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Plenarprotokoll 17/13

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

13. Sitzung

Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 18: Tagesordnungspunkt 19:


Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Erste Beratung des von den Abgeordneten
wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Oliver Krischer, Hans-Josef Fell, Bettina
Bundesregierung: Fortsetzung der Beteili- Herlitzius, weiterer Abgeordneter und der
gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
der EU-geführten Operation „ALTHEA“ brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Än-
zur weiteren Stabilisierung des Friedens- derung des Bundes-Immissionsschutzgeset-
prozesses in Bosnien und Herzegowina im zes
Rahmen der Implementierung der Annexe (Drucksache 17/156) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1091 A
1-A und 2 der Dayton-Friedensvereinba- Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/
rung sowie an dem NATO-Hauptquartier DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1091 A
Sarajevo und seinen Aufgaben, auf Grund-
lage der Resolution des Sicherheitsrates Dr. Michael Paul (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 1095 A
der Vereinten Nationen 1575 (2004) und Ute Vogt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1097 A
folgender Resolutionen, zuletzt Resolution
1895 (2009) vom 18. November 2009 Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1097 C
(Drucksachen 17/180, 17/275) . . . . . . . . . . . . 1081 B Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/
– Bericht des Haushaltsausschusses gemäß DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1098 A
§ 96 der Geschäftsordnung Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . 1099 B
(Drucksache 17/277) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1081 C
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 1100 B
Dr. Bijan Djir-Sarai (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . 1081 D Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/
Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 1083 B DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1101 C
Peter Beyer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 1084 B Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 1101 D
Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1102 A
Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 1085 C
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/
Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1102 D
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1086 D
Judith Skudelny (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1104 A
Michael Brand (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 1087 D
Jens Koeppen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 1105 A
Fritz Rudolf Körper (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 1089 A
Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 1089 D
Tagesordnungspunkt 20:

Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Antrag der Fraktion der SPD: Deutschland


1090 C
muss deutliche Zeichen für eine Welt frei
von Atomwaffen setzen
Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1092 D (Drucksache 17/242) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1106 B
II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

Uta Zapf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1106 C Monika Lazar (BÜNDNIS 90/


DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1118 D
Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . 1107 D
Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU) 1119 C
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . 1109 A
Elke Hoff (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1110 A Zusatztagesordnungspunkt 10:
Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/ Antrag der Abgeordneten Martin Gerster,
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1111 C Nicolette Kressl, Ingrid Arndt-Brauer, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD:
Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) Steuerfreiheit von Zuschlägen für Sonn-
(CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1112 B tags-, Feiertags- und Nachtarbeit erhalten
(Drucksache 17/244) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1121 A

Tagesordnungspunkt 21: Martin Gerster (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1121 A


Olav Gutting (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 1122 A
a) Antrag der Abgeordneten Cornelia
Möhring, Klaus Ernst, Agnes Alpers, wei- Nicolette Kressl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 1122 C
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE: Bundeseinheitliche Finanzie- Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1123 C
rung von Frauenhäusern sicherstellen Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 1124 B
(Drucksache 17/243) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1113 D
Dr. Daniel Volk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1125 A
b) Antrag der Abgeordneten Monika Lazar,
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/
Ekin Deligöz, Josef Philip Winkler, weite-
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1126 C
rer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Grund-
rechte schützen – Frauenhäuser sichern Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1127 D
(Drucksache 17/259) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1113 D
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . 1114 A Anlage 1
Dorothee Bär (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 1115 A Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 1129 A
Marlene Rupprecht (Tuchenbach)
(SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1116 B Anlage 2
Sibylle Laurischk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1117 D Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1129 D
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1081

(A) (C)

Redetext

13. Sitzung

Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

Beginn: 9.01 Uhr

Präsident Dr. Norbert Lammert: Berichterstattung:


Die Sitzung ist eröffnet. Abgeordnete Philipp Mißfelder
Uta Zapf
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich Dr. Rainer Stinner
begrüße Sie zur voraussichtlich letzten Plenarsitzung des Sevim Dağdelen
Deutschen Bundestages in diesem Jahr. Marieluise Beck (Bremen)
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
– Bei dem Beifall ist mir jetzt nicht völlig klar, ob sich
das auf die freundliche Begrüßung oder auf die Ansage – Drucksache 17/277 –
bezieht, dass mit weiteren Plenarsitzungen in diesem
Jahr nicht zu rechnen ist. Aber das können die Redner Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
(B) für die Fraktionen anschließend der Reihe nach klarstel- Klaus Brandner (D)
len.
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, möchte ich Michael Leutert
Sie darauf hinweisen, dass der Ältestenrat in seiner gest- Sven Kindler
rigen Sitzung vereinbart hat, während der Haushaltswo-
che ab dem 18. Januar nächsten Jahres, wie üblich bei Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion
Haushaltswochen, keine Regierungsbefragung, keine der SPD und ein Entschließungsantrag der Fraktion
Fragestunde und auch keine Aktuellen Stunden durchzu- Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfeh-
führen. Ich nehme an, dass es dazu Einvernehmen gibt. – lung werden wir später namentlich abstimmen.
Das ist offensichtlich der Fall. Dann ist das so beschlos- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
sen. Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Auch
Ich rufe dann unseren Tagesordnungspunkt 18 auf: dies ist offenkundig einvernehmlich. Dann ist das so be-
schlossen.
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus-
nächst dem Kollegen Dr. Djir-Sarai von der FDP.
schuss) zu dem Antrag der Bundesregierung
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- der CDU/CSU)
scher Streitkräfte an der EU-geführten Opera-
tion „ALTHEA“ zur weiteren Stabilisierung
des Friedensprozesses in Bosnien und Herze- Dr. Bijan Djir-Sarai (FDP):
gowina im Rahmen der Implementierung der Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Annexe 1-A und 2 der Dayton-Friedensverein- Kolleginnen und Kollegen! Die EU-Operation Althea in
barung sowie an dem NATO-Hauptquartier Bosnien und Herzegowina ist bisher ein großer Erfolg.
Sarajevo und seinen Aufgaben, auf Grundlage Das ist – auch das muss man an dieser Stelle sagen – ein
der Resolution des Sicherheitsrates der Ver- Verdienst unserer Soldatinnen und Soldaten, die dort im
einten Nationen 1575 (2004) und folgender Re- Einsatz sind.
solutionen, zuletzt Resolution 1895 (2009) vom
18. November 2009 (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie
bei Abgeordneten der SPD und des BÜND-
– Drucksachen 17/180, 17/275 – NISSES 90/DIE GRÜNEN)
1082 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

Dr. Bijan Djir-Sarai


(A) Heute kann die Sicherheitslage in Bosnien und Herze- Wir sehen, dass das militärische Kontingent fortwäh- (C)
gowina sogar als stabil eingestuft werden. Die innenpoli- rend verringert wird. Die weitere Senkung des Militäran-
tische Lage ist jedoch fragil. Vor wenigen Wochen hat teils ist eine richtige und sinnvolle Entwicklung.
der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die Mitglied-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
staaten erneut autorisiert, mit einer multinationalen Sta-
der CDU/CSU)
bilisierungstruppe und NATO-Präsenz weiter vor Ort zu
sein und das Engagement in Bosnien und Herzegowina Die Bundesregierung unterstützt den Ausbau der Poli-
fortzusetzen. Das wird einen guten Grund haben. zeimission. Sie setzt zudem verstärkt auf ziviles Engage-
ment und auf die Entwicklungszusammenarbeit. Aber,
Die aktuelle Lage im Parlament dort ist verworren.
meine lieben Kolleginnen und Kollegen vor allem von
Die Parteien blockieren immer wieder das Zustande-
den Linken, heute ist leider noch nicht der richtige Zeit-
kommen einer effektiven Demokratie. Wir hören sogar
punkt, um vollständig auf das militärische Potenzial ver-
Drohungen von der Zerspaltung des Landes. Politische
zichten zu können.
Kompromisse zu finden, ist so nur eingeschränkt mög-
lich. Die EU muss sich demnach weiterhin um die Ver- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
mittlung zwischen den Entitäten bemühen. Sie muss ein der CDU/CSU und der Abg. Marieluise Beck
Signal für zukünftige Unterstützung setzen. [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] –
Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Und
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
wann ist der richtige Zeitpunkt?)
der CDU/CSU und der Abg. Marieluise Beck
[Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Mit den innenpolitischen Zerwürfnissen als Grund
werden wir der unveränderten Fortsetzung des Engage-
Keine Frage: Eine Beendigung der Kampfhandlungen
ments in Bosnien und Herzegowina zustimmen. Zum
hätte ohne das Dayton-Abkommen womöglich niemals
heutigen Zeitpunkt kann das EUFOR Althea-Mandat
stattgefunden. Jedoch ist dieser Vertrag auch zugleich
nicht inhaltlich verändert werden. Dafür sind die politi-
die Grundlage der ethnisch geprägten Verfassung, die
schen Spannungen einfach zu groß.
nach wie vor zu massiven Uneinigkeiten zwischen den
Parteien vor Ort führt. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU und der Abg. Marieluise Beck Es stellt sich nun die Frage, wie in Sachen Hoher
[Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) Repräsentant weiter verfahren wird. Das Amt des Ho-
hen Repräsentanten wird vorerst erhalten bleiben, da die
Diese Verfassung erschwert den Fortschritt in der Re-
für seine Abschaffung nötigen Ziele und Bedingungen
(B) gion. (D)
bisher nur unzureichend erfüllt sind. An dieser Stelle
Heute, über ein Jahrzehnt nach Kriegsende, wird im- möchte ich jedoch mein Bedauern darüber ausdrücken,
mer deutlicher, dass unbedingt eine Verfassungsreform dass diese Institution bis heute nicht aufgelöst werden
vorangetrieben werden muss, die die Kriterien für ein konnte. Der Hohe Repräsentant hat noch immer exeku-
modernes, EU-fähiges Staatswesen erfüllt. tive Sondervollmachten, die mehr auf dem Papier exis-
tieren, als dass sie in der praktischen Umsetzung mög-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
lich sind. Die Abschaffung des Hohen Repräsentanten
der CDU/CSU und der Abg. Marieluise Beck
wurde bereits 2008 beschlossen. Dieses Vorhaben ist
[Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
eindeutig der richtige Weg.
Insbesondere funktionale, menschenrechtliche und fis-
Die FDP hatte diese Maßnahme schon seit mehreren
kalische Gesichtspunkte sollten dabei im Vordergrund
Jahren gefordert. Denn als Voraussetzung für die Festi-
stehen.
gung demokratischer Strukturen muss Bosnien und Her-
Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass der poli- zegowina die Eigenverantwortlichkeit zurückerlangen.
tische und soziale Prozess in Bosnien und Herzegowina
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
stagniert. Die militärische und rechtsstaatliche Absiche-
der CDU/CSU)
rung durch die EU muss also erhalten bleiben.
Es wäre sehr schön, wenn die EU in Zukunft den Proble-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
men in der Balkanregion insgesamt mehr Priorität geben
der CDU/CSU und der Abg. Marieluise Beck
würde.
[Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Mit den Maßnahmen der Operation Althea sowie der
Der demokratische Prozess wird durch die Fortset-
Polizei- und Verwaltungsmission in Bosnien und Herze-
zung der Operation Althea nicht behindert, ganz im Ge-
gowina soll ein Rückschritt verhindert werden. Aus un-
genteil: Althea ist eine Erinnerung für die Regierung in
serer Sicht muss dieses Land Fortschritte letztlich jedoch
Bosnien und Herzegowina, dass bestimmte Rahmenbe-
selbst machen.
dingungen noch nicht erfüllt sind. Althea sollte als An-
sporn zur Verbesserung der politischen und sozialen Si- Niemand hat die schrecklichen Bilder aus Bosnien
tuation dienen. Die Operation Althea ist aber auch ein und Herzegowina vergessen, die uns nach dem Bosnien-
Symbol, dass die EU und auch die Bundesrepublik Krieg Anfang der 90er-Jahre erreicht haben. Wir haben
Deutschland noch immer hinter den Menschen dieser in einem geschundenen Land Verantwortung übernom-
Region stehen. men – politisch, militärisch und zivil. Dazu müssen wir
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1083
Dr. Bijan Djir-Sarai
(A) nun auch stehen. Zieht Deutschland jetzt seine Hilfe aus Ich freue mich auf die Zusammenarbeit im Auswärtigen (C)
der Region ab, treten wir diese Verantwortung mit Fü- Ausschuss. Ich teile viele Ihrer Schlussfolgerungen. Nur,
ßen. ich weiß nicht, ob wir wirklich sagen können: Was dort
passiert ist, war eine einmalige Erfolgsgeschichte. Ich
Als Bundesrepublik Deutschland, als Deutsche haben persönlich gebe auf der einen Seite zu, dass ich mir man-
wir ein großes Interesse daran, dass Bosnien und Herze- ches schneller erwartet hätte, dass ich gedacht habe, wir
gowina weiter stabilisiert werden. Wir haben ein großes hätten in diesem Zusammenhang schnellere und größere
Interesse daran, dass dieser Staat selbst für die Freiheit Erfolge. Leider ist das nicht so. Ich glaube, dass die poli-
und Sicherheit seiner Bürger sorgen kann. Wir haben ein tisch Verantwortlichen in dieser Region noch eine
großes Interesse daran, dass dort ein friedlicher und de- Menge tun müssen und dass wir weiterhin eine schwie-
mokratischer Rechtsstaat entsteht. Und wir haben ein rige Lage haben.
großes Interesse daran, dass eine Integration in die frie-
denssichernde Europäische Union erfolgen kann. Auf der anderen Seite können wir aber feststellen: Es
gibt auch Fortschritte. Flüchtlinge sind zurückgekehrt.
Wir dürfen nicht nur mit dem Wort, sondern müssen 60 000 Soldaten waren dort zu Beginn stationiert; heute
auch mit der Tat dafür sorgen, dass sich die ganze Re- sind es noch 2 000 Soldaten. Wir brauchen sie noch im-
gion positiv entwickelt. Dazu müssen wir unseren Bei- mer, um die insgesamt schwierige Situation zu überwin-
trag leisten. Wir müssen zu unserer Verantwortung ste- den. Die internationale Präsenz ist auch deswegen erfor-
hen. Der Gesamteinsatz soll unter der Absenkung der derlich, weil sie das wichtige Zeichen setzt, dass wir ein
Obergrenze von 2 400 auf 900 Soldatinnen und Soldaten großes Interesse an Fortschritten haben.
erfolgen. Er muss aber inhaltlich unverändert erfolgen.
Ich wiederhole es, weil es so wichtig ist: Er muss inhalt- Ein wichtiger Ansatzpunkt für die Fortentwicklung ist
lich unverändert erfolgen. Daher bitte ich Sie, dem An- – das haben Sie gesagt – die europäische Integration.
trag der Bundesregierung zuzustimmen. Deswegen war ich sehr enttäuscht, als die CDU/CSU in
ihrem Wahlprogramm geschrieben hat: Diese Perspek-
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen für Ihre tive geben wir nicht mehr allen Staaten in dieser Region.
Aufmerksamkeit. – Ich glaube, dieser Anreiz muss gegeben werden, um
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie überhaupt zu den Fortschritten zu kommen, die wir uns
der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜND- wünschen, auch um unsere dortige internationale Prä-
senz überflüssig zu machen. Deswegen würde ich mich
NIS 90/DIE GRÜNEN])
wirklich freuen, wenn auch in Ihren Reihen ein gewisser
Lernerfolg eintritt: Die EU-Integration bleibt ein wichti-
Präsident Dr. Norbert Lammert: ges politisches Element für den Balkan und den Frieden
(B) (D)
Lieber Kollege Djir-Sarai, ich gratuliere Ihnen herz- in dieser Region;
lich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag und
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
wünsche Ihnen für die weitere parlamentarische Arbeit
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
alles Gute.
FDP)
(Beifall) das brauchen wir. Ich bitte den Außenminister – ich
Rolf Mützenich ist nun der nächste Redner für die glaube, wir sind hier derselben Auffassung –, seine Kol-
SPD-Fraktion. leginnen und Kollegen und die Bundeskanzlerin zu er-
mutigen, diese Perspektive in Verantwortung aufrechtzu-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) erhalten.
Auf der anderen Seite erwarten wir von den politi-
Dr. Rolf Mützenich (SPD): schen Eliten bzw. von Herrn Dodik – ich habe das eben
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- angedeutet –, dass er sich an das hält, was er offensicht-
gen! Am vergangenen Montag vor 14 Jahren, am lich vorgestern gesagt hat: Es soll keine Separation ge-
14. Dezember 1995, wurde in Paris das Dayton-Abkom- ben; der Staatsverbund soll erhalten bleiben. Das ist aber
men unterzeichnet. Damit endete einer der blutigsten auch eine Aufforderung an die Verantwortlichen in Ser-
und schrecklichsten Konflikte nach dem Zweiten Welt- bien, keine Hinweise darauf zu geben, dass die Repu-
krieg. Damit endeten die jugoslawischen Erbfolgekriege blika Srpska irgendwann in Serbien integriert werden
aber leider nicht. Immerhin war dies aber ein wichtiges könnte. Im Gegenteil: Es muss bei den bisherigen Ver-
Datum für eine hoffentlich friedliche und zivile Ent- hältnissen bleiben. Wir müssen auch von der serbischen
wicklung in den einzelnen neuen Staaten des ehemaligen Führung ein Bekenntnis hierzu verlangen; daran muss
Jugoslawiens. Ich hoffe, dass die nachfolgenden Genera- nach meinem Dafürhalten in den Gesprächen, die die
tionen die Lehren aus diesem Konflikt ziehen. Das gilt Regierungen führen, immer wieder erinnert werden.
für die Menschen dort. Aber ich glaube, das gilt auch für
uns hier in Europa. (Beifall bei der SPD und der FDP sowie der
Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜND-
Herr Kollege, ich möchte Sie ganz herzlich zu Ihrer NIS 90/DIE GRÜNEN])
ersten Rede beglückwünschen und Ihnen dafür danken.
Wir haben gehört, dass der Hohe Repräsentant wei-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und terhin über einen Teil seiner Befugnisse verfügt. Zum
der FDP) Beispiel liegt die juristische Aufarbeitung von Kriegs-
1084 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

Dr. Rolf Mützenich


(A) verbrechen auch in den nächsten drei Jahren in seiner Peter Beyer (CDU/CSU): (C)
Hand; das ist wichtig und richtig. Er hat aber einen ande- Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
ren Teil seiner Befugnisse abgegeben, nämlich die Auf- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bosnien-Herzegowina
arbeitung von Korruptionsfällen. kämpft bis heute mit den Folgen der Kriegshandlungen
auf seinem Gebiet. Die innere Zerrissenheit ist geblie-
(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ ben; ethnische Spannungen bestehen fort. Betrachtet
DIE GRÜNEN]: Abgeben müssen!) man die Entwicklungen nach dem letzten Krieg, fühlt
– Ja, das musste er; aber das ist nicht der Punkt. Die man sich unwillkürlich an das Wort erinnert, dass der
Frage wird doch sein: Was machen jetzt die Verantwort- Balkan mehr Geschichte habe, als er selbst verarbeiten
lichen aus dieser Situation? Dazu sage ich vonseiten des könne.
Deutschen Bundestages: Wir brauchen weiterhin eine Die militärische Operation Althea begann im Dezem-
Aufarbeitung der Korruptionsfälle, der Misswirtschaft, ber 2004. Seitdem ist sie Garant dafür, dass die Sicher-
Kriminalität usw., und zwar unabhängig davon, wer in heitslage im Land stabil geblieben ist, trotz schwieriger
diesem Gebiet welche Rolle spielt. Niemand darf den- politischer Umstände. Viele der dort stationierten Solda-
ken, er wäre von der Verfolgung durch die Strafverfol- ten werden Weihnachten nicht zu Hause im Kreise ihrer
gungsbehörden ausgenommen. Das ist ein wichtiges Si- Familie verbringen können. Umso mehr gebührt ihnen
gnal an die dortigen politischen Akteure: Wir wollen, der Dank von uns allen.
dass die juristische Aufarbeitung von Kriegsverbrechen,
aber auch von Korruptionsfällen und Kriminalität fortge- (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
setzt wird, egal wer die Verantwortung dafür trägt. FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Der Erfolg von Althea ist auch für die Nachbarländer
der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- von entscheidender Bedeutung. Der Staat Bosnien-Her-
NEN) zegowina spielt aufgrund seiner zentralen Lage auf dem
Zum Schluss möchte ich einen weiteren Aspekt an- Balkan eine Schlüsselrolle in der gesamten Region. Es
sprechen. Wir reden oft über Abrüstung und Rüstungs- ist deshalb ein sehr gutes Zeichen, dass wegen der
kontrolle, auch gleich hier im Deutschen Bundestag. grundsätzlich stabilen Sicherheitslage die Obergrenze
Wir haben im Zusammenhang mit dem Abkommen von von bisher 2 400 Soldatinnen und Soldaten auf 900 ein-
Dayton gesehen, dass Abrüstung und Rüstungskontrolle zusetzende Soldatinnen und Soldaten gesenkt werden
wichtige Elemente der Konfliktnachbereitung sind. Mi- kann. Tatsächlich eingesetzt sind von deutscher Seite
nenräumung ist ein wichtiges Feld; sie muss in diesem wesentlich weniger: Circa 130 Soldatinnen und Soldaten
(B) Gebiet weiter erfolgen. Hier muss die internationale sind derzeit dort stationiert. (D)
Gemeinschaft noch mehr Anstrengungen leisten. Die Das alles zeigt: Die gemeinsamen Anstrengungen der
Rüstungskontrolle spielte auch beim Abkommen von beteiligten Länder haben die Sicherheit weiter verbes-
Dayton eine wichtige Rolle: Sie sollte eine Überrüstung sert. Wichtig ist, dass die Ziele der Mission trotz der
des auseinanderfallenden Jugoslawiens verhindern und deutlich reduzierten Truppenstärke nicht aus den Augen
dafür sorgen, dass es nicht wieder in große Konflikte hi- verloren werden und sie gesichert bleiben, Stichwort:
neinschlittert. Reservekräfte, die Over-the-Horizon-Forces.
Das Kapitel der Rüstungskontrolle muss neu aufge- Der Friedensprozess ist noch nicht abgeschlossen.
schlagen werden. Wir haben dazu einen Antrag vorge- Die dringend nötige Verfassungsreform stockt, weil die
legt. Damit bietet der Deutsche Bundestag der Regie- ethnischen Konflikte weiter schwelen. Bosniaken, Ser-
rung, aber auch der Region eine Perspektive. Ich bitte ben und Kroaten leben in vielen Fällen nebeneinander
um Zustimmung zu diesem Antrag. statt miteinander. Die innere Zerrissenheit der Gesell-
schaft nach dem Krieg ist lange noch nicht überwunden.
Ich wünsche Ihnen ein frohes Weihnachtsfest und al-
les Gute für das neue Jahr. Das Land muss dahin kommen, dass sich die Men-
schen vor Ort als Bürger von Bosnien-Herzegowina be-
Danke. greifen und nicht nur als Bosniaken, Serben oder Kroa-
ten. Damit das uns und den Menschen vor Ort gelingt,
(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei braucht der Staat eine Perspektive. Die Annäherung an
Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- die Europäische Union und die NATO kann eine solche
NEN) Perspektive sein. Wir freuen uns deshalb sehr darüber,
dass Bosnien-Herzegowina den Beitritt zur Europäi-
Präsident Dr. Norbert Lammert: schen Union anstrebt.
Bevor es so weit ist, setzen wir die Debatte fort, Dass mangels der Erfüllung der Bedingungen die
Visabeschränkungen für Bosnien-Herzegowina bisher
(Heiterkeit) nicht aufgehoben werden konnten, ist zu bedauern, ins-
als Nächstes mit dem Redner Peter Beyer für die CDU/ besondere weil die bosnischen Serben aufgrund ihrer
CSU-Fraktion. Verbindung zu Serbien andere Möglichkeiten haben als
die Bosniaken, was die Situation nicht leichter macht.
(Beifall bei der CDU/CSU) Dennoch müssen wir auf der Einhaltung der Kriterien
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1085
Peter Beyer
(A) bestehen, Herr Kollege Mützenich. Der Fahrplan zur Sevim Dağdelen (DIE LINKE): (C)
Annäherung der Westbalkanländer an die EU legt ein- Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da-
zelne Stufen fest, die nicht übersprungen werden dürfen. men und Herren! In einem Schreiben des damaligen UN-
Dieser schrittweise Prozess ist auch im Interesse von Generalsekretärs Pérez de Cuéllar an Außenminister Gen-
Bosnien-Herzegowina und der richtige Weg für dieses scher vom 14. Dezember 1991 warnte er – ich zitiere –,
Land. „dass verfrühte selektive Anerkennungen eine Erweite-
rung des Konflikts in jenen empfindlichen Regionen
Wir werden mit Althea weiter zur Stabilisierung bei- nach sich ziehen würden“. Weiter heißt es: „Solch eine
tragen und das Land zudem zivil und finanziell fördern. Entwicklung könnte schwerwiegende Folgen für die
Wir unterstützen ferner den Aufbau einer funktionieren- ganze Balkanregion haben …“
den Polizeistruktur. Aber wir brauchen auch die staatli-
Wir wissen, welche unrühmliche Rolle die deutsche
che Eigenleistung. Demokratie muss sich langfristig
Außenpolitik dann auf dem Balkan gespielt hat und lei-
selbst tragen. Althea darf keine Dauereinrichtung wer- der weiter spielt. Das setzt sich im Antrag der Bundesre-
den. Ich denke, das ist weitgehender Konsens in diesem gierung fort. Im SPD-Antrag heißt es dagegen – ich zi-
Hause. tiere –:
Bosnien-Herzegowina kann als inhomogenes Gebilde Für die Vereinigten Staaten und die EU gilt es, die
nur als föderaler Staat funktionieren. Gerade in födera- Verantwortlichen in der Republika Srpska vor den
len Systemen führt aber der demokratische Weg oft nur verheerenden Folgen einer Sezession zu warnen.
über Konflikt und Kompromiss zum Konsens. Das ist
„Bravo!“ möchte man Ihnen zurufen! Plötzlich ent-
langwierig. Demagogen bieten dagegen scheinbar
decken Sie das Völkerrecht wieder. Aber der Schein
schnelle und absolute Lösungen an. Das macht gerade trügt.
junge Staaten so anfällig für deren Versprechungen.
(Beifall bei der LINKEN)
Das Land braucht letztlich Menschen, die den Mut
haben, sich nicht hinter dem anfangs erwähnten Zuviel Die rot-grüne und die jetzige Bundesregierung unter-
an Geschichte zu verstecken. Das gilt gerade im Hin- scheiden sich in diesem Punkt leider gar nicht. Das Völ-
blick auf die Wahlen im nächsten Jahr. Ethnische Fragen kerrecht entdecken Sie immer nur dann, wenn es Ihnen
genehm ist. Haben Sie denn irgendetwas getan, um
dürfen nicht länger wichtiger sein als der gemeinsame
Jugoslawien vor dem Zerfall zu bewahren?
Wille zur gemeinsamen Zukunft. Es braucht Menschen,
die bereit sind, Vergangenes hinter sich zu lassen, alte (Michael Brand [CDU/CSU]: Die Aggressio-
nen kamen doch aus Belgrad! – Kerstin Müller
(B) Grenzen zu überwinden und neue Wege zu beschreiten. (D)
Den einen Big Bang wird es nicht geben, sondern viele [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das
kleine Schritte. So hat es kürzlich erst der derzeitige kann doch nicht wahr sein!)
Hohe Repräsentant Valentin Inzko formuliert. Haben Sie nicht einen völkerrechtswidrigen Krieg gegen
Dass Bosnien-Herzegowina diese Belastungsprobe Jugoslawien geführt? Und waren Sie es nicht, die die
am Ende besteht, daran müssen wir ein ureigenes Inte- einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovos an-
erkannt und damit eine neue Lunte an das Pulverfass
resse haben. Seit Aufnahme der bilateralen Beziehungen
Balkan gelegt haben? Jetzt jammern Sie, wenn andere
verbindet uns mit dem Land eine aufrichtige Freund-
durch die Türen gehen, die Sie geöffnet haben.
schaft. Bosnien-Herzegowina verdient endlich Demo-
kratie statt Manipulation und nationaler Ideologie. Die (Beifall bei der LINKEN)
nötigen Anstrengungen, die Kriterien zum Beitritt zur Eine völkerrechtskonforme Politik auch dieser Bun-
EU zu erreichen, werden die demokratischen Struktu- desregierung würde etwas für den Zusammenhalt Bos-
ren am Ende kräftigen, nicht schwächen. Mit dem Er- nien-Herzegowinas bewegen;
folg jeder demokratisch gefundenen Entscheidung wird
das Vertrauen in die eigene Handlungsfähigkeit steigen. (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
Damit die demokratischen Strukturen weiter wachsen GRÜNEN]: Althea!)
können, ist die Verlängerung des Althea-Mandats erfor- deutsche Soldaten auf dem Balkan haben es in der Ver-
derlich. Dafür bitte ich um Ihre Unterstützung. gangenheit nicht und werden es auch in Zukunft nicht.
Aus der Debatte wird auch klar, dass Sie an einer ehrli-
Herzlichen Dank. chen Bilanz des Althea-Militäreinsatzes nicht wirklich
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie interessiert sind. Sie bauen sich hier systematisch eine
der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜND- Scheinwelt auf, die dazu dient, den Militäreinsatz zu le-
NIS 90/DIE GRÜNEN]) gitimieren.
(Zuruf von der FDP: Scheinwelten hat nur die
Präsident Dr. Norbert Lammert: Linkspartei!)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Sevim Dağdelen In der jüngsten Studie der Stiftung Wissenschaft und
für die Fraktion Die Linke. Politik zur Bilanz der bisherigen EU-Militär- und Poli-
zeieinsätze heißt es, dass sich die Stimmen mehren, die
(Beifall bei der LINKEN) sagen, dass die Situation in Bosnien nach Dayton selten
1086 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

Sevim Dağdelen
Daðdelen
(A) so verfahren und angespannt war wie im Jahr 2009. Ich Herzegowina noch nie so schlecht auf diese Polizei zu (C)
frage Sie: Ist das das positive Ergebnis dieser Militär- sprechen gewesen wie im letzten Jahr. Auch das gehört
mission, das einen weiteren Verbleib in Bosnien recht- zu Ihrer Bilanz.
fertigt? Die Autoren der Studie haben doch recht, wenn
sie konstatieren, dass dieser Konflikt weder durch politi- Lassen Sie mich mit einem Appell schließen, auch
schen noch durch wirtschaftlichen oder militärischen wenn ich weiß, dass das bei Ihnen wahrscheinlich gar
Druck gelöst werden kann. Der EU-Militäreinsatz hat nichts nutzen wird: Ziehen Sie die Bundeswehr ab, deren
– selbst wenn man Ihrer Logik folgen würde – nichts, Mission gescheitert ist! Kehren Sie zurück zur Politik!
aber auch gar nichts Positives bewirkt. Im Gegenteil: Er Lassen Sie Ihre imperialen Spielchen!
hat mit verhindert, dass es zu einem wirklich nachhalti- (Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP –
gen zivilen und sozialen Aufbau in Bosnien-Herzego- Michael Brand [CDU/CSU]: Wie oft waren
wina kommt. Sie denn in dem Land, über das Sie gerade ge-
(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Unsinn!) sprochen haben?)

Man muss doch den Tatsachen ins Auge sehen. Dazu Achten Sie endlich wieder das Völkerrecht! Machen Sie
gehört, dass alle deutschen Bundesregierungen nach Demokratie, Sozial- und Rechtsstaatlichkeit zur Maxime
Dayton dabei halfen, dass auch in Bosnien-Herzegowina deutscher Außenpolitik, damit deutsche Außenpolitik
eine neoliberale Wirtschaftsordnung durchgesetzt Friedenspolitik werden kann!
wurde. Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN – Beifall bei der (Beifall bei der LINKEN – Hermann Gröhe
CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordne- [CDU/CSU]: Sind wir denn hier im War-
ten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE schauer Pakt?)
GRÜNEN – Zuruf von der SPD: Wer lebt denn
hier in einer Scheinwelt?)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
– Schauen Sie sich doch einmal den Anhang des Dayton- Nächste Rednerin ist die Kollegin Marieluise Beck,
Abkommens an. Die Privatisierung und damit die Ver- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
schleuderung öffentlichen Eigentums standen ganz oben
auf der Agenda. (Michael Brand [CDU/CSU]: Jetzt wird es
wieder sachlich!)
(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Und die russischen Oligar- Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D)
(B) chen, liebe Frau Dağdelen? – Thomas NEN):
Oppermann [SPD]: Sagen Sie doch mal was
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
zu den russischen Oligarchen!)
Manche von Ihnen wissen, dass ich seit 1992 mit dieser
Aber die erwarteten westlichen Investoren hielten sich Region sehr verbunden bin. Solch ein Beitrag macht
aufgrund der Sicherheitslage zurück. So konnten sich an mich einfach fassungslos.
der Privatisierung vor allen Dingen diejenigen berei-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei
chern, die nach dem Krieg vor Ort genügend Kapital zur
der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
Verfügung hatten, nämlich ethnonationalistische Gewalt-
unternehmer, deren wirtschaftlich-politisch-kriminelle Frau Kollegin, es ist eine Tatsache: Die kroatische
Netzwerke heute für die verarmte Bevölkerung das ein- Stadt Vukovar wurde von der serbischen Armee überfal-
zige soziale Netz darstellen. len, bevor Kroatien anerkannt worden war. Lesen Sie
doch bitte ein bisschen in den Geschichtsbüchern.
Auch wenn Sie das nicht hören wollen: So schafft
man keinen Frieden, indem man soziale Strukturen zer- (Beifall des Abg. Joachim Spatz [FDP])
stört und die Leute damit in die Arme der Nationalisten
treibt. Noch etwas: Srebrenica war keine Scheinwelt. Vielleicht
sollte Ihre Fraktion einmal den Mut haben – das möchte
(Beifall bei der LINKEN) ich Ihnen wirklich nahelegen – und nach Srebrenica fah-
ren.
Und auch in puncto Rechtsstaatlichkeit haben Sie
schlichtweg versagt. Der Hohe Repräsentant setzt per (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Dekret Recht, und somit haben wir es mit einem EU- bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – Jan
Protektorat zu tun, das alle Züge einer Kolonialverwal- van Aken [DIE LINKE]: Sie haben das Völ-
tung trägt. kerrecht gebrochen!)
(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei Fahren Sie einmal dorthin! Schauen Sie sich das an! Der
der FDP) Genozid in Srebrenica ist sogar gefilmt worden. Sie kön-
– Es ist klar, dass Ihnen das nicht gefällt. nen sich die Dokumente anschauen. Man kann sogar Ge-
neral Mladic auf dem Gelände der ehemaligen Batte-
Die lokale Polizei wurde und wird von NATO und EU riefabrik in Potocari sehen, wo die Selektion der Männer
aufgebaut, ausgebildet und beaufsichtigt, und nach unab- und Jungen beginnt, die dann in die Wälder geführt wor-
hängigen Angaben ist die Bevölkerung in Bosnien- den sind, um dort ermordet zu werden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1087
Marieluise Beck (Bremen)
(A) (Jan van Aken [DIE LINKE]: Jetzt erzählen Man muss auch den Mut haben, sehr deutlich zu be- (C)
Sie noch etwas zum Hufeisenplan!) nennen, wo der Hauptstörenfried sitzt. Wir alle wissen
es. Ministerpräsident Dodik kann schadlos das Entitäten-
Althea dient der Stabilisierung; es ist jetzt eigentlich veto nutzen. Er setzt dieses Veto ein, wenn es darum
ein Präventionseinsatz. Es geht um Prävention von Ge- geht, diesen Staat zu bauen und endlich zentrale Institu-
walt, was für UN-Missionen gut und richtig ist. Wir soll- tionen einzurichten, um ihn überhaupt arbeitsfähig zu
ten jetzt weniger über Militär und mehr über Politik machen. Dann knickt auch noch der OHR ein bzw. muss
sprechen. einknicken, weil er keine Rückendeckung von den euro-
päischen Staaten bekommt und immer mehr zur Lame
(Jan van Aken [DIE LINKE]: Hufeisenplan,
Duck gemacht wird; das setzt sich durch die ganze Reihe
Frau Beck!)
der Hohen Repräsentanten fort. Auch das ist eine Verant-
Der Kollege Mützenich hat schon gesagt, dass sich wortung, die auf uns zeigt und nicht nur nach Bosnien
hier auch an uns die Frage richtet: Welche Perspektive selbst.
geben wir dieser Region? Um diese Region nicht zu ei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
nem schwarzen Flecken innerhalb Europas werden zu und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
lassen, braucht die Region die Perspektive einer EU- CDU/CSU)
Mitgliedschaft.
Die Menschen haben ein tiefes Bedürfnis nach Ge-
(Beifall des Abg. Michael Brand [CDU/CSU] rechtigkeit. Das ist auch in Bosnien so. Ich sage noch
sowie des Abg. Joachim Spatz [FDP]) einmal: Es ist nicht nachvollziehbar, dass ein kleines
Land wie Serbien, das ja keinen großen Dschungel hat,
Wir alle wissen, dass dieser Passus in der Koalitionsver-
nicht in der Lage ist, General Mladic auszuliefern. Wenn
einbarung ausgespart worden ist. Das offenbart, dass es
wir in dieser Region Frieden und Gerechtigkeit herbei-
diesbezüglich in der Regierung eine Differenz gibt und
führen wollen – dabei geht es nicht um Strafe oder Ra-
die CDU dieser Region diese Perspektive nicht aufzei-
che, sondern nur um die Benennung der Wahrheit –,
gen will. Wenn der Fortschritt in dieser Region nicht mit
muss mit großer Klarheit und Ernsthaftigkeit verlangt
dem Tempo kommt, das wir alle uns wünschen, hat das
werden, dass General Mladic endlich in Den Haag lan-
sehr viel damit zu tun, dass diese Perspektive nicht
det.
glaubwürdig und klar von uns und der Europäischen
Union formuliert wird. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(B) und bei der SPD) Es darf nicht darauf gesetzt werden, dass uns eines Tages (D)
die biologische Lösung von dieser Forderung, die
Die Dinge stehen nicht so gut, wie wir in diesem Ho- schwer durchzusetzen ist und Konflikte mit Serbien be-
hen Haus das gerne sagen; darüber haben wir hier schon deutet, befreit.
diskutiert, Herr Außenminister. Es wird häufig geschrie-
ben, dass die zentrifugalen Kräfte in Bosnien eher zu- Schönen Dank.
nehmen und bosnische Politiker sich mit nationalisti-
schen Parolen und der Obstruktion von Reformen, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
für die Schaffung eines Gesamtstaates erforderlich sind, bei der SPD und der FDP sowie bei Abgeord-
profilieren können. Aber auch da haben wir eine Verant- neten der CDU/CSU)
wortung. Wir haben mit dem Dayton-Abkommen eine
Verfassung schreiben und unterschreiben lassen, in der Präsident Dr. Norbert Lammert:
die Zugehörigkeit zu einer Ethnie – man müsste eigent- Das Wort erhält nun der Kollege Michael Brand,
lich sagen: Religionsgruppe – Voraussetzung für den Zu- CDU/CSU-Fraktion.
gang zu Ämtern ist. Der jetzige bosnische Außenminis-
ter kann nicht für das Staatspräsidium dieses Landes (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
kandidieren, weil er sich keiner der Gruppen, die be- neten der FDP)
nannt worden sind, zuordnen kann. Junge Menschen, die
aus einer kroatisch-bosnischen Ehe hervorgegangen Michael Brand (CDU/CSU):
sind, müssen sich einer sogenannten Ethnie zuordnen, Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
bevor sie für das Amt des Repräsentanten dieses Staates Kollegen! Zunächst kann ich im Konsens mit der über-
kandidieren können. Das kann in Europa nicht sein. großen Mehrheit hier im Hause nochmals festhalten,
dass die EU-Mission Althea in Bosnien-Herzegowina
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei
eine notwendige Mission ist, deren Verlängerung wir als
der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten
CDU/CSU aus voller Überzeugung zustimmen.
der CDU/CSU)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Wenn wir über unsere Werte sprechen, muss uns klar neten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE
sein, dass wir eine Bringschuld haben; denn so können GRÜNEN)
wir dieses Land gar nicht in Europa aufnehmen. Unsere
Aufgabe ist die Überwindung von Dayton. Das ist eine Als jemand, der dieses in der Tat geschundene Land
sehr große Aufgabe. seit 1995 – ganz offensichtlich im Vergleich zu Ihnen –
1088 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

Michael Brand
(A) immer wieder besucht hat, will ich eine klare Bemer- Nach all den Kriegen der 90er-Jahre hat der Balkan – das (C)
kung in Richtung der Kritiker der Mission machen. gilt nicht nur für Bosnien – eine neue Ordnung gefun-
den, die zwingende Voraussetzung für dauerhafte Stabi-
(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Letztes lität ist und das Risiko eines neuen Balkan-Krieges ein
Jahr war ich da!) für alle Mal beenden soll. Deswegen sage ich: Die aktu-
Dafür, dass dieses Land einem Aggressionskrieg und ei- ellen Drohgebärden aus der Republika Srpska im Hin-
nem Völkermord ausgesetzt war, sind die vergangenen blick auf eine Abspaltung und die teils unverhohlene
14 Jahre seit dem Friedensabkommen von Dayton eine Sympathie für solch gefährliche Rhetorik widersprechen
sehr kurze Zeit. Wir alle hier sollten uns bei mancher allen, wirklich allen europäischen Grundsätzen und be-
Ungeduld und manchem Kopfschütteln über einzelne deuten nicht weniger als eine akute Gefährdung der re-
Akteure vor Ort immer fragen: Wo wären wir, die Deut- gionalen Stabilität.
schen, 14 Jahre nach einem solchen Genozid, wenn wir
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
zwar militärische Absicherung des Friedens, dabei aber
SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
keinen Marshallplan und keine zentrale Lage in Europa
NEN)
hätten?
Es ist wahr – das weiß ich aus vielen Gesprächen vor Die Mission Althea schützt dieses Land auch vor de-
Ort –: Das Ausmaß der Korruption ist eine Geißel, die nen, die innerhalb wie außerhalb den Appetit auf Teile
Bosnien-Herzegowina bei seiner Entwicklung hindert. Bosniens erkennbar nicht verloren haben. Deshalb muss
Wahr ist auch: Nationalismus ist eine rhetorische Karte, festgehalten werden – Herr Mützenich, hier stimme ich
die innerhalb Bosniens noch immer allzu oft sticht. Die Ihnen ausdrücklich zu und bin für Ihre Äußerung dank-
Bosnier, insbesondere die Bosniaken, haben nicht Rache bar –: Das inzwischen demokratische, neue Serbien
geübt an den Tätern – und es gab mehr als Srebrenica; muss denen klar widersprechen, die wie Dodik und an-
dieser Ort ist nur das Fanal für andere Hunderte von dere nur 15 Jahre nach dem Ende der Milosevic-Kriege
Massakern, deren Tote noch immer nicht identifiziert schon wieder offen fabulieren, von Banja Luka bis
sind. Wer der Lebenswirklichkeit und der Seelenlage der Srebrenica Teile aus Bosnien herausschneiden zu wol-
Bevölkerung nachspürt, der muss feststellen: Hundert- len. Eines ist klar: Wer von Banja Luka in Bosnien bis
tausende Überlebende dieses Genozids sind wirtschaft- Mitrovica in der Republik Kosovo zündelt, der spielt mit
lich geschlagen und erfahren zu wenig Gerechtigkeit; dem Feuer neuer Konflikte auf dem Balkan. Das dürfen
das hat Kollegin Beck gerade eindrücklich formuliert. wir nicht zulassen.
Diese Menschen sind nicht nur von vielen in der eigenen (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Führung enttäuscht. Sie hatten viel Hoffnung in Europa, neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
(B) aber sind meist mit der internationalen Gemeinschaft GRÜNEN) (D)
und auch mit manchem Lehrmeisterton schon lange
nicht mehr einverstanden. Wer täglich erleben muss, Wer glaubt, dass die radikalen Kräfte in Serbien, im
dass Täter des Genozids – hier geht es nicht nur um den Kosovo, in Mazedonien und anderswo nicht genau be-
meistgesuchten aller Kriegsverbrecher, Herrn Mladic – obachten, wie die EU mit diesen Themen umgeht, der
bei Polizei und Verwaltung heute wieder oben sitzen, begeht einen gefährlichen Irrtum. Dieser Destabilisie-
und das sogar in Srebrenica, der zweifelt an der Situation rung und Radikalisierung in Südosteuropa müssen wir
und verliert auch Energie für den Wiederaufbau. Wer mit Nachdruck entgegentreten. Eine zweite Runde von
sieht, dass die EU aktuell die auslaufenden Mandate in- Balkan-Konflikten darf Europa nicht zulassen. Auch
ternationaler Richter und Staatsanwälte nicht verlängern dies dokumentiert unser Engagement im Rahmen von
hilft, der wertet dies als fatales Signal beim Kampf ge- Althea, KFOR, EULEX und anderen Missionen in Süd-
gen Korruption und bei der Verfolgung von Kriegsver- osteuropa. Mit Entschlossenheit und Umsicht müssen
brechen. wir im Interesse Bosniens endlich den Weg in die Post-
Dayton-Ära beschreiten.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- Ich stelle fest, dass mit Ausnahme einer Fraktion alle
NEN) Fraktionen dieses Hauses formuliert haben, dass wir ei-
nen Prozess brauchen, der Dayton überwindet, der neue
Liebe Kolleginnen und Kollegen, insgesamt bleibt Akzente setzt. Dayton war wichtig, um den Krieg zu be-
richtig: Wir müssen auf eine Zeit hinsteuern, die den enden. Er reicht aber nicht aus für die heutigen Realitä-
OHR überflüssig macht. Allerdings heißt das auch: Wir ten und als Grundlage, um das Land zurückzugeben. Das
müssen uns darauf gut vorbereiten. Wer manch eine müssen wir allerdings erreichen. Es muss uns gelingen,
Analyse über „die da unten“ und wir die internationale den Bosniern ihr Land in guter Weise und gut geordnet
Gemeinschaft, liest oder davon hört, der darf sich über zurückzugeben. In Bosnien und auch auf unserer Seite
unsere Fehler, die gemacht worden sind, überhaupt nicht ist noch einiges zu tun. Der neue deutsche Außenminis-
wundern. Zu viele faule waren unter den Kompromissen, ter bedeutet auch hier eine Chance auf Verbesserung.
und zu wenig wurde die Würde der Opfer dieses Geno- Wir wünschen uns eine aktivere Rolle Deutschlands in
zids mitten in Europa beachtet, als es um konkrete Vor- Südosteuropa. Die CDU/CSU bietet jede gewünschte
schläge ging. Ich spreche es offen an: Es ist an der Zeit, Hilfe in der Sache an.
nicht nur andere zu tadeln, sondern auch die eigenen
Fehler, die Fehler der internationalen Gemeinschaft, in Erlauben Sie mir, in dieser letzten Sitzung vor der
den letzten zehn Jahren offen und ehrlich zu analysieren. Weihnachtspause an uns alle zu appellieren: Die Opfer
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1089
Michael Brand
(A) des schlimmsten Genozids in Europa nach dem Zweiten Europäische Union hat diese Stabilisierungsaufgabe vor (C)
Weltkrieg haben es mehr als nur verdient, dass wir uns fünf Jahren von der NATO übernommen. Die Sicher-
hier besondere Mühe geben. Wir wollen und werden al- heitslage in Bosnien-Herzegowina ist zumindest etwas
les unternehmen, um den Menschen in Bosnien den Weg stabiler als vorher.
in eine Zukunft in Würde und Wohlstand mitten in der
Gemeinschaft EU-Europas mit zu ebnen. In diesem Zusammenhang will ich auch die europäi-
sche Polizeimission ansprechen, bei der sich die EU
Herzlichen Dank. umorientiert mit der Konzentration auf die Bekämpfung
der organisierten Kriminalität und der Korruption sowie
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
die Verbesserung der Zusammenarbeit von Polizei und
bei Abgeordneten der SPD und des BÜND-
Staatsanwaltschaften. Das ist ganz wichtig; denn wenn
NISSES 90/DIE GRÜNEN)
ein solches Land die Korruption nicht wirksam bekämp-
fen kann, hat es keine Chance.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Fritz Rudolf Körper ist der nächste Redner für die (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
SPD-Fraktion. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD) Ich will zugeben: Es hat mich schon ein bisschen irri-
tiert, dass, als Frau Beck die Forderung gestellt hat, dass
Fritz Rudolf Körper (SPD):
Herr Mladic ausgeliefert wird und in Den Haag landet,
dies nicht den Applaus des gesamten Hauses bekommen
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lassen
hat.
Sie mich zu Beginn meiner Ausführungen einen kurzen
Rückblick auf die griechische Mythologie werfen. Al- (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
thea, die Namensgeberin dieser EU-Mission, ist die grie- FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
chische Göttin der Heilkunst. Wer sich mit der Proble- SES 90/DIE GRÜNEN)
matik von Bosnien-Herzegowina beschäftigt, wird
wissen, dass Heilen und die Fähigkeit, zu versöhnen, Versöhnung ist ganz wichtig. Wie kann man die ethni-
dringend notwendig sind. sche Spaltung überwinden und Versöhnung herstellen?
Wir sehen im Moment, dass die ethnische Problematik
(Beifall bei der SPD) an jeder Stelle ungeheuer hinderlich ist, beispielsweise
Dem Mythos nach wurde Althea von den Göttern er- bei der Frage, wie der Staat vernünftig aufgebaut und or-
klärt, dass ihr Sohn sterben würde, sobald ein Stück Holz ganisiert werden kann. Bestimmte Funktionen und Stel-
auf ihrem Feuer verbrannt ist. Althea nahm daraufhin len müssen dreifach besetzt werden – mit all der Proble-
(B)
das Holz vom Feuer, löschte es und legte es in einen matik, die dies mit sich bringt. Deswegen ist es wichtig, (D)
Kasten, um das Leben ihres Sohnes zu bewahren. – Nach dass wir zur Versöhnung der Ethnien in Bosnien-
dem Löschen des Feuers in Bosnien-Herzegowina unter- Herzegowina beitragen.
stützt die EU-Mission Althea jetzt das Heilen des Landes Ich will mit einem Beispiel schließen, das ein biss-
und seiner Bevölkerung. Anders als im Mythos soll das chen Hoffnung gibt. In der letzten Woche kam es zur
Holz nie wieder aus dem Kasten genommen werden, Wiedereröffnung der direkten Bahnverbindung zwischen
sondern für immer sicher verwahrt bleiben. Belgrad und Sarajevo, nachdem diese Verbindung
(Beifall bei der SPD) 18 Jahre gekappt war. Vielleicht ist das ein Symbol, ein
Hoffnungsschimmer dafür, dass es zu dem notwendigen
Ich habe diesen Rückgriff gewählt, um deutlich zu Ausgleich, dem notwendigen Versöhnungsprozess der
machen – das hat vorhin beispielsweise bei dem Beitrag betroffenen Ethnien auf dem Balkan in naher Zukunft
von Frau Beck eine Rolle gespielt –, mit welch einer kommt; denn nur dann wird es gelingen, dass der Balkan
Problematik wir es in Bosnien-Herzegowina zu tun hat- eine Zukunft hat. Das ist für die europäische Perspektive
ten und haben. Bei allen Unzulänglichkeiten der heuti- von großer Bedeutung.
gen Situation können wir doch eines feststellen: Diese
Mission, dieser Einsatz der internationalen Staatenge- Herzlichen Dank.
meinschaft hat dem ethnisch motivierten Morden und (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Töten ein Ende machen können. der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNIS-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – SES 90/DIE GRÜNEN)
Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Zu spät! Viel zu spät!) Präsident Dr. Norbert Lammert:
– Frau Beck, das ist eine andere Frage. Es war leider zu Florian Hahn ist der letzte Redner zu diesem Tages-
spät; aber wir haben dieses Ergebnis zu einem bestimm- ordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion.
ten Zeitpunkt erreicht, und das war gut so. (Beifall bei der CDU/CSU)
Durch die militärische Komponente dieser Mission,
durch die militärische Präsenz ist es gelungen, Gewalt- Florian Hahn (CDU/CSU):
ausbrüche der ehemaligen Konfliktparteien zu verhin- Sehr geehrter Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen
dern und die nationalen und die internationalen Akteure und Kollegen! Als ich im Frühjahr 2002 in Sarajevo war,
in die Lage zu versetzen, ihre Aufgaben zu erfüllen. Die waren dort 1 600 deutsche Soldatinnen und Soldaten sta-
1090 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

Florian Hahn
(A) tioniert, 1 600 Soldaten in einer Stadt, in deren Zentrum (Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Klamauk? (C)
neben den deutlich sichtbaren Zerstörungen des Krieges Nur weil man nicht zustimmt?)
der Marktplatz mit jungen Menschen gefüllt war, die in
der Frühlingssonne den ersten Kaffee des Jahres im Deshalb hier mein klares Statement: Wir wissen um die
Freien genossen haben – eine schöne mediterrane At- Leistungen, die unsere Landsleute dort erbringen. Ich
mosphäre. Doch unsere Delegation musste damals von möchte ihnen ganz herzlich dafür danken und wünsche
Sicherheitskräften begleitet werden; denn die Sicher- ihnen für die zukünftigen Aufgaben Gottes Segen.
heitslage war extrem angespannt. Das war auch zu spü-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
ren, als wir nach dem Vorfall in Rajlovac unsere deut-
neten der FDP)
schen Soldatinnen und Soldaten besucht haben und sie
einen Tag lang begleiten durften. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und wün-
sche uns allen ein gesegnetes Weihnachtsfest.
Heute, knapp acht Jahre danach, kann die militärische
Sicherheitslage als grundsätzlich stabil eingestuft wer- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
den. Personenschutz ist größtenteils nicht mehr notwen- neten der FDP)
dig. Wir konnten unsere deutschen Sicherheitskräfte in-
zwischen auf 130 Soldatinnen und Soldaten reduzieren.
Das bringt nur leider einige europäische Staaten zu der Präsident Dr. Norbert Lammert:
Annahme, dass wir unsere Truppen gänzlich abziehen Ich schließe die Aussprache.
könnten. Doch wie meine Vorredner schon erwähnt ha-
ben, ist die innenpolitische Lage weiterhin fragil. Bos- Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-
nien und Herzegowina ist nach wie vor unser Sorgen- schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf der
kind Nummer eins auf dem Balkan, ein Sorgenkind Drucksache 17/275 zu dem Antrag der Bundesregierung
inmitten Europas. zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der EU-geführten Operation Althea. Der
Die zivilgesellschaftlichen Probleme, die uns schon Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf Drucksache 17/180
damals vor Augen geführt wurden, haben leider noch anzunehmen. Dazu ist eine namentliche Abstimmung be-
heute zum großen Teil Bestand. Die Lage kann sich antragt. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
schnell wieder ändern, wenn wir unsere Unterstützung die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Ich eröffne die
verweigern. Wir alle kennen die Drohungen, die bei- Abstimmung.
spielsweise ein Herr Dodik ausgesprochen hat, wenn
seine Bedingungen nicht erfüllt werden. Oft genug ha- Ist ein Mitglied des Hauses im Saal anwesend, das
(B) ben wir heute in diesem Hohen Hause über die nationa- seine Stimme noch nicht abgegeben hat? – Dann (D)
listischen Kräfte in Bosnien und Herzegowina diskutiert. schließe ich hiermit die Abstimmung. Ich bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
Unser Ziel ist, dass das europäische Land Bosnien lung zu beginnen. Wir geben das Ergebnis der Abstim-
und Herzegowina zu einem friedlichen, demokratischen mung nach üblichem Verfahren während der nächsten
Rechtsstaat in Europa wird. Ein Abzug unserer militä- Debattenrunde bekannt.1)
rischen Kräfte würde den Menschen vor Ort signalisie-
ren, dass wir, dass Europa kein Interesse mehr an ihnen Wenn Sie bitte wieder, wo immer Sie mögen, aber je-
hat, insbesondere vor dem Hintergrund der Schwierig- denfalls Platz nehmen, können wir mit den weiteren Ab-
keiten des Butmir-Prozesses. Ein Abzug würde die jah- stimmungen fortfahren.
relange Aufbauarbeit der Nachkriegsgesellschaft zu-
nichte machen. Die reine Anwesenheit des Militärs ist Nachdem sich nun allmählich eine fast weihnachtli-
für den zivilgesellschaftlichen Aufbau von immenser che Stille über den Plenarsaal legt, können wir die Ab-
Wichtigkeit. Nehmen wir hier nur als Beispiel die stimmungen fortsetzen mit der erneuten freundlichen
Flüchtlingsrückkehrer, für die das subjektive Gefühl der Einladung, sie im Sitzen zu absolvieren, weil es höhere
militärischen Anwesenheit essenziell ist. Wir müssen gesetzliche Anforderungen jedenfalls für den Abstim-
Bosnien und Herzegowina unterstützen. Aber ich sage mungsvorgang nicht gibt.
auch: Diese Unterstützung darf nicht nur geschenkt sein.
Wir kommen zunächst zum Entschließungsantrag der
Deshalb war es richtig, Bosnien und Herzegowina die
SPD-Fraktion auf der Drucksache 17/282. Wer stimmt
Aufnahme in den Membership Action Plan der NATO zu
für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dage-
verweigern. Auch die Bosnier müssen ihren Teil dazu
gen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Entschlie-
beitragen und dürfen bei Beitrittgesuchen keine Rabatte
ßungsantrag abgelehnt.
bekommen.
Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion
Ich kann mir übrigens gut vorstellen, dass unsere mi-
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/283. Wer
litärischen und zivilen Aufbauhelfer in Bosnien und Her-
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer
zegowina das Gefühl haben, von uns, von der deutschen
Öffentlichkeit durch die Afghanistan-Diskussion verges- enthält sich? – Auch dieser Antrag hat keine Mehrheit
sen zu werden, gerade auch durch den unverantwortli- gefunden.
chen Klamauk, den die Opposition hier im Haus in den
letzten Tagen veranstaltet hat. 1) Seite 1092 D
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1091
Präsident Dr. Norbert Lammert
(A) Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 19 auf: ferenz in Kopenhagen schafft die dortige Landesregie- (C)
rung den Klimaschutz in der Landesplanung ab, als
Erste Beratung des von den Abgeordneten Oliver
wollte sie beweisen, dass Deutschland die Vorreiterrolle
Krischer, Hans-Josef Fell, Bettina Herlitzius,
abgeben will.
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
eines … Gesetzes zur Änderung des Bundes-
Immissionsschutzgesetzes Wer die handelnden Personen in Nordrhein-Westfalen
kennt, den überrascht das nicht. Dort spricht man inzwi-
– Drucksache 17/156 – schen, wenn es um Klimaschutz geht, von George W.
Überweisungsvorschlag: Rüttgers,
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN)
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Das ist offenkun- einem großen Protagonisten, der das Landesgesetz ei-
dig einvernehmlich. Dann können wir so verfahren. gens ändert – die berühmte Lex Eon –, um ein vom Ge-
richt gestopptes Kohlekraftwerk zu genehmigen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Kollegen Oliver Krischer für die Fraktion Schlimmer als das, was in Nordrhein-Westfalen pas-
Bündnis 90/Die Grünen. siert, ist das, was der Bundesumweltminister zu diesem
Thema sagt. Hier im Bundestag gibt er den Umwelt-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
philosophen und redet von der ökologischen Erneuerung
der Industriegesellschaft. In den Feuilletons lesen wir
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): ähnliche Äußerungen. In der Realität aber begrüßt er
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn die – von der Konferenz in Kopenhagen aus – das, was in
Nachrichten, die wir von der Konferenz in Kopenhagen Nordrhein-Westfalen passiert. Daher befürchte ich
bekommen, stimmen, dann bestehen Chancen, dass wir Schlimmes für unser Land, was den Klimaschutz in den
doch noch zu einer Vereinbarung kommen und das nächsten Jahren angeht.
2-Grad-Ziel festschreiben. Ich glaube, ich spreche im
Namen aller in diesem Hause, wenn ich denjenigen, die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
dort gerade verhandeln und guten Willens sind, den best- Dass es auch ohne neue Kohlekraftwerke geht, haben
möglichen Erfolg wünsche. schon die Meseberger Beschlüsse der Großen Koalition
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gezeigt. Danach sollen der Anteil der erneuerbaren Ener-
(B)
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- gien bis 2020 bei 30 Prozent, der Anteil der Kraft- (D)
KEN) Wärme-Kopplung bei 25 Prozent und der Anteil der
Stromeinsparung bei 11 Prozent liegen. Das macht ins-
Es gibt aber schon ein anderes Ergebnis aus Kopenha- gesamt 66 Prozent. Das heißt, wir müssen nur noch ein
gen, das leider nicht erfreulich ist, nämlich dass unter der Drittel der Energie aus dem vorhandenen Kraftwerks-
Klimakanzlerin a. D., Frau Dr. Angela Merkel, park beziehen. Dazu brauchen wir kein einziges neues
(Widerspruch bei der CDU/CSU)) Kohlekraftwerk. Trotzdem sind in Deutschland nach wie
vor 25 Kohlekraftwerksprojekte in Planung. Wir brau-
Deutschland die Führungsrolle im internationalen Kli- chen aber kein einziges, wenn wir unsere Klimaschutz-
maschutz abgegeben hat. ziele erreichen wollen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deutschland, bisher international Vorreiter im Klima- Das Problem ist, dass die Genehmigungsbehörden
schutz, ist vom Motor zum Bremser geworden, und die zwar die Gestaltung des Kühlturms bestimmen können,
Welt hat gemerkt, dass man in Deutschland zwar viel- dass aber CO2-Emissionen und Klimaschutz in den Ge-
leicht ambitionierte Ziele hat, aber bei der Umsetzung nehmigungsverfahren überhaupt keine Rolle spielen.
Anspruch und Wirklichkeit deutlich auseinanderklaffen. Das muss sich ändern, wenn wir bei unseren Klima-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schutzzielen vorankommen wollen.
Nirgendwo wird das deutlicher als im Energiesektor, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
der für über 40 Prozent der Emissionen, die aus Kraft-
Diesen Missstand wollen wir ändern. Deshalb haben wir
werken – ganz überwiegend aus Kohlekraftwerken –
Ihnen unseren Gesetzentwurf zur Beratung vorgelegt.
stammen, verantwortlich ist. Dieser Anteil der Emissio-
Wir wollen, dass neue Kraftwerke einen Mindestwir-
nen nimmt in den letzten Jahren sowohl absolut als auch
kungsgrad von 58 Prozent aufweisen müssen. Dieser
relativ immer weiter zu. Das ist erschreckend, wenn wir
wird nur von modernen GuD-Kraftwerken erreicht, die
unsere Klimaschutzziele erreichen wollen.
nur ein Drittel dessen emittieren, was ein neues Braun-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) kohlekraftwerk emittiert. Das ist der erste Punkt.
Wir müssen diese hohen Emissionen senken. Doch Der zweite Punkt unseres Gesetzentwurfs ist: Wir
die Realpolitik sieht ganz anders aus. Wir müssen nur wollen anstelle von reinen Kondensationskraftwerken,
nach Nordrhein-Westfalen schauen. Parallel zur Kon- die nur Strom erzeugen, die hoch effiziente und dezen-
1092 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

Oliver Krischer
(A) trale Kraft-Wärme-Kopplung voranbringen, die Wir- Lex Eon in Nordrhein-Westfalen geäußert hat. Er sagte (C)
kungsgrade von über 90 Prozent haben kann und ent- – ich zitiere –:
sprechend geringe CO2-Emissionen aufweist. Es ist doch
Es ist das völlig falsche Signal, denn Deutschland
Irrsinn, wenn zum Beispiel rund um das Ruhrgebiet, ei-
wird mit neuen Kohle-Dreckschleudern internatio-
nen der größten Ballungsräume Europas, ein Kranz von
nal völlig unglaubwürdig.
Kohlekraftwerken gebaut wird, die 60 Prozent der Ener-
gie nutzlos an die Umgebung abgeben, während in den Herr Kelber – er ist leider nicht hier –: Wo Sie recht ha-
Städten Millionen schlecht isolierter Wohnungen mit aus ben, haben Sie recht.
Russland teuer importiertem Erdgas beheizt werden. Das
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
ist doch Unsinn.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ich freue mich darauf, wenn Sie und vielleicht auch die
Kollegen der anderen Seite des Hauses sich bei den wei-
Wir müssen Stromerzeugung und Wärmeproduktion zu- teren Beratungen über diesen Gesetzentwurf Gedanken
sammenbringen. Das wäre eine wirkliche Effizienzrevo- machen, damit wir vorankommen und damit wir Milliar-
lution in der Energiewirtschaft. Aber dazu finde ich im den nicht in Kohlekraftwerke investieren, sondern in er-
Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP kein Wort, neuerbare Energien, in Maßnahmen zur Erhöhung der
keine Zeile, keine Silbe. Energieeffizienz, in Anlagen der Kraft-Wärme-Kopp-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lung und in Maßnahmen zur Energieeinsparung. Das
braucht das Klima, und das braucht der Wirtschafts-
Wir wollen – das ist der dritte zentrale Punkt unseres standort Deutschland.
Gesetzentwurfs –, dass mit angemessenen Übergangs-
fristen alte, völlig ineffiziente Kraftwerke entweder er- Danke schön.
tüchtigt werden und einen höheren Wirkungsgrad errei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
chen oder, wenn der Betreiber das nicht will oder nicht
finanzieren möchte, stillgelegt werden. Denn die Ent- Präsident Dr. Norbert Lammert:
wicklung zeigt: Es werden neue Kohlekraftwerke ge- Lieber Kollege Krischer, herzlichen Glückwunsch zu
baut, aber alte nicht stillgelegt. So kommen Emissionen Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag.
obendrauf. Hier zeigt sich der Emissionshandel bisher
leider als wirkungslos. (Beifall)
Das zeigt sich zum Beispiel im rheinischen Frim- Es war Ihnen deutlich anzumerken, dass Ihnen die
mersdorf bei Grevenbroich. Dort, im Rheinland, nicht in Freude an der parlamentarischen Arbeit von Minute zu
(B) Polen oder Griechenland oder sonst wo, steht das Minute zuwuchs. (D)
schmutzigste Kraftwerk Europas, betrieben vom RWE- (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Konzern. NEN]: Deutlich ab der siebten!)
(Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Ab der siebten besonders auffällig. –
NEN]: Von wem sonst!)
(Heiterkeit)
Es scheint sich offensichtlich für diesen Konzern zu loh-
nen, dieses schmutzige Kraftwerk trotz des Emissions- Deswegen habe ich mich nicht getraut, Ihnen auch nur
handels weiter zu betreiben, obwohl er neue Kraftwerke einen dezenten Hinweis darauf zu geben, was ab sofort
baut. Mit solchen Profiten muss Schluss sein. Es kann gilt, nämlich die Redezeit, die die Fraktion für Sie ange-
nicht sein, dass ein Konzern auf Kosten des Klimas Geld meldet hat.
verdient.
(Iris Gleicke [SPD]: Das war in Ordnung, Herr
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Präsident!)
Zum Schluss möchte ich noch meiner Freude Aus- Ich möchte Ihnen nun das von den Schriftführerinnen
druck geben, dass die SPD, die ich in Nordrhein-Westfa- und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
len immer als vehemente Befürworterin von Kohlekraft- Abstimmung über die Fortsetzung der Althea-Mission
werken erlebt habe, zumindest auf Bundesebene dabei bekannt geben. Abgegebene Stimmen 571. Mit Ja haben
ist, ihre Position zu ändern. Nicht anders kann ich eine gestimmt 497, mit Nein 66 Kolleginnen und Kollegen.
dpa-Meldung vom 14. Dezember über den Kollegen Es gab 8 Enthaltungen. Damit ist die Beschlussempfeh-
Kelber interpretieren, der sich zu Kopenhagen und zur lung mit breiter Mehrheit angenommen.

Endgültiges Ergebnis Ja Dorothee Bär Veronika Bellmann


Abgegebene Stimmen: 571; Thomas Bareiß Dr. Christoph Bergner
davon CDU/CSU Norbert Barthle Peter Beyer
Günter Baumann Steffen Bilger
ja: 497 Ilse Aigner Ernst-Reinhard Beck Clemens Binninger
nein: 66 Peter Altmaier (Reutlingen) Peter Bleser
enthalten: 8 Peter Aumer Manfred Behrens (Börde) Dr. Maria Böhmer
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1093
Präsident Dr. Norbert Lammert
(A) Wolfgang Börnsen Karl Holmeier Michaela Noll Andrea Astrid Voßhoff (C)
(Bönstrup) Franz-Josef Holzenkamp Dr. Georg Nüßlein Dr. Johann Wadephul
Norbert Brackmann Joachim Hörster Franz Obermeier Marco Wanderwitz
Klaus Brähmig Anette Hübinger Eduard Oswald Kai Wegner
Michael Brand Thomas Jarzombek Henning Otte Marcus Weinberg (Hamburg)
Dr. Reinhard Brandl Dr. Dieter Jasper Dr. Michael Paul Peter Weiß (Emmendingen)
Helmut Brandt Andreas Jung (Konstanz) Rita Pawelski Sabine Weiss (Wesel I)
Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Franz Josef Jung Ulrich Petzold Ingo Wellenreuther
Dr. Helge Braun Dr. Egon Jüttner Dr. Joachim Pfeiffer Karl-Georg Wellmann
Heike Brehmer Bartholomäus Kalb Sibylle Pfeiffer Peter Wichtel
Ralph Brinkhaus Steffen Kampeter Beatrix Philipp Annette Widmann-Mauz
Gitta Connemann Alois Karl Ronald Pofalla Klaus-Peter Willsch
Leo Dautzenberg Bernhard Kaster Christoph Poland Elisabeth Winkelmeier-
Alexander Dobrindt Siegfried Kauder (Villingen- Ruprecht Polenz Becker
Thomas Dörflinger Schwenningen) Eckhard Pols Dagmar Wöhrl
Marie-Luise Dött Volker Kauder Lucia Puttrich Dr. Matthias Zimmer
Dr. Thomas Feist Dr. Stefan Kaufmann Daniela Raab Wolfgang Zöller
Enak Ferlemann Roderich Kiesewetter Thomas Rachel Willi Zylajew
Ingrid Fischbach Eckart von Klaeden Dr. Peter Ramsauer
Hartwig Fischer (Göttingen) Volkmar Klein Eckhardt Rehberg SPD
Dirk Fischer (Hamburg) Jürgen Klimke Katherina Reiche (Potsdam) Ingrid Arndt-Brauer
Axel E. Fischer (Karlsruhe- Julia Klöckner Lothar Riebsamen Rainer Arnold
Land) Axel Knoerig Josef Rief Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Maria Flachsbarth Jens Koeppen Klaus Riegert Doris Barnett
Klaus-Peter Flosbach Manfred Kolbe Dr. Heinz Riesenhuber Dr. Hans-Peter Bartels
Herbert Frankenhauser Dr. Rolf Koschorrek Johannes Röring Klaus Barthel
Dr. Hans-Peter Friedrich Hartmut Koschyk Dr. Christian Ruck Sören Bartol
(Hof) Thomas Kossendey Erwin Rüddel Sabine Bätzing
Michael Frieser Michael Kretschmer Albert Rupprecht (Weiden) Dirk Becker
Erich G. Fritz Gunther Krichbaum Anita Schäfer (Saalstadt) Lothar Binding (Heidelberg)
Dr. Michael Fuchs Dr. Günter Krings Dr. Annette Schavan Gerd Bollmann
Hans-Joachim Fuchtel Dr. Martina Krogmann Dr. Andreas Scheuer Klaus Brandner
Alexander Funk Rüdiger Kruse Karl Schiewerling Willi Brase
Ingo Gädechens Bettina Kudla Norbert Schindler Bernhard Brinkmann
(B) Dr. Thomas Gebhart Dr. Hermann Kues Tankred Schipanski (Hildesheim) (D)
Norbert Geis Günter Lach Georg Schirmbeck Edelgard Bulmahn
Alois Gerig Dr. Karl A. Lamers Christian Schmidt (Fürth) Petra Crone
Eberhard Gienger (Heidelberg) Patrick Schnieder Dr. Peter Danckert
Josef Göppel Andreas G. Lämmel Dr. Andreas Schockenhoff Martin Dörmann
Peter Götz Dr. Norbert Lammert Dr. Ole Schröder Elvira Drobinski-Weiß
Dr. Wolfgang Götzer Katharina Landgraf Bernhard Schulte-Drüggelte Garrelt Duin
Reinhard Grindel Ulrich Lange Uwe Schummer Sebastian Edathy
Hermann Gröhe Dr. Max Lehmer Armin Schuster (Weil am Siegmund Ehrmann
Michael Grosse-Brömer Paul Lehrieder Rhein) Dr. h. c. Gernot Erler
Astrid Grotelüschen Dr. Ursula von der Leyen Detlef Seif Petra Ernstberger
Markus Grübel Ingbert Liebing Johannes Selle Karin Evers-Meyer
Manfred Grund Matthias Lietz Reinhold Sendker Elke Ferner
Monika Grütters Dr. Carsten Linnemann Dr. Patrick Sensburg Gabriele Fograscher
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Patricia Lips Thomas Silberhorn Dr. Edgar Franke
Guttenberg Dr. Jan-Marco Luczak Johannes Singhammer Dagmar Freitag
Olav Gutting Dr. Michael Luther Jens Spahn Peter Friedrich
Florian Hahn Karin Maag Carola Stauche Sigmar Gabriel
Holger Haibach Dr. Thomas de Maizière Dr. Frank Steffel Michael Gerdes
Dr. Stephan Harbarth Hans-Georg von der Marwitz Christian Freiherr von Stetten Martin Gerster
Jürgen Hardt Andreas Mattfeldt Dieter Stier Iris Gleicke
Gerda Hasselfeldt Stephan Mayer (Altötting) Gero Storjohann Günter Gloser
Dr. Matthias Heider Dr. Michael Meister Stephan Stracke Ulrike Gottschalck
Mechthild Heil Maria Michalk Max Straubinger Angelika Graf (Rosenheim)
Ursula Heinen-Esser Dr. h. c. Hans Michelbach Karin Strenz Michael Groß
Frank Heinrich Dr. Mathias Middelberg Lena Strothmann Wolfgang Gunkel
Rudolf Henke Philipp Mißfelder Michael Stübgen Hans-Joachim Hacker
Michael Hennrich Dietrich Monstadt Dr. Peter Tauber Bettina Hagedorn
Ansgar Heveling Marlene Mortler Antje Tillmann Klaus Hagemann
Ernst Hinsken Stefan Müller (Erlangen) Dr. Hans-Peter Uhl Michael Hartmann
Peter Hintze Nadine Müller (St. Wendel) Arnold Vaatz (Wackernheim)
Christian Hirte Dr. Gerd Müller Volkmar Vogel (Kleinsaara) Hubertus Heil (Peine)
Robert Hochbaum Dr. Philipp Murmann Stefanie Vogelsang Rolf Hempelmann
1094 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) Dr. Barbara Hendricks Christoph Strässer Christian Lindner Uwe Kekeritz (C)
Gustav Herzog Kerstin Tack Michael Link (Heilbronn) Katja Keul
Gabriele Hiller-Ohm Dr. h. c. Wolfgang Thierse Dr. Erwin Lotter Memet Kilic
Frank Hofmann (Volkach) Wolfgang Tiefensee Oliver Luksic Sven Kindler
Dr. Eva Högl Rüdiger Veit Horst Meierhofer Ute Koczy
Christel Humme Ute Vogt Patrick Meinhardt Thomas Koenigs
Oliver Kaczmarek Dr. Marlies Volkmer Gabriele Molitor Oliver Krischer
Johannes Kahrs Dr. Dieter Wiefelspütz Jan Mücke Agnes Krumwiede
Dr. h. c. Susanne Kastner Uta Zapf Petra Müller (Aachen) Fritz Kuhn
Lars Klingbeil Dagmar Ziegler Burkhardt Müller-Sönksen Stephan Kühn
Hans-Ulrich Klose Manfred Zöllmer Dr. Martin Neumann Renate Künast
Dr. Bärbel Kofler Brigitte Zypries (Lausitz) Undine Kurth (Quedlinburg)
Daniela Kolbe (Leipzig) Dirk Niebel Markus Kurth
Fritz Rudolf Körper FDP Hans-Joachim Otto Nicole Maisch
Anette Kramme (Frankfurt) Agnes Malczak
Jens Ackermann
Nicolette Kressl Cornelia Pieper Jerzy Montag
Christian Ahrendt
Angelika Krüger-Leißner Gisela Piltz Kerstin Müller (Köln)
Christine Aschenberg-
Ute Kumpf Dr. Birgit Reinemund Dr. Konstantin von Notz
Dugnus
Christine Lambrecht Dr. Peter Röhlinger Omid Nouripour
Daniel Bahr (Münster)
Christian Lange (Backnang) Dr. Stefan Ruppert Friedrich Ostendorff
Florian Bernschneider
Dr. Karl Lauterbach Björn Sänger Lisa Paus
Sebastian Blumenthal
Steffen-Claudio Lemme Frank Schäffler Brigitte Pothmer
Claudia Bögel
Burkhard Lischka Christoph Schnurr Tabea Rößner
Nicole Bracht-Bendt
Gabriele Lösekrug-Möller Jimmy Schulz Claudia Roth (Augsburg)
Klaus Breil
Kirsten Lühmann Marina Schuster Krista Sager
Rainer Brüderle
Caren Marks Dr. Erik Schweickert Manuel Sarrazin
Angelika Brunkhorst
Katja Mast Werner Simmling Elisabeth Scharfenberg
Ernst Burgbacher
Hilde Mattheis Judith Skudelny Christine Scheel
Marco Buschmann
Petra Merkel (Berlin) Dr. Hermann Otto Solms Dr. Gerhard Schick
Sylvia Canel
Franz Müntefering Joachim Spatz Dr. Frithjof Schmidt
Helga Daub
Dr. Rolf Mützenich Reiner Deutschmann Dr. Max Stadler Dorothea Steiner
Dietmar Nietan Torsten Staffeldt Markus Tressel
Dr. Bijan Djir-Sarai
Thomas Oppermann Patrick Döring Dr. Rainer Stinner Jürgen Trittin
Aydan Özoğuz Mechthild Dyckmans Carl-Ludwig Thiele Daniela Wagner
(B) Heinz Paula Rainer Erdel Stephan Thomae Dr. Valerie Wilms (D)
Johannes Pflug Jörg van Essen Florian Toncar
Joachim Poß Serkan Tören
Ulrike Flach Nein
Dr. Wilhelm Priesmeier Otto Fricke Johannes Vogel
Dr. Sascha Raabe (Lüdenscheid)
Paul K. Friedhoff CDU/CSU
Mechthild Rawert Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Daniel Volk
Gerold Reichenbach Dr. Guido Westerwelle Dr. Peter Gauweiler
Hans-Michael Goldmann
Dr. Carola Reimann Heinz Golombeck Dr. Claudia Winterstein
Sönke Rix Dr. Volker Wissing DIE LINKE
Miriam Gruß
René Röspel Joachim Günther (Plauen) Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Jan van Aken
Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Christel Happach-Kasan Agnes Alpers
Karin Roth (Esslingen) BÜNDNIS 90/ Dr. Dietmar Bartsch
Heinz-Peter Haustein
Anton Schaaf DIE GRÜNEN Herbert Behrens
Manuel Höferlin
Axel Schäfer (Bochum) Elke Hoff Kerstin Andreae Karin Binder
Bernd Scheelen Birgit Homburger Marieluise Beck (Bremen) Matthias W. Birkwald
Dr. Hermann Scheer Dr. Werner Hoyer Volker Beck (Köln) Heidrun Bluhm
Marianne Schieder Heiner Kamp Cornelia Behm Steffen Bockhahn
(Schwandorf) Michael Kauch Birgitt Bender Christine Buchholz
Werner Schieder (Weiden) Dr. Lutz Knopek Alexander Bonde Dr. Martina Bunge
Ulla Schmidt (Aachen) Pascal Kober Viola von Cramon-Taubadel Roland Claus
Carsten Schneider (Erfurt) Dr. Heinrich L. Kolb Ekin Deligöz Sevim Dağdelen
Olaf Scholz Hellmut Königshaus Katja Dörner Dr. Diether Dehm
Ottmar Schreiner Gudrun Kopp Hans-Josef Fell Heidrun Dittrich
Swen Schulz (Spandau) Dr. h. c. Jürgen Koppelin Dr. Thomas Gambke Werner Dreibus
Ewald Schurer Sebastian Körber Kai Gehring Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Angelica Schwall-Düren Patrick Kurth (Kyffhäuser) Katrin Göring-Eckardt Klaus Ernst
Dr. Martin Schwanholz Heinz Lanfermann Britta Haßelmann Wolfgang Gehrcke
Rolf Schwanitz Sibylle Laurischk Bettina Herlitzius Nicole Gohlke
Stefan Schwartze Harald Leibrecht Priska Hinz (Herborn) Diana Golze
Dr. Carsten Sieling Sabine Leutheusser- Ulrike Höfken Annette Groth
Sonja Steffen Schnarrenberger Dr. Anton Hofreiter Dr. Rosemarie Hein
Peer Steinbrück Lars Lindemann Ingrid Hönlinger Inge Höger
Dr. Frank-Walter Steinmeier Dr. Martin Lindner (Berlin) Thilo Hoppe Dr. Barbara Höll
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1095
Präsident Dr. Norbert Lammert
(A) Andrej Konstantin Hunko Niema Movassat Dr. Kirsten Tackmann Enthalten (C)
Ulla Jelpke Wolfgang Nešković Frank Tempel
Dr. Lukrezia Jochimsen Thomas Nord Alexander Ulrich SPD
Katja Kipping Petra Pau Kathrin Vogler Petra Hinz (Essen)
Harald Koch Jens Petermann Sahra Wagenknecht
Jan Korte Richard Pitterle Halina Wawzyniak BÜNDNIS 90/
Jutta Krellmann Ingrid Remmers Harald Weinberg DIE GRÜNEN
Katrin Kunert Dr. Herbert Schui
Katrin Werner Winfried Hermann
Sabine Leidig Dr. Ilja Seifert Maria Klein-Schmeink
Jörn Wunderlich
Ralph Lenkert Kathrin Senger-Schäfer Sylvia Kotting-Uhl
Sabine Zimmermann
Michael Leutert Raju Sharma Monika Lazar
Ulla Lötzer Dr. Petra Sitte Beate Müller-Gemmeke
BÜNDNIS 90/
Dr. Gesine Lötzsch Kersten Steinke Dr. Wolfgang Strengmann-
DIE GRÜNEN
Ulrich Maurer Sabine Stüber Kuhn
Dorothée Menzner Alexander Süßmair Hans-Christian Ströbele Dr. Harald Terpe

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Michael Paul für lehnt, der die Dinge eindeutig beim Namen nannte. Der
die CDU/CSU-Fraktion. Bitte schön, Herr Kollege Paul, Titel des Antrags von damals lautete: „Neue Kohlekraft-
Sie haben das Wort. werke verhindern – Genehmigungsrecht verschärfen“.
Meine Damen und Herren, auch wenn man alte „Kamel-
(Beifall bei der CDU/CSU) len“, wie man bei uns im Rheinland sagt, immer wieder
hervorholt, werden sie dadurch nicht zum Dauerlutscher.
Dr. Michael Paul (CDU/CSU): Oder anders gesagt: Auch durch Wiederholung wird Un-
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und vernünftiges nicht vernünftig.
Herren! „Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissions-
schutzgesetzes“, so heißt es im Titel des Gesetzentwurfs Wenn wir die weiteren Forderungen des Gesetzent-
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, den wir heute be- wurfes wörtlich nehmen, hieße das, dass bereits in den
raten. Das klingt harmlos, ist es aber nicht. Genau be- nächsten sechs Jahren die bestehenden Kohlekraftwerke
trachtet müsste es heißen: „Gesetz über den Ausstieg aus so umgerüstet werden müssten, dass sie einen Mindest-
der Kohlenutzung in Deutschland“; denn genau darum wirkungsgrad von 38 Prozent bei Steinkohle und
geht es. 36 Prozent bei Braunkohle erreichen. Ab Ende 2020
(B) sollten es dann noch einmal 2 Prozentpunkte mehr sein. (D)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Auch Gaskraftwerke dürften dann nach dem Willen der
der FDP) Grünen einen Wirkungsgrad von 40 Prozent nicht unter-
schreiten. Diese Umrüstung ist aber in den allermeisten
Die Grünen wollen praktisch den vollständigen Ausstieg Fällen technisch nicht machbar. Ein sehr großer Teil der
aus der Kohlenutzung in Deutschland – und das inner- deutschen Kohlekraftwerke müsste damit spätestens
halb der nächsten elf Jahre, und zwar sowohl aus der Ende 2020 vom Netz gehen.
Steinkohle als auch aus der Braunkohle. Dieser Gesetz-
entwurf bedeutet das Aus für neue Kohlekraftwerke, Darüber, dass dieses Gesetz wahrscheinlich verfas-
also auch für neue, hocheffiziente; denn die für solche sungswidrig ist, will ich heute gar nicht sprechen. Ein
neuen Kraftwerke im Gesetzentwurf vorgesehenen Min- Hinweis sei aber gestattet: Wer bestehenden Anlagen,
destwirkungsgrade von 58 Prozent können Kohlekraft- die eine unbefristete Betriebsgenehmigung haben, durch
werke zurzeit und auch in den nächsten Jahren technisch erdrosselnde Vorschriften den Garaus machen will, der
nicht erreichen. Es handelt sich also hierbei um ein Neu- setzt sich über rechtsstaatliche Prinzipien wie Verhältnis-
bauverbot, das gefordert wird. mäßigkeit, Vertrauensschutz und Rechtssicherheit hin-
weg.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Es sind aber gerade die neuen Kraftwerke, die höchste
Effizienz mit geringstem Schadstoffausstoß verbinden. Wer für den Neubau von Anlagen so hohe Hürden setzt,
Es kann doch nicht das Ziel einer Gesetzesänderung in dass keiner diese Hürden überwinden kann, der greift
diesem Hause sein, die Modernisierung des Kraftwerk- unzulässig in das durch das Grundgesetz aus gutem
parks in Deutschland zu verhindern. Lieber Kollege Grund geschützte Recht der freien Berufswahl ein.
Krischer, das gilt auch für Nordrhein-Westfalen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Aber schauen wir noch einmal auf die Folgen, die
Dass sie das Neubauverbot wollen, haben die Grünen dieses Gesetz in der Praxis hätte:
schon einmal deutlicher gesagt; diesmal haben sie diese
Absicht jedoch sowohl in der Gesetzesbegründung als Erstens. Über 100 000 Arbeitsplätze in Deutschland
auch in ihrem ersten Wortbeitrag heute ziemlich ver- im Bereich des Braun- und Steinkohlebergbaus und im
steckt. Bereits am 13. Mai dieses Jahres hat der Bundes- Kraftwerksbereich würden vernichtet. Das wäre eine un-
tag mit breiter Mehrheit einen Antrag der Grünen abge- mittelbare Folge dieses Gesetzes.
1096 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

Dr. Michael Paul


(A) Zweitens. Die Sicherheit der Versorgung Deutsch- Wenn das Angebot verknappt wird, weil die Kohlekraft- (C)
lands mit Energie würde massiv gefährdet. Wenn es nach werke vom Netz gehen, dann ist die Verteuerung eine
den Grünen ginge, dann sollten wir ja aus der Kernener- notwendige Folge. Sie aber schweigen in Ihrem Gesetz-
gie aussteigen – je schneller desto besser; so verstehe ich entwurf wohlweislich zu den Auswirkungen auf die
Sie jedenfalls immer. Aus der Kohle sollen wir auch aus- Preise, die private und gewerbliche Kunden künftig zah-
steigen. Das zeigt Ihr heutiger Gesetzentwurf. Beides zu- len müssen. Dieses Schweigen spricht doch Bände.
sammen genommen bedeutet, dass ab dem Jahr 2020
fast die gesamte Grundlast, die heute zu rund 95 Prozent Siebtens. Das Gesetz wäre in der Praxis schwer zu
von Braunkohle und Kernenergie getragen wird, nicht vollziehen. Einen Wirkungsgrad festzustellen, ist tech-
mehr gesichert wäre. Das ist für eine Industrienation wie nisch deutlich anspruchsvoller, als beispielsweise einen
Deutschland verantwortungslos; Emissionswert zu messen. Notwendig sind aufwendige
Messverfahren über längere Zeitreihen. Mehr Aufwand
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) und höhere Kosten, auch das wäre eine Folge dieses Ge-
setzes.
denn um die Stabilität des Netzes zu gewährleisten, sind
in gleichmäßiger Verteilung Grundlastkraftwerke in (Beifall des Abg. Ingbert Liebing [CDU/
Deutschland notwendig. Eine sich ansonsten ergebende CSU])
erhebliche Schwankung der Stromfrequenz hätte fatale
Auswirkungen bis hin zu regelmäßigen Zusammenbrü- Meine Damen und Herren, um die angestrebten CO2-
chen der Stromversorgung. Das können wir nicht ernst- Einsparungen zu erreichen, brauchen wir den ordnungs-
haft riskieren. rechtlichen Ansatz der Grünen nicht. Wir haben bereits
ein ökologisch wie ökonomisch wirkungsvolles Instru-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ment: den Emissionshandel. Mit diesem marktwirt-
schaftlichen Instrument werden ja die ökologischen ex-
Die Alternative wäre der massive Import von Strom.
ternen Kosten zumindest teilweise verursachergerecht
Import von Strom heißt aber nichts anderes, als dass die
internalisiert. Eine Beschränkung der Emissionen wird
Emissionen exportiert und ins Ausland verlagert werden.
dabei durch das wirksamste ökonomische Instrument ge-
Das kommt also auch nicht infrage, zumal eine zuneh-
währleistet, das es gibt, nämlich durch die Wirtschaft-
mende Abhängigkeit Deutschlands sowohl vom Strom-
lichkeit. Denn je höher die Effizienz und je niedriger der
als auch vom Gasimport unsere Versorgung nicht siche-
Emissionsausstoß, desto geringere Kosten entstehen für
rer, sondern immer unsicherer machen würde. Das kön-
die am Emissionshandel teilnehmenden Unternehmen.
nen wir nicht ernsthaft wollen.
(Marie-Luise Dött [CDU/CSU]: Genau
Drittens. Unser ehrgeiziges Klimaschutzziel – 40 Pro-
(B) zent Minderung der CO -Emissionen in Deutschland ge- richtig!) (D)
2
genüber 1990 bis zum Jahr 2020 – können wir auch mit Der Emissionshandel gibt einen sinnvollen Anreiz zum
der Kohleverstromung erreichen. Das gilt übrigens für Einsatz von Spitzentechnologie. Er schafft eine Balance
die gesamte Europäische Union, wie jüngst in einer Stu- zwischen Versorgungssicherheit einerseits und Klima-
die des Umweltbundesamtes vom September dieses Jah- schutz andererseits, da die Emissionsrechte stetig verrin-
res gezeigt wurde, also in einer Studie von einer Institu- gert werden.
tion, die sicher unverdächtig ist, eine glühende
Kohlebefürworterin zu sein. Gestatten Sie mir noch ein Wort zu der von den Grü-
nen geforderten Streichung des § 5 Abs. 1 Satz 4 des
Viertens. Mit diesem Gesetz wäre auch ein mögli- Bundes-Immissionsschutzgesetzes. Dort werden Anla-
cherweise ökologisch vorteilhafter Einsatz von Kohle in gen von der Pflicht ausgenommen, Energie effizient zu
Verbindung mit der CO2-Abscheidung und Speicherung, verwenden, wenn sie am Emissionshandel teilnehmen.
also dem sogenannten CCS, unmöglich gemacht. Das Über die Frage der Notwendigkeit dieser Vorschrift kön-
kann ökologisch nicht vernünftig sein. nen wir uns gerne unterhalten. Aber es ist doch mehr als
bemerkenswert, dass diese Vorschrift gerade auf Antrag
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen und der SPD
Fünftens. Ein deutscher Sonderweg raus aus der im Jahre 2004 in das Bundes-Immissionsschutzgesetz
Kohle wäre international gesehen nicht mehr als ein hineingebracht wurde. Ausgerechnet diese Grünen ver-
„Tröpfchen“ auf den heißen Stein. Schließlich ist die langen jetzt die Streichung der von ihnen selbst mit ver-
Kohle der Energieträger, der global gesehen am längsten ursachten Vorschrift. Sehr bemerkenswert!
verfügbar sein wird. Darum ist eine intelligente Nutzung
der Kohle erforderlich. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Lassen Sie mich zusammenfassend feststellen: Da der
der FDP) Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen die Versor-
gungssicherheit gefährdet und weder ökologisch noch
Sechstens. Der Strom würde deutlich teurer, wenn es ökonomisch vorteilhaft ist und weil wir mit dem Emis-
so kommt, wie Sie wollen, meine Damen und Herren sionshandel einen effizienten Lenkungsmechanismus
von Bündnis 90/Die Grünen. haben, wird die CDU/CSU-Fraktion dieses Vorhaben ab-
lehnen.
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das stimmt doch nicht!) Vielen Dank.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1097
Dr. Michael Paul
(A) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) setzen. Das ist bei einem Kohlekraftwerk der neuen Ge- (C)
neration durchaus möglich.
Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei der SPD)
Auch Ihnen, Herr Kollege Paul, herzliche Gratulation
zur ersten Rede im Deutschen Bundestag und weiterhin Wir würden gerne den Weg beschreiten, eine untere
viel Erfolg bei der parlamentarischen Arbeit. Abschneidegrenze für alte Kraftwerke einzuführen. Dies
halten wir ebenso für sinnvoll wie einen Mindestwir-
(Beifall) kungsgrad für neue Kraftwerke. Allerdings müssen wir
über die Höhe der Wirkungsgrade und über die Frage,
Ute Vogt ist die nächste Rednerin für die SPD-Frak-
wie hoch die Untergrenze sein soll, noch trefflich disku-
tion.
tieren. Mit Sicherheit werden wir über einige Punkte
(Beifall bei der SPD) streiten. Die Zielrichtung ist klar. Zur Klärung der Frage,
ob Ihre vorgeschlagenen Maßnahmen die richtigen sind,
Ute Vogt (SPD): um das Ziel zu erreichen, bedarf es noch einer ausführli-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! chen Debatte.
Sehr geehrter Herr Kollege Krischer, ein Teil der Freude (Beifall bei der SPD)
über die SPD ist sicherlich berechtigt; denn in der Tat
stimmen wir mit der Zielsetzung überein, dass wir die Präsident Dr. Norbert Lammert:
Effizienz von Kohlekraftwerken steigern müssen. Wir Michael Kauch erhält nun das Wort für die FDP-Frak-
können durchaus darüber reden, dass der Mindestwir- tion.
kungsgrad auch bei einer Genehmigung für den Neubau
ein geeignetes Instrument sein kann. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Allerdings bedeutet die Vorgabe von 58 Prozent Wir-
kungsgrad – das hat auch der Kollege Paul schon darge-
stellt – faktisch ein Verbot des Neubaus von Kohlekraft- Michael Kauch (FDP):
werken. Auch wenn wir darin übereinstimmen, dass wir Meine Damen und Herren! Wir Liberale wollen lang-
langfristig nicht darum herumkommen, fossile Energie- fristig heraus aus den fossilen Kraftwerken und hin zu
träger durch erneuerbare Energien zu ersetzen, so gibt es einer Versorgung mit erneuerbaren Energien. Aber so,
doch auch Argumente, warum wir im Moment auf den wie die Grünen das hier vorschlagen, so läuft das eben
Neubau nicht vollständig verzichten sollten. nicht.

(B) Wir brauchen dringend einen Ersatz für Altanlagen; (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (D)
wir brauchen eine Erneuerung des Kohlekraftwerkparks. Der Gesetzentwurf zeigt deutlich: Die Grünen haben
Die Kohlekraftwerke der 50er- und 60er-Jahre müssen die Wirkung des Emissionshandels überhaupt nicht ver-
vom Netz. An dieser Stelle muss es Ersatzinvestitionen standen. Sie tun so, als hätten wir überhaupt keine euro-
geben. Diese wären nicht möglich, wenn man mit der päische Gesetzgebung. Der Emissionshandel begrenzt
Vorgabe eines elektrischen Mindestwirkungsgrades in nämlich gerade die Obergrenze der CO2-Emissionen.
Höhe von 58 Prozent den Neubau von Kohlekraftwerken Unter diesem Deckel können Sie mit Ordnungsrecht ma-
komplett verhindern würde. Die alten Dreckschleudern chen, was Sie wollen: Sie werden keine einzige Tonne
– diese Kraftwerke hat der Kollege Kelber gemeint – CO2 einsparen; denn jede Tonne CO2, die ein abgeschal-
müssen vom Netz. Für diese muss Ersatz geschaffen tetes Kohlekraftwerk nicht emittiert, wird von anderen
werden. Nachfragern bei dann sinkenden Zertifikatepreisen sozu-
(Beifall bei der SPD und der FDP) sagen aufgekauft.

Wir müssen auch ernsthaft darüber diskutieren, ob (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
wir mit einem Quasiverbot für Neubauten unser gemein- der CDU/CSU)
sames Ziel einer Dezentralisierung der Energieversor- Sie haben ökonomisch überhaupt nicht verstanden,
gung nicht ein wenig aus den Augen verlieren würden. wie das hier umweltpolitisch läuft. Sie machen es aus
Denn ein Verzicht auf jeglichen Neubau würde bedeu- dem Bauch heraus und haben ein gutes Gefühl. Sie sa-
ten, dass wir die Monopolstellung, die heute die großen gen, die bösen Konzerne müssten die Kohlekraftwerke
Energieversorger haben, festigen. Wir würden damit den abschalten. Aber so werden Sie die Umwelt nicht retten.
kleineren kommunalen Erzeugern wie beispielsweise Das ist reine Symbolpolitik.
den Stadtwerken überhaupt keine Chance geben, den
Anschluss zu finden. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜND-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) NIS 90/DIE GRÜNEN]: Geben Sie mal eine
konkrete Antwort!)
Wir sollten diesen Antrag zum Anlass nehmen, die
notwendigen Debatten zu führen. Wir sind dabei, wenn Nur für die Zeit nach 2020, also für die Zeit, für die
es darum geht, das Genehmigungsrecht anzupassen. Prio- wir noch keine EU-rechtliche Regelung haben, ist es
rität muss das Ersetzen von alten Kohlekraftwerken überhaupt von Bedeutung, was hier vorgeschlagen wird.
durch diejenigen Kraftwerke haben, die auf eine effi- Die Frage der Energieeffizienz wird es uns ermögli-
ziente Energieerzeugung durch Kraft-Wärme-Kopplung chen, ab 2020 ein geringeres Cap EU-weit festzulegen.
1098 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: Sie ja gesagt. Er hat deshalb nicht gewirkt, weil Ihr da- (C)
Herr Kollege Kauch, gestatten Sie eine Zwischen- maliger Umweltminister, Herr Trittin, in der ersten Han-
frage des Kollegen Fell? delsphase die Obergrenzen so hoch gesetzt hat, dass er,
wenn ich es richtig im Kopf habe, 4 Millionen Tonnen
Michael Kauch (FDP): CO2 eingespart hat.
Sehr gerne. (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Weil Sie für noch viel höhere eingetre-
Präsident Dr. Norbert Lammert: ten sind! Das ist doch wohl ein Witz!)
Bitte sehr.
So können Sie natürlich auch keine Einspareffekte erzie-
len.
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Kollege Kauch, es ist erfreulich, festzustellen, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
dass die FDP offensichtlich eine ganz neue Energiepoli- Ab 2013 wird es eine klare Absenkung des Deckels ge-
tik auf den Weg bringen will. Statt einen Energiemix aus ben. Dies ist eine klare Klimaschutzmaßnahme mit ei-
Atom, Kohle, Erdöl, Erdgas und erneuerbaren Energien nem Anreiz für eine neue Energieversorgungsstruktur.
anzustreben, sei das langfristige Ziel der Freien Demo-
kraten, wie Sie gerade betont haben, zu 100 Prozent er- Im Übrigen, der vorliegende Gesetzentwurf ist
neuerbare Energien einzuführen. Das ist erfreulich. Aber scheinheilig.
es widerspricht Ihren eigenen Aussagen. Sie haben im
Sinne der sogenannten Carbon-Leakage-Theorie be- (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
hauptet, dass dann, wenn wir beim Neubau von Kohle- Angeblich sollen Kohlekraftwerke effizienter gemacht
kraftwerken nicht vorangingen, an anderer Stelle Emis- werden. Aber eigentlich ist das ein Gesetz zur Verhinde-
sionen stattfinden würden. Damit übersehen Sie, dass rung von Kohlekraftwerken und – schlimmer noch – ein
der Ausbau erneuerbarer Energien auch in anderen Län- Gesetz zur Förderung von Gaskraftwerken. Genau das
dern bereits in einer solchen Geschwindigkeit erfolgt, wollen die Grünen, ohne dass sie es hier sagen.
dass dort schon konventionelle Kraftwerke ersetzt wer-
den. Aufgrund der Geschwindigkeit des Ausbaus der er- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
neuerbaren Energien ist diese Theorie nicht mehr halt- Die Grenzwerte sind mit einem Wirkungsgrad von
bar. Wir können das in China oder auch anderswo 58 Prozent so hoch, dass selbst moderne Kohlekraft-
erkennen. werke dies nicht leisten können. Man findet eine entlar-
(B) Deswegen frage ich Sie, ob die Carbon-Leakage- vende Formulierung in der Begründung Ihres Gesetzent- (D)
Theorie wirklich haltbar ist. Diese Theorie ist nämlich wurfes. Dort steht nämlich:
nur deswegen in die Welt gesetzt worden, um den An- Moderne Gaskraftwerke können diesen elektri-
schein zu erwecken, erneuerbare Energien könnten nicht schen Wirkungsgrad erreichen. Soweit daraus folgt,
schnell genug wachsen. Sie tun es aber. Sie können da- dass der Neubau von Kohlekraftwerken nicht mög-
mit auch in anderen Ländern ohne den Neubau von Koh- lich ist, ist dies zum Schutz der Umwelt … notwen-
lekraftwerken und Weiterem eine Vermeidung von dig.
Emissionen in großem Stil bewirken.
Das heißt doch in Wahrheit, Sie wissen, dass es einen
Michael Kauch (FDP): Restbedarf an Strom gibt. Auch bei einem forcierten
Lieber Kollege Fell, wir sind uns einig, dass die er- Ausbau erneuerbarer Energien ist in den nächsten Jahr-
neuerbaren Energien mehr können, als man ihnen in der zehnten eine grundlastfähige Versorgung sicherzustellen.
Vergangenheit zugetraut hat. Eines ist aber klar: Solange Sie entscheiden sich mit diesem Gesetzentwurf klar ge-
wir bei den Speichertechnologien nicht so vorankom- gen die Kohle und für Gas. Das kann man vielleicht aus
men, dass wir auch aus Quellen mit einem schwan- der monokausalen Sicht, dass es um Klimaschutz geht,
kenden Energieangebot eine durchgängig stetige Ver- begründen. Aber im Rahmen der Energiepolitik gilt
sorgung erreichen können, so lange wird es in der auch, das Ziel der Versorgungssicherheit zu sichern. In
Übergangsphase weiterhin nötig sein, mit Brückentech- Wahrheit ist das, was Sie hier machen und nicht öffent-
nologien zu arbeiten. Eine Brückentechnologie kann die lich sagen, eine Strategie pro Gas, eine Strategie für
Kernkraft und vor allem auch die Kohletechnologie sein. mehr Abhängigkeit von Russland und von Turkmenistan
Wir unterscheiden uns, glaube ich, in der Einschätzung (Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
dessen, wie schnell man bei den erneuerbaren Energien NEN]: Jetzt wird es aber demagogisch!)
die Speicherbarkeit und eine vollständige Netzintegra-
tion tatsächlich hinbekommt. sowie für mehr Abhängigkeit von durchleitenden Län-
dern wie der Ukraine. Da freut sich vor allen Dingen ei-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) ner, nämlich Herr Putin, dessen Lobbyist Sie hier im
Meine Damen und Herren, entscheidend für die Deutschen Bundestag sind.
Frage, ob Kohlekraftwerke klimaverträglich sind, ist, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
wie hoch die Begrenzung durch den Deckel ist, den der
Emissionshandel setzt. Sie können nicht sagen, der Das verwundert aber überhaupt nicht; denn Ihr ehemali-
Emissionshandel habe bisher nicht gewirkt; das haben ger Außenminister, Herr Joschka Fischer, ist jetzt Gas-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1099
Michael Kauch
(A) lobbyist, Lobbyist für die Nabucco-Pipeline und die Schadstoff eingestuft ist, anders als zum Beispiel (C)
Wirtschaftsinteressen des Kaukasus. Schwefeldioxid, Stickoxide oder Schwermetalle.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Jetzt könnte man einwenden – das Argument kam
NEN]: Sind Sie gegen diese Pipeline? Sagen eben –, die Kraftwerke unterlägen doch dem Emissions-
Sie es doch!) handel, der einen Grenzwert setze. Das ist aber ein ziem-
lich zahnloses Argument; ich werde das gleich weiter
Mit dieser Strategie machen Sie Deutschland abhän- ausführen. In Anbetracht der Debatten, die wir im Mo-
gig und erpressbar; Sie gefährden die außenpolitische ment führen, der Konferenz in Kopenhagen und der ge-
Unabhängigkeit unseres Landes. samtgesellschaftlichen Debatten halte ich die Ausnah-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten men für CO2 für ziemlich unfassbar.
der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN)
Weil Russland das Gas exportiert, anstatt es selbst zu Es stellt sich schon die Frage, wieso es überhaupt
nutzen, werden dort die dreckigsten Kohlekraftwerke Ausnahmen für CO2 gibt. Wir alle wissen um die
weiterbetrieben, im Übrigen auch Kernkraftwerke, die Schädlichkeit von CO2. Schäden treten aber nicht unbe-
Sie hier abschalten wollen. dingt am Ort des Entstehens auf, sondern an irgend-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten einem Ort, unter Umständen weit entfernt, wo die Fol-
der CDU/CSU) gen der Klimaerwärmung – Dürre, Tod und Zerstörung –
zu spüren sind. Kann es sein, dass wir uns diese Aus-
Sie machen hier also eine Milchmädchenrechnung nahme im Bundes-Immissionsschutzgesetz noch leisten,
auf. Es ist ein Nullsummenspiel für den Klimaschutz weil die Folgen nicht bei uns vor der Haustür zu spüren
und eine Katastrophe für die Versorgungssicherheit un- sind?
seres Landes.
Vorletzte Woche hat die nationale Umweltbehörde der
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Vereinigten Staaten von Amerika CO2 als gesundheits-
Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- schädlich eingestuft. Die Chefin der dortigen Umweltbe-
NEN]: Das ist doch Quatsch!) hörde hält dies für einen Schritt, den Treibhauseffekt
nachhaltig und pragmatisch zu bekämpfen. Ich finde, sie
Präsident Dr. Norbert Lammert: hat recht. Damit wird in den USA etwas möglich, das bei
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dorothée Menzner uns bisher nicht möglich ist: Die Höhe des CO2-Aus-
für die Fraktion Die Linke. stoßes einer Anlage sowie ihre Effizienz können die
(B) Grundlage der Entscheidung in einem Genehmigungs- (D)
(Beifall bei der LINKEN) verfahren, zum Beispiel bei der Genehmigung eines
Kraftwerkes, bilden. Der Gesetzentwurf der Grünen for-
Dorothée Menzner (DIE LINKE): dert etwas Vergleichbares. Wir unterstützen das.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und
Kollegen! Die Blindheit der bundesdeutschen Genehmi- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
gungsgesetze in Bezug auf Klima- und Ressourcen-
schutz ist schon enorm. Werden bei einem geplanten Wir haben eben die Einwände von Herrn Dr. Paul und
Kohlekraftwerk die Grenzwerte des Bundes-Immis- von Herrn Kauch gehört: Wir hätten doch den Emis-
sionsschutzgesetzes eingehalten, so hat der Betreiber in sionshandel; damit sei doch alles wunderbar geregelt.
der Regel Anspruch auf Genehmigung, selbst wenn die Aber wenn das tatsächlich so wäre, dann müsste der Ge-
Bürger, die Politik und die Behörden das eigentlich gar setzentwurf gar nicht sein.
nicht wollen. Bündnis 90/Die Grünen mussten das in Der Emissionshandel funktioniert nicht. Das will ich
Hamburg-Moorburg leidvoll erfahren. Wenn der außer- an einigen Beispielen deutlich machen. Eben wurde
parlamentarische Widerstand in Berlin-Lichtenberg schon darauf hingewiesen, dass es Emissionsgutschrif-
nicht ausgereicht hätte, um das Vattenfall-Projekt der Er- ten gibt, die gegen Projekte in der Dritten Welt aufge-
richtung eines Steinkohlekraftwerks zu kippen, wäre es rechnet werden. Wir wissen alle, dass ungefähr ein Drit-
uns von der Linken nicht anders ergangen. tel dieser Aufrechnungen nicht funktioniert und dass
Es gibt also quasi einen Zwang, solche Dreckschleu- eine Menge gemauschelt wird. Die Einsparung ist also
dern zu genehmigen, wenn planungsrechtliche Auflagen nicht real.
erfüllt sind. Dieser Zwang besteht, weil für CO2 keine Weil die Emissionsrechte noch bis 2012 verschenkt
Grenzwerte gesetzt sind. Das ist der Fall in einem Land, werden, schaffen wir keinen Anreiz für die Energie-
in dem man, wenn man in einem reinen Wohngebiet ei- unternehmen, sparsam zu sein. Die Zertifikate wurden
nen Kindergarten errichten will, aufwendigste Gutachten reichlich ausgegeben, und man hat derzeit noch keinen
beibringen muss, um nachzuweisen, dass die Emission, Lenkungseffekt. Man kann nur hoffen, dass das eines Ta-
in diesem Fall die Lärmemission, nicht zu hoch ist. Was ges anders ist.
aber bei einem solchen Kraftwerk aus dem Schornstein
kommt und wie effizient der Rohstoff eingesetzt wird, Wir werden in der laufenden Handelsperiode 2008 bis
hat überhaupt keine Auswirkung auf die Genehmigungs- 2012 ungefähr 400 Millionen Tonnen CO2 übrig haben.
fähigkeit. Das ist der Fall, weil CO2 bisher nicht als Sie sind in die nächste Handelsperiode übertragbar. Von
1100 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

Dorothée Menzner
(A) daher werden wir auch in näherer Zukunft, in der nächs- nuar 2012, und im Gesetzestext schreiben Sie dann (C)
ten Handelsperiode, keinen Lenkungseffekt haben. plötzlich 31. Dezember 2015. Jemandem ist es offenbar
aufgefallen, dass man das so kurzfristig nicht machen
Wir alle wissen, dass die Zeit davonläuft. Wir können
kann.
nicht so weitermachen wie bisher. Jedes neu genehmigte
Kraftwerk hat eine voraussichtliche Laufzeit von 40 bis Es ist dem Verfasser auch aufgefallen, dass es ein ver-
50 Jahren. Die Entscheidung, die wir heute fällen, be- fassungsrechtliches Problem gäbe. Das hat er geschickt
deutet also einen höheren Ausstoß, auch in Zukunft. umschifft, und zwar in der Weise, dass er über
Art. 14 GG – Schutz des Eigentums – im Zusammen-
Deswegen: Einigen wir uns auf Mindestwirkungs- hang mit Neuanlagen philosophiert, der aber gar nicht
grade, gerade beim Neubau fossiler Kraftwerke. Nur so einschlägig ist. Bei Bestandsanlagen aber lässt er ihn
können wir die Klimasünden verringern. faktisch weg. Sie wissen genau, dass man das so kalt,
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) wie Sie das machen wollen, wenn es denn so käme, nicht
machen kann. Deshalb sage ich noch einmal: Das ist ein
Eröffnen wir Räume für einen zukunftsfähigen Strom- Schaufenstergesetzentwurf.
mix aus erneuerbaren Energien und auch Gaskraftwer-
ken, die deutlich schneller regelbar sind und besser zu (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
erneuerbaren Energien passen. Die ganze Diskussion neten der FDP – Oliver Krischer [BÜND-
über die Grundlast ist fehl am Platz. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat Helmut Kohl
schon in den 70er-Jahren gemacht!)
Wir brauchen eine juristische Handhabe, um den Bau
von extrem klimaschädlichen und ineffizienten Kraft- – Reden Sie nicht dazwischen.
werken verhindern zu können. Diesen Ansatz verfolgt Das ist wie immer bei Ihren Ausstiegsforderungen.
der Gesetzentwurf der Grünen. Diesen Ansatz unter- Solange Sie in der Opposition sind, fordern Sie den so-
stützt Die Linke. fortigen Ausstieg aus der Kernenergie. Aber wenn man
Ich danke Ihnen. in der Regierung ist, dann ist dies plötzlich unverant-
wortbar, und die Laufzeiten werden um 20 Jahre und
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten mehr verlängert. Bei diesem Thema machen Sie es ge-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nauso. Sie waren sieben Jahre in der Regierung.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Präsident Dr. Norbert Lammert:
NEN]: Wir haben das doch gemacht! Sie ma-
Ich erteile das Wort dem Kollegen Dr. Georg Nüßlein
chen es doch rückgängig!)
für die CDU/CSU-Fraktion.
(B) (D)
Wo bitte war da Ihre Forderung nach einem Ausstieg aus
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) der Kohlekraft? Die gab es nicht. Aber kaum dass Sie in
der Opposition sind, sagen Sie, dass wir die Kohle über-
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): haupt nicht brauchen und 100 Prozent erneuerbare Ener-
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! In der gien realistisch sind. Meine Damen und Herren, ein biss-
Tat ist es so, dass man im Umweltrecht ambitionierte chen Realitätsbezug braucht man schon!
Standards setzen muss. Insofern ist es legitim, über die
Frage nachzudenken, welche Wirkungsgrade Kohle- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu-
kraftwerke in Zukunft haben können und müssen. Dabei ruf der Abg. Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/
spielt die Erreichbarkeit die entscheidende Rolle. Dazu DIE GRÜNEN])
haben der Kollege Paul und der Kollege Kauch das Not- – Bestreiten Sie doch bitte nicht das, was Sie selber in
wendige gesagt: Ihnen geht es in der Tat um den deut- Ihrem Gesetzentwurf formuliert haben.
schen Komplettausstieg aus der Nutzung der Kohle.
Immerhin sind Sie, wie man Ihnen schon vorhin an-
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- hand des Textes deutlich gemacht hat, bei den Neuanla-
NEN]: Keine neuen Kraftwerke!) gen sehr ehrlich. Laut Ihrem Gesetzentwurf gibt es,
Wenn man sich das vornimmt, dann darf man aber wenn das mit dem Wirkungsgrad von 58 Prozent nicht
keinen Schaufenstergesetzentwurf vorlegen. funktioniert, keine Neuanlagen. Das weist natürlich den
Weg zum Gas. Ich gehe noch einen Schritt weiter als
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Herr Kollege Kauch vorhin: Das wird infolge der Ent-
der FDP) wicklung auf den Gasmärkten nicht nur dazu führen,
dass woanders alte Kohlekraftwerke am Netz bleiben,
Was Sie zu den Bestandsanlagen schreiben, ist ziemlich
sondern dass es eine Gegenbewegung gibt. Die Tatsache,
entlarvend; denn Sie scheinen nicht davon auszugehen,
dass Gas bei uns in Deutschland – in Verbindung mit
dass Ihr Vorschlag zum Tragen kommt. Es geht zuerst
dem Emissionshandel auch in Europa – teurer wird, wird
um die ernsthafte Frage, wie die Übergangsfristen ge-
dazu führen, dass Lieferantenländer wie zum Beispiel
staltet werden müssten.
Russland Kohlekraftwerke bauen werden.
Es ist spannend, dass zwei verschiedene Termine in
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ihrem Gesetzentwurf stehen. Offenbar hat sich der Ver-
fasser des Gesetzentwurfs plötzlich besonnen. In der Be- Ich frage mich, ob man eine gesicherte Energieversor-
gründung sprechen Sie von der ersten Stufe zum 1. Ja- gung in Deutschland wirklich aufs Spiel setzen muss,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1101
Dr. Georg Nüßlein
(A) um am Ende nur die Emissionen von A nach B zu ver- Dorothea Steiner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C)
schieben. Ich hätte verschiedene Anmerkungen zu machen zu
fachlichen Unrichtigkeiten, die hier geäußert worden
Im Übrigen findet sich in dem Gesetzentwurf der sind, zum Beispiel vom Kollegen Kauch. Aber ich kann
Grünen kein Wort zu CCS. Sie wissen genau, dass man es mir nicht verkneifen, die Ausführungen des Kollegen
nicht beides kann, nämlich auf der einen Seite die Wir- Nüßlein in Bezug auf CCS und CO2-Speicherung zu
kungsgrade erhöhen und CO2-Abscheidung und -Spei- korrigieren.
cherung betreiben.
Zur ersten Unrichtigkeit. Wenn Sie über Wirkungs-
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- grade und Klimaschutz reden, sollten Sie immer beden-
NEN]: Ihnen ist aber bekannt, dass CCS den ken, dass CCS den Wirkungsgrad der Kohlekraftwerke
Wirkungsgrad reduziert? – Abg. Dorothea erheblich senkt und deswegen eigentlich sogar ein grö-
Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet ßeres Problem ist, weil mehr Energie erzeugt werden
sich zu einer Zwischenfrage) muss, um Strom abgeben zu können.
– Nein, ich lasse an dieser Stelle keine Zwischenfragen (Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Das sage ich
zu. – Sie wissen genau, dass man nicht beides kann: Wir- doch!)
kungsgrade steigern und CCS betreiben. Von einem zu-
kunftsweisenden Gesetzentwurf hätte ich erwartet, dass Zur zweiten Unrichtigkeit. Aus Gesprächen mit Ver-
zu diesem Thema darin Stellung genommen wird. tretern der Betreiber, der Energieversorger oder der For-
schungsinstitute wissen Sie doch alle, dass diese sagen:
Ganz vorne in Ihrem Gesetzentwurf schreiben Sie Vor 2020 bekommen wir das überhaupt nicht hin. Sie
wieder etwas über die Theorie, die mich immer ganz be- bauen die neuen Kohlekraftwerke aber jetzt. 2010 bzw.
sonders ärgert, dass nämlich eine teilweise Aufrechter- 2012 sollen sie ans Netz gehen, und zwar ohne CCS,
haltung der konventionellen Energieversorgung die Ent- weil das gar nicht umsetzbar ist, von den Problemen der
wicklung der erneuerbaren Energien behindert. Das ist Speicherung ganz abgesehen.
objektiv falsch. Es gibt einen Einspeisevorrang, der im
EEG formuliert ist. Die neue Regierung wird an diesem Deswegen ist es Augenwischerei, wenn man mit CCS
Einspeisevorrang nicht rütteln. Deshalb ist Ihre Behaup- argumentiert. Das ist nur ein Feigenblatt, das helfen soll,
tung, dass das eine das andere behindert, widerlegt. die Errichtung neuer Kohlekraftwerke durchzusetzen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir stehen dazu, dass wir unseren Beitrag dazu leis- Präsident Dr. Norbert Lammert:
(B) ten werden, die erneuerbaren Energien nach Kräften aus- Zur Erwiderung Herr Kollege Nüßlein. (D)
zubauen und zu fördern. Wir als Union wollen einen
dynamischen Energiemix, bei dem der Anteil der erneuer-
baren Energien mit Blick auf Wirtschaftlichkeit, Versor- Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU):
gungssicherheit und Klimaschutz aufwächst und der An- Liebe Kollegin, ich sage das ungern, insbesondere in
teil der konventionellen Energieversorgung in gleichem einer Sitzung kurz vor Weihnachten: Sie haben mir bei
Maße abnimmt. Das halte ich für ganz entscheidend. Es diesem Thema entweder nicht zugehört, oder Sie konn-
geht darum, sicherzustellen, dass wir keine Energielücke ten mir nicht folgen.
bekommen und dass der Weg in eine dezentrale Energie- (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Bei-
versorgung, den auch wir wollen, so verläuft, dass die des!)
Wirtschaft in diesem Land keinen Schaden nimmt.
Ich habe gesagt, dass durch CCS die Wirkungsgrade
Denn beim Klimaschutz können wir nicht ausschließ- sinken. Wenn Sie einen Gesetzentwurf zu den elektri-
lich in Deutschland etwas bewegen. Es wird darauf an- schen Wirkungsgraden beim Thema Kohle vorlegen, ist
kommen, dass wir den Schwellenländern und anderen es natürlich notwendig, dass man auf dieses Thema ein-
Ländern zeigen, dass man beides kann: das Klima scho- geht. Dann muss man auch formulieren, was man ma-
nen und wirtschaftlich vorankommen. Mit dem, was Sie chen würde, wenn CCS relevant würde. Wir alle wissen
vorschlagen, nämlich schlagartig und schockartig in die nicht, ob diese Technologie aufgrund ökonomischer oder
Wirtschaft einzugreifen, werden wir das nicht hinbe- technischer Fragen überhaupt einmal zum Tragen
kommen. Der Weg, den die Union in der Energiepolitik kommt. Was die Machbarkeit angeht, bin ich absolut
einschlägt, ist der realistischere und deshalb auch der ehrlich. Aber man muss so etwas natürlich berücksichti-
bessere. gen, und man kann nicht sagen, was Sie machen: Bei
dieser Gelegenheit kann man eine neue Technologie ver-
Vielen herzlichen Dank.
hindern, nämlich CCS; das ist dann auch gleich vom
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Tisch. Das wäre Tabula rasa auf ganzer Linie. Das ist
Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nicht das, was wir wollen. Wir wollen sehr wohl die
NEN]: Das ist der Weg in den Atomstaat!) Option haben, Kohle klimaschonend zu nutzen.
Warum wollen wir das? Auch das kann ich Ihnen sa-
Präsident Dr. Norbert Lammert: gen: Schlicht und einfach, weil Kohle in anderen Län-
Das Wort zu einer Kurzintervention erhält die Kolle- dern weiterhin benutzt wird. Ich sehe uns in der Pflicht,
gin Steiner. die Technologien dafür zu liefern. Herr Kollege Fell, in
1102 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

Dr. Georg Nüßlein


(A) Indien oder China wird man sich nicht nach den deut- bei: Kernenergie ist nicht unsere Lösung zur Deckung (C)
schen Grünen richten, überhaupt nicht. Ich sehe uns in dieses Rests. Wir halten Kernenergie nach wie vor für
der Pflicht, dass wir die entsprechenden Technologien eine Risikotechnologie und schließen sie damit aus.
schaffen und entwickeln. Das wollen wir tun. Deswegen Wenn man das aber so wie Sie macht, bleiben nur Kohle
ist eine technologiefreundliche, eine technologieoffene und Gas. Die Frage ist zu stellen, wie wir den restlichen
Energiepolitik das, was Sie von der neuen Regierung er- Strombedarf so effizient und so verträglich wie möglich
warten können. und entsprechend der Versorgungssicherheit zur Verfü-
gung stellen können.
Vielen Dank.
Dies darf nicht passieren – da bin ich bei Ihnen –, in-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – dem alte ineffiziente Anlagen einfach weiterlaufen. Wir
Dorothea Steiner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- müssen alte Anlagen entweder modernisieren, wenn es
NEN]: Und wir landen bei 4 Grad! Das kann möglich ist, oder gegebenenfalls durch neue effiziente
ich Ihnen sagen!) Anlagen ersetzen. Zu dieser Aussage stehen wir; dazu
haben wir auch in der Vergangenheit Stellung bezogen.
Präsident Dr. Norbert Lammert: Frau Vogt hat es gesagt: Ja, wir bekennen uns gerade mit
Nächster Redner ist der Kollege Dirk Becker für die Blick auf Altanlagen zum Ordnungsrecht. Wir halten das
SPD-Fraktion. Ordnungsrecht für ein Instrument in Ergänzung zum
Zertifikatehandel.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wir gehen aber ein Stück weiter. Wir halten es durch-
Dirk Becker (SPD): aus für möglich, dass man für diese Erneuerung des
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kraftwerkeparks unter gewissen Bedingungen eine fi-
Herr Krischer, Ihr Auftritt war in der Tat sehr dyna- nanzielle Förderung zur Verfügung stellt. Sie haben ja
misch. Ich denke, der von Ihnen genannte Grund für das Thema Kraft-Wärme-Kopplung angesprochen. Wenn
Ihren Gesetzentwurf ist ein richtiger und wichtiger: die wir hohe Effizienzgrade erreichen wollen, wenn wir ei-
Effizienzsteigerung in der konventionellen Energiewirt- nen Vorrang der Kraft-Wärme-Kopplung sicherstellen
schaft. Heute beziehen Sie sich auf den Bereich des wollen und wenn wir insbesondere für dezentrale Struk-
Stroms. Ich will das auf andere Bereiche ausdehnen: auf turen neue Kraftwerkstechnologien zur Verfügung stel-
den Wärmebereich, auf die Frage, wie wir künftig mit Öl len wollen, müssen wir schauen, wie wir das fördern
umgehen, aber auch auf die effizientere Verwertung der können. Wir haben über das Kraft-Wärme-Kopplungs-
Biomasse; auch darüber müssen wir in Zukunft diskutie- gesetz in der Großen Koalition einen ersten Anreiz ge-
setzt. Wir haben durch die Förderung des Neubaus und
(B) ren. Ich glaube, dass die Frage der Effizienzpotenziale (D)
die Debatte der nächsten Jahre bestimmen wird. Das ist des Leitungszubaus erste Impulse gesetzt, die diesen
eine wichtige Aufgabe. Wir liegen hinter dem zurück, Ausbau voranbringen sollen. An dieser Stelle haben Sie,
was wir uns gemeinsam vorgenommen haben. genau wie Frau Löhrmann in Nordrhein-Westfalen, ge-
sagt, dass Sie den massiven Ausbau der Kraft-Wärme-
Mit dem heute vorliegenden Gesetzentwurf konzen- Kopplung wollen. Der Gesetzentwurf, den Sie hier vor-
trieren Sie sich auf den Bereich der Stromversorgung. legen, verhindert diesen Ausbau.
Ich sage: Ja, es ist so, dass die Kohleverstromung – das
gilt insbesondere für Braunkohle – sehr CO2-intensiv ist. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Von daher ist die Frage, wie lange und wie wir Kohle-
verstromung betreiben, nicht nur von der Ressourcen- Präsident Dr. Norbert Lammert:
verfügbarkeit abhängig, sondern auch von der Verant- Herr Kollege Becker, gestatten Sie eine Zwischen-
wortung für das Klima. Da sind wir eng beieinander. frage des Kollegen Krischer?
Wir haben ja, weil wir da beieinander und weil wir
gemeinsam gegen die Kernenergie sind, unter Rot-Grün Dirk Becker (SPD):
beschlossen, eine energiepolitische Wende, eine ökologi- Bitte.
sche Energiewende mit dem EEG einzuleiten. Das ist
aus dem Parlament, aus diesen Fraktionen gekommen. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Anders als Sie – auch in Zeiten der Großen Koalition – Herr Kollege, Sie haben eben richtigerweise gesagt,
befürchtet haben, ist dieses EEG nicht nur geschützt, das Erneuerbare-Energien-Gesetz habe eine Dynamik
sondern sogar weiterentwickelt worden. So stehen wir ausgelöst, die von uns allen nicht erwartet worden sei.
heute vor einer Prognose des Bundesverbandes Erneuer- Sie haben sogar die Zahl 47 Prozent in 2020 genannt.
bare Energie, der sagt: Wir können 47 Prozent Strom aus Das ist ja weit mehr, als die Große Koalition verabredet
erneuerbaren Energien bis 2020 schaffen. Ich sage an hat. Wenn ich 25 Prozent Kraft-Wärme-Kopplung oben-
dieser Stelle: Wir sind froh und stolz darauf, dass wir das drauf rechne und 11 Prozent Einsparung, dann bin ich
mit unserer Politik möglich gemacht haben. bei einer Größenordnung von 75 Prozent. Dieser Strom-
(Beifall bei der SPD) bedarf kann durch erneuerbare Energien, Kraft-Wärme-
Kopplung und Einsparung gedeckt werden. Bitte erklä-
Aber so sehr wir uns über diese positiven Aspekte ren Sie mir – wir haben ja auch noch Kraftwerke, die in
freuen, bleibt die Frage nach dem Rest. Daran entfacht jedem Fall weiterlaufen werden, Gaskraftwerke und
sich immer wieder der politische Streit. Wir bleiben da- Kohlekraftwerke, die niemand stilllegen will und die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1103
Oliver Krischer
(A) 2020 noch laufen werden –, warum auch nur ein einziges sehr wohl eine Lenkungswirkung des Emissionshandels (C)
neues Kohlekraftwerk notwendig sein sollte. zu erkennen ist. Es ist nicht richtig, wenn Kraftwerksbe-
treiber heute sagen: Wir haben die Planung eingestellt,
Dirk Becker (SPD): weil es uns an politischer Unterstützung fehlt. – Es ist in
Herr Krischer, ich habe Ihnen gerade die Zahlen ge- der Tat so, dass manche Anlagen wirtschaftlich nicht
nannt. Wir haben heute einen Bestand – ich nenne Kraft- mehr darstellbar sind. Das ist ein Effekt des Emissions-
Wärme-Kopplung, weil ich da auch gleich ansetzen handels. Somit beginnt er zu wirken.
werde – von knapp 12 bzw. 13 Prozent. Wir werden nach Das Zweite – hier haben Sie recht – ist, dass eine sol-
heutigem Stand nicht mehr bekommen, durch Ihren Ge- che Wirkung mit Blick auf Altanlagen nicht festzustellen
setzentwurf erst recht nicht. Darauf werde ich jetzt ein- ist. Darum habe ich eingangs gesagt: Der Emissionshan-
gehen. Hätten Sie einen Moment gewartet, wäre die del ist um ordnungsrechtliche Maßnahmen zu ergänzen.
Frage möglicherweise schon beantwortet gewesen.
Als letzten Punkt habe ich eine Bitte, was den Emis-
Sie haben diesen Gesetzentwurf mit dem Verweis auf sionshandel grundsätzlich angeht. Das, was Sie wollen,
Effizienz eingebracht. Ich will Ihnen ein klassisches Bei- verstehe ich. Vieles von dem, was Sie wollen, kann ich
spiel vorrechnen. Nach diesem Gesetzentwurf ist es auch nachvollziehen. Wir sollten aber, bitte schön, ehr-
möglich, ein schlichtes Gaskraftwerk zu errichten, das lich sein, wenn wir den Menschen den Emissionshandel
einen Wirkungsgrad von 58 Prozent hat. Dieses Kraft- erklären; Herr Kauch hat darauf bereits hingewiesen. Es
werk produziert Strom, keine Wärme; die Wärme geht in wird immer wieder so getan, als ginge der Bau neuer
die Umwelt und bleibt ungenutzt. Demgegenüber hat Kraftwerke automatisch mit neuen, mit zusätzlichen
eine Anlage mit Kraft-Wärme-Kopplung – ich nehme Emissionen einher.
das Beispiel Kohle – je nach Größe 63, 64, vielleicht so-
gar einen Wirkungsgrad von 65 Prozent. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Ja! In der Praxis ist es so!)
Das heißt, diese Anlage hat eine höhere Effizienz. Die
Wärme gelangt nicht in die Umwelt, sondern dient zum So ist es nicht. Es gibt die PEPP, und es gibt ein Budget.
Beheizen von Wohnungen oder fließt in industrielle Pro- Sie hingegen erwecken ständig einen anderen Eindruck,
zesse. Sie wird also sinnvoll genutzt, und der Effizienz- weil dies Ihrer politischen Ausrichtung entgegenkommt.
grad ist höher. Eine solche Anlage schließen Sie aber
aus. (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Ach was! Gucken Sie sich doch nur
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- einmal die Zahlen des Umweltbundesamtes
NEN]: Keine einzige!) an! Das ist doch ganz einfach zu erkennen!)
(B) (D)
Was hat das mit Effizienzsteigerung zu tun? – Sie brauchen gar nicht darum herumzureden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich erkläre Ihnen ganz einfach, worum es geht: Stel-
der CDU/CSU und der FDP) len Sie sich vor, in den Tank eines Autos passen 50 Liter.
Es ist einfach so, dass Sie einen Grundsatzbeschluss fas- Es ist egal, wie viele Familienmitglieder mit diesem
sen wollen. Ihren Anspruch, die Effizienz im Blick zu Auto fahren, ob eine Person oder 30 Personen. Wenn die
haben, verlieren Sie in Ihrem Gesetzentwurf aber leider 50 Liter verbraucht sind, ist die Reise zu Ende.
aus den Augen.
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Na also! Die Emissionen steigen!)
NEN]: Ach! Das ist doch Quatsch!)
So funktioniert der Emissionshandel. Das ist ganz ein-
Ich möchte auf eine weitere Fragestellung zu spre- fach zu erklären.
chen kommen. Ich glaube, dass das, was Sie in Ihrem
Antrag zum Thema Emissionshandel schreiben, proble- (Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des
matisch ist. Zurzeit finden die Klimaverhandlungen in Abg. Michael Kauch [FDP])
Kopenhagen statt. Ich dachte immer, uns eint das Ziel, Hören Sie auf, den Menschen zu sagen, dass sich der
dass wir einen globalen Emissionshandel wollen. Bisher CO2-Ausstoß durch den Bau zusätzlicher Kraftwerke
zumindest war das so. In Ihrem Gesetzentwurf schreiben insgesamt erhöht. Das ist falsch. Wenn Sie dies bestrei-
Sie allerdings, dass der Emissionshandel als Lenkungs- ten, haben Sie wirklich nicht verstanden, wie der Emis-
instrument versagt hat. Ich frage mich ernsthaft: Ist es sionshandel funktioniert.
gut, diese Botschaft nach Kopenhagen zu senden?
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE FDP)
GRÜNEN]: Wo haben Sie das gelesen?)
– Im Gesetzentwurf der Grünen. – Ich muss Ihnen sagen: Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ich halte diese Aussage für gefährlich und verkürzt. Die nächste Rednerin ist die Kollegin Judith
Ich will zwei Aspekte voneinander trennen: Skudelny für die FDP-Fraktion.
Erstens. Herr Kauch hat zu Recht darauf hingewiesen, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
dass mit Blick auf die Neubauten im Kraftwerksbereich der CDU/CSU)
1104 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

(A) Judith Skudelny (FDP): und nicht in die Atmosphäre gelangt. Das ist aber ver- (C)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen bunden mit 5 bis 10 Prozent weniger Effizienz.
und Herren! Das Erste, was mich an diesem Gesetzent-
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
wurf ärgert, ist, dass Sie das komplexe Thema der ökolo-
NEN]: Wir haben diese Technologie noch
gischen Energiepolitik mit einfachen Schwarz-Weiß-
Mitteln wie der Steigerung der Effizienzgrade von Koh- nicht!)
lekraftwerken behandeln. – Eben, wir haben diese Technologie noch nicht; deswe-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) gen müssen wir forschen und herausfinden, ob sie eine
Alternative ist.
Manche Kollegen in diesem Hause haben noch nicht
verstanden, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
(Iris Gleicke [SPD]: Oh! Wie schön, dass Sie
endlich da sind! Jetzt können Sie uns alles er- Wenn die Genehmigungsverfahren jedoch ausschließlich
klären!) oder hauptsächlich von der Effizienz des Kraftwerks ab-
hängig gemacht werden, wird in diesem Bereich in
dass es in Ihrem Gesetzentwurf nicht um die Steigerung Deutschland keine Forschung und Entwicklung stattfin-
der Effizienz geht, sondern – in der letzten Wahlperiode den. Dabei betonen gerade Sie immer, wie wichtig For-
haben Sie sogar einen Antrag mit diesem Titel einge- schung und Entwicklung sei. Wer unseren Forschungs-
bracht – um die Verhinderung moderner Kohlekraft- standort erhalten will, darf Ihren Gesetzentwurf nicht
werke. unterstützen.
(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
GRÜNEN]: Ja! Natürlich!) der CDU/CSU)
Wenn moderne Kohlekraftwerke verhindert werden, Die Politik der Grünen in diesem Bereich ist aus mei-
dann bedeutet dies mittelfristig nicht, dass Umweltpoli- ner Sicht eine sehr dogmatische Politik: Kohlekraft-
tik und Klimapolitik besser werden. Es bedeutet nur, werke sind böse.
dass wir in Deutschland zunächst einmal eine Versor-
gungslücke haben werden. (Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Was passiert, wenn man an einer Schwarz-Weiß-Denke
Die Deutsche Energie-Agentur – sie ist nicht verdäch- festhält, kann man in Tübingen sehen: In Tübingen ist
(B) tig, überzogene Vorstellungen vom zukünftigen Strom- – auch mithilfe von Grünen-Mitgliedern dieses Hauses – (D)
verbrauch zu haben – hat festgestellt, dass wir bis zum ein Gaskraftwerk mit einem hohen Effizienzgrad verhin-
Jahr 2020 15 neue Großkraftwerke brauchen, um den dert worden. Der grüne Tübinger Oberbürgermeister
bundesweiten Bedarf decken zu können. Wie wollen wir wurde dazu gezwungen, um die Versorgung zu decken,
das schaffen, wenn wir keine neuen, modernen Kohle- in ein Kohlekraftwerk zu investieren.
kraftwerke bauen? Ganz einfach: Wir werden zunächst
einmal alte Anlagen weiterbetreiben müssen. Das Kraft- (Horst Meierhofer [FDP]: Sehr interessant!)
werk in Grevenbroich, das als Beispiel genannt worden
Etwas zu verhindern, einfach nur um recht zu behalten,
ist, wird auch mit einem geringeren Effizienzgrad wei-
das ist nicht die Politik, die wir verfolgen wollen.
terbetrieben werden. Das ist kein Beitrag zum Klima-
schutz. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei der FDP – Widerspruch beim der CDU/CSU)
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir Liberale als grüne, das heißt ökonomisch und
Wir werden auch andere konventionelle Energien, aus ökologisch denkende Menschen können diesen Gesetz-
deren Nutzung wir alle aussteigen wollen, weiter nutzen entwurf deswegen nicht mittragen.
müssen. Es geht nicht anders; denn wir haben eine Ver- Vielen Dank.
sorgungslücke. Wer diese Lücke nicht schließen will,
muss in letzter Konsequenz akzeptieren, dass wir uns (Anhaltender Beifall bei der FDP – Beifall bei
vom Ausland abhängig machen. Die „lupenreinen De- Abgeordneten der CDU/CSU)
mokraten“ haben sich aber schon in der Vergangenheit,
was den Rohstoffhandel betrifft, nicht unbedingt als sol- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
che erwiesen. Gerade von ihnen möchte ich Deutschland Frau Skudelny, das war Ihre erste Rede hier im Haus.
nicht abhängig machen. Wir gratulieren Ihnen sehr herzlich und wünschen Ihnen
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten viel Erfolg für Ihre Arbeit.
der CDU/CSU) (Beifall)
Was bedeutet dieser Gesetzentwurf für den For- Das Wort hat jetzt der Kollege Jens Koeppen für die
schungs- und Technologiestandort Deutschland? Wir ha- CDU/CSU-Fraktion.
ben vorhin vom CCS-Verfahren gehört. CCS heißt,
dass das CO2 am Ort des Entstehens abgeschieden wird (Beifall bei der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1105

(A) Jens Koeppen (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (C)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! neten der FDP)
Als letztem Redner der Debatte bleibt mir nur noch, zu- Sie müssen klar sagen, ob Sie sich von der CCS-Tech-
sammenzufassen und das Fazit zu ziehen. Wir haben alle nologie komplett verabschieden wollen. Damit werden
schon festgestellt: Mit ihrem Gesetzentwurf mit den Sie aber die Forschung in Deutschland verhindern. Sie
Mindestwirkungsgraden geht es den Grünen darum, mit werden damit auch die Vorreiterrolle und letztendlich
dem Ausstieg aus der Kohleverstromung zu beginnen. den Export solcher Anlagen unterbinden.
Dieser Antrag ist ein Gesetzentwurf anti Kohle und pro
Gas. Kommen wir jetzt zu den Wirkungsgraden. Sie for-
dern einen Wirkungsgrad von 58 Prozent für Neuanla-
Das ist vielleicht aus der Sicht der Grünen ein hehres gen. Das ist für Kohle kaum erreichbar. Das ist Material-
Ziel. Sie haben dabei aber wie immer einige Sachen aus wirtschaft. Jede Erhöhung des Wirkungsgrades um zwei
den Augen verloren. Als Techniker sage ich Ihnen: Sie Punkte setzt eine Forschungszeit von ungefähr 10 bis
haben die Physik aus den Augen verloren; denn das, was 15 Jahren voraus. Also schaffen Sie es innerhalb dieser
Sie wollen, ist nicht machbar. Sie haben aber, wie wir kurzen Zeit gar nicht, von 40, 43 oder maximal 45 Pro-
heute feststellen konnten, nicht nur die Machbarkeit zent auf 58 Prozent Wirkungsgrad zu kommen. Das ist
aus den Augen verloren, sondern auch die globalen nicht möglich.
Realitäten, die man beachten muss. Wenn es heißt, dass
in China jeden zweiten Tag ein neues Kohlekraftwerk Bei der Kohle ist dieser Wirkungsgrad nicht erreich-
ans Netz geht, dann frage ich mich: Was hat das mit Kli- bar, aber beim Gas kann das erreicht werden. Bei Gasan-
maschutz zu tun? lagen sind schon jetzt 58 Prozent Wirkungsgrad Stand
der Technik. Dieses Ziel ist gar nicht mehr ambitioniert.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Ihr Gesetzentwurf ist für mich eine Aufforderung, ver-
der FDP) stärkt auf Gas zu setzen. Wie kommen wir dazu, russi-
sches Gas zu fördern? Wenn Sie aus der Kernenergie
Wenn Sie etwas verändern wollen, wenn Sie etwas ver- aussteigen und Kohlekraftwerke verbieten wollen, dann
bessern wollen, wenn Sie etwas erreichen wollen, dann brauchen Sie 445 Terawattstunden Strom aus Erdgas.
müssen Sie die Realitäten akzeptieren. Sie müssen sich
von Ihrer Ideologie befreien. Sie müssen an Ihrer Vision (Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
konstruktiv arbeiten. Nein!)

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Das brauchen Sie. Das ist die Hälfte des Gesamtver-
NEN]: Sagen Sie, wie Sie die Klimaschutz- brauchs in Deutschland.
(B) (D)
ziele erreichen wollen!) Was bedeutet das?
Visionen sind ja gut. Aber Tagträumereien, Herr (Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Krischer, bringen uns nicht weiter. NEN]: Heute verheizen wir das Gas in Woh-
nungen!)
Das Ziel, höhere Wirkungsgrade zu erreichen, tra-
gen wir mit. Durch den Neubau von Kohlekraftwerken Das bedeutet, Herr Krischer: Abhängigkeit von russi-
können wir alte Anlagen abschalten. Damit haben wir in schem Gas. Das bedeutet: Versorgungssicherheit wird
Deutschland – das ist schon jetzt Realität – den Wir- verschlechtert. Das bedeutet: Es freut sich Russland, und
kungsgrad im Durchschnitt auf insgesamt 40 Prozent an- vielleicht freuen sich auch Fischer und Schröder, aber
gehoben. Das ist in Ordnung. Diesen Weg wollen wir nicht die deutsche Industrie und der deutsche Steuerzah-
weitergehen. Aber Sie müssen die Realitäten im Auge ler. Deswegen können wir das nicht machen.
behalten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Beifall bei der CDU/CSU) neten der FDP)
Dann haben wir auch festgestellt – das hat Herr
Ihr Ziel ist in Wirklichkeit nicht die Erhöhung des Kauch wunderbar herausgearbeitet –: Russland wird na-
Wirkungsgrades und dadurch eine Verringerung der türlich alles verfügbare Gas schön teuer an Europa ver-
CO2-Emissionen, sondern Sie wollen vorhandene Anla- kaufen und im Inland Kohleverstromung betreiben.
gen bis zum Jahre 2015 abschalten. Diese Kohlekraftwerke haben, wenn sie gut sind, im
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Schnitt einen Wirkungsgrad von 34 Prozent. Jetzt erklä-
Oder modernisieren!) ren Sie mir bitte, was das mit Klima- und Umweltschutz
zu tun hat. Überhaupt nichts!
Sie wollen verhindern, dass neue Anlagen gebaut wer- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
den. Frau Menzner, das ist übrigens wie in der DDR. Da neten der FDP)
der Bau von Neuanlagen verhindert wurde, blieben An-
lagen mit einem Wirkungsgrad von circa 27 oder 28 Pro- Wir lassen keine Deindustrialisierung zu. Klima-
zent in Betrieb. Diese haben dann wirklich die Luft ver- schutz wirkt nur global. Mindestwirkungsgrade wirken
pestet. Das wollen wir nicht. Wir wollen neue Anlagen nur global. Auch die CCS-Technologie wirkt nur global.
und dadurch nach und nach einen höheren Wirkungsgrad Gleiches gilt für den Emissionshandel. Deswegen muss
erreichen. das alles gesamtheitlich betrachtet werden.
1106 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

Jens Koeppen
(A) Was können wir tun? Wir wollen natürlich eine Ant- Überweisungsvorschlag: (C)
wort geben. Erstens – da lohnt sich ein Blick in unseren Auswärtiger Ausschuss (f)
Verteidigungsausschuss
hervorragenden Koalitionsvertrag –:
Hierzu ist verabredet, eine halbe Stunde zu debattie-
(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
ren. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das
Kein Satz zur Kraft-Wärme-Kopplung!)
so beschlossen.
„ideologiefreie, technologieoffene und marktorientierte
Energiepolitik“, Als Erstes gebe ich der Kollegin Uta Zapf für die
SPD-Fraktion das Wort.
(Dirk Becker [SPD]: Konkreter geht es nicht!)
(Beifall bei der SPD)
und zwar für Strom, Wärme und Mobilität. Das müssen
Sie alles im Auge behalten. Dann wird das auch was mit Uta Zapf (SPD):
dem Klimaschutz.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Ich glaube, wir hätten uns keinen besseren Tag aussu-
neten der FDP) chen können, um diese Debatte zu führen;
Zweitens. Wir wollen die erneuerbaren Energien (Elke Hoff [FDP]: Ja, richtig!)
konsequent ausbauen – das ist gar keine Frage, auch das
steht im Koalitionsvertrag – mit dem Ziel, dass die er- denn gerade gestern ist bekannt geworden, dass die Prä-
neuerbaren Energien den Hauptanteil an der Energiever- sidenten von Russland und den USA vor dem direkt be-
sorgung übernehmen. Aber dazu brauchen wir einen vorstehenden Abschluss der START-Verhandlungen
Energiemix, der kontinuierlich, lieber Herr Fell, und verabredet haben, weitere Verhandlungen über die Ab-
nicht mit der Holzhammermethode die konventionellen rüstung nuklearer Waffen zu führen, wobei insbesondere
Energien langsam ablösen kann. Die Betonung liegt auf auch die taktischen Nuklearwaffen ins Visier geraten
„kann“. Dass wir das wollen, ist klar. Aber das muss werden. Ich denke, dadurch wird unsere Diskussion hier
auch machbar sein. auch noch einmal beflügelt.

Drittens. Wir müssen das Energiesystem umbauen, In der letzten Sitzungswoche haben wir über zwei
und zwar mit Sinn, Verstand und Beharrlichkeit. Deswe- Anträge mit diesem Schwerpunkt diskutiert. Unser An-
gen werden wir ein Energiekonzept im nächsten Jahr trag, den ich damals schon angekündigt habe, ist ein
vorlegen, aus dem hervorgeht, wie die Energie bezahl- bisschen breiter angelegt. Ich hoffe, dass unsere Diskus-
(B) bar, zuverlässig und sauber ist. sionen in den Ausschüssen dazu führen werden, dass wir (D)
in diesem Hause einen ganz breiten Konsens über unsere
(Beifall bei der CDU/CSU) Forderungen in dem Bereich der nuklearen Abrüstung
Wir werden mit diesem Koalitionsvertrag die Vorrei- erreichen können. Dies würde ganz besonders wichtig
terrolle in Deutschland übernehmen. Wir brauchen am- sein, um die NPT Review Conference, also die im
bitionierte Ziele. Dazu sagen wir Ja. Aber zu Verboten Mai 2010 stattfindende Konferenz zur Überprüfung des
– das sage ich bei fast jeder Rede, wenn es um Ihre Vor- Nichtverbreitungsvertrages, zu unterstützen, damit dort
lagen geht – und zu Unmöglichem sagen wir Nein. Mit nicht dasselbe passiert wie im Jahre 2005, als es zu kei-
Totschlagargumenten und mit der Holzhammermethode nem Ergebnis gekommen und das ganze Gefüge des
werden Sie kläglich scheitern. Das ist nicht unser Weg. Nichtverbreitungsvertrages in Gefahr geraten ist.

Ich wünsche Ihnen ein frohes Weihnachtsfest. Ich glaube, die Chancen sind im Moment nicht nur
deshalb gut, weil sich die beiden Staatsmänner der Su-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- permächte entschlossen haben, diesen Weg weiterzuge-
neten der FDP) hen, sondern auch, weil in den letzten Jahren eine At-
mosphäre entstanden ist, in der sich sehr viele
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Staatsmänner im Viererpack zu Wort gemeldet haben.
Dies fing 2007 mit George Shultz, William Perry, Sam
Ich schließe die Aussprache.
Nunn und Henry Kissinger an. Ganz viele andere sind
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- ihnen gefolgt. Die Letzten waren gerade die Nieder-
wurfs auf Drucksache 17/156 an die Ausschüsse vor- lande. Vorher waren es auch Großbritannien, Frankreich,
geschlagen, die Sie in der Tagesordnung aufgeführt fin- Norwegen, Polen und Italien, die übrigens wieder einmal
den. – Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist das unbedingt mehr als vier haben mussten, aber das ver-
so beschlossen. wundert nicht. Natürlich war auch Deutschland dabei.
Für Russland gilt das leider noch nicht, aber vielleicht
Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf: kommt das noch.
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Im September 2009 hat der UN-Sicherheitsrat ein-
Deutschland muss deutliche Zeichen für eine stimmig eine Resolution verfasst und beschlossen, mit
Welt frei von Atomwaffen setzen der er für eine atomwaffenfreie Welt plädiert. Alle
Mächte, die offiziell über Nuklearwaffen verfügen, wa-
– Drucksache 17/242 – ren dabei – und auch Indien. Ich denke, auch das ist et-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1107
Uta Zapf
(A) was, was man immer wieder ansprechen muss, wenn es men, um die Nonproliferation und die Abrüstung zu (C)
um weitere Prozesse der nuklearen Abrüstung geht. unterstützen.
Anfang Dezember 2009 hat die Generalversammlung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der UNO eine Resolution zur Abschaffung von Nuklear- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
waffen mit 171 Ja-Stimmen angenommen. Es freut mich
Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen.
sehr, dass Deutschland diese Resolution mit eingebracht
Wenn wir erreichen wollen – ich hatte in der letzten De-
hat. Ich denke, dass das uns als Parlament und auch der
batte den Eindruck, dass wir alle in diesem Hause dies
Regierung eine gewisse Verpflichtung auferlegt.
wollen –, dass es nukleare Abrüstung auf null gibt und
Vor einigen Tagen ist der Bericht der Internationalen dass die Nuklearwaffen aus Europa verschwinden, dann
Kommission für Nichtverbreitung und Abrüstung mit müssen wir zwingend über Strategien reden, und zwar
der Unterstützung Australiens und Japans erschienen. nicht nur über die russische und die amerikanische Stra-
Vorsitzende der Kommission sind der hochrenommierte tegie. Wir müssen auch im Zuge des strategischen Kon-
Gareth Evans, der sicherlich jedem in diesem Hause be- zepts der NATO auf eine Minimierung der Rolle von
kannt ist, und Yoriko Kawaguchi. Nuklearwaffen, ja möglicherweise auf einen völligen
Verzicht auf diese Kategorie drängen. Was in den letzten
Interessant fand ich, dass der ehemalige General zwei Jahren aus den NATO-Gremien und was vom letz-
Naumann der Kommission angehört, der bislang etwas ten NATO-Gipfel in Kehl zu hören war, deutet aber nicht
andere Ansichten in der Öffentlichkeit vertreten hat. darauf hin, dass die Rolle der Nuklearwaffen in der Dis-
Aber auch das lässt hoffen, dass es entsprechende men- kussion tatsächlich herabgestuft werden soll. Ich denke,
tale Entwicklungen gibt. das liegt in der Verantwortung jedes einzelnen Staates,
Zuvor gab es schon andere Kommissionsberichte wie der der NATO angehört.
den Bericht der Blix-Kommission „Weapons of Terror“. Ich wünsche mir, dass nicht nur die neue Nuclear Pos-
Diese 300 Seiten sollte jeder, der in diesem Bereich Ver- ture Review der USA mit einer minimierten Rolle der
antwortung trägt, sorgfältig lesen, auch wenn ich einiges Nuklearwaffen das Licht der Welt erblickt, sondern dass
daran zu kritisieren habe. Ich glaube, auch das müssen sich auch unsere Regierung und andere Regierungen Eu-
wir diskutieren. ropas dafür einsetzen, dass im Zuge der Beratungen über
Ein Kritikpunkt ist, dass dieser Bericht einen zu lan- eine neue NATO-Strategie die Rolle der Nuklearwaffen
gen Zeitraum bis zur endgültigen Abrüstung der Nukle- zumindest stark minimiert, wenn nicht gar eliminiert
arwaffen vorsieht. Ich glaube, wir sollten nicht so lange wird. Ich erinnere daran, dass wir uns alle – oder fast
warten. Wir sollten schneller voranschreiten; denn man alle – gewünscht haben, dass eine No-first-use-Strategie
(B) kann nur dann glaubwürdig auf Nonproliferation drän- in der NATO-Strategie festgeschrieben wird. Vielleicht (D)
gen, wenn die Abrüstungsbemühungen derjenigen, die können wir das gemeinsam erreichen.
im Besitz von Atomwaffen sind, auch ernsthaft sind. Herzlichen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
Ein weiterer Punkt, den ich an dem Bericht zu bemän- CDU/CSU und der FDP)
geln habe, ist, dass der Entwurf der Nuklearwaffenkon-
vention, die seit Jahren in der Generalversammlung der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
UNO beraten und auch von Ban Ki-moon stark unter- Nächster Redner ist der Kollege Roderich
stützt und eingefordert wird, erst nach der Abrüstungs- Kiesewetter für die CDU/CSU-Fraktion.
phase, wenn ein Minimalbestand an Nuklearwaffen er-
reicht ist, Verhandlungen vorsieht. Ich glaube, dass ein (Beifall bei der CDU/CSU)
paralleler Prozess notwendig ist, weil dies signalisiert,
dass wir uns bei Atomwaffen genauso wie bei chemi- Roderich Kiesewetter (CDU/CSU):
schen Waffen auf eine vertraglich bindende feste Grund- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
lage stellen wollen. Das wäre ein Signal an andere Na- und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte
tionen, die möglicherweise Hintergedanken hinsichtlich Kollegin Zapf, Sie haben Ihre Rede genauso sachlich
eigener nuklearer Bewaffnung haben. vorgetragen, wie der Antrag Ihrer Fraktion formuliert ist.
Das ist genau das, worum es in der Sicherheitspolitik
Ich denke, wir müssen uns jetzt an die Arbeit machen geht, nämlich dass wir darüber hier im Hause sachlich
und darüber nachdenken, wie wir als Parlamentarier und diskutieren und eine gewisse Einigkeit in den Grundzü-
wie die Regierung die Verantwortung für das Gelingen gen entwickeln. Ich darf sagen, dass wir das auch unse-
der Überprüfungskonferenz zum Nichtverbreitungsver- ren Soldaten im Einsatz schuldig sind, die es zurzeit
trag wahrnehmen können. Ich appelliere dabei auch an wirklich nicht einfach haben.
unsere Regierung, zu den 13 Schritten zurückzukehren,
die im Jahr 2000 vereinbart worden sind. Unser Antrag Heute geht es um die nukleare Abrüstung. Wir setzen
stützt sich auf diese 13 Schritte, auch wenn sich nicht darauf. Viele leben hier nach dem Prinzip Hoffnung. Wir
alle darin wiederfinden. Wir können aber noch über De- setzen auf Fakten. Im Koalitionsvertrag fordern wir ei-
tails diskutieren. Wir sollten unsere Regierung unterstüt- nen schrittweisen und beherzten Ansatz. Über welche
zen, in diesem Sinne an den Verhandlungen teilzuneh- Reduzierungsinstrumente verfügen wir eigentlich? Da
1108 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

Roderich Kiesewetter
(A) hilft ein Blick in den Nichtverbreitungsvertrag; den wol- Staaten, die den Nichtverbreitungsvertrag nicht akzeptie- (C)
len wir stärken. Im Mai nächsten Jahres beginnt die ren? Was ist zum Beispiel, wenn sich der Iran nuklear
Überprüfungskonferenz. Sie bietet eine Chance, die wir bewaffnet?
nur alle fünf Jahre haben. Unser Land hat bereits 1969
Zweiter Schritt: eine umfassende Abstimmung über
den Atomwaffensperrvertrag ratifiziert. Aber es gibt
unsere Sicherheitsinteressen auch im Bündnis. Das be-
Staaten, die ihn sichtbar verletzten oder ihm erst gar
zieht die Frage der transatlantischen Abstimmung ein.
nicht beigetreten sind.
Bisher haben hier die in Europa stationierten US-
Doch wo Schatten ist, brennt auch Licht; Frau Zapf ist Nuklearwaffen eine entscheidende Rolle gespielt. Wel-
darauf eingegangen. Auf strategischer Ebene haben die ches sind also unsere sicherheitspolitischen Interessen,
Verhandlungen über ein START-Folgeabkommen zwi- und wie vertreten und begleiten wir sie vor allem glaub-
schen Russland und den USA begonnen, ein willkom- würdig?
mener Fortschritt für die internationale Abrüstung. Das
Dritter Schritt: Schaffung einer gesamteuropäischen
heißt, es wird endlich wieder über Abrüstung bei den
Abrüstungsperspektive sowohl für nukleare als auch für
strategischen Nuklearwaffen verhandelt. Wir werden zu
konventionelle Waffen.
einem Ergebnis kommen. Es gibt jedoch auch Nuklear-
waffen bei einigen Staaten der Welt, die sich dem Nicht- Deshalb sollten wir mit Russland über den KSE-Ver-
verbreitungsvertrag verweigern oder ihn sogar bewusst trag, also den Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in
verletzen. Es ist zu befürchten, dass der eine oder andere Europa, pragmatisch zusammenkommen.
Staat Atomwaffen herstellen kann, möglicherweise bald
auch der Iran. (Beifall der Abg. Uta Zapf [SPD])
Hierzu bieten sich Gespräche im NATO- und OSZE-
Wir wollen eine wirksame Stärkung des Nichtverbrei-
Rahmen an. Wir berücksichtigen zugleich – das ist uns
tungsvertrages ab Mai 2010. Wir wollen uns hier kon-
ganz wichtig – die Sicherheitsbedürfnisse unserer östli-
struktiv einbringen. Das dient nicht zuletzt unseren
chen Partner wie Polen oder die baltischen Staaten.
sicherheitspolitischen Interessen. Bei unserem schritt-
weisen Ansatz geht es uns auch um die in Deutschland Vierter Schritt, Schaffen von Anreizen für Abrüstung
stationierten Atomwaffen. Genauso wie beim START- und nicht von Misstrauen, das zu neuer Aufrüstung
Nachfolgevertrag sollten wir hier rasch Abrüstungsver- führt. Abrüstung schafft freie Ressourcen, zum Beispiel
einbarungen anstreben. Bei START ist das Ziel, die An- für Bildung und Forschung. Außerdem sollten wir Hil-
zahl nuklearer Sprengköpfe auf 1 500 zu reduzieren. fen für die Sicherung von Nukleararsenalen anbieten.
Diese Zahl kann aber nur ein Zwischenschritt sein. Da- Das ist in einigen Ländern ein herausragendes Problem.
für sollten wir Deutsche uns in der NATO und gegebe-
(B)
nenfalls auch im NATO-Russland-Rat einsetzen. Eine Fünfter und letzter Schritt auf dem Weg zur Verwirk- (D)
deutliche Reduzierung, zu der wir uns im Koalitionsver- lichung des langfristigen Ziels Global Zero, Festlegung
trag bekennen, sieht anders aus. Sie muss weiter gehen. einer möglichst geringen Anzahl von Kernwaffen als
Dafür werden wir uns nachdrücklich einsetzen. Wir wis- Restversicherung, das heißt zügiges Wegverhandeln der
sen aber, dass es noch ganz viel zu tun gibt. Die wenigen taktischen Atomwaffen in Europa, drastische Reduzie-
verbliebenen US-Atomwaffen in Europa sind bislang als rung der vorhandenen Atomwaffen weit unterhalb der
Beitrag zu Rückversicherung und Solidarität beibehalten jetzt zwischen den USA und Russland vorgesehenen
worden. Deren Zahl muss weiter reduziert werden, und Größe von 1 500. Dann irgendwann kann das Global-
die Atomwaffen müssen nicht nur in Deutschland ganz Zero-Ziel erreicht werden.
beseitigt werden, Mit diesem pragmatischen und konstruktiven Vor-
(Beifall bei der CDU/CSU) schlag, mit diesen fünf Punkten, machen wir unsere, die
deutschen Interessen klar, und – auch das gilt es festzu-
und das im Rahmen von Abrüstungsvereinbarungen. Wir halten – wir gehen keinen deutschen Sonderweg. Das hat
sollten uns diesbezüglich auch bei der Überarbeitung des uns in der Vergangenheit immer geschadet, wie auch der
strategischen Konzepts der NATO im nächsten Jahr in- Kollege Dr. Lamers und die Kollegin Hoff in der letzten
tensiv einbringen. Sitzungswoche betonten.
(Beifall der Abg. Uta Zapf [SPD]) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist überzeugt: Wir
werden gemeinsam mit unseren Bündnispartnern unser Darum geht es in der Sicherheitspolitik: um Beharrlich-
Ziel erreichen. Wir müssen auch hier im Hause Konsens keit, Mut und Verlässlichkeit. Es gilt, das Entstehen
herstellen. Zur Fortsetzung dieses Prozesses schlage ich neuer Atommächte zu verhindern und entschieden gegen
folgende fünf Schritte vor, die ein Abrüstungsplan ent- die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen vorzu-
halten sollte: gehen. Dazu müssen wir hier im Parlament einen Kon-
sens herbeiführen.
Erster Schritt: Analyse der sicherheitspolitischen He-
rausforderungen mit Blick auf Terrorismus, nukleare Ich betone noch einmal: Visionen allein helfen nichts.
Aufrüstung und die Folgen unkontrollierter Verbreitung. Erst brauchen wir eine inhaltliche Diskussion mit allen
Es gilt der Grundsatz: je weniger Nuklearwaffen, desto Fakten. Dann können wir entscheiden. So sichern wir
geringer die Gefahr, dass Nuklearmaterial in terroristi- unseren Einfluss. Darum geht es doch für unser Land:
sche Hände fällt. Wie ist unser Vorgehen gegenüber um Einfluss und Glaubwürdigkeit. Dafür stehen wir. Die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1109
Roderich Kiesewetter
(A) CDU/CSU-Bundestagsfraktion schlägt deshalb vor, den mehr Sicherheit bringt, sondern eine Belastung für die (C)
konstruktiven Antrag der SPD in die Ausschüsse zu Sicherheit geworden ist. Das kann man wörtlich zitieren.
überweisen. Lassen Sie mich kurz vor Weihnachten sa-
gen: Es ist vielleicht leichter, Gewehre in Gitarren und (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
Schwerter in Pflugscharen zu verwandeln als Atomwaf- Er hat sehr vernünftige Ausführungen gemacht, wa-
fen in was auch immer. Lassen Sie uns über die geseg- rum Deutschland gut beraten ist, über diese Frage mit
nete Weihnachtszeit darüber nachdenken und die fünf den USA zu reden. Ich frage Sie als Kollegen in diesem
Punkte im neuen Jahr aufgreifen. Parlament ehrlich: Wäre es nicht möglich, einen Antrag
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. mit dem simplen Satz „Wir bitten die USA, wir bitten
den amerikanischen Präsidenten, die verbliebenen
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Atomwaffen der USA aus Deutschland abzuziehen“
fraktionsübergreifend in allem Respekt zu beschließen?
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
(Beifall bei der LINKEN)
Wolfgang Gehrcke hat jetzt das Wort für die Fraktion
Die Linke. Eine einfache Entscheidung löst nicht alle Probleme.
(Beifall bei der LINKEN) Sie zeigt aber ein wenig den Weg auf, den man gehen
könnte. Deshalb will ich Ihnen von meiner Seite aus ei-
nen Vorschlag bzw. eine Überlegung – Angebot hört sich
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): immer so blöd an – nahebringen. Die drei Anträge der
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Oppositionsfraktionen, also der der Linken, der der Grü-
Ich muss ehrlich sagen: Ich habe mich über den Antrag nen und der der SPD, liegen nicht so weit auseinander.
der SPD gefreut. Das kommt bei mir sehr selten vor, was Sie haben zwar teilweise andere Begründungen und set-
die Außenpolitik angeht. Über diesen Antrag habe ich zen unterschiedliche Schwerpunkte, es wäre aber über-
mich gefreut, weil er einen Grundgedanken transportiert, haupt kein Problem, aus all dem eine kleine Synopse zu
nämlich dass Deutschland Zeichen setzen soll, was die machen und einen gemeinsamen Antrag der drei Oppo-
atomare Abrüstung angeht. Das heißt, der Ball liegt in sitionsfraktionen einzubringen. Ich bin überzeugt davon,
unserem Spielfeld, so notwendig internationale Verhand- dass die FDP, wenn sie das ernst nimmt, was Kollege
lungen über die Abrüstung auch sind. Hoyer gesagt hat und was im Koalitionsvertrag steht,
Ich habe mich an die Bewegung „Kampf dem Atom- (Zuruf von der FDP: Das nehmen wir ernst!)
tod“ erinnert, die auch in der Sozialdemokratischen Par-
tei einmal tief verankert war. Ich kann mir durchaus vor- dagegen nicht opponieren wird. Das heißt, wir könnten
(B) stellen, dass sich Menschen in unserem Lande für die von unserem Parlament die Botschaft aussenden – daran (D)
Vision einer atomwaffenfreien Welt engagieren. Sie zu bin ich sehr interessiert –, dass in der Frage der Atom-
verwirklichen, fängt damit an, dass Deutschland und Eu- waffen etwas passiert.
ropa, zumindest Mitteleuropa, atomwaffenfrei gemacht
werden. (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg.
Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD] und der
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Agnes Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Malczak [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) NEN])
Es ist allerhöchste Zeit. Ich will auch sagen – das müssen meine Kollegen
Ich habe die Hoffnung, dass jetzt ein politisches Zeit- jetzt erst einmal verdauen –: Ich habe mit der NATO
fenster geöffnet ist, was die Atomwaffen angeht. Man zwar nichts am Hut, wie Sie wissen – ich bin nie ein
muss über sehr viele Fragen reden. Ich sage Ihnen aber Freund der NATO gewesen, im Gegenteil; ich will das
auch: Wenn die Überprüfungskonferenz zum Nichtwei- auch nicht umdeuten –; ich wäre aber sehr dafür, dass bei
terverbreitungsvertrag scheitert, dann wird das ganze der nächsten NATO-Konferenz in Lissabon einige Fra-
System der Kontrolle der atomaren Abrüstung zusam- gen, die im Antrag der SPD angesprochen werden, ernst-
menbrechen. Deswegen können wir uns gar nicht leisten, haft verhandelt werden. Unabhängig von meiner Geg-
diese Konferenz scheitern zu lassen. Ich möchte die An- nerschaft zur NATO
regung geben, dass Abgeordnete aller Fraktionen des (Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Der NATO
Deutschen Bundestags nach New York fahren, um dort verdanken wir unsere Einheit!)
das Eintreten des deutschen Parlaments für atomare Ab-
rüstung deutlich zu machen. Ich würde das für ein gutes möchte ich gerne, dass die nukleare Erstschlagsdoktrin
Zeichen der Ermunterung halten. der NATO aufgegeben wird. Ich möchte, dass die
(Beifall bei der LINKEN) NATO-Staaten erklären, dass sie keine Atomwaffen ge-
gen Staaten einsetzen werden, die ihrerseits nicht über
Schauen wir uns die Sachen im Einzelnen an. Ich Atomwaffen verfügen. Ich möchte auch, dass das deutli-
habe mit großem Vergnügen die Rede des Staatsminis- che Signal gesendet wird, dass die Nichtweiterverbrei-
ters im Auswärtigen Amt, des Kollegen Hoyer, zum tung nicht aufrechtzuerhalten sein wird, wenn die Atom-
Thema Frieden gelesen, die er vor „Bürgermeistern für waffenstaaten jetzt nicht atomar abrüsten. Technisch
den Frieden“ – Mayors for Peace – gehalten hat und in sind viele Länder dazu in der Lage, nach Massenver-
der er davon spricht, dass atomare Rüstung heute nicht nichtungs- bzw. Atomwaffen zu greifen. Ich möchte,
1110 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

Wolfgang Gehrcke
(A) dass ein deutliches Signal gegen den Einsatz solcher ten verbliebenen taktischen Atomwaffen auf deutschem (C)
Waffen gesendet wird. Boden abgezogen werden. Ich rechne fest damit, dass
wir im neuen Jahr einen interfraktionellen Antrag zur
Überlegen Sie doch einmal, ob es nicht sinnvoll wäre, Abrüstung verabschieden werden. Der vorliegende An-
Ihre NATO-Freunde in diese Richtung zu beraten. Meine trag der SPD-Kollegen bietet hierfür eine sehr gute
sind es ja nicht, sodass ich das nicht kann; aber ich kann Grundlage. Ich bin der Überzeugung, dass wir in den zu-
zumindest diesen Rat geben. ständigen Ausschüssen hierfür eine abstimmungsfähige
Schönen Dank. gemeinsame Grundlage finden werden und damit das
neue Jahr mit der nötigen Rückendeckung für unsere
(Beifall bei der LINKEN) Bundesregierung beginnen können.

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Elke Hoff hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP) Die Verbreitung von Kernwaffen und die Stabilität
des internationalen Staatensystems stehen in einem en-
gen Zusammenhang. In den kommenden Monaten wer-
Elke Hoff (FDP): den von der Weltgemeinschaft wichtige Weichenstellun-
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! gen für die internationalen Bemühungen um nukleare
Liebe Kollegen! Herr Kollege Gehrcke, ich freue mich, Abrüstung und Nichtverbreitung vorgenommen. Der
dass Sie wenigstens nicht in diesem Zusammenhang den Gipfel zur nuklearen Sicherheit ist hier zu nennen, der
Neoliberalismus als Wurzel allen Übels identifiziert ha- auf Initiative des amerikanischen Präsidenten im März
ben. Das ist zum Ende des Jahres wirklich eine sehr ver- 2010 zu Beratungen zusammenkommen wird.
söhnliche Geste. Herzlichen Dank dafür!
Ebenso besteht die Hoffnung, dass im Frühjahr die
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Roderich Verhandlungen in der Genfer Abrüstungskonferenz über
Kiesewetter [CDU/CSU] – Iris Gleicke [SPD]: einen Vertrag über ein Verbot zur Produktion von waf-
Vorsicht!) fenfähigem Spaltmaterial endlich beginnen können. In
Dass wir heute bereits zum zweiten Mal in diesem beiden Fällen wird es darum gehen, die Proliferation von
Monat über Fragen der nuklearen Abrüstung diskutieren, Nuklearmaterial und sensiblem Know-how in die fal-
ist ein Zeichen für die Bedeutung, die Abrüstung, Rüs- schen Hände, seien sie staatlich oder nichtstaatlich, zu
tungskontrolle und Nichtverbreitung in den letzten Jah- verhindern.
(B) ren erfahren haben. Ich glaube, wir alle, die wir als Kol- Im Rampenlicht steht aber die Überprüfungskonfe- (D)
legen in diesem Bereich tätig sind, können uns keinen renz zum Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag im Mai
schöneren Tag als heute wünschen, an dem es zum ers- nächsten Jahres. Ihr erfolgreicher Verlauf wäre ein erster
ten Mal Anzeichen dafür gibt, dass es Russland und Meilenstein auf dem Weg in eine kernwaffenfreie Zu-
Amerika wohl schaffen werden, ein Nachfolgeabkom- kunft. Hierfür muss es den Staaten, die den Nichtverbrei-
men zum START-1-Vertrag auf den Weg zu bringen. Das tungsvertrag unterzeichnet haben, gelingen, das Gleich-
finde ich sehr gut. Das sollten wir begrüßen. Es gibt vor gewicht zwischen den drei Säulen des Kooperations-
allen Dingen auch uns weitere Rückendeckung und wei- regimes – Abrüstung, Nichtverbreitung und das Recht
teren Rückenwind für unsere Aktivitäten hier im Hause. auf zivile Nutzung der Kernenergie – wieder herzustel-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten len. Es muss verlorenes Vertrauen in den Nutzen und in
der CDU/CSU) die Effektivität des Vertrages wiederhergestellt werden,
dessen Verlust in der gescheiterten Überprüfungskonfe-
Wir alle können froh sein, dass das Thema der nuklea- renz 2005 seinen vorläufigen Höhepunkt fand. Wir kön-
ren Abrüstung dank des Engagements von vorausschau- nen uns keinen weiteren Verfall des Vertrages leisten,
enden Staatsmännern wie Hans-Dietrich Genscher, wenn die Weiterverbreitung von Kernwaffen glaubwür-
Helmut Schmidt und Richard von Weizsäcker wieder auf dig verhindert und die Abrüstung weiter vorangebracht
die Bühne der öffentlichen Aufmerksamkeit gebracht werden soll.
worden ist. Zudem hat sich mit der Prager Rede von US-
Präsident Obama die historische Chance eröffnet, die (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
globalen Abrüstungsbemühungen zaghaft wiederzubele-
Es ist einerseits notwendig, die fünf Kernwaffenstaa-
ben und darüber hinaus beherzt den Weg in eine kern-
ten des Vertrages an ihre Abrüstungsverpflichtungen aus
waffenfreie Zukunft anzutreten. Die letzte Debatte hier
Art. VI des Vertrages über die Nichtverbreitung von
im Hause hat gezeigt, dass wir als Parlamentarier über
Kernwaffen zu erinnern. Andererseits müssen die Ver-
alle Fraktionsgrenzen hinweg der Überzeugung sind,
tragsstaaten die Verifikations- und Transparenzinstru-
dass diese Chance genutzt werden sollte.
mente des Vertrages weiter stärken. Regelbrecher und
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Proliferateure dürfen nicht das Gefühl haben, unentdeckt
der CDU/CSU) gegen die Normen und Prinzipien des Nichtverbrei-
tungsvertrages verstoßen zu können.
Deutschland kann und muss hierzu seinen Beitrag
leisten, indem in enger Abstimmung mit unseren Ver- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
bündeten in der NATO dafür gesorgt wird, dass die letz- der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1111
Elke Hoff
(A) Deshalb ist es so wichtig, die Universalisierung des Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (C)
Zusatzprotokolls zu erreichen, wodurch der Internatio- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist
nalen Atomenergiebehörde umfangreichere Inspektions- ein Gebot der Vernunft und zugleich unsere moralische
rechte eingeräumt werden. Zudem muss das Projekt Pflicht, alles in unseren Möglichkeiten Stehende dafür
einer Multilateralisierung des Brennstoffkreislaufs vo- zu tun, die Bedrohung durch Atomwaffen überall auf der
rangetrieben werden, um für die Zukunft verdeckte Pro- Welt und für immer zu beseitigen.
liferation im Rahmen ziviler Nuklearprogramme zu ver-
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
hindern. SES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN so-
(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des wie der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul
Abg. Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]) [SPD])
Deshalb unterstützen wir jede Initiative, die sich diesem
Die neue amerikanische Nuklearstrategie, welche An- Ziel verpflichtet, und sind gerne zu einem interfraktio-
fang 2010 vorgelegt werden wird, muss zudem zeigen, nellen Antrag bereit.
ob sie den politischen Leitlinien der US-Regierung in
Fragen der Abrüstung und Nichtverbreitung gerecht Deutschland kann einen unverzichtbaren Beitrag zur
werden kann. Viele Nichtkernwaffenstaaten werden ge- Verwirklichung einer atomwaffenfreien Welt leisten.
rade im Vorfeld der Überprüfungskonferenz auf den Dieser besteht in der Beendigung der nuklearen Teilhabe
Nuclear Posture Review schauen und diesen als Grad- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
messer dafür ansehen, wie ernst es auch den Vereinigten
Staaten mit ihren kurz- und mittelfristigen Abrüstungs- und dem Abzug der verbliebenen US-Atomwaffen aus
bemühungen ist. Büchel in Rheinland-Pfalz.

Gleiches gilt für die Entscheidung des US-Senats (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
über die amerikanische Ratifikation des Atomteststopp- sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
vertrages. Die Ratifikation des CTBT muss aber – nicht Was von einigen gerne als Utopie abgetan wurde, ist zu
nur wegen der Vorbildfunktion für Staaten wie Indien – einer greifbar nahen Vision geworden. Nutzen wir die
gelingen, soll der Vertrag nicht für weitere Jahre auf Eis Gunst der Stunde, deutliche Zeichen für eine atomwaf-
gelegt werden. Nicht zuletzt hängen zukünftige Erfolge fenfreie Welt zu setzen!
bei der nuklearen Abrüstung und Nichtverbreitung eng
mit einer diplomatischen Lösung für die Konflikte um (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der
(B) das iranische Nuklearprogramm und das nordkoreani- Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]) (D)
sche Kernwaffenprogramm zusammen. Ich habe immer
noch die Hoffnung, dass gerade mit dem Iran auf der Ba- Die beiden größten Atommächte sind schon dabei:
sis des jüngsten Vorschlags der IAEO zur Anreicherung Russland und die USA stehen in Verhandlungen zu ei-
von Uran für den Teheran-Forschungsreaktor im Aus- nem neuen START-Vertrag und ziehen weitere Verträge
land doch noch eine Verständigung – vielleicht in letzter in Erwägung. Bis zur Überprüfungskonferenz zum
Minute – zustande kommt. Denn ohne eine tragfähige Nichtverbreitungsvertrag im Mai nächsten Jahres in
Lösung dieser Proliferationsrisiken wird ein substanziel- New York öffnet sich ein einmaliges Zeitfenster,
ler Fortschritt bei der weltweiten Abrüstung kurz- bis
(Beifall des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE
mittelfristig kaum möglich sein.
LINKE])
Abschließend bleibt festzuhalten: Die Herausforde- um der Welt zu demonstrieren, wie nukleare Abrüstung
rungen sind vielfältig; die einzelnen Bereiche sind funktioniert.
schwierig. Bundesaußenminister Westerwelle hat immer
betont: Abrüstung ist möglich, und zwar jetzt. Das Ich weise nochmals darauf hin, dass die USA eine
Schlüsselwort hierzu heißt „Zusammenarbeit“. Modernisierung der Atomwaffen beschlossen haben.
Das kann gerade die in Deutschland gelagerten Waffen
Auch in diesem Sinne wünsche ich Ihnen, liebe Kol- betreffen. Es geht nicht nur darum, dass die weltpoliti-
leginnen und Kollegen, ein frohes Weihnachtsfest sowie sche Chance auf Abrüstung so groß wie nie zuvor ist,
ein gesundes und glückliches neues Jahr. Ich freue mich sondern auch darum, dass aufgrund der Modernisierung
auf den gemeinsamen Antrag im Jahr 2010. Fakten geschaffen werden können, die den Abzug der
US-Atomwaffen erst einmal unmöglich machen. So oder
Vielen Dank. so: Jetzt ist das Zeitfenster gegeben, zu handeln. Lassen
Sie diese Gelegenheit nicht verstreichen! Wir fordern
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeord- daher Außenminister Westerwelle dazu auf – er hat sich
neten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Rolf immer zur Abrüstung bekannt –, seinen Worten Taten
Mützenich [SPD]) folgen zu lassen und einen konkreten Plan zum Abzug
von Atomwaffen aus Deutschland vorzulegen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Agnes Malczak hat jetzt das Wort für die Fraktion sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des
Bündnis 90/Die Grünen. Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD])
1112 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

Agnes Malczak
(A) Wenn wir Sie auffordern, den Abzug der in Büchel miteinander weiterarbeiten. Der Präsident der Vereinig- (C)
verbliebenen US-Atomwaffen einzuleiten, können Sie ten Staaten von Amerika, Barack Obama, hat dieser Vi-
uns nicht, wie in der letzten Debatte, vorwerfen, wir pro- sion in seiner beeindruckenden Rede in Prag gewisser-
pagierten einen deutschen Alleingang. Für Grüne war maßen neue Flügel verliehen. Die Koalition aus CDU/
und ist Multilateralismus ein zentraler Wert. CSU und FDP bekennt sich ausdrücklich zu diesem Ziel.
Deutschland hat bereits vor Jahrzehnten auf Atomwaffen
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- verzichtet. Dies möchte ich, Frau Höger, ganz besonders
SES 90/DIE GRÜNEN) hervorheben.
Nukleare Abrüstung bedeutet keine Abkehr vom Prinzip (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist
der kollektiven Sicherheit. Sie richtet sich nicht gegen doch in Ordnung!)
unsere Bündnispartner, sondern gegen den Wahnsinn ei-
nes Waffensystems, das eine Bedrohung für die eigene Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen
Sicherheit und die gesamte Menschheit darstellt. werden sich bei den Verbündeten in der NATO nach-
drücklich dafür einsetzen, dass die letzten in Deutsch-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
land verbliebenen Atomwaffen in absehbarer Zeit abge-
sowie der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul
zogen werden.
[SPD] und des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE
LINKE]) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
Zwischen Abwarten, bis es zu spät ist, und deutschem
GRÜNEN)
Alleingang gibt es eine Alternative – sie ist der richtige
Weg -: zu agieren für eine atomwaffenfreie Welt, einen Dies ist eine klare Zusage von unserer Seite an das ganze
aktiven Beitrag zu leisten und damit auch eine führende Haus.
Rolle im Abrüstungsprozess wahrzunehmen.
Die SPD-Fraktion schreibt in ihrem Antrag, dass eine
(Roderich Kiesewetter [CDU/CSU]: Genau Welt frei von Atomwaffen erreichbar ist. Dieser Ansicht
das machen wir!) stimme ich gerne zu, allerdings unter der Voraussetzung,
Wenn es uns nicht gelingt, die Überprüfungskonfe- dass niemand auf der Welt Atomwaffen besitzt. Mich
renz im Frühjahr zum Erfolg zu führen, ist nicht nur das macht es ein wenig nachdenklich, dass im SPD-Antrag
die Gefährdungen, die potenziell von Staaten wie dem
Ziel Global Zero, sondern sind auch die bestehenden Er-
rungenschaften des Nichtverbreitungsvertrages bedroht. Iran und Nordkorea ausgehen, nicht in dem Maße ange-
Es gibt keine Alternative zur nuklearen Abrüstung; denn sprochen werden, wie dies meines Erachtens notwendig
wäre, ganz zu schweigen von der Gefahr, dass Terroris-
(B) die neuen aufstrebenden Staaten werden sonst die bishe- ten in den Besitz von Atomwaffen oder nuklearem Mate-
(D)
rigen Privilegien der offiziellen Atommächte nicht län-
ger akzeptieren. Entweder wir gehen alle gemeinsam ei- rial kommen. Es reicht nicht aus, auf die Bemühungen
des früheren Außenministers Frank-Walter Steinmeier
nen Schritt vorwärts, oder wir laufen Gefahr, in einen
Zustand permanenter Unsicherheit, wie es ihn in den hinzuweisen. Wir brauchen in diesem Bereich tatsächli-
60er-Jahren gab, zurückgeworfen zu werden. che Erfolge.

Wer stehen bleibt oder auf der Stelle tritt, der wird se- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
hen, wie schnell der Weg steiniger wird und bald kom- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
plett verstellt ist. Wer sich nur hinstellt und sagt, wie Solche kann ich gerade in diesen Tagen angesichts
schön es doch wäre, wenn endlich etwas passieren immer neuer Machtdemonstrationen des Iran in keiner
würde, der wird am Ende kein Stück weiter sein. Daher Weise erkennen. Noch einmal: Visionen sind gut; aber
appelliere ich dringend an die Bundesregierung: Über- Realitäten in dieser Welt zur Kenntnis zu nehmen, ist
zeugen Sie nicht mit Worten, sondern mit Taten! mindestens ebenso wichtig, vielleicht sogar lebenswich-
Ich danke für die Aufmerksamkeit. tig. Daher Ja zu Visionen, aber Nein zu Illusionen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall der Abg. Katharina Landgraf [CDU/
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- CSU] – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das
KEN) war jetzt ein entschiedenes Jein!)
Der Iran lässt keinen Zweifel daran aufkommen, dass
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: er den nuklearen Brennstoffkreislauf schließen will und
Der Kollege Karl Lamers hat jetzt das Wort für die wird. Gleichzeitig verbittet sich dieser Staat jede auslän-
CDU/CSU-Fraktion. dische Einflussnahme, und es ist kaum zu erwarten, dass
sich der Iran an internationale Verpflichtungen hält, die
(Beifall bei der CDU/CSU – Hartwig Fischer auch für ihn gelten.
[Göttingen] [CDU/CSU]: Sehr guter Mann!)
(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]:
Absolut richtig!)
Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg) (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Deswegen: Wer eine atomwaffenfreie Welt anstrebt
Eine atomwaffenfreie Welt ist unsere Vision, unser ge- – das tun wir doch alle hier in diesem Hause –, muss
meinsames Ziel. Daran müssen wir hier im Hause alle vorher solche elementaren Probleme lösen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1113
Dr. Karl A. Lamers (Heidelberg)
(A) Die NATO war in den vergangenen Jahren und Jahr- gen kann. Darum geht es. Wir jedenfalls bedrohen nie- (C)
zehnten stets Garant unserer Sicherheit, lieber Herr manden.
Gehrcke. Ich möchte an dieser Stelle – ich hoffe, im Na-
men des ganzen Hauses – Ich frage Sie: Wann hat die NATO jemals irgendje-
manden bedroht? Sie nimmt lediglich das Recht auf kol-
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: In meinem lektive Verteidigung für den Fall eines Angriffs auf das
nicht!) Bündnisgebiet in Anspruch. Dieses legitime Recht aller
Staaten besteht weiterhin.
unseren Verbündeten und Freunden ausdrücklich dafür
danken, dass sie stets an unserer Seite standen. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP – Wolfgang Gehrcke [DIE Wir wollen ein strategisches Gleichgewicht, und dies
LINKE]: Das musste mal gesagt werden! Aber letztendlich ohne Nuklearwaffen; doch bis dahin ist es
nicht in meinem Namen!) noch ein weiter Weg. Wir begrüßen alle Versuche und
Bemühungen weltweit, in Bezug auf nukleare Abrüstung
Die Strategie des Bündnisses war und ist es, jedem po-
und Rüstungskontrolle zu wirklich akzeptablen Ergeb-
tenziellen Aggressor militärische Gegenmaßnahmen an-
nissen zu kommen. Zwischenschritte auf dem Weg zu ei-
zudrohen, wenn er die Souveränität der NATO-Staaten
ner großen Lösung des Nuklearwaffenproblems dürfen
missachtet und die territoriale Integrität des Bündnisge-
nicht einseitig gemacht werden, sondern müssen von al-
bietes ignoriert.
len betroffenen Staaten vollzogen werden, um am Ende
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Wo lebt gleiche Sicherheit auch ohne Atomwaffen zu erreichen.
der denn?) Deshalb ist es richtig und wichtig, die konventionelle
Abrüstung einzubeziehen.
Die Glaubwürdigkeit dieser Strategie, von der auch Sie,
Herr Gehrcke, letztlich profitieren, gründet sich auf ei- Wir alle fühlen uns dem Ziel verpflichtet, den Frieden
nen Mix aus konventioneller Stärke und nuklearer Ab- in Freiheit zu sichern. Lassen Sie mich deshalb mit ei-
schreckungsfähigkeit. nem Zitat von Alexander von Humboldt schließen:
(Uta Zapf [SPD]: Das ist doch genau das Ge- Ohne Sicherheit vermag der Mensch weder seine
genteil!) Kräfte auszubilden noch die Früchte derselben zu
genießen; denn ohne Sicherheit ist keine Freiheit.
Das seit 1999 gültige NATO-Strategiekonzept wird
zurzeit einer Überarbeitung unterzogen. Im Konsens mit Ich danke Ihnen.
(B) den Bündnispartnern werden wir im nächsten Jahr eine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (D)
zeitgemäße Antwort auf die sicherheitspolitischen He-
rausforderungen finden, die sich in der Zwischenzeit er-
geben haben. Ich bin überzeugt, Frau Zapf, dass auch Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
unser Bündnis auf die nukleare Abschreckung verzich- Damit schließe ich die Aussprache.
ten wird, wenn es uns gelungen ist, die offiziellen und
Zwischen den Fraktionen ist verabredet, die Vorlage
inoffiziellen, möglichen oder tatsächlichen Nuklearwaf-
auf Drucksache 17/242 an die Ausschüsse zu überwei-
fenstaaten zum Verzicht auf nukleare Bewaffnung zu be-
sen, die in der Tagesordnung vorgesehen sind. – Damit
wegen.
sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann ist das so be-
(Uta Zapf [SPD]: Das wird aber lange dau- schlossen.
ern! – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Null
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 21 a und 21 b
Angebot!)
auf:
Meine Damen und Herren, Sie sehen, es geht nicht nur
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
um Visionen, sondern auch um tatsächliche Schritte hin
Möhring, Klaus Ernst, Agnes Alpers, weiterer
zur Abschaffung aller Atomwaffen. Die fünf Schritte da-
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
hin hat unser Kollege Kiesewetter sehr beeindruckend
vorgestellt. Bundeseinheitliche Finanzierung von Frauen-
häusern sicherstellen
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
– Drucksache 17/243 –
Zum SPD-Antrag sage ich klar und deutlich: Es geht
nicht nur um einen Verzicht der NATO, sondern auch Überweisungsvorschlag
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
und gerade um einen Verzicht von Staaten wie dem Iran Innenausschuss
und Nordkorea, die versuchen, durch den Besitz von
Atomwaffen unangreifbar zu werden und das strategi- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Monika
sche Gleichgewicht in bestimmten Regionen der Welt zu Lazar, Ekin Deligöz, Josef Philip Winkler, weite-
verändern, indem Sie damit drohen und andere erpres- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
sen. Das Entscheidende für mich ist aber: Die Gefähr- NIS 90/DIE GRÜNEN
dung, die von Nuklearwaffen ausgeht, liegt nicht nur im Grundrechte schützen – Frauenhäuser sichern
Haben, im Besitz dieser Waffen, sondern vor allem im
Verantwortungsbewusstsein dessen, der über sie verfü- – Drucksache 17/259 –
1114 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) Überweisungsvorschlag: Tagessatzfinanzierung bedeutet, dass die Übernahme der (C)
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Aufenthaltskosten im Frauenhaus nur dann gesichert ist,
Innenausschuss
Rechtsausschuss
wenn die Betroffene Anspruch auf Hartz IV oder Sozial-
Ausschuss für Arbeit und Soziales geld hat. Nicht Anspruchsberechtigte – das sind Schüle-
Ausschuss für Gesundheit rinnen, Auszubildende, Studentinnen und illegalisierte
Migrantinnen – müssen entweder den Tagessatz selbst
Zwischen den Fraktionen ist verabredet, hierzu eine bezahlen oder ihnen bleibt der Zugang verwehrt. Ein
halbe Stunde zu debattieren. – Dazu höre ich keinen Wi- Frauenhaus ist aber eine Schutzeinrichtung und kein Ho-
derspruch. Dann ist das so beschlossen. tel für liquide Gäste. Es ist zynisch und rechtsstaatlich
Ich eröffne die Aussprache und gebe das Wort der höchst bedenklich, wenn der Geldbeutel über die Mög-
Kollegin Kirsten Tackmann für die Fraktion Die Linke. lichkeit einer Zuflucht entscheidet.
(Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN)
Nur Berlin, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE): sind bei der Pauschalfinanzierung geblieben.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Liebe Gäste! Heute vor 30 Jahren trat die UN-Frauen- Drittens. Regionale Zugangsbarrieren. Wenn eine
rechtskonvention in Kraft. Ihr Ziel ist, jegliche Diskrimi- Hartz-IV-Bezieherin aus Sicherheitsgründen in ein Frau-
nierung von Frauen zu beseitigen. Die Bundesrepublik enhaus flüchten muss, das außerhalb ihrer Herkunfts-
bekennt sich seit langem zu dieser Konvention und ver- kommune liegt, muss diese trotzdem für sie die Kosten
pflichtet sich zu ihrer Einhaltung; doch ihre Umsetzung übernehmen, aber nur in Höhe der eigenen Regelsätze.
läuft sehr schleppend. Die Differenz zu den möglicherweise höheren Sätzen in
der Zufluchtskommune muss das Frauenhaus selbst
Erst im Februar kritisierte der zuständige Ausschuss übernehmen. Deshalb verlangen viele Kommunen, keine
zum Beispiel das Fehlen einer gesicherten Finanzierung ortsfremden Frauen aufzunehmen. Das ist realitätsfremd
der Frauenhäuser in Deutschland und forderte Abhilfe. und absolut inakzeptabel.
Eine Anhörung im Deutschen Bundestag, die vor zwei
Jahren auf Initiative der Linken stattgefunden hat, führte (Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/
zu dem Ergebnis, dass dringender Handlungsbedarf be- DIE GRÜNEN)
steht. Es war die erste Anhörung zu diesem Thema nach Stellen wir uns kurz vor, wir wären Mitarbeiterinnen
30 Jahren Frauenhausbewegung. Schwarz-Rot hat trotz- in einem Frauenhaus und müssten misshandelte Frauen
dem nur eine Prüfung beschlossen. Ich denke, Schwarz- abweisen, weil sie jenseits der Stadtgrenze wohnen oder
Gelb ist jetzt dringend zur Tat verpflichtet. weil sie Studentin oder Migrantin ist. Würden Sie diese (D)
(B)
(Beifall bei der LINKEN) Frau ohne Hilfe wegschicken oder sie trotz des knappen
Etats des Frauenhauses aufnehmen? Nur, wie oft könn-
Aus unserer Sicht ist klar, dass der Bund zuständig ten Sie sich eine solch humanitäre Geste leisten? Genau
ist; denn es gilt der Verfassungsauftrag, gleichwertige vor dieser Frage stehen Frauenhausmitarbeiterinnen na-
Lebensverhältnisse zu sichern, und zwar erst recht für hezu täglich. Dabei sind sie unterbezahlt und müssen ne-
von Gewalt betroffene Frauen. Dieser Verfassungsauf- benbei zum Beispiel für Beratungsarbeit auch noch Ei-
trag ist aber nicht erfüllt, wenn es vom Wohnort oder genmittel einwerben. In NRW sind das stattliche
von der sozialen Situation der Frau abhängt, ob sie Zu- 70 Prozent des Etats. Beim rot-rot regierten Berlin sind
flucht vor Gewalt findet oder nicht. Daran wird sich es übrigens nur 3 Prozent.
nichts ändern, wenn die Finanzierung weiterhin allein
den Ländern und Kommunen überlassen wird. Eine Fi- Aus all diesen Gründen brauchen wir dringend eine
nanzierung nach Kassenlage anstatt nach Bedarf ist ge- bundeseinheitliche bedarfsgerechte Pauschalfinanzie-
rade bei Gewaltopfern absolut inakzeptabel. rung für Frauenhäuser,
(Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei der LINKEN)
Ich nenne ein paar daraus resultierende Probleme: für Unterkunft, Betreuung, Prävention und Aufklärungs-
arbeit, für administrative Arbeiten und die Vernetzung
Erstens. Bei der Versorgung zeigt sich, dass es zu wenig
von Schutzeinrichtungen. Das zu sichern, beantragt Die
Schutzplätze und zu große regionale Unterschiede gibt. In
Linke heute erneut, und wir werden weiter Druck ma-
Bremen kommt ein Frauenhausplatz auf 6 200 Einwohne- chen, bis jedes Zimmer in jedem Frauenhaus für seine
rinnen und Einwohner, in Bayern sogar auf 17 100. Bewohnerin die Tür zu einer gewaltfreien Zukunft öff-
Gemessen an den Normen der Europäischen Kom- net.
mission fehlen im Bundesdurchschnitt 4 800 Plätze. Es
Vielen Dank.
ist inakzeptabel, wenn es vom Wohnort abhängt, ob eine
Zuflucht verfügbar ist oder nicht. (Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Die Kollegin Dorothee Bär hat das Wort für die CDU/
Zweitens. Soziale Zugangsbarrieren. Mit der Einfüh- CSU-Fraktion.
rung von Hartz IV wurde die Situation der Gewaltopfer
noch verschlechtert. Der Wechsel von der Pauschal- zur (Beifall bei der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1115

(A) Dorothee Bär (CDU/CSU): Problem tritt in der Praxis auf, wenn Frauen Schutz im (C)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frauenhaus einer fremden Kommune suchen und keine
In einer Woche ist Weihnachten, und Weihnachten ist für Kostenübernahmeerklärungen der Herkunftskommune
viele Menschen das Fest der Familie, der Besinnung und vorliegen.
des Friedens. Aber gerade an diesen Feiertagen kommt
Im Koalitionsvertrag haben wir beschlossen, eine
es vermehrt zu häuslicher Gewalt und das in allen Ein-
bundesweite Notrufnummer einzurichten, die rund um
kommensbereichen, in allen Bildungsschichten und auch
die Uhr besetzt ist und die den Betroffenen konkrete Un-
in allen Kulturkreisen.
terstützung vor Ort vermitteln kann. Diese Nummer
Jede vierte Frau in Deutschland erlebt mindestens – Herr Staatssekretär, ich weigere mich im Sinne des
einmal in ihrem Leben Gewalt durch ihren Partner. Be- Schutzes der deutschen Sprache, sie Helpline zu nennen –
leidigungen, Schläge, Demütigungen, Vergewaltigun- soll dabei helfen, die einzelnen Bedürfnisse der Frauen
gen und lebensgefährliche Verletzungen führen zum Teil und ihrer Kinder festzustellen und das passende Hilfsan-
zu lebenslangen seelischen Folgen. Zumeist braucht es gebot – Frauenhaus, Gewaltschutz oder andere Maßnah-
sehr viele Anläufe, bis die Betroffenen bereit und in der men – herauszufinden. Dieser Telefonnotruf soll der
Lage sind, sich aus dieser Gewaltsituation zu lösen. Des- erste Schritt, soll ein niedrigschwelliger Schlüssel zu ei-
wegen brauchen diese Frauen Beratung und Zuwendung nem Hilfesystem sein, mit dem auch Gruppen von
und vor allen Dingen einen sicheren Ort. Frauen erreicht werden, die sich bisher aus unterschied-
lichen Gründen nicht angesprochen fühlten oder noch
Für viele Frauen und ihre Kinder ist der letzte Aus- keine Vorstellung davon haben, dass das bestehende
weg die Flucht aus der eigenen Wohnung in ein Frauen- Hilfsangebot sich auch an sie richtet. Mit der Telefon-
haus. Aber wie gesagt: Diesen Schritt überhaupt zu ge- nummer hat man eine Anlaufstelle, bei der man Informa-
hen, ist natürlich mit sehr vielen seelischen Belastungen tionen bekommen kann und bei der die erste Hilfe orga-
verbunden. In unseren Frauenhäusern erhalten sie die nisiert werden kann.
notwendige Unterstützung, sie erhalten eine Unterkunft,
Essen, finanzielle Soforthilfe und – was in den meisten Dieser erste Schritt hin zu einem flächendeckenden
Fällen besonders wichtig ist – die Möglichkeit, sich zu differenzierten Hilfesystem für die von Gewalt betroffe-
verstecken. nen oder bedrohten Menschen soll seitens der Bundesre-
gierung baldmöglichst eingeleitet werden. Union und
Als zentrale Anlaufstelle und Einrichtung für Opfer FDP haben sich im Koalitionsvertrag zudem darauf ge-
von häuslicher Gewalt sind unsere Frauenhäuser seit einigt, dass ein Bericht zur Lage der Frauen- und Kin-
30 Jahren unverzichtbar geworden. Schon in unserem derschutzhäuser und der darüber hinausgehenden Hil-
Antrag „Die Situation von Frauenhäusern verbessern“ feinfrastruktur vorgelegt wird. Für Mitte 2010 wird (D)
(B) haben wir auf ihre hohe Bedeutung hingewiesen. Frau-
außerdem eine Stellungnahme der Arbeitsgruppe Frau-
enhäuser und Frauenzufluchtswohnungen sind unerläss- enhaus des Deutschen Vereins für öffentliche und private
liche Einrichtungen der Notfallhilfe. Sie sind auch wich- Fürsorge e. V., in der die verschiedenen staatlichen Ebe-
tige Anlauf- und Beratungsstellen für die Betroffenen, nen und das Frauenunterstützungssystem vertreten sind,
leisten einen wertvollen Beitrag zur Gewaltprävention erwartet.
und bieten Beratung und Vermittlung in persönlichen
Krisensituationen und Notlagen an. Die Arbeitsgruppe Frauenhaus wird konkrete Emp-
fehlungen aussprechen, welche Maßnahmen auf Bun-
Derzeit haben wir in Deutschland ungefähr 7 000 Bet- desebene, auf Länderebene und auf kommunaler Ebene
tenplätze in circa 330 Frauenhäusern und in circa ergriffen werden können. Wir werden dann entscheiden,
60 Frauenzufluchtswohnungen. In diesen Frauenhäusern wie das Hilfesystem im Bereich von Gewalt gegen
bitten jährlich 45 000 misshandelte Frauen mit ihren Frauen im Rahmen der Bundeszuständigkeit weiter un-
Kindern um Zuflucht. terstützt werden kann. Denn die Finanzierung von Frau-
Wir haben bei den Frauenhäusern insbesondere fol- enhäusern ist je nach Bundesland und Kommune unter-
gende Probleme: Nicht überall – das ist angesprochen schiedlich geregelt. Damit Frauen und Kinder überall in
worden – ist die regionale Versorgung gewährleistet. Ge- Deutschland schnell und unbürokratisch Hilfe bekom-
rade über die kommenden Feiertage während der Weih- men können und die Frauenhäuser die notwendige Pla-
nachtszeit kommt es teilweise zu extremen Engpässen. nungssicherheit haben, müssen ganz besonders die Län-
Betroffene Frauen mit drei Kindern, psychisch kranke der und die Kommunen bei der Finanzierung noch
Frauen und drogenabhängige Frauen finden nicht immer besser zusammenarbeiten.
schnell einen Platz. Einzelne Bundesländer sind angesprochen worden,
Ein anderes Problem ist, dass die Betroffenen oft Stu- zum Beispiel Schleswig-Holstein, wo die Frauenhaus-
dentinnen oder Migrantinnen mit ungeklärtem Aufent- finanzierung sehr gut geregelt ist. Unserer Meinung nach
haltsstatus sind, die keine sozialversicherungsrechtli- wäre es wünschenswert, wenn dieses Modell auch in an-
chen Ansprüche haben. Dies führt insbesondere bei deren Ländern Nachahmer finden würde.
Frauenhäusern, die sich über Tagessätze finanzieren, zu (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
großen Finanzierungsschwierigkeiten. Frauenhäuser, die neten der FDP)
diese Personengruppen aufnehmen, müssen deshalb ei-
nen erheblichen bürokratischen Aufwand leisten und All denen, die auf die angeblich hohen Kosten eines
bleiben nicht selten auf den Kosten sitzen. Ein weiteres solchen Engagements hinweisen, halte ich die Verpflich-
1116 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

Dorothee Bär
(A) tung entgegen, gerade Kinder und Frauen vor Gewalt zu in Berlin in Betrieb ging. Es wurde von einem For- (C)
schützen und vorbeugend tätig zu werden. Meiner Mei- schungsprojekt begleitet. Dieses Projekt wurde ausge-
nung nach sind die Ausgaben im Vorfeld allemal gerin- wertet, und die Erfahrungen, die dabei gesammelt wur-
ger als die immensen gesellschaftlichen Kosten, die mit den, bildeten für viele Frauenhäuser, die danach
dem durch Gewalt verursachten menschlichen Leid ent- gegründet wurden, die Basis für das Handeln.
stehen. Erfahrungen von Gewalt werden oft über meh-
rere Generationen hinweg an die Kinder weitergegeben Die Forderung der Frauenbewegung lautete: Bekämp-
und sind eine schwere Hypothek für das ganze Leben. fung der Gewalt ist eine öffentliche Aufgabe und nicht
eine private.
Eine weitere wichtige Gruppe sind Frauen und Kinder
mit Behinderungen. Seitens der Union werden wir uns in (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
dieser Legislaturperiode sehr stark für diese Personen- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg.
gruppe einsetzen und häusliche Gewalt gegen Frauen Sibylle Laurischk [FDP])
und Kinder weiter bekämpfen. In diesem Zusammen-
Ich mache seit über 20 Jahren Frauenhausarbeit und leite
hang ist es wichtig, dass der Bereich der Prävention wei-
seit 20 Jahren ein Frauenhaus. Ich glaube, heute bestrei-
ter gestärkt wird. Es ist wichtig, Geld in die Hand zu
tet niemand mehr – das ist in unserer Gesellschaft ange-
nehmen, um ein funktionsfähiges, unbürokratisches Sys-
kommen –: Wenn Frauen von Gewalt betroffen sind, ist
tem hinzubekommen.
das kein privates, sondern ein gesellschaftliches Pro-
Sie haben uns als Unterstützer an Ihrer Seite. Wir blem, das wir anzugehen haben.
wollen, dass Gewalt gegen Frauen im Vorfeld verhindert
wird und keine einzige Frau abgewiesen wird, wenn die In der Folge wurden viele Themen groß aufgezogen.
Gewaltsituation doch eingetreten ist und die Frauen in Sexualisierte Gewalt gegen Mädchen war über Jahr-
den Frauenhäusern Zuflucht suchen, und wir wollen, zehnte hinweg das Thema. Viele dieser einzelnen Aktio-
dass die Frauenhäuser nicht am Ende auf den Kosten sit- nen wurden 1999 unter der ersten rot-grünen Regierung
zen bleiben. im ersten Aktionsplan zur Bekämpfung der Gewalt ge-
gen Frauen, der von Bundesministerin Bergmann vorge-
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünsche Ihnen legt wurde, zusammengefasst. Viele rechtliche und prä-
allen nicht nur besinnliche Weihnachten und Gottes Se- ventive Maßnahmen wurden veranlasst, zum Beispiel
gen, sondern vor allem auch gewaltfreie Weihachten. An die Schulung der Polizeibediensteten und die Einrich-
dieser Stelle möchte ich im Namen des ganzen Hauses tung einer Bund-Länder-AG, und Untersuchungen in
all denen, die diesen Frauen Hilfe bieten und sie in den Auftrag gegeben.
rund 330 Frauenhäusern in Deutschland unterstützen,
(B) meinen ganz herzlichen Dank aussprechen. Europa hat sich dieser Thematik ebenfalls angenom- (D)
men. Im November 2006 war der Auftakt zur Kampagne
Vielen Dank. des Europarates zur Bekämpfung der häuslichen Gewalt
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gegen Frauen. Wir haben uns dieser Kampagne ange-
schlossen. Ich kann mich noch daran erinnern: Das war
hochproblematisch, ehe sich der Bundestag durchgerun-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: gen hat, mitzumachen. Mindeststandards wurden damals
Als Nächste spricht die Kollegin Marlene Rupprecht gefordert. Unter anderem ging es darum, wie viele Frau-
für die SPD-Fraktion. enhausplätze pro 10 000 Frauen zwischen 18 und über
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) 70 Jahren zur Verfügung gestellt werden müssen. Wir
haben diese Mindeststandards leider nicht erreicht. Ich
glaube, wir sollten noch einmal genau hinschauen und
Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): nicht länger darüber diskutieren, ob wir das brauchen
Frau Präsidentin! Das Private ist politisch – das war oder nicht.
die Quintessenz des Internationalen Jahres der Frau
1975. Ich sage das bewusst. Das ist 34 Jahre her. Ich glaube, dass das auch unter der Großen Koalition
so gesehen und die Politik fortgeführt wurde. Auch in
(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Das gilt dem zweiten Aktionsplan, der 2007 aufgelegt wurde,
noch heute!) standen diese Maßnahmen im Mittelpunkt.
Gewalt im sozialen Nahraum – nicht im öffentlichen,
aber im sozialen Nahraum – war Privatsache. In der poli- Aber 33 Jahre nach Einrichtung des ersten Hauses
stehen wir noch dort, wo wir damals standen: bei der
zeilichen Kriminalstatistik hieß das bis in die 90er-Jahre
hinein: Familienstreitigkeiten. Man ging hin und hat ver- Initiierung eines Projektes, bei dem wir überlegen müs-
sucht, zu schlichten. Wenn einer total betrunken war, hat sen, woher man Geld bekommt, wie das Haus finanziert
man ihn vielleicht zur Ausnüchterung mitgenommen. werden kann. Es ist so, als hätte man gerade die spon-
Aber ansonsten war es Sache der Frau, wie sie damit tane Idee, ein Haus einzurichten. Ich weiß, wovon ich
umging. Das galt als individuelles Schicksal und nicht spreche. Jede muss kreativ sein, jede muss schauen, wo-
als strukturelles Problem der Gesellschaft. her sie das Geld für das nächste Jahr bekommt, wie sie
die Mitarbeiterinnen bezahlt und vor allem, wie sie die
1975 hat die Frauenbewegung angefangen, das Ausfälle auffängt, wenn die Kosten für den Aufenthalt
Thema öffentlich zu machen. Man wurde sehr deutlich, von Frauen nicht übernommen werden, weil sie durch
was dazu führte, dass bereits 1976 das erste Frauenhaus alle Raster fallen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1117
Marlene Rupprecht (Tuchenbach)
(A) Ich finde, dass wir uns jetzt eigentlich mit viel wichti- halten. Denn Frauenrechte sind Menschenrechte. Daher (C)
geren Themen beschäftigen müssten, zum Beispiel mit fordere ich Sie, die Regierung, auf,
dem Zustrom von Migrantinnen – übrigens aus EU-Staa-
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
ten –, denen angebliche reiche Manager gesagt haben,
dass sie sie als Ehefrauen wollen. Sie werden hergeholt mit den Kommunen und mit den Ländern zu reden.
und dann in die Prostitution geschickt und misshandelt. Wenn sie die nötige Förderung nicht bereitstellen kön-
Das sind Dinge, die uns in den Häusern derzeit massiv nen, dann sollten wir es für sie machen. Ich glaube,
beschäftigen. Es sind EU-Bürgerinnen, die Freizügigkeit wenn es um die Bürgerinnen geht, dann ist es einem
genießen, aber keinerlei sozialrechtliche Absicherung wurscht, wer zuständig ist, dann sagt man: Jetzt suchen
haben. Dies müssten wir thematisieren. Aber was thema- wir alle Wege, um den Bürgerinnen, die den Anspruch
tisieren wir nach 33 Jahren? Wir thematisieren, wie wir darauf haben, die Möglichkeit zu geben, geschützt zu
es schaffen, ein Haus zu finanzieren, und zwar bundes- werden. Wir können nicht sagen: Ich bin es nicht, du bist
einheitlich. Jetzt dürfte ich hier gar nicht stehen; denn es nicht. Dieses Spiel haben wir in der Grundschule ge-
ich habe mein Frauenhaus ganz gut finanziert. Wir ste- spielt. Wir sind jetzt zu alt, um noch einmal von vorne
hen einigermaßen gut da. anzufangen. Ich würde es gern schaffen. Ich würde mit
meinen Mitarbeiterinnen gern zielgerichtet für die
(Markus Grübel [CDU/CSU]: Das ist ja Frauen arbeiten, die es wirklich brauchen.
Bayern!)
Nachdem Frau Bär uns schon friedliche Weihnachten
– Nein, das bin ich. Man kann in Bayern alles finden, un- gewünscht hat, wünsche auch ich Ihnen das an dieser
ser Haus und Häuser, die Tagessatzfinanzierung haben, Stelle. Aber ich sage Ihnen noch etwas: Wir halten den
die schlecht finanziert sind. Sie finden alles, und zwar Betrieb an den Wochenenden und an den Feiertagen nur
bundesweit. aufrecht, weil wir ganz viele ehrenamtliche Mitarbeite-
Die Mitarbeiterinnen sind kreativ und versuchen, die rinnen haben, die rund um die Uhr, 24 Stunden am Tag,
Defizite auszugleichen. Übrigens würde das kein Mann sieben Tage die Woche, Rufbereitschaft haben und auch
machen. Das betrifft fast nur Frauenprojekte; das nur ne- morgens um vier aufstehen, um eine Frau von einer Tele-
benbei als Gender-Aspekt gesagt. Man hofft, dass die fonzelle abzuholen, die dort mit ihren Kindern steht,
Frauen das, was sie im Leben immer machen, nämlich weil sie nicht weiß, wohin sie gehen soll. Das muss auch
Lücken mit ihrer Kreativität auszugleichen, auch da einmal gesagt werden: Ohne das Ehrenamt wäre das
schaffen. überhaupt nicht möglich. Ich finde, das ist eines so rei-
chen Landes eigentlich unwürdig.
Wir haben über 300 Häuser, und sie brauchen drin-
Danke.
(B) gend eine sichere Finanzierung. Jetzt sage ich Ihnen aus (D)
meiner Erfahrung: Wir brauchen keine Tagessatzfinan- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie
zierung, sondern eine institutionelle Finanzierung. bei Abgeordneten der FDP, der LINKEN und
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Wenn Sie die volkswirtschaftlichen Schäden gegenrech- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
nen, die durch Gewalt verursacht werden, wenn Sie se- Jetzt hat die Kollegin Sibylle Laurischk für die FDP-
hen, welche Kosten durch Krankenhausaufenthalte und Fraktion das Wort.
Arztbesuche infolge von Gewaltanwendung entstehen,
und welche Ausfälle bei der Erwerbstätigkeit durch Ge- Sibylle Laurischk (FDP):
walt verursacht werden, dann könnten die Häuser locker Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Alles,
finanziert werden. Verglichen damit, können die Kosten was wir bis jetzt zum Thema Frauenhäuser gehört haben,
quasi aus der Portokasse bezahlt werden. Wir brauchen macht brennglasartig auf ein gesellschaftliches Problem
eine institutionelle Förderung für alle Häuser; denn die aufmerksam, das nach wie vor nicht gelöst ist: die struk-
Nachsorge, die persönliche Beratung, die telefonische turelle Gewalt gegen Frauen innerhalb von Familien.
Beratung und die Öffentlichkeitsarbeit müssen sicher fi- Wenn wir davon wissen, nehmen wir sie zur Kenntnis.
nanziert sein. Ich denke aber, in viel zu vielen Fällen will man davon
Ich gehe gern auf internationale Tagungen, weil ich gar nichts wissen. Insofern sind Frauenhäuser ein unan-
dort mit Stolz verkünden kann, was wir alles gemacht genehmes Thema.
haben. Das ist wirklich toll. Da sind wir meist weltweit In der Vergangenheit, in den letzten 30 Jahren, auf die
führend. Das können wir hier auch einmal sagen. Wir schon mehrfach zurückgeblickt worden ist, haben sie al-
haben in den letzten 30 Jahren viel gearbeitet, aber dass lerdings viele gesellschaftliche Diskussionen auf den
wir bei den Frauenhäusern, der wichtigsten Institution, Weg gebracht. Mittlerweile gibt es beispielsweise das
dastehen wie in den ersten Tagen, ist blamabel für dieses Gewaltschutzgesetz.
Land, das sonst immer sagt: Wir sind ganz vorne, wir
sind die Musterschüler. (Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Ja!)

(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Frauen müssen sich nicht mehr in ein Frauenhaus bege-
ben. Der, der schlägt, muss das Haus, muss die Wohnung
Ich halte es für eine Grundeinrichtung der Daseins- der Familie verlassen. Dennoch ist diese Regelung für
vorsorge in der Kommune, Schutzeinrichtungen vorzu- viele Frauen nach wie vor keine Lösung. Deswegen
1118 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

Sibylle Laurischk
(A) warne ich davor, Frauenhäuser zu schließen, auch wenn rung nun möglichst zügig vorgelegt wird; denn er wird (C)
die Versuchung gerade in Zeiten knappen Geldes nahe- eine Grundlage dafür sein, wie wir das Problem der
liegt. Finanzierung der Frauenhäuser lösen.
(Beifall bei der FDP und der SPD sowie bei Dass wir dieses Problem lösen sollten, wird uns auch
Abgeordneten der CDU/CSU und der LIN- auf der internationalen Ebene gesagt. Wenn wir einen
KEN) Blick in den letzten CEDAW-Bericht des entsprechen-
den UN-Ausschusses werfen, sehen wir, dass deutlich
Wir müssen realisieren: Nach wie vor ist mindestens
gemacht wurde, dass Deutschland auf Bundes-, Landes-
jede vierte Frau in Deutschland – nach meinem Dafür-
und kommunaler Ebene die Finanzierung der Frauen-
halten sind es eher mehr – in ihrem Leben einmal von
häuser verbessern muss. Das ist also nicht nur eine natio-
Gewalt in der Partnerschaft betroffen. Die Kinder be-
nale Fragestellung, sondern wird auch international so
kommen dies häufig mit. Sie sind von solchen Erfahrun-
betrachtet.
gen möglicherweise noch traumatisierter, als wir wissen
Ich glaube, dass wir hier einen breiten Konsens ha-
(Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Ja!)
ben, dass Gewalt in der Familie und Gewalt gegen
und als es eventuell sogar die unmittelbar betroffene Frauen nicht hinzunehmen sind und dass – als letzte Lö-
Frau erlebt. sung – die Frauenhäuser nötig sind. Dann muss ihre
Finanzierung aber so gestaltet werden, dass sie Bestand
Wer sich mit dem Thema Frauenhäuser beschäftigt haben, dann dürfen diese Unsicherheiten, die viele Häu-
– ich tue das seit vielen Jahren, und ich habe viele Frau- ser seit Jahren kennen, nicht weiter bestehen.
enhäuser besucht –, weiß, dass es eine strukturelle Un-
terfinanzierung gibt und dass die Finanzierung ganz we- Meine Damen und Herren, es ist ein guter Zufall, dass
sentlich von den Ländern respektive den Kommunen zu wir uns so kurz vor Weihnachten mit der Finanzierung
erbringen ist. Das Geld reicht nicht aus. Gleichzeitig der Frauenhäuser beschäftigen. Das Bild der Mutter mit
führen wir immer wieder Debatten, wie wir gesellschaft- dem Kind, das uns an Weihnachten sehr berührt, gilt
liche Gewalt bekämpfen können. nach wie vor: Seit Tausenden von Jahren gibt es Frauen,
die Zuflucht suchen, die ein Kind zu versorgen haben
Hier ist meiner Ansicht nach der Ansatzpunkt. Wenn und in dieser Situation ein sicheres Obdach brauchen. Es
wir flankierende strafrechtliche Maßnahmen treffen ist, wie gesagt, gut, dass wir uns heute, so kurz vor
wollen, dann darf es nicht nur um die Strafbarkeit von Weihnachten, mit dieser Fragestellung auseinanderset-
Straftaten gehen – das ist ganz klar; das ist unsere Ver- zen. Das ist für die Arbeit der Bundesregierung und un-
pflichtung und unsere Aufgabe –, sondern dann muss es serer Koalition Programm für die Arbeit der kommenden
(B) auch um flankierende Maßnahmen und Hilfestellungen Jahre. (D)
gehen, die den betroffenen Frauen den Ausstieg aus ei-
ner Gewaltbeziehung ermöglichen, die oftmals von einer Danke schön.
fast suchtartigen Abhängigkeit gekennzeichnet ist.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
Ich habe das Thema Frauenhausfinanzierung bereits bei Abgeordneten der SPD – Marlene
im Jahre 2004 mit einer schriftlichen Frage an die dama- Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Wir werden
lige Bundesregierung auf die parlamentarische Agenda aufpassen!)
gehoben. Dann hat sich der Bundestag lange Zeit nicht
mit diesem Thema beschäftigt. Einen Bericht zur Frau-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
enhaussituation in Deutschland gab es zuletzt im Jahre
1988. Deswegen hat die FDP-Fraktion dieses Thema im Jetzt spricht Monika Lazar für Bündnis 90/Die Grü-
vergangenen Jahr aufgegriffen. Wir haben dringend ei- nen.
nen Bericht über die Situation der Frauenhäuser in
Deutschland gefordert. Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Es freut mich, dass wir uns nach der sehr engagierten Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Debatte im Familienausschuss im November 2008, in Jedes Jahr fliehen etwa 40 000 Frauen und Kinder vor
der wir uns mit Finanzierungsfragen befasst haben, auch häuslicher Gewalt in ein Frauenhaus. Jede vierte in
im Rahmen der Koalitionsverhandlungen nachdrücklich Deutschland lebende Frau hat bereits körperliche und se-
mit diesem Thema befasst und es auch in den Koalitions- xuelle Gewalt durch ihren Partner oder Expartner erlebt.
vertrag aufgenommen haben. Wir haben uns vorgenom- Diese Zahlen zeigen deutlich: Gewalt gegen Frauen ist
men, das Hilfesystem, soweit es in der Zuständigkeit des keine Privatsache, kein individuelles Problem, sondern
Bundes liegt, weiter zu stützen. Beispielsweise haben ein Problem, bei dem die Gesellschaft tätig werden
wir uns die Aufgabe gestellt, eine bundesweite zentrale muss. Hier ist die Politik gefragt.
Notrufnummer für betroffene Frauen einzurichten. Ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
denke, dies wird ein weiteres niedrigschwelliges Ange- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
bot sein, das den betroffenen Frauen den Zugang zu KEN)
Hilfe ermöglicht. Wir werden natürlich auch die Ergeb-
nisse der Berichterstattung der Bundesregierung auswer- Es ist die Aufgabe des Staates, Gewalt gegen Frauen zu
ten. Ich bin gespannt darauf, und ich lege großen Wert verhindern, präventiv tätig zu werden, aber auch den Op-
darauf, dass dieser Bericht vonseiten der Bundesregie- fern Hilfe zu gewähren und sie zu schützen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1119
Monika Lazar
(A) Bereits jetzt stehen die Frauenhäuser in einigen Bun- tige, bedarfsgerechte und kostenlose Möglichkeiten zu (C)
desländern finanziell vor großen Problemen; meine Vor- schaffen. Im Gegensatz zur Linksfraktion favorisieren
rednerinnen haben bereits darauf hingewiesen. Teilweise wir deshalb nicht von vornherein eine bundesweite Re-
sind die Probleme so gravierend, dass die Frauenhäuser gelung. Sollten allerdings die Gespräche – wir warten
ihr Schutz- und Betreuungsangebot nicht mehr durch- noch den angekündigten Bericht ab – zu keinem zufrie-
gängig sicherstellen können. Da ist auch die bundesein- denstellenden Ergebnis kommen, müssen wir hier im
heitliche Notrufnummer, die das Ministerium angekün- Bundestag über eine bundesweit gültige Regelung nach-
digt hat, leider nicht ausreichend. Die Situation der denken. Das sollten wir in den verbleibenden Jahren die-
Frauenhäuser wird sich künftig nicht verbessern; denn ser Legislaturperiode wirklich ernsthaft angehen.
mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz wird sich die
Vielen Dank.
Finanzlage von Kommunen und Ländern noch ver-
schlechtern. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
Manche Frauenhäuser nehmen aufgrund kommuna- FDP)
ler Finanzierungsvorgaben nur Frauen aus ihrer Ge-
meinde oder ihrem Landkreis auf. Bei einer hohen Ge-
fährdung der Frauen ist eine Unterbringung weit vom Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Wohnort entfernt aber dringend notwendig. Immer wie- Die Kollegin Elisabeth Winkelmeier-Becker hat jetzt
der müssen wir in der Zeitung von Frauen lesen, denen das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
schwere Gewalt angetan wurde oder die sogar ermordet (Beifall bei der CDU/CSU)
wurden, nachdem ihr Expartner ihren Aufenthaltsort er-
fahren hatte. Am Dienstag dieser Woche begann in Han-
Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU/CSU):
nover der Prozess gegen einen Mann, der seine Exfrau
erstochen haben soll, nachdem diese mit den Kindern in Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
ein Frauenhaus geflüchtet war. Herren! Das Thema der heutigen Debatte war bereits
Thema in der 16. Wahlperiode. Die Anhörung dazu fand
Insbesondere residenzpflichtige Migrantinnen, die ein im November 2008 und die Debatte im Juni 2009 statt,
Frauenhaus außerhalb des ihnen erlaubten Aufenthalts- zu der alle Fraktionen ihre Anträge vorgelegt hatten. In
gebietes in Anspruch nehmen wollen, erleben immer diesen Anträgen hatten wir in vielen Punkten Einigkeit,
wieder, dass die Zufluchtsgemeinden die Zuständigkeit zum Beispiel über die Daten zur Gewalt gegenüber
für Leistungen bestreiten und Leistungen verweigert Frauen. Auch in den daraus zu ziehenden Schlussfolge-
werden; auch dies ist schon angesprochen worden. Um rungen waren die damaligen Anträge, aber auch das, was
(B) auch Migrantinnen eine optimale Versorgung zu ermög- wir heute hier gehört haben, von weitgehender Überein- (D)
lichen, muss die räumliche Beschränkung in ihrem Auf- stimmung geprägt.
enthaltstitel schnell aufgehoben werden. Auch die
Verabschiedet haben wir im Juni dieses Jahres einen
Finanzierung der Dolmetschkosten muss sichergestellt
Antrag der Großen Koalition, der der Bundesregierung
werden.
einen ausführlichen Katalog an Handlungs- und Prüfauf-
Immer häufiger werden Frauenhäuser durch bele- trägen aufgegeben hat. Vieles von dem, was wir damals
gungsunabhängige, einzelfallorientierte Tagessätze fi- verabschiedet haben, findet sich heute in den Anträgen
nanziert. wieder, die die Grünen und die Linken vorgelegt haben.
Es geht darum, die Bundeszuständigkeit zu prüfen, vor
Dies ist bei Studentinnen, volljährigen Schülerinnen allem aber auch Gespräche mit den Ländern zu führen,
und Auszubildenden problematisch, da diese keine An- und zwar ganz konkret mit dem Ziel, die nachhaltige
sprüche aus dem SGB II haben. Wenn sie ihren Aufent- Finanzierung der Frauenhäuser zu verbessern, allen
halt nicht selbst bezahlen können, kommt es vor, dass sie Frauen, unabhängig von ihrem wirtschaftlichen oder
von den Frauenhäusern abgewiesen werden. Der Zugang ausländerrechtlichen Status, den Zugang zu gewähren:
zu Frauenhäusern soll aber kostenlos sein. Wenn Frauen unbürokratisch und barrierefrei. In diesem Beschluss
Angst vor den finanziellen Konsequenzen haben, ist dies sollten ausdrücklich auch die Vorgaben des CEDAW-Be-
ein fatales Signal. richts beachtet werden.
(Beifall der Abg. Ekin Deligöz [BÜND- Welchen Sinn macht es, heute wieder über dieses
NIS 90/DIE GRÜNEN]) Thema zu debattieren? Es stellt sich die Frage, welche
Damit wird der Schritt aus einer Gewaltbeziehung und Halbwertzeit wir unseren eigenen Beschlüssen zumes-
die Flucht in ein Frauenhaus erschwert. Der Zugang zu sen. Dass wir das Thema heute wieder auf die Tagesord-
einer Schutzeinrichtung muss daher grundsätzlich unab- nung setzen, hat den Vorteil, dass dieses wichtige Thema
hängig vom Einkommen der Betroffenen sein. heute noch einmal zur Sprache gebracht wird und sich
der neue 17. Bundestag Gedanken darüber macht, wel-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) che Prioritäten er der neuen Bundesregierung mit in
diese junge Legislaturperiode geben will.
Die positiven Beispiele Schleswig-Holstein, Berlin
oder Brandenburg wurden schon genannt und zeigen vor Aus Sicht der Union bleibt es bei der damaligen Ein-
allem, dass das möglich ist. Deshalb fordern wir die schätzung. Ein sehr wichtiges Anliegen ist für uns, den
Bundesregierung auf, gemeinsam mit den Ländern Ge- Frauen in dieser Situation noch besser zu helfen. Wir
spräche zu führen, um bundesweit qualitativ hochwer- wollen dieses Ziel vor allem zusammen mit den Ländern
1120 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

Elisabeth Winkelmeier-Becker
(A) erreichen. An den Anfang der Debatte möchte ich den sern ist nur ein Bestandteil eines umfassenden Konzepts. (C)
Dank an die Organisationen stellen, die vor über Andere Dinge kommen noch hinzu: Beratungsstellen,
30 Jahren diesen Bedarf erkannt haben und die Frauen- Zufluchtsstätten. Das kann von Land zu Land differie-
häuser, die uns heute selbstverständlich erscheinen, sehr ren, und auch der Bedarf ist unterschiedlich. Auch des-
kreativ aufgebaut haben und – Frau Rupprecht hat es ge- halb ist das bei den Ländern nicht schlecht aufgehoben.
rade geschildert – mit großem Einsatz ehrenamtlich tätig Die Länder würden auch nicht zustimmen, wenn wir hier
sind. Ohne sie könnten die betroffenen Frauen nicht die ein Bundesgesetz erlassen würden. Hier sehe ich also
nötige Hilfe bekommen. Deshalb an dieser Stelle mein nur wenig Spielraum.
herzlicher Dank.
Zweitens. Mit einer bundesgesetzlichen Regelung
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei ginge nicht automatisch auch die Finanzierungslast auf
Abgeordneten der FDP und der LINKEN) den Bund über. Das heißt, das Problem, das wir damit lö-
sen wollen, wäre gar nicht zu lösen, sondern die Länder
Ich möchte aber auch betonen, dass die neue Regie-
wären weiterhin dafür zuständig, das Geld aufzubringen.
rung dieses Thema sofort wieder auf die Tagesordnung
gesetzt hat. In den Koalitionsverhandlungen haben wir Damit liegt der Schwarze Peter aber bei weitem nicht
uns darauf geeinigt, eine Notfallnummer einzurichten. nur bei den Ländern, sondern wir müssen hier schauen,
Realistisch ist die Umsetzung dieser Idee bis 2011. Es was wir auf Bundesebene tun können, und zwar bitte an
geht schließlich nicht nur um die Technik, sondern man der richtigen Stelle. Das heißt, wir müssen die Leis-
muss dafür sorgen, dass am anderen Ende der Leitung tungsgesetze, in denen steht, wer in welcher Situation et-
jemand sitzt, der einer Frau in einer bedrohlichen Situa- was bekommt, „entrümpeln“ und daraufhin überprüfen,
tion die richtige Auskunft geben kann, und zwar auch ob sie zielgenau auf den Bedarf dieser Frauen ausgerich-
Auskunft über die Möglichkeiten des Gewaltschutzge- tet sind.
setzes, oder konkret das Frauenhaus nennen kann, das
zuständig und erreichbar ist. Leistungen nach dem SGB II oder SGB XII müssen
vielleicht unbürokratischer gewährt werden, damit die
Noch einmal zurück zur Finanzierung. Die Vorredne- Beantragung nicht so lange dauert, bis die Frau das Frau-
rinnen haben schon Fälle geschildert, in denen die Kos- enhaus schon wieder verlassen hat. Hier brauchen wir
ten nicht oder nur nach einem hohen bürokratischen Vereinfachungen. Wir sollten ebenfalls kritisch überprü-
Aufwand getragen werden, sodass sich die Betreuerin- fen, welche Regelungen wir im Ausländer- bzw. Aufent-
nen darum kümmern müssen, anstatt sich um die trau- haltsrecht vereinfachen können, um den entsprechenden
matisierten Frauen kümmern zu können. Hier wird die Bedarf besser abdecken zu können. Hier sollten wir un-
Lösung teilweise in einer bundeseinheitlichen Regelung sere Hausaufgaben machen, einiges vereinfachen und
(B) gesehen. klarstellen. (D)
Zunächst stellt sich hier natürlich die Frage der Ge- Hinsichtlich der Finanzierung möchte ich noch ganz
setzgebungskompetenz des Bundes, die nur unter sehr kurz auf einen Aspekt eingehen. Mir liegt daran, dass
engen Voraussetzungen gegeben ist. Ich will hier jetzt wir auch die Verantwortlichen, die Täter, in dem einen
gar nicht auf die Details des Verfassungsrechts eingehen, oder anderen Fall besser zur Finanzierung mit heranzie-
diese Zuständigkeit ist von den sachverständigen Juris- hen. Frau Rupprecht hat gerade entsprechende Fälle ge-
ten in der Anhörung zunächst einmal verneint worden. schildert, in denen durchaus zahlungskräftige Männer
Auch die Länder sehen die Zuständigkeit ganz klar bei ihre Frauen in Situationen gebracht haben, in denen sie
sich, und zwar unabhängig von den jeweiligen Parteien, in Frauenhäuser gehen. Ich sehe überhaupt nicht ein,
die dort regieren. Über alle Grenzen hinweg sind die dass die Kosten dafür aus Steuermitteln aufgebracht
Länder der Meinung, dass das in ihre Zuständigkeit fällt. werden müssen. Hier können wir durchaus auch an die
Ich denke, wer das Heil in einer bundeseinheitlichen Gewalttäter herangehen.
Lösung sucht, der unterliegt zwei Irrtümern: (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
Erstens. Bundesgesetze sind nicht immer automatisch FDP)
besser als die Landesgesetze. Ich denke, auf dieser Grundlage werden wir diese An-
(Caren Marks [SPD]: Aber einheitlich!) träge erneut beraten. Im Übrigen schließe ich mich den
Wünschen für ein gutes und friedliches Weihnachtsfest
Wir hier im Bundestag sind nicht automatisch kompe- an alle Kollegen an.
tenter als die Kolleginnen und Kollegen in den Land-
tagen. Die Länder haben die Problematik genauso er- Vielen Dank.
kannt wie wir. Sie haben auch den gleichen Willen, hier
(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der
effektiv zu helfen, und sie haben sich auf der Konferenz
FDP)
der Gleichstellungs- und Frauenministerinnen, -minister,
-senatorinnen und -senatoren der Länder in diesem
Sommer auch dazu positioniert und zum Ausdruck ge- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
bracht, dass man hier Verbesserungen erreichen will. Damit schließe ich die Aussprache zu diesem Tages-
ordnungspunkt.
Es ist auch deshalb richtig, dass es Ländersache ist,
weil hier durchaus auch regionale Besonderheiten zu be- Es ist vorgeschlagen, dass die Vorlagen auf den
achten sind. Die Versorgung mit Plätzen in Frauenhäu- Drucksachen 17/243 und 17/259 an die in der Tagesord-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1121
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
(A) nung aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. – Bereich zu erhalten. Darum geht es uns in unserem vor- (C)
Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlos- liegenden Antrag. Deswegen bitten wir das ganze Haus
sen. um Zustimmung.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 10 auf: (Beifall bei der SPD)
Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin Denn wir haben die große Sorge, dass es mit der Steuer-
Gerster, Nicolette Kressl, Ingrid Arndt-Brauer, befreiung dieser Zuschläge bald vorbei sein könnte.
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
(Dr. Daniel Volk [FDP]: Durch Herrn
Steuerfreiheit von Zuschlägen für Sonntags-, Steinbrück!)
Feiertags- und Nachtarbeit erhalten
Zum einen gibt es ein wissenschaftliches Gutachten, das
– Drucksache 17/244 – vom Bundesfinanzministerium in Auftrag gegeben
Überweisungsvorschlag: wurde, in dem die Abschaffung dieser Subventionen ge-
Finanzausschuss (f) fordert wird. Zum anderen ist festzustellen – auch wenn
Rechtsausschuss vom Bundesfinanzministerium beteuert wird, dass es
Ausschuss für Arbeit und Soziales keine konkreten Pläne zur Umsetzung dieser Forderung
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss gibt –, dass seit Jahren insbesondere von der FDP, aber
auch von der Union wie zuletzt 2005 gefordert wird, die
Zwischen den Fraktionen ist verabredet worden, Steuerfreiheit dieser Zuschläge abzuschaffen.
hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. – Damit sind
Sie einverstanden. Dann ist das so beschlossen. Ganz aktuell hat am 8. Dezember der haushaltspoliti-
sche Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion Fricke eine
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege Diskussion über die Besteuerung der Nacht- und Feier-
Martin Gerster für die SPD-Fraktion. tagszuschläge gefordert. Er kann sich, wie er sagt, die
(Beifall bei der SPD) Besteuerung der Nacht- und Feiertagszuschläge vorstel-
len. Das heißt, es scheinen konkrete Pläne vorhanden zu
sein, diese Steuerbefreiung abzuschaffen.
Martin Gerster (SPD):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Bundesfinanzministerium kann noch so sehr be-
Es hätte aus meiner Sicht eigentlich keinen besseren teuern, dass es keine konkreten Pläne gibt. Wir haben die
Zeitpunkt gegeben als heute, um über dieses Thema zu große Sorge, dass an der bestehenden Regelung gedreht
sprechen. Letztendlich geht es um die Frage, wie wir mit wird,
(B) Menschen umgehen, die beispielsweise an den Weih- (Ulrike Flach [FDP]: Hatten Sie die bei Herrn (D)
nachtsfeiertagen diese erholsame Zeit nicht im Kreise Steinbrück auch?)
der Familie verbringen können, sondern diese Zeit op-
fern müssen, um zu arbeiten. Das ist kein kleiner Kreis, und zwar auch deswegen, weil wir erst am 5. Dezember
und er wird immer größer. Inzwischen ist der Kreis der- in diesem Hause die Subventionierung der Hoteliers und
jenigen in Deutschland, die in Bereichen wie Gesund- vieler anderer Bereiche beschlossen haben und es sich
heit, Pflege, Verkehr oder Medien davon betroffen sind, abzeichnet, dass die Haushaltslöcher immer größer wer-
sehr groß geworden. den. Wir werden mutwillig in die Verschuldung getrie-
ben. Spätestens 2011 müssen auch aus den Reihen der
Das Statistische Bundesamt hat festgestellt, dass über Koalition Vorschläge kommen und Maßnahmen umge-
20 Millionen Beschäftigte in Deutschland sonntags, setzt werden, um diese Verschuldung wieder zurückzu-
nachts oder an Feiertagen arbeiten müssen. Über führen.
8,5 Millionen Beschäftigte sind von Sonntagsarbeit be-
troffen. 5 Millionen Beschäftigte müssen nachts arbei- (Beifall bei der SPD)
ten. Deswegen ist es sicherlich ein positives Signal,
Deswegen glaube ich, dass höchste Aufmerksamkeit
wenn wir an dieser Stelle denjenigen danken, die nachts,
angebracht ist. Wir wollen von Ihnen eindeutig wissen:
an Feiertagen und Wochenenden diesen wichtigen
Stehen Sie zu der Aussage, dass keine konkreten Pläne
Dienst für unsere Gesellschaft leisten.
vorliegen? Sind Sie bei uns, wenn wir die Steuerbefrei-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ung für Zuschläge für die Sonntags-, Nacht- und Feier-
der CDU/CSU) tagsarbeit erhalten wollen, oder fallen Sie irgendwann
um? Denn der Tag der Wahrheit wird kommen. Spätes-
Mit dem Dank ist es aber nicht getan. Um es deutlich tens im Jahr 2011 werden Sie massive Einsparungen
zu sagen: Wir wollen nicht, dass die Arbeit sonntags, vornehmen müssen. Wir erwarten von Ihnen heute klare
nachts und an Feiertagen ausgedehnt wird. Sie ist aber in Aussagen, ob Sie unsere Position teilen, dass diese Zu-
vielen Bereichen eine gesellschaftliche Notwendigkeit. schläge steuerfrei bleiben.
Deswegen meinen wir, dass wir die Menschen für die
Strapazen entschädigen müssen, die sie dadurch auf sich (Beifall bei der SPD)
nehmen, dass sie beispielsweise an Weihnachten darauf
verzichten, sich gemeinsam mit ihrer Familie zu erholen. Wir wollen keine Lippenbekenntnisse. Wir wollen bei
der Abstimmung ganz genau wissen, ob Sie bei uns sind.
Deswegen halten wir von der SPD-Fraktion es für Die Millionen Beschäftigten in diesem Bereich haben ei-
notwendig, die Steuerfreiheit der Zuschläge in diesem nen berechtigten Anspruch darauf, zu wissen, wie es
1122 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

Martin Gerster
(A) weitergeht; denn sie sind darauf angewiesen, dass ihre schäftigten. Das grobe Ziel des Schutzes der Arbeitneh- (C)
Zuschläge steuerfrei bleiben. Es geht um einen Betrag mer wird nicht erreicht. Die durch die Steuerfreiheit der
von 2 Milliarden Euro. Viele in diesem Bereich Tätige Zuschläge induzierte Anreizwirkung widerspricht dem
planen natürlich mit der Steuerfreiheit der Zuschläge. Ziel des Schutzes des Arbeitnehmers.
Wenn die Steuerfreiheit abgeschafft wird, kann das nicht
über Tarifverhandlungen ausgeglichen werden; denn es Das Finanzwissenschaftliche Forschungsinstitut an
sind Einbußen von bis zu 20 Prozent in der Lohntüte zu der Universität zu Köln empfiehlt deshalb ohne Ein-
befürchten. Deswegen bitte ich Sie herzlich, unserem schränkung die Abschaffung der Steuerbefreiung von
Antrag zuzustimmen. Das liegt im Interesse zum Bei- Sonn-, Feiertags- und Nachtzuschlägen. Die Abschaf-
spiel all derjenigen, die an Weihnachten arbeiten müssen fung, so das Institut, werde eine bessere Steuertranspa-
und darauf zählen, dass ihre Zuschläge steuerfrei blei- renz, höhere Effizienz und eine gleichmäßigere Einkom-
ben. Wir werden nachher sehen, wie die Koalitionsver- mensverteilung mit sich bringen. So lautet das eindeutige
treter abstimmen werden. Ergebnis des von Ihrem Finanzminister beauftragten In-
stituts.
In diesem Sinn wünsche ich Ihnen allen schöne Feier-
tage, frohe Weihnachten und einen guten Rutsch in das (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
neue Jahr. Wir sind auf die Positionierung der Koali- Nun muss man in der Politik Gott sei Dank nicht alles
tionsfraktionen gespannt. machen, was Professoren, Schriftgelehrte und Institute
Herzlichen Dank. vorgeben.
(Beifall bei der SPD)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Möchten Sie die eine Zwischenfrage der Abgeordne-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
ten Kressl zulassen?
Der Kollege Olav Gutting hat das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
Olav Gutting (CDU/CSU):
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Bitte schön.
Olav Gutting (CDU/CSU):
Nicolette Kressl (SPD):
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
Es ist kurz vor Weihnachten. Lieber Martin Gerster, du Herr Kollege Gutting, da Sie so ausführlich aus dem
hast recht: Euer Antrag passt wirklich zu Weihnachten. Gutachten zitiert haben, drängt sich mir folgende Frage
(B) Man könnte ihn mit „Eine schöne Bescherung“ über- auf: Sind wir uns einig, dass die Entscheidung, wie mit (D)
schreiben. Es ist wirklich komisch, wenn man bedenkt, Bewertungen aus Sachverständigengutachten umzuge-
dass euer Finanzminister Peer Steinbrück es war, der im hen ist, am Ende eine politische ist? Diese Frage drängt
Juli 2007 den Auftrag gegeben hat, die dem Volumen sich mir besonders auf, weil die damalige politische Lei-
nach 20 größten Subventionen zu untersuchen. Es sollte tung des Finanzministeriums zwar, wie so oft, Gutachten
eine systematische Erfolgskontrolle der Subventionen in Auftrag gegeben hat, aber schon damals deutlich ge-
erfolgen. Das Ergebnis bezüglich der Steuerbefreiung macht hat, dass sie sich politisch mit diesen Wertungen
von Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschlägen können ausdrücklich nicht identifiziert.
Sie alle nun schwarz auf weiß nachlesen. (Ulrike Flach [FDP]: Dann hätte er sich das
Das von Herrn Steinbrück beauftragte Finanzwissen- Geld sparen können!)
schaftliche Forschungsinstitut an der Universität zu Köln
kommt zu folgendem Ergebnis: Die Transparenz der Be- Olav Gutting (CDU/CSU):
günstigung ist gering. Es gibt keine klare Zielsetzung. Liebe Kollegin, ich habe gerade eben gesagt, dass es
„Dies ist für eine Vergünstigung, die 2 Milliarden Euro ein Glück in der Politik ist, dass wir nicht immer das ma-
öffentliche Mittel kostet, inakzeptabel.“ Weiter heißt es: chen müssen, was die Professoren vorgeben. Aber Sie
Es handelt sich um einen Transfer, der ausschließlich müssen den Menschen schon erklären, warum Sie ein
Mitnahmeeffekte, aber keine lenkenden Anreizeffekte Gutachten, das der Finanzminister für teures Steuergeld
hervorruft. Es ist keine Begründung ersichtlich, wo das in Auftrag gibt, ignorieren, egal welches Ergebnis bei
Allgemeininteresse von faktisch nahezu jeder beliebigen diesem Gutachten herauskommt. Dann haben die Steuer-
Tätigkeit nachts oder an Sonn- und Feiertagen liegt. Im bürgerinnen und Steuerbürger nämlich ein Problem mit
Gutachten wird auch darauf hingewiesen, dass das Ge- Ihnen; denn die fragen sich zu Recht: Was treibt ihr ei-
rechtigkeitsprinzip verletzt ist. Verteilungspolitisch wer- gentlich mit unserem Geld? – Darum geht es.
den Besserverdienende mit der Steuerbefreiung stärker
begünstigt. – Hört! Hört! Ich wiederhole: Verteilungspo- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
litisch werden Besserverdienende mit der Steuerbefrei-
Dann kann man sich solche Studien in Zukunft sparen,
ung stärker begünstigt.
und man braucht keine Steuergelder zu verschwenden.
Ich zitiere weiter aus der Studie: Hinzu kommt, dass Es ist eine grundsätzliche Frage, ob wir mit Steuergel-
die Arbeitgeberseite in Tarifverhandlungen bei geringer dern sinnvoll, dem Gemeininteresse dienend umgehen
entlohnten Arbeitskräften einen größeren Teil der Sub- und ob wir die öffentlichen Mittel sparsam verwenden.
ventionen abschöpfen kann als bei höher entlohnten Be- Wenn ich diese Frage bejahe, kann ich nicht solche Stu-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1123
Olav Gutting
(A) dien wie Ihr Finanzminister in Auftrag geben und sie an- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C)
schließend einfach in die Tonne treten. Bitte sehr.
(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Zuruf von der FDP: Wie lange wollen wir das
NEN]: Angesichts von 8,5 Milliarden Euro noch hinauszögern?)
Steuergeschenken ist das jetzt wirklich platt!)
Joachim Poß (SPD):
Im Übrigen ist es auch eine Frage des Respekts gegen-
über den Wissenschaftlern, gegenüber den Menschen, Ich bitte um Entschuldigung, dass sich das jetzt noch
die in diesem Forschungsinstitut arbeiten, wie wir mit verzögert. Ich habe nur eine ganz kurze Frage. Dürfen
dem Ergebnis dieser Arbeit umgehen. wir Ihren Ausführungen, Herr Kollege, entnehmen, dass
Ihre Meinung zu dem Thema mit der Meinung von
(Nicolette Kressl [SPD]: Was wollen Sie uns Herrn Schäuble übereinstimmt, oder ist das nur Ihre per-
damit sagen?) sönliche Auffassung? Ist damit zu rechnen, dass Ihre
Auffassung zur Grundlage von politischen Entscheidun-
– Ich sage Ihnen: Wir wollen das Ergebnis der Studie des gen der Bundesregierung möglicherweise noch in die-
Finanzwissenschaftlichen Forschungsinstituts an der sem Jahr wird?
Universität zu Köln für die weitere Fortentwicklung des
Steuerrechts, die wir brauchen, zumindest beachten. (Zuruf von der FDP: In diesem Jahr noch?)

(Nicolette Kressl [SPD]: Hört! Hört!) Olav Gutting (CDU/CSU):


Ich will hier klar sagen: Die Union plant aktuell keine In diesem Jahr ganz bestimmt nicht, Herr Kollege
Streichung dieser Steuerfreiheit. Dies würde im Übrigen Poß. Aber eines ist doch klar: Wir wollen eine Struktur-
unserem Grundsatz widersprechen, dass wir mehr Netto reform bei der Einkommensteuer. Wenn ich eine Struk-
vom Brutto wollen. Der Wegfall von Ausnahmeregelun- turreform bei der Einkommensteuer vorhabe, dann kann
gen ist grundsätzlich nur vertretbar, wenn er mit einer ich doch nicht im Vorfeld gewisse Bereiche zu Tabuzo-
großen Steuerstrukturreform nen erklären. Wir wollen, dass die Bürger wissen, wofür
sie bezahlen müssen. Wir wollen, dass das Steuerrecht
(Joachim Poß [SPD]: Das heißt, die Steuer gerecht ist. Wir wissen nämlich, dass ungleiche Besteue-
kommt!) rung ungerecht ist. Das ist ja nun ein Fakt; dem können
auch Sie sich nicht verschließen.
und in diesem besonderen Fall mit Tarifvereinbarungen
kombiniert wird, die Schlechterstellungen wie die der Formale Gleichheit verlangt, dass ziffernmäßig glei-
gerade von Ihnen zitierten Krankenschwester verhin- che Einkommen gleich hohe Steuern auslösen, zunächst (D)
(B)
dern. Wir wollen das Einkommensteuerrecht fortent- einmal unabhängig davon, auf welche Weise das Ein-
wickeln. Wir wollen es einfacher, niedriger und gerech- kommen erworben wurde. Das Einkommensteuerrecht,
ter machen. wie wir es heute haben, differenziert ja normalerweise
nicht danach, wie schwer jemand zur Erzielung seines
(Nicolette Kressl [SPD]: Wie bei den Hotels!) Einkommens arbeiten muss. Nur bei den Sonn-, Feier-
Wir wollen ein Einkommensteuerrecht – es geht nicht tags- und Nachtzuschlägen soll in Form der Steuerbe-
um die Umsatzsteuer –, das Leistung belohnt und diese freiung etwas anderes gelten.
nicht bestraft. Nun sprechen Sie immer wieder davon, dass diese
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Steuerbefreiung für Schichtarbeiter, Krankenschwestern
oder Polizisten unbedingt zu erhalten ist. Aber was ma-
Aber Ihr Antrag will eine das objektive Nettoprinzip ver- chen wir dann mit dem Gewerbetreibenden, der sams-
letzende Ausnahmevorschrift zementieren, und Sie wol- tagabends oder sonntagmorgens in seinem Kiosk steht?
len mit diesem Antrag in der Konsequenz eine die Was machen wir mit dem selbstständigen Bauzeichner,
Arbeitnehmer begünstigende Rechtsfortbildung verhin- der über die Weihnachtsfeiertage in seinem Büro sitzen
dern. Für mich ist dieser Antrag eine Bankrotterklärung muss und nicht heraus kann, weil er noch Aufträge erle-
an den Gestaltungswillen und den Gestaltungsanspruch digen muss? Für all diese gibt es keine Steuerbefreiung.
in der Steuerpolitik. Was wir brauchen, ist eine Einkom- Sie subventionieren mit ihren Steuern sogar noch die
mensteuerreform. Der Bürger will wissen, wofür er be- Steuerfreiheit der anderen. Das ist doch nicht gerecht.
zahlen muss. Ihm ist wichtig, dass die Steuerlast verteilt
wird, dass er sich nicht als der Dumme vorkommt, der (Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Aha!)
seine Pflichten erfüllt, während ein anderer, zum Bei- Ich sage Ihnen: Genau aus diesem Grund ist die in Ihrem
spiel sein Nachbar, verschont bleibt. Antrag enthaltene Forderung nur vordergründig geeig-
net, um, wie von Ihnen beabsichtigt, populistische Strö-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: mungen zu bedienen.
Herr Kollege, Sie hätten die Chance, eine Zwischen- (Zuruf von der LINKEN: Ach, ihr wollt sie
frage von Herrn Poß zuzulassen. weghaben?)
Ich will es noch einmal wiederholen: Die Union plant
Olav Gutting (CDU/CSU): aktuell keine Abschaffung der Steuerfreiheit der Sonn-,
Bitte schön. Feiertags- und Nachtzuschläge. Das ist nicht Bestandteil
1124 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

Olav Gutting
(A) unseres Regierungsprogramms. Wir wollen die Leis- (Beifall bei der LINKEN) (C)
tungsträger in diesem Land entlasten. Das sind die Kran-
kenschwestern, die Polizisten und die Schichtarbeiter. Daher ist eine Steuerbefreiung ihrer Zuschläge gerecht-
fertigt.
(Zuruf des Abg. Joachim Poß [SPD])
Ob die Steuerbefreiung das beste Mittel für einen be-
Wer wirklich arbeitnehmerfreundliche Politik machen rechtigt höheren Stundenlohn ist, kann man diskutieren.
will, wer wirklich die breite Mitte der Gesellschaft, die Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Eine ostdeutsche Verkäu-
seit Jahren die Lasten dieses Landes trägt, entlasten will, ferin ist, wie immer mehr ihrer Kolleginnen, im Nie-
driglohnbereich beschäftigt. Das heißt 5,60 Euro die
(Dr. Barbara Höll [DIE LINKE]: Ihre breite
Stunde. Bekommt sie den steuerlich maximal freigestell-
Mitte wird immer schmaler dank Ihrer Poli-
ten Sonntagszuschlag von 50 Prozent, sind das gerade
tik!)
einmal 2,80 Euro pro Stunde mehr an Sonntagen. Die
der muss das Ziel haben, das Einkommensteuerrecht Steuerbefreiung dieses Zuschlags nützt ihr gar nichts;
leistungsgerechter, in sich stringenter, einfacher und denn ihr Einkommen ist ohnehin zu niedrig, als dass sie
transparenter zu gestalten. darauf überhaupt Steuern zahlt. Diese Verkäuferin geht
bei der Steuerbefreiung also leer aus. Sie könnte nur
Einem Antrag wie dem Ihren, mit dem Sie die Fort- durch die konsequente Einführung eines angemessenen
entwicklung des Einkommensteuerrechts hin zu einem Mindestlohns der Armutsfalle entfliehen. Deshalb wird
gerechten und einfacheren Steuersystem verhindern wol- die Linke an diesem Punkt auch nicht lockerlassen.
len, können wir nicht zustimmen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich habe jetzt noch zweieinhalb Minuten; da aber bald
Weihnachten ist, mache ich Ihnen ein Geschenk und Was wäre nun aber die Folge einer Abschaffung der
schenke Ihnen die zweieinhalb Minuten und wünsche Ih- Steuerbefreiung? Höhere Nachtarbeitszuschläge in Un-
nen und uns allen ein schönes, gesegnetes, friedliches ternehmen oder bei der öffentlichen Hand? Mehr brutto,
Weihnachtsfest und einen guten Start ins neue Jahr, hof- damit es netto wenigstens das Gleiche bleibt? Wohl
fentlich mit besseren Anträgen aus der Opposition. kaum. Die Beschäftigten sitzen immer mehr am kürze-
ren Hebel gegenüber den Arbeitgebern. Ob Schwarz-
Herzlichen Dank. Gelb, Rot-Grün oder die Große Koalition: Alle Bundes-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) regierungen haben ihren Beitrag dazu geleistet, den
Niedriglohnsektor auszubauen. Sie haben damit die so-
ziale und die Verhandlungsposition der Beschäftigten
(B) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (D)
immer weiter ausgehöhlt.
Die Kollegin Dr. Barbara Höll hat jetzt das Wort für
die Fraktion Die Linke. Der überwiegende Teil der nachts und sonntags Ar-
beitenden lebt schon heute nicht in Saus und Braus, im
(Beifall bei der LINKEN) Gegenteil. Wer ihnen von dem Wenigen, was sie bekom-
men, noch etwas nimmt, handelt eindeutig unsozial.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Ich freue mich, dass auch die SPD das eingesehen hat.
Kollegen! Nacht- und Sonntagsarbeit bedeutet für die Als sie noch in Regierungsverantwortung war, sah sie
meisten Menschen eine erhebliche Belastung. Schlaf- das anders.
und Gesundheitsprobleme können die Folge sein. Ein (Dr. Daniel Volk [FDP]: So ist das!)
eingeschränktes familiäres und soziales Leben muss in
Kauf genommen werden. Daher haben Lohnzuschläge 2006 wurde im sogenannten Haushaltsbegleitgesetz ne-
auf den Normallohn ihre Berechtigung. Gezahlt werden ben der unsozialen Anhebung der Mehrwertsteuer eine
sie von den Unternehmen und in Form einer Steuerbe- drastische Beschränkung der Sozialversicherungsfreiheit
freiung der Zuschläge auch von der Allgemeinheit. von Sonntags-, Feiertags- und Nachtzuschlägen einge-
führt. So wie die SPD kann vielleicht, hoffe ich, auch die
Die 2 Milliarden Euro, die die Steuerbefreiung jähr- Regierungskoalition heute dazulernen.
lich kostet, locken den jeweiligen Finanzminister zur
Streichung – nun auch Herrn Schäuble. Bereits im Mai Wir als Linke sagen Ihnen: Hände weg von der Steu-
2003 hatte der Sozialdemokrat Peer Steinbrück, damals erbefreiung auf Zuschläge für Nacht-, Sonntags- und
Ministerpräsident, diese Euros im Blick. Als Bundes- Feiertagsarbeit!
finanzminister gab er auch die kürzlich veröffentlichte
Studie, die die Abschaffung befürwortet, in Auftrag. Ich danke Ihnen.
Nun wird wieder, allen voran von der FDP, die Steuerbe- (Beifall bei der LINKEN)
freiung der Zuschläge als unsoziale Steuersubvention
verunglimpft.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Ich sage Ihnen: Wenn Krankenschwestern, Busfahrer Der Kollege Dr. Daniel Volk hat das Wort für die
oder Feuerwehrleute bereit sind, ihre Arbeit auch nachts FDP-Fraktion.
und an Sonn- und Feiertagen zu verrichten, dann ist das
doch sehr wohl im Interesse aller. (Beifall bei der FDP)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1125

(A) Dr. Daniel Volk (FDP): (Beifall bei der FDP – Nicolette Kressl [SPD]: (C)
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Wie hieß der Koalitionspartner?)
Herren! In Ihrem Antrag, werte Kollegen von der SPD- Dieser und viele weitere Fälle machen eines deutlich:
Fraktion, wollen Sie sich zu Beschützern der Schicht- Nach elf Jahren SPD-Steuerpolitik lohnt sich Arbeit in
arbeiter aufschwingen, Deutschland nicht mehr. Wir werden das ändern. Denn
(Lachen der Abg. Nicolette Kressl [SPD]) Arbeit muss sich in diesem Lande wieder lohnen.

also von Polizisten und Krankenschwestern, von Bedie- (Nicolette Kressl [SPD]: Für Hotels!)
nungen im Restaurant und anderen. Aber genau diese Freiheit, Steuergerechtigkeit, Stärkung der Bürgerrechte
Berufsgruppen, wie viele andere auch, haben Sie in den und bessere Bildung für unsere Kinder: Das sind unsere
letzten elf Jahren, in denen Sie die Regierungsverant- primären Ziele. Davon werden wir uns nicht durch linke
wortung hatten, geschröpft wie nie zuvor. oder sozialdemokratische Verblendungen abbringen las-
sen.
(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Olav
Gutting [CDU/CSU] – Bernd Scheelen [SPD]: (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Olav
Ist doch Blödsinn!) Gutting [CDU/CSU])
Die Scheinheiligkeit der SPD ist nur schwer zu überbie- Heute hat das Wachstumsbeschleunigungsgesetz den
ten. Nach elf Jahren an der Macht wird nun, keine drei Bundesrat passiert.
Monate nach Ihrer Abwahl, von Ihnen versucht, Ihre ei-
(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE
gene Politik einfach vergessen zu machen. GRÜNEN]: Schlimm genug!)
Die Wahrnehmung der Menschen in unserem Land Die Regierungskoalition setzt damit ein deutliches Zei-
sieht freilich ganz anders aus. Die SPD hat die größte chen für eine schnelle Entlastung der Bürgerinnen und
Mehrwertsteuererhöhung in der Geschichte der Bundes- Bürger in Deutschland.
republik Deutschland mit einer Belastung von mehr als
20 Milliarden Euro im Jahr zu verantworten. (Nicolette Kressl [SPD]: Und der Hotels!)
(Manfred Zöllmer [SPD]: Die meisten Mehr- Während die Opposition noch lamentiert, haben wir ge-
wertsteuererhöhungen hat die FDP beschlos- handelt und die Menschen und vor allen Dingen die Fa-
sen! – Nicolette Kressl [SPD]: Wie viele Mehr- milien in diesem Lande entlastet.
wertsteuererhöhungen habt Ihr gemacht?) (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(B) Die SPD hat eine Unternehmensteuerreform zu verant- NEN]: Steuergeschenke verteilt!) (D)
worten, die den Namen nicht verdient hat. Die SPD hat Es profitieren insbesondere die Familien der Schicht-
die verkorkste Gesundheitsreform zu verantworten, die arbeiter. Das ist moderne und soziale Steuerpolitik.
nichts besser, aber alles teurer gemacht hat.
(Beifall bei der FDP – Lachen der Abg.
(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Machen Sie Nicolette Kressl [SPD])
es doch rückgängig!)
Bei der Erhöhung des Kindergeldes und der Kinder-
Und wer hat dafür zu zahlen? Es sind die Leistungsträger freibeträge wurde übrigens von allen Sachverständigen
in unserer Gesellschaft: die Schichtarbeiter, die Polizis- darauf hingewiesen, dass diese Maßnahmen insbeson-
ten und die Krankenschwestern, übrigens unabhängig dere den Schichten mit niedrigen Einkommen zugute
davon, zu welcher Tageszeit sie ihr Geld verdienen. kommen.
(Bernd Scheelen [SPD]: Wie war denn der (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Spitzensteuersatz unter Helmut Kohl?) NEN]: Was? Das glauben Sie doch selber
nicht!)
Von Ihnen brauchen wir uns nicht erklären zu lassen,
was vernünftige Steuer- und Sozialpolitik ist; denn Sie Durch diese zielgerichtete und vernünftige Entlastung
sind die Steuererhöhungspartei in diesem Haus – wir werden finanzielle Spielräume für Familien mit Kindern
sind die Steuersenkungspartei. eröffnet. Wir werden in den nächsten Jahren durch harte
Arbeit Stück für Stück die Fehler der vergangenen Re-
(Beifall bei der FDP – Nicolette Kressl [SPD]: gierung aufarbeiten.
Für die Hotels!)
(Zuruf des Abg. Manfred Zöllmer [SPD])
Erst kürzlich hatte ich ein Gespräch in der Münchner
Dazu hat uns der Wähler beauftragt, auch wenn Sie von
U-Bahn, in dem mir ein Mitarbeiter der Münchner Stadt-
der Opposition das immer noch nicht wahrhaben möch-
werke die von Ihnen hinterlassene Situation verdeut-
ten.
lichte. Er ließ sich seine hart erarbeiteten Überstunden
auszahlen. Von den 1 200 Euro brutto blieben ihm nur Die Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen
300 Euro netto – für Überstunden im Umfang von zwei Bundestages über das Wachstumsbeschleunigungsgesetz
Arbeitswochen. Das nennt die SPD also eine sozial ge- hat übrigens deutlich gezeigt, dass die Maßnahmen der
rechte Politik. Ich nenne so etwas ganz einfach unsozial schwarz-gelben Koalition Impulse für ein stabiles und
und ungerecht. dynamisches Wirtschaftswachstum setzen werden.
1126 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009

Dr. Daniel Volk


(A) (Lachen der Abg. Nicolette Kressl [SPD] – (Beifall bei der FDP – Iris Gleicke [SPD]: (C)
Nicolette Kressl [SPD]: Das war offensichtlich Jauchzet! Frohlocket! – Martin Gerster [SPD]:
eine andere Veranstaltung!) Mehr Schulden auch!)
Da Sie, werte Kollegen von der Steuererhöhungspar-
tei, es offenbar immer noch nicht verstanden haben – Sie Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
haben ja in diesem Hause und übrigens auch im Bundes- Der Kollege Gerhard Schick hat das Wort für Bünd-
rat Steuerentlastungen abgelehnt –, will ich noch einmal nis 90/Die Grünen.
versuchen, Ihnen das zu erklären.
(Manfred Zöllmer [SPD]: Wie kann man nur Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
so viel Unsinn erzählen?) Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich könnte natürlich jetzt über den Unterschied zwischen
Wir entlasten die Unternehmen mit Maßnahmen, mit de-
nen sie die vorhandenen Arbeitsplätze sichern und neue Weihnachten und Karneval referieren.
Arbeitsplätze schaffen können. Das ist die beste Sozial- (Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE
politik; denn nur so können wir uns überhaupt einen So- GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)
zialstaat leisten.
Aber ich will lieber zur Sache sprechen.
(Beifall bei der FDP – Mechthild Rawert
[SPD]: Hoffentlich sagen Sie das in einem Herr Dr. Volk, Sie haben über das Wachstumsbe-
Jahr auch noch!) schleunigungsgesetz gesprochen. Es wäre schon interes-
sant gewesen, zu erfahren: Was ist eigentlich verspro-
Die Regelung zur Sofortabschreibung geringwertiger chen worden? Entweder ist die schwarz-gelbe Koalition
Wirtschaftsgüter, die Abmilderung der Zinsschranke und in Schleswig-Holstein als Bettvorleger gelandet, oder es
die Verbesserungen bei der Sanierungsklausel werden gibt Versprechungen, die zulasten des Bundeshaushaltes
dazu dienen, die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen gehen. In dem Fall hat dieses Haus ein Recht darauf, das
Unternehmen vor dem Hintergrund der aktuellen Wirt- zu erfahren.
schaftskrise zu stärken. Die Korrekturen an der Unter-
nehmensteuerreform wirken für die Unternehmen be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
schäftigungsfördernd, weil krisenentschärfend. Sie bei der SPD und der LINKEN)
wurden daher von den Experten, nicht nur in der Sach-
verständigenanhörung, einhellig begrüßt. Wenn wir über das Wachstumsbeschleunigungsgesetz
hier reden, dann darüber.
(B) (Lachen bei der SPD) (D)
Worum geht es beim vorliegenden Antrag? Bei der
Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz ist damit ein ers- Steuerfreiheit der Zuschläge für Wochenend-, Nacht-
ter Schritt, um vor allem die Familien zu entlasten. Die und Sonntagsarbeit geht es um eine Sondernorm. Die
Erhöhung der Kaufkraft der Familien ist ein wichtiger SPD schreibt, man dürfe diese nicht antasten. Ich glaube,
Schritt zur Stärkung der Binnennachfrage und hilft vor es war richtig, diese Regelung in der rot-grünen Regie-
allem den Kindern und damit unser aller Zukunft. rungszeit insofern anzutasten, als wir einen Missbrauch,
Die Krise ist mit diesen Maßnahmen zwar noch nicht den es in diesem Bereich bei den Spitzenverdienern gab,
überwunden, aber das Wachstumsbeschleunigungsgesetz korrigiert und im Hinblick auf den Stundenlohn eine
ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Es sichert Höchstgrenze von 50 Euro festgelegt haben, damit die
die Arbeitsplätze, schafft neue Arbeitsplätze und sorgt Kicker mit ihren Millioneneinkommen nicht von einer
für mehr Netto vom Brutto auch für die Schichtarbeiter. Regelung profitieren, die für Kleinverdiener, für Leute,
die am Sonntag etwas für die Gesellschaft leisten müs-
(Beifall bei der FDP) sen und wenig verdienen, gedacht ist. Sie übersehen
auch, dass die Beitragsfreiheit in diesem Bereich – da
Liebe Kollegen von der Steuererhöhungspartei, nut-
gibt es eine Deckelung bei 25 Euro – noch viel wichtiger
zen Sie doch einmal die Weihnachtszeit zum Erkenntnis-
ist als die Steuerfreiheit. Denn dies trifft die Kleinverdie-
gewinn!
ner, von denen Frau Dr. Höll zu Recht gesprochen hat,
(Bernd Scheelen [SPD]: Nächstes Jahr lesen noch viel stärker als die Steuerfreiheit, die erst bei einer
wir Ihnen mal das vor, was Sie jetzt gesagt ha- gewissen Grenze des Haushaltseinkommens greift.
ben!)
Wenn Sie die Tendenz zur Wochenendarbeit bekla-
Folgen Sie unserem Kurs einer sozialen Steuergesetz- gen, dann sage ich Ihnen: Da muss man systematisch he-
gebung! rangehen, und dann darf der rot-rote Senat in Berlin
nicht als Erstes die Ladenöffnungszeiten für den Sonntag
Liebe Bürger dieses Landes, freut euch sehr; denn freigeben und sehr viele Beschäftigte zusätzlich in die
dank der FDP gibt es ab Januar mehr, Sonntagsarbeit treiben.
(Lachen bei der SPD)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
mehr Netto vom Brutto. des Abg. Olav Gutting [CDU/CSU])
Frohe Weihnachten! Seien Sie doch konsistent, wenn Sie dies ernst meinen!
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1127
Dr. Gerhard Schick
(A) Ich finde, dass man auch die wissenschaftliche For- Wenn Sie sich die Statistik einmal anschauen, dann (C)
schung beachten muss, die sagt: Vielleicht ist das alles sehen Sie, dass die Zuschläge für Nacht-, Wochenend-
nicht ganz so gerecht, wie es zunächst scheint. und Feiertagsarbeit im Bereich der Gaststätten und Ho-
An einer Stelle stimme ich Ihrem Antrag zu. Es geht tels ganz besonders notwendig sind. Davon sind sehr
um Prophylaxe – so verstehe ich Ihren Antrag –; denn es viele Menschen betroffen. Ich glaube, dass Ihre Steuer-
droht eine massive Gefahr. Der Bundesfinanzminister politik und damit Ihre Politik der Spaltung dieser Gesell-
sagt: Ab 2011 haben wir einen großen Konsolidierungs- schaft – oben geben und unten nehmen – in den nächsten
bedarf; aber ich verrate nicht, wie wir vorgehen. – Liest Jahren dazu führen wird, dass etwas passiert, wozu wir
man den Koalitionsvertrag, stellt man zwar fest, dass Sie sagen: „So nicht“, nämlich dazu, dass die Beschäftigten
sich zu allen möglichen Details in der Steuerpolitik äu- im Gaststätten- und Hotelgewerbe dadurch, dass Sie die
ßern: zur Besteuerung von Jahreswagenrabatten, zum Steuerfreiheit abschaffen, für die Steuergeschenke an
steuerlichen Abzug privater Steuerberatungskosten, zu ihre Chefs werden zahlen müssen. Das ist eine Umver-
Steuererklärungsvordrucken und vielem Weiteren. teilung von unten nach oben, und das machen wir nicht
mit.
(Dr. Daniel Volk [FDP]: Zum Stufentarif!)
Die Steuerfreiheit der Zuschläge wird aber nicht aufge- Danke schön und frohe Weihnachten!
führt. Da werden wir natürlich hellhörig; denn wir be- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
fürchten, dass Sie die Argumente der Systematik und der bei der SPD und der LINKEN)
Bürokratie, die bei den Hoteliers merkwürdigerweise
nicht gezählt haben, dann wieder hervorholen, wenn es
darum geht, eine bestimmte Bevölkerungsgruppe zu be- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
lasten. So kommen wir nicht zu einem einfachen Steuer- Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, damit sind wir am
system. Kein Mitglied der CDU/CSU und der FDP im Schluss der heutigen Tagesordnung.
Finanzausschuss fand die Regelung zur ermäßigten
Mehrwertsteuer für die Hoteliers gut. Trotzdem haben Ich wünsche Ihnen, aber vor allem auch all denen, die
sie alle mitgemacht. uns hier im Saal und auch im ganzen Haus immer wieder
(Dr. Daniel Volk [FDP]: Was?) bis zum Schluss und darüber hinaus unterstützen: Ers-
tens. Schlafen Sie aus. Zweitens. Singen Sie laut. Drit-
– Ach so, Sie persönlich finden die Ausnahmeregelung, tens. Beten Sie, wenn Sie mögen. Viertens. Genießen
die mehr Bürokratie schafft und unsystematisch ist, gut? Sie. Fünftens. Seien Sie behütet. Kurz: Gesegnete Weih-
(Dr. Daniel Volk [FDP]: Die Frage ist nur: Wo- nachten! Für Sie alle viel Kraft für das Neue, das danach
(B) kommt. (D)
her haben Sie das denn?)
Dann nehmen wir mal zu Protokoll, dass Sie das gut fin- Ich habe im Überschwang vergessen, den Antrag zu
den. überweisen. Das machen wir noch nach den guten Wün-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN schen sozusagen als Weihnachtsgeschenk. Drucksa-
und bei der SPD – Iris Gleicke [SPD]: Das che 17/244 soll an die in der Tagesordnung aufgeführten
werden wir uns merken!) Ausschüsse überwiesen werden. – Damit sind Sie alle
offensichtlich einverstanden.
Kommen Sie also bei der Steuerfreiheit der Zuschläge
nicht plötzlich mit dem Argument der Systematik und So entlasse ich Sie in die freie Zeit und berufe die
des Bürokratieabbaus. Dann sind Sie nämlich unglaub- nächste Sitzung des Deutschen Bundestages auf Diens-
würdig. tag, den 19. Januar 2010, 10 Uhr, ein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Sitzung ist geschlossen.
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
LINKEN) (Schluss: 13.14 Uhr)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 13. Sitzung. Berlin, Freitag, den 18. Dezember 2009 1129

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis


Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Bas, Bärbel SPD 18.12.2009 Nink, Manfred SPD 18.12.2009

Beckmeyer, Uwe SPD 18.12.2009 Ortel, Holger SPD 18.12.2009

Bülow, Marco SPD 18.12.2009 Dr. Ott, Hermann BÜNDNIS 90/ 18.12.2009
DIE GRÜNEN
Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 18.12.2009
Pronold, Florian SPD 18.12.2009
Burchardt, Ulla SPD 18.12.2009
Dr. Röttgen, Norbert CDU/CSU 18.12.2009
Burkert, Martin SPD 18.12.2009
Roth (Heringen), SPD 18.12.2009
Dr. Gerhardt, FDP 18.12.2009 Michael
Wolfgang
Schlecht, Michael DIE LINKE 18.12.2009
Glos, Michael CDU/CSU 18.12.2009
Schmidt (Eisleben), SPD 18.12.2009
Granold, Ute CDU/CSU 18.12.2009 Silvia

Groscheck, Michael SPD 18.12.2009 Thönnes, Franz SPD 18.12.2009

Herrmann, Jürgen CDU/CSU 18.12.2009 Dr. Troost, Axel DIE LINKE 18.12.2009
(B) (D)
Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/ 18.12.2009 Wicklein, Andrea SPD 18.12.2009
DIE GRÜNEN
Wolff (Wolmirstedt), SPD 18.12.2009
Kelber, Ulrich SPD 18.12.2009 Waltraud

Koch, Harald DIE LINKE 18.12.2009 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 18.12.2009

Lafontaine, Oskar DIE LINKE 18.12.2009


Anlage 2
Lay, Caren DIE LINKE 18.12.2009
Amtliche Mitteilungen
Liebich, Stefan DIE LINKE 18.12.2009
Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP haben mitge-
Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 18.12.2009 teilt, dass sie den Antrag Für ein wirksames globales
Klimaschutzabkommen in Kopenhagen auf Druck-
Meßmer, Ullrich SPD 18.12.2009 sache 17/71 zurückziehen.
Dr. Miersch, Matthias SPD 18.12.2009 Die Fraktion der SPD hat mitgeteilt, dass sie den
Möhring, Cornelia DIE LINKE 18.12.2009 Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der gemeinsa-
men Aufgabenwahrnehmung in der Grundsicherung
Nahles, Andrea SPD 18.12.2009 für Arbeitsuchende auf Drucksache 17/113 und den
Nestle, Ingrid BÜNDNIS 90/ 18.12.2009 Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grund-
DIE GRÜNEN gesetzes (Artikel 86 a) auf Drucksache 17/114 zurück-
zieht.
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Telefax (02 21) 97 66 83 44
ISSN 0722-7980

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