Beruflich Dokumente
Kultur Dokumente
Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht
95. Sitzung
Inhalt:
Antwort Antwort
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10844 C BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10849 C
Zusatzfragen Zusatzfragen
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10844 D Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10849 C
Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . 10850 D
Mündliche Fragen 26 und 27
Rüdiger Veit (SPD) Mündliche Frage 50
Fehlendes Konzept der Grundsicherungs- Sabine Stüber (DIE LINKE)
stellen zum Umgang mit migrationsspezi- Streichung grenzüberschreitender Ange-
fischen Problemen; Einbindung der Op- bote der Deutschen Bahn AG im Regional-
tionskommunen bei der Entwicklung von und Fernverkehr
Lösungsstrategien; Einsatz von Integra-
tionsbeauftragten bei Jobcentern bzw. Antwort
Optionskommunen Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10851 B
Antwort
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär Zusatzfragen
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10846 B Sabine Stüber (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10851 C
Zusatzfragen
Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10846 C Mündliche Frage 51
Sabine Stüber (DIE LINKE)
Verhandlungsstand zum Zeitfahrkarten-
Mündliche Frage 41
tarif für die Strecke Berlin–Sczeczin
Inge Höger (DIE LINKE)
Antwort
Verstrickung der Bundeswehr in Vorfälle Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär
in Afghanistan mit einer toten und einer BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10852 A
verletzten Zivilistin am 9. März 2011
Antwort
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär Mündliche Frage 67
BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10847 B Agnes Alpers (DIE LINKE)
Berücksichtigung von Hochschulabschlüs-
Zusatzfrage
sen und Ergänzungsqualifikationen im Ge-
Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 10847 D
setzentwurf zur Anerkennung im Ausland
erworbener Berufsqualifikationen
Mündliche Frage 48 Antwort
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10852 B
Konsequenzen der Einbeziehung pflege-
bedürftiger Menschen mit anerkannter Zusatzfragen
Pflegestufe nach dem SGB XI in den von Agnes Alpers (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 10852 D
der UN-Behindertenrechtskonvention be- Memet Kilic (BÜNDNIS 90/
troffenen Personenkreis für die Pflege- DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10853 B
reform und die Behindertenpolitik
Antwort Mündliche Frage 68
Daniel Bahr, Parl. Staatssekretär Agnes Alpers (DIE LINKE)
BMG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10848 C
Im Bundeskabinett beschlossene Eck-
Zusatzfragen punkte zur Verbesserung der Feststellung
Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 10848 C und Anerkennung von im Ausland erwor-
IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
Anlage 4
Mündliche Frage 80
Mündliche Frage 5
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/
Dr. Eva Högl (SPD)
DIE GRÜNEN)
Formulierung des Entwurfs des Nationalen
Mitarbeit ehemaliger Haupt- und Inoffizi- Reformprogramms Deutschland
eller Mitarbeiter des Staatssicherheits-
dienstes der ehemaligen DDR in der Treu- Antwort
handanstalt und den zur Treuhandanstalt Peter Hintze, Parl. Staatssekretär
gehörenden Unternehmen BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10860 A
Antwort
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär Anlage 5
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10855 D Mündliche Frage 6
Dr. Eva Högl (SPD)
Zusatzfragen
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ Berücksichtigung gering qualifizierter Ar-
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10856 A beitnehmer und Menschen mit Migra-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 V
Anlage 15 Anlage 20
Mündliche Frage 16 Mündliche Frage 23
Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) Ute Kumpf (SPD)
Vorlage des Staatenberichts gemäß UN- Messbare Integrationsfortschritte aufgrund
Behindertenrechtskonvention des Programms zur berufsbezogenen
Sprachförderung
Antwort
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär Antwort
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10863 B Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10865 B
Anlage 16
Anlage 21
Mündliche Frage 17
Silvia Schmidt (Eisleben) (SPD) Mündliche Fragen 24 und 25
Aydan Özoğuz (SPD)
Individuelle Rechtspositionen für Betrof-
fene in der UN-Behindertenrechtskonven- Anteil der EU-Mittel an Programmen der
tion Bundesregierung zur Überwindung migra-
tionsspezifischer Problemlagen sowie nach-
Antwort ahmenswerte internationale Projekte
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10863 D Antwort
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10865 C
Anlage 17
Mündliche Frage 20 Anlage 22
Michael Groß (SPD)
Mündliche Frage 28
Wirksamkeit der Programme und Instru- Oliver Kaczmarek (SPD)
mente zur Integration von Personen mit
migrationsspezifischen Problemlagen Beschäftigte mit Migrationshintergrund in
Jobcentern; sprachliche Verständigungs-
Antwort schwierigkeiten zwischen Mitarbeitern und
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär Kunden
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10864 A
Antwort
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
Anlage 18 BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10866 B
Mündliche Frage 21
Michael Groß (SPD) Anlage 23
Abstimmung der Programme der EU, des Mündliche Frage 29
Bundes und der Länder zur Integration Bärbel Bas (SPD)
von Personen mit migrationsspezifischen
Problemlagen Verankerung der aus Staatsangehörigkeit,
ethnischer Herkunft oder mangelnder Be-
Antwort herrschung der deutschen Sprache resul-
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär tierenden Nachteile am Arbeitsmarkt als
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10864 D Auftrag an die Arbeitsverwaltung in § 1
Abs. 1 SGB III
Anlage 19 Antwort
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 22 BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10866 C
Ute Kumpf (SPD)
Verknüpfung der Sprachförderung bei
Anlage 24
Menschen mit Migrationshintergrund mit
den Qualifizierungsmaßnahmen der Bun- Mündliche Fragen 30 und 31
desagentur für Arbeit Michael Gerdes (SPD)
Antwort Seit dem Regierungswechsel neu einge-
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär führte Instrumente und Programme zur
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10865 A Integration von Personen mit Migrations-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 VII
Anlage 43 Anlage 48
Mündliche Frage 59 Mündliche Frage 65
René Röspel (SPD) Klaus Hagemann (SPD)
Regelungen zur Finanzierung der außer- Umsetzung der Zielvorgaben des Bundes
universitären Forschung in Deutschland bei der Vergabe von Stipendien
Antwort Antwort
Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10873 B BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10874 D
Anlage 44 Anlage 49
Mündliche Frage 66
Mündliche Fragen 60 und 61
Bärbel Bas (SPD)
Klaus Barthel (SPD)
Stellenwert eines mit den Bundesländern
Ausbildungsbeteiligungsquote von Schul- koordinierten und abgestimmten regiona-
abgängerinnen und Schulabgängern mit len Übergangsmanagements Schule/Beruf
Migrationshintergrund
Antwort
Antwort Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär
Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10875 B
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10873 C
Anlage 50
Anlage 45
Mündliche Frage 69
Mündliche Frage 62 Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/
Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) DIE GRÜNEN)
Migrationsspezifische Erkenntnisse bezüg- Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser
lich des Projekts der Integrierten Ausbil- und Sanitärversorgung
dungsberichterstattung
Antwort
Antwort Gudrun Kopp, Parl. Staatssekretärin
Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10875 D
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10874 A
Anlage 51
Anlage 46 Mündliche Frage 70
Mündliche Frage 63 Inge Höger (DIE LINKE)
Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) Mögliche Straffreiheit für libysche Söldner
aufgrund einer von den USA veranlassten
Junge Erwachsene mit Migrationshinter-
Klausel in der UN-Resolution 1970
grund ohne berufliche Qualifikation
Antwort
Antwort Dr. Werner Hoyer, Staatsminister
Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10875 D
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10874 A
Anlage 52
Anlage 47
Mündliche Frage 71
Mündliche Frage 64 Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/
Klaus Hagemann (SPD) DIE GRÜNEN)
Termingerechte Einführung des dialog- Gerechte Verteilung der libyschen Bürger-
orientierten Bewerbungsverfahrens für kriegsflüchtlinge auf die EU-Mitgliedstaa-
Studienplätze ten
Antwort Antwort
Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10874 B BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10877 A
X Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
Anlage 53 Anlage 58
Mündliche Fragen 72 und 73 Mündliche Frage 85
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Andrea Wicklein (SPD)
DIE GRÜNEN)
Vorschläge zur Unterstützung von Wagnis-
Zukunft der Deutschen Islam Konferenz; kapitalbeteiligungen
Anerkennung islamischer Religionsge-
meinschaften Antwort
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
Antwort BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10879 C
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär
BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10877 B
Anlage 59
Anlage 55 Anlage 60
Mündliche Frage 76 Mündliche Frage 87
Oliver Kaczmarek (SPD) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE)
Auszubildende und Beschäftigte mit Mi- Nicht fristgerechter Versand von Steuerbe-
grationshintergrund in der Bundesverwal- scheinigungen über Kapitalerträge durch
tung Kreditinstitute
Antwort Antwort
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10878 C BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10880 A
Anlage 56
Anlage 61
Mündliche Frage 77
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ Mündliche Frage 88
DIE GRÜNEN) Dr. Barbara Höll (DIE LINKE)
Antwort Antwort
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10878 D BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10880 B
Anlage 57 Anlage 62
Mündliche Fragen 81 und 82 Mündliche Frage 89
Gustav Herzog (SPD) Manfred Nink (SPD)
Entschädigung der von frequenzumstel- Folgen einer einseitigen Anpassungsstrate-
lungsbedingten Störungen bei drahtlosen gie der Defizitländer im Rahmen der Be-
Mikrofonen betroffenen Kultur- und Bil- wältigung makroökonomischer Ungleich-
dungseinrichtungen gewichte im Euro-Raum
Antwort Antwort
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10879 B BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10880 C
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10813
(A) (C)
Redetext
95. Sitzung
Präsident Dr. Norbert Lammert: Ruhe und beispielloser Disziplin den Auswirkungen der
Die Sitzung ist eröffnet. Katastrophe entgegenstemmt. Wir denken in dieser
Stunde auch an unsere japanischen Mitbürgerinnen und
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten, Mitbürger in Deutschland, die fern der Heimat vielfach
sich von Ihren Plätzen zu erheben. noch im Ungewissen über das Schicksal ihrer Verwand-
ten und Freunde im Katastrophengebiet sind. Sie alle
(Die Anwesenden erheben sich) können mit unserer Solidarität und unserer Unterstüt-
Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und zung bei der Bewältigung der Katastrophe rechnen, bei
Kollegen! Wir alle stehen unter dem Eindruck der den Sofortmaßnahmen wie beim längerfristigen Wieder-
schrecklichen Ereignisse in Japan, nach denen es kein aufbau, schon gar in einem Jahr, in dem wir gemeinsam
einfaches Eintreten in die Tagesordnung geben kann. an 150 Jahre diplomatische Beziehungen zwischen unse-
Die Nachrichten über die Lage im Katastrophengebiet ren beiden Ländern erinnern. Ich weiß, dass viele Men-
(B) halten die Welt in Atem, auch die Menschen in unserem schen in Deutschland helfen wollen, und bin mir sicher, (D)
Land. Die geradezu apokalyptischen Bilder aus der be- dass der Spendenaufruf des Bundespräsidenten auf of-
troffenen Region hätte sich fast niemand von uns auch fene Ohren stößt.
nur vorstellen können, und wir wissen nicht einmal, ob
das Schlimmste nun überstanden ist. Mit Bestürzung und Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben in Japan
Anteilnahme verfolgen wir alle die Folgen der gewalti- einmal mehr die unbändige Kraft von Naturgewalten er-
gen Naturkatastrophe, die Japan und den gesamten lebt. Sie haben eine unfassbare Spur der Verwüstung
pazifischen Raum ereilt hat. Das Ausmaß der immer hinterlassen. Wir erfahren aber auch die Risiken unserer
deutlicher werdenden Verheerungen erschüttert uns alle. Zivilisation, einer hochindustrialisierten und -technisier-
Die Auswirkungen auf die Menschen, auf die Umwelt, ten Welt. Die Angst vor der atomaren Katastrophe hin-
aber auch auf die Weltwirtschaft sind noch unabsehbar. terlässt Spuren in der internationalen Staatengemein-
schaft, auch in Deutschland.
Im Namen des Deutschen Bundestages habe ich be-
reits am vergangenen Freitag meinem japanischen Amts- Zivilisationsrisiken sind in anderer Weise als Naturer-
kollegen unser tiefes Mitgefühl übermittelt. Auch wenn eignisse kalkulierbar. Wir müssen aber immer wieder
uns derzeit vor allem die atomare Bedrohungslage um- neu fragen, ob und unter welchen Bedingungen wir sie
treibt, gedenken wir in diesem Augenblick insbesondere eingehen wollen. Die Sorgen vieler Menschen um ihre
der Opfer, die das heftige Erdbeben und die reißenden Sicherheit nehmen wir sehr ernst. Dies erfordert, schein-
Fluten des Tsunami gekostet haben, der Tausenden Toten bare Gewissheiten neu zu hinterfragen. Alle Aspekte, die
und ihrer Hinterbliebenen, der unzähligen Verletzten und sich aus der Nutzung unterschiedlicher Energieressour-
der Hunderttausenden, die ihr Hab und Gut – nicht we- cen ergeben, müssen erneut geprüft und neu bewertet
nige vielleicht auch in schierer Verzweiflung den Le- werden.
bensmut – verloren haben und die nicht wissen, wie es
jetzt weitergehen soll. Ihrer wollen wir morgen auch in Ich wünsche mir und bin überzeugt, dass wir im Deut-
der täglichen ökumenischen Besinnung im Andachts- schen Bundestag die Kraft aufbringen, mit dem nötigen
raum des Bundestages in besonderer Weise gedenken. Ernst und der angemessenen Sachlichkeit über die sich
neu stellenden Fragen der Energie- wie der Umweltpoli-
Auf der Ehrentribüne hat der japanische Botschaf- tik zu sprechen. Dazu wird morgen früh Gelegenheit
ter in Deutschland, Herr Dr. Takahiro Shinyo, Platz sein.
genommen, den ich herzlich begrüße. Sehr geehrter Herr
Botschafter, unsere Gedanken sind beim japanischen Sie haben sich im Andenken und zur Würdigung der
Volk, das sich in diesen Tagen mit bewundernswerter Opfer von Ihren Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen.
10814 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
(Die Anwesenden erheben sich) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Sehr geehrter Herr Bundesminister, ich möchte Sie
bitten, den im Grundgesetz vorgesehenen Eid zu leisten. Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In- Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
nern: ren! Nordafrika und die arabische Welt erleben eine his-
Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des torische Zäsur. Die Freiheitsbewegung, die als Jasmin-
deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Scha- Revolution auf den Straßen Tunesiens begann, hat viele
den von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze andere Staaten erreicht. Als Demokraten stehen wir an
der Seite von Demokraten. Wir Deutschen haben das
(B) des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten ge- Glück, eine friedliche Revolution im eigenen Land er- (D)
wissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann lebt zu haben, die zur Einheit unseres Landes und zur
üben werde. So wahr mir Gott helfe. Vereinigung Europas geführt hat. Unser Land ist auf den
Werten der Freiheit gebaut. Es sind diese freiheitlichen
Präsident Dr. Norbert Lammert: Werte, nach denen jetzt Millionen Menschen im nördli-
Herr Bundesminister, Sie haben den in der Verfassung chen Afrika und in der arabischen Welt verlangen. Wir
vorgesehenen Eid geleistet. Ich darf Ihnen für die über- werden diese Völker dabei als Bundesrepublik Deutsch-
nommene Aufgabe alles Gute, Erfolg und Gottes Segen land unterstützen.
wünschen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie
bei Abgeordneten der SPD)
Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In- Die Sehnsucht nach Freiheit ist nicht begrenzt auf
nern: eine Kultur, auf eine Region oder gar auf eine Religion.
Vielen Dank, Herr Präsident. Es ist ein Irrglaube, es gebe Kulturen, in denen der
Mensch auf Dauer unfrei sein müsse. Es gibt keine Kul-
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und tur der Unfreiheit. Unfreiheit ist Ausdruck von Unkultur.
der FDP – Beifall bei der SPD, der LINKEN Eine weitere Erkenntnis können wir aus dieser Entwick-
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Abg. lung gewinnen: Nicht eine autokratische Regierung
Volker Kauder [CDU/CSU] und Gerda macht ein Land stabil, sondern eine stabile Gesellschaft
Hasselfeldt [CDU/CSU] überreichen Bundes- ist die Voraussetzung für die Stabilität eines Landes. Wir
minister Dr. Hans-Peter Friedrich Blumen- wollen stabile Demokratien und demokratische Stabili-
sträuße – Abgeordnete aller Fraktionen be- tät.
glückwünschen den Bundesminister Dr. Hans-
Peter Friedrich) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Präsident Dr. Norbert Lammert: Kollegen, in Marokko hat König Mohammed VI. vor
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte auch wenigen Tagen eine Verfassungsreform eingeleitet, die
dem neuen Bundesminister der Verteidigung, Herrn viele Forderungen aus der Gesellschaft aufgreift. Das
Dr. Thomas de Maizière, im Namen des ganzen Hauses macht Mut, aber es werden die Taten zählen. Das Bei-
für seine Aufgabe alles Gute und viel Erfolg wünschen. spiel Marokko zeigt, wie eine Regierung den Weg zur
Öffnung und zur Demokratisierung der Gesellschaft ein-
(Beifall im ganzen Hause) schlagen kann.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10815
Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
(A) Mit großer Sorge blicken wir nach Jemen, wo ein von halb der Völkergemeinschaft. Er hat jede Legitimation (C)
breiten Schichten der Gesellschaft getragener Protest im- verwirkt. An dieser frühzeitig eingenommenen eindeuti-
mer gewaltsamer niedergeschlagen wird. Bereits vor ei- gen und entschiedenen Haltung der Bundesregierung än-
nem Jahr, bei meinem Besuch im Jemen, habe ich Präsi- dern auch vergiftete Freundlichkeiten des Diktators
dent Salih eindringlich darauf hingewiesen, wie nichts.
notwendig der friedliche gesellschaftliche Ausgleich für
die Stabilität des Jemen ist. Heute müssen wir feststel- Wir haben mit unserer Forderung nach raschen Sank-
len: Die Zeit wurde nicht genutzt, und die Lage im Je- tionen breite Unterstützung im Sicherheitsrat der Verein-
men hat sich dramatisch verschlechtert. ten Nationen und in der Europäischen Union erhalten.
Die Auslandsvermögen der Herrscherfamilie wurden
Mit Sorge verfolgen wir auch die alarmierenden eingefroren. Reiseverbote sind in Kraft. Wir sind uns im
Nachrichten aus Bahrain. Wir rufen alle Beteiligten im Sicherheitsrat, in der Europäischen Union und auch un-
Land selbst zum Dialog auf, und wir rufen die Länder in ter den G-8-Staaten – das hat gestern das Treffen der Au-
der Region zur Zurückhaltung auf. Die Eskalation der ßenminister gezeigt – einig, dass der Diktator für diesen
Gewalt muss ein Ende haben und einem ernsthaften Dia- Feldzug gegen sein eigenes Volk zur Verantwortung ge-
log, einem nationalen Dialog zwischen Regierung und zogen werden muss. Das wird Aufgabe des Internationa-
Opposition Platz machen. Eine Lösung muss im Land len Strafgerichtshofs sein. Wir setzen uns in New York
selbst gefunden werden. dafür ein, den politischen Druck weiter zu erhöhen, bis
dieses Ziel erreicht ist. Wir werden im Sicherheitsrat der
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Vereinten Nationen heute und in den kommenden Tagen
der CDU/CSU)
das weitere Vorgehen abstimmen. Die Bundesregierung
Im Iran geht die Führung in diesen Tagen erneut mit wirbt in New York nachdrücklich für noch umfassendere
äußerster Härte gegen die Opposition vor. Die iranische Wirtschafts- und Finanzsanktionen. Wir wollen die
Regierung will mit diesem Vorgehen Stärke demonstrie- Geldflüsse in das System Gaddafi, soweit irgend mög-
ren, sie offenbart aber nur Schwäche. lich, stoppen. Wir wollen dem Regime die Grundlage
seines Handelns und seines Krieges gegen das eigene
(Beifall des Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin Volk entziehen.
[FDP])
Die Bilder und die Nachrichten von vorrückenden
Wir fordern die iranische Führung auf, die Unterdrü-
Truppen Gaddafis, von blutiger Gewalt und von gefalle-
ckung der Opposition unverzüglich zu beenden und dem
nen Städten in Ostlibyen bedrücken uns. Aber die ver-
iranischen Volk die ihm zustehenden Freiheitsrechte zu
meintlich einfache Lösung einer Flugverbotszone wirft
gewähren.
(B) mehr Fragen und Probleme auf, als sie zu lösen ver- (D)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten spricht. Die Flugverbotszone – darüber kann auch das
der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des Wort nicht hinwegtäuschen – ist eine militärische Inter-
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) vention, bei der nicht einmal klar ist, dass sie in einem
Land wie Libyen wirkungsvoll sein kann. Ich darf darauf
Die Sehnsucht nach Freiheit und Teilhabe, nach aufmerksam machen, dass Libyen ein Land ist, das etwa
Würde und Gerechtigkeit wächst auch in vielen anderen viermal so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland.
Ländern des Mittleren Ostens von Tag zu Tag und bricht
sich Bahn. Die Lage in der Region ist von Land zu Land Am Ende darf nicht genau das Gegenteil dessen ste-
verschieden. Deshalb brauchen wir maßgeschneiderte hen, was wir politisch erreichen wollen. Am Ende darf
politische Antworten. Eines aber haben alle diese Auf- unser Handeln nicht zu mehr Gewalt – statt zu mehr
brüche gemeinsam: den unbedingten Willen zu Freiheit, Freiheit und zu Frieden – führen. Ein solches Ergebnis
zu Teilhabe und zu neuen Chancen. würde die demokratischen Bewegungen in ganz Nord-
afrika schwächen und nicht stärken. Jeder Schritt muss
Ich danke den Frauen und Männern der Bundeswehr, auch vor dem Hintergrund bewertet werden, welche Fol-
den Angehörigen des Auswärtigen Dienstes und den vie- gen er für die Staaten in Nordafrika hätte, die sich seit
len Hilfsorganisationen für ihre Leistung bei der Evaku- der Jasmin-Revolution in Richtung Demokratie, in Rich-
ierung deutscher Staatsangehöriger aus Libyen und für tung von mehr Freiheit auf den Weg gemacht haben.
ihren Beitrag, zahlreiche ägyptische Flüchtlinge wieder
in ihre Heimat zu ihren Familien zu bringen. Wenn alles Die Folgen eines Militäreinsatzes würden nicht nur
gut gegangen ist, denkt man, dass es einfach war. Aber Libyen betreffen, sondern in die gesamte nordafrikani-
ich weiß, dass es alles andere als einfach war. Deswegen sche Region und in die gesamte arabische Welt ausstrah-
möchte ich vor diesem Hohen Hause – ich hoffe, in Ihrer len. Wir verstehen, dass alle Möglichkeiten geprüft wer-
aller Namen – diesen Dank ausdrücklich aussprechen. den. Das Durchsetzen einer Flugverbotszone aber ist
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD eine militärische Intervention. Niemand soll sich der
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie Illusion hingeben, es gehe lediglich um das Aufstellen
bei Abgeordneten der LINKEN) eines Verkehrsschildes. Um ein Flugverbot durchzuset-
zen, müsste zunächst die libysche Flugabwehr militä-
In Libyen führt ein Diktator Krieg gegen das eigene risch ausgeschaltet werden. Die Bundesregierung be-
Volk. Im Angesicht dieses Verbrechens ist sich die inter- trachtet deshalb ein militärisches Eingreifen in Form
nationale Staatengemeinschaft einig: Der Diktator muss einer Flugverbotszone mit großer Skepsis. Wir wollen
gehen. Mit seinen Taten stellt sich Oberst Gaddafi außer- und dürfen nicht Kriegspartei in einem Bürgerkrieg in
10816 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
Wolfgang Gehrcke
(A) sagt: Vom Westen wollen wir überhaupt nichts wissen. – wirksames Mittel in der Auseinandersetzung mit dem (C)
Da habe ich eine ganz andere Wahrnehmung. Ich glaube Gaddafi-Regime. Es ist interessant, dass über diese
auch nicht, dass Deutschland in erheblichem Maße an Frage kaum nachgedacht wird.
diesem Umbruch im positiven Sinne beteiligt war, son-
dern eigentlich eher im negativen Sinne. Wir haben all Ich bin ganz entschieden dafür, dass das Verbot von
die Regime mit zu verantworten gehabt. Wir haben sie Waffenexporten nicht nur vorübergehend, sondern dau-
gestützt, gestärkt, ihnen die Hand gehalten, und wir ha- erhaft für die gesamte Region, also den Nahen Osten und
ben mit ihnen paktiert. Auch das gehört zur Wahrheit Nordafrika, durchgesetzt wird. Es darf keine Waffenlie-
dazu. ferungen mehr geben. Denn – diese Frage ist doch be-
rechtigt – was passiert später mit den Waffen?
Deswegen sollte die erste Botschaft des Bundestages
sein, dass wir uns mit großem Respekt an die Menschen Ich sage ehrlich: Ich möchte, dass Deutschland als
wenden, die ihr Leben und ihre Gesundheit eingesetzt Nation und als Mitglied der Europäischen Union voran-
haben, um Freiheit, Demokratie und soziale Gerechtig- geht, was die Aufnahme von Flüchtlingen angeht.
keit zu erreichen: in Ägypten, in Tunesien und auch in
Libyen. Diesen Respekt sollten wir in diesem Hause aus- (Beifall bei der LINKEN)
sprechen und sagen: Es war nicht unser Umbruch. Es Wir können den Menschen doch nicht auf die Schulter
war nicht unsere Revolution. Es war euer Umbruch. Es klopfen und sagen: Ihr habt gut für Demokratie ge-
war eure Revolution. Dafür sind wir euch dankbar. Da- kämpft, aber bleibt, wo ihr seid. – Wenn wir den Men-
von erwarten wir uns auch etwas für uns und für die Ge- schen, die für Demokratie gekämpft haben und kämpfen,
staltung hier in unserem Lande. Respekt entgegenbringen, muss unser Land sich für die
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Flüchtlinge öffnen und in dieser Hinsicht ein Vorbild
Dr. Rolf Mützenich [SPD]) sein. Dazu gehört, dass man FRONTEX aufkündigt.
Dazu hat der Außenminister hier nichts gesagt – wohl
Meine zweite Bitte ist, dass wir viel dafür tun, dass aus guten Gründen.
der Freiheitsimpuls aus den nordafrikanischen und arabi-
schen Ländern durch die Unterdrückung der Freiheit (Beifall bei der LINKEN)
durch Gaddafi oder Bahrain nicht verloren geht. Er muss
im Vordergrund bleiben. Wenn man das tut, ist das schon eine ganze Menge.
Ich füge hinzu, dass ich militärische Maßnahmen für
Da manche noch mit dem Bild herumrennen, Gaddafi völlig ungeeignet halte. Ich habe die Bilder vom Irak-
habe angeblich einmal etwas mit einer antiimperialisti- krieg noch gut in Erinnerung, ebenso die Rede von
schen Bewegung zu tun gehabt, möchte ich Folgendes Condoleezza Rice, die nach dem Irakkrieg glaubte, im (D)
(B)
sagen: Gaddafi ist nicht links, Gaddafi ist nicht Freiheit, Irak einen neuen Nahen Osten erkennen zu können. Das
sondern Gaddafi ist das Gegenteil von links und von Ergebnis des Irakkrieges kennen wir alle. Deswegen
Freiheit. Eine solche Politik darf man – und das gilt auch warne ich davor, allzu leicht über Krieg und Militär zu
für eine ganze Reihe anderer Länder – nicht unterstüt- reden und möglicherweise irgendwo hineinzurutschen,
zen, egal wo in der Welt man Verantwortung trägt. wo man vielleicht nicht wieder herauskommt. Ich sage
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- kategorisch: Kein Krieg für Öl! Keine militärische Un-
neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – terstützung, weder der einen noch der anderen Seite!
Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Da machen Ich gestehe der Bundesregierung zu, Herr Außen-
Sie es sich zu einfach!) minister, dass sie sich in dieser Frage mit Bedacht be-
– Ach komm, hör auf! wegt hat. Das heißt nicht, dass jeder Schritt in Ordnung
war. Wie wollen Sie denn mit dem französischen Präsi-
Ich möchte aber gerade in diesem Zusammenhang die denten umgehen, der mit seiner Luftwaffe Ziele in
Frage stellen: Wie kann man überhaupt helfen? Welche Libyen bombardieren will? Frankreich ist doch, zusam-
Möglichkeiten haben wir außer Krieg und dem Einsatz men mit Großbritannien, einer unserer engsten Partner in
von Militär, wenn man diese nicht als Hilfsmittel an- der Europäischen Union. Was heißt es, sich in der NATO
sieht, sondern eher als das Gegenteil davon? Ich denke, an Planungen zu beteiligen bis hin zu einem operativen
dass man, auch in Libyen, nach wie vor auf die Vermitt- Plan, wie heute noch einmal bestätigt worden ist? Wer
lung zwischen den Bürgerkriegsparteien setzen muss. plant, befindet sich schon mit einem halben Fuß in der
Das klingt nicht leicht; aber es wäre eine Aufgabe für Ausführung. Es darf weder Planung noch Teilhabe an
Deutschland, das auch im Weltsicherheitsrat der Verein- den Planungen geben!
ten Nationen durchzusetzen. Vermitteln ist in einer sol-
chen Situation besser, als die Menschen weiter aufeinan- Bitte lassen Sie uns unserer Bevölkerung sehr deut-
der schießen zu lassen. Wer die Menschen wirklich lich sagen: Wer Flugverbotszonen einrichtet, Kollege
retten will, muss sich für eine Vermittlung einsetzen. Mützenich, oder sich diesbezüglich offen zeigt, muss be-
reit sein, sie auch durchzusetzen, das heißt, Flugzeuge
(Beifall bei der LINKEN)
abzuschießen und die Luftabwehr auszuschalten. Dann
Ich bin strikt dafür, dass handelspolitische Maßnah- befindet man sich im Krieg und kommt so leicht nicht
men ergriffen werden. Wenn wir für Öl kein Geld mehr wieder heraus. Auch das ist eine Erfahrung aus interna-
bezahlen und die Öllieferungen ausgesetzt werden, wird tionalen Auseinandersetzungen. Das wollen wir nicht.
uns das zwar in Probleme bringen. Es wäre aber ein Für uns ist völlig klar: Kein Krieg für Öl! Keine militäri-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10823
Wolfgang Gehrcke
(A) sche Unterstützung, weder für Gaddafi noch gegen ihn! Sie alle sehr, zu beachten, dass die Situation in jedem (C)
Das ist kein Mittel. Land völlig anders ist.
(Beifall bei der LINKEN) Es mag Sie angesichts der dramatischen Ereignisse in
Libyen verwundern, dass ich mir die größten Sorgen um
Ich schlage vor, dass wir auch über ein paar andere die Ereignisse in Bahrain mache; denn die Weiterungen,
Dinge nachdenken, bei denen wir uns unserer eigenen die sich aus der neuen Situation in Bahrain ergeben, sind
Rolle vielleicht nicht ganz sicher sind. Ich fand den Ein- völlig unübersehbar und können sehr viel dramatischer
wand, dass man auch mit Schurken in Staatsämtern ver- sein als das, was in Libyen noch herauskommen kann.
handeln muss, richtig; das war immer auch meine Posi-
tion. In Bahrain erleben wir erstens, dass erstmals Staaten
des Golf Cooperation Council in einen befreundeten
(Jörg van Essen [FDP]: Deswegen fahren Sie Nachbarstaat einmarschieren. Es handelt sich um Trup-
auch nach Kuba und Venezuela!) pen und Polizeikräfte aus Saudi-Arabien und Katar. Wir
Aber Verhandeln ist etwas anderes als Paktieren. Unser erleben zweitens, dass es um den Nukleus eines Konflik-
Land hat mit solchen Schurken in Staatsämtern paktiert, tes zwischen Sunniten und Schiiten geht, der zwar latent
zum Beispiel mit Mubarak, den wir finanziert und im immer vorhanden war, aber nun aufzubrechen droht. Wir
Amt gehalten haben. Unser Land hat mit Gaddafi pak- erleben drittens, dass Saudi-Arabien auch innenpolitisch
tiert, und zwar einzig und allein aus dem Grunde, dass er einbezogen wird, weil eine schiitische Enklave in Saudi-
die Flüchtlinge in Libyen hält und diese nicht nach Arabien nicht weit von der Grenze zu Bahrain entfernt
Europa lässt. Das Paktieren mit Schurken gilt auch in ist. Wir erleben viertens – das wäre eine ganz große Ge-
Bezug auf Ben Ali. Das darf sich nicht wiederholen. Das fahr –, dass sich der Iran in irgendeiner Weise als Vertre-
ist aber doch das Bild, das sich ergibt. Die Schlussfolge- ter der schiitischen Interessen einmischt. Daher mache
rung müsste sein: Verhandeln ja, aber nicht paktieren. ich mir größte Sorgen darüber, wie sich die Situation
weiterentwickelt. Das müssen wir genau beobachten.
Ich möchte gern, dass hier klar wird: Wir stellen die
Waffenexporte ein. Deutschland hat an Saudi-Arabien, (Beifall bei der FDP)
an Libyen, an die Vereinigten Arabischen Emirate Waf- Wir erleben also wirklich einen Umbruch in der arabi-
fen in großem Umfang geliefert und dafür Geld kassiert. schen Welt von dramatischem Ausmaß.
Auch das muss hier einmal ausgesprochen werden: Ein
Teil der Waffen, mit denen jetzt in Bahrain gegen die Was Ägypten und Tunesien angeht, so kann ich das
Demonstranten vorgegangen wird, stammt aus Deutsch- wiederholen, was ich vorletzte Woche gesagt habe: Wir
land bzw. ist von Deutschland geliefert worden. Wollen sehen einen Weg, wir sehen Perspektiven. In Ägypten
(B) wir das etwa fortsetzen? Ich finde, darauf gibt es nur sind mittlerweile 23 Parteien zugelassen und in Tune- (D)
eine einzige Antwort: Sofort beenden! sien, so glaube ich, sogar 37 Parteien. Der beschrittene
Weg gibt Anlass zur Hoffnung. Mehr will ich dazu nicht
(Beifall bei der LINKEN) sagen.
Es kann doch nicht dabei bleiben, dass wir mit unse- Kommen wir nun zu Libyen. Es ist ohne jeden Zwei-
rer Politik dazu beitragen, dass sich die Preise von Nah- fel richtig, dass der Herrscher Gaddafi sein brutales mili-
rungsmitteln so erhöhen, dass sich Menschen in vielen tärisches Regime nutzt, um seine Bevölkerung in einem
Teilen der Welt sie nicht mehr leisten können. Die Poli- veritablen Bürgerkrieg zu massakrieren. Die Frage ist:
tik muss sich nicht nur im Nahen Osten, in den arabi- Wie gehen wir damit um? Es ist wohlfeil, zu sagen: Da
schen Ländern ändern. Auch wir müssen die Grundlagen könnt ihr doch nicht zuschauen. – Diese Reaktion ist
unserer Politik ändern. Damit zeigen wir, dass wir etwas zwar ein erster menschlicher Impuls und daher völlig
von dem begriffen haben, was uns die Menschen auf verständlich. Aber ich unterstütze voll und ganz Außen-
dem Tahrir-Platz vorgemacht haben. minister Westerwelle, wenn er davor warnt, dass Wort
Herzlichen Dank. „Flugverbotszone“ als verharmlosendes Instrument in
den Mund zu nehmen. Das Durchsetzen einer Flugver-
(Beifall bei der LINKEN) botszone bedeutet militärische Operationen und den ers-
ten Schritt in Richtung eines wohl auszuweitenden mili-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: tärischen Engagements. In diesem Fall kann die
Für die FDP-Fraktion hat der Kollege Dr. Rainer Verwicklung in einen Bürgerkrieg in Libyen mit einer
Stinner das Wort. gewissen Wahrscheinlichkeit die Folge sein. Ich kann
nur sagen: Ich bin froh darüber, dass sich die Bundesre-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten gierung hier sehr zurückhaltend verhält.
der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Dr. Rainer Stinner (FDP):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt ist natürlich völlig klar: Wenn es dazu kommen
Tunesien, Ägypten, Libyen, Bahrain, Jemen: Es zeigt sollte, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die
sich, dass das, was in Tunesien anfing – vor einigen Wo- Einrichtung einer Flugverbotszone beschließt, dann
chen haben wir uns ja noch gefragt, ob das weitergeht –, muss sich Deutschland Gedanken darüber machen, wer
mittlerweile Realität geworden ist. Allerdings bitte ich denn dort eventuell eingreifen könnte. Ich stehe da unter
10824 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
GRÜNEN]: Münchener Sicherheitskonfe- und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
renz!) der SPD)
Wir alle haben schlimme Befürchtungen, was in
In diesen Ländern ist es gelungen, Machthaber zum
Rücktritt zu zwingen, die bis vor kurzem noch als unan- Libyen passiert, sollte Gaddafi weitere Städte der Oppo-
tastbar galten. Dieser Erfolg hat in diesen Ländern zwar sition einnehmen. Über Sanktionen hinaus wird ja auch
die Einrichtung einer Flugverbotszone diskutiert, um
auch vielen Menschen das Leben gekostet, aber Armee
und Teile der Sicherheitskräfte haben sich dort auf die Gaddafi zu stoppen. Ich halte eine solche Prüfung für
Seite der Demonstranten gestellt und so ein schlimmeres richtig, wenn die Arabische Liga dies fordert. Es ist rich-
(B) Blutbad verhindert. tig, alle Optionen der UN-Charta zu prüfen, die helfen (D)
könnten, die Menschen im Osten Libyens vor Gaddafis
In anderen Ländern sieht das gerade leider nicht so möglicher Rache zu schützen.
aus. In Libyen, wo Gaddafi mit großer Brutalität gegen
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
die eigene Bevölkerung vorgeht, spitzt sich die Lage zu,
SES 90/DIE GRÜNEN)
aber auch in Bahrain. Mit dem Einmarsch von etwa
1 000 saudi-arabischen Soldaten hat der Golfkoopera- Der Einsatz von Militär ist aber die Ultima Ratio und
tionsrat dort eine neue, sehr gefährliche Stufe der Eska- setzt für uns zwingend ein UN-Mandat voraus. Darüber
lation eingeleitet. hinaus teile ich in diesem Punkt die Skepsis der Bundes-
regierung hinsichtlich der militärischen Durchsetzbar-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN keit und der Wirkung eines Flugverbotes am Boden. Wir
sowie bei Abgeordneten der SPD) dürfen aus dem verständlichen Wunsch nach schneller
Auch im Jemen sucht die Regierung die Konfrontation. Hilfe nicht Dinge tun, die militärisch nicht funktionieren
Das schreckliche Beispiel von Oberst Gaddafi strahlt be- und kontraproduktiv sind. Auch das muss gesagt wer-
reits aus. Wenn wir die Bilder aus Libyen sehen, fühlen den.
wir wohl alle Wut und Entsetzen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ja, es ist klar: Gaddafi muss weg. Und es ist gut, dass sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
sich die internationale Gemeinschaft darin einig ist. Es Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen die
war ein wichtiger Schritt, den Internationalen Strafge- demokratischen Kräfte in der Region stärken. Selbst in
richtshof einzuschalten. Ebenso wichtig war es, Sanktio- Tunesien und Ägypten ist die weitere Entwicklung noch
nen zu verabschieden. All diese Schritte waren gut, aber offen. Es gibt immer noch starke Kräfte, die weitrei-
nicht ausreichend. Mir ist es völlig unverständlich, dass chende Veränderungen verhindern wollen. Die Uhren
es noch immer nicht gelungen ist, Gaddafi den Geldhahn dürfen hier nicht zurückgedreht werden. Diese Völker
zuzudrehen. brauchen Unterstützung, und sie wollen Unterstützung.
(Beifall der Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE Dass aus diesen Ländern erfolgreiche Demokratien wer-
LINKE]) den, liegt nicht zuletzt auch im strategischen Interesse
der Europäischen Union. Da geht es um Hilfe beim Auf-
Noch immer gibt es keinen Bann gegen Ölfirmen, die li- bau von Parteien und Gewerkschaften und um Unterstüt-
bysches Öl kaufen oder verkaufen. Es gibt nicht einmal zung zivilgesellschaftlicher Akteure; zentral ist die Stär-
eine Liste. kung der Rolle der Frauen in der Gesellschaft; da geht es
10826 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
Günter Gloser
(A) Nachdem all diese Entwicklungen von uns gemein- müssen diese Chance nutzen. Ich sage an dieser Stelle (C)
sam so festgestellt worden sind, kommt es jetzt auf die ganz offen – auch an meine französischen Freunde –:
Entschlossenheit der Europäischen Union an und darauf, Die Franzosen haben in den letzten Wochen in dieser
ob es gelingt, diese Chancen des Aufbruchs zu nutzen, Region sehr viel Renommee verloren, obwohl sie eigent-
oder ob es am Schluss wieder enttäuschte Hoffnungen lich immer mehr oder weniger ein – in Anführungszei-
vieler Menschen gibt, die ja – beginnend mit dem chen – Hausrecht hatten. Das ist vorbei.
17. Dezember in Tunesien und noch weit darüber
hinaus – doch sehr mutig waren. Der Kollege Mißfelder Das wäre doch jetzt für uns eine Chance. Wir könnten
hat es bereits gesagt. Ich finde, zu dieser Enttäuschung zeigen, wie wir das jetzt wieder zusammenbringen. Wir
sollte es nicht kommen. müssen Deutschland und Frankreich als einen Motor se-
hen. Diese beiden Länder verfolgen gemeinsame Pro-
Wir haben vorhin völlig zu Recht die Rolle der Arabi- jekte; schließlich heißt es immer, man solle gemeinsam
schen Liga angeführt – damit komme ich jetzt auf das vorgehen und nicht außerhalb der Europäischen Union.
Thema Libyen und die Europäische Union zu sprechen – Ich befürchte aber, dass Frankreich durch sein Vorpre-
und darauf hingewiesen, dass die Position der Arabi- schen in den letzten Wochen zu viel Kredit verspielt hat.
schen Liga teilweise unklar und unbestimmt geblieben Das tut auch der Europäischen Union nicht gut, weil die
ist, dass sie sehr lange gebraucht hat, um zu einer Ent- Europäische Union – das zeigen auch die Besuche und
scheidung zu kommen, und es natürlich auch wider- Gespräche dort – letztendlich ein sehr eigenartiges Bild
sprüchliche Aussagen gegeben hat. Aber, liebe Kollegin- abgibt.
nen und Kollegen, wie sah es denn mit der Europäischen
Union aus? An dieser Stelle korrigiere ich mich immer Andererseits muss ich sagen, dass dies eine Chance
und sage: Ich meine nicht die Europäische Union, son- für uns ist, die Sie, Herr Außenminister, mit Ihrem Brief
dern ausdrücklich die Mitgliedstaaten. – Hier gab es an Lady Ashton deutlich gemacht haben. Deutschland
Fehleinschätzungen, Zögerlichkeiten, Spaltung, Hand- kann in der Tat in dieser Region eine wichtige Aufgabe
lungsunfähigkeit! übernehmen. Aber – vielleicht werden wir hier in der
nächsten Woche wieder über Libyen diskutieren – das
Herr Außenminister, die Sozialdemokratie hat an die- Fenster ist nur noch einen Spalt breit geöffnet. Herr Au-
ser Stelle schon bei den ersten Debatten vor einigen Wo- ßenminister, ich verstehe – wir alle haben das heute in
chen gesagt: Was passiert da eigentlich vor unserer der Diskussion freimütig geäußert –, wie schwer das
Haustür, eine, zwei, drei Flugstunden von uns entfernt? Einrichten einer Flugverbotszone ist. Sie werden aber in
Und die Europäische Union macht Business as usual. den Zeitungen zitiert, man wisse nicht, mit wem man es
Wir haben damals schon gefordert, dass sich der Euro- in diesem libyschen Nationalen Übergangsrat zu tun
päische Rat in einer Sondersitzung damit befassen muss. habe. Dann stellt sich die Frage: Warum spricht man (D)
(B)
Dies ist erst jetzt am 11. März geschehen. nicht miteinander? Das müssen ja nicht Sie machen, das
Ich sage ganz bewusst – ich kenne ja das Verhältnis können ja auch andere aus dem Auswärtigen Amt ma-
von Exekutive zu Legislative –: Es gab kein nationales chen.
Parlament, es gab kein Europaparlament, es gab keinen
Parlamentsvorbehalt, es gab auch kein Gerichtsurteil, (Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Das ist
das die Mitgliedstaaten der Europäischen Union daran doch geschehen!)
gehindert hätte, schleunigst zu handeln. Ich weiß von Aber es muss doch nicht erst gewartet werden, bis ein
den Diskussionen auf der letzten Sitzung des Außenmi- Beauftragter der Vereinten Nationen oder andere Kolle-
nisterrats – Kollege Staatsminister Hoyer hatte damals ginnen und Kollegen mit ihnen sprechen. Sie sagen:
auch über die Initiativen der deutschen Bundesregierung Wenn man die Bilder sieht, ist man schockiert, dann
berichtet; das haben wir damals auch ausdrücklich ge- muss man handeln. – Trotzdem muss man klug handeln,
würdigt und unterstützt – und frage: Welches Bild geben wobei sich die Frage stellt, was kluges Handeln in dieser
diese Mitgliedstaaten ab? Situation ist. Ich denke, es wäre notwendig gewesen,
Die Leute können nicht mehr verstehen, dass man mehr Antworten auf die von Ihnen selbst gestellten Fra-
sich mit der Krümmung der Gurken und anderen Dingen gen zu geben.
relativ schnell und zeitnah beschäftigt, die Mitgliedstaa-
ten aber hinsichtlich dieser vor unserer Haustür stattfin- Letztendlich kommen wir in der Europäischen Union
denden Revolution uneinig sind. nicht umhin, über unseren Schatten zu springen. Es geht
nicht mehr an – das sagte der marokkanische Außen-
Ich sage an dieser Stelle Folgendes ganz klar, obwohl minister –, dass wir in der Europäischen Union schon
ich jemand bin, der sowohl aufgrund früherer Funktio- Gefahren sehen, wenn mehr Produkte in die Europäische
nen als auch jetzt weiterhin zu den deutsch-französi- Union eingeführt werden, zum Beispiel schon bei weni-
schen Beziehungen steht: Es ist ein Armutszeugnis. Ich ger als 1 Prozent Tomaten aus Marokko, Frühkartoffeln
sage dies nicht, um jemanden aus der Regierung gegen aus Ägypten oder mehr Bekleidung. Wir können doch
andere Partner auszuspielen. Es kann doch einfach nicht nicht ständig Sonntagsreden halten und sagen, dass wir
angehen, dass die französische Seite, ohne sich abzu- mehr kooperieren müssen, und dann am Anfang der
stimmen, Dinge fordert, von denen man weiß, dass sie kommenden Woche, wenn wir zu entscheiden haben,
nicht realisiert werden können, beispielsweise was Li- uns dagegen wehren. Bei dieser Frage müssen wir über
byen angeht. Ich hätte mehr erwartet als immer nur die unseren Schatten springen genauso wie bei der Frage der
feierlichen Gipfel zwischen diesen beiden Ländern. Wir Migration.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10829
Günter Gloser
(A) Ich stimme Ihnen zu, Herr Außenminister – das haben Ich erinnere daran, dass Alliot-Marie noch kurz vor (C)
Sie mehrfach gesagt –, dass Hilfe zur Selbsthilfe not- dem Sturz von Ben Ali Truppen angeboten hat. Deutsch-
wendig ist, aber lesen Sie beispielsweise einmal die land war das Land, das Motor war, das versucht hat, eine
neuen Ausführungen der Deutschen Gesellschaft für einhellige Meinung herbeizuführen, das früh Sanktionen
Auswärtige Politik. Die haben wunderbare Statistiken ins Spiel gebracht hat, gerade im Fall von Libyen.
veröffentlicht, die zeigen, welches Wachstum in den
Ländern notwendig ist, um die Arbeitslosigkeit zu be- (Dr. Rainer Stinner [FDP]: Wohl wahr!)
kämpfen. Wir alle wissen, wie schwer das ist. Zwischen Wir haben das Heft des Handelns in die Hand genom-
der Zahl der Abgänger aus Schulen und Universitäten men und uns nicht von Mitgliedstaaten, die ihre eigene
und der Zahl der Arbeitsplätze klaffen Lücken; dazu Politik verfolgen, beeinflussen lassen.
muss man auch das Wachstum betrachten. Hier geht es
um zwei, drei verschiedene Punkte. Ich glaube, dass (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
auch hier ein entsprechendes Handeln der Europäischen der CDU/CSU)
Union notwendig ist. Einige Mitgliedstaaten, auch unser
Natürlich können wir mit dem Erscheinungsbild der
französischer Partner, müssen bei der Agrarpolitik end-
EU nicht zufrieden sein. Umso wichtiger war es, dass
lich über ihren Schatten springen.
wir einen klaren Kurs fahren. Dass die EU einheitlich
Noch ein Punkt. Jemen wurde bereits angesprochen. und geschlossen auftreten muss, haben wir in vielen
„Friends of Yemen“ tagt seit einigen Monaten, auch mit Plenardebatten, auch zu anderen Themen, immer wieder
Saudi-Arabien. Es war für mich schon immer etwas gefordert. Umso schlimmer ist natürlich, wenn wir ge-
schwierig, nachzuvollziehen, dass man den Jeminiten rade im Fall von Tunesien und Ägypten, aber auch im
Vorschläge macht, wie sie sich organisieren sollen, und Fall von Libyen erleben, dass die Positionen der Mit-
dass man ihnen sagt, dass sie Wahlrechtsreformen durch- gliedstaaten auseinandergehen.
führen müssen, während der saudi-arabische Partner da-
Es ist mehrmals angesprochen worden, dass wir ge-
beisitzt. Dazu kommen jetzt die Vorgänge in Bahrain.
rade in Libyen Kontakte zur Opposition pflegen sollten.
Mich würde interessieren, wie die Bundesregierung
Auf Arbeitsebene geschieht dies auch. Nur, eines müs-
demnächst mit einer solchen Situation umgeht. Ich
sen wir zur Kenntnis nehmen: Die Lage ist sehr unüber-
glaube, Saudi-Arabien hat da viel verspielt.
sichtlich. Wir kennen die Figuren, die dem nationalen
Mein letzter Punkt; dies muss auch deutlich in Rich- Interimsrat angehören. Ich glaube, es ist ein Gebot der
tung unserer Freundinnen und Freunde in Nordafrika ge- Stunde, dass wir unsere Gesprächspartner und das Vor-
sagt werden. Der marokkanische Außenminister sagt: gehen auch hier mit Bedacht wählen.
(B) Dem Land gehen 2 Prozent Wachstum allein aufgrund (Beifall bei der FDP – Dr. Frithjof Schmidt (D)
des ungeklärten Konflikts und der fehlenden Zusammen- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Clinton
arbeit zwischen Algerien und Marokko und des ungelös- hat es getan!)
ten Problems der Westsahara verloren. Wir erwarten auf-
grund all der Anstrengungen, die wir unternehmen, dass Die Mitglieder des Menschenrechtsausschusses des
endlich auch in dieser Region eine Süd-Süd-Kooperation Deutschen Bundestages haben in Genf an der Sitzung, in
eingegangen wird. Wenn wir über unseren Schatten der über den Ausschluss Libyens aus dem Menschen-
springen, können wir dasselbe auch von den Ländern im rechtsrat diskutiert worden ist, teilgenommen. Die Ent-
Süden erwarten. Sonst sind unsere Anstrengungen für scheidung, die getroffen wurde, begrüße ich sehr. Ich bin
unsere Bürgerinnen und Bürger nicht verständlich. froh, dass sich auch die Generalversammlung ganz klar
positioniert hat. Angesichts der Schwere der Menschen-
Vielen Dank. rechtsverletzungen kann es hier keine andere Antwort
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des geben. Libyen hätte nie einen Sitz im Menschenrechtsrat
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) erhalten sollen.
Meine Damen und Herren, ich möchte kurz auf die
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Situation der Flüchtlinge eingehen. Markus Löning, der
Marina Schuster hat das Wort für die FDP-Fraktion. Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, hat
Flüchtlingslager an der tunesisch-libyschen Grenze be-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sucht. Die Vereinten Nationen gehen davon aus, dass
der CDU/CSU) sich allein dort 250 000 Flüchtlinge befinden. Die Bun-
desregierung hat Hilfe in Höhe von insgesamt
Marina Schuster (FDP):
5 Millionen Euro zugesagt. Dabei werden Mittel für das
Internationale Komitee vom Roten Kreuz bereitgestellt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Jetzt geht es auch darum, gerade in Libyen die medizini-
Kollegen! Wir alle stehen unter dem Eindruck der Fern- sche Notversorgung sicherzustellen und die Entwicklung
sehbilder, die uns aus Nordafrika, aus der arabischen in den Flüchtlingslagern genau zu beobachten. Ich be-
Welt erreicht haben und erreichen. Ich bin froh, dass un- grüße sehr, dass wir hier humanitäre Hilfe leisten, um
sere Bundesregierung von Anfang an klargemacht hat, die Situation der Flüchtlinge zu verbessern.
auf wessen Seite sie steht. Wir stehen auf der Seite der
Demokraten, und wir haben dies in unseren Positionie- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
rungen auch klar und deutlich so gesagt. der CDU/CSU)
10830 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
Marina Schuster
(A) Ich möchte nun ganz kurz auf die politische Situation Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C)
eingehen. Wir dürfen nicht vergessen: Die Länder Ägyp- Das Wort hat der Kollege Dr. Wolfgang Götzer für die
ten und Tunesien befinden sich in einer sehr wichtigen, CDU/CSU-Fraktion.
aber auch fragilen Transformationsphase. Unseren poli-
tischen Stiftungen bietet sich jetzt die Möglichkeit, die (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Kontakte, die sie in den vergangenen Jahren aufgebaut der FDP)
haben, zu nutzen. In der Vergangenheit war die Situation
allerdings eine andere. Die Angehörigen von Opposi- Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU):
tionsparteien, zu denen wir Kontakte hatten, wurden in- Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
haftiert, und die Parteien waren nicht zu Wahlen zugelas- gen! Seit Wochen sind wir Zeugen des dramatischen
sen. Jetzt ist die Möglichkeit da, sich auf die Wahlen Umbruchs, der gewaltigen Umwälzungen in der arabi-
vorzubereiten. Deswegen begrüße ich sehr, dass uns mit schen Welt. Dabei hat vor allem die verbrecherische
unseren politischen Stiftungen vor Ort Organisationen Gewalt, mit der Gaddafi in Libyen seine Macht sichern
zur Verfügung stehen, die mit der Zivilgesellschaft zu- will, weltweit für Empörung gesorgt. Aber auch in ande-
sammenarbeiten und die demokratischen Strukturen ren Ländern bleibt die Lage nach gewaltsamen Aus-
stärken können. einandersetzungen zwischen Protestierenden und Si-
cherheitskräften angespannt. In Algerien, Bahrain,
Eines dürfen wir nicht vergessen – das ist von meinen Jordanien, Irak, Iran, Marokko und dem Jemen bei-
Vorrednern bereits angesprochen worden –: Jetzt geht es spielsweise ist es in den vergangenen Wochen immer
natürlich auch darum, eine ökonomische Perspektive zu wieder zu Protesten gekommen. Dabei gab es zahlreiche
schaffen. Die Forderung, unsere eigenen Handelshemm- Verletzte und auch Tote.
nisse für Agrarprodukte zu senken, betrifft natürlich
auch den Textilsektor. Dazu gehört auch, dass wir den Am 11. März dieses Jahres ist daher der Europäische
Tourismussektor wieder beleben, sofern die Sicherheits- Rat zu einer außerordentlichen Sitzung zusammenge-
lage in den entsprechenden Gebieten dies zulässt. kommen, und allein dies ist ein starkes Signal dafür, wie
wichtig der Europäischen Union eine gemeinsame Re-
Eines ist allerdings auch klar: Wenn die sozialen aktion auf die Geschehnisse ist. So etwas hat es in den
Missstände nicht behoben werden, wenn die ökonomi- vergangenen zehn Jahren nur dreimal gegeben: beim
sche Verbesserung nicht eintritt, kann dies dazu führen, Georgienkrieg, beim Irakkrieg und nach den Terroran-
dass der gesamte Transformationsprozess ins Schlingern schlägen vom 11. September.
gerät. Deswegen ist es wichtig, eine ökonomische Per-
spektive zu bieten. In vielen arabischen Ländern fürchten die Herrscher
den Verlust ihrer Macht. In Tunesien und Ägypten ist der
(B) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (D)
Sturz der Despoten bereits erfolgt. Bahrain ruft saudi-
der CDU/CSU) sche Truppen ins Land. In Libyen droht die Revolte in
einen langen und blutigen Bürgerkrieg zu münden, wo-
Einen letzten Punkt möchte ich noch ansprechen. Wir
für die libysche Führung die alleinige Verantwortung
haben uns in den Debatten, die wir im Menschenrechts-
trägt.
ausschuss geführt haben, auch um das Thema Religions-
freiheit gekümmert. Ich möchte am Beispiel Ägypten Die internationale Gemeinschaft sieht dem mörderi-
klarmachen, was es für ein Land, in dem die Staatsreli- schen Wüten Gaddafis nicht tatenlos zu. Zahlreiche
gion der Islam ist, in dem die Bevölkerung tief religiös Sanktionen und andere Konsequenzen wurden inzwi-
ist, heißt, jetzt eine politische Ordnung zu schaffen, die schen von den Vereinten Nationen, der Europäischen
Religionsfreiheit, Toleranz und Pluralismus beinhaltet. Union und den USA beschlossen. Damit wurden klare
Ich denke, dass auch solche Fragen diskutiert werden Signale gesetzt, dass das menschenverachtende Vorge-
müssen und dass man sich auch damit befassen muss, hen gegen das eigene Volk von der Weltgemeinschaft
wie der Schutz der Religionsfreiheit zugunsten der Men- nicht hingenommen wird.
schen besser ausgestaltet werden kann.
Was allerdings die Forderung nach der Errichtung ei-
ner Flugverbotszone angeht, so müssen wir uns – und
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: das ist heute schon mehrmals angesprochen worden –
Frau Kollegin! darüber im Klaren sein, dass dies eine militärische Inter-
vention bedeutet. Deshalb ist es auch ein klarer Wider-
Marina Schuster (FDP): spruch, wenn uns die Arabische Liga einerseits zur Er-
richtung einer solchen Zone auffordert, uns andererseits
– Ich komme zum Schluss. aber gleichzeitig vor jeglicher Form einer militärischen
Unser Weg ist klar: Wir bieten Hilfe und Unterstüt- Intervention warnt.
zung an, allerdings nicht mit dem erhobenen Zeigefinger Ein Flugverbot lässt viele Fragen offen und birgt viele
oder durch Bevormundung, sondern mit ehrlichen und Risiken. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich die Ara-
brauchbaren Angeboten. Das ist unser Weg, und den bische Liga – derzeit hat es diesen Anschein – daran
werden wir auch weiterhin gehen. nicht beteiligen will. Ich nenne zum Beispiel das Risiko
Vielen Dank. vieler ziviler Todesopfer. Zivile Todesopfer in einem
arabischen Land durch eine westliche militärische Inter-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) vention könnten schnell zu einer Verschärfung der im
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10831
Dr. Wolfgang Götzer
(A) arabischen Raum ohnehin weit verbreiteten antiwestli- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C)
chen Stimmung führen. Das Wort hat der Kollege Ruprecht Polenz für die
CDU/CSU-Fraktion.
Damit der Wandel hin zur Demokratie Erfolg und Be-
stand hat, muss – davon bin ich überzeugt – die Befrei- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
ung von den alten Machthabern durch die einheimische neten der FDP)
Bevölkerung selbst erfolgen. So etwas kann nicht in
Brüssel oder in Berlin geschehen. Ruprecht Polenz (CDU/CSU):
Was wir aber tun können und müssen, ist Folgendes: Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir müssen in enger Abstimmung mit den internationa- Umbruch in der arabischen Welt: Was hat sich im Ver-
len Partnern weiterhin darauf hinwirken, dass die Gewalt gleich zum vorigen Jahr eigentlich geändert? Ich glaube,
in Libyen sofort beendet wird. der entscheidende Punkt ist: Die Menschen haben keine
Angst mehr. Deshalb ist es so wichtig, dass wir ihnen
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und moralische, materielle und politische Unterstützung ge-
der FDP) ben, und ich finde, die Bundesregierung hat dies mit ih-
rer Antwort auf diese Umbrüche in der arabischen Welt
Nach wie vor hat es auch höchste Priorität, alle huma- auch entschlossen und klug getan.
nitären Anstrengungen zu unternehmen, um die aus Li-
byen in die Nachbarländer geflohenen Menschen zu un- Wir als Bundesrepublik Deutschland haben Hilfe in
terstützen. Gemeinsam mit den Partnern der EU sollte Form einer Transformationspartnerschaft in der ganzen
den Ländern Nordafrikas sowie des Nahen und des Mitt- Breite der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politi-
leren Ostens ein breites Angebot für eine zielorientierte, schen Entwicklung angeboten. Wir haben sie in den
bedarfsgerechte und partnerschaftliche Unterstützung Blick genommen. Gleichzeitig haben wir aber deutlich
des Wandels unterbreitet werden. Hierfür sollten auch im gemacht: Es ist Sache der Araber, der Menschen in die-
EU-Haushalt Ressourcen zur Verfügung gestellt werden. sen Ländern selbst, darüber zu entscheiden, welchen
Weg sie einschlagen wollen und wie sie sich ihre Zu-
Bei diesem Angebot müssen die Gründe der Proteste kunft vorstellen.
zum Ausgangspunkt genommen werden, und es muss an
Die Region hat eine globale Bedeutung. Das haben
den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtet sein. Ge-
wir in dieser Debatte vielleicht noch etwas wenig be-
rade in der Zeit des Übergangs sind schnelle, spürbare
leuchtet. In dem Gebiet von Marokko bis zum Persi-
Verbesserungen der Lebensumstände und Erfolge von-
schen Golf liegen die Energiereserven an Öl und Gas für
nöten, damit der politische Wandel von einer breiten
(B) Mehrheit der Bevölkerung getragen und akzeptiert wird. die ganze Welt, und die Bedeutung dieser Region wird (D)
durch die atomare Katastrophe in Japan eher zu- als ab-
Von besonderer Bedeutung ist, dass die Reformen in- nehmen.
stitutionell und verfassungsrechtlich abgesichert werden. Auch für Deutschland und die Europäische Union hat
Deshalb müssen wir unbedingt unsere Hilfe beim Auf- der Nahe und Mittlere Osten eine strategische Bedeu-
bau eines Mehrparteiensystems, bei der Vorbereitung tung, und wir haben dort eigene Interessen; das müssen
und Durchführung freier Wahlen, bei der Stärkung der wir in dieser Debatte auch sagen.
Zivilgesellschaft, bei der Bekämpfung der Korruption
und beim Aufbau einer unabhängigen Justiz anbieten. Was sind unsere Interessen?
Die politischen Stiftungen spielen hier eine wichtige
Wir haben erstens ein Interesse an wirtschaftlicher
Rolle – auch das ist schon erwähnt worden; ich möchte
Zusammenarbeit im Bereich der Energie: beim Öl, beim
das noch einmal unterstreichen – und können eine wert-
Gas und in Zukunft aber auch bei der Solarenergie. Wir
volle Hilfe leisten.
haben ein Interesse an den Märkten, die sich in dieser
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Region auch für unsere Wirtschaft ergeben.
Wir haben zweitens ein strategisches Interesse an der
Klar muss auch sein: Finanzielle Unterstützungsleis-
Sicherheit Israels.
tungen der EU müssen zukünftig viel stärker als bislang
von politischen und rechtsstaatlichen Reformen abhän- Wir haben drittens das Interesse, dass wir Migrations-
gig gemacht werden. und Flüchtlingsströme aus dieser Region oder durch
diese Region nach Europa vermeiden, vor allen Dingen
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, bislang gab es dadurch, dass wir die Ursachen für diese Flüchtlings-
keinen islamischen Staat mit einer funktionierenden De- ströme in diesen Ländern und gemeinsam mit diesen
mokratie nach unseren Maßstäben. Der stattfindende Ländern dann auch weiter südlich bekämpfen.
Umbruch in der arabischen Welt ist eine Chance, dass
sich daran etwas ändert. Deshalb haben wir viertens ein Interesse an Moderni-
sierung, Reformen und guter Regierungsführung.
Vielen Dank.
Last, but not least möchte ich fünftens das Interesse
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – daran nennen, den Terrorismus, der in dieser Region
Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Da können seine Wurzeln hat, wie sich immer wieder zeigt, gemein-
Sie aber lange warten!) sam mit den Ländern dieser Region zu bekämpfen.
10832 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
Ruprecht Polenz
(A) Was in Tunesien, Ägypten, Libyen und Bahrain ge- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ (C)
schieht, ist zuallererst Sache der Tunesier, Ägypter, Li- DIE GRÜNEN)
byer und Bahrainer. Aber wir müssen ihnen dabei helfen,
Noch eine letzte Bemerkung zu Libyen: Es ist viel zu
das selbst zu gestalten. In Tunesien und Ägypten geht es
den Problemen im Zusammenhang mit der Flugverbots-
um Partizipation, Demokratie, Rechtsstaat und Men-
zone gesagt worden. Ich habe mich dazu schon öffent-
schenrechte. Die Hilfen sind in der Debatte beschrieben
lich geäußert. Ich bin bei meinem Besuch in Oman und
worden. Es geht aber auch um Ökonomie, um die Markt- Katar von meinen arabischen Gesprächspartnern darauf
öffnung auch im Bereich der Agrarpolitik, um Markt- aufmerksam gemacht worden, warum Gaddafi gefallene
wirtschaft und Korruptionsbekämpfung. Gegner exhumieren lässt. Das sind bestätigte Nachrich-
Ich will an dieser Stelle ein Stichwort aufgreifen, das ten. Er macht es deshalb, um sie zu identifizieren und
immer wieder genannt wird, wenn es heißt, die Region sich an ihren Familien zu rächen. Das zeigt, was dort
brauche jetzt einen Marshallplan. Das ist richtig. Sie möglicherweise auch noch auf die Bevölkerung zu-
braucht auch ein Konzept zur interregionalen Zusam- kommt.
menarbeit. Das ist sehr wichtig. Denn es gibt in der Re- Deshalb kann man, Herr Außenminister, wenn man
gion genug Geld. Es geht aber auch darum, dass wir erstens richtigerweise fordert „Gaddafi muss weg!“ und
dazu beitragen, dass das Milliardenvermögen der Ben zweitens richtigerweise sagt, dass ihn der Internationale
Alis und Mubaraks, das eigentlich das Geld der Bevöl- Strafgerichtshof erwartet, nicht nur abwarten, dass mit-
kerung dieser Länder ist, wieder seinen Weg dorthin zu- telfristig Sanktionen dazu führen, dass er irgendwann
rückfindet. Wir sollten dazu beitragen, dass die hohen dort landen wird.
zweistelligen Milliardenbeträge – es wird einem
Ich glaube, wir stehen noch vor der Aufgabe, zu-
schwindlig vor Augen, wenn man hört, welche Summen
nächst die Frage einer Resolution und der Beteiligung
diese Herrscher zur Seite geschafft haben – zugunsten
der Arabischen Liga zu beantworten. Dann geht es um
des Aufbaus der Länder, um die es geht und denen das
die Umsetzung der Forderung „Gaddafi muss weg! Er
Geld eigentlich gehört, zurückgeführt werden.
muss vor Gericht gestellt werden“. Ich glaube, vor dieser
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Aufgabe stehen wir noch. Das wird uns auch im Sicher-
neten der FDP) heitsrat noch einiges abverlangen.
Vielen Dank.
Ich will an das anknüpfen, was der Kollege Stinner im
Hinblick auf Bahrain gesagt hat. Denn ich glaube, dass (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
wegen der Diskussion um Libyen die Brisanz der Ent- neten der FDP und des Abg. Dr. Rolf
(B) wicklung in Bahrain etwas aus dem Blick gerät. Es gibt Mützenich [SPD]) (D)
drei Besonderheiten, die den Konflikt und die Situation
in Bahrain von allen anderen Ländern unterscheiden. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Das sind erstens die interreligiöse Dimension des Kon- Ich schließe die Aussprache.
flikts mit Blick auf die Sunniten und Schiiten und zwei-
tens die grenzüberschreitende Dimension wegen einer Wir kommen zur Abstimmung über den Ent-
Involvierung Saudi-Arabiens einerseits und möglicher- schließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksa-
weise des Iran andererseits, die es in anderen Ländern che 17/5040. Wer stimmt für diesen Entschließungsan-
nicht gibt. Drittens gibt es eine internationale Dimen- trag? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Damit
sion. Denn in Bahrain hat die fünfte amerikanische ist der Entschließungsantrag bei Zustimmung durch die
Flotte ihre Basis. Das alles macht die Lage dort so bri- einbringende Fraktion abgelehnt. Die übrigen Fraktio-
sant. nen haben dagegen gestimmt.
Jetzt rufe ich Tagesordnungspunkt 3 auf:
Leider hat die Regierung, das Königshaus in Bahrain,
auf die ursprünglichen Forderungen nach Partizipation Befragung der Bundesregierung
und Reformen nicht konstruktiv reagiert. Sie hat den
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
Zeitpunkt verpasst. Aber ich bin mit Ihnen, Herr Stinner,
binettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Änderung
einer Meinung. Die Intervention durch den Golfkoopera-
des Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze.
tionsrat mit etwa 500 Polizisten und Saudi-Arabien mit
etwa 1 000 Soldaten eskaliert. Auf diese Weise lassen Für den einleitenden Bericht erteile ich dem Bundes-
sich die Unruhen nicht dauerhaft befrieden. Das ist nur minister für Gesundheit, Dr. Philipp Rösler, das Wort.
durch Reformen und Partizipation möglich.
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit:
Man darf das nicht durch die enge religiöse Brille se-
hen, aber es besteht die Gefahr, dass gerade durch die In- Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr verehr-
ten Damen und Herren Abgeordnete! Die Bundesregie-
tervention Saudi-Arabiens diese Perspektive deutlich
rung hat heute den Gesetzentwurf zur Änderung des
verstärkt wird. Wenn wir in Zukunft an einer möglichst
Infektionsschutzgesetzes und weiterer Gesetze beschlos-
widerspruchsfreien Politik für den Nahen Osten arbeiten
sen.
wollen, dann dürfen wir nicht zulassen, dass das Re-
formtempo in Bahrain durch Saudi-Arabien bestimmt Sie alle wissen, dass wir in Deutschland eine hervor-
wird. Denn dann dauert es mit Sicherheit zu lange. ragende medizinische Versorgung für die Menschen ha-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10833
Bundesminister Dr. Philipp Rösler
(A) ben. Allerdings gibt es durchaus auch Probleme; denn hausgesetzen dafür eigene gesetzliche Grundlagen (C)
einige Infektionen können im Rahmen einer medizini- schaffen mussten. Künftig kann man allein aufgrund des
schen Behandlung erworben werden. Nach Schätzungen Infektionsschutzgesetzes auf Bundesebene eine solche
gibt es pro Jahr circa 400 000 bis 600 000 solcher Fälle Verordnung auf den Weg bringen. Also können die ver-
in Deutschland. Daraus resultierend kommt es zu 7 500 bliebenen neun Bundesländer sehr schnell eine Hygiene-
bis 15 000 Todesfällen aufgrund solcher im Rahmen ei- verordnung mit höherer Verbindlichkeit gerade für
ner medizinischen Behandlung erworbenen Infektionen. Leitungen von stationären Einrichtungen und vergleich-
baren Institutionen beschließen. Sollten sich die Kolle-
Erschwerend kommt hinzu, dass es im Rahmen dieser ginnen und Kollegen vor Ort nicht daran halten, können
Infektionen besonders häufig Resistenzen gibt, die die diese vonseiten des Landes mit Bußgeldern in Höhe von
Behandlungen erschweren, die Behandlungszeit verlän- bis zu 25 000 Euro belegt werden.
gern und nachteilig für die Patientinnen und Patienten,
aber natürlich auch für das Gesundheitssystem insge- Wir wollen die Meldesysteme weiter verbessern. Seit
samt sind. 2009 ist es notwendig, dass solche MRSA-Infektionen
an die Gesundheitsämter gemeldet werden. Wir möchten
Die jetzige Bundesregierung, aber auch schon die die Gesundheitsämter verpflichten, diese Infektionen an
Vorgängerregierungen haben eine Reihe von Maßnah- das Robert-Koch-Institut zu übermitteln, damit man ei-
men auf den Weg gebracht, um mit solchen sogenannten nen Überblick über Infektionen in der gesamten Bundes-
nosokomialen Infektionen umgehen zu können und sie republik hat, um vor Ort gezielt beraten zu können.
zu reduzieren. Mit dem Gesetz, dessen Entwurf heute
beschlossen wurde, sollen diese Maßnahmen weiter ge- Ebenso fordern wir mit diesem Gesetz den Gemeinsa-
stärkt und unterstützt werden. men Bundesausschuss auf, Richtlinien zu entwickeln,
wie man Hygienestandards formulieren kann, um als Er-
Gerade Resistenzen kann man durch eine sinnvolle
gebnis die Qualität der Hygiene in Einrichtungen veröf-
und richtige Antibiotikagabe vermeiden. Hierzu soll
fentlichen zu können; denn wir möchten, dass in die
künftig eine Kommission beim Robert-Koch-Institut
Qualitätsberichte, die bisher alle zwei Jahre von den
eingerichtet werden. Sie wird Leitlinien für Ärztinnen,
Krankenhäusern veröffentlicht werden müssen, ein Ka-
Ärzte und medizinisches Personal ausgeben, wie man
pitel über Hygiene aufgenommen wird. Ab 2013 sollen
richtig Antibiotika verordnet und entsprechend anwen-
diese Berichte nicht nur alle zwei Jahre, sondern jährlich
det, um möglichst von vornherein Resistenzen zu ver-
veröffentlicht werden, damit man als Versicherter und
hindern. Diese soll „Kommission Antieffektiva, Resis-
potenzieller Patient die Möglichkeit hat, sich nicht nur
tenz und Therapie“ heißen, kurz: ART.
einen Überblick über die Qualität des Krankenhauses,
(B) Eine der Maßnahmen, die schon andere Bundesregie- sondern auch über die Qualität der Hygiene in diesem (D)
rungen auf den Weg gebracht haben, ist die sogenannte Krankenhaus zu verschaffen.
Kommission für Krankenhaushygiene und Infektions-
Ebenso ist es das Ziel, Infektionen gerade mit multire-
prävention, die ebenfalls am Robert-Koch-Institut ange-
sistenten Erregern von vornherein zu vermeiden. Deswe-
siedelt ist. Diese Kommission gibt wissenschaftliche
gen entwickeln wir ein neues System des Screenings, be-
Empfehlungen heraus, wie die Abläufe in den Kranken-
vor Patientinnen und Patienten überhaupt in den
häusern im Rahmen von Hygienemaßnahmen verbessert
stationären Bereich kommen. So soll es im ambulanten
werden können, um auf diesem Wege entsprechende In-
Bereich künftig die Möglichkeit für die niedergelassenen
fektionen zu vermeiden. Diese Empfehlungen sind
Ärztinnen und Ärzte geben, Hochrisikopatienten selber
durchaus wissenschaftlich anerkannt – sie sind auch un-
zu untersuchen und für den Fall, dass man resistente Er-
streitig –, haben aber den Nachteil, dass es sich dabei
reger feststellt, die Patienten vorab zu sanieren, also von
bisher nur um Empfehlungen handelt. Das heißt, dass
den resistenten Erregern zu befreien, bevor sie überhaupt
sich nicht alle Krankenhäuser an die vorgegebenen Leit-
in die Krankenhäuser und stationären Einrichtungen
linien zur Vermeidung von Infektionen im Krankenhaus
kommen. Denn dort gibt es viele Patienten, die immun-
halten.
geschwächt sind. Dort ist die Verbreitung der Erreger
Das soll durch das Gesetz künftig geändert werden. viel einfacher; deshalb sollte man versuchen, von vorn-
Die Leitlinien dieser Kommissionen sollen verbindlicher herein eine Aufnahme von Patienten mit hochresistenten
als bisher ausgestaltet werden. Insbesondere soll das Erregern im Krankenhaus zu verhindern.
mithilfe der Bundesländer geschehen. Wir wollen den
Bundesländern die Möglichkeit geben und sie gleichzei- Neben dem Infektionsschutz gibt es noch eine Reihe
tig auch verpflichten, eigene Hygieneverordnungen auf von weiteren Änderungen. Ich will eine wesentliche Än-
den Weg zu bringen, um sich orientierend an den Leit- derung herausgreifen: Das ist die Änderung zur Transpa-
linien dieser Kommissionen auch auf Landesebene dafür renzvereinbarung in der Pflege. Sie alle haben die streiti-
einzusetzen, dass sich flächendeckend alle, insbesondere gen Diskussionen in der Pflege verfolgt. Es gibt die
stationäre Einrichtungen, tatsächlich an den wissen- Möglichkeit, Pflegeeinrichtungen und auch ambulante
schaftlich anerkannten Stand zur Infektionshygiene hal- Pflegedienste mit Noten zu bewerten. Es gibt ein Verfah-
ten. ren, wie eine Bewertung vorzunehmen ist. Allerdings
konnten sich die Selbstverwaltungspartner über die
Bisher haben nur 7 von 16 Bundesländern überhaupt Dinge, die zu bewerten sind, nicht einig werden. Aus un-
eine solche eigene Hygieneverordnung. Bislang war es serer Sicht sinnvolle Dinge wie zum Beispiel der Flüs-
notwendig, dass die Länder in ihren Landeskranken- sigkeitsstatus oder auch der Wundzustand von Patientin-
10834 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Frau Präsidentin! Die Bundesregierung hat in der
Abgeordneter Spahn, was die Bewertung anbelangt, heutigen Kabinettssitzung sicher auch über das Atom-
halte ich mich zurück. Tatsache ist, dass bisher nur 7 von moratorium gesprochen. Über die Presse haben wir er-
16 Ländern eigene Hygieneverordnungen erlassen ha- fahren, dass aufgrund § 19 Abs. 3 des Atomgesetzes die
ben. Das Verfahren ist vergleichsweise aufwendig, weil vorübergehende Stilllegung von sieben Atomkraftwer-
die Länder in ihren jeweiligen Krankenhausgesetzen ei- ken vorgesehen ist. § 19 Abs. 3 dieses Gesetzes lässt
gene gesetzliche Grundlagen schaffen müssen. dies zu, wenn die Vorgaben des Satzes 1 des Abs. 3 er-
Sollte der Deutsche Bundestag dieses Gesetz verab- füllt sind. Dort heißt es:
schieden, könnte man auf der Grundlage eines Infek- Die Aufsichtsbehörde kann anordnen, daß ein Zu-
tionsschutzgesetzes künftig selbst eine solche Verord- stand beseitigt wird, der den Vorschriften dieses
nung auf den Weg bringen, dies also deutlich schneller Gesetzes oder der auf Grund dieses Gesetzes erlas-
machen. Unser Ziel ist es, zu quasi standardisierten senen Rechtsverordnungen, den Bestimmungen des
Hygieneverordnungen zu kommen, und zwar bundes- Bescheids über die Genehmigung oder allgemeine
weit. Zulassung oder einer nachträglich angeordneten
Weiter wird empfohlen, sich an die Empfehlungen der Auflage widerspricht oder aus dem sich durch die
Kommission für Krankenhaushygiene und Infektions- Wirkung ionisierender Strahlen Gefahren für Le-
prävention zu halten. Vorgegeben ist, immer den Stand ben, Gesundheit oder Sachgüter ergeben können.
der Wissenschaft bei solchen Hygieneverordnungen zu
Vor dem Hintergrund, dass es eine rechtswirksame
berücksichtigen. Der Gesetzgeber würde dann davon
Stilllegung sein muss, weil ansonsten Entschädigungs-
ausgehen, dass genau das geschehen ist, wenn man sich
forderungen auf die Bundesregierung zukommen könn-
an die Richtlinien der KRINKO tatsächlich halten
ten, möchte ich Sie bitten, uns zu erklären, welcher der
würde.
in § 19 Abs. 3 Satz 1 aufgeführten Tatbestände von der
Das gibt dem Bund ein bisschen die Sicherheit, dass Bundesregierung bei den sieben Atomkraftwerken als
erstens die Länder solche Hygieneverordnungen flä- erfüllt angenommen wird.
10836 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
Dr. Matthias Miersch (SPD): Eckart von Klaeden, Staatsminister bei der Bundes-
Auch ich habe eine Frage zu dem sogenannten Mora- kanzlerin:
torium die Atomkraft betreffend. Sie haben ja nicht nur Herr Kollege, ich kann Ihnen diese technische Frage
das Atomgesetz als Grundlage, sondern nach wie vor jetzt nicht beantworten und kann deswegen die Wertung,
den Vertrag, den die Bundesregierung mit den vier gro- die Sie in Ihrer Frage vorgenommen haben, nicht bestäti-
10838 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
(A) Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist ein ganz wesentlicher Punkt, um Vertrauen bei (C)
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Angesichts der wun- der Bevölkerung und bei den Menschen zu generieren,
derbaren Geschmeidigkeit des Vertreters der Bundes- die wir mit der Bewältigung der Situation vor Ort be-
regierung in der Regierungsbefragung trauen. Denn das ist der entscheidende Punkt: dass wir
deutlich machen, dass wir gegenüber unserer eigenen
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Kein Neid!) Bevölkerung mit einem Höchstmaß an Offenheit und
und seiner Fähigkeit, allen klaren und konkreten Ant- Transparenz handeln. Deswegen nehme ich Ihre Anre-
worten aus dem Wege zu gehen, verzichte ich auf wei- gung sehr gerne auf.
tere Fragen zu § 19 Atomgesetz und möchte eine Frage (Dr. Hermann Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
von allgemeinem Interesse stellen. NEN]: Melden Sie sich bei mir? Sagen Sie mir
Allen in diesem Hause geht es wahrscheinlich ähn- Bescheid?)
lich, dass sie sich darüber beklagen, wie wenige Infor-
mationen über Strahlungswerte eigentlich bekannt sind. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Die Betreiberfirma Tepco ist diesbezüglich sehr zurück- Die Kollegin Heinen-Esser wollte der Beantwortung
haltend. Es gibt allerdings eine internationale Einrich- noch etwas hinzufügen. – Bitte schön.
tung, die konstant Daten im gesamten pazifischen Raum
misst und diese an die Regierungen weitergibt. Es han-
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim
delt sich um das Sekretariat des Nuclear Test Ban Treaty.
Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
Ich bin mir nicht sicher, ob das Sekretariat beim BMU cherheit:
oder beim Auswärtigen Amt angebunden ist. Ist Ihnen Alle Informationen, die wir erhalten – auch zu mögli-
das bekannt? Können vielleicht die Vertreter und Vertre- chen Strahlenbelastungen und zu Radioaktivitätswerten –,
terinnen der jeweiligen Ministerien dazu Stellung neh- werden veröffentlicht, und zwar auf den Internetseiten
men und prüfen, ob diese Informationen weitergegeben des BMU, der Gesellschaft für Reaktorsicherheit und
werden können? Das Sekretariat hat erklärt, ihm seien unserer nachgeordneten Behörde, dem Bundesamt für
leider die Hände gebunden, es könne diese Informatio- Strahlenschutz. Der Präsident, Wolfram König, nimmt
nen selbst nicht weitergeben. dazu regelmäßig Stellung, sodass alle Informationen, die
wir erhalten, sehr schnell der Öffentlichkeit zugänglich
Eckart von Klaeden, Staatsminister bei der Bundes- gemacht werden.
kanzlerin:
Zunächst einmal gehen wir dieser Anregung gerne Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
(B) nach. Vielleicht können die Kolleginnen und Kollegen Jetzt die Frage der Kollegin Bulling-Schröter. (D)
beantworten, ob das bereits der Fall ist.
Auf eines möchte ich hinweisen: Für uns alle gilt, Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE):
dass die Ereignisse in Japan unvorhersehbar waren und Danke schön, Frau Vorsitzende. – Ich habe gehört,
eine Zäsur darstellen; auch in der Frage, welche Schwer- dass heute im Finanzausschuss darüber diskutiert wurde,
punktsetzungen und welche Abwägungen für die Ener- dass die Einnahmen aus der Brennelementesteuer sinken
gieversorgung unseres Landes zu treffen sind. Daher würden, wenn es ein dreimonatiges Moratorium gibt. Es
bitte ich um Verständnis, dass wir, wenn wir eine solche gab die Aussage der Bundesregierung, das sei kein Pro-
grundlegende Überprüfung seriös durchführen wollen, blem. Das passt aber nicht zusammen: Bei einem Mora-
nicht wenige Stunden oder Tage nach den Ereignissen torium von drei Monaten, bei einer Stilllegung von drei
– womöglich parallel dazu – bereits Ergebnisse präsen- Monaten braucht man natürlich weniger Brennelemente.
tieren können, die eine solche Untersuchung im Grunde Wie ist diese Antwort zu interpretieren? Oder ist es nicht
vorwegnehmen. doch so, dass die Laufzeiten auf die neueren AKWs um-
Der Kollege Hoyer möchte zu der Frage nach dem gelegt werden?
Sekretariat des Nuclear Test Ban Treaty etwas sagen.
Eckart von Klaeden, Staatsminister bei der Bundes-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: kanzlerin:
Herr Hoyer, bitte schön. Ich schlage vor, dass der Parlamentarische Staats-
sekretär aus dem Finanzministerium, der Kollege
Koschyk, diese Frage beantwortet, Frau Präsidentin.
Dr. Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen
Amt:
Herr Kollege, ich würde diese Frage gerne befriedi- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
gend beantworten, kann es aber nicht. Der Sache gehe Herr Koschyk, bitte schön.
ich aber gerne nach. Ich kann Ihnen nur versichern, dass
wir, seitdem wir seit dem Wochenende im Krisenreak- Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
tionszentrum des Auswärtigen Amtes teilweise rund um desminister der Finanzen:
die Uhr damit beschäftigt sind, die Kommunikationsauf- Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
gabe im Zusammenhang mit dieser Krise in den Griff zu Nachdem ich diese Frage heute im Finanzausschuss
bekommen, uns um nichts mehr bemühen als darum, schon beantwortet habe, möchte ich noch einmal fest-
möglichst objektive Daten zu sammeln. stellen: Wir haben im Finanzausschuss mitgeteilt, dass
10840 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
Eckart von Klaeden, Staatsminister bei der Bundes- Soweit mir bekannt ist, werden zurzeit keine Verhand-
kanzlerin: lungen über Verträge geführt. Das ist auch ein Gebot der
Logik, denn zunächst einmal ist der Sinn des Morato-
Ich antworte, Frau Präsidentin.
riums, die von mir schon mehrfach erwähnte grundle-
gende Überprüfung durchführen zu können. Aus dieser
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Überprüfung wird man Konsequenzen ziehen. Das kann,
Herr von Klaeden, bitte schön. wie ich dem Kollegen Kelber schon erläutert habe, ge-
setzgeberischer Handlungsbedarf sein; es kann aber auch
Eckart von Klaeden, Staatsminister bei der Bundes- eine Anpassung der Verträge sein. Ich würde aber – auch
kanzlerin: vor dem Hintergrund meiner früheren anwaltlichen Tä-
Ich beginne mit dem Hinweis auf meine vorherige tigkeit – niemandem raten, in Vertragsverhandlungen
Antwort; denn Sie haben nahezu wörtlich die vorherige einzutreten, bevor man sich nicht Klarheit darüber ver-
Frage eines anderen Kollegen bzw. einer anderen Kolle- schafft hat, welches Ergebnis man in diesen Verhandlun-
gin wiederholt. Insofern bleibt es bei meiner Antwort, gen erreichen möchte. Das wiederum soll in der grundle-
dass die Einschätzung der jeweils aufsichtsführenden genden Überprüfung festgestellt werden, von der ich
Behörde obliegt. Die Zuständigkeit für diese Behörden jetzt schon öfter gesprochen habe.
liegt nach unserer Rechtsordnung bei den Ländern.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE Damit beende ich die Befragung der Bundesregie-
GRÜNEN]: Aber wie kann die Bundesregie- rung.
rung auf der Webseite des Bundeskanzleramts
dazu Stellung nehmen? – Gegenrufe von der Ich rufe Tagesordnungspunkt 4 auf:
CDU/CSU: Melden! – Wolfgang Zöller [CDU/
Fragestunde
CSU]: Von der Geschäftsordnung reden, aber
sich nicht daran halten! Das gefällt mir!) – Drucksache 17/5015 –
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10841
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
(A) Ich rufe die Fragen auf Drucksache 17/5015 in der oder sogar schon Übereinkünfte? Hat die rot-grüne Lan- (C)
üblichen Reihenfolge auf, zunächst aus dem Geschäfts- desregierung von Nordrhein-Westfalen vielleicht schon
bereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und erklärt, dass sie solche Ablagerungen gar nicht will?
Technologie. Zur Beantwortung steht der Parlamentari-
sche Staatssekretär Peter Hintze bereit, der sich als be- Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
sonders technikbegabt erwiesen hat. minister für Wirtschaft und Technologie:
Ich komme zur Frage 1 des Kollegen Koppelin: Das ist eine interessante Anregung. Mir ist die Posi-
Ist die Bundesregierung bereit, dem Land Schleswig-Hol-
tion der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen zu
stein die Möglichkeit einzuräumen, im gesamten Bundesland dieser Frage nicht bekannt. Mir ist lediglich bekannt,
die Lagerung bzw. Verpressung von Kohlendioxid abzuleh- dass die Landesregierung von Brandenburg Interesse be-
nen? kundet hat – darüber wurde diskutiert, aber das ist noch
Bitte sehr. nicht gefestigt –, eine solche Demonstrationsanlage in
Brandenburg zu errichten.
Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister für Wirtschaft und Technologie: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Schönen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Koppelin auf:
Koppelin, der in der gemeinsamen Federführung von Welche Risiken sind der Bundesregierung bei einer unter-
irdischen Speicherung von Kohlendioxid bekannt?
BMU und BMWi erarbeitete Referentenentwurf sieht
die Begrenzung auf einige wenige Demonstrationspro- Herr Hintze.
jekte vor. Im Rahmen der laufenden Ressortabstimmung
wird derzeit geprüft, wie den berechtigten Interessen der Peter Hintze, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Länder bei der Steuerung der Nutzung des Untergrunds minister für Wirtschaft und Technologie:
noch weiter entgegengekommen werden kann. Hierzu Frau Präsidentin! Herr Kollege Koppelin, bei der un-
sind abschließende Aussagen noch nicht möglich. terirdischen Speicherung von Kohlendioxid sind die Ri-
siken von CO2-Leckagen und mögliche negative Aus-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: wirkungen von verdrängten Formationswässern zu
Herr Kollege Koppelin, Sie haben eine Nachfrage. – beachten. Nach der Richtlinie 2009/31/EG über die geo-
Bitte sehr. logische Speicherung von Kohlendioxid, der CCS-
Richtlinie, und dem von mir in der ersten Antwort er-
Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): wähnten Referentenentwurf eines CCS-Gesetzes ist die
(B) Herr Staatssekretär, das Land Schleswig-Holstein hat Voraussetzung für die Zulassung eines Demonstrations- (D)
sich – das ist der Stand vom 11. März 2011 – mit dem speichers unter anderem, dass Gefahren für Mensch und
Bundesumweltministerium auf einen Gesetzestext und Umwelt nicht hervorgerufen werden können und Vor-
eine Gesetzesbegründung geeinigt. Sehen Sie vom Bun- sorge gegen Beeinträchtigungen von Mensch und Um-
deswirtschaftsministerium sich in der Lage, dem beizu- welt nach dem Stand von Wissenschaft und Technik ge-
treten, was dort vereinbart worden ist? troffen werden.
(A) Rüdiger Veit (SPD): Chahar Darreh mit Handwaffen und Panzerabwehrhand- (C)
Haben Sie Erkenntnisse darüber, inwieweit die Mög- waffen angegriffen.
lichkeit, durch die erwähnten Kurse beim BAMF Sprach-
Zweitens befand sich zeitgleich zu diesem Vorfall
erwerb nachzuholen, von den Betroffenen ausgeschlagen
eine weitere Patrouille in der 1 300 Meter südwestlich
bzw. nicht genutzt wird?
vom Anschlagsort gelegenen Ortschaft Durham, um dort
die Fortschritte der Arbeiten an einem Projekt aufzuneh-
Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der men und zu überprüfen. Auf ihrem Rückweg beobach-
Bundesministerin für Arbeit und Soziales: tete diese Patrouille, wie eine offenbar schwerverletzte
Mir ist bekannt, dass diese Instrumente von zahlrei- Frau aus einem Anwesen herausgetragen und bei einer
chen Personen genutzt werden. Eine prozentuale Auf- Brücke abgelegt wurde. Durch die bei der Patrouille ein-
stellung, inwieweit solche Angebote ausgeschlagen wer- gesetzte Ärztin erfolgte eine erste Versorgung. Eine wei-
den, um Ihre Formulierung aufzugreifen, ist mir nicht tere leichtverletzte Frau wurde dem PRT Kunduz gemel-
bekannt. det. Die schwerverletzte Frau erlag noch am selben Tag
ihren Verletzungen. Die leichtverletzte Frau wurde am
Vizepräsidentin Petra Pau: 10. März 2011 ebenfalls im Rettungszentrum des PRT
Sie haben die Möglichkeit zu einer weiteren Nach- Kunduz behandelt. Ein operativer Eingriff war nicht er-
frage. forderlich.
Drittens wurden bei Durham etwa zeitgleich zum He-
Rüdiger Veit (SPD): raustragen der schwerverletzten Frau mehrere Warn-
Danke sehr. schüsse in die Luft abgegeben. Grund war ein für die ei-
genen Kräfte bedrohlich erscheinender Motorradfahrer,
Vizepräsidentin Petra Pau: der sich in schneller Fahrt aus Richtung des Gefechts bei
Dann danke ich dem Staatssekretär. Chahar Darreh der Ortschaft Durham näherte. Nach der-
Die Frage 28 des Kollegen Oliver Kaczmarek, die zeitigem Ermittlungsstand ist auszuschließen, dass die
Frage 29 der Kollegin Bärbel Bas, die Fragen 30 und 31 Verletzungen der bei Durham schwerverletzt aufgefun-
des Kollegen Michael Gerdes, die Frage 32 der Kollegin denen Frau aus einer deutschen Waffenwirkung im Zu-
Doris Barnett sowie die Fragen 33 und 34 der Kollegin sammenhang mit dem Angriff auf die deutsche Pa-
Sabine Zimmermann sollen schriftlich beantwortet wer- trouille bei Chahar Darreh resultieren. Auch von einer
den. aufgrund eines anderen Zusammenhangs bestehenden
deutschen Waffenwirkung kann nicht ausgegangen wer-
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe- den. Bei der am Knie verletzten Frau ist nicht auszu-
(B) riums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher- (D)
schließen, dass die Knieverletzung durch sekundäre
schutz auf. Die Fragen 35 und 36 der Kollegin Kerstin Splitterwirkung infolge des Feuerkampfes erfolgte. Eine
Tack, die Fragen 37 und 38 der Kollegin Dr. Kirsten direkte Waffenwirkung ist aber aufgrund des Verlet-
Tackmann sowie die Fragen 39 und 40 der Kollegin Rita zungsmusters unwahrscheinlich.
Schwarzelühr-Sutter sollen ebenfalls schriftlich beant-
wortet werden.
Vizepräsidentin Petra Pau:
Ich rufe nun den Geschäftsbereich des Bundesminis- Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
teriums der Verteidigung auf. Zur Beantwortung der Fra-
gen steht der Parlamentarische Staatssekretär Christian Inge Höger (DIE LINKE):
Schmidt zur Verfügung. Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Ich habe eine Nach-
Wir kommen zu Frage 41 der Kollegin Inge Höger: frage zu der Frau, die später verstorben ist. Dabei stellt
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die sich nicht nur die Frage, ob das mit deutschen Waffen im
Verstrickung der Bundeswehr in Vorfälle im afghanischen Zusammenhang stand, sondern auch, ob es überhaupt im
Distrikt Chahar Darreh am Mittwoch, dem 9. März 2011, die Zusammenhang mit militärischen Zwischenfällen stand.
nach Medienangaben zum Tod einer Frau sowie der Verlet-
zung einer zweiten führten?
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun-
Bitte, Herr Staatssekretär. desminister der Verteidigung:
Frau Kollegin, davon ist nicht auszugehen. Das ist
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bun- allerdings sehr schwierig zu ermitteln, weil die schwer-
desminister der Verteidigung: verletzte Person, die von der Ärztin beim PRT erstver-
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! sorgt worden ist, durch zivile Kräfte zum PRT Kunduz
Ich komme noch einmal auf die Sachverhaltsdarstellung transportiert wurde. Sie traf um 11.25 Uhr im PRT ein,
zurück. Am 9. März 2011 ereigneten sich im Distrikt wurde sofort im Rettungszentrum behandelt, wo sie be-
Chahar Darreh in der Provinz Kunduz folgende drei Vor- reits kurz darauf, um 11.54 Uhr, an den Folgen einer
fälle: schweren Kopfverletzung gestorben ist. Sie wurde um
13.25 Uhr den Angehörigen übergeben.
Erstens. Gegen 10.18 Uhr Ortszeit bzw. 6.48 Uhr mit-
teleuropäischer Zeit wurden deutsche Kräfte der Schutz- Nach dem schriftlichen Bericht kann derzeit nach
kompanie des regionalen Wiederaufbauteams etwa 7 Ki- menschlichem Ermessen ausgeschlossen werden, dass
lometer südwestlich der Stadt Kunduz im Distrikt die Verletzungen der verstorbenen Frau aus deutscher
10848 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
(A) Agnes Alpers (DIE LINKE): Schröder zur Verfügung. Die Frage 71 des Abgeordneten (C)
Wir haben über 126 Anerkennungsstellen in den Tom Koenigs, die Fragen 72 und 73 des Abgeordneten
16 Ländern und im Bund. Bezüglich der Berufe, die Volker Beck (Köln), die Fragen 74 und 75 des Abgeord-
nicht bundeseinheitlich geregelt werden, haben wir das neten Memet Kilic, die Frage 76 des Abgeordneten
Problem, dass der Zuständigkeitsdschungel nicht besei- Oliver Kaczmarek sowie die Frage 77 des Abgeordneten
tigt werden wird. Welche Kooperationsformen mit den Dr. Konstantin von Notz werden schriftlich beantwortet.
Ländern sind da angedacht?
Welche Gewährleistung wird es, wenn wir diesen Zu- Vizepräsidentin Petra Pau:
ständigkeitsdschungel überwinden wollen, geben, dass Ich rufe die Frage 78 des Kollegen Dr. Anton
es nicht zu der Situation kommt, dass ein Bundesland Hofreiter auf:
bestimmte Qualifikationen und Berufsabschlüsse aner- Wie ist der aktuelle Zeitplan für das Planungsvereinheitli-
kennt, ein anderes aber nicht? chungsgesetz, und in welchem Quartal könnte aus Sicht der
Bundesregierung die Novellierung frühestens abgeschlossen
sein?
Vizepräsidentin Petra Pau:
Bitte, Herr Staatssekretär. Bitte, Herr Staatssekretär.
Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
desministerin für Bildung und Forschung: minister des Innern:
Sehr geehrte Frau Kollegin Alpers, diese Frage ist Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie folgt:
von der Sache her interessant, richtet sich allerdings an Die Ressortabstimmung für den Entwurf eines Gesetzes
die 16 Bundesländer und müsste insofern den Zuständi- zur Vereinheitlichung und Beschleunigung von Planfest-
gen der jeweiligen Länder gestellt werden, weil es in de- stellungsverfahren – Planungsvereinheitlichungsgesetz –
ren Kompetenz steht, sowohl für den landeshoheitlichen ist noch nicht abgeschlossen, sodass eine Kabinettsbe-
Bereich Regelungen zu treffen als auch zu Abstimmun- fassung noch nicht möglich ist. Der Gesetzentwurf wird
gen zwischen den 16 Bundesländern zu kommen. derzeit überarbeitet. Insbesondere im Hinblick auf die
Änderung des Verwaltungsverfahrensgesetzes bedarf es
Vizepräsidentin Petra Pau: wegen der angestrebten einheitlichen Anpassung der
Verwaltungsverfahrensgesetze von Bund und Ländern
Eine weitere Nachfrage stellt jetzt der Kollege Kilic.
noch weiterer Abstimmungen mit den Ländern.
(A) Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- auch die Möglichkeit des Einlegens von Rechtsmitteln (C)
NEN): mit nach vorne gezogen werden?
Erst einmal nicht. Nehmen wir die nächste Frage.
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Vizepräsidentin Petra Pau: minister des Innern:
Gut. – Dann kommen wir zur Frage 79 des Kollegen All das muss überlegt werden. Im Planungsrecht ha-
Hofreiter: ben wir das Problem, dass sich die Planungszeiträume
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den immer weiter verlängern. Wie wir erleben, führen diese
aktuellen Diskussionen um die Verbesserung der Bürgerbetei- langen Planungszeiträume gerade nicht zu einer größe-
ligung an Planungsprozessen im Hinblick auf die Inhalte des ren Akzeptanz bei der Bevölkerung. Deshalb befinden
Planungsvereinheitlichungsgesetzes, und wie bewertet die
Bundesregierung die vielfach vorgeschlagene Einrichtung ei-
wir uns immer im Spannungsverhältnis: auf der einen
ner frühzeitigen Bürgerbeteiligung im Planfeststellungsrecht? Seite dem Bürger Rechtsmittel zu ermöglichen, auf der
anderen Seite die Planungsverfahren nicht immer weiter
Bitte, Herr Staatssekretär. auszudehnen, weil das geradezu kontraproduktiv für die
Akzeptanz ist.
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister des Innern: Vizepräsidentin Petra Pau:
Die Bundesregierung prüft derzeit eine Ergänzung Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs des
des Gesetzentwurfs über die Einführung zusätzlicher Bundesministeriums des Innern. – Herzlichen Dank,
Formen einer frühen Öffentlichkeitsbeteiligung im Plan- Herr Staatssekretär.
feststellungverfahren. Dabei werden verschiedene
Lösungsmöglichkeiten, etwa die von Baden-Württem- Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
berg als Bundesratsinitiative geplanten Ergänzungsvor- ministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung der Fra-
schläge, berücksichtigt. gen steht der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut
Koschyk zur Verfügung.
Vizepräsidentin Petra Pau: Ich rufe die Frage 80 der Kollegin Behm auf:
Ihre Nachfrage, bitte. Inwieweit liegen der Bundesregierung Erkenntnisse über
die Mitarbeit ehemaliger Haupt- und Inoffizieller Mitarbeiter
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR in der
Treuhandanstalt und den zur Treuhandanstalt gehörenden Un-
NEN): ternehmen vor, und welche Erkenntnisse wurden insbeson-
(B) Was kann man sich unter einer „frühen Beteiligung“ dere aus den Ergebnissen der Verfügung des damaligen Präsi- (D)
vorstellen? Das aktuelle Problem ist: Manchmal ist der denten der Treuhandanstalt, Dr. Detlev Rohwedder, vom
Plan erst nach vielen Monaten oder sogar Jahren Arbeit 15. Januar 1991 gezogen, dass alle Aufsichtsratsmitglieder,
Vorstandsmitglieder, Geschäftsführer und Personalleiter in
– wenn es sich um ein kompliziertes Infrastrukturpro- den Unternehmen der Treuhandanstalt eine Erklärung zu ihrer
blem handelt – komplett fertiggestellt. Dann ist es ver- Nichtmitarbeit für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen
ständlich, dass man nicht mehr groß etwas ändern will. DDR unterzeichnen sollen?
Heißt „frühe Beteiligung“, dass die Bürger bereits bei Bitte, Herr Staatssekretär.
Grundsatzentscheidungen beteiligt werden sollen, wie
zum Beispiel im Straßenbau beim Linienfindungsverfah- Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun-
ren, oder bereits im Raumordnungsverfahren? Wie kann desminister der Finanzen:
man sich das praktisch vorstellen, und was wird disku-
Frau Präsidentin, herzlichen Dank. – Frau Kollegin
tiert?
Behm, ich möchte Ihre Frage wie folgt beantworten:
Grundsätzlich bestand zwischen der damaligen Bundes-
Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär beim Bundes- regierung und der Treuhandanstalt Einvernehmen, dass
minister des Innern: diese keine politisch belasteten Personen beschäftigen
All die Punkte, die Sie angesprochen haben, müssen soll, weder in der Anstalt selbst noch in leitender Stel-
jetzt überlegt werden. Darauf basierend werden wir den lung in den Treuhandunternehmen und deren Organen.
Gesetzentwurf ändern. Das Zerschlagen von sogenannten Seilschaften und die
Verhinderung der Etablierung von belasteten Kadern wa-
Vizepräsidentin Petra Pau: ren für die Treuhandanstalt sowohl unter ihrem Präsi-
Haben Sie noch eine Nachfrage? denten Dr. Detlev Karsten Rohwedder als auch unter
Präsidentin Birgit Breuel von besonderer Bedeutung.
Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das von Ihnen in der Frage angesprochene Schreiben
NEN): des Präsidenten vom 15. Januar 1991 zur politischen
Sind auch für die frühe Beteiligung Rechtsmittel vor- Vergangenheit von Personen mit Leitungsfunktionen in
gesehen? Derzeit besteht ein großes Problem darin, dass Beteiligungsunternehmen der Treuhandanstalt wurde
Rechtsmittel erst eingelegt werden können, wenn die unter der Präsidentschaft von Birgit Breuel mit Schrei-
Angelegenheit abgeschlossen ist. Unter Umständen wird ben vom 7. August 1991 nochmals verstärkt. Im Februar
vor Gericht dann eine fertige Planung verworfen, was 1991 waren auch alle Mitarbeiter der Zentrale und der
natürlich auch für den Planenden unangenehm ist. Soll Niederlassungen der Treuhandanstalt aufgefordert wor-
10856 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
(A) Vizepräsidentin Petra Pau: hat, zieht. Ich will einen Bereich nennen. Um in Zukunft (C)
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage. bei Schieflagen von Banken nicht gleich wieder den
Steuerzahler in Haftung zu nehmen, haben wir entschie-
den, eine Bankenabgabe zu erheben, mit der ein Restruk-
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE
turierungsfonds zur Lösung künftiger Schieflagen von
GRÜNEN):
Banken finanziert werden soll. Sie sehen an den ver-
Im Gegensatz zu Ihnen fallen mir in diesem Zusam- schiedenen Stabilisierungsmaßnahmen, dass die Bundes-
menhang nicht in erster Linie die erneuerbaren Energien regierung durchaus Konsequenzen aus der Finanzmarkt-
als Beispiel ein, krise zieht. Die Bankenabgabe ist eine solche
(Zuruf von der FDP: Glaube ich!) Konsequenz. Sicherlich wird man darüber nachdenken
müssen, ob man in zukünftigen Krisen ähnlich stabilisie-
sondern die Kernenergie, in die ungeheuer viel investiert rende Maßnahmen wie in der Vergangenheit ergreifen
worden ist. Da hier die Unternehmen praktisch als Geld- wird.
druckmaschinen funktionieren, frage ich, ob man dem
Steuerzahler nicht etwas zurückgeben könnte. Aber das Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE
will ich jetzt nicht vertiefen. GRÜNEN):
Meine Frage lautet: Wird denn daran gedacht, in Zu- Auf die Banken kommen wir noch zurück.
kunft Rückzahlungsvereinbarungen mit staatlich unter-
stützten privaten Industrieunternehmen zu schließen, die Vizepräsidentin Petra Pau:
Profite machen und Dividenden ausschütten? Das Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
scheint mir als normal denkender Mensch, als Steuer-
zahler und Abgeordneter eigentlich gerecht zu sein. Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
desminister der Finanzen: destages auf morgen, Donnerstag, den 17. März 2011,
Herr Ströbele, man wird sicherlich generell überlegen 9 Uhr, ein.
müssen, welche Konsequenzen man aus den Maßnah- Die Sitzung ist geschlossen.
men, die die Bundesregierung zur Abfederung der volks-
wirtschaftlichen Folgen der Finanzmarktkrise getroffen (Schluss: 17.14 Uhr)
(B) (D)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10859
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten
van Aken, Jan DIE LINKE 16.03.2011 Senger-Schäfer, Kathrin DIE LINKE 16.03.2011
Dr. Danckert, Peter SPD 16.03.2011 Zimmermann, Sabine DIE LINKE 16.03.2011
(A) Einen Nachholbedarf gibt es jedoch beim Frauen- Weitere Stellungnahmen gingen ein von: (C)
anteil in Führungspositionen. Das wurde bereits bei der
– Nationale Armutskonferenz
3. Bilanz gemeinsam konstatiert. Der Koalitionsvertrag
für die 17. Legislaturperiode greift deshalb die Förde- – Kommissariat der deutschen Bischöfe
rung von Frauen in Führungspositionen auf. Wir werden
prüfen, ob und inwiefern die Gesetze geändert und ef- – Bundesverband Diakonie
fektiver gestaltet werden müssen. – Deutscher Caritasverband
Bundesminister Brüderle hat einen „Nationalen Pakt – Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberver-
für mehr Frauen in Führungspositionen“ vorgeschlagen. bände (BDA)
Vorbild ist der erfolgreiche Ausbildungspakt, den wir Der Textentwurf zum NRP befindet sich derzeit in der
gerade erneuert und mit neuen Akzenten versehen ha- Abstimmung zwischen den Bundesressorts sowie mit
ben. den Bundesländern. Inhaltliche Aussagen zu einzelnen
Textpassagen sind daher zurzeit nicht möglich.
Die Unternehmen haben angesichts des drohenden
Fachkräftemangels verstanden, dass sie auf dem Gebiet
der Förderung von Frauen in Führungspositionen mehr Anlage 5
tun müssen als in den letzten zehn Jahren, um attraktive
Arbeitgeber zu sein und Entwicklungspotenziale zu nut- Antwort
zen. des Parl. Staatssekretärs Peter Hintze auf die Frage der
Abgeordneten Dr. Eva Högl (SPD) (Drucksache 17/5015,
Frage 6):
Anlage 4 Wie gedenkt die Bundesregierung bei der Umsetzung der
Beschäftigungsziele des Nationalen Reformprogramms ge-
Antwort ringqualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie
Menschen mit Migrationshintergrund zu berücksichtigen, und
des Parl. Staatssekretärs Peter Hintze auf die Frage der wieso gibt es für geringqualifizierte Arbeitnehmerinnen und
Abgeordneten Dr. Eva Högl (SPD) (Drucksache 17/5015, Arbeitnehmer sowie Migrantinnen und Migranten bisher
Frage 5): keine konkreten Beschäftigungsziele?
Welche Nichtregierungsorganisationen und Sozialpartner Zum ersten Teil der Frage: Wie die Bundesregierung
hat die Bundesregierung vor oder während der Formulierung die Arbeitsmarktbelange geringqualifizierter Arbeitneh-
des Entwurfs des Nationalen Reformprogramms Deutschland, merinnen und Arbeitnehmer sowie von Menschen mit
Draft-NRP, konsultiert, und welche Forderungen von Nichtre-
(B) gierungsorganisationen und Sozialpartnern wurden von der Migrationshintergrund in ihrem Ansatz zur Anhebung (D)
Bundesregierung bei der Formulierung des Entwurfs des der Erwerbstätigenquote im Rahmen der Europa-2020-
Draft-NRP übernommen? Strategie berücksichtigt, wird im Einzelnen im Nationa-
len Reformprogramm der Bundesregierung dargestellt.
Wie in der Einleitung des sogenannten „Draft-NRP“
Wie bereits zur vorherigen Frage ausgeführt, befindet
vom 12. November 2010 selbst dargelegt, waren bei der
sich der Textentwurf zum NRP derzeit in der Abstim-
Erstellung dieses Entwurfs Sozialpartner und Nichtre-
mung zwischen den Bundesressorts sowie mit den Bun-
gierungsorganisationen nicht beteiligt, da es sich um ei-
desländern. Weitergehende inhaltliche Aussagen zu ein-
nen einmaligen und vorläufigen Bericht handelte.
zelnen Textpassagen sind daher zurzeit nicht möglich.
Im Zuge der Erstellung des eigentlichen NRP, das im Zum zweiten Teil der Frage: Der Europäische Rat hat
April 2011 in Brüssel vorgelegt wird, fanden mit folgen- am 25./26. März 2010 als eines von fünf Kernzielen im
den Organisationen Gespräche zum Inhalt und Aufbau Rahmen der Europa-2020-Strategie folgendes europäi-
des NRP statt: sche Ziel festgelegt: „Unter den 20- bis 64-jährigen
– Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) Frauen und Männern wird eine Beschäftigungsquote von
75 Prozent angestrebt, auch durch die vermehrte Einbe-
– Gemeinschaftsausschuss der Deutschen Gewerblichen ziehung von Jugendlichen, älteren Arbeitnehmern und
Wirtschaft Geringqualifizierten sowie die bessere Eingliederung
von legalen Migranten.“
– Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB)
Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, unter Berück-
– Deutscher Beamtenbund (DBB) sichtigung dieses Ziels ihr nationales Ziel und eventuell
– Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK) Unterziele festzulegen. Die Bundesregierung hat schon
frühzeitig das europäische Ziel auch als nationale Ziel-
– Deutscher Landkreistag setzung übernommen und strebt eine Erwerbstätigen-
quote von 75 Prozent im Jahr 2020 auch für Deutschland
– Deutscher Städte- und Gemeindebund an. Zusätzlich hat sich die Bundesregierung Unterziele
– Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) für zwei Gruppen gesetzt: Die Erwerbstätigenquote der
Frauen soll bis zum Jahr 2020 auf 73 Prozent steigen
Die Gesprächspartner wurden zudem eingeladen, auf und die der Älteren – das sind die 55- bis 64-Jährigen –
der Grundlage des Draft-NRP Stellungnahmen und auf 60 Prozent. Ich will darauf hinweisen, dass die we-
Kommentare für den endgültigen NRP einzureichen. nigsten Mitgliedstaaten, zumindest bislang, zusätzliche
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10861
(A) Unterziele unter Bezugnahme auf die vom Europäischen Der Anstieg der Verbraucherpreise betrug im Februar (C)
Rat genannten Untergruppen festgelegt haben. Lassen 2,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Hauptursache für
Sie mich aber auch ausdrücklich klarstellen, dass dies die höhere Teuerung sind steigende Preise für Energie-
auch nicht vom Europäischen Rat verlangt wird. Die güter und Nahrungsmittel auf den Weltmärkten. Ohne
Bundesregierung hat sich bei der Auswahl der Unter- Berücksichtigung der Energie hätte die Teuerung im Fe-
ziele auch davon leiten lassen, dass die Gruppen der bruar bei 1,2 Prozent gelegen. Gemäß ihrer im Rahmen
Frauen und der Älteren bereits in der Lissabon-Strategie des Jahreswirtschaftsberichts 2011 veröffentlichten Jah-
besondere Beachtung gefunden haben und Fortschritte resprojektion erwartet die Bundesregierung für den Jah-
insbesondere bei diesen Gruppen eine wesentliche Vo- resdurchschnitt 2011 eine Teuerung von 1,8 Prozent.
raussetzung für die Erreichung des Oberziels sind. Die
Festlegung weiterer Unterziele ist seitens der Bundesre- Der private Konsum als größtes Aggregat des Brutto-
gierung nicht geplant. inlandsprodukts trug bereits im vergangenen Jahr zum
Wachstum bei. Die privaten Konsumausgaben wuchsen
von Quartal zu Quartal stetig. Im Jahresverlauf nahmen
die privaten Konsumausgaben um 1,4 Prozent zu. Nach
Anlage 6 den aktuellen Daten trug die Binnennachfrage im ver-
Antwort gangenen Jahr mit 2,4 Prozentpunkten zu zwei Dritteln
zum Wachstum bei. Dies war der stärkste Beitrag der
des Parl. Staatssekretärs Peter Hintze auf die Frage der Binnennachfrage seit mehr als zehn Jahren. Für das Jahr
Abgeordneten Andrea Wicklein (SPD) (Drucksache 2011 geht die Bundesregierung von einem weiteren Zu-
17/5015, Frage 7): wachs der privaten Konsumausgaben aus. Auch das
Wie will die Bundesregierung die Förderprogramme des Wachstumsgewicht der Binnennachfrage dürfte sich wei-
Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie weiter ter erhöhen.
für die Kreativwirtschaft öffnen, um ihre Zusagen gegenüber
der Branche einzuhalten?
(A) Die Gesamteffekte der Anpassungsleistungen zum Die Förderung der beruflichen Teilhabe behinderter (C)
Abbau übermäßiger Ungleichgewichte sind nicht genau und schwerbehinderter Menschen ist ein zentrales Ele-
quantifizierbar. Das gilt somit auch für die innereuropäi- ment der Arbeitsmarktpolitik der Bundesregierung. An-
schen Exportaussichten der deutschen Wirtschaft. Die gesichts der sich verbessernden Lage auf dem Arbeits-
Bundesregierung geht aber davon aus, dass sich die markt und eines sich abzeichnenden Fachkräftemangels
Maßnahmen in den einzelnen Ländern vertrauensbildend ist es ein wichtiges Ziel, die Integrationschancen
für die Stabilität der Euro-Zone als Ganzes auswirken. schwerbehinderter Menschen zu verbessern und die sich
bietenden Potenziale zu nutzen. Die Bundesregierung
prüft derzeit im Rahmen des Nationalen Aktionsplans
Anlage 10 zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention
konkrete Maßnahmen, mit denen die Beschäftigungs-
Antwort situation von Menschen mit Behinderung weiter verbes-
des Parl. Staatssekretärs Peter Hintze auf die Frage des sert werden kann.
Abgeordneten Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN) (Drucksache 17/5015, Frage 11):
Anlage 12
Wie gedenkt die Bundesregierung die in Art. 3 Abs. 1 Buch-
stabe f des Beschlusses des Rates vom 10. Dezember 2010 Antwort
über staatliche Beihilfen zur Erleichterung der Stilllegung nicht
wettbewerbsfähiger Steinkohlebergwerke (2010/787/EU) fest-
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die
gelegten Reduzierungsschritte des Gesamtbetrages der Still-
legungsbeihilfen für den Steinkohlebergbau in Einklang zu Frage der Abgeordneten Katja Mast (SPD) (Drucksa-
bringen mit den in § 3 des Steinkohlefinanzierungsgesetzes che 17/5015, Frage 13):
bis 2019 zur Verfügung gestellten Plafondmitteln für den
Steinkohlebergbau zuzüglich der vom Land Nordrhein-West- In welcher Weise wird die Bundesregierung Forschung
falen im Rahmen der Vereinbarung zum Steinkohlebergbau und Entwicklung zu universellem Design sowie für neue
2007 zugesagten Mittel, und weshalb hat die Bundesregierung Technologien, die für Menschen mit Behinderung geeignet
in ihrem aktuell in den Deutschen Bundestag eingebrachten sind, fördern?
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Steinkohlefinanzie-
rungsgesetzes (Bundestagsdrucksache 17/4805) keine dem Die Bundesregierung fördert mit verschiedenen An-
oben genannten Beschluss des Rates entsprechende Reduzie- sätzen die generationenübergreifende Gestaltung von
rung der Plafondmittel vorgesehen? Produkten und Dienstleistungen nach den Prinzipien des
universellen Designs.
Der Beschluss des Rates 2010/787/EU vom 10. De-
(B) zember 2010 über staatliche Beihilfen zur Erleichterung (D)
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung
der Stilllegung nicht wettbewerbsfähiger Steinkohle- fördert beispielsweise die Entwicklung von altersgerech-
bergwerke fordert in Art. 3 Abs. 1 lit. f konkrete Redu- ten Assistenzsystemen für ein gesundes und unabhängi-
zierungsschritte für die Entwicklung der sogenannten ges Leben. Diese Systeme sind grundsätzlich geeignet,
Stilllegungsbeihilfen, das sind Betriebsbeihilfen für still- auch behinderte Menschen zu unterstützen und ihnen
zulegende Bergwerke. Nicht betroffen von diesen Vorga- eine aktive Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu er-
ben sind Beihilfen zur Deckung außergewöhnlicher Kos- möglichen. Das Projekt „Mobil bis ins hohe Alter – naht-
ten nach Art. 4. Darunter fallen Beihilfen für Altlasten lose Mobilitätsketten zur Beseitigung, Umgehung und
und für Stilllegungsaufwendungen. Überwindung von Barrieren“ legt den Schwerpunkt auf
Die Bundesregierung wird dafür Sorge tragen, dass die technisch assistierte Mobilitätslösungen für ältere Men-
Maßgaben des EU-Beschlusses umgesetzt werden. Das schen. Darüber hinaus werden Forschungs- und Ent-
Steinkohlefinanzierungsgesetz sieht für die Hilfen nach wicklungsvorhaben gefördert, die ein hohes Innova-
den Art. 3 und 4 jeweils einen zusammenfassenden jähr- tionspotenzial für das Zukunftsfeld „Mensch–Technik–
lichen Plafond vor. Da das Steinkohlefinanzierungsgesetz Kooperation“ besitzen. Behinderte Menschen sollen hier
lediglich Höchstbeträge für Plafondmitteln definiert, ist von den technologischen Innovationen profitieren.
zur Umsetzung der Reduzierungsschritte für die Betriebs-
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technolo-
beihilfen eine Gesetzesänderung nicht erforderlich.
gie hat 2009 eine Studie zu den wirtschaftlichen Impul-
sen des universellen Designs vorgestellt. Im Anschluss
daran werden 10 Unternehmerkonferenzen bis zum Jahr
Anlage 11 2012 durchgeführt, bei denen das Konzept des universel-
Antwort len Designs in verschiedenen Wirtschaftsbereichen ins-
besondere mit kleinen und mittleren Unternehmen erör-
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die tert werden soll.
Frage der Abgeordneten Katja Mast (SPD) (Drucksa-
che 17/5015, Frage 12): Darüber hinaus fördert das Bundesministerium für
Arbeit und Soziales mit den Mitteln der Ausgleichsab-
Welche neuen Maßnahmen und Initiativen plant die Bun-
gabe Modellprojekte, die sich auch mit den notwendigen
desregierung, um mehr Chancengleichheit von Menschen mit
Behinderung am Arbeitsmarkt und mehr Arbeitsplätze für Hilfen und Unterstützungen bei der technischen Arbeits-
Menschen mit Behinderung zu erreichen? platzanpassung beschäftigen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10863
(A) UN-Behindertenrechtskonvention zur Anerkennung von die Aufgabe, ein flächendeckendes Angebot zur inter- (C)
Menschen mit Behinderungen als Rechtssubjekte. kulturellen und migrationsspezifischen Qualifizierung
der Beratungsfachkräfte in den Regelinstitutionen vor
Auch wenn die meisten Rechte der Konvention nicht Ort (insbesondere Jobcenter) bereitzustellen.
„selbst-vollziehend“ sind, haben alle Rechte der Kon-
vention Auswirkungen auf die Auslegung von bestehen- Ein weiteres wichtiges Programm der Bundesregie-
den Gesetzen. Wie das Grundgesetz so sind auch die rung zur Verbesserung der Arbeitsmarktintegration von
einfachen Gesetze des Bundes und der Länder völker- Migrantinnen und Migranten ist das Bundesprogramm
rechtskonform auszulegen und die Zielsetzungen der für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge. Es zielt darauf ab,
UN-Behindertenrechtskonvention zu beachten. die spezielle Zielgruppe der Ausländerinnen und Aus-
länder, die derzeit nur ein Bleiberecht auf Probe haben,
Sensibilisierungsmaßnahmen für unterschiedliche Be- dabei zu unterstützen, ihren Lebensunterhalt eigenstän-
rufsgruppen, darunter auch Mitarbeiterinnen und Mitar- dig zu sichern, damit sie dauerhaft in Deutschland leben
beiter von Behörden sowie Richterinnen und Richter, können.
werden Gegenstand des Nationalen Aktionsplans der
Bundesregierung zur Umsetzung der UN-Behinderten- In der ersten Förderrunde wurden von Juni 2008 bis
rechtskonvention sein. Zu beachten ist jedoch, dass für Oktober 2010 11 400 Menschen gefördert; davon wur-
die Fort- und Weiterbildung der im Landesdienst stehen- den 54 Prozent in Arbeit oder Ausbildung vermittelt.
den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie der Richte- Eine zweite Förderrunde startete im Juni 2010.
rinnen und Richter vor allem die Länder zuständig sind. Darüber hinaus ist beispielsweise der ESF-unter-
stützte „Mikrokreditfonds Deutschland“ des BMAS und
des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technolo-
Anlage 17 gie, BMWi, der Kleinkredite an Existenzgründer vergibt,
Antwort ausgesprochen effektiv beim Erreichen dieser Ziel-
gruppe. Seit dem Programmstart vor gut einem Jahr gin-
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die gen mehr als 40 Prozent der circa 1 800 vergebenen Kre-
Frage des Abgeordneten Michael Groß (SPD) (Druck- dite an Kleinunternehmer mit Migrationshintergrund.
sache 17/5015, Frage 20):
Insgesamt profitieren Migrantinnen und Migranten
Wie beurteilt die Bundesregierung die Wirksamkeit der di-
versen Programme und Instrumente zur Integration von Per-
vom kräftigen Aufschwung am deutschen Arbeitsmarkt
sonen mit migrationsspezifischen Problemlagen in Ausbil- durch sinkende Arbeitslosigkeit.
dung, Arbeit oder Selbstständigkeit?
Dennoch liegt die Arbeitslosenquote von Ausländern
(B) Die Bundesregierung ist bestrebt, die Programme und noch immer deutlich höher als die der Deutschen (D)
Instrumente zur Verbesserung der Integration von Perso- – 15,9 Prozent gegenüber 7,3 Prozent, Stand: Januar 2011).
nen mit Migrationshintergrund in den Arbeitsmarkt kon- Die Bundesregierung wird deshalb ihre vielfältigen An-
tinuierlich auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen und strengungen für eine verbesserte Arbeitsmarktintegra-
fortzuentwickeln. tion von Migrantinnen und Migranten konsequent fort-
setzen.
Ein Großteil der Maßnahmen der Ausbildungsförde-
rung richtet sich nicht ausschließlich an Personen mit
Migrationshintergrund, sondern in der Regel an Jugend- Anlage 18
liche mit besonderem Unterstützungsbedarf. Jugendliche
mit Migrationshintergrund können von diesen Maßnah- Antwort
men häufig in besonderem Maße profitieren, da sie in des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die
den jeweiligen Zielgruppen in der Regel stark vertreten Frage des Abgeordneten Michael Groß (SPD) (Druck-
sind. Mit der Initiative „Abschluss und Anschluss – Bil- sache 17/5015, Frage 21):
dungsketten bis zum Ausbildungsabschluss“ hat das
Mit welchen konkreten Initiativen wird die Bundesregie-
Bundesministerium für Bildung und Forschung, BMBF, rung darauf hinwirken, die derzeit existierenden Programme
positiv evaluierte Ansätze aufgegriffen und zu einem und Instrumente zur Integration von Personen mit migrations-
strategischen Gesamtkonzept weiterentwickelt. spezifischen Problemlagen in Ausbildung, Arbeit oder Selbst-
ständigkeit der Europäischen Union, des Bundes und der Län-
Die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, der aufeinander abzustimmen?
BMAS, in Auftrag gegebene SGB-II-Wirkungsanalyse
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat
ergibt für den Bereich der Grundsicherung für Arbeitsu-
schon im Rahmen der 44. Sitzung des Ausschusses für
chende, dass die Beratungsfachkräfte in den untersuch-
Arbeit und Soziales am 19. Januar 2011 ausführlich über
ten Grundsicherungsstellen zum Untersuchungszeit-
die Aktivitäten der Bundesregierung zur nachhaltigen
punkt 2008 nur selten über Konzepte und Strategien für
Verbesserung der Situation von Menschen mit Migrations-
den Umgang mit migrationsspezifischen Problemen ver-
hintergrund auf dem Arbeitsmarkt berichtet, Ausschuss-
fügen und in der Regel nicht hinreichend für die Belange
drucksache 17(11)429 vom 24. Februar 2011.
von Personen mit Migrationshintergrund qualifiziert und
sensibilisiert sind. Hierauf hat die Bundesregierung re- Der Koalitionsvertrag zur 17. Legislaturperiode sieht
agiert und wird ab Mitte 2011 das Förderprogramm „In- die Weiterentwicklung des Nationalen Integrationsplans,
tegration durch Qualifizierung“ zu einer bundesweiten NIP, zu einem Nationalen Aktionsplan, NAP, mit kon-
Struktur regionaler Netzwerke ausbauen. Diese haben kreten, verbindlichen und überprüfbaren Zielvorgaben
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10865
(A) vor. Diesen Folgeprozess hat die Bundeskanzlerin am Während der Anlaufphase des Programms im Jahr (C)
3. November 2010 im Rahmen des vierten Integrations- 2009 nahmen rund 9 500 Personen teil. Im Jahr 2010
gipfels eingeleitet. waren es bereits 18 000 Teilnehmerinnen und Teilneh-
mer. Erste Abfragen bei den Kursträgern beschreiben
Zur Erarbeitung des Aktionsplans wurden elf Dialog- eine Vermittlungsquote in den ersten Arbeitsmarkt von
foren eingerichtet, die die Themenfelder des NIP fort- circa 20 bis 30 Prozent. Genauere Erkenntnisse zu den
führen und erweitern sollen. Ziel des NAP-Prozesses ist Integrationsfortschritten werden zukünftig von der Ende
es insbesondere – neben der Erarbeitung von verbindli- 2010 gestarteten Evaluierung des Programms erwartet.
chen Zielvorgaben –, bestehende und geplante Integra-
tionsprogramme stärker aufeinander abzustimmen und
nachhaltig auszugestalten. Anlage 21
Parallel zur Erarbeitung des NAP erörtert und prüft die Antwort
Bundesregierung im Rahmen einer Ressortabstimmung
derzeit die Möglichkeiten einer stärkeren Vernetzung und des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Fra-
Bündelung bestehender Integrationsprogramme der ver- gen der Abgeordneten Aydan Özoğuz (SPD) (Drucksa-
schiedenen Bundesministerien. che 17/5015, Fragen 24 und 25):
Wie hoch ist der Anteil von Mitteln der Europäischen
Außerdem bereitet die Bundesregierung die Grün- Union an den Programmen der Bundesregierung, die zur
dung eines Bundesbeirates für Integration vor, der die Überwindung von migrationsspezifischen Problemlagen die-
Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flücht- nen bzw. an denen Personen mit migrationsspezifischen Pro-
linge und Integration bei der Erfüllung ihrer Aufgaben blemlagen besonders partizipieren?
beraten und unterstützen soll. Welche internationalen Beispiele hält die Bundesregierung
für nachahmenswert, wenn es darum geht, die Vermittlung
von Ausländern und Personen mit Migrationshintergrund in
Ausbildung, Arbeit oder eine Selbstständigkeit zu verbessern,
Anlage 19 und wie lassen sich diese auf Deutschland übertragen?
(A) Kredite an Kleinunternehmer mit Migrationshintergrund hintergrund“ zeigen, dass häufig sprachliche Verständi- (C)
ausgegeben. gungsschwierigkeiten zwischen den Fachkräften in den
Jobcentern und den Kunden mit Migrationshintergrund
Eine wichtige Ergänzung nationaler Integrationsför- bestehen. Dieses Problem haben die Träger der Grund-
derprogramme stellt auch der Europäische Integrations- sicherung für Arbeitsuchende erkannt und nutzen umfas-
fonds, EIF, dar. Ziel des EIF ist es, die EU-Mitgliedstaa- send die Möglichkeiten des Zugangs zu Integrationskur-
ten bei der Integration von Drittstaatsangehörigen mit sen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge,
unterschiedlichem ethnischen, sprachlichen, kulturellen, BAMF, für Leistungsberechtigte nach dem SGB II.
sozialen und religiösen Hintergrund zu unterstützen. Zur
Förderung von Integrationsmaßnahmen im Rahmen des Gemeinsam mit der Integrationsbeauftragten der
EIF standen Deutschland im Jahr 2010 Mittel in Höhe Bundesregierung und dem BMAS hat die BA eine „Ge-
von 13,582 Millionen Euro zur Verfügung. meinsame Initiative zur Verbesserung der Arbeitsmarkt-
integration von Menschen mit Migrationshintergrund“
Zu Frage 25: gestartet. Ebenso ist das Netzwerk „Integration durch
Qualifizierung“, IQ, ein gutes Beispiel. Darüber hinaus
Bei ihren Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeits- sind die Angebote des virtuellen Arbeitsmarktes der BA,
marktintegration von Migrantinnen und Migranten be- JOBBÖRSE, in sechs Sprachen verfügbar.
achtet die Bundesregierung fortlaufend Erfahrungen und
Erkenntnisse auch aus anderen Ländern und lässt diese
in die Programmgestaltung einfließen. Sie berücksichtigt Anlage 23
dabei sowohl Ergebnisse laufender Evaluierungen der
Instrumente der Arbeitsmarktpolitik als auch Ergebnisse Antwort
internationaler Vergleichsuntersuchungen, insbesondere des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die
der OECD. Frage der Abgeordneten Bärbel Bas (SPD) (Drucksache
Im Rahmen des Nationalen Aktionsplans wurde das 17/5015, Frage 29):
Dialogforum „Migranten im öffentlichen Dienst“ unter Sieht die Bundesregierung einen Bedarf, die Nachteile am
Federführung des Bundesministeriums des Innern einge- Arbeitsmarkt, die aus der Staatsangehörigkeit, der ethnischen
richtet. Dort werden konkrete Maßnahmen entwickelt, Herkunft oder der mangelnden Beherrschung der deutschen
Sprache resultieren, als Auftrag an die Arbeitsverwaltung in
um den Anteil der Personen mit Migrationshintergrund § 1 Abs. 1 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, SGB II, zu
an allen Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund, verankern, und wenn nein, warum nicht?
Ländern und Kommunen zu erhöhen.
Eine gesetzliche Regelung im Sinne der Fragestellung
(B) Ein weiteres arbeitsmarkpolitisches Handlungsfeld, wäre nicht zielführend. Das Gesetz, § 1 Abs. 1 Zweites (D)
bei dem Ansätze aus anderen Ländern wichtige Impulse Buch Sozialgesetzbuch – SGB II, beschreibt im Sinne
liefern, ist die Unterstützung von Migrantinnen und von Programmsätzen die Aufgaben und Ziele der Grund-
Migranten beim Schritt in die Selbstständigkeit. Um sicherung für Arbeitsuchende. Die Träger der Grund-
Problemen bei der Kreditbeschaffung zur Gründungsfi- sicherung für Arbeitsuchende berücksichtigen in diesem
nanzierung zu begegnen, haben beispielsweise die Nie- Rahmen sämtliche individuellen arbeitsmarktbezogenen
derlande staatlich finanzierte Mikrokreditprogramme für Handlungsbedarfe. Das gilt auch, soweit sie sich aus der
Unternehmensgründerinnen und -gründer mit Migra- Staatsangehörigkeit, der ethnischen Herkunft oder der
tionshintergrund aufgelegt. Die Bundesregierung hat mit mangelnden Beherrschung der deutschen Sprache erge-
dem „Mikrokreditfonds Deutschland“, der vom Europäi- ben können.
schen Sozialfonds unterstützt wird, ein ähnliches Instru-
Über die allgemeinen Programmsätze hinaus gibt § 3
ment erfolgreich umgesetzt.
Abs. 2b SGB II der Verwaltung einen konkreten Hand-
lungsauftrag: Wenn die Kenntnisse der deutschen Sprache
unzureichend sind, müssen die Grundsicherungsstellen auf
Anlage 22
die Teilnahme an einem Integrationskurs hinwirken. Da-
Antwort rüber hinaus muss eine verbindliche Vereinbarung zur
Teilnahme am Integrationskurs als Bestandteil des für das
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die SGB II maßgeblichen Leitgedankens des Förderns und
Frage des Abgeordneten Oliver Kaczmarek (SPD) Forderns in die Eingliederungsvereinbarung aufgenom-
(Drucksache 17/5015, Frage 28): men werden, soweit eine unmittelbare Vermittlung in
Wie hoch ist der Anteil von Beschäftigten mit Migrations- Ausbildung oder Arbeit nicht möglich ist.
hintergrund in den Jobcentern und Optionskommunen, insbe-
sondere im Fallmanagement, und welche Bedeutung misst die
Bundesregierung sprachlichen Verständigungsschwierigkei-
ten von Mitarbeitern der Grundsicherungsstellen und deren Anlage 24
Kunden bei?
Antwort
Der Bundesregierung liegen zum Anteil der Beschäf-
tigten mit Mitgrationshintergrund in den Jobcentern des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Fra-
keine Angaben vor. gen des Abgeordneten Michael Gerdes (SPD) (Druck-
sache 17/5015, Fragen 30 und 31):
Die Ergebnisse des BMAS-Forschungsprojektes Welche Programme und Instrumente zur Integration von
„Wirkungen des SGB II auf Personen mit Migrations- Personen mit migrationsspezifischen Problemlagen in Ausbil-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10867
(A) dung, Arbeit oder Selbstständigkeit sind seit dem Regierungs- sehr unterschiedlich sein können. Überschneidungen (C)
wechsel 2009 neu eingeführt worden? sind punktuell nicht immer zu vermeiden.
An welchen Stellen sind diese Programme und Instru-
mente deckungsgleich bzw. überschneiden sich inhaltlich? Um diese Überschneidungen zu minimieren und posi-
tive Synergieeffekte zu erzielen, stimmen sich die Bun-
Zu Frage 30: desressorts regelmäßig ab. Hierzu dient insbesondere der
aktuell laufende Prozess der elf Dialogforen des Natio-
Die Bundesregierung unterstützt die Integration von nalen Aktionsplans. Zudem gibt es derzeit eine Ressort-
Menschen mit Migrationshintergrund durch eine Viel- abstimmung, die die einzelnen integrationsrelevanten
zahl von Maßnahmen und Programmen. Auf dem Programme zusammentragen soll, um mögliche Syner-
4. Integrationsgipfel der Bundeskanzlerin am 3. No- gieeffekte zu prüfen.
vember 2010 wurde beschlossen, den Nationalen Inte-
grationsplan zu einem Nationalen Aktionsplan mit klar
definierten und zu überprüfenden Zielvorgaben weiter-
Anlage 25
zuentwickeln. Darüber hinaus stimmt die Bundesregie-
rung derzeit ein neues Gesetz zur Anerkennung auslän- Antwort
discher Berufsabschlüsse ab und baut das Programm
„Integration durch Qualifizierung“ regional und inhalt- des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die
lich aus. Frage der Abgeordneten Doris Barnett (SPD) (Drucksa-
che 17/5015, Frage 32):
Mit dem Start des „Mikrokreditfonds Deutschland“ Welche Auswirkungen wird nach Einschätzung der Bun-
– insbesondere für Existenzgründerinnen und -gründer – desregierung die ab Mai 2011 eingeführte Umsetzung der Ent-
wurde Anfang 2010 ein wirksames Instrument zur Grün- senderichtlinie auf den deutschen Arbeitsmarkt haben, und in
dungsunterstützung eingeführt, das sich insbesondere an welchem Maße würde die Einführung eines gesetzlichen Min-
destlohnes in Deutschland der Gefahr eines damit einherge-
Personen mit Migrationshintergrund richtet. henden Lohndumpings entgegenwirken?
Außerdem wurde im Oktober 2010 mit dem Aufbau Die Richtlinie über die Entsendung von Arbeitneh-
des Lernportals „ich-will-deutsch-lernen.de“ begonnen. mern im Rahmen der Erbringung von Dienstleistungen,
Schließlich wurde das ESF-unterstützte Bundespro- RL 96/71/EG – Entsenderichtlinie, wird in Deutschland
gramm für Bleibeberechtigte und Flüchtlinge um eine durch das Gesetz über zwingende Arbeitsbedingungen
zweite Förderrunde verlängert, und auch das Programm für grenzüberschreitend entsandte und für regelmäßig im
„XENOS-Integration und Vielfalt“ soll dieses Jahr in Inland beschäftigte Arbeitnehmer und Arbeitnehmerin-
eine zweite Förderrunde gehen. nen, Arbeitnehmer-Entsendegesetz – AEntG, umgesetzt.
(B) Im Hinblick auf die arbeitsmarktpolitischen Instru- Das 1996 in Kraft getretene und zuletzt im Jahr 2009 ge- (D)
mente ist darauf hinzuweisen, dass grundsätzlich allen änderte AEntG setzt die Richtlinie vollständig um; wei-
Personen mit Migrationshintergrund bei Vorliegen der tere Umsetzungen der Entsenderichtlinie sind derzeit
individuellen Voraussetzungen auch alle arbeitsmarktpo- weder erforderlich noch geplant.
litischen Maßnahmen zur Verfügung stehen. Soweit mit dem Datum Mai 2011 das Auslaufen der
Die Erhöhung der Ausbildungsbeteiligung von Ju- Übergangsbestimmungen für die 2004 beigetretenen
gendlichen mit Migrationshintergrund ist ein Ziel des am Mitgliedstaaten (Polen, Ungarn, Tschechien, Slowakei,
26. Oktober 2010 beschlossenen „neuen“ Nationalen Slowenien, Estland, Lettland, Litauen, sogenannte EU-8)
Paktes für Ausbildung und Fachkräftesicherung. So ha- zum 1. Mai 2011 angesprochen sein sollte, hat dieses
ben die Paktpartner für diesen Personenkreis entspre- Datum auf die Umsetzung der Entsenderichtlinie keinen
chende Maßnahmen, zum Beispiel die Durchführung Einfluss.
von regionalen Ausbildungskonferenzen oder von El- Der deutsche Arbeitsmarkt wurde in der Übergangs-
ternkonferenzen, vereinbart. In diesem Zusammenhang zeit schrittweise an die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit
ist auch die neue Initiative „Abschluss und Anschluss – herangeführt. In Bezug auf die Auswirkungen der vollen
Bildungsketten bis zum Ausbildungsabschluss“ des Freizügigkeit wird überwiegend erwartet, dass die Zu-
Bundesministeriums für Bildung und Forschung zu er- wanderung aus den EU 8 zwar steigen, jedoch begrenzt
wähnen. Hier werden Jugendliche an Haupt- und Förder- bleiben wird. Ein „Ansturm“ wird nicht erwartet. Soweit
schulen individuell in ihrem Entwicklungsprozess unter- Maßnahmen zur sozialen Flankierung des Auslaufens
stützt, das heißt vom Berufswahlprozess über den der Übergangsbestimmungen erforderlich sind, besteht
Übergang in eine betriebliche Ausbildung bis hin zum in besonders betroffenen Branchen die Möglichkeit, mit
Ausbildungsabschluss. Da Kinder und Jugendliche mit dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz branchenspezifische
Migrationshintergrund an Hauptschulen mit 27,6 Pro- Mindestlöhne festzusetzen.
zent überrepräsentiert sind, ist davon auszugehen, dass
sie von dieser Initiative besonders profitieren werden.
Anlage 26
Zu Frage 31:
Antwort
Grundsätzlich verfolgen alle Programme und Instru-
mente das Ziel, die Integration von Menschen mit Mi- des Parl. Staatssekretärs Dr. Ralf Brauksiepe auf die Fra-
grationshintergrund in Wirtschaft und Gesellschaft zu gen der Abgeordneten Sabine Zimmermann (DIE
fördern, wobei die Ansätze der einzelnen Maßnahmen LINKE) (Drucksache 17/5015, Fragen 33 und 34):
10868 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
(A) Ist es richtig, dass in den Verwaltungskostenbudgets der wirtschaft und Verbraucherschutz, Ilse Aigner, im Dezember (C)
Jobcenter 10 Prozent der Mittel gesperrt werden, und wie 2010 angekündigten verdeckten staatlichen Ermittler zur
hoch sind gegebenenfalls die gesperrten Summen absolut Kontrolle der Bankberatung einzusetzen, und wie wird das
nach Bundesländern/Regionaldirektionen? Verfahren gesetzlich geregelt?
Was ist gegebenenfalls der Hintergrund für die Sperre, und
wie viele der für 2011 vorgesehenen Mittel der Leistungen zur Zu Frage 35:
Eingliederung in Arbeit nach dem Zweiten Buch Sozialge-
setzbuch sind absolut und relativ bereits gebunden, bitte nach Ein gesetzlich verbindlicher und vergleichbarer Stan-
Bundesländern/Regionaldirektionen aufgliedern? dard für die Protokollierung einer Anlageberatung be-
steht bereits. § 14 Abs. 6 der Wertpapierdienstleistungs-
Zu Frage 33: Verhaltens- und Organisationsverordnung macht kon-
Im Rahmen der Zuweisung der Haushaltsmittel für krete Vorgaben, welchen Inhalt das Beratungsprotokoll
die Verwaltungskostenbudgets der Jobcenter nach § 2 haben muss. Im Einzelnen muss es vollständige Anga-
Abs. 4 und 5 Eingliederungsmittel-Verordnung 2011 hat ben enthalten über den Anlass der Anlageberatung, die
das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, BMAS, Dauer des Beratungsgesprächs, die der Beratung zu-
zunächst einen Anteil von 10 Prozent bzw. rund grunde liegenden Informationen über die persönliche Si-
393 Millionen Euro der Budgets nicht verteilt. Der Ein- tuation des Kunden sowie über die Finanzinstrumente
behalt stand vor dem Hintergrund des seinerzeit laufen- und Wertpapierdienstleistungen, die Gegenstand der An-
den Vermittlungsverfahrens zum Gesetz zur Ermittlung lageberatung sind, die vom Kunden im Zusammenhang
von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und mit der Anlageberatung geäußerten wesentlichen Anlie-
Zwölften Buches Sozialgesetzbuch. Dieses Vorgehen lag gen und deren Gewichtung und die im Verlauf des Bera-
darin begründet, dass zum damaligen Zeitpunkt noch tungsgesprächs erteilten Empfehlungen und die für diese
nicht absehbar war, wer für die Durchführung der Bil- Empfehlungen genannten wesentlichen Gründe.
dungs- und Teilhabeleistungen endgültig zuständig sein
wird und welche zusätzlichen finanziellen Belastungen Zu Frage 36:
gegebenenfalls auf die Verwaltungsbudgets zukommen. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht,
Unmittelbar nach Verabschiedung des Gesetzes Ende BaFin, plant, erstmals 2011 Testkunden zur Überprüfung
Februar wurden die einbehaltenen 10 Prozent den Job- der Finanzberatungen der Institute im Rahmen eines
centern zur Bewirtschaftung zugewiesen. Pilotprojekts einzusetzen. Der Begriff „verdeckte Er-
mittler“ ist in diesem Zusammenhang irreführend. „Ver-
Zu Frage 34: deckte Ermittler“ werden im Rahmen der Strafverfol-
Bei dem 10-prozentigen Einbehalt handelte es sich gung zur Aufklärung von Delikten der organisierten
(B) nicht um eine Sperre, sondern um eine begründete Vor- Kriminalität eingesetzt. Beim Einsatz von Testkunden (D)
sichtsmaßnahme im Rahmen der Bewirtschaftung der geht es hingegen um die Kontrolle des Dienstleistungs-
Haushaltsmittel. Wie bereits ausgeführt, wurden die Mit- angebots der Institute.
tel inzwischen den Jobcentern zur Bewirtschaftung zu-
gewiesen.
Anlage 28
Ende 2010 waren bundesweit rund 2,1 Milliarden Euro
der Ausgabemittel 2011 für Leistungen zur Eingliederung Antwort
in Arbeit nach dem SGB II – ohne die Sonderprogramme des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Frage
des Bundes – vorgebunden. Bei den Bindungen handelt es der Abgeordneten Kirsten Tackmann (DIE LINKE)
sich um eingegangene Verpflichtungen aus dem Jahr (Drucksache 17/5015, Frage 37):
2010 und aus Vorjahren. Bei einem in diesem Jahr veran-
Welche konkreten Vorstellungen hat die Bundesregierung
schlagten Budget – ohne Sonderprogramme des Bundes – zur Ausgestaltung einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift
von rund 4,7 Milliarden Euro waren zu Beginn des Jahres für eine für alle Wirtschaftsbeteiligten praktikable technische
2011 damit rund 46 Prozent der Ausgabemittel vorgebun- Lösung für die Nulltoleranz gentechnischer Verunreinigungen
den. Die Darstellung der Vorbindungen nach einzelnen von Saatgut?
Bundesländern war in der Kürze der Zeit nicht möglich. Zur Erreichung einer praktikablen Ausgestaltung der
Nulltoleranz bei Saatgut prüft die Bundesregierung der-
zeit gemeinsam mit den Ländern, welchen Spielraum
Anlage 27 das europäische Recht für nationale Lösungen im Wege
Antwort einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift, AVV, lässt.
des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Fra-
gen der Abgeordneten Kerstin Tack (SPD) (Drucksa- Anlage 29
che 17/5015, Fragen 35 und 36):
Wird die Bundesregierung im Rahmen der Qualitätsoffen-
Antwort
sive Verbraucherfinanzen gesetzlich verbindliche und ver-
gleichbare Standards für die Protokollierung von Verkaufsge-
des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Frage
sprächen in der Finanzberatung vorlegen, und wenn ja, zu der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE)
welchem Zeitpunkt? (Drucksache 17/5015, Frage 38):
Welche Schritte hat die Bundesregierung bisher unternom- Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über Fischar-
men, um die von der Bundesministerin für Ernährung, Land- ten bei Rückwürfen deutscher Fischereibetriebe in den Jahren
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10869
(A) 2008 bis 2010 – bitte prozentualen Anteil und absolute Menge In den letzten Jahren ist ein vermehrter Zufluss von (C)
angeben? externem Kapital auf den Rohstoffmärkten, auch auf den
Die Kenntnisse, die der Bundesregierung über Rück- Märkten für Agrarrohstoffe, zu verzeichnen. Die Finanz-
würfe deutscher Fischereibetriebe hat, basieren auf den krise hat gezeigt, welchen Gefahren Schlüsselmärkte
Beprobungen des Johann Heinrich von-Thünen-Instituts, ausgesetzt sind, die unzureichend reguliert sind. Ziel al-
Institut für Seefischerei, für typische deutsche Fische- ler Bemühungen muss es sein, die Funktionsfähigkeit
reien. Der Anteil der Rückwürfe ist stark abhängig von der Finanzmärkte zu stärken und sicherzustellen, dass
der Art der Fischerei. Die höchsten Rückwurfraten las- diese ihre Funktion zur Risikoabsicherung ausüben kön-
sen sich für die Baumkurrenfischereien auf Scholle und nen. Vor diesem Hintergrund ist zunächst zu untersu-
Seezunge, 30 bis 75 Prozent, nachweisen. Die Rate der chen, ob übermäßige Preisvolatilität auch infolge von
Rückwürfe variiert hier oft von Fangreise zu Fangreise Finanztransaktionen, die keinem wirtschaftlichen Ab-
sehr stark. sicherungsmotiv dienen, entstehen kann. Sollte sich ein
solcher Einfluss bestätigen, ist zu prüfen, ob neben der
Dagegen sind die Rückwurfraten in der pelagischen Erhöhung der Transparenz weitere Maßnahmen zu er-
Hochseefischerei, zum Beispiel Hering, Makrele, Stö- greifen sind, zum Beispiel Prüfung von Positionslimits
cker, sehr niedrig, unter 1 Prozent. Auch die deutschen bei bestimmten Agrarprodukten, um die Funktionsfähig-
Fischereien auf Kabeljau oder Seelachs sind nahezu rück- keit der Märkte zu stärken.
wurffrei, circa 1 Prozent und darunter. Allerdings gibt es
hier in anderen Mitgliedstaaten zum Teil noch hohe Da die Märkte für Agrarrohstoffe und deren Derivate
Rückwürfe, die eine der Ursachen der unbefriedigenden zunehmend internationale Märkte sind, sind – soweit er-
Ergebnisse des Kabeljau-Wiederauffüllungsplans sind. forderlich – international verbindliche und einheitliche
Rahmenbedingungen anzustreben.
Anlage 30
Anlage 31
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Frage Antwort
der Abgeordneten Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Frage
(Drucksache 17/5015, Frage 39): der Abgeordneten Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD)
Welche Maßnahmen hält die Bundesregierung für zielfüh- (Drucksache 17/5015, Frage 40):
rend, um mehr Transparenz und strengere Regulierung des
Welche konkreten Vorschläge hat die Bundesministerin
Warenterminhandels für Agrarrohstoffe in Zukunft zu ge-
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Ilse
(B) währleisten? (D)
Aigner, zur Stärkung der Funktionsfähigkeit von Agrarmärk-
Auf den physischen Märkten für Agrarrohstoffe er- ten sowie gegen Missbrauch und Preismanipulationen bisher
zur Vorbereitung des Treffens der Landwirtschaftsminister der
folgt die Preisbildung entsprechend dem Verhältnis von G 20 im Juni 2011 in Paris eingebracht, und in welchen Punk-
realem Angebot und tatsächlicher Nachfrage. Neben den ten gibt es Übereinstimmung beziehungsweise Unstimmigkei-
physischen Märkten für Agrarrohstoffe haben in den ten mit Frankreich?
letzten Jahren die Finanzmärkte für den Agrarbereich
deutlich an Bedeutung gewonnen. So orientiert sich die Zur Vorbereitung des Agrarministertreffens im Juni
Preisfindung auf den physischen Märkten bei einigen 2011 wurden die zu Frage 63 genannten Punkte einge-
Produkten, zum Beispiel Getreide und Raps, auch an den bracht. Eine weitergehende Koordinierung seitens der
Notierungen der Warenterminbörsen. Hinzu kommt der F-Präsidentschaft ist noch nicht erfolgt, insofern können
außerbörsliche OTC-Handel, over the counter. Den derzeit keine Aussagen bezüglich Übereinstimmungen
Märkten für Agrarderivate kommt angesichts zunehmen- bzw. Unstimmigkeiten mit den übrigen G-20-Staaten ge-
der Preisvolatilität eine wichtige Funktion zur Risikoab- macht werden.
sicherung zu. Diese wichtigen Funktionen müssen erhal-
ten und gegebenenfalls gestärkt werden.
Anlage 32
Mehr Transparenz ist für die Funktionsfähigkeit der
Märkte für Agrarderivate wichtig. Es geht darum, so- Antwort
wohl für die Börsenteilnehmer als auch für die Auf- des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage
sichtsbehörden Informationen über die Position der im des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜND-
Markt engagierten Teilnehmer sowie über den Umfang NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5015, Frage 42):
des von ihnen gehandelten Umsatzes bereitzustellen.
Nach welchen Kriterien, bezugnehmend auf meine Münd-
Vorschläge zur Registrierung als kommerzieller bzw. liche Frage 60 auf Bundestagsdrucksache 17/4812 und die
nichtkommerzieller Händler sowie periodische Berichts- Antwort (vergleiche Plenarprotokoll 17/92), entscheiden
pflichten der Warenterminbörsen sind vor diesem Hin- Scharfschützen der Bundeswehr in Afghanistan sich „zur Wir-
tergrund zu sehen. kung gegen gefährliche Einzelziele der Opposing Militant
Forces“ und erschießen nach tagelangem oder stundenlangem
Mehr Transparenz ist insbesondere im OTC-Handel Warten gezielt Zielpersonen, die sie in einigen hundert Metern
erforderlich. Meldepflichten für Transaktionen an ein Entfernung durch das Fernrohr wahrnehmen (vergleiche stern
vom 13. Januar 2011), und wie schließen diese Scharfschüt-
zentrales Transaktionsregister und die Abwicklung des zen aus, dass es sich bei der zu tötenden Zielperson nicht um
Handels mit OTC-Derivaten über eine zentrale Clearing- eine harmlose Zivilperson, also nicht um einen Opposing Mi-
stelle können dabei einen wichtigen Beitrag leisten. litant, handelt?
10870 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
(A) Scharfschützen der Bundeswehr in Afghanistan stehen Umfang und Tiefe der Fragen 1, 5 und 7 der Kleinen (C)
keine Befugnisse zur Anwendung militärischer Gewalt Anfrage zur Rüstungs- und Sicherheitsforschung an
zu, die über die Befugnisse der anderen Kräfte des deut- Hochschulen, Drucksache 17/3337, ergeben in ihrer Ge-
schen Einsatzkontingentes ISAF hinausgehen. Auf Grund- samtheit ein umfassendes Bild der Themen, Akteure,
lage der völkerrechtlichen Ermächtigung durch den Ziele und eingesetzten Mittel in der Rüstungs- und Si-
VN-Sicherheitsrat sowie des entsprechenden Bundes- cherheitsforschung in der Bundesrepublik Deutschland,
tagsmandates gelten das internationale operative ISAF- die eine allgemeine Zugänglichkeit der Informationen
Regelwerk – Operationsplan mit seinen Rules of Engage- auch für Unbefugte ausschließen.
ment sowie die darauf aufbauenden Dokumente wie Stan-
Während sich die Beantwortung der Kleinen Anfrage
ding Operating Procedures, SOP, Tactical Directives, TD,
der Fraktion Die Linke im Jahr 2006, Drucksache 16/2431,
usw. – und auch die Taschenkarte DtA ISAF. Die Ent-
auf den Teilbereich der Drittmittelzuwendungen des
scheidung zur Bekämpfung eines legitimen militärischen
BMVg an Hochschulen beschränkte – unter Bezugnahme
Ziels ist nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls
auf veröffentlichte Daten des Wissenschaftsrates –, hatte
zu bewerten. Ausgangspunkt ist dabei regelmäßig die Be-
die aktuelle Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke im
urteilung, ob es sich um eine Person handelt, die sich un-
Jahr 2010, Drucksache 17/3337, qualitativ und quantita-
mittelbar an Feindseligkeiten beteiligt. Zur Vermeidung
tiv eine umfassende Datenerhebung über alle Forschungs-
der Gefährdung von unbeteiligten Zivilpersonen muss
aufträge des BMVg mit darauf aufsetzender, vertiefender
dies vor der Anwendung militärischer Gewalt sicherge-
Analyse zum Ziel. Jegliche Form von Gesamtdarstellun-
stellt sein.
gen dieser Art – mit der Angabe von Einzelprojekten, Fi-
nanzmitteln und Zuwendungsempfängern – generiert aus
Sicht der Bundesregierung Geheimschutzbedarf, der eine
Anlage 33 Bereitstellung dieser Informationen über den dienstlich
notwendigen Zugang hinaus nicht ermöglicht.
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Fra- Zu Frage 44:
gen der Abgeordneten Nicole Gohlke (DIE LINKE) Objektive politische Veränderungen sind seit dem 22. Au-
(Drucksache 17/5015, Fragen 43 und 44): gust 2006 nicht eingetreten. Wie in der Antwort zu
Wie begründet die Bundesregierung jeweils, dass sie ihre Frage 43 dargelegt, geht es um Umfang und Tiefe der In-
Antworten auf die Kleine Anfrage zur Rüstungs- und Sicher- formationen, die im Zuge der Fragenbeantwortung zu-
heitsforschung an Hochschulen auf Bundestagsdrucksache sammengetragen wurde. Gemäß der Verschlusssachen-
17/3337 teilweise unter Geheimschutz gestellt hat, namentlich
anweisung des BMI § 8 Abs. 1 ist die herausgebende
(B) die Antworten zu den Fragen 1, 5 und 7, welche die For- (D)
schungsaufträge und die Drittmittelzuwendungen des Bundes- Stelle für die Einstufung und den Geheimhaltungsgrad
ministeriums der Verteidigung an Hochschulen bzw. die Zu- einer Information verantwortlich.
sammenarbeit der wehrwissenschaftlichen Dienststellen mit
Hochschulen zum Gegenstand haben? Unter dem Gesichtspunkt des veränderten Nutzerverhal-
tens bezüglich öffentlich zugänglicher Publikationsmedien
Welche objektiven politischen Veränderungen sind seit
dem 22. August 2006 eingetreten, die es aus Sicht der Bun- wie dem Internet ist aus allgemeinem Sicherheitsinteresse
desregierung rechtfertigen, eine Frage, die am 22. August der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Sicherheitsor-
2006 noch öffentlich beantwortet wurde, am 19. Oktober gane eine restriktive Handhabung sicherheitsrelevanter
2010 nicht mehr öffentlich zu beantworten, sondern so, dass Informationen angezeigt.
die Antwort unter Geheimschutz steht, namentlich die Frage
nach Drittmittelzuwendungen des Bundesministeriums der
Verteidigung an Hochschulen, die am 22. August 2006 auf
Bundestagsdrucksache 16/2431 bezogen auf den Zeitraum Anlage 34
1991 bis 2005 der Öffentlichkeit nicht vorenthalten wurde,
während die gleiche Frage bezogen auf den Zeitraum seit dem Antwort
Jahr 2000 in der Antwort vom 19. Oktober 2010 auf Bundes-
tagsdrucksache 17/3337 unter Geheimschutz gestellt wurde? des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die
Frage der Abgeordneten Monika Lazar (BÜNDNIS 90/
Zu Frage 43: DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5015, Frage 45):
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem
Nach § 4 Abs. 1 des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes offenen Brief gegen die „Extremismusklausel“, den 80 Wissen-
vom 20. April 1994 in der Fassung vom 26. Februar 2008 schaftlerinnen und Wissenschaftler, Bildungsträger und zivil-
gesellschaftliche Initiativen an die Bundeskanzlerin Dr. Angela
sind Verschlusssachen im öffentlichen Interesse geheim- Merkel, das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
haltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkennt- und Jugend und das Bundesministerium des Innern sandten
nisse, unabhängig von ihrer Darstellungsform. Sie werden (www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=in&dig=
entsprechend dem Schutzbedürfnis in Geheimhaltungs- 2011%2F03%2F05%2Fa0163&cHash=47d7fb4077)?
grade eingestuft. Falls das Schreiben vom 4. März 2011 der Mitglieder
des Netzwerks Task Force Education on Antisemitism
Der Geheimhaltungsgrad „VS – Nur für den Dienst-
gemeint ist, kennt die Bundesregierung die dort vorge-
gebrauch“ wird dann angewendet, wenn die Kenntnis-
tragene Auffassung.
nahme der Tatsache durch Unbefugte für die Interessen
der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder Wie bereits in der Plenardebatte am 10. Februar 2011
nachteilig sein kann. zum Antrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen aus-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10871
(A) geführt, bekräftigt die Bundesregierung ihre Auffassung, der vereinbarten Vertraulichkeit weitergegeben wurden. (C)
dass für die Vergabe staatlicher Fördermittel im Bereich Sie dienten nur zur Information innerhalb dieser
der Extremismuspräventionsprogramme wie bisher ein deutsch-österreichischen Expertengespräche. Die zu-
Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundord- ständigen österreichischen Ministerien – Lebens- und
nung gefordert wird. Außenministerium – haben aus diesem Grund von einer
Veröffentlichung der Studie sowie der bewertenden Zu-
sammenfassung abgesehen.
Anlage 35
Antwort Anlage 37
des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Fra- Antwort
gen der Abgeordneten Hilde Mattheis (SPD) (Drucksa-
che 17/5015, Fragen 46 und 47): der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die
Hält die Bundesregierung es für gerechtfertigt, dass El- Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜND-
tern, die die in § 1 Abs. 8 des Gesetzes zum Elterngeld und NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5015, Frage 53):
zur Elternzeit, BEEG, benannte Einkommensobergrenze für Erfüllen alle 17 deutschen Atomkraftwerke, AKW, mit
den Bezug des Elterngeldes durch zusätzliche Kapitalein- gültiger Betriebsgenehmigung die probabilistische Anforde-
künfte überschreiten, dennoch Elterngeld erhalten, da Ein- rung, die dem international empfohlenen Wert für die Kern-
künfte aus Kapital nicht zur Bemessung der Einkommens- schadenshäufigkeit von 10–15/Jahr, in Worten: zehn hoch mi-
höchstgrenze herangezogen werden? nus 15 pro Jahr, entspricht, und, falls nein, welche konkreten
Plant die Bundesregierung das Gesetz zum Elterngeld und Erkenntnisse liegen dem Bundesministerium für Umwelt, Na-
zur Elternzeit, BEEG, so zu reformieren, dass künftig Kapi- turschutz und Reaktorsicherheit, BMU, vor, dass bestimmte
taleinkünfte für die Bemessung der Einkommenshöchstgrenze AKW diesen Anforderungswert nicht oder möglicherweise
herangezogen werden können? nicht erfüllen, gegebenenfalls bitte nach betroffenem AKW
differenzierte Angabe?
Die Einzelheiten zur Ermittlung des Einkommens im
Rahmen der seit dem 1. Januar 2011 geltenden Rege- Dem Bundesministerium für Umwelt Naturschutz
lung, nach der bei Überschreiten eines bestimmten zu und Reaktorsicherheit, BMU, liegen diese Erkenntnisse
versteuernden Einkommens der Anspruch auf Elterngeld nicht vor, da das BMU sie in der vergangenen Legisla-
entfällt, werden zurzeit geprüft. In diesem Rahmen wird turperiode nicht angefordert hat. Mit den Landesbehör-
innerhalb der Bundesregierung die Frage geprüft, ob die den ist jetzt eine Verbesserung der Methodik vereinbart,
Elterngeldstellen bei der Überprüfung des Überschrei- um eine Vergleichbarkeit der Werte herzustellen.
tens der Einkommensgrenze auch Kapitaleinkünfte zu
(B) berücksichtigen haben, die nicht im Steuerbescheid auf- (D)
geführt werden. Dies wäre in der Sache zwar wün- Anlage 38
schenswert. Jedoch treten insbesondere die für den Ver- Antwort
waltungsvollzug zuständigen Länder dafür ein, auf eine
solche Prüfung wegen des für unverhältnismäßig gehal- der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die
tenen Aufwandes zu verzichten. Frage des Abgeordneten Friedrich Ostendorff (BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5015, Frage 54):
Welche Position hat die Bundesregierung im Umweltmi-
Anlage 36 nisterrat am 14. März 2011 zu den Vorschlägen der EU-Kom-
mission zur Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik nach
Antwort 2013 eingenommen?
der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die Die Position der Bundesregierung basiert auf der Stel-
Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜND- lungnahme der Bundesregierung zur Mitteilung der
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5015, Frage 52): Kommission vom Januar 2011 und dem Positionspapier
Liegt dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz vom März 2010 zur Weiterentwicklung der Gemeinsa-
und Reaktorsicherheit, BMU, die im Auftrag der österreichi- men Agrarpolitik nach 2013. Die besagte Stellungnahme
schen Bundesregierung erstellte sogenannte FLAB-DiD-II- ist auf der Webseite des Bundesministeriums für Ernäh-
Studie zu den Sicherheitsrisiken deutscher Siedewasserreak- rung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz eingestellt.
toren der Baulinie 69, insbesondere Isar 1, vor, und mit wel-
cher Begründung hat das BMU die Veröffentlichung der be- Die Bundesregierung teilt die Zielsetzung der Kom-
wertenden Zusammenfassung der sogenannten FLAB-DiD-II-
Studie verweigert – falls die Verweigerung nicht seitens des
mission, die Beiträge der Gemeinsamen Agrarpolitik,
BMU erfolgte, wird gebeten, die dem BMU bekannten GAP, zu Umweltzielen zu verstärken, und begrüßt es,
Gründe der verweigernden deutschen Behörde(n) anzugeben? dass die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung
„Die GAP bis 2020“ diesem Aspekt einen wesentlichen
Die dem BMU vorliegende Studie FLAB DID II ist Stellenwert einräumt.
eine Zusammenfassung der Ergebnisse bilateraler Bera-
tungen, die aufgrund des deutsch-österreichischen Nu- Die Direktzahlungen leisten durch ihre Bindung an
klearinformationsabkommens in den Jahren 2004 und zahlreiche Bewirtschaftungsauflagen, Cross Compli-
2005 stattgefunden haben. Sie beruht auf Daten und In- ance, bereits schon heute einen Beitrag zur Förderung
formationen, die teilweise in Deutschland aus Gründen nachhaltiger Produktionsverfahren. Sie sollen auch die
des Geheimschutzes als Verschlusssache eingestuft sind öffentlichen Leistungen der Landwirtschaft abgelten, die
und vom BMU seinerzeit ausdrücklich nur im Rahmen nicht über den Markt honoriert werden. Dieses Prinzip
10872 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
(A) der pauschalen Abgeltung öffentlicher Güter und Leis- Anlage 40 (C)
tungen der Landwirtschaft mittels Direktzahlungen hat
Antwort
sich grundsätzlich bewährt. Es sollte aber qualitativ wei-
terentwickelt werden. der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die
Frage der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
Die spezifische Förderung von Agrarumweltmaßnah- DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5015, Frage 56):
men spielt im Rahmen der ländlichen Entwicklung eine Woher bezieht die Bundesregierung die Zahlen, dass
wichtige Rolle und sollte weiter ausgebaut werden. Da- 90 Prozent der Rohstoffe für Bioethanol aus der EU kommen
bei muss die Honorierung von Beiträgen der Landwirt- und 10 Prozent aus Brasilien (Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit Dr. Norbert Röttgen in der
schaft für den Klima-, Umwelt- und Naturschutz ver- FAZ, 9. März 2011), und beziehen sich diese Zahlen auch auf
stärkt im Zentrum der Maßnahmen zur Förderung der die aktuellen Bioethanolbestandteile in E10?
ländlichen Entwicklung als 2. Säule der GAP stehen.
Die Herkunft der Rohstoffe und die genannten Zahlen
Der Bundesregierung ist es ist wichtig, dass Maßnah- gehen auf Nachforschungen des Umweltbundesamtes
men entwickelt werden, die tatsächlich in effizienter zur Verwendung von Ethanol im Jahr 2010 zurück.
Weise zu einem höheren Umweltbeitrag der GAP füh- Aktuelle Zahlen für das Jahr 2011 liegen noch nicht
ren. Dabei ist darauf zu achten, dass diese Maßnahmen vor.
im Gesamtsystem der GAP zu keinem zusätzlichen
Bürokratieaufwand führen.
Anlage 41
Antwort
Anlage 39
der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die
Antwort Frage der Abgeordneten Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5015, Frage 57):
der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die
Welche Nachhaltigkeitszertifizierungssysteme für Bio-
Frage des Abgeordneten Garrelt Duin (SPD) (Drucksa- kraftstoffe sind derzeit in Deutschland zugelassen, wie viel
che 17/5015, Frage 55): Prozent der in Deutschland beigemischten Biokraftstoffe sind
darüber zertifiziert, und hat die Bundesregierung Kenntnis da-
Liegen der Bundesregierung entsprechende Studien vor, rüber, dass noch immer nicht nach der Nachhaltigkeitsverord-
nach denen das vom Bundesminister für Umwelt, Naturschutz nung zertifizierte Biokraftstoffe bzw. Rohstoffe für Biokraft-
und Reaktorsicherheit, Dr. Norbert Röttgen, favorisierte CO2- stoffe in die Bundesrepublik Deutschland gelangen?
Reduktionsziel von 30 Prozent bis 2020 für den Bereich der
(B) Europäischen Union dazu führen würde, dass dadurch EU- Zum Stichtag 31. Dezember 2010 sind ausweislich des (D)
Staaten überdurchschnittlich belastet würden, in denen Indus- Evaluations- und Erfahrungsberichtes der Bundesanstalt
trie eine wichtige Rolle spielt, und würde eine solche Ver- für Landwirtschaft und Ernährung, BLE, zur Biomasse-
schärfung der CO2-Beschränkung die Strompreise in diesen
strom-Nachhaltigkeitsverordnung und Biokraftstoff-Nach-
Staaten deutlich steigen lassen?
haltigkeitsverordnung, Quelle: http://www.ble.de, Seite 10,
Der Bundesregierung liegt die Mitteilung der EU- zwei Zertifizierungssysteme anerkannt: International
Kommission „Fahrplan für eine kohlenstoffarme Wirt- Sustainability and Carbon Certification, ISCC, und Red-
schaft in 2050“ vor, die noch weitergehender Prüfung, Cert. Die Menge nachhaltiger Biomasse, aufgeteilt nach
unter anderem in energie- und industriepolitischer Hin- Enderzeugnis, die über die ausgestellten Nachhaltigkeits-
sicht, bedarf. Die Mitteilung beinhaltet eine Analyse von nachweise im Rahmen anerkannter Zertifizierungssys-
Optionen zur Minderung der EU-Treibhausgasemissio- teme und zertifizierter Betriebe von der BLE ermittelt
nen bis zum Jahr 2050 um mindestens 80 Prozent gegen- wurde, beträgt bereits zum Stichdatum insgesamt
über 1990. Die Analyse zeigt, dass der Steigerung der 212 968 m³, Seite 23, umgerechnet als Gesamtenergiege-
halt beträgt diese 6 018 994 234 MJ, idem, Seite 23. Es ist
Energieeffizienz sowie der erneuerbaren Energien unter
davon auszugehen, dass im laufenden Jahr ganz erhebli-
Beachtung der Wirtschaftlichkeit eine zentrale Rolle zu-
che weitere Mengen hinzukommen werden. Über nicht
kommt, um die EU in den nächsten Dekaden auf einen
nach den Nachhaltigkeitsverordnungen zertifizierte Bio-
kosteneffizienten Emissionspfad zu bringen, der zur Ein- masse bzw. Biokraft- oder Biobrennstoffe werden von der
haltung des 2-Grad-Ziels erforderlich ist. Die von der BLE keine statistischen Erhebungen geführt. Dies ist
Kommission vorgelegte Analyse ist ein wichtiger Bei- auch nicht erforderlich, weil diese weder auf die Biokraft-
trag zur Frage wie eine umweltschonende, zuverlässige stoffquote angerechnet noch steuerlich begünstigt oder
und bezahlbare Energieversorgung bei gleichzeitiger Er- nach dem EEG vergütet werden und somit auf dem deut-
reichung ambitionierter Klimaschutzziele in der EU er- schen Markt unrentabel sein dürften.
reicht werden kann. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl
von Studien zur Frage der Kosten und Nutzen einer An-
hebung des EU-Klimaziels auf -30 Prozent. Diesbezüg- Anlage 42
lich wird zum Beispiel auf die Studien „A New Growth
Path for Europe“ (PIK et al., 2/2011) sowie „Wirtschaft- Antwort
liche Auswirkungen einer unilateralen 30-Prozent-THG- des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage
Emissionsminderung der EU bis 2020“ (GWS/Prognos, des Abgeordneten René Röspel (SPD) (Drucksache
3/2011) verwiesen. 17/5015, Frage 58):
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10873
(A) Welche Position vertritt die Bundesregierung in Bezug auf Anlage 44 (C)
Forderungen nach einem Wissenschaftstarifvertrag?
Antwort
Aus Sicht der Bundesregierung kommt es nicht auf die
Form des Regelungsinstrumentariums an, sondern auf die des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Fragen
geregelten Inhalte. Ein Großteil der Interessen, die von des Abgeordneten Klaus Barthel (SPD) (Drucksache
Hochschulen und Forschungseinrichtungen im Zusam- 17/5015, Fragen 60 und 61):
menhang mit einem Wissenschaftstarifvertrag formuliert
wurden, sind bereits im TVöD berücksichtigt worden, zum Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die
Höhe der Ausbildungsbeteiligungsquote bei jungen ausländi-
Beispiel durch Wegfall von nicht leistungsbezogenen Ver- schen Schulabgängerinnen und Schulabgängern bzw. solchen
gütungselementen durch Umstellung vom Lebensalters- mit Migrationshintergrund vor, und welche Ursachen sieht sie
und Familienstandsprinzip auf das Berufserfahrungsprin- für die Abweichungen im Vergleich zu deutschen Jugendli-
zip, Einführung des Leistungsentgelts, Arbeitszeitflexibi- chen?
lisierung etc. Welche Maßnahmen beabsichtigt die Bundesregierung zu
ergreifen, um die Ausbildungsbeteiligungsquote bei ausländi-
Wissenschaftliches Personal kann darüber hinaus bei schen Jugendlichen bzw. solchen mit Migrationshintergrund
Bedarf, zum Beispiel wenn besonderes Fachwissen zu erhöhen?
gefragt ist, durch die Anwendung übertariflicher bzw.
außertariflicher Maßnahmen gewonnen werden. Die Zu Frage 60:
Bundesregierung hat für das wissenschaftliche und wis-
senschaftsrelevante Personal im außeruniversitären Be- Im Jahr 2009 lag die Ausbildungsbeteiligungsquote
reich, außer für die Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried junger Ausländer bei 31,4 Prozent, die der deutschen
Wilhelm Leibniz, außertarifliche Instrumente zur Verfü- jungen Menschen bei 64,3 Prozent. Nach den Ergebnis-
gung gestellt, die insbesondere im Entgeltbereich die sen der BIBB-Übergangsstudie haben Jugendliche mit
Kriterien Flexibilität, Attraktivität und Leistungsbezo- Migrationshintergrund nach der allgemeinbildenden
genheit erfüllen und es im Einzelfall erlauben, außerta- Schulzeit ein ebenso hohes Interesse an einer Berufsaus-
rifliche Gehälter zu vereinbaren. Ferner enthalten diese bildung wie deutsche Jugendliche. Liegt keine Studien-
außertariflichen Regelungen nicht nur weitgehende
berechtigung vor, sind ihre Chancen, einen Ausbildungs-
Handlungsspielräume, sondern können auch schnell und
platz zu erhalten, jedoch wesentlich geringer, vergleiche
flexibel auf sich entwickelnde akute Handlungserforder-
nisse angepasst werden. Berufsbildungsbericht 2010, Seite 29.
Es wird daher kein Bedarf einer über die Regelungen Zu Frage 61:
(B) des Bundes hinausgehenden einheitlichen Basisregelung (D)
in Form eines Wissenschaftstarifvertrages gesehen. Die Bundesregierung hat bereits vielfältige Maßnah-
men zur Verbesserung der Ausbildungssituation von Ju-
gendlichen mit Migrationshintergrund realisiert, zum
Anlage 43 Beispiel Aktivitäten im JOBSTARTER Programmbe-
reich KAUSA, Maßnahmen des Programms „Perspektive
Antwort Berufsabschluss“ etc., und sie wird die im Nationalen
Pakt für Ausbildung und Fachkräftenachwuchs für diesen
des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage Personenkreis vereinbarten Maßnahmen umsetzen, zum
des Abgeordneten René Röspel (SPD) (Drucksache Beispiel Durchführung regionaler Ausbildungskonferen-
17/5015, Frage 59):
zen, Durchführung von Elternkonferenzen etc. In diesem
Wie begründet die Bundesregierung, dass sie entgegen den Zusammenhang ist auch die BMBF-Initiative „Abschluss
Empfehlungen im Gutachten 2011 der Expertenkommission und Anschluss – Bildungsketten bis zum Ausbildungsab-
Forschung und Innovation nicht plant, die Regelungen zur Fi-
nanzierung der außeruniversitären Forschung in Deutschland schluss“ zu erwähnen. Hier wird in einem kohärenten
einheitlich auf eine 70-prozentige Finanzierung durch den Ansatz an Haupt- und Förderschulen die individuelle Un-
Bund und eine 30-prozentige Finanzierung durch das Sitzland terstützung von Jugendlichen in ihrem Entwicklungspro-
umzustellen?
zess, dem Berufswahlprozess und dem Übergang in eine
Mit der Finanzierung der außeruniversitären For- betriebliche Ausbildung bis hin zum Ausbildungsab-
schungseinrichtungen nehmen Bund und Länder ihre schluss auf der Basis einer Potenzialanalyse verfolgt und
gemeinsame Verantwortung für ein leistungsfähiges in einen individuellen Förderansatz integriert. Da Kinder
Wissenschaftssystem in Deutschland wahr. Die Finan- mit Migrationshintergrund an Hauptschulen mit 27,6 Pro-
zierungsschlüssel entsprechen den jeweiligen spezifi- zent überrepräsentiert sind, rechnet die Bundesregierung
schen Missionen der Forschungsorganisationen und damit, dass sie von dieser Initiative besonders profitieren
wurden zwischen Bund und Ländern unter Berücksichti- werden.
gung aller relevanten Sachverhalte festgelegt. Die ein-
richtungsspezifischen Finanzierungsschlüssel der außer- Mit den ausbildungsfördernden Leistungen der Ar-
universitären Forschung in Deutschland und die damit beitsförderung tragen Agenturen für Arbeit und Jobcen-
einhergehende Verantwortung der Zuwendungsgeber ha- ter zur beruflichen Eingliederung von jungen Menschen
ben sich bewährt. Die Bundesregierung sieht daher kei- mit Migrationshintergrund bei, soweit diese aus indivi-
nen Anlass, diese zu verändern. duellen Gründen der Unterstützung bedürfen.
10874 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
(A) förderten konnte von 13 415 Stipendiaten 2005 auf über unter allen Verantwortlichen über den hohen Stellenwert (C)
24 000 2010 gesteigert werden. Statistische Angaben der dualen Berufsbildung. Unser Ziel ist es, jedem Ju-
werden vom Bundesministerium für Bildung und For- gendlichen, der Interesse an einer dualen Ausbildung
schung, BMBF, bei den Begabtenförderungswerken tur- hat, einen Platz anbieten zu können und einen reibungs-
nusmäßig mit den Verwendungsnachweisen eines jeden losen Übergang in diese Ausbildungsform zu ermögli-
Kalenderjahres zum Stichtag 31. Dezember erhoben. Er- chen. Besonderen Handlungsbedarf sieht die Bundes-
hebungen der Gefördertenzahlen zu anderen Stichtagen regierung bei der Optimierung des Übergangs von der
würde wegen der bei den einzelnen Begabtenförderungs- allgemeinbildenden Pflichtschule in die berufliche Aus-
werken individuell terminierten Auswahlverfahren die bildung. Es gibt auf Bundes-, Landes- und Regionalebene
Repräsentativität fehlen. Zudem wird auch die Gesamt- eine Vielzahl den Übergang unterstützende Maßnahmen
studierendenzahl zu Beginn des Wintersemesters erho- und Initiativen. Im Koalitionsvertrag ist dazu vereinbart
ben. worden, das Übergangssystem zwischen Schule, Ausbil-
dung und Beruf für junge Menschen neu zu strukturieren
Gesamtstudie- und effizienter zu gestalten. Das Bundesministerium für
Studien- Arbeit und Soziales ist dazu vom Kabinett beauftragt
rendenzahl Geförder-
Jahr förderung worden, in einer ressortübergreifenden Arbeitsgruppe
(Quelle: tenquote
Geförderte Möglichkeiten zu prüfen, ob und wie die Hilfen für
destatis)
junge Menschen beim Übergang von der Schule in Be-
31.12.2009 22.913 2.121.178 1,08 rufsausbildung gebündelt und transparenter gestaltet
(Ist) werden können. Der Vorschlag der Ressort-AG soll zu-
sammen mit der Reform der arbeitsmarktpolitischen In-
31.12.2010 24.265 2.220.270 1,09 strumente umgesetzt werden. Deshalb misst die Bundes-
(Ist) regierung auch einer regionalen Koordinierung des
Die weitere Planung erfolgt analog zur Entwicklung Übergangs in Abstimmung mit den Ländern eine große
der Gesamtstudierendenzahl. Bedeutung bei.
Das Deutschlandstipendium wird dezentral, unmittel- Das Bundesministerium für Bildung und Forschung
bar von den Hochschulen verwaltet. Diese werben die fördert im Rahmen des Programms „Perspektive Berufs-
privaten Mittel selbstständig ein. Nach Ablauf des Ka- abschluss“ in 55 Städten und Landkreisen ein regionales
lenderjahres 2011 wird die jährliche Bundesstatistik erst- Übergangsmanagement, das die verschiedenen bereits
mals erstellt. Sie wird belastbare Zahlen zum Programm vorhandenen Förderangebote und Unterstützungsleistun-
liefern. gen mit den Verantwortlichen vor Ort aufeinander ab-
(B) stimmt, um Jugendlichen den Anschluss von der Schule (D)
Im Übrigen liegen dem BMBF positive Meldungen in eine Berufsausbildung zu erleichtern.
einzelner Unternehmen vor: So haben sich etwa die Deut-
sche Telekom AG, die Bayer AG und BASF verpflichtet, In diesem Zusammenhang ist auch die BMBF-Initia-
eine große Zahl von Stipendien zu finanzieren. tive „Abschluss und Anschluss – Bildungsketten bis zum
Ausbildungsabschluss“ zu erwähnen. Hier wird in einen
Die Bundesregierung hat im Haushalt 2011 Vorsorge kohärenten Ansatz an Haupt- und Förderschulen die in-
für die Finanzierung von bis zu 10 000 Studierenden mit dividuelle Unterstützung von Jugendlichen in ihrem Ent-
einem Deutschlandstipendium getroffen, was einer För- wicklungsprozess, dem Berufswahlprozess und dem
derquote von 0,45 Prozent an jeder Hochschule ent- Übergang in eine betriebliche Ausbildung bis hin zum
spricht. Das BMBF unterstützt alle Akteure und insbeson- Ausbildungsabschluss auf der Basis einer Potenzialana-
dere die Hochschulen nach Kräften bei der Einwerbung lyse verfolgt und in einen individuellen Förderansatz in-
von Stipendien, unter anderem durch die Zahlung einer tegriert.
Pauschale für entstehende Akquisekosten, durch kosten-
lose Schulungen in Mittelakquise sowie durch eine kos-
tenlose Softwarebereitstellung. Anlage 50
Antwort
Anlage 49
der Parl. Staatssekretärin Gudrun Kopp auf die Frage des
Antwort Abgeordneten Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN) (Drucksache 17/5015, Frage 69):
des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Frage
der Abgeordneten Bärbel Bas (SPD) (Drucksache Inwieweit hat sich die Bundesregierung entsprechend des
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und
17/5015, Frage 66): FDP und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN verabschie-
Welchen Stellenwert misst die Bundesregierung einem mit deten Antrags zum Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser
den Bundesländern koordinierten und abgestimmmten regio- und Sanitärversorgung, MRWS, (Bundestagsdrucksache
nalen Übergangsmanagement Schule-Beruf bei, und durch 17/2332) dafür eingesetzt, dem Thema durch Öffentlichkeits-
welche Maßnahmen will die Bundesregierung die derzeitige arbeit und konkrete Projekte eine größere öffentliche Aufmerk-
Vielzahl von unterschiedlichen Systemen aufeinander abstim- samkeit zu verschaffen, und inwieweit ist im Hinblick auf die
men? sich durch die Frauen-Fußball-WM 2011 in Deutschland, die
Afrikameisterschaften 2012 und 2013 sowie die Fußballwelt-
Grundlage unserer Bemühungen am Übergang Schule meisterschaft 2014 in Brasilien bietenden Möglichkeiten, dem
in Ausbildung ist der breite bildungspolitische Konsens Menschenrecht auf sauberes Trinkwasser und Sanitärversor-
10876 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
(A) gung mehr Geltung zu verschaffen, eine weiterführende Unter- Ende März 2011 abgeschlossen zu haben. Danach beab- (C)
stützung der zivilgesellschaftlichen Initiative „WASH United“ sichtigt die Bundesregierung einen Internetauftritt von
geplant?
Frau de Albuquerque zu finanzieren, der den Zugang zur
Die Bundesregierung war treibende Kraft hinter der im Thematik durch einfache Darstellungen erheblich er-
Jahr 2010 erfolgten Anerkennung des Menschenrechts leichtern wird. Der Vorteil, Öffentlichkeitsarbeit für das
auf Trinkwasser- und Sanitärversorgung in der General- Thema über Frau de Albuquerque zu machen, liegt darin,
versammlung und im Menschenrechtsrat der Vereinten dass sie international und als neutrale Sachwalterin, aber
Nationen. Die Anerkennung ist ein außen- und entwick- auch als kompetente Persönlichkeit und treibende Kraft
lungspolitischer Erfolg. hinter dem MRWS wahrgenommen wird.
Die Bundesregierung setzt sich – und das ist die an- Das Engagement der Bundesregierung für das Recht
dere große Herausforderung – auch weltweit gemeinsam auf Wasser- und Sanitärversorgung und die Unterstützung
mit Partnern für die praktische Umsetzung des Men- von WASH United fügen sich in die Gesamtaktivitäten
schenrechts auf Wasser- und Sanitärversorgung ein. Mit der Bundesregierung zur Förderung der nachhaltigen
Aktivitäten im Wasser- und Sanitärversorgungssektor in Nutzung der Ressource Wasser ein. Hervorzuheben sind
über 60 Ländern erreicht die Bundesregierung circa in diesem Zusammenhang die Unterstützung von Frau Dr.
80 Millionen Menschen weltweit. Allein in Afrika süd- Uschi Eid in ihrer Funktion als stellvertretende Vorsit-
lich der Sahara werden bis 2015 durch deutsche Unter- zende des Beraterkreises des VN-Generalsekretärs zu
stützung circa 30 Millionen Menschen Zugang zu Trink- Wasser- und Sanitärfragen, UNSGAB, und die Konferenz
wasser und Sanitärversorgung erhalten. zum Thema „Wasser-, Energie- und Ernährungssicher-
heit“, die im November 2011 in Bonn stattfinden wird.
Die Bundesregierung setzt bei der Öffentlichkeitsar-
Mit dieser Konferenz – zu der Herr Staatssekretär
beit neben der Behandlung des Themas in Gesprächsrun-
Beerfeltz am Rande des MDG-Gipfels im September
den, Reden, Publikationen und Erklärungen unter anderem
2010 in New York eingeladen hatte – adressiert die Bun-
besonders auf die Zusammenarbeit mit der Kampagne
desregierung eine zentrale Zukunftsfrage und leistet ei-
„WASH United“ und der Unabhängigen Expertin für das
nen konkreten Beitrag zur UNCSD-Konferenz 2012 in
MRWS, Frau Catarina de Albuquerque.
Rio.
WASH United wurde von der Bundesregierung mit-
initiiert und auf vielfältige Weise in Deutschland und in
Afrika tatsächlich und finanziell unterstützt. Im vergan- Anlage 51
genen Sommer wurden zum Beispiel deutschlandweit
eine Anzeigenkampagne geschaltet, XXL-Banner am Antwort
(B) Auswärtigen Amt angebracht und zahllose, sehr unter- des Staatsministers Dr. Werner Hoyer auf die Frage der (D)
schiedliche Einzelveranstaltungen in den Partnerländern Abgeordneten Inge Höger (DIE LINKE) (Drucksa-
in Afrika durchgeführt. Bundesminister Niebel und BM che 17/5015, Frage 70):
Westerwelle sind „Vereinsmitglieder“ von „WASH Uni- Wie positioniert sich die Bundesregierung – gerade ange-
ted“ und haben ihre Unterstützung für das Menschen- sichts zunehmender Gewalt des Gaddafi-Regimes in Libyen
recht auf Wasser- und Sanitärversorgung -sowie für gegen die Zivilbevölkerung – dazu, dass in der Resolution
WASH United – seit 2009 in mehreren gemeinsamen 1970 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen vom 26. Fe-
Pressemitteilungen zum Ausdruck gebracht. Zuletzt an- bruar 2011 in Art. 6 auf Druck des US-amerikanischen Vertre-
ters eine Formulierung eingefügt wurde, die dazu geeignet ist,
lässlich der Auszeichnung von WASH United mit dem von Muammar al-Gaddafi eingesetzten Söldnern Straffreiheit
Global Sports Forum Award in Barcelona am 10. März zu verschaffen, da nichtlibysche Staatsangehörige, welche
2011. Straftaten in Libyen begehen, durch diese Formulierung nun
nur dann verfolgt werden könnten, wenn sie aus Staaten stam-
Die Bundesregierung beabsichtigt WASH United auch men, die den Internationalen Strafgerichtshof anerkannt ha-
2011 finanziell und tatsächlich zu unterstützen. Entspre- ben?
chende Gespräche sind im Gang. Ein konkreter Förder- Deutschland gehört zu den Initiatoren des Römischen
antrag liegt der Bundesregierung bislang aber noch nicht Statuts und ist Gründungsmitglied des Internationalen
vor. Selbstverständlich sollen sportliche Großereignisse Strafgerichtshofs, IStGH. Die Bundesregierung unter-
wie die Frauen-WM 2011 in Deutschland genutzt wer- stützt den IStGH und tritt konsequent für seine Stärkung
den, um über WASH United auf das MRWS aufmerksam ein. Vor diesem Hintergrund hätte die Bundesregierung
zu machen. WASH United beabsichtigt seine Aktivitäten einen Verzicht auf Art. 6 von Resolution 1970 bevor-
auch auf Südasien auszuweiten. Dazu sollen Cricketstars zugt.
eingebunden werden. Die Bundesregierung befürwortet
die Ausweitung ausdrücklich und bestärkt und unter- Die Bundesregierung sieht allerdings nicht die Ge-
stützt WASH United dabei. fahr, dass dieser Artikel von Gaddafi eingesetzten aus-
ländischen Söldnern aus Nichtmitgliedstaaten des Römi-
Daneben plant die Bundesregierung aber auch über „das schen Statuts Straffreiheit verschafft. Denn die Wirkung
Gesicht“ zum MRWS, Frau Catarina de Albuquerque, die von Art. 6 beschränkt sich auf Personal in solchen Ein-
Öffentlichkeitsarbeit für das Thema auszubauen. Derzeit sätzen, die vom Sicherheitsrat eingerichtet oder geneh-
wird im Menschenrechtsrat in Genf auf Betreiben der migt wurden.
Bundesregierung über die 3-jährige Mandatsverlänge-
rung von Frau de Albuquerque verhandelt. Die Bundes- Die Bundesregierung hat deshalb dem Resolutions-
regierung ist sehr zuversichtlich, die Verlängerung bis text mit Art. 6 zugestimmt. Dem lag auch die Erwägung
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10877
(A) zugrunde, dass ein Verzicht auf die Überweisung der Wie steht die Bundesregierung zur Zukunft der Deutschen (C)
Lage in Libyen seit Mitte Februar 2011 an den Interna- Islam Konferenz, DIK, und der Integration des Islam in
Deutschland, wenn nach Äußerungen des Bundesministers
tionalen Strafgerichtshof eine schlechtere Lösung gewe- des Innern, Dr. Hans-Peter Friedrich, der Islam nicht zu
sen wäre. Deutschland gehört, und welche konkreten Ziele soll die DIK
künftig verfolgen?
Im Übrigen ist dies der erste Verweis einer Situation
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, um zu
in einem Nichtvertragsstaat an den IStGH, die vom Si- anerkannten islamischen Religionsgemeinschaften zu kom-
cherheitsrat einstimmig beschlossen wurde. men, und was ist sie bereit, dafür zu tun?
(A) der, die sich entsprechender juristischer und religions- dem Hessischen Ministerium des Innern und für Sport (C)
wissenschaftlicher Expertise bedienen. Die DIK hat im noch einmal bestätigt worden: Danach begrüßten in Hes-
Zusammenhang mit der Diskussion um die Einführung sen sämtliche Ausländerbehörden bis auf eine Behörde
islamischen Religionsunterrichts die verfassungsrechtli- die geplante Verlängerung der Mindestehebestandszeit
chen Rahmenbedingungen konkretisiert und damit auch auf drei Jahre als geeignetes Mittel zur Bekämpfung von
den muslimischen Vereinigungen eine Hilfestellung ge- Scheinehen. Mehrere Ausländerbehörden wiesen dabei
geben, auf welche Merkmale es ankommt. ausdrücklich darauf hin, dass die Scheineheproblematik
seit Verkürzung der Ehemindestbestandszeit gestiegen
sei.
Anlage 54
Antwort
Anlage 55
des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Fragen
des Abgeordneten Memet Kilic (BÜNDNIS 90/DIE Antwort
GRÜNEN) (Drucksache 17/5015, Fragen 74 und 75): des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage
In wie vielen Fällen lag pro Jahr seit 1995 bei den Auslän- des Abgeordneten Oliver Kaczmarek (SPD) (Drucksa-
derbehörden ein Verdacht auf Scheinehe vor, bzw. in wie vie- che 17/5015, Frage 76):
len Fällen haben sie diesen Verdacht den Ermittlungsbehörden
gemeldet, und in wie vielen Fällen wurden im genannten Zeit- Wie hoch ist der derzeitige Anteil von Auszubildenden
raum jährlich Personen wegen des „Erschleichens eines Auf- und Beschäftigten mit Migrationshintergrund in der Bundes-
enthaltstitels durch Scheinehe“ verurteilt? verwaltung, und durch welche Maßnahmen plant die Bundes-
regierung diesen zu erhöhen?
Welche in der Begründung des Gesetzentwurfs (Bundes-
tagsdrucksache 17/4401) genannten „Wahrnehmungen aus der Statistische Daten über den Anteil von Auszubilden-
ausländerbehördlichen Praxis“ deuten im Einzelnen darauf den oder Beschäftigten mit Migrationshintergrund in der
hin, dass die Verkürzung der Mindestehebestandszeit auf zwei
Jahre zu einer Erhöhung der Scheineheverdachtsfälle geführt Bundesverwaltung stehen nicht zur Verfügung. Es be-
hat? steht derzeit auch keine rechtliche Möglichkeit, diese
Daten verpflichtend zu erheben.
Zu Frage 74:
Es ist ein wichtiges Anliegen der Bundesregierung,
Zahlen im Sinne der Fragestellung liegen der Bundes- dass Migrantinnen und Migranten angemessen als Be-
regierung nicht vor. schäftigte in der Bundesverwaltung vertreten sind. Dies
hat sie im nationalen Pakt für Ausbildung und Fachkräf-
Zu Frage 75: tenachwuchs, mit ihrer Selbstverpflichtung im Nationa-
(B) len Integrationsplan und der Einrichtung des Dialogfo- (D)
Die Innenministerien der Länder sowie Leiter von rums 4 „Migranten im öffentlichen Dienst“ im Rahmen
Ausländerbehörden haben dem Bundesministerium des des Prozesses der Weiterentwicklung des Nationalen In-
Innern in den letzten Jahren wiederholt über die Erfah- tegrationsplans zu einem Nationalen Aktionsplan doku-
rungen der Ausländerbehörden mit Scheinehen berich- mentiert. Das für dieses Dialogforum federführende BMI
tet. Im Rahmen des fachlichen Austauschs ist das Bun- wird im Dialog mit allen für den Integrationsprozess re-
desministerium des Innern mehrfach darauf aufmerksam levanten Akteuren, insbesondere Bundesressorts, Länder,
geworden, dass seit der Verkürzung der Ehemindest- Kommunen, Gewerkschaften und Migrantenorganisatio-
bestandszeit ein zunehmender Missbrauch des § 31 des nen, bis zur parlamentarischen Sommerpause ein Paket
Aufenthaltsgesetzes durch Scheinehen zu beobachten von konkreten Maßnahmen und Projekten vereinbaren.
ist. Dabei soll es darum gehen, Interesse für den öffentlichen
Zwei Beispiele: Im Evaluierungsbericht zum Zuwan- Dienst und seine vielfältigen Ausbildungs- und Beschäf-
derungsgesetz, der über die Internetseite des Bundes- tigungsmöglichkeiten zu wecken und Hemmnisse bei der
ministeriums des Innern öffentlich zugänglich ist, stellen Auswahl und Einstellung abzubauen. Die interkulturelle
das Innenministerium Nordrhein-Westfalen und die Lei- Kompetenz der bereits vorhandenen Beschäftigten soll
terin der Ausländerbehörde München in ihren Stellung- gestärkt werden. In diesem Rahmen soll die Möglichkeit
nahmen ausdrücklich fest, dass sich die Scheinehepro- der Datenerhebung zum Anteil der Beschäftigten mit Mi-
blematik seit Verkürzung der Ehemindestbestandszeit grationshintergrund untersucht werden.
verschärft hat. In demselben Bericht befindet sich auch
die Stellungnahme des Auswärtigen Amtes, dass die
Scheineheproblematik in der Visumerteilungspraxis eine Anlage 56
erhebliche Rolle spielt.
Antwort
Dementsprechend befürwortete beispielsweise beim
Erfahrungsaustausch der Ausländerbehörden großer des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage
Städte im November 2009 die Mehrheit der teilnehmen- des Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz (BÜND-
den Ausländerbehörden eine Verlängerung der Ehemin- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5015, Frage 77):
destbestandszeit als geeignetes Mittel, um Scheinehen Behält die Bundesregierung vor dem Hintergrund des Be-
richts der gemeinsamen Kontrollinstanz von Europol zum
zu bekämpfen. Dieses Ergebnis ist gerade erst am SWIFT-Abkommen und der darin zum Ausdruck gekomme-
Montag bei der Sachverständigenanhörung zum vorlie- nen Kritik an der unzulänglichen Aufsichtstätigkeit von Euro-
genden Gesetzentwurf durch den Sachverständigen aus pol als auch angesichts der unlängst durch die deutsche Dele-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011 10879
(A) gation gegenüber der EU-Kommission (Schreiben vom Zu Frage 82: (C)
8. Februar 2011) zum Ausdruck gebrachten Kritik an der In-
formationspolitik sowohl von Europol als auch der EU-Kom- Ein Ausgleich für durch frequenzumstellungsbedingte
mission sowie der unlängst bekannt gewordenen Tatsache, Störungen entstandenen Kosten kann beantragt werden,
dass nach wie vor und entgegen der Äußerungen des damali- wenn ein Nachweis einer frequenzumstellungsbedingten
gen Bundesministers des Innern innereuropäische Finanz-
transaktionen Gegenstand der Datentransfers an US-Behörden
Störung durch Inbetriebnahme von LTE-Sendeanlagen
darstellen, ihre Zustimmung zum SWIFT-Abkommen bei, und im Frequenzbereich 790 bis 862 MHz erbracht wird und
wie begründet sie diese Zustimmung angesichts der aufge- die hiervon störungsbetroffene Mikrofonanlage nach-
zählten Verstöße gegen die vertraglichen Vorgaben des Ab- weislich in dem Zeitraum 2006 bis 2009 neu angeschafft
kommens? wurde. Hierzu sieht die zu erlassende Verwaltungsvor-
schrift vor, dass eine Erstattung höchstens in Höhe des
Die von der Gemeinsamen Kontrollinstanz von Euro-
Restbuchwertes der Mikrofonanlage oder in Höhe der
pol in dem öffentlich zugänglichen Bericht kritisierten Umrüstungskosten erfolgt, wenn letztere niedriger als der
Anfragen der US-Seite sind hier nicht bekannt. Der Restbuchwert der Mikrofonanlage sind.
Sachverhalt entzieht sich daher einer Bewertung durch
die Bundesregierung.
Zur Informationspolitik wurde zwischenzeitlich von Anlage 58
Vertretern meines Hauses mit der Europäischen Kom- Antwort
mission in einer gemeinsamen Besprechung am 2. März
2011 die Problematik erörtert. Dabei wurden die Verfah- des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage
rensschritte nach Eingang eines Auskunftsersuchens be- der Abgeordneten Andrea Wicklein (SPD) (Drucksache
sprochen und die rechtlichen Grundlagen für die Tätig- 17/5015, Frage 85):
keit Europols diskutiert. Darüber hinaus erläuterte die Wann wird die Bundesregierung die seit über einem Jahr
angekündigten Vorschläge zur Unterstützung von Wagniska-
Kommission, dass sie bis Ende März einen Evaluie- pitalbeteiligungen vorlegen, und welche Vorschläge werden
rungsbericht nach Art. 13 des Abkommens für das Pro- dies sein?
gramm zur Offenlegung der Terrorismusfinanzierung,
In ihrem Koalitionsvertrag hat es sich die Bundesre-
TFTP-Abkommen – SWIFT, vorlegen wird. Es sei beab-
gierung zum Ziel gesetzt, den Markt für Beteiligungsun-
sichtigt, diesen Bericht sodann umgehend dem LIBE-
ternehmen in Deutschland zu stärken und einen einheitli-
Ausschuss des Europäischen Parlaments durch die zu-
chen attraktiven Wagniskapitalmarkt zu schaffen. Da
ständige Kommissarin vorzustellen. Diesen Bericht gilt
nationale Regelungen die europäischen Vorgaben be-
es abzuwarten. rücksichtigen müssen, hat die Bundesregierung be-
(B) schlossen, im Zuge der Umsetzung der europäischen (D)
Richtlinie für Manager alternativer Investmentfonds,
Anlage 57 AIFM, in nationales Recht einen rechtlichen Rahmen für
den gesamten Private-Equity-Sektor zu schaffen. Die
Antwort AIFM-Richtlinie, die die Regulierung der Manager unter
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Fra- anderem von Hedgefonds und Private-Equity-Fonds vor-
gen des Abgeordneten Gustav Herzog (SPD) (Drucksa- sieht, wurde im November 2010 vom Europäischen Par-
lament verabschiedet und wird voraussichtlich im Mai
che 17/5015, Fragen 81 und 82):
2011 in Kraft treten. Die Richtlinie muss dann bis Früh-
Wann ist mit dem in den Schriftlichen Fragen 17 und 18 jahr 2013 in nationales Recht umgesetzt werden. Derzeit
auf Bundestagsdrucksache 17/2286 angekündigten Abschluss werden auf europäischer Ebene die umfangreichen
der Verhandlungen zur Entschädigung der von frequenzum-
stellungsbedingten Störungen bei drahtlosen Mikrofonen be-
Durchführungsbestimmungen zur AIFM-Richtlinie ver-
troffenen Kultur- und Bildungseinrichtungen zu rechnen? handelt, die in die nationale Umsetzung einfließen müs-
sen.
Wann kann die Gemeinde Gehrweiler im Donnersberg-
kreis, Rheinland-Pfalz, wie in dem Brief des Bürgermeisters
Bernhard Kiefer vom Februar 2011 an die Bundeskanzlerin
Dr. Angela Merkel angefragt, mit der Erstattung der durch die Anlage 59
frequenzumstellungsbedingten Störungen notwendig gewor-
denen Kosten von 5 000 Euro für eine neue Beschallungsan- Antwort
lage rechnen?
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage
des Abgeordneten Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/
Zu Frage 81: DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/5015, Frage 86):
Welche Summe von Staatsanleihen der Länder Portugal,
Die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Tech- Irland, Italien, Griechenland und Spanien wird derzeit von
nologie diesbezüglich erstellte Verwaltungsvorschrift, die deutschen Finanzinstituten über sogenannte Kreditausfallver-
sich gegenwärtig in der Abstimmung mit dem Bundes- sicherungen abgesichert, mit der Bitte um Differenzierung der
ministerium der Finanzen befindet, wird unmittelbar nach Summe nach Banken, Versicherungen, sonstigen Finanzinsti-
tuten?
Abschluss der Ressortverhandlung dem Haushaltsaus-
schuss des Deutschen Bundestages mit dem Antrag auf Den deutschen Aufsichtsbehörden, BaFin und Deut-
Entsperrung der für das Jahr 2011 vorgesehenen Mittel sche Bundesbank, liegen zur Frage des Engagements
vorgelegt. deutscher Finanzinstitute als Sicherungsgeber im Rah-
10880 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 95. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. März 2011
(A) men von sogenannten Kreditausfallversicherungen, CDS, Aufgrund der Neuregelung der Amtshilferichtlinie (C)
in der von Ihnen gewählten Abgrenzung keine Daten sind weder Anpassungen der Doppelbesteuerungsab-
vor. kommen noch der Abkommen über den steuerlichen In-
formationsaustausch erforderlich. Die Neuregelungen
der Amtshilferichtlinie sind für alle EU-Mitgliedstaaten
Anlage 60 verbindlich, ungeachtet bilateraler Vereinbarungen, ins-
besondere in den bestehenden Doppelbesteuerungsab-
Antwort kommen oder auch anderen Abkommen über den steuer-
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage lichen Informationsaustausch. Es ist festzuhalten, dass
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) die neu gestaltete Amtshilferichtlinie einen Informations-
(Drucksache 17/5015, Frage 87): austausch auf Ersuchen vorsieht, in Übereinstimmung mit
Hat die Bundesregierung Kenntnis davon, dass mehrere
dem OECD-Standard zu Transparenz und Informations-
Kreditinstitute eine rechtzeitige Übersendung der Steuerbe- austausch für Besteuerungszwecke; das schließt ein, dass
scheinigung über Kapitalerträge nicht gewährleisten können nunmehr auch Bankinformationen erlangt werden kön-
(vergleiche Der Tagesspiegel, 8. März 2011), sodass es zu nen. Darüber hinaus ist der automatische Informations-
Kollisionen mit Erklärungsfristen für den Steuerpflichtigen austausch für bestimmte Einkunftsarten vorgesehen. Die
kommen kann, und plant die Bundesregierung hier politisch
aktiv, beispielsweise mit einer Fristverlängerung für die Be- weltweite Durchsetzung des OECD-Standards unterstützt
troffenen, zu werden? die Bundesregierung aktiv im Rahmen des von der G20
initiierten Prozesses. Im Ergebnis dieses Prozesses ist
Der Bundesregierung wurden im Zusammenhang mit ein Netzwerk bilateraler Abkommen entstanden, die den
der Erstellung der Steuerbescheinigungen für das Jahr OECD-Standard vollständig umsetzen. Zahlreiche Dop-
2010 bisher keine Fallgestaltungen herangetragen, die pelbesteuerungsabkommen wurden angepasst.
auf eine verzögerte Fertigstellung der Bescheinigungen
hindeuten. Auch nach Rücksprache mit Vertretern der
Bankenverbände gehe ich davon aus, dass die beantrag- Anlage 62
ten Steuerbescheinigungen für 2010 grundsätzlich bis
Ende März 2011 an die Steuerpflichtigen versendet wer- Antwort
den.
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage
Die Bundesregierung rechnet deshalb nicht damit, des Abgeordneten Manfred Nink (SPD) (Drucksache
dass wegen fehlender Steuerbescheinigungen flächende- 17/5015, Frage 89):
ckend die Abgabefristen der Steuerpflichtigen nicht ein- Wie beurteilt die Bundesregierung die Folge, dass bei ei-
(B) gehalten werden können. Falls es in Einzelfällen zu einer ner einseitigen Anpassungstrategie der Defizitländer im Rah- (D)
verspäteten Versendung der Steuerbescheinigung kommt, men der Bewältigung makroökonomischer Ungleichgewichte
kann hierzu gegebenenfalls im Einzelfall eine Entschei- im Euroraum das Nachfragewachstum aus diesen Ländern
wegfällt, ohne dass die Möglichkeit besteht, es irgendwie zu
dung des zuständigen Finanzamtes zur Verlängerung der ersetzen?
Abgabefrist ergehen.
Die Bundesregierung erachtet Anpassungsleistungen
von Ländern mit übermäßigen Haushaltsdefiziten und
Anlage 61 dauerhaft hohen Leistungsbilanzdefiziten als dringend
erforderlich, um Stabilität und Wachstum im Euro-Raum
Antwort langfristig zu sichern. Nachfrage, die durch ständig
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage wachsende Kreditausweitung finanziert wird, kann zu
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) krisenhaften Entwicklungen führen. Entscheidend ist,
(Drucksache 17/5015, Frage 88): dass diese Anpassungsleistungen durch Strukturrefor-
men flankiert werden, die einen nachhaltigen Beitrag zur
Welche notwendigen Änderungen im Rahmen bestehender
Doppelbesteuerungs- und Informationsaustauschabkommen Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit und des Wachs-
bzw. aktueller Verhandlungen werden sich aus dem Entwurf tumspotenzials leisten und die somit mittelfristig wie-
einer Richtlinie des Europäischen Rats über die Zusammenar- derum einen Beitrag zur Steigerung der Nachfrage dar-
beit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung stellen. Beispiele für solche Maßnahmen sind eine der
und zur Aufhebung der Richtlinie 77/799/EWG ergeben, und
welche konkreten Verbesserungen sieht die Bundesregierung
Produktivität entsprechende Lohnentwicklung, beson-
hierdurch bei der Bekämpfung des internationalen Steuerbe- dere Anstrengungen in den Bereichen Bildung, For-
trugs? schung und Entwicklung, Innovation und Infrastruktur.
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
ISSN 0722-7980