nächsten Generationen nicht mit einem Haushalt belas-
ten, der ihnen Möglichkeiten nimmt und den Kindern Bei der Infrastruktur ist aber auch wichtig, dass wir
Chancen verbaut. die Arbeitszeit in den Blick nehmen. Da brauchen die
Familien mehr Flexibilität, und da müssen wir mehr Un-
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
terstützung bieten. Im Übrigen geht es nicht nur um
Deshalb bauen Sie jetzt den höchsten Schul-
Kleinstkinder, sondern um Kinder in allen Lebenspha-
denberg aller Zeiten! – Jörn Wunderlich [DIE
sen. Auch Kinder im Alter von vier, fünf oder sieben
LINKE]: Deshalb entlasten Sie die Hoteliers,
Jahren brauchen Infrastruktur und Unterstützung. Des-
die Erben, die Unternehmer!)
wegen müssen wir auch hier den Blickwinkel erweitern.
Das gilt nicht nur für den globalen Haushalt des Deut- Bezüglich der finanziellen Situation hat diese Koali-
schen Bundestages und dieser Koalition, sondern auch tion bereits gehandelt. Wir haben mit dem Wachstums-
für den Etat der Familien. Es ist ganz klar – die Ministe- beschleunigungsgesetz die Familien erheblich entlastet.
rin hat es schon gesagt –: Wenn jedem alle Wünsche er-
füllt würden, hätten wir einen enormen Aufwuchs. Das (Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Schuldenauf-
geht nicht. Deswegen müssen wir auch in diesem Haus- baugesetz!)
halt mit Maß und Ziel walten, und das haben wir getan.
Wir haben das Kindergeld erhöht, die Freibeträge erhöht
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten und damit ein Signal gesetzt, dass Kinder nicht einfach
der CDU/CSU) kleine Erwachsene sind, sondern einen eigenständigen
Bedarf haben. So werden wir mit dem Thema auch um-
Demgegenüber bauen andere Kolleginnen und Kollegen gehen, wenn wir in diesem Jahr die Vorgaben des Bun-
hier Luftschlösser auf. Das hilft nicht weiter. Wir haben desverfassungsgerichts umsetzen. Das Gericht hat uns
uns an den Realitäten und an dem orientiert, was im Ko- den klaren Auftrag gegeben, die Kinder stärker in den
alitionsvertrag vereinbart ist. Fokus zu nehmen. Das werden wir tun. In unsere Lösung
Damit komme ich schon zu den einzelnen Themen. werden wir insbesondere den Bildungsaspekt einbrin-
gen, was uns allen nur am Herzen liegen kann.
(B) Im Bereich Kinder und Jugendliche war es uns im- (D)
mer wichtig, eine eigenständige Jugendpolitik zu betrei- Noch einmal zur finanziellen Situation. Es ist natür-
ben. Dazu bekennen wir uns weiterhin. Uns war aber lich wichtig, zu wissen, ob die vielen familienpolitischen
auch wichtig, Kindern Schutz und Chancen zu bieten. Leistungen, die wir gewähren, wirklich bei den Familien
Auch dieses Ziel verfolgen wir weiterhin. Beim Kinder- ankommen. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass
schutzgesetz müssen wir überlegen, auf welche Bereiche wir weiterhin die Evaluation der familienpolitischen
es ausgeweitet werden soll. Nach wie vor stehen wir Leistungen vorantreiben. Ich finde es gut, dass wir den
dazu, dass es ein Kinderschutzgesetz geben soll, und Haushalt so aufgestellt haben, dass wir Weichen stellen
zwar mit den beiden Komponenten „Prävention“ und können. Die Erkenntnisse der Evaluation kommen uns
„Intervention“. zugute; denn nichts ist schlechter, als Geld als Mon-
stranz vor uns herzutragen, während es bei den Familien
Im Bereich der Familie stehen wir zu den Erkenntnis- nicht ankommt.
sen, die das gesamte Haus in den vergangenen Jahren
mehrfach von Experten geliefert bekommen hat: Fami- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
lien brauchen vor allen Dingen Zeit, Geld und Infra- Gerade in den letzten Sitzungswochen wurde viel über
struktur. Diese drei Prinzipien haben wir realisiert. Wir das Thema Gleichstellung gesprochen. Wir achten da-
werden das mit diesem Haushalt und mit den zukünfti- rauf, dass die Gleichstellung in Unternehmen weiterhin
gen Haushalten weiterhin tun. im Blick bleibt. Wir haben das Modellprojekt Logib-D
„Zeit“ heißt, Zeit für Kinder zu haben, heißt aber zum Laufen gebracht; ich finde das richtig und wichtig.
auch, Zeit für Pflege zu haben. Deswegen ist es richtig Das Projekt ist bereits in den ersten Unternehmen gestar-
und wichtig, hier eine Initiative zu starten und für Fami- tet. Auch diesen Aspekt behält die Koalition im Auge. Ich
lien in allen Lebenslagen Möglichkeiten zu schaffen, freue mich aber auch, dass es im Ministerium ein neues
Zeit zu haben. Referat gibt, das sich speziell mit Fragen der Jungen- und
Männerpolitik befasst; denn eine solche Blickwinkel-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) erweiterung brauchen wir. Das ist ganz wichtig. Wir wer-
den weiterhin die Mädchen fördern und im Blick haben,
Zur Infrastruktur. Nachdem wir in den letzten Jah-
aber auch die Jungen. Ich freue mich über dieses neue Re-
ren großen Wert darauf gelegt haben, die Quantität aus-
ferat in Ihrem Ministerium, sehr geehrte Frau Ministerin.
zubauen, setzen wir nun auf die Qualität, aber natürlich
auch weiterhin auf die Quantität. Wir müssen uns mit Wir haben hier viel über den Zivildienst und den Ex-
den Ländern darüber einig werden, wie wir im frühkind- tremismus debattiert. Da meine Redezeit leider abgelau-
lichen Bereich einheitliche Standards schaffen und die fen ist, möchte ich nur noch Ihnen, sehr geehrter Herr
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2917
Miriam Gruß
(A) Kollege von der Linken, etwas sagen, weil Sie mich na- erhalten. Warum werden eigentlich pünktlich zum Ende (C)
mentlich angesprochen haben. Ich weise ausdrücklich der Elternzeit 150 Euro Betreuungsgeld gezahlt? Um die
zurück, dass ich ein Problem damit hätte, gegen rechts Nachfrage nach Kinderbetreuungsplätzen ab dem ersten
zu kämpfen. Lebensjahr zu senken. Damit geben Sie zu, dass der Aus-
bau der Betreuungsplätze für Kinder unter drei Jahren
(Steffen Bockhahn [DIE LINKE]: Das habe nicht vorankommen soll. Das Sondervermögen in Höhe
ich gar nicht gesagt!) von über 4 Milliarden Euro für den Kita-Ausbau beinhal-
Ich weiß nicht, ob Sie über mein Leben Bescheid wissen. tet nur den Aufbau von Kindertagesstätten. Die Regie-
Aber Sie finden mich auch auf Demonstrationen gegen rung investiert in Beton statt in Pädagogik.
rechts, genauso wie viele andere Kolleginnen und Kolle- Für die Einstellung von Erzieherinnen fehlt das
gen dieser Koalition. Deswegen weise ich Ihre Unter- Geld. Dafür sind die Kommunen zuständig. Es fehlen
stellung auf das Äußerste zurück, dass wir den Kampf aber bundesweit 80 000 Erzieherinnen. Die Kommunen
gegen rechts nicht mehr betreiben würden, nur weil wir können sich neue Personaleinstellungen nicht leisten,
unseren Blickwinkel erweitern. weil sich die Bundesregierung Steuergeschenke an
Großbanken und Großkonzerne leistet.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Und die
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Hotels!)
Ich möchte auf einen Zwischenruf von vorhin zurück- – Und die Hotels. Danke.
kommen. Das Protokoll liegt uns jetzt vor. Ausweislich
des Protokolls hat der Kollege Peter Tauber gesagt: „Ihr Das Vorzeigeprogramm der Familienministerin mit
seid doch die rot lackierten Faschisten!“. Herr Tauber, dem Betreuungsausbau für 35 Prozent aller Kleinkin-
dafür erteile ich Ihnen eine Rüge und mache im Übrigen der zwischen ein und drei Jahren ist gescheitert. Was ge-
deutlich, dass Vergleiche mit dem Nationalsozialismus schieht nun mit den Kleinkindern, wenn das erste Le-
hier im Hause nichts zu suchen haben. bensjahr zu Ende geht? Im Anschluss an das Elterngeld
ist kein Krippenplatz in Sicht. Ist denn das Kind nach Ih-
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem rer Auffassung mit zwölf Monaten schon erwachsen?
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Muss es dann nicht mehr betreut werden? Auch geeig-
geordneten der FDP – Zurufe von der CDU/ nete Tagesmütter gibt es nicht flächendeckend, und sie
CSU) werden schlecht bezahlt.
Ich gebe jetzt das Wort der Kollegin Heidrun Dittrich. (Beifall bei der LINKEN)
(B) (Beifall bei der LINKEN) In Niedersachsen, woher ich komme, gibt es für unter (D)
Dreijährige eine Versorgerquote von nur 12 Prozent, in
Heidrun Dittrich (DIE LINKE): Nordrhein-Westfalen von nur 11,6 Prozent. Die Eltern in
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen den alten Bundesländern müssen rumdümpeln, bis der
Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz für Kinder
und Herren! Die Regierung tönt lauthals: Die Familie ist
ab drei Jahren greift. Der Fortschritt, dass im Jahr 2009
das Kernstück der Gesellschaft. – Aber wie sieht denn 73 Prozent aller Väter immerhin zwei Monate Elternzeit
die Wirklichkeit aus? Können Kinder geplant werden, nahmen, wird durch die fehlende Kinderbetreuung nach
wenn befristete Beschäftigungsverhältnisse zur Normali- 14 Monaten komplett aufgehoben. Es werden wieder die
tät werden? Wird eine werdende Mutter wieder einge- alten Rollenverhältnisse zementiert;
stellt, wenn ihr Arbeitsverhältnis durch Befristung aus-
gelaufen ist? Das Institut der deutschen Wirtschaft (Katja Kipping [DIE LINKE]: Sauerei!)
schreibt: 41 Prozent der unter 20-Jährigen haben eine denn ein Elternteil muss zu Hause bleiben und das Kind
befristete Stelle; bei den 20- bis 25-Jährigen ist es noch betreuen. Dieser Elternteil ist traditionell die Frau; denn
jeder Vierte. – Ungesicherte Arbeitsverhältnisse be- die hat offensichtlich schon 12 Monate Elternzeit ge-
deuten unsichere Einkommen und im Allgemeinen nommen.
schlecht bezahlte Arbeit. Hierzulande gehen Menschen
arbeiten und sind trotzdem arm; sie müssen beim Job- Obwohl das Elterngeld vorrangig Besserverdienende
center aufstocken. bedient, stehen auch diese Elternteile nach einem Jahr
vor dem Nichts. Sie locken die Eltern damit in eine
Die Familienministerin spricht gern von gleichen Falle: erst die Anreize und dann keine Anschlussbetreu-
Chancen für alle Kinder. Aber welche Kinder und Fami- ung. Ihre Familienpolitik ist verantwortungslos,
lien werden gefördert? Die Einführung des Elterngeldes
2007 zeigt: die der Mittel- und Oberschicht. Zulasten der (Beifall bei der LINKEN)
Erwerbslosen wurde die Bezugsdauer des Elterngeldes in gegenüber den Eltern und gegenüber den Kindern. Des-
Höhe von 300 Euro monatlich um zwölf Monate ver- halb lehne ich diesen Familienhaushalt ab. Indem Sie
kürzt. Das ist ein Verlust in Höhe von 3 600 Euro für ein den Armen den Kitaplatz abkaufen, werden die Integra-
Jahr. Einkommensschwache Familien werden zum Spiel- tion der Kinder und ein gemeinsames Lernen, was zur
ball der Politik. Mit dem geplanten Betreuungsgeld in Chancengleichheit führen könnte, von Anfang an un-
Höhe von 150 Euro monatlich ab 2013 werden einkom- möglich gemacht.
mensschwache Familien dazu verführt, ihre Kinder nicht
in einer Kita anzumelden, damit sie Betreuungsgeld an- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
rechnungsfrei zusätzlich zu Hartz IV oder zum Minijob DIE GRÜNEN)
2918 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Heidrun Dittrich
(A) Die Vereinbarkeit von Kindererziehung und Er- Die Staaten gäben ihre Zukunft in die Hände der Fa- (C)
werbstätigkeit ist in den alten Ländern der Bundesrepu- milien, schreibt der frühere Verfassungsrichter Paul
blik seit über 60 Jahren nicht erreicht. Was in Frankreich Kirchhof – und er hat recht. Die zentrale Funktion der
seit den 50er-Jahren möglich ist, nämlich für jedes Kind Familien haben die Väter und Mütter unserer Verfassung
ab dem dritten Monat einen Betreuungsplatz zu stellen, erkannt. Deswegen haben sie in Art. 6 GG die Funk-
und was in der DDR für Kinder ab dem ersten Jahr mög- tionsbedeutung der Familie in einer so herausragenden
lich war, ist in der Bundesrepublik bis heute nicht mög- und hervorragenden Weise niedergelegt. Dort steht ge-
lich. Wer nicht arbeitet, kann keine Rente aufbauen. Die schrieben, dass Eltern und Familien unter dem besonde-
Altersarmut von Frauen ist vorprogrammiert. Sie erlegen ren Schutz des Staates stehen. Der besondere Schutz gilt
die soziale Verantwortung für die Familie einseitig den also auch für Eltern, die Verbindung von Mann und
Frauen auf. Das betrifft die Betreuung der Kinder und Frau auf Lebenszeit.
die Pflege. Sie kaufen den Frauen die Berufe ab. Hätten
wir mehr Kinderbetreuung, könnten mehr Frauen arbei- (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und
ten, und wir würden wieder Frauenberufe im öffentli- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
chen Dienst einrichten, Stellen für Erzieherinnen, Sozial-
– Stöhnen Sie nicht! Das ist kein veraltetes Familienbild.
arbeiterinnen und Sprachlehrerinnen. Geld ist genug da.
Es muss umverteilt werden. (Beifall bei der CDU/CSU – Ute Kumpf
[SPD]: Herr Geis!)
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Umverteilung ist
Ihr einziges Konzept! Das ist unglaublich!) Ich zitiere das Urteil des Verfassungsgerichts zum
Nachzug von Familien – wenn Sie das Verfassungsge-
Die Millionärsteuer ist nur ein Beispiel dafür, wie dieser
richt nicht achten wollen, dann können Sie so stöhnen –:
Staat zu mehr Einkommen kommen könnte. Außerdem
können Sie auch am Verteidigungsetat sparen. „Voraussetzung für die bestmögliche geistige und seeli-
sche Entwicklung von Kindern“ sind die Eltern. – Das
(Beifall bei der LINKEN) sollten wir nicht missachten. Wer das missachtet, macht
einen entscheidenden Fehler an dieser Stelle.
Der beläuft sich nämlich auf 31 Milliarden Euro, wäh-
rend der kleine Familienhaushalt 2,56 Milliarden Euro (Beifall bei der CDU/CSU)
beträgt. Damit möchten Sie den Zusammenhalt der Ge-
sellschaft organisieren. Sie organisieren damit die Spal- Ich möchte in diesem Zusammenhang noch ein Wort
tung zwischen Arm und Reich. zu den gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften
sagen: Sie sind mit der Elternschaft nicht gleichzustel-
(Beifall bei der LINKEN) len.
(B) (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und (D)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Caren
Das Wort hat der Kollege Norbert Geis für die CDU/ Marks [SPD]: Was sagt denn Herr Westerwelle
CSU-Fraktion. dazu?)
(Beifall bei der CDU/CSU) – Stöhnen Sie nicht! Genau so steht es im Urteil des Ver-
fassungsgerichts zu gleichgeschlechtlichen Lebensge-
Norbert Geis (CDU/CSU): meinschaften.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Damen und Herren! Es ist schon wahr, was Sie sagen:
Die Familie ist der Angelpunkt der Gesellschaft. Nur Sie genießen nicht den Schutz der Verfassung. Das muss
wenn es gelingt, die Bindekräfte der Familie zu erhalten, bei einer solchen Diskussion einmal klargestellt werden,
werden wir morgen noch Kultur haben, werden wir ei- weil es inzwischen vergessen wird.
nen stabilen Staat und eine stabile Gesellschaft haben.
(Caren Marks [SPD]: Das ist diskriminierend,
Deswegen kommt es darauf an, dass unsere Generation
was Sie hier sagen! – Ute Kumpf [SPD]: Sie
ihrem Erziehungsauftrag gerecht wird.
müssen immer Ihr Lieblingsthema unterbrin-
Wir müssen unsere Kinder und Jugendlichen zu frei- gen!)
heitsfähigen Menschen heranziehen. Nur dann werden
wir morgen genügend Erfinder, genügend Firmengrün- Schutz von Ehe und Familie heißt nicht, dass in die-
der, genügend Arbeitsplätze und genügend Menschen, sen Schutz Großeltern und Verwandte einbezogen sind;
die in die Sozialsysteme einzahlen, haben. Wir werden es geht nur um den Schutz der Kleinfamilie. In diesen
nur dann genügend Nachfrager und genügend Anbieter Schutz einbezogen sind die alleinerziehenden Frauen
haben. Wir werden auch nur dann unseren Staat und un- und diejenigen Eltern, die nicht verheiratet sind; sie ge-
sere Zukunft sichern, wenn wir unsere Gesellschaft in nießen den gleichen Schutz.
freiheitsfähige Hände weitergeben können. Deswegen (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/
kommt es entscheidend darauf an, dass die Familien ih- DIE GRÜNEN)
ren Auftrag erfüllen und ihre Kinder und Jugendlichen
zu freiheitsfähigen Menschen heranziehen, zu Men- – Lassen Sie mich doch in Ruhe reden. Vielleicht ist es
schen, die in der Lage sind, die kulturellen Werte zu er- ganz günstig, wenn Sie ab und zu auch eine gegenteilige
kennen, die fest in unserer Gesellschaft verankert sind, Meinung hören. Wenn Sie sie nicht hören wollen, dann
und für die die Freiheit eine große Bedeutung hat. können Sie hinausgehen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2919
Norbert Geis
(A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Widerspruch bei der LINKEN – Beifall bei (C)
neten der FDP – Swen Schulz [Spandau] der CDU/CSU – Swen Schulz [Spandau]
[SPD]: Das ist keine Majestätsbeleidigung!) [SPD]: So viel zum Thema Demokratie!)
Es muss in der Demokratie möglich sein, eine gegentei- – Sie von der Linken haben ein völlig falsches Familien-
lige Meinung zu hören. Lassen Sie mich fortfahren. bild. Ihr Familienbild kommt aus dem Marxismus, und
der gehört in die Mottenkiste des vorletzten Jahrhun-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Schutz- derts.
auftrag, wie er in der Verfassung niedergeschrieben ist,
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
hat zwei Aspekte:
neten der FDP – Zurufe von der LINKEN –
Erstens. Der Staat ist nicht berechtigt, allzu schnell in Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Lassen Sie an-
die Freiheitssphäre der Familie einzugreifen. Der Staat dere Meinungen zu!)
ist beschränkt auf sein Wächteramt. Wenn sich irgendwo Meine sehr geehrten Damen und Herren, eine wich-
eine Gefährdung der Kinder abzeichnet, ist es deswegen tige Aufgabe ist es also, diese drei Ziele zu einem Aus-
nicht richtig, dass das Jugendamt sofort kommt und die gleich zu bringen. Nun kommt es darauf an, dass wir
Kinder wegnimmt. Das geschieht zurzeit in Deutsch- Ehe und Familie den richtigen Rang in unserer Gesell-
land. Das ist verfassungsrechtlich bedenklich. schaft einräumen. Ich glaube, dass dies ein wichtiger
Auftrag an die Familienpolitik ist. Die Familienpolitik
(Ute Kumpf [SPD]: Es geht um den Schutz der ist deshalb ein ganz zentrales Feld der Gesellschaftspoli-
Kinder!) tik.
Zweitens. Der Staat muss die Familien vor allem för- Ich danke der Frau Ministerin, dass sie mit so viel
dern. Dabei geht es darum, dass er drei gegenläufige Elan ihr Amt wahrgenommen hat. Sie haben unsere Un-
Ziele zu einem Ausgleich zu bringt. Das erste Ziel ist, terstützung. Ich freue mich über den runden Tisch, den
dass Ehen geschlossen und Familien gegründet werden. Sie zusammen mit Frau Schavan und natürlich auch mit
Frau Leutheusser-Schnarrenberger geschaffen haben.
(Caren Marks [SPD]: Was ist mit nicht verhei- Ich hoffe, dass er zum Erfolg führt.
rateten Paaren?)
Das zweite Ziel ist, dass den jungen Menschen die Mög- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
lichkeit geboten wird, Geld zu verdienen und in der Herr Kollege Geis!
Wirtschaftsordnung ihre Frau oder ihren Mann zu ste-
hen. Das dritte Ziel ist die Erziehung von Kindern. Norbert Geis (CDU/CSU):
(B)
Berufsausübung und Erziehung von Kindern stehen Ich freue mich über Ihre Initiative zur Familien-Pfle- (D)
oft im Gegensatz. Es ist Aufgabe der Politik, zu ermögli- gezeit. Wir werden Sie unterstützen.
chen, dass beide Ziele vereinbar sind: zum einen die Fa- Meine Damen und Herren, ich bedanke mich für die
milienpräsenz und zum anderen die Berufsausübung. Aufmerksamkeit.
(Beifall der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU] – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Ute Kumpf [SPD]: Genau! Das sagen Sie mal neten der FDP)
Ihren Geschlechtskollegen!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Um das zu gewährleisten, sind eine Menge Dinge zu er- Kai Gehring hat das Wort für Bündnis 90/Die Grünen.
ledigen. Für uns gilt insbesondere, uns Gedanken da-
rüber zu machen, wie wir dafür sorgen können, dass es
mehr Zeitarbeitsplätze gibt. Ich denke an Telearbeits- Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
plätze, die es den Frauen ermöglichen, daheim präsent Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
zu sein. Herr Geis, ich habe mit Wohlwollen zur Kenntnis ge-
nommen, dass auch einem Großteil Ihrer Fraktion ein
(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Teil Ihrer Ausführungen ziemlich peinlich gewesen ist.
DIE GRÜNEN: Männer! Männer!) Ich kann das nachvollziehen.
– Das passt Ihnen nicht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN – Georg
Kita ist eine Hilfe, aber kein Ersatz für die Erziehung Schirmbeck [CDU/CSU]: Hallo?!)
durch Familie. Wer das annimmt, der ist auf dem Holz- Toleranz gegenüber Intoleranz gehört hier wirklich nicht
weg. ins Haus.
(Beifall bei der CDU/CSU – Caren Marks Ich möchte sehr deutlich sagen, dass in Regenbogen-
[SPD]: Darum geht es ja auch nicht! – Zurufe Familien, wo zwei Mütter oder zwei Väter womöglich
von der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE ein Leben lang verbindlich Verantwortung für Kinder
GRÜNEN) übernehmen und sich fürsorglich um ihre Kinder küm-
mern,
– Ich weiß schon, was Sie sagen wollen; aber das ist mir
ziemlich gleichgültig. Was die Linken sagen, ist hier so- (Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Geht doch
wieso ohne Bedeutung. biologisch gar nicht!)
2920 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Kai Gehring
(A) übrigens konservative Werte gelebt werden, die Sie ei- Miriam Gruß (FDP): (C)
gentlich unterstützen müssten. Herr Gehring, sind Sie bereit, anzuerkennen, dass der
Fall Telekom ja genau zeigt, dass man jenseits der Ein-
(Rolf Schwanitz [SPD]: Sehr richtig!) führung einer gesetzlichen Quote Lösungen in Unterneh-
Diese Familien haben denselben Schutz des Grundgeset- men finden kann und dass es auch zu diesen Lösungen
zes verdient und dieselbe Wertschätzung der Gesell- kommt?
schaft und des ganzen Parlamentes wie alle anderen Fa- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
milien in diesem Land auch. der CDU/CSU – Caren Marks [SPD]: Wenn
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, wir noch 500 Jahre warten! Wie viele DAX-
bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abge- Unternehmen machen das denn noch?)
ordneten der FDP)
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Solange Sie das nicht begreifen, sind Sie in der Neuzeit
Ich erkenne an und finde es auch toll, dass die Deut-
nicht angekommen.
sche Telekom als erstes DAX-30-Unternehmen diesen
Nun zum Einzelplan 17. Er zeigt ja, dass es der Koali- Schritt macht. Dies sollten wir vonseiten der Politik un-
tion und auch der Ministerin ziemlich schwerfällt, klare terstützen und begleiten und uns ganz klar im Sinne ei-
Entscheidungen zu treffen und richtige Prioritäten zu nes Gleichstellungsgesetzes auch für eine Quote in der
setzen. Es zeigt sich auch, dass die Leitung eines Minis- Privatwirtschaft einsetzen. Wir müssen das unterstützen.
teriums nicht mit der eines Ponyhofes gleichzusetzen ist. Wir sehen doch, dass Frauen in Führungspositionen lei-
Ich wünsche Ihnen insofern künftig ein glückliches der immer noch Seltenheitswert haben.
Händchen. Ich möchte ein paar kritische Punkte anspre-
(Ute Kumpf [SPD]: Die Frauenquote in der
chen.
FDP-Fraktion ist niederschmetternd!)
Ich finde es – das sage ich bewusst als Mann – Es sollte uns allen am Herzen liegen, dass Frauen die
schlicht peinlich, dass sich Ministerin Schröder in der gleichen Karrierechancen haben wie Männer. Deutsch-
Frauenpolitik ausgerechnet von der Privatwirtschaft land ist hier aber gleichstellungspolitisches Entwick-
überholen und vorführen lassen muss. lungsland, was man sowohl in den Großkonzernen als
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN auch in den Universitäten sehr deutlich sehen kann.
sowie bei Abgeordneten der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Mit der Einführung einer Quote für das Management hat sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
(B) die Deutsche Telekom einen mutigen Schritt in Richtung (D)
Deshalb muss man sich hier kluge Instrumente und An-
Gleichstellung in der Privatwirtschaft getan. reize überlegen, wozu wir immer wieder Vorschläge ge-
(Klaus-Peter Willsch [CDU/CSU]: Ich finde, macht haben, die Sie von der Bundesregierung gerne
das ist peinlich!) aufgreifen können, um endlich Schritte in die richtige
Richtung zu gehen.
Ministerin Schröder setzt weiterhin auf Unverbindlich-
keit und warme Worte; das ist mehr als mutlos. Ich sage Ich möchte noch andere aktuelle Punkte ansprechen.
als männlicher Feminist für die grüne Bundestagsfrak- Sie sind eine Krach- und Chaoskoalition, wenn es um
tion: die Wehrpflicht geht. Vor lauter Pirouettendrehen allein
in den letzten Tagen müsste Ihnen völlig schwindelig
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/ sein. Mir fällt es fast schwer, das alles mitzuverfolgen.
DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Ab- Aber halten wir einmal fest: Die Union sind die letzten
geordneten der LINKEN) Mohikaner in diesem Parlament, die sich an der Wehr-
pflicht festklammern. Mit der FDP haben wir in der letz-
Ohne Quote bleiben Frauenförderung und Geschlechter- ten Legislaturperiode noch gemeinsam für den Ausstieg
gerechtigkeit reine Lippenbekenntnisse. Deutschland aus der Wehrpflicht gekämpft. Jetzt ist sie in den Koali-
kann es sich schlichtweg nicht leisten, die Talente von tionsverhandlungen umgefallen. Schade! Letztlich gab
Frauen weiter zu vergeuden. Frau Schröder, Ihre Frauen- es mit der Verkürzung auf sechs Monate einen faulen
politik ist von vorgestern. Packen Sie endlich die Gleich- Kompromiss.
stellung in der Privatwirtschaft an!
Ich erwarte aber, dass Herr zu Guttenberg und Frau
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Schröder sich da zusammensetzen, abstimmen
und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
der SPD) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
KEN)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Herr Kollege Gehring, möchten Sie eine Zwischen- und diesem Parlament ein gemeinsames, einigermaßen
frage der Kollegin Gruß zulassen? schlüssiges Konzept vorlegen, statt in den Medien öf-
fentlich herumzudilettieren. So geht das nicht weiter.
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Wehrpflicht ist ungerecht, sie ist sicherheitspoli-
Ja, gerne. tisch überflüssig, sie ist unvertretbar teuer, und sie ist ein
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2921
Kai Gehring
(A) tiefer Eingriff in die individuellen Freiheitsrechte junger sammenstreichen. Das müsste eigentlich großer Konsens (C)
Männer. Deshalb müssen wir da aussteigen. in diesem Haus sein.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
DIE GRÜNEN und der LINKEN) sowie bei Abgeordneten der SPD)
Geben Sie endlich Ihr Wehrpflichtdogma auf! Gehen Sie
die neuen Wege, die Sie eben angekündigt haben! Die Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Pflichtdienste haben keine Zukunft mehr, sondern die Herr Kollege, kommen Sie zum Ende, bitte.
Zukunft liegt in den Freiwilligendiensten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja. – Ich möchte mit einem Appell enden, auch auf-
Ich sage Ihnen auch: Die Verlängerungsoption beim grund der Sprechblasen zum Thema Extremismus. Ich
Zivildienst ist letztlich eine Verlängerung des Zivil- wünsche mir, dass hier endlich Konsens darüber herbei-
dienstes und eine Abkopplung von der Wehrpflicht. geführt wird, dass man vor allem gegen Rechtsextremis-
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Haben Sie was mus kämpfen muss.
gegen Freiwilligkeit?) (Beifall bei der LINKEN – Andreas Mattfeldt
– Von wegen Freiwilligkeit. Das setzt man dann noch [CDU/CSU]: Und gegen links nicht?)
davor. Aber es ist eine Krücke und keine Brücke, und – Gegen links auch.
Sie schließen damit auch keine biografische Lücke, wie
hier angekündigt wird; das ist Unsinn. Das ist schon jetzt
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
der Fall.
Herr Kollege.
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Nur Misstrauen
gegenüber unseren Verbänden! Natürlich wol- Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
len es die Träger! Führen Sie doch mal Ge- Aber wenn im Jahre 2009 über 20 000 rechtsextreme
spräche mit den Trägern!) Straftaten –
Sie schaffen es einfach nicht, die Frage nach dem Sinn
zu beantworten, den ein sechsmonatiger Wehr- und Zi- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
vildienst haben soll. Statt diese Legislaturperiode mit Herr Kollege!
Verkürzungs- bzw. Verlängerungsdebatten zu vergeuden,
(B) (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Gähn, gähn! Wie Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (D)
lang sind fünf Minuten?) – ich komme zum Schluss –
sollten Sie endlich einen Ausstiegsbeschluss herbeifüh-
ren. Sie sollten dafür sorgen, dass aus den Pflichtdiens- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
ten ausgestiegen und endlich massiv in den Ausbau der Aber definitiv.
Freiwilligendienste investiert wird.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
sowie bei Abgeordneten der SPD) – laut Bundeskriminalamt begangen wurden, dann
muss hierauf die Priorität liegen. Also hören Sie endlich
Als einer der letzten Redner in dieser Debatte sage auf, die Extremisten alle in einen Topf zu werfen,
ich: Hören Sie auf, die Jugendlichen zu ignorieren! Ju-
gendliche kamen heute noch gar nicht richtig vor. (Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Gewalt ist
Gewalt! Es gibt keine gute und schlechte Ge-
(Miriam Gruß [FDP]: Das stimmt nicht, Herr walt!)
Kollege!)
und konzentrieren Sie sich auf das, was wirklich wichtig
Wertschätzen Sie zum Beispiel, dass Jugendliche sich ist: den Kampf gegen Rechtsextremismus und für die
beteiligen wollen, dass es ihnen um Partizipation geht. Demokratie.
Neulich hatten wir die Abschlusskonferenz zum Bundes-
programm für mehr Jugendbeteiligung. Da erwartet man (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
eigentlich, dass gesagt wird, dass man sich weiter um die bei der SPD und der LINKEN)
Jugendbeteiligung kümmern will. Das ist aber nicht er-
folgt. Was geschieht da jetzt? Die Jugendpolitik sollte Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
unter Schwarz-Gelb nicht völlig in der Bedeutungslosig- Der Kollege Thomas Jarzombek hat jetzt das Wort für
keit verschwinden. Mit Sachsen wird offensichtlich das die CDU/CSU-Fraktion.
erste Bundesland aus der Jugendhilfe aussteigen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Da haben wir
die Auffangorganisation NPD im Land!)
Thomas Jarzombek (CDU/CSU):
Das sind sehr bedenkliche Entwicklungen. Man darf Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe
nicht auf dem Rücken der Jugendlichen den Haushalt zu- in dieser Debatte zwei Beobachtungen gemacht. Erstens
2922 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Thomas Jarzombek
(A) finde ich es ziemlich unglaublich, in welcher Art und Gedönskanzler Schröder hat Ihre Familienpolitiker am (C)
Weise hier Linksextremismus verharmlost wird. langen Arm verhungern lassen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Ute Kumpf [SPD]: So ein Quatsch! – Swen
Widerspruch bei der LINKEN) Schulz [Spandau] [SPD]: Betreuungsausbau!
Kindergeld! Machen Sie doch mal selber was!)
– Meine Damen und Herren von den Linken, dass Sie
das nicht juckt, ist mir klar. – Aber dass die SPD das so Ich kann aus eigener Erfahrung in Nordrhein-West-
sieht, wie sie es sieht, finde ich erstaunlich; da hätte ich falen sagen, was 39 Jahre SPD-Politik für die Familien
persönlich mehr Anstand an dieser Stelle erwartet. gebracht haben: eine Betreuungsquote für unter Dreijäh-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rolf rige von 2,8 Prozent, die niedrigste in ganz Deutschland.
Schwanitz [SPD]: Sie sehen das falsch! – (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Hört euch
Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ausgerech- das mal an!)
net!)
Mit Schwarz-Gelb haben wir es in Nordrhein-Westfalen
Anstatt sich aufzuregen, sollten Sie vielleicht den geschafft, die Anzahl der Plätze in fünf Jahren nahezu zu
Vorschlag aufgreifen, den ein Kollege der Linkspartei in verzehnfachen.
der ersten Lesung gemacht hat, nämlich endlich einmal
Aussteigerprogramme für die Linkspartei zu etablieren. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir mussten das aufräumen, was Sie hinterlassen haben.
Ich habe heute noch eine zweite Beobachtung ge- Wir werden an dieser Stelle weitermachen. Denn wir
macht. Wie es um die Familienpolitik bei der Opposition müssen etwas tun. Wir haben schon eine Menge getan,
bestellt ist, zeigt die Tatsache, dass alle Vorredner von zum Beispiel für die Infrastruktur. Fast 10,5 Milliar-
der Opposition mit Ausnahme des Kollegen Gehring den Euro aus dem Konjunkturpaket werden bis 2013 in
nicht einen Satz zum Thema Kinder und Familie verlo- Betreuungsplätze für unter Dreijährige investiert.
ren haben. Wir haben hier offensichtlich ein Problem.
Wir sind hier nicht der Verteidigungsausschuss des (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Große Koali-
Deutschen Bundestages. Ich kann in diesem Zusammen- tion!)
hang nur den amerikanischen Juristen Darrow zitieren,
Die rot-grüne Koalition hat im Jahr 2005 eine Quote von
der vor 100 Jahren mit satirischem Unterton sagte:
13,7 Prozent hervorgebracht, was die Betreuungsplätze
Die erste Hälfte unseres Lebens wird von den El- für unter Dreijährige betrifft. Dank Ursula von der
(B) tern ruiniert, die zweite von den Kindern. Leyen haben wir heute eine Quote von 20 Prozent er- (D)
reicht. Wir werden 35 Prozent in 2013 erreichen. Dafür
Kardinal Frings hat es so ausgedrückt: steht auch dieser Haushalt.
Die Zukunft des Volkes hängt nicht von der Zahl (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
der Kraftwagen ab, sondern von der Zahl der Kin-
derwagen. Wir tun mehr für die Eltern. Wir als Union haben das
Elterngeld eingeführt. Wir werden auch das Teileltern-
Darüber müssen wir hier sprechen.
geld einführen und damit eine gute Weiterentwicklung
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ermöglichen. Ich nenne weiterhin die steuerliche Ab-
zugsfähigkeit der Kinderbetreuungskosten und nicht zu-
Jeder, der nur ein bisschen finanzpolitisches Gespür
letzt die Erhöhung des Kindergeldes, die wir mit dem
in seinen Fingern hat, der muss doch sehen, dass die
Wachstumsbeschleunigungsgesetz vorgenommen haben.
Schulden dieses Landes nicht nur als Zahl im Haushalt
Ich glaube, das ist richtig. Denn in sieben Jahren gab es
stehen. Die Schulden dieses Landes spiegeln sich in den
Geburtenstatistiken wider. keine Erhöhung des Kindergeldes, obwohl die Ausgaben
für die Kinder von Jahr zu Jahr steigen.
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Genau so ist
es!) Der Focus hat vor einigen Wochen von der Familie
eines Hochschuldozenten – er gehört also nicht zum Pre-
Wir haben heute eine Geburtenrate von 1,4. Die Frage kariat – berichtet. Er kann es sich noch nicht einmal er-
ist, wie wir alle unsere Aufwendungen in der Sozialver- lauben, mit seinen drei Kindern in den Urlaub zu fahren.
sicherung zukünftig decken können, wenn es so weiter Es ist daher wichtig, dass wir mehr finanzielle Leistun-
läuft. Meine Damen und Herren von Rot-Grün, da haben gen für Familien, die sich in der Mitte der Gesellschaft
Sie, was diese Entwicklung betrifft, sieben Jahre verlo- befinden, bereitstellen.
ren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Erst mit Angela Merkel als Bundeskanzlerin und mit
Ursula von der Leyen als Familienministerin ist hier et- Damit kommen wir zu einem ganz entscheidenden
was passiert. In diesen vier Jahren ist der Etat von 4,4 Punkt. Denn wir als Union sind die Einzigen, die den
um 50 Prozent auf 6,6 Milliarden Euro gestiegen. Tatsa- Eltern Wahlfreiheit lassen. Die Geburtenzahlen erlau-
che ist doch: Unter Rot-Grün gab es für Familie und ben es uns nicht, aus ideologischen Gründen nur auf ein
Kinder keine Lobby. ganz bestimmtes Familienmodell zu setzen.
(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2923
Thomas Jarzombek
(A) Wir müssen Eltern Wahlfreiheit bieten. Wenn das Be- Frau Ministerin Schröder, Politik ist eigentlich in der (C)
treuungsgeld – in welcher Form der Umsetzung auch im- Verantwortung, klare Antworten auf die gesellschafts-
mer – dazu beiträgt, dass insbesondere Familien mit politischen Herausforderungen zu geben. Dies trifft
mehreren Kindern, bei denen die finanzielle Lage mögli- ganz besonders auf unser Ressort, Familie, Senioren,
cherweise auch aufgrund einer Teilzeitarbeit sehr Frauen und Jugend, zu. Die Bekämpfung der Kinder-
schwierig ist, eine bessere Unterstützung von uns be- und Familienarmut, die Begleitung des demografischen
kommen und das wiederum dazu beiträgt, dass wir eine Wandels, mehr Teilhabe für Jugendliche und die konse-
höhere Geburtenrate und mehr Kinder bekommen, dann quente Gleichstellung von Männern und Frauen: Im
ist es genau die richtige Politik, die wir als Koalition ver- Einzelplan 17 finden wir leider kaum Antworten auf
abredet haben. diese und weitere Herausforderungen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Im Bereich der Gleichstellungspolitik wird das ganz
Florian Toncar [FDP]) besonders deutlich. Der Lohnunterschied zwischen
Männern und Frauen beträgt skandalöse 23 Prozent. Der
Deshalb kann ich nach der heutigen Debatte nur das Frauenanteil in deutschen Vorständen und Aufsichtsrä-
Fazit ziehen: Da, wo die Union regiert, hört man immer ten ist lächerlich gering. Das schreit geradezu nach einer
mehr Kinder schreien. Da, wo die Linken regieren, hört aktiven Gleichstellungspolitik. Doch was macht die
man höchstens noch die Eltern schreien. Frauenministerin? – Die Telekom ist mit ihrer aktuellen
Vielen Dank. Entscheidung für eine Frauenquote entschlossener als
die zuständige Ministerin.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP – Widerspruch bei der SPD und Wer wie Frau Schröder unbeirrt auf Freiwilligkeit in
dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) der Wirtschaft setzt, nimmt die Realität in den meisten
Unternehmen nicht zur Kenntnis. Die Zeit ist mehr als
reif für verbindliche Regelungen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Jarzombek, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer (Zuruf der Abg. Ingrid Fischbach [CDU/
ersten Rede im Deutschen Bundestag. CSU])
(Beifall) Die SPD fordert eine gesetzliche Quotenregelung für
Frauen in Vorständen und Aufsichtsräten. Ich höre schon
Das Wort hat jetzt die Kollegin Caren Marks von der die konservativen Bedenkenträger: Gibt es denn genü-
SPD-Fraktion. gend qualifizierte Frauen für diese Posten? – Erstens ist
(Beifall bei der SPD – Dorothee Bär [CDU/ das der Fall; es gibt sie. Zweitens, wer hat eigentlich
(B) (D)
CSU]: Das war gerade so ein schönes Schluss- nach der Qualifikation der Männer gefragt, meine Her-
wort von Thomas! Und jetzt kommt doch noch ren?
jemand!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Caren Marks (SPD): Bei der Überwindung der Entgeltungleichheit ver-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! lässt sich die Ministerin mit einem unverbindlichen Lohn-
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege prüfungsverfahren ebenfalls auf das rein freiwillige Han-
Jarzombek, Sie haben eben gesagt, da, wo die Union re- deln einzelner Unternehmen. Auch diesbezüglich gibt es
giert, sei es um die Familienpolitik besonders gut be- kein entschlossenes Handeln, sondern nur Mutlosigkeit.
stellt. Die SPD sagt: Wir brauchen endlich ein wirksames Ent-
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Da hat er recht!) geltgleichheitsgesetz. Gerade heute haben Sozialwissen-
schaftlerinnen noch einmal die Notwendigkeit eines Ge-
In Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen, wo die setzes betont.
Union regiert, ist es aber ganz besonders schlecht um
den Ausbau der frühkindlichen Bildung und Betreuung Die jetzige Bundesregierung hat ganz offensichtlich
bestellt. Das ist und bleibt richtig. dringenden Beratungsbedarf in Sachen Genderkompe-
tenz. Umso bedauerlicher ist es, dass die schwarz-gelbe
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Koalition die Förderung des Gender-Kompetenz-Zen-
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE trums Mitte des Jahres einstellt und künftig auf gute,
GRÜNEN – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: wissenschaftliche Politikberatung verzichtet.
13 Jahre Gerhard Schröder!)
Die Antidiskriminierungsstelle ist zwar mit genauso
Zu dem Betreuungsgeld will ich gar nicht mehr viel viel Geld wie im Vorjahr ausgestattet, ich habe aller-
sagen. Da kann ich mich durchaus der vorherigen Fami- dings große Zweifel, ob die Bundesregierung eine ziel-
lienministerin, Frau von der Leyen, anschließen. Es ist führende Antidiskriminierungspolitik wirklich will.
Unsinn und eine bildungspolitische Katastrophe, und das Denn der Kurs, den Sie, Frau Ministerin, auf EU-Ebene
wird es auch bleiben. verfolgen, ist ein Trauerspiel. Sie blockieren in Brüssel
eine neue Antidiskriminierungsrichtlinie.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Sie sollten
LINKEN) einmal etwas Nettes sagen!)
2924 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Caren Marks
(A) Das ruft sogar öffentliche Proteste von Amnesty Interna- Frauen und Jugend, in der Ausschussfassung. Hierzu (C)
tional hervor. liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die Linke vor,
über den wir zuerst abstimmen. Wer stimmt für den Än-
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Positiv den- derungsantrag der Fraktion Die Linke auf Druck-
ken!) sache 17/1036? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Über die 5 Millionen Euro für die Evaluation von fa- Der Änderungsantrag ist abgelehnt mit den Stimmen der
milienpolitischen Leistungen kann man sich nur wun- Koalitionsfraktionen, der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
dern. Mein Kollege hat das schon angesprochen. Viel- nen bei Zustimmung der Fraktion Die Linke und Enthal-
leicht ist es ratsam, Frau Schröder, dass Sie mit Ihrer tung der SPD-Fraktion.
Amtsvorgängerin sprechen. Sie hatte eine solche Evalua- Wir kommen nun zur Abstimmung über den Einzel-
tion bereits in Auftrag gegeben, die Ergebnisse liegen plan 17 in der Ausschussfassung. Wer stimmt dafür? –
massenweise vor und sind keineswegs veraltet. Es man- Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Einzelplan 17 ist
gelt nicht an Daten, sondern an Ihrem politischen Gestal- angenommen mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
tungswillen. gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Katja Dörner Ich rufe den Tagesordnungspunkt I.17 auf:
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Einzelplan 30
Ja, es ist richtig: Familien wünschen sich bei der Bundesministerium für Bildung und For-
Pflege mehr Unterstützung. Im wahrsten Sinne des Wor- schung
tes „sparsam“ ist das unausgereifte Konzept der Ministe-
rin zur Pflegeteilzeit für pflegende Angehörige. Der – Drucksachen 17/620, 17/623 –
O-Ton der Ministerin ist entlarvend. Sie sagt: Der Pfle- Berichterstattung:
geversicherung käme die Familienpflegezeit langfristig Abgeordnete Eckhardt Rehberg
zugute; denn Pflege zu Hause koste weniger als im Klaus Hagemann
Heim. „Hört, hört!“, sage ich da nur. Erschreckend ist Ulrike Flach
die fehlende Reflexion darüber, dass es in den allermeis- Michael Leutert
ten Fällen die Frauen sind, die Angehörige pflegen. Priska Hinz (Herborn)
Frauen sind häufig im Niedriglohnsektor zu finden. Wer
von ihnen kann ohne Kompensation vier Jahre lang von Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
75 Prozent des Gehaltes leben? Das Angebot geht an der Die Linke vor, über den wir am Freitag im Anschluss an
Lebenswirklichkeit vieler vorbei. die Schlussabstimmung abstimmen werden.
(B) (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Was ist denn Ihre Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für (D)
Lösung?) die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. Gibt es
Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
Ich frage mich, meine lieben Kolleginnen und Kolle- beschlossen.
gen von der Union, warum Sie die von der SPD gefor-
derte bezahlte Pflegezeit von zehn Tagen nach wie vor Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ablehnen. Gerade zu Beginn der Pflege, die in der Regel ner das Wort dem Kollegen Klaus Hagemann von der
von heute auf morgen notwendig wird, brauchen Fami- SPD-Fraktion.
lien Zeit, um Informationen und Hilfe zu suchen und (Beifall bei der SPD)
sich auf die neue Situation einzustellen.
Es bleibt festzustellen: Auch in der Haushaltspolitik Klaus Hagemann (SPD):
entzieht sich die Bundesregierung der Verantwortung. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Sie handeln nicht dort, wo es nötig ist, sie zaudern und Herren! Es ist jetzt gleich 19.15 Uhr und wir beraten den
prüfen, bestenfalls hören wir Appelle an Wirtschaft und Einzelplan 30, den Haushalt, der zukunftsgerichtet ist.
andere. Ich wünsche mir für die Menschen in unserem Die Medien haben kein Interesse mehr. Ich freue mich,
Land, dass sich die Ministerin Schröder den Herausfor- dass Sie, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, noch so zahl-
derungen unserer Zeit stellt. Wir alle, vor allem wir reich hier sind und der Debatte folgen.
Frauen, erwarten zu Recht konkretes Handeln statt ein
Herumstochern im Nebel. Vielleicht wird es ja noch et- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
was. FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN
und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Man sollte vielleicht einmal überlegen, ob man dieses
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
Thema im Rahmen der Beratungen des Haushaltes 2011
Dorothee Bär [CDU/CSU]: Sie können uns
nicht etwas früher behandeln sollte.
nicht in Generalhaftung nehmen!)
Bei diesem Haushaltsentwurf muss ich, wie in der
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ersten Lesung, feststellen: Viele Titel sind gesperrt. Sie
Ich schließe die Aussprache. sind während der Haushaltsberatungen nicht entsperrt
worden, Frau Ministerin. Es sind sogar noch zusätzliche
Wir kommen zur Abstimmung über den Einzel- Sperren durch die schwarz-gelbe Koalition hinzuge-
plan 17, Bundesministerium für Familie, Senioren, kommen. Weil nicht genügend ausgereifte Konzepte
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2925
Klaus Hagemann
(A) vorliegen, hat die Koalition entsprechende Sperren vor- In der 16. Legislaturperiode, also während der Gro- (C)
genommen. Was nützen die schönen Ankündigungen, ßen Koalition, haben wir bei den Haushaltsberatungen
die im Koalitionsvertrag festgeschrieben und in den Me- – jetzt wollte ich den Kollegen Willsch als Zeugen auf-
dien immer wieder dargestellt werden, und was ist das rufen, aber er ist nicht da – immer noch Geld obendrauf-
Gerede vom Gesamtkunstwerk wert – davon hat Kollege gepackt.
Barthle am Dienstag gesprochen –, wenn nicht konkrete
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Der hat jetzt eine
Politik dahintersteht?
kleine Pause gemacht! Das steht ihm zu!)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich verweise auf das BAföG. Dort haben wir im parla-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – mentarischen Verfahren erhebliche Mittel obendrauf-
Patrick Meinhardt [FDP]: Konkreter kann gepackt.
Politik gar nicht sein!)
(Patrick Meinhardt [FDP]: Beim BAföG?
Man kann es als Mangel bezeichnen, wenn keine kla- Überhaupt nicht! Falsch!)
ren Konzepte vorliegen und man nicht sehen kann, wie
es mit den Projekten im Jahr 2011 überhaupt weiterge- Jetzt sind durch die Koalition sogar Mittel gestrichen
hen soll. Wir wissen zwar, wie schwierig die Haushalts- worden
lage ist, aber es ist nicht gut, dass keine mittelfristige (Ulrike Flach [FDP]: Das ist jetzt wirklich
Finanzplanung vorgelegt worden ist. Dadurch entsteht mutig!)
gerade im Forschungsbereich und im Bildungsbereich,
die auf unser Geld angewiesen sind, Unsicherheit, weil – ob das Ihre Leistung ist, weiß ich nicht –, beispiels-
man nicht weiß, wie es mit der Finanzierung der Pro- weise beim Titel „Klimaforschung und Lebensraum
jekte weitergeht. Wir wissen, dass vor der Wahl in Nord- Erde“ haben Sie 4,5 Millionen Euro gestrichen. Liebe
rhein-Westfalen am 9. Mai 2010 Frau Flach, in den Bereichen, in denen es deutliche Kür-
zungen geben könnte, beispielsweise bei der Öffentlich-
(Patrick Meinhardt [FDP]: Das ist die, vor der keitsarbeit oder beim Personalaufbau, haben Sie im Ge-
Sie zittern!) gensatz zur Oppositionszeit jetzt keine Kürzungsanträge
nicht gestrichen werden soll, jedoch keine Klarheit da- gestellt. Die hätten wir gerne unterstützt. Ich muss sa-
rüber herrscht, was danach geschieht. Ich sehe nur die gen: Die FDP ist als Tiger in der Opposition gestartet
Gefahr, dass das, was vor der Wahl gesperrt wurde – so und als Bettvorleger in der Koalition gelandet.
hieß es dieser Tage –, nach der Wahl gestrichen wird. Ich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
frage: Ist es so? DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Patrick
(B) (Patrick Meinhardt [FDP]: Das ist blühende Meinhardt [FDP]) (D)
Fantasie!) – So ist es. Wenn man keine Konzepte hat, kann man das
Der Schuldenberg ist gewachsen. Sie legen noch ein- sagen, lieber Kollege Meinhardt.
mal 80 Milliarden Euro obendrauf. In den zurückliegenden Jahren hatte das Parlament
500 Millionen Euro mehr bewilligt, als im Laufe der
(Patrick Meinhardt (FDP): Wie viel wollten
Zeit ausgegeben worden sind. Da muss man noch einmal
Sie drauflegen?
genauer hinschauen. Sie haben über die globale Minder-
Sie müssen einmal die Zinsen bezahlen. Die Schulden- ausgabe hinaus nicht alles Geld, das das Parlament zur
bremse greift außerdem im nächsten Jahr. Da sind mit Verfügung gestellt hatte – in der letzten Legislatur-
10 Milliarden Euro zusätzlichen Einsparungen schon er- periode 500 Millionen Euro –, verausgabt. Das fehlt na-
hebliche Dinge zu beachten. türlich Kindern, Jugendlichen, Bildung und Forschung.
Darauf müssen wir genauso hinweisen wie auf die Flops,
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Und ihr die wir festzustellen haben. Die Forschungsprämie ist zu
macht jetzt Sparvorschläge in Höhe von nennen. Ebenso das Technikum: 4 Millionen Euro Aus-
80 Milliarden Euro!) gaben, ein Praktikumsplatz, nein, zwischenzeitlich sind
– Ihr habt die Mehrheit, und ihr habt entsprechende Vor- zwei entstanden, habe ich gehört.
schläge zu machen. Doch die hat auch Herr Schäuble in (Patrick Meinhardt [FDP]: Lächerlich!)
seiner Rede am Dienstag nicht vorgetragen. Es ist kein
klares Konzept vorgelegt worden. Die Financial Times Unter anderem ist auch – das ist nicht lächerlich; das ist
Deutschland, nicht gerade der Hort der Sozialdemokra- alles vom Rechnungshof festgestellt – die fehlende Kon-
tie, trolle der Bewilligungsbescheide durch das Ministerium
zu nennen. Das alles müssen wir in Erinnerung rufen
(Patrick Meinhardt [FDP]: Oh! Das hat er auch dürfen, lieber Kollege.
schon festgestellt!)
(Beifall bei der SPD – Axel E. Fischer [Karls-
schreibt, dass nicht einmal die Andeutung eines Konsoli- ruhe-Land] [CDU/CSU]: Das ist aus rot-grü-
dierungskonzeptes durch den Finanzminister vorgelegt ner Zeit!)
wurde.
Wir dürfen darauf hinweisen, dass ihr von Schwarz-Gelb
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Sehr hier viel zu tun und im Ministerium darauf hinzuweisen
richtig!) habt.
2926 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Klaus Hagemann
(A) (Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/ Wir haben versucht, unser Wahlprogramm durch (C)
CSU]: Das Aufräumen von dem, was ihr hin- Haushaltsanträge umzusetzen. Wir haben Anträge einge-
terlassen habt! Ganz genau!) bracht, in denen wir fordern, dass das BAföG deutlich
erhöht wird und dass für eine „gute Lehre“ an den Hoch-
Die Ausgaben für die atomaren Altlasten in den For-
schulen mehr Geld zur Verfügung gestellt wird.
schungsreaktoren sind erneut gestiegen und steigen wei-
ter. Sie steigen ins Unermessliche; mit 4 Milliarden Euro (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Wie wollen
ist dafür zu rechnen. Die Atomwirtschaft in Hamm- Sie das finanzieren? Nachher sind es 160 Mil-
Uentrop lässt grüßen. Sie wird nicht herangezogen, oder liarden Schulden!)
wenn, dann nur ein wenig. Diese Punkte sind als negativ
herauszustellen. – Es ist gegenfinanziert, lieber Herr Kollege
Schirmbeck.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
In der Großen Koalition und auch unter Rot-Grün ha- Herr Kollege Hagemann.
ben wir einiges bewegt und nach vorne gebracht, dessen
Ernte Sie jetzt einbringen können. Die Exzellenzinitia- Klaus Hagemann (SPD):
tive ist gestartet worden. Der Pakt für Forschung und Wir hätten mit unserem Konzept sogar weniger
Innovation wurde unter Rot-Grün gestartet. Schulden aufgenommen als ihr. Wir sind nur – in Anfüh-
(Axel E. Fischer [Karlsruhe-Land] [CDU/CSU]: rungszeichen – bei 77 Milliarden Euro gelandet,
Bewilligungsbescheide versaut!)
(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Durch Buchungs-
Die Hightech-Strategie wurde in der Großen Koalition tricks in den Einzelplänen 32 und 60!)
gestartet. Herr Fischer, der Rechnungshofbericht zur
während ihr bei 80 Milliarden Euro liegt – Schulden-
Umsetzung des Nationalen Entwicklungsplans Elektro-
rekord!
mobilität liegt jetzt vor. Da ist festzustellen, dass bisher
nur wenig Geld verausgabt worden ist. Der Hochschul- (Beifall bei der SPD)
pakt I ist zu nennen. Mehr Studienplätze wurden
geschaffen. Nordrhein-Westfalen ist dabei stark im Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Rückstand. Rheinland-Pfalz, mein Bundesland, hat
Kommen Sie bitte zum Schluss.
50 Prozent mehr Studienplätze geschaffen, als es sich
verpflichtet hatte. Das muss positiv erwähnt werden.
(B) Klaus Hagemann (SPD): (D)
(Beifall bei der SPD – Patrick Meinhardt Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Wir wer-
[FDP]: Die rote Brille!) den darauf hinarbeiten, dass unsere genannten Initiativen
Der Clusterwettbewerb und viele andere Punkte sind zu und Anträge berücksichtigt und in Politik umgesetzt
nennen. werden.
Ich darf noch einmal an das Ganztagsschulpro- Vielen Dank.
gramm erinnern. Es ist notwendig, dies fortzusetzen.
(Beifall bei der SPD)
Das hat auch Frau von der Leyen am Dienstag gesagt.
Das Ganztagsschulprogramm musste damals gegen hef-
tigsten Widerstand von Union und FDP durchgesetzt Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
werden. Das Wort hat der Kollege Eckhardt Rehberg von der
CDU/CSU-Fraktion.
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Stimmt doch
gar nicht! – Ulrike Flach [FDP]: Nein! Nein! (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Lieber Herr Hagemann, wir haben zuge-
stimmt!) Eckhardt Rehberg (CDU/CSU):
Frau Schavan, ich finde es ganz toll, dass Sie im Han- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
delsblatt dafür einstehen, für Grundschulen 1 Milliarde Herren! Herr Kollege Hagemann, es ist immer sehr
Euro mehr bereitzustellen. leicht, uns auf der einen Seite mangelnden Sparwillen
vorzuwerfen – das haben Sie gerade wieder getan; aber
(Beifall der Abg. Dagmar Ziegler [SPD]) Sie arbeiten mit Buchungstricks in den Einzelplänen 32
Ich finde es gut, dass Sie das ankündigen. Aber Sie ha- und 60 –
ben zurzeit keine Kompetenz, das durchzusetzen. Denn (Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: So ist das!)
das Kooperationsverbot im Grundgesetz steht dagegen.
Lassen Sie uns gemeinsam dieses Kooperationsverbot und sich auf der anderen Seite zu beklagen, dass hier und
aus dem Grundgesetz streichen. Dann kann das Verspre- da womöglich gestrichen worden ist. Dieser Haushalt,
chen von Frau Schavan auch umgesetzt werden. Einzelplan 30, ist ein Aufwuchshaushalt. Dieser Haus-
halt für 2010 wächst im Vergleich zu 2009 um
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 660 Millionen Euro.
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN) (Klaus Hagemann [SPD]: Das ist gesperrt!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2927
Eckhardt Rehberg
(A) Die Bundesregierung, die Regierungsfraktionen haben (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (C)
Wort gehalten. In der Krise wollen wir Bildung und For- Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Ludwig Ehr-
schung stärken. Das ist die Überschrift für diesen Einzel- hard wäre stolz auf uns!)
plan.
Besonders abstrus finde ich in diesem Zusammen-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) hang den Antrag der Linken. Darin wird ernsthaft vor-
geschlagen, bei der industrienahen Innovationsför-
Wenn wir als Haushälter uns darüber unterhalten, wie
derung 216 Millionen Euro zu streichen. Das betrifft
denn die Steuermittel, die im Einzelplan 30 im Bereich
zwar den Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums,
der Forschung eingestellt worden sind, eingesetzt wer-
das ZIM, aber ich frage Sie: Haben Sie sich wirklich gut
den und welche Wirkungen sie entfalten, dann muss man
überlegt, was Sie da formuliert haben, Herr Kollege
sich überlegen, Herr Kollege Hagemann, ob das wirklich
Leutert?
die Ernte der Saat ist, die Sie in den Boden gebracht ha-
ben, oder ob das die Ernte ist, die seit dem Jahr 2005, Sie schreiben, diese Mittel sollten für strukturschwa-
seit Annette Schavan das Bildungs- und Forschungs- che Regionen, für Klimaschutz und Ökologie zur Verfü-
ministerium führt, in den Boden gebracht wurde. gung gestellt werden. Wissen Sie eigentlich, dass ein
Drittel der ERP-Mittel in die Bereiche Ökologie und Kli-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
maschutz fließt? Wissen Sie eigentlich – das sage ich im
neten der FDP)
Hinblick auf die strukturschwachen Regionen –, dass im
Wenn man sich die Entwicklung im Bereich der Pro- Jahr 2009 insgesamt 742 Millionen Euro aus dem ZIM
jektförderung ansieht, stellt man fest: Hier ist ein Auf- abgeflossen sind und davon ein Drittel, also etwa
wuchs zu verzeichnen. Im Jahr 2005 gab es 11 500 Ein- 250 Millionen Euro, in die neuen Bundesländer geflos-
zelprojekte, heute gibt es 18 000. Das ist die erste sen ist?
Schavan-Kurve, die ich Ihnen aufzeige.
Das, was Sie in Ihrem Antrag zur Hebelwirkung bei
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den Arbeitskräften und zur Umsatzgenerierung schrei-
ben, können Sie nicht ernst meinen. 80 Prozent der Mit-
Noch deutlicher wird diese Entwicklung am Auf-
tel dieses Programms kamen kleinen und mittelständi-
wuchs der Mittel für die Projektförderung.
schen Unternehmen mit weniger als 50 Beschäftigten
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Ja!) zugute. Wir wären doch mit dem Klammerbeutel gepu-
dert, wenn wir das tun würden! Meine sehr verehrten
Im Jahre 2004, also zu Ihrer Regierungszeit, waren es Damen und Herren von den Linken, ich kann Ihnen nur
1,8 Milliarden Euro, heute sind es 3,4 Milliarden Euro. den Rat geben: Ziehen Sie diesen unsinnigen Antrag zu-
Das ist die zweite Schavan-Kurve, die ich Ihnen vor- rück. Diese Maßnahmen hätten verheerende Folgen, ins- (D)
(B)
halte. besondere für die neuen Bundesländer.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Betrag Wir haben etwas anderes getan – dafür bedanke ich
von 3,4 Milliarden Euro sagt eigentlich gar nichts aus. mich ganz ausdrücklich beim Ministerium und bei den
Die Frage ist doch: Welche Wirkungen entfalten diese Kolleginnen und Kollegen der Arbeitsgruppen Bildung
Mittel? und Forschung von CDU/CSU und FDP –: Wir haben
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Richtig!) die Mittel für die Innovationsförderung in den neuen
Bundesländern um 6 Millionen Euro aufgestockt; denn
Herr Kollege Hagemann, insgesamt 130 Berichte musste diese Mittel werden gut abgerufen.
uns das Ministerium innerhalb weniger Wochen zustel-
len; fünf Berichtsanträge davon waren von der Regie- (Ulrike Flach [FDP]: So ist das!)
rungsfraktionen. Einer dieser Berichte ist hochinteres-
Damit werden 17 Verbundprojekte in den neuen Ländern
sant. Darin geht es um die Wirkungen des 6-Milliarden-
gefördert. Hinzu kommen die Hebelwirkungen, die ich
Euro-Programms und der Hightech-Strategie. Wenn Sie
dargestellt habe.
sich diesen Bericht genau ansehen, stellen Sie fest, dass
darin die Wirkungen für die einzelnen Bereiche aufge- Aufgrund der demografischen Entwicklung, des
führt sind: Umwelttechnologie 1,5 Millionen Arbeits- Rückgangs der Geburtenzahlen und des Rückgangs der
plätze, optische Technologien 110 000 Beschäftigte. Schulabgängerzahlen haben wir uns darüber hinaus Ge-
Aber das ist nicht mein zentraler Punkt. danken gemacht: Was können wir tun, damit auch die
Hochschulen in den neuen Ländern Mittel und Möglich-
Mein zentraler Punkt ist, dass von externen Gutach-
keiten haben, für sich zu werben? Wir haben eine Hoch-
tern nachgewiesen wurde, dass mit jedem im Bundes-
schulmarketingkampagne speziell für die Hochschulen
haushalt eingesetzten Euro im Durchschnitt 5,20 Euro
in den neuen Bundesländern initiiert und dafür
aufseiten der Wirtschaft aktiviert wurden. Das heißt,
2 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Herr Kollege
600 Millionen Euro, die im Jahre 2009 investiert wur-
Hagemann, all das ist auch gegenfinanziert.
den, haben aufseiten der Wirtschaft 3 Milliarden Euro
aktiviert. Das ist aus meiner Sicht der Sinn von Politik: Wir haben uns auch gefragt: Die Investitionen in wel-
dass wir Mittel einsetzen und dadurch die Wirtschaft an- che Zukunftstechnologien müssen wir erhöhen? Die
geregt wird. In diesem Fall hat sie die von uns eingesetz- Mittel für die Entwicklung energieeffizienter Antriebs-
ten Mittel sogar verfünffacht. technologien werden um 1 Million Euro, die Mittel für
2928 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Eckhardt Rehberg
(A) die Biotechnologie um 5 Millionen Euro und die Mittel dazu, sicherzustellen, dass Projektförderungen sachge- (C)
für die biomedizinische Forschung um 3 Millionen Euro recht geprüft werden können, und selbstverständlich
erhöht. Wir haben hier umgeschichtet und im Bereich vorab, damit überhaupt Projektförderungen initiiert wer-
der Forschung Prioritäten gesetzt, weil wir fest davon den können. Wir räumen hier in zweierlei Hinsicht die
überzeugt sind, dass gerade der Bereich der Forschung Altlasten weg, die Sie hinterlassen haben.
gestärkt werden muss, damit Deutschland seine Wettbe- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
werbsfähigkeit und seine Exportfähigkeit behält und der FDP – Willi Brase [SPD]: Aber Sie waren
ausbaut. vier Jahre mit in der Regierung!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Hagemann, damit hier keine Märchen
aufkommen: Die nicht geprüften Verwendungsnach- Herr Kollege Rehberg, auch die Kollegin Sitte hat das
Bedürfnis, Ihnen eine Frage zu stellen. Erlauben Sie das?
weise sind eine Erblast von Rot-Grün. Ich will Ihnen das
ganz kurz mit einigen Zahlen belegen: 2005 waren knapp
4 000 Nachweise offen, 2009 noch 1 924, also knapp Eckhardt Rehberg (CDU/CSU):
2 000. Zugleich – ich habe das deutlich gemacht – hat Gerne.
sich die Anzahl der Projektförderungen in diesem Zeit-
raum mehr als verdoppelt. Das heißt, das Schavan-Minis- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
terium musste erst einmal den Müll aufräumen, den Rot- Bitte.
Grün hinterlassen hat.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):
neten der FDP) Herr Kollege, ich möchte Ihnen keine Frage stellen,
sondern, wie es nach der Geschäftsordnung möglich ist,
Wenn Sie hier versuchen, den Eindruck zu erwecken, eine Zwischenbemerkung machen.
dass diese offenen Nachweise ein Versäumnis des
BMBF unter Annette Schavan sind, kann man entgegen- Sie haben vorhin kritisiert, dass wir in unserem
halten, dass diese Zahlen und der Bericht des Bundes- Punkt 8 eine Kürzung bei der technologieorientierten In-
rechnungshofes Ihre Behauptung deutlich widerlegen. novationsförderung vorgeschlagen haben. Erstens han-
delt es sich um eine Kürzung der Steigerung, die Sie vor-
gesehen haben.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Rehberg, erlauben Sie eine Zwischen- (Heiterkeit des Abg. Georg Schirmbeck
(B) frage des Kollegen Hagemann? [CDU/CSU]) (D)
– Ja, das muss man einmal sagen. – Zweitens haben wir
Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): uns vor allem auf die Bereiche konzentriert, in denen die
Aber gerne. Abflüsse in den vergangenen Jahren vor allem an große
Unternehmen gegangen sind, die bereits technologie-
stark sind. Wir haben dann vorgeschlagen – damit mache
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
ich Sie auf einen Fehler beim Lesen aufmerksam –, dass
Herr Hagemann, bitte. die Projektförderung des Bundes – ich zitiere – an Krite-
rien wie Unterstützung strukturschwacher Regionen,
Klaus Hagemann (SPD): Klimaschutz, Ökologie und öffentliche Gesundheit ge-
Herr Kollege Rehberg, sind Sie bereit, zur Kenntnis koppelt werden. – Da gibt es, wenn ich Sie richtig ver-
zu nehmen, dass in dem abgestimmten Bericht des Bun- standen habe, keine Differenzen. Sie haben aus diesem
desrechnungshofes – nach einer heftigen Diskussion im Antrag aber offensichtlich das Gegenteil herausgelesen.
Haushaltsausschuss; Sie erinnern sich – auch steht, dass Insofern lege ich Wert auf diese Korrektur.
erneut Fälle dazugekommen sind und es noch einen rie- Und Sie haben den letzten Satz unterschlagen. Wenn
sigen Rückstand gibt, dass Bewilligungsbescheide nicht wir alle wissen, dass der Haushalt, der zur Verfügung
in der vorgeschriebenen Zeit kontrolliert worden sind? steht, nicht unbegrenzt ist, muss man in der Tat politi-
Wollen Sie das zur Kenntnis nehmen? sche Prioritäten setzen. Die politische Priorität, die wir
setzen, besteht darin, diese Mittel umzuverteilen, sie
Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): dem Bildungs- und Hochschulsektor zugutekommen zu
Das kann ich nicht zur Kenntnis nehmen; denn der lassen. Wir wissen doch, dass dieser Sektor massiv un-
Sachstand ist: 2005 waren 4 000 Nachweise offen, heute terfinanziert ist und in der nächsten Zeit, insbesondere
knapp 2 000. Das heißt, die Zahl der Altfälle wurde hal- auf dem zweiten Bildungsgipfel, über Verbesserungen
biert. Außerdem sind pro Jahr zwischen 3 000 und 4 000 verhandelt wird.
neue Projektförderungen hinzugekommen. Das heißt, es
müssen neue Nachweisprüfungen durchgeführt werden. Eckhardt Rehberg (CDU/CSU):
Frau Kollegin Sitte, es tut mir leid: Ein Minus ist bei
Was Sie zu sagen versäumt haben: 2005 waren – nach mir immer noch ein Minus.
meiner Kenntnis – nur noch ein oder zwei Mitarbeiter
damit befasst, die Verwendungsnachweise zu prüfen. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Dafür gibt es ei-
Die Personalaufstockung von heute dient unter anderem nen Aufwuchs an anderer Stelle!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2929
Eckhardt Rehberg
(A) Wir haben uns politisch dafür entschieden, die Mittel Der Bund und die Koalitionsfraktionen stellen sich aber (C)
für die Innovationsförderung zu steigern. Wenn Sie diesen Herausforderungen.
vorschlagen, diese Mittel um 216 Millionen Euro zu kür-
zen, dann sind das 216 Millionen Euro weniger. Eine Herausforderung ist unter anderem – das hängt
beides zusammen –, dass im Schnitt 8 Prozent der Schul-
(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nein! Wir wol- abgänger – in der Spitze sind es 12,7 Prozent – keinen
len, dass dieses Geld der Bildungs- und Hoch- Schulabschluss haben. Die durchschnittliche Rate von
schulsektor bekommt!) Ausbildungsabbrüchen beträgt knapp 22 Prozent; es geht
Frau Kollegin, Sie müssen doch bitte einmal zur Kennt- bis zu 26 Prozent. Gerade im Bildungsbereich müssen Sie
nis nehmen, dass wir im Bildungsbereich einen Auf- sich die Aufwüchse anschauen.
wuchs um 400 Millionen Euro veranschlagt haben. Herr Kollege Hagemann, es ist jetzt Mitte März. Vor
(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: 350 Millionen fünf Monaten wurde die Bundesregierung gebildet. Des-
Euro!) wegen bringen wir als Haushälter selbstverständlich
Sperren aus – das ist unser gutes Recht –,
– Entschuldigung, 350 Millionen Euro. 400 Millionen
Euro sind es bei der Forschung. Sorry, ich korrigiere (Klaus Hagemann [SPD]: Ja, natürlich!)
mich hier gerne.
weil wir fragen wollen, wie effizient die Programme
Frau Kollegin Sitte, kommen Sie mir bitte nicht mit sind, die es geben wird. Ich denke, dass genau dies die
Haushalts- und Fiskalpolitik. Sie haben im Gesamtetat richtigen Ansätze sind.
2010 einen Aufwuchs von 45 Milliarden Euro beantragt.
Ich nenne zum Beispiel die Stärkung der Leistungsfä-
(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Hallo!) higkeit des Bildungswesens mit 95 Millionen Euro, die
Allein für den Einzelplan 30 haben Sie 1,3 Milliarden Sprachförderung, die außerschulische Bildung, die früh-
Euro mehr beantragt. Das halte ich nicht nur für politisch kindliche Bildung, die Gestaltung der neuen Ganztags-
fragwürdig, sondern ich halte es auch für unverantwort- schulangebote, lokale Bildungsbündnisse und das För-
lich, eine solche Politik auf Kosten der Kinder und Kin- derprogramm „Lernen vor Ort“. Daneben investieren
deskinder zu machen, Frau Kollegin Sitte. wir 370 Millionen Euro in die berufliche Bildung. Wir
wollen die Berufsorientierung nach der 7. Klasse stärken
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Michael Leutert [DIE LINKE]: Bei 80 Milliar- und fördern, damit es nicht mehr zu so vielen Abbrüchen
den Euro neuen Schulden ist das ein schlechtes kommt. Ich denke, genau dies ist die richtige Politik.
Argument!) Ein Letztes, das Thema BAföG.
(B) – Herr Leutert, ich sage Ihnen nur eines losgelöst von (D)
(Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] mel-
der Bildungs- und Forschungspolitik: Allein der Zu- det sich zu einer Zwischenfrage)
schuss für den Gesundheitsfonds und die Arbeitslo-
senversicherung beträgt insgesamt 18 Milliarden Euro.
Dafür verwenden wir Steuermittel, wodurch wir alles Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
belasten: zum Beispiel Mieten und Pachten und insbe- Entschuldigen Sie einen kleinen Moment, Herr Kol-
sondere die hohen Einkommen, weil 60 Prozent der lege Rehberg. – Zwischenfragen sind erwünscht, aber
Steuern von den 10 Prozent der Steuerpflichtigen gezahlt wenn es zu viele werden, dann entsteht ein falscher Ein-
werden, die am meisten Steuern bezahlen. Wir erhöhen druck der Debatte.
eben nicht die Arbeitslosenbeiträge oder die Versiche-
rungsbeiträge, wodurch der kleine Mann belastet würde. (Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Das ist aber eine wichtige Frage!)
(Klaus Hagemann [SPD]: Das kommt noch! –
Michael Leutert [DIE LINKE]: Das kommt Ich frage Sie jetzt noch einmal: Erlauben Sie eine
noch! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Zwischenfrage des Kollegen Rossmann?
Was machen Sie im Juni? Geben Sie es doch
zu!) Eckhardt Rehberg (CDU/CSU):
– Nein, wir machen das ganze Gegenteil. In diesen Nein, ich möchte jetzt zum Schluss kommen.
80 Milliarden Euro stecken die 18 Milliarden Euro sehr
wohl mit drin. (René Röspel [SPD]: Ich erinnere mich bisher
nur an zwei Zwischenfragen!)
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Toten-
stille!) Da die Uhr weitergelaufen ist, Herr Präsident, erhöhe ich
meine Redezeit mit Ihrem Einverständnis noch einmal
Die ganze Gesellschaft hat eine Herausforderung zu um 30 Sekunden.
bestehen, und zwar den massiven Rückgang der Zahl der
Geburten und damit den massiven Rückgang der Zahl (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
der Schulabgänger. In dem Haushalt werden genau hier Dann gibt es eine Kurzintervention! Das dau-
Prioritäten gesetzt, obwohl – das sage ich ganz aus- ert wieder!)
drücklich – Schulpolitik nicht Bundessache ist.
(Klaus Hagemann [SPD]: Deswegen: Koope- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
rationsverbot raus!) Ja.
2930 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
(A) Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): wiss ein bisschen Gerangel gegeben hat. Wenn aber je- (C)
Ganz kurz noch zum BAföG. Da Sie sich als SPD hier mandem das Verdienst gebührt, die BAföG-Reform der
hinstellen und über BAföG-Steigerungen reden, lassen Großen Koalition gegen verschiedene Widerstände am
Sie mich eines noch kurz andeuten: In Ihrer Regierungs- Ende durchgesetzt zu haben, dann geht der Blumen-
zeit stieg das BAföG für die Studierenden innerhalb von strauß an Peter Struck, den damaligen Fraktionsvorsit-
sieben Jahren um 34 Euro, unter Ministerin Schavan zenden. Er hat diesen Weg nämlich mit freigemacht. Es
stieg es für die Studierenden innerhalb von fünf Jahren wäre nur ehrlich, dass wir anerkennen, es hat eine Leis-
um 108 Euro. tung in der Großen Koalition gegeben, und Sie anerken-
nen: Da hat die SPD und ihr Fraktionsvorsitzender der
Das heißt, bei uns stimmen Anspruch und Wirklich- Bundesbildungsministerin einen gehörigen Schub gege-
keit und bei Ihnen nicht. ben, als es darum ging, sich gegen den Finanzminister
Herzlichen Dank. und dessen Kalkulationen durchzusetzen. Diese Ehrlich-
keit darf man einfordern, wenn wir einen sachlichen
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Aussprachekreis in Bezug auf die Bildung und For-
Klaus Hagemann [SPD]: Da mussten wir Frau schung in den letzten Jahren und in der Zukunft pflegen
Schavan zum Jagen tragen!) wollen.
Danke schön.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Der Kollege Rossmann wünscht jetzt das Wort zu ei- (Beifall bei der SPD)
ner Kurzintervention. In Anbetracht der fortgeschritte-
nen Stunde darf ich Sie aber bitten, in Zukunft auf zu Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
viele Zwischenfragen und Kurzinterventionen zu ver-
zichten. Ich erteile Herrn Rehberg zur Erwiderung das Wort.
(A) Michael Leutert (DIE LINKE): habe es im Haushaltsausschuss ebenfalls angesprochen: (C)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Abteilung Überschriften hat zumindest in quantita-
Frau Ministerin, der hier vorgelegte Haushalt ist durch tiver Hinsicht sehr gut gearbeitet. Es ist die Rede von
drei Merkmale gekennzeichnet. Erstens: Alte Probleme Bildungsbündnissen, -allianzen und -pakten, die ge-
werden nicht angegangen. Zweitens: Fehlentwicklun- schmiedet werden sollen, von Zukunftskonten, Bil-
gen werden nicht korrigiert. Drittens: Sie verwechseln dungsschecks usw. Die Konzepte dazu haben wir aber
Überschriften mit Konzepten. nicht bekommen. Wenn es Vorüberlegungen gibt, lassen
sie nichts Gutes erahnen. Das möchte ich an zwei Bei-
Zum ersten Punkt: Seit Jahren ist allen das Problem spielen aufzeigen.
des Fachkräftemangels bekannt. Lösen kann man es un-
ter anderem durch Weiterbildung. Viele Menschen mit Erstens: die lokalen Bildungsbündnisse. Dafür woll-
geringem Einkommen – das gilt insbesondere für die ten Sie 32 Millionen Euro zur Verfügung stellen. Die
über 30-Jährigen – können sich die Weiterbildung aber Kollegen aus Ihren Fraktionen haben die Summe in ih-
nicht leisten. Genau aus diesem Grund brauchen wir ein ren Verhandlungen schon auf 21 Millionen Euro zusam-
Erwachsenenbildungsförderungsgesetz: um den Betrof- mengekürzt. Bis heute habe ich auf meine mehrmaligen
fenen finanziell unter die Arme zu greifen. Nachfragen nach den Konzepten keine Antwort bekom-
men. Herr Kollege Rehberg, Sie hatten so schöne
(Beifall bei der LINKEN) Schavan-Diagramme dabei; ich habe zwei Schavan-Be-
Das hat im Übrigen schon 2004 eine unabhängige Ex- richte mitgebracht. Ich habe zum einen eine halbe DIN-
pertenkommission der Bundesregierung festgestellt. Sie A-4-Seite erhalten. Die Kernaussage steht im letzten
hat den exakt gleichen Weg vorgeschlagen. Getan hat Satz: Derzeit wird ein detailliertes Förderkonzept erar-
sich vonseiten der Regierung aber nichts. Wir Linken ha- beitet.
ben wiederholt einen Antrag gestellt, den Sie im Aus- Zweitens: Zukunftskonten. Hier liegt ebenfalls kein
schuss aber leider abgelehnt haben. Konzept vor. In diesem Fall habe ich eine Antwort von
Ein zweites Beispiel für nicht angegangene alte Pro- nicht einmal einer halben Seite, den zweiten Schavan-
bleme ist der Hochschulpakt. Auch hier ist seit langem Bericht, erhalten; ich habe ihn mitgebracht. Hier steht,
bekannt, dass es eine Diskrepanz zwischen ständig stei- dass Gelder für die vorbereitenden Aktivitäten zur Ent-
genden Studierendenzahlen und einer zu geringen Anzahl wicklung eingeplant werden sollen.
an zur Verfügung stehenden Studienplätzen gibt. Darauf Hier wird allen Ernstes von uns erwartet, dass wir
wurde schon im Jahr 2006 durch die Hochschulrektoren- Projekten zustimmen, für die es keine Konzepte gibt und
konferenz hingewiesen. Zur Lösung des Problems wurde bei denen wir nicht wissen, wohin die Reise gehen soll.
(B) ein Mehrbedarf von 2,3 Milliarden Euro – und zwar jähr- (D)
lich – festgestellt. Im vorgelegten Haushalt werden für die (Ulrike Flach [FDP]: Sie hätten ja mit sperren
Verbesserung der Studienkapazitäten gerade einmal können!)
250 Millionen Euro eingeplant. Aber auch hier haben Sie
Frau Ministerin, das, was man den knappen Zeilen
die Möglichkeit, dem Antrag der Linken zuzustimmen.
der beiden Blätter entnehmen kann, zeigt allerdings, in
Zum zweiten Punkt: Fehlentwicklungen, die nicht welche Richtung in Ihrem Haus gedacht wird: Letztend-
korrigiert werden. Seit Jahren weisen wir Linken darauf lich planen Sie eine weitere Privatisierung der Bil-
hin, dass es notwendig ist – Herr Kollege Rehberg, wir dungsvorsorge. Durch den ganzen Haushalt zieht sich
hatten das Thema gerade –, bei Förderinstrumenten auf der Gedanke: Wer Bildung will, soll in Zukunft dafür be-
Synergieeffekte zu setzen. Wenn man zum Beispiel beim zahlen. Es ist hier hinlänglich bekannt, dass Sie für Stu-
Spitzenclusterwettbewerb Forschung und Entwicklung diengebühren sind.
als Brücke zwischen Wissenschaft und Wirtschaft för-
dern will, dann sollte auch die Förderung strukturschwa- (Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Wir
cher Regionen als Kernaufgabe enthalten sein. Wenn erweitern das BAföG! Ist das angekommen?)
dem nicht so ist, gewinnen wirtschaftlich eh schon stark Ich halte es aber schon für ein starkes Stück, dass Eltern
entwickelte Regionen. Man sieht das, wenn man einen jetzt auch noch Bildungskonten für ihre Kinder – ähnlich
Blick auf die Liste der Gewinner der zweiten Runde des der Riester-Rente oder einem Bausparvertrag – anlegen
Spitzenclusterwettbewerbs wirft: Dort ist kein ostdeut- sollen. Dabei ist völlig ungeklärt: Was passiert eigentlich
sches Projekt mehr vertreten. mit den Leuten, die nicht sparen können? Was ist mit
Wir sagen Ihnen deshalb ganz klar: Sie sollten die für den Leuten, die gespart haben, aber in Hartz IV fallen?
den Spitzenclusterwettbewerb vorgesehenen zusätzli- Werden die Bildungskonten dann als Vermögen ange-
chen Mittel in Höhe von 15 Millionen Euro besser für rechnet und abgezogen? Wie sind da Ihre Vorstellungen?
die Förderung der Forschung an Fachhochschulen aus- An anderer Stelle sprechen Sie davon, den Kindern
geben. Gerade in strukturschwachen Regionen trägt die Schecks für ihre Bildung auszuhändigen. Vielleicht ist
anwendungsnahe Forschung zur Stärkung regionaler das eine gute Vorbereitung auf Bildungsgutscheine, die
Wirtschaftsstrukturen bei. sie später vom Amt erhalten könnten; aber ich glaube,
(Beifall bei der LINKEN) das kann nicht Sinn und Zweck der Sache sein. Ich
möchte gerne wissen, wer auf die Idee gekommen ist, ei-
Zum dritten Punkt: Wo sind die Konzepte, die zu den nem Kind mit einem Scheck zu zeigen, was sein Schick-
Titeln gehören? Man muss schon sagen: Respekt! Ich sal der Gemeinschaft wert ist.
2932 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Michael Leutert
(A) Frau Ministerin, das, was Sie hier vorhaben, ist unso- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (C)
zial. Das kann man nur ablehnen; wir Linken werden es Christian Lange [Backnang] [SPD]: Eben, für
auch ablehnen. Um es zusammenzufassen: Der Haushalt den Stillstand!)
setzt die falschen Schwerpunkte, ist nicht mit Konzepten Warum sollten wir plötzlich auf die wirklich verwegene
untermauert und enthält stattdessen unsoziale Ideen. Aus Idee kommen, zusätzliche Investitionen in Bildung und
diesen Gründen müssen wir diesen Haushalt ablehnen. Forschung nach einer Landtagswahl zurückzunehmen?
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Bei aller Liebe und bei der Vorliebe der SPD im Augen-
Dagmar Ziegler [SPD]) blick zur Rumklopferei: Halten Sie uns für fahrlässig?
(Zurufe von der SPD, der LINKEN und dem
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ja!)
Das Wort hat die Kollegin Ulrike Flach von der FDP- Das ist ein sehr ernstes Projekt. Jeder, der mich kennt
Fraktion. – ich bin seit zehn Jahren im Bundestag –, weiß, wie
sehr ich für Bildung und Forschung stehe und wie stolz
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) wir darauf sind, dass wir das umsetzen. Sie haben mein
Wort dafür, dass dies so sein wird.
Ulrike Flach (FDP):
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- René Röspel [SPD]: Auch das Wort des Fi-
gen! Man kann in diesen Tagen sehr viel über die Koali- nanzministers?)
tion und ihre Außendarstellung lesen; man kann auch
sehr viel darüber diskutieren. Eines kann man aber über- – Ja, auch das Wort des Finanzministers.
haupt nicht sagen: dass wir uns an der wichtigsten Stelle Wir haben hier eine Variante. In diesem Haushalt ist
der deutschen Politik, bei der Stärkung von Bildung und es zum ersten Mal so, dass das BMBF Mittel für FuE für
Forschung, nicht einig sein sollten. Dieser Haushalt steht andere Ministerien verteilen soll. Herr Rehberg und ich
sozusagen als Leuchtturmprojekt für genau dieses Ziel. haben uns sehr intensiv dafür eingesetzt:
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Klaus Hagemann [SPD]: Mit unserem
Druck!)
Man kann sich natürlich in einzelnen Millionen und
Milliönchen verfangen. Wir sind stringent dafür, dass das in Zukunft direkt bei
den anderen Ministerien angesiedelt wird, und zwar mit
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: dem strikten Vermerk, den wir dem Finanzministerium
(B) „Milliönchen“ passt!) erst abringen mussten, dass das ausschließlich für FuE (D)
eingesetzt wird, also nicht für Schreibmaschinen, nicht
Fakt ist aber, dass wir in den Koalitionsverhandlungen für Kaffeemaschinen und sonst etwas, sondern für Sa-
ein Plus von 12 Milliarden Euro ausgehandelt haben. chen, die wir in die Zukunft dieses Landes investieren
(Klaus Hagemann [SPD]: Das steht noch nicht wollen.
im Gesetz!) (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das be-
ruhigt uns jetzt! – Michael Leutert [DIE
Das unterscheidet uns beträchtlich von Ihnen. Lieber
LINKE]: Warum lachen Sie eigentlich die
Herr Hagemann, Ihnen ist das nie gelungen.
ganze Zeit? – Heiterkeit im ganzen Hause)
(Klaus Hagemann [SPD]: Das stimmt nicht!) – Liebe Kollegen, ich habe einfach eine gewisse Sympa-
Dieses Plus von 12 Milliarden Euro macht sich im Haus- thie für Sie. So ist das.
halt natürlich auch entsprechend bemerkbar; das ist doch (Heiterkeit im ganzen Hause)
gar keine Frage.
Lassen Sie mich aber etwas zu einem Punkt sagen,
Herr Rehberg hat bereits auf die 700 Millionen Euro der mir schon Sorgen bereitet, über den wir seit vielen
zusätzlich in diesem Jahr hingewiesen – plus Verpflich- Jahren diskutieren und von dem Sie wissen, dass die Bil-
tungsermächtigung! Wir Haushälter wissen, wie schwie- dungspolitiker der FDP zu Teilen – nicht alle – immer
rig es ist, beim BMF Verpflichtungsermächtigungen der Meinung waren, dass es ein Fehler war: das Koope-
durchzusetzen. Herr Hagemann, ich schätze Sie ja sehr, rationsverbot. Mein Hauptbemühen in den nächsten
aber ich muss Sie doch einmal fragen: Wie kommen Sie Monaten wird darauf liegen, gemeinsam mit Herrn
auf die verwegene Idee, dass wir wegen einer Landtags- Rehberg sicherzustellen, dass wir diese zusätzlichen
wahl ein solch großes Projekt gefährden würden? Mittel auch wirklich in den Ländern anlanden können,
(Lachen bei der SPD, der LINKEN und dem (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christian CDU/CSU – Klaus Hagemann [SPD]: Den
Lange [Backnang] [SPD]: Sie machen schon Gemeinden!)
seit Monaten nichts anderes in diesem Hause! und zwar trotz des Fehlers, den Sie gemeinsam mit der
Stillstand pur! Seit Monaten!) CDU/CSU begangen haben.
Es geht um ein Plus-Projekt, lieber Herr Hagemann, das (Klaus Hagemann [SPD]: Und Teilen der
selbstverständlich umgesetzt wird. Dafür stehen wir. FDP!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2933
Ulrike Flach
(A) Das ist des Mutes unserer Bildungsministerin wert, die Wenn der Windkanal im Wirtschaftsministerium ord- (C)
an dieser Stelle bekanntlich über ihren Schatten springen nungsgemäß angesiedelt wird, dann ist sicherlich ein In-
muss. Das tut sie aber. Für uns ist wirklich entscheidend, vestitionszuschuss notwendig. Das wissen Sie genauso
dass wir das zusätzliche Geld in den Ländern anlanden gut wie ich. Natürlich mangelt es beim Windkanal an In-
können. Das ist gut für unsere Kinder, und dafür steht vestitionen. Das BMBF hat es nicht leisten können. Im
diese Koalition. BMWi werden wir nun dafür sorgen, dass es passiert.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: der CDU/CSU – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]:
Die FDP hat sich schon wieder davon distan- Turbo-Injection!)
ziert!)
– So ähnlich.
Wir als Haushälter haben noch eine weitere Erblast
Unter dem Strich sind sich die Haushälter der Koali-
von Ihnen übernommen, nämlich den wunderbaren euro-
tion mit diesem Haushalt der Verantwortung für die Zu-
päischen Windkanal. Herr Hagemann, Sie haben uns
kunft dieses Landes voll bewusst. Ich will bei dieser Ge-
damals gefragt: Setzt ihr das jetzt wirklich um? Ich habe
legenheit auf das BAföG verweisen. Ich habe genauso
Ihr Scheitern in dieser Hinsicht noch gut in Erinnerung.
wie Herr Rossmann und die meisten anderen noch er-
Uns ist es gelungen. Wir setzen es um. Wir setzen es hin
lebt, dass Frau Bulmahn mit ihrem Korbmodell schei-
zum Wirtschaftsministerium. Dahin gehört es nämlich,
terte. Ich bin froh und glücklich, dass es jetzt offensicht-
weil es um Raum- und Luftfahrt geht.
lich mit der Mehrheit dieses Hauses gelingt, das BAföG
(René Röspel [SPD]: Sie haben Erfahrung im auf solidere Beine zu stellen. Ich kann Ihnen für die FDP
Produzieren von heißer Luft!) sagen, dass das wahrscheinlich noch nicht das Ende vom
Lied ist; denn es kommt darauf an, dass wir Menschen
Wir werden natürlich sehr stringent auf das Wirt- unterstützen, die sich sonst keine Bildung leisten kön-
schaftsministerium schauen; denn dort gibt es eine ganze nen. Dazu gehört zwingend das zweite Bein, nämlich
Reihe von ähnlichen Projekten. Wir werden darauf Stipendien. Ich will genauso wie beim letzten Mal an
schauen, dass das effizient eingesetzt wird. Wir werden dieser Stelle darauf verweisen, welch ein erfolgreiches
darauf schauen, dass die Wirtschaft an dieser Stelle Geld Modell wir hier auf den Weg bringen.
ins System gibt, was die FDP seit vielen Jahren fordert.
Lieber Herr Hagemann, das ist Ihnen nie gelungen. Sie (Beifall bei der FDP)
haben immer nur gesagt: Die Wirtschaft profitiert davon. – Da Sie so gerne nach den Prozenten fragen: Die neu-
Nie haben Sie zusätzliches Geld hereinbekommen. Das este Prozentzahl für NRW besagt, dass 37 Prozent der
(B) ist aber unser Ziel, und wir sind jetzt den ersten Schritt Geförderten aus bildungsfernen Schichten kommen und (D)
gegangen. einen Migrationshintergrund haben. Lieber Herr
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Rossmann, was wollen Sie eigentlich noch mehr?
(Klaus Hagemann [SPD]: Mehr!)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
– Noch mehr? Das ist ja toll. Wir sind gerne bereit, noch
Frau Kollegin Flach, erlauben Sie eine Zwischenfrage
mehr zu tun. Aber Ihre Modelle haben null Prozent ge-
des Kollegen Hagemann?
bracht.
Ulrike Flach (FDP): (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Natürlich. Wir bringen hier ein Modell auf den Weg, welches
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das ist dazu führen wird, dass auch bildungsferne Schichten
nicht so natürlich! Das haben wir eben ge- Bildung bekommen. Das ist nach rund zehn Jahren SPD-
merkt!) Regierung auch dringend notwendig.
(Klaus Hagemann [SPD]: Sogar die Wirtschaft
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: hat Bedenken!)
Bitte, Herr Hagemann. Wir werden uns in den nächsten Monaten auf aus-
drücklichen Wunsch der Gesundheitspolitiker mit dem
Klaus Hagemann (SPD): Fakt befassen, dass der Hochschulpakt offensichtlich
Frau Kollegin Flach, Sie haben richtig gesagt, dass dazu tendiert, Studienplätze nicht im teuren, sondern im
wir uns da bemüht haben. Sind Sie bereit, auch mitzutei- preisgünstigen Bereich in den Ländern zu fördern. Ich
len, dass Sie eine kräftige Morgengabe, ein Hochzeitsge- bitte Sie hier um Ihre Unterstützung;
schenk, nämlich 800 000 Euro, mitgegeben haben, damit
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Die Regie-
die Zuständigkeit für den Windkanal von einem Ministe-
rung oder uns?)
rium zum anderen wechseln kann?
denn wir brauchen Ärzte in diesem Land. Ich bin fest
Ulrike Flach (FDP): davon überzeugt, dass wir hier gemeinsam etwas auf den
Lieber Herr Hagemann, Sie machen jetzt Wind. Weg bringen müssen. Nordrhein-Westfalen hat einen
Vorschlag gemacht. Ich bitte Sie alle, sich in Ihren Län-
(Beifall bei der FDP) dern diesen Vorschlag anzuschauen und darüber nachzu-
2934 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Ulrike Flach
(A) denken, wie wir gemeinsam die medizinische Versor- Das heißt, dass die Länder noch weniger Geld zur Verfü- (C)
gung in diesem Land verbessern können. gung haben, um die eigentlichen Hauptprobleme im Bil-
dungssystem zu bearbeiten. Sie schließen hier nicht eine
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Meinen Lücke, sondern Sie schaffen zusätzliche Probleme. So
Sie uns? – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE sieht es nämlich aus.
GRÜNEN]: Das geht an alle MPs!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Lassen Sie es uns anpacken, Herr Gehring. Das wird hel- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
fen.
KEN)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Jetzt haben Sie – das konnte man heute in den Zeitun-
gen lesen – angekündigt, Sie wollten die Steuerreform
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: doch ganz schnell vorziehen und auf den Weg bringen.
Das Wort hat die Kollegin Krista Sager von Diese Ankündigung ist ein direkter Anschlag auf die Bil-
Bündnis 90/Die Grünen. dungspolitik in den Ländern und Gemeinden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
und bei der SPD) bei der SPD und der LINKEN – Patrick
Meinhardt [FDP]: Von Finanzen keine Ah-
Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): nung!)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Bun- Wir alle wissen doch, wie es in den Haushalten der Län-
desregierung hat angekündigt, sich mit 40 Prozent an der der und Gemeinden aussieht. Es ist die Rede von 10 bis
Deckung der Finanzierungslücke beim Zehn-Prozent- 20 Milliarden Euro Mindereinnahmen durch diese Steu-
Ziel im Bereich Forschung und Bildung zu beteiligen. erreform. Frau Flach, ich frage Sie: Wo ist denn da das
Schauen wir uns die Entwicklung genau an. Als Erstes Leuchtturmprojekt für die Bildung? Sie reißen eine rie-
wird in Kumpanei von Bund und Ländern die Finan- sige Lücke und sagen dann, dass Sie sich am Lücken-
zierungslücke schöngerechnet. Sie wird um ungefähr schluss beteiligen. Das kann doch wohl kein Leucht-
10 Milliarden auf 13 Milliarden Euro heruntergerechnet. turmprojekt sein.
Das bedeutet für den Bund eine Reduzierung seiner Ver-
pflichtungen um 4 Milliarden Euro bis 2015. Das ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
nicht gerade wenig. Sie können die Finanzierungslücke bei der SPD und der LINKEN – Patrick
zwar schönrechnen, aber die Probleme im Bildungssys- Meinhardt [FDP]: Wir vertrauen den Men-
tem werden dadurch nicht geringer. schen!)
(B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Konstruktionen, mit denen Sie versuchen, die Barri- (D)
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der eren zu umschiffen, die Sie sich mit der Föderalismus-
LINKEN) reform selber aufgebaut haben, sind inzwischen nur
noch peinlich und an Abenteuerlichkeit kaum noch zu
Die Geldlücke korrespondiert leider mit ganz konkreten überbieten,
Defiziten bei der Kinderbetreuung an den Hochschulen.
Durch Rechentricks verschwindet kein einziges Defizit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN) ob das das Konjunkturprogramm oder Ihre Bildungs-
bündnisse vor Ort sind. Inzwischen sind ganze Heer-
Wenn aber 85 Prozent der öffentlichen Bildungsaus- scharen von Beamten in Bund und Ländern nur noch
gaben von Ländern und Gemeinden geleistet werden, damit beschäftigt, zu klären, wie man Verfassungspro-
dann ist es von zentraler Bedeutung, ob das Geld, das bleme löst, statt damit, wie man die Probleme in der Bil-
der Bund mehr ausgeben will, überhaupt dort ankommt, dung löst. Das ist wirklich absurd.
wo die Hauptprobleme in unserem Bildungssystem be-
stehen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD)
Herr Rehberg, Sie haben hier schlicht die Unwahrheit
gesagt. Das Ganztagsschulprogramm von Rot-Grün läuft Jetzt wird es interessant: Frau Schavan – das hat man
aus, und es gibt keine Fortsetzung. jetzt lesen können –, Sie haben sich in der Frage der ge-
samtstaatlichen Verantwortung für die Bildung gewisser-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, maßen von der Saula zur Paula gewandelt.
bei der SPD und der LINKEN)
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/
Was findet stattdessen statt? Die Bundesministerin denkt
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
sich stattdessen ein teures Begabtenförderungspro-
SPD und der LINKEN)
gramm aus,
Dass Sie irgendwann merken, dass Sie als Bundesminis-
(Patrick Meinhardt [FDP]: Sehr gut!)
terin nicht die ganze Zeit mit Ihrer baden-württembergi-
das an den Hauptproblemen vorbeigeht, will aber, dass schen Landesbrille herumrennen können, war abzuse-
die Länder dieses mitfinanzieren. hen;
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
und bei der SPD) DIE GRÜNEN und der SPD)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2935
Krista Sager
(A) denn schließlich kann man nicht jahrelang als Bundes- aus benachbarten Ländern, ein attraktiver Standort ge- (C)
bildungsministerin erklären, dass man für die Hauptpro- worden ist, um über Perspektiven in Bildung und Wis-
bleme im Bildungssystem keinerlei Zuständigkeit hat. senschaft zu diskutieren.
Wir alle machen Fehler. Leider ist es aber so, dass Herr
Müntefering und Herr Stoiber – das sind nämlich die Für diejenigen, die da ausstellen, diskutieren und prä-
Hauptverantwortlichen gewesen – sich mit dem Grund- sentieren, ist es ein ermutigendes Signal, dass diese Bun-
desregierung der Bildung und der Wissenschaft Priorität
gesetz eine ziemlich schlechte Spielwiese zum Begehen
von Fehlern ausgesucht haben, weil man die Fehler lei- einräumt. Der Haushalt 2010 ist ein deutliches, starkes
der nur schwer rückgängig machen kann. Signal an alle in Deutschland, die in Bildung und Bil-
dungspolitik engagiert sind.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
bei Abgeordneten der LINKEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Interessant finde ich schon, dass Sie, Frau Schavan, Ihre Das bezieht sich auf die Summen. Herr Hagemann,
Revision in dem Moment besonders laut verkünden, da ich musste eben schon ein bisschen schmunzeln. Ich bin
Sie mit der FDP in einem Boot sitzen, wobei die Libera- gar nicht geneigt, über die letzten vier Jahre zu schimp-
len die Allerletzten sein werden, die kapieren, dass der fen, auch wenn ich von Ihnen immer wieder kritisiert
Föderalismus und der Wettbewerb nicht alle Probleme in werde.
diesem Land lösen. (Klaus Hagemann [SPD]: Nein, ich habe Sie
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie gelobt!)
bei Abgeordneten der SPD) Da bin ich fast gezwungen, irgendwie zu antworten und
Frau Flach, Sie sind offensichtlich die Einzige in diesem zu sagen: Es war doch nicht alles Mist! Ich finde eigent-
Saal, die nicht mitbekommen hat, dass die FDP als Al- lich, das ist den Menschen gegenüber irgendwie blöd;
lererstes gegen diesen Meinungswandel von Frau sie verstehen uns nicht.
Schavan protestiert hat. Zu Ihrem Beispiel mit der mittelfristigen Finanzpla-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN nung: Eine solche Planung haben wir doch in den letz-
sowie bei Abgeordneten der SPD) ten vier Jahren nie gehabt.
Frau Schavan, Sie haben jetzt drei Dinge erreicht: Sie (Klaus Hagemann [SPD]: Was?)
haben sich erstens aus der öffentlichen Schusslinie ge- Es gab jedes Jahr das Theater, dass all das, was im Haus-
bracht, Sie haben zweitens sicher die Mehrheit der Be- halt des Vorjahres veranschlagt worden war, im darauf-
völkerung in dieser Frage auf Ihrer Seite, und Sie haben folgenden Haushalt nur fortgeschrieben wurde. Es (D)
(B)
drittens erreicht, dass die FDP als die Blöde dasteht. musste jedes Mal beim Punkt null angefangen werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Jedes Mal hat der Finanzminister einen blauen Brief an
bei der SPD und der LINKEN – Kai Gehring die Bildungsministerin geschrieben – er ging natürlich
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war zeitgleich an die Presse –, um deutlich zu machen, dass
schon vorher so!) diese Ministerin wieder viel zu viel fordert. Dieses Thea-
ter ist in dieser Legislaturperiode erstmals beendet.
In dieser Hinsicht haben Sie eines mit der Bundeskanzle-
rin gemeinsam. Sie haben bewiesen, dass Sie intelligen- (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)
ter und wendiger als Ihr Koalitionspartner sind. Aber wo Ja, es ist beendet. – Dieser Haushalt soll in der mittelfris-
ist die Lösung des Problems? Sagen Sie nicht nur, dass tigen Finanzplanung um 12 Milliarden Euro aufwach-
Sie etwas dazugelernt haben, sondern ergreifen Sie eine sen. Der Finanzminister hat vor Beginn der Verhandlun-
ernst zu nehmende politische Initiative, um an die Lö- gen über den Haushalt 2010 ganz deutlich gemacht, dass
sung dieses Problems heranzugehen! Das ist für die Bil- zeitnah die ersten 750 Millionen Euro und im nächsten
dung in diesem Staat dringend erforderlich. Jahr die nächsten 750 Millionen Euro zur Verfügung ste-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, hen. Durch dieses Aufwachsen wird der Haushalt jetzt
bei der SPD und der LINKEN) einen Gesamtumfang von 12 Milliarden Euro erreichen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Wi-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: derspruch bei Abgeordneten der SPD)
Das Wort hat die Bundesministerin Dr. Annette
Schavan. – Ich verstehe, dass Sie neidisch sind. Wie Sie wissen,
hat er es genau so gesagt. Das ist der große Unterschied
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zu vorher. Bleiben Sie doch einfach ein bisschen näher
an der Wahrheit. Das dient eher der Glaubwürdigkeit in
Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil- der Öffentlichkeit.
dung und Forschung:
(Florian Pronold [SPD]: Warum schreibt man
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! es dann nicht hinein in die mittelfristige Fi-
Meine Damen und Herren! Derzeit findet in Köln Euro- nanzplanung?)
pas größte Bildungsmesse, die didacta, statt. Wer sich
das Programm mit vielen Veranstaltungen über fünf Die Überzeugungskraft dieses Haushalts hat aber
Tage ansieht, der weiß, dass Deutschland für viele, auch nicht nur etwas mit seinem Aufwuchs zu tun – durch ihn
2936 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sie haben (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Was hat
von der Bundesratsbank geredet!) denn Koch damals gemacht, als es um die Bo-
logna-Zentren ging?)
Sie werden keinen einzigen Satz von mir finden, mit
dem ich zum Ausdruck gebracht habe: Föderalismus – Auf den Satz habe ich gewartet. Dazu kann ich nur sa-
heißt Kooperationsverbot. Föderalismus heißt: Jeder gen: Eine Ministerin setzt entweder ein Projekt so um,
(B)
muss wissen, wofür er Verantwortung trägt; keiner kann dass es nicht beim Bundesverfassungsgericht landet, (D)
seine Verantwortung an einen anderen abgeben; es gibt oder sie setzt sich nicht durch.
nach der Verfassung eine klare Aufgabenverteilung. Wir
Jetzt liegt der erste Vorschlag auf dem Tisch, die
sollten an der für moderne föderale Systeme kennzeich-
Säule „Hochschulpakt“ als dritte Säule zu verankern.
nenden klaren Verteilung von Verantwortung festhalten;
denn es macht überhaupt keinen Sinn, wenn der Bund (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
für die Finanzierung aufkommt, wenn die Länder dies Haben wir schon vor drei Jahren gefordert! –
nicht mehr leisten können. Wenn dies geschieht, kann Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
das Ziel von 10 Prozent nicht erreicht werden. Stattdes- NEN)
sen kommt es dann zu einer Verschiebung und zum Aus-
schluss einer zentralen politischen Ebene. Es gibt den Vorschlag zu einer Säule, die ausschließlich
auf die Lehre konzentriert ist. Die Verhandlungen mit
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den Ländern laufen wunderbar. Wir werden erstmals in
Deshalb habe ich mich in diesem Sinne ausgedrückt. Ich der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nicht
werde für ein realistisches Vorgehen werben. nur viel Bundesgeld in die Forschung investieren, son-
dern viel Geld, nämlich genauso hohe Milliardenbeträge
Ich weiß genau, wie es weitergeht: Die parlamentari- wie für die schon bestehende Exzellenzinitiative, für die
sche Opposition wird mich irgendwann mit einem An- Lehre in die Hand nehmen. Das sind unsere starken Si-
trag dazu auffordern, zu sagen, ob ich meine Ankündi- gnale auch an die Studierenden.
gung einhalte. Dieses wunderbare Spiel können wir gern
spielen; das machen wir auch. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zum BAföG ist schon viel gesagt worden. Wir erhö-
Nicht spielen, liefern und machen!) hen es und modernisieren es. Ich erinnere mich noch gut
an die Debatte, als hier an meinem Platz Peer Steinbrück
– Das ist in Teilen ein Spiel. Sie wissen genau, dass wir gestanden hat und vor allen Dingen an die Adresse sei-
jetzt die Zeit nutzen. ner eigenen Fraktion gerichtet erklärt hat, dass er doch
(Dagmar Ziegler [SPD]: Dass Sie sich nicht zugeben müsse, dass es Frau Schavan war, die die
durchsetzen werden!) BAföG-Erhöhung gewollt habe.
– Wie hieß der Kovorsitzende? Fragen Sie einmal den (Klaus Hagemann [SPD]: Weil wir Druck ge-
rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten! Er hat mir macht haben, Frau Schavan!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2937
Bundesministerin Dr. Annette Schavan
(A) – Weil Sie Druck gemacht haben auf Ihren Finanzminis- Nachdem wir über zehn Jahre lang über die Abwan- (C)
ter? Na gut, das ist eine neue Variante. Die Variante ist derung von Spitzenforschern diskutiert haben, kommt
klasse: SPD macht Druck auf Steinbrück, und dann jetzt schon die zweite Runde an Spitzenforschern über
kommt das, was die Bildungsministerin immer schon Humboldt-Professuren nach Deutschland. Sehen Sie
wollte. So war das bei der Lehre, genauso war das beim sich einmal die Listen an: Das sind absolute Spitzenty-
BAföG! pen aus allen Regionen der Welt. Dafür ist viel investiert
worden. Ich glaube, das ist eine Investition, durch die
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und Menschen nach Deutschland geholt werden, die im Üb-
der FDP – Zurufe von der SPD) rigen auch für unsere Studierenden und für unsere Hoch-
Die BAföG-Erhöhung ist, wie Frau Flach eben gesagt schulen interessant sind. Wir holen nämlich die Besten
nach Deutschland, weil wir immer wieder neue Akzente
hat, ein wichtiges Instrument der Grundsicherung. Des-
brauchen.Wir wollen, dass dieses Land eine Talent-
halb wird es kontinuierlich weiterentwickelt. Wir wer-
schmiede ist. Wir haben schon manches erreicht und
den nicht sieben oder acht Jahre lang nichts tun und kei- werden genau auf diesem Weg weitergehen.
nerlei Anpassungen an die Lebenshaltungskosten
vornehmen, und erst recht werden wir, wenn wir das Wenn Sie sich ewig über Eliten- und Begabtenför-
BAföG erhöhen, nicht das machen, was Sie während Ih- derung aufregen – ich habe überhaupt nicht verstanden,
rer Regierungszeit gemacht haben: Sie haben nämlich welchen Zusammenhang Sie eben zwischen Schluss mit
das Geld, das Sie für die BAföG-Erhöhung benötigt ha- Ganztagsschulen und Begabtenförderung herstellen
ben, den Studenten an anderer Stelle wieder weggenom- wollten –, dann kann ich nur sagen: Ich stehe zur Talent-
men. förderung. Ich stehe zu Spitzenforschern. Ich bin der
Meinung: Wer sich um die Spitze nicht kümmert, der
(Klaus Hagemann [SPD]: Wir haben 5 Prozent wird auch dauerhaft die Breite nicht mehr mit Bildung
vorgeschlagen!) und Wissenschaft erreichen.
Wir werden die Hightech-Strategie auf die Bereiche (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Gesundheit, Klima und Energie, Mobilitätssicherheit
und Kommunikation konzentrieren. Wir werden sie auch Wir bauen die Internationalisierung unserer Bildungs-
nach Europa tragen. Ich glaube, es ist ein ganz zentraler und Forschungspolitik konsequent aus.
Punkt, dass wir unsere forschungspolitischen Erfahrun- (Klaus Hagemann [SPD]: Es wird beim
gen in die Europäische Union einbringen. Das Gleiche, DAAD gestrichen!)
was für Deutschland gilt, gilt nämlich auch dort: Wir
brauchen insgesamt mehr Investitionen in die For- Wenn wir eine solche Debatte führen, dann sollten wir
über den eigenen Tellerrand hinausschauen und auch die
(B) schung. Wir müssen Unternehmen in diesem Sinne mo- Verantwortung wahrnehmen, Herr Hagemann, die über (D)
bilisieren. Das Gleiche gilt auch für die Zusammenarbeit
zwischen Wissenschaft und Wirtschaft. Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-
Holstein hinausgeht. Die Internationalisierung, die sich
Wir sind verlässliche Partner der Hochschulen und auf die Schwellen- und Entwicklungsländer bezieht, ist
der Forschungsorganisationen in den neuen Ländern. für uns ein Schwerpunkt. Auch hierzu finden Sie in die-
Ich weiß, warum Sie das nicht wahrnehmen; denn nur sem Haushalt erste Ansätze.
wer in die neuen Länder fährt, mit Rektoren und Verant- (Klaus Hagemann [SPD]: Deswegen kürzen
wortlichen in unseren Forschungsinstituten spricht, der Sie beim DAAD!)
bekommt das mit und erfährt, dass Kontinuität in der
Förderung und bei den Konzepten viel bewirkt. Deshalb – Ich kürze nicht, sondern wir verstärken.
werden wir mit großer Konsequenz bei all dem, was die Was die Ganztagsschulen angeht – Herr Rehberg hat
neuen Länder und den Pakt für Forschung und Innova- es angesprochen –, ist der Wunsch
tion angeht, weitermachen. Damit entstehen genau die
Leuchttürme, die in den strukturschwachen Regionen (Klaus Hagemann [SPD]: Ah! Neue
notwendig sind. Ankündigungen!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – der über 7 000 erfüllt worden, Herr Hagemann. Wir wer-
Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Weiterma- den, wenn die Phase des Bauens zu Ende geht, den
chen! Weitermachen!) Schulen in jedem Land die Servicestelle zur Verfügung
stellen, die Schulentwicklung ermöglicht und begleitet.
Wir stärken nicht nur die Allianzen zwischen Wissen- Das sind nicht Milliarden, sondern Millionen; aber auch
schaft und Wirtschaft, den Spitzencluster-Wettbewerb das ist eine richtige Antwort auf Schulentwicklung in
und die Innovationsallianzen, sondern wir arbeiten Deutschland und ein Beispiel für Zusammenarbeit.
auch – das steht ebenfalls im Koalitionsvertrag – daran,
wie wir steuerliche Anreize für Investitionen unserer Ich danke den Mitgliedern des Haushaltsausschusses
Unternehmen in Forschung und Entwicklung schaffen und den Regierungsfraktionen dafür, dass ein solcher
können. Das ist auch ein völlig neues Instrument, das es Haushalt entstehen konnte, dessen Wachstumsrate höher
bislang in Deutschland nicht gegeben hat. Auch damit ist als die Wachstumsrate des Bundeshaushaltes. Das ist
ein gutes Zeichen und ein starkes Signal.
werden wir den Forschungsstandort Deutschland stär-
ken. Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
2938 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wenn es so (C)
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dagmar Ziegler von auffällt!)
der SPD-Fraktion. – Genau.
(Beifall bei der SPD) (Heiner Kamp [FDP]: Ah! Kaderschmiede!
Hört! Hört!)
Dagmar Ziegler (SPD):
Meine Damen und Herren, mit dem gescheiterten
Vielen Dank, Herr Präsident! Meine sehr geehrten Bildungsgipfel vom Dezember letzten Jahres ist der Bil-
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dung mindestens ein halbes Jahr verloren gegangen.
Vielleicht können wir uns in dieser Debatte wenigstens
auf eines einigen: Alle Bildungspolitikerinnen und -poli- (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
tiker in diesem Haus eint die Überzeugung, mit ihrer Ar- Jetzt richten sich die Erwartungen auf das nächste Tref-
beit etwas für die Zukunft unseres Landes zu leisten. fen der Kanzlerin mit den Ministerpräsidenten im Juni.
Bildung hat eine Schlüsselfunktion für die Lebenschan- Liebe Ministerin, es wird höchste Zeit, dass Sie liefern
cen der Menschen und auch für den Wohlstand von mor- und wir hier im Bundestag endlich einmal wieder über
gen. konkrete Vorschläge der Bundesregierung diskutieren
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) können.
Dass wir uns trotzdem in der Bildungspolitik immer (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
wieder streiten müssen, liegt daran, dass man in zentra- der LINKEN)
len Grundsatzfragen ganz unterschiedlicher Überzeu- Ich habe die Befürchtung, dass beim dritten Bildungs-
gung sein kann: Sehe ich Bildung als öffentliches Gut gipfel einmal mehr über Finanztransferwege gestritten,
an, oder sehe ich es mehr als Privatangelegenheit an? aber wieder nicht über Bildung geredet wird. Dabei
Möchte ich die Chancengleichheit verbessern oder aber glaube ich, dass der Bildungsgipfel 2010 nach den bei-
bestimmte Gruppen bevorzugen? Das sind Grundsatzfra- den glücklosen Anläufen 2008 und 2009 tatsächlich eine
gen, auf die Union und FDP andere Antworten geben als echte Chance bieten könnte: für substanzielle Schritte,
die Sozialdemokratie. für mehr Chancengleichheit und für substanzielle Ver-
einbarungen zur Bekämpfung von Bildungsarmut.
Das Ergebnis ist – wie in fast allen anderen Politikfel-
dern auch – eine schwarz-gelbe Klientelpolitik, die die Das Bundesverfassungsgericht hat uns die Bekämp-
Bildungschancen privatisiert, die Zukunft der Menschen fung von Bildungsarmut als Auftrag gegeben. Heute
deren Herkunft überlässt und die enormen sozialen gab es von der Ministerin kein Wort dazu. Eigenständige
(B) Ungleichheiten in der Bildung verfestigt, (D)
Kinderregelsätze, die die gleiche Teilhabe an Bildung
für alle Kinder und Jugendlichen auf der materiellen
(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Die Seite absichern, sind die eine Seite der Medaille. Die an-
HIS-Studie hat das widerlegt!) dere Seite lautet: Stärkung der Bildungsinfrastruktur.
statt Bildungspolitik am Ziel gleicher Chancen auf beste (Beifall bei der SPD)
Bildung für alle auszurichten.
Nun hat auch die Bundesbildungsministerin das Wort
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Bildungsarmut neuerdings in ihren Wortschatz aufge-
Herr Leutert hat die Stichworte heute schon genannt: nommen. Mir ist aber noch nicht klar geworden, was
Studiengebühren, Stipendien, Bildungssparkonten, Be- sich eigentlich hinter ihren „Bildungsbündnissen“ ver-
treuungsgeld. Weil aber auch Schwarz-Gelb weiß, dass bergen soll. Auch dazu hat sie keine Ausführungen ge-
eine solche Politik schnell als sozial kalt erkannt werden macht. Sehr wohl ist mir aber klar, was die Bundesregie-
könnte, wird das „Hauptgericht“ der Bildungsprivatisie- rung machen müsste, wenn sie es mit der Bekämpfung
rung mit ein bisschen Sozialsymbolik und Fürsorge- von Bildungsarmut ernst meinen würde: Sie müsste alles
rhetorik garniert, in der Hoffnung, dass die Menschen daransetzen, gemeinsam mit den Ländern eine verbindli-
nicht merken, was ihnen da tatsächlich serviert werden che nationale Initiative zur Stärkung und Verbesserung
soll. Außerdem ist die Bildungspolitik der schwarz-gel- der Bildungsinfrastruktur zu vereinbaren.
ben Bundesregierung bislang über Ankündigungen (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann
nicht hinausgekommen. Ihre Gestaltungskraft erschöpft [SPD])
sich in ganzen Ketten von Ankündigungen – manchmal
sogar falscher –, etwas tun zu wollen, ohne dass sie Konkret müsste das bedeuten: Erstens. Verbindliche
konkret sagen würde, was. Bildungssparen, lokale Bünd- Vereinbarungen für den weiteren Ausbau und einheitli-
nisse, Ausbildungsschirm, Weiterbildungsallianzen, Bo- che Qualitätsstandards in der frühkindlichen Bildung.
logna-Mobilitätspaket – statt diese Vorhaben und Pro- (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Genau!)
jekte hier zur Debatte zu stellen, finden sich nur
marketingoptimierte Überschriften und Etiketten. Zweitens. Verbindliche Vereinbarungen für den flächen-
deckenden Ausbau der Ganztagsschulangebote. Drittens.
(Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP) Verbindliche Vereinbarungen für eine bessere Personal-
ausstattung von Kitas, Kindergärten und Schulen.
Wir hätten unsere Rede fast gemeinsam schreiben kön-
nen. (Beifall bei der SPD)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2939
Dagmar Ziegler
(A) Viertens. Verbindliche Vereinbarungen für eine Fach- Der von der Regierung der Mitte eingebrachte Bun- (C)
kräfteoffensive bei Erzieherinnen und Erziehern. Fünf- deshaushalt ist ein deutliches Zeichen des Aufbruchs,
tens. Verbindliche Vereinbarungen für Gebührenfreiheit ein deutliches Zeichen der Modernisierung unseres Lan-
von Anfang an. des. Mit einem Plus von 750 Millionen Euro, einer Stei-
(Beifall bei der SPD) gerung von 56 Prozent bei der Begabtenförderung, von
69 Prozent bei der Modernisierung und Stärkung der be-
Und schließlich: Verbindliche Vereinbarungen für ein ruflichen Bildung, von 54 Prozent beim lebenslangen
kostenloses warmes Mittagessen in allen Kitas und Lernen setzen wir ein glasklares Zeichen: Bildung und
Schulen, für Lehrmittelfreiheit und kostenlosen Förder- Forschung haben für uns oberste Priorität.
unterricht überall und für flächendeckende Schulsozial-
arbeit. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann Mit diesen Maßnahmen schlägt die Bundesregierung
[SPD]) der Mitte ein neues Kapitel für eine moderne Bildungs-
und Forschungspolitik auf. Um eines sehr deutlich zu sa-
Wenn Sie diese Schwerpunkte setzen würden – mit gen: Der Unterschied zwischen Ihrer Bildungspolitik,
dem Fokus auf starke Institutionen und funktionierende meine Damen und Herren auf der linken Seite dieses
Infrastrukturen, abgesichert durch Rechtsansprüche –, Hauses, und unserer Bildungspolitik ist in erster Linie
dann hätten Sie unseren ehrlichen Respekt und unsere eine Frage der Geisteshaltung.
volle Unterstützung. Sie brauchen nur den politischen
Gestaltungswillen und den richtigen Ansatz. (Beifall bei der FDP – Klaus Hagemann
[SPD]: Siehe Herr Westerwelle!)
(Beifall bei der SPD)
Wir wollen kreative Kräfte in unseren Kindergärten,
Eine letzte Bemerkung zum Stichwort Symbolpoli- Schulen und Hochschulen freisetzen und fördern. Sie
tik. Politik sollte nicht nur lernfähig, sondern immer wollen Dirigismus und bürokratische Hürden.
auch glaubwürdig sein. Wenn Frau Schavan neuerdings
beim Thema Bildungsföderalismus mit der Forderung, (Beifall bei der FDP)
das schon so oft zitierte Kooperationsverbot aufzuheben,
Wir wollen faire Möglichkeiten für öffentliche und freie
Lernfähigkeit unter Beweis stellen möchte, dann kann
Schulen und Hochschulen, während Sie immer noch an
das nur glaubwürdig sein, wenn sie diesem Haus einen
entsprechenden Gesetzentwurf für eine Grundgesetz- Ihren staatsgläubigen Konzepten aus dem 19. Jahrhun-
änderung vorlegt. dert festhalten.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(B) der CDU/CSU) (D)
Wenn Sie, Frau Ministerin, das nicht tun, werden wir es
tun. Wir wollen Selbstverantwortung und Chancengleichheit
am Start an den Bildungseinrichtungen in Deutschland.
Vielen Dank. Sie wollen Leistung bestrafen und neue Hürden auf-
(Beifall bei der SPD) bauen.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Lachen
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: bei der SPD – Klaus Hagemann [SPD]: Lä-
Das Wort hat jetzt der Kollege Patrick Meinhardt von cherlich!)
der FDP-Fraktion. Kurz: Sie glauben immer noch an zentrale Steuerung.
(Beifall bei der FDP – Kai Gehring [BÜND- Wir setzen auf individuelle Förderung und die Vielfalt
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie halten Sie es mit der Bildungswege; das ist auch der richtige Weg.
dem Föderalismus? – Krista Sager [BÜND- (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Meinhardt, sa- CDU/CSU)
gen Sie doch mal etwas zum Kooperationsver-
bot!) Bei der Forschung legen wir dynamisch zu. Der ge-
rade veröffentlichte Europäische Innovationsanzeiger
Patrick Meinhardt (FDP): spricht eine ganz klare Sprache. Deutschland zählt neben
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! den skandinavischen Ländern und Großbritannien zu
Bildung ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Ge- den innovativsten Ländern in der EU. Im internationalen
rade weil dies so ist, gerade weil wir Bildungsarmut in Standortwettbewerb ist es für uns Deutsche außerordent-
diesem Land wirksam bekämpfen müssen und gerade lich wichtig, alle verfügbaren Kräfte zu mobilisieren.
weil die Schaffung von mehr Bildungsgerechtigkeit die Deswegen wollen wir den Forschern bereits in diesem
Perspektive dieser Regierung der Mitte ist, werden wir Jahr ermöglichen, ihre Forschungsergebnisse auf eine
in den kommenden vier Jahren 12 Milliarden Euro mehr mögliche spätere Anwendung hin zu untersuchen. Sie
in die Hand nehmen. Dies ist ein historisches Wachstum sollen in die Lage versetzt werden, den nächsten Schritt
für den Bildungsbereich. Dies ist die Botschaft dieser zu gehen, nachdem sie ihre eigentlichen Entdeckungen
Bundesregierung: Wir werden in Deutschland für mehr
in der Grundlagenforschung abgeschlossen haben. Da-
Bildungsgerechtigkeit sorgen.
her werden wir noch in diesem Jahr – das ist, wie Sie ge-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sehen haben, im Haushalt verankert – das Instrument der
2940 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Patrick Meinhardt
(A) Validierungsförderung als eigenständige Förderlinie ein- Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Her- (C)
führen. Das ist ein enorm wichtiger Ansatz in der For- ren, verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir glauben an
schungspolitik. die Menschen in unserem Land, an ihre Talente, an ihre
Kreativität und an ihre Leistungsbereitschaft. Wir wollen
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
den Menschen mit diesem Haushalt ein Zeichen geben:
René Röspel [SPD]: Herr Meinhardt, Förde-
Macht was aus euch. Wir investieren in eure Köpfe.
rung oder Forschung?)
Denn wir trauen euch was zu.
An dieser Stelle möchte ich auch auf die neue High-
Vielen herzlichen Dank.
tech-Strategie der Regierung der Mitte zu sprechen
kommen. Ein Beispiel für das Neue ist das Instrument (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
der Innovationsallianzen, in denen bei Forschung und
Entwicklung Wirtschaft und Wissenschaft bei bestimm- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
ten anwendungsnahen Themen zusammenarbeiten. Ge- Das Wort hat die Kollegin Dr. Rosemarie Hein von
nau so muss es gehen. der Fraktion Die Linke.
(René Röspel [SPD]: Das gibt es doch seit (Beifall bei der LINKEN)
2007 schon!)
Konkret schlägt sich das bereits im Nationalen Ent- Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE):
wicklungsplan Elektromobilität nieder. Wir wollen die Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Forschung und Entwicklung, die Marktvorbereitung und 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes sollen in der
die Markteinführung von rein elektrisch angetriebenen Bundesrepublik Deutschland künftig für Bildung und
Fahrzeugen voranbringen. Jetzt werden wir die Entwick- Forschung ausgegeben werden. Das scheint ein ehrgeizi-
lung verstetigen und dem Technologiefortschritt anpas- ges Ziel zu sein; denn Deutschland liegt hier immer noch
sen. An vielen Stellen dieser Wertschöpfungskette gibt unter dem OECD-Durchschnitt. Gleichzeitig wird land-
es noch erheblichen FuE-Bedarf, Optimierungsbedarf auf, landab die große Abhängigkeit des Bildungszugan-
und Vernetzungsbedarf. Auch dabei haben wir uns in ges von der sozialen Herkunft beklagt, was offensicht-
dieser Koalition gemeinsam auf einen erfolgreichen Weg lich auch die Bundesbildungsministerin umtreibt. Darum
gemacht. begründet sie einen Großteil der Finanzposten im Bil-
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der dungshaushalt – wie mein Kollege Vorredner auch – mit
CDU/CSU) der Absicht, einen Nachteilsausgleich für die Schwäche-
ren leisten zu wollen, um soziale Gerechtigkeit herzu-
Ich bin mit dem Tempo dieser Regierung bei Bil- stellen.
(B) (D)
dung und Forschung sehr zufrieden. Erst haben wir die
Doch bleiben wir zunächst bei den Zahlen: 10 Prozent
Bildungsprämie auf 500 Euro verdreifacht. Fragen Sie
im Bundesdurchschnitt. Man wolle den Ländern helfen
vor Ort in Ihren Wahlkreisen nach. Jetzt haben wir eine
– so war zu lesen und zu hören –, dieses Ziel ebenfalls
deutlich attraktivere Höhe. Diese Entscheidung war
zu erreichen. Schon diese Formulierung macht deutlich,
goldrichtig.
worum es geht: Nicht der Bund will zahlen, sondern die
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der Länder sollen zahlen.
CDU/CSU)
Zur Illustration möchte ich Ihnen drei Zahlen nennen:
Dann kommt die BAföG-Modernisierung mit der Erhö- 11, 23 und 3. Nein, meine Damen und Herren von der
hung der Freibeträge und Bedarfssätze, dem Ende für die FDP, das ist nicht das neue Steuerkonzept der Linken
Altersgrenze von 30 Jahren bei der Masterförderung und
(Patrick Meinhardt [FDP]: Würde uns auch
für die Benachteiligung bei einem Fachrichtungswech-
wundern!)
sel, mit einer besseren Anerkennung von Kinderbetreu-
ungszeiten, einem Abbau von Bürokratie, einer Verein- – das würde Sie wundern, mich auch –, sondern das sind
fachung des Verfahrens und der klaren Ansage, alle zwei die Bildungsanteile in den aktuellen Haushalten von
Jahre eine Anpassung vorzunehmen. Das bedeutet in Bund, Ländern und Kommunen. Mehr als 11 Prozent
vier Jahren circa 1,6 Milliarden Euro mehr. Das ist ein wendet meine Heimatstadt Magdeburg in diesem Jahr
wirkliches Aufwuchsprogramm für die Studierenden in für die Bildungsfinanzierung auf, und zwar ohne Kinder-
der Bundesrepublik Deutschland. betreuung, über 23 Prozent das Land Sachsen-Anhalt,
aus dem ich komme, und gerade einmal 3 Prozent stehen
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
im Bundeshaushalt zur Verfügung.
Im gleichen Atemzug werden wir eine unglaubliche
Der Haushalt des BMBF umfasst knapp 11 Mil-
Ungerechtigkeit in diesem Land beenden. 98,1 Prozent
liarden Euro. Allein für das geplante Steuersenkungspa-
der Studierenden wird die Chance auf ein Stipendium
ket will die Bundesregierung ab 2011 mehr als das Dop-
vorenthalten. Das ist durch und durch unsozial. Wir wol-
pelte ausgeben. Oder: Für die Bildung will der Bund
len die Rate der Stipendien verfünffachen und damit
jährlich im Durchschnitt 3 Milliarden Euro mehr ausge-
endlich die rote Laterne bei der Begabungsförderung ab-
ben, achtmal so hoch sollen die Steuergeschenke ab
geben, damit in diesem Land wieder mehr Bildungsge-
2011 ausfallen. Man darf gespannt sein, in welcher Grö-
rechtigkeit bei der Talentförderung herrscht.
ßenordnung dieses Steuerpaket, das Sie bereits angekün-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) digt haben, ausfallen wird. Wie wäre es damit: Lassen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010 2941
Dr. Rosemarie Hein
(A) Sie es einfach. Geben Sie dieses Geld in die auskömmli- einem Viertel –, weitere 75 Euro sollen von den Ländern (C)
che Finanzierung von Bildung. kommen und die Hälfte aus privater Hand. Für den Bund
nenne ich das eine ordentliche Rendite, praktisch gese-
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem
hen ist es aber ein weiterer Einstieg in die Privatisierung
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
der Bildungskosten. Die Mittel für dieses Programm wä-
Das wären zusammen 27 Milliarden Euro mehr pro Jahr, ren besser im BAföG-System für Schülerinnen und
und damit würden wir den nötigen Zielzahlen ein gutes Schüler sowie Studierende aufgehoben; denn darauf gibt
Stück näherkommen. es wenigstens einen Rechtsanspruch.
(Beifall bei der LINKEN – Patrick Meinhardt (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
[FDP]: Wir vertrauen den Menschen!) neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Wer 3 Milliarden Euro zusätzlich in die Bildung in-
vestieren will, aber Steuergeschenke in Höhe von Doch an das BAföG gehen Sie sehr vorsichtig heran. Bis
24 Milliarden Euro macht und dann noch behauptet – heute gibt es kein auskömmliches Angebot. Man darf
wie Sie eben, Herr Meinhardt –, dass mit dem Haushalt gespannt sein, was Sie noch vorlegen werden. Wir brau-
den sozialen Ungerechtigkeiten im Bildungssystem ent- chen die Aufstockung der Beträge, die Erweiterung des
gegengewirkt werden soll, Kreises der Anspruchsberechtigten und die Beendigung
der Rückzahlungspflicht. Das wäre ein wirklicher Nach-
(Patrick Meinhardt [FDP]: Exakt!)
teilsausgleich. Das Stipendienprogramm ist es nicht.
der hat offensichtlich ein komisches Verständnis von so-
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
zialer Gerechtigkeit.
neten der SPD)
(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie
Nehmen wir den Bereich der beruflichen Bildung,
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
den die Bundesministerin gern als das Flaggschiff des
GRÜNEN)
deutschen Bildungswesens bezeichnet. Dafür gibt es so-
Sie haben die 1,3 Milliarden Euro, die wir beantragt ha- gar noch Bundeszuständigkeiten. Wir werden Anfang
ben, kritisiert. Dabei waren wir noch bescheiden gewe- April den Berufsbildungsbericht erhalten. Der wird uns
sen. Aber auch 11 Milliarden Euro sind ja nicht nichts. den Spiegel vorhalten: Immer noch sind es 1,5 Millionen
Man kann auch damit Vernünftiges tun. junger Menschen zwischen 20 und 30 Jahren, die keine
abgeschlossene Berufsausbildung haben. Wir werden
Schauen wir uns die Details an: Für den Nachteilsaus-
wohl erstmals mit Zahlen über die Bugwelle konfrontiert
gleich ist der Bundesregierung etwas Seltsames eingefal-
werden, also mit der Zahl jener Jugendlichen, die sich in
(B) len: ein nationales Stipendienprogramm. (D)
Schulen weiter in Warteschleifen befinden und gar nicht
(Patrick Meinhardt [FDP]: Hervorragend!) erst einen Ausbildungsplatz erhalten. Ihre Projekte dort
wirken wie eine Notfallambulanz: Übergangsmaßnah-
Herr Meinhardt hat eben darüber gesprochen. Das hört
men, am Mangel wird herumgedoktert, eine konjunk-
sich zunächst gut an. Ein Leistungsstipendium soll es
turunabhängige Ausbildungsfinanzierung steht nicht zur
sein, ganz nach dem Motto: Leistung muss sich wieder
Debatte.
lohnen.
Ganz peinlich wird es, wenn man auf die Felder
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
schaut, bei denen die Bundesregierung überhaupt keine
– Sie klatschen an der falschen Stelle. – Die Chance, ein Kompetenzen hat. Gegen die lokalen Bildungsbündnisse
Leistungsstipendium zu erhalten, haben nur diejenigen, ist eigentlich nichts zu sagen, wenn es um die Öffnung
die die Hürde genommen haben, ein Studium finanzie- von Schule geht; aber Sie wollen leistungsschwache
ren zu können; aber daran scheitern viele in diesem Kinder und Jugendliche stärker fördern. Förderunterricht
Land. Dort liegt die soziale Ungerechtigkeit. wollen Sie anbieten. Aber individuelle Förderung ist ein
Auftrag an die Schule und nicht an zusätzliche private
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und
Anbieter. Wenn Sie auf diesem Gebiet etwas tun wollen,
der SPD)
muss das Geld in die Schulen fließen.
Was glauben Sie, wie es Jugendlichen aus Hartz-IV-
Das Ganztagsschulprogramm ist auch ein Problem.
Familien oder aus Familien mit geringem Einkommen
Jetzt planen Sie 6,3 Millionen Euro ein. Was wollen Sie
gelingen soll, ein Studium zu finanzieren? Von einem
damit eigentlich finanzieren? Für Besichtigungsreisen
Leistungsstipendium haben nur diejenigen etwas, deren
wird es wahrscheinlich reichen, für mehr aber nicht.
Eltern so viel verdienen, dass sie das Studium finanzie-
ren können, oder diejenigen, die nur wenig jobben müs- Ich bleibe dabei: Das Kooperationsverbot war der
sen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Denen schwerste bildungspolitische Fehler in der jüngeren Ge-
kann ein Leistungsstipendium vielleicht helfen, aber schichte. Darum, Frau Schavan: Nutzen Sie einfach den
nicht denen, die es wirklich nötig haben. Antrag der Linken, der in der nächsten Sitzungswoche
im Plenum behandelt wird. Legen Sie einen entspre-
(Beifall bei der LINKEN)
chenden Gesetzentwurf vor. Wir wollen für alle drei
Das Programm des Bundes wirkt fast wie eine Geld- Ebenen – Bund, Länder und Kommunen – die gleiche
druckmaschine; denn der Bund finanziert das Stipen- Verantwortung bei der Finanzierung. Mit „11, 23 und 3“
dium mit einem Anteil von nur 75 Euro – das entspricht muss Schluss sein. Wir wollen eine Gemeinschaftsauf-
2942 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
(A) Swen Schulz (Spandau) (SPD): (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (C)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DIE GRÜNEN)
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Im Koalitions-
Rot-Grün – wir – mussten das BAföG erst mühsam wie-
vertrag zwischen CDU, CSU und FDP steht in der Ein-
der aufbauen, und das in einer Situation, in der uns die
leitung zum Bildungskapitel Folgendes:
Bundesratsmehrheit von CDU/CSU und FDP jeden er-
Wir wollen mehr Chancengerechtigkeit am Start, denklichen Knüppel zwischen die Beine geworfen hat.
Durchlässigkeit und faire Aufstiegschancen für alle In der Großen Koalition musste die SPD das BAföG ge-
ermöglichen. Wir wollen Deutschland zur Bil- gen anfänglichen Widerstand von Frau Schavan und der
dungsrepublik machen, mit den besten Kinderta- CDU/CSU sichern und konnte erst spät eine Verbesse-
gesstätten, den besten Schulen und Berufsschulen rung des BAföGs durchsetzen. Meine sehr verehrten Da-
sowie den besten Hochschulen und Forschungsein- men und Herren von der Regierungskoalition, ich finde,
richtungen. Sie sollten beim Thema BAföG ganz ruhig sein, statt
sich hier aufzuspielen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Was da im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP DIE GRÜNEN – Patrick Meinhardt [FDP]:
steht, ist ein großartiges Ziel. Wer vor nicht allzu langer Zeit sieben Jahre re-
Die Frage ist aber: Was passiert konkret? Uns liegt giert hat, sollte schweigen!)
der erste Haushalt dieser Regierungskoalition vor. Der Wir freuen uns, wenn wir einen Erkenntnisgewinn be-
Haushalt ist ein Gradmesser dafür, was tatsächlich pas- obachten können wie bei dem, was Sie jetzt beim
siert. Der Haushalt ist das Buch der Wahrheit. Wenn man BAföG planen; das ist wenigstens etwas. Leider gibt es
sich den Haushalt genau anschaut, muss man feststellen: Themen, über die Frau Schavan zwar viel redet, für die
Die großen Worte, die im Koalitionsvertrag stehen, sind sie aber nichts tut. Beispiel Schule: Sie wollen jetzt die
reine Lippenbekenntnisse, nichts Konkretes steckt da- Grundschulen unterstützen, insbesondere Grundschulen
hinter. in sozialen Brennpunkten. Das ist ein sehr diskutabler
Natürlich stehen im Haushalt auch ein paar gute Ansatz. Sie brauchen dafür aber eine Änderung des
Dinge. Grundgesetzes. Wenn man das, was Frau Schavan in der
Öffentlichkeit gesagt hat, ernst nehmen darf, sind Sie in-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) zwischen dazu bereit. Aber wo bleibt die konkrete Initia-
– Sie bauen durchaus auf der richtigen Politik von Rot- tive, wo wird das, was Sie sagen, handfest? Frau
Grün und der Großen Koalition auf; das will ich der Schavan, Sie sind Bundesministerin, und Sie sind auch
(B) Fairness halber sagen. Abgeordnete. Ergreifen Sie die Initiative und machen (D)
Sie einen konkreten Antrag! Ich mache Ihnen einen Vor-
(Beifall bei der SPD – Patrick Meinhardt schlag: Lassen Sie uns gemeinsam Butter bei die Fische
[FDP]: Märchen! – Georg Schirmbeck [CDU/ geben, lassen Sie uns gemeinsam hier im Deutschen
CSU]: Ihre Welt ist so einfach: Die einen sind Bundestag einen Gesetzentwurf zur Abschaffung des
die Guten, die anderen die Schlechten!) Kooperationsverbotes einbringen! Ich werde Sie an-
schreiben und Ihnen das entsprechend vorschlagen.
Aber die Frage ist doch: Was macht die neue Regie-
Dann wollen wir einmal sehen, ob Sie es ernst meinen,
rungskoalition an eigener Politik?
liebe Frau Schavan.
Schauen wir uns den Bereich der Hochschulen an:
(Beifall bei der SPD)
Frau Schavan hat eine große Initiative für eine bessere
Lehre angekündigt, und zwar 2 Milliarden Euro über ei- Dann gibt es Themen, Frau Schavan, zu denen Sie
nen Zeitraum von zehn Jahren. Doch was steht in diesem sich, obwohl diese Themen bildungspolitisch wichtig
Haushalt? Kümmerliche 2 Millionen Euro. Unseren An- sind, nicht einmal äußern, etwa zur Frage des Betreu-
trag, diesen Titel aufzustocken, hat die Regierungskoali- ungsgeldes. Das ist für viele Kinder, die in schwierigen
tion abgelehnt. Das war also nicht gerade ein Glanzstück familiären Verhältnissen leben, eine Maßnahme zur Ver-
der Regierungskoalition. hinderung von Bildung. Frau Schavan, ich behaupte, Sie
sind klug genug, um das zu wissen. Trotzdem schweigen
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Sie zu diesem Thema. Aber den Grundschülern helfen
DIE GRÜNEN)
wollen! Dabei müssen Förderung und Unterstützung vor
Oder nehmen wir das BAföG: Wir haben eine starke der Schule einsetzen. Das blenden Sie aus. Hier verlet-
Ausweitung des BAföGs beantragt. Die Regierungsko- zen Sie Ihre Pflicht als Bildungsministerin, Frau
alition hat das abgelehnt, sie will nur eine kleine, mode- Schavan.
rate Anpassung vornehmen, und für die möchte sie sich
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
auch noch feiern lassen. Da Herr Rehberg, Frau Schavan
DIE GRÜNEN)
und Frau Flach in dieser Debatte behauptet haben, im
Vergleich zu Rot-Grün würden sie auf großartige Weise Nun zur Finanzsituation der Länder und Kommunen.
mit dem BAföG umgehen, will ich daran erinnern, wie Diese sind ja nun hauptsächlich für die Bildung zustän-
das mit dem BAföG war: Unter der Regierung Kohl dig. Sie brauchen dringend Geld für eine bessere Bil-
– CDU, CSU, FDP, mit dem zuständigen Minister dung, aber die Regierungskoalition haut den Ländern
Rüttgers – wurde das BAföG kurz und klein gehauen. und Kommunen mit einer verantwortungslosen Steuer-
2946 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 31. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 18. März 2010
Anlage
Liste der entschuldigten Abgeordneten
Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/ 18.03.2010 Werner, Katrin DIE LINKE 18.03.2010
DIE GRÜNEN * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates
Koch, Harald DIE LINKE 18.03.2010
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
ISSN 0722-7980