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Plenarprotokoll 17/12

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

12. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Inhalt:

Nachruf auf den ehemaligen Bundesminister Zusatztagesordnungspunkt 2:


Otto Graf Lambsdorff . . . . . . . . . . . . . . . . . 901 A
Antrag der Abgeordneten Manuel Sarrazin,
Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike Höfken,
neten Maria Michalk und Michael Glos . . . 902 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion
Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Beitrittsver-
nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 902 A handlungen mit Island aufnehmen
(Drucksache 17/271) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 904 B
Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 903 B
in Verbindung mit

Tagesordnungspunkt 5:
– Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD,
Zusatztagesordnungspunkt 3:
FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN: Einsetzung des Parlamenta- Antrag der Abgeordneten Manuel Sarrazin,
rischen Kontrollgremiums gemäß Arti- Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike Höfken,
kel 45 d des Grundgesetzes weiterer Abgeordneter und der Fraktion
(Drucksache 17/208) . . . . . . . . . . . . . . . . . 903 C BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Rechte des
– Wahl der Mitglieder des Parlamentari- Bundestages nach den Begleitgesetzen zum
schen Kontrollgremiums gemäß Arti- Vertrag von Lissabon wahren
kel 45 d des Grundgesetzes hier: Einvernehmen mit dem Bundestag
(Drucksachen 17/209) . . . . . . . . . . . . . . . . 903 D vor der Aufnahme von Beitrittsverhand-
lungen mit Island herstellen
(Drucksache 17/260) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 904 B
Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 904 A

in Verbindung mit
Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 914 D

Tagesordnungspunkt 6: Zusatztagesordnungspunkt 4:

Abgabe einer Regierungserklärung durch die Antrag der Fraktion der SPD: Herstellung
Bundeskanzlerin: zum Europäischen Rat des Einvernehmens über die Aufnahme
am 10./11. Dezember 2009 in Brüssel und von Verhandlungen über den Beitritt der
zur UN-Klimakonferenz vom 7. bis 18. De- Republik Island zur Europäischen Union
zember 2009 in Kopenhagen (Drucksache 17/246) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 904 C

in Verbindung mit in Verbindung mit


II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Zusatztagesordnungspunkt 5: c) Erste Beratung des von den Abgeordneten


Brigitte Pothmer, Katrin Göring-Eckardt,
Antrag der Fraktion der SPD: Vorschlag der Markus Kurth, weiteren Abgeordneten
spanischen Regierung für die Änderung und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
der Verträge in Bezug auf die Übergangs- GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines
maßnahmen betreffend die Zusammenset- … Gesetzes zur Änderung des Grund-
zung des Europäischen Parlaments – Her- gesetzes – Ausführung von Bundesge-
stellung des Einvernehmens über die setzen auf dem Gebiet der Grundsiche-
Aufnahme von Verhandlungen über Ver- rung für Arbeitsuchende (Artikel 87 g
tragsänderungen gemäß Artikel 48 EUV und 125 d)
(Drucksache 17/235) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 904 C (Drucksache 17/206) . . . . . . . . . . . . . . . . 929 C
Dr. Angela Merkel,
Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 929 D
Bundeskanzlerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 904 D
Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 931 B
Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 908 C
Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . 932 A
Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 910 A
Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 934 B
Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 911 D
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 936 B
Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 912 B
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Klaus Brandner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 937 B
912 C
Dr. Christian Ruck (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 915 B Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . 938 B

Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/


DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 916 A DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 940 A

Renate Künast (BÜNDNIS 90/ Peter Weiß (Emmendingen)


DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 917 A (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 940 C

Michael Link (Heilbronn) (FDP) . . . . . . . . . . 919 A Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 942 D

Axel Schäfer (Bochum) (SPD) . . . . . . . . . . . . 920 A Anette Kramme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 945 A

Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 921 B Gabriele Molitor (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 946 A

Dr. Bärbel Kofler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 922 B Bernhard Kaster (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 947 B

Detlef Seif (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 923 C Angelika Krüger-Leißner (SPD) . . . . . . . . . . 948 D


Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU) . . . . . 925 A Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU) . . . . . . . 949 D
Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 926 C Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) . . . . . . . . . 951 B
Ute Koczy (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 926 D Tagesordnungspunkt 22:
Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) . . . . . . . . 927 D a) Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD,
Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 928 B FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ein-
richtung eines Parlamentarischen Bei-
Dirk Niebel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 928 C rats für nachhaltige Entwicklung
Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) . . . . . . . . 928 D (Drucksache 17/245) . . . . . . . . . . . . . . . . 952 A
b) Beschlussempfehlung und Bericht des
Rechtsausschusses zu der Unterrichtung
Tagesordnungspunkt 7: durch die Bundesregierung: Vorschlag
a) Erste Beratung des von der Fraktion der für eine Verordnung des Europäischen
SPD eingebrachten Entwurfs eines … Ge- Parlaments und des Rates über die Zu-
setzes zur Änderung des Grundgesetzes ständigkeit, das anzuwendende Recht,
(Artikel 86 a und 125 d) die Anerkennung und die Vollstreckung
(Drucksache 17/182) . . . . . . . . . . . . . . . . . von Entscheidungen und öffentlichen
929 B
Urkunden in Erbsachen sowie zur Ein-
b) Erste Beratung des von der Fraktion der führung eines Europäischen Nachlass-
SPD eingebrachten Entwurfs eines Geset- zeugnisses (inkl. 14722/09 ADD 1 und
zes zur Regelung der gemeinsamen 14722/09 ADD 2) (ADD 1 in Englisch)
Aufgabenwahrnehmung in der Grund- KOM-Nr. (2009) 154 endg.; Ratsdok.-Nr.
sicherung für Arbeitsuchende 14722/09
(Drucksache 17/181) . . . . . . . . . . . . . . . . . 929 C (Drucksachen 17/136 A.30, 17/270) . . . . 952 B
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 III

c) Beschlussempfehlung und Bericht des g) – Antrag der Fraktionen CDU/CSU,


Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- SPD, FDP, DIE LINKE und BÜND-
gie zu der Verordnung der Bundesregie- NIS 90/DIE GRÜNEN: Einsetzung
rung: Sechsundachtzigste Verordnung des Gremiums gemäß Artikel 13
zur Änderung der Außenwirtschafts- Absatz 6 des Grundgesetzes
verordnung (Drucksache 17/224) . . . . . . . . . . . . . . 954 C
(Drucksachen 16/14067, 17/28 Nr. 2, 17/161) 952 C
– Wahl der Mitglieder des Gremiums
d) Beschlussempfehlung des Rechtsaus- gemäß Artikel 13 Absatz 6 des
schusses: Übersicht 1 Grundgesetzes
über die dem Deutschen Bundestag zu- (Drucksache 17/225) . . . . . . . . . . . . . . 954 C
geleiteten Streitsachen vor dem Bundes-
verfassungsgericht h) – Antrag der Fraktionen CDU/CSU,
(Drucksache 17/129) . . . . . . . . . . . . . . . . . 952 C SPD, FDP, DIE LINKE und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN: Einsetzung
des Gremiums gemäß § 10 a des
Zusatztagesordnungspunkt 6: Finanzmarktstabilisierungsfondsge-
setzes
a)–g) (Drucksache 17/226) . . . . . . . . . . . . . . 954 D
Beschlussempfehlungen des Petitionsaus- – Wahl der Mitglieder des Gremiums
schusses: Sammelübersichten 1, 2, 3, 4, gemäß § 10 a des Finanzmarktstabi-
5, 6 und 7 zu Petitionen lisierungsfondsgesetzes
(Drucksachen 17/261, 17/262, 17/263, (Drucksache 17/227) . . . . . . . . . . . . . . 954 D
17/264, 17/265, 17/266, 17/267) . . . . . . . 952 D
i) Vertreter der Bundesrepublik Deutsch-
land in der Parlamentarischen Ver-
Tagesordnungspunkt 8: sammlung des Europarates (zugleich
Vertreter in der Versammlung der
Weitere Wahlen zu Gremien Westeuropäischen Union) gemäß den
a) Gemeinsamer Ausschuss gemäß Arti- Artikeln 1 und 2 des Gesetzes über die
kel 53 a des Grundgesetzes Wahl der Vertreter der Bundesrepublik
(Drucksache 17/210) . . . . . . . . . . . . . . . . . 953 C Deutschland zur Parlamentarischen
Versammlung des Europarates
b) Ausschuss nach Artikel 77 Absatz 2 des (Drucksache 17/228) . . . . . . . . . . . . . . . . 955 A
Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss)
(Drucksache 17/211) . . . . . . . . . . . . . . . . . 953 C j) Mitglieder des Verwaltungsrates der
Kreditanstalt für Wiederaufbau
c) Wahlprüfungsausschuss gemäß § 3 Ab- (Drucksache 17/229) . . . . . . . . . . . . . . . . 955 A
satz 2 des Wahlprüfungsgesetzes
(Drucksache 17/212) . . . . . . . . . . . . . . . . . 953 C k) – Antrag der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP, DIE LINKE und BÜND-
d) Gremium gemäß § 23 c Absatz 8 des
NIS 90/DIE GRÜNEN: Einsetzung
Zollfahndungsdienstgesetzes
des Vertrauensgremiums gemäß
(Drucksache 17/213) . . . . . . . . . . . . . . . . . 953 D
§ 10 a Absatz 2 der Bundeshaus-
e) Wahlausschuss gemäß § 6 Absatz 2 des haltsordnung
Bundesverfassungsgerichtsgesetzes (Drucksache 17/230) . . . . . . . . . . . . . . 955 C
(Drucksachen 17/214, 17/215, 17/216,
17/217, 17/218) . . . . . . . . . . . . . . . . . 954 A – Wahl der Mitglieder des Vertrauens-
gremiums gemäß § 10 a Absatz 2 der
Bundeshaushaltsordnung
Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 954 A (Drucksache 17/231) . . . . . . . . . . . . . . 955 C

Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 991 A Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 956 A


f) Richterwahlausschuss gemäß § 5 des
Richterwahlgesetzes Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 991 A
(Drucksachen 17/219, 17/220, 17/221,
17/222, 17/223) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 954 B l) – Antrag der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP, DIE LINKE und BÜND-
Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . NIS 90/DIE GRÜNEN: Einsetzung
954 B
des Gremiums gemäß § 3 des Bun-
desschuldenwesengesetzes
Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 991 A (Drucksache 17/232) . . . . . . . . . . . . . . 955 D
IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

– Wahl der Mitglieder des Gremiums Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der
gemäß § 3 des Bundesschuldenwe- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
sengesetzes Unverzügliche Aussetzung des Deutsch-
(Drucksache 17/233) . . . . . . . . . . . . . . 955 D Syrischen-Rückübernahmeabkommens
(Drucksache 17/68) . . . . . . . . . . . . . . . . . 971 C
Wahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 956 B e) Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs,
Volker Beck (Köln), Thilo Hoppe, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion
Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 991 B
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gemein-
same menschenrechtliche Positionie-
rung der EU gegenüber den Ländern
Zusatztagesordnungspunkt 7:
Lateinamerikas und der Karibik einfor-
Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion dern
der SPD: Haltung der Bundesregierung zur (Drucksache 17/157) . . . . . . . . . . . . . . . . 971 C
Einführung einer Finanztransaktions-
f) Beschlussempfehlung und Bericht des
steuer
Ausschusses für Menschenrechte und Hu-
Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 956 C manitäre Hilfe zu dem Antrag der Fraktion
der SPD: Menschenrechte als entwick-
Leo Dautzenberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 957 C lungspolitische Querschnittsaufgabe
Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 958 D fortführen
(Drucksachen 17/107, 17/272) . . . . . . . . . 971 D
Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 959 D
g) Beschlussempfehlung und Bericht des
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ Ausschusses für Menschenrechte und Hu-
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 960 D manitäre Hilfe zu dem Antrag der Abge-
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär ordneten Ute Koczy, Volker Beck (Köln),
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 962 B Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Dr. Barbara Hendricks (SPD) . . . . . . . . . . . . . 963 B NEN: Menschenrechte in Sri Lanka
Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . 964 D stärken
(Drucksachen 17/124, 17/273) . . . . . . . . . 971 D
Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 965 D
Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 972 A
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 967 A
Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 973 A
Werner Schieder (Weiden) (SPD) . . . . . . . . . . 968 B
Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . 973 C
Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . 969 A
Erika Steinbach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 975 A
Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 970 A
Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 975 B
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
Tagesordnungspunkt 9: DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 977 C
a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 978 A
der FDP: Menschenrechte weltweit
Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 978 D
schützen
(Drucksache 17/257) . . . . . . . . . . . . . . . . . 971 B Thomas Koenigs (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 979 D
b) Antrag der Abgeordneten Annette Groth,
Katrin Werner, Jan van Aken, weiterer Serkan Tören (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 980 C
Abgeordneter und der Fraktion DIE
Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . 981 C
LINKE: Nein zur Todesstrafe in den
USA – Hinrichtung von Mumia Abu- Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 982 D
Jamal verhindern
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
(Drucksache 17/236) . . . . . . . . . . . . . . . . . 971 B
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 983 B
c) Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan
Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 984 D
Korte, Wolfgang Nešković, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
Abschiebungen nach Syrien stoppen – DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 985 C
Abschiebeabkommen aufkündigen
Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 986 D
(Drucksache 17/237) . . . . . . . . . . . . . . . . . 971 C
Burkhard Lischka (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 988 A
d) Antrag der Abgeordneten Josef Philip
Winkler, Volker Beck (Köln), Ingrid Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU) . . . . . . . 989 A
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 V

Tagesordnungspunkt 10: Karin Roth (Esslingen) (SPD) . . . . . . . . . . . . 1006 D


Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 1008 A
schusses für Arbeit und Soziales zu dem An-
trag der Abgeordneten Diana Golze, Klaus Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 1009 A
Ernst, Matthias W. Birkwald, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Anhe-
bung und bedarfsgerechte Ermittlung der Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1012 C
Kinderregelsätze
(Drucksachen 17/23, 17/204) . . . . . . . . . . . . . 991 C
Tagesordnungspunkt 12:
Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU) . . . . . . . 991 D
Antrag der Abgeordneten Priska Hinz (Her-
Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 992 C born), Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke,
Reiner Deutschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 994 A weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Innovations-
Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 995 B kraft von kleinen und mittleren Unterneh-
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ men durch Steuergutschrift für Forschun-
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 996 B gen stärken
(Drucksache 17/130) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1009 B
Mechthild Heil (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 997 B
in Verbindung mit
Tagesordnungspunkt 11:
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Zusatztagesordnungspunkt 8:
wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Antrag der Abgeordneten René Röspel,
Bundesregierung: Fortsetzung der Beteili- Lothar Binding (Heidelberg), Dr. Ernst Dieter
gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an Rossmann, weiterer Abgeordneter und der
der EU-geführten Operation Atalanta zur Fraktion der SPD: Innovative kleine und
Bekämpfung der Piraterie vor der Küste mittlere Unternehmen stärken – Ein nach-
Somalias auf Grundlage des Seerechts- haltiges steuerliches Forschungs- und Ent-
übereinkommens der Vereinten Nationen wicklungs-Förderkonzept (FuE-Förder-
von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) konzept) vorlegen
vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni (Drucksache 17/247) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1009 C
2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008,
1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1897 Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/
(2009) vom 30. November 2009 und nach- DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1009 C
folgender Resolutionen des Sicherheitsra-
Dr. Frank Steffel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 1010 B
tes der Vereinten Nationen in Verbindung
mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/ Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 1014 B
GASP des Rates der Europäischen Union
Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 1015 C
vom 10. November 2008 und dem Be-
schluss 2009/907/GASP des Rates der Eu- Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 1016 D
ropäischen Union vom 8. Dezember 2009
Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU) . . . . . . . . 1018 A
(Drucksachen 17/179, 17/274) . . . . . . . . . . . . 989 C
René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1019 B
– Bericht des Haushaltsausschusses gemäß
§ 96 der Geschäftsordnung
(Drucksache 17/276) . . . . . . . . . . . . . . . . . 998 D
Tagesordnungspunkt 13:
Joachim Spatz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 999 A a) Antrag der Abgeordneten Dr. Ernst Dieter
Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1000 A Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus
Barthel, weiterer Abgeordneter und der
Markus Grübel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 1001 B Fraktion der SPD: Studienpakt für Qua-
Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 1002 B lität und gute Lehre jetzt durchsetzen
(Drucksache 17/109) . . . . . . . . . . . . . . . . 1020 C
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1003 B b) Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke,
Agnes Alpers, Dr. Rosemarie Hein,
Dr. Guido Westerwelle (FDP) . . . . . . . . . . . . 1004 D Dr. Petra Sitte und der Fraktion DIE
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ LINKE: Forderungen aus dem Bil-
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dungsstreik aufnehmen und die soziale
1005 B
Spaltung im Bildungssystem bekämpfen
Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) . . . 1005 D (Drucksache 17/119) . . . . . . . . . . . . . . . . 1020 D
VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

c) Antrag der Abgeordneten Kai Gehring, der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Priska Hinz (Herborn), Krista Sager, wei- NEN: Für eine solidarische und nach-
terer Abgeordneter und der Fraktion haltige Finanzierung des Gesundheits-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Konse- wesens
quenzen aus dem Bildungsstreik ziehen – (Drucksache 17/258) . . . . . . . . . . . . . . . . 1037 C
Bildungsaufbruch unverzüglich einlei-
ten
in Verbindung mit
(Drucksache 17/131) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1020 D
Dagmar Ziegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1021 A
Zusatztagesordnungspunkt 9:
Dr. Peter Frankenberg,
Minister (Baden-Württemberg) . . . . . . . . . 1022 C Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge,
Harald Weinberg, Karin Binder, weiterer Ab-
Agnes Alpers (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 1023 D
geordneter und der Fraktion DIE LINKE:
Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) . . . . . . 1024 C Praxisgebühr und andere Zuzahlungen ab-
schaffen – Patientinnen und Patienten ent-
Dagmar Ziegler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 1025 C
lasten
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ (Drucksache 17/241) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1037 C
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1026 A
Harald Weinberg (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 1037 D
Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 1027 A
Stephan Stracke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 1039 B
Dr. Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 1040 C
Tagesordnungspunkt 14:
Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) . . . . . . 1042 B
a) Antrag der Fraktion der SPD: Übertra-
gung der bundeseigenen Seengewässer Maria Anna Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/
auf die neuen Länder DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1043 C
(Drucksache 17/238) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1028 C Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 1044 D
b) Antrag der Abgeordneten Dr. Dagmar Lars Lindemann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1046 C
Enkelmann, Dr. Kirsten Tackmann,
Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Tagesordnungspunkt 16:
Privatisierung von Äckern, Seen und
Wäldern Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
(Drucksache 17/239) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1028 D schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung zu dem Antrag der Abgeordneten
Hans-Joachim Hacker (SPD) . . . . . . . . . . . . . 1028 D Winfried Hermann, Kerstin Andreae,
Norbert Brackmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 1029 D Alexander Bonde, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE) . . . . . . 1031 A Moratorium für Stuttgart 21 – Wirtschaft-
Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) . . . . . . . . . 1032 A lichkeit des Großprojektes vor Baubeginn
sicherstellen
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ (Drucksachen 17/125, 17/268) . . . . . . . . . . . . 1047 D
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1033 C
Enak Ferlemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 1047 D
Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 1034 B
Martin Burkert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1049 B
Hans-Joachim Hacker (SPD) . . . . . . . . . . . 1034 D
Werner Simmling (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 1049 D
Iris Gleicke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1036 B
Ulrich Maurer (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 1051 A
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/
Tagesordnungspunkt 15: DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1052 B
a) Antrag der Abgeordneten Harald Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 1052 C
Weinberg, Dr. Martina Bunge,
Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordne- Ute Kumpf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1054 D
ter und der Fraktion DIE LINKE: Keine
Kopfpauschale – Für eine solidarische
Krankenversicherung Tagesordnungspunkt 17:
(Drucksache 17/240) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1037 C
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten
b) Antrag der Abgeordneten Birgitt Bender, Rüdiger Veit, Dr. Dieter Wiefelspütz, Olaf
Maria Anna Klein-Schmeink, Elisabeth Scholz, weiteren Abgeordneter und der
Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und Fraktion der SPD eingebrachten Entwurfs
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 VII

eines … Gesetzes zur Änderung des GASP des Rates der Europäischen Union
Aufenthaltsgesetzes (Altfallregelung) vom 10. November 2008 und dem Beschluss
(Drucksache 17/207) . . . . . . . . . . . . . . . . . 1056 B 2009/907/GASP des Rates der Europäischen
Union vom 8. Dezember 2009 (Tagesord-
b) Zweite und dritte Beratung des von den
nungspunkt 11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1059 C
Abgeordneten Josef Philip Winkler,
Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion
Anlage 5
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
rung des Aufenthaltsgesetzes Hans-Christian Ströbele, Sylvia Kotting-Uhl,
(Drucksachen 17/34 (neu), 17/278) . . . . . 1056 B Monika Lazar, Beate Müller-Gemmeke,
Winfried Hermann, Dorothea Steiner und
c) Beschlussempfehlung und Bericht des In-
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (alle BÜND-
nenausschusses zu dem Antrag der Abge-
NIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Ab-
ordneten Ulla Jelpke, Jan Korte, Sevim
stimmung über die Beschlussempfehlung zu
Dağdelen, weiterer Abgeordneter und der
dem Antrag: Fortsetzung der Beteiligung be-
Fraktion DIE LINKE: Für ein umfassen-
waffneter deutscher Streitkräfte an der EU-ge-
des Bleiberecht
führten Operation Atalanta zur Bekämpfung
(Drucksachen 17/19, 17/278) . . . . . . . . . . 1056 C der Piraterie vor der Küste Somalias auf
Grundlage des Seerechtsübereinkommens der
Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1057 C Vereinten Nationen von 1982 und der Resolu-
tionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816
(2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom
Anlage 1 7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezem-
ber 2008, 1897 (2009) vom 30. November
Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 1059 A 2009 und nachfolgender Resolutionen des Si-
cherheitsrates der Vereinten Nationen in Ver-
bindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/
Anlage 2 851/GASP des Rates der Europäischen Union
Erklärung des Parlamentarischen Staatssekre- vom 10. November 2008 und dem Beschluss
tärs Christian Schmidt (BMVg) (11. Sitzung) 1059 B 2009/907/GASP des Rates der Europäischen
Union vom 8. Dezember 2009 (Tagesord-
nungspunkt 11) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1060 C
Anlage 3
Erklärung des Abgeordneten Friedrich Anlage 6
Ostendorff (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
zur namentlichen Abstimmung über den Ent- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung:
wurf eines Gesetzes zur Beschleunigung des – Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung
Wirtschaftswachstums (Wachstumsbeschleu- des Aufenthaltsgesetzes (Altfallregelung)
nigungsgesetz) (10. Sitzung, Tagesordnungs-
punkt 13 a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1059 C – Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Aufenthaltsgesetzes
– Beschlussempfehlung und Bericht: Für ein
Anlage 4 umfassendes Bleiberecht
Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten (Tagesordnungspunkt 17 a bis c) . . . . . . . . . . 1061 B
Sven Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
zur namentlichen Abstimmung über die Be- Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 1061 B
schlussempfehlung zu dem Antrag: Fortset- Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 1062 D
zung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der EU-geführten Operation Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1063 D
Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . . 1065 C
der Küste Somalias auf Grundlage des See-
rechtsübereinkommens der Vereinten Natio- Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 1065 D
nen von 1982 und der Resolutionen 1814
Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/
(2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1066 B
2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober
2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008,
1897 (2009) vom 30. November 2009 und
Anlage 7
nachfolgender Resolutionen des Sicherheits-
rates der Vereinten Nationen in Verbindung Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut-
mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/ schen Bundestages, die an der Wahl der Mit-
VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

glieder des Parlamentarischen Kontrollgre- § 5 des Richterwahlgesetzes teilgenommen


miums gemäß Artikel 45 d des Grundgesetzes haben (Tagesordnungspunkt 8 f) . . . . . . . . . . 1072 A/C
teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 5) 1067 A/C

Anlage 10
Anlage 8 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut-
schen Bundestages, die an der Wahl der Mit-
Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut-
glieder des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a
schen Bundestages, die an der Wahl der Mit-
Absatz 2 der Bundeshaushaltsordnung teilge-
glieder des Wahlausschusses gemäß § 6 Ab-
nommen haben (Tagesordnungspunkt 8 k) . . 1074 B/D
satz 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes
teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 8 e) 1069 B/D
Anlage 11
Anlage 9 Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut-
schen Bundestages, die an der Wahl der Mit-
Namensverzeichnis der Mitglieder des Deut- glieder des Gremiums gemäß § 3 des Bundes-
schen Bundestages, die an der Wahl der Mit- schuldenwesengesetzes teilgenommen haben
glieder des Richterwahlausschusses gemäß (Tagesordnungspunkt 8 l) . . . . . . . . . . . . . . . 1077 A/B
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 901

(A) (C)

Redetext

12. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Beginn: 9.00 Uhr

Präsident Dr. Norbert Lammert: Von 1972 bis 1977, also gleich nach seiner Wahl in
Die Sitzung ist eröffnet. den Bundestag, sowie später von 1984 bis 1997 war Otto
Graf Lambsdorff der wirtschaftspolitische Sprecher der
Ich darf Sie bitten, bevor wir in unsere Tagesordnung FDP-Fraktion. Von 1977 bis 1984 wirkte Otto Graf
eintreten, sich für einige Zeit von den Plätzen zu erhe- Lambsdorff als Bundesminister für Wirtschaft zunächst
ben. in der SPD/FDP-Koalition unter Bundeskanzler Helmut
(Die Abgeordneten erheben sich) Schmidt, dann ab 1982 in der Koalition aus CDU/CSU
und FDP, an deren Bildung er maßgeblich beteiligt war,
Der Deutsche Bundestag trauert um sein ehemaliges unter Bundeskanzler Helmut Kohl.
Mitglied Otto Graf Lambsdorff, der am 5. Dezember
im Alter von 82 Jahren in Bonn verstarb. Otto Graf Insbesondere in diesem Amt wurde Otto Graf
Lambsdorff gehörte von 1972 bis 1998, also 26 Jahre, Lambsdorff in der Nachfolge Ludwig Erhards zu einem
ununterbrochen dem Deutschen Bundestag an. Als Ab- der zweifellos profiliertesten Wirtschaftsminister unse-
(B) geordneter wie als Mitglied der Bundesregierung und res Landes. Er hat manchen politischen Streit angefacht (D)
auch danach hat er herausragende Ämter und Aufgaben und ist keiner Auseinandersetzung ausgewichen, schon
für unser Land wahrgenommen. gar nicht zu seiner Vorstellung von der Rolle des Staates
in einer sozialen Marktwirtschaft.
Otto Graf Lambsdorff wurde am 20. Dezember 1926
in Aachen geboren. Nach dem Besuch von Schulen in Im Zusammenhang mit der sogenannten Flick-Spen-
Berlin und der Ritterakademie in Brandenburg an der denaffäre trat Otto Graf Lambsdorff im Jahr 1984 von
Havel nahm er ab 1944 als junger Soldat am Zweiten seinem Amt als Bundeswirtschaftsminister zurück. Wei-
Weltkrieg teil. 1946 kehrte er schwer kriegsbeschädigt tere 13 Jahre blieb er als Abgeordneter eine markante
aus der Gefangenschaft zurück und machte noch im sel- Persönlichkeit der deutschen Politik.
ben Jahr sein Abitur. Anschließend studierte Graf
Lambsdorff in Bonn und Köln Rechts- und Sozialwis- Auch nach seinem Ausscheiden aus dem Deutschen
senschaften. Nach den beiden juristischen Staatsexamina Bundestag 1998 engagierte sich Graf Lambsdorff wei-
und der Promotion war er von 1955 bis 1977 in verschie- terhin in öffentlichen Angelegenheiten. Für die Wert-
denen Funktionen im Bank- und Versicherungsgewerbe schätzung seiner Person und seiner Arbeit ist bezeich-
tätig. Seit 1960 war Otto Graf Lambsdorff zudem als nend, dass ihn ein sozialdemokratischer Bundeskanzler
Rechtsanwalt zugelassen. 1999 zu seinem Beauftragten für die Stiftungsinitiative
1951 trat er der FDP bei, in der er über viele Jahre an deutscher Unternehmen „Erinnerung, Verantwortung und
exponierter Stelle wirkte. Seit 1972 gehörte er dem Bun- Zukunft“ bestellte. Der Hartnäckigkeit und dem Ver-
desvorstand und seit 1982 auch dem Präsidium seiner handlungsgeschick von Otto Graf Lambsdorff ist es ganz
Partei an. Von 1988 bis 1993 war Graf Lambsdorff Bun- wesentlich zu verdanken, dass es über 50 Jahre nach
desvorsitzender der FDP. Zudem stand er in den Jahren Kriegsende endlich möglich wurde, das Problem der
1991 bis 1994 als Präsident der Liberalen Internationale Entschädigung ehemaliger NS-Zwangsarbeiter zu lösen.
vor. Weltweit erfuhr diese Leistung von Graf Lambsdorff
große Anerkennung.
Nach der Aufgabe seiner Parteiämter wurde Otto Graf
Lambsdorff 1993 zum Ehrenvorsitzenden der FDP sowie Otto Graf Lambsdorff hat die Politik der Bundesrepu-
1996 zum Ehrenpräsidenten der Liberalen Internationa- blik Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten maß-
len ernannt. Von 1995 bis 2006 war Graf Lambsdorff Vor- geblich geprägt. Über Parteigrenzen hinweg wurde sei-
sitzender des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stif- ner politischen Leistung und persönlichen Integrität
tung. höchste Anerkennung zuteil.
902 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) Otto Graf Lambsdorff hat sich um unser Land große setzung des Europäischen Parlaments – Her- (C)
Verdienste erworben. Wir werden ihm ein ehrendes An- stellung des Einvernehmens über die
denken bewahren. Ich spreche seiner Frau und seinen Aufnahme von Verhandlungen über Vertrags-
Kindern im Namen des ganzen Hauses unsere Anteil- änderungen gemäß Artikel 48 EUV
nahme aus.
– Drucksache 17/235 –
Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen von Ihren Überweisungsvorschlag:
Plätzen erhoben. Ich danke Ihnen. Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kollegin Maria ZP 6 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
Michalk hat am 6. Dezember ihren 60. Geburtstag ge- sprache
feiert und der Kollege Michael Glos am vergangenen Ergänzung zu TOP 22
Montag seinen 65. Geburtstag. Beiden möchte ich im
Namen des ganzen Hauses dazu auf diesem Wege noch a) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
einmal herzlich gratulieren und alles Gute wünschen. ausschusses (2. Ausschuss)

(Beifall) Sammelübersicht 1 zu Petitionen

Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun- – Drucksache 17/261 –


dene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste auf- b) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
geführten Punkte zu erweitern: ausschusses (2. Ausschuss)
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen Sammelübersicht 2 zu Petitionen
der CDU/CSU und der FDP:
– Drucksache 17/262 –
Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan
(siehe 11. Sitzung) c) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel
Sarrazin, Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike Sammelübersicht 3 zu Petitionen
Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion – Drucksache 17/263 –
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
d) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
Beitrittsverhandlungen mit Island aufnehmen ausschusses (2. Ausschuss)
– Drucksache 17/271 – Sammelübersicht 4 zu Petitionen
(B) Überweisungsvorschlag: (D)
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) – Drucksache 17/264 –
Auswärtiger Ausschuss
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel ausschusses (2. Ausschuss)
Sarrazin, Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike
Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Sammelübersicht 5 zu Petitionen
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 17/265 –
Rechte des Bundestages nach den Begleitgeset- f) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
zen zum Vertrag von Lissabon wahren ausschusses (2. Ausschuss)
hier: Einvernehmen mit dem Bundestag vor Sammelübersicht 6 zu Petitionen
der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit
Island herstellen – Drucksache 17/266 –
– Drucksache 17/260 – g) Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
Überweisungsvorschlag: ausschusses (2. Ausschuss)
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Sammelübersicht 7 zu Petitionen
ZP 4 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
– Drucksache 17/267 –
Herstellung des Einvernehmens über die Auf-
nahme von Verhandlungen über den Beitritt ZP 7 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der
der Republik Island zur Europäischen Union SPD:

– Drucksache 17/246 – Haltung der Bundesregierung zur Einführung


einer Finanztranssaktionsteuer
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten René
Auswärtiger Ausschuss
Röspel, Lothar Binding (Heidelberg), Dr. Ernst
ZP 5 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion der SPD
Vorschlag der spanischen Regierung für die
Änderung der Verträge in Bezug auf die Über- Innovative kleine und mittlere Unternehmen
gangsmaßnahmen betreffend die Zusammen- stärken – Ein nachhaltiges steuerliches For-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 903
Präsident Dr. Norbert Lammert
(A) schungs- und Entwicklungs-Förderkonzept Rechtsausschuss (6. Ausschuss), dem Ausschuss für (C)
(FUE-Förderkonzept) vorlegen Wirtschaft und Technologie (9. Ausschuss) und dem
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
– Drucksache 17/247 –
Union (21. Ausschuss) zur Mitberatung überwiesen
Überweisungsvorschlag: werden.
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Beratung des Antrags der Abgeordneten Krista
Ausschuss für Gesundheit Sager, Petra Hinz (Essen), Kai Gehring, weiterer
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
Technikfolgenabschätzung DIE GRÜNEN
Haushaltsausschuss
Brain Waste stoppen – Anerkennung ausländi-
ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten scher akademischer und beruflicher Qualifi-
Dr. Martina Bunge, Harald Weinberg, Karin kationen umfassend optimieren
Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE – Drucksache 17/123 –
Überweisungsvorschlag:
Praxisgebühr und andere Zuzahlungen ab- Ausschuss für Bildung, Forschung und
schaffen – Patientinnen und Patienten entlas- Technikfolgenabschätzung (f)
ten Innenausschuss
Rechtsausschuss
– Drucksache 17/241 – Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
ZP 10 Beratung des Antrags der Abgeordneten Martin
Gerster, Nicolette Kressl, Ingrid Arndt-Brauer, Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensichtlich
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD der Fall. Dann ist das so beschlossen.
Steuerfreiheit von Zuschlägen für Sonntags-, Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 5 auf:
Feiertags- und Nachtarbeit erhalten
– Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
– Drucksache 17/244 – SPD, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE
Überweisungsvorschlag: GRÜNEN
Finanzausschuss (f)
Rechtsausschuss Einsetzung des Parlamentarischen Kontroll-
(B) (D)
Ausschuss für Arbeit und Soziales gremiums gemäß Artikel 45 d des Grundgeset-
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie zes
Haushaltsausschuss
– Drucksache 17/208 –
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden. – Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen
Kontrollgremiums gemäß Artikel 45 d des
Ich darf außerdem auf zwei nachträgliche Ausschuss- Grundgesetzes
überweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste auf-
merksam machen: – Drucksache 17/209 –
Der in der 9. Sitzung des Deutschen Bundestages Zunächst stimmen wir ab über den gemeinsamen An-
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem trag der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP,
Rechtsausschuss (6. Ausschuss) und dem Ausschuss für der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen auf
Gesundheit (14. Ausschuss) zur Mitberatung überwie- Drucksache 17/208 auf Einsetzung des Gremiums. Wer
sen werden. stimmt diesem Antrag zu? – Wer möchte gegen diesen
Antrag stimmen? – Wer möchte sich der Stimme enthal-
Beratung des Antrags der Abgeordneten Beate ten? – Damit ist das Parlamentarische Kontrollgremium
Müller-Gemmeke, Dr. Konstantin von Notz, Kerstin einvernehmlich eingesetzt und die Mitgliederzahl des
Andreae, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Gremiums auf elf festgelegt.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bevor wir nun zur Wahl der Mitglieder des Parlamen-
Persönlichkeitsrechte abhängig Beschäftigter tarischen Kontrollgremiums kommen, darf ich Sie für ei-
sichern – Datenschutz am Arbeitsplatz stärken nen Augenblick um Aufmerksamkeit für das Wahlver-
– Drucksache 17/121 – fahren bitten. Nach § 2 Abs. 3 des Gesetzes über die
Überweisungsvorschlag:
parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tä-
Innenausschuss (f) tigkeit des Bundes ist gewählt, wer die Stimmen der
Rechtsausschuss Mehrheit der Mitglieder des Bundestages auf sich ver-
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie eint, das heißt, wer mindestens 312 Stimmen erhält. Die
Ausschuss für Arbeit und Soziales Wahl erfolgt mit Stimmkarte und Wahlausweis. Sie be-
Ausschuss für Gesundheit
nötigen für diese Wahl Ihren blauen Wahlausweis, den
Der in der 9. Sitzung des Deutschen Bundestages Sie, soweit noch nicht geschehen, bitte Ihrem Stimmkar-
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem tenfach in der Lobby entnehmen. Achten Sie bitte da-
904 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) rauf, dass der Wahlausweis auch wirklich Ihren Namen Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion (C)
trägt. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Die blauen Stimmkarten wurden bereits oder werden Rechte des Bundestages nach den Begleitgeset-
noch im Saal verteilt. Sollten Sie noch keine Stimmkarte zen zum Vertrag von Lissabon wahren
haben, besteht jetzt noch die Möglichkeit, diese von den hier: Einvernehmen mit dem Bundestag vor
Plenarassistenten zu erhalten. der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit
Island herstellen
Sie haben auf diesen Stimmkarten elf Stimmen. Auf
der blauen Stimmkarte können Sie elf Namensvor- – Drucksache 17/260 –
schläge ankreuzen. Ungültig sind die Stimmkarten, die Überweisungsvorschlag:
andere Namen oder Zusätze enthalten. Wer sich der Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Stimme enthalten will, macht keine Eintragung.
ZP 4 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Die Wahl findet offen statt. Sie können die Namens-
vorschläge also an Ihrem Platz ankreuzen. Bevor Sie die Herstellung des Einvernehmens über die Auf-
Stimmkarte in eine der Wahlurnen werfen, übergeben nahme von Verhandlungen über den Beitritt
Sie bitte den Schriftführerinnen und Schriftführern an der Republik Island zur Europäischen Union
den Wahlurnen Ihren Wahlausweis. Der Nachweis der – Drucksache 17/246 –
Teilnahme an der Wahl kann nur durch Abgabe des
Wahlausweises erbracht werden. Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ich darf nun die Schriftführerinnen und Schriftführer Auswärtiger Ausschuss
bitten, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die ZP 5 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
Plätze an den Wahlurnen alle besetzt? – Offenkundig
sind jetzt alle Urnen ordnungsgemäß besetzt. Dann er- Vorschlag der spanischen Regierung für die
öffne ich den Wahlgang. Änderung der Verträge in Bezug auf die Über-
gangsmaßnahmen betreffend die Zusammenset-
Darf ich fragen, ob ein Mitglied des Hauses anwesend zung des Europäischen Parlaments – Herstel-
ist, das seine Stimmkarte noch nicht abgegeben hat? – lung des Einvernehmens über die Aufnahme
Das ist offensichtlich nicht der Fall. Dann schließe ich von Verhandlungen über Vertragsänderungen
die Wahl und bitte die Schriftführerinnen und Schriftfüh- gemäß Artikel 48 EUV
rer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir geben das Er-
gebnis der Wahl später bekannt.1) – Drucksache 17/235 –
(B) Überweisungsvorschlag:
(D)
Ich darf Sie bitten, wieder Platz zu nehmen, damit wir
Ausschuss für Angelegenheiten der Europäischen Union
in die weitere Tagesordnung eintreten können. – Darf ich
darum bitten, dass auch die informellen Verhandlungen Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
zwischen Parlament und Regierung auf der Regierungs- die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
bank jetzt wieder dem üblichen geordneten Verfahren rung 90 Minuten vorgesehen. – Ich darf dazu Einverneh-
Platz machen? men feststellen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 sowie die Zu- Das Wort zur Abgabe der Regierungserklärung hat
satzpunkte 2 bis 5 auf: die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel.
6 Abgabe einer Regierungserklärung durch die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Bundeskanzlerin
zum Europäischen Rat am 10./11. Dezember Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin:
2009 in Brüssel und zur UN-Klimakonferenz Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
vom 7. bis 18. Dezember 2009 in Kopenhagen Meine Damen und Herren! Am 1. Dezember 2009 hat
für die Europäische Union, aber auch für uns alle eine
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel
neue Ära begonnen, denn der Vertrag von Lissabon ist
Sarrazin, Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike
in Kraft getreten. Das ist für mich, für uns und, ich
Höfken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
glaube, für jeden überzeugten Europäer ein Grund zur
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Freude. Lange genau hat es gedauert, dass wir an dieser
Beitrittsverhandlungen mit Island aufnehmen neuen Vertragsgrundlage gearbeitet haben.
– Drucksache 17/271 – Mit diesem Vertrag haben wir das am 25. März 2007
Überweisungsvorschlag: in der Berliner Erklärung gesteckte Ziel erreicht. Die Eu-
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f) ropäische Union steht jetzt auf einer erneuerten gemein-
Auswärtiger Ausschuss samen Grundlage. Sie kann ihre ganze Kraft auf die gro-
ßen politischen Herausforderungen richten. Sie kann
ZP 3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Manuel damit genau das leisten, was die Bürgerinnen und Bürger
Sarrazin, Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike von ihr erwarten: Statt sich unentwegt mit sich selbst zu
beschäftigen, kann sie nun die Aufgaben und Probleme
1) Ergebnis Seite 914 D unserer Zeit anpacken.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 905
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
(A) Der neue ständige Präsident des Europäischen Rates, Wenn der Bundestag klar Stellung bezieht, dann un- (C)
Herman Van Rompuy, hat uns beim Europäischen Rat in terstützt er auch die deutsche Verhandlungsposition in
der vergangenen Woche seine Überlegungen zu seiner Brüssel. Über wichtige Gesetzesvorhaben in Brüssel
Aufgabenwahrnehmung vorgestellt. Er wird und will für muss auch hier in diesem Hause intensiver als vor In-
größere Kontinuität im Europäischen Rat sorgen. Ge- krafttreten des Lissabon-Vertrages debattiert werden.
rade das war die Intention, über die rotierenden Präsi- Das gilt selbstverständlich auch für die Themen, die am
dentschaften hinaus einen Präsidenten für zweieinhalb 10. und 11. Dezember 2009 im Europäischen Rat ver-
Jahre zu haben. Er wird auch darauf achten, dass sich handelt wurden, gerade auch für die Fragen hinsichtlich
der Europäische Rat auf strategische Fragen konzen- der Erweiterung der Europäischen Union. Hier haben
triert. Herman Van Rompuy hat für diese Neuausrich- wir als Bundesregierung stärkere Unterrichtungspflich-
tung meine volle Unterstützung und die der ganzen Bun- ten und Mitwirkungsmöglichkeiten des Bundestages ge-
desregierung. setzlich verankert.

Auch die neue Hohe Vertreterin der Außen- und Si- Der Europäische Rat hat angekündigt, dass die Auf-
cherheitspolitik der Europäischen Union hat eine große nahme von Beitrittsverhandlungen mit Island und mit
Verantwortung. Catherine Ashton muss dafür sorgen, Mazedonien im nächsten Jahr auf der Tagesordnung ste-
dass die Europäische Union in der Welt einiger auftritt. hen wird. Die Frage, welche Länder zur Europäischen
Dazu dient auch der neue Europäische Auswärtige Union gehören sollen, betrifft alle Bürgerinnen und Bür-
Dienst; er ist eine der wichtigsten Neuerungen des Ver- ger. Das muss sich auch in unseren Debatten widerspie-
trages. Für die Bundesregierung haben sowohl der Bun- geln, und ich denke, das wird es auch tun.
desaußenminister als auch ich Catherine Ashton für den Meine Damen und Herren, über ein Jahr nach dem
Aufbau des Europäischen Auswärtigen Dienstes persön- Zusammenbruch der amerikanischen Bank Lehman
lich die tatkräftige Unterstützung Deutschlands zugesi- Brothers hat der Europäische Rat in der vergangenen
chert. Das wird eine harte Aufgabe, sicherlich auch ein- Woche auch eine wirtschaftspolitische Standortbestim-
mal spannungsgeladen zwischen der Kommission und mung vorgenommen und Lehren aus der Finanz- und
den schon für das Auswärtige zuständigen Beamten dort Wirtschaftskrise gezogen. Heute können wir feststellen:
und dem Recht der Mitgliedstaaten; aber wir sind ge- Durch das entschlossene Eingreifen der Politik konnte
willt, diesen Prozess konstruktiv zu begleiten. Schaden von unserem Land und auch von den anderen
Ländern der Europäischen Union abgewendet werden.
Meine Damen und Herren, mit dem Vertrag von Lis- Der Zusammenbruch unserer Wirtschaft wurde verhin-
sabon sind wir auch, was die Bedeutung der nationalen dert – nicht mehr und nicht weniger.
Parlamente in der Europapolitik und damit natürlich
(B) auch die Bedeutung des Deutschen Bundestages angeht, Es kann aber gar nicht oft genug gesagt werden: Die (D)
in einer neuen Ära angekommen. Nach dem Urteil des Krise ist keineswegs überwunden. Die einsetzende Erho-
Bundesverfassungsgerichtes haben wir auch die inner- lung ist noch fragil, und deshalb werden wir die bis Ende
staatlichen Informations- und Beteiligungsrechte von 2010 angelegten Maßnahmen zur Konjunkturstabilisie-
Bundestag und Bundesrat deutlich gestärkt. Es ist nun rung ohne Abstriche umsetzen. Deren Wirkung wird
noch sichtbarer, als das früher schon der Fall war: Der dann auch aus einer klaren Ausstiegsstrategie gespeist,
Deutsche Bundestag trägt eine besondere Verantwortung über die wir auch schon gesprochen haben.
für die Zusammenarbeit in Europa. Er soll wachsam ver-
folgen, ob die Organe der Europäischen Union die Prin- Dabei wird sich Deutschland eng mit seinen Partnern
abstimmen, um Wettbewerbsverzerrungen zu vermei-
zipien der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit
den. Ganz besonders mit Blick auch auf den amerikani-
wirklich achten. Notfalls hat er zu widersprechen. Ohne
schen Markt sage ich, dass wir hier noch harte Verhand-
Zweifel ist das eine Aufgabe, deren Bedeutung man gar
lungen vor uns haben, um zu einer gemeinsamen Exit-
nicht hoch genug einschätzen kann. Die Bundesregie-
Strategie im Rahmen der G 20 zu kommen. Für uns ist
rung sagt Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, bei der
die im Grundgesetz verankerte Schuldenregel auf der ei-
Wahrnehmung dieser Aufgabe jede Unterstützung zu.
nen Seite genauso maßgeblich wie der europäische Sta-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) bilitäts- und Wachstumspakt auf der anderen.

Der Deutsche Bundestag wird aber noch mehr leisten Wir sehen in Europa derzeit ganz deutlich, dass die
müssen: Über die Subsidiaritätsprüfung hinaus wird er Logik des Pakts bestätigt wird: Stabilität ist die Grund-
sich stärker als früher mit den laufenden europäischen lage für Wachstum und Wohlstand. Der Pakt bildet den
entscheidenden Rahmen, um das Vertrauen von Privat-
Gesetzesvorhaben auseinanderzusetzen haben und da-
haushalten, Investoren und Anlegern in die öffentlichen
rüber debattieren müssen. Erst dann können die Bürge-
Finanzen und die Stabilität des Euro zu sichern. Ich sage
rinnen und Bürger Europa besser verstehen. Dann – da-
auch mit Blick auf einzelne Länder mit sehr hohen Defi-
von bin ich überzeugt – kann es auch gelingen, Europa
ziten: Jeder einzelne Mitgliedstaat ist verantwortlich für
transparenter zu machen; denn wenn der Bundestag Eu-
gesunde öffentliche Finanzen.
ropas Politik zu seinem Thema macht, erhöht er auch die
Legitimität deutscher Europapolitik. Ich will das hier (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ausdrücklich sagen.
Das ist die Voraussetzung für langfristiges Wachstum für
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) alle in Europa.
906 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) An dieser Stelle will ich noch einmal darauf hinwei- Auch wenn es dem einen oder anderen inzwischen (C)
sen, dass Deutschland in diesem Jahr mit einem gesamt- kaum noch passt, so haben wir beim Europäischen Rat
staatlichen Defizit von um die 3 Prozent – wir können es dennoch zum wiederholten Male unterstrichen, dass eine
noch nicht genau sagen – in Europa eine Spitzenposition Verantwortung für die Gesellschaft auch von den Ban-
einnimmt. Das sollte in diesem Hause bei mancher Dis- ken getragen werden muss.
kussion über die finanzielle Lage einmal berücksichtigt
werden. Wir haben ganz andere Sorgenkinder in Europa. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das Verhalten an vielen Finanzplätzen lässt nicht darauf
schließen, dass wir noch vor etwas mehr als einem Jahr
Wir werden unsere Aufgaben zu erledigen haben. Für vor einem wirklichen Abgrund standen. Auch wenn wir
Deutschland heißt das, dass wir – ich zitiere aus den inzwischen die Talsohle der Krise erreicht haben, kön-
Empfehlungen des Rates der Wirtschafts- und Finanzmi- nen wir nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Wir
nister vom 2. Dezember 2009 – 2011 mit der Konsoli- entlassen die Banken nicht aus ihrer Verantwortung.
dierung zu beginnen und das übermäßige Defizit bis Nach der Krise darf es nicht mehr so sein wie vor der
Ende 2013 zu beenden haben. Das bedeutet für uns: Un- Krise. Das ist nicht nur eine finanzpolitische Frage; das
ser Haushaltsdefizit muss dann wieder unter 3 Prozent ist auch eine moralische Frage. Denn verantwortungs-
des Bruttoinlandsprodukts liegen, wie es im Stabilitäts- volles Wirtschaften ist eine der unverzichtbaren Grund-
und Wachstumspakt für normale Zeiten vorgeschrieben lagen unserer sozialen Marktwirtschaft.
ist.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Meine Damen und Herren, wir werden die europäische
Wachstumsstrategie, die bislang Lissabonner Strategie ge- Deshalb hat der Europäische Rat noch einmal das
nannt wurde, nunmehr aber einen anderen Namen trägt, wiederholt, was wir schon auf dem G-20-Gipfel festge-
weil wir einen Lissabonner Vertrag haben – die Strategie legt haben, nämlich den Internationalen Währungsfonds
heißt jetzt „EU 2020“ –, neu ausrichten. Darüber haben zu bitten, bei der Erarbeitung von Konzepten zur Beteili-
wir eine erste lebhafte Diskussion geführt. gung des Finanzsektors an den Kosten der Krisenbewäl-
tigung auch die globale Einführung einer Steuer auf Fi-
Wir haben im Augenblick im Rahmen der bisherigen nanztransaktionen zu prüfen. Wir hoffen, dass uns auf
Lissabon-Strategie 20 Ziele, von denen wir annehmen, dem G-20-Gipfel dafür Vorschläge gemacht werden. So
dass sie kaum einer kennt und aufsagen kann. Deshalb etwas geht nur global. Es geht auf gar keinen Fall natio-
wollen wir uns auf wenige klare Ziele konzentrieren: nal oder innerhalb der EU. Aber es kann auch nicht so
Erstens. Wir müssen Bedingungen schaffen, die unter- sein, dass alles einfach so weitergeht wie vorher, und wir
(B) nehmerisches Handeln in Europa stärker fördern. müssen hier Lösungen finden. (D)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Zweitens. Wir müssen unsere Forschungs- und Innova- Beim Europäischen Rat haben wir auch die Schwer-
tionskapazitäten stärken. Drittens. Wir müssen den punkte der Justiz- und Innenpolitik für die nächsten fünf
Übergang in eine kohlenstoffarme Wirtschaft organisie- Jahre in Form des Stockholmer Programms festgelegt.
ren, um die Klimakatastrophe zu vermeiden, aber auch, Hier geht es vor allen Dingen darum, eine vernünftige
um moderne Exportchancen in der Europäischen Union Balance von Bürgerrechten, Sicherheit und Mobilität zu
zu stärken und zu entwickeln. finden. Darauf hat die Bundesregierung bei den Ver-
handlungen stets Wert gelegt, und ich glaube, wir kön-
Frühestens beim Europäischen Rat im Frühjahr 2010 nen sagen: Wir haben dieses Ziel erreicht. Mit dieser
werden wir dazu weitere Entscheidungen treffen. Es Ausrichtung an den Rechten, den Bedürfnissen und den
wird im Februar auch noch einen informellen Sonderrat Interessen der Menschen kommen wir unserem Ziel ei-
dazu geben. Ich weiß, dass das ein ambitionierter Zeit- nes bürgernahen Raumes der Freiheit, der Sicherheit und
plan ist. Aber wegen der Wirtschaftskrise ist es unab- des Rechts ein großes Stück näher.
dingbar, sich rasch auf eine wirksame Koordinierung der
Wirtschaftspolitik in der Europäischen Union zu ver- Natürlich ist die Balance zwischen Sicherheit auf der
ständigen. einen Seite und Standards der Freiheitsrechte der Bürge-
rinnen und Bürger auf der anderen Seite keine Frage ei-
Wir haben uns beim Europäischen Rat auch erneut nes Entweder-oders, sondern es muss uns gelingen, ein
mit den Ursachen der Finanzmarktkrise befasst, um die Sowohl-als-auch zu finden. Dabei wird Deutschland im-
richtigen Lehren für die Zukunft zu ziehen. Wir sind uns mer wieder um diese Balance ringen. Europa soll siche-
einig: Eine solche Krise darf sich nicht wiederholen. rer werden. Die Polizeibehörden werden in Zukunft en-
Deshalb wurde die neue Architektur der europäischen ger zusammenarbeiten. Damit stärken wir auch
Finanzaufsicht beschlossen und vom Rat noch einmal europaweit die Bürgerrechte. Ich denke, das ist der rich-
begrüßt. So wird die Kohärenz der nationalen Aufsicht tige Weg.
verstärkt. Die neuen EU-Behörden können auch grenz-
überschreitende Finanzgruppen besser beaufsichtigen. Nun kann ich diese Regierungserklärung nicht halten,
Das Europäische Parlament wird sich als Mitgesetzgeber ohne auf den Hauptpunkt des Europäischen Rates zu
jetzt damit befassen. Wir hoffen, dass die neue Finanz- kommen, der heute und morgen eine entscheidende
aufsicht schon im Laufe des kommenden Jahres ihre Ar- Rolle spielen wird. Das sind die Vorbereitung und die
beit aufnehmen kann. Durchführung der UN-Klimakonferenz in Kopenhagen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 907
Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel
(A) Ich werde heute Mittag dorthin fahren. Die Nachrichten, destens 25 Prozent und 40 Prozent Reduktion haben (C)
die uns erreichen, sind nicht gut. Es ist im Augenblick müssen. Aber wir sind bei den Zusagen noch nicht ein-
kein vernünftiger Verhandlungsprozess in Sicht. Aber mal bei den 25 Prozent angekommen. Es gibt allerdings
ich hoffe natürlich, dass die Anwesenheit von über – das will ich hier nicht verhehlen – bei vielen Industrie-
100 Staats- und Regierungschefs der ganzen Veranstal- staaten im Laufe der letzten zwölf Monate deutliche Be-
tung den Impuls gibt, der notwendig ist. Ich glaube, wegungen. Aber diese reichen noch nicht aus. Die Euro-
diese Kopenhagener Konferenz ist der herausragende päische Union steht nach wie vor zu ihrem Angebot,
Prüfstein dafür, ob es uns gelingen wird, einen neuen die Emissionen bis 2020 um 20 Prozent zu verringern.
Pfad der globalen Entwicklung, einen überzeugenden Falls sich die anderen Staaten vergleichbare Ziele setzen,
Kurs der Nachhaltigkeit einzuschlagen. Viele Menschen sagen wir: Wir können eine Minderung um 30 Prozent
auf der Welt werden auf uns schauen, ob dies gelingt und erreichen. Es fehlt im Augenblick nur an Angeboten der
ob wir eine Lösung finden. anderen Staaten. Ich muss ganz ehrlich sagen: Ein Ange-
bot der Vereinigten Staaten von Amerika zum Beispiel
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
von minus 4 Prozent, bezogen auf 1990, ist an dieser
Wenn wir jetzt nicht – das ist unsere Überzeugung – Stelle nicht ambitioniert genug.
die notwendigen Weichenstellungen vornehmen, riskie-
ren wir dramatische Schäden. Das wird dann besonders (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
die ärmsten Staaten treffen. Aber keiner wird davon ver- bei Abgeordneten der SPD)
schont sein. Es wird immer wieder so getan, als kostete Drittens. Die Einigung von Kopenhagen muss auch
der Klimaschutz viel Geld, aber selten darüber gespro- die Klimaschutzmaßnahmen der großen Schwellenlän-
chen, was Nichthandeln kostet. Alle wirtschaftlichen Be- der umfassen. Natürlich haben wir Industrieländer eine
richte sagen uns klar voraus: Wenn es uns nicht gelingt, besondere Verantwortung. Wir müssen vorangehen. Wir
die Erwärmung auf zwei Grad zu begrenzen, dann wer- tun dies auch. Deutschland hat immer wieder betont: Wir
den die Kosten für die eintretenden Schäden um ein können 40 Prozent Reduktion bis 2020 schaffen. Wir
Vielfaches höher sein als das, was wir mit einer Ände- wollen auch unserer besonderen Verantwortung als
rung unserer Lebensweise jetzt erreichen können. Das ist Hauptverursacher des Klimawandels in der gesamten In-
die Grundlage, auf der wir arbeiten. dustriezeit gerecht werden. Aber richtig ist auch: Seit
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Verabschiedung der Klimarahmenkonvention im Jahre
1992 in Rio hat sich die Welt völlig verändert. Die Ge-
Deshalb brauchen wir erstens eine für alle Staaten wichte in der Weltwirtschaft haben sich erheblich ver-
geltende Verpflichtung zur Einhaltung des 2-Grad- schoben. Ein globales Regime für die Begrenzung der
Ziels, das heißt die Begrenzung des globalen Tempera- Treibhausgase kann Länder wie China und Indien nicht (D)
(B)
turanstiegs auf maximal 2 Grad Celsius gegenüber dem ausklammern. China ist jetzt der größte Emittent welt-
vorindustriellen Niveau. Gelingt es nicht, dies für alle als weit und hat die Vereinigten Staaten von Amerika in die-
geltende Verpflichtung zu erreichen, dann, muss ich sa- sem Jahr überholt. Selbst wenn wir in den Industrielän-
gen, ist die Klimakonferenz in Kopenhagen gescheitert. dern die Treibhausgasemissionen um 100 Prozent
Zu dieser Stunde weiß ich nicht, ob das gelingt. Ich darf reduzieren würden, die Schwellenländer aber einfach so
Ihnen aber sagen: Ich werde zusammen mit unserem weitermachen würden, wie sie es heute machen, würden
Umweltminister alles versuchen, dass es gelingt. Ich wir das 2-Grad-Ziel nicht erreichen können. Dem müs-
denke, wir haben die Unterstützung dieses Hohen Hau- sen wir Rechnung tragen.
ses dafür.
Deshalb führt kein Weg daran vorbei, dass in einem
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie ersten Schritt der Zuwachs der jährlichen Emissionen
bei Abgeordneten der SPD und des BÜND-
der Schwellenländer begrenzt werden muss. Das wird in
NISSES 90/DIE GRÜNEN) Verpflichtungen der Schwellenländer zum Teil in Form
Die Verpflichtung auf das 2-Grad-Ziel bedeutet konkret, von Erhöhung der Energieeffizienz auch deutlich. China
dass die Emissionen von Treibhausgasen bis 2050 im hat zum ersten Mal eine quantitative Verpflichtung auf
Vergleich zu 1990 mindestens halbiert werden müssen. den Tisch gelegt, die Energieeffizienz um 40 bis
Für die Industriestaaten heißt das, dass sie ihren Ausstoß 45 Prozent zu erhöhen. Allerdings reicht das überhaupt
bis 2050 um mindestens 80 Prozent reduzieren müssen. nicht aus, weil es letztlich bei einem Wirtschaftswachs-
Das ist eine gewaltige Herausforderung. tum von etwa 9 Prozent jährlich eine Reduktion um
1,5 Prozent ist. Daran sieht man, wie diese Lücke weiter
Zweitens. Wir müssen den Nachweis führen, dass wir aufgeht. Daran müssen wir noch weiter arbeiten. Spätes-
schon heute einen Pfad einschlagen, auf dem wir dieses tens 2020 brauchen wir auch von den Schwellenländern
Langfristziel erreichen können; denn den Fortschritt im Reduktionsziele. Ansonsten können wir das Gesamtziel
Klimaschutz können wir nicht erst 2050 bemessen. Wir nicht erreichen.
brauchen vielmehr mittelfristige Ziele, das heißt vor al-
len Dingen verbindliche und quantitative Ziele für 2020, Viertens. Wir wissen, dass wir verlässliche Finanzie-
gegebenenfalls auch für die Zeit danach. Gemessen an rungsmechanismen zur Bekämpfung des Klimawan-
den Empfehlungen des Klimarates, sind die bisherigen dels, aber auch zum Technologietransfer brauchen. Des-
Zusagen der Industriestaaten noch nicht ausreichend. halb brauchen wir einen schnellen Beginn. Die
Der Klimarat sagt uns, dass wir bis 2020 schon an einem Europäische Union wird ihren Anteil an 10 Milliarden
Punkt angekommen sein müssen, wo wir zwischen min- Dollar oder 7 Milliarden Euro leisten. Das haben wir auf
908 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) dem EU-Rat beschlossen. Auch Deutschland leistet sei- Ulrich Kelber (SPD): (C)
nen Anteil. Aber wir brauchen vor allen Dingen einen Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
langfristigen Finanzierungsmechanismus; denn ansons- ren! Deutschland hat eine große Tradition als treibende
ten werden wir in Kopenhagen keinen Erfolg haben. Die Kraft auf Klimaschutzkonferenzen. Frau Bundeskanzle-
Europäische Union hat sich zu diesen langfristigen fi- rin, wir erwarten, dass Sie diese Rolle heute und morgen
nanziellen Zusagen bekannt. Das will ich ausdrücklich in Kopenhagen wieder übernehmen, und wir wünschen
sagen. Aber den Entwicklungsländern reicht es natürlich Ihnen dabei viel Erfolg. Ich erwähne das ausdrücklich,
nicht, wenn andere Staaten, zum Beispiel die Vereinigten weil diese Bundesregierung zum ersten Mal zu einer Kli-
Staaten von Amerika oder auch Japan, an dieser Stelle maschutzkonferenz fährt, ohne einen gemeinsamen
keinen Beitrag leisten. So wird es jetzt in den letzten beschlossenen Auftrag des Deutschen Bundestages für
Stunden der Kopenhagener Konferenz um das Thema ihre Position zu haben. Der Grund dafür ist der Affront,
Reduktion auf der einen Seite gehen, aber auf der ande- den Bundesminister Niebel in der letzten Sitzungswoche
ren Seite vor allen Dingen darum, einen langfristigen Fi- hier vorbereitet hatte. Er hat in diesem Auftrag fest-
nanzierungsmechanismus zu finden, mit nur dessen schreiben lassen, dass Deutschland seine finanziellen
Hilfe wir aus meiner Sicht erreichen können, dass sich Zusagen zum Klimaschutz abzieht von schon gemachten
alle zum 2-Grad-Reduktionsziel bekennen. Um diese Zusagen zur weltweiten Armuts-, Hunger- und Seuchen-
Dinge muss es gehen. bekämpfung.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Birgit Homburger [FDP]: Das stimmt doch
NEN]: Dann müssen Sie sich aber anstren- gar nicht!)
gen!)
Diesen brutalen Wortbruch haben wir im Plenum abge-
– Herr Trittin, ich nehme Sie gerne mit. Wenn Sie andere lehnt, und deswegen gibt es keinen gemeinsamen Auf-
überzeugen, ist es sehr schön. Ich werde mir allergrößte trag.
Mühe geben und auch herzliche Grüße von allen Frak-
tionen dieses Hauses ausrichten. Mal sehen, was es (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
nützt. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wir freuen uns über den breiten Widerstand in
Deutschland gegen diesen Versuch, zwei Menschheits-
Fünftens und letztens. Wir müssen uns in Kopenha- herausforderungen gegeneinander auszuspielen. Wir ha-
gen über das Mandat und den Zeitplan für die Überfüh- ben erwartet, Frau Bundeskanzlerin, dass Sie gemeinsam
rung der Kopenhagen-Ergebnisse in ein rechtlich ver- mit Bundesminister Röttgen Herrn Niebel in den Arm
bindliches Abkommen verständigen. Hierbei wird vor
gefallen wären. Leider haben Sie nur zugeschaut.
(B) allen Dingen notwendig sein – das ist ein großer Diskus- (D)
sionspunkt mit den Schwellenländern –, dass es einen In Kopenhagen warten jetzt zwei Herausforderungen:
einheitlichen internationalen Verifizierungs-, also Über-
prüfungsmechanismus gibt; denn es kann nicht sein, Erstens: die Zurückhaltung der beiden größten Emit-
dass jeder eine Verpflichtung auf den Tisch legt, die tenten, USA und China. Die USA sind mit nur gut
nicht nach einheitlichen Maßstäben überprüft wird. Ich 4 Prozent der Weltbevölkerung für über 20 Prozent der
glaube, wir könnten es schaffen, bis Mitte des Jahres weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich. In der Tat,
2010 ein solches Abkommen zu erreichen. Auf jeden im Kongress wird schon über den Vorschlag des Präsi-
Fall muss es schnell gehen. denten gestritten, obwohl dieser Vorschlag nur ein Zehn-
tel der deutschen Klimaschutzverpflichtungen erfüllt.
Ich bin der festen Überzeugung: Klimaschutz ist auch Wer Führungsmacht in der Welt bleiben möchte, muss
bei der Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise ei- auch führend darin sein, seiner Verantwortung gerecht
ner der Faktoren, die dazu beitragen, dass die Welt sagen zu werden. Wir erkennen an, dass in den USA beim Kli-
kann: Wir haben die Lehren aus dieser weltweiten inter- maschutz manches in Bewegung gekommen ist. Der
nationalen Krise gezogen. So wie wir bei G 20 gezeigt Größe der Herausforderung wird dieses Land nicht ge-
haben, dass es uns möglich ist, international zu kooperie- recht.
ren, bietet die Klimakonferenz jetzt die Chance, nicht
nur mit 20 Staaten, sondern mit allen UN-Mitgliedstaa- Anders, aber nicht weniger wichtig ist der Fall China.
ten zu zeigen: Jawohl, wir haben die Lektion verstanden. Er ist exemplarisch für die großen Schwellenländer. Das
Es gibt eine Vielzahl von Problemen, die wir nur interna- Land China hat längst Maßnahmen zur Erhöhung der
tional gemeinsam lösen können. Deutschland ist bereit, Energieeffizienz und zum Klimaschutz ergriffen. Auf-
hierzu seinen Beitrag zu leisten. grund des hohen Wachstums explodieren die Treibhaus-
gasemissionen trotzdem. Das chinesische Angebot von
Herzlichen Dank. 40 Prozent weniger Treibhausgasausstoß pro Einheit
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und Bruttoinlandsprodukt reicht nicht; sonst hätte China bis
der FDP) 2020 Länder wie Deutschland auch beim Pro-Kopf-Aus-
stoß weit überholt. Das würde zur Erreichung des
Präsident Dr. Norbert Lammert:
2-Grad-Ziels nicht ausreichen. Wir erwarten daher eine
schnellere Reduzierung des Anstiegs der Emissionen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
Außerdem braucht es einen Zeitpunkt in den nächsten
der Kollege Ulrich Kelber für die SPD-Fraktion.
zehn Jahren, ab dem die Emissionen in großen Schwel-
(Beifall bei der SPD) lenländern absolut sinken.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 909
Ulrich Kelber
(A) China muss diesen Umstieg aber wesentlich schneller zu lassen. Diese Tricks haben die Entwicklungs- und (C)
bewältigen, als es die alten Industriestaaten getan haben; Schwellenländer längst durchschaut und haben sie zu
deswegen hat China einen Anspruch auf technologische Recht satt.
und finanzielle Unterstützung. Was für China gilt, gilt
(Beifall bei der SPD)
für die anderen Schwellen- und Entwicklungsländer, vor
allem für die ärmsten Länder der Welt, umso mehr. Ich darf aus der Frankfurter Rundschau vom vergan-
genen Montag zitieren:
Die zweite Herausforderung in Kopenhagen besteht
darin, die Schwellen- und Entwicklungsländer zu Frau Merkel hat zwei Gesichter. Sie ist zu Hause
überzeugen, uns beim Kampf gegen den Klimawandel, eine große Ökologin, aber wenn es ums Geld für
den sie nicht verursacht haben, zu unterstützen. Dafür den Klimaschutz geht, steht sie auf der Bremse.
sind Glaubwürdigkeit und die Bereitschaft, sich finan-
Dieses Zitat stammt von Lumumba Di-Aping, dem Spre-
ziell ausreichend zu engagieren, notwendig.
cher der G 77 genannten Gruppe der Entwicklungslän-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) der. So erschreckend wird Deutschland mittlerweile
wahrgenommen. Kopenhagen kann aber nur zum Erfolg
Diese Glaubwürdigkeit und diese Bereitschaft waren tra- werden, wenn die Entwicklungs- und Schwellenländer
ditionell die deutschen Stärken auf Klimaschutzkonfe- uns vertrauen. Deswegen muss Schwarz-Gelb im Klima-
renzen. Diese Stärken sind noch da; aber sie sind durch schutz wieder zum bewährten deutschen Konsens zu-
Fehler in den letzten Wochen beschädigt worden, allen rückfinden.
voran durch Bundesminister Niebel, der sich selber zum
Klimaschutzminister erklärt hat, aber gegenteilig han- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
delt. DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich habe Ihnen gut zugehört, Frau Bundeskanzlerin,
der LINKEN) als Sie über verlässliche Finanzierungsinstrumente ge-
sprochen haben. Ich habe diese Aussage als eine Absage
Ich nenne ein weiteres Beispiel dafür. Deutschland an die Absage von Herrn Niebel an diese Finanzierungs-
hat angeboten, 420 Millionen Euro jährlich als Anschub- instrumente verstanden. Diese erneute Zurechtweisung
finanzierung für diesen Umstieg der Schwellen- und war dringend notwendig. Mit diesen unsinnigen und ge-
Entwicklungsländer zur Verfügung zu stellen. Das sind fährlichen Alleingängen der letzten Wochen und Mo-
420 Millionen Euro jährlich für eine Aufgabe, die Bun- nate, mit dem öffentlich verkündeten Aus für die Zusam-
desminister Röttgen an dieser Stelle am 3. Dezember menarbeit im Klimaschutz mit China – jetzt soll sie 2010
2009 als Überlebensfrage bezeichnet hat, 420 Millionen kleinlaut auf Sparflamme fortgesetzt werden –, mit dem
Euro für eine Aufgabe, bei der es nach Ihren Worten, Verrechnen von Klimaschutz und Armutsbekämpfung (D)
(B)
Frau Bundeskanzlerin, um die Grundlagen unseres Le- und jetzt mit der Absage durch den dafür zuständigen
bens geht. Diese Aufgabe ist also 420 Millionen Euro Minister an Finanzierungsinstrumente für Entwicklungs-
wert. Allein die Subvention für einige Lobbyisten von zusammenarbeit und Klimaschutz haben Sie der Konfe-
Hotelketten ist Ihnen jährlich das Drei- bis Fünffache renz in Kopenhagen und Deutschland schwer geschadet.
wert.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) GRÜNEN)
Da werden Sie heute und morgen in Kopenhagen nachle- Ihnen ist es zu verdanken, dass Deutschland auf einer
gen müssen. Klimaschutzkonferenz erstmals mit dem peinlichen Ne-
Stellen Sie bitte endlich klar, dass Deutschland so- gativpreis „Fossil of the day“ von etwa 450 Klima-
wohl zu seiner Zusage steht, 0,7 Prozent des Bruttoin- schutzorganisationen ausgezeichnet wurde. Das war im
landsproduktes für Armutsbekämpfung zu geben, als Vorreiterland Deutschland beim Klimaschutz bisher un-
auch zu seiner Zusage, zusätzlich – ich wiederhole: zu- denkbar.
sätzlich – die Gelder für den Klimaschutz zur Verfügung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
zu stellen. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Frau Bundeskanzlerin, Sie haben es in der Hand, mor-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) gen und übermorgen die Fehler von Schwarz-Gelb und
Diese dauernden „Niebel-Kerzen“ sind für Deutschland die Fehler von Herrn Niebel wieder auszugleichen, wenn
und für Kopenhagen eine Belastung. Sie Ihre Zögerlichkeit in dieser Frage aufgeben, die Sie
überraschenderweise in den letzten Wochen gezeigt ha-
Diese Zusagen stammen nicht nur von Deutschland, ben, nicht in der Zeit zuvor. Wenn Sie zu diesem bewähr-
sondern von Ihnen persönlich, Frau Bundeskanzlerin: ten deutschen Konsens zurückkehren, kann Deutschland
1997 im Rahmen der Konferenz von Kioto und 2007 im helfen, Kopenhagen doch noch zu einem Erfolg für den
Rahmen der Konferenz von Bali in Ihren jeweiligen Klimaschutz zu machen. Wir hoffen darauf. Wir wün-
Funktionen. Zu diesen Zusagen gehört natürlich auch schen Ihnen dabei besten Erfolg.
der Verzicht auf den Trick, die Ausgaben, die deutsche
Firmen zur Erfüllung ihrer Klimaschutzaufgaben für (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Projekte im Ausland ausgeben, ein zweites Mal als Aus- der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
gaben für den internationalen Klimaschutz aufrechnen GRÜNEN)
910 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: gung bekommen wir nicht durch mehr staatliches Han- (C)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgit Homburger deln, sondern dadurch, dass wir für bessere Rahmenbe-
für die FDP-Fraktion. dingungen für Unternehmen und damit für mehr
Arbeitsplätze in Deutschland und Europa sorgen.
(Beifall bei der FDP)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Birgit Homburger (FDP): Deshalb darf es nicht um eine staatsgelenkte Indus-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! triepolitik, um Subventionitis und Umverteilung gehen,
Dieser erste Europäische Rat nach dem Inkrafttreten des
Vertrages von Lissabon war wichtig. Ich freue mich da- (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
rüber, dass das Ziel, für das die FDP seit langem einge- NEN]: Ach! Mit Umverteilung kennen Sie
treten ist, nämlich die EU demokratischer und hand- sich doch aus!)
lungsfähiger zu machen, mit dem Vertrag von Lissabon
ein großes Stück vorangekommen ist. sondern es muss darum gehen, ein besseres Umfeld zu
schaffen durch bessere steuerliche Voraussetzungen,
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten durch verbesserte Bildungs- und Forschungspolitik,
der CDU/CSU) durch die Ermöglichung von unverfälschtem Wettbe-
Nun gilt es allerdings auch, dass die neuen Spielre- werb im Binnenmarkt und auch dadurch – ich sage das
geln mit Leben erfüllt werden. Wir haben jetzt beispiels- hier ganz ausdrücklich –, dass die Bemühungen zum Bü-
rokratieabbau auf europäischer Ebene verstärkt werden.
weise neu eine Hohe Vertreterin für Außen- und Sicher-
All das sind Punkte, die umgesetzt werden müssen.
heitspolitik. Das Ziel muss sein, dass Europa nach außen
mit einer Stimme spricht. Es hat sich gerade in den letz- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
ten Wochen, gerade in der Vorbereitung auf die Konfe-
renz von Kopenhagen, sehr deutlich gezeigt, wie wichtig Frau Bundeskanzlerin, die EU-Kommission hat ja
das ist. Deswegen ist es wichtig, dass wir beim Aufbau auch den Auftrag erhalten, einen Aktionsplan zur Um-
eines Europäischen Auswärtigen Dienstes vorankom- setzung des Stockholmer Programms zur EU-Justiz-
men und gemeinsam alles dafür tun, dass die Europäer und -Innenpolitik vorzulegen. Auch dazu haben Sie ge-
weltweit gemeinsam auftreten. sprochen. Ich sage Ihnen: Wir werden unsere Kontroll-
funktion sehr genau wahrnehmen. Die FDP ist bei die-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) sem Punkt der Meinung, dass es bei der Zusammenarbeit
Wir als Deutscher Bundestag haben jetzt auch mehr der Sicherheitsbehörden zum Beispiel im Rahmen von
(B) Informations- und Beteiligungsrechte. Das ist wichtig. Europol vor allem darauf ankommt, dass ein hohes Da- (D)
Wir haben damit in diesem Hause auch eine größere Ver- tenschutzniveau sichergestellt und eine klare Trennung
antwortung für Europa. Das bedeutet, dass es notwendig von Polizei und Nachrichtendiensten vorgenommen
ist, dass die Bundesregierung den Deutschen Bundestag wird. Das sind Dinge, auf die wir achten müssen, wenn
frühzeitig informiert. Ich bin dankbar, dass die Bundes- in Europa die entsprechende Strategie beschlossen wird.
kanzlerin hier heute Morgen diese Zusage gemacht hat.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) der CDU/CSU)
Frau Bundeskanzlerin, Sie haben deutlich gemacht, Das gilt auch für die Klimakonferenz in Kopenhagen.
dass Sie erwarten, dass der Deutsche Bundestag seine Diese Klimakonferenz ist ein wichtiger Meilenstein auf
Verantwortung wahrnimmt. Ich kann Ihnen sagen: Wir dem Weg zu einem verbindlichen Klimaabkommen. In
werden unsere Verantwortung mit Sicherheit wahrneh- der Tat müssen uns die Nachrichten, die uns zurzeit aus
men. Wir werden sehr genau auf die Einhaltung des Sub- Kopenhagen erreichen, sehr traurig stimmen. Ich habe
sidiaritätsprinzips achten. Das ist wichtig, auch für die gerade eben eine Eilmeldung gelesen, nach der die däni-
Akzeptanz der Europapolitik bei den Bürgerinnen und sche Regierung angeblich das Ziel eines umfassenden
Bürgern. Abkommens aufgegeben hat. Das halte ich für bedenk-
lich. Wir hätten uns gewünscht, dass es bereits jetzt in
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Kopenhagen zu einem verbindlichen Klimaabkommen
der CDU/CSU)
kommt. Wenn das nicht gelingt, müssen wenigstens ver-
Wir beginnen damit bei den Schwerpunktthemen, die bindliche Kernpunkte in Kopenhagen vereinbart werden.
auf diesem Europäischen Rat beschlossen worden sind. Es muss alles dafür getan werden, dass die Chance, die
dieses Mal tatsächlich da ist, nachdem die USA einen
Zunächst einmal ist da die europäische Wachstums- Strategiewechsel in der Klimapolitik vollzogen haben,
strategie zu nennen. Die Europäische Kommission soll genutzt wird. Deswegen ist es richtig und wichtig, dass
vor dem nächsten Europäischen Rat im Frühjahr ein Ar- sich vonseiten der Bundesregierung in Kopenhagen
beitsdokument in Nachfolge der Lissabon-Strategie für nicht nur der Umweltminister, sondern, Herr Kelber,
Wachstum und Beschäftigung vorlegen. Sie, Frau Bun- auch der Entwicklungshilfeminister – dieser hat ja schon
deskanzlerin, haben hier heute Morgen schon gesagt, an der Konferenz teilgenommen –
dass dieses Dokument anders heißen soll. Das ist gut so.
Wir sind aber der Meinung, dass es künftig auch einen (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
neuen Inhalt braucht. Mehr Wachstum und Beschäfti- NEN]: Lieber nicht!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 911
Birgit Homburger
(A) und ab heute auch die Bundeskanzlerin engagieren, die reit, Verantwortung mit zu übernehmen, und das gilt (C)
sich dann noch einmal dafür einsetzen wird, das umzu- auch für die internationale Klimapolitik.
setzen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – der CDU/CSU)
Ulrich Kelber [SPD]: Dann soll er bitte
Wenn Sie hier über dieses Thema reden, lieber Herr
schweigen!)
Kelber, dann sagen Sie der interessierten Öffentlichkeit
Ich sage Ihnen auch sehr deutlich: Deutschland kann bitte auch, dass Klimaschutzmittel immer, wenn Sie an
glaubwürdig verhandeln. Unsere Koalition hat der Bun- der Regierung beteiligt waren, selbstverständlich auf die
desregierung den Rücken gestärkt, indem wir in der letz- ODA-Quote angerechnet worden sind. Das war bei Ih-
ten Sitzungswoche im Deutschen Bundestag einen Be- nen so, und das werden wir nicht ändern. Diese Mittel
schluss gefasst haben, der an Klarheit nichts zu werden dazu beitragen, dass wir dem 0,7-Prozent-Ziel,
wünschen übrig lässt. das Sie eingefordert haben, näher kommen. Zur Wahr-
heit gehört auch, Herr Kelber, dass dieses 0,7-Prozent-
(Ulrich Kelber [SPD]: Das ist ja das Problem!) Ziel seit den 70er-Jahren nicht erreicht wurde, auch nicht
Die Selbstverpflichtung Deutschlands, Herr Kelber, bis in den elf Jahren unter einer sozialdemokratischen Ent-
2020 die CO2-Emissionen auf nationaler Ebene um wicklungshilfeministerin.
40 Prozent zu reduzieren, auch wenn andere nicht so (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
weit gehen, stellt ein CO2-Minderungsziel dar, das so der CDU/CSU)
klar noch niemals zuvor vom Deutschen Bundestag be-
schlossen worden ist, auch nicht während Ihrer Regie- Das Ziel, in Kopenhagen weitere Länder ins Boot des
rungszeit. internationalen Klimaschutzes zu holen, ist nicht gegen,
sondern nur mit wirtschaftlicher Vernunft zu erreichen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Deswegen ist es wichtig, dass Klimaschutz auf interna-
Ulrich Kelber [SPD]: Das ist unwahr, Frau tionaler Ebene als Hightechthema intoniert wird, nicht
Homburger! Das wissen Sie!) als Verzichtserklärung, sondern als zukunftsorientiertes
Wachstumsthema für die internationale Wirtschaft.
Darüber hinaus haben wir beschlossen, dass die In-
dustrieländer eine Reduktion der CO2-Emissionen von (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Renate
mindestens 80 Prozent bis 2050 anbieten sollen. Das ist Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also
ein Entgegenkommen und ein Signal an die Entwick- doch kein Klimaschutz!)
lungs- und Schwellenländer.
(B) Deshalb, meine sehr verehrten Damen und Herren, (D)
Ebenso ist es ein wichtiges Signal, dass der Europäi- sehen die Koalition im Deutschen Bundestag und die
sche Rat beschlossen hat, dass die EU-Mitgliedstaaten Bundesregierung die Klimaschutzpolitik als ein gesamt-
die Bemühungen der Entwicklungsländer beim Klima- politisches Ziel an, als ein Ziel, das nicht allein vom
schutz mit 2,4 Milliarden Euro per annum unterstützen. Umweltministerium verfolgt, sondern von der ganzen
Bundesregierung unterstützt wird. Dieser Ansatz hat
Das alles sind deutliche Signale, dass wir etwas errei- auch die Unterstützung der Koalition im Deutschen Bun-
chen wollen. Das wird auch anerkannt und ernst genom- destag. Wenn Sie das nicht mittragen wollen, dann ver-
men. weigern Sie uns die Unterstützung
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Zurufe von der SPD und der LINKEN: Rich-
der CDU/CSU) tig!)
Jetzt komme ich zu dem Vorwurf, den Sie hier gerade für eine internationale Klimapolitik, die darauf angelegt
vorgetragen haben, Dirk Niebel würde diese Strategie in ist, international voranzukommen und endlich ein Nach-
irgendeiner Weise konterkarieren. Ich will Ihnen nur ein- folgeabkommen zu erreichen. Das ist unser Ziel, und wir
mal sagen, lieber Herr Kelber: Der Versuch in Ihrer werden, auch wenn Sie uns nicht unterstützen, alles da-
Rede, die im Wesentlichen darin bestanden hat, sich am für tun, dieses Ziel zu erreichen.
Entwicklungshilfeminister abzuarbeiten, ist jedenfalls
keine glaubwürdige Strategie der SPD für eine Klima- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
schutzpolitik.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU) Das Wort zu einer Kurzintervention erhält der Kol-
lege Kelber.
Entgegen dem, was Sie hier gesagt haben, werden die
Gelder eben nicht mit der bisherigen Entwicklungshilfe (Zurufe von der FDP: Oh! – Oh nein!)
verrechnet. Mit den Zusagen, die Deutschland im Euro-
päischen Rat gemacht hat, stehen zusätzliche finanzielle Ulrich Kelber (SPD):
Mittel für den Klimaschutz zur Verfügung. Deswegen Frau Kollegin Homburger, Sie werden sich daran ge-
sage ich Ihnen ganz klar: Das, was Sie hier vorgetragen wöhnen müssen, dass Kritik an Ihnen oder einem Minis-
haben, sind Ausreden; denn Sie sind – anders als wir in ter Ihrer Partei nicht eine Kritik an der Sache ist, sondern
der Vergangenheit – aus der Opposition heraus nicht be- auf die Fehler der jeweiligen Person gemünzt ist.
912 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Ulrich Kelber
(A) Sie haben zwei Vorwürfe in meine Richtung gemacht. Hausnummer, die auch Sie, lieber Herr Kelber, nicht (C)
Erstens haben Sie gesagt, in Zeiten sozialdemokratischer leugnen können.
Regierungsbeteiligung seien die Ausgaben für die Ent-
wicklungszusammenarbeit nicht so gestiegen, wie wir (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
das jetzt von Ihnen einfordern. Ich möchte Ihnen dazu der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Die
kurz zwei nackte Zahlen präsentieren. Die eine betrifft gibt es doch schon im Etat! Das ist nicht zu-
den realen Haushalt des entsprechenden Ministeriums in sätzlich! Die sind schon drin seit letztem Jahr!
diesem Jahr, der unter einer sozialdemokratischen Mi- Das ist Bilanzfälschung!)
nisterin um 700 Millionen Euro gegenüber dem Vorjahr
gestiegen ist. Im Haushaltsentwurf unter einem Minister Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ihrer Regierung sind es – das ist die zweite Zahl – Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gregor Gysi für
40 Millionen Euro. Das ist nicht einmal ein Inflations- die Fraktion Die Linke.
ausgleich. Allein diese zwei nackten Zahlen widerlegen
Sie. (Beifall bei der LINKEN)

Der zweite Punkt – der ist wichtig –: Sie versuchen Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
hier ein Wortspiel. Deutschland hat Vereinbarungen un- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Den Streit
terschrieben, und es gibt persönliche Zusagen der Frau zwischen Frau Homburger und Herrn Kelber höre ich
Bundeskanzlerin, dass wir für den Anstieg der Entwick- zwar gerne. Das Problem ist aber, dass bisher keine Re-
lungszusammenarbeit zusätzliche Mittel für den Klima- gierung – egal welche – auch nur in die Nähe der Marke
schutz bereitstellen. Sie haben gerade gesagt, gegenüber gekommen ist, die wir uns einmal international gesetzt
dem bisherigen Stand der Mittel für die Entwicklungszu- hatten, nämlich 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes
sammenarbeit legten Sie etwas drauf. Das ist aber nicht für wirksame Entwicklungshilfe zur Verfügung zu stel-
einmal die Hälfte der Mittel, die wir zugesagt haben. Da- len.
mit haben Sie den Vorwurf nur bestätigt: Sie wollen die
Zusage, zusätzliche Mittel zur Verfügung zu stellen, (Beifall bei der LINKEN)
nicht einhalten, sondern die Mittel verrechnen. Vielen
Dank für diese Bestätigung. Ich mache Ihnen einen Vorschlag, wie wir den Streit
schlichten könnten: Wir beschließen gemeinsam – wenn
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nicht heute, dann meinetwegen im Januar –, dass wir in
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE einem jährlichen Rhythmus die Mittel erhöhen, sodass
GRÜNEN) wir in vier Jahren am Ende dieser Legislaturperiode sa-
(B) gen können: Jetzt stellt Deutschland 0,7 Prozent seines (D)
Bruttoinlandsprodukts für wirksame Entwicklungshilfe
Präsident Dr. Norbert Lammert:
zur Verfügung. Das könnten wir doch machen. Dann
Zur Erwiderung Frau Kollegin Homburger. brauchten Sie sich gar nicht mehr zu streiten.
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (Beifall bei der LINKEN)
Jetzt sind wir gespannt! Jetzt aber genau!)
Die Frau Bundeskanzlerin – sie spricht gerade mit
Herrn Niebel – hat völlig recht, wenn sie sagt, dass die
Birgit Homburger (FDP): drohende Klimakatastrophe das Überleben der
Herr Kelber, ich habe Ihnen nicht vorgeworfen, dass Menschheit gefährdet und dass es um Menschheitsfra-
es nicht einen entsprechenden Aufwuchs gegeben hätte. gen geht. Ich muss zunächst darauf hinweisen: Es ist
Ich habe Ihnen vorgeworfen, dass das 0,7-Prozent-Ziel schon interessant, zu sehen, wie sehr sich unsere Bun-
auch in elf Jahren Amtszeit einer sozialdemokratischen desländer für die Menschheitsfragen interessieren. Ich
Entwicklungshilfeministerin nicht erreicht worden ist. bitte Sie, einmal einen Blick auf die Bundesratsbank zu
Das war der Vorwurf. Dieser Vorwurf ist und bleibt rich- werfen. Dann können Sie feststellen, welches große Inte-
tig, auch wenn Sie sich dagegen verwahren. resse unsere Bundesländer an diesen Menschheitsfragen
haben.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wi-
derspruch des Abg. Ulrich Kelber [SPD]) (Beifall bei der LINKEN – Renate Künast
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die bereiten
Ich habe deutlich gemacht, dass wir selbstverständ- sich auf morgen früh vor!)
lich zusätzliche Mittel in die Hand nehmen. Ich habe das
unterstrichen, was international zugesagt worden ist. Wir Es ist wahr: Wenn die Klimakatastrophe eintritt, wird
werden sogar über das hinausgehen, was im Haushalts- es unbeschreibliche Katastrophen geben, auch, aber
entwurf im Augenblick etatisiert ist, und zusätzliche nicht nur den Untergang von Inselstaaten. Die Bekämp-
Mittel zur Verfügung stellen. Denn beim Europäischen fung der Klimakatastrophe ist ebenso wichtig wie der
Rat wurden von deutscher Seite, von der Bundeskanzle- weltweite Kampf gegen Armut, Elend und Unterdrü-
rin über 70 Millionen Euro zusätzlich zugesagt. Das ckung, gegen Tod durch Hunger und gegen Tod durch
zeigt Ihnen, dass wir das, was wir versprochen haben, fehlende medizinische Versorgung. Herr Niebel, wenn
sehr wohl umsetzen. Es wird zusätzliche Mittel für den Sie anfangen, das gegeneinander aufzurechnen, machen
Klimaschutz geben. Im Entwicklungshilferessort sind al- Sie die Menschheit kaputt. Das kann nicht unsere Heran-
lein dafür 1 Milliarde Euro eingestellt. Das ist eine gehensweise sein.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 913
Dr. Gregor Gysi
(A) (Beifall bei der LINKEN) Dann gibt es andere Unternehmen und Unterneh- (C)
mensverbände, die immer vor zu viel Klimaschutz war-
Den Schaden hinsichtlich des Klimas haben die In- nen, weil sie höhere Kosten befürchten, und sie drohen
dustriestaaten im fossilen Industriezeitalter angerichtet. uns mit dem Abbau von Arbeitsplätzen etc. Daran wun-
Also haben sie doch eine besondere Verantwortung. Der dert mich – das muss ich hier wirklich einmal sagen –:
Treibstoff für die Klimakatastrophe waren und sind Selbst wenn man ein Boss ist, der nur an Profite denkt,
Erdöl und Erdgas. Es geht – das muss man sich eingeste- man aber Kinder hat, dann will man doch, dass auch die
hen – um eine neue Produktions- und Konsumtions- Urenkel noch leben können. Angesichts einer Mensch-
weise, um neue Technologien. Es geht weltweit um die heitsfrage muss doch einmal das kurzfristige Interesse an
soziale Frage und in gewisser Hinsicht sogar um die Sys- einem riesigen Profit zurücktreten können. Man muss
temfrage. doch einmal sagen: Ich will, dass meine Enkel und Uren-
Menschen müssen ein Interesse am Schutz und am kel hier noch leben können.
Erhalt ihrer natürlichen Lebensgrundlage haben. Die (Beifall bei der LINKEN)
These, dass wir die Natur zerstören, ist falsch. Das kön-
nen wir gar nicht; so stark ist der Mensch nicht. Ich gebe Frau Bundeskanzlerin, warum können Sie diesen Bossen
Ihnen einmal ein ganz anderes Beispiel: Sie wissen ja, nicht einmal erklären, nicht kurzfristig, sondern langfris-
dass der französische Staat seine Atomwaffenversuche tig zu denken? Selbst jemand, der den Kapitalismus ganz
immer im Ozean in der Nähe des Bikini-Atolls durchge- toll findet, kann ihn nur erleben, wenn es die Menschheit
führt hat. Dort kann von uns keiner mehr hin, weil dieses noch gibt. Ich begreife es überhaupt nicht, warum sie so
Gebiet stark kontaminiert ist. uneinsichtig sind.
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der LINKEN)
NEN]: Da darfst du gar nicht hinfliegen – we- Herr Kauder, ich habe es mitbekommen: Die Wirt-
gen CO2!) schaft entscheidet, was die Politik macht.
– Nun warte doch mal, Frau Künast. Du wirst das auch (Birgit Homburger [FDP]: Genau umgekehrt!)
noch verstehen.
Aber es gibt Unterschiede in der Wirtschaft. Man muss
(Beifall bei der LINKEN – Renate Künast sich ja nicht nach der kurzfristigen und dümmsten Wirt-
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bitterfeld lag schaft richten, sondern könnte sich nach den Leuten
in der DDR und nicht in der BRD, mein Lie- richten, die etwas weitsichtiger sind. Ich sage es noch
ber!) einmal: Es gibt einen doofen und einen intelligenten
Egoismus. Es ist nicht hinnehmbar, dass der doofe re-
(B) Dokumentaristen sind dorthin gefahren und haben einen (D)
Film gedreht, weil sie sich dafür interessierten, ob es giert.
dort noch Tiere und Pflanzen gibt. Da stellte sich Fol- (Beifall bei der LINKEN)
gendes heraus: Der Mensch kann dort nicht mehr existie-
ren; er braucht riesige Schutzanzüge. Alle Pflanzen und Im Übrigen haben viele verstanden, dass es um
Tiere, die es früher gab, gibt es nicht mehr. Aber es gibt Menschheitsfragen geht. Deshalb gibt es gewaltige De-
andere Pflanzen und Tiere, denen es nichts ausmacht, monstrationen, nicht nur, aber auch in Kopenhagen. Ich
schwer kontaminiert zu sein. stelle fest, dass die Polizei dort massiv und robust gegen
die Demonstrantinnen und Demonstranten vorgeht. Viel-
Was ich erklären will, ist: Die Natur können wir gar leicht wäre es richtiger, robust und massiv gegen diejeni-
nicht zerstören. Aber wir können die Natur in einem gen vorzugehen, die den Schutz des Klimas verhindern.
Grade beschädigen, dass wir, die Menschen, hier nicht
mehr existieren können. Das ist das Problem. Deshalb (Beifall bei der LINKEN)
brauchte man nur einen einigermaßen klugen Egoismus. Eigentlich sollte in Kopenhagen ein Nachfolgeab-
Schon das würde ausreichen, um endlich etwas für den kommen zum 2012 auslaufenden Kioto-Protokoll abge-
Klimaschutz zu tun. Leider haben wir so viele doofe schlossen werden. Es sieht heute nicht danach aus, als ob
Egoisten, die nicht einmal das begreifen. es zustande komme. Es geht ja nicht nur um neue Ziele
(Beifall bei der LINKEN) für die Minderung des Ausstoßes von Klimagasen in In-
dustrieländern. Es geht auch um Minderungsziele für die
Es geht beim Klimaschutz um unsere Kinder, unsere Schwellen- und die Entwicklungsländer – darauf haben
Enkel, unsere Urenkel. Es geht um die Verhinderung von Sie hingewiesen, Frau Bundeskanzlerin – und auch um
Flucht, von Armut, von Naturkatastrophen und von neu- die Finanztransfers an Entwicklungsländer. Es geht also
artigen Kriegen. nicht nur um Klimaschutz, sondern auch um die Anpas-
sung an die Folgen der Klimawende.
Es gibt viele Unternehmen, die sich dabei wohlfüh-
len und auf den Klimaschutz hoffen, und zwar nicht nur Wir haben jetzt eine Spaltung von Nord-Süd erlebt,
aus egoistischen Interessen, weil sie sich sagen: „Dann wie wir sie so direkt, so unmittelbar und so einheitlich
geht es meinen Kindern, Enkeln und Urenkeln besser“, schon lange nicht mehr bei einer UNO-Konferenz erlebt
sondern auch deswegen, weil sie regenerative Energien haben. Das sollte uns sehr nachdenklich machen. Die
und neue Antriebstechniken herstellen sowie energiespa- Vorreiterrolle liegt hier eigentlich bei der EU, auch bei
rende Maschinen produzieren. Das heißt, sie brauchen Deutschland und übrigens auch bei den USA. Deshalb,
genau diese Entwicklung. Frau Bundeskanzlerin: Wenn das Ganze nicht funktio-
914 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Dr. Gregor Gysi


(A) niert, liegt das auch an den völlig unzureichenden Vor- kunft nicht derartige Umweltschäden anrichten, wie sie (C)
schlägen aus der EU. Dafür tragen Sie eine Mitverant- durch Europa und Nordamerika bereits angerichtet wor-
wortung. den sind. Es geht also um Hilfe für die Menschheit, um
Hilfe für uns selbst. Schon deshalb ist jede Zurückhal-
(Beifall bei der LINKEN)
tung skandalös.
Was hat die EU vorgeschlagen? Finanztransfers von
(Beifall bei der LINKEN)
7,2 Milliarden Euro ab 2020. Das ist lächerlich. Die
Weltbank, keine linke Einrichtung, hat gesagt: Es müs- Die Beseitigung der durch Überflutungen und Versal-
sen 100 bis 150 Milliarden Euro jährlich sein. Aber zungen der Böden verursachten Schäden ist viel teurer
nichts davon hat die EU beschlossen. Was hat die EU ge- als das, was wir jetzt an Geld einsetzen müssten, um die
sagt? Sie will den Klimagasausstoß um 20 Prozent redu- Klimakatastrophe zu verhindern. Es ist also unser Eigen-
zieren und unter bestimmten Bedingungen – Sie haben interesse, wie es auch unser Eigeninteresse ist, zu ver-
sie genannt – sogar um 30 Prozent. Jetzt sage ich Ihnen: hindern, dass die großen Urwälder dieser Erde für immer
Heute entsprechen 30 Prozent den 20 Prozent von vor verschwinden.
der Krise. Es ist keine gewaltige Leistung, die dort ange-
boten wird. Wir brauchen ein Minderungsziel von Hier gibt es einmal ein konkretes Angebot von
40 Prozent bis zum Jahre 2020 gegenüber 1990. Anders Ecuador. Wo bleibt denn da die Antwort der Bundes-
werden wir die Klimakatastrophe nicht verhindern. regierung? Ecuador hat einen riesigen Urwald, darunter
Wenn wir diese Reduzierung nicht hinbekommen, wer- liegt sehr viel Erdöl. Das Land hat nun die Möglichkeit,
den wir eine Erderwärmung erleben, die sich nicht auf das Öl zu fördern; dann wäre es ökonomisch versorgt.
2 Grad begrenzen lässt, sondern bei 3,5 Grad oder, wenn Ecuador ist das erste Land, das der internationalen Ge-
alle so weitermachen wie bisher, sogar bei 6,5 Grad lie- meinschaft einen anderen Weg anbietet und sagt: Wir
gen wird, was zu unbeschreiblichen Katastrophen führen lassen den Urwald stehen, wenn ihr uns den Schaden
würde. zahlt, den wir dadurch haben, dass wir das Erdöl nicht
gewinnen. Wo bleiben die Antworten? Ich muss sagen,
Frau Bundeskanzler, Sie haben ein langfristiges Ziel dass Frau Wieczorek-Zeul zumindest noch freundliche,
für den Zeitraum bis zum Jahre 2050 formuliert. Wenn wohlwollende Briefe geschrieben hat; von Herrn Niebel
aber bei den Verhandlungen in Kopenhagen für den Zeit- wage ich das gar nicht zu erhoffen. Das ist das Problem,
raum bis 2020 nichts herauskommt, dann ist die Konfe- mit dem wir es hier zu tun haben.
renz schon gescheitert; denn das Ziel bis 2050 ist viel zu
langfristig. Dann werden wir das Ziel hinsichtlich der (Beifall bei der LINKEN)
Verhinderung der Erderwärmung nicht erreichen.
(B) Präsident Dr. Norbert Lammert: (D)
Nun sprechen wir einmal von Deutschland und dem
Herr Kollege.
Ziel, die Emissionen im Vergleich zu 1990 um 40 Pro-
zent zu mindern. Ich habe nichts dagegen, dass Sie die-
ses Ziel verkünden; aber der Ehrlichkeit halber hätten Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):
Sie, Frau Bundeskanzler, noch erwähnen können, dass Herr Präsident, ich bin sofort fertig.
die Emissionsminderungen wegen der Deindustrialisie- Die USA müssen klare Verbindlichkeiten eingehen.
rung des Ostens hervorragend gelingen können. Nur des- Wenn die USA dies tun, wird es China auch tun.
wegen sind solche Ziele für Deutschland überhaupt zu
erreichen. Herr Röttgen, ich sage Ihnen als Umweltminister
eins: Wenn Sie so weitermachen und denken, neue Koh-
(Beifall bei der LINKEN)
lekraftwerke und die Verlängerung der Laufzeiten der
Ich sage noch einmal: Bei den Zahlungen an die Ent- Atomkraftwerke lösten unsere Probleme, dann sage ich
wicklungsländer kann es nicht um eine einmalige Zah- Ihnen: Das Ganze geht schief.
lung gehen. Es kann auch nicht, wie Herr Niebel meint,
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
um eine Zahlung gehen, bei der man etwas, was schon
NEN]: Braunkohleverstromung in Branden-
einmal versprochen wurde, einfach umtütet. Vielmehr
burg!)
muss es um jährliche Zahlungen gehen. Wozu dient der
Finanztransfer? Der Norden muss den Süden dafür be- Sie haben von den erneuerbaren Energien nichts verstan-
zahlen, dass dieser weniger ausstößt, als bei ungebrems- den; das ist das Problem.
ter Entwicklung wahrscheinlich wäre. Dafür gewinnen
wir hier im Norden Zeit, die wir brauchen, um den gan- Danke schön.
zen Strukturwandel abfedern zu können. Um es klar zu (Beifall bei der LINKEN)
sagen: Es geht nicht um Almosen an Entwicklungslän-
der. Präsident Dr. Norbert Lammert:
Texas bläst heute noch so viel Treibhausgase in die Bevor ich dem nächsten Redner das Wort erteile, will
Luft wie ganz Afrika; das ist die Wahrheit. Die Entwick- ich das Ergebnis der Wahl der Mitglieder des Parla-
lungsländer müssen mithilfe der Industriestaaten bei ih- mentarischen Kontrollgremiums bekannt geben. Ab-
rer Energieversorgung – im Unterschied zu Europa und gegebene Stimmkarten 572, alle gültig. Enthalten haben
Nordamerika – die fossile Phase überspringen oder sie sich drei Kolleginnen und Kollegen. Von den gültigen
wenigstens schnell hinter sich lassen, damit sie in Zu- Stimmen entfielen auf Peter Altmaier 528, Clemens
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 915
Präsident Dr. Norbert Lammert
(A) Binninger 525, Manfred Grund 526, Stefan Müller 511, auf Ihnen ruhen, Frau Bundeskanzlerin, und wir wün- (C)
Michael Hartmann 504, Fritz Rudolf Körper 503, schen Ihnen viel Erfolg. Aber den Erfolg müssen alle
Thomas Oppermann 486, Christian Ahrendt 526, wollen, nicht nur die Deutschen und nicht nur die Euro-
Hartfrid Wolff 517, Wolfgang Nešković 294, Hans- päer.
Christian Ströbele 326 Stimmen.1)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Die gerade von mir genannten Kolleginnen und Kol-
Die EU ist zweifellos Vorreiter in den Kopenhagener
legen sind mit Ausnahme des Kollegen Nešković alle
Klimaschutzverhandlungen. Die EU hat die weitestge-
mit der erforderlichen Mehrheit gewählt, die ich vorhin
henden Vorschläge gemacht, die konkretesten Zahlen
mitgeteilt habe.
und auch die deutlichste Bereitschaft für eine politische
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das Einigung vorgelegt. Wenn alle so mitziehen würden,
kann doch wohl nicht wahr sein!) dann könnten wir schon heute viel weiter sein, als wir es
tatsächlich sind.
Nach § 2 Abs. 3 des Gesetzes ist die Mehrheit von
312 Stimmen erforderlich. Diese hat der Kollege Deutschland hat weltweit die anspruchsvollsten Kli-
Nešković nicht erreicht. maziele, nämlich eine Senkung der Treibhausgasemis-
sionen um 40 Prozent bis 2020, vorgelegt, und, Herr
Wir setzen die Debatte fort. Gysi, auch konkrete Sofortmaßnahmen für die Entwick-
Das Wort hat der Kollege Dr. Christian Ruck. lungsländer zwischen 2010 und 2013, nämlich zusätz-
lich 1,2 Milliarden Euro von Deutschland und 7,2 Mil-
(Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE] liarden Euro von der gesamten Europäischen Union. In
begibt sich zum Präsidium) der EU wurden auch konkrete Hilfen in Form eines
– Das machen wir dann sofort anschließend. Dann fah- 100-Milliarden-Pakets bis zum Jahr 2020 vereinbart.
ren wir mit möglichen Geschäftsordnungsüberlegungen Das scheint an Ihnen bisher vorbeigegangen zu sein.
fort. Ich möchte auf die unselige Diskussion „Armut gegen
Der Kollege Christian Ruck hat nun das Wort. Bitte Klima“ eingehen. Für Entwicklungspolitiker – auch
schön. nicht für die der letzten Großen Koalition, die in der Ent-
wicklungspolitik nicht ganz erfolglos war – ist folgende
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Wahrheit nichts Neues: Klimaschutz und Armuts-
der FDP) bekämpfung sind zwei Seiten einer Medaille. Es ist völ-
lig unsinnig, irgendwelche Zahlen wie eine Monstranz
Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): vor sich herzutragen und das eine gegen das andere aus-
(B) (D)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Gysi, zuspielen. Die Wahrheit ist, dass man die notwendige
ich fand Ihre Ausführungen nicht nur platt und konfus, Hilfestellung für Entwicklungsländer, um Armut zu be-
Sie sind auch erstaunlich wenig informiert, wenn es um kämpfen und Klimaschutz in den Entwicklungsländern
bestimmte Details geht. Zum Beispiel ist die Diskussion zu betreiben, bereitstellen muss. Man muss auch seriös
über den Urwald in Ecuador, die wirklich stattgefunden mit der Frage umgehen: Wie viel Geld ist überhaupt nö-
hat, vollkommen an Ihnen vorbeigegangen, und auch mit tig? Herr Kelber, in dieser Frage ging es in Kopenhagen
den letzten Beschlüssen des EU-Rates sind Sie nicht drunter und drüber. Das haben auch die Mitglieder Ihrer
wirklich vertraut. Ich kann mir den Hinweis nicht ver- Delegation festgestellt. Chávez und andere sagen:
kneifen, dass bei jeder Klimadebatte zunächst einmal die 300 Milliarden pro Jahr ab 2020. Andere gehen noch
klimapolitischen Altlasten des real existierenden Sozia- weiter. Ich glaube, wir sollten uns auf dieses postkolo-
lismus ausgeräumt werden mussten. Da hatten wir eini- niale Spiel nicht einlassen. Wir stehen zur ODA-Quote,
ges zu tun. und wir stehen zum Klimaschutz; aber wir sind dagegen,
dass man immer wieder den Versuch unternimmt, das
(Beifall bei der CDU/CSU) eine gegen das andere auszuspielen.
Einen Tag vor dem Ende der Kopenhagener Konfe- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
renz ist es in der Tat noch nicht klar, ob wir zu einem
Was wir brauchen, ist eine realistische Einschätzung
Abschluss kommen. Der Erfolg steht auf Messers
des Finanzbedarfs. Das ist schwierig. Auch für Fachleute
Schneide. Es sind noch dicke Bretter zu bohren. Ich
ist es schwierig, den Finanzbedarf für 2020 einzuschät-
möchte die dänische Präsidentschaft ausdrücklich bitten,
zen. Ich möchte davor warnen, Musterdemokraten wie
die Flinte nicht zum falschen Zeitpunkt ins Korn zu wer-
Chávez oder der sudanesischen Regierung auf den Leim
fen, sondern alles zu tun, damit dieses Treffen der Staats-
zu gehen. Ich glaube, das bringt nichts. Was wir brau-
und Regierungschefs in seiner entscheidenden Phase
chen, sind Verhandlungspartner, die verantwortungsbe-
doch noch ein Erfolg wird.
wusst sind, auch in den Entwicklungsländern. Natürlich
Wir wünschen unserer Kanzlerin viel Fortune dabei, dürfen wir uns den notwendigen Hilfen nicht verschlie-
die Steine in gewohnter Erfolgsmanier aus dem Weg zu ßen.
räumen. Wir haben mit unserer Delegation in Kopenha-
Ich möchte Ihnen einmal vorlesen, was Ihr Noch-Kol-
gen gespürt, wie sehr die Hoffnungen in Kopenhagen
lege Verheugen gesagt hat – er hat in einer realistischen
Abwägung die EU vor zu hohen Verpflichtungen beim
1) Namensverzeichnis der Teilnehmer der Wahl siehe Anlage 7 UN-Gipfel gewarnt –:
916 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Dr. Christian Ruck


(A) Die EU darf nicht durch ihre Vorreiterrolle beim das jetzt, mehr als zehn Jahre vor 2020, nicht sagen. (C)
Klimaschutz die Wettbewerbsfähigkeit der europäi- Dazu stehe ich. Ich glaube, das ist eine vernünftige Poli-
schen Industrie zerstören und sie zwingen, in an- tik, auch im Sinne der deutschen Steuerzahler.
dere Teile der Welt auszuwandern.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Ulrich Kelber [SPD]: Da hat er unrecht!)
Meine Damen und Herren, zum Stichwort „deutscher
Sie sollten sich einmal mit Ihren eigenen Leuten be- Steuerzahler“ ist auch zu sagen: Wir können die
schäftigen, auch mit Kanzler Schröder bei Gazprom. Entwicklungsländer nicht aus einem transparenten
Kontrollverfahren entlassen. Ich hoffe, auch dabei
(Ulrich Kelber [SPD]: Wir haben ihm widerspro- stimmen Sie mir zu. Der Finanzbedarf ist das eine, aber
chen! Widersprechen Sie Herrn Niebel!) auch eine effiziente Anlage der Gelder ist Verpflichtung
– Das nehme ich zur Kenntnis. Ich habe keinen Grund, für uns. Es geht darum, die deutschen Steuergelder or-
Herrn Niebel zu widersprechen. dentlich zu verwalten. Deswegen müssen wir gegenüber
den Entwicklungs- und den Schwellenländern darauf be-
(Ulrich Kelber [SPD]: Das ist der stehen, dass es einen ordentlichen und transparenten
Unterschied!) Kontrollmechanismus gibt. Auch das muss als Signal
Warum soll ich ihm widersprechen, nachdem er mit von hier nach Kopenhagen gehen; denn auch diesbezüg-
China eine neue Zusammenarbeit in Sachen Klima- lich hakt es deutlich.
schutz vereinbart hat? Es muss noch ein anderes Signal geben – ich glaube,
auch dabei sind wir uns einig –: Eine der kostengünstigs-
Präsident Dr. Norbert Lammert: ten und wichtigsten Methoden, CO2-Emissionen zu re-
Herr Kollege Ruck, gestatten Sie eine Zwischenfrage duzieren, ist ein effizienter Waldschutz, gerade auch in
des Kollegen Hoppe? den Entwicklungsländern. Auch hierum wird heftig ge-
rungen; aber ich glaube, wir haben auch diesbezüglich in
Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): den letzten Jahren mit unseren Haushalten deutliche
Gut. Signale gesetzt.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist schon
Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): angesprochen worden: Wir werden keinen Erfolg, weder
Lieber Herr Kollege Ruck, ich stimme Ihnen völlig in Kopenhagen noch überhaupt, mit unserer langfristi-
zu: Entwicklungszusammenarbeit und Klimaschutz gen Klimaschutzpolitik haben ohne Einbeziehung der
müssen zusammengeführt werden; eine gute Entwick- Schwellenländer und ohne Einbeziehung der USA. Wir
(B) lungszusammenarbeit ist gleichzeitig immer auch Kli- haben uns mit einer Delegation aus dem brasilianischen (D)
maschutz. Hier geht es aber um die finanziellen Ver- Parlament getroffen. Wir alle waren beeindruckt, wie
pflichtungen. Ich möchte Sie um Klarheit bitten: Wir sehr die brasilianischen Parlamentarier Signale setzen
brauchen eine klare Auskunft, ob die Gelder, die bei den und voranschreiten wollen mit ihrer Forderung an die ei-
Klimaverhandlungen in Kopenhagen jetzt für den inter- gene Reduktionspolitik. Da können sich sowohl die In-
nationalen Klimaschutz zuzusagen sind, die ab 2013 ver- der als auch die Chinesen eine Scheibe abschneiden.
pflichtend werden, auf die ODA-Quote, die Teil der Mil- An China gerichtet möchte ich auch sagen: Man kann
lenniumsziele ist, angerechnet werden sollen. Ja oder nicht auf der einen Seite mit seiner Armut kokettieren
nein? und auf der anderen Seite Weltmachtansprüche stellen.
Für eine Weltmacht, wie es China zweifellos ist, ist jetzt
Dr. Christian Ruck (CDU/CSU): die Zeit, Verantwortung für das Klima zu übernehmen.
Herr Hoppe, Sie kennen meine diesbezügliche Mei- (Zuruf von der SPD: Das stimmt!)
nung. Ich wiederhole sie gerne noch einmal: Zuerst
erfüllen wir die ODA-Quote mit all dem, was für die Aus diesen Gründen möchte ich sowohl an China als
Entwicklungsländer notwendig ist; das bedeutet Armuts- auch an Indien appellieren, diese Ansprüche in Verant-
bekämpfung, Umweltschutz und Klimaschutz. Ich sehe wortung umzusetzen.
keinen Grund, angesichts der Finanzmittel, die wir bis (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
zur Erreichung der ODA-Quote noch aufwachsen lassen der FDP)
müssen, schon jetzt zu sagen: Hinzu kommen die Klima-
schutzmittel. Dafür sehe ich keinen Grund. Das Gleiche gilt für die USA. Wer in anderen Teilen
der Welt Führungsverantwortung beansprucht, muss
Ich sage noch einmal: Wenn die ODA-Mittel für ei- jetzt auch in der Klimafrage Führung übernehmen. Des-
nen wirksamen Klimaschutz in den Entwicklungslän- wegen hoffe ich, dass der amerikanische Präsident in
dern nicht ausreichen, dann müssen wir natürlich die Kopenhagen tatsächlich Führungsverantwortung bei die-
entsprechenden Mittel nachlegen. Aber warten Sie doch ser Schicksalsfrage übernimmt.
erst einmal ab, wie weit wir kommen. Ich habe Ihnen ge-
rade gesagt – ich glaube, das ist auch Ihre Meinung –: Klimapolitik bietet für die Export- und Technolo-
Die Bandbreite der Vorstellungen, was für den Klima- gienation Deutschland eine Chance für ein qualitati-
schutz in den Entwicklungsländern ab 2020 notwendig ves Wachstum. Umwelt ist die Wachstumsbranche des
ist, ist so groß, dass wir erst einmal seriöse Zahlen und 21. Jahrhunderts. Das sehen übrigens auch die Chinesen
Forschungsergebnisse brauchen; denn sonst können wir und Inder so; das war ein deutliches Zeichen in unseren
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 917
Dr. Christian Ruck
(A) Gesprächen in Kopenhagen. Ganz besonders diese bei- Norbert Röttgen wie der Malermeister der CDU mit ei- (C)
den Länder sind bereit, mit uns, mit unseren Firmen, mit nem großen Eimer Farbe durch das Land und tüncht al-
unserer Wirtschaft, mit unserer Technologie, zusammen- les grün. Immer wieder heißt es, wir müssten anders le-
zuarbeiten. Hier ist Offensive angesagt. ben. Ich fordere Sie auf: Fangen Sie doch an, anders zu
leben, anders zu wohnen, anders zu produzieren und zu
Frau Bundeskanzlerin, die Mehrheit dieses Hauses
transportieren!
und alle wirklichen Klimaschützer drücken Ihnen für
Ihre Mission in Kopenhagen die Daumen. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) sowie bei Abgeordneten der SPD)
Fangen Sie in Kopenhagen damit an! Sagen Sie: Kopen-
Präsident Dr. Norbert Lammert: hagen ist für uns die Chance, endlich den notwendigen
Das Wort hat nun die Kollegin Renate Künast, Frak- Strukturwandel der deutschen Wirtschaft, die geprägt
tion Bündnis 90/Die Grünen. ist von Überkapazitäten und Stellenabbau, einzuleiten.
Es ist so, dass nicht nur der Klimawandel bedrohlich
Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): voranschreitet, sondern dass es gleichzeitig auch einen
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bun- Wahnsinnsschub bei der Energietechnologieentwicklung
deskanzlerin! Herr Ruck, ich glaube, Sie haben uns mit gibt. Ich glaube, hier haben wir ökonomische Möglich-
Ihrer Rede und Ihrer Gesundbeterei fast an die Grenze keiten. Wenn ich als Grüne dies zu begründen hätte – ab-
des Einschlafens gebracht. gesehen vom Klimawandel und den Menschen, deren
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Existenz bedroht ist und die leiden –, würde ich sagen:
SES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LIN- Lösen wir in Deutschland, wir als Deutsche in und mit
KEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach, Frau der Europäischen Union durch ein ganz gezieltes Erbrin-
Künast!) gen von Vorleistungen und durch Voranschreiten einen
Wettbewerbsdruck auf andere aus, statt immer zu sagen:
Das ist angesichts dieses Themas schade. China oder Obama haben sich noch nicht bewegt. – Wir
Da wir gerade über den Ticker erfahren, dass Regie- könnten vorne sein, Arbeitsplätze schaffen und den Rest
rungskreise in Dänemark sagen, die dänische Regierung hinter uns herziehen, statt eine Schnecke zu sein.
habe das Ziel eines umfassenden Abkommens mögli- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
cherweise schon aufgegeben, will ich eines zur Debatte sowie bei Abgeordneten der SPD)
hier sagen: Ich glaube, allen voran Sie, Frau Bundes-
kanzlerin, haben die Bedeutung von Kopenhagen nicht Seien wir ein Leitmarkt! Sagen wir doch: Wir wollen
(B) wirklich und wahrhaftig verstanden. Kopenhagen ist eine Europäische Union der erneuerbaren Energien. – (D)
nicht nur die wichtigste Wirtschaftskonferenz, wo man Steigern wir unsere Produktivität durch den intelligenten
die alten Lobbyisten befriedigen muss, damit es ein Wei- Umgang mit Energie statt durch Lohndrückerei! Betrei-
ter-so gibt und keine Wettbewerbsregeln, die hier, aber ben wir Kostenreduktion zu unserem eigenen Vorteil und
nicht anderswo gelten, sondern Kopenhagen ist vor al- für den Klimaschutz! Das wäre sinnvoll. Davon, Frau
lem die wichtigste Klima- und internationale Gerechtig- Bundeskanzlerin, habe ich von Ihnen aber kein einziges
keitskonferenz. Das ist das Größte. Was Deutschland engagiertes Wort gehört.
und die Europäische Union bisher vorgelegt haben, wird
dem nicht annähernd gerecht. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD) Ich formuliere es einmal so: Ich habe von Ihnen kein
mitleidendes Wort gehört über die Sorgen der Entwick-
Da darf es nicht wie in dem üblichen globalen Ver- lungsländer, die Sorgen Afrikas, die Sorgen der Länder
handlungszirkus zugehen, in dem man, bis man in der mit großen Küstenregionen und der Inseln. Das 2-Grad-
letzten Nacht nachgibt, immer sagt, man bewege sich Ziel ist für Afrika eine Zumutung. Für Afrika heißt das
nicht, in dem die reichen Länder ihre Privilegien bis zur allgemeine 2-Grad-Ziel, dass es dort um ungefähr
letzten Nacht mit Klauen und Zähnen verteidigen. Ich 4 Grad wärmer wird. Das führt dazu, dass sich nicht be-
fordere Sie auf: Machen Sie sich von dieser mentalen ackerbares Land, Dürren und Hunger weiter massiv aus-
Schwerkraft frei. Begreifen Sie das Ganze als das, was breiten. Trotzdem stellen Sie sich hier hin und sagen:
es ist: die zentrale Gerechtigkeitsfrage für die, die Wir sind bereit, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Pro-
schon heute existenziell unter dem Klimawandel leiden. zent zu senken, aber erst dann, wenn sich auch andere
Darin liegt auch eine zentrale Chance für uns, die wir bewegen. – In Afrika kann sich keiner bewegen, und den
noch nicht so viel leiden; denn wir haben die Möglich- Afrikanern kann man nicht sagen: China bewegt sich
keit, einen wirtschaftlichen Aufbruch statt einen wirt-
nicht, deshalb bewegen auch wir uns nicht. – Bedenken
schaftlichen Niedergang zu organisieren. Das ist Kopen-
Sie den Zusammenhang zwischen Klimagerechtigkeit
hagen!
und Wirtschaft! Bewegen wir uns endlich! Seien wir
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Land, das den Wettbewerb um Effizienz und intelli-
sowie bei Abgeordneten der SPD) gente neue Lösungen antreibt, und profitieren wir not-
falls sogar selbst davon!
Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Dieses Geziehe und
Gezerre geht mir auf die Nerven. Außerdem läuft Ihr (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
918 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Renate Künast
(A) Ich habe in den letzten Tagen an Michail Gorbatschow oder ob die Deutsche Bundespost wieder einmal versagt (C)
gedacht. Ich weiß nicht, ob Sie alle noch in Erinnerung hat.
haben, wie die Situation 1989 war – was damals erreicht
wurde, kommt manch einem heute ja selbstverständlich (Birgit Homburger [FDP]: Deutsche Post AG! –
vor –: 1989 lebten wir immer noch in einer Blockkon- Jörg van Essen [FDP]: Die Deutsche Bundes-
frontation. Alles, was sich damals ereignete, zum Bei- post gibt es schon seit Jahrzehnten nicht
spiel im heutigen Tschechien, insbesondere in Prag, oder mehr!)
an der ungarischen Grenze, hat uns richtig ins Herz ge-
troffen. Jede und jeder von uns hatte Angst, dass zur Von dem Paket, das Sie angekündigt haben, ist jedenfalls
Waffe gegriffen wird. Das gesamte Denken war damals bis jetzt keine einzige Maßnahme in der Realität ange-
von den zwei großen Blöcken und Systemen dominiert. kommen.
Immer wieder traf es am Eisernen Vorhang aufeinander (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
und hat sich in alten Kategorien bewegt. SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Michail Gorbatschow hat vor dem Fall der Mauer das Außerdem sind das alles Peanuts, Frau Merkel. Das
Bild vom gemeinsamen europäischen Haus benutzt. Ich Wärmegesetz ist ein schlafender Riese. Vor kurzem ha-
will dieses Bild weiterentwickeln. Dass wir den Klima- ben Sie gesagt, man solle sich nicht ständig um die Aus-
wandel aufhalten, ist von solch existenzieller Bedeutung
nahmen kümmern, die es gibt, die Gebäudesanierung sei
und ungefähr so beachtlich wie der Fall der Mauer, mit
der viel größere Teil. Dann fangen Sie doch einmal an
dem die Blockkonfrontation beendet wurde. So müssen
mit der Gebäudesanierung! Dachdämmung? Gestri-
wir an dieses Thema herangehen. Wir müssen sagen:
chen. Nachtspeicherheizungen sollen bleiben. Die Ge-
Auf der einen Erde, die wir haben, wollen wir ein ge-
bäudeenergieausweise sind eine Farce. Sie haben sich
meinsames Haus bauen. Dabei darf nicht gezockt wer-
beim Thema Energieeffizienz in die Situation manö-
den, dabei sind keine Bedingungen zu stellen, und dabei
ist keine Zurückhaltung zu üben. Es darf auch nicht da- vriert, dass eine Richtlinie, die 2008 umgesetzt sein
rum gehen, Brosamen vom Tisch der Reichen zu bekom- sollte, bis heute nicht umgesetzt ist. Im Verkehrsbereich
men. Frau Merkel, ich will, dass Deutschland sagt: Wir vertreten Sie wie die Grottenolme die alten, leistungs-
werden anders wirtschaften, und wir werden den ande- starken Autos, aber nicht Autos, die heute und morgen
ren bei ihrer Entwicklung helfen. noch gekauft werden. Ja, wir haben Kurzarbeit, Kurzar-
beit, Kurzarbeit. Das kommt aber nicht von ungefähr,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN meine Herren. Die Krönung ist, dass Sie bei der Frage
sowie bei Abgeordneten der SPD) einer Energiepolitik in Deutschland bis Oktober 2010
(B) blankziehen. Ihre Methode hindert große und kleine Un- (D)
Frau Merkel, Sie sagen, es macht Sie nervös, ob das ternehmen in Deutschland momentan daran, in eine an-
alles wirklich zu schaffen ist. Meines Erachtens ist die dere Energiepolitik zu investieren. Das ist der Maler-
Wahrheit: Sie sind Teil der mentalen Schwerkraft, die meister Röttgen, das ist die Bundeskanzlerin.
gerade bleiern über Kopenhagen liegt.
In NRW wollen Sie den Klimaschutz aus dem Gesetz
Schauen wir uns die beiden Hauptstränge der Ver- herausstreichen, damit Sie in Datteln ein neues Kohle-
handlungen einmal an: Das eine sind die Reduktions- kraftwerk bauen können. Das ist keine Glaubwürdigkeit
ziele, die die Industrieländer anbieten, das andere sind beim Thema Klimaschutz.
die Finanzhilfen, um globale Gerechtigkeit zu schaffen.
Bei den Reduktionszielen frage ich mich: Wie kommt (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Röttgen eigentlich dazu, mit Grandezza Obama und
die USA zu kritisieren? Natürlich kann man sagen: Bauen wir doch das gemeinsame Haus auf! Hören wir
Stimmt, die machen zu wenig. – Aber Hochmut kommt auf, auf Kosten anderer zu leben. Dazu, sage ich Ihnen,
vor dem Fall. Wenn die USA Geld in die technologische brauchen wir nicht nur ein Bekenntnis zur Reduzierung
Entwicklung investieren, wird das in einer Größenord- des CO2-Ausstoßes. Wir brauchen einen zweiten Ver-
nung losgehen, dass Sie in einem Jahr hier stehen und handlungsstrang: dass die historischen Verursacher end-
tränenden Auges danach fragen: Wo sind denn die deut- lich Verantwortung übernehmen.
schen technologischen Entwicklungen? – Halten Sie sich
nicht damit auf, andere zu beschimpfen! Sorgen Sie lie- 8,5 Milliarden Euro machen Sie mal eben locker als
ber dafür, dass die Europäische Union selber das Kioto- Steuergeschenke für Hotels und Erben; aber nur 2,4 Mil-
Ziel erreicht; denn davon ist auch sie noch weit entfernt. liarden Euro wollen Sie geben, um den Ärmsten der Ar-
men, die existenziell unter dem Klimawandel leiden, zu
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN helfen. Meine Damen und Herren, als Vertreter der größ-
sowie bei Abgeordneten der SPD) ten Volkswirtschaft in der Europäischen Union sollten
wir sagen: Wir toppen das, wir geben unhängig von der
Frau Merkel, Sie haben in Meseberg große Ziele an- Gesamtsumme, die zustande kommt, mindestens 10 Mil-
gekündigt. Sie haben im September 2007 gesagt: Wir liarden Euro.
richten unsere Energie- und Klimapolitik neu aus. Sie
haben ein Paket von Maßnahmen entwickelt, die jetzt
Schritt für Schritt umgesetzt werden sollen. Ich weiß Präsident Dr. Norbert Lammert:
nicht, ob Sie dieses Paket noch nicht aufgegeben haben Frau Kollegin – –
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 919

(A) Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): europäischen Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit (C)
Mein letzter Satz: Wir werden Sie an dem C im Na- diskutieren, muss sich vieles ändern.
men Ihrer Partei messen. Wir werden nicht zulassen,
dass uns Herr Niebel in einer Vernebelungstaktik vor- Manche werden sich erinnern: Der Bundestagspräsi-
rechnen will, dass wir die ODA-Quote von 0,7 Prozent dent hat in der Rede nach seinem Amtsantritt genau auf
des BIP durch Klimaschutzmaßnahmen erfüllt hätten. diese Frage Bezug genommen, nämlich darauf, wie wir
damit umgehen, dass wir durch das Urteil des Bundes-
Wir sind die Verursacher des Klimawandels. In Ko- verfassungsgerichts vom 30. Juni 2009, durch den Ver-
penhagen geht es um das Gemeinsame. Sperren Sie die trag selber und natürlich vor allem durch das Grundge-
armen Länder nicht aus! Gehen Sie endlich in Vorleis- setz in die Pflicht genommen werden, an der Gestaltung
tung und fangen Sie mit der ökologischen Modernisie- der europäischen Politik mitzuwirken. Daran müssen wir
rung in Deutschland an. arbeiten. Ich glaube, es ist das große Ziel der Kollegin-
nen und Kollegen im Europaausschuss, im Ausschuss
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung, in
sowie bei Abgeordneten der SPD) den Fachausschüssen und überall sonst, dass wir unsere
Verfahren im nächsten Jahr so anpassen, dass wir das
Dr. Norbert Lammert (CDU/CSU): auch schaffen.
Michael Link ist der nächste Redner für die FDP-
Fraktion. Dass wir dabei an die Wichtigkeit der Subsidiarität er-
innern, heißt nicht, dass wir ein Europa der Abgrenzun-
(Beifall bei der FDP) gen wollen. Wir wollen kein Europa der Abgrenzungen,
der Opt-outs und der Schutzklauseln.
Michael Link (Heilbronn) (FDP):
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Durch die der CDU/CSU)
Tatsache, dass es in der heutigen Debatte um zwei The-
men geht, nämlich um den Europäischen Rat und um Das ist auch unsere klare Linie bei den anstehenden Bei-
den Klimagipfel, wird nicht nur die kalendarische Zufäl- trittsverhandlungen mit Mazedonien und Island. Eine
ligkeit gezeigt, dass beide Termine übereinstimmen, son- Mitgliedschaft à la carte und eine Mitgliedschaft mit Ra-
dern werden wir auch darauf hingewiesen, dass wir über batt kann es nicht geben. Wir wollen aber sehr wohl eine
beide Themen in der Regel erst dann reden, wenn es klare Kompetenzabgrenzung. Ich glaube, hier müssen
nicht klappt. wir, wie gesagt, intern noch gemeinsam an unseren Ver-
fahren arbeiten.
(B) Beim Klimaschutz ist das offensichtlich, aber auch (D)
mit der EU, mit Europa, beschäftigen wir uns immer Der Vertrag von Lissabon ist nicht der große Wurf,
dann wesentlich mehr, wenn wir Probleme haben, wenn wie es frühere große Verträge waren. An Maastricht und
wir in der EU einen Dissens haben und wenn es uns erst Amsterdam sei erinnert. Diese enthielten jeweils große,
nach sehr langen Debatten gelungen ist, tatsächlich Ver- deutliche, weitere Visionen und Fortentwicklungen.
träge in Kraft zu setzen, wie das mit dem Vertrag von Beim Vertrag von Maastricht war es der Binnenmarkt,
Lissabon der Fall ist. Die FDP begrüßt das Inkraft- beim Vertrag von Amsterdam war es die Wirtschafts-
treten des Vertrages von Lissabon, wodurch die EU und Währungsunion – die Vollendung – und natürlich
demokratischer und funktionsfähiger wird. vor allem auch die Weiterentwicklung und Stärkung der
Rechte des Europäischen Parlaments.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU) Immerhin: Für Letzteres, für die Stärkung der
Herr Kollege Gysi, ich bin wirklich überrascht, dass Rechte des Europäischen Parlaments, bringt der Lis-
Sie hier und heute kein einziges Wort zu Europa und nur sabon-Vertrag einiges. Vielleicht ist jetzt aber auch wirk-
etwas zum Klima gesagt haben. Das ist zwar ein wichti- lich nicht die Zeit für große Visionen; denn davon haben
ges Thema, aber Sie haben kein einziges Wort zu Europa die Bürgerinnen und Bürger in der Tat genug. Sie erwar-
und zu diesem Vertrag gesagt, der in Kraft getreten ist. ten, dass wir handeln. Dazu steht die FDP-Bundestags-
fraktion nach den neuen Regeln des Lissabon-Vertrages
(Ulrich Kelber [SPD]: Warten Sie doch einmal bereit. Wir freuen uns, dass die Bundesregierung ganz
ab!) offensiv darangeht. Wir werden sie auch weiterhin daran
erinnern.
Kollegin Künast, Sie sind Vertreterin – das kann ich
nun wirklich sagen – einer überzeugten europäischen Vielleicht noch eine Bitte: Es wäre schön, wenn wir
Partei, aber auch von Ihnen hätten wir uns gewünscht, zu einer alten Tradition zurückkommen würden – Herr
dass Sie ein Wort dazu sagen, wie wir nach den Vorstel- Präsident, ich komme zum Schluss –, nämlich zu der,
lungen der grünen Fraktion mit diesen Regeln in Zukunft dass wir vor oder nach jedem Europäischen Rat eine Re-
im Hohen Hause gemeinsam umgehen; gierungserklärung hören. Dann haben wir nämlich auch
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nicht das gleiche Problem wie heute, da verständlicher-
der CDU/CSU) weise viele Themen geballt behandelt werden. Ich
denke, Europa verdient es, dass wir bei jedem Europäi-
denn in der Tat: An der Art und Weise, wie wir hier im schen Rat eine Regierungserklärung zu dem entspre-
Bundestag miteinander umgehen und intern Fragen der chenden Thema hören.
920 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Michael Link (Heilbronn)


(A) Vielen Dank. eine Kandidatin vor ihrer Ernennung im Fachausschuss (C)
Rede und Antwort steht. Das ist ein gutes Verfahren im
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Europäischen Parlament, von dem wir als Deutscher
der CDU/CSU) Bundestag lernen sollten.

Präsident Dr. Norbert Lammert: (Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Nächster Redner ist der Kollege Axel Schäfer für die Der zweite Punkt ist SWIFT. Da müssen wir schon am
SPD-Fraktion. 30. November ansetzen. Es war ein Affront gegenüber
(Beifall bei der SPD) dem Europäischen Parlament, dass am 30. November
über das Abkommen zur Weitergabe von Finanzdaten
entschieden wurde, wohlwissend, dass das Europäische
Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Parlament mit dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! mehr Rechte bekommen würde. Man hat also dem Parla-
Frau Bundeskanzlerin hat gesagt, dass mit dem Lissa- ment die Rechte, die es ab dem 1. Dezember hätte nutzen
bon-Vertrag eine neue, verbesserte Grundlage für die EU können, nicht gewährt, indem man am 30. November
geschaffen worden ist. Sehr richtig! Es muss aber auch über das Abkommen entschieden hat. Das war unfair.
deutlich gesagt werden: Jetzt wird es auf uns hier im
Deutschen Bundestag ankommen, dass wir diesen Ver- Und es war für die Bundesregierung schlecht, dass die
trag mit Leben erfüllen und dass wir ihn in jedem einzel- deutsche Position nicht deutlich wurde. Denn was die
nen Bereich der europäischen Politik, in dem wir uns als deutsche Position anging, stand die FDP auf der einen
Deutsche positionieren, im Geiste der EU und buchsta- Seite und die CDU/CSU auf der anderen Seite. Das Er-
bengetreu – auf Punkt und Komma genau – umsetzen. gebnis war Enthaltung. Enthaltung ist das Gegenteil von
politischer Gestaltung, wie sich hier gezeigt hat.
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Frau Bundeskanzlerin hat mit einem interessanten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
Versprecher begonnen. Sie hat gesagt: Die Bundesregie- Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt wissen wir,
rung hat dazu die Rechte des Deutschen Bundestages ge- warum ihr euch ständig enthaltet!)
setzlich verankert. – Bei allem Respekt: Die Verbesse-
rung der Rechte des Deutschen Bundestages durch Der dritte Punkt sind künftige Vertragsänderungen
das entsprechende Begleitgesetz, das Integrationsverant- und Regierungskonferenzen. Eine Frage betrifft den
wortungsgesetz, haben wir erkämpft. Wir haben das möglichen Beitritt Islands. Eine andere Frage ist die
– auch das muss man als Erfolg bezeichnen – in einem Sitzzahl des Europäischen Parlaments. Das wird die Na-
(B) großen Einvernehmen in diesem Hause nicht mit allen, gelprobe in diesem Hause. Es wird die Nagelprobe da- (D)
aber doch mit den meisten hinbekommen. Das ist ein Er- für, dass die Bundesregierung in diesem Punkt offensiv
folg für dieses Haus. von sich aus alles unternehmen muss, um Einvernehmen
mit dem Hohen Hause herzustellen, statt irgendeinen
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der Weg zu finden, um die Regelung dieser Fragen herumzu-
LINKEN – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: kommen. Das wird noch ein Kampf.
Mit Karlsruhe!)
Wir werden sehr genau darauf achten, wie dieses Ver-
Der Lissabon-Vertrag ist seit dem 1. Dezember in fahren läuft, weil es ein Präjudiz für alles andere ist, was
Kraft. Richten wir den Blick darauf, wie die bisherige wir in den nächsten Jahren machen, und weil es um die
Umsetzung läuft. Umsetzung sowohl unserer Regelungen als auch dessen
geht, was uns das Bundesverfassungsgericht aufgegeben
Da muss man mit dem neuen Präsidenten, der Außen-
hat.
ministerin, der Hohen Beauftragten, und dem deutschen
EU-Kommissar beginnen. Das, was wir dort präsentiert (Beifall bei der SPD)
bekommen haben, ist nicht die beste, sondern höchstens
die erstbeste Lösung. Bei den Kandidatinnen und Kandi- Was Island angeht, bin ich sehr gespannt, wenn man
daten haben der Rat und auch Deutschland keinen Mut, bedenkt, was im Wahlkampf von der CDU/CSU zu die-
sondern nur Kleinmut gezeigt. Man hat nicht einmal auf sem Thema gekommen ist. Die CDU/CSU vertritt die
die guten Kräfte zurückgegriffen, die es in der christde- Meinung, wenn Kroatien beitritt, ist erst einmal Schluss.
mokratischen Parteifamilie gibt. Das war kein guter Start Für den Beitritt der Türkei gibt es sowieso keine Zustim-
für die neue Kommission und die neue Spitze in der EU. mung, und Serbien will sie auch nicht. Selbst der Beitritt
Islands wird infrage gestellt. Wir sind deshalb gespannt,
(Beifall bei der SPD) wie die Linie der Bundesregierung aussieht.
Wir haben gestern in einem Gespräch den designier- In einem anderen Punkt sind wir noch mehr gespannt.
ten EU-Kommissar Oettinger befragen können. Das war Dazu erwarten wir eine klare Aussage bis Januar. Das
wichtig. Ich hoffe in diesem Zusammenhang, dass wir Europäische Parlament soll nach einer Vereinbarung der
nicht nur davon reden, in der Europäischen Union von- Staats- und Regierungschefs – also einer ganz großen
einander zu lernen und bestimmte Punkte weiterzuentwi- Konstellation – in dieser Legislaturperiode ausnahms-
ckeln. Es wäre besser, dass wir es nicht erst aus der weise von 736 auf 754 Mitglieder aufgestockt werden.
Presse erfahren, wenn nach dem Rücktritt eines Minis- Das bedeutet, dass ein Parlament, das vertragsgemäß im
ters eine neue Ministerin präsentiert wird, sondern wenn Juni gewählt worden ist, im Dezember eine Änderung
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 921
Axel Schäfer (Bochum)
(A) seiner Zusammensetzung erfahren soll. Für die SPD ten wir noch nicht, was in den letzten zwei Verhand- (C)
stelle ich dazu fest: Wir halten das staatsrechtlich, euro- lungstagen geschehen wird bzw. wer sich am Verhand-
parechtlich und auch grundsätzlich nach unserem Wahl- lungstisch gegenübersitzen wird. Heute wissen wir, dass
verständnis für höchst problematisch, vielleicht sogar über 130 Staats- und Regierungschefs einschließlich des
verfassungswidrig. Das wird man noch prüfen müssen. US-Präsidenten, des chinesischen Regierungschefs und
des indischen Ministerpräsidenten dabei sein werden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD –
Das ist für mich mehr als ein Hoffnungsschimmer. Ich
Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin: Ihr habt
glaube, dass wir in Kopenhagen die einmalige Chance
doch zugestimmt!)
haben, Großartiges zu erreichen. Wir sollten diese
Wir halten es aber in besonderer Weise für inakzepta- Chance nutzen.
bel, Frau Bundeskanzlerin, dass in dem jetzt vorliegen-
Die Messlatte liegt enorm hoch. Umweltminister
den Entwurf vorgesehen ist, dass die 18 Kolleginnen und
Röttgen hat – genauso wie unsere Bundeskanzlerin heute
Kollegen entweder durch einen Wahlakt oder durch die
Morgen – klar und deutlich unterstrichen, dass man nur
Delegation von Abgeordneten der nationalen Parlamente
ins Amt kommen können. Das ist ein Verstoß gegen un- dann von einem Erfolg sprechen kann, wenn sich alle
192 Teilnehmer – ich unterstreiche: alle 192 Teilnehmer –
sere europäische Verfasstheit. Das ist ein Verstoß gegen
auf eine Begrenzung der Erderwärmung um höchs-
Art. 14 Abs. 3 des EU-Vertrags, der klar festlegt: Die
Mitglieder des Europäischen Parlaments werden in all- tens zwei Grad verständigen. Wir brauchen damit nach-
vollziehbare und sanktionierbare Reduktionsziele für
gemeiner, freier, gleicher, direkter und geheimer Wahl
alle. Wir brauchen eine faire Lastenverteilung. Wir brau-
gewählt und nicht von nationalen Parlamenten delegiert.
Das werden wir hier nicht zulassen. chen auch vergleichbare Wettbewerbsbedingungen in
der Welt. Ein Ziel kann noch so ambitioniert sein: Wenn
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Hauptemittenten China, Indien und die USA nicht
der CDU/CSU) mitziehen, sind alle Ziele, die wir uns stecken, wenig
wert. An diesem Anspruch müssen wir uns auch in Ko-
Ich appelliere an die Kolleginnen und Kollegen von
penhagen messen lassen.
FDP, CDU/CSU, Grünen und Linkspartei, dass dies das
gemeinsame Anliegen des Deutschen Bundestages sein Lassen Sie mich das verdeutlichen. Der CO2-Ausstoß
muss. Generationen von Vorvätern und -müttern haben in Deutschland konnte im Jahr 2008 im Vergleich zum
in diesem Hause von 1951 bis 1976 für die Direktwahl Vorjahr um rund 10 Millionen Tonnen reduziert werden.
des Europäischen Parlaments gekämpft. Wir dürfen Dazu war eine große Kraftanstrengung notwendig, die
jetzt nicht aufgrund dieser makaberen Konstellation fun- uns sehr viel gekostet hat. Gleichzeitig wird aber in
damentale Verfassungsprinzipien aufgeben. Deutschland China jede Woche ein neues Kohlekraftwerk gebaut. Al- (D)
(B)
darf nicht zulassen, dass es Regelungen in Europa gibt, lein das Volumen der zusätzlichen CO2-Emissionen
die es ermöglichen, dass Abgeordnete nicht direkt von durch diese Kohlekraftwerke in den nächsten zwei
den Bürgerinnen und Bürgern gewählt werden. Dafür Jahren entspricht dem kompletten CO2-Ausstoß des Ex-
werden wir einstehen, und daran werden wir Sie messen. portweltmeisters Deutschland in einem Jahr. Das ver-
(Beifall bei der SPD) deutlicht, dass China, die USA und Indien mit im Boot
sein müssen. Sonst bringen alle Zielsetzungen nichts. Ich
sage es ganz deutlich: Eine Vorreiterrolle Deutschlands
Präsident Dr. Norbert Lammert: ist wichtig, ist vielleicht sogar notwendig, um unsere
Thomas Bareiß ist der nächste Redner für die CDU/ Glaubwürdigkeit als Industrienation unter Beweis zu
CSU-Fraktion. stellen, aber ein Alleingang Deutschlands oder der Euro-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) päischen Union ist schädlich, nicht nur für die Wirtschaft
und für unsere Arbeitsplätze, sondern auch für das glo-
bale Klimaschutzziel. Ich sage nur: Eine Abwanderung
Thomas Bareiß (CDU/CSU):
von energieintensiven Industrien in Schwellenländer
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
wäre nicht in unserem Interesse. Unsere Bundeskanzle-
Herren! Wenn ich diese Debatte verfolge, ist mir wich- rin Angela Merkel hat daher völlig zu Recht darauf hin-
tig, zu Beginn meiner Rede auf Folgendes hinzuweisen:
gewiesen, dass sich kein Land aus der Pflicht stehlen
Obwohl Sie, Frau Künast und Herr Kelber, zwanghaft
kann.
versuchen, hier konträre Positionen aufzubauen, gibt es
in der Bevölkerung eine klare Zielsetzung für mehr Kli- Klimapolitik ist gerade für Deutschland, das immer-
maschutz. Diese klare Zielsetzung für weniger Emissio- hin 26 Prozent der Wertschöpfung in der Industrie er-
nen und Ressourcenschonung ist vor allen Dingen ein zielt, in besonderem Maße Wirtschafts- und Industriepo-
Verdienst unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel. Da- litik. Klima- und Umweltschutz sind aber auch in
für sollten wir heute Morgen noch einmal Danke sagen. besonderem Maße Energiepolitik. 40,7 Prozent der
durch Menschenhand verursachten Treibhausgasemis-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
sionen in Deutschland stammen aus der Energieerzeu-
neten der FDP)
gung. Deshalb werden wir in den nächsten Monaten gar
Die klare Positionierung in der Bevölkerung, aber nicht darum herumkommen, ohne ideologische Scheu-
auch in Brüssel und im Europäischen Rat ist von ent- klappen einen klimafreundlichen und ressourcenscho-
scheidender Bedeutung. Als wir hier vor zwei Wochen nenden Energiemix der Zukunft zu bilden. Dabei werden
über die Anträge zu Kopenhagen diskutiert haben, wuss- die erneuerbaren Energien eine ganz große Rolle spie-
922 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Thomas Bareiß
(A) len. Wir haben schon heute einen Anteil der Windkraft vor 14 Tagen ehrgeizige Ziele gehört, Vorstellungen ge- (C)
von 6 Prozent. Das ist ein großer Erfolg der letzten hört, die Deutschland einbringen möchte, und wir haben
Jahre. schon vor zwei Wochen gehört, dass es um Finanzie-
rungsfragen geht. Wenn ich mir das heute wieder an-
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- höre, dann muss ich sagen: Von der Vorreiterrolle
NEN]: Sie waren immer dagegen!) Deutschlands in dieser Diskussion ist in den letzten zwei
Es müssen aber auch effiziente Kohlekraftwerke eine Wochen leider wenig bis gar nichts zu sehen gewesen.
Rolle spielen. Ebenso muss die CCS-Technologie eine
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sylvia
Rolle spielen, und eine Verlängerung der Laufzeiten von
Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Kernkraftwerken spielt gerade im Klimaschutz eine he-
rausragende Rolle für uns. Wenn man ehrgeizige Ziele für sich und für andere for-
muliert, dann muss man sie auch mit Haushaltsmitteln
(Ulrich Kelber [SPD]: Ich dachte, es sei nur
hinterlegen. Wir als SPD-Fraktion haben vor zwei Wo-
eine Brückentechnologie! Jetzt ist es schon
chen aus gutem Grund einen Antrag eingebracht, weil wir
eine Zukunftstechnologie! Da müssen Sie sich
genau dieses tun wollten. Wir haben es getan und uns um
entscheiden! Entweder – oder!)
die Finanzierungsfragen des internationalen Klimaschut-
Auch wenn wir alles dafür tun wollen – über das Ziel zes und der Entwicklungszusammenarbeit gekümmert.
sind wir uns einig –, einen erheblichen Anteil der Ener- Als Reaktion auf diesen Antrag wurde vonseiten der
gieerzeugung in den nächsten 40 Jahren auf erneuerbare Union und der FDP – leider ist der Entwicklungsminister
Energien umzustellen, und wenn wir es schaffen, die nicht mehr anwesend – eine Verschärfung ihres ursprüng-
Energieeffizienz um jährlich 3 Prozent zu steigern, was lichen Antrages eingebracht, nämlich die zur Erreichung
wir anstreben und was ein hohes Ziel ist, des 0,7-Prozent-Ziels notwendigen Mittel vollständig auf
die Mittel zur Bekämpfung und Reduzierung von Armut
(Ulrich Kelber [SPD]: Das wollen Sie doch anzurechnen.
gar nicht! Eins zu eins haben Sie gesagt!)
Wir haben heute gehört, wie viele Milliarden – drei-
müssen wir auch in den kommenden 30 Jahren – auch stellige Milliardenbeträge! – nötig sind, um den Klima-
darin sind wir uns einig – die Grundlast unserer Energie- wandel wirksam bekämpfen zu können. Ich frage Sie:
erzeugung bezahlbar und verlässlich sicherstellen. Wie kann man das tun, ohne gleichzeitig den Kampf ge-
(Ulrich Kelber [SPD]: Wie lange sollen die gen Armut aufzugeben, wie es vonseiten dieser Bundes-
Kernkraftwerke denn laufen?) regierung getan wurde?
(B) Ein Instrument für Klimaschutz ist für mich der Markt (Beifall bei der SPD) (D)
für Emissionszertifikate. Um nicht nur national, son-
Was hier passiert, ist eben nicht, wie der Kollege Ruck
dern auch international die Emissionen fair zu bepreisen,
gesagt hat, das Leisten der notwendigen Hilfe, sondern
brauchen wir ein globales Handelssystem mit Emis-
das Ausspielen von Armut gegen Klimawandel, nichts
sionszertifikaten. Ich weiß, das ist nicht einfach. Aber
anderes.
auch das ist ein hohes Ziel, und wir müssen das Ziel an-
gehen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Es gab im Vorfeld viele kritische Stimmen zum Ko- Was wir dringend brauchen, ist eine solide Finanzie-
penhagener Klimakongress. Ich habe die Meinung dieser rung sowohl des Kampfes gegen Armut als auch der
kritischen Stimmen nie geteilt. Ich glaube, wir stehen Reduzierung von CO2 und der Anpassungsmechanismen
vor einer einmaligen Chance, auf globaler Ebene ambi- bei uns, aber auch weltweit. Die Kritik, dass es eine sol-
tionierte und verbindliche Ziele und Abmachungen zu che Finanzierung nicht gibt, wird nicht nur von uns, son-
setzen. Ich denke, wir sollten diese Chance nutzen. Ich dern auch von unzähligen Nichtregierungsorganisatio-
wünsche unserer Bundeskanzlerin dafür viel Erfolg. nen geäußert. Kollege Kelber hat bereits den Preis
angesprochen, den Minister Niebel vor einer Woche be-
Herzlichen Dank.
dauernswerterweise erhalten hat: „fossil of the day“. Ich
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) darf den Generalsekretär der Welthungerhilfe zitieren
– er sieht es so ähnlich, wie wir es in unserem Antrag
Vizepräsidentin Petra Pau: formuliert haben –:
Das Wort hat die Kollegin Dr. Bärbel Kofler für die Klimaschutz in armen Ländern ist keine Entwick-
SPD-Fraktion. lungshilfe in herkömmlichem Sinn, sondern vor al-
(Beifall bei der SPD) lem die Rückzahlung von Klimaschulden, die die
Industrieländer gemacht haben.
Dr. Bärbel Kofler (SPD): Sehr richtig!
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle- (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Ulrich
gen! Innerhalb von 14 Tagen treffen wir uns jetzt zum Kelber [SPD]: Niebel hat leider nicht zuge-
zweiten Mal, um über den Klimagipfel in Kopenhagen, hört!)
über Maßnahmen und vor allem über die Reduzierung
von CO2 miteinander zu diskutieren. Wir haben bereits – Genau wie im Ausschuss.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 923
Dr. Bärbel Kofler
(A) (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der noch im Koalitionsvertrag, aber wohlweislich ohne die (C)
SPD – Dr. Guido Westerwelle, Bundesminis- Angabe, wann dies erreicht werden soll. Wer solche Sig-
ter: Den mögt ihr nicht, nicht wahr?) nale aussendet und dann auf der Klimakonferenz in
Kopenhagen von anderen Ländern konkrete und belast-
Ich hätte am heutigen Tag an dieser Stelle sehr gerne bare Zusagen fordert, der macht sich unglaubwürdig.
einige deutliche Worte zur grundsätzlichen Frage der
Finanzierung gehört. Wir haben gehört, was wir über die (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
EU zur Verfügung stellen werden. Schön, es ist ein An- Sie wären an dieser Stelle gut beraten, korrigierend
fang. Was wir nicht gehört haben, ist, wie die mittel- und einzugreifen und sich deutlich zu diesen Zielen zu be-
langfristigen Ziele aussehen sollen, und vor allem, was kennen, und zwar mit belastbaren Zahlen, die andere
konkret in den nächsten Haushalt eingestellt werden soll. nachvollziehen können. Nur so kann man einen wirkli-
Angesichts dessen, was ich gestern in der Presse darüber chen Beitrag im Sinne einer vernünftigen Finanzierung
erfahren habe, welche Haushaltsmittel, zum Beispiel für von Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, in und zur Bekämpfung von Hunger und Armut leisten.
den Haushalt eingestellt werden sollen, muss ich sagen: Mittel für den Klimaschutz und Mittel zur Bekämpfung
Da hat das Verrechnen offensichtlich schon begonnen. von Armut dürfen nicht gegeneinander ausgespielt und
Wir haben es mit einem Haushaltsentwurf zu tun, der auch nicht miteinander verrechnet werden. Für den Kli-
nicht nur mutlos ist, sondern von einem großen Desinte- maschutz bedarf es zusätzlicher Mittel.
resse des Ministers an diesem Ressort zeugt.
Danke.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall bei der SPD)
Es ist uns über Jahre regelmäßig gelungen, den Etat
für Entwicklungszusammenarbeit in einer Höhe von Vizepräsidentin Petra Pau:
500 Millionen bis 700 Millionen Euro zu steigern. Das
Das Wort hat der Kollege Detlef Seif für die Unions-
war im Kampf gegen Armut, aber natürlich auch für eine
fraktion.
bessere Gestaltung des Klimawandels richtig und nötig.
Der gestern vorgelegte Haushaltsentwurf mit ganzen (Beifall bei der CDU/CSU)
44 Millionen Euro mehr als im vorherigen Haushalt
zeigt doch eines: dass weder Mittel für Armutsbekämp- Detlef Seif (CDU/CSU):
fung noch für Klimamaßnahmen zur Verfügung gestellt Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
werden können. Wo sind diese Mittel? Frau Homburger In Köln gilt das Kölner Grundgesetz: Et es, wie et es. Et
hat von 1 Milliarde Euro gesprochen. Diese Mittel sind kütt, wie et kütt. Et es noch immer jot jejange.
(B) weder im Haushalt für Entwicklungszusammenarbeit (D)
noch im Umwelthaushalt. Diese Mittel müssen irgend- (Ulrich Kelber [SPD]: Hätt noch immer jot je-
wann einmal veranschlagt werden. Ich wünsche mir, jange!)
dass Ihnen das noch bis zu den Haushaltsberatungen im Auch der Herr Westerwelle kennt das. – Meine Damen
Januar gelingt. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. und Herren, man hat den Eindruck, dass so mancher auf
Ich hätte mir sehr gewünscht, dass hier etwas zu diesen der Klimakonferenz diesen Grundoptimismus anwendet
Finanzierungsfragen gesagt wird, vielleicht noch deutli- und an die Sache nicht mit dem nötigen Nachdruck he-
cher, als die Frau Bundeskanzlerin zur Frage der Finanz- rangeht.
transaktionsteuer gesprochen hat. Selbstverständlich wä- Noch immer behaupten einige Wissenschaftler, dass
ren hier eine ganze Menge Mittel für die Entwicklung, die von den Menschen verursachten CO2-Emissionen
aber auch für den Klimawandel bereitzustellen. Das nichts mit dem Klimawandel zu tun haben, und bestrei-
Ganze hätte den Charme, dass man die Verursacher welt- ten, dass eine Klimakatastrophe bevorsteht. Mit diesem
weiter Krisen – sie haben die Entwicklungsländer mit in Problem müssen wir uns beschäftigen. Wir müssen
die Krise gerissen; die Entwicklungsländer tragen für vorne in der Kette der Ursächlichkeiten beginnen, die im
diese Krisen in der Regel genauso wenig Verantwortung Moment bei den Verhandlungen zu einem Stau führen.
wie für die Folgen des Klimawandels; auch da sind sie Viele Menschen, die wirtschaftliche Interessen verfol-
nicht die Hauptverursacher – heranzieht und zusätzliches gen, haben ein Interesse daran, dass die Konferenz von
Geld – im Fachjargon heißt es „fresh money“ – für ver- Kopenhagen scheitert. Das muss man zunächst einmal
nünftige Politik, für Entwicklungszusammenarbeit und erkennen.
für Klimaschutz zur Verfügung stellen kann.
Für uns als verantwortlich handelnde Politiker kön-
(Beifall bei der SPD) nen die Zweifel einiger Wissenschaftler, die diese teil-
weise durch wissenschaftliche Erkenntnisse untermau-
Das hätte ich mir vor der Reise nach Kopenhagen ge-
ern können, nicht ausreichen, um zu sagen: Dann lehnen
wünscht. In den letzten 14 Tagen ist Vertrauen zerstört
wir uns zurück, die Mehrheit der Wissenschaftler hat
worden; Vertrauen, das wir als Deutsche als Partner der
wohl unrecht. – Es besteht dringender Handlungsbedarf.
Entwicklungsländer einmal genossen haben. Diese Ko-
Ich bin froh, dass insoweit hier in diesem Haus ein gro-
alition hat sich von den ODA-Zielen verabschiedet. Da-
ßer Konsens besteht.
mit ist das Vorhaben, 0,51 Prozent des Bruttonational-
einkommens für Entwicklungshilfe bis zum Jahr 2010 Die Europäische Union und insbesondere Deutsch-
auszugeben, obsolet. Das 0,7-Prozent-Ziel steht zwar land haben beim Klimaschutz eine Führungsrolle über-
924 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Detlef Seif
(A) nommen. Der Ansatz der Europäischen Union, den Aus- Rahmen ihrer Möglichkeiten wäre. Eine Reduktion um (C)
stoß von Emissionen um 30 Prozent zu reduzieren, wenn 4 Prozent im Vergleich zu 1990 ist nicht ambitioniert.
sich andere Industrieländer ebenfalls dazu verpflichten Angesichts einer Pro-Kopf-Emission von über 19 Ton-
und sich auch die Entwicklungsländer daran beteiligen, nen kann mir niemand sagen, dass man, wenn man da
hat Vorbildfunktion. Man kann jetzt natürlich sagen: Das ambitioniert herangeht, die Reduktionsmenge nicht noch
reicht nicht, wir müssen noch etwas nachlegen. Aber die vergrößern könnte.
Kanzlerin hat recht, wenn sie sagt: Selbst wenn die Eu-
ropäische Union die Emissionen auf null senkt, reicht Wenn die Staatengemeinschaft jetzt oder zumindest in
das noch lange nicht aus. Wir müssen doch gemeinsam sich unmittelbar anschließenden Folgeverhandlungen
versuchen, das angestrebte Ziel zu erreichen. nicht die Kurve kriegt, dann wird die Natur zurückschla-
gen. Die Natur lässt nicht mit sich verhandeln. Ich kann
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- da den Amerikanern nur folgenden Gruß zurufen: Der
neten der FDP) American Way of Life kann sehr schnell zu einem Ame-
rican Way of Death werden. Das muss erkannt werden.
Herr Gysi, Sie haben gesagt, als Ziel müsse man an- Wir müssen jetzt handeln und dürfen Lösungen für diese
streben, den Ausstoß von Emissionen bis 2020 um Problematik nicht auf die lange Bank schieben.
40 Prozent zu senken. Sicherlich haben Sie recht:
Grundsätzlich sollte das die EU anstreben. Man muss Drittens. Anerkannte und transparente Messverfah-
kein Prophet sein, um zu sagen, dass die Kanzlerin das ren sind einzusetzen. Es nutzt doch nichts, wenn wir
ebenfalls gerne machen würde. Aber Sie müssen doch Lippenbekenntnisse verkünden. Man muss auch prüfen
auch sehen, dass die Kanzlerin wesentlich daran mitge- können, was erreicht werden soll. Hierzu liegen bis dato
wirkt hat, dass wir in der Europäischen Union so weit keine vernünftigen Angebote der Entwicklungsländer
sind, wie wir sind. Das sollte man doch einmal anerken- vor.
nen.
(Ulrich Kelber [SPD]: Stimmt überhaupt
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nicht!)
neten der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE
LINKE]: Aber nicht weit genug!) Meine Damen und Herren, trotz allem Missmut, den
ich auch bei anderen Themen als Neuling in diesem
Auch zur Forderung, die Mittel zur Soforthilfe für die Hause in den letzten Wochen mitbekommen und ken-
Entwicklungsländer von 7,2 Milliarden Euro auf wel- nengelernt habe, sollte man immer berücksichtigen, wel-
chen Betrag auch immer zu erhöhen, kann ich nur sagen: che internationale Wirkung Äußerungen in diesem
Meine Damen und Herren, wir sind hier nicht auf einem Hause haben, dass wir alle an einem Strang ziehen
(B) Basar. Wir müssen mit den Mitteln, die wir im Haushalt (Zuruf der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] (D)
haben, vernünftig umgehen, und wir dürfen kein Geld
verschleudern. [SPD])

(Lachen bei Abgeordneten der SPD) und dass die Politik im Ergebnis in die richtige Richtung
geht.
Zunächst einmal müssen Projekte entwickelt werden. Es
muss klar sein, für welche Ziele das Geld eingesetzt (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
wird. neten der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Sie
werden sich für falsche Maßnahmen schon
(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Hotels!) noch Kritik gefallen lassen müssen!)
Wenn das feststeht, dann kann man darüber reden, die Jetzt rede ich auch gerne zu dem, was Frau Künast ge-
Mittel zu erhöhen. Dagegen hat niemand etwas. sagt hat: Frau Künast, ich bin mir sicher, dass Deutsch-
land mit der Bundeskanzlerin und dem Umweltminister
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Norbert Röttgen bestens aufgestellt ist.
neten der FDP – Zurufe von der SPD)
(Ulrich Kelber [SPD]: Jetzt haben Sie aber ei-
Von einem erfolgreichen Klimaschutzabkommen nen vergessen!)
kann man letztlich nur sprechen, wenn folgende Voraus-
setzungen erfüllt sind: Wenn ich eines in den letzten Wochen festgestellt habe,
dann ist das Folgendes: Sie werden immer dann laut, Sie
Erstens. Jedes Land muss absolute Emissionsreduk- werden immer dann unsachlich, wenn unser Personal gut
tionsgrenzen mitteilen. Die Entwicklungsländer müssen ist und wenn unsere Sachpolitik prima ist.
mitteilen, um welchen Prozentsatz sie ihre Emissionen
reduzieren wollen. Was nutzen uns denn Effizienzanga- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
ben? Wir wollen doch Ziele erreichen. Wir haben uns bis der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Ute
2020 bzw. 2050 Ziele gesetzt. Die bloße Aussage, die Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt
Energie effizienter einsetzen zu wollen, reicht nicht; übertreiben Sie aber! – Renate Künast
denn dann haben wir überhaupt keinen Maßstab. Hier [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe eine
muss China in jedem Fall deutlich nachbessern. Frage: Warum bin ich dann so selten laut?)
Zweitens. Die beteiligten Staaten müssen den Klima- Ich jedenfalls kann der Bundeskanzlerin – damit
schutz engagierter angehen. Ich bin der Meinung, dass komme ich auch zum Schluss; ich will ja meine Redezeit
die USA im Moment leider nicht das machen, was im nicht überziehen – und ihrem Delegationsteam alles
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 925
Detlef Seif
(A) Gute wünschen. Ich weiß, wir haben mit ihr, dem Um- Tisch legen. Sie macht ihre Position, wie es Rot-Grün (C)
weltminister und dem Delegationsteam genau die Richti- und die Große Koalition noch gemacht haben, also nicht
gen nach Kopenhagen entsandt. von dem abhängig, was andere in ein internationales Kli-
maschutzabkommen einzubringen bereit sind. Vielmehr
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
sind wir bereit, den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Pro-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zent zu reduzieren, und zwar ohne Wenn und Aber.
(Ulrich Kelber [SPD]: Ihre Fraktion hat das in
Vizepräsidentin Petra Pau: der Großen Koalition abgelehnt! Das gehört
Kollege Seif, das war Ihre erste Rede im Hohen zur Ehrlichkeit dazu!)
Hause. Wir gratulieren Ihnen dazu recht herzlich und
wünschen Ihnen viel Erfolg bei der Arbeit. Das zeigt, dass Deutschland seine Vorreiterrolle erfüllt.
(Beifall) Frau Künast, ich wäre fast vom Stuhl gefallen, als
ausgerechnet Sie ausgerechnet uns vorgeworfen haben,
Das Wort hat Kollege Andreas Jung für die Unions- wir würden beim Thema Gebäudesanierung zu wenig
fraktion. tun. Ich will daran erinnern, was die Große Koalition,
(Beifall bei der CDU/CSU) nachdem sie die rot-grüne Regierung abgelöst hat, getan
hat: Sie hat die Mittel für die Gebäudesanierung um
Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU): mehr als das Dreifache aufgestockt. Das wird jetzt fort-
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! geführt. Wir machen also bei weitem mehr als Sie da-
Es ist gut, dass die Bundeskanzlerin heute früh, bevor sie mals. Damit zeigen wir: Wir setzen uns Ziele und schrei-
selbst nach Kopenhagen aufbricht, hier im Bundestag ten auch bei der Umsetzung offensiv voran.
noch einmal eindeutig die deutsche Position in der inter- (Beifall bei der CDU/CSU)
nationalen Klimapolitik dargestellt hat. Es ist deutlich
geworden: Es handelt sich um eine ambitionierte Posi- Es ist wahr, dass jetzt die Industriestaaten in der
tion, wir nehmen eine Vorreiterrolle ein. Es ist auch Pflicht sind. Deshalb drängen wir darauf – auch die Bun-
deutlich geworden: Wir wollen den Erfolg. Sie hat auch deskanzlerin hat das heute früh getan –, dass auch die
klar gemacht: Erfolg heißt, dass es kein Zurückfallen USA ihr Angebot aufbessern und einen größeren Beitrag
hinter die Marke des 2-Grad-Ziels geben darf. Ich leisten. Wenn in Kopenhagen überall plakatiert ist:
glaube, das ist als Grundlage für diese Verhandlungen „Welcome to Hopenhagen“, dann sind damit sicherlich
ganz entscheidend. in allererster Linie die Amerikaner und Präsident Obama
gemeint; denn die gemeinsame Hoffnung ist darauf ge-
(B) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und richtet, dass die USA die Blockade der Bush-Regierung (D)
der FDP) in der Klimapolitik aufgeben und offensiv vorangehen.
Ich finde, es ist auch richtig, dass die Bundeskanzle- Frau Künast, Sie können sicher sein: Wenn Obama
rin wie viele andere Staats- und Regierungschefs selbst die Blockade aufgibt und die USA offensiv vorangehen,
nach Kopenhagen gereist ist, um sich dieses Themas an- dann werden die Tränen, die fließen, Freudentränen sein;
zunehmen. Sie zeigt damit wie ihre Kollegen: Das denn es wird Freude darüber herrschen, dass wir in einen
Thema ist Chefsache. Bisher – wir haben es in den letz- konstruktiven Wettbewerb mit den USA und anderen um
ten Tagen erleben können – verhandelt die deutsche De- die Führungsrolle unter den Industriestaaten eintreten
legation unter der Führung des Bundesumweltministers können.
mit einer drängenden Rolle, mit einer Vorreiterrolle, mit
einer konstruktiven Rolle. Das wird in Kopenhagen in Ich will zum Thema China kommen, das bereits an-
der Breite auch anerkannt. gesprochen worden ist. China versucht auf diesem Gip-
fel, sich zum Sprachrohr der Armen dieser Welt zu ma-
Die Konferenz – das haben wir heute Morgen den Ti- chen. Ich glaube, diesen Versuch können wir China, das
ckermeldungen in aller Deutlichkeit entnehmen können – zu einer Wirtschaftsmacht und zum weltweit größten
befindet sich jetzt aber in einer Phase, in der die Ver- CO2-Emittenten herangewachsen ist, nicht durchgehen
handlungen stocken und es teilweise Blockaden gibt. lassen. Vielmehr müssen wir, wie es auch die EU tut,
Deshalb ist es richtig, dass die Staats- und Regierungs- deutlich machen: Auch die Chinesen müssen am Ende
chefs den Klimaschutz als internationales Topthema zur ihren Beitrag leisten.
Chefsache machen, indem sie selber an den Verhandlun-
gen mitwirken. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
Michael Kauch [FDP])
(Beifall bei der CDU/CSU)
Das ist nicht nur unsere Position, sondern diese Position
In der Tat ist dieser Einsatz notwendig. Er zeigt, Frau wird auch von den ärmsten Entwicklungsländern unter-
Künast, dass nicht aufgegeben wird, dass die Flinte nicht stützt, gerade von den Inselstaaten, die gegenüber China
ins Korn geworfen wird. Die Kanzlerin wird auch in Ko- zum Ausdruck bringen: Wir spielen in einer anderen
penhagen deutlich machen, dass Deutschland die Vorrei- Liga, und deshalb müsst ihr euch zu eigenen Beiträgen
terrolle einnimmt, die Sie einfordern. Sie haben einen verpflichten.
Wettbewerb gefordert, in dem wir vorangehen sollen.
Diesem Wettbewerb stellt sich die Bundesregierung. Sie Darauf hinzuwirken, wird die Aufgabe der Bundesre-
wartet nicht ab, welche Reduktionsziele andere auf den gierung, aber auch der Europäischen Union sein. Beson-
926 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Andreas Jung (Konstanz)


(A) ders Deutschland und die Bundeskanzlerin drängen da- Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): (C)
rauf, dass die EU sich verpflichtet, den CO2-Ausstoß ge- Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
genüber 1990 bis 2020 um 30 Prozent zu verringern. Ich Herren! Den Letzten beißen bekanntlich die Hunde.
will deutlich sagen: Für mich ist nicht vorstellbar, dass Aber der Letzte hat die Möglichkeit, die gesamte De-
wir am Ende dieses Gipfels hinter diese Ankündigung batte etwas zusammenzufassen.
zurückfallen; denn wir müssen unserer Vorreiterrolle, die
auch die EU für sich beansprucht, gerecht werden. Es war schon sehr interessant, die verschiedenen
Standpunkte zu hören. Da gab es die grüne Märchen-
Ein weiterer Punkt ist die Finanzierung. Vonseiten stunde von Frau Künast. Man muss sich schon fragen,
der EU und der Bundesregierung gibt es ganz konkrete warum Sie diese Polemik immer wieder vorbringen.
Angebote für die kurzfristige Perspektive bis 2012. Es
wurde ganz konkret von der Bundesregierung gesagt und (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
vom Bundesumweltminister vor Ort bestätigt, dass das NEN]: Was? Heute war ich sachlich!)
Geld, das dort fließt, zusätzlich obendrauf kommt und Ich möchte kurz auf die Regierungszeit von Rot-Grün
nicht von dem Geld abgezweigt wird, das wir etwa für eingehen. Frau Künast, Sie sollten sich diese Zahlen ein-
die Armutsbekämpfung einsetzen. Das ist die entschei- mal anhören. In sieben Jahren rot-grüner Regierungszeit
dende Botschaft. wurden die Aufwendungen für die Entwicklungszusam-
(Ulrich Kelber [SPD]: Auch zusätzlich zu den menarbeit um 300 Millionen Euro gesenkt, während in
Zusagen?) der Zeit der rot-schwarzen Regierung ein Aufwuchs von
3,9 auf 5,7 Milliarden Euro zu verzeichnen war.
Herr Kelber, wenn Sie und andere jetzt sagen, man
muss das 0,7-Prozent-Ziel erfüllen und man muss noch (Ulrich Kelber [SPD]: „Rot-schwarz“ ist die
zusätzliches Geld obendrauf legen, dann verlangen Sie, richtige Reihenfolge!)
dass die neue Bundesregierung in drei Monaten mehr Ein weiterer Punkt, den die SPD geflissentlich ver-
macht als Ihre Entwicklungshilfeministerin in drei Wahl- schweigt: Der letzte Haushaltsentwurf der rot-schwarzen
perioden. Regierung vom Juni wurde an der Stelle um noch einmal
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – 44 Millionen Euro aufgestockt.
Ulrich Kelber [SPD]: Nein! Wir haben einen (Ulrich Kelber [SPD]: Nein! Nein!)
Stufenplan zugesagt! Das wissen Sie auch!)
Da kann man doch wirklich nicht davon sprechen, dass
Diesen Versuch halte ich für unredlich. Sie zünden Ne- die Regierung die Ziele der Entwicklungsarbeit aufgege-
(B) belkerzen und tragen mit diesen falschen Informationen ben hätte. (D)
dazu bei, dass nicht etwa Vertrauen wächst, das wir jetzt
dringend brauchen, sondern dass eher Misstrauen gesät (Beifall bei der CDU/CSU)
wird. Damit erweisen Sie dem Klimaschutz mit Sicher-
heit einen Bärendienst. Herr Kelber, ich komme jetzt zu Ihnen.

(Ulrich Kelber [SPD]: Das ist eine Pflichtleis- (Ulrich Kelber [SPD]: Oh ja!)
tung!) Sie sprachen davon, dass die 420 Millionen Euro, die
Deutschland zusätzlich für den Klimaschutz bereitstellen
In den nächsten Tagen wird es um Folgendes gehen:
ambitionierte Reduktionsziele und Beiträge für die Fi- möchte, Peanuts wären.
nanzierung, auch langfristige Beiträge, die die EU auf
dem Europäischen Rat in Höhe von 100 Milliarden Euro Vizepräsidentin Petra Pau:
bis 2020 gesehen hat. Wenn man sich heute früh die Äu- Kollege Lämmel, gestatten Sie eine Zwischenfrage
ßerungen Äthiopiens anschaut, dann kann man durchaus der Kollegin Koczy?
eine Bewegung aufeinander zu feststellen. Das macht
uns Hoffnung.
Andreas G. Lämmel (CDU/CSU):
Jetzt geht es darum, gemeinsam hinter der Bundes- Ja, bitte schön.
kanzlerin und dem Bundesumweltminister zu stehen.
Wir hoffen auf einen Erfolg des Gipfels in Kopenhagen. Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Er darf nicht scheitern.
Herr Kollege Lämmel, weil es jetzt um die Finanzie-
Herzlichen Dank. rung der Entwicklungszusammenarbeit geht, möchte ich
Sie fragen: Ist Ihnen bekannt, dass Deutschland auch un-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ter der Bundeskanzlerin Angela Merkel bereit war, zuzu-
neten der FDP) sagen, die Entwicklungsgelder auf 0,51 Prozent des
Bruttonationaleinkommens im Rahmen des europäi-
Vizepräsidentin Petra Pau: schen Stufenplans aufzustocken, und dass Sie mit dieser
Das Wort hat der Kollege Andreas Lämmel für die von Ihnen angesprochenen Aufstockung um 44 Mil-
Unionsfraktion. lionen Euro weit darunterliegen? Wahrscheinlich werden
stattdessen bis 2010 3 Milliarden Euro in dem entspre-
(Beifall bei der CDU/CSU) chenden Haushalt fehlen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 927

(A) Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Die anderen haben sich teilweise sehr bemüht, weitere (C)
Verehrte Kollegin, mit den Quoten ist es immer so haben sich heimlich vom Acker gemacht. Wir brauchen
eine Sache. Für mich ist die Frage der Quantität noch hier ein klares Ranking, das im Internet veröffentlicht
lange nicht entscheidend für die Qualität. wird, sodass jeder sehen kann, welche Verpflichtungen
eingegangen und welche Verpflichtungen erfüllt worden
(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ sind.
DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Ulrich
Kelber [SPD]) Das Zweite ist die Transparenz der Geldflüsse. Ich
habe es schon gesagt: Es ist kein Wert an sich, über Mil-
– Herr Kelber, wir reden über Steuergeld. Es ist nicht Ihr lionen zu sprechen. Auch mir gehen 500 Millionen oder
Geld, sondern es ist das Geld der Steuerzahlerinnen und Milliarden schnell über die Lippen. Die Frage ist, wofür
Steuerzahler in Deutschland. das Geld mit welcher Effizienz eingesetzt wird. Hier
brauchen wir Transparenz. Wir müssen wissen, um was
(Ulrich Kelber [SPD]: Das ist eine Zusage Ih- es überhaupt geht, welche Projekte damit finanziert wer-
rer Kanzlerin gewesen!) den können und ob dieses Geld dort ankommt, wo es sei-
Bundeskanzlerin Merkel regiert immer noch. Das mag nen Effekt erzielen soll.
Ihnen zwar nicht gefallen; aber sie wird zu den Zusagen Das dritte Thema ist die Wettbewerbsneutralität. Es
stehen. ist klar, dass wir in Deutschland gewaltig in Vorleistung
Man muss natürlich sehen, dass auch in Deutschland gegangen sind. Wir haben schon große Probleme zum
und Europa die Haushaltslage aufgrund der Wirtschafts- Beispiel bei der stromintensiven Industrie, nämlich eine
und Finanzkrise nicht besser geworden ist. Insofern erin- Belastung des Strompreises durch Sie, Herr Kelber; Sie
nere ich Sie nur an Ihre Regierungszeit. Sie haben die sind ganz vorn mit dabei.
Mittel immer weiter gesenkt, während wir sie in den (Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben aber lange
letzten Jahren immer weiter angehoben haben. gebraucht, um sich das aufzuschreiben!)
(Beifall bei der CDU/CSU – Ulrich Kelber Wenn die stromintensive Industrie in andere Länder
[SPD]: Solange wir dabei waren, schon!) zieht und vielleicht Arbeitsplätze in Entwicklungsländer
exportiert, dann steigen bei uns in Deutschland die So-
Herr Kelber, jetzt zu Ihren 420 Millionen Euro, die ziallasten.
zumindest Ihrer Meinung nach Peanuts sind.
Sie sollten sich eines vor Augen halten: Wenn die
(Ulrich Kelber [SPD]: Das ist Ihre Wortwahl!) Leistungsfähigkeit Deutschlands nicht so stark wäre, wie
sie ist – das ist der deutschen Wirtschaft zu verdanken –,
(B) Auch das ist Steuergeld; das muss man immer wieder sa- dann bräuchten wir uns doch überhaupt nicht über die (D)
gen. Es muss erst einmal erwirtschaftet und erarbeitet
werden, bevor wir mit einem lausigen Federstrich Milliarden zu unterhalten, die wir für diese Programme
420 Millionen Euro zusätzlich ausgeben können. zur Verfügung stellen können. Deswegen müssen wir die
Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft erhalten
Außerdem ist es scheinheilig, was Sie hier betreiben; und die Arbeitsplätze in Deutschland sichern. Daher gilt
denn Sie sagen nicht, dass die Aufwendungen Deutsch- es, im Rahmen des Klimaschutzabkommens gleiche
lands für Klimaschutzmaßnahmen ein Vielfaches dieses Wettbewerbsbedingungen überall in der Welt zu garan-
Betrages ausmachen. Sie verschweigen zum Beispiel, tieren.
dass die Verbraucher in Deutschland allein rund 27 Mil-
liarden Euro aufbringen müssen, um im Rahmen der (Beifall bei der CDU/CSU – Ulrich Kelber
Energiewende den Solarstrom zu bezahlen. Mit diesen [SPD]: Das ist die echte Umweltpolitik von
27 Milliarden Euro leisten die deutschen Verbraucher CDU/CSU! So denken Sie! End of Pipe!)
– die Privatverbraucher genauso wie die Wirtschaft – Die vorhin genannten Kriterien gelten für uns. Wenn
Entwicklungshilfe für China und Japan, weil der deut- weltweit die gleichen Bedingungen eingehalten werden,
sche Markt mittlerweile zumindest zu 50 Prozent von dann entwickelt sich aus der Klimaschutzkonferenz ein
asiatischen und damit auch chinesischen Solarmodulen Erfolg.
beherrscht wird. Das haben Sie in Gang gesetzt.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
Für uns gelten drei Kriterien, die außerordentlich
wichtig sind, wenn man den Erfolg der Klimaschutzkon- Vizepräsidentin Petra Pau:
ferenz in Kopenhagen messen will: Das Wort zu einer Kurzintervention hat die Kollegin
Das Erste ist die Nachprüfbarkeit der Ziele. Da- Wieczorek-Zeul.
rüber wurde heute schon diskutiert; dies ist enorm wich-
tig. Denn es spricht leider keiner mehr davon, dass Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Deutschland eines der wenigen Länder in der Welt über- Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe mich in
haupt ist, das die im Rahmen des Kioto-Protokolls ein- den Diskussionen der letzten Wochen zurückgehalten.
gegangenen Verpflichtungen annähernd erfüllt hat.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist auch gut
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) so!)
928 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Heidemarie Wieczorek-Zeul
(A) Aber da heute Morgen immer wieder Zahlen genannt gen sind. Es bleibt festzuhalten, dass die Mittel in der (C)
worden sind, die verwirrend und falsch sind, will ich da- Endphase der rot-grünen Koalition gekürzt wurden.
ran erinnern, wie der Stufenplan zur Steigerung der Mit-
(Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD]: Nein!
tel für die Entwicklungszusammenarbeit entstanden ist.
Das stimmt nicht!)
Das 0,7-Prozent-Ziel ist zum ersten Mal in den 70er-Jah-
ren festgelegt worden, aber ohne jede zeitliche Festle- Es bleibt festzuhalten, dass das Ausgabevolumen im
gung, ohne einen Stufenplan, wie die Mittel gesteigert neuen Haushaltsentwurf der schwarz-gelben Koalition
werden sollen. gegenüber dem Haushaltsentwurf der Großen Koalition
um weitere 44 Millionen Euro gesteigert worden ist.
Es gibt nur eine vergleichbare Zahl: Official Develop-
ment Assistance. Diese Quote wird von der OECD (Beifall bei der CDU/CSU – Heidemarie
gemessen und ist für alle Länder vergleichbar. Am Ende Wieczorek-Zeul [SPD]: Nein!)
der Regierungszeit von Helmut Schmidt lag diese Zahl
bei 0,48 Prozent. Im Jahr 1998, am Ende der Regie- Vizepräsidentin Petra Pau:
rungszeit von Helmut Kohl, lag der Wert bei 0,26 Pro- Zu einer weiteren Kurzintervention hat der Kollege
zent. Dirk Niebel das Wort.
Das ist der Stand, den ich im Jahr 1998 als neue Ent-
wicklungsministerin vorgefunden habe. Im Jahr 2001, Dirk Niebel (FDP):
unter sozialdemokratischer Regierungsführung von Sehr geehrter Kollege, um die Verwirrung aus der De-
Gerhard Schröder, haben wir zum ersten Mal einen Stu- batte zu nehmen, möchte ich Folgendes feststellen: Das
fenplan entwickelt. Dadurch sind überhaupt erst Steige- 0,7-Prozent-Ziel ist im Koalitionsvertrag vereinbart.
rungen zustande gekommen. Damals wurde gesagt, dass Die Frau Bundeskanzlerin hat in der Regierungserklä-
die Zahl bis 2005 EU-weit auf 0,33 Prozent steigen soll; rung hier in diesem Hause festgestellt, dass bis zum
das haben wir erreicht. Im Mai 2005, auch noch in Jahre 2012 das 0,7-Prozent-Ziel erreicht werden soll.
Gerhard Schröders Regierungszeit, wurde der EU-Stu-
fenplan festgelegt. Er sieht für den Zeitraum bis 2010 (Zurufe von der SPD: 2012? – Axel Schäfer
eine Steigerung der Zahl auf 0,51 Prozent vor; bis 2015 [Bochum] [SPD]: Schon wieder neue Zahlen!)
soll die Quote auf 0,7 Prozent steigen. Wir werden nun Sie hatte darüber hinaus festgestellt, dass Entwicklungs-
im Jahr 2009 – so wird vermutet – einen Wert von etwa zusammenarbeit keine Neben-, sondern eine Hauptsache
0,41 Prozent erreichen. für die neue Bundesregierung ist.
Ich lege Wert darauf: Die Steigerung der Ausgaben Es bleibt festzustellen, dass die erreichte Quote im
(B) für Entwicklungszusammenarbeit ist maßgeblich unter Jahre 2008 bei 0,38 Prozent lag, im Jahr 2009 vermutlich (D)
sozialdemokratischem Einfluss erfolgt. bei 0,37 Prozent liegen wird und das Ausgabevolumen im
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Haushaltsentwurf der neuen Bundesregierung für den
Einzelplan 23 – Ministerium für wirtschaftliche Zusam-
Sie ist schrittweise erfolgt, gemäß dem Stufenplan, der menarbeit und Entwicklung – im Vergleich zum letzten
jetzt von anderen gebrochen wird. Haushaltsentwurf der Großen Koalition unter dem so-
(Beifall bei der SPD) zialdemokratischen Finanzminister Peer Steinbrück wei-
terhin anwächst, und zwar um 44 Millionen Euro Barmit-
Das ist die Wahrheit; diese sollte einfach zur Kenntnis tel zusätzlich.
genommen werden.
Das ist weniger, als wünschenswert ist. Vor dem Hin-
(Ulrich Kelber [SPD]: Das sind Fakten! Da tergrund der größten Wirtschafts- und Finanzkrise ist es
kann man nicht dran vorbeireden!) aber ein deutliches Signal, dass die entwicklungspoliti-
sche Zusammenarbeit für die neue Bundesregierung von
Vizepräsidentin Petra Pau: hohem Stellenwert ist. Sie wird auch in Zukunft mit die-
Sie haben das Wort zur Erwiderung. sem hohen Stellenwert betrachtet.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Andreas G. Lämmel (CDU/CSU): Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Der Staatssekre-
Meine Damen und Herren! Es ist jetzt eine wilde Auf- tär von Westerwelle!)
rechnerei in Gang gekommen,
(Ulrich Kelber [SPD]: Offizielle Zahlen! – Ge- Vizepräsidentin Petra Pau:
genruf des Abg. Dr. Christian Ruck [CDU/ Sie haben das Wort zur Erwiderung.
CSU]: Zuhören, Herr Kelber!)
Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
die im Übrigen von Ihrer Rednerin begonnen wurde.
Eigentlich ist es nicht an mir, die Vertreter der jetzi-
Keiner im Publikum kann überhaupt nachvollziehen,
gen Regierungsmehrheit daran zu erinnern, was in ihrem
was Sie hier alles darstellen.
Koalitionsvertrag steht. Im Koalitionsvertrag steht
Es bleibt festzuhalten, dass die Aufwendungen für nämlich weder ein Zeitziel noch irgendein Stufenplan
die Entwicklungszusammenarbeit in der Zeit der Gro- für die Steigerung der Mittel für die Entwicklungszu-
ßen Koalition von 3,9 auf 5,7 Milliarden Euro angestie- sammenarbeit. Entweder nehmen Sie den Koalitionsver-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 929
Heidemarie Wieczorek-Zeul
(A) trag nicht ernst oder Sie haben sich nicht ausreichend um b) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD ein- (C)
das Thema gekümmert. gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Regelung der gemeinsamen Aufgabenwahr-
Ich will aus meiner eigenen Erfahrung nur sagen – ich nehmung in der Grundsicherung für Arbeitsu-
weiß, dass es manchmal sehr schwierig war –: Das Ein- chende
zige, was zählt, sind nicht allgemeine Erklärungen, son-
dern Koalitionsverträge und entsprechende Stufenpläne, – Drucksache 17/181 –
die festgelegt sind. Wenn es schwierig wird, sind sie Überweisungsvorschlag:
nämlich der Referenzpunkt in der Auseinandersetzung Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
mit dem Finanzminister. Innenausschuss
Rechtsausschuss
Sie haben bei diesen Fragen keinen Schwerpunkt Finanzausschuss
gesetzt und nicht aufgepasst, dass das entsprechend ver- Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
ankert wird. c) Erste Beratung des von den Abgeordneten
(Dirk Niebel [FDP]: Sie doch auch nicht!) Brigitte Pothmer, Katrin Göring-Eckardt, Markus
Kurth, weiteren Abgeordneten und der Fraktion
Das wird sich rächen. Es tut mir leid, dass wir uns jetzt BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent-
und hier darüber auseinandersetzen müssen, aber ich wurfs eines … Gesetzes zur Änderung des
finde, Sie sollten Ihre Fehler auch einräumen. Grundgesetzes – Ausführung von Bundesge-
setzen auf dem Gebiet der Grundsicherung für
(Beifall bei der SPD) Arbeitsuchende (Artikel 87 g und 125 d)
– Drucksache 17/206 –
Vizepräsidentin Petra Pau:
Überweisungsvorschlag:
Zur gerade entstandenen Verwirrung: Ich empfehle Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
uns allen, die Regeln zum Thema Kurzintervention und Innenausschuss
die Gründe, wann man zu einem solchen Mittel greifen Rechtsausschuss
kann, nachzulesen. Es geht einerseits um persönliche Finanzausschuss
Ansprache, andererseits um Auseinandersetzungen mit Haushaltsausschuss
Positionen. Insofern war es sicherlich möglich, der Kol- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
legin Wieczorek-Zeul die Möglichkeit zur Erwiderung die Aussprache anderthalb Stunden vorgesehen. – Ich
zu geben. Es wäre auch möglich gewesen, anderen die höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Möglichkeit einzuräumen.
(B) Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege (D)
Ich schließe die Aussprache. Hubertus Heil für die SPD-Fraktion.
Wir kommen zu den Zusatzpunkten 2 bis 5. Interfrak-
tionell wird die Überweisung der Vorlagen auf den Hubertus Heil (Peine) (SPD):
Drucksachen 17/271, 17/260, 17/246 und 17/235 an die Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wo sind die alle?
Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Eigentlich ist es ja ein interessantes Thema für
die SPD! – Gegenruf der Abg. Ute Kumpf
Die Fraktion Die Linke hat einen Antrag auf Unter- [SPD]: Wir verstecken uns! Sind Sie nicht so
brechung unserer Sitzung zum Zwecke einer Fraktions- ausfällig, Herr Kolb!)
sitzung gestellt. Ich unterbreche die Sitzung für circa
– Ach, das ist billig, Herr Kolb.
30 Minuten.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wo ist die SPD?
(Unterbrechung von 11.41 bis 12.15 Uhr)
Mit Ihnen sind es drei Abgeordnete, Herr
Heil!)
Vizepräsidentin Petra Pau:
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. – Herr Kolb, wenn Sie sonst nichts zu lachen haben in
Ihrer Koalition, ist das vielleicht ein ganz guter Anlass.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a bis 7 c auf:
Es geht hier heute um ein ernsthaftes Thema. Es geht
a) Erste Beratung des von der Fraktion der SPD ein- – Frau Ministerin von der Leyen, ich freue mich, dass
gebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur zumindest Sie auf der Regierungsbank sind – um die
Änderung des Grundgesetzes (Artikel 86 a Frage, wie wir in einem Jahr, 2010/2011, in dem die
und 125 d) Massenarbeitslosigkeit droht zu steigen, in dem viele
Menschen nicht mehr Arbeitslosengeld I, sondern Ar-
– Drucksache 17/182 – beitslosengeld II beziehen, mit der Arbeitsverwaltung,
Überweisungsvorschlag: der Arbeitsvermittlung in diesem Lande umgehen. Frau
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f) von der Leyen, in diesem Zusammenhang ist mir ange-
Innenausschuss
Rechtsausschuss
sichts Ihres Auftrittes vor der Presse am Montag nach
Finanzausschuss der ASMK, nach der Arbeits- und Sozialministerkonfe-
Haushaltsausschuss renz, das schöne alte Lied von Herbert Grönemeyer und
930 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Hubertus Heil (Peine)


(A) den Fantastischen Vier eingefallen, in dem es heißt: Es abzusichern. Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Wir sind so- (C)
könnte alles so einfach sein, ist es aber nicht. gar bereit, mit Ihnen über eine moderate Erhöhung der
Zahl der Optionskommunen zu sprechen.
Worum geht es? Es geht darum, dass wir Ihnen heute
einen Gesetzentwurf vorschlagen, durch den erreicht (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das steht aber
werden soll, dass es in Zeiten steigender Arbeitslosigkeit nicht in Ihrem Gesetzentwurf!)
nicht zu einem Chaos in der Arbeitsmarktpolitik zulasten
von Langzeitarbeitslosen kommt. – Ja. Das ist ein Gesprächsangebot, das Sie bitte zur
Kenntnis nehmen.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Da liegt doch
schon Staub drauf!) Ich habe mit einer Reihe von CDU-Landräten gespro-
chen. Ich kenne den einstimmigen Beschluss des Nieder-
Deshalb bitte ich darum, dass Sie einmal mit Ihren Land- sächsischen Landtages – wir kommen beide aus Nieder-
räten reden, sachsen, Frau von der Leyen –, in dem genau dies ge-
(Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: Reden Sie wünscht wird: nämlich dass dafür gesorgt wird, dass es
mal mit Ihren!) keine getrennte Aufgabenwahrnehmung gibt, sondern
eine Zusammenarbeit im Interesse der arbeitslosen Men-
mit den Jobcentern, mit Ihren Arbeitsministern und sich schen. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Die Verunsi-
ein altes Motto von Sir Karl Popper zu Gemüte führen, cherung der Menschen, die in der Arbeitsvermittlung ar-
nämlich dass gute Politik nichts anderes ist als pragmati- beiten, die Verunsicherung der in den Kommunen
sches Handeln zu sittlichen Zwecken. Tätigen und vor allen Dingen die Verunsicherung der ar-
beitslosen Menschen sind eine Katastrophe.
Wir präsentieren Ihnen heute einen Gesetzentwurf,
der schon einmal Konsens war zwischen der damaligen (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie haben doch
Bundesregierung und allen Bundesländern. Er hat das schon zwei Jahre verloren! Das war Ihre Ver-
Ziel, die Verfassung zu ändern, um Zentren für Arbeit antwortung!)
und Grundsicherung zu schaffen. Wir wollen nicht zu-
lassen, dass in diesen Zeiten mit Langzeitarbeitslosen – Herr Kolb, danke für Ihren Zwischenruf. Ich sage Ih-
Pingpong gespielt wird. Wir wollen und brauchen Hilfe nen: Wir hatten schon einmal eine Lösung.
aus einer Hand. Machen Sie den Weg dafür frei! (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Knapp vorbei ist
(Beifall bei der SPD) auch daneben!)

Das gilt auch für die Absicherung der 69 Options- Olaf Scholz hat eine Lösung organisiert, die mit allen
kommunen. Wir sind bereit, das Grundgesetz zu ändern, Ländern besprochen war. Blockiert wurde sie von der
(B) CDU/CSU-Bundestagsfraktion. (D)
um dies zu ermöglichen. Frau von der Leyen, Sie wis-
sen sehr gut, dass es viele verfassungsrechtliche Be- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
denken dagegen gibt, die Entfristung in Bezug auf die der LINKEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]:
69 Optionskommunen untergesetzlich oder gesetzlich zu Knapp vorbei ist auch daneben! – Zuruf von
organisieren und nicht durch eine Grundgesetzänderung. der CDU/CSU: Gott sei Dank!)
Reden Sie mit dem Deutschen Landkreistag, reden Sie
mit den Landräten von SPD und CDU bzw. CSU in Frau von der Leyen, ich wünsche Ihnen für Ihre Ar-
Deutschland darüber, welche Zunahme an Bürokratie beit mehr Popper und weniger Kauder. Es geht nämlich
und Kosten zulasten der Kommunen es geben würde, um pragmatisches Handeln, nicht um die Ideologie der
wenn die getrennte Aufgabenwahrnehmung, die Sie konservativen Führung der CDU/CSU-Bundestagsfrak-
wollen, Wirklichkeit würde. Ihr Vorschlag, nicht mehr tion. Ich erinnere daran, dass Herr Rüttgers und Herr
Hilfe aus einer Hand, sondern Hilfe unter einem Dach zu Laumann durch die Arbeit dieser CDU/CSU-Bundes-
organisieren, funktioniert deshalb nicht, weil es in dieses tagsfraktion im letzten Jahr geradezu blamiert wurden.
Dach, auch verfassungsrechtlich, reinregnet. Deshalb (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Wider-
kann ich nur sagen: Frau von der Leyen, kommen Sie spruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)
zurück auf einen vernünftigen Weg!
Es gab einen Konsens, den Herr Rüttgers, Herr Beck und
(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Peter Herr Scholz ausgearbeitet hatten.
Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU])
(Anton Schaaf [SPD], an die CDU/CSU ge-
Wir als SPD-Bundestagsfraktion werden Ihnen, wenn wandt: So ist das! Das ist nur an euch geschei-
Sie dazu bereit sind, alle Unterstützung geben, weil wir tert!)
in vielen Kommunen Verantwortung tragen und auch als
Oppositionsfraktion Verantwortung für die Menschen in Wir machen Ihnen diesen Vorschlag in der Hoffnung,
diesem Land, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, dass Sie im Januar nächsten Jahres zu Potte kommen.
spüren. Ihre Eckpunkte stoßen auf keinerlei Akzeptanz.
Unser Vorschlag ist dreistufig. Wir sind bereit, die Frau von der Leyen, eines kann ich Ihnen nicht erspa-
Zusammenarbeit zwischen Arbeitsverwaltung und Kom- ren: Nachdem Sie von den Arbeits- und Sozialminis-
munen dadurch verfassungsrechtlich abzusichern, dass tern der Länder zweimal eine Klatsche bekommen ha-
wir Zentren für Arbeit und Grundsicherung organisieren. ben – einmal gab es einen fast einstimmigen Beschluss,
Wir sind bereit, das Optionsmodell verfassungsrechtlich mit dem sie sich im Grundsatz dagegen aussprachen; am
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 931
Hubertus Heil (Peine)
(A) vergangenen Montag haben sie Anforderungen formu- Sie in der Substanz nichts zu Ihrem Gesetzentwurf ge- (C)
liert, die sich nicht mit Ihren Eckpunkten decken –, stell- sagt.
ten Sie sich vor die Presse und sagten: Ich habe mich
Das Zentrum für Arbeit und Grundsicherung ist
durchgesetzt. Alles ist in Ordnung. – Hier gilt Helmut
aber etwas völlig anderes als die Arge. Zu dieser Er-
Kohls Aussage: Die Realität ist anders als die Wirklich-
keit. – Diesen Satz hat der Mann einmal gesagt, und an kenntnis kommt man schon allein aufgrund der Tatsa-
che, dass die Arge bzw. § 44 b SGB II als verfassungs-
diesem Punkt können wir diesen Satz beweisen.
widrig eingestuft worden ist. Wäre beides das Gleiche,
Ich bitte Sie ganz herzlich, nicht kleinkariert und par- wäre das ZAG logischerweise auch verfassungswidrig.
teitaktisch zu denken nach dem Motto: Wir wollen die
Was Sie hier tun, ist: Sie bauen eine Bürokratie son-
Sozis nicht einbeziehen. – Wir brauchen eine Lösung,
dergleichen auf
die verfassungsfest ist, die den Lebensrealitäten der
Menschen und den Bedürfnissen der Kommunen ent- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Unglaublich! –
spricht. Deshalb legen wir Ihnen heute einen Gesetzent- Mechthild Rawert [SPD]: Das sagen ausge-
wurf vor, in dem zwei Grundgesetzänderungen vorgese- rechnet Sie!)
hen sind. Wir wollen die Zentren für Arbeit und
Grundsicherung ein für alle Mal absichern, damit nicht mit schätzungsweise 350 neuen Behörden,
am 1. Januar 2011 in Zeiten steigender Massenarbeitslo- (Ute Kumpf [SPD]: Warum übertreiben Sie
sigkeit Chaos ausbricht. denn so maßlos?)
(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) neuen Verwaltungsstrukturen, neuen Haushaltsverant-
Sie stehen jetzt in der Verantwortung. Seien Sie bei die- wortungen, neuen Personalbedarfen.
sem Thema klüger als Herr Jung – er hatte nicht viel (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Doppelte Be-
Zeit –, scheide und doppelte Bürokratie – das ist
CDU-Politik!)
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
Das dient weder den Interessen der Beschäftigten vor
und gehen Sie einen vernünftigen Weg. Wenn man sich
Ort, die gegenwärtig in einer Arge oder einer Options-
verlaufen hat, ist es keine Schande, dies einzugestehen
kommune beschäftigt sind, noch dient es den Interessen
und umzukehren. Wir laden Sie herzlich dazu ein.
derer, die sich gegenwärtig im ALG-II-Bezug befinden.
Herzlichen Dank.
(Mechthild Rawert [SPD]: Ich hoffe, Sie wa-
(Beifall bei der SPD) ren auch mal vor Ort!)
(B) (D)
Sie haben den Beschluss der CDU/CSU-Bundestags-
Vizepräsidentin Petra Pau: fraktion vom 13. März 2009, wenn ich das Datum richtig
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege Thomas im Kopf habe, erwähnt. Ich bitte um Verständnis, aber
Dörflinger das Wort. ich muss Ihnen sagen: Ich bin stolz darauf, dass wir den
Scholz-Entwurf seinerzeit abgelehnt haben.
(Beifall bei der CDU/CSU)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Thomas Dörflinger (CDU/CSU): Ute Kumpf [SPD]: Das sieht Ihr Kollege
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Laumann in NRW aber anders! – Mechthild
Kollegen! Meine Damen und Herren! Herr Kollege Heil, Rawert [SPD]: Genau! Ganz viele sehen das
vor dem Hintergrund der Tatsache, dass Sie heute in ers- anders als Sie! – Ute Kumpf [SPD]: Die CDU-
ter Lesung einen Gesetzentwurf einbringen, hätte ich er- Minister sehen das anders!)
wartet, dass Sie auch etwas zu Inhalt und Struktur dieses Ich habe nämlich an dem Freitag nach dieser Sitzungswo-
Gesetzentwurfes sagen, che mit dem Landrat in meinem Wahlkreis – Waldshut –
gesprochen. Tilman Bollacher hat mir gesagt – rufen Sie
(Mechthild Rawert [SPD]: Wir erwarten ja,
ihn an! –: Gott sei Dank habt ihr es abgelehnt. Wir halten
dass Sie das lesen! – Anton Schaaf [SPD]: Im
das für keinen zukunftsfähigen Weg.
Kern war das doch schon mal vereinbart!)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
statt die Ihnen zur Verfügung stehenden sechs Minuten
Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Reden Sie da-
für persönliche Angriffe auf die Ministerin zu nutzen.
rüber einmal mit dem Deutschen Landkreis-
Das war wenig überzeugend.
tag!)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
– Ich habe mit dem Deutschen Landkreistag geredet; das
neten der FDP)
liegt keine drei Tage zurück.
Ich habe einen Verdacht, weshalb das so und nicht an-
(Ute Kumpf [SPD]: Na so was! Haben Sie
ders geschehen ist, und habe mich an einen Werbespruch
kein so gutes Gedächtnis, zu behalten, was
für einen Schokoriegel erinnert. Vor ungefähr 15 Jahren
man Ihnen gesagt hat?)
hieß es: „Raider heißt jetzt Twix, sonst ändert sich nix.“
Sie wollen uns hier weismachen, die Arge heißt zukünf- Da war wenig Gegenliebe für den von Ihnen vorgelegten
tig ZAG, und sonst ändert sich nichts. Deswegen haben Gesetzentwurf spürbar.
932 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Thomas Dörflinger
(A) Ich sehe durchaus die Berührungspunkte mit dem, – Ich sage gleich dazu, dass wir als CDU/CSU-Bundes- (C)
was der Deutsche Landkreistag vertritt, und ich will da- tagsfraktion ebenfalls Gesprächsbedarf sehen. – Im Kern
rauf auch zurückkommen; aber zunächst noch einmal zu hat Professor Henneke den Vorschlag allerdings für eine
Ihrem Gesetzentwurf und zu dem, was an neuer Büro- tragfähige Grundlage für die weitere Beratung gehalten.
kratie und neuer Verwaltung entstünde. Schauen wir ein- Dass die SPD-Bundestagsfraktion auch für eine maß-
mal in den Gesetzentwurf hinein! volle Erweiterung der Anzahl der Optionskommunen
(Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD] meldet eintritt, ist völlig neu und steht weder im Gesetzentwurf,
sich zu einer Zwischenfrage) noch war es Gegenstand der Beratungen.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sind Sie dafür
Vizepräsidentin Petra Pau: oder nicht? – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/
Bitte schön. – Kollege Heil hat das Wort zu einer DIE GRÜNEN]: Es ist doch gut! Begrüßen Sie
Zwischenfrage. das doch!)
– Frau Pothmer, immer mit der Ruhe! Ich habe das doch
Hubertus Heil (Peine) (SPD): gar nicht kritisiert.
Sehr geehrter Kollege Dörflinger, danke, dass Sie (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
meine Zwischenfrage zulassen. NEN]: Es ist doch schön, wenn die Sozialde-
mokraten mal was Neues zu bieten haben!)
Mit Ihrer Genehmigung, Frau Präsidentin, zitiere ich
aus einem Brief des Niedersächsischen Landkreistages Ich habe nur gesagt, dass es völlig neu ist. Wenn das tat-
an den niedersächsischen Ministerpräsidenten Wulff: sächlich substanziell so gemeint ist, dann können wir
gern darüber reden.
Der MK-Beschluss vom 25./26.11., dem auch Nie-
der-sachsen zugestimmt hat, bietet die Chance, eine (Beifall der Abg. Brigitte Pothmer [BÜN-
breite Mehrheit der Länder für eine Verfassungsän- DNIS 90/DIE GRÜNEN] – Brigitte Pothmer
derung für ein Argen-Nachfolgemodell zu gewin- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bravo! Wir
nen. Nachdem da-rüber hinaus erste Signale er- leben wieder!)
kennbar sind, dass bei der SPD-Bundestagsfraktion Ich fürchte bloß, dass das ein Windei ist.
auch Gesprächsbereitschaft für eine moderate Aus-
weitung der Option besteht, möchten wir im Namen Herr Kollege Heil, lassen Sie mich noch einmal auf
unserer Mitglieder eindringlich bitten, sich aktiv für den Beschluss vom 13. März zurückkommen. Wir befin-
eine zukunftsgerichtete, befriedende und der sozial- den uns in unserer Skepsis gegenüber dem seinerzeitigen
(B) politischen Verantwortung von Bund, Ländern und Gesetzentwurf aus dem Hause Scholz in guter Gesell- (D)
schaft; denn in einem Eckpunktepapier des Bundesmi-
Kommunen gerecht werdende Lösung einzusetzen.
nisteriums für Arbeit und Soziales vom 23. September
Können Sie bestätigen, dass das ein einstimmiger Be- 2008 – auch damals war Olaf Scholz schon Chef in je-
schluss des Niedersächsischen Landkreistages ist, dass nem Hause – heißt es:
also die kommunale Front vollständig gegen das steht, Dieser Ansatz
was Sie da vorhaben? Der Deutsche Landkreistag, der
Deutsche Städte- und Gemeindebund und der Deutsche – das Zentrum für Arbeit und Grundsicherung –
Städtetag sind nicht Ihrer Meinung. Sie haben uns bisher wird … abgelehnt.
auch noch nicht erläutert, was Ihr Modell sein soll. Was
Sie anbieten, ist Chaos zulasten der Arbeitslosen, Herr Zur Begründung heißt es:
Dörflinger. Entscheidender Nachteil bei einer vollständigen Ei-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten genständigkeit der ZAG wäre die Kleinteiligkeit
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) des Verwaltungshandelns, wenn Fragen wie die der
Personalbewirtschaftung, der Haushaltsplanung und
der Liegenschaftsverwaltung dezentral in 370 Ein-
Thomas Dörflinger (CDU/CSU): heiten zu regeln wären, was insgesamt ineffizient
Zunächst einmal will ich der guten Ordnung halber wäre.
bestätigen, dass es diesen einstimmigen Beschluss gege-
Das war, wie gesagt, schon im September 2008 die Ein-
ben hat.
schätzung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozia-
Was die – wenn Sie mir diesen martialischen Sprach- les. Die Einschätzung, dass Ihr Vorschlag nicht praktika-
gebrauch erlauben – „Gefechtslage an der kommunalen bel ist, ist also keine Erfindung der CDU/CSU-
Front“ angeht, nehme ich Bezug auf ein Gespräch mit Bundestagsfraktion, sondern wird offensichtlich vom fe-
dem Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreista- derführenden Hause geteilt.
ges von vor drei Tagen. Professor Henneke hat in diesem Ich will ein Wort dazu sagen, wie wir uns die Eck-
Gespräch ausdrücklich erklärt, dass er bei dem vom punkte der Neukonzeption des SGB II vorstellen. Das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit dem Ministerium hat ein Eckpunktepapier vorgelegt. In eini-
Eckpunktepapier skizzierten Weg an der einen oder an- gen Punkten dieses Eckpunktepapiers stimmen wir über-
deren Stelle noch Gesprächsbedarf sieht. ein, zu einigen Punkten haben wir noch Gesprächsbedarf.
(Zurufe von der SPD: Aha!) (Zurufe von der SPD: Aha!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 933
Thomas Dörflinger
(A) Erstens. Richtig ist – hierüber herrscht wohl großer (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja, das haben (C)
Konsens in diesem Hause –, dass wir für eine Entfris- wir schon!)
tung bei den bestehenden 69 Optionskommunen eintre-
ten. denn ich gehe davon aus, dass die 171 Landräte nicht nur
die Landräte der Union und der FDP sind, sondern dass
(Beifall bei der FDP – Hubertus Heil [Peine] auch sozialdemokratische Landrätinnen und Landräte
[SPD]: Das unterschreibt nicht mal der Bun- dabei sind, die von Ihnen an dieser Stelle ein konstrukti-
despräsident! Das wissen Sie!) ves Verhalten erwarten. Dieser Erwartung schließen wir
uns an.
Zweitens. Wir wollen die Leistungen so gut wie mög-
lich – soweit dies das Urteil des Bundesverfassungsge- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
richts vom 20. Dezember 2007 hergibt – aus einer Hand, Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie haben Angst
zumindest aber unter einem Dach organisieren. Ich vor einer getrennten Aufgabenwahrnehmung!
glaube, dass das auch ohne eine Grundgesetzänderung Das ist die Wahrheit!)
möglich ist. Ich sage dazu: Das ist ein kritischer Punkt im Hin-
(Mechthild Rawert [SPD]: Glauben ist nicht blick auf das Eckpunktepapier des BMAS. Wenn wir die
Wissen!) Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts umsetzen – ge-
trennte Aufgabenwahrnehmung, nach Möglichkeit unter
Ich sage an dieser Stelle: Ich will die Möglichkeit einer einem Dach –, dann erwarten wir ein Begegnen von
Grundgesetzänderung nicht für alle Tage ins Nirwana Kommune und Bundesagentur für Arbeit auf Augen-
verweisen. Ich schlage keine Tür zu, Frau Pothmer, auch höhe.
vor dem Hintergrund des heute vorgelegten Gesetzent-
wurfs von Bündnis 90/Die Grünen nicht, der, wenn ich (Mechthild Rawert [SPD]: Ach herrje!)
richtig orientiert bin, nicht Gegenstand der Debatte ist. Ohne zu sehr ins Detail einzusteigen, sage ich: Durch die
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vorgaben, die auch in der dritten Version des Eckpunkte-
NEN]: Doch!) papiers geliefert werden, wird noch nicht das erreicht,
was wir uns als CDU/CSU-Bundestagsfraktion unter ei-
Er traf erst gestern Abend bei mir ein. Ich hatte noch nem Begegnen auf Augenhöhe vorstellen.
keine Gelegenheit, ihn mir intensiv anzuschauen. Bei ei-
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wie viele Ver-
nem ersten kursorischen Durchsehen habe ich nur ge-
sionen brauchen Sie denn noch?)
wisse Unterschiede zu dem gesehen, was uns die Sozial-
demokraten vorgelegt haben. Hier herrscht noch Nachbesserungsbedarf; das will ich
(B) ausdrücklich sagen. (D)
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Sehr richtig!) (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nicht nur da!)
Ich sage von dieser Stelle aus zu diesem Zeitpunkt aus- Zurück zu Ihrem Gesetzentwurf. Ich komme unter
drücklich zu, dass wir uns diesem Vorschlag selbstver- dem Stichwort „Verwaltungsaufbau und Bürokratie“
ständlich mit der notwendigen Akribie widmen und ihn noch einmal im Detail auf den Gesetzentwurf zu spre-
ernsthaft prüfen werden. Ich will keine Tür von vornhe- chen. In Art. 1 § 5 ist die Trägerversammlung definiert;
rein zuschlagen. das ist unstrittig. Interessant wird es in Art. 2. In § 18 b
geht es um einen Kooperationsausschuss, in § 18 c um
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie brauchen einen Bund-Länder-Ausschuss, in § 18 d um örtliche
uns! Das wissen Sie!) Beiräte und in § 18 e – das ist immer noch Art. 2 – um
Ich sage auch, dass uns vor dem Hintergrund, dass Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt, di-
von 240 Kommunen, in denen sich gegenwärtig Arbeits- rekt bei der Geschäftsführung angesiedelt.
gemeinschaften befinden, sich 171 – Stand vorgestern – (Ute Kumpf [SPD]: Es ist doch gut, wenn man
schriftlich bereit erklärt haben, es den 69 bestehenden miteinander spricht! Dagegen ist doch gar
Optionskommunen gleichzutun und zu optieren, wenn es nichts einzuwenden!)
die Möglichkeit gäbe, die Pflicht auferlegt wird, die
Frage, ob wir die Möglichkeit, zu optieren, nicht nur Man stelle sich vor, dass die Gleichstellungsbeauftragte
zeitlich verlängern, sondern auch quantitativ ausweiten, in einem Landkreis zukünftig dem Kreistag berichtet,
noch einmal intensiv zu prüfen, anstatt diesen Vorschlag der es zusätzlich noch mit einem Beauftragten oder einer
einfach nur mit dem Argument vom Tisch zu fegen, das Beauftragten für Chancengleichheit zu tun hat, der bzw.
sei verfassungswidrig. die gegenüber der Geschäftsführung der ZAG verpflich-
tet bzw. rechenschaftspflichtig ist. Wie das mit Verwal-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und tungsvereinfachung und Bürokratieabbau zu vereinbaren
der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie ist, ist mir völlig schleierhaft. Das ist kein Weg, den wir
haben Angst vor einer getrennten Aufgaben- mitgehen werden.
wahrnehmung! Das ist der Grund!)
(Beifall bei der CDU/CSU – Elke Ferner
Herr Heil, Sie haben vorhin gesagt: Reden Sie mit Ih- [SPD]: Frau von der Leyen, Sie sollten einmal
ren Landräten. – Ja, das tun wir gerne. Ich sage: Reden zuhören! Sie waren ja mal Frauenministerin! –
Sie bitte auch mit Ihren Landräten; Weitere Zurufe von der SPD)
934 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Thomas Dörflinger
(A) – Die Art und Weise, wie Sie reagieren, zeigt mir, dass Ein Jahr ist eigentlich viel zu kurz, um eine mögliche (C)
ich an dieser Stelle nicht ganz falsch liege; denn in der Umstrukturierung umzusetzen. Kurzum: Wir befinden
Regel ist es so: Wer schreit, hat unrecht. Es gilt auch der uns quasi in einem Dilemma. Frau von der Leyen, Sie
Satz, dass getroffene Hunde bellen. sind jetzt wahrlich nicht zu beneiden; denn selbst wenn
es FDP und CDU/CSU gelänge, sich auf ein Modell zu
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – einigen, dann wäre nicht auszuschließen, dass auch die-
Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie sind nicht ses Modell in ein, zwei Jahren vom Bundesverfassungs-
originell! Sie machen Ihrem Namen alle gericht gekippt würde. Das große Problem dabei ist, dass
Ehre!) uns eine Suppe eingebrockt wurde, die am Ende andere
Insgesamt erkenne ich durchaus an, dass durch den auslöffeln müssen.
neuesten Beschluss der Arbeits- und Sozialminister- Da von der Organisationsreform Millionen Menschen
konferenz vom 14. Dezember etwas Bewegung in die existenziell betroffen sind, ist äußerste Sorgfalt geboten.
Diskussion gekommen ist. Die von Ihnen skizzierte ein- Ich möchte aus Sicht der Linken darstellen, was unserer
heitliche Front der Bundesländer gegenüber dem Bun- Meinung nach auf gar keinen Fall passieren darf.
desministerium für Arbeit und Soziales sehe ich zumin-
dest nach diesem Beschluss nicht. Ich sehe vielmehr, Erstens darf die Bundesagentur auf keinen Fall ein-
dass von dort signalisiert wird, dass das, was das BMAS fach so weiteragieren wie bisher.
vorgelegt hat, durchaus als tragfähige Grundlage be-
trachtet werden kann, um für die Zukunft zu einer ver- (Beifall bei der LINKEN)
nünftigen Regelung zu kommen. Im Zuge der Hartz-Gesetze wurde aus dem Arbeitsamt
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das wird zur eine Agentur, in der alles betriebswirtschaftlich ablaufen
Kenntnis genommen!) sollte. Auf der Strecke geblieben sind dabei der sozial-
politische Auftrag und die innerbetriebliche Demokra-
Ich komme zum Schluss. Wenn wir ehrlich sind – das tie. Wir als Linke sagen: Die Bundesagentur muss wie-
gilt für alle Fraktionen in diesem Hause –, dann waren der demokratisiert werden, und sie muss ihren
die Konstruktion im SGB II und die Umsetzung des sozialpolitischen Auftrag wahrnehmen.
Hartz-IV-Gesetzes insbesondere deswegen nicht opti-
mal, weil sie unter erheblichem Zeitdruck erfolgten bzw. (Beifall bei der LINKEN)
erfolgen mussten. Das gilt sowohl für das Gesetzge- Oberste Aufgabe der Bundesagentur ist es, dafür
bungsverfahren als auch für die Umsetzung vor Ort. Sorge zu tragen, dass niemand unter die Räder kommt.
Deswegen sage ich: Jetzt eilt zwar die Zeit, da die Argen Das heißt, es braucht eine andere Beratungsqualität.
(B) bzw. die Optionskommunen nach dem 31. Dezember des Heute stehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter häu- (D)
kommenden Jahres nicht mehr zulässig sind. Aber auch fig unter dem Druck, Einsparungen vorzunehmen. Es
wenn wir nur ein halbes Jahr Zeit für die Beratung im gibt feste Einsparquoten, die zu erfüllen sind. Das ist in
Deutschen Bundestag und in den Ausschüssen haben, den Beratungsgesprächen maßgebend. Wir meinen je-
dann sollten wir diese Zeit vernünftig nutzen, statt die doch, dass die Hauptaufgabe in den Beratungsgesprä-
Zeit zum obersten Prinzip unserer Arbeitsweise zu erklä- chen darin besteht, die Menschen über ihre Rechte auf-
ren. zuklären und dafür Sorge zu tragen, dass niemand unter
Insofern freue ich mich auf eine gute Beratung insbe- das Existenzminimum fällt.
sondere der Eckpunkte aus dem BMAS. Der Gesetzent-
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Markus
wurf, den uns die SPD-Bundestagsfraktion vorgelegt
Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
hat, ist keine tragfähige Grundlage für die Zukunft.
Zweitens darf auf keinen Fall passieren, dass das dro-
Herzlichen Dank.
hende Chaos im Zuge einer möglichen Umstrukturie-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – rung am Ende auf dem Rücken der Erwerbslosen und der
Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo ist denn Ihr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Argen ausgetragen
Gesetzentwurf? Sie haben ja nicht mal Eck- wird. Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass es bei
punkte! – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/ Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II um existen-
DIE GRÜNEN]: Was ist Ihr Vorschlag?) zielle Leistungen geht. Wenn das Finanzamt bei der Ein-
kommensteuerberechnung mal einen Fehler macht, dann
Vizepräsidentin Petra Pau:
ist das ärgerlich, aber es hat keine existenziellen Folgen.
Im Bereich von Hartz IV geht es aber um Menschen, die
Das Wort hat die Kollegin Katja Kipping für die Frak- in der Regel kein finanzielles Polster haben, sodass jede
tion Die Linke. ungerechtfertigte Leistungsverweigerung sofort existen-
(Beifall bei der LINKEN) zielle Wirkungen hat. Deswegen ist das Mindeste, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU und der
FDP, was Sie angesichts dieses Dilemmas in die Wege
Katja Kipping (DIE LINKE):
leiten sollten, dass Widersprüche endlich eine aufschie-
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit bende Wirkung haben.
dem Verfassungsgerichtsurteil sind jetzt zwei Jahre ver-
gangen, in denen keine übergreifende Einigung gelang, (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
und wir haben noch ein Jahr bis zum Ablauf der Frist. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 935
Katja Kipping
(A) Bisher ist das nicht der Fall. Es wird aber zu einem Pro- Die Debatte über die Organisationsstruktur der Job- (C)
blem, wenn eine Leistung unrechtmäßig verweigert center steht in recht engem Zusammenhang mit den
wird. Das kommt nicht selten vor. Wir alle wissen, dass Hartz-IV-Reformen. Diese sind nun fast fünf Jahre in
ein Großteil der Widersprüche erfolgreich ist. Einem Kraft. Insofern ist es an der Zeit, Bilanz zu ziehen. Das
Drittel aller Widersprüche wird in Gänze stattgegeben. Bundesministerium selbst hat vor wenigen Tagen Bilanz
Nur noch zur Erinnerung: Wir reden hier über Men- gezogen. Wir meinen als Linke: Dieser Bilanz muss man
schen, die kein finanzielles Polster haben. Wie wir wis- eine alternative Bilanz entgegenstellen. Fünf Jahre
sen, scheiden sich an Hartz IV oft die Geister, ideolo- Hartz IV bedeuten fünf Jahre Armut per Gesetz.
gisch und ganz grundsätzlich. Aber die angesprochene Hartz IV hat die Armut wirklich verschärft.
kleine Sofortmaßnahme ist nichts anderes als ein prag-
matischer Schritt. Hier sollten Sie keine ideologische (Zuruf von der CDU/CSU: Hartz IV hat Armut
Abwehrfront aufbauen, sondern die Sache in Angriff verhindert!)
nehmen. Es gibt eine offizielle Studie der Hans-Böckler-Stiftung,
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten die klar besagt: 60 Prozent der ehemaligen Arbeitslosen-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) hilfe- und Sozialhilfebezieherinnen und -bezieher haben
Verluste. Wir wissen zudem, dass die Regelleistung
Drittens. Erwerbslosigkeit ist ein gesamtgesellschaft- deutlich unter der Armutsrisikogrenze liegt. Hartz IV hat
liches Problem. Um dieses Problem anzugehen, bedarf also die Armut verschärft.
es bundesweit einheitlicher Standards. Auf keinen Fall
(Beifall bei der LINKEN)
darf das Problem der Erwerbslosigkeit auf die Kommu-
nen abgewälzt werden. Vor allem darf sich der Bund Hartz IV hat aber nicht nur die Situation der Langzeit-
nicht zunehmend aus seiner finanziellen Verantwor- erwerbslosen verschlechtert. Hartz IV hat auch Auswir-
tung stehlen, wie wir es erst vor wenigen Tagen bei den kungen auf die Situation derjenigen, die noch einen Ar-
Abstimmungen über den Bundesanteil an den Kosten der beitsplatz haben. Eine Studie des IAB hat uns das
Unterkunft erleben konnten. schwarz auf weiß verdeutlicht. Im Zuge von Hartz IV ist
die sogenannte Konzessionsbereitschaft, das heißt die
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg.
Bereitschaft, niedrigere Löhne und ungesündere Arbeits-
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/
zeiten in Kauf zu nehmen, deutlich gestiegen. Das Ganze
DIE GRÜNEN]) läuft nach einem altbekannten Muster: Je schlimmer die
Als Hartz IV eingeführt wurde, wurden Leistungen Situation der Erwerbslosen ist und je stärker Erwerbs-
aus einer Hand versprochen. Nun droht möglicherweise lose stigmatisiert werden, desto eher sind diejenigen, die
(B) eine Zersplitterung, wenn sich das Modell des Bundes- noch einen Arbeitsplatz haben, bereit, alles zu tun, um (D)
ministeriums durchsetzt. Das hieße im Grunde zwei An- nicht auch noch in die Erwerbslosigkeit zu fallen. Des-
laufpunkte, zwei Anträge und jede Menge mehr Büro- wegen sagen wir: Die Kämpfe für gute Arbeit und die
kratie. Es droht ein Streit über Zuständigkeiten. Kämpfe für garantierte Rechte für Erwerbslose gehören
Gesetzt den Fall, dass es strittig ist, ob und welche Leis- untrennbar zusammen.
tung jemand bekommt: Wer entscheidet dann? Die Kom- (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-
mune? Wie wir wissen, liegt die Fach- und Rechtsauf- NIS 90/DIE GRÜNEN)
sicht bei den Ländern. Die Bundesagentur für Arbeit?
Wie wir wissen, liegt hier im Zweifelsfall die Rechtsauf- Hartz IV verschärft auch die Abhängigkeiten zwi-
sicht beim Bund. Vor diesem Hintergrund eines drohen- schen Menschen, die zusammenleben und nach der Be-
den Chaos warnt der Deutsche Sozialgerichtstag aus gu- grifflichkeit des Sozialgesetzbuches unter das Konstrukt
tem Grund davor, dass dann, wenn sich das Modell des der Bedarfsgemeinschaft fallen. Ich möchte Ihnen das
Bundesministeriums durchsetzt, mit einer Verdoppelung an dem Fall einer alleinerziehenden Mutter skizzieren.
der Zahl der Verfahren vor den Sozialgerichten zu rech- Sie hat lange Zeit als Floristin gearbeitet und musste
nen ist. Als ob die Sozialgerichte schon heute nur Däum- schon in dieser Zeit immer aufstockende Leistungen be-
chen drehten! ziehen, weil ihr Einkommen nicht reichte. Sie hat zwei
Töchter und hat vor kurzem ihren Job verloren. Die eine
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem Tochter ist in der Pubertät, und die andere Tochter hat
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) nun einen Ausbildungsplatz als Bürokauffrau bekom-
Der Dachverband unabhängiger Erwerbslosen- und So- men. Als die Tochter den Ausbildungsplatz bekam, hat
zialhilfeinitiativen fordert vor diesem Hintergrund aus man sich gefreut, hat sogar ein bisschen gefeiert und ge-
gutem Grund Folgendes: Wir fordern Leistungen aus ei- träumt. Als man dem Jobcenter aber den neuen Stand in
ner Hand, nicht nur unter einem Dach. Wir fordern die der Familie mitteilte, bekam die Frau zur Information:
Aussetzung jeglicher Diskriminierung und Sanktionie- Da die Tochter in der Ausbildung zur Bedarfsgemein-
rung der Betroffenen. – Mit beiden Forderungen hat der schaft gehört, wird die Ausbildungsvergütung voll ange-
Dachverband recht. Es bedarf Leistungen aus einer rechnet und werden die Leistungen des Jobcenters ent-
Hand, und es muss mit den Sanktionen Schluss sein, sprechend verringert. Da die Tochter unter 25 Jahren ist,
wenn es um das Existenzminimum geht. darf sie nicht ausziehen und eine eigene Bedarfsgemein-
schaft begründen. – Was ist denn das für ein Signal an
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten einen jungen Menschen, der sich gerade am Beginn sei-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ner Ausbildung befindet?
936 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Katja Kipping
(A) Frau von der Leyen, Sie haben in Ihrem alten Ministe- wichtigste und, wie ich finde, auch das derzeit drän- (C)
rium deutlich bewiesen, dass der Begriff Geschlechter- gendste Problem im Fachgebiet Arbeit und Soziales. Wir
gerechtigkeit für Sie kein Fremdwort ist. Sie haben auch werden diese Aufgabe zügig angehen. Ich will aber, be-
im Ausschuss deutlich gemacht, dass Ihnen gerade die vor ich ins Detail gehe, wenigstens eines vorab als ge-
Situation der Alleinerziehenden sehr am Herzen liegt. meinsamen Nenner festhalten, was nicht immer in die-
Bei dem Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft besteht im sem Hause unstrittig war. Ich glaube, dass man aus
Sinne der Geschlechtergerechtigkeit unglaublich viel heutiger Sicht sagen kann, dass sich die Zusammenle-
Handlungsbedarf. Wir als Linke meinen: Dieses Kon- gung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe im Grundsatz
strukt gehört abgeschafft. bewährt hat. Daran sollten wir auf jeden Fall festhalten.
Das ist das, was uns als gemeinsames Leitmotiv beglei-
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
ten kann.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Hartz IV bedeutet auch Ausgrenzung und Stigmati-
der CDU/CSU)
sierung per Gesetz. Sie wissen, dass Sozialdetektive ein-
gesetzt wurden, die den Erwerbslosen teilweise sogar bis Allerdings müssen wir sehen, dass bei der Organisa-
in die Schlafzimmer nachspioniert haben. tion der Argen Fehler gemacht wurden. Die müssen wir
(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: jetzt ausbügeln. Diese Fehler fallen in die Verantwortung
Quatsch!) eines SPD-Ministers.

Aus all diesen und vielen anderen Gründen mehr gilt für uns (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Na! Na!)
als Linke nach wie vor: Hartz IV muss weg, Hartz IV muss Federführend war damals das SPD-geführte Arbeitsmi-
überwunden werden. nisterium,
(Beifall bei der LINKEN) (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Christian
Es ist für uns nicht hinnehmbar, dass in diesem Land Wulff! Roland Koch! Bundesrat! Vermitt-
die Unterhaltszahlungen für Menschen gekürzt und diese lungsausschuss!)
sogar bis auf 0 Euro reduziert werden. Es ist für uns und, Herr Heil, wir haben Zeitdruck, was nicht unwe-
nicht hinnehmbar, dass über die Stigmatisierung von Er- sentlich Ihre Schuld ist.
werbslosen Druck auf die Löhne und damit auf die
Beschäftigten ausgeübt wird. Wir haben Ihnen schon (Widerspruch bei der SPD)
viele Vorschläge unterbreitet, wie man unserer Meinung
Wir haben das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
nach Hartz IV überwinden kann. Wir haben Sie mit kon-
(B) seit Dezember 2007. (D)
kreten Alternativen wie einer sanktionsfreien Mindestsi-
cherung konfrontiert. Das werden wir auch weiter ma- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wir hatten
chen. schon mal eine Lösung! – Anette Kramme
Für den womöglich eintretenden Fall, dass Sie sich im [SPD]: Wenden Sie sich an Ihren Koalitions-
Laufe dieser Wahlperiode noch nicht für unser Modell partner!)
der sanktionsfreien Mindestsicherung begeistern kön- – Ich weiß doch, was zwischenzeitlich passiert ist. –
nen, was ich sehr bedauern würde, möchte ich Sie an Aber selbst wenn Sie sich auf den Beschluss der Unions-
eine kleine Maßnahme erinnern, die ich bereits genannt fraktion vom 13. März beziehen, waren es immer noch
habe: Sorgen Sie dafür, dass Widersprüche wenigstens sechs Monate zwischen dieser Entscheidung und der
eine aufschiebende Wirkung haben! Vor uns stehen viel Bundestagswahl, ein Sechstel der Gesamtfrist, die uns
Chaos und Unsicherheit. Sie haben jetzt die Verantwor- das Bundesverfassungsgericht gegeben hat.
tung dafür, dass diese Politik nicht auf dem Rücken der-
jenigen ausgetragen wird, die wahrlich nichts dafür kön- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie haben sich
nen, nämlich auf dem Rücken der Mitarbeiterinnen und nicht bewegt! Sechs Monate lang!)
Mitarbeiter in den Argen sowie dem der Erwerbslosen. Ich werfe Olaf Scholz vor, dass er mit dem Kopf durch
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. die Wand wollte, sich versteift hat
(Beifall bei der LINKEN) (Widerspruch bei der SPD)
und nicht seinem Auftrag und seinem Amtseid gemäß
Vizepräsidentin Petra Pau: versucht hat, das Mögliche tatsächlich in einem Bundes-
Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die gesetz zu formulieren.
FDP-Fraktion.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei der FDP) der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]:
Sie reden doch wie ein Blinder von der Farbe!
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Geschichtsklitterung!)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! – Das ist keine Geschichtsklitterung.
Ohne Zweifel ist die Organisation der Grundsicherung
und einer erfolgversprechenden und auch flexiblen Ar- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist Ge-
beitsvermittlung für Langzeitarbeitslose das derzeit schichtsfälschung!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 937
Dr. Heinrich L. Kolb
(A) Wir müssen jetzt versuchen, in der verbleibenden Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): (C)
Zeit, in den restlichen zwölf Monaten, das Problem zu Herr Kollege Brandner, der Ablauf, also die Historie,
lösen. Wir haben am 26. Oktober unsere Koalitionsver- ist mir durchaus geläufig. Ich muss allerdings sagen:
einbarung unterzeichnet. Schon am 18. November hat Knapp vorbei ist auch daneben – das ist eine Erfahrung,
das Kabinett in Umsetzung dieser Koalitionsvereinba- die man im Leben gelegentlich macht –, und einer hat
rung das notwendige Verfahren auf den Weg gebracht. den Hut auf.
Am 26. November und am Montag dieser Woche haben
sich die Arbeits- und Sozialminister der Länder zweimal (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein! Sie ver-
mit einem ständig weiterentwickelten Eckpunktepapier zerren die Wahrheit!)
des BMAS beschäftigt. Das Kabinett wird sich dem-
In diesem Fall war das der Bundesminister für Arbeit und
nächst mit den neuen Zwischenergebnissen befassen.
Soziales. Er muss versuchen, die Dinge zusammenzufüh-
Dann wird die Ministerin diese Eckpunkte vorstellen.
ren. Da, wo man sieht, dass es Widerstände gibt und dass
Wir werden zügig ein Gesetzgebungsverfahren einleiten.
man nicht weiterkommt, muss man auch einmal ein Stück
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wann denn? zurückgehen und einen neuen Anlauf nehmen. Dafür wa-
Was denn?) ren auch nach der Entscheidung der Unionsfraktion noch
sechs Monate Zeit, und ein neuer Anlauf ist offensicht-
Schneller kann man das nicht machen. Das will ich für lich nicht versucht worden.
uns hier ausdrücklich in Anspruch nehmen.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Reden Sie mal
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten mit Frau Merkel über das Thema!)
der CDU/CSU)
Stattdessen hat man den Entwurf in die Schublade ge-
legt, offensichtlich in der Hoffnung, dass durch Gärung
Vizepräsidentin Petra Pau: etwas Besseres daraus wird. Aber nicht alles, was gärt,
Kollege Kolb, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herr Brandner, ist wie ein aufgehender Hefekuchenteig.
Kollegen Brandner? Manchmal verbirgt sich dahinter auch ein ordinärer
Misthaufen; das muss man sagen. Das eine vom anderen
zu trennen, ist die Kunst, auf die es ankommt.
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Ja, bitte. (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Hubertus
Heil [Peine] [SPD]: Sie kriegen das nicht ge-
backen!)
Klaus Brandner (SPD):
(B) (D)
Herr Abgeordneter Kolb, können Sie bestätigen, dass Was ich sagen will, ist, Herr Brandner – das muss uns
die Entwicklung des SGB II eine lange Geschichte ist, jetzt auch leiten bei dem, was in den kommenden zwölf
bei der die Länder entsprechende Mitbestimmungsrechte Monaten zu bewältigen ist –: Die Fäden müssen zusam-
hatten, und dass der Kompromiss in einem Vermittlungs- mengeführt werden. Das Eckpunktepapier ist – das
verfahren zustande gekommen ist? Sie erinnern sich an sagt jedenfalls eine deutliche Mehrheit der Konferenz
die Nachtsitzungen des Vermittlungsausschusses und die der Arbeits- und Sozialminister – eine gute Basis für die
großen Sorgen, die dort geäußert wurden. Der Gesetzge- jetzt beginnende Diskussion und für den Gesetzgebungs-
ber hatte eine klare Ordnungsregelung vorgegeben, die prozess. Es sollte unser gemeinsames Interesse sein, die-
die jeweiligen Zuständigkeiten eindeutig regelte. Die sen Prozess in höchstens zwölf Monaten – ich bin dafür,
Länder hatten aber eine andere Auffassung, die sie im dass es deutlich schneller geht – zu einem Abschluss zu
Vermittlungsausschuss einbrachten. bringen.

Wie Sie wissen, hat das Bundesverfassungsgericht Es ist falsch, Herr Heil, sich jetzt zu versteifen – das
später gesagt: Diese Regelung ist so nicht verfassungs- passiert heute in der ersten Lesung der von der SPD und
konform. – Daraufhin hat gerade Minister Scholz erneut den Grünen eingebrachten Gesetzentwürfe – und zu sa-
Vermittlungsvorschläge erarbeitet, und zwar immer mit gen: Die ZAG sind das allein Seligmachende. Die Grü-
dem Ziel, ein solches Vermittlungsverfahren, das nicht nen sagen: Wir wollen die Argen in ihrer heutigen Form
korrigierbar ist, möglichst auszuschließen. Vor diesem absichern. Sie sind sogar offen dafür, das Modell der
Hintergrund haben alle Länder einen Vorschlag erarbei- Optionskommunen auszuweiten. Die Mehrheit der Län-
tet, der mit 16:0 Stimmen angenommen wurde und der der hat eine eigene Position. Wenn es so weitergeht, dass
auch die Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion jeder auf dem beharrt, was er sich vorstellt, werden wir
fand. Anders war es bei der CDU/CSU-Bundestagsfrak- am Ende keinen Erfolg haben, und das ginge zulasten
tion: Sie signalisierte teilweise Unterstützung, teilweise der arbeitsuchenden Menschen in Deutschland, die von
nicht. Wollen Sie dem Minister unter diesem Gesichts- der Grundsicherung leben müssen.
punkt nach wie vor unterstellen, nicht alles darangesetzt (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wir hatten
zu haben, in einem Kompromissverfahren zu einem schon eine Lösung!)
Vorschlag zu kommen, der praktikabel ist und der so-
wohl für die Beschäftigten als auch für die Arbeitslosen Das sollten wir nach Möglichkeit vermeiden. Dieser
Rechtssicherheit bietet? Meinung bin ich schon.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
938 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Dr. Heinrich L. Kolb


(A) Sie haben heute immerhin – das will ich würdigen, werde wie die Erfüllung aller Aufgaben durch Op- (C)
Herr Heil – ein Signal gegeben, indem Sie gesagt haben: tionskommunen …
Wir sind am Ende sogar bereit, über eine moderate Erhö-
hung der Zahl der Optionskommunen zu reden. Aber Das ist die Ansicht der kommunalen Familie. Wollen Sie
das kann nicht die Lösung des Problems sein. Die Lan- ihr widersprechen?
desminister sehen das offensichtlich anders. Ich verstehe
den am Montag gefassten Beschluss so, dass sie fol- Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
gende Auffassung vertreten: Wir wollen denjenigen, die Herr Kollege Heil, ich will auf eines aufmerksam ma-
optieren wollen, das einmalig ermöglichen. Für alle an- chen: Wir sind immer relativ schnell dabei, über Grund-
deren, Bundesagentur und Kommune, bleibt die ge- gesetzänderungen zu reden. Solange es nur pauschal
trennte Aufgabenwahrnehmung in Form einer Zusam- um dieses Thema geht, sind alle dabei und sagen: Da
menarbeit auf Augenhöhe. – Sie müssen einmal erklären machen wir mit. – Aber wenn man dann schaut, wo das
– Sie melden sich ja gerade zu einer Zwischenfrage, Grundgesetz genau geändert werden soll, welche Rege-
Herr Heil –, ob Sie unter einer „moderaten Erhöhung“ lung eingeführt werden soll, damit diese oder jene Kon-
auch eine Erhöhung auf 170 oder 175 Optionskommu- struktion möglich wird, dann ist es relativ schnell vorbei
nen verstehen. Wenn nein, ist die Frage, woran Sie die mit der Einigkeit. So wird es aber nicht gelingen.
Möglichkeit der Option knüpfen wollen, welche Opti-
Ich bin der Meinung, wir sollten – ein Stück weit ver-
onskommunen Sie zulassen wollen und welche außen
stehe ich den Beschluss vom Montag auch so – uns zu-
vor bleiben müssen. Darüber müssen wir diskutieren.
nächst einmal fragen: Brauchen wir denn an der einen
Wir können direkt in die Diskussion einsteigen, wenn Ih-
oder anderen Stelle überhaupt eine Verfassungsände-
nen die Präsidentin eine Zwischenfrage erlaubt.
rung?

Vizepräsidentin Petra Pau: (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-


Wenn Sie mir die Chance geben, Sie zu fragen, ob Ih- NEN]: Ja!)
nen der Kollege Heil eine Frage stellen darf, werde ich – Nein, da sind Sie mir zu schnell, Frau Pothmer.
das tun.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Die brauchen wir für die Optionskom-
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): munen!)
Logisch.
Sie haben schon in Ihrem Gesetzentwurf geschrieben,
dass Sie dies fordern, um die Existenz von Optionskom-
(B) Vizepräsidentin Petra Pau: munen auf Dauer zu ermöglichen. Sie gehen davon aus, (D)
Bitte. dass wir dafür eine Grundgesetzänderung brauchen. Mir
liegen aber Stellungnahmen vor, in denen es heißt: Das
Hubertus Heil (Peine) (SPD): kann man auch anders sehen.
Lieber Kollege Kolb, danke für die Gelegenheit, dass (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Sie erlauben, dass die Präsidentin eine Zwischenfrage Die Debatte ist schon zwei Jahre alt!)
zulässt.
Das muss ausgelotet werden. Ich habe große Bedenken,
Ich darf Sie daran erinnern und das in eine Frage klei- Frau Kollegin Pothmer, dass wir jetzt alle auf eine
den: Haben Sie meine Rede dahin gehend richtig ver- Grundgesetzänderung dringen, aber am Schluss feststel-
standen, dass wir drei Dinge als eine Einheit sehen: ers- len: Es gibt gar keine Zweidrittelmehrheit für die eine al-
tens eine grundgesetzliche Absicherung der Zusammen- lein selig machende Lösung.
arbeit von Bundesagentur und Kommunen in Fortfüh-
rung der gemeinsamen Arbeit über das ZAG, zweitens (Anette Kramme [SPD]: Seien Sie ein biss-
eine verfassungsrechtliche Absicherung der Möglich- chen wagemutig!)
keit, zu optieren, und drittens eine Diskussion über eine Dann sind aber wieder ein paar Monate ins Land gegan-
moderate Erhöhung der Zahl der Optionskommunen? gen.
Diese Punkte sind eine Einheit, bei der man sich nicht
nur einen herauspicken darf. Lassen Sie uns einmal sehen, was einfachgesetzlich
geht.
Ich frage Sie deshalb, ob Ihnen folgender Beschluss
bekannt ist, nachzulesen im Heft Der Landkreis, heraus- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
gegeben vom Deutschen Landkreistag im Oktober 2009,
Ich glaube, die Erhöhung der Zahl der Optionskommu-
der von allen kommunalen Spitzenverbänden getragen
nen ist auch einfachgesetzlich möglich.
wird:
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nicht mal die
Zur dauerhaften Absicherung einer rechtlich zwei- Entfristung! Das wird der Bundespräsident
felsfreien Aufgabenerfüllung votierten die kommu- nicht unterschreiben! Das wissen Sie!)
nalen Spitzenverbände für eine Grundgesetzände-
rung, in der eine gemeinsame Aufgabenwahr- – Herr Heil, es gibt durchaus ernstzunehmende unter-
nehmung von Kommunen und Arbeitsagenturen in schiedliche Auffassungen zu diesem Thema. Sie kennen
den Arbeitsgemeinschaften ebenso ermöglicht die vorliegenden Gutachten genauso gut wie ich. Ich
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 939
Dr. Heinrich L. Kolb
(A) glaube nicht, dass man sich schon auf das eine oder an- nehmen –, dass sie neben der übermächtigen BA ein (C)
dere versteifen sollte. Wenn wir das tun, dann kommen Stück weit ins Hintertreffen geraten könnten.
wir am Ende nicht zusammen.
Im Papier stehen ja auch deutliche Prüfaufträge. Ich
(Anette Kramme [SPD]: Wann wollen Sie will einmal den aus meiner Sicht wichtigsten nennen,
denn anfangen, zu arbeiten, wenn Sie sich weil meine Redezeit trotz der Zwischenfragen jetzt lang-
noch nicht mal hier entscheiden wollen?) sam zu Ende geht: Da geht es um die Prüfung von Tatbe-
standsvoraussetzungen, die dann auch eine Bindungs-
– Frau Kramme, Sie müssen Ihr Herz über die Hürde
wirkung für die Kommunen hätten.
werfen. Bei dem Vorschlag einer moderaten Erhöhung
der Zahl der Optionskommunen kommt zum Ausdruck, (Anette Kramme [SPD]: Ganz tolle Lösungen,
dass Sie über die Optionen nicht richtig glücklich sind; die Sie da erwähnen!)
Sie waren es von Anfang an nicht. Sie wollten die Op-
tionskommunen nicht, weil Sie das Bundessozialamt, die – Frau Kramme, Sie wissen schon wieder alles besser.
zentrale Lösung, wollen, wohingegen wir die individu- Ich sage: Wir müssen das Problem ernst nehmen und
elle Lösung im Interesse der Menschen vor Ort anstre- schauen, wie man es lösen kann.
ben.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das wollen wir
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – auch!)
Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Da hinten sitzt Herr Niebel! Den kön- Das ist die Erwartungshaltung, die die Länder haben.
nen wir mal fragen!) Wenn wir angemessene Antworten finden, dann werden
wir am Ende auch Mehrheiten in beiden Kammern, im
Diesen Unterschied kann ich zwischen uns feststellen. Bundestag und im Bundesrat, bekommen. Wenn man
Die SPD gibt sich in Sonntagsreden immer gerne kom- jetzt wie Sie mit dem Kopf durch die Wand will und sich
munalfreundlich. Aber wenn es dann um die Wurst geht auf die Position zurückzieht: „Das wollten wir schon im-
– Butter bei die Fische –, wenn es darum geht, all dieje- mer“,
nigen, die optieren wollen, auch optieren zu lassen, dann
sind Sie für die zentralen, durchorganisierten Einheits- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein! – Brigitte
strukturen. Genau an dieser Stelle treffen Sie auf unsere Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Bedenken. Wir wollen und tun das jedenfalls nicht. Aber wer will das denn: mit dem Kopf durch
die Wand?)
Vizepräsidentin Petra Pau: dann wird das nicht funktionieren. Sie müssen dann auch
(B) Kollege Kolb, gestatten Sie eine weitere Zwischen- Verständnis dafür haben, dass wir auf die Position eines (D)
frage, in diesem Fall von der Kollegin Pothmer? Partners, der sich so verhält, im Hinblick auf eine mögli-
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- che Grundgesetzänderung nicht eingehen können. Sie
NEN]: Hat sich erledigt!) zeigen bisher keine Flexibilität; diese lassen Sie voll-
ständig vermissen. Das ist aus unserer Sicht dann auch
– Das hat sich erledigt. Entschuldigung. ein Problem.
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): CDU/CSU)
Schade. Die Zwischenfrage hätte ich gerne beantwor-
tet. – Ich meine, wir sollten jetzt wirklich einmal mit Ich finde, der Beschluss vom Montag verfolgt insge-
dem Zusammenführungsprozess anfangen. samt eine gute Linie. In den Ziffern 3 und 4 werden ja
wichtige Punkte aufgezeigt. Es heißt dort nicht nur, dass
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja, dann fangen die Zahl der Optionskommunen erweitert werden soll,
Sie mal an!) sondern auch, dass wir weiterhin bereit sind, über eine
Die Diskussion darüber muss auf Basis des Eckpunkte- Verfassungsänderung zu diskutieren.
papiers des BMAS erfolgen. (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ach?)
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Warum denn?) Das ist eine umfassende und breite Plattform, auf der wir
– Weil das Bundesministerium für Arbeit und Sozialord- uns alle zum Gespräch zusammenfinden können und
nung zuständig ist und die Ministerin an dieser Stelle sollten.
– ich habe ja gesagt, irgendwer hat immer den Hut auf – (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja, dann laden
diejenige ist, die die Diskussion voranbringen wird. Sie mal ein, Herr Kolb!)
Ich finde, dass das Papier die Ausgangslage durchaus Die Art und Weise, wie SPD und Grüne heute ihre
richtig beschreibt. Wir müssen das ernst nehmen, was Vorschläge präsentiert haben,
die Mehrheit der Sozialminister beschlossen hat; wir
müssen aber auch das ernst nehmen, was die Minderheit (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
– fünf haben ja dagegen gestimmt; Mecklenburg-Vor- NEN]: Macht ihr mal einen Vorschlag! –
pommern hat sich enthalten – vertritt. Wir müssen auch Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie haben kei-
ein offenes Ohr für die Kommunen haben, die zu Recht nen Vorschlag gebracht, den wir in den Bera-
befürchten – diese Befürchtung sollten wir ernst tungen brauchen können!)
940 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Dr. Heinrich L. Kolb


(A) nämlich nach dem Motto: „Wir wissen schon am besten, 800 Millionen Euro jährlich mehr an Verwaltungskosten, (C)
wie es geht“, ist jedenfalls am Ende weder effektiv noch Geld, das von der Verwaltung gefressen wird und das
zielführend. Deshalb fordere ich Sie auf: Gehen Sie in keinem Arbeitslosen und keiner Arbeitslosen zur Verfü-
sich! Nehmen Sie das Gesprächsangebot an! Wir sind in gung steht.
den Ausschussberatungen zu Gesprächen bereit. Ich
freue mich darauf. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und
bei der SPD – Markus Kurth [BÜNDNIS 90/
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. DIE GRÜNEN]: Ein Skandal ist das! Unglaub-
lich!)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Herr Niebel, was sagen Sie denn dazu?) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Kollegen Peter Weiß?
Nächste Rednerin ist die Kollegin Brigitte Pothmer
für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Ja, bitte.
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Dörflinger, ich fand Ihre Rede sehr interessant, weil Sie Bitte sehr.
hier deutlich gemacht haben, dass Sie durchaus bereit
sind, über das hinauszugehen, was in der Koalitionsver- Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):
einbarung beschlossen worden ist. Das ist ein sehr wich-
Frau Kollegin Pothmer, weil Sie Ihre Rede mit einer
tiges und ein sehr deutliches Signal. Das ist auch ange-
dramatischen Trennungsgeschichte gestartet haben,
kommen.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das hat nichts
Ich will hier nichtsdestotrotz noch einmal darüber re-
mit Bürgerlichkeit zu tun!)
den, was diese Koalition eigentlich vorschlägt, also wo-
rauf Sie sich in ihrer Koalitionsvereinbarung verständigt frage ich Sie: Würden Sie bitte den Kolleginnen und
haben, nämlich auf eine getrennte Trägerschaft mit der Kollegen in diesem Hohen Hause und auch der Öffent-
Möglichkeit freiwilliger Kooperation. Mit diesem Mo- lichkeit bestätigen, dass die sogenannte getrennte Aufga-
dell gehen Sie ins Rennen. Das heißt nichts anderes, als benwahrnehmung nach dem Sozialgesetzbuch II bereits
(B) dass sich die Behörden trennen müssen, um dann wieder heute möglich ist und dass es in Deutschland eine ganze (D)
zusammenzuarbeiten. Übertragen auf ein Paar würde das Reihe von Landkreisen gibt,
bedeuten: Sie zwingen das Paar zur Scheidung, hinterher
muss es dann aber zusammenwohnen, allerdings nicht (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
unter den alten Bedingungen einer gleichberechtigten NEN]: 20!)
Partnerschaft, sondern unter den Bedingungen eines Pa- die sich freiwillig dazu entschlossen haben, keine Arge
triarchats. Nach Ihrem Modell hat nämlich nur die BA gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit zu grün-
das Sagen; die Schlüsselgewalt liegt allein bei der BA. den, sondern eine getrennte Aufgabenwahrnehmung zu
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU verfolgen,
– es sind ja immer mehr Kollegen bei Ihnen als Kolle- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das wollen Sie
ginnen –, ich möchte Ihnen eines sagen: Nicht nur die allen verordnen!)
Frauen lassen sich das nicht mehr bieten,
und würden Sie zweitens bestätigen, dass man, wenn
(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Die Männer man die Rankinglisten in Bezug auf die Aktivierung von
auch nicht!) Langzeitarbeitslosen und deren Vermittlung in den Ar-
auch die Kommunen sind selbstbewusster geworden. beitsmarkt anschaut, feststellt, dass unter den Besten der
Mit einem solchen Modell kommen Sie nicht durch. Besten Argen, Optionskommunen und Landkreise mit
getrennter Aufgabenwahrnehmung sind?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Nein, eine getrennte Aufgabenwahrnehmung ist Lieber Herr Weiß, ich bestätige gerne, dass es schon
wirklich die denkbar schlechteste Lösung. Daran ändert jetzt ungefähr 20 Kommunen mit getrennter Aufgaben-
auch die Möglichkeit zur freiwilligen Kooperation wahrnehmung gibt. Es ist allerdings nicht so, dass diese
nichts. Sie ist schlecht für die Arbeitsuchenden. Sie schi- erst geschieden werden mussten; sie haben immer
cken diese wieder von Pontius zu Pilatus. getrennt voneinander gelebt, Herr Weiß. Die Ergebnisse
von deren Arbeit kommen allerdings nicht an die Ergeb-
(Zuruf des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])
nisse der Arbeit der Argen und einiger Optionskommu-
Das ist endgültig das Ende der Hilfe aus einer Hand. nen heran.
Zugleich wird auf diese Weise eine Unmenge an (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
Geld verschlungen. Berechnungen zufolge sind es SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 941
Brigitte Pothmer
(A) Ich weiß nicht, welche Untersuchungen Sie lesen. Eine Man sieht ja auch: Die Allianz der Gegner wird im- (C)
Studie des IAQ jedenfalls kommt genau zu einer gegen- mer breiter. Die Länder akzeptieren das ausdrücklich
teiligen Feststellung. Das ist ein weiterer Grund, warum nicht. Es ist eine Falschinterpretation, Frau Ministerin,
wir sagen, dass die getrennte Trägerschaft keine Pers- wenn Sie das anders darstellen. Die Kommunen sind
pektive hat. – Ich danke Ihnen für Ihre Frage; das war strikt dagegen. Herr Kolb, 169 Kommunen
meine Antwort.
(Thomas Dörflinger [CDU/CSU]: 171!)
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
haben sich nach einer Umfrage des Landkreistages jetzt
SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Peter
noch einmal für die Option entschieden – aber doch auch
Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Ich danke
Ihnen, dass Sie bestätigt haben, dass es so ist!) unter dem Damoklesschwert der getrennten Aufgaben-
wahrnehmung! Das muss man deutlich sagen.
Ich war gerade dabei, zu erläutern, warum die ge-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
trennte Aufgabenwahrnehmung eine schlechte Lösung
und bei der SPD)
ist. Ein weiterer Grund ist, dass sie unpraktikabel ist. An
dem Papier der Ministerin können Sie sehen, was das für Die Wohlfahrtsverbände sehen die Interessen der Ar-
ein Gewürge wird. Das lässt sich verwaltungsmäßig beitslosen gefährdet.
überhaupt nicht vollziehen.
Nach der Rede, die wir heute von Herrn Dörflinger
Zudem ist es ein bürokratischer Irrsinn. Frau Kipping, gehört haben, aber auch nach dem, was der von mir sehr
Sie haben gesagt, die Zahl der Verfahren vor den Gerich- geschätzte Kollege Karl Schiewerling ausgeführt hat,
ten werde sich verdoppeln. Nein, die Zahl der Verfahren
wird sich verdreifachen; (Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Hubertus
Heil [Peine] [SPD]: Guter Mann!)
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das wissen Sie
schon?) nämlich dass sie die Hilfe aus einer Hand wollen, kann
ich nur sagen: Auch in der CDU/CSU-Fraktion gibt es
denn die Länder haben darauf bestanden, ebenfalls ge- inzwischen Widerstand gegen den Vorschlag des Minis-
gen die Bundesagentur für Arbeit klagen zu können. Das teriums.
heißt, nicht nur die Betroffenen klagen gegen die Kom-
Frau Ministerin von der Leyen, ich frage Sie: Was
munen und die BA, sondern auch die beiden Träger
bringt Sie zu der Annahme, dass Sie den Widerstand die-
befehden sich vor Gericht.
ser breiten Allianz eher überwinden könnten, als Ihre ei-
Herr Kolb, jetzt müssten Sie mir einmal sagen, ob es gene Fraktion zur Vernunft zu bringen? In Ihrer Fraktion
(B) das ist, was Sie unter Bürokratieabbau verstehen. gibt es doch auch vernünftige Leute. Glauben Sie wirk- (D)
lich, dass in Ihrer Fraktion alle Kolleginnen und Kolle-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, gen Nägel vor den Köpfen haben?
bei der SPD und der LINKEN – Dr. Heinrich
L. Kolb [FDP]: Überhaupt nicht!) (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Bretter vor den
Köpfen!)
Außerdem wüsste ich gerne, ob Sie das meinen, wenn
Sie sagen, die Arbeit der Jobcenter solle einfacher und – Genau. Ich danke Ihnen, Herr Kolb. – Ich plädiere aus-
wirksamer werden. Ich komme gleich wieder mit meiner drücklich für eine Grundgesetzänderung. Diese ließe
Koralle, wenn das so weitergeht! sich auch viel schneller umsetzen als die angestrebte
Trennung.
(Heiterkeit bei der SPD)
Ich sage an dieser Stelle noch einmal: Aufgrund der
Im Übrigen hätten Sie die getrennte Aufgabenwahr- größten Wirtschaftskrise, die wir jemals hatten, wird es
nehmung längst haben können. In der letzten Legislatur- im kommenden Jahr eine Zunahme der Zahl der Ar-
periode, unmittelbar nach dem Bundesverfassungsge- beitslosen geben. Darin sind sich alle einig. Aber genau
richtsurteil, hat Herr Scholz dieses Konzept dem Hohen in diesem Jahr wollen Sie die Jobcenter zur Großbau-
Hause vorgelegt, und wir haben es mit, wie ich finde, stelle machen. Da werden die Beschäftigten der Jobcenter
guten Gründen abgelehnt. mit sich selbst zu tun haben. Sie werden Akten kopieren,
Liegenschaften einrichten, EDV-Programme anschaffen
Jetzt will ich Ihnen einmal sagen, was der Kollege
und Umzugskisten packen. Das ist aber nicht die Aufgabe,
Niebel für die FDP zur getrennten Aufgabenwahrneh-
die jetzt ansteht.
mung gesagt hat: Eine geteilte Verantwortung bedeutet
Zuständigkeitschaos und doppelte Bürokratie. – Ein klu- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
ger Mann! Das gilt nicht für seine Position im Entwick- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
lungsministerium; aber in dieser Frage hatte er einmal KEN)
recht.
Herr Weise hat doch vollkommen recht. Unter diesen
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS- Bedingungen laufen Ihnen die Beschäftigten in den
SES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Heinrich L. Kolb Jobcentern weg; sie werden zu den Kommunen zurück-
[FDP]: Wie es Ihnen gerade passt! So geht es kehren. Ich frage Sie einmal: Mit welchen Leuten wollen
auch nicht! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie die getrennte Aufgabenwahrnehmung dann noch
Ein Lichtblick im Niebel!) umsetzen?
942 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Brigitte Pothmer
(A) Meine Damen und Herren von der CDU/CSU und Wenn Sie unserem Vorschlag zustimmen, dann stärken (C)
von der FDP, Sie ziehen die Kommunen tatsächlich Sie die Kommunen in ihren Kompetenzen. Die SPD
durch den Kakao. In den letzten Jahren sind Sie alle he- könnte mit unserem Vorschlag ihr Konzept der Argen,
rumgelaufen und haben gesagt, Sie wollten die Kompe- das auch wir richtig finden, weiterführen. Die Kommu-
tenz der Kommunen in dieser Frage stärken. Ich finde, es nen hätten die Wahl, mithilfe welchen Konzepts sie ihre
ist wirklich ein Treppenwitz der Weltgeschichte, dass Arbeit machen wollen. Die Bundesagentur für Arbeit be-
gerade die Koalition der selbsternannten Freunde der käme nicht lauter unwillige Bräute untergeschoben, son-
Kommunen jetzt damit ankommt – die FDP war gera- dern könnte sich weiterentwickeln und tatsächlich an ih-
dezu besessen darauf, die BA abzuwickeln; die CDU/ rer Aufgabe wachsen. Die Arbeitslosen – das ist das
CSU hat nur den Kommunen in der Arbeitsmarktpolitik Wichtigste – hätten weiterhin Hilfe aus einer Hand, und
etwas zugetraut –, die Machtansprüche der BA gegen die wir müssten nicht dauernd fürchten, dass es zu weiteren
Kommunen durchzusetzen. Verfassungsklagen kommt. Wir hätten endlich Sicherheit
in dieser Frage.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Nein! Da haben
Sie etwas falsch verstanden, Frau Pothmer!) All diese Argumente sprechen für die Unterstützung
unseres Vorschlages. Ich bitte Sie im Sinne der Arbeits-
Sie fördern den Zentralismus und setzen die Kommunen
losen dringend: Springen Sie über Ihren Schatten, und
an den arbeitsmarktpolitischen Katzentisch. Das werden
tun Sie etwas für die Arbeitslosen!
die sich nicht bieten lassen – und wir uns schon gar
nicht. Frau Ministerin, das letzte Wort richte ich an Sie. Sie
wissen, ich schätze Sie und auch Ihre Kampfkraft. Des-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wegen würde ich mich wirklich freuen, wenn Sie für die
sowie bei Abgeordneten der SPD –
beste Lösung und nicht für die vermeintlich einfachere
Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es geht um die
Lösung kämpfen würden.
Wahrnehmung der Interessen der Kommunen!
Da müssen Sie genau hinhören!) Ich danke Ihnen.
Ich will noch auf einen anderen Punkt hinweisen; er (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
richtet sich an die Verfassungsästheten. Sie sagen, dass
man für so etwas keine Verfassung ändern könne. In den Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
letzten 60 Jahren ist die Verfassung 60-mal geändert Nächster Redner ist der Kollege Paul Lehrieder für
worden. Sie ist geändert worden, als es um die Neuver- die Fraktion der CDU/CSU.
teilung der Einnahmen aus der Kfz-Steuer ging; sie ist
geändert worden für Tod und Teufel. Auch Ihr Vor- (Beifall bei der CDU/CSU)
(B) (D)
schlag, der jetzt auf dem Tisch liegt, ist nicht verfas-
sungskonform. Ich prognostiziere Ihnen schon jetzt, dass Paul Lehrieder (CDU/CSU):
es zu neuen Klageverfahren kommen wird. Das wird zu Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen
einem neuen Chaos führen. Das können Sie weder den und Kollegen! Mit den heute hier zu behandelnden Ge-
Beschäftigten in den Arbeitsagenturen noch den Arbeits- setzentwürfen der SPD sind wir bereits vertraut. Sie sind
losen zumuten. Jahrelange Debatten und Rechtsstreite- inhaltsgleich mit den Referentenentwürfen des damals
reien – das dürfen wir nicht zulassen. Wir brauchen eine noch SPD-geführten Bundesarbeitsministeriums vom
verfassungsgemäße Regelung. Februar 2009.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Der
sowie bei Abgeordneten der SPD) SPD fällt einfach nichts Neues ein!)
Ich möchte jetzt noch etwas zu dem Vorschlag der Wie wir bereits gehört haben, verfolgen diese Entwürfe
Kollegen der SPD sagen. Wir sehen doch, dass Sie mit wie auch der Entwurf der Grünen das Ziel, die SGB-II-
dem alten Vorschlag, nur die 69 Optionskommunen ver- Trägerschaft neu zu ordnen und damit das Urteil des
fassungsgemäß abzusichern, nicht weiterkommen. Ich Bundesverfassungsgerichts vom 20. Dezember 2007
freue mich wirklich über das Signal und gehe davon aus, umzusetzen.
dass unsere sozialdemokratischen Freunde dem Vor-
schlag, den wir von der grünen Fraktion als Friedensan- Das will die Koalition im Ergebnis natürlich auch.
gebot auf den Tisch gelegt haben, zustimmen und dass Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts versto-
sich bei Ihnen von der CDU/CSU-Fraktion Kollegen wie ßen die derzeitigen Regelungen im SGB II hinsichtlich
Dörflinger und Schiewerling durchsetzen. der Zusammenarbeit von Bundesagentur und Kommu-
nen als unzulässige Mischverwaltung gegen das Demo-
Herr Kolb, Sie haben gesagt: Wir wollen zusammen- kratieprinzip des Grundgesetzes. Die derzeitigen Rege-
führen. – Unser Vorschlag ist ein Friedensangebot und lungen sind deshalb nur noch bis zum 31. Dezember
führt die unterschiedlichen Anforderungen tatsächlich 2010 gültig. Nach den SPD-Entwürfen sollen die derzeit
zusammen. 346 Argen und 20 getrennten Trägerschaften als eigen-
ständige Anstalten des öffentlichen Rechts mit eigener
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Unter Ihren Be-
Personalhoheit und eigenem Haushalt im Grundgesetz
dingen!)
als zulässige Form der Mischverwaltung verankert wer-
Es gewinnen wirklich alle. Union und FDP können mit den. Sie sollen zukünftig Zentren für Arbeit und
ihrem Beschluss doch nicht wirklich zufrieden sein. Grundsicherung, ZAGs, heißen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 943
Paul Lehrieder
(A) Unsere Fraktion sieht ebenso wie die Kollegen der (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber das ma- (C)
SPD dringenden Handlungsbedarf hinsichtlich der Neu- chen sie doch!)
organisation der SGB-II-Trägerschaften. Ihren Vor-
schlag, liebe Kolleginnen und Kollegen vom ehemaligen Die jetzige Regierungskoalition geht anders an die
Koalitionspartner, lehnen wir jetzt aber genauso ab, wie Neuorganisation der SGB-II-Verwaltung heran. Das
wir das schon im März dieses Jahres getan haben. Bundeskabinett hat in der Klausurtagung von Mese-
berg am 16. und 17. November gemäß Koalitionsvertrag
(Beifall bei der CDU/CSU) beschlossen:
Dies tun wir aus guten Gründen: Die Neuorganisation der Durchführung der Grund-
sicherung für Arbeitsuchende soll erfolgen, indem
Erstens. Es gilt, die Grundsätze der Verfassung zu be- die Aufgabenwahrnehmung und Finanzierung der
achten und die Verfassung nicht regelmäßig an unsere Grundsicherung für Arbeitsuchende ohne Ände-
Wünsche anzupassen. Liebe Frau Kollegin Pothmer, rung des Grundgesetzes und ohne Änderung der Fi-
auch wenn wir das in der letzen Legislaturperiode etliche nanzbeziehungen gestaltet werden. Dazu werden
Male tun mussten, hätte ich es geschätzt, wenn Sie ge- die Erfahrungen der Länder und der Kommunen
sagt hätten: Wir fummeln nicht jedes Mal an der Verfas- sowie der Bundesagentur für Arbeit in getrennter
sung herum, wenn uns irgendein Ergebnis nicht passt. Aufgabenwahrnehmung genutzt. Die heutigen Op-
tionskommunen sollen ihre Aufgaben dauerhaft
(Beifall bei der CDU/CSU)
wahrnehmen können.
Das Bundesverfassungsgericht hat das heutige Sys- Weil bereits von einigen Vorrednern die Steigerung
tem der Zusammenarbeit zwischen Arbeitsagentur und der Zahl der Optionskommunen angesprochen wurde:
Kommunen in den Argen als grundgesetzwidrig verwor- Ja, es gibt eine Umfrage, nach der ein Großteil der Kom-
fen, weil es darin einen Verstoß gegen das Demokratie- munen zur Option tendiert.
gebot des Grundgesetzes sieht. Für den Bürger ist nicht
klar, welche politische Einheit – Bund oder Kommune – (Anette Kramme [SPD]: Weil die Schiss vor
für die Entscheidungen der heutigen Jobcenter letztlich den Plänen haben!)
verantwortlich ist.
Da muss man den Landräten aber auch mitteilen, zu wel-
Das Wesen der Demokratie ist es aber, dass der Wäh- chen Konditionen, mit welchen Eckdaten die Option ge-
ler seine Zustimmung oder Ablehnung konkreter staatli- zogen werden kann; auch das gehört zur Redlichkeit.
cher Entscheidungen auch auf seinem Wahlzettel mit der
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
(B) Wahl oder Abwahl von Parteien und Politikern doku- (D)
mentieren kann. Die Mischverwaltung der Jobcenter Wir folgen bei der Neuregelung der Trägerschaft
lässt dies nicht zu. Die vorgeschlagene Grundgesetzän- folgenden Orientierungslinien: Das Gesetzgebungsver-
derung würde dieses Demokratiedefizit aber gerade fahren muss transparent sein. Wir müssen mit allen Be-
nicht lösen. teiligten sprechen – also mit Ländern, Kommunen, Ar-
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das sehen die beitnehmervertretern und der Bundesagentur für Arbeit –,
Kommunen aber anders!) um eine sachgerechte Lösung für die Zeit ab 2011 zu fin-
den. Die künftige Lösung muss den Grundsätzen der
Wenn die Hartz-IV-Verwaltung tatsächlich weder dem Föderalismusreform I, dem Demokratieprinzip, dem Selbst-
Bund noch den Ländern eindeutig zugeordnet würde, verwaltungsrecht der Kommunen und dem Urteil des
wäre eine zusätzliche neue staatliche Ebene zwischen Bundesverfassungsgerichts entsprechen.
beiden gegeben. Die Hartz-IV-Verwaltung hätte damit
Um zu einer möglichst tragfähigen und differenzierten
einen stärken Stand als unsere Städte und Gemeinden,
Lösung zu kommen, hat unsere Fraktion jetzt, nachdem
die innerhalb der bundesstaatlichen Ordnung als Teile
die Bundesregierung die Eckpunkte für die Neuorganisa-
der Länder gelten.
tion des SGB II vorgelegt hat, eine Projektgruppe ins
Zweitens. Mit der Einrichtung der sogenannten ZAGs Leben gerufen.
würde eine zusätzliche Bürokratie geschaffen, die die
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Toll! Eine tolle
Kräfte in den Arbeitsgemeinschaften unnötig binden
Kommission! Super!)
würde, und das genau in einer Zeit, in der aufgrund der
Wirtschaftskrise mit schwierigen Verhältnissen auf dem – Ja, natürlich, Herr Heil. Da sind wir schneller als der
Arbeitsmarkt zu rechnen ist. Es müssten überall circa Kollege Scholz vor einem Dreivierteljahr. – Sie wird
370 neue Behörden gegründet werden; man müsste Ge- eine einheitliche politische Maßgabe für die Umsetzung
schäftsordnungen erlassen, Personalvertretungen und der Reform erarbeiten. Erste Gespräche fanden bereits in
Geschäftsführer neu wählen, dazu noch neue Gremien der laufenden Woche statt. Wir nehmen die Kommunen
gründen, besetzen und arbeitsfähig machen. Das kann mit. Herr Heil, darauf können Sie sich verlassen; Sie
aber nicht Sinn der Sache sein. brauchen keine Bedenken zu haben.
(Beifall bei der CDU/CSU) (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ins Nirwana!)
Die Arbeitsgemeinschaften sollen sich um die Arbeitslo- – Nicht ins Nirwana. Die Zeiten, in denen die Kommu-
sen kümmern und sich nicht mit sich selbst beschäftigen. nen ins Nirwana geführt wurden, sind vorbei.
944 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Paul Lehrieder
(A) Die wesentlichen Ziele der Zusammenlegung von Ar- betroffenen Mitbürgern ist es wichtiger, dass ihnen ge- (C)
beitslosen- und Sozialhilfe waren und sind das Fördern holfen wird, wobei es aus ihrer Sicht unerheblich ist, ob
und Fordern und der Zugang aller Hilfebedürftigen zu die Hilfe mit einem oder mit zwei Bescheiden gewährt
den Arbeitsmarktinstrumenten und der Arbeitsvermitt- wird.
lung der BA. Dieser Zusammenhang und die klare ar-
beitsmarktpolitische Ausrichtung des SGB II müssen ge- (Beifall bei der CDU/CSU – Anette Kramme
wahrt bleiben. [SPD]: Zwei! Vier!)

Gerade jetzt, zum fünften Jahrestag der SGB-II-Ge- Auch in diesem Fall kann zum Beispiel eine gemein-
setzgebung, zeigt sich der Erfolg dieses Prinzips. So hat same Antragstellung organisiert werden. Vor Gericht
die Frankfurter Rundschau gestern geschrieben: können Klagen gegen zwei Bescheide zu einem Verfah-
ren verbunden werden. Für die Betroffenen entstehen
Der deutsche Arbeitsmarkt schafft mehr Stellen als hierdurch keine Nachteile. Statt der Hilfe aus einer Hand
in der Vergangenheit. Das scheinbare Naturgesetz, kann es daher künftig die Hilfe unter einem Dach geben.
dass die Arbeitslosigkeit im Trend immer steigt, ist
gebrochen. Unsere Leitlinien lauten wie folgt. Erstens. Die opti-
male Hilfe für arbeitsuchende Menschen muss an erster
Weiter heißt es, dass „Hunderttausende den Weg zu-
Stelle stehen. Das sage ich insbesondere für die vielen
rück in die Berufswelt gefunden“ haben. Lieber Herr
Zuschauer an den Fernsehgeräten, die wissen wollen:
Heil, es war nicht alles falsch, was die SPD mit großer
Wie wird mir geholfen? Wird mir auch in einem Jahr
Zustimmung der Union damals auf den Weg gebracht
vernünftig geholfen werden können? Daran arbeiten wir.
hat.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Zweitens. Die Trägerschaft der Optionskommunen
muss auf jeden Fall entfristet werden. Dieses Modell hat
– Sie hätten ruhig länger klatschen können. – Dieser sich bewährt. Für diese Kommunen und insbesondere
große Erfolg wäre ohne die Arbeitsmarktreformen nicht ihre Mitarbeiter muss der Modellcharakter in eine feste,
möglich gewesen. zukunftssichere Form gewandelt werden, um Planungs-
sicherheit im Interesse der Mitarbeiterinnen und Mitar-
Frau Kollegin Kipping, Sie haben eben in Ihrer Rede
beiter zu schaffen.
das dramatische Beispiel angeführt, dass die Ausbil-
dungsvergütung auf die Hartz-IV-Leistungen ange- (Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine]
rechnet wird. Wir haben vor zwei Wochen hier in diesem [SPD]: Warum nicht in den Argen?)
Hause über die Anrechnung von Schüler- und Studen-
(B) tenjobs usw. auf Hartz-IV-Leistungen diskutiert. Wir ha- – Das habe ich Ihnen vorhin gesagt. (D)
ben zugesagt, bis zum Sommer zu prüfen, ob diese Er-
werbseinkommen von der Anrechnung auf Hartz IV Drittens. Die neue Organisation im SGB II muss ge-
befreit werden. Auch hier gilt – ich wiederhole es gern –: währleisten, dass die arbeitslosen Menschen von den
Hartz IV ist ein lernendes System, das jetzt genau fünf Trägern vor Ort in partnerschaftlichem Zusammenwir-
Jahre alt ist. Da ist noch nicht alles perfekt; da muss ken durch den Einsatz des arbeitsmarktpolitischen In-
nachjustiert werden. Das ist korrekt. Frau Ausschussvor- strumentariums effizient in Beschäftigung vermittelt
sitzende, ich kann Ihrer Kritik in einigen Punkten etwas werden können. Das gilt für die Zukunft mindestens
Positives abgewinnen. ebenso wie für die letzten Jahre.

Bei der jetzt anstehenden Neuregelung der SGB-II- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Verwaltung muss darauf geachtet werden, dass auch
Ich bin sicher, dass wir gemeinsam mit der Bundesre-
künftig kommunale Lösungen möglich sind und kom-
gierung auf dieser Grundlage ein tragfähiges Modell zu-
munale Belange berücksichtigt werden. Die Städte und
stande bringen. Unter diesen Gesichtspunkten will ich
Kreise verfügen über die notwendigen sozialen Kompe-
auch eine eventuelle Kompromisslösung auf Grundlage
tenzen, um gerade Personen mit komplizierten Vermitt-
der Gesetzentwürfe der SPD und der Grünen nicht von
lungshemmnissen wieder fit für den Arbeitsmarkt zu
vornherein ausschließen.
machen und in Beschäftigung zu bringen. Den Kommu-
nen, die sich dieser Aufgabe stellen wollen, muss die (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
Möglichkeit einer eigenständigen Trägerschaft gewährt BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Hubertus
werden. Heil [Peine] [SPD]: Von Ihrer Fraktion bekom-
Ein einheitlicher Bescheid über die passiven Geldleis- men Sie keinen Applaus!)
tungen war und ist nicht das ausschließliche Ziel des – Ich bin ebenso aufgeschlossen wie die Kollegen
SGB II. Das beweisen schon die 20 Kommunen – Frau Dörflinger und Schiewerling. Wir halten nicht stur und
Pothmer, Sie würden sagen, sie leben in wilder Ehe zu- mit Scheuklappen an unserer Meinung fest, lieber Herr
sammen –, Heil. Auch wir lernen dazu.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Nein!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Anette Kramme [SPD]: Es wäre schön, wenn
die schon heute auf freiwilliger Basis gut und konstruk- Sie den Rest dort auch noch überzeugen könn-
tiv mit den Arbeitsagenturen zusammenarbeiten. Den ten!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 945
Paul Lehrieder
(A) Voraussetzung ist, dass für arbeitsuchende Menschen punktepapier zur Kenntnis; es sei ein diskussionswürdi- (C)
ein solcher Kompromiss, die optimale Hilfe aus einer ger Ansatz. Sie machen hohe Auflagen, die letztlich nur
Hand, so bürokratiearm wie möglich ist. erfüllt werden können, wenn sie das ZAG umsetzen.
Dann gibt es noch den kleinen Hinweis darauf, dass man
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
weiterhin bereit ist, eine Verfassungsänderung mitzutra-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gen. Ich sage: Lauer kann der Beifall für eine Arbeitsmi-
nisterin nicht sein.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Beifall bei Abgeordneten der SPD –
Nun hat das Wort die Kollegin Anette Kramme für die Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber lauer kann
SPD-Fraktion. er für eine SPD-Sprecherin auch nicht sein!)
(Beifall bei der SPD) Halten wir uns vor Augen, was die Umsetzung Ihres
Eckpunktepapieres bedeuten würde: Die Arbeitsuchen-
Anette Kramme (SPD): den bekommen zwei Bescheide. Im schlimmsten Fall
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und müssen sie zwei Widerspruchsverfahren und zwei Kla-
Kollegen! Meine Damen und Herren von der Union! Es geverfahren durchführen. Wenn sie irgendwelche Infor-
ärgert mich ein wenig, wenn Sie sich den Heiligenschein mationen einholen wollen, dann haben sie nicht einen
als vermeintliche Schützer des Grundgesetzes aufsetzen. Ansprechpartner, sondern müssen sich grundsätzlich an
zwei Behörden wenden. Viele Aufgaben müssen doppelt
(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Lieber einen erledigt werden, beispielsweise die Außendienste oder
Heiligenschein als scheinheilig!) der Forderungseinzug. Völlig unklar ist, was passiert,
Dieses Grundgesetz ist seit seinem Inkrafttreten unend- wenn Agentur und kommunale Träger zu einer unter-
lich oft geändert worden. Es beinhaltet die Ewigkeitsga- schiedlichen Einschätzung einerseits der Erwerbsfähig-
rantie, die einen tatsächlichen Schutz bewirkt. Ich sage keit und andererseits der Hilfebedürftigkeit kommen.
Ihnen: Es gab weitaus nichtigere Zwecke, für die wir das Man stelle sich auch vor, was bei einer einfachen Ein-
Grundgesetz geändert haben. gliederungsvereinbarung passiert – tagtägliches Ge-
schäft –: Da sollen kommunale Leistungen einbezogen
Das IAB hat in den letzten Tagen eine Feststellung werden. Jedes Mal müssen die Telefone heißlaufen,
getroffen, die ich sehr wichtig finde, nämlich: Die Job- damit die Zustimmung der Kommune eingeholt werden
center funktionieren, die Langzeitarbeitslosigkeit ist re- kann. Die kommunalen Träger, obwohl Sie sie so hoch
duziert worden, und die Arbeitsmarktinstrumente grei- hängen und sagen, deren Wissen sei entscheidend,
fen grundsätzlich. werden keinen relevanten Einfluss auf die Arbeitsmarkt-
(B) (D)
(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Und politik mehr haben. Es gibt keine Lösung für die IT. Es
Hartz IV wirkt präventiv!) ist auch sehr fraglich, ob kommunale Beschäftigte in der
Übergangszeit der BA hinreichend zur Verfügung ste-
Was Sie von Union und FDP machen, ist dagegen un- hen.
verantwortlich.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: All diese Fragen
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – haben Sie damals nicht aufgeworfen, als Sie
Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie haben jahre- Hartz IV eingeführt haben!)
lang nichts zustande gebracht!)
Gerade in einer Arbeitsmarktkrise ist es eine Katastro-
Sie wollen funktionierende Behördenstrukturen aus- phe, dass Sie die Funktionsfähigkeit dieses Ladens in-
einanderreißen. Schade ist, dass nicht Sie die Leidtra- frage stellen wollen.
genden sind, sondern die Arbeitsuchenden in der Bun-
desrepublik Deutschland. Ich sage: Das kann und darf (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
nicht sein. des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD) All diese Punkte könnten gelöst werden, wenn sich
die Bundesregierung zu dem Kompromiss zwischen
Dabei könnte die Geschichte so einfach sein. Denken Ländern und Bund vom Anfang dieses Jahres bekennen
Sie an das Frühjahr 2009 zurück, als alle Ministerpräsi- würde. Die bewährten Jobcenterstrukturen bleiben auf-
denten dem Gesetzentwurf von Olaf Scholz zugestimmt rechterhalten. Das ZAG bringt zusammen, was zusam-
haben. Vielleicht erinnern Sie sich noch – obwohl ich mengehört. Wir bieten den Arbeitsuchenden und den Be-
vermute, es ist Ihnen unangenehm – an die Arbeitsminis- schäftigten verlässliche Kontinuität, den geringsten Grad
terkonferenz vom 25. und 26. November. Alle Bundes- an Bürokratie und letztlich deutlich weniger Kosten.
länder mit Ausnahme von Baden-Württemberg haben
sich für das ZAG ausgesprochen. Auch wenn man den (Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]:
aktuellen Beschluss der Arbeitsministerkonferenz liest, Deswegen waren Sie schon immer Anhänger
stellt man fest: Im Prinzip ist keine andere Situation ge- der Optionskommunen!)
geben.
Weihnachten ist bekanntlich die Zeit der Besinnlich-
(Beifall bei der SPD) keit.
Der Beschluss ist für die Arbeitsministerin mehr (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Gehen Sie in
Schein als Sein. Die Länder sagen, sie nähmen das Eck- sich, Frau Kramme!)
946 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Anette Kramme
(A) Ich hoffe, dass diese Regierung nicht nur besinnliche Folgende Punkte sind der FDP-Bundestagsfraktion (C)
Weihnachtstage verbringt, sondern endlich auch zur Be- dabei besonders wichtig: Wir brauchen klare Zuständig-
sinnung kommt. keitsregeln. Wir wollen Hilfebedürftige nicht zu Bittstel-
lern degradieren und sie von Amt zu Amt schicken. Wir
In diesem Sinne herzlichen Dank. wollen die Zahl der Vermittlungen in Arbeitsverhältnisse
(Beifall bei der SPD) steigern, und wir wollen die Kompetenzen der Kom-
munen weiter stärken.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Für die FPD-Fraktion hat nun das Wort die Kollegin der CDU/CSU)
Gabriele Molitor.
Gerade die letzte Forderung ist uns Liberalen besonders
(Beifall bei der FDP) wichtig. Das Prinzip der gleichen Augenhöhe soll auch
für die Zusammenarbeit von Kommunen und Bundes-
Gabriele Molitor (FDP): agentur gelten.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir von (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist das!)
der FDP-Bundestagsfraktion nehmen soziale Verantwor-
tung ernst, Die Kommunen sollen sich um die Betreuung und Ver-
mittlung von Langzeitarbeitslosen kümmern können. Sie
(Beifall bei der FDP) kennen den örtlichen Arbeitsmarkt, sie pflegen Kontakt
und zwar so ernst, dass wir auch die Hausaufgaben erle- zu den Arbeitgebern, zu den Wohlfahrtsorganisationen
digen, die andere aufbekommen haben. und zu den Weiterbildungseinrichtungen.
Es ist jetzt zwei Jahre her, dass das Bundesverfas- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
sungsgericht eine Neuorganisation der Argen gefordert der CDU/CSU)
hat. In der letzten Legislaturperiode hat es die Vorgän- Diese Nähe hat Auswirkungen auf die Effizienz. Es
gerregierung nicht vermocht, eine langfristig wirksame muss doch darum gehen, das Problem Arbeitslosigkeit
Neuregelung für die Jobcenter zu schaffen. zu lösen und es nicht nur zu verwalten.
(Beifall bei der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb
(Beifall bei der FDP)
[FDP]: Das müssen wir festhalten! Wir müs-
sen das jetzt aufholen!) Es liegt im ureigenen Interesse der Kommunen, die Ar-
beitslosenzahl gering zu halten. Wir verstehen die Sor-
(B) Wir stellen uns dieser Aufgabe; denn eine echte Reform gen der Kommunen, angefangen bei der Angst vor mehr (D)
tut dringend not. Wir sind es den Millionen Menschen,
Bürokratie bei der Arbeitsvermittlung und fehlender
die arbeitslos sind, schuldig, und wir sind es der Solidar-
Einflussnahme bei der Entscheidungsfindung von Be-
gemeinschaft, bestehend aus Beitrags- und Steuerzah-
dürftigkeit bis hin zu der Angst vor finanziellen Mehrbe-
lern, schuldig. Eines ist doch klar: Viele Menschen, die
lastungen.
schon lange arbeitslos sind, leiden unter ihrer Situation
und möchten wieder selbst für ihren Lebensunterhalt (Beifall des Abg. Hubertus Heil [Peine]
aufkommen. Sie brauchen Betreuung, Beratung und Un- [SPD])
terstützung. Dabei ist es wichtig, jeden einzelnen indivi-
duell zu fördern und auch zu fordern. Die Beschlüsse der Arbeits- und Sozialminister der
Bundesländer verfolgen wir mit Interesse und begrüßen,
(Beifall bei der FDP) dass das Eckpunktepapier des Ministeriums die Entfris-
Als Stadtverordnete meiner Heimatstadt Erftstadt tung der Optionskommunen vorsieht.
habe ich beobachtet, wie quälend lange es gedauert hat, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
bis die Arge endlich ihre Tätigkeit aufgenommen hat. der CDU/CSU)
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es wäre ein positives Signal, weiteren Kommunen die
Und jetzt wollen Sie sie zerschlagen!) Möglichkeit zu geben, diesen Weg zu gehen.
Das lag nicht an den Mitarbeitern. Eine Immobilie (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
musste gefunden werden. Zeitgleich wurden Mitarbeiter der CDU/CSU)
rekrutiert. Es war gar nicht so einfach, aus Mitarbeitern
aus der Stadtverwaltung, die häufig aus dem Sozialamt Die skizzierte Konzeption macht eine Grundge-
stammten, und Mitarbeitern aus der Bundesagentur ein setzänderung unnötig. Deshalb werden wir den Gesetz-
Team zu bilden. Von den Schwierigkeiten bei der Daten- entwürfen der Opposition nicht zustimmen.
verarbeitung will ich erst gar nicht reden.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Für eine Neuregelung bleibt uns nicht viel Zeit. Des- NEN]: Aber da hat sich Herr Kolb gesprächs-
halb begrüßen wir das Eckpunktepapier der Arbeits- und bereit gezeigt!)
Sozialministerin als vernünftige Diskussionsgrundlage.
Ein Zurechtbiegen des Grundgesetzes kann die substan-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ziellen Probleme nicht lösen. Auch wenn die Zeit drängt,
der CDU/CSU) sind Schnellschüsse schlecht.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 947
Gabriele Molitor
(A) (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wenn du es eilig stellen: Um was geht es in diesem Bundesverfassungsge- (C)
hast, gehe langsam!) richtsurteil? Geht es da um ein verfassungstechnisches
Problem,
Wir brauchen ein konstruktives und tragfähiges Kon-
zept, ohne dabei die Verfassung an das politische Tages- (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
geschäft anzupassen. NEN]: Ja!)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten um eine Regelungs- oder Zuständigkeitslücke, die man
der CDU/CSU) leicht schließen kann?
Bei allem, was wir tun, müssen wir darauf achten, Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie das Ur-
Menschen in Arbeit zu bringen. Dabei sollten wir dieje- teil lesen, werden Sie feststellen: Es geht um einen
nigen nicht vergessen, die es auf dem Arbeitsmarkt be- Verstoß gegen Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes. Im
sonders schwer haben: die Alleinerziehenden, die Ge- Klartext: Es geht um einen Verstoß gegen die Selbstver-
ringqualifizierten, die Menschen mit Behinderung und waltungsgarantie der Kommunen. Ich sage hier in die-
die Menschen mit Migrationshintergrund. sem Hause: Da müssen bei jedem, der aus der kommuna-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten len Familie kommt – das sind in allen Fraktionen viele –,
der CDU/CSU) die Alarmglocken läuten.
Im Koalitionsvertrag haben CDU/CSU und FDP fest- (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
geschrieben, eine einfachgesetzliche Lösung herbeizu- Aber die Kommunen wollen das doch!)
führen. Dazu stehen wir. Bürokratische Doppelstruktu-
Es gibt Bereiche in unserer Verfassung, in denen wir
ren sollen vermieden werden, die Leistungserbringung
keine Dammbrüche zulassen dürfen. Es geht um nicht
für den Bürger soll nachvollziehbar und effektiv sein.
mehr und nicht weniger als um den Schutz unserer Ge-
Die Arbeitslosen brauchen ein funktionierendes Hilfe-
meinden, Städte und Landkreise vor unzulässigen Ein-
system und keine langwierige Diskussion über Organisa-
griffsmöglichkeiten des Bundes bzw. die volle, transpa-
tionsformen. Dieser Aspekt sollte bei der Diskussion
rente, umfängliche Verantwortung für eigene Aufgaben.
über Reformen immer im Hinterkopf sein.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Genau hier, bei der Selbstverwaltungsgarantie nach
Art. 28 Abs. 2 des Grundgesetzes, liegt auch der Lö-
Lassen Sie uns gemeinsam die Chance nutzen, eine Re- sungsansatz. Denn eines ist unbestritten: Unsere Kom-
gelung zu finden, die den Betroffenen wirklich hilft. munen sind die stärkste, innovativste und auch vielfäl-
Vielen Dank. tigste öffentliche Ebene. Diese Pluralität vor Ort macht
(B) auch die Stärke unseres Landes aus. Aus dieser Unter- (D)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten schiedlichkeit resultieren im Übrigen auch die bisher
der CDU/CSU) schon sehr unterschiedlichen Lösungen und Lösungsvor-
schläge.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Es kommt nicht von ungefähr – in der heutigen De-
Frau Kollegin Molitor, das war Ihre erste Rede in die- batte wurden schon die verschiedensten Stellungnahmen
sem Haus. Ich gratuliere Ihnen herzlich dazu und wün- genannt –, dass auch vonseiten der kommunalen Familie
sche Ihnen für Ihre weitere Arbeit alles Gute und viel Er- verschiedene Stellungnahmen vorliegen, querbeet und
folg. egal von welchen Fraktionen. Die Wirtschaftskraft ist
(Beifall) vor Ort unterschiedlich, damit auch die Arbeitslosenquo-
ten und die regionalen Strukturen, und auch die kommu-
Nun hat das Wort der Kollege Bernhard Kaster für die nale Selbstverwaltung ist je nach Selbstverwaltungsmo-
CDU/CSU-Fraktion. dell durchaus unterschiedlich.
(Beifall bei der CDU/CSU) (Anette Kramme [SPD]: Trotzdem wollen Sie
zulassen, dass manche Kommunen stärker be-
Bernhard Kaster (CDU/CSU): lastet werden!)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Das Bundesverfassungsgericht hat ent- Aber eines verbindet die Kommunen: Sie sind die
schieden: Die Arbeitsgemeinschaften nach § 44 b Ebene, die dem Bürger am nächsten steht und für die
SGB II verstoßen gegen unsere Verfassung. Kooperation schon seit Jahrzehnten kein Fremdwort ist.

Jetzt schlagen Sie von der SPD – differenziert und auf (Beifall bei der CDU/CSU)
einem anderen Weg auch die Grünen – und viele andere Wenn jemand kooperieren und Verträge schließen kann,
im Lande vor, die Verfassung zu ändern. Vereinfacht dann sind es die Kommunen. Was diese Kooperationsbe-
ausgedrückt: Was nicht passt, wird passend gemacht. – reitschaft und Flexibilität angeht, kann sich der Bund
Aber so einfach geht das in diesem Falle nicht. von den Kommunen manchmal eine Scheibe abschnei-
(Beifall bei der CDU/CSU) den.
Ich gebe zu, dass ein solcher Vorschlag durchaus leicht (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
kommunizierbar ist. Aber wir müssen doch die Frage neten der FDP)
948 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Bernhard Kaster
(A) Die Lösung liegt auf der Hand. Wir brauchen nach NEN]: Haben Sie unseren Gesetzentwurf gele- (C)
Bund und Ländern gerade nicht eine quasi in der Verfas- sen?)
sung verankerte dritte Ebene in Form einer erstmalig
eingeführten Mischverwaltung. Wir brauchen vielmehr In der letzten Legislaturperiode haben wir mit den
einen einfachgesetzlichen Rahmen für Kooperations- Föderalismusreformen I und II sowohl bei den Aufgaben
möglichkeiten vor Ort unter einem Dach. als auch bei den Finanzen gerade erst für mehr Klarheit
in der Aufteilung der Kompetenzen zwischen Bund
(Anette Kramme [SPD]: Viele Kommunen ha- und Ländern in der Verfassung gesorgt. Eine verfas-
ben dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz sungsmäßige Verankerung einer absoluten Mischverwal-
trotzdem zugestimmt!) tung würde dies nicht nur konterkarieren, nein, sie wi-
Wir brauchen Möglichkeiten der Kooperation zwischen derspräche, wie richtigerweise gesagt worden ist, auch
Bundesagentur und Kommunen auf Augenhöhe. dem Demokratiegebot.

Lassen Sie mich an dieser Stelle sagen – das ist in die- Lassen Sie mich sagen, dass es viele gute Gründe da-
ser Debatte noch nicht gesagt worden –, dass sich die für gibt, dass, wenn es um unsere Verfassung geht, das
Bundesagentur gerade in den letzten Jahren unter der Pippi-Langstrumpf-Prinzip – „Ich mach mir die Welt,
Leitung von Frank-Jürgen Weise mit ihren vielen enga- wie sie mir gefällt“ – nicht zulässig ist.
gierten und kompetenten Mitarbeitern hervorragend und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
positiv entwickelt hat und gut aufgestellt ist. Deshalb der FDP)
muss es auch möglich sein, dass unsere Städte und Ge-
meinden mit viel Freiraum entscheiden können, wie die Deswegen, verehrte Kolleginnen und Kollegen, setzen
Kooperation mit der Bundesagentur ganz konkret aus- wir auf Subsidiarität, auf Freiraum vor Ort, auf Vertrags-
sieht. freiheit, auf die Kreativität unserer starken Kommunen –
zusammen mit einer gut aufgestellten Bundesagentur für
In einem Punkt bin ich mir ganz sicher: Wir werden Arbeit. Ich bin überzeugt davon, dass Kommunen und
bürgernahe und effiziente Lösungen für die Arbeitsu- Bundesagentur für Arbeit für die Bürgerinnen und Bür-
chenden finden. Frau Bundesministerin von der Leyen ger, für die es schlichtweg um Existenzsicherung geht,
geht deshalb mit der Vorlage des Eckpunktepapiers in praktikable Lösungen finden. Wir müssen ihnen hierzu
die richtige Richtung. nur den Freiraum geben.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist gar
Ich bedanke mich.
keine Richtung!)
Wir sollten die Grundgesetzänderung nicht wie eine (Beifall bei der CDU/CSU)
(B) (D)
Monstranz ständig vor uns hertragen. Es gibt hier andere
Wege. Wir müssen die Kommunen weiter stärken. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Wenn Sie davon sprechen, dass Ihre Lösung die einfa- Nächste Rednerin ist die Kollegin Angelika Krüger-
chere oder sogar die kostengünstigere ist, dann muss Leißner für die SPD-Fraktion.
dem entgegengehalten werden, dass der Bundesrech- (Beifall bei der SPD)
nungshof schon damals, als es um den Gesetzentwurf
ging, betont hat, dass Mehrbelastungen in Höhe von gro-
ßen dreistelligen Millionenbeträgen im Raume stehen, Angelika Krüger-Leißner (SPD):
die zusätzlich auf unsere Volkswirtschaft, auf die Kom- Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-
munen zukommen. legen! Die Legenden unseres Kollegen Kolb haben mich
ein wenig an das erinnert, was in diesem Jahr in puncto
Noch ein Wort dazu, was Vereinfachung von Geset- Reform der Jobcenter passiert ist.
zestexten bedeutet. Schauen Sie sich bitte einmal an, wie
der Paragraf, in dem die Finanzierung aus Bundesmitteln Als wir uns bereits im März dieses Jahres damit be-
geregelt ist – § 46 SGB II –, derzeit aussieht: Er geht schäftigten, ahnte ich schon Schlimmes; denn die Union
über mehrere Seiten und hat neun Absätze. Es gibt mit sagte Nein zu unserem Vorschlag. Nein zu einem Kom-
Sicherheit einfachere Möglichkeiten, das zu regeln. promiss, den unser damaliger Arbeitsminister, Olaf
Scholz, zusammen mit den Länderchefs und mit Zustim-
(Anton Schaaf [SPD]: Machen Sie einmal mung der Kanzlerin ausgehandelt hatte. Mit diesem
einen Vorschlag!) Kompromiss hätte der Schwebezustand bei der Betreu-
Es geht hier nicht – Frau Pothmer hat es, glaube ich, so ung der Langzeitarbeitslosen, den wir seit dem Urteil des
genannt – um Verfassungsästhetik, aber es geht sehr Bundesverfassungsgerichts haben, endlich beseitigt wer-
wohl darum, dass die Verfassung eine Verfassung ist. den können. Beseitigt hat die Union nicht diesen Schwe-
Auch wenn wir, wie das Beispiel des § 46 SGB II zeigt, bezustand, im Gegenteil, beseitigt hat sie sämtliche
bei einfachen Gesetzen Formulierungen haben, die im Hoffnungen, rechtzeitig eine dauerhafte, tragfähige und
Prinzip den Charakter von Rechtsverordnungen haben, verlässliche Lösung für die Jobcenter zu schaffen.
können wir solche Formulierungen nicht in die Verfas-
Die Lösung, die wir bereits im März aufgezeigt hatten
sung hineinschreiben.
und die wir heute hier einbringen, besteht in der Fortfüh-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – rung der bewährten Zusammenarbeit in den neuen Zen-
Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tren für Arbeit und Grundsicherung verbunden mit einer
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 949
Angelika Krüger-Leißner
(A) Änderung des Grundgesetzes. Alle hier wissen, auch (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das steht bei uns (C)
wenn sie es nicht aussprechen, dass es nur so geht. auch drin!)
(Beifall bei der SPD) Unter dem Strich entspricht unser Vorschlag also den
Erwartungen der Bundesländer und der Kommunen.
Dieser Vorschlag wird von vielen Seiten unterstützt:
vom Deutschen Städte- und Gemeindebund, vom Deut- (Beifall bei Abgeordneten der SPD –
schen Städtetag, vom Deutschen Landkreistag, von den Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Steht auch in dem
Ländern, vor allen Dingen aber – das scheint mir wich- Eckpunktepapier!)
tig; denn um sie geht es – von den 346 Jobcentern. Durch alle anderen Lösungen, Herr Kolb, zum Beispiel
(Beifall bei der SPD) die in diesem Eckpunktepapier, wird eine Vielzahl von
neuen Problemen aufgeworfen. Sehr geehrte Frau Minis-
Mit unserem Gesetzentwurf zeigen wir auf, dass Leis- terin, dass Sie gerade in diesen wirklich sehr schwieri-
tungen aus einer Hand möglich sind, und das mit dem gen Zeiten in unserem Land, mitten in der größten öko-
geringsten Aufwand an Bürokratie und letztendlich mit nomischen Krise mit weiteren Auswirkungen auf den
weniger Kosten für Bund und Kommunen. Arbeitsmarkt, diesen Vorschlag machen, halte ich für
Sehr geehrte Kollegen der Koalitionsfraktionen, Sie verantwortungslos.
können das doch nicht einfach beiseiteschieben und mit Darum lassen Sie mich zum Schluss einige ganz per-
Ihrem Eckpunktepapier wider besseres Wissen einen äu- sönliche Worte an Sie richten. Ich weiß, dass diese erste
ßerst vagen und intransparenten Vorschlag auf den Tisch Gesetzesarbeit für Sie als Arbeits- und Sozialministerin
legen. Wenn das Wirklichkeit wird, dann – da muss ich eine wirklich große Herausforderung ist. Wir alle, alle
Frau Pothmer wirklich zustimmen – haben wir Großbau- Abgeordneten, werden diesen Prozess vor Ort im Wahl-
stellen, und das auf lange Sicht. kreis begleiten. Ich bitte Sie: Schauen Sie sich die Arbeit
(Beifall bei der SPD) in den Argen an, sprechen Sie mit den kommunalen Ver-
tretern und der BA, diskutieren Sie mit ihnen unseren
Die Folgen wären weniger Arbeitsangebote, mehr Büro- Vorschlag der Hilfe aus einer Hand und spielen Sie Ihre
kratie und mehr Ärger und Frust aufseiten der Arbeitsu- getrennte Aufgabenwahrnehmung mit den möglichen
chenden und der Beschäftigten. Das wäre ein Rück- Folgen durch! Ich möchte Sie einladen, das mit mir vor
schritt, der durch nichts zu rechtfertigen ist. Ort, vor den Toren Berlins, in der Arge Havelland in
Nauen zu machen.
Sehr geehrte Ministerin, ich habe Sie gestern im Aus-
schuss erlebt und gespürt, dass auch Ihnen bei dieser Sa- Danke.
(B) che nicht wohl ist. Sie wissen genau, dass es die von Ih- (D)
(Beifall bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb
nen gewünschte freiwillige Zusammenarbeit nicht
[FDP]: Sie wollen uns nur in Ihren Wahlkreis
ohne Weiteres geben wird; denn nur mit einer Grundge-
locken, Frau Krüger-Leißner!)
setzänderung wäre die bisher erfolgreiche gemeinsame
Arbeit der BA und der Kommunen zu sichern. – Das wäre doch nicht schlecht, oder?
(Beifall bei der SPD)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Sie fahren hier aber einen Schlingerkurs, weil Sie ein Nächste Rednerin ist die Kollegin Andrea Astrid
enormes internes Problem haben, nämlich den Konflikt Voßhoff für die CDU/CSU-Fraktion.
zwischen den Koalitionsfraktionen und den Erwartungen
der Länder und Kommunen. (Beifall bei der CDU/CSU)
(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]:
Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU):
Das ist Ihr Wunschdenken! Lächerlich!)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kolle-
Weil das so ist und wir alle es wissen, stellen die Län- gen! Hatten Sie schon einmal Zeit und Gelegenheit, die
der nun massive Forderungen. Wenn sie schon auf Ihr Erstausgabe des Grundgesetzes zu lesen? Falls nicht,
Modell der getrennten Aufgabenwahrnehmung einge- kann ich es Ihnen nur dringend empfehlen. Im Gegen-
hen, dann wollen sie pokern. Ich finde das sehr unan- satz zur aktuellen Ausgabe ist sie von bestechender Klar-
ständig; denn wir wissen, dass die Hilfe und Betreuung heit und beeindruckender Kürze.
der Langzeitarbeitslosen und die Sorgen der 55 000 Be-
Wie sagte Bundestagspräsident Lammert bei einer
schäftigten bei diesem Poker keine Rollen spielen wer-
Veranstaltung anlässlich des 60-jährigen Bestehens des
den.
Grundgesetzes in diesem Jahr so treffend:
Was die Bundesländer mit ihren Kommunen wollen,
Das Grundgesetz ist in den vergangenen 60 Jahren
kann man in drei Punkten zusammenfassen: Sie wollen
deutlich länger geworden. Nach Auskunft von Ex-
erstens Leistungen aus einer Hand haben. Genau das
perten … hat es inzwischen nahezu den doppelten
steht in unserem Gesetzentwurf. Sie wollen zweitens
Umfang gegenüber dem Text von 1949.
Kooperation auf gleicher Augenhöhe. Genau das steht
bei uns drin. Sie wollen drittens eine langfristige Absi- Er konstatiert, dass zumindest die Frage erlaubt ist, ob es
cherung der Optionskommunen. Das sichern wir ihnen mit der erheblichen Erweiterung auch erheblich besser
zu. und präziser geworden ist.
950 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Andrea Astrid Voßhoff


(A) Vergleicht man das Grundgesetz mit einem Haus, so ersten Bekanntwerden abgelehnt. Das wissen Sie. Das (C)
passt der Vergleich, dass das Grundgesetz natürlich nicht wurde heute schon hinreichend diskutiert.
unter Denkmalschutz steht. Veränderte Aufgabenstellun-
(Zuruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD])
gen und veränderte Verfassungswirklichkeiten machen
eine Anpassung immer wieder notwendig. Aber man – Herr Heil, da Sie das ZAG so vehement verteidigen:
kann den noch so gelungenen Grundriss eines Hauses Selbst das BMAS unter SPD-Führung hat dieses Geset-
durch immer neue An- und Umbauten irgendwann auch zesvorhaben dem Grunde nach abgelehnt.
völlig verunstalten. Das Haus wird dann nicht unbedingt
schöner; es wird unübersichtlicher. Der Bürger verliert Der Weg der Verfassungsänderung, der heute von der
in seinem eigenen Haus die Orientierung. Opposition vorgeschlagen wird, sollte immer Ultima Ra-
tio sein. Montesquieu hat so schön und plakativ formu-
(Beifall bei der CDU/CSU) liert. In leichter Abwandlung darf ich es wiederholen:
Wenn es nicht nötig ist, die Verfassung zu ändern, ist es
Nicht nur das: In einer verfassungsrechtlichen Unter- nötig, die Verfassung nicht zu ändern.
suchung aus Anlass des 60-jährigen Bestehens des
Grundgesetzes findet sich unter dem Titel „Vom Altern (Beifall bei der CDU/CSU)
einer Verfassung“ der aufschlussreiche Satz: Es ist heute deutlich geworden, dass es immer wieder
Ein Blick in den Text des Grundgesetzes bestätigt Neigungen gibt, das Grundgesetz zu ändern. Frau
die Vermutung, dass wenig so schnell veraltet wie Pothmer hat gesagt, wir könnten doch schnell eine Än-
seine Neuerungen. derung vornehmen. Vonseiten einer Kollegin aus der
SPD hieß es vorhin, das könnte alles so einfach sein.
Woran mag der Verfasser gedacht haben? Mir fallen Wer vorschnell und trotz Alternativen Grundgesetzände-
dazu die Ergebnisse der ersten Föderalismuskommis- rungen einfordert, befördert die Tendenz, politische Ge-
sion ein, die gerade mal drei Jahre in Kraft sind und die staltungsabsichten nicht mehr der Mühsal einfachgesetz-
von dem Willen getragen waren, Kompetenzen und Zu- licher Umsetzung auszusetzen, sondern gleich in den
ständigkeiten zwischen Bund und Land zu entflechten Verfassungsrang zu erheben.
und klar zuzuordnen. Wir haben uns 2006 in der Föko I,
der ersten der beiden großen Staatsreformen in der Ge- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber Sie wol-
schichte Deutschlands, darauf verständigt, eine Entflech- len die deutsche Sprache ins Grundgesetz brin-
tung der Bund-Länder-Beziehungen vorzunehmen. Es gen!)
ging dabei um eine klare Abgrenzung der Kompetenzen Zu Recht hat Bundestagspräsident Lammert die Frage
der Länder von den Kompetenzen des Bundes, und es aufgeworfen, welche Folgen es hat, wenn immer häufi-
(B) ging um die Stärkung der Demokratie, damit die Bürge- ger neben Grundsätzen und Grundregeln politische Ge- (D)
rinnen und Bürger in Zukunft erkennen können, wer für staltungsabsichten mit Verfassungsrang ausgestattet wer-
was zuständig ist und wer die alleinige Verantwortung den. Er fragt – ich darf zitieren –:
trägt.
Was das für die Spielräume künftiger Gesetzgeber,
Dazu passt es dann auch, dass Professor Korioth in ei- künftiger demokratisch legitimierter Mehrheiten
nem Aufsatz zu der Entscheidung des Bundesverfas- bedeutet und damit auch für die Architektur eines
sungsgerichts, über die wir heute bereits gesprochen ha- politischen Systems, für das wir uns im Großen und
ben, feststellt: Ganzen regelmäßig wechselseitig beglückwün-
schen und das mit gutem Grund, weil uns in unserer
Mit der Verfassungswidrigkeitserklärung der Ar- Geschichte selten Ähnliches ähnlich gut gelungen
beitsgemeinschaften nach § 44 b SGB II erweist ist wie diese Verfassung.
sich wieder einmal das Bundesverfassungsgericht
als diejenige Instanz, die folgerichtig den Gesetzge- Deshalb stellt sich rechtspolitisch bei der Umsetzung
ber anmahnt und die Politik beim Wort nimmt. Wer des Verfassungsgerichtsurteils in beiden Fällen die
die klare Verteilung von Verantwortung fordert, Frage, ob eine Grundgesetzänderung unumgänglich ist
muss sich auch daran messen lassen. oder ob sich das Problem, was heute mehrfach diskutiert
worden ist, durch einfachgesetzliche Regelungen lösen
(Beifall bei der CDU/CSU) lässt. Das gilt sowohl für den Bestand der gemeinsamen
Die Frage, wie künftig die Leistungsträgerschaft und Grundsicherung als auch für die Regelung über die Op-
die Kostentragung bei der Grundsicherung für Arbeitsu- tionskommunen.
chende ausgestaltet werden soll, haben wir also im Ich finde, das Eckpunktepapier des BMAS bietet da-
Lichte der Änderungen durch die Föderalismuskommis- für eine gute Handlungsgrundlage, zumal darin auch der
sionen und den Entscheidungsspielraum zu beantworten, Versuch gestartet wird, es eben nicht zu einer Verfas-
den uns das Bundesverfassungsgericht gegeben hat. sungsänderung kommen zu lassen. Das halte ich für
sinnvoll und zielführend.
Was macht die Opposition? Sie bringt heute zwei Ge-
setzentwürfe zur Änderung des Grundgesetzes ein. Das Bundesverfassungsgericht hat uns einen Gestal-
Über die Pläne der SPD ist bereits alles gesagt worden. tungsspielraum gegeben. Wenn man das Urteil intensiv
Dem braucht man nichts hinzuzufügen. Die Unionsfrak- durchliest, findet sich nicht nur eine Lösung, sondern es
tion hat diese Pläne, die zu einem kostenintensiven und gibt mehrere. Wenn eine verfassungskonforme Lösung
gigantischen Behördenaufbau führen, bereits nach dem gefunden werden kann, ohne die Verfassung zu ändern,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 951
Andrea Astrid Voßhoff
(A) dann sollten wir diese favorisieren, selbstverständlich mit rin, um dieses Geschenk beneide ich Sie nicht. Unter (C)
dem Ziel, für die Arbeitsuchenden, um die es uns schließ- dem Tannenbaum liegt ein Päckchen, bei dem es um die
lich geht, eine effiziente Verwaltung auszugestalten. zukünftige Aufgabenwahrnehmung in der Grundsiche-
rung für Arbeitsuchende geht. Selbst die Schleife, die
Meine Damen und Herren, abschließend will ich noch
Sie daran mit Ihrem Eckpunktepapier gemacht haben,
ein Problemfeld ansprechen. Darüber, inwieweit eine
überzeugt nicht. Zu Recht wurde angesprochen: Die Fol-
Entfristung bei den Optionskommunen oder eine Aufsto-
gen sind eine Großbaustelle, Selbstbeschäftigung und
ckung der Zahl dieser Kommunen möglich ist, müssen
ein gigantischer Bürokratieaufbau, den Sie dann helden-
wir in verfassungsrechtlicher Hinsicht ausreichend dis-
haft wieder abbauen werden. Das finden wir nicht hin-
kutieren; denn wir haben durch die Föderalismusreform I
nehmbar.
einen Satz in Art. 84 des Grundgesetzes aufgenommen,
wonach es dem Bund verboten ist, den Kommunen Auf- (Beifall bei der SPD)
gaben zu übertragen. Hier gibt es sicherlich noch Diskus-
sions- und Handlungsbedarf. Aber ich denke, das ist lös- Denn wir sehen einer Zeit entgegen, in der die betreffen-
bar. Wenn man das Urteil des Bundesverfassungsgerichts den Behörden Dienstleistungen für all diejenigen erbrin-
liest und sich vor Augen führt, was heute zum Thema gen müssen, die Sorge um ihren Arbeitsplatz haben, ihn
Optionskommunen gesagt wurde, dann stellt man fest: verloren haben und wieder in den Arbeitsmarkt wollen.
Unabhängig davon, wie wir es regeln, sind die Options- Darauf muss die Arbeit der betreffenden Behörden ge-
kommunen im Zusammenhang mit der Zusammenle- richtet sein. Es ist Zeit, zu handeln.
gung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe ein Erfolgs- Wir legen einen Gesetzentwurf vor – auch für ihn gilt
modell geworden. Die Tatsache, dass eine Vielzahl von das Struck’sche Gesetz – und sind zu einer Debatte be-
Landkreisen künftig ebenfalls optieren will, zeigt, dass reit, Herr Kolb. Wir denken allerdings, dass ein Gesetz-
die Union von Anfang an mit den Optionskommunen auf entwurf eine bessere Arbeitsgrundlage darstellt als ein
das richtige Konzept gesetzt hat. Eckpunktepapier, bei dem einem nur Zweifel kommen
(Beifall bei der CDU/CSU) können.

Ich bin sicher, dass wir nach Vorlage des Eckpunkte- (Beifall bei der SPD)
papiers des BMAS in den anschließenden Beratungen Frau Voßhoff, ich verstehe Ihre Argumentation betref-
eine vernünftige und im Sinne der Verfassung notwen- fend die Verfassung und schätze Sie als Kollegin sehr.
dige Regelung in dieser Frage finden werden. Aber soll ich aus Ihren Worten schließen, dass wir ver-
Vielen Dank. mutlich in dieser Legislatur überhaupt keine Verfas-
sungsänderung haben werden? Ich kann mir gar nicht
(B) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- vorstellen, dass es etwas gibt, was ebenso wichtig – oder (D)
neten der FDP) sogar wichtiger – wie ein guter Service für Millionen
Menschen in der Bundesrepublik Deutschland ist, die ei-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: nen Rechtsanspruch auf Hilfe haben. Meines Erachtens
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist nun die Kollegin ist das ein sehr hohes Ziel, dem wir entsprechen müssen.
Gabriele Lösekrug-Möller. (Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD)
Warum sitzt uns die Zeit heute so im Nacken? Wenn
wir ehrlich sind: Seit Frühjahr vergangenen Jahres hat es
Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): in der Fraktion der CDU/CSU ein Denk- und Entschei-
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In einer dungsverbot zu diesem Thema gegeben. Das ist die Ur-
Woche ist Heiligabend. Wir sollten daher einen Blick auf sache für die Zeitnot, in der wir uns nun befinden.
die Bescherung unserer Regierung werfen. Sie folgt ei-
ner Logik, Herr Kolb, über die man sagen kann: Je grö- (Beifall bei der SPD)
ßer der Baum, desto größer die Geschenke. Wer sich kei- Wir sind gerne bereit, mit Ihnen über gute Lösungen zu
nen Baum leisten kann, dem wird auch nichts geschenkt. diskutieren. Aber meine Kolleginnen und Kollegen ha-
Das will ich als Eingangsbemerkung einer Debatte vo- ben in ihren Redebeiträgen schon sehr deutlich darge-
ranstellen, die uns bislang viel Zeit gekostet hat. legt, wo bei uns die Schmerzgrenzen liegen.
Ich zitiere den Minister für Arbeit, Familie und Ge- Diese werden wir garantiert nicht unterschreiten,
sundheit in Hessen, Jürgen Banzer, der in der FAZ vom
10. Dezember konsequent und richtig ausführt: (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Tolle Ausgangs-
basis für Gespräche!)
Eine getrennte Aufgabenwahrnehmung wäre ein
bedauernswerter Rückfall hinter den bereits er- weil wir im Interesse derer handeln, für die diese Dienst-
reichten Stand der Dinge und entspräche auch nicht leistung erbracht wird. Herr Kolb, das unterscheidet uns
den Ansprüchen an eine moderne, kundenfreundli- vielleicht von Ihnen.
che Verwaltung.
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD)
Abschließend gibt es zwei gute Nachrichten: Die eine
Worüber sprechen wir? Wir sprechen über etwas, das gute Nachricht betrifft die Kollegin Pothmer. Ich glaube,
unter dem Tannenbaum des BMAS liegt. Frau Ministe- unter Ihrem Weihnachtsbaum wird eine Koralle liegen.
952 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Gabriele Lösekrug-Möller
(A) Die zweite gute Nachricht richtet sich an die Frau Minis- Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den (C)
terin: Weihnachtsgeschenke, die einem nicht behagen, Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
kann man nach Weihnachten umtauschen. Dies ist eine
Einladung. Wir haben eine Empfehlung. Tagesordnungspunkt 22 c:
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Danke schön.
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
(Beifall bei der SPD) nologie (9. Ausschuss) zu der Verordnung der
Bundesregierung
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Sechsundachtzigste Verordnung zur Ände-
Ich schließe die Aussprache. rung der Außenwirtschaftsverordnung

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf – Drucksachen 16/14067, 17/28 Nr. 2, 17/161 –
den Drucksachen 17/182, 17/181 und 17/206 an die in Berichterstattung:
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Abgeordneter Erich G. Fritz
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe, das ist
der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/161, die Aufhebung der Verord-
Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 22 a bis nung auf Drucksache 16/14067 nicht zu verlangen. Wer
22 d sowie zu den Zusatzpunkten 6 a bis 6 g. Es handelt stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist dage-
sich dabei um die Beschlussfassung zu Vorlagen, zu de- gen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist da-
nen keine Aussprache vorgesehen ist. mit bei Enthaltung der Fraktion Die Linke und Zustim-
Tagesordnungspunkt 22 a: mung aller anderen Fraktionen angenommen.
Tagesordnungspunkt 22 d:
Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
SPD, FDP, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Beratung der Beschlussempfehlung des Rechts-
ausschusses (6. Ausschuss)
Einrichtung eines Parlamentarischen Beirats
für nachhaltige Entwicklung Übersicht 1
– Drucksache 17/245 – über die dem Deutschen Bundestag zugeleite-
ten Streitsachen vor dem Bundesverfassungs-
Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer ist dagegen? – gericht
(B) Enthaltungen? – Der Antrag ist damit einstimmig ange- (D)
nommen. – Drucksache 17/129 –
Tagesordnungspunkt 22 b: Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer ist
dagegen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- ist einstimmig angenommen.
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
der Unterrichtung durch die Bundesregierung Wir kommen zu den Zusatzpunkten 6 a bis 6 g. Das
sind die Beschlussempfehlungen des Petitionsausschus-
Vorschlag für eine Verordnung des Europäi- ses.
schen Parlaments und des Rates über die Zu-
ständigkeit, das anzuwendende Recht, die An- Zusatzpunkt 6 a:
erkennung und die Vollstreckung von Entschei- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
dungen und öffentlichen Urkunden in Erbsa- ausschusses (2. Ausschuss)
chen sowie zur Einführung eines Europäischen
Nachlasszeugnisses (inkl. 14722/09 ADD 1 und Sammelübersicht 1 zu Petitionen
14722/09 ADD 2) (ADD 1 in Englisch) – Drucksache 17/261 –
KOM-Nr. (2009) 154 endg.; Ratsdok.-Nr. 14722/
09 Wer stimmt dafür? – Ist jemand dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Sammelübersicht 1 ist einstimmig ange-
– Drucksachen 17/136 A.30, 17/270 – nommen.
Berichterstattung: Zusatzpunkt 6 b:
Abgeordnete Thomas Silberhorn
Dr. Eva Högl Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
Stephan Thomae ausschusses (2. Ausschuss)
Raju Sharma
Sammelübersicht 2 zu Petitionen
Ingrid Hönlinger
– Drucksache 17/262 –
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/270, in Kenntnis der Unterrich- Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
tung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt für gen? – Die Sammelübersicht 2 ist ebenfalls mit den
diese Beschlussempfehlung? – Ist jemand dagegen? – Stimmen des ganzen Hauses angenommen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 953
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
(A) Zusatzpunkt 6 c: ren. Zunächst kommen wir zu vier Wahlen, die mittels (C)
Handzeichen durchgeführt werden.
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 8 a:
Sammelübersicht 3 zu Petitionen Gemeinsamer Ausschuss gemäß Artikel 53 a
des Grundgesetzes
– Drucksache 17/263 –
– Drucksache 17/210 –
Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun-
gen? – Die Sammelübersicht 3 ist bei Enthaltung der Dazu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen aller CDU/CSU, SPD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/
anderen Fraktionen angenommen. Die Grünen auf Drucksache 17/210 vor. Wer stimmt für
diese Wahlvorschläge? – Ist jemand dagegen? – Enthal-
Zusatzpunkt 6 d: tungen? – Die Wahlvorschläge sind mit den Stimmen
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- des ganzen Hauses angenommen.
ausschusses (2. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 8 b:
Sammelübersicht 4 zu Petitionen Ausschuss nach Artikel 77 Absatz 2 des
– Drucksache 17/264 – Grundgesetzes (Vermittlungsausschuss)
Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun- – Drucksache 17/211 –
gen? – Die Sammelübersicht 4 ist mit den Stimmen des Auch dazu liegen Wahlvorschläge aller Fraktionen
ganzen Hauses angenommen. auf Drucksache 17/211 vor. Wer stimmt für diese Wahl-
Zusatzpunkt 6 e: vorschläge? – Ist jemand dagegen? – Enthaltungen? –
Auch diese Wahlvorschläge sind mit den Stimmen des
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ganzen Hauses angenommen.
ausschusses (2. Ausschuss)
Tagesordnungspunkt 8 c:
Sammelübersicht 5 zu Petitionen
Wahlprüfungsausschuss gemäß § 3 Absatz 2
– Drucksache 17/265 – des Wahlprüfungsgesetzes
Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun- – Drucksache 17/212 –
gen? – Sammelübersicht 5 ist angenommen bei Gegen-
(B) stimmen der Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller Auch dazu liegen Wahlvorschläge aller Fraktionen (D)
anderen Fraktionen. auf Drucksache 17/212 vor. Wer stimmt für diese Wahl-
vorschläge? – Ist jemand dagegen? – Enthaltungen? –
Zusatzpunkt 6 f: Auch diese Wahlvorschläge sind einstimmig angenom-
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- men.
ausschusses (2. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 8 d:
Sammelübersicht 6 zu Petitionen Gremium gemäß § 23 c Absatz 8 des Zollfahn-
– Drucksache 17/266 – dungsdienstgesetzes

Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun- – Drucksache 17/213 –


gen? – Die Sammelübersicht 6 ist angenommen mit den Auf Drucksache 17/213 liegen dazu Wahlvorschläge
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion aller Fraktionen vor. Wer stimmt für diese Wahlvor-
bei Gegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen schläge? – Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Auch
und der Fraktion Die Linke. diese Wahlvorschläge sind mit den Stimmen des ganzen
Zusatzpunkt 6 g: Hauses angenommen.

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Tagesordnungspunkte 8 e und 8 f. Es sind nun zwei
ausschusses (2. Ausschuss) Wahlen mit Stimmkarten und Wahlausweisen durchzu-
führen, und zwar zu den folgenden beiden Gremien: zum
Sammelübersicht 7 zu Petitionen Ersten zum Wahlausschuss gemäß § 6 Abs. 2 des Bun-
– Drucksache 17/267 – desverfassungsgerichtsgesetzes und zum Zweiten zum
Richterwahlausschuss gemäß § 5 des Richterwahlgeset-
Wer stimmt dafür? – Wer ist dagegen? – Enthaltun- zes. Denken Sie bitte daran, dass sich an diese beiden
gen? – Die Sammelübersicht 7 ist angenommen mit den Wahlgänge noch vier Wahlen mittels Handzeichen und
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen dann auch noch zwei Wahlen mit Stimmkarte und Wahl-
der Oppositionsfraktionen. ausweis anschließen werden.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 8 a bis 8 l auf. Nun muss ich Sie um Aufmerksamkeit für einige Hin-
Dabei geht es um weitere Wahlen zu Gremien. Wir ha- weise zu den beiden folgenden Wahlen bitten, auch
ben insgesamt zwölf Gremien zu besetzen. Vier Wahlen wenn wir heute Morgen schon etwas Ähnliches durchge-
müssen wir mit Stimmkarte und Wahlausweis durchfüh- führt haben. Die Stimmkarten in den Farben Grün und
954 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt


(A) Orange werden bereits im Saal verteilt. Sie benötigen den Auszählraum zu kommen und dort ihren Kollegin- (C)
außerdem Ihre Wahlausweise in den Farben Grün und nen und Kollegen zur Seite zu stehen und zu helfen?
Orange, die Sie, soweit Sie sie noch nicht entnommen
haben, jetzt noch in Ihren Stimmkartenfächern finden. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Bevor Sie die entsprechende Stimmkarte in eine der Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der
Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte Ihren dazugehö- Fall. Dann schließe ich diese Wahl und bitte die Schrift-
renden Wahlausweis einem der Schriftführer an den führer und Schriftführerinnen, mit der Auszählung zu
Wahlurnen. Die Schriftführer bitte ich, darauf zu achten, beginnen. Auch dieses Ergebnis wird Ihnen später be-
dass vor der Stimmabgabe der Wahlausweis übergeben kannt gegeben.2)
wird. Der Nachweis der Teilnahme an der Wahl kann nur Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen nun die
durch Abgabe des Wahlausweises erbracht werden. Die Gremienwahlen fort. Dazu bitte ich Sie, Ihre Gespräche
Wahlen sind offen. Sie können die Stimmkarte also an nach Möglichkeit einzustellen und die freien Plätze, von
Ihrem Platz ankreuzen. denen es genügend gibt, einzunehmen.
Zunächst Tagesordnungspunkt 8 e: Wir kommen zunächst zu vier Wahlen, die mittels
Wahlausschuss gemäß § 6 Absatz 2 des Bun- Handzeichen erfolgen. Danach folgen zwei Wahlen mit
desverfassungsgerichtsgesetzes Stimmkarte und Wahlausweis.

– Drucksachen 17/214, 17/215, 17/216, 17/217, Tagesordnungspunkt 8 g:


17/218 – – Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
Dazu liegen Ihnen auf Drucksache 17/214 bis Druck- SPD, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE
sache 17/218 Listen mit Wahlvorschlägen vor. Für diese GRÜNEN
Wahl benötigen Sie die grünen Stimmkarten. Ich mache Einsetzung des Gremiums gemäß Artikel 13
darauf aufmerksam, dass Sie auf dieser Stimmkarte nur Absatz 6 des Grundgesetzes
einen Vorschlag ankreuzen dürfen. Demzufolge sind
Stimmkarten ungültig, die mehr als ein Kreuz oder Zu- – Drucksache 17/224 –
sätze enthalten. Wer sich der Stimme enthalten will,
macht keine Eintragung. – Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß
Artikel 13 Absatz 6 des Grundgesetzes
Nun bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftfüh-
rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle – Drucksache 17/225 –
Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Dann er- Dazu liegt ein gemeinsamer Antrag der Fraktionen
(B) öffne ich die Wahl. CDU/CSU, SPD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die (D)
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Grünen auf Drucksache 17/224 vor. Wer stimmt für die-
Stimme nicht abgegeben hat? – Wir warten noch einen sen Antrag? – Ist jemand dagegen? – Enthaltungen? –
Moment. Der Antrag ist mit den Stimmen des ganzen Hauses an-
genommen. Damit ist das Gremium nach Art. 13 Abs. 6
Sind jetzt alle Stimmen abgegeben? – Das ist der Fall. des Grundgesetzes eingesetzt und die Mitgliederzahl auf
Dann schließe ich die Wahl und bitte, auszuzählen. Das neun festgelegt.
Ergebnis der Wahl wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
Zu diesem soeben eingesetzten Gremium liegen
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 8 f: Wahlvorschläge aller fünf Fraktionen auf Drucksache
Richterwahlausschuss gemäß § 5 des Richter- 17/225 vor. Wer stimmt für diesen Wahlvorschlag? – Ist
wahlgesetzes jemand dagegen? – Enthaltungen? – Die Wahlvor-
schläge sind mit den Stimmen des ganzen Hauses ange-
– Drucksachen 17/219, 17/220, 17/221, 17/222, nommen.
17/223 –
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 8 h:
Hierzu liegen Ihnen auf den Drucksachen 17/219 bis
17/223 Listen mit Wahlvorschlägen vor. Sie benötigen – Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU,
für diese Wahl die Stimmkarte und den Wahlausweis in SPD, FDP, DIE LINKE und BÜNDNIS 90/DIE
der Farbe Orange. Auch hier mache ich darauf aufmerk- GRÜNEN
sam, dass Sie auf dieser Stimmkarte nur einen Vorschlag Einsetzung des Gremiums gemäß § 10 a des
ankreuzen dürfen. Finanzmarktstabilisierungsfondsgesetzes
Ich bitte nun die Schriftführerinnen und Schriftführer, – Drucksache 17/226 –
die Plätze an den Wahlurnen einzunehmen. Sind die
Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich er- – Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß
öffne die Wahl. § 10 a des Finanzmarktstabilisierungsfonds-
gesetzes
Darf ich diejenigen Schriftführerinnen und Schrift-
führer, die nicht an den Urnen eingeteilt sind, bitten, in – Drucksache 17/227 –

1) Ergebnis Seite 991 A 2) Ergebnis Seite 991 A


Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 955
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
(A) Wer stimmt für den gemeinsamen Antrag auf Einset- Kreuz hinter seinem Namen kann der Kollege nicht ge- (C)
zung des Gremiums auf Drucksache 17/226? – Wer wählt werden.
stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit
Dies ist also keine Kleinigkeit. Ich bitte deshalb um
den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Damit
Aufmerksamkeit für die unter den Geschäftsführern ver-
ist das Gremium gemäß § 10 a des Finanzmarktstabili-
einbarte Regelung. Aufgrund verschiedener Umstände
sierungsfondsgesetzes eingesetzt.
haben wir die Zeit heute schon stark überzogen. Es be-
Wir kommen nun zur Wahl der Mitglieder. Wer stand Einigkeit darüber: Wenn wir alle konzentriert wäh-
stimmt für die gemeinsamen Wahlvorschläge auf Druck- len und die Wahlzettel so ausfüllen, als wenn der Kreis
sache 17/227? – Ist jemand dagegen? – Enthaltungen? – vorhanden wäre, dann müssten wir die Wahlzettel nicht
Die Wahlvorschläge sind einstimmig angenommen. neu drucken und könnten somit Zeit sparen.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 8 i: (Beifall)
Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in Ich bitte im Interesse aller, nicht nur im Interesse des
der Parlamentarischen Versammlung des vorgeschlagenen Kollegen, dies zu beachten. Ich lasse
Europarates (zugleich Vertreter in der Ver- Ihnen jetzt ein paar Minuten Zeit, damit Sie sich inner-
sammlung der Westeuropäischen Union) halb der Fraktionen entsprechend informieren können.
gemäß den Artikeln 1 und 2 des Gesetzes über Ich weise darauf hin, dass das Kreuz auch dann gültig
die Wahl der Vertreter der Bundesrepublik ist, wenn es ohne den Kringel bei dem genannten Namen
Deutschland zur Parlamentarischen Ver- steht.
sammlung des Europarates
Damit rufe ich nun die Tagesordnungspunkte 8 k und
– Drucksache 17/228 – 8 l auf:
Dazu liegen Wahlvorschläge der Fraktionen CDU/ k) – Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/
CSU, SPD, FDP, Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und BÜND-
auf Drucksache 17/228 vor. NIS 90/DIE GRÜNEN
Wer stimmt für diese Wahlvorschläge? – Wer ist da- Einsetzung des Vertrauensgremiums gemäß
gegen? – Enthaltungen? – Die Wahlvorschläge sind ein- § 10 a Absatz 2 der Bundeshaushaltsord-
stimmig angenommen. nung
Tagesordnungspunkt 8 j: – Drucksache 17/230 –
(B) Wahl der Mitglieder des Verwaltungsrates der – Wahl der Mitglieder des Vertrauensgre- (D)
Kreditanstalt für Wiederaufbau miums gemäß § 10 a Absatz 2 der Bundes-
haushaltsordnung
– Drucksache 17/229 –
– Drucksache 17/231 –
Auch dazu liegt ein Wahlvorschlag der Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD vor. Wer stimmt für den Wahl- l) – Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/
vorschlag auf Drucksache 17/229? – Ist jemand dage- CSU, SPD, FDP, DIE LINKE und BÜND-
gen? – Enthaltungen? – Der Wahlvorschlag ist mit den NIS 90/DIE GRÜNEN
Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Einsetzung des Gremiums gemäß § 3 des
Bevor wir zum nächsten Tagesordnungspunkt kom- Bundesschuldenwesengesetzes
men, muss ich Sie auf Folgendes aufmerksam machen: – Drucksache 17/232 –
Die Stimmzettel für die nächste Wahl müssen korrigiert
oder eventuell neu gedruckt werden. Wir wollen das jetzt – Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß
klären. Ich bitte deshalb die Geschäftsführer, kurz zu mir § 3 des Bundesschuldenwesengesetzes
zu kommen. – Drucksache 17/233 –
Ich unterbreche die Sitzung für einige Minuten. Zunächst kommen wir zu zwei Wahlen mit Stimm-
karte und Wahlausweis. Das betrifft den soeben bespro-
(Unterbrechung von 14.31 bis 14.32 Uhr)
chenen Wahlvorgang. Es geht dabei um die Einsetzung
des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Abs. 2 der Bun-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: deshaushaltsordnung und des Gremiums gemäß § 3 des
Die Sitzung ist wieder eröffnet. Bundesschuldenwesengesetzes sowie um die Wahl der
Mitglieder dieser beiden Gremien. Gewählt in diese Gre-
Wir haben folgenden Sachverhalt: Auf dem gelben
mien ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder
Zettel, auf dem die Wahlvorschläge für das Vertrauens-
des Bundestages auf sich vereint. Ich bitte Sie, darauf zu
gremium enthalten sind, fehlt hinter dem Namen des
achten: Gewählt ist, wer die Mehrheit der Mitglieder des
Kollegen Heinz-Peter Haustein von der FDP-Fraktion
Bundestages auf sich vereint, das heißt, wer mindestens
der Kreis für das Kreuz. Das mag für den einen oder an-
312 Stimmen erhält.
deren zunächst einmal nicht allzu entscheidend zu sein.
Aber dieser Kringel ist sehr wichtig, weil er die Stelle Die Stimmkarten in den Farben Gelb und Weiß wur-
anzeigt, wo das Kreuz gemacht werden muss. Ohne ein den verteilt. Sie benötigen außerdem, wie bei den ande-
956 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt


(A) ren Wahlgängen auch, jeweils Ihre Wahlausweise. Auch Hat nun jeder Kollege und jede Kollegin seine bzw. (C)
hier gilt wieder: Bevor Sie die entsprechende Stimm- ihre Stimmkarte abgegeben? – Das ist der Fall. Dann
karte in eine der Wahlurnen werfen, übergeben Sie bitte schließe ich auch diese Wahl und bitte, auszuzählen. Die
Ihren dazugehörenden Wahlausweis einem der Schrift- Ergebnisse aller Wahlen werden Ihnen dann später be-
führer an den Wahlurnen. Der Nachweis der Teilnahme kannt gegeben.
an der Wahl kann nur durch Abgabe des Wahlausweises
erbracht werden. Auch diese Wahlen finden offen statt. Ich bitte diejenigen, die der weiteren Debatte nicht
Sie können also die Stimmkarten auch an Ihrem Platz folgen wollen oder können, ihre Gespräche außerhalb
ankreuzen. des Plenarsaals fortzuführen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:
Zunächst kommen wir zum Tagesordnungspunkt 8 k
und damit zum Vertrauensgremium gemäß § 10 a Abs. 2 Aktuelle Stunde
der Bundeshaushaltsordnung. Bevor wir die Mitglieder auf Verlangen der Fraktion der SPD
wählen, rufe ich den gemeinsamen Antrag der Fraktio-
nen der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der Linken und Haltung der Bundesregierung zur Einführung
des Bündnisses 90/Die Grünen auf Drucksache 17/230 einer Finanztransaktionssteuer
zur Einsetzung dieses Gremiums und zur Festlegung der Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
Anzahl der Mitglieder auf. Wer stimmt für den An- ner das Wort dem Kollegen Joachim Poß für die SPD-
trag? – Ist jemand dagegen? – Enthaltungen? – Der An- Fraktion.
trag ist damit einstimmig angenommen. Das Vertrauens-
gremium ist damit eingesetzt und die Mitgliederzahl auf (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
zehn festgelegt.
Nun kommen wir zur Wahl der Mitglieder des Ver- Joachim Poß (SPD):
trauensgremiums. Für diese Wahl brauchen Sie nun den Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
gelben Wahlausweis und die gelbe Stimmkarte, über die Bundeskanzlerin hat sich heute Morgen in ihrer Regie-
vorhin gesprochen wurde. Sie können zehn Namensvor- rungserklärung zur internationalen Finanztransaktions-
schläge ankreuzen. Ungültig sind Stimmkarten, die an- steuer bekannt.
dere Namen oder Zusätze enthalten. Wer sich der (Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])
Stimme enthalten will, macht keine Eintragung. Das gilt
auch für die im Anschluss folgende Wahl. Das ist löblich; denn diese Steuer muss ein Kernelement
der Maßnahmen zur Herstellung von mehr Stabilität auf
Nun bitte ich die Schriftführerinnen und Schriftfüh- den Finanzmärkten sein. Eine internationale Transak- (D)
(B)
rer, die Plätze einzunehmen. – Das ist erfolgt. Dann er- tionssteuer ist ein wirksames Mittel, um die von der Re-
öffne ich die Wahl. – alwirtschaft völlig losgelösten Spekulationen auf den in-
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine ternationalen Finanzmärkten spürbar einzudämmen.
Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Aber ist die Bundesregierung in diesem entscheiden-
Fall. Dann schließe ich diese Wahl und bitte, auszuzäh- den Punkt zur Abwehr zukünftiger Krisen auf den Fi-
len. Das Ergebnis wird Ihnen auch hier später bekannt- nanzmärkten wirklich handlungsfähig und auch hand-
gegeben.1) lungswillig?
Wir kommen schließlich zum Tagesordnungs- (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Ja!)
punkt 8 l, zunächst zum gemeinsamen Antrag der Frak-
tionen der CDU/CSU, der SPD, der FDP, der Linken und Zieht in Zukunft die ganze Bundesregierung wirklich an
des Bündnisses 90/Die Grünen zur Einsetzung des Gre- einem Strang, oder bleibt es bei der Zerstrittenheit der
miums und zur Festlegung der Anzahl der Mitglieder. vergangenen Woche? Die Frau Bundeskanzlerin spricht
Wir stimmen nun über den gemeinsamen Antrag auf sich für diese Steuer aus, die Herren Minister
Drucksache 17/232 ab. Wer stimmt für diesen Antrag? – Westerwelle und Niebel bekunden ihre Ablehnung. Im
Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Der Antrag ist mit Ergebnis geschieht überhaupt nichts. Das ist typisch für
den Stimmen des ganzen Hauses angenommen. Damit diese Regierung. Genau das darf nicht passieren.
ist das Gremium gemäß § 3 des Bundesschuldenwesen- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
gesetzes eingesetzt und die Mitgliederzahl auf zehn fest- der LINKEN)
gelegt.
Wir wollen heute von Ihnen ein klares Bekenntnis zur
Für die Wahl der Mitglieder benötigen Sie nun die Finanztransaktionssteuer hören, ein Bekenntnis nicht nur
weiße Stimmkarte und Ihren weißen Wahlausweis. Auf der Kanzlerin, sondern auch des Koalitionspartners FDP.
der Stimmkarte können Sie zehn Namensvorschläge an- Aber das ist wohl kaum zu erwarten.
kreuzen. Ich bitte nun die Schriftführer, zu diesem letz-
ten Wahlgang die Plätze an den Urnen einzunehmen. – (Beifall bei der SPD – Frank Schäffler [FDP]: Die
Wie mir signalisiert wird, ist das geschehen. Dann er- hätten Sie doch längst einführen können!)
öffne ich die Wahl.
– Ihr neuer Generalsekretär hat eine solche Steuer ja erst
gestern als antiquiertes Denken abgetan. Ohne ein klares
1) Ergebnis Seite 991 B Bekenntnis der gesamten Koalition sind die schönen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 957
Joachim Poß
(A) Worte von Frau Merkel von heute Morgen aber leider Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C)
wieder einmal herzlich wenig wert. Nächster Redner ist der Kollege Leo Dautzenberg für
die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der CDU/CSU)
Wir haben damit schon in der Großen Koalition Erfah-
rungen gemacht.
Leo Dautzenberg (CDU/CSU):
Diese Worte sind genauso wenig wert wie ihre dau- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
ernden Mahnungen in Sachen Bankerboni, denen man Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Poß, obwohl
regelmäßig die Ablehnung konkreter Maßnahmen folgen Sie hier konstatieren, dass Sie nicht zündeln wollen, hat
lässt, zuletzt bezogen auf eine Bonusabgabe, wie sie in die Opposition die Lunte bei diesem Thema doch schon
Großbritannien vorgesehen ist. Das Bekenntnis der Bun- längst angesteckt.
deskanzlerin zu dieser Steuer ersetzt doch nicht konkrete
Maßnahmen gegen den Bonuswahnsinn. Mit ihren State- (Joachim Poß [SPD]: Wir haben die Frage
ments hat sie diesen Eindruck nämlich erweckt. doch gemeinsam in der Großen Koalition be-
handelt!)
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Sie kapieren
es nicht!) – Das wollte ich gerade in Erinnerung bringen. Sie dis-
tanzieren sich teilweise von dem, was wir in der Großen
Das kann man doch nicht gegeneinander ausspielen und Koalition gemeinsam auf den Weg gebracht haben.
sagen: Gegen die Boni brauche ich nichts zu tun, weil
(Joachim Poß [SPD]: Überhaupt nicht! Das ist
ich für die Transaktionsteuer bin. Nein, wir brauchen ein
der erste Schritt! Wir wollten ja mehr!)
ganzes Bündel von Maßnahmen, das gezielt gegen sämt-
liche Ursachen der Finanzkrise wirkt. Das muss natürlich in einer gewissen Kontinuität ste-
hen. Man darf Sie durchaus daran erinnern, was wir ge-
(Beifall bei der SPD) meinsam erfolgreich auf den Weg gebracht haben:
Wir Sozialdemokraten haben bereits am Jahresanfang (Joachim Poß [SPD]: Dazu stehen wir auch!)
in einem 14-Punkte-Katalog von Herrn Steinbrück und
Herrn Steinmeier skizziert, wie ein solch umfassender Finanzmarktstabilisierungsgesetz, -ergänzungsgesetz und
Ansatz aussehen könnte. Die Finanztransaktionssteuer -fortentwicklungsgesetz. Das waren Reaktionen auf die
und klare Begrenzungen für Bonuszahlungen gehören Finanzkrise. Wir haben einen Rahmen für die Institute
(B) dazu, reichen aber nicht aus. geschaffen, um die soziale Marktwirtschaft in Deutsch- (D)
land erhalten zu können.
Die Bundesregierung muss endlich begreifen, dass
ein Versagen der Politik im Umgang mit der Finanzkrise, Es bringt nichts, wenn Sie jetzt in diesem forschen
mit ihren Ursachen und Folgen nicht nur eine ökonomi- Stil Dinge interpretieren, die die Kanzlerin heute Mor-
sche Dimension hat, sondern eine reale Gefahr für den gen in ihrer Regierungserklärung, aber auch durch ihr
sozialen Zusammenhalt in unserer Gesellschaft und für Verhalten auf den Gipfeln nicht zum Ausdruck gebracht
die Akzeptanz unserer Demokratie bedeutet. Das hat hat.
nicht nur einen moralischen Aspekt, wie Frau Merkel (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
heute sagte. Diesen Aspekt mag das auch haben, aber der Wenn sie nichts sagt, muss man interpretie-
soziale Zusammenhalt, der eh schon brüchig ist – das ren!)
sieht man, wenn man ganz kritisch darauf schaut –, wird
durch Meldungen wie die, die wir in den letzten Tagen Wenn ich noch einmal zitieren darf, was der Europäi-
erhalten haben, weiter untergraben: Es wurden noch ein- sche Rat beschlossen hat:
mal 3 Milliarden Euro Steuergelder in die balkanesi-
Der Europäische Rat fordert den IWF auf, bei sei-
schen Abenteuer der Bayern LB versenkt, und am nächs-
ner Überprüfung die gesamte Bandbreite von Op-
ten Tag hat Herr Ackermann das Gewinnziel für seine tionen einschließlich Versicherungsprämien, Ab-
Bank mit 10 Milliarden Euro angegeben, von denen die wicklungsfonds, Vereinbarungen über bedingtes
eine oder andere Milliarde selbstverständlich in den Bo- Kapital … sowie eine globale Steuer auf Finanz-
nustöpfen seiner Börsenhändler landen wird. Das ist ein- transaktionen in Betracht zu ziehen.
fach unerträglich.
Wir haben also mehrere Optionen. Es ist nicht so, wie
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sie unterstellen, dass dies schon das Bekenntnis zur Fi-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nanztransaktionssteuer ist.
Wir wollen hier nicht zündeln, ganz im Gegenteil. (Nicolette Kressl [SPD]: Aber keine Ableh-
Das hält unsere Gesellschaft auf Dauer nicht aus, und nung! – Joachim Poß [SPD]: Ach? Was hat die
das müssen alle politischen Akteure in diesem Hause Kanzlerin denn heute Morgen gesagt?)
endlich kapieren.
Das müssen Sie einmal zur Kenntnis nehmen. Das ist
(Beifall bei der SPD) eine von vielen Möglichkeiten.
958 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Leo Dautzenberg
(A) (Nicolette Kressl [SPD]: Aber keine Ableh- (Nicolette Kressl [SPD]: Was sagt Herr (C)
nung! – Weiterer Zuruf von der SPD: Ja, was Schäffler dazu?)
wollt ihr denn?)
Da muss man auch noch fragen: Was beziehen wir in die
Aber wenn Sie das gemeinsam machen wollen, müssen Bemessung ein? Nur die Börsenumsätze oder auch die
Sie alle Optionen offenhalten. Die Beauftragung an den außerbörslichen, also Over-the-Counter-Geschäfte? Wie
IWF ist gegeben; Vergleichbares ist auch in Pittsburgh wollen Sie die erfassen, sodass dann die jeweilige Bran-
beschlossen worden. Jetzt warten Sie doch einmal ab, che diese Kosten selber trägt und nicht überwälzt? Das
was der IWF feststellen wird. Man kann sich doch nicht ist also ein breites Spektrum. Kollege Poß, da ist mit
für ein System entscheiden, wenn man nicht durch welt- Schnellschüssen nicht gedient,
weite Erhebung überblicken kann, wie die Wirksamkeit (Joachim Poß [SPD]: Ach!)
solcher Maßnahmen ist. Wir sind ja bereit – das ist im-
mer unsere Forderung gewesen –, Teile des Finanzsek- sondern die Kanzlerin steht hier zur Verantwortung, das
tors, der uns in die Krise geführt hat, an den Kosten zu auf europäischer Ebene etwas beschlossen wird. Diese
beteiligen. Nur muss man dann auch ein wirksames In- Steuer ist eine von vielen Optionen.
strumentarium haben und nicht nur vollmundige Erklä- Beschreiten Sie doch den Weg, den wir gemeinsam
rungen abgeben, durch die man im Grunde nichts er- angefangen haben, mit, dass wir uns um die Regulierung
reicht. von Märkten und Produkten weltweit kümmern
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Ute Koczy [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
neten der FDP) Dann fangen Sie einmal damit an!)
Ich hätte erwartet, Herr Kollege Poß, dass Sie heute und das Zeitfenster, das noch offen ist, nutzen. Da ist die
etwas dazu sagen, was in Ihrem Programm steht, näm- Aufsicht gefragt. Da sind manche Finanzprodukte ge-
lich dass Sie im nationalen Alleingang eine Börsenum- fragt. Das ist der wirksamere Weg, kurzfristig zu Erfol-
satzsteuer für Finanzprodukte an der Börse einführen gen zu kommen. Wir müssen dieses Zeitfenster nutzen,
wollen. sonst geht es so weiter, wie es im angelsächsischen Be-
reich teilweise schon wieder praktiziert wird, wo man
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Genau! – Zuruf
annehmen muss, dass sie nichts daraus gelernt haben.
von der CDU/CSU: Und das ist Unsinn!)
Wir sind bereit, verantwortungsvoll den Weg zu gehen,
Das ist ein einseitiger Vorgang, der dazu führen würde, der von den vielen Optionen bestimmt wird.
dass sich diese Umsätze vom deutschen Finanzmarkt zu Vielen Dank.
(B) anderen verlagern. Ich hätte erwartet, dass Sie dazu Stel- (D)
lung beziehen, dass Sie solche Alleingänge machen wol- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
len, Joachim Poß [SPD]: Der Leo musste heute ei-
ern!)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
die nur vielleicht die sozialdemokratische Seele befriedi- Nächster Redner ist der Kollege Axel Troost für die
gen, aber der Lösung des Problems nicht Rechnung tra- Fraktion Die Linke.
gen. Dem wollen wir uns widmen. (Beifall bei der LINKEN)
Eine Finanztransaktionssteuer, wenn man es vom theo-
retischen Ansatz her betrachtet, ist möglicherweise Dr. Axel Troost (DIE LINKE):
durchaus ein Instrumentarium, spekulative Umsätze teil- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
weise zu erschweren, indem man sie mit zusätzlichen Wir begrüßen es natürlich außerordentlich, dass die SPD
Kosten belegt. Das ist die Theorie. Die Frage ist: Trägt eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema beantragt hat,
dann der Finanzsektor diese Kosten, oder werden sie nur weil auch wir es für sehr wichtig halten.
überwälzt, sodass der Anleger, der Kunde, der In-
vestmentsparer, der Riester-Sparer dann für die ganze (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Chose zahlt und der Finanzsektor, den wir eigentlich be- Rot und Rot wachsen zusammen!)
teiligen wollten, wiederum außen vor ist? Wenn das so- Ich persönlich habe diese Steuer vor zehn Jahren im Zu-
zialdemokratische Politik ist, dann herzlichen Glück- sammenhang mit der Arbeitsgruppe „Alternative Wirt-
wunsch zu diesen Vorgaben. schaftspolitik“ im Memorandum 2000 schon gefordert.
Damals haben wir das noch Kapitalverkehrsteuer oder
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- -steuern genannt. Es ging auch schon damals darum, die
ruf des Abg. Joachim Poß [SPD]) abgeschaffte Börsenumsatzsteuer, ergänzt um außerbörs-
Wir müssen die Wirksamkeit sehen. Es hilft im End- liche Aktivitäten mit der Devisentransaktionsteuer, also
effekt auch nicht, wenn nur Europa das beschließt, son- der Tobin-Steuer, zu verbinden zu einer einheitlichen
dern es muss weltweit gelten, Gesamtkapitalverkehr- oder heute Finanztransaktions-
steuer.
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr wahr!)
(Frank Schäffler [FDP]: Da würde sich der
wenn es wirksam sein soll. Tobin im Grabe umdrehen!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 959
Dr. Axel Troost
(A) Ziel und Zweck dieser Steuer war damals wie heute ist Deutschland dabei. Belgien und Frankreich haben (C)
erstens – das ist erwähnt worden –, Finanztransaktionen, dies beschlossen. Ein solcher Beschluss würde Mut ma-
wie man das so schön sagt, zu entschleunigen, also mini- chen, in den internationalen Gremien, in der EU für eine
mal zu verteuern – darauf komme ich gleich noch einmal –, Umsetzung zu kämpfen. Ich sage noch einmal: Dies ist
um letztlich ganz kurzfristige Spekulationen etwas un- die einzige Möglichkeit, die Finanzmärkte und ihre
attraktiver zu machen und damit Entschleunigung zu be- Akteure wieder vernünftig in die Finanzierung der öf-
wirken. fentlichen Haushalte einzubeziehen und gleichzeitig zu
verhindern, dass das Geschäft mit spekulativen Wertpa-
Zweitens geht es aber auch darum, ganz erhebliche pieren so weiterläuft wie bisher. Ich bitte Sie, diesen An-
Einnahmen zu erzielen; das ist hier noch gar nicht er- satz zu prüfen.
wähnt worden. Das Österreichische Institut für Wirt-
schaftsforschung in Wien hat im Sommer letzten Jahres Im nächsten Monat, im Januar 2010, wird die Linke
eine Studie vorgelegt, in der die Folgen der Einführung einen entsprechenden Antrag einbringen, der seinen par-
dieser Steuer simuliert wurden. Man kam zu dem Ergeb- lamentarischen Gang nehmen wird. Ich hoffe, dann wird
nis, dass bei einem Steuersatz von 0,01 Prozent pro in der Debatte deutlich, dass sich eine große Mehrheit
Transaktion in der Bundesrepublik Deutschland Einnah- dieses Hauses, vielleicht mit Ausnahme der FDP, die
men in Höhe von 13 bis 15 Milliarden Euro alleine aus Einführung einer solchen Steuer vorstellen kann.
Wertpapiergeschäften und europaweit Einnahmen von Danke schön.
weiteren 20 Milliarden Euro aus Devisentransaktionsge-
schäften entstehen. Es geht also um sehr viel Geld, das (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
wir auch verwenden könnten, um die Kosten, die die neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
Finanzmarktkrise verursacht hat, zumindest zum Teil zu GRÜNEN)
kompensieren.
Weil es letztlich um den Steuersatz geht, wenn man Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
versucht, diese Steuer national oder europaweit relativ Das Wort hat nun Kollege Frank Schäffler für die
schnell einzuführen, möchte ich, weil gleich mit Sicher- FDP-Fraktion.
heit das Argument der privaten Sparer angeführt wird, (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
darauf hinweisen, was ein Steuersatz von 0,01 Prozent der CDU/CSU – Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/
bedeutet. Ein Steuersatz von 0,01 Prozent heißt: Wenn DIE GRÜNEN]: Die klatschen ja schon vor-
ein Privatanleger ein Depot mit Aktien oder festverzins- her! Absurd! – Gegenruf des Abg. Christian
lichen Wertpapieren im Wert von 100 000 Euro anlegt, Lange [Backnang] [SPD]: Hinterher sind sie
(B) muss er einmalig 10 Euro bezahlen. Die Bankgebühren sich nicht mehr sicher!) (D)
für dieses Depot betragen allerdings zwischen 1 000 und
2 000 Euro. Das möchte ich einmal deutlich machen. Frank Schäffler (FDP):
Die Einführung dieser Steuer hätte Einnahmen von Bleiben Sie ruhig, Herr Kuhn. – Herr Präsident!
insgesamt 13 Milliarden Euro zur Folge, und das, ob- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die FDP be-
wohl bereits simuliert wurde, dass es zu einem Rück- kennt sich zu dem, was im September dieses Jahres ver-
gang der Zahl der Transaktionen kommen würde. Inso- einbart wurde, schon allein aus Verantwortung für die
fern glaube ich, dass sehr viel für die Einführung dieser Verpflichtungen, die wir international eingegangen sind.
Steuer spricht und dass man dieses Thema jetzt entschie- Wir unterstreichen das, was Herr Dautzenberg gesagt
den angehen sollte. hat: Es handelt sich um einen Prüfauftrag. Dennoch ent-
lässt uns dieser Prüfauftrag nicht aus der Verantwortung,
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- zu hinterfragen, welche Wirkung eine Finanztransak-
neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN tionssteuer hat. Nicht ohne Grund haben Länder wie Dä-
und der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul nemark, Frankreich, Italien, Luxemburg, Österreich,
[SPD]) Schweden, Spanien und letztendlich Deutschland – die
Ich bin in dieser Debatte leider sehr früh an der Reihe, FDP gemeinsam mit der Union – 1991 die Börsenum-
sodass ich später nicht mehr reagieren kann. Wahr- satzsteuer abgeschafft: Sie war nachteilig für den jewei-
scheinlich wird im weiteren Verlauf der Diskussion ne- ligen Börsenplatz, sie hat der Aktienkultur und damit
ben dem Argument der Sparerinnen und Sparer auch ar- auch der privaten Altersvorsorge geschadet,
gumentiert: Eine solche Steuer kann man nur weltweit (Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
einführen, Das glauben Sie doch selber nicht!)
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Ja!) und sie hat die Kapitalaufnahme von Unternehmen über
eventuell in einem Schlag europaweit, am besten aber die Börse verteuert.
weltweit. – Das heißt letztlich, dass man sich hinter der (Beifall bei der FDP)
Welt versteckt und keine eigenen Aktivitäten entwickelt.
Alle statischen Einnahmerechnungen stimmen nicht,
Das Mindeste, was uns gelingen muss, ist, dass wir sie stimmten nie. Eine Steuer auf Finanztransaktionen
ähnlich wie das belgische und das französische Parla- verhindert auch keine Investitionsblasen und keine Fi-
ment einen Vorratsbeschluss fällen, der lautet: Wenn nanzkrisen. Sie kann Investitionsblasen und Finanzkri-
diese Steuer europaweit eingeführt werden sollte, dann sen nicht verhindern, weil die Ursachen für ihre Entste-
960 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Frank Schäffler
(A) hung nichts mit dem Umfang von Finanztransaktionen (Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und (C)
oder mit ihrer Geschwindigkeit zu tun haben. der LINKEN – Dr. Gerhard Schick [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja billig!)
Eine wesentliche Ursache für die Entstehung von In-
vestitionsblasen und Finanzkrisen liegt in der falschen Dies alles kann man nicht mit der Aussage wegwi-
Geldpolitik der Notenbanken, schen: Es kann nicht weitergehen wie bisher. Das stimmt
zwar; aber es ist aus meiner Sicht zu wenig. Man müsste
(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Zu- letztendlich die Ursachen angehen: Die heutige Welt-
rufe von der SPD: Oh!) wirtschaftskrise ist eine Krise der Überschuldung von
Banken und Staaten. Das Kernproblem besteht darin,
insbesondere der amerikanischen Fed, die mit billigem
dass im heutigen Geldsystem Kredite gewährt werden,
Geld Spekulationsblasen erst ermöglicht hat.
die nicht durch Ersparnisse gedeckt sind.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig! – Dr. Axel
der CDU/CSU) Troost [DIE LINKE]: Genau das!)
Diese Politik des billigen Geldes, das nicht auf Erspar- Solch ein aus dem Nichts geschaffenes Geld produziert
nissen beruht, ist die Ursache dafür, dass wir immer wie- nicht nur immer schwerere Wirtschafts- und Finanzkri-
der eine Abkopplung des Finanzbereiches von der Real- sen, sondern führt auch in eine Überschuldungssituation,
güterwirtschaft feststellen müssen. Das war im Kern die unsere Wirtschaftsordnung und letztendlich auch die
auch die Ursache der Weltwirtschaftskrise von 1929. freiheitliche Gesellschaft ruiniert.
Wir befürchten, dass der Ruf nach dieser neuen Steuer (Nicolette Kressl [SPD]: 1 Milliarde Euro für
auf Finanztransaktionen schlicht ein Ablenkungsmanö- die Hotels, sage ich!)
ver ist. Übrigens befürchten nicht nur wir das: Noch in
der vergangenen Legislaturperiode hat sich die SPD Deshalb ist es, glaube ich, zu einfach, populistisch nach
selbst gegen diese Steuer ausgesprochen. einer neuen Steuer zu rufen. Entscheidend ist, dass wir
künftige Krisen durch eine marktwirtschaftliche Geld-
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: So ist es!) ordnung verhindern.
Die Berichterstatterin der SPD für den Finanzmarkt, Vielen Dank.
Frau Nina Hauer – leider nicht mehr im Parlament; Sie
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
haben sie nicht früh genug auf die Liste gesetzt –, hat die
Ablehnung eines Antrages zur Einführung einer Bör-
(B) senumsatzsteuer Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (D)
Das Wort hat jetzt Gerhard Schick für die Fraktion
(Nicolette Kressl [SPD]: Das war etwas ande- Bündnis 90/Die Grünen.
res!)
noch mit den Worten begründet – ich zitiere –: Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Sie treffen mit der Börsenumsatzsteuer nur die klei- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
nen Sparer, die ihr erarbeitetes Vermögen oder ihre Wenn man die Rechnung, die Herr Schäffler gerade auf-
erwirtschafteten Gewinne, ihre Altersversorgung an gestellt hat, einmal für die intransparenten Bankprovi-
der Börse anlegen. sionen machen würde, dann kämen wir auf eine ganz an-
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Aha!) dere Größenordnung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sie sehen: Die SPD hat sich kurz vor der Wahl umorien-
sowie bei Abgeordneten der LINKEN –
tiert und ist jetzt letztendlich dabei, dem gemeinen Popu-
Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: In der Tat!)
lismus hinterherzurennen.
Deswegen finde ich, wäre es eine gute Politik – das ist
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten genau das, was wir vorschlagen –, für einen richtigen
der CDU/CSU) Anlegerschutz zu sorgen; denn dann würde der Nettoge-
Ich will zur Ehrenrettung unseres Koalitionspartners winn für den Anleger so groß sein, dass wir noch ganz
zitieren, dass der bayerische Finanzminister Fahrenschon andere Steuersätze festlegen könnten, und dann würde
und der CDU-Generalsekretär Pofalla – so berichtet die man den Banken wirklich einmal etwas abfordern und
Welt vom 18. September 2009 – vorgerechnet haben, dass wirklich etwas für die Kunden tun. Bei dem Punkt hat
ein Riester-Sparer, der heute 30 000 Euro brutto verdient die FDP in der letzten Zeit aber immer gekniffen.
und den für die maximale Förderung notwendigen Betrag (Frank Schäffler [FDP]: Na, na, na!)
einzahlt, durch eine solche Steuer in 20 Jahren um
4 700 Euro gebracht wird. Stattdessen war sie an der Stelle die Lobby für die Ban-
ken, Versicherungen und Fonds, um es intransparent zu
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Hört! Hört!) lassen. Das werden wir ja noch einmal sehen.
Es trifft also – anders als von verschiedener Seite darge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
stellt wird – die kleinen Sparer. bei der SPD und der LINKEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 961
Dr. Gerhard Schick
(A) In einem aber hat der Kollege Schäffler natürlich erstmals eine Unterstützung dafür. Diese historische (C)
recht: Vorgeschaltet vor die Frage der Haltung der Bun- Chance nicht zu nutzen, um einen wirklichen Finanzie-
desregierung könnten wir auch eine Aktuelle Stunde zur rungsbeitrag der Finanzindustrie zu den Finanzierungen
Haltung der SPD zur Finanzumsatzsteuer durchführen. öffentlicher Aufgaben und vor allem zur Tragung der
Krisenlasten einzufordern, ist ein massives Versäumnis,
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Aha!) das wir Ihnen vorwerfen.
Sie unterlag in den letzten Monaten einer gehörigen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Schwankung. Herr Schäffler hat hier völlig richtig zi- sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
tiert. KEN)
(Frank Schäffler [FDP]: Danke schön! – Nicolette Es geschieht ja nicht so häufig, dass sich Bürgerinnen
Kressl [SPD]: Das stimmt nicht!) und Bürger aktiv für die Einführung einer neuen Steuer
Zu einem Zeitpunkt, als Herr Steinmeier und Herr einsetzen, wie das gerade mit der Petition für eine Finanz-
Steinbrück schon für eine Börsenumsatzsteuer und eine umsatzsteuer geschehen ist. Das zeigt, dass es hier eine
weltweite Finanzumsatzsteuer waren, wurde hier im grundlegende Ungerechtigkeit und etwas gibt, was die
Bundestag noch argumentiert, so eine Steuer schade dem Menschen nicht verstehen.
kleinen Sparer. Warum wird auf jeden Schrank, den der Schreiner
(Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ baut, auf jedes Brötchen, das der Bäcker backt, und auf
CSU]) jede Friseurdienstleistung eine Umsatzsteuer erhoben,
während das nicht geschieht, wenn es um die Umsätze
Plötzlich ist man jetzt doch dafür. Ich habe eine Bitte an beim Finanzhandel in Frankfurt geht? Warum ist das so?
die nächsten Rednerinnen und Redner der SPD: Erklären Diese Frage müssen Sie uns einmal beantworten. Das ist
Sie uns einmal, was jetzt wirklich Ihre Position ist. eine Privilegierung der Finanzbranche, die wir abschaf-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, fen müssen, um einen fairen Finanzierungsbeitrag zu ha-
bei der CDU/CSU und der FDP – Nicolette ben.
Kressl [SPD]: Sie hat nur das Grünen-Modell (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
abgelehnt! Das weiß ich ganz genau!) bei der SPD und der LINKEN – Leo
Nun aber zur Regierung; hier sind wir uns ja einig. Dautzenberg [CDU/CSU]: Das ist aber ein an-
Die Kanzlerin hat heute Morgen gesagt, das sei auch derer Ansatzpunkt, Herr Kollege!)
eine moralische Frage. – Wenn man sich anschaut, welche Konsolidierungsbe-
(B) (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Richtig! Auch darfe Sie haben, dann erkennt man, dass das ein sehr re- (D)
eine moralisch-ethische Frage!) levanter Ansatzpunkt ist.

Ich würde sagen: Es ist jetzt vor allem eine politische Da Sie offensichtlich nicht in der Lage sind, interna-
Frage, ob die Bundesregierung das wirklich unterstützt tionale Zusagen der Bundesregierung zur Finanzierung
oder ob hier ins Blaue hinein ein Prüfauftrag erteilt wird, der Entwicklungshilfe einzuhalten, stellt sich vielleicht
bei dem ein Minister dieser Regierung direkt sagt: Da- die Frage, wie wir die Finanzlasten in Zukunft verteilen.
raus soll nie etwas werden. – So geht es aber nicht. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wollen Sie
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Wer war das die Umsätze verändern oder eine Steuer gene-
denn? – Nicolette Kressl [SPD]: Komische Art rieren?)
von Prüfen!) Dass das alles ökonomisch überhaupt nicht gehen soll,
Mit dieser Art der Unterstützung wird daraus interna- ist interessant. In den USA unterstützen 200 renom-
tional nie etwas. Sie tun genau das: National sagen Sie: mierte Wirtschaftswissenschaftler die Einführung einer
„Es geht nicht“, über Europa verlieren Sie kein Wort, moderaten Finanzumsatzsteuer, wobei die gleichen Steu-
und global versuchen Sie, dies in ein politisches Nir- ersätze gelten sollen, die wir auch vorschlagen. Man
wana zu schicken, damit nichts herauskommt. müsste sich vielleicht einmal ernsthaft damit auseinan-
dersetzen.
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN – Zuruf von der
Die Idee ist zu gut, als dass Sie sie einfach ins Off kata- FDP: Wie viele gibt es davon in den USA?)
pultieren können.
Ich glaube, jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, zu han-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN deln und zu nutzen, dass die Bürgerinnen und Bürger
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- wissen, dass hier etwas schiefläuft und zu korrigieren ist,
KEN) und dass auch in Großbritannien entsprechend gedacht
wird, wo der Chef der Finanzaufsicht, Turner, sagt: Ganz
Gerade in der Europäischen Union besteht eine wirk-
viele Produkte, die am Finanzplatz London gehandelt
liche Chance, hier etwas zu tun. Nicht nur aus den konti-
werden, sind volkswirtschaftlich unnütz.
nentaleuropäischen Ländern, deren Parlamente schon
gesagt haben: „Wir machen das mit, wenn die anderen (Hellmut Königshaus [FDP]: Wer stellt das
mitmachen“, sondern auch aus Großbritannien kommt fest?)
962 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Dr. Gerhard Schick


(A) Diese Situation kann man jetzt nutzen, um politisch Zeit der offensichtlich ruinösen, ja sogar systemgefähr- (C)
eine Initiative zu ergreifen. Das würde die Frage nach denden Geschäftspolitik einklagen, und aktueller Mel-
der volkswirtschaftlichen Wirkung beantworten, die dungen über schon wieder steigende Bonuszahlungen im
nämlich darin besteht, dass die volkswirtschaftlich un- Banksektor sind diese Fragen unserer Bürger sicherlich
produktiven Umsätze unterbleiben. nachvollziehbar. Es gibt keinen Zweifel: Das Verursa-
cherprinzip muss auch hier zur Anwendung kommen.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Was wollen
Wenn die Märkte eine überzogene Risikoneigung nicht
Sie denn jetzt? Wollen Sie ein fiskalisches Ziel
ausreichend bestrafen können und der Staat zur Abwen-
oder Steuern?)
dung der Folgen rettend eingreifen muss, dann muss der
Das ist die Aufgabe der jetzigen Regierung. Darauf soll- Staat auch bei der Kostenverteilung an die Verursacher
ten Sie sich verständigen, statt sich gegenseitig zu blo- denken.
ckieren. Ich mache mir nämlich Sorgen, dass die Bun-
(Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/
desregierung jetzt, wo die ganze Welt den richtigen
CSU])
Drive hat, die Finanzbranche zu kontrollieren und etwas
Neues anzufangen, durch die Blockade zwischen der Deshalb ist die Bundesregierung davon überzeugt,
CDU/CSU auf der einen Seite und der FDP auf der an- dass wir den Finanzsektor an den Kosten beteiligen müs-
deren Seite international schwach aufgestellt ist, statt das sen, die durch die staatlichen Interventionen zur Krisen-
Thema Neuaufstellung der Finanzmärkte zum Schwer- bewältigung entstanden sind.
punkt zu machen, wie es die Bürgerinnen und Bürger
(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE
und auch die Unternehmerinnen und Unternehmer dieses
GRÜNEN]: Und wie?)
Landes dringend fordern. Das wäre Ihre Aufgabe. Tun
Sie es! Mit genau dieser Frage setzt sich auch auf Initiative der
Bundesregierung die internationale Gemeinschaft bzw.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
die Europäische Union auseinander. Die Staats- und Re-
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
gierungschefs der G-20-Staaten haben bei ihrem Gipfel-
KEN)
treffen in Pittsburgh im September auch auf deutsche
Initiative den Internationalen Währungsfonds beauftragt,
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: einen Bericht zu dieser Problematik zu erarbeiten.
Das Wort hat nun der Parlamentarische Staatssekretär
Hartmut Koschyk. Der Europäische Rat hat auch auf deutsche Initiative
in der letzten Woche unterstrichen, dass sich diese Prü-
(Frank Schäffler [FDP]: Erklären Sie es ihm fung auf mehrere Möglichkeiten erstrecken soll. Eine die-
(B) noch einmal!) ser Optionen ist eine internationale Finanztransaktions- (D)
steuer. Daneben werden aber auch andere Lösungen
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär beim Bun- diskutiert. So führt beispielsweise Schweden Ende die-
desminister der Finanzen: ses Jahres eine Stabilitätsabgabe ein. Diese ist von den
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Die Finanzinstituten zu entrichten und fließt in einen Siche-
Finanz- und Wirtschaftskrise hat den Staat gezwungen, rungsfonds, aus dem künftig anfallende Kosten zur staat-
mit Beträgen von bislang unbekannter und ungeahnter lichen Stützung des Finanzsektors finanziert werden sol-
Größenordnung das internationale, das europäische, aber len.
auch das deutsche Bankensystem zu stützen. Es ist unbe-
Auch derartige Alternativen müssen gründlich ge-
stritten, dass diese Stützungsmaßnahmen alternativlos
prüft werden. Dabei geht es zum einen um die Auswir-
waren. Niemand möchte sich ausmalen, was passiert
kungen auf die Finanzmärkte und Volkswirtschaften.
wäre, wenn wir auch in Deutschland systemrelevante
Zum anderen müssen wir aber auch die Belastungen des
Bankinstitute nicht aufgefangen hätten.
Finanzsektors im Blick haben, solange die Krise noch
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) nicht vollständig überwunden ist.
So haben wir das Schlimmste verhindert. Richtig ist Optimal wäre sicherlich eine Lösung, die gleichzeitig
aber auch: Der Schuldenstand der öffentlichen Hand ist einen Anreiz zur Verringerung hochriskanter Geschäfte
durch diese Rettungsmaßnahmen sprunghaft gestiegen, gibt, aber andererseits einen spürbaren finanziellen Bei-
und noch – ich glaube, auch in diesem Punkt müssen wir trag zur Bewältigung der Krisenkosten leistet. Ich halte
nüchtern sein – sind nicht alle Risiken in unseren Haus- es für fraglich, ob der Finanzsektor heute bereits in der
halten manifestiert. Lage ist, neue Belastungen zu schultern.
Neben den privaten Verlusten durch die Finanzkrise, (Zurufe von der SPD: Oh! Oh!)
die viele Bürger erlitten haben, und dem Schicksal dro-
So weit sind wir in den Stabilisierungsbemühungen noch
hender Arbeitslosigkeit sehen sich die Steuerzahler jetzt
nicht. Man kann sich das aber für das Jahr 2011 und die
mit einem immensen öffentlichen Schuldenberg kon-
Folgejahre sicherlich vorstellen.
frontiert. Deshalb stellen die Bürger zu Recht die Frage,
wer die Verursacher der Krise sind und ob diese auch fi- (Nicolette Kressl [SPD]: Machen wir das Ge-
nanziell zur Rechenschaft gezogen werden. setz nächstes Jahr!)
Angesichts einer öffentlichen Diskussion über frühere Die Analyse des Internationalen Währungsfonds und
Bankmanager, die die Auszahlungen ihrer Boni für die die weitere internationale Diskussion müssen wir abwar-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 963
Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk
(A) ten. Eine nationale Entscheidung über die zu diskutieren- Diese Petition ist beim Deutschen Bundestag eingegan- (C)
den Instrumente wäre sicherlich verfrüht. Die Finanz- gen. Sie verfolgt das Ziel, die Kosten der Krise mit den
transaktionssteuer ist dabei – das hat die Bundesregierung Einnahmen, die mit einer solchen Steuer zu generieren
deutlich gemacht – eine der zu prüfenden Möglichkeiten. sind, abzumildern. Das soll sowohl auf nationaler als
Ich sage sehr deutlich: Bei der Ausgestaltung einer der- auch auf internationaler Ebene geschehen. Spätestens
artigen Steuer wird sehr scharf darauf zu achten sein, wenn sich der Petitionsausschuss – 50 000 Unterschrif-
dass ihr Hauptziel der Dämpfung spekulativer Exzesse ten liegen vor – in öffentlicher Sitzung mit diesem
einerseits und der Stärkung stabilisierender Investitionen Thema befassen muss, muss auch die rechte Seite des
in die Finanzmärkte andererseits nicht konterkariert Hauses Farbe bekennen.
wird.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(Beifall bei der CDU/CSU) DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Axel
Troost [DIE LINKE])
Auf jeden Fall erscheint eine solche Steuer – das muss
man deutlich sagen; darüber sollte es auch in der SPD Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ha-
keinen Streit geben – überhaupt nur international denk- ben, anders als das heute zum Teil zum Ausdruck ge-
bar. Jeder nationale Alleingang wäre völlig untauglich. bracht wurde, schon seit dem Jahr 2005 Initiativen dazu
ergriffen, eine internationale Finanztransaktionssteuer
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) einzuführen. Viele werden sich vielleicht nicht mehr da-
ran erinnern, aber Bundeskanzler Gerhard Schröder hat
Das wäre schon allein wegen des Standortwettbewerbs
dies im Februar 2005 auf dem internationalen Wirt-
und der vorhersehbaren Ausweichreaktionen nicht ver-
schaftstreffen in Davos und im Sommer 2005 auf dem
tretbar. Sinnvoll erscheint nur eine international abge-
G-7- bzw. G-8-Gipfel im schottischen Gleneagles – die
stimmte Lösung.
Briten waren die Gastgeber – vorgeschlagen. Allerdings
Lieber Herr Schick, wir begleiten als Bundesregie- waren unsere angelsächsischen Freunde im Jahr 2005
rung die europäische Diskussion sehr engagiert. Natür- noch nicht einmal bereit, darüber nachzudenken. Das
lich gibt es in Europa Länder – Frankreich, Österreich Fenster der Gelegenheit war noch nicht offen, oder der
und Großbritannien –, die sich bereits öffentlich für eine historische Moment war noch nicht da, wie es Kollege
Finanztransaktionssteuer ausgesprochen haben. Aber Schick ausgedrückt hat. Aber nach den Erfahrungen der
auch diese Länder setzen allein auf eine internationale internationalen Finanzkrise seit dem Herbst des
und nicht auf eine national isolierte Lösung. Auch diese Jahres 2008 ist genau diese historische Gelegenheit da,
Länder wollen den IWF-Bericht abwarten. Deshalb und die gilt es jetzt zu ergreifen.
(B) strebt die Bundesregierung auf jeden Fall ein gemeinsa- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (D)
mes, abgestimmtes Vorgehen der Euro-Gruppe an. Die DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Axel
Bundesregierung wird dieses Thema auf dem nächsten Troost [DIE LINKE])
Ecofin-Treffen weiter diskutieren und befördern.
Das haben sozialdemokratische Politiker beherzt ge-
Wenn wir es schaffen, eine international abgestimmte, tan. Frank-Walter Steinmeier und Peer Steinbrück haben
tragfähige Lösung zur finanziellen Beteiligung des Fi- nämlich im Frühsommer dieses Jahres ein Papier vorge-
nanzsektors zu erreichen, wäre das auch ein gutes Ergeb- legt. Es ist gerade Peer Steinbrück gewesen, der dieses
nis für die deutsche Volkswirtschaft. Dabei sind wir im Thema auf die G-20-Sitzung in Pittsburgh getragen hat,
Vorfeld nicht auf eine bestimmte Lösung festgelegt. Die und die Kanzlerin hat sich dieses Thema zu eigen ge-
diskutierte internationale Finanztransaktionssteuer ist macht. Das will ich hoch anerkennen. Es ist von
eine von mehreren möglichen Lösungen. Deutschland vorgetragen worden, aber es war die Initia-
Herzlichen Dank. tive von Peer Steinbrück.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Frank Schäffler [FDP]: Das ist leider wahr! –
neten der FDP) Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Warum dann
die Aktuelle Stunde?)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ich wundere mich eigentlich, dass Kollege Leo
Das Wort hat nun Barbara Hendricks für die SPD- Dautzenberg nicht dazu stehen will, was die Kanzlerin
Fraktion. heute Morgen gesagt hat.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Selbstver-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
ständlich stehe ich dazu!)

Dr. Barbara Hendricks (SPD): Aber es lohnt sich jedenfalls, nachzulesen, was die
Kanzlerin in ihrer Regierungserklärung am 10. Novem-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
ber dieses Jahres gesagt hat.
wenigen Wochen haben sich mehr als 50 000 Menschen
in einer Petition für die Einführung einer internationalen (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Und was sie
Finanztransaktionssteuer eingesetzt. heute gesagt hat!)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Jetzt kommen wir zu dem Punkt. Es ist in Pittsburgh
Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]) verabredet worden, dieses dringliche Thema solle beför-
964 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Dr. Barbara Hendricks


(A) dert werden. Der IWF ist beauftragt worden, ein Gutach- Dieses sollten Sie bitte zur Kenntnis nehmen. Frau (C)
ten zu erstellen, und er wird seine Vorschläge im April Merkel kann natürlich heute Nachmittag nicht hier sein
vorlegen. Der nächste G-20-Gipfel im Juni wird sich da- – das ist selbstverständlich –, aber es bleibt ihre Auf-
mit befassen. gabe, endlich für Ordnung in ihrem Kabinett zu sorgen,
nicht nur, aber auch an dieser Stelle.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Na also!)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Wenn aber in der Zwischenzeit diese Koalition toter des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Mann spielt, weil sie sich nicht einigen kann, dann wird
das das Thema nicht befördern, und dafür tragen Sie die Wir setzen darauf, dass wir die internationale Finanz-
Verantwortung. transaktionssteuer mit einem erheblichen Aufkommen
werden durchsetzen können.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Frank Schäffler [FDP]: Mit Aufwand vor
LINKEN) allem!)
Nehmen wir doch einmal die Äußerungen der letzten Dies dient zum einen dazu, die Folgen der Krise hier vor
Tage. Der vor wenigen Tagen neu ernannte Generalse- Ort finanziell abzumildern. Natürlich haben wir das ge-
kretär der FDP meinsam gemacht, aber die Kosten sind da, und es geht
darum, diese Kosten zu minimieren und diejenigen an
(Frank Schäffler [FDP]: Guter Mann!) den Kosten zu beteiligen, die die Krise verursacht haben.
hat ein Interview in der Westdeutschen Allgemeinen Zei- Dies gilt national, aber insbesondere auch international.
tung gegeben. Gut, dass der hochgelobte junge Mann
den Unterschied zwischen der Tobin-Tax und der inter- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
nationalen Finanztransaktionssteuer nicht so richtig Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
kennt, interessiert eigentlich nur die FDP. Aber dass die-
ser junge Kollege, der seit drei Tagen kommissarisch be-
Dr. Barbara Hendricks (SPD):
nannt ist, sich traut, als Generalsekretär einer Koalitions-
partei die Kanzlerin frontal anzugreifen, sollte schon die Ja. – Wir werden die größten Probleme haben, die
hier vertretenen Koalitionsfraktionen und die Bundesre- Millenniumsziele zu erreichen. Die Bundesregierung hat
gierung interessieren. Das interessiert nicht mehr nur sich gerade für das Jahr 2010 von den Zwischenzielen
noch die FDP. verabschiedet. Wir werden die größten Probleme haben,
auch das noch zu finanzieren, was auf dem Klimagipfel
(Beifall bei der SPD) zu Recht wird verabschiedet werden müssen und was
(B) hoffentlich verabschiedet wird. Noch daneben und darü- (D)
Minister Niebel hat in der Ausschusssitzung am ber hinaus sind die Folgen der Finanzkrise gerade für die
2. Dezember, von mir darauf angesprochen, gesagt, was ärmsten Länder zu minimieren. Das ist unsere Aufgabe,
die Kanzlerin darüber denke, interessiere ihn nicht. wenn wir in Verantwortung vor Gott und den Menschen
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Unsinn und handeln.
Vorsicht! – Zuruf von der FDP: Steht so nicht (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
im Protokoll!) der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
– Gut, dann haben Sie vielleicht das Protokoll geschönt. GRÜNEN)
Aber ich war dabei, und es gibt genügend Zeugen. –
Denn das stehe nicht im Koalitionsvertrag. Das war die Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Aussage von Minister Niebel dazu. Das werden die Mit- Das Wort hat nun Kollege Carl-Ludwig Thiele für die
glieder des Ausschusses bestätigen können. Genauso FDP-Fraktion.
war es.
(Beifall bei der FDP)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Minister Niebel ist für – ich will es einmal freundlich Carl-Ludwig Thiele (FDP):
ausdrücken – ein breites Lächeln von einem Ohr bis zum Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
anderen bekannt. Dass er bei der Überreichung der Ur- Kolleginnen und Kollegen! Frau Dr. Hendricks, wenn
kunde durch den Bundespräsidenten offenbar diese Oh- man Sie hört, dann kann man sich gar nicht vorstellen,
ren auf Durchzug gestellt hat, ist allerdings zu bedauern; dass die SPD bis vor sieben Wochen elf Jahre lang den
denn der Bundespräsident hat am 28. Oktober aus An- Bundesfinanzminister in diesem Land gestellt hat;
lass der Überreichung der Urkunden an die Mitglieder schließlich hat kein Finanzminister der SPD in dieser
der Bundesregierung gesagt: Zeit irgendetwas unternommen, um eine solche Steuer
einzuführen.
Ich halte es auch für richtig, wenn sich Deutschland
mit Nachdruck für eine Abgabe auf internationale (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Finanztransaktionen einsetzt. der CDU/CSU)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Bei Ihnen scheint wirklich absolute Vergesslichkeit vor-
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der zuherrschen. Das bezieht sich bei den Grünen auch auf
LINKEN – Joachim Poß [SPD]: Hört! Hört!) sieben Jahre Koalition Rot-Grün.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 965
Carl-Ludwig Thiele
(A) Ich möchte einen zweiten Punkt feststellen. Sie hätten Fehlallokation zu verhindern? Was ändert sich dann ei- (C)
hier heute einen Antrag einbringen können. Das haben gentlich? Es muss auch die Frage erlaubt sein: Wen
Sie nicht gemacht; Sie haben nur eine Aktuelle Stunde würde eine solche Steuer treffen, und wer muss sie ei-
beantragt. Das ist eigentlich ein bisschen dünn, wenn gentlich zahlen? Zahlen muss nicht der Börsenmakler
man meint, das Ganze sei so wichtig. oder der Börsenmanager, sondern der Kunde, der Klein-
anleger, der Sparer, aber eben auch der Riester-Rentner.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU) Wir alle wissen, dass unsere im Umlageverfahren fi-
nanzierten sozialen Sicherungssysteme durch die demo-
Ich möchte auf einen dritten Punkt eingehen, insbe- grafische Entwicklung Probleme bekommen. Daher ist
sondere weil Sie, Frau Kollegin Hendricks, Schottland für die FDP vollkommen klar: Wir brauchen eine zusätz-
angesprochen haben. Ich verweise auf etwas, was der liche Kapitaldeckung für die Altersvorsorge.
ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück, SPD, gesagt
hat. In der Süddeutschen Zeitung stand im Januar 2006 (Beifall bei der FDP)
– Zitat –: Die sogenannte Tobin-Steuer auf Finanzspeku-
Wenn wir eine Finanzmarktsteuer erheben, um für
lationen verglich Steinbrück mit dem Ungeheuer von
eine zusätzliche Kapitaldeckung zu sorgen, dann verteu-
Loch Ness, das regelmäßig auftauche.
ern wir die Kapitaldeckung oder schmälern den Ertrag
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der Kapitalanlagen, die als Altersvorsorge dienen sollen.
der CDU/CSU – Frank Schäffler [FDP]: So Das kann nicht das Ziel sein.
schlecht war der gar nicht!)
(Beifall bei der FDP)
Insofern bitte ich Sie, sich einfach einmal auf das zu
Problematisch ist auch die Bemessungsgrundlage. Es
konzentrieren, was Sie wirklich wollen, und dafür einzu-
wurde die Frage gestellt, ob sie nur für Devisentransak-
treten, dass unser Land eine vernünftige Zukunft hat.
tionen oder für alles gelten soll. Ich bin gespannt, was
Das ist unsere Aufgabe, gerade in der Wirtschafts- und
der Internationale Währungsfonds vorlegen wird und ob
Finanzkrise, die immer noch nicht bewältigt ist, die aber
es dafür überhaupt ein Modell gibt. Ohne klare Bemes-
bewältigt werden muss.
sungsgrundlage ist eine solche Steuer nämlich überhaupt
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nicht administrierbar. Wenn sie käme, dann müsste sie
der CDU/CSU) international administrierbar sein; denn ein nationaler
Alleingang ist – das hat das Beispiel Schweden gezeigt;
Der Finanzsektor ist nach dem Verständnis der FDP das hat sich auch in anderen Ländern gezeigt – ein reines
dienendes Element einer Volkswirtschaft. Der Finanz- Phantom. Dadurch wird Kapital aus dem Land verjagt;
sektor war auch nicht in Gänze verantwortlich für die Fi- dadurch werden Arbeitsplätze in unserem Land vernich- (D)
(B) nanzkrise.
tet. Wenn das Ganze käme, müsste es international ange-
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Richtig!) legt sein, mit klarem Regelwerk und strengen Kontrol-
len. Dass das erreichbar ist, daran haben wir erhebliche
Insofern gilt es aus unserer Sicht, den Finanzsektor dif- Zweifel. In der Vergangenheit hat das schon nicht funk-
ferenziert zu betrachten. Nicht jeder war Täter. Wir wol- tioniert. Lassen Sie uns einmal schauen, wie es jetzt
len, dass sich eine Kasinomentalität, also übermäßiges kommt. Aber ich glaube, hier wird ein Phantom aufge-
Spekulieren mit geliehenem Geld, nicht wiederholt. Wir baut, das einmal kritisch gesehen werden muss. Wir hal-
stehen für Freiheit in Verantwortung, und deshalb dürfen ten derzeit nichts von diesem Gedanken.
nach unserer liberalen Auffassung Finanzgeschäfte bzw.
Finanzprodukte zukünftig nicht ohne Eigenkapital oder Herzlichen Dank.
Eigenhaftung gehandelt werden. Das ist der entschei- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
dende Punkt.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
der CDU/CSU) Das Wort hat nun Manfred Zöllmer für die Fraktion
der SPD.
Wir brauchen verantwortliches Handeln derjenigen, die
am Markt tätig sind.
Manfred Zöllmer (SPD):
Eines sage ich aber auch ganz deutlich: Die Räder Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
müssen sich wieder drehen können. Die hochentwickelte Diese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen
Weltwirtschaft, der wir gerade als Exportnation unseren machen offenkundig die Ordnung auf dem Hühnerhof
Wohlstand verdanken, ist ohne einen effektiven Finanz- zum Grundprinzip ihres politischen Handelns.
markt absolut undenkbar.
(Beifall bei der SPD)
Kein Markt ist so reguliert wie der Finanzmarkt. Die
Regulierung hat versagt. Aus unserer Sicht muss hier an- Jeder macht, was er will, keiner, was er soll. Gelegent-
gesetzt werden. Dabei müssen die Fragen gestellt wer- lich muss einer zurücktreten.
den: Ist die Finanzmarktsteuer hier als Regulierungsmit- Dabei erweist sich Herr Niebel wiederholt als einer
tel überhaupt geeignet? Kann sie das Verhalten von der Problembären dieser Koalition.
Betroffenen ändern? Wenn sowohl gefährliche als auch
ungefährliche Anlagen gleichermaßen teurer werden: (Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Das war jetzt
Was hat das eigentlich für eine Lenkungswirkung, um aber originell!)
966 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Manfred Zöllmer
(A) Unterstützt wird er dabei von dem neuen Generalsekre- lich den Finanzsektor. Bei jedem Kauf und Verkauf von (C)
tär der FDP. Finanzprodukten würde eine ganz geringe Steuer fällig.
Je häufiger gekauft und verkauft würde, je teurer würde
(Dirk Niebel [FDP]: Guter Mann!)
das.
Ich darf einfach einmal zitieren:
Das ist keine neue Idee; das habe ich gesagt. Nach
Schade, dass sich eine kluge und umsichtige Frau dem britischen Beispiel der Stamp Tax wurden hier in
wie die Kanzlerin an der Exhumierung dieser über- Deutschland mit dem Reichsstempelgesetz von 1881 die
kommenen Theorie beteiligt. Urkunden bestimmter Wertpapieranschaffungen reichs-
einheitlich mit einer Stempelabgabe belastet.
Das sind die Worte von Herrn Lindner.
(Frank Schäffler [FDP]: Und zum Glück abge-
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD –
schafft!)
Nicolette Kressl [SPD]: Können wir das noch
mal hören?) – Ihre Position ist bekannt, ich habe sie bewertet. Nun
hat es den Vorschlag der Europäischen Union und der
Dann weiter:
G 20 gegeben, zur Eindämmung von Spekulationen eine
Diese Koalition wird weder Steuern erhöhen, noch solche Finanztransaktionssteuer einzuführen. Ich sage
neue Steuern einführen. noch einmal sehr deutlich: Wir Sozialdemokratinnen
und Sozialdemokraten begrüßen diesen Vorschlag aus-
So weit Herr Lindner. Wenn man das liest, dann weiß drücklich.
man, dass Jugend allein kein Verdienst ist.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall bei der SPD)
Dieser Vorschlag ist aus unserer Sicht geeignet, spe-
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere gemeinsame
kulativ völlig heißgelaufene Märkte zu beruhigen. Nach
Aufgabe muss darin bestehen, die richtigen Lehren aus
einer Berechnung des bereits genannten Wiener Institu-
der größten Wirtschafts- und Finanzkrise der Nach- tes würde es gelingen, das Handelsvolumen besonders
kriegszeit zu ziehen und alles zu tun, damit sich so eine
an den Derivatemärkten deutlich zu verringern, Überli-
Katastrophe nicht wiederholt. Was wir brauchen, ist eine
quiditäten aus den Märkten zu nehmen und die Volatili-
deutliche Kampfansage an gierige Banker und ungezü- tät dieser Märkte deutlich zu verringern, und zwar bei ei-
gelte Kapitalmärkte. Die Grundfrage lautet: Wie können
nem ganz geringen Steuersatz von 0,05 Prozent. Dass so
wir die Verursacher dieser schwersten Krise der Nach-
etwas dringend notwendig ist, zeigt die Tatsache, dass
kriegszeit an den Kosten der Krise beteiligen? Eine der der Devisen- und Derivatehandel im Jahr 2007 das 70-
Antworten lautet: mit einer internationalen Finanzmarkt-
(B) Fache des Weltsozialproduktes betrug. (D)
steuer.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Transak-
Genau gegen diese internationale Finanzmarksteuer
tionssteuer betrifft nicht den kleinen Riester-Sparer,
polemisiert die FDP. Herr Niebel und Herr Lindner, an-
dere auch, wollen die Steuerzahler die Krise bezahlen (Frank Schäffler [FDP]: Wen denn sonst?)
lassen, nicht die Verursacher in den Banken. Damit be-
wie immer wieder gern behauptet wird. Allein mit ma-
treiben sie hier genauso ungeniert Klientelpolitik wie
thematischen Grundkenntnissen à la „Hauptschule Sau-
etwa bei der Beglückung von Hoteliers im Schuldenauf-
erland“ lässt sich das sehr leicht errechnen und feststel-
baugesetz; so muss dieses angebliche Wachstumsbe-
len.
schleunigungsgesetz eigentlich genannt werden, denn
das Wachstum wird damit um keinen Deut beschleunigt. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Frank
(Beifall bei der SPD – Zuruf von der FDP:
Schäffler [FDP]: Danke, Herr Lehrer! – Leo
Warten Sie mal ab!)
Dautzenberg [CDU/CSU]: Nichts gegen das
Die Grundidee ist alt. Tobin hat sie bereits Anfang der Sauerland!)
70er-Jahre als eine Steuer auf Devisentransaktionen ent-
Eine solche Steuer im Rahmen der G 20 einzuführen,
wickelt.
würde bedeuten, 92 Prozent des weltweiten Aktienhan-
(Dr. Michael Fuchs [CDU/CSU]: Eben haben dels und 76 Prozent des Anleihehandels zu erfassen. In
Sie mir doch erklärt, das sei keine Tobin- dieser Einschätzung werden wir im Übrigen von den
Steuer!) 50 000 Unterzeichnern der Petition unterstützt.
– Lieber Kollege Fuchs, die internationale Finanzmarkt- Die Kanzlerin hat mehrfach ihre Unterstützung für
steuer ist keine Tobin-Steuer; das muss man wirklich ein solches Instrument signalisiert.
wissen.
(Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Zu prüfen,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Frank Herr Kollege!)
Schäffler [FDP]: Sie ist noch viel schlimmer!
Vonseiten der FDP wird dagegen erklärt, das sei nicht zu
Das stimmt!)
machen. Wenn diese Bundesregierung so Politik machen
Sie bezieht alle Arten von Finanztransaktionen ein. Sie will, wie es die FDP vorschlägt, dann sollten Sie doch
würde bei Geschäften an Börsenhandelsplätzen und im gleich das Grundgesetz ändern. Sie könnten die Richt-
außerbörslichen Handel erhoben. Sie betrifft ausschließ- linienkompetenz der Bundeskanzlerin aus Art. 65 des
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 967
Manfred Zöllmer
(A) Grundgesetzes streichen und stattdessen hereinschrei- (Widerspruch der Abg. Dr. Barbara Hendricks (C)
ben: Das Nähere regelt der Koalitionsvertrag von [SPD])
Schwarz-Gelb; im Zweifelsfall entscheiden Herr Niebel
und Herr Lindner. Sie haben das hier im Deutschen Bundestag gesagt. Da-
mit zeigen Sie, dass Sie selbst nicht wissen, was Sie wol-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten len. In einer Fragestunde des Deutschen Bundestages
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – La- sagten Sie, dass eine Devisenumsatzsteuer international
chen bei der FDP) nicht konsensfähig ist. Ihr Zitat habe ich dabei.
(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Ja, vor drei
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Jahren, als es noch keine Weltfinanzkrise gab! –
Das Wort hat nun Kollege Michael Fuchs für die Zuruf von der FDP: Gesagt ist gesagt! – Wei-
Fraktion der CDU/CSU. tere Zurufe von der SPD)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Für mich steht fest: Wir können mit einer solchen
Frank Schäffler [FDP]: Erklären Sie ihm das Transaktionssteuer nur dann etwas erreichen, wenn wir
noch einmal!) sie international aufstellen, wenn alle Player mitspielen.
Leider haben sich die Kanadier und auch die Amerikaner
Dr. Michael Fuchs (CDU/CSU): bisher in der Form dazu geäußert, dass sie nicht bereit
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! sind, das mitzumachen.
Während ich mir diese Debatte anhörte, wurde mir wie-
der klar, warum die SPD mittlerweile bei 19 Prozent an- (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Gott sei Dank! –
gekommen ist. Zuruf der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD])

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, diese Koalition
der CDU/CSU – Zurufe vom BÜNDNIS 90/ wird den Finanzplatz Deutschland nicht kaputtmachen.
DIE GRÜNEN) Die Börsenumsatzsteuer hat damals plus/minus 400 Mil-
lionen Euro eingebracht. Wir haben sie 1991 deswegen
Ich habe wirklich das Gefühl, dass Sie bis jetzt nichts abgeschafft, weil durch sie der Finanzplatz Deutschland
aus der Wahlniederlage gelernt haben und so weiterma- erheblich beschädigt wurde. Die Schweden haben das
chen wie zuvor. dann später auch gemerkt und diese Steuer auch abge-
Lieber Kollege Poß, Ihnen ist wieder nichts anderes schafft. Eine solche Steuer ist eben nur möglich, wenn
eingefallen, als neue Steuern zu fordern. sie global erhoben wird. Da hat die Bundeskanzlerin völ-
lig recht.
(B) (Joachim Poß [SPD]: Bessere!) (D)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Das zeigt, dass Sie nichts, aber auch gar nichts gelernt der FDP – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
haben. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie
(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zurufe doch gleich, dass Sie das nicht wollen!)
von der SPD) Wenn wir es global hinbekommen, können wir es auch
Ich gebe der Bundeskanzlerin völlig recht. Sie hat machen.
heute Morgen gesagt: Wir haben nach wie vor vor, die Bürgerinnen und
Deshalb hat der Europäische Rat noch einmal das Bürger nicht mit einer solchen Steuer zu belasten. Die
wiederholt, was wir schon auf dem G-20-Gipfel Börsenumsatzsteuer – ich bin ja ein wenig älter als Sie;
festgelegt haben, nämlich den Internationalen Wäh- deswegen kann ich mich daran erinnern – in Höhe von
rungsfonds zu bitten, bei der Erarbeitung von Kon- 0,05 Prozent wurde auf jede Transaktion erhoben. Wer
zepten zur Beteiligung des Finanzsektors an den hat sie denn bezahlt: die Banken? Nein, die Banken ha-
Kosten der Krisenbewältigung auch die globale ben diese Steuer eins zu eins an die Kunden weitergege-
Einführung einer Steuer auf Finanztransaktionen zu ben. Wenn jemand eine Aktie gekauft hat, hat er diese
prüfen. Steuer bezahlen müssen.
(Nicolette Kressl [SPD]: Na also!) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]:
Das geht nur global. Es geht auf gar keinen Fall national Quatsch!)
oder im Rahmen der EU. Recht hat die Bundeskanzlerin.
Genau das wollen auch wir. Für mich steht fest: Das würde natürlich auch der Fall
sein, wenn das kommt, was Sie jetzt fordern. Die Ban-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) ken geben nämlich Kosten, die ihnen durch nationale
Nebenbei bemerkt: Die Kollegin Hendricks hat vor Regulierungen auferlegt werden, zu 100 Prozent weiter.
drei Jahren im Deutschen Bundestag in einer Frage- Deshalb wollen wir so etwas nicht.
stunde gesagt, Devisenumsatzsteuern seien nicht kon- (Zurufe von der SPD)
sensfähig. Ich weiß nicht, wer jetzt bei Ihnen das Sagen
hat, Frau Hendricks oder Herr Poß. Man muss sich aber Dazu kommt: Wenn wir das in Deutschland isoliert
einmal überlegen, wie unterschiedlich die Meinungen machten, dann würde es keinen IPO und keine Transak-
sind. tionen an der Frankfurter Börse mehr geben. Die Deut-
968 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Dr. Michael Fuchs


(A) sche Börse selbst würde dann sehr schnell aus dem DAX ten gut 20 Jahren bis zum Ausbruch der Krise hat sich (C)
verschwinden. Auch das würden wir dann erleben müs- das Volumen der weltweit handelbaren Wertpapiere auf
sen. 55 Billionen verzehnfacht, während die reale Wirtschaft
sich im gleichen Zeitraum gerade einmal verdoppelt hat.
(Joachim Poß [SPD]: Weltuntergang!)
Den größeren Teil der Ausweitung dieser Finanz-
Wir haben schon in allen anderen Ländern feststellen marktaktivitäten nehmen dabei rein spekulative Bewe-
können, dass man so etwas nicht mehr national regeln gungen ein, bis hin zu den absurden Carry-Trade-Versio-
kann. Dafür sind die Märkte viel zu volatil. nen und vielem anderen. Quasi im Minutentakt
jonglieren Großbanken und Fonds mit Millionensum-
Eben hat mir Kollege Kuhn erklärt, dass die Grünen
men, immer in der Erwartung exorbitanter Gewinne.
besonders fähig seien, was das Internet angeht. Also sind
Diese Spiele sind für die reale Wirtschaft an sich ohne
sie auch fähig, internationale Transaktionen dort vorzu-
jede Bedeutung. Vielmehr gehen sie auf Kosten der
nehmen, wo sie keine zusätzlichen Steuern zahlen müs-
Realwirtschaft und haben fatale Auswirkungen auf
sen. Darüber müssen wir uns im Klaren sein: Wenn es
Investitionen und Arbeitsplätze, was man heute nicht
uns nicht gelingt, Plätze wie beispielsweise Singapur
mehr beweisen muss, denn es ist ja geschehen.
einzubinden, dann werden unsere Möglichkeiten be-
schränkt sein. (Beifall bei der SPD)
(Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/CSU]) Eine Steuer auf Finanztransaktionen – es ist nicht die
einzige Maßnahme – trifft gezielt gerade die Kurzfrist-
Deshalb wollen wir das gemeinsam mit dem IWF und
spekulation. Diese wird nämlich sehr teuer und dadurch
den G 20 schaffen. Wenn wir das hinbekommen, kann
weniger interessant. Erst dann wird es wieder interessan-
man das machen, aber nur dann.
ter, das Geld in reale Investitionen, in unternehmerische
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Investitionen zu stecken. Genau darauf kommt es an. Ich
glaube, das verstehen Sie nicht. Investitionen statt Spe-
Alles andere schadet dem Standort Deutschland. Das
kulationen, das ist das Prinzip, um das es hier geht.
entspricht nicht unserer Vorstellung. Wir werden in die-
ser Koalition alles tun, um den Standort Deutschland zu (Beifall bei der SPD)
stärken.
Drittens kommt es darauf an, nicht nur schön zu re-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den, sondern zu handeln. Überall lese ich schöne Über-
schriften und höre nette Appelle der Bundesregierung.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Von Einsicht und Selbstverpflichtungen der Banken ist
(B) Das Wort hat nun Werner Schieder für die SPD-Frak- die Rede. Aber wir brauchen kein unverbindliches Ge- (D)
tion. schwätz, sondern klare Regeln. Darum geht es.
Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-
Werner Schieder (Weiden) (SPD): Jürgen Papier, hat einmal gesagt, der Unternehmer habe
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! die Pflichten, die das Gesetz ihm auferlegt – nicht mehr.
Der bisherige Verlauf dieser Debatte zeigt mir, dass die Was ist also mit den Pflichten und speziell mit den Soli-
Vertreter der neuen Koalition offenbar nicht begriffen daritätspflichten der Finanzmarktakteure? Es reicht
haben – oder besser gesagt: nicht verstehen wollen –, nicht, sich in hilflosen Appellen zu erschöpfen; genau
worum es in diesem Zusammenhang eigentlich geht. Ich das macht die jetzige Bundesregierung. Wir brauchen
möchte deshalb den Versuch machen, in vier Punkten Taten. Diese vermissen wir bei der neuen Koalition.
zusammenzufassen, worauf es ankommt.
(Beifall bei der SPD)
Erstens kommt es auf den sozialen Lastenausgleich in
der Krise an. Mit zig Milliarden Euro sind auch in Viertens. Setzen Sie doch den SPD-Vorschlag zur
Deutschland die Banken und damit die Finanzmärkte ge- Einführung einer nationalen Börsenumsatzsteuer als ers-
stützt worden. Ein großer Teil dieser Gelder wird – das ten Schritt um! Tun Sie doch dort etwas, wo Sie selber
ist schon angeklungen – unwiederbringlich sein. Das be- und unmittelbar zuständig sind! Das wird andere ermuti-
deutet, dass die Kosten der Krise an den vielen normalen gen; denn Deutschland hat auch in diesem Fall eine Vor-
Steuerzahlern hängenbleiben werden. Wir müssen diese reiterrolle.
Lasten daher auch auf die Schultern derjenigen verteilen, (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Dann bringen
die maßgeblich Verursacher der Finanzkrise sind. Das ist Sie doch einen Antrag ein!)
ein Gebot der Gerechtigkeit.
Des Weiteren fordere ich Sie auf: Ergreifen Sie im
(Beifall bei der SPD) Ecofin-Rat die Initiative für eine europaweite Finanz-
Das sind wir den normalen Steuerzahlern, den vielen transaktionssteuer! Das Klima dafür ist durchaus güns-
Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben oder tig. Das wäre ein wichtiger und auch glaubwürdiger
verlieren werden, und den Firmen, die in der Krise sind, Schritt. Solange Sie das aber nicht tun, müssen wir gele-
schuldig. gentliche Zustimmungssignale zu einer internationalen
Finanztransaktionssteuer aus Ihren Reihen als das be-
Zweitens. Wir müssen die Finanzmärkte redimensio- greifen, was sie wirklich sind: Lippenbekenntnisse und
nieren. Die Finanzmärkte sind überdimensioniert; sie Placeboworte zur Beruhigung des Publikums. Darum
sind zu groß. Um Ihnen eine Zahl zu nennen: In den letz- geht es Ihnen nämlich am Ende.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 969
Werner Schieder (Weiden)
(A) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gemacht werden? Können mit der Finanztransaktions- (C)
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) steuer Wechselkursschwankungen, die nicht auf funda-
mentalen Wirtschaftsdaten basieren, überhaupt begrenzt
Meine letzte Anmerkung. Wer über konkrete Schritte werden?
in Deutschland und über eigene europäische Initiativen
nicht reden will, der soll besser schweigen, wenn es um (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Gibt es
internationale Visionen geht. Der Verweis darauf ist nur eigentlich einen einzigen Redner in euren Rei-
die Flucht vor der eigenen unmittelbaren Verantwortung hen, der dafür ist?)
in Deutschland und Europa.
Es gibt für mich wichtige Gründe, die letzten Endes
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. maßgeblich sind: Die Steigerung der Kapitalproduktivi-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tät – das müssen wir bedenken – wird durch eine Bör-
DIE GRÜNEN) senumsatzsteuer beeinträchtigt. Die Kapitalmärkte ha-
ben – dies hat bei Ihnen vielleicht einen ideologischen
Hintergrund – aus meiner Sicht die dienende Funktion,
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: die Bürgerinnen und Bürger sowie die Unternehmen mit
Das Wort hat nun Hans Michelbach für die CDU/ Finanzprodukten in diesem wichtigen Bereich der Wirt-
CSU-Fraktion. schaft zu versorgen; das muss man deutlich machen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Wenn wir eine solche Steuer einführten, würde die
steigende Volatilität an den Märkten für die Wirtschaft
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
sicher zu einer Verteuerung der Kapitalbeschaffung füh-
gen! Wir sollten uns in dieser Debatte einig sein, dass
ren; auch das muss man bedenken. Die Attraktivität der
eine Diskussion um eine faire Verteilung der Lasten in-
Aktie als Kapitalanlage auch für private Kleinanleger
folge der Finanzmarktkrise durchaus angebracht ist und
würde bei Einführung einer Börsenumsatzsteuer sinken,
dass die G-20-Initiative neue Fehlentwicklungen verhin-
da die erzielbaren Renditen im Vergleich zur börsenum-
dern soll. Ich glaube, das ist ein Ansatz, über den man
satzsteuerfreien Anlage gemindert würden. Hier kann es
fachlich und sachlich reden sollte.
Wettbewerbsverzerrungen geben. Wir müssen auch ab-
Eine Beteiligung des Finanzsektors an den sicher ho- wägen, dass die Nachteile für Wettbewerb, Wachstum
hen Kosten der Krisenbewältigung ist fachlich auf alle und Arbeitsplätze, gemessen am fiskalischen Nutzen,
Optionen, auf Effektivität, auf Sinnhaftigkeit und natür- besonders groß sind. Wir müssen prüfen, ob man mit
(B) lich auch auf die ökonomischen Auswirkungen zu prü- dieser Steuer etwas Positives bewirken kann oder ob es (D)
fen. Deswegen müssen wir folgende Fragen beantwor- Wettbewerbsverzerrungen, Wachstumseinschränkungen
ten: Welche Vorschläge gibt es? Haben wir die Dinge oder Arbeitsplatzverluste gibt.
bisher richtig behandelt? Ich kann für die CDU/CSU-
Fraktion festhalten, dass wir in den letzten Monaten für (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist
die Rettung des Finanzmarktes erfolgreiche Arbeit ge- doch ein einfacher Dreisatz!)
leistet haben. Auch das muss bedacht werden; das ist ein wichtiger As-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) pekt.
Das ist die Wahrheit, und diese darf durch Aktuelle Stun- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
den, durch Anträge oder durch was auch immer nicht
verbogen werden. Wir haben gemeinsam einen Erfolg Abschließend möchte ich deutlich machen: Die vier
erreicht. Deswegen wundere ich mich schon, dass Sie, Punkte, die mein Vorredner, Herr Schieder, seitens der
wenn Sie etwas anderes wollen als das, was es in der SPD eingebracht hat, stellen keinen substanziellen An-
Vergangenheit gab, eine Aktuelle Stunde beantragen, trag dar. Sie sind ein Placebo. Das ist Schaufensterpoli-
statt einen Antrag einzubringen. tik, die Sie selbst anscheinend nicht überzeugt; ansons-
ten hätten Sie einen substanziellen Antrag eingebracht.
(Zuruf der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD]) Für mich ist sinnbildlich, dass Sie sich aus Ihrer positi-
ven Arbeit im Rahmen der Finanzmarktkrise völlig ver-
Sie können natürlich auch sagen, dass wir auf interna-
abschieden. Ich kann nur darauf hinweisen, dass sich Ihr
tionaler Basis einen Prüfauftrag haben, den die Bundes-
Bundesfinanzminister a. D. in der von Ihnen beantragten
kanzlerin heute Morgen angesprochen hat. Wir stimmen
Aktuellen Stunde in die letzte Reihe gesetzt hat.
zu, dass man das intensiv prüfen kann. Man muss die
fachlichen Vor- und Nachteile bewerten. (Leo Dautzenberg [CDU/CSU]: Der ist schon
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) weg!)

Darum geht es und nicht um Schnellschüsse. – Ich höre, dass er das Plenum sogar schon verlassen hat.
Wahrscheinlich konnte er es nicht mehr ertragen.
Für mich stellen sich in Bezug auf eine Finanztrans-
aktionssteuer folgende Fragen: Können damit überhaupt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
spekulative Kapitalbewegungen eingedämmt und kurz- Joachim Poß [SPD]: Der wusste doch, dass Sie
fristige Devisentransaktionen gewissermaßen unrentabel reden!)
970 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

(A) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Was kann eine Finanztransaktionssteuer leisten? Steu- (C)
Für Kollegen Werner Schieder, der zuvor geredet hat, ern können entweder einen Lenkungszweck verfolgen
war es die erste Rede im Plenum. Herzliche Gratulation oder aber einem Fiskalzweck, das heißt der Einnahmen-
und alles Gute für die weitere Arbeit! erzielung, dienen. Beides zugleich gelingt leider sehr
selten. Das sollten wir einmal öffentlich festhalten.
(Beifall)
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Axel Troost
Als letztem Redner in der Aktuellen Stunde erteile ich [DIE LINKE]: Bei der Ökosteuer ist das doch
dem Kollegen Ralph Brinkhaus für die CDU/CSU-Frak- auch so!)
tion das Wort.
Ich halte die Lenkungsfunktion der Finanztransak-
(Beifall bei der CDU/CSU) tionssteuer im Übrigen für bedenklich. Ich kann nur da-
vor warnen, aus normativen Gründen zwischen guten
und schlechten Finanztransaktionen zu unterscheiden
Ralph Brinkhaus (CDU/CSU):
und damit den Kapitalmarkt auszubremsen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Als Parla-
mentsneuling habe ich gerade lernen können, dass es (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!)
nicht das erste Mal ist, dass sich die Politik mit diesem Im Ergebnis kann dies nämlich dazu führen, dass die op-
Thema beschäftigt. Viele Argumente dafür und dagegen timale Allokation von Kapital und damit das Funktionie-
sind in der Vergangenheit ausgetauscht worden. Im Üb- ren der Märkte behindert werden. Das kann dazu führen,
rigen ist das Urteil über diese Steuer bisher fraktions- dass die dringend notwendige Erhöhung der Eigenkapi-
übergreifend bei vielen Beteiligten eher negativ ausge- talausstattung der Wirtschaft behindert wird.
fallen.
(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Ein Steuersatz
Nichtsdestotrotz ist es gut, dass wir dieses Thema von 0,01 Prozent!)
heute wieder auf der Tagesordnung haben. Ich halte es
für richtig, dass die Bundeskanzlerin die Börsenumsatz- Das kann wiederum dazu führen, dass wichtige Siche-
steuer in mehreren Regierungserklärungen angesprochen rungsgeschäfte, die gerade für unsere exportorientierte
hat. Ich halte es auch für richtig, dass der Europäische Wirtschaft entscheidend sind, verteuert werden. Das
Rat den IWF aufgefordert hat, über eine globale Finanz- kann niemand ernsthaft wollen.
transaktionssteuer nachzudenken. Es ist bemerkenswert (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
und sehr richtig, dass engagierte Bürgerinnen und Bür-
ger im Rahmen einer Onlinepetition den Bundestag auf- Aus fiskalischen Gründen halte ich es für durchaus le-
gitim, über diese Steuer zu reden. Wir haben ein Defizit,
(B) fordern, über dieses Thema zu sprechen. Ich begrüße das (D)
ausdrücklich, weil es meinem Verständnis von Politik das durch die internationale Finanzkrise verursacht wor-
entspricht, dass man seine eigenen Positionen ständig den ist. Wir sollten nur bei der Diskussion keinen
hinterfragt, mit der Realität abgleicht und gegebenen- Schaum vor dem Mund haben.
falls korrigiert. (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Der Schaum kam von da drüben, von der
DIE GRÜNEN) FDP!)
Wir sollten nicht mit einer Einstellung herangehen, als
Die Wahrnehmung der Realität ist heute eine andere ginge es um ein Lieblingsspielzeug, das man immer ha-
als bei vielen der letzten Debatten zu dieser Steuer hier ben wollte. Wir sollten sehr sachlich damit umgehen.
im Bundestag. Denn es ist ernst zu nehmen, wenn der
Europäische Rat erklärt, dass der Wirtschafts- und So- Dabei sind zwei Dinge zu beachten:
zialvertrag zwischen Finanzwirtschaft und Gesellschaft
Erstens. Hier greife ich die Onlinepetition auf: Ich
erneuert werden muss. Es ist genauso ernst zu nehmen,
halte nichts von einer Zweckbindung der Steuereinnah-
wenn gefordert wird, dass die Finanzwirtschaft an den
men. Es ist durchaus ehrenwert und nachvollziehbar,
Kosten der Finanzkrise beteiligt wird.
wenn wir eine Steuer gegen Armut, für Bildung oder ge-
(Beifall des Abg. Leo Dautzenberg [CDU/ gen den Klimawandel beschließen, nur begeben wir uns
CSU]) damit haushaltspolitisch auf Glatteis. Wir haben eine
Gesamtverantwortung. Deswegen ist eine Zweckbin-
Weniger gut ist – da gebe ich den Kollegen von der dung abzulehnen.
FDP recht –, dass wir wieder über eine neue Steuer spre-
chen. Ich bin bei der Einführung von neuen Steuern Zweitens. In der fachlichen Diskussion über die
grundsätzlich sehr skeptisch. Neue Steuern stellen eine Steuer ist Folgendes zu beachten – ich werbe ausdrück-
Belastung für den Wirtschaftskreislauf und damit auch lich für eine fachliche Diskussion –: Eine Finanztransak-
für die Bürgerinnen und Bürger dar. Abgaben, einmal in tionssteuer sollte entscheidungsneutral sein; das ist hier
der Krise eingeführt, werden, wenn die Krise überwun- bisher noch überhaupt nicht angeführt worden. Realwirt-
den ist, in der Regel nicht wieder abgeschafft. Wir haben schaftliche Entscheidungen sollten so weit wie möglich
das gerade in der jüngsten Vergangenheit lernen müssen. nicht durch Steuern beeinflusst werden. Da muss man
sich fragen, wie man das erreicht. Bei einer Finanztrans-
(Beifall bei der FDP – Frank Schäffler [FDP]: aktionssteuer gelingt dies nur, wenn der Steuersatz so
Bei der Sektsteuer auch!) gering ist, dass die Bewegungen des Kapitalmarkts, die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 971
Ralph Brinkhaus
(A) insbesondere für die Finanzierung von Investitionen und Überweisungsvorschlag: (C)
Unternehmen notwendig sind – das müssen wir anerken- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)
Auswärtiger Ausschuss
nen –, nicht behindert werden. Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: 0,01 Prozent!) c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ulla
Die Steuer muss so ausgestaltet werden, dass sie zu kei- Jelpke, Jan Korte, Wolfgang Nešković, weiterer
ner Wettbewerbsverzerrung führt und keine Umgehung Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
erfolgen kann, sei es durch die Wahl anderer Produkte, Abschiebungen nach Syrien stoppen – Ab-
anderer Märkte oder – das ist das Wichtigste – durch schiebeabkommen aufkündigen
Steuerflucht in andere Länder und auf andere Finanz-
plätze. – Drucksache 17/237 –
Überweisungsvorschlag:
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Innenausschuss (f)
neten der FDP) Auswärtiger Ausschuss
Rechtsausschuss
Im Ergebnis heißt dies, dass wir entweder die Steuer, Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
wie in Großbritannien, mit vielen Ausnahmen und wenig
Einnahmen ausgestalten müssen – dann ist das Fiskalziel d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Josef
nicht erreicht – oder eine internationale Lösung unter Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Ingrid
Beteiligung der wichtigsten Finanzplätze der Welt orga- Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Frak-
nisieren müssen, das heißt unter Beteiligung der USA tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und insbesondere der asiatischen Länder, die hier noch Unverzügliche Aussetzung des Deutsch-Syri-
nicht angesprochen wurden. schen Rückübernahmeabkommens
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – – Drucksache 17/68 –
Frank Schäffler [FDP]: Dann lieber gar Überweisungsvorschlag:
nichts!) Innenausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss
Es ist daher zu begrüßen, dass die Bundeskanzlerin Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
und der Europäische Rat ein international abgestimmtes
Modell prüfen lassen wollen. Wir werden diesen Weg e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
weiterhin konstruktiv, hin und wieder auch kritisch be- Koenigs, Volker Beck (Köln), Thilo Hoppe, wei-
gleiten. Ich denke, dies wird nicht die letzte Debatte im terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
(B) Plenum zu diesem Thema sein. Ich freue mich darauf. (D)
Danke schön. Gemeinsame menschenrechtliche Positionie-
rung der EU gegenüber den Ländern Latein-
(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Axel Troost amerikas und der Karibik einfordern
[DIE LINKE]: Das ist der Anfang!)
– Drucksache 17/157 –
Überweisungsvorschlag:
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)
Die Aktuelle Stunde ist beendet. Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a bis 9 g auf: Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/ Entwicklung
CSU und der FDP Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Menschenrechte weltweit schützen f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-


richts des Ausschusses für Menschenrechte und
– Drucksache 17/257 – Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag
Überweisungsvorschlag: der Fraktion der SPD
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)
Auswärtiger Ausschuss Menschenrechte als entwicklungspolitische
Innenausschuss Querschnittsaufgabe fortführen
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – Drucksachen 17/107, 17/272 –
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung Berichterstattung:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Abgeordnete Jürgen Klimke
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette Christoph Strässer
Groth, Katrin Werner, Jan van Aken, weiterer Marina Schuster
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE Annette Groth
Volker Beck (Köln)
Nein zur Todesstrafe in den USA – Hinrich-
tung von Mumia Abu-Jamal verhindern g) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Menschenrechte und
– Drucksache 17/236 – Humanitäre Hilfe (17. Ausschuss) zu dem Antrag
972 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) der Abgeordneten Ute Koczy, Volker Beck nationalen Verbrechen geschlossen werden konnten. Das (C)
(Köln), Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und ist ein echter Erfolg im Kampf gegen die Straflosigkeit.
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Menschenrechte in Sri Lanka stärken Ein weiterer Meilenstein, den wir in unserem Antrag
– Drucksachen 17/124, 17/273 – auch erwähnen, ist die Tätigkeit des Internationalen
Strafgerichtshofs. Er hat in seinem siebenjährigen Beste-
Berichterstattung: hen aufgezeigt, wie wichtig es ist, dass Täter schwerster
Abgeordne Jürgen Klimke Menschenrechtsverletzungen vor Gericht kommen und
Christoph Strässer bestraft werden, seien es Verbrechen in Liberia, Darfur,
Serkan Tören in der DR Kongo, aber auch im ehemaligen Jugosla-
Katrin Werner wien. Es macht Mut, dass die schlimmsten Gräueltaten
Volker Beck (Köln) geahndet werden, die Opfer Gerechtigkeit erfahren und
diejenigen abgeschreckt werden, die sich außerhalb des
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Gesetzes glauben.
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Es
gibt keine Einwände. Dann ist das so beschlossen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Ich eröffne die Aussprache und erteile Kollegin Deshalb fordern wir in unserem Antrag eine stärkere
Marina Schuster für die FDP-Fraktion das Wort. politische Unterstützung von internationalen, aber auch
regionalen Strafgerichtshöfen. Es darf sich international
keine Kultur der Justizmüdigkeit breitmachen. Deswe-
Marina Schuster (FDP): gen stellen wir uns klar hinter die Arbeit der Gerichts-
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und höfe.
Kollegen! Am 10. Dezember jährte sich der Internatio-
nale Tag der Menschenrechte. Er geht auf das Vertrags- Ein weiteres Anliegen, das auch in unserem Antrag
werk zurück, das 61 Jahre nach seiner Unterzeichnung erwähnt wird, ist die Abschaffung der Todesstrafe. Das
noch immer die Grundlage für die Verwirklichung von ist eine besondere Herausforderung; denn nicht nur auto-
Freiheit, Sicherheit und Frieden in der Welt ist, nämlich ritäre Regime vollstrecken die Todesstrafe, sondern auch
die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Deswe- Länder wie Japan oder Bundesstaaten der USA. Es
gen ist es wichtig, dieses Datum zum Anlass zu nehmen, bleibt deswegen wichtig, dass sich Deutschland zusam-
hier eine Menschenrechtsdebatte zu führen. men mit den europäischen Partnern für die Abschaffung
der Todesstrafe einsetzt; denn es gibt keinen rechtsstaat-
(B) Die Einhaltung der Menschenrechte ist das Funda- lichen Grund, der die Todesstrafe rechtfertigt. (D)
ment unserer Politik. Wir wissen: Unsere Glaubwürdig-
(Beifall im ganzen Hause)
keit in der Welt hängt auch davon ab, wie wir uns für die
Durchsetzung von Menschenrechten einsetzen. Ich bin Ein weiterer Fall, der uns bereits in der letzten Sit-
deshalb froh, dass es unter Schwarz-Gelb gelungen ist, zungswoche im Plenum beschäftigt hat, ist eine Geset-
deutliche Wegmarken für die nächsten vier Jahre zu set- zesvorlage in Uganda. Ich freue mich, dass Herr Minis-
zen. Auch die Vorgängerregierungen, die schwarz-rote ter Niebel und auch Herr Staatssekretär Beerfeltz aktiv
und die rot-grüne, haben das Thema Menschenrechte an- geworden sind; denn diese Gesetzesvorlage ist unfass-
gesprochen. Wir haben in unserem Koalitionsvertrag ein bar. Es ist geplant, für Menschen mit mehrmaligen ho-
eigenes Menschenrechtskapitel, auf das wir bauen kön- mosexuellen Kontakten, aber auch für homosexuelle
nen. HIV-Infizierte die Todesstrafe in ein Gesetz zu schrei-
ben. Es ist wichtig, dass sich die Bundesregierung und
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Minister Niebel positioniert haben. Wenn ein Partner-
Wir wollen die Politik der Regierung unterstützen. land Menschenrechtsverletzungen begeht, dürfen wir
Unser Antrag legt das Fundament. In ihm geht es um die nicht tatenlos zusehen. Das ist sehr wichtig.
Verantwortung und die Zielsetzung in der Menschen- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie
rechtspolitik. Selbstverständlich werden wir uns auch bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und
um die einzelnen Länder kümmern. Ein Beispiel, das uns des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
schon bei verschiedenen parlamentarischen Frühstücken
beschäftigt hat, ist die dramatische Situation der Frauen Bei dieser Debatte ist es auch wichtig, sich um die Ur-
in der DR Kongo; denn sie sind seit vielen Jahren Opfer sachen zu kümmern. Ich habe es bereits erwähnt: Es gibt
von Gewalt und Vergewaltigungen. Rebellengruppen Staaten mit funktionierender Staatlichkeit, die trotzdem
und auch andere haben unbeschreibliches Leid über die aus unterschiedlichen Gründen beginnen, staatliche
Dörfer gebracht, gerade im Osten des Landes. Fast keine Gewalt zu missbrauchen. Es gibt Staaten mit nicht funk-
dieser Frauen hat Gerechtigkeit erfahren. tionierender Staatlichkeit, die die Menschenrechte ver-
letzen. Es ist in beiden Fällen die Pflicht der Bundesre-
Deshalb ist es ein erster und wichtiger Schritt, dass es gierung, solche Menschenrechtsverletzungen sowohl
gelungen ist, die Drahtzieher der Gewalt im Kongo, die bilateral als auch international anzusprechen. Das ist
bisher unbehelligt in Deutschland gelebt haben, zu ver- keine Einmischung in innere Angelegenheiten anderer
haften. Es hat sich auch gezeigt, dass mit dem Völker- Staaten, ganz im Gegenteil: Das wird der Universalität
strafgesetzbuch Lücken in der Strafverfolgung von inter- der Menschenrechte gerecht. Das ist es, was die Allge-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 973
Marina Schuster
(A) meine Erklärung der Menschenrechte quasi in unser Christoph Strässer (SPD): (C)
Stammbuch geschrieben hat, und dafür setzen wir uns Natürlich.
ein.
Vielen Dank. Marina Schuster (FDP):
Herr Kollege Strässer, möchten Sie Kenntnis von der
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Pressemitteilung nehmen, die meine Fraktion zu dem
Fall Haidar veröffentlicht hat? Sie ist der Ihrigen ähn-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: lich. Ich möchte zitieren, weil Sie sie wahrscheinlich
Das Wort hat jetzt Christoph Strässer für die SPD- nicht parat haben. Wir haben klar gefordert:
Fraktion.
Es muss jetzt ein Zeichen der Menschlichkeit von
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) den marokkanischen Behörden erfolgen, damit
Aminatou Haidar ihren Hungerstreik beendet. Die
Christoph Strässer (SPD): verhärteten Fronten zwischen der marokkanischen
Regierung und der Menschenrechtsaktivistin müs-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
sen im Sinne einer humanitären Lösung aufgebro-
Liebe Frau Kollegin Schuster, ich habe Ihnen sehr gerne
chen und ihr muss die Einreise nach Marokko ge-
zugehört. Alles, was Sie gesagt haben, war richtig, bis
stattet werden.
auf das, was Sie ganz zu Beginn gesagt haben. Da haben
Sie gesagt, die neue Koalition habe mit ihrem Koali- Es folgen noch weitere Punkte. Ich möchte Sie fra-
tionsvertrag Benchmarks für das gesetzt, was sie in Sa- gen: Nehmen Sie das zur Kenntnis?
chen Menschenrechtspolitik in den nächsten vier Jahren
erledigen will. Die Enttäuschung der Opposition über
Christoph Strässer (SPD):
das, was Sie da hineingeschrieben haben, ist in der letz-
ten Debatte schon deutlich geworden. Ich hätte mir ge- Wenn Sie mich so fragen, dann kann ich Ihnen nur
wünscht – darauf haben wir ein Stück weit gehofft –, antworten: Natürlich nehme ich das zur Kenntnis.
dass das, was im Koalitionsvertrag steht, durch den von (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Ihnen auf den Weg gebrachten Antrag ein klein wenig
konkretisiert worden wäre. Aber nach intensiver Lektüre Aber darum geht es überhaupt nicht. Liebe Frau Kolle-
dieses Antrages müssen wir feststellen, dass das nicht gin Schuster, es geht um etwas ganz anderes. Uns wurde
der Fall ist. Sie haben vieles hineingeschrieben, das rich- gestern in einem Ausschuss, der sich exakt mit diesem
tig ist, aber Sie haben nicht hineingeschrieben, welche Thema befasst, ein Vorschlag unterbreitet. Sie haben
(B) konkreten Maßnahmen Sie auf dem Weg zu den Zielen, zum Beispiel eingewendet, man könne sich nicht mit (D)
die Sie beschrieben haben, einsetzen wollen. Einzelfällen befassen.
(Marina Schuster [FDP]: Das stimmt nicht!) (Marina Schuster [FDP]: Nein! Entschuldi-
gung!)
– Ich werde darauf gleich noch einmal zurückkommen.
– Lassen Sie mich einfach einmal zu Ende reden.
An einer Stelle haben Sie etwas Richtiges gesagt:
Einmischung ist richtig, Solidarisierung ist auch rich- Wir haben des Weiteren über den Einwand diskutiert,
tig. – Ich darf Sie daran erinnern – ich tue das ganz be- man könne sich nicht einmischen, weil es um Grenz-
wusst zu Beginn meines Beitrages –, dass wir gestern und Statusfragen gehe; Frau Kollegin Steinbach hat das
Abend im Menschenrechtsausschuss eine sehr gute Ge- angesprochen. Es geht aber nur um eines: Es geht darum,
legenheit hatten, Solidarität zu beweisen. Ich darf Sie da- dass der für diese Fragen zuständige Ausschuss des
ran erinnern, dass der Vorsitzende des Ausschusses ei- Deutschen Bundestages aufgefordert war, eine Erklä-
nen Vorschlag für eine Erklärung zum Hungerstreik rung bezogen auf die Verwirklichung eines ganz konkre-
einer Frau vorgelegt hat, die nichts weiter will, als in ihre ten Menschenrechtes abzugeben. Das haben Sie gestern
Heimat zurückzukehren. Ich fand es wirklich sehr bitter, verhindert. Das ist das, was ich gerne zur Kenntnis ge-
dass der Menschenrechtsausschuss es nicht hinbekom- ben möchte.
men hat, in diesem Fall eine klare Solidarisierung zum
Ausdruck zu bringen und dadurch deutlich zu machen, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
dass wir es nicht hinnehmen, wenn ein Staat es einem DIE GRÜNEN)
Menschen verweigert, in seine Heimat, in das Land, in
dem er zu Hause ist, zurückzukehren. Das hätten wir ma- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
chen können. Wollen Sie noch einmal nachfragen?
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ (Marina Schuster [FDP]: Wenn ich darf?)
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
LINKEN) – Ich will nur darauf hinweisen, dass wir bereits eindrei-
viertel Stunden hinter dem Zeitplan unserer Tagesord-
nung liegen. Ich sage das nur, damit Sie das wissen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der (Erika Steinbach [CDU/CSU]: Bei Menschen-
Kollegin Schuster? rechten wollen wir nicht knausern!)
974 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

(A) Marina Schuster (FDP): Zusatzprotokoll zu verabschieden, das ein Individualbe- (C)
Ich mache es auch ganz kurz. – Herr Kollege Strässer, schwerderecht enthält, das es beim Pakt über bürgerliche
nehmen Sie bitte auch zur Kenntnis, dass wir angeboten und politische Rechte seit langem gibt. Ich hätte mir jetzt
haben, das im Kreis der Obleute zu besprechen. Der gewünscht, dass man an dieser Stelle nicht nur andere
Punkt ist – das habe ich mit Herrn Koenigs besprochen –: Länder auffordert, endlich diesen Pakt zu unterzeichnen,
Dem Menschenrechtsausschuss stehen mehrere Instru- sondern dass Sie geschrieben hätten, wie Sie in Deutsch-
mente zur Verfügung. Man kann mit dem Botschafter re- land, in der Bundesregierung, im deutschen Parlament
den oder überfraktionell einen Brief schreiben. Man mit diesem Zusatzprotokoll zu den WSK-Rechten umge-
kann verschiedene Sachen machen. Wir wollten einfach hen wollen. Darauf hätte ich eine Antwort erwartet. Aber
nur, dass das vorab geklärt wird. Ich denke, das ist legi- ich weiß ja, dass die WSK-Rechte bei Ihnen nicht den
tim. gleichen Stellenwert haben wie die bürgerlichen und
politischen Rechte.
Christoph Strässer (SPD): (Holger Haibach [CDU/CSU]: So ein Blöd-
Ich will das noch einmal auf den Punkt bringen. Es sinn!)
gibt Erklärungen des Generalsekretärs der Vereinten Na-
Daher würde ich Sie einfach bitten, das nachzuholen.
tionen, Erklärungen des Europäischen Parlaments und
Sagen Sie uns bitte – auch die Bundesregierung möge
Erklärungen aus der ganzen Welt, in denen man sich für
darüber Auskunft geben –: Wie geht es mit dem Indivi-
diese Frau einsetzt. Ich denke, es ist nicht nur das gute
dualbeschwerdeverfahren weiter? Das war der eine
Recht, sondern auch die Pflicht des deutschen Parla-
Punkt, den ich kritisieren möchte.
ments, sich jetzt zu äußern. Sie wissen, dass Frau Haidar
kurz vor ihrem Tod steht. Wir können nicht lange abwar- Der zweite Punkt – das wird gleich leider ein bisschen
ten und schauen, wie sich das entwickelt. Frau Haidar persönlich, weil ich glaube, dass man da auch emotional
steht wegen des Hungerstreiks kurz vor dem Exitus. argumentieren kann und muss – betrifft die Würde von
Deshalb müssen wir jetzt etwas tun. Ich hoffe, dass wir Menschen, die in unserem Land leben. Ich sage das jetzt
das heute hinbekommen und ein Zeichen der Solidarisie- mit einer ganz persönlichen Note: Seit Montag dieser
rung setzen. Woche werden vom Bundesland Nordrhein-Westfalen
Familien der Roma in das Kosovo abgeschoben. In mei-
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem ner Heimatstadt, in Münster, gibt es im Moment 68 Be-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) troffene, die jetzt wahrscheinlich im Flugzeug sitzen und
Frau Kollegin Schuster, ich will da keinen falschen dorthin gebracht werden. Von denen hat mehr als die
Eindruck entstehen lassen. Ich spreche Ihnen überhaupt Hälfte dieses Land noch nie gesehen und spricht die
(B) nicht ab, dass Sie das genauso wollen wie wir. Aber Sprache nicht. Ich wäre sehr dankbar, wenn wir als (D)
wenn Sie für die Koalition in Anspruch nehmen, dass Deutscher Bundestag dazu eine Position beziehen könn-
Sie ganz konkrete Benchmarks der Menschenrechtspoli- ten.
tik setzen, hätten wir gestern im Ausschuss damit anfan- (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
gen können. Das haben Sie verhindert; nichts anderes DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
kritisiere ich. Dabei bleibe ich. LINKEN – Hartwig Fischer [Göttingen]
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem [CDU/CSU]: Das ist ein Problem der Länder!)
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) – Dazu komme ich gleich. – Das Problem ist sehr ein-
Ich möchte an zwei konkreten Punkten in Ihrem An- fach. Ich glaube, für die betroffenen Menschen ist es
trag deutlich machen, wo Probleme liegen. Da muss man ziemlich egal, wer für welche Form der Abschiebung zu-
nacharbeiten, wozu wir vielleicht noch Gelegenheit ständig ist. In NRW hat nicht etwa der Ministerpräsident
haben. Aus meiner Sicht ist das größte Manko, dass in oder der Integrationsminister Laschet verhindert, dass es
diesem Antrag vieles Richtige aufgeschrieben worden ist eine vernünftige Regelung gibt, sondern – deshalb sage
– ich sage es noch einmal –, vieles, was wir schon ge- ich das – verhindert hat es der liberale Innenminister
macht haben, vieles, was in der Menschenrechtspolitik Ingo Wolf. Das möchte ich hier gerne zur Kenntnis brin-
selbstverständlich ist, dass aber ein großer Teil komplett gen.
ausgeblendet worden ist. Das ist die Innenpolitik. Ich (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
hätte darauf gesetzt, dass gerade von Ihnen als Bürger- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
rechtspartei etwas genannt wird, was man auf den Weg LINKEN)
bringen will.
Ich würde Sie alle bitten, an dieser Stelle nicht ein-
Das eine ist die Umsetzung der wirtschaftlichen, so- fach wegzuschauen, sich nicht wegzuducken. Es sind im
zialen und kulturellen Rechte. Rat der Stadt Münster – das ist einmalig – mittlerweile
(Marina Schuster [FDP]: Die sind aber er- acht politische Gruppierungen vertreten. Dort ist von al-
wähnt!) len beteiligten Gruppen einstimmig eine Resolution ver-
abschiedet worden, die vorsieht, eine Petition an die
Sie fordern von anderen Ländern, die den Pakt noch Landesregierung in Nordrhein-Westfalen zu richten, in
nicht gezeichnet und ratifiziert haben, dies zu tun. Aber der steht, bitte dafür zu sorgen, dass unter diesen Um-
das ist nicht die ganze Wahrheit. Wir sind dabei – die ständen, wie sie jetzt bestehen, nicht abgeschoben wird.
alte Bundesregierung hat es auf den Weg gebracht –, ein In das Kosovo ist im Winter überhaupt noch nie abge-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 975
Christoph Strässer
(A) schoben worden; das kommt ja noch hinzu. Die Betrof- schen an allererster Stelle. In einer Situation, in der Men- (C)
fenen kommen in eine Situation, die absolut unerträg- schen, aus welchen Gründen auch immer, 12, 13 oder
lich, die nicht menschenwürdig ist. Ich bitte um 14 Jahre nicht abgeschoben werden konnten, ist es un-
Solidarität auch des Deutschen Bundestages. Es sollte sere Pflicht und Schuldigkeit, dafür zu sorgen, dass diese
klargestellt werden, dass der Deutsche Bundestag eine Menschen in einem menschenwürdigen Zustand in
Abschiebung dieser Menschen in das Kosovo unter die- Deutschland bleiben können.
sen Umständen nicht mitträgt.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
Danke schön. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Das betrifft nur wenige Familien. Diese Familien brau-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) chen allerdings unsere Hilfe. Diese Menschen jetzt, in
einer Zeit, in der in Deutschland gerade der Weihnachts-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: friede ausbricht, abzuschieben, das finde ich besonders
Das Wort hat nun Kollegin Erika Steinbach für die zynisch. Ich bitte Sie, mir zu sagen, ob Sie meiner Auf-
CDU/CSU-Fraktion. fassung in dieser Frage zustimmen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Erika Steinbach (CDU/CSU):
neten der FDP)
Herr Kollege Strässer, darin, dass die Weihnachts-
und Adventszeit vielleicht nicht die richtige Zeit dafür
Erika Steinbach (CDU/CSU): ist, gebe ich Ihnen recht.
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen! Herr Kollege Strässer, die Abschiebung von Men- (Zurufe von der LINKEN: Oh! Oh! – Das ist
schen geschieht in Deutschland nicht in einem rechts- aber gnädig! – Unverschämt! – Das ist der
freien Raum, sondern es gibt Rechtsgrundlagen, die von Hohn!)
diesem Parlament beschlossen wurden, und es gibt Ver- Ich glaube, auch Ihre Anmerkung, dass sich das Bundes-
einbarungen der Innenministerkonferenz, die das ge- verfassungsgericht zu solchen Themen äußert, zeigt, dass
meinsam so verabredet haben. Deutschland ein Rechtsstaat ist.
(Zuruf von der LINKEN: Das macht es nicht (Christoph Strässer [SPD]: Ja, eben!)
besser!)
Bei uns wird nicht willkürlich mit Menschen umgegan-
Das muss man sehen. Wir leben in einem Rechtsstaat gen, und das ist auch gut so.
(B) und nicht in einem Unrechtsstaat. Darauf möchte ich (Thomas Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (D)
deutlich hinweisen.
NEN]: Es passieren trotzdem Fehler!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich bedanke mich für Ihre Frage.
Menschenrechte sind universell, sie sind unteilbar,
und sie sind unveräußerlich. Wir beschäftigen uns – das Wir stellen weltweit fest: Auch im 61. Jahr der An-
ist vielleicht auch ein gutes Zeichen – alljährlich im nahme der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte
Dezember aus Anlass des Internationalen Tages der durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen
Menschenrechte intensiv mit dieser Thematik, die welt- ist die Achtung der Menschenrechte weltweit noch
weit im Argen liegt. längst keine Selbstverständlichkeit. Im Gegenteil, es
liegt sehr vieles im Argen.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Frau Kollegin Steinbach, gestatten Sie eine Zwi- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
schenfrage des Kollegen Strässer? Frau Kollegin, es gibt den Wunsch nach einer weite-
ren Zwischenfrage, diesmal vom Kollegen Volker Beck.
Erika Steinbach (CDU/CSU):
Aber gerne. Erika Steinbach (CDU/CSU):
Nein, der Herr Kollege Beck nervt mich im Aus-
schuss immer genug.
Christoph Strässer (SPD):
Frau Kollegin Steinbach, Sie haben recht: Die Bun- (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der
desrepublik Deutschland ist ein Rechtsstaat. Und das ist CDU/CSU und der FDP – Hartwig Fischer
auch gut so. Ihnen ist wahrscheinlich bekannt, dass heute [Göttingen] [CDU/CSU]: Nicht nur im Aus-
vom Bundesverfassungsgericht der achte Fall entschie- schuss! Hier auch!)
den worden ist, in dem es darum geht, dass von diesem
In zahlreichen Ländern unseres Erdballes haben die
Rechtsstaat Menschen nach Griechenland abgeschoben
Menschenrechte noch nicht Fuß gefasst, oft selbst dann
werden sollen. Ich bitte Sie, dies zur Kenntnis zu neh-
nicht, wenn internationale Erklärungen unterschrieben
men.
wurden. In anderen Ländern wiederum ist die Umset-
Zweitens möchte ich Sie etwas fragen. Wir reden hier zung der Menschenrechte häufig rückläufig. Täglich
über Menschenrechte und Menschenwürde. Nach mei- sind wir mit Berichten darüber konfrontiert und müssen
nem Rechtsstaatsverständnis steht die Würde des Men- dies schmerzlich zur Kenntnis nehmen.
976 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Erika Steinbach
(A) Eines der Themen, die besonders im Argen liegen, ist noch in den 1950er-Jahren etwa 20 Prozent betrug, ist (C)
die Religionsfreiheit. Ich finde es gut, dass wir uns ges- auf 0,15 Prozent geschrumpft. Das allein spricht Bände.
tern in der Obleutebesprechung im Ausschuss auf Vor- Das heißt, die christliche Minderheit wird gezielt unter-
schlag des Vorsitzenden, Herrn Koenigs, darauf verstän- drückt und mundtot gemacht.
digt haben, dass wir uns dieses Themas auch in einer
Anhörung annehmen. Aus Anlass der Schweizer Mina- Der Erzbischof der syrisch-orthodoxen Kirche hat mir
rettentscheidung steht dieses Thema auch hier im Mittel- in diesen Tagen einen Brief geschrieben und mitgeteilt,
punkt, und es bewegt die Menschen nicht nur in der dass dem Pfarrer der syrisch-orthodoxen Kirche in
Schweiz, nicht nur in Europa, sondern auch weit darüber Diyarbakir angedroht wurde, dass er getötet werde. So-
hinaus. gar in Istanbul, das ja mit einem halben Bein auf europäi-
schem Boden steht, wurde ein Pfarrer – der Pfarrer der ad-
Eines will ich nachdrücklich feststellen: Es geht in ventistischen Gemeinde; diese Gemeinde ist winzig, sie
dieser Debatte, die von der Schweiz auch nach Deutsch- besteht aus gerade einmal 20 Gläubigen – mit dem Tode
land gedrungen ist, nicht um ein Verbot, Gebetshäuser zu bedroht. Man kann die Debatte also einmal aus einer an-
errichten. Es geht auch nicht darum, dass der Glaube und deren Perspektive beleuchten.
die Ausübung des Glaubens untersagt sind. Es geht ein-
zig und allein um den Bau von Minaretten an Moscheen. In mindestens 50 von 200 Staaten werden Menschen
Der Bau von Moscheen ist nicht verboten. aufgrund ihres christlichen Glaubens diskriminiert.
Keine andere Religionsgemeinschaft wird weltweit in-
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE tensiver verfolgt.
GRÜNEN]: Wie halten Sie es denn mit Kirch-
türmen? – Christoph Strässer [SPD]: Sieh (Lachen bei der LINKEN – Steffen Bockhahn
doch, Volker Beck, du nervst sie!) [DIE LINKE]: Absurd!)

Deshalb ist die Grundfrage der Religionsfreiheit davon 80 Prozent aller wegen ihrer Religion verfolgten Men-
praktisch nicht berührt. Ich habe mit dieser in der schen sind Christen. Das Ausmaß der Diskriminierung
Schweiz demokratisch getroffenen Entscheidung kein reicht vom Iran über Saudi-Arabien, Indien, Pakistan
Problem, und Ägypten bis Nigeria, und es nimmt leider zu; das ist
das Tragische.
(Zurufe von der LINKEN: Das ist ja das
Schlimme! – Das ist absurd, was Sie da sa- (Dr. Sascha Raabe [SPD]: In Indien gibt es
gen!) doch Tausende von Katholiken!)

da die Religionsausübung davon nicht betroffen ist. – Aber es gibt drastische Verfolgungen mit Mord und
(B) Totschlag; das wissen Sie aber auch. (D)
Erstaunlich ist für mich aber, dass gerade diejenigen
hier im Lande besonders hart mit der Schweizer Ent- (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Aber keine Chris-
scheidung ins Gericht gehen, die sonst immer für Volks- tenverfolgung!)
abstimmungen sind, Herr Kollege Beck. – Das sind Christen, selbstverständlich. Das geschieht in
(Beifall bei der CDU/CSU) ganz bestimmten Regionen. In einem gebe ich Ihnen
recht: Es ist keine staatliche Verfolgung. Aber in einem
Wenn man Volksabstimmungen zulassen will, dann bestimmten Bereich Indiens werden Christen verfolgt.
muss man das ertragen.
(Dr. Sascha Raabe [SPD]: In Südindien gibt es
(Beifall bei der CDU/CSU) viele katholische Priester!)
Erstaunlich ist auch, dass gerade diejenigen, die die Deshalb fordern wir die Bundesregierung mit unse-
Glaubensfreiheit in ihren eigenen Ländern nicht dulden rem Antrag „Menschenrechte weltweit schützen“ auf,
und sie unterdrücken, versuchen, diese Debatte in einem den kontinuierlichen weltweiten Einsatz für Religions-
aggressiven Ton zu führen und zu beherrschen. Wenn ich freiheit fortzusetzen und dabei besonderes Augenmerk
höre, dass der türkische Ministerpräsident Erdogan sagt, auf die Lage der christlichen Minderheiten zu legen,
er nehme in Europa eine zunehmend rassistische und fa- aber auch auf die Situation kleiner religiöser Gruppen
schistische Haltung wahr – er sprach sogar von Verbre- wie zum Beispiel der Bahai, die im Iran unter ungeheu-
chen gegen die Menschlichkeit –, dann muss ich tief ren Pressionen existieren und von denen sich viele des-
durchatmen. Wie steht es denn in der Türkei mit der Re- halb entschließen, auszuwandern.
ligionsfreiheit? Wie wir wissen, gibt es in der Türkei in
der Praxis keine Religionsfreiheit. Der Bau von Kirchen Ich begrüße sehr, dass sich Bischöfin Käßmann dazu
ist praktisch unmöglich. Christliche Würdenträger bege- entschlossen hat, dass die evangelischen Christen vom
ben sich in Lebensgefahr, wenn sie Symbole ihres Glau- kommenden Jahr an den „Tag der verfolgten Christen“
bens offen tragen. begehen.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Wir sehen, dass weltweit Menschen unterdrückt wer-
NEN]: Mit oder ohne Kirchtürme?) den. Eines der für mich schwierigsten Themen ist der
Menschenhandel. Offiziell ist die Sklaverei abgeschafft.
Ihre Bewegungsfreiheit ist stark eingeschränkt, und Menschen dürfen, sollen keine Ware sein. Die Realität
predigen dürfen sie auch nur an ganz bestimmten Tagen. sieht erschreckend anders aus: Sklaverei und Menschen-
Der Anteil der Christen an der Gesamtbevölkerung, der handel florieren heute mehr denn je. Diese Verbrechen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 977
Erika Steinbach
(A) sind nicht, wie mancher glauben mag, ein Thema der Dazu interessiert mich Ihre Meinung, die Meinung der (C)
Vergangenheit, sie gehören zu den drängendsten Proble- Grünen.
men unserer Zeit, und sie spielen sich nicht nur in ent-
fernten Regionen ab. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Herr Kollege Strässer, Sie sagten, wir sollten uns auch Frau Kollegin, wollen Sie jetzt eine Zwischenfrage
mit Deutschland beschäftigen. Gerade Menschenhandel des Kollegen Beck zulassen?
ist ein Thema, das uns in Deutschland intensiv berührt.
Auf und zwischen allen Kontinenten werden Menschen Erika Steinbach (CDU/CSU):
gehandelt wie Ware. Auch Europas Staaten sind Her- Ja, das tue ich gerne, Herr Kollege Beck.
kunfts-, Transit- und Zielländer dieses modernen Skla-
venhandels, auch Deutschland. Mit Sklavenhandel wird
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
heutzutage mehr Geld verdient als mit Drogenhandel.
Hauptsächlich findet Menschenhandel im Bereich der Es ist sehr schön, dass Sie, wenn Sie hier jemanden
sexuellen Ausbeutung statt. Vorwiegend sind Frauen und beschuldigen, ihm wenigstens die Chance zur Erwide-
Mädchen betroffen. rung geben.

Aber auch Menschen, die als Zwangsarbeiter einge- Erika Steinbach (CDU/CSU):
setzt werden, Menschen, die als lebende Ersatzteillager Nein, ich habe nur aus dem Buch zitiert, für das Sie
für menschliche Organe missbraucht werden, Zwangs- den Artikel verfasst haben.
verheiratete und Zwangsadoptierte werden ihrer Rechte
und ihrer Würde beraubt. Wir müssen Mittel und Wege
finden, um diesen barbarischen Geschäftemachern das Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Handwerk zu legen. Sind Sie bereit zur Kenntnis zu nehmen – vielleicht
kann Ihr Büro auch einmal bei Google nachschauen; es
Wir haben es mit einem komplexen System zu tun. gibt zu diesem Buch auch Fragen auf www.abgeordne-
Eines müssen wir wissen: Ohne Nachfrage gäbe es kei- tenwatch.de –, dass das ein verfälschter und in dieser
nen Markt für Zwangsprostitution. Vor diesem Hinter- Form nicht autorisierter Artikel von einem Herausgeber
grund setzen wir uns dafür ein, dass, um den Markt aus- war, der unter einem Pseudonym gearbeitet hat? Er
zutrocknen, Freier, die Zwangsprostituierte benutzen, nennt sich Angelo Leopardi. In Wirklichkeit war es ein
bestraft werden. Herr Hohmann.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass ich
Unsere Gesellschaft muss dafür sensibilisiert werden. mich mehrfach davon distanziert habe und dass ich mich
(B) in der Vergangenheit dafür eingesetzt habe, dass der (D)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: sexuelle Missbrauch von Kindern bestraft wird? Unter
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage von anderem geht die Vorschrift des § 176 a StGB auf einen
der Partei Die Linke? Vorschlag von mir zurück, wonach der schwere sexuelle
Missbrauch von Kindern ein eigenständiger Verbrechens-
tatbestand ist. Sind Sie bereit, dies zur Kenntnis zu neh-
Erika Steinbach (CDU/CSU): men?
Nein, vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Ein anderes Thema ist der sexuelle Missbrauch von bei der SPD und der LINKEN)
Kindern. Die betroffenen Kinder, die sexuell miss-
braucht werden, erleiden Traumata, die sie ihr Leben
lang verfolgen. Da dürfen wir nicht wegsehen. Wir müs- Erika Steinbach (CDU/CSU):
sen versuchen, der Sache auf den Grund zu gehen. Die Herr Kollege Beck, ich muss sagen: Ihre Aussage
Debatte um Kinderpornografie im Internet lässt das Aus- freut mich wirklich.
maß erahnen, in dem Kindesmissbrauch geschieht. Hier (Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Oh!)
ist ein Markt zu vernichten, der eine Klientel bedient, die
den Handel mit diesem abscheulichen „Werbematerial“ Dadurch wird der Sachverhalt geklärt. Es war mir nicht
überhaupt erst ermöglicht, die dafür Geld bezahlt und bekannt, dass das eine Fälschung ist.
damit der Täter hinter den Tätern ist. Wir müssen sehen, (Zuruf von der LINKEN: Aber erstmal be-
wie wir dieser Menschen habhaft werden. haupten!)
In diesem Zusammenhang würde ich schon gerne Ich freue mich, dass Sie diesen Standpunkt, den Sie eben
wissen, wie die Fraktion der Grünen dazu steht, insbe- dargestellt haben, vertreten. Es ist gut, dass Sie mich
sondere der Kollege Volker Beck, der seinerzeit für das aufgeklärt haben.
Buch Der pädosexuelle Komplex einen Artikel verfasst
hat, in dem er schrieb: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Eine
Eine Entkrimininalisierung der Pädosexualität ist
Entschuldigung wäre das Mindeste gewesen!)
angesichts des jetzigen Zustandes ihrer globalen
Kriminalisierung dringend erforderlich, nicht zu- Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir werden
letzt weil sie im Widerspruch zu rechtsstaatlichen noch viel über Menschenrechte debattieren. Es gibt so
Grundsätzen aufrechterhalten wird. viele Themenkreise, die noch nicht angeschnitten wer-
978 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Erika Steinbach
(A) den konnten, weil die Zeit nicht reichte. Ich glaube, es ist entwicklungspolitische Aktionspläne für die Menschen- (C)
nötig, dass wir den Themen „Menschenrechte“ und rechte vorgelegt hat, durch die die Menschenrechte in
„Verletzung von Menschenrechten im Inland und im der Entwicklungszusammenarbeit eine viel stärkere
Ausland“ intensiv nachgehen. Es ist ein weites Feld. Rolle spielen sollten als bisher. Tatsache ist aber – das
Man kann hin und wieder resignieren, weil man immer wissen Sie so gut wie ich –, dass sich Armut und auch
nur einen winzigen Stein bewegen und nicht das ganze die Menschenrechtslage in vielen Ländern weiter ver-
Elend auf einmal beheben kann. Es ist aber nötig, dass schärft haben.
wir immer wieder darüber sprechen.
(Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Dann haben Sie
Ich bedanke mich. aber noch keines dieser Projekte gesehen, liebe
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Frau Kollegin!)
neten der FDP – Zuruf von der Linken: Große Gegen die starken Proteste von Regierungen und Bevöl-
Rede!) kerung der sogenannten Entwicklungsländer hat die da-
malige Große Koalition in der EU-Kommission auf die
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Durchsetzung der umstrittenen EU-Wirtschaftspartner-
Als nächste Rednerin hat Kollegin Annette Groth von schaftsabkommen mit den Staaten Afrikas, der Karibik
der Fraktion Die Linke das Wort. und des Pazifiks und der EU-Freihandelsabkommen ge-
drängt. Darum wird sich die Linke in der Abstimmung
(Beifall bei der LINKEN)
über den Antrag enthalten.
Annette Groth (DIE LINKE): Dem Antrag von Bündnis 90/Die Grünen zu Latein-
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und amerika können wir nicht zustimmen. Die spanische Re-
Kollegen! Herr Strässer, ich bin Ihnen sehr dankbar, dass gierung hat sich für ihre Bemühungen um bessere Bezie-
Sie auf den äußerst kritischen Zustand von Frau Haidar hungen zu Kuba und zu Venezuela den Widerstand der
hingewiesen haben. Sie wissen aber vielleicht nicht, dass konservativen Regierungen in der EU eingehandelt.
die geplante Debatte über Aminatou Haidar heute von Wollen sich Bündnis 90/Die Grünen dieser Kritik an-
der Tagesordnung des Europäischen Parlaments genom- schließen? Der Antrag suggeriert dies vor allen Dingen
men worden ist – ich habe heute Nachmittag eine Mel- in dem Begründungsteil über Kuba und Venezuela.
dung aus Brüssel erhalten –, und zwar auf Initiative Ihres
Parteikollegen, Herrn Martin Schulz. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
(Christoph Strässer [SPD]: Da müssen wir was Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
tun!) Kollegen Raabe?
(B) (D)
Martin Schulz hatte dies beantragt, damit die Gespräche Annette Groth (DIE LINKE):
der EU mit Marokko in diesem Fall nicht gestört wer-
Ungern, aber ja.
den. Ich finde das wirklich geradezu skandalös. Grüne,
Liberale und GUE/NGL hatten sich vergeblich gegen
eine Absetzung ausgesprochen und protestieren gerade Dr. Sascha Raabe (SPD):
in Straßburg. So viel dazu. Die Menschenrechte werden Frau Kollegin, ich will Ihnen nur die Zustimmung zu
in diesem speziellen Fall zurzeit also wirklich mit Füßen unserem Antrag leichter machen, weil Sie sagten, Sie
getreten. würden sich nur wegen der Wirtschaftspartnerschaftsab-
kommen enthalten. Wir haben in unseren Anträgen die
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Bundesregierung mehrmals aufgefordert – das haben wir
neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – auch im Bundestag gemeinsam beschlossen –, dass in
Christoph Strässer [SPD]: Ja, Scheiße!)
diesen Partnerschaftsabkommen die Fragen der Men-
– Sie sagen es. schenrechte und der ökologischen und sozialen Stan-
dards eine besondere Rolle spielen sollen und dass es
Nun aber zu den Anträgen. Die Menschenrechtslage
keine reinen Wirtschaftsabkommen sein sollen. Von da-
in Sri Lanka hat sich nach dem Sieg über die LTTE für
her ist das eine Frage der Handelspolitik der Europäi-
die Tamilen keineswegs verbessert. Unter internationa-
schen Union. Aber der Deutsche Bundestag und die So-
lem Druck durften seit Ende Oktober mehr als 100 000
zialdemokratische Partei haben sich auch in der Großen
Tamilen in ihre Heimatdörfer zurückkehren, wo die
Mehrheit allerdings unter höchst ärmlichen Bedingun- Koalition immer dafür eingesetzt, dass diese Aspekte
gen lebt. 160 000 Menschen vegetieren immer noch in eine Rolle spielen. Dabei haben wir die Bedenken der
Flüchtlingslagern. Um Druck auf die Regierung Sri Lan- Zivilgesellschaft immer sehr ernst genommen; dies wer-
kas auszuüben, fordert Bündnis 90/Die Grünen, die er- den wir auch weiterhin tun. Jetzt können Sie unserem
weiterten europäischen Handelspräferenzen auszuset- Antrag in Ruhe zustimmen.
zen. Die Linke unterstützt diese Forderung und stimmt
darum dem Antrag zu. Annette Groth (DIE LINKE):
Nein, das stimmt nicht, lieber Herr Raabe. Ich kenne
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/
mich in der Handelspolitik ziemlich gut aus, wie Sie
DIE GRÜNEN)
vielleicht wissen. Wenn man Länder zu weiteren Markt-
Nun zum Antrag der SPD. Die SPD lobt in ihrem An- öffnungen für europäische Produkte und zu weiteren
trag die ehemalige CDU/CSU-SPD-Regierung, weil sie Zollsenkungen zwingt, dann ist die Spirale nach unten
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 979
Annette Groth
(A) vorprogrammiert. Genau darauf haben die Regierungen Annette Groth (DIE LINKE): (C)
der AKP-Staaten und die Organisationen der Zivilgesell- Aber durch die Zwischenfrage hat sich meine Rede-
schaft immer wieder hingewiesen, und deshalb haben sie zeit verlängert.
einen totalen Stopp der Verhandlungen gefordert. Das
hat Ihre damalige Ministerin, Frau Wieczorek-Zeul, aber Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
nicht zugelassen. Sie hat sich im Gegensatz zu anderen Nein, ich habe die Zeit während der Zwischenfrage
Regierungen der EU nie dafür eingesetzt. angehalten.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Sascha Raabe [SPD]:
Dann haben Sie vier Jahre geschlafen!) Annette Groth (DIE LINKE):
Ich möchte wenigstens das Zitat von Mumia Abu-
Ich komme noch einmal darauf zu sprechen, weil es Jamal zu Ende bringen.
auch in dem Antrag der Grünen darum geht.
Wir kritisieren schon seit langem die ganzen Asso- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
ziierungs-, Freihandels-, Wirtschaftspartnerschaftsab- Nein, Sie müssen zum Ende kommen.
kommen und wie sie alle heißen, vor allen Dingen mit
den Staaten Lateinamerikas und Zentralamerikas. Wie Annette Groth (DIE LINKE):
ich eben bereits gesagt habe, lehnen wir die Verhandlun- Ich zitiere weiter:
gen ab, weil die von der EU angestrebten Freihandelsab-
kommen eine eigenständige Entwicklung dieser Länder Die Todesstrafe ist ein Unrecht für jeden Menschen
verhindern. Buchstäblich alle Ressourcen wie Flüsse und muss abgeschafft werden. Wir in den Todes-
und Bodenschätze könnten dann von europäischen Kon- trakten brauchen Ihre Hilfe.
zernen kontrolliert werden. Damit würde der einheimi- Mumia Abu-Jamal, 15. Dezember 2009.
schen Bevölkerung die Lebensgrundlage entzogen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Jetzt komme ich zu unserem eigenen Antrag „Nein
zur Todesstrafe in den USA – Hinrichtung von Mumia (Beifall bei der LINKEN)
Abu-Jamal verhindern“. Mit diesem Beispiel wollen wir
an die Tausenden von Menschen erinnern, die in den To- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
deszellen schmachten. Die Todesstrafe negiert das ele- Das Wort hat nun Tom Koenigs für die Fraktion
mentare Menschenrecht auf Leben. Wir sind der Über- Bündnis 90/Die Grünen.
zeugung, dass sich die Einhaltung der Menschenrechte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(B) und die Verhängung der Todesstrafe gegenseitig aus- (D)
schließen.
Thomas Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Am 9. Dezember vor 28 Jahren wurde der Afroameri- Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
kaner Mumia Abu-Jamal für einen Mord, der nie aufge- Herren! Sie sehen: Menschenrechtspolitik ist konkret
klärt wurde, zum Tode verurteilt. und aktuell. In unserem Antrag beziehen wir uns auf ei-
nen sehr aktuellen Vorgang, nämlich auf Äußerungen
(Holger Haibach [CDU/CSU]: Komisch ist, des spanischen Außenministers.
dass Ihnen das bei China nie einfällt!)
Spanien übernimmt im nächsten Jahr die EU-Ratsprä-
Seit 28 Jahren schreibt er in der Todeszelle gegen Ras- sidentschaft. Der spanische Außenminister hat sich im
sismus, Krieg und ein diskriminierendes Justizsystem. Oktober dieses Jahres dafür ausgesprochen, sich vom
Aus der Todeszelle hat Mumia eine persönliche Nach- gemeinsamen Standpunkt der EU gegenüber Kuba zu
richt an den Deutschen Bundestag geschickt. Ich zitiere: verabschieden. Die entscheidenden Fragen lauten: Wie
An die ehrenwerten Mitglieder des Deutschen Bun- will er sich verabschieden, und was will er verabschie-
destages: Können Sie sich vorstellen, was es bedeu- den? Der gemeinsame Standpunkt stellt völlig zu Recht
tet, zum Tode verurteilt zu sein? Können Sie sich eine politische und wirtschaftliche Annäherung an eine
vorstellen, dass man Ihnen mitteilt, wie Sie hinge- Stärkung der Menschenrechte und an eine demokrati-
richtet werden, dass Sie aber Jahr um Jahr auf den sche Öffnung Kubas dar. So sehr wir überzeugt sind,
Tod warten müssen? Dies ist die Situation von mehr dass dieser Standpunkt von 1996 überarbeitungsbedürf-
als 3 000 Menschen, die sich in den US-Todestrak- tig ist: An diesem Punkt darf er nicht überarbeitet wer-
ten befinden, und von über 20 000 Männern, den. Ein Politikwechsel der EU darf nicht auf Kosten der
Frauen und Kindern, die weltweit auf ihre Hinrich- Menschenrechte gehen.
tung warten. Ich warte jetzt schon fast drei Jahr- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
zehnte darauf, meinem Henker zu begegnen. Ras- bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Ab-
sismus durchzieht meinen Fall seit meiner geordneten der FDP)
Verhaftung im Jahr 1981 bis heute.
Noch heute sitzen etwa 200 politische Gefangene in
kubanischen Gefängnissen. Ihre Verbrechen waren unter
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: anderem, friedlich zu demonstrieren, eine andere Mei-
Frau Kollegin, Sie müssen zum Ende kommen. Sie nung zu vertreten oder – man höre! – am Tag der Men-
haben schon deutlich überzogen. schenrechte auf der Straße Kopien der universellen Er-
980 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Thomas Koenigs
(A) klärung der Menschenrechte zu verteilen, die Kuba Danke sehr. (C)
akzeptiert hat; Kuba gehört sogar zu den Erstunterzeich-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
nern. Ich weiß, dass viele Rechte in Kuba besser umge-
und bei der SPD)
setzt und vertreten werden können – zum Beispiel die
Rechte auf Bildung und Gesundheit – als irgendwo in
Amerika. Das ist aber kein Freibrief oder eine Entschul- Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
digung dafür, Freiheitsrechte einzuschränken. Als Nächster spricht Serkan Tören für die FDP-Frak-
tion.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Ab- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
geordneten der FDP) der CDU/CSU)
Die WSK-Rechte gegen die Freiheitsrechte aufzurech-
Serkan Tören (FDP):
nen, ist falsch; denn Menschenrechte sind unteilbar.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Menschenrechtslage in Ländern wie Sri Lanka und auch
bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Ab- Syrien ist uns allen sehr wohl bekannt. Ich möchte an
geordneten der FDP) dieser Stelle keine beschönigenden Worte hierfür finden.
In Sri Lanka ist der Bürgerkrieg heute offiziell beendet,
Ich sage aber sehr deutlich: Die Menschenrechtslage und doch ist insbesondere die Lage der tamilischen Be-
ist nicht nur in Kuba prekär. Margaret Sekaggya, Son- völkerung im Lande kritisch und beunruhigend. Das gilt
derberichterstatterin über die Lage der Menschenrechts- ebenso für Syrien. Hier finden regelmäßig willkürliche
verteidiger, hat Kolumbien im September bereist. Sie be- Verhaftungen und Urteile gegen Menschenrechtsaktivis-
richtet von außergerichtlichen Hinrichtungen und Fällen ten und Oppositionelle statt. Die Lage der kurdischen
des Verschwindenlassens. Präsident Uribe begründet das Bevölkerung ist dabei besonders prekär. Und doch, ver-
Vorgehen mit der terroristischen Bedrohung durch die ehrte Kolleginnen und Kollegen: Problematisch in die-
Guerilla im Land. Vor diesem Hintergrund ist mir übri- sem Zusammenhang bleiben die Forderungen nach
gens folgende Äußerung von Minister Niebel in einem generellen Abschiebestopps bzw. der Aufkündigung des
Interview mit dem Evangelischen Pressedienst völlig un- Rücknahmeabkommens mit Syrien.
verständlich: „Mit Kolumbien sollten wir ideologiefreier
umgehen.“ (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Warum?)
Weder der Minister noch die EU dürfen bei Men-
schenrechtsverletzungen einfach verlegen wegsehen Lassen Sie mich grundsätzlich sagen: Ein Abschie-
(B) oder sich hinter dem hohlen Prinzip der Nichteinmi- bestopp ist und bleibt ein Notfallinstrument für akute (D)
schung oder gar der Ideologiefreiheit verstecken; Krisenentwicklungen. Das trifft weder auf die aktuelle
Lage in Sri Lanka noch auf die in Syrien zu. Gerade vor
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dem Hintergrund der Verantwortung für andere Fälle
und bei der SPD) muss die Notwendigkeit eines Abschiebestopps immer
gewissenhaft geprüft werden, und genau das tun wir
denn Menschenrechte sind ideologiefrei und universell.
auch; denn es ist mitnichten so, wie die lieben Kollegin-
Die spanische Ratspräsidentschaft hat sich glückli- nen und Kollegen von der Linken es gerne darstellen.
cherweise vorgenommen, den Blick auf Lateinamerika Mit der Unterzeichnung eines Rücknahmeabkommens
zu werfen. Dort sind viele Länder interessant. Im Koali- wird kein Freiflugschein für alle Flüchtlinge in ihre
tionsvertrag der Regierung heißt es: jeweiligen Heimatländer unterschrieben ohne Rücksicht
darauf, in welche Umstände die jeweiligen Personen
Die Glaubwürdigkeit Deutschlands steht in direk- zurückgeschickt werden. Richtig und wichtig ist doch,
tem Zusammenhang mit dem konsequenten Eintre- zu sagen, dass asylrechtliche Vorschriften durch dieses
ten für die Menschenrechte in der Außen- und Ent- Rücknahmeabkommen nicht berührt werden.
wicklungspolitik.
(Angelika Graf [Rosenheim] [SPD]: Das wäre
Das sind große Ziele. Jetzt kommt es aber auf die kon- ja noch schöner!)
krete Umsetzung an, meine Damen und Herren von der
Regierungskoalition. Deshalb müssen Menschenrechts- Das bedeutet, dass individuelle Prüfungen bereits jetzt
standards integraler Bestandteil von bilateralen und mul- möglich sind und durchgeführt werden. Ausländern, de-
tilateralen Handelsverträgen Deutschlands und von allen nen in ihren Herkunftsländern politische Verfolgung,
gemeinsamen Standpunkten der EU sein. Darauf müssen Folter und konkrete Gefahr für Leib und Leben drohen,
wir bestehen. erhalten in Deutschland Asyl, Flüchtlingsschutz oder
auch subsidiären Schutz.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der SPD) (Beifall bei der FDP)
Das wird vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Abschließend bedanke ich mich bei Herrn Strässer für
in einem ordentlichen Asylverfahren festgestellt.
den Hinweis auf die Solidarität mit Frau Haidar. Dass es
dem Menschenrechtsausschuss nicht gelungen ist, die- Also noch einmal: Abschiebestopp ist immer das
sen Fall auf die Tagesordnung zu setzen, empfinde ich letzte Mittel. Die Einzelfallprüfung steht im Vorder-
als sehr beschämend. Das verdanken wir der Koalition. grund.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 981
Serkan Tören
(A) (Christoph Strässer [SPD]: Ja!) Nun gibt es Stimmen, die fordern, das Abkommen (C)
erst dann zu unterzeichnen, wenn sich die Menschen-
Wir sagen hier also ganz klar: Dauerhafte Probleme mit rechtslage in Syrien verbessert hat. Es gibt aber auch an-
der Menschenrechtslage, wie sie zweifelsfrei in Syrien dere Stimmen, insbesondere aus der syrischen Zivilbe-
bestehen, können mit einem generellen Abschiebestopp völkerung selbst. Sie bezeichnen dieses Abkommen als
als politischem Instrument nicht gelöst werden. Dazu ist die Chance zum Dialog und den Dialog als die Voraus-
das Asylrecht das richtige Instrument. setzung, sich langsam anzunähern, Vertrauen aufzu-
bauen und die Handlungsspielräume der Zivilgesell-
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der schaft zu erweitern. Leider hat Syrien nicht, wie geplant,
CDU/CSU) im Oktober unterschrieben. Die Zeichnung soll voraus-
Ich plädiere in dieser Debatte für etwas mehr Differen- sichtlich im ersten Halbjahr 2010 unter spanischer Rats-
ziertheit und Würdigung des bestehenden Asylrechts, präsidentschaft stattfinden. Ich kann nur hoffen, dass es
das die menschenrechtliche Lage der einzelnen Personen so kommen wird. Es ist wichtig, dass dieser Dialog fort-
durchaus im Blick hat. geführt wird und sich all die Bemühungen nicht nur auf
die wirtschaftliche und soziale Lage positiv auswirken,
(Zuruf von der LINKEN: Ach ja?) sondern vor allem auf die politische Situation und die
Lage der Menschen vor Ort.
Aber ich will hier nicht nur als Innenpolitiker sprechen
und auf die Problematik der Forderungen nach generel- Vielen Dank.
len Abschiebestopps in diesem Zusammenhang einge- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
hen. Die Rechte der Menschen in Sri Lanka und insbe-
sondere in Syrien bedürfen weiterhin kritischer Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Aufmerksamkeit. Das Wort hat nun Kollegin Angelika Graf für die
Ich möchte an dieser Stelle auch die aktuellen Bemü- SPD-Fraktion.
hungen und Entwicklungen nicht unerwähnt lassen, die (Beifall bei der SPD)
meiner Meinung nach Potenzial haben und Hoffnung
wecken. Grundlegend ist, dass unbequeme Fragen nicht Angelika Graf (Rosenheim) (SPD):
ausgeblendet werden. Deutschland sowie die EU kriti-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
sieren regelmäßig willkürliche Verhaftungen und Ur-
Frau Steinbach, zu einer vernünftigen Menschenrechts-
teile. Auch unter deutscher Ratspräsidentschaft wurden
politik gehört meiner Ansicht nach auch, dass man sich
im Frühjahr 2007 mehrere harte Urteile gegen syrische
entschuldigt, wenn man einen solchen Fauxpas began-
(B) Bürgerrechtler in EU-Erklärungen kritisiert. Außerdem gen hat, wie Sie ihn eben gegenüber dem Kollegen Beck (D)
thematisiert die Bundesregierung regelmäßig die unbe-
begangen haben.
friedigende Menschenrechtslage in Syrien und auch Ein-
zelfälle in bilateralen Gesprächen. Auch die deutsche (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
Kulturpolitik ist ein wichtiger Baustein, um mit den BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Erika Steinbach
Menschen vor Ort in Kontakt zu kommen und zur Stär- [CDU/CSU]: Ich habe nur gefragt, ob das zu-
kung der Zivilgesellschaft beizutragen. So hat beispiels- trifft! – Sibylle Pfeiffer [CDU/CSU]: Er hat ja
weise im Oktober dieses Jahres wieder der Mediendialog nicht dagegen geklagt!)
stattgefunden, diesmal in Damaskus. Dort haben sich
Wir können das Thema „Religionsfreiheit“ bei der
deutsche und arabische Journalisten, Publizisten und
Anhörung und den Beratungen im Ausschuss sehr detail-
Politiker getroffen und sich über aktuelle Themen ausge-
liert diskutieren. Deswegen möchte ich auf das, was Sie
tauscht. Menschenrechtspolitik, die Beförderung von
dazu vorgetragen haben, jetzt nicht eingehen.
Menschenrechten, ist ganz klar, wie wir es auch in unse-
rem Antrag deutlich gemacht haben, eine Angelegenheit Wir begehen den Tag der Menschenrechte hier jedes
über alle Politikbereiche hinweg. Jahr im Dezember mit einer Debatte. Das ist auch gut so;
denn die menschenrechtliche Lage ist in vielen Ländern
(Beifall bei der FDP – Volker Beck [Köln] – das zeigen die Anträge, die heute gestellt werden – ein-
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, dann muss deutig verbesserungswürdig.
man das aber auch einlösen!)
Es gibt auch im eigenen Land Vorgehensweisen, die
Ich will an dieser Stelle auch das Assoziierungsab- wir mit Recht hinterfragen müssen; Herr Strässer hat das
kommen der EU mit Syrien erwähnen. Hier hat die EU Thema „Lage der Sinti und Roma“ angesprochen. Wenn
eine Menschenrechtsklausel eingebaut. Der Kompro- man die Abschiebung bestimmter Personen befürwortet
miss zwischen den 27 EU-Staaten sieht vor, dass das Ab- – Sie haben gesagt, sie seien rechtens –, dann muss man
kommen wieder ausgesetzt werden kann, falls Syrien bedenken, welche Konsequenzen damit verbunden sind.
gegen Menschenrechte verstößt. Das ist ein eindeutiges Zum Beispiel werden junge Frauen in Regionen zurück-
Signal. Neben der wirtschaftlichen und kulturellen Zu- geschickt, in denen sie Opfer von Menschenhandel wer-
sammenarbeit soll es einen intensiven politischen Dialog den.
geben, in dem über Partizipation, Zivilgesellschaft und
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Menschenrechte gesprochen werden soll. Das gehört
DIE GRÜNEN)
zum Abkommen, und das wissen die Verantwortlichen
auch. So viel zum Thema „Vorgehensweise im eigenen Land“.
982 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Angelika Graf (Rosenheim)


(A) Die Anträge zur Praxis der Abschiebung nach Syrien, Aktionsplänen ausgebaut; darauf wird der Kollege aus (C)
die die Grünen und die Linken gestellt haben, machen dem Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
deutlich: Die Menschenrechtslage in Syrien ist schlecht, Entwicklung sicherlich noch eingehen.
insbesondere für Minderheiten; für nichtarabische
Volksgruppen ist sie prekär. Muslimische und yezidische Viele der Empfänger von Entwicklungshilfe haben
Kurden leiden ganz besonders unter dieser Situation. die grundlegenden Menschenrechtskonventionen ge-
Christliche Assyro-Aramäer werden ebenfalls zwangs- zeichnet und sich damit zu ihrer Umsetzung verpflichtet.
arabisiert. All das muss man wissen, wenn man einem Darin liegt ein großes emanzipatorisches Potenzial des
Abkommen über die Rückübernahme nach Syrien das Menschenrechtsansatzes. Aus benachteiligten Menschen
Wort redet. Wir werden uns damit im Ausschuss sicher- werden Rechtsträger, die ihre legitimen Ansprüche ein-
lich noch genauer beschäftigen. Ich denke, es lohnt sich, fordern. Das sollte übrigens gerade dann geschehen,
sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Es wirft wenn es menschenrechtliche Defizite in der Regierungs-
ein Licht darauf, wie wir in Deutschland mit diesen Din- führung des Empfängerstaates gibt. Personengruppen,
gen umgehen. die benachteiligt sind, also Frauen, Angehörige ethni-
scher Minderheiten oder indigener Gruppen, Homosexu-
Lassen Sie mich auch ein Wort zu dem Antrag der elle oder auch Jugendliche, sind die besten Anwälte für
Koalition sagen. Es ist schon erwähnt worden: Vieles, eine Verwirklichung der Menschenrechte.
was darin steht, ist nicht wirklich neu. Auch in schwarz-
roten Zeiten gab es über viele Themen, die in diesem Selim Caliskan, die Bereichsleiterin Menschenrechte
Antrag angesprochen werden, durchaus Konsens. Ge- von Medica Mondiale, hat gestern beim „Informations-
ächtet werden sollen die Todesstrafe, die Straflosigkeit, frühstück Afghanistan“, bei denen etliche von Ihnen wa-
Menschenrechtsverletzungen an Frauen, an religiösen ren, formuliert: Frauen sind Motoren für den Rechts-
und sexuellen Minderheiten. So weit, so gut. Ich bin staat. Mir ist dieser Aspekt sehr wichtig. Er macht
auch ganz bei Ihnen, wenn Sie feststellen, dass die Ter- nämlich deutlich, dass Frauen nicht nur Opfer sind, son-
rorismusbekämpfung nicht als Vorwand für Menschen- dern in den Transformationsprozessen auch eine aktive
rechtsverletzungen dienen darf, oder wenn Sie die Stär- und positive Rolle innehaben. Viele Frauen, denen Un-
kung des Internationalen Strafgerichtshofs fordern. recht geschehen ist, sind mutig und stark. Im Ostkongo
zum Beispiel helfen sie ihren Geschlechtsgenossinnen,
Zu Ihrer in diesem Antrag aufgestellten Forderung, die Traumata nach Vergewaltigungen zu überwinden. In
die Vorbehalte gegenüber der UN-Kinderrechtskonven- Afghanistan übernehmen derzeit Afghaninnen die Arbeit
tion zurückzunehmen, darf ich Sie beglückwünschen; von internationalen Mitarbeiterinnen der besagten
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Hilfsorganisation Medica Mondiale in der Rechtsbera-
(B) DIE GRÜNEN – Marina Schuster [FDP]: tung für weibliche Opfer von Gewalt. (D)
Danke!) Frauen kämpfen für ihre Rechte. Deswegen möchte
folgen Sie doch damit den langjährigen Forderungen der ich noch einmal auf das Aminatou Haidar eingehen.
SPD-Fraktion und anderer Fraktionen dieses Hauses, Wir von der SPD-Bundestagsfraktion bleiben dabei:
welche die Union in der letzten Legislaturperiode aus- Wir hätten uns sehr gewünscht, dass Sie sich dieser De-
drücklich abgelehnt und damit blockiert hat. batte im Menschenrechtsausschuss nicht verweigert hät-
ten. Eine entsprechende Entschließung hätte verabschie-
Die damaligen Begründungen sind aus meiner Sicht det werden müssen; das sehen wir für unbedingt
hanebüchen. Überhaupt darüber zu reden, wurde von der notwendig an.
Kollegin Granold am 22. März 2007 als Scheindebatte
bezeichnet. Die Kollegin Landgraf hat am 6. April 2006 (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
in diesem Hohen Hause festgestellt, dass die Vorbehalts- DIE GRÜNEN)
erklärung sachgerecht sei, weil – ich zitiere –
Ich glaube, wir haben eine große Chance vertan. Ich sage
einzelnen Bestimmungen der Konvention nunmehr Ihnen eines: Ein Obleutegespräch kann eine Ausschuss-
größere Bedeutung, wenn nicht gar unmittelbar in- sitzung nicht aufwerten. Da haben Sie einen falschen
nerstaatliche Wirkung zukäme. Ansatz in Ihrem demokratischen Verständnis in diesem
Parlament.
Sie hat zum Beispiel Erschwernisse bei der Durchset-
zung der Ausreisepflicht Minderjähriger befürchtet. (Beifall bei der SPD)
Wie gesagt, ich freue mich über Ihren Sinneswandel;
denn wie heißt es so schön: Im Himmel ist mehr Freude Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
über die Rückkehr eines reuigen Sünders denn über Tau- Das Wort hat nun Kollegin Sibylle Pfeiffer für die
send Gerechte. – CDU/CSU-Fraktion.
(Holger Haibach [CDU/CSU]: Das gilt aber (Beifall bei der CDU/CSU)
nur für Katholiken!)
Wichtig ist für uns in der SPD-Fraktion der Menschen- Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU):
rechtsansatz in der Entwicklungszusammenarbeit. Er Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
wurde in den letzten fünf Jahren – das ist schon deutlich Meinen Sie nicht manchmal, wir seien etwas anmaßend,
gesagt worden – mit mehreren entwicklungspolitischen wenn wir glauben, wir könnten die Probleme, vor allen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 983
Sibylle Pfeiffer
(A) Dingen die Menschenrechtsprobleme der Welt, hier in wären, das zu tun, was wir als Deutscher Bundestag kon- (C)
Deutschland lösen? kret tun könnten. Wir könnten nämlich dafür sorgen,
dass die Opfer solcher Unrechtsmaßnahmen in Zukunft
(Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/DIE eine Aufenthaltsgarantie für Deutschland bekommen.
GRÜNEN]: Wer glaubt das denn?)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Wo sie zu lösen sind, liebe Freunde, ist vor Ort in den
bei der SPD und der LINKEN)
betreffenden Ländern. Wir müssen uns überlegen: Was
können wir da tun? Es ist doch besser, dass sie hier als Zeuginnen und Klä-
gerinnen gegen die Schergen zur Verfügung stehen, die
Wir haben zum einen Möglichkeiten der Diplomatie.
diese Menschenrechtsverletzungen begehen, statt sie in
Aber wenn wir hier im Parlament sind, müssen wir uns
die Länder und in die Strukturen zurückzuschicken, in
überlegen: Was können wir als Parlamentarier tun? Wir
denen ihnen diese Menschenrechtsverletzungen wider-
können natürlich Resolutionen verabschieden. Wir kön-
fahren sind. Ist die CDU/CSU-Fraktion mit Ihnen der
nen auch Einzelfälle behandeln. Das kann man machen.
Meinung, dass wir in diesem Punkt das tun sollten, was
Aber wenn wir wirklich etwas machen wollen, müssen
wir tun können?
wir das Ort tun. Wir sind alle mehr oder weniger auf De-
legationsreise, vor allen Dingen in Ländern, wo wir Pro-
bleme sehen, wo es Probleme mit Menschenrechten und Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU):
der Behandlung von Frauen und Ähnlichem gibt. Das ist Ich weiß nicht, ob Sie sich erinnern, Herr Kollege
unsere Aufgabe, das ist unser Job. Beck: Wir als CDU/CSU haben zusammen mit der SPD
auch das Thema Genitalverstümmlung in den Bundestag
Liebe Freunde, wir können da etwas machen. Ich gebracht.
spreche hier aus eigener Erfahrung; wir machen es näm-
lich schon. Kollege Hartwig Fischer zum Beispiel – wir (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
alle kennen ihn – geht auf keine Delegationsreise, ohne GRÜNEN]: Es geht um den Opferschutz! Be-
in dem entsprechenden Land auch ein Gefängnis zu be- kommen die ein Aufenthaltsrecht?)
suchen. Machen wir uns nichts vor: Damit schafft er sich
– Versuchen Sie doch, mich zu verstehen. Ich kann ja
nicht sehr viele Freunde bei seinen Gesprächspartnern
noch einmal sagen, was ich eben gesagt habe. Wir dür-
von den Regierungen, den Regimen oder was auch im-
fen doch nicht so anmaßend sein, zu meinen, wir könn-
mer.
ten hier vor Ort die Probleme der Welt lösen. Das ist
(Angelika Graf [Rosenheim] [SPD]: Machen mein Ansatz, ein anderer Ansatz als Ihrer.
wir auch!)
(B) (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE (D)
Das sorgt nicht für eine freundliche Aufnahme, und da- GRÜNEN]: Sie reden von Opferschutz im An-
mit macht er sich auch keine Freunde. Das ist etwas, was trag und verweigern ihn! Das ist Heuchelei! –
wir persönlich machen können, jeder von uns. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Sie sind hier!)
(Angelika Graf [Rosenheim] [SPD]: Machen
wir ja!) – Wir sind hier, genau. Wir müssen uns überlegen, was
wir tun müssen und was wir tun können.
Das ist, wie ich finde, das Wichtige bei dem Ganzen. Al-
les andere wäre eine Scheindebatte. Frau Kollegin Graf hat, um auf das Thema zurückzu-
kommen, etwas Wichtiges gesagt. Sie hat uns davor ge-
(Beifall bei der CDU/CSU) warnt, zu unterschätzen, welche Aufgabe Frauen haben –
Frauen in der Entwicklungspolitik, Frauen in Entwick-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: lungsländern, Frauen in den Gesellschaften überhaupt.
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Beck? Liebe Freunde, mein Thema, auf das ich jetzt gerne
zu sprechen kommen möchte, lautet: Frauenrechte sind
Menschenrechte. Hier müssen wir, wie ich glaube,
Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU): manchmal noch wesentlich genauer hinschauen.
Aber ja doch.
(Thomas Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Wie viel Prozent gibt es in der CDU/
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
CSU-Fraktion? – Gegenruf der Abg.
Ich halte es für einen außerordentlich guten Ansatz, Dr. Martina Krogmann [CDU/CSU]: Es
wenn wir uns fragen, was wir konkret machen können. kommt nicht auf die Quantität, sondern auf die
Allzu oft werden bei solchen Menschenrechtsdebatten ja Qualität an!)
Feiertagsreden gehalten, in denen man zum Ausdruck
bringt, dass man für das Gute und gegen das Schlechte in Frauen sind in einigen Gesellschaften die schwächsten
der Welt ist. Glieder. Aber auch da können wir etwas tun, und zwar
vor Ort.
Sie sprechen in Ihrem Antrag die Themen Menschen-
handel, Zwangsprostitution und Zwangsverheiratung an. Vielleicht erinnern sich ja noch einige Kolleginnen
Das sind alles schwerwiegende Menschenrechtsverlet- und Kollegen aus dem Ausschuss für wirtschaftliche Zu-
zungen. Ich möchte Sie fragen, ob Sie denn auch bereit sammenarbeit und Entwicklung daran, dass letztes Jahr
984 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Sibylle Pfeiffer
(A) bei uns Monira Rahman zu Besuch war. Sie hat 2005 den Denn alle Mitgliedsländer der Vereinten Nationen be- (C)
Menschenrechtspreis von Amnesty International bekom- kennen sich zur Allgemeinen Erklärung der Menschen-
men. Monira Rahman kümmert sich in Bangladesch um rechte, und deshalb muss man auf diese Diskrepanz auf-
Frauen, die mit Säure verätzt worden sind. Als ich sie in merksam machen.
ihrem Krankenhaus in Bangladesch besuchte und sah,
welch grauenvolle Dinge es gibt, wurde mir plötzlich Wir können und dürfen eine Einschränkung von Men-
klar, dass es große Unterschiede zwischen den verschie- schenrechten nicht hinnehmen, sondern müssen etwas
denen Formen von Menschenrechtsverletzungen gibt. dagegen unternehmen. Es ist richtig, dass wir zumindest
darüber debattieren und diskutieren. Dass wir nicht al-
(Angelika Graf [Rosenheim] [SPD]: Das wis- lein eine Lösung finden können, ist ebenfalls richtig.
sen wir alle!) Dass die Folge einer Einschränkung der Menschen-
rechte, vor allen Dingen in islamischen Ländern, die Le-
Angesichts der Argumente, die dafür angeführt gitimation von Folter und Gewalt ist, darf nicht sein. Das
werden, warum Frauen mit Säure verätzt werden, wird geht uns alle an.
deutlich, dass wir noch ganz viel Überzeugungsarbeit zu
leisten haben. Gemäß Art. 16 der UN-Menschenrechts- Als langjährige Entwicklungspolitikerin weiß ich sehr
konvention gilt zwar auch dort, dass Frauen bei der Ehe- genau, worum es geht. Ich weiß, dass Armut, Krieg und
schließung, während der Ehe und bei deren Auflösung Menschrechtsverletzungen auch mit der Entwicklung ei-
die gleichen Rechte wie Männer haben; Säureattentate nes Landes zusammenhängen. Wenn wir das beachten
werden dort aber zum Beispiel aufgrund von Eifersucht, und in die Entwicklung investieren, zur Schaffung von
aufgrund von „inadäquater“ Mitgift – das muss man sich Frieden beitragen und dafür sorgen, dass Menschen-
einmal vorstellen –, aufgrund von Streitigkeiten inner- rechte nicht verletzt werden, werden wir Stabilität, Auf-
halb der Familie verübt. Dass solche Gründe dafür ange- schwung, Frieden und Zukunft der Menschen fördern.
führt werden, warum dort Frauen mit Säure verätzt wer- Das ist uns wichtig.
den, finde ich unglaublich. Deshalb ist es gut, dass der Titel unseres Antrags lau-
(Beifall bei der CDU/CSU) tet: „Menschrechte weltweit schützen“. Das ist unsere
Verpflichtung; aber es sollte auch eine Selbstverständ-
Deshalb reicht es nicht aus, Konventionen zu erarbei- lichkeit sein.
ten und Papiere zu erstellen, wir müssen vielmehr dafür
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
sorgen, dass sich die Gesellschaft in bestimmten Län-
dern ändert. Dafür können wir bei den Regierungsver-
handlungen – das ist schon angesprochen worden –, Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
(B) beim Abschluss von Verträgen mit den entsprechenden Ulla Jelpke hat das Wort für die Fraktion Die Linke. (D)
Regierungen oder wo auch immer etwas tun. (Beifall bei der LINKEN)
Etwas anderes finde ich ebenfalls grauenvoll, liebe
Kolleginnen und Kollegen, nämlich wenn Frauen in Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Kriegen als Waffe benutzt werden. Das ist absolut ver- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen,
werflich. Wenn ich mir vorstelle, dass das damals im vor allen Dingen von der CDU/CSU und der FDP! Ihr
Balkankrieg vor unseren Augen passiert ist – wir haben Antrag heißt: „Menschenrechte weltweit schützen“. Das
eine ganze Weile zugeschaut, bis wir eingegriffen haben –, bedeutet, auch vor der eigenen Haustür zu kehren und
dann habe ich noch heute ein Schamgefühl; denn wir ha- eine ehrliche Bilanz hinsichtlich der Einhaltung der
ben es gewusst, wir haben es gesehen, es ist uns erzählt Menschenrechte in Deutschland zu ziehen. Dazu finde
worden, aber wir haben nichts dagegen getan. Das finde ich in Ihrem Antrag aber absolut nichts.
ich furchtbar.
(Beifall bei der LINKEN)
Menschenrechte werden in manchen Ländern, vor al-
len Dingen dort, wo die Scharia regiert, nur bedingt und Das halte ich für unehrlich.
nur unter Vorbehalt eingehalten. 60 Länder der Organi- Ich möchte heute an einem Beispiel zeigen, dass Sie
sation der Islamischen Konferenz haben die Kairoer Er- mit Ländern Rückübernahmeabkommen geschlossen ha-
klärung der Menschenrechte im Islam 1990 verabschie- ben, die Menschenrechte zutiefst verletzen, nämlich am
det. Aber eines fehlt dort, nämlich das Verbot von Beispiel Syrien. Dazu haben wir auch einen Antrag ein-
Diskriminierung aufgrund von Geschlecht oder Reli- gebracht. Das Rückübernahmeabkommen mit Syrien
gion, anders als es in Art. 2 der UN-Menschenrechtskon- wurde geschlossen, obwohl die Bundesregierung ganz
vention steht. So wird Frauen in islamisch geprägten genau weiß, dass dort massive Menschenrechtsverlet-
Ländern oft die Schulbildung vorenthalten, die gesell- zungen insbesondere gegen die Kurden, die Eziden und
schaftliche Teilhabe wird ihnen verweigert, sie haben jegliche politische Opposition stattfinden. In der Regel
nicht einmal ansatzweise die Möglichkeit eines gesell- bedeutet das in Syrien Diskriminierung, aber auch Ver-
schaftlichen Aufstieges, und sie werden als Menschen schleppung, Folter, wie wir wissen, Gefängnis und Tod.
zweiter Klasse behandelt. Dies geschieht unter dem Dass die Bundesregierung darüber Kenntnis hat, zeigt
Deckmantel der Religion, des Islam, und der Kultur. Das sich an der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken.
halte ich für verwerflich.
Sie haben ein Rückübernahmeabkommen – das ist ein
(Beifall bei der CDU/CSU) besseres Wort für Abschiebeabkommen – geschlossen,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 985
Ulla Jelpke
(A) durch das etwa 8 350 Menschen aus Syrien, die hier kei- rung – weder die Genfer Flüchtlingskonvention noch in- (C)
nen regulären Aufenthaltsstatus haben, sowie mindes- ternationale Abkommen zum Schutz von Staatenlosen
tens 3 000 staatenlose Menschen abgeschoben werden unterzeichnet hat.
sollen. Das ist wirklich ein Novum, dass man Menschen,
die staatenlos sind, in ein Land zurückschickt, von dem Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
man ganz genau weiß, dass sie dort absolut rechtlos sind, Frau Jelpke!
dass sie beispielsweise keinen Zugang zu Bildung oder
zu den Sozialsystemen haben, dass auch die Kinder
keine Bildungschancen haben. Das bestätigt die Bundes- Ulla Jelpke (DIE LINKE):
regierung in ihrer Antwort auf unsere Kleine Anfrage, Mein allerletzte Punkt: Menschen in ein Land ab-
die ich bereits angesprochen habe. Trotzdem ist dieses schieben zu wollen, das diese Abkommen noch nicht
Abkommen weiterhin in Kraft. einmal unterzeichnet hat, ist nicht hinzunehmen. Wir
fordern einen sofortigen Abschiebestopp und die sofor-
Es ist erst wenige Tage her, dass der Menschenrecht- tige Aussetzung des Rückübernahmeabkommens mit
ler Mustafa Ismail, der syrisch-kurdischer Herkunft ist, Syrien.
in Syrien verschleppt wurde. Es gibt eine entsprechende
Pressemitteilung der Gesellschaft für bedrohte Völker, Ich danke.
worin aufgerufen wird, Solidarität zu üben. (Beifall bei der LINKEN)
Ich möchte noch zwei weitere Beispiele aus der
jüngsten Vergangenheit nennen, die zeigen, dass Men- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
schen nach ihrer Abschiebung – Abschiebungen gab es Es spricht jetzt Volker Beck für Bündnis 90/Die Grü-
auch schon vor dem Rückübernahmeabkommen – an der nen.
syrischen Grenze festgenommen wurden. Am 1. Sep-
tember wurde ein Kurde festgenommen. Weil er in Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Deutschland Asyl beantragt hatten, wurde ihm vorge- Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will
worfen, „falsche Informationen über Syrien“ verbreitet einen Gedanken der Kollegin Pfeiffer aufgreifen, die ge-
zu haben. Im Oktober dieses Jahres wurden eine 55-jäh- sagt hat, wir sollten uns das vornehmen, was wir tatsäch-
rige Witwe und ihre vier Kinder zwischen 19 und lich beeinflussen können, und wir sollten nicht so tun,
22 Jahren inhaftiert und verhört. Die Bundesregierung als ob wir durch solche Debatten die gesamte Welt ver-
sagt dazu, dass es nur eine Befragung über wenige Stun- ändern könnten.
den gegeben habe. Das halte ich für einen absoluten
Skandal, da man doch weiß, dass diese Menschen tage- Das halte ich für richtig. Wir sollten auch etwas de-
(B) (D)
und wochenlang inhaftiert werden. Es handelt sich um mütig sein gerade an einem Tag, an dem Deutschland
Menschenrechtsverletzungen vonseiten der syrischen von dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
Regierung. in Straßburg zu Recht verurteilt wurde. Wir wurden ver-
urteilt, weil das, was wir im Bereich der Sicherheitsver-
(Beifall bei der LINKEN) wahrung machen, nicht den rechtsstaatlichen Standards
Ich möchte noch einige Bemerkungen zu den Staaten- entspricht. Wir haben Menschen aufgrund eines neuen
losen machen. In den 60er-Jahren sind durch die Arabi- Gesetzes nachträglich eine zusätzliche Strafe aufge-
sierungspolitik des Baath-Regimes Menschen ausgebür- drückt. Der Europäische Gerichtshof für Menschen-
gert worden. In Syrien leben 200 000 staatenlose Kurden rechte hat klargestellt, dass Sicherungsverwahrung eine
und doppelt so viele staatenlose Palästinenser. Wenn die Strafe ist. Die Menschenrechte sind auch im Falle von
Menschen hier bei uns einen Asylantrag stellen, wird ih- Sexualstraftätern, Terroristen oder anderen Schwerver-
nen zum Vorwurf gemacht, dass sie nicht ausreichend brechern zu achten, auch wenn es schwerfällt. An diesen
bei ihrer Identitätsfeststellung mitwirken, weil sie keine Fragen zeigt sich die menschenrechtliche Qualität eines
Pässe und keine Ausweisunterlagen besitzen. Deswegen Landes. Hier können wir noch einiges dazulernen.
werden ihre Asylanträge häufig abgelehnt. Auch da (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
muss im Asylrecht, was die Menschenrechte betrifft, et- bei der SPD und der LINKEN)
was verändert werden. Man kann nicht so tun, als seien
unsere Gesetze vollkommen in Ordnung. Hier bestehen Frau Steinbach, Sie reden hier immer über die Chris-
Lücken, und es muss daran gearbeitet werden, ein Asyl- tenverfolgung. Das ist in der Tat ein wichtiges Thema. In
recht zu schaffen, das diesen Menschen Schutz vor den vielen Ländern werden Christen massiv verfolgt. In
Ländern gewährt, die die Menschenrechte verletzen. China ist es die katholische Kirche, die Rom-treu ist. In
Usbekistan sind es die Zeugen Jehovas und Evangeli-
(Beifall bei der LINKEN) kale. Zurzeit sitzen in Usbekistan vier Zeugen Jehovas
im Gefängnis.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Aber was machen wir da, wo wir etwas tun können,
Frau Jelpke, Sie müssen bitte zum Ende kommen. gegenüber der usbekischen Regierung? Die Bundesrepu-
blik Deutschland hat sich in der EU dafür eingesetzt,
Ulla Jelpke (DIE LINKE): dass die letzten Embargomaßnahmen, die lediglich Ein-
Ich komme gleich zum Schluss. – Der Höhepunkt ist reiseverbote für Mitglieder der Staatsführung beinhalten,
für mich, dass Syrien – auch das weiß die Bundesregie- aufgehoben wurden, weil wir militärpolitische Interes-
986 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Volker Beck (Köln)


(A) sen in Termes haben. Konkrete Menschenrechtspolitik Das passiert reihenweise. Man kann angesichts einer (C)
misst sich daran, dass sie dort, wo sie Einfluss auf Bezie- solchen Staatspraxis in Syrien doch nicht systematisch
hungen hat, konsistent handelt und dass nicht wie in ei- sagen: Wir schließen mit einem solchen Staat ein Rück-
nem Wolkenkuckucksheim über das Schlechte in der führungsabkommen ab. – Da macht man sich doch zum
Welt geredet wird. Helfershelfer der Schergen in syrischen Gefängnissen,
wo gefoltert wird, wo es keine rechtsstaatlichen Verfah-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ren gibt und wo bestimmte religiöse, ethnische und
und bei der SPD) sprachliche Minderheiten unterdrückt werden.
Meine Damen und Herren, ich denke, Sie leisten den (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
verfolgten Christen in aller Welt einen Bärendienst, bei der SPD und der LINKEN)
wenn Sie deren Problem als Christenverfolgung und
nicht als Rechte religiös verfolgter Minderheiten be- Ich denke, da können wir zeigen, dass wir das tun, was
zeichnen. Man kann sich nicht in der Türkei dafür ein- wir beeinflussen können. Wir können die Verhältnisse in
setzen, dass es in Tarsus ein Pilgerzentrum geben soll, Syrien nicht aus den Angeln heben; aber den Menschen,
wie es Kardinal Meißner aus Köln zu Recht will – ich die von dort zu uns kommen und des Schutzes bedürfen,
bin sehr dafür –, ohne gleichzeitig über die desolate Si- können wir helfen und ihnen Schutz gewähren.
tuation der Aleviten und Jesiden in der Türkei zu spre-
chen. Ich möchte Ihnen, weil ja bald Weihnachten ist, –

(Erika Steinbach [CDU/CSU]: Richtig! Ja!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:


Das ist nicht fair. Herr Beck!

Wenn Sie sagen, 80 Prozent der religiös Verfolgten


Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
seien Christen, was sagen Sie dann den Bahai, einer win-
zigen religiösen Minderheit, von denen viele im Iran in – angesichts dieser Fragen ein Bibelwort mit auf den
der Vergangenheit bereits ermordet worden sind? Was Weg geben
soll dieser quantitative Ansatz? Es geht darum, dass je- (Erika Steinbach [CDU/CSU]: Das ist schön!)
der sein Recht auf Religionsfreiheit subjektiv und kol-
lektiv ausüben kann. Dazu gehören übrigens Kirchtürme – denn Sie reden immer nur über die Christen und dieje-
wie Minarette gleichermaßen. Die Mehrheit hat nicht nigen, die Ihnen am nächsten stehen –:
das Recht, die Menschenrechte per Volksabstimmung Denn wenn ihr liebet, die euch lieben, was werdet
oder parlamentarischer Gesetzgebung zu beschneiden. ihr für Lohn empfangen? Tun nicht dasselbe auch (D)
(B)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, die Zöllner? Und wenn ihr nur zu euren christlichen
bei der SPD und der LINKEN) Brüdern freundlich seid, was tut ihr Besonderes?
Tun nicht dasselbe auch die Heiden?
Ansonsten wird Gesetzgebung zu einer Tyrannei der
Mehrheit im Sinne von de Tocqueville. Das wollen wir Deshalb: Werden Sie vollkommen, wie es in Matthäus 5
nicht. Die Demokratie hat ihre Grenzen im Rahmen der weiter heißt, und bemühen Sie sich um ein vollständige-
Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit. Das gilt für res Bild der Menschenrechte!
uns und für den Volksgesetzgeber. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
(Christoph Strässer [SPD]: Sehr richtig! Guter bei der SPD und der LINKEN)
Mann!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Wir haben gerade über das Thema „Flüchtlingsschutz
im Falle von Syrien“ gesprochen. Wenn in Deutschland Der Nächste ist der Kollege Michael Frieser für die
Syrer – meist sind es kurdische Syrer, die dort verfolgt CDU/CSU-Fraktion.
werden – vor deutschen Gerichten um Schutz nachsu- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
chen und das Asylverfahren abgelehnt wird – Frau neten der FDP)
Steinbach, vielleicht lernen Sie etwas dazu; Flüchtlinge
interessieren Sie ja weniger; die Achtung der Menschen-
Michael Frieser (CDU/CSU):
rechte ist für Sie nur im Ausland interessant –,
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
(Erika Steinbach [CDU/CSU]: Nein, über- Diese verbundene Debatte soll auch etwas Verbindendes
haupt nicht!) haben, Herr Kollege Beck. Insofern muss man sagen:
Ein Credo für die Unteilbarkeit der Menschenrechte
dann wird ihnen das Asylverfahren bei einer Abschie- schließt natürlich auch die Tatsache ein, dass wir bis ans
bung in die Syrische Republik als Bezichtigung im Sinne Ende dafür kämpfen, dass Sie Ihre Meinung hier äußern
falscher Informationen nach § 287 des syrischen Strafge- dürfen. Auch wenn sie falsch ist, muss man sie trotzdem
setzbuches vorgehalten, so im September 2009 mit ei- ertragen.
nem 31-jährigen syrischen Kurden aus Frankfurt am
Main geschehen. Er wurde nach der Abschiebung vom (Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Geheimdienst in Syrien einbestellt und ist danach ver- NEN]: Geht es auch etwas qualifizierter, oder
schwunden. Jetzt sitzt er in Haft und ist verurteilt. ist das zu viel für euch?)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 987
Michael Frieser
(A) Ich will in Hinblick auf die Religionsfreiheit nur eines regierung aus unserer Sicht richtig reagiert; sie hat die (C)
richtigstellen: Ein Hinweis auf die Tatsache, dass richtigen Entscheidungen getroffen. Es gibt den partiel-
80 Prozent der Verfolgungen solche von Christen sind, len Abschiebestopp schon seit 2007; auch das haben wir
macht es nicht falsch oder überflüssig, darauf hinzuwei- heute schon gehört.
sen, dass auch andere Verfolgungen aus Religions- und
Man darf nicht glauben – ich bin der Kollegin Pfeiffer
Glaubensgründen falsch sind.
dankbar, dass sie darauf hingewiesen hat –, dass man
Zudem ist es notwendig, Folgendes deutlich zu ma- alle Menschenrechtsverletzungen auf deutschem Boden
chen – das darf ich an dieser Stelle als Abgeordneter aus klären oder heilen kann. Das ist ein Irrweg.
Nürnberg, einer Stadt, die sich nicht umsonst Stadt des An dieser Stelle zitiere ich gerne Karl Kraus, einen
Friedens und der Menschenrechte nennt –: Wir müssen Satiriker und Schriftsteller:
dem Anspruch der Geltung von Menschenrechten im
modernen Verfassungsstaat nicht nur dadurch gerecht Es gibt Dinge, die sind so falsch, da stimmt noch
werden – Kollegin Pfeiffer hat darauf hingewiesen –, nicht einmal das Gegenteil.
dass wir hier gerne darüber reden und dies frei tun; wir
(Beifall bei der CDU/CSU – Heiterkeit der
müssen vielmehr auch belegen, dass wir unsere Forde-
Abg. Erika Steinbach [CDU/CSU])
rungen in den Institutionen umsetzen und die entspre-
chenden Verfahren durchführen können. Was wir in Be- Hier geht es um genau diesen Denkansatz: Es kann
zug auf Menschenrechte fordern dürfen, hängt nicht sein, dass die Menschenrechtspolitik eine Pflicht
maßgeblich von unserer Handlungsfähigkeit ab. zu einem generellen Individualschutz auf diesem Boden
vorsieht. Das würde nämlich zu einem regellosen Blei-
(Beifall bei der CDU/CSU) berecht führen.
Der Antrag der CDU/CSU spricht eine deutliche (Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]:
Sprache, wie wir sie nicht oft genug verwenden kön- Sehr richtig!)
nen. Er richtet sich gegen Todesstrafe, Folter, Sklaverei
und Ausbeutung und spricht sich für den Schutz der Ein regelloses Bleiberecht würde eine Zuwanderungs-
Religions-, Presse- und Meinungsfreiheit aus. Gerade politik durch die Hintertür sein. Vielleicht geht es der
hier gilt, was ich schon gesagt habe: Wir müssen die Ein- Linken genau darum, unter dem Deckmäntelchen der
haltung der Menschenrechte leisten können; wir müssen Menschenrechte eine bestimmte Zuwanderungspolitik
Institutionen und Instrumente schaffen, damit wir das, zu verfolgen. Darauf muss man leider hinweisen.
was wir hier fordern, umsetzen können. (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
Auch deshalb ist mir die bessere Durchsetzung des Serkan Tören [FDP])
(B) (D)
Völkerstrafgesetzbuches ein besonderes Anliegen. Ich Es ist ein ehrenwertes Anliegen; aber die parteipolitische
bin froh, dass der Koalitionsvertrag hierauf eingeht. Völ- Zielrichtung ist nun einmal zu erkennen.
kerrecht braucht ein Völkerstrafrecht, um überhaupt
glaubwürdig zu sein und durchgesetzt werden zu kön- Wir müssen deutlich sagen: Es gibt einen ausreichen-
nen. den rechtlichen Rahmen für die Steuerung und Begren-
zung der Zuwanderung. Wir haben das gesetzlich gere-
(Beifall bei der CDU/CSU – Christoph gelt; wir müssen und werden die Gesetze anwenden. Die
Strässer [SPD]: Fragen Sie mal, wer das in der Zuwanderungspraxis in Deutschland ist an dieser Stelle
letzten Legislaturperiode verhindert hat!) ausreichend ausgestaltet.
Darauf muss man eindeutig hinweisen. (Christoph Strässer [SPD]: Nein!)
Ich möchte nun die ordnungspolitische Sichtweise Es geht um Einzelfälle, die wir anprangern können und
einnehmen – auch Kollege Tören hat das schon getan – müssen. Natürlich gibt es einen Grund, auf jeden Einzel-
und auf die Frage des deutsch-syrischen Rückführungs- fall hinzuweisen, in dem die Todesstrafe droht. Trotzdem
abkommens eingehen. Man muss sagen, dass es keine sollten wir nicht den Eindruck erwecken, dass wir alle
Gründe gibt, dieses Abkommen einfach auszusetzen. Probleme lösen können. Ich bitte darum, den Einsatz für
Hier geht es nämlich darum – dafür ist das Abkommen die Menschenrechte nicht immer mit einem parteipoliti-
nun einmal da –, gesetzwidrige Zuwanderungen rückgän- schen Kalkül zu verbinden. Das ist mit Sicherheit der
gig zu machen und zu verhindern. Es geht darum – wir völlig falsche Weg.
haben es oft genug gehört; man müsste vielleicht einmal
zuhören –, deutlich zu machen, dass das Asylrecht für Bei den Anträgen der Opposition fällt auf, dass es ko-
alle anderen Fälle genügend Rechtsschutz vorsieht. Das mischerweise einen Zusammenhang gibt zwischen den
Bundesinnenministerium und das Bundesamt für Migra- Berichten über Menschenrechtsverletzungen in anderen
tion und Flüchtlinge überwachen die Einhaltung und Ländern und der Tatsache, dass man doch immer wieder
Durchsetzung der asylrechtlichen Bestimmungen. darauf hinweist, dass sie kulturell bedingt seien.
(Christoph Strässer [SPD]: Wer macht das?)
Die Bundesländer sind hier die richtigen Ansprech-
partner; wir hatten dieses Thema heute schon. Die In- Man kann das kulturrelativistische Kritik nennen. Das
nenminister sind tatsächlich in der Lage, einen gemein- bedeutet, dass die Kritik immer dann etwas leiser ist,
schaftlichen Beschluss umzusetzen und durchzusetzen. wenn es um Länder geht, wo Menschenrechtsverletzun-
Das zeigt das Beispiel Sri Lankas: Hier hat die Bundes- gen nicht in das parteipolitische Kalkül hineinpassen.
988 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Michael Frieser
(A) Die Stichworte China, Nordkorea und Kuba sind alle Wo jede Form öffentlicher Kritik fehlt, haben die Herr- (C)
schon gefallen. schenden nicht zu befürchten, dass sie die Konsequen-
zen für ihr Versagen bei der Verhinderung von Hungers-
(Christoph Strässer [SPD]: Wissen Sie, wie viele nöten tragen müssen. Das ist der Zusammenhang, um
Beschlüsse wir zu China gefasst haben?) den es heute ebenfalls geht. Nach wie vor gilt: Armut
Damit tun wir der Debatte in diesem Land für die Durch- und Verletzung von Menschenrechten sind zwar zwei
setzung dessen, was wir in anderen Ländern leisten müs- Farben, aber in ein und demselben Bild.
sen, keinen Gefallen. Ich glaube, dass es die Menschen
(Beifall bei der SPD)
dieser Welt verdient haben, dass wir es mit dem Thema
Menschenrechte ehrlich meinen, dass wir den Einzelfall Weltweit leiden 3 Milliarden Menschen unter bitters-
betrachten und das tun, was wir tun können. ter Armut und müssen mit weniger als 2 US-Dollar pro
Tag ums Überleben kämpfen. 4 Milliarden Menschen,
Vielen Dank.
das sind zwei Drittel der Menschheit, haben keinen Zu-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gang zur Justiz. Zwischen diesen Zahlen bestehen Zu-
neten der FDP) sammenhänge: Wer tagtäglich ums Überleben kämpft,
wer nicht lesen und schreiben kann, dem wird es schwer-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: fallen, seine Rechte einzuklagen und sein Leben in Not
Der Kollege Burkhard Lischka ist der nächste Redner zu überwinden. Andersherum ist Armut häufig die Folge
für die SPD-Fraktion. von Diskriminierung, eines ungerechten Zugangs zu
Ressourcen und das Ergebnis einer ungerechten Vertei-
(Beifall bei der SPD) lung.
Insofern ist Armut vielerorts gleichzeitig Ursache und
Burkhard Lischka (SPD): Folge von Menschenrechtsverletzungen. Das heißt aber
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wäh- auch: Armut ist kein Schicksal, sondern von Menschen
rend ich diese Debatte verfolge, drängt sich mir zwangs- gemacht. Sie ist häufig die Folge eklatanter Menschen-
läufig die Frage auf: Ist es denn so schwer, sich gemein- rechtsverletzungen. Dagegen kann man etwas tun. Dage-
sam hinter einem Ziel zu versammeln? Die Einhaltung gen wollen wir etwas tun. Deshalb haben wir einen ent-
der Menschenrechte ist auch in Zukunft die Messlatte sprechenden Antrag vorgelegt.
der deutschen Entwicklungspolitik. Darum geht es uns
in unserem Antrag, der heute zur Abstimmung steht. (Beifall bei der SPD)
Wirkt Entwicklungshilfe? Sie wissen, diese Frage Für uns Sozialdemokraten muss Entwicklungszusam-
(B)
wird teilweise sehr heftig diskutiert. Entwicklungshilfe menarbeit deshalb immer wieder versuchen, Auswege (D)
wirkt vor allen Dingen dort gut, wo sie zum einen gute aus politischer, wirtschaftlicher und sozialer Unterdrü-
Regierungsführung unterstützen kann und wo sie sich ckung zu eröffnen. Sie muss dazu dienen, Hunger zu be-
zum anderen auf gute Regierungsführung stützen kann. kämpfen, aber auch Ausbeutung und Ressourcenzerstö-
Auf Dauer kann kein Entwicklungsprojekt besser sein rung. Sie muss Freiheits- und Bürgerrechte unterstützen.
als die Rahmenbedingungen, in die es eingebettet ist. Sie muss soziale Mindestnormen und soziale Gerechtig-
Wenn Menschenrechte, wenn Freiheitsrechte mit Füßen keit einfordern. Menschenrechtspolitik bedeutet aber
getreten werden, dann kann Entwicklungspolitik lang- auch, außerhalb der Entwicklungspolitik diese Ziele zu
fristig nicht zu positiven Ergebnissen führen. verfolgen. Fortschritte in Entwicklungsländern sind sehr
häufig auch von äußeren Faktoren abhängig, wie bei-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten spielsweise einer fairen Weltwirtschaft. Hier tragen die
der CDU/CSU und der LINKEN) großen Industrieländer eine besondere Verantwortung,
Wenn Menschen beispielsweise zum Abbau von Bo- weil sie die internationalen Spielregeln maßgeblich
denschätzen von den Ländereien vertrieben werden, die bestimmen. Entwicklungspartnerschaft darf sich aber
ihre Lebensgrundlage bilden, dann kann sich Entwick- nicht dann in Wohlgefallen auflösen, wenn die Eigenin-
lungspolitik mühen, wie sie will: Sie wird Stückwerk teressen der Industrieländer tangiert sind. Hier sollten
bleiben. Sie wird nicht nachhaltig dazu beitragen kön- Chancengleichheit und Fairness unser Kompass sein.
nen, dass sich die Lebenssituation der Betroffenen ver- Ich hoffe, dass die Koordinaten dieser Politik nicht
bessert. Erfolgreiche Entwicklungspolitik ist auf mün- durcheinandergeraten, wenn in Zukunft die Außenwirt-
dige Betroffene angewiesen, auf Akteure, die ihre eigene schaftsförderung nach dem Willen der Koalition stärker
Entwicklung mitgestalten können; denn solche Akteure das Maß der Dinge auch in der Entwicklungspolitik ist;
vor Ort wissen am besten, wo angesetzt werden muss, denn wo Außenwirtschaftsförderung und Entwicklungs-
damit sich ihre Situation verbessert. Weil das so ist, sind politik miteinander verquickt werden, da können Men-
die Menschenrechte auch in der Entwicklungspolitik das schenrechte sehr schnell ins Hintertreffen geraten. Das
A und O. ist unsere große Sorge.
Für einen Analphabeten und einen hungernden Men- (Beifall bei der SPD)
schen ist beispielsweise die Pressefreiheit zunächst kein
primäres und existenzielles Grundrecht. Dennoch lässt Hinter Erreichtes sollten wir nicht zurückfallen. Des-
sich belegen, dass es in Staaten, in denen es Pressefrei- halb appelliere ich an die Bundesregierung, insbeson-
heit gibt, seltener zu schweren Hungersnöten kommt. dere an den zuständigen Minister Niebel: Setzen Sie den
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 989
Burkhard Lischka
(A) Aktionsplan für Menschenrechte, der bis zum Jahr 2010 Ich sage es noch einmal: Dieses Thema ist unser gemein- (C)
Gültigkeit hat, ohne Wenn und Aber um und entwickeln sames Thema. Wir müssen uns bei diesem Thema von
Sie einen Folgeplan! Das sind Sie den vielen Millionen der SPD aber nicht extra anschieben lassen.
Menschen, die hungern und unter Menschenrechtsverlet-
Auch die Kolleginnen und Kollegen von der Linken
zungen leiden, schuldig.
täten meiner Ansicht nach gut daran, sich bei dem
Danke schön. Thema ein wenig in Demut zu üben.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das sagt
der LINKEN) die Richtige!)
Wenn Sie in Antrag und Debatte einen so forschen und
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: selbstgerechten Ton anschlagen,
Sabine Weiss ist die nächste Rednerin für die CDU/
(Christoph Strässer [SPD]: Was machen Sie denn
CSU-Fraktion. gerade? Was ist denn das für ein Ton?)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) könnte man mit Blick auf Ihre Parteivergangenheit
schnell zum Bild vom Glashaus und den Steinewerfern
Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): kommen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (Beifall bei der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren! Die vorliegenden Anträge
und der Verlauf der Debatte zeigen glücklicherweise im- Die Worte Frieden, Freiheit und Menschenrechte aus Ih-
mer noch: Das Thema Menschenrechte ist grundsätzlich rem Munde kämen glaubwürdiger herüber, wenn sie mit
unser gemeinsames Thema. Quer durch die Fraktionen etwas mehr Nachdenklichkeit und Selbstreflexion über
besteht Einigkeit darin: Die Durchsetzung der Men- die SED-Vergangenheit Ihrer Partei ausgesprochen wür-
schenrechte weltweit ist unsere gemeinsame Aufgabe. den.
Die verbale Einigkeit stimmt mich hoffnungsvoll, dass
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
dies auch in der laufenden Legislaturperiode so bleibt.
neten der FDP – Widerspruch bei der LIN-
Von daher will ich nicht polarisieren oder Gräben aufrei-
KEN)
ßen. Dazu ist dieses Thema viel zu wichtig.
Die universellen freiheitlichen Menschenrechte gehö-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ren zu den Grundlagen unserer Zivilisation. Wir wollen
neten der FDP) sie in größtmöglicher Einigkeit durchsetzen und vertei-
(B) Viele der Forderungen in dem SPD-Antrag betrachten digen. (D)
wir in der Tat als gemeinsame Übereinkunft. (Christoph Strässer [SPD]: Das machen wir
(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE gerade!)
GRÜNEN]: Das hörte sich im Ausschuss aber Wir sollten das Thema auch nicht auf den Bereich der
noch anders an!) Entwicklungszusammenarbeit einengen; natürlich ge-
Viele der aufgestellten Forderungen werden in der all- hört es auch da hin. Das fängt bei so klaren Fällen wie
täglichen Praxis bereits verwirklicht: Stärkung guter Re- ausbeuterischer Kinderarbeit an und geht bis zu dem
gierungsführung, Stärkung der Eigenverantwortung und großen Begriff von Good Governance, der alle Bereiche
Stärkung der Selbsthilfekräfte der Entwicklungsländer. staatlichen Handelns umfasst. Es schließt aber auch das
Gerade das sind doch die Schlüsselbereiche deutscher privatwirtschaftliche Engagement ein. Wir wissen, dass
Entwicklungszusammenarbeit. gerade das mittelständische Engagement in vielen
Schwellen- und Entwicklungsländern für Arbeitsplätze,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Bildung und verbesserten Wohlstand sorgt.
Die nachhaltige Bekämpfung von Armut und Struk- (Beifall bei der CDU/CSU)
turdefiziten im Sinne der Millenniumserklärung der Ver-
einten Nationen steht im Koalitionsvertrag, und der ist Damit dies nicht auf Kosten der Menschen vor Ort pas-
nun einmal die Richtschnur für unser Regierungshan- siert, wollen wir die Unternehmen unterstützen, die sich
deln. Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der in ihrem Rahmen für bessere und gerechtere Produk-
Opposition, Zweifel am Willen der schwarz-gelben Re- tionsbedingungen engagieren.
gierung haben, erinnern Sie sich doch einfach daran: Es (Beifall bei der CDU/CSU – Christoph
war unsere Kanzlerin Angela Merkel, die nach den Jah- Strässer [SPD]: Was machen Sie denn mit den
ren von Rot-Grün das Thema Menschenrechte erstmals anderen Ländern?)
wieder offen und klar in die deutsche Außenpolitik ein-
gebracht hat. Entwicklungsrelevanz ist hier der Schlüsselbegriff. Ent-
wicklungszusammenarbeit und Menschenrechte müssen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wir zusammen sehen, und das sieht die Regierung auch
sowie bei Abgeordneten der FDP – Volker so. Unser Antrag und die entsprechenden Passagen des
Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Koalitionsvertrages zeigen dies ganz klar und deutlich.
Was ist denn mit der strategischen Partner- Der Antrag der Opposition reflektiert eher die letzten
schaft in Ihrem Koalitionsvertrag?) Regierungsjahre der Sozialdemokraten, ein rotes Best-
990 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Sabine Weiss (Wesel I)


(A) of. Aber das Thema ist umfassender. Deshalb haben wir Am 10. Dezember wurde der Tag der Menschenrechte (C)
unseren Antrag wesentlich breiter angelegt. Nach meiner begangen. Aus diesem Anlass nehmen wir uns Gott sei
Auffassung schließen wir damit das Anliegen des SPD- Dank die Zeit, im Deutschen Bundestag über dieses
Antrages ein, stellen das Ganze aber in einen größeren Thema zu diskutieren. Die Regierungsfraktionen haben
Zusammenhang. dazu einen Antrag gestellt, der ebenso deutlich wie um-
fassend die Position markiert, mit der Deutschland in der
Die Menschenrechte gehören weltweit geschützt, Weltgemeinschaft sowohl in der Entwicklungszusam-
nicht aber eng fokussiert auf die Entwicklungszusam- menarbeit als auch darüber hinaus in allen anderen Poli-
menarbeit. Uns geht es – das ist angeklungen – unter an- tikfeldern auftreten und handeln will.
derem um die Todesstrafe, und zwar überall, in den USA
genauso wie in China oder im Iran. Uns geht es um den Von daher werbe ich um Zustimmung zu unserem
Schutz von Kindern, Frauen und Homosexuellen. Über Antrag. Mehr noch werbe ich aber um Ihre Hilfe, Ihren
Zwangsverheiratung, Genitalverstümmelung und Todes- Mut und Ihren Einsatz, wenn es um die konkrete Umset-
strafe für Homosexuelle wie im Iran oder möglicherweise zung geht.
bald in Uganda dürfen wir nicht als Frage der kulturellen
Schönen Dank.
Identität diskutieren und es damit einfach hinnehmen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der SPD und der FDP und des Abg.
Thomas Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
NEN]) Liebe Frau Weiss, das war Ihre erste Rede hier im
Plenum. Dazu gratulieren wir Ihnen, verbunden mit dem
Uns geht es um elementare Freiheitsrechte, Religions- Hinweis, dass wir die Redezeit normalerweise einiger-
freiheit, Presse- und Meinungsfreiheit, Schutz vor Dis- maßen einhalten.
kriminierungen. Da blicken wir kritisch in alle Richtun-
gen: nach Guantánamo genauso wie nach Kuba. Wir (Heiterkeit)
befürworten den Bau von Moscheen und Hindutempeln Beim zweiten Mal wird Ihnen das sicher besser gelin-
in unserem Land. Aber wir wollen auch, dass christliche gen. Alles Gute für Ihre Arbeit hier!
Kirchen überall auf der Welt ohne Angst errichtet wer-
den können. (Beifall)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Damit schließe ich die Aussprache.
neten der FDP – Thomas Koenigs [BÜND-
(B) Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf (D)
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Minarette!)
den Drucksachen 17/257, 17/236, 17/237, 17/68 und
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gestatten Sie mir, 17/157 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
einen Aspekt zu nennen, der mir persönlich sehr wichtig schüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie einverstanden.
ist. Wir fordern zu Recht Good Governance von den in- Dann ist die Überweisung so beschlossen.
ternationalen Partnern, die von uns Hilfe und Unterstüt- Tagesordnungspunkt 9 f. Beschlussempfehlung des
zung erwarten. Wir wenden uns zu Recht gegen Teppi- Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
che, an denen das Blut von unzähligen Kinderhänden zu dem Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel
klebt, um es einmal plastisch auszudrücken. Wir fordern „Menschenrechte als entwicklungspolitische Quer-
zu Recht, dass Menschenhandel, Sklaverei und Ausbeu- schnittsaufgabe fortführen“. Der Ausschuss empfiehlt in
tung geächtet werden. Ich selbst habe als Anwältin etli- seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/272,
che Prozesse zum Thema Menschenhandel geführt und den Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/107
dabei mitbekommen, dass es überhaupt nicht ausreicht, abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
mit dem Finger ins Ausland zu zeigen und dort nach lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Damit ist die
staatlichen und wirtschaftlichen Verbesserungen zu ru- Beschlussempfehlung bei Zustimmung durch die Frak-
fen. tionen der CDU/CSU und der FDP angenommen. Dage-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- gen haben die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, die
neten der SPD) SPD-Fraktion und einige Mitglieder der Fraktion Die
Linke gestimmt; andere Mitglieder der Fraktion Die
Die Teppiche, an denen Blut klebt, die Grabsteine aus Linke haben sich enthalten.
Sklavenarbeit und die verschleppte, zur Prostitution ge-
Tagesordnungspunkt 9 g. Beschlussempfehlung des
zwungene Frau zum Beispiel aus Fernost haben eines
Ausschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
gemeinsam: Es gäbe sie nicht, wenn es hier nicht auch
zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
den Markt und die Käufer gäbe.
dem Titel „Menschenrechte in Sri Lanka stärken“. Der
(Beifall bei der CDU/CSU) Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/273, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Da wird der Schutz der Menschenrechte weltweit zu ei- Die Grünen auf Drucksache 17/124 abzulehnen. Wer
nem Problem ganz nah. Da müssen wir mentale Ent- stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt
wicklungshilfe im eigenen Land betreiben. Auch dies dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschluss-
gehört zum Thema dazu. empfehlung bei Zustimmung durch die Koalitionsfrak-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 991
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
(A) tionen und Ablehnung durch die Oppositionsfraktionen den, dass nach dem Höchstzahlverfahren von d’Hondt (C)
angenommen. auf den Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU
5 Mitglieder, der Fraktion der SPD 3 Mitglieder, der
Ich komme jetzt zurück zu den Gremienwahlen und Fraktion der FDP 2 Mitglieder, der Fraktion Die Linke
gebe Ihnen die Ergebnisse bekannt. 1 Mitglied und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
Zunächst zur Wahl der Mitglieder des Wahlausschus- 1 Mitglied entfallen. Nach § 6 Abs. 2 des Gesetzes über
ses gemäß § 6 Abs. 2 des Gesetzes über das Bundesver- das Bundesverfassungsgericht sind die Mitglieder des
fassungsgericht: Abgegebene Stimmen 589, gültige Stim- Wahlausschusses in der Reihenfolge gewählt, in der ihr
men 586, Enthaltungen 1, ungültige Stimmen 3. Auf den Name auf dem Wahlvorschlag erscheint. Die Namen der
Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/CSU entfielen Gewählten entnehmen Sie bitte den Drucksachen 17/214
230 Stimmen, auf den der Fraktion der SPD 132 Stim- bis 17/218.
men, auf den der Fraktion der FDP 92, auf den der Frak-
Jetzt komme ich noch einmal zum Richterwahlaus-
tion Die Linke 67 und auf den der Fraktion Bündnis 90/
schuss; da fehlte die gleiche Verkündung. Nach d’Hondt
Die Grünen 64 Stimmen.1)
entfallen auf den Wahlvorschlag der Fraktion der CDU/
Ich komme zur Wahl der Mitglieder des Richterwahl- CSU 7 Mitglieder, der Fraktion der SPD 4 Mitglieder,
ausschusses gemäß § 5 des Richterwahlgesetzes: Abge- der Fraktion der FDP 2 Mitglieder, der Fraktion Die
gebene Stimmen 584, gültige Stimmen 583, Enthaltun- Linke 2 Mitglieder und der Fraktion Bündnis 90/Die
gen 1, ungültige Stimmen 1. Von den gültigen Stimmen Grünen 1 Mitglied. Nach § 5 Abs. 2 des Richterwahlge-
entfielen auf die Wahlvorschläge der Fraktion der CDU/ setzes sind die Mitglieder und ihre Stellvertreter in der
CSU 229 Stimmen, auf die der Fraktion der SPD Reihenfolge gewählt, in der ihre Namen auf den Wahl-
132 Stimmen, auf die der Fraktion der FDP 90, auf die vorschlägen erscheinen. Hier entnehmen Sie die Namen
der Fraktion Die Linke 67 und auf die der Fraktion der gewählten Mitglieder und deren Stellvertreter bitte
Bündnis 90/Die Grünen 64 Stimmen.2) den Drucksachen 17/219 bis 17/223.
Bei der Wahl des Vertrauensgremiums gemäß § 10 a Jetzt komme ich zu Tagesordnungspunkt 10:
Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung sind 587 Stimmkar-
ten abgegeben worden. Gültig waren 587. Von den gülti- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
gen Stimmen entfielen auf den Abgeordneten Norbert richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales
Barthle 480 Stimmen, auf den Abgeordneten Herbert (11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten
Frankenhauser 480 Stimmen, auf den Abgeordneten Jürgen Diana Golze, Klaus Ernst, Matthias W. Birkwald,
Herrmann 473 Stimmen, auf den Abgeordneten Klaus- weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
(B) Peter Willsch 478 Stimmen, auf die Abgeordnete Petra (D)
Merkel 497 Stimmen, auf den Abgeordneten Carsten Anhebung und bedarfsgerechte Ermittlung
Schneider 506 Stimmen, auf den Abgeordneten Christian der Kinderregelsätze
Ahrendt 491 Stimmen, auf den Abgeordneten Heinz-
Peter Haustein 502 Stimmen, auf den Abgeordneten – Drucksachen 17/23, 17/204 –
Steffen Bockhahn 388 Stimmen und auf den Abgeordne- Berichterstattung:
ten Alexander Bonde 483 Stimmen. Ich gratuliere an die- Abgeordneter Sebastian Blumenthal
ser Stelle insbesondere dem Kollegen Haustein.3)
Es ist verabredet, hierüber eine halbe Stunde zu de-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der battieren. – Dazu höre ich keinen Widerspruch. Dann ist
SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE so beschlossen.
GRÜNEN)
Ich gebe als Erstem dem Kollegen Dr. Carsten
Zur Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 3 des Linnemann für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Bundesschuldenwesengesetzes. Abgegebene Stimmkar-
ten 587, davon gültig 587. 2 Enthaltungen hat es gegeben. (Beifall bei der CDU/CSU)
Von den gültigen Stimmen entfielen auf den Abgeordne-
ten Norbert Barthle 480, auf den Abgeordneten Norbert Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU):
Brackmann 472, auf den Abgeordneten Alexander Funk Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
468, auf den Abgeordneten Bartholomäus Kalb 484, auf Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Ich möchte
den Abgeordneten Johannes Kahrs 462, auf den Abge- diesem Antrag, in dem es um die Kinderregelsätze geht,
ordneten Carsten Schneider 499, auf den Abgeordneten gleich den Wind aus den Segeln nehmen. Wenn wir über
Otto Fricke 503, auf den Abgeordneten Joachim Spatz Kinder reden, reden wir über ein Thema, das für die Zu-
484, auf die Abgeordnete Dr. Gesine Lötzsch 414 und auf kunft dieses Landes von überragender Bedeutung ist.
den Abgeordneten Alexander Bonde 484 Stimmen.4) Deshalb sollten wir sachlich reden. Zur Sachlichkeit ge-
Ich habe offenbar vergessen, etwas zu verlesen; das hört aber, darauf hinzuweisen, dass sich das Bundesver-
muss ich gerade noch nachholen. Ich muss noch verkün- fassungsgericht in diesen Tagen mit der Frage der Regel-
sätze beschäftigt. Wir erwarten jetzt für Anfang des
Jahres ein Urteil vom Bundesverfassungsgericht. Im Ok-
1) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 8
2) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 9 tober gab es schon eine Anhörung. Bei dieser Anhörung
3) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 10 kam heraus – ich habe das zumindest so verstanden;
4) Namensverzeichnis der Teilnehmer an der Wahl siehe Anlage 11 auch zwischen den Zeilen –, dass das Bundesverfas-
992 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Dr. Carsten Linnemann


(A) sungsgericht die Regelsatzbemessung überprüft. Diese das werden wir auch verlässlich und konsequent tun. Wir (C)
Überprüfung sollten wir abwarten. würden uns freuen, wenn Sie uns mit Beiträgen dabei
unterstützen würden.
Es macht keinen Sinn, jetzt über Kommissionen zu
debattieren, wenn wir gar nicht wissen, welche Vorgaben Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
es gibt. Deshalb werden wir, die CDU/CSU-Fraktion,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
diesen Antrag der Fraktion Die Linke schlicht und ein-
fach ablehnen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Die nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele Hiller-
Heinz Lanfermann [FDP]) Ohm für die SPD-Fraktion.
Lassen Sie mich an dieser Stelle gerne auch eine (Beifall bei der SPD)
grundsätzliche Bemerkung zu diesem Thema machen.
Wenn Sie das Thema Kinderregelsätze ansprechen, geht
es natürlich auch um das Kernproblem Kinderarmut in Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Deutschland. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
Kinderregelsätze müssen neu bemessen werden. Da
(Diana Golze [DIE LINKE]: Gut erkannt!) stimmen wir Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Wenn wir über Kinderarmut reden, dann heißt das für Linken, zu. Es ist nicht in Ordnung, dass die Bedarfe für
uns, für die Christlich Demokratische Union, nicht nur Kinder pauschal von denen eines alleinlebenden Er-
Kinderarmut im finanziellen Sinne, sondern auch im wachsenen abgeleitet werden.
nichtfinanziellen Sinne: die Nichtteilhabe an der Gesell- (Beifall bei der LINKEN)
schaft, das Ausgeschlossensein, das Nicht-partizipieren-
Können. Dieses Problem gehen wir an und müssen wir Dies haben wir schon in der letzten Legislaturperiode
angehen. bemängelt, und wir haben das Ministerium aufgefordert,
eine bessere Lösung vorzulegen.
Wir wissen aus wissenschaftlichen Studien, dass die
Eltern dieser Kinder oftmals von Leistungen nach dem (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
SGB II leben. Ich will Ihnen nur einmal eine Zahl „vor Daraus ist aber nichts geworden!)
die Füße werfen“: Rund 50 Prozent der Kinder, deren El- Ich erinnere an die Anhörung vom 16. Juni 2008 zu die-
tern von Leistungen nach dem SGB II leben, befinden sem Thema. Die Experten waren sich durchweg einig,
sich in Kinderarmut oder sind von Kinderarmut bedroht, dass wir eine genauere Bemessungsgrundlage für die
(B) während es nur – ich bitte, das „nur“ in ganz große An- Kinderregelsätze benötigen. (D)
führungsstriche zu setzen – 8 Prozent der Kinder sind,
bei denen zumindest ein Elternteil in Vollzeit arbeitet. Wie aber sollte diese aussehen? Es gab eine große
Das heißt, der Schlüssel liegt vor allem bei den Eltern. Übereinstimmung, die Einkommens- und Verbrauchs-
Wir müssen versuchen, die Betroffenen wieder in Arbeit stichprobe, die für die Ermittlung der Erwachsenenregel-
zu bringen, damit wir aus dieser Situation herauskom- sätze zugrunde gelegt wird, auch bei den Kindern anzu-
men. wenden. Das ist der richtige Ansatz, wenn man in der
Systematik der bisherigen Bemessung der Grundsiche-
(Beifall bei der CDU/CSU – Anette Kramme rung bleiben will. Leider wird die Einkommens- und
[SPD]: Deshalb: Mindestlöhne! – Katrin Verbrauchsstichprobe nur alle fünf Jahre erhoben. Das
Kunert [DIE LINKE]: Das versuchen Sie doch ist ein zu langer Zeitraum. Auch darin waren wir uns ei-
schon seit Jahren!) nig. Die letzte Erhebung stammt aus dem Jahr 2003.
Ich sage Ihnen jetzt auch noch etwas ganz offen und Wir haben das Ministerium gebeten, trotzdem probe-
ohne Parteipolitik: weise eine Neubemessung der Kinderregelsätze auf
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Sie sind Grundlage der vorhandenen Daten durchzuführen. Das
doch Parteipolitiker!) Ministerium hat das hinbekommen und die Kinderregel-
sätze auf Grundlage einer EVS-Sonderauswertung des
Wir müssen uns noch stärker als bisher um die spezifi- Statistischen Bundesamtes neu berechnet. Da es bei eini-
schen Probleme dieser Arbeitslosen kümmern, und das gen Verbrauchspositionen, zum Beispiel bei Lebensmit-
werden wir auch tun. Frau von der Leyen war im Aus- teln, schwierig ist, den genauen Kindsbedarf herauszu-
schuss, und wir haben mit ihr gesprochen. Sie wird uns rechnen, wurden die Ausgaben für Kinder mittels eines
dabei unterstützen. von Wissenschaftlern entwickelten Verteilungsschlüssels
ermittelt.
Es gibt Probleme, beispielsweise bei den Alleinerzie-
henden. Rund 40 Prozent der Alleinerziehenden bezie- (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
hen Leistungen nach dem SBG II. Das sind zu viele. NEN]: Aber passiert ist nichts!)
Dieses Problem müssen wir angehen – das hat Frau von
der Leyen erkannt, und das hat auch unsere Fraktion er- Es stellte sich heraus, dass nachjustiert werden musste.
kannt –, Die Kinderregelsätze wurden erhöht, und es wurde eine
dritte Altersstufe für die 6- bis 13-jährigen eingefügt.
(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hiervon haben rund 810 000 Kinder in der Grundsiche-
Das haben wir schon lange erkannt!) rung und 13 000 Kinder in der Sozialhilfe profitiert.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 993
Gabriele Hiller-Ohm
(A) (Beifall bei der SPD – Jörn Wunderlich [DIE gierung aus CDU und FDP erkannt, was die Steuersen- (C)
LINKE]: Sagen Sie doch mal konkret die kungspläne ihrer Parteikollegen auf Bundesebene für
Summe, um die erhöht wurde!) Schleswig-Holstein und die anderen Bundesländer be-
deuten.
Auf unseren Druck wurde in der Großen Koalition auch
das Schulbedarfspaket von 100 Euro pro Schuljahr bis Es ist ganz richtig, dass sich Ministerpräsident Peter
zum Abitur für Schülerinnen und Schüler aus hilfsbe- Harry Carstensen mit aller Macht gegen diese Pläne
dürftigen Familien auf den Weg gebracht. stemmt. 4 Milliarden Euro werden die Länder durch die-
ses kontraproduktive Gesetz weniger in der Kasse ha-
(Beifall bei der SPD) ben. Dieses Geld fehlt für die Kinder, und vor allem für
Ein weiterer wichtiger Schritt unter Schwarz-Rot war die Kinder, die am wenigsten haben.
die Erhöhung und Neuberechnung des Wohngeldes. In
(Beifall bei der SPD)
Kombination mit dem Kinderzuschlag haben wir für
viele Familien eine Besserstellung erreicht. Eines ist klar: Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz
wird dazu führen, dass die Schulden beschleunigt weiter
Wenn wir uns darauf verständigen, dass die Einkom-
wachsen. Haushaltskonsolidierung wird so unmöglich
mens- und Verbrauchsstichprobe langfristig Grundlage
gemacht, aber die Schuldenbremse steht als riesiges
für die Bemessung der Kinderregelsätze sein soll, dann
Schuldenstoppschild im Grundgesetz. Lieber Minister-
müssen wir Druck auf die neue Regierung machen, dass
präsident Peter Harry Carstensen aus meinem schönen
erstens der Erhebungszeitraum für die EVS verkürzt,
Schleswig-Holstein, lassen Sie sich Ihren Schneid nicht
zweitens der tatsächliche Verbrauch für Kinder genauer
abkaufen! Bleiben Sie stark, und sagen Sie morgen im
erfasst und drittens die nötige Transparenz bei der Be-
Bundesrat Nein zum Wachstumsbeschleunigungsgesetz!
wertung von Verbrauchspositionen geschaffen werden.
Auch die Wiedereinführung von Einmalhilfen für beson- (Beifall bei der SPD und der LINKEN – Paul
dere Bedarfe sollte aus meiner Sicht geprüft werden. Lehrieder [CDU/CSU]: Das könnte euch so
(Beifall bei der SPD) passen!)

Dass wir dafür tatsächlich eine Kommission benötigen, Wir haben das im Bundestag übrigens schon getan; denn
wie Sie sie fordern, liebe Kolleginnen und Kollegen der natürlich wird es dem Bund nicht besser als den armen
Linken, glaube ich eher nicht. Wer sollte diese Kommis- Bundesländern ergehen. Ab 2010 kostet das sogenannte
sion einsetzen? Wie groß sollte sie sein? Wer sollte die- Wachstumsbeschleunigungsgesetz den Staat jedes Jahr
ser Kommission angehören? insgesamt rund 8,5 Milliarden Euro.
(Diana Golze [DIE LINKE]: Lassen Sie uns Eine Erhöhung der Regelsätze wird kommen; da bin
(B)
doch darüber reden!) ich mir sicher. Aber auch diese hat natürlich ihren Preis. (D)
Allein der Vorschlag des Paritätischen Gesamtverbandes
Im Übrigen – darauf hat auch der Kollege von der CDU/ für die Kinderregelsätze würde nach eigenen Angaben
CSU schon hingewiesen – wird voraussichtlich schon im etwa 3 Milliarden Euro kosten. Das Institut für Arbeits-
Januar oder Februar das Bundesverfassungsgericht über markt- und Berufsforschung hat darüber hinaus berech-
die Verfassungsmäßigkeit der Regelsätze und auch über net, dass eine Erhöhung der Regelleistung bei Erwachse-
die Bedarfsermittlung für Kinder urteilen. Wir sollten nen von 358 auf 420 Euro den Bundeshaushalt mit
dieses wichtige Urteil abwarten. weiteren rund 10 Milliarden Euro belasten würde. Ich
Angemessene Kinderregelsätze sind das eine. Ebenso bin gespannt, wie die schwarz-gelbe Regierung im Bund
wichtig ist es aber auch, die Infrastruktur für Kinder in und wie die Länder ihrer sozialen Verpflichtung nach-
Deutschland insgesamt zu verbessern. Liebe Kollegin- kommen wollen. Nach der Landtagswahl in Nordrhein-
nen und Kollegen der Linken, Sie zitieren in Ihrem An- Westfalen werden wir schlauer sein; denn dann wird die
trag einen Bundesratsbeschluss vom 7. November 2008. Bundesregierung ihre Einsparkarten auf den Tisch legen.
Die Länder fordern die Bundesregierung hierin auf, die Die SPD-Fraktion wird sehr genau, aber auch sehr genau
Regelleistungen für Kinder neu zu bemessen und auch darauf achten, dass nicht die Armen in unserer Gesell-
die Mittagsverpflegung an Ganztagsschulen und das Bil- schaft und erst recht nicht die Kinder diese Zeche zahlen
dungs- und Betreuungsangebot am Nachmittag bei den müssen.
Regelsätzen zu berücksichtigen. Wenn ich ein Bundes- Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, auch wir
land wäre, würde ich es vielleicht genauso machen. wollen, dass es wirksame, rechtssichere und eigenstän-
Denn so kann man bequem die eigene finanzielle Verant- dige Kinderregelsätze in Deutschland gibt. Die Forde-
wortung an andere weiterreichen. Das sollten wir den rungen in Ihrem Antrag teilen wir aber nicht. Wir halten
Ländern nicht durchgehen lassen. die Einsetzung einer Kommission und Ihre vorgeschla-
(Beifall bei der SPD – Diana Golze [DIE gene Zwischenlösung für nicht zielführend. Die SPD-
LINKE]: Da waren auch SPD-geführte Länder Fraktion wird Anfang nächsten Jahres einen eigenen
dabei!) Vorschlag auf den Tisch legen, der so überzeugend sein
wird, dass dann alle zustimmen können.
Richtig ist aber auch, dass die Länder und Kommunen
die erforderliche Finanzausstattung benötigen, um ihren (Beifall bei der SPD – Diana Golze [DIE
Verpflichtungen nachkommen zu können. Ich komme LINKE]: Da sind wir aber gespannt! – Jörn
aus Schleswig-Holstein, einem wunderschönen, aber lei- Wunderlich [DIE LINKE]: Das ist ja ganz was
der auch bettelarmen Bundesland. Hier hat die Landesre- Neues!)
994 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wer hat das denn (C)
Reiner Deutschmann hat das Wort für die FDP-Frak- so beschlossen?)
tion. Wir Liberale haben schon immer die Ermittlung des tat-
(Beifall bei der FDP) sächlichen Bedarfs für zwingend erforderlich gehalten.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist nicht
Reiner Deutschmann (FDP): das erste Mal, dass sich der Deutsche Bundestag mit der
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Höhe der Hartz-IV-Regelsätze befasst. Es ist auch nicht
Damen und Herren! Die Kinder sind die Zukunft unseres das erste Mal, dass wir auf eine Entscheidung des Bun-
Landes. So einfach diese Feststellung ist, so bildet sie desverfassungsgerichts warten. Es ist auch nicht das
doch die Grundlage unserer Diskussion. Wir alle wollen erste Mal, dass die Linken als selbsterklärtes soziales
– ich denke, darüber herrscht Konsens –, dass unsere Gewissen dieses Landes mit einem Antrag vorpreschen,
Kinder sorgenfrei und gut aufwachsen. Da dies nicht in bevor überhaupt klar ist, was der Deutsche Bundestag
allen Fällen gewährleistet ist, haben wir ein soziales konkret unternehmen kann und muss.
Netz geschaffen. Gerade wenn es um Kinder geht, soll- (Diana Golze [DIE LINKE]: Sie warten wie-
ten wir an uns selbst hohe Anforderungen stellen. der, bis Sie müssen!)
(Beifall bei der FDP) Dabei krankt der Antrag der Linken an mindestens
zwei sehr grundlegenden Problemen.
Wir sollten uns die Zeit nehmen, eine Regelung zu fin-
den, die bedürftigen Kindern eine ausreichende Unter- Erstens ist überhaupt nicht klar, welche Vorgaben das
stützung zukommen lässt. Wir sollten eine Regelung fin- Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber, also uns,
den, die einer verfassungsrechtlichen Überprüfung machen wird. Das Urteil wird im ersten Quartal 2010 er-
standhält. wartet. Vorher wissen wir schlicht und ergreifend nicht,
wie die Kinderregelsätze zukünftig berechnet werden
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass es ratsam ist,
müssen. Allein das Gebot einer effizienten Gesetzge-
einen Sachverhalt auch einmal etwas aus der Distanz zu
bung erfordert von uns, dass wir das Urteil des Bundes-
betrachten. Wenn man Deutschland aus der Entfernung
verfassungsgerichts zunächst einmal abwarten und dann
betrachtet, dann findet man ein Land vor, das ein Netz
die Konsequenzen daraus ziehen.
der sozialen Absicherung aufweist, welches wir nur in
sehr wenigen Ländern dieser Welt vorfinden. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

(B) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Die Linke fordert zuerst Konsequenzen und wartet dann (D)
der CDU/CSU) die tatsächliche Rechtslage ab. So kann und so wird Ge-
setzgebung mit uns nicht funktionieren, meine sehr ver-
Unsere soziale Marktwirtschaft vereint marktwirtschaft- ehrten Kolleginnen und Kollegen von der Linksfraktion.
liche Mechanismen mit dem Sozialstaat. Ein Blick in
den jeweiligen Bundeshaushalt zeigt die Intensität der (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
sozialen Fürsorge unseres Staates. Nicht umsonst ist der der CDU/CSU)
Sozialetat der mit Abstand größte Haushaltsposten. Ich
Zweitens basiert die geforderte Erhöhung auf den Be-
finde, dies sollte man wertschätzen, anstatt sich immer
rechnungen des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsver-
nur im Klein-Klein populistischer Kritik zu verlieren.
bands – Gesamtverband. Grundlage sind aber veraltete
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Daten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe,
der CDU/CSU) EVS, von 2003. Wir meinen, dass wir die Ergebnisse der
EVS 2008 abwarten sollten, die 2010 veröffentlicht wer-
Gerade deshalb bekennt sich die FDP-Bundestags- den. Auf dieser Basis ließe sich der Bedarf von Kindern
fraktion ohne Wenn und Aber zur sozialen Marktwirt- sicherlich weitaus präziser berechnen.
schaft. In unseren Augen gibt es hierzu keine Alterna-
tive. Darüber hinaus berücksichtigt die Berechnung des
Paritätischen Wohlfahrtsverbandes für den Zeitraum von
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: „Sozial“ 2005 bis 2008 eine Erhöhung des Regelsatzes, die sich
haben Sie doch schon gestrichen!) an der allgemeinen Preisentwicklung orientiert. Renten,
Löhne und Gehälter orientieren sich dagegen an der all-
Das schließt aber nicht aus, dass bestimmte Regularien gemeinen Lohnentwicklung. Diese bleibt aber seit Jah-
verbesserungswürdig sind. Das Bundesverfassungsge- ren hinter der Preisentwicklung zurück. Damit würde die
richt hat uns in der mündlichen Verhandlung vom Berechnung des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes zu
20. Oktober 2009 deutlich gemacht, dass wir einen Feh- einer Ungleichbehandlung in unserem Lande führen. Ein
ler beseitigen müssen. Schon das Bundessozialgericht Solidarsystem lebt aber essenziell davon, dass es gerecht
hatte in der Vorinstanz die pauschalierte Berechnung der zugeht. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Sie ist den
Kinderregelsätze gerügt. Diese Feststellung hat die FDP Menschen nur vermittelbar, wenn sie transparent, ange-
begrüßt. Klar ist, dass die prozentuale Ableitung des Re- messen und gerecht erfolgt.
gelsatzes für Kinder vom Satz des Erwachsenen von An-
fang an nicht den Anforderungen an eine Bedarfsermitt- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
lung entsprach. der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 995
Reiner Deutschmann
(A) Das ist der Kitt der Solidarität, den wir nicht vernachläs- derem – auch das wurde schon gesagt – hat dieses Ge- (C)
sigen sollten. setz zur Folge, dass zum Beispiel ich durch den Kinder-
freibetrag für jedes meiner beiden Kinder bis zu 37 Euro
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will noch kurz
mehr bekommen kann, dass meine Mitarbeiterin für ihre
zwei Anmerkungen zum Antrag der Fraktion Die Linke
Tochter 20 Euro mehr Kindergeld bekommt, dass aber
machen. Wir sollten uns fragen, wer die Berechnung des
Millionen von Kindern in diesem Land von der Regie-
Kinderregelsatzes zukünftig durchführen sollte. Die
rung zu Weihnachten gar nichts geschenkt bekommen.
Fraktion Die Linke orientiert sich in ihrem Antrag an den
Diese Kinder sind auf den Kinderregelsatz oder auf den
Berechnungen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Bei
Unterhaltsvorschuss angewiesen. Auf beide Leistungen
aller Wertschätzung der Leistungen des Paritätischen:
wird das Kindergeld voll angerechnet.
Auch bei ihm handelt sich um eine Interessenvereini-
gung, die ganz bestimmte Partikularinteressen vertritt. Den Regierenden fällt nun nichts Besseres ein, als
diesen Kindern zu erklären – ich zitiere – „dass sich
(Widerspruch bei der LINKEN)
Leistung in dieser Nation, in Deutschland, wieder lohnen
Wir Liberale finden, dass die Berechnung der Kinderre- muss“ und dass eine „steuerliche Entlastung … von Fa-
gelsätze neutralen Stellen überlassen bleiben sollte. milien nach dem Leistungsprinzip der richtige Weg“ ist.
So begründete es der Redner Dr. Hans Michelbach für
Die veraltete Datenlage und die noch nicht bekannten die CDU/CSU-Fraktion in der Debatte über dieses Ge-
Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts lassen auch setz.
die von den Linken geforderte umgehende Einrichtung
einer Kommission zur Bedarfsermittlung als Schnell- (Zuruf von der LINKEN: Herzlos ist das!)
schuss erscheinen. Auch hier gilt es, zunächst die Rah-
menbedingungen zu kennen, bevor wir ein Expertengre- Ich frage: Wer gibt ihnen das Recht, zu sagen: „Kinder,
mium zu einer teuren, aber letztlich nicht zielführenden ihr habt einfach die falschen Eltern. Ihr müsst von
Selbstbefassung veranlassen. 3 Euro am Tag satt werden, und das Spielzeug zu Weih-
nachten könnt ihr euch auch nicht kaufen, weil dafür nun
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten einmal nur 62 Cent im Monat vorgesehen sind. Ihr habt
der CDU/CSU) einfach Pech gehabt.“?
Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linkspar- Meine sehr verehrten Damen und Herren, das
tei, Ihr Antrag gleicht einem Scheinriesen. Auf den ers- Sozialgesetzbuch I beginnt mit den Worten:
ten Blick erscheint er mächtig und groß,
Das Recht des Sozialgesetzbuches soll zur Verwirk-
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) lichung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicher-
(B)
aber auf den zweiten, näheren Blick zeigt sich, wie klein heit Sozialleistungen einschließlich sozialer und (D)
er wirklich ist, erzieherischer Hilfen gestalten. Es soll dazu beitra-
gen, … gleiche Voraussetzungen für die freie Ent-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten faltung der Persönlichkeit, insbesondere auch für
der CDU/CSU) junge Menschen zu schaffen … und besondere Be-
lastungen des Lebens … abzuwenden oder auszu-
dass er mit heißer Nadel gestrickt wurde und einer soli-
gleichen.
den Grundlage entbehrt. Unsere Fraktion wird diesen
Antrag ablehnen. Genau das leistet der derzeit geltende Regelsatz für Kin-
der nicht.
Danke.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN)
Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Die Regel-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: sätze für Kinder müssen sich am Leben von Kindern und
Lieber Herr Deutschmann, das war Ihre erste Rede an deren Bedürfnisse ausrichten. Sie dürfen nicht 60, 70
hier im Haus – mit perfektem Zeitmanagement. Herzli- oder 80 Prozent eines schon ohnehin zu geringen Regel-
chen Glückwunsch dazu und viel Erfolg weiterhin! satzes für Erwachsene betragen. Sie müssen sich viel-
mehr auf den Bedarf der Kinder beziehen. Genau das hat
(Beifall) der Paritätische Wohlfahrtsverband in seiner Expertise
Jetzt gebe ich das Wort der Kollegin Diana Golze für gemacht. Ich zeige sie Ihnen noch einmal, weil ich die
die Fraktion Die Linke. Befürchtung habe, dass einige in diesem Haus sie noch
immer nicht kennen. Ich bitte Sie, sie sich einmal genau
(Beifall bei der LINKEN) anzuschauen. Es sind belastbare und nachvollziehbare
Zahlen.
Diana Golze (DIE LINKE):
(Beifall bei der LINKEN)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Im Adventskalender meiner Kinder Nun haben Sie im Ausschuss – das gilt auch für alle
waren vier Türchen geöffnet, als die schwarz-gelbe drei Vorrednerinnen und Vorredner – deutlich gemacht,
Mehrheit in diesem Hause das sogenannte Wachstums- warum Sie unseren Antrag ablehnen wollen. Unter ande-
beschleunigungsgesetz verabschiedet hat, das hier rem wurde argumentiert, dass Sie erst das Urteil des
schon mehrfach zur Sprache gekommen ist. Unter an- Bundesverfassungsgerichts im nächsten Jahr abwarten
996 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Diana Golze
(A) wollen, bevor Sie eventuell eine Änderung bei den Kin- Der Tenor war: Abwarten! Abwarten, bis das Bundes- (C)
derregelsätzen vornehmen. Schließlich könne es ja sein, verfassungsgericht entschieden hat. Abwarten, bis die
dass das Gericht nur die Art der Berechnung, nicht aber Einkommens- und Verbrauchsstichprobe ausgewertet ist.
die Höhe der Regelsätze bemängelt. Abwarten, bis genug überlegt worden ist. Ich sage Ihnen:
Wir sind der Gesetzgeber. Wir sind nicht gewählt wor-
Dies finde ich vor dem Hintergrund der Aussage eines den, um abzuwarten, bis das Bundesverfassungsgericht
weiteren Redners der Unionsfraktion in der Debatte zum ein Urteil spricht.
Wachstumsbeschleunigungsgesetz sehr bezeichnend. Dort
sagte nämlich der Kollege Leo Dautzenberg zu den Än- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
derungen beim Kinderfreibetrag und beim Kindergeld und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
Folgendes – ich zitiere –: Dazu der SPD)
sind wir verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, Das zeigt doch nur eines: Wenn es um Geldleistungen
sondern wir gehen sogar über die Vorgaben hinaus. für Langzeitarbeitslose geht, sind Sie alle, wie Sie da sit-
Es ist unserer politischer Wille, darüber hinauszu- zen, passive Klötze.
gehen und nicht immer durchs Verfassungsgericht
getrieben zu werden, wenn wir der Entwicklung, (Beifall bei der LINKEN – Brigitte Pothmer
was das Existenzminimum anbelangt, hinterherhin- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)
ken. Wir tun genau das, was wir als politische Ziel- Wenn es allerdings darum geht, Familien mit sehr ho-
vorstellung haben. hem Einkommen zu begünstigen, dann haben Sie offen-
(Zuruf des Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser] sichtlich weniger Schwierigkeiten, etwas zu tun. Ich zi-
[FDP]) tiere, was Wolfgang Schäuble am 12. November dieses
Jahres, also vor einem Monat, im Deutschen Bundestag
Meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen, zur Erhöhung des Kinderfreibetrages und des Kindergel-
das tun Sie. Sie geben ohne Not den Vermögenden mit des gesagt hat. Er sagte – Zitat -:
vollen Händen und warten bei den Ärmsten, bis das
Bundesverfassungsgericht Ihnen aufgibt, wenigstens Al- Das ist wirklich eine sozial ausgewogene Maß-
mosen zu verteilen. Das ist Ihre politische Zielstellung. nahme, die auch der Stärkung der privaten Nach-
frage dient.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Paul
GRÜNEN) Lehrieder [CDU/CSU]: Da hat er recht!)
Es ist schon ein sehr merkwürdiges Verständnis von
(B) Deshalb weigern Sie sich, eine unabhängige Experten- sozialer Ausgewogenheit, (D)
kommission einzusetzen, die den Kinderregelsatz be-
rechnet, wie es unser Antrag vorsieht. Deshalb weigern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Sie sich, bis es diese Expertenkommission gibt und sie sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
einen Vorschlag gemacht hat, die Kinderregelsätze auf KEN)
das Niveau des Vorschlages des Paritätischen Wohl-
fahrtsverbandes anzuheben. Deshalb wird es unter wenn einerseits Spitzenverdiener gut 400 Euro netto im
Schwarz-Gelb keinen Weg aus der Kinderarmut geben, Jahr mehr haben und andererseits ALG-II-Bezieher, die
und es wird kein Ende der schreienden Ungerechtigkeit für Kleinkinder gerade einmal 215 Euro pro Monat be-
bei der Behandlung von Kindern geben. Dagegen wer- kommen, keinen Cent mehr erhalten.
den wir weiterhin etwas unternehmen müssen. Es ist ein sehr merkwürdiges und eigentümliches Ver-
Vielen Dank. ständnis von sozialer Ausgewogenheit beim Finanzmi-
nister und der Koalition, wenn einerseits ein Luxushotel
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- wie das „Adlon“ durch die Mehrwertsteuerermäßigung
neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – jetzt 1,9 Millionen Euro pro Jahr Zusatzgewinn macht
Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Wo sie recht und andererseits die Reinigungskraft desselben Hotels,
hat, hat sie recht!) die wegen ihres niedrigen Lohns ergänzendes ALG II
bezieht, für sich und ihre Kinder nicht einen Euro von
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: der Kindergelderhöhung sieht.
Das Wort hat jetzt der Kollege Markus Kurth für die (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. bei der SPD und der LINKEN)

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Meine Damen und Herren, es ist beinahe schon dreist,
wenn derselbe Herr Schäuble, der die Staatskassen zu-
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wir haben jetzt insbesondere von den Vertretern der Ko- gunsten der gutbetuchten schwarz-gelben Klientel leeren
alitionsfraktionen wortreiche Erklärungen gehört, wa- will, heute verbreiten lässt, ab 2011 werde richtig ge-
spart. So wie Sie von Union und FDP heute als Be-
rum sie die Anhebung der Regelsätze für Kinder in
Haushalten von Langzeitarbeitslosen nicht wollen. denkenträger gegen die Erhöhung von Kinderregelsätzen
aufgetreten sind, kann man sich schon heute denken, wer
(Widerspruch bei der FDP – Otto Fricke dann wieder sparen muss, nämlich diejenigen, die bereits
[FDP]: Doch!) jetzt nur wenig Spielräume und Chancen haben. Wenn
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 997
Markus Kurth
(A) dank Ihrer Steuergeschenke im kommenden Jahr das De- dere wenn es sich um Kinder handelt? Eine große Ver- (C)
fizit beängstigend ansteigt, dann ahne ich schon jetzt, antwortung liegt auf uns, die wir diese Frage beantwor-
wer gemeint ist, wenn es dann heißen wird: Ja, jetzt ten müssen. Darüber sind wir uns sicherlich einig,
müsse man sich wirklich einmal Gedanken darüber ma- ebenso darüber, dass wir diese Frage nie zur Zufrieden-
chen, was wir uns in Deutschland überhaupt noch leisten heit aller beantworten werden.
können.
Sie von der Linken fordern, die Regelsätze für Kinder
Meine Damen und Herren von der Koalition, wir sind anzuheben, und zwar nicht etwa um 2 oder 5 Prozent,
uns sicherlich einig, auch mit einigen Sozialdemokraten, sondern um 28 bis 32 Prozent, je nach Alter des Kindes.
dass passive Leistungen alleine nicht ausreichen. Den- Das bedeutet für die 6- bis 14-jährigen Kinder zum Bei-
noch bleiben diese Voraussetzung für Teilhabe und auch spiel eine Erhöhung um 81 Euro auf 332 Euro im Monat.
für Aktivierung, auch wenn ich das Wort „Aktivierung“ Klingt doch toll, oder?
mittlerweile nur noch sehr ungern in den Mund nehme;
denn die Rede von der Aktivierung bleibt schal, wenn (Zuruf von der LINKEN: Ja!)
wirksame individuelle Hilfen ausbleiben. Wenn, wie das Für mich ist das eine Politik nach dem Motto: „Wer bie-
IAB vorgestern bestätigte, mehr als die Hälfte der Al- tet mehr?“, die die aktuelle Haushaltslage völlig aus-
leinerziehenden über drei Jahre ununterbrochen im blendet. Das ist nicht seriös.
ALG-II-Bezug stecken bleibt, dann stimmt offensicht-
lich etwas mit der individuellen Hilfegewährung nicht. (Beifall bei der CDU/CSU – Widerspruch bei
der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN NEN)
und bei der LINKEN)
Wir haben zwar bald Weihnachten, und Sie, liebe
Gegenüber diesen Müttern, gegenüber diesen Alleiner- Kollegin Golze, haben ja berichtet, dass bei Ihnen das
ziehenden sagen Sie dann: Ihr erhaltet nicht den Betrag, eine oder andere Türchen schon geöffnet wurde. Aber an
den ihr für den notwendigen Lebensunterhalt der Kinder dieser Stelle habe ich doch Zweifel an der Großzügigkeit
bräuchtet. und auch an der Leistungsfähigkeit unseres Christkinds.
(Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Den haben Sie Wer wird die 2 Milliarden Euro aufbringen, die Ihre For-
doch gekürzt, Herr Kurth!) derung Jahr für Jahr kosten wird?
Meine Damen und Herren von den Koalitionsfraktio- (Anette Kramme [SPD]: Die Hälfte wäre
nen, Sie sind die letzten Mohikaner. Verbände der Freien schon drin!)
Wohlfahrtspflege, die Arbeits- und Sozialministerkonfe- Das müssen unsere Bürger bezahlen.
(B) renz haben festgestellt – künftig vermutlich sogar das (D)
Bundesverfassungsgericht –, dass die Festsetzung der Das Bundesverfassungsgericht hat im zurzeit laufen-
Kinderregelsätze nicht in Ordnung ist. Nur Sie stehen den Verfahren Kritik vor allem an der Art der Ermittlung
noch allein in der Landschaft. Machen Sie das, was auch der Regelsätze geäußert. Was das Gericht über die Höhe
wir von Bündnis 90/Die Grünen wollen: endlich einen der Regelsätze sagen wird, ist noch völlig offen. Mit
klaren Schnitt. Wir Grüne wollen die Regelsätze für Kin- dem Urteil ist – Sie haben es erwähnt – im ersten Quartal
der so anheben, dass sie der Lebenswirklichkeit näher nächsten Jahres zu rechnen. Ich bin gespannt, welchen
kommen. Wir wollen des Weiteren einen eigenständigen Weg das Gericht vorschlagen wird. Erst aus diesen Vor-
Kinderregelsatz und in einem zweiten großen Schritt schlägen können wir neue Regelsätze ableiten; denn wir
eine armutsfeste Kindergrundsicherung. Das sind klare wollen eine verfassungsfeste Regelung.
Perspektiven – und nicht so ein jämmerliches Suchen
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
nach Ausflüchten, wie Sie es hier darbieten.
neten der FDP)
Vielen Dank.
Mir ist aus eigener Erfahrung mit drei Kindern in den
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN letzten 19 Jahren klar, wie schwierig es sein wird, einen
und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten tatsächlichen Bedarf zu ermitteln. Dieser hängt nicht nur
der SPD) von der Zahl der Kinder und von deren Tages- und Wo-
chenform ab, sondern auch von den Lebensgewohnhei-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: ten der Familie. Für den einen ist ein Wickeln fünfmal
Die Kollegin Mechthild Heil hat jetzt das Wort für die am Tag Standard; andere möchten unbedingt zwölfmal
CDU/CSU-Fraktion. am Tag wickeln.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
neten der FDP) NEN]: Zwölfmal am Tag wickeln! Um Gottes
willen!)
Mechthild Heil (CDU/CSU): Für den einen sind Cola und Saft im Haus tabu; andere
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kollegen und würden einen Verzicht darauf als Zumutung empfinden.
Kolleginnen! Welche Erkenntnisse hat uns die heutige So sieht das wahre Leben aus. Werte- und Konsumvor-
Debatte in Bezug auf die Frage gebracht: In welchem stellungen sind in Familien eben unterschiedlich. Wir
Umfang soll man diejenigen unterstützen, die selbst sollten uns an dieser Stelle hüten, anderen vorschreiben
nicht für ihren Lebensunterhalt sorgen können, insbeson- zu wollen, wie sie leben und was sie ihren Kindern an
998 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Mechthild Heil
(A) materiellen Dingen zukommen lassen – im Rahmen der Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C)
ihnen zur Verfügung stehenden Mittel, auch wenn diese Frau Heil, das war auch für Sie die erste Rede im
Mittel von uns, vom Staat, zur Verfügung gestellt wer- Deutschen Bundestag, zu der wir Ihnen herzlich gratu-
den. Das passt nicht in mein und auch nicht in unser lieren. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg bei der Arbeit im
Menschenbild. Deutschen Bundestag.
Die Bundesregierung hat die Regelsätze für Kinder (Beifall)
bisher mithilfe einer vergleichbaren Bevölkerungs- Damit schließe ich die Aussprache.
gruppe festgelegt. Das bedeutet, Leistungsberechtigte
sind nach den Sozialgesetzen heute so gestellt wie etwa Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
ein Viertel der Gesamtbevölkerung in Deutschland. schusses für Arbeit und Soziales zu dem Antrag der
Leistungsberechtigte können somit ein Leben führen wie Fraktion Die Linke mit dem Titel „Anhebung und be-
andere, die nicht von Sozialleistungen abhängig sind. darfsgerechte Ermittlung der Kinderregelsätze“. Der
Dieser Staat beweist damit als Sozialstaat hohe Qualität. Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/204, den Antrag der Fraktion Die Linke
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) auf Drucksache 17/23 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
Tatsache ist: Die Daten, die den bisherigen Regelsät- gen? – Damit ist die Beschlussempfehlung bei Zustim-
zen zugrunde liegen, basieren auf der größten Erhebung mung durch die Koalitionsfraktionen angenommen. Da-
dieser Art innerhalb der Europäischen Union. Immerhin gegen haben gestimmt die Fraktion Bündnis 90/Die
wurden die Aufwendungen von 75 000 Haushalten er- Grünen und die Fraktion Die Linke. Die Fraktion der
fasst. Tatsache ist auch, dass es eine Sonderauswertung SPD hat sich enthalten.
durch das Statistische Bundesamt gibt. Sie beruht auf der
Studie „Kosten eines Kindes“ des Bundesfamilienminis- Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 auf:
teriums. Die Regelsätze wurden zum 1. Juli dieses Jah- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
res stärker nach dem Alter der Kinder differenziert. richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus-
schuss) zu dem Antrag der Bundesregierung
Kolleginnen und Kollegen, man muss die Frage auch
in dem Kontext sehen, was der Staat an anderer Stelle für Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
Kinder getan hat. Die Situation von Familien mit Kin- scher Streitkräfte an der EU-geführten Opera-
dern hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. tion Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie
Ich erinnere an das Schulbedarfspaket und auch an den vor der Küste Somalias auf Grundlage des See-
Kinderbonus in Höhe von 100 Euro, der dieses Jahr ein- rechtsübereinkommens der Vereinten Natio-
(B) (D)
malig ausgezahlt wurde. Aber das Wichtigste ist: Wir nen von 1982 und der Resolutionen 1814
sollten unsere Anstrengungen darauf richten, die Eltern, (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom
vor allem aber die alleinerziehenden Mütter, wieder un- 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008,
abhängig von staatlichen Leistungen zu machen. Der 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1897
3. Armuts- und Reichtumsbericht spricht eine deutliche (2009) vom 30. November 2009 und nachfol-
Sprache: Armut bekämpft man am effektivsten dort, wo gender Resolutionen des Sicherheitsrates der
man die Menschen in Arbeit bringt. Vereinten Nationen in Verbindung mit der Ge-
meinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates
Die Zahlen sind eindrucksvoll – Dr. Carsten der Europäischen Union vom 10. November
Linnemann hat bereits darauf hingewiesen –: In Haus- 2008 und dem Beschluss 2009/907/GASP des
halten, in denen kein Elternteil arbeitet, sind 48 Prozent Rates der Europäischen Union vom 8. Dezem-
der Kinder armutsgefährdet. Arbeitet ein Elternteil in ber 2009
Vollzeit, sind es nur noch 8 Prozent der Kinder. Wenn
beide Eltern die Möglichkeit haben, Vollzeit zu arbeiten, – Drucksachen 17/179, 17/274 –
beträgt das Risiko der Kinder, arm zu sein, nur noch Berichterstattung:
4 Prozent. Es gibt also eine Senkung des Armutsrisikos Abgeordnete Philipp Mißfelder
von 48 auf 4 Prozent alleine dadurch, dass beide Eltern Dr. Rolf Mützenich
die Chance haben, zu arbeiten. Dr. Rainer Stinner
Wolfgang Gehrcke
Verwenden wir also unsere Kraft dazu, Arbeit und
Kerstin Müller (Köln)
Wachstum zu schaffen.
Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Dann werden in Zukunft mehr Menschen Leistungsträ- – Drucksache 17/276 –
ger sein und weniger Menschen von staatlichen Trans-
Berichterstattung:
ferleistungen abhängig sein. Die CDU/CSU-Fraktion
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
lehnt den Antrag der Linken ab.
Klaus Brandner
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Michael Leutert
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Sven Kindler
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 999
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
(A) Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktion schrecken Sie vielleicht Playmobil-Piraten ab, aber (C)
der SPD sowie zwei Entschließungsanträge der Fraktion keine echten Piraten.
Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfeh-
(Beifall bei Abgeordneten der FDP)
lung werden wir später namentlich abstimmen. Verabre-
det ist, eine Dreiviertelstunde zu debattieren. Das ist unseriös. Sie haben sich insbesondere bei der De-
batte über Atalanta oder Althea aus der Seriosität verab-
Als erstem Redner gebe ich das Wort dem Kollegen schiedet und sich in die parteipolitische Taktiererei ver-
Joachim Spatz für die FDP-Fraktion. irrt.
(Beifall bei der FDP) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Natürlich sehen auch wir, dass die Wurzeln der Pira-
Joachim Spatz (FDP): terie beseitigt werden müssen. Deshalb müssen wir den
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Si- somalischen Staat wieder konsolidieren. Dabei müssen
cherheitsrat der Vereinten Nationen hat am 30. Novem- wir helfen. Denn jedem ist klar: Die Übergangsregierung
ber dieses Jahres die völkerrechtliche Grundlage zur Pi- allein kann das nicht schaffen. Wir unterstützen
ratenbekämpfung an der somalischen Küste verlängert. AMISOM, die Friedenstruppe der Afrikanischen Union,
Am 8. Dezember hat auf dieser Grundlage die Europäi- und wir werden, wie schon mehrfach gesagt, die Ausbil-
sche Union die Verlängerung von Atalanta beschlossen. dung von 2 000 somalischen Soldaten in Uganda voran-
Das Mandat dieser Operation bleibt im Wesentlichen das treiben.
alte. Die Änderungen, die vorgenommen werden sollen,
betreffen die Zusammenarbeit der somalischen Behör- Sie betonen, dass die Ursachenbekämpfung wichtig
ist, um die Piraterie im Kern zu treffen. Dabei ist eines
den mit den Atalanta-Kräften bei der Bekämpfung der il-
von Bedeutung: Auch der militärische Einsatz vor Ort,
legalen Fischerei. Dies ist ein Thema, das schon bei der
der verhindert, dass es erfolgreiche Auszahlungen von
ersten Lesung angesprochen worden ist. Lösegeldern gibt, blockiert dadurch, dass weniger Geld
Auf der Grundlage dieser Beschlusslage hat die Bun- ins Land fließt, die Erstarkung destabilisierender Kräfte,
desregierung den Deutschen Bundestag ersucht, das seien sie verbrecherischer oder terroristischer Art. Auch
Mandat zu verlängern, und zwar bis zum 18. Dezember hier leisten wir also durch militärischen Beistand einen
nächsten Jahres. Beitrag zur Lösung des eigentlichen Problems, auch
wenn wir wissen, dass politische Komponenten hinzu-
Nach einem Jahr kann man Zwischenbilanz ziehen. kommen müssen.
Wir sind der Auffassung: Die Operation ist ein voller
Erfolg. 90 Piratenverdächtige konnten festgenommen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(B) werden. 88 davon wurden nach Kenia, 2 nach Spanien der CDU/CSU) (D)
überstellt. Übrigens, 23 von ihnen sind durch die Besat- Ein weiterer Punkt ist die Zusammenlegung der Man-
zungen deutscher Schiffe aufgebracht worden. Alle date; auch das wurde gefordert. Das ist eines der The-
Schiffe, die für das World Food Programme im Einsatz men, die die FDP durchgesetzt hat. Die Bundesregierung
waren, sind durchgekommen. Die Sicherung der Han- arbeitet daran. Immerhin – das muss man wissen –: Nur
delsrouten ist verbessert worden. 8 von 35 Schiffen, die dort operieren, gehören zu Ata-
lanta. Sowohl NATO- als auch Nicht-NATO-Länder sind
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten beteiligt. Sie alle zu integrieren, wird naturgemäß – auch
der CDU/CSU) Länder wie Indien oder China sind beteiligt – dazu füh-
Es gab zwar keinen Rückgang der Zahl der Versuche, ren, dass diese Koordination nicht so leicht zu bewerk-
aber einen Rückgang der Zahl der erfolgreichen Kape- stelligen sein wird, dass sie von heute auf morgen
rungen, und das ist ein wichtiges Indiz. funktioniert. Aber auch hier bemüht sich die Bundes-
regierung um eine bessere Koordination.
An dieser Stelle ein Wort zu den Linken. Sowohl bei
Das Fazit: Aus unserer Sicht ist die Mission erfolg-
Atalanta als auch bei Althea ist nach meiner Auffassung
reich. Sie ist aus politischer und humanitärer Sicht gebo-
deutlich geworden, dass das kategorische Nein, das Sie ten. Unterlassene Hilfeleistung ist hier ein schlimmes
auch bei diesen Mandaten vertreten, vielleicht bei so Vergehen.
umstrittenen Entscheidungen wie jenen zu Afghanistan
diskutabel ist. An dieser Stelle macht es aber eines klar: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Sie argumentieren ergebnisbestimmt. Das heißt, Sie ha- Weil es politisch und humanitär geboten ist, stimmen wir
ben eine Parteilinie, die darauf abzielt, pazifistisch orien- der Verlängerung des Mandates um ein Jahr zu.
tierte Menschen von den Grünen, der SPD oder wem
auch immer abzuziehen. Da ist jedes Argument recht, Ich bedanke mich.
das dazu führt, ein Nein zu begründen, sei es gerechtfer- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
tigt oder nicht.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Wider- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
spruch bei Abgeordneten der LINKEN) Herr Spatz, das war Ihre erste Rede im Deutschen
Bundestag. Wir gratulieren Ihnen dazu sehr herzlich und
Wenn Sie als Alternative zum militärischen Geleit- wünschen Ihnen viel Erfolg.
schutz der World-Food-Programme-Schiffe zivilen Ge-
leitschutz vorschlagen, kann ich dazu nur sagen: Damit (Beifall)
1000 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) Ich gebe jetzt das Wort dem Kollegen Lars Klingbeil sche Maßnahmen gegeneinanderzustellen. Der Militär- (C)
für die SPD-Fraktion. einsatz verschafft Luft zum Handeln, wenn es darum
geht, zivile Maßnahmen zu ermöglichen; die militäri-
Lars Klingbeil (SPD): sche Präsenz schreckt ab und dämmt ein. Zur Wahrheit
gehört auch, dass die organisierte Piraterie nicht in die
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen
Opferrolle gesteckt werden darf. Wo Kriminalität began-
und Herren! Lassen Sie mich zu Beginn etwas sagen,
gen wird, muss sie konsequent und schnell bekämpft
was mir persönlich sehr wichtig ist: Egal ob wir, der
werden.
Deutsche Bundestag, wie in der vergangenen Sitzungs-
woche über die Verlängerung der Mandate von ISAF Natürlich ist auch klar: Militärische Maßnahmen sind
und OEF oder wie heute von Atalanta und Althea ent- nicht die Lösung des Problems der Piraterie, erst recht
scheiden, egal wie stark der jeweilige Einsatz im Fokus nicht im Hinblick auf die Herausforderungen in Somalia.
des öffentlichen Interesses steht, egal ob wir für oder ge- Ziel muss es sein, die Grundlage für eine friedliche Exis-
gen die Verlängerung dieser Einsätze stimmen, eines tenz in der Region zu schaffen. Deswegen brauchen wir
sollte dieses Hohe Haus einen – ich sage das bewusst un- eine ernsthafte politische Strategie, die Somalia eine
ter dem Eindruck der gestrigen Debatten –: der Respekt, Perspektive aufzeigt. Der Kampf gegen Hunger muss
die Wertschätzung und die Unterstützung für unsere Sol- durch eigenständige Entwicklung ermöglicht werden.
datinnen und Soldaten und ihre Familien, die wir ge- Der Aussöhnungsprozess in Somalia muss aktiv beglei-
meinsam in solch schwere Auslandseinsätze schicken. tet werden. Die Grundlagen für staatliche Strukturen in
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem Somalia sind zu schaffen. Nur ein solch umfassender
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- Ansatz kann dazu führen – das will ich betonen –, dass
geordneten der FDP) die somalische Bevölkerung eigene Verantwortung über-
nehmen kann.
Wir alle haben eine Verantwortung wahrzunehmen,
gegenüber der Öffentlichkeit, aber auch bei Debatten (Beifall bei der SPD)
hier im Haus. Das hohe Gut der Parlamentsarmee kön- Wir müssen mit den Anrainerstaaten an einer regiona-
nen wir gar nicht hoch genug schätzen. Es ist unsere Ver- len Sicherheitsstruktur arbeiten. Wir müssen dafür sor-
pflichtung als Abgeordnete, mit dem hohen Gut der Par- gen, dass sich die Anrainerstaaten aktiv an der Piraten-
lamentsarmee verantwortungsvoll umzugehen, dieses bekämpfung beteiligen und dass sie auch aktiv daran
Prinzip zu stärken und zu verteidigen. beteiligt sind, wenn es darum geht, die Entwicklung So-
Bei einer Parlamentsarmee gehört es dazu, dass wir malias voranzutreiben. Militärisches Engagement ist
Abgeordnete nach bestem Wissen und Gewissen ent- kein Ersatz für Staatlichkeit und die innere Entwicklung
(B)
scheiden. Gerade deshalb haben wir das Recht und – ich Somalias. Deshalb ist zu begrüßen, dass die spanische (D)
betone – auch die Pflicht, alle Informationen einzufor- Regierung angekündigt hat, während ihrer EU-Ratsprä-
dern und dort, wo wir nicht ausreichend informiert wur- sidentschaft eine Initiative zu ergreifen, die einen umfas-
den, aktiv zu werden. senden Sicherheitsbegriff beinhaltet. Ich betone es noch
einmal: Das militärische Engagement muss dazu führen,
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dass sich die Staaten der Region ihrer Verantwortung
DIE GRÜNEN) stellen.
Herr Minister zu Guttenberg, vor diesem Hintergrund Wir fordern die Bundesregierung auf, sich intensiv
will ich in aller Deutlichkeit sagen: Ich bin von Ihrem für die Schaffung eines internationalen Seestrafgerichts-
gestrigen Versuch enttäuscht, das Hohe Haus in seiner hofs einzusetzen, damit eine Verfolgung der Piraten
gemeinsamen Verantwortung für unsere Soldatinnen und stattfinden kann.
Soldaten zu spalten; das lassen wir nicht zu. Wir Abge-
ordnete stehen gemeinsam zu unserer Verantwortung; (Beifall bei der SPD)
wir stehen hinter unseren Soldatinnen und Soldaten, egal
Wenn Straftaten begangen werden, muss sichergestellt
ob sie in Kunduz oder am Horn von Afrika im Einsatz
sein, dass rechtsstaatliche Verfahren stattfinden können
sind.
und auch Konsequenzen haben. Auch die Reedereien
Die Sozialdemokratie wird ihrer Verantwortung auch müssen wir stärker an ihre Verantwortung erinnern.
dadurch gerecht, dass sie heute der Verlängerung des
Atalanta-Mandats zustimmen wird. Dieser Einsatz ist Der Atalanta-Einsatz bedeutet auch, dass wir deut-
nicht frei von Kritik; aber ich sehe ihn als notwendig an. schen Unternehmen helfen, indem wir zivile Schiff-
Die humanitäre Situation in Somalia ist noch immer ka- fahrts- und Handelswege sichern, aber das darf kein
tastrophal; wir dürfen nicht wegsehen. Deswegen ist es Freifahrtschein für diese Unternehmen sein. Deswegen
richtig, dass wir begonnen haben, zu handeln. Atalanta müssen wir unsere Erwartungen an die Reedereien klar
ist ein Garant dafür, dass Hilfslieferungen die leidende und deutlich formulieren. Lassen Sie uns an die Reede-
Bevölkerung erreicht haben und die Situation auf der reien appellieren: Ihr habt selbst an eurer Sicherheit mit-
See stabilisiert wurde. zuarbeiten, mit ausreichend technischen Maßnahmen,
mit ausreichend Personal und vor allem dadurch, dass
Die Piraterie hat allerdings kein Ende genommen. ihr euch an die vorgegebenen Routen und auch an die
Deswegen müssen weitere Maßnahmen ergriffen wer- Konvoiplanung haltet. Alle haben eine Verantwortung,
den. Lassen Sie uns also aufhören, zivile und militäri- wenn es darum geht, der Piraterie entgegenzutreten.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1001
Lars Klingbeil
(A) Deswegen müssen sich alle an die vereinbarten Spiel- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jan (C)
regeln halten. van Aken [DIE LINKE]: Das stimmt doch
nicht!)
(Beifall bei der SPD)
Lassen Sie mich die zwei Kernanliegen der Mission
Wie meine Vorredner gestern und heute weise ich da- Atalanta unterstreichen. Zum einen ist der Einsatz der
rauf hin, dass wir diese Mission noch optimieren kön- deutschen Marine unter humanitären Gesichtspunkten
nen. Wir haben mit OEF, Active Endeavour, Atalanta unverzichtbar. Wir haben bereits vom ersten Redner ge-
und vielen nationalstaatlichen Missionen eine Paralleli- hört, dass die Hilfsgüter für das Welternährungspro-
tät an Einsätzen, die wir besser koordinieren müssen. gramm meist mit Schiffen befördert werden, die sicher
Wir fordern deswegen die Bundesregierung auf, dafür zu somalische Häfen erreichen. Im letzten Jahr waren es
sorgen, dass zumindest eine ständige Planungskonferenz mehr als 300 000 Tonnen Nahrungsmittel und andere
aller beteiligten Seestreitkräfte und internationalen Ak- Hilfsgüter. Damit konnten über 3 Millionen Menschen
teure installiert wird, um eine Verbesserung der Koordi- versorgt werden, die sonst möglicherweise verhungert
nation zur Bekämpfung der Piraterie zu erreichen. wären.
Die SPD-Fraktion wird dem Antrag der Bundesregie- Die Teilnahme Deutschlands ist also moralisch gebo-
rung zustimmen. Ich bitte Sie um die Unterstützung für ten. Aber die Operation hat auch eine wirtschaftliche
unseren Entschließungsantrag. Nutzen Sie in der Regie- Grundlage. Für eine Exportnation wie Deutschland sind
rung die breite Mehrheit hier im Parlament, aber auch in- freie Handelswege unverzichtbar.
ternational, um Atalanta in eine umfassende Sicherheits- (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Hört!
strategie einzubetten. Nur so kann die Piraterie bekämpft Hört!)
werden, nur so kann ihr der Nährboden entzogen wer-
den, und nur so eröffnen wir Somalia eine Perspektive. – Handel ist aber nichts Verbotenes, liebe Kollegen der
Linken. Freie Handelswege helfen allen in der Welt. Ich
Herzlichen Dank fürs Zuhören. weiß gar nicht, wo das Problem der Linken liegt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) neten der FDP)
Von diesem freien Seehandel hängen in der Export-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nation Deutschland viele Arbeitsplätze ab, und davon
hängt natürlich auch unser Wohlstand ab; denn wenn wir
Markus Grübel hat das Wort für die CDU/CSU-Frak-
weder Produkte importieren noch exportieren, dann kön-
(B) tion. (D)
nen wir nichts verbrauchen und brauchen auch nichts zu
(Beifall bei der CDU/CSU) produzieren.
(Niema Movassat [DIE LINKE]: Also schie-
Markus Grübel (CDU/CSU): ßen wir uns die Wege frei?)
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol- Deutschland ist eine große Seefahrernation. Das ist
legen! Wenn wir an Piraten denken, dann kommen uns den Menschen, die mit ein bisschen Abstand zur Küste
Karibik, Palmen, weiße Strände, Kokosnüsse, maleri- wohnen, gar nicht bewusst.
sche Piratennester am Mittelmeer oder das Piratenschiff
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
auf den Kinderspielplätzen in den Sinn. Aber mit all dem
hat Piraterie überhaupt nichts zu tun. Piraterie ist ein Mit 3 500 Schiffen hat Deutschland die drittgrößte Han-
brutales, organisiertes Verbrechen wie Drogenhandel, delsflotte der Welt; außerdem hat Deutschland weltweit
Menschenhandel und Schutzgelderpressung. die größte Containerflotte. Diese Zahlen machen uns die
Abhängigkeit von freien Seewegen klar.
Piraterie gibt es so lange, wie es Seefahrt gibt. So-
lange es Piraterie gibt, gibt es auch die Bekämpfung der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Piraterie. In den 90er-Jahren gab es ein großes Piraten- neten der FDP)
problem in der Straße von Malakka. Weil 14 asiatische Die Mission Atalanta liegt daher in unserem ureigenen
Staaten gemeinsam entschlossen gegen die Piraterie an- Interesse.
gekämpft haben, konnte sie dort erfolgreich zurückge-
drängt werden. Es ist unbestritten, dass der militärische Einsatz auf
See begleitet und durch politische Maßnahmen langfris-
Auch am Horn von Afrika beteiligt sich eine große tig überflüssig gemacht werden muss. Aber auch dabei
Zahl von Ländern an der Piratenbekämpfung, neben den hilft diese Mission: Jeder von Piraten erpresste Euro, der
Ländern der EU und NATO beispielsweise China und nach Somalia fließt, macht die Lage dort instabil; denn
Russland. Dieser Antipirateneinsatz ist eine sehr bemer- jeder, der dadurch sein Geld verdient – ich meine nicht
kenswerte Koalition zur Bekämpfung dieser Form des die Piraten, die armen Handlanger, sondern die Hinter-
organisierten Verbrechens. Im Grunde kann man sagen: männer, die reich werden –, hat überhaupt kein Interesse
Die gesamte Weltgemeinschaft kämpft gegen die Pirate- an stabilen Verhältnissen in Somalia. Jeder durch Pirate-
rie, mit Ausnahme der Linken im Deutschen Bundestag, rie erpresste Euro destabilisiert die Lage im Land, macht
die die Brisanz offensichtlich noch nicht erkennen. die Menschen arm und ist letztendlich die Grundlage des
1002 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Markus Grübel
(A) Hungers und der Gewalt in Somalia. Auch darum brau- Die Weltwirtschaftskrisen der 70er- und 80er-Jahre (C)
chen wir diese Mission. und die Zins- und Schuldenpolitik des Westens haben
Somalia ökonomisch ruiniert und politisch destabilisiert.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Die vom Internationalen Währungsfonds durchgesetzten
der FDP) Strukturanpassungsprogramme haben zu Massenentlas-
Daher unterstützen wir selbstverständlich alle Maßnah- sungen im öffentlichen Dienst Somalias geführt. Erst da-
men und Bemühungen der internationalen Gemein- durch ist die Küstenwache aufgelöst worden, die Sie nun
schaft, die den Aufbau legitimer staatlicher Strukturen in wieder aufbauen wollen.
Somalia befördern. (Beifall bei der LINKEN)
Zum Schluss möchte ich an die Besatzung erinnern, Die ehemaligen Polizisten stellten neben ehemaligen Fi-
an die Männer und Frauen, die dort ihren Dienst tun. schern in den letzten 20 Jahren den Hauptteil der Piraten.
Zurzeit ist die Fregatte „Bremen“ vor Ort. Ich möchte
aber auch an die Familien der Soldatinnen und Soldaten Es waren westliche Interventionen, bis hin zum direk-
erinnern und ihnen danken. Im Grunde fahren die Frauen ten US-Einmarsch, die einen Bürgerkrieg angeheizt ha-
der Soldaten, die Männer der Soldatinnen und ihre Kin- ben, der bis heute anhält.
der mit in den Einsatz. Auch sie sollten wissen, dass wir (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU –
ihnen danken und an sie denken. Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das ist ja unglaub-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lich!)
Als sich ab dem Jahr 2000 eine Staatlichkeit zu entwi-
Herr Minister, wir sollten darüber nachdenken, die
ckeln begann, haben europäische Regierungen alles ge-
Anerkennung der Leistungen der Soldatenfamilien aus-
tan, um diese zu zerstören; denn sie befürchteten, dass
zuweiten. Bei der Marine bedeutet ein Einsatz häufig
der neue Staat unter den Einfluss von China und Iran ge-
mehr als ein halbes Jahr Abwesenheit von der Familie.
raten könnte.
Wenn das Schiff, das die Fregatte ablösen soll, irgendein
Problem hat, dauert ein Einsatz schnell noch einen Mo- (Philipp Mißfelder [CDU/CSU]: Wo haben Sie
nat länger. Die Familien machen das mit. Wer zur See das denn her?)
fährt, weiß, dass er länger abwesend ist. Trotzdem soll-
Deshalb verbündeten sich die Europäer mit den War-
ten wir hier eine Anerkennungskultur schaffen.
lords. Zu diesem Zweck unterstützte auch die Bush-Re-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und gierung 2006 die äthiopische Invasion. Dabei sind
der FDP) 40 000 Somalis getötet worden, und es gab keinen Auf-
(B) schrei der Empörung seitens der Bundesregierung. (D)
Lassen Sie uns diesen wichtigen Einsatz mit großer
Mehrheit verlängern. An die Linken gerichtet, sage ich: (Beifall bei der LINKEN)
Überlegen Sie noch einmal, ob Ihre Position wirklich Ihnen geht es nicht um Staatlichkeit als solche. Die
richtig ist. Staatlichkeit soll prowestlich sein, und wenn das gegen
Herzlichen Dank. den Willen der Bevölkerung durchgesetzt werden muss,
dann sind Sie wieder einmal bereit, mit verbrecherischen
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Warlords zusammenzuarbeiten, wie auch in Afghanis-
neten der FDP – Joachim Spatz [FDP]: Die tan.
wissen, dass sie falsch ist!)
(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder
[CDU/CSU]: Das ist ja unglaublich!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Christine Buchholz hat das Wort für die Fraktion Die Somalia ist Spielball der Interessen der Weltmächte.
Linke. Kurt Bodewig von der SPD hat als Maritimer Botschaf-
ter der Europäischen Union kürzlich betont, die wirt-
(Beifall bei der LINKEN) schaftliche Bedeutung der Region könne daran gemes-
sen werden, dass es sich um einen der meistbefahrenen
Christine Buchholz (DIE LINKE): Seewege der Welt handele, über den die Hälfte der welt-
weiten Öllieferungen transportiert werde. Die Leidtra-
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! In ihrem genden sind die Menschen in Somalia. Die Arbeit der
Antrag beklagt die Bundesregierung die fehlende Staat- humanitären Hilfsorganisationen in Somalia ist wichtig.
lichkeit in Somalia; Ich zolle deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Re-
(Joachim Spatz [FDP]: Sie nicht?) spekt, die unter schwersten Bedingungen ihre Arbeit ma-
chen, auch zu Weihnachten und weit weg von zu Hause.
das war schon in vielen bisherigen Beiträgen Thema.
Fehlende Staatlichkeit ist die Folge genau jener neolibe- (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der
ralen Weltwirtschaftsordnung, CDU/CSU: Glauben Sie eigentlich das, was
Sie da sagen?)
(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Ah!)
Aber die Entwicklungs- und Hilfsorganisationen lesen
die Sie laut Koalitionsvertrag mit Ihrer Außen- und Ver- nur die Scherben auf, die andere verursacht haben. Die
teidigungspolitik absichern wollen. Urheber dieser Scherben sind dieselben, die nun die Ar-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1003
Christine Buchholz
(A) beit der Hilfsorganisationen zum Vorwand nehmen, ihre Ich dachte, die Zeit der K-Gruppen hätten wir hinter uns (C)
eigenen Interessen durchzusetzen. gelassen; aber ich fühlte mich ein Stück weit zurückver-
setzt.
(Beifall bei der LINKEN)
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut! –
Wenn es Ihnen nur um den Schutz der Nahrungstrans-
Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
porte gehen würde, würden Sie kleine Gruppen von Be-
NEN]: Nicht nur ein Stück weit! – Joachim
waffneten die Schiffe schützen lassen. Das macht zum
Spatz [FDP]: 19. Jahrhundert!)
Beispiel die französische Regierung, um französische
Thunfisch-Trawler zu schützen. Aber Ihnen geht es um Da war ich noch ein bisschen jung, aber gut.
etwas ganz anderes. Vielleicht geht es Ihnen darum, die
Meine Fraktion wird der Verlängerung des Bundes-
neue Form der internationalen Seekriegsführung zu tes-
wehreinsatzes jedenfalls mit großer Mehrheit zustim-
ten, besonders die Koordination von Luft-, Land- und
men.
Seestreitkräften aus verschiedenen Ländern.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! Genau!)
neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Ist das auch der Grund dafür, dass der Europäische Rat und der FDP – Zurufe von der LINKEN)
jüngst beschlossen hat, die Zusammenarbeit zwischen
der Operation Atalanta und der Operation Enduring Wir meinen im Gegensatz zu Ihnen, meine Damen und
Freedom zu intensivieren? Herren von der Linken – ich versuche doch noch einmal,
zu argumentieren –: Man muss das eine tun, ohne das
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sagen Sie das andere zu lassen. Ich ziehe einmal einen Vergleich zur
noch einmal!) Innenpolitik: Selbst Sie sind dafür, dass es mehr Polizei
auf der Straße gibt, und fordern gleichzeitig
Im Strategiepapier der deutschen Marine Zielvorstel-
lung Marine 2025+ heißt es – ich zitiere –: (Jan van Aken [DIE LINKE]: Aber Sie schi-
cken Militär und keine Polizei! Sie haben den
Eine sich absehbar verschärfende Konkurrenz um
Unterschied nicht verstanden!)
den Zugang zu Rohstoffen und anderen Ressourcen
erhöht das zwischenstaatliche Konfliktpotential. – hören Sie doch einmal zu! –, dass man die Ursachen
Konventionelle, reguläre Seestreitkräfte regionaler von Kriminalität weiter bekämpft. Genau darum geht es
Mächte können dabei den freien und ungehinderten hier. Im Grunde geht es um einen quasipolizeilichen Ein-
Welthandel als Grundlage des deutschen und euro- satz, der mit Soldaten durchgeführt werden muss. Ata-
päischen Wohlstands ebenso gefährden wie krimi- lanta ist notwendig, um die Piraterie einzudämmen und
(B) nelle oder terroristische Bedrohungen der mariti- um die humanitäre Versorgung der Menschen in Somalia (D)
men Sicherheit. sicherzustellen. Niemand behauptet, dass man mit die-
sem Einsatz die Ursachen der Piraterie, die an Land zu
Das ist, mit Verlaub, eine neue Umschreibung der alten
suchen sind, bekämpfen kann.
kolonialen Kanonenbootpolitik.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der
sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
FDP)
SPD und der FDP)
Sie betreiben die Militarisierung der deutschen Au-
ßenpolitik. Sie betreiben die Militarisierung der Europäi- Wir müssen beides tun: die Kriminalität und die Ursa-
schen Union. Daran werden wir uns nicht beteiligen, chen an Land bekämpfen.
egal in welchem humanitären Gewand Sie daherkom- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)
men.
Die Piraterie ist ganz klar ein Ergebnis dauerhafter
(Otto Fricke [FDP]: Ihnen ist das alles egal!) Armut und fehlerhafter Staatlichkeit in Somalia, nicht
Deshalb lehnt die Linke Atalanta ab. zuletzt deshalb, weil dort seit 1991 ein Bürgerkrieg tobt
und die humanitäre Lage verheerend ist. Die UNO
(Beifall bei der LINKEN – Joachim Spatz spricht von 3,7 Millionen Hilfsbedürftigen und 1,5 Mil-
[FDP]: Deshalb nicht! – Volker Kauder [CDU/ lionen Binnenvertriebenen, also vom größten humanitä-
CSU]: Aber sie hat so schöne rote Bäckle!) ren Krisengebiet weltweit. Daran konnte auch die
schwache Übergangsregierung unter Sheikh Sharif
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: nichts ändern.
Jetzt hat Kerstin Müller das Wort für Bündnis 90/Die Ich möchte an dieser Stelle den internationalen Hel-
Grünen. fern, die dort in einer sehr schwierigen Lage Hilfe leisten
und immer wieder massiven Angriffen, gerade von Isla-
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- misten, ausgesetzt sind, im Namen des Hauses danken.
NEN): Sie leisten dort eine sehr schwierige Arbeit, die aller-
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! dings überaus wichtig ist.
Frau Buchholz, wenn die Welt so einfach wäre …
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP so-
bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) wie bei Abgeordneten der LINKEN)
1004 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Kerstin Müller (Köln)


(A) Ich meine trotzdem, dass sich Deutschland und die mensquelle Piraterie erschließen und endlich auch die il- (C)
Europäische Union hinter diesem Piraterieeinsatz nicht legale Raubfischerei an der Küste Somalias wirksam be-
verstecken dürfen. Unsere Interessen dürfen nicht nur kämpfen. Ich habe die ganz klare Erwartung an die EU-
dem freien Handel gelten, sondern wir müssen die Men- Kommission, dass sie hier handelt.
schen in Somalia in den Mittelpunkt unserer Politik stel-
Ein weiterer Punkt, der mir sehr wichtig ist. Wir brau-
len. Da gibt es einiges zu kritisieren. So haben zum
chen einen regionalen Lösungsansatz für das Horn von
Beispiel alle Staaten, auch Deutschland, auf der interna-
Afrika. Die Europäische Union hat jetzt zwar eine Ge-
tionalen Geberkonferenz in Brüssel im Mai 2009 Soma-
samtstrategie beschlossen, aber diese Strategie wird, so
lia viel versprochen, bisher aber leider nur wenig gehal-
fürchte ich, ein Papiertiger bleiben. Unsere Erwartung
ten.
ist, dass die Bundesregierung und alle Staaten der EU sa-
Ich will ein Beispiel nennen. Nur etwa 30 Prozent der gen, was sie zu tun bereit sind, um diese Strategie mit
international zugesagten Finanzmittel für AMISOM, für Leben zu füllen. Ich glaube, nur so können wir zeigen,
die Mission der Afrikanischen Union, sind dort bis heute dass es uns um die Menschen geht und nicht nur um die
angekommen. Seit April dieses Jahres erhalten die Handelswege.
AMISOM-Soldaten keinen Sold mehr. Ich glaube, ich (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
muss Ihnen nicht erklären, was das bedeutet. An die sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
Bundesregierung gerichtet, sage ich ganz klar: So geht KEN)
das nicht. Zusagen muss man einhalten.
Eine letzte Anmerkung, und zwar zur EU-Ausbil-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dungsmission – mein Vorredner hat sie angesprochen –:
sowie der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul Mich hat erstaunt, dass sich der Außenminister dazu ges-
[SPD]) tern im Plenum sehr positiv geäußert hat. Ich will Ihnen
Wenn man die Afrikanische Union stärken will, dann ist klar sagen: Wenn man nicht sicherstellen kann, dass
so etwas ein verheerendes Signal. dann die gut ausgerüsteten und ausgebildeten Sicher-
heitskräfte nicht zu den Piraten und den gewaltbereiten
Fest steht auch: Militär und Polizei können Friedens- Islamisten überlaufen, dann darf es von deutscher Seite
prozesse bestenfalls unterstützen und Zeitfenster für die für die EU-Ausbildungsmission, die ein französisches
zivile Krisenbewältigung schaffen, nicht aber den Frie- Projekt ist, keine Zustimmung geben. Das wird dann kei-
den selbst. Diese Erkenntnis hat sich meines Erachtens nen Erfolg haben.
weder in Berlin noch in Brüssel noch in der Somalia-
Kontaktgruppe wirklich durchgesetzt. Für eine nachhal- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
SES 90/DIE GRÜNEN)
(B) tige Bekämpfung der Ursachen der Krise in Somalia (D)
reicht es nicht aus, die schwache Übergangsregierung Ich glaube, dass die Bundesregierung in ihrer Soma-
und AMISOM als ihren Beschützer zu unterstützen. lia-Politik nach wie vor zu viel auf Sicherheit und zu we-
Was brauchen wir? Nachhaltige Ursachenbekämp- nig auf politische Lösungen setzt. Die Menschen in So-
fung verlangt, dass sich die internationale Gemeinschaft malia brauchen Aussöhnung, sie brauchen Perspektiven,
als ehrlicher und neutraler Friedensmakler einsetzt. Hier aus der Armut zu kommen. Wenn Atalanta Sinn machen
könnte Deutschland übrigens, auch was Äthiopien und soll, dann müssen wir diese eklatante Schieflage der
Eritrea betrifft, eine wichtige Rolle spielen. Deutschland Politik korrigieren.
könnte dazu beitragen, dass in Somalia lokale Clanchefs, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
die Führungseliten von Somaliland und Puntland und die sowie bei Abgeordneten der SPD)
Zivilgesellschaft mit starken Frauengruppen für einen
Versöhnungsdialog gewonnen werden. AMISOM muss Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
vor allem die Menschen schützen und darf nicht nur die Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem
Übergangsregierung verteidigen. Abgeordneten Guido Westerwelle.
Nachhaltige Politik verlangt auch, dass die Finanz-
ströme von Piraten und al-Schabab ausgetrocknet wer- Dr. Guido Westerwelle (FDP):
den, dass man dem Waffenschmuggel einen Riegel vor- Frau Kollegin Müller, ich möchte mich zunächst ein-
schiebt und – hier stimme ich Ihnen zu, Herr mal dafür bedanken, dass die Grünen dem Antrag der
Außenminister – dass der Rechtsstaatsaufbau in Somalia Bundesregierung mehrheitlich zustimmen werden.
intensiv unterstützt wird. Sie haben gesagt: Der Rechts-
staat ist wichtig. Ich füge hinzu: Vom Rechtsstaatsauf- Als Abgeordneter, der gewissermaßen relativ neu in
bau alleine werden die Menschen nicht satt. Deshalb Verantwortung ist, möchte ich darauf hinweisen, dass
muss weiterhin Ursachenbekämpfung betrieben werden. manche Kritikpunkte, die Sie zu Recht angebracht
haben, durch die neue Beschlussfassung des Mandats
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ausgeräumt werden.
sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der SPD) Sie haben darüber gesprochen, was im Zusammen-
hang mit AMISOM zu tun sein wird, zum Beispiel dass
Als eine Ursache der Piraterie müssen wir die Armut Bezahlung notwendig ist. Das steht in der Begründung
bekämpfen. Darüber hinaus müssen wir die humanitäre des Antrags genau so drin. Ich bitte das Hohe Haus auch,
Grundversorgung sichern, Alternativen zur Einkom- zur Kenntnis zu nehmen, dass das Auswärtige Amt kurz-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1005
Dr. Guido Westerwelle
(A) fristig 1,5 Millionen Euro zugesagt hat und einzahlen sam geworden, als unsere Handelswege bedroht waren. (C)
wird. Schneller kann eine Regierung nicht handeln. Äthiopien ist ein zentraler, strategisch wichtiger Staat
am Horn von Afrika. Sie werden das als Außenminister
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
noch kennenlernen: Es gibt kaum ein Land in der Welt,
NEN]: Sie sind doch jetzt gerade Abgeordne-
das so gute Beziehungen zu Äthiopien hat. Warum nut-
ter!)
zen wir diese Beziehungen nicht, um positiv Einfluss zu
Ich möchte zum Zweiten darauf aufmerksam machen nehmen, um den Äthiopiern klarzumachen, dass sie
– es ist mir wichtig, dass alle Kolleginnen und Kollegen – was sie bis heute nicht machen – eine strategisch posi-
das hier noch einmal hören, weil das ja ein wichtiger tive Rolle am Horn von Afrika spielen müssen? Viele
Einsatz ist –, dass ich im Auswärtigen Ausschuss mitge- Punkte wären hier anzusprechen. Worauf ich hinauswill:
teilt habe, Wir wissen, dass das, was dort in der Region passiert,
erst wahrgenommen wurde, als unsere Handelswege und
(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
die Schiffe des World Food Programme bedroht waren.
Nicht Sie, der Außenminister!)
Das war zu spät. Wir müssen uns jetzt den Ursachen zu-
dass wir allein jetzt 6,2 Millionen Euro für somalische wenden. Wir müssen gemeinsam mit den Partnern der
Partnerorganisationen und humanitäre Hilfe bereitstel- internationalen Gemeinschaft versuchen, mit einer Ge-
len. Das ist in die Begründung dieses Antrags aufgenom- samtstrategie für das Horn von Afrika die Ursachen an-
men worden. Es ist also eine Menge getan worden. zugehen. Ich erwarte und hoffe, dass Deutschland hier
eine Rolle spielt. Wir werden dort nämlich als möglicher
Wenn hier der Eindruck erweckt wird, wir hätten nur wichtiger Partner gesehen. Das war mein Appell. Ich
das Militärische im Sinn und würden nicht an das Huma- hoffe, dass die Bundesregierung das so machen wird.
nitäre gehen und würden nicht an die Ursachen der Ent-
wicklung gehen, möchte ich das als Abgeordneter der (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
neuen Regierungskoalition nicht stehen lassen. Ich sowie bei Abgeordneten der SPD)
möchte ausdrücklich sagen, Frau Kollegin: Wir haben
beides genau im Blick, weil wir wissen, dass das Militä- Vizepräsidentin Petra Pau:
rische und das Zivile, das Humanitäre, Hand in Hand ge- Das Wort hat der Kollege Hartwig Fischer für die
hen müssen. Unionsfraktion.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der CDU/CSU)
der FDP)

(B) Vizepräsidentin Petra Pau: (D)


Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU):
Sie haben das Wort zur Erwiderung, wenn Sie wollen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich hoffe, dass solche Kurzinterventionen nicht dazu
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- führen, dass der außerordentlich positive Einsatz von
NEN): Atalanta und das, was unsere Soldatinnen und Soldaten
Herr Abgeordneter Westerwelle, ich habe den Antrag dort leisten, zerredet werden. Dieser Einsatz ist dringend
der Bundesregierung natürlich sehr genau gelesen, weil notwendig.
ich beabsichtige, ihm zuzustimmen.
Frau Buchholz, ich habe eben in unser vorläufiges
Ich habe nicht verneint, dass für die AMISOM Mittel Abgeordnetenhandbuch gesehen und gelesen, Sie sind
bereitgestellt werden. Im Gegenteil: Ich habe in meiner wissenschaftliche Mitarbeiterin gewesen. Ich kann nur
Rede gesagt, dass eine Geberkonferenz stattgefunden sagen: Es ist enttäuschend. Ich glaube, wir können er-
hat, auf der alle Staaten, auch Deutschland, etwas zuge- warten, dass Sie sich mit der Geschichte des Landes, um
sagt haben. Nur, es gibt ein Problem bei der AMISOM: das es geht, und mit den Realitäten vorher beschäftigen
Seit April erhalten die Soldaten keinen Sold mehr. Was und sich keine Sozialromantik aufbauen.
glauben Sie, was das bedeutet?
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
(Dr. Guido Westerwelle [FDP]: Das dürfen Sie Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das ist eine
mich nicht fragen!) Frage des Standpunktes!)
Die werden entweder überlaufen, oder das Projekt
Wenn Sie sich mit der Geschichte beschäftigen, dann
AMISOM – das diskutiert man ja schon in den Vereinten
wissen Sie, dass sowjetische Truppen dort gewesen sind,
Nationen – wird über kurz oder lang zu Ende sein. Dann
um Barre zu unterstützen, dann wissen Sie, dass er die
wird dort gar nichts mehr sein zur Stabilisierung. Es
sowjetischen Truppen und 6 000 Berater herausge-
wird auch darüber diskutiert, wie die AMISOM in eine
schmissen hat, dann wissen Sie, dass sich dort Rechtlo-
UN-Mission übergehen könnte. Da traut sich aber keiner
sigkeit aufgebaut hat, und dann haben Sie gesehen, dass
ran, weil es schwierig ist.
es einen UN-Einsatz gegeben hat, von dem man leider
Ich behaupte gar nicht, dass es einfache Lösungen sagen muss, dass er gescheitert ist, und dass danach ab-
gibt. Ich sage aber – auch Herr Fischer weiß das als Af- solute Rechtlosigkeit für die Menschen herrschte. Es hat
rika-Politiker –: Wir sind auf die Probleme am Horn von eine Hungerkatastrophe und eine humanitäre Katastro-
Afrika, auf die Probleme in Somalia, auf die Probleme, phe gegeben. Danach hat es einen erneuten Einsatz
die zum Beispiel von Äthiopien herrühren, erst aufmerk- – AMISOM – gegeben, mit dem man versucht hat, die-
1006 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Hartwig Fischer (Göttingen)


(A) ses Meucheln im Land zu unterbinden. In dieser Situa- bringt keine Sicherheit für Entwicklungshel- (C)
tion ist die Piraterie hinzugekommen. fer! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder
[CDU/CSU]: Sie haben sich schon genug bla-
Es geht nicht um die Weltwirtschaftskrise, die sich
miert! Seien Sie einmal ruhig!)
auf manche Entwicklungsländer auswirkt,
(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das habe Die Menschen dort leben mit Rechtlosigkeit und ohne
ich nicht gesagt!) jede Chance, von irgendeiner Seite außer von AMISOM
unterstützt zu werden. Es gilt in diesem Staat das Recht
sondern es geht um das pure Verbrechen im Rahmen der des Stärkeren oder der stärkeren Gruppe und das Recht
organisierten Kriminalität, mit dem bestimmte Gruppie- desjenigen, der in diesem Staat Waffen besitzt. Auch
rungen versuchen, Geld zu bekommen. deshalb ist die Operation Atalanta in Verbindung mit
AMISOM wichtig, um diesen Staat langfristig wieder
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
aufzubauen.
des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Unter den Auswüchsen leiden inzwischen auch die Frau Buchholz, deshalb erwarte ich von gewählten
Nachbarstaaten wie Kenia, in denen diese Gelder – zum Parlamentarierinnen und Parlamentariern einfach, dass
Beispiel in Nairobi – angelegt werden, indem gesamte sie einen solchen humanitären Einsatz nicht einfach aus
Straßenzüge gekauft werden, um daraus wieder einen ideologischen Gründen ablehnen. Deshalb sage ich: Die
Profit zu erzielen. Wenn dies, wie von Ihnen geschildert, Begleitmaßnahmen sind richtig, und die Ausbildung von
Piraten in Robin-Hood-Manier wären, dann würden sie 1 000 somalischen Polizisten in Äthiopien ist ein weite-
das Geld doch anlegen, um den Menschen in ihrem eige- rer Schritt auf dem Weg zur Stabilisierung in Somalia.
nen Land zu helfen, und nicht, um Waffen, neue Schiffe
und Ähnliches zu kaufen. Ich bedanke mich bei allen, die diesem Mandat zu-
stimmen. Wenn Sie heute nicht zustimmen, dann hoffe
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – ich, dass Sie sich einmal in Äthiopien und in Dschibuti
Christine Buchholz [DIE LINKE]: Hören Sie informieren. Oder gehen Sie auch einmal nach Somali-
zu! Das habe ich nicht gesagt!) land, wo Sie sich derzeit unter bestimmten Sicherheits-
Meine Damen und Herren, wer eine solche falsche bedingungen bei den Menschen vor Ort informieren
Analyse erstellt, der handelt auch falsch. können. Dann sehen Sie das Elend, und dann sehen Sie,
wie dankbar die Menschen für das sind, was gemeinsam
(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Das gilt getan wird.
für Sie genauso!)
(B) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie (D)
Das, was die Linke hier betreibt – Herr Liebich hat im bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
Ausschuss ja ähnlich argumentiert –, ist für mich mili- GRÜNEN und der Abg. Dr. Barbara Hendricks
tanter Pazifismus, [SPD])
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
das ist Verantwortungslosigkeit in der Außenpolitik, das Vizepräsidentin Petra Pau:
ist Verantwortungslosigkeit in der Entwicklungspolitik, Für die SPD-Fraktion spricht nun die Kollegin Karin
und das ist Verantwortungslosigkeit gegenüber den Men- Roth.
schen, die in diesem Land täglich leiden. (Beifall bei der SPD)
Am 3. Dezember dieses Jahres – daran wird doch die
grauenhafte Situation dort deutlich – hat man nicht nur Karin Roth (Esslingen) (SPD):
drei Minister in die Luft gesprengt, sondern man hat Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
auch 19 Medizinstudenten, die dort waren und gerade ih- Herren! Um es vorwegzunehmen: Die SPD-Bundestags-
ren Abschluss dort gemacht hatten, mit in die Luft ge- fraktion stimmt der Verlängerung der EU-geführten
sprengt. Die Verantwortlichen dafür sind diejenigen, die Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der
versuchen, dieses Land zu destabilisieren. Küste Somalias zu.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU
Atalanta ist eine humanitäre Operation. Der Kollege und der FDP)
Grübel hat darauf hingewiesen: 300 000 Tonnen Lebens- Es wäre noch besser, wenn nicht nur wir dem Antrag der
mittel konnten im Rahmen des World Food Programme Bundesregierung zustimmen würden, sondern wenn
dorthin geliefert und unter dem Schutz von AMISOM zu gleichzeitig die Regierungskoalition auch dem vorlie-
großen Teilen verteilt werden. Das bedeutet das Überle- genden Entschließungsantrag der SPD zustimmen
ben von 3,5 Millionen Menschen. Und Sie gehen einfach könnte.
darüber hinweg und sagen: kein Militär! Wie sollen die
Entwicklungshelfer in Zukunft dort überhaupt aufbauen (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Volker
können, wenn für sie keine Sicherheit geschaffen wird? Kauder [CDU/CSU]: Das geht leider nicht!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – – Ich weiß, Herr Kauder, dass das ein bisschen viel ver-
Christine Buchholz [DIE LINKE]: Militär langt ist. Aber es wäre richtig.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1007
Karin Roth (Esslingen)
(A) Wie notwendig dieser Einsatz im letzten Jahr war, bildung von Polizisten ebenso unterstützt wird wie die (C)
zeigen auch die Piratenüberfälle, die in der ersten Jahres- Aussöhnung des vom Bürgerkrieg gekennzeichneten
hälfte von 114 auf 240 weltweit zugenommen haben. und geplagten Landes.
Insbesondere haben die Piratenangriffe im Golf von
Wir brauchen also einen ganzheitlichen Ansatz der
Aden zugenommen. Viele Schiffe, die den Golf von
Hilfe zur Selbsthilfe.
Aden durchqueren wollten, wurden im vergangenen Jahr
erheblich bedroht. Dazu gehören auch die deutschen Dazu gehört vor allen Dingen die Sicherung der Le-
Schiffe. Ohne die militärische Hilfe hätten sie nicht bensgrundlagen der Menschen in Somalia. Wenn nach
sicher durchkommen können. Angaben der UNO Somalia jährlich 320 Millionen Dol-
lar durch illegale Fischerei verliert, dann müssen wir
Wichtig war aber nicht nur, die Schiffe der internatio-
versuchen, die illegale Fischerei in dieser Region zum
nalen Handelsflotte zu sichern, sondern vor allen Din-
Thema zu machen und zu bekämpfen. Es ist gut und
gen, durch die erhöhte maritime Präsenz die Nahrungs-
richtig, dass die Erarbeitung eines Fischereiabkommens
mittellieferung im Rahmen des Welternährungs-
seitens der EU – auch mit unserer Unterstützung – vo-
programms für 3,3 Millionen Menschen in Somalia zu
rankommt; denn es geht nicht nur um humanitäre Hilfe,
gewährleisten. Das ist ebenso wichtig, und deshalb ist
sondern auch um wirtschaftliche Möglichkeiten, die die-
dieser Einsatz vor Ort notwendig. 300 000 Tonnen
sem Land bisher nicht gegeben werden. Die illegale Fi-
Lebensmittel wurden nach Somalia transportiert. Mit dieser
scherei vor Ort muss daher aus unserer Sicht sanktioniert
Aktion wurden Menschenleben gerettet.
werden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der (Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/
CDU/CSU) CSU]: Genau!)
Denn die humanitäre Situation in Somalia ist weiterhin Es ist gar keine Frage, die Entwicklungszusammenar-
katastrophal. Ohne die Nahrungsmittel aus dem Ausland beit ist notwendig. Herr Minister Niebel, Sie müssen
würden Millionen Menschen verhungern. sich den damit verbundenen Fragen stärker zuwenden.
Es ist ausdrücklich zu begrüßen, dass das Auswärtige Der Etat für die Entwicklungszusammenarbeit enthält
Amt Mitte Oktober unter Führung des damaligen leider nicht die notwendigen Mittel, die Sie so großspu-
Außenministers Steinmeier eine Soforthilfe von rig angekündigt haben. Von den von Ihnen geforderten
4 Millionen Euro veranlasst hat. Heute hat die EU-Kom- zusätzlichen 300 Millionen Euro sind gerade einmal
mission weitere 50 Millionen Euro zur Verfügung ge- 44 Millionen Euro übrig geblieben. Ich hätte mir ge-
stellt, um die Katastrophe am Horn von Afrika zu be- wünscht, dass Sie das auf internationaler Ebene und im
Rahmen der Europäischen Union verabredete Ziel,
(B) kämpfen und dem Hunger in dieser Region zumindest (D)
einigermaßen zu begegnen. Dafür danken wir auch der 0,51 Prozent des Bruttonationaleinkommens für Ent-
Europäischen Kommission. wicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe einzu-
setzen, im Etat 2010 durchgesetzt hätten. Das ist Ihnen
(Beifall bei der SPD) nicht gelungen. Sie sind grandios gescheitert.
Es geht darum, dass diese Menschen vor Ort Hilfe be-
kommen, und es geht vor allen Dingen darum, dass diese Vizepräsidentin Petra Pau:
Hilfe auch ankommt. Ich denke, es ist gut, dass das alles Kollegin Roth, achten Sie bitte auf die Zeit.
geleistet wird. Aber gleichzeitig ist eine gemeinsame
EU-Strategie notwendig, die sich nicht nur auf die Karin Roth (Esslingen) (SPD):
humanitäre Hilfe beschränkt, sondern wir brauchen eine Ich wünsche mir, dass Sie in den bevorstehenden
politische Strategie zum Aufbau der staatlichen Struktu- Etatberatungen nachlegen, damit die Glaubwürdigkeit
ren. unserer Entwicklungspolitik nicht schon von Anfang an
Die Piraterie wird nur dann effizient bekämpft, wenn durch Sie infrage gestellt wird.
die Piraten einerseits verfolgt werden, wie das Beispiel (Beifall bei der SPD)
Kenia zeigt, aber andererseits auch die Staatlichkeit in
diesem Land wiederhergestellt wird und die organisierte
Kriminalität aufhört. Das heißt, wir müssen Möglichkei- Vizepräsidentin Petra Pau:
ten schaffen, die organisierte Kriminalität zu zerschla- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß sehr wohl,
gen. dass der eine oder die andere noch Mangel an Tischen
und Stühlen im Büro verspürt. Allerdings ist hier im Ple-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Volker narsaal für jede Kollegin und für jeden Kollegen eine
Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!) Sitzgelegenheit vorhanden. Ich bitte Sie, diese zu nut-
zen, damit wir auch dem letzten Redner in dieser De-
In dem Entschließungsantrag der SPD wird daher zu
batte mit Respekt folgen können. Dann kommen wir zu
Recht darauf hingewiesen, dass der Aufbau legitimer,
einer namentlichen Abstimmung
staatlicher Institutionen in Somalia dringend notwendig
ist, um die Rechtssicherheit und die Strafverfolgung ge- Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn für die
währleisten zu können. Unionsfraktion.
Der politische Prozess des Aufbaus der Staatlichkeit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
muss vorangebracht werden, indem die bilaterale Aus- neten der FDP)
1008 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

(A) Thomas Silberhorn (CDU/CSU): gramms haben ihre Zielhäfen in Somalia sicher erreicht. (C)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Damit ist die Hauptaufgabe dieser Mission in vollem
Herren! Ich finde es erfreulich, dass in dieser Debatte Umfang erfüllt worden. Ich möchte aber schon erwäh-
sehr deutlich geworden ist, welche Ziele wir am Horn nen, dass es eine gewisse Mitverantwortung anderer be-
von Afrika vor Somalia verfolgen. Ich kann nur ein- teiligter Akteure vor Ort gibt. Das betrifft insbesondere
dringlich vor jedem Versuch einer Heroisierung der Pira- die Reeder und die Forderung, dass sie die Durchfahrt
terie warnen, so wie sie uns einst in Kinder- und Jugend- ihrer Schiffe melden und dass sie sich den Konvois, die
büchern begegnet ist. Wir haben es mit schwerer von Atalanta begleitet werden, anschließen. Hier muss
Kriminalität zu tun, die eine Herausforderung für die ge- die Eigenverantwortung der Reeder weiter eingefordert
samte internationale Gemeinschaft darstellt. Wir sind werden. Es ist erstaunlich, wie mutig sich viele Touristen
vor Ort, weil wir das gewichtige humanitäre Ziel verfol- am Horn von Afrika bewegen. Jedes Jahr sind es allein
gen, die Ernährung der Bevölkerung von Somalia sicher- aus Deutschland mehrere Tausend, die auf zivilen
zustellen. Das wäre ohne eine Sicherung der Seewege Kreuzfahrtschiffen durch den Golf von Aden fahren.
für die Schiffe des Welternährungsprogramms nicht Dazu kann ich nur sagen: Eine solche Selbstgefährdung
machbar. ist zwar nicht strafbar, aber sie ist auch nicht klug. Ich
wünsche mir hier weniger Abenteurertum und mehr Ver-
(Beifall bei der CDU/CSU) antwortlichkeit.
Ja, wir sind natürlich auch vor Ort, um unsere ökono- Wir haben mit der Pirateriebekämpfung natürlich nur
mischen Interessen zu vertreten. Wir sind die größte Ex- an den Symptomen gearbeitet und nicht die Wurzeln des
portnation, eine der wichtigsten Handelsnationen und Übels beseitigt. Die Wurzeln liegen nämlich zu Land,
eine der größten Schifffahrtsnationen der Welt. Wer, und deswegen ist dieses militärische Vorgehen nur als Teil
wenn nicht wir, muss sich dafür einsetzen, dass die Frei- eines politischen Gesamtansatzes sinnvoll. Wir müssen
heit der Handelswege und die Sicherheit der Seewege für den Aufbau der staatlichen Strukturen in Somalia ei-
gewährleistet sind. Deswegen ist es richtig, dass wir nen Beitrag leisten. Das tut Deutschland genauso wie die
auch militärische Mittel für ökonomische Zwecke ein- Europäische Union insgesamt. Allein bis 2013 stellt die
setzen. Europäische Union 215 Millionen Euro an Entwick-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- lungshilfe bereit. Allein 2008 waren es weitere 46 Mil-
neten der FDP) lionen Euro an humanitärer Soforthilfe. Auch das Aus-
wärtige Amt und das BMZ stellen Hilfe bereit und enga-
Die Mission Atalanta leistet einen wichtigen Beitrag gieren sich in der Ausbildung und Ausrüstung von soma-
zur Stabilisierung der Lage am Horn von Afrika. Wir lischen und afrikanischen Polizisten. Sie engagieren sich
(B) stehen hier nicht alleine. Viele Mitgliedstaaten der Euro- auch bei der Überwachung und Verwaltung des Fisch- (D)
päischen Union sind beteiligt. Die NATO ist vor Ort. fangs. Das zeigt: Atalanta ist Teil eines umfassendes Ge-
Das OEF-Mandat wird unter Führung der USA einge- samtansatzes von nicht nur militärischen, sondern auch
setzt. Auch zahlreiche nationale Marinekräfte sind vor zivilen Mitteln.
Ort. Wir sollten uns allerdings darum bemühen, die Viel-
zahl der Akteure möglichst gut und vielleicht auch bes- Ich halte es für einen richtigen Ansatz, dass die Euro-
ser als bisher zu vernetzen und zu koordinieren. Dass es päische Union nun eine Ausbildungsmission startet.
mittlerweile – auch unter Beteiligung der Bundesrepu- Über die Einzelheiten wird man sich unterhalten müs-
blik Deutschland – eine internationale Kontaktgruppe sen. Aber die Zielsetzung, dass somalische Sicherheits-
gibt, in der sich mittlerweile 44 Staaten in der Piraterie- kräfte in die Lage versetzt werden, selbst für den Schutz
bekämpfung engagieren, ist ein erfreuliches Zeichen. Es vor Piraterie zu sorgen, ist richtig. Insoweit haben wir
wäre schön, wenn wir bei der Mandatierung zu einer noch einiges an Arbeit vor uns. Deswegen ist es richtig
besseren Koordinierung unter dem Dach der Vereinten und notwendig, dass Atalanta weiter ein Bestandteil die-
Nationen kämen. Immerhin hat der Sicherheitsrat der ses gesamtpolitischen Ansatzes bleibt. Ich bitte um Ihre
Vereinten Nationen dieses Atalanta-Mandat direkt er- Unterstützung und Zustimmung.
teilt. Wir sind vor Ort, weil die somalische Übergangsre- Vielen Dank.
gierung ausdrücklich darum gebeten hat und uns der Si-
cherheitsrat der Vereinten Nationen diesen Auftrag (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
erteilt hat. Das zeigt: Atalanta ist in einen stabilen inter-
nationalen Rahmen eingebettet. Wir dienen damit also Vizepräsidentin Petra Pau:
nicht nur unseren nationalen wirtschaftlichen Interessen
oder den humanitären Interessen dieses Landes, sondern Ich schließe die Aussprache.
Atalanta ist auch Ausdruck der internationalen Verant- Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Auswärti-
wortung, der wir uns hier stellen. gen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
neten der FDP) Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta. Mir
liegt eine Erklärung des Kollegen Sven Christian
Die Bilanz nach diesem ersten Jahr Atalanta fällt Kindler nach § 31 unserer Geschäftsordnung vor und
durchweg positiv aus. Die Zahl der Piratenangriffe – das eine Erklärung der Kollegen Hans-Christian Ströbele,
ist schon angesprochen worden – ist insgesamt spürbar Sylvia Kotting-Uhl, Monika Lazar, Beate Müller-
zurückgegangen. Alle Schiffe des Welternährungspro- Gemmeke, Winfried Hermann, Dorothea Steiner und
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1009
Vizepräsidentin Petra Pau
(A) Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn ebenfalls gemäß § 31 Technikfolgenabschätzung (f) (C)
unserer Geschäftsordnung. Wir nehmen sie entsprechend Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss
unserer Vereinbarung zu Protokoll.1) Federführung strittig
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten René
lung auf Drucksache 17/274, den Antrag der Bundesre- Röspel, Lothar Binding (Heidelberg), Dr. Ernst
gierung auf Drucksache 17/179 anzunehmen. Es ist na- Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der
mentliche Abstimmung verlangt. Fraktion der SPD
Wir stimmen nun über die Beschlussempfehlung na- Innovative kleine und mittlere Unternehmen
mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift- stärken – Ein nachhaltiges steuerliches For-
führer, ihre Plätze einzunehmen. Ich bitte alle Kollegin- schungs- und Entwicklungs-Förderkonzept
nen und Kollegen, bevor Sie abstimmen, noch einmal zu (FuE-Förderkonzept) vorlegen
überprüfen, ob Ihr Name auf der Abstimmungskarte
steht, die Sie jetzt einwerfen wollen. Sind alle Plätze mit – Drucksache 17/247 –
Schriftführern besetzt? – Ich eröffne die Abstimmung. Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Ausschuss für Gesundheit
Fall. Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schrift- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
führerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu Technikfolgenabschätzung
beginnen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen Haushaltsausschuss
später bekannt gegeben.2)
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Wir setzen die Abstimmung mit den Abstimmungen Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
über die Entschließungsanträge fort. Bevor ich dies tue, keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
bitte ich diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die an
diesen Abstimmungen und weiteren Beratungen nicht Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
mehr teilnehmen wollen oder können, den Saal zu ver- gin Priska Hinz für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
lassen und uns dadurch zu ermöglichen, die Abstim-
mungsergebnisse zweifelsfrei festzustellen. Das macht Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
sich sehr schlecht, wenn Sie hier im Gang stehen. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir dis-
kutieren in diesem Jahr bereits zum zweiten Mal über ei-
Wir fahren nun fort mit der Abstimmung über die Ent- nen Antrag der Grünen zur steuerlichen Forschungsför-
(B) schließungsanträge. Wer stimmt für den Entschließungs- (D)
derung. Eigentlich gibt es ja – theoretisch zumindest –
antrag der Fraktion die SPD auf Drucksache 17/279? – eine Mehrheit für dieses Instrument. Wir wollen jetzt
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent- dieser theoretischen Mehrheit zu einer praktischen
schließungsantrag ist abgelehnt. Mehrheit verhelfen, damit das endlich in die Wege gelei-
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- tet und umgesetzt wird.
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/280? – (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent-
schließungsantrag ist abgelehnt. Wir sind der Meinung, dass wir ein neues Instrument
brauchen, das zu mehr Innovation sowie zu mehr For-
Wer stimmt für den Entschließungsantrag der Frak- schung und Entwicklung führt, und zwar vor allen Din-
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/281? – gen bei kleineren und mittleren Betrieben. Gerade diese
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Ent- haben in der jetzigen konjunkturellen Schwächeperiode
schließungsantrag ist abgelehnt. das Problem, dass sie sparen müssen; und das tun sie als
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 sowie den Zu- Erstes im Bereich der FuE-Tätigkeit, das heißt, speziell
satzpunkt 8 auf: beim Personal und bei den Sachkosten in diesem Be-
reich. Wir wissen aber genau, dass das Rückgrat der
12 Beratung des Antrags der Abgeordneten Priska deutschen Wirtschaft von den KMUs gebildet wird.
Hinz (Herborn), Kerstin Andreae, Dr. Thomas Wenn wir eine ökologische Modernisierung wollen,
Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion wenn wir wollen, dass Ressourcen geschont und neue
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Produktionsverfahren entwickelt werden, dann müssen
Innovationskraft von kleinen und mittleren wir gerade den KMUs Anreize geben, damit sie auch
künftig in Forschung und Entwicklung investieren.
Unternehmen durch Steuergutschrift für For-
schungen stärken (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD)
– Drucksache 17/130 –
Überweisungsvorschlag: Wir sagen auch ganz klar und deutlich: Es geht um
Finanzausschuss (f) ein zusätzliches Instrument; es soll nicht die Projektför-
Ausschuss für Bildung, Forschung und derung von Forschungsvorhaben ersetzen. Das wäre
grundfalsch, weil uns die Projektförderung bessere Steu-
1) Anlage 4 und 5 erungsmöglichkeiten bietet. Wir wissen aber zugleich,
2) Siehe Seite 1012 C dass gerade KMUs es nicht schaffen, entsprechende Pro-
1010 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Priska Hinz (Herborn)


(A) jektanträge zu stellen. Sie haben nämlich kein eigenes Wohlstand von morgen. Sie sind die Quellen von wirt- (C)
Personal, das permanent den Bundesanzeiger durchfors- schaftlichem Erfolg, Wachstum und vor allen Dingen
ten kann, um zu schauen, ob ein gerade aufgelegtes Beschäftigung. Zugleich helfen sie, den großen Heraus-
Programm für den eigenen Betrieb passt. Diese Unter- forderungen unserer Zeit – dem Klima- und Umwelt-
nehmen brauchen eine unbürokratische Förderung. Des- schutz sowie dem Kampf gegen die Armut und gegen
wegen schlagen wir eine 15-prozentige Steuergutschrift Krankheiten – wirksam zu begegnen. Deshalb geht es
auf Personal- und Sachkosten vor. Es muss ja vor allen uns darum, gerade in Deutschland die Erforschung und
Dingen der FDP sehr sympathisch sein, dass es sich um Entwicklung von neuen Technologien zu fördern. Wir
ein so unbürokratisches Instrument für Wachstums- wollen und müssen das Land der Ideen bleiben.
anreize handelt.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Patrick Meinhardt [FDP]: Dazu werde ich noch Denn wir befinden uns in einer Welt, in der man
etwas sagen!) durch Bildung, Wissen, Forschung und Entwicklung
aufsteigen kann – viele Menschen und viele Länder tun
Die 600 Millionen Euro, die unser Vorhaben kosten dies –, aber auch – das ist eine völlig neue Erfahrung für
würde, wären im Gegensatz zu dem Schuldenwachstums- uns erfolgsverwöhnte Deutsche – ganz schnell absteigen
programm, das CDU/CSU und FDP derzeit auf den Weg kann. In einer Welt, in der es mehr Chancen gibt, nimmt
bringen, auch gut angelegt. auch die Unsicherheit zu. Es sind wir und nicht die ande-
(Lachen des Abg. Patrick Meinhardt [FDP]) ren, die in diesem Prozess des globalisierten Wettbe-
werbs um Wissen und Fortschritt, um Bildung und Tech-
Es gibt nämlich Studien, in denen errechnet wurde, dass nologie eine Menge zu verlieren haben, wenn wir nicht
man mit dem Einsatz der Mittel in der Form, wie wir es aufpassen. Wir können und werden diese Entwicklung,
vorschlagen, tatsächlich zu einer besseren Wertschöp- die durch die Globalisierung, das Internet, die Sättigung
fung kommen kann. Die Hebelwirkung ist enorm. Wir der Märkte, die Einführung des Euro, die Erweiterung
könnten damit unserem Ziel, 3 Prozent der Ausgaben für Europas und natürlich die Finanzkrise verschärft und be-
Forschung auszugeben, sehr viel schneller nahe kom- schleunigt wird, nicht stoppen. Ob dies gut oder schlecht
men. Dies ist ein weiterer Grund, weshalb wir für die ist, ist dabei gar nicht relevant. Wir müssen uns dieser
steuerliche Forschungsförderung sind. Mit einem Satz: Entwicklung stellen und unsere Politik darauf ausrich-
Diese steuerliche Forschungsförderung ist einfach, ge- ten.
recht, zielgenau, schafft Arbeitsplätze und ebnet den
Weg in viele Zukunftsbranchen. Deshalb wurden die Ausgaben für Forschung und
Entwicklung im Bundeshaushalt 2010 um 6,9 Prozent
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) auf 10,9 Milliarden Euro erhöht. Damit setzt die CDU/ (D)
(B)
Auch die SPD ist inzwischen dafür; in der Regierung CSU-geführte Bundesregierung zum wiederholten Mal
war sie es noch nicht so ganz. Die Koalitionsfraktionen einen politischen Schwerpunkt bei Forschung und Ent-
haben es in ihren Wahlprogrammen immerhin aufge- wicklung,
führt. Laut Koalitionsvertrag wird jetzt geprüft und ge-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
prüft. Die Bundesforschungsministerin hat immerhin
neten der FDP)
schon verkündet, sie habe ein Konzept; sie kann es aber
beim Bundesfinanzminister noch nicht durchsetzen. zum Wohle der Unternehmen und der Beschäftigten, der
Deswegen sollten wir jetzt gemeinschaftlich als Par- Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, in Deutschland.
lament den Durchbruch erreichen. Lassen Sie uns ge- Die Regierung aus CDU/CSU und FDP strebt über
meinsam dafür sorgen, dass der Bundesfinanzminister die Projektförderung hinaus – so steht es im Koalitions-
diese 600 Millionen Euro für einen guten Zweck heraus- vertrag, und so wird es gemacht – die steuerliche Förde-
rückt, nämlich für die ökologische Modernisierung unse- rung von Forschung und Entwicklung an.
rer Wirtschaft. Wir sind jedenfalls dabei, und wir hoffen,
Sie auch. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP)
Danke schön.
Damit sollen zusätzliche Forschungsimpulse insbeson-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
dere für kleine und mittlere Unternehmen ausgelöst wer-
sowie bei Abgeordneten der SPD)
den. Aber, Frau Kollegin von den Grünen, gerade weil
dieser außerordentlich komplexe Bereich für Deutsch-
Vizepräsidentin Petra Pau: land so wichtig ist, müssen und werden wir dieses
Das Wort hat der Kollege Dr. Frank Steffel für die Thema mit großer Sorgfalt, Seriosität und vor allen Din-
Unionsfraktion. gen sehr zielorientiert diskutieren. Hier geht Gründlich-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. keit vor Geschwindigkeit.
Patrick Meinhardt [FDP]) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP – Lachen der Abg. Priska Hinz [Her-
Dr. Frank Steffel (CDU/CSU): born] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Kai
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir
Herren! Forschung, Innovation und die Entwicklung von diskutieren das seit Jahren! Sie sollen es ma-
neuen Technologien sind die Grundlage für unseren chen!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1011
Dr. Frank Steffel
(A) Zum einen müssen wettbewerbs-, haushalts- und Meine Damen und Herren von den Grünen, Ihr An- (C)
ordnungspolitische Fragen dauerhaft, übrigens auch in- trag ist alter Wein in alten Schläuchen und stellt keinen
ternational, geklärt werden. Zum anderen müssen die seriösen Umgang mit einem solch wichtigen Thema dar.
Ausgestaltung der möglichen Steuergutschrift, der An- Ihre populistischen Anträge werden auch durch Wieder-
wendungsbereich, die begünstigten Unternehmen, das holung nicht besser.
Fördervolumen und die angestrebten Anreizwirkungen
sehr präzise definiert werden. Der Antrag der SPD-Frak- (Beifall bei der CDU/CSU)
tion enthält dazu einige interessante Ideen. Es erstaunt Gerade von den Grünen, die sich in der Vergangenheit
allerdings, dass die SPD, als sie elf Jahre regierte und vielfach als wissenschafts- und forschungsfeindlich dar-
den Finanzminister stellte, keinen Vorschlag zur steuerli- gestellt haben
chen Förderung von Forschung und Entwicklung vorge-
legt hat. (Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) und die mit ihren dogmatischen Diskussionen viele Ent-
wicklungen in Deutschland langfristig behindert haben,
Jetzt in der Opposition kommen Ihnen auf einmal diese erwarten wir mehr Seriosität. Ihre ideologischen Blocka-
Gedanken, frei nach Goethe: „Man spürt die Absicht und den haben uns in vielen Bereichen international zurück-
ist verstimmt.“ geworfen.
Auch steht die Praxis, meine Damen und Herren von (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
der Sozialdemokratie, in den von Ihnen geführten Bun- neten der FDP)
desländern leider im Widerspruch zu Ihren Erklärungen.
Wenn Herr Professor Lenzen, der renommierte Präsident Ich erinnere an den Transrapid, an wichtige Bereiche
der einzigen Exzellenzuniversität der deutschen Haupt- der Energiepolitik, an den Chemiestandort Deutschland
stadt, der Freien Universität Berlin, die Berliner Verhält- sowie an Entwicklungen in den Bereichen Biotech und
nisse von Wissenschaft, Forschung und Lehre mit denen Gentechnologie. Man fragt sich, für welche Unterneh-
in der Volksrepublik China vergleicht men Sie eigentlich die Förderung einführen wollen, wel-
che Unternehmen Sie eigentlich steuerlich begünstigen
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Dann hat er wollen.
keine Ahnung!)
(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
und den Sozialdemokraten eine zerstörerische und fahr- Kleine und mittlere!)
lässige Wissenschafts- und Forschungspolitik vorwirft,
sollte uns dies zumindest nachdenklich stimmen. Dazu gehört auch ein klares Bekenntnis zu unseren wis-
(B) senschaftlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen (D)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Eliten. Hier haben Sie unverändert Nachholbedarf, Sie
Wenn dieser herausragende deutsche Wissenschaftler vertreiben gerade diese Wissenschaftler und Unterneh-
Berlin verlässt und nach Hamburg geht und der einzige men durch Ihre Neid- und Missgunstdebatten.
Kommentar des Regierenden Bürgermeisters der deut- (Beifall bei der CDU/CSU – Lachen des Abg. Kai
schen Hauptstadt zu diesem einmaligen Vorgang ein Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
schnoddriges „Gute Reise“ ist,
Bereits vor zwei Wochen haben wir mit dem Wachs-
(René Röspel [SPD]: Was hat das mit der tumsbeschleunigungsgesetz konkrete Maßnahmen zur
steuerlichen Förderung zu tun?) Stärkung und Unterstützung von kleineren und mittleren
dann kann ich nur sagen: „Gute Nacht, Deutschland“ Unternehmen beschlossen. Mit der dauerhaften Anhe-
oder „Schlafen Sie weiter, Herr Wowereit“. bung der Freigrenze bei der Zinsschranke, mit der Er-
leichterung bei Sofortabschreibungen und mit der ver-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- besserten Nutzung von Verlusten
neten der FDP)
(Nicolette Kressl [SPD]: Hotels!)
Dieser Umgang mit unseren wissenschaftlichen, wirt-
schaftlichen und gesellschaftlichen Eliten schadet dem werden gerade kleine und mittlere Unternehmen im for-
Wissenschafts- und Forschungsstandort Deutschland schungsintensiven Bereich in der Gründungsphase un-
und ist leider kein Einzelfall. terstützt. Leider haben Grüne und SPD auch gegen diese
Förderung gestimmt. Wir werden Sie auch bei diesem
(Zuruf der Abg. Priska Hinz [Herborn] Thema an Ihren Taten messen und nicht an Ihren Anträ-
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) gen und Worten.
Der vorliegende Antrag der Grünen und auch Ihre
(Beifall bei der CDU/CSU – Nicolette Kressl
Rede, Frau Kollegin, hören sich zwar interessant an, sie
[SPD]: Sie regieren doch!)
sind aber populistisch und oberflächlich sowie aufgrund
der Pauschalierungen weder seriös noch zielgerichtet. Da der wesentliche Teil des Antrags der Grünen
– falls Sie ihn gelesen haben sollten, wissen Sie das –
(Beifall bei der CDU/CSU)
ohnehin völlig unsachliche Beschimpfungen der Regie-
Deshalb wurde auch ein gleichlautender Schaufenster- rung beinhaltet und damit gerade das Betteln um Ableh-
antrag bereits im Sommer dieses Jahres von den übrigen nung dokumentiert, werden wir Ihnen diesen Wunsch
Fraktionen des Deutschen Bundestages abgelehnt. kurz vor Weihnachten gerne erfüllen.
1012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Dr. Frank Steffel


(A) Herzlichen Dank. Ich komme zurück zum Tagesordnungspunkt 11 und (C)
gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP) ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bun-
desregierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffne-
Vizepräsidentin Petra Pau:
ter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation
Kollege Steffel, das war Ihre erste Rede in diesem
Atalanta – es handelt sich um die Drucksachen 17/179
Hohen Hause. Wir gratulieren Ihnen dazu ganz herzlich.
und 17/274 – bekannt: abgegebene Stimmen 577. Mit Ja
(Beifall) haben gestimmt 492 Kolleginnen und Kollegen, mit
Nein haben gestimmt 74, und es gab 11 Enthaltungen.
Die Beschlussempfehlung ist angenommen.

Endgültiges Ergebnis Dr. Maria Flachsbarth Dr. Egon Jüttner Dr. h. c. Hans Michelbach
Abgegebene Stimmen: 577; Klaus-Peter Flosbach Bartholomäus Kalb Dr. Mathias Middelberg
davon Herbert Frankenhauser Steffen Kampeter Philipp Mißfelder
Dr. Hans-Peter Friedrich Alois Karl Dietrich Monstadt
ja: 492
(Hof) Bernhard Kaster Marlene Mortler
nein: 74 Michael Frieser Siegfried Kauder (Villingen- Stefan Müller (Erlangen)
enthalten: 11 Erich G. Fritz Schwenningen) Nadine Müller (St. Wendel)
Dr. Michael Fuchs Volker Kauder Dr. Gerd Müller
Ja Hans-Joachim Fuchtel Dr. Stefan Kaufmann Dr. Philipp Murmann
Alexander Funk Roderich Kiesewetter Michaela Noll
CDU/CSU Ingo Gädechens Eckart von Klaeden Dr. Georg Nüßlein
Dr. Thomas Gebhart Volkmar Klein Franz Obermeier
Ilse Aigner Norbert Geis Jürgen Klimke Eduard Oswald
Peter Altmaier Alois Gerig Julia Klöckner Henning Otte
Peter Aumer Eberhard Gienger Axel Knoerig Dr. Michael Paul
Dorothee Bär Josef Göppel Jens Koeppen Rita Pawelski
Thomas Bareiß Peter Götz Dr. Kristina Köhler Ulrich Petzold
Norbert Barthle Dr. Wolfgang Götzer (Wiesbaden) Dr. Joachim Pfeiffer
(B) Günter Baumann Reinhard Grindel Manfred Kolbe Sibylle Pfeiffer (D)
Ernst-Reinhard Beck Hermann Gröhe Dr. Rolf Koschorrek Beatrix Philipp
(Reutlingen) Michael Grosse-Brömer Hartmut Koschyk Ronald Pofalla
Manfred Behrens (Börde) Astrid Grotelüschen Thomas Kossendey Christoph Poland
Veronika Bellmann Markus Grübel Michael Kretschmer Ruprecht Polenz
Dr. Christoph Bergner Manfred Grund Gunther Krichbaum Eckhard Pols
Peter Beyer Monika Grütters Dr. Günter Krings Lucia Puttrich
Steffen Bilger Dr. Karl-Theodor Freiherr Dr. Martina Krogmann Daniela Raab
Clemens Binninger zu Guttenberg Rüdiger Kruse Thomas Rachel
Peter Bleser Olav Gutting Bettina Kudla Eckhardt Rehberg
Dr. Maria Böhmer Florian Hahn Dr. Hermann Kues Katherina Reiche (Potsdam)
Wolfgang Börnsen Holger Haibach Günter Lach Lothar Riebsamen
(Bönstrup) Dr. Stephan Harbarth Dr. Karl A. Lamers Josef Rief
Norbert Brackmann Jürgen Hardt (Heidelberg) Klaus Riegert
Klaus Brähmig Gerda Hasselfeldt Andreas G. Lämmel Dr. Heinz Riesenhuber
Michael Brand Dr. Matthias Heider Dr. Norbert Lammert Johannes Röring
Dr. Reinhard Brandl Mechthild Heil Katharina Landgraf Dr. Christian Ruck
Helmut Brandt Ursula Heinen-Esser Ulrich Lange Erwin Rüddel
Dr. Ralf Brauksiepe Frank Heinrich Dr. Max Lehmer Albert Rupprecht (Weiden)
Dr. Helge Braun Rudolf Henke Paul Lehrieder Anita Schäfer (Saalstadt)
Heike Brehmer Michael Hennrich Dr. Ursula von der Leyen Dr. Annette Schavan
Ralph Brinkhaus Ansgar Heveling Ingbert Liebing Dr. Andreas Scheuer
Gitta Connemann Ernst Hinsken Matthias Lietz Karl Schiewerling
Leo Dautzenberg Peter Hintze Dr. Carsten Linnemann Norbert Schindler
Alexander Dobrindt Christian Hirte Patricia Lips Tankred Schipanski
Thomas Dörflinger Robert Hochbaum Dr. Jan-Marco Luczak Georg Schirmbeck
Marie-Luise Dött Karl Holmeier Dr. Michael Luther Christian Schmidt (Fürth)
Dr. Thomas Feist Franz-Josef Holzenkamp Karin Maag Patrick Schnieder
Enak Ferlemann Joachim Hörster Dr. Thomas de Maizière Dr. Andreas Schockenhoff
Ingrid Fischbach Anette Hübinger Hans-Georg von der Marwitz Dr. Ole Schröder
Hartwig Fischer (Göttingen) Thomas Jarzombek Andreas Mattfeldt Bernhard Schulte-Drüggelte
Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Dieter Jasper Stephan Mayer (Altötting) Uwe Schummer
Axel E. Fischer (Karlsruhe- Andreas Jung (Konstanz) Dr. Michael Meister Armin Schuster (Weil am
Land) Dr. Franz Josef Jung Maria Michalk Rhein)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1013
Vizepräsidentin Petra Pau
(A) Detlef Seif Petra Ernstberger Gerold Reichenbach Dr. Edmund Peter Geisen (C)
Johannes Selle Karin Evers-Meyer Dr. Carola Reimann Dr. Wolfgang Gerhardt
Reinhold Sendker Elke Ferner Sönke Rix Hans-Michael Goldmann
Dr. Patrick Sensburg Gabriele Fograscher René Röspel Heinz Golombeck
Thomas Silberhorn Dr. Edgar Franke Dr. Ernst Dieter Rossmann Miriam Gruß
Johannes Singhammer Dagmar Freitag Karin Roth (Esslingen) Joachim Günther (Plauen)
Jens Spahn Peter Friedrich Michael Roth (Heringen) Dr. Christel Happach-Kasan
Carola Stauche Sigmar Gabriel Marlene Rupprecht Heinz-Peter Haustein
Dr. Frank Steffel Michael Gerdes (Tuchenbach) Manuel Höferlin
Christian Freiherr von Stetten Martin Gerster Anton Schaaf Elke Hoff
Dieter Stier Iris Gleicke Axel Schäfer (Bochum) Birgit Homburger
Gero Storjohann Günter Gloser Bernd Scheelen Heiner Kamp
Stephan Stracke Ulrike Gottschalck Dr. Hermann Scheer Michael Kauch
Max Straubinger Angelika Graf (Rosenheim) Werner Schieder (Weiden) Dr. Lutz Knopek
Karin Strenz Michael Groß Ulla Schmidt (Aachen) Pascal Kober
Thomas Strobl (Heilbronn) Michael Groschek Carsten Schneider (Erfurt) Hellmut Königshaus
Lena Strothmann Wolfgang Gunkel Olaf Scholz Gudrun Kopp
Michael Stübgen Hans-Joachim Hacker Ottmar Schreiner Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Dr. Peter Tauber Bettina Hagedorn Swen Schulz (Spandau) Sebastian Körber
Antje Tillmann Michael Hartmann Ewald Schurer Patrick Kurth (Kyffhäuser)
Dr. Hans-Peter Uhl (Wackernheim) Dr. Angelica Schwall-Düren Heinz Lanfermann
Arnold Vaatz Hubertus Heil (Peine) Dr. Martin Schwanholz Sibylle Laurischk
Volkmar Vogel (Kleinsaara) Rolf Hempelmann Rolf Schwanitz Harald Leibrecht
Stefanie Vogelsang Dr. Barbara Hendricks Stefan Schwartze Sabine Leutheusser-
Andrea Astrid Voßhoff Gustav Herzog Dr. Carsten Sieling Schnarrenberger
Dr. Johann Wadephul Gabriele Hiller-Ohm Sonja Steffen Lars Lindemann
Marco Wanderwitz Frank Hofmann (Volkach) Peer Steinbrück Dr. Martin Lindner (Berlin)
Kai Wegner Dr. Eva Högl Dr. Frank-Walter Steinmeier Christian Lindner
Marcus Weinberg (Hamburg) Christel Humme Christoph Strässer Michael Link (Heilbronn)
Peter Weiß (Emmendingen) Josip Juratovic Kerstin Tack Dr. Erwin Lotter
Sabine Weiss (Wesel I) Oliver Kaczmarek Dr. h. c. Wolfgang Thierse Oliver Luksic
Ingo Wellenreuther Johannes Kahrs Wolfgang Tiefensee Horst Meierhofer
Karl-Georg Wellmann Dr. h. c. Susanne Kastner Rüdiger Veit Patrick Meinhardt
Peter Wichtel Ulrich Kelber Ute Vogt Gabi Molitor
Annette Widmann-Mauz Lars Klingbeil Dr. Marlies Volkmer Jan Mücke
(B) Klaus-Peter Willsch Heidemarie Wieczorek-Zeul (D)
Hans-Ulrich Klose Petra Müller (Aachen)
Elisabeth Winkelmeier- Dr. Bärbel Kofler Dr. Dieter Wiefelspütz Burkhardt Müller-Sönksen
Becker Daniela Kolbe (Leipzig) Uta Zapf Dr. Martin Neumann
Dagmar Wöhrl Fritz Rudolf Körper Dagmar Ziegler (Lausitz)
Dr. Matthias Zimmer Anette Kramme Manfred Zöllmer Dirk Niebel
Wolfgang Zöller Nicolette Kressl Brigitte Zypries Hans-Joachim Otto
Willi Zylajew Angelika Krüger-Leißner (Frankfurt)
Ute Kumpf FDP Cornelia Pieper
SPD Christine Lambrecht Gisela Piltz
Jens Ackermann
Ingrid Arndt-Brauer Christian Lange (Backnang) Christian Ahrendt Dr. Birgit Reinemund
Rainer Arnold Dr. Karl Lauterbach Christine Aschenberg- Dr. Peter Röhlinger
Heinz-Joachim Barchmann Steffen-Claudio Lemme Dugnus Dr. Stefan Ruppert
Doris Barnett Burkhard Lischka Daniel Bahr (Münster) Björn Sänger
Dr. Hans-Peter Bartels Gabriele Lösekrug-Möller Florian Bernschneider Frank Schäffler
Klaus Barthel Kirsten Lühmann Sebastian Blumenthal Christoph Schnurr
Sören Bartol Caren Marks Claudia Bögel Jimmy Schulz
Sabine Bätzing Katja Mast Nicole Bracht-Bendt Marina Schuster
Dirk Becker Hilde Mattheis Klaus Breil Dr. Erik Schweickert
Lothar Binding (Heidelberg) Petra Merkel (Berlin) Rainer Brüderle Werner Simmling
Gerd Bollmann Ullrich Meßmer Angelika Brunkhorst Judith Skudelny
Klaus Brandner Franz Müntefering Ernst Burgbacher Dr. Hermann Otto Solms
Willi Brase Dr. Rolf Mützenich Marco Buschmann Joachim Spatz
Bernhard Brinkmann Dietmar Nietan Sylvia Canel Dr. Max Stadler
(Hildesheim) Thomas Oppermann Helga Daub Torsten Staffeldt
Edelgard Bulmahn Holger Ortel Reiner Deutschmann Dr. Rainer Stinner
Martin Burkert Aydan Özoğuz Dr. Bijan Djir-Sarai Carl-Ludwig Thiele
Petra Crone Heinz Paula Patrick Döring Stephan Thomae
Dr. Peter Danckert Johannes Pflug Mechthild Dyckmans Florian Toncar
Martin Dörmann Joachim Poß Rainer Erdel Serkan Tören
Elvira Drobinski-Weiß Dr. Wilhelm Priesmeier Jörg van Essen Johannes Vogel
Garrelt Duin Florian Pronold Ulrike Flach (Lüdenscheid)
Sebastian Edathy Dr. Sascha Raabe Otto Fricke Dr. Daniel Volk
Siegmund Ehrmann Mechthild Rawert Paul K. Friedhoff Dr. Guido Westerwelle
1014 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Vizepräsidentin Petra Pau


(A) Dr. Claudia Winterstein Krista Sager Inge Höger Halina Wawzyniak (C)
Dr. Volker Wissing Manuel Sarrazin Dr. Barbara Höll Harald Weinberg
Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Elisabeth Scharfenberg Andrej Konstantin Hunko Jörn Wunderlich
Christine Scheel Ulla Jelpke
BÜNDNIS 90/ Dr. Gerhard Schick Dr. Lukrezia Jochimsen BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN Dr. Frithjof Schmidt Katja Kipping DIE GRÜNEN
Kerstin Andreae Markus Tressel Harald Koch
Bettina Herlitzius
Marieluise Beck (Bremen) Jürgen Trittin Jan Korte
Winfried Hermann
Volker Beck (Köln) Daniela Wagner Jutta Krellmann
Dr. Anton Hofreiter
Cornelia Behm Wolfgang Wieland Katrin Kunert
Sven Kindler
Birgitt Bender Josef Philip Winkler Caren Lay
Sylvia Kotting-Uhl
Alexander Bonde Sabine Leidig
Agnes Krumwiede
Viola von Cramon-Taubadel Ralph Lenkert
Nein Monika Lazar
Ekin Deligöz Michael Leutert
Beate Müller-Gemmeke
Dr. Thomas Gambke DIE LINKE Ulla Lötzer
Dr. Gesine Lötzsch Dorothea Steiner
Kai Gehring Dr. Wolfgang Strengmann-
Katrin Göring-Eckardt Jan van Aken Thomas Lutze
Agnes Alpers Ulrich Maurer Kuhn
Britta Haßelmann Hans-Christian Ströbele
Priska Hinz (Herborn) Dr. Dietmar Bartsch Dorothée Menzner
Ulrike Höfken Herbert Behrens Kornelia Möller
Ingrid Hönlinger Karin Binder Niema Movassat Enthalten
Katja Keul Matthias W. Birkwald Wolfgang Nešković
Tom Koenigs Heidrun Bluhm Petra Pau SPD
Oliver Krischer Steffen Bockhahn Jens Petermann
Petra Hinz (Essen)
Fritz Kuhn Christine Buchholz Richard Pitterle
Stephan Kühn Dr. Martina Bunge Ingrid Remmers BÜNDNIS 90/
Renate Künast Roland Claus Paul Schäfer (Köln) DIE GRÜNEN
Undine Kurth (Quedlinburg) Sevim Dağdelen Dr. Herbert Schui
Markus Kurth Dr. Diether Dehm Dr. Ilja Seifert Katja Dörner
Nicole Maisch Dr. Dagmar Enkelmann Kathrin Senger-Schäfer Hans-Josef Fell
Jerzy Montag Klaus Ernst Raju Sharma Thilo Hoppe
Kerstin Müller (Köln) Wolfgang Gehrcke Dr. Petra Sitte Uwe Kekeritz
Dr. Konstantin von Notz Nicole Gohlke Kersten Steinke Memet Kilic
Omid Nouripour Diana Golze Sabine Stüber Maria Klein-Schmeink
(B) Friedrich Ostendorff Annette Groth Alexander Süßmair Ute Koczy (D)
Brigitte Pothmer Dr. Gregor Gysi Alexander Ulrich Agnes Malczak
Tabea Rößner Heike Hänsel Kathrin Vogler Elisabeth Paus
Claudia Roth (Augsburg) Dr. Rosemarie Hein Sahra Wagenknecht Dr. Harald Terpe

Wir kehren nun zum Tagesordnungspunkt 12 zurück. Gesetz, sondern per Verordnung. Funktionsverlagerung
Das Wort hat der Kollege Lothar Binding für die SPD- bedeutet: Ein Unternehmen forscht etwa in Deutschland
Fraktion. und darf sehr viele Kosten –berechtigterweise – als Be-
triebsausgaben abziehen bzw. kann dadurch Betriebsaus-
(Beifall bei der SPD)
gaben gewinnmindernd zur Geltung bringen. Wenn dann
die Patente kurz vor der Realisierung stehen, wird diese
Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Forschungsabteilung ins Ausland verlagert. Was ist der
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Frau Effekt? Die Gewinne fallen im Ausland an. Die Verluste
Präsidentin! Ich wollte eigentlich noch viel schneller sind zuvor in Deutschland entstanden. Wer bezahlt ei-
zum Rednerpult gelangen, weil mich Ihre Rede so er- gentlich die fehlenden Steuereinnahmen? Das zahlen
schreckt hat. Statt eine solche Idee zu loben, fahren Sie alle anderen, die diese Funktionsverlagerung nicht vor-
hier eine Attacke gegen Anträge, die Sie letztendlich mit nehmen können. Jetzt verraten Sie mir einmal, welches
unterstützen sollten. Umso wichtiger ist es vielleicht, zu kleine oder mittlere Unternehmen solche Funktionsver-
bemerken, dass es gut ist, wenn wir jetzt die schützende lagerungen vornimmt.
Hand über kleine und mittlere Unternehmen halten; denn
offensichtlich gefährden Sie deren Struktur nachhaltig. (Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Es ist ein aggressiver Weg, die internationalen Kon-
DIE GRÜNEN) zerne zu bevorzugen und die kleinen zu benachteiligen.
Das will ich an einigen Beispielen beweisen. Da Sie Diese Logik wollen wir hiermit durchbrechen. Es wird
jetzt den Kopf schütteln, möchte ich ein Beispiel unmit- niemand bestreiten, dass bereits Innovationsimpulse in
telbar benennen, das Sie schon in Planung haben; Sie den Bereichen Umwelt, Energie und Technologieent-
könnten es noch korrigieren. Wir haben gehört, dass Sie wicklung mit der Folge der Schaffung von Arbeitsplät-
die Funktionsverlagerung erleichtern wollen, nicht per zen vor zehn, neun, acht Jahren Ursache dafür waren,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1015
Lothar Binding (Heidelberg)
(A) dass wir auch jetzt relativ gut durch die Krise gekommen wieder eine falsche Politik ab. Deshalb ist es wichtig, (C)
sind. Denn diese Art von Forschung und Innovationsent- dass Sie die logischen Grundsätze gelegentlich beherzi-
wicklung wirkt ja nicht von heute auf morgen. Es gen und damit möglicherweise Voraussetzungen für eine
braucht Jahre, bis dies in der Wirtschaft wirklich etwas gute Politik schaffen.
bewegt. Wir können froh sein, dass wir das vor vielen
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Jahren noch unter Rot-Grün initiiert haben. Das hat ge-
DIE GRÜNEN)
wirkt, und das kann man heute messen. Das ist sehr gut.
Ich glaube, dass das eine ganz einfache Angelegenheit
Damals stand allerdings die Projektförderung im Mit-
ist.
telpunkt. Wir wissen – vielleicht wissen Sie es ebenfalls –,
dass die Projektförderung auch wieder fast ausschließ- Wenn wir unserem Antrag in Kombination mit dem
lich den Großunternehmen hilft. Das kann man übrigens von den Grünen folgen, sind wir für die nächste Krise
in einer sehr ausführlichen Studie nachlesen, die Sie besser gerüstet. Denn was wir jetzt machen, wirkt ja erst
vielleicht kennen. In Abhängigkeit von der Unterneh- in sechs, sieben, acht Jahren. Wenn ich mir anschaue,
mensgröße und vom Technologisierungsgrad reagieren was die Banker schon wieder treiben, dann weiß ich,
private FuE-Aktivitäten unterschiedlich auf steuerliche dass die nächste Krise bestimmt kommt. Dann ist es gut,
FuE-Anreize. Meine Redezeit rennt dahin. Deshalb will wenn wir klug aufgestellt sind.
ich nur sagen: Im Ergebnis wird hier ausgeführt, dass die
kleinen Unternehmen von dieser Art der Projektförde- Vielen Dank.
rung fast nichts haben, dass aber die großen, und zwar (Beifall bei der SPD)
bis zu 80 Prozent, Mitnahmeeffekte organisieren und der
Nettoeffekt dieser Förderung nur bei 20 Prozent über- Vizepräsidentin Petra Pau:
haupt ankommt.
Für die FDP-Fraktion spricht nun der Kollege
Da merkt man: Es ist eine Fehlsteuerung. Deshalb Meinhardt.
muss man Sorge dafür tragen, dass man kleine und mitt-
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
lere Unternehmen in den Mittelpunkt stellt und nicht Ih- GRÜNEN]: Herr Meinhardt, ein bisschen dif-
rer Idee oder der Idee der Bundesforschungsministerin
ferenzierter, bitte! – Gegenruf des Abg.
Schavan folgt, nun wieder alle in diese Förderung mit
Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Vor allen
aufzunehmen. Denn dann haben Sie diese Fehlanreize, Dingen nicht so laut!)
wie eben geschildert.
Wenn Sie den Gesetzentwurf, der morgen im Bundes- Patrick Meinhardt (FDP):
(B) rat beschlossen werden soll, tatsächlich beschließen, ist Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- (D)
das ein weiterer Beleg dafür, dass Sie Großkonzerne be- nen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren vom
vorzugen. Denn die damit ermöglichte Gewinnverlage- Bündnis 90/Die Grünen und von der SPD, ich freue
rung ins Ausland muss erneut von kleinen und mittleren mich wirklich über die beiden von Ihnen vorgelegten
Unternehmen in Deutschland bezahlt werden. Die da- Anträge, die heute Gegenstand der Debatte sind.
durch wegfallenden Einnahmen aus der Körperschaft-
steuer und der Gewerbesteuer fehlen nicht nur den Kom- (Beifall bei Abgeordneten der FDP, der SPD
munen, sie fehlen auch den kleinen und mittleren und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
Unternehmen. Deshalb ist es so wichtig, dass wir für Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Er hat
diese Art der Mittelständler etwas tun. „wirklich“ gesagt!)

Sie müssten aber irgendwann einmal sagen, was Sie Beide Anträge bestätigen uns von der FDP in unserer
unter Mittelstand verstehen. Basierend auf Ihren Ideen Auffassung, dass wir schnell, aber auch gründlich vorbe-
habe ich inzwischen eine Definition entwickelt: Immer reitet zu einer steuerlichen Förderung der Forschung und
wenn jemand ein Unternehmen findet, das kleiner ist als Entwicklung von in Deutschland forschenden Unterneh-
das eigene, gehört dies Ihrer Meinung nach zum Mittel- men kommen müssen. Als Innovationsland müssen wir
stand. Oder: Immer wenn einer ein Unternehmen findet, den erheblichen Wettbewerbsnachteil der deutschen Un-
das größer ist als das eigene, gehört auch dieses zum ternehmen, insbesondere der kleinen und mittleren Un-
Mittelstand. Aber die beiden kommen nie zusammen. ternehmen, zügig beseitigen.

(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das hat nie- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
mand verstanden! – Beifall des Abg. René der CDU/CSU)
Röspel [SPD]) Wir teilen die Auffassung der Bundesforschungsmi-
– Das verstehe ich. nisterin, Frau Dr. Schavan, die am 29. Oktober in der
Presse verkündet hat, sie strebe eine Steuergutschrift für
(Heiterkeit) alle Unternehmen – also keine Beschränkung auf KMU –
an, wobei sie die steuerliche Förderung von FuE bereits
Ich darf es für Sie auflösen: Wenn Sie diese beiden unab-
im kommenden Jahr eingeführt sehen möchte. Ich zi-
hängig voneinander betrachten, dann stellen Sie fest: Es tiere:
gibt überhaupt kein Unternehmen, das nicht zum Mittel-
stand gehört. Mit dieser fehlerhaften Definition des Mit- Optimal wäre, wenn wir die Förderung schon im
telstands machen Sie Politik. Daraus leitet sich immer Lauf des Jahres 2010 starten könnten – dann würde
1016 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Patrick Meinhardt
(A) sie noch in der Krise stabilisierend auf den Arbeits- das steuerpflichtige Unternehmen auf eigenes Risiko tä- (C)
markt für Forscher und Entwickler wirken. tigt, berücksichtigt werden.
Diese Aussage unterstreiche ich doppelt und dreifach. Diese vier Eckpunkte sind die Grundlage einer erfolg-
reichen Konzeption, die jetzt in der Regierung solide
(Beifall bei der FDP) ausgearbeitet werden muss.
Der Koalitionsvertrag von FDP und CDU/CSU ist hier (Beifall bei der FDP)
klar und eindeutig:
Deutschland ist ein hochindustrialisiertes Land und
Wir streben eine steuerliche Förderung von For- verfügt über erhebliche FuE- und Innovationspotenziale.
schung und Entwicklung an, die zusätzliche For-
schungsimpulse insbesondere für kleine und mitt- Die deutsche Wirtschaft hat ihre FuE-Ausgaben in
lere Unternehmen auslöst. den letzten zehn Jahren deutlich gesteigert. Wir geben
derzeit 56,78 Milliarden Euro für FuE aus, davon wer-
Diese Koalition hat sich selbst verpflichtet, den For- den 20 Prozent für externe Forschungsaufgaben verwen-
schungsstandort Deutschland nachhaltig zu stärken. det. Die Hochschulen schaffen es, einen Vorteil von
Meine sehr geehrten Damen und Herren von den Grü- 7 Prozent, umgerechnet sind das 775 Millionen Euro,
nen, warum unterstellen Sie uns an dieser Stelle eine herauszuziehen. Die außeruniversitäre Forschung be-
Verschiebetaktik? Davon kann doch überhaupt keine wegt sich in einem Bereich von 4 Prozent, umgerechnet
Rede sein. Was sagen Ihnen die folgenden drei Zahlen: sind das 443 Millionen Euro. Das ist ein klares Zeichen
4 019, 2 583 und 50? dafür, in welche Richtung wir gehen müssen. Wir sind
sicher, dass diese Leistung noch gesteigert werden kann
(René Röspel [SPD]: Alles keine Primzahlen! – und mit der Initiative der Bundesregierung auch gestei-
Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Alles na- gert wird.
türliche Zahlen!)
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
In den letzten elf Jahren hatten die geschätzten Kollegen CDU/CSU)
der SPD 4 019 Tage Zeit, als Regierungspartei eine steu-
erliche FuE-Förderung auf den Weg zu bringen; die Grü- Der Anteil des Staates dagegen stagniert seit Jahren
nen hatten, als sie an der Regierung waren, 2 583 Tage bei rund 0,7 Prozent vom BIP. Die staatliche Förderung
Zeit. Diese Koalition ist erst 50 Tage im Amt. Kommen von FuE in den Unternehmen ist rückläufig. Der Finan-
Sie, das müssen Sie doch selbst eingestehen: Ihr Vorwurf zierungsanteil der öffentlichen Hand an den FuE-Auf-
ist lächerlich. wendungen der Wirtschaft ist von 16,9 Prozent im Jahr
(B) 1981 auf 4,5 Prozent im Jahr 2006 gesunken, das heißt, (D)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) in 25 Jahren auf 25 Prozent des ursprünglichen Betrages.
Das ist der Grund, weswegen wir die notwendigen Im-
Die steuerliche FuE-Förderung ist Kernstück unserer pulse dringend benötigen.
Forschungsförderung, weil wir technologieoffen und un-
bürokratisch einen Innovationsschub für Deutschland er- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
reichen wollen. Deswegen gilt:
Es tut diesem Haus gut, dass das Thema steuerliche
Erstens. Wir wollen die steuerliche Forschungs- und Forschungs- und Entwicklungsförderung endlich per-
Entwicklungsförderung als Instrument einer indirekten spektivisch behandelt werden wird. 21 von 30 OECD-
Förderung neben der direkten Projektförderung einfüh- Staaten und 15 europäische Staaten haben sie bereits.
ren. Diese Regierung wird diesen Wettbewerbsnachteil 2010
beseitigen.
Zweitens. Wir wollen die Voraussetzungen dafür
schaffen, dass künftig FuE-Aufwendungen der steuer- Vielen herzlichen Dank.
pflichtigen Unternehmen aller Rechtsformen – Kapital-
gesellschaften, Einzelunternehmen und Personengesell- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
schaften – unabhängig von ihrer Größe durch eine
Steuergutschrift honoriert werden. So wird den Unter- Vizepräsidentin Petra Pau:
nehmen die Möglichkeit eröffnet, einen bestimmten Teil Das Wort hat die Kollegin Dr. Petra Sitte für die Frak-
ihrer qualifizierten FuE-Aufwendungen über eine Steu- tion Die Linke.
ergutschrift real erstattet zu bekommen.
(Beifall bei der LINKEN)
Drittens. Wir wollen zur Liquiditätssicherung der Un-
ternehmen eine die Steuerschuld übersteigende Steuer-
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):
gutschrift unmittelbar auszahlen, um so bei den Unter-
nehmen Liquiditätszuflüsse sicherzustellen, die wieder Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich will
für FuE verwendet werden können. daran erinnern: Forschung und Entwicklung gehören zu
den Kernaufgaben erfolgreicher Unternehmensführung,
Viertens. Wir wollen, dass bei der Definition der Be- unabhängig davon, ob sie staatlich gefördert werden
messungsgrundlage für die Förderung sämtliche FuE- oder nicht. Eine aktuelle IHK-Studie zeigt, dass das be-
Aufwendungen – Personal- und Sachaufwendungen so- sonders in Krisenzeiten gilt und dass sich besonders Mit-
wie Aufwendungen für FuE-Auftragsforschung –, die telständler daran gehalten haben; denn auch in Krisen-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1017
Dr. Petra Sitte
(A) zeiten hat ein Drittel der Mittelständler seine Ausgaben Da muss man schon seriös bleiben und das noch einmal (C)
für Forschung und Entwicklung erhöht. genau abklopfen.
Die Bündnisgrünen wollen mit ihrem Antrag die In- Herr Steffel, eines muss man feststellen: Man kann
novationskraft dieser Unternehmen stärken. Prinzipiell sich mit dem Berliner Senat hier im Bundestag politisch
unterstützt meine Fraktion dieses Ziel. Allerdings glau- auseinandersetzen, aber Adlershof ist ein Modellbei-
ben wir nicht, dass die vorgeschlagenen Steuergutschrif- spiel, das Sie bundesweit kein zweites Mal finden.
ten das geeignete Mittel sind. Verbände forschender Mit-
telständler bevorzugen in ihren Positionierungen (Beifall bei der LINKEN und der SPD –
Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Da können Sie
nachgewiesenermaßen laufende Projektförderungen, wie
sie vom Wirtschaftsministerium, aber auch vom BMBF sich bei Herrn Diepgen bedanken!)
angeboten werden. Die Grünen wollen qualitative Maßstäbe einführen.
Das ist eine gute Absicht. Sie sprechen von der ökologi-
Was die Frage betrifft, wofür wir uns entscheiden
schen Wende, die als Maßstab berücksichtigt werden
bzw. wenn Sie ausführen, dass das zusätzlich erfolgen
soll. Das geht allerdings nicht mit Steuergutschriften.
soll, dann muss man genau zuhören, was in diesen Tagen
Wir haben uns erkundigt und das haushaltstechnisch ge-
gesagt wird. Herr Pinkwart beispielsweise präferiert
prüft. Aus dieser Prüfung geht ganz klar hervor: Den
steuerliche Forschungsförderung. Er stellt fest, dass sich
Unternehmen steht diese steuerliche Forschungsförde-
die Koalition in den nächsten Jahren auf diesen Punkt
rung dann zu. Sie können keine zusätzlichen inhaltlichen
konzentrieren wird. Nun befürchten die Mittelständler,
Kriterien setzen. Insofern sage ich: Die Idee der Gut-
dass die Projektförderung dabei eingeschränkt wird und
schrift ist nett gedacht, ist ein bissel Jamaika, löst das
sie die Vorzüge für die Mittelständler nicht mehr hergibt.
Problem aber nicht wirklich. Wir sollten lieber bei der
Die Projektförderung sorgt beispielsweise dafür, dass Projektförderung in konzentrierter Form bleiben.
Beratung und Begleitung erfolgen, dass Planungssicher-
(Beifall bei der LINKEN)
heit durch frühzeitige Mittelzusagen gewährleistet wird,
während man umgekehrt, wenn man eine Steuergut- Zum SPD-Antrag will ich jetzt gar nicht viel sagen.
schrift einführt, erst vorfinanzieren muss. Das heißt, erst
durch eine nachgelagerte Betriebsprüfung wissen die (René Röspel [SPD]: Loben Sie ihn einfach
Unternehmen, ob sie zumindest einen Teil der Mittel zu- ein bisschen!)
rückbekommen. Das ist problematisch. Ich habe ein bissel geschmunzelt, muss ich sagen. Sie
Immerhin schneidet die Projektförderung der Bundes- haben diesen Antrag ganz schnell zusammengezimmert.
Vor allem haben Sie hineingeschrieben: Liebe Regie-
(B) republik gar nicht schlecht ab. In einer Studie des Bun- (D)
desverbandes der Deutschen Industrie – die zitiere ich rung, mach meine Arbeit. – Sie haben ein paar Kriterien
nicht so oft – heißt es, dass die Projektförderung welt- angedeutet. Ehrlich gesagt weiß ich aber nicht wirklich,
weit auf Platz zwei liegt. Gerade vor diesem Hintergrund wo Sie hinsichtlich der steuerlichen Forschungsförde-
muss man sich genau überlegen, ob man das angesichts rung stehen. Ihr Beitrag hat das jetzt etwas deutlicher ge-
der Enge der Haushalte sowohl in den Ländern als auch macht. Es wurde klar, dass auch Sie sich vor allem um
beim Bund aufs Spiel setzt. die Mittelständler kümmern wollen.

Man muss auch daran erinnern, dass infolge der Ban- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
kenkrise für die mittelständischen Unternehmen die Kommen Sie bitte zum Schluss.
Konditionen der Banken nicht besser werden. Die Ei-
genkapitalvorschriften, die für die Banken verschärft
werden, werden sich natürlich auch bei den Unterneh- Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):
men durch geänderte Kreditkonditionen niederschlagen. Gern.
Deshalb sagen wir: Besser als Steuernachlässe helfen Wir möchten bei der Projektförderung bleiben. Wir
Projektförderung samt kompetenter Beratung und ein er- möchten sie zielgenauer und verlässlicher gestalten, und
leichterter Zugang zu Mittelstandskrediten. wir möchten vor allem von allen Fraktionen, die das hier
Die Vorschläge, die Sie machen, sowohl Steuergut- befürworten, einen seriösen Gegenfinanzierungsvor-
schriften als auch steuerliche Forschungsförderung, ent- schlag vorgelegt bekommen; denn das kostet insgesamt
sprechen dem Gießkannenprinzip. Sie fördern in der bis zu 4 Milliarden Euro. Das ist zumindest Ihre Aus-
Breite, und Sie fördern Mittelständler. FDP und CDU/ kunft. 12 Milliarden Euro wollte Frau Schavan insge-
CSU wollen sich aber ausdrücklich dafür einsetzen, dass samt ausgeben. Wo soll das bitte herkommen?
das auch für Großunternehmen gilt. Dazu muss ich sa- Danke.
gen – Herr Meinhardt hat ausgeführt, dass es 21 Länder
gibt, in denen die Forschungsförderung in dieser Form (Beifall bei der LINKEN)
bereits eingeführt wurde –: Die Mehrzahl dieser 21 Län-
der hat keinen Körperschaftsteuersatz von 15 Prozent, Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
sondern von 25 Prozent. Ich finde, mit diesen 10 Pro- Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Philipp Murmann
zentpunkten ist die Bundesregierung ganz schön in Vor- von der CDU/CSU-Fraktion.
leistung gegangen. Das hat den Staatshaushalt seit Ein-
führung dieser 15 Prozent 200 Milliarden Euro gekostet. (Beifall bei der CDU/CSU)
1018 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

(A) Dr. Philipp Murmann (CDU/CSU): Im Koalitionsvertrag haben wir nun gemeinsam mit (C)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich unserem Partner, der FDP, ein Programm vereinbart,
finde, die vorliegenden Anträge sind durchaus interes- welches Bildung und Forschung in Deutschland absolu-
sant; denn sie unterstützen in vielen Passagen wohlmei- ten Vorrang einräumt. So etwas hat es in dieser Form
nend die Absicht der Regierungsparteien. noch nicht gegeben.
(René Röspel [SPD]: So sind wir!) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
Aber Achtung: Sie sind mit einigen Giftpilzen durch-
setzt, von denen einem vielleicht schlecht werden kann. Eine wichtige Maßnahme wird dabei die steuerliche För-
(René Röspel [SPD]: Was?) derung von Forschung und Entwicklung sein, die zusätz-
liche Wachstumsimpulse setzen wird. Natürlich freue ich
Sie spenden zum Teil wohltuendes Licht. Allerdings mich, dass die Grünen und auch die SPD durchaus ei-
hängen auch einige dunkle Wolken dazwischen. nige Ansichten teilen. Sollten wir hier nun tatsächlich
Zeuge einer Wandlung vom grünen Saulus zum grünen
In einer dieser schwarzen Wolken in der Begründung technologieoffenen Paulus werden? Oder ist das nur eine
heißt es zum Beispiel, die schwarz-gelbe Koalition neue Form von Greenwashing? Auch Sie wollen ja
würde mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz Wahl- kleine und mittelständische Technologiefirmen stärken.
geschenke an ihre Klientel verteilen. Sollte dies nicht auch für kleine Firmen im Bereich Bio-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ technologie gelten? Ich denke, ja.
DIE GRÜNEN – Priska Hinz [Herborn]
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!) (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Für alle!)
Tatsache aber ist: Mehr als die Hälfte der in diesem Ge-
setz vorgesehenen Entlastungen betreffen Familien und Oder für moderne Betriebe etwa aus dem Bereich Nano?
Kinder,
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) GRÜNEN]: Ja!)
und zwar jene Familien, die mit ihrer täglichen Arbeit Natürlich. Oder für kleine Start-up-Firmen für Grüne
und mit ihrer Leistung ihren und unseren Wohlstand si- Gentechnik? Ja, natürlich.
chern und dafür sorgen, dass wir auch denjenigen helfen
können, denen es nicht so gut geht. (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
(B) GRÜNEN]: Für alle, die forschen!) (D)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wir wollen Innovationen und gute Ideen für gute An-
Diese Familienmütter und -väter wollen wir unterstüt- wendungen fördern. Wir wollen keine Ideologiepolitik,
zen, ja, aus voller Überzeugung. Wenn Sie Familien als keine Angstkampagnen, auch nicht unter dem Mäntel-
Klientel bezeichnen, finde ich das unangemessen und re- chen einer möglichen Gegenfinanzierung, wie Sie das
spektlos. hier mit Ihrer Atomsteuer machen wollen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Dass wir mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz neten der FDP – Priska Hinz [Herborn]
auch und gerade für den Mittelstand Wachstumsimpulse [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie suchen
setzen, sollten Sie zur Kenntnis nehmen. Was meinen noch das dümmste Argument, um unseren An-
Sie, wer zum Beispiel von einer verbesserten Zins- trag abzulehnen! – Lothar Binding [Heidel-
schranke profitiert? Das sind gerade die kleinen und berg] [SPD]: Dann dürfen Sie morgen das Ge-
mittleren Unternehmen, die häufig mit hohem Fremdka- setz nicht durchgehen lassen! Das müssen Sie
pitaleinsatz neue Produkte und Innovationen voranbrin- dann ablehnen!)
gen. Genau die profitieren davon.
Wir brauchen eine ergänzende, in der Breite wirk-
Jetzt möchte ich zu den eher lichtdurchfluteten Passa- same Förderung. Diese Förderung muss technologie-
gen der Anträge kommen. Ich begrüße es außerordent- offen und möglichst unbürokratisch sein. Natürlich müs-
lich, dass die Grünen und hinterher auch ganz schnell die sen wir Doppelförderung vermeiden. Ich habe durchaus
SPD die Wichtigkeit einer umfassenden Förderung von große Sympathien für das Modell einer Steuergutschrift.
Forschung und Entwicklung klar herausgestellt haben. Diese Steuergutschrift muss rechtsform- und größenun-
Auch uns liegt der Bereich besonders am Herzen. Schon abhängig ausgestaltet sein. Sie sollte sich insbesondere
in der vergangenen Legislaturperiode haben die Regie- – dieser Meinung bin ich – auf die Förderung bei den
rung und insbesondere das Forschungsministerium da- Personalkosten konzentrieren; denn – das weiß ich als
nach gehandelt. So sind die Investitionen in Forschung Unternehmer – die Einstellung neuer Mitarbeiter ist die
und Entwicklung um ein Drittel auf gut 12 Milliarden Hemmschwelle, die wir gerade im FuE-Bereich über-
Euro gesteigert worden. Die Hightechstrategie wurde winden müssen.
auf den Weg gebracht, und erfolgreiche Projektförde-
rung, insbesondere für KMUs, wurde eingeführt; dies (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
wollen wir weiterführen. neten der FDP)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1019
Dr. Philipp Murmann
(A) Natürlich sollte sie keine regionalen Begrenzungen auf- erreicht, ist fraglich. Bestes Beispiel – von mir aus auch (C)
weisen. Die Einbeziehung von Auftragsforschung im schlechtestes Beispiel –: Die Energiekonzerne machen
Ausland darf nicht enthalten sein. im Moment Milliardengewinne, aber sie investieren sie
nicht und senken auch nicht die Energiepreise; vielmehr
Ob der Ausschluss von größeren Unternehmen – wir
werden diese Gewinne schlicht und einfach eingesackt.
sprechen von Unternehmen mit zum Beispiel 255 Mit-
arbeitern – tatsächlich sinnvoll ist, müssen wir genau Wir wollen heute Abend aber nicht über Wirtschafts-
überlegen. Denn gerade bei mittleren und größeren Un- förderung, sondern über Forschungsförderung reden.
ternehmen gibt es einen Standortwettbewerb im Bereich Erlauben Sie mir deswegen, dass ich auf die Forschungs-
von Forschung und Entwicklung, der häufig entschei- perspektive eingehe und auch deutlich mache, wie For-
dend ist bei der Einführung neuer Forschungs- und Ent- schung in Deutschland funktioniert.
wicklungsprojekte.
Erstens gibt es den großen Bereich der Grundlagen-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) forschung. Grundlagenforschung ist nicht immer ein-
Ich komme zum Schluss. Forschung, Innovationen fach. Man versteht sie häufig nicht, manchmal sieht man
und Technologien sind unser Kapital für die Zukunft. nicht ihren Sinn, und sehr häufig sieht man auch keine
Wir wollen weiterhin das Land der Forscher und Inge- Anwendung. Trotzdem ist Grundlagenforschung der
nieure bleiben. zentrale Wissenschaftsbereich und die Basis für die tech-
nologische Leistungsfähigkeit Deutschlands.
(Ute Kumpf [SPD]: Auch der Ingenieurinnen
und Forscherinnen!) (Beifall bei der SPD)
Wir sind ein technologiefreundliches Land. Wir freuen Grundlagenforschung wird allerdings fast ausschließlich
uns über neue Anwendungen. Wir sind begeisterungsfä- staatlich finanziert. Das heißt, wir brauchen Steuergeld
hig und verantwortungsbewusst. Eine kluge Steuerpoli- für die Grundlagenforschung. In den letzten Jahren ha-
tik ist ein wichtiger Bestandteil unserer Innovationspoli- ben wir das ausgebaut. Es ist gut, wenn auch die neue
tik. Natürlich sind die Grünen, die SPD und auch die Regierung diesen Bereich weiter ausbauen will.
anderen herzlich eingeladen, diesen Weg mitzugehen. Der zweite Bereich neben der Grundlagenforschung
Aber, wie gesagt, es muss offen und ehrlich geschehen; ist die Projekt- und Programmförderung; mein Kollege
denn Technikfeindlichkeit und Fortschrittspessimismus Lothar Binding ist darauf schon eingegangen. Bei der
passen nicht zu uns. Die Idee, neue Ideologiesteuern zu Projektförderung hat der Staat die Möglichkeit, in Berei-
schaffen, ist nicht vernünftig. Wir wollen Deutschland chen, bei denen man der Auffassung ist, dass dies not-
zur Bildungs- und Forschungsrepublik und zu einem wendig oder sinnvoll ist, gezielte Forschungsimpulse zu
(B) Gründerland mit vielen jungen, innovativen Unterneh- setzen. Die besten Beispiele dafür liegen in der Vergan- (D)
men machen. genheit: Ohne steuerliche Förderung, ohne Forschungs-,
Vielen Dank. ohne Projektförderung stünden wir bei erneuerbaren
Energien, bei optischen Technologien, bei der Mikrosys-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – temtechnik und in vielen anderen Bereichen heute nicht
Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: da, wo wir stehen.
Jetzt ist alles gesagt, und wir können nach
Hause gehen, Herr Präsident!) Wir wissen – das besagen die Gutachten –, dass
Deutschland gut ist, wenn es um normale Gebrauchsgü-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: ter und hochwertige Technologien geht: Automobilbau,
Herr Kollege Dr. Murmann, ich gratuliere Ihnen im Chemie, Maschinenbau. Im Bereich der Spitzentechno-
Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deut- logien werden uns aber auch Defizite bescheinigt. Das
schen Bundestag. Herzlichen Glückwunsch! sind genau die Technologien, die wir im Rahmen der
Projektförderung stärker fördern müssen. Dafür brau-
(Beifall) chen wir finanzielle Mittel. Deswegen ist es unabding-
Als nächster Redner hat das Wort der Kollege René bar, die Projektförderung zu erhalten und weiter auszu-
Röspel von der SPD-Fraktion. bauen.

(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der SPD)


Man kann noch eine dritte Komponente anführen,
René Röspel (SPD): nämlich die steuerliche Förderung von Unternehmen,
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und die Förderung von Forschung und Entwicklung, FuE.
Herren! Wir haben heute Abend schon eine Menge über Frau Ministerin Schavan hat Ende Oktober dieses Jahres
Wirtschaftsförderung, Unternehmensförderung und For- verkündet – Herr Meinhardt, kritisieren Sie dafür nicht
schungsförderung gehört. Ich habe den Eindruck, dass es uns –, dass es im Bereich FuE für alle Unternehmen eine
häufig ein bisschen durcheinandergegangen ist. Wenn steuerliche Förderung im Umfang von 2 Milliarden Euro
man Unternehmen fördern will, dann kann man die Steu- geben soll. An genau diesem Punkt sagen wir: Hier muss
ern für Unternehmen senken. Man erreicht dadurch das man ein Fragezeichen setzen. Aus den Gutachten und
Ziel; sie freuen sich dann. Wenn man Investitionen för- Expertengesprächen wissen wir, dass von einer steuerli-
dern will, kann man ebenfalls die Steuern für Unterneh- chen FuE-Förderung aller Unternehmen zu vier Fünftel
men senken; aber ob man das Ziel, mehr Investitionen, Großunternehmen und Großkonzerne profitieren wür-
1020 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

René Röspel
(A) den. Das ist völlig klar und wurde auch im EFI-Gutach- Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der (C)
ten beschrieben. Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen, Federfüh-
rung beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Tech-
Was bedeutet das? Es werden wieder Automobilbau, nikfolgenabschätzung. Wer stimmt für diesen Überwei-
Chemie und Maschinenbau gefördert. Dagegen ist aus sungsvorschlag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Sicht der Wirtschaftsförderung überhaupt nichts zu sa- Der Überweisungsvorschlag ist mit Mehrheit abgelehnt.
gen. Aber das ist keine Forschungsförderung.
Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Fraktionen der CDU/CSU und der FDP – Federführung
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) beim Finanzausschuss – abstimmen. Wer stimmt für die-
sen Überweisungsvorschlag? – Gegenstimmen? – Ent-
Deswegen sagen wir: Diese Mittel müssen, wenn sie haltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist mit der
denn bereitgestellt werden, zusätzlich zur Verfügung ge- Mehrheit der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion
stellt werden, und sie dürfen nicht zulasten von Projekt- gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke und
förderung und Grundlagenforschung gehen. Hier setzen Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
wir, wie gesagt, Fragezeichen.
Die Vorlage auf Drucksache 17/247 soll an die in der
Sowohl die Grünen als auch wir geben Ihnen Leit- Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse überwiesen wer-
planken an die Hand. Wir sagen: Es muss möglich sein den. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
– das ist auch richtig –, kleine und mittlere Unternehmen Dann ist die Überweisung so beschlossen.
zu fördern. Wir wollen Innovationen und Forschung und
Entwicklung fördern. Wir wollen keine Wirtschafts- Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 13 a bis 13 c
oder Standortförderung betreiben – in diesem Bereich auf:
könnte man das pauschal machen –, sondern die Zielset- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Ernst
zung ist, innovative kleine und mittlere Unternehmen zu Dieter Rossmann, Dr. Hans-Peter Bartels, Klaus
fördern. Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD
Wir sind sehr gespannt, wie es weitergeht. Wir erwar-
ten nicht, dass Sie noch vor Weihnachten ein Konzept Studienpakt für Qualität und gute Lehre jetzt
vorlegen. Frau Schavan hat diese Ankündigung im Ok- durchsetzen
tober gemacht. Wenn es nicht bei einer Ankündigung
– Drucksache 17/109 –
bleiben soll, erwarten wir allerdings, dass die neue Re-
gierung bis Ostern ein solches Konzept vorlegt. Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
(B) Technikfolgenabschätzung (f) (D)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Finanzausschuss
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Patrick Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Meinhardt [FDP]: Ja! 2010 machen wir das!) Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Meine letzte Bemerkung. Ich befürchte, es wird bei Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
einer der üblichen Ankündigungen bleiben. Denn beim
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
ersten Blick in Ihren neuen Haushaltsentwurf für das
Gohlke, Agnes Alpers, Dr. Rosemarie Hein,
Jahr 2010 habe ich den Betrag von 2 Milliarden Euro
Dr. Petra Sitte und der Fraktion DIE LINKE
nicht gefunden, Herr Braun. Da Frau Schavan heute lei-
der nicht hier ist – der Finanzminister ist ja in derselben Forderungen aus dem Bildungsstreik aufneh-
Fraktion wie sie –, kann ich nur sagen: Wir sind sehr ge- men und die soziale Spaltung im Bildungssys-
spannt, ob es Ihnen tatsächlich gelingt, im nächsten Jahr tem bekämpfen
etwas für kleine und mittlere Unternehmen zu tun. Wir
– Drucksache 17/119 –
werden das gespannt beobachten.
Überweisungsvorschlag:
Ich wünsche Ihnen ein gutes neues Jahr. Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Kai
DIE GRÜNEN) Gehring, Priska Hinz (Herborn), Krista Sager,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: NIS 90/DIE GRÜNEN
Ich schließe die Aussprache. Konsequenzen aus dem Bildungsstreik ziehen –
Bildungsaufbruch unverzüglich einleiten
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/130 an die in der Tagesordnung aufge- – Drucksache 17/131 –
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist Überweisungsvorschlag:
jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der Ausschuss für Bildung, Forschung und
FDP wünschen Federführung beim Finanzausschuss, die Technikfolgenabschätzung (f)
Finanzausschuss
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung
beim Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfol- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
genabschätzung. Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1021
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
(A) derspruch dagegen? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das sind ja Re- (C)
so beschlossen. den!)
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red- Im Übrigen hat der gestrige Tag noch etwas gezeigt,
nerin der Kollegin Dagmar Ziegler von der SPD-Frak- nämlich die inhaltliche Ideenlosigkeit unserer Bundes-
tion das Wort. bildungsministerin. Schon der Kabinettsbeschluss zum
Etat des Bildungsministeriums war ein Misstrauensvo-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) tum für die Ministerin; denn die Regierung hat sämtliche
bildungspolitischen Prestigeprojekte der Ministerin un-
Dagmar Ziegler (SPD): ter Vorbehalt gestellt und – vielleicht haben Sie es noch
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und gar nicht gemerkt – im Haushalt qualifiziert gesperrt.
Kollegen! Wir erleben in dieser Woche wieder einmal
schwarz-gelbe Chaostage. Das Hickhack und das Ge- Auch in der Gipfelerklärung habe ich außer ein paar
zerre, das wir in diesen Tagen – zwischen dem Bildungs- stichwortartigen Ankündigungen nichts Konkretes fin-
treffen gestern und der Bundesratssitzung morgen – erle- den können. Vielleicht können Sie in Ihrem Redebeitrag
ben, zeigt deutlich, dass diese Bundesregierung weder zu etwas dazu sagen. Frau Schavan ist für uns mittlerweile
einer seriösen Finanzpolitik noch zu einer seriösen Bil- zu einer Ministerin unter Dauervorbehalt geworden.
dungspolitik in der Lage ist. Ich frage mich, wie viele sogenannte Bildungsgipfel
(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: noch notwendig sind, bis erstens endlich verbindliche
Mein Gott! Leier, leier, leier!) Vereinbarungen zur Bildungsfinanzierung auf dem Tisch
liegen und wir hier zweitens endlich über konkrete bil-
Die Bundesregierung beteuert seit Tagen, dass das dungspolitische Vorschläge dieser Regierung diskutieren
eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Fakt ist aber, können. 10. Juni nächsten Jahres – das heißt gleichzei-
dass das, was Union und FDP im Koalitionsvertrag zur tig: ein halbes Jahr verlorene Zeit für die Bildung in un-
Steuerpolitik und zur Bildungspolitik aufgeschrieben ha- serem Land.
ben, allein deswegen miteinander zu tun hat, weil es hin-
ten und vorne nicht zusammenpassen will. Genau dieser (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
Widerspruch ist der Kanzlerin gestern beim vollmundig BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – René
angekündigten zweiten Bildungsgipfel um die Ohren ge- Röspel [SPD]: Aber die Wahl in Nordrhein-
flogen. Die Resonanz heute in der Presse müsste Ihnen Westfalen ist dann vorbei!)
deutlich gemacht haben, dass dem so ist. Schon im Sommer haben uns die Studierenden auf die
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des Probleme in der Hochschulpolitik aufmerksam gemacht.
(B)
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ein halbes Jahr später ist nach unserer Ansicht die Zeit (D)
gekommen, dass Sie nicht nur eine Problemanalyse be-
Ziel dieses Treffens war es – da sind wir uns sicher- treiben, sondern endlich auch Lösungsansätze aufzeigen
lich einig –, verbindliche Finanzierungsschritte und kon- sollten. Auch darauf hätten wir uns gestern auf dem Gip-
krete Bildungsprojekte zu vereinbaren. fel konkrete Antworten gewünscht. Nichts davon ist zu
hören.
(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]:
Wurde gemacht!) Die SPD-Fraktion fordert in ihrem Antrag von der
Bundesregierung deshalb, endlich handfeste Verbesse-
Dieses Ziel ist verfehlt worden. Die Entscheidung ist rungen für die Studierenden auf den Weg zu bringen.
nämlich vertagt worden. Daher kommt die große Enttäu- Zwei Aspekte stehen dabei im Mittelpunkt:
schung, die landesweit zu spüren ist. Das Ergebnis dieser
Woche wird sein: Steuergeschenke für die Hoteliers, Erstens. Eine gute Lehre muss an den Hochschulen
aber immer noch keine verbindlichen Vereinbarungen wieder den gleichen Stellenwert wie eine gute For-
für die Bildung. schung haben.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei der SPD)
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir sind uns einig: Nachbesserungen an den Studien-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wer zu ei- und Prüfungsordnungen sind unverzichtbar. Das reicht
nem Bildungsgipfel einlädt, parallel dazu aber dramati- aber nicht aus. Der Bund muss seinen Beitrag dazu leis-
sche Verschlechterungen der Einnahmesituation von ten, den Bologna-Prozess auch sozial auszugestalten und
Ländern und Kommunen vorbereitet, der gefährdet ge- ein gutes Studium in den neuen Studiengängen möglich
nau das, was in den nächsten Jahren bildungspolitisch zu machen.
geleistet werden kann. Deshalb muss die Bundesregie-
rung sämtliche dieser eigenartigen Steuerpläne zurück- Der Wissenschaftsrat hat gesagt, dass die Hochschu-
ziehen und den öffentlichen Haushalten die Spielräume len mindestens 1 Milliarde Euro pro Jahr mehr brauchen,
eröffnen, die notwendig sind, damit gute Bildungspolitik um die Bologna-Reformen gut umzusetzen. Die SPD-
gedeiht. Deutschland muss zu einer Bildungsrepublik Fraktion fordert die Bundesregierung deshalb auch auf,
werden statt zu einer Steueroase für wenige. gemeinsam mit den Ländern einen Pakt für Studienqua-
lität und gute Lehre zu vereinbaren, um diesen Mehrbe-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Albert darf abzusichern – das heißt, 3 Milliarden Euro mehr für
Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Oh Gott! – die Hochschulen in den nächsten drei Jahren.
1022 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Dagmar Ziegler
(A) Frau Schavan wird nicht müde, ihr Bologna-Qualitäts- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C)
und Mobilitätspaket anzukündigen – natürlich erst für das Das Wort hat jetzt der Minister für Wissenschaft, For-
nächste Jahr und ohne zu sagen, was in diesem Paket ent- schung und Kunst des Landes Baden-Württemberg, Pro-
halten sein soll. Wir sagen: Wir brauchen mehr Lehrende, fessor Dr. Peter Frankenberg.
und wir brauchen eine bessere Lehre. Deshalb fordern wir
eine echte Personaloffensive an den Hochschulen – auch (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
bei den Juniorprofessuren und im akademischen Mittel-
bau. Wir fordern einen Exzellenzwettbewerb für die Dr. Peter Frankenberg, Minister (Baden-Württem-
Lehre, und wir wollen, dass die Studentinnen und Studen- berg):
ten besser beraten und betreut werden. Dazu gehört übri- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vom Bil-
gens auch, dass die teilweise erheblichen Defizite der so- dungsgipfel geht ein sehr positives Signal für unsere
zialen Infrastrukturen an den Hochschulen beseitigt Hochschulen, für die Lehre, für die Forschung und auch
werden. für den Bologna-Prozess aus.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Die Studierenden brauchen unter anderem bezahlbare Die Pakte sind gesichert. Gerade der Hochschulpakt
Wohnungen und gut ausgestattete Studentenwerke. ist für die Zukunft der Lehre an den Hochschulen und für
eine breitere Akademisierung unserer Bevölkerung
Zweitens. Eine verantwortungsvolle Hochschulpolitik wichtig.
muss immer auch eine aktive Politik für Chancengleich-
heit sein. Sie setzen auf Selektion und Auslese statt auf Der Bologna-Prozess ist im Prinzip richtig. Der Bolo-
die soziale Öffnung der Hochschulen für alle. Das äußert gna-Prozess ist die Voraussetzung für eine einheitlichere
sich momentan erwiesenermaßen darin, dass sich der Strukturierung der Curricula in Europa. Das gestufte
BAföG-Beirat eben nicht auf die Höhe der notwendigen Studiensystem infolge des Bologna-Prozesses ist richtig
BAföG-Anhebung einigen kann. Gewerkschaften und und wichtig, weil nur so eine breite Akademisierung, die
Studentenwerke fordern eine spürbare Erhöhung, wäh- wir brauchen, möglich wird.
rend die Bildungsministerin auf der Bremse steht. Daran Bei der Umstellung ist vieles richtig gemacht worden.
wird ganz deutlich, dass die von der Regierung angekün- Wir sollten nicht die vielen Professorinnen und Profes-
digten Schritte eben nur Trippelschritte sind und dass soren, die bei dieser Umstellung Hervorragendes geleis-
beim BAföG nur Sozialkosmetik vorgenommen werden tet haben, desavouieren.
soll.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(B) Union und FDP wissen, dass sie ein BAföG-Schritt- (D)
chen als Alibi brauchen, um von der Kritik an ihrer un- Aber dass nach einer solchen Jahrhundertreform eine
sozialen Bildungspolitik abzulenken, sodass sie die so- Optimierung notwendig ist, ist völlig klar. Das von uns
zialen Schieflagen in der Bildung weiter ausbauen können. geschaffene gestufte Studiensystem ist übrigens lange
Die Lösung wäre schlicht und einfach, das Stipendienpro- zuvor vom Wissenschaftsrat als die notwendige Lösung
gramm ad acta zu legen, Studiengebühren abzuschaffen bei einer Reform des deutschen Studiensystems gefor-
und eine echte BAföG-Reform vorzulegen, mit der vor dert worden.
allem die Freibeträge noch einmal deutlich aufgestockt Ich möchte drei Punkte nennen, die mir für eine Opti-
werden, damit die Gruppe der BAföG-Berechtigten grö- mierung des Bologna-Systems wichtig sind. Der erste
ßer werden kann. betrifft die Qualitätssicherung. Hätten wir eine funktio-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten nierende Qualitätssicherung, sprich Akkreditierung,
der LINKEN) dann dürfte es die Probleme, die in Studiengängen auf-
getreten sind, eigentlich nicht geben.
Ein letzter Punkt. Die von dieser Bundesregierung vo-
rangetriebene Privatisierung der Bildungsfinanzierung (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
ist nicht nur sozial ungerecht, sie wird auch nicht funk- der FDP)
tionieren. Ich frage mich, was die Menschen neben Kita- Eine Akkreditierung auf dem Papier und a priori war
Gebühren und Studiengebühren noch alles bezahlen sol- nicht die Lösung für den Wegfall der staatlichen Geneh-
len – und jetzt verlangt Frau Schavan auch noch, dass migung. Wir brauchen eine Evaluierung im laufenden
der Herr Meier aus Stuttgart das Stipendium für die Studienbetrieb unter Einbeziehung der studentischen
Tochter von Frau Müller aus Köln bezahlen soll. Erklä- Veranstaltungskritik. Das entspricht dem, was internatio-
ren Sie uns, wie das gehen soll. Daran kann keiner von nal für Qualitätssicherung und Akkreditierung wichtig
Ihnen wirklich selber glauben. und üblich ist.
(Beifall bei der SPD) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Bildung ist eine öffentliche Aufgabe, und das muss der FDP)
sie auch bleiben. Notwendig ist die Einbeziehung der Fachgesellschaf-
Vielen Dank. ten in das Akkreditierungs- und Qualitätssicherungssys-
tem. Wir sollten den Wissenschaftsrat damit beauftra-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gen, das System zu reformieren und auch eine Art
der LINKEN) Wächterrolle für dieses System zu übernehmen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1023
Minister Dr. Peter Frankenberg (Baden-Württemberg)
(A) Die zweite große Herausforderung ist die größere He- anders als im Erlass vom 16. Februar 2005 durch die (C)
terogenität der Studierenden, der wir uns heute gegen- Ministerin Hannelore Kraft in Nordrhein-Westfalen fest-
übersehen. Bei einem Anteil von 40 Prozent einer Al- gelegt wurde, der vorschreibt, dass 20 Prozent des Lehr-
tersgruppe, der ein Studium aufnimmt, können wir nicht angebotes der Universitäten und 10 Prozent des Lehran-
mehr von Homogenität sprechen. Diesen Studierenden gebotes der Fachhochschulen für das Masterstudium
müssen wir durch die Möglichkeit unterschiedlicher Ge- reserviert sein sollen, das heißt, 80 bzw. 90 Prozent für
schwindigkeiten im Studium gerecht werden. Das Stu- das Bachelorstudium. So Frau Kraft in dem Erlass zu
dium muss in drei oder vier Jahren organisiert werden. den landesspezifischen Strukturvorgaben in Nordrhein-
Es muss auch Freiräume für diejenigen geben, die nach Westfalen.
ihrer Neigung oder Befähigung anders studieren wollen
als die, die beabsichtigen, in drei Jahren ein Fast-Track- (Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Hört!
Studium zu durchlaufen. Hört!)

Es muss die Möglichkeit von College-Semestern, also Eine solche planwirtschaftliche Bewirtschaftung ist
vorgeschalteten breiteren Studiengängen, geben, die uns fremd.
dann in ein spezifisches Studium führen und zu einer
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
besseren Orientierung und Qualifizierung der Studenten
beitragen. Dazu müssen wir Möglichkeiten wie ein Mo- René Röspel [SPD]: Also, das würde ich stark
dell „1+3+1+2“ schaffen, um auch eine Studiendauer finden! – Michael Kretschmer [CDU/CSU]:
von mehr als fünf Jahren zu ermöglichen. Was fällt der SPD nur ein! Unglaublich! Was
Sozialdemokraten anrichten! Schlimm!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Mit Bologna verhält es sich insgesamt wie mit der
Es ist richtig, dass das BAföG-System sozusagen bo- Kirche: Bologna semper reformanda, aber im Prinzip
lognalisiert wird, also an diese Struktur mit ihren Unter- gut.
brechungen, den häufigeren Fachwechseln und der län-
geren Dauer angepasst wird. Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und der FDP sowie bei (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE neten der FDP)
GRÜNEN)
Wir müssen auch die Frage der inneren Studienstruk- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
tur angehen. Schmale Bachelorangebote sind falsch. Der Das Wort hat die Kollegin Agnes Alpers von der
(B) Bachelor sollte wesentlich breiter sein als das Masteran- Fraktion Die Linke. (D)
gebot. Die Prüfungsdichte muss dort reduziert werden,
wo Probleme aufgetreten sind. Es muss auch modulüber- (Beifall bei der LINKEN)
greifend geprüft werden können. Wir sollten auch be-
denken, dass vielleicht eine Kombination von studienbe- Agnes Alpers (DIE LINKE):
gleitenden Prüfungen und Abschlussprüfungen ideal
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
wäre. Wir haben die Abschlussprüfungen durch studien-
Lehrerin muss ich natürlich auf den Bildungsstreik in
begleitende Prüfungen ersetzt. Manchmal ist ein Stück
meiner Heimstadt Bremen eingehen. Das Motto lautet:
Tradition im besten konservativen Sinne gemischt mit
Gute Bildung für alle, und zwar sofort. So wie bei uns in
einer Neuerung die bessere Lösung als eine zu radikale
Neuerung. Bremen streiken zurzeit Schülerinnen und Schüler sowie
Studentinnen und Studenten von Greifswald bis Mün-
Dann kommt die Frage des Bachelor-Master-Über- chen. Sie fordern eine Finanzierung für Bildung, die ihre
gangs. Es ist sicherlich völlig unverzichtbar, dass es be- Lern- und Ausbildungsbedingungen sofort und nachhal-
stimmte Qualifikationsfeststellungen gibt. Wer auf diese tig verbessert, und zwar für alle. Bildung darf nicht von
verzichten will, hat das Bologna-System nicht verstan- der sozialen Herkunft und vom Geldbeutel der Eltern ab-
den. Das ist kein nur konsekutives System. Es muss ein hängig sein.
Wechsel des Faches, der Hochschule und des Landes an-
gedacht sein. Bei dem Wechsel des Landes denke ich (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
nicht nur an einen Wechsel von Württemberg nach Ba- neten der SPD)
den.
Auf dem gestrigen Bildungsgipfel wurde nun verein-
(Heiterkeit – René Röspel [SPD]: Das ist bart, bis 2015 zusätzlich 13 Milliarden Euro in sechs
schon schwierig genug! – Zuruf von der FDP: Jahren in Bildung zu investieren. Das ist ein Tropfen auf
Das ist auch schon ein gewaltiger Sprung!) den heißen Stein. Zu diesem Schluss kommt man, wenn
man bedenkt, dass im letzten Jahr auf dem Bildungsgip-
– Das ist aber ein Sprung, auf den ich jetzt nicht im De- fel noch von einem Gesamtbedarf in Höhe von
tail eingehen möchte. 60 Milliarden Euro pro Jahr gesprochen wurde, um bis
Wir müssen das Angebot an Masterstudienplätzen 2015 das Ziel, 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes
nicht reglementieren, sondern wir sollten es der befähig- für Bildung auszugeben, zu erreichen. Um Ihre mickri-
ten Nachfrage anpassen, gen 13 Milliarden Euro zu erreichen,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) (Lachen bei der CDU/CSU)
1024 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Agnes Alpers
(A) sollen jetzt auch noch Pensionsansprüche von Lehrerin- Das Wort hat jetzt der Kollege Professor Dr. Martin (C)
nen und Lehrern sowie Professorinnen und Professoren Neumann von der FDP-Fraktion.
und sogar Kitabeiträge der Eltern einberechnet werden.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Meine Damen und Herren von der Union, Ihr Partei-
der CDU/CSU)
freund, der sächsische Kultusminister Roland Wöller
sagt – wie ich finde: treffend –: „Das sind Taschenspieler-
tricks.“ Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Kollegen! Sehr geehrter Herr Professor Frankenberg, ich
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE möchte mich ganz ausdrücklich für Ihren Beitrag bedan-
GRÜNEN) ken, der die Diskussion über dieses Thema deutlich qua-
lifiziert hat.
Im Bremer Bildungsstreik spielen aber nicht nur Stu-
dentinnen und Studenten sowie Schülerinnen und Schü- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
ler eine Rolle. Vielmehr solidarisieren sie sich auch mit
Die Koalition und die Opposition vereint ein Ziel:
Auszubildenden und Jugendlichen, die keinen Ausbil-
Deutschland zur Bildungsrepublik zu machen. Das las-
dungsplatz haben oder sich in Übergangsmaßnahmen
sen die drei vorliegenden Anträge aus den Oppositions-
befinden. Ziel des Bildungsgipfels vor einem Jahr war, fraktionen auf den ersten Blick vermuten, aber der
viele Maßnahmen auf Bundesebene voranzutreiben. Sie Schein trügt. In Ihren Anträgen, meine Damen und Her-
wollten beispielsweise Kampagnen starten, um Ausbil- ren von der Opposition, formulieren Sie Feststellungen
dungsplätze für alle zu schaffen. Übergangsmaßnahmen über den angeblichen Zustand des deutschen Bildungs-
sollten als Ausbildungszeit angerechnet werden. Aber systems. Diese Feststellungen werden aber von der
außer Spesen nichts gewesen! Da hilft es auch nicht, Wirklichkeit nicht bestätigt. Dies hat nicht zuletzt die ak-
wenn die Bildungsministerin in ihrer Antrittsrede erneut tuelle Veröffentlichung des Statistischen Bundesamtes
davon spricht, dass die berufliche Bildung das Flagschiff „Hochschulstandort Deutschland 2009“, wie ich finde,
unseres Bildungssystems ist. Statt etwas für die jungen eindrucksvoll belegt.
Leute zu tun, haben Sie lieber Mikado gespielt: Wer et-
was bewegt, hat verloren. Erstens. Die Studienanfängerquote ist mit 43 Prozent
so hoch wie nie zuvor.
(Beifall bei der LINKEN)
Zweitens. Es gibt keinen systematischen Zusammen-
Frau Schavan und meine Damen und Herren von der hang zwischen allgemeinen Studiengebühren und dem
Union, können Sie sich eigentlich vorstellen, was dies Mobilitätsverhalten der Studienanfänger. Das heißt, es
(B) mit jungen Leuten macht? Ich habe die Mutlosigkeit und ist entgegen Ihren Behauptungen kein Abschreckungsef- (D)
die Verzweiflung bei meiner Arbeit kennengelernt. Es fekt erkennbar.
muss Ihnen doch zu denken geben, dass die OECD seit (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Jahren beklagt, dass Deutschland seine Bildungschancen
nach sozialer Herkunft verteilt. Besonders hart sind die Drittens. Die durchschnittliche Studiendauer hat sich
Bedingungen für Jugendliche mit Migrationshinter- auf 9,6 Fachsemester verkürzt, zum einen durch die Ein-
grund. Die Arbeitnehmerkammer Bremen weist in ihrem führung des Bachelorstudiums, zum anderen aber auch
Armutsbericht 2008 nach, dass diese Jugendlichen bei durch die Einführung von Studiengebühren für Langzeit-
gleichem Leistungsniveau eine deutlich geringere Chance studenten.
auf einen Ausbildungsplatz haben. Viertens. Die Erfolgsquoten sind mit durchschnittlich
Frau Schavan, mit dieser Bildungspolitik treiben Sie 68 Prozent noch gering, aber – auch das zeigen die statis-
die Spaltung der Gesellschaft weiter voran. Renate tischen Zahlen – die höchsten Quoten liegen bei Studien-
Köcher schrieb gestern in der FAZ, dass nur 31 Prozent gängen mit Zulassungsbeschränkungen wie zum Beispiel
der Menschen aus sozial benachteiligten Schichten „an Medizin oder bei Studiengängen, die einem Auswahlver-
die Möglichkeit glauben, durch Leistung die eigene Lage fahren an den Hochschulen unterliegen. Das heißt, mehr
zu verbessern“. Das ist ein Alarmsignal. Investieren Sie end- Autonomie der Hochschulen kann für eine bessere Stu-
lich mindestens 13 Milliarden Euro pro Jahr! 13 Milliarden dienorganisation sorgen, ein Weg, den wir weiter be-
Euro auf sechs Jahre verteilt, das ist doch nur ein durch- schreiten werden.
sichtiges Angebot an die Länder, damit sie morgen dem (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Wachstumsbeschleunigungsgesetz zustimmen.
Ich will hier nichts schönfärben, aber wir sollten die
Vielen Dank. Realität zur Kenntnis nehmen. Die ist eben nicht
schwarz-weiß oder, wenn ich es auf das Parlament be-
(Beifall bei der LINKEN) ziehe, rot-grün. Bevor wir die Bologna-Reform vor-
schnell verteufeln und zum Sündenbock für eine als un-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: gerecht empfundene Hochschulpolitik abstempeln,
Frau Kollegin Alpers, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
ersten Rede im Deutschen Bundestag. Herzlichen Das tut doch niemand!)
Glückwunsch!
blicken wir doch einmal zehn Jahre zurück. Es waren
(Beifall) doch die allseits beklagten Mängel des alten Studiensys-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1025
Dr. Martin Neumann (Lausitz)
(A) tems, dass die Durchschnittszahlen bei 13 bis 14 Semes- einmal mit Ihren Fachministern in den Ländern reden, (C)
tern lagen, dass eine Abbruchquote von über 30 Prozent bevor Sie uns im Deutschen Bundestag mit Anträgen ein
bestand und dass die Hochschulabsolventen mit durch- Bild zeichnen, das mit der Realität wenig zu tun hat.
schnittlich 28 Jahren im weltweiten Vergleich viel zu alt
waren. Hier hat Bologna angesetzt, und zwar, wie ich (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
meine, mit Erfolg.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Herr Neumann, erlauben Sie eine Zwischenfrage der
Dieser Prozess ist noch lange nicht abgeschlossen. Aber Kollegin Ziegler?
ein Zurück wäre ganz bestimmt kein Schritt in Richtung
Bildungsrepublik. Dort wollen wir doch alle hin. Wir als Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP):
FDP erwarten, dass jeder seine Hausaufgaben macht. Bitte.
Eine echte Bildungspartnerschaft – die ist Bedingung für
eine Bildungsrepublik Deutschland – ist eine gemein-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
same Anstrengung von Bund, Ländern, Kommunen und
vor allem den Hochschulen, die sich dem Umstellungs- Bitte schön.
prozess stellen müssen, der von der Politik zu begleiten
ist. Dagmar Ziegler (SPD):
Lieber Herr Kollege, nehmen Sie bitte zur Kenntnis,
Die Kritik an Bologna, wie sie auch in den Studenten- dass neun Jahre Wissenschaftspolitik im Land Branden-
protesten häufig zu hören ist, ist nur teilweise berechtigt. burg, auf die Sie gerade rekurriert haben, in der Verant-
Wenn die Studierenden zum Beispiel eine Verschulung wortung einer CDU-Ministerin lag.
und Überfrachtung des Studiums sowie eine zu hohe Ar-
beitsbelastung beklagen, dann ist das nur bedingt dem
Bologna-Prozess zuzuschreiben. Gerade die Hochschu- Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP):
len haben es doch in der Hand, mit ihren Prüfungsord- Liebe Frau Ziegler, wenn Sie genau zugehört hätten,
nungen die Belastungen ihrer Studierenden zu steuern. dann wüssten Sie, dass ich gesagt habe: Die SPD-Wis-
Diese sind nach meinen eigenen Erfahrungen nur unwe- senschaftsministerin hat das, was ich hier zitiert habe,
sentlich höher, als sie es bei den Diplomstudiengängen gestern gesagt.
schon waren. Die Hochschulen haben es in der Hand, (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Der Ministerprä-
über Zulassungsverfahren und Kapazitätsplanungen eine sident war immer von der SPD!)
Überfüllung der Hörsäle zu vermeiden.
Sie beschreibt eine Situation nach ihrem Blickwinkel.
(B) Dass hier die Länder maßgeblich den Erfolg von Bo- (D)
logna beeinflussen können, zeigt nicht nur das Positiv- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
beispiel Nordrhein-Westfalen. Es gibt auch eine andere der CDU/CSU – Dagmar Ziegler [SPD]: Na
Richtung. Ich schaue da nur auf mein Heimatland Bran- und? – Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Man
denburg, wo die SPD ununterbrochen seit 1990 regiert muss nicht besonders clever sein, um das zu
und wo die rot-rote Mehrheit erst gestern im Landtag be- kapieren)
schlossen hat, dass die Lage an den Hochschulen im
Wir wollen Deutschland zur Bildungsrepublik ma-
Land in einem mehrmonatigen Prozess zunächst einmal
chen. Wir handeln auch so und belassen es nicht bei un-
bewertet werden soll, um dann frühestens im vierten
seriösen Anträgen, deren Aussagen die Wirklichkeit
Quartal – man höre! – 2010 eventuell eine Änderung
nicht widerspiegeln, sondern in denen Sie ganz offen-
herbeizuführen,
sichtlich einigen Studenten mit ideologisch begründeten
(Dagmar Ziegler [SPD]: Weil die Ministerin Forderungen nach dem Munde reden.
von der CDU war!)
Ich komme zum Schluss. Es wäre aus meiner Sicht
und das angesichts des schlechten Betreuungsverhältnis- unsozial, wenn wir den Familien nicht mit einem fairen
ses zwischen Dozenten und Studenten an den Branden- Steuersystem mehr Geld für die Ausbildung ihrer Kinder
burger Universitäten von 1 : 21,1 im Vergleich zum Bun- geben würden. Es wäre unsozial, wenn wir 10 Prozent
desdurchschnitt von 1 : 17,6. der Studierenden ein Stipendium verweigern würden. Es
wäre unsozial, wenn wir Schülern aus finanzschwäche-
Es verwundert mich schon, dass Sie die Bundesregie- ren Familien nicht vor Ort mit Bildungsschecks helfen
rung hier zu schnellem Handeln auffordern und die Stu- würden, die besten Förderangebote zu erhalten.
denten dort, wo Sie selbst in der Regierungsverantwor-
tung sind, unnötig hinhalten. Also: Fordern Sie nicht nur! Kritisieren Sie nicht nur!
Beenden Sie vor allem Ihre ideologischen Klassen-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – kämpfe, und schärfen Sie Ihre Sinne für die Wirklich-
Dagmar Ziegler [SPD]: Hallo! Neun Jahre keit!
CDU!)
Ich bedanke mich.
– Liebe Frau Ziegler, die Brandenburger SPD-Wissen-
schaftsministerin, Ihre Parteifreundin, wird heute in der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Schweriner Volkszeitung zitiert, viele Befürchtungen der René Röspel [SPD]: Die Einzigen, die das
Studenten seien „nicht durch Fakten untersetzt“. In die- Wort „Ideologie“ benutzen, kommen von der
ser Einschätzung liegt viel Wahres. Vielleicht sollten Sie FDP und der Union!)
1026 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Für die Bildung hat der Bund gestern kümmerliche (C)
Das Wort hat der Kollege Kai Gehring von der Frak- 5,2 Milliarden Euro auf den Verhandlungstisch gelegt –
tion Bündnis 90/Die Grünen. an einem Tag, an dem der Finanzminister seinen Haus-
haltsentwurf für 2010 vorgelegt hat, in dem 100 Milliar-
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wenn die den Euro neue Schulden eingeplant sind, einen Tag be-
Grünen nicht klatschen, klatsche ich! – Beifall vor Sie den Ländern und Kommunen mit Beschlüssen zu
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE milliardenschweren Steuerausfällen die Möglichkeit zur
GRÜNEN und der SPD) Schaffung einer Bildungsrepublik unter den Füßen weg-
ziehen. Ihr Wachstumsbeschleunigungsgesetz ist nichts
Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): anderes als ein Bildungsbrems- und Schuldenaufbauge-
setz. Als solches wird es auch in die Geschichte einge-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! hen.
Herr Neumann, Sie haben recht. Es geht immer mit der
Betrachtung der Realität los. Deshalb freue ich mich, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
dass FDP, Union und Grüne heute im Saarländischen sowie bei Abgeordneten der SPD)
Landtag gemeinsam die Abschaffung der unsozialen
Es ist hier schon angesprochen worden, aber man muss
Studiengebühren beantragt haben.
es Ihnen immer wieder sagen: Es ist ein Armutszeugnis,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN dass die Koalition lieber Hotelbetten subventioniert, statt
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der eine verbindliche Zahl von Studienplätzen aufzubauen.
LINKEN) (Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)
Im Sinne der Wahrnehmung der Wirklichkeit möchte Sie handeln damit fahrlässig. Wenn man noch die neuen
ich sehr deutlich sagen, dass man die heutige Debatte Schulden in Höhe von 100 Milliarden Euro berücksich-
ohne eine kritische Bewertung des gestrigen Bildungs- tigt, muss man feststellen, dass Sie das Prinzip der Gene-
gipfels II nicht führen kann. Auf dem Treffen von Kanz- rationengerechtigkeit ganz offensichtlich in die Tonne
lerin, Bundesministerin und Ministerpräsidenten der treten.
Länder hätten Konsequenzen aus den Bildungsstreiks
gezogen werden können und müssen. Das Treffen hat (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
aber nur einen Titel verdient: Der Berg kreißte und gebar sowie des Abg. René Röspel [SPD] und der
noch nicht mal eine Maus. Abg. Agnes Alpers [DIE LINKE])

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wir als Grüne haben ein Paket an Maßnahmen ge-
(B) und bei der SPD) schnürt, mit dem der Bildungsaufbruch gelingen kann. (D)
Im Gegensatz zu Ihnen haben wir auch einen Finanzie-
Die Bildungsrepublik ist gestern zum Märchenland von rungsvorschlag gemacht. Wir wollen unter anderem,
Merkel und Schavan geworden. Sich von Gipfel zu Gip- dass der Soli Ost schrittweise in einen Bildungssoli um-
fel zu vertagen, ohne verbindliche Lösungen zu liefern, gewandelt werden soll. Mit diesem Bildungssoli könnten
ist kein Meilenstein für eine bessere und gerechtere Bil- Sie konsequent in Bildungseinrichtungen investieren
dung, sondern ein Armutszeugnis für die Bundesregie- und damit einen gesamtstaatlichen Kraftakt stemmen.
rung und eine schlechte Nachricht für die Zukunftsper- Darauf hätten Sie sich gestern auch verständigen kön-
spektiven von Schülern und Studierenden. nen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]:


sowie bei Abgeordneten der SPD) Wissen Sie überhaupt, was der Unterschied
zwischen Steuern und Abgaben ist?)
Die Koalition sollte sich etwas anderes in den Advents-
kalender schreiben: Eine Bildungsrepublik lässt sich Wo wir gerade beim gesamtstaatlichen Bildungsauf-
nicht auf Steuersenkungen, Statistiktricks und Machtge- bruch sind, möchte ich sehr deutlich sagen: Das absurde
schacher mit den Ländern aufbauen. Mit Schönrechnen, Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern bei der
Tricksen und Schachern haben Bund und Länder gestern Bildung, das in der Föderalismusreform I festgeschrieben
auf die völlig unterdurchschnittlichen Bildungsinvesti- wurde, muss endlich wieder fallen; denn es hat bildungs-
tionen in Deutschland geantwortet. Aus unserer Sicht ist politische Kleinstaaterei und Flickenteppiche gebracht
es geradezu unanständig, die jährlich 23 Milliarden Euro und solches Geschacher wie gestern hervorgerufen.
große Finanzierungslücke zum OECD-Durchschnitt klein- Wenn selbst Frau Schavan in einem Interview dieses Ko-
zutricksen, indem unter anderem Pensionen von Lehrern operationsverbot mittlerweile ganz klar als Fehler be-
und Professoren und fiktive Mietkosten für Grundstücke zeichnet, sollte Schwarz-Gelb diesen Fehler unverzüg-
und Gebäude einfach zum Bildungsbudget hinzuaddiert lich korrigieren. Dann kann man das bildungspolitisch
werden. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, Notwendige in diesem Land auch besser anpacken.
mit Bilanzfälschung lassen sich Unterfinanzierung, Un- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
gerechtigkeiten und Blockaden in unserem Bildungssys- sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg.
tem sicherlich nicht beheben. Agnes Alpers [DIE LINKE])
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Wir fordern in unserem Antrag unter anderem, den
bei der SPD und der LINKEN) Ausbau von Ganztagsschulen mit einem neuen Ganz-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1027
Kai Gehring
(A) tagsschulinvestitionsprogramm im neuen Jahr fortzuset- Ich wünsche mir ganz persönlich in Zukunft etwas weni- (C)
zen. Wir wollen einen echten Pakt für Studierende. ger Wiederholungen altbekannter Statements und etwas
Hierdurch sollen 500 000 Studienplätze geschaffen, mehr Beharrlichkeit im Thema.
bessere Lehr- und Studienbedingungen gefördert und
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
die Bologna-Reform korrigiert werden. Ein wichtiges
neten der FDP – Dagmar Ziegler [SPD]: Wün-
Anliegen ist uns auch die Stärkung der staatlichen Stu-
schen wir uns auch!)
dienfinanzierung, das heißt eine sofortige BAföG-Erhö-
hung statt eines völlig vagen Stipendienprogramms, ein Wirklich erstaunlich ist der Umstand, dass in keinem
mittelfristiger Ausbau der Studienfinanzierung zu ei- der Anträge etwas dazu steht, wie eine Erhöhung der
nem Zwei-Säulen-Modell sowie die Abschaffung von Qualität von Bildung erreicht werden kann. Es darf zu-
Studiengebühren. Das alles sind wichtige Vorschläge, mindest bezweifelt werden, dass dies durch eine Absen-
die die Koalition aufgreifen könnte, um die skandalöse kung oder gar durch den Wegfall jeglicher Zugangsbe-
Bildungsspaltung in unserem Land tatsächlich zu behe- schränkungen zum Studium oder durch die in den
ben. In diesem Sinne freue ich mich auf weitere Debat- Anträgen ausführlich beschriebenen Rundum-sorglos-
ten über unsere Anträge sowohl im Ausschuss als auch Pakete für Abiturienten möglich ist.
vor Ort in den Audimaxen dieser Republik.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Vielen Dank. neten der FDP)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Ebenso unwahrscheinlich ist es, dass der in allen Anträ-
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- gen beschworene Standortvorteil durch fehlende Studien-
KEN) gebühren dem Standortvorteil durch exzellente Lehre
und Forschung bei gleichzeitig erhobenen Gebühren
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: überlegen ist. Den Beweis dafür sind Sie schuldig ge-
Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt blieben.
erteile ich das Wort dem Kollegen Dr. Thomas Feist von (Beifall bei der CDU/CSU)
der CDU/CSU-Fraktion.
Ein Weiteres kommt hinzu: Die in den Anträgen be-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schworene Zwangsläufigkeit der Aufnahme eines Stu-
diums nach abgelegtem Abitur widerspricht der Wahl-
Dr. Thomas Feist (CDU/CSU): freiheit des Einzelnen,
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was ist das
Liebe Bildungsfreunde!
(B) für ein Quatsch!) (D)
(Dagmar Ziegler [SPD]: Und -freundinnen!)
für die Sie doch sonst immer so vehement eintreten. Fast
Im Wesentlichen lässt sich zu den uns hier vorliegenden – aber nur fast – könnte man meinen, Sie instrumentali-
Anträgen Folgendes sagen: Erstens. Sie sind ihrem We- sieren Studierende für Ihre eigenen politischen Zwecke,
sen nach nicht neu. Zweitens. Sie sind ihrem Inhalt nach ohne tatsächlich an den jeweiligen Bildungsbiografien
nicht besonders innovativ. Drittens. Sie sind in ihren Be- junger Menschen interessiert zu sein.
gründungen zumindest teilweise recht originell. – Origi-
(Beifall bei der CDU/CSU)
nell ist es allerdings nicht, dass es offenbar der Reflex
auf öffentliche Diskussionen der letzten Wochen ist, der Zu den einzelnen Anträgen. Der Vorschlag der SPD
die Opposition zu diesen Anträgen geführt hat. Hilfrei- ist geradezu visionär, und man müsste dazu gratulieren,
cher als derart reflexartige Handlungen wäre es, halb- wenn er nicht unlängst von der bildungspolitischen Re-
gare Bildungskonzepte nicht erst dann aus dem Hut zu alität überholt worden wäre. Es ist schade für die Pointe
zaubern, wenn sich auf der Flamme öffentlicher Diskus- Ihres Antrages, dass mittlerweile bereits ein Großteil
sion daraus das eigene politische Süppchen kochen lässt. dessen eingelöst ist, was Sie fordern, und dies, ohne dass
ein Pakt – in welcher Form und von wem auch immer –
Es erstaunt mich nicht, dass die Aussagen des Koali-
notwendig gewesen wäre.
tionsvertrages zu konkreten Maßnahmen wie Bildungs-
bündnissen vor Ort, dem Ausbau der Bildungsfinanzie- (Dagmar Ziegler [SPD]: Da wissen Sie mehr
rung und dem Primat schulischer Qualität von den als wir!)
Antragstellern offenbar nicht zur Kenntnis genommen
Mit der Anpassung der ländergemeinsamen Struktur-
wurden.
vorgaben hat die Kultusministerkonferenz vom 10. De-
(Dagmar Ziegler [SPD]: Ankündigungen!) zember dieses Jahres einen ganz wesentlichen Beitrag
zur Beseitigung bestehender Fehlentwicklungen bei der
Das ist der Blickwinkel der Opposition, das ist nicht an-
Umstellung der Studiengänge geleistet. Die Regelstudi-
ders zu erwarten.
enzeiten werden demzufolge flexibilisiert, und Mobili-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- tätsfenster innerhalb des Studiums gewährleisten zu-
neten der FDP) künftig die erforderlichen Zeiträume für Aufenthalte der
Studierenden an anderen Hochschulen.
Es erstaunt zumindest teilweise, dass unter der Über-
schrift „Bildungspolitik“ in allen drei Anträgen fast aus- Der Vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen,
schließlich Aussagen zur Sozialpolitik zu finden sind. aus dem Solizuschlag einen Bildungssoli zu machen, ist
1028 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Dr. Thomas Feist


(A) – so stellt er sich nach außen dar – der wirklich große rung demnächst im Deutschen Bundestag gemeinsam (C)
Wurf, die geniale Eingebung, auf die wir und die Bil- mit uns beschließt.
dungslandschaft im Besonderen schon immer gewartet
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
haben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN])
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Schade ist nur, dass er eines völlig außer Acht lässt, dass Herr Kollege Feist, auch Ihnen gratuliere ich im Na-
nämlich noch nie mehr Geld für Bildung bereitgestellt men des Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bun-
wurde als heute. destag.
Zu einer zukunftsfähigen finanziellen Ausstattung der (Beifall)
deutschen Bildungslandschaft gehört allerdings auch, die Ich schließe die Aussprache.
richtigen Prioritäten zu setzen. Hier hat die Koalitionsre-
gierung konkrete Vorschläge unterbreitet. Sie lauten: Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
BAföG-Erhöhung, Stipendiensystem und Bildungsspa- den Drucksachen 17/109, 17/119 und 17/131 an die in
ren. Die vom Bundesministerium für Bildung und For- der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
schung selbst eingesetzten Sperrvermerke sind für mich gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
ein gutes Signal, dass das Parlament angemessen an den Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
weiteren Entscheidungen beteiligt wird.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 14 a und 14 b auf:
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- a) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
neten der FDP – René Röspel [SPD]: Das Par-
lament setzt Sperrvermerke, nicht die Regie- Übertragung der bundeseigenen Seengewässer
rung!) auf die neuen Länder
Das in gewohnt klassenkämpferischer Manier ver- – Drucksache 17/238 –
fasste Papier der Linken lasse ich an dieser Stelle un- Überweisungsvorschlag:
kommentiert. Haushaltsausschuss (f)
Innenausschuss
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Rechtsausschuss
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Breiten wir so kurz vor Weihnachten den großen Mantel Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
(B) der christlichen Nächstenliebe darüber. Ausschuss für Tourismus (D)
Abschließend möchte ich noch kurz auf die Studen- b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
tenproteste eingehen. Es ist wichtig, dass wir als Bil- Dr. Dagmar Enkelmann, Dr. Kirsten Tackmann,
dungspolitiker auch weiterhin mit denjenigen Studenten- Dr. Gesine Lötzsch, weiterer Abgeordneter und
vertretern im Gespräch bleiben, für die der Begriff der Fraktion DIE LINKE
„konstruktiver Dialog“ keine Kapitulationserklärung an
das System, sondern Grundlage allen Streits um eine Keine Privatisierung von Äckern, Seen und
kontinuierliche Verbesserung unserer Bildungsland- Wäldern
schaft ist. Hierbei muss erstens gelten: gleiche Chancen – Drucksache 17/239 –
für alle statt Gleichmacherei, und zweitens müssen Ver- Überweisungsvorschlag:
antwortung des Staates und persönliche Verantwortung Haushaltsausschuss (f)
des Einzelnen sich ergänzen. Innenausschuss
Rechtsausschuss
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Noch wichtiger ist allerdings, dass sich die Opposition Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
nicht in einer Debatte über Pakte verzettelt, sondern mit Ausschuss für Tourismus
Blick auf eine gute Bildung in unserem Land mit an- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
packt. Handlungsfelder dafür bieten sich in den bil- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
dungspolitischen Aktivitäten der jetzigen Bundesregie- derspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-
rung zuhauf. Neben der schon erwähnten Erhöhung der schlossen.
Bedarfssätze und Freibeträge sowie der Anhebung der
Altersgrenze beim BAföG ist hier auch die erhebliche Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
Steigerung der Investitionen in Bildung und Forschung, ner das Wort dem Kollegen Hans-Joachim Hacker von
in die Zukunft und in die Menschen in diesem Lande zu der SPD-Fraktion.
nennen. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Zusammengefasst wäre es für die Bürger unseres
Landes ein wichtiges Signal, wenn die Opposition sich Hans-Joachim Hacker (SPD):
fürderhin auf konstruktive Äußerungen zur Bildungs- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
politik beschränkt und die Gesetze zur Verbesserung der Kollegen! Die Praxis der Seenverkäufe durch die BVVG
Studienrahmenbedingungen und der Studienfinanzie- schlägt hohe Wellen, um es einmal bildhaft darzustellen,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1029
Hans-Joachim Hacker
(A) zum Beispiel rund um den Malchiner See. Mitten im (Beifall bei der SPD – Michael Kretschmer (C)
wunderschönen Naturpark Mecklenburgische Schweiz [CDU/CSU]: Niemals!)
gelegen, bietet der Malchiner See auf mehr als acht Kilo-
Der Antrag greift wichtige Aspekte des Natur- und
metern Länge vielen Menschen einen Raum für Erho-
Umweltschutzes auf, die verloren gehen würden, wenn
lung und für Tourismus. Wenn der Winter kommt – wir
die Verkaufspraxis so fortgeführt würde. Ich erinnere da-
hoffen das immer noch –, ist er ein Ort zum Eislaufen.
ran, dass viele Menschen, die in Regionen leben, in de-
Aber auch bei Anglern und Eisseglern ist dieser See sehr
nen Seen privatisiert werden sollen, tief betroffen sind.
beliebt. Das ganze Jahr über fahren Angeltouristen an
Dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages lie-
diesen See, um einen Hecht, einen Zander oder einen
gen Petitionen mit über 84 000 Unterschriften vor, Herr
Aal zu fangen. Das alles könnte in Gefahr geraten, wenn
Rehberg. Ich würde es als ein Zeichen der Wahrneh-
die Privatisierung der bundeseigenen Seengewässer wie
mung von Mitwirkungsrechten der Bürger ansehen,
bisher fortgesetzt wird. Die SPD-Bundestagsfraktion hat
wenn dieses Bürgeranliegen ernst genommen wird, dem-
deswegen diesen Antrag eingebracht mit dem Ziel, die
entsprechend die Privatisierungspolitik gestoppt wird
betreffenden Seengewässer auf die neuen Länder, kon-
und mit einem Gesetz, das wir einfordern, eine Neurege-
kret: auf die Länder Brandenburg und Mecklenburg-Vor-
lung geschaffen wird. Die Länder in Deutschland sind
pommern, zu übertragen und – solange dies noch nicht
verpflichtet, europäisches Recht umzusetzen, das heißt,
geschehen ist – die öffentliche Ausschreibung zu stop-
zur Gewässerreinhaltung und zu einer ökologisch günsti-
pen.
geren Gewässerbilanz beizutragen. Schon das hat viel
Wie kommt es zu dieser Privatisierung, zu den Ver- Geld gekostet, und es kostet noch mehr Geld. Es wäre
käufen von Seengewässern? Ich rufe in Erinnerung: Mit unverantwortlich, wenn die Gewässer, in die bereits in-
der deutschen Einheit sind dem Bund diese Seen zuge- vestiert worden ist, jetzt nicht mehr öffentlich zugäng-
fallen. Ungefähr 14 000 Hektar Gewässerflächen sind lich wären, wenn diese der öffentlichen Hand entzogen
bereits verkauft worden. Wir müssen sicherstellen, dass würden.
Touristen und Erholungssuchende, Angler und Fischer, (Beifall bei der SPD)
die dort gewerbsmäßig arbeiten, freien Zugang zu diesen
Seen behalten. Ein weiterer Verkauf von Seengewässern Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns ge-
nach Marktbedingungen führt dazu, dass diese Flächen meinsam die bisherige Privatisierungspolitik der BVVG,
der Allgemeinheit nicht mehr zugänglich sind. die eine gesetzliche Grundlage hat – das will ich gar
nicht in Zweifel ziehen –, überdenken und in den Aus-
(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Das ist purer schussberatungen einen Weg finden, diese Regelung im
Unsinn, Herr Kollege Hacker!) Interesse von Mensch und Natur zu überarbeiten. Wir
(B) leisten damit den Interessen von Anglern, Fischern, Tou- (D)
Es muss ein Verfahrensweg gefunden werden, mit dem risten und Badebesuchern und nicht zuletzt den Genera-
dies verhindert wird. Diesem Ziel dient unser Antrag. tionen, die nach uns diese Gewässer nutzen möchten und
Unser Antrag zielt darauf ab, die Übertragung des Ei- sich dort an der Tier- und Pflanzenwelt erfreuen wollen,
gentums auf die jeweiligen Länder zu ermöglichen, und einen Dienst.
zwar unentgeltlich. Ich bin optimistisch, dass dieser Vor- Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit, verbun-
schlag, der im Antrag enthalten ist, bei den Ländern auf den mit der Einladung zu einer guten Beratung in den
große Zustimmung stoßen wird. Ich denke in diesem Zu- Ausschüssen.
sammenhang an eine Debatte im Schweriner Landtag, in
der sich alle Fraktionen für diesen Weg ausgesprochen (Beifall bei der SPD)
haben, Herr Kollege Rehberg.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Der Antrag Das Wort hat der Kollege Norbert Brackmann von der
zeugt nicht von großer Rechtskunde der SPD CDU/CSU-Fraktion.
im Landtag!)
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ich erinnere daran, dass diese Thematik auch Gegen-
stand der Beratungen im Bundesrat sein wird. Ich zeige Norbert Brackmann (CDU/CSU):
Ihnen morgen gerne einen Brief Ihrer ehemaligen Kolle- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
gen aus der CDU-Landtagsfraktion, die mich ausdrück- Kollegen! Die Privatisierung ehemals volkseigener
lich aufgefordert haben, mich in diesem Sinne im Bun- Flächen durch die Bodenverwertungs- und -verwal-
destag zu engagieren. tungs GmbH, die BVVG, erregt derzeit einige Gemüter,
(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Sie haben sie nicht nur die der SPD und der Linken. Aber geht es hier
wahrscheinlich zum Rechtsbruch aufgefor- im Kern wirklich um die Frage der Privatisierung, also
dert!) um die Form des Eigentumsübergangs? Sowohl die For-
mulierungen in Ihren Anträgen als auch die Ausführun-
Ich bin froh, dass ich bei der CDU in Mecklenburg-Vor- gen des Kollegen Hacker eben deuten auf etwas ganz an-
pommern Unterstützung für diesen Antrag gefunden deres hin. Es geht im Kern um zwei andere Fragen,
habe. Ich freue mich darauf, wenn sich die Kollegen der nämlich um die der sozialverträglichen Nutzung des er-
CDU aus Mecklenburg-Vorpommern heute klar positio- worbenen Eigentums und um die Frage des Preises; das
nieren und für diesen Antrag stimmen. haben Sie eben angesprochen.
1030 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Norbert Brackmann
(A) Zunächst zur sozialverträglichen Nutzung. In den An- den. Auch das ist ein Beleg dafür, dass hier dem Allge- (C)
trägen – der Brandenburger Landesverband des BUND, meingut ein besonders hoher Wert beigemessen wird.
die Linkspartei und der Verein „pro Mellensee“ haben
eine entsprechende Petition eingereicht, auf die Sie eben (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
hingewiesen haben – wird darauf ausdrücklich hinge- neten der FDP)
wiesen; denn sie enthalten die Kernforderung, Seen als Dennoch – Sie haben es eben angesprochen – fordert
Allgemeingut zu erhalten und den öffentlichen Zugang nun der Landtag Mecklenburg-Vorpommern im Ein-
zu den Seen auch künftig sicherzustellen. Diese Ziele klang mit den hier gestellten Anträgen eine kostenlose
sind in der Tat schützenswert. Eine Privatisierung kann Übertragung der Seen. Damit komme ich zum zweiten
nicht in Widerspruch zu dem Gemeinnutz dort stehen. Kritikpunkt, zur Frage des Preises. Die BVVG hat den
Insofern ist bei einer Privatisierung dieser Gemeinnutz gesetzlichen Auftrag, zu privatisieren,
sicherzustellen.
(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das wollen wir
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ändern! – Gegenruf der Abg. Cornelia Behm
neten der FDP) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das
Es gibt bei Privatisierungen immer dieselben Be- habt ihr aber nicht gefordert!)
fürchtungen. und wird damit im Interesse des Allgemeingutes tätig;
(Ute Kumpf [SPD]: Wie sieht es denn mit dem denn sie erlöst damit Einnahmen, die dem Bundeshaus-
Starnberger See aus?) halt zugutekommen. Gerade Sie von der SPD und der
Linken bringen immer wieder neue Anträge ein, die aus-
Tatsächlich haben sich diese Befürchtungen bisher aber gabenwirksam sind. Dort, wo man Einnahmen generie-
fast nie realisiert. Es wurde der Fall Wandlitzsee ange- ren kann, wollen Sie sich zurückhalten. Dies ist ein
sprochen. Dieser Fall liegt nun fünf Jahre zurück. Das widersprüchliches Verhalten.
Ganze war überhaupt nur möglich, weil es im branden-
burgischen Landesrecht in dieser Hinsicht eine Lücke (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
gab, die im Übrigen in der Zwischenzeit gefüllt wurde. Burkhardt Müller-Sönksen [FDP])
(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Und 2004 hat Aber auch wir wollen gar nicht verhehlen, dass es
Rot-Grün hier regiert!) zum Teil Unmut über die Privatisierungspraxis gibt.
Deswegen müssen neue Antworten gefunden werden;
– Das kommt noch hinzu. Aber hier bestand auf Landes- das ist gar keine Frage. Die Lösung muss aber in einem
ebene eine Rechtslücke. Das war vor fünf Jahren. gerechten Interessenausgleich und kann nicht in einem
(B) Die vom Bund beauftragte BVVG lässt sich beim Verschenken von Bundesvermögen liegen. (D)
Verkauf von Wasserflächen nämlich nicht allein von der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Erlösmaximierung leiten. Schon heute werden Seen zu- Hans-Joachim Hacker [SPD]: Stichwort Hotel-
nächst der Kommune angeboten. Kauft diese nicht, wird lerie!)
geklärt, welche Sozialverträglichkeit dort gefordert wird.
Es wird vertraglich sichergestellt, dass schützenswerte Deshalb muss die BVVG ihr mehrstufiges Verkaufsver-
Interessen der Allgemeinheit berücksichtigt werden. fahren zukünftig weiter verfeinern. Dazu gehört unter
Dies können zum Beispiel Anlagen sein, die der Freizeit anderem, dass sie zunächst einmal mit Kommunen, Fi-
und Erholung oder touristischen Zwecken dienen oder schereipächtern und Naturschutzeinrichtungen verhan-
die öffentliche Zugänge zu den Seen sichern. delt. Das sollte sie nicht auf der Basis von Höchstpreisen
tun – hier hat sich in der Vergangenheit eine preistreibe-
Darüber hinaus untersteht der Gemeingebrauch von rische Wirkung entfaltet, die nicht nur positiv war –,
Seen nach Maßgabe vieler Landesgesetze – egal ob es sondern künftig auf der Basis von Verkehrswerten, die
die Landeswassergesetze, die Wegegesetze oder die per Gutachten ermittelt werden. Wenn es um Seen geht,
Forstgesetze sind – einem besonderen Schutz. Auch je- muss man die Ertragswerte zugrunde legen, um tatsäch-
der Privateigentümer muss diesen Gemeinnutz an sei- lich zu realistischen Preisen verkaufen zu können.
nem Eigentum dulden. Ich habe es eben bereits gesagt:
Auch im Falle des Wandlitzsees ist dies in der Zwischen- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
zeit im Rahmen einer neuen gesetzlichen Regelung des
Landes Brandenburg geschehen Wenn ich hier von „Kommunen, Fischereipächtern
und Naturschutzeinrichtungen“ spreche, heißt das nicht,
Erst wenn eine Kommune Seenflächen nicht erwirbt dass Länder keine Erwerbsmöglichkeit haben sollen.
und diese fischereiwirtschaftlich genutzt werden, wird Gerade mit Blick auf den Beschluss des Schweriner
mit den Fischern verhandelt. Erst danach schreibt die Landtages kann ich hier sogar ausdrücklich erklären,
BVVG diese Seenflächen aus. dass auch ein Paketerwerb möglich ist, aber eben nicht
zum Nulltarif. Angesichts der schwierigen Finanzlage
(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
der Länder können wir zwar Verständnis für den Wunsch
NEN]: Realitätsfern!)
der Länder haben, kein Geld in die Hand zu nehmen,
Auch in diesen Fällen gelten die genannten gesetzlichen weil sie das vielleicht nicht können, ohne neue Kredite
Vorschriften. Folgendes soll nicht verschwiegen werden: aufzunehmen; aber wenn ein Landtag einstimmig den
Bisher sind über 3 000 Hektar unentgeltlich auf die politischen Willen dazu formuliert, muss es doch mög-
NABU-Stiftung Nationales Naturerbe übertragen wor- lich sein, einen Flächentausch durchzuführen: Durch ei-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1031
Norbert Brackmann
(A) nen Tausch von Acker- oder Forstflächen gegen Seenflä- Kommune für 400 000 Euro angeboten. Aber, liebe (C)
chen könnten die Länder zu einem vernünftigen Leute, welche Kommune kann sich das leisten? Da kann
Ergebnis kommen. auch kein Fischer hergehen und sagen: Ich kauf mal
eben für 400 000 Euro einen See. Genau das ist auch
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
nicht passiert. Der Käufer war ein Immobilienhai, er be-
neten der FDP)
kam freie Hand und konnte seinen Besitz sozusagen in
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Ziel heißt des- klingende Münze überführen. Im Kaufvertrag war weder
halb: fairer Interessenausgleich statt Verschenken von eine Mehrerlösklausel noch eine Umwidmungsklausel
Bundesvermögen. enthalten. Auch die Folgen aus der Verlandung des Sees
waren überhaupt nicht berücksichtigt.
Danke schön.
Beim Wandlitzsee hat man Folgendes gemacht: Man
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) hat nicht den See, sondern ein Flurstück verkauft. Durch
die Verlandung des Sees war sozusagen das Flurstück
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: größer als der See. Die Folge war, dass Anrainer plötz-
Herr Kollege Brackmann, ich gratuliere auch Ihnen lich nicht mehr an den See herankamen. Das heißt, der
im Namen des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Käufer des Sees forderte die Anrainer auf, die Grundstü-
Deutschen Bundestag. cke zu horrenden Preisen zu kaufen. Der Seglerverband
am Wandlitzsee beispielsweise kam nicht mehr an den
(Beifall)
See heran, weil er keinen Zugang mehr zu seinem Steg
Das Wort hat jetzt die Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann hatte. Das war die Folge dieser Art von Privatisierung.
von der Fraktion Die Linke.
Wir sagen ganz klar: Damit muss Schluss sein. Es
(Beifall bei der LINKEN) muss Schluss sein mit dieser Art von Privatisierung. Da-
gegen haben sich gerade in diesem Jahr sehr viele Bür-
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): gerinnen und Bürger vor allen Dingen in den neuen Bun-
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Fast desländern gewandt. Das hat dazu geführt, dass zunächst
20 Jahre nach der Wiedervereinigung holen uns die Ge- ein Moratorium beschlossen worden ist, aber dieses Mo-
burtsfehler erneut ein. Einer der Geburtsfehler ist tat- ratorium läuft Ende dieses Jahres aus.
sächlich der Umgang mit dem einstigen Volkseigentum. Wer glaubt, dass die BVVG dann anders handelt, der
(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Enteigne- muss sich getäuscht sehen. Ich erhielt erst im Oktober
tes Volkseigentum!) dieses Jahres einen Brief von Herrn Dr. Horstmann, dem
(B) Sprecher der Geschäftsführung der BVVG. Dort teilt er (D)
Das Volkseigentum umfasste Unternehmen, Betriebe, mir mit – ich zitiere Herrn Dr. Horstmann –:
Wohngebäude – zum Teil in einem schlechten Zustand –,
aber auch Seen, Wälder, Forste und landwirtschaftliche Bei einer Wiederaufnahme der Seenprivatisierung
Flächen. nach Beendigung des Moratoriums wird die BVVG
die ihr übertragenen Seen weiterhin in einem mehr-
Ich möchte einen kurzen historischen Diskurs ma- stufigen Verfahren privatisieren.
chen: Die letzte Volkskammer hat 1990 das Treuhandge-
setz – das Gesetz zur Privatisierung und Reorganisation Das Moratorium endet im Dezember dieses Jahres, und
des volkseigenen Vermögens – beschlossen. Dieses Ge- die BVVG kündigt schon jetzt an, dass sie mit der Priva-
setz wurde eins zu eins in den Einigungsvertrag über- tisierung weitermachen wird.
nommen. Damit wurde aus Volkseigentum Bundesver- Deswegen fordert die Linke zum einen: Wir brauchen
mögen. eine Verlängerung des Moratoriums. Zum anderen brau-
(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Ist doch lo- chen wir eine Änderung des gesetzlichen Auftrages;
gisch!) denn mit dem Moratorium allein ist es nicht getan. Das
heißt, es muss die Möglichkeit bestehen, Seen unentgelt-
Im Kern ging es zunächst um die Betriebe. Das war völ- lich an die Länder und Kommunen zu übertragen. Diese
lig richtig. 1992 wurde dann als Geschäftsbesorger für Möglichkeit müssen wir schaffen.
Grund und Boden, Wälder und Seen usw. die Bodenver-
wertungs- und Verwaltungs GmbH mit dem klaren ge- (Beifall bei der LINKEN)
setzlichen Auftrag zur Privatisierung des Vermögens ge- Liebe Genossinnen und Genossen
gründet. Das Volkseigentum sollte also meistbietend
verscherbelt werden. Circa 4 Milliarden aus diesem Ver- (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)
mögen sind inzwischen in den Bundeshaushalt geflos-
von der SPD, lieber Hans-Joachim Hacker, es geht eben
sen.
nicht nur um die Seen, und das weißt du sehr wohl. Es
Ich danke für das Beispiel Wandlitzsee. Dieses Bei- geht nach wie vor auch um Forstflächen, Wälder und
spiel würde ich gerne aufnehmen, denn er liegt in mei- landwirtschaftliche Flächen. Dort sind die Pachten in ge-
nem Wahlkreis. Auch der Wandlitzsee ist meistbietend waltigen Größenordnungen erhöht worden, mit Druck
verscherbelt worden. Er ist keine kleine Pfütze, sondern wurde privatisiert. Wir dürfen nicht nur die Seen, son-
ungefähr 500 Fußballfelder groß. Er ist ein Riesensee dern wir müssen auch die Forsten und die landwirt-
mit einer 1-a-Wasserqualität. Zunächst wurde er der schaftlichen Flächen im Blick behalten. Dafür brauchen
1032 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Dr. Dagmar Enkelmann


(A) wir vernünftige gesetzliche Regelungen. Lasst uns das (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Nein! – Hans- (C)
gemeinsam anpacken. Joachim Hacker [SPD]: Hotellerie! 1 Milliarde
jedes Jahr!)
Danke.
Haben Sie, wenn man das so sagen möchte, nicht ein Er-
(Beifall bei der LINKEN) klärungsproblem, wenn Sie sagen, dass Steuersenkungen
den Staat arm machen, Sie andererseits aber Immobilien
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: verschenken wollen? Gibt es da nicht eine Differenz, die
Das Wort hat der Kollege Patrick Kurth von der FDP- Sie erklären müssen? Die müssen Sie erklären.
Fraktion.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Ute
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Kumpf [SPD]: Aber Sie verschenken doch
der CDU/CSU) auch so viel!)
Zum Zweiten ist es natürlich auch wichtig, zu wissen,
Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): ein See kostet auch Geld, wenn man ihn hat. Die Bewirt-
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- schaftung kostet Geld. Wenn Sie einer Kommune einen
ren! Worüber reden wir hier? Wir reden über die Privati- See schenken, kann es gut sein, dass sich Ihr Geschenk
sierung von Seen als letzte Konsequenz. Bevor Seen in hinterher als faules Ei im Gemeindesäckel erweist, wenn
die Auktion gehen, werden zuerst gefragt: erstens die die Rechnung präsentiert wird.
Anrainerkommunen,
(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das stimmt
(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Kein Geld!) doch gar nicht!)
zweitens die Fischereipächter, Wer sich den Kauf eines Sees nicht leisten kann, wird
sich auch die Haltung nicht leisten können.
(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Kein Geld!)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
drittens die Naturschutzorganisationen.
der CDU/CSU)
(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Auch kein
Ich möchte Sie wirklich bitten, nicht von Einzelfällen
Geld!)
auf die Gesamtumstände zu schließen. Das ist immer
Sie haben ein Vorkaufsrecht. schwierig.
(Hans-Joachim Hacker [SPD]: Aber kein (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das
Geld!) ist aber exemplarisch!) (D)
(B)
Sie können die Seen zu einem Preis erwerben, der in der Es wird, wenn man das so sagen möchte, keine „Seeheu-
Auktion später nicht möglich ist. Ein Verkauf an Privat schrecken“ geben, die über das Land fliegen, irgendwo
kommt somit nur als letzte Konsequenz infrage. einfallen, sich die Seen unter den Nagel reißen und diese
Seen für die Bevölkerung sperren. Das wird es nicht ge-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ben. Das ist mitnichten so.
der CDU/CSU)
(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Aber auch dann haben die Kommunen natürlich noch ein NEN]: In welcher Welt leben Sie denn, Herr
Mitspracherecht bei den Verkaufsverhandlungen, in de- Kollege?)
nen zum Beispiel die Zugänglichkeit eingeplant werden
kann. Auch ein Privatmann kann, wenn er einen See erwirbt,
Tourismus, Erholung oder die Fischerei noch lange nicht
Das Problem, das Sie ansprechen, relativiert sich ein verbieten; denn Art. 14 Abs. 2 unseres Grundgesetzes
wenig. Es ist aber dennoch wichtig; denn Seen sind na- besagt:
türlich ein ganz wichtiges Naturschutzgebiet.
Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
Sie sind außerordentlich wichtig für die regionale Identi- Gerade deshalb besagen die Wassergesetze der Länder,
tät. Sie sind Lebensraum für Tiere, für Pflanzen, manch- die Sie sicherlich kennen, trotz ihrer Unterschiedlichkeit
mal auch für Angler. einheitlich: Baden, Bootfahren oder Eissport ist auf allen
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) Seen erlaubt, völlig egal, ob sie privat oder ob sie öffent-
lich sind.
Mithin müssen wir die Zugänglichkeit zu den Seen ga-
rantieren. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Die Opposition will die Seen an die Länder und Kom-
munen, wenn man das so sagen möchte, verschenken. Ein Erwerber kann einen See nicht einfach so umge-
Das hört sich gut an. Was aber ist die Folge davon? stalten, wie er das möchte. Alle Nutzungsänderungen,
die er vornehmen möchte, bedürfen einer wasserrechtli-
Erstens. Haben wir aufgrund unserer Verantwortung chen Genehmigung. Die wird von den Behörden erteilt.
gegenüber dem Steuerzahler überhaupt das Recht – das Diese Genehmigungen orientieren sich natürlich immer
wurde schon angesprochen –, Seen zu verschenken? am Wohle der Allgemeinheit.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1033
Patrick Kurth (Kyffhäuser)
(A) (Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das Wort hat jetzt die Kollegin Cornelia Behm von (C)
NEN]: Ah!) Bündnis 90/Die Grünen.
Sie erwecken diesen Eindruck: Da kommen die see-
lenlosen Millionäre – das schwingt so mit: der Arzt aus Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Hamburg, wenn man so möchte – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ich freue mich ja, dass so eine Stimmung im
(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Hause ist.
NEN]: Zum Beispiel!)
und holen sich den Privatsee zur exklusiven Nutzung. (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Ja, jetzt nach
Dass das nicht geht, habe ich gerade gesagt. Wenn man 21.20 Uhr!)
Ihnen folgen würde, wäre es aber auch ausgeschlossen, Es ist aus meiner Sicht ausgesprochen erfreulich, dass
dass Verbände, zum Beispiel Naturschutzorganisationen, das öffentliche Interesse an Seen und anderen Gewäs-
einen See erwerben können. Das wird hier vergessen. sern jetzt in der Politik eine breitere, fraktionsübergrei-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten fende – ich schaue jetzt in eine bestimmte Richtung –
der CDU/CSU) Lobby zu bekommen scheint. Der Wechsel von den Re-
gierungssesseln auf die den Blick schärfenden Bänke der
Meine Damen und Herren insbesondere von der SPD, Opposition war bei der einen oder dem anderen wohl
hüten Sie sich bitte davor, Privateigentum generell abzu- ganz hilfreich.
lehnen oder gar zu verteufeln.
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)
(Beifall bei der FDP – Sören Bartol [SPD]:
Hallo?) Erstaunlich ist allerdings, mit welchem Tempo plötz-
lich alle auf dieses Thema aufspringen. Die Zahl der
Den Grundsatz, dass nur staatliches Eigentum dem All- dazu im Dezember im Bundestag, Bundesrat und in den
gemeinwohl dienen kann, haben wir vor 20 Jahren über Länderparlamenten eingebrachten Anträge ist beacht-
Bord geworfen. Der ist ins Wasser gefallen. lich, insbesondere vor dem Hintergrund, dass wir das
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Thema hier an gleicher Stelle vor nicht ganz sieben Mo-
der CDU/CSU) naten schon einmal debattiert haben. Aber zu diesem
Zeitpunkt war die Problemlage außerhalb unserer bünd-
Aus unserer Sicht ist es der falsche Ansatz, die Priva- nisgrünen Fraktion und der Fraktion der Linken schein-
tisierung von Seen in Ostdeutschland pauschal auszu- bar kaum jemandem bekannt. Zumindest gab der ge-
schließen und das Moratorium zu verlängern. Es muss schätzte Kollege Luther für die CDU/CSU damals zu
(B) vielmehr darum gehen, das bestehende Recht durchzu- Protokoll, dass ihm nicht bekannt sei, dass der Bund (D)
setzen, wenn jemand tatsächlich auf die Idee kommt, Seen besitzt und diese privatisieren will. Die SPD vertrat
sich einen See zu kaufen und einen Zaun darum herum- die Position, dass es keine Fälle gebe, bei denen die be-
zubauen. Dafür sind die Ordnungsbehörden zuständig. stehende Praxis zu Problemen geführt hätte, die einer
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Neuregelung bedürften.
der CDU/CSU) (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Hört!
Wenn wir danach vorgehen, dann kommt in den aller- Hört!)
meisten Fällen ein gerechter Ausgleich zwischen ökolo-
Ich gehe einmal davon aus, dass nun auch unsere Kol-
gischen und ökonomischen Interessen und damit auch
leginnen und Kollegen von Union und SPD Fälle wie
den Interessen der Bürgerinnen und Bürger zustande.
der des Verkaufs des Wandlitzsees im Norden von Berlin
Letztlich – Frau Enkelmann hatte das Stichwort zu Ohren gekommen sein dürften. Hier hat der schon er-
„volkseigene Ländereien“ am Anfang ihrer Rede ge- wähnte Immobilienkaufmann aus Düsseldorf nach dem
nannt – möchte ich daran erinnern, dass diese betroffe- Erwerb des Sees alle Anwohner aufgefordert, ihre beste-
nen Seen von der sowjetischen Besatzung enteignet wur- henden Stege am See von ihm zu kaufen oder zu pach-
den. Das heißt, sie waren vorher in Privatbesitz. Wenn ten. Wer nicht dazu bereit war, wurde postwendend ver-
die Länder oder die Kommunen die Gewässer jetzt nicht klagt. Auch die Gemeinde musste für die Benutzung des
haben wollen, wird mit einer durchgeführten Privatisie- bestehenden Strandbades an den neuen Besitzer zahlen.
rung nichts anderes als der ursprüngliche Zustand wie- Es handelte sich immerhin um 50 000 Euro, die man bei
derhergestellt. Das wird 60 Jahre nach Kriegsende Zeit; einem gerichtlichen Vergleich ausgehandelt hatte.
das ist überfällig.
So sehr wir es begrüßen, dass unsere bündnisgrünen
Herzlichen Dank. Forderungen nun endlich Nachahmer finden, über den
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Weg, wie wir Seen als Allgemeingüter sinnvoll erhalten
können, gibt es noch eine ganze Menge Aufklärungsbe-
darf.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Kurth, auch Ihnen gratuliere ich im Na- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
men des ganzen Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deut-
Denn den verschiedenen, nicht nur im Bundestag vorlie-
schen Bundestag.
genden Anträgen ist – bei positiver Ausnahme des An-
(Beifall) trags der Linken – vor allem eines gemeinsam: Anstatt
1034 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Cornelia Behm
(A) für ein konsequentes Ende der Privatisierung zu plädie- Der Parlamentarische Staatssekretär Karl Diller be- (C)
ren, steht die kostenlose Übertragung der Gewässer an antwortete am 15. Juni 2009 die Frage: „Beabsichtigt die
die Länder oder Kommunen im Vordergrund. Das ist Bundesregierung, eine Gesetzesinitiative zu ergreifen,
aber nicht dasselbe wie ein Stopp der Privatisierung. Der um die zum Verkauf stehenden Seen in den neuen Län-
Verdacht liegt nahe, dass das allen Beteiligten bewusst dern als öffentliches Allgemeingut zu erhalten?“ der
ist. Wir Bündnisgrüne treten dafür ein, dass in Zukunft Kollegin Reiche von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
keine Gewässer mehr veräußert werden dürfen, bei de- wie folgt – ich zitiere –:
nen sowohl aus ökologischen als auch aus Erholungs-
Die Bundesregierung hält eine Änderung der ge-
und touristischen Gründen ein Gemeinwohlinteresse be-
setzlichen Bestimmungen nicht für erforderlich.
steht.
Weiter wird dann ausgeführt, dass alles in Ordnung sei.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der LINKEN) Oder: In der Debatte am 28. Mai 2009 im Deutschen
Bundestag führte der Kollege Ernst Bahr aus Neuruppin
Dies lässt sich am besten dadurch absichern, dass unter anderem aus:
diese Gewässer in der öffentlichen Hand, in der Hand
des Bundes, verbleiben. In allen anderen Fällen muss es Es ist erfreulich, dass sich die Ziele des Antrags der
über den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundesta- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den bestehen-
ges einen Parlamentsvorbehalt geben. Nur so ist eine den Regelungen zur Gewässerprivatisierung de-
wirkungsvolle demokratische Kontrolle zur Einhaltung cken.
des Privatisierungsstopps möglich. Eine bloße Übertra- Weiter formulierte er, ihm sei kein Problemfall bekannt,
gung an die Länder, wie von der SPD und den Ländern und er sehe keinen Handlungsbedarf.
Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg gewünscht,
gewährleistet diese demokratische Kontrolle gerade (Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!)
nicht. Sie überlässt die Entscheidung zum Verkauf den Verlogener, Herr Kollege Hacker, geht es wirklich
Länderbehörden. Dass diese in Zeiten klammer Kassen nicht.
Interesse an einer finanziellen Verwertung haben könn-
ten, dürfte für viele, auch hier im Deutschen Bundestag, (Abg. Hans-Joachim Hacker [SPD] meldet
nicht neu sein. sich zu einer Zwischenfrage)
Um Gemeingüter wie Seen dauerhaft für die Allge- Sie führen hier doch einen politischen Mummenschanz,
meinheit zu bewahren, sollte der Deutsche Bundestag eine politische Show auf, nicht mehr, aber auch nicht
die bisher geübte Verkaufspraxis durch ein Gesetz been- weniger.
(B) den. Die Bevölkerung in den betroffenen Regionen war- (D)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
tet schon lange auf ein entsprechendes Signal von uns.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns gemein- Zu Ihnen, Frau Kollegin Behm. Wandlitz wurde 2004
sam daran arbeiten. Das sage ich ganz bewusst vor allem privatisiert. Das ganze Verfahren mit der Kommune,
in Ihre Richtung, meine Herren und Damen von der ebenso die fischereiwirtschaftliche Nutzung fand davor
Koalition. statt. Im Jahre 2004 ist auch das Land Brandenburg ein-
gebunden gewesen. 2004 hat Rot-Grün regiert. Warum
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) haben Sie bei der Änderung des EALG im Jahre 2001,
wenn Ihnen die Seen so wichtig gewesen sind, nicht da-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: rauf gedrungen, dass sämtliche Seen in Eigentum des
Das Wort hat jetzt der Kollege Eckhardt Rehberg von Bundes unentgeltlich auf die Länder übertragen werden?
der CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Das haben Sie zum damaligen Zeitpunkt nicht getan,
neten der FDP) und Wandlitz war im Jahre 2004.

Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:


Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herr Kollege Rehberg, erlauben Sie eine Zwischen-
Herren! Ich habe wirklich den Eindruck, dass einige frage des Kollegen Hacker?
Kolleginnen und Kollegen an einem ungeheuren Ge-
dächtnisschwund leiden. Wenn die SPD in der Begrün- Eckhardt Rehberg (CDU/CSU):
dung ihres Antrages schreibt: „Ein weiterer Verkauf der Herzlich gerne, Herr Präsident.
noch nicht übertragenen Flächen in den neuen Bundes-
ländern lässt befürchten, dass Badestellen, Stege und Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Wasserflächen nicht mehr durch Touristinnen und Tou- Bitte schön, Herr Hacker.
risten oder Anglerinnen und Angler genutzt werden kön-
nen sowie das Fischereigewerbe beeinträchtigt wird“,
dann frage ich mich ganz besorgt, Herr Kollege Hacker: Hans-Joachim Hacker (SPD):
Was hat sich in den letzten sechs Monaten geändert? Lieber Herr Kollege Rehberg, haben Sie den Presse-
meldungen entnommen und zur Kenntnis genommen,
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU) dass diese Frage gerade in den letzten Monaten in den
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1035
Hans-Joachim Hacker
(A) betroffenen Ländern Brandenburg und Mecklenburg- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und (C)
Vorpommern hochgekommen ist der FDP – Hans-Joachim Hacker [SPD]: Ach
so! – Abg. Hans-Joachim Hacker [SPD] erhebt
(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Branden- sich wieder von seinem Platz)
burg ist doch dieses Stasi-Land, oder?)
und dass der Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, in Das gehört alles noch zusammen.
Schwerin, vor diesem Hintergrund über diese Frage dis- (Iris Gleicke [SPD]: Das war nicht erkennbar!)
kutiert hat? Ich möchte dies mit der Feststellung unter-
mauern, – Aber doch!
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Keine Fest- Wenn die Länder Mecklenburg-Vorpommern und
stellung! Frage!) Brandenburg wirklich an einer sachgerechten Lösung in-
teressiert sind, dann müssen sie, wenn es Probleme im
dass der Parlamentarische Staatssekretär Hartmut Koschyk Land gibt, auf den Bund zugehen, um Gespräche bitten
auf eine entsprechende Anfrage geantwortet hat: und in Verhandlungen eintreten. Staatssekretär Gatzer
Die Bundesregierung hat den betroffenen Ländern hat mit Schreiben vom 16. Dezember den Ländern Ge-
ein Gesprächsangebot zu den Seen unterbreitet. spräche angeboten. Das heißt, der Bund ist initiativ ge-
worden.
Vor diesem Hintergrund halte ich die Situation, wie
sie jetzt ist, für anders als vor einem Jahr. Deswegen ist (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
es notwendig, dass wir –
Was Sie hier machen und auch der Landtag – ich
(Hellmut Königshaus [FDP]: Was ist die schließe meine Kolleginnen und Kollegen im Landtag
Frage? – Weitere Zurufe von der CDU/CSU Mecklenburg-Vorpommern mit ein –, so geht man mit-
und der FDP: Wo bleibt die Frage?) einander nicht um, wenn man ein Problem lösen will.
– die Praxis der Privatisierung verändern, Herr Kollege Meine sehr verehrten Damen und Herren, sehen wir
Rehberg. – Ist Ihnen das bekannt? uns die gesetzlichen Grundlagen an: Das Treuhandge-
(Heiterkeit) setz wurde von der Volkskammer verabschiedet, die
SPD hat zugestimmt. Der Einigungsvertrag wurde von
der Volkskammer verabschiedet, die SPD hat zuge-
Eckhardt Rehberg (CDU/CSU): stimmt. Wenn Sie jetzt für eine unentgeltliche Übertra-
Herr Kollege Hacker, weil Sie sich von BUND, Lin- gung der bundeseigenen Seengewässer auf die neuen
ken und Grünen unter Druck gesetzt gefühlt haben, sind Länder plädieren, muss man die Frage stellen: Was ma-
(B) Sie auf diesen Zug aufgesprungen. chen Sie mit denjenigen, die die 14 000 Hektar, die bis- (D)
In den letzten Monaten hat sich an der Situation außer her veräußert wurden, erworben haben,
der Problematik Wandlitz, was aber auch mit ehemals (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Hört! Hört!)
gültigem Landesrecht etwas zu tun hat, nichts, aber auch
gar nichts geändert. Wissen Sie, was der Antrag von und was machen Sie mit den Flächen, die an Natur-
SPD und CDU im Landtag von Mecklenburg-Vorpom- schutzverbände übertragen worden sind? Soll der Bund
mern ist? Er könnte möglicherweise auch als eine Art das alles zurückzahlen, oder wollen Sie eine Flut von
Aufforderung zum Rechtsbruch gegenüber der Bundes- Schadenersatzprozessen riskieren?
regierung verstanden werden, eine Aufforderung, sich an
gesetzliche Grundlagen, an denen Sie übrigens persön- (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Das ist doch
lich – am 17. Juni 1990 und bei der Verabschiedung des völlig unbegründet!)
Einigungsvertrages in der Volkskammer – maßgeblich – Natürlich ist das begründet: Wenn der gleiche Sachge-
mitgewirkt haben, nicht mehr zu halten. genstand zu zwei völlig verschiedenen Werten veräußert
(Abg. Hans-Joachim Hacker [SPD] nimmt wird, ist es doch begründet, dass der, der viel mehr dafür
Platz – Zurufe von der CDU/CSU und der bezahlt hat, Schadenersatzansprüche stellt. Wir leben
FDP: Aufstehen! – Steffen Kampeter [CDU/ doch in einem Rechtsstaat.
CSU]: Die Frage wird noch beantwortet!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Eine zweite Anmerkung. Sie haben einen Teil der
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was Sie
Antwort, die der Parlamentarische Staatssekretär
vorschlagen, ist keine Lösung. Eine Lösung wurde zum
Koschyk gestern gegeben hat, vergessen. Er hat nämlich
Beispiel im Jahr 2007 – übrigens unter einem SPD-ge-
vorab gesagt, dass das Land Brandenburg – und man
führten Bundesfinanzministerium – mit dem Freistaat
kann das Land Mecklenburg-Vorpommern mit einschlie-
Sachsen gefunden, und zwar eine Lösung in Form einer
ßen – von sich aus nicht aktiv geworden ist. Ganz im Ge-
Gewässerrahmenvereinbarung für die bergbaulichen Ge-
genteil: Der Bund ist auf die Länder zugegangen und hat wässer im Freistaat. Kollege Brackmann hat das ange-
ihnen ein Gesprächsangebot unterbreitet. deutet. Aus meiner Sicht heißt die Lösung: Man setzt
(Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der sich miteinander hin und spricht über die Werte, die gut-
FDP: Aufstehen!) achterlich festgestellt werden können.
– Herr Kollege Hacker, ich bin immer noch bei der Ant- (Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Man kann
wort. auch Paketverkäufe machen!)
1036 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Eckhardt Rehberg
(A) Dann kann man sich zum Beispiel darüber unterhalten, war allerorten sehr deutlich zu spüren. Mit dieser Initia- (C)
in welcher Art und Weise die Werte in der Zeitabfolge tive war die klare Hoffnung verbunden, dass die Preise
übertragen werden können. Ein Flächentausch kann vor- für den Boden, dem Hauptwirtschaftsfaktor für die
genommen werden. Es ist übrigens so, dass der Hektar Landwirtschaft, realistisch bleiben.
Acker im Schnitt in etwa das 15-Fache wert ist wie der
Hektar See. Durch die Verkehrswertverkäufe nur nach Höchstge-
bot werden die Preise für den Grund und Boden in Ost-
Vor einem warne ich: vor unentgeltlicher Übertra- deutschland immer weiter in die Höhe getrieben. Der
gung. Ich bin schlichtweg dagegen. Denn wenn man un- Durchschnittspreis bei BVVG-Verkäufen lag nach deren
entgeltliche Übertragung präferiert, heißt das, dass eine Angaben bei 7 492 Euro pro Hektar. Bei den Verkehrs-
Übertragung im Augenblick nur an Naturschutzverbände wertverkäufen ohne die BVVG lag er bei 4 507 Euro pro
möglich ist. Meine Erfahrungen mit Naturschutzverbän- Hektar. Entschuldigung, aber das ist eine Differenz von
den sind eher so, dass als Erstes Klagen kommen von fast 3 000 Euro. Herr Brackmann, es tut mir aufrichtig
Wassersportlern, als Zweites Klagen kommen von Gele- leid: Wer hier nicht anerkennt, dass es bei den BVVG-
genheitsbesitzern von Bootshäusern, als Drittes Klagen Verkäufen tatsächlich um Gewinnmaximierung geht, der
kommen von Fischern, weil die Naturschutzverbände muss auf einem anderen Stern leben.
das Ganze nämlich sehr restriktiv handhaben. Deswegen
schlagen wir Ihnen den folgenden Weg vor: Bund und (Beifall bei der SPD und der LINKEN)
Länder reden miteinander, es gibt einen fairen Interes- Real ist es also so, dass die BVVG die Flächen zu Prei-
senausgleich, sen verkauft, die um 40 Prozent höher liegen, als sie
(Steffen Kampeter [CDU/CSU]: Bürgernah!) sonst zu realisieren wären.

und es wird festgeschrieben, dass die Länder die Seenge- Ich will das noch einmal deutlich sagen: Es geht um
wässer nicht einfach an Dritte weiterverkaufen können; den Verkauf von Flächen, die zuvor verpachtet waren
denn diese Gefahr besteht auch noch. Dieser Weg ist ver- und landwirtschaftlich genutzt wurden und für die die
nünftig und gangbar. Pachtverträge jetzt auslaufen. Ortsansässige Agrarbe-
triebe müssen mit Kapitalanlegern konkurrieren. Auch
Meine sehr verehrten Damen und Herren der SPD, das sollte Ihnen an der einen oder anderen Stelle schon
aus meiner Sicht haben Sie sich heute ein gravierendes einmal untergekommen sein. Plötzlich konkurrieren die
Eigentor geschossen. Landwirte nämlich mit Solarparks und allen möglichen
anderen. Das ist ein ganz großes Problem.
Herzlichen Dank.
(B) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Ich denke, (D)
Sie wollen Solarenergie! Das verstehe ich nun
gar nicht! – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]:
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Schreiben Sie doch einen Antrag dazu!)
Als letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt
hat die Kollegin Iris Gleicke von der SPD-Fraktion das Wir müssen an dieser Stelle ganz einfach sagen:
Wort. Durch diese Konkurrenz werden die Preise immer weiter
nach oben getrieben. Für die Landwirte bedeutet es ei-
(Beifall bei der SPD) nen großen Liquiditätsverlust für ihre Unternehmen,
wenn sie diese Flächen kaufen müssen. Für die Land-
Iris Gleicke (SPD): wirtschaft ist es also klar: Kleine Landwirte können sich
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und diesen Boden schlicht und ergreifend nicht mehr leisten.
Kollegen! Ich will mich heute Abend noch einem zwei- Ich bin froh über die positiven Signale, die aus der
ten Thema im Rahmen der BVVG-Verkäufe widmen. Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum BVVG-Privatisie-
Wir haben über die Seen gesprochen, aber es gibt noch rungskonzept kommen. Wichtig ist aber, dass es jetzt
ein zweites Thema, nämlich die Flächen, die in der auch ein Ergebnis gibt; denn das Moratorium läuft zum
Landwirtschaft veräußert werden. Jahresende aus. Der Auftrag ist klar: Preissprünge, wie
(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Wir haben sie in der Vergangenheit stattgefunden haben, müssen
über Ihren Antrag gesprochen! – Eckhardt ganz einfach vermieden werden.
Rehberg [CDU/CSU]: Schade, dass ich keine (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Sie reden
Redezeit mehr habe!) nicht über Ihren Antrag! Kommen Sie einmal
Immer dann, wenn Pachtverträge auslaufen, stehen zu Ihrem Antrag!)
Verkäufe an; das wissen wir. Das hat in der Vergangen- Es geht mir nicht darum, die Flächen zu verschenken,
heit immer wieder zu großer Unruhe bei den betroffenen aber ich weiß natürlich, lieber Kollege Kurth, dass es der
Landwirten geführt. Deshalb war es gut, dass der Vize- FDP und der CDU/CSU sehr leicht fällt, durch das
präsident des Deutschen Bauernverbandes, Udo Folgart, Mehrwertsteuerprivileg 1 Milliarde Euro per anno an
mit dem Bundesministerium für Finanzen im August Hotellerieketten zu verschenken.
dieses Jahres – damals unter Peer Steinbrück – ein Mora-
torium bei der Privatisierung dieser Flächen vereinbart (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Am Renn-
hat. Die Erleichterung bei den ostdeutschen Landwirten steig, wo Sie wohnen!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1037
Iris Gleicke
(A) Den Landwirten in Ostdeutschland zu helfen, bekom- 15 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Harald (C)
men Sie dagegen immer wieder nur in Sonntagsreden Weinberg, Dr. Martina Bunge, Dr. Dietmar
gebacken. Hier geht es aber um praktische Hilfe. Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE
(Beifall bei der SPD)
Keine Kopfpauschale – Für eine solidarische
Es geht um die Existenz der ortsansässigen Unterneh- Krankenversicherung
men, die landwirtschaftliche Flächen gepachtet haben, es
geht – darüber wurde vorhin schon gesprochen – um die – Drucksache 17/240 –
Existenz der erwerbsmäßigen Fischereibetriebe, die auf Überweisungsvorschlag:
den Seen der BVVG tätig sind, Ausschuss für Gesundheit

(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Jetzt b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Birgitt
kommt das Thema!) Bender, Maria Anna Klein-Schmeink, Elisabeth
Scharfenberg, weiterer Abgeordneter und der
und es geht um die Interessen der Kommunen in Ost- Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
deutschland. Diese Interessen müssen stärker berück-
sichtigt werden. Für eine solidarische und nachhaltige Finan-
zierung des Gesundheitswesens
Unsere Erwartungen werden in Ostdeutschland von
den Kolleginnen und Kollegen aller Fraktionen geteilt, – Drucksache 17/258 –
wenn man sich vor Ort trifft und dort ganz praktisch über Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)
die Probleme spricht. Innenausschuss
Rechtsausschuss
(Hans-Joachim Hacker [SPD]: So ist es!)
Finanzausschuss
Das ist ein wichtiges Thema für die regionalen Wirt- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
schaftsstrukturen im ländlichen Raum. Leider verkennt Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
die Koalition die Sensibilität dieses Themas völlig. Denn Haushaltsausschuss
Sie haben neue Unruhe geschaffen, indem Sie nämlich
jetzt auch noch angekündigt haben, dass Sie die Alt- ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten
eigentümer besserstellen wollen. Dr. Martina Bunge, Harald Weinberg, Karin
Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
(Eckhardt Rehberg [CDU/CSU]: Sie haben die DIE LINKE
geschaffen, weil Sie völlig neben der Realität
(B) Praxisgebühr und andere Zuzahlungen ab- (D)
liegen!)
schaffen – Patientinnen und Patienten entlas-
– Das ist Mummenschanz, Herr Kollege Rehberg, um ten
Ihnen das ganz deutlich zu sagen.
– Drucksache 17/241 –
(Beifall bei der SPD und der LINKEN) Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist auch
Frau Kollegin Gleicke, kommen Sie bitte zum für diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt
Schluss. es Widerspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so
beschlossen.
Iris Gleicke (SPD): Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
Ich kann Sie nur auffordern, die ostdeutsche Land- ner dem Kollegen Harald Weinberg von der Fraktion Die
wirtschaft und die ostdeutschen Unternehmen nicht zu Linke das Wort.
gefährden. Sie sind nämlich das Rückgrat für die Ent-
(Beifall bei der LINKEN)
wicklung im ländlichen Raum.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. Harald Weinberg (DIE LINKE):
(Beifall bei der SPD und der LINKEN) Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine Damen und Herren! In seiner Rede
zum Koalitionsvertrag hat Minister Rösler eine grundle-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: gende Reform des Gesundheitssystems, ja geradezu ei-
Ich schließe die Aussprache. nen Systemwechsel angekündigt und dabei angemerkt,
dass dies nicht einfach zu machen sei. An die Opposition
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
gewandt, meinte er dann, wenn dies einfach zu machen
den Drucksachen 17/238 und 17/239 an die in der Tages-
sei, dann könne es ja auch die Opposition machen.
ordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind
Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Recht hat er! –
die Überweisungen so beschlossen. Jens Spahn [CDU/CSU]: Richtig!)
Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 15 a und 15 b Tosender Beifall bei den Koalitionsfraktionen – ein
sowie Zusatzpunkt 9 auf: Star der Regierung war geboren, scheint es.
1038 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Harald Weinberg
(A) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und kassenbeiträge auch in Zukunft entsprechend dem Ein- (C)
der FDP – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Habt kommen erhoben werden.
ihr das auch schon gemerkt?)
(Beifall bei der LINKEN)
Dabei ist das, was Minister Rösler angekündigt hat, nicht
sonderlich originell. Damit wendet sie sich gegen die unsozialen Pläne des
Koalitionsvertrages. Darüber hinaus will sie auch den
(Beifall bei der LINKEN) Grundsatz, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber sich den
Es ist sogar in seiner Einfalt kaum zu überbieten. Sein Beitrag halbe-halbe teilen, wiederherstellen.
Glaubensbekenntnis lautet: Alles wird anders – alles (Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Stan-
wird Markt. dardrepertoire!)
(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Hellmut Königshaus Ich finde, daran sollte sich die CDU/CSU orientieren
[FDP]: Wann hat er das gesagt?) statt an den Kopfgeldjägern der FDP.
Das ist das Denken der Deregulierer und Marktradi- (Beifall bei der LINKEN)
kalen. Diese Ideologie der Marktvergötterung hat sich in
den 80er- und 90er-Jahren wie eine Pandemie ausgebrei- Horst Seehofer, Parteivorsitzender der CSU, wirft
tet und übrigens auch die heutigen Oppositionsfraktio- sich mannhaft in die Bresche, um die Kopfprämie aufzu-
nen SPD und Grüne erfasst. Das ist das Denken, das in halten, obwohl unter dem Koalitionsvertrag auch seine
die Finanzmarktkrise und dann in die Weltwirtschafts- Unterschrift steht. Er hat die Kopfpauschale in Inter-
krise geführt hat. Es ist ein altes Denken, von dem man views nicht nur für tot, sondern sogar für beerdigt er-
meinen sollte, dass es durch die Krise ad absurdum ge- klärt; denn er weiß genau, dass die Realisierung dieses
führt worden sei. Modell die CSU in Bayern weitere Sympathien und
Wählerstimmen kosten würde.
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Sagen Sie doch mal
etwas zu Ihrem Antrag!) (Hellmut Königshaus [FDP]: Das ist wohl Ihre
Hauptsorge!)
– Das kommt noch.
– Das ist wohl die Hauptsorge der CSU, denke ich. –
Aber dieses alte Denken wird uns jetzt wieder ange-
Nun werden wir in der Debatte sehen, ob es sich beim
dient als eine nicht ganz einfache Lösung für die Pro-
Arbeitnehmerflügelchen der Union und bei dem Vorsit-
bleme unseres Gesundheitssystems. Ich meine, das ist
zenden der Christlich-Sozialen nur um Maulheldentum
falsch. Das ist bestenfalls Klientelpolitik.
handelt oder ob sie wirklich zu ihren Aussagen gegen die
(B) (Beifall bei der LINKEN) Kopfprämie stehen. (D)
Stichworte des Koalitionsvertrages sind Vermarkt- (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wir stehen
lichung, Privatisierung und die Kopfpauschale. Unab- zum Koalitionsvertrag!)
hängig vom Einkommen soll jede und jeder einen gleich
hohen Beitrag in die gesetzliche Krankenversicherung Solidarität als Leitprinzip bedeutet, dass die Starken
einzahlen, die berühmte Lidl-Verkäuferin genauso viel für die Schwachen einstehen. Damit dieses Leitprinzip
wie ein leitender Angestellter, wobei sich Letzterer, der gesetzlichen Krankenversicherung nicht aufgegeben
wenn er gut verdient, auch noch schneller als bisher in wird, stellen wir hier unseren Antrag gegen die Einfüh-
eine private Krankenversicherung verabschieden können rung einer Kopfpauschale zur Abstimmung. Es gibt eine
soll. Mehrheit gegen die Kopfpauschale im Bundestag. Ich
hoffe, SPD und Grüne stimmen dem ohnehin zu. Wenn
Die soziale Ungerechtigkeit, die dabei zweifelsohne die Aussagen von Herrn Seehofer in seiner Partei etwas
entsteht, soll laut Minister über einen automatischen gelten, dann müssten eigentlich auch die CSU-Abgeord-
Steuerausgleich vermindert werden. Wie dies ohne eine neten zustimmen.
zusätzliche Megabürokratie funktionieren soll, bleibt
bislang das Geheimnis des Ministers. (Beifall bei der LINKEN)
Dieses Modell einer Kopfprämie lehnen wir ab, und Damit wäre die Kopfpauschale mit Votum des Deut-
ich glaube, ich kann hier auch für die SPD und die Grü- schen Bundestages endlich beerdigt.
nen sprechen. (Hellmut Königshaus [FDP]: Haben Sie noch
(Beifall bei der LINKEN und der SPD – Zurufe in Erinnerung, worüber Sie reden?)
von der CDU/CSU und der FDP: Oh!) – Das habe ich durchaus noch.
Aber auch in den Reihen der Koalition regt sich Wider-
Herr Präsident, bekomme ich Redezeit dafür gutge-
stand dagegen. Finanzminister Schäuble war der erste,
schrieben, dass ich dauernd unterbrochen werde?
der Wasser in den Wein der hochfliegenden Reformpläne
des Jungministers goss. Er stellte mit Blick auf den (Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)
Haushalt fest, dass der Sozialausgleich nicht zu bezahlen
sei. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft Nein, das bekommen Sie nicht. Sie bekommen etwas
reihte sich mit ihrer Kritik ein: Sie will, dass Kranken- mehr Redezeit, weil das Ihre erste Rede ist.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1039

(A) Harald Weinberg (DIE LINKE): ten lässt sich Empörung finden. Wir sollten uns aber (C)
Wenn von der rechten Seite dauernd dazwischenge- nicht von Gesinnung leiten lassen, sondern einfach ge-
quakt wird, muss ich doch fragen, ob mir dafür etwas lassen die Realität zur Kenntnis nehmen.
Redezeit gutgeschrieben wird.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich komme zum Ende.
Realität in Deutschland ist: Niemand muss auf den
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Arztbesuch und die Inanspruchnahme qualifizierter me-
dizinischer Hilfe verzichten, weil er das Geld für die
In unserem Wahlprogramm fordern wir eine solidarische Zuzahlungen, insbesondere für die Praxisgebühr, nicht
Bürgerinnen- und Bürgerversicherung. Der vorliegende aufbringen kann. Fakt ist, dass die Zahl der Zuzahlungs-
Antrag der Grünen geht in diese Richtung. Es gibt aber befreiten seit dem Startjahr der Neuregelung um über
auch einige wesentliche Unterschiede zu unseren Vor- 6 Prozent auf rund 7 Millionen Versicherte im Jahr 2008
stellungen. Wir werden im Laufe der Legislaturperiode angestiegen ist. Fakt ist, dass rund 90 Prozent der Befrei-
einen eigenen Antrag dazu einbringen. ungen auf die Chronikerregelung mit einer Belastungs-
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Gesundheit ist obergrenze von 1 Prozent der jährlichen Bruttoeinnah-
keine Ware. „Alles wird Markt“ ist das falsche Rezept men und circa 10 Prozent auf die Überforderungsrege-
für unser Gesundheitssystem. Das ist keine Lösung, son- lung von 2 Prozent entfallen. Fakt ist, dass Kinder in der
dern schafft nur weitere Probleme. Regel bis zum 18. Lebensjahr von sämtlichen Zuzahlun-
gen befreit sind. Das sind jährlich rund 13 Millionen Be-
Vielen Dank. freiungen. Damit profitieren fast 30 Prozent aller gesetz-
(Beifall bei der LINKEN) lich Krankenversicherten von Zuzahlungsbegrenzungen
und Befreiungen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Herr Kollege Weinberg, auch Ihnen gratuliere ich zu Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] meldet sich
Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. zu einer Zwischenfrage)
(Beifall)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Stephan Stracke von der Herr Kollege Stracke, erlauben Sie eine Zwischen-
CDU/CSU-Fraktion. frage aus den Reihen der Fraktion Die Linke?
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist die
(B) erste Rede! Da gibt es doch Spielregeln!) (D)
Stephan Stracke (CDU/CSU):
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Stephan Stracke (CDU/CSU):
Kolleginnen und Kollegen! Die Fraktion Die Linke hat Wenn es die Regel ist, möchte ich auf die Frage ver-
noch einen Antrag vorgelegt, dessen Ziel es ist, die Pra- zichten.
xisgebühr und andere Zuzahlungen abzuschaffen. Diese
Forderung ist nicht neu. Das haben Sie schon in der letz- Auch die Entwicklung des Zuzahlungsvolumens ist
ten Legislaturperiode eingebracht. Heute gehen Sie noch aufschlussreich. Das Zuzahlungsvolumen lag 2008 bei
einen Schritt weiter und fordern, nicht nur die Praxisge- rund 4,9 Milliarden Euro. Dies bedeutet im Vergleich zu
bühr, sondern gleich sämtliche Zuzahlungen abzuschaf- 2005 eine Absenkung um über 10 Prozent. All das zeigt:
fen. Von einem sozialen Ungleichgewicht bei den Zuzahlun-
gen kann keine Rede sein. 90 Prozent aller Befreiungen
(Heinz Lanfermann [FDP]: Die schaffen auch entfallen auf chronisch Kranke. Das spricht eindeutig
noch die Beiträge ab!) dafür, dass Menschen mit höherem Behandlungsbedarf
Warum kleckern, wenn man verbal richtig klotzen kann? effektiv vor Überforderungen geschützt sind.

Dieser Politikansatz ist nicht seriös und nachhaltig. Er Meine sehr geehrten Damen und Herren, Solidarität
stellt im Grunde auch nicht die Patientinnen und Patien- im Gesundheitswesen, wie wir sie verstehen, bedeutet
ten in den Mittelpunkt. zum einen ein Einstehen des Gesunden für den Kranken,
zum anderen aber auch eine finanzielle Solidarität der
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Reicheren zugunsten der Ärmeren.
Nein, Ihr Ansatz ist nichts anderes als ein sich selbst ge- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
nügender Populismus. neten der FDP)
Dies zeigt sich auch daran, wie Sie Ihren Antrag zu Aber diese Solidarität wäre unvollständig beschrieben,
begründen versuchen. Es ist die Rede davon, dass Zu- wenn der Gedanke der Eigenverantwortung fehlen
zahlungen das Solidarprinzip untergraben würden und würde.
dass vor allem Geringverdienende von Leistungen der
(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Sehr
gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen seien.
richtig!)
Sie sprechen von sozialer Selektion ärztlicher Leistun-
gen. Dort, wo man Argumente erwartet, liest man nur Ausfluss der Eigenverantwortung ist das Instrument
Behauptungen. Anstelle von belastbaren Daten und Fak- der Zuzahlungen. Anders als vielfach behauptet, insbe-
1040 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Stephan Stracke
(A) sondere von Ihrem Lager, wirkt dieses Instrument nicht Das Wort hat jetzt der Kollege Karl Lauterbach von (C)
sozial diskriminierend. Aber auch eine medizinisch un- der SPD-Fraktion.
erwünschte Steuerungswirkung, insbesondere der Pra-
xisgebühr, ist nach derzeitigem Stand aller einschlägigen (Beifall bei der SPD – Jens Spahn [CDU/
Untersuchungen nicht erkennbar. Auch die in Ihrem An- CSU]: Die wievielte Rede ist das denn?)
trag zitierte Studie bringt hier keine wesentlichen neuen
Erkenntnisse und reiht sich damit in den Reigen der Stu- Dr. Karl Lauterbach (SPD):
dien zu diesem Thema ein. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Abzuwarten bleibt jedoch, wie sich das Zuzahlungs- Herren! Wir erleben in diesen Tagen die Entzauberung
volumen insgesamt, insbesondere durch die Bonus- und eines Hoffnungsträgers des neokonservativ-neoliberalen
Hausarztmodelle, entwickeln wird und welche Auswir- Bündnisses: Herrn von und zu Guttenberg.
kungen dies auf die Steuerungswirkungen von Zuzah- (Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)
lungen haben wird. Bekanntlich wird der GKV-Spitzen-
verband einen entsprechenden Bericht vorlegen. Dieser Die Frage, die im Raum steht, ist, ob Minister Rösler der
Bericht bleibt abzuwarten, um dann anhand von fundier- Nächste sein wird, der ähnlich entzaubert wird.
tem Zahlenmaterial Schlussfolgerungen zu ziehen. Das
ist unsere Aufgabe, nicht Aktionismus mit aufgewärm- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
ten Anträgen. der LINKEN – Widerspruch bei der FDP)

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich versuche, das zu begründen. Bisher sieht es so aus,
als wenn er auf jeden Fall ein Risikofaktor für das kon-
Meine werten Kolleginnen und Kollegen, das Finanz- servativ-gelbe Bündnis wäre.
volumen der Zuzahlungen in der gesetzlichen Kranken-
versicherung macht rund 5 Milliarden Euro aus und ent- (Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Na, der nicht! –
spricht knapp 0,5 Beitragssatzpunkten. Sie alle wissen, Zuruf von der FDP: Er redet jedenfalls nicht
wie dramatisch sich die gegenwärtige Finanzsituation in über Bratwürste!)
der gesetzlichen Krankenversicherung darstellt. Diese
Aufgrund der Dinge, die wir bisher wissen, muss man
Lage ohne Not in maßgeblichem Umfang zu verschlim-
Bedenken haben. Was ist bisher bekannt? Bekannt ist,
mern, ist unverantwortlich. Nicht zielführend ist hierbei
dass eine einkommensunabhängige Prämie eingeführt
der Vorschlag der Linken, einfach die Beitragsbemes-
werden soll. Bekannt ist, dass es einen steuerfinanzierten
sungsgrenze zu erhöhen. Dadurch werden einzig und al-
Sozialausgleich geben soll. Bekannt ist, dass das System
lein die Leistungsträger in unserer Gesellschaft weiter
(B) belastet stufenweise eingeführt werden soll. Das ist ungefähr das, (D)
was bekannt ist.
(Widerspruch bei der LINKEN)
Jetzt muss man aber wissen: Die deutsche Bevölke-
und das bewährte System der privaten Krankenversiche- rung will keine einkommensunabhängige Prämie.
rung ausgehöhlt. Dazu werden wir Ihnen sicherlich nicht
die Hand reichen. (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Jens Spahn
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) [CDU/CSU]: Sie müssen es ja wissen!)
Hinter dem Antrag der Linken steht allein die Ab- Das ist der CDU schon im Leipziger Programm im Jahre
sicht, ihre Idee einer solidarischen Bürgerversicherung 2005 zum Verhängnis geworden und hat sie damals unter
voranzutreiben. Ziel der Union ist jedoch keine zentra- anderem – ich sage: gerechterweise – den Wahlsieg bei
listische Staatsmedizin, sondern eine Gesundheitspolitik, der Bundestagswahl gekostet.
die den Patienten in den Mittelpunkt stellt. Um dieses
Ziel umzusetzen, wird eine Regierungskommission ein- (Jens Spahn [CDU/CSU]: Darf ich noch einmal
gesetzt, die hierfür Vorschläge unter Führung unseres Ihre Prozentzahlen hören? 23 Prozent?)
Bundesministers erarbeiten wird.
Es gilt das alte Gesetz aus dem Geschäft. Wenn einer ei-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nen Fehler macht, ist das verzeihlich. Wenn er den glei-
chen Fehler wiederholt, ist das unverzeihlich.
Diesen Prozess wird die CSU im Interesse der Patienten
wie gewohnt konstruktiv begleiten. (Beifall bei der SPD – Jens Spahn [CDU/
CSU]: Da sind Sie ein gutes Beispiel!)
Herzlichen Dank.
Das deutsche Gesundheitssystem wird international
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) beachtet, weil es als Solidarsystem vorbildlich ist. Es ist
ein System, in das Gesunde für Kranke und Einkom-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: mensstarke für Einkommensschwache einzahlen. Da-
Herr Kollege Stracke, auch Ihnen gratuliere ich im rüber gehen Sie hinweg. Das belächeln Sie. Das ist für
Namen des Hauses zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Sie nicht wichtig.
Bundestag. Herzlichen Glückwunsch!
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Wir verbessern
(Beifall) das sogar!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1041
Dr. Karl Lauterbach
(A) Das Solidarsystem, auf das wir zu Recht stolz sein kön- zum jetzigen Zeitpunkt keine solide Finanzierung hat (C)
nen, wollen Sie mit der Abrissbirne der Prämie plattma- und von dem wir nichts wissen. Das ist vorgesehen.
chen. Das ist es, worum es in dieser Koalition geht.
Gleichzeitig soll eine kleine Kapitaldeckung für die
(Beifall bei der SPD – Wolfgang Zöller [CDU/ Pflege eingeführt werden. Dabei handelt es sich um ein
CSU]: Dann haben Sie das System nicht ver- bürokratisches System, das keinen Vorteil für die beste-
standen!) hende Pflegeversicherung bringt und für die das Geld
der privaten Krankenversicherung zur Verfügung gestellt
Es wird mit dem Hinweis verkauft, dass der Einkom- werden soll, sodass dieses Geld dann an der Börse ver-
mensausgleich für die Steuern gerechter wäre als der So- zockt werden kann. Sie planen das, anstatt die notwen-
lidarausgleich, den wir derzeit haben. Das wird von der dige Verbesserung der Pflege, die jetzt ansteht, zu finan-
gleichen Partei vorgetragen, die derzeit dabei ist, Steuer- zieren, was Ihre ethische Pflicht wäre.
erleichterungen für die Reichen durchzusetzen. Das ist
nichts anderes als Trickserei. (Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Wohin bewegt sich das Ganze in der Summe? Vorge-
DIE GRÜNEN – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: sehen sind Kostenerstattungen. Was bedeuten Kostener-
Beim Kindergeld!) stattungen? Kostenerstattungen sind nichts anderes als
die schleichende Einführung eines Teilkaskosystems.
Wie groß wäre denn der Steuerbedarf, den wir aufzu-
bringen hätten, wenn das System endgültig eingeführt (Jens Spahn [CDU/CSU]: Sie haben es mit
würde? Es wären 35 bis 38 Milliarden Euro. Sagen Sie, eingeführt!)
meine sehr geehrten Damen und Herren: Welche Steuern
will die FDP erhöhen, damit dieses Geld beigebracht Das System soll so umgestaltet werden, dass es eine
wird? Geht es erneut um die Mehrwertsteuer? Es werden Basisversorgung gibt, für die es Kostenerstattungen von
sicherlich nicht die Steuern der Einkommensstarken der Kasse gibt, und der Bürger alles andere aus der eige-
sein. nen Tasche bezahlen muss. Darum geht es im Wesentli-
chen.
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist doch
unter Ihrer Würde!) Es gibt Alternativen. Eine Alternative ist die einer
sauberen Bürgerversicherung. Das können Sie auch
Wenn Sie dies einführen, werden es wie immer die nicht damit wegdiskutieren, dass Sie sie polemisch als
Steuern der Einkommensschwächeren sein. Das ist es Einheitsversicherung bezeichnen.
doch, woran Sie denken. Sie haben doch in Wirklichkeit
(B) kein Interesse daran, einen echten Sozialausgleich einzu- (Rudolf Henke [CDU/CSU]: Schildbürger!) (D)
führen. Sie wollen vielmehr Steuersenkungen für die Die Bevölkerung wünscht ein gutes Gesundheitssystem
Einkommensstarken und gleichzeitig eine Billigprämie für alle.
für die gleiche Gruppe.
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Deshalb müs-
(Beifall bei der SPD) sen wir für die Finanzierung sorgen!)
Ein Argument ist, dass das System langsam einge- Sowohl für den schulischen Bereich wie für die Kran-
führt werden soll. Wir sollen uns keine Sorgen machen. kenversorgung wünscht sich der Bürger, dass alle nach
Welchen Unterschied macht es aber, ob ich etwas dem Bedarf versorgt werden und nicht nach der Her-
schneller oder etwas langsamer auf den Abgrund zu- kunft oder dem Einkommen. Dieser Grundkonsens in
gehe? Was ist der Unterschied? der Bevölkerung wird von Ihnen infrage gestellt.
(Beifall bei der SPD – Carl-Ludwig Thiele (Widerspruch bei der FDP – Wolfgang Zöller
[FDP]: Nur eine Frage der Redetechnik!) [CDU/CSU]: Nein, von Ihnen!)
Glauben Sie denn wirklich, der Wähler wäre so Dafür werden Sie an der Wahlurne den Preis bezahlen.
dumm, nicht zu erkennen, in welche Richtung das Ganze
gehen soll? (Jens Spahn [CDU/CSU]: Sie kennen sich ja
damit aus!)
Einen Lernerfolg – das muss man sagen – kann man
der FDP allerdings attestieren: Sie hat sich von dem Irr- Sie überschätzen sich. Sie fühlen sich jetzt sicherer, als
glauben verabschiedet, dass die demografische Alterung Sie sein sollten.
in der Bevölkerung eine Kapitaldeckung braucht. Das (Jens Spahn [CDU/CSU]: 23 Prozent, sage
geplante System ist wie das jetzige System ein Umlage- ich!)
system. Man bleibt also bei der Umlage. Der einzige Un-
terschied ist: Man macht sie ein bisschen ungerechter. Der Bürger wünscht keine Zweiklassenmedizin, der Bür-
Das ist aber kein Schritt nach vorn. ger wünscht keine Privatisierung des deutschen Systems.
Wir wollen das System verbessern und nicht abschaffen,
In der Summe ist es so: Ein bestehendes, gut funktio- meine sehr verehrten Damen und Herren.
nierendes System, das wir weiterentwickeln könnten,
soll plattgemacht werden zugunsten eines Prämiensys- (Jens Spahn [CDU/CSU]: Wie viel Zeit hat er
tems mit einem nichtfinanzierten Steuerausgleich, der eigentlich?)
1042 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Dr. Karl Lauterbach


(A) Ich komme nun zu den konkreten Vorschlägen der Allein für diese messerscharfe Analyse verdienen Sie (C)
SPD: unseren Respekt.
Wir werden einen konkreten, durchfinanzierten Vor- (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der
schlag für eine Bürgerversicherung machen. Das kün- CDU/CSU)
dige ich hiermit an. Ansonsten lässt der Antrag jedoch jeden fachpolitischen
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jens Tiefgang vermissen;
Spahn [CDU/CSU]: Nach zehn Jahren wäre (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
das auch einmal schön! – Dr. Rolf Koschorrek der CDU/CSU)
[CDU/CSU]: Wow!)
denn eine Antwort auf die dringendsten Fragen zur
Wir vertreten hier die gleiche Position wie die Linkspar- Neustrukturierung des Gesundheitssystems gibt er leider
tei oder die Grünen: Mit einem gut durchfinanzierten, nicht.
konkreten Vorschlag für die Bürgerversicherung wollen
wir ein gutes System für alle schaffen, Liebe Kolleginnen und Kollegen von der linken Seite,
Effizienz und Transparenz sind Ihnen anscheinend egal,
(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- solange nur einer Ihrer Lieblingsbegriffe wie „solida-
NEN]: Den würde ich gerne einmal kennenler- risch“ oder „sozial gerecht“ vorkommt.
nen!)
(Zuruf des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/
statt zwei nicht funktionierende Systeme mit Einkom- CSU])
mensgrenzen aufrechtzuerhalten.
Aber mehr als sozialromantische Rhetorik ist das nicht.
Wir werden konkrete Vorschläge zur Abschaffung der
Zusatzbeiträge machen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
(Jens Spahn [CDU/CSU]: Wann denn? –
Dafür, dass Sie hier angeblich etwas verändern wol-
Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
len, sind Ihre Reihen sehr dünn besetzt. Das muss man
NEN]: Wo ist denn der Antrag?)
einmal feststellen.
Wir werden darüber hinaus einen konkreten, gegenfi- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
nanzierten Vorschlag zur Abschaffung der Praxisgebühr
vorlegen. Die Risiken für die umlagefinanzierte GKV liegen
nicht nur in der demografischen Entwicklung und dem
(B) (Jens Spahn [CDU/CSU]: Und dann fusionie- Rückgang der Zahl sozialversicherungspflichtiger Ar- (D)
ren Sie mit der Linkspartei!) beitsplätze, sondern auch im medizinisch-technischen
Das sind die Vorschläge, mit denen Sie sich in Kürze Fortschritt. Letzterer ist sehr erfreulich, kostet aber auch
auseinandersetzen müssen. Es geht darum, ein bestehen- Geld.
des, gut funktionierendes Solidarsystem zu stärken. Der (Steffen-Claudio Lemme [SPD]: Schöne Weis-
Wähler wird die Parteien, die sich ernsthaft darum küm- heit!)
mern, nach vorne bringen und belohnen. Erinnern Sie
sich an meine Worte! Wenn wir jetzt nicht gegensteuern, werden die Beiträge
weiter steigen, gibt es Rationierung und steigende Lohn-
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. zusatzkosten.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Steffen-Claudio Lemme [SPD]: Was ist daran
der LINKEN – Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: so schlimm?)
Die reinste Form des Wahnsinns!)
Weil wir das nicht wollen, ist eine tiefgreifende, ehrliche
Reform notwendig.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt die Kollegin Christine Aschenberg- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Dugnus von der FDP-Fraktion. der CDU/CSU – Zurufe von der SPD)
Wir in der Koalition sind uns einig: Eine Einheits-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
kasse und ein staatlich-zentralistisches Gesundheitssys-
der CDU/CSU)
tem sind der falsche Weg. Wir wollen den Einstieg in ein
gerechtes, transparentes Finanzierungssystem.
Christine Aschenberg-Dugnus (FDP):
(Steffen-Claudio Lemme [SPD]: Netto oder
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Antrag der Linksfraktion mit dem Titel „Keine Kopfpau- brutto?)
schale – Für eine solidarische Krankenversicherung“ be- Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen auf der linken
ginnt wahrlich mit einem intellektuellen Paukenschlag. Seite dieses Hauses, betonen, Sie wollten den solidari-
Der erste Satz dieses Antrages lautet nämlich: „Krank- schen Charakter der gesetzlichen Krankenversicherung
heit kann jeden Menschen treffen.“ erhalten und stärken. Wunderbar, das wollen auch wir!
(Zurufe von der FDP: Oh!) (Beifall bei der FDP)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1043
Christine Aschenberg-Dugnus
(A) Aber der soziale Ausgleich darf nicht über eine intrans- Das Wort hat jetzt die Kollegin Maria Klein- (C)
parente Umverteilung innerhalb der gesetzlichen Kran- Schmeink von Bündnis 90/Die Grünen.
kenversicherung, sondern muss über das Steuersystem
erfolgen. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN und der SPD)
Unser Prämienmodell, flankiert durch einen sozialen
Ausgleich über die Steuermittel, ist der gerechtere Weg.
Maria Anna Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten GRÜNEN):
der CDU/CSU) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-
Denn diejenigen, die viel verdienen, zahlen auch mehr in nen und Kollegen! Angesichts der durchaus lebendigen
das System ein. Ihr Vorwurf, der Konzernchef zahle ––
dann für die Gesundheit genauso viel oder wenig wie die (Unruhe bei der FDP – Birgitt Bender
Supermarktverkäuferin – das war übrigens ein Beispiel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Präsi-
aus Ihrem Antrag –, ist völlig substanzlos. Denn Sie
dent, sorgen Sie mal für Ruhe da drüben!)
wollen doch wohl nicht bestreiten, dass der Gutverdiener
mehr Steuern zahlt und sich damit auch stärker an den
Gesundheitskosten beteiligt als der Geringverdiener. Das Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
ist Gerechtigkeit. Liebe Kolleginnen und Kollegen bei der FDP, bitte
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nehmen Sie Ihre Plätze ein und geben Sie den anderen
der CDU/CSU) die Gelegenheit, der Debatte zu folgen.

Wenn man das Wort „Gerechtigkeit“ bloß im Munde Maria Anna Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE
führt, langt das nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen
GRÜNEN):
von der linken Seite. Bei uns hört Solidarität eben nicht
bei der Beitragsbemessungsgrenze auf. Dann fange ich noch einmal an. – Sehr geehrter Herr
Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! An-
(Beifall bei der FDP) gesichts dieser wirklich angeregten Debatte am späten
In unserem Modell werden auch Bürger mit niedrigen Abend
Einkommen eine umfangreiche Krankenversicherung (Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Da gibt es
haben. wohl einen Zusammenhang!)
Der Umbau des Gesundheitssystems wird nicht von zeigt sich, dass wir zu einem recht wichtigen Thema in
(B) heute auf morgen zu bewerkstelligen sein. Deshalb wird dieser Legislaturperiode gelangt sind, was eigentlich ei- (D)
eine von der Regierung eingesetzte Kommission unter
nen etwas seriöseren und genaueren Umgang erfordern
Leitung von Minister Philipp Rösler sorgfältig Vor-
schläge erarbeiten, würde, als wir ihn bislang erlebt haben.

(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr gut!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

wie und in welcher Geschwindigkeit ein neues Finanzie- Nach den Argumenten, die ich heute hier gehört habe,
rungssystem eingeführt werden kann. müssen Sie sich den Vorwurf, den Sie an die linke Seite
richten, durchaus auch selber gefallen lassen. Denn Sie
(Steffen-Claudio Lemme [SPD]: Kommissio- beanspruchen Seriosität, Genauigkeit und Ehrlichkeit,
nitis!) wie ich eben gehört habe. Aber ich frage mich: Wo sind
Die bisherige Gesundheitspolitik wurde am all diese Punkte in Ihrem Koalitionsprogramm?
27. September von den Bürgerinnen und Bürgern abge-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
wählt.
und bei der SPD sowie des Abg. Ulrich
(Lebhafter Beifall bei der FDP – Beifall bei Maurer [DIE LINKE] – Birgitt Bender
Abgeordneten der CDU/CSU) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine gute
Frage!)
Die Menschen haben ein Recht darauf, dass endlich ein
faires, zukunftsfähiges Gesundheitssystem installiert Ich finde sie nicht. Ich finde viele offene Fragen, aber
wird. Dafür hat man uns gewählt, und dafür werden wir keine Antwort.
sorgen.
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Darüber kön-
Vielen Dank. nen wir reden, wenn Sie die beantworten kön-
(Lebhafter Beifall bei der FDP – Beifall bei nen!)
der CDU/CSU)
Ich habe keine Antwort – weder heute in der Zeitung
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Heinz Lanfermann [FDP]: Die Zeitung sollen
Frau Kollegin Aschenberg-Dugnus, auch Ihnen gratu- Sie jeden Tag lesen! Hier müssen Sie zu Ihrem
liere ich im Namen des Hauses zu Ihrer ersten Rede im Antrag sprechen!)
Deutschen Bundestag.
noch am Mittwoch im Gesundheitsausschuss durch den
(Beifall) Herrn Minister – auf die Frage erhalten, wie Sie Ihre
1044 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Maria Anna Klein-Schmeink


(A) Pläne tatsächlich ausgestalten wollen, wie Sie sie finan- Ihre Pläne sind noch nicht ausgegoren. Daher besteht (C)
zieren wollen. die Chance, dass auf ein ganz anderes Pferd gesetzt wird.
Vielleicht wird auf die Vorschläge gesetzt, die schon
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie haben doch
durchdacht sind, etwa auf den Vorschlag der Grünen,
einen Antrag gestellt!)
eine Bürgerversicherung einzuführen. Sie können sich
Überall offene Fragen, gekoppelt – das will ich an dieser nicht einfach so wie im Wahlkampf auf Vorurteile zu-
Stelle noch einmal deutlich sagen – mit einer enormen rückziehen, zum Beispiel darauf, diese Bürgerversiche-
Leichtfertigkeit; denn Sie wollen ein Solidarsystem in rung sei wettbewerbsfeindlich und sie sei eine Einheits-
Deutschland zerschlagen, versicherung.
(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Das ist doch (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie erkennen
verkehrt, was Sie sagen!) es richtig!)
das eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung erfährt. Be- All das stimmt nicht, und das wissen Sie auch.
vor man so etwas tut, muss man erstens gute Gründe
nachweisen und zweitens einen guten Plan haben, wie Spätestens jetzt, nach Vorlage der Eckpunkte, können
man sein Ziel erreichen will. Sie ziemlich genau nachvollziehen, dass viele der Argu-
mente, die Sie immer wieder gegen unsere Vorschläge
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bemühen, in keiner Weise zutreffen. Wir haben einen
und bei der SPD) Vorschlag gemacht, der eine nachhaltige und gerechte
Finanzierungsbasis für ein zukünftiges Gesundheits-
Das fehlt auf Ihrer Seite.
wesen beinhaltet. Ich erwarte von Ihnen kurz vor Weih-
Sehr viele von der CDU/CSU schauen mit großem nachten, dass Sie sich diese Pläne und diese Vorstellun-
Unbehagen und mit großer Sorge auf die gesamte Ent- gen auch wirklich anschauen.
wicklung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) sowie bei Abgeordneten der SPD)
Denn sie wollen im Grunde genau diese Vereinbarung Ich komme zu einem zweiten Aspekt.
nicht. Aus der CSU und aus den Sozialvereinigungen
heraus wird öffentlich darüber gestritten, ob dieser Soli- Präsident Dr. Norbert Lammert:
darausgleich tatsächlich zerschlagen werden soll.
Frau Kollegin, darf ich Sie darauf aufmerksam ma-
(Zuruf von der CDU/CSU: Der Solidaraus- chen, dass Sie sich beim zweiten Aspekt ein bisschen be-
(B) gleich wird nicht gestürzt!) eilen müssen? (D)
Sie sind sich in diesem Punkt nicht sicher. Sie hoffen (Heiterkeit)
nur, dass Sie die Entwicklung so lange aussitzen können,
dass es nicht zu einer Verwirklichung der FDP-Pläne, Maria Anna Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE
sondern nur zu einer kleinen Kopfpauschale kommt. GRÜNEN):
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Dann werde ich mich darauf beschränken, zu sagen,
dass ich die weiteren Punkte jederzeit in die Diskussion
Ich sage Ihnen: Sie können sich da nicht sicher sein. einbringen kann.
Es ist doch so, dass Sie bislang nicht wissen, wie das
Ganze ausgeht. Die Kommission soll es nun richten. Sie
haben gleichzeitig das Problem, dass es Finanzierungs- Präsident Dr. Norbert Lammert:
lücken gibt, Nur nicht heute Abend.
(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Heiterkeit)
NEN]: Riesige!)
und zwar riesige. Sie sind gezwungen, auf irgendeine Maria Anna Klein-Schmeink (BÜNDNIS 90/DIE
Weise damit umzugehen. GRÜNEN):
Ich will Ihnen zum Abschluss nur noch Folgendes mit
(Beifall der Abg. Dr. Marlies Volkmer [SPD]) auf den Weg geben – hier sitzen relativ viele Kollegin-
Wir haben Ihnen zum Ende des Jahres unsere Vor- nen und Kollegen aus NRW –: Wir werden es Ihnen
schläge für eine Bürgerversicherung vorgelegt. Damit ist nicht durchgehen zulassen, wenn Sie sich mit irgendwel-
sichergestellt, dass Sie zumindest die Gelegenheit haben, chen Vorschlägen, die Finanzierungslücken aufweisen,
sich diese anzuschauen. Nach dem heutigen Tag habe über die bevorstehende Landtagswahl hinwegretten wol-
ich sogar die Hoffnung – ich habe die Ausführungen von len.
Frau Aschenberg-Dugnus gehört –, dass Sie bereit sind, (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Sie werden
alle Vorschläge vorurteilsfrei in die Debatte einzubezie- sich noch wundern!)
hen, vielleicht auch in die Überlegungen Ihrer Kommis-
sion. Vielleicht kommen wir sogar zu einem System, das Darauf können Sie sich verlassen.
ganz anders ist als das, das Sie bisher andenken.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) und bei der SPD)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1045

(A) Präsident Dr. Norbert Lammert: wicklung stellen. Wir wollen keine weitere starke Ab- (C)
Frau Kollegin, ich gratuliere Ihnen herzlich zu Ihrer hängigkeit der finanziellen Leistungsfähigkeit unserer
ersten Rede im Deutschen Bundestag. Krankenkassen von den konjunkturellen Entwicklungen.
Wir wollen keine überproportionale Wettbewerbsbelas-
(Beifall) tung unserer Produkte durch die vollständige Kopplung
Ich will noch insbesondere erwähnen, dass Sie es so- der Finanzierung an den Faktor Arbeit. Deshalb haben
zusagen mit einer verschärften Versuchsanordnung zu wir beschlossen, eine Regierungskommission einzuset-
tun hatten; denn ich habe Sie, unmittelbar nachdem ich zen, die den Auftrag hat, nicht nur Lösungsvorschläge,
das Präsidium übernommen habe, mit Blick auf die Uhr sondern auch Lösungswege detailliert zu erarbeiten.
auf die grausamen Gewohnheiten dieses Hauses auf- Gestern haben Sie, Herr Minister Rösler, es im Gesund-
merksam gemacht. Nun haben Sie das Schlimmste in heitsausschuss so bezeichnet: Es sollen detaillierte Vor-
dieser Legislaturperiode schon hinter sich, und das wird schläge für Schrittgrößen und für Schrittfrequenzen erar-
Sie für die weitere Legislaturperiode hoffentlich ermuti- beitet werden.
gen.
Meine Damen und Herren, ich möchte mich beson-
(Heiterkeit und Beifall) ders auf den Antrag der Linken konzentrieren. Ich meine
aber weniger den Antragstext – denn daraus wird nichts
Wir haben weitere Beispiele in dieser Versuchsanord- ersichtlich – als vielmehr die Begründung Ihres Antrags.
nung. Liest man die letzten drei Zeilen dieser Begründung,
(Heiterkeit) dann weiß man ganz genau, wo der Hase im Pfeffer
liegt. Sie haben schon im Bundestagswahlkampf mit den
Nächste Rednerin ist die Kollegin Stefanie Vogelsang Sorgen und Ängsten der Bürgerinnen und Bürger ge-
für die CDU/CSU-Fraktion. spielt. Sie haben schon im Bundestagswahlkampf mit
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der Schimäre einer vermeintlich kalten und unsozialen
Politik einer schwarz-gelben Koalition auf dem Rücken
Stefanie Vogelsang (CDU/CSU): der Bevölkerung Stimmung gemacht.
Vielen Dank. Dann will ich den Versuch mal starten. – (Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: So ist es!)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr
Minister Rösler, Frau Staatssekretärin Widmann-Mauz Nur, die Wählerinnen und Wähler haben das gemerkt.
und Herr Staatssekretär Bahr, zunächst einmal möchte Mit Ihrem heutigen Antrag haben Sie wieder nichts
ich Ihnen ausdrücklich dafür danken, dass Sie hier in ei- anderes im Sinn, als Menschen zu verunsichern und
ner Dreierkonstellation erschienen sind. Ängste zu schüren.
(B) (D)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN – Hellmut Königshaus [FDP]: Das Sie wollen die Stimmung für den Vorwahlkampf in Nord-
hat doch Stil!) rhein-Westfalen anheizen. Aber auch das – da bin ich
ganz ohne Sorge – werden die Wählerinnen und Wähler
Dies zeigt ganz eindeutig Ihren Respekt vor den Bera- merken.
tungen hier im Haus.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Im Mittelpunkt unserer Gesundheitspolitik stehen die Zuruf von der LINKEN: Oh ja, wenn Sie es sa-
Menschen, gen!)
(Zurufe von der LINKEN: Nein!) Sie, meine Damen und Herren von den Linken, wis-
und zwar die gesunden genauso wie die kranken Men- sen genau, dass dann, wenn alle Bürger in eine Einheits-
schen. kasse einzahlen müssten, kein Wettbewerb mehr statt-
fände und die Versorgung noch teurer würde.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Hilde Mattheis [SPD]: Das ist doch völliger
Wir wollen, dass auch in Zukunft jeder in Deutschland, Quatsch!)
und zwar unabhängig von seinem Einkommen, seinem
Alter, seiner sozialen Herkunft oder seinem gesundheit- Sie wollen eine Einheitskasse. Sie wollen staatliche
lichen Risiko, eine qualitativ hochwertige, wohnortnahe Zwangswirtschaft und Gleichmacherei.
medizinische Versorgung erhält und dass alle am medizi- (Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Genau!)
nischen Fortschritt teilhaben können. Wir teilen die Auf-
fassung, Herr Lauterbach, dass die Bürgerinnen und Sie wissen ganz genau, dass dem Zuwachs an Bei-
Bürger keine Zweiklassenmedizin wollen. Mit uns wer- tragszahlern ein Zuwachs an Ansprüchen in gleichem
den sie sicherlich keine bekommen. Maße gegenüberstünde.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Stephan Stracke [CDU/CSU]: So ist es!)
neten der FDP – Dr. Karl Lauterbach [SPD]:
Sie wissen auch ganz genau, dass die Finanzfragen der
Das werden wir sehen!)
gesetzlichen Krankenversicherung mit Ihrem Vorschlag
Wir wollen uns dem demografischen Wandel und den nicht gelöst, sondern sogar verschärft werden, weil im
Herausforderungen einer rasanten medizinischen Ent- Gegensatz zur privaten Krankenversicherung keine
1046 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Stefanie Vogelsang
(A) Vorsorge für steigende Gesundheitskosten im Alter ge- der vor der beinahe unlösbaren Aufgabe steht, all das, (C)
troffen wird. Sie wissen auch genau, dass Sie in Ihrem was sich zu diesem wichtigen Thema eigentlich sagen
Vorschlag die Probleme der Bevölkerungsentwicklung ließe, in drei Minuten sagen zu müssen. Bitte schön.
ausblenden. Sie wissen ebenfalls genau, dass in Ihrem
Vorschlag die jungen Menschen im Stich gelassen wer- Lars Lindemann (FDP):
den, weil er mittelfristig keine Lösung im Hinblick auf Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
die Generationengerechtigkeit bietet. Außerdem wissen ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Sie ganz genau, dass es verantwortliche Politik wäre, zu- Lauterbach, ich muss mich schon sehr wundern, wenn
zugestehen, dass es einen Unterschied zwischen einem Sie hier von einem funktionierenden Solidarsystem spre-
fairen, freien und wettbewerblichen Gesundheitssystem chen. Ich sage Ihnen ganz offen: Wir hatten im Wahl-
als Teil der sozialen Sicherung und einem beliebigen kampf und nach dem Wahltag einen anderen Eindruck.
wettbewerblichen System gibt. Die Pläne, die Sie hier schlechtheißen, haben wir den
Wählern vorher verkündet. Wir tun jetzt genau das, was
Es geht Ihnen aber nicht um verantwortungsvolle Po-
wir angekündigt haben. Das stellen Sie hier in Abrede.
litik. Ich komme aus Berlin, einem Bundesland, das
schon viele Jahre von Ihnen mitregiert wird. Stück für (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Stück setzen Sie staatlichen Dirigismus und Einheitsbrei der CDU/CSU)
durch. Die Lebensqualität von uns Berlinern und Berli-
nerinnen wird immer schlechter. Das Gesundheitssystem, wie es derzeit aufgestellt ist,
steckt in einer Sackgasse, die in den letzten Jahren mit
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Carl- Milliardenbeträgen aus dem Bundeshaushalt, Beitragser-
Ludwig Thiele [FDP]: Leider wahr!) höhungen und Gesetzen zur Kostendämpfung um ein
paar Meter verlängert wurde, weil man grundlegende
Ihr Modell einer Einheitskasse und einer Zwangswirt- Veränderungen nicht vornehmen wollte. Auch diese Ko-
schaft bedeutet in der Folge das Ende der freien Arzt- alition gewährt notgedrungen einen Zuschuss von
wahl, die Absenkung der medizinischen Standards und 3,9 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt, um diese
führt zu einer gleich schlechten Versorgung der Patien- Sackgasse nochmals zu verlängern, um krisenbedingte
tinnen und Patienten. Vielleicht könnte man munkeln, Ausfälle nicht den Versicherten aufzubürden.
dass später heimlich Privatkliniken für Ihre Parteigenos-
sen zur Verfügung stehen. Um es aber deutlich zu sagen: Die derzeit sichtbaren
Probleme und Unzulänglichkeiten in diesem System
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – sind Resultat einer über die letzten Jahre von Ihnen – da
Heiterkeit des Abg. Wolfgang Zöller [CDU/ habe ich vor allem Sie von der SPD im Blick – geschaf-
(B)
CSU] – Lachen des Abg. Harald Weinberg fenen Gesetzeslage, die wir jetzt vorfinden. Das wollen (D)
[DIE LINKE]) wir nicht verkehrt sehen.

Wir alle wissen, dass eine Gesellschaft gerade im (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Umgang mit Kranken, Älteren und Schwachen ihr wah- der CDU/CSU)
res Gesicht zeigt. Genau deshalb geht bei uns Gründlich- Wenn wir mit Ihnen in eine Debatte darüber eintreten,
keit vor Schnelligkeit. Lassen wir der Regierungskom- wie ein solidarisches, nachhaltig stabil aufgestelltes Ge-
mission die Zeit, die sie braucht, um uns einen gründlich sundheitssystem aussehen soll, dann gehen unsere Vor-
überlegten Weg der festen Schritte vorzuschlagen, mit stellungen – wie sollte es auch anders sein! – ein wenig
dem wir unser Ziel erreichen: medizinische und pflegeri- auseinander. Was die Finanzierungsseite angeht, nützt es
sche Leistung auf höchstem Niveau, auch in Zukunft ei- eben nichts, sich stets darüber zu unterhalten, wie mehr
genverantwortlich, selbstbestimmt und solidarisch gesi- Geld ins System kommen könnte: durch die Einbezie-
chert, egal ob für Alt oder Jung, Reich oder Arm, Stark hung weiterer Einkunftsarten und Einkommensbezieher
oder Schwach. oder durch weitere Kostendämpfungen. Nach unserer
Auffassung ist ein Festhalten an einer so engen Koppe-
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. lung der Gesundheitskosten an die Lohnkosten, wie es
sie derzeit gibt, nicht zielführend.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Eine Debatte um ein gerechtes, solidarisches System,
Präsident Dr. Norbert Lammert:
wie Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen von der
Opposition, sie führen, ist aber auch von Augenwische-
Liebe Frau Vogelsang, auch Ihnen gratuliere ich herz- rei und Schönfärberei geprägt, und sie endet, gibt man
lich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag, ver- sich Ihren Vorstellungen hin, in einem steuerfinanzierten
bunden mit allen guten Wünschen für die weitere parla- System à la NHS, wie wir es aus England kennen. Die
mentarische Arbeit. Fortsetzung einer solchen Entwicklung wird es unter un-
serer Verantwortung nicht geben.
(Beifall)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Nun hat der Kollege Lars Friedrich Lindemann für der CDU/CSU)
die FDP-Fraktion das Wort,
Den Ruf nach einer gerechten Gesundheitspolitik ha-
(Beifall bei der FDP) ben Sie – das darf man so sagen – stets mit Versprechun-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1047
Lars Lindemann
(A) gen verbunden, die den Menschen in diesem Land ein dann, wenn die rote Lampe blinkt, die von den Fraktio- (C)
Rundum-sorglos-Paket aus der Hand des fürsorglichen nen gemeinerweise zugestandene Redezeit bereits über-
Staates vorgegaukelt haben. Ich sage Ihnen offen: Ich schritten ist. Wenn sich dann der Präsident mit dem
bin froh, dass das ein Ende hat und dass die Protagonis- Blinkzeichen meldet, ist das ein Indiz dafür, dass er zu-
tin, Frau Schmidt, nicht mehr im Amt ist. nehmend an die Grenze seiner Gestaltungsspielräume
gerät.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU) (Heiterkeit und Beifall)
Was Sie getan haben, zeugt von einem unheimlich ho- Nun sind wir am verdienten Ende dieses Tagesord-
hen Maß an Unverantwortlichkeit den Patienten und nungspunktes.
Leistungserbringern gegenüber. Ein Anspruch auf alles
erdenklich Mögliche, und dies auf höchstmöglichem Ni- (Beifall)
veau für jeden, so etwas vorzugaukeln, war und ist mehr Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
als unredlich. auf den Drucksachen 17/240, 17/258 und 17/241 an die
(Sören Bartol [SPD]: Das müsste man den in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
Leuten draußen sagen!) schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Ich bin beein-
druckt: Das ist offenkundig der Fall. Dann sind die
Ein solches Gesundheitssystem gab es noch nie auf der Überweisungen so beschlossen.
Welt, und das wird es nie geben, auch nicht in Deutsch-
land. Bevor ich den Tagesordnungspunkt 16 aufrufe, möchte
ich die tapferen Besucher auf der Besuchertribüne be-
Solidarität – Sie nennen Ihren Vorschlag „solida- sonders herzlich begrüßen.
risch“ – ist eben nicht der größtmögliche Eifer beim Ver-
teilen des Geldes anderer Leute. (Heiterkeit und Beifall – Reinhard Grindel
[CDU/CSU]: Die haben kein Zuhause!)
(Beifall bei der FDP)
Ich tue das deswegen besonders gerne, weil wir gele-
Solidarität, verstanden als das Eintreten der Gesunden gentlich mit dem Vorwurf konfrontiert werden, auf den
für die Kranken, kann nur funktionieren, wenn sie in ei- Besuchertribünen seien mehr Leute anwesend als im
nem engen Zusammenhang mit der Eigenverantwortung Plenum. Das ist heute Nacht um 22.29 Uhr nachweislich
eines jeden Einzelnen steht. Diese Eigenverantwortung anders, was ich ausdrücklich festhalten möchte.
als Voraussetzung für das Funktionieren solidarischer
Elemente gilt es in das System zurückzubringen. Das ist (Beifall)
(B) die Aufgabe in der nächsten Zeit. (D)
Nun rufe ich den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Wir brauchen ein zukunftssicheres Finanzierungssys- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
tem, geprägt durch Eigenverantwortung, Wahlfreiheit, richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
Nachhaltigkeit und Sicherheit, das die Teilhabe eines je- Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag
den – da ist sozialer Ausgleich richtig angesiedelt – der Abgeordneten Winfried Hermann, Kerstin
durch Zuschüsse über das Steuer- und Transfersystem zu Andreae, Alexander Bonde, weiterer Abgeordne-
seinen Beiträgen erhält, wenn er sie selbst tatsächlich ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
nicht bezahlen kann. NEN
Der Einstieg in ein System einkommensunabhängiger Moratorium für Stuttgart 21 – Wirtschaftlich-
Arbeitnehmerbeiträge ist, wie im Koalitionsvertrag ver- keit des Großprojektes vor Baubeginn sicher-
abredet, ein erster Schritt weg von einer zentral vorgege- stellen
benen Staatsmedizin und hin zu mehr Vielfalt und Ge-
staltungsmöglichkeiten des Einzelnen. Der Patient steht – Drucksachen 17/125, 17/268 –
für uns im Mittelpunkt.
Berichterstattung:
Vielen Dank. Abgeordneter Dr. Stefan Kaufmann
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für
diese Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich
Präsident Dr. Norbert Lammert: höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Lieber Kollege Lindemann, auch Ihnen herzlichen Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
Glückwunsch zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bun- der Parlamentarische Staatssekretär Enak Ferlemann.
destag, die das amtierende Präsidium mit einem 40-pro-
zentigen Zuschlag auf Ihre Redezeit gewürdigt hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

(Heiterkeit)
Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Ich weise vorsichtshalber darauf hin, dass ich das für minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
die nachfolgenden Reden nicht in Aussicht stellen kann. Sehr geschätzter Herr Präsident! Meine sehr verehr-
Vielleicht ist der Hinweis für die älteren wie die neueren ten Damen und Herren! Es freut mich, dass wir noch zu
Mitglieder des Hauses nicht gänzlich überflüssig, dass so später Stunde über eines der besten Projekte, die im
1048 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann


(A) Verkehrsbereich aufs Gleis gesetzt werden, diskutieren für den Nahverkehr, circa 168 Millionen Euro aus dem (C)
können. GVFG-Bundesprogramm und circa 300 Millionen Euro
aus dem Infrastrukturbeitrag für das Bestandsnetz im
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Rahmen der Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung.
Ich nehme an, dass wir über dieses Thema deshalb zu so Man sieht also, dass der Bund erhebliche Mittel für die-
später Stunde diskutieren, weil der Ausschussvorsit- ses Projekt bereitstellt. Das ist sinnvoll und richtig so.
zende, Winfried Hermann, dafür gesorgt hat, dass wir
heute Abend noch lange diskutieren wollen. Dann wol- Die Finanzierungsvereinbarung zwischen Bund und
len wir das auch gerne tun. Ich freue mich, wie gesagt, DB AG wurde am 2. April 2009 für beide Vorhaben ab-
außerordentlich, dass wir das hier live machen können. geschlossen. Im Vorfeld hat die DB AG eine Wirtschaft-
lichkeitsrechnung erstellt. Diese wurde im Auftrag des
Mit Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wendlin- Bundes geprüft und erbrachte für uns ein ausgeglichenes
gen–Ulm bekommen Baden-Württemberg und der ge- Ergebnis. Also können wir bei diesem Projekt mitgehen.
samte süddeutsche Raum zwei Schienenprojekte von
europäischer Dimension. Sowohl Stuttgart 21 als auch Die Bereitstellung von weiteren Finanzierungsmitteln
das Bedarfsplanvorhaben der Neubaustrecke Wendlin- sowie die Finanzierung entstehender Mehrkosten sind in
gen–Ulm betreffen die Magistrale für Europa, die von gesonderten Vereinbarungen zwischen dem Land Baden-
Paris über Stuttgart, München, Wien, Bratislava bis Württemberg, der Landeshauptstadt Stuttgart, dem Ver-
Budapest führt. Der Raum Stuttgart und die Strecke über band Region Stuttgart, der Flughafen Stuttgart GmbH
die Alb nach Ulm stellten in der Relation erhebliche und der DB AG geregelt. Es gilt, eventuell anfallende
Engpässe dar, die mit den beiden Projekten beseitigt Mehrkosten, die über die zwischen den Beteiligten ver-
werden. einbarte Risikovorsorge hinausgehen, zu decken. Im
Vertrag des Bundes mit der DB AG zu Stuttgart 21 gibt
Die Realisierung des Projekts Stuttgart 21 ist aller-
es dazu keine entsprechende Klausel. Auch das wurde in
dings nur sinnvoll, wenn beide Projekte gleichzeitig ge-
den vergangen Tagen kolportiert, das ist aber anders.
baut und vor allem beide Strecken gleichzeitig in Betrieb
genommen werden. Sie hängen unmittelbar voneinander Die aktuelle Kostenkalkulation der DB AG hat für
ab. Stuttgart 21 Gesamtprojektkosten in Höhe von 4 088 Mil-
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) lionen Euro ergeben. Darin sind neben Bau- und Pla-
nungskosten auch inflationsbedingte Kostensteigerun-
Die Gewinner dieser zwei Vorhaben sind in erster Li- gen der Zukunft enthalten. Der bisherige von der DB AG
nie die Bahnkunden, um die es uns gehen muss. Die angesetzte maximale Kostenrahmen von etwa 4,5 Mil-
(B) Fahrzeiten im Fern- und Nahverkehr werden sich enorm liarden Euro wird somit nicht überschritten, sondern (D)
verkürzen. Ein weiterer großer Vorteil: Der Anschluss bleibt weiterhin gültig. Das ist für uns als Eigentümer
des Flughafens Stuttgart an das ICE-Netz bringt erhebli- der DB AG die Grenze, über die wir nicht gehen wollten.
che Erleichterungen und Verbesserungen für die Fahr- Die Mehrkosten gegenüber den ursprünglich kalkulier-
gäste mit sich. Ich denke, das ist das, was Verkehrspoli- ten 3,076 Milliarden Euro werden über die bereits ver-
tik machen muss – in Zukunft noch mehr als bisher –: einbarte Risikovorsorge in Höhe von 1,45 Milliarden
Die verschiedenen Verkehrsträger sind zu verknüpfen Euro ausgeglichen. Es verbleibt somit ein Risikoschirm
und müssen für den Kunden möglichst einfach zu nutzen von 438 Millionen Euro. Ich denke, auf der derzeitigen
sein. Insofern ist dies ein gutes Sinnbild für eine neue Kalkulationsbasis, der derzeitigen Planungsbasis ist das
Art von Verkehrspolitik, von der wir in Deutschland ein gutes Ergebnis. Man kann das Projekt also, denke
mehr brauchen. ich, starten.
Stuttgart 21 mit der Umgestaltung des Knotens Stutt-
gart und der Tieferlegung des Stuttgarter Hauptbahnhofs So ist es in der Sitzung des Lenkungskreises gelaufen.
als Durchgangsbahnhof ist kein Projekt des Bedarfspla- In der vergangenen Woche haben die Projektpartner, die
nes für die Bundesschienenwege, sondern ein unterneh- ich vorhin schon genannt habe, die aktualisierte Kosten-
merisch eigenwirtschaftliches Projekt der Deutschen kalkulation zum Großprojekt zur Kenntnis genommen
Bahn AG. Die Eisenbahninfrastrukturunternehmen sind und die Signale für das wichtige Verkehrsprojekt, Herr
Vorhabenträger und Bauherren. Das ist in der Diskussion Hermann, auf Grün gestellt. Man kann eigentlich gar
in den letzten Wochen oftmals nicht richtig gesehen wor- nicht Grün sagen, sondern müsste eigentlich Schwarz-
den. Es ist mitnichten so. Rot-Blau-Gelb sagen. Aber es heißt ja „auf Grün ge-
stellt“; ich komme darauf gleich noch zurück.
Der Bund beteiligt sich an Stuttgart 21 finanziell aus
Mitteln für den Bedarfsplan Schiene mit einem Fest- Somit sind von allen Seiten die Bedingungen geschaf-
betrag in Höhe von 563,8 Millionen Euro, der für die fen, dass beide Projekte im Jahr 2010 begonnen und im
Einbindung des Bedarfsplanvorhabens Neubaustrecke Jahre 2019 nach unserer Planung in Betrieb genommen
Wendlingen–Ulm in den Knoten Stuttgart als sogenannte werden können. Die Entscheidungen für die Realisie-
Sowiesokosten eh erforderlich gewesen wäre. Über den rung von Stuttgart 21 sind gefallen. Damit können in
genannten Betrag hinaus werden folgende Finanzie- dieser konjunkturell schwierigen Situation für unser
rungsbeiträge, die aus anderen mit Bundesmitteln finan- Land zwei der größten Bauvorhaben in Deutschland be-
zierten Quellen stammen, vorgesehen: 197 Millionen ginnen: Stuttgart 21 und die Neubaustrecke Wendlin-
Euro gemäß Abs. 2 Bundesschienenwegeausbaugesetz gen–Ulm.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1049
Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann
(A) Herr Präsident, gestatten Sie mir, noch einen Punkt nur noch gut eineinhalb Stunden dauern. Köln wird von (C)
anzusprechen, der mich seit langen Jahren, die ich Mit- München aus in dreieinhalb Stunden erreichbar sein.
glied im Deutschen Bundestag bin, immer ein wenig är- Umsteigen ist nur noch bei wenigen Verbindungen not-
gert. Ich will daraus keinen Hehl machen. Wir diskutie- wendig.
ren im Fachausschuss vielfach über die Verlagerung des
Der gesamte süddeutsche Raum wird durch Stuttgart 21
Verkehrs von der Straße auf die Schiene. Im Ausschuss
besser an das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz
gibt es im Grunde niemanden, der dagegen ist. Alle sa-
angebunden. Das sind gewichtige Gründe, auf die Bahn
gen, dass es sinnvoll und notwendig ist. Bedenklich ist
umzusteigen. Das ist eine echte Alternative, im Übrigen
aber, dass diejenigen, die angeblich am meisten für die
nicht nur zum Auto, sondern auch zum Flugzeug.
Schiene als Verkehrsträger eintreten, auch diejenigen
sind, die sinnvolle Projekte vor Ort torpedieren und zum Dennoch – auch das möchte ich nicht verhehlen –:
Teil auch noch die Bürgerinitiativen anführen, die diese Die Kostenexplosion von Stuttgart 21 hat auch mich und
Projekte mit Engagement bekämpfen. Das ist sehr be- uns irritiert. Hier muss sich vor allem die Deutsche Bahn
dauerlich. Da muss man sagen: Wir werden uns in dieser die Frage gefallen lassen, warum es zu den erheblichen
Legislaturperiode zu eigen machen, dies nicht weiter zu Mehrkosten gekommen ist. Immerhin musste in diesem
respektieren. Vielmehr werden wir die Projekte im Zusammenhang auch ein Vorstandsmitglied der Bahn
wahrsten Sinne des Wortes aufs Gleis setzen, weil wir gehen. Ich glaube, Herr Grube hat gut daran getan, die
das für das Schienennetz als sinnvoll erachten. Kosten nochmals zu begutachten und die Einsparpoten-
ziale zu nutzen. Selbstverständlich stellt sich an dieser
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Stelle auch die Frage, wie weitere Mehrkosten in Zu-
neten der FDP)
kunft vermieden werden können.
Daher bitte ich, der Beschlussempfehlung des Aus-
Eines muss allerdings festgehalten werden: Das Pro-
schusses zuzustimmen, damit wir gemeinsam große und
jekt Stuttgart 21 ist eine wichtige Weichenstellung, um
schöne Projekte für den Schienenverkehr in Deutschland
künftig mehr Verkehr auf die Schiene zu bringen. Es
voranbringen.
macht die Bahn zukunftsfähig und schafft eine echte Al-
Herzlichen Dank. ternative zum Auto und auch zum Flugzeug.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Gemeinsam mit meiner Fraktion wünsche ich vor al-
lem allen am Bau Beteiligten ein unfallfreies Arbeiten.
Präsident Dr. Norbert Lammert: Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Martin Burkert für
die SPD-Fraktion. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
(B) FDP) (D)
(Beifall bei der SPD)
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Martin Burkert (SPD): Das Wort erhält nun der Kollege Werner Simmling
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und für die FDP-Fraktion.
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Stuttgart 21
und der Neubau der Strecke nach Ulm bilden ein Ver- (Lebhafter Beifall bei der FDP – Beifall bei
kehrsprojekt, das nicht nur für die Region Stuttgart, son- der CDU/CSU)
dern auch für den gesamten süddeutschen Raum und das Herr Kollege, jetzt müssen Sie sich Mühe geben, den de-
Hochgeschwindigkeitsnetz in Europa von besonderer monstrativen Eingangsbeifall durch Ihre Rede am Ende
Bedeutung ist. Es ist selbstverständlich, dass es bei so ei- noch zu überbieten.
nem Projekt zu Diskussionen kommt, zumal, wenn die
Kosten höher sind, als man erwartet hat. Aber wir sind (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der
uns weitgehend einig, dass es Ziel unserer Verkehrs- und CDU/CSU – Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Das
Umweltpolitik ist und sein muss, mehr Menschen und schafft er ganz bestimmt!)
Güter auf die Schiene zu bringen.
Werner Simmling (FDP):
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Ich werde mir alle Mühe geben. – Herr Präsident!
der CDU/CSU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Weichen für die
Wenn wir das wollen, dann müssen wir attraktive Realisierung des größten und derzeit wichtigsten Infra-
– ich betone das – Angebote schaffen. Es reicht nicht strukturprojekts in Deutschland sind gestellt. Bei
mehr, dass man sagt: Liebe Autofahrer, steigt um, fahrt Stuttgart 21 und der Schnellbahnstrecke Wendlingen–
mit der Bahn, das ist umweltfreundlicher und verstopft Ulm stehen die Signale nun endgültig auf Grün. Wir
die Autobahnen nicht. Nein, es muss attraktiv sein, Bahn wollen das Projekt.
zu fahren, und es muss gute Gründe geben, auf die
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Schiene umzusteigen. Ich sage: Stuttgart 21 ist ein guter
Grund. Heute stellen Sie von der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen den Antrag, ein Moratorium für Stuttgart 21 zu
Mit dem Bahnknoten Stuttgart und der Neubaustrecke
erklären.
nach Ulm wird das Reisen quer durch Europa schneller
und bequemer. Die Reisezeiten werden verkürzt. Eine (Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/
Fahrt von Stuttgart nach München wird beispielsweise DIE GRÜNEN]: Recht haben Sie!)
1050 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Werner Simmling
(A) Was soll das? Schließlich haben alle Projektpartner – das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz ist gesichert. (C)
sind der Flughafen Stuttgart, die Stadt Stuttgart, der Ver- Die Zeiten, in denen sich Fernzüge mit 70 km/h über die
band Region Stuttgart, das Land Baden-Württemberg, Geislinger Steige quälten, gehören damit endgültig der
die Bundesrepublik Deutschland und die DB AG – die Vergangenheit an.
Finanzierungsvereinbarungen bereits am 2. April 2009
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
unterzeichnet.
Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Eben!) NEN]: Ja! Jetzt fahren sie nämlich mit 70 km/h
unterirdisch!)
Der Aufsichtsrat der Bahn und der Lenkungsausschuss
Stuttgart 21 haben am 9. bzw. 10. Dezember 2009, also Durch die neu zu schaffende Infrastruktur können wir
vor nur wenigen Tagen, der fortgeschriebenen Entwick- uns in der Mitte eines sich nach Osten vergrößernden
lungsplanung zugestimmt. Europas erfolgreich positionieren.
(Carl-Ludwig Thiele [FDP]: Sehr richtig!) Wirtschaftliche Folgeinvestitionen werden die Region
und den Standort Deutschland zusätzlich nach vorne
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die Bahn fährt bringen. Nur wenn wir in die Zukunft, das heißt, über
von jetzt an, nach 17 Jahren der Planung, in die Mo- den berühmten Tellerrand, schauen, können wir unseren
derne. Platz als führende Wirtschaftsnation in der Welt behaup-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ten.
der CDU/CSU – Lachen beim BÜNDNIS 90/ Schlussendlich sichert diese Entscheidung nicht nur
DIE GRÜNEN – Birgitt Bender [BÜND- Arbeitsplätze in einem der leistungsfähigsten Wirt-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: In den Keller!) schaftsräume Europas, sondern schafft auch noch zusätz-
Das heißt, es gibt 117 Kilometer neue Gleise, 66 Kilo- liche. In der Region Stuttgart leben und arbeiten 2,7 Mil-
meter davon in Tunnels, 35 Brücken und vier neue lionen Menschen. Langfristig werden bis zu 10 000,
Bahnhöfe. allein während der Bauphase schon 7 000 neue Arbeits-
plätze entstehen. Insofern ist das ganze Projekt ein
(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Glücksfall für die heutige Zeit.
NEN]: Alles noch nicht finanziert!)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Das ist gewaltig, aber volkswirtschaftlich und umwelt-
politisch – das ist ja auch Ihnen wichtig – notwendig. Über diese positiven wirtschaftlichen Aspekte hinaus
Denn die bestehende Infrastruktur wird dem Bedarf in hat Stuttgart die Chance zu einer Neugestaltung und da-
mit zu einer einmaligen Entwicklung. Wo heute noch
(B) den kommenden Jahren bei weitem nicht mehr gerecht (D)
werden. Schienen, Weichen, Schotter und Beton die Landschaft
verunzieren, werden Wohnungen und Grünflächen ent-
Im Klartext heißt das: Bereits in den nächsten fünf stehen – und eben Arbeitsplätze.
Jahren wird es nicht genug Schienenstrecken geben, um
das Verkehrsaufkommen abzuwickeln. Dabei wollen wir (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
doch – das wurde schon angeführt – die Verlagerung des der CDU/CSU)
Verkehrs von der Straße auf die Schiene. Kurz: Urbanes Leben, Wohnen, Arbeiten im 21. Jahr-
(Zuruf von der FDP: Genau! Aber die Grünen hundert werden dort neuen Raum finden.
wollen das nicht!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, alle Projektpartner
Verzichteten wir auf den nötigen Infrastrukturausbau, haben sich auf einen belastbaren Kostenrahmen geeinigt,
hemmten wir nicht nur Wachstum und Fortschritt, also der solide und verantwortungsvoll ist. Für Stuttgart 21
zusätzliche Wertschöpfung, sondern fügten der Region lautet die neue Kostenkalkulation: 4,088 Milliarden Euro,
und dem Wirtschaftsstandort Deutschland auch massi- Preisstand 2009. Mehrungen und Einsparungen sind hier
ven Schaden zu. schon berücksichtigt. Weitere 438 Millionen Euro bzw.
15 Prozent der Bausumme sind zur Abdeckung eventuel-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ler Kostenrisiken während der Bauzeit eingeplant. Eine
der CDU/CSU) ausgeglichene Wirtschaftlichkeit ist darüber hinaus bis zu
einem Gesamtbedarf von 4,769 Milliarden Euro gegeben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer zukunftsfähig
Für die Schnellbahntrasse Wendlingen–Ulm bleibt es bei
sein will, der muss Entscheidungen treffen. Bei „Pro
2 Milliarden Euro. Aus heutiger Sicht ist eine Bundesfi-
Stuttgart 21“ und Wendlingen–Ulm haben alle beteilig-
nanzierung vor 2016 nicht wahrscheinlich.
ten Partner Weitsicht, Zukunftsfähigkeit und Verantwor-
tung bewiesen. Was wir aus volkswirtschaftlicher Sicht Unter den oben genannten verkehrlichen, städtebauli-
brauchen, sind integrierte Verkehrswege, die eine über- chen, volkswirtschaftlichen und umweltpolitischen Ge-
regionale strukturelle Bedeutung haben. sichtspunkten, aber auch angesichts des belastbaren
Kostenrahmens und der ausgeglichenen Wirtschaftlich-
Bei Stuttgart 21 und Wendlingen–Ulm sind Schienen-,
keit ist ein Aufschub, wie Sie ihn in Ihrem Antrag for-
Straßen- und Luftverkehr optimal miteinander verbun-
dern, oder gar ein Ausstieg nicht zu rechtfertigen.
den. Die strukturellen Vorteile liegen auf der Hand.
Nicht nur Baden-Württemberg, sondern auch Deutsch- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
land rückt näher zusammen, und unser Anschluss an das der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1051
Werner Simmling
(A) Über dieses Projekt wird seit mehr als zwei Jahrzehnten Das würde Sie ernüchtern. Ich will Ihnen erklären, wa- (C)
diskutiert, und es wird seit 17 Jahren geplant. Alternativ- rum.
konzepte sind zur Kenntnis genommen worden. Schon
Vor 17 Jahren, als es erdacht wurde, hatte die Vorstel-
die Renovierung des Stuttgarter Bahnhofs, die ohnehin
lung, den Siedlungsdruck von ökologischen Freiflächen
anstünde, würde weit über 1 Milliarde Euro verschlin-
weg aufs Bahngelände zu lenken, eine gewisse städte-
gen, wäre im Endeffekt aber nichts Halbes und nichts
bauliche Faszination. Ich bin ihr auch eine Zeit lang erle-
Ganzes. Heute ein Moratorium für Stuttgart 21 zu ver-
gen und vom Saulus zum Paulus geworden.
langen, ohne fundierte Kostenalternativen aufzuzeigen,
mit dem Ziel, dieses Projekt weiter und weiter aufzu- (Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
schieben, ist politisch verantwortungslos und überdies NEN]: Oh ja! – Winfried Hermann [BÜND-
ein höchst fahrlässiger Umgang mit Steuergeldern. NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten – Aber ja. – Frau Kumpf, Sie sollten auch vom Saulus
der CDU/CSU) zum Paulus werden. Das wäre ganz schön und hätte Ih-
rer Partei in Stuttgart in den zurückliegenden Jahren sehr
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie daher,
geholfen.
diesen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen abzulehnen.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der
Sie haben ihr aber nicht geholfen. Das ist aber nicht der
CDU/CSU – Zurufe von der FDP: Bravo!)
Punkt.
Präsident Dr. Norbert Lammert: Diesen Bahnhof schenken Sie einer Stadt, die ihn er-
Lieber Kollege Simmling, ich gratuliere Ihnen herz- heblich kofinanziert, die nach ihren eigenen Angaben ei-
lich zu Ihrer ersten Rede im Deutschen Bundestag. Ich nen Instandhaltungsrückstand bei ihren Schulgebäuden
bin beeindruckt und offenkundig nicht alleine. von 327 Millionen Euro hat, in der in einem Gymnasium
die Decke eingefallen ist und die die Hauptstadt der
(Heiterkeit) Kurzarbeit ist. Ich sage Ihnen: Die Bevölkerung dieser
Ich erinnere mich leicht deprimiert an meine eigene erste Stadt ist mehrheitlich gegen dieses Projekt, weil sie an-
Rede im Deutschen Bundestag, die zu einer ähnlichen dere Sorgen hat, als ein Milliardengrab mit schönen Din-
Nachtzeit stattgefunden hat und die nicht annähernd von gen vor ihren Augen erblühen zu sehen.
einer vergleichbaren Kulisse getragen war, weil aus mir (Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der
(B) bis heute unverständlichen Gründen die FDP-Fraktion CDU/CSU: Ganz falsch!) (D)
keine vergleichbare Motivation entwickelt hatte,
Warum die Mehrheit des Gemeinderats Hunderte von
(Heiterkeit) Millionen Euro dafür ausgibt, während er gleichzeitig
dieser fulminanten Rede beizuwohnen. soziale und kulturelle Leistungen kürzt und, wie gesagt,
noch nicht einmal in der Lage ist, seine Schulgebäude zu
Lieber Kollege Simmling, das berechtigt also zu den reparieren, versteht die Bevölkerung nicht, und wir ver-
allerschönsten Hoffnungen. Alles Gute für die weitere stehen das auch nicht.
parlamentarische Arbeit!
Dieses Projekt wird auch keine Beglückung für den
(Beifall – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Ist ja öffentlichen Verkehr werden, sondern es wird zu einer
noch etwas daraus geworden, Herr Präsident!) Benachteiligung kommen. Wenn Sie sich in unserem
Sobald sich die Prozessionszüge rechts vom Präsi- Land auskennen würden, dann würden Sie die Langsam-
dium wieder beruhigt haben, erhält irgendwann im wei- fahrstellen kennen und wissen, wie sehr wir bei Projek-
teren Verlauf des Abends der Kollege Ulrich Maurer das ten des öffentlichen Nahverkehrs zurückhängen. Sie
Wort für die Fraktion Die Linke. würden dann wissen, dass dieses Bahnhofsprojekt zulas-
ten des Ausbaus der Rheintalschiene gehen wird.
(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der
LINKEN: Bravo!) (Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Das ist
doch Quatsch!)
Ulrich Maurer (DIE LINKE): Sie würden dann auch wissen, dass dieses Projekt zulas-
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich bin ten der Elektrifizierungsmaßnahmen in Baden-Württem-
von dieser Bildersprache, die ich jetzt gehört habe, wirk- berg und beispielsweise auch der Südbahn gehen wird.
lich ergriffen: schön, wunderbar, Zukunftsprojekt. Wenn
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und
ich das Wort von den blühenden Landschaften nicht
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
schon einmal gehört hätte, dann wäre ich davon beson-
ders ergriffen gewesen. Sie können das Geld in diesen Zeiten nicht zweimal
ausgeben. Sie haben auf dem Altar der Banken Milliar-
(Heiterkeit bei der LINKEN)
den Euro verbrannt, und wir stehen in der größten fi-
Sie müssen sich stattdessen einmal die Frage stellen, nanzpolitischen Misere. In einer solchen Situation geht
warum die Mehrheit der Bevölkerung meiner Heimat- es nicht darum, schöne Bahnhöfe zu bauen, sondern es
stadt dieses wunderbare Geschenk gar nicht haben will. geht darum, den realen schienengebundenen Personen-
1052 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Ulrich Maurer
(A) verkehr und insbesondere den Nahverkehr zu verbes- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C)
sern. Das sind die Zeichen der Zeit, die Sie nicht erkannt und bei der LINKEN)
haben.
Es ist ein durch und durch altmodisches Projekt der
(Beifall bei der LINKEN – Hartfrid Wolff 90er-Jahre.
[Rems-Murr] [FDP]: Das ist rot-grüner Popu-
lismus!) In den 90er-Jahren wurden die Großstädte in ganz
Deutschland mit Plänen für unterirdische Bahnhöfe be-
Es geht auch nicht, dass Sie die öffentlichen Kassen glückt.
ausplündern, um ein Prestigeobjekt durchzusetzen und
in einer Machtdemonstration recht zu behalten. Schon Deutschland sollte in einem quasi unterirdischen Bahn-
gar nicht geht es, dass Sie die Bilanzen solcher Projekte system verbunden werden, sozusagen wie ein U-Bahn-
frisieren. So, wie die Bilanz der Bahn für den Börsen- oder Lufthansa-Netz unterirdisch durch Deutschland.
gang frisiert worden ist, wird auch dieses Projekt wun- (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
derbar rauf-, runter- und schöngerechnet, NEN)
(Patrick Döring [FDP]: Straftatbestand!) Man hat in den Städten gerechnet und gerechnet, und
als ob wir nicht das Erlebnis gehabt hätten, dass der fast alle Projekte sind gestorben. Nur eines ist übrig ge-
Leipziger Kopfbahnhof mittlerweile das Doppelte kos- blieben: das in Stuttgart. Frankfurt und andere Städte ha-
tet, und als ob wir nicht mitbekommen hätten, dass ur- ben aufgegeben, weil man überall nachgerechnet und
sprünglich einmal mit 4,9 Milliarden Euro gerechnet festgestellt hat, was für ein Blödsinn es ist, Geld dafür
wurde, die sich in kurzer Zeit wunderbarerweise auf auszugeben, dass die Leute möglichst schnell unter der
4,1 Milliarden Euro zurückverwandelt haben. Das haben eigenen Stadt vorbeifahren. Dass ausgerechnet Schwa-
wir alle natürlich gemerkt, und das hat auch die Bevöl- ben Milliarden dafür ausgeben, dass man unterirdisch
kerung dieser Stadt gemerkt. unter ihrer schönsten Stadt durchfährt, um anschließend
Videos zu verschenken, damit die Bahnreisenden erfah-
Deswegen sage ich Ihnen: Dies ist ein Projekt der ren, wie die Stadt aussieht, ist besonders absurd.
Verschwendung öffentlicher Mittel in schwierigen Zei-
ten. Dies ist ein Projekt zulasten des schienengebunde- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
nen Verkehrs. und bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- Das Projekt ist verkehrspolitisch völlig daneben. Des-
NIS 90/DIE GRÜNEN) wegen waren auch übrigens alle Bahnverbände und Um-
weltorganisationen von Anfang an gegen dieses Projekt.
(B) Dies ist ein Prestigeprojekt, das gegen die Bevölke- Nur diejenigen, die selber in der Regel fliegen oder Auto (D)
rungsmehrheit durchgesetzt werden soll. Deswegen bin fahren, wollten die Bahn mit Geld beglücken. Dann ist
ich dafür, um in Ihrer Bildersprache zu bleiben, dass wir ihnen das unterirdische Projekt eingefallen.
die Signale von Grün auf Rot stellen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Diether Dehm
[DIE LINKE]: Bravo! Bravo! Bravo!) Unterirdisch ist an diesem Projekt die Finanzierung.
Begonnen hat man in den 90er-Jahren mit dem Verspre-
Präsident Dr. Norbert Lammert: chen, dass sich dieses Projekt selbst rechnet. Deswegen
Herr Kollege Maurer, wäre das Ihre Jungfernrede ge- ist es heute noch im Bundesministerium als eigenwirt-
wesen, dann hätte die Begeisterung des Kollegen Dehm schaftlich dargestellt. Dabei ist alles, aber auch alles öf-
schwerlich stärker ausfallen können. fentlich finanziert. Eigenwirtschaftlich ist es in dem
Sinne: Die verkaufen die Flächen, und damit rechnet
(Heiterkeit bei der LINKEN) sich das.
Aber auch so nehmen wir das mit besonderem Respekt Die Flächen stehen aber schon seit 10, 15 Jahren in
zur Kenntnis. Stuttgart zum Verkauf. Sie sind schwer verkäuflich, weil
(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Herr Dehm eine Innenstadt nicht einfach auf das Doppelte vergrößert
hat seine GEMA-Abgaben von Klaus Lage be- werden kann. Bürogebäude und Kaufhäuser kann man
kommen!) nicht verdoppeln, wenn die Bevölkerung und die Wirt-
schaft nicht wachsen.
Nun erhält der Kollege Winfried Hermann für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort. Unterirdisch ist auch, wie dieses Projekt weiter finan-
ziert wurde. Noch vor einem Jahr wurde im Haushalts-
ausschuss gesagt, dieses Projekt sei das am besten
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
durchkalkulierte Projekt. Die Kosten lagen noch deutlich
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
unter 3 Milliarden Euro.
Fangemeinde des Unterirdischen,
Der Staatssekretär hat zwei Tage vor der Entschei-
(Heiterkeit bei der LINKEN)
dung des Aufsichtsrates dem Ausschuss einen Brief vor-
es ist schon erstaunlich, dass man im Jahre 2009 einen gelegt, demzufolge das Projekt immer noch 3 Mil-
unterirdischen Bahnhof mit der Moderne verwechseln liarden Euro kosten sollte. Zwei Tage später waren es
kann. auf einmal 4 Milliarden Euro, und dann sagen Sie, das
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1053
Winfried Hermann
(A) sei gut gerechnet; es sei ordentlich und gut gewirtschaftet (Patrick Döring [FDP]: Das stimmt doch (C)
worden. Bis zum heutigen Tag hat weder der Ausschuss nicht! Das ist widerlegt worden!)
oder irgendjemand sonst von Ihnen die Wirtschaftlich-
Es gibt Güterzüge nur auf dem Papier, die in der Praxis
keitsrechnung für dieses Projekt gesehen. Keiner!
gar nicht vorkommen. Sie aber behaupten, das sei ein
Lange hieß es, man könne sie unter Verschluss einse- Projekt zur Verlagerung von Verkehr auf die Schiene.
hen. Aber nicht einmal das war möglich. Niemand im Das ist doch nur in Unkenntnis dahergesprochen.
Bundestag hat die Wirtschaftlichkeitsrechnung gesehen. (Patrick Döring [FDP]: Nur weil die Leute nicht
Es gibt übrigens auch im Ministerium niemanden, der das antworten, was Sie hören wollen!)
sie gesehen hat. Denn die Wirtschaftlichkeitsrechnung
wurde an eine Firma ausgelagert, die auch sonst Bahn- Es ist eine Behauptung, die nicht nachvollziehbar ist.
projekte begutachtet und zum Teil von der Bahn lebt. Liebe Fangemeinde, dieses Projekt rechnet sich nicht.
Wir wissen also nicht wirklich, was dieses Projekt Es ist nicht wirtschaftlich. Es schadet dem Schienenver-
kostet. Nun haben wir kurz vor der Entscheidung aus in- kehr und den Kunden. Es ist schlicht und einfach unterir-
ternen Quellen erfahren, dass dieses Projekt 5 Mil- disch. Nehmen Sie Abstand davon! Denken Sie nach!
liarden Euro gekostet hätte. Dann hat man in wenigen Wir haben in unserem Antrag ein Moratorium gefordert.
Wochen 900 Millionen Euro herausgerechnet durch Ein- Dann können Sie auch nachrechnen.
sparungen beispielsweise bei der Tunnelstärke bzw. der Vielen Dank.
Betonstärke, nach dem Motto „Wir wollen ja keine Bun-
ker bauen, sondern Tunnels“. Insofern frage ich mich: (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Waren vorher Bunkeringenieure oder Eisenbahningeni- und bei der LINKEN)
eure mit der Planung befasst?
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Es ist doch aberwitzig, zu glauben, dass man so eine Dr. Stefan Kaufmann ist der nächste Redner für die
Summe kurzerhand kleinrechnen kann. CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
und bei der LINKEN)
Dieses Projekt ist von Anfang an preislich unter Wert ge- Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU):
rechnet worden, damit man es politisch durchpauken Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
kann. Jetzt kostet es schon das Doppelte, aber Sie neh- Antrag der Grünen ist überholt und allenfalls ein hilf-
(B) men immer noch nicht Abstand davon. loser Versuch, den dringend notwendigen Ausbau des (D)
Schienenverkehrs in Baden-Württemberg und darüber
(Patrick Döring [FDP]: Wo ist die Alternative? – hinaus in letzter Minute auf das Abstellgleis zu schieben.
Hartfrid Wolff [Rems-Murr] [FDP]: Einfach Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, dass sich die Projekt-
dagegen sein reicht nicht! Das ist langweilig!) partner nach jahrelangen Verhandlungen im April auf
eine solide Finanzierung des Projekts geeinigt haben.
Sie wollen die Wirtschaftlichkeitsrechnung nicht einmal
Mit der Entscheidung des Lenkungsausschusses in der
sehen. Nein, Sie wollen das Projekt durchsetzen. Wir
vorigen Woche stehen die Signale für Stuttgart 21 und
verlangen nicht einmal mehr von Ihnen, dass Sie das
die Neubaustrecke Wendlingen–Ulm auf Grün. Die Kos-
Projekt aufgeben. Aber nehmen Sie wenigstens die Wirt-
ten des Bauvorhabens sind – wir haben es bereits gehört –
schaftlichkeitsrechnung zur Kenntnis und rechnen Sie
vertraglich abgesichert, und der Beitrag des Bundes zu
nach!
diesem Projekt ist auf 563 Millionen Euro gedeckelt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wenn Sie dies nicht wahrhaben wollen oder können,
und bei der LINKEN) Herr Kollege Hermann, betreiben Sie schlichtweg Reali-
tätsverweigerung.
Die Neubaustrecke lehnen wir übrigens nicht grund-
sätzlich ab. Wir lehnen die Form ab, und wir lehnen es (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ab, den Bau einer Strecke zu beschließen, die nicht ein- Nehmen Sie bitte zur Kenntnis, Herr Kollege Maurer,
mal vollständig planfestgestellt ist. Von sieben Bauab- dass das Projekt über Jahrzehnte von breiten parlamenta-
schnitten sind gerade einmal zwei planfestgestellt. Für rischen Mehrheiten im Stuttgarter Gemeinderat, in der
diese Strecke, die übrigens gleich viele Tunnel hat wie Regionalversammlung, im Landtag und nicht zuletzt
das Projekt Stuttgart 21, wird nur mit 2 Milliarden Euro auch hier im Bundestag beschlossen und getragen
gerechnet. Warum eigentlich sollen wir es zum halben wurde. Stuttgart 21 ist damit von allen Parlamenten voll-
Preis bekommen? Wir wissen heute alle aus vergleichba- umfänglich demokratisch legitimiert.
ren Projekten, dass es mindestens 4 Milliarden bis 6 Mil-
liarden Euro kosten wird. Wenn Sie alles zusammen- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
rechnen, kommen Sie auf ein Projekt von mindestens Auch die Sozialdemokraten haben dankenswerterweise
10 Milliarden Euro. immer zu diesem Projekt gestanden.
Des Weiteren haben Sie gesagt, man könne durch das Nehmen Sie bitte ebenfalls zur Kenntnis, dass Ihr Par-
Projekt Schienenverkehr verlagern. Die Neubaustrecke teivorsitzender Cem Özdemir mit Stimmungsmache ge-
kann aber nicht einmal Güterzüge aufnehmen. gen Stuttgart 21 in den Wahlkampf gezogen ist und die
1054 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Dr. Stefan Kaufmann


(A) Wahl in Stuttgart verloren hat. Herr Özdemir hat im lingen–Ulm bekommt nicht nur Stuttgart, sondern der (C)
Übrigen schlichtweg die Unwahrheit gesagt, als er be- gesamte Südwesten ein Investitionsprogramm, das nach-
hauptete, er könne Stuttgart 21 hier in Berlin noch ver- haltig Beschäftigung sichert und neue Arbeitsplätze
hindern. Herr Kollege Hermann, das wird heute offen- schaffen wird. Herr Kollege Simmling hat schon richti-
sichtlich nicht einmal Ihnen gelingen. Stellen Sie sich gerweise darauf hingewiesen.
also endlich Ihrer Verantwortung, und machen Sie
Darüber hinaus ist das Projekt schon wegen der Ein-
Schluss mit Ihrer Blockadehaltung! Fangen Sie endlich
bindung der Strecke in die transeuropäische Trasse Pa-
an, die konkrete Umsetzung des Projekts konstruktiv zu
ris–Bratislava auch ein Projekt von nationaler, ja europäi-
begleiten, genauso wie es Ihr Landtagsabgeordneter
scher Bedeutung. Mehr Schienenverkehr, zum Beispiel
Werner Wölfle schon im April in der Presse angekündigt
auf der Teilstrecke Köln–München – auch das haben wir
hat!
gehört –, macht den Personen- und Güterverkehr insge-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) samt effizienter und umweltfreundlicher und damit das
Projekt auch volkswirtschaftlich sinnvoll. Stuttgart 21
Wir müssen – auch das ist richtig – die Sorgen der bedeutet also nicht nur eine Investition in die Infrastruk-
Stuttgarterinnen und Stuttgarter gegenüber dem Projekt tur, sondern auch und vor allem eine Investition in die
ernst nehmen; hierzu stehe ich. Der Dialog mit den Bür- Zukunft. Dem kann man sich schlicht nicht verweigern.
gerinnen und Bürgern ist notwendig, genauso wie Auf-
richtigkeit. Wir dürfen den Bürgerinnen und Bürgern Herzlichen Dank.
nicht Sand in die Augen streuen. Der richtige Zeitpunkt, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
das Projekt grundsätzlich infrage zu stellen, war wäh-
rend der Diskussion über die Grundsatzbeschlüsse in den
Jahren 1995 bzw. 2001. Das haben Sie damals schlicht Präsident Dr. Norbert Lammert:
versäumt. Unser Staatswesen beruht auf der Einhaltung Nun erteile ich zum Abschluss und Höhepunkt dieses
der Gesetze. Auch die Stuttgarter Gemeindeordnung bin- Tagesordnungspunktes der Kollegin Ute Kumpf für die
det Politik und Verwaltung. Insofern waren die 65 000 SPD-Fraktion das Wort.
gesammelten Unterschriften für ein Bürgerbegehren (Zuruf von der CDU/CSU: Das war seine erste
zwar ein politisches Signal, aber juristisch nicht relevant. Rede!)
Meine Damen und Herren von den Grünen, das Ableh-
nen des Bürgerbegehrens haben daher die Initiatoren und – Ach so.
die Projektgegner und nicht die Projektbefürworter, Bau-
herren und Geldgeber zu verantworten. Ute Kumpf (SPD):
Nein, der Kollege von der CDU – -
(B) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (D)
Man kann Diskussionen über Projekte dieser Größen- Präsident Dr. Norbert Lammert:
ordnung nicht zur Unzeit führen; auch das muss heute Einen Augenblick, Frau Kumpf. Das geht Ihrer Rede-
gesagt sein. Es ist sehr wohl die Aufgabe des Parlaments zeit nicht verloren. Wir hatten hier widersprüchliche
und des Verkehrsausschusses, die Kosten im Blick zu Auskünfte, ob das denn nun die erste Rede gewesen sei.
behalten. Wie durchschaubar die Politik der Grünen in
diesem Punkt allerdings ist, zeigt gerade der Umgang
Ute Kumpf (SPD):
mit der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm. Man findet
vonseiten der Grünen bis zum August dieses Jahres Nein.
keine einzige negative Aussage zur Neubaustrecke, de-
ren Notwendigkeit wohlgemerkt schon 1992 festgestellt Präsident Dr. Norbert Lammert:
wurde. Erst im vorliegenden Moratoriumsantrag ziehen Also waren die anderen Auskünfte richtig. Aber wenn
Sie die Neubaustrecke mit Fragen zur angeblich fehlen- es die erste Rede gewesen wäre, hätte ich dazu prompt
den Wirtschaftlichkeit erstmals in Zweifel, und dies völ- gratuliert.
lig zu Unrecht, Herr Kollege Hermann. Die Neubaustre-
(Heiterkeit)
cke ist auf 40 Güterzüge neuerer Bauart täglich
ausgelegt. Dies rechnet sich. Frau Kumpf, Ihre erste Rede ist es nach meiner Erin-
nerung auch nicht. Dann haben Sie jetzt das Wort.
(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Die gibt es doch gar nicht! Die gibt es
nur auf dem Papier!) Ute Kumpf (SPD):
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Ich hätte mir jedenfalls nie träumen lassen, einen solch Kollegen! Ich hätte mir eigentlich einen schöneren Ab-
dringenden Ausbau der Schieneninfrastruktur gegen eine schluss für heute vorgestellt und nicht gedacht, dass ich
Partei verteidigen zu müssen, die sich seit ihrer Grün- jetzt hier das letzte Wort haben darf,
dung für die Stärkung des Schienenverkehrs und eine
grüne Stadtentwicklungspolitik ausgesprochen hat. (Zuruf von der CDU/CSU: Wo sind denn Ihre
Kollegen?)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
vor allem weil Stuttgart in meinem Wahlkreis und dem
Zudem gilt es, die betriebswirtschaftlichen Kosten von Herrn Kaufmann ist. Stuttgart 21 ist ein Projekt, das
des Projekts gegen den volkswirtschaftlichen Nutzen ab- uns als SPD schon lange beschäftigt. Es hat auch den
zuwägen. Mit Stuttgart 21 und der Neubaustrecke Wend- Gemeinderat und die Region beschäftigt. Als das Projekt
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1055
Ute Kumpf
(A) 1994 auf den Weg gebracht wurde, haben sich das Land eine Alternative, sie brauchen eine Trasse, sie brauchen (C)
und der Bund damit beschäftigt. Ulrich Maurer, ich bessere Verkehre, und dies wird über Stuttgart 21 und
werde nicht vom Saulus zum Paulus, weil ich mein Ge- über die Neubaustrecke organisiert. Stuttgart ist die Stadt
schlecht nicht ändern will, ganz einfach, auch weil ich mit der höchsten Feinstaubbelastung am Neckartor. Da-
keine Wendehälsin bin und weil ich dieses Projekt lange gegen demonstrieren auch die Grünen. Was ist daran
sehr kritisch begleitet habe. verkehrt, wenn wir mehr Verkehr auf die Schiene brin-
gen und wenn wir mehr Verkehr, wenn auch unter-
(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
irdisch, durch Stuttgart schleusen?
NEN]: Na ja, kritisch?)
Was mich bei der Debatte über dieses Projekt – das mer- (Zuruf von der FDP: Die Grünen sind nur da-
ken auch Sie im Plenum – stört, ist, wie populistisch gegen!)
vonseiten der Grünen argumentiert wird Dass es teuer ist, in einer solchen Topografie zu bauen,
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der muss ein Verkehrsausschussvorsitzender wissen; denn
FDP) jedes Bauvorhaben in Stuttgart wird teuer. Jede Straße
bei uns wird teuer.
und mit welchen Argumenten hier Vergleiche gezogen
werden. Das Gleiche gilt auch für Herrn Maurer. (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
FDP)
(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Wenn die Mehrheit der Bevölkerung Dann muss man bitten und betteln, dass man einen ent-
populistisch ist, machen wir das gern!) sprechenden Zuschlag bekommt.
Es gibt immer die üblen Vergleiche: Wenn das Geld Es gibt noch etwas, das mich ärgert: das Nutzen-Kos-
nicht für Stuttgart 21 ausgegeben würde, dann könnte es ten-Verhältnis; das habe ich im Ausschuss auch dem
für Schulen ausgegeben werden. Die schlichte Konse- Kollegen Hofreiter gesagt. Wir sind der wirtschafts-
quenz aber ist: Dann wird das Geld überhaupt nicht in stärkste Raum, nicht nur in Baden-Württemberg, son-
Stuttgart ausgegeben, sondern es wird woanders verbud- dern auch in der Bundesrepublik und in Europa. Ich
delt. Schauen Sie sich den Verkehrshaushalt an! Mit die- finde es fahrlässig, dass die Grünen einer solch starken
sem Projekt werden in der Bevölkerung in populistischer Wirtschaftsregion eine Infrastruktur, die in die Zukunft
Weise Ängste geschürt. Die Grünen – das muss ich an weist, verweigern wollen. Das finde ich fahrlässig ge-
der Stelle sagen, weil ich selbst Betroffene war – haben genüber den Kollegen und Kolleginnen in den Betrieben
Versprechungen gemacht und wollten bei den OB-Wah- in Stuttgart, die ein großes Interesse daran haben, dass
len einen Kuhhandel organisieren. Dabei war eindeutig von diesem Projekt Wachstumsimpulse ausgehen.
(B) klar, dass zu dieser Planung kein Bürgerbegehren zuläs- (D)
sig ist, aber ein grüner Oberbürgermeister sich dann die Ein weiterer Nutzen ist, dass der gesamte Filderraum
Stimmen hat kaufen lassen von der CDU – oder umge- und somit 250 000 Menschen einen neuen Verkehrskno-
kehrt. Da gab es Kuhhandel, die dieses Projekt begleitet ten bekommen. Mit diesem Bahnhof werden an der
haben, aber es war eigentlich mehr ein Handel zwischen Messe und am Flughafen 100 000 Arbeitsplätze ange-
Ochsen als einer zwischen Kühen. schlossen. Es wurde schon erläutert, dass sich die Fahrt-
zeiten verkürzen. Was die Flughäfen Karlsruhe und
Heute Morgen haben alle miteinander hier in diesem Mannheim betrifft, verkürzt sich die Fahrtzeit von
Saal treu geschworen, sie wollten CO2-Emissionen ver- 1 Stunde 45 Minuten auf nur noch 55 Minuten. Von Ulm
mindern. Was soll denn mit diesem Projekt passieren, wird kein Mensch mehr mit dem Auto zum Flughafen
Kollege Hermann? fahren, weil man dann innerhalb von nur 20 Minuten
(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- von Ulm zum Flughafen kommt. All dies sind Vorzüge
NEN]: Mit dem nicht!) und Verbesserungen der nationalen Verbindungen.

Wir wollen mit diesem Projekt eine nachhaltige Mobili- Ein weiterer Aspekt ist: Wir können organisieren,
tät organisieren. Wir wollen integrierte Verkehrssysteme dass viele Menschen statt der Straße die Schiene nutzen;
organisieren. Wir erhalten vier neue Bahnhöfe. Der das gilt auch für den regionalen Verkehr. Die Universität
Bahnhof wird tiefer gelegt, wir bekommen einen Filder- Stuttgart hat ausgerechnet, dass 350 Millionen Pkw-
bahnhof, wir bekommen eine neue S-Bahn, und es wird Kilometer auf die Schiene verlagert werden und dass wir
mehr Verkehr insgesamt organisiert – regional, national dadurch insgesamt rund 70 000 Tonnen Kohlendioxid
und international. pro Jahr sparen können.
(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
NEN]: Kein Geld für Straßenbahnen! Kein
Noch eine Anmerkung. In der Auseinandersetzung
Geld für Haltestellen! Kein Geld für Busse!)
um den Planungsprozess gab es viele verletzende Äuße-
Was soll daran schlecht sein? rungen. Wenn man in den Zeitungen liest, das sei Mord
an der Demokratie oder Mord an der Stadt – das wird so-
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
gar von Ihnen mitgetragen – und dass Befürworter einer
FDP)
leistungsstarken Infrastruktur, nicht etwa Fan-Clubs, dis-
Dass Stuttgart dieses braucht, ist klar. Kollege Hermann, kreditiert werden, dann ist eine Grenze der politischen
die Verbindung von Tübingen nach Stuttgart, die B 27, Auseinandersetzung überschritten. Das Gleiche gilt,
ist morgens immer dicht. Die Leute brauchen einfach wenn hier immer wieder behauptet wird, die Zahl von
1056 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

Ute Kumpf
(A) 3 Milliarden Euro sei von heute auf morgen auf Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- (C)
4,088 Milliarden Euro erhöht worden. schusses (4. Ausschuss)
(Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – Drucksache 17/278 –
NEN]: Es war doch so! Du warst dabei!)
Berichterstattung:
– Herr Kollege, Sie selbst haben die Sitzung des Ver- Abgeordnete Reinhard Grindel
kehrsausschusses als sein Vorsitzender geleitet. Sie ha- Rüdiger Veit
ben genau erfahren, wie diese Werte zustande gekom- Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
men sind. Es ist unredlich, hier so zu tun, als würde mit Ulla Jelpke
Taschenspielertricks gearbeitet. Josef Philip Winkler
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
FDP) richts des Innenausschusses (4. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Jan
Ich bitte Sie um mehr Redlichkeit, mehr Glaubwürdig-
Korte, Sevim Dağdelen, weiterer Abgeordneter
keit und mehr Einsatz für die Verkehrsinfrastruktur einer
und der Fraktion DIE LINKE
Region, für die Sie den Auftrag bekommen haben.
Für ein umfassendes Bleiberecht
Herzlichen Dank.
– Drucksachen 17/19, 17/278 –
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der
FDP) Berichterstattung:
Abgeordnete Reinhard Grindel
Präsident Dr. Norbert Lammert: Rüdiger Veit
Ich bin sicher, dass die Kollegin Kumpf bemerkt hat, Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
dass der Präsident in besonderen Notlagen auch bei Kol- Ulla Jelpke
legen, die hier nicht ihre erste Rede halten, freiwillig ei- Josef Philip Winkler
nen Zuschlag zur Redezeit gewährt. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Ich schließe damit die Aussprache. Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
dazu keinen Widerspruch.
Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zum Die Kollegen Reinhard Grindel, Stephan Mayer,
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Ti- Rüdiger Veit, Hartfrid Wolff, Ulla Jelpke und Joseph
(B) tel „Moratorium für Stuttgart 21 – Wirtschaftlichkeit des Philip Winkler haben dazu brillante Reden vorbereitet, (D)
Großprojektes vor Baubeginn sicherstellen“. die sie unverständlicherweise nicht vortragen wollen,
obwohl Einzelne sogar persönlich anwesend sind. Das
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- finde ich bedauerlich, nehme es aber zur Kenntnis. Wir
lung auf Drucksache 17/268, den Antrag der Fraktion nehmen die Reden damit zu Protokoll.1)
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/125 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer Tagesordnungspunkt 17 a. Interfraktionell wird die
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die Be- Überweisung des Gesetzentwurfes auf Drucksache 17/207
schlussempfehlung angenommen. an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse
vorgeschlagen. Hat jemand andere Vorschläge? – Das ist
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a bis 17 c auf: nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.
a) Erste Beratung des von den Abgeordneten Unter dem Tagesordnungspunkt 17 b geht es um die
Rüdiger Veit, Dr. Dieter Wiefelspütz, Olaf Scholz, Abstimmung über den Gesetzentwurf der Fraktion
weiteren Abgeordneter und der Fraktion der SPD Bündnis 90/Die Grünen zur Änderung des Aufenthalts-
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur gesetzes. Der Innenausschuss empfiehlt unter Buchstabe a
Änderung des Aufenthaltsgesetzes (Altfallre- seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/278,
gelung) den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
– Drucksache 17/207 – auf Drucksache 17/34(neu) abzulehnen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, um das
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Rechtsausschuss Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung abgelehnt. Damit
Ausschuss für Arbeit und Soziales entfällt nach unserer Geschäftsordnung die weitere Bera-
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe tung.
b) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord- Unter dem Tagesordnungspunkt 17 c geht es um die
neten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Beschlussempfehlung des Innenausschusses zu dem An-
Ingrid Hönlinger, weiteren Abgeordneten und der trag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Für ein um-
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- fassendes Bleiberecht“. Der Ausschuss empfiehlt unter
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
des Aufenthaltsgesetzes
– Drucksache 17/34(neu) – 1) Anlage 6
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1057
Präsident Dr. Norbert Lammert
(A) sache 17/278, den Antrag der Fraktion Die Linke auf Ich bedanke mich bei allen, die so lange und so diszi- (C)
Drucksache 17/19 abzulehnen. Wer stimmt dieser Be- pliniert dieser Veranstaltung beigewohnt haben.
schlussempfehlung zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
enthält sich? – Damit ist die Beschlussempfehlung ange- destages auf morgen, Freitag, den 18. Dezember 2009,
nommen. 9 Uhr, ein.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages- Ich hoffe, Ihnen fällt etwas Vernünftiges zur Überbrü-
ordnung. ckung der verbleibenden Zeit ein.
Ich schließe damit die Sitzung.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der
FDP – Dagmar Ziegler [SPD]: Schade!) (Schluss: 23.16 Uhr)

(B) (D)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1059

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Auf die Nachfrage des Kollegen Fritz Rudolf Körper,


MdB, während der Fragestunde am 16. Dezember
Liste der entschuldigten Abgeordneten
(Plenarprotokoll 17/11, Seite 819) habe ich geantwortet,
dass ich Herrn Staatssekretär Dr. Wichert am 7. Septem-
entschuldigt bis ber persönlich gesehen habe. Gemeint war der 8. Sep-
Abgeordnete(r) einschließlich tember.

Bas, Bärbel SPD 17.12.2009


Anlage 3
Bülow, Marco SPD 17.12.2009
Erklärung
Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 17.12.2009 des Abgeordneten Friedrich Ostendorff
Dittrich, Heidrun DIE LINKE 17.12.2009 (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentli-
chen Abstimmung über den Entwurf eines Ge-
Dreibus, Werner DIE LINKE 17.12.2009 setzes zur Beschleunigung des Wirtschafts-
wachstums (Wachstumsbeschleunigungsgesetz)
Glos, Michael CDU/CSU 17.12.2009 (10. Sitzung, Tagesordnungspunkt 13 a)
Granold, Ute CDU/CSU 17.12.2009 Ich habe versehentlich mit Ja gestimmt.
Herrmann, Jürgen CDU/CSU 17.12.2009 Mein Votum lautet Nein.

Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/ 17.12.2009


DIE GRÜNEN Anlage 4
Lafontaine, Oskar DIE LINKE 17.12.2009 Erklärung nach § 31 GO
Dr. Miersch, Matthias SPD 17.12.2009 des Abgeordneten Sven Kindler (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung
Möhring, Cornelia DIE LINKE 17.12.2009 über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag:
(B) (D)
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
Nahles, Andrea SPD 17.12.2009
scher Streitkräfte an der EU-geführten Opera-
Nestle, Ingrid BÜNDNIS 90/ 17.12.2009 tion Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor
DIE GRÜNEN der Küste Somalias auf Grundlage des See-
rechtsübereinkommens der Vereinten Nationen
Dr. Ott, Hermann BÜNDNIS 90/ 17.12.2009 von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom
DIE GRÜNEN 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008,
1838 (2008) vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008)
Dr. Röttgen, Norbert CDU/CSU 17.12.2009 vom 2. Dezember 2008, 1897 (2009) vom
30. November 2009 und nachfolgender Resolu-
Schlecht, Michael DIE LINKE 17.12.2009 tionen des Sicherheitsrates der Vereinten Natio-
Schmidt (Eisleben), SPD 17.12.2009 nen in Verbindung mit der Gemeinsamen
Silvia Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäi-
schen Union vom 10. November 2008 und dem
Thönnes, Franz SPD 17.12.2009 Beschluss 2009/907/GASP des Rates der Euro-
päischen Union vom 8. Dezember 2009 (Tages-
Werner, Katrin DIE LINKE 17.12.2009 ordnungspunkt 11)
Wicklein, Andrea SPD 17.12.2009 Ich lehne den Antrag der Bundeswehr, weiter Marine-
soldaten der Bundeswehr vor der Küste Somalias und im
Wunderlich, Jörn DIE LINKE 17.12.2009 Indischen Ozean einzusetzen, ab.
Zimmermann, Sabine DIE LINKE 17.12.2009 Die Bundeswehr sollte nicht für den Schutz der Han-
delswege im Indischen Ozean eingesetzt werden. Dafür
sind die Soldaten auch nicht ausgebildet. Insbesondere
Anlage 2 fehlen ihnen die notwendigen Kenntnisse und rechtli-
chen Voraussetzungen, vor allem zur Festnahme von
Erklärung
piraterieverdächtigen Personen. So bewegen sich die
des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt Soldaten bei deren Aufspüren und Festhalten über Tage
(BMVg) (11. Sitzung, Tagesordnungspunkt 2, oder möglicherweise Wochen sowie bei deren Übergabe
Seite 819 A) an Behörden anderer Staaten am Rande der Legalität.
1060 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

(A) Der Einsatz der Bundeswehr stellt nicht das allerletzte Anlage 5 (C)
Mittel bzw. die äußerste Notmaßnahme zur Verhinde-
rung und Aufklärung von Überfällen durch Piraten dar. Erklärung nach § 31 GO
Denn andere Möglichkeiten wurden gar nicht erst ver- der Abgeordneten Hans-Christian Ströbele,
sucht. Die Ursachen der steigenden Zahl von Überfällen Sylvia Kotting-Uhl, Monika Lazar, Beate
und Entführungen von Schiffen sowie der Erpressung Müller-Gemmeke, Winfried Hermann, Dorothea
von Reedern wurden nicht untersucht und schon gar Steiner und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
nicht beseitigt. Auch auf eine langfristige Stabilisierung (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur nament-
Somalias wurde bisher nur halbherzig hingearbeitet. lichen Abstimmung über die Beschlussempfeh-
lung zu dem Antrag: Fortsetzung der Beteili-
So hat die internationale Gemeinschaft etwa gegen gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
das Leerfischen der ehemals fischreichen Gewässer vor EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämp-
der Küste Somalias durch europäische und japanische fung der Piraterie vor der Küste Somalias auf
Fischfabriken nicht nur nichts unternommen, sondern Grundlage des Seerechtsübereinkommens der
dieses Treiben sogar durch Finanzmittel gefördert. Für Vereinten Nationen von 1982 und der Resolutio-
die Zukunft ist im aktuellen Atalanta-Beschluss der EU nen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008)
gar vorgesehen, diese Industrieschiffe aus Europa und vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober
deren Fischraub sogar noch durch die Bundesmarine und 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1897
deren Verbündete zu schützen. (2009) vom 30. November 2009 und nachfolgen-
der Resolutionen des Sicherheitsrates der Ver-
Der Einsatz der internationalen Armada von mehre- einten Nationen in Verbindung mit der Gemein-
ren Dutzend großer Kriegsschiffe im Indischen Ozean ist samen Aktion 2008/851/GASP des Rates der
auch ineffektiv. Seit Beginn der OEF- und Atalanta-Ein- Europäischen Union vom 10. November 2008
sätze ist die Anzahl der Kaperungen und Angriffe auf und dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates
Handels- und Passagierschiffe nicht zurückgegangen, der Europäischen Union vom 8. Dezember 2009
sondern rapide angestiegen. Laut internationaler See- (Tagesordnungspunkt 11)
fahrtsbehörde gab es allein in den ersten neun Monaten Wir lehnen den Antrag der Bundesregierung, weiter
dieses Jahres 150 Angriffe durch Piraten, mehr als dop- Marinesoldaten der Bundeswehr vor der Küste Somalias
pelt so viele wie im gesamten Vorjahr. und im Indischen Ozean einzusetzen, ab.
Die zur Abstimmung stehende Verlängerung des Ein- Die Bundeswehr existiert zur Verteidigung. So steht
(B) satzmandats weitet das Einsatzgebiet der internationalen es im Grundgesetz. Sie ist nicht dafür da, polizeiliche (D)
Militärflotten noch weiter aus als bisher. Es soll nun über Aufgaben im Ausland zu übernehmen und Straftaten zu
5 Millionen Quadratkilometer umfassen. Sollten die verfolgen oder zu verhindern, auch nicht zum Schutz der
Flotten anfangs nur in der Region vor der Küste Soma- Handelswege im Indischen Ozean. Dafür sind die Solda-
lias eingesetzt werden, so gehören nach der nun zur ten auch nicht ausgebildet.
Abstimmung stehenden Erweiterung des Mandats inzwi- Insbesondere fehlen ihnen die notwendigen Kennt-
schen auch weite Teile des Indischen Ozeans zum Ope- nisse und rechtlichen Voraussetzungen, vor allem zur
rationsgebiet. Es werden sogar Flottenstützpunkte Hun- Festnahme von piraterieverdächtigen Personen. So be-
derte von Meilen entfernt eingerichtet, wie auf den wegen sich die Soldaten bei deren Aufspüren und Fest-
Seychellen. halten über Tage oder möglicherweise Wochen sowie bei
deren Übergabe an Behörden anderer Staaten am Rande
Der Militäreinsatz gegen Piraten wird also immer der Legalität.
weiter sowie länger ausgedehnt und droht zu einem Dau-
ereinsatz im Indischen Ozean zu werden. Eine Eskala- Der Einsatz der Bundeswehr stellt nicht das allerletzte
tion und Ausweitung auf das Festland in Somalia ist zu Mittel bzw. die äußerste Notmaßnahme zur Verhinde-
befürchten. rung und Aufklärung von Überfällen durch Piraten dar.
Denn andere Möglichkeiten wurden gar nicht erst ver-
Die Kosten des Einsatzes dieser Militärflotten sind sucht. Die Ursachen der steigenden Zahl von Überfällen
um ein Vielfaches höher als alle Schäden, die durch die und Entführungen von Schiffen der christlichen Seefahrt
Piraterie angerichtet wurden. Mit einem Bruchteil der sowie der Erpressung von Reedern wurden nicht unter-
für Soldaten und Kriegsschiffe problemlos zur Verfü- sucht und schon gar nicht beseitigt. Auch auf eine lang-
gung gestellten vielen Hundert Millionen Euro – allein fristige Stabilisierung Somalias wurde bisher nur halb-
Deutschland zahlt jährlich knapp 50 Millionen – hätte herzig hingearbeitet.
man einen großen Teil der somalischen Bevölkerung mit So hat die internationale Gemeinschaft etwa gegen
Nahrungsmitteln versorgen und die wirtschaftliche Ent- das Leerfischen der ehemals fischreichen Gewässer vor
wicklung heraus aus Elend und Arbeitslosigkeit voran- der Küste Somalias durch europäische und japanische
treiben können. Anstelle der Verlängerung des Atalanta- Fischfabriken nicht nur nichts unternommen, sondern
Mandats könnte jetzt noch mit gezielter wirtschaftlicher dieses Treiben sogar durch Finanzmittel gefördert. Für
Entwicklungshilfe dem Land geholfen und die Piraterie die Zukunft ist im aktuellen Atalanta-Beschluss der EU
wirkungsvoller eingedämmt werden. gar vorgesehen, diese Industrieschiffe aus Europa und
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1061

(A) deren Fischraub sogar noch durch die Bundesmarine und einer Aufenthaltserlaubnis auf Probe fällt in Rechtsunsi- (C)
deren Verbündete zu schützen. cherheit. Mit der von den Innenministern des Bundes
und der Länder getroffenen Entscheidung ist auch eine
Der Einsatz der internationalen Armada von mehre-
sehr sachgerechte Lösung gefunden worden, weshalb sie
ren Dutzend großer Kriegsschiffe im Indischen Ozean ist
ja zum Beispiel auch seitens der Kirchen begrüßt worden
auch ineffektiv. Seit Beginn der OEF- und Atalanta-Ein-
ist. Der aus Sicht der Union ganz entscheidende Punkt
sätze ist die Anzahl der Kaperungen und Angriffe auf
findet sich im IMK-Beschluss wieder. Wir haben immer
Handels- und Passagierschiffe nicht zurückgegangen,
gesagt: Wir wollen keine pauschale Verlängerung des
sondern rapide angestiegen. Laut internationaler See-
Bleiberechts, sondern wir wollen im Lichte der schwieri-
fahrtsbehörde gab es allein in den ersten neun Monaten
gen wirtschaftlichen Lage eine Verlängerung für diejeni-
dieses Jahres 150 Angriffe durch Piraten, mehr als dop-
gen, die eine Arbeit haben, von der sie sich leider nicht
pelt so viele wie im gesamten Vorjahr.
überwiegend selbst unterhalten können, oder für die, die
Die zur Abstimmung stehende Verlängerung des Ein- sich zumindest um eine Beschäftigung bemüht haben.
satzmandats weitet das Einsatzgebiet der internationalen
Militärflotten noch weiter aus als bisher. Es soll nun über Das ist der große Unterschied zu den Anträgen von
5 Millionen Quadratkilometer umfassen. Sollten die Grünen und Linkspartei. Sie wollen auch eine Verlänge-
Flotten anfangs nur in der Region vor der Küste Soma- rung für die, die gar nichts gemacht haben, die auch im
lias eingesetzt werden, so gehören nach der nun zur Ab- Falle von Vollbeschäftigung und Hochkonjunktur nicht
stimmung stehenden Erweiterung des Mandats inzwi- geneigt sind, sich um Arbeit zu bemühen. Das aber leh-
schen auch weite Teile des Indischen Ozeans zum nen wir ab, weil es genau zu dem führen würde, was wir
Operationsgebiet. Es werden sogar Flottenstützpunkte bei der Bleiberechtsregelung von Anfang an immer ver-
Hunderte von Meilen entfernt eingerichtet, wie auf den hindern wollten, dass es nämlich zu einer Zuwanderung
Seychellen. in die Sozialsysteme kommt. Das wäre aber den Men-
schen in unserem Land nicht zu vermitteln.
Der Militäreinsatz gegen Piraten wird also immer
weiter sowie länger ausgedehnt und droht zu einem Dau- Ich sehe mich hierbei übrigens in großer Übereinstim-
ereinsatz im Indischen Ozean zu werden. Eine Eskala- mung mit dem Berliner Innensenator Körting, der gesagt
tion und Ausweitung auf das Festland in Somalia ist zu hat:
befürchten.
Wer allerdings gesagt hat, ich habe keinen Bock auf
Die Kosten des Einsatzes dieser Militärflotten sind Arbeitssuche, der kommt jetzt nicht mehr zum
um ein Vielfaches höher als alle Schäden, die durch die Zuge. Man kann erwarten, dass sie sich wenigstens
Piraterie angerichtet wurden. Mit einem Bruchteil der bemühen. Falls sie das bislang nicht verstanden ha- (D)
(B)
für Soldaten und Kriegsschiffe problemlos zur Verfü- ben, dann haben sie eben Pech gehabt.
gung gestellten, vielen Hundert Millionen Euro – allein
Deutschland zahlt jährlich knapp 50 Millionen – hätte Das hätte ich gar nicht gewagt, so deutlich zu formulie-
man einen großen Teil der somalischen Bevölkerung mit ren. Aber wo Herr Körting Recht hat, hat er Recht.
Nahrungsmitteln versorgen und die wirtschaftliche Ent-
wicklung heraus aus Elend und Arbeitslosigkeit voran- Der IMK-Beschluss ist auch aus drei weiteren Gründe
treiben können. Anstelle der Verlängerung des Atalanta- sehr zu begrüßen:
Mandats könnte jetzt noch mit gezielter wirtschaftlicher
Entwicklungshilfe dem Land geholfen und die Piraterie Erstens: Die Verlängerung gilt für zwei Jahre. Die Be-
wirkungsvoller eingedämmt werden. troffenen haben also wirklich ausreichend Zeit, ohne
Druck ihre Bemühungen um eine Arbeitsaufnahme fort-
zusetzen. Bei einer Verlängerung von nur einem Jahr
Anlage 6 hätte man sicher einwenden können, dass sich bis dahin
die Arbeitsmarktlage nicht so grundlegend verändert hat,
Zu Protokoll gegebene Reden dass die Beschäftigungsperspektiven für die Inhaber ei-
zur Beratung: ner Aufenthaltserlaubnis auf Probe grundlegend besser
geworden wären. Insofern ist die Verlängerung um zwei
– Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Jahre wirklich eine gute Sache. Obgleich schon darauf
Aufenthaltsgesetzes (Altfallregelung) hingewiesen werden darf, dass es zum Zeitpunkt des Be-
– Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des schlusses der Bleiberechtsregelung deutlich mehr Ar-
Aufenthaltsgesetzes beitslose gab als heute. Auch das gehört zur Wahrheit
dazu.
– Beschlussempfehlung und Bericht: Für ein
umfassendes Bleiberecht Zweitens: Der Beschluss zur Verlängerung der Bleibe-
rechtsregelung ist hinreichend flexibel formuliert, indem
(Tagesordnungspunkt 17 a bis c) etwa der Begriff der Halbtagsbeschäftigung eingeführt
worden ist. Es werden keine festen Einkommensgrenzen
Reinhard Grindel (CDU/CSU): Zunächst einmal definiert, Aufstockerleistungen können also in Anspruch
möchte ich gerne festhalten, dass die CDU/CSU Wort genommen werden, ohne dass dies für die Aufenthalts-
gehalten hat, was die Verlängerung der Bleiberechts- erlaubnis schädlich ist. Auch das nimmt Druck von den
regelung anbelangt. Sie kommt rechtzeitig. Kein Inhaber Betroffenen.
1062 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

(A) Drittens: Erstmals gibt es eine besondere Regelung Zweitens: Es darf kein zwingender Ausweisungsgrund (C)
für Kinder und Jugendliche, die sich in einer Schul- oder vorliegen. Das heißt, Sie wollen im Umkehrschluss ein
Berufsausbildung befinden. Sie wissen, dass mir das im- dauerndes Aufenthaltsrecht für einen Ausländer, der
mer besonders wichtig gewesen ist, weil es angesichts durch Täuschen, Tricksen oder Untertauchen selbst ver-
des demografischen Wandels keinen Sinn macht, junge antwortlich dafür ist, dass seine Abschiebung bisher ge-
Menschen, die von unseren Steuermitteln eine Schulaus- scheitert ist, der kein Wort Deutsch spricht, dessen Kin-
bildung erhalten haben, wieder außer Landes zu beför- der nicht zur Schule gehen, der keinen ausreichenden
dern, wenn sie eine gute schulische und berufliche Per- Wohnraum nachweist, der die gesamte Zeit seines Auf-
spektive in unserem Land haben. Diese zusätzlichen enthalts nur von Sozialleistungen gelebt hat und der
Ansprüche führen in der Praxis natürlich auch dazu, dass Straftaten begangen hat, für die er nicht zu mehr als drei
der Aufenthalt für die übrigen Familienmitglieder dieser Jahren Haft verurteilt worden ist.
jungen Menschen abgesichert ist. Das halte ich auch für
richtig. Liebe Kollegen von der SPD, da kann ich nur mit
Willy Brandt sagen: „Genossen, lasst die Tassen im
Ich will darauf verweisen, dass der IMK-Beschluss Schrank.“ Was Sie vorschlagen, ist ein Paradigmen-
einstimmig getroffen wurde. Auch die Innenminister der wechsel, weil ihre gesetzliche Bleiberechtsregelung
SPD haben zugestimmt. keine klassische Altfalllösung ist, die an bestimmte
Stichtage anknüpft, sondern Sie schlagen eine generelle
Insoweit stellt sich schon die Frage – und das sage ich Lösung vor, bei der geduldete Ausländer, also Personen,
jetzt mit Blick auf den neuen Gesetzentwurf, den die die eigentlich ausreisepflichtig sind, in die Regelung hi-
SPD-Fraktion uns in dieser Woche vorgelegt hat und der neinwachsen können.
auch Gegenstand dieser Debatte ist –, ob es klug ist,
noch vor Inkrafttreten des IMK-Beschlusses nun schon Damit stellt sich natürlich das Problem des Pull-
wieder über eine weitergehende gesetzliche Regelung zu Effektes. Wir dürfen aber keine falschen Signale aussen-
entscheiden. Wer sich an die großen Abstimmungs- den, nach dem Motto: „Wer es lange genug schafft, sei-
schwierigkeiten erinnert, die es zwischen der Bundesre- nen Aufenthalt in Deutschland zu verlängern, hat in Zu-
gierung und den Koalitionsfraktionen auf der einen Seite kunft gute Chancen, auf Dauer bleiben zu können.“ Das
und den Landesinnenministern auf der anderen Seite wäre eine Einladung an Schlepper, wieder verstärkt Aus-
2007 bei der Verabschiedung der ersten gesetzlichen Alt- länder nach Deutschland einzuschleusen, und das ange-
fallregelung gab, der wird hier mit Recht zur Zurückhal- sichts ohnehin stark wachsender Asylbewerberzahlen.
tung mahnen. Wir sollten die IMK-Bleiberechtsregelung Eine solche Politik gefährdet die Integration der hier le-
jetzt in Ruhe wirken lassen und sollten uns dann zum benden Ausländer und überfordert die Aufnahmegesell-
(B) 1. Januar 2012 mit der Frage befassen, ob wir eine neue schaft. Das haben wir alles schon Anfang der 90er-Jahre (D)
gesetzliche Altfallregelung brauchen. in schmerzlicher Weise erlebt. Aus diesen Erfahrungen
sollten wir lernen und nicht die gleichen Fehler wieder
Wir als CDU/CSU sehen den Gesetzentwurf der SPD machen.
aber auch aus inhaltlichen Gründen skeptisch. Ziel Ihrer
gesetzlichen Altfallregelung soll es sein, den seit Jahren Ich will nicht sagen, dass wir als CDU/CSU für die
hier integrierten Ausländern eine dauerhafte Perspektive Zukunft generell gegen jede Art von gesetzlicher Altfall-
in Deutschland zu geben. Gleichzeitig stufen Sie die An- regelung sind. Aber nicht jetzt und nicht so!
forderungen an die Sprachkompetenz auf das Niveau A 1
des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Zu der heu-
herab. A 1 verlangen wir schon von den nachziehenden tigen Debatte zum Thema Bleiberecht und Altfallrege-
Familienangehörigen, also am Anfang ihres Aufenthalts. lung kann man sagen: Alter Wein in neuen Schläuchen.
Wer nach vielen Jahren des Aufenthalts in unserem Land
keine sprachlichen Fortschritte gemacht hat und auch Das letzte Mal haben wir uns erst am 26. November
nur A 1 beherrscht, dem kann man nun wirklich nicht dieses Jahres in diesem Hause mit dem Thema Bleibe-
bescheinigen, dass er sich seit Jahren hier in Deutsch- recht und Altfallregelung beschäftigt. Mittlerweile hat
land integriert hat. Das Gegenteil ist richtig. Deshalb ha- die Innenministerkonferenz auf ihrer Tagung am 4. De-
ben wir ja auch bei der Altfallregelung aus dem Jahr zember 2009 in Bremen einen meines Erachtens durch-
2007 A 2 verlangt, und das schon, um die Hürden nicht aus zielführenden und vernünftigen Beschluss gefasst,
zu hoch zu heben. Ihr Vorschlag ist insoweit gerade kein um dem Problem zu begegnen, dass zum Ende dieses
guter Beitrag zur Integration der geduldeten Menschen Jahres für ungefähr 30 000 Personen die sogenannte
in unserem Land, weil er keine Anreize gibt, mehr zu tun Aufenthaltserlaubnis auf Probe gemäß § 104 a Abs. 1
für die Verbesserung der Sprachkompetenz Satz 1 Aufenthaltsgesetz ausgelaufen wäre. Mit dem Be-
schluss der Innenministerkonferenz ist nunmehr das Pro-
Was nach unserer Auffassung auch überhaupt nicht blem gebannt, sodass es überhaupt keine Veranlassung
geht, ist das generelle Aufenthaltsrecht für Ausländer, für den Bundesgesetzgeber gibt, eine Neuregelung des
die sich seit zwölf Jahren geduldet, gestattet oder aus hu- Aufenthaltsgesetzes „über das Knie zu brechen“.
manitären Gründen in Deutschland aufhalten. Bei Aus-
ländern, die mit Kindern zusammenleben, soll die Frist Dass der heute zu beratende Gesetzentwurf der SPD-
schon nach zehn Jahren greifen. Sie knüpfen dieses Auf- Bundestagsfraktion mittlerweile vollkommen überholt
enthaltsrecht nur noch an zwei Bedingungen: Erstens: ist, lässt sich schon allein daran sehen, dass er in keiner
Der Ausländer darf kein Extremist oder Terrorist sein. Weise auf den Beschluss der Innenministerkonferenz
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1063

(A) vom 4. Dezember 2009 eingeht und ihn in keiner Weise nicht der Möglichkeit begeben, den Druck auf die Inha- (C)
berücksichtigt. Darüber hinaus versuchen Sie, werte ber von Aufenthaltserlaubnissen „auf Probe“ aufrechtzu-
Kolleginnen und Kollegen von der SPD, mittels dieses erhalten, in den Bemühungen nicht nachzulassen, alles
Gesetzentwurfs ein Anliegen zu forcieren, über das wir dafür zu tun, dass man sich erfolgreich in die deutsche
uns schon in der vergangenen Legislaturperiode in inten- Gesellschaft integriert und auch in finanzieller Hinsicht
siven Gesprächen nicht einig werden konnten. Sie wol- auf eigenen Beinen stehen kann.
len eine unbefristete Bleiberechtsregelung. Um dies klar
zu sagen: Das lehnen wir von der CDU/CSU kategorisch Deshalb ist es vollkommen überflüssig, zum jetzigen
ab. Zeitpunkt ein Gesetzgebungsverfahren zur Änderung
des Aufenthaltsgesetzes aus reinem Aktionismus zu be-
Wie schon erwähnt: Der Beschluss der Innenminister- ginnen. Zudem ist der Gesetzentwurf der SPD-Bundes-
konferenz ist meines Erachtens wegweisend und zielfüh- tagsfraktion in jeder Hinsicht mit „heißer Nadel ge-
rend, weil er den unterschiedlichen Befindlichkeiten und strickt“. Denn indem Sie in Ihrem Gesetzentwurf auf
Zwängen in größtmöglicher Art und Weise gerecht wird. jeglichen Stichtag und jegliche Befristung der Aufent-
Zum einen kann durch den Beschluss der Innenminister- haltserlaubnis verzichten, setzen Sie ein vollkommen
konferenz jegliche Skepsis ausgeräumt werden, was die falsches Signal, weil Sie Zweifel an der Ernsthaftigkeit
Gefahr anbelangt, dass zum Jahresende ungefähr staatlicher Bemühungen aufkommen lassen, die an sich
30 000 Personen, die derzeit über eine Aufenthalts- vorhandene Ausreiseverpflichtung des Ausländers gege-
erlaubnis „auf Probe“ verfügen, wieder in den Status der benenfalls auch zwangsweise durchzusetzen. Damit privi-
bloßen Duldung zurückfielen. Die Verlängerung der legieren Sie gerade die Ausländer, die sich vollkommen
Bleiberechtsregelung durch die Länderinnenminister passiv verhalten und keinerlei Integrationsbemühungen
wird dergestalt vorgenommen, dass derjenige eine be- unternehmen, und diskriminieren im Umkehrschluss die-
fristete Aufenthaltserlaubnis für zwei Jahre erhält, der jenigen, die sich entweder in der Vergangenheit erfolg-
entweder am 31. Dezember 2009 zumindest eine Halb- reich in Deutschland integriert haben, wovon es durch-
tagsbeschäftigung mindestens für die letzten sechs Mo- aus eine stattliche Anzahl gibt, bzw. diejenigen, die sich
nate nachweisen kann, oder derjenige, der bis zum entsprechend der Verlängerung der Bleiberechtsregelung
31. Januar 2010 glaubhaft nachweisen kann, dass er für durch die Innenministerkonferenz in Zukunft ernsthaft
die kommenden sechs Monate eine Halbtagsbeschäfti- bemühen werden, in Deutschland auf eigenen Beinen zu
gung ausführt. So halte ich es insbesondere für durchaus stehen. Ferner privilegieren Sie beispielsweise Personen,
pragmatisch, gerade angesichts des derzeit auch in die nach einem negativen Abschluss ihres Asylverfah-
Deutschland nicht einfachen, sondern insbesondere in rens an sich in ihre Heimat zurückkehren müssen und
manchen Branchen und manchen Regionen besonders dies jederzeit ohne Gefahr für Leib und Leben auch tun
(B) angespannten Arbeitsmarktes lediglich den Nachweis ei- könnten. Nicht wenige sind darunter, die vorsätzlich ihre (D)
ner Halbtagsbeschäftigung zu erwarten. Rückführung hinauszögern oder verhindern, indem sie
Darüber hinaus wird in der Verlängerung der Bleibe- bei der Beschaffung notwendiger Heimreisedokumente
rechtsregelung durch die Innenministerkonferenz ein be- nicht mitwirken bzw. über ihre Identität und Staatsange-
sonderer Schwerpunkt darauf gelegt, dass diejenigen, die hörigkeit täuschen.
in den vergangenen zweieinhalb Jahren entweder ihre Außerdem halte ich es in integrationspolitischer Hin-
schulische Ausbildung mit einem Abschluss erfolgreich sicht für vollkommen verfehlt, dass Sie, was die inhaltli-
beendet haben oder eine Berufsausbildung erfolgreich chen Anforderungen an die Verlängerung der Aufent-
abgeschlossen haben oder sich derzeit in einer Berufs- haltserlaubnis anbelangt, deutliche Abstriche in Ihrem
ausbildung befinden, besonders privilegiert werden. Da- Gesetzentwurf machen. So verlangen Sie beispielsweise
mit wird einem in meinen Augen vollkommen berechtig- lediglich den Nachweis einfacher mündlicher Deutsch-
ten Anliegen Rechnung getragen, nämlich die kenntnisse im Sinne der A I des gemeinsamen europäi-
ausländischen Mitbürger, die sich aktiv um eine erfolg- schen Referenzrahmens für Sprachen und nicht mehr,
reiche Integration in die deutsche Gesellschaft bemühen, wie es der jetzigen Rechtslage entspricht, Deutschkennt-
vor allem indem sie eine Schul- oder Berufsausbildung nisse im Sinne der Stufe A II. Genauso verfehlt ist der
anstrengen und erfolgreich abschließen, besonders ge- Ansatz, dass Sie deutliche Abstriche machen bei dem
fördert werden. Leistung muss sich auch in diesem Be- Grundsatz, dass es keine Privilegierung von Ausländern
reich lohnen. Und deshalb halte ich es für sehr zielfüh- geben darf, die in Deutschland bereits in erheblichem
rend, positive Anreize dafür zu setzen, dass es auch Maße straffällig geworden sind.
seitens der deutschen Gesellschaft honoriert wird, wenn
jemand sich aktiv darum bemüht, seinen eigenen Le- Nach alledem kann man dem Gesetzentwurf der SPD
bensunterhalt selbst zu bestreiten. nur folgende Note ausstellen: Er ist nicht nur zur Unzeit
eingebracht worden, sondern auch in inhaltlicher Hin-
Zum anderen halte ich es für vollkommen richtig und
sicht leider ungenügend.
unterstützenswert, dass auch der neue Beschluss der In-
nenministerkonferenz keine Ausreichung einer unbefris-
teten Aufenthaltserlaubnis vorsieht, sondern lediglich Rüdiger Veit (SPD): Das Thema, über das wir heute
eine auf den Zeitraum von zwei Jahren befristete Aufent- hier sprechen, ist keineswegs neu. Im Kern geht es um
haltserlaubnis. Denn auch was die Zeitdauer der Aufent- die Behandlung von Menschen, die wir seit Jahren nicht
haltserlaubnis anbelangt, muss Gleiches gelten wie bei haben abschieben können, die hier aber trotzdem keinen
den inhaltlichen Anforderungen. Der Staat darf sich gesicherten Aufenthaltsstatus und keine gesicherte Le-
1064 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

(A) bensperspektive haben, die auf der anderen Seite aber Regierungsfraktionen geteilt wird. Dort heißt es nämlich (C)
jahrelang mit uns gelebt haben und leben. Es geht um auf Seite 79:
Geduldete.
Hinsichtlich der gesetzlichen Altfallregelung sind
Immer wieder haben die Innenminister der Länder wir uns einig, dass vor dem Hintergrund der mo-
mit verschiedensten Altfall-/Bleiberechtsregelungen ver- mentanen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen
sucht, Menschen, die eine lange Voraufenthaltszeit in Handlungsbedarf in Bezug auf diejenigen Inhaber
Deutschland haben, einen gesicherten Aufenthalt zu bie- einer Aufenthaltserlaubnis „auf Probe“ besteht, die
ten. All diese Regelungen waren Stichtagsregelungen. voraussichtlich die gesetzlichen Vorgaben zur Le-
Stichtag, das bedeutet: Die Personen mussten die gesetz- bensunterhaltssicherung zum Jahresende verfehlen
lich vorgeschriebene Voraufenthaltszeit zu einem be- werden. Zeitgerecht wird eine angemessene Rege-
stimmten Datum überschritten haben, um von der Rege- lung gefunden werden.
lung zu profitieren. Wer sie danach überschritt, erhielt Wir sind also dringend aufgefordert, zu handeln. Auch
keine Aufenthaltserlaubnis. Kaum war die Regelung das ist, wenn ich kurz darauf hinweisen darf, keine
ausgelaufen, waren wieder Migrantinnen und Migranten furchtbar neue Erkenntnis. Wir, aber auch die Fraktionen
mit langen Aufenthaltszeiten nachgerückt. Heute, am Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben auf das
17. Dezember 2009, ist quasi das zehnjährige Jubiläum Auslaufen der Regelung zum Ende dieses Jahres hier in
dieser Bleiberechtsregelungen, ist doch die erste IMK- diesem Hohen Hause in Redebeiträgen am 26. März
Bleiberechtsregelung, die ich in dieser Funktion miterle- 2009 und 2. Juli 2009 mehrfach darauf hingewiesen. Ins-
ben durfte, vom 19. November 1999. besondere aber haben wir uns schon im Frühjahr dieses
Jahres, als wir noch in Regierungsverantwortung stan-
Ich will all diese Versuche nicht schlechter machen, den, für eine Verlängerung eingesetzt. Aber die Union
als sie waren. Immerhin waren sie mehr als nichts und hat sich unserem Anliegen verweigert. Damit hat sie die
haben vielen Geduldeten gesellschaftliche Teilhabe und Betroffenen sehenden Auges weiteren Monaten der Un-
langfristige Integration ermöglicht. Ein entscheidender sicherheit ausgeliefert, obwohl das Problem seit langem
Fortschritt war dann die Schaffung einer gesetzlichen vorhersehbar war. Damals konnten wir als SPD-Fraktion
Altfallregelung noch unter der Großen Koalition, die mit aus Gründen der Koalitionsdisziplin keinen eigenen Ge-
dem zweiten Änderungsgesetz zum Zuwanderungsge- setzentwurf zur Beseitigung dieses Problems einbringen.
setz am 28. August 2007 in Kraft trat. Bis zum 30. Juni Das ist jetzt anders.
2009 erhielten insgesamt 35 128 Ausländer eine Aufent-
haltserlaubnis nach der gesetzlichen Altfallregelung. Zu- Ich habe erläutert, warum eine Verlängerung für die
sammen mit der IMK-Bleiberechtsregelung von 2006, Begünstigten der letzten Altfallregelung zeitlich drin-
(B) nach der 24 271 Aufenthaltserlaubnisse erteilt wurden, gend geboten ist. Doch darüber hinaus muss auch festge- (D)
konnten wir mithin insgesamt 59 384 ehemals Geduldete stellt werden, dass trotz der gesetzlichen Altfallregelung
erreichen. Das ist ein schöner Erfolg, auch dies sage ich und der IMK-Bleiberechtsregelung von 2006 am
hier noch einmal deutlich. 30. Juni 2009 nach wie vor 94 026 Ausländer als Gedul-
dete in Deutschland lebten. Davon lebten 59 285 mehr
Allerdings haben 28 227 der von der gesetzlichen Alt- als sechs Jahre hier (Bundestagsdrucksache 16/13163,
fallregelung Begünstigten nur eine sogenannte Aufent- Seite 8). Diese Zahlen verdeutlichen ebenso wie alle bis-
haltserlaubnis auf Probe erhalten. Eines ist mittlerweile herigen Erfahrungen, dass wir es mit einem immer wie-
offensichtlich: Nicht alle diejenigen, die eine Aufent- derkehrenden Problem zu tun haben. Auch künftig wird
haltserlaubnis auf Probe erhalten haben, werden Ende es immer wieder Ausländer geben, die über mehrere
dieses Jahres in der Lage sein, ihren Lebensunterhalt Jahre von der Praxis der Kettenduldung betroffen sind.
überwiegend aus eigener Kraft zu sichern. Nach einer Ich habe es an dieser Stelle schon häufig gesagt, und
stichprobenartigen Erhebung aus verschiedenen Bundes- ich sage es auch heute wieder aus fester Überzeugung:
ländern, die das Bundesministerium des Innern am Die Praxis der Kettenduldung muss abgeschafft werden!
25. September 2009 anlässlich einer Antwort auf eine Mit dem Antrag der Fraktion Die Linke soll die Bundes-
Kleine Anfrage vorgestellt hat (Bundestagsdrucksache regierung aufgefordert werden, festzustellen, dass die
16/14088, Seite 14 f.), konnten rund 46 Prozent der Be- IMK-Altfallregelung von 2006 und die gesetzliche Alt-
troffenen ihren Lebensunterhalt noch nicht überwiegend fallregelung von 2007 nicht in der Lage waren, Ketten-
eigenständig sichern. Für sie stellt sich zu Beginn des duldungen abzuschaffen und einen weitergehenden
kommenden Jahres die Frage, wie es weitergehen soll. Gesetzentwurf vorzulegen. Der Gesetzentwurf von
Sie werden dann mindestens acht bzw. zehn Jahre in Bündnis 90/Die Grünen sieht vor, den Inhabern einer
Deutschland gelebt haben. Es ist nicht davon auszuge- Aufenthaltserlaubnis auf Probe unabhängig von weiteren
hen, dass sie jetzt noch irgendwohin abgeschoben wer- Voraussetzungen die Geltungsdauer der Aufenthalts-
den können. erlaubnis zu verlängern. In der Begründung wird jedoch
betont, dass der knappe Gesetzentwurf nur kurzfristig
Wir sind einer Meinung mit den Kolleginnen und
ein Auslaufen der gesetzlichen Altfallregelung zum Jah-
Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken,
resende verhindern soll. Danach solle eine nachhaltige
dass diese Menschen nicht wieder in den Status der Dul-
gesetzliche Regelung geschaffen werden.
dung zurückfallen dürfen. Und nach einem Blick in den
Koalitionsvertrag von Union und FDP stellen wir er- Die Verlängerung der Frist der Aufenthaltserlaubnis
staunt und erfreut fest, dass diese Ansicht auch von den auf Probe wurde bereits auf der letzten Innenminister-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1065

(A) konferenz vom 3. und 4. Dezember diskutiert. Es wurde, Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die Innenminis- (C)
wie bekannt, eine zweijährige Verlängerung der Frist der terkonferenz hat Anfang des Monats die Bleiberechts-
gesetzlichen Altfallregelung beschlossen. So froh ich regelung um zwei Jahre verlängert. Die FDP begrüßt das
bin, dass die Innenminister der SPD-geführten Länder nachdrücklich. Die Vereinbarung der Innenminister-
sich bei den Verhandlungen für eine Verlängerung konferenz und auch die progressiven Äußerungen vor
durchsetzen konnten, so sehr bedaure ich doch zweierlei. und während der Innenministerkonferenz sind eine gute
Erstens war das Problem seit langem vorhersehbar. Es ist Basis. Das gibt uns Zeit, eine dauerhafte Regelung zu
unverständlich, dass die Innenminister der Länder dort finden, die das Problem der Kettenduldungen nachhaltig
einspringen müssen, wo sich die Bundestagsfraktion von löst. Der Grünen-Antrag ist aufgrund der Vereinbarung
CDU und CSU unserer Initiative zur Verlängerung wi- der Innenministerkonferenz daher gegenstandslos. Da-
dersetzt und damit ihrer Verantwortung als Bundesge- rüber hinausgehende Vorschläge sind derzeit Aktivis-
setzgeber entzogen hat. Zweitens ist die Verlängerung mus.
eine weitere, kurzfristige Regelung. Sie packt das Pro-
blem nicht an der Wurzel, sondern verschiebt und ver- Die Sachlage bleibt unverändert: Wenn bei lange ge-
tagt es wieder nur und lässt alles sein wie gehabt. duldeten, gut integrierten Ausländern eine Abschiebung
nicht mehr vertretbar ist, muss dieser Tatsache durch
Nach all den Stichtagsregelungen in der Vergangen- eine vernünftige und unbürokratische Regelung Rech-
heit ist es aus Sicht der SPD-Fraktion nunmehr dringend nung getragen werden. Die „Kettenduldungen“ müssen
geboten, eine fortlaufende, stichtagsunabhängige gesetz- einer nachhaltigen Lösung zugeführt werden. Wir brau-
liche Altfallregelung zu schaffen. Dabei ist unser Ansatz chen für alle, insbesondere auch für die bisher „Gedulde-
differenzierter und umfassender als der Antrag von ten“, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Die große
Bündnis 90/Die Grünen bzw. der Linkspartei, weswegen Schwierigkeit einer sinnvollen Bleiberechtsregelung
wir deren Anträge ablehnen und unseren eigenen Weg besteht darin, einerseits den unhaltbaren Zustand der
verfolgen: Wir wollen die Anforderungen an die Lebens- Kettenduldungen abzuschaffen, andererseits aber die Zu-
unterhaltssicherung deutlich absenken: Auch das ernst- wanderung nach Deutschland so zu steuern, dass diese
hafte Bemühen um Arbeit wird als ausreichend erachtet auch nachhaltige Akzeptanz bei den Bürgerinnen und
bei Alleinstehenden nach acht und bei Familien nach Bürgern findet. Hier muss die tatsächliche Integration
sechs Jahren Voraufenthaltszeit. Weiter schlagen wir das zentrale Kriterium sein. Der eigenständige Lebens-
eine eigenständige Regelung für Personen vor, die in unterhalt ist dabei von entscheidender Bedeutung.
Deutschland einen Schulabschluss machen. Ihre Leis-
tung soll sich lohnen, und deshalb sollen sie unabhängig Der Antrag der Linken verneint die Notwendigkeit ei-
von Voraufenthaltszeiten eine Aufenthaltserlaubnis be- ner eigenständigen Lebensunterhaltssicherung für Men-
(B) kommen. Minderjährigen wollen wir in jedem Fall nach schen, die ein Aufenthaltsrecht in Deutschland suchen. (D)
vier Jahren Aufenthalt in Deutschland eine Aufenthalts- Es hilft niemandem weiter, wenn die Fraktion Die Linke
erlaubnis erteilen lassen. Zuletzt sieht unser Entwurf für immer wieder fordert, de facto auf jegliche Zuwande-
Altfälle mit einer Aufenthaltsdauer von zwölf bzw. zehn rungssteuerung zu verzichten. Vielmehr erweist die
Jahren eine noch weitreichendere Ausnahme von den Linke damit den Bemühungen um Ausländerintegration
allgemeinen Voraussetzungen vor. Das heißt: Sofern es einen Bärendienst. Wer einem schrankenlosen Dauerauf-
sich nicht um Schwerkriminelle oder dem Terror nahe- enthaltsrecht in vermeintlich humanitärer Gesinnung das
stehende Personen handelt, können sie bleiben. Seien Wort redet, riskiert die steigende Ablehnung der Bevöl-
wir realistisch: Wenn sich ein Ausländer seit zehn oder kerung gegen Zuwanderer.
mehr Jahren hier aufgehalten hat und über diesen langen Die Möglichkeit für langjährig Geduldete, den Le-
Zeitraum nicht abgeschoben werden konnte, wird das bensunterhalt eigenständig zu bestreiten, ist sehr wohl
auch künftig nicht gelingen. Es ergibt keinen Sinn, ihm ein wichtiges Kriterium der Bleiberechtsregelung. Das
die gesellschaftliche Teilhabe weiterhin zu verweigern. dient der Integration. Zuwanderer sind zu fördern, aber
Auch bei unklarer Identität, fehlendem Pass oder unge- selbst auch klar gefordert. Die deutsche Sprache, Demo-
klärter Staatsangehörigkeit kommt ein Zeitpunkt, ab kratie und Rechtsstaat, die Grund- und Menschenrechte
dem, ähnlich einer Amnestieregelung, aufenthaltsrechtli- sind das für alle geltende Fundament unserer Gesell-
che Klarheit für die Betroffenen und die Behörden ge- schaft.
schaffen werden muss. Ein Provisorium kann nicht fort-
laufend vertagt werden. Die Linke will das Gegenteil. Sie will die Akzeptanz
von Ausländern in Deutschland erschweren, die Sozial-
Wenn Sie aber der SPD-Fraktion oder mir bei dieser systeme sprengen, die inneren Spannungen erhöhen und
Einschätzung partout nicht folgen wollen, dann sollten die deutsche Gesellschaft desintegrieren, indem sie fal-
sie sich an ihrem ehemaligen Kanzleramtsminister und sche Erwartungen weckt und statt Engagement nur An-
früherem CDU-Innenminister, dem heutigen DRK-Prä- spruchsdenken fördert. Wir Liberalen wollen dagegen
sidenten Dr. Rudolf Seiters orientieren: „Ein dauerhaftes eine neue Kultur des Willkommens, die nicht falsche
Bleiberecht für diese Menschen wäre menschlich das Versprechungen auf Kosten anderer Leute macht, son-
Richtige“, sagt er völlig zu Recht, „und würde zudem ein dern Chancen und Perspektiven eröffnet.
starkes Signal zur Integration von Ausländern setzen.
Eine sichere Lebensperspektive ist ein menschliches
Grundbedürfnis.“ Ulla Jelpke (DIE LINKE): Vor wenigen Wochen
habe ich hier eine Forderung aus unserem Antrag in den
Dem ist nichts hinzuzufügen. Mittelpunkt gestellt: Die Aufenthaltserlaubnis auf Probe
1066 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

(A) soll endlich in ein echtes Bleiberecht umgewandelt wer- setzentwurf der strategisch meisterhaft aufgestellten So- (C)
den. Die Betroffenen sollten nicht mehr auf Abruf in zialdemokraten. Warum haben Sie, liebe Kolleginnen
Deutschland leben, sondern eine echte Perspektive be- und Kollegen der SPD, ihren Vorschlag für eine gesetzli-
kommen. che Neuregelung des Bleiberechts denn nicht vor der In-
nenministerkonferenz Anfang Dezember vorgelegt? Erst
Was ist nun passiert? Die Innenminister der Länder gestern noch haben Sie im Innenausschuss gegen den
haben einfach nur die gesetzliche Altfallregelung um grünen Gesetzentwurf und gegen den Antrag der Links-
zwei Jahre verlängert und ein paar weitere Ausnahme- fraktion gestimmt, obwohl sich viele Aspekte nun über-
regelungen eingeführt. Der Beschluss stellt eine Mini- raschenderweise auch in Ihrem Gesetzesentwurf finden.
mallösung dar. Alte, kranke und behinderte Menschen Im Interesse der betroffenen Flüchtlinge sollten wir zu-
sind weiterhin nicht gesondert berücksichtigt. Die künftig diese parteitaktischen Profilierungsspielchen las-
Aufenthaltserlaubnis auf Probe wird einfach verlängert, sen und gemeinsam an einem Strang ziehen. Sonst wird
obwohl sie ganz klar eine Ausnahme sein sollte. Für das nie etwas mit der gründlichen Reform der gesetzli-
diese Verlängerung sind völlig unklare Bedingungen chen Bleiberechtsregelung.
formuliert worden. Die Innenminister können sie so
restriktiv auslegen, dass es zu keiner einzigen neuen Pro- Nun zur Sache. Es muss darum gehen, die bisherigen
beaufenthaltserlaubnis kommt. Zum Beispiel wird eine Altfallregelungen durch eine dauerhafte Bleiberechts-
positive Erwerbsprognose gefordert – aber welcher Ar- regelung abzulösen. Das betrifft sowohl die gesetzliche
beitnehmer hat so etwas in Krisenzeiten? Altfallregelung der § 104 a und b Aufenthaltsgesetz wie
auch die Beschlüsse der Innenministerkonferenz. Die
Auch ein anderes zentrales Problem bleibt ungelöst. IMK hat gerade die Regelung über die Aufenthalts-
Die Ausländerbehörden haben nun 40 000 Anträge auf erlaubnis auf Probe, § 104 a AufenthG, verlängert und
Verlängerung von Aufenthaltserlaubnissen, über die bis die Voraussetzungen für die Verlängerung teilweise he-
Ende des Jahres entschieden werden muss, denn Union rabgestuft. Rechtstechnisch ist einer bundesgesetzlichen
und SPD haben 2007 beschlossen, dass die Betroffenen Regelung, wie wir sie in unserem Gesetzentwurf for-
in die Duldung zurückfallen, wenn am 1. Januar über die dern, gegenüber den halbherzigen Beschlüssen der IMK
Verlängerung des Aufenthaltstitels noch nicht entschie- der Vorzug zu geben. Eine reine Verlängerung der Frist
den ist. Es droht weiteres Chaos zulasten der Betroffe- reicht natürlich nicht aus; das schreiben uns die Bera-
nen. tungsstellen und Verbände aus ihrer Praxiserfahrung
Das alles zeigt, wie berechtigt unsere Forderung nach heraus täglich. Eine nachhaltige Bleiberechtsregelung,
einer dauerhaften und großzügigen gesetzlichen Bleibe- die dauerhaft Kettenduldungen vermeiden hilft, muss
rechtsregelung ist. Schon jetzt sind wieder fast daher stichtagsunabhängig sein. Denn es leben bereits
(B) 60 000 Menschen länger als sechs Jahre im Duldungs- jetzt schon wieder über 20 000 Geduldete in Deutsch- (D)
status. Das zeigt, wie fatal eine Stichtagsregelung wirkt. land, die sich seit mindestens sechs Jahren ununterbro-
Deshalb begrüßen wir es, dass die SPD in ihrem Gesetz- chen geduldet, gestattet oder mit einer Aufenthaltser-
entwurf eine Regelung ohne Stichtag vorschlägt. Aber laubnis aus humanitären Gründen hier aufhalten.
der Gesetzentwurf ist mit seinen zahlreichen Bedingun- Dies hat die SPD nun mittlerweile auch erkannt; das
gen ein Dokument des Misstrauens gegenüber den lang- ist begrüßenswert. Die SPD möchte eine stichtagsunab-
jährig Geduldeten. Es ist allerdings bemerkenswert, dass hängige Bleiberechtsregelung in das Aufenthaltsgesetz
die SPD jetzt so einen Entwurf vorlegt und Opposition einfügen. Dabei sollen die Voraussetzungen für die Er-
spielen will. Warum haben Sie so etwas nicht im teilung einer Aufenthaltserlaubnis auf Probe – bisher
Sommer vorgelegt, als Sie hier noch mit am Kabinetts- § 104 a Altfallregelung – weitestgehend übernommen
tisch saßen? Und auch zur FDP muss ich noch einen werden. Die Anforderungen an die Lebensunterhalts-
Satz sagen. 2006 haben Sie einem sehr weitgehenden sicherung sollen jedoch – ähnlich wie im jüngsten IMK-
Gesetzentwurf unserer Fraktion noch zugestimmt. Im Beschluss – abgesenkt werden. Ferner soll berücksich-
Wahlkampf haben Sie getönt, dass es eine Lösung für tigt werden, wenn Personen wegen Alter, Krankheit,
die langjährig Geduldeten geben muss. Aber danach war Behinderung oder Kinderbetreuung sich nicht um eigen-
von Ihnen nichts mehr zu hören. ständige Sicherung des Lebensunterhalts bemühen konn-
Wir sagen hingegen: Es ist unzumutbar, Menschen ten. Auch sollen Minderjährige, die sich hier integriert
nach jahrelangem Aufenthalt abzuschieben. Deshalb haben, und solche, die in Deutschland einen Schul-
muss eine dauerhafte Regelung allein an die Aufent- abschluss erworben haben, privilegiert werden.
haltsdauer anknüpfen. Dafür werden wir auch weiterhin All dies ist eine gute Diskussionsgrundlage für die
mit parlamentarischen Initiativen streiten. weiteren Beratungen im Innenausschuss. Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen wird im neuen Jahr ebenfalls ei-
Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- nen Vorschlag für eine Reform der gesetzlichen Bleibe-
NEN): „Und täglich grüßt das Murmeltier“ könnte man rechtsregelung vorlegen. Ich hoffe, dass es im Interesse
angesichts der immer wiederkehrenden Debatten über der vielen geduldeten Menschen gelingt, in den anste-
das Bleiberecht und die Vermeidung von Kettenduldun- henden Beratungen im Innenausschuss einen interfrak-
gen sagen. Heute beschäftigen wir uns mit einem Ge- tionellen Konsens zu erreichen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1067

(A) Anlage 7 (C)


Namensverzeichnis
der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl der Mitglieder des Parlamentarischen
Kontrollgremiums gemäß Art. 45 d des Grundgesetzes teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 5)

CDU/CSU Hermann Gröhe Dr. Hermann Kues Anita Schäfer (Saalstadt)


Michael Grosse-Brömer Dr. Karl A. Lamers Dr. Wolfgang Schäuble
Ilse Aigner
Astrid Grotelüschen (Heidelberg) Dr. Annette Schavan
Peter Altmaier
Markus Grübel Andreas G. Lämmel Dr. Andreas Scheuer
Peter Aumer
Manfred Grund Dr. Norbert Lammert Karl Schiewerling
Dorothee Bär
Monika Grütters Katharina Landgraf Norbert Schindler
Thomas Bareiß
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Ulrich Lange Tankred Schipanski
Norbert Barthle Guttenberg Dr. Max Lehmer
Günter Baumann Georg Schirmbeck
Olav Gutting Paul Lehrieder Christian Schmidt (Fürth)
Ernst-Reinhard Beck Florian Hahn Dr. Ursula von der Leyen
(Reutlingen) Patrick Schnieder
Holger Haibach Ingbert Liebing Dr. Andreas Schockenhoff
Manfred Behrens (Börde) Dr. Stephan Harbarth Matthias Lietz
Veronika Bellmann Dr. Ole Schröder
Jürgen Hardt Dr. Carsten Linnemann Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Christoph Bergner Gerda Hasselfeldt Patricia Lips
Peter Beyer Uwe Schummer
Dr. Matthias Heider Dr. Jan-Marco Luczak
Steffen Bilger Armin Schuster (Weil am
Mechthild Heil Dr. Michael Luther
Clemens Binninger Rhein)
Ursula Heinen-Esser Karin Maag
Peter Bleser Detlef Seif
Frank Heinrich Dr. Thomas de Maizière
Dr. Maria Böhmer Rudolf Henke Hans-Georg von der Marwitz Johannes Selle
Wolfgang Börnsen Michael Hennrich Andreas Mattfeldt Reinhold Sendker
(Bönstrup) Ansgar Heveling Stephan Mayer (Altötting) Dr. Patrick Sensburg
Wolfgang Bosbach Ernst Hinsken Dr. Michael Meister Thomas Silberhorn
Norbert Brackmann Peter Hintze Dr. Angela Merkel Johannes Singhammer
Klaus Brähmig Christian Hirte Maria Michalk Jens Spahn
Michael Brand Robert Hochbaum Dr. h. c. Hans Michelbach Carola Stauche
Dr. Reinhard Brandl Karl Holmeier Dr. Mathias Middelberg Dr. Frank Steffel
Helmut Brandt Franz-Josef Holzenkamp Philipp Mißfelder Erika Steinbach
(B) Dr. Ralf Brauksiepe Joachim Hörster Dietrich Monstadt Christian Freiherr von Stetten (D)
Dr. Helge Braun Anette Hübinger Marlene Mortler Dieter Stier
Heike Brehmer Thomas Jarzombek Dr. Gerd Müller Gero Storjohann
Ralph Brinkhaus Dr. Dieter Jasper Stefan Müller (Erlangen) Stephan Stracke
Gitta Connemann Dr. Franz Josef Jung Nadine Müller (St. Wendel) Max Straubinger
Alexander Dobrindt Andreas Jung (Konstanz) Dr. Philipp Murmann Karin Strenz
Thomas Dörflinger Dr. Egon Jüttner Bernd Neumann (Bremen) Thomas Strobl (Heilbronn)
Marie-Luise Dött Bartholomäus Kalb Michaela Noll Lena Strothmann
Dr. Thomas Feist Steffen Kampeter Franz Obermeier Michael Stübgen
Enak Ferlemann Alois Karl Eduard Oswald Dr. Peter Tauber
Ingrid Fischbach Bernhard Kaster Henning Otte Antje Tillmann
Hartwig Fischer (Göttingen) Volker Kauder Dr. Michael Paul Dr. Hans-Peter Uhl
Dirk Fischer (Hamburg) Siegfried Kauder (Villingen- Rita Pawelski Arnold Vaatz
Axel E. Fischer (Karlsruhe- Schwenningen) Ulrich Petzold Volkmar Vogel (Kleinsaara)
Land) Dr. Stefan Kaufmann Dr. Joachim Pfeiffer Stefanie Vogelsang
Dr. Maria Flachsbarth Roderich Kiesewetter Sibylle Pfeiffer
Herbert Frankenhauser Andrea Astrid Voßhoff
Eckart von Klaeden Beatrix Philipp
Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Johann Wadephul
Volkmar Klein Ronald Pofalla
(Hof) Marco Wanderwitz
Jürgen Klimke Christoph Poland
Michael Frieser Kai Wegner
Julia Klöckner Ruprecht Polenz
Erich G. Fritz Axel Knoerig Eckhard Pols Marcus Weinberg (Hamburg)
Dr. Michael Fuchs Jens Koeppen Lucia Puttrich Peter Weiß (Emmendingen)
Hans-Joachim Fuchtel Dr. Kristina Köhler Daniela Raab Sabine Weiss (Wesel I)
Alexander Funk (Wiesbaden) Thomas Rachel Ingo Wellenreuther
Ingo Gädechens Manfred Kolbe Eckhardt Rehberg Karl-Georg Wellmann
Dr. Peter Gauweiler Dr. Rolf Koschorrek Katherina Reiche (Potsdam) Peter Wichtel
Dr. Thomas Gebhart Hartmut Koschyk Lothar Riebsamen Annette Widmann-Mauz
Norbert Geis Thomas Kossendey Josef Rief Klaus-Peter Willsch
Alois Gerig Michael Kretschmer Klaus Riegert Elisabeth Winkelmeier-
Eberhard Gienger Gunther Krichbaum Dr. Heinz Riesenhuber Becker
Josef Göppel Dr. Günter Krings Johannes Röring Dagmar Wöhrl
Peter Götz Dr. Martina Krogmann Dr. Christian Ruck Dr. Matthias Zimmer
Dr. Wolfgang Götzer Rüdiger Kruse Erwin Josef Rüddel Wolfgang Zöller
Reinhard Grindel Bettina Kudla Albert Rupprecht (Weiden) Willi Zylajew
1068 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

(A) SPD Fritz Rudolf Körper Uta Zapf Burkhardt Müller-Sönksen (C)
Anette Kramme Dagmar Ziegler Dr. Martin Neumann
Ingrid Arndt-Brauer
Nicolette Kressl Manfred Zöllmer (Lausitz)
Rainer Arnold
Angelika Krüger-Leißner Brigitte Zypries Dirk Niebel
Heinz-Joachim Barchmann
Ute Kumpf Hans-Joachim Otto
Doris Barnett
Christine Lambrecht FDP (Frankfurt)
Dr. Hans-Peter Bartels
Christian Lange (Backnang) Cornelia Pieper
Klaus Barthel Jens Ackermann
Dr. Karl Lauterbach Gisela Piltz
Sören Bartol Christian Ahrendt
Steffen-Claudio Lemme Dr. Birgit Reinemund
Sabine Bätzing Christine Aschenberg-
Burkhard Lischka Dr. Peter Röhlinger
Dirk Becker Dugnus
Gabriele Lösekrug-Möller Dr. Stefan Ruppert
Uwe Beckmeyer Daniel Bahr (Münster)
Kirsten Lühmann Björn Sänger
Lothar Binding (Heidelberg) Florian Bernschneider
Caren Marks Frank Schäffler
Gerd Bollmann Sebastian Blumenthal
Katja Mast Christoph Schnurr
Klaus Brandner Claudia Bögel
Hilde Mattheis Jimmy Schulz
Willi Brase Nicole Bracht-Bendt
Petra Merkel (Berlin) Marina Schuster
Bernhard Brinkmann Klaus Breil
Ullrich Meßmer Dr. Erik Schweickert
(Hildesheim) Rainer Brüderle
Franz Müntefering Werner Simmling
Edelgard Bulmahn Angelika Brunkhorst
Dietmar Nietan Judith Skudelny
Ulla Burchardt Ernst Burgbacher
Manfred Nink Dr. Hermann Otto Solms
Martin Burkert Marco Buschmann
Thomas Oppermann Joachim Spatz
Petra Crone Sylvia Canel
Holger Ortel Dr. Max Stadler
Dr. Peter Danckert Helga Daub
Heinz Paula Torsten Heiko Staffeldt
Martin Dörmann Reiner Deutschmann
Johannes Pflug Dr. Rainer Stinner
Elvira Drobinski-Weiß Dr. Bijan Djir-Sarai
Joachim Poß Carl-Ludwig Thiele
Garrelt Duin Patrick Döring
Dr. Wilhelm Priesmeier Stephan Thomae
Sebastian Edathy Mechthild Dyckmans
Florian Pronold Florian Toncar
Siegmund Ehrmann Rainer Erdel
Dr. Sascha Raabe Serkan Tören
Dr. h. c. Gernot Erler Jörg van Essen
Mechthild Rawert Johannes Vogel
Petra Ernstberger Ulrike Flach
Gerold Reichenbach (Lüdenscheid)
Karin Evers-Meyer Otto Fricke
Dr. Carola Reimann Dr. Daniel Volk
Elke Ferner Paul K. Friedhoff
Sönke Rix Dr. Guido Westerwelle
Gabriele Fograscher Dr. Wolfgang Gerhardt
René Röspel Dr. Claudia Winterstein
Dr. Edgar Franke Hans-Michael Goldmann
Dr. Ernst Dieter Rossmann Dr. Volker Wissing
Dagmar Freitag Heinz Golombeck
Karin Roth (Esslingen) Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
(B) Peter Friedrich Miriam Gruß (D)
Sigmar Gabriel Michael Roth (Heringen) Joachim Günther (Plauen)
Marlene Rupprecht DIE LINKE
Michael Gerdes Dr. Christel Happach-Kasan
Martin Gerster (Tuchenbach) Heinz-Peter Haustein Jan van Aken
Iris Gleicke Anton Schaaf Manuel Höferlin Dr. Dietmar Bartsch
Günter Gloser Axel Schäfer (Bochum) Elke Hoff Matthias W. Birkwald
Ulrike Gottschalck Bernd Scheelen Birgit Homburger Steffen Bockhahn
Angelika Graf (Rosenheim) Marianne Schieder Dr. Werner Hoyer Dr. Martina Bunge
Michael Groschek (Schwandorf) Heiner Kamp Roland Claus
Michael Groß Werner Schieder (Weiden) Michael Kauch Dr. Diether Dehm
Wolfgang Gunkel Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Lutz Knopek Dr. Dagmar Enkelmann
Hans-Joachim Hacker Carsten Schneider (Erfurt) Pascal Kober Wolfgang Gehrcke
Bettina Hagedorn Olaf Scholz Dr. Heinrich L. Kolb Diana Golze
Klaus Hagemann Ottmar Schreiner Hellmut Königshaus Dr. Gregor Gysi
Michael Hartmann Swen Schulz (Spandau) Gudrun Kopp Heike Hänsel
(Wackernheim) Ewald Schurer Dr. h. c. Jürgen Koppelin Dr. Rosemarie Hein
Hubertus Heil (Peine) Dr. Angelica Schwall-Düren Inge Höger
Sebastian Körber
Dr. Martin Schwanholz Dr. Barbara Höll
Rolf Hempelmann Patrick Kurth (Kyffhäuser)
Rolf Schwanitz Andrej Konstantin Hunko
Dr. Barbara Hendricks Heinz Lanfermann
Ulla Jelpke
Gustav Herzog Stefan Schwartze Sibylle Laurischk Dr. Lukrezia Jochimsen
Gabriele Hiller-Ohm Dr. Carsten Sieling Harald Leibrecht Katja Kipping
Petra Hinz (Essen) Sonja Steffen Sabine Leutheusser- Harald Koch
Frank Hofmann (Volkach) Peer Steinbrück Schnarrenberger Jan Korte
Dr. Eva Högl Dr. Frank-Walter Steinmeier Lars Lindemann Jutta Krellmann
Christel Humme Christoph Strässer Christian Lindner Katrin Kunert
Josip Juratovic Kerstin Tack Dr. Martin Lindner (Berlin) Caren Lay
Oliver Kaczmarek Dr. h. c. Wolfgang Thierse Michael Link (Heilbronn) Ralph Lenkert
Johannes Kahrs Rüdiger Veit Dr. Erwin Lotter Michael Leutert
Dr. h. c. Susanne Kastner Ute Vogt Oliver Luksic Stefan Liebich
Ulrich Kelber Dr. Marlies Volkmer Horst Meierhofer Ulla Lötzer
Lars Klingbeil Heidemarie Wieczorek-Zeul Patrick Meinhardt Dr. Gesine Lötzsch
Hans-Ulrich Klose Dr. Dieter Wiefelspütz Gabriele Molitor Thomas Lutze
Dr. Bärbel Kofler Waltraud Wolff Jan Mücke Dorothée Menzner
Daniela Kolbe (Leipzig) (Wolmirstedt) Petra Müller (Aachen) Kornelia Möller
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1069

(A) Niema Movassat BÜNDNIS 90/ Ingrid Hönlinger Dr. Konstantin von Notz (C)
Wolfgang Nešković DIE GRÜNEN Thilo Hoppe Omid Nouripour
Thomas Nord Uwe Kekeritz Friedrich Ostendorff
Kerstin Andreae
Petra Pau Katja Keul Lisa Paus
Marieluise Beck (Bremen)
Jens Petermann Memet Kilic Brigitte Pothmer
Richard Pitterle Volker Beck (Köln)
Cornelia Behm Sven Kindler Tabea Rößner
Ingrid Remmers Maria Klein-Schmeink Claudia Roth (Augsburg)
Paul Schäfer (Köln) Birgitt Bender
Alexander Bonde Ute Koczy Manuel Sarrazin
Dr. Ilja Seifert Thomas Koenigs Elisabeth Scharfenberg
Kathrin Senger-Schäfer Viola von Cramon-Taubadel
Ekin Deligöz Sylvia Kotting-Uhl Christine Scheel
Raju Sharma
Katja Dörner Oliver Krischer Dr. Gerhard Schick
Dr. Petra Sitte
Hans-Josef Fell Agnes Krumwiede Dr. Frithjof Schmidt
Kersten Steinke
Sabine Stüber Dr. Thomas Gambke Fritz Kuhn Dorothea Steiner
Alexander Süßmair Kai Gehring Stephan Kühn Hans-Christian Ströbele
Dr. Kirsten Tackmann Katrin Göring-Eckardt Renate Künast Dr. Harald Terpe
Frank Tempel Britta Haßelmann Markus Kurth Markus Tressel
Dr. Axel Troost Bettina Herlitzius Undine Kurth (Quedlinburg) Jürgen Trittin
Alexander Ulrich Winfried Hermann Monika Lazar Daniela Wagner
Halina Wawzyniak Priska Hinz (Herborn) Nicole Maisch Wolfgang Wieland
Harald Weinberg Ulrike Höfken Kerstin Müller (Köln) Dr. Valerie Wilms
Jörn Wunderlich Dr. Anton Hofreiter Beate Müller-Gemmeke Josef Philip Winkler

Anlage 8
Namensverzeichnis
der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl der Mitglieder des Wahlausschusses gemäß
(B) § 6 Absatz 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 8 e) (D)

CDU/CSU Gitta Connemann Dr. Wolfgang Götzer Anette Hübinger


Leo Dautzenberg Reinhard Grindel Thomas Jarzombek
Ilse Aigner
Alexander Dobrindt Hermann Gröhe Dr. Dieter Jasper
Peter Altmaier
Peter Aumer Thomas Dörflinger Michael Grosse-Brömer Dr. Franz Josef Jung
Dorothee Bär Marie-Luise Dött Astrid Grotelüschen Andreas Jung (Konstanz)
Thomas Bareiß Dr. Thomas Feist Markus Grübel Dr. Egon Jüttner
Norbert Barthle Enak Ferlemann Manfred Grund Bartholomäus Kalb
Günter Baumann Ingrid Fischbach Monika Grütters Steffen Kampeter
Ernst-Reinhard Beck Hartwig Fischer (Göttingen) Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Alois Karl
(Reutlingen) Dirk Fischer (Hamburg) Guttenberg Bernhard Kaster
Manfred Behrens (Börde) Axel E. Fischer (Karlsruhe- Olav Gutting Volker Kauder
Veronika Bellmann Land) Florian Hahn Siegfried Kauder (Villingen-
Dr. Christoph Bergner Dr. Maria Flachsbarth Holger Haibach Schwenningen)
Peter Beyer Klaus-Peter Flosbach Dr. Stephan Harbarth Dr. Stefan Kaufmann
Steffen Bilger Herbert Frankenhauser Jürgen Hardt Roderich Kiesewetter
Clemens Binninger Dr. Hans-Peter Friedrich Gerda Hasselfeldt Eckart von Klaeden
Peter Bleser (Hof) Dr. Matthias Heider Volkmar Klein
Dr. Maria Böhmer Michael Frieser Mechthild Heil Jürgen Klimke
Wolfgang Börnsen Erich G. Fritz Ursula Heinen-Esser Julia Klöckner
(Bönstrup) Dr. Michael Fuchs Frank Heinrich Axel Knoerig
Wolfgang Bosbach Hans-Joachim Fuchtel Rudolf Henke Jens Koeppen
Norbert Brackmann Alexander Funk Michael Hennrich Dr. Kristina Köhler
Klaus Brähmig Ingo Gädechens Ansgar Heveling (Wiesbaden)
Michael Brand Dr. Peter Gauweiler Ernst Hinsken Manfred Kolbe
Dr. Reinhard Brandl Dr. Thomas Gebhart Peter Hintze Dr. Rolf Koschorrek
Helmut Brandt Norbert Geis Christian Hirte Hartmut Koschyk
Dr. Ralf Brauksiepe Alois Gerig Robert Hochbaum Thomas Kossendey
Dr. Helge Braun Eberhard Gienger Karl Holmeier Michael Kretschmer
Heike Brehmer Josef Göppel Franz-Josef Holzenkamp Gunther Krichbaum
Ralph Brinkhaus Peter Götz Joachim Hörster Dr. Günter Krings
1070 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

(A) Dr. Martina Krogmann Dr. Andreas Scheuer Gerd Bollmann Katja Mast (C)
Rüdiger Kruse Karl Schiewerling Klaus Brandner Hilde Mattheis
Bettina Kudla Norbert Schindler Willi Brase Petra Merkel (Berlin)
Dr. Hermann Kues Tankred Schipanski Bernhard Brinkmann Ullrich Meßmer
Günter Lach Georg Schirmbeck (Hildesheim) Franz Müntefering
Dr. Karl A. Lamers Christian Schmidt (Fürth) Edelgard Bulmahn Dietmar Nietan
(Heidelberg) Patrick Schnieder Ulla Burchardt Manfred Nink
Andreas G. Lämmel Dr. Andreas Schockenhoff Martin Burkert Thomas Oppermann
Dr. Norbert Lammert Dr. Ole Schröder Petra Crone Holger Ortel
Katharina Landgraf Bernhard Schulte-Drüggelte Dr. Peter Danckert Aydan Özoğuz
Ulrich Lange Uwe Schummer Martin Dörmann Heinz Paula
Dr. Max Lehmer Armin Schuster (Weil am Elvira Drobinski-Weiß Johannes Pflug
Paul Lehrieder Rhein) Garrelt Duin Joachim Poß
Dr. Ursula von der Leyen Detlef Seif Sebastian Edathy Dr. Wilhelm Priesmeier
Ingbert Liebing Johannes Selle Siegmund Ehrmann Florian Pronold
Matthias Lietz Reinhold Sendker Dr. h. c. Gernot Erler Dr. Sascha Raabe
Dr. Carsten Linnemann Dr. Patrick Sensburg Petra Ernstberger Mechthild Rawert
Patricia Lips Thomas Silberhorn Elke Ferner Gerold Reichenbach
Dr. Jan-Marco Luczak Johannes Singhammer Gabriele Fograscher Dr. Carola Reimann
Dr. Michael Luther Jens Spahn Dr. Edgar Franke Sönke Rix
Karin Maag Carola Stauche Dagmar Freitag René Röspel
Dr. Thomas de Maizière Dr. Frank Steffel Peter Friedrich Dr. Ernst Dieter Rossmann
Hans-Georg von der Marwitz Erika Steinbach Sigmar Gabriel Karin Roth (Esslingen)
Andreas Mattfeldt Christian Freiherr von Stetten Michael Gerdes Michael Roth (Heringen)
Stephan Mayer (Altötting) Dieter Stier Martin Gerster Marlene Rupprecht
Dr. Michael Meister Gero Storjohann Iris Gleicke (Tuchenbach)
Maria Michalk Stephan Stracke Günter Gloser Anton Schaaf
Dr. h. c. Hans Michelbach Max Straubinger Ulrike Gottschalck Axel Schäfer (Bochum)
Dr. Mathias Middelberg Karin Strenz Angelika Graf (Rosenheim) Bernd Scheelen
Philipp Mißfelder Thomas Strobl (Heilbronn) Michael Groschek Dr. Hermann Scheer
Dietrich Monstadt Lena Strothmann Michael Groß Werner Schieder (Weiden)
Marlene Mortler Michael Stübgen Wolfgang Gunkel Ulla Schmidt (Aachen)
Dr. Gerd Müller Dr. Peter Tauber Hans-Joachim Hacker Carsten Schneider (Erfurt)
Stefan Müller (Erlangen) Antje Tillmann Bettina Hagedorn Olaf Scholz
Nadine Müller (St. Wendel) Dr. Hans-Peter Uhl Klaus Hagemann Ottmar Schreiner
(B) Arnold Vaatz Swen Schulz (Spandau) (D)
Dr. Philipp Murmann Michael Hartmann
Bernd Neumann (Bremen) Volkmar Vogel (Kleinsaara) (Wackernheim) Ewald Schurer
Michaela Noll Stefanie Vogelsang Hubertus Heil (Peine) Dr. Angelica Schwall-Düren
Dr. Georg Nüßlein Andrea Astrid Voßhoff Rolf Hempelmann Dr. Martin Schwanholz
Franz Obermeier Dr. Johann Wadephul Dr. Barbara Hendricks Rolf Schwanitz
Eduard Oswald Marco Wanderwitz Gustav Herzog Stefan Schwartze
Henning Otte Kai Wegner Gabriele Hiller-Ohm Dr. Carsten Sieling
Dr. Michael Paul Marcus Weinberg (Hamburg) Petra Hinz (Essen) Sonja Steffen
Rita Pawelski Peter Weiß (Emmendingen) Frank Hofmann (Volkach) Peer Steinbrück
Ulrich Petzold Sabine Weiss (Wesel I) Dr. Eva Högl Dr. Frank-Walter Steinmeier
Dr. Joachim Pfeiffer Ingo Wellenreuther Christel Humme Christoph Strässer
Sibylle Pfeiffer Karl-Georg Wellmann Josip Juratovic Kerstin Tack
Beatrix Philipp Peter Wichtel Oliver Kaczmarek Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Ronald Pofalla Annette Widmann-Mauz Johannes Kahrs Wolfgang Tiefensee
Christoph Poland Klaus-Peter Willsch Dr. h. c. Susanne Kastner Rüdiger Veit
Ruprecht Polenz Elisabeth Winkelmeier- Ulrich Kelber Ute Vogt
Eckhard Pols Becker Lars Klingbeil Dr. Marlies Volkmer
Lucia Puttrich Dagmar Wöhrl Hans-Ulrich Klose Heidemarie Wieczorek-Zeul
Daniela Raab Dr. Matthias Zimmer Dr. Bärbel Kofler Dr. Dieter Wiefelspütz
Thomas Rachel Wolfgang Zöller Daniela Kolbe (Leipzig) Uta Zapf
Eckhardt Rehberg Willi Zylajew Fritz Rudolf Körper Dagmar Ziegler
Katherina Reiche (Potsdam) Anette Kramme Manfred Zöllmer
Lothar Riebsamen SPD Nicolette Kressl Brigitte Zypries
Josef Rief Ingrid Arndt-Brauer Angelika Krüger-Leißner
Klaus Riegert Ute Kumpf FDP
Rainer Arnold
Dr. Heinz Riesenhuber Heinz-Joachim Barchmann Christine Lambrecht Jens Ackermann
Johannes Röring Doris Barnett Christian Lange (Backnang) Christian Ahrendt
Dr. Christian Ruck Dr. Hans-Peter Bartels Dr. Karl Lauterbach Christine Aschenberg-
Erwin Josef Rüddel Klaus Barthel Steffen-Claudio Lemme Dugnus
Albert Rupprecht (Weiden) Sören Bartol Burkhard Lischka Daniel Bahr (Münster)
Anita Schäfer (Saalstadt) Sabine Bätzing Gabriele Lösekrug-Möller Florian Bernschneider
Dr. Wolfgang Schäuble Dirk Becker Kirsten Lühmann Sebastian Blumenthal
Dr. Annette Schavan Lothar Binding (Heidelberg) Caren Marks Claudia Bögel
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1071

(A) Nicole Bracht-Bendt Dirk Niebel Andrej Konstantin Hunko Kai Gehring (C)
Klaus Breil Hans-Joachim Otto Ulla Jelpke Katrin Göring-Eckardt
Rainer Brüderle (Frankfurt) Dr. Lukrezia Jochimsen Britta Haßelmann
Angelika Brunkhorst Cornelia Pieper Katja Kipping Bettina Herlitzius
Ernst Burgbacher Gisela Piltz Harald Koch Winfried Hermann
Marco Buschmann Dr. Birgit Reinemund Jan Korte Priska Hinz (Herborn)
Sylvia Canel Dr. Peter Röhlinger Jutta Krellmann Ulrike Höfken
Helga Daub Dr. Stefan Ruppert Katrin Kunert Dr. Anton Hofreiter
Reiner Deutschmann Björn Sänger Caren Lay Ingrid Hönlinger
Dr. Bijan Djir-Sarai Frank Schäffler Sabine Leidig Thilo Hoppe
Patrick Döring Christoph Schnurr Ralph Lenkert
Uwe Kekeritz
Mechthild Dyckmans Jimmy Schulz Michael Leutert
Katja Keul
Rainer Erdel Marina Schuster Stefan Liebich
Dr. Erik Schweickert Memet Kilic
Jörg van Essen Ulla Lötzer
Werner Simmling Dr. Gesine Lötzsch Sven Kindler
Ulrike Flach
Judith Skudelny Thomas Lutze Maria Klein-Schmeink
Otto Fricke
Dr. Hermann Otto Solms Ulrich Maurer Ute Koczy
Paul K. Friedhoff
Dr. Wolfgang Gerhardt Joachim Spatz Dorothée Menzner Thomas Koenigs
Hans-Michael Goldmann Dr. Max Stadler Kornelia Möller Sylvia Kotting-Uhl
Heinz Golombeck Torsten Heiko Staffeldt Niema Movassat Oliver Krischer
Miriam Gruß Dr. Rainer Stinner Wolfgang Nešković Agnes Krumwiede
Joachim Günther (Plauen) Carl-Ludwig Thiele Thomas Nord Fritz Kuhn
Dr. Christel Happach-Kasan Stephan Thomae Petra Pau Stephan Kühn
Heinz-Peter Haustein Florian Toncar Jens Petermann Renate Künast
Manuel Höferlin Serkan Tören Richard Pitterle Markus Kurth
Elke Hoff Johannes Vogel Ingrid Remmers Undine Kurth (Quedlinburg)
Birgit Homburger (Lüdenscheid) Paul Schäfer (Köln) Monika Lazar
Dr. Werner Hoyer Dr. Daniel Volk Dr. Herbert Schui Nicole Maisch
Heiner Kamp Dr. Guido Westerwelle Dr. Ilja Seifert Agnes Malczak
Michael Kauch Dr. Claudia Winterstein Kathrin Senger-Schäfer Jerzy Montag
Dr. Lutz Knopek Dr. Volker Wissing Raju Sharma Kerstin Müller (Köln)
Pascal Kober Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Dr. Petra Sitte Beate Müller-Gemmeke
Dr. Heinrich L. Kolb Kersten Steinke
Dr. Konstantin von Notz
Hellmut Königshaus DIE LINKE Sabine Stüber
(B) Omid Nouripour (D)
Gudrun Kopp Jan van Aken Alexander Süßmair
Friedrich Ostendorff
Dr. h. c. Jürgen Koppelin Agnes Alpers Dr. Kirsten Tackmann
Frank Tempel Lisa Paus
Sebastian Körber Dr. Dietmar Bartsch Brigitte Pothmer
Patrick Kurth (Kyffhäuser) Herbert Behrens Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich Tabea Rößner
Heinz Lanfermann Karin Binder Claudia Roth (Augsburg)
Sibylle Laurischk Matthias W. Birkwald Kathrin Vogler
Sahra Wagenknecht Krista Sager
Harald Leibrecht Heidrun Bluhm
Halina Wawzyniak Manuel Sarrazin
Sabine Leutheusser- Steffen Bockhahn
Harald Weinberg Elisabeth Scharfenberg
Schnarrenberger Christine Buchholz
Jörn Wunderlich Christine Scheel
Lars Lindemann Dr. Martina Bunge
Christian Lindner Dr. Gerhard Schick
Roland Claus
Dr. Martin Lindner (Berlin) BÜNDNIS 90/ Dr. Frithjof Schmidt
Sevim Dağdelen
Michael Link (Heilbronn) DIE GRÜNEN Dorothea Steiner
Dr. Diether Dehm
Dr. Erwin Lotter Dr. Dagmar Enkelmann Kerstin Andreae Dr. Wolfgang Strengmann-
Oliver Luksic Wolfgang Gehrcke Marieluise Beck (Bremen) Kuhn
Horst Meierhofer Nicole Gohlke Volker Beck (Köln) Hans-Christian Ströbele
Patrick Meinhardt Diana Golze Cornelia Behm Dr. Harald Terpe
Gabriele Molitor Annette Groth Birgitt Bender Markus Tressel
Jan Mücke Dr. Gregor Gysi Alexander Bonde Jürgen Trittin
Petra Müller (Aachen) Heike Hänsel Viola von Cramon-Taubadel Daniela Wagner
Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Rosemarie Hein Katja Dörner Wolfgang Wieland
Dr. Martin Neumann Inge Höger Hans-Josef Fell Dr. Valerie Wilms
(Lausitz) Dr. Barbara Höll Dr. Thomas Gambke Josef Philip Winkler
1072 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

(A) Anlage 9 (C)


Namensverzeichnis
der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl der Mitglieder des Richterwahlausschusses
gemäß § 5 des Richterwahlgesetzes teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 8 f)

CDU/CSU Hermann Gröhe Dr. Hermann Kues Anita Schäfer (Saalstadt)


Michael Grosse-Brömer Günter Lach Dr. Wolfgang Schäuble
Ilse Aigner
Astrid Grotelüschen Dr. Karl A. Lamers Dr. Annette Schavan
Peter Altmaier
Markus Grübel (Heidelberg) Dr. Andreas Scheuer
Peter Aumer Manfred Grund Andreas G. Lämmel
Dorothee Bär Karl Schiewerling
Monika Grütters Dr. Norbert Lammert Norbert Schindler
Thomas Bareiß Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Katharina Landgraf
Norbert Barthle Tankred Schipanski
Guttenberg Ulrich Lange Georg Schirmbeck
Günter Baumann Olav Gutting Dr. Max Lehmer
Ernst-Reinhard Beck Christian Schmidt (Fürth)
Florian Hahn Paul Lehrieder Patrick Schnieder
(Reutlingen) Holger Haibach Dr. Ursula von der Leyen
Manfred Behrens (Börde) Dr. Andreas Schockenhoff
Dr. Stephan Harbarth Ingbert Liebing Dr. Ole Schröder
Veronika Bellmann Jürgen Hardt Matthias Lietz
Dr. Christoph Bergner Bernhard Schulte-Drüggelte
Gerda Hasselfeldt Dr. Carsten Linnemann
Peter Beyer Uwe Schummer
Dr. Matthias Heider Patricia Lips
Steffen Bilger Armin Schuster (Weil am
Mechthild Heil Dr. Jan-Marco Luczak
Clemens Binninger Rhein)
Ursula Heinen-Esser Dr. Michael Luther
Peter Bleser Detlef Seif
Frank Heinrich Karin Maag
Dr. Maria Böhmer Rudolf Henke Dr. Thomas de Maizière Johannes Selle
Wolfgang Börnsen Michael Hennrich Hans-Georg von der Marwitz Reinhold Sendker
(Bönstrup) Ansgar Heveling Andreas Mattfeldt Dr. Patrick Sensburg
Wolfgang Bosbach Ernst Hinsken Stephan Mayer (Altötting) Thomas Silberhorn
Norbert Brackmann Peter Hintze Dr. Michael Meister Johannes Singhammer
Klaus Brähmig Christian Hirte Maria Michalk Jens Spahn
Michael Brand Robert Hochbaum Dr. h. c. Hans Michelbach Carola Stauche
Dr. Reinhard Brandl Karl Holmeier Dr. Mathias Middelberg Dr. Frank Steffel
Helmut Brandt Franz-Josef Holzenkamp Philipp Mißfelder Erika Steinbach
(B) Dr. Ralf Brauksiepe Joachim Hörster Dietrich Monstadt Christian Freiherr von Stetten (D)
Heike Brehmer Anette Hübinger Marlene Mortler Dieter Stier
Ralph Brinkhaus Thomas Jarzombek Dr. Gerd Müller Gero Storjohann
Gitta Connemann Dr. Dieter Jasper Stefan Müller (Erlangen) Stephan Stracke
Leo Dautzenberg Dr. Franz Josef Jung Nadine Müller (St. Wendel) Max Straubinger
Alexander Dobrindt Andreas Jung (Konstanz) Dr. Philipp Murmann Karin Strenz
Thomas Dörflinger Dr. Egon Jüttner Bernd Neumann (Bremen) Thomas Strobl (Heilbronn)
Marie-Luise Dött Bartholomäus Kalb Michaela Noll Lena Strothmann
Dr. Thomas Feist Steffen Kampeter Dr. Georg Nüßlein Michael Stübgen
Enak Ferlemann Alois Karl Franz Obermeier Dr. Peter Tauber
Ingrid Fischbach Bernhard Kaster Eduard Oswald Antje Tillmann
Hartwig Fischer (Göttingen) Volker Kauder Henning Otte Dr. Hans-Peter Uhl
Dirk Fischer (Hamburg) Siegfried Kauder (Villingen- Dr. Michael Paul Arnold Vaatz
Axel E. Fischer (Karlsruhe- Schwenningen) Rita Pawelski Volkmar Vogel (Kleinsaara)
Land) Dr. Stefan Kaufmann Ulrich Petzold Stefanie Vogelsang
Dr. Maria Flachsbarth Roderich Kiesewetter Dr. Joachim Pfeiffer
Klaus-Peter Flosbach Andrea Astrid Voßhoff
Eckart von Klaeden Sibylle Pfeiffer
Herbert Frankenhauser Dr. Johann Wadephul
Volkmar Klein Beatrix Philipp
Dr. Hans-Peter Friedrich Marco Wanderwitz
Jürgen Klimke Ronald Pofalla
(Hof) Kai Wegner
Julia Klöckner Christoph Poland
Michael Frieser Axel Knoerig Ruprecht Polenz Marcus Weinberg (Hamburg)
Erich G. Fritz Jens Koeppen Eckhard Pols Peter Weiß (Emmendingen)
Dr. Michael Fuchs Dr. Kristina Köhler Lucia Puttrich Sabine Weiss (Wesel I)
Hans-Joachim Fuchtel (Wiesbaden) Daniela Raab Ingo Wellenreuther
Alexander Funk Manfred Kolbe Thomas Rachel Karl-Georg Wellmann
Ingo Gädechens Dr. Rolf Koschorrek Eckhardt Rehberg Peter Wichtel
Dr. Thomas Gebhart Hartmut Koschyk Katherina Reiche (Potsdam) Annette Widmann-Mauz
Norbert Geis Thomas Kossendey Lothar Riebsamen Klaus-Peter Willsch
Alois Gerig Michael Kretschmer Josef Rief Elisabeth Winkelmeier-
Eberhard Gienger Gunther Krichbaum Klaus Riegert Becker
Josef Göppel Dr. Günter Krings Dr. Heinz Riesenhuber Dagmar Wöhrl
Peter Götz Dr. Martina Krogmann Johannes Röring Dr. Matthias Zimmer
Dr. Wolfgang Götzer Rüdiger Kruse Dr. Christian Ruck Wolfgang Zöller
Reinhard Grindel Bettina Kudla Albert Rupprecht (Weiden) Willi Zylajew
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1073

(A) SPD Nicolette Kressl FDP Cornelia Pieper (C)


Angelika Krüger-Leißner Gisela Piltz
Ingrid Arndt-Brauer Jens Ackermann
Ute Kumpf Dr. Birgit Reinemund
Rainer Arnold Christian Ahrendt
Christine Lambrecht Dr. Peter Röhlinger
Heinz-Joachim Barchmann Christine Aschenberg-
Christian Lange (Backnang) Dr. Stefan Ruppert
Doris Barnett Dugnus
Dr. Karl Lauterbach Björn Sänger
Dr. Hans-Peter Bartels Daniel Bahr (Münster)
Steffen-Claudio Lemme Frank Schäffler
Klaus Barthel Florian Bernschneider
Burkhard Lischka Christoph Schnurr
Sören Bartol Sebastian Blumenthal
Gabriele Lösekrug-Möller Jimmy Schulz
Sabine Bätzing Nicole Bracht-Bendt
Kirsten Lühmann Marina Schuster
Dirk Becker Klaus Breil
Caren Marks Dr. Erik Schweickert
Lothar Binding (Heidelberg) Rainer Brüderle
Katja Mast Werner Simmling
Gerd Bollmann Angelika Brunkhorst
Hilde Mattheis Judith Skudelny
Klaus Brandner Ernst Burgbacher
Petra Merkel (Berlin) Dr. Hermann Otto Solms
Willi Brase Marco Buschmann
Ullrich Meßmer Joachim Spatz
Bernhard Brinkmann Sylvia Canel
Franz Müntefering Dr. Max Stadler
(Hildesheim) Helga Daub
Manfred Nink Torsten Heiko Staffeldt
Edelgard Bulmahn Reiner Deutschmann
Thomas Oppermann Dr. Rainer Stinner
Ulla Burchardt Dr. Bijan Djir-Sarai
Holger Ortel Carl-Ludwig Thiele
Martin Burkert Patrick Döring
Aydan Özoğuz Stephan Thomae
Petra Crone Mechthild Dyckmans
Heinz Paula Florian Toncar
Dr. Peter Danckert Rainer Erdel
Johannes Pflug Serkan Tören
Martin Dörmann Jörg van Essen
Joachim Poß Johannes Vogel
Elvira Drobinski-Weiß Ulrike Flach
Dr. Wilhelm Priesmeier (Lüdenscheid)
Garrelt Duin Otto Fricke
Florian Pronold Dr. Daniel Volk
Sebastian Edathy Paul K. Friedhoff
Dr. Sascha Raabe Dr. Guido Westerwelle
Siegmund Ehrmann Dr. Wolfgang Gerhardt
Mechthild Rawert Dr. Claudia Winterstein
Dr. h. c. Gernot Erler Hans-Michael Goldmann
Gerold Reichenbach Dr. Volker Wissing
Petra Ernstberger Heinz Golombeck
Dr. Carola Reimann Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Elke Ferner Miriam Gruß
Gabriele Fograscher Sönke Rix Joachim Günther (Plauen)
René Röspel DIE LINKE
Dr. Edgar Franke Dr. Christel Happach-Kasan
Dagmar Freitag Dr. Ernst Dieter Rossmann Heinz-Peter Haustein Jan van Aken
Peter Friedrich Karin Roth (Esslingen) Manuel Höferlin Agnes Alpers
Sigmar Gabriel Michael Roth (Heringen) Elke Hoff Dr. Dietmar Bartsch
(B) Michael Gerdes Marlene Rupprecht Birgit Homburger Herbert Behrens (D)
Martin Gerster (Tuchenbach) Dr. Werner Hoyer Karin Binder
Iris Gleicke Anton Schaaf Heiner Kamp Matthias W. Birkwald
Günter Gloser Axel Schäfer (Bochum) Michael Kauch Heidrun Bluhm
Ulrike Gottschalck Bernd Scheelen Dr. Lutz Knopek Steffen Bockhahn
Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Hermann Scheer Pascal Kober Christine Buchholz
Michael Groschek Werner Schieder (Weiden) Dr. Heinrich L. Kolb Dr. Martina Bunge
Michael Groß Ulla Schmidt (Aachen) Hellmut Königshaus Roland Claus
Wolfgang Gunkel Carsten Schneider (Erfurt) Gudrun Kopp Sevim Dağdelen
Hans-Joachim Hacker Olaf Scholz Dr. h. c. Jürgen Koppelin Dr. Diether Dehm
Bettina Hagedorn Ottmar Schreiner Sebastian Körber Dr. Dagmar Enkelmann
Klaus Hagemann Swen Schulz (Spandau) Patrick Kurth (Kyffhäuser) Wolfgang Gehrcke
Michael Hartmann Ewald Schurer Heinz Lanfermann Nicole Gohlke
(Wackernheim) Dr. Angelica Schwall-Düren Sibylle Laurischk Diana Golze
Hubertus Heil (Peine) Dr. Martin Schwanholz Harald Leibrecht Annette Groth
Rolf Hempelmann Rolf Schwanitz Sabine Leutheusser- Dr. Gregor Gysi
Dr. Barbara Hendricks Stefan Schwartze Schnarrenberger Heike Hänsel
Gustav Herzog Dr. Carsten Sieling Lars Lindemann Dr. Rosemarie Hein
Gabriele Hiller-Ohm Sonja Steffen Christian Lindner Inge Höger
Petra Hinz (Essen) Peer Steinbrück Dr. Martin Lindner (Berlin) Dr. Barbara Höll
Frank Hofmann (Volkach) Dr. Frank-Walter Steinmeier Michael Link (Heilbronn) Andrej Konstantin Hunko
Dr. Eva Högl Christoph Strässer Dr. Erwin Lotter Ulla Jelpke
Christel Humme Kerstin Tack Oliver Luksic Dr. Lukrezia Jochimsen
Josip Juratovic Dr. h. c. Wolfgang Thierse Horst Meierhofer Katja Kipping
Oliver Kaczmarek Wolfgang Tiefensee Patrick Meinhardt Harald Koch
Johannes Kahrs Rüdiger Veit Gabriele Molitor Jan Korte
Dr. h. c. Susanne Kastner Ute Vogt Jan Mücke Jutta Krellmann
Ulrich Kelber Dr. Marlies Volkmer Petra Müller (Aachen) Katrin Kunert
Lars Klingbeil Heidemarie Wieczorek-Zeul Burkhardt Müller-Sönksen Caren Lay
Hans-Ulrich Klose Dr. Dieter Wiefelspütz Dr. Martin Neumann Sabine Leidig
Dr. Bärbel Kofler Uta Zapf (Lausitz) Ralph Lenkert
Daniela Kolbe (Leipzig) Dagmar Ziegler Dirk Niebel Michael Leutert
Fritz Rudolf Körper Manfred Zöllmer Hans-Joachim Otto Stefan Liebich
Anette Kramme Brigitte Zypries (Frankfurt) Ulla Lötzer
1074 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

(A) Dr. Gesine Lötzsch Kathrin Vogler Dr. Anton Hofreiter Omid Nouripour (C)
Thomas Lutze Sahra Wagenknecht Ingrid Hönlinger Friedrich Ostendorff
Ulrich Maurer Halina Wawzyniak Thilo Hoppe Lisa Paus
Dorothée Menzner Harald Weinberg Uwe Kekeritz Brigitte Pothmer
Kornelia Möller Jörn Wunderlich Katja Keul Tabea Rößner
Niema Movassat Memet Kilic
BÜNDNIS 90/ Claudia Roth (Augsburg)
Wolfgang Nešković Sven Kindler
Thomas Nord DIE GRÜNEN Maria Klein-Schmeink Krista Sager
Petra Pau Ute Koczy Manuel Sarrazin
Kerstin Andreae
Jens Petermann Thomas Koenigs Elisabeth Scharfenberg
Marieluise Beck (Bremen)
Richard Pitterle Volker Beck (Köln) Sylvia Kotting-Uhl Christine Scheel
Ingrid Remmers Cornelia Behm Oliver Krischer Dr. Gerhard Schick
Paul Schäfer (Köln) Birgitt Bender Agnes Krumwiede Dr. Frithjof Schmidt
Dr. Herbert Schui Alexander Bonde Fritz Kuhn Dorothea Steiner
Dr. Ilja Seifert Viola von Cramon-Taubadel Stephan Kühn Dr. Wolfgang Strengmann-
Kathrin Senger-Schäfer Katja Dörner Renate Künast Kuhn
Raju Sharma Hans-Josef Fell Markus Kurth Hans-Christian Ströbele
Dr. Petra Sitte Dr. Thomas Gambke Undine Kurth (Quedlinburg) Dr. Harald Terpe
Kersten Steinke Kai Gehring Monika Lazar
Markus Tressel
Sabine Stüber Katrin Göring-Eckardt Nicole Maisch
Alexander Süßmair Agnes Malczak Jürgen Trittin
Britta Haßelmann
Dr. Kirsten Tackmann Bettina Herlitzius Jerzy Montag Daniela Wagner
Frank Tempel Winfried Hermann Kerstin Müller (Köln) Wolfgang Wieland
Dr. Axel Troost Priska Hinz (Herborn) Beate Müller-Gemmeke Dr. Valerie Wilms
Alexander Ulrich Ulrike Höfken Dr. Konstantin von Notz Josef Philip Winkler

Anlage 10
(B) (D)
Namensverzeichnis
der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl der Mitglieder des Vertrauensgremiums
gemäß § 10 a Abs. 2 der Bundeshaushaltsordnung teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 8 k)

CDU/CSU Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Thomas Gebhart Michael Hennrich


Dr. Helge Braun Norbert Geis Ansgar Heveling
Ilse Aigner
Heike Brehmer Alois Gerig Ernst Hinsken
Peter Altmaier
Ralph Brinkhaus Eberhard Gienger Peter Hintze
Peter Aumer Gitta Connemann Josef Göppel Christian Hirte
Dorothee Bär Leo Dautzenberg Peter Götz Robert Hochbaum
Thomas Bareiß Alexander Dobrindt Dr. Wolfgang Götzer Karl Holmeier
Norbert Barthle Thomas Dörflinger Reinhard Grindel Franz-Josef Holzenkamp
Günter Baumann Marie-Luise Dött Hermann Gröhe Joachim Hörster
Ernst-Reinhard Beck Dr. Thomas Feist Michael Grosse-Brömer Anette Hübinger
(Reutlingen) Enak Ferlemann Astrid Grotelüschen Thomas Jarzombek
Manfred Behrens (Börde) Ingrid Fischbach Markus Grübel Dr. Dieter Jasper
Veronika Bellmann Hartwig Fischer (Göttingen) Manfred Grund Dr. Franz Josef Jung
Dr. Christoph Bergner Dirk Fischer (Hamburg) Monika Grütters Andreas Jung (Konstanz)
Peter Beyer Axel E. Fischer (Karlsruhe- Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Dr. Egon Jüttner
Steffen Bilger Land) Guttenberg Bartholomäus Kalb
Clemens Binninger Dr. Maria Flachsbarth Olav Gutting Steffen Kampeter
Peter Bleser Klaus-Peter Flosbach Florian Hahn Alois Karl
Dr. Maria Böhmer Herbert Frankenhauser Holger Haibach Bernhard Kaster
Wolfgang Börnsen Dr. Hans-Peter Friedrich Dr. Stephan Harbarth Volker Kauder
(Bönstrup) (Hof) Jürgen Hardt Siegfried Kauder (Villingen-
Wolfgang Bosbach Michael Frieser Gerda Hasselfeldt Schwenningen)
Norbert Brackmann Erich G. Fritz Dr. Matthias Heider Dr. Stefan Kaufmann
Klaus Brähmig Dr. Michael Fuchs Mechthild Heil Roderich Kiesewetter
Michael Brand Hans-Joachim Fuchtel Ursula Heinen-Esser Eckart von Klaeden
Dr. Reinhard Brandl Alexander Funk Frank Heinrich Volkmar Klein
Helmut Brandt Ingo Gädechens Rudolf Henke Jürgen Klimke
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1075

(A) Julia Klöckner Katherina Reiche (Potsdam) SPD Nicolette Kressl (C)
Axel Knoerig Lothar Riebsamen Angelika Krüger-Leißner
Ingrid Arndt-Brauer
Jens Koeppen Josef Rief Ute Kumpf
Rainer Arnold
Dr. Kristina Köhler Klaus Riegert Christine Lambrecht
Heinz-Joachim Barchmann
(Wiesbaden) Dr. Heinz Riesenhuber Christian Lange (Backnang)
Doris Barnett
Manfred Kolbe Johannes Röring Dr. Karl Lauterbach
Dr. Hans-Peter Bartels
Dr. Rolf Koschorrek Dr. Christian Ruck Steffen-Claudio Lemme
Klaus Barthel
Hartmut Koschyk Erwin Josef Rüddel Burkhard Lischka
Sören Bartol
Thomas Kossendey Albert Rupprecht (Weiden) Gabriele Lösekrug-Möller
Sabine Bätzing
Michael Kretschmer Anita Schäfer (Saalstadt) Kirsten Lühmann
Dirk Becker
Gunther Krichbaum Dr. Wolfgang Schäuble Caren Marks
Lothar Binding (Heidelberg)
Dr. Günter Krings Dr. Annette Schavan Katja Mast
Gerd Bollmann
Dr. Martina Krogmann Dr. Andreas Scheuer Hilde Mattheis
Klaus Brandner
Rüdiger Kruse Karl Schiewerling Petra Merkel (Berlin)
Willi Brase
Bettina Kudla Norbert Schindler Ullrich Meßmer
Bernhard Brinkmann
Dr. Hermann Kues Tankred Schipanski Franz Müntefering
(Hildesheim)
Günter Lach Georg Schirmbeck Dietmar Nietan
Edelgard Bulmahn
Dr. Karl A. Lamers Christian Schmidt (Fürth) Manfred Nink
Martin Burkert
(Heidelberg) Patrick Schnieder Thomas Oppermann
Petra Crone Holger Ortel
Andreas G. Lämmel Dr. Andreas Schockenhoff Dr. Peter Danckert
Dr. Norbert Lammert Dr. Ole Schröder Aydan Özoğuz
Martin Dörmann Heinz Paula
Katharina Landgraf Bernhard Schulte-Drüggelte Elvira Drobinski-Weiß
Ulrich Lange Uwe Schummer Johannes Pflug
Garrelt Duin Joachim Poß
Dr. Max Lehmer Armin Schuster (Weil am Sebastian Edathy
Paul Lehrieder Rhein) Dr. Wilhelm Priesmeier
Siegmund Ehrmann Florian Pronold
Dr. Ursula von der Leyen Detlef Seif Dr. h. c. Gernot Erler
Ingbert Liebing Johannes Selle Dr. Sascha Raabe
Petra Ernstberger Mechthild Rawert
Matthias Lietz Reinhold Sendker Karin Evers-Meyer
Dr. Carsten Linnemann Dr. Patrick Sensburg Gerold Reichenbach
Elke Ferner Dr. Carola Reimann
Patricia Lips Thomas Silberhorn Gabriele Fograscher
Dr. Jan-Marco Luczak Johannes Singhammer Sönke Rix
Dr. Edgar Franke René Röspel
Dr. Michael Luther Jens Spahn Dagmar Freitag
Karin Maag Carola Stauche Dr. Ernst Dieter Rossmann
Peter Friedrich Karin Roth (Esslingen)
Dr. Thomas de Maizière Dr. Frank Steffel Sigmar Gabriel
Hans-Georg von der Marwitz Michael Roth (Heringen)
(B) Erika Steinbach Michael Gerdes (D)
Marlene Rupprecht
Andreas Mattfeldt Christian Freiherr von Stetten Martin Gerster (Tuchenbach)
Stephan Mayer (Altötting) Dieter Stier Iris Gleicke Anton Schaaf
Dr. Michael Meister Gero Storjohann Günter Gloser Axel Schäfer (Bochum)
Maria Michalk Stephan Stracke Ulrike Gottschalck Bernd Scheelen
Dr. h. c. Hans Michelbach Max Straubinger Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Hermann Scheer
Dr. Mathias Middelberg Karin Strenz Michael Groschek Werner Schieder (Weiden)
Philipp Mißfelder Thomas Strobl (Heilbronn) Michael Groß Ulla Schmidt (Aachen)
Dietrich Monstadt Lena Strothmann Wolfgang Gunkel Carsten Schneider (Erfurt)
Marlene Mortler Michael Stübgen Hans-Joachim Hacker Olaf Scholz
Dr. Gerd Müller Dr. Peter Tauber Bettina Hagedorn Ottmar Schreiner
Stefan Müller (Erlangen) Antje Tillmann Klaus Hagemann Swen Schulz (Spandau)
Nadine Müller (St. Wendel) Dr. Hans-Peter Uhl Michael Hartmann Ewald Schurer
Dr. Philipp Murmann Arnold Vaatz (Wackernheim) Dr. Angelica Schwall-Düren
Bernd Neumann (Bremen) Volkmar Vogel (Kleinsaara) Hubertus Heil (Peine) Dr. Martin Schwanholz
Michaela Noll Stefanie Vogelsang Rolf Hempelmann Rolf Schwanitz
Dr. Georg Nüßlein Andrea Astrid Voßhoff Dr. Barbara Hendricks Stefan Schwartze
Franz Obermeier Dr. Johann Wadephul Gustav Herzog Dr. Carsten Sieling
Eduard Oswald Marco Wanderwitz Gabriele Hiller-Ohm Sonja Steffen
Henning Otte Kai Wegner Petra Hinz (Essen) Peer Steinbrück
Dr. Michael Paul Marcus Weinberg (Hamburg) Frank Hofmann (Volkach) Dr. Frank-Walter Steinmeier
Rita Pawelski Peter Weiß (Emmendingen) Dr. Eva Högl Christoph Strässer
Ulrich Petzold Sabine Weiss (Wesel I) Christel Humme Kerstin Tack
Dr. Joachim Pfeiffer Ingo Wellenreuther Josip Juratovic Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Sibylle Pfeiffer Karl-Georg Wellmann Oliver Kaczmarek Wolfgang Tiefensee
Beatrix Philipp Peter Wichtel Johannes Kahrs Rüdiger Veit
Ronald Pofalla Annette Widmann-Mauz Dr. h. c. Susanne Kastner Ute Vogt
Christoph Poland Klaus-Peter Willsch Ulrich Kelber Dr. Marlies Volkmer
Ruprecht Polenz Elisabeth Winkelmeier- Lars Klingbeil Heidemarie Wieczorek-Zeul
Eckhard Pols Becker Hans-Ulrich Klose Dr. Dieter Wiefelspütz
Lucia Puttrich Dagmar Wöhrl Dr. Bärbel Kofler Uta Zapf
Daniela Raab Dr. Matthias Zimmer Daniela Kolbe (Leipzig) Dagmar Ziegler
Thomas Rachel Wolfgang Zöller Fritz Rudolf Körper Manfred Zöllmer
Eckhardt Rehberg Willi Zylajew Anette Kramme Brigitte Zypries
1076 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

(A) FDP Patrick Meinhardt Dr. Gregor Gysi Katja Dörner (C)
Gabriele Molitor Heike Hänsel Hans-Josef Fell
Jens Ackermann
Jan Mücke Dr. Rosemarie Hein Dr. Thomas Gambke
Christian Ahrendt
Petra Müller (Aachen) Inge Höger Kai Gehring
Christine Aschenberg-
Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Barbara Höll Katrin Göring-Eckardt
Dugnus
Dr. Martin Neumann Andrej Konstantin Hunko Britta Haßelmann
Daniel Bahr (Münster)
(Lausitz) Ulla Jelpke Bettina Herlitzius
Florian Bernschneider
Dirk Niebel Dr. Lukrezia Jochimsen Winfried Hermann
Sebastian Blumenthal
Hans-Joachim Otto Katja Kipping Priska Hinz (Herborn)
Claudia Bögel
(Frankfurt) Harald Koch Ulrike Höfken
Nicole Bracht-Bendt
Cornelia Pieper Jan Korte Dr. Anton Hofreiter
Klaus Breil
Gisela Piltz Jutta Krellmann Ingrid Hönlinger
Rainer Brüderle
Dr. Birgit Reinemund Katrin Kunert Thilo Hoppe
Angelika Brunkhorst
Dr. Peter Röhlinger Caren Lay Uwe Kekeritz
Ernst Burgbacher
Dr. Stefan Ruppert Sabine Leidig Katja Keul
Marco Buschmann
Björn Sänger Ralph Lenkert Memet Kilic
Sylvia Canel
Frank Schäffler Michael Leutert Sven Kindler
Helga Daub
Christoph Schnurr Stefan Liebich
Reiner Deutschmann Maria Klein-Schmeink
Jimmy Schulz Ulla Lötzer
Dr. Bijan Djir-Sarai Ute Koczy
Marina Schuster Dr. Gesine Lötzsch
Patrick Döring Thomas Koenigs
Dr. Erik Schweickert Thomas Lutze
Mechthild Dyckmans Sylvia Kotting-Uhl
Werner Simmling Ulrich Maurer
Rainer Erdel Oliver Krischer
Judith Skudelny Dorothée Menzner
Jörg van Essen Agnes Krumwiede
Dr. Hermann Otto Solms Kornelia Möller
Ulrike Flach Fritz Kuhn
Joachim Spatz Niema Movassat
Otto Fricke Stephan Kühn
Dr. Max Stadler Wolfgang Nešković
Paul K. Friedhoff Renate Künast
Torsten Heiko Staffeldt Thomas Nord
Dr. Wolfgang Gerhardt Markus Kurth
Dr. Rainer Stinner Petra Pau
Hans-Michael Goldmann Undine Kurth (Quedlinburg)
Carl-Ludwig Thiele Jens Petermann
Heinz Golombeck Monika Lazar
Stephan Thomae Richard Pitterle
Miriam Gruß Nicole Maisch
Florian Toncar Ingrid Remmers
Joachim Günther (Plauen) Agnes Malczak
Serkan Tören Paul Schäfer (Köln)
Dr. Christel Happach-Kasan Jerzy Montag
Johannes Vogel Dr. Herbert Schui
Heinz-Peter Haustein Kerstin Müller (Köln)
(Lüdenscheid) Dr. Ilja Seifert
Manuel Höferlin Beate Müller-Gemmeke
Dr. Daniel Volk Kathrin Senger-Schäfer
(B) Elke Hoff Dr. Konstantin von Notz (D)
Dr. Guido Westerwelle Raju Sharma
Birgit Homburger Omid Nouripour
Dr. Claudia Winterstein Dr. Petra Sitte
Dr. Werner Hoyer
Dr. Volker Wissing Kersten Steinke Friedrich Ostendorff
Heiner Kamp
Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Sabine Stüber Lisa Paus
Michael Kauch
Alexander Süßmair Brigitte Pothmer
Dr. Lutz Knopek
DIE LINKE Dr. Kirsten Tackmann Tabea Rößner
Pascal Kober
Frank Tempel Claudia Roth (Augsburg)
Dr. Heinrich L. Kolb Jan van Aken
Dr. Axel Troost Krista Sager
Hellmut Königshaus Agnes Alpers
Alexander Ulrich Manuel Sarrazin
Gudrun Kopp Dr. Dietmar Bartsch
Kathrin Vogler Elisabeth Scharfenberg
Dr. h. c. Jürgen Koppelin Herbert Behrens
Sahra Wagenknecht Christine Scheel
Sebastian Körber Karin Binder
Halina Wawzyniak Dr. Gerhard Schick
Patrick Kurth (Kyffhäuser) Matthias W. Birkwald
Harald Weinberg Dr. Frithjof Schmidt
Heinz Lanfermann Heidrun Bluhm
Jörn Wunderlich Dorothea Steiner
Sibylle Laurischk Steffen Bockhahn
Harald Leibrecht Christine Buchholz Dr. Wolfgang Strengmann-
BÜNDNIS 90/ Kuhn
Sabine Leutheusser- Dr. Martina Bunge
DIE GRÜNEN Hans-Christian Ströbele
Schnarrenberger Roland Claus
Lars Lindemann Sevim Dağdelen Kerstin Andreae Dr. Harald Terpe
Christian Lindner Dr. Diether Dehm Marieluise Beck (Bremen) Markus Tressel
Dr. Martin Lindner (Berlin) Dr. Dagmar Enkelmann Volker Beck (Köln) Jürgen Trittin
Michael Link (Heilbronn) Wolfgang Gehrcke Cornelia Behm Daniela Wagner
Dr. Erwin Lotter Nicole Gohlke Birgitt Bender Wolfgang Wieland
Oliver Luksic Diana Golze Alexander Bonde Dr. Valerie Wilms
Horst Meierhofer Annette Groth Viola von Cramon-Taubadel Josef Philip Winkler
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1077

(A) Anlage 11 (C)


Namensverzeichnis
der Mitglieder des Deutschen Bundestages, die an der Wahl der Mitglieder des Gremiums gemäß § 3 des
Bundesschuldenwesengesetzes teilgenommen haben (Tagesordnungspunkt 8 l)

CDU/CSU Michael Grosse-Brömer Günter Lach Anita Schäfer (Saalstadt)


Astrid Grotelüschen Dr. Karl A. Lamers Dr. Wolfgang Schäuble
Ilse Aigner
Markus Grübel (Heidelberg) Dr. Annette Schavan
Peter Altmaier
Manfred Grund Andreas G. Lämmel Dr. Andreas Scheuer
Peter Aumer
Monika Grütters Dr. Norbert Lammert Karl Schiewerling
Dorothee Bär Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Katharina Landgraf
Thomas Bareiß Norbert Schindler
Guttenberg Ulrich Lange Tankred Schipanski
Norbert Barthle Olav Gutting Dr. Max Lehmer
Günter Baumann Georg Schirmbeck
Florian Hahn Paul Lehrieder Christian Schmidt (Fürth)
Ernst-Reinhard Beck Holger Haibach Dr. Ursula von der Leyen
(Reutlingen) Patrick Schnieder
Dr. Stephan Harbarth Ingbert Liebing Dr. Andreas Schockenhoff
Manfred Behrens (Börde) Jürgen Hardt Matthias Lietz
Veronika Bellmann Dr. Ole Schröder
Gerda Hasselfeldt Dr. Carsten Linnemann Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Christoph Bergner Dr. Matthias Heider Patricia Lips
Peter Beyer Uwe Schummer
Mechthild Heil Dr. Jan-Marco Luczak
Steffen Bilger Armin Schuster (Weil am
Ursula Heinen-Esser Dr. Michael Luther
Clemens Binninger Rhein)
Frank Heinrich Karin Maag
Peter Bleser Detlef Seif
Rudolf Henke Dr. Thomas de Maizière
Dr. Maria Böhmer Michael Hennrich Hans-Georg von der Marwitz Johannes Selle
Wolfgang Börnsen Ansgar Heveling Andreas Mattfeldt Reinhold Sendker
(Bönstrup) Ernst Hinsken Stephan Mayer (Altötting) Dr. Patrick Sensburg
Wolfgang Bosbach Peter Hintze Dr. Michael Meister Thomas Silberhorn
Norbert Brackmann Christian Hirte Maria Michalk Johannes Singhammer
Klaus Brähmig Robert Hochbaum Dr. h. c. Hans Michelbach Jens Spahn
Michael Brand Karl Holmeier Dr. Mathias Middelberg Carola Stauche
Dr. Reinhard Brandl Franz-Josef Holzenkamp Philipp Mißfelder Dr. Frank Steffel
Helmut Brandt Joachim Hörster Dietrich Monstadt Erika Steinbach
(B) Dr. Ralf Brauksiepe Anette Hübinger Marlene Mortler Christian Freiherr von Stetten (D)
Dr. Helge Braun Thomas Jarzombek Dr. Gerd Müller Dieter Stier
Heike Brehmer Dr. Dieter Jasper Stefan Müller (Erlangen) Gero Storjohann
Ralph Brinkhaus Dr. Franz Josef Jung Nadine Müller (St. Wendel) Stephan Stracke
Gitta Connemann Andreas Jung (Konstanz) Dr. Philipp Murmann Max Straubinger
Leo Dautzenberg Dr. Egon Jüttner Bernd Neumann (Bremen) Karin Strenz
Alexander Dobrindt Bartholomäus Kalb Michaela Noll Thomas Strobl (Heilbronn)
Thomas Dörflinger Steffen Kampeter Dr. Georg Nüßlein Lena Strothmann
Marie-Luise Dött Alois Karl Franz Obermeier Michael Stübgen
Dr. Thomas Feist Bernhard Kaster Eduard Oswald Dr. Peter Tauber
Enak Ferlemann Volker Kauder Henning Otte Antje Tillmann
Ingrid Fischbach Siegfried Kauder (Villingen- Dr. Michael Paul Dr. Hans-Peter Uhl
Hartwig Fischer (Göttingen) Schwenningen) Rita Pawelski Arnold Vaatz
Dirk Fischer (Hamburg) Dr. Stefan Kaufmann Ulrich Petzold Volkmar Vogel (Kleinsaara)
Axel E. Fischer (Karlsruhe- Roderich Kiesewetter Dr. Joachim Pfeiffer
Land) Stefanie Vogelsang
Eckart von Klaeden Sibylle Pfeiffer Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Maria Flachsbarth Volkmar Klein Beatrix Philipp
Klaus-Peter Flosbach Dr. Johann Wadephul
Jürgen Klimke Ronald Pofalla
Herbert Frankenhauser Marco Wanderwitz
Julia Klöckner Christoph Poland
Michael Frieser Kai Wegner
Axel Knoerig Ruprecht Polenz
Erich G. Fritz Jens Koeppen Eckhard Pols Marcus Weinberg (Hamburg)
Dr. Michael Fuchs Dr. Kristina Köhler Lucia Puttrich Peter Weiß (Emmendingen)
Hans-Joachim Fuchtel (Wiesbaden) Daniela Raab Sabine Weiss (Wesel I)
Alexander Funk Manfred Kolbe Thomas Rachel Ingo Wellenreuther
Ingo Gädechens Dr. Rolf Koschorrek Eckhardt Rehberg Karl-Georg Wellmann
Dr. Thomas Gebhart Hartmut Koschyk Katherina Reiche (Potsdam) Peter Wichtel
Norbert Geis Thomas Kossendey Lothar Riebsamen Annette Widmann-Mauz
Alois Gerig Michael Kretschmer Josef Rief Klaus-Peter Willsch
Eberhard Gienger Gunther Krichbaum Klaus Riegert Elisabeth Winkelmeier-
Josef Göppel Dr. Günter Krings Dr. Heinz Riesenhuber Becker
Peter Götz Dr. Martina Krogmann Johannes Röring Dagmar Wöhrl
Dr. Wolfgang Götzer Rüdiger Kruse Dr. Christian Ruck Dr. Matthias Zimmer
Reinhard Grindel Bettina Kudla Erwin Josef Rüddel Wolfgang Zöller
Hermann Gröhe Dr. Hermann Kues Albert Rupprecht (Weiden) Willi Zylajew
1078 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009

(A) SPD Angelika Krüger-Leißner FDP Hans-Joachim Otto (C)


Ute Kumpf (Frankfurt)
Ingrid Arndt-Brauer Jens Ackermann
Christine Lambrecht Cornelia Pieper
Rainer Arnold Christian Ahrendt
Christian Lange (Backnang) Gisela Piltz
Heinz-Joachim Barchmann Christine Aschenberg-
Dr. Karl Lauterbach Dr. Birgit Reinemund
Doris Barnett Dugnus
Steffen-Claudio Lemme Dr. Peter Röhlinger
Dr. Hans-Peter Bartels Daniel Bahr (Münster)
Burkhard Lischka Dr. Stefan Ruppert
Klaus Barthel Florian Bernschneider
Gabriele Lösekrug-Möller Björn Sänger
Sören Bartol Sebastian Blumenthal
Sabine Bätzing Kirsten Lühmann Frank Schäffler
Caren Marks Claudia Bögel Christoph Schnurr
Dirk Becker Nicole Bracht-Bendt
Lothar Binding (Heidelberg) Katja Mast Jimmy Schulz
Hilde Mattheis Klaus Breil Marina Schuster
Gerd Bollmann Rainer Brüderle
Klaus Brandner Petra Merkel (Berlin) Dr. Erik Schweickert
Ullrich Meßmer Angelika Brunkhorst Werner Simmling
Willi Brase Ernst Burgbacher
Bernhard Brinkmann Franz Müntefering Judith Skudelny
Dietmar Nietan Marco Buschmann Dr. Hermann Otto Solms
(Hildesheim) Sylvia Canel
Edelgard Bulmahn Manfred Nink Joachim Spatz
Thomas Oppermann Helga Daub Dr. Max Stadler
Martin Burkert
Holger Ortel Reiner Deutschmann Torsten Heiko Staffeldt
Petra Crone
Aydan Özoğuz Dr. Bijan Djir-Sarai Dr. Rainer Stinner
Dr. Peter Danckert
Martin Dörmann Heinz Paula Patrick Döring Carl-Ludwig Thiele
Elvira Drobinski-Weiß Johannes Pflug Mechthild Dyckmans Stephan Thomae
Garrelt Duin Joachim Poß Rainer Erdel Florian Toncar
Sebastian Edathy Dr. Wilhelm Priesmeier Jörg van Essen Serkan Tören
Siegmund Ehrmann Florian Pronold Ulrike Flach Johannes Vogel
Dr. h. c. Gernot Erler Dr. Sascha Raabe Otto Fricke (Lüdenscheid)
Petra Ernstberger Mechthild Rawert Paul K. Friedhoff Dr. Daniel Volk
Karin Evers-Meyer Gerold Reichenbach Dr. Wolfgang Gerhardt Dr. Guido Westerwelle
Elke Ferner Dr. Carola Reimann Hans-Michael Goldmann Dr. Claudia Winterstein
Gabriele Fograscher Sönke Rix Heinz Golombeck Dr. Volker Wissing
Dr. Edgar Franke René Röspel Miriam Gruß Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Dagmar Freitag Dr. Ernst Dieter Rossmann Joachim Günther (Plauen)
Peter Friedrich Karin Roth (Esslingen) Dr. Christel Happach-Kasan DIE LINKE
Sigmar Gabriel Michael Roth (Heringen) Heinz-Peter Haustein
Marlene Rupprecht Jan van Aken
Michael Gerdes Manuel Höferlin
(B) Martin Gerster (Tuchenbach) Elke Hoff
Agnes Alpers (D)
Anton Schaaf Dr. Dietmar Bartsch
Iris Gleicke Birgit Homburger
Axel Schäfer (Bochum) Herbert Behrens
Günter Gloser Dr. Werner Hoyer
Bernd Scheelen Karin Binder
Ulrike Gottschalck Heiner Kamp
Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Hermann Scheer Matthias W. Birkwald
Michael Kauch Heidrun Bluhm
Michael Groschek Marianne Schieder Dr. Lutz Knopek
Michael Groß (Schwandorf) Steffen Bockhahn
Pascal Kober Christine Buchholz
Wolfgang Gunkel Ulla Schmidt (Aachen)
Dr. Heinrich L. Kolb Dr. Martina Bunge
Hans-Joachim Hacker Carsten Schneider (Erfurt)
Hellmut Königshaus Roland Claus
Bettina Hagedorn Olaf Scholz
Gudrun Kopp Sevim Dağdelen
Klaus Hagemann Ottmar Schreiner
Dr. h. c. Jürgen Koppelin Dr. Diether Dehm
Michael Hartmann Swen Schulz (Spandau)
Ewald Schurer Sebastian Körber Dr. Dagmar Enkelmann
(Wackernheim) Patrick Kurth (Kyffhäuser)
Hubertus Heil (Peine) Dr. Angelica Schwall-Düren Wolfgang Gehrcke
Dr. Martin Schwanholz Heinz Lanfermann Nicole Gohlke
Rolf Hempelmann
Rolf Schwanitz Sibylle Laurischk Diana Golze
Dr. Barbara Hendricks
Stefan Schwartze Harald Leibrecht Annette Groth
Gustav Herzog
Dr. Carsten Sieling Sabine Leutheusser- Dr. Gregor Gysi
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen) Sonja Steffen Schnarrenberger Heike Hänsel
Frank Hofmann (Volkach) Peer Steinbrück Lars Lindemann Dr. Rosemarie Hein
Dr. Eva Högl Dr. Frank-Walter Steinmeier Christian Lindner Inge Höger
Christel Humme Christoph Strässer Dr. Martin Lindner (Berlin) Dr. Barbara Höll
Josip Juratovic Kerstin Tack Michael Link (Heilbronn) Andrej Konstantin Hunko
Oliver Kaczmarek Dr. h. c. Wolfgang Thierse Dr. Erwin Lotter Ulla Jelpke
Johannes Kahrs Wolfgang Tiefensee Oliver Luksic Dr. Lukrezia Jochimsen
Dr. h. c. Susanne Kastner Rüdiger Veit Horst Meierhofer Katja Kipping
Ulrich Kelber Ute Vogt Patrick Meinhardt Harald Koch
Lars Klingbeil Dr. Marlies Volkmer Gabriele Molitor Jan Korte
Hans-Ulrich Klose Heidemarie Wieczorek-Zeul Jan Mücke Jutta Krellmann
Dr. Bärbel Kofler Dr. Dieter Wiefelspütz Petra Müller (Aachen) Katrin Kunert
Daniela Kolbe (Leipzig) Uta Zapf Burkhardt Müller-Sönksen Caren Lay
Fritz Rudolf Körper Dagmar Ziegler Dr. Martin Neumann Sabine Leidig
Anette Kramme Manfred Zöllmer (Lausitz) Ralph Lenkert
Nicolette Kressl Brigitte Zypries Dirk Niebel Michael Leutert
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 12. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Dezember 2009 1079

(A) Stefan Liebich Dr. Axel Troost Priska Hinz (Herborn) Beate Müller-Gemmeke (C)
Ulla Lötzer Alexander Ulrich Ulrike Höfken Dr. Konstantin von Notz
Dr. Gesine Lötzsch Kathrin Vogler Dr. Anton Hofreiter Omid Nouripour
Thomas Lutze Sahra Wagenknecht Ingrid Hönlinger Friedrich Ostendorff
Ulrich Maurer Halina Wawzyniak Thilo Hoppe Lisa Paus
Dorothée Menzner Harald Weinberg Uwe Kekeritz Brigitte Pothmer
Kornelia Möller Jörn Wunderlich Katja Keul Tabea Rößner
Niema Movassat Memet Kilic Claudia Roth (Augsburg)
Wolfgang Nešković BÜNDNIS 90/ Sven Kindler Krista Sager
Thomas Nord DIE GRÜNEN Maria Klein-Schmeink Manuel Sarrazin
Petra Pau Kerstin Andreae Ute Koczy Elisabeth Scharfenberg
Jens Petermann Marieluise Beck (Bremen) Thomas Koenigs Christine Scheel
Richard Pitterle Volker Beck (Köln) Sylvia Kotting-Uhl Dr. Gerhard Schick
Ingrid Remmers Cornelia Behm Oliver Krischer Dr. Frithjof Schmidt
Paul Schäfer (Köln) Birgitt Bender Agnes Krumwiede Dorothea Steiner
Dr. Herbert Schui Alexander Bonde Fritz Kuhn Dr. Wolfgang Strengmann-
Dr. Ilja Seifert Viola von Cramon-Taubadel Stephan Kühn Kuhn
Kathrin Senger-Schäfer Katja Dörner Renate Künast Hans-Christian Ströbele
Raju Sharma Hans-Josef Fell Markus Kurth Dr. Harald Terpe
Dr. Petra Sitte Dr. Thomas Gambke Undine Kurth (Quedlinburg) Markus Tressel
Kersten Steinke Kai Gehring Monika Lazar Jürgen Trittin
Sabine Stüber Katrin Göring-Eckardt Nicole Maisch Daniela Wagner
Alexander Süßmair Britta Haßelmann Agnes Malczak Wolfgang Wieland
Dr. Kirsten Tackmann Bettina Herlitzius Jerzy Montag Dr. Valerie Wilms
Frank Tempel Winfried Hermann Kerstin Müller (Köln) Josef Philip Winkler

(B) (D)
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Telefax (02 21) 97 66 83 44
ISSN 0722-7980

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