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Plenarprotokoll 17/49

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

49. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Inhalt:

Glückwünsche zum Geburtstag des Abgeord- Gesetzes zur Weiterentwicklung der


neten Hans-Ulrich Klose . . . . . . . . . . . . . . . . 4949 A Organisation der Grundsicherung
für Arbeitsuchende
Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- (Drucksachen 17/1555, 17/2188) . . . . 4950 D
nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4949 A
– Bericht des Haushaltsausschusses ge-
Absetzung der Tagesordnungspunkte 26, 28, mäß § 96 der Geschäftsordnung
32 c, 35 n und 36 l sowie eines für morgen (Drucksache 17/2190) 4951 A
angekündigten Zusatztagesordnungspunktes
Aktuelle Stunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4949 D Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin
BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4951 B
Nachträgliche Ausschussüberweisungen . . . . 4950 A
Anette Kramme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4952 B
Begrüßung des Parlamentspräsidenten der Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 4953 B
Ukraine, Herrn Wolodymyr Lytwyn . . . . . . . 4963 B
Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . 4955 B
Karl Schiewerling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 4956 B
Tagesordnungspunkt 3: Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/
a) – Zweite und dritte Beratung des von der DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4957 C
Bundesregierung eingebrachten Ent- Angelika Krüger-Leißner (SPD) . . . . . . . . . . 4959 B
wurfs eines … Gesetzes zur Änderung
des Grundgesetzes (Artikel 91 e) Christian Ahrendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 4960 C
(Drucksachen 17/1939, 17/2183) . . . . 4950 C Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 4961 A
– Zweite und dritte Beratung des von Thomas Dörflinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 4961 D
den Fraktionen der CDU/CSU, SPD Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) . . . . . . . . . 4963 C
und FDP eingebrachten Entwurfs eines
… Gesetzes zur Änderung des Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 4964 C
Grundgesetzes (Artikel 91 e) Katja Kipping (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 4965 C
(Drucksachen 17/1554, 17/2183) . . . . 4950 C
b) – Zweite und dritte Beratung des von der Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 4966 A
Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Weiterent- Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4966 D
wicklung der Organisation der
Grundsicherung für Arbeitsuchende
(Drucksachen 17/1940, 17/2057) . . . . 4950 D Tagesordnungspunkt 4:
– Zweite und dritte Beratung des von Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
den Fraktionen der CDU/CSU, SPD schusses für Arbeit und Soziales zu dem An-
und FDP eingebrachten Entwurfs eines trag der Abgeordneten Klaus Ernst, Jutta
II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Krellmann, Matthias W. Birkwald, weiterer c) Antrag der Abgeordneten René Röspel,


Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Dr. Marlies Volkmer, Dr. Ernst Dieter
Mit guter Arbeit aus der Krise Rossmann, weiterer Abgeordneter und der
(Drucksachen 17/1396, 17/2069) . . . . . . . . . . 4969 B Fraktion der SPD: Öffentlichen Zugang
Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 4969 C zu Informationen über klinische Stu-
dien umfassend sicherstellen
Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . 4971 B (Drucksache 17/1768) . . . . . . . . . . . . . . . 4989 A
Ottmar Schreiner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4972 A d) Antrag der Abgeordneten Heinz Paula,
Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4973 B Dr. Wilhelm Priesmeier, Petra Crone, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion der
Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . 4973 C SPD: Bessere Haltung von Kaninchen
Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE) . . . . . . 4974 D zu Erwerbszwecken – Konkrete Hal-
tungsbedingungen in die Tierschutz-
Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ Nutztierhaltungsverordnung aufneh-
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4976 B men
Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 4977 A (Drucksache 17/2017) . . . . . . . . . . . . . . . 4989 A
Gitta Connemann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 4978 C e) Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten
Tackmann, Karin Binder, Alexander
Ottmar Schreiner (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 4979 B Süßmair, weiterer Abgeordneter und der
Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4980 C Fraktion DIE LINKE: Die Haltung von
Mast- und Zuchtkaninchen in Deutsch-
Sebastian Blumenthal (FDP) . . . . . . . . . . . . . 4981 C land und der Europäischen Union tier-
Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 4982 C gerechter regeln – Mindestanforderun-
gen unverzüglich auf den Weg bringen
Sebastian Blumenthal (FDP) . . . . . . . . . . . . . 4983 B (Drucksache 17/1601) . . . . . . . . . . . . . . . 4989 B
Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU) . . . . . . . 4983 C f) Antrag der Abgeordneten Friedrich
Katja Mast (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4984 D Ostendorff, Undine Kurth (Quedlinburg),
Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und
Gabriele Molitor (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4986 A der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 4986 D NEN: Die gewerbliche Haltung von
Mast- und Zuchtkaninchen in Deutsch-
Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 4987 D land und der Europäischen Union deut-
lich verbessern
(Drucksache 17/2006) . . . . . . . . . . . . . . . 4989 C
Tagesordnungspunkt 35:
a) Erste Beratung des von der Bundesregie- g) Antrag der Abgeordneten Klaus Riegert,
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Eberhard Gienger, Stephan Mayer (Altöt-
zes zu dem Protokoll vom 15. Mai 2003 ting), weiterer Abgeordneter und der Frak-
zur Änderung des Europäischen Über- tion der CDU/CSU sowie der Abgeordne-
einkommens vom 27. Januar 1977 zur ten Joachim Günther (Plauen), Dr. Lutz
Bekämpfung des Terrorismus Knopek, Gisela Piltz, weiterer Abgeordne-
(Drucksache 17/2067) . . . . . . . . . . . . . . . . 4988 D ter und der Fraktion der FDP: Europa in
Bewegung – Mit Kompetenz und Ver-
b) Erste Beratung des von der Bundesregie- antwortung für einen europäischen
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- Mehrwert im Sport
zes zu dem Übereinkommen vom (Drucksache 17/2129) . . . . . . . . . . . . . . . 4989 C
9. Juni 2006 zwischen der Europäischen
Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaa- h) Antrag der Abgeordneten Dorothea
ten, der Republik Albanien, Bosnien Steiner, Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef
und Herzegowina, der Republik Bulga- Fell, weiterer Abgeordneter und der Frak-
rien, der ehemaligen jugoslawischen tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bür-
Republik Mazedonien, der Republik gerfreundliches Rücknahmesystem für
Island, der Republik Kroatien, der Re- gebrauchte Energiesparlampen im
publik Montenegro, dem Königreich Handel einrichten
Norwegen, Rumänien, der Republik (Drucksache 17/1583) . . . . . . . . . . . . . . . 4989 D
Serbien und der Übergangsverwaltung
der Vereinten Nationen in Kosovo zur i) Antrag der Abgeordneten Elvira
Schaffung eines gemeinsamen europäi- Drobinski-Weiß, Petra Crone, Petra
schen Luftverkehrsraums (Vertragsge- Ernstberger, weiterer Abgeordneter und
setz ECAA-Übereinkommen – ECAA- der Fraktion der SPD: Verbraucherinfor-
ÜbkG) mationsgesetz zügig reformieren
(Drucksache 17/2068) . . . . . . . . . . . . . . . . 4988 D (Drucksache 17/2116) . . . . . . . . . . . . . . . 4989 D
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 III

j) Antrag der Abgeordneten Ute Kumpf, c) – Zweite und dritte Beratung des von der
Sönke Rix, Petra Crone, weiterer Abge- Bundesregierung eingebrachten Ent-
ordneter und der Fraktion der SPD: Stär- wurfs eines Gesetzes zu dem Staats-
kung der Jugendfreiwilligendienste – vertrag vom 16. Dezember 2009 und
Platzangebot ausbauen, Qualität erhö- 26. Januar 2010 über die Verteilung
hen, Rechtssicherheit schaffen von Versorgungslasten bei bund-
(Drucksache 17/2117) . . . . . . . . . . . . . . . . 4990 A und länderübergreifenden Dienst-
herrenwechseln
k) Antrag der Abgeordneten Ottmar (Drucksachen 17/1696, 17/2014) . . . . 4991 B
Schreiner, Anette Kramme, Petra
Ernstberger, weiterer Abgeordneter und – Bericht des Haushaltsausschusses ge-
der Fraktion der SPD: Demokratische mäß § 96 der Geschäftsordnung
Teilhabe von Belegschaften und ihren (Drucksache 17/2048) . . . . . . . . . . . . . 4991 B
Vertretern an unternehmerischen Ent-
d) Zweite Beratung und Schlussabstimmung
scheidungen stärken
des von der Bundesregierung eingebrach-
(Drucksache 17/2122) . . . . . . . . . . . . . . . . 4990 A ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ver-
l) Antrag der Abgeordneten Heinz Paula, trag vom 27. November 2008 über die
Dr. Wilhelm Priesmeier, Petra Crone, wei- Änderung des Vertrags vom 11. April
terer Abgeordneter und der Fraktion der 1996 über die Internationale Kommis-
SPD: Obligatorische Prüf- und Zulas- sion zum Schutz der Oder gegen Verun-
sungsverfahren für Haltungseinrich- reinigung
tungen für Nutztiere – Tierschutz-TÜV (Drucksachen 17/1702, 17/2144) . . . . . . . 4991 C
zügig einführen e) Zweite und dritte Beratung des von der
(Drucksache 17/2143) . . . . . . . . . . . . . . . . 4990 B Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
m) Antrag der Abgeordneten Karin Binder, eines Gesetzes zur Umsetzung der
Ralph Lenkert, Caren Lay, weiterer Abge- Dienstleistungsrichtlinie auf dem Ge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE: biet des Umweltrechts sowie zur Ände-
Verbraucherfreundliche Rücknahme- rung umweltrechtlicher Vorschriften
pflicht des Einzelhandels für Energie- (Drucksachen 17/1393, 17/1904, 17/2148) 4991 D
sparlampen durchsetzen f) – Zweite Beratung und Schlussabstim-
(Drucksache 17/2121) . . . . . . . . . . . . . . . . 4990 B mung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Abkommen vom 2. März
Zusatztagesordnungspunkt 2: 2009 zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und
a) Antrag der Abgeordneten Dr. Martina
der Regierung der Insel Man über
Bunge, Cornelia Möhring, Caren Lay,
die Unterstützung in Steuer- und
weiterer Abgeordneter und der Fraktion Steuerstrafsachen durch Auskunfts-
DIE LINKE: Versorgung durch Hebam- austausch
men und Entbindungshelfer sicherstel- (Drucksachen 17/1698, 17/2168) . . . . 4992 A
len
(Drucksache 17/2128) . . . . . . . . . . . . . . . . 4990 C – Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Abkom-
Tagesordnungspunkt 36: men vom 2. März 2009 zwischen der
Regierung der Bundesrepublik
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Deutschland und der Regierung der
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Insel Man zur Vermeidung der Dop-
Gesetzes zur Einführung einer Muster- pelbesteuerung von im internationa-
widerrufsinformation für Verbraucher- len Verkehr tätigen Schifffahrtsun-
darlehensverträge, zur Änderung der ternehmen
Vorschriften über das Widerrufsrecht bei (Drucksachen 17/1697, 17/2168) . . . . 4992 B
Verbraucherdarlehensverträgen und
zur Änderung des Darlehensvermitt- g) – Zweite Beratung und Schlussabstim-
lungsrechts mung des von der Bundesregierung
(Drucksachen 17/1394, 17/1802, 17/2095) 4990 C eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zu dem Abkommen vom
b) Zweite und dritte Beratung des von der 26. März 2009 zwischen der Regie-
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs rung der Bundesrepublik Deutsch-
eines Gesetzes zur Änderung des Güter- land und der Regierung von Guern-
kraftverkehrsgesetzes und des Fahrper- sey über den Auskunftsaustausch in
sonalgesetzes Steuersachen
(Drucksachen 17/1395, 17/1903, 17/1835) 4991 A (Drucksachen 17/1699, 17/2090) . . . . 4992 D
IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

– Zweite Beratung und Schlussabstim- hier: Erklärung des Deutschen Bundes-


mung des von der Bundesregierung tages nach § 10 des Gesetzes über die
eingebrachten Entwurfs eines Geset- Zusammenarbeit von Bundesregierung
zes zu dem Abkommen vom 13. Au- und Deutschem Bundestag in Angele-
gust 2009 zwischen der Regierung genheiten der Europäischen Union
der Bundesrepublik Deutschland (Drucksache 17/2127) . . . . . . . . . . . . . . . 4994 C
und der Regierung von Gibraltar
über die Unterstützung in Steuer- n) Antrag der Abgeordneten Dr. Diether
und Steuerstrafsachen durch Aus- Dehm, Alexander Ulrich, Andrej
kunftsaustausch Konstantin Hunko, weiterer Abgeordne-
(Drucksachen 17/1700, 17/2090) . . . . 4992 D ter und der Fraktion DIE LINKE: Verän-
derung der Zusammensetzung des
– Zweite Beratung und Schlussabstim- Europäischen Parlaments in der laufen-
mung des von der Bundesregierung den Wahlperiode
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes (Drucksache 17/2049) . . . . . . . . . . . . . . . 4994 C
zu dem Abkommen vom 2. Septem-
o) Antrag der Abgeordneten Dietmar Nietan,
ber 2009 zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und Axel Schäfer (Bochum), Dr. Rolf
der Regierung des Fürstentums Mützenich, weiterer Abgeordneter und der
Liechtenstein über die Zusammen- Fraktion der SPD: Den Europäischen
arbeit und den Informationsaus- Auswärtigen Dienst im Dienste aller
tausch in Steuersachen EU-Institutionen handlungsfähig und
(Drucksachen 17/1701, 17/2090) . . . . 4992 D wirkungsvoll ausgestalten
(Drucksache 17/2118) . . . . . . . . . . . . . . . 4994 C
h) Zweite und dritte Beratung des von der
p) – v)
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Beschlussempfehlungen des Petitionsaus-
Betriebsprämiendurchführungsgesetzes schusses: Sammelübersichten 97, 98, 99,
und des Agrarstatistikgesetzes 100, 101, 102 und 103 zu Petitionen
(Drucksachen 17/1703, 17/2109) . . . . . . . 4993 B (Drucksachen 17/1990, 17/1991, 17/1992,
17/1993, 17/1994, 17/1995, 17/1996) . . . 4994 D
i) Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zur Änderung des Kat-
zen- und Hundefell-Einfuhr-Verbotsge- Zusatztagesordnungspunkt 3:
setzes und zur Änderung des Seefische- Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
reigesetzes der SPD: Auswirkungen des gescheiterten
(Drucksachen 17/1704, 17/2110) . . . . . . . 4993 C Bildungsgipfels auf die gemeinsame Bil-
dungspolitik von Bund und Ländern . . . . . 4995 C
j) Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Umwelt, Naturschutz und Ulla Burchardt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4995 C
Reaktorsicherheit zu der Verordnung der
Bundesregierung: Neununddreißigste Ver- Dr. Thomas Feist (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 4996 D
ordnung zur Durchführung des Bundes-
Immissionsschutzgesetzes (Verordnung Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . 4997 D
über Luftqualitätsstandards und Emis- Patrick Meinhardt (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 4999 A
sionshöchstmengen – 39. BImSchV)
(Drucksachen 17/1900, 17/2175) . . . . . . . 4994 A Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5000 B
k) Beschlussempfehlung und Bericht des
Ausschusses für Verkehr, Bau und Stadt- Dr. Annette Schavan, Bundesministerin
entwicklung zu dem Antrag der Fraktio- BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5001 C
nen der CDU/CSU und der FDP: Modell-
versuch „Begleitetes Fahren mit 17“ in Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . 5003 A
das Dauerrecht überführen Swen Schulz (Spandau) (SPD) . . . . . . . . . . . 5004 C
(Drucksachen 17/1573, 17/2147) . . . . . . . 4994 A
Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) . . . . . . 5005 D
m) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und
der FDP: Herstellung des Einverneh- Klaus Hagemann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5006 D
mens zu den erwarteten Ergebnissen
der Regierungskonferenz im Hinblick Eckhardt Rehberg (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 5007 D
auf die Zusammensetzung des Europäi- Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . 5008 D
schen Parlaments nach Inkrafttreten
des Vertrages von Lissabon Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) . . . . 5010 A
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 V

Tagesordnungspunkt 5: Tagesordnungspunkt 7:
Erste Beratung des vom Bundesrat einge- – Beschlussempfehlung und Bericht des
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag
rung des Strafrechtlichen Rehabilitie- der Bundesregierung: Fortsetzung der
rungsgesetzes Beteiligung bewaffneter deutscher
(Drucksache 17/1215) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5011 A Streitkräfte an der United Nations Inte-
rim Force in Lebanon (UNIFIL) auf
Marco Buschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 5011 B Grundlage der Resolution 1701 (2006)
Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5012 B vom 11. August 2006 und folgender Re-
solutionen, zuletzt 1884 (2009) vom
Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU) . . . . . . . 5013 B 27. August 2009 des Sicherheitsrates
Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . 5015 A der Vereinten Nationen
(Drucksachen 17/1905, 17/2171) . . . . . . . 5030 C
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5015 D – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß
§ 96 der Geschäftsordnung
Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . 5016 B (Drucksache 17/2177) . . . . . . . . . . . . . . . 5030 D
Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE) . . . . . . . . 5017 B Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 5030 D
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/ Günter Gloser (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5032 B
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5017 C
Peter Beyer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 5033 B
Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 5017 D Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 5034 C
Hans-Joachim Hacker (SPD) . . . . . . . . . . . . . 5019 B Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/
Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 5020 A DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5035 C
Holger Haibach (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 5036 D
Tagesordnungspunkt 6: Karin Evers-Meyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 5037 C

a) Antrag der Abgeordneten Dr. Sascha Ingo Gädechens (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 5038 B


Raabe, Lothar Binding (Heidelberg), Dr.
h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 5039 C
und der Fraktion der SPD: Herausforde-
rung Millenniums-Entwicklungsziele
(Drucksache 17/2018) . . . . . . . . . . . . . . . . 5020 D Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5044 C

b) Antrag der Abgeordneten Niema


Movassat, Heike Hänsel, Annette Groth, Tagesordnungspunkt 8:
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE: Steigerung der Entwick- Erste Beratung des von den Abgeordneten
lungshilfequote auf 0,7 Prozent gesetz- Katja Dörner, Ekin Deligöz, Kai Gehring,
lich festlegen weiteren Abgeordneten und der Fraktion
(Drucksache 17/2024) . . . . . . . . . . . . . . . . BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten
5021 A
Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Ände-
c) Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, rung des Achten Buches Sozialgesetzbuch –
Uwe Kekeritz, Ute Koczy, weiterer Abge- Aufhebung der Ankündigung eines Betreu-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ ungsgeldes
DIE GRÜNEN: Mit dem Global Green (Drucksache 17/1579) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5039 D
New Deal die Millenniumsentwick-
Katja Dörner (BÜNDNIS 90/
lungsziele erreichen
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5040 A
(Drucksache 17/2132) . . . . . . . . . . . . . . . . 5021 A
Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 5041 A
Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5021 B
Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 5041 D
Dagmar Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 5022 D
Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/
Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 5024 C DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5042 C
Dr. Christiane Ratjen-Damerau (FDP) . . . . . . 5025 C Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5043 A
Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD) . . . 5046 B
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5026 D
Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5047 D
Johannes Selle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 5028 A
Katja Dörner (BÜNDNIS 90/
Karin Roth (Esslingen) (SPD) . . . . . . . . . . . . 5029 C DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5048 A
VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 5048 C Sicherung der Technologieführerschaft


Deutschlands im Verkehrs- und Baube-
Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 5049 C reich
Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 5049 D (Drucksache 17/931) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5061 A
Marco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 5050 A
Christel Humme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5051 B Tagesordnungspunkt 11:
Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 5051 D a) – Zweite und dritte Beratung des von
den Fraktionen der CDU/CSU und der
FDP eingebrachten Entwurfs eines
Tagesordnungspunkt 9: Gesetzes zur Änderung wehr- und
a) – Beschlussempfehlung und Bericht des zivildienstrechtlicher Vorschriften
Auswärtigen Ausschusses zu dem An- 2010 (Wehrrechtsänderungsgesetz
trag der Bundesregierung: Fortset- 2010 – WehrRÄndG 2010)
zung der Beteiligung bewaffneter (Drucksachen 17/1953, 17/2174) . . . . 5061 A
deutscher Streitkräfte an der Frie- – Bericht des Haushaltsausschusses ge-
densmission der Vereinten Nationen mäß § 96 der Geschäftsordnung
im Sudan (UNMIS) auf Grundlage (Drucksache 17/2180) . . . . . . . . . . . . . 5061 B
der Resolution 1590 (2005) des Si-
cherheitsrates der Vereinten Natio- b) Beschlussempfehlung und Bericht des
nen vom 24. März 2005 und Folgere- Verteidigungsausschusses
solutionen
– zu dem Antrag der Abgeordneten Paul
(Drucksachen 17/1902, 17/2172) . . . . 5053 B
Schäfer (Köln), Jan van Aken,
– Bericht des Haushaltsausschusses ge- Matthias W. Birkwald, weiterer Abge-
mäß § 96 der Geschäftsordnung ordneter und der Fraktion DIE LINKE:
(Drucksache 17/2178) . . . . . . . . . . . . . 5053 C Abschaffung der Wehrpflicht
b) – Beschlussempfehlung und Bericht des – zu dem Antrag der Abgeordneten
Auswärtigen Ausschusses zu dem An- Agnes Malczak, Omid Nouripour, Kai
trag der Bundesregierung: Fortset- Gehring, weiterer Abgeordneter und
zung der Beteiligung bewaffneter der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
deutscher Streitkräfte an der AU/ NEN: Wehrpflicht beenden
UN-Hybrid-Operation in Darfur
(UNAMID) auf Grundlage der Re- (Drucksachen 17/1736, 17/1431, 17/2174) 5061 C
solution 1769 (2007) des Sicherheits- Markus Grübel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 5061 C
rates der Vereinten Nationen vom
31. Juli 2007 und Folgeresolutionen Sönke Rix (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5062 D
(Drucksachen 17/1901, 17/2173) . . . . 5053 C
Joachim Spatz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5068 B
– Bericht des Haushaltsausschusses ge-
mäß § 96 der Geschäftsordnung Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/
(Drucksache 17/2179) . . . . . . . . . . . . . DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5068 D
5053 C
Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5053 D Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE) . . . . . . . . 5069 D

Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD) . . . . . . . . 5054 D Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/


DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5071 A
Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 5056 B
Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . 5072 B
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . 5057 A
Lars Klingbeil (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5073 B
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5058 B
Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . 5074 C, D
Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) . . . 5059 B
Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5078
. . . . D, 5081 C
Namentliche Abstimmungen . . . . . . . . . . . . . 5660 C, D

Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .5063
. . . . D, 5066 C Tagesordnungspunkt 12:
a) Antrag der Abgeordneten Christine
Lambrecht, Petra Crone, Dr. Peter
Tagesordnungspunkt 10: Danckert, weiterer Abgeordneter und der
Große Anfrage der Abgeordneten Ute Kumpf, Fraktion der SPD: Gleichstellung einge-
Ingrid Arndt-Brauer, Doris Barnett, weiterer tragener Lebenspartnerschaften
Abgeordneter und der Fraktion der SPD: (Drucksache 17/2113) . . . . . . . . . . . . . . . 5075 A
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 VII

b) Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 5076 B


Höll, Jan Korte, Cornelia Möhring, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5083 B
LINKE: Öffnung der Ehe Björn Sänger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5085 A
(Drucksache 17/2023) . . . . . . . . . . . . . . . . 5075 A
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 5086 B
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/
Tagesordnungspunkt 13: DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5087 B
Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes für
bessere Beschäftigungschancen am Ar- Tagesordnungspunkt 16:
beitsmarkt – Beschäftigungschancengesetz
(Drucksache 17/1945) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erste Beratung des von den Abgeordneten
5075 B
Markus Kurth, Josef Philip Winkler, Fritz
Kuhn, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge-
Tagesordnungspunkt 14: brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhe-
Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie bung des Asylbewerberleistungsgesetzes
Hein, Diana Golze, Dr. Petra Sitte, weiterer (Drucksache 17/1428) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5088 C
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE:
Fachkräfteprogramm – Bildung und Erzie-
hung – unverzüglich auf den Weg bringen Tagesordnungspunkt 17:
(Drucksache 17/2019) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5075 C a) Zweite und dritte Beratung des vom Bun-
desrat eingebrachten Entwurfs eines …
Gesetzes zur Änderung des Bundes-
Tagesordnungspunkt 15: waldgesetzes
(Drucksachen 17/1220, 17/2184) . . . . . . . 5088 D
a) Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs b) Beschlussempfehlung und Bericht des
eines Gesetzes über die aufsichtsrechtli- Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
chen Anforderungen an die Vergü- schaft und Verbraucherschutz
tungssysteme von Instituten und Versi-
cherungsunternehmen – zu dem Antrag der Abgeordneten Petra
(Drucksachen 17/1291, 17/1457, 17/2181) 5075 D Crone, Dirk Becker, Gerd Bollmann,
weiterer Abgeordneter und der Frak-
b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- tion der SPD: Bundeswaldgesetz
nanzausschusses nachhaltig gestalten – Schutz und
Pflege des Ökosystems für heutige
– zu dem Antrag der Abgeordneten und künftige Generationen
Nicolette Kressl, Joachim Poß, Ingrid
Arndt-Brauer, weiterer Abgeordneter – zu dem Antrag der Abgeordneten
und der Fraktion der SPD: Maßnah- Cornelia Behm, Undine Kurth (Qued-
menbündel gegen Spekulationen auf linburg), Ulrike Höfken, weiterer
den Finanzmärkten und ungerecht- Abgeordneter und der Fraktion
fertigte Banker-Boni BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das
Bundeswaldgesetz novellieren und
– zu dem Antrag der Abgeordneten ökologische Mindeststandards für
Dr. Barbara Höll, Dr. Axel Troost, die Waldbewirtschaftung einführen
Richard Pitterle, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion DIE LINKE: Dem – zu dem Antrag der Abgeordneten Dr.
Vorbild Großbritanniens und Frank- Kirsten Tackmann, Dr. Gesine
reichs folgen – Boni-Steuer für die Lötzsch, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer
Finanzbranche einführen Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE: Bundeswaldgesetz ändern –
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Naturnahe Waldbewirtschaftung
Gerhard Schick, Fritz Kuhn, Kerstin fördern
Andreae, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- – zu der Unterrichtung durch die Bun-
NEN: Gehaltsexzesse nicht länger desregierung: Waldbericht der Bun-
auf Kosten der Allgemeinheit desregierung 2009
(Drucksachen 17/526, 17/452, 17/794, (Drucksachen 17/1050, 17/1586, 17/1743,
17/2181) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5076 B 16/13350, 17/2184) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5089 A
VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Tagesordnungspunkt 18: – zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver


Kaczmarek, Dirk Becker, Marco Bülow,
Zweite und dritte Beratung des von den Frak- weiterer Abgeordneter und der Fraktion
tionen der CDU/CSU und der FDP einge- der SPD: Naturnahen Wasserhaushalt
brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver- durch Schutz und Renaturierung von
meidung kurzfristiger Marktengpässe bei Nass- und Feuchtgebieten fördern –
flüssiger Biomasse Hochwassergefahren mindern, Klima
(Drucksachen 17/1750, 17/2182) . . . . . . . . . . 5089 D schützen
Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . 5090 A – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole
Maisch, Undine Kurth (Quedlinburg),
Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 5090 D
Dorothea Steiner, weiterer Abgeordneter
Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5091 B und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN: Auenschutzprogramm vorle-
Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5091 D gen
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 5092 B (Drucksachen 17/1974, 17/1748, 17/1760,
17/2176) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5096 A
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5093 A
Tagesordnungspunkt 22:
Tagesordnungspunkt 19: Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
a) Antrag der Fraktionen SPD und BÜND- Dritten Gesetzes zur Änderung des Vierten
NIS 90/DIE GRÜNEN: Todesstrafe welt- Buches Sozialgesetzbuch und anderer Ge-
weit abschaffen setze
(Drucksache 17/2114) . . . . . . . . . . . . . . . . 5094 A (Drucksachen 17/1684, 17/2169) . . . . . . . . . . 5096 B
b) Antrag der Fraktion der SPD: Folter be- Peter Wichtel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 5096 C
kämpfen und Folteropfer unterstützen
(Drucksache 17/2115) . . . . . . . . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 5097 B
5094 A
Anette Kramme (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5098 B
c) Antrag der Abgeordneten Annette Groth,
Katrin Werner, Jan van Aken, weiterer Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) . . . . . . 5099 B
Abgeordneter und der Fraktion DIE
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . . 5100 A
LINKE: Abschaffung der Todesstrafe
weltweit Markus Kurth (BÜNDNIS 90/
(Drucksache 17/2131) . . . . . . . . . . . . . . . . 5094 A DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5100 C

Tagesordnungspunkt 20: Tagesordnungspunkt 23:


Zweite und dritte Beratung des von den Frak- Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Herbert
tionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜND- Behrens, Dr. Ilja Seifert, weiterer Abgeordne-
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Ent- ter und der Fraktion DIE LINKE: Fluggast-
wurfs eines Sechsten Gesetzes zur Ände- rechte stärken
rung des Weingesetzes (Drucksache 17/2021) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5101 B
(Drucksachen 17/1749, 17/2108) . . . . . . . . . . 5094 B Marco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 5101 C
Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 5094 C Lucia Puttrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 5102 C
Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) . . . . 5103 D
Tagesordnungspunkt 21: Heinz Paula (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5104 C
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Marco Buschmann (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . 5105 A
schusses für Umwelt, Naturschutz und Reak-
torsicherheit Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 5105 C
Markus Tressel (BÜNDNIS 90/
– zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5106 A
Kaczmarek, Dirk Becker, Marco Bülow,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD: Hochwasserschutz europäisch
Tagesordnungspunkt 24:
und ökologisch nachhaltig umsetzen –
Für ein integriertes Hochwasserschutz- Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
konzept schusses für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 IX

lung zu der Unterrichtung durch die Bundes- hier: Stellungnahme gegenüber der Bun-
regierung: Mitteilung der Kommission an desregierung gemäß Artikel 23 Absatz 3
das Europäische Parlament, den Rat, den des Grundgesetzes
Europäischen Wirtschafts- und Sozialaus- Lebensmittelinformation verbessern – Ver-
schuss und den Ausschuss der Regionen – bindliche Ampelkennzeichnung einführen
Aktionsplan „Urbane Mobilität“ (inkl. (Drucksachen 17/1987, 17/2185) . . . . . . . . . . 5117 A
14030/09 ADD 1 und 14030/09 ADD 2)
Carola Stauche (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 5117 B
(ADD 1 in Englisch)
KOM(2009) 490 endg.; Ratsdok. 14030/09 Iris Gleicke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5118 C
(Drucksachen 17/136 Nr. A.92, 17/815) . . . . 5107 B
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . 5119 A
Veronika Bellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 5107 C Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 5120 A
Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5109 C Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/
Oliver Luksic (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5110 C DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5120 D
Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 5111 B
Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ Tagesordnungspunkt 29:
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5111 D Antrag der Abgeordneten Oliver Krischer,
Sven-Christian Kindler, Hans-Josef Fell, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
Tagesordnungspunkt 25: NIS 90/DIE GRÜNEN: Aufhebung der
Haushaltssperre und Weiterführung des
Antrag der Abgeordneten Undine Kurth
Marktanreizprogramms und der nationa-
(Quedlinburg), Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, len Klimaschutzinitiative zur Förderung
weiterer Abgeordneter und der Fraktion erneuerbarer Energien
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Biodiversität (Drucksache 17/2007) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5121 C
national und international konsequent
schützen
(Drucksache 17/2005) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5112 B in Verbindung mit
Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 5112 C
Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 5113 A Zusatztagesordnungspunkt 5:

Angelika Brunkhorst (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 5114 B Antrag der Abgeordneten Dr. Bärbel Kofler,
Sören Bartol, Dirk Becker, weiterer Abgeord-
Sabine Stüber (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 5115 B neter und der Fraktion der SPD: Marktan-
reizprogramm und nationale Klimaschutz-
Undine Kurth (Quedlinburg)
initiative fortsetzen
(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . 5115 D (Drucksache 17/2119) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5121 C
Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU) . . . 5121 D
Tagesordnungspunkt 27: Bettina Kudla (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 5122 B
Antrag der Abgeordneten Karin Binder, Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5123 B
Caren Lay, Dr. Martina Bunge, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Heinz-Peter Haustein (FDP) . . . . . . . . . . . . . 5124 A
Nährwert-Ampel bundesweit einführen Michael Leutert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 5125 A
(Drucksache 17/2120) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5117 A
Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5125 C
in Verbindung mit
Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5126 D
Zusatztagesordnungspunkt 4:
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- Anlage 1
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abge- Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 5127 A
ordneten Ulrike Höfken, Nicole Maisch,
Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Anlage 2
zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten
Europäischen Parlaments und des Rates Thomas Dörflinger (CDU/CSU) zur nament-
betreffend die „Information der Verbrau- lichen Abstimmung über den Entwurf eines
cher über Lebensmittel“ KOM(2008) 40 Gesetzes zur Änderung wehr- und zivildienst-
X Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

rechtlicher Vorschriften 2010 (Wehrrechts- Ute Granold (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 5135 B


änderungsgesetz 2010 – WehrRÄndG 2010)
(Tagesordnungspunkt 11 a) . . . . . . . . . . . . . . 5127 C Christine Lambrecht (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 5137 C
Stephan Thomae (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5138 B
Anlage 3 Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5138 D
Erklärung nach § 31 Abs. 2 GO des Abgeord- Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 5139 C
neten Hans-Ulrich Klose (SPD) zur namentli- Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
chen Abstimmung über den Entwurf eines DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5140 A
Gesetzes zur Änderung wehr- und zivildienst-
rechtlicher Vorschriften 2010 (Wehrrechtsän-
derungsgesetz 2010 – WehrRÄndG 2010) und
Anlage 7
über den Entschließungsantrag der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Tagesord- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
nungspunkt 11 a und b) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5128 A des Entwurfs eines Gesetzes für bessere Be-
schäftigungschancen am Arbeitsmarkt – Be-
schäftigungschancengesetz (Tagesordnungs-
Anlage 4 punkt 13)
Erklärung nach § 31 Abs. 1 GO der Abgeord- Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 5141 B
neten Jens Ackermann, Daniel Bahr (Müns-
ter), Florian Bernschneider, Sebastian Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) . . . . . . . . . 5142 B
Blumenthal, Marco Buschmann, Dr. Bijan Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . 5143 C
Djir-Sarai, Patrick Döring, Manuel Höferlin,
Sebastian Körber, Horst Meierhofer. Björn Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) . . . . . . 5144 C
Sänger, Florian Toncar, Serkan Tören und
Johannes Vogel (Lüdenscheid) (alle FDP) zur Sabine Zimmermann (DIE LINKE) . . . . . . . . 5145 B
namentlichen Abstimmung über den Ent- Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/
schließungsantrag der Fraktion BÜND- DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5145 D
NIS 90/DIE GRÜNEN zu dem Entwurf eines
Gesetzes zur Änderung wehr- und zivildienst- Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär
rechtlicher Vorschriften 2010 (Wehrrechts- BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5146 C
änderungsgesetz 2010 – WehrRÄndG 2010)
(Tagesordnungspunkt 11 b) . . . . . . . . . . . . . . 5128 B
Anlage 8
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
Anlage 5
des Antrags: Fachkräfteprogramm – Bildung
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung und Erziehung – unverzüglich auf den Weg
der Großen Anfrage: Sicherung der Technolo- bringen (Tagesordnungspunkt 14)
gieführerschaft Deutschlands im Verkehrs-
und Baubereich (Tagesordnungspunkt 10) Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . 5147 C
Steffen Bilger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 5128 D Ewa Klamt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5148 D
Karl Holmeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 5129 D Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) . . . . 5150 C
Ute Kumpf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5130 D Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5151 C
Wolfgang Tiefensee (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 5132 A Sylvia Canel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5152 B
Petra Müller (Aachen) (FDP) . . . . . . . . . . . . 5133 C Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . 5152 D
Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 5134 B Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/
Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5153 D
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5134 D
Anlage 9
Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Aufhebung
der Anträge: des Asylbewerberleistungsgesetzes (Tages-
ordnungspunkt 16)
– Gleichstellung eingetragener Lebenspart-
nerschaften Mechthild Heil (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 5154 D
– Öffnung der Ehe Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . 5155 C
(Tagesordnungspunkt 12) Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 5156 B
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 XI

Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5157 C Frank Heinrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 5164 D


Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 5158 A Angelika Graf (Rosenheim) (SPD) . . . . . . . . . 5166 C
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ Marina Schuster (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5167 C
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5158 D
Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 5168 B
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/
Anlage 10 DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5169 B
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung:
– Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung Anlage 12
des Bundeswaldgesetzes
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
– Beschlussempfehlung und Bericht: des Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Än-
– Antrag: Bundeswaldgesetz nachhaltig derung des Weingesetzes (Tagesordnungs-
gestalten – Schutz und Pflege des Öko- punkt 20)
systems für heutige und künftige Ge- Norbert Schindler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 5170 D
nerationen
Gustav Herzog (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5171 D
– Antrag: Das Bundeswaldgesetz novel-
lieren und ökologische Mindeststan- Alexander Süßmair (DIE LINKE) . . . . . . . . . 5172 A
dards für die Waldbewirtschaftung ein-
Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/
führen
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5172 C
– Antrag: Bundeswaldgesetz ändern –
Naturnahe Waldbewirtschaftung för-
dern Anlage 13
– Unterrichtung: Waldbericht der Bun- Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
desregierung 2009 der Beschlussempfehlung und des Berichts zu
(Tagesordnungspunkt 17 a und b) den Anträgen:

Alois Gerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5159 D – Hochwasserschutz europäisch und ökolo-


gisch nachhaltig umsetzen – Für ein inte-
Petra Crone (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5161 B griertes Hochwasserschutzkonzept
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . 5162 A – Naturnahen Wasserhaushalt durch Schutz
Alexander Süßmair (DIE LINKE) . . . . . . . . . 5163 B und Renaturierung von Nass- und Feucht-
gebieten fördern – Hochwassergefahren
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ mindern, Klima schützen
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5164 A
– Auenschutzprogramm vorlegen
(Tagesordnungspunkt 21)
Anlage 11
Ingbert Liebing (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 5173 B
Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung
der Anträge: Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 5174 A
– Todesstrafe weltweit abschaffen Oliver Kaczmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 5174 C
– Folter bekämpfen und Folteropfer unter- Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 5175 C
stützen
Sabine Stüber (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 5176 B
– Abschaffung der Todesstrafe weltweit
Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/
(Tagesordnungspunkt 19 a bis c) DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5177 B
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4949

(A) (C)

Redetext

49. Sitzung

Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Beginn: 10.00 Uhr

Präsident Dr. Norbert Lammert: ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
Die Sitzung ist wieder eröffnet. GRÜNEN
Dem Kollegen Hans-Ulrich Klose, der vor wenigen zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Eu-
Tagen seinen 73. Geburtstag beging, möchte ich auch ropäischen Parlaments und des Rates betref-
von dieser Stelle aus im Namen des ganzen Hauses herz- fend die „Information der Verbraucher über
lich gratulieren und alles Gute wünschen. Lebensmittel“ KOM(2008) 40
(Beifall) hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesre-
gierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grund-
Interfraktionell ist vereinbart worden, die verbun- gesetzes
dene Tagesordnung um die in der Zusatzpunktliste auf-
geführten Punkte zu erweitern: Lebensmittelinformation verbessern – Ver-
bindliche Ampelkennzeichnung einführen
ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktionen
(B) (D)
der CDU/CSU und der FDP: – Drucksachen 17/1987, 17/2185 –
Bedrohliches Anwachsen linksextremer Straf- Berichterstattung:
taten in Deutschland Abgeordnete Carola Stauche
(siehe 48. Sitzung) Iris Gleicke
Dr. Christel Happach-Kasan
ZP 2 Weitere Überweisungen im vereinfachten Ver-
Karin Binder
fahren
Ulrike Höfken
Ergänzung zu TOP 35
ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Bärbel
Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Martina
Kofler, Sören Bartol, Dirk Becker, weiterer Ab-
Bunge, Cornelia Möhring, Caren Lay, weiterer
geordneter und der Fraktion der SPD
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Marktanreizprogramm und nationale Klima-
Versorgung durch Hebammen und Entbin-
schutzinitiative fortsetzen
dungshelfer sicherstellen
– Drucksache 17/2119 –
– Drucksache 17/2128 –
Überweisungsvorschlag:
Überweisungsvorschlag: Haushaltsausschuss (f)
Ausschuss für Gesundheit (f) Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der
weit erforderlich, abgewichen werden.
SPD:
Die Tagesordnungspunkte 26, 28, 32 c, 35 n und 36 l
Auswirkungen des gescheiterten Bildungsgip-
werden abgesetzt.
fels auf die gemeinsame Bildungspolitik von
Bund und Ländern Die für morgen als letzter Tagesordnungspunkt ange-
kündigte Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
Die Linke wurde zurückgezogen und entfällt.
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ja, so
Nicole Maisch, Cornelia Behm, weiterer Abge- sind wir!)
4950 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) Das eröffnet die Möglichkeit zur Begleitung anderer be- Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank (C)
deutender nationaler Ereignisse. Schwabe, Dirk Becker, Marco Bülow, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Außerdem mache ich auf mehrere nachträgliche Aus-
schussüberweisungen im Anhang zur Zusatzpunktliste Unsere Meere brauchen Schutz
aufmerksam: – Drucksache 17/1960 –
Der in der 46. Sitzung des Deutschen Bundestages überwiesen:
überwiesene nachfolgende Gesetzentwurf soll zusätz- Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Auswärtiger Ausschuss
lich dem Ausschuss für Arbeit und Soziales (11. Aus- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
schuss) zur Mitberatung überwiesen werden. Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Verwendung von Verwaltungsdaten für Wirt- Ausschuss für Tourismus
schaftsstatistiken und zur Änderung von Sta- Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
tistikgesetzen
Sind Sie mit diesen Vereinbarungen einverstanden? –
– Drucksache 17/1899 – Das ist der Fall. Damit ist das so beschlossen.
überwiesen: Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b auf:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Innenausschuss a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und desregierung eingebrachten Entwurfs eines …
Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes
(Artikel 91 e)
Der in der 46. Sitzung des Deutschen Bundestages
– Drucksache 17/1939 –
überwiesene nachfolgende Antrag soll zusätzlich dem
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (9. Aus- – Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
schuss) zur Mitberatung überwiesen werden. tionen der CDU/CSU, SPD und FDP einge-
brachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Än-
Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia derung des Grundgesetzes (Artikel 91 e)
Behm, Undine Kurth (Quedlinburg), Agnes Malczak,
(B) weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- – Drucksache 17/1554 - (D)
NIS 90/DIE GRÜNEN
Beschlussempfehlung und Bericht des Innen-
Kyritz-Ruppiner Heide in ihrer Einheit erhal- ausschusses (4. Ausschuss)
ten – Voraussetzungen für eine chancenreiche – Drucksache 17/2183 –
Regionalentwicklung
Berichterstattung:
– Drucksache 17/1989 – Abgeordnete Ingo Wellenreuther
überwiesen: Michael Hartmann (Wackernheim)
Verteidigungsausschuss (f) Gisela Piltz
Finanzausschuss Jan Korte
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Wolfgang Wieland
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus b) – Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
Haushaltsausschuss
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Die in der 46. Sitzung des Deutschen Bundestages Gesetzes zur Weiterentwicklung der Orga-
überwiesenen nachfolgenden Anträge sollen zusätzlich nisation der Grundsicherung für Arbeitsu-
dem Ausschuss für Tourismus (20. Ausschuss) zur Mit- chende
beratung überwiesen werden. – Drucksachen 17/1940, 17/2057 –
Beratung des Antrags der Fraktion der SPD – Zweite und dritte Beratung des von den Frak-
tionen der CDU/CSU, SPD und FDP ein-
Die Fußball-Weltmeisterschaft – Eine Chance gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
für Südafrika Weiterentwicklung der Organisation der
Grundsicherung für Arbeitsuchende
– Drucksache 17/1959 –
überwiesen: – Drucksache 17/1555 –
Auswärtiger Ausschuss (f)
Sportausschuss
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
Ausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe schusses für Arbeit und Soziales (11. Aus-
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und schuss)
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus – Drucksache 17/2188 –
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4951
Präsident Dr. Norbert Lammert
(A) Berichterstattung: Nichts ist mächtiger als eine Idee, deren Zeit ge- (C)
Abgeordnete Angelika Krüger-Leißner kommen ist.
– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- Ein großes Wort. Aber wir können es vielleicht auch für
schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung diese große Jobcenterreform anwenden. Denn die Idee,
die dahinter stand, war: Wir alle haben die Erfahrung ge-
– Drucksache 17/2190 –
macht, dass es wichtig ist, bei der Vermittlung von Ar-
Berichterstattung: beitslosen in Arbeit vor Ort Gestaltungsspielraum zu ha-
Abgeordnete Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land) ben, die Hilfen schnell, effizient und passgenau
Bettina Hagedorn anzubieten und aus einem Bündel von Maßnahmen das
Dr. Claudia Winterstein Richtige wählen zu können. Wir hatten aber auch die
Roland Claus Grundfrage zu lösen: Wie kann man es, wenn vonseiten
Alexander Bonde des Bundes Milliarden investiert werden, so steuern,
dass das Geld effizient eingesetzt ist? Ich glaube, hier ist
Über den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
uns etwas Außergewöhnliches gelungen: einerseits ein
Grundgesetzes werden wir später namentlich abstim-
hohes Maß an Freiheit und Gestaltungsspielraum in den
men.
Jobcentern, andererseits eine ganz moderne Steuerung
Außerdem liegt zu diesem Gesetzentwurf ein Ent- nach Zielen mit Vergleichbarkeit der Daten, der Erfolge.
schließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD Das zeigt, dass wir bei der Modernität ein großes Stück
und FDP vor. Weiterhin hat die Fraktion Die Linke zu vorangekommen sind.
dem Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende ei-
nen Entschließungsantrag eingebracht. Erstens. Wir wollen einerseits Leistung aus einer
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für Hand. Es war eine viel diskutierte Frage, ob das gelingt,
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich unabhängig davon, ob vor Ort die Kommune oder die
höre keinen Widerspruch. Dann können wir so verfah- Bundesagentur für Arbeit zuständig ist oder beide zu-
ren. sammenarbeiten.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der Zweitens. Wir haben es mit einer modernen Zielsteue-
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen. rung und Transparenz bei den Erfolgsmessungen ge-
schafft, dass die Mittel so wirkungsvoll wie möglich
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) eingesetzt werden. Nicht die Masse der Mittel macht es,
(B) sondern die Qualität der eingesetzten Mittel ist entschei- (D)
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für dend.
Arbeit und Soziales: Drittens. Wir haben einen guten Weg gefunden und
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der Weg sagen: Eine schnelle, passgenaue Vermittlung sorgt da-
hin zu der Gesetzesvorlage, die wir jetzt beschließen für, dass die Fähigkeiten von Arbeitslosen zum Tragen
werden, war nicht einfach. Er war steinig und schwierig. gebracht werden, dass die Arbeitslosen so gefördert wer-
Diese wichtige Reform stand mehr als einmal auf der den, dass sie diese Fähigkeiten auch einsetzen können.
Kippe. Alle in diesem Raum wissen, dass die Schwarz- Das ist vor allem im Sinne der Menschen, die unsere
maler unter uns so manches Mal Konjunktur gehabt ha- Hilfe brauchen.
ben. Ich freue mich umso mehr, dass wir nach zweiein-
halb Jahren fruchtloser Streitereien und dann einigen (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
Monaten sehr konstruktiver Arbeit jetzt eine sehr mo- Jörg van Essen [FDP])
derne und gute Lösung und vor allen Dingen eine Lö-
Das Ziel „Alle Leistungen aus einer Hand“ ist in die-
sung im Sinne der Menschen, vor allem der Arbeitslo-
sen schwierigen Zeiten erfüllt: Uns war wichtig, eine
sen, gefunden haben.
Hand auszustrecken, damit die Mittel nicht für Unwirk-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sames verschwendet werden und sich die Mitarbeiterin-
neten der FDP) nen und Mitarbeiter in den Jobcentern nicht im Wirrwarr
der Instrumente verheddern. Wir wollten vielmehr eine
Ich freue mich nicht nur, dass es gelungen ist, eine
Hand, die im richtigen Moment den Gestaltungsspiel-
Lösung über die Grenzen des Föderalismus hinweg, also
raum hat, um die richtige Hilfe für die einzelne Person
für Bund, Länder und Kommunen als Einheit, zu finden,
zu finden. Das ist hier heute gelungen.
sondern ich freue mich auch, dass wir jetzt trotz aller
Hakeleien über die Parteigrenzen hinweg eine gute Re- Mir ist nicht wichtig – das will ich vonseiten des Bun-
form auf den Weg bringen. Das zeigt einmal mehr, dass des sagen –, in welcher Konstellation vor Ort gearbei-
unsere Demokratie intakt ist – und das ist in diesen tet wird, ob in einem Jobcenter in einer Optionskom-
schwierigen Zeiten viel wert. mune oder in einer gemeinsamen Verwaltung von
Bundesagentur für Arbeit und kommunaler Verwaltung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
Das Entscheidende ist, dass die Leistung vor Ort nicht
bei Abgeordneten der SPD)
mehr vom Zufall abhängt – ob da engagierte Menschen
Es gibt ein schönes Wort von Victor Hugo. Er hat ge- arbeiten oder nicht –, sondern dass wir überall in
sagt: Deutschland gleich hohe, qualitativ hochwertige Maß-
4952 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen


(A) stäbe anlegen, sodass wir überall in Deutschland auf (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C)
Knopfdruck vergleichen können: Wie sind die Erfolge? NEN]: Das war Koch!)
Wie setzt sich das Jobcenter ein? Wie setzt es seine
Möglichkeiten ein? Das schafft Wettbewerb, vor allem Wir haben bei Ihnen ein einzigartiges Hickhack be-
aber die Möglichkeit, von den Besten zu lernen. So geht obachtet.
Fortschritt; nur so werden wir besser. Lassen Sie mich zunächst auf das Sparpaket einge-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) hen. Sie haben etwas vor, das im Prinzip unvorstellbar
ist. Sie streichen die Mittel für die Arbeitsmarktpolitik
Ich weiß, dass es Diskussionen über das Ausmaß der zusammen. Sie wollen aus Pflichtleistungen Ermessens-
Mittel gegeben hat, die eingesetzt werden. Aber gerade leistungen machen. Gleichzeitig sagen Ihre Kanzlerin
angesichts der Spardiskussionen ist es wichtig, festzu- und Ihre Bundesbildungsministerin deutlich: Die Bil-
halten: In diesem Land wird inzwischen jeder fünfte dungspolitik soll nicht zusammengestrichen werden. Ich
Euro für die Schuldentilgung ausgegeben. In diesem frage mich an dieser Stelle: Was ist Arbeitsmarktpolitik?
Land wird im Bundeshaushalt inzwischen jeder vierte Arbeitsmarktpolitik ist Chancenpolitik. Arbeitsmarktpo-
Euro kreditfinanziert ausgegeben. Wir sind also in einer litik ist Bildungspolitik für normale Arbeitnehmer und
Zeit, in der wir konsolidieren müssen. Arbeitnehmerinnen.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wussten Sie (Beifall bei der SPD)
das bei der Hotelsteuer auch?)
Was Sie tun, ist verantwortungslos. Wir werden die
Wir sind in einer Zeit, in der wir uns, wenn wir nicht wie Konstellation vorfinden, dass aktive Arbeitsmarktpoli-
Spanien, Portugal oder Griechenland an unseren eigenen tik ab dem nächsten Jahr nicht mehr stattfindet. Wir wer-
Schulden ersticken wollen, der schmerzhaften Anstren- den die Situation haben, dass Optionskommunen mit
gung unterziehen müssen, zu schauen: Welche Aufgaben leeren Händen dastehen. Die Jobcenterreform wird letzt-
sind sinnvoll? Man muss die Maßnahmen auf den Prüf- lich ausgehöhlt. Wir werden auch vor der Situation ste-
stand stellen und die weniger wirksamen streichen. Das hen, dass gerade in den von Ihnen unter besonderer Be-
ist in den letzten Tagen geschehen. Ich weiß, dass es hier obachtung stehenden Gruppen, nämlich den der
viel Diskussionsbedarf gibt; aber keinem einzigen Ar- Alleinerziehenden, der Älteren und der Jugendlichen,
beitslosen in diesem Land ist geholfen, wenn dieses nichts mehr stattfindet, weil die Programme zusammen-
Land an seinen Schulden erstickt, wenn wir durch die gestrichen oder gekürzt werden. Wir haben dies alles in
Verschuldungsspirale, die immer weiter angetrieben diesem Jahr schon einmal erlebt. Wir haben erlebt, dass
wird, in einer Inflation landen – Länder wie Griechen- Sie eine Haushaltssperre in Höhe von 900 Millionen
land, Spanien und Portugal erleben das jetzt. Wenn der Euro veranlasst haben. Hätte es nicht unsere Bemühun- (D)
(B) Sozialstaat in sich zusammenbricht, dann müssten das
gen gegeben, wäre die Arbeitsmarktpolitik bereits in die-
auf bittere Weise die Menschen ausbaden, die eigentlich sem Jahr vernichtet worden.
die Hilfe des Sozialstaates bräuchten.
Lassen Sie mich etwas zu den Jobcentern sagen. Es
Der Sozialetat nimmt 55 Prozent des Bundeshaushalts gibt eine Erzählung von Margarete von Navarra – heut-
ein. In den nächsten vier Jahren schaffen wir es, zu kon- zutage kennt sie fast niemand mehr –, deren Titel wie
solidieren, indem ein Anteil von 3 Prozent des Sozial- folgt lautet:
etats eingespart wird. Das ist meines Erachtens eine
Leistung, die deutlich macht: Dieser Sozialstaat steht auf Schlauheit eines Verliebten, der bei einer Mailänder
festen Füßen. Wir wollen, dass das auch in Zukunft so Dame unter der Maske ihres getreuen Dieners des-
ist. Deshalb sind diese Schritte für die Zukunft richtig. sen sauer verdienten Liebeslohn einheimst.
Vielen Dank. Ich mag mir nicht anmaßen, zu entscheiden, ob dieser
Titel schon zu den Verhandlungen über die Jobcenter
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
passt. Auf jeden Fall passt ein geflügeltes Wort aus die-
ser Erzählung: Was lange währt, wird endlich gut.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält die Kollegin Anette Kramme für die Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir in der Arbeits-
SPD-Fraktion. marktpolitik nicht vor der Situation stehen, dass die Ar-
beitsgemeinschaften auseinandergerissen werden. Wir
(Beifall bei der SPD) hätten dort Umstrukturierungsprozesse gehabt, die dazu
geführt hätten, dass Arbeitsvermittlung, also das, was für
Anette Kramme (SPD): den Einzelnen so entscheidend ist, für mindestens ein
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Jahr nicht stattfindet. Wir sind sehr dankbar dafür, dass
Kollegen! Frau Bundesministerin, ich bin dankbar dafür, wir es erreichen konnten, dass die Betreuung aus einer
dass Sie einen Konnex zwischen der Jobcenterreform Hand weiterhin stattfindet. Für Langzeitarbeitslose ist es
auf der einen Seite und dem Sparpaket, das Sie verab- gut, dass sie nicht von Pontius zu Pilatus geschickt wer-
schieden wollen, auf der anderen Seite hergestellt haben. den, nicht von einer Behörde zur anderen gehen zu müs-
Es gibt gewisse Zusammenhänge. Eine Jobcenterreform sen, einen Bescheid zu haben, gegebenenfalls einen Wi-
muss man gut machen. Ich behaupte: Wir sind diejeni- derspruch einzulegen, nur einmal klagen zu müssen und
gen gewesen, deretwegen das Gesetz überhaupt zustande vor allen Dingen – das ist das Entscheidende – bei der
gekommen ist. Arbeitsvermittlung aus einer Hand betreut zu werden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4953
Anette Kramme
(A) Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir es als SPD er- was wir heute hier gemeinsam beschließen wollen, ein (C)
reicht haben, dass im Rahmen dieser neuen Jobcenter ei- guter Kompromiss ist.
niges besser wird. Wir haben eine verbesserte Betreu-
ung, weil wir es entgegen dem erbitterten Widerstand Frau Kramme, deswegen will ich heute einmal das
der FDP erreicht haben, dass 3 200 Stellen entfristet Verbindende herausstellen, den Erfolg, den wir gemein-
werden konnten. Das ist gut. Wir brauchen personelle sam erreicht haben.
Kontinuität. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Beifall bei der SPD) An einem so besonderen Tag wie dem heutigen ist es
Ohne personelle Kontinuität kann es keine guten Leis- wichtig, den Menschen nicht die Fortsetzung des Streites
tungen bei der Arbeitsvermittlung geben. zu liefern, nach dem Motto: Was hätte man alles noch
machen können? Wer hat was gefordert, aber nicht er-
Wir sind auch glücklich darüber, dass wir es erreichen reicht? Ich glaube, wir müssen auch einmal sehr deutlich
konnten – ebenfalls gegen den erbitterten Widerstand sagen: Unsere Demokratie funktioniert. Unsere Demo-
der Koalition –, dass ein Betreuungsschlüssel festge- kratie ist kein Strom, der wie in Kanälen immer gerade-
schrieben wird. Das ist noch nicht der Betreuungsschlüs- aus fließt, sondern das ist ein Strom, der manchmal auch
sel, den wir uns in letzter Konsequenz und für alle Ewig- mäanderförmig verläuft, der sich in Kurven durch die
keit vorstellen. Es gibt mittlerweile eine Reihe von Zeit bewegt. Unsere Demokratie ist ein Strom, der
Untersuchungen, die belegen, dass der Betreuungs- manchmal scheinbar steht, sich in Stromschnellen aber
schlüssel ein ganz wichtiger Punkt ist. Das ist leicht doch recht flott bewegen kann.
nachzuvollziehen: Bei einem günstigeren Betreuungs-
schlüssel kann man sich um den Einzelnen besser küm- (Thomas Oppermann [SPD]: Manchmal
mern. Dann kann man ihn in seiner Persönlichkeit erfas- kommt das Wasser nicht an!)
sen, seine Ängste aufgreifen, ihn besser motivieren, ihm Wir müssen den Menschen heute sagen: Trotz aller Dif-
Tipps geben usw. Nach unserer Vorstellung kann das ferenzen, trotz des tagespolitischen Streits, trotz des
deshalb nur der Anfang sein. Wir wollen letztendlich zu Zähneknirschens bei allen Beteiligten – je nach Thema –
einem Betreuungsschlüssel in der Größenordnung 1 : 75 ist es am Ende gelungen, die in organisatorischer Hin-
kommen. Dann stünde für jeden Arbeitsuchenden alle sicht aktuell größte sozialpolitische Herausforderung
zwei Wochen etwa eine Stunde für die Betreuung zur zum Wohle der Menschen, vor allen Dingen zum Wohl
Verfügung. Ich denke, das ist ein guter Ansatz für die der Langzeitarbeitslosen in unserem Land, die künftig
weitere Arbeitsmarktpolitik. auf bessere Leistungen aus einer Hand hoffen dürfen, zu
Wir haben in der letzten Besprechung nochmals ver- meistern.
(B) sucht, das Thema „Alleinerziehende“ aufzugreifen. Wir (D)
Deswegen gilt mein persönlicher Dank denen, die
haben gesagt: Es ist wichtig, dass gerade die Alleinerzie- dazu beigetragen haben. Allen voran möchte ich Herrn
henden einen Arbeitsplatz finden, weil sonst auch Kin- Staatssekretär Hoofe aus dem BMAS nennen, der die
derarmut droht. Aber leider konnten wir auch hierbei Verhandlungen in kritischen Situationen, wenn es mal
kein Engagement seitens der Bundesministerin beobach- hakte, mit geschickter Hand, mit guten Ideen und viel
ten. Auch hier war tote Hose angesagt. Es gibt keinerlei Kreativität vorangebracht hat. Auch Frau Neifer-Porsch
Arbeit oder Entgegenkommen in diesem Bereich, was und der Geschäftsstelle im Ministerium, die eine gute
mich sehr wundert. Arbeit geleistet haben und die für die Verständigung not-
Letztlich sind wir aber doch froh, dass wir diesen wendigen Papiere immer zeitnah zur Hand hatten, danke
Kompromiss in dieser Art und Weise gestalten konnten. ich.
Wir wünschen uns, dass die Jobcenter nunmehr auf Ich bedanke mich bei den Verhandlungsteilnehmern
Dauer beharrlich und gut arbeiten können. Wir werden auf allen Seiten. Ich will mit der SPD beginnen. Herr
uns in der nächsten Zeit noch mit einigen anderen The- Heil, bei Ihnen ganz persönlich, aber auch bei den Lan-
men der Arbeitsmarktpolitik befassen müssen. desministern, die Sie begleitet haben, Frau Dreyer und
Herzlichen Dank. Herr Baaske, bedanke ich mich. Es war sehr angenehm,
mit Ihnen zusammenzuarbeiten. Ich will das Lob nicht
(Beifall bei der SPD) überdehnen, sonst schlägt es möglicherweise ins Gegen-
teil um.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Dr. Heinrich Kolb ist der nächste Redner für die FDP- (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie waren aber
Fraktion. auch ganz gut!)

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Ich bedanke mich auch bei den Vertretern der B-Seite,
Herrn Beermann, Frau Haderthauer, und den Kollegen
aus dem Bundestag in der Koalition, dem Kollegen
Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Schiewerling und dem Kollegen Straubinger, mit denen
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der wir täglich viel zu tun haben.
Volksmund sagt: Was lange währt, wird endlich gut. Ich
weiß nicht, ob die Steigerung auch gilt: Was länger dau- (Anette Kramme [SPD]: Vor allen Dingen Ihr
ert, wird umso besser. Ich glaube aber, dass wir heute, Entgegenkommen, Herr Kolb, war wunder-
am Ende eines langen Weges, sagen können, dass das, bar!)
4954 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Dr. Heinrich L. Kolb


(A) – Bitte? Das habe ich jetzt nicht ganz verstanden, Frau kurze, knappe und klare Formulierung. Ich bin damit zu- (C)
Kollegin Kramme. frieden.
(Anette Kramme [SPD]: Ihre Kompromissbe- Zu den Jobcentern. Wir machen die gute Zusammen-
reitschaft hat uns jederzeit überzeugt!) arbeit der letzten Jahre verfassungssicher. Aber wir zie-
hen auch dort Konsequenzen, wo wir Reibungsverluste
Ich muss sagen: Das war eine gute Zusammenarbeit,
in der Praxis festgestellt haben. Ich finde das koopera-
die erfolgreich war.
tive Steuerungsmodell, auf das wir uns verständigt ha-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ben, besonders wichtig. Es wird künftig sowohl bei den
der CDU/CSU und der SPD) Optionskommunen als auch bei dem Zusammenwirken
von Bundesagentur und Kommunen sozusagen ein über-
Jetzt bin ich nicht jemand, der wie Sie, Frau Kramme, geordnetes Dach und übrigens auch die Vergleichbarkeit
sagt: Na ja, zwei Jahre lang ging es nicht voran, dann zwischen den beiden Wegen der Leistungserbringung,
kam die FDP, und binnen sieben Monaten war das Pro- dem Regelfall und dem Ausnahmefall der Option, si-
blem gelöst. cherstellen.
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der Wir haben vernünftige Lösungsmechanismen bei
FDP) Konfliktfällen. In der letzten Phase der Gesetzgebung
Das wäre sicherlich nicht die ganze Wahrheit. Man muss haben wir bei einem kritischen Punkt, der Feststellung
sagen: Alle haben sich am Ende bewegt. Ich will festhal- der Erwerbsfähigkeit, eine, wie ich finde, sehr weise
ten, dass nach einer grundsätzlichen Entscheidung in Entscheidung getroffen, indem wir den Sozialmedizini-
Wiesbaden – an dieser Stelle geht mein Dank an den hes- schen Dienst der Rentenversicherung in das Verfahren
sischen Ministerpräsidenten und auch den stellvertreten- eingebunden haben. Insgesamt bin ich also mit dem, was
den hessischen Ministerpräsidenten, Jörg-Uwe Hahn –, wir hier auf den Weg bringen, sehr zufrieden.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Weil sie Frau (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
von der Leyen überstimmt haben!)
Hinsichtlich der Optionskommunen – das will ich
einer klaren Ansage, sozusagen dem Aufstellen eines hier noch sagen – ist für uns Liberale besonders erfreu-
Stoppschildes sehr schnell Bewegung in die richtige lich, dass die Entfristung gelungen ist. Es war für uns ein
Richtung kam, die sich zu einer gemeinsamen Bewe- zentraler Punkt, dass – jetzt nicht nervös werden,
gung entwickelt hat. Man hat gesehen, wie zügig und Hubertus Heil – für 41 bis 43 neue Kommunen,
konstruktiv die Verhandlungen dann gelaufen sind.
(B) (Hubertus Heil [Peine] [SPD]: 41!) (D)
Ich glaube, die Lösung, die wir heute haben – Herr
Oppermann, Sie nicken schon; Sie wissen doch noch gar je nach dem, wie die Gebietsreform in Sachsen läuft – des-
nicht, was ich sagen will –, wegen nenne ich die 43; ansonsten wird an der Zahl 110
nicht gerüttelt –, die Möglichkeit, zu optieren, besteht.
(Thomas Oppermann [SPD]: Aber Sie sind auf
der richtigen Spur!) (Anette Kramme [SPD]: 41!)

nämlich die Leistungserbringung aus einer Hand si- Das Regel-Ausnahme-Verhältnis bleibt gewahrt. Die
cherzustellen, kann sich sehen lassen. Künftig wird es in Länder haben großen Einfluss auf die Verteilung der Op-
ganz Deutschland heißen: ein Bürger, ein Bescheid, übri- tionskommunen, aber – das sage ich auch – sie stehen
gens auch ein Name für die Einrichtung. jetzt auch in der Verantwortung. Ich sage das vor dem
Hintergrund, dass man zuletzt einen gewissen Run auf
(Thomas Oppermann [SPD]: War immer un- die Option feststellen konnte. Für mich ist wichtig: Wir
sere Rede!) haben in einer diese Gesetzgebung begleitenden Verord-
nung klare Kriterien festgelegt, die sicherstellen, dass
Es wird nicht mehr Argen und Optionskommunen ge-
die Optionen nach Befähigung und nicht nach politischer
ben, sondern es gibt überall in Deutschland Jobcenter, an
Couleur vergeben werden. Das heißt für mich: Der Wett-
die sich die Menschen wenden, wenn sie Unterstützung
bewerb zwischen den Modellen der Leistungserbringung
in ihrer schwierigen persönlichen Lebenslage, der Lang-
ist mit dem heutigen Tag nicht zu Ende, sondern er be-
zeitarbeitslosigkeit, benötigen.
steht fort. Ich glaube, dass wir, gerade weil die besten
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Kommunen optieren und als Leuchttürme in unserer ar-
der CDU/CSU) beitsmarktpolitischen Landschaft stehen werden, auch
auf Dauer einen wohltuenden, einen effizienzsteigernden
Die Verfassungsänderung wird mein Kollege Wettbewerb zwischen den Systemen werden beobachten
Christian Ahrendt gleich noch im Detail beleuchten. können.
Aber ich will so viel sagen: Ich glaube, es ist zum einen
eine sichere Grundlage für die Änderungen, die wir ein- Ganz wichtig ist: Es gibt endlich auch Sicherheit für
fachgesetzlich vornehmen wollen, und es ist zum ande- die Mitarbeiter in den Argen und in den Optionskommu-
ren etwas, das sich vor den Augen von Verfassungsäs- nen. Es ist wichtig, dass auch an dieser Front Ruhe ein-
theten sehen lassen kann. Es ist – anders als die Lyrik, kehrt, dass keine unnötigen Personalbewegungen mehr
die sich in der jüngeren Vergangenheit an der einen oder stattfinden. Insgesamt sind wir also auf einem guten
anderen Stelle ins Grundgesetz eingeschlichen hat – eine Wege.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4955
Dr. Heinrich L. Kolb
(A) Was die getrennte Trägerschaft anbelangt, muss Spielregeln, und das Problem ist gelöst. So handeln Sie, (C)
man sagen: Die getrennte Aufgabenwahrnehmung wird meine Damen und Herren.
in Zukunft nicht mehr möglich sein. Aber wir haben im-
merhin – das finde ich auch gut – eine längere Über- Doch hier handelt es sich leider nicht um ein Spiel. Es
gangsfrist für diejenigen Kommunen verabredet, die geht um das Schicksal und die bittere Realität von Mil-
möglicherweise eine Option anstreben, nämlich bis zum lionen erwerbslosen Menschen. Durch die vorliegenden
Ende des Jahres 2011. Gesetzentwürfe werden die Strukturfehler des Systems
Hartz IV überhaupt nicht beseitigt.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja! Es war Frau
Mast, die das gefordert hat!) (Beifall bei der LINKEN)
Das ist gut. Das eröffnet auch diesen Kommunen noch Nach wie vor gibt es die Einteilung der arbeitslosen
die Möglichkeit, sich neu zu orientieren. Menschen in zwei Klassen, nämlich in die, die das Glück
Insgesamt lässt sich feststellen – ich will das Verbin- haben, Anspruch auf Betreuung nach dem SGB III zu
dende hervorheben –: Alle von uns hätten weitere Wün- haben, und die, die diesen Anspruch schon verbraucht
sche gehabt, was man in diese Gesetzgebung noch hätte haben und in Hartz IV abrutschen. Diese Ungleichbe-
einfließen lassen können. Am Ende bleibt: Wir haben handlung, meine Damen und Herren, ist unerträglich.
gemeinsam eine Lösung gefunden und vorgelegt, auf die Das nehmen wir als Linke nicht hin.
wir auch gemeinsam stolz sein dürfen; das sollten wir an (Beifall bei der LINKEN)
diesem Tag herausstellen. Auch wenn es manchmal hakt,
am Ende geht es doch. Auch Frau Ministerin von der Leyen hat dieses
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Thema vorhin angesprochen. Ihr Slogan war: Hilfe aus
einer Hand. Derzeit und auch in Zukunft werden es aber
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) viele Hände sein, die ganz unterschiedlich geführt und
mit unterschiedlich viel Geld gefüllt werden. Es beste-
Präsident Dr. Norbert Lammert: hen Strukturen, bei denen es schwerfällt, den Überblick
zu behalten, sowohl für die Erwerbslosen als auch für
Das Wort erhält nun die Kollegin Sabine
die Beschäftigten der Argen und Kommunen, die im Üb-
Zimmermann, Fraktion Die Linke.
rigen nicht zu beneiden sind. Sie befinden sich nämlich
(Beifall bei der LINKEN) schon seit vielen Jahren in einem dauerhaften Reform-
und Experimentierprozess mit ungewissem Ausgang.
Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Das haben Sie in den letzten Jahren veranlasst, meine
(B) (D)
Damen und Herren.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr
Kolb, wenn Sie sagen: „Was länger dauert, wird umso Diese unübersichtlichen Strukturen sollen nun durch
besser“, dann sagen wir: Was nicht passt, wird von Ihnen ein „Weiter so!“ aufrechterhalten oder sogar noch ausge-
passend gemacht. Denn das war der Grundsatz, nach baut werden. Die Kommunen haben im Moment die
dem Sie in den letzten Jahren gehandelt haben. Euro-Zeichen in den Augen. Angesichts des bevorste-
Vor rund zweieinhalb Jahren hat das Bundesverfas- henden Streichkonzerts von Frau Ministerin von der
sungsgericht festgestellt, dass die Arbeitsgemeinschaf- Leyen in der Arbeitsmarktspolitik werden es jedoch bald
ten aus Bundesagentur und Kommunen nicht mit der Tränen sein.
Verfassung vereinbar sind – ausreichend Zeit, um sich Durch die Erhöhung der Zahl der kommunalen Träger
Gedanken zu machen, welche Konsequenzen und wird es für die betroffenen Menschen noch schwerer, das
Schlüsse man aus dem Urteil ziehen sollte, um die Ar- System zu durchblicken, und es wird zunehmend ein
beitsverwaltung verfassungskonform zu gestalten, aber Glücksspiel werden, wie gut man betreut und beraten
auch bestehende Mängel in der Betreuung und Vermitt- wird, welche Leistung oder Förderung man erhält oder
lung von Langzeiterwerbslosen zu beseitigen. auch nicht. Die Linke zweifelt daran, ob Sie diesen ar-
Was ist stattdessen passiert? Weder die Vorgängerre- beitsmarktpolitischen Flickenteppich überhaupt noch im
gierung noch die aktuelle Regierung hatten Interesse da- Griff haben werden. Jeder erwerbslose Mensch in die-
ran, sich ernsthaft mit inhaltlichen Fragen der Arbeits- sem Land, egal, wo er wohnt, ob im Norden oder im
marktpolitik zu befassen bzw. die Personen in den Süden, muss durch die Arbeitsmarktpolitik dieselben
Mittelpunkt zu stellen, um die es eigentlich gehen sollte, Möglichkeiten erhalten. Mit den vorliegenden Gesetz-
nämlich die vielen erwerbslosen Menschen, die es in un- entwürfen wird der begonnene falsche Weg fortgeführt
serem Land leider gibt. und ausgebaut.
Anstatt die Arbeitsverwaltung so zu organisieren, Ich will auf die örtlichen Beiräte eingehen. Die
dass sie dem Grundgesetz entspricht, hat man sich dafür Funktion der örtlichen Beiräte bleibt auf unverbindliche
entschieden, das Grundgesetz an die Realität anzupas- und symbolische Beratung beschränkt. Die Beiräte sind
sen. Ich frage Sie: Wo leben wir denn, dass wir das deshalb nicht in der Lage, gegen Missbrauch oder Ver-
Grundgesetz an all dies anpassen? Wenn man in einem drängungseffekte zum Beispiel im Rahmen der 1-Euro-
Spiel nicht gut genug ist oder es nicht richtig versteht Jobs vorzugehen, und sie haben kein Vetorecht. Zudem
und nur selten oder nie gewinnt, ändert man einfach die ist auch keine Vertretung von Betroffenen vorgesehen.
4956 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Sabine Zimmermann
(A) Zusammenfassend muss man feststellen, dass durch fassungsmäßigkeit hergestellt wird, und der Entwurf ei- (C)
die vorliegenden Gesetzentwürfe die Einteilung von ar- nes Begleitgesetzes vor, in dem die zukünftigen Rege-
beitslosen Menschen in zwei Klassen Armut und Stig- lungen der Zusammenarbeit beschrieben werden.
matisierung im Bereich von Hartz IV ausgebaut werden
und dass nicht nach einer Lösung gesucht wurde, wie Diese Jobcenter-Reform – das sage ich sofort –, die
eine sinnvolle und sachlich richtige Betreuung und Ver- wir heute durchführen, ist ein erster Meilenstein auf dem
mittlung aussehen könnte. Sinn und Zweck von Hartz IV Weg zu einer noch effektiveren Arbeitsmarktpolitik und
bleiben weiterhin die Drangsalierung von erwerbslosen die erste Etappe für eine inhaltliche Runderneuerung
Menschen und die Disziplinierung von Arbeitnehmerin- der Grundsicherung. Mit dieser Jobcenter-Reform ver-
nen und Arbeitnehmern im Betrieb. Deshalb lehnt die folgen wir nur ein Ziel: die Schaffung der Rahmenbedin-
Linke die Entwürfe in Gänze ab. gungen dafür, dass Langzeitarbeitslose wieder in Be-
schäftigung kommen, und zwar möglichst in den ersten
Wir fordern, dass endlich über die inhaltlichen Pro- Arbeitsmarkt.
bleme der Arbeitsmarktpolitik in Deutschland gespro-
chen wird und Sie eine bessere Arbeitsmarktpolitik für Das, was wir heute machen, ist das Ergebnis einer
die erwerbslosen Menschen in diesem Land machen. großen Kraftanstrengung; das ist richtig. Deswegen will
auch ich in meiner Eigenschaft als Verhandlungsführer
(Beifall bei der LINKEN) der CDU/CSU-Fraktion den Partnern und den Mitwir-
kenden, unserer Bundesministerin Frau Dr. Ursula von
Durch das jüngste Kahlschlagprogramm wird mir aber
der Leyen, ihrem Staatssekretär, Herrn Hoofe, und sei-
gezeigt, dass das wahrscheinlich ein frommer Wunsch
nen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danken. Ich
bleiben wird.
danke sehr herzlich den Kolleginnen und Kollegen der
Danke. FDP, Herrn Kolb, der SPD, Herrn Kollegen Heil, den
Mitstreitern aus den Bundesländern und nicht zuletzt
(Beifall bei der LINKEN) meinem Kollegen Max Straubinger.

Präsident Dr. Norbert Lammert: Die große Verantwortung für die Menschen in der
Das Wort erhält nun der Kollege Karl Schiewerling Grundsicherung hat uns gemeinsam das wichtige Etap-
für die CDU/CSU-Fraktion. penziel erreichen lassen. Verwaltungen sind kein Selbst-
zweck; sie haben den Menschen zu dienen. Die Jobcen-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) ter-Reform richtet sich darum an den Bedürfnissen der
Menschen aus: Hilfe aus einer Hand, aber die Behörde
Karl Schiewerling (CDU/CSU): bleibt angebunden an ihre entsendenden Träger und an
(B)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! diejenigen, die sie tragen. Sie bleibt angebunden an die (D)
Meine Damen und Herren! Die Zusammenlegung von Kommune und an die BA.
Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe vor etwas mehr als In den letzten Jahren musste viel zu viel Energie auf-
fünfeinhalb Jahren war die größte steuerfinanzierte So- gewandt werden, um behördeninterne Probleme lösen zu
zialleistung, und das war richtig. Ich sage Ihnen: Sie war können. Deswegen ist es, glaube ich, wichtig, dass wir
unter dem Strich unverzichtbar, und sie bleibt unver- von jetzt an sehr konsequent die Menschen in den Mit-
zichtbar. telpunkt stellen. Die Grundvoraussetzungen dafür wer-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- den wir heute schaffen.
neten der FDP) Erstens. Das Prinzip „Hilfe aus einer Hand“ bleibt der
Bezogen auf dieses System wurde in den letzten fünf bewährte und zielführende Weg. Sie wird durch die
Jahren viel dazugelernt. Weil es völlig neu war, dass Grundgesetzänderung ermöglicht.
Kommunen und die Agentur für Arbeit plötzlich in einer Zweitens. Die optimale Hilfe durch Fördern und For-
gemeinsamen Trägerschaft zusammenarbeiten sollten, dern wird konsequent fortgeführt und rechtssicher
musste viel hinzugelernt werden. Man hat sich sozusa- ausgestaltet. Wir setzen dabei klar auf die lokalen Kom-
gen wie zwei Igel angenähert: ganz vorsichtig. – Vor al- petenzen vor Ort. Die bisherigen Optionskommunen
len Dingen hat man die gegenseitigen Defizite kennen- werden entfristet, und 41 weitere Optionskommunen
gelernt. Über die Chancen, die sich daraus ergeben und kommen hinzu. Ich halte das für einen wichtigen Schritt.
die sich im Laufe der letzten Jahre immer mehr heraus- Lassen Sie mich sehr deutlich sagen: Das hat viel mit
gestellt haben, hat man erst viel später gesprochen. unserem Föderalismus und dem Prinzip der Subsidiarität
Dass wir heute überhaupt eine solche Debatte führen zu tun; es hat nichts mit einem Flickenteppich zu tun.
und die Verfassung mit der notwendigen Mehrheit än- Augenscheinlich ist die Option so interessant, dass selbst
dern wollen, verdanken wir dem Bundesverfassungsge- Kommunen, in denen die Linken mitregieren, optieren
richt, das am 20. Dezember 2007 in einem Urteil ent- wollen. Ich empfehle Ihnen dringend, sich einmal die
schieden hat, dass genau diese Zusammenarbeit – so, Frage zu stellen, warum dies der Fall ist.
wie wir sie organisiert haben – offensichtlich nicht mit (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
dem Grundgesetz vereinbar ist. Nachdem viele unter- der FDP)
schiedliche Lösungswege vorgeschlagen wurden, liegen
dem Deutschen Bundestag heute ein Gesetzentwurf von Drittens. Bund, Länder und Kommunen agieren in
CDU/CSU, FDP und SPD, mit dem die notwendige Ver- Zukunft als verantwortliche Partner auf Augenhöhe. Das
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4957
Karl Schiewerling
(A) ist ein wichtiger Punkt; denn es hat in den vergangenen mente und damit der Hilfsmittel, die notwendig sind, um (C)
sechs Jahren immer wieder zu Problemen geführt, inwie- Menschen in Beschäftigung zu bringen. An diesem zen-
weit man gleichberechtigt und auf Augenhöhe zusam- tralen Punkt wird deutlich, wofür das SGB II eigentlich
menarbeitet. Das schaffen wir. Der Bund behält seine geschaffen wurde. Es wurde geschaffen, um den Men-
Richtlinienkompetenz. Ich denke, dass einer der zentra- schen, die der besonderen Hilfe bedürfen, alle Hilfen an
len Punkte dieser Reform den Teil betrifft, der am ehes- die Hand geben zu können, damit sie wieder in den ersten
ten unten wegbricht. Arbeitsmarkt kommen. Aber wohlgemerkt: Die Grund-
sicherung nach dem SGB II schafft keine Arbeitsplätze,
Wir werden eine völlig neue Steuerung schaffen. Wir sondern will helfen; sie fängt die Menschen in einer
werden nicht mehr durch Detailvorgaben bis ins Letzte Grundsicherung auf. Dann müssen wir ihnen mit aller
steuern, sondern durch ein vernünftiges Benchmarking Kraft helfen, wieder in Beschäftigung zu kommen. Des-
mit vergleichbaren Zahlen. Damit beenden wir die Dis- wegen steht die Organisation dieser Hilfsmittel, dieser,
kussion im Konkurrenzwettbewerb zwischen Options- wie wir sagen, arbeitsmarktpolitischen Instrumente im
kommunen und Jobcentern und ermöglichen damit Mittelpunkt der nächsten Schritte, die wir gehen werden.
Vergleichbarkeit. Letztendlich dient sie allen als gemein-
samer Ansporn, die Dinge gut zu machen. Meine Damen und Herren, ich bin fest davon über-
zeugt, dass wir mit der heutigen Entscheidung erreichen
Ich denke, die Reform führt zu guten Ergebnissen. Ich werden, für Hartz IV, wenn ich das etwas vulgär so sa-
bin fest davon überzeugt, dass wir den Menschen damit gen darf, oder die Grundsicherung für Arbeitsuchende,
konkret helfen können. Dazu zählt auch, dass wir den um es neutral auszudrücken, eine neue Perspektive zu
Betreuungsschlüssel verbessern. Ich halte die Entschei- eröffnen. Ich bitte Sie deswegen sehr herzlich, dem Ge-
dung, die wir getroffen haben, für wichtig; denn eine setzentwurf heute zuzustimmen, weil das Gesetz letzt-
weitere Erfahrung der letzten fünf Jahre ist, dass es im- endlich den Menschen dienen wird.
mer mehr darauf ankommt, den betroffenen Menschen
individuell zu helfen. Dabei helfen keine Pauschalpro- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
gramme; notwendig ist die unmittelbare, direkte Zuwen-
dung zu den Menschen. Deswegen ist auch diese Ent- Präsident Dr. Norbert Lammert:
scheidung von zentraler Bedeutung.
Das Wort erhält nun die Kollegin Brigitte Pothmer für
Aber wie ich vorhin gesagt habe: Es ist die erste die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Etappe. Die nächsten beiden Etappen werden so ausse-
hen, dass wir uns im Herbst dieses Jahres mit den Regel- Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
sätzen und den Hinzuverdienstgrenzen zu beschäftigen Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich finde
(B) haben. Aufgrund des Bundesverfassungsgerichtsurteils (D)
es richtig schön und freue mich, dass die Einigung über
vom 9. Februar dieses Jahres stehen dabei die Interessen die Jobcenter heute parteiübergreifend gepriesen wird.
und die Lebenssituation der Kinder und der Bildungs- Es ist in der Sache auch eine gute Einigung, das will ich
auftrag für die Kinder, die im Leistungsbezug der gar nicht verhehlen. Die Einigung ist in der Sache vor al-
Grundsicherung sind, im Mittelpunkt. Damit, liebe Frau len Dingen für die Arbeitslosen gut, und deswegen ist sie
Kramme, geht es eben nicht um weniger Geld für Bil- auch ein Erfolg.
dung, sondern um mehr.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- bei der CDU/CSU und der SPD)
NEN]: Herr Schiewerling, das glauben Sie
doch selbst nicht!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn aber alle sich
heute zu Müttern und Vätern des Erfolgs aufschwingen
Es wird genau zu prüfen sein, wie wir die Mittel, die und so tun, als hätten sie so viel dazu beigetragen, dann
längst vorgesehen sind, an der richtigen Stelle einsetzen, stellt sich doch die ganz schlichte, logische Frage: Wa-
nämlich so, dass sie den Kindern im Leistungsbezug tat- rum sind wir nicht schon vor zwei Jahren durchs Ziel ge-
sächlich zugute kommen. gangen?
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
neten der FDP) und bei der SPD – Dr. Heinrich L. Kolb
Wenn es um die Frage der Hinzuverdienstgrenzen [FDP]: Weil wir da noch nicht an der Regie-
geht, werden wir auch darüber zu reden haben, wie wir rung waren!)
das Lohnabstandsgebot einhalten und sicherstellen, dass Selten ist eine Niederlage so euphorisch gefeiert worden,
diejenigen, die arbeiten, mehr haben, als diejenigen, die wie es jetzt die Regierungskoalition tut; denn in ihrem
nicht im Erwerb sind, damit die Leistungsbereitschaft in Koalitionsvertrag steht ja noch, dass ihr Ziel darin be-
Deutschland erhalten bleibt und die Erzieherinnen und steht, die Jobcenter zu zerschlagen.
Kindertagesstättenleiterinnen ebenso wie die Kranken-
schwester und alle anderen merken, dass sich Arbeit (Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Ach, Frau
auch bei einem geringeren Einkommen lohnt. Pothmer, das ist doch langweilig!)
Meine Damen und Herren, der dritte Baustein, den wir Wirklich zu diesem Erfolg beigetragen haben die Aus-
im Frühjahr nächsten Jahres angehen werden, ist die Um- dauer der Kommunen, der Länder und der Träger und
strukturierung der arbeitsmarktpolitischen Instru- die Argumentation der Fachleute. Es gab nur wenige
4958 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Brigitte Pothmer
(A) Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die diesen Er- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ich kann doch (C)
folg wollten. nicht sagen: „Ich stimme zu“ und dann nur ne-
gative Punkte bringen!)
Wir unterstützen die Reform der Jobcenter, die von
Anfang an – Sie werden sich erinnern – das Ziel der Arbeitgeberservice, Empfangspersonal, Aktenboten –
Grünen nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sie alle können in die Berechnung des Betreuungsschlüs-
war. Deswegen werden wir dieser Grundgesetzänderung sels einfließen. Solange dies so ist, wird sich qualitativ
auch zustimmen. an der Betreuung von Arbeitslosen nicht wirklich etwas
ändern. Wenn Sie bei den Ausschussanhörungen zuge-
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das hätten Sie hört haben, dann wissen Sie, dass genau in dieser Frage
doch kürzer ausdrücken können! Sie haben eine Präzisierung gefordert worden ist. Diese sind Sie
viel Redezeit damit vertan!) schuldig geblieben. Ich halte das nicht für einen Zufall.

– Herr Kolb, cool down, Baby! Zusammengefasst: Ihre Reform ist mutlos und lü-
ckenhaft.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber ihr stimmt
Ihrem Entwurf eines Begleitgesetzes werden wir aber trotzdem zu!)
nicht zustimmen. Dieser ist von einem einzigen Wunsch Deswegen, Herr Kolb, bei aller Liebe:
geprägt. Er ist von dem Wunsch geprägt, die politischen
Geländegewinne der jeweils anderen Seite so gering wie (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!)
möglich zu halten. Dieses Verhalten hat dazu geführt, Wir werden ihr nicht zustimmen. Wir werden uns in die-
dass sehr viele Chancen für die Betroffenen vertan wor- ser Frage enthalten.
den sind.
Lassen Sie mich nun bitte etwas zu dem Sparpaket
Warum – das frage ich Sie, Frau Kramme – konnte sagen, weil dieses Sparpaket die Grundsicherung zusätz-
Ihre Seite sich nicht dazu entscheiden, den Kommunen lich torpediert. Frau von der Leyen, Sie wollen die Mittel
Wahlfreiheit zu geben und sie selbst entscheiden zu las- für die Arbeitsmarktpolitik drastisch reduzieren, und
sen, in welcher Organisationsstruktur sie die Langzeit- zwar auf das Niveau von 2006. Das heißt, dass zukünftig
arbeitslosen betreuen wollen? nur noch 4,5 Milliarden Euro jährlich für Qualifizierung
und Integrationsarbeit zur Verfügung stehen werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das ist eine satte Reduzierung, ein Minus von 30 Pro-
und bei der FDP) zent. Es gibt wirklich keine andere Gruppe, die derartig
(B) geschröpft worden ist wie die Arbeitsuchenden. Das ist (D)
Stattdessen steht jetzt eine willkürlich gegriffene Zahl nicht nur ungerecht, Frau von der Leyen, das ist auch
im Entwurf Ihres Begleitgesetzes. Ich wünschte mir, Sie eine volkswirtschaftliche Milchjungenrechnung;
würden einmal in der Sache begründen, warum Sie auf
110 Optionskommunen kommen. Das ist nichts anderes (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
als parteipolitische Gesichtswahrung. Dann machen Sie denn Sie werden das Mehrfache der Mittel, die Sie jetzt
auch noch ein Zweidrittelquorum zur Voraussetzung, nicht in die Arbeitslosen investieren, für die Alimentie-
um sich überhaupt als Optionskommune bewerben zu rung der Arbeitslosen zahlen. Nichts ist teurer als Ar-
können. Das alles sind nichts als Verhinderungsinstru- beitslosigkeit.
mente, und diese Verhinderungsinstrumente untergraben
die kommunale Entscheidungshoheit. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Sie haben immer betont, dass bei Bildung nicht gestri-
chen wird. Warum gilt das nicht für die Arbeitslosen?
Aber nicht nur bei den Optionskommunen zeigen Sie (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
sich halbherzig, auch bei den Jobcentern werden drin- Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
gend notwendige Korrekturen außen vor gelassen. Wir NEN]: Gute Frage!)
wissen seit Jahren, dass die kommunalen Kompetenzen
dringend gestärkt werden müssen, wenn Agentur und Was ist denn Investition in Bildung anderes als Qualifi-
Kommunen tatsächlich auf Augenhöhe arbeiten sollen. zierung, Umschulung und Förderung von Arbeitslosen?
Was machen Sie stattdessen? Stattdessen reduzieren Sie Sie selber haben immer vor dem Horrorszenario ge-
die kommunale Seite auf die Bereiche der Kosten der warnt, dass wir auf der einen Seite einen exorbitanten
Unterkunft und auf die flankierenden Sozialleistungen. Fachkräftemangel haben, auf der anderen Seite gleich-
Das geht an den Erfordernissen – Stichwort: Hilfe aus ei- zeitig eine hohe Arbeitslosigkeit. Ich frage Sie: Warum
ner Hand – vorbei. unterlassen Sie es dann, die Arbeitslosen jetzt zu Fach-
kräften auszubilden? Sie haben immer die Ausgewogen-
Jetzt will ich etwas zu dem Betreuungsschlüssel sa- heit des Sparpakets betont. Sie haben das Sparpaket da-
gen. Ja, ich finde es gut, dass der Betreuungsschlüssel mit verteidigt, dass Ihr Haushalt zwar die Hälfte des
zum ersten Mal in einem Gesetzentwurf festgeschrieben Bundesetats ausmacht, aber Sie nur zu einem Drittel an
worden ist. Aber solange die Formulierung so offen dem Sparpaket beteiligt sind. Die Frage der Gerechtig-
bleibt, wie sie jetzt im Gesetzentwurf steht, ist es ganz keit, Frau von der Leyen, stellt sich aber nicht bei den
einfach, auch anderes Personal mit einzurechnen. betroffenen Haushalten, die Frage der Gerechtigkeit
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4959
Brigitte Pothmer
(A) stellt sich bei den betroffenen Menschen. Auf diesem haufen vor uns. Die schleichende Lähmung durch Ver- (C)
Sparpaket klebt der kalte Stempel der FDP. unsicherung und Orientierungslosigkeit hätte zu einem
Chaos im Bereich der Grundsicherung geführt. Stattdes-
(Zurufe von der FDP: Oh!) sen hat sich noch rechtzeitig – ich schaue nach rechts –
Sie hätten sich vor Ihre Schutzbefohlenen stellen müs- in den Koalitionsfraktionen die Vernunft durchgesetzt.
sen, Frau von der Leyen. Sie haben sie aber im Stich ge- Ich will ganz deutlich sagen: Ohne die Entsperrung
lassen. der 900 Millionen Euro Eingliederungsmittel im Haus-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) halt und ohne die Entfristung der 3 200 Stellen wäre es
mit uns nicht gegangen.
Ich frage Sie: Auf welches Alarmsignal warten Sie
noch, wenn sich jetzt schon Millionäre bei der Regie- Heute liegt uns ein Konsensbeschluss zur neuen Or-
rung darüber beschweren, dass sie nicht genug Steuern ganisation der Jobcenter und Optionskommunen vor,
bezahlen? Es war kein Linksradikaler, sondern Augusti- den auch die Länder mittragen werden. Leider war das
nus, der vor mehr als 1 000 Jahren gesagt hat, dass Staa- 2004 nicht der Fall. Das hätte uns so manches erspart.
ten nichts als große Räuberbanden seien, wenn sie die (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Gerechtigkeit preisgäben.
Dass dieser Konsens möglich wurde, haben wir der
Ich kann nur sagen: Unter diesen Umständen wird für gemeinsamen Bund-Länder-Arbeitsgruppe zu verdanken
uns Grüne die Grundsicherung ein politischer Dauer- und auch dem Verhandlungsgeschick einzelner Akteure.
brenner bleiben müssen. Einige wurden schon gelobt. Herr Kolb, es ist doch ganz
Ich danke Ihnen. klar, dass ich an dieser Stelle unserem Verhandlungsfüh-
rer, Hubertus Heil, ganz herzlich danke. Hubertus, ohne
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – dich wäre es nicht so erfolgreich verlaufen. Danke!
Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Das war vor
1 600 Jahren, Frau Kollegin! Augustinus lebte (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf
vor 1 600 Jahren!) von der FDP)
Wir konnten zwar nicht hundertprozentig unsere Vor-
Präsident Dr. Norbert Lammert: schläge, die wir schon vor über einem Jahr mit dem
Angelika Krüger-Leißner ist die nächste Rednerin für ZAK-Modell vorgelegt haben, umsetzen, aber vieles von
die SPD-Fraktion. dem ist nun Bestandteil des Gesetzespaketes.
(Beifall bei der SPD) Was ist uns so wichtig an diesem Paket? Erstens haben
(B) wir Entscheidendes für die Verbesserung der Vermitt- (D)
Angelika Krüger-Leißner (SPD): lung erreicht. Mit dem verbindlichen Betreuungsschlüs-
sel von 1 : 75 bzw. 1 : 150 wird es den Fallmanagern – ich
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
verwende dieses Wort ganz bewusst, Frau Pothmer –
Kollegen! Mit dem heutigen Beschluss zur Neuorganisa-
besser gelingen, individueller und passgenauer zu bera-
tion der Grundsicherung ist endlich der Knoten geplatzt,
ten, zu begleiten und zu vermitteln.
der sich seit der Entscheidung des Bundesverfassungsge-
richts um den Fortbestand der Argen und der Options- Ich mache kein Geheimnis daraus, dass wir dies auch
kommunen gelegt hatte. bei anderen Zielgruppen für erforderlich halten. Ich
nenne nur die 645 000 Bedarfsgemeinschaften bei den
Ich bin froh, dass wir dieses Ergebnis nach langem
Alleinerziehenden, die Ihnen, Frau Ministerin, doch im-
Ringen heute vorlegen können. Froh sind im Übrigen
mer so erwähnenswert sind, die älteren Langzeitarbeits-
auch die vielen Betroffenen vor Ort, so die Mitarbeiter in
losen und die Schwerbehinderten.
der Arge Havelland und in der Optionskommune Ober-
havel bei mir zu Hause. Mit diesen bin ich mir einig, Ohne Frage können wir mit dem neuen Betreuungs-
dass dies ein guter Tag für die Beschäftigten ist. Vor al- schlüssel ein Stück mehr Qualität in die Vermittlung
len Dingen ist dies ein guter Tag für alle erwerbsfähigen bringen. Aber zwei Dinge gehören noch dazu – das dür-
Hilfeempfänger in der Grundsicherung. fen wir nicht vergessen –, zum einen eine Qualifizie-
rungsoffensive für die Mitarbeiter in den Jobcentern und
Das Damoklesschwert der getrennten Aufgaben-
in den Optionskommunen; denn nur wer gut ausgebildet
wahrnehmung schwebt nicht mehr über uns. Nach lan-
und motiviert ist, kann sich den Anforderungen stellen.
gem Zickzackkurs, den auch Sie mitgemacht haben,
Zum anderen gehört zum Prinzip der Leistung aus einer
Frau von der Leyen, gibt es nun das zukunftsfähige Mo-
Hand auch eine volle Hand.
dell der neuen Jobcenter. Schon der Name sagt, dass es
hierbei in erster Linie um gute Beratung und Vermittlung (Beifall bei der SPD)
geht, wobei alles unter einem Dach organisiert ist, also
Da gehen Sie, Frau von der Leyen, mit Ihren Vor-
alles aus einer Hand. Das Hin und Her für die Betroffe-
schlägen zum Sparpaket aber in die andere Richtung.
nen hört auf. Es gibt einen Ansprechpartner, der den Ar-
Sie wollen nämlich genau bei denjenigen einsparen, die
beitsuchenden zur Seite steht. Das war immer das Ziel.
ohnehin schon nicht sehr viel haben und auf staatliche
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist klar, wenn Hilfe angewiesen sind. Mit einem Lächeln und Ihrem
sich die Blockadehaltung von Teilen der Koalitionsfrak- Rotstift gehen Sie an die Rentenversicherungsbeiträge
tionen durchgesetzt hätte, dann läge heute ein Scherben- und das Elterngeld heran und machen Pflicht- zu Ermes-
4960 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Angelika Krüger-Leißner
(A) sensleistungen, um in die aktive Arbeitsmarktpolitik un- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (C)
gehindert mit Kürzungen eingreifen zu können. Das ist der CDU/CSU)
ziemlich schäbig; denn das wird gerade die Menschen
treffen, denen Sie schon vor Monaten eine Vermittlungs-
Christian Ahrendt (FDP):
offensive versprochen haben, nämlich jungen Menschen
und Alleinerziehenden. Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen
und Kollegen! Wir ändern gleich die Verfassung. Die
(Beifall bei der SPD) Hinzufügung des Art. 91 e ist sicherlich zunächst ein-
Ich denke, das hat mit sozialer Gerechtigkeit nichts zu mal, einfach betrachtet, keine Besonderheit, weil das
tun. Diese Sparpläne zulasten der Schwachen in unserem Grundgesetz schon mehrfach Änderungen im Staatsor-
Land sind Kürzungspläne, und die müssen wir verhin- ganisationsrecht hinter sich hat. Gleichwohl ist es eine
dern. Besonderheit, weil wir das im Nachgang zu einer verfas-
sungsgerichtlichen Entscheidung tun, mit der uns gesagt
Zu den positiven Inhalten unseres Gesetzespakets worden ist, dass die Mischverwaltung, die auf den Weg
zähle ich weiter die Verständigung aller auf den Renten- gebracht worden war, verfassungswidrig ist. Es ist zu-
versicherungsträger in der Frage der Zuständigkeit für nächst einmal ein durchaus bemerkenswerter Vorgang,
die Feststellung der Erwerbsfähigkeit – das ist sachge- wenn man sich dann nicht an eine solche Rechtspre-
recht –, aber auch die Verständigung auf die gemeinsame chung hält, sondern im Nachgang dazu eine verfassungs-
Personalvertretung für die Mitarbeiter in den Jobcentern. rechtliche Änderung vornimmt. Deswegen muss klar
Gut ist, dass es uns gelungen ist, die Übergangsfrist für sein, dass dies die absolute Ausnahme bleiben muss.
die bisher getrennten Aufgabenträger zu verlängern. Das Hier erfolgte sie für das Ziel, an der guten Idee der Ar-
ist besonders für Baden-Württemberg wichtig. beitsgemeinschaften und der Jobcenter auch in Zukunft
(Katja Mast [SPD]: Genau!) festhalten zu können.

Meine Kollegin Katja Mast, die gerade „Genau!“ rief, Ein zweiter Punkt, den ich an dieser Stelle nennen
hat sich dafür stark gemacht, dass diese Träger keine Be- muss: Von dem eigentlichen Prinzip, das man in den
nachteiligung erfahren und nun frei entscheiden können. letzten Jahren bei der Organisation unseres Staatsrechts
Katja, ich danke dir. verfolgt hat, weicht man natürlich ein Stück weit wieder
ab.
(Beifall bei der SPD)
Ziel war es, eine klare Aufgabenzuständigkeit zu
Zum Letzten, zur Option, möchte ich noch einige schaffen. Das ist insbesondere ein Anliegen der Födera-
(B) Worte verlieren. Mit unserer Grundgesetzänderung ver- lismuskommission I gewesen. Der Bürger sollte wissen, (D)
ankern wir auch das Regel-Ausnahme-Verhältnis. Der wer zuständig ist für welche Aufgaben. Mischverwal-
Regelfall, nämlich mit 75 Prozent, bleibt die gemein- tung vermischt Zuständigkeiten und schafft hinsichtlich
same Aufgabenwahrnehmung im Jobcenter. Die 69 Op- der Zuordnung bzw. der Wahrnehmung, wer für das, was
tionskommunen werden nach der Entfristung auf Dauer zu tun ist, tatsächlich verantwortlich ist, eine gewisse
bestehen können. Zum Kompromiss gehört auch die Er-
Unklarheit. Auch deswegen kann es nur eine Ausnahme
höhung der Zahl der Optionskommunen um 41. Damit
bleiben, eine solche Änderung, wie wir sie heute be-
sind es 110, die – das zur Erklärung für Frau Pothmer –
schließen wollen, vorzunehmen.
25 Prozent ausmachen. Das ist eben die Ausnahme.
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Richtig ist die Änderung deswegen, weil ihr Vorzug
NEN]: Aber das ist doch keine qualitative Be- eben darin liegt, dass durch die Zusammenlegung von
gründung! Gibt es auch einen inhaltlichen Sozialhilfe und Arbeitslosengeld I Langzeitarbeitslosen
Grund?) geholfen wird, aus Arbeitslosigkeit herauszukommen
– das war ja ursprünglich Ziel der Hartz-Reformen –,
Darauf machen wir heute auch verfassungsrechtlich den und die Arbeitsverwaltung ein Stück weit näher an die
Deckel. Mehr ist da nicht drin. Menschen herangebracht wird. Von daher begrüße ich
es, dass wir 41 Optionskommunen dazubekommen,
Alles in allem, denke ich, ist es ein Kompromiss, mit
wenn wir uns auch eine wesentlich stärkere Ausdehnung
dem wir zufrieden sein können. Viele Kinderkrankheiten
dieser Möglichkeit gewünscht hätten. Ein Grund für den
der Argen konnten wir heilen und mehr Transparenz in
die Organisation bringen. Wir haben eine Reform gestal- Erfolg, den die Arbeitsgemeinschaften und die Options-
tet, die den Namen „Reform“ verdient. Jetzt bringen wir kommunen in den letzten Jahren erzielen konnten, liegt
sie auf den Weg. nämlich darin, dass die Arbeitsverwaltungen durch die
Reformen näher an die Menschen herangekommen sind.
Danke.
Deswegen tragen wir die Verfassungsänderung mit.
(Beifall bei der SPD) Deswegen halten wir sie für richtig. Wir sagen aber ganz
deutlich: Dieser Weg muss die Ausnahme bleiben.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die FDP-Fraktion erhält nun das Wort der Kollege
Christian Ahrendt. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4961

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal (C)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Katja Kipping für auf die Begleitforschung zurückkommen, die im Auftrag
die Fraktion Die Linke. der Bundesregierung jahrelang durchgeführt worden ist.
Durch sie kam schon sehr Kritisches zur realen Praxis
(Beifall bei der LINKEN) der Optionskommunen zum Vorschein. Im Abschlussbe-
richt findet sich zum Beispiel eine entscheidende Zahl.
Katja Kipping (DIE LINKE): Da heißt es, wenn man sich deutschlandweit für eine
Frau Präsidentin! Liebe Damen und Herren! Mit die- Strukturform, zum Beispiel für die Arge-Struktur ent-
sem Gesetzentwurf bringen wir die Kommunen in eine schiede, dann wären Einsparungen von bis zu 3,3 Mil-
widersprüchliche Situation. Sie müssen sich entschei- liarden Euro möglich. Das ist ein Einsparpotenzial, das
den: Entweder werden sie Optionskommune, überneh- Sie sich entgehen lassen, weil Sie sich für das Modell
men also die Betreuung der Langzeiterwerbslosen in Ei- „Flickenteppich“ entscheiden. Ich finde, das ist eine fal-
genregie – und das in Zeiten, in denen der Bund immer sche Entscheidung.
mehr Aufgaben auf die Kommunen abwälzt, gleichzeitig (Beifall bei der LINKEN)
aber die Steuereinnahmen der Kommunen deutlich sin-
ken –, oder aber sie entscheiden sich für die Zusammen- In den Anhörungen im Ausschuss wurden sehr viele
arbeit mit der real existierenden Bundesagentur, die detaillierte Kritikpunkte angesprochen. Ich kann aus
wahrlich nicht in bestem Zustand ist. Zeitgründen leider nur zwei kurz erwähnen.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das war im real Erster Kritikpunkt: Der vorliegende Gesetzentwurf
existierenden Sozialismus auch so! – Paul sieht keine Beschäftigungsgarantie für die Mitarbeiterin-
Lehrieder [CDU/CSU]: Unterschätzen Sie un- nen und Mitarbeiter vor. Das heißt, es gibt für sie weiter-
sere Kommunen nicht!) hin eine unsichere Arbeitssituation. Sie glauben doch
nicht ernsthaft, dass das keine Auswirkungen auf die
Vor solch eine Alternative gestellt, haben die Kommu- Beratungsqualität hat. Die Unsicherheit für die Beschäf-
nen eigentlich keine richtige Wahl. tigten wird die Beratungsqualität natürlich deutlich ver-
schlechtern. Ich finde, hier hätten Sie nachbessern müs-
(Beifall bei der LINKEN) sen.
So, wie die Bundesagentur nach den Hartz-Refor- (Beifall bei der LINKEN)
men aufgestellt ist, die die meisten der hier vertretenen
Parteien zu verantworten haben, ist es, wie ich finde, so- Zweiter Kritikpunkt: die vorgesehenen öffentlichen
gar zutiefst verständlich, dass sich manche Kommune Beiräte. Ich finde es sehr ärgerlich, dass in diesen Beirä-
(B) dafür entscheidet, Optionskommune zu werden. Infolge ten die Vertretung von Betroffenen nicht vorgesehen ist. (D)
der Hartz-IV-Reform ist die Bundesagentur nämlich vor Auf die Expertise des Alltags und auf die Erfahrungen
allen Dingen betriebswirtschaftlich ausgerichtet worden. von Menschen, die Hartz IV am eigenen Leib erfahren,
Das heißt, jeder, der eine Dienststelle der BA betritt, können wir nicht verzichten.
wird als Kunde in Kategorien eingeteilt, in seinen Rech- (Beifall bei der LINKEN)
ten durch Sanktionen beschnitten, und die Mitarbeiter
der BA sind einer ständigen Evaluation unterworfen, ste- Um es zusammenzufassen: Die heutigen Reformen,
hen also unter Vergleichsdruck. Und wehe, sie sparen die die Mehrheit hier beschließen wird, gehen am eigent-
nicht genauso viel durch Sanktionen ein wie das Nach- lich Notwendigen vorbei. Wir als Linke finden, Fol-
barjobcenter! All das ist Ausdruck einer betriebswirt- gendes tut in der Auseinandersetzung mit der Erwerbs-
schaftlichen Ausrichtung. losigkeit not: erstens einen Mindestlohn einzuführen,
zweitens Sanktionen und Bedarfsgemeinschaften abzu-
Wir Linke meinen jedoch: Die Bundesagentur muss schaffen und drittens den Regelsatz deutlich zu erhöhen.
wieder einen sozialpolitischen Auftrag erhalten. Für uns Ferner brauchen wir mehr öffentliche Beschäftigung und
ist deswegen ganz klar: Es darf nicht mehr um Evalua- eine Umverteilung der vorhandenen Erwerbsarbeit durch
tionskerngrößen gehen, sondern darum, dass jeder, der konsequente Arbeitszeitverkürzung.
eine Erwerbsarbeit sucht, dabei auch bestmöglich unter-
stützt wird. Das heißt, dass wir sicherstellen müssen, Herzlichen Dank.
dass für jeden das Grundrecht auf ein Existenzminimum (Beifall bei der LINKEN)
gesichert wird, wie es uns ja auch das Bundesverfas-
sungsgericht ins Stammbuch geschrieben hat. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
(Beifall bei der LINKEN) Das Wort hat nun für die CDU/CSU-Fraktion der
Kollege Thomas Dörflinger.
Anders als die Kommunen könnten wir als Gesetzge-
ber sehr wohl die Ausrichtung der Bundesagentur verän- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
dern. Ich glaube, wenn Sie unsere Vorschläge aufgreifen neten der FDP)
würden, würde es vielen Kommunen leichter fallen, sich
für die Zusammenarbeit mit der Bundesagentur zu ent- Thomas Dörflinger (CDU/CSU):
scheiden. Das ändert nun nichts an der grundsätzlichen Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
strukturellen Entscheidung, der wir uns heute stellen Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut,
müssen. wenn wir, von wenigen Ausnahmen abgesehen, die De-
4962 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Thomas Dörflinger
(A) batte über die Organisationsreform im Bereich des Unser Ansatz war, Hilfe aus einer Hand und Hilfe (C)
Sozialgesetzbuches II in einem Grundtenor führen, der unter einem Dach zu ermöglichen. Mit der heute vorlie-
erkennen lässt, dass wir das Ergebnis gemeinsam über genden Reform wird dies erreicht. Es ist Anlass, die
Fraktionsgrenzen hinweg erreicht haben. Denn wir soll- fraktionsübergreifende Zusammenarbeit an dieser Stelle
ten schon den Mut haben – diesen Gedanken von Gesine noch einmal lobend hervorzuheben.
Schwan greife ich gerne auf –, einerseits zuzugeben,
Der CDU/CSU-Fraktion war wichtig, dass wir nicht
dass die Verhandlungen nicht ganz einfach waren, und
nur die Zahl der bestehenden 69 Optionskommunen
andererseits diese Organisationsreform anschließend als
entfristen und verfassungsrechtlich absichern, sondern
das darzustellen, was sie ist: ein fraktionsübergreifendes
dass wir dem Wunsch vieler Landkreise entgegenkom-
Projekt.
men, von der Option zusätzlich Gebrauch zu machen.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Richtig!) Wir werden also die Zahl von 69 nach dem im Normtext
verankerten Regel-Ausnahme-Verhältnis von einem
Selbstverständlich musste jeder, Herr Kollege Kolb, von Viertel zu drei Viertel nun auf 110 erhöhen.
seinen Vorstellungen Abstriche machen. Aber der Kom-
promiss zeigt letztlich, dass wir eine Lösung gefunden Es war mir wichtig, dass wir die in der durchgeführ-
haben, die von allen getragen wird und die den Proble- ten Anhörung geäußerte Anregung befolgt haben und
men dieses Landes gerecht wird. insbesondere die Übergangsfristen aus baden-württem-
bergischer Sicht noch einmal unter die Lupe genommen
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- und den Gesetzentwurf dementsprechend verbessert ha-
neten der FDP – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: ben. Ich habe mich gestern Abend mit den Landräten aus
Da kann auch die SPD klatschen!) Reutlingen und dem Alb-Donau-Kreis in Baden-
Ich will in diesem Zusammenhang bemerken, dass Württemberg unterhalten, die beide vor der Frage stehen
der Beitrag von Frau Pothmer gestern im Ausschuss über – bei dem einen geht es um die Arge, bei dem anderen
die Bewertung des Gesetzesvorhabens etwas konstrukti- um die getrennte Aufgabenwahrnehmung –, wie sie das
ver ausgefallen ist als ihre Darstellung heute im Plenum, zukünftig organisieren. Sie haben beide bestätigt, dass es
der richtige Ansatz war, die Übergangsfristen auf den
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Da konnte sie 31. Dezember des kommenden Jahres auszudehnen.
der Versuchung nicht widerstehen! – Brigitte Denn wir müssen auch die Ferienregelung in Baden-
Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie Württemberg mit berücksichtigen. Es muss also einer-
sollten das nicht immer so bewerten!) seits für die Kolleginnen und Kollegen in den Kreista-
nicht nur im Hinblick auf die Verfassungsänderung, son- gen, die dort ehrenamtlich tätig sind, ausreichend Zeit
bleiben, um dieses Beratungsverfahren sinnvoll zu füh-
(B) dern auch auf die Bewertung des SGB II. ren; andererseits muss natürlich auch für die Verwaltung
(D)
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- vor Ort ausreichend Zeit sein, das umzusetzen. Meines
NEN]: Das stimmt!) Erachtens ist dem mit einem Korridor bis zum Jahres-
Ich stelle fest: Es gibt zwischen Regierung und Opposi- ende 2011 nun ausreichend Rechnung getragen.
tion durchaus, auch wenn Sie sich nicht zu einer Zustim- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
mung entschließen können, eine ganze Reihe von Ge-
meinsamkeiten. Das will ich durchaus anerkennen. Es geht in diesem Zusammenhang auch nicht um ei-
nen Flickenteppich, sondern darum, dass wir durch die
Ich will allerdings ebenfalls sagen, dass mir auch Zielvereinbarung eines Landkreises bzw. einer kreis-
nach dem Beitrag von Frau Kipping nach wie vor rätsel- freien Stadt Kooperationen mit dem jeweiligen Bundes-
haft geblieben ist, wie sich die Linkspartei dieses Projekt land und mit dem Bundesministerium für Arbeit und So-
vorstellt. Ich will daran erinnern, dass uns vor einiger ziales sicherstellen, dass wir passgenaue Lösungen
Zeit in diesem Zusammenhang zwei Anträge vorgelegen erarbeiten, die auf die Situation vor Ort zugeschnitten
haben. In dem ersten wurde die Forderung „Hartz IV ab- sind.
schaffen“ und in dem zweiten die Forderung „Regelsätze
auf 500 Euro erhöhen“ erhoben. Ich frage mich mit Der Wahlkreis des Kollegen Peter Weiß und mein
Blick auf den parlamentarischen Ablauf: In welcher Rei- Wahlkreis grenzen zwar aneinander, aber der Arbeits-
henfolge sollen wir das denn machen? markt im Wahlkreis Emmendingen-Lahr ist ein anderer
als der Arbeitsmarkt im Wahlkreis Waldshut-Hoch-
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist wie schwarzwald. Deswegen ist es sinnvoll, wenn per Ziel-
„Reichtum für alle“ und „Reichensteuer ein- vereinbarung auf die je unterschiedliche Situation in
führen“!) den jeweiligen Landkreisen eingegangen werden kann.
Deswegen bin ich zufrieden, dass dies im vorgelegten
Sollen wir die Regelsätze erst erhöhen und dann das So-
Entwurf gelungen ist.
zialgesetzbuch II abschaffen, oder sollen wir erst das
Sozialgesetzbuch II abschaffen und dann die Regelsätze (Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg.
erhöhen? Aus logischen Gesichtspunkten wird das Letz- Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])
tere ein bisschen schwierig.
Ich spreche einen weiteren Punkt an, der ebenfalls zu
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – dem gehört, was uns in diesem Beratungsverfahren ver-
Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie haben sich in band. Es sind mehrfach die 900 Millionen Euro für den
ihrer eigenen Dialektik verheddert!) Eingliederungstitel und die 3 200 Stellen bei der Bun-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4963
Thomas Dörflinger
(A) desagentur für Arbeit angesprochen worden. Ich halte Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): (C)
vor dem Hintergrund der hinter uns liegenden Beratun- Frau Präsidentin! Herr Präsident! Meine Damen und
gen im Ausschuss für Arbeit und Soziales fest: Es gab Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was haben
nach meiner Wahrnehmung unter den meisten Arbeits- wir in dieser Debatte nicht schon alles gehört! Wir ken-
marktpolitikerinnen und Arbeitsmarktpolitikern in die- nen jetzt alle Väter des Erfolges. Man darf mit Blick auf
sem Ausschuss keinen Dissens darüber, dass wir die das Ministerium, Frau Ministerin, sagen: Auch in Ihrem
900 Millionen Euro freigeben und dass wir die Haus hat es einen Vater des Erfolges gegeben, nicht un-
3 200 Stellen bei der Bundesagentur entfristen. Aber wir bedingt eine Mutter.
müssen natürlich auch zur Kenntnis nehmen, dass unsere
Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss, die Es waren kluge Verhandlungen. Wir haben ein Ergeb-
mit einem ähnlichen Verantwortungsbewusstsein, aber nis vorliegen, dem die SPD gern zustimmt, hat sie es
vielleicht mit einem anderen Blickwinkel an die Dinge doch durch ihre Aktivität und ihr Engagement ermög-
herangehen, in diesem Fall zu einem anderen Urteil ge- licht, dass diese Lösung zustande kommt.
kommen sind. Schlussendlich zählt aber, dass wir uns (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
auf eine vernünftige Lösung geeinigt haben. Deswegen
sage ich: Ende gut, alles gut. Ich habe mit großem Interesse, Frau Kollegin
Pothmer, gehört, wie Sie Liebe von Grün an Gelb adres-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- sieren.
neten der FDP)
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Lassen Sie mich vor dem Hintergrund einer Debatte, Die Liebe gehört dem ganzen Haus!)
die wir in den vorangegangenen Wochen unter dem Ich bin gespannt, was da noch kommt.
Stichwort „Strategie EU 2020 für Wachstum und Be-
schäftigung“ geführt haben, einen letzten Gedanken an- Diesem Familiensinn will auch ich entsprechen und
schließen. Dabei haben wir uns seitens der Bundesrepu- will heute über Ulla reden; denn Ulla arbeitet in einem
blik Deutschland zur Vermeidung von Altersarmut auf Jobcenter. Ulla ist die Gewinnerin des Tages. Warum ist
einen Indikator verständigt, nämlich die Zahl der Lang- das so? Das will ich kurz erläutern. Ulla war befristet be-
zeitarbeitslosen. Diese ist für uns ein wesentliches Krite- schäftigt. Ulla gehört zu denen, die den Vorteil haben,
rium, um Armut in unserem Lande zu messen. Deswe- dass sie jetzt eine gute Perspektive haben, und sie und
gen ist es richtig und gut, wenn wir heute mit der ihr Team, das über viele Jahre in schwierigen Situatio-
Organisationsreform des Sozialgesetzbuches II die Vo- nen arbeiten musste, wissen nun endlich, in welchem
raussetzungen schaffen, dass die zahlenmäßige Erfas- Rahmen es weitergeht.
(B) sung, die Betreuung sowie die Hilfe für die Integration Deshalb ist dies ein guter Tag für Beschäftigte in Job- (D)
in den ersten Arbeitsmarkt in Zukunft besser organisiert
centern. Ein bisschen schmunzeln muss ich schon da-
werden können als in der Vergangenheit. Ich bedanke
rüber, dass zukünftig auch die Optierer Jobcenter heißen.
mich für ein konstruktives Beratungsverfahren und
Das finde ich völlig in Ordnung, signalisiert es doch,
werbe um Zustimmung zur Einfügung des Art. 91 e in
dass etwas eintritt, was wir wollen, nämlich dass die
das Grundgesetz und um Zustimmung für unseren Ge-
Leistungen vergleichbar werden, dass Steuerung über al-
setzentwurf zur Organisationsreform im Bereich des
les möglich ist. Ich denke, dass damit ein Wettbewerb
Sozialgesetzbuches II.
aufhört, wie wir ihn sonst aus dem Märchen kennen; Sie
Herzlichen Dank. wissen das: „Spieglein, Spieglein, an der Wand …“. Ich
glaube, damit ist Schluss – und das ist auch gut so.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Warum freut sich meine Ulla darüber hinaus? Weil sie
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: sich sagt: Endlich können wir in einem ordentlichen
Rahmen arbeiten. – Das haben sie verdient; denn ihre
Liebe Kolleginnen und Kollegen, auf der Ehrentri- Arbeit ist schwierig. Ihre Arbeit ist deshalb schwierig,
büne hat der Parlamentspräsident der Ukraine, der weil wir in den letzten Jahren im Bereich des SGB II und
Präsident der Werchowna Rada, Herr Wolodymyr III kontinuierlich Veränderungen vorgenommen haben.
Lytwyn, mit seiner Delegation Platz genommen. Eigentlich ist ihre Sorge, dass ihre Arbeit unter er-
(Beifall) schwerten Bedingungen weitergeht. Auf diese Sorge
komme ich gleich zu sprechen.
Im Namen aller Kolleginnen und Kollegen des Deut-
Was liegt hinter uns, wenn wir heute mit der Mehrheit
schen Bundestages begrüße ich Sie sehr herzlich und
des Hauses Ja zur Verfassungsänderung sagen? Wenn
wünsche Ihnen für Ihren Aufenthalt in Deutschland und
ich es recht erinnere, mussten weite Teile zum Jagen ge-
für Ihr weiteres politisches Wirken alles erdenklich
tragen werden. Ich kann mich noch erinnern, dass An-
Gute.
fang dieses Jahres schwerste Bedenken formuliert wur-
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriele Lösekrug- den, dass das alles nicht gehe. Bei manchen ist da
Möller für die SPD-Fraktion. Erkenntnis zum Wohle der Sache eingezogen. Das finde
ich gut, und das ist in Ordnung. Die SPD hat dabei kräf-
(Beifall bei der SPD) tig geholfen.
4964 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Gabriele Lösekrug-Möller
(A) (Beifall bei der SPD) sie wollen klare und beständige Verhältnisse. Das sind (C)
wir all denen, für die heute ein guter Tag ist, auch auf
Was ist aber die Sorge von Ulla? Wir haben jetzt zwar Dauer schuldig.
eine gute Organisationsstruktur. Aber ihre Sorge ist, dass
sie sich nicht mit guter Arbeitsmarkt- und Sozialpoli- Vielen Dank.
tik füllt. Diese Sorge muss ich leider teilen; denn sie ist
(Beifall bei der SPD – Karl Schiewerling
berechtigt. Im Übrigen haben nicht nur die Mitglieder
[CDU/CSU]: Kollegin, ich nehme Sie beim
der SPD-Bundestagsfraktion diese Sorge. Auch die gro-
Wort!)
ßen Kirchen, die Sozialverbände und die Wohlfahrtsver-
bände machen sich große Sorgen um die Schieflage in
unserer Gesellschaft, die durch die Kürzungen, die jetzt Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
ins Haus stehen, verschärft wird. Dazu will ich sagen: Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Max
Hoffen wir auf weitere Erkenntnisgewinne! Herr Kolb, Straubinger für die CDU/CSU-Fraktion.
auch Sie haben das Hohelied gesungen, dass wir ge-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
meinsam zu besseren Lösungen kommen. Dazu sage ich:
neten der FDP)
Bessere Lösungen sind nur möglich, wenn Sie sich an
dieser Stelle bewegen, und zwar auch im Hinblick auf
das materielle Recht und das Leistungsrecht. Denn die Max Straubinger (CDU/CSU):
Kürzungen, die geplant sind, bedeuten, dass jene, die nie Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!
in ihrem Leben über ihre Verhältnisse gelebt haben, für Mit der anschließenden Abstimmung über die Änderung
das zahlen müssen, was andere angerichtet haben. Das des Grundgesetzes und die Regelungen zu den Jobcen-
geht nicht. tern kommt heute ein langer Diskussionsprozess zum
Abschluss. Ich glaube, es ist für die Menschen ein guter
(Beifall bei der SPD) Tag, insbesondere für diejenigen, die vom Jobcenter be-
Ich mache mir auch Sorgen, treut werden. Damit ist verbunden, dass Menschen gut in
den ersten Arbeitsmarkt eingegliedert werden können
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie oder Ulla?) und die Verwaltung zukünftig auf einer soliden rechtli-
weil Strukturen wegbrechen könnten, die wir für gute chen Basis arbeiten kann. Insofern ist die erste Botschaft
Arbeitsmarktpolitik brauchen. Wir brauchen stabile des heutigen Tages an die Menschen: Wir legen heute
Netzwerke über die Jobcenter hinaus. Wir brauchen eine die Grundlage für einen weiteren Meilenstein in unserem
ordentliche Schuldnerberatung. Wir brauchen eine gute Sozialstaat.
Familienberatung. Wir müssen gute Bildungsträger ha- Ich glaube, es hat sich gelohnt, diesen langen Diskus-
(B) ben, damit das klappt, was unser gemeinsames Ziel sein sionsprozess auf sich zu nehmen. Natürlich gab es ver- (D)
muss, nämlich denjenigen – das sind Millionen –, die schiedenste Vorstellungen, wie die Arbeitsmarktpolitik
Arbeit suchen und keine finden, zu helfen, dass sie in nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das uns
Beschäftigung kommen. ermahnt hat, dass Mischverwaltungen aufgrund unseres
Das, was ich zur Beschäftigung gesagt habe, verbinde Staatsaufbaus nicht zulässig sind, künftig organisiert
ich mit einem Vorschlag an die Ministerin: Frau von der werden soll. Es ist sinnvoll, den Menschen die Hilfs-
Leyen, Sie könnten sehr viele sogenannte Kunden in möglichkeiten, die in der Verantwortung der Kommu-
Jobcentern schlagartig verlieren – im positiven Sinne –, nen, vor allem aber des Bundes liegen, aus einer Hand
wenn zum Beispiel Aufstocken nicht mehr erforderlich anzubieten. Deshalb ist es gerechtfertigt, heute das
wird, weil man von dem Einkommen aus Arbeit leben Grundgesetz zu ändern, um damit die rechtliche
kann. Grundlage für die Organisation und Verwaltung zu
schaffen.
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Wenn Arbeit in diesem Land endlich ordentlich bezahlt der FDP)
würde, hätte man schlagartig Zeit und damit die Mög-
lichkeit, sich um die zu kümmern, die Arbeit suchen. Natürlich haben sich heute alle Fraktionen, die für die-
Das wird ein großes Thema in diesem Haus bleiben. ses Gesetzeswerk verantwortlich sind – SPD, CDU/CSU,
FDP –, einzelne Erfolge auf ihre Fahnen geschrieben.
Kollege Schiewerling, Sie werden uns, wenn es um Frau Lösekrug-Möller, ich möchte aber schon daran erin-
den zweiten Baustein, die Regelsätze, geht, konstruktiv nern, dass es bei der SPD zur Zeit der Großen Koalition
fordernd an Ihrer Seite haben. Beim geplanten dritten eine Verweigerungshaltung gab: Eine sinnvolle Lösung
Baustein – da geht es, wenn ich Sie richtig verstanden wurde seinerzeit immer verhindert, vor allen Dingen, als
habe, um die Reform der Instrumente – haben Sie uns es darum ging, dass die Kommunen stärker in die Ver-
nur dann dabei, wenn es der Ulla, von der ich sprach, mittlung von Arbeitsstellen an arbeitslose Menschen
hilft und sie ordentliche Rahmenbedingungen erhält. Die eingebunden werden. Die SPD konnte sich nicht damit
Jobcenter haben nämlich von ständigen Änderungen die anfreunden, dass es in Deutschland mehr Optionskom-
Nase voll: Sie wollen nicht mehr ständig ihre EDV über- munen gibt.
fordert sehen und „zu Fuß“ rechnen müssen;
Auch die Optionskommunen sind für die Menschen
(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Genau! Da ein Erfolg; denn damit können angepasste Lösungen ge-
gebe ich Ihnen völlig recht!) funden werden, nämlich – so ähnlich hat es mein Kol-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4965
Max Straubinger
(A) lege vorhin ausgedrückt – zielgenaue Lösungen für je- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C)
den Landkreis, jeden Bereich und jede Kommune, ganz Bitte sehr.
im Sinne der betroffenen Menschen. Das ist meines Er-
achtens ein Erfolg, für den wir mit unserer Stimmabgabe Katja Kipping (DIE LINKE):
die Grundlage schaffen können. Lieber Kollege, Sie haben in Ihren Ausführungen zu
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den Sanktionen den Eindruck erweckt, dass es bei Sank-
tionen immer nur um Menschen gehe, die sich komplett
Ich bin überzeugt, dass in dieser neuen, rechtssiche- vor Arbeit drücken wollten. Ich persönlich habe eine an-
ren Organisationsform der Optionskommune bzw. der dere Einschätzung, was den Stellenwert von Erwerbs-
Jobcenter – sie heißen alle Jobcenter – die Vermittlung in arbeit anbelangt.
den ersten Arbeitsmarkt im Vordergrund steht. Ich lasse mich aber auf Ihre Logik ein und lege sie
meinen Überlegungen zugrunde. Ich möchte Sie fragen:
Die Kollegen aus der linken Ecke haben heute vielfäl-
Ist Ihnen bekannt, dass ein Großteil der Sanktionen nicht
tig von Drangsalierung gesprochen. Das möchte ich
wegen Ablehnung eines zumutbaren Jobangebotes, son-
massiv zurückweisen. Es ist keine Drangsalierung, Men-
dern aufgrund von Meldeversäumnissen erfolgt, bei-
schen in Arbeit zu bringen, Frau Kollegin Kipping. Im
spielsweise weil eine Unterlage später eingereicht wor-
Gegenteil: Es ist eine gelebte Chance für die Menschen,
den ist?
wenn sie Arbeit haben. Dafür zu sorgen, ist die Aufgabe
der Jobcenter. Das wird durch die vorliegende Änderung Sanktionen greifen auch bei Fällen wie folgendem:
umgesetzt. Einer Frau ist eine Arbeitsstelle vermittelt worden. Dort
hat sie erfahren, dass sie für einen Niedriglohn arbeiten
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) muss. Sie hat erschrocken festgestellt, dass der Lohn
deutlich unter dem Hartz-IV-Regelsatz liegt. Daraufhin
Die linke Fraktion scheint es als Drangsalierung zu
hat man ihr gesagt, sie könne ja aufstocken. Sie hat ge-
verstehen, dass im Sozialgesetzbuch Sanktionen vorge-
sagt, dass sie diese Arbeit gerne übernehme. Leider hat
sehen sind. Es handelt sich aber um ein Sozialstaatsge-
sie diese Stelle nicht bekommen. Das Jobcenter ist dann
bot, weil es in unserer Gesellschaft nicht sein darf, dass
zu folgendem Ergebnis gekommen: Weil sie festgestellt
Millionen von Menschen tagtäglich früh aufstehen, den
habe, dass es sich um einen sittenwidrigen Lohn han-
ganzen Tag hart arbeiten, Beiträge an die Arbeitslosen-
dele, sei sie selber schuld daran, dass sie den Arbeits-
versicherung abführen und Steuern zahlen, damit die So-
platz nicht bekommen habe. Jetzt wird ihr gegenüber
zialleistungen erbracht werden können, und sich gleich-
eine Sanktion ausgesprochen. Glauben Sie wirklich, dass
zeitig wenige Einzelne vor der Arbeit drücken. Das darf
(B) nicht sein. Es ist ein Sozialstaatsgebot: Wer zumutbare es im Sinne eines Sozialstaatsgebots ist, dass man sich (D)
nicht mal mehr gegen sittenwidriges Lohndumping zur
Arbeit nicht annimmt, muss mit Sanktionen rechnen.
Wehr setzen darf?
Das ist keine Drangsalierung, sondern oberstes Sozial-
staatsgebot in unserer Gesellschaft. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Max Straubinger (CDU/CSU):
neten der FDP)
Mir ist natürlich bekannt, dass die meisten Sanktionen
Ich bin überzeugt, dass wir mit der heutigen Reform ausgesprochen werden, weil eine Mitwirkung nicht im-
den Grundstein dafür legen, dass 1,2 Millionen ältere mer fristgerecht erfolgt ist. Es gehört auch zum Sozial-
Arbeitslose schnell wieder in den ersten Arbeitsmarkt staat, dass jeder seine Mitwirkungspflicht wahrnehmen,
vermittelt werden können. Wir legen besonderes Augen- sich schnell in den Arbeitsmarkt einfügen und vor allen
merk darauf, dass 200 000 Jugendliche, wenn es sein Dingen Betreuungs- und Vermittlungsangebote anneh-
muss, das nötige Gerüst einer guten Berufsausbildung men muss.
erhalten und dass das durch die vorhandenen Instru- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es!)
mente erreicht wird. Zugegeben: Die SPD will einen be-
sonderen Betreuungsschlüssel für Alleinerziehende. Wir Natürlich ist es mit entscheidend, dass entsprechende
hingegen legen, auch ohne Betreuungsschlüssel, weiter- Löhne gezahlt werden. Aber Löhne werden aufgrund
hin großen Wert darauf, der besonderen Situation von von Tarifverträgen gezahlt. Sittenwidrigkeit wird von
Alleinerziehenden gerecht zu werden. Das ist die Auf- Gerichten festgestellt. Es ist nicht dem Einzelnen an-
gabe, die wir zu erbringen haben. heimgegeben, festzustellen, dass ein Lohn sittenwidrig
ist. Wenn nach Tarif gezahlt wird, ist die Arbeit anzu-
(Beifall bei der CDU/CSU) nehmen. Selbst wenn der Lohn ungenügend ist, ist er zu
akzeptieren, weil mit der Aufnahme von Arbeit die
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Chance auf einen besser bezahlten Arbeitsplatz verbun-
den ist, Frau Kollegin Kipping. Es geht nicht, dass man
Herr Kollege, darf ich Sie unterbrechen? Gestatten das Angebot einfach ablehnt, zu Hause auf dem Kanapee
Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kipping? verweilt und wartet, bis man ein Topangebot bekommt.
Das kann es nicht sein, werte Kollegin.
Max Straubinger (CDU/CSU): (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Ja. der FDP)
4966 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Max Straubinger
(A) Wir stehen kurz vor dem Abschluss eines sehr langen Wir kommen zur (C)
Diskussionsprozesses, kurz vor der Abstimmung. Ich
darf mich ebenfalls sehr herzlich bei den Bundestagskol- dritten Beratung
legen bedanken, beim Kollegen Heil, beim Kollegen
und Schlussabstimmung. Ich weise darauf hin, dass zur
Kolb und beim Kollegen Schiewerling. Genauso herz-
Annahme des Gesetzentwurfs die Mehrheit von zwei
lich bedanke ich mich natürlich bei den Vertretern der
Dritteln der Mitglieder des Deutschen Bundestages er-
Bundesländer und der Ministerien. Darüber hinaus be-
forderlich ist. Das sind mindestens 415 Stimmen.
danke ich mich bei Herrn Staatssekretär Hoofe für die
Leitung. Wir stimmen über den Gesetzentwurf auf Verlangen
Ich glaube, dass wir deutlich gemacht haben, dass un- der Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP na-
sere Demokratie funktioniert, dass wir, wenn es sein mentlich ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
muss, gut zusammenarbeiten können und schlagkräftig führer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind die
sind und dass unterschiedliche Konzepte und Vorstellun- Plätze an den Urnen besetzt? – Jetzt sind alle Plätze an
gen zusammengeführt werden. Ich glaube, das ist der den Urnen besetzt. Ich eröffne die Abstimmung.
große Erfolg dieses Gesetzgebungsverfahrens. Ich bitte Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
deshalb um Zustimmung zur Grundgesetzänderung und Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der
zum Ausführungsgesetz. Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit. Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
Ich schließe die Aussprache. Die Sitzung ist unterbrochen.
Wir kommen zur Abstimmung über die von der Bun-
(Unterbrechung von 11.37 bis 11.44 Uhr)
desregierung sowie von den Fraktionen der CDU/CSU,
SPD und FDP eingebrachten Entwürfe eines Gesetzes
zur Änderung des Grundgesetzes, und zwar in Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Art. 91 e. Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Be- Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf Sie bitten,
schlussempfehlung auf Drucksache 17/2183, die ge- Platz zu nehmen. Die unterbrochene Sitzung ist wieder
nannten Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 17/1939 eröffnet.
(B) und 17/1554 zusammenzuführen und in der Ausschuss- (D)
fassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Ge- Ich gebe Ihnen zunächst das von den Schriftführerin-
setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, nen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der nament-
um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Enthaltun- lichen Abstimmung über die Änderung des Grundge-
gen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung setzes bekannt: abgegebene Stimmen 586. Mit Ja haben
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD- gestimmt 515, mit Nein 71, Enthaltungen gab es keine.
Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Der Gesetzentwurf ist damit mit der erforderlichen
Gegenstimmen der Fraktion Die Linke angenommen. Mehrheit angenommen.

Endgültiges Ergebnis Veronika Bellmann Alexander Dobrindt Eberhard Gienger


Abgegebene Stimmen: 586; Dr. Christoph Bergner Thomas Dörflinger Michael Glos
davon Peter Beyer Marie-Luise Dött Josef Göppel
Steffen Bilger Dr. Thomas Feist Peter Götz
ja: 515 Clemens Binninger Enak Ferlemann Dr. Wolfgang Götzer
nein: 71 Peter Bleser Ingrid Fischbach Ute Granold
Dr. Maria Böhmer Hartwig Fischer (Göttingen) Reinhard Grindel
Ja Wolfgang Börnsen Dr. Maria Flachsbarth Hermann Gröhe
(Bönstrup) Klaus-Peter Flosbach Michael Grosse-Brömer
CDU/CSU Wolfgang Bosbach Herbert Frankenhauser Markus Grübel
Norbert Brackmann Dr. Hans-Peter Friedrich Manfred Grund
Ilse Aigner Klaus Brähmig (Hof) Monika Grütters
Peter Altmaier Michael Brand Michael Frieser Dr. Karl-Theodor Freiherr
Peter Aumer Dr. Reinhard Brandl Dr. Michael Fuchs zu Guttenberg
Dorothee Bär Helmut Brandt Hans-Joachim Fuchtel Olav Gutting
Thomas Bareiß Dr. Ralf Brauksiepe Alexander Funk Florian Hahn
Norbert Barthle Dr. Helge Braun Ingo Gädechens Holger Haibach
Günter Baumann Heike Brehmer Dr. Peter Gauweiler Dr. Stephan Harbarth
Ernst-Reinhard Beck Ralph Brinkhaus Dr. Thomas Gebhart Jürgen Hardt
(Reutlingen) Gitta Connemann Norbert Geis Gerda Hasselfeldt
Manfred Behrens (Börde) Leo Dautzenberg Alois Gerig Dr. Matthias Heider
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4967
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
(A) Mechthild Heil Dr. Michael Meister Karin Strenz Michael Groß (C)
Ursula Heinen-Esser Maria Michalk Thomas Strobl (Heilbronn) Wolfgang Gunkel
Frank Heinrich Dr. h. c. Hans Michelbach Lena Strothmann Hans-Joachim Hacker
Rudolf Henke Dr. Mathias Middelberg Michael Stübgen Bettina Hagedorn
Michael Hennrich Dietrich Monstadt Dr. Peter Tauber Klaus Hagemann
Jürgen Herrmann Marlene Mortler Antje Tillmann Michael Hartmann
Ansgar Heveling Dr. Gerd Müller Dr. Hans-Peter Uhl (Wackernheim)
Ernst Hinsken Stefan Müller (Erlangen) Arnold Vaatz Hubertus Heil (Peine)
Christian Hirte Nadine Müller (St. Wendel) Volkmar Vogel (Kleinsaara) Dr. Barbara Hendricks
Robert Hochbaum Dr. Philipp Murmann Stefanie Vogelsang Gustav Herzog
Karl Holmeier Bernd Neumann (Bremen) Andrea Astrid Voßhoff Gabriele Hiller-Ohm
Franz-Josef Holzenkamp Michaela Noll Dr. Johann Wadephul Petra Hinz (Essen)
Anette Hübinger Dr. Georg Nüßlein Marco Wanderwitz Frank Hofmann (Volkach)
Thomas Jarzombek Franz Obermeier Kai Wegner Dr. Eva Högl
Dieter Jasper Eduard Oswald Marcus Weinberg (Hamburg) Christel Humme
Dr. Franz Josef Jung Henning Otte Peter Weiß (Emmendingen) Josip Juratovic
Andreas Jung (Konstanz) Dr. Michael Paul Sabine Weiss (Wesel I) Oliver Kaczmarek
Dr. Egon Jüttner Rita Pawelski Ingo Wellenreuther Johannes Kahrs
Bartholomäus Kalb Ulrich Petzold Karl-Georg Wellmann Dr. h. c. Susanne Kastner
Hans-Werner Kammer Dr. Joachim Pfeiffer Peter Wichtel Ulrich Kelber
Steffen Kampeter Sibylle Pfeiffer Annette Widmann-Mauz Lars Klingbeil
Alois Karl Beatrix Philipp Klaus-Peter Willsch Hans-Ulrich Klose
Bernhard Kaster Ronald Pofalla Elisabeth Winkelmeier- Dr. Bärbel Kofler
Siegfried Kauder (Villingen- Christoph Poland Becker Daniela Kolbe (Leipzig)
Schwenningen) Eckhard Pols Dagmar Wöhrl Fritz Rudolf Körper
Volker Kauder Lucia Puttrich Dr. Matthias Zimmer Anette Kramme
Dr. Stefan Kaufmann Daniela Raab Wolfgang Zöller Nicolette Kressl
Roderich Kiesewetter Thomas Rachel Willi Zylajew Angelika Krüger-Leißner
Eckart von Klaeden Eckhardt Rehberg Ute Kumpf
Ewa Klamt Lothar Riebsamen SPD Christine Lambrecht
Volkmar Klein Josef Rief Ingrid Arndt-Brauer Christian Lange (Backnang)
Jürgen Klimke Klaus Riegert Rainer Arnold Dr. Karl Lauterbach
Julia Klöckner Dr. Heinz Riesenhuber Heinz-Joachim Barchmann Steffen-Claudio Lemme
Axel Knoerig Johannes Röring Dr. Hans-Peter Bartels Burkhard Lischka
(B) Jens Koeppen Dr. Norbert Röttgen Klaus Barthel Gabriele Lösekrug-Möller (D)
Dr. Kristina Schröder Dr. Christian Ruck Sören Bartol Kirsten Lühmann
(Wiesbaden) Erwin Rüddel Bärbel Bas Caren Marks
Manfred Kolbe Albert Rupprecht (Weiden) Dirk Becker Katja Mast
Dr. Rolf Koschorrek Anita Schäfer (Saalstadt) Lothar Binding (Heidelberg) Hilde Mattheis
Hartmut Koschyk Dr. Wolfgang Schäuble Gerd Bollmann Petra Merkel (Berlin)
Thomas Kossendey Dr. Annette Schavan Klaus Brandner Ullrich Meßmer
Michael Kretschmer Dr. Andreas Scheuer Willi Brase Dr. Matthias Miersch
Gunther Krichbaum Karl Schiewerling Bernhard Brinkmann Franz Müntefering
Dr. Günter Krings Norbert Schindler (Hildesheim) Dr. Rolf Mützenich
Rüdiger Kruse Georg Schirmbeck Edelgard Bulmahn Manfred Nink
Bettina Kudla Christian Schmidt (Fürth) Ulla Burchardt Thomas Oppermann
Dr. Hermann Kues Patrick Schnieder Martin Burkert Holger Ortel
Günter Lach Dr. Andreas Schockenhoff Petra Crone Aydan Özoğuz
Dr. Karl A. Lamers Dr. Ole Schröder Dr. Peter Danckert Heinz Paula
(Heidelberg) Bernhard Schulte-Drüggelte Martin Dörmann Dr. Wilhelm Priesmeier
Andreas G. Lämmel Uwe Schummer Elvira Drobinski-Weiß Florian Pronold
Dr. Norbert Lammert Armin Schuster (Weil am Garrelt Duin Dr. Sascha Raabe
Katharina Landgraf Rhein) Sebastian Edathy Mechthild Rawert
Ulrich Lange Detlef Seif Siegmund Ehrmann Gerold Reichenbach
Dr. Max Lehmer Johannes Selle Dr. h. c. Gernot Erler Dr. Carola Reimann
Paul Lehrieder Reinhold Sendker Petra Ernstberger Sönke Rix
Dr. Ursula von der Leyen Dr. Patrick Sensburg Karin Evers-Meyer René Röspel
Ingbert Liebing Thomas Silberhorn Elke Ferner Dr. Ernst Dieter Rossmann
Matthias Lietz Johannes Singhammer Gabriele Fograscher Karin Roth (Esslingen)
Dr. Carsten Linnemann Jens Spahn Dr. Edgar Franke Michael Roth (Heringen)
Patricia Lips Carola Stauche Dagmar Freitag Marlene Rupprecht
Dr. Jan-Marco Luczak Dr. Frank Steffel Peter Friedrich (Tuchenbach)
Dr. Michael Luther Erika Steinbach Michael Gerdes Anton Schaaf
Karin Maag Christian Freiherr von Stetten Martin Gerster Axel Schäfer (Bochum)
Dr. Thomas de Maizière Dieter Stier Iris Gleicke Bernd Scheelen
Hans-Georg von der Marwitz Gero Storjohann Günter Gloser Marianne Schieder
Andreas Mattfeldt Stephan Stracke Ulrike Gottschalck (Schwandorf)
Stephan Mayer (Altötting) Max Straubinger Angelika Graf (Rosenheim) Werner Schieder (Weiden)
4968 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt


(A) Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Lutz Knopek Viola von Cramon-Taubadel Karin Binder (C)
Carsten Schneider (Erfurt) Pascal Kober Ekin Deligöz Matthias W. Birkwald
Olaf Scholz Dr. Heinrich L. Kolb Katja Dörner Heidrun Bluhm
Ottmar Schreiner Gudrun Kopp Hans-Josef Fell Steffen Bockhahn
Swen Schulz (Spandau) Dr. h. c. Jürgen Koppelin Dr. Thomas Gambke Christine Buchholz
Ewald Schurer Sebastian Körber Kai Gehring Eva Bulling-Schröter
Frank Schwabe Holger Krestel Katrin Göring-Eckardt Dr. Martina Bunge
Dr. Angelica Schwall-Düren Patrick Kurth (Kyffhäuser) Britta Haßelmann Roland Claus
Dr. Martin Schwanholz Heinz Lanfermann Bettina Herlitzius Sevim Dağdelen
Rolf Schwanitz Sibylle Laurischk Winfried Hermann Dr. Diether Dehm
Stefan Schwartze Harald Leibrecht Priska Hinz (Herborn) Heidrun Dittrich
Dr. Carsten Sieling Sabine Leutheusser- Ulrike Höfken Werner Dreibus
Sonja Steffen Schnarrenberger Dr. Anton Hofreiter Dr. Dagmar Enkelmann
Peer Steinbrück Lars Lindemann Bärbel Höhn Klaus Ernst
Dr. Frank-Walter Steinmeier Christian Lindner Ingrid Hönlinger Wolfgang Gehrcke
Christoph Strässer Dr. Martin Lindner (Berlin) Thilo Hoppe Nicole Gohlke
Kerstin Tack Michael Link (Heilbronn) Uwe Kekeritz Diana Golze
Dr. h. c. Wolfgang Thierse Dr. Erwin Lotter Katja Keul Annette Groth
Franz Thönnes Oliver Luksic Memet Kilic Dr. Gregor Gysi
Wolfgang Tiefensee Horst Meierhofer Sven-Christian Kindler Heike Hänsel
Ute Vogt Patrick Meinhardt Maria Anna Klein-Schmeink Dr. Rosemarie Hein
Dr. Marlies Volkmer Gabi Molitor Thomas Koenigs Inge Höger
Andrea Wicklein Jan Mücke Sylvia Kotting-Uhl Dr. Barbara Höll
Heidemarie Wieczorek-Zeul Petra Müller (Aachen) Oliver Krischer Andrej Konstantin Hunko
Dr. Dieter Wiefelspütz Burkhardt Müller-Sönksen Agnes Krumwiede Ulla Jelpke
Dagmar Ziegler Dr. Martin Neumann Fritz Kuhn Dr. Lukrezia Jochimsen
Manfred Zöllmer (Lausitz) Stephan Kühn Katja Kipping
Brigitte Zypries Dirk Niebel Renate Künast Harald Koch
Hans-Joachim Otto Markus Kurth Jan Korte
FDP (Frankfurt) Undine Kurth (Quedlinburg) Jutta Krellmann
Cornelia Pieper Monika Lazar Caren Lay
Jens Ackermann Nicole Maisch
Gisela Piltz Sabine Leidig
Christian Ahrendt Agnes Malczak
Dr. Christiane Ratjen- Ralph Lenkert
Christine Aschenberg- Jerzy Montag
Damerau Michael Leutert
Dugnus Kerstin Müller (Köln)
Dr. Birgit Reinemund Stefan Liebich
(B) Daniel Bahr (Münster)
Dr. Peter Röhlinger Beate Müller-Gemmeke (D)
Florian Bernschneider Ulla Lötzer
Dr. Stefan Ruppert Ingrid Nestle
Sebastian Blumenthal Dr. Gesine Lötzsch
Björn Sänger Dr. Konstantin von Notz
Claudia Bögel Thomas Lutze
Frank Schäffler Omid Nouripour
Nicole Bracht-Bendt Dorothée Menzner
Christoph Schnurr Friedrich Ostendorff
Klaus Breil Cornelia Möhring
Jimmy Schulz Dr. Hermann Ott
Rainer Brüderle Elisabeth Paus Kornelia Möller
Marina Schuster Niema Movassat
Angelika Brunkhorst Brigitte Pothmer
Dr. Erik Schweickert Wolfgang Nešković
Ernst Burgbacher Tabea Rößner
Werner Simmling Thomas Nord
Marco Buschmann Claudia Roth (Augsburg)
Judith Skudelny Petra Pau
Sylvia Canel Krista Sager
Dr. Hermann Otto Solms Jens Petermann
Helga Daub Manuel Sarrazin
Joachim Spatz Richard Pitterle
Reiner Deutschmann Elisabeth Scharfenberg
Torsten Staffeldt Yvonne Ploetz
Dr. Bijan Djir-Sarai Christine Scheel
Dr. Rainer Stinner Ingrid Remmers
Patrick Döring Dr. Gerhard Schick
Stephan Thomae Paul Schäfer (Köln)
Mechthild Dyckmans Dr. Frithjof Schmidt
Florian Toncar Michael Schlecht
Rainer Erdel Dorothea Steiner
Serkan Tören Dr. Herbert Schui
Jörg van Essen Dr. Wolfgang Strengmann-
Johannes Vogel Dr. Ilja Seifert
Ulrike Flach Kuhn
(Lüdenscheid) Kathrin Senger-Schäfer
Otto Fricke Hans-Christian Ströbele
Dr. Daniel Volk Raju Sharma
Paul K. Friedhoff Dr. Harald Terpe
Dr. Guido Westerwelle Dr. Petra Sitte
Dr. Edmund Peter Geisen Markus Tressel
Dr. Claudia Winterstein Sabine Stüber
Hans-Michael Goldmann Jürgen Trittin
Dr. Volker Wissing Alexander Süßmair
Heinz Golombeck Daniela Wagner
Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Frank Tempel
Miriam Gruß Wolfgang Wieland
Joachim Günther (Plauen) Dr. Valerie Wilms Dr. Axel Troost
BÜNDNIS 90/
Dr. Christel Happach-Kasan Alexander Ulrich
DIE GRÜNEN
Heinz-Peter Haustein Kathrin Vogler
Manuel Höferlin Kerstin Andreae Nein Sahra Wagenknecht
Elke Hoff Marieluise Beck (Bremen) Halina Wawzyniak
DIE LINKE
Birgit Homburger Volker Beck (Köln) Harald Weinberg
Dr. Werner Hoyer Cornelia Behm Agnes Alpers Katrin Werner
Heiner Kamp Birgitt Bender Dr. Dietmar Bartsch Jörn Wunderlich
Michael Kauch Alexander Bonde Herbert Behrens Sabine Zimmermann
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4969
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
(A) (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der (C)
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Kollege Paul Lehrieder für die CDU/CSU-Fraktion das
Wort.
Wir setzen die Abstimmungen fort. Abstimmung über
den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
SPD und FDP auf Drucksache 17/2192. Wer stimmt für
diesen Entschließungsantrag? – Wer ist dagegen? – Ent- Paul Lehrieder (CDU/CSU):
haltungen? – Der Entschließungsantrag ist damit mit den
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion
Liebe Kollegen! Mit dem gerade verkündeten Ergebnis
bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthal-
der namentlichen Abstimmung zur Reform der Jobcenter
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
hat Deutschland, haben auch die Arbeitslosen und die
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 3 b. Abstim- Mitarbeiter in den Jobcentern eine gute Zukunft vor sich.
mung über die von der Bundesregierung sowie den Frak- Wir haben jetzt Planungssicherheit, sowohl für die Mit-
tionen der CDU/CSU, SPD und FDP eingebrachten Ent- arbeiter als auch für die zu betreuenden Langzeitarbeits-
würfe eines Gesetzes zur Weiterentwicklung der losen. Man könnte sagen: Wir begeben uns jetzt wieder
Organisation der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Der in das Tagesgeschäft.
Ausschuss für Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2188, die ge- Der hier vorliegende Antrag der Linken mit dem Titel
nannten Gesetzentwürfe auf den Drucksachen 17/1940, „Mit guter Arbeit aus der Krise“ ist aber weniger erfreu-
17/1555 und 17/2057 zusammenzuführen und in der lich. Die Überschrift ist gut; aber das ist leider auch das
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die Beste an diesem Antrag.
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen (Beifall des Abg. Pascal Kober [FDP] –
wollen, um das Handzeichen. – Wer ist dagegen? – Ent- Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Dann
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Be- haben Sie nicht weitergelesen!)
ratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen und
der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion Die – Ich habe ihn ganz gelesen, Frau Kollegin Enkelmann.
Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- Ich freue mich schon darauf, was Ihre Arbeitsmarkt-
nen angenommen. expertin Luc Jochimsen, die nachher sprechen wird,
Sinngebendes dazu beitragen kann.
Wir kommen zur
Es ist richtig: Arbeit ist mehr als nur Gelderwerb. Ar-
dritten Beratung beit ist die Verkörperung von Menschenwürde; der
(B) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Schutz aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz (D)
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – gilt auch in Bezug auf die Arbeit, wie es bereits das Bun-
Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf desarbeitsgericht in den 80er-Jahren ausgeführt hat. Das
ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie in der zwei- heißt: Die Wertschätzung eines Menschen, eines Mitbür-
ten Beratung angenommen. gers, ist natürlich auch durch seine Tätigkeit geprägt.
Auch das gehört zur Arbeit. Arbeit ist nicht Schikane,
Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der Arbeit ist nicht Drangsalierung, wie es uns einige in die-
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/2193 ab. Wer sem Hohen Hause glauben machen wollen. Arbeit trägt
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer ist dage- vielmehr dazu bei, wieder Tritt zu fassen und sich selber
gen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist da- zu bestätigen, etwas schaffen zu können.
mit mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen, der SPD-
Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abge- Meine Damen und Herren, wir sind auf einem guten
lehnt. Weg. – Liebe Frau Präsidentin, Sie gestatten, dass ich
aus meiner Tageszeitung zitiere. – Die Würzburger
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 4 auf: Main-Post hat gestern geschrieben: „Deutsche arbeiten
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- wieder länger“ und „Produktivität liegt über dem Vor-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales jahreswert“. Von der Kurzarbeit sind derzeit noch
(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne- 933 000 Mitbürgerinnen und Mitbürger betroffen. Im
ten Klaus Ernst, Jutta Krellmann, Matthias W. dritten Quartal 2009 waren es 1,12 Millionen, im vierten
Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Frak- Quartal 984 000. Das heißt, die Kurzarbeit nimmt de-
tion DIE LINKE gressiv ab. Gleichzeitig nimmt die Zahl der Arbeitlosen
und – toi, toi, toi! – auch der Langzeitarbeitlosen ab.
Mit guter Arbeit aus der Krise
Das in dem Antrag der Linken gezeichnete Horror-
– Drucksachen 17/1396, 17/2069 – szenario – auf Seite 1 ist von einem „Klima der Angst“
Berichterstattung: die Rede – ist insofern nicht angebracht. Es liegen noch
Abgeordnete Beate Müller-Gemmeke sehr viele Aufgaben vor uns, die wir in den nächsten
Monaten und Jahren angehen werden. Wir müssen uns
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für aber auch nicht vor dem Problem verstecken. Es fragt
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich sich, wer hier tatsächlich ein Klima der Angst schürt. Ich
sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann werden wir so habe bereits darauf hingewiesen. Vor über einem Jahr,
verfahren. am 23. April 2009, haben wir in diesem Haus einen
4970 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Paul Lehrieder
(A) Antrag der Linken mit dem Titel „Gute Arbeit – gutes Die Forderung der Linken, eine sachgrundlose (C)
Leben“ beraten. Das ist fast derselbe Titel wie heute. Befristung von Arbeitsverträgen völlig abzuschaffen,
Heißen Themen wird vonseiten der Linkspartei mit auf- geht völlig ins Leere. Die Betriebe brauchen in bestimm-
gewärmten Versatzstücken begegnet. Der inhaltliche ten Situationen die Möglichkeit, Arbeitnehmer mit Sach-
Stillstand der Linken löst aber kein Problem in Deutsch- grund befristet einzustellen.
land.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE
Es geht nicht darum, Menschen in Resignation zu GRÜNEN]: Es gibt doch die Probezeit!)
treiben, sondern darum, die Probleme anzupacken und Man kann auch jemanden sachgrundlos einstellen, etwa
den Menschen Mut zu machen. Mit dem Entwurf des um ihn zu testen. Zu den klassischen Fällen der befriste-
Beschäftigungschancengesetzes, der heute Nachmittag ten Einstellung gehören die Schwangerschaftsvertre-
auf der Tagesordnung steht, wird die Verlängerung der tung, ein hoher Auftragseingang mit der Folge, dass
Kurzarbeiterregelung in erster Lesung auf den Weg ge- Aufträge schnell abgearbeitet werden müssen, und eine
bracht, um damit den Unternehmen die Chance zu ge- projektgebundene Einstellung von besonders qualifizier-
ben, qualifiziertes Personal auch über das Tal dieser ten Arbeitskräften. Sie erhalten durch die befristete Ein-
Krise hinweg zu halten. stellung die Chance – das ist ein beiderseitiges Kennen-
Der vorliegende Antrag stammt aus der Mottenkiste. lernen –, sich in den Arbeitsplatz einzufügen bzw. dem
Er ist ein „Worst of“ der Linkspartei. Die Vorschläge Chef zu zeigen, dass sie für den Job auch dauerhaft ge-
sind unrealistisch und zum Teil politisch nicht durchsetz- eignet sind, und möglicherweise anschließend in diesem
bar. Erlauben Sie mir, dass ich auf einige Ihrer Vor- Job bleiben zu können.
schläge im Einzelnen eingehe. Sie fordern einen Kündigungsschutz für alle, insbe-
Die Linkspartei will keine Anreize für Erwerbslose sondere für die Mitbürgerinnen und Mitbürger über
schaffen, sich um Arbeit zu bemühen. Stattdessen setzen 55 Jahre. Dieser umfassende Kündigungsschutz wird
Sie schlicht auf einen weiteren Ausbau staatlicher So- – das ist die andere Seite der Medaille – dazu führen,
zialleistungen. dass die Einstellungsbereitschaft der Unternehmen ge-
rade älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern gegenüber
Die Linken wollen den Eindruck vermitteln, der Staat sicherlich nicht steigen wird. Der Chef sagt sich natür-
überlasse von Arbeitslosigkeit bedrohte Bürger aus- lich: Wenn ich einen 45-Jährigen einstelle, kann ich ihn
schließlich sich selbst. Das Gegenteil ist der Fall: Wir ganz normal kündigen, wenn ich aufgrund der Auftrags-
haben mit der Reform der Jobcenter und der Flexibilisie- lage dazu gezwungen bin, einen Älteren nicht. – Das
rung der Instrumente der Jobvermittler viele richtige wäre ein Problem bei der Vermittlung unserer älteren
(B) Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die Langzeit- Mitbürgerinnen und Mitbürger, und das müssen wir den (D)
arbeitslosen noch besser zu betreuen, als es in den letz- Leuten fairerweise auch sagen. Es klingt toll, wenn man
ten Jahren der Fall war. An dieser Stelle besteht noch sagt: „Du bist 55; wenn du eingestellt wirst, kann dir
Optimierungsbedarf; damit haben Sie sicherlich recht. nicht mehr gekündigt werden“, aber man muss dann
Ich glaube, dass mit dem vorhin beschlossenen Gesetz auch sagen, dass die Bereitschaft, solche Menschen ein-
zur Reform der Jobcenter das Richtige gemacht wird. zustellen, im Gegenzug sinkt. Das wäre eine Hürde bei
Neueinstellungen; davon bin ich überzeugt.
Im Haushalt 2010 bezieht sich etwa die Hälfte der
Ausgaben auf den Sozialetat; Frau Ministerin hat heute Sie fordern ein politisches Streikrecht. Gut, mehr als
Morgen bereits darauf hingewiesen. Die Arbeitnehmer- die Hälfte der Mitglieder der Linkspartei sind Gewerk-
überlassung bzw. Leiharbeit, die Sie größtenteils redu- schafter. Es ist verständlich, dass deshalb auch diese For-
zieren wollen, ist eine Arbeitsförderungsmaßnahme. Ein derung wieder aufgewärmt wird.
großer Anteil derjenigen, die vermittelt werden, sind
(Sabine Zimmermann [DIE LINKE]: Haben
Hilfskräfte und Geringqualifizierte. Es gibt auch Miss-
Sie etwas gegen Gewerkschaften?)
brauch; das will ich nicht verkennen. Der Fall Schlecker
ist bekannt. Es gibt etliche weitere Unternehmen. Wir – Nein, ich habe nichts gegen Gewerkschaften. Ich bin
sind dabei, in Arbeitsgruppen zu klären, wie wir in Zu- für Gewerkschaften. Ist der Klaus Ernst noch da? Ich
kunft derartige Übergriffe und Methoden vermeiden sehe ihn gar nicht.
können. Ich glaube, dass wir hier mit unserem Koali-
tionspartner auf einem guten Weg sind. Ich hoffe, dass (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Natürlich
wir in den nächsten Monaten auch dieses Problem in den ist Herr Ernst da! Wir sind alle da!)
Griff bekommen. – Ah, er ist in ein Gespräch vertieft. – Ich schätze ihn
ausdrücklich als Gewerkschafter aus meiner Nachbar-
Die Bundesregierung plant bereits ein Gesetz zur Än-
schaft. Es sind sicher noch mehr Gewerkschafter da. Wir
derung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes bzw. des
schätzen starke Gewerkschaften, weil sie dazu beigetra-
Arbeitnehmer-Entsendegesetzes. Dazu müssen wir wis-
gen haben, dass mit der SPD in der letzten Legislatur-
sen, dass mit der Freizügigkeit im europäischen Raum
periode über das Arbeitnehmer-Entsendegesetz tariflich
ab 1. Mai 2011 weitere Aufgaben vor uns liegen. Auch
vereinbarte Mindestlöhne überhaupt erst auf den Weg
darauf müssen wir uns rechtzeitig einstellen. Wir wollen
gebracht werden konnten.
eine Lohnuntergrenze in der Zeitarbeit einziehen. Auf
welchem Weg wir das machen, diskutieren wir derzeit in (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das
Arbeitsgruppen. reicht nicht!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4971
Paul Lehrieder
(A) Mir ist es lieber, die an der Lohnfindung beteiligten Par- Partners. Auch das muss man fairerweise sagen, wenn (C)
teien – Arbeitgeber und Arbeitnehmer bzw. Gewerk- wir die Statistiken vergleichen.
schaften – finden einen Lohn, als dass der Lohn politisch
Es ist richtig, dass im Niedriglohnbereich in den letz-
festgesetzt werden muss. Das ist der falsche Weg; der
führt in eine Sackgasse. ten Jahren Bestimmungen umgangen worden sind. Da-
gegen gehen wir vor.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Iris
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wann
Gleicke [SPD]: Wir können ja mal über Tarif-
denn? – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Wie
bindung reden!)
denn?)
Ihr Einwand, Frau Enkelmann, bringt mich zu dem
Wir müssen etwas tun, um Dumpinglöhne zu verhin-
nächsten Punkt in Ihrem Antrag: Mindestlohn. Ein flä-
dern. Ich will Ihnen noch einige Zahlen aus dem Artikel
chendeckender gesetzlicher Mindestlohn ist das falsche
nennen, aus dem ich vorhin zitiert habe. – Bleiben Sie
Rezept. Er löst unsere Probleme nicht, sondern ver-
ruhig stehen; das verlängert meine Redezeit. – Die Pro-
schärft die Situation nur.
duktivität der Arbeitsstunde wurde im letzten Jahr ge-
genüber dem Vorjahreswert um 0,7 Prozent erhöht.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Nichts mit
Kollegin Zimmermann? Mottenkiste! Das ist aktuell!)
– Ich bin noch nicht fertig mit meiner Antwort. – Im ers-
Paul Lehrieder (CDU/CSU): ten Quartal 2010 betrug die durchschnittliche Produkti-
Ja, ich bitte darum. vität 358,5 Stunden. Das sind immerhin 1,3 Prozent bzw.
4,5 Stunden mehr als im Vorjahr. Das bedeutet, dass die
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Zahl der Vollzeitbeschäftigten zugenommen hat, zwar
NEN]: Habt ihr das verabredet? – Gegenruf langsam, aber immerhin deutlich merkbar. Das ist eine
der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE Chance, mit guter Arbeit aus der Krise zu kommen.
LINKE]: So weit geht es nicht!)
Sie können sich setzen. Jetzt rede ich nach meinem
– Frau Pothmer, Sie können mich auch etwas fragen. Die Manuskript weiter. – Ich komme zum nächsten Punkt:
Uhr ist schon angehalten. 500 000 öffentlich geförderte Arbeitsplätze. Meine
(Zuruf des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]) Güte, das ist ein ganz altes Modell! Das hat früher bei
der SED funktioniert; da hat der Staat die Arbeitsplätze
(B) – Die Sympathien sind eindeutig verteilt, Herr Kolb. angeboten. Wenn der Staat alle Arbeitsplätze anbietet (D)
und auch den Lohn bezahlen muss, dann werden wir ir-
(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU
gendwann da landen, wo Länder im südlichen Europa
und der FDP)
leider jetzt schon stehen. Dann werden wir mit Staats-
schulden diese Ihrer Meinung nach Heil bringende Ar-
Sabine Zimmermann (DIE LINKE): beit finanzieren, was zu noch höherer Verschuldung und
Herr Kollege Lehrieder, stimmen Sie mir zu, dass wir einem noch höheren Defizit führen wird. Unsere Kinder
auf dem Arbeitsmarkt einen Wandel von guter, tariflich müssen Ihre ungeeigneten, deplatzierten Rezepte dann
entlohnter Arbeit zu Teilzeit, prekärer Beschäftigung, irgendwann ausbaden. Das kann es nicht sein.
Minijobs und Midijobs erleben? Stimmen Sie mir zu,
dass wir in diesem Bereich eine massive Zunahme ha- (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Wir machen
ben? das mit Steuern!)

(Zuruf von der CDU/CSU: Im Gegenteil! Wir – Natürlich, mit Steuern machen Sie das auch. Ich nenne
haben eine Abnahme in dem Bereich!) hier nur Ihre Reichensteuer. Aber

Stimmen Sie mir zu, dass wir durch die Tatsache, dass in (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Sie senken ja
den letzten fünf Jahren 655 000 Menschen in Rente ge- die Steuer!)
gangen sind und nicht so viele junge Leute nachkom- so hoch können Sie die Steuer gar nicht ansetzen, dass
men, einen statistischen Effekt in der Arbeitslosenstatis- Ihr Wunschkonzert damit finanziert werden könnte. Ich
tik haben? Stimmen Sie mir zu, dass wir einen weiteren freue mich auf die noch folgende Begründung Ihrer Ar-
statistischen Effekt dadurch haben, dass 270 000 Men- beitsmarktexpertin Jochimsen.
schen pro Jahr aus der Statistik herausfallen, weil sie
durch Dritte vermittelt werden? Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wün-
sche Ihnen noch einen schönen Tag. Danke.
Paul Lehrieder (CDU/CSU): (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Ich stimme Ihnen darin zu, dass der Bereich der Mini- Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
und Midijobs in den letzten Jahren angewachsen ist, aber NEN]: Das war jetzt aber eine Wiederholung!)
nicht nur wegen erzwungener Maßnahmen der Arbeitge- – Das war die Klammer, Frau Pothmer.
berseite, sondern auch, weil viele Mitbürgerinnen und
Mitbürger nur einen Teilzeitjob wollen, sei es wegen (Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Von wegen
Kindererziehung, sei es wegen der Berufstätigkeit des Textbausteine!)
4972 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: schen Bundesamtes circa 8 Billionen Euro. Diese Ver- (C)
Nächster Redner ist der Kollege Ottmar Schreiner für mögen konzentrieren sich in immer weniger privaten
die SPD-Fraktion. Händen. Circa 10 Prozent der Bevölkerung verfügen
über knapp 70 Prozent des gesamten privaten Vermö-
(Beifall bei der SPD) gens. Dem privaten Reichtum entspricht eine wachsende
öffentliche Armut. Die Welt – das ist eine Zeitung, die
Ottmar Schreiner (SPD): eher Ihnen nahesteht, meine Damen und Herren von der
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Koalition – schreibt gestern unter der Überschrift „In
Ich hatte schon in der ersten Lesung zu dem Antrag der den Städten verfällt die Infrastruktur – Klamme Kom-
Linkspartei gesprochen und darauf hingewiesen, dass es munen haben einen Investitionsstau von 75 Milliarden
ein Kernanliegen auch der Sozialdemokraten ist, gute Euro“:
Arbeit in unserem Land durchzusetzen, und dass der An-
trag der Linkspartei eine Reihe von brauchbaren Ansät- Marode Straßen, verfallende Häuser, leckende Ab-
zen enthält, aber auch eine Reihe von Übertreibungen, wasserleitungen: Deutschlands Infrastruktur ver-
etwa in Sachen Mindestlöhne. Die entscheidende Frage, fällt. Denn Städten und Gemeinden fehlen seit Jah-
wenn wir heute diesen Antrag diskutieren, ist, ob die ren die Mittel, um Verkehrswege, Krankenhäuser,
Realpolitik – Realpolitik ist vor allen Dingen das von Kindergärten, Schulen und Klärwerke zu unterhal-
der Koalition vorgelegte Sparprogramm – gute Arbeit ten. „Bei den Kommunen hat sich ein Investitions-
fördert oder das Gegenteil bewirkt. Ein Autor des vom stau von 75 Mrd. Euro aufgetürmt“, hat Busso
Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung in dieser Grabow vom Deutschen Institut für Urbanistik
Woche vorgelegten Gutachtens zur Einkommensent- (Difu) errechnet. …
wicklung sagt dazu: Usw. usf. Also, auf der einen Seite finden wir einen un-
Bei all den Vorschlägen der Bundesregierung zum geheuren privaten Reichtum, konzentriert in immer we-
sogenannten Sparpaket ist kritisch zu beurteilen, niger Händen, auf der anderen Seite wachsende öffentli-
dass die bisherigen konkreten Vorschläge … nur die che Armut, die den Staat nicht mehr in die Lage versetzt,
unteren Einkommensbereiche betreffen. die notwendigen strukturellen Aufgaben im Bereich der
Kindergärten, der Schulen und der Krankenhäuser hin-
Das gilt vor allen Dingen für Arbeitslose. Es herrscht reichend zu realisieren. Die Tatsache, dass diese hoch-
eine völlig einseitige Schlagseite, nur die unteren Ein- konzentrierten Vermögen nicht stärker für die Finanzie-
kommensbereiche sind betroffen, die Angst vor dem rung unseres Gemeinwesens herangezogen werden und
Verlust des Arbeitsplatzes muss unter diesen Bedingun- so gleichsam unproduktiv brachliegen, verhindert mehr
gen weiter zunehmen. Mit dieser Angst steigen der Wachstum, mehr Beschäftigung und gute Arbeit. Dieser (D)
(B)
Druck und die Bereitschaft, auch Verschlechterungen Sachverhalt wird systematisch verschwiegen.
der Arbeitsbedingungen hinzunehmen, um den Arbeits-
platz nicht zu verlieren. Die von der Bundesregierung Die Alternative ist klar: Würde ein Teil der in priva-
gebetsmühlenhaft vorgetragene Behauptung, die Ein- ten Haushalten konzentrierten Vermögen abgeschöpft
schnitte bei den Arbeitslosen erhöhten die Beschäfti- und investiert, würde sich die Verschuldungslage des
gungsanreize, ist in Wahrheit eine zynische Formel. Staates deutlich verbessern. Die dadurch entstehende zu-
sätzliche Nachfrage könnte Unternehmen und Arbeit-
(Beifall bei der SPD und der LINKEN)
nehmern zugutekommen. Wachstum und Beschäftigung
Der Druck auf die Arbeitslosen, Arbeit um jeden Preis, würden zunehmen, ebenso die Produktivität und der da-
aber wirklich um jeden Preis, zu noch so niedrigen Löh- mit verbundene Verteilungsspielraum. Die Vorausset-
nen anzunehmen, wird nochmals erhöht. Mit einem An- zungen für die Durchsetzung guter Arbeit würden sich
teil von jetzt 23 Prozent haben wir im europäischen Ver- deutlich verbessern. Das ist die eigentliche Alternative.
gleich bereits den größten Niedriglohnsektor. Die
prekären Beschäftigungsverhältnisse steigen ständig. Im (Beifall bei der SPD und der LINKEN)
letzten Jahr, 2009, waren bei allen Neuarbeitsverhältnis- Es geht kein Weg daran vorbei, aus ökonomischen
sen 48 Prozent der Beschäftigungsverhältnisse zeitlich und sozialen Gründen große Vermögen in Deutschland
befristet. Die Ausnahme ist zur Normalität geworden. stärker zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben heranzu-
Der Druck auf die Arbeitslosen wird also zunehmen. Es ziehen. Eine zusätzliche Finanztransaktionsteuer
wird noch mehr Niedriglöhne und noch mehr prekäre würde ebenfalls hauptsächlich große Vermögen belasten.
Beschäftigung geben. Insofern ist das Sparprogramm der Sie würde sinnlose Spekulationen verteuern und helfen,
Bundesregierung auch ein Generalangriff auf das Ziel Ersparnisse in Realinvestitionen umzulenken.
„gute Arbeit“.
Wer gute Arbeit für die Beschäftigten will, muss Al- Da immer von Sozialneid gesprochen wird, wenn wir
ternativen zum Sparwahn der Bundesregierung aufzei- auf diese extremen Ungleichheiten hinweisen, will ich
gen. Ich will auf einen Sachverhalt hinweisen, der wenig Ihnen zum Schluss ein Zitat aus dem Handelsblatt vom
bekannt ist. Der hohen Staatsverschuldung – die Staats- 26. Mai dieses Jahres vortragen.
schulden belaufen sich in Deutschland zurzeit auf circa Die Frage lautet:
1,7 Billionen Euro – steht ein um ein Vielfaches höheres
Reinvermögen der privaten Haushalte gegenüber, näm- Die Schuldenkrise des Staates ist aus der privaten
lich nach den Daten der Bundesbank und des Statisti- Finanzkrise entstanden. Wäre es da nicht gerecht-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4973
Ottmar Schreiner
(A) fertigt, die heranzuziehen, die vorher sehr gut ver- richten, die für diejenigen, die sich außerhalb des Ar- (C)
dient haben? beitsmarkts befinden, weil sie keine Arbeit haben, un-
überwindlich sein würde.
Die Antwort lautet:
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linken, Sie
Unbedingt, das ist absolut notwendig. Das Gerech-
wollen vielleicht den Menschen helfen. In Wahrheit aber
tigkeitsempfinden der Menschen ist verletzt, und
berauben Sie sie ihrer Chancen. Wir hingegen wollen
das kann die Demokratie gefährden.
mit unserer Politik den Menschen Chancen auf dem Ar-
In einer anderen Antwort heißt es: beitsmarkt geben. Wir wollen sie zur Teilhabe an der Ge-
sellschaft befähigen. Wir wollen ihnen den Einstieg bzw.
Ich denke, dass vor allem die Einkommen aus Ver-
die Rückkehr in den Arbeitsmarkt erleichtern.
mögen stark zugenommen haben. … Ich habe
durchaus Sympathie für eine erneuerte Vermögen- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
steuer, über die man intensiv nachdenken sollte. Wie denn?)
Dieses Zitat stammt weder vom Fraktionsvorsitzen- Auf jeden einzelnen Ihrer Vorschläge einzugehen,
den der SPD noch von dem der Linken oder der der Grü- verbietet die Kürze der Zeit.
nen. Dieses Zitat stammt von Herrn Reinhard Marx, Erz-
(Abg. Sabine Zimmermann [DIE LINKE]
bischof von München.
meldet sich zu einer Zwischenfrage – Brigitte
Meine Damen und Herren von der Koalition, zumin- Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das
dest von der christdemokratischen Union, Sie sollten die ist doch nur eine Redezeitverlängerung!)
Aufforderung von Herrn Reinhard Marx ernst nehmen.
Das wäre die schmerzfreie Alternative zu einem Spar- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
kurs der Bundesregierung, der wieder ausschließlich auf Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
dem Rücken der kleinen Leute stattfindet. Kollegin Zimmermann?
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Pascal Kober (FDP):
Sehr gerne.
Das wäre dann auch sozial ausgewogen und ökonomisch
vernünftig, und es wäre, meine Damen und Herren von
der CDU/CSU, dann sogar christliche Politik. Sabine Zimmermann (DIE LINKE):
Danke schön, Frau Präsidentin. – Herr Kober, Sie
Schönen Dank. wissen sicherlich, dass wir eine Unterbeschäftigung von
(B)
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie 4,4 Millionen Menschen haben. Diese 4,4 Millionen (D)
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Menschen suchen einen guten Arbeitsplatz, auf dem sie
GRÜNEN) einen ausreichenden Lohn bekommen, von dem sie le-
ben und ihre Familie ernähren können. Sie wissen aber
auch, dass es laut Stellenstatistik 813 000 offene Stellen
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
gibt.
Für die FDP-Fraktion hat nun Herr Kollege Pascal
Kober das Wort. (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es werden aber
nicht alle offenen Stellen gemeldet!)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Von diesen 813 000 offenen Stellen sind ein Drittel in
Pascal Kober (FDP): Leiharbeit. Jetzt frage ich Sie: Wo ist dieser Arbeits-
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! markt, von dem Sie reden? Wohin können diese Men-
Der Antrag „Mit guter Arbeit aus der Krise“, den wir schen vermittelt werden, und zwar schnell und besser,
heute beraten, enthält eine große Ansammlung sozial- wie Sie es mit dem Jobcenter ohnehin wollen?
politischer und arbeitsmarktpolitischer Forderungen der (Beifall bei der LINKEN)
Linken.
Frau Kollegin Krellmann, in der Ausschusssitzung Pascal Kober (FDP):
am 9. Juni haben Sie dazu sinngemäß gesagt, der Antrag Frau Kollegin, wenn der Arbeitsmarkt so statisch
enthalte jede Menge Forderungen der Linken, deshalb wäre, wie Sie ihn jetzt beschreiben, dann hätten auch Sie
würden Sie nicht mit der Zustimmung anderer Fraktio- mit Ihrer Politik Schwierigkeiten, die Menschen in Ar-
nen zu Ihrem Antrag rechnen. Frau Kollegin Krellmann, beit zu vermitteln. Zunächst einmal gilt, dass nicht alle
ich kann Ihnen für die FDP versichern: Damit liegen Sie offenen Stellen gemeldet werden.
richtig.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Seit 30 Jah-
ren!)
Wir werden Ihren Antrag ablehnen, und das aus ei-
nem übergeordneten Grund. Zusammengefasst gesagt Zum Zweiten müssen wir durch eine kluge Bildungs-
enthält Ihr Antrag eine Ansammlung von Forderungen, politik sowie durch eine kluge Finanz- und Wirtschafts-
die in ihrer Umsetzung eine Konsequenz haben würde: politik natürlich dafür sorgen, dass zum einen die Men-
Sie würden um den Arbeitsmarkt herum eine Mauer er- schen gestärkt werden und zum anderen die Wirtschaft
4974 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Pascal Kober
(A) gestärkt wird, damit Arbeitsplätze entstehen. Mit unserer sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisse aus, mit (C)
Politik sind wir auf einem guten Weg dahin, dass mehr dem Argument, dass Menschen mit befristeten Arbeits-
Arbeitsplätze entstehen. Das ist unsere Hoffnung, und verträgen keine Lebensplanung vornehmen können. Ich
daran arbeiten wir mit voller Kraft. – Vielen Dank. möchte Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der Links-
partei, an das erinnern, was mein Kollege Kolb in der
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
letzten Woche hier im Hohen Hause dargelegt hat, dass
In der Kürze der Zeit möchte ich nicht auf alle Ihre nämlich auch all unsere Mitarbeiter, die Mitarbeiter von
Forderungen eingehen. Ich möchte aber ein Beispiel her- uns Bundestagsabgeordneten, befristete Arbeitsverträge
vorheben, um meine These zu bestätigen. Im Grunde ge- haben
nommen möchten Sie die Zeitarbeit abschaffen.
(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist ja
(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Nein!) sachlich begründet!)
Sie fordern gleichen Lohn für gleiche Arbeit ab dem ers- und dennoch viele Familien gründen und Kinder bekom-
ten Arbeitstag, ohne jegliche Ausnahme. Sie fordern, men. Es ist eine befristete Arbeit,
dass die Verleihdauer auf maximal drei Monate be-
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: So
schränkt wird. Zudem wollen Sie nicht nur gleichen
wie unsere Verhältnisse auch befristet sind!)
Lohn für gleiche Arbeit; Sie wollen darüber hinaus, dass
Leiharbeitskräfte zusätzlich eine Flexibilitätsprämie er- und die Zukunft ist über die vier Jahre hinaus nicht zu
halten. Im Ergebnis würde das dazu führen, dass die planen. Insofern ist Ihr Argument nicht richtig.
Zeitarbeit beerdigt wird.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
(Zuruf von der FDP: Das wollen die ja! – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Es geht um
Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Eingegrenzt „sachgrundlos“!)
wird!)
Viele Unternehmen können die wirtschaftliche Ent-
Wir wissen, dass die Zeitarbeit für viele Menschen wicklung nicht abschätzen und müssen auf die Flexibili-
durchaus eine Möglichkeit ist, in den Arbeitsmarkt zu tät, die ihnen befristete Arbeitsverhältnisse ermöglichen,
kommen und dort Fuß zu fassen. zurückgreifen. Ich möchte Sie nur darauf aufmerksam
(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Ungefähr machen, dass auch beim DGB, beim Deutschen Gewerk-
15 Prozent! 85 Prozent nicht!) schaftsbund, 17 Prozent der Arbeitsverhältnisse befristet
sind.
Wir wissen aufgrund von Statistiken, Herr Kollege, dass
62,2 Prozent der Menschen, die in Zeitarbeitsunterneh- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hört! Hört!)
(B) (D)
men eingestellt werden, vorher nicht gearbeitet haben. Was für den DGB vielleicht richtig ist, kann doch auch für
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: So ist es!) andere gelten. Ich sage Ihnen, wie er argumentiert – ich
zitiere –:
Wir wissen, dass 11,4 Prozent der Menschen vorher so-
gar überhaupt noch nie gearbeitet haben. Wir wissen, Um langfristig Personalüberhänge zu vermeiden,
dass ein Fünftel bis ein Viertel der Personen, die in Zeit- werden seit 2004 Beschäftigte grundsätzlich nur
arbeitsunternehmen arbeiten, in den Unternehmen, in die noch befristet eingestellt.
sie entliehen werden, dann auch Fuß fassen und dort So der DGB zu seiner eigenen Arbeitsmarktpolitik.
bleiben.
(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das ist auch
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Klebeeffekt! – nicht in Ordnung!)
Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Unter einem
Fünftel!) Ich möchte den DGB da nicht kritisieren, aber darauf
hinweisen, dass auch andere diese Notwendigkeit so se-
Wir wissen, dass es etwa einem Fünftel der Menschen, hen wie wir.
die in Zeitarbeit arbeiten, gelingt, nach einem gewissen
Zeitraum in anderen Unternehmen dauerhaft in eine so- Vielen Dank.
zialversicherungspflichtige Beschäftigung zu kommen. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wir wissen das Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Nicht überzeu-
jedenfalls! – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: gend!)
80 Prozent schaffen es nicht!)
Es ist klar, dass wir den Missbrauch in der Zeitarbeit Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
angehen werden. Das haben wir als Koalition hier ein- Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Lukrezia
mütig schon gesagt. Das Bundesarbeitsministerium ist Jochimsen für die Fraktion Die Linke.
dabei, mit den Regierungsfraktionen entsprechende Lö- (Beifall bei der LINKEN)
sungen zu erarbeiten. Insofern, glaube ich, ist es ein Feh-
ler von Ihnen, dass Sie die Zeitarbeit in der Form, wie
Dr. Lukrezia Jochimsen (DIE LINKE):
Sie es machen, beerdigen wollen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Einen zweiten Aspekt des Antrags möchte ich noch Meine Damen und Herren! Die Fraktion Die Linke stellt
ansprechen. Sie sprechen sich für die Abschaffung der heute den Antrag „Mit guter Arbeit aus der Krise“ zur
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4975
Dr. Lukrezia Jochimsen
(A) Abstimmung, weil wir in der Tat der Meinung sind, dass meinen Wohlstands und, wie Heribert Prantl unlängst in (C)
sich unser Land nur durch Arbeit aus der Krise, in der es der Süddeutschen schrieb, das Verursacherprinzip, also
sich jetzt befindet, wird befreien können, und zwar durch der Gedanke, dass die Suppe auszulöffeln hat, wer sie
gute Arbeit. „Gute Arbeit“ bedeutet nicht Niedriglohnar- eingebrockt hat.
beit, wie sie heute von 6,5 Millionen Beschäftigten ge-
(Beifall bei der LINKEN)
leistet werden muss, für 3,06 Euro in der Friseurbranche
oder für 4,50 Euro in der Fleischbranche. „Gute Arbeit“ Sie aber, meine Damen und Herren von der Regierung,
heißt auch nicht: Leiharbeit, Teilzeitarbeit, Minijobs, so- handeln längst nach einem anderen Prinzip, dass näm-
genannte Solo-Selbstständigkeit. Das sind die uns allen lich diejenigen die Suppe auszulöffeln haben, denen sie
bekannten prekären Beschäftigungsformen, deren Zahl eingebrockt worden ist. Das wird nicht hingenommen,
immer mehr zunimmt. auch vom Bürgertum nicht.
Wir wissen auch genau, wozu sie geführt haben. Eine (Beifall bei der LINKEN)
ganz aktuelle Erhebung des Thüringer Landesamtes für
Statistik weist aus: In einem Drittel aller Thüringer Haus- Ihre eigenen Ministerpräsidenten melden sich kritisch zu
halte hat der Hauptverdiener – der Hauptverdiener! – am Wort. So hat zum Beispiel die thüringische Ministerprä-
Monatsende weniger als 1 300 Euro netto für die Familie, sidentin Lieberknecht die Streichung des Elterngeldes
inklusive BAföG und Kindergeld. für Hartz-IV-Empfänger mit den Worten abgelehnt: „Das
Schicksal der meisten Hartz-IV-Empfänger ist schon
Hochqualifizierte Künstler und Kreative mit einem schwer genug.“ Die Regierung „sollte nicht auch noch
14-Stunden-Arbeitstag haben am Ende des Jahres durch- den Eindruck erwecken, sie seien nicht in der Lage, ihre
schnittlich ein Einkommen von 11 000 Euro, das nichts Kinder selbst zu erziehen“, indem sie sage, das einge-
übrig lässt für Krankheits- und Altersvorsorge. So darf sparte Elterngeld werde für Bildungsangebote ausgege-
es doch nicht weitergehen. ben. Worte einer CDU-Ministerpräsidentin. Man kann
Frau Merkel nur raten: Bitte hören Sie doch darauf,
(Beifall bei der LINKEN)
wenn Sie schon nicht auf die Linke hören wollen.
Diese Entwicklung, immer tiefer hinein in einen Teu-
(Beifall bei der LINKEN)
felskreis aus Armut und Ängsten in der Bevölkerung,
muss jetzt endlich aufgehalten werden. Heute ist der 17. Juni. Ich bin alt genug, mich an die
Ereignisse zu erinnern, und es ist gut, dass wir ihrer
(Beifall bei der LINKEN)
gedenken. Gesine Schwan hat heute Morgen hier im
Daher fordern wir eine Rückkehr zu guter Arbeit, die es Parlament eine bemerkenswerte Gedenkrede gehalten
(B) schließlich einmal gab in unserem Land und die das und den Appell an uns gerichtet, Lehren aus der (D)
Land insgesamt auch wohlhabend gemacht und befriedet Geschichte zu ziehen – wohl wahr! Eine der Lehren der
hat. Das ist ja nichts Unbekanntes für uns. Wir hatten Geschichte ist, dass sich die Arroganz der Mächtigen,
dieses Gut „gute Arbeit“ in unserer Gesellschaft. selbst der Regierenden, böse rächen kann.
Aber was geschieht jetzt mitten in dieser schwersten (Beifall bei der LINKEN)
wirtschaftlichen Krise? Wird den Menschen herausge-
Als Mahnung darf ich Ihnen einige Zeilen von Bertolt
holfen aus dem Teufelskreis? Nein, und nochmals Nein!
Brecht zitieren:
Ein Sparpaket wird geschnürt, das nur die sozial
Schwachen heranzieht, die Arbeitslosen, die Alleinerzie- Nach dem Aufstand des 17. Juni
henden. Für meine Fraktion sage ich hier: Das ist gewis- Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbandes
sermaßen eine Kampfansage an die Menschen, die am In der Stalinallee Flugblätter verteilen
wenigsten zum Leben haben. Diese Kampfansage wer- Auf denen zu lesen war, daß das Volk
den wir annehmen. Damit lassen wir Sie nicht durch- Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe
kommen! Auf gar keinen Fall! Und es nur durch verdoppelte Arbeit
Zurückerobern könne. Wäre es da
(Beifall bei der LINKEN)
Nicht einfacher, die Regierung
Auch die Betroffenen werden das nicht einfach hin- Löste das Volk auf
nehmen. Es gibt so viele Menschen, die diese soziale Und wählte ein anderes?
Schieflage des Sparpakets als absolut ungerecht empfin-
Bertolt Brecht, 1953.
den: Gewerkschaften, Kirchen, Sozialverbände formu-
lieren diese Ablehnung bereits massiv. Das Volk hält (Beifall bei der LINKEN)
vom Sparpaket nichts. Weil sich auch immer mehr Men-
schen aus der sogenannten bürgerlichen Mitte der Ge- Es gibt einen untrüglichen Indikator dafür, wie eine
sellschaft – da könnten die Kollegen von der FDP einmal Gesellschaft verfasst ist: Das ist die Art und Weise, wie
zuhören – Sorgen um das Ganze machen, irren Sie näm- sie mit ihren Künstlerinnen und Künstlern, den kreativen
lich doppelt, wenn Sie glauben, Sie werden à la longue Menschen umgeht. Wer vor Jahren, nach dem Zusam-
damit durchkommen. menbruch des Ostblocks, die Konzertgeiger von daher
auf unseren Straßen um Almosen spielen sah und hörte,
Das Bürgertum hat über Generationen ein paar der wusste genug über das Elend in deren Heimat. Und
Grundsätze bewahrt. Dazu gehören das Streben nach bei uns? Da haben es die Regierungen, nicht nur die jet-
Ausgleich in der Gesellschaft, nach Hebung des allge- zige, so weit gebracht, ein beachtliches Kultur- und
4976 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Dr. Lukrezia Jochimsen


(A) Kunstprekariat hervorzubringen. Wir werden alle dafür habe ich an dem Antrag auch schon, dass ein Überbie- (C)
zahlen müssen: die für ein Butterbrot arbeitenden Kreati- tungswettbewerb bei der Höhe des gesetzlichen Min-
ven als Erste und wir durch einen Kulturverlust, einen destlohns stattfindet. Im Moment geht es aber erst ein-
Verlust an Lebensqualität. Am Ende aber werden auch mal darum, dass überhaupt ein Mindestlohn eingeführt
die, die dafür die Verantwortung tragen, die Rechnung wird. Wir brauchen ein starkes, breit aufgestelltes Bünd-
präsentiert bekommen. Da bin ich ganz sicher. nis, um Druck machen zu können. Wir sollten an einem
Strang ziehen.
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wie heißt es, wenn es um die Banken geht? Too big to
fail – zu groß, um sie untergehen zu lassen – oder, wie es Kurzum: Der Antrag beinhaltet einige Forderungen,
begründet wurde, die Banken seien systemimmanent. die wir nicht mittragen können. Es gibt aber auch viele
Das war und ist Ihre Wahrheit in der Krise. Meine Wahr- Forderungen, denen wir zustimmen. Deshalb werden wir
heit, meine Maxime ist eine andere: Ich sehe die Men- den Antrag nicht ablehnen, sondern werden uns enthal-
schen in unserem Land und sage über jeden Einzelnen: ten.
zu wertvoll, um auf sie oder auf ihn zu verzichten.
Zu den Regierungsfraktionen. Ich appelliere an Sie,
(Beifall bei der LINKEN) nicht weiter die Augen vor der Realität zu verschließen.
Herr Lehrieder, der Wandel in der Arbeitswelt ist un-
Ihre oder seine Teilhabe – sei es durch Lohnarbeit oder
übersehbar. Die Arbeit wird nun zunehmend atypisch,
soziales Tun in der Familie, durch kulturelle Beiträge
prekäre Beschäftigung nimmt zu. Viele Menschen erle-
oder politisches Engagement oder einfach nur durch ihr
ben tagtäglich eine Arbeitswelt, die aufreibender und un-
oder sein Dasein in Würde, als stolzer Mitmensch – ist
sicherer wird, und viel zu viele Menschen arbeiten und
für mich zu wertvoll, als dass wir darauf einfach verzich-
können dennoch nicht von ihrem Lohn leben oder müs-
ten könnten.
sen jeden Euro dreimal umdrehen.
Wir sind nichts mehr, wenn wir diesen Impuls verlie-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
ren. Darum stellen wir heute einen Antrag, der gute Ar-
beit zum Ziel politischen Handelns macht und damit ein Dennoch vertreten viele aus den Regierungsfraktio-
gutes Leben in dieser Gesellschaft ermöglicht, gutes Le- nen noch immer die Meinung, dass sozial ist, was Arbeit
ben anstelle wachsender Armut einerseits und schwin- schafft; aber damit sind Sie schlichtweg auf dem Holz-
delerregender Zunahme von Reichtum andererseits. Ich weg.
frage: Wer will eigentlich in einem so in Reich und Arm
auseinanderklaffenden Land leben? Sie hier doch sicher- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
und bei der LINKEN)
(B) lich nicht. Davon gehe ich aus. (D)
(Beifall bei der LINKEN) Sozial ist nur, was gute Arbeit schafft, und für uns Grüne
ist gute Arbeit untrennbar mit Anerkennung, Respekt
Dann setzen Sie doch einmal ein kleines Zeichen und und Wertschätzung verbunden. Gute Arbeit bedeutet
stimmen für gute Arbeit, damit gutes Leben wieder ins Mitbestimmung, Teilhabe, faire Löhne, Arbeits- und Ge-
Land kommt und damit die Menschen sehen: Angesichts sundheitsschutz, Entgeltgleichheit, familienfreundliche
der Krise und der Nöte so vieler Menschen im Land geht Bedingungen und vor allem soziale Sicherheit.
es uns hier im Bundestag nicht nur um die Ausgrenzung
der Linken, um Fraktionsdisziplin und Rituale. Das wäre (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
systemimmanent, und das wäre jetzt angebracht. des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE])

Ich danke Ihnen. Sie aber nehmen die Sorgen der Beschäftigten nicht
ernst. Sie sind bei diesen Themen taub und reden in der
(Anhaltender Beifall bei der LINKEN) Regel der Wirtschaft das Wort. Sie haben schlichtweg
keine Vision von guter Arbeit.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Dies möchte ich an einigen Beispielen ausführen:
Nächste Rednerin ist die Kollegin Beate Müller-Gem- 47 Prozent der neuen Beschäftigungsverhältnisse sind
meke für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. befristet. Das erschwert die Lebensplanung der betroffe-
nen Menschen erheblich. Sie aber ignorieren das. Sie
Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- wollen den Arbeitsmarkt sogar noch weiter flexibilisie-
NEN): ren. Dagegen kann ich heute schon Widerstand ankündi-
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin- gen. Wir wollen die befristete Beschäftigung reduzieren,
nen und Kollegen! Ich habe schon in der ersten Lesung indem wir die sachgrundlose Befristung abschaffen und
gesagt, dass uns das Thema „gute Arbeit“ wichtig ist. Es den Katalog der Befristungsgründe auf den Prüfstand
ist mir so wichtig, dass ich es hier nicht wie ein Kapitel stellen. Befristete Beschäftigungsverhältnisse halten wir
aus einem Wahlprogramm behandeln möchte. ebenfalls für problematisch, weil damit der Kündigungs-
schutz umgangen wird. Wir wollen eine Balance zwi-
An manchen Stellen ist der Antrag der Linken überzo-
schen den Interessen der Arbeitnehmer und denen der
gen, beispielsweise bei der Mitbestimmung. Auch wir
Arbeitgeber. Deswegen ist der Kündigungsschutz un-
wollen die Mitbestimmung stärken. Aber uns geht es um
trennbar mit dem Thema gute Arbeit verbunden.
gleiche Augenhöhe und um einen Interessensausgleich
zwischen Unternehmen und Beschäftigten. Kritisiert (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4977
Beate Müller-Gemmeke
(A) In diesem Sinne kann es auch nicht sein, dass Be- 1,30 Euro eine Arbeit verlieren kann, nachdem man (C)
schäftigte wegen sogenannter Bagatelldelikte einfach 30 Jahre dort gearbeitet hat.
gekündigt werden. Wir fordern deswegen in unserem
Antrag, dass endlich die Abmahnungspflicht bei Baga- (Max Straubinger [CDU/CSU]: Wie hoch
telldelikten eingeführt wird. Dies würde Beschäftigte ge- setzen Sie die Grenze an?)
rade jetzt in der Krise schützen, denn bei diesen Fällen Das Bundesarbeitsgericht hat uns momentan bei dem
geht es für die Betriebe um Bagatellbeträge; aber für die Fall Emmely recht gegeben. Von daher geht es um Ba-
Menschen geht es um ihre Existenz. lance, und ich denke nicht, dass wir mit unserer Haltung
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Bedenken die kleinen Unternehmen oder auch größere Unterneh-
Sie das Betriebsklima!) men wirklich schädigen können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN –
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Max Straubinger [CDU/CSU]: Bis zu wel-
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des chem Betrag ist Diebstahl tolerabel?)
Kollegen Lehrieder? Um gute Arbeit geht es natürlich auch bei der Leih-
arbeit. Der Missbrauch bei der Leiharbeit ist ja bekannt.
Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Bekannt ist auch, dass Stammbelegschaften durch Leih-
NEN): arbeitskräfte ersetzt werden. Das Instrument Leiharbeit
Ja. wird auch für Lohndumping benutzt.
Lange, viel zu lange hat das Ministerium geprüft. Wie
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: man jetzt hört, sollen wieder einmal nur kosmetische
Bitte sehr. Korrekturen vorgenommen werden. Das reicht uns nicht
aus. Wir wollen die Leiharbeit wirklich regulieren. Das
Prinzip „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ muss endlich
Paul Lehrieder (CDU/CSU):
umgesetzt werden.
Frau Kollegin Müller-Gemmeke, Sie haben gerade
ausgeführt, dass wir nur die Interessen der Wirtschaft im (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Hinterkopf haben, Sie aber die Interessen der Arbeitneh-
mer. In Bezug auf den Niedriglohnbereich muss ebenfalls
endlich etwas getan werden. Sie wissen es: 5 Millionen
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Menschen arbeiten für weniger als 8 Euro, 1 Million so-
GRÜNEN]: In der Regel, ja!) gar für weniger als 5 Euro pro Stunde. Und was macht (D)
(B)
die FDP? Sie versucht sogar noch, hart verhandelte Min-
Teilen Sie die Auffassung, dass in der Wirtschaft – ich ver- destlöhne zu blockieren und zu befristen. Stellen Sie sich
stehe jetzt unter der Wirtschaft auch die kleinen mittelstän- endlich der Realität und führen Sie endlich einen gesetz-
dischen Unternehmen oder die Unternehmen schlechthin – lichen Mindestlohn und mehr branchenspezifische Min-
zuerst ein Unternehmen vorhanden sein muss, bevor destlöhne ein!
man überhaupt erst einmal Arbeit bekommen kann, dass
auch die Arbeitgeber hierbei mit ins Boot genommen (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
werden müssen, die die Arbeit bereitstellen können, da- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
mit der Arbeitnehmer überhaupt eine Chance hat, einen LINKEN – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was
Job zu bekommen? jetzt? Entweder oder!)
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Damit würden Sie mehr als zwei Fliegen mit einer
GRÜNEN]: Ja, natürlich!) Klappe schlagen: Die Beschäftigten hätten endlich einen
auskömmlichen Lohn, der Staat weniger Sozialausga-
Oder wie sehen Sie das? Wer gibt bei Ihnen die Arbeit, ben, die Sozialversicherungen mehr Einnahmen.
wenn nicht die Wirtschaft?
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Dass dabei auch
Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Arbeitsplätze verloren gehen könnten, sehen
NEN): Sie anscheinend nicht!)
Ich verstehe, ehrlich gesagt, Ihre Frage nicht ganz. Herr Schäuble hätte mehr Geld in der Kasse, und Sie
könnten die unsozialen Einsparungen bei den Schwa-
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist das Pro- chen in der Gesellschaft aussetzen, was Sie übrigens auf
blem! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Die Lin- jeden Fall tun sollten.
ken sagen 500 000!)
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
– Ich habe eben auch „in der Regel“ gesagt, und ich habe SES 90/DIE GRÜNEN)
vorhin auf die Mitbestimmung verwiesen. Es geht im-
mer um eine Balance zwischen den Unternehmen und Ich komme nochmals auf das Thema „Sozial ist, was
den Arbeitnehmern, es geht immer um Balance beim Arbeitsplätze schafft“ zu sprechen. Das impliziert, dass
Kündigungsschutz, und das sehe ich bei den Bagatell- Arbeitsplätze entstehen sollen. Das wollen auch wir. Ar-
kündigungen durchaus so, denn da ist die Balance auf je- beitsplätze entstehen aber nicht durch mehr Flexibilisie-
den Fall nicht gegeben, wenn man wegen 80 Cent oder rung. Sie entstehen nicht durch ein Weniger an Kündi-
4978 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Beate Müller-Gemmeke
(A) gungsschutz oder ein Mehr an Leiharbeit. Arbeitsplätze Gitta Connemann (CDU/CSU): (C)
entstehen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Dr. Jochimsen,
wenn dieser Auftritt gerade Ihre Bewerbungsrede für das
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist wahr! Sa- Amt der Bundespräsidentin gewesen sein sollte,
gen Sie mal etwas zu den Rahmenbedingun-
gen!) (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Dann wählen
wir Wulff! – Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]:
In diesem Sinne empfehle ich Ihnen: Verbinden Sie end- Dann wähle ich Wulff!)
lich Beschäftigung mit Ökologie, und zwar nicht nur in
Sonntagsreden! Machen Sie endlich eine konsequente stelle ich fest: Sie haben Ihr Ziel verfehlt.
Klimaschutzpolitik! Dann entstehen in der Folge überall (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wie
im Land neue und sichere Arbeitsplätze in den Berei- kann man denn so arrogant sein!)
chen Energie und Mobilität und auch im Bausektor.
Denn spätestens nach diesem Beitrag sollte dem Letzten
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) in diesem Haus bewusst sein, dass Ihre Bewerbung eines
nicht ist: ernst gemeint.
Mein Fazit ist also: Machen Sie endlich eine Politik
für die Beschäftigten und nicht nur für diejenigen, die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
sich sowieso auf der Sonnenseite des Lebens befinden. Sie haben einen einzigen Satz gesagt, den ich absolut
Auch in der neuen DIW-Studie zeigt sich der Trend unterstreichen kann – er stammt aus Ihrem Antrag; ich
– Kollege Schreiner hat es gerade ausgeführt –: Unsi- zitiere –: „Gute Arbeit muss das Ziel politischen Han-
cherheit und Angst breiten sich immer weiter aus. Diese delns sein.“ Wer von uns wollte dieser Feststellung wi-
Unsicherheit wird durch Ihr ungerechtes Sparpaket na- dersprechen?
türlich noch verschärft.
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Durch
Umso wichtiger ist es jetzt für die Menschen, dass Ihr politisches Handeln!)
Beschäftigung ein Mindestmaß an Sicherheit bietet und
Arbeit fair entlohnt wird. Beschäftigte, die gut behandelt Niemand! Denn wir alle wünschen uns genau das. Die
und wertgeschätzt werden und die ihre Stellung im Be- Menschen sollen eine aus ihrer Perspektive möglichst
gute Arbeit haben.
trieb als sicher ansehen, sind übrigens motivierter und
engagierter. Sie identifizieren sich mit ihrer Arbeit, und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
das kann eigentlich nur gut für unsere Wirtschaft sein.
Die entscheidende Frage lautet aber: Was ist eine gute
(B) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Arbeit? (D)

Gerade jetzt, in der Krise, kann das gemeinsame Pro- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Und wer schafft
jekt „Gute Arbeit“ Orientierung geben und einen soli- die?)
darischen Ausweg aus der Krise aufzeigen. Was aber Ihre Antwort, meine Damen und Herren von der Linken:
machen Sie? Sie streiten sich in der Koalition mittler- Nur die unbefristete Vollzeitarbeit ist eine gute Arbeit.
weile um fast jedes Thema schrill und öffentlich, als
drehe sich die Welt momentan nur um Ihre Koalition. (Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Gut bezahlte!)
Für Sie steht momentan nicht der Zusammenhalt in der Erkennen Sie eigentlich, was Sie damit tun? Damit kan-
Gesellschaft im Mittelpunkt, sondern ausschließlich der zeln Sie die Arbeit von Teilzeitbeschäftigten, Selbststän-
Zusammenhalt in der Koalition. digen, befristet Beschäftigten und auch Zeitarbeitneh-
mern ab.
(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Bei Rot-Grün
gab es auch nicht nur Harmonie! Wir mögen (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
uns!) NEN]: Das stimmt doch nicht!)
Dazu kann ich nur sagen: Noch nie war die Empathie der Diese alle haben, ginge es nach Ihnen, schlechte Arbeit.
Verantwortlichen einer Regierung für das Land und die (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Menschen so gering.
Haben Sie sich einmal Gedanken darüber gemacht, wie
Vielen Dank. sich diese Beschäftigten bei Ihrer Wortwahl – „atypisch“
oder gar „prekär“ – fühlen müssen? Ich frage Sie: Was
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
ist an einer Teilzeitkraft atypisch oder prekär, wenn sie
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- sich für Familie und Beruf entscheidet?
KEN)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Genau
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
um die geht es nicht, sondern um die, die Sie
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun das Wort die Kol- dahin zwingen!)
legin Gitta Connemann.
Was ist an einer Selbstständigen atypisch oder prekär,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wenn sie hoffnungsvoll eine neue Existenz gründet?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4979
Gitta Connemann
(A) (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aber Sind Sie zweitens bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass (C)
genau um die geht es nicht!) es eine Reihe von Untersuchungen gibt, wonach viele
Menschen, die Teilzeit arbeiten, eigentlich einen Vollzei-
Was ist an einer Zeitarbeitnehmerin atypisch oder pre- terwerbsplatz anstreben, notgedrungen aber auf Teilzeit
kär, wenn sie wechselnde Arbeitsorte in Kauf nimmt, um gehen, weil sie keinen Vollzeitarbeitsplatz bekommen?
einen Vollzeitjob zu haben? Was sagen eigentlich Ihre Natürlich gibt es auch Menschen – das ist zugestanden –,
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, meine Damen und die, meistens vorübergehend, einen Teilzeitarbeitsplatz
Herren von den Linken? Sie haben nämlich – wie all un- beanspruchen, um die Vereinbarkeit von familiären und
sere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – befristete Ar- beruflichen Lasten besser zu koordinieren.
beitsverträge bis zur nächsten Wahl, also nach Ihrer
Wortwahl „schlechte Arbeit“.
Gitta Connemann (CDU/CSU):
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Nein, Herr Kollege Schreiner, ich bin nicht bereit, das
Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Sie haben zur Kenntnis zu nehmen.
schlechte Arbeitgeber! – Dr. Dagmar
Enkelmann [DIE LINKE]: Sie haben keine (Anette Kramme [SPD]: Dann kann man nur
Ahnung! Wir sind alle hier befristet!) sagen: verbohrt!)

Meine Damen und Herren von der Linken, Ihre Klas- Ich darf Ihnen auch die Begründung geben. Sie haben
sifizierung ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen; sie sehr pauschal Untersuchungen zum Thema Teilzeit-
ist ein Zeichen von Arroganz und fehlender Sachkennt- beschäftigung zitiert.
nis. (Ottmar Schreiner [SPD]: Eine pauschale Un-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – verschämtheit! – Beate Müller-Gemmeke
Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht pau-
sollten Ihr befristetes Verhältnis beenden!) schal!)

Anstatt in Kategorien des Klassenkampfs zu denken, Ich kann Ihnen demgegenüber eine sehr konkrete Zahl
sollten Sie sich der Wirklichkeit stellen. Sprechen Sie des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln nennen, das
nicht über die Beschäftigten, sondern sprechen Sie mit festgestellt hat: Von 9 Millionen Teilzeitbeschäftigten
den Beschäftigten! wünschen 7 Millionen genau diese Teilzeitbeschäfti-
gung;
(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Machen Sie
das mal!) (Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: 2 Millionen aber nicht!)
(B) Dann würden Sie erfahren: Gute und schlechte Arbeit (D)
lassen sich nicht an Kategorien wie „typisch“ oder „aty- nur 2 Millionen Menschen weichen auf Teilzeit aus, weil
sie keine Vollzeitstelle finden. Das heißt, 7 Millionen
pisch“, „Vollzeit“ oder „Teilzeit“, „selbstständig“ oder
von 9 Millionen Menschen wünschen sich dieses Mo-
„angestellt“, „befristet“ oder „unbefristet“ festmachen.
dell, um ihren eigenen Lebensentwurf verwirklichen zu
können. Ich bitte Sie, das zur Kenntnis zu nehmen. Es
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: hilft, mit den Menschen zu sprechen. Das würde ich Ih-
Frau Kollegin, Herr Kollege Schreiner würde gerne nen empfehlen.
eine Zwischenfrage stellen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Gitta Connemann (CDU/CSU): Sie sollten sich nicht auf Untersuchungen zurückziehen;
Sehr gerne. denn sie bestätigen Ihre Aussagen nicht.
Zum Beispiel ist die soziale Absicherung von Selbst-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: ständigen nicht minderwertig, nur weil Selbstständige
Bitte sehr. keine Pflichtmitglieder der gesetzlichen Sozialversiche-
rung sind. Ebenso haben Zeitarbeitnehmer in der Regel
(Dr. Hans-Peter Friedrich [Hof] [CDU/CSU]: einen unbefristeten Vollzeitvertrag mit dem vollen gesetz-
Schalten Sie das Mikrofon ein, damit man Ihre lichen Kündigungsschutz, allen Arbeitnehmerschutzrech-
lichtvollen Bemerkungen auch hört!) ten und allen vier Zweigen der Sozialversicherung. Auch
können Teilzeitkräfte durch eine Reduzierung ihrer Ar-
Ottmar Schreiner (SPD): beitszeit ihre Lebensentwürfe verwirklichen, weil sie so
Nach dieser „lichtvollen Bemerkung“ des bayeri- zum Beispiel mehr Zeit mit Kindern verbringen können.
schen Kollegen wollte ich Sie fragen, ob Sie erstens be-
Gerade diese Erwerbsformen haben den Arbeits-
reit sind, zur Kenntnis zu nehmen, dass der Deutsche
markt in den letzten Jahren aus der Krise geführt; denn
Gewerkschaftsbund seit drei Jahren Untersuchungen zu
in der Regel heißt die Alternative in der Praxis: Arbeit
der Frage veröffentlicht, was Menschen unter guter
oder Arbeitslosigkeit. Da fällt unsere Antwort, die Ant-
Arbeit verstehen, und dass laut Ergebnis dieser Untersu-
wort der christlich-liberalen Koalition, sehr deutlich aus:
chungen 98 Prozent von vielen Tausend Befragten Vorfahrt für Arbeit.
sagen: Gute Arbeit ist ein auf Dauer angelegtes Vollzeit-
beschäftigungsverhältnis mit einem möglichst existenz- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
sichernden Einkommen. neten der FDP)
4980 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Gitta Connemann
(A) Hier sind wir erkennbar auf dem richtigen Weg. 2005 lag (Beifall bei Abgeordneten der SPD) (C)
die Zahl der Arbeitslosen noch über der 5-Millionen-
Marke; heute, einige Jahre später, liegt die Marke trotz Josip Juratovic (SPD):
der schlimmsten Wirtschaftskrise, die unser Land je er- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten
lebt hat, bei 3,2 Millionen Arbeitslosen. Das heißt, Kolleginnen und Kollegen! Die Überschrift des Antrags,
1,8 Millionen Menschen haben Arbeit gefunden und da- über den hier diskutiert wird, lautet „Mit guter Arbeit
mit eine Perspektive. aus der Krise“. Es werden verschiedene Lösungsange-
(Zuruf von der LINKEN: Falsche Zahlen!) bote aufgezeigt, die Beiträge zu mehr sozialer Gerech-
tigkeit leisten sollen, allerdings alle auf der Basis der
Einer der Gründe für diese positive Entwicklung waren Umverteilung.
die Reformen der Agenda 2010.
Doch um aus der gegenwärtigen Krise zu finden, ge-
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das will bei der hört mehr dazu. Mehr Umverteilung ist noch lange nicht
SPD keiner mehr wahrhaben!) Gerechtigkeit.
Damals haben Rot und Grün die Weichen für mehr Be- (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]:
schäftigung gestellt; denn sie haben die flexiblen Er- Richtig!)
werbsformen, wie wir sie heute haben – mehr Selbst-
ständigkeit, mehr Teilzeit, mehr Befristung und mehr So wird zum Beispiel auch bei den Linken die Zeit-
Zeitarbeit –, erst ermöglicht. arbeit hingenommen. Ja, Herr Kober, auch ich bin der
Meinung, dass die Zeitarbeit an sich für die Betroffenen
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Rot-Grün hatte eine Chance sein kann. Jedoch ist die Zeitarbeit im Ver-
den Niedriglohnsektor in Deutschland einge- gleich zur Festanstellung eine Ungerechtigkeit. Das gilt
führt!) nicht nur für die Entlohnung. Zeitarbeiter werden auch
Verteidigen Sie diese Erfolge mit uns, meine Damen und außerhalb des Arbeitslebens stigmatisiert. Wenn bei-
Herren von Rot und Grün; denn die Linken wollen jetzt spielsweise jemand einen Kredit haben möchte, wird
eine Abschaffung all Ihrer Errungenschaften immer wie- ihm dieser verwehrt, wenn er als Zeitarbeiter keine un-
der mit derselben Behauptung, es seien massenhaft Voll- befristete Anstellung vorweisen kann. Frau Connemann,
zeitarbeitsstellen in Billigjobs umgewandelt worden. Sie wollen die Partei der Familienfreundlichkeit sein.
Ich denke, mit dieser Perspektive ist es nicht gerade er-
(Zuruf von der LINKEN: Ja klar!) mutigend, eine Familie zu gründen.
Das Gegenteil ist richtig. Ja, wir befinden uns in einer Krise. Mehr soziale Ge-
(B) Ich habe bereits in der letzten Woche darauf hinge- rechtigkeit kann die Auswirkungen der Krise bei den Be- (D)
wiesen: Schauen Sie sich die Zahlen des Statistischen troffenen schmerzlindernd gestalten. Um jedoch aus der
Bundesamtes an! gegenwärtigen Krise zu kommen, müssen wir neue Ant-
worten auf die Frage finden, wie wir den Menschen eine
(Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]: Zukunft bieten. Die Menschen sind verunsichert. Zwar
Ja, genau!) haben die meisten Menschen das Gefühl, dass es ihnen
Die Zahl der unbefristeten Vollzeitjobs hat sich in den aktuell gut geht, aber keiner weiß, wie lange noch. Vor
letzten zehn Jahren bei rund 20 Millionen eingependelt. allem junge Menschen haben die Sorge, ob sie Arbeit
In derselben Zeit ist die Zahl der Erwerbstätigen aber um bekommen und unter welchen Bedingungen sie arbeiten
2,7 Millionen angestiegen. Es wurde also zusätzliche müssen. Es herrscht Orientierungslosigkeit, und vor al-
Arbeit geschaffen, weil viele flexible Stellen entstanden lem schwindet das Vertrauen in den Zusammenhalt der
sind. Gesellschaft und auch in die Politik.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir haben
der FDP) verschiedene Krisen zu bewältigen, und wir müssen da-
für sorgen, das Vertrauen bei den Menschen, dass es in
Diese Stellen sind ein Sprungbrett, zuerst in Arbeit, dann unserer Gesellschaft gerecht zugeht, wieder herzustellen.
in eine unbefristete Ganztagsbeschäftigung. Davon ha-
ben insbesondere Geringqualifizierte profitiert: Das sind Da ist einerseits die Wirtschafts- und Finanzkrise,
Menschen ohne Schulabschluss, ohne Ausbildung und aber es gibt auch eine Krise in der Arbeitswelt, und
damit eigentlich ohne Chance. Wenn wir Ihrem Antrag zwar nicht nur hinsichtlich des Umgangs mit Umwelt
folgen würden, meine Damen und Herren von der Lin- und Ressourcen, sondern auch hinsichtlich der betriebli-
ken, würden wir diesen Menschen jede Chance rauben. chen Strukturen. So haben wir in zahlreichen Betrieben
Das ist eine zutiefst unsoziale Politik. Eine solche Politik zum Beispiel vier Klassen von Arbeitnehmern: Da sind
ist mit uns nicht zu machen. Deshalb werden wir Ihren erstens die Festangestellten, da sind zweitens die Neu-
Antrag ablehnen. einsteiger, da sind drittens die Beschäftigten im indirek-
ten Bereich, und da sind viertens die Zeitarbeiter, die
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) befristet Beschäftigten und die Praktikanten. Das ist ge-
lebte Entsolidarisierung in den Betrieben. Natürlich
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: müssen wir schauen, wie wir die Leistungsfähigkeit der
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege Josip Beschäftigten steigern können. Leistungsdruck und Ent-
Juratovic. solidarisierung führen allerdings nur zu kurzfristigem
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4981
Josip Juratovic
(A) Profit. Für nachhaltiges Wirtschaftswachstum, das auch Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C)
unserer Gesellschaft Nutzen bringt, benötigen die Be- Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege
schäftigten in erster Linie Motivation und Sicherheit. Sebastian Blumenthal.
Doch wir haben auch eine Gesellschaftskrise. Unsere (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Gesellschaft, die auf Solidarität und Zusammenhalt auf- der CDU/CSU)
gebaut ist, leidet zunehmend darunter, dass bei vielen
Menschen der Ellenbogen zum wichtigsten Körperteil
geworden ist. Die Werte, die unsere Gesellschaft lange Sebastian Blumenthal (FDP):
Zeit ausgemacht haben, werden zunehmend ignoriert. Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe
Kollegen von der Fraktion Die Linke, Sie bieten in Ih-
(Dr. Lukrezia Jochimsen [DIE LINKE]:
rem Antrag einen famosen Gemischtwarenladen an. Da
So ist es!)
ist eigentlich alles drin. Sie haben gesetzliche Mindest-
Es besteht der Eindruck, dass Fleiß, Ehrlichkeit und An- löhne, Generalstreiks und das Verbot der geringfügigen
stand sich nicht mehr lohnen. Der Ellenbogen hingegen Beschäftigung aufgeführt. Meine Vorredner haben die
ist salonfähig geworden. Widersprüche und fachlichen Defizite in Ihrem Antrag
schon mehrfach dargestellt. Ich möchte Ihre Aufmerk-
Leider muss ich feststellen, dass die Regierungspoli- samkeit auf ein anderes Thema lenken. Ich möchte auf
tik das Spiegelbild einer Ellenbogengesellschaft gewor- Anspruch und Wirklichkeit zu sprechen kommen.
den ist. Wenn ich das sogenannte Sparpaket betrachte,
stelle ich fest, dass dabei sehr viel Ellenbogen im Spiel In der Bundeshauptstadt Berlin regieren Sie seit dem
ist. Ich habe den Eindruck, dass die Regierung nach be- Jahr 2001 mit. Sie stellen auch die Senatorin für Sozia-
triebswirtschaftlichen Maßstäben handelt und vergisst, les. Ich finde es interessant, zu schauen, wie die Regie-
dass es die ureigene Aufgabe der Politik ist, für alle Bür- rungspolitik der Linken in der Praxis aussieht. Wir kön-
gerinnen und Bürger da zu sein. nen außerhalb des Reichstags sehen, was passiert, wenn
Sie in der Regierungsverantwortung sind und sich mit
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- der Realität beschäftigen müssen; dann reicht es nicht,
neten der SPD) nur wohlfeile Anträge einreichen. Ich gehe einmal auf
Die vermeintlichen Einsparungen gehen ausschließlich ein Zitat aus Ihrem Antrag ein. Sie fordern ein sicheres,
auf Kosten der Schwächsten in unserer Gesellschaft. geregeltes und geschütztes Arbeitsverhältnis, das den
Dieses sogenannte Sparpaket ist Ausdruck der Unfähig- Menschen ein verlässliches Einkommen ermöglicht, und
keit und Ideenlosigkeit der gegenwärtigen Regierung. dass Arbeitnehmerrechte gestärkt werden. Was machen
(B) Sie in Berlin? Hier sieht es völlig anders aus. Im Jahre (D)
(Beifall bei der SPD und der LINKEN) 2003 haben Sie in Ihrer Regierungsverantwortung be-
schlossen, den Arbeitgeberverband der Länder zu verlas-
Es führt dazu, dass die Politik zunehmend das Vertrauen sen. Sie sind ausgetreten.
der Menschen verliert, und es bringt die ganze Gesell-
schaft in die Gefahr, nach irgendwelchen Heilsbringern (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hört! Hört!)
zu rufen.
Als direkte Folge durch die Aufkündigung des Tarifver-
Der Staat muss das Vertrauen und die Handlungsfä- trags für die Angestellten im öffentlichen Dienst hier in
higkeit zurückgewinnen. Um die Zukunft zu gestalten, Berlin kam es zu einer Kürzung der Reallöhne um bis
brauchen wir einen offenen Dialog auf allen Ebenen un- zu 14 Prozent.
serer Gesellschaft. Nur so finden wir den Weg aus der
Krise. Wir Sozialdemokraten laden dazu ein, diesen Dia- (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist aber
log über die Zukunft des Arbeitslebens und der Gesell- keine gute Arbeit! – Paul Lehrieder [CDU/
schaft in Deutschland, in Europa und in der Welt zu CSU]: Das gibt es doch gar nicht! Das kann
führen. Wir wollen keine voreiligen und von oben aufge- doch nicht wahr sein!)
setzten Scheinlösungen, sondern wir wollen aus der
Mitte der Gesellschaft neue und tragfähige Antworten Sie beklagen sich zum Beispiel, dass die Reallöhne in
finden, um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft wie- der freien Wirtschaft um 0,4 Prozent gesunken sind, set-
derherzustellen. Damit werden wir auch wieder Ver- zen hier aber eine Kürzung um 14 Prozent durch. Da
trauen in die Handlungsfähigkeit der Politik schaffen. kann ich nur sagen: Konsequenz zeigt sich im Handeln.

Der Antrag der Linken bringt zwar den Wunsch nach (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
mehr Gerechtigkeit zum Ausdruck, dem ich mich an- der CDU/CSU)
schließe, jedoch wird er seinem Anspruch, Wege aus der
Krise zu finden, nicht gerecht. Deswegen können wir Sie fahren in Ihrem Antrag weiter fort: „Menschen,
die erwerbslos sind, müssen … am gesellschaftlichen
Sozialdemokraten dem Antrag diesmal nicht zustimmen.
Leben teilhaben können.“ Die Praxis hier in Berlin sieht
Danke schön. so aus, dass Sie zum Beispiel zunächst das ÖPNV-So-
zialticket gestrichen haben, dann auch das Arbeitslosen-
(Beifall bei der SPD – Dr. Dagmar Enkelmann ticket.
[DIE LINKE]: Das ist schade! Aber Sie haben
„diesmal“ gesagt!) (Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hört! Hört!)
4982 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Sebastian Blumenthal
(A) Später haben Sie dann wieder ein Sozialticket einge- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C)
führt, aber da war es auf einmal fast doppelt so teuer wie Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich dem
vorher. Kollegen Liebich.
(Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE] begibt sich
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: zum Rednerpult)
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Liebich? Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Kurzinterventionen werden vom Platz aus gemacht.
Sebastian Blumenthal (FDP):
Stefan Liebich (DIE LINKE):
Nein, ich möchte den Gedanken zu Ende führen und Ich bitte um Nachsicht. Ich war ja länger im Berliner
keine Zwischenfrage zulassen. – Ist das „Teilhabe am Abgeordnetenhaus; dort ist das anders. Das passt aber
gesellschaftlichen Leben“, wenn Sie ein Sozialticket of- ganz gut zum Thema, während Ihre Rede nicht zum
fensichtlich erst streichen und dann doppelt so teuer wie- Thema gepasst hat. Es ist doch so, dass sich das Land
der einführen? Das ist keine verantwortungsvolle Poli- Berlin gerade zum Thema „gute Arbeit“ im Bundesrat
tik. Das zeigt auch, dass Sie überhaupt nicht in der Lage sehr engagiert hat. Das Land Berlin und einige weitere
sind, die Forderungen, die Sie in Ihrem Antrag aufstel- Bundesländer haben im Bundesrat für einen gesetzlichen
len, in der Praxis umzusetzen. Sie schaffen das gar nicht. Mindestlohn gestritten. Die FDP-mitregierten Länder
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten haben das natürlich abgelehnt und somit verhindert. Das
der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN) Land Berlin und das Land Brandenburg haben ein Ver-
gabegesetz verabschiedet, bei dem wir darauf setzen,
Eine andere Zielgruppe, die Sie im Antrag anspre- dass Mindestlöhne und Tarife, soweit es europarechtlich
chen, sind junge Menschen; deren dramatische Situation möglich ist, gezahlt werden. Wir kämpfen also für gute
beklagen Sie zu Recht. Wie sind Sie in Berlin mit dieser Arbeit.
Herausforderung umgegangen? Seit 2002 haben Sie als Sie haben hier ein paar Beispiele genannt; daher will
Linke in Berlin im Bereich der Jugendhilfe mehr als ich kurz darauf eingehen. Das Sozialticket in Berlin ist
30 Millionen Euro pro Jahr gestrichen. nie gestrichen worden. Der Zuschuss an die BVG für
dieses Sozialticket – die BVG ist ein großes staatliches
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Was?
Unternehmen, das 500 Millionen Euro pro Jahr erhält –
Unglaublich!)
ist gestrichen worden. Die BVG ist aufgefordert worden,
(B) – Richtig, Herr Kolb, und die wollen uns belehren. – aus eigenen Kräften – diese hat sie – eines aufzulegen. (D)
Noch härter als junge Menschen trifft es die Kinder in (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der Stadt. Seitdem Sie mitregieren, ist die Kinderarmut der FDP)
in Berlin um 32 Prozent gestiegen. Jedes dritte Berliner
Kind lebt in Armut. Das ist die größte Kinderarmut in – Hören Sie zu. – Sie wissen, dass alle der Auffassung
ganz Deutschland. Dazu kann ich nur sagen: Hervorra- waren, dass das Land Berlin in Saus und Braus lebt. Es
gende Bilanz. gab eine Einschätzung; niemand wollte das Land Berlin
weiter unterstützen. Wir mussten einen Sparhaushalt
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten auflegen.
der CDU/CSU) (Max Straubinger [CDU/CSU]: Ende des
Das Fazit, das ich ziehen möchte, ist folgendes – ich Finanzausgleichs!)
möchte da keine Missverständnisse aufkommen lassen –: Als das schiefging, haben wir uns entschieden, ein So-
Das Sparpaket der Bundesregierung hat natürlich zur zialticket aufzulegen, wie es in keinem anderen Bundes-
Folge, dass wir harte Einschnitte vornehmen und dass wir land existiert. Arbeitslosenhilfeempfänger, ALG-II-Emp-
auch unpopuläre Maßnahmen treffen. Aber der Unter- fänger, Asylbewerber, Seniorinnen und Senioren erhalten
schied zwischen uns von der Koalition und Ihnen bei den ein Ticket zum halben Preis der Umweltkarte, mit dem
Linken ist folgender: Wir sagen das den Menschen vor- man in der ganzen Stadt fahren darf.
her, und wir erklären den Menschen die Notwendigkeit
dieser Sparbeschlüsse. (Max Straubinger [CDU/CSU]: Auf Kosten
von Bayern, Baden-Württemberg und Hes-
(Widerspruch von der LINKEN) sen!)

Sie beschränken sich darauf, hier Schaufensteranträge Das wird massiv angenommen. Wenn Sie das in den
mit Forderungen einzubringen, obwohl Sie selbst nicht Ländern, in denen Sie mitregieren, ansatzweise umset-
in der Lage sind, diese in der Praxis umzusetzen. Die zen würden, dann könnten Sie sich zu diesem Thema
wieder melden.
FDP-Fraktion wird diesen Antrag ablehnen.
(Beifall bei der LINKEN)
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Nächste: zur Jugendhilfe. Sie glauben doch
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten nicht, dass das Land Berlin aus Spaß bei der Jugendhilfe
der CDU/CSU) streicht. Die Situation ist, dass eine Steuerpolitik ge-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4983
Stefan Liebich
(A) macht wurde – Sie wollen diese Politik übrigens nicht Ich allerdings möchte Sie mit der Realität konfrontieren. (C)
verhindern, sondern forcieren –, durch die die Steuerein- Das ist der Unterschied.
nahmen zusammengebrochen sind.
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Weil
(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ach! Das ist Sie es nicht wollen! Das ist der Unterschied!)
jetzt aber schwach!) Genau darauf bin ich auch in meiner Rede eingegangen.
Wir mussten darüber diskutieren, wie wir damit im Land Insofern kann ich das nur zurückweisen.
Berlin umgehen. Vielen Dank.
Die Kinderarmut ist in Berlin doch nicht wegen der (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Berliner Landespolitik gestiegen. Wir haben versucht,
gegenzusteuern, wo wir konnten. Wir haben für die El-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
tern kostenfreie Kitas eingeführt. Führen Sie das doch
auch in den Ländern ein, in denen Sie mitregieren! Nächster Redner ist der Kollege Dr. Carsten
Linnemann für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Heinrich L.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Kolb [FDP]: Ja, ja! Alle Länder haben die glei-
chen Rahmenbedingungen, aber nur bei Ihnen
steigt permanent die Arbeitslosigkeit! Ko- Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU):
misch!) Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen! Meine Her-
Wir kämpfen, wir ringen, und diejenigen, die bei den ren! Ich habe Ihren Antrag einmal mitgebracht; das ist ja
Steuereinnahmen der Länder streichen wollen, stellen auch ganz interessant.
sich hier hin und werfen den Ländern, die sich bemühen,
mit ihren wenigen Mitteln das Beste zu machen, vor, (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Auch
dass sie unsozial sind. So etwas ist heuchlerisch. Das hat gelesen?)
nicht nur nichts mit guter Arbeit zu tun, sondern das hat – Auch gelesen, ja; bis zur letzten Seite.
auch nichts mit guter Politik zu tun.
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Der Mann ist lei-
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND- densfähig! – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das
NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne- war bestimmt keine angenehme Stunde!)
ten der SPD)
– Richtig. Der Frustrationsgrad geht auf 100 Prozent zu.
(B) (D)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU
Zur Erwiderung Herr Kollege Blumenthal. und der FDP)
Sie treffen in Ihrem Antrag zwei falsche Grundannah-
Sebastian Blumenthal (FDP): men: Erstens. Sie sprechen von einer – ich zitiere – „ka-
Ich bedanke mich natürlich für die wertvollen Hin- tastrophalen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt“.
weise, die der Kollege gerade dargeboten hat. Dass Sie (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ja!
im Bundesrat Absichtserklärungen postulieren, ist sehr Das ist ja auch richtig!)
schön.
Frau Connemann und Herr Lehrieder haben gar nicht in
(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Nein! Das wa- Abrede gestellt, dass es bestimmte Bereiche gibt
ren Anträge! Anträge, die Sie abgelehnt ha-
ben!) (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]:
So ist es!)
– Ich bin jetzt darauf eingegangen, was Sie hier in Berlin
in der Praxis konkret umgesetzt haben. – die wird es übrigens immer geben –, in denen wir an-
packen müssen. Solche Bereiche gibt es übrigens auch
Ich möchte Sie auf einen weiteren Punkt hinweisen dann, wenn man Vollbeschäftigung hat. Es gibt in der
– das habe ich eben bereits in meiner Rede gesagt –: Ich Arbeitsmarktpolitik immer Bereiche, die man angehen
möchte nicht in Abrede stellen, dass es hier wirkliche muss.
große Anstrengungen gab. Dass die Finanzsituation des
Landes Berlin natürlich eine sehr schwierige ist, wissen Da Sie schreiben, es gebe eine katastrophale Entwick-
wir alle. Der Unterschied zwischen uns und Ihnen ist nur lung auf dem gesamten Arbeitsmarkt, empfehle ich Ih-
folgender: Sie legen hier Anträge vor, bei denen von nen, sich die Zahlen einmal anzusehen.
vornherein klar ist, dass sie nicht in die Praxis umgesetzt (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das
werden können. Ihre Anträge sind nur Schaufenster- ist für die Betroffenen mit Sicherheit eine ka-
anträge. tastrophale Entwicklung!)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Das europäische Statistikamt hat in allen 27 EU-Staaten
Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wie bitte? – die Entwicklung der Arbeitslosigkeit vom Frühjahr die-
Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Was? ses Jahres im Vergleich zum Frühjahr des vergangenen
Woher nehmen Sie das denn?) Jahres untersucht. Es gab nur ein Land, in dem die Ar-
4984 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Dr. Carsten Linnemann


(A) beitslosigkeit gesenkt wurde: Deutschland. Das ist der Kolb [FDP]: Genau! Stellen Sie doch eine (C)
erste Punkt. Zwischenfrage!)
Der zweite Punkt ist: Sogar auf dem Höhepunkt der Eigenverantwortung ist für uns wichtig. Da Sie bei-
Krise war Deutschland das Land mit dem geringsten An- spielsweise die wöchentliche Höchstarbeitszeit auf
stieg der Arbeitslosigkeit. Aktuell konnte die Arbeitslo- 40 Stunden und im zweiten Schritt auf 35 Stunden redu-
sigkeit im Vergleich zum Vorjahr um 215 000 Menschen zieren möchten, sage ich Ihnen: Es gibt viele Menschen,
abgebaut werden. In dieser Situation von einer katastro- die gerne 36 oder mehr Stunden pro Woche arbeiten
phalen Entwicklung am Arbeitsmarkt zu sprechen, halte wollen. Wollen Sie denen dann sagen: „Stellen Sie jetzt
ich für nicht tragbar. den Computer ab“? Sie wollen die Kündigungsschutzre-
geln ändern und die Schwelle von zehn Mitarbeitern
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – komplett abschaffen. Ich frage Sie: Gibt es dann noch
Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: In der Tat! Die Unternehmensgründungen? – Die Menschen gehen ein
scheitern ja an der Realität! – Paul Lehrieder Risiko ein, wenn sie sich selbstständig machen. Wir
[CDU/CSU]: Sehr richtig! Das ist sehr selt- brauchen Unternehmensgründungen; denn dadurch ent-
sam!) stehen Arbeitsplätze. Aus den Gründungen kleiner Un-
Zweitens. Sie skizzieren in Ihrem Antrag ein Gesell- ternehmen entsteht der Mittelstand. Der Mittelstand
schaftsbild, das es in der Realität nicht gibt. schafft Arbeitsplätze und nicht der Staat. Übrigens sind
es nicht in erster Linie die großen Unternehmen, die Ar-
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ja! beitsplätze schaffen, sondern die kleinen und mittleren
In Ihrer!) Unternehmen.
Sie sagen, der Staat muss es richten, muss Arbeitsplätze (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
usw. schaffen, aber die Eigenverantwortung des Einzel-
nen spielt keine Rolle mehr. Dabei ist die Eigenverant- Das ist der Unterschied zwischen Ihrer und unserer Poli-
wortung des Einzelnen, eingebettet in die Soziale tik. Das Erfolgsmodell „Mittelstand“ haben wir in der
Marktwirtschaft, eigentlich das Erfolgsmodell, das die- gesamten Welt verbreitet, und das lassen wir uns von Ih-
ses Land groß gemacht hat. So ist es. nen nicht kaputtmachen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Paul (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es! Aber das ist Stefan Liebich [DIE LINKE]: Sie machen es
im Kommunismus anders!) kaputt!)
Wir sagen: Der Staat schafft keine Arbeitsplätze, son- – Nein.
(B) dern der Staat ist derjenige, der Schiedsrichter ist und (D)
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Es genügt, dass
aufpasst, dass die Regeln eingehalten werden. sie die DDR kaputtgemacht haben!)
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE Wenn Sie sich die Geschichte der sozialen Marktwirt-
GRÜNEN]: Und derjenige, der die Regeln schaft und die Geschichte der marktwirtschaftlichen
auch aufstellen muss!) Ordnung ansehen, dann sehen Sie, dass es in der Regel
Diese Spielregeln haben wir in den 50er-Jahren übrigens Erfolge gibt. Es gibt auch Misserfolge – das will ich gar
selbst definiert, sogar gegen Teile unserer Partei und nicht abstreiten –, wie jetzt in der Finanzkrise, weil Re-
auch gegen Teile der Wirtschaft. Diese Spielregeln hat geln nicht eingehalten oder nicht definiert wurden. Eines
damals Ludwig Erhard auf den Weg gebracht, kann ich Ihnen aber sagen: Staatlich gelenkte Wirtschaft,
Staatswirtschaft, Kommandowirtschaft, Zentralverwal-
(Gabriele Hiller-Ohm [SPD]: Ja, genau! Der tungswirtschaft – das alles ist immer und überall auf die-
hat noch Ahnung gehabt!) sem Globus mit Pauken und Trompeten gescheitert. Des-
und dieses Gesellschaftsmodell lassen wir uns von Ihnen halb lehnen wir den Antrag ab.
nicht kaputtmachen. Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Erhard wäre mit Ihnen aber gar nicht Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
einverstanden!) Das Wort hat jetzt die Kollegin Katja Mast von der
– Sie brauchen jetzt gar nicht so unqualifizierte Äuße- SPD-Fraktion.
rungen zu machen. (Beifall bei der SPD)
(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das ist wohl
wahr! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Ihre Katja Mast (SPD):
Rede ist unqualifiziert!) Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
Melden Sie sich, stellen Sie mir Ihre Frage, dann gehe Der Antrag, über den wir hier diskutieren, trägt den Titel
ich auch gerne konkret darauf ein. „Mit guter Arbeit aus der Krise“. Ich habe das Gefühl,
dass wir in der Debatte doch noch einmal eine gemein-
(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- same Definition von guter Arbeit brauchen, um zu wis-
NEN]: Nicht so arrogant! – Dr. Heinrich L. sen, über was wir uns überhaupt streiten. Der Kernkon-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4985
Katja Mast
(A) flikt zwischen den Fraktionen auf der rechten und der Außerdem wird durch gute Arbeit die Vereinbarkeit (C)
linken Seite ist, dass wir eine Vision von guter Arbeit ha- von Familie und Beruf ermöglicht. Es bringt uns hier
ben, während Sie keine davon haben und deshalb auch nicht weiter, wenn künstliche Konflikte zwischen den
nicht an dem Erreichen des Ziels arbeiten, gute Arbeit in Teilzeitarbeitenden und den Vollzeitbeschäftigten her-
Deutschland zu schaffen. Das ist das Problem dieser Re- aufbeschworen werden, weil sowohl für die Teilzeitbe-
gierungskoalition. schäftigten als auch für die Vollzeitbeschäftigten der
Grundsatz der Würde der Arbeit gilt. Es geht darum,
(Beifall bei der SPD und der LINKEN) dass man seine menschlichen und familiären Bedürf-
Ich sage Ihnen: Es ist eben nicht so, dass sozial ist, was nisse mit der Erwerbstätigkeit vereinbaren kann. Dafür
Arbeit in Deutschland schafft. Sozial ist ausschließlich, kämpft die Sozialdemokratische Partei Deutschlands.
was gute Arbeit in Deutschland schafft. Das wird immer wieder vergessen: Bei guter Arbeit
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten geht es nicht nur um die Vereinbarkeit von Familie und
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE Beruf, die Würde der Arbeit, Perspektiven sowie die so-
GRÜNEN) – Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Das ziale und demokratische Teilhabe, sondern vor allen
hat die SPD aber lange anders gesehen!) Dingen auch um die Weiterentwicklung der eigenen
Qualifikation. Dazu zählt erstens, dass die eigene Quali-
Die Menschen erwarten, dass wir für gute Arbeit in fikation erhalten bleibt, wenn man ins Erwerbsleben ein-
Deutschland sorgen. tritt, und zweitens, dass man sie weiterentwickeln kann
und damit durch Arbeit auch Chancen für den sozialen
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Wer sorgt denn Aufstieg in dieser Gesellschaft eröffnet werden.
dafür?)
Gegen all diese Punkte machen Sie aktuell Politik.
Ich will Ihnen mit einem Beispiel aus meinem Wahl- Deshalb diskutieren wir heute so engagiert. Meine Kol-
kreis Pforzheim deutlich machen, welche Menschen das legen aus dem Ausschuss und der Staatssekretär können
sind. Es geht vor allen Dingen um junge und ältere Men- es vielleicht nicht mehr hören, aber Ihre Kürzungsvor-
schen, weil das genau diejenigen sind, die bei Ihrer Poli- schläge im Bereich Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik des
tik durch den Rost fallen. Ich war kürzlich im Rahmen Bundeshaushalts sind unsozial. Dazu wurde schon viel
meines Schulprojekts „Junger Rat für Mast“ in der gesagt. Sie klauen durch Ihre Politik vor allen Dingen
9. Klasse des Kepler-Gymnasiums in Pforzheim. Die jungen Generationen Bildungschancen. Für uns besteht
Schüler haben mich zum Thema Berufsperspektiven be- eine sehr wichtige Voraussetzung für gute Arbeit darin,
raten. Als ich zum zweiten Mal in die Schulklasse kam, dass in Bildung investiert wird. Sie wollen Rechtsan-
haben mir die Neuntklässler dieses Gymnasiums in Ba- sprüche in Ermessensleistungen umwandeln und gleich- (D)
(B) den-Württemberg – wohl bemerkt, bei uns ist die Welt
zeitig die Haushaltstitel kürzen.
noch in Ordnung –
(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Sie
(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Bei der FDP-Re- wollen gar nichts mehr! Erzählen Sie doch hier
gierung ist das auch kein Wunder!) nichts von Generationengerechtigkeit!)
gesagt: Frau Mast, wir wollen einen Mindestlohn, Si- Damit schaffen Sie alles ab, was jungen Menschen hilft,
cherheit am Arbeitsplatz, eine unbefristete Beschäfti- die durch den Rost gefallen sind. Vergessen Sie nicht,
gung etc. pp. – Das ist all das, was Sie nicht wollen. Sie dass 70 000 Jugendliche in Deutschland die Schule ohne
machen Politik gegen die junge Generation, wenn Sie einen Abschluss verlassen! Heute war schon vom Bil-
gute Arbeit nicht in den Mittelpunkt Ihrer Politik stellen. dungsbericht die Rede. Jeder sechste Jugendliche in
Deutschland zwischen 20 und 30 Jahren hat keinen Be-
(Beifall bei der SPD und der LINKEN – rufsabschluss. Diese Zahlen machen mir Angst; denn es
Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das ist doch bedeutet, dass wir auch in puncto sozialen Zusammen-
Unsinn!) halt ein Problem bekommen. Sie wollen einfach Rechts-
Lassen Sie mich „gute Arbeit“ definieren; denn im ansprüche auf Bildung in Ermessensleistungen umwan-
Gegensatz zu Ihnen hat sich meine Partei, die SPD, mit deln, ohne dafür vor Ort Geld zur Verfügung zu stellen.
dem Thema sehr intensiv auseinandergesetzt, und sie Das ist doch im Kern Ihre Politik, mit der Sie der Gesell-
weiß, was gute Arbeit ist. Für uns ist gute Arbeit zuerst schaft Chancen nehmen. Mein Vorredner hat von Eigen-
Arbeit, die die Würde schützt. verantwortung gesprochen. Woher soll sie denn kom-
men, wenn man den Menschen keine zweite Chance auf
(Beifall bei der SPD und der LINKEN) dem Arbeitsmarkt gibt?
Das ist Arbeit, mit der ich mir aufgrund eines Mindest- (Beifall bei der SPD und der LINKEN)
lohns wenigstens meine Existenz sichern kann und die
mir die soziale Teilhabe und die Teilhabe an den sozialen Das sind die Probleme, um die es heute geht. Deshalb
Sicherungssystemen ermöglicht; denn gute Arbeit be- fordere ich Sie auf: Denken Sie darüber nach und erin-
deutet nicht nur Broterwerb, sondern ermöglicht auch nern Sie sich auch an die Politik, die wir gemeinsam ge-
die soziale Teilhabe in dieser Gesellschaft. Das macht macht haben! Wir und auf jeden Fall auch die Sozial-
gute Arbeit aus. politiker in der Union – das haben wir nämlich in der
Großen Koalition gemeinsam hinbekommen – wissen
(Beifall bei der SPD und der LINKEN) doch, dass es nicht darum geht, nachzusorgen, sondern
4986 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Katja Mast
(A) darum, vorzusorgen. Es geht darum, den Menschen Per- chen, die Politik müsse nur die entsprechenden Gesetze (C)
spektiven und Wege zu eröffnen, statt sie ihnen zu ver- ändern bzw. erlassen und die Arbeitswelt werde so, wie
schließen. Das ist das Problem bei Ihren Kürzungsvor- Sie sie gerne hätten. Das ist eine ideale Wunschwelt, die
schlägen. Ich verstehe nicht, warum gerade Ursula von meilenweit von der Realität entfernt ist. Sie wird auch
der Leyen, die sich in der Großen Koalition damit her- nicht realisierbar sein, weil die Rahmenbedingungen
vorgetan hat, Maßnahmen wie das Elterngeld und die ganz anders sind.
Familienförderung mit unserer Unterstützung und unse-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
rer Konzeption im Vorfeld umzusetzen, jetzt in der vor-
sorgenden Sozialpolitik eine Rolle rückwärts macht. Ihr Antrag ist ein Sammelsurium; alle möglichen For-
Kehren Sie um! Nur dann können wir in Deutschland derungen sind darin vereint. Natürlich fehlt auch nicht
gute Arbeit durchsetzen, von der Menschen leben kön- die obligatorische Forderung nach einem gesetzlichen
nen, wenn sie eine Vollzeitbeschäftigung haben. Mindestlohn in astronomischer Höhe von 10 Euro.
Vielen Dank. (Karin Binder [DIE LINKE]: Astronomisch?)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Sie sind offensichtlich davon überzeugt, dass Ihre Forde-
der LINKEN) rung zu guter Arbeit führen wird. Ich sage Ihnen: Das ist
ganz und gar nicht so.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Karin Binder [DIE LINKE]: Das ist ein Ar-
Das Wort hat die Kollegin Gabriele Molitor von der mutslohn!)
FDP-Fraktion.
Dies haben meine Kollegen und Vorredner bereits deut-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) lich herausgestellt.
(Beifall bei der FDP)
Gabriele Molitor (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In Deutsch-
land sind gegenwärtig etwa 3,2 Millionen Menschen ohne Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Arbeit. Frau Kollegin Molitor, erlauben Sie eine Zwischen-
frage?
(Zuruf von der LINKEN: Offiziell!)
Die erste Sorge dieser Menschen ist sicherlich nicht, ob Gabriele Molitor (FDP):
Mitbestimmung in einem Betrieb möglich ist oder wie Nein, ich erlaube keine Zwischenfrage mehr. Ich
(B) das Streikrecht gestaltet ist. Diese Dinge sind ohne Frage denke, es sind schon genügend Argumente genannt wor- (D)
wichtig. Aber die größte Sorge der Menschen ohne Ar- den.
beit ist, überhaupt Arbeit zu bekommen. Die Arbeitslo- Wir Liberalen haben ein klares Ziel: Obere Priorität
sigkeit ist schließlich das Problem, dessen Ursache wir ist, Menschen wieder in Arbeit zu bringen. Wir Libera-
bekämpfen müssen. Damit müssen wir beginnen. Sie len wollen eine Politik, die den Menschen in den Mittel-
machen aber den zweiten Schritt vor dem ersten und punkt stellt. Es gilt, die Ursachen von Arbeitslosigkeit zu
kommen deshalb gewaltig ins Stolpern. Zugegeben, die bekämpfen, indem wir die wirtschaftlichen Rahmenbe-
Zeiten haben sich geändert, die Arbeitsbedingungen und dingungen verbessern und auf eine Beschäftigungspoli-
die Erwerbsbiografien auch. Es gibt heutzutage kaum tik setzen, die sich am Wachstum orientiert. Das ist die
noch Arbeitnehmer, die 25 Jahre in einem Betrieb be- Politik der FDP, und dafür machen wir uns stark.
schäftigt sind. Das war einmal. Heutzutage ist es ent-
scheidend, flexibel und wettbewerbsfähig zu sein. Das Vielen Dank.
sind die Menschen in aller Regel auch. Das, meine Da-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
men und Herren von den Linken, scheinen Sie noch
nicht begriffen zu haben. Das hat die Diskussion heute
deutlich gezeigt. Sie haben auch nicht begriffen, dass Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber ein Vertrag Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Zimmer von
über den Faktor Arbeit geschlossen wird. Wenn die For- der CDU/CSU-Fraktion.
derungen dazu überzogen werden, kommt es gar nicht (Beifall bei der CDU/CSU)
erst zur Einstellung. Das ist der Hintergrund.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU):
der CDU/CSU) Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Nachdem
Ein Prinzip unserer sozialen Marktwirtschaft ist, dass die Kollegin Mast eben in ihrer Rede zusätzliche Refle-
Politik den Rahmen für unternehmerisches Handeln vor- xionstiefe bei der Behandlung des Themas angemahnt
gibt. Diese Praxis hat sich bewährt. hat, will ich dies gerne aufnehmen und mit einigen nach-
denklichen Bemerkungen über das Thema „gute Arbeit“
(Beifall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]) zusätzliche Argumente bringen, die mir wichtig sind.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Zunächst einmal ist der Begriff der Arbeit aus christ-
Die Linke, Sie malen das Bild einer Arbeitswelt, die es lich-demokratischer, aus biblischer Sicht ausgesprochen
so nicht gibt, und Sie wollen die Menschen glauben ma- ambivalent. Die Arbeit gehört zum einen zur Conditio
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4987
Dr. Matthias Zimmer
(A) humana, also zur Identität des Menschen schlechthin. das macht, aber es soll durchaus vorkommen, dass Ar- (C)
Deswegen haben auch die Apostel und Jesus selbst gear- beitgeber ihre Mitarbeiter auch weit nach dem Arbeits-
beitet. Arbeit ist zum anderen seit der Vertreibung aus ende auf dem Handy anrufen – weil jederzeit jemand
dem Paradies auch mit Schmerzen, mit Last, mit den verfügbar ist – und mit Arbeitsaufträgen behelligen.
Tränen, die die Arbeit mit sich bringt, belastet. Das Para- Nach meinem Dafürhalten ist gute Arbeit dann gegeben,
dies ist nicht mehr erreichbar. wenn Leben und Arbeit, Arbeit und Freizeit voneinander
abgegrenzt sind und nicht unterschiedslos ineinander
Ich möchte aus der Deutschen Ideologie von Karl verschwimmen.
Marx zitieren, der das „Reich der Freiheit“ damit be-
schrieben hat, dass man morgens jagt, mittags fischt, Gute Arbeit verweist also auf eine Werthaltung; sie
abends Viehzucht betreibt und nach dem Essen kritisiert. basiert auf einem Verhalten jenseits von Angebot und
Dies ist sicherlich eine sehr paradiesische Vorstellung Nachfrage, über das wir nachdenken müssen. Der Öko-
vom Reich der Freiheit. Für mich wäre zumindest wich- nom Wilhelm Röpke hat gesagt, sie habe etwas mit den
tig, dass aus diesem Reich der Freiheit keine Notwendig- sittlichen Reserven zu tun. Er benennt sie wie folgt:
keit wird, dass der Mensch also nicht gezwungen werde, Selbstdisziplin, Gerechtigkeitssinn, Ehrlichkeit, Fair-
morgens zu jagen, mittags zu fischen, abends Viehzucht ness, Ritterlichkeit, Maßhalten, Gemeinsinn, Achtung
zu betreiben und nach dem Essen zu kritisieren, damit er vor der Menschenwürde des anderen. Das alles ist si-
überhaupt seinen Lebensunterhalt verdienen kann. Gute cherlich richtig. Wir brauchen nicht unbedingt einen
Arbeit ist nach meinem Dafürhalten die Möglichkeit, neuen Grundkonsens, wie Gesine Schwan es heute Mor-
sich auf einem Gebiet Anerkennung zu verschaffen und gen beschrieben hat. Diese sittlichen Reserven sind nicht
nicht aufgespalten zu werden. alles. Aber ich bin davon überzeugt: Wenn wir sie nicht
haben, ist alles nichts.
(Beifall bei der CDU/CSU)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Gute Arbeit ist des Weiteren nicht antagonistisch. Sie neten der FDP)
steht nicht in der Auseinandersetzung von Arbeit und
Kapital. Deswegen wollen wir die Mitarbeiterkapitalbe- Die Grundlage guter Arbeit ist, glaube ich, etwas
teiligung ausbauen, um Brücken zwischen Arbeit und komplexer, als es im Antrag der Linken zum Ausdruck
Kapital zu schlagen und dem Arbeitnehmer eine zusätz- kommt. Sie hat sehr viel mit Werthaltung zu tun. Da-
liche Möglichkeit zu geben, sich mit dem Betrieb zu rüber zu diskutieren, lohnt sich.
identifizieren. Gute Arbeit ist nach meinem Dafürhalten Ich danke Ihnen.
dann gegeben, wenn die Arbeit als etwas Eigenes emp-
funden wird. Gute Arbeit ist also eine inklusive Arbeit. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(B) Dazu gehört die Mitarbeiterbeteiligung. neten der FDP) (D)

Ich betrachte mit großer Sorge die Zunahme von Mob- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
bing- und Bossing-Fällen in der Arbeitswelt, mit Folge- Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
kosten in Höhe von bis zu 6,5 Milliarden Euro pro Jahr, der Kollege Ulrich Lange von der CDU/CSU-Fraktion
die zum großen Teil von Rentenversicherern getragen das Wort.
werden müssen, weil sie die Rehabilitationsmaßnahmen
finanzieren. Davon sind alle Berufe betroffen. Erstaunt (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
hat mich aber, dass soziale Berufe überproportional von
Mobbing- und Bossing-Prozessen betroffen sind, im Üb- Ulrich Lange (CDU/CSU):
rigen auch Gewerkschaften. Das heißt, dass dies kein in- Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen,
dividuelles Problem, sondern ein institutionelles Problem insbesondere der Linksfraktion! Ich habe eigentlich ge-
der Arbeitsorganisation ist. Deswegen handelt es sich für dacht, dass wir, nachdem wir uns Ende April mit diesem
mich dann um gute Arbeit, wenn Arbeitsstrukturen nicht Thema hier im Hause befasst haben, ein Ende dieses un-
ausgrenzen, sondern eingrenzen. seriösen Sammelsuriums erreicht hätten. Aber es hat
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie sich im Ausschuss und auch heute wieder gezeigt: Sie
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE sind beratungsresistent, Sie sind und bleiben die Partei
GRÜNEN) des Populismus, des sozialistischen Märchenlands. Man
kann Ihnen einfach nicht folgen.
Dazu gehört aber auch, dass wir uns mit der Frage
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
nach der Beschleunigung und Verdichtung von Arbeits-
neten der FDP)
inhalten, mit der Ausfransung der Grenze von Arbeit
und Leben auseinandersetzen. Das ist für mich eine Meine Damen und Herren von den Linken, das zeigen
ernste Angelegenheit. Wenn ich in die Runde der Kolle- auch Ihr Antrag und insbesondere die Rede der Präsi-
gen schaue, dann sehe ich, dass viele von ihnen ein dentschaftskandidatin, die Sie aufgestellt haben. Sie
Handy dabeihaben. Das Handy ist mittlerweile nicht wollen eigentlich keine Verbesserung, nein, Sie wollen
mehr Mittel, sondern schon fast Zweck. Es signalisiert Unruhe in die Bevölkerung bringen.
die allgemeine Erreichbarkeit. Wir werden im Grunde
(Lachen bei der LINKEN)
genommen auf Relaisstationen der Informationsgesell-
schaft reduziert. Auch Arbeitnehmer sind allgemein ver- Ich habe vorhin das Wort „Kampfansage“ mitgeschrie-
fügbar. Ich weiß, dass keiner der Kollegen im Bundestag ben. Wer Präsidentschaftskandidat ist, sollte sich überle-
4988 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Ulrich Lange
(A) gen, ob er in Debatten über die Arbeitsmarktpolitik die ideologische Brille ab! Versuchen Sie zu begreifen, (C)
Worte wie „Kampfansage“ verwenden will. Ich glaube, was soziale Marktwirtschaft bedeutet! Versuchen Sie es
eine Präsidentschaftskandidatin sollte integrieren, die endlich! Lesen Sie nicht Marx! Herr Schreiner, Sie kön-
Bevölkerung mitnehmen und hier zeigen, was man für nen den Bischof Marx gern weiter lesen; das gestehe ich
dieses Land leisten möchte. Das haben Sie heute nicht Ihnen zu. Lesen Sie aber nicht Marx und Engels! Lesen
gezeigt. Sie nicht Lafontaine! Lesen Sie Ludwig Erhard! Dann
wissen Sie, wie es geht.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP) (Zurufe von der SPD und der LINKEN)
Sie müssen im Brecht’schen Sinne das Volk erst suchen, Lesen Sie und schauen Sie, was wir in der Regierung
das Sie wählt. Mit Ihrem Antrag sorgen Sie vor allem für leisten! Ich nenne als Beispiele nur das Beschäfti-
Verunsicherung in der Bevölkerung. Sie tragen mit Ih- gungschancengesetz und die Verlängerung der Dauer des
rem klassenkämpferischen Ton dazu bei, Investoren vor Kurzarbeitergeldes in der Krise. Führen Sie nicht weiter
diesem Land abzuschrecken. So werden keine Arbeits- eine Neidkampagne! Stellen Sie nicht den Arbeitgeber
plätze geschaffen; davon sind wir überzeugt. als böse und den Arbeitnehmer als gut dar! Beide arbei-
ten in den Betrieben gut und fair zusammen. Hetzen Sie
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
sie nicht gegenseitig auf! Sorgen Sie für den sozialen
der FDP)
Frieden, den es in den Unternehmen als Partnerschaft
Eines ist auch richtig: Wir haben – ich möchte die zwischen den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ei-
Kolleginnen und Kollegen der SPD einbeziehen – in der nerseits und den Arbeitgebern andererseits gibt! Unter-
Krise gezeigt, wie man Arbeitsplätze erhält und Arbeits- stützen Sie das Erfolgskonzept der sozialen Marktwirt-
plätze für die Zeit bereitstellt, wenn die Krise vorbei ist schaft! Das ist gute Arbeit.
und die Konjunktur wieder anspringt. Durch das Kurzar-
beitergeld können viele Arbeitnehmerinnen und Arbeit- Herzlichen Dank.
nehmer in den Betrieben bleiben. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Zuruf von der LINKEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
– Die Konjunktur wird natürlich wieder anspringen.
Ich schließe die Aussprache.
Die Bilanz zeigt, dass wir seit dem Jahr 2003, als wir
Wir kommen zur Abstimmung über die Beschlussemp-
noch 5 Millionen Arbeitslose hatten, sehr viele gute Ar-
fehlung des Ausschusses für Arbeit und Soziales zu dem
beitsplätze in diesem Land geschaffen haben, sodass
Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Mit guter
(B) Menschen wieder in Lohn und Brot gekommen sind. (D)
Arbeit aus der Krise“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Das sollte man an dieser Stelle feststellen.
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2069, den An-
(Beifall bei der CDU/CSU) trag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1396 ab-
zulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? –
Es nutzt gar nichts, wenn man wie mit einer Walze
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp-
über den konjunkturellen Aufschwung, der jetzt beginnt,
fehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei
hinwegzieht und völlig unrealistische Forderungen stellt
Gegenstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung
wie die nach Abschaffung unbefristeter Arbeitsverhält-
der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nisse. Frau Müller-Gemmeke, darüber waren wir uns
nen angenommen.
schon in der vergangenen Woche nicht einig. Darüber
werden wir uns auch nicht einig werden, weil ich weiter- Ich rufe die Tagesordnungspunkte 35 a bis 35 m so-
hin glaube, dass befristete Arbeitsverhältnisse ein we- wie Zusatzpunkt 2 auf – es handelt sich um Überwei-
sentlicher Motor für unseren Arbeitsmarkt sind. sungen im vereinfachten Verfahren ohne Debatte –:
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) 35 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Pro-
Gleiches gilt für seriöse Zeitarbeit. Hier kämpfen wir ge-
tokoll vom 15. Mai 2003 zur Änderung des Eu-
gen den Drehtüreffekt. Sie von der SPD – ich habe es
ropäischen Übereinkommens vom 27. Januar
schon in der vergangenen Woche gesagt – sollten sich
1977 zur Bekämpfung des Terrorismus
nicht von all dem Guten und Sinnvollen verabschieden,
das in den vergangenen Jahren für den Arbeitsmarkt in – Drucksache 17/2067 –
diesem Land getan worden ist. Ich will nicht auf den Überweisungsvorschlag:
Kündigungsschutz, auf das Überbieten beim Mindest- Rechtsausschuss (f)
lohn oder auf den öffentlichen Beschäftigungssektor ein- Auswärtiger Ausschuss
gehen. Will denn tatsächlich jemand von uns nochmals Innenausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
einen bankrotten Staat mit einem bankrotten Beschäfti-
gungssektor und bankrotten Staatsbetrieben? Am 17. Ju- b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
ni sollten wir doch eigentlich geistig weiter sein. gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 9. Juni 2006 zwischen
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
der Europäischen Gemeinschaft und ihren
Die Liste Ihrer arbeitsplatzvernichtenden Forderun- Mitgliedstaaten, der Republik Albanien, Bos-
gen ist lang. Ich kann Sie nur auffordern: Nehmen Sie nien und Herzegowina, der Republik Bulga-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4989
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
(A) rien, der ehemaligen jugoslawischen Republik f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich (C)
Mazedonien, der Republik Island, der Repu- Ostendorff, Undine Kurth (Quedlinburg), Bärbel
blik Kroatien, der Republik Montenegro, dem Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
Königreich Norwegen, Rumänien, der Repu- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
blik Serbien und der Übergangsverwaltung
der Vereinten Nationen in Kosovo zur Schaf- Die gewerbliche Haltung von Mast- und
fung eines gemeinsamen europäischen Luft- Zuchtkaninchen in Deutschland und der Eu-
verkehrsraums (Vertragsgesetz ECAA-Über- ropäischen Union deutlich verbessern
einkommen – ECAAÜbkG)
– Drucksache 17/2006 –
– Drucksache 17/2068 – Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Überweisungsvorschlag:
Verbraucherschutz (f)
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Innenausschuss Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Rechtsausschuss Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten René Riegert, Eberhard Gienger, Stephan Mayer (Alt-
Röspel, Dr. Marlies Volkmer, Dr. Ernst Dieter ötting), weiterer Abgeordneter und der Fraktion
Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Frak- der CDU/CSU sowie der Abgeordneten Joachim
tion der SPD Günther (Plauen), Dr. Lutz Knopek, Gisela Piltz,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP
Öffentlichen Zugang zu Informationen über
klinische Studien umfassend sicherstellen Europa in Bewegung – Mit Kompetenz und
Verantwortung für einen europäischen Mehr-
– Drucksache 17/1768 – wert im Sport
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f) – Drucksache 17/2129 –
Ausschuss für Bildung, Forschung und Überweisungsvorschlag:
Technikfolgenabschätzung Sportausschuss (f)
Ausschuss für Gesundheit
d) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
(B) Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Petra Crone, wei- (D)
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD h) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dorothea Steiner, Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef
Bessere Haltung von Kaninchen zu Erwerbszwe- Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
cken – Konkrete Haltungsbedingungen in die BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung aufneh-
men Bürgerfreundliches Rücknahmesystem für ge-
brauchte Energiesparlampen im Handel ein-
– Drucksache 17/2017 – richten
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und – Drucksache 17/1583 –
Verbraucherschutz (f)
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
e) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Kirsten Tackmann, Karin Binder, Alexander i) Beratung des Antrags der Abgeordneten Elvira
Süßmair, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Drobinski-Weiß, Petra Crone, Petra Ernstberger,
DIE LINKE weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
Die Haltung von Mast- und Zuchtkaninchen Verbraucherinformationsgesetz zügig refor-
in Deutschland und der Europäischen Union mieren
tiergerechter regeln – Mindestanforderungen
unverzüglich auf den Weg bringen – Drucksache 17/2116 –
– Drucksache 17/1601 – Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Überweisungsvorschlag: Verbraucherschutz (f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Petitionsausschuss
Verbraucherschutz (f) Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
4990 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) j) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ute ZP 2 a)Beratung des Antrags der Abgeordneten (C)
Kumpf, Sönke Rix, Petra Crone, weiterer Abge- Dr. Martina Bunge, Cornelia Möhring, Caren
ordneter und der Fraktion der SPD Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Stärkung der Jugendfreiwilligendienste – Platz-
angebot ausbauen, Qualität erhöhen, Rechtssi- Versorgung durch Hebammen und Entbin-
cherheit schaffen dungshelfer sicherstellen

– Drucksache 17/2117 – – Drucksache 17/2128 –


Überweisungsvorschlag: Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f) Ausschuss für Gesundheit (f)
Sportausschuss Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Rechtsausschuss Ausschuss für Arbeit und Soziales
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
Verteidigungsausschuss die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
Ausschuss für Gesundheit überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist of-
Ausschuss für Bildung, Forschung und fenkundig der Fall. Dann sind die Überweisungen so be-
Technikfolgenabschätzung schlossen.
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 k sowie
Ausschuss für Kultur und Medien
Haushaltsausschuss
36 m bis 36 v auf. Es handelt sich um die Beschlussfas-
sung zu Vorlagen, zu denen keine Aussprache vorge-
k) Beratung des Antrags der Abgeordneten Ottmar sehen ist.
Schreiner, Anette Kramme, Petra Ernstberger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD Tagesordnungspunkt 36 a:
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
Demokratische Teilhabe von Belegschaften
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
und ihren Vertretern an unternehmerischen
zur Einführung einer Musterwiderrufsinfor-
Entscheidungen stärken
mation für Verbraucherdarlehensverträge, zur
– Drucksache 17/2122 – Änderung der Vorschriften über das Wider-
rufsrecht bei Verbraucherdarlehensverträgen
Überweisungsvorschlag: und zur Änderung des Darlehensvermittlungs-
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
(B) Rechtsausschuss rechts (D)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
– Drucksachen 17/1394, 17/1802 -
l) Beratung des Antrags der Abgeordneten Heinz Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
Paula, Dr. Wilhelm Priesmeier, Petra Crone, wei- schusses (6. Ausschuss)
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
– Drucksache 17/2095 –
Obligatorische Prüf- und Zulassungsverfah-
ren für Haltungseinrichtungen für Nutztiere – Berichterstattung:
Tierschutz-TÜV zügig einführen Abgeordnete Marco Wanderwitz
Christian Ahrendt
– Drucksache 17/2143 – Marianne Schieder (Schwandorf)
Überweisungsvorschlag: Jens Petermann
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Ingrid Hönlinger
Verbraucherschutz (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie Der Rechtsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfehlung auf Drucksache 17/2095, den Gesetzent-
Ausschuss für Bildung, Forschung und wurf der Bundesregierung auf den Drucksachen 17/1394
Technikfolgenabschätzung
und 17/1802 in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich
m) Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Aus-
Binder, Ralph Lenkert, Caren Lay, weiterer Ab- schussfassung zustimmen wollen, um das Handzeichen. –
geordneter und der Fraktion DIE LINKE Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ist damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Ko-
Verbraucherfreundliche Rücknahmepflicht des alitionsfraktionen bei Enthaltung der Oppositionsfraktio-
Einzelhandels für Energiesparlampen durch- nen angenommen.
setzen
Dritte Beratung
– Drucksache 17/2121 –
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Überweisungsvorschlag: Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor ange-
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit nommen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4991
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
(A) Tagesordnungspunkt 36 b: Steffen Bockhahn (C)
Stephan Kühn
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes empfehlung auf Drucksache 17/2014, den Gesetzent-
und des Fahrpersonalgesetzes wurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/1696 an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
– Drucksachen 17/1395, 17/1903 –
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim-
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zwei-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (15. Aus- ter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
schuss) und der SPD-Fraktion bei Gegenstimmen der Fraktion
Die Linke und Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
– Drucksache 17/1835 – Grünen angenommen.
Berichterstattung: Dritte Beratung
Abgeordnete Kirsten Lühmann
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Der Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
lung empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
Drucksache 17/1835, den Gesetzentwurf der Bundesre-
ist mit gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor angenom-
gierung auf den Drucksachen 17/1395 und 17/1903 an-
men.
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Gegenstim- Tagesordnungspunkt 36 d:
men? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zwei-
ter Beratung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
und der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Fraktion Die von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ange- eines Gesetzes zu dem Vertrag vom 27. Novem-
nommen. ber 2008 über die Änderung des Vertrags vom
11. April 1996 über die Internationale Kom-
Dritte Beratung mission zum Schutz der Oder gegen Verunrei-
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem nigung
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – – Drucksache 17/1702 –
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
(B) ist in dritter Lesung mit gleichem Stimmenverhältnis wie Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- (D)
in der zweiten Lesung angenommen. ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit (16. Ausschuss)
Tagesordnungspunkt 36 c:
– Drucksache 17/2144 –
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes Berichterstattung:
zu dem Staatsvertrag vom 16. Dezember 2009 Abgeordnete Ingbert Liebing
und 26. Januar 2010 über die Verteilung von Oliver Kaczmarek
Versorgungslasten bei bund- und länderüber- Horst Meierhofer
greifenden Dienstherrenwechseln Eva Bulling-Schröter
Dorothea Steiner
– Drucksache 17/1696 –
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus- Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
schusses (4. Ausschuss) sicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/2144, den Gesetzentwurf der Bundesre-
– Drucksache 17/2014 – gierung auf Drucksache 17/1702 anzunehmen.
Berichterstattung: Zweite Beratung
Abgeordnete Armin Schuster (Weil am Rhein)
Michael Hartmann (Wackernheim) und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Dr. Stefan Ruppert Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Petra Pau Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
Dr. Konstantin von Notz ist einstimmig angenommen.

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) Tagesordnungspunkt 36 e:


gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
– Drucksache 17/2048 – regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie
Berichterstattung: auf dem Gebiet des Umweltrechts sowie zur
Abgeordnete Jürgen Herrmann Änderung umweltrechtlicher Vorschriften
Dr. Peter Danckert
Florian Toncar – Drucksachen 17/1393, 17/1904 –
4992 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- mit der Regierung der Insel Man über die Unterstützung (C)
ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Auskunftsaus-
heit (16. Ausschuss) tausch auf Drucksache 17/1698 anzunehmen. Wir kom-
men auch hier direkt zur
– Drucksache 17/2148 –
zweiten Beratung
Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Thomas Gebhart und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
Dr. Matthias Miersch stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Judith Skudelny Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen
Ralph Lenkert der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Ge-
Dorothea Steiner genstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Enthal-
tung der Fraktion Die Linke angenommen.
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei-
Drucksache 17/2148, den Gesetzentwurf der Bundes- ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2168, den
regierung auf den Drucksachen 17/1393 und 17/1904 in Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Abkommen
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, mit der Regierung der Insel Man zur Vermeidung der
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim- Doppelbesteuerung von im internationalen Verkehr täti-
men wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – gen Schifffahrtsunternehmen auf Drucksache 17/1697
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Bera- anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzent-
tung mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Ge- wurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um
genstimmen der Fraktion Die Linke und Enthaltung von das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
SPD und Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion
Dritte Beratung
bei Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen und Ent-
und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, möge haltung der Fraktion Die Linke angenommen.
sich bitte erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Dritte Beratung
Der Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenver-
hältnis wie zuvor angenommen. und Schlussabstimmung. Wer zustimmen will, möge
sich erheben. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Tagesordnungspunkt 36 f:
Gesetzentwurf ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis
– Zweite Beratung und Schlussabstimmung des wie zuvor angenommen.
(B) von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs (D)
Tagesordnungspunkt 36 g:
eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
2. März 2009 zwischen der Regierung der – Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
Bundesrepublik Deutschland und der Regie- von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
rung der Insel Man über die Unterstützung in eines Gesetzes zu dem Abkommen vom
Steuer- und Steuerstrafsachen durch Aus- 26. März 2009 zwischen der Regierung der
kunftsaustausch Bundesrepublik Deutschland und der Regie-
rung von Guernsey über den Auskunftsaus-
– Drucksache 17/1698 –
tausch in Steuersachen
– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
– Drucksache 17/1699 –
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zu dem Abkommen vom 2. März 2009 zwi- – Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
schen der Regierung der Bundesrepublik von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
Deutschland und der Regierung der Insel Man eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 13. Au-
zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von gust 2009 zwischen der Regierung der Bundes-
im internationalen Verkehr tätigen Schiff- republik Deutschland und der Regierung von
fahrtsunternehmen Gibraltar über die Unterstützung in Steuer-
und Steuerstrafsachen durch Auskunftsaus-
– Drucksache 17/1697 –
tausch
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus-
schusses (7. Ausschuss) – Drucksache 17/1700 –

– Drucksache 17/2168 – – Zweite Beratung und Schlussabstimmung des


von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
Berichterstattung: eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 2. Sep-
Abgeordnete Manfred Kolbe tember 2009 zwischen der Regierung der Bun-
Lothar Binding (Heidelberg) desrepublik Deutschland und der Regierung
Dr. Birgit Reinemund des Fürstentums Liechtenstein über die Zu-
sammenarbeit und den Informationsaustausch
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei- in Steuersachen
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2168, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Abkommen – Drucksache 17/1701 –
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4993
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
(A) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus- – Drucksache 17/2109 – (C)
schusses (7. Ausschuss)
Berichterstattung:
– Drucksache 17/2090 – Abgeordnete Franz-Josef Holzenkamp
Berichterstattung: Dr. Wilhelm Priesmeier
Abgeordnete Dr. Birgit Reinemund Dr. Edmund Peter Geisen
Dr. Kirsten Tackmann
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe a sei- Friedrich Ostendorff
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2090, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Abkommen Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
mit der Regierung von Guernsey über den Auskunftsaus- Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
tausch in Steuersachen auf Drucksache 17/1699 anzu- lung auf Drucksache 17/2109, den Gesetzentwurf der
nehmen. Wir kommen auch hier direkt zur Bundesregierung auf Drucksache 17/1703 in der Aus-
schussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
zweiten Beratung dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen
und Schlussabstimmung. Auch hier mögen sich diejeni- wollen, um ihr Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
gen, die zustimmen wollen, erheben. – Gegenstimmen? haltungen? – Der Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung
– Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stim- einstimmig angenommen.
men der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei
Enthaltung der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/ Dritte Beratung
Die Grünen angenommen. und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei- stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2090, den Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist einstimmig ange-
Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Abkommen nommen.
mit der Regierung von Gibraltar über die Unterstützung
in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Auskunftsaus- Tagesordnungspunkt 36 i:
tausch auf Drucksache 17/1700 anzunehmen. Auch hier Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
kommen wir direkt zur regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zweiten Beratung zur Änderung des Katzen- und Hundefell-Ein-
fuhr-Verbotsgesetzes und zur Änderung des
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu- Seefischereigesetzes
stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
(B) (D)
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen – Drucksache 17/1704 –
der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion bei Enthal-
tung der Fraktion Die Linke und von Bündnis 90/Die Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
Grünen angenommen. ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz (10. Ausschuss)
Der Finanzausschuss empfiehlt unter Buchstabe c sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2090, den – Drucksache 17/2110 (neu) –
Gesetzentwurf der Bundesregierung zu dem Abkommen
mit der Regierung des Fürstentums Liechtenstein über Berichterstattung:
die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch in Abgeordnete Dieter Stier
Steuersachen auf Drucksache 17/1701 anzunehmen. Heinz Paula
Auch hier kommen wir direkt zur Dr. Christel Happach-Kasan
Alexander Süßmair
zweiten Beratung Cornelia Behm
und Schlussabstimmung. Wer zustimmen möchte, den
bitte ich, sich zu erheben. – Gegenstimmen? – Enthal- Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
tungen? – Der Gesetzentwurf ist wiederum mit den Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion lung auf Drucksache 17/2110 (neu), den Gesetzentwurf
bei Enthaltung der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/ der Bundesregierung auf Drucksache 17/1704 anzuneh-
Die Grünen angenommen. men. Ich bitte diejenigen, die zustimmen wollen, um das
Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der
Tagesordnungspunkt 36 h: Gesetzentwurf ist in zweiter Beratung bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke mit den Stimmen aller übrigen Frak-
Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
tionen angenommen.
regierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Betriebsprämiendurchfüh- Dritte Beratung
rungsgesetzes und des Agrarstatistikgesetzes
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
– Drucksache 17/1703 –
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- ist mit dem gleichen Stimmenverhältnis wie zuvor ange-
cherschutz (10. Ausschuss) nommen.
4994 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) Tagesordnungspunkt 36 j: Deutschem Bundestag in Angelegenhei- (C)
ten der Europäischen Union
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz – Drucksache 17/2127 –
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der Wer stimmt für diesen Antrag? – Gegenstimmen? –
Verordnung der Bundesregierung Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der
Neununddreißigste Verordnung zur Durch- Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der SPD-Frak-
führung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes tion und der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der
(Verordnung über Luftqualitätsstandards und Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
Emissionshöchstmengen – 39. BImSchV) Tagesordnungspunkt 36 n:
– Drucksachen 17/1900, 17/2175 – Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Diether Dehm, Alexander Ulrich, Andrej
Berichterstattung: Hunko, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
Abgeordnete Dr. Michael Paul DIE LINKE
Ute Vogt
Dr. Lutz Knopek Veränderung der Zusammensetzung des Euro-
Ralph Lenkert päischen Parlaments in der laufenden Wahl-
Dorothea Steiner periode
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- – Drucksache 17/2049 –
lung auf Drucksache 17/2175, der Verordnung der Bun-
Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
desregierung auf Drucksache 17/1900 zuzustimmen. Wer
gen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist bei Zustim-
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
mung der Fraktion Die Linke von allen anderen Fraktio-
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
nen abgelehnt.
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Gegen-
stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Tagesordnungspunkt 36 o:
Grünen und bei Enthaltung der SPD-Fraktion angenom-
men. Beratung des Antrags der Abgeordneten Dietmar
Nietan, Axel Schäfer (Bochum), Dr. Rolf
Tagesordnungspunkt 36 k: Mützenich, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion der SPD
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
(B) richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und Den Europäischen Auswärtigen Dienst im (D)
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu dem Antrag Dienste aller EU-Institutionen handlungsfähig
der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP und wirkungsvoll ausgestalten

Modellversuch „Begleitetes Fahren mit 17“ in – Drucksache 17/2118 –


das Dauerrecht überführen Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stim-
– Drucksachen 17/1573, 17/2147 –
men der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die
Berichterstattung: Linke bei Zustimmung der SPD-Fraktion und bei Ent-
Abgeordnete Kirsten Lühmann haltung von Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Wir kommen zu den Beschlussempfehlungen des Pe-
lung auf Drucksache 17/2147, den Antrag der Fraktio- titionsausschusses.
nen der CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/1573 Tagesordnungspunkt 36 p:
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Be- Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
schlussempfehlung ist einstimmig angenommen. ausschusses (2. Ausschuss)

Tagesordnungspunkt 36 m: Sammelübersicht 97 zu Petitionen


– Drucksache 17/1990 –
Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und der FDP Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 97 ist einstimmig angenom-
Herstellung des Einvernehmens zu den erwar- men.
teten Ergebnissen der Regierungskonferenz
im Hinblick auf die Zusammensetzung des Tagesordnungspunkt 36 q:
Europäischen Parlaments nach Inkrafttreten
des Vertrages von Lissabon Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)
hier: Erklärung des Deutschen Bundestages Sammelübersicht 98 zu Petitionen
nach § 10 des Gesetzes über die Zusam-
menarbeit von Bundesregierung und – Drucksache 17/1991 –
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4995
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
(A) Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Opposi- (C)
gen? – Sammelübersicht 98 ist mit den Stimmen der Ko- tionsfraktionen angenommen.
alitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegenstim-
men der Fraktion Die Linke und bei Enthaltung der Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen. Aktuelle Stunde
Tagesordnungspunkt 36 r: auf Verlangen der Fraktion der SPD

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Auswirkungen des gescheiterten Bildungsgip-


ausschusses (2. Ausschuss) fels auf die gemeinsame Bildungspolitik von
Bund und Ländern
Sammelübersicht 99 zu Petitionen
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
– Drucksache 17/1992 – nerin der Kollegin Ulla Burchardt von der SPD-Fraktion
das Wort.
Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Sammelübersicht 99 ist einstimmig angenom- (Beifall bei der SPD)
men.
Tagesordnungspunkt 36 s: Ulla Burchardt (SPD):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her-
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geschah im Jahr
ausschusses (2. Ausschuss) 2008: Ein Jahr vor der Bundestagswahl versprach eine
Sammelübersicht 100 zu Petitionen Bundeskanzlerin den Menschen die Bildungsrepublik.
Sie machte Bildung zur Chefsache, traf sich im herbstli-
– Drucksache 17/1993 – chen Dresden mit den Ministerpräsidenten und verkün-
Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- dete, gemeinsam mit den Ländern bis 2015 10 Prozent
gen? – Sammelübersicht 100 ist mit den Stimmen aller des Bruttoinlandsprodukts für Bildung ausgeben zu wol-
Fraktionen bei Gegenstimmen der Fraktion Die Linke len. Das wären nach damaliger Rechnung 40 Milliarden
angenommen. Euro mehr für Bildung gewesen. Es wurden zwei Arbeits-
gruppen eingerichtet, um die Einlösung dieses Verspre-
Tagesordnungspunkt 36 t: chens vorzubereiten.
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions- Es zog ein weiteres Jahr ins Land. Der nächste Bil-
ausschusses (2. Ausschuss) dungsgipfel fand im Jahr 2009 statt. Die Erwartungen
(B)
Sammelübersicht 101 zu Petitionen waren groß, das Ergebnis mager. Vor allen Dingen (D)
wurde eine neue Bildungsfinanzstatistik vorgelegt, in
– Drucksache 17/1994 – der man wundersamerweise zu dem Ergebnis kam, dass
Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- die Lücke zum 10-Prozent-Ziel nur noch 13 Milliarden
gen? – Sammelübersicht 101 ist mit den Stimmen der Euro betrage. Davon wolle der Bund 40 Prozent über-
Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Gegen- nehmen, versprach die Kanzlerin. Doch, Fehlanzeige für
stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und Ent- den, der auf konkrete Entscheidungen für mehr und bes-
haltung der Fraktion Die Linke angenommen. sere Bildung in diesem Land gewartet hatte. Stattdessen
hatten die Ministerpräsidenten schon zu diesem Zeit-
Tagesordnungspunkt 36 u: punkt ganz deutlich gesagt: Wir brauchen angesichts der
katastrophalen Lage der öffentlichen Haushalte eine bes-
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
sere Finanzausstattung, bevor ihr Bundespolitiker sagt,
ausschusses (2. Ausschuss)
dass wir noch mehr Geld für Bildung ausgeben sollen.
Sammelübersicht 102 zu Petitionen
(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann
– Drucksache 17/1995 – [SPD])
Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- Aber diese Botschaft war offensichtlich nicht angekom-
gen? – Sammelübersicht 102 ist mit den Stimmen der men. Darüber waren die Ministerpräsidenten sehr verär-
Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei Ge- gert.
genstimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen. Letzte Woche, im Juni 2010, fand der dritte Bildungs-
gipfel statt. Das 10-Prozent-Ziel sei, so vermerkt das
Tagesordnungspunkt 36 v: vorläufige Protokoll, finanzpolitisch nicht darstellbar.
Das heißt, all die schönen Versprechen sind geplatzt. Die
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
erwartungsvolle Öffentlichkeit erlebte den dritten und
ausschusses (2. Ausschuss)
hoffentlich letzten Akt des Dramas vom Scheitern der
Sammelübersicht 103 zu Petitionen Bildungskanzlerin und ihrer Ministerin.
– Drucksache 17/1996 – (Beifall bei der SPD)
Wer stimmt dafür? – Gegenstimmen? – Enthaltun- Das einzig konkrete Ergebnis – 200 Millionen Euro pro
gen? – Sammelübersicht 103 ist mit den Stimmen der Jahr für die dritte Säule des Hochschulpaktes bis 2020 –
4996 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Ulla Burchardt
(A) ist mehr als nichts, aber bei weitem zu wenig angesichts Da hilft es auch nichts, wenn Sie ihnen 5,7 Milliarden (C)
des vom Wissenschaftsrats geforderten Bedarfs von Euro, also die versprochene 40-Prozent-Finanzierung,
1,1 Milliarden Euro pro Jahr. anbieten und Sie mit der Gießkanne durch das Land ge-
hen und ihnen Modellprojekte und ähnliche Dinge in
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Koalition,
Aussicht stellen. Davon haben die Länder nichts; davon
Frau Ministerin, das Scheitern ist verhängnisvoll und of-
hat die Bildung nichts. Da kann man höchstens sagen:
fenbart einmal mehr die Unfähigkeit der Regierung und
Wir haben an der Stelle irgendetwas getan. Das aber
der sie tragenden Fraktionen, ihre Gestaltungsmehrheit
glauben Ihnen noch nicht einmal die Haushälter Ihrer ei-
zum Wohle der Menschen und zum Wohle des gesamten
genen Fraktionen; denn viele der Maßnahmen, die Sie
Landes zu nutzen. Mit Ihrer Unfähigkeit gefährden Sie
öffentlich verkündet haben, sind bis heute mit Sperrver-
in der Krise zusätzlich die Basis für Wachstum
merken versehen. Also kann man den Ländern an der
(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Fal- Stelle nichts nachsehen.
sche Analyse!)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
und den Ausbau dieser Basis, nämlich den Ausbau eines der LINKEN)
guten Bildungssystems in der ganzen Republik.
Seit den Sparbeschlüssen dieser Koalition, die in der
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ letzten Woche getroffen wurden, gibt es wirklich einen
DIE GRÜNEN) noch größeren Grund zur Sorge. Sie alle haben mitbe-
kommen, dass es beim Arbeits- und Sozialministerium
Die Unionsministerpräsidenten Koch und Carstensen einen großen Kahlschlag geben wird. Die Umsetzung
haben schon vor Wochen angekündigt und damit begon- des Bundesverfassungsgerichtsurteils zu den Zahlungen
nen, den Bildungskahlschlag zu betreiben. Sie haben sich für Kinder von Hartz-IV-Beziehern steht an. Frau Minis-
schon deutlich vorher vom 10-Prozent-Ziel verabschie- terin, wir haben die große Sorge, dass der Haushalt des
det. – So viel zu Ihrer Einigkeit und zur Abstimmung in- Bundesbildungsministeriums dazu dienen muss, die Lü-
nerhalb der Union, was Mehrausgaben für Bildung an- cken, die die Koalition in den Haushalt des Arbeitsmi-
geht. Wenn man dann noch Ihren haushaltspolitischen nisteriums geschlagen hat, zu schließen. Davor können
Sprecher hört, der seit Wochen entgegen allen anderen wir Sie jetzt nur warnen.
Bekundungen sagt, Bildung sei kein Bereich, der vom
Sparen ausgeschlossen werden müsse, dann hat man (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
große Befürchtungen, was noch auf diese Republik zu- DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
kommt. LINKEN)
Davon kann auch nicht die Pauschalattacke von Frau Angesichts dessen kann ich nur an Sie appellieren:
(B)
Schavan ablenken, die sie gegen die Länder gerichtet Wenden Sie doch einfach einmal die vier Grundrechen- (D)
hat, indem sie ihnen kleinkarierten Föderalismus und das arten an! Wer mehr Geld für Bildung ausgeben will, der
Umfunktionieren des Bildungsgipfels in einen Steuer- muss auch für höhere Steuereinnahmen sorgen. Wir ha-
gipfel vorwirft. ben den Bildungssoli vorgeschlagen. Es wird Zeit, dass
Sie auf dieses Angebot eingehen.
(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Da
hat sie recht!) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
Frau Ministerin, Sie selbst haben die Messlatte für einen GRÜNEN)
Erfolg in den Bund-Länder-Verhandlungen gelegt. Ich
zitiere aus Ihrer Plenarrede vom 26. November 2009:
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
… die Frage, wer welchen Pakt mit den Ländern Das Wort hat der Kollege Dr. Thomas Feist von der
umsetzt, ist eine Frage der politischen Kunst. CDU/CSU-Fraktion.
Recht haben Sie mit dem, was Sie da gesagt haben. (Beifall bei der CDU/CSU)
Sportlich formuliert kann man anschließen: Sie haben
die Latte auf dem letzten Bildungsgipfel gerissen.
Dr. Thomas Feist (CDU/CSU):
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte an
dieser Stelle auch einmal Danke sagen: Danke, liebe
Es reicht eben nicht, sich auf den Machtworten von
Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass Sie – zwar
Frau Merkel auszuruhen. Da muss etwas mehr Hand-
aus einer anderen Motivation heraus – das Bemühen der
werkszeug und Verhandlungskunst her, und da müssen
Bundesregierung und der christlich-liberalen Koalition
die Grundrechenarten beherrscht werden. Wenn die Län-
unterstützen, Bildung dort zu verhandeln, wo sie hinge-
der nun zu Recht auf die prekäre Finanzsituation hinwei-
hört, nämlich an zentraler Stelle, hier im Parlament. Vie-
sen, dann kann man ihnen nicht sehenden Auges
len Dank!
4 Milliarden Euro zugunsten von Steuergeschenken für
Hoteliers und Erben entziehen. Diese Rechnung kann (Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann
nicht aufgehen; das haben Ihnen die Länder aber schon [SPD] – Swen Schulz [Spandau] [SPD]:
vorher gesagt. Gerne!)
(Beifall des Abg. Willi Brase [SPD]) – Klatschen Sie ruhig einmal!
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4997
Dr. Thomas Feist
(A) Nicht nur Sie, sondern auch die Medien spekulieren dem Kooperationsverbot ein Kooperationsgebot werden (C)
darüber, ob der Bildungsgipfel gescheitert ist oder aber kann.
ein Erfolg war.
(Zurufe von der SPD: Oi, oi!)
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Nein, da muss
man nicht spekulieren!) Wir wollen, dass der Bund die Leistungsfähigkeit der
Bildung nicht nur feststellen kann, sondern sie auch si-
Die Frage ist, ob das Glas halb voll oder halb leer ist. Ich cherzustellen hat.
kann mich erinnern: Als Sie noch in der Regierungsver-
antwortung standen, war die Kritik an den Bildungsgip- (Lachen bei Abgeordneten der SPD und des
feln weitaus verhaltener als jetzt. Das bekommen auch BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
die Wähler mit. Was Sie machen, das ist einfach nur Par- Während der erste Bildungsgipfel auf bedarfsgerech-
teipolitik, nicht mehr und nicht weniger. ten Ausbau von Studienmöglichkeiten abzielte und der
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) zweite Bildungsgipfel wesentliche Impulse für die For-
schung an den Hochschulen gab, wurden auf dem dritten
Für uns ist es ein Erfolg, dass Bildung als zentrales Bildungsgipfel konkrete und verbindliche Verbesserun-
Thema unserer Politik auf höchster Ebene diskutiert gen von Studienbedingungen und Lehre vereinbart. Das
wird; denn dort gehört sie hin. Wir sind überzeugt: Bil- kann man nicht wegdiskutieren.
dung ist die beste Sozialpolitik. Deswegen stellen wir
12 Milliarden Euro mehr für Bildung und Forschung zur (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Verfügung, davon 6 Milliarden Euro nur für die Bildung, Der Bund unterstützt das Programm mit zusätzlich
(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 2 Milliarden Euro. Das ist eine beachtliche Summe, die
Bis wann denn?) ohne Beispiel ist.
und dies, obwohl Bildungspolitik originäre Ländersache (Klaus Hagemann [SPD]: Bis 2020!)
ist. Es grenzt schon an Blindheit, hier dem Bund Versa- Nehmen Sie das bitte zur Kenntnis. Diesen wichtigen
gen vorzuwerfen. Teilerfolg lassen wir uns von der Opposition weder
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) kleinreden noch wegjammern.
Der Bund und die Regierungskoalition nehmen den (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Begriff Bildungsrepublik ernst und engagieren sich über der FDP – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE
die Maße hinaus für gute Bildung in unserem Land. Das GRÜNEN]: Das machen Sie schon selber!)
(B) beste Beispiel dafür sind Initiativen zur Schaffung von Wir, die christlich-liberale Koalition, bleiben dabei: (D)
Bildungsketten, bei denen zentrale Kriterien für gute
Bildung hat für uns Vorfahrt. Das 10-Prozent-Ziel bleibt
Bildung – frühkindliche Bildung und der Übergang von
klar im Blick. Es ist ein verlässliches Angebot des Bun-
der Schule ins Berufsleben – in den Blick genommen
des, und es bleibt Aufgabe der Länder, sich diesem anzu-
werden.
schließen. Wir bleiben dabei: Der Bildungsgipfel war ein
Der Bildungsgipfel zeigt als Plattform für Gespräche wichtiger Schritt auf dem Weg zur Bildungsrepublik
zwischen dem Bund auf höchster Ebene und den Län- Deutschland. Darauf können Sie sich verlassen.
dern – so viel soll festgehalten werden –, dass sich die
Vielen Dank.
christlich-liberale Koalition ihrer Verantwortung hier
nicht nur bewusst ist, sondern sich dieser auch konse- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
quent stellt. Diese Konsequenz hätten wir uns – da sind Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Da muss er ja
wir uns in einigen Punkten sicher einig – auch bei den selber lachen!)
Ländern in größerem Maße gewünscht. Allerdings gilt
nach wie vor unsere Zusage: Wir werden die Länder
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
über das eigentliche Maß hinaus unterstützen und stellen
dafür Mittel zur Verfügung. Dr. Rosemarie Hein hat jetzt das Wort für die Fraktion
Die Linke.
(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Wa-
rum glauben die das nicht?) (Beifall bei der LINKEN)

Wir werden auch weiterhin dafür sorgen, dass das Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE):
Thema Bildung in den höchsten Gremien dieses Landes
zur Sprache kommt. Wir werden es nicht zulassen, dass Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
man unsere Anstrengungen schlechtredet. Man kann Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Dr. Feist,
auch durch Schlechtreden Politik gestalten; das ist aber man kann herumreden, wie man will: Der Bildungsgip-
nicht unsere Art und Weise. fel ist gescheitert. Dass er gescheitert ist, ist eine mittlere
Katastrophe. Auch das dort beschlossene Qualitätspro-
Wo es noch Verbesserungsbedarf gibt – vor allen Din- gramm als dritte Säule des Hochschulpaktes hilft nicht
gen bei der Frage der Zuständigkeit des Bundes und der darüber hinweg. Es ist zwar notwendig, aber es ist viel
Länder –, werden wir uns für Veränderungen einsetzen, zu gering ausgestattet. Es sind viel mehr und ganz an-
ohne bisherige Vereinbarungen von vornherein infrage dere Aufgaben in anderen Dimensionen nötig. Deshalb
zu stellen. Wir setzen uns deswegen dafür ein, dass aus sind auch meine starken Worte nötig.
4998 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Dr. Rosemarie Hein


(A) Mit einer solchen Art Abstimmung zwischen Bund Die Zahl der Jugendlichen ohne Schulabschluss ist (C)
und Ländern in Bildungsfragen macht sich die Politik in immer noch dramatisch hoch. Nun sollen es Bildungsbe-
diesem Lande in der Öffentlichkeit vollständig lächer- gleiter richten. Ich glaube, wie gesagt, nicht daran, dass
lich. Bund und Länder müssen endlich begreifen: So sie das ausbügeln können, was in der Schule nicht mehr
kann man nicht weitermachen. Die Bildungsrepublik geleistet werden kann. Wir brauchen nämlich eine bes-
und vor allem die Bildungschancen junger Menschen in sere Schule. Dafür brauchen wir mehr Lehrerinnen und
diesem Land bleiben dabei auf der Strecke. Lehrer, die allerdings erst noch ausgebildet werden müs-
sen; aber auch dafür fehlt den Ländern derzeit das Geld.
(Beifall bei der LINKEN) Darum fordern wir mit unserem Antrag zum Fachkräfte-
Es ist schon ein Kreuz mit der Bildung. Die Länder programm einen weiteren Hochschulpakt für die Ausbil-
haben sich in den allermeisten Bildungsfragen die allei- dung der Lehrerinnen und Lehrer.
nige Zuständigkeit erkämpft, und nun stellen alle fest, (Beifall bei der LINKEN)
dass es an allen Ecken und Enden hapert. Deutschland
schneidet bei den Bildungsstudien nach wie vor wenig Bei den Ausbildungsplätzen redet man sich die Statis-
berauschend ab. Die Hauptschulen geraten immer mehr tik schön. Die Zahl der Ausbildungsplätze geht insbe-
in die Kritik. Die soziale Schere bei der Bildungsbeteili- sondere bei den größeren Unternehmen weiter zurück.
gung geht weiter auseinander. Es gibt zu wenig Ausbil- Die Zahl der Jugendlichen, die trotz Schulabschluss kei-
dungsplätze auf der einen Seite und zu wenig Fachkräfte nen Ausbildungsplatz im dualen System bekommen, ist
auf der anderen Seite. Bis in Regierungskreise hinein nach wie vor groß. Die Beteiligung an Maßnahmen der
führte das zu der Einsicht, dass es eine gesamtgesell- beruflichen Weiterbildung stagniert. Sie haben gerade
schaftliche Aufgabe ist, gute Bildung zu garantieren. ein Sparpaket aufgelegt, wodurch diese Situation weiter
Das stimmt. Wir meinen, es ist eine Gemeinschaftsauf- verschlechtert wird.
gabe von Bund, Ländern und Kommunen. Das Einzige, was etwas besser geworden zu sein
(Beifall bei der LINKEN) scheint, ist die Zahl der Studienanfänger. Aber Professor
Klemm warnt und fordert dazu auf, nachzurechnen, wie
Nun kann die Bundesregierung bei der Bildung aber sie berechnet wird. Ich habe das Gefühl, dass wir weni-
nicht mehr viel bestellen, und sie kann nicht einmal ger Abiturienten als Studienanfänger haben. Die Zahl
mehr viel bezahlen, selbst wenn sie es möchte. Darum kann irgendwie nicht stimmen. Deswegen finde ich, wir
hat die Kanzlerin den Bildungsgipfel erfunden. Ich sollten einmal nachrechnen.
fürchte, dass der Bildungsgipfel zum neuen Steuerungs- Zurück zum Gipfel. 10 Prozent des Bruttoinlandspro-
instrument der Bildungspolitik zwischen Bund, Ländern duktes sollen im Bereich Bildung und Forschung inves-
(B) und Kommunen wird. Die Kultusminister haben dann (D)
tiert werden. Darüber ist man sich zwar einig, aber man
kaum noch etwas zu sagen, sondern es wird auf der konnte sich nicht darauf einigen, wer das bezahlt. Also
Ebene der Finanzminister und Ministerpräsidenten ent- ist der Bildungsgipfel ausgegangen wie das berühmte
schieden. Das halte ich für ein großes Problem, wenn es Hornberger Schießen. Das ist eine Pleite. Anders kann
um bildungspolitische Entscheidungen geht. Das kann man das nicht bezeichnen.
der Weg nicht sein.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Swen
Allerdings können wir auch die Länder verstehen. Schulz [Spandau] [SPD] und Kai Gehring
Angesichts der Finanzpolitik des Bundes – ich muss das [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
nicht wiederholen; meine Kollegin Burchardt hat es eben
gesagt – fehlt an allen Ecken und Enden das Geld. Der Auf einen Betreuungsplatz in Krippe oder Kindergar-
Grund ist die verfehlte Steuerpolitik des Bundes. Darum ten gibt es ab 2013 für alle Kinder vom ersten Geburts-
wird es schwierig werden, und darum erfindet die Bun- tag an einen Rechtsanspruch. Die Kommunen können es
desregierung dauernd Hilfsprogramme – wie jüngst das sich dann nicht mehr aussuchen, ob sie es machen oder
mit den Bildungsbegleitern –, die ausgebaut werden sol- nicht. Von da an ist es eine Pflichtaufgabe. Man kann
len. Ich kann mir momentan nicht vorstellen, dass durch sich auch nicht aussuchen, wie vielen Kindern man ei-
die Bildungsbegleiter die Defizite ausgeglichen werden nen Platz in der Schule anbieten möchte. Es besteht
können, die es im Bildungsbereich landauf, landab gibt. Schulpflicht, und die gilt für jedes Kind. Wenn man da
nachsteuern muss, kann das durchaus bedeuten, dass bei
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist den Schwächsten gespart wird, dass die Konditionen für
[CDU/CSU]: Das ist ein tolles Programm!) die Schulen schlechter werden. Das können wir nicht
hinnehmen. Wer dabei tatenlos zusieht, handelt verant-
Der Bildungsforscher Klemm stellt fest, dass die voll-
wortungslos. Hilfsprogramme nützen an dieser Stelle
mundigen Ziele, die vor fast zwei Jahren in Dresden
überhaupt nichts.
zwischen Bund und Ländern vereinbart worden sind,
nicht einmal im Ansatz erfüllt werden. In der frühkindli- Ich finde, Sie sollten über Ihre Steuerpolitik noch ein-
chen Bildung geht der Ausbau der Plätze nur schleppend mal nachdenken. So wie sie jetzt läuft, bluten Länder
voran, und noch problematischer ist es bei der Ausbil- und Kommunen finanziell immer mehr aus. Darum
dung des dafür notwendigen Fachpersonals. Darum wird scheitern Bildungsgipfel immer wieder. Wer Bildungsfö-
die Linke im Übrigen heute zu später Stunde einen An- deralismus will, muss dafür sorgen, dass die mit den
trag für ein Fachkräfteprogramm „Bildung und Erzie- Ländern getroffenen Vereinbarungen auch mit dem nöti-
hung“ einbringen. gen Geld unterfüttert werden. Dann wird es auch etwas
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 4999
Dr. Rosemarie Hein
(A) mit dem Kooperationsgebot. Ich höre das mit einigem froh, dass es uns gelungen ist, den „Qualitätspakt Lehre“ (C)
Interesse. Ich finde auch die Idee der Sicherstellung gut. auf den Weg zu bringen – das ist ja fast untergegangen –:
Wie es momentan läuft, brauchen Sie aber noch viel 2 Milliarden Euro bis 2020, 200 Millionen Euro jedes
Überzeugungskraft, damit in den Ländern etwas passiert. Jahr, zu 90 Prozent vom Bund finanziert. Das ist ein
Aber fangen Sie endlich einmal an. Die Anträge aus der wichtiges politisches Zeichen für die Hochschulen. Wir
Opposition liegen vor. Machen Sie endlich einmal ei- stehen zu unserer Bildungsverantwortung.
gene daraus.
Nach drei Bildungsgipfeln muss jetzt ein bisschen an
Danke schön. Tempo zugelegt werden.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Kai (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: All-
Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) gemein! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Ist das eine Drohung?)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ein wesentlicher, zentraler nächster Schritt ist jetzt die
Das Wort hat der Kollege Patrick Meinhardt von der zügige Umsetzung der BAföG-Modernisierung und die
FDP-Fraktion. Einführung des nationalen Stipendienprogramms. Be-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) wusst sage ich, dass dies ein Schritt ist. Allzu lange sind
in diesem Land Breitenförderung und Spitzenförderung
in der Bildung gegeneinander ausgespielt worden. Beide
Patrick Meinhardt (FDP):
Maßnahmen gehören zusammen, und beide Maßnahmen
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
tragen dazu bei, Bildungsungerechtigkeiten gerade bei
Damen und Herren! Wissen Sie, mir geht dieses Gescha-
jungen Menschen aus Familien mit sehr schmalen Geld-
cher bei der Bildungspolitik so was von gegen den
beuteln in Deutschland abzubauen. Das darf nicht weiter
Strich. Wo leben wir eigentlich? Es darf hier nicht um
hinausgezögert werden.
parteipolitisches Taktieren gehen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/
NEN]: Das sagt die FDP!)
DIE GRÜNEN]: Eine gelbe Lebenslüge!)
Ich erwarte ernsthafte Lösungsvorschläge zum wichtigs-
ten Innovationsthema, das wir in der Bundesrepublik Was ist die Antwort der Ministerpräsidenten, was ist
Deutschland überhaupt haben. Es geht um eine Politik die Antwort von Ministerpräsident Beck als Länderkoor-
für bestmögliche Kindergärten, um eine Politik für best- dinator zu allen Vorschlägen? Mehr Umsatzsteuerpunkte
für die Länder.
(B) mögliche Schulen und um eine Politik für bestmögliche (D)
Hochschulen. Darum hat es zu gehen und um nichts an- (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Und die
deres. Unionsländer? – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten DIE GRÜNEN]: Da sind sich alle einig!)
der CDU/CSU) Was ist die Antwort auf das Angebot des Bundes, die
Die Blockadehaltung der Länder, wenn es um die Er- Bundesbeteiligung an der Schließung der Finanzierungs-
reichung des 10-Prozent-Ziels bis 2015 mit einem ver- lücke zu vervierfachen? Das reiche nicht aus, sagt Herr
bindlichen Fahrplan geht, ist aus meiner Sicht unverant- Beck. Er fordert mehr Umsatzsteuerpunkte.
wortlich. Diese Bundesregierung der Mitte setzt einen (Zuruf der Abg. Agnes Alpers [DIE LINKE])
ganz klaren, einen anderen Akzent.
Was ist die Antwort auf das Programm zur Förderung
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: von Bildungslotsen und Fördervereinen in den Grund-
Mittelfristig!) schulen? Herr Beck sagt: Nein, mehr Umsatzsteuer-
Unser Ziel ist unmissverständlich formuliert: Wir wol- punkte. Ist das wirklich alles, was die Ministerpräsiden-
len, dass bis zum Jahr 2015 10 Prozent des Brutto- ten und vor allem Herr Beck in diesem Land sagen
inlandsprodukts für Bildung und Forschung aufgewen- können?
det werden. Dazu ist in Zeiten knapper Kassen eine
(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Was
große Kraftanstrengung notwendig und eine klare politi-
sagt Herr Seehofer? – Weiterer Zuruf der Abg.
sche Haltung gefragt. Zu diesem Ziel stehen wir. Dieses
Agnes Alpers [DIE LINKE])
Ziel wollen wir erreichen. Dieses Ziel müssen wir bis
2015 erreichen. In jedem unserer Landesparlamente gibt es bei den
Bildungspolitikern die Forderung nach mehr Umsatz-
(Beifall bei der FDP – Klaus Hagemann
steuerpunkten. Aber hier in dieser Debatte wird nicht mit
[SPD]: Dann mal ran!)
offenen Karten gespielt. Zu denken, dass es hilft, einfach
Diese Bundesregierung der Mitte wird bis 2013 so Umsatzsteuerpunkte zu geben ohne Bedingungen,
12 Milliarden Euro mehr im Bereich Bildung und For- ohne die Verpflichtung, dass diese für bildungspolitische
schung investieren. Im Kampf gegen Bildungsarmut und Maßnahmen, und zwar zusätzlich, eingesetzt werden, ist
für mehr Bildungsgerechtigkeit in Deutschland ist das illusorisch. Wir werden doch nicht Umsatzsteuerpunkte
ein klares politisches Signal. Das ist eine sehr bewusste umverteilen, und gleichzeitig kürzen Landesregierun-
politische Entscheidung dieser Bundesregierung. Ich bin gen bei ihren Bildungs- und Forschungsausgaben und
5000 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Patrick Meinhardt
(A) wollen dann diese Kürzungen mit Bundesgeld kompen- stecken geblieben. Dies wurde am 12. Juni 2010 in der (C)
sieren. Nicht mit uns! Süddeutschen Zeitung ganz gut auf den Punkt gebracht:
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Die Geschichte der Bildungsgipfel … hat drei
der CDU/CSU – Dr. Rosemarie Hein [DIE Teile: einen schlechten Start, einen überflüssigen
LINKE]: Sagen Sie das Ihren CDU-Kollegen! Mittelteil und einen katastrophalen Schluss.
– Zuruf der Abg. Agnes Alpers [DIE LINKE])
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir brauchen keine Einheitsprogramme von oben, Man kann hinzufügen: Eine Erfolg versprechende
sondern Maßnahmen mit höchster regionaler Treff- Fortsetzung ist weit und breit nicht in Sicht. Das bestäti-
sicherheit und regionale Bündnisse. Das darf aber nicht gen die Reden hier und heute. Es hilft nicht, das alles
heißen, dass wir mit Bundesmitteln jede bildungspoliti- schönzureden. Der Aufbruch in die Bildungsrepublik,
sche Verirrung vor Ort mitfinanzieren. Sie glauben doch das, was Sie auf Bildungsgipfeln mit vielen Bildern, auf
wohl nicht, dass wir auch nur einen Cent in die rot-rote zahlreichen Veranstaltungen usw. versprochen haben, ist
Bildungspolitik in Berlin stecken gescheitert. Ihr Einfluss auf die Länder, etwas gestalten
(Zurufe von der LINKEN: Oh!) zu können, hat sich als gleich null erwiesen. Das hat sich
hier manifestiert.
und dann auch noch Gymnasialempfehlungen per Zu-
fallsentscheid mitfinanzieren. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Die Umverteilung von Umsatzsteuerpunkten kann
der CDU/CSU – Widerspruch bei der LIN- man durchaus kritisch sehen, Herr Kollege.
KEN – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: (Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Das muss
Wer macht hier gerade Parteipolitik?) man sogar!)
Am meisten ärgert mich, dass die sozialdemokratisch Ich fand das, was Sie gesagt haben, ein bisschen zu pole-
regierten Länder am lautesten brüllen, die am Tropf des misch. Es gibt auch stichhaltige Argumente für die
Länderfinanzausgleichs hängen, die in einer generösen Frage: Wie stellen wir sicher, dass umgeschichtete Mittel
Haltung die Kindergartenbeiträge abgeschafft haben, die im Bildungsbereich wirklich dort ankommen, wo wir sie
Studiengebühren für unsozial halten und die sich jetzt brauchen? Das Beispiel der Kinderbetreuung macht das
auch noch zurücklehnen und mehr Umsatzsteuerpunkte deutlich. Wir müssen uns fragen: Wie kommt das Geld
fordern; das ist unverschämt. Da schlägt es wirklich 13. in den Krippenausbau? Die Kommunen können ein Lied
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten davon singen, wie lax die Zahlungsmoral der Länder
(B) der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Agnes Alpers sein kann. (D)
[DIE LINKE]) Gleichzeitig ist es aber so, dass auch die Länder unter
Wir brauchen jetzt ein klares Ziel, eine klare Vorge- finanzieller Knappheit leiden, dass auch dort die Kassen
hensweise und verbindliche Schritte, um das 10-Prozent- leer sind;
Ziel bis 2015 zu erreichen. Diese Bundesregierung ist in (Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Aber
Vorleistung gegangen. Jetzt sind die Länderchefs und warum denn? Da gibt es übrigens gewaltige
ihre Finanzminister dran. Sehr bewusst sage ich als be- Größenunterschiede, Frau Kollegin!)
kennender Bildungsföderalist:
das muss man zur Kenntnis nehmen. Ein Auftrag des
(Zurufe von der SPD: Oh!) Bildungsgipfels, sozusagen die Hausaufgabe, die zu er-
ledigen gewesen wäre, war die Frage: Wie kommen wir
Wer die Bildungsverantwortung für Schulpolitik will, an einen Tisch? An diesem Punkt haben Sie außer Pole-
muss zeigen, dass er die Finanzverantwortung dafür be- mik nichts zu bieten. Das ist sehr bedauerlich, zumal ich
herrscht. Das können die Länder jetzt zeigen. zwei Bundesländer kenne, die im Moment ordentlich
Vielen Dank. kürzen; das sind Hessen und Schleswig-Holstein. Auch
hier sollten Sie zu Ihrer Verantwortung stehen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Wenn (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
die Einnahmen nicht wegbrechen!) sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Thomas
Feist [CDU/CSU]: Ja! Mit der FDP!)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Dr. Feist hat wieder einmal gesagt, der Bildungs-
Das Wort hat jetzt die Kollegin Ekin Deligöz von bereich bleibe von den Sparbeschlüssen ausgespart, und
Bündnis 90/Die Grünen. dort würden keine Abstriche gemacht. Wenn Sie die
Realität in Deutschland, die Tatsache, dass wir Bildung
Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): brauchen und dass wir im europäischen Vergleich sehr
weit hinten liegen, ernst nehmen, dann ist es beschä-
Herr Präsident! Liebe Kollegen und Kolleginnen!
mend, dass Sie sich hier hinstellen und sagen: Im Bil-
Selbst wenn der Kollege hier herumbrüllt, in der Bun-
dungsbereich kürzen wir nicht.
desrepublik ist es merklich still geworden um die Bil-
dungsrepublik. Die Kanzlerin und die Bildungsministe- (Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ich finde das
rin wollten Gipfel erstürmen. Sie sind letztendlich im Tal gut!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5001
Ekin Deligöz
(A) Das ist zu wenig. Die Investitionen müssen klar gestei- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C)
gert werden. sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
KEN)
Jetzt sagen Sie recht hilflos: Am Erreichen des 10-Pro-
zent-Ziels in den nächsten fünf Jahren wollen wir fest-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
halten. Sagen Sie uns, wie. Verraten Sie uns einmal, wie
Sie das schaffen wollen. Sie wissen es selber nicht; das Das Wort hat jetzt die Bundesministerin Dr. Annette
ist offensichtlich. Sie haben dazu keinen einzigen kon- Schavan.
kreten Punkt genannt. Auch die Bundesregierung kann (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
nicht erklären, wie dieses Ziel erreicht werden soll.
BAföG und Stipendienprogramme stehen im Moment, Dr. Annette Schavan, Bundesministerin für Bil-
gelinde gesagt, auf der Kippe. Zur Kindersprachförderung dung und Forschung:
– groß angekündigt – liegt nichts Konzeptionelles vor. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Zum Thema Bildungsketten hat die Ministerin gestern in Meine Damen und Herren! Wer zum Bildungsgipfel
der Befragung der Bundesregierung selber gesagt: Struk- fährt und dort eine heimliche Steuerdebatte führt, wird
turelle Probleme werden damit nicht gelöst, bestenfalls dem Thema Bildung nicht gerecht.
leicht abgemildert. – Von einer Qualitätsoffensive im (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Kitabereich ist nichts zu hören und nichts zu spüren. Die
Frühförderung steht mit dem Rücken zur Wand. Nicht Wer schon am Vorabend des Bildungsgipfels verbreitet,
einmal die groß angekündigten Zukunftskonten sind im dass der morgige Bildungsgipfel schiefgehen wird, und
Moment noch im Gespräch. Wo ist dieses Thema in Ih- mit dem man dann auch überhaupt nicht über Bildung,
ren Debatten geblieben? Als Masterplan kann man das, sondern immer nur über das Thema Steuern sprechen
was Sie veranstalten, nicht bezeichnen. kann – übrigens nicht allein über die Verteilung von
Steuerpunkten, sondern natürlich auch über die Frage
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN von Steuererhöhungen –, dem geht es nicht um Bildung.
sowie bei Abgeordneten der SPD – Patrick Dem geht es darum, dieses Thema auf dem Rücken der
Meinhardt [FDP]: Wir haben in sechs Monaten Schüler und Studenten für parteipolitische Polemik zu
mehr geschafft als Sie in sieben Jahren!) missbrauchen.

Ein weiterer Grund für die Strukturkrise ist das Ko- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
operationsverbot in der Bildungspolitik; das haben Sie Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Damit tun
Sie sich keinen Gefallen!)
(B) richtig erfasst. Es ist richtig: Das Kooperationsverbot ist (D)
die Entwicklungsbremse in diesem Bereich, und es blo- Ich war ja dabei, und deshalb finde ich es ein bisschen
ckiert den Aufbruch in die Bildungsrepublik. Das zu er- doppelzüngig, als Klub der SPD-regierten Länder
kennen, reicht aber nicht aus. Ändern Sie es! Sie haben
es festgeschrieben, Sie können es rückgängig machen. (Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Vorsicht! –
Wenn die Einsicht bei Ihnen vorhanden ist, müssen Sie René Röspel [SPD]: Besser als Klub der toten
jetzt nur noch handeln. Schönen guten Tag! Schön, dass Dichter!)
auch Sie dort angekommen sind, wo alle anderen schon – jetzt lassen Sie mich; Sie sind doch gleich dran – ganz
längst sind! klipp und klar zu sagen: Uns interessiert jetzt nicht die
Debatte über Maßnahmen, uns interessiert das Thema
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Steuern. – In der Tat haben sich dann alle anderen Län-
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- der angeschlossen,
KEN)
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Aha!)
Was wir brauchen, ist eigentlich sehr klar. Wir brau-
chen die Ganztagsschulen. Wir brauchen eine gute Kin- aber wer der Sprecher des Ganzen war, war während der
derbetreuung. Wir brauchen ein inklusives Schulsystem; gesamten Konferenz doch völlig klar.
hier sind wir noch in den Anfängen. Der Vorschlag, das (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Die
Ganze im Rahmen der Gemeindefinanzreform zu klären, Mehrheit im Bundestag haben Sie aber schon
macht mir, ehrlich gesagt, überhaupt keine Hoffnung. noch, oder?!)
Sie wollen ein enorm schwieriges Unterfangen zusätz-
lich mit diesem Thema belasten, aber es ist fraglich, ob Deshalb sage ich hier: Die Verantwortung dieses Par-
dabei überhaupt etwas herauskommt. lamentes und der Bundesregierung besteht jetzt darin,
genau das zu tun, was wir mit 16 Ländern vereinbart ha-
Richtig in der Klemme sitzen in dieser Zeit ganz an- ben, nämlich entscheidende Maßnahmen auf dem Weg
dere. Das sind die Kinder und die Jugendlichen, die zur Bildungsrepublik Deutschland zu konkretisieren und
diese Förderung brauchen, das sind die Schulen, das sind umzusetzen. Genau das werden wir in den nächsten Wo-
die Kindergärten, und das sind die Menschen, die dort chen und Monaten tun.
arbeiten. Der heute veröffentlichte Nationale Bildungs-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
bericht dokumentiert: Die Zahl der Bildungsverlierer in
diesem Land nimmt zu. Für diese Personen Verantwor- Ich sage das hier ganz klar: Es kann nicht die Rolle des
tung zu übernehmen, das geht anders. Bundes sein, Geld zu geben und am Ende nicht zu
5002 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Bundesministerin Dr. Annette Schavan


(A) wissen, was mit diesem Geld geschieht. Wir reden über Deshalb rate ich uns: Lassen Sie uns jetzt doch in die- (C)
Bildungspolitik und nicht über Sparkassen. sen Wettbewerb einsteigen, und lassen Sie uns dafür sor-
gen – –
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Zurufe von der SPD)
Deshalb ist es doch interessant: Im Zusammenhang
mit dem Bildungsgipfel wurden Vereinbarungen zwi- – Ich sage Ihnen: Das wird ein spannender Wettbewerb.
schen 16 Ministern der Länder und der Bundesministe- (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Da freuen Sie sich
rin getroffen. Wir haben einen Katalog gemeinsamer ja, dass der Gipfel gescheitert ist!)
Maßnahmen des Bundes und der Länder erstellt, den es
so noch nie gegeben hat. Das ist ein überwältigender Die Rolle des Bundes ist klar: Es wird nicht nur nicht
Konsens in der Sache quer durch die Länder, in denen gekürzt, sondern der Bund investiert plus 12 Milliarden
unterschiedliche Akzente gesetzt werden. Dahinter Euro für Bildung und Forschung. Das ist die größte In-
steckt viel Tatkraft aufseiten der Länder und des Bundes, vestition, die es je gegeben hat. Diese werden wir auch
die sich von der öffentlichen Debatte über Steuern und nicht kleinreden lassen, sondern sie wird genau so umge-
davon, dass in jeder Rede die Hoteliers vorkommen, setzt, wie es im Masterplan vorgesehen ist: für Maßnah-
nicht haben verrückt machen lassen, sondern die dafür men der frühkindlichen Bildung über Maßnahmen für
sorgen werden, dass das, was wir in der Sache vereinbart die einzelnen Übergänge bis hin zu den Maßnahmen,
haben, umgesetzt wird. Darin sind sich alle einig, und es über die wir hier zum Teil schon gesprochen haben oder
wird geschehen. in den nächsten Monaten noch sprechen werden.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
René Röspel [SPD]: Ein Wunder, und das Interessant finde ich, dass Sie den Hochschulpakt in
Wasser wich weg! – Kai Gehring [BÜND- einem Nebensatz ansprechen. Wann ist in Deutschland je
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Trotzdem haben die ein Hochschulpakt mit 275 000 zusätzlichen Studien-
Hoteliers 1 Milliarde Euro bekommen!) plätzen, der vollständigen Übernahme der Programm-
Ich glaube deshalb übrigens auch, dass die Länder kostenpauschale durch den Bund und 2 Milliarden Euro
beim Bildungsgipfel ihr Licht unter den Scheffel gestellt für die Lehre zustande gekommen?
haben – das ist das eigentlich Ärgerliche –, da es in na- (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: In der Großen
hezu allen Ländern Mehrausgaben geben wird. Dennoch Koalition!)
wurde dieses Ziel gefürchtet. Das 10-Prozent-Ziel steht
übrigens fest, – Das andere ist uns gemeinsam gelungen. Das, was wir
jetzt vorhaben, ist uns in der letzten Legislaturperiode
(B) (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Verschieben (D)
nicht gelungen. Das kommt hinzu. Ich sage das nicht als
auf den Sankt-Nimmerleins-Tag!) Vorwurf, aber man kann doch nicht im Ernst sagen, dass
und ich bin mir ziemlich sicher: Jetzt beginnt der Wett- 2 Milliarden Euro für die Lehre Peanuts sind. Auch das
bewerb der Länder um die Erreichung dieses Ziels. ist die größte Investition zugunsten der Lehre, die es je
gegeben hat. Die Universitäten wissen genau, dass das
(Steffen-Claudio Lemme [SPD]: Der Weg ist für sie einen großen Schub bedeuten wird. Das gilt auch
das Ziel!) für die Wertschätzung der Lehre. Es ist ein deutliches
Zeichen, das auch die Studierenden in ihrem Studienall-
– Ja, das stimmt übrigens auch. tag spüren werden.
Durch ein solches Ziel – das haben wir zum Beispiel (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
beim 3-Prozent-Ziel hinsichtlich der Ausgaben für For-
schung und Entwicklung sehr genau gesehen – werden Deshalb ist es jetzt neben dem, was wir ausschließlich
Finanzmittel in einem Ausmaß mobilisiert, wie das vor- aufseiten des Bundes leisten, unsere Aufgabe, die neuen
her nie der Fall war, was mit bildungs- und wissen- Maßnahmen gemeinsam mit den Ländern peu à peu ab-
schaftspolitischen Möglichkeiten verbunden ist, wie wir zuarbeiten. Zu der gemeinsamen Bildungspolitik, die wir
sie vorher nie hatten. vereinbart haben, zählen die Weiterentwicklung des
BAföG, das Nationale Stipendienprogramm, die dritte
Deshalb sage ich: Ein Land wie Hamburg wird die Säule des Hochschulpaktes, die übrigens allein in der
Mittel in den nächsten Jahren verdreifachen. Ausfinanzierung ein Plus von 400 Millionen Euro ge-
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Verdreifa- genüber der zweiten Phase des Hochschulpaktes bedeu-
chen nicht!) tet, der Wettbewerb „Aufstieg durch Bildung: Offene
Hochschulen“, die Förderung der frühkindlichen Bil-
Ein Land wie Baden-Württemberg wird in den nächsten dung, die Initiative „Abschluss und Anschluss“, die Wei-
Jahren eine halbe Milliarde Euro zusätzlich investieren. terbildungsallianz und schließlich die Anerkennung und
Es gibt auch welche, die kürzen. Ich kenne bislang aller- Bewertung von im Ausland erworbenen beruflichen
dings kein SPD-regiertes Bundesland, das schon einen Qualifikationen.
großen Plan für deutliche Erhöhungen der Bildungsin-
vestitionen hat. Wenn man allein diese Punkte auf der Landkarte von
Bildung und Hochschule systematisieren wollte, dann
(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Thürin- wird sehr deutlich, was bei all dem der Schwerpunkt un-
gen!) serer gemeinsamen Bildungspolitik ist: mehr Bildungs-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5003
Bundesministerin Dr. Annette Schavan
(A) gerechtigkeit, mehr Durchlässigkeit im Bildungssystem weil wir gesagt haben: Wenn wir eine Schulreform (C)
und mehr finanzielle Anreize für junge Leute, die in durchführen, müssen wir dafür auch die Voraussetzun-
Ausbildung und Studium gehen. gen schaffen.
Der Bildungsbericht, der heute vorgestellt worden ist, Der nationale Bildungsbericht hat gezeigt, dass es
zeigt neben Problemzonen sehr deutlich, dass das, was deutliche Fortschritte gibt, insbesondere bei den einzel-
an Maßnahmen geplant ist, die richtige Antwort in der nen Maßnahmen, die in Kooperation zwischen Bund und
Bildungsrepublik Deutschland sein wird. Ländern vollzogen werden. Wir streiten uns seit langem
über Kooperationsverbot oder -gebot. Aber im Kern ha-
Vielen Dank.
ben wir in der Geschichte der Bundesrepublik Deutsch-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) land noch nie so viele kooperative Vorhaben umgesetzt.
Als Beispiel nenne ich, weil dies hier im Hause immer
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: wieder diskutiert wurde, nur die Frage der Studienanfän-
Das Wort hat jetzt der Kollege Marcus Weinberg von ger. Von 2006 auf 2009 ist deren Anzahl um 23 Prozent
der CDU/CSU-Fraktion. gestiegen. Wir hatten aus der Wissenschaft das 40-Pro-
zent-Ziel übernommen; mittlerweile liegen wir bei
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 43 Prozent. Das heißt, die Zielmarke ist deutlich über-
schritten worden.
Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU):
Durch die Äußerungen der Ministerin ist klar gewor-
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich darf vielleicht mit
den, dass wir hier in weiten Teilen sehr erfolgreich agiert
einer Vorbemerkung da weitermachen, wo die Ministerin
haben. Zurückblickend kann man sagen, dass viele Maß-
aufgehört hat: Ich verstehe, dass die Opposition plakativ
nahmen in Kooperation zwischen Bund und Ländern
redet. Aber völlig auf eine inhaltliche Argumentation zu
oder mit weiteren Partnern – Stichwort Ausbildungs-
verzichten, wie es bei einigen Rednern der Opposition,
pakt – Erfolge erzielt haben. 2007 gab es zum ersten Mal
insbesondere der SPD und der Linken, der Fall war,
seit 2001 mehr Ausbildungsplätze als Bewerber.
halte ich für sehr unangenehm. Ich wollte jetzt gerne
Ulla Burchardt einiges deutlich machen und ihre Äuße- Dann kann man auch leicht zu einer Kernaussage
rungen widerlegen, aber sie hat die Debatte verlassen. kommen, wenn es darum geht, ob der Bildungsgipfel ge-
Das ist schon merkwürdig, wenn man erst plakativ redet scheitert ist. Es stellt sich doch folgende Frage: Finanz-
und dann verschwindet. krise, Finanzmarktstabilisierungsgesetz, Hilfspakete für
Länder, Wirtschaftskrise, Konjunkturpakete, Konsolidie-
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sie eröffnet
rungsprogramm, all dies – mit einem Volumen allein des
die TAB-Konferenz! Sie ist entschuldigt!)
(B) Konsolidierungsprogramms von 80 Milliarden Euro – (D)
– Das entschuldige ich gerne, okay. muss diese Republik im Moment tragen.
Aber kommen wir zu den Kolleginnen und Kollegen. (Klaus Hagemann [SPD]: Und Sie entlasten
Man kann, wie die Kollegin der Grünen, gerne die Süd- die Hoteliers!)
deutsche Zeitung zitieren. Aber warum zitieren Sie nicht
aus dem dritten Bildungsbericht, der zwar noch viele Trotzdem hält diese Bundesregierung an dem 10-Pro-
Herausforderungen beschreibt und feststellt, dass wir in zent-Ziel fest. Dies ist der eigentliche Erfolg des Bil-
vielen Bereichen der Bildung noch nicht so weit sind, dungsgipfels: dass hier nichts eingespart wird, sondern
wie wir sein müssten, der aber bestätigt, dass die Politik 12 Milliarden Euro zusätzlich investiert werden. Das
in den letzten Jahren im Bildungsbereich in weiten Tei- muss man auch einmal deutlich unterstreichen.
len richtig gewesen ist und mittlerweile auch erste Er- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
folge zeigt? Ich will einige Beispiele nennen, die Sie
völlig falsch dargestellt haben. Kollege Feist hat schon darauf aufmerksam gemacht,
dass wir den Ländern angeboten haben, ihnen bei der
Sie haben gesagt, dass es in der vorschulischen und Frage der Finanzierung entgegenzukommen. Die Äuße-
frühkindlichen Bildung an Fachkräften fehlt und dass rung von Frau Ziegler in der letzten Woche, am 10. Juni
keine Fachkräfte ausgebildet werden. Nein, in den letz- getroffen, die Bundesregierung sei am Scheitern des
ten drei Jahren haben 42 000 Mitarbeiter mehr in den Ki- Gipfels schuld
tas die Arbeit aufgenommen. Das ist ein deutliches Zei-
chen dafür, dass die Kitas in diesem Bereich deutlich (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Wer
investiert haben. sonst?)
Ein weiteres Beispiel ist die Erwerbsquote von und „trägt eine große Mitschuld an dieser Schieflage“,
Frauen. Sie ist in den letzten Jahren um 6 Prozent gestie- stimmt einfach nicht, weil der Bund zu seinen Verspre-
gen und liegt mittlerweile bei über 60 Prozent. chen steht und Finanzierungsvorschläge eingebracht hat.
Die Herausforderung Schule: Natürlich ist der Anteil Noch einmal zurück zu der Frage, was sich an Maß-
von Schulabgängern ohne Hauptschulabschluss mit nahmen in den nächsten Jahren noch entwickeln wird
7,5 Prozent noch viel zu hoch. Aber auch hier ist ein und welche Maßnahmen hier abgeschlossen wurden:
deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Die Länder inves- Den Hochschulpakt haben wir bereits besprochen, den
tieren tatsächlich. Mein Bundesland wird in den nächs- Ausbildungspakt ebenfalls. Morgen werden wir über
ten drei Jahren tatsächlich 1 000 Lehrer mehr ausbilden, BAföG und Stipendienprogramm diskutieren. Ich erin-
5004 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Marcus Weinberg (Hamburg)


(A) nere diejenigen, die immer mehr für die Studierenden genommen in Jahrzehnten, der Föderalismus hat (C)
verlangen, nur einmal daran: Als Sie aufhörten, waren zur Dynamik, zum Erfolg unseres Landes geführt.
wir beim BAföG bei einem Höchstsatz von 585 Euro,
und jetzt sind wir bei 670 Euro. Es gibt also auch deutli- Wir werden auf Bundesseite weiterhin in dieser Koope-
rationsfrage Druck machen. Aber es muss auch einmal
che Steigerungen bei denen, die betroffen sind.
klargestellt werden, dass wir im Bildungsbereich riesige
(Klaus Hagemann [SPD]: Da mussten wir aber Fortschritte gemacht haben, die sich auch im Dritten
schwer treiben!) Nationalen Bildungsbericht widerspiegeln. Deswegen
sollte man auch einmal sachlich argumentieren und nicht
Nun zu dem, was der Kollege Meinhardt angespro- nur plakativ reden.
chen hat: Es gibt mehrere Säulen. Dies haben Sie an-
scheinend noch nicht verstanden. Ich will auf der einen Herzlichen Dank.
Seite Chancengerechtigkeit, also das BAföG netto stei-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
gern – in dieser schwierigen Zeit, in der wir überall über
Kürzungen reden, steigern wir das Nettoeinkommen der
Studierenden –, auf der anderen Seite geht es mir natür- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
lich im Zusammenhang mit dem Nationalen Stipendien- Das Wort hat der Kollege Swen Schulz von der SPD-
programm auch um die Begrifflichkeit Leistung, wobei Fraktion.
sich Leistung nicht nur in Fachleistung widerspiegelt,
(Beifall bei der SPD)
sondern damit auch gesellschaftliches Engagement ge-
meint ist.
Swen Schulz (Spandau) (SPD):
(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Das Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
taugt nichts!) Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Regie-
Das heißt, wir haben drei Säulen der Finanzierung für rungskoalition kann herumreden, wie sie will: Der Bil-
Studierende: BAföG für die Breite, das Stipendienpro- dungsgipfel ist beim dritten Anlauf zum dritten Mal ge-
gramm und das Bildungsdarlehen. scheitert. Das berühmte 10-Prozent-Ziel ist auf den
Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben worden. Das ist
Noch wenige Sätze zum Kooperationsverbot oder keine Lappalie. Der Bildungsbericht, der hier schon an-
-gebot: Hochschulpakt und Ausbildungspakt sind ange- gesprochen und der heute veröffentlicht wurde, zeigt,
sprochen; sie haben auch gut gewirkt. Natürlich haben vor welchen Herausforderungen wir im Bereich Bildung
wir die Verantwortung, die Leistungsfähigkeit nicht nur stehen. Bildung und Forschung – das sind die zentralen
zu überprüfen, sondern auch sicherzustellen. Dies wird Themen für die Zukunftsfähigkeit dieser Gesellschaft.
(B) in den nächsten Jahren tatsächlich die weitere Aufgabe Es stellt sich jetzt die Frage: Warum ist der Bildungsgip- (D)
derjenigen sein, die in den Ländern und im Bund Verant- fel gescheitert? Warum hat es wieder nicht mit verbindli-
wortung tragen. chen Absprachen zwischen Bund und Ländern geklappt?
Wir sollten ein Stück weit innehalten und nachdenken,
Trotzdem ist es im Kern so, dass sich der Bildungsfö-
um Lehren zu ziehen und um es künftig besser zu ma-
deralismus rentiert hat, weil wir in Hamburg im Vergleich
chen.
zu Nordrhein-Westfalen oder Bayern ein anderes, nicht
vergleichbares System haben. Wir müssen dazu kommen, Was ist auf dem Bildungsgipfel passiert? Es gibt im
dass wir Standards setzen. Der Abiturient in Hamburg, Wesentlichen zwei Seiten, die miteinander verhandelt
am Tegernsee oder in Berlin muss gleiche Standards er- haben. Das eine sind die Landesregierungen, die Mitver-
füllen; aber der Weg dahin – das sagte vorhin schon ein antwortung für das Scheitern haben, zumal es unter ih-
Kollege der SPD – ist in diesem Fall tatsächlich das Ziel. nen notorische Quertreiber gibt wie die Landesregierun-
Deswegen ist Kooperation im Föderalismus auch so an- gen von Hessen, Bayern und Baden-Württemberg, ohne
gelegt, dass sie die Vielfalt widerspiegelt und wir Refor- Frage. Die andere Seite ist die Bundesregierung. Ich
men und Umsetzungsmaßnahmen je nach Bundesland sage ausdrücklich: Sie hat nicht die alleinige Verantwor-
einzeln beschließen können. tung, aber doch ein gerüttelt Maß an Mitschuld am
Scheitern des Bildungsgipfels. Das müssen wir hier ein-
Dass sich dabei – bei allem Respekt – SPD-Minister-
mal festhalten.
präsidenten in den letzten Tagen und Wochen nicht ge-
rade als diejenigen herausgetraut haben, die den Födera- (Beifall bei der SPD und der LINKEN)
lismus auflösen wollen, muss man doch auch deutlich
sagen. Schon beim letzten Mal wurde zitiert – - Das Hauptproblem ist und bleibt die finanzielle Lage der
Länder und Kommunen. Dafür trägt die Regierungsko-
alition, dafür tragen CDU, CSU und FDP die Verantwor-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: tung.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)
Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU): – Sie regen sich jetzt auf. Sie von der Regierungskoali-
Ich komme zum Schluss. – Mir geht es um das Zitat tion beklagen das Scheitern des Bildungsgipfels. Sie ha-
von Herrn Beck, in dem er deutlich macht: ben doch die Steuergeschenke in Milliardenhöhe für Ho-
teliers und andere beschlossen.
… dass erkannt wird, die Bundesrepublik Deutsch-
land hat als föderaler Staat die gute Entwicklung (Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5005
Swen Schulz (Spandau)
(A) Das hat die Länder und die Kommunen in die Knie ge- (Zuruf von der CDU/CSU: Das ist der falsche (C)
zwungen. – Ton!)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Was ich hier vortrage, ist im Übrigen nicht etwa Op-
DIE GRÜNEN – Patrick Meinhardt [FDP]: positionsgerede im Nachhinein, wie man möglicher-
Immer das gleiche Märchen!) weise denken könnte. Nein, wir haben das schon immer
gesagt. Auch hier im Deutschen Bundestag haben wir
Die Länder wollen mehr in Bildung und Forschung in- vor diesem falschen Kurs gewarnt. Mehr noch, wir ha-
vestieren, aber sie können es nicht. Sie stöhnen so auf, ben nicht nur darüber geredet, sondern wir haben auch
weil Sie das nicht hören können. Das tut ein Stück weit Anträge im Deutschen Bundestag vorgelegt, um einen
weh. Wenn Sie mir nicht glauben, dann glauben Sie we- Kurswechsel einzuleiten, um den Bildungsgipfel zu ret-
nigstens das, was ich Ihnen jetzt vorlese. ten. Herr Weinberg, Sie wollten eine inhaltliche Debatte.
Wir haben versucht, mit Ihnen eine solche zu führen.
(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Haben Sie
noch eine zweite Rede?) Wir haben einen Gesetzentwurf zur Änderung des
Umsatzsteuergesetzes – also gegen die Milliardenge-
Es ist aus dem vorläufigen Ergebnisprotokoll des Bil- schenke – eingereicht. Dieser wurde von der Koalition
dungsgipfels. Da steht, „dass zur Erreichung des 10-Pro- abgelehnt. Wir haben einen Rettungsschirm für Kommu-
zent-Ziels in erheblichem Umfang bis 2015 zusätzliche nen beantragt. Abgelehnt von der Koalition. Wir haben
Mehrausgaben für Bildung und Forschung erforderlich einen Antrag für den Nationalen Bildungspakt gestellt,
sind, deren Finanzierung durch die Länder … unter den der darauf abzielte, starke Bildungsinfrastrukturen zu
aktuellen finanz- und wirtschaftspolitischen Gegeben- schaffen. Abgelehnt von der Regierungskoalition.
heiten … nicht sichergestellt werden kann.“ Wer ist denn
verantwortlich für die aktuellen finanz- und wirtschafts- Das Resultat dieser starrsinnigen Politik sehen wir
politischen Gegebenheiten? Das sind doch wohl Sie von jetzt. Jetzt stehen Sie, jetzt stehen vor allem die Bürge-
der Regierungskoalition. rinnen und Bürger vor dem Scherbenhaufen Ihrer fal-
schen Politik. Auf diese Art und Weise können Sie nie-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mals einen Bildungsgipfel oder sonst irgendeinen Gipfel
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE erklimmen. Auf diese Art und Weise graben Sie sich im-
GRÜNEN) mer tiefer ein. Ich bitte Sie: Kehren Sie um, zeigen Sie
endlich Einsicht!
Sie haben die Verantwortung. Darin sind sich alle Bun-
desländer einig – 16 : 0 –, von Schleswig-Holstein bis Herzlichen Dank.
Bayern, um auch das einmal festzuhalten. (Beifall bei der SPD)
(B) (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Hört! (D)
Hört!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat der Kollege Dr. Martin Neumann von
Dieses Protokoll ist eine schallende Ohrfeige für die Re- der FDP-Fraktion.
gierungspolitik, und die haben Sie zu Recht kassiert.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Beifall bei der SPD)
Es hilft nicht, zu sagen, wie Sie, Herr Kollege Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP):
Weinberg, das eben in Ihrem Debattenbeitrag getan ha- Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
ben, dass die Koalition zu ihren Zusagen gestanden hat. Kollegen! Meine geschätzten Kollegen von der SPD-
Sie haben ganz großzügig den Ländern gewissermaßen Fraktion, Sie haben diese Aktuelle Stunde beantragt un-
die Möhre vor die Nase gehalten, aber ihnen vorher Ket- ter der dramatisierenden und auch etwas hämischen
ten angelegt. Das funktioniert natürlich nicht. Vor die- Überschrift, der Bildungsgipfel vor einer Woche sei ge-
sem Hintergrund ist es schon ein starkes Stück, mit dem scheitert. Nun stellen Sie die Frage, wie es mit der Bil-
Finger auf die Länder zu zeigen und ihnen die Schuld dungspolitik in Deutschland weitergeht.
zuzuweisen. Frau Schavan, Sie haben eben den Ländern Ich sage es vorweg: Für mich ist kein Scheitern der
eine heimliche Steuerdebatte vorgeworfen. Doch ursäch- Bemühungen von Bund und Ländern um eine bessere
lich sind Ihre unheimlichen Steuerbeschlüsse. Das muss Bildungspolitik in unserem Land erkennbar. Scheitern
man doch einmal festhalten. hätte bedeutet, dass es keine Ergebnisse gegeben hätte,
(Beifall des Abg. Christian Lange [Backnang] was aber überhaupt nicht der Wahrheit entspricht.
[SPD]) Liebe Kollegen der SPD und auch der Grünen-Frak-
tion, Sie wollen eben nicht begreifen, dass sich die Bil-
Ich finde, es ist ganz schlechter Stil, Frau Bundesminis- dungsstreiks im vergangenen Jahr gegen die Folgen Ih-
terin, erst bei den Steuerdebatten, die wir vor einigen rer verkorksten rot-grünen Bildungspolitik gerichtet
Monaten hier geführt hatten, den Mund zu halten, sich haben.
nicht für die Interessen der Länder und Kommunen, die
die Bildung zu finanzieren haben, einzusetzen und hin- (Beifall bei der FDP – Zuruf von der FDP:
terher die leidtragenden Länder und Kommunen anzu- Endlich sagt es einer! – Swen Schulz [Span-
klagen. Das macht man nicht, Frau Schavan. An dieser dau] [SPD]: Ei, ei, ei! – Kai Gehring [BÜND-
Stelle hätten Sie lieber den Mund halten sollen, wie Sie NIS 90/DIE GRÜNEN]: Das können Sie nur
es vorher getan haben, liebe Kolleginnen und Kollegen. Ihrem Parteitag erzählen!)
5006 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Dr. Martin Neumann (Lausitz)


(A) Sie haben Bologna auf den Weg gebracht, ohne die rungen sind daher gefordert, zukunftsfähig zu haushal- (C)
Rahmenbedingungen für eine erfolgreiche Reform der ten. Im Bund beweisen wir doch gerade, dass wir sowohl
Bildungslandschaft zu schaffen. In Ihrer Regierungszeit konsolidieren als auch weiter in Bildung investieren
haben Sie es offensichtlich versäumt, das BAföG anzu- können.
passen und ausreichend Mittel für die Hochschulen ins-
Sie sehen: Koalition und Bundesregierung setzen ihre
besondere im Bereich der Lehre und Beratung bzw. Be-
Prioritäten bei Bildung und Forschung. Die Länder, aber
treuung der Studierenden bereitzustellen.
auch die Hochschulen haben in uns einen verlässlichen
Außerdem haben Sie überhaupt noch nicht begriffen, Partner. An ihnen selbst ist es aber auch, mit eigenen
was uns die OECD seit Jahren deutlich macht, nämlich, Anstrengungen ihren Beitrag dazu zu leisten, dass wir
dass unser Bildungssystem unterfinanziert ist, da nicht unserem gemeinsamen Ziel noch näher kommen.
private Mittelgeber in ausreichendem Ausmaß mit ins
Boot genommen werden. Mit der 23. BAföG-Novelle (Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
sorgen wir für die Anpassung des Gesetzes an die Le- Hamburg macht das!)
benswirklichkeit der Studierenden nach der Bologna-Re- Der Bund jedenfalls – da sind wir uns sicher – wird sei-
form. Ferner sorgen wir mit dem Nationalen Stipendien- nen Beitrag dazu leisten.
programm dafür, dass endlich mehr private Mittel für die
Bildung akquiriert werden. Genau dagegen sind Sie aber. Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, Sie haben
morgen die Gelegenheit, bei der Abstimmung über die
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) BAföG-Novelle und das Nationale Stipendienprogramm
Ich sage Ihnen an dieser Stelle: Nur mit unserer Poli- Ihrer Verantwortung für eine bessere Bildungspolitik in
tik wird Bologna schließlich gelingen. Deutschland gerecht zu werden.

(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Oje, oje!) Ich bedanke mich.

Zwei wesentliche Aussagen wurden getroffen, die ich (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Kai
wiederholt deutlich machen möchte. Der christlich-libe- Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
ralen Koalition ist es ernst mit dem Ziel, Deutschland Dann kassieren Sie das Stipendienprogramm!)
zur Bildungsrepublik zu machen. Dazu gehört das ganz
klare Bekenntnis von Bund und Ländern, grundsätzlich Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
am 10-Prozent-Ziel bis zum Jahr 2015 festzuhalten. Das Wort hat jetzt der Kollege Klaus Hagemann von
Meine Damen und Herren, das ist angesichts der finanz- der SPD-Fraktion.
wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht selbstver-
(B) ständlich. (Beifall bei der SPD) (D)
Das macht aber auch deutlich, dass Bildung eine na- Klaus Hagemann (SPD):
tionale Aufgabe ist, die von den Beteiligten ernst ge-
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
nommen wird. Insofern ist dieser Bildungsgipfel eben
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Süd-
nicht gescheitert.
deutschen Zeitung vom Wochenende ist Frau Schavan
Ich begrüße ausdrücklich, dass der Forderung der als die – Zitat – „glücklichste Ministerin“ bezeichnet
Länder nach frei verfügbaren Mitteln ohne Zweckbin- worden. Heute vor einer Woche, wenn ich richtig rechne,
dung in Form von Umsatzsteuerpunkten, also quasi nach war Ihr halbrunder Geburtstag, Frau Ministerin. Das war
einem Blankoscheck, nicht nachgegeben wurde. am Tag des Bildungsgipfels. Nachträglich meine und un-
sere herzlichen Glückwünsche! – Es heißt, Sie hätten
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
sich auch bei der Sparklausur des Kabinetts durchge-
Meine Damen und Herren, es kann nicht sein, dass setzt; 12 Milliarden Euro sind ja versprochen worden.
der Bund den Ländern finanzielle Mittel durchreicht,
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich hoffe, dass die
ohne Einfluss auf deren Verwendung nehmen zu können,
Versprechen auch eingehalten werden. Wenn ich die De-
und somit deren Kernaufgaben finanziert; schließlich
batte jetzt verfolge, dann beschleicht mich die Sorge,
fordern die Länder diese immer wieder lautstark für sich
dass Frau Schavan irgendwann in den nächsten Jahren
ein.
mal als Kaiserin ohne Kleider dastehen könnte wie jener
Ich begrüße natürlich das Ergebnis zur dritten Säule Kaiser in dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“. Die
des Hochschulpakts, dem Qualitätspakt für eine verbes- Gefahr besteht; denn Sie müssen das, was Sie hier aufge-
serte Lehre. Dieses Programm wird deutlich zu einer schrieben haben, auch in die Realität umsetzen, und da-
Verbesserung der Studienbedingungen, zur Weiterent- für brauchen Sie die Länder, auf die Sie alle jetzt so ge-
wicklung guter Lehre und damit zur Sicherung der Er- schimpft haben, meine Damen und Herren.
folge der Bologna-Reform beitragen, und genau darum
Es geht hier nicht um wenig Geld. 8,6 Prozent des
geht es an dieser Stelle.
Bruttoinlandsprodukts werden zurzeit für Bildung und
Der Bund wird bis zum Jahr 2020 insgesamt 2 Mil- Forschung ausgegeben; 10 Prozent sollen erreicht wer-
liarden Euro bereitstellen und in eine verbesserte Hoch- den. Das sind fast 40 Milliarden Euro zusätzlich – per
schullehre investieren. Ich erwarte aber auch, dass die annum, pro Jahr. Sie sind auf die Kofinanzierung der
Länder endlich ihre Hausaufgaben machen. Jeder Haus- Länder angewiesen. Sie sind auf die Zustimmung der
halt hat Potenzial und Gestaltungsspielraum. Die Regie- Länder bei Bundesprojekten angewiesen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5007
Klaus Hagemann
(A) Wenn ich mir anschaue, was beim Hochschulpakt ge- zielle Unterstützung zu bekommen, kann ich nur recht (C)
schehen ist, den wir noch in Zeiten der Großen Koalition geben.
gemeinsam durchgesetzt haben, Frau Ministerin, dann
Man kann zwar auf die Länder einprügeln, meine Da-
stelle ich fest: In Rheinland-Pfalz ist er vorbildlich um-
men und Herren von der Koalition; das nützt aber nichts.
gesetzt worden. Es sind mehr Studienplätze geschaffen
worden, als in der Vereinbarung vorgesehen war. Man muss jetzt einen Kompromiss finden. Sie müssen
mit den Vertretern der Länder reden. Sie müssen die ge-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) samte Finanzarchitektur zwischen Bund, Ländern und
Gemeinden überprüfen. Es sind ja nicht nur die Länder
Da ist ein Pakt mit dem Titel „Wissen schafft Zukunft“
betroffen, sondern auch die Kommunen. Auch diese kla-
aufgestellt worden, in dessen Rahmen mehr als 200 Mil-
gen, ob sie schwarz, ob sie rot, ob sie grün oder gelb
lionen Euro für das kleine Rheinland-Pfalz zur Verfü-
regiert werden – und das zu Recht. Einfach „Madame
gung gestellt worden sind. Deswegen stimmt Ihre Aus-
Non“ zu spielen, einfach Nein zu sagen, ohne Ge-
sage nicht ganz, es stehe bei SPD-regierten Ländern
sprächsbereitschaft zu zeigen, führt dazu, dass wir das
nicht mehr Geld zur Verfügung.
10-Prozent-Ziel nicht erreichen und Deutschland nicht
In Nordrhein-Westfalen ist der Pakt unter Schwarz- zu einer Bildungsrepublik umbauen können. Deswegen
Gelb nicht vollständig umgesetzt worden. Ich hoffe, dass müssen Sie kompromissbereit sein. Wir sind es. Wir ha-
das dann unter der neuen Koalition geschieht. ben Vorschläge gemacht. Darauf möchte ich noch ein-
mal hingewiesen haben.
Wenn Sie nach Schleswig-Holstein blicken, dann se-
hen Sie: In Schleswig-Holstein, schwarz-gelb regiert, Im Interesse der Sache, im Interesse der vielen jungen
liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, werden sogar Leute, die uns hier besuchen – nebenbei gesagt: Herzlich
Studienplatzangebote zurückgegeben. Man will die me- willkommen! –, und stellvertretend für die ganze junge
dizinische Abteilung der Universität Lübeck schließen. Generation, für die Kinder, die Schülerinnen und Schü-
Das ist ein Skandal. Das ist so nicht hinnehmbar. ler und die Studierenden, fordere ich Sie auf: Seien Sie
bereit, Kompromisse mit den Ländern einzugehen. Dann
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
erreichen wir hier auch noch etwas.
DIE GRÜNEN)
Sorgen Sie bitte dafür, dass der Haushalt 2010 auch
Das hat Auswirkungen. Man will 1 500 Studienplätze
vollzogen wird, damit die Gelder, die der Haushaltsaus-
streichen, weil man sie nicht mehr finanzieren kann. Da
schuss des Deutschen Bundestages zur Verfügung ge-
kann ich nur sagen: Herr Carstensen hat dem Steuerkom-
stellt hat, auch umgesetzt werden. Ich sage das vor dem
promiss zugestimmt. Er hätte es nicht tun sollen. Wenn
Hintergrund, dass zum Beispiel Geld zur Verfügung
er es nicht getan hätte, dann hätte er mehr Geld und hätte
(B) steht, um Forschungsschiffe zu bauen, aber es geht ein- (D)
vielleicht auch die medizinische Abteilung der Universi-
fach nicht voran. Es stehen Hochschulbaumittel zur Ver-
tät Lübeck erhalten können. Noch einmal: Das hat auch
fügung, die aber nicht schnell genug verausgabt werden.
Auswirkungen auf die Wissenschaftsorganisationen. Ich
Reden Sie mit den Ländern, damit diese Gelder abgeru-
habe mich mit Vertretern der Leibniz-Gemeinschaft und
fen werden! Bringen Sie das in Ordnung, auch im Inte-
der Fraunhofer-Gesellschaft gestern unterhalten. Die
resse der Arbeitsplätze!
Fraunhofer-Gesellschaft überlegt, ob sie überhaupt ein
zusätzlich geplantes Institut einrichten kann, das sich mit Vielen Dank.
Meeresbiologie beschäftigt. Das müssen wir hier noch
einmal deutlich in Erinnerung rufen und bedenken, dass (Beifall bei der SPD)
so die Gefahr besteht, dass Fach- und Forschungskom-
petenz abwandert. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Eckhardt Rehberg von
Nachdem hier eben der Wettbewerbsföderalismus so
der CDU/CSU-Fraktion.
gelobt wurde, möchte ich noch einmal an die Anhörung
zum Nationalen Stipendienprogramm erinnern. Da hat (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
der Vertreter der Fachhochschule Magdeburg – ich
glaube, er war es gewesen – deutlich gemacht, dass in Eckhardt Rehberg (CDU/CSU):
seiner Region gar keine Chance besteht, dass die Wirt-
Herr Präsident! Meine Damen und Herren Abgeord-
schaft den von ihr geforderten Anteil aufbringt.
nete! Bei dem einen oder anderen kann man hier den
(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Hat er Eindruck gewinnen, so zum Beispiel beim Kollegen
so nicht gesagt!) Schulz, dass man mit einer gewissen Süffisanz die Er-
gebnisse des Bildungsgipfels am 10. Juni, also vor einer
Die Zustimmung der Länder wird für die BAföG-Re-
Woche, betrachtet. Kollege Schulz, ich habe es Ihnen
form gebraucht; ich weiß nicht, ob sie wie geplant ins
schon in der letzten Woche gesagt: Wer im Glashaus
Gesetzblatt kommt. Die Zustimmung der Länder wird sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.
für das Nationale Stipendienprogramm gebraucht; ich
weiß nicht, ob es überhaupt ins Gesetzblatt kommt. Da- Wir können gerne eine steuerpolitische Debatte füh-
für muss noch einiges getan werden. Dem Ministerpräsi- ren. Da müssten wir uns fragen, wie viel es denn sein
denten Beck, der als Vertreter der Länder sagte, es reiche soll: Ein Mehrwertsteuerpunkt mehr bringt 8 Milliarden
nicht aus, über zusätzliche Programme Geld vom Bund Euro, zwei Mehrwertsteuerpunkte mehr bringen 16 Mil-
zu bekommen, aber für die Kernaufgaben keine finan- liarden Euro. Vielleicht sollten die Ministerpräsidenten
5008 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Eckhardt Rehberg
(A) aller 16 Länder aber erst einmal darüber nachdenken, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Kai (C)
vor welchen Herausforderungen wir stehen. Wir stehen Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann
doch vor der Herausforderung, dass die Zahl der unter erhöhen Sie doch den Spitzensteuersatz!)
30-Jährigen bis zum Jahr 2025 um 4,2 Millionen Perso-
Lassen Sie mich noch eine letzte Anmerkung machen.
nen abnehmen wird, dass die Zahl der über 60-Jährigen
Herr Kollege Schulz, ich bin stolz auf den „Scherben-
um 3,5 Millionen zunehmen und dass die Zahl der Bil-
haufen“, den CDU/CSU und FDP in der Steuerpolitik
dungsteilnehmer um 2,7 Millionen abnehmen wird. Vor
angerichtet haben.
diesen Herausforderungen stehen wir doch in den nächs-
ten zwei Jahrzehnten. Jetzt aber so kurzsichtig zu sein (Dagmar Ziegler [SPD]: Das glauben wir Ih-
und zu handeln, dass man, diese Herausforderung vor nen aufs Wort!)
Augen, an diesem 10. Juni nur eine steuerpolitische De-
batte führt, macht doch deutlich, dass die 16 Minister- Denn das IWH prognostiziert – hören Sie ganz genau
präsidenten ihrer Verantwortung nicht gerecht geworden zu –, dass entgegen der Steuerschätzung vom 6. Mai zu-
sind. sätzliche Steuereinnahmen von mindestens 5 bis
7 Milliarden Euro für dieses Jahr zu erwarten sind, die
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) auf Bund, Länder und Kommunen aufgeteilt werden.
Die eine Hälfte geht an die Länder und die andere an die
Ein zweiter Punkt. Steuerpolitik ist langfristig ange- Kommunen. Ich sage Ihnen daher ganz offen: Die Poli-
legt. Ich habe es nachgeschaut, meine sehr verehrten Da- tik, die wir gemacht haben, ist eine gute Politik für Län-
men und Herren von SPD und Grünen: Sie sind dafür der und Kommunen und eine gute Politik für die Men-
verantwortlich, dass der Spitzensteuersatz von 53 Pro- schen in Deutschland.
zent im Jahr 1999 über 48,5 Prozent im Jahr 2003 auf
42 Prozent zum 1. Januar 2005 gesenkt worden ist. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das lacht
ja die gesamte Republik! Da lacht ganz
(Widerspruch bei der SPD) Deutschland! – Swen Schulz [Spandau]
[SPD]: Sie sind so was von vernagelt! Sie sind
Der Verteilungsschlüssel für diese Einnahmen sieht fol- nicht regierungsfähig!)
gendermaßen aus: 42,5 Prozent gehen an den Bund,
42,5 Prozent gehen an die Länder und 15 Prozent gehen Es ist insbesondere eine gute Politik für diejenigen, die
an die Kommunen. Wenn wir also zurückschauen und mehr Geld für Bildung ausgeben wollen.
uns fragen, wer dafür verantwortlich ist, dass heute Meine sehr verehrten Damen und Herren von SPD,
Bund, Länder und Kommunen finanziell nicht so ausge- Grünen und Linken, der Bund wird hier seiner Verant-
(B) stattet sind, wie sie es sein könnten, dann muss man sa- wortung gerecht und er stellt sich den Herausforderun- (D)
gen, dass Sie dafür verantwortlich sind. gen. Man kann Politik natürlich auch so gestalten wie
letzten Donnerstag: Poker spielen und die Rommé- und
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Skatkarten beiseite legen.
Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wie war das
denn im Bundesrat, Herr Rehberg?) Herzlichen Dank.
Ich will noch einen anderen Punkt ansprechen. Für (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
den größten Sündenfall, was die Steuerpolitik der letzten
Jahrzehnte betrifft, sind die Linken, damals PDS, SPD Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
und Grüne verantwortlich. Ich meine den Rückgang bei Das Wort hat der Kollege Ernst Dieter Rossmann von
den Einnahmen aus der Körperschaftsteuer zwischen der SPD-Fraktion.
den Jahren 2001 und 2007. Sie haben dafür gesorgt, dass
120 Milliarden Euro, wenn man einen linearen Anstieg (Beifall bei der SPD)
der Einnahmen des Jahres 2000 zugrunde legt, Bund,
Ländern und Kommunen verloren gegangen sind. Das Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
wurde damals für die Aktionäre von großen Kapitalge- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Um
sellschaften gemacht. es vorwegzusagen: Es besteht keine Freude aufseiten der
Sozialdemokraten, dass es am letzten Donnerstag nicht
Sie weinen hier ständig Krokodilstränen wegen der zu einem guten Ergebnis gekommen ist.
Absenkung der Umsatzsteuer für Hotels von 19 auf
7 Prozent, was Mindereinnahmen von 1 Milliarde Euro Wir hatten erstens den gemeinsamen Bezugspunkt,
zur Folge hat. Es gibt in Deutschland große Hotelketten. dass die Ausgaben für Bildung in Deutschland um der
Aber es gibt auch diejenigen, die zum Beispiel in Meck- Bildungsgerechtigkeit, um der Chancen für junge Leute
lenburg-Vorpommern 1990 ihr Geld in ein Hotel ge- und um der ökonomischen Leistungsfähigkeit willen
steckt haben oder die Mitte der 90er-Jahre unter vielen deutlich aufwachsen müssen.
Mühen in ländlichen und strukturschwachen Räumen
(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Völlig
eine kleine Pension aufgebaut haben. Diesen Unterneh-
richtig!)
men kommt heute der höhere Gewinn zugute. Sie kön-
nen investieren und steigende Kosten ausgleichen. Was Wir hatten zweitens alle zusammen begriffen, dass unser
Steuerpolitik betrifft, machen Sie eine reine Neidkampa- Handeln in der Bildungspolitik langfristig angelegt und
gne. unterlegt sein muss. Denn wer nur auf das nächste Jahr
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5009
Dr. Ernst Dieter Rossmann
(A) schaut, wird nicht dem gerecht, was in fünf, zehn oder was Gutes, indem es zehn Jahre vorausplant, und gleich- (C)
15 Jahren notwendig ist. zeitig etwas Ernüchterndes, denn 2 Milliarden Euro sind
dann eine nicht mehr ganz so bombastische Summe. Der
Wir hatten drittens zusammen erkannt, dass wir es Bund finanziert allerdings eine Sache zu 100 Prozent,
uns in Deutschland nicht leisten können, dass es bil- die eigentlich in der Zuständigkeit der Länder liegt.
dungsstarke und bildungsschwache Regionen gibt. Wenn die Länder nicht einmal mehr die 10 Prozent fi-
Aufgrund dieser drei Erkenntnisse haben die Minis- nanzieren können, die der Bund eigentlich von ihnen er-
terpräsidenten, egal welcher Couleur, und die Bundesre- wartet, dann zerbricht die finanzielle Kooperation.
gierung versucht, etwas Großes aufzubauen. Es liegt In diesem Fall ist die finanzielle Kooperation indirekt
nicht im Interesse von Bildung und Bildungschancen, zerbrochen, weil der Bund den Ländern zum ersten Mal
wenn es nun nur sehr magere und nicht erklärbare Er- das knallharte Angebot gemacht hat, alles allein zu fi-
gebnisse wie die vom Donnerstag gibt. nanzieren. Wollen wir dahin? Müssen nicht auch die
Frau Schavan, da es nicht nur um Finanzen, sondern Länder finanziell in der Lage sein, im Rahmen der
auch um das Kooperationsverständnis geht, möchte ich Bund-Länder-Kooperation zumindest 10 Prozent für die
eine dringliche Bitte an Sie richten: Die Sorgen der Län- Bildung zu leisten? Es gibt Bundesländer, die sagen: Wir
der dürfen nicht einfach als Parteipolitik und Finanzge- können nicht einmal diese 10 Prozent finanzieren. Nicht
schacher abgetan werden. Die Länder sorgen sich einmal die 12 Millionen Euro für das BAföG in Schles-
schließlich darum, unter welchen Voraussetzungen sie wig-Holstein können wir mitfinanzieren. Wir haben es
ihren im Vergleich zum Bund weit überproportionalen hier mit einem strukturellen Ungleichgewicht zu tun.
Anteil für die Bildungsabsicherung finanzieren können. Dieses Ungleichgewicht wird in Zukunft jede Bil-
Vorausschauende Ministerpräsidenten haben in diesem dungskooperation kaputtmachen. Meine zweite Bitte ist
Zusammenhang nicht nur das Haushaltsjahr 2011/2012, also, dass Sie rechtzeitig erkennen, dass die Mindestfi-
sondern auch die Schuldenbremse im Auge. Sie haben nanzierung durch die Länder funktionieren muss. An-
auch die strukturelle Unterfinanzierung ihrer Haushalte sonsten wird es keine strukturelle Bildungskooperation
im Auge. Sie fragen sich, wie sie den Korridor freibe- geben. Diese brauchen wir aber. Und zum Inhaltlichen,
kommen, um sowohl die schon jetzt aufzubringenden um auf Herrn Weinberg einzugehen:
Regelleistungen für Hochschulen und Schulen als auch Ich kann in Bezug auf unsere Agenda viele Dinge
die Aufwüchse zu finanzieren. Wenn der Bund den Län-
nennen, die wir brauchen. Dazu gehören die frühkindli-
dern keine Refinanzierungsmöglichkeiten über entspre- che Bildung, Ganztagsschulen und die Brücke – nicht
chende Einnahmeerhöhungen gibt, dann muss der Bund die Kette – im Übergang von der Schule ins Berufsleben.
selbst die Einnahmeverbesserung für die Bildung lang-
(B) fristig im Auge behalten. Dafür werben wir. Auch im Hochschulbereich dauert es aber nicht mehr (D)
lange und es wird eine Forderung nach einem zusätzli-
Der eigentliche Konflikt im Rahmen des Bildungs- chen Medizinerprogramm geben, weil die Medizineraus-
gipfels war, dass man sich nicht eingestanden hat, dass bildung teuer ist und es in diesem Bereich nicht genü-
der Aufwuchs der Bildungsmittel für die öffentliche Fi- gend Studienanfänger gibt. Wer soll das mitmachen?
nanzierung in Bund, Ländern und Kommunen durch na- Wenn es darauf hinausläuft, dass der Bund alles zu
türliches Wachstum und durch Einsparungen nicht mehr 100 Prozent finanziert, dann zerbricht die Struktur der
zu realisieren ist. Je früher dieses Bewusstsein durch die Zuständigkeiten und der Verantwortlichkeiten langsam;
Autorität der Bundesbildungsministerin sowie der Kanz- die Weiterbildung habe ich noch nicht einmal angespro-
lerin und durch die Einsicht der Ministerpräsidenten chen.
wächst, desto eher nähert man sich einem erfolgreichen
Ich komme zu meinem letzten Punkt: Frau Ministerin,
Bildungspfad für die Jahre 2015 bis 2020.
es ist wahrscheinlich aus Frustration erwachsen, dass ge-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des sagt wird: Es geht um Wettbewerb. Damit fallen Sie wie-
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) der auf Ihre alten Ansichten zurück. Am Anfang des Bil-
dungsgipfels stand die Vorstellung: Wir kommen nur
Je früher diese Einsicht auch bei den Liberalen kooperativ voran.
wächst, desto eher wird man erfolgreich sein. Es gibt
auch liberale Politiker wie zum Beispiel Herrn Kubicki (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
und andere, die aufgrund ihres analytischen Verständnis- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
ses erkannt haben, dass Folgendes nicht gleichzeitig
funktionieren kann: Bildungspriorität, Schuldenbremse, Dies sollten Sie beibehalten. Sie sollten das Kooperative,
Steuersenkung und Einsparung. Das muss man begrei- das Ausgleichende und das Zusammenführende betonen.
fen, um zukünftige Gipfel zum Erfolg zu führen. Da ist ein guter Ansatz beim Grundgesetz – in Bezug
nicht nur auf das Feststellen, sondern auch auf das Si-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ cherstellen – in die Diskussion gebracht worden.
DIE GRÜNEN)
Ich will einen Gedanken hinzufügen. Wir brauchen
Ich komme zu meinem zweiten Punkt: Er betrifft die diese Kooperation auch in Bezug auf das, was von der
Strategie. In Bezug auf das Bund-Länder-Verhältnis bei Kultusministerkonferenz geleistet werden kann. Denn
der Gestaltung von Bildung haben wir unsere Meinun- wenn die Kultusminister in einen Wettbewerb gegenein-
gen in Sachen „Pakt für die gute Lehre“ ausgetauscht. ander geschickt werden, dann gibt es keine Stärkung der
Wir sagen: Das Strecken auf zehn Jahre hat einerseits et- Bildung, der Mobilität und dessen, was ein Bedürfnis
5010 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Dr. Ernst Dieter Rossmann


(A) von Eltern und Kindern ist: überall in Deutschland den (Zurufe von der SPD: Ah ja!) (C)
gleichen Zugang zu Bildung zu haben. Im Gegenteil:
Am Gipfel waren die wesentlichen Führungspersonen
Man kommt zu Kooperation nur, wenn es einen inhaltli-
der SPD beteiligt. Wowereit, stellvertretender Parteivor-
chen Konsens gibt.
sitzender, Platzeck und Kurt Beck als vormalige Partei-
vorsitzende waren bei diesem Bildungsgipfel anwesend.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Rossmann, Sie wissen doch, dass Sie (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]:
die Redezeit längst überzogen haben. Seehofer auch, oder? – Swen Schulz [Span-
dau] [SPD]: Wo war Seehofer? Sagen Sie mal
was zu Seehofer! – Christian Lange [Back-
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): nang] [SPD]: Was war die Position von Herrn
Ich werbe mit Zustimmung des Präsidenten dafür, Seehofer?)
dass die Kooperation dadurch zunimmt, dass wir uns
auch im Bundestag um mehr Konsens bemühen. Das Beck hat nach diesem Gipfel die gemeinsame Position
müsste ganz im Interesse des Präsidenten sein. der SPD zusammengefasst: Er war nicht bereit, weitere
konkrete Maßnahmen zu beschließen. Noch schlimmer:
Danke schön. Er war nicht einmal bereit, über eine einzelne bildungs-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten politische Maßnahme zu diskutieren. Das Einzige, was
der LINKEN) ihn interessiert hat, war mehr Geld vom Bund, waren
mehr und höhere Umsatzsteuerpunkte für die Länder,
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Glauben
Als letztem Redner in dieser Aktuellen Stunde erteile Sie das eigentlich selber, was Sie da sagen? –
ich das Wort dem Kollegen Albert Rupprecht von der Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
CDU/CSU-Fraktion. GRÜNEN]: Waren Sie dabei? Woher wissen
Sie das?)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
und zwar ohne jegliche verbindliche Verpflichtung, dass
Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU): das Geld zusätzlich in Bildung fließt. Und das geht
nicht.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Der Bildungsgipfel (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
ist eine gemeinsame Sache. Erfolg kann es nur geben, Christian Lange [Backnang] [SPD]: Ja, das
wenn alle 16 Ministerpräsidenten zustimmen. Alle sitzen geht wirklich nicht, was Sie da sagen! Das
(B) (D)
im selben Boot. Im Übrigen sind alle im Deutschen Bun- geht nicht!)
destag vertretenen Parteien – auch die Linken, auch die
Es geht nicht, dass das Geld, das für Bildung gedacht ist,
Grünen, auch die SPD – an Landesregierungen beteiligt.
für marode Landeshaushalte, für Straßen oder für Spaß-
Ich glaube, Kritik ist am allerwenigsten gegenüber der
bäder verwendet wird. Das ist vollkommen unakzepta-
Bundesregierung angebracht; denn die Bundesregierung
bel. Die Bundeskanzlerin hat dieses Ansinnen zu Recht
steht zu dem, was sie gesagt hat. Diskussionsbedarf und
abgelehnt. Dies sollte von diesem Hause unterstützt wer-
Kritik gibt es in den Landesregierungen. Jede Partei und
den.
jede Fraktion ist gefordert, das in den eigenen Gruppie-
rungen und mit der eigenen Landesregierung zu bespre- Herr Kollege Schulz, zu Ihrer Argumentation, die Sie
chen. immer wieder anführen, dass es die Beschlüsse der Bun-
desregierung seien, die die Länder handlungsunfähig
Der Qualitätspakt Lehre mit zusätzlichen stattlichen
machten, und dass deswegen nicht mehr Geld für Bil-
Mitteln von 2 Milliarden Euro für die Hochschulen ist
dung zur Verfügung gestellt werden könne. Kollege
ein wichtiges Ergebnis des Gipfels. Richtig ist aber
Eckhardt Rehberg hat ausreichend darauf geantwortet.
auch: Wir wollten weitere konkrete Beschlüsse. Dass es
dazu nicht gekommen ist, lag nicht am Bund. Ganz im (René Röspel [SPD]: Ja, aber falsch! – Swen
Gegenteil: Die Bundesregierung und die christlich-libe- Schulz [Spandau] [SPD]: Sagen Sie doch mal
rale Koalition stehen zu den 12 Milliarden Euro mehr für was Richtiges! – Eckhardt Rehberg [CDU/
Forschung und Bildung in dieser Legislaturperiode. Wir CSU]: Die Wahrheit tut weh! Die Wahrheit tut
stehen zur Umsetzung des 10-Prozent-Ziels bis 2015. sehr weh!)
Wir stehen zu all diesen Zielen und Zahlen, weil wir
vom Ziel der Bildungsrepublik Deutschland überzeugt Nichtsdestotrotz ist es falsch, wenn behauptet wird, dass
sind. es keine Länder gebe, die mehr Geld zur Verfügung
stellten. Bayern beispielsweise stellt im Haushalt 2010
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 4 Prozent mehr für Bildung zur Verfügung. Baden-
Württemberg stellt 4,7 Prozent mehr für Bildung zur
Deswegen ist es vollkommen falsch, wenn Sie heute
Verfügung. In Bayern sind das über 300 Millionen Euro,
primär die Bundesregierung kritisieren. Es lag an den
in Baden-Württemberg 380 Millionen Euro pro Jahr.
Bundesländern; die Länder waren leider nicht zu mehr
bereit. Um es auf den Punkt zu bringen – Ministerin (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Und warum
Schavan war sehr zurückhaltend –: Es lag vor allem an haben sie dem 10-Prozent-Ziel nicht zuge-
den SPD-Ministerpräsidenten. stimmt?)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5011
Albert Rupprecht (Weiden)
(A) Das Ergebnis ist letztendlich, dass Bundesländer, die schaften unter dem grundgesetzlichen Schutz der Koali- (C)
über Jahre hinweg wirtschaftspolitisch gut gearbeitet tionsfreiheit ist das weitaus menschlichere System, und
und klare Prioritäten gesetzt haben – insbesondere Bun- nicht die zentralistische Kommandowirtschaft.
desländer, die über Jahre hinweg unionsgeführt waren –,
schon die Kraft haben, für Bildung Gelder freizumachen. Dieser Unterdrückungsapparat zeigte sich noch deut-
licher, als die Arbeiterinnen und Arbeiter auf die Straße
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – gingen und klar wurde, wie die DDR-Führung darauf re-
Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was hat agierte. Am 17. Juni 1953 setzte der selbsternannte Ar-
Seehofer dann auf dem Gipfel gemacht? Wir beiterstaat Panzer gegen seine Arbeiterinnen und Arbei-
sind gespannt auf die Debatte im Bayerischen ter ein. Diese Panzer waren die Verkörperung dessen,
Landtag!) was Hannah Arendt das „eiserne Band des Terrors“
Die Bundesregierung und die christlich-liberale Ko- nannte, mit dem ein jeder Totalitarismus den Raum der
alition stehen klar zur Priorität von Bildung und For- Freiheit zu unterdrücken sucht. Dieses „eiserne Band des
schung. Wir werden in den nächsten Wochen und Mona- Terrors“ fand seine Opfer: Über 50 Menschen starben
ten jede Maßnahme einzeln aufrufen und unseren Weg unmittelbar; anschließend wurden mehr als 13 000 Men-
unbeirrt weitergehen. Wir sind die treibende Kraft und schen verhaftet, mehr als 2 000 zu Gefängnisstrafen ver-
der stabile Faktor in der bildungspolitischen Debatte in urteilt und mindestens 20 Todesurteile vollstreckt. Diese
Deutschland. Das Angebot an die Länder steht nach wie Strafurteile zeigen eines ganz deutlich: In den formalen
vor. Wir bitten die Bundesländer, diesen Weg mitzuge- Mantel des DDR-Rechts wurde SED-Unrecht gehüllt;
hen. denn die brutale Unterdrückung des Willens der Men-
schen nach freien Wahlen und politischer Freiheit ist
Herzlichen Dank. nichts anderes als Unrecht.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Gestatten Sie mir diese Anmerkung: Diese Erkenntnis
Die Aktuelle Stunde ist beendet. sollte für uns selbstverständlich sein. Ich finde es im
Umfeld des heutigen Datums schon irritierend, wenn
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf: eine Bewerberin um das höchste Staatsamt öffentlich
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrachten diese Erkenntnis infrage stellt, weil sie der Ansicht ist,
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des sie könne mithilfe eines formaljuristischen Arguments
Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes leugnen, dass die DDR ein Unrechtsstaat war. Das halte
(B) ich im Umfeld dieses Datums für nicht akzeptabel. (D)
– Drucksache 17/1215 –
Überweisungsvorschlag: (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie
Rechtsausschuss (f) der Abg. Hans-Joachim Hacker [SPD] und
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Ausschuss für Kultur und Medien NEN] – Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN]: Sie wird nicht gewählt wer-
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die den! Keine Angst!)
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Der 17. Juni war nur die Spitze eines Eisbergs der
Unmenschlichkeit im SED- und Stasistaat. Die formale
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Ummantelung von SED-Unrecht, insbesondere durch
Marco Buschmann für die FDP-Fraktion das Wort.
das Strafrecht der DDR, hatte Methode. Tausende von
(Beifall bei der FDP) Menschen landeten über Jahrzehnte zu Unrecht in den
Gefängnissen der DDR. Daher ist es eine wichtige politi-
Marco Buschmann (FDP): sche Aufgabe, den formalen Mantel des DDR-Rechts zu
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen lüften und Straftäter von denjenigen zu unterscheiden,
und Kollegen! Der Titel unserer heutigen Debatte mutet die nichts Strafwürdiges getan haben, sondern SED-
technisch an; aber bei der Diskussion um die Änderung Recht erleiden mussten. Den Opfern muss Rehabilitie-
des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes geht es um rung und Hilfe zuteil werden. Der FDP war und ist die
weit mehr als um Rechtstechnik. Es darf nicht nur um Würdigung der Menschen, die Opfer des SED-Unrechts-
Rechtstechnik gehen, wenn wir diese Frage wie heute an staates wurden und sich gegen ihn erhoben, stets ein
einem 17. Juni behandeln; denn dieses Datum muss uns wichtiges Anliegen.
mit Blick auf den menschenverachtenden Totalitarismus
Aus diesem Grund begrüßen wir ausdrücklich die
der DDR und ihres Unterdrückungsapparates stets Mah-
Bundesratsinitiative der Länder Sachsen, Mecklenburg-
nung und Warnung sein.
Vorpommern und Niedersachsen zur Änderung des
Dieser Unterdrückungsapparat offenbarte sich schon Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes. Die Erfahrun-
in der Vorgeschichte des 17. Juni 1953; denn die willkür- gen mit dem Vollzug des Dritten SED-Unrechtsbereini-
liche Erhöhung der Arbeitsnormen anlässlich des gungsgesetzes haben uns gezeigt, dass an verschiedenen
60. Geburtstags von Walter Ulbricht zeigte: Unsere so- Stellen Nachbesserungsbedarf besteht. Diesem wollen
ziale Marktwirtschaft mit Tarifautonomie und Gewerk- wir zügig nachkommen.
5012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Marco Buschmann
(A) Darüber hinaus gibt es Forderungen aus den Reihen kurz nach der Umsetzung des Gesetzes wurden Forde- (C)
der Opferverbände, die über die vereinbarten Maßnah- rungen laut, es nachzubessern. Beim Vollzug des Geset-
men hinausgehen. Das haben wir im Blick. Ich glaube, zes hat sich nämlich herausgestellt, dass die Berechnung
auch im Interesse der Opfer sagen zu können: Wir soll- des anzurechnenden Einkommens der Opfer in der Pra-
ten jetzt zügig zuerst jene Maßnahmen angehen, über die xis zu Ungleichbehandlungen führt.
weitgehend Einigkeit besteht; denn nicht wenige Opfer
Ich möchte in diesem Zusammenhang auf einige As-
haben ein Alter erreicht, das eine schnelle Entscheidung
pekte hinweisen.
erfordert. Das Zögern bis zum großen Wurf könnte die
ungewollte Folge haben, dass für viele der Opfer die Der erste Aspekt betrifft die Einkommensgrenzen. Es
Hilfe, die wir hoffentlich alle wollen, zu spät kommt. hat sich bei der Anwendung des Gesetzes gezeigt, dass
die Festlegung der Einkommensgrenzen unzureichend
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
ist. Gegenwärtig wird die Opferrente nach pauschalen
Was alle weiteren Vorschläge angeht, so kann ich Ih- Einkommensgrenzen berechnet.
nen versichern: Wir werden ausloten, was möglich ist.
Wer als alleinstehende Person mehr als 1 077 Euro
(Beifall der Abg. Halina Wawzyniak [DIE netto monatlich verdient, erhält die Opferrente nicht. Bei
LINKE]) einer in Partnerschaft lebenden Person liegt die Einkom-
mensgrenze bei 1 436 Euro ohne Berücksichtigung des
Das ist wichtig und richtig; denn der mutige Einsatz der
Partnereinkommens. § 17 a des Strafrechtlichen Rehabi-
Menschen für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlich-
litierungsgesetzes sieht also lediglich zwei unterschiedli-
keit muss anerkannt und gewürdigt werden. Es darf nicht
che Einkommensgrenzen vor. Einen besonderen Freibe-
sein, dass Menschen, die Opfer systematischer Bespitze-
trag für den Unterhalt eigener Kinder gibt es für die
lung wurden, mit einer bestimmten Verwaltungspraxis
Opfer gegenwärtig nicht.
konfrontiert werden – einige Landesbehörden verstoßen
unter Verweis auf den Amtsermittlungsgrundsatz gegen Der zweite Aspekt betrifft das staatliche Kindergeld.
das Gesetz – und den Eindruck bekommen, sie wären Nach dem bestehenden Gesetz wird das Kindergeld als
wieder Gegenstand von permanenter Überwachung, an- Einkommen der Antragsteller angerechnet. Es handelt
statt rehabilitiert zu werden. Das ist eines der vielen Bei- sich beim Kindergeld jedoch um eine Leistung, die aus-
spiele für die sinnvollen Maßnahmen, die wir im Paket schließlich zur Deckung des notwendigen Lebensbedarfs
finden. Deshalb sind das gute Vorschläge. Der mutige der Kinder vorgesehen ist.
Einsatz der Menschen muss geachtet werden. Sie müs-
sen rehabilitiert werden. Sie brauchen Hilfe, und zwar Was bedeuten die beiden vorgenannten Aspekte für
nicht nur am 17. Juni. die Berechnung der Opferrente? Familien mit Kindern
(B) erhalten im Falle eines geringen Einkommens und bei (D)
Herzlichen Dank. Bezug von Kindergeld oftmals keine Entschädigung.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Die Alleinerziehenden, die ohnehin häufig am Rand der
der CDU/CSU) Gesellschaft stehen, sind hiervon besonders betroffen.
Dies stellt eine nicht hinzunehmende Benachteiligung
dar, die beseitigt werden muss.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das Wort hat nun Sonja Steffen für die SPD-Fraktion. Der Änderungsentwurf sieht Folgendes vor: Zum ei-
nen sollen Freibeträge für unterhaltsberechtigte Kinder
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) in Höhe von derzeit 359 Euro je Kind berücksichtigt
werden. Zum anderen soll das staatliche Kindergeld als
Sonja Steffen (SPD): Einkommen nicht mehr angerechnet werden. Diese vor-
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und gesehenen Änderungen sind grundsätzlich zu begrüßen,
Kollegen! Gesine Schwan hat heute Morgen eine ein- ebenso der beabsichtigte Abzug der angemessenen be-
drucksvolle Rede zum 17. Juni 1953 gehalten, dem Tag, trieblichen Altersvorsorge vom Einkommen.
an dem in der DDR mehr als eine halbe Million Men-
Aus meiner Sicht ist es bei der Diskussion über den
schen gegen die SED-Politik auf die Straße gingen und
Änderungsentwurf allerdings erforderlich, auch über die
über 6 000 Protestierende inhaftiert wurden. Dieser Ge-
gegenwärtig unterschiedlich hohen Einkommensgrenzen
denktag ist ein guter Tag, um hier im Deutschen Bundes-
bei Alleinstehenden und bei Opfern, die in einer Paarbe-
tag erneut über die Entschädigung für die Opfer der an-
ziehung sind, noch einmal nachzudenken. Es mutet un-
schließenden politischen Verfolgungen zu diskutieren.
gerecht an, dass das Gesetz die in Partnerschaft lebenden
Im Juni 2007 hat der Deutsche Bundestag die Einfü- Opfer mit höheren Freibeträgen versieht als die alleinste-
gung der Vorschrift des § 17 a in das Strafrechtliche Re- henden Opfer. Der Bundestag hat die unterschiedlichen
habilitierungsgesetz beschlossen. Sie trägt die Über- Freibeträge im Jahr 2007 festgelegt, weil man davon
schrift „Besondere Zuwendung für Haftopfer“. Seitdem ausging, dass die meisten Anspruchsteller, die mit einem
erhalten politisch Verfolgte, die in der DDR mindestens Partner zusammenleben, diesen regelmäßig finanziell
ein halbes Jahr in Gefängnissen wie Hohenschönhausen unterhalten müssen. Um diese fiktive Belastung aufzu-
oder Bautzen inhaftiert gewesen sind, monatlich bis zu fangen, wurde die Einkommensgrenze für die Opfer in
250 Euro als sogenannte Opferrente. Heute, 20 Jahre Paarbeziehungen erhöht. Hier wird die Bundesregierung
nach der deutschen Einheit, wird die Rente an ungefähr aufgefordert, zu ermitteln, ob die in Partnerschaft leben-
42 000 frühere politische DDR-Häftlinge gezahlt. Schon den Berechtigten tatsächlich Unterhaltsverpflichtungen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5013
Sonja Steffen
(A) gegenüber ihren Partnern haben, die diese Ungleichbe- Bürgerinnen und Bürger in Ostberlin und der gesamten (C)
handlung gegenüber Alleinstehenden rechtfertigen. sowjetischen Besatzungszone vor Augen geführt. Es wa-
ren damals der Wunsch und die Hoffnung der Arbeiter
Nun zu einem letzten Aspekt der vorgesehenen Ände- und der Studenten, der Hunderttausenden Demonstran-
rung des Gesetzes. Die Opferrente soll zukünftig nicht ten in Ostberlin, in Magdeburg, Merseburg, Halle, Bit-
mehr Personen gewährt werden, die zu einer Freiheits- terfeld, Leipzig, Jena und Brandenburg an der Havel:
strafe von mindestens drei Jahren wegen einer vorsätzli- Mit dem Deutschlandlied auf den Lippen trugen sie Pla-
chen Straftat rechtskräftig verurteilt worden sind. He- kate mit der Aufschrift: „Wir wollen freie Menschen
rauszuheben ist in diesem Zusammenhang der Fall eines sein! Wir wollen freie Wahlen!“
Straftäters, der wegen schwerster Sexualdelikte und we-
gen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verur- 1989 haben die Montagsdemonstrationen diese For-
teilt wurde und nun Anspruch auf die Opferrente erhebt. derungen unter dem Banner „Einigkeit und Recht und
Die Opferrente dient der besonderen Anerkennung und Freiheit“ wieder aufgenommen. Mutige Bürger in den
Würdigung der Opfer politischer Verfolgung in der ehe- Städten Ostdeutschlands haben mit diesem Leitspruch
maligen DDR. Deshalb wird sie häufig auch als Ehren- friedlich die Einheit in Freiheit erkämpft. Der 17. Juni
rente bezeichnet. Sie soll daher nach dem Änderungsent- 1953 – wir haben es heute Morgen gehört – und der
wurf nicht Straftätern gewährt werden, deren Taten auch 3. Oktober 1990 gehören deshalb historisch untrennbar
nach bundesdeutschem Recht strafwürdig sind. zusammen.
Dieses Vorhaben verdient grundsätzlich Anerken- Ich muss das Gedenken an den 17. Juni hier jetzt
nung. Jedoch ist bei der Umsetzung Sensibilität gefragt nicht weiter fortführen; das haben wir bereits heute Mor-
und das Augenmerk auf den Einzelfall zu richten. Häu- gen getan. Ein Volk gedenkt, um nicht zu vergessen. Zur
fig waren es sehr junge Menschen, die wegen unvorsich- Erinnerung gehört auch die Aufarbeitung. Das sind wir
tiger Äußerungen und Handlungen für Jahre in Stasige- den Opfern und einer verantwortungsvollen Zukunftsge-
fängnissen unter widrigsten Umständen inhaftiert waren. staltung schuldig. Deshalb kann und darf die Aufarbei-
Zurück blieben nach dem Verbüßen der Strafen oftmals tung des SED-Unrechts nicht beendet sein.
gebrochene Personen mit psychischen Schäden, die im
normalen Leben nicht mehr Fuß fassen konnten. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
Wir sollten die beabsichtigte Änderung des Gesetzes
zum Anlass nehmen, die sozialen Ungerechtigkeiten aus Das gilt im Bereich der Rechtspolitik, auch im Besonde-
dem Weg zu schaffen und die Opferrente denjenigen zu- ren bei den Rehabilitierungs- und Entschädigungsgeset-
zuerkennen, die sie aufgrund erlittenen Unrechts ver- zen. Deshalb hat die christlich-liberale Koalition in ih-
(B) dient haben. rem Koalitionsvertrag vereinbart, das System der (D)
Rehabilitierung und Entschädigung laufend zu überprü-
Vielen Dank. fen und offenbarem Regelungsbedarf zur Verbesserung
der rehabilitierungsrechtlichen Situation von Betroffe-
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP
nen Rechnung zu tragen.
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: NEN]: Da sind wir gespannt!)
Das Wort hat nun Andrea Voßhoff für die CDU/CSU- Um diese Aufarbeitung haben sich fast alle Regie-
Fraktion. rungsfraktionen dieses Parlaments in den vergangenen
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 20 Jahren in unterschiedlichen Koalitionen immer wie-
der bemüht. Ich sehe in allen Fraktionen viele Kollegen,
mit denen wir schon häufig konstruktiv, wie ich denke,
Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU):
über das Thema diskutiert haben. Bei den Linken muss
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! man bis heute ja die Aufrichtigkeit der Aufarbeitung der
Heute, am 17. Juni 2010, diskutieren wir in diesem Ho- SED-Diktatur bezweifeln. Wenn zuletzt im Mai dieses
hen Hause wieder einmal über Vorschläge zur Verbesse- Jahres die innenpolitische Sprecherin der Linken in ei-
rung des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes und nem Grußwort zur jährlichen Tagung ehemaliger haupt-
damit der SED-Unrechtsbereinigung, in diesem Fall amtlicher Mitarbeiter des Stasiauslandsgeheimdienstes
über Vorschläge des Bundesrates. Das historische Datum diese für ihren – ich zitiere – „mutigen Einsatz“ lobt und
heute ist nicht zufällig das Datum dieser ersten Lesung, dann noch – ich zitiere weiter – „das himmelschreiende
sondern wurde von der christlich-liberalen Koalition be- Unrecht“ gegenüber diesen Stasileuten beklagt, dann
wusst so gewählt. Auch wenn die Tagesordnung des muss man sich schon fragen, wie ernst bei den Linken
heutigen Plenums schier endlos erscheint und die The- die kritische Aufarbeitung gesehen wird.
men unterschiedlicher nicht sein könnten, erlaube ich
mir die Anmerkung, dass dieser Tagesordnungspunkt im (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Marco
Nachgang zur Gedenkstunde heute gut, richtig und Buschmann [FDP]: Unverschämtheit!)
wichtig ist.
Kollege Buschmann hat es schon erwähnt, auch die
Warum sage ich das? Die Feierstunde heute früh hat Äußerungen Ihrer Kandidatin von den Linken, Frau
uns allen nochmals die Bedeutung der Ereignisse des Jochimsen, schreien zum Himmel. Ich darf – ich denke,
17. Juni 1953 und den Freiheitswillen der mutigen das ist hier angemessen – aus einer Rede des ehemaligen
5014 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Andrea Astrid Voßhoff


(A) Bundespräsidenten Roman Herzog, eines ausgewiesenen wirklich gelungen ist – ich darf an dieser Stelle von mei- (C)
Verfassungsexperten, zu dem Thema etwas vorlesen: ner Fraktion den Kollegen Arnold Vaatz nennen –, die
SED-Opferpension in Höhe von 250 Euro im Strafrecht-
Die DDR war natürlich mehr als eine Diktatur. Sie lichen Rehabilitierungsgesetz zu verankern. Ich denke,
war auch der Lebensrahmen für Menschen, die sich das ist ein Erfolg; das darf man auch einmal sagen.
mit Fleiß und Energie engagierten: am Arbeitsplatz,
im privaten Umfeld, in der Familie, in den Kirchen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Viele Hemmnisse des Systems wurden durch Im- der FDP)
provisation und bewundernswertes Geschick über-
wunden. … Das kann und darf freilich nicht Grund Die Opferpension ist nämlich ein wichtiger Baustein der
für eine nachträgliche Verklärung der DDR sein. rechtsstaatlichen Wiedergutmachung geworden; die An-
Die DDR verweigerte ihren Bürgern die grundle- tragszahlen hatte ich in diesem Zusammenhang genannt.
genden demokratischen Rechte, sie machte Opposi- Jetzt komme ich zu der Initiative des Bundesrates; die
tionelle mundtot und schreckte in Einzelfällen nicht einzelnen Bestandteile sind hier und heute schon ge-
einmal vor Mord oder Verschleppung zurück. Sie nannt worden. Es gibt eine Vielzahl von Punkten, an de-
war ein Unrechtsstaat! nen wir – ich denke, das ist Konsens – bei den bestehen-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) den Regelungen Korrekturbedarf sehen. Ich freue mich,
dass in dieser Frage auch Konsens mit der Opposition
Seit dem Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz besteht. Die Details werden wir in den Beratungen si-
aus dem Jahr 1992 haben wir in fast 20 Jahren in dieser cherlich noch besprechen können.
Frage, wie ich finde, einen durchaus erfolgreichen Weg
zurückgelegt, auch wenn es noch viele Probleme in dem Die Klarstellung, wie die Berechnung der Mindest-
Bereich gibt. Wir alle, die wir uns mit dieser Thematik haftzeit zu erfolgen hat, halte ich für einen wichtigen
beschäftigen, wissen das. Ich denke, wir haben viel er- Punkt, ebenso die Verbesserungen für Familien mit Kin-
reicht. Lassen Sie mich ein paar Punkte dazu sagen. dern, dass Betroffene mit Kindern finanziell nicht
schlechter gestellt werden dürfen als Betroffene, die
Die Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur hat keine Kinder haben und die Rente beantragen. Es gibt
seit ihrer Gründung über 1 700 Projekte vor allem in der eine Vielzahl weiterer Punkte, bei denen wir sagen: Hier
Arbeit mit jungen Menschen gefördert, um über das besteht Handlungsbedarf. – Die christlich-liberale Koali-
DDR-Unrechtssystem aufzuklären. Über 1,7 Millionen tion ist hier übrigens schon bei der Arbeit.
Besucher haben sich seit 1994 in der Gedenkstätte Ho-
henschönhausen einen Eindruck über die perfiden Fol- Natürlich können wir die fiskalischen Zwänge nicht
termethoden der Stasi verschaffen können. Durch das ignorieren. Aber im Rahmen unserer Möglichkeiten
(B) Bundesamt für offene Vermögensfragen sind für rechts- werden wir diesem Korrekturbedarf, den auch die Bun- (D)
staatswidrige Enteignungen in fast 500 000 Fällen Ent- desländer angemahnt haben, nachkommen und schauen,
schädigungen geleistet worden. Bei der BStU sind seit was wir in diesem Bereich umsetzen können. Ich denke,
Inkrafttreten des Stasi-Unterlagen-Gesetzes über 6 Mil- das kommt den Opfern und denjenigen, die in besonde-
lionen Anträge auf Auskunft und Akteneinsicht gestellt rer Weise gelitten haben, zugute.
worden, davon allein 2,6 Millionen von Privatpersonen.
Seit 1990 sind allein im Bereich des Strafrechtlichen Re- Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Seit dem
habilitierungsgesetzes in den ostdeutschen Ländern etwa friedlichen Erreichen der deutschen Wiedervereinigung
180 000 Anträge auf gerichtliche Rehabilitierung ge- am 3. Oktober 1990 sind wir in Deutschland in den letz-
stellt worden. Seit Einführung der Opferpension im Sep- ten 20 Jahren gemeinsam und mit ganzer Kraft auf dem
tember 2007 sind 68 000 Anträge auf Erhalt der Opfer- Weg nach Einheit in Freiheit, wie ich glaube, ein Stück-
pension gestellt und 48 000 auch bewilligt worden. Ich chen vorangekommen. Die christlich-liberale Koalition
finde schon, dass dies im Lichte der Diskussionen, die wird es nicht zulassen, dass ein dunkelrotes Tuch über
wir in diesen Fragen immer wieder führen, eine sehr die Vergangenheit gelegt wird.
gute Bilanz ist, auch wenn ich weiß, dass es in dem Be-
(Widerspruch bei der LINKEN)
reich noch vieles zu klären gilt.
Ich darf an dieser Stelle darüber hinaus auch den vie- Wir können das jahrzehntelange Unrecht nicht rück-
len ehrenamtlichen Helfern der Opferhilfe, denjenigen, abwickeln. Wir können mit den Bestandteilen dieser Ini-
die in Opferverbänden tätig sind, den Opfern zur Seite tiative des Bundesrates aber weiter dafür Sorge tragen,
stehen und so eine wichtige Arbeit leisten, ganz herzlich das Unrecht etwas abzumildern, und den Opfern in Teil-
Dank sagen. bereichen ein Stück weit entgegenkommen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie In diesem Sinne freue ich mich auf die anstehenden
bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- Beratungen und bedanke mich fürs Zuhören.
NISSES 90/DIE GRÜNEN) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Meine Damen und Herren, ich erwähnte es: Jeder von
Ihnen, der sich mit dem Thema befasst, kennt aus vielen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Schilderungen der Opfer die Problemfälle, die Schick- Das Wort hat nun Halina Wawzyniak für die Fraktion
sale, die Schwierigkeiten, die die Opfer in ihrem Umfeld Die Linke.
und bei der Geltendmachung ihrer Ansprüche haben. Ich
freue mich, dass es uns in der letzten Legislaturperiode (Beifall bei der LINKEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5015

(A) Halina Wawzyniak (DIE LINKE): für die Grundwerte der Demokratie und des Rechtsstaa- (C)
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und tes sollte unabhängig von der Haftdauer prämiert wer-
Kollegen! Das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz den.
soll erneut geändert werden. Der in der letzten Wahlpe-
Wir fordern, alle Antragsfristen in den Rehabilitie-
riode neu eingeführte § 17 a soll umfangreiche Änderun-
rungsgesetzen komplett zu streichen. Oftmals brauchen
gen erfahren, Änderungen, die zumindest die handwerk-
die Opfer längere Zeit, um die für sie negativen und zum
lich groben Unzulänglichkeiten des bisherigen Gesetzes
Teil auch sehr traumatischen Erfahrungen verarbeiten zu
beseitigen und damit die Zahl der Berechtigten, die eine
können. Der Gesetzgeber hat zu respektieren, dass sich
monatliche Opferrente erhalten sollen, erhöhen. Deshalb
die Betroffenen beim Umgang mit ihrer Biografie von
– jetzt ist Ihre Aufmerksamkeit gefragt – wird meine
höchstpersönlichen Grundsätzen leiten lassen. Das Be-
Fraktion dem Gesetz auch zustimmen. Denn die Verbes-
dürfnis der Verwaltungen, Vorgänge in begrenzter Zeit
serungen, die die bundesweit geschätzten 3 000 An-
abschließen zu wollen, muss hinter dem Anspruch der
spruchsberechtigten erfahren, sind zu begrüßen.
Betroffenen zurückstehen.
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN)
Insgesamt aber bleiben das Gesetz und insbesondere
Wir sind der Ansicht, dass die den Opfern auferlegte
der § 17 a weit hinter den Anforderungen an ein gerech-
Beweislast hinsichtlich der Kausalität zwischen der frei-
tes Opferrentengesetz zurück. Die Fraktion Die Linke
heitsentziehenden Maßnahme und der infolge dieser
hatte bereits in der 16. Wahlperiode einen Gesetzentwurf
Freiheitsentziehung erlittenen Schädigung zumindest in
vorgelegt, der solchen Anforderungen standhalten
eine Beweisvermutung umgewandelt werden sollte. Dies
würde.
erspart den Betroffenen neues Leid durch die aufwen-
Die Linke fordert eine Opferrente, unabhängig von dige und langwierige Anerkennung der Folgeschäden.
dem aktuellen Einkommen der Betroffenen, in Höhe von Es ist demütigend und ungerecht, für einen Anspruch auf
511 Euro. Wir wollen, dass weitere Personengruppen, Haftfolgeschäden entwürdigende Gesundheitsprüfun-
die in der DDR politisch verfolgt wurden, Anspruch auf gen über sich ergehen lassen zu müssen.
eine solche Rente erhalten; dabei handelt es sich bei-
Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass es auch an
spielsweise um Schülerinnen und Schüler, denen aus
Ihren eigenen Ansprüchen vorbeigeht, dass die Unterstüt-
politischen Gründen ein Bildungsweg versagt wurde,
zungsleistung in Abhängigkeit vom Einkommen gewährt
oder um Bürgerinnen und Bürger, die Opfer von Zerset-
wird. Ich frage Sie: Welchen Status hat eine Anerken-
zungsmaßnahmen wurden. Wir wollen, dass ehemals In-
nung durchlittenen Unrechts, die vom Einkommensni-
haftierte nicht bürokratisch nachweisen müssen, dass sie
(B) veau der Bezugsberechtigten abhängig gemacht wird? (D)
gesundheitliche Schäden erlitten haben. Wir plädieren
Wollen Sie den Mut dieser Menschen ehren, oder wollen
dafür, dass es keine Befristung für Anträge auf Opferren-
Sie eine bisweilen demütigende Offenlegung ihrer Ein-
ten gibt.
kommensverhältnisse?
Bedauerlich ist, dass die Nutznießer des neuen § 17 a
Es bleibt zum Schluss nur festzustellen, dass auch
nur jene Opfer von DDR-Unrecht werden, die mittler-
durch diese Gesetzesänderung keines der benannten Pro-
weile zu den Ärmsten zählen. Das wirkt so, als ginge es
bleme gelöst wird. Trotzdem gebieten es der Respekt
weniger um eine Opferrente denn um einen Sozialaus-
und die Achtung vor den Leistungen der in der DDR
gleich, der Armut lindern soll. Die Botschaft dabei ist:
politisch Verfolgten, dieser Gesetzesänderung zuzustim-
Gewürdigt wird nicht mehr das Engagement der Betrof-
men. Wir als die Fraktion Die Linke und auch wir als
fenen für Demokratie, Bürgerrechte und Freiheit zu
Partei sind uns unserer Verantwortung in dieser Frage
DDR-Zeiten. Gewürdigt wird lediglich die aktuelle Be-
sehr bewusst.
dürftigkeit der Anspruchsberechtigten im heutigen All-
tag. Genau das ist zu wenig. (Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Das in Art. 17 des Einigungsvertrages formulierte Das Wort hat nun Kollege Wolfgang Wieland für die
Ziel einer unverzüglichen und angemessenen Entschädi- Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
gung der Opfer von politischem Unrecht in der DDR
wird auch mit dieser Änderung nicht erreicht. Mit den
bestehenden Gesetzen zur berufsrechtlichen Rehabilita- Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
tion und auch mit der hier und heute zu beratenden Ge- Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
setzesänderung wird dieses Ziel bedauerlicherweise Kolleginnen und Kollegen der CDU/CSU-Fraktion, viel-
nicht verfolgt. Lassen Sie mich in Kürze nochmals un- leicht können wir uns ja darauf einigen, dass jedenfalls
sere Kritikpunkte zusammenfassen: der Schlusssatz von Gesine Schwan, wonach wir alle uns
die Frage stellen müssen, ob wir uns der Opfer des
Es ist für uns nicht nachvollziehbar, warum an der ho- 17. Juni immer würdig erweisen, von uns allen unter-
hen Mindesthaftdauer von sechs Monaten – nunmehr stützt werden kann.
präzisiert: 180 Tage – festgehalten wird. Auch durch
eine Haft von unter sechs Monaten können Inhaftierte in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
ihrer Menschenwürde grob verletzt werden. Der Einsatz des Abg. Hans-Joachim Hacker [SPD])
5016 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Wolfgang Wieland
(A) Wenn es so ist – es fällt Ihnen schwer, das anzuerkennen; an Stalin sehen, wir sollten in Walter Ulbricht den gro- (C)
ich sehe das, aber denken Sie darüber nach –, muss ich ßen Staatsmann sehen usw. usf.
das Wort zunächst natürlich an die Linksfraktion richten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Frau Kollegin Wawzyniak, ich muss Ihnen sagen, was bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP –
ich in der Vergangenheit auch Ihrem Kollegen Schneider Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist
immer gesagt habe: Sie sagen hier, Sie übernähmen die doch Quatsch! So ein Unfug!)
Verantwortung. Wir haben wieder kein Wort der Ent-
schuldigung gehört, wir haben kein Wort der Reue ge- Ihr Kollege Dietmar Bartsch gibt uns gerade die Ehre
hört, und vor allen Dingen fehlt nach wie vor jede finan- seiner Anwesenheit. Er könnte wie kein Zweiter sagen,
zielle Geste Ihrer Partei. wo das Parteivermögen der SED geblieben ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP – bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Ab-
Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das geordneten der SPD)
wird nicht richtiger, wenn es immer wiederholt
wird!) Gerade hat die Bundesrepublik einen Prozess in der
Schweiz gewonnen. Vor dem Obergericht des Kantons
Ich habe es schon einmal gesagt: Sie benehmen sich wie Zürich ging es um 230 Millionen Euro. Es ging um Gel-
ein Angeklagter, der sich seinen Taten nicht stellt, der der, die Ihre Partei auf dem Umweg über Novum bzw.
nicht um Entschuldigung bittet und der keine Reue zeigt, über die sogenannte rote Fini hinter die sieben Berge in
(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sollen die Schweiz geschafft hat, nach dem Vorbild der kapita-
wir uns alle aufhängen? Was wollt ihr denn?) listischen Steuerhinterziehung. Von denen zu lernen, ha-
ben Sie sich vermutlich gesagt, heißt, überleben zu lernen.
sondern sagt: Der Hauptskandal ist, dass dieser Staat Das ist der Umgang Ihrer Partei mit der Vergangenheit in
meine Opfer nicht richtig entschädigt. – Das halten wir der Praxis. Der Kollege Bartsch hat dazu laut Focus ge-
für nicht glaubwürdig, um das hier noch einmal ganz sagt: „Das ist eine Geschichte aus dem vorigen Jahrhun-
deutlich zu sagen. dert“. Sagen Sie bitte nicht, dass Sie mit Ihrer Vergangen-
heit ernsthaft abgerechnet hätten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Ab-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: geordneten der SPD)
(B) Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der (D)
Wir haben vor drei Jahren das Gesetz zur Zahlung ei-
Kollegin Wawzyniak? ner Opferpension beschlossen. Rot-Grün hatte es nicht
geschafft; auch Schwarz-Gelb hatte es nicht geschafft.
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Große Koalition hat es gemacht. Wir haben es sei-
Ich gestatte gerne eine Zwischenfrage. nerzeit anerkannt, weil es immerhin ein erster Schritt
war. Wir haben aber auch darauf hingewiesen, welche
Halina Wawzyniak (DIE LINKE): Mängel noch bestehen. Ich erinnere mich lebhaft an die
Herr Kollege Wieland, würden Sie zur Kenntnis neh- Diskussionen mit den Opferverbänden in Görlitz, Herr
men, dass bereits auf dem Sonderparteitag der SED/PDS Kollege Vaatz. Man kann zwar nicht jedem Wunsch
eine Entschuldigung der SED an das Volk der DDR er- nachgeben; aber man muss gerade bei diesem Thema, zu
folgt ist? Würden Sie zur Kenntnis nehmen, dass es di- dem sozusagen eine Mängelrüge gekommen ist und uns
verse Erklärungen gibt, in denen die Vorgängerpartei der gesagt wurde, was wir als Gesetzgeber schlecht geregelt
Linken, die PDS, sich beim Volk der DDR für das be- haben – Frau Kollegin Steffen hat darauf hingewiesen –,
gangene Unrecht entschuldigt hat? Würden Sie zur ernsthaft darüber diskutieren, welche Änderungen man
Kenntnis nehmen, dass es bei uns einen jahrelangen Pro- vornimmt, beispielsweise bei den Kinderfreibeträgen.
zess der intensiven Auseinandersetzung mit unserer ei- Wir dürfen angesichts der kleinen Änderungen nicht
genen Vergangenheit gegeben hat? vergessen, dass die großen Schritte tatsächlich ausblei-
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) ben. Ich will nur die wichtigsten Mängel benennen. Wir
haben keine echte Ehrenpension, sondern nach wie vor
nur eine Haftentschädigung. Immerhin gibt es sie, aber
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): es ist nur eine Haftentschädigung. Eine Entschädigung
Ich habe gerne zur Kenntnis genommen, Frau Kolle- für alle Opfer und Verfolgten fehlt nach wie vor.
gin Wawzyniak, dass es diese Erklärungen gab, aber uns
reichen papierene Erklärungen nicht aus. Wir wollen Es bleibt auch bei dem Erfordernis von sechs Mona-
auch Handlungen sehen. Wir wollen nicht sehen, dass ten Haft, auch wenn es jetzt 180 Tage sind. Die Formu-
Ihre gerade gewählte Parteivorsitzende beispielsweise zu lierung „180 Tage“ ist sicherlich richtig; aber es stellt
Versammlungen früherer Tschekisten geht und dort sich die Frage, was mit denen ist, die kürzer in Haft wa-
Grußbotschaften ausrichtet. Wir wollen nicht hören, dass ren. Wie wir wissen, gab es nach der Schlussakte von
Ihre gerade gewählte stellvertretende Parteivorsitzende Helsinki kürzere Strafen. Dieses Problem muss gelöst
uns unentwegt erklärt, wir sollten auch die guten Seiten werden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5017
Wolfgang Wieland
(A) Wir haben die große Frage der Einbeziehung des so- rung der Partei etwas weiß. Das sind die sachlichen Fak- (C)
genannten rentenrechtlichen Nachteilsausgleichs zu be- ten.
antworten. Dass gerade diejenigen, die besonders gelit-
Es ist nie etwas aufgetaucht,
ten haben und besonders verfolgt wurden, nunmehr eine
Anrechnung des Nachteilsausgleichs auf die Opferpen- (Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: So ein
sion erleiden, erscheint uns widersinnig. Das hat der Zufall!)
Bundesrat bisher nicht bedacht; es ist nicht berücksich-
was unserem Vermögen zugeordnet werden konnte und
tigt worden.
was zu einer Strafzahlung geführt hätte. – Wollen Sie
Es gibt, wie Sie wissen, keine Entschädigung für Op- Rechtsstaatlichkeit oder nicht? Die gesamten Vermö-
fer von Zersetzungsmaßnahmen, die beispielsweise in gensfragen sind rechtsstaatlich abgewickelt worden.
die Zwangspsychiatrie eingewiesen wurden, und es gibt
(Beifall bei der LINKEN)
keine Entschädigungen für verfolgte Schülerinnen und
Schüler. Wer in den 50er-Jahren aus politischen Gründen Das Vermögen ist für den Aufbau in den neuen Ländern
seinen Schulabschluss nicht machen durfte und bis 1969 zur Verfügung gestellt worden. Tun Sie in der Öffent-
nur auf niedrigster Stufe am Erwerbsleben teilhaben lichkeit nicht immer so, als hätte die Linke in irgend-
durfte, erhält bisher nichts. Hier sind bedeutende Grup- einer Weise irgendetwas vom Vermögensbestand der
pen nicht bedacht und teilweise auch ausgegrenzt wor- SED übernommen. Es ist schlicht die Unwahrheit, und
den. sie wird auch durch ständige Wiederholung nicht besser.
Wir werden diesem Gesetzentwurf, wenn er im Ver- (Beifall bei der LINKEN – Dr. Dagmar
fahren noch stimmiger gemacht werden wird, zustim- Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist bei der
men. Wir sind uns aber bewusst, dass dies nur ein kleiner CDU und der FDP ein bisschen anders gewe-
Schritt ist. Wir haben mit Interesse vernommen, dass der sen!)
Koalitionsarbeitskreis daran arbeitet; dies hat der Kol-
lege Buschmann ja gesagt. Vielleicht wird an dieser Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Stelle etwas daraus; richtig hoffen tut man es nicht mehr. Kollege Wieland, bitte schön.
Aber wir werden uns dies alles mit Interesse ansehen
und warten mit Spannung auch auf diese Ergebnisse;
Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
denn es gilt leider heute noch: Zu viele Opfer sind aus-
gegrenzt, zu viele Opfer sind vergessen. Wir meinen: So Lieber Herr Kollege Bartsch, die Realität ist, dass die
darf es nicht bleiben. eigens vom Bundestag dafür eingerichtete Kommission,
die das Parteivermögen aufspüren sollte, in ihrem Schluss-
(B) Vielen Dank. bericht festgestellt hat, dass dies trotz Einsatzes von De- (D)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, tektiven nur zu einem kleinen Teil möglich gewesen sei
bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP) und dass das Geld beiseitegeschafft und versteckt worden
sei. Sie können uns hier doch nicht ernsthaft erzählen,
dass wir arglos auf notarielle Versicherungen von Ihnen
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: vertrauen sollen, dass dieses Geld nicht an Sie zurück-
Eine Kurzintervention des Kollegen Dietmar Bartsch. fließt, wie auch immer. Nun sollen wir denen, die es bei-
seitegeschafft haben – Sie wissen doch genau, wovon ich
Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): rede, Herr Kollege; die Strafprozesse haben doch seiner-
Herr Kollege Wieland, es ist günstig, dass es sich so zeit auch stattgefunden – vertrauen, dass sie es melden,
trifft, dass ich auf Sie sofort Bezug nehmen und den Un- sobald sie es wieder in die Hände bekommen? Dies tun
sinn, der immer wieder gern behauptet wird, hier noch wir ausdrücklich nicht.
einmal klarstellen kann. Ich will dies politisch überhaupt
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
nicht werten, sondern nur die sachlichen Fakten nennen.
bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)
Erstens. Wir, die PDS, haben notariell auf sämtliches
Auslandsvermögen verzichtet. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) Nun haben Sie, lieber Kollege Vaatz, das Wort.
– Notariell! Wer da lacht, sollte wirklich das erste Se-
Arnold Vaatz (CDU/CSU):
mester Jura nachmachen. – Wir haben notariell auf sämt-
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
liches Auslandsvermögen verzichtet.
Herren! Zunächst einmal muss man sagen: Dass die Op-
Zweitens. Wir haben vor dem Oberverwaltungsge- ferpension schließlich gekommen ist, nach so vielen Jah-
richt in Berlin einen Vergleich zu sämtlichem SED-Ver- ren, ist ein großer Erfolg gewesen. Wir sollten das im
mögen abgeschlossen. Nach diesem Vergleich ist weder Nachhinein auch nicht grundsätzlich zerreden.
vom Geldvermögen noch von anderem Vermögen etwas
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
übrig geblieben, abgesehen von ausschließlich vier Im-
mobilien, die bekannt sind. Wir haben uns in diesem Wir haben insgesamt für 50 000 Menschen – das
Vertrag gleichzeitig dazu verpflichtet, das Dreifache an muss man sich einfach einmal auf der Zunge zergehen
Strafe zu zahlen, sollte irgendein Vermögensgegenstand lassen –, von denen jeder Einzelne länger als ein halbes
auftauchen, von dem auch nur irgendeiner aus der Füh- Jahr in Haft gesessen hat, eine Anerkennung zustande
5018 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Arnold Vaatz
(A) gebracht, die sie regelmäßig auf ihrem Konto sehen und Bei allen Punkten, bei denen Sie in der Lage sind, das zu (C)
die ihnen ein Stück ihres Vertrauens darauf zurückgibt, tun, schrauben Sie Ihre Forderungen ins Unermessliche
dass der Rechtsstaat seine Vorkämpfer nicht vergisst. und gerieren sich dann als ein Streiter für die Schwa-
Dies halte ich für ein ganz wichtiges Signal. chen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Zuruf von der LINKEN: Das ist albern!)
Herr Wieland, Sie haben vollkommen recht, wenn Sie Was wirklich dabei herauskommt, ist genau das Ge-
sagen, auch dieses Gesetz habe wie viele Gesetze einige genteil. Sie überfordern die Gesellschaft und stellen
Mängel gehabt. Wenn Sie allerdings aufrichtig sind, neue Ungleichheiten her. Ich muss in diesem Zusam-
dann müssen Sie feststellen, dass die Mängel genau an menhang an die Diskussion erinnern, die wir bei der Ein-
den Stellen zutagegetreten sind – das gilt jedenfalls für führung der Opferpensionen hatten. Da ging es darum
die, die mit dem vorliegenden Gesetzentwurf beseitigt – das haben im Wesentlichen unsere sozialdemokrati-
werden sollen –, über die wir in unseren Ausschüssen ei- schen Freunde thematisiert –, dass wir SED-Opfer nicht
gentlich gar nicht diskutiert hatten. Wir haben uns im schlechter und vor allen Dingen nicht besser als Naziop-
Wesentlichen um andere Punkte gekümmert als die, die fer behandeln sollen. Daran kann ich mich noch ganz ge-
wir jetzt verbessern wollen. Es ist meines Erachtens nau erinnern.
dringend notwendig, dass wir das tun, und wir tun es an
den richtigen Stellen. Das Kindergeld ist für die Kinder (Hans-Joachim Hacker [SPD]: Gleichbehand-
da und darf nicht auf das Gesamteinkommen angerech- lung, ja!)
net werden. Das ist der erste Punkt. Der zweite Punkt ist: Genau nach diesen Kriterien haben wir uns gerichtet.
Die technischen Dinge, die bei der Entlassung eines Auf dieser Basis wurden letztlich die Höhe der Pensio-
Strafgefangenen in der DDR eine Rolle gespielt haben, nen festgelegt und die Regelungen über die Vorausset-
dürfen sich nicht zufällig gegen den auswirken, der aus zung der Haftzeit und den Bedürftigkeitsnachweis ge-
rein logistischen Gründen eine Woche eher entlassen troffen.
worden ist. Das darf nicht dazu führen, dass er die ihm
zustehende Opferpension nicht erhält. Deswegen werden Wir wissen alle, dass wir mit Geld die Zerstörungen,
wir das korrigieren. die Menschen in der DDR erlitten haben, nicht wieder-
gutmachen können. Wir können weder zerstörte Biogra-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und fien noch zerstörte Ehen oder eine zerstörte Gesundheit
der FDP) mit Geld kompensieren. Das ist nicht möglich. Diese un-
Auf die Unwürdigkeit von schweren Straftätern ein- kompensierbaren Spätfolgen sind es, die nach wie vor an
zugehen, die allerdings auf der anderen Seite die Krite- den Betroffenen fressen und die ihnen schlaflose Nächte
(B)
rien für die Opferpension erfüllen, erspare ich mir; denn bereiten. Diese Schäden sind aber nicht das Einzige, was (D)
dazu ist schon etwas gesagt worden. Ich lehne es ab, dass die meisten beschwert. Viele – auch ich – leiden unter
die vielen Menschen, die unschuldig eingesperrt worden dem allgemeinen Klima der Rehabilitation der DDR, das
sind, in einen Zusammenhang mit solchen Menschen sich großer Teile unserer Gesellschaft bemächtigt hat.
gebracht werden. Das darf nicht sein. Dem müssen wir Zum heutigen Tage passt, was auf der Website einer
einen Riegel vorschieben, und das werden wir tun. Kollegin der Linken zu lesen ist. Es gehe ihr nicht da-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- rum, schreibt sie, von Angehörigen des MfS begangene
neten der FDP) Verfehlungen oder sogar Verbrechen zu verharmlosen.
Schließlich hätten sich solche Handlungen oft genug ge-
Frau Wawzyniak, ich hatte bei Ihrer Rede den Ein- gen subjektiv überzeugte Sozialisten und linke Opposi-
druck, dass sich so, wie Sie sich verhalten, ein Versiche- tionelle gerichtet und schließlich in erster Linie dem So-
rungsbetrüger verhält, der bewusst einen riesigen Scha- zialismus geschadet. So schreibt die innenpolitische
den anrichtet und dann von der Gemeinschaft fordert, Sprecherin der Linken auf ihrer Website.
dass sie für diesen Schaden aufkommt, und die Kosten
noch hochrechnet, um die Gemeinschaft möglichst stark Verehrte Kolleginnen und Kollegen von der Linken,
zu schädigen. Das war Ihre prinzipielle Herangehens- nach welchen Regeln Sie innerhalb Ihres Vereins mitei-
weise. Das darf bei uns nicht verfangen. Ich bin nicht der nander umgegangen sind, das ist zwar nicht ganz, aber
Meinung, dass das aus Ihrer Sicht in erster Linie eine doch eher Ihre Sache. Studenten, die sich freiwillig
Geste gegenüber den Opfern ist. Sie gehören zu einem schlagenden Verbindungen anschließen, müssen sich
Jahrgang, der dafür sicher nicht verantwortlich zu ma- nachher nicht über ihre zerschnittenen Gesichter bekla-
chen ist; aber diejenigen, die Ihre Partei in Ostdeutsch- gen.
land hauptsächlich tragen, sind sehr wohl damit in Zu- Ernst wird es allerdings dann, wenn Sie über Unbetei-
sammenhang zu bringen. Ich bin nicht der Meinung, ligte herfallen. Die Kernfrage an Sie ist, mit welchem
dass Sie in erster Linie für die Opfer plädiert haben. Was Recht Sie über wehrlose Menschen hergefallen sind, die
Sie machen, folgt einer allgemeinen Logik, die Sie seit nicht zu Ihrem Verein gehört haben und die nicht Ihre
1990 verfolgen. Sie haben nämlich die Absicht, die Ih- Utopien geteilt haben.
nen verhasste bürgerliche Gesellschaft durch Überforde-
rung zu zerstören. Das ist das Ziel. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordne- Das hat Ihre Kollegin in keiner Weise erwähnt. Ganz im
ten der FDP – Lachen bei der LINKEN) Gegenteil, Ihren heutigen Verlautbarungen ist immer
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5019
Arnold Vaatz
(A) noch zu entnehmen, dass Sie wie eh und je unter den Op- schon an den 17. Juni erinnert haben, will ich es eben- (C)
fern zwischen besonders hervorhebenswerten wertvollen falls tun, weil mir das am Herzen liegt; denn eine Dis-
Menschen, nämlich den Linken und den subjektiv über- kussion im Deutschen Bundestag am 17. Juni zur Reha-
zeugten Sozialisten, und dem nicht besonders hervorhe- bilitierung von Opfern der SED-Diktatur und zur
bungswürdigen Rest unterscheiden. Das macht Ihre Ar- Verbesserung ihrer sozialen Lage kann nicht geführt
gumentation gespenstisch, meine Damen und Herren. werden, ohne an die Ereignisse vor 57 Jahren in Ostber-
lin und in der DDR zu erinnern.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Das Ministerium für Staatssicherheit war kein ver- Am 17. Juni 1953 streikten und demonstrierten über
meidbarer Makel des sozialistischen Staates. Die Exis- 1 Million Menschen in der DDR. Die Protestbewegung
tenz eines so brutalen und jeder öffentlichen Kontrolle wurde von angekündigten Normerhöhungen ausgelöst.
entzogenen Unterdrückungsinstruments war vielmehr Auf dem Höhepunkt der Demonstrationen wurden die
eine notwendige Bedingung für den Fortbestand des so- Forderungen nach freien Wahlen, nach Demokratie und
zialistischen Experiments. Für das, was die SED wirk- nach staatlicher Einheit der deutschen Nation erhoben.
lich unter dem Aufbau des Sozialismus verstand, wurde Sowjetpanzer und DDR-Organe walzten den Volksauf-
niemals das Einverständnis der Bevölkerung eingeholt. stand nieder und retteten damit das SED-Regime. – Den
Auf demokratische Zustimmung zu diesem Experiment historischen Auftrag des gescheiterten Volksaufstandes
konnte man aber verzichten, weil mit dem MfS ein In- 1953 haben die Demonstranten im Herbst 1989 erfüllt.
strument zur Hand war, mit dem man die Uneinsichti- Er findet in der deutschen Einheit seine Vollendung.
gen, die Abweichler und alle Feinde des Sozialismus Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Erinnerung an
auch so niederhalten konnte. diese geschichtlichen Ereignisse erfasst auch die Schick-
Wenn Sie in Ihrem Programm schreiben, dass Sie „in sale jener Frauen und Männer, die in der sowjetischen
einem großen transformatorischen Prozess gesellschaft- Besatzungszone und in der DDR aus politischen Grün-
licher Umgestaltung für den demokratischen Sozialis- den verfolgt wurden, die im Gefängnis saßen, die Ver-
mus des 21. Jahrhunderts“ kämpfen, und hinzufügen, waltungsunrecht erlitten haben und die beruflich diskri-
dass dieser Prozess „von Brüchen und Umwälzungen miniert wurden. Das Ende der SED-Diktatur hat die
mit revolutionärer Tiefe“ gekennzeichnet sei, und ande- Chance eröffnet, politisch Verfolgte zu rehabilitieren und
rerseits fortwährend Terrorinstrumente wie das Ministe- Regelungen für Kapitalentschädigungen und soziale
rium für Staatssicherheit reinwaschen und verharmlosen, Ausgleichsleistungen zu treffen.
dann ahnt man, was Sie mit dieser Ankündigung wirk- Wir diskutieren heute, 20 Jahre nach Wiederherstel-
lich meinen. Wenn Sie die Macht dazu hätten, wären Sie lung der deutschen Einheit, immer noch dieses Thema.
(B) sofort bereit, die Einschüchterungs-, Gleichschaltungs- Ich kann mich entsinnen: Im Jahr 1992 habe ich im (D)
und Unterdrückungsmechanismen der DDR zu Ihrer Deutschen Bundestag zum Ersten SED-Unrechtsbereini-
Machtsicherung wieder zu verwenden. gungsgesetz gesprochen, dessen Kern das Strafrechtliche
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rehabilitierungsgesetz ist. Ich habe von den Vorrednern
Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist die Vorstellung gehört, dass wir jetzt noch mehr machen,
eine Frechheit! – Halina Wawzyniak [DIE als im Entwurf steht.
LINKE]: Das ist eine grobe Unterstellung!) Ich glaube, es ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, dass
Ihre fortwährende Verteidigung von politischen Syste- wir wirklich eine Abschlussgesetzgebung machen. Es
men wie beispielsweise in Kuba, wo genau diese Sys- kann hierbei, Herr Kollege Vaatz, nicht darum gehen,
teme noch völlig unversehrt arbeiten, zeigt das doch, wieder das Argument „Überforderung des Staates“ anzu-
meine Damen und Herren. Wenn Sie dieses Land vertei- führen. Das ist eine Diskussion, die ich seit 1990 kenne.
digen, dann denken Sie in denselben Kategorien. Dann Es waren immer fiskalische Gründe, meist vom BMF
schwebt Ihnen ein genauso geartetes Staatsgebilde vor. vorgebracht, die dazu geführt haben, dass wir keine aus-
reichenden Regelungen getroffen haben. Frau Voßhoff,
Ein solches lehnen wir aber ab. Das ist für uns vorbei. Sie wissen das so gut wie ich. Ich denke, wir sollten jetzt
Aus diesem Grunde müssen wir Ihnen widersprechen. einen solchen Versuch unternehmen.
Es gehört zur Rehabilitierung der Opfer, dass wir Ihnen
das regelmäßig ins Gesicht sagen, bis Sie Ihre Meinung Bereits im Sommer 1990 hatte die Volkskammer ei-
ändern. nen entsprechenden Gesetzentwurf verabschiedet. Wir
haben mit dem Bundesratsentwurf jetzt die Chance, ein
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Abschlussgesetz zu verabschieden. Ich will noch einmal
an die Geschichte der Rehabilitierungsgesetzgebung so-
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: wie an die Schwachpunkte erinnern, die damals unter
Das Wort hat nun Hans-Joachim Hacker für die SPD- Schwarz-Gelb in das Gesetz Eingang gefunden haben.
Fraktion.
Nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz
(Beifall bei der SPD) 1992 wurden ehemalige Häftlinge in Ost und West un-
terschiedlich entschädigt. Die Angehörigen der in politi-
Hans-Joachim Hacker (SPD): scher Haft, an der Mauer und an der innerdeutschen
Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr verehrten Grenze Umgekommenen fanden keinen Platz in den Ent-
Damen und Herren! Auch wenn andere an dieser Stelle schädigungsregelungen.
5020 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: ckenschäden und Posttraumata fehlt. Ich denke, das darf (C)
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des nicht aus dem Blick geraten.
Kollegen Vaatz? (Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Geht aber nicht
ohne die Länder!)
Hans-Joachim Hacker (SPD):
– Das hatte ich gesagt.
Bitte schön, Herr Kollege Vaatz.
Der vom Bundesrat vorgelegte Entwurf beinhaltet im
Arnold Vaatz (CDU/CSU): Wesentlichen ja eine Änderung des § 17 a des Straf-
rechtlichen Rehabilitierungsgesetzes. Meine Kollegin
Herr Kollege Hacker, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu
Sonja Steffen ist darauf eingegangen. Ich will das hier
nehmen, dass ich die Wendung mit der Zerstörung der
nicht weiter vertiefen. Wir haben jetzt die Chance, statt
Gemeinschaft durch Überforderung nur zur Charakteri-
einen Schlussstrich unter die Rehabilitierung zu ziehen,
sierung der Motivlage für die Einwendungen der Linken
wie das wohl mancher auch in diesem Hause gerne
benutzt habe, aber als Motiv für die Bemessung der Op-
möchte, die Vorschläge der Opferverbände und die Vor-
ferpensionen unsere gemeinsame Vereinbarung genannt
schläge aus der Konferenz der Landesbeauftragten für
habe, nach der wir Opfer des SED-Regimes nicht
die Stasi-Unterlagen noch einmal zu bewerten und auf
schlechter und nicht besser behandeln wollen als Opfer
ihre Umsetzung hin zu prüfen. Diese Chance sollten wir
des Nazi-Regimes?
nutzen.

Hans-Joachim Hacker (SPD): Der Deutsche Bundestag, denke ich, ist sich in seiner
Mehrheit der politischen und moralischen Verantwor-
Kollege Vaatz, wenn Sie das so meinen, kann ich das
tung gegenüber allen Menschen bewusst, die sich in der
mittragen. Ich denke aber, diese Verbindung von „Über-
Sowjetischen Besatzungszone und in der DDR für Frei-
forderung des Staates“ und „Leistungen für politisch
heit, Demokratie, Menschenrechte und Menschenwürde
Verfolgte in der DDR“ musste zu der Klarstellung füh-
eingesetzt haben. Dies ist und dies bleibt weiterhin eine
ren. Das war etwas missverständlich formuliert.
gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Ich will all die Gruppen, die in der ersten Runde der Vielen Dank.
Rehabilitierungsgesetzgebung nicht erfasst worden sind,
nicht aufzählen. Ich finde, ein markantes Beispiel war (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem
die ursprünglich nicht geplante Einbeziehung der BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Zwangsausgesiedelten, die im Rahmen der „Aktion Un-
(B) geziefer“ und der „Aktion Kornblume“ ihr Vermögen Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: (D)
verloren hatten. Dass sie es nicht wiederbekommen soll- Ich schließe die Aussprache.
ten, war für mich völlig unverständlich. Erst durch den
Druck der Betroffenen und auch der SPD ist es gelun- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
gen, für sie eine Entschädigungsregelung zu finden. wurfs auf Drucksache 17/1215 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
Wir haben unter Rot-Grün – Herr Wieland, das will dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
ich noch einmal ins Gedächtnis rufen – die gravierenden Dann ist die Überweisung so beschlossen.
Fehler der Vorgängerregierung aufgegriffen und besei-
tigt. Ich rufe die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf:
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
NEN]: Das stimmt, aber leider keine Opfer- Dr. Sascha Raabe, Lothar Binding (Heidelberg),
pension!) Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD
Wir haben damals die Angleichung der Entschädigungs-
beträge geregelt: Alle haben den gleichen Anspruch auf Herausforderung Millenniums-Entwicklungs-
Haftentschädigung. Wir haben Leistungen für die Ange- ziele
hörigen eingeführt. Wir haben für die Zivildeportierten – Drucksache 17/2018 –
– sie haben in der Diskussion heute bislang keine Rolle Überweisungsvorschlag:
gespielt – die Stiftungsleistungen verfünffacht. Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)
Was wir nicht regeln konnten – das lag aber daran, Auswärtiger Ausschuss
dass das in die Zuständigkeit der Länder fällt –, war die Innenausschuss
Frage der gerechten Bewertung verfolgungsbedingter Rechtsausschuss
Gesundheitsschäden. Das ist ein Makel, der auch heute Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
noch im Raume steht. Ich denke, die Diskussion um den Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
vorgelegten Gesetzentwurf muss diese Thematik noch Verbraucherschutz
einmal aufnehmen, Herr Kollege Vaatz. Wir waren im Ausschuss für Arbeit und Soziales
Jahre 2005 schon einmal kurz vor einer Lösung. Ich be- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
daure, dass diese Idee nicht weiter verfolgt worden ist. Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
Mediziner selbst sagen, dass bei der Begutachtung oft Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
die Fachkompetenz für die speziellen Fragen wie Brü- Ausschuss für Bildung, Forschung und
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5021
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse
(A) Technikfolgenabschätzung Wir sehen, dass die Erreichung der MDGs in den (C)
Ausschuss für Tourismus nächsten fünf Jahren nur schwer möglich ist. Wir als
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsausschuss SPD-Fraktion sagen aber auch: Sie ist nicht unmöglich.
Deshalb legt die SPD-Fraktion heute in ihrem Antrag ei-
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Niema nen umfassenden Aktionsplan vor, dessen Umsetzung
Movassat, Heike Hänsel, Annette Groth, weiterer die Erreichung dieser Ziele in den nächsten fünf Jahren
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE noch möglich machen würde, und wir bitten um Ihre Un-
Steigerung der Entwicklungshilfequote auf terstützung.
0,7 Prozent gesetzlich festlegen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
– Drucksache 17/2024 – des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Überweisungsvorschlag: Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich mehr in
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und die Schlüsselbereiche ländliche Entwicklung, Bildung,
Entwicklung (f) Gesundheit und in den Aufbau sozialer Sicherungssys-
Haushaltsausschuss
teme zu investieren. Wir fordern die Bundesregierung
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Thilo auch auf, in Ergänzung zu dem 12-Punkte-Aktionsplan
Hoppe, Uwe Kekeritz, Ute Koczy, weiterer Ab- der EU eigene Vorschläge zu machen, einen eigenen Ak-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE tionsplan vorzulegen und dann auf der Konferenz der
GRÜNEN Vereinten Nationen im September maßgeblich einen Ak-
tionsplan mitzugestalten, mit dem dafür gesorgt wird,
Mit dem Global Green New Deal die Millen- dass die in 2000 gefassten Ziele in den nächsten Jahren
niumsentwicklungsziele erreichen noch erreicht werden. Es steht viel auf dem Spiel. Es ste-
– Drucksache 17/2132 – hen Millionen Menschenleben auf dem Spiel. Deshalb
Überweisungsvorschlag:
müssen wir jetzt handeln.
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Auswärtiger Ausschuss DIE GRÜNEN)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz Um der Bundesregierung Arbeit zu ersparen, haben
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit wir in unserem Antrag einen Aktionsplan erstellt, den sie
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe gerne übernehmen darf. Allerdings ist eine ausreichende
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Finanzierung die Voraussetzung für diesen Aktionsplan
(B) Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die und auch für die Erreichung der MDGs insgesamt. (D)
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich In der Anhörung unseres Ausschusses, die wir diese
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen. Woche hatten, hat Herr Stelzer von den Vereinten Natio-
Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen nen den Generalsekretär der Vereinten Nationen mit den
Sascha Raabe für die SPD-Fraktion das Wort. Worten zitiert: Wir brauchen nicht neues, zusätzliches
Geld, um die Ziele zu erreichen, sondern wir brauchen
(Beifall bei der SPD) die Einhaltung der Zusagen und der Versprechen, die die
Industrieländer bereits gemacht haben. – Aber diese Ver-
Dr. Sascha Raabe (SPD): sprechen wurden von Deutschland und dieser Regierung
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und eiskalt gebrochen.
Herren! Es ist fünf vor zwölf – und es ist fünf Jahre vor (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
2015 –, wenn wir noch die Millenniumsentwicklungs- DIE GRÜNEN – Harald Leibrecht [FDP]: Was
ziele erreichen wollen, die sich im Jahr 2000 189 Staats- habt ihr gemacht? Gar nichts in den letzten
und Regierungschefs dieser Welt zum Ziel gesetzt ha- Jahren!)
ben, nämlich die Armut in der Welt bis zum Jahr 2015 zu
halbieren, allen Kindern eine Grundschulbildung zu er- Deutschland hat sich im Jahre 2005 dank des Engage-
möglichen, die Kinder- und Müttersterblichkeit drastisch ments unserer damaligen Entwicklungsministerin
zu reduzieren sowie eine gerechte Weltwirtschaftsord- Heidemarie Wieczorek-Zeul verpflichtet, im Jahr 2010
nung zu schaffen, um nur einige der acht Millenniums- 0,51 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Ent-
entwicklungsziele, abgekürzt: MDGs, zu nennen. wicklungszusammenarbeit zur Verfügung zu stellen. Die
Kanzlerin hat dies immer wieder zugesagt. Aber sie hat
Im September dieses Jahres findet eine Überprü- zusammen mit Entwicklungsminister Niebel dieses Ver-
fungskonferenz der Vereinten Nationen statt, um zu sprechen gebrochen. In diesem Jahr stehen nämlich le-
schauen, wo man im Jahre 2010, fünf Jahre vor dem diglich 0,4 Prozent zur Verfügung.
Stichjahr 2015, steht. Nachdem es 2000 bis 2005 Fort-
schritte gegeben hat, ist nun leider festzustellen, dass es Wer glaubt noch daran, dass diese Regierung das Ver-
in den letzten Jahren wieder Rückschritte gibt. So liegt sprechen einhält, bis zum Jahre 2015 0,7 Prozent zur
die Zahl der Hungernden, die bis 2005 auf 850 Millionen Verfügung zu stellen angesichts der Tatsache, dass Ent-
gesunken war, nun wieder bei über 1 Milliarde Men- wicklungsminister Niebel vor wenigen Tagen in einem
schen. Täglich sterben nach wie vor etwa 25 000 Men- Schreiben zwar geäußert hat, dass er zu diesem Ziel
schen an den Folgen von Hunger und Armut. steht, aber der stellvertretende Vorsitzende der FDP-
5022 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Dr. Sascha Raabe


(A) Fraktion und Haushälter Koppelin öffentlich bekundet, näre der FDP ersetzt haben, wollen Sie das auch auf in- (C)
dass das alles Unsinn ist und dass wir die 0,7 Prozent nie ternationaler Ebene tun. Ich sage Ihnen, Herr Minister:
erreichen werden? Was diese Regierung da tut, ist doch Wir haben nur ganz wenige Deutsche in Spitzenpositio-
Heuchelei. Es ist schäbig, mit den ärmsten Menschen nen bei internationalen Organisationen. Ich appelliere an
dieser Welt so umzugehen. Sie: Nehmen Sie diese Entscheidung zurück! Lassen Sie
Herrn Deutscher dort seinen Job machen! Er hat das im-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten mer parteiübergreifend gemacht, und er hat es im Inte-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) resse Deutschlands und der Ärmsten dieser Welt gut ge-
Ich höre vom Entwicklungsminister immer, dass es macht.
ihm um mehr Effizienz geht. Damit will er natürlich dem Hören Sie auf damit, die Millenniumsziele so umzu-
Fall vorbeugen, dass die finanziellen Zusagen nicht ein- setzen, dass Sie die Anzahl der FDP-Mitglieder im
gehalten werden. Wenn ich entsprechende Aussagen Ministerium verdoppeln, aber nicht die Anzahl der
höre nach dem Motto „Mit weniger Geld schaffen wir Ärmsten halbieren. Setzen Sie sich endlich mit Ihren Ex-
mehr“, dann könnte ich vor Wut durch die Decke, perten, unabhängig vom Parteibuch, an einen Tisch, und
sprich: durch die Kuppel, springen. sorgen Sie dafür, dass wir mit unserem Aktionsplan, den
wir heute vorlegen, bis zum Jahr 2015 die Millenniums-
(Holger Haibach [CDU/CSU]: Das möchte ich
ziele noch erreichen! Das wären meine herzliche Bitte
einmal sehen!)
und meine Aufforderung an Sie.
Sie sprechen zwar von Effizienz, aber tun genau das
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Gegenteil. Um mehr Effizienz in der Entwicklungszu-
sammenarbeit zu erreichen, hat man sich in Paris und in (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Acera auf internationalen Konferenzen darauf verstän- DIE GRÜNEN)
digt, dass nicht jedes Land sozusagen nationale Fahnen
auf die Projekte steckt und nicht Tausende von unabge-
stimmten Projekten in Entwicklungsländern initiiert Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
werden. Man hat sich vielmehr auf eine international ab- Das Wort hat nun die Kollegin Dagmar Wöhrl für die
gestimmte Zusammenarbeit geeinigt. Was macht aber CDU/CSU-Fraktion.
dieser Entwicklungsminister? Er sagt, dass nur ein Drit-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
tel der Mittel für multilaterale Projekte, also für mit an-
Holger Haibach [CDU/CSU]: Jetzt kommt
deren Nationen abgestimmte Projekte, ausgegeben wer-
eine vernünftige Rede!)
den. Er will zwei Drittel der Mittel für Maßnahmen
(B) ausgeben, damit Deutschland auf Projekte die deutsche (D)
Fahne setzen kann. Ich sage Ihnen, Herr Niebel: Ihnen Dagmar Wöhrl (CDU/CSU):
geht es nicht um eine Verbesserung der Effizienz im In- Herr Kollege Raabe, ich gestehe Ihnen wirklich zu,
teresse der Ärmsten der Armen, sondern Sie verstehen dass Sie in diesem Bereich einen großen Sachverstand
unter Effizienz eine Steigerung bei den Aufträgen für die haben; das kennen wir von Ihnen aus dem Ausschuss.
deutsche Wirtschaft. Das ist mit uns nicht zu machen, Die Rede, die Sie soeben gehalten haben, ist Ihrer aber
Herr Minister. bestimmt nicht würdig.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Wi-
derspruch bei der FDP) Diese Polemik ist angesichts des Ernstes der Lage wirk-
lich nicht angebracht. Und die Lage ist ernst.
Der Vorsitzende des Entwicklungsausschusses der
OECD – DAC –, Eckhard Deutscher, der für uns dort Im Jahr 2000 setzten sich 180 Nationen zusammen,
seit zweieinhalb Jahren tätig ist, mahnt natürlich an, dass um ihre Millenniumsziele festzuschreiben. Man kann sa-
Deutschland seine finanziellen Zusagen einhält. Er be- gen: Es war ein historischer Tag. Es war ein wichtiger
klagt auch, wenn Deutschland seine Zusagen zur multi- Tag. Ich bin froh, dass wir im September bei der Konfe-
nationalen Zusammenarbeit zugunsten nationaler Pro- renz der Nationen in New York analysieren können: Wie
jekte zurückzieht. Herr Niebel, das hat der Vorgänger weit sind wir gekommen, und was ist noch zu tun? Es ist
von Herrn Deutscher auch schon gemacht. Der Nachfol- noch viel zu tun. Zehn Jahre sind vergangen. Fünf Jahre
ger wird dies ebenfalls tun. Deshalb werden Sie mit Ih- haben wir noch vor uns. Ich muss eines sagen: Wir wer-
rem Versuch, aus parteipolitischen Gründen internatio- den hart daran arbeiten, die Ziele, die wir uns gesetzt ha-
nale Experten wie Herrn Deutscher, der ein SPD- ben, zu erreichen. Wir werden in diesem Jahr mit der
Parteibuch hat, in die Wüste zu schicken, kläglich schei- ODA-Quote 0,4 Prozent erreichen. Das ist nicht das ge-
tern. Das ist ein Skandal, Herr Minister. Damit kommen wünschte Ziel von 0,51 Prozent; das muss man klar und
Sie bei uns nicht durch. deutlich sagen. Wir fühlen uns auch nicht wohl dabei;
das muss man auch sagen. Man muss aber auch sehen,
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ dass zusätzliche 3 Milliarden Euro aus dem Haushalt
DIE GRÜNEN) notwendig gewesen wären, um diese 0,51 Prozent zu er-
reichen.
Nachdem Sie in Ihrem Ministerium in den letzten
Monaten Experten geschasst und durch Parteifunktio- (Holger Haibach [CDU/CSU]: So ist es!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5023
Dagmar Wöhrl
(A) Bei einem Sparpaket von 80 Milliarden Euro bin ich Der Prozess, dass Länder weniger Mittel für die länd- (C)
persönlich wie auch viele meiner Kollegen froh, dass wir liche Entwicklung ausgeben, muss umgekehrt werden.
keine Federn lassen mussten und unseren Etat weiter In einigen Ländern wurden dafür in den letzten Jahren
fortschreiben konnten. An dieser Stelle gilt mein Dank teilweise bis zu 58 Prozent weniger Mittel ausgegeben.
dem Finanzminister und unseren Haushältern. An dieser Stelle muss ein Umdenken stattfinden. Denn
Armutsbekämpfung ist untrennbar mit ländlicher Ent-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wicklung verbunden. Das darf man in diesem Zusam-
menhang nicht vergessen.
Haushaltskonsolidierungen sind wichtig. Wir müssen
unser Haus in Ordnung bringen. Denn wenn wir schwä- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
cheln, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposi- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
tion, können wir auch anderen nicht mehr helfen. GRÜNEN)
(Zuruf von der SPD: Schieben Sie das doch Eines muss man aber auch sagen: Es sind nicht nur
nicht dem Herrn Raabe in die Schuhe!) die Geberländer gefordert. Auch die Entwicklungslän-
der, die Nehmerländer, müssen viel mehr in die Pflicht
Das wollen wir nicht. Sie müssen auch sehen, was alles genommen werden, als dies in der Vergangenheit der
passiert ist, seit im Jahr 2000 die Verträge unterschrieben Fall gewesen ist. Sie haben ihren Agrarbereich über
worden sind. Wir haben eine Finanzmarktkrise, wir ha- Jahrzehnte sträflich vernachlässigt. Wir selber können
ben eine Weltwirtschaftskrise, wir haben eine Nahrungs- nur Impulse setzen. Aber die schöpferische Kraft, das,
mittelpreiskrise, eine Ressourcen- und Energiekrise und was daraus gemacht wird, müssen die Länder in diesem
leider auch verschiedene Naturkatastrophen. Zusammenhang selbst auf den Weg bringen.
(Zuruf von der SPD: Eine Gurkentruppe!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Das heißt: Viele Geberländer sind mit Dingen konfron- Man sagt im Allgemeinen: Eine Krise auch eine
tiert worden, die nicht vorhersehbar waren. Chance. Ich glaube, dass wir diese Chance nutzen. Wir
wollen den Weg nicht so weitergehen, wie es in der Ver-
Das Schlimme an der Geschichte ist: Nicht nur die In- gangenheit der Fall war. Viele Dinge sind gut auf den
dustrieländer, sondern auch die Entwicklungsländer sind Weg gebracht worden. Es gibt aber auch viele Dinge, bei
sehr stark davon betroffen. 1 Prozent weniger Wachstum denen man überlegen muss: Waren sie effektiv? Waren
bedeutet, dass 20 Millionen Menschen zusätzlich in Ar- sie effizient? Sind sie auch bei der Bevölkerung ange-
mut abrutschen. Das heißt, allein durch die Finanzkrise kommen? Wir haben bei der Evaluierung festgestellt,
(B) werden 90 Millionen Menschen in Armut geraten. Die dass dem nicht so ist. Deswegen muss man schnell um- (D)
Nahrungsmittelpreiskrise im Jahre 2008 hat dazu ge- denken. Sicher sind öffentliche Gelder wichtig. Aber das
führt, dass wir 1 Prozent mehr Hungernde auf der Welt darf nicht alles sein. Wir müssen versuchen, öffentliche
haben. Wir haben 1,1 Milliarden Unterernährte auf der Gelder auch in den Entwicklungsländern zu mobilisie-
Welt. All das sind Probleme, mit denen wir uns intensiv ren. Wir müssen versuchen, mehr Geld in der Wirtschaft
auseinandersetzen müssen. zu mobilisieren. Die Wirtschaft tut in vielen Bereichen
sehr viel – das ist oft nicht bekannt –, beispielweise über
Die Probleme werden nicht weniger. Wir haben ein
das Instrument CSR. Aber hier kann noch viel mehr ge-
explosionsartiges Bevölkerungswachstum. Im Jahr 2050
tan werden! Wenn man sich mit der Wirtschaft an einen
werden wir auf der Welt 9 Milliarden Menschen haben.
Tisch setzt, ist sie für Kooperationen mit dem Ziel der
Das sind per annum 80 Millionen Menschen mehr. Die
Entwicklung offen.
meisten davon leben in den Entwicklungsländern. Sie
brauchen Essen, sie brauchen Gesundheitsversorgung, Wir haben noch einen weiten Weg vor uns. Vieles ist
sie brauchen Arbeitsplätze und vieles andere mehr. Die bereits auf den Weg gebracht worden. Viele Ziele wer-
vorhandenen Ressourcen werden immer knapper. Es den wir erreichen. Bei vielen Zielen hoffen wir, dass wir
steht immer weniger Land zur Verfügung. Fruchtbares sie erreichen. Wir haben Fortschritte in der Grundschul-
Land wird knapp. Die Nachfrage nach Biosprit steigt. bildung gemacht. Das ist ein ganz wichtiger Punkt; denn
Die Schwellenländer haben neue Ernährungsgewohnhei- gerade die Bildung ist ein Querschnittsbereich, der auf
ten. Es wird nicht mehr nur Reis gegessen. Fleisch ist die meisten Ziele einwirkt. Inzwischen können 88 Pro-
angesagt. Zur Erzeugung von 1 Kilogramm Fleisch zent der Kinder die Schule abschließen. Aber noch im-
braucht man 10 Kilogramm Getreide. In der Zukunft mer gibt es 72 Millionen Kinder, die kein Recht auf Bil-
werden also andere Prioritäten gesetzt. dung haben, die nicht die Möglichkeit haben, in die
Schule zu gehen. Wir dürfen auch nicht nur bei der
Dazu kommt das sogenannte „Land Grabbing“; das Grundschulbildung ansetzen. Wir müssen sehen: Wie ist
wird uns im Ausschuss noch sehr stark beschäftigen. Die die Weiterbildung? Wie ist die duale Ausbildung? Wie
Afrikaner spielen dabei teilweise keine sehr schöne ist die universitäre Ausbildung?
Rolle, sie spielen bei diesem Monopoly mit; das muss
man klar und deutlich sagen. Deswegen ist es richtig, Wir haben Fortschritte bei der Bekämpfung von HIV/
dass der Entwicklungsminister mit seinem Hause die Aids und Malaria gemacht. Es gibt weniger Neuinfektio-
landwirtschaftliche Entwicklung zu einem Schwerpunkt nen als in der Vergangenheit. Aber noch immer leben
gemacht hat. Er wird ein entsprechendes Konzept entwi- 33 Millionen Kinder und Erwachsene mit dem HI-Virus.
ckeln und es uns in Kürze vorlegen. Noch immer sterben 2 Millionen Menschen im Jahr an
5024 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Dagmar Wöhrl
(A) diesen Erkrankungen. Wir wissen, dass es noch viel zu wir momentan überhaupt noch nicht denken. Hier kön- (C)
tun gibt, vor allem wenn ich die Frauen betrachte. Die nen wir nur gemeinsam helfen; das kann keine Partei
Müttergesundheit ist ein schwarzes Kapitel im Rahmen und kein Land allein tun. Wir können international nur
der Millenniumsziele. Hier sind nur 3 Prozent des Ziels gemeinsam helfen. Hier hat jeder seine Aufgabe zu erle-
erreicht worden. Es sterben jährlich 530 000 Frauen digen.
während der Schwangerschaft oder der Entbindung, weil
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
sie allein sind, weil keine Voruntersuchungen möglich
sind und ihnen niemand während der Geburt hilft. Bei (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
diesen Themen müssen wir in den nächsten fünf Jahren
Prioritäten setzen. Dr. h. c. Wolfgang Thierse (SPD):
Viel Geld ist von den Geberländern in die Hand ge- Das Wort hat nun Kollege Niema Movassat für die
nommen worden. Allein im Jahr 2008 waren es Fraktion Die Linke.
120 Milliarden Euro in diesem Bereich. Es wird gesagt,
(Beifall bei der LINKEN)
es müsse mehr werden. Es wird schwierig sein. Viele
Länder werden aufgrund der Krisen Schwierigkeiten ha-
ben, das Geld, wie versprochen, überhaupt noch zur Ver- Niema Movassat (DIE LINKE):
fügung zu stellen. Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
(Zuruf von der SPD: Viele haben es geschafft!) Denn die einen sind im Dunkeln
Und die andern sind im Licht.
Deswegen müssen wir in diesem Bereich effizienter Und man siehet die im Lichte
werden. Aber dies betrifft nicht nur die ODA-Quote; Die im Dunkeln sieht man nicht.
auch darauf sollte man ein Augenmerk legen.
Diese Worte von Brecht sind heute aktueller denn je;
Wir müssen sehen, dass wir die Doha-Runde zu Ende denn im Dunkeln sind die 1 Milliarde Menschen, die
führen, dass wir handelsverzerrende Maßnahmen besei- hungern; auch in den Medien sieht man sie nicht. Alle
tigen. Die Entwicklungsländer haben allein aufgrund fünf Sekunden verhungert ein Kind; bis zum Ende mei-
von handelsverzerrenden Maßnahmen einen Schaden ner Rede werden es 60 tote Kinder sein. Das ist eine Tra-
von 700 Milliarden Euro. Das ist sechsmal mehr, als für gödie.
die gesamte Entwicklungshilfe der Welt zur Verfügung
gestellt wird. Das können die Geberländer nicht aus ih- (Beifall bei der LINKEN)
ren Steuergeldern bezahlen. Deswegen ist es wichtig,
Erinnern Sie sich? 1970 hat Deutschland das Verspre-
dass wir vorangehen. Deswegen ist wichtig, dass die
(B) Agrarsubventionen abgebaut werden. chen abgegeben, 0,7 Prozent seines Bruttonationalein- (D)
kommens für die öffentliche Entwicklungszusammenar-
Ich freue mich sehr – wir sind gestern im Ministerium beit zur Verfügung zu stellen. Heute, 40 Jahre nach
zusammengekommen –, dass in diesem Zusammenhang Abgabe des Versprechens, sind wir davon weit entfernt;
das Landwirtschaftsministerium und das Entwicklungs- 2010 werden es vermutlich nur 0,4 Prozent sein. Nach
hilfeministerium nun an einem Tisch sitzen. Das ist ein dem EU-Stufenplan müsste das Zwischenziel einer
Novum. Ich bedanke mich ganz herzlich bei den beiden Quote von 0,51 Prozent erreicht werden.
Ministern, die das möglich machen.
Dass die Bundesrepublik ihrer Verpflichtung bisher
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nicht nachgekommen ist, liegt nicht nur an der aktuellen
Regierung, sondern auch an der politischen Tatenlosig-
Denn nur gemeinsam werden wir die Probleme bewälti-
keit von Rot-Grün und der Großen Koalition.
gen.
(Beifall bei der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir dürfen nicht
starr auf 2015 schauen. Wir müssen darüber hinaus- Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, Sie müs-
schauen. Die Probleme werden nicht weniger, die Pro- sen sich, wenn Sie in Ihrem Antrag von einer „engagier-
bleme werden mehr. Wir werden mit dem Klimawandel ten Entwicklungspolitik der Jahre 1998 bis 2009“ spre-
zu kämpfen haben. Wir werden mit der Biodiversität zu chen, schon fragen lassen, warum die größte Diskrepanz
kämpfen haben. Es wird eine sehr große Desertifikation zwischen Anspruch und Wirklichkeit bei der Steigerung
und einen dramatischen Wassermangel geben. Hier der Entwicklungsgelder gerade in Ihre Regierungszeit
denke ich an Jemen: In zehn Jahren wird das Land kein fällt, warum also solch ein großer Unterschied zwischen
Wasser mehr zur Verfügung haben. Es wird nicht das den Forderungen in Ihrem Antrag und Ihrem Regie-
einzige Land sein. Es wird zu einer Erosion, einer Ver- rungshandeln besteht.
ödung landwirtschaftlicher Flächen kommen.
Unter Schwarz-Gelb wird diese Pflichtverletzung
aber zum System. Die Merkel-Westerwelle-Regierung
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: hat ein klares politisches Muster: Gespart wird bei den
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen. Ärmsten, in Deutschland bei den Hartz-IV-Empfängern,
in der Welt bei den Menschen in den Entwicklungslän-
Dagmar Wöhrl (CDU/CSU): dern. Immer neue Äußerungen aus der Koalition legen
Ja. – Es wird einen Trend zur Abwanderung in die den Verdacht nahe, dass diese Regierung das 0,7-Pro-
Megacitys geben. Wir werden Probleme haben, an die zent-Ziel gar nicht erreichen will. Kommen Sie mir nicht
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5025
Niema Movassat
(A) mit der Wirtschaftskrise als Ausrede; denn Deutschland Deutschland nicht Weltmeister im Brechen von Verspre- (C)
hat dieses Ziel auch in wirtschaftlich guten Zeiten nie chen ist, sonst erreichen wir die UN-Millenniumsent-
auch nur annähernd erreicht. Das zeigt, dass der politi- wicklungsziele erst recht nicht. Denken Sie daran: Jede
sche Wille fehlt. Sekunde, die wir hier zögern, bedeutet Elend, Armut und
Tod für Millionen Menschen auf dieser Welt.
(Beifall bei der LINKEN)
Andere Länder erreichen das Ziel, etwa die Skandina- Danke für die Aufmerksamkeit.
vier und die Niederlande. Auch Großbritannien wird mit (Beifall bei der LINKEN)
einem Anteil von 0,56 Prozent deutlich über dem Soll
des EU-Stufenplans liegen, obwohl das Land besonders
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
stark von der Krise betroffen ist.
Das Wort hat nun Kollegin Christiane Ratjen-
Die Botschaft von Schwarz-Gelb an die Menschen in Damerau für die FDP-Fraktion.
den Entwicklungsländern ist: Leider müssen wir Sie mit
Ihren Problemen alleinlassen; denn wir brauchen unser (Beifall bei der FDP)
Geld für Hotels, Reiche und Banken; sie sind uns wichti-
ger. Das ist der Kern Ihrer unsozialen Politik. Dr. Christiane Ratjen-Damerau (FDP):
(Beifall bei der LINKEN) Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kollegen! Liebe Kolleginnen!
Wenn ich mich täuschen sollte und Sie das 0,7-Pro- Die zentralen Herausforderungen unserer Zeit in einer
zent-Ziel erreichen wollen, können Sie unserem Antrag globalen Welt sind der Klimawandel und die in großen
zustimmen; denn mit unserem Antrag wird das 0,7-Pro- Teilen dieser Welt zunehmende Armut. Durch die Armut,
zent-Ziel gesetzlich verankert und erhält damit einen hö- die Unterernährung und den Wassermangel sind Men-
heren Verpflichtungsgrad. Außerdem schlagen wir vor, schen verletzlicher gegenüber verschiedensten Umwelt-
einen Stufenplan zu erstellen, wie dies auch viele ent- einflüssen. Insbesondere mangelnde Bildung, Krankheit
wicklungspolitische Organisationen fordern. So kann und die Missachtung der Rechte der Frauen verhindern
man entwicklungspolitische Arbeit vernünftig planen. die Entfaltung einer Gesellschaftsform in den Entwick-
(Beifall bei der LINKEN) lungsländern.

Auch muss klar festgelegt werden, was Entwick- Das Ziel in den 70er-Jahren ist gewesen, dass jedes
lungshilfe eigentlich ist. So darf es nicht sein, dass Ent- Kind abends satt schlafen geht und dass die Menschen
schuldungen, der Bau von Bundeswehrunterkünften in keine Angst haben müssen, weil sie nicht wissen, wovon
(B) Afghanistan oder sogar die Abschiebung von Asylbe- sie sich am nächsten Tag ernähren sollen. Diese Ziele (D)
werbern als Entwicklungshilfe angerechnet werden. Wo sind bisher nicht erreicht worden. Im Jahre 2000 haben
bitte findet denn Entwicklungshilfe statt, wenn jemand die reichen Länder dieser Welt mit den Millenniumsent-
abgeschoben wird? Das ist doch zynisch. Unser Antrag wicklungszielen erneut Verantwortung gegenüber jenen
macht Schluss damit. Ländern übernommen, die sich nicht selbst versorgen
können. Wir alle haben zugesagt, dafür zu sorgen, dass
(Beifall bei der LINKEN) die schlimmsten Auswirkungen von Armut mit unserer
Auch mit der Anrechnung von Klimaschutzgeldern Hilfe kleiner werden. Allein die Bilder kleiner Kinder
bei der Entwicklungshilfequote muss Schluss sein. mit aufgeblähten Hungerbäuchen oder Mädchen mit
NGOs und Partnerländer widersprechen dieser Anrech- Traumata von Genitalverstümmelung verpflichten uns
nung zu Recht; denn der Klimawandel ist Resultat der zu diesem Kampf gegen Armut und für Bildung und Ge-
Wirtschafts- und Lebensweise der Industrieländer. Die sundheit.
Menschen in den Entwicklungsländern, die am stärksten (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie
unter den Auswirkungen des Klimawandels leiden, ha- des Abg. Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE
ben einen Anspruch auf Wiedergutmachung. Das ist da- GRÜNEN])
her keine Entwicklungshilfe.
Denn Sie glauben doch wohl nicht, dass eine Mutter in
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Afrika weniger um ihr totes Kind trauert, als es eine
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) westliche Mutter tut.
Sie werden fragen, wie die Linke das 0,7-Prozent-Ziel Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, wo stehen
finanzieren will. Wir haben dafür hier im Bundestag die wir heute? Die aktuelle Bilanz zu den verschiedenen
Einführung einer Flugticketabgabe und einer Finanz- MDGs ist gemischt. In einigen Bereichen und Regio-
transaktionsteuer vorgeschlagen, die 15 bis 20 Milliar- nen gibt es positive Entwicklungen, in anderen herrscht
den Euro bringen würde. Auch die SPD fordert in ihrem Stagnation, im schlimmsten Fall gibt es Rückschläge. So
Antrag innovative Finanzierungsinstrumente. Schade gab es bereits größere Erfolge in der allgemeinen Grund-
nur, dass die SPD in ihrer Regierungszeit gegen diese In- schulausbildung, doch gerade bei der Sekundärbildung
strumente gestimmt hat. werden Mädchen gegenüber den Jungen immer noch
(Beifall bei der LINKEN) stärker benachteiligt.
Es geht um die Glaubwürdigkeit der deutschen (Beifall bei der FDP sowie der Abg. Dagmar
Entwicklungszusammenarbeit. Sorgen Sie dafür, dass Wöhrl [CDU/CSU])
5026 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Dr. Christiane Ratjen-Damerau


(A) Die Zahl der Kinder, die vor ihrem fünften Geburtstag sellschaft geben; denn nur der Glaube an die Macht des (C)
sterben, ist mit fast 9 Millionen nach wie vor untragbar Staates und an das Geld allein hilft hier nicht.
hoch. Früher waren es fast 12 Millionen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Dennoch gibt es auch positive Entwicklungen. Die der CDU/CSU)
Zahl der Aids-Toten konnte gesenkt und die Ausbreitung Die schwarz-gelbe Koalition und der Bundesminister
des Virus verlangsamt werden. Auch wurde eine deutli- Niebel gehen einen neuen Weg, einen Weg, der frei ist
che Verbesserung der Trinkwasserversorgung erreicht. von den bisherigen ideologischen Scheuklappen und der
Insgesamt ist der Fortschritt in Richtung unserer Ziele stetigen Wiederkehr alter Fehler. Entwicklungspolitik
jedoch viel zu langsam und in einigen grundlegenden darf keine Frage der Ideologie sein.
Bereichen, wie der Gesundheit der Mütter, viel zu ge-
ring. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Das größte Sorgenkind bei der Entwicklung bleibt Unser Ziel muss es sein, dass die betroffenen Länder
Subsahara-Afrika. Während vor allem ostasiatische Län- mehr Verantwortung für sich übernehmen. Das müssen
der bei der Reduzierung der Einkommensarmut große wir initiieren und weiterentwickeln. Unsere Aufgabe ist
Erfolge erzielten, konnte für die Länder südlich der Sa- es, diese Länder zu unterstützen. Das seit 25 Jahren be-
helzone trotz stetigem Wirtschaftswachstum die Armuts- stehende entwicklungspolitische Ziel der Hilfe zur
quote nur wenig gesenkt werden. Die absolute Zahl der Selbsthilfe muss jetzt realisiert werden.
Armen ist aufgrund des Bevölkerungswachstums sogar (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
gestiegen. Dies liegt sowohl an den Auswirkungen der der CDU/CSU)
Finanz- und Wirtschaftskrise als auch an den steigenden
Nahrungsmittelpreisen im Jahre 2008. Auch muss be- Entwicklungspolitik ist eben nicht nur eine Frage des
achtet werden, dass ein Drittel aller Menschen in absolu- großzügigen Gebens, sondern bedeutet auch echte Part-
ter Armut lebt, und dies in besonders fragilen Staaten. nerschaft. Die entwicklungspolitischen Ziele sind nicht
Krieg und Zerstörung und die damit verbundene Miss- ein Akt der Barmherzigkeit der Reichen gegenüber den
achtung der Menschenrechte gehen mit der Armut Hand Armen, sondern eine selbstverständliche Geste der welt-
in Hand. weiten Solidarität und Gerechtigkeit.

Die Evaluierung der MDGs zeigt aber auch eine klare (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Fehlpolitik der vergangenen Jahre auf.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Frau Kollegin, dies war Ihre erste Rede im Deutschen
(B) der CDU/CSU) Bundestag. Herzlichen Glückwunsch und alles Gute für (D)
Viel zu lange wurde einzig und allein auf finanzielle die weitere Zusammenarbeit!
Mittel gebaut. Zusammenhänge innerhalb der Entwick- (Beifall)
lungsarbeit wurden dabei völlig ignoriert. Weniger Ar-
mut korrespondiert nicht zwingend mit einer besseren Das Wort hat nun Kollege Uwe Kekeritz für die Frak-
Gesundheitsversorgung, mit besserer Bildung oder Ge- tion Bündnis 90/Die Grünen.
schlechtergerechtigkeit.
Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wirtschaftswachstum reduziert nicht automatisch die Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen und
Einkommensarmut, sondern muss „pro poor“ gestaltet Kollegen! Die Bürgerinnen und Bürger werden seit lan-
werden. gem sehr ausführlich über die Hilflosigkeit dieser Koali-
Klimawandel, Frieden und Sicherheit, Menschen- tion informiert. Wirklich „Neues aus der Anstalt“ war
rechte, Good Governance und Demokratie haben we- kaum mehr zu erwarten. Doch Herr Koppelin hat die
sentlichen Einfluss auf die Erreichung der MDGs. Die Chance erkannt und für Überraschung gesorgt. Er unter-
Koalition und an erster Stelle der Entwicklungshilfemi- stellt dem Minister einfach, die Unwahrheit zu sagen.
nister Dirk Niebel stehen zu den von der Bundesregie- Warum? Herr Minister Niebel verkündet immer noch,
rung gemachten Zusagen. das 0,7-Prozent-Ziel erreichen zu wollen. Das ist ver-
ständlich. Schließlich hat er ebenso wie die Bundeskanz-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – lerin von dieser Stelle aus des Öfteren immer wieder be-
Dr. Sascha Raabe [SPD]: Hört! Hört!) tont, dass er dieses Ziel verfolgen wird.
Auf dem Millennium-plus-Zehn-Gipfel im kommen- (Harald Leibrecht [FDP]: Das wollen Sie doch
den September in New York werden wir uns unserer ge- auch!)
meinsamen Verantwortung bewusst sein. Wir werden
– Natürlich wollen wir das auch, selbstverständlich.
uns dafür stark machen, die MDGs als ganzheitliches
Konzept zu betrachten und Katalysatoren wie Gleichbe- (Harald Leibrecht [FDP]: Na also! Warum be-
rechtigung und Menschenrechte besonders zu fördern. schweren Sie sich dann?)
Eigenverantwortung und Eigeninitiative der Partnerlän-
Kollege Koppelin dagegen meint – ich zitiere aus der
der sowie Politikkohärenz für Entwicklung sind von
taz vom 12. Juni 2010 –:
kaum zu überschätzender Bedeutung. Auch muss es eine
breite Beteiligung des privaten Sektors und der Zivilge- Wenn die Leute die Wahrheit wissen sollen,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5027
Uwe Kekeritz
(A) – ich betone: sollen – und dann versuchen wir, die negativen Folgen der inter- (C)
national organisierten Ungerechtigkeiten über die MDGs
dann müssen wir ihnen klarmachen: Nein, das Ziel auszugleichen. Das kann doch nur als absurd bezeichnet
ist nicht zu erreichen. werden. So etwas kann natürlich nicht funktionieren.
Herr Minister, ich meine, Sie sollten sich einmal hier
In diesem Zusammenhang muss man die TRIPS-plus-
hinstellen und das mit Herrn Koppelin öffentlich austra- Verhandlungen der EU mit Indien sehen. Wir alle wis-
gen und klären. sen, dass die Verringerung der Kindersterblichkeit, die
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Verbesserung der Gesundheit von Müttern, die Bekämp-
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der fung von HIV/Aids, Tuberkulose und Malaria, also die
LINKEN) drei Gesundheits-MDGs, nur erreicht werden können,
wenn günstige hochwertige Generika zur Verfügung ste-
Trotzdem gehe ich freudig davon aus, dass diese Re- hen. Das ist heute noch möglich, weil 2001 in Doha Son-
gierung das 0,7-Prozent-Ziel erreichen möchte. Wir wer- derregelungen zur Produktion von Generika völkerrecht-
den Sie dabei natürlich tatkräftig unterstützen. lich verbindlich festgelegt wurden. Das muss auch so
(Harald Leibrecht [FDP]: Das hätten Sie die bleiben. Dass die Pharmaindustrie diese Sonderregelun-
letzten Jahre schon machen können!) gen abschaffen will, kann ich ja noch nachvollziehen.
Dass aber die EU als Hilfssheriff für die Pharmaindustrie
Allerdings müssen Sie uns schon erklären, wie Sie das die Verschärfung der TRIPS-Abkommen vorantreibt, ist
machen möchten, und das müssen Sie glaubwürdig bele- unerträglich.
gen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Harald Leibrecht [FDP]: Was haben Sie ge- sowie bei Abgeordneten der SPD und der
macht? Gar nichts!) LINKEN)
Da gibt es einen ganz einfachen Trick: Legen Sie einen Das Nichteinhalten der finanziellen Zusagen mit dem
Finanzstufenplan bis 2015 vor. Dann können wir diese Argument der Wirtschafts- und Finanzkrise zu rechtferti-
Aussage ernst nehmen. Dass das schwierig sein wird, gen, ist moralisch erbärmlich.
Herr Niebel, das wissen auch wir. Herr Schäuble wird
Ihnen das Geld nicht so einfach geben, weil er es nicht (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
hat. Da haben wir tatsächlich ein Problem. Wir haben Ih- SES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
nen aber schon mehrmals eine Lösung angeboten. Diese Die Länder haben diese Krise nicht verursacht. Sie jetzt
Lösung heißt Finanztransaktionsteuer. Die Bankenab- mit haftbar zu machen, kann nicht akzeptiert werden.
gabe ist dafür kein Ersatz. Eine Steigerung unserer Anstrengungen ist auch auf- (D)
(B)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, grund des Klimawandels nur als gerecht anzusehen.
bei der SPD und der LINKEN) Auch diesen haben die ärmsten Länder nicht verursacht.
Eine Verrechnung der ODA-Mittel mit Geldern, die in
Schön, dass das BMZ in seinem Reformkonzept „Die Kopenhagen zugesagt wurden, könnte nur als heuchle-
neue Effizienz in der deutschen Entwicklungspolitik“ risch bezeichnet werden.
darauf hinweist, dass es nicht nur um Quantität, sondern
auch um Qualität geht. Sie sprechen damit das Thema Deutsche Politik muss ihre seit Jahrzehnten bestehen-
der Inkohärenzen an. Inkohärenzen gibt es in Deutsch- den Verpflichtungen erfüllen und als Mitglied der Euro-
land, in Europa, in den Partnerländern, überall. Wir müs- päischen Union darauf hinwirken, dass die EU, die WTO
sen uns darüber im Klaren sein, dass das größte Problem und der IWF die Entwicklungsziele nicht aufgrund der
der Inkohärenzen in der Tatsache begründet liegt, dass Wirtschaftsziele von Konzernen und der Agrarlobby ins
viele EZ-Maßnahmen durch unfaire Weltwirtschafts- Leere laufen lassen. Ich spreche mich nicht gegen wirt-
strukturen konterkariert werden. schaftliche Zusammenarbeit aus. Allerdings müssen
wirtschaftliche Interessen an den Menschenrechten und
Ein Beispiel: US-amerikanische Baumwollsubventio- den ökologischen Notwendigkeiten ausgerichtet werden,
nen haben den Baumwollmarkt in West- und Zentral- die durch die Indikatoren der MDGs klar definiert sind.
afrika ruiniert und bedrohen massiv den indischen
Markt. US-Baumwolle ist aufgrund der hohen Subven- Ich danke Ihnen.
tionen – nicht Exportsubventionen, Frau Wöhrl, sondern (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Agrarsubventionen – 30 bis 40 Prozent billiger. Damit und bei der SPD)
wird natürlich die Lebensgrundlage kleiner Baumwoll-
produzenten zerstört. Die Familien müssen oftmals ihr
Land verlassen. Sie gehen in die Städte und landen in Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
den Slums. Der gleiche traurige elende Mechanismus Herr Kollege, dies war Ihre erste Rede im Deutschen
wird durch die EU-Agrarsubventionen – nicht nur Ex- Bundestag. Herzliche Gratulation und alle guten Wün-
portsubventionen – in Gang gesetzt. sche für die weitere Arbeit!
Wir alle wissen, wie die Hähnchenmast in Ghana zer- (Beifall)
stört worden ist und wie eine kamerunische Molkerei Das Wort hat nun Johannes Selle für die CDU/CSU-
durch billiges europäisches Milchpulver vom Markt ge- Fraktion.
schossen wurde. Wie läuft das? Zunächst vernichtet in-
dustrielle Politik die Lebensgrundlage der Menschen, (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
5028 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) Johannes Selle (CDU/CSU): denden oder zu behandelnden Krankheiten wie Lungen- (C)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die entzündung, Durchfall, Malaria und Masern. 2005 starben
Millenniumsentwicklungsziele stellen eine Herausforde- mehr als 500 000 Frauen während Schwangerschaften
rung dar. Das war schon bei ihrem Zustandekommen im und Geburten oder im Kindbett. 99 Prozent dieser
Jahre 2000 klar. Aber gibt es in der Geschichte ein wei- Frauen stammen aus Entwicklungsländern, 86 Prozent
teres Beispiel, dass sich nahezu die gesamte Menschheit aus Subsahara-Afrika und Südasien. Damit sank die
auf ein langfristiges gemeinsames Ziel festgelegt hat, Müttersterblichkeit global jährlich um weniger als 1 Pro-
dass nahezu die gesamte Menschheit quälende Mängel zent. Um das Millenniumsziel der Senkung der Mütter-
durch gemeinsame Anstrengungen beseitigen möchte? sterblichkeit um drei Viertel zu erreichen, wäre eine
Ich glaube, nicht. jährliche Rate von 5,5 Prozent erforderlich. Als Vater
Anstrengungen zur Überwindung der weltweiten Un- stehe ich fassungslos vor diesem Elend und dieser Trau-
gleichgewichte gab es viele. Die vier vorangegangenen rigkeit und werde an dieser Stelle nicht auf Teilerfolge
Entwicklungsdekaden von 1960 bis 2000 waren nicht er- verweisen.
folgreich. Dabei wurden Ziele und Strategien immer (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
wieder modifiziert. Die Beschlüsse, die von 189 Mit- neten der FDP)
gliedstaaten der Vereinten Nationen im Jahre 2000 unter
Einbeziehung dieser Erfahrungen gefasst wurden, glie- Ich fühle mich verpflichtet, politisch konstruktiv an die-
dern sich nun in 8 Hauptziele und 18 Teilziele bzw. Kri- ser Stelle mitzuhelfen.
terien – sehr konkret und sehr anspruchsvoll. Für die Erreichung der Ziele war ein Zeitraum von
Die Länder mit Entwicklungsdefiziten werden in die 15 Jahren, von 2000 bis 2015, vorgesehen. Selbst bei
Pflicht genommen. Sie sollen vorhandene Mittel in ein ungetrübtem Gang der Weltgeschichte wären große
eigenes Programm zur Armutsbekämpfung stecken, Anstrengungen erforderlich gewesen. Nun verpassen
Korruption eindämmen, Schulbildung für Jungen und Weltwirtschaftskrise, Euro-Krise, die angespannte Si-
Mädchen ermöglichen, Gleichberechtigung der Ge- cherheitslage durch Terrorismus und die Schuldenpro-
schlechter herstellen, Gesundheitsversorgung verbessern blematik in den Industriestaaten dem Erreichen der Ziele
und ihre Entwicklung ökologisch nachhaltig gestalten. einen zusätzlichen Dämpfer.
Die Industrieländer werden ebenfalls in die Pflicht Trotz aller Widrigkeiten: Wir sollten alles dafür tun,
genommen, sich dem Schuldenproblem zu widmen, sich dass die weltweiten gemeinsamen Anstrengungen er-
mit geeigneten Strategien den am wenigsten entwickel- folgreich sind. Wir sollten auch alles dafür tun, dass wir
ten Ländern zuzuwenden, zusammen mit dem privaten als Bundesrepublik Deutschland dabei als einer der
wichtigsten Partner wahrgenommen werden.
(B) Sektor Handelshemmnisse zu beseitigen und neue Tech- (D)
nologien bereitzustellen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
Aus wichtigem Grund erhöhen sich in diesem Jahr die der Abg. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD] –
Aktivitäten, die das Erreichen der Ziele in den Mittel- Zurufe von der SPD: Dann stimmen Sie unse-
punkt rücken. Zwei Drittel der Zeit sind vergangen, und rem Antrag zu! – Oh ja! Mit Herrn Niebel an
die Frage ist berechtigt, ob auch zwei Drittel der Ziele der Spitze! – Noch eine Krise!)
erreicht sind. Das Bild ist uneinheitlich, wie wir auch der Die Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Bundes-
Anhörung zum Thema „Umsetzung der Millenniumsent- minister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklungsziele“ in dieser Woche entnehmen konnten. wicklung Dirk Niebel haben wiederholt betont, sich die-
Es gibt Erfolge, es gibt Teilerfolge, es gibt offensicht- ser Aufgabe zu stellen. Das sollten alle anerkennen, die
liche Defizite, und es gibt Rückschläge. Selbst in den mit daran arbeiten, dass wir bei der Beseitigung der
Bereichen, in denen prozentual Fortschritte gemeldet schlimmsten Armut vorankommen.
werden, zum Beispiel bei der Armutsbekämpfung, sta- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
gniert die absolute Zahl der Betroffenen bei circa 1 Mil- neten der FDP)
liarde Menschen. Die gewachsene Bevölkerung insge-
samt kann dafür zwar eine plausible Erklärung liefern, Wir als Parlamentarier wissen genauso gut wie Kanz-
die dahinterstehenden Einzelschicksale bleiben aber er- lerin und Minister, welche Herausforderungen das an un-
schütternd. seren Haushalt stellt. Die finanzpolitischen Diskussio-
nen der letzten Wochen sind noch nicht verklungen. Wer
Herr Movassat hat recht, aber nur mit der traurigen in letzter Zeit Kontakte zu Ländern hatte, die um die Er-
Zahl, dass alle fünf Sekunden ein Kind stirbt. Das Ziel, reichung der Millenniumsziele ringen, der weiß, dass
die Kindersterblichkeit bis 2015 um zwei Drittel zu ver- Deutschland ein geschätzter Partner ist, und der weiß,
ringern, ist in weite Ferne gerückt. Zwar sank die Zahl dass sich viele dieser Länder eine engere Bindung an
der unter Fünfjährigen, die jährlich sterben, 2006 erst- Deutschland wünschen.
mals unter die 10-Millionen-Marke. Dennoch ist das Ri-
siko eines Kindes, in seinen ersten fünf Lebensjahren zu Deutschland muss es deshalb gelingen, vorbildlich in
sterben, in einem Entwicklungsland 13-mal höher als in Haushaltsdingen zu sein; denn was wir in den Partner-
einem Industrieland. ländern erreichen wollen, zum Beispiel Good Gover-
nance, solide Haushaltsführung und dadurch verlässliche
Die Hälfte der Todesfälle ereignet sich in Subsahara- und dauerhafte Partnerschaft auf hohem Niveau, müssen
Afrika. Die meisten Kinder sterben an leicht zu vermei- wir glaubwürdig vormachen. Wer sich für Budgethilfe
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5029
Johannes Selle
(A) einsetzt, der begründet die Vorteile damit, dass die Re- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (C)
gierungen vor dem Volk vertreten sollen, wofür sie das Dr. Sascha Raabe [SPD]: Viel für seine FDP-
Geld ausgeben wollen und wofür sie das Geld ausgege- Mitglieder erreicht! Er hat sie mit Posten ver-
ben haben. Genau diese Begründung sind wir auch in sorgt!)
Deutschland den Bürgern schuldig.
und auch die Frage nach der Effizienz der deutschen
Die Entwicklungshilfe muss weiterhin an ihrer Effi- Entwicklungsinstitutionen mutig aufgegriffen. Ein An-
zienz arbeiten und nachweisen, dass sie Effizienz einfor- trag von CDU/CSU und FDP zu den Millenniumszielen
dert und der sich breitmachenden Subventionsmentalität befindet sich in der letzten Abstimmung.
entgegentritt. Gute Entwicklungszusammenarbeit kann
endogenes Wirtschaftswachstum nicht ersetzen, aber sie Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
kann einen entscheidenden Beitrag dazu leisten, die Ba- Herr Kollege!
sis für Wirtschaftswachstum überhaupt erst zu schaffen.
Johannes Selle (CDU/CSU):
In der Anhörung zur Umsetzung der Millenniums-
ziele in dieser Woche wurde darauf verwiesen, wie wich- Vielleicht gelingt ja ein fraktionsübergreifender An-
tig Arbeitsplätze für Fortschritte auf allen Gebieten in ei- trag. Das wäre dem Thema angemessen.
ner sich entwickelnden Wirtschaft sind. Armut wird am (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
besten durch bezahlte Arbeit in einer funktionierenden
Wirtschaft überwunden. Deshalb ist entscheidend, dass Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
das Bundesministerium den Schwerpunkt auf die wirt- Das Wort hat nun Karin Roth für die SPD-Fraktion.
schaftliche Zusammenarbeit unter Einbeziehung des pri-
vaten Sektors legt. Arbeitsplätze in der Wirtschaft führen (Beifall bei der SPD)
zu gefragten Dienstleistungen und Produkten, die man
handeln kann und in deren Gefolge weitere Arbeitsplätze Karin Roth (Esslingen) (SPD):
entstehen. In der Anhörung haben wir von dem bedrü- Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
ckenden Beispiel der fehlenden Toiletten gehört. Millio- gen! Die Situation ist dramatisch; das ist wahr. Wir reden
nen Menschen können tagsüber nicht zur Toilette gehen, hier in diesem Plenum leidenschaftlich über Millionen
weil es keine geschützten Räume gibt. Armut kann von Toten, über Kinder, über Menschen, die erkrankt sind
schneller überwunden werden, wenn die Menschen an Aids, Malaria, Tuberkulose und anderen Krankheiten.
durch eigenes Einkommen ihre Toiletten selbst herstel- Wir wissen auch, dass die im Rahmen der Staatenge-
len können. meinschaft gemeinsam verabredeten Millenniumsziele
(B) verbindlich sein sollen für die Industrienationen, vor al- (D)
Alle notwendigen Investitionen in Gesundheit, in In- len Dingen deshalb, weil damals klar erkannt worden ist:
frastruktur und insbesondere in Bildung müssen zu Ohne Hilfe der Industrienationen ist eine Entwicklung
einem wachsenden Teil aus den Partnerländern selbst ge- nicht möglich. Dazu gehört aber nicht nur die Entwick-
tragen werden können. Erst dann sind die Millenniums- lungshilfe, sondern dazu gehören zum Beispiel auch
ziele nachhaltig erreicht worden. Wir wollen deshalb die Entschuldung sowie wirtschaftliche Zusammenarbeit;
ganze Gesellschaft mitnehmen, kirchliche Institutionen das ist gar keine Frage. Die Frage ist nur: Sind wir ange-
und auch privatwirtschaftliche Initiativen. Wir fördern sichts der Zahlen und Fakten, die Sie, liebe Kolleginnen
das, weil wir damit viel mehr Geld freimachen können und Kollegen, hier unterschiedlich prononciert dargelegt
und auch schneller Ergebnisse erzielen. haben, glaubwürdig? Ist das ein Erfolg? Wir müssen hier
In 15 Jahren sollten die Millenniumsziele verwirk- doch sagen: Es ist kein Erfolg, wir haben es noch nicht
licht werden. Bei der bekannten Dauer von Legislatur- geschafft.
perioden hat man nicht allein auf das bei der Beschluss- Jetzt haben wir fünf Jahre Zeit, Herr Minister Niebel,
fassung vorhandene Parteienspektrum setzen können. in denen man natürlich darüber hinausgehende Maßnah-
Wir sind deshalb gut beraten, in dieser Debatte partei- men fördern, vor allen Dingen aber die Erreichung der
politische Vorwürfe zu vermeiden. Denn in dem Anlie- Millenniumsziele organisieren kann. Die SPD-Fraktion
gen sind wir uns sehr nahe, Herr Kollege Raabe; das will hat dazu einen Antrag vorgelegt. Wenn man genau hin-
ich an dieser Stelle einmal sagen. Der Hinweis, dass die schaut – Herr Selle, ich nehme Ihren Vorschlag auf –,
große Differenz zu den Planzahlen nicht erst in den letz- dann sieht man, dass natürlich auch die Koalition vieles
ten Monaten entstanden ist, ist ja auch nicht unberech- von dem, was wir beschrieben haben, unterschreiben
tigt. kann.
An dieser Stelle sei einmal ganz kurz gesagt: Ich bin
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: froh darüber, dass es im Bundestag auch eine gemein-
Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. same Erklärung von Kollegen gibt, die im Rahmen der
Arbeit des Unterausschusses „Vereinte Nationen, inter-
nationale Organisationen und Globalisierung“ zu dem
Johannes Selle (CDU/CSU): Thema Millenniumsziele Stellung genommen haben, um
Ich komme zum Schluss. – Minister Niebel hat in die- deutlich zu machen, dass wir auch gemeinsame Positio-
ser wirklich schwierigen Zeit für die Entwicklungsziele nen dazu haben. Ich finde, das ist ein gutes Vorgehen
viel erreicht – Frau Ministerin a. D. Wieczorek-Zeul, ich denke, Sie
5030 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Karin Roth (Esslingen)


(A) haben das auch mit organisiert –, weil es natürlich rich- können. Vor allen Dingen können Sie zeigen, was Sie (C)
tig ist, dass wir auf der Ebene der UN eine gemeinsame zahlen.
Sprache sprechen sollen und müssen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Bei dieser Gelegenheit möchte ich jetzt einige Worte DIE GRÜNEN)
an den Minister richten. Vor drei Tagen gab es in Brüssel
eine Konferenz, bei der Sie hoffentlich anwesend waren. Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Es wurde dort verabredet – ich habe das Protokoll und Ich schließe die Aussprache.
auch das entsprechende Dokument –, besonders die
Finanzierung der entwicklungsförderlichen Rahmenbe- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
dingungen zu gewährleisten und einen entsprechenden den Drucksachen 17/2018, 17/2024 und 17/2132 an die
Stufenplan vorzulegen. Das heißt für dieses Parlament in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
und für diese Regierung konkret, dass die Koalition jetzt schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
natürlich auch einen entsprechenden Quotenvorschlag Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
machen muss, um das 0,7-Prozent-Ziel zu erreichen. Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Ich wäre sehr froh, wenn wir das im September, wenn – Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
die Bundeskanzlerin nach New York reist, mit einer ent- richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus-
sprechenden Autorität vorlegen könnten; denn einmal schuss) zu dem Antrag der Bundesregierung
Kopenhagen reicht. Wir brauchen kein zweites Kopen-
hagen. Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
scher Streitkräfte an der United Nations
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Interim Force in Lebanon (UNIFIL) auf
DIE GRÜNEN) Grundlage der Resolution 1701 (2006) vom
Wenn die Bundeskanzlerin nach New York reist, sollten 11. August 2006 und folgender Resolutionen,
wir eine wirkliche Verbindlichkeit der Zusagen der zuletzt 1884 (2009) vom 27. August 2009 des
Deutschen erreicht haben. Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
Apropos: Auch andere europäische Staaten leiden un- – Drucksachen 17/1905, 17/2171 –
ter der Finanz- und Wirtschaftskrise – das gilt auch für
Berichterstattung:
Großbritannien – und haben ihr Ziel erreicht und sogar
Abgeordnete Philipp Mißfelder
übererfüllt. Wenn ich es richtig gehört habe, dann wird
Dr. Rolf Mützenich
auch die neue britische Regierung an diesem Ziel fest-
Dr. Rainer Stinner
(B) halten. Kurzum: Wir brauchen einen Aktionsplan, wie (D)
Wolfgang Gehrcke
ihn Ban Ki-moon vorgeschlagen hat, für die ganze Welt
Kerstin Müller (Köln)
und insbesondere für die UNO. Dazu brauchen wir flan-
kierend die europäische und natürlich auch die nationale – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)
Komponente. gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Ich gehe davon aus, dass gerade wir, die Deutschen, – Drucksache 17/2177 –
die Glaubwürdigkeit nicht nur von anderen einfordern,
zum Beispiel hinsichtlich der Effizienz der Verteilung Berichterstattung:
der Mittel und der Übernahme der Mittel, sondern dass Abgeordnete Herbert Frankenhauser
wir sie auch selber gewährleisten, indem wir das, was Petra Merkel (Berlin)
wir versprochen haben, auch halten. Daran misst man Dr. h. c. Jürgen Koppelin
uns in der Welt genauso wie in Deutschland. Michael Leutert
Sven-Christian Kindler
Es wäre schade – hier stimme ich Ihnen zu, Herr
Selle –, wenn es nicht gelingen würde, dieses Ziel zu er- Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
reichen. Deshalb brauchen wir eine gemeinsame An- Bündnis 90/Die Grünen vor.
strengung. Auch Herr Koppelin, der ja bekannt für be- Über die Beschlussempfehlung werden wir später na-
sondere Vorschläge im Haushaltsausschuss ist, sollte mentlich abstimmen.
von der FDP überzeugt werden, dass auch und gerade
unserem Ansehen in der Welt durch Ihr Vorgehen in die- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
sem Zusammenhang sonst geschadet wird. Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich eröffne die Aussprache und erteile dem Kollegen
Rainer Stinner für die FDP-Fraktion das Wort.
Ich erwarte also, dass die Bundesregierung insbeson-
dere auch beim jetzigen G-8-Gipfel das Thema Mütter- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
sterblichkeit anspricht und Maßnahmen zu deren Besei-
tigung unterstützt sowie die Initiative voranbringt. Das Dr. Rainer Stinner (FDP):
ist die erste Nagelprobe für Sie, Herr Niebel, und die Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
zweite folgt sogleich, nämlich im September gemeinsam Stabilisierung der Region Naher Osten liegt ohne jeden
mit der Kanzlerin. Dann können Sie zeigen, was Sie Zweifel im deutschen und selbstverständlich auch im
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5031
Dr. Rainer Stinner
(A) europäischen Interesse. Wie fragil die Situation ist, müs- (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Ingo (C)
sen wir leider im Wochenrhythmus immer wieder neu Gädechens [CDU/CSU])
erleben. Wir haben uns damit erst letzte Woche beschäf-
tigt. Man muss Änderungen vornehmen und ein solches
Mandat den Realitäten anpassen, aber ausdrücklich die
Im Prinzip geht es um einen Dreiklang. Es geht ers- Auslaufperspektive im Auge behalten; denn das ist
tens darum, das Existenzrecht Israels in sicheren Gren- wichtig.
zen zu gewährleisten, was Deutschland immer sehr stark
Wir wissen aber auch, dass an ein Auslaufen des
am Herzen gelegen hat und liegen wird. Es geht zwei-
UNIFIL-Mandates nicht zu denken ist, wenn die libane-
tens darum, einen lebensfähigen palästinensischen Staat
sische Marine nicht in der Lage ist, die Sicherungsaufga-
aufzubauen. Drittens geht es um die Stabilisierung des
ben dort selbst wahrzunehmen. Deshalb ist in dem vor-
Staates Libanon.
liegenden Mandat eine Umorientierung primär in der
Da wir ein Interesse an der Situation haben, müssen Ausbildung und Unterstützung der libanesischen Marine
wir als Deutsche einen Beitrag leisten. Dieser Beitrag vorgenommen worden. Das Wichtige ist, dass wir die li-
kann verschiedene Facetten haben. Am 18. Januar dieses banesische Marine in die Lage versetzen, diese Aufgabe
Jahres zum Beispiel ist es gelungen, dass deutsch-israeli- mittelfristig selbst zu übernehmen. Ich bin sehr froh da-
sche Regierungskonsultationen stattgefunden haben, in rüber, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht nur im
einem Umfang, wie wir es vor einigen Jahren nie für Rahmen von UNIFIL, sondern auch in bilateralen Pro-
möglich gehalten hätten. Am 18. Mai ist der Deutsch- jekten den Libanon unterstützt, etwa mit der Lieferung
Palästinensische Lenkungsausschuss zusammengekom- von Schiffen und Ausrüstung. Das ist genau der richtige
men, in dem auch Konsultationen quasi auf Regierungs- Weg. Die Beendigungsperspektive kann also erst dann
ebene stattgefunden haben. Auch das ist historisch von am Horizont erscheinen, wenn die Befähigung der liba-
ungeheurer Bedeutung und war vor einigen Jahren nicht nesischen Marine aufgewachsen sein wird. Dazu leisten
vorstellbar. wir unseren Beitrag.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Wir begrüßen sehr, dass sich die neue Bundesregie-
rung beim Umfang des Mandates den Realitäten ange-
Ein weiterer Beitrag zur Stabilisierung dieser Region passt hat. Realität vor Ort ist Folgendes: Gegenwärtig
ist der UNIFIL-Einsatz, den Deutschland seit 2006 be- sind 237 deutsche Soldaten vor Ort. Es ist sinnvoll und
gleitet. UNIFIL war notwendig, um die Resolution 1701 richtig, im Rahmen der Neuorientierung dieses Manda-
durchzusetzen und das Land zu stabilisieren. Zunächst tes eine Reduzierung vorzunehmen. Dies dient der
war es ein Feuerwehreinsatz; denn es musste in der Tat Wahrheit und Klarheit von Mandaten, der wir uns als
(B) Feuer gelöscht werden. Aber seit 2006 hat sich die Situa- FDP-Fraktion deutlich verschrieben haben. (D)
tion im Nahen Osten geändert, wie wir alle wissen. Von
daher ist es richtig, heute, im Jahre 2010, darüber nach- (Beifall bei der FDP)
zudenken, ob es bei UNIFIL Umsteuerungsbedarf gibt Wir begrüßen auch, dass die neue Bundesregierung
und wie man UNIFIL in Zukunft gestalten kann. bei jedem einzelnen Mandat eine genaue Überprüfung
Die Zustimmung zu UNIFIL hier im Hause war im- vorgenommen hat. Wir haben gegenwärtig acht Aus-
mer mit der Forderung verbunden, dass parallel dazu die landsmandate. Von denen hat die neue Bundesregierung
beteiligten Länder in einen politischen Lösungsprozess eines ausgeweitet: Afghanistan. Sie alle wissen, warum
eintreten. Ich sage unverblümt, dass ich mit den diesbe- und wie. Bei zweien ist die Zahl gleich geblieben, und
züglichen Bemühungen nicht sehr zufrieden bin. Da bei fünf Mandaten sind seit Antritt der neuen Bundesre-
hätte mehr geschehen können und müssen. gierung sowohl die Obergrenze des Mandates als auch
die Ausschöpfung zurückgenommen worden. Dies
Die Vereinten Nationen haben im Frühjahr dieses Jah- nenne ich verantwortliche deutsche Außenpolitik, und
res eine Evaluation dieses UNIFIL-Einsatzes vorgenom- ich bedanke mich beim Herrn Außenminister, dass er
men. Diese Evaluation war für unsere Fraktion sehr diese Politik von sich aus mit Impetus vorangetrieben
wichtig; sie war ein sehr wichtiger Meilenstein zur Beur- hat.
teilung unseres eigenen Handelns. Die Vereinten Natio-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
nen sind ohne jeden Zweifel sehr deutlich zu der Über-
zeugung gekommen, dass ein weiterer UNIFIL-Einsatz Das Ganze in Zahlen ausgedrückt: Die kumulierte Ober-
gegenwärtig noch unbedingt notwendig ist. grenze ist seit Regierungsantritt am 27. Oktober letzten
Jahres um sage und schreibe 20 Prozent gesunken, und
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich teile auch auch die aktuelle Präsenz vor Ort ist um 18 Prozent ge-
ausdrücklich das Statement des Generalsekretärs der sunken. Das ist der Weg in die richtige Richtung.
Vereinten Nationen. Selbstverständlich kann die Beteili-
gung an UNIFIL keine Never ending Story sein und bis Im Zusammenhang mit den Auslandsmandaten – dies
zum Sankt-Nimmerleins-Tag erfolgen. Nein, wir müssen hebe ich für meine Fraktion deutlich hervor – brauchen
bei UNIFIL wie bei anderen Mandaten auch darüber wir nach wie vor an manchen Orten in dieser Welt mili-
nachdenken, unter welchen Bedingungen ein Abschmel- tärischen Einsatz. Wir alle wissen zwar, dass wir mit Mi-
zen oder ein Auslaufen solcher Mandate erfolgen kann. litär nie ein Problem lösen werden. Aber der militärische
Das ist richtig. Das ist genau die Position der FDP-Frak- Einsatz dient dazu, politische Lösungen zu ermöglichen.
tion. Dies gilt insbesondere bei UNIFIL. Wir können auch in
5032 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Dr. Rainer Stinner


(A) diesem Fall – ich bin mehrmals im UNIFIL-Gebiet ge- führung und die Begrenzung von Auslandseinsätzen. (C)
wesen – mit Stolz auf das zurückblicken, was unsere Unzureichend ist bislang aber leider die politische Flan-
Soldaten dort geleistet haben. Sie haben einen Beitrag kierung des militärischen Einsatzes. Beispielhaft im ne-
zum Frieden im Nahen Osten geleistet, und dafür sollten gativen Sinne – das kann ich Ihnen nicht ersparen, lieber
wir ihnen Dank und Anerkennung zollen. Kollege Stinner – ist diese Mission für eine schlechte
Außenpolitik insbesondere der Freien Demokratischen
(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD
Partei, die in der Vergangenheit aus parteitaktischen
und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Gründen bei diesem wichtigen Mandat schwankte und
Die Stabilisierung der Region liegt in unserem deut- zauderte.
schen Interesse. Wir sollten uns als Deutsche nicht über-
(Beifall bei der SPD)
heben. Wir allein können nicht den gordischen Knoten
durchhauen; aber wir können gerade aufgrund der exzel- Die FDP hatte im Dezember 2009 argumentiert, man
lenten Arbeit der Bundesregierung – ich hatte Israel und müsse bei der Verlängerung abwarten, wie die Evaluie-
Palästina genannt – im Rahmen der Europäischen Union rung der Mission durch die Vereinten Nationen ausfalle.
einen vehementen Beitrag dazu leisten. Ich bin sehr Das war und ist ein vorgeschobenes und falsches Argu-
dankbar, dass die Bundesregierung das manchmal etwas ment; denn jeder derartige Einsatz der Vereinten Natio-
schläfrige Quartett revitalisiert und erklärt hat, das Quar- nen wird regelmäßig evaluiert. Das ist also kein Grund,
tett müsse eine tragende Rolle spielen, was auch für den ein Mandat künstlich zu begrenzen sowie Enttäuschung
anderen Zusammenhang gilt, über den wir in der letzten und Irritation bei wichtigen Partnern, bei den Vereinten
Woche diskutiert haben. Wir unterstützen die Bundesre- Nationen, in der Region sowie bei den Soldatinnen und
gierung nachhaltig bei ihrem Bemühen, den deutschen Soldaten hervorzurufen.
Beitrag zur Stabilisierung dieser Region deutlich zu ma-
chen. Deshalb werden wir mit sehr großer Mehrheit dem Was erwarten die Bürgerinnen und Bürger von uns im
geänderten neuen Mandat zustimmen. Umgang mit derartigen Einsätzen? Sie erwarten eine
einwandfreie Mandatierung, eine professionelle Umset-
Vielen Dank. zung und, soweit möglich und sinnvoll, die Reduzierung
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) oder Beendigung eines Einsatzes; das ist unbestritten.
Aber es geht nicht um einen Wettbewerb der Exit-Strate-
gien,
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Nächster Redner ist der Kollege Günter Gloser für die (Dr. Rainer Stinner [FDP]: Nein!)
SPD-Fraktion. sondern um einen verantwortungsvollen Ausstieg aus ei-
(B) nem Mandat. (D)
(Beifall bei der SPD)
(Dr. Rainer Stinner [FDP]: So wie wir es
Günter Gloser (SPD): machen!)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die heutige Debatte wäre gar nicht nötig ge- Schließlich erwarten die Menschen eine politische Flan-
wesen, wenn das UNIFIL-Mandat im letzten Dezember kierung des Einsatzes. Diese erwarten auch die Soldatin-
turnusgemäß gleich um ein Jahr verlängert worden wäre. nen und Soldaten, wenn sie in so schwierige und gefähr-
liche Einsätze geschickt werden. Wenn wir es mit dem
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ erweiterten Sicherheitsbegriff und dem Vorrang ziviler
DIE GRÜNEN) Mittel in der Außenpolitik ernst meinen, dann müssen
wir auch fragen, was die Bundesregierung getan hat, um
Nun haben wir die Debatte, in der ich drei Punkte her-
die militärische Arbeit der UNIFIL-Mission politisch zu
vorheben möchte:
begleiten, ob sie alles getan hat, damit die Wirkung des
Erstens. Die SPD unterstützt natürlich die Verlänge- Einsatzes nachhaltig ist.
rung des UNIFIL-Mandats,
Ihre Reise in die Region vor einigen Wochen, sehr ge-
(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Sehr gut! Sehr ehrter Herr Außenminister, war in dieser Hinsicht richtig
vernünftig!) und wichtig.
weil UNIFIL eine erfolgreiche Mission ist. (Dr. Rainer Stinner [FDP]: Sehr wahr!)
Zweitens trägt UNIFIL zur Stabilisierung der Region Ein solches Engagement habe ich im Namen der SPD-
bei, da sowohl Israel als auch der Libanon der Mission Fraktion schon bei der letzten Mandatsverlängerung im
ausdrücklich zugestimmt haben. Dezember 2009 angemahnt. Leider blieb die Reise bis-
her aber eine Einzelmaßnahme. Wünschenswert wäre
Drittens schließe ich mich – hier gibt es sicherlich Ei-
eine weitere Initiative zur Verbesserung der Sicherheit
nigkeit – dem Dank an unsere Soldatinnen und Soldaten
an der Landgrenze. Hier läuft ein erfolgreiches Modell-
in dieser Region an, die dort wirklich hervorragende Ar-
projekt zur Unterstützung des libanesischen Zolls. Es
beit geleistet haben.
wäre gut, solche Initiativen weiterzuführen und auszu-
Nun möchte ich erläutern, warum diese Mission in bauen. Noch ein Beispiel: Die syrische Haltung zum
mehrfacher Hinsicht beispielhaft für die Art der deut- Waffenschmuggel über die syrisch-libanesische Land-
schen Außenpolitik ist. Sie ist beispielhaft für die Durch- grenze hat sich nicht verändert. Deutschland hat leider
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5033
Günter Gloser
(A) nicht den Einfluss, den es bräuchte, um diesbezüglich et- im Libanon bis zu einem gewissen Punkt stabilisiert hat. (C)
was zu bewegen. Deshalb appelliere ich an Sie, die Ge- Es wurden geordnete Parlaments- und Kommunalwah-
spräche und Verhandlungen mit Syrien zu intensivieren, len durchgeführt. Die Regierung der nationalen Einheit
so wie Ihre Vorgänger es schon getan haben. unter Ministerpräsident al-Hariri hat die Arbeit aufge-
nommen. Trotz aller Probleme, die es noch gibt, besteht
Sehr geehrter Herr Außenminister, Sie haben aus-
die begründete Perspektive, den im Oktober 2006 be-
drücklich erwähnt, dass Sie damals keine Kritik an
gonnenen Einsatz in absehbarer Zeit beenden zu können.
Frank-Walter Steinmeier geübt haben, als er in seiner Ei-
Das macht deutlich, wie viel in den vergangenen Jahren
genschaft als Außenminister in der Großen Koalition
geleistet und erreicht worden ist.
nach Amman gereist ist und dafür von Kollegen Ihres
heutigen Koalitionspartners kritisiert wurde. Ich hoffe Der Libanon ist bereits heute wieder in Teilbereichen
nur, dass nicht wieder dieselben Bremser auftreten und zur selbstständigen Kontrolle seiner Hoheitsgewässer in
Sie an Aktivitäten im Nahen und Mittleren Osten, insbe- der Lage. Deshalb sage ich: Wenn wir jetzt beschließen,
sondere in Syrien, hindern werden. Es geht nicht darum, die personelle Obergrenze für die deutsche Beteiligung
Syrien den roten Teppich auszurollen, sondern darum, von 800 auf 300 Soldaten zu reduzieren, dann ist das nur
Syrien klarzumachen, dass es in Deutschland einen star- konsequent. Das gilt übrigens nicht zuletzt vor dem Hin-
ken und entschlossenen Partner hat, wenn es im Liba- tergrund, dass sich die Qualität der Mission verändert
non, gegenüber Israel und im Verhältnis zum Iran eine hat. Ging es damals verstärkt um militärischen Schutz,
konstruktive Rolle einnimmt. Das sind hohe Anforde- liegt die Betonung heute auf der Ausbildung der libane-
rungen an Syrien, und entsprechend groß muss der An- sischen Kräfte. Wir unterstützen das Land beim Aufbau
reiz in wirtschaftlicher, kultureller und politischer Hin- eigener Kapazitäten und Fähigkeiten. Darüber hinaus
sicht sein. hilft Deutschland auch beim zivilen Aufbau des Landes,
um langfristige innenpolitische Stabilität im Libanon
Im Nahen Osten ist vieles in Bewegung, aber leider
und letztlich in der gesamten Region zu erreichen.
nicht immer zum Positiven. Deswegen brauchen wir ei-
nen adäquaten, allumfassenden Politikansatz. Das liegt Frieden ist möglich, wenn alle Beteiligten dies wollen
in unserem Interesse und wird vor dem Hintergrund der und die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft
deutschen Verantwortung für die Sicherheit Israels und vorhanden ist. Das ist die Botschaft von UNIFIL. Weit
der gesamten Region von uns erwartet. Herr Außen- über 200 Frauen und Männer der Bundesmarine leisten
minister, wenn Sie diesen Weg ernsthaft beschreiten, dafür momentan vor der Küste Libanons einen wichtigen
werden Sie in der SPD-Fraktion einen kritischen, aber Beitrag zur Stärkung von Stabilität und Souveränität des
konstruktiven Partner haben. Landes. Sie nehmen dafür die Trennung von Familie und
Freunden auf sich. Die Besatzungen der „Kulmbach“,
(B) Vielen Dank. (D)
der „Auerbach“ und der „Main“ gewährleisten, dass
(Beifall bei der SPD) diese Küste kein Einfallstor für Waffen ist, die den Liba-
non und die Region destabilisieren sowie das Leben der
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Menschen – auch in Israel – bedrohen könnten. Diese er-
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Peter folgreiche Mission zeigt, dass diejenigen recht behalten,
Beyer das Wort. die nicht bereit sind, angesichts der Schwierigkeiten im
Nahen Osten zu resignieren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wie wichtig den Menschen vor Ort dabei gerade die
deutsche Beteiligung ist, zeigt sich auch daran, dass so-
Peter Beyer (CDU/CSU):
wohl die libanesische Regierung als auch die israelische
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Regierung ausdrücklich um ein weiteres deutsches En-
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Ereignisse vor gagement gebeten haben. Das sind die Motivation und
Gaza im östlichen Mittelmeer am Morgen des 31. Mai die Anerkennung für die Leistung unserer Soldatinnen
– Stichwort sogenannte Friedensflottille – haben der und Soldaten. Gleichzeitig hat Deutschland ein eigenes
Welt erneut deutlich vor Augen gehalten, wie ange- strategisches Interesse an einem dauerhaften Frieden und
spannt die Lage im Nahen Osten noch ist. Sie haben da- an Stabilität im Nahen Osten. Für ihren unermüdlichen
rüber hinaus die Sorge vor einer weiteren Eskalation Einsatz, den sie oft unter schwierigsten Bedingungen
wachgerufen. Umso wichtiger sind für uns gerade heute leisten, verdienen alle eingesetzten Soldatinnen und Sol-
deutliche Signale, dass im Nahen Osten auch eine daten unsere Wertschätzung und unseren Dank.
schwierige Situation verbessert werden kann. Die United
Nations Interim Force in Lebanon sendet ein solches (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
kraftvolles Signal. Es ist möglich, auch eine schwere bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
Krise zu entspannen, wenn man sich entschlossen dafür GRÜNEN)
einsetzt.
Die ermutigende Entwicklung von UNIFIL bestärkt
2006 befürchteten nicht wenige, der Libanon-Kon- uns darin, weiter nicht nur an die Möglichkeit von Frie-
flikt könnte der entscheidende Funken sein, der in der den für alle Menschen in dieser Region zu glauben, son-
Region einen Flächenbrand auslöst. Dazu ist es glückli- dern auch weiter dafür zu arbeiten. Die Schwierigkeit
cherweise nicht gekommen. Die UNIFIL-Mission hat des Einsatzes ist dadurch bedingt, dass der Libanon
maßgeblichen Anteil daran, dass sich vier Jahre später, schon historisch Schnittstelle vieler regionaler Konflikt-
also zum heutigen Zeitpunkt, die innenpolitische Lage linien ist. Wir dürfen die immer noch jederzeit präsente
5034 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Peter Beyer
(A) Gefahr für das Land, zum Spielball fremder Interessen Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C)
zu werden, nicht in Abrede stellen. Am Beispiel der ex- Nächste Rednerin ist die Kollegin Inge Höger für die
tremistischen Hisbollah, die innerhalb des Libanons ak- Fraktion Die Linke.
tiv ist und sich auch an den Wahlen beteiligt, wird das
besonders deutlich. Sie ist ein Grund dafür, warum die (Beifall bei der LINKEN)
im Libanon seit 2006 erreichte innenpolitische Stabilität
nach wie vor fragil bleiben muss. Es wird die große Auf- Inge Höger (DIE LINKE):
gabe der Politik sein, den Frieden, den UNIFIL derzeit Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
sichert, langfristig zu erhalten. Lage im Libanon hat sich im letzten halben Jahr nicht
wesentlich verändert. Trotzdem erleben wir gerade eine
Deshalb gilt: Wo wir den demokratischen Kräften im erstaunliche Kehrtwende bei der FDP. Nachdem die FDP
Libanon bei der Stabilisierung des Landes helfen kön- diesen ersten Einsatz der Bundeswehr im Nahen Osten
nen, sowohl im Rahmen von UNIFIL als auch auf zivi- bisher immer abgelehnt hat, ist sie nun dafür. Woher die-
lem Gebiet, da sollten, ja müssen wir unserer Pflicht ses Umdenken kommt, bleibt offen. Die immer wieder
nachkommen. bemühte Evaluation durch die Vereinten Nationen kann
es nicht gewesen sein. Sie hat nichts wirklich Neues ans
Der deutsche UNIFIL-Einsatz ist durch das Völker- Tageslicht gebracht. Die UN haben darauf hingewiesen,
recht legitimiert. Er ist vom UN-Sicherheitsrat manda- dass es Hunderte von Zwischenfällen gab und gibt, in
tiert und von beiden Konfliktparteien ausdrücklich ge- denen die israelische Armee die Souveränität des Liba-
wünscht. Wer trotzdem sagt: „Auslandseinsätze machen nons verletzt hat. Gleichzeitig findet, so wird vermutet,
wir aus Prinzip nicht mit“ oder: „Wir unternehmen Waffenschmuggel an die Hisbollah statt, allerdings auf
nichts, dann machen wir auch nichts falsch“, der macht dem Landweg und nicht auf hoher See. Daraus lässt sich
es sich gerade bei dieser Sachlage zu einfach. weder ein Erfolg noch ein militärischer Sinn deutscher
Präsenz ableiten.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
(Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens
Wer es sich bei der außenpolitischen Verantwortung aber [CDU/CSU]: Das müssen Sie erklären!)
so leicht macht, der verlängert Konflikte, der lässt Men-
schen unnötig leiden, der verweigert sich letztlich der Gerade nach der Ankündigung von Minister zu
ihm übertragenen Verantwortung. Wer sich dann auch Guttenberg, auch alle Auslandseinsätze im Rahmen des
noch auf vordergründig humanitäre Aktionen einlässt, Sparpakets auf den Prüfstand zu stellen, wäre ein Umden-
auch, wie es die Kollegin Kerstin Müller in der Gaza- ken angebracht gewesen. Die vorgesehene Verlängerung
(B) Debatte in der letzten Woche sinngemäß zutreffend for- des UNIFIL-Einsatzes im Mittelmeer kostet 32,6 Millio- (D)
nen Euro.
mulierte, auf die Gefahr hin, sich vor den Karren von
Extremisten und Fundamentalisten spannen zu lassen, (Holger Haibach [CDU/CSU]:
der erweist den Menschen im Nahen und Mittleren Os- 39,6 Millionen!)
ten einen schlechten Dienst.
Das ist Verschwendung von Steuergeldern.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
(Beifall bei der LINKEN)
FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
NEN – Zuruf von der LINKEN: Und vor wel- Meine Kolleginnen und Kollegen von den anderen
chen Karren lassen Sie sich spannen?) Fraktionen, Sie haben es bis jetzt versäumt, auch nur an-
nähernd stichhaltige Argumente für die deutsche Beteili-
Lassen Sie uns das Thema „Friedenseinsatz im Liba- gung an dieser Kapitel-VII-Mission vorzubringen. Sie
non“ entschlossen und geschlossen angehen, gepaart mit sprechen von internationaler Präsenz mit dem Ziel, eine
Verantwortung und Vernunft. Die Menschen brauchen Eskalation zu vermeiden. Doch warum braucht man da-
konkrete Maßnahmen zur Verbesserung ihrer Situation. für Militär? Für diese Aufgabe würden internationale
Was sie nicht brauchen, sind ideologisch gefärbte Debat- Beobachter mit einem starken politischen Mandat aus-
ten, die letztlich nur der Durchsetzung eigener politi- reichen.
scher Interessen dienen sollen. Machen Sie sich die Ih-
nen übertragene politische Verantwortung bewusst! Die (Beifall bei der LINKEN – Peter Beyer [CDU/
CSU]: Die beobachten dann die Waffenliefe-
Beteiligung an UNIFIL ist Einsatz für den Frieden in der
rung!)
Welt durch Deutschland im besten Sinne des Wortes.
Tragen Sie mit Ihrer Entscheidung dazu bei, dass den Selbst wenn Sie davon ausgehen, dass nur Militär durch
Menschen im Libanon der erforderliche Schutz weiter seine Präsenz die Aktionen anderer Militäreinheiten
zur Verfügung gestellt wird und sie beim Aufbau ihres überwachen kann: Warum braucht diese Mission dann
Landes weiter tatkräftig unterstützt werden! Das ist kon- eine Lizenz zum Schießen? Warum soll eine robuste Ka-
kret. Das hilft vor Ort. Deshalb wird die CDU/CSU- pitel-VII-Mission zur Stabilisierung beitragen? So wird
Fraktion dem Antrag zustimmen. vielmehr der weiteren Konflikteskalation Tür und Tor
geöffnet,
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN – Günter Gloser
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) [SPD]: Beispiele!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5035
Inge Höger
(A) und zwar spätestens dann, wenn es tatsächlich zu militä- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C)
rischen Auseinandersetzungen zwischen der UNIFIL- Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-
Truppe und einer der Konfliktparteien kommt. legin Kerstin Müller das Wort.
Sie alle reden hier von der neuen Qualität des Einsat-
zes. Sie erwähnen die Ausbildung für den libanesischen Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Küstenschutz sowie die Einrichtung und Optimierung Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
von Küstenradarstationen. Seit wann gehört es zu den Frau Höger, um Ihnen zumindest einen Grund zu nen-
Aufgaben der deutschen Marine, sich um die Ausbil- nen, warum die UNIFIL-Mission und auch die deutsche
dung von Sicherheitskräften und Ingenieuren zu küm- Beteiligung daran so wichtig sind, möchte ich hier direkt
mern? am Anfang eine Passage aus einem Gespräch mit dem li-
banesischen Ministerpräsidenten, Herrn al-Hariri, zitieren,
(Beifall bei der LINKEN – Ingo Gädechens der im März hier in Berlin zu Besuch war. Im Gespräch
[CDU/CSU]: Wir tun halt, was wir können!) mit den Obleuten – Herr Gehrcke nickt; er war auch da-
Ich gehe auf jeden Fall davon aus, dass Sie keine libane- bei – hat er gesagt: UNIFIL hat „zur stabilsten Periode
sische Kriegsmarine aufbauen wollen, sondern faktisch geführt, die der Libanon je erlebt hat“, und trägt zur Sta-
bilität in der gesamten Region bei.
eine Art Küstenwache.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordne-
GRÜNEN]: Ja, genau! Grenzschutz!)
ten der FDP)
Wenn das jedoch die Absicht ist: Wozu brauchen Sie Deshalb haben sowohl die libanesische Regierung ein-
dann Soldaten? Wäre eine solche Ausbildung nicht deut- schließlich der Hisbollah – das heißt, diese hat kein Veto
lich besser in zivilen Händen aufgehoben? eingelegt – als auch die israelische Seite um Fortsetzung
(Beifall bei der LINKEN – Manfred Grund des Einsatzes gebeten. Und nicht nur das: Beide Seiten
[CDU/CSU]: Bei der Heilsarmee vielleicht!) befürworten ausdrücklich eine Beteiligung Deutschlands
an der Mission und können sich sogar ein stärkeres deut-
Herr Minister zu Guttenberg hat in der letzten Woche sches Engagement vorstellen.
erklärt:
Wenn das nicht Gründe genug für Sie sind, um zu er-
Die auf Konfrontation ausgerichtete Anhäufung kennen, dass diese Mission wirklich zu Stabilität und
von Waffenarsenalen dient nicht dem friedlichen Frieden beiträgt – wobei sie natürlich nicht alleine ge-
(B) Interessenausgleich. nommen werden darf, sondern immer nur einen Baustein (D)
darstellt –, kann ich Ihnen nicht helfen. Wir meinen auf
Ja, dem kann ich nur zustimmen. Was aber für die ver- jeden Fall, dass es deshalb richtig ist, das Mandat um ein
muteten Waffenlieferungen an die Hisbollah gilt, muss Jahr zu verlängern. Meine Fraktion wird dieser Mandats-
doch genauso für die in wesentlich größerem Umfang verlängerung mit großer Mehrheit zustimmen.
stattfindenden Waffenlieferungen nach Israel gelten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Beifall bei der LINKEN) und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
Friedlicher Ausgleich von Interessen bei gleichzeitiger FDP – Zuruf der Abg. Inge Höger [DIE
Aufrüstung – das funktioniert schlicht nicht. Gerade in LINKE])
den letzten Wochen war Israel mit deutschen U-Booten, – Wir sind nicht immer für Einsätze, aber dann, wenn sie
die atomar bewaffnet werden können, im Persischen Golf sinnvoll sind, schon.
unterwegs. Das zeigt doch, wie gefährlich die deutsche
Exportpolitik für die gesamte Region des Nahen und Meine Damen und Herren von der Koalition, Herr
Mittleren Ostens ist. Außenminister, allerdings kann ich mich den Aussagen
einiger Kolleginnen und Kollegen nur anschließen.
(Beifall bei der LINKEN) Auch ich meine, dass wir uns die Pirouette, die wir mit
der halbjährlichen Verlängerung im Dezember gedreht
Deutsche Verantwortung für diese Region bedeutet haben, wirklich hätten sparen können. Denn all das, was
doch wohl zunächst einmal, nicht weiter Öl ins Feuer zu Sie bei der Einbringung und im Ausschuss dazu berich-
gießen. Die Waffenlieferungen an Israel, aber auch an tet haben, war auch schon im Dezember bekannt. Das
andere Länder dieser Region, müssen sofort beendet Problem war nur, dass Sie, meine Damen und Herren
werden. von der FDP, sich noch nicht von Ihrer Position als Op-
(Beifall bei der LINKEN) position verabschiedet hatten. Damals waren Sie noch
gegen eine deutsche Beteiligung an UNIFIL.
Es ist einfach absurd, Waffen zu liefern und dadurch seit
Jahrzehnten die regionale Eskalation mitzubefördern, um Nun könnte man sagen, dass Reisen bildet. Auch dem
dann wiederum mit Waffen zu versuchen, die Eskalation Außenminister haben bei seinen Reisen in der Region,
in den Griff zu bekommen. Einer solchen deutschen Au- so vermute ich, alle Konfliktparteien bestätigt, dass sie
ßenpolitik kann und wird die Linke nicht zustimmen. eine deutsche Beteiligung ausdrücklich wünschen. Das
Problem ist nur – diesen Punkt will ich hier schon an-
(Beifall bei der LINKEN) sprechen –, dass sechs Monate lang falsche Signale in
5036 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Kerstin Müller (Köln)


(A) die Region gesendet wurden und dass sechs Monate lang staatliche Souveränität aufbauen und stärken kann, kann (C)
rumgeeiert wurde. Denn die Befristung war – Sie haben UNIFIL in verantwortlicher Weise reduziert werden.
es heute noch einmal gesagt – als Einstieg in den Aus-
Das ist das Ergebnis des Evaluierungsberichtes der
stieg gedacht, zum Leidwesen der CDU. Erst einmal hat
UNO. Ich muss sagen: Ich finde es unverantwortlich,
die deutsche Außenpolitik also sechs Monate diese fra-
dass Sie uns und sich selbst die Lage schönreden. Sogar
gile Region verunsichert, statt mit klarem Kurs den Frie-
UNO-Berichte müssen dazu herhalten, um hier die Ge-
densprozess im Nahen Osten zu unterstützen. Das ist
sichtswahrungsnummer der FDP durchziehen zu kön-
nicht sehr verantwortlich.
nen. Das ist nach meiner Meinung das Gegenteil von se-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN riöser Außenpolitik.
und bei der SPD)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Damit setzen wir nicht nur unsere Rolle bei den Verein- und bei der SPD)
ten Nationen aufs Spiel, sondern laufen wir auch Gefahr,
unsere Rolle im Nahen Osten insgesamt zu schwächen. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Aber damit nicht genug – Sie haben es schon darge- Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
stellt –: Gleichzeitig wird weiter drastisch reduziert, von
800 auf 300 Soldaten schon nach einem halben Jahr. Erst Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
im Dezember hatten wir von 1 200 auf 800 Soldaten re- Ich fordere Sie auf: Wenn wir dauerhaft Frieden und
duziert. Dieses Ergebnis wird stolz präsentiert. Die FDP Stabilität in der Region wollen, dann muss Deutschland
ist quasi die neue Vorkämpferin für den Pazifismus. Ich ein verlässlicher Partner für die libanesische Regierung
weiß nicht, warum die Linke heute dazu nicht geklatscht und für Israel bleiben. Dann sollten wir uns solche Spiel-
hat. Auch wir freuen uns, wenn eine Evaluierung ergibt, chen nicht leisten.
dass Mandate reduziert und perspektivisch sogar beendet
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
werden können.
und bei der SPD)
Aber: Ich meine, Sie machen es sich hier zu einfach.
Der Umsetzungsbericht des UN-Generalsekretärs zur Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Resolution 1701 und sein Brief vom Februar dieses Jah- Nächster Redner ist der Kollege Holger Haibach für
res – Sie zitieren ihn ständig als Kronzeugen, so auch in die CDU/CSU-Fraktion.
Ihrem Antrag – geben das nicht her. Der Generalsekretär
schreibt zwar, dass „das aktuelle Engagement nicht (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(B) unbegrenzt aufrechterhalten werden kann“ – das ist (D)
richtig –, aber er kommt an keiner Stelle zu dem Schluss, Holger Haibach (CDU/CSU):
dass der Umfang der Mission jetzt reduziert werden Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
kann. Im Gegenteil – das müssten Sie eigentlich wissen; Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Dass UNIFIL
denn angeblich haben Sie den Bericht gelesen –: Im Hin- in den letzten Jahren einen wichtigen Beitrag zur Stabili-
blick auf den maritimen Teil der Taskforce spricht der sierung in der Region geleistet hat, wird von fast nie-
Bericht sogar ausdrücklich davon, dass die Stärke nicht mandem mehr bestritten. Ein Beweis dafür ist, dass
ausreichend ist, sie sei „less than sufficient“. Der Bericht UNIFIL eine erneute Verschärfung der Spannungen zwi-
zeigt sich besorgt über Verletzungen der Resolution 1701. schen Israel und der Hisbollah verhindert hat, indem sie
Er stellt fest, dass zwar eine Stabilisierung eingetreten Gerüchten entgegengetreten ist, die Hisbollah habe
ist, aber die Situation nach wie vor fragil ist, dass Rück- Langstreckenraketen in den Libanon geschmuggelt. Sie
schritte die Waffenruhe gefährden können und dass es konnte sogar beweisen, dass dies nicht der Fall war. Ein
wenige Fortschritte bei der Umsetzung der Kernforde- solches Gerücht allein – das wissen wir alle – kann in
rungen der Resolution 1701 gibt. Ich frage mich, wie dieser Region der Funke zu einer noch größeren Explo-
man angesichts einer solchen Lagebeschreibung eine sion sein. Schon allein deswegen ist UNIFIL sinnvoll
derart massive Reduzierung vorschlagen kann. gewesen.
Zur Lage. Die größte Herausforderung bleibt die un- Frau Höger, Kollegin Müller hat schon darauf hinge-
gesicherte syrisch-libanesische Grenze und damit ver- wiesen: Man muss sich immer wieder darüber im Klaren
bunden der vermutlich ungehinderte Waffenschmuggel sein, wer dieses Mandat gewollt hat. Es ist nicht etwas,
an die Hisbollah. Nach Berichten soll sie inzwischen was sich die internationale Staatengemeinschaft ausge-
über 40 000 Raketen verfügen, was eine Verzehnfachung dacht hat. Es ist etwas, was sowohl von der libanesi-
der Anzahl der Raketen wäre, die im Krieg 2006 dort ab- schen als auch von der israelischen Regierung ausdrück-
gefeuert wurden. Darunter befinden sich möglicherweise lich gewünscht war; das gilt auch für den deutschen
auch Scud-Raketen, die israelische Städte erreichen kön- Beitrag. Deswegen ist dieser Einsatz richtig.
nen. Das empfinden Israel und auch die libanesische
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Regierung zu Recht als Bedrohung. Herr Siniora, der
neten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE
ehemalige Ministerpräsident, hat es diese Woche noch
GRÜNEN)
einmal gesagt: „Die Hisbollah ist ein Staat im Staate.“ –
Die Hisbollah schwächt massiv das Gewaltmonopol im Natürlich ist der Einsatz nur Teil eines Gesamtkon-
Libanon. Auch der UNO-Bericht ist in diesem Punkt zeptes; das ist bereits deutlich geworden. Natürlich
eindeutig: Erst in dem Maße, in dem der Libanon seine muss es darum gehen, politische Lösungen für diese
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5037
Holger Haibach
(A) Region zu finden. Wir reden über eine Region, die viele (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (C)
Roadmaps, viele große Pläne und viele große Friedens-
konferenzen erlebt hat. Erwarten wir wirklich, dass Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
UNIFIL durch politisches Engagement in kürzester Zeit
Das Wort hat die Kollegin Karin Evers-Meyer für die
Probleme lösen kann, die seit Jahrzehnten existieren?
SPD-Fraktion.
Ich halte das für einigermaßen unrealistisch. Das enthebt
uns nicht davon – das will ich ausdrücklich sagen –, un- (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
seren Beitrag dazu zu leisten. Darüber gibt es überhaupt
keine Diskussion.
Karin Evers-Meyer (SPD):
Wenn ich den Entschließungsantrag der Grünen zu Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
diesem Debattenpunkt lese, stelle ich fest, dass ich vie- Herren! Wir beraten zum fünften Mal über ein neues
len Punkten zustimmen kann. Ich möchte aber dem Ein- Mandat für die Bundeswehr zur Teilnahme am UNIFIL-
druck entgegentreten, diese Bundesregierung und die sie Einsatz vor der libanesischen Küste. Meine Fraktion un-
tragenden Fraktionen hätten an der Stelle nichts getan. terstützt diese Marinemission nach wie vor. Wir halten
Es ist gute Tradition, dass Deutschland die militärischen den Einsatz auch im fünften Jahr für richtig und notwen-
Auslandsmissionen der Bundeswehr mit entsprechen- dig.
dem entwicklungspolitischen und zivilen Engagement
flankiert. So ist es auch hier. Es wird zu Recht ange- Die deutsche Marine leistet vor der libanesischen
mahnt, dass der Libanon selbst in der Lage sein muss, Küste hervorragende Arbeit. Deswegen danke auch ich
sein Territorium zu verteidigen und an den Grenzen ab- für meine Fraktion an dieser Stelle zuallererst den Solda-
zusichern. Deswegen führt die GTZ ein Projekt zur tinnen und Soldaten, die in diesem schwierigen Umfeld
Grenzsicherung durch. Es ist zugegebenermaßen nur ein ihren Dienst leisten.
Modellprojekt, bringt aber wichtige Expertise, damit die (Beifall bei der SPD)
libanesische Führung in der Lage ist, ihr Land zu vertei-
digen. Ich weiß, dass dieser Einsatz in der Öffentlichkeit
wenig Aufsehen erregt. Das spricht nicht zuletzt dafür,
Darüber hinaus leisten wir einen großen Beitrag dazu, dass dort gute Arbeit geleistet wird. Das sollte uns
dass im Libanon eine Infrastruktur entsteht, die es dem nicht davon abhalten, den Einsatz unserer Marinesolda-
Staat ermöglicht, seine Aufgaben wahrzunehmen; das ist tinnen und -soldaten als wichtigen Beitrag zur Stabili-
sehr wichtig. Eines der größten Probleme ist, dass die sierung in dieser Region immer wieder hervorzuheben.
Hisbollah einen Rückhalt in der Bevölkerung hat. Die Der UNIFIL-Einsatz der deutschen Marine ist ein Er-
(B) Menschen versprechen sich davon nämlich soziale Leis- folg. Seit Beginn der Mission im Sommer 2006 hat sich (D)
tungen, Sicherheit und vieles mehr. Dem tritt Deutsch- die Lage im Libanon stabilisiert. Die Überwachung der
land durch seine Entwicklungsarbeit entgegen. Wir ha- libanesischen Küstengewässer durch die deutsche Ma-
ben in den Jahren 2006 bis 2009 in den Bereichen rine hat dazu einen ganz zentralen Beitrag geleistet.
Aufbau von Infrastruktur, Aufbau von kleiner und mit-
telständischer Wirtschaft, Wasserver- und -entsorgung Im vergangenen Jahr hat sich die Situation im Liba-
insgesamt 85,2 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. non weiter verbessert. Eine dauerhafte Waffenruhe ist
Ähnliches werden wir auch in Zukunft tun. Wir sehen nach Ansicht internationaler Beobachter vielleicht in
nämlich, dass das wichtig und notwendig ist. Ihr Bild, greifbarer Nähe. Es ist völlig klar und absolut geboten,
Deutschland beteilige sich nur an einer Militärmission, dass wir in dieser wichtigen Phase die Verantwortlichen
ist vollkommen falsch und geht absolut an der Realität vor Ort weiterhin unterstützen. Insofern freue ich mich,
vorbei. dass sich die Kolleginnen und Kollegen der FDP nun
auch diesem Einsatz anschließen, auch wenn das wohl
(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem eher der Gesichtswahrung als einer ernstzunehmenden
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Linie in der Außenpolitik geschuldet ist.
Der guten Ordnung halber: Der Begriff der vernetzten Aber die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft
Sicherheit, also des Comprehensive Approach, den wir umfasst natürlich mehr, als den Waffenschmuggel über
auch an anderen Stellen diskutieren, ist, mit Verlaub, See zu verhindern. Unsere Aufgabe lautet, die Verant-
eine deutsche Erfindung. Insofern glaube ich, dass man wortlichen vor Ort in die Lage zu versetzen, selber für
uns nicht vorwerfen kann, wir engagierten uns nicht ent- Sicherheit und Stabilität in ihrem Land zu sorgen. Für
sprechend. den Küstenraum bedeutet das: Wir wollen, dass sie in die
Alles in allem bin ich der Meinung, dass es sich bei Lage versetzt werden, ihre Küste selbst zu überwachen
dem neuen Mandat um eine wirklich vernünftige Ange- und abzusichern. Deshalb unterstützen wir die Ausge-
legenheit handelt. Es ist auf jeden Fall klar, dass die staltung des erneuten Mandats. Die libanesischen Behör-
deutsche Marine dazu beiträgt, den Waffenschmuggel den werden darin noch stärker dazu angehalten, eigene
über den Seeweg zu verhindern. Wenn wir gleichzeitig und vor allem – das ist meiner Meinung nach der ent-
noch einen Beitrag zum Aufbau libanesischer Staatlich- scheidende Punkt – funktionierende Sicherheitsorgane
keit leisten, sollte das uns allen recht sein. Wir sollten aufzubauen. Es ist uns wichtig, dass die Bundesregie-
das nach Kräften unterstützen. rung den Ansatz zu mehr Eigenverantwortung viel deut-
licher als bisher einfordert. Bisher ist die Bilanz auf die-
Danke sehr. sem Gebiet nicht nur unzureichend; Fortschritte sind
5038 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Karin Evers-Meyer
(A) eigentlich gar nicht wahrnehmbar. Das müsste sich in- Zum Thema. Begibt man sich in die Themenbereiche (C)
nerhalb der nächsten zwölf Monate ändern. NATO und UN, stößt man auf die allseits beliebten Ab-
kürzungen und führt insbesondere die Kolleginnen und
Das deutsche Engagement wird sowohl vom Libanon Kollegen, die sich etwas weniger mit sicherheits- und
als auch von Israel unterstützt. Das zeigt, dass uns beide verteidigungspolitischen Fragen beschäftigen, in einen
Seiten großes Vertrauen entgegenbringen, vor allen Din- sprachlichen Irrgarten. Wichtige Debatten wurden über
gen in die Arbeit unserer Soldatinnen und Soldaten. Das das ISAF- und das KFOR-Mandat in Afghanistan und
können wir nutzen. Deshalb noch einmal: Wir fordern im Kosovo geführt. Für die Außen- und Verteidigungs-
deutlichere Anstrengungen der Bundesregierung. politiker sind darüber hinaus Begriffe wie UNAMA,
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) EUFOR, EUSEC, OEF, Atalanta, OAE, UNMIK und
EULEX gängige Abkürzungen von Bezeichnungen für
Sorgen Sie bei den libanesischen Partnern für einen internationale Einsätze.
schnelleren Aufbau der eigenen Kräfte für den Küsten-
schutz. Es gibt nach wie vor große Lücken bei der Über- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
wachung der Küstengewässer durch libanesische Kräfte. Gleich werden wir noch über UNMIS und UNAMID
Die personelle Durchhaltefähigkeit ist nicht ausreichend, diskutieren.
und nicht zuletzt ist auch die Ausrüstung alles andere als
alltagstauglich. Hinter jeder Abkürzung verbirgt sich einer der Ein-
sätze, in die das deutsche Parlament mehrheitlich zurzeit
Mir ist es deswegen wichtig, festzuhalten: Wenn der insgesamt 6 666 Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten
deutsche Marineeinsatz bei UNIFIL in absehbarer Zeit entsandt hat. Es handelt sich um Einsätze mit Verbünde-
beendet werden soll, müssen im kommenden Jahr bei ten, in denen teilweise gekämpft werden muss, in denen
der Ausbildung und Befähigung der libanesischen Kräfte manchmal nur beobachtet wird, oder um Einsätze, bei
deutlich größere Anstrengungen unternommen werden. denen wir anderen Nationen in unterschiedlichster Weise
In den kommenden zwölf Monaten hat die Bundesregie- hilfreich zur Seite stehen. Jeder Auftrag, jedes Mandat
rung Zeit, uns davon zu überzeugen, dass sie die Situa- für sich betrachtet, ist es selbstverständlich wert, immer
tion ernst nimmt. Dabei hat sie unsere Unterstützung. Es wieder überprüft, diskutiert und gegebenenfalls – so wie
reicht aber nicht aus, allein auf die gute Arbeit unserer heute – neu mandatiert zu werden.
Marineeinheiten zu vertrauen. Fürs Zuschauen bekommt
man unsere Unterstützung nicht. Wie bereits gehört, geht es in dieser Beratung um die
Fortführung der Mission UNIFIL, der sogenannten United
Sie wissen so gut wie wir, dass jede militärische Hilfe Nations Interim Force in Lebanon. Ausgangspunkt unse-
nur Erfolg haben kann, wenn Deutschland aktiv politi- res Engagements war die Resolution, die der Sicher-
(B) schen Einfluss auf die Akteure in der Region ausübt. (D)
heitsrat der Vereinten Nationen erlassen hat, nachdem es
Leider hat die Regierung auch hier in den vergangenen zuvor zu teilweise schwer bewaffneten Auseinanderset-
acht Monaten Vertrauen verspielt. Wenn Sie den deut- zungen zwischen libanesischen Truppen und Israel ge-
schen Einsatz im Nahen Osten in absehbarer Zeit wirk- kommen war.
lich beenden wollen, dann müssen Sie endlich aktiver
werden. Es würde zu weit führen – meine Vorrednerinnen und
Vorredner sind schon darauf eingegangen –, das über
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) viele Jahre vorherrschende Konfliktpotenzial zu be-
Sonst ist die Präsenz der deutschen Marine vor der liba- schreiben. Dass es sich um einen seit Jahrzehnten wäh-
nesischen Küste in der Tat sinnlos. renden Konflikt handelt, wird unter anderem dadurch
deutlich, dass UNIFIL eine der ältesten UN-Missionen
Vielen Dank. ist und seit 1978 unterschiedliche Kräfte versuchen, ei-
nen Waffenstillstand zwischen dem Libanon und Israel
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
herbeizuführen. Bis heute bleiben die Aktivitäten der
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Hisbollah im Süden unberechenbar. Zurückliegende An-
griffe deuten auf die reale Existenz erheblicher Waffen-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: bestände außerhalb der Kontrolle libanesischer Streit-
Ich bitte jetzt um Aufmerksamkeit für den letzten kräfte hin.
Redner in dieser Debatte. Es ist seine erste Rede.
Eigentlich liegt es in der originären Verantwortung ei-
(Beifall) nes jeden Staates – auch das hörten wir –, unerlaubte
Waffenlieferungen und -transporte zu verhindern. Da
Das Wort hat der Kollege Ingo Gädechens. sich die libanesische Regierung dazu nicht imstande sah
und leider immer noch nicht sieht, befinden sich seit Ok-
Ingo Gädechens (CDU/CSU): tober 2006 Einheiten der deutschen Marine im Einsatz
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! vor der Küste des Libanons, mit dem Auftrag, genau die-
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bin – wenn sen Waffenschmuggel zu verhindern und darüber hinaus
ich vom Wortbeitrag von Frau Höger absehe – hocher- libanesische Kräfte in die Lage zu versetzen, selber ho-
freut, dass sich hier im Parlament eine breite Mehrheit heitliche Aufgaben zu übernehmen.
für die Verlängerung des UNIFIL-Einsatzes abzeichnet.
Bis heute wurden weit über 31 000 Schiffe durch
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) UNIFIL-Einheiten abgefragt; 460 verdächtige Schiffe
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5039
Ingo Gädechens
(A) wurden von libanesischen Behörden untersucht. Wäh- mentlichen Abstimmung. Ich gratuliere Ihnen sehr herz- (C)
rend der Erfolg bei den Einsätzen der Verbände der Mis- lich und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg.
sion Atalanta oftmals durch das Aufbringen von Skibs
und die Beschlagnahmung der Waffen sichtbar wird, (Beifall)
liegt der Erfolg der UNIFIL-Mission in der Präsenz, die
Ich schließe die Aussprache.
zur Abschreckung und Verhinderung illegaler Waffen-
transporte führt. Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 17/2171 zu dem Antrag der Bundesregie-
In den vergangenen Jahren haben circa 5 900 deut- rung auf Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
sche Soldatinnen und Soldaten und zivile Mitarbeiter am scher Streitkräfte an der United Nations Interim Force in
UNIFIL-Einsatz mitgewirkt. Nach anfänglich starker Lebanon. Der Ausschuss empfiehlt, den Antrag auf
Präsenz durch zwei Fregatten, einen Einsatzgruppenver- Drucksache 17/1905 anzunehmen. Es ist namentliche Ab-
sorger, vier Patrouillenboote und einen Tender konnte stimmung verlangt. Ich bitte die Schriftführerinnen und
die deutsche Marine den Umfang auf aktuell nur noch ei- Schriftführer, die Plätze an den Urnen einzunehmen. –
nen Tender und zwei Patrouillenboote reduzieren. Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist der Fall.
Ich eröffne die Abstimmung.
In Bezug auf den KFOR-Einsatz hat der Bundes-
minister der Verteidigung von einem teilweise vergesse- Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
nen Mandat gesprochen. Ich möchte nicht vergessen, zu Stimmkarte nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der
erwähnen, dass unsere Marinesoldaten vor der Küste des Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die
Libanons einen hervorragenden Job geleistet haben und Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
bis heute leisten. lung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Ab-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie stimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Wir haben vor der nächsten Debatte noch eine Ab-
GRÜNEN) stimmung zu absolvieren. Damit ich einen Überblick
Während die größeren Einheiten wie Fregatten, Ver- über das Abstimmungsverhalten bekomme, bitte ich die
sorger und Tender für die Weltmeere konzipiert und bau- Kolleginnen und Kollegen, die hierbleiben wollen, Platz
lich den Anforderungen der Seelagen angepasst sind, zu nehmen, und die anderen, den Saal zu verlassen.
stellte dieser Einsatz die Besatzung der eigentlich für
Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
Nord- und Ostsee konzipierten Schnellboote und Minen-
(B) sucher vor ungeahnte Herausforderungen. Nur durch ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf (D)
Drucksache 17/2186. Wer stimmt für diesen Entschlie-
Einsatzwillen, großes Engagement und Kreativität hat
ßungsantrag? – Wer ist dagegen? – Enthaltung? – Der
die Besatzung der Bootseinheiten gewährleistet, dass der
Entschließungsantrag ist mit den Stimmen der Koali-
vom Deutschen Bundestag erteilte Auftrag UNIFIL bis
tionsfraktionen und der Fraktion Die Linke gegen die
heute erfolgreich durchgeführt werden konnte.
Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Die libanesische Marine ist auf dem Weg, die Eigen- SPD-Fraktion abgelehnt.
sicherung der Seegrenze zu übernehmen. Auch hier gilt
es, lobend hervorzuheben, dass wir nicht nur Material Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:
und Ausrüstung zur Verfügung gestellt haben, sondern Erste Beratung des von den Abgeordneten Katja
dass es durch Schulung und Kooperation eine funktio- Dörner, Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiteren Ab-
nierende Küstenradarorganisation gibt und die von uns geordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
zur Verfügung gestellten Behördenschiffe tatsächlich ge- GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Dritten
führt werden können. Gesetzes zur Änderung des Achten Buches So-
Die Beziehung zwischen dem Libanon und Israel zialgesetzbuch – Aufhebung der Ankündigung
bleibt fragil, man könnte sagen: traditionell angespannt. eines Betreuungsgeldes
Die Situation vor Ort ist nach wie vor kritisch. Deshalb
haben sowohl die libanesische als auch die israelische Re- – Drucksache 17/1579 –
gierung – das haben wir gehört – ausdrücklich um die Auf- Überweisungsvorschlag:
rechterhaltung einer deutschen Beteiligung am UNIFIL- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Flottenverband gebeten. Lassen Sie uns auch weiterhin
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
einen Beitrag zur Sicherung des Friedens an dieser Stelle
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich sehe,
der Welt leisten.
damit sind Sie einverstanden. Dann werden wir so ver-
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. fahren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin das Wort der Kollegin Katja Dörner für die Frak-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: tion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Kollege Gädechens, das war Ihre erste Rede im
Deutschen Bundestag, und dies unmittelbar vor einer na- 1) Ergebnis Seite 5044 C
5040 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Vor diesem Hintergrund frage ich ganz ernsthaft, wie (C)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! man das Betreuungsgeld so ausgestalten möchte, dass es
Liebe Kollegen! Das geplante Betreuungsgeld hat in die- verfassungsgemäß ist. Darauf bin ich gespannt.
sem Haus keine Mehrheit. Ich finde, das ist eine sehr Man hört immer wieder den Einwand „Wahlfreiheit“.
gute Nachricht. Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, insbesondere von der
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) CSU, Wahlfreiheit besteht. Niemand wird gezwungen,
sein Kind in einer Kita anzumelden. Kinder komplett zu
Wir Grünen haben jetzt einen Gesetzentwurf vorge- Hause zu erziehen, wird schon heute durch viele fami-
legt, um das geplante Betreuungsgeld kurz und schmerz- lienpolitische Leistungen unterstützt, durch zu viele,
los wieder loszuwerden. würde ich fast sagen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD – Marco
Damit ersparen wir uns und der Öffentlichkeit weitere Wanderwitz [CDU/CSU]: Das ist unglaub-
sinnlose Auseinandersetzungen zu diesem Thema, unter lich!)
anderem über die Frage: Barauszahlung oder Gutschein-
Nein, Wahlfreiheit bedeutet Auswahlfreiheit. Diese Aus-
lösung? Die ehemalige Bundesfamilienministerin von
wahlfreiheit wird nur dadurch hergestellt, dass ausrei-
der Leyen hat schon 2007 sehr treffend gesagt, das ge-
chend qualitativ gute und möglichst gebührenfreie Ganz-
plante Betreuungsgeld sei eine bildungspolitische Kata-
tagsplätze in den Kindertagesstätten zur Verfügung
strophe. Dem ist eigentlich nicht mehr viel hinzuzufü-
stehen. Dem steht das Betreuungsgeld faktisch im Wege.
gen.
Das Betreuungsgeld würde jährlich rund 2 Milliarden
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Euro kosten. Das ist Geld, das wir angesichts von Spar-
sowie bei Abgeordneten der SPD) paketen und Rettungsschirmen, von denen wir jetzt di-
Klar ist: Mit dem Betreuungsgeld würden Anreize ge- verse haben, an anderen Stellen viel dringender brau-
setzt, Kinder nicht in Einrichtungen frühkindlicher Bil- chen, vor allem – ich erwähne das noch einmal – für den
dung zu geben. Das würde vor allem Kindern schaden, qualitativen und quantitativen Ausbau der Kinderbetreu-
die eine frühe Förderung besonders nötig hätten, bei- ung.
spielsweise weil sie dergleichen in ihren eigenen Fami- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
lien nicht mitbekommen. Das wollen wir Grüne auf gar sowie bei Abgeordneten der SPD)
keinen Fall.
Viele Kolleginnen und Kollegen – nicht nur, aber
(B) Das Betreuungsgeld wäre nicht nur eine bildungspoli- auch von der FDP – haben Kluges zum Betreuungsgeld (D)
tische, sondern auch eine gleichstellungspolitische Kata- gesagt. Ich möchte Frau Gruß zitieren, die in einer Rede
strophe; denn es sendet das fatale Signal: Mütter, bleibt im November 2009 sagte: „Meine Kritik am Betreuungs-
zu Hause, geht nicht in euren Beruf zurück! geld gilt weiterhin.“
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Miriam Gruß [FDP]: Sehr richtig!)
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- Ich hoffe, das ist auch heute noch der Fall. In der Bild-
KEN) Zeitung stand ein Satz von Minister Brüderle zum Be-
Mütter verlieren dann im Job den Anschluss, was Folgen treuungsgeld: „Ich mache kein Geheimnis daraus, dass
für ihre Löhne, für ihre berufliche Entwicklung, für ihre ich davon nicht viel halte.“
finanzielle Unabhängigkeit und auch für ihre Rentenan- (Christel Humme [SPD]: Herrn Lammert kann
sprüche hat. Der vernünftige Weg, der zum einen mit man auch noch zitieren! Der war auch noch
dem Elterngeld und zum anderen mit dem Rechtsan- dagegen!)
spruch auf Betreuung für Kinder ab einem Jahr – diese
beiden Sachen haben aus meiner Sicht zusammen Sinn – Ich möchte hier die Kolleginnen und Kollegen aller
eingeschlagen wurde, wird mit dem Betreuungsgeld ad Fraktionen, die um die schädlichen Folgen eines Betreu-
absurdum geführt. ungsgeldes wissen, auffordern: Machen auch Sie kein
Geheimnis daraus, dass Sie nichts davon halten. Setzen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie sich mit uns dafür ein, dass die gesetzliche Grund-
sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN- lage für dieses Betreuungsgeld so schnell wie möglich
KEN) aus dem KJHG verschwindet.
Die Nichtinanspruchnahme einer öffentlichen Ein- Vielen Dank.
richtung in geldwerter Form ausgleichen zu wollen, ist
eine historisch einmalige Fehlleistung. Ebenso könnte (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
man die Nichtinanspruchnahme von Autobahnen durch bei der SPD und der LINKEN)
Radfahrer finanziell honorieren.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Das Wort hat der Kollege Norbert Geis für die CDU/
sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Marco CSU-Fraktion.
Wanderwitz [CDU/CSU]: Das ist völliger
Blödsinn!) (Beifall bei der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5041

(A) Norbert Geis (CDU/CSU): (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Frau Präsi- (C)
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und dentin, jetzt wird es aber persönlich!)
Herren! Ob das Betreuungsgeld eine Mehrheit bekommt,
das warten wir erst einmal ab. Ganz sicher ist, dass Ihr Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Eltern-
Gesetzentwurf hier keine Mehrheit bekommen wird; da- geld bevorzugt nur die Eltern, die zur Arbeit gehen; es
von können Sie ausgehen. ist gut, dass wir es eingeführt haben. Aber es ist nicht ge-
recht gegenüber den Eltern, die nicht zur Arbeit gehen,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – die sich sagen: Ich möchte mein Kind lieber daheim be-
Ulrich Kelber [SPD]: Das war aber ein tolles halten, es lieber daheim erziehen und ihm die Wärme der
Argument!) Eltern, von Vater und Mutter, möglichst lange zuteil
werden lassen.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Parolen, die in
Ihrem Gesetzentwurf stehen, tatsächlich ernst gemeint (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
sind. NEN]: Deshalb gibt es ja das Mindesteltern-
geld!)
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Sind sie!) Was ist daran falsch?
Wenn Sie das tatsächlich ernst meinten, dann müssten
Sie die Kitabetreuung vom Tag der Geburt an fordern. Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Dann müssten Sie eigentlich auch gegen das Elterngeld Herr Kollege Geis, gestatten Sie eine Zwischenfrage
sein. Dann hätten Sie gegen das Mutterschaftsgeld sein der Kollegin Golze?
müssen. Vor allen Dingen hätten Sie gegen das Erzie-
hungsgeld, das wir seit 1986 hatten, sein müssen. Dann Norbert Geis (CDU/CSU):
müssten Sie die skandinavischen Länder, Frankreich und
Wo ist sie?
Italien vorwurfsvoll fragen: Warum habt ihr das Betreu-
ungsgeld? Sie sagen: „Wir wollen es nicht“, und zwar (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das ist die, die
aus den – in Anführungszeichen – „wohl erwogenen nicht im Kindergarten war! – Weiterer Zuruf
Gründen“, die in Ihrem Antrag stehen. von der CDU/CSU: Die mit der schlechten
(Caren Marks [SPD]: Die Sie aber wohl nicht Kinderstube!)
begriffen haben!) – Ja, bitte sehr.
Warum sollten wir im Vergleich zu den Skandinaviern
(B) gescheiter sein? Diana Golze (DIE LINKE): (D)
(Dagmar Ziegler [SPD]: Sagen Sie das auch Vielen Dank, dass Sie mir die Zwischenfrage erlau-
zum Mindestlohn?) ben.

In Dänemark, in Schweden, in Norwegen und in Finn- Norbert Geis (CDU/CSU):


land gibt es ein Betreuungsgeld. Warum glauben Sie,
Sehen Sie, ich war aber nicht in der Kita.
dass die Menschen und die Parlamente dort völlig dane-
benliegen? (Vereinzelt Heiterkeit)
(Diana Golze [DIE LINKE]: Das sagen Sie
beim Mindestlohn doch auch! Den haben die Diana Golze (DIE LINKE):
nämlich auch!) Mein etwas erzürnter Zwischenruf bezog sich darauf,
dass Sie für das Betreuungsgeld das Argument angeführt
– Vielleicht könnten Sie mir einmal zuhören;
haben, dass es in vielen anderen europäischen Staaten
(Caren Marks [SPD]: Nein! Das schmerzt!) auch ein Betreuungsgeld gibt. Dann stellten Sie die
Frage: Warum sollten wir klüger sein und es nicht ein-
das wäre ab und zu ganz gut. Aber das Zuhören scheinen führen? Ich frage Sie: Warum gilt dieses von Ihnen vor-
Sie nicht gelernt zu haben. getragene Argument nicht auch für den Mindestlohn,
(Diana Golze [DIE LINKE]: Bei Ihren Argu- den es auch in vielen anderen europäischen Staaten gibt?
menten fällt das schwer!)
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
Vielleicht waren Sie nicht in der Kita; das kann ja sein. neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der
CDU/CSU) Warum wollen wir gerade bei diesem Thema klüger sein,
indem wir ihn nicht einführen? Das gilt auch, wenn es
Vielleicht hätten Sie früher in die Kita gehen müssen;
darum geht, Familien und Alleinerziehende bei der Kin-
dann könnten Sie jetzt eventuell ein bisschen besser zu-
dererziehung zu unterstützen.
hören.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN –
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Wir können
Widerspruch bei der LINKEN)
gleich auch noch über den Milchpreis reden,
Vielleicht fehlt es Ihnen aber auch an der Kinderstube. wenn Sie wollen!)
5042 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) Norbert Geis (CDU/CSU): (Heiterkeit – Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/ (C)
Wenn Ihnen nichts Besseres einfällt, kommen Sie im- DIE GRÜNEN]: Nein!)
mer auf den Mindestlohn zu sprechen. Dieses Thema hat
– Gut. Dann bitte.
hier und heute in dieser Debatte nun wirklich nichts zu
suchen.
Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Herr Kollege Geis, ich frage Sie nicht zum Mindest-
Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: lohn, sondern zum Elterngeld. Das Elterngeld hat be-
Das ist keine Antwort!) kanntlich zwei Komponenten. Die eine Komponente ist
Das sind weit hergeholte Argumente. Jetzt dürfen Sie die Lohnersatzleistung. Ich gebe zu: Die CSU war
sich wieder setzen, Frau Kollegin. Auf diese Frage gehe eigentlich dagegen, hat die Entscheidung aber mitgetra-
ich nämlich gar nicht ein. gen. Der zweite Bereich ist ein durchaus sozialer Aspekt.
Die Leute, die keine Lohnersatzleistung bekommen, er-
(Heiterkeit – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: halten einen Grundbetrag, den Sockelbetrag in Höhe von
Ihnen fehlt die Kinderstube!) 300 Euro. Genau diesen Sockelbetrag möchte Ihre Regie-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Eltern- rung jetzt aber abschaffen, insbesondere für ALG-II-
geld ist eine einseitige Maßnahme, die notwendig und Empfänger, für Empfänger von Transferleistungen.
richtig ist. Wir müssen aber auch an die Eltern denken, (Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Nein! Es
die das Betreuungsgeld in Höhe von 150 Euro bekom- geht um eine Anrechnung! Lesen bildet, Frau
men wollen – das ist nicht viel –, damit sie wenigstens Kollegin!)
einen kleinen Ausgleich dafür haben, dass sie ihre Kin-
der daheim erziehen. Wären Sie konsequent, müssten Sie diesen Schritt ei-
gentlich ablehnen, wenn ich Sie richtig verstehe, weil
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sie genau dieses Instrument bei diesem Thema fordern.
Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen, dass es nicht nur eine Lohnersatzleistung
Da klatschen ja noch nicht einmal alle Ihre gibt, sondern daneben auch einen Sockelbetrag. Ist das
Kollegen! – Dagmar Ziegler [SPD]: Das kann richtig?
doch jeder machen, wie er will!)
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
Was soll daran falsch sein? Ich wiederhole diese Frage: SES 90/DIE GRÜNEN – Marco Wanderwitz
Was soll falsch daran sein, dass Kinder bis zum dritten [CDU/CSU]: Das soll doch nur angerechnet
Lebensjahr, bis sie in den Kindergarten gehen, daheim werden!)
(B) erzogen werden, (D)
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Norbert Geis (CDU/CSU):
können die Frauen doch jetzt schon!) Die 300 Euro sind die Fortsetzung des Erziehungsgel-
des, das seit 1986 zunächst für zwei Jahre gezahlt wurde
wenn die Eltern das wollen? und jetzt, nach Einführung des Elterngeldes, nur noch
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: für ein Jahr gezahlt wird. Das Elterngeld auf der einen
Das ist klar! Es gibt ja keinen Zwang!) Seite wird als Ausgleich an Männer oder Frauen gezahlt,
die erwerbstätig waren und dann daheim geblieben sind,
Wenn Vater und Mutter zu dem Ergebnis kommen: um ihr Kind im ersten Jahr zu versorgen, und jetzt eine
„Es ist besser für unser Kind, wenn wir es daheim behal- Lohnersatzleistung in Form des Elterngeldes bekom-
ten“, und wenn Mutter oder Vater bereit sind, dafür auf men. Das Erziehungsgeld auf der anderen Seite ist auch
die Ausübung des eigenen Berufs zu verzichten, warum eine Anerkennung der Leistung der Mutter oder des Va-
sollten wir das nicht anerkennen? Woher nehmen wir die ters, die vorher nicht erwerbstätig waren und deswegen
Arroganz, dies nicht anzuerkennen? Warum sollten diese keinen Anspruch auf Elterngeld haben. Diese Mütter
Eltern, wie es in Ihrem Antrag steht, nicht in der Lage oder Väter können jetzt auf dieses Erziehungsgeld zu-
sein, ihre Kinder ordnungsgemäß zu erziehen? Warum rückgreifen. Dieses Erziehungsgeld bleibt selbstver-
soll das der Fall sein? Generationen von Menschen sind ständlich erhalten.
so erzogen worden. Warum soll das auf einmal nicht
mehr gelten? Eine ganz andere Debatte gibt es darüber, ob es auch
bei Hartz-IV-Empfängern erhalten bleiben soll. Darauf
Ich habe nichts gegen Kitas. Dort, wo Kitas sinnvoll bezieht sich nämlich Ihre Frage. Die 300 Euro werden
sind und von Eltern genutzt werden, sollen sie auch in nicht abgeschafft.
Anspruch genommen werden.
(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Nur die Reichen sollen es kriegen!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Herr Kollege, ich muss Sie noch einmal unterbrechen. – Ach ja, das ist Polemik: immer nur die Reichen. Da-
Die Kollegin Deligöz möchte Ihnen eine Frage stellen. rauf kann ich gar nicht eingehen. Diese Debatte können
wir führen, Frau Deligöz, wenn es um Hartz IV und um
Norbert Geis (CDU/CSU):
die Sparmaßnahmen geht.
Nur unter der Voraussetzung, dass sie nicht mit dem (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie
Mindestlohn kommt. haben die Debatte hier angefangen!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5043
Norbert Geis
(A) An dem Grundsatz, dass die 300 Euro Erziehungsgeld Vorhin wurde gesagt, es gäbe verfassungsrechtliche (C)
gezahlt werden, wird sich nichts ändern. Probleme. Die gibt es, wenn das Betreuungsgeld nicht
eingeführt wird.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Herr Kollege Geis, auch die Kollegin Marks möchte Nein!)
Ihre Redezeit noch durch eine Zwischenfrage verlän-
gern. – Ich weiß nicht, wo Sie Verfassungsrecht studiert ha-
ben. Es tut mir furchtbar leid. Immer wird gleich die
Norbert Geis (CDU/CSU):
Verfassung herangezogen.
Die letzte Frage, bitte! Danach lasse ich keine Fragen (Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
mehr zu. In Bonn habe ich das studiert!)
– Ja, gut. Vielleicht haben Sie es nicht richtig gemacht. –
Caren Marks (SPD): Man sollte nicht immer gleich die Verfassung anführen
Herr Kollege, Ihrer Argumentation folgend ist das und immer gleich sagen, das sei verfassungsrechtlich be-
Betreuungsgeld eine Ersatzleistung für Eltern, die ihre denklich. Das ist kein brauchbares Argument.
Kinder eben nicht in eine Krippe geben, die ja mit öf-
fentlichen Mitteln – so Ihre Argumentation – subventio- Lassen Sie mich meine Gedanken weiter ausführen.
niert ist oder sich auch aus öffentlichen Mitteln speist. Ich habe bereits gesagt, was das Betreuungsgeld bedeu-
tet. Es bedeutet zum einen eine Anerkennung der Leis-
(Norbert Geis [CDU/CSU]: Das habe ich doch tung, die die Mutter oder der Vater erbringt. Diese Aner-
gar nicht gesagt!) kennung darf die Gesellschaft auch nicht versagen; denn
Geben Sie mir recht, dass dieser Argumentation zufolge sie erbringen eine große Leistung.
das Prinzip auch für Bibliotheken, öffentliche Theater
Es ist doch gar nicht gesagt, dass das Kind, das da-
und kommunale Schwimmbäder gelten müsste?
heim erzogen wird, das die Wärme und die Kinderstube
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Das kann man der Heimat erfährt, das daheim bleibt und das von der
nicht vergleichen!) Mutter und dem Vater das Reden beigebracht bekommt,
schlechter als in der Kita erzogen wird.
Setzen Sie sich dann auch dafür ein, dass alle Menschen,
die diese Einrichtungen nicht nutzen, die also keine Bi- (Caren Marks [SPD]: Das sagt doch keiner!
bliothek aufsuchen, nicht ins Theater gehen – es geht um Peinlich!)
(B) öffentlich geförderte Einrichtungen, egal, ob vom Bund, Wir reden ja von der Muttersprache. Warum reden wir (D)
vom Land oder von der Kommune; das ist ja sehr unter-
schiedlich –, sich demnächst irgendwo, von welcher eigentlich von der Muttersprache? – Das tun wir doch,
Stelle auch immer, Barleistungen abholen können? weil die Mutter und der Vater die Ersten sind, die unmit-
telbaren Kontakt mit dem Kind haben.
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Also, wenn man
Kinder mit Theatern gleichsetzt, hat man über- (Beifall bei der CDU/CSU)
haupt nichts verstanden!) Wie können Sie sich in Ihrem Antrag so versteigen
Ihrer Argumentation zufolge wäre das logisch. – ich könnte es Ihnen ja wörtlich vorlesen –, zu schrei-
ben, dass nur in der Kita eine ordentliche Erziehung
möglich ist? Das kann doch nicht ernst gemeint sein.
Norbert Geis (CDU/CSU):
Danke schön. Ich habe Ihre Frage verstanden. – Ich (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es!)
habe ja gar nicht gesagt, dass es eine Ersatzleistung ist.
Für mich ist das Betreuungsgeld eine Anerkennung, die Ziehen Sie also Ihren Antrag zurück, bevor es zu spät ist.
der Staat leistet für die Erziehungsleistung von Vater (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
oder Mutter, je nachdem, wer die Erziehung des Kindes Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
daheim übernimmt. Wenn das Kind in die Kita geht, Sie sind aus der Zeit gefallen, Herr Geis!)
zahlt der Staat das Gehalt der Betreuerin, die keine an-
dere Leistung erbringt als eben auch eine Erziehungs- Zum Zweiten ist das Betreuungsgeld ein Ausgleich.
leistung. Warum soll die Erziehungsleistung der Mutter Auf der einen Seite wird viel Geld für die Kitas ausgege-
gar nicht oder schlechter bewertet werden als die Erzie- ben, und auf der anderen Seite soll, obwohl die gleiche
hungsleistung der Betreuerin? Es geht um die Anerken- Leistung erbracht wird, kein Geld bezahlt werden – nicht
nung, und es ist natürlich auch eine Frage der Gerechtig- einmal Betreuungsgeld, was ja ein minimaler Betrag ist?
keit. Auf der einen Seite erhält der Lehrer, der die Das ist sicherlich nicht gerecht.
Kinder erzieht, natürlich zu Recht ein hohes Gehalt und (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
damit eine Anerkennung seiner Leistung. Auf der ande- Warum haben Sie das nicht schon längst ge-
ren Seite soll ich die Leistung der Mutter, die ihr Kind macht, wenn es ungerecht ist?)
daheim erzieht, die ihren Beruf eine Zeit lang an den
Nagel hängt und ihre volle Kraft für das Kind aufbringt, Deswegen muss die Gesellschaft hier für Gerechtigkeit
nicht anerkennen? Das halte ich für einen Akt der Unge- sorgen, weswegen wir die Forderung gestellt haben, ein
rechtigkeit. Das kann man so nicht stehen lassen. Betreuungsgeld zu zahlen.
5044 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Norbert Geis
(A) Drittens. Natürlich wird auch dieser geringe Betrag (Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: (C)
von 150 Euro gebraucht werden. Es ist nicht so, dass die Der Tag hat mehr als acht Stunden!)
Mutter auf die 150 Euro gern verzichtet.
Deswegen meine ich: Ihr Antrag ist einfach nicht aus-
(Caren Marks [SPD]: Wieso eigentlich immer gewogen, er ist rechtlich nicht fundiert, und deshalb ist
nur die Mutter?) er auch abzulehnen.
Nein, diese 150 Euro werden gebraucht. Die Mutter Danke schön.
muss dann abends nicht an die Kasse gehen und keinen
Dienst nebenher tun, sondern sie kann diese 150 Euro (Beifall bei der CDU/CSU – Caren Marks
für sich in Anspruch nehmen. Gleiches gilt für den Vater, [SPD]: Peinlich! – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/
der die Kinder daheim erzieht. DIE GRÜNEN]: In Rente gehen! Sie sind aus
der Zeit gefallen!)
Ich meine, Sie sollten das Für und Wider wirklich ein-
mal abwägen.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bevor ich der nächsten Rednerin das Wort erteile, will
Wir haben sehr gut abgewogen!) ich Ihnen gerne das von den Schriftführerinnen und
Betrachten Sie einmal die Beispiele aus Skandinavien Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
– die Frage von Ihnen war ja keine Antwort darauf –, Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
Frankreich, Spanien und Italien: Warum soll es bei uns wärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregie-
nicht möglich sein, eine solche Leistung des Staates für rung bezüglich des UNIFIL-Einsatzes bekanntgeben:
eine Leistung einzuführen, die gesamtgesellschaftliche (Markus Grübel [CDU/CSU]: Gut, dann können
Bedeutung hat? Wir dürfen die Erziehungsleistung der sich die Kolleginnen wieder beruhigen!)
Eltern nicht bagatellisieren. Sie reden gegen 70 Prozent
der Eltern. Sie dürfen diese Leistung der Eltern nicht abgegebene Stimmen 571. Mit Ja haben gestimmt 486,
einfach mit der Erklärung abtun: Nur in der Kita kann mit Nein 76, und es gab 9 Enthaltungen. Die Beschluss-
richtige Erziehung erfolgen. empfehlung ist damit angenommen.

Endgültiges Ergebnis Dr. Reinhard Brandl Dr. Wolfgang Götzer Dr. Egon Jüttner
(B) Abgegebene Stimmen: 571; Helmut Brandt Ute Granold Bartholomäus Kalb (D)
davon Dr. Ralf Brauksiepe Reinhard Grindel Hans-Werner Kammer
Dr. Helge Braun Hermann Gröhe Steffen Kampeter
ja: 486
Heike Brehmer Michael Grosse-Brömer Alois Karl
nein: 76 Ralph Brinkhaus Markus Grübel Bernhard Kaster
enthalten: 9 Gitta Connemann Manfred Grund Siegfried Kauder (Villingen-
Leo Dautzenberg Monika Grütters Schwenningen)
Ja Alexander Dobrindt Dr. Karl-Theodor Freiherr Volker Kauder
Thomas Dörflinger zu Guttenberg Dr. Stefan Kaufmann
CDU/CSU Marie-Luise Dött Olav Gutting Roderich Kiesewetter
Dr. Thomas Feist Florian Hahn Eckart von Klaeden
Ilse Aigner Enak Ferlemann Holger Haibach Ewa Klamt
Peter Altmaier Ingrid Fischbach Dr. Stephan Harbarth Volkmar Klein
Peter Aumer Hartwig Fischer (Göttingen) Jürgen Hardt Jürgen Klimke
Dorothee Bär Axel E. Fischer (Karlsruhe- Gerda Hasselfeldt Julia Klöckner
Thomas Bareiß Land) Dr. Matthias Heider Axel Knoerig
Norbert Barthle Dr. Maria Flachsbarth Mechthild Heil Jens Koeppen
Günter Baumann Klaus-Peter Flosbach Ursula Heinen-Esser Manfred Kolbe
Ernst-Reinhard Beck Herbert Frankenhauser Frank Heinrich Dr. Rolf Koschorrek
(Reutlingen) Dr. Hans-Peter Friedrich Rudolf Henke Hartmut Koschyk
Manfred Behrens (Börde) (Hof) Michael Hennrich Thomas Kossendey
Veronika Bellmann Michael Frieser Jürgen Herrmann Michael Kretschmer
Dr. Christoph Bergner Dr. Michael Fuchs Ansgar Heveling Gunther Krichbaum
Peter Beyer Hans-Joachim Fuchtel Ernst Hinsken Dr. Günter Krings
Steffen Bilger Alexander Funk Peter Hintze Rüdiger Kruse
Clemens Binninger Ingo Gädechens Christian Hirte Bettina Kudla
Peter Bleser Dr. Peter Gauweiler Robert Hochbaum Dr. Hermann Kues
Dr. Maria Böhmer Dr. Thomas Gebhart Karl Holmeier Dr. Karl A. Lamers
Wolfgang Börnsen Norbert Geis Franz-Josef Holzenkamp (Heidelberg)
(Bönstrup) Alois Gerig Anette Hübinger Andreas G. Lämmel
Wolfgang Bosbach Eberhard Gienger Thomas Jarzombek Dr. Norbert Lammert
Norbert Brackmann Michael Glos Dieter Jasper Katharina Landgraf
Klaus Brähmig Josef Göppel Dr. Franz Josef Jung Ulrich Lange
Michael Brand Peter Götz Andreas Jung (Konstanz) Dr. Max Lehmer
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5045
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
(A) Paul Lehrieder Reinhold Sendker Peter Friedrich Bernd Scheelen (C)
Dr. Ursula von der Leyen Dr. Patrick Sensburg Michael Gerdes Marianne Schieder
Ingbert Liebing Thomas Silberhorn Martin Gerster (Schwandorf)
Matthias Lietz Johannes Singhammer Iris Gleicke Werner Schieder (Weiden)
Dr. Carsten Linnemann Jens Spahn Günter Gloser Ulla Schmidt (Aachen)
Patricia Lips Carola Stauche Ulrike Gottschalck Carsten Schneider (Erfurt)
Dr. Jan-Marco Luczak Erika Steinbach Angelika Graf (Rosenheim) Olaf Scholz
Dr. Michael Luther Christian Freiherr von Stetten Michael Groß Ottmar Schreiner
Karin Maag Dieter Stier Wolfgang Gunkel Swen Schulz (Spandau)
Dr. Thomas de Maizière Gero Storjohann Hans-Joachim Hacker Frank Schwabe
Hans-Georg von der Marwitz Stephan Stracke Bettina Hagedorn Dr. Angelica Schwall-Düren
Andreas Mattfeldt Max Straubinger Klaus Hagemann Dr. Martin Schwanholz
Stephan Mayer (Altötting) Karin Strenz Michael Hartmann Rolf Schwanitz
Dr. Michael Meister Thomas Strobl (Heilbronn) (Wackernheim) Stefan Schwartze
Maria Michalk Lena Strothmann Hubertus Heil (Peine) Dr. Carsten Sieling
Dr. h. c. Hans Michelbach Michael Stübgen Dr. Barbara Hendricks Sonja Steffen
Dr. Mathias Middelberg Dr. Peter Tauber Gustav Herzog Dr. Frank-Walter Steinmeier
Dietrich Monstadt Antje Tillmann Frank Hofmann (Volkach) Christoph Strässer
Marlene Mortler Arnold Vaatz Dr. Eva Högl Kerstin Tack
Dr. Gerd Müller Volkmar Vogel (Kleinsaara) Christel Humme Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Stefan Müller (Erlangen) Stefanie Vogelsang Josip Juratovic Franz Thönnes
Nadine Müller (St. Wendel) Andrea Astrid Voßhoff Oliver Kaczmarek Wolfgang Tiefensee
Dr. Philipp Murmann Dr. Johann Wadephul Johannes Kahrs Ute Vogt
Michaela Noll Marco Wanderwitz Dr. h. c. Susanne Kastner Dr. Marlies Volkmer
Dr. Georg Nüßlein Kai Wegner Ulrich Kelber Andrea Wicklein
Franz Obermeier Marcus Weinberg (Hamburg) Lars Klingbeil Heidemarie Wieczorek-Zeul
Eduard Oswald Peter Weiß (Emmendingen) Hans-Ulrich Klose Dr. Dieter Wiefelspütz
Henning Otte Sabine Weiss (Wesel I) Dr. Bärbel Kofler Dagmar Ziegler
Dr. Michael Paul Ingo Wellenreuther Daniela Kolbe (Leipzig) Manfred Zöllmer
Rita Pawelski Karl-Georg Wellmann Fritz Rudolf Körper Brigitte Zypries
Ulrich Petzold Peter Wichtel Anette Kramme
Dr. Joachim Pfeiffer Annette Widmann-Mauz Nicolette Kressl FDP
Sibylle Pfeiffer Klaus-Peter Willsch Angelika Krüger-Leißner Jens Ackermann
Beatrix Philipp Elisabeth Winkelmeier- Ute Kumpf Christian Ahrendt
Ronald Pofalla Becker Christine Lambrecht
(B) Dagmar Wöhrl
Christine Aschenberg- (D)
Christoph Poland Christian Lange (Backnang) Dugnus
Eckhard Pols Dr. Matthias Zimmer Dr. Karl Lauterbach Daniel Bahr (Münster)
Lucia Puttrich Wolfgang Zöller Steffen-Claudio Lemme Florian Bernschneider
Daniela Raab Willi Zylajew Burkhard Lischka Sebastian Blumenthal
Thomas Rachel Gabriele Lösekrug-Möller Claudia Bögel
Dr. Peter Ramsauer SPD Kirsten Lühmann Nicole Bracht-Bendt
Eckhardt Rehberg Ingrid Arndt-Brauer Caren Marks Klaus Breil
Katherina Reiche (Potsdam) Rainer Arnold Katja Mast Angelika Brunkhorst
Lothar Riebsamen Heinz-Joachim Barchmann Petra Merkel (Berlin) Ernst Burgbacher
Josef Rief Dr. Hans-Peter Bartels Ullrich Meßmer Marco Buschmann
Klaus Riegert Sören Bartol Dr. Matthias Miersch Sylvia Canel
Dr. Heinz Riesenhuber Bärbel Bas Franz Müntefering Reiner Deutschmann
Johannes Röring Dirk Becker Dr. Rolf Mützenich Dr. Bijan Djir-Sarai
Dr. Norbert Röttgen Lothar Binding (Heidelberg) Manfred Nink Patrick Döring
Dr. Christian Ruck Gerd Bollmann Thomas Oppermann Mechthild Dyckmans
Erwin Rüddel Klaus Brandner Holger Ortel Rainer Erdel
Albert Rupprecht (Weiden) Bernhard Brinkmann Aydan Özoğuz Jörg van Essen
Anita Schäfer (Saalstadt) (Hildesheim) Heinz Paula Ulrike Flach
Dr. Annette Schavan Edelgard Bulmahn Joachim Poß Otto Fricke
Dr. Andreas Scheuer Ulla Burchardt Dr. Wilhelm Priesmeier Paul K. Friedhoff
Karl Schiewerling Petra Crone Florian Pronold Dr. Edmund Peter Geisen
Norbert Schindler Dr. Peter Danckert Dr. Sascha Raabe Hans-Michael Goldmann
Georg Schirmbeck Martin Dörmann Mechthild Rawert Heinz Golombeck
Christian Schmidt (Fürth) Elvira Drobinski-Weiß Dr. Carola Reimann Miriam Gruß
Patrick Schnieder Garrelt Duin Sönke Rix Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Andreas Schockenhoff Sebastian Edathy René Röspel Heinz-Peter Haustein
Dr. Ole Schröder Siegmund Ehrmann Dr. Ernst Dieter Rossmann Manuel Höferlin
Bernhard Schulte-Drüggelte Petra Ernstberger Karin Roth (Esslingen) Birgit Homburger
Uwe Schummer Karin Evers-Meyer Michael Roth (Heringen) Dr. Werner Hoyer
Armin Schuster (Weil am Elke Ferner Marlene Rupprecht Heiner Kamp
Rhein) Gabriele Fograscher (Tuchenbach) Michael Kauch
Detlef Seif Dr. Edgar Franke Anton Schaaf Dr. Lutz Knopek
Johannes Selle Dagmar Freitag Axel Schäfer (Bochum) Pascal Kober
5046 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt


(A) Dr. Heinrich L. Kolb BÜNDNIS 90/ Dr. Valerie Wilms Ulla Lötzer (C)
Gudrun Kopp DIE GRÜNEN Josef Philip Winkler Dr. Gesine Lötzsch
Dr. h. c. Jürgen Koppelin Thomas Lutze
Marieluise Beck (Bremen)
Sebastian Körber Dorothée Menzner
Volker Beck (Köln) Nein
Holger Krestel Cornelia Behm Cornelia Möhring
Patrick Kurth (Kyffhäuser) Birgitt Bender SPD Kornelia Möller
Heinz Lanfermann Alexander Bonde Niema Movassat
Sibylle Laurischk Willi Brase Wolfgang Nešković
Viola von Cramon-Taubadel
Harald Leibrecht Gabriele Hiller-Ohm Thomas Nord
Ekin Deligöz
Sabine Leutheusser- Petra Hinz (Essen) Petra Pau
Katja Dörner
Schnarrenberger Rüdiger Veit Richard Pitterle
Hans-Josef Fell
Lars Lindemann Dr. Thomas Gambke Yvonne Ploetz
Dr. Martin Lindner (Berlin) FDP Ingrid Remmers
Kai Gehring
Michael Link (Heilbronn) Katrin Göring-Eckardt Helga Daub Paul Schäfer (Köln)
Dr. Erwin Lotter Britta Haßelmann Joachim Günther (Plauen) Dr. Herbert Schui
Oliver Luksic Bettina Herlitzius Dr. Ilja Seifert
Patrick Meinhardt Priska Hinz (Herborn) DIE LINKE Kathrin Senger-Schäfer
Gabriele Molitor Ulrike Höfken Raju Sharma
Agnes Alpers Dr. Petra Sitte
Jan Mücke Dr. Anton Hofreiter
Dr. Dietmar Bartsch Sabine Stüber
Petra Müller (Aachen) Bärbel Höhn
Ingrid Hönlinger Herbert Behrens Alexander Süßmair
Burkhardt Müller-Sönksen
Thilo Hoppe Karin Binder Frank Tempel
Dr. Martin Neumann Matthias W. Birkwald
(Lausitz) Uwe Kekeritz Dr. Axel Troost
Katja Keul Heidrun Bluhm Alexander Ulrich
Dirk Niebel
Memet Kilic Steffen Bockhahn Kathrin Vogler
Hans-Joachim Otto Christine Buchholz
(Frankfurt) Sven-Christian Kindler Sahra Wagenknecht
Maria Anna Klein-Schmeink Eva Bulling-Schröter Halina Wawzyniak
Cornelia Pieper Dr. Martina Bunge
Gisela Piltz Tom Koenigs Harald Weinberg
Oliver Krischer Roland Claus Katrin Werner
Dr. Christiane Ratjen- Sevim Dağdelen
Damerau Agnes Krumwiede Jörn Wunderlich
Fritz Kuhn Dr. Diether Dehm Sabine Zimmermann
Dr. Birgit Reinemund Heidrun Dittrich
Dr. Peter Röhlinger Stephan Kühn
Markus Kurth Werner Dreibus BÜNDNIS 90/
Dr. Stefan Ruppert Dr. Dagmar Enkelmann
Undine Kurth (Quedlinburg) DIE GRÜNEN
Björn Sänger Klaus Ernst
(B) Christoph Schnurr Nicole Maisch
Monika Lazar (D)
Agnes Malczak Wolfgang Gehrcke
Jimmy Schulz Nicole Gohlke Dr. Harald Terpe
Jerzy Montag
Marina Schuster Diana Golze
Kerstin Müller (Köln)
Dr. Erik Schweickert Annette Groth Enthalten
Ingrid Nestle
Werner Simmling Dr. Konstantin von Notz Dr. Gregor Gysi
Judith Skudelny Omid Nouripour Heike Hänsel SPD
Dr. Hermann Otto Solms Friedrich Ostendorff Dr. Rosemarie Hein
Joachim Spatz Inge Höger Klaus Barthel
Dr. Hermann Ott Dr. Hermann Scheer
Torsten Staffeldt Brigitte Pothmer Dr. Barbara Höll
Dr. Rainer Stinner Andrej Konstantin Hunko Ewald Schurer
Tabea Rößner
Stephan Thomae Claudia Roth (Augsburg) Ulla Jelpke
Florian Toncar BÜNDNIS 90/
Manuel Sarrazin Dr. Lukrezia Jochimsen
Serkan Tören DIE GRÜNEN
Elisabeth Scharfenberg Katja Kipping
Johannes Vogel Christine Scheel Harald Koch Winfried Hermann
(Lüdenscheid) Dr. Gerhard Schick Jan Korte Sylvia Kotting-Uhl
Dr. Daniel Volk Dr. Frithjof Schmidt Jutta Krellmann Beate Müller-Gemmeke
Dr. Guido Westerwelle Dorothea Steiner Caren Lay Lisa Paus
Dr. Claudia Winterstein Markus Tressel Ralph Lenkert Dr. Wolfgang Strengmann-
Dr. Volker Wissing Jürgen Trittin Michael Leutert Kuhn
Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Daniela Wagner Stefan Liebich Hans-Christian Ströbele

Nun hat die Kollegin Marlene Rupprecht für die SPD- men, was die Bürger von uns auch erwarten. Realität ist:
Fraktion das Wort. Wir haben jungen Familien, die aus Müttern, Vätern und
Kindern bestehen. Wenn das Parlament für diese etwas
(Beifall bei der SPD)
tut, dann hat es die Verpflichtung, ganz klar zu sagen:
Wir stellen einen Rahmen zur Verfügung und haben
Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): euch nicht vorzuschreiben, wie ihr zu leben habt.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Das Parlament muss die Realität wahrneh- (Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5047
Marlene Rupprecht (Tuchenbach)
(A) Uns liegt ein Gesetzentwurf zur Änderung des Achten übrigen 0,3 spielen. Deshalb brauchen sie andere Kinder (C)
Buches Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugendhilfe – zum sozialen Lernen, was Kinder unter Erwachsenen
vor. § 16 Abs. 4 soll gestrichen werden. Das klingt für kaum so lernen können wie im Umgang mit anderen
andere sehr technokratisch. Als wir die Kinderbetreuung Kindern.
der unter Dreijährigen gesetzlich festgeschrieben haben, Kinder brauchen andere Kinder nicht nur zum sozia-
ist darin die Option verankert worden, dass ab 2013 len Lernen, sondern auch, um Anregungen zu bekom-
eventuell ein Betreuungsgeld gezahlt wird. men, die Welt zu entdecken. Wir wissen, dass die Kin-
Das ist damals gegen den Willen vieler Frauen ge- derbetreuung unseren Kindern nutzt. 100 Prozent der
schehen. Hierbei schließe ich viele hier im Parlament Kinder, die Eltern mit Hauptschulabschluss haben und in
quer durch alle Fraktionen mit ein, weil sie alle selber einer Betreuungseinrichtung waren, besuchen später
entsprechende Erfahrungen haben: ob Frau Bär – sie hat weiterführende Schulen. Ich glaube, es ist durch nichts
ein Kind und ist hier –, Frau Golze oder Frau Gruß. gerechtfertigt und durch nichts zu begründen, Kindern
diese Chance zu nehmen.
(Dorothee Bär [CDU/CSU]: Aber die persönli-
che Biografie sollte ja nicht ausschlaggebend Wir wollen, dass Eltern Wahlfreiheit haben. Deshalb
für unsere Gesetzgebung sein!) müssen wir für die notwendige Infrastruktur sorgen. Wir
müssen dafür sorgen, dass sie ihre Erziehungsarbeit
– Moment. – leisten können. Alles, was darüber hinausgeht, ist Ideo-
Diese ganz persönliche Gestaltung des Lebens schreiben logie, und die lehne ich in diesem Fall rigoros ab, weil
wir niemandem vor. Wir müssen aber den Rahmen dafür auch wir im Parlament niemandem seine Lebenspla-
schaffen, dass alle ihr Leben so gestalten können, wie sie nung und -gestaltung vorzuschreiben haben.
es möchten. In diesem Sinne stimmen wir vehement der Forde-
Es gibt Studien zum Betreuungsgeld. Eine Studie ist rung zu, dass das Betreuungsgeld ausgesetzt wird. Die
vom Finanzministerium in Auftrag gegeben worden, dafür notwendigen 1,4 Milliarden bis 1,9 Milliarden
eine andere von der Bertelsmann-Stiftung. Beide Studien Euro können sinnvoller angelegt werden.
kommen zu dem Ergebnis, dass das geplante Betreu- Danke.
ungsgeld Mitnahmeeffekte verursacht, die den Eltern zu-
gute kommen, die nicht berufstätig sind und ohnehin (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
keinen Betreuungsbedarf haben, aber das Geld gerne der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
entgegennehmen würden. GRÜNEN)

(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Das ist Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:


(B) schlecht, oder wie?) (D)
Nächste Rednerin ist die Kollegin Miriam Gruß für
Derzeit wird etwas diskutiert, das ich den Müttern die FDP-Fraktion.
und Vätern gegenüber für fatal halte, die ihr Leben nicht (Beifall bei der FDP)
an einer Ideologie ausrichten, sondern aus der Lebens-
wirklichkeit heraus gestalten. Eltern tragen 24 Stunden
an sieben Tagen in der Woche Verantwortung. Dies ist Miriam Gruß (FDP):
nicht mit einem drei- oder vierstündigen Kinderbetreu- Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich kann die
ungsangebot abgedeckt. Katze gleich aus dem Sack lassen: Liebe Katja Dörner,
meine Kritik am Betreuungsgeld besteht weiterhin.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
LINKEN und des Abg. Paul Lehrieder [CDU/ BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
CSU]) Wir haben den Koalitionsvertrag vereinbart. Ein Koali-
Die Verantwortung wird nicht abgegeben. Das heißt, wir tionsvertrag ist ein Kompromiss zwischen den Positio-
können die Betreuungsformen und damit die Eltern nicht nen. Deswegen ist in diesen Koalitionsvertrag auch das
gegeneinander ausspielen. Betreuungsgeld aufgenommen worden. Es ist kein Ge-
heimnis, dass die FDP-Fraktion über das Betreuungsgeld
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Diana nicht glücklich ist. Allerdings steht es auch erst 2013 an.
Golze [DIE LINKE])
Ich finde es viel wichtiger, darüber zu reden, was wir
Die Frage muss lauten: Was brauchen Kinder? Nur jetzt für Familien tun und getan haben. Wir befinden uns
das ist ausschlaggebend für unser Handeln. Kinder brau- haushalterisch in absolut kritischen Zeiten. Eine haus-
chen Eltern. Darin gebe ich Ihnen recht. Sie brauchen halterische Krise belastet auch uns. Deswegen müssen
Personen, die sie für das Leben emotional stark machen. wir sparen. Wir sind die erste Bundesregierung, die mas-
Das ist entscheidend. Kinder brauchen aber, wie wir wis- siv spart und an dem Ziel der Schuldenbremse festhält,
sen, noch andere Kinder zum Aufwachsen. das wir im Grundgesetz festgeschrieben haben.
(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Geschwister Auf Schuldenbergen, lieber Otto, können keine Kin-
zum Beispiel!) der spielen und erst recht nicht lernen. Man kann diesen
Satz nicht oft genug sagen.
– In den wenigsten Familien gibt es Geschwisterkinder.
Das wissen Sie. Frauen in Deutschland bekommen im (Beifall bei der FDP sowie des Abg. Marco
Durchschnitt 1,3 Kinder. Ein Kind kann schlecht mit den Wanderwitz [CDU/CSU])
5048 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Miriam Gruß
(A) Deshalb haben wir uns auf den Weg gemacht, tatsächlich getan. Wir haben beispielsweise das Kindergeld und den (C)
zu sparen. Das ist nicht leicht, und wir nehmen Ein- Grundfreibetrag für Familien erhöht. Dies entlastet Fa-
schnitte vor. Wir haben aber auch Bereiche ausgelassen, milien und gibt ihnen Chancen. Auf dieser Grundlage ar-
in denen wir weiter investieren müssen. Beispielsweise beiten wir sehr gut zusammen. Damit nicht gleich wie-
halten wir an dem Ziel fest, den Ausbau der Betreuungs- der Gerüchte gestreut werden, was hier los sei, bedanke
plätze bis 2013 zu gewährleisten, damit jede Mutter und ich mich an dieser Stelle bei dir, liebe Dorothee Bär, und
jeder Vater einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungs- bei dir, liebe Ingrid Fischbach, für die hervorragende Zu-
platz erhalten. sammenarbeit. Unsere Koalition funktioniert.
(Beifall bei der FDP) Vielen Dank.
Wir halten weiterhin an dem Ziel fest, Vereinbarkeit von (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Beruf und Familie zu ermöglichen. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Da hat es aber jemand nötig!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Dör- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
ner? Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin
Diana Golze das Wort.
Miriam Gruß (FDP):
Ja. (Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Diana Golze (DIE LINKE):


Bitte. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Ich möchte wieder zu dem Gegen-
Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): stand zurückkommen, um den es eigentlich gehen sollte,
nämlich das Wohl von Kindern. Dafür zitiere ich den
Sehr geehrte Frau Gruß, Sie weisen völlig zu Recht
ersten Satz aus dem Kinder- und Jugendhilfegesetz:
auf die schwierige Haushaltslage hin. Sollte man gerade
angesichts dieser Haushaltslage nicht jetzt schon Nägel Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung
mit Köpfen machen, auch für 2013 ganz klar sagen, dass seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer ei-
wir die 2 Milliarden Euro nicht haben, die man für das genverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Per-
Betreuungsgeld künftig ausgeben muss, und es deshalb sönlichkeit.
(B) jetzt schon aus dem Gesetz streichen? Ich habe einen (D)
sehr interessanten Leserbrief Ihres Generalsekretärs An dieses Gesetz sind wir alle gebunden, und ich fordere
Christian Lindner im aktuellen Spiegel gefunden, in dem seinen Erhalt. Deshalb empfand ich es als einen Fehler,
er schreibt: das Betreuungsgeld in § 16 dieses Gesetzes aufzuneh-
men, auch wenn es nur irgendwann einmal gelten soll.
Einsparungen für den Staat ergeben sich schließlich Wir müssen schon heute diesen Wahnsinn verhindern; da
nicht nur aus der Kürzung bestehender Ausgaben- gebe ich den Grünen durchaus recht.
positionen, sondern vor allem durch den Verzicht
auf künftige Projekte. (Beifall bei der LINKEN und dem BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne-
Wäre nicht das Betreuungsgeld eines dieser künftigen ten der SPD)
Projekte, das direkt gestrichen werden sollte?
Sowohl die Vorgängerregierung als auch die jetzige
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
haben immer wieder betont, dass Bildung ganz oben auf
bei der SPD und der LINKEN – Paul
ihrer Agenda stehe. Dann verstehe ich aber erst recht
Lehrieder [CDU/CSU]: Das hat er nicht ge-
nicht, warum man mit dem Betreuungsgeld einen Anreiz
meint! – Dirk Niebel [FDP]: Man kann doch
dafür schafft, dass Kinder nicht in den Genuss frühkind-
nur sparen, was im Haushalt steht!)
licher Bildung und Erziehung kommen. Dies passt für
mich nicht zusammen.
Miriam Gruß (FDP):
Wir schreiben das Jahr 2010. Das Betreuungsgeld Auch das Spiel, immer wieder öffentliche Kinderta-
steht nicht in diesem Haushalt. Deshalb brauchen wir in gesbetreuung auf die eine Seite und die Erziehung und
diesem Jahr 2010 auch nicht darüber zu sprechen. Betreuung durch die Eltern auf die andere Seite zu stel-
len, ist von Anfang an ein Griff in die Mottenkiste gewe-
(Beifall bei der FDP – Katja Dörner [BÜND- sen, Herr Geis.
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Es geht in dem Arti-
kel um Mieten!) (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Diese Koalition steht für eine Familienpolitik, die
Freiheit ermöglicht, Freiheit für die Familien gewährt, Ich lasse mir auch als Mutter von zwei Kindern, die
aber natürlich auch Familien stärken will. Auf welche beide in eine öffentliche Kindertagesstätte gehen, von
Weise man dies macht, werden wir miteinander noch be- Ihnen nicht sagen, dass ich meine Kinder nicht erzöge
sprechen. Auf jeden Fall haben wir viel für die Familien und nicht ausreichend betreute.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5049
Diana Golze
(A) (Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Das hat er Aber bei denen, die ihr Leben noch in die Hand (C)
auch nicht gesagt, Frau Kollegin!) nehmen können, da wollen wir Anreize geben für
Arbeit.
Was dabei herauskommt, wenn zu wenige Mütter mit
Kindern im Bundestag sitzen, das sieht man sehr deut- Was ist das denn für ein Anreiz, zu arbeiten, wenn
lich. man den Leuten Geld dafür gibt, mit ihrem Kind zu
Hause zu bleiben? Herr Geis hat immer nur von Frauen
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem gesprochen, zum Beispiel davon, dass sie mit dem Be-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) treuungsgeld abends nicht mehr an der Kasse sitzen
müssen.
Wem oder wozu soll also dieses Betreuungsgeld die-
nen? Eltern, die finanziell bessergestellt sind, werden (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Er hat auch von
sich von 150 Euro nicht davon abhalten lassen, ihr Kind Männern gesprochen!)
in eine Krippe zu geben. Welchen Zweck hat es also Das Betreuungsgeld ist kein Anreiz, zu arbeiten, und
dann? es ist nicht gut für die Vereinbarkeit von Familie und Be-
ruf. Es ist ein Griff in die Mottenkiste. Deshalb werden
Ich möchte dies noch von einer anderen Seite be-
wir dem Antrag der Grünen sehr gerne zustimmen.
leuchten: In den letzten Wochen haben uns zahlreiche
Hilferufe von Städten und Gemeinden erreicht, die in Vielen Dank.
Anbetracht der angekündigten sogenannten Sparpakete
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem
und der im Koalitionsvertrag vereinbarten Steuersenkun-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
gen gesagt haben, sie seien am Ende der Fahnenstange,
sie seien finanziell handlungsunfähig. Als eine der ersten
Maßnahmen, die sie deshalb zur Disposition gestellt ha- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
ben, wurde der Ausbau der Kindertagesbetreuung für die Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Norbert
unter Dreijährigen genannt. Dieser ist zeitlich und finan- Geis das Wort.
ziell nicht zu stemmen.
Norbert Geis (CDU/CSU):
Meine Fraktion wurde 2008 verhöhnt, als wir gesagt
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Golze,
haben, der Anteil des Bundes bei der Realisierung des
nichts von dem, was Sie behauptet haben, habe ich ge-
Ziels, einen Betreuungsplatz für 35 Prozent der Kinder sagt. Es ist nie über meine Lippen gekommen, dass Sie
unter drei Jahren anzubieten, sei zu gering. Damals Ihre Kinder nicht richtig erziehen; das weise ich aus-
(B) wurde mir hier im Bundestag entgegengehalten, mehr drücklich zurück. Sie sagen, ich würde in die Motten- (D)
könne die Bundesregierung nicht beisteuern. Die Reali- kiste greifen. Ich weiß aber gar nicht, welche Motten-
tät hat aber nicht meine Fraktion und mich Lügen ge- kiste Sie meinen. Meines Erachtens kommt es aus der
straft, sondern diejenigen, die es anders entschieden ha- Mottenkiste der DDR, ein allzu großes Gewicht auf die
ben. Erziehung in der Kita zu legen.
(Beifall bei der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Widerspruch bei der SPD, der LINKEN und
Das Tragische an der Situation ist aber, dass nicht die dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Bundesregierung die Rechnung für die sträfliche Igno-
ranz gegenüber der Situation unserer Städte und Ge-
meinden zahlen muss, sondern die Kinder, die 2013 kei- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
nen Kitaplatz haben werden, und deren Eltern, die Beruf Zur Erwiderung hat Frau Golze das Wort.
und Familie dann immer noch nicht miteinander verein- (Caren Marks [SPD]: Das ist so arm, das be-
baren können. darf keines Kommentars!)
Für die Berufstätigen ist das Betreuungsgeld kein
Fortschritt, weil die Kitaplätze nicht für alle ausreichen Diana Golze (DIE LINKE):
werden. Oder ist das Betreuungsgeld für diejenigen ge- Eigentlich könnte man das so stehen lassen; es spricht
dacht, die schon jetzt von Armutslöhnen und Hartz IV für sich.
leben und jeden Euro zweimal umdrehen müssen? Diese (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem
Eltern werden geradezu gezwungen, ihr Kind zu Hause BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
zu behalten und das Betreuungsgeld in Anspruch zu neh-
men, weil sie sich damit das neue Fahrrad für den Klei- Ich möchte Ihnen aber noch ein anderes Beispiel nen-
nen vielleicht schon in drei statt erst in fünf Jahren oder nen. Ich hatte gestern in meinem Büro Besuch von einer
auch den Schulausflug für die Tochter leisten können. jungen Frau, die in München geboren und aufgewachsen
Das kann es doch wohl nicht sein! Ich bitte Sie, noch ist. Für ihre Eltern war ein Kindergartenplatz für sie wie
einmal darüber nachzudenken, ob Sie es mit dem Be- ein Hauptgewinn im Lotto. Sie hat es dazu gebracht, Be-
treuungsgeld ernst meinen. amtin zu werden und einer großen Organisation in
Deutschland vorzustehen, die jungen Menschen hilft, für
Unsere Arbeitsministerin, Frau von der Leyen, wird ihre Rechte zu streiten. Allein dieses Beispiel zeigt, dass
am 8. Juni 2010 von der FAZ zitiert: es auch in den alten Bundesländern Menschen gab, die
5050 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Diana Golze
(A) es als richtig empfunden haben, Kinder frühzeitig zu för- ben. Unsere zentralen Ziele sind im Grunde die gleichen (C)
dern und miteinander aufwachsen zu lassen. wie Ihre Ziele. Auch wir wollen die Vereinbarkeit von
Familie und Beruf für diejenigen Eltern, die das möch-
Ich könnte Ihnen jetzt noch viele weitere Argumente ten. Wir wollen keine Zwangsbeglückung für alle. Auch
nennen, will aber nur Folgendes sagen: Kommen Sie aus wir wollen eine bestmögliche frühkindliche Bildung.
der Mottenkiste heraus; es würde Ihnen guttun! Wir sind aber offensichtlich im Gegensatz zu Ihnen der
(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem Meinung, dass auch Eltern das leisten können. Wir wol-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) len echte Wahlfreiheit für Familien.
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Das haben die Eltern jetzt schon!)
Nun hat der Kollege Marco Wanderwitz für CDU/
CSU das Wort. Außerdem sind wir der Meinung, dass Eltern einen
Ausgleich erhalten müssen, wenn sie sich gegen eine
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN subventionierte Fremdbetreuung entscheiden.
sowie des Abg. Dr. Bijan Djir-Sarai [FDP])
(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Frau von der Leyen würde sich für Sie
Marco Wanderwitz (CDU/CSU): schämen!)
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen! Die 150 Euro – das sage ich ganz offen – sind für uns
ein erster Schritt, nicht mehr und nicht weniger. Der
Das Betreuungsgeld konterkariert zentrale bildungs- Rechtsanspruch auf Betreuung wird dann zum Thema,
und sozialpolitische Zielstellungen. Qualitativ hoch- wenn genügend Plätze vorhanden sind. Unser Ziel ist,
wertige frühkindliche Betreuung und Bildung sind ihn zu dem gesetzten Zeitpunkt umzusetzen. Den
der Schlüssel zu lebenslangem Bildungserfolg … Rechtsanspruch auf Betreuung und das Betreuungsgeld
Dieses Zitat stammt aus dem Antrag der Grünen. sehen wir als zwei untrennbare Seiten einer Medaille an.
Das eine zu tun und das andere zu lassen, wäre nichts an-
Der zweite Satz ist zweifellos richtig; den wird jeder deres als eine Diskriminierung derjenigen, die sich mit
in diesem Hause unterschreiben. Herz und Seele der vollhäuslichen Erziehung und Be-
Beim ersten Satz war ich mir anfänglich nicht sicher, treuung ihrer Kinder widmen.
ob ich Sie falsch verstanden habe. Jetzt weiß ich aber, (Caren Marks [SPD]: Bitte? – Marianne
dass ich Sie richtig verstanden habe. Mit dem ersten Satz Schieder [Schwandorf] [SPD]: Die eigenen
(B) machen Sie nichts anderes, als den Eltern, die ihre Kin- CDU-Frauen sehen das doch auch anders!) (D)
der zu Hause erziehen, die Kompetenz abzusprechen,
dies mindestens genauso gut zu können, wie dies bei – Frau Schieder, schreien Sie nur.
Einrichtungen der Fall ist. Nichts anderes meinten Sie.
Wir reden hier über nichts anderes als über das zweite
(Caren Marks [SPD]: Eltern, die ihre Kinder in und dritte Lebensjahr, also über die Zeit nach dem El-
der Kindertagesstätte betreuen lassen, erziehen terngeld, wenn man sich für dieses entscheidet. Danach
ihre Kinder auch!) reden wir über den Kindergarten, dann vielleicht über
die Vorschule, dann über die Schule, dann über die Aus-
Ich sage Ihnen ganz offen, dass ich das für eine un- bildung und dann möglicherweise noch über ein Stu-
glaubliche Unterstellung halte. dium. Ich bin fast geneigt zu sagen: Lassen Sie doch bei
(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- den ersten drei Jahren die Kirche im Dorf.
NEN]: Das ist doch Quatsch!) (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ehrlich gesagt, ich glaube, Sie träumen immer noch
Ich fürchte, dass ich Sie damit zum nächsten Wider-
von der Lufthoheit über den Kinderbetten, von der Herr
spruch provoziere, weil ich alles andere als der Meinung
Scholz einmal gesprochen hat. Um nichts anderes
bin, dass Ihre Positionen ideologiefrei sind, Frau Kolle-
scheint es Ihnen hierbei zu gehen.
gin Rupprecht. Im Gegenteil, Ihre Ideologie zieht sich
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – von vorne bis hinten durch. Sie vertreten eine Gesell-
Marlene Rupprecht [Tuchenbach] [SPD]: Mer- schaftspolitik, die Sie auch in jedem anderen Politikfeld
ken Sie eigentlich, dass da drüben auch Frauen vertreten.
und Männer sitzen, die ihre Kinder betreuen
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
ließen?)
NEN]: Da klatscht nicht einmal jemand! –
– Schreien Sie nur. Zuhören wäre auch nicht schlecht. Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Fünf Minuten lang müssen Sie das ertragen. Ich glaube,
Nun zu den Gutscheinen, die auch in Ihrem Antrag
das ist nicht zu viel verlangt. Wenn Sie einen Antrag ein-
eine Rolle spielen. Ich sage ganz offen, dass wir sehr für
bringen, dann müssen Sie damit leben, dass Sie sich
auch die Argumente der anderen anhören müssen. Gutscheine sind, allerdings neben dem Betreuungsgeld.
Lassen Sie uns darüber reden, welche Gutscheinmodelle
Deshalb möchte ich mich nicht nur mit Ihrem Antrag umsetzbar sind. In manchen Ländern und Kommunen
befassen, sondern auch für unser Betreuungsgeld wer- werden diese bereits umgesetzt.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5051
Marco Wanderwitz
(A) Ich möchte einen weiteren Punkt ansprechen. In der Sie hält die Kinder von den Betreuungseinrichtun- (C)
gesetzlichen Rentenversicherung honorieren wir Erzie- gen fern, finanziert Betreuung durch ältere Ge-
hungszeiten von Eltern. Diese Regelung haben wir schwister oder unterstützt Familien, die diese Maß-
mehrmals verbessert. Ich glaube, die Honorierung von nahme nicht benötigen.
Erziehungsleistungen innerhalb der gesetzlichen Renten-
versicherung ist bei weitem noch nicht ausreichend. Das ist nicht meine Meinung – ich könnte das aller-
dings unterstreichen –, sondern die Meinung eines Pro-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und fessors, die dieser in einem Spiegel-Gespräch – nachzule-
der FDP) sen in der Spiegel-Ausgabe vom Montag dieser Woche –
geäußert hat. Ich gebe diesem Professor völlig recht: Das
Ich glaube, dass die zweite Säule unseres Generatio-
Betreuungsgeld bleibt eindeutig eine Antibildungsprä-
nenvertrags in den Gesetzlichkeiten unterbelichtet ist.
mie, und das Betreuungsgeld ist unsozial; denn es
Beitragszahler mit Kindern werden dreifach belastet.
schränkt die Zukunftschancen unserer Kinder ein.
Erstens zahlen sie Beiträge für die Rente ihrer Eltern und
Großeltern. Das trifft alle. Zweitens tragen sie nicht un- (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
erhebliche Kosten für das Großziehen der künftigen Bei- BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
tragszahler. Das sind Kosten, die nicht bei allen anfallen.
Diese werden bei weitem nicht ausgeglichen. Drittens Das Betreuungsgeld geistert nun schon seit drei Jah-
verzichten sie durch Schwangerschaft, Geburt, Erzie- ren durch die politische Debatte, eine Debatte, in der
hungszeiten und Teilzeitarbeit auf Einkommen und Kar- sehr polarisiert wird; das erleben wir ja auch heute. Es
rieresprünge und nehmen daraus resultierende niedrigere ist eine Debatte zwischen denen, die die Politik der
künftige Rentenzahlungen in Kauf. Das alles nehmen sie 50er-Jahre, Herr Geis, fortsetzen wollen, und denen, die
in Kauf. Ihre Kinder finanzieren dann später alle künfti- eine zeitgemäße Familienpolitik vertreten, eine Politik
gen Rentenbezieher. für mehr Betreuungsplätze und eine bessere Vereinbar-
keit – das ist entscheidend – von Familie und Beruf für
Diese Konstruktion halte ich schlicht für nicht ge- Männer und Frauen.
recht. Die Gesellschaft honoriert die Leistungen der
Menschen, die in diesem Land Kinder bekommen, nicht Das Betreuungsgeld ist genau das Gegenteil einer
ausreichend. Man könnte das auch stärker über die Steu- zeitgemäßen Politik. Es ist und bleibt eine Zuhausebleib-
ern machen; man muss es jedenfalls machen. prämie für die Frauen. Das Betreuungsgeld ist ein
gleichstellungspolitischer Rückschritt.
(Beifall der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU])
Herr Geis und auch Herr Wanderwitz, Sie sprechen
Die Bilanz von uns als Union in der Familienpolitik von der Wahlfreiheit, haben die Wahlfreiheit auch wun- (D)
(B)
der letzten Jahre kann sich sehen lassen: Kindergelderhö- derbar in Ihrem Koalitionsvertrag verankert.
hungen, Elterngeld. Wir werden diesen Weg weiterge-
hen, ob mit Ihnen oder ohne Sie.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
(Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Frau Kollegin Humme, gestatten Sie denn eine Zwi-
NEN]: Das werden wir mal sehen!)
schenfrage des Kollegen Geis?
Die Mehrheit sitzt auf dieser Seite des Hauses.
Vielen Dank. Christel Humme (SPD):
Ja gern, natürlich.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP) (Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Der hat doch
schon geredet!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin Norbert Geis (CDU/CSU):
Christel Humme für die SPD-Fraktion. Frau Kollegin, wenn Sie sagen, das Betreuungsgeld
(Beifall bei der SPD) sei ein Rückschritt –

Christel Humme (SPD): Christel Humme (SPD):


Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin- Natürlich!
nen!
Das Norbert Geis (CDU/CSU):
– und sei aus den 50er-Jahren – damals gab es das üb-
– nämlich das Betreuungsgeld – rigens noch gar nicht; das Erziehungsgeld gibt es erst
ist eine der törichsten Maßnahmen, die man über- seit 1986 –, dann frage ich Sie: Können Sie mir sagen,
haupt vorschlagen kann. warum dieses Betreuungsgeld in anderen Staaten, in al-
len skandinavischen Staaten, aber auch in Frankreich, in
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Spanien und in Italien, begrüßt wird, bei uns aber so
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schlecht dargestellt wird, wie Sie das eben getan haben?
5052 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) Christel Humme (SPD): (Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber Frau Kolle- (C)
Weil diese Länder einen Vorteil haben: Dort gibt es gin, ein bisschen mehr Seriosität! – Marco
nämlich schon einen Rechtsanspruch auf Betreuung. Wanderwitz [CDU/CSU]: Beantworten Sie
Dort können über 90 Prozent der Kinder einen Betreu- mal die Frage!)
ungsplatz in Anspruch nehmen. Das ist echte Wahlfrei-
Frau Schröder, die Ministerin, hat heute an die Länder
heit, die wir noch gar nicht erreicht haben. Darum ist das
appelliert, etwas mehr in Sachen Betreuung zu tun, weil
an dieser Stelle sicherlich noch etwas anders zu bewer-
sie genau weiß, dass sie eigentlich handeln müsste. Sie
ten.
ist in der Verantwortung. Sie müsste einen Krippengipfel
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem veranstalten.
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Das machen
Es gibt noch einen Unterschied, auf den ich Sie ein- wir doch!)
mal hinweisen darf. Sowohl Herr Wanderwitz als auch
Sie müsste sich mit den Ländern verständigen. Sie sollte
Sie, Herr Geis, haben gesagt, so sei es unsozial, wir hät-
zum Beispiel lieber auch die 1,9 Milliarden Euro, die das
ten keine Wertschätzung für die Erziehungsleistung der
Betreuungsgeld kostet, in die Hand nehmen und in mehr
Frauen. Wissen Sie denn nicht, dass der Staat Jahr für
und bessere Betreuungsangebote stecken. Ich glaube,
Jahr zweistellige Millionenbeträge zahlt, nämlich für
das wäre der richtige Weg für Deutschland; wir sind
das Ehegattensplitting – ich erwähne hier die Steuer-
nämlich in Deutschland und nicht in Norwegen.
klasse V – und für die Mitversicherung in der Kranken-
versicherung? Er unterstützt damit genau die Familien, (Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LIN-
in denen die Frauen zu Hause bleiben und die Kinder er- KEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
ziehen. Das ist schon eine ganze Menge mehr! NEN – Dorothee Bär [CDU/CSU]: Sie haben
überhaupt nicht die Frage beantwortet!)
(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Das ist zu
wenig!) Last not least: Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag
etwas festgelegt, was auch ich ganz interessant finde. Sie
Da kann man mit Fug und Recht fordern: Wir müssen so sagen, das Betreuungsgeld kann „gegebenenfalls als
viel Geld und noch mehr in die Kinderbetreuung ste- Gutschein“ ausgezahlt werden. Jetzt habe ich mich ge-
cken; fragt: Was heißt denn „gegebenenfalls“? Bekommen
(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Warum dann in Zukunft die einkommensschwachen Familien ei-
mehr?) nen Gutschein und die reichen Familien die 150 Euro in
bar? Misstrauen Sie vielleicht den Eltern, die weniger
(B) dann hätten wir echte Wahlfreiheit. Geld haben, und unterstellen ihnen, nicht genug für ihre (D)
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Kinder zu tun?
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Wir misstrauen
den Eltern nicht!)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Ich bin sehr gespannt auf die Antwort von Ihnen, was
Frau Kollegin, der Herr Geis möchte noch eine Frage Sie unter Gutscheinlösung tatsächlich verstehen.
stellen.
Genau das passt aber in Ihr unsoziales, diskriminie-
Christel Humme (SPD): rendes Politikbild. Das ist eine Grundhaltung von Ihnen.
Wir wollen nicht in einen Dialog eintreten, aber das Frau Deligöz hat vorhin schon gesagt, Sie haben vor, zu
ist natürlich ganz spannend. Warum also nicht? sparen, und Sie sparen natürlich bei den Familien.
(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Wo denn?)
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Sie haben ja den reichen Familien über die Freibeträge
Einmal noch, Herr Geis. bis zu 90 Euro mehr Kindergeld gegeben. Bis zu 90 Euro
pro Monat haben reiche Familien aufgrund der Erhö-
Norbert Geis (CDU/CSU): hung des Freibetrags nämlich mehr zur Verfügung; das
Sie sagten eben, dass es in diesen Ländern sowohl ei- ist viel mehr als diejenigen bekommen, die ein geringes
nen Anspruch auf einen Kitaplatz als auch einen An- Einkommen haben. Das darf man nicht vergessen. Was
spruch auf Betreuungsgeld gibt. Ist Ihnen völlig entgan- machen Sie jetzt? Jetzt wollen Sie das Mindestelterngeld
gen, dass wir das ab 2013 ebenfalls so wollen, nämlich von 300 Euro, das alle erhalten, das auch diejenigen, die
Kitaplatz und Betreuungsgeld? Angesichts dessen müss- nicht berufstätig sind, für ihre Erziehungsleistung be-
ten Sie eigentlich Ja dazu sagen. kommen, gerade den Einkommensschwächsten, den
Hartz-IV-Empfängerinnen und Alleinerziehenden, weg-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nehmen. Das verstehe, wer will. Ich verstehe das nicht.
der FDP)
(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Es wird an-
gerechnet!)
Christel Humme (SPD):
„Ihr Wort in Gottes Gehörgang“, würde ich jetzt mal – Was heißt „angerechnet“? Sie kürzen es, Sie nehmen
sagen. es ihnen weg.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5053
Christel Humme
(A) (Dorothee Bär [CDU/CSU]: Nein!) – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) (C)
gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Verkleistern Sie doch die Tatsache nicht durch Ihre
Wortwahl! Sie nehmen den Frauen und den Männern, – Drucksache 17/2178 –
die in Hartz-IV-Bezug sind, die 300 Euro Elterngeld, die
Berichterstattung:
sie jetzt noch bekommen, weg. Das nenne ich unsoziale
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Klientelpolitik.
Petra Merkel (Berlin)
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Dr. h. c. Jürgen Koppelin
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe des Michael Leutert
Abg. Marco Wanderwitz [CDU/CSU]) Sven-Christian Kindler
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Deutsche Insti- b) – Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
tut für Wirtschaftsforschung hat festgestellt – Sie konn- richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus-
ten das in dieser Woche alle lesen –, dass die Spaltung schuss) zu dem Antrag der Bundesregierung
der Gesellschaft vorangeht, dass es immer mehr Reiche Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut-
und ebenfalls immer mehr Arme gibt. Das heißt, die Lü- scher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Ope-
cke zwischen Arm und Reich wird immer größer. Wenn ration in Darfur (UNAMID) auf Grundlage
Sie die Politik, die Sie jetzt angestoßen haben, so, wie der Resolution 1769 (2007) des Sicherheitsra-
Sie gerade in Ihrer Rede angedroht haben, fortsetzen tes der Vereinten Nationen vom 31. Juli 2007
wollen, dann sind Sie verantwortlich für die weitere und Folgeresolutionen
Spaltung unserer Gesellschaft. Darum bitte ich Sie herz-
lich: Verzichten Sie auf die Einführung des Betreuungs- – Drucksachen 17/1901, 17/2173 –
geldes! Es ist unsozial, es ist bildungspolitisch eine Ka- Berichterstattung:
tastrophe und gleichstellungs- und familienpolitisch ein Abgeordnete Philipp Mißfelder
Rückschritt. Nehmen Sie dieses Geld für den Ausbau Heidemarie Wieczorek-Zeul
von Betreuungsplätzen, die wir händeringend brauchen. Marina Schuster
Damit würden Sie sicherlich etwas tun, um die Wahlfrei- Jan van Aken
heit zu stärken. Kerstin Müller (Köln)
Danke schön. – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gemäß § 96 der Geschäftsordnung
der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE – Drucksache 17/2179 –
(B) GRÜNEN – Dorothee Bär [CDU/CSU]: (D)
Chance vertan!) Berichterstattung:
Abgeordnete Herbert Frankenhauser
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Petra Merkel (Berlin)
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Ich schließe die Aussprache.
Michael Leutert
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent- Sven-Christian Kindler
wurfs auf Drucksache 17/1579 an den in der Tagesord- Über beide Beschlussempfehlungen werden wir spä-
nung aufgeführten Ausschuss vorgeschlagen. Sind Sie ter namentlich abstimmen.
damit einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Damit sind
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 9 a und 9 b auf: Sie einverstanden, wie ich sehe. Dann werden wir so
a) – Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- verfahren.
richts des Auswärtigen Ausschusses (3. Aus- Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
schuss) zu dem Antrag der Bundesregierung nerin der Kollegin Marina Schuster von der FDP-Frak-
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deut- tion das Wort.
scher Streitkräfte an der Friedensmission der (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Vereinten Nationen im Sudan (UNMIS) auf der CDU/CSU)
Grundlage der Resolution 1590 (2005) des Si-
cherheitsrates der Vereinten Nationen vom
Marina Schuster (FDP):
24. März 2005 und Folgeresolutionen
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
– Drucksachen 17/1902, 17/2172 – Kollegen! Wir beraten heute die deutsche Beteiligung an
den beiden UN-Mandaten im Sudan, UNMIS und UNA-
Berichterstattung:
MID. Ich schicke eines gleich vorweg: Ich wünsche und
Abgeordnete Philipp Mißfelder
hoffe, dass es unverändert eine große Mehrheit hier im
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Haus für die beiden Mandate geben wird.
Marina Schuster
Jan van Aken (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Kerstin Müller (Köln) der CDU/CSU)
5054 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Marina Schuster
(A) Denn immer wieder kommt es in verschiedenen Regio- das aber – das war ein wesentliches Problem – nur von (C)
nen des Sudans zu Gewaltausbrüchen. Auch das belegt: einer Rebellenfraktion unterzeichnet wurde. Es war also
Die beiden Mandate sind nach wie vor dringend notwen- von Anfang an ein brüchiger Friedensvertrag.
dig.
Ich möchte noch kurz auf das Mandat selbst eingehen.
Wir wissen: Der Sudan befindet sich in einer sehr kri- Ich habe schon die Kritik von SPD und Grünen im Rah-
tischen, wahrscheinlich in seiner fragilsten Phase. Im Ja- men der Ausschussberatungen gehört. Sie kritisieren
nuar wird in einem Referendum über die Abspaltung des beim UNAMID-Mandat die Reduzierung der personel-
Südsudans entschieden. Viele Experten halten es für len Obergrenze. Ihre Kritik teile ich eindeutig nicht.
wahrscheinlich, dass die Südsudanesen für eine Abspal- Denn wir müssen sehen, dass sich die Mandatsreduzie-
tung votieren. Wir greifen hier nicht dem Votum der rung an der Wahrheit vor Ort orientiert. Sie können da-
Bürger vor. Aber eines ist auch klar: Für den Fall, dass es raus nicht auf ein schwindendes Interesse der Bundes-
zu einer Abspaltung kommt, muss es Regelungen und regierung schließen. Zwei Jahre wurden die Kapazitäten
Vorkehrungen geben, damit es nicht zu einem neuen für Lufttransporte bereitgehalten, aber nicht benötigt.
Bürgerkrieg kommt. Deswegen ist es nur richtig, dass wir die Mandatsober-
grenze reduzieren. Das heißt aber nicht, dass wir die
(Beifall bei der FDP) Zahl der tatsächlich eingesetzten Kräfte vor Ort reduzie-
Das heißt, es muss geregelt werden, wie die Ölein- ren.
nahmen aufgeteilt werden und wie es mit dem Staatsan- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
gehörigkeitsrecht und dem Schutz von Minderheiten der CDU/CSU)
weitergeht. Aber auch zukünftige Sicherheitsabkommen
müssen beraten und erarbeitet werden. Das alles soll im Auch da müssen wir bei der Wahrheit bleiben, liebe Kol-
Rahmen einer VN-Konferenz geschehen, die wir in un- leginnen und Kollegen von SPD und Grünen: Die tat-
serem interfraktionellen Sudanantrag gefordert haben. sächliche Truppenanzahl war unter Schwarz-Rot, also
Ich bin sehr froh, dass die Bundesregierung diesen An- unter der Vorgängerregierung, auch nicht höher.
trag unterstützt und dass sie sich im internationalen Rah- (Christoph Strässer [SPD]: Wir haben aber
men für diese Konferenz einsetzt. jetzt ein Referendum und Wahlen vor uns,
Wir wissen: Der Schlüssel für einen tragfähigen Frie- Frau Kollegin!)
den liegt im politischen Prozess. UNMIS und UNAMID Ich freue mich, dass die Bundesregierung flankie-
sind wichtige, aber eben keine ausreichenden Beiträge rende Maßnahmen unterstützt. Es gibt viele Bereiche, in
der internationalen Gemeinschaft, um diesen dauerhaf- denen sie sich engagiert. Ich nenne in diesem Zusam-
(B) ten Frieden zu gewährleisten. Das kann nur durch einen menhang: den Aufbau der Polizei im Südsudan mit über (D)
Waffenstillstand und durch einen umfassenden Friedens- 1 Million Euro und das humanitäre Minenräumen mit
prozess erreicht werden. fast 1 Million Euro. Hinzu kommen die humanitäre Hilfe
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten im Sudan, die nach wie vor so dringend notwendig ist,
der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ aber auch die Hilfe für die Flüchtlinge im Tschad und die
DIE GRÜNEN) Demokratisierungshilfe, die über das Carter Center ge-
leistet wird. Darüber hinaus unterstützt die Bundesregie-
Das haben wir in dem interfraktionellen Antrag veran- rung eine Radiostation, das Radio Miraya, die zur Wäh-
kert. Ich begrüße, dass dieser Antrag vom März mit sei- leraufklärung beiträgt, und eine Radiostation in Darfur.
nen über 30 Forderungen Grundlage für das weitere En-
gagement der Bundesregierung ist. Das ist ein ganz Ich könnte noch viele weitere Einzelmaßnahmen aufzäh-
wichtiges Signal. len. Das beweist: Die Bundesregierung misst dem Sudan
weiterhin ein besonderes Gewicht im Rahmen der deut-
Ich möchte noch speziell auf Darfur eingehen. Es gibt schen Außen- und Menschenrechtspolitik bei. Diesen
Gott sei Dank auch erfreuliche Entwicklungen bei den Kurs begrüßen und unterstützen wir ausdrücklich.
Friedensverhandlungen, die mir persönlich ein bisschen
Hoffnung machen. Herr Professor Wolfrum vom Max- Vielen Dank.
Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Völkerrecht in Heidelberg hat in einem langen Prozess
ein Heidelberg-Darfur-Outcome-Document mit den Ver-
tretern vor Ort erarbeitet. Er ist jetzt von Herrn Bassolé Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
zu den Friedensverhandlungen in Doha eingeladen wor- Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Heidemarie
den. Das heißt, dieses Dokument wird offiziell in die Wieczorek-Zeul das Wort.
Friedensverhandlungen eingeführt. Es verlässt die aka- (Beifall bei der SPD)
demische und erreicht nun die politische Ebene. Ich
freue mich, dass Herr Bassolé die Expertise von Herrn
Heidemarie Wieczorek-Zeul (SPD):
Professor Wolfrum angenommen hat und den Inhalt des
Dokumentes unterstützt. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist wichtig, dass wir uns einmal die Größe des Sudans
Wir haben jetzt eine juristische Grundlage, die alle vor Augen führen. Der Sudan ist siebenmal so groß wie
Parteien einbezieht. Dies ist sehr wichtig, weil wir in die Bundesrepublik Deutschland. Er ist das größte Land
Darfur bereits ein Friedensabkommen, das DPA, hatten, auf dem afrikanischen Kontinent. Der südlichste Teil
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5055
Heidemarie Wieczorek-Zeul
(A) Europas liegt nur 2 500 Kilometer vom Sudan entfernt. Ich möchte aber auch auf Folgendes hinweisen: Die (C)
Wenn wir also über UNMIS und UNAMID reden und Zahl der UNMIS-Soldaten – die gesamte Mission macht
diese Begriffe verwenden, muss uns einfach klar sein, etwa 10 000 Militärs und 715 Polizisten aus – zeigt, um
dass die Frage, wie die Entwicklung in dieser Region welche Aufgabe es geht, um eine Aufgabe, angesichts
verläuft, für die Stabilität Afrikas und die Millionen derer die europäische und auch die deutsche Beteiligung
Menschen in dieser Region von zentraler Bedeutung ist. – ich sage es jetzt sehr vorsichtig – eher unterdimensio-
niert erscheint. Afrika sollte uns mehr Beteiligung wert
Ich möchte auch an die Opfer erinnern; denn sie wer-
sein.
den in dieser Diskussion häufig vergessen. Allein der
Konflikt im südlichen Sudan hat 2 Millionen Tote gefor- (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
dert. In Darfur selbst sind es mindestens 300 000 Tote BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
und 2,6 Millionen Binnenvertriebene. Trotz der humani-
tären Hilfe müssen 250 000 Flüchtlinge in Flüchtlingsla- Diese Position habe ich schon, als damals das ursprüng-
gern im Tschad ausharren, Gewalt ertragen und unter liche Mandat entschieden worden ist, mit dem Verteidi-
elenden Bedingungen leben. Es kann uns im Deutschen gungsminister diskutiert – mit etwas unterschiedlichen
Bundestag und den Menschen in unserem Land deshalb Fronten, um es so auszudrücken. Unsere Beteiligung ist
nicht gleichgültig sein, welche Entwicklung der Sudan wirklich nicht ausreichend; das muss man ausdrücklich
weiter nimmt, und zwar um der Entwicklung der Stabili- sagen.
tät, aber auch um der Millionen Menschenleben willen,
um die es in dieser Region geht. Natürlich geht es jetzt darum, dass der politische Pro-
zess begleitend in Gang kommt und eine UN-Konferenz
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des einberufen wird, die wir bereits im März fraktionsüber-
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) greifend gefordert haben. In diesem Zusammenhang
Mit dieser Grundhaltung hat der Deutsche Bundestag muss dazu beigetragen werden, dass es Regelungen zur
über die Jahre hinweg – im Jahr 2004, im Jahr 2005 und Teilung der Öleinnahmen, zum Minderheitenschutz und
zuletzt im März dieses Jahres – fraktionsübergreifend zu Überprüfungsmechanismen gibt, und vor allen Din-
Stellung bezogen. In dieser Grundhaltung werden wir als gen ein Konsens unter allen beteiligten Konfliktparteien
SPD-Bundestagsfraktion den beiden Mandaten zur Ver- im Sudan hergestellt wird. Dies umfasst natürlich die
längerung von UNMIS und UNAMID zustimmen, auch Afrikanische Union, die Arabische Liga und China. Eine
wenn wir dagegen sind, dass die Reduzierung des Um- solche internationale Konferenz muss einen Abstim-
fangs von UNAMID im Sinne dessen, was hier vorgetra- mungsmechanismus und die Einbeziehung in eine fried-
gen worden ist, vollzogen wird. Wir sind der Meinung, liche Entwicklung voranbringen.
(B) dass eine Reduzierung des Umfangs ein falsches politi- (D)
Ich will hinzufügen: Im Vorfeld des Referendums ist
sches Signal ist. Insgesamt werden wir den entsprechen-
die deutsche und europäische Präsenz vor Ort dringend
den Mandaten aber zustimmen.
notwendig, nicht nur in Khartoum. Denn es ist Hilfe bei
Es ist schon gesagt worden, dass es bei UNMIS um der Erstellung der Wahllisten erforderlich. Dies wäre
den Schutz vor Gewalt und um die Demobilisierung von aber auch ein Signal für die Notwendigkeit einer Moni-
Rebellengruppen und Menschen geht, die diese Gewalt toringmission, die dafür sorgen sollte, dass das Referen-
ausüben. Es geht darum, Friedensabkommen wie das dum unter fairen Bedingungen stattfinden kann.
Comprehensive Peace Agreement tatsächlich zu beglei-
ten, zivile Polizei auszubilden und die Voraussetzungen Bezogen auf das UNAMID-Mandat – das wurde vor-
für das Referendum zu schaffen. Dazu ist noch vieles hin von Frau Schuster angesprochen – geht es vor allen
notwendig, unter anderem die genaue Grenzziehung. Ich Dingen darum, dass diese Mission tatsächlich gut ausge-
bin manchmal ein bisschen erstaunt, dass an dieser Stelle rüstet und ausgestattet ist. Für diese Mission – sie ist die
so wenig Leidenschaft sichtbar wird. Denn die Grenzzie- größte der UN – wird eine Zahl von insgesamt
hung und die Verteilung der Ressourcen kann für die 26 000 Soldaten benötigt. Bisher sind überhaupt nur
Frage, welche Entwicklungen nach dem Referendum 22 000 Soldaten – das ist schon hoch gegriffen – im Ein-
stattfinden, von zentraler Bedeutung sein. satz. Das ist nicht hinnehmbar, wenn wir bedenken, wie
katastrophal die Situation nach wie vor in Darfur ist. Der
Bei dem Referendum und der Phase danach sind mei- UN-Sicherheitsrat hat am 14. Juni 2010 eine Diskussion
nes Erachtens zwei völlig unterschiedliche Szenarien zu Sudan geführt. Dabei hat der UNAMID-Vertreter
denkbar. Das eine Szenario ist weiteres Blutvergießen Ibrahim Gambari darauf hingewiesen, dass allein im Mai
und eine mögliche völlige Fragmentierung des Landes 447 Menschen im Sudan bzw. in Darfur umgebracht
selbst. Das zweite Szenario – das ist der positivste Fall – worden sind, dass 50 000 Menschen daraufhin die
ist eine Transformation mit dem Ziel einer guten Nach- Flucht angetreten haben und dass nach wie vor sexuelle
barschaft. Ich bin der Meinung, dass wir alles tun müs- Gewalt gegenüber Frauen ausgeübt wird. Das können
sen, damit es eine Transformation ohne Gewalt und wir nicht hinnehmen. Deshalb ist aus unserer Sicht mehr
einen Übergang zu gutnachbarlichen Beziehungen gibt. politisches Engagement, aber auch mehr Engagement in
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Bezug auf die Beteiligung an einem solchen Mandat not-
wendig.
Das haben wir mit in der Hand. Denn die internationale
Gemeinschaft hat seit dem Jahr 2005 ihren Beitrag zur (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
Beendigung des Konfliktes geleistet. BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
5056 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Heidemarie Wieczorek-Zeul
(A) Ich will auf ein Argument eingehen: Die Bundesre- deutschen Beitrags von 250 auf 50 Soldatinnen und Sol- (C)
gierung sagt, die 200 Soldaten, die den Transport von daten zu reduzieren. Die Lufttransportunterstützung wurde
Truppen der Afrikanischen Union organisieren, würden in der Vergangenheit nicht nachgefragt. Weil auch kein
nicht mehr gebraucht. Natürlich werden diese nicht zukünftiger Bedarf absehbar ist, ist es nur richtig, dass
mehr gebraucht. Aber, liebe Frau Kollegin Schuster, die bislang hierfür vorgesehenen Kräfte und Fähigkeiten
noch im Februar hat die UNAMID gesagt, dass man nicht noch einmal mandatiert werden.
18 Hubschrauber brauche, damit Überwachungsflüge
und die Versorgung im humanitären Bereich möglich Die Mission der Vereinten Nationen, in deren Rah-
seien. Angesichts der dortigen Katastrophe bin ich der men unsere Soldaten einen beachtenswerten Beitrag leis-
Meinung, dass dies eine Aufgabe wäre, die von uns ten, dient als rahmengebendes Element der Verbesserung
erfüllt werden müsste und die wir nicht beiseiteschieben der Sicherheitslage in Darfur und begleitet die politi-
dürfen. schen Bemühungen um ein Ende der dortigen Krise.
Auch die UNMIS ist als stabilisierendes Element zur
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Wahrung der Sicherheit der Zivilbevölkerung im Sudan
Schluss. Ich denke, unser Engagement im Rahmen der unverzichtbar. Die personelle Obergrenze des deutschen
politischen Aufgabe und der militärischen Mission kann Beitrags von 75 Soldaten und Soldatinnen soll bestehen
ausschlaggebend dafür sein, entweder das Aufflammen bleiben. Sie haben ihren Schwerpunkt bei der Wahrneh-
eines Bürgerkriegs zu verhindern oder dazu beizutragen, mung von Militärbeobachtungsaufgaben sowie in den
ihn erneut anzufachen. von UNMIS gebildeten Stäben und Hauptquartieren.
Ich möchte dazu aufrufen, mit dem Engagement, das Ich meine, dass es eine der Hauptaufgaben von
wir im Bundestag jedenfalls bei diesen Fragen immer UNMIS sein muss, das Referendum im kommenden Jahr
gezeigt haben, dazu beizutragen, dass kein Bürgerkrieg vorzubereiten. Angesichts der Erfahrungen mit den
entsteht und die Menschen in dieser Region Afrikas end- Wahlen im April dieses Jahres halte ich es für unerläss-
lich in Frieden und Nachbarschaft leben können. lich, dass eine unabhängige Wahlkommission das Refe-
Vielen Dank. rendum so transparent und fair wie nur irgend möglich
begleitet. Wenn auch beim Referendum nachträglich
(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem eklatante Fehler sichtbar würden – wir alle wissen, dass
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Ab- dies beispielsweise bei den Wahlen im April der Fall
geordneten der FDP) war –, so würden wir das Kind mit dem Bade ausschüt-
ten.
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
(B) Außerdem müssen sich die Menschen in Zukunft (D)
Nächster Redner ist der Kollege Florian Hahn für die trauen, in ihre Heimatregionen zurückzukommen. Wir
CDU/CSU-Fraktion. brauchen die Rückkehrer; denn ohne eine breite Bevöl-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- kerung wird es dort keine Stabilität geben. Ich brauche
neten der FDP) Ihnen nicht zu sagen, dass die Situation für die Bevölke-
rung im Südsudan katastrophal ist; wir dürfen nicht erst
hellhörig werden, wenn uns unsere Nachbarländer in Eu-
Florian Hahn (CDU/CSU): ropa bei der Flüchtlingsproblematik um Hilfe bitten.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin-
nen und Kollegen! Im Mai dieses Jahres erlebte die west- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
sudanesische Krisenregion den blutigsten Monat seit der FDP)
mehr als zwei Jahren. Nach Angaben der Vereinten Na-
tionen kamen in Darfur in nur einem Monat fast 600 Men- Es ist deshalb richtig, auch in wirtschaftlich schwieri-
schen ums Leben. Der Mai war damit einer der folgen- gen Zeiten an den mittel- und langfristigen Schwerpunk-
schwersten Monate seit Entsendung der gemeinsamen ten der Entwicklungszusammenarbeit nachhaltig festzu-
Friedensmission von UNO und Afrikanischer Union im halten. Die bilateralen Schwerpunkte der deutschen
Januar 2008. Entwicklungspolitik im Südsudan sowohl in der techni-
schen als auch der finanziellen Zusammenarbeit liegen
Die Zahlen, die man da hört, sind traurig und erschre- auf der Entwicklung des städtischen Wassersektors, der
ckend. Sie unterstreichen jedoch die Notwendigkeit des Dezentralisierung und der Verwaltungsreform. Die ent-
Engagements der Vereinten Nationen und rechtfertigen wicklungsorientierte Not- und Übergangshilfe hat sich
unsere Hilfe. Wir müssen uns bei derartigen Einsätzen zum Ziel gesetzt, Rückkehrer nachhaltig in die Lage zu
immer wieder bewusst machen, dass wir unsere Solda- versetzen, ihre Lebensgrundlage zu sichern. Die Ernäh-
tinnen und Soldaten 4 000 Kilometer entfernt von Freun- rungssicherung im Gesamtsudan ist ein weiterer Bau-
den und Familie großen Anstrengungen und Gefahren stein der Entwicklungshilfe. Ich freue mich darüber, dass
aussetzen. Es ist daher sehr wichtig und richtig, die Man- die politischen Stiftungen, die kirchlichen Organisatio-
date immer wieder neu im Parlament zu debattieren. nen sowie der Deutsche Entwicklungsdienst das zivilge-
(Beifall bei Abgeordneten der FDP) sellschaftliche Engagement im Gesamtsudan kräftig un-
terstützen. Die Beteiligung der Bundeswehr an UNMIS
Es ist selbstverständlich, dass wir das Mandat der Si- und UNAMID ist ein wichtiger Bestandteil der Anstren-
tuation entsprechend anpassen. So sieht der Antrag der gungen der Bundesregierung zur Friedenskonsolidierung
Bundesregierung vor, die personelle Obergrenze des im Sudan.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5057
Florian Hahn
(A) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- muss man endlich begreifen: Man lebt in einer gemein- (C)
neten der FDP) samen Welt.
Um diese Anstrengungen zu untermauern und unse- (Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]:
ren Soldatinnen und Soldaten für ihren schwierigen Ein- Wer hat hier gesagt: Das geht uns nichts an? –
satz den Rücken zu stärken, ist eine breite Unterstützung Gegenruf des Abg. Dr. Rainer Stinner [FDP]:
für die Fortsetzung der Mandate notwendig. Ich danke Keiner!)
allen Soldatinnen und Soldaten, aber auch den Polizis-
ten, den Diplomaten und den zivilen Aufbauhelfern und Entweder man gestaltet sie gemeinsam, oder man lässt
wünsche ihnen auf diesem Weg weiterhin Gottes Segen es bleiben. Ich glaube, das kann man für sich in An-
für ihre Aufgabe. Im Interesse der Menschen im Sudan spruch nehmen.
und in der Region bitte ich Sie um Ihre Zustimmung für (Beifall bei der LINKEN sowie der Abg.
die vorliegenden Anträge. Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD])
Herzlichen Dank. Zweitens. Ich möchte auf Folgendes aufmerksam ma-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) chen: Ich vergleiche den Einsatz der Bundeswehr im Su-
dan nicht mit dem Einsatz in Afghanistan. Es sind unter-
schiedliche Motive, unterschiedliche Kräftekonstella-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
tionen, und es ist ein ganz unterschiedlicher Umfang der
Für die Fraktion Die Linke hat das Wort der Kollege Mandate.
Wolfgang Gehrcke.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
(Beifall bei der LINKEN – Dr. Rainer Stinner
Gut, dass Sie das schon gemerkt haben! –
[FDP]: Das wird eine schwere Rede!)
Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das sind auch unterschiedliche Län-
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): der!)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Glücklich, wer von sich behaupten kann: Für mich ist al- Das alles können wir abhaken.
les klar, ich habe alles analysiert, ich habe eine feste (Henning Otte [CDU/CSU]: Weitgehende
Meinung, und so werden wir die Sache machen. Rede!)
(Christoph Strässer [SPD]: Da kennen wir ja Ich komme nun zu einem Problem. Ich habe nie ver-
welche! Diese Gewissheit!) standen, warum Menschen, die lange relativ vernünftig
(B) Glücklich ist, wer sagen kann: Wir danken unseren Sol- zusammengelebt haben, plötzlich übereinander herfallen (D)
datinnen und Soldaten. – All das kann ich für mich und und sich abschlachten. Was ist passiert, dass eine solche
auch für meine Fraktion nicht in Anspruch nehmen. Kälte und eine solche Brutalität bei den Menschen ein-
gezogen sind? Über diese Frage muss man doch zumin-
(Henning Otte [CDU/CSU]: Nein? Warum dest einmal nachdenken.
denn nicht?)
Ich möchte, dass wir darüber nachdenken, welche In-
Ganz im Gegenteil: Mir sind viele Sachen völlig unklar. teressen hier aufeinandertreffen: Interessen von örtlichen
Ich will einige davon ansprechen. Machthabern, regionale Interessen und Interessen wirt-
Ein Teil der Fraktion Die Linke wird sich zu beiden schaftspolitischer Vorteile, die man daraus ziehen kann.
Mandaten der Stimme enthalten, ein größerer Teil wird Es ist doch bekannt, dass das Elend des Sudan auch in
gegen die Mandate stimmen; seinem Reichtum an Naturressourcen begründet ist. In
diesem Zusammenhang ist China zu nennen, das in ho-
(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Das ist ein Fort- hem Maße Ölausbeutung betreibt. Auch die USA wollen
schritt!) in das Geschäft einsteigen. Sie kooperieren mit einzel-
zu denen gehöre ich. Wir nehmen für uns in Anspruch, nen Kräftegruppierungen und einzelnen Formationen im
dass wir versuchen, uns ernsthaft mit den Problemen Sudan selbst. Daraus resultiert ein Teil der Spannungen,
auseinanderzusetzen. Wir wollen das, was man erkennen nicht alle. Ich sage Ihnen ehrlich: Ich habe die große
kann, was man lesen kann, was man in Gesprächen mit Sorge – das sagt jeder –, dass das Referendum zu einer
Betroffenen und NGOs analysieren kann, gründlich be- Abtrennung des Südsudan führt. Daran gibt es eigentlich
trachten und dann eine Abwägung vornehmen. keinen Zweifel. Ich habe die große Sorge, dass die
Abspaltung des Südsudan, die Auflösung des Gesamtsu-
Ich will Ihnen einige Punkte vortragen. Aus meiner dan, die Konflikte nicht entschärft, sondern verschärft.
Sicht gelten zwei Argumente mit Sicherheit nicht. Ers-
tens. Man darf nicht zulassen, dass gesagt wird: Das geht (Beifall bei der LINKEN)
uns nichts an. Wir haben darüber diskutiert, ob die Stationierung von
(Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Soldaten bei der Entschärfung der Konflikte helfen
Wer sagt das?) kann, wie einige sagen, oder ob sie die Konflikte ver-
schärft. Die Soldaten können sie zumindest nicht lösen.
Alles, was in dieser Welt passiert, betrifft uns und geht
uns in dem Sinne etwas an, dass man die Welt nicht Ich möchte, dass man sich in diesem Haus zumindest
mehr in einzelne Schubladen einteilen kann. Vielmehr auf zwei Punkte einigt:
5058 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Wolfgang Gehrcke
(A) Erstens. Kein Mitglied des Deutschen Bundestages (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C)
sollte für eine Verschärfung der Konflikte im Sudan ein- sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und
treten. Wir müssen mäßigen und das herunterfahren. der FDP)
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Die Welt schaut zurzeit nach Afrika, nach Südafrika.
neten der SPD) Leider wird der Blick in wenigen Wochen wieder abge-
Zweitens, und dann würde ich auch schon Schluss wendet. Deswegen ist es umso wichtiger, dass wir nicht
machen wollen. Stellen Sie sich einmal die Frage, ob wir nur auf die bunten Bilder von den schönen Festen
nicht einen Beitrag dazu leisten können, dass Waffenlie- schauen, die derzeit stattfinden, sondern auch auf das
ferungen in diese Region unterbleiben und unterbunden große Leid und die vielen Konflikte, die es in Afrika, auf
werden! diesem leidgeprüften Kontinent, gibt. Das ist der Grund,
warum wir uns weiterhin engagieren müssen, gerade im
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Sudan.
Heidemarie Wieczorek-Zeul [SPD] – Abg.
Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE Die Lage in diesem Land ist konfliktträchtig. Die
GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischen- Spannungen haben seit der Wahl alles andere als abge-
frage) nommen. Die Wahl war selbstverständlich nicht frei, und
sie war auch nicht fair. Deshalb ist es umso wichtiger,
– Jetzt will Herr Ströbele mich fragen, ob ich weiß, dass dass wir gerade jetzt unser Augenmerk und unsere Kon-
die Entwaffnung Teil des Programms ist. Das weiß ich, zentration darauf richten, dass das Referendum über die
Christian. Aber frage, was du möchtest, wenn die Frau Unabhängigkeit im Süden des Landes frei und fair ab-
Präsidentin es zulässt. laufen wird.

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: Der Friedensprozess im Sudan ist noch lange nicht an
Ihre Redezeit ist schon abgelaufen, Herr Gehrcke. seinem Ende und bedarf einer erhöhten internationalen
Kraftanstrengung. Dabei kommt es besonders auf die
Afrikanische Union an. Ich freue mich, zu sehen, dass es
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
in den letzten Monaten einige Anzeichen dafür gegeben
Schade. Ich hätte die Frage gerne beantwortet und mir hat, dass die Afrikanische Union auf einem besseren
auf diese Art und Weise etwas mehr Redezeit verschafft. Weg ist. Ich meine beispielsweise die Arbeit und die Er-
(Christoph Strässer [SPD]: Pech gehabt!) gebnisse des Mbeki-Panels. Das ist ein guter Weg, ein
gutes Zeichen. Möge es so weitergehen.
Also komme ich zu meinem letzten Satz: Bitte lassen (D)
(B)
Sie uns dazu beitragen, dass gegen Waffenlieferungen in (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Spannungsgebiete vorgegangen wird! Damit leisten wir sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und
einen Beitrag zur Entspannung und möglicherweise auch der SPD)
dazu, dass Gewalt vermieden wird.
Erlauben Sie mir, etwas zu den Mandanten zu sagen,
Vielleicht ist es etwas ungewöhnlich, dass man nicht die heute zur Abstimmung stehen, zu UNMIS und zu
sagt: Wir wissen alles. UNAMID. Herr Außenminister, wir hören immer wie-
Vielen Dank. der, dass mehr Hilfe gar nicht nachgefragt wird. Wir ha-
ben einen interfraktionellen Antrag, aus dem mehrfach
(Beifall bei der LINKEN) zitiert worden ist – auch von der Kollegin Schuster – und
in dem steht, dass die Absenkung der personellen Ober-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: grenze eigentlich nur eine Anpassung an die Realität
Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour für darstellt. Wenn Sie sich aber den Bericht des UN-Gene-
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. ralsekretärs und den interfraktionellen Antrag an-
schauen, stellen Sie fest, dass darin nicht steht: Wir
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): schauen, wie viele Leute wir tatsächlich haben, und pas-
sen das Mandat dann an. – Wir wollten alle gemeinsam
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
– das ist auch das, was der UN-Generalsekretär will –
Gehrcke, ich frage mich, was passieren muss, welche
unser Mandat den Gegebenheiten vor Ort anpassen. Das
Konditionen vorliegen müssen, damit Sie zustimmen.
ist aber genau das, was mit diesem Mandat leider Gottes
Wenn ein UN-Mandat, eine humanitäre Katastrophe, ein
nicht passiert.
expliziter Friedensansatz und eine geringe militärische
Potenz nicht reichen, was muss vorliegen, damit Sie ein- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
mal sagen: „Okay, wir sind bereit, zuzustimmen“? DIE GRÜNEN und der SPD)
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Die Gegebenheiten vor Ort sind eindeutig. Wir brau-
Sie enthalten sich doch schon!)
chen – das sagt auch die UN-Transporteinheit – Helikop-
Ich sehe nichts. Ich habe nicht den Eindruck, dass Ihre ter und Luftraumüberwachung. Vor allem muss man Fol-
Entscheidung irgendetwas mit dem Sachverhalt zu tun gendes sehen: Es gibt einen neuen Kommandeur bei
hat. Ich habe den Eindruck, dass Sie zu allem, was auf UNAMID. Dadurch ist jetzt deutlich mehr Dynamik
den Tisch kommt, kategorisch Nein sagen. vorhanden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5059
Omid Nouripour
(A) Der Einsatz im Rahmen von UNAMID wird effizien- zeigt worden, was in der Vergangenheit gemacht worden (C)
ter. In dieser Situation zu reduzieren und das, was ist, wie in der Gegenwart gehandelt wird und welche Ent-
UNAMID braucht, nicht bereitzustellen, ist leider zu we- scheidungen für die Zukunft getroffen werden. Ihre Fra-
nig und in erster Linie nur passive Außenpolitik. gen zu den Einsatzmitteln und Einsatzzahlen sind im De-
tail beantwortet worden. Ihnen ist gesagt worden, wie die
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bundesregierung mit unseren Durchführungsorganisatio-
sowie bei Abgeordneten der SPD)
nen, auch gemeinsam mit den NGOs, dort Krisenpräven-
Genauso passiv ist man bei der Frage eines Sonderbe- tion betreibt.
auftragten. Wir haben einige Male danach gefragt. Wir
haben immer wieder gehört, es werde geprüft, ob ein Nun stellen Sie sich hin und sagen, für Sie sei alles
Sonderbeauftragter eingesetzt wird. Wir haben jetzt in klar, für Sie sei alles erledigt, Sie hätten sich mit einigen
den Ausschussberatungen leider erfahren, dass es keinen NGOs unterhalten. Wären Sie wie Herr Strässer, Frau
Sonderbeauftragten geben wird und dass man keinen Müller und Marina Schuster einmal in das Krisengebiet
Grund sieht, einen einzusetzen. gereist, hätten sich in den Flüchtlingslagern informiert,
hätten mit Müttern gesprochen, die ihre Kinder verloren
Um ehrlich zu sein, ich finde es ein wenig peinlich, haben, weil die Ernährung nicht mehr gewährleistet wer-
wenn es Konferenzen gibt, bei denen die Deutschen den kann,
nicht dabei sind, weil es keinen zentralen Ansprechpart-
ner gibt, beispielsweise in Addis Abeba im April 2009. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Das wird der Tradition, der Kontinuität der deutschen der FDP sowie des Abg. Omid Nouripour
Außenpolitik mitnichten gerecht. Deshalb wäre es zwin- [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
gend notwendig, so schnell wie möglich einen Sonder- dann würde sich gleich nicht ein Teil Ihrer Fraktion bei
beauftragten einzusetzen. dieser Abstimmung enthalten und ein Großteil gegen
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN diesen Einsatz stimmen.
sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Guido Dieser Einsatz wird von Ihnen nicht gewünscht. An
Westerwelle, Bundesminister: Wann war die diesem Einsatz im Südsudan beteiligen sich jedoch
Konferenz?) 67 Nationen mit 10 000 Einsatzkräften und bei
– Die Konferenz war im April 2009, Herr Außenminis- UNAMID in Darfur 48 Nationen mit 22 000 Einsatz-
ter. Da waren Sie noch nicht im Amt, aber Sie haben es kräften. Das heißt, die Weltgemeinschaft sieht, welches
jetzt in der Hand, diese Fehler zu korrigieren. Verdammt Risiko dort besteht und was geleistet werden muss. Herr
noch mal, machen Sie das endlich! Außenminister und Herr Minister Niebel, Sie haben das
(B) Thema hier und auch bei Ihrer gemeinsamen Reise in (D)
(Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜND- diese Länder angesprochen; das müsste hier noch deutli-
NIS 90/DIE GRÜNEN]) cher werden. Sie haben dort um eine gemeinsame Unter-
Wir müssen einen weiten Weg gehen, wenn wir Frie- stützung der Afrikanischen Union gebeten, die jetzt in
den im Sudan wollen. Es lohnt sich, den Friedensprozess weiten Bereichen auf Grundlage des Prinzips „Owner-
zu unterstützen. Das sollten wir verstärkt tun. ship“ erfolgt.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Sie haben in Frage 11 gefragt, wer die Teilnehmer ei-
ner möglichen Sudan-Konferenz sind und wie die Pro-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gramme unterstützt werden sollen. Wir haben uns speziell
sowie bei Abgeordneten der SPD) im Bereich der Entwaffnung, Demobilisierung und Re-
integration ehemaliger Kombattanten eingesetzt. Trotz-
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: dem machen Sie hier im Parlament die Aussage, dass Sie
Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege erwarten, dass niemand sich konfliktverschärfend betä-
Hartwig Fischer für die CDU/CSU-Fraktion. tigt. Es ist ein Hohn, so etwas vor dem Hintergrund der Si-
tuation, wie wir sie dort im Land erleben, zu sagen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP) (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): NEN)
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren, wir haben eine Reihe von
Es zeugt von einer unglaublichen Ignoranz, wenn man Konfliktpräventionsmaßnahmen zur Verfügung. Es gibt
eine solche Rede hält wie Sie, Herr Gehrcke. keinen Zweifel – nach den Gesprächen, die wir geführt
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- haben, bin ich davon fest überzeugt –, dass die Frage des
neten der FDP) Sonderbeauftragten ernsthaft angegangen wird. Mittel
dafür stehen im Bundeshaushalt zur Verfügung. Wir ha-
Wenn wir hier im Bundestag zu wichtigen Themen Ent- ben auch stellenmäßig die Chance, dort zur Unterstüt-
scheidungen fällen, haben wir die Verantwortung, uns zung zusätzlich jemanden einzubringen. All dies ist in
vorher zu informieren. Ihre Fraktion hat eine Kleine An- Vorbereitung.
frage mit 31 Fragen gestellt. Diese Anfrage ist am 4. Juni
2010 beantwortet worden. In dieser Antwort auf die An- Es gibt allerdings auch keinen Zweifel, dass die Fra-
frage ist vom Auswärtigen Amt im Detail genau aufge- gen der Grenzziehung in den nächsten sechs Monaten
5060 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Hartwig Fischer (Göttingen)


(A) entschieden werden müssen, weil es, wenn im Referen- Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt: (C)
dum für eine Abspaltung gestimmt wird, in diesem ge- Ich schließe die Aussprache.
meinsamen Prozess nur so die Chance auf Frieden gibt.
Ohne Grenzziehung wäre das in keinem Falle gewähr- Wir kommen nun zu den Abstimmungen.
leistet. Zunächst zur Beschlussempfehlung des Auswärtigen
Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung zur
Ich will jetzt noch einmal auf Sie zurückkommen, Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streit-
Herr Gehrcke. Was ist passiert? Es ist auch Ihre Auf- kräfte an der Friedensmission der Vereinten Nationen im
gabe, sich zu informieren, wie vielschichtig die Pro- Sudan. Es geht dabei um das UNMIS-Mandat.
bleme sind. Es geht eben nicht nur um Rohstoffe. Wir
wissen, dass China noch 2007 und 2008 für 69 Millionen Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
Dollar Waffen geliefert hat. Wir sind inzwischen Gott sei lung auf Drucksache 17/2172, den Antrag der Bundesre-
Dank in der Situation, dass, wenn es um den Sudan geht, gierung auf Drucksache 17/1902 anzunehmen.
in Teilbereichen auch gemeinsam mit Russland und Wir stimmen nun über diese Beschlussempfehlung
China Lösungen gefunden werden können. Sie haben namentlich ab. Ich weise schon jetzt darauf hin, dass wir
gesagt, dass im ganzen Sudan die Rohstofffrage die ent- anschließend über einen weiteren Bundeswehreinsatz
scheidende Frage ist. Sie haben recht: Im Südsudan ist ebenfalls namentlich abstimmen werden.
das wichtig. In Darfur spielen Rohstoffe aber überhaupt
keine Rolle. Dort geht es um ethnische Fragen und Fra- Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, nun
gen der Landverteilung, die schon in früheren Zeiten die vorgesehenen Plätze an den Urnen einzunehmen. – Hier
entstanden sind. Auch diesen Hintergrund des Konflik- vorne bei mir fehlt ein Schriftführer von den Koalitions-
tes muss man kennen. fraktionen. – Sind die Plätze der Schriftführer an den Ur-
nen mittlerweile überall besetzt? – Das ist der Fall. Dann
Ich sage ausdrücklich: Ich erwarte, dass die Politik, eröffne ich die Abstimmung.
die im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit gerade Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
in den letzten Monaten gemacht wurde, fortgesetzt wird, Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
weil sie gewährleistet, dass unsere Durchführungsorga- Dann ist die Abstimmung geschlossen. Ich bitte die
nisationen in einem einigermaßen abgesicherten Umfeld Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Er-
dafür sorgen können, dass den Menschen dort geholfen gebnis der Abstimmung wird Ihnen später bekannt gege-
wird. ben.1)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Wir setzen nun die Abstimmungen fort.
(B) der FDP) (D)
Tagesordnungspunkt 9 b. Beschlussempfehlung des
Ein letzter Punkt von meiner Seite. Als ich vor eini- Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesre-
gen Jahren hier gestanden habe, habe ich das Gleiche ge- gierung zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
fordert, Frau Wieczorek-Zeul, was wir auch heute for- deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation
dern, nämlich Hubschrauber. Wir haben uns gemeinsam in Darfur; das ist das UNAMID-Mandat.
sehr ausführlich informiert und wissen, dass die Kapazi- Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
täten in diesem Bereich und das Spezialmaterial bei un- lung auf Drucksache 17/2173, den Antrag der Bundesre-
serer Bundeswehr nicht vorhanden sind. Sonst wäre die- gierung auf Drucksache 17/1901 anzunehmen.
ser Einsatz mit Sicherheit auch entsprechend unterstützt
worden. Wir stimmen auch über diese Beschlussempfehlung
namentlich ab.
Ich finde, wir müssen uns, wie wir es auch mit Blick
Ich bitte die Schriftführer, ihre Plätze an den Urnen
auf andere Krisenherde tun, in der internationalen Ge-
wieder einzunehmen. – Sind alle Plätze besetzt? – Das
meinschaft darauf verständigen, dass diejenigen, die die-
ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstimmung.
ses Material zur Verfügung stellen könnten, es auch zur
Verfügung stellen. Dann müssen wir überlegen, wie wir Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
die personellen Kapazitäten zur Bedienung zur Verfü- Stimme noch nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der
gung stellen können. Dazu müssen wir sicherlich auch Fall. Dann ist die Abstimmung geschlossen. Ich bitte die
Beschlüsse fassen. Wir brauchen keine weiße Salbe. Da- Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
von hatten die Menschen in der Vergangenheit genug. lung zu beginnen. Auch dieses Ergebnis wird Ihnen spä-
ter bekannt gegeben.2)
Ich bin darüber froh, dass die große Mehrheit in die-
sem Parlament auch im März dieses Jahres wieder einen Wir könnten jetzt die Beratungen fortsetzen, wenn
Antrag für die Menschen unterstützt hat, mit dem die wir alle die Gelegenheit hätten, uns darauf zu konzen-
Bundesregierung in ihrem Bemühen, diesen Friedens- trieren. Deshalb bitte ich die Kolleginnen und Kollegen,
prozess abzusichern, begleitet wird. die den weiteren Beratungen folgen wollen, Platz zu
nehmen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- 1) Ergebnis Seite 5063 D
NISSES 90/DIE GRÜNEN) 2) Ergebnis Seite 5066 C
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5061
Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt
(A) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf: rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- (C)
NIS 90/DIE GRÜNEN
Beratung der Großen Anfrage der Abgeordneten
Ute Kumpf, Ingrid Arndt-Brauer, Doris Barnett, Wehrpflicht beenden
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
– Drucksachen 17/1736, 17/1431, 17/2174 –
Sicherung der Technologieführerschaft Deutsch-
Berichterstattung:
lands im Verkehrs- und Baubereich
Abgeordnete Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen)
– Drucksache 17/931 – Dr. Hans-Peter Bartels
Elke Hoff
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu Paul Schäfer (Köln)
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Agnes Malczak
Ich sehe, damit sind Sie einverstanden. Es handelt sich
um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung wehr-
Steffen Bilger, Karl Holmeier, Ute Kumpf, Wolfgang und zivildienstrechtlicher Vorschriften 2010 der Fraktio-
Tiefensee, Petra Müller (Aachen), Herbert Behrens und nen der CDU/CSU und der FDP liegt ein Entschlie-
Winfried Hermann.1) ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vor.
Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b Über den Gesetzentwurf und über den Entschlie-
auf: ßungsantrag werden wir später namentlich abstimmen.
a) – Zweite und dritte Beratung des von den Frak- Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
tionen der CDU/CSU und der FDP eingebrach- Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich sehe,
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung damit sind Sie einverstanden. Dann können wir so ver-
wehr- und zivildienstrechtlicher Vorschrif- fahren.
ten 2010 (Wehrrechtsänderungsgesetz 2010 Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
– WehrRÄndG 2010) ner dem Kollegen Markus Grübel für die CDU/CSU-
– Drucksache 17/1953 – Fraktion das Wort.
Beschlussempfehlung und Bericht des Vertei- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
digungsausschusses (12. Ausschuss)
– Drucksache 17/2174 – Markus Grübel (CDU/CSU):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
(B) Berichterstattung: Kollegen! Ich bin heute wohl in der eher seltenen Situa- (D)
Abgeordnete Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen) tion, zum Wehrrechtsänderungsgesetz 2010 als Mitglied
Dr. Hans-Peter Bartels des Verteidigungsausschusses und gleichzeitig als Mit-
Elke Hoff glied des Familienausschusses reden zu können.
Paul Schäfer (Köln)
Agnes Malczak Wir haben den Sachverhalt lange diskutiert. Er war
im Koalitionsvertrag angekündigt, und am 26. März
– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Aus- 2010 haben die Bundesminister zu Guttenberg und
schuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung Schröder den Fraktionen den entsprechenden Gesetzent-
wurf vorgestellt. Die Minister hatten auch in der Regie-
– Drucksache 17/2180 –
rungsbefragung jedermann die Möglichkeit gegeben,
Berichterstattung: Fragen zum Gesetzentwurf zu stellen. – Ich möchte noch
Abgeordnete Klaus-Peter Willsch anmerken: Frau Bundesministerin Schröder ist gerade
Bernhard Brinkmann (Hildesheim) bei der Jugend- und Familienministerkonferenz, und ich
Dr. h. c. Jürgen Koppelin denke, es ist wichtig, dass sie dort ist.
Alexander Bonde
Wie ist die Ausgangslage? – Die aktuell günstige Si-
Roland Claus
cherheitslage in Europa erlaubt eine Verkürzung des
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Wehrdienstes von neun auf sechs Monate.
richts des Verteidigungsausschusses (12. Aus-
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
schuss)
NEN]: „Aktuell günstige Sicherheitslage in
– zu dem Antrag der Abgeordneten Paul Schäfer Europa“? Von Freunden umzingelt!)
(Köln), Jan van Aken, Matthias W. Birkwald,
Diese Reduzierung ist so maßvoll, dass sie die Vorzüge
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
des Wehrdienstes nicht unverantwortlich gefährdet.
LINKE
Auch in sechs Monaten können Wehrdienstleistende die
Abschaffung der Wehrpflicht militärischen Grundfertigkeiten erlernen, wenn der
Dienst sinnvoll ausgestaltet wird. Die Verkürzung des
– zu dem Antrag der Abgeordneten Agnes Grundwehrdienstes um ein Drittel hat auch die Reduzie-
Malczak, Omid Nouripour, Kai Gehring, weite- rung der Dienstzeit beim Zivildienst zur Folge. Dabei
werden ähnliche Fragen zu beantworten sein: Wie kön-
1) Anlage 5 nen wir weiterhin einen qualitativ hochwertigen Zivil-
5062 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Markus Grübel
(A) dienst anbieten, und wie können wir verhindern, dass bei oder eine Neuanmeldung nötig. Im Grunde bleibt es (C)
einer kürzeren Dienstzeit bei jungen Männern biografi- beim Zivildienst.
sche Lücken entstehen?
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen. Die Oppo-
Mit der Verkürzung auf sechs Monate haben auch sition hat immer wieder gesagt, dass wir einen neuen Be-
viele Verbände, Einsatzstellen und Träger die Befürch- reich von Lohndumping schaffen oder die Ausbeutung
tung verbunden, dass der Zivildienst in wichtigen Berei- von jungen Männern fördern, die den freiwilligen zu-
chen, zum Beispiel bei der Betreuung Behinderter und sätzlichen Zivildienst leisten. Es wurde darauf hingewie-
Pflegebedürftiger und bei den Rettungsdiensten, nega- sen, dass Stundenlöhne von 3 bis 4 Euro gezahlt werden.
tive Folgen haben könnte und nicht mehr durchführbar Diese Zahl ist falsch. Ich weiß nicht, woher Sie diese
ist. Die Einführung eines freiwilligen zusätzlichen Zivil- Zahl haben. Unter Berücksichtigung aller Punkte, zum
dienstes ist deshalb das geeignete und richtige Instru- Beispiel der Beiträge zur Sozialversicherung, der Heil-
ment. Das hat auch die Anhörung ergeben. fürsorge und des Mobilitätszuschlags, kommen wir auf
5,80 Euro pro Stunde. Ich denke, das ist ein durchaus an-
(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: gemessener Sold für einen Freiwilligendienst.
Ach, waren Sie in der Anhörung?)
Nun gilt es, den verkürzten Wehr- und Zivildienst er-
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrts- folgreich in die Praxis umzusetzen. Die Diskussion über
pflege, der Caritas, Diakonie, der Deutsche Paritätische die Wehrpflicht und damit auch über die Zukunft des Zi-
Wohlfahrtsverband, das Rote Kreuz und andere angehö- vildienstes wird uns erhalten bleiben. Unsere Verfas-
ren, hat sich im April in einem Schreiben für die freiwil- sung, das Grundgesetz, begründet die Wehrpflicht und
lige Verlängerung ausgesprochen. Nur eine kleine Min- räumt das Recht auf den Zivildienst ein. Sie sieht die Be-
derheit lehnt die freiwillige Verlängerung ab, und zwar teiligung an kollektiven Sicherheitssystemen zur Wah-
aufgrund einer grundsätzlichen Ablehnung der Wehr- rung des Friedens vor; zu nennen sind UN- oder NATO-
pflicht und des Zivildienstes. Viele Zivildienstleistende ha- Einsätze. Des Weiteren regelt sie die Aufstellung von
ben sich eine solche freiwillige Verlängerung gewünscht. Streitkräften. Sie gibt uns aber auch die Vorgabe, die
Es gibt empirische Erhebungen, die diese Forderungen be- Schulden zu begrenzen. Wir müssen künftig für einen
stätigen. Das hat Professor Becker in der Anhörung vorge- schonenden Ausgleich zwischen den verschiedenen An-
tragen. Wir gehen davon aus, dass rund ein Drittel der Zi- forderungen unserer Verfassung sorgen.
vildienstleistenden, also rund 30 000 junge Männer,
künftig von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wird. Für uns ist die Wehrpflicht ein hohes Gut. Die Ent-
scheidung, die wir zu treffen haben, hat sicherheitspoliti-
Künftig wird es also möglich sein, im Anschluss an sche, gesellschaftspolitische und haushaltspolitische As-
den Pflichtzivildienst einen freiwilligen zusätzlichen Zi- pekte. Diese Diskussion werden wir nun ergebnisoffen (D)
(B)
vildienst von drei bis sechs Monaten zu leisten. Es gibt auf der Grundlage unserer Verfassung, unserer Werte
also Z 6, 9, 10, 11 und 12. Im freiwilligen zusätzlichen und Grundsätze sowie unter Berücksichtigung der Er-
Zivildienst hat der junge Mann weitgehend die Rechts- gebnisse der Strukturkommission führen. Darum ist es
stellung eines Zivildienstleistenden, das heißt, er ist auch sinnvoll, jetzt das Wehrrechtsänderungsgesetz zu
ebenso gut versichert, arbeitsrechtlich geschützt und so- verabschieden. Damit besteht kurz- und mittelfristig Pla-
zial abgefedert. Andererseits haben wir durch den Weg- nungssicherheit.
fall der Strafvorschriften den freiwilligen Charakter die-
ses Dienstes hervorgehoben. Herzlichen Dank.
Wir haben nach den Ausschussberatungen und der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Anhörung noch eine Änderung vorgenommen und die
sogenannten Ausgangsbeschränkungen als Disziplinar- Vizepräsidentin Petra Pau:
maßnahmen aus dem Gesetzentwurf herausgenommen. Das Wort hat der Kollege Sönke Rix für die SPD-
Es ist schön, dass diesem Änderungsantrag alle Fraktio- Fraktion.
nen, auch die Linken, zugestimmt haben. Das ist in die-
sem Hohen Hause nicht oft der Fall. In der Anhörung, (Beifall bei der SPD)
im Ausschuss und im Plenum hat insbesondere die SPD
immer wieder auf diesen Punkt hingewiesen. Vielleicht Sönke Rix (SPD):
ist es der SPD jetzt möglich, dem Gesetzentwurf insge- Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
samt zuzustimmen. Uns liegt der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Wehrrechts einschließlich der Vorschriften für den Zivil-
Die absolute Freiwilligkeit ist also gewährleistet. Wir
dienst auf dem Tisch. Er ist ein Kompromiss, der, wenn
haben das noch unterstrichen, indem die Verlängerung
ich die Äußerungen aus der Koalition richtig verstanden
jederzeit beendet werden kann. Die Lebenshilfe hat uns
und den Koalitionsvertrag richtig gelesen habe, entstan-
darauf hingewiesen, dass eine Kündigungsfrist von zwei
den ist, weil der eine Koalitionspartner gerne die Ausset-
Wochen für organisatorische Maßnahmen sinnvoll wäre.
zung oder Abschaffung der Wehrpflicht hätte und der
Wir wollen aber die Freiwilligkeit so beibehalten wie
andere an der Wehrpflicht – zumindest damals noch –
vorgesehen.
gerne festgehalten hätte. Das Resultat ist nun, dass der
Wir haben das Ganze auch sehr bürokratiearm umge- Wehrdienst und damit auch die Dauer des Zivildienstes
setzt; denn für einen jungen Mann im Zivildienstverhält- von neun auf sechs Monate verkürzt werden. Diesem
nis ist keine Abmeldung bei den Sozialversicherungen Gesetzentwurf liegt also keine fachliche, geschweige
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5063
Sönke Rix
(A) denn eine verteidigungspolitische Grundlage zugrunde, Statt eine freiwillige Verlängerung beim Zivildienst (C)
sondern einfach nur ein Kompromiss. Dazu sage ich: Ich einzuführen, zumal Sie zugleich darüber nachdenken,
glaube, dabei ist ein fauler Kompromiss zustande ge- die Wehrpflicht auszusetzen, benötigen wir ganz drin-
kommen. gend einen anderen wichtigen Schritt: den Ausbau der
Freiwilligendienste. Natürlich sind die sozialen Einrich-
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem tungen darauf angewiesen, auch mit jungen Menschen
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zusammenzuarbeiten und ihnen Felder für ein Engage-
Sämtliche Fachleute haben in der Anhörung, die wir ment zu bieten, aber nur auf wirklich freiwilliger Basis.
als Familienausschuss unter der Federführung des Ver- Daher fordern wir an dieser Stelle: Nehmen Sie mehr
teidigungsausschusses durchgeführt haben, Kritik an Geld in die Hand, und bauen Sie die Freiwilligendienste
dem Gesetz geäußert, sowohl auf der verteidigungspoli- massiv aus.
tischen Seite als auch beim Thema Zivildienst. Man ver-
kürzt auf sechs Monate und entwickelt nun eine Krücke, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
um wieder zu verlängern. Erst verkürzt man auf sechs DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
Monate, und dann führt man wieder eine freiwillige Ver- LINKEN)
längerung ein. Grundsätzlich ist der Zivildienst ein Er-
Abschließend: Nehmen Sie Ihre eigene Kommission
satzdienst für den Wehrdienst. Wenn die Dauer des
ernst, warten Sie deren Vorschläge ab, und diskutieren
Wehrdienstes neun Monate oder sechs Monate beträgt,
Sie auch über unseren Vorschlag, der, wie ich weiß, auch
dann hat auch der Zivildienst neun Monate oder sechs
in der Kommission eine Rolle spielen wird. Dabei geht
Monate zu dauern. Da braucht man keine künstliche frei-
es darum, nur diejenigen einzuziehen, die es tatsächlich
willige Verlängerung eines Pflichtdienstes.
wollen. Diskutieren Sie darüber ernsthaft, und machen
Die Probleme, die durch diese Krücke nun wieder Sie jetzt keine Schnellschüsse, die nur zu Unsicherheit
entschärft werden sollen, haben Sie sich durch Ihre Ge- und vor allen Dingen zu Planungsunsicherheit sowohl
setzesvorlage zuvor selbst geschaffen. Die Planungssi- bei der Bundeswehr als auch bei Zivildienstträgern füh-
cherheit, die Sie jetzt als Grund anführen, machen Sie ren.
selbst wieder kaputt. Dieses Gesetz wird hier im Eil-
tempo vom Bundestag beschlossen. Wir haben erst in Schönen Dank.
der letzten Woche die Beratung begonnen, die Anhörung
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
dazwischengepackt, und jetzt sollen wir es schon verab-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
schieden. Warum dieses Eiltempo? Was noch viel
schlimmer ist: Während wir diesen Gesetzentwurf bera-
(B) ten, wird aufseiten der Koalition schon wieder über neue Vizepräsidentin Petra Pau: (D)
Modelle zum Wehrdienst nachgedacht, nämlich über Bevor wir in der Debatte fortfahren, komme ich zu
eine Aussetzung. Dies schafft absolut keine Planungs- den Ergebnissen der gerade erfolgten namentlichen Ab-
sicherheit. stimmungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was müssen wir
Das von den Schriftführerinnen und Schriftführern er-
stattdessen tun? Wir haben ein alternatives Modell auf
mittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über
den Tisch gelegt, über das wir gerne mit Ihnen ins Ge-
spräch kommen wollen. Wenn Sie Ihre eigene Kommis- die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses
sion zur Reform der Bundeswehr ernst nehmen, dann zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der
warten Sie deren Vorschläge ab, doktern jetzt nicht am Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der
Wehr- und Zivildienst herum und machen dann ein lang- Friedensmission der Vereinten Nationen im Sudan
fristiges Konzept. (UNMIS): abgegebene Stimmen 563. Mit Ja haben ge-
stimmt 493 Kolleginnen und Kollegen, mit Nein haben
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten 44 gestimmt, und 26 haben sich enthalten. Die Be-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) schlussempfehlung ist angenommen.

Endgültiges Ergebnis Peter Altmaier Clemens Binninger Heike Brehmer


Abgegebenen Stimmen: 562; Peter Aumer Peter Bleser Ralph Brinkhaus
davon Dorothee Bär Dr. Maria Böhmer Gitta Connemann
Thomas Bareiß Wolfgang Börnsen Leo Dautzenberg
ja: 492 Norbert Barthle (Bönstrup) Alexander Dobrindt
nein: 44 Günter Baumann Wolfgang Bosbach Thomas Dörflinger
enthalten: 26 Ernst-Reinhard Beck Norbert Brackmann Marie-Luise Dött
(Reutlingen) Klaus Brähmig Dr. Thomas Feist
Manfred Behrens (Börde) Michael Brand Enak Ferlemann
Ja Veronika Bellmann Dr. Reinhard Brandl Ingrid Fischbach
Dr. Christoph Bergner Helmut Brandt Hartwig Fischer (Göttingen)
CDU/CSU
Peter Beyer Dr. Ralf Brauksiepe Axel E. Fischer (Karlsruhe-
Ilse Aigner Steffen Bilger Dr. Helge Braun Land)
5064 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Vizepräsidentin Petra Pau


(A) Dr. Maria Flachsbarth Jens Koeppen Anita Schäfer (Saalstadt) Bernhard Brinkmann (C)
Klaus-Peter Flosbach Manfred Kolbe Dr. Annette Schavan (Hildesheim)
Herbert Frankenhauser Dr. Rolf Koschorrek Dr. Andreas Scheuer Edelgard Bulmahn
Dr. Hans-Peter Friedrich Hartmut Koschyk Karl Schiewerling Ulla Burchardt
(Hof) Thomas Kossendey Norbert Schindler Petra Crone
Michael Frieser Michael Kretschmer Georg Schirmbeck Dr. Peter Danckert
Dr. Michael Fuchs Gunther Krichbaum Christian Schmidt (Fürth) Martin Dörmann
Hans-Joachim Fuchtel Dr. Günter Krings Patrick Schnieder Elvira Drobinski-Weiß
Alexander Funk Rüdiger Kruse Dr. Andreas Schockenhoff Garrelt Duin
Ingo Gädechens Bettina Kudla Dr. Ole Schröder Sebastian Edathy
Dr. Peter Gauweiler Dr. Hermann Kues Bernhard Schulte-Drüggelte Siegmund Ehrmann
Dr. Thomas Gebhart Dr. Karl A. Lamers Uwe Schummer Dr. h. c. Gernot Erler
Norbert Geis (Heidelberg) Armin Schuster (Weil am Petra Ernstberger
Alois Gerig Andreas G. Lämmel Rhein) Karin Evers-Meyer
Eberhard Gienger Katharina Landgraf Detlef Seif Elke Ferner
Michael Glos Ulrich Lange Johannes Selle Gabriele Fograscher
Josef Göppel Dr. Max Lehmer Reinhold Sendker Dr. Edgar Franke
Peter Götz Paul Lehrieder Dr. Patrick Sensburg Peter Friedrich
Dr. Wolfgang Götzer Dr. Ursula von der Leyen Thomas Silberhorn Michael Gerdes
Ute Granold Ingbert Liebing Johannes Singhammer Martin Gerster
Reinhard Grindel Matthias Lietz Jens Spahn Iris Gleicke
Hermann Gröhe Dr. Carsten Linnemann Carola Stauche Günter Gloser
Michael Grosse-Brömer Patricia Lips Christian Freiherr von Stetten Ulrike Gottschalck
Markus Grübel Dr. Jan-Marco Luczak Dieter Stier Angelika Graf (Rosenheim)
Manfred Grund Dr. Michael Luther Gero Storjohann Michael Groß
Monika Grütters Karin Maag Stephan Stracke Wolfgang Gunkel
Dr. Karl-Theodor Freiherr Dr. Thomas de Maizière Max Straubinger Hans-Joachim Hacker
zu Guttenberg Hans-Georg von der Marwitz Karin Strenz Bettina Hagedorn
Olav Gutting Andreas Mattfeldt Thomas Strobl (Heilbronn) Klaus Hagemann
Florian Hahn Stephan Mayer (Altötting) Lena Strothmann Michael Hartmann
Holger Haibach Dr. Michael Meister Michael Stübgen (Wackernheim)
Dr. Stephan Harbarth Maria Michalk Dr. Peter Tauber Hubertus Heil (Peine)
Jürgen Hardt Dr. h. c. Hans Michelbach Antje Tillmann Dr. Barbara Hendricks
Gerda Hasselfeldt Dr. Mathias Middelberg Arnold Vaatz Gustav Herzog
Dr. Matthias Heider Dietrich Monstadt Volkmar Vogel (Kleinsaara) Gabriele Hiller-Ohm
(B) Stefanie Vogelsang
(D)
Mechthild Heil Marlene Mortler Frank Hofmann (Volkach)
Ursula Heinen-Esser Dr. Gerd Müller Andrea Astrid Voßhoff Dr. Eva Högl
Frank Heinrich Stefan Müller (Erlangen) Dr. Johann Wadephul Christel Humme
Rudolf Henke Nadine Müller (St. Wendel) Marco Wanderwitz Josip Juratovic
Michael Hennrich Dr. Philipp Murmann Kai Wegner Oliver Kaczmarek
Jürgen Herrmann Michaela Noll Marcus Weinberg (Hamburg) Johannes Kahrs
Ansgar Heveling Dr. Georg Nüßlein Peter Weiß (Emmendingen) Dr. h. c. Susanne Kastner
Ernst Hinsken Franz Obermeier Sabine Weiss (Wesel I) Ulrich Kelber
Peter Hintze Eduard Oswald Ingo Wellenreuther Lars Klingbeil
Christian Hirte Henning Otte Karl-Georg Wellmann Hans-Ulrich Klose
Robert Hochbaum Dr. Michael Paul Peter Wichtel Dr. Bärbel Kofler
Karl Holmeier Rita Pawelski Annette Widmann-Mauz Daniela Kolbe (Leipzig)
Franz-Josef Holzenkamp Ulrich Petzold Klaus-Peter Willsch Fritz Rudolf Körper
Anette Hübinger Dr. Joachim Pfeiffer Elisabeth Winkelmeier- Anette Kramme
Thomas Jarzombek Sibylle Pfeiffer Becker Nicolette Kressl
Dieter Jasper Beatrix Philipp Dagmar Wöhrl Angelika Krüger-Leißner
Dr. Franz Josef Jung Ronald Pofalla Dr. Matthias Zimmer Ute Kumpf
Andreas Jung (Konstanz) Christoph Poland Wolfgang Zöller Christine Lambrecht
Dr. Egon Jüttner Eckhard Pols Willi Zylajew Christian Lange (Backnang)
Bartholomäus Kalb Lucia Puttrich Dr. Karl Lauterbach
Hans-Werner Kammer Daniela Raab SPD Steffen-Claudio Lemme
Steffen Kampeter Thomas Rachel Ingrid Arndt-Brauer Burkhard Lischka
Alois Karl Eckhardt Rehberg Rainer Arnold Gabriele Lösekrug-Möller
Bernhard Kaster Katherina Reiche (Potsdam) Heinz-Joachim Barchmann Kirsten Lühmann
Volker Kauder Lothar Riebsamen Dr. Hans-Peter Bartels Caren Marks
Dr. Stefan Kaufmann Josef Rief Klaus Barthel Katja Mast
Roderich Kiesewetter Klaus Riegert Sören Bartol Petra Merkel (Berlin)
Eckart von Klaeden Dr. Heinz Riesenhuber Bärbel Bas Ullrich Meßmer
Ewa Klamt Johannes Röring Dirk Becker Dr. Matthias Miersch
Volkmar Klein Dr. Norbert Röttgen Lothar Binding (Heidelberg) Franz Müntefering
Jürgen Klimke Dr. Christian Ruck Gerd Bollmann Dr. Rolf Mützenich
Julia Klöckner Erwin Rüddel Klaus Brandner Manfred Nink
Axel Knoerig Albert Rupprecht (Weiden) Willi Brase Thomas Oppermann
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5065
Vizepräsidentin Petra Pau
(A) Holger Ortel Reiner Deutschmann Dr. Daniel Volk Daniela Wagner (C)
Aydan Özoğuz Dr. Bijan Djir-Sarai Dr. Guido Westerwelle Dr. Valerie Wilms
Heinz Paula Patrick Döring Dr. Claudia Winterstein Josef Philip Winkler
Joachim Poß Mechthild Dyckmans Dr. Volker Wissing
Dr. Wilhelm Priesmeier Rainer Erdel Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Nein
Florian Pronold Jörg van Essen
Dr. Sascha Raabe Ulrike Flach BÜNDNIS 90/ FDP
Mechthild Rawert Otto Fricke DIE GRÜNEN
Dr. Carola Reimann Paul K. Friedhoff Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Marieluise Beck (Bremen)
Sönke Rix Dr. Edmund Peter Geisen
Volker Beck (Köln) DIE LINKE
René Röspel Hans-Michael Goldmann
Cornelia Behm
Dr. Ernst Dieter Rossmann Heinz Golombeck Agnes Alpers
Miriam Gruß Birgitt Bender
Karin Roth (Esslingen) Herbert Behrens
Joachim Günther (Plauen) Alexander Bonde
Michael Roth (Heringen) Karin Binder
Dr. Christel Happach-Kasan Viola von Cramon-Taubadel
Marlene Rupprecht Matthias W. Birkwald
Heinz-Peter Haustein Ekin Deligöz
(Tuchenbach) Heidrun Bluhm
Manuel Höferlin Katja Dörner
Anton Schaaf Christine Buchholz
Birgit Homburger Hans-Josef Fell
Axel Schäfer (Bochum) Eva Bulling-Schröter
Dr. Werner Hoyer Dr. Thomas Gambke
Bernd Scheelen Sevim Dağdelen
Heiner Kamp Kai Gehring
Dr. Hermann Scheer Dr. Diether Dehm
Michael Kauch Katrin Göring-Eckardt
Marianne Schieder Heidrun Dittrich
Dr. Lutz Knopek Britta Haßelmann
(Schwandorf) Werner Dreibus
Pascal Kober Bettina Herlitzius
Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Dagmar Enkelmann
Dr. Heinrich L. Kolb Winfried Hermann
Carsten Schneider (Erfurt) Klaus Ernst
Gudrun Kopp Priska Hinz (Herborn)
Olaf Scholz Wolfgang Gehrcke
Sebastian Körber Ulrike Höfken
Ottmar Schreiner Nicole Gohlke
Holger Krestel Dr. Anton Hofreiter
Swen Schulz (Spandau) Diana Golze
Patrick Kurth (Kyffhäuser) Bärbel Höhn
Ewald Schurer Annette Groth
Heinz Lanfermann Ingrid Hönlinger
Frank Schwabe Heike Hänsel
Sibylle Laurischk Uwe Kekeritz
Dr. Angelica Schwall-Düren Inge Höger
Harald Leibrecht Katja Keul
Dr. Martin Schwanholz Andrej Konstantin Hunko
Sabine Leutheusser- Memet Kilic
Rolf Schwanitz Ulla Jelpke
Schnarrenberger Sven-Christian Kindler
Stefan Schwartze Katja Kipping
Lars Lindemann Maria Anna Klein-Schmeink
Dr. Carsten Sieling Harald Koch
Dr. Martin Lindner (Berlin) Tom Koenigs
(B) Sonja Steffen
Sylvia Kotting-Uhl Jutta Krellmann (D)
Dr. Frank-Walter Steinmeier Michael Link (Heilbronn)
Oliver Krischer Ulla Lötzer
Christoph Strässer Dr. Erwin Lotter
Agnes Krumwiede Dr. Gesine Lötzsch
Kerstin Tack Oliver Luksic
Stephan Kühn Dorothée Menzner
Dr. h. c. Wolfgang Thierse Patrick Meinhardt
Markus Kurth Kornelia Möller
Franz Thönnes Gabi Molitor
Undine Kurth (Quedlinburg) Niema Movassat
Wolfgang Tiefensee Jan Mücke
Monika Lazar Yvonne Ploetz
Rüdiger Veit Petra Müller (Aachen)
Nicole Maisch Ingrid Remmers
Ute Vogt Burkhardt Müller-Sönksen
Agnes Malczak Dr. Herbert Schui
Dr. Marlies Volkmer Dr. Martin Neumann
Jerzy Montag Dr. Ilja Seifert
Andrea Wicklein (Lausitz)
Kerstin Müller (Köln) Kathrin Senger-Schäfer
Heidemarie Wieczorek-Zeul Dirk Niebel
Cornelia Pieper Beate Müller-Gemmeke Raju Sharma
Dr. Dieter Wiefelspütz Sabine Stüber
Gisela Piltz Ingrid Nestle
Dagmar Ziegler Alexander Süßmair
Dr. Christiane Ratjen- Dr. Konstantin von Notz
Manfred Zöllmer Kathrin Vogler
Damerau Omid Nouripour
Brigitte Zypries Sahra Wagenknecht
Dr. Birgit Reinemund Friedrich Ostendorff
Dr. Peter Röhlinger Dr. Hermann Ott Harald Weinberg
FDP Katrin Werner
Dr. Stefan Ruppert Elisabeth Paus
Jens Ackermann Björn Sänger Brigitte Pothmer Jörn Wunderlich
Christian Ahrendt Christoph Schnurr Tabea Rößner Sabine Zimmermann
Christine Aschenberg- Jimmy Schulz Claudia Roth (Augsburg)
Dugnus Marina Schuster Manuel Sarrazin Enthalten
Daniel Bahr (Münster) Dr. Erik Schweickert Elisabeth Scharfenberg
Florian Bernschneider Werner Simmling Christine Scheel SPD
Sebastian Blumenthal Judith Skudelny Dr. Gerhard Schick
Claudia Bögel Petra Hinz (Essen)
Joachim Spatz Dr. Frithjof Schmidt
Nicole Bracht-Bendt Torsten Staffeldt Dorothea Steiner
DIE LINKE
Klaus Breil Dr. Rainer Stinner Dr. Wolfgang Strengmann-
Angelika Brunkhorst Stephan Thomae Kuhn Dr. Dietmar Bartsch
Ernst Burgbacher Florian Toncar Hans-Christian Ströbele Steffen Bockhahn
Marco Buschmann Serkan Tören Dr. Harald Terpe Dr. Martina Bunge
Sylvia Canel Johannes Vogel Markus Tressel Roland Claus
Helga Daub (Lüdenscheid) Jürgen Trittin Dr. Gregor Gysi
5066 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Vizepräsidentin Petra Pau


(A) Dr. Rosemarie Hein Ralph Lenkert Wolfgang Nešković Dr. Petra Sitte (C)
Dr. Barbara Höll Michael Leutert Thomas Nord Frank Tempel
Dr. Lukrezia Jochimsen Stefan Liebich Petra Pau Dr. Axel Troost
Jan Korte Thomas Lutze Richard Pitterle Alexander Ulrich
Caren Lay Cornelia Möhring Paul Schäfer (Köln) Halina Wawzyniak

Das von den Schriftführerinnen und Schriftführern er- AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur (UNAMID): ab-
mittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über gegebene Stimmen 557. Mit Ja haben gestimmt 487, mit
die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses Nein haben 69 Kolleginnen und Kollegen gestimmt, und
zu dem Antrag der Bundesregierung Fortsetzung der es gab eine Enthaltung. Die Beschlussempfehlung ist an-
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der genommen.

Endgültiges Ergebnis Axel E. Fischer (Karlsruhe- Thomas Jarzombek Dr. h. c. Hans Michelbach
Abgegebenen Stimmen: 556; Land) Dieter Jasper Dr. Mathias Middelberg
davon Dr. Maria Flachsbarth Dr. Franz Josef Jung Dietrich Monstadt
Klaus-Peter Flosbach Andreas Jung (Konstanz) Marlene Mortler
ja: 486
Herbert Frankenhauser Dr. Egon Jüttner Dr. Gerd Müller
nein: 69 Dr. Hans-Peter Friedrich Bartholomäus Kalb Stefan Müller (Erlangen)
enthalten: 1 (Hof) Hans-Werner Kammer Nadine Müller (St. Wendel)
Michael Frieser Steffen Kampeter Dr. Philipp Murmann
Ja Dr. Michael Fuchs Alois Karl Michaela Noll
Hans-Joachim Fuchtel Bernhard Kaster Dr. Georg Nüßlein
CDU/CSU Alexander Funk Volker Kauder Franz Obermeier
Ingo Gädechens Dr. Stefan Kaufmann Eduard Oswald
Ilse Aigner Dr. Peter Gauweiler Roderich Kiesewetter Henning Otte
Peter Altmaier Dr. Thomas Gebhart Eckart von Klaeden Dr. Michael Paul
Peter Aumer Alois Gerig Ewa Klamt Rita Pawelski
Dorothee Bär Eberhard Gienger Volkmar Klein Ulrich Petzold
(B) Thomas Bareiß Michael Glos Jürgen Klimke Dr. Joachim Pfeiffer (D)
Norbert Barthle Josef Göppel Julia Klöckner Sibylle Pfeiffer
Günter Baumann Peter Götz Axel Knoerig Beatrix Philipp
Ernst-Reinhard Beck Dr. Wolfgang Götzer Jens Koeppen Ronald Pofalla
(Reutlingen) Ute Granold Dr. Rolf Koschorrek Christoph Poland
Manfred Behrens (Börde) Reinhard Grindel Hartmut Koschyk Eckhard Pols
Veronika Bellmann Hermann Gröhe Thomas Kossendey Lucia Puttrich
Dr. Christoph Bergner Michael Grosse-Brömer Michael Kretschmer Daniela Raab
Peter Beyer Markus Grübel Gunther Krichbaum Thomas Rachel
Steffen Bilger Manfred Grund Dr. Günter Krings Eckhardt Rehberg
Clemens Binninger Monika Grütters Rüdiger Kruse Katherina Reiche (Potsdam)
Peter Bleser Dr. Karl-Theodor Freiherr Bettina Kudla Lothar Riebsamen
Dr. Maria Böhmer zu Guttenberg Dr. Hermann Kues Josef Rief
Wolfgang Börnsen Olav Gutting Dr. Karl A. Lamers Klaus Riegert
(Bönstrup) Florian Hahn (Heidelberg) Dr. Heinz Riesenhuber
Wolfgang Bosbach Holger Haibach Andreas G. Lämmel Johannes Röring
Norbert Brackmann Dr. Stephan Harbarth Katharina Landgraf Dr. Norbert Röttgen
Klaus Brähmig Jürgen Hardt Ulrich Lange Dr. Christian Ruck
Michael Brand Gerda Hasselfeldt Dr. Max Lehmer Erwin Rüddel
Dr. Reinhard Brandl Dr. Matthias Heider Paul Lehrieder Albert Rupprecht (Weiden)
Helmut Brandt Mechthild Heil Dr. Ursula von der Leyen Anita Schäfer (Saalstadt)
Dr. Ralf Brauksiepe Ursula Heinen-Esser Ingbert Liebing Dr. Annette Schavan
Dr. Helge Braun Frank Heinrich Matthias Lietz Dr. Andreas Scheuer
Heike Brehmer Rudolf Henke Dr. Carsten Linnemann Karl Schiewerling
Ralph Brinkhaus Michael Hennrich Patricia Lips Norbert Schindler
Gitta Connemann Jürgen Herrmann Dr. Jan-Marco Luczak Georg Schirmbeck
Leo Dautzenberg Ansgar Heveling Dr. Michael Luther Christian Schmidt (Fürth)
Alexander Dobrindt Ernst Hinsken Karin Maag Patrick Schnieder
Thomas Dörflinger Peter Hintze Dr. Thomas de Maizière Dr. Andreas Schockenhoff
Marie-Luise Dött Christian Hirte Hans-Georg von der Marwitz Dr. Ole Schröder
Dr. Thomas Feist Robert Hochbaum Andreas Mattfeldt Bernhard Schulte-Drüggelte
Enak Ferlemann Karl Holmeier Stephan Mayer (Altötting) Uwe Schummer
Ingrid Fischbach Franz-Josef Holzenkamp Dr. Michael Meister Armin Schuster (Weil am
Hartwig Fischer (Göttingen) Anette Hübinger Maria Michalk Rhein)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5067
Vizepräsidentin Petra Pau
(A) Detlef Seif Elke Ferner Marlene Rupprecht Manuel Höferlin (C)
Johannes Selle Gabriele Fograscher (Tuchenbach) Birgit Homburger
Reinhold Sendker Dr. Edgar Franke Anton Schaaf Dr. Werner Hoyer
Dr. Patrick Sensburg Peter Friedrich Axel Schäfer (Bochum) Heiner Kamp
Thomas Silberhorn Michael Gerdes Bernd Scheelen Michael Kauch
Johannes Singhammer Martin Gerster Marianne Schieder Dr. Lutz Knopek
Jens Spahn Iris Gleicke (Schwandorf) Pascal Kober
Carola Stauche Günter Gloser Ulla Schmidt (Aachen) Dr. Heinrich L. Kolb
Christian Freiherr von Stetten Ulrike Gottschalck Carsten Schneider (Erfurt) Gudrun Kopp
Dieter Stier Angelika Graf (Rosenheim) Olaf Scholz Sebastian Körber
Gero Storjohann Michael Groß Ottmar Schreiner Holger Krestel
Stephan Stracke Wolfgang Gunkel Swen Schulz (Spandau) Patrick Kurth (Kyffhäuser)
Max Straubinger Hans-Joachim Hacker Ewald Schurer Heinz Lanfermann
Karin Strenz Bettina Hagedorn Frank Schwabe Sibylle Laurischk
Thomas Strobl (Heilbronn) Klaus Hagemann Dr. Angelica Schwall-Düren Harald Leibrecht
Lena Strothmann Michael Hartmann Dr. Martin Schwanholz Sabine Leutheusser-
Michael Stübgen (Wackernheim) Rolf Schwanitz Schnarrenberger
Dr. Peter Tauber Hubertus Heil (Peine) Stefan Schwartze Lars Lindemann
Antje Tillmann Dr. Barbara Hendricks Dr. Carsten Sieling Dr. Martin Lindner (Berlin)
Arnold Vaatz Gustav Herzog Sonja Steffen Michael Link (Heilbronn)
Volkmar Vogel (Kleinsaara) Gabriele Hiller-Ohm Dr. Frank-Walter Steinmeier Dr. Erwin Lotter
Stefanie Vogelsang Frank Hofmann (Volkach) Christoph Strässer Oliver Luksic
Andrea Astrid Voßhoff Dr. Eva Högl Kerstin Tack Patrick Meinhardt
Dr. Johann Wadephul Christel Humme Dr. h. c. Wolfgang Thierse Gabriele Molitor
Marco Wanderwitz Josip Juratovic Franz Thönnes Jan Mücke
Kai Wegner Oliver Kaczmarek Wolfgang Tiefensee Petra Müller (Aachen)
Marcus Weinberg (Hamburg) Johannes Kahrs Rüdiger Veit Burkhardt Müller-Sönksen
Peter Weiß (Emmendingen) Dr. h. c. Susanne Kastner Ute Vogt Dr. Martin Neumann
Sabine Weiss (Wesel I) Ulrich Kelber Dr. Marlies Volkmer (Lausitz)
Ingo Wellenreuther Lars Klingbeil Andrea Wicklein Dirk Niebel
Karl-Georg Wellmann Hans-Ulrich Klose Heidemarie Wieczorek-Zeul Cornelia Pieper
Peter Wichtel Dr. Bärbel Kofler Dr. Dieter Wiefelspütz Gisela Piltz
Annette Widmann-Mauz Daniela Kolbe (Leipzig) Dagmar Ziegler Dr. Christiane Ratjen-
Klaus-Peter Willsch Fritz Rudolf Körper Manfred Zöllmer Damerau
Elisabeth Winkelmeier- Anette Kramme Brigitte Zypries Dr. Birgit Reinemund
(B) Becker Dr. Peter Röhlinger
(D)
Nicolette Kressl
Dagmar Wöhrl Angelika Krüger-Leißner FDP Dr. Stefan Ruppert
Dr. Matthias Zimmer Ute Kumpf Björn Sänger
Jens Ackermann
Wolfgang Zöller Christine Lambrecht Christoph Schnurr
Christian Ahrendt
Willi Zylajew Christian Lange (Backnang) Jimmy Schulz
Christine Aschenberg-
Dr. Karl Lauterbach Marina Schuster
Dugnus
SPD Steffen-Claudio Lemme Dr. Erik Schweickert
Daniel Bahr (Münster)
Burkhard Lischka Werner Simmling
Ingrid Arndt-Brauer Florian Bernschneider
Gabriele Lösekrug-Möller Judith Skudelny
Rainer Arnold Sebastian Blumenthal
Kirsten Lühmann Joachim Spatz
Heinz-Joachim Barchmann Claudia Bögel
Caren Marks Torsten Staffeldt
Dr. Hans-Peter Bartels Nicole Bracht-Bendt
Katja Mast Dr. Rainer Stinner
Klaus Barthel Klaus Breil
Petra Merkel (Berlin) Stephan Thomae
Sören Bartol Angelika Brunkhorst
Ullrich Meßmer Florian Toncar
Bärbel Bas Ernst Burgbacher
Dr. Matthias Miersch Serkan Tören
Dirk Becker Marco Buschmann
Franz Müntefering Johannes Vogel
Lothar Binding (Heidelberg) Sylvia Canel
Dr. Rolf Mützenich (Lüdenscheid)
Gerd Bollmann Helga Daub
Manfred Nink Dr. Daniel Volk
Klaus Brandner Reiner Deutschmann
Thomas Oppermann Dr. Guido Westerwelle
Willi Brase Dr. Bijan Djir-Sarai
Holger Ortel Dr. Claudia Winterstein
Bernhard Brinkmann Patrick Döring
Aydan Özoğuz Dr. Volker Wissing
(Hildesheim) Mechthild Dyckmans
Heinz Paula Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Edelgard Bulmahn Rainer Erdel
Ulla Burchardt Joachim Poß Jörg van Essen
Dr. Wilhelm Priesmeier BÜNDNIS 90/
Petra Crone Ulrike Flach
Florian Pronold DIE GRÜNEN
Dr. Peter Danckert Otto Fricke
Martin Dörmann Dr. Sascha Raabe Paul K. Friedhoff Volker Beck (Köln)
Elvira Drobinski-Weiß Mechthild Rawert Dr. Edmund Peter Geisen Cornelia Behm
Garrelt Duin Dr. Carola Reimann Hans-Michael Goldmann Birgitt Bender
Sebastian Edathy Sönke Rix Heinz Golombeck Alexander Bonde
Siegmund Ehrmann René Röspel Miriam Gruß Viola von Cramon-Taubadel
Dr. h. c. Gernot Erler Dr. Ernst Dieter Rossmann Joachim Günther (Plauen) Ekin Deligöz
Petra Ernstberger Karin Roth (Esslingen) Dr. Christel Happach-Kasan Katja Dörner
Karin Evers-Meyer Michael Roth (Heringen) Heinz-Peter Haustein Hans-Josef Fell
5068 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Vizepräsidentin Petra Pau


(A) Kai Gehring Tabea Rößner Dr. Martina Bunge Niema Movassat (C)
Katrin Göring-Eckardt Claudia Roth (Augsburg) Roland Claus Wolfgang Nešković
Britta Haßelmann Manuel Sarrazin Sevim Dağdelen Thomas Nord
Bettina Herlitzius Elisabeth Scharfenberg Dr. Diether Dehm Petra Pau
Winfried Hermann Christine Scheel Heidrun Dittrich
Richard Pitterle
Priska Hinz (Herborn) Dr. Gerhard Schick Werner Dreibus
Ulrike Höfken Dr. Frithjof Schmidt Dr. Dagmar Enkelmann Yvonne Ploetz
Dr. Anton Hofreiter Dorothea Steiner Klaus Ernst Ingrid Remmers
Bärbel Höhn Dr. Wolfgang Strengmann- Wolfgang Gehrcke Paul Schäfer (Köln)
Ingrid Hönlinger Kuhn Nicole Gohlke Dr. Herbert Schui
Uwe Kekeritz Hans-Christian Ströbele Diana Golze Dr. Ilja Seifert
Katja Keul Dr. Harald Terpe Annette Groth Kathrin Senger-Schäfer
Memet Kilic Markus Tressel Dr. Gregor Gysi Raju Sharma
Sven-Christian Kindler Jürgen Trittin Heike Hänsel Dr. Petra Sitte
Maria Anna Klein-Schmeink Daniela Wagner Dr. Rosemarie Hein
Dr. Valerie Wilms Sabine Stüber
Tom Koenigs Inge Höger
Sylvia Kotting-Uhl Josef Philip Winkler Dr. Barbara Höll Alexander Süßmair
Oliver Krischer Andrej Konstantin Hunko Frank Tempel
Agnes Krumwiede Nein Ulla Jelpke Dr. Axel Troost
Stephan Kühn Dr. Lukrezia Jochimsen Alexander Ulrich
Markus Kurth FDP Katja Kipping Kathrin Vogler
Undine Kurth (Quedlinburg) Harald Koch Sahra Wagenknecht
Monika Lazar Dr. h. c. Jürgen Koppelin Jan Korte Halina Wawzyniak
Nicole Maisch Jutta Krellmann
DIE LINKE Harald Weinberg
Agnes Malczak Caren Lay
Jerzy Montag Ralph Lenkert Katrin Werner
Agnes Alpers
Kerstin Müller (Köln) Dr. Dietmar Bartsch Michael Leutert Jörn Wunderlich
Beate Müller-Gemmeke Herbert Behrens Stefan Liebich Sabine Zimmermann
Ingrid Nestle Karin Binder Ulla Lötzer
Omid Nouripour Matthias W. Birkwald Dr. Gesine Lötzsch Enthalten
Friedrich Ostendorff Heidrun Bluhm Thomas Lutze
Dr. Hermann Ott Steffen Bockhahn Dorothée Menzner SPD
Lisa Paus Christine Buchholz Cornelia Möhring
Brigitte Pothmer Eva Bulling-Schröter Kornelia Möller Petra Hinz (Essen)
(B) (D)

Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kol- Die Wehrrechtsänderung betrifft auch den Ersatz-
lege Joachim Spatz für die FDP-Fraktion. dienst, weshalb ich dazu ebenfalls ein paar Worte sagen
möchte. Wie schon ausgeführt wurde, folgt der Ersatz-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten dienst dem Wehrdienst. Es sollte in der politischen Dis-
der CDU/CSU) kussion nicht zugelassen werden, dass die Notwendig-
keiten, die der eine oder andere vielleicht im sozialen
Joachim Spatz (FDP): Bereich sieht, als Ersatzbegründung für die Aufrechter-
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit dem haltung der Wehrpflicht herhalten müssen.
vorliegenden Gesetzentwurf wird der Grundwehrdienst
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
von neun auf sechs Monate verkürzt und damit ein Bei-
der SPD und des Abg. Jürgen Trittin
trag zu mehr Wehrgerechtigkeit geleistet.
[BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])
(Agnes Malczak [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: So ein Unsinn!) Vizepräsidentin Petra Pau:
Der vorliegende Gesetzentwurf ist unabhängig von der Kollege Spatz, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
aktuellen Diskussion über die Wehrpflicht notwendig, da- Kollegen Nouripour?
mit die jungen Männer, die ab dem 1. Juli ihren Dienst an-
treten sollen, Rechts- und Planungssicherheit haben. Joachim Spatz (FDP):
Wenn wir von Rechts- und Planungssicherheit sprechen, Wenn das nicht angerechnet wird, ja.
meinen wir also nicht in erster Linie die eigenen Regie-
rungseinheiten – die sich allerdings zum Beispiel im Rah- Vizepräsidentin Petra Pau:
men der Kommission auch beteiligen sollen –, sondern Die Uhr ist schon angehalten.
die Betroffenen. Damit ist ein Schritt in die richtige Rich-
tung getan.
Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Herr Kollege Spatz, als Grund, dieses Gesetz heute zu
der CDU/CSU) verabschieden, haben Sie gerade die Planungssicherheit
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5069
Omid Nouripour
(A) der jungen Männer, die eingezogen werden, angeführt. braucht werden. Wir brauchen Längerdiener. Außerdem (C)
Was ist aber mit der Planungssicherheit einer Truppe, die brauchen wir hinsichtlich der Ausrüstung, des Materials
die Ausbilder stellen muss und der in zwei Monaten und Ähnlichem entsprechende Möglichkeiten.
schon wieder ein komplett anderes Modell vorgelegt
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
werden wird?
Wir brauchen Fachkräfte!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Wir brauchen eine Attraktivitätssteigerung. Dafür brau-
chen wir die freien Mittel.
Joachim Spatz (FDP):
Wir sind davon überzeugt, dass die Bundeswehr das (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
hinbekommen wird. NEN]: Sie machen das Gegenteil: Fachkräfte
streichen!)
(Beifall der Abg. Birgit Homburger [FDP])
Wie gesagt, all dies sind Dinge, die wir in aller
Die laufenden Diskussionen sind schon seit einiger Zeit Gründlichkeit diskutieren müssen. Deswegen lehnen wir
bekannt. Jetzt wird das umgesetzt, was auf Koalitions- die Anträge der Grünen und der Linken ab. Es wäre ein
ebene vereinbart worden ist. Wir wissen heute noch Schnellschuss, jetzt die Wehrpflicht auszusetzen, ohne
nicht, was die Zukunft in der Diskussion um die Wehr- dass wir heute wissen, wie die Antworten auf die Fragen
pflicht bringt und wann Alternativkonzepte tatsächlich lauten, wie wir die Attraktivität steigern und wie wir
zu Beschlüssen führen werden. Ich halte es für nicht hin- gewährleisten, dass wir nicht irgendwelche Bewerber
nehmbar, in der Zwischenzeit bei neun Monaten zu blei- bekommen, sondern Bewerber, die über bestimmte Qua-
ben. lifikationen verfügen. All diese Fragen sind mit einer
Grundsatzentscheidung noch nicht beantwortet. Hier
(Beifall bei der FDP) geht Sorgfalt vor Schnelligkeit.
Deswegen setzen wir jetzt das um, was bereits umgesetzt (Lachen bei Abgeordneten des BÜND-
werden kann. Im Übrigen kommen auf 26 000 Plätze bei NISSES 90/DIE GRÜNEN – Jürgen Trittin
den sozialen Freiwilligendiensten 85 000 Bewerber. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Woche
Man darf also nicht so tun, als würde im sozialen Be- für ein Gesetz!)
reich die Welt zusammenberechen, wenn wir nicht mehr
auf verpflichtende Dienste setzen. Das heißt, wir müssen erst die Antworten im Detail fin-
den und können dann vielleicht dem großen Schritt nä-
Wie Sie schon gesagt haben, werden wir in den be- herkommen.
wegten Zeiten, in denen wir leben, weiter über die Zu-
(B) kunft der Wehrpflicht diskutieren können; denn die si- (Beifall bei der FDP) (D)
cherheitspolitische Situation hat sich im Einsatzjahr Alles in allem ist das, was wir jetzt verabschieden, ein
2009 dramatisch weiterentwickelt. Auch auf der Kosten- Schritt in die richtige Richtung, ein Schritt zu mehr
seite gibt es mittlerweile erheblichen Druck. Deshalb Wehrgerechtigkeit. Wir setzen das um, was im Moment
werden wir, wenn im Herbst die Ergebnisse der Kom- umgesetzt werden kann. Wir greifen nicht Ergebnissen
mission vorliegen, erneut über eine Gesamtumstruktu- vor, die erst im Herbst erreicht werden können.
rierung nachdenken müssen.
Danke schön.
(Zuruf von der SPD: Das ist Planungssicher-
heit!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)
Die Kommission arbeitet ergebnisoffen, wobei ich
mir, offen gestanden, nicht vorstellen kann, dass etwas Vizepräsidentin Petra Pau:
anderes als die Empfehlung, die Wehrpflicht ganz auszu-
Das Wort hat der Kollege Paul Schäfer für die Frak-
setzen, dabei herauskommen wird.
tion Die Linke.
(Beifall bei der FDP – Zuruf von der CDU/ (Beifall bei der LINKEN)
CSU: Warten wir erst mal ab!)
Im Übrigen ist nach unserem Dafürhalten die sicher- Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE):
heitspolitische Begründung entfallen. Die Gegner der Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine be-
Aussetzung führen sehr viel häufiger und fast aus- liebte Redewendung des Ministers der Verteidigung in
schließlich gesellschaftspolitische Gründe an. diesen Tagen lautet: Man muss die Dinge vom Ende her
(Agnes Malczak [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- denken.
NEN]: Das ist doch gar nicht wahr!) (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut aufge-
Ich denke, die große Einschränkung, die das für die Be- nommen!)
troffenen bedeutet, ist als Begründung zu wenig. Dieser Gesetzentwurf ist aber nicht vom Ende her ge-
dacht.
Wir brauchen die Ressourcen, die freigesetzt werden,
dringend für die Aufgabenstellungen einer Armee im (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Einsatz. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre haben NEN]: Es ist ja auch nicht sein Gesetz! Er ist
deutlich gemacht, dass diese Mittel ganz dringend ge- dagegen!)
5070 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Paul Schäfer (Köln)


(A) Das Ende der Wehrpflicht ist absehbar und von ihm Der Mindestlohn, den der Gesetzgeber für den Pflegebe- (C)
selbst angekündigt worden. Mit anderen Worten: Was reich festgelegt hat – das sei Ihnen noch einmal ins
Sie hier vorlegen, ist Makulatur. Ein Gesetzentwurf, der Stammbuch geschrieben –, beträgt 8,50 Euro im Westen
Makulatur ist, ist nicht nur Murks, sondern verdient es, und 7,50 Euro im Osten. Das ist sozusagen ein
abgelehnt zu werden. Niedrigstlohnsektor im Niedriglohnsektor, und das ist
für uns völlig inakzeptabel.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg.
GRÜNEN) Winfried Hermann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN])
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die öffentliche
Anhörung in dieser Woche bei den Sachverständigen Stattdessen wäre es nötig, in diesem Bereich ausrei-
und den Verbandsvertretern Begeisterungsstürme ausge- chend Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen – das
löst habe, fällt wohl eher unter die Rubrik der selektiven wäre doch eine Herausforderung –, die tariflich entlohnt
Wahrnehmung. sind, die langfristig abgesichert sind und für die die
Leute auch wirklich qualifiziert sein müssen. Ausbau
(Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜND- des öffentlichen Dienstes und in bestimmten Bereichen
NIS 90/DIE GRÜNEN]) öffentlich geförderte Beschäftigungsverhältnisse, das
Natürlich gab es eine gewisse Erleichterung angesichts wäre die Antwort auf die Pflegeprobleme und den Pfle-
der Verkürzung der Pflichtdienstzeit von neun auf sechs genotstand.
Monate. Das ist zunächst einmal positiv. Wenn aber zu- (Beifall bei der LINKEN)
gleich die Zahl der Betroffenen erhöht wird, die dann
eingezogen werden, dann ist das schon mehr als ein Wer- Nun noch ein Wort zu dem Argument: zu teuer; kostet
mutstropfen und löst deutliche Kritik aus. zu viel. Das kostet nicht nur über 1 Milliarde Euro. Es
gibt eine neue wissenschaftliche Studie, in der die volks-
(Markus Grübel [CDU/CSU]: Wehrgerechtig-
wirtschaftlichen Kosten einer Wehrpflichtarmee berech-
keit!)
net worden sind. Dadurch, dass die jungen Männer dem
Diese wurde auch klar formuliert. Die Unsicherheit, die Arbeitsmarkt entzogen sind, aus dem Produktionspro-
Sie mit Ihren ständigen Ankündigungen auslösen, ist zess herausgenommen werden, entstehen Kosten von,
weit verbreitet, und man fragt sich, was als Nächstes auf die Bundesrepublik bezogen, 6 Milliarden Euro jähr-
kommt. lich. Welch ein Unsinn!

(B) Die Fraktion Die Linke wird diesen Gesetzentwurf Ich stelle zum Schluss fest: Die Bundesregierung hat (D)
ablehnen, weil wir grundsätzlich gegen Zwangsdienste kein Konzept für die Zukunft der Bundeswehr. Ein Kon-
sind, weil der Gesetzentwurf ungerecht ist, weil er nicht zept muss auf alle Fälle ohne Wehrpflichtige auskom-
sozial ist und weil wir uns die Wehrpflicht nicht länger men, weil Wehrpflichtige für die Landesverteidigung
leisten können. nicht mehr gebraucht werden, nicht einmal für Ihre Aus-
landseinsätze. Die Fragen, die sich dadurch aufdrängen,
(Beifall bei der LINKEN) lauten: Was ist mit der gesellschaftlichen Einbindung der
Der Gesetzentwurf ist ungerecht, weil damit eine Si- Streitkräfte? Wie kann man die Kritikfähigkeit gegen-
tuation fortgeschrieben wird. Nicht einmal mehr über nicht völkerrechtskonformen Militäreinsätzen auf-
15 Prozent eines Jahrgangs der männlichen Jugend leis- rechterhalten? Diese Fragen müssen beantwortet wer-
ten den Wehrdienst. Die Bundeswehr ist längst eine den.
Berufs- und Freiwilligenarmee, die sich des Instruments Die Antwort lautet: parlamentarisch kontrollierte
der Wehrpflicht bedient, um Nachwuchs zu rekrutieren. Streitkräfte, Leitbild des Staatsbürgers in Uniform – statt
Das ist verfassungsrechtlich nicht in Ordnung und im dienstbeflissener Untertanen –, statt des Auftrags, welt-
Übrigen ungerecht. Deshalb lehnen wir das ab. weit militärisch einzugreifen, wenn es der NATO gefällt,
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten Rückbesinnung auf den Kernauftrag „Verteidigung des
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Landes“. Das ist das, was getan werden muss. Hören Sie
auf mit dem Stückwerk! Machen Sie jetzt etwas Ge-
Der Gesetzentwurf ist nicht nur deshalb nicht sozial, scheites, eine klare Zäsur, das heißt Aufhebung der
weil man den Wehrpflichtigen und Zivildienstleistenden Wehrpflicht!
Urlaubstage klaut, sondern vor allem deshalb nicht so-
zial, weil man ein neues öffentlich-rechtliches Dienst- Vielen Dank.
verhältnis bei den freiwillig länger Dienenden konstru- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
iert. Einer der Sachverständigen sprach von des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
„Bundespflegebeamten“. Das Interessante ist – ich habe
das das letzte Mal schon gesagt –: Diese Bundespflege-
beamten, also die Zivis, arbeiten für einen Stundenlohn Vizepräsidentin Petra Pau:
von 3,75 Euro, Zuschläge inbegriffen. Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die
Kollegin Agnes Malczak das Wort.
(Markus Grübel [CDU/CSU]: Sie haben nicht
zugehört!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5071

(A) Agnes Malczak (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ob neun oder sechs Monate, die Wehrpflicht bleibt ein (C)
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Meis- ungerechter Einschnitt in die Lebensplanung junger
tens bin ich ja heilfroh, dass Sie, liebe Kolleginnen und Männer.
Kollegen von der Union, die FDP in fast jedem Punkt
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
ausbremsen und kleinhalten: ob bei den Steuersenkungs-
bei Abgeordneten der LINKEN)
fantasien oder der weder finanzierbaren noch gerechten
Kopfprämie in der Gesundheitspolitik. Da Sie ein überzeugendes Konzept für die Ausgestal-
(Zuruf von der CDU/CSU: Thema verfehlt!) tung des verkürzten Wehrdienstes bis heute nicht vorge-
legt haben, erwartet die jungen Männer eine sinnlose
Bei der Frage der Wehrform aber würde ich Ihnen aus- Warteschleife und die Bundeswehr eine enorme zusätzli-
nahmsweise doch empfehlen, auf Ihren kleinen Koali- che Belastung. Diese Reform schafft mehr Probleme, als
tionspartner zu hören. Nicht alles, was die FDP sagt, bestehende zu lösen.
muss ja automatisch falsch sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – bei der SPD und der LINKEN)
Markus Grübel [CDU/CSU]: Da hat sie recht!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, vom Ende her den-
Herr Minister, bei diesem Zankapfel der Koalition ken heißt, Reformen der Bundeswehr in eine sicherheits-
haben Sie sich selbst für Ihre Fans entzaubert: Vom Ende politische Gesamtkonzeption einzubinden. Der Vorsit-
her denken, eine Aufgabenkritik wagen, kluge Analysen, zende des Bundeswehrverbandes, Oberst Kirsch, hatte
mutige Antworten statt Festhalten an Traditionsargu- aber in der Expertenanhörung zum Gesetz am Montag
menten – das sollte nach Ihren eigenen Aussagen Ihr kritisiert, dass er noch heute auf eine Antwort auf seine
Amtsverständnis ausmachen. Frage nach der sicherheitspolitischen Begründung dieser
Wehrdienstreform wartet. Und nicht nur ihm, sondern
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
diesem Hohen Hause und auch den Bürgerinnen und
NEN]: Aha!)
Bürgern sind Sie genau diese Begründung bisher schul-
Doch was haben Sie in Wirklichkeit getan? Nach langem dig geblieben.
Hin und Her wollen Sie fürs Erste doch an der Verkür-
zung des Wehrdienstes festhalten. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sowie bei Abgeordneten der SPD – Jürgen
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der
NEN]: Er redet ja nicht mal!) Minister teilt sie ja nicht! Er ist anderer Auf-
fassung!)
(B) Die Wehrpflicht habe sich ja schließlich bewährt, so (D)
heißt es. Hektisch, aber ohne jeden Sinn und Verstand ja- Und warum bleiben Sie uns das schuldig? Weil nicht nur
gen Sie den Gesetzentwurf zur Wehrdienstverkürzung diese Reform, sondern auch die Wehrpflicht an sich si-
durch das Parlament. Damit wollen Sie heute etwas be- cherheitspolitisch nicht mehr begründbar sind.
schließen lassen, das Sie längst schon wieder infrage
stellen; Der einzige Grund für diese Reform, den Sie bisher
genannt haben, ist der Koalitionsvertrag. Das ist doch
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie nicht hin- und nicht ausreichend. In Ihrem Koalitions-
des Abg. Lars Klingbeil [SPD]) vertrag steht schließlich viel Unsinn.
schließlich haben Sie selbst die Aussetzung der Wehr- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
pflicht ins Spiel gebracht. Eine Entscheidung treffen
wollen Sie aber erst später. Herr Minister, wo bitte haben Kippen Sie doch diese Reform aus dem gleichen Grund,
Sie hier vom Ende her gedacht? Wo bitte sind bei dieser aus dem Sie sich auch von dem Ziel der Steuersenkun-
ganzen Reform die klugen Analysen geblieben? Viel- gen verabschiedet haben: weil beides einfach schlicht-
leicht reden Sie heute nicht im Parlament, weil Ihnen das weg falsch ist.
schon selbst aufgefallen ist. Liebe Kolleginnen und Kollegen, es wird höchste
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zeit, dass wir uns ehrlich machen und die richtigen Fra-
sowie bei Abgeordneten der SPD – Jürgen gen stellen. Was soll die Bundeswehr wirklich können,
Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er und welche Wehrform ist dafür wirklich notwendig?
kneift! – Markus Grübel [CDU/CSU]: Das ist (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
die Stunde des Parlaments, nicht der Regie-
rung!) Die strukturbestimmende Aufgabe der Bundeswehr ist die
multilaterale UN-mandatierte Konfliktlösung und -ver-
So gut wie niemand in der Truppe kann der sechsmo- meidung.
natigen Wehrpflicht etwas abgewinnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Dafür muss die Bundeswehr ausgebildet, ausgerüstet
Die Wehrpflicht bindet Personal und Geld und blockiert und strukturiert werden.
die dringend notwendige Reform der Bundeswehr. Auch
unter den jungen Männern in unserer Gesellschaft findet (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
sich kaum jemand, der von dieser Reform überzeugt ist. NEN]: So ist es! Der Minister nickt!)
5072 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Agnes Malczak
(A) Wenn wir so vom Ende her denken, wird deutlich, dass passt nicht zu den Anforderungen einer Armee in perma- (C)
nur mit der Freiwilligenarmee der notwendige Umbau nentem Auslandseinsatz.
der Bundeswehr gelingen kann.
Verschärfend kommt hinzu, dass auch das Bundes-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ministerium der Verteidigung einen Teil zur Konsolidie-
sowie bei Abgeordneten der SPD) rung der Staatsfinanzen beisteuern muss. Es wird lang-
fristig also weniger Geld zur Verfügung stehen. Es ist in
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Koalition, ab- dieser Situation keine Lösung, an all dem, was wir uns
schließend möchte ich Sie deshalb darauf hinweisen, heute an Strukturen leisten, einfach festzuhalten und nur
dass es auch jetzt noch eine Möglichkeit gibt, Ihren lan- mit der Rasenmähermethode im Budget zu kürzen. Da-
gen Weg der Irrungen und Wirrungen bei der Wehr- mit werden wir unserer Verantwortung für die Soldaten
rechtsreform endlich zu verlassen: Sie wollen hier ein nicht gerecht.
Gesetz beschließen, das Sie selbst nicht für überzeugend
halten und dem auch Sie selbst nur eine begrenzte Halt- Das Kabinett hat deswegen letzte Woche dem Bun-
barkeitsdauer zuschreiben. desministerium der Verteidigung den Auftrag erteilt, in
Zusammenarbeit mit der Strukturkommission zu prüfen,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
welche Folgen unter anderem eine deutliche Reduzie-
sowie bei Abgeordneten der SPD)
rung des Personals der Streitkräfte für die sicherheitspo-
Sie haben aber die Möglichkeit, einen geraden Weg – weg litische Handlungsfähigkeit Deutschlands hätte. Es
von der Wehrpflicht hin zur Freiwilligenarmee – einzu- macht jetzt keinen Sinn, dem Ergebnis dieser Arbeit vor-
schlagen. Dafür sollten Sie unserem Antrag, dem Antrag zugreifen und Tabus in Bezug auf die Wehrpflicht aufzu-
der Grünen, zustimmen. stellen. Im Gegenteil: Wir sind es den jungen Männern,
die ihren Wehr- oder ihren Ersatzdienst für unser Land
Vielen Dank. ableisten, sogar schuldig, regelmäßig zu überprüfen, ob
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) ihr Dienst sicherheitspolitisch weiterhin begründbar ist
oder nicht.
Vizepräsidentin Petra Pau: (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege
Dieser Debatte müssen wir uns immer wieder stellen
Dr. Reinhard Brandl das Wort.
und sie auch offen und ehrlich führen. Denn auch das ist
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Grundlage für die Akzeptanz der Wehrpflicht in unserer
neten der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ Gesellschaft. Ausschlaggebend können in einer solch
(B) DIE GRÜNEN]: Wieso redet eigentlich der grundsätzlichen Debatte aber nicht nur die momentanen (D)
Minister nicht? Was ist denn mit dem Herrn Einsatzanforderungen oder gar die Kassenlage sein.
Minister? – Gegenruf des Abg. Markus Grübel
[CDU/CSU]: Zweite und dritte Beratung sind (Florian Hahn [CDU/CSU]: So ist es!)
Stunden des Parlaments!) Ein Blick in unsere jüngere Geschichte zeigt doch, wie
schnell sich Bedrohungslagen und Einsatzszenarien ver-
Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU): ändern können.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
In den 80er-Jahren war die Bundeswehr noch voll auf
gen! Wir haben als christlich-liberale Koalition in unse-
den Ost-West-Konflikt ausgerichtet. Dann kam für viele
rem Koalitionsvertrag festgelegt – damit haben Sie
überraschend der 9. November 1989 und der Fall des Ei-
recht, Frau Malczak –, dass wir angesichts grundlegen-
sernen Vorhangs. Kurz darauf begann der Krieg auf dem
der Veränderungen in der sicherheitspolitischen Lage so-
Balkan. Es entstand eine vollkommen neue sicherheits-
wie im Auftrag und im Aufgabenspektrum der Bundes-
politische Lage in Europa, verbunden mit ganz neuen
wehr die Wehrpflicht auf sechs Monate verkürzen.
Einsatzaufgaben für die Bundeswehr. Dann kam, wieder
Dieses Vorhaben setzen wir heute in die Tat um. Es ist
überraschend, der 11. September 2001, der uns in
ein Signal an die jungen Männer, dass wir sorgsam mit
schrecklicher Art und Weise die Bedrohung durch den
ihrer Lebenszeit umgehen und die Länge des Pflicht-
internationalen Terrorismus vor Augen geführt hat.
dienstes auf ein Mindestmaß reduzieren.
Diese Bedrohung bestimmt unsere Einsätze heute.
Es ist aber auch ein Auftrag vor allem an die Bundes-
wehr, in sechs Monaten eine komprimierte Form des Wenn wir uns jetzt im Zuge einer Reformdebatte über
Dienstes anzubieten, der sowohl für den Einzelnen als die Wehrform der Zukunft unterhalten, müssen wir uns
auch für die Bundeswehr selbst sinnvoll ausgestaltet ist. folgende Fragen stellen: Was sind die wahrscheinlichen
Nur wenn uns das gelingt, werden wir auch mit dieser Einsatzszenarien der Zukunft? Was sind unwahrscheinli-
verkürzten Form der Wehrpflicht langfristig Akzeptanz che Szenarien – Stichwort Landes- und Bündnisverteidi-
in der Gesellschaft finden. gung –, und bis zu welchem Grad wollen wir uns auch
dafür wappnen? Wie muss die Bundeswehr für diese
Auch die zweite große Aufgabe aus unserem Koali- Szenarien aufgestellt sein? Daraus abgeleitet: Brauchen
tionsvertrag ist Minister Guttenberg gleich nach der wir in diesen Szenarien die Wehrpflicht zum Beispiel als
Wahl angegangen: die dringend notwendige Reform der Grundlage für die Aufwuchsfähigkeit der Bundeswehr
Strukturen der Bundeswehr. Die Organisation heute im Krisenfall, ja oder nein?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5073
Dr. Reinhard Brandl
(A) Wir begründen die Wehrpflicht sicherheitspolitisch. digt, das auf mehr Freiwilligkeit setzt und vor allem ei- (C)
Die Wehrpflicht hat aber auch zu einer tiefen Veranke- nen gesellschaftlichen Konsens sucht. Selbst in der
rung der Bundeswehr in unserer Gesellschaft geführt. Union, die bisher aus ideologischen Gründen an der
Das ist nicht der Grund für die Wehrpflicht, aber es ist Wehrpflicht festgehalten hat, ist die Aussetzung der
für mich ein Wert an sich. Wehrpflicht kein Tabuthema mehr.
(Beifall bei der CDU/CSU) (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Nur beim Bundesverteidigungsminis-
Eine grundsätzliche Debatte werden wir in den nächs-
ter!)
ten Monaten intensiv führen. Sie ist aber zu trennen von
dem Gesetzentwurf, über den wir heute hier diskutieren. Der CSU-Verteidigungsminister, der vor kurzem noch
Wir haben auch eine Verantwortung für diejenigen verkündete, eine Abschaffung sei mit ihm nicht zu ma-
Wehrpflichtigen, die jetzt kurz vor ihrer Einberufung ste- chen, gehört nun zur Speerspitze der Wehrpflichtkritiker.
hen. Diesen jungen Menschen geben wir mit diesem Ge-
setzentwurf Planungssicherheit. Deshalb bitte ich Sie um (Beifall bei Abgeordneten der SPD – Jürgen
Zustimmung zu unserem Gesetzentwurf. Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da se-
hen Sie, wie flexibel dieser Mann ist!)
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
All dies zeigt, wie verschieden die Positionen zur
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wehrpflicht sind. Auch durch Umfragen wird belegt,
dass unser Land in dieser Frage gespalten ist. Wir haben
Vizepräsidentin Petra Pau: nun gemeinsam die Herausforderung zu bewältigen, eine
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich als letz- politische Reform zu suchen, die für einen breiten ge-
tem Redner in dieser Debatte dem Kollegen Lars sellschaftlichen Konsens steht.
Klingbeil
Was aber ist die Antwort der Regierung auf diese He-
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- rausforderung? „W6“. Sie lassen die Wehrpflicht zu ei-
NEN]: Ich dachte, es spricht noch Freiherr zu nem sechsmonatigen Praktikum bei der Bundeswehr
Guttenberg!) verkommen. Ich sage Ihnen: Sicherheitspolitisch macht
das keinen Sinn. Die Gerechtigkeitsfrage wird nicht ge-
das Wort gebe, bitte ich Sie um die notwendige Auf- löst. Der Zivildienst wird in seiner jetzigen Form massiv
merksamkeit. Wir haben genügend Sitzgelegenheiten, unter Druck gesetzt. Zu allem Überfluss steigen auch
sodass Sie der Debatte bis zum Schluss folgen können. noch die Kosten.
Bevor wir namentlich abstimmen, haben wir noch einige
(B) einfache Abstimmungen durchzuführen. Ich bitte Sie (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (D)
also auch für den letzten Redner um den notwendigen der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
Respekt. GRÜNEN)
Das Wort hat nun der Kollege Lars Klingbeil für die Ich habe bisher niemanden getroffen, der ernsthaft die
SPD-Fraktion. Meinung vertreten hat, dass ein Wehrdienst von sechs
Monaten einen erhöhten Nutzen für unsere Streitkräfte,
(Beifall bei der SPD)
geschweige denn für unsere Gesellschaft hat. Auch Sie
sind heute wieder jede Erklärung schuldig geblieben,
Lars Klingbeil (SPD): worin eigentlich der Sinn einer sechsmonatigen Wehr-
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen pflicht liegen soll.
und Herren! Seit ihrer Einführung haben mehr als
8 Millionen junge Männer Wehrdienst in Deutschland (Zuruf von der FDP: Mehr Freiheit!)
geleistet. Mehr als 50 Jahre hat die Wehrpflicht unsere Wenn Sie ehrlich sind, geht es doch nur darum, endlich
Gesellschaft geprägt. Aber es sind Zweifel am bestehen- einmal ein schwarz-gelbes Projekt aus dem Koalitions-
den System der Wehrpflicht gewachsen. Es ist unsere vertrag zu verabschieden. Mit dem Kopf durch die
Aufgabe als Politiker, sicherheitspolitisch zu begründen, Wand, das ist das Motto der heutigen Abstimmung.
ob wir noch eine Wehrpflicht in Deutschland brauchen.
Es ist jetzt an uns, auf der Höhe der Zeit zu sein und den (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
sicherheitspolitischen Herausforderungen gerecht zu des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
werden. Dies ist unsere Pflicht, und hieran werden wir
gemessen. Das Schlimmste ist, dass dieser Gesetzentwurf das
Papier nicht wert ist, auf dem er gedruckt wurde. Noch
Die Diskussion über die Wehrpflicht gehört nicht in vor der Verabschiedung hier im Parlament hören wir,
das politische Hinterzimmer. dass Teile der Union nun für eine komplette Abschaf-
fung der Wehrpflicht plädieren. Herr Minister, ich will
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ihnen sagen: Als Neuling im Deutschen Bundestag habe
Diese Debatte bewegt unsere Gesellschaft. Im Parlament ich aufgehorcht, als Sie von einem Höchstmaß an Trans-
wird deutlich: FDP, Grüne und Linkspartei sind sich ei- parenz und Zusammenarbeit sowie von Wahrheit und
nig, wenn es darum geht, die Wehrpflicht abzuschaffen. Klarheit gesprochen haben. Nach sieben Monaten muss
In der SPD gibt es Befürworter und Kritiker. Wir haben ich Ihnen aber leider sagen: Es waren nur leere Worte.
uns nach einer langen Debatte auf ein Modell verstän- Wir von der Opposition haben fast damit gerechnet.
5074 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Lars Klingbeil
(A) Aber auch gegenüber Ihren eigenen Reihen haben Sie Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zwei- (C)
nicht das eingehalten, was Sie angekündigt haben. ter Beratung angenommen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Dritte Beratung
DIE GRÜNEN)
und Schlussabstimmung. Wir stimmen nun über den Ge-
Erst schließen Sie eine Abschaffung der Wehrpflicht setzentwurf auf Verlangen der Fraktionen der SPD und
aus. Dann wird im Eiltempo eine Verkürzung auf sechs Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab. Ich möchte da-
Monate durch das Parlament gejagt. Sie setzen eine un- rauf hinweisen, dass wir im Anschluss eine weitere na-
abhängige Strukturkommission ein, die ohne Tabus ta- mentliche Abstimmung durchführen werden.
gen soll, und dann preschen Sie als Antwort auf das
Spardiktat mit der Forderung nach Abschaffung der Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
Wehrpflicht vor, noch bevor die Verkürzung der Wehr- vorgesehenen Plätze einzunehmen, und ich bitte die Kol-
pflicht hier im Parlament beschlossen wurde. Diese leginnen und Kollegen, zu überprüfen, ob ihr Name auf
schwarz-gelbe Logik erschließt sich mir nicht. Ich sage: ihrer Abstimmungskarte steht. Sind alle Schriftführerin-
Auch draußen versteht niemand, was wir hier heute dis- nen und Schriftführer an den vorgesehenen Plätzen? –
kutieren und beschließen. In der Truppe versteht das erst Das ist der Fall. Ich eröffne die Abstimmung.
recht keiner. Gibt es noch ein Mitglied des Hauses, das seine
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall. Ich
DIE GRÜNEN) schließe die Abstimmung und bitte die Schriftführerin-
nen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen.
Unser Angebot gilt weiterhin. Wir sind zu einer kon- Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später be-
struktiven Zusammenarbeit bereit. Nutzen Sie nicht poli- kannt gegeben.2)
tische Mehrheiten, sondern suchen Sie gesellschaftliche
Mehrheiten. Ich bin davon überzeugt, dass wir mit den Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich würde gern die
richtigen Maßnahmen diejenigen für die Bundeswehr Abstimmungen fortsetzen, vorausgesetzt, jede Kollegin
gewinnen können, die wir brauchen, und zwar auf frei- und jeder Kollege kann hören, worum es gerade geht
williger Basis. Ich fordere Sie also noch einmal auf: Ver- und sich dann entsprechend sachgerecht verhalten. Tun
zichten Sie auf W6! Zeigen Sie heute Stärke und Klar- Sie mir den Gefallen und unterstützen Sie mich dabei.
heit! Ich garantiere Ihnen: Es wird keine Häme von Wir setzen die Abstimmungen mit dem Entschlie-
unserer Seite geben, ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
(Zuruf von der FDP: Von dir nicht, aber von Drucksache 17/2197 fort. Auf Verlangen der Fraktion
(B)
anderen!) Bündnis 90/Die Grünen stimmen wir über den Ent- (D)
schließungsantrag namentlich ab.
wenn Sie ein weiteres Vorhaben Ihres Koalitionsvertra-
ges abräumen. Wir wissen, dass die sicherheitspoliti- Ich bitte wiederum die Schriftführerinnen und
schen Herausforderungen unserer Zeit größere Antwor- Schriftführer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen.
ten brauchen als W6. Herr zu Guttenberg, es liegt an Sind die Plätze an den Wahlurnen besetzt? – Ich eröffne
Ihnen. die Abstimmung.

Herzlichen Dank für das Zuhören. Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgeben konnte? – Das ist nicht der Fall.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ Ich schließe die Abstimmung. Ich bitte die Schriftführe-
DIE GRÜNEN) rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
Vizepräsidentin Petra Pau: bekannt gegeben.3)
Ich schließe die Aussprache. Wir setzen die Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Verteidigungsausschusses auf Drucksache
Wir kommen zur Abstimmung über den von den
17/2174 fort.
Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ge-
setzentwurf zur Änderung wehr- und zivildienstrechtli- Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner
cher Vorschriften 2010. Mir liegen mehrere Erklärungen Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
nach § 31 Abs. 1 und eine Erklärung des Kollegen Hans- Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1736 mit dem Ti-
Ulrich Klose nach § 31 Abs. 2 unserer Geschäftsord- tel „Abschaffung der Wehrpflicht“. Wer stimmt für diese
nung vor1). Der Verteidigungsausschuss empfiehlt unter Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa- enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
che 17/2174, den Gesetzentwurf der Fraktionen der Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der
CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/1953 in der FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen nen angenommen.
wollen, um das Handzeichen. Wer stimmt dagegen? –
2) Ergebnis Seite 5078 D
1) Anlagen 2 bis 4 3) Ergebnis Seite 5081 C
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5075
Vizepräsidentin Petra Pau
(A) Unter Buchstabe c seiner Beschlussempfehlung emp- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (C)
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der Frak- Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
tion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/1431 mit
dem Titel „Wehrpflicht beenden“. Wer stimmt für diese Auch hier wurde interfraktionell vorgeschlagen, die
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den geben. – Ich sehe, Sie sind auch hier einverstanden. Es
Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und
FDP-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Bünd- Kollegen: Paul Lehrieder für die Unionsfraktion,
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Gabriele Lösekrug-Möller für die SPD-Fraktion,
Linke angenommen. Dr. Heinrich L. Kolb und Johannes Vogel (Lüdenscheid)
für die FDP, Sabine Zimmermann für die Fraktion Die
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 a und 12 b auf:
Linke, Brigitte Pothmer für die Fraktion Bündnis 90/Die
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Grünen und Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Ralf
Christine Lambrecht, Petra Crone, Dr. Peter Brauksiepe für die Bundesregierung.2)
Danckert, weiterer Abgeordneter und der Frak- Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
tion der SPD wurfs auf Drucksache 17/1945 an die in der Tagesord-
Gleichstellung eingetragener Lebenspartner- nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
schaften dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.
– Drucksache 17/2113 –
Überweisungsvorschlag: Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Beratung des Antrags der Abgeordneten
Finanzausschuss Dr. Rosemarie Hein, Diana Golze, Dr. Petra Sitte,
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Barbara Höll, Jan Korte, Cornelia Möhring, Fachkräfteprogramm – Bildung und Erzie-
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE hung – unverzüglich auf den Weg bringen
LINKE
– Drucksache 17/2019 –
Öffnung der Ehe Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
– Drucksache 17/2023 – (D)
(B) Technikfolgenabschätzung (f)
Überweisungsvorschlag: Ausschuss für Arbeit und Soziales
Rechtsausschuss (f) Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Innenausschuss Haushaltsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu
Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Reden zu diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. –
diesem Tagesordnungspunkt zu Protokoll zu geben. – Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden. Es handelt sich um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen:
um die Reden folgender Kolleginnen und Kollegen: Ute Marcus Weinberg (Hamburg), Ewa Klamt für die
Granold für die Unionsfraktion, Christine Lambrecht für Unionsfraktion, Marianne Schieder (Schwandorf), Caren
die SPD-Fraktion, Stephan Thomae und Michael Kauch Marks für die SPD-Fraktion, Sylvia Canel für die FDP-
für die FDP-Fraktion, Dr. Barbara Höll für die Fraktion Fraktion, Dr. Rosemarie Hein für die Fraktion Die Linke
Die Linke und Volker Beck für die Fraktion Bündnis 90/ und Priska Hinz (Herborn) für die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen.1) Die Grünen.3)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
den Drucksachen 17/2113 und 17/2023 an die in der Ta- Drucksache 17/2019 an die in der Tagesordnung aufge-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
sind die Überweisungen so beschlossen. so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf: Ich rufe den Tagesordnungspunkt 15 a und 15 b auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein- a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes für bessere gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt – über die aufsichtsrechtlichen Anforderungen
Beschäftigungschancengesetz an die Vergütungssysteme von Instituten und
– Drucksache 17/1945 – Versicherungsunternehmen
Überweisungsvorschlag: – Drucksachen 17/1291, 17/1457 –
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
2) Anlage 7
1) Anlage 6 3) Anlage 8
5076 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Vizepräsidentin Petra Pau


(A) Beschlussempfehlung und Bericht des Finanzaus- Wir werden mit diesem Gesetz Banken und Versicherun- (C)
schusses (7. Ausschuss) gen dazu verpflichten, ihre Vergütungssysteme angemes-
sen, transparent und nachhaltig zu gestalten. Sollte ein
– Drucksache 17/2181 – Institut in eine ernsthafte Schieflage geraten, wird es den
Berichterstattung: Aufsichtsbehörden ermöglicht, einzugreifen und die
Abgeordnete Ralph Brinkhaus Auszahlung von variablen Vergütungsbestandteilen zu
Manfred Zöllmer verbieten. Der vorliegende Gesetzentwurf ist notwendig
Björn Sänger geworden, weil durch unangemessen hohe, auf kurzfris-
Dr. Gerhard Schick tige Gewinne ausgerichtete Boni eine Risikobereitschaft
gefördert wurde, die letztlich zur Finanzkrise beigetra-
b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- gen hat.
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss)
In den letzten Wochen haben wir uns alle sehr inten-
– zu dem Antrag der Abgeordneten Nicolette siv mit diesem Gesetzentwurf beschäftigt: in vielen Ein-
Kressl, Joachim Poß, Ingrid Arndt-Brauer, wei- zelgesprächen mit Gewerkschaften und Verbänden, in
terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD unseren Arbeitsgruppen, in Ausschüssen, in einer öffent-
Maßnahmenbündel gegen Spekulationen lichen Anhörung und natürlich auch hier im Plenum. Die
auf den Finanzmärkten und ungerechtfer- Diskussionen waren fair, sachlich und konstruktiv. Dafür
tigte Banker-Boni möchte ich mich bei allen Beteiligten bedanken, ganz
besonders bei meinem Berichterstatterkollegen von der
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara FDP. Die Zusammenarbeit war wie immer sehr gut.
Höll, Dr. Axel Troost, Richard Pitterle, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP)
Dem Vorbild Großbritanniens und Frank-
reichs folgen – Boni-Steuer für die Finanz- Der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht
branche einführen wird, wie bereits erläutert, durch das Gesetz ermöglicht,
in Vergütungssysteme einzugreifen. Im Rahmen unserer
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Gerhard Beratungen haben wir alle sehr intensiv diskutiert, ob
Schick, Fritz Kuhn, Kerstin Andreae, weiterer das Gesetz in die im Grundgesetz festgeschriebene Tarif-
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ autonomie eingreift. Um klarzustellen, dass wir diesen
DIE GRÜNEN Eingriff nicht wollen, haben wir zusätzliche Formulie-
Gehaltsexzesse nicht länger auf Kosten der rungen in den Gesetzentwurf eingefügt. Wir haben damit
(B) Allgemeinheit den Bedenken und Änderungswünschen von Gewerk- (D)
schaften, aber auch von Verbänden Rechnung getragen.
– Drucksachen 17/526, 17/452, 17/794, 17/2181 – Insofern zeigt sich, dass die gerne geschmähten Interes-
Berichterstattung: senvertreter oder Lobbyisten hin und wieder auch dazu
Abgeordnete Ralph Brinkhaus beitragen, dass ein Gesetz besser wird.
Manfred Zöllmer Wir haben auch darüber beraten, was passiert, wenn
Björn Sänger die BaFin die Auszahlung von variablen Vergütungsbe-
Dr. Gerhard Schick standteilen aufgrund einer Schieflage untersagt. Vom Fi-
Der Finanzausschuss hat in diese Beschlussempfeh- nanzministerium wurde klargestellt: Wenn sich das Un-
lung den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ternehmen wieder erholt, dann kann der Manager oder
auf Drucksache 17/794 einbezogen. Über diese Vorlage Anspruchsberechtigte die Auszahlung der einbehaltenen
soll jetzt ebenfalls abschließend beraten werden. – Ich Boni einfordern. Sollte das Institut zum Überleben aber
sehe, Sie sind damit einverstanden. Dann ist so beschlos- dauerhaft Staatshilfen benötigen, dann ist es wohl nicht
sen. fair, dass diese Ansprüche bestehen bleiben. Dies ist
bislang allerdings noch nicht geregelt. Die Regierungs-
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die fraktionen haben die Regierung daher gebeten, diesen
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre Sachverhalt in ihrem Entwurf eines Restrukturierungs-
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. gesetzes, der im Sommer kommen wird, zu berücksichti-
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat für die gen.
Unionsfraktion der Kollege Ralph Brinkhaus. (Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Wa-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) rum nicht gleich?)
Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit
Ralph Brinkhaus (CDU/CSU): dem Gesetzentwurf haben wir auch darüber gesprochen,
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha- inwieweit sich das Gesetz mit der gleichen Vergütung
ben im Mai das Ausführungsgesetz zur EU-Ratingver- von Mann und Frau sowie der Ausrichtung der Vergü-
ordnung verabschiedet. Heute beschließen wir in dritter tungssysteme an der Kundenzufriedenheit beschäftigen
Lesung ein zweites Gesetz zur Regulierung der Kapital- sollte. Wir haben in diesem Fall der Schnelligkeit, das
märkte, das Gesetz über die aufsichtsrechtlichen Anfor- heißt, dem Bestreben, das Gesetz zügig zu verabschie-
derungen an Vergütungssysteme von Finanzinstituten. den, Vorrang gegeben. Aufgrund der Bedeutung für die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5077
Ralph Brinkhaus
(A) Stabilität der Finanzmärkte wollen wir noch vor der ben wir in dieser Woche auf den Weg gebracht. Außer- (C)
Sommerpause eine Entscheidung treffen. Deswegen ha- dem brauchen wir Regelungen für die
ben wir dieses Gesetz nicht überfrachten wollen. Das Vergütungssysteme. Diese werden wir hoffentlich heute
heißt allerdings nicht, dass wir uns mit diesen wichtigen Abend verabschieden.
Themen nicht weiter beschäftigen werden.
Wir sind uns aber darüber im Klaren, dass es trotz all
Auch heute hat sich die alte Regel bewahrheitet – ich dieser Sicherungsmaßnahmen keine hundertprozentige
glaube, sie stammt von der SPD, von Herrn Struck –: Sicherheit gibt, dass eine Bank nicht in Schieflage gerät.
Kein Gesetz verlässt das Parlament so, wie es hineinge- Das hat viel damit zu tun, dass wir auch weiterhin wol-
kommen ist. Das ist auch gut so. Es ist unsere Aufgabe, len, dass in der Marktwirtschaft Entscheidungen getrof-
zu prüfen und gegebenenfalls zu ändern. Dem einen oder fen werden. Das beinhaltet, dass man auch Fehler ma-
anderen mag die Regulierungsdichte in diesem Gesetz chen kann, dass man gegebenenfalls auch vom Markt
nicht weit genug gehen. Aber ich glaube, wir sind uns verschwinden kann. Wir wollen nur eines: dass die Insti-
alle darüber einig, dass dieses Gesetz nach dem Gesetz tute, die vom Markt verschwinden, nicht andere Institute
zu den Vorstandsvergütungen ein weiterer Schritt in mitreißen. Deswegen werden wir ein neues Insolvenz-
Richtung einer guten und nachhaltigen Vergütungsstruk- und Restrukturierungsregime für Finanzinstitute auf den
tur bei Banken und Versicherungen ist. Ich möchte daher Weg bringen. Im Sommer werden wir hierzu die ersten
bei allen Beteiligten um Zustimmung für dieses Gesetz Vorschläge von der Regierung erhalten.
werben.
In der Vergangenheit haben wir viel Steuergeld in das
Dieses Gesetz ist aber nur ein kleiner Bestandteil ei- Finanzsystem gesteckt. Deswegen werden wir das Ban-
nes umfangreichen Maßnahmenpaketes, das die Stabili- kensystem daran beteiligen, die Haushalte zu konsolidie-
tät und Sicherheit der Finanzmärkte erhöhen soll. Das ist ren. Im Eckpunktepapier zum Sparpaket der Bundesre-
ein Paket, das von der alten und von der neuen Bundes- gierung ist dies ausgeführt.
regierung, von europäischen Institutionen und der G-20-
Gruppe auf den Weg gebracht worden ist. Ich möchte (Nicolette Kressl [SPD]: Nein! Das ist etwas
uns allen noch einmal die wichtigen Elemente vor Au- anderes! – Manfred Zöllmer [SPD]: Da ist gar
gen führen: nichts ausgeführt!)
Wir haben ein europaweites Risikofrühwarnsystem Wir wollen, dass Krisen vom Finanzsystem zukünftig
für Finanzkrisen entwickelt. Im nächsten Jahr wird der selbst reguliert werden. Deswegen werden wir einen
Europäische Ausschuss für Systemrisiken an den Start Rettungsfonds einrichten, der durch eine Bankenabgabe
gehen. Seine Aufgabe ist es, in enger Zusammenarbeit gespeist wird. Auch hierzu hat das Bundeskabinett die
(B) mit der EZB frühzeitig Probleme zu identifizieren und Eckpunkte bereits festgelegt. (D)
Handlungsempfehlungen zu geben. Ziel ist es, dass wir
Krisen früher erkennen. Besser als eine rechtzeitig er- Das sind nur einige Bestandteile eines umfassenden
kannte Krise ist es aber, keine Krise zu haben. Deswegen Systems, das die Finanzwelt ein wenig sicherer machen
werden wir dafür eintreten, dass solche Krisen unwahr- soll. Das heute zu verabschiedende Gesetz ist ein Be-
scheinlicher werden. Auch dafür gibt es ein umfangrei- standteil dieses Systems und daher sehr wichtig. Wir alle
ches Maßnahmenbündel. wissen um die internationale Vernetzung in der Fi-
nanzwelt. Wir müssen international und europäisch ab-
Um Krisen frühzeitig verhindern zu können, müssen gestimmte Lösungen finden.
wir erst einmal wissen, was auf den Finanzmärkten pas-
siert. Das heißt, wir brauchen Transparenz. Diese Trans- (Manfred Zöllmer [SPD]: Dazu ist doch
parenz gab es in der Vergangenheit nicht. Wir hatten Merkel nicht in der Lage!)
zum Beispiel keine harten Fakten darüber, ob gegen
Beim vorliegenden Gesetzentwurf ist uns das im
Griechenland oder den Euro tatsächlich spekuliert wor-
Wesentlichen gelungen. In vielen anderen Bereichen
den ist. Deswegen wollen wir den Handel mit Derivaten
herrscht aber leider Stillstand. Deswegen ist es richtig,
über Börsen oder einsehbare Handelsplätze abwickeln.
dass Deutschland als stärkste europäische Volkswirt-
Darüber hinaus werden wir für bestimmte Geschäfte wie
schaft gegebenenfalls alleine vorangeht und Zeichen
Leerverkäufe Meldepflichten einführen. Auch das haben
setzt. Die Bundesregierung hat dies mit dem Verbot von
wir in dieser Woche auf den Weg gebracht.
bestimmten Leerverkäufen getan. Auch das ist gut so.
Um Krisen zu vermeiden, meine Damen und Herren, Ich bin mir sicher, dass andere EU-Staaten folgen wer-
brauchen wir stabile Finanzinstitute. Je mehr Eigenkapi- den.
tal eine Bank hat, umso stabiler ist sie. Wir haben hierzu
in dieser Woche zum Beispiel die Umsetzung einer EU- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Richtlinie, der Kapitaladäquanzrichtlinie, beraten. Wir wer- Manfred Zöllmer [SPD]: Keine Drohungen!)
den zum Thema Eigenkapital im sogenannten Basel-III- In schwierigen Zeiten ist es wichtig, Führung zu über-
Prozess weitere Festlegungen treffen. Die Akteure auf nehmen. Die christlich-liberale Koalition zeigt mit ihren
dem Finanzmarkt müssen zudem für ihr Tun haften, das Gesetzesvorhaben zur Finanzmarktregulierung, dass sie
heißt, Verantwortung übernehmen. Deswegen wollen wir führen kann und will. Wir haben gute Dinge auf den
es verbieten, dass derjenige, der ein Risiko eingeht, dieses Weg gebracht. Weitere Vorhaben werden folgen.
Risiko ohne Eigenbehalt weitergibt. Deswegen beschäf-
tigen wir uns mit den Verbriefungsregeln. Auch das ha- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
5078 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Ralph Brinkhaus
(A) Meine Damen und Herren, zu diesem Tagesordnungs- dem Finanzmarkt in Deutschland, in Europa und in der (C)
punkt liegen noch Anträge von SPD, Grünen und Linken Welt haben? Akzeptieren wir weiterhin oligopolistische
vor. In diesen etwas älteren Anträgen werden viele wich- Strukturen mit wenigen Global Playern, oder wollen wir
tige Probleme angesprochen und Lösungen vorgeschla- einen Mittelstand haben, oder wollen wir beides haben?
gen. Wir stimmen, wie nicht anders zu erwarten, nicht in Was müssen wir dafür tun? Sehr wichtig ist auch die
allen Punkten überein; aber wenn Sie das betrachten, Frage: Wie gehen wir mit den Teilen des Finanzmarktes
was die Bundesregierung in den vergangenen Wochen um, die nicht reguliert sind, zum Beispiel die Hedge-
und Monaten umgesetzt hat, dann sehen Sie, dass sich fonds? Lassen wir es zu, dass aus dem regulierten Teil
viele Ihrer Vorschläge erledigt haben. Insofern möchte Liquidität, das heißt Risiko, in den unregulierten Teil
ich die Übereinstimmungen und nicht den Dissens beto- geht, oder wollen wir die Verbindung kappen? Auch das
nen. ist eine Frage, die wir beantworten müssen.
Ich möchte das an einigen Beispielen erläutern. Sie (Manfred Zöllmer [SPD]: Sie sollten zu Ant-
von den Linken und auch von den Grünen haben sich worten kommen und nicht nur zu Fragen!)
sehr stark damit beschäftigt, eine Bonibesteuerung auf
Eine Frage, die für die Menschen in diesem Land sehr
den Weg zu bringen. Auch wir sind mit den Bonistruktu-
entscheidend ist und für die wir noch keine überzeu-
ren unzufrieden. Deswegen haben wir das Vorstandsver-
gende Antwort gefunden haben, lautet: Ist es möglich,
gütungsgesetz beschlossen und beschließen heute das
die wesentlichen Akteure auf den Finanzmärkten für ihr
Aufsichtsvergütungsgesetz. Wir werden auch weiterhin
Tun in die persönliche Haftung zu nehmen?
die mögliche Einführung einer Financial Activities Tax
prüfen, die genau bei diesen Boni ansetzen soll. Sie von (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der SPD haben unter anderem beantragt – alles auszu- der FDP)
führen würde jetzt zu weit führen –,
Es gibt durchaus noch mehr Fragen. Die gerade ge-
(Nicolette Kressl [SPD]: Aber gut wäre es nannten erscheinen mir besonders wichtig. Lassen Sie
schon!) uns Antworten darauf finden, und zwar so fair und kon-
struktiv, wie wir diesen Gesetzgebungsprozess durchge-
dass die öffentlichen Lasten aus der Krisenbekämpfung führt haben. Wir müssen am Ende des Tages nicht einer
angemessen verteilt werden. Wir haben hierzu bereits Meinung sein – ich befürchte, das werden wir auch heute
eine risikoadjustierte Bankenabgabe angekündigt. Abend nicht sein –, aber es lohnt sich, zusammenzuar-
(Nicolette Kressl [SPD]: Angekündigt! – beiten und aus dem einen oder anderen politischen oder
Manfred Zöllmer [SPD]: Im Ankündigen sind taktischen Graben zu steigen. Das würde den Finanz-
(B) Sie groß!) märkten und dem Land an der einen oder anderen Stelle (D)
guttun.
Wir werden dies umsetzen. Insofern kommen wir auch
dieser Sache nach. Danke schön.

Wir bleiben trotz vieler Übereinstimmungen bei unse- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
rem Weg – das ist jetzt kein mangelnder Respekt für Ihre
Vorschläge – und werden Ihre Anträge ablehnen. Ich Vizepräsidentin Petra Pau:
denke, dass uns das nicht daran hindern sollte, weiter Ich komme zurück zu den namentlichen Abstimmun-
vernünftig zusammenzuarbeiten; denn das ist nötig. Ei- gen.
nige wichtige Fragen zur Zukunft der Finanzmärkte sind
noch nicht beantwortet. Ich möchte hierzu Überlegungen Zuerst das Ergebnis der namentlichen Abstimmung
anstellen. Wie soll der Finanzplatz Europa, der Finanz- über den von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP
platz Deutschland in der Zukunft aussehen? Welches eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung
Bild haben wir von diesem Finanzplatz? wehr- und zivildienstrechtlicher Vorschriften 2010. Ich
gebe das von den Schriftführerinnen und Schriftführern
Hierzu stellen sich einige Fragen. Ganz pragmatisch: ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung
Wie werden es die deutschen Finanzinstitute in den bekannt: abgegebene Stimmen 554. Mit Ja haben ge-
nächsten Monaten und Jahren schaffen, die notwendigen stimmt 303, mit Nein 250 Kolleginnen und Kollegen. Es
Eigenkapitalanforderungen zu erfüllen? Sehr grundsätz- gab eine Enthaltung. Der Gesetzentwurf ist angenom-
lich: Welche Wettbewerbsstrukturen möchten wir auf men.

Endgültiges Ergebnis Ja Thomas Bareiß Peter Beyer


Abgegebenen Stimmen: 552; Norbert Barthle Steffen Bilger
CDU/CSU Günter Baumann Clemens Binninger
davon Ernst-Reinhard Beck Peter Bleser
Ilse Aigner (Reutlingen) Dr. Maria Böhmer
ja: 303
Peter Altmaier Manfred Behrens (Börde) Wolfgang Börnsen
nein: 248 Peter Aumer Veronika Bellmann (Bönstrup)
enthalten: 1 Dorothee Bär Dr. Christoph Bergner Wolfgang Bosbach
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5079
Vizepräsidentin Petra Pau
(A) Norbert Brackmann Anette Hübinger Sibylle Pfeiffer Elisabeth Winkelmeier- (C)
Klaus Brähmig Thomas Jarzombek Beatrix Philipp Becker
Michael Brand Dieter Jasper Ronald Pofalla Dagmar Wöhrl
Dr. Reinhard Brandl Dr. Franz Josef Jung Christoph Poland Dr. Matthias Zimmer
Helmut Brandt Andreas Jung (Konstanz) Eckhard Pols Wolfgang Zöller
Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Egon Jüttner Lucia Puttrich Willi Zylajew
Dr. Helge Braun Bartholomäus Kalb Daniela Raab
Heike Brehmer Hans-Werner Kammer Thomas Rachel FDP
Ralph Brinkhaus Alois Karl Eckhardt Rehberg Jens Ackermann
Gitta Connemann Bernhard Kaster Katherina Reiche (Potsdam) Christian Ahrendt
Leo Dautzenberg Volker Kauder Lothar Riebsamen
Alexander Dobrindt Christine Aschenberg-
Dr. Stefan Kaufmann Josef Rief Dugnus
Thomas Dörflinger Roderich Kiesewetter Klaus Riegert Daniel Bahr (Münster)
Marie-Luise Dött Eckart von Klaeden Dr. Heinz Riesenhuber Florian Bernschneider
Dr. Thomas Feist Ewa Klamt Johannes Röring Sebastian Blumenthal
Enak Ferlemann Volkmar Klein Dr. Norbert Röttgen Claudia Bögel
Ingrid Fischbach Jürgen Klimke Dr. Christian Ruck Nicole Bracht-Bendt
Hartwig Fischer (Göttingen) Julia Klöckner Erwin Rüddel
Axel E. Fischer (Karlsruhe- Axel Knoerig Klaus Breil
Albert Rupprecht (Weiden) Angelika Brunkhorst
Land) Jens Koeppen Anita Schäfer (Saalstadt)
Dr. Maria Flachsbarth Manfred Kolbe Ernst Burgbacher
Dr. Annette Schavan Marco Buschmann
Klaus-Peter Flosbach Dr. Rolf Koschorrek Dr. Andreas Scheuer
Herbert Frankenhauser Hartmut Koschyk Sylvia Canel
Karl Schiewerling Helga Daub
Dr. Hans-Peter Friedrich Thomas Kossendey Norbert Schindler
(Hof) Michael Kretschmer Reiner Deutschmann
Georg Schirmbeck Dr. Bijan Djir-Sarai
Michael Frieser Gunther Krichbaum Christian Schmidt (Fürth)
Dr. Michael Fuchs Dr. Günter Krings Patrick Döring
Patrick Schnieder Mechthild Dyckmans
Hans-Joachim Fuchtel Rüdiger Kruse Dr. Andreas Schockenhoff Rainer Erdel
Alexander Funk Bettina Kudla
Dr. Ole Schröder Jörg van Essen
Ingo Gädechens Dr. Hermann Kues
Bernhard Schulte-Drüggelte Ulrike Flach
Dr. Peter Gauweiler Dr. Karl A. Lamers
Uwe Schummer Otto Fricke
Dr. Thomas Gebhart (Heidelberg)
Armin Schuster (Weil am Paul K. Friedhoff
Norbert Geis Andreas G. Lämmel
Rhein) Hans-Michael Goldmann
Alois Gerig Katharina Landgraf
Detlef Seif Heinz Golombeck
(B) Eberhard Gienger Ulrich Lange (D)
Johannes Selle Miriam Gruß
Michael Glos Dr. Max Lehmer
Reinhold Sendker Joachim Günther (Plauen)
Josef Göppel Paul Lehrieder
Peter Götz Dr. Patrick Sensburg Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Ursula von der Leyen
Dr. Wolfgang Götzer Ingbert Liebing Thomas Silberhorn Heinz-Peter Haustein
Ute Granold Matthias Lietz Johannes Singhammer Manuel Höferlin
Reinhard Grindel Dr. Carsten Linnemann Jens Spahn Birgit Homburger
Hermann Gröhe Patricia Lips Carola Stauche Dr. Werner Hoyer
Michael Grosse-Brömer Dr. Jan-Marco Luczak Christian Freiherr von Stetten Heiner Kamp
Markus Grübel Dr. Michael Luther Dieter Stier Michael Kauch
Manfred Grund Karin Maag Gero Storjohann Dr. Lutz Knopek
Monika Grütters Dr. Thomas de Maizière Stephan Stracke Pascal Kober
Dr. Karl-Theodor Freiherr Hans-Georg von der Marwitz Max Straubinger Dr. Heinrich L. Kolb
zu Guttenberg Andreas Mattfeldt Karin Strenz Gudrun Kopp
Olav Gutting Stephan Mayer (Altötting) Thomas Strobl (Heilbronn) Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Florian Hahn Dr. Michael Meister Lena Strothmann Sebastian Körber
Holger Haibach Maria Michalk Michael Stübgen Holger Krestel
Dr. Stephan Harbarth Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Peter Tauber Patrick Kurth (Kyffhäuser)
Jürgen Hardt Dr. Mathias Middelberg Antje Tillmann Heinz Lanfermann
Gerda Hasselfeldt Dietrich Monstadt Arnold Vaatz Sibylle Laurischk
Dr. Matthias Heider Marlene Mortler Volkmar Vogel (Kleinsaara) Harald Leibrecht
Mechthild Heil Dr. Gerd Müller Stefanie Vogelsang Lars Lindemann
Ursula Heinen-Esser Stefan Müller (Erlangen) Andrea Astrid Voßhoff Dr. Martin Lindner (Berlin)
Frank Heinrich Nadine Müller (St. Wendel) Dr. Johann Wadephul Michael Link (Heilbronn)
Rudolf Henke Dr. Philipp Murmann Marco Wanderwitz Dr. Erwin Lotter
Michael Hennrich Michaela Noll Kai Wegner Oliver Luksic
Jürgen Herrmann Dr. Georg Nüßlein Marcus Weinberg (Hamburg) Patrick Meinhardt
Ansgar Heveling Franz Obermeier Peter Weiß (Emmendingen) Gabi Molitor
Ernst Hinsken Eduard Oswald Sabine Weiss (Wesel I) Jan Mücke
Peter Hintze Henning Otte Ingo Wellenreuther Petra Müller (Aachen)
Christian Hirte Dr. Michael Paul Karl-Georg Wellmann Burkhardt Müller-Sönksen
Robert Hochbaum Rita Pawelski Peter Wichtel Dr. Martin Neumann
Karl Holmeier Ulrich Petzold Annette Widmann-Mauz (Lausitz)
Franz-Josef Holzenkamp Dr. Joachim Pfeiffer Klaus-Peter Willsch Dirk Niebel
5080 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Vizepräsidentin Petra Pau


(A) Hans-Joachim Otto Angelika Graf (Rosenheim) Olaf Scholz Kornelia Möller (C)
(Frankfurt) Michael Groß Ottmar Schreiner Niema Movassat
Cornelia Pieper Wolfgang Gunkel Swen Schulz (Spandau) Wolfgang Nešković
Gisela Piltz Hans-Joachim Hacker Ewald Schurer Thomas Nord
Dr. Christiane Ratjen- Bettina Hagedorn Frank Schwabe Petra Pau
Damerau Klaus Hagemann Dr. Angelica Schwall-Düren Richard Pitterle
Dr. Birgit Reinemund Michael Hartmann Dr. Martin Schwanholz Yvonne Ploetz
Dr. Peter Röhlinger (Wackernheim) Rolf Schwanitz Ingrid Remmers
Dr. Stefan Ruppert Hubertus Heil (Peine) Stefan Schwartze Paul Schäfer (Köln)
Björn Sänger Dr. Barbara Hendricks Dr. Carsten Sieling Dr. Herbert Schui
Christoph Schnurr Gustav Herzog Sonja Steffen Dr. Ilja Seifert
Marina Schuster Gabriele Hiller-Ohm Peer Steinbrück Kathrin Senger-Schäfer
Dr. Erik Schweickert Petra Hinz (Essen) Christoph Strässer Raju Sharma
Werner Simmling Frank Hofmann (Volkach) Kerstin Tack Dr. Petra Sitte
Judith Skudelny Dr. Eva Högl Dr. h. c. Wolfgang Thierse Sabine Stüber
Joachim Spatz Christel Humme Franz Thönnes Alexander Süßmair
Torsten Staffeldt Josip Juratovic Wolfgang Tiefensee Frank Tempel
Dr. Rainer Stinner Oliver Kaczmarek Rüdiger Veit Dr. Axel Troost
Stephan Thomae Johannes Kahrs Ute Vogt Alexander Ulrich
Florian Toncar Dr. h. c. Susanne Kastner Dr. Marlies Volkmer Kathrin Vogler
Serkan Tören Ulrich Kelber Andrea Wicklein Sahra Wagenknecht
Johannes Vogel Lars Klingbeil Heidemarie Wieczorek-Zeul Halina Wawzyniak
(Lüdenscheid) Dr. Bärbel Kofler Dagmar Ziegler Harald Weinberg
Dr. Daniel Volk Fritz Rudolf Körper Manfred Zöllmer Katrin Werner
Dr. Guido Westerwelle Anette Kramme Brigitte Zypries Jörn Wunderlich
Dr. Claudia Winterstein Nicolette Kressl Sabine Zimmermann
Dr. Volker Wissing Angelika Krüger-Leißner DIE LINKE
Hartfrid Wolff (Rems-Murr) Ute Kumpf BÜNDNIS 90/
Christine Lambrecht Agnes Alpers
DIE GRÜNEN
Christian Lange (Backnang) Dr. Dietmar Bartsch
Nein Herbert Behrens Marieluise Beck (Bremen)
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme Karin Binder Volker Beck (Köln)
SPD Matthias W. Birkwald Cornelia Behm
Burkhard Lischka
Ingrid Arndt-Brauer Gabriele Lösekrug-Möller Heidrun Bluhm Alexander Bonde
Rainer Arnold Kirsten Lühmann Steffen Bockhahn Viola von Cramon-Taubadel
(B) Christine Buchholz Ekin Deligöz (D)
Heinz-Joachim Barchmann Caren Marks
Dr. Hans-Peter Bartels Katja Mast Eva Bulling-Schröter Katja Dörner
Klaus Barthel Petra Merkel (Berlin) Dr. Martina Bunge Hans-Josef Fell
Sören Bartol Ullrich Meßmer Roland Claus Dr. Thomas Gambke
Bärbel Bas Dr. Matthias Miersch Sevim Dağdelen Kai Gehring
Dirk Becker Franz Müntefering Dr. Diether Dehm Katrin Göring-Eckardt
Lothar Binding (Heidelberg) Dr. Rolf Mützenich Heidrun Dittrich Britta Haßelmann
Gerd Bollmann Manfred Nink Werner Dreibus Bettina Herlitzius
Klaus Brandner Thomas Oppermann Dr. Dagmar Enkelmann Winfried Hermann
Willi Brase Holger Ortel Klaus Ernst Priska Hinz (Herborn)
Bernhard Brinkmann Aydan Özoğuz Wolfgang Gehrcke Ulrike Höfken
(Hildesheim) Heinz Paula Nicole Gohlke Dr. Anton Hofreiter
Edelgard Bulmahn Joachim Poß Diana Golze Bärbel Höhn
Ulla Burchardt Dr. Wilhelm Priesmeier Dr. Gregor Gysi Ingrid Hönlinger
Petra Crone Florian Pronold Heike Hänsel Uwe Kekeritz
Dr. Peter Danckert Dr. Sascha Raabe Dr. Rosemarie Hein Katja Keul
Martin Dörmann Mechthild Rawert Dr. Barbara Höll Memet Kilic
Elvira Drobinski-Weiß Dr. Carola Reimann Andrej Konstantin Hunko Sven-Christian Kindler
Garrelt Duin Sönke Rix Ulla Jelpke Maria Anna Klein-Schmeink
Sebastian Edathy René Röspel Dr. Lukrezia Jochimsen Tom Koenigs
Siegmund Ehrmann Dr. Ernst Dieter Rossmann Katja Kipping Sylvia Kotting-Uhl
Dr. h. c. Gernot Erler Karin Roth (Esslingen) Harald Koch Oliver Krischer
Petra Ernstberger Michael Roth (Heringen) Jan Korte Agnes Krumwiede
Karin Evers-Meyer Marlene Rupprecht Jutta Krellmann Stephan Kühn
Elke Ferner (Tuchenbach) Caren Lay Markus Kurth
Gabriele Fograscher Anton Schaaf Ralph Lenkert Undine Kurth (Quedlinburg)
Dr. Edgar Franke Axel Schäfer (Bochum) Michael Leutert Monika Lazar
Peter Friedrich Bernd Scheelen Stefan Liebich Nicole Maisch
Michael Gerdes Dr. Hermann Scheer Ulla Lötzer Agnes Malczak
Martin Gerster Marianne Schieder Dr. Gesine Lötzsch Jerzy Montag
Iris Gleicke (Schwandorf) Thomas Lutze Kerstin Müller (Köln)
Günter Gloser Ulla Schmidt (Aachen) Dorothée Menzner Beate Müller-Gemmeke
Ulrike Gottschalck Carsten Schneider (Erfurt) Cornelia Möhring Ingrid Nestle
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5081
Vizepräsidentin Petra Pau
(A) Dr. Konstantin von Notz Claudia Roth (Augsburg) Dr. Wolfgang Strengmann- Enthalten (C)
Omid Nouripour Manuel Sarrazin Kuhn
Friedrich Ostendorff Elisabeth Scharfenberg Hans-Christian Ströbele FDP
Dr. Hermann Ott Christine Scheel Dr. Harald Terpe
Jimmy Schulz
Elisabeth Paus Dr. Gerhard Schick Markus Tressel
Brigitte Pothmer Dr. Frithjof Schmidt Jürgen Trittin
Tabea Rößner Dorothea Steiner Dr. Valerie Wilms

Wir kommen zum Ergebnis der zweiten namentlichen Abstimmung bekannt: abgegebene Stimmen 553. Mit
Abstimmung. Hier geht es um den Entschließungsantrag Ja haben gestimmt 111 Kolleginnen und Kollegen, mit
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu diesem Gesetz- Nein 310. Es gab 132 Enthaltungen. Der Antrag ist abge-
entwurf. Ich gebe das von den Schriftführerinnen und lehnt.
Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen

Endgültiges Ergebnis Richard Pitterle Oliver Krischer Manfred Behrens (Börde)


Abgegebenen Stimmen: 552; Yvonne Ploetz Agnes Krumwiede Veronika Bellmann
davon Ingrid Remmers Stephan Kühn Dr. Christoph Bergner
Paul Schäfer (Köln) Markus Kurth Peter Beyer
ja: 110
Dr. Herbert Schui Undine Kurth (Quedlinburg) Steffen Bilger
nein: 310 Dr. Ilja Seifert Monika Lazar Clemens Binninger
enthalten: 132 Kathrin Senger-Schäfer Nicole Maisch Peter Bleser
Raju Sharma Agnes Malczak Dr. Maria Böhmer
Ja Dr. Petra Sitte Jerzy Montag Wolfgang Börnsen
Sabine Stüber Kerstin Müller (Köln) (Bönstrup)
SPD Frank Tempel Beate Müller-Gemmeke Wolfgang Bosbach
Dr. Axel Troost Ingrid Nestle Norbert Brackmann
Gabriele Hiller-Ohm Alexander Ulrich Dr. Konstantin von Notz Klaus Brähmig
Swen Schulz (Spandau) Halina Wawzyniak Omid Nouripour Michael Brand
(B) Harald Weinberg Friedrich Ostendorff (D)
Dr. Reinhard Brandl
DIE LINKE Katrin Werner Dr. Hermann Ott Helmut Brandt
Jörn Wunderlich Lisa Paus Dr. Ralf Brauksiepe
Agnes Alpers
Sabine Zimmermann Brigitte Pothmer Dr. Helge Braun
Dr. Dietmar Bartsch
Tabea Rößner Heike Brehmer
Matthias W. Birkwald
BÜNDNIS 90/ Claudia Roth (Augsburg) Ralph Brinkhaus
Heidrun Bluhm
DIE GRÜNEN Manuel Sarrazin Gitta Connemann
Steffen Bockhahn
Elisabeth Scharfenberg Leo Dautzenberg
Eva Bulling-Schröter Marieluise Beck (Bremen) Christine Scheel Alexander Dobrindt
Dr. Martina Bunge Volker Beck (Köln) Dr. Gerhard Schick
Roland Claus Cornelia Behm Thomas Dörflinger
Dr. Frithjof Schmidt
Heidrun Dittrich Alexander Bonde Marie-Luise Dött
Dorothea Steiner
Werner Dreibus Viola von Cramon-Taubadel Dr. Thomas Feist
Dr. Wolfgang Strengmann-
Dr. Dagmar Enkelmann Ekin Deligöz Enak Ferlemann
Kuhn
Klaus Ernst Katja Dörner Ingrid Fischbach
Hans-Christian Ströbele
Wolfgang Gehrcke Hans-Josef Fell Dr. Harald Terpe Hartwig Fischer (Göttingen)
Diana Golze Dr. Thomas Gambke Markus Tressel Axel E. Fischer (Karlsruhe-
Dr. Gregor Gysi Kai Gehring Jürgen Trittin Land)
Dr. Rosemarie Hein Katrin Göring-Eckardt Daniela Wagner Dr. Maria Flachsbarth
Dr. Barbara Höll Britta Haßelmann Dr. Valerie Wilms Klaus-Peter Flosbach
Katja Kipping Bettina Herlitzius Herbert Frankenhauser
Harald Koch Winfried Hermann Dr. Hans-Peter Friedrich
Jan Korte Priska Hinz (Herborn) Nein (Hof)
Jutta Krellmann Ulrike Höfken Michael Frieser
Caren Lay Dr. Anton Hofreiter CDU/CSU Dr. Michael Fuchs
Ralph Lenkert Bärbel Höhn Ilse Aigner Hans-Joachim Fuchtel
Michael Leutert Ingrid Hönlinger Peter Altmaier Alexander Funk
Stefan Liebich Uwe Kekeritz Peter Aumer Ingo Gädechens
Ulla Lötzer Katja Keul Dorothee Bär Dr. Peter Gauweiler
Thomas Lutze Memet Kilic Thomas Bareiß Dr. Thomas Gebhart
Dorothée Menzner Sven-Christian Kindler Norbert Barthle Norbert Geis
Cornelia Möhring Maria Anna Klein-Schmeink Günter Baumann Alois Gerig
Thomas Nord Tom Koenigs Ernst-Reinhard Beck Eberhard Gienger
Petra Pau Sylvia Kotting-Uhl (Reutlingen) Michael Glos
5082 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Vizepräsidentin Petra Pau


(A) Josef Göppel Paul Lehrieder Dr. Patrick Sensburg Jörg van Essen (C)
Peter Götz Dr. Ursula von der Leyen Thomas Silberhorn Ulrike Flach
Dr. Wolfgang Götzer Ingbert Liebing Johannes Singhammer Otto Fricke
Ute Granold Matthias Lietz Jens Spahn Paul K. Friedhoff
Reinhard Grindel Dr. Carsten Linnemann Carola Stauche Hans-Michael Goldmann
Hermann Gröhe Patricia Lips Christian Freiherr von Stetten Heinz Golombeck
Michael Grosse-Brömer Dr. Jan-Marco Luczak Dieter Stier Miriam Gruß
Markus Grübel Dr. Michael Luther Gero Storjohann Joachim Günther (Plauen)
Manfred Grund Karin Maag Stephan Stracke Dr. Christel Happach-Kasan
Monika Grütters Dr. Thomas de Maizière Max Straubinger Heinz-Peter Haustein
Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Hans-Georg von der Marwitz Karin Strenz Manuel Höferlin
Guttenberg Andreas Mattfeldt Thomas Strobl (Heilbronn) Birgit Homburger
Olav Gutting Stephan Mayer (Altötting) Lena Strothmann Dr. Werner Hoyer
Florian Hahn Dr. Michael Meister Michael Stübgen Heiner Kamp
Holger Haibach Maria Michalk Dr. Peter Tauber Michael Kauch
Dr. Stephan Harbarth Dr. h. c. Hans Michelbach Antje Tillmann Dr. Lutz Knopek
Jürgen Hardt Dr. Mathias Middelberg Arnold Vaatz Pascal Kober
Gerda Hasselfeldt Dietrich Monstadt Volkmar Vogel (Kleinsaara) Dr. Heinrich L. Kolb
Dr. Matthias Heider Marlene Mortler Stefanie Vogelsang Gudrun Kopp
Mechthild Heil Dr. Gerd Müller Andrea Astrid Voßhoff Dr. h. c. Jürgen Koppelin
Ursula Heinen-Esser Stefan Müller (Erlangen) Dr. Johann Wadephul Sebastian Körber
Frank Heinrich Nadine Müller (St. Wendel) Marco Wanderwitz Holger Krestel
Rudolf Henke Dr. Philipp Murmann Kai Wegner Patrick Kurth (Kyffhäuser)
Michael Hennrich Michaela Noll Marcus Weinberg (Hamburg) Heinz Lanfermann
Jürgen Herrmann Dr. Georg Nüßlein Peter Weiß (Emmendingen) Sibylle Laurischk
Ansgar Heveling Franz Obermeier Sabine Weiss (Wesel I) Harald Leibrecht
Ernst Hinsken Eduard Oswald Ingo Wellenreuther Lars Lindemann
Peter Hintze Henning Otte Karl-Georg Wellmann Dr. Martin Lindner (Berlin)
Christian Hirte Dr. Michael Paul Peter Wichtel Michael Link (Heilbronn)
Robert Hochbaum Rita Pawelski Annette Widmann-Mauz Dr. Erwin Lotter
Karl Holmeier Ulrich Petzold Klaus-Peter Willsch Oliver Luksic
Franz-Josef Holzenkamp Dr. Joachim Pfeiffer Elisabeth Winkelmeier- Patrick Meinhardt
Anette Hübinger Sibylle Pfeiffer Becker Gabriele Molitor
Thomas Jarzombek Beatrix Philipp Dagmar Wöhrl Jan Mücke
(B) Dieter Jasper Ronald Pofalla Dr. Matthias Zimmer Petra Müller (Aachen) (D)
Dr. Franz Josef Jung Christoph Poland Wolfgang Zöller Burkhardt Müller-Sönksen
Andreas Jung (Konstanz) Eckhard Pols Willi Zylajew Dr. Martin Neumann
Dr. Egon Jüttner Lucia Puttrich (Lausitz)
Bartholomäus Kalb Daniela Raab SPD Dirk Niebel
Hans-Werner Kammer Thomas Rachel Hans-Joachim Otto
Dr. Hans-Peter Bartels
Alois Karl Eckhardt Rehberg (Frankfurt)
Garrelt Duin
Bernhard Kaster Katherina Reiche (Potsdam) Cornelia Pieper
Johannes Kahrs
Volker Kauder Lothar Riebsamen Gisela Piltz
Kirsten Lühmann
Dr. Stefan Kaufmann Josef Rief Dr. Christiane Ratjen-
Michael Roth (Heringen)
Roderich Kiesewetter Klaus Riegert Damerau
Bernd Scheelen
Eckart von Klaeden Dr. Heinz Riesenhuber Dr. Birgit Reinemund
Ewa Klamt Johannes Röring Dr. Peter Röhlinger
FDP
Volkmar Klein Dr. Norbert Röttgen Dr. Stefan Ruppert
Jürgen Klimke Dr. Christian Ruck Jens Ackermann Björn Sänger
Julia Klöckner Erwin Rüddel Christian Ahrendt Christoph Schnurr
Axel Knoerig Albert Rupprecht (Weiden) Christine Aschenberg- Jimmy Schulz
Jens Koeppen Anita Schäfer (Saalstadt) Dugnus Marina Schuster
Manfred Kolbe Dr. Annette Schavan Daniel Bahr (Münster) Dr. Erik Schweickert
Dr. Rolf Koschorrek Dr. Andreas Scheuer Florian Bernschneider Werner Simmling
Hartmut Koschyk Karl Schiewerling Sebastian Blumenthal Judith Skudelny
Thomas Kossendey Norbert Schindler Claudia Bögel Joachim Spatz
Michael Kretschmer Georg Schirmbeck Nicole Bracht-Bendt Torsten Staffeldt
Gunther Krichbaum Christian Schmidt (Fürth) Klaus Breil Dr. Rainer Stinner
Dr. Günter Krings Patrick Schnieder Angelika Brunkhorst Stephan Thomae
Rüdiger Kruse Dr. Andreas Schockenhoff Ernst Burgbacher Florian Toncar
Bettina Kudla Dr. Ole Schröder Marco Buschmann Serkan Tören
Dr. Hermann Kues Bernhard Schulte-Drüggelte Sylvia Canel Johannes Vogel
Dr. Karl A. Lamers Uwe Schummer Helga Daub (Lüdenscheid)
(Heidelberg) Armin Schuster (Weil am Reiner Deutschmann Dr. Daniel Volk
Andreas G. Lämmel Rhein) Dr. Bijan Djir-Sarai Dr. Guido Westerwelle
Katharina Landgraf Detlef Seif Patrick Döring Dr. Claudia Winterstein
Ulrich Lange Johannes Selle Mechthild Dyckmans Dr. Volker Wissing
Dr. Max Lehmer Reinhold Sendker Rainer Erdel Hartfrid Wolff (Rems-Murr)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5083
Vizepräsidentin Petra Pau
(A) Enthalten Ulrike Gottschalck Ullrich Meßmer Dr. Carsten Sieling (C)
Angelika Graf (Rosenheim) Dr. Matthias Miersch Sonja Steffen
SPD Michael Groß Franz Müntefering Dr. Frank-Walter Steinmeier
Wolfgang Gunkel Dr. Rolf Mützenich Christoph Strässer
Ingrid Arndt-Brauer
Hans-Joachim Hacker Manfred Nink Kerstin Tack
Rainer Arnold Thomas Oppermann
Bettina Hagedorn Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Heinz-Joachim Barchmann Klaus Hagemann Holger Ortel
Klaus Barthel Franz Thönnes
Michael Hartmann Aydan Özoğuz Wolfgang Tiefensee
Sören Bartol (Wackernheim) Heinz Paula
Bärbel Bas Rüdiger Veit
Hubertus Heil (Peine) Joachim Poß Ute Vogt
Dirk Becker Dr. Barbara Hendricks Dr. Wilhelm Priesmeier
Lothar Binding (Heidelberg) Dr. Marlies Volkmer
Gustav Herzog Florian Pronold
Gerd Bollmann Andrea Wicklein
Petra Hinz (Essen) Dr. Sascha Raabe
Klaus Brandner Mechthild Rawert Heidemarie Wieczorek-Zeul
Frank Hofmann (Volkach)
Willi Brase Dr. Eva Högl Dr. Carola Reimann Dagmar Ziegler
Bernhard Brinkmann Christel Humme Sönke Rix Manfred Zöllmer
(Hildesheim) Josip Juratovic René Röspel Brigitte Zypries
Edelgard Bulmahn Oliver Kaczmarek Dr. Ernst Dieter Rossmann
Ulla Burchardt Dr. h. c. Susanne Kastner Karin Roth (Esslingen) DIE LINKE
Petra Crone Ulrich Kelber Marlene Rupprecht Herbert Behrens
Dr. Peter Danckert Lars Klingbeil (Tuchenbach) Karin Binder
Martin Dörmann Dr. Bärbel Kofler Anton Schaaf
Elvira Drobinski-Weiß Christine Buchholz
Fritz Rudolf Körper Axel Schäfer (Bochum) Sevim Dağdelen
Sebastian Edathy Anette Kramme Dr. Hermann Scheer
Siegmund Ehrmann Dr. Diether Dehm
Nicolette Kressl Marianne Schieder
Dr. h. c. Gernot Erler Nicole Gohlke
Angelika Krüger-Leißner (Schwandorf)
Petra Ernstberger Ute Kumpf Ulla Schmidt (Aachen) Heike Hänsel
Karin Evers-Meyer Christine Lambrecht Carsten Schneider (Erfurt) Andrej Konstantin Hunko
Elke Ferner Christian Lange (Backnang) Olaf Scholz Ulla Jelpke
Gabriele Fograscher Dr. Karl Lauterbach Ottmar Schreiner Dr. Gesine Lötzsch
Dr. Edgar Franke Steffen-Claudio Lemme Ewald Schurer Kornelia Möller
Peter Friedrich Burkhard Lischka Frank Schwabe Niema Movassat
Michael Gerdes Gabriele Lösekrug-Möller Dr. Angelica Schwall-Düren Wolfgang Nešković
Martin Gerster Caren Marks Dr. Martin Schwanholz Alexander Süßmair
Iris Gleicke Katja Mast Rolf Schwanitz Kathrin Vogler
(B) Günter Gloser Petra Merkel (Berlin) Stefan Schwartze Sahra Wagenknecht (D)

Wir fahren in der Debatte fort. Das Wort hat der Kol- Die Profiteure dieser Exzesse lebten auf einem ande-
lege Manfred Zöllmer für die SPD-Fraktion. ren Stern. Das Geld ging im Übrigen auch an Manager,
deren Institute heute entweder nicht mehr existieren oder
(Beifall bei der SPD) nur noch mit umfassender staatlicher Hilfe weiter exis-
tieren. Die Vergütungsmodelle boten Managern einen
Manfred Zöllmer (SPD): Anreiz, mehr auf kurzfristige Erträge zu setzen und die
langfristige Entwicklung außer Acht zu lassen; dies hat
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich festge-
Herr Brinkhaus, es ist schön, dass Sie noch einmal be-
tont haben, dass die Koalitionspartner in diesem Fall stellt. Die Gehaltsexzesse wurden damit zu einer der
nicht über Wildsäue und Gurkentruppen gestritten ha- zentralen, der wesentlichen Ursachen der Finanzkrise.
ben, sondern offenkundig an der Sache gearbeitet haben. Im Ergebnis wurden immer abenteuerlichere Konstruk-
Wie das Ergebnis ausgefallen ist, ist eine andere Frage. tionen im Finanzbereich auf den Markt gebracht, bis das
Das werden wir jetzt bewerten. System kollabierte.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bis zur Finanzkrise Jetzt hat sich auch die Wissenschaft mit diesen Fragen
waren Banker diejenige Berufsgruppe, die mit großem beschäftigt. Es ist ein ganz eindeutiger Zusammenhang
Abstand am besten bezahlt wurde. Es waren wahre Ge- zwischen Vergütungssystemen auf der einen Seite und
haltsexzesse. Sie waren eine wichtige Ursache für das fi- der Verursachung der Finanzkrise auf der anderen Seite
nanzmarktpolitische Desaster. festgestellt worden. Es stellt sich allerdings die Frage,
warum sich die Wissenschaft erst jetzt mit diesem
(Widerspruch bei der CDU/CSU) Thema beschäftigt.

In den Finanzmärkten wurden nicht Millionen verteilt, es (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wie
wurden Milliarden verteilt, lieber Herr Kollege – Sum- hieß denn damals der Finanzminister? – Ge-
men jenseits jedes Vorstellungsvermögens. Es herrschte genruf der Abg. Nicolette Kressl [SPD]: „Wis-
nackte Gier. senschaft“ hat er gesagt, Herr Michelbach!
5084 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Manfred Zöllmer
(A) Nicht einmal zuhören kann er! Ist es Ihnen Die Tarifautonomie bleibt also gewahrt, und das ist auch (C)
etwa schon zu spät?) gut so.
– Herr Michelbach, ich spreche von der Wissenschaft. (Beifall bei der SPD)
Es war im Übrigen der Finanzminister, der dieses Gesetz Die SPD-Fraktion hatte darüber hinaus einen Ent-
auf den Weg gebracht hat, von dem Sie eben so lobend schließungsantrag eingebracht, weil die Anhörung ge-
gesprochen haben, nur damit wir uns richtig verstehen. zeigt hat, dass es wenig Sinn macht, auch bei Aufsichts-
(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Unser guter ratsmitgliedern Boni als Vergütung zuzulassen. Ein
Einfluss!) solches Vergütungssystem kann erhebliche Fehlanreize
setzen und die Kontrollfunktion des Aufsichtsrates ge-
– Ja, er ist ein guter Mann. genüber dem Vorstand untergraben. Aber – Herr
Mit dem vorliegenden Entwurf eines Gesetzes über die Brinkhaus hat darauf hingewiesen – unsere Anträge wer-
aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Vergütungs- den von der Koalition generell abgelehnt.
systeme von Instituten und Versicherungsunternehmen (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Das habe ich
will die Bundesregierung nunmehr gegen eine wesentli- so nicht gesagt!)
che Ursache, nämlich solche verfehlten Vergütungsan-
reize, vorgehen. Damit setzt sie den Weg fort, den der Auf der anderen Seite will man mit uns fröhlich zusam-
eben von mir angesprochene Finanzminister in der Gro- menarbeiten. Irgendwie passt das nicht. Auch dieser An-
ßen Koalition mit dem Gesetz zur Angemessenheit der trag ist abgelehnt worden.
Vorstandsvergütung auf den Weg gebracht hatte. (Dr. Daniel Volk [FDP]: Weil er inhaltlich
Es geht um die Frage, wie Vergütungssysteme ausge- falsch ist!)
staltet, überwacht und weiterentwickelt werden können. Sie waren noch nicht einmal bereit, einen Prüfungsauf-
Ähnlich wie das Gesetz zur Angemessenheit der Vor- trag an die Bundesregierung zu unterstützen.
standsvergütung verfolgt auch dieses Gesetz das Ziel, die
Vergütung stärker auf den langfristigen Erfolg eines Un- (Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Der Antrag ist
ternehmens auszurichten. Vergütungssysteme sollen an- unsauber formuliert!)
gemessen, transparent und auf eine nachhaltige Entwick- – Lieber Herr Brinkhaus, wer so agiert, zeigt, dass er
lung des Unternehmens ausgerichtet sein. Das ist im Kern kein Interesse an einer Zusammenarbeit mit der Opposi-
völlig richtig. Die Details der Ausgestaltung – wie sich tion in wichtigen Fragen der Finanzmarktregulierung
etwa die Vergütung zusammensetzt und wie die Leis- hat. Wir bedauern das ausdrücklich.
tungszeiträume aussehen sollen – wird das Bundesfinanz-
Wir vermissen eine Begrenzung der steuerlichen Ab-
(B) ministerium in nachfolgenden Rechtsverordnungen re- (D)
geln. setzbarkeit von Gehältern und Boni. Wir sind der Mei-
nung, eine solche Begrenzung würde einen gewissen Au-
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein weiteres wichti- tomatismus schaffen, um Gehaltsexzesse zu begrenzen.
ges Ziel ist es, zu verhindern, dass vor dem Hintergrund
einer schwierigen wirtschaftlichen Situation eines Unter- (Beifall bei der SPD)
nehmens unangemessen hohe Bonuszahlungen erfol- Die Koalitionsfraktionen waren leider nicht bereit, eine
gen. Deshalb wird die Bundesanstalt für Finanzdienst- solche Regelung in das Gesetz aufzunehmen.
leistungsaufsicht mit entsprechenden Eingriffsrechten
ausgestattet. Sie kann die Auszahlung variabler Vergü- Es wäre auch durchaus sinnvoll gewesen, über Malus-
tungsbestandteile untersagen oder auf einen bestimmten regeln nachzudenken. Wer durch Fehlspekulation ein
Anteil des Jahresergebnisses beschränken. Kreditinstitut an die Wand fährt, dem sollte nicht nur der
Bonus gestrichen werden – das ist logisch –, der sollte
Mit dem Gesetz über die aufsichtsrechtlichen Anfor- für sein Missmanagement auch finanziell bestraft wer-
derungen an die Vergütungssysteme von Instituten und den.
Versicherungsunternehmen setzt die Bundesregierung
im Wesentlichen die internationalen Vereinbarungen um, Liebe Kolleginnen und Kollegen, der vorliegende An-
die auf dem G-20-Treffen des vergangenen Jahres be- trag ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber er bleibt
sprochen und vom Rat für Finanzstabilität als Standards auf halbem Wege stehen. Ein Schritt in die richtige Rich-
entwickelt wurden. Aber wieder einmal gibt es keine ei- tung ist zu wenig. Sie tun nicht das, was möglich ist, Sie
genen Initiativen der Bundesregierung, die über solche tun nur gerade das, was zur Umsetzung von Vorgaben
Vorgaben hinausgehen. Die Ergebnisse der Anhörung nötig ist. Wir werden uns deshalb bei diesem Gesetzent-
zeigen, dass mit dem Gesetzentwurf nur Mindestanfor- wurf der Stimme enthalten.
derungen gesetzlich umgesetzt werden. (Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das
ist ja nichts Neues! – Dr. h. c. Hans
Die Anhörung hat darüber hinaus deutlich gemacht,
Michelbach [CDU/CSU]: Sie enthalten sich ja
dass es möglicherweise einen Konflikt zwischen tariflich
immer!)
vereinbarten Entlohnungsbestandteilen und Eingriffen
der Aufsichtsbehörde gibt. Wir haben auf dieses Pro- Wenn wir uns die Anträge der anderen Fraktionen,
blem aufmerksam gemacht und begrüßen und unterstüt- hier den Antrag der Linken mit der Forderung nach Ein-
zen den Änderungsantrag der Koalitionsfraktionen, mit führung einer Bonisteuer, ansehen, dann müssen wir
dem sie klarstellen, dass tarifvertragliche Regelungen feststellen: Eine Bonisteuer kann das zugrunde liegende
von den gesetzlichen Vorschriften nicht betroffen sind. Problem nicht lösen, da es sehr einfach ist, eine solche
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5085
Manfred Zöllmer
(A) Besteuerung zu unterlaufen. Damit wäre dieses Instru- (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE (C)
ment wirkungslos. GRÜNEN]: Das sieht man an den Leerverkäu-
fen!)
Wir haben als Sozialdemokraten einen eigenen An-
trag eingebracht, der umfassend beschreibt, wie wir auf Um was geht es beim vorliegenden Gesetzentwurf? Kol-
die Finanzkrise reagieren. Über bestimmte Aspekte die- lege Zöllmer, es geht nicht unbedingt um Gehaltsexzesse,
ses Antrages werden wir morgen intensiv diskutieren. sondern es geht darum, die Fehlanreize, die durch Vergü-
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen ein um- tungssysteme ausgelöst werden können – kurzfristig orien-
fassendes Konzept und wirksame Maßnahmen. Wir wol- tiertes Handeln –, zu erkennen und zu beseitigen. Darüber
len keine Politik, die nur an Symbolen herumdoktert und hinaus muss in den Vergütungssystemen auch eine Ma-
Handeln nur simuliert. lusregelung enthalten sein. Darüber hinausgehend kann
man, Kollege Zöllmer, in der Tat darüber nachdenken, in-
Herzlichen Dank. wieweit man Malusregeln sozusagen auch im laufenden
Prozess einfügt. Dazu sage ich aber – darin sind wir uns
(Beifall bei der SPD) auch einig –, dass wir dies über eine verstärkte Haftung
von Vorständen regeln können, sodass an dieser Stelle
Vizepräsidentin Petra Pau: viel stärker auch mit dem Privatvermögen gehaftet wird.
Das Wort hat der Kollege Björn Sänger für die FDP- (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Fraktion.
Ich denke, alles in allem ist dieser Gesetzentwurf eine
(Beifall bei der FDP – Lothar Binding [Heidel- sachgerechte Lösung für die Probleme, die wir haben. Er
berg] [SPD]: Viel Lärm um nichts! Das passt!) wird eine disziplinierende Wirkung haben, weil kein Un-
ternehmen sein eigenes Vergütungssystem von der BaFin
beanstandet haben möchte. Das wäre ein riesiger Image-
Björn Sänger (FDP):
verlust und wird keiner riskieren.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Lieber Kollege Brinkhaus, vor uns liegt ein wei- Wir haben – auch darauf hat der Kollege Brinkhaus
terer Mosaikstein in dem Bild, das später, wenn alle Mo- hingewiesen – im parlamentarischen Prozess die beste-
saiksteinchen eingefügt sind, die Reform der Finanz- henden Probleme, ich sage einmal: an der einen oder an-
märkte durch diese christlich-liberale Bundesregierung deren Stelle, an der der Gesetzentwurf nicht ganz rund
und die sie tragenden Fraktionen darstellen wird. war, gelöst und die Anregungen nicht nur aufgenommen,
sondern wir haben auch gehandelt. Darin unterscheiden
(Nicolette Kressl [SPD]: Das sind nur EU-Vor- wir uns von denjenigen, die nur Anregungen geben kön-
(B) gaben! – Manfred Zöllmer [SPD]: Das Bild ist nen. (D)
aber kaum zu erkennen!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Wir haben als weiteres Steinchen bereits das Ratingge- der CDU/CSU)
setz beschlossen. Wir haben keinen Eingriff in die Tarifautonomie zu-
gelassen – es ist mir wichtig, das an dieser Stelle zu sa-
(Nicolette Kressl [SPD]: Alles EU-Vorgaben!)
gen –, weil wir eben nicht glauben, dass die Probleme in
Momentan ist die Umsetzung der Kapitaladäquanzricht- der „Schalterhalle“ angesiedelt sind, sondern diese Pro-
linie in der parlamentarischen Beratung. Wir beraten das bleme treten oberhalb der Ebene der Schalterhalle auf;
Derivatemissbrauchsgesetz, um die Leerverkäufe zu re- denn in der Schalterhalle arbeiten schlussendlich die
gulieren; Kollege Brinkhaus hat schon darauf hingewie- Leistungsträger, die durch eine Mehrleistung und beson-
sen. Das Eckpunktepapier zur Bankenabgabe liegt vor; dere Anstrengungen zusätzlich einen variablen Vergü-
es wird noch ausformuliert und in einen Gesetzentwurf tungsbestandteil verdienen. Die Produkte, die dort unter
gegossen werden. Umständen auch gegen Provisionierung verkauft wer-
den, dienen zunächst einmal dazu, dass ein Deckungs-
(Nicolette Kressl [SPD]: Seit Monaten!) beitrag für das Unternehmen geliefert wird. Das ist per
se nichts, was in irgendeiner Art und Weise für das Un-
Nicht zuletzt nenne ich das Engagement von Staatsse- ternehmen risikoreich ist.
kretär Koschyk und die Initiative der Bundesregierung
auf europäischer und internationaler Ebene, um zu ei- Man kann natürlich – auch darüber müssen wir nach-
nem international abgestimmten Verhalten bei der Regu- denken; das wird die Bundesregierung – einen weiteren
lierung der Finanzmärkte und auch bei der Beteiligung Mosaikstein für den Anlegerschutz erarbeiten bzw. mei-
des Finanzsektors an den Kosten dieser Krise zu kom- ßeln, was gerade auch geschieht. Es geht um das Thema
men. Verbraucherschutz. Kollege Schick, Sie haben das sehr
stark diskutiert. Das ist in der Tat etwas, was man sich
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) anschauen muss. Wir sind aber der Meinung, dass wir
das nicht in diesem Gesetzentwurf regeln, weil man auch
Dieses Bild fügt sich Stück für Stück zusammen und alles überfrachten kann.
ist in sich schlüssig. Schon vor der Sommerpause wird
man einen großen Teil dieses Bildes sehen können. Wir (Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
legen dieses Bild sorgfältig; denn wenn man es mögli- NEN]: Das ist ein ganz starkes Argument! –
cherweise etwas zu schnell legt, dann kann man es am Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Man
Ende nicht richtig erkennen. kann aber auch zu wenig machen!)
5086 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Björn Sänger
(A) Da sich die BaFin diesen Teil auch noch anschauen soll, weltweiten Finanzkrise vor knapp zwei Jahren. Die Fi- (C)
sind die personellen Ressourcen möglicherweise besser nanzbranche selbst ist dazu weder gewillt noch in der
eingesetzt, wenn man sich um andere Probleme des Fi- Lage. Sie als Koalition haben viel zu lange gewartet.
nanzmarkts kümmert.
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
CDU/CSU) Die drei wesentlichen Gründe zur Notwendigkeit der
Regulierung der Vergütungsstrukturen in der Finanz-
Wir haben ein weiteres Problem erkannt und einer branche sind offenkundig.
Lösung zugeführt. Es geht um die Frage, was ist, wenn
ein Unternehmen in Schieflage geraten ist und gestützt Erstens werden durch massive Bonuszahlungen öko-
werden muss. Hinsichtlich des Anspruchs auf einen vari- nomische Fehlanreize gesetzt. So stehen oft nicht der
ablen Vergütungsanteil, der derzeit bei Auszahlungsun- langfristige Erfolg eines Unternehmens, sondern kurz-
tersagung durch die BaFin nur suspendiert ist – das fristige Ziele wie hohe Aktienkurse und Umsätze im
heißt, der Anspruch besteht fort –, sind wir der Auffas- Vordergrund. Dies hat auch zur Folge, dass oftmals nicht
sung: Wenn das Unternehmen in eine Schieflage gerät, im Interesse der Kunden gehandelt wird, zum Beispiel
sodass es staatlich gestützt werden muss, dann verfällt bei Beratungen. Letztendlich sind solche fatalen An-
auch dieser Anspruch. reizwirkungen für eine Volkswirtschaft schädlich und
können langfristig sogar dem Fortbestand eines Unter-
Das werden wir im Restrukturierungsgesetz mit ei- nehmens schaden. Damit kann eine weitere Destabilisie-
nem zweistufigen Verfahren regeln. Gerät das Unterneh- rung des Finanzsektors einhergehen, die sich dann wie-
men in schweres Fahrwasser und kommt es ins Schlin- der auf die Realwirtschaft auswirkt. Das haben gerade
gern, dann wird der variable Vergütungsanteil aufgrund alle unmittelbar erfahren. Der Begriff der Nachhaltigkeit
eines Dekrets der BaFin zunächst nicht ausgezahlt. Ist in ist zwar gut gemeint, aber inzwischen so schwammig,
einem Zeitraum von zwei Jahren wieder alles in Ord- dass er trotzdem kein richtiges Instrument ist und dies
nung und das Unternehmen wieder profitabel, dann kann auch mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht sein
er ausgezahlt werden. Ist das Unternehmen dann nicht wird.
mehr im schweren Fahrwasser, sondern schlussendlich
gekentert, und muss es gestützt werden – auch durch Zweitens geht es eindeutig um die Durchsetzung von
Steuergelder –, dann verfällt dieser Anspruch. Verantwortungsübernahme. Wer überproportional von
den Gewinnen von Finanzinstituten profitiert, sollte
Schlussendlich: Dieser Mosaikstein ist in sich rund. schließlich auch für Verluste, die aus eigenen Entschei-
Er kann in das Bild eingefügt werden. dungen resultieren, einstehen und haftbar gemacht wer-
(B) Kollege Zöllmer, selbst wenn man sich auf den Stand- den. (D)
punkt stellt, dass es sich um einen zu kleinen Schritt han- Drittens – das möchte ich dick unterstreichen – ist es
delt, handeln Sie mit Ihrer Enthaltung ein bisschen so eine Frage der sozialen Gerechtigkeit. Es kann nicht an-
wie der Anhalter, der den Golf vorbeifahren lässt, weil er gehen, dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert
auf einen Porsche wartet. werden. Im Übrigen sind die massiven Bonuszahlungen
(Widerspruch der Abg. Dr. Barbara Höll [DIE weder ethisch noch moralisch, noch betriebswirtschaft-
LINKE]) lich zu rechtfertigen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist unver- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
antwortlich. Den Schritt können Sie doch mit uns mitge- neten der SPD)
hen. Hier waren Sie über zwei Jahre lang inkonsequent und
Herzlichen Dank. untätig.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Dr. Daniel Volk [FDP]: Wir sind erst seit acht
der CDU/CSU) Monaten in der Regierung!)
Die mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz be-
Vizepräsidentin Petra Pau: schlossene Regelung zum Beispiel war eine Kannrege-
Das Wort hat die Kollegin Dr. Barbara Höll für die lung. Bei Instituten, die Geld oder Bürgschaften vom
Fraktion Die Linke. Staat erhalten, sollte eine Begrenzung der Geschäftsfüh-
(Beifall bei der LINKEN) rergehälter auf 500 000 Euro erfolgen. Das war aber nur
eine Kannbestimmung, die zudem beschränkt war. Nicht
einmal die Investmentbanker wurden mit erfasst.
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Wenn Herr Ackermann als Chef der Deutschen Bank
Kollegen! Die Vergütungsstruktur, insbesondere die 2009 bereits wieder 9,6 Millionen Euro verdient hat, von
massiven Bonuszahlungen in der Finanzbranche, sind denen 1,3 Millionen Euro fix und der Rest Bonuszahlun-
auch ein Element in der Fehlentwicklung auf den Fi- gen waren, dann ist das ungerecht. Denn die Deutsche
nanzmärkten, weil hier nicht langfristige Interessen, son- Bank hat indirekt massiv von der Rettung der HRE pro-
dern kurzfristige Renditeziele im Vordergrund stehen. fitiert. Diese hohen Zahlungen werden de facto schon
Daher bestand und besteht die Notwendigkeit, Regelun- jetzt vergesellschaftet, weil sie in voller Höhe als Be-
gen vorzunehmen, spätestens seit dem Ausbruch der triebskosten abzugsfähig sind. Das ist grob ungerecht.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5087
Dr. Barbara Höll
(A) (Beifall bei der LINKEN – Dr. Daniel Volk geber natürlich statt der generellen Ermächtigung an die (C)
[FDP]: Das wird zu 50 Prozent über die Ein- Aufsichtsbehörden oder das Finanzministerium, etwas
kommensteuer zurückfließen!) zu erlassen, ganz konkrete Regeln festsetzen könnte. Das
Europäische Parlament – konkret: sein Wirtschaftaus-
Vor einem halben Jahr bezeichnete die Bundeskanzle-
schuss – hat am Montag dieser Woche genau dies be-
rin die Bonisteuer als eine interessante Aktivität. Sie ha- schlossen; interessanterweise gibt es dort eine konserva-
ben in diesem Bereich jedoch nichts getan. Andere euro-
tive Mehrheit. Ich glaube, es wird von der europäischen
päische Staaten sind aktiv geworden. Ich verweise auf
Ebene bald noch ein weitergehender Schritt kommen,
Großbritannien und Frankreich. der uns zeigen wird, dass das, was wir heute machen,
(Dr. Daniel Volk [FDP]: Befristet!) noch nicht ausreichend gewesen ist.
Sie haben jetzt einen Gesetzentwurf vorgelegt, und Die zweite Lücke – das habe ich im Ausschuss deut-
zwar nicht zur Besteuerung von Bonuszahlungen, son- lich angesprochen – ist, dass Sie die Frage, wie die Ver-
dern zur Regulierung der Vergütungssysteme von Insti- gütungssysteme in Banken auf das Verhältnis von Bank
tuten und Versicherungen. Das ist aber leider eher ein zu Kunden wirken, nicht aufgreifen wollen. Das Argu-
Symbolgesetz. Diese Symbolik mag richtig und wichtig ment, dies sei jetzt eine Überfrachtung dieses Gesetzes,
sein. Deswegen stimmen wir auch nicht gegen den Ge- ist nicht überzeugend. Jetzt geht es um die aufsichts-
setzentwurf, sondern werden uns enthalten. rechtliche Kontrolle, und genau dorthin gehört dieser
Punkt. Dies hat übrigens auch der Bundesrat so gesehen.
Aber es ist gleichzeitig Zeugnis Ihrer Mutlosigkeit Wir haben dies aber in modifizierter Form noch einmal
und Feigheit; denn Sie delegieren die Entscheidungen an eingebracht, weil der Vorschlag des Bundesrates Schwä-
die Verwaltung und an die BaFin, anstelle selbst festzu- chen hat.
legen, wo Grenzen sind. Sie können immer noch nicht
über Ihren Schatten springen und die Vorschläge aufneh- Ich halte es für nicht hinnehmbar, dass es in den Insti-
men, die von der anderen Seite des Hauses gemacht wur- tuten Vergütungssysteme gibt, die dazu führen, dass die
den: von uns unter anderem die Bonisteuer und die For- Verbraucherschutzregelungen, die im Gesetzblatt stehen,
derung nach einer steuerlichen Begrenzung bei den systematisch verletzt werden.
Betriebsausgaben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
Wir halten Ihren Gesetzentwurf tatsächlich für ein bei der SPD und der LINKEN)
Symbol – das Symbol unterstützen wir mit der Enthal-
tung –, ansonsten aber für völlig unzureichend und hof- Am Bankschalter erfolgt eine systematische Fehlbera-
fen, dass Sie sich in der nächsten Zeit schnell und ein tung. Dies müssen wir, wie ich finde, korrigieren, da wir
(B) bisschen machtvoller bewegen. wissen, dass dies etwas mit den Provisionen zu tun hat. (D)
Deswegen können wir einem Gesetz, das dieses Thema
Ich danke Ihnen. nicht angeht, obwohl es hineingehörte, nicht einfach zu-
stimmen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg.
Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN)
Vizepräsidentin Petra Pau: Die weitere große Lücke, die Sie lassen – das ist
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der schon angeklungen –, ist die Frage der Besteuerung. Das
Kollege Dr. Gerhard Schick das Wort. Problem bei diesen 9,6 Millionen Euro für Herrn
Ackermann ist nicht nur, dass dies einen Einfluss auf das
Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Vermögen der Aktionäre hat, die dann weniger Divi-
NEN): dende bekommen, sondern auch, dass der Steuerzahler
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! das alles mitträgt, weil es Betriebskosten sind. Auch das
Das Bild von dem Mosaik erweckt den Eindruck, als wollen wir korrigieren.
liege ein klares Bild vor uns, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Björn Sänger [FDP]: Ist es auch!) und bei der SPD)
in das wir heute den einen Stein präzise hineinsetzen; Weil wir meinen, dass es ein Limit dafür gibt, was be-
wer diesen ablehnt, hat offensichtlich den Charme des triebsnotwendige Ausgaben sind, wie wir es in anderen
ganzen Bildes missverstanden. Bereichen auch haben, müssen wir die Abzugsfähigkeit
bei exzessiven Managergehältern begrenzen. Das ist un-
(Björn Sänger [FDP]: Gut erkannt!) sere Forderung; Sie aber wollen dies nicht tun.
Mit Verlaub, Sie überzeichnen. Es wäre gut, etwas be- (Dr. Daniel Volk [FDP]: Damit haben Sie eine
scheidener an das jetzige Gesetz heranzugehen und vor Doppelbesteuerung!)
allem darüber nachzudenken, ob Sie überhaupt das Bild
wollen, das wir wollen. Wir wollen ein anderes Bild – das Deswegen ist das Mosaikbild, das Sie entwerfen, leider
ist der Punkt –, weil Sie heute nur einen bestimmten nicht richtig. Vielmehr kommt ein Bild heraus, das nicht
Teilbereich klären wollen, indem Sie einen Mosaikstein für stabile Finanzmärkte sorgt, das immer noch nicht die
setzen, aber zentrale Mosaiksteine, die ebenfalls dazuge- Fehler im Verhältnis zwischen Kunde und Bank korri-
hören, nicht setzen wollen. Das eine ist, dass der Gesetz- giert und das das Problem nicht löst, dass die soziale
5088 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Dr. Gerhard Schick


(A) Schieflage in diesem Land auch wegen exzessiver Ge- haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenom- (C)
hälter in manchen Branchen zunimmt. Dies wollen wir men. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktionen.
korrigieren. Sie haben es nicht vor, und deswegen wer- Bündnis 90/Die Grünen waren dagegen. Enthalten haben
den wir diesem Gesetzentwurf nicht zustimmen. sich SPD und die Linke.
Danke schön. Ich rufe Tagesordnungspunkt 16 auf:
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Erste Beratung des von den Abgeordneten
Markus Kurth, Josef Philip Winkler, Fritz Kuhn,
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs
Damit ist die Aussprache geschlossen, und wir kom-
eines Gesetzes zur Aufhebung des Asylbewer-
men zur Abstimmung über den von der Bundesregierung
berleistungsgesetzes
eingebrachten Entwurf eines Gesetzes über die auf-
sichtsrechtlichen Anforderungen an die Vergütungssys- – Drucksache 17/1428 –
teme von Instituten und Versicherungsunternehmen. Der Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh- Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
lung auf Drucksache 17/2181, den Gesetzentwurf der Innenausschuss
Bundesregierung auf Drucksachen 17/1291 und 17/1457 Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni- Ausschuss für Gesundheit
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu- Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da-
gegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben die Kolle-
in zweiter Beratung angenommen. Zugestimmt haben ginnen und Kollegen Mechthild Heil, Dr. Johann
die Koalitionsfraktionen. Bündnis 90/Die Grünen waren Wadephul, Gabriele Hiller-Ohm, Miriam Gruß, Ulla
dagegen. SPD und Linke haben sich enthalten. Jelpke und Markus Kurth.1) Ich gehe davon aus, dass Sie
damit einverstanden sind. – Das ist der Fall.
Dritte Beratung
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
und Schlussabstimmung. Wer für den Gesetzentwurf wurfs auf Drucksache 17/1428 an die in der Tagesord-
stimmt, den bitte ich, sich von seinem Platz zu erheben. – nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
Wer ist dagegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Ge- dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
setzentwurf in dritter Beratung mit dem gleichen Stim- Dann ist die Überweisung so beschlossen.
menverhältnis wie zuvor angenommen.
(B) Ich rufe die Tagesordnungspunkte 17 a und 17 b auf: (D)
Wir setzen die Abstimmungen zu der Beschlussemp-
fehlung des Finanzausschusses auf Drucksache 17/2181 a) Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
fort. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b seiner eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der Änderung des Bundeswaldgesetzes
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/526 mit dem Titel – Drucksache 17/1220 –
„Maßnahmenbündel gegen Spekulationen auf den Fi-
nanzmärkten und ungerechtfertigte Banker-Boni“. Wer Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim- ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist cherschutz (10. Ausschuss)
bei Zustimmung der Koalitionsfraktionen angenommen.
– Drucksache 17/2184 –
Die SPD-Fraktion war dagegen. Die Fraktionen von
Bündnis 90/Die Grünen und die Linke haben sich ent- Berichterstattung:
halten. Abgeordnete Alois Gerig
Petra Crone
Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ab-
Dr. Christel Happach-Kasan
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-
Dr. Kirsten Tackmann
sache 17/452 mit dem Titel „Dem Vorbild Großbritan-
Cornelia Behm
niens und Frankreichs folgen – Boni-Steuer für die Fi-
nanzbranche einführen“. Wer stimmt für diese Be- b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Zuge- schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss)
stimmt haben CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grü-
nen. Dagegen gestimmt hat die Fraktion Die Linke. Die – zu dem Antrag der Abgeordneten Petra Crone,
SPD hat sich enthalten. Dirk Becker, Gerd Bollmann, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion der SPD
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter
Buchstabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung Bundeswaldgesetz nachhaltig gestalten –
des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Schutz und Pflege des Ökosystems für heu-
Drucksache 17/794 mit dem Titel „Gehaltsexzesse nicht tige und künftige Generationen
länger auf Kosten der Allgemeinheit“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent- 1) Anlage 9
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5089
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
(A) – zu dem Antrag der Abgeordneten Cornelia gegen? – Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf (C)
Behm, Undine Kurth (Quedlinburg), Ulrike in dritter Beratung mit dem gleichen Stimmenverhältnis
Höfken, weiterer Abgeordneter und der Frak- wie zuvor angenommen.
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Tagesordnungspunkt 17 b: Wir setzen die Abstim-
Das Bundeswaldgesetz novellieren und öko- mung zu der Beschlussempfehlung des Ausschusses für
logische Mindeststandards für die Waldbe- Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz auf
wirtschaftung einführen Drucksache 17/2184 fort. Der Ausschuss empfiehlt un-
ter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung die Ab-
– zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Kirsten lehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Druck-
Tackmann, Dr. Gesine Lötzsch, Dr. Dietmar sache 17/1050 mit dem Titel „Bundeswaldgesetz
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Frak- nachhaltig gestalten – Schutz und Pflege des Ökosys-
tion DIE LINKE tems für heutige und künftige Generationen“. Wer
Bundeswaldgesetz ändern – Naturnahe stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstim-
Waldbewirtschaftung fördern men? – Enthaltungen? – Damit ist die Beschlussempfeh-
lung bei Zustimmung durch die Koalition angenommen.
– zu der Unterrichtung durch die Bundesregie- Dagegen hat die Opposition gestimmt.
rung
Unter Buchstabe c empfiehlt der Ausschuss die Ableh-
Waldbericht der Bundesregierung 2009 nung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 17/1586 mit dem Titel „Das Bundeswald-
– Drucksachen 17/1050, 17/1586, 17/1743, gesetz novellieren und ökologische Mindeststandards für
16/13350, 17/2184 – die Waldbewirtschaftung einführen“. Wer stimmt für
Berichterstattung: diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-
Abgeordnete Alois Gerig haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist angenom-
Petra Crone men. Dafür gestimmt haben CDU/CSU und FDP. Bünd-
Dr. Christel Happach-Kasan nis 90/Die Grünen und Linke waren dagegen. Enthalten
Dr. Kirsten Tackmann hat sich die Fraktion der SPD.
Cornelia Behm Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buch-
Der Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und stabe d seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des
Verbraucherschutz hat in seiner Beschlussempfehlung Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/1743
den Waldbericht der Bundesregierung 2009 auf mit dem Titel „Bundeswaldgesetz ändern – Naturnahe
Waldbewirtschaftung fördern“. Wer stimmt für die Be-
(B) Drucksache 16/13350 mit einbezogen. Über diese Vor- schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal- (D)
lage soll jetzt ebenfalls abschließend beraten werden. –
tungen? – Damit ist die Beschlussempfehlung angenom-
Ich sehe, dass Sie damit einverstanden sind. Dann ist das
men. Zugestimmt haben CDU/CSU und FDP. Dagegen
so beschlossen.
gestimmt haben die Fraktion Die Linke und Bündnis 90/
Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben die Kolle- Die Grünen. Die SPD hat sich enthalten.
ginnen und Kollegen Alois Gerig, Petra Crone, Ich rufe Tagesordnungspunkt 18 auf:
Dr. Christel Happach-Kasan, Alexander Süßmair und
Cornelia Behm.1) – Damit sind Sie ebenfalls einverstan- Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio-
den. nen der CDU/CSU und der FDP eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Vermeidung kurz-
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den vom fristiger Marktengpässe bei flüssiger Biomasse
Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Bundeswaldgesetzes. Der Ausschuss für – Drucksache 17/1750 –
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz emp- Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
fiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung auf ses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
Drucksache 17/2184, in Kenntnis des Waldberichts 2009 heit (16. Ausschuss)
auf Drucksache 16/13350 den Gesetzentwurf des Bun-
desrates auf Drucksache 17/1220 in der Ausschussfas- – Drucksache 17/2182 –
sung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz- Berichterstattung:
entwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen, um Abgeordnete Dr. Maria Flachsbarth
das Handzeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltun- Dirk Becker
gen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Beratung Michael Kauch
angenommen. Zugestimmt haben die Koalitionsfraktio- Eva Bulling-Schröter
nen. Dagegen gestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen Hans-Josef Fell
und die SPD-Fraktion. Die Linke hat sich enthalten.
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag von Bünd-
Dritte Beratung nis 90/Die Grünen vor.
und Schlussabstimmung. Diejenigen erheben sich bitte, Hier haben ihre Reden, wie in der Tagesordnung aus-
die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen. – Wer ist da- gewiesen, zu Protokoll gegeben: Dr. Maria Flachsbarth,
Josef Göppel, Dirk Becker, Michael Kauch, Eva
1) Anlage 10 Bulling-Schröter und Hans-Josef Fell.
5090 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) Dr. Maria Flachsbarth (CDU/CSU): Durch den vorliegenden Gesetzentwurf wird daher (C)
Biomasse ist als nachwachsender Rohstoff einer der die Nachweispflicht vom 1. Juli 2010 auf den 1. Januar
wichtigsten und vielseitigsten regenerativen Energieträ- 2011 verschoben. Durch diese Verschiebung des
ger in Deutschland. Er ist zum Erreichen der ehrgeizi- „Scharfstellens“ der Nachhaltigkeitsverordnung wird
gen Klimaschutzziele der Bundesregierung unverzicht- verhindert, dass kurzfristig nicht genügend flüssige Bio-
bar. masse auf dem deutschen Markt verfügbar ist und da-
durch den Betreibern solcher EEG-Anlagen, meistens
Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko führt wieder
kleine und mittlere Unternehmen, ein wirtschaftlicher
einmal anschaulich vor Augen, wie wichtig es ist, die
Schaden droht. Ein unter Umständen existenzbedrohen-
Abhängigkeit vom Erdöl zu verringern. Da diese Abhän-
der wirtschaftlicher Totalschaden ist aufgrund des Aus-
gigkeit beispielsweise im Verkehr besonders hoch ist,
schließlichkeitsprinzips des EEG möglich. Diese Rege-
muss hier übergangsweise Ersatz durch Biokraftstoffe
lung besagt, dass schon ein einmaliger Verstoß gegen
und in Zukunft durch Elektroautos geschaffen werden.
die Regeln des EEG den endgültigen Verlust des Bonus
Doch beim Einsatz von Biomasse zur Energieerzeugung
muss die ökologische Sinnhaftigkeit und ethische Ver- für nachwachsende Rohstoffe, Nawaro-Bonus, für den
tretbarkeit gewährleistet sein. Die Ökobilanz für Anbau, Anlagenbetreiber nach sich zieht.
Ernte und Transport ist daher kritisch zu hinterfragen; Wir zerstören das Vertrauen in die Verlässlichkeit der
der Erhalt wertvoller Naturräume und zumindest die Politik, wenn der Gesetzgeber Anforderungen an den
Einhaltung internationaler Mindestarbeitsbedingungen Anlagenbetreiber stellt, die aufgrund von ihm nicht zu
sind zu gewährleisten. vertretender Umstände objektiv nicht erfüllbar sind. Mit
Deshalb muss nach geltender Rechtslage ab dem der Verschiebung des Scharfstellens der Regelung er-
1. Juli 2010 für die EEG-Vergütung nachgewiesen wer- möglichen wir den Anlagenbetreibern, unseren Anforde-
den, dass flüssige Biomasse, wie zum Beispiel Palmöl, rungen auch nachkommen zu können.
nachhaltig hergestellt worden ist und nicht etwa Regen-
waldflächen für seine Produktion zerstört wurden. Die Zeit bis zum Ende des Jahres muss nun dazu ge-
nutzt werden, den Aufbau wirksamer Zertifizierungs-
Um die erforderliche Zeit für den Aufbau von Zertifi- strukturen sicherzustellen. So kann Deutschland seiner
zierungsstrukturen zu gewährleisten, sieht die geltende europaweiten Vorrangstellung beim Einsatz nachwach-
Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung eine Über- sender Rohstoffe im Energiesektor weiter gerecht wer-
gangsregelung vor, mit der die nachhaltige Herstellung den.
nicht bei flüssiger Biomasse nachgewiesen werden
muss, die bis zum 30. Juni 2010 zur Stromerzeugung ein-
(B) gesetzt wird. Dieser Nachweis ist mithilfe privatwirt- Josef Göppel (CDU/CSU): (D)
schaftlich organisierter Zertifizierungsstrukturen zu er- Marktengpass für Bioöle zur Verstromung in Block-
bringen. heizkraftwerken. Euphorie verspüre ich bei der Ver-
schiebung des „Scharfstellens“ der Nachhaltigkeitsord-
Diese Übergangsregelung erweist sich nun aufgrund
nung nicht. Es hat sich aber in der Praxis gezeigt, dass
des umfassenderen Zeitbedarfs für den Aufbau von Zer-
die Zertifizierungsstellen für nachhaltiges Pflanzenöl
tifizierungsstrukturen allerdings als nicht ausreichend.
nicht schnell genug aufgebaut werden konnten, um die
Ohne eine Verschiebung dieses Stichtages sind Markt-
Versorgung der bestehenden Pflanzenöl-Blockheizkraft-
engpässe zu befürchten, die vor allem bestehende kleine
und mittelständische EEG-Anlagen stark treffen würden, werke zu sichern. Das hat auch die gestrige Expertenan-
die in der Regel mehrmonatige Vertrags- und Lieferzei- hörung bestätigt. Besonders kleine Pflanzenölmühlen in
ten benötigen. Für den Bereich der Biokraftstoffe hat die Deutschland brauchen mehr Zeit für die aufwendige
Bundesregierung durch Kabinettsbeschluss am 2. Juni Zertifizierung. Für diese Unternehmen sind die Block-
2010 die Biokraftstoff-Nachhaltigkeitsverordnung geän- heizkraftwerke der wichtigste Absatzmarkt. Wir können
dert und damit für den Verkehrssektor das „Scharfstel- ihnen nicht die wirtschaftliche Grundlage entziehen.
len“ der Verordnung ebenfalls auf den 1. Januar 2011 Insbesondere die Treibhausgasbilanzierung über die
verschoben. gesamte Wertschöpfungskette erweist sich als echte He-
Die Anhörung im Ausschuss zur Biomassestrom- rausforderung. Für mich geht hier Gründlichkeit vor
Nachhaltigkeitsverordnung hat gezeigt, dass insbeson- Schnelligkeit. Ein wesentliches Element einer sauberen
dere nicht genügend Mengen zertifizierter Biomasse Bilanzierung ist nämlich, die Vorgeschichte jeder
vorhanden sind, die auch den Nachweis der Reduzie- Anbaufläche zu klären. Wenn für eine Palmölplantage
rung von Treibhausgasen erfüllen. Das genau verlangt Regenwald gerodet oder für ein Sojafeld Moore trocken-
aber die deutsche Biomassestrom-Nachhaltigkeitsver- gelegt wurden, sind dort angebaute Pflanzenöle nicht
ordnung. Deshalb lehnt die Union den Entschließungs- nur ein Schlag gegen die Artenvielfalt, sondern echte
antrag von Bündnis 90/Die Grünen vom 17. Juni 2010 Klimakiller. Durch Landnutzungsänderungen wird über
ab. Die Zahl der bisherigen Anerkennungen ist nicht Jahre hinweg im Bodenhumus gespeicherter Kohlenstoff
hoch genug, um die gesamte für eine Vergütung nach abgebaut und in die Atmosphäre abgegeben. Dies gilt im
EEG erforderliche flüssige Biomasse zu zertifizieren. Übrigen auch für den Grünlandumbruch in der heimi-
Von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernäh- schen Landwirtschaft. Die gesamte Treibhausgasbilanz
rung, BLE, wurden bis jetzt vorläufig zwei Zertifizie- der Pflanzentreibstoffe ist in diesen Fällen sogar
rungssysteme und elf Zertifizierungsstellen anerkannt. schlechter als bei Treibstoffen auf Erdölbasis.

Zu Protokoll gegebene Reden


Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5091
Josef Göppel
(A) Deshalb haben wir die Nachhaltigkeitsverordnung im Bundesregierung wird und durch die voranschreitende, (C)
vergangenen Jahr verabschiedet. Die Sanktionen bei ei- nicht nachhaltige Palmölgewinnung weiterhin Regen-
ner Verletzung sind hart. Im EEG ist festgelegt, dass der wälder zerstört und die Bestände bedrohter Tierarten
Betreiber eines Pflanzenöl-Blockheizkraftwerks auf dezimiert werden.
Dauer den Anspruch auf die EEG-Vergütung verliert,
wenn er nichtnachhaltige Pflanzenöle einsetzt. Die An- Die SPD-Bundestagsfraktion fordert daher, die in der
lage steht damit vor dem sicheren wirtschaftlichen Aus. Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung genannte
Wenn nun aber noch nicht genügend zertifiziertes Pflan- Frist vom 1. Juli 2010 einzuhalten. Aus diesem Grund
zenöl zur Verfügung steht, gebietet es der Vertrauens- wird sie dem Gesetzesentwurf in seiner vorliegenden
schutz für die Betreiber der Blockheizkraftwerke, dass Fassung nicht zustimmen.
wir diese Tatsache angemessen berücksichtigen. In der Die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen hat einen
Gesamtschau ist die Verschiebung um ein halbes Jahr Entschließungsantrag gestellt, indem eine Sonderstel-
deshalb gerechtfertigt. lung für die heimischen Pflanzenölmühlen gefordert
In gewisser Weise beweist diese Verknappung sogar, wird. Dieses Antrags wird sich die SPD-Fraktion enthal-
dass wir bei der Verwendung von Biomasse zur Energie- ten.
erzeugung eine wirksame Kontrollmöglichkeit für den Hocherstaunt nehme ich außerdem zur Kenntnis,
Klimaschutzbeitrag gefunden haben. dass, während die Regierungskoalition bei der Biomasse
Ich möchte an dieser Stelle aber auch darauf hinwei- Schreckensbilder an die Wand malt, sie den wahren
sen, dass wir damit noch nicht am Ende unserer Aufgabe Nachbesserungsbedarf im EEG nicht erkennt oder zu-
stehen. Bei der Verabschiedung der Nachhaltigkeitskri- mindest nicht anpackt: Wir benötigen dringend eine Än-
terien auf europäischer Ebene wurde eine Ausdehnung derung der Systemdienstleistungsverordnung, da sich
auf Pflanzölimporte in anderen Anwendungsbereichen die Frist für die Nachrüstung von bestehenden Wind-
bereits debattiert. Leider konnte sich dieser umfassende kraftanlagen als unzureichend erwiesen hat. Nach
Ansatz nicht durchsetzen. Noch immer aber werden aktuellem Recht erhalten nur diejenigen Betreiber von
weltweit etwa 90 Prozent der Palmölproduktion für Windkraftanlagen einen Bonus, deren Anlagen vor dem
Nahrungsmittel und 5 Prozent für Nichtnahrungszwecke 1. Januar 2011 Systemdienstleistungen zur Stützung des
wie Reinigungsmittel oder Kosmetika eingesetzt. Nur Stromnetzes bereitstellen können.
etwa 5 Prozent werden für Biokraftstoffe verwendet. Während die Bundesregierung plant, die Frist für
Eine rasche Einbeziehung dieser Bereiche ist für ei- Neuanlagen um ein Vierteljahr zu verlängern, gerät je-
nen wirksamen Regenwaldschutz also unerlässlich. Im doch das Potenzial von Altanlagen in Vergessenheit:
(B) energetischen Bereich haben wir nun den Beweis, dass Insgesamt bis zu 5 000 Altanlagen könnten für eine bes- (D)
der schlüssige Nachweis eines nachhaltigen Anbaus sere Netzintegration und -sicherheit umgerüstet wer-
möglich ist. Ich möchte deshalb zum Schluss meiner den – bisher ist dies lediglich bei rund 3 000 geschehen.
Rede an die Bundesregierung appellieren, auf europäi- Angesichts der wachsenden Herausforderungen an un-
scher Ebene einen neuen Anlauf für eine Ausdehnung sere Leitungsnetze können wir es uns keinesfalls erlau-
der Nachhaltigkeitskriterien auf Pflanzenölimporte in ben, auf eine Umrüstung der restlichen 2 000 Altanlagen
allen Anwendungsbereichen zu unternehmen. Das zu verzichten. Deshalb wollen wir den Zeitraum zur
schützt unser Klima und beseitigt nebenbei noch eine Nachrüstung von bestehenden Windkraftanlagen um ein
Wettbewerbsverzerrung zuungunsten unserer heimi- Jahr verlängern.
schen Landwirtschaft. Der Änderungsantrag der SPD-Bundestagsfraktion
beinhaltet daher neben der Rücknahme der Fristverlän-
Dirk Becker (SPD): gerung bei der Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverord-
Für eine Verschiebung der Frist zur Zertifizierung nung auch eine Änderung der Systemdienstleistungsver-
von nachhaltig produzierter Biomasse auf den 1. Januar ordnung. Damit ist sowohl dem Umweltschutz als auch
2010 gibt es keinen plausiblen Grund. Sowohl Zertifizie- der Netzsicherheit gedient.
rungssysteme als auch -stellen wurden eingerichtet und
sind funktionstüchtig. Zudem enthält die Biomasse- Michael Kauch (FDP):
strom-Nachhaltigkeitsverordnung dezidierte Übergangs-
regeln, die die Zertifizierung der Ernte von 2009 er- Die FDP-Bundestagsfraktion hat sich in der vergan-
leichtern sollen. Ausreichende Mengen an nachhaltig genen Wahlperiode sehr nachdrücklich dafür eingesetzt,
produziertem, bereits nach RSPO zertifiziertem Palmöl dass flüssige Biomasse, die in Deutschland energetisch
stehen zur Verfügung, wie die Vertreterin des WWF wäh- verwendet wird, ein Zertifizierungsverfahren durchlau-
rend der Expertenanhörung bestätigte. Das notwendige fen muss. Damit soll gewährleistet werden, dass bei der
ISCC-Zertifikat kann dem WWF zufolge binnen weniger Herstellung dieser Biomasse Nachhaltigkeitsstandards
Tage ausgestellt werden. eingehalten wurden. Der Grund hierfür ist, dass in der
Vergangenheit die Herstellung von flüssiger Biomasse
Ich kritisiere diese Verschiebetaktik auf das teilweise mit erheblichen Umweltzerstörungen, wie zum
Schärfste. Die Bundesregierung muss damit aufhören, Beispiel Brandrodung von Regenwäldern und Zerstö-
ihre Klientel auf Kosten von Umwelt- und Naturschutz rung der Artenvielfalt, einherging. Zudem soll ein Min-
zu bedienen. Ich hege schlimmste Befürchtungen, dass destmaß an Treibhausgaseinsparung abgesichert wer-
die Zertifizierungsfrist zu einem Verschiebebahnhof der den. Die Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung,

Zu Protokoll gegebene Reden


5092 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Michael Kauch
(A) deren „Scharfstellen“ mit dem vorliegenden Gesetzent- Die enorme Nachfrage nach Soja für Futtermittel hat (C)
wurf um ein halbes Jahr verschoben wird, soll sicher- in den vergangenen Jahrzehnten weite Landstriche Bra-
zustellen, dass flüssige Biomasse, die zur Stromerzeu- siliens in eine Wüste von Monokulturen verwandelt. In
gung eingesetzt wird, nur unter Beachtung verbindlicher Asien war es früher vor allem der große Bedarf der Le-
Nachhaltigkeitsstandards hergestellt wird. Damit wird bensmittelindustrie an Palmöl, der zu Abholzungen
eine Regelung geschaffen, die Klarheit darüber bringt, wertvollster Wälder führte. Das meiste davon wandert
wann Biomasse nach dem EEG vergütet werden soll. nach Europa und in die USA. Seit einigen Jahren kommt
nun noch die Nachfrage nach Soja- und Palmölen für
Zu dem Inhalt der Verordnung stehen wir nach wie Blockheizkraftwerke und nach Agrokraftstoffen hinzu.
vor. Allerdings müssen wir auch anerkennen, dass es bei Sie kommt zur katastrophalen Bilanz hinzu. Ich hab
dem Aufbau von Zertifizierungskapazitäten in Deutsch- nichts gegen BHKWs. Aber wir sollten zum Klimaschutz
land zu erheblichen Verzögerungen kam, die dazu füh- lieber ein großes Kohlekraftwerk abschalten als versu-
ren, dass die hier in Deutschland produzierte Biomasse chen, mit solchen Ölen die CO2-Bilanz zu schönen.
nur zum Teil zertifiziert werden kann. Die Folge ist ein
Lieferengpass, den die gesamte Wertschöpfungskette zu Es hat sich inzwischen herumgesprochen: Der Sog
spüren bekäme. Für die Betreiber von Blockheizkraft- nach Agrokraft- und Brennstoffen führt zu immer neuen
werken und für kleine Ölmühlen hätte die sofortige Zer- Plantagen. Direkt oder indirekt wird dafür fast immer
tifizierungspflicht gar existenzbedrohende Folgen. Dschungel vernichtet. Dann aber ist die schöne Klima-
bilanz im Eimer.
Der Vorwurf, der nun laut wird, dass die Betriebe nur
auf eine Verschiebung der Zertifizierungspflicht speku- Man müsste solch ein Kraftwerk mehr als 100 Jahre
liert hätten und sich daher auch nicht besonders ange- betreiben, damit das bei der Abholzung freiwerdende
strengt hätten, rechtzeitig zertifiziert zu werden, ist nicht Kohlendioxid ausgeglichen wird. Aber selbst dann
richtig. Das Zertifizierungssystem ISCC wurde erst im bleiben die anderen Folgen, und das für die Ewigkeit,
Januar dieses Jahres von der Bundesanstalt für Land- nämlich die Zerstörung der Lebensgrundlagen für die
wirtschaft und Ernährung zugelassen. Seit Juni gibt es Menschen, die in den Wäldern leben, und der unwieder-
mit REDcert das zweite System. Mit der Zulassung von bringliche Verlust an Tieren und Pflanzen. Die Orang-
Systemen sind allerdings natürlich noch keine Kapazitä- Utans sind nur ein Beispiel dafür. Weil es deswegen mas-
ten geschaffen. Bis Zertifizierungsstellen zugelassen und sive Proteste gab, sind EU und Bundesregierung auf den
Mitarbeiter geschult sind, vergeht naturgemäß Zeit. Trichter gekommen, Zertifizierungssysteme für die Nut-
zung von Biomasse einzuführen. Aber diese Systeme sind
Für die Verzögerungen beim Aufbau von Zertifizie- Augenwischerei. Ehrlich gesagt betrübt es mich, dass
rungskapazitäten tragen weder die Anlagenbetreiber, der WWF da aktiv mitmacht.
(B) die Biomasse verstromen, noch die Ölmühlen oder die (D)
Landwirte Schuld. Aber insbesondere die Anlagenbe- Das Hauptproblem ist doch Folgendes: Schalten wir
treiber würden hart getroffen, wenn wir den Termin für hier in Europa den Staubsauger auf eine höhere Stufe, so
die Zertifizierungspflicht nicht verschieben würden. Sie wird beispielsweise in Indonesien zusätzlich Palmöl ab-
würden nämlich ihre Förderung auf Dauer verlieren, gesaugt. Da können sie tausendmal zertifizieren. Das
wenn sie einmal nichtzertifizierte Biomasse verwenden. wird wohl nichts nützen. Dann werden eben alte Planta-
Dies würde das Aus für viele Anlagen bedeuten und gen für den neuen „grünen“ Export genutzt. Gleichzei-
wäre unverantwortlich. tig werden aber Flächen gerodet, um die alte Palmöl-
nachfrage der Nahrungsmittelindustrie zu bedienen.
Allerdings möchte ich auch betonen, dass dies die Das liegt doch auf der Hand, wenn man eins und eins zu-
letzte Verschiebung der Zertifizierungspflicht sein wird. sammen zählt. Das ist auch die Erfahrung der NGOs aus
Das Instrumentarium zur Zertifizierung von flüssiger den betroffenen Ländern.
Biomasse ist nun vorhanden. Die Zertifizierungspflicht
wird ab 1. Januar kommen. Andernfalls machen wir uns Darüber hinaus ist das Zertifizierungssystem in sei-
unglaubwürdig, was unser Ziel angeht, den Regenwald nen Details ein Witz. Großflächige Monokulturen etwa
und andere sensible Ökosysteme vor Raubbau zu schüt- sind in der Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung
zen. Hierauf sollten sich alle Akteure einstellen. nicht verboten. Das Treibhausgas-Minderungspotenzial
der Agro-Öle soll zunächst nur 35 Prozent gegenüber
mineralischen Kraftstoffen betragen. Wie der Nachweis
Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): dafür erbracht werden soll, ist völlig unklar.
Wir lehnen den Koalitionsentwurf ab; denn hier sol-
len Ausnahmen zu einem Zertifizierungssystem verlän- Vor allem aber gibt es keinerlei Sozialstandards. Das
gert werden, welches die Linke ohnehin nicht mitträgt. Verbot der Vertreibung oder anderer Verletzungen von
Menschenrechten ist nicht verankert, nicht einmal das
Es ist doch so. Schon längst übernutzen die Industrie- Recht auf Nahrung. Denken wir an den Tortillakrieg in
staaten die Umwelt. Das geht nur dadurch, dass auch Mexiko, also an die Debatte „Tank oder Teller“, so ist
Deutschland immer mehr Rohstoffe importiert, darunter das unverständlich. Zudem werden nach der deutschen
Rohstoffe, deren Gewinnung im globalen Süden zur Ab- Verordnung auch andere Zertifizierungssysteme aner-
holzung von Tropenwäldern führt oder zur Vertreibung kannt, etwa osteuropäische und von einigen im Schnell-
von Kleinbauern und indigenen Völkern. Die Importe verfahren zertifiziert. Mauscheleien und Zerstörung sind
der Pflanzenöle, um die es hier geht, sind beispielhaft also auf allen Ebenen vorprogrammiert. Darum wird die
dafür. Bei Agrokraftstoffen läuft es nicht anders. Linke bei diesem System nicht mitmachen.

Zu Protokoll gegebene Reden


Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5093

(A) Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die heimische Pflanzenölerzeugung, die meist sehr (C)
Der weitere Ausbau der Nutzung von Bioenergien ist nachhaltig organisiert ist, wurde durch die von der Gro-
erforderlich, um den ökonomischen Problemen der Res- ßen Koalition beschlossene, verfehlte Besteuerung der
sourcenverknappung, der zunehmenden Erderwärmung reinen Biokraftstoffe bereits stark gebeutelt. Es muss
und der Verarmung weiter Bevölkerungsschichten ent- verhindert werden, sie auch noch mit hohen Bürokratie-
gegenwirken zu können. lasten direkt in den Ruin zu schicken.

Wir sehen aber leider eine zunehmend negative Ent- Kein Verständnis haben wir Grünen für die schwarz-
wicklung wie Urwaldabholzung, intensive Monokultu- gelbe Ablehnung des Änderungsantrags der SPD, auch
ren und Sozialdumping. Diese Entwicklung behindert den Stichtag für den Systemdienstleitungsbonus für die
die Chancen, die in einer nachhaltigen Nutzung und Er- Windkraftindustrie zu verschieben. Diese Verschiebung
zeugung von Bioenergien liegen. ist sinnvoll, damit noch viele alte Windkraftanlagen die
Chance bekommen, Nachrüstungen für eine bessere
Eine schnell realisierte, verlässliche und weltweite Netzintegration zu schaffen. Alle Fraktionen im Bundes-
Zertifizierung für die nachhaltige Erzeugung ist daher tag fordern zu Recht, dass die fluktuierenden Wind-
unerlässlich für die weitere Nutzung von Bioenergien. strommengen nach Möglichkeit auch einen Beitrag zur
Die Bundesregierung hat unnötig viel Zeit verstreichen Netzstabilität leisten. Die technologischen Möglichkei-
lassen, um klare Vorgaben für die Zertifizierung nach- ten dafür sind vorhanden und durch Nachrüstungen
haltig erzeugter Bioenergien festzulegen. Damit ist sie auch erfüllbar. Solche Nachrüstungen werden die Strom-
mitverantwortlich dafür, dass der Zertifizierungsprozess versorgung schneller von den großen Atomkraftwerken
nicht ausreichend fortgeschritten ist. und Kohleblöcken unabhängig machen. Die heutige Ab-
Der Markt für die Verstromung flüssiger Bioenergien lehnung des SPD-Antrags ist erneut Beleg dafür, dass
nach dem EEG zeigt ein differenziertes Bild. Für Palm- Schwarz-Gelb den eigenen Koalitionsvertrag nicht ernst
und Sojaöl stehen ausreichende Mengen an zertifizierter nimmt. Dort haben Sie festgelegt, dass die erneuerbaren
Produktion bereit. Beispielsweise sind 600 000 Tonnen Energien Zug um Zug die konventionellen ersetzen sol-
nach den Kriterien des RSPO bereits zertifiziert und len. In Wirklichkeit geht es Ihnen um den Bestandsschutz
könnten binnen weniger Tage auch das in Deutschland der konventionellen Stromerzeugung mit Laufzeitverlän-
anerkannte ISCC-Zertifikat erhalten, sofern die Krite- gerungen für Kernreaktoren und den Neubau von Kohle-
rien erfüllt werden. Die Kriterien des ISCC haben hö- kraftwerken. Wir Grünen stimmen deshalb dem SPD-
here und umfassendere Standards als RSPO und umfas- Antrag zu und kritisieren erneut die rückwärtsgewandte
sen auch soziale Aspekte. Eine wie im Gesetzentwurf der atomare und fossile Energiepolitik der schwarz-gelben
(B) Koalition vorgesehene Verschiebung des Inkrafttretens Koalition. (D)
der Biomassestrom-Nachhaltigkeitsverordnung für Palm-
und Sojaöl ist daher nicht notwendig und kontraproduk-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
tiv für die schnelle Realisierung von nachhaltiger Pro-
duktion. Wir kommen jetzt zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit empfiehlt in
Ganz anders ist die Situation im Bereich der heimi- seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2182,
schen dezentralen Pflanzenölmühlen. Von den bundes- den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und
weit etwa 300 Ölmühlen konnte erst eine zertifiziert wer- der FDP auf Drucksache 17/1750 anzunehmen. Ich bitte
den. Alle anderen können den dezentralen BHKWs kein diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen wollen,
zertifiziertes Pflanzenöl zur Verfügung stellen, obwohl um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Enthaltun-
ausreichend Pflanzenöl zur Verfügung stünde, das ei- gen? – Der Gesetzentwurf ist bei Zustimmung durch die
gentlich zertifiziert werden könnte. Da das Zertifikat Koalition angenommen. Dagegen haben SPD und Linke
aber nicht ausgestellt werden kann, könnten viele dezen- gestimmt. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat sich
trale BHKW-Betreiber grundlos in Konkurs gehen, da der Stimme enthalten.
sie ohne Zertifikat keinen EEG-Bonus für nachwach-
sende Rohstoffe erhalten würden. Hier macht in der Tat Dritte Beratung
die vorgesehene Verschiebung Sinn, löst aber nicht das
gesamte Problem. Zu Recht klagen die dezentralen Öl- und Schlussabstimmung. Wer für den Gesetzentwurf ist,
mühlen über kaum mehr verkraftbaren Bürokratieauf- der erhebe sich bitte. – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
wand und finanzielle Lasten. Wir fordern mit unserem Der Gesetzentwurf ist in dritter Beratung mit dem glei-
Entschließungsantrag die Bundesregierung daher auf, chen Stimmenverhältnis wie zuvor angenommen.
für die heimischen Ölmühlen eine Übergangsregelung in
Verbindung mit einem Förderprogramm zu schaffen, Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über den
welche die betroffenen Unternehmen beim Vollzug der Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
Zertifizierung unterstützt. Zudem fordern wir, dass der nen auf Drucksache 17/2209. Wer stimmt für den Ent-
Bürokratieaufwand in akzeptablem Rahmen gehalten schließungsantrag? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
wird. Der Entschließungsantrag ist abgelehnt. Zugestimmt hat
die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Dagegen haben die
Um das Überleben der dezentralen Pflanzenölerzeu- Koalitionsfraktionen gestimmt. Enthalten haben sich
gung zu sichern, sind beide Maßnahmen unverzichtbar. SPD und Linke.
5094 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 a bis c auf: Dr. Erik Schweickert (C)
Alexander Süßmair
a) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD und
Ulrike Höfken
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Nach einer interfraktionellen Verabredung ist vorge-
Todesstrafe weltweit abschaffen sehen, hierzu eine halbe Stunde zu debattieren. – Dazu
– Drucksache 17/2114 – sehe und höre ich keinen Widerspruch. Ihre Reden zu
Überweisungsvorschlag: Protokoll gegeben haben die Kollegen Norbert
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) Schindler und Gustav Herzog.2)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Jetzt gebe ich dem Kollegen Dr. Erik Schweickert das
Wort.
b) Beratung des Antrags der Fraktion der SPD
(Beifall bei der FDP)
Folter bekämpfen und Folteropfer unterstüt-
zen
Dr. Erik Schweickert (FDP):
– Drucksache 17/2115 – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Überweisungsvorschlag: Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor sich vielleicht
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) der eine oder andere von Ihnen heute Abend das Objekt
Auswärtiger Ausschuss des Beschlusses zu Gemüte führt, müssen wir noch
Innenausschuss arbeiten, schließlich auch ein Gesetz verabschieden. Von
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend daher müssen wir uns noch ein paar Minuten gedulden.
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union Für die Zuschauer: Es ist so, dass hier fraktionsübergrei-
fend zu einem großen Teil Einigkeit besteht. Deswegen
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Annette ist es nicht verwunderlich, dass ich als Einziger rede.
Groth, Katrin Werner, Jan van Aken, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE In der Weinwirtschaft befinden wir uns in einem sehr
stark regulierten Bereich. Der Staat schreibt vor, auf wel-
Abschaffung der Todesstrafe weltweit cher Fläche der Winzer welche Rebsorte anbauen darf.
– Drucksache 17/2131 – Er sagt ihm, wie viel er ernten darf und wie viel davon
Überweisungsvorschlag: zur Vermarktung freigegeben ist, um ihm dann zu sagen,
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f) wie ein Wein zu schmecken hat und welche Regelungen
Auswärtiger Ausschuss er bei der Bezeichnung beachten muss. Freie Entfal-
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union tungsmöglichkeiten sehen für mich etwas anders aus. (D)
(B)
Interfraktionell ist vorgeschlagen, die Reden zu Pro- Für mich als Liberalen sind das eindeutig zu viele Staats-
tokoll zu geben. – Damit sind Sie wiederum einverstan- eingriffe.
den. Ihre Reden zu Protokoll gegeben haben Frank (Beifall bei der FDP – Lothar Binding [Heidel-
Heinrich, Angelika Graf (Rosenheim), Marina Schuster, berg] [SPD]: Aber wir haben doch guten
Annette Groth und Volker Beck (Köln).1) Wein!)
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf – Zum guten Wein kommen wir gleich.
Drucksachen 17/2114, 17/2115 und 17/2131 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Aus dieser Situation heraus sind trotz guten Weines,
gen. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so be- Herr Kollege, Winzer auf die Idee gekommen, die Hek-
schlossen. tarhöchstertragsregelungen zu umgehen. Es wurden
Gesetzeslücken genutzt. Von daher war es an uns, die
Wir kommen zu Tagesordnungspunkt 20: wir die Regelungszuständigkeit haben, nachzubessern.
Zweite und dritte Beratung des von den Fraktio- Wir korrigieren mit dem Gesetz die Fehlentwicklungen
nen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/ und sorgen dafür, dass nicht von schlitzohrigen Winzern
DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Geschäftsmodelle entwickelt werden, mit denen Geset-
Sechsten Gesetzes zur Änderung des Weinge- zeslücken ausgenutzt werden. Die Wettbewerbsverzer-
setzes rung beheben wir. Das ist aber nur ein erster Schritt. In
einem zweiten Schritt müssen wir auch noch an die Um-
– Drucksache 17/1749 – rechnungsfaktoren wie den Umrechnungsfaktor von
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- Most zu Wein oder auch von Traube zu Wein herange-
ses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- hen. Wir dürfen nicht vergessen: Hier hat der technische
cherschutz (10. Ausschuss) Fortschritt Einzug gehalten. Heute ist mit einem Trau-
benvollernter entrapptes Lesegut Grundlage des Wie-
– Drucksache 17/2108 – gens. Von daher sind höhere Faktoren einschlägig.
Berichterstattung: Wenn Sie es durchrechnen, dann kommen Sie zu dem
Abgeordnete Alois Gerig Ergebnis, dass man bei der Weinherstellung durch Flota-
Gustav Herzog tion oder Sedimentation 2 bis 3 Prozent Mosttrub hat.

1) Anlage 11 2) Anlage 12
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5095
Dr. Erik Schweickert
(A) Bei der Gärung verliert man noch einmal 2 Prozent. Stellenwert genießt. Ich hoffe, dass es sich um einen (C)
Dann muss man das Ganze schönen. Das ergibt einen deutschen Wein handelt, der zu diesen Veranstaltungen
Verlust von noch einmal 1 bis 2 Prozent. Wenn Sie das gereicht wird.
zusammenrechnen, dann kommen Sie zu dem Ergebnis:
In diesem Sinne wünsche ich uns allen, dass wir die
Aus 100 Litern Most entstehen 94 Liter Wein. Die meis-
richtigen Entscheidungen treffen, damit die Branche
ten Fassweine werden angereichert, sind QbA-Qualitä-
dann auch sagen kann: Zum Wohl! Das Parlament hat
ten. Dabei kommen noch einmal 1 bis 2 Prozent heraus.
gute Entscheidungen für uns getroffen, sodass wir auch
Wenn es ein RTK, ein rektifiziertes Traubenmostkonzen-
in Zukunft wettbewerbsfähig sind.
trat, ist, ist es etwas höher. So kommt man auf
97 Prozent. Deswegen ändern wir mit dieser Novelle des Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Weingesetzes auch gleich die Umrechnungsfaktoren.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie
(Beifall bei der FDP – Hans-Michael Goldmann bei Abgeordneten der SPD)
[FDP]: Alles klar, Herr Professor!)
– Das ist das, was wir beschließen. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Aber wir beschließen eigentlich noch viel mehr. Das Zu Protokoll gegeben haben ihre Reden außerdem
der Kollege Alexander Süßmair und die Kollegin Ulrike
ist untergegangen. Es ist aber für die Branche wichtig,
Höfken.1)
hier ein Zeichen zu setzen. Als wir uns die Hektarerträge
angeschaut haben, ist den Juristen aus dem Bundes- Damit schließe ich die Aussprache.
ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz, aber auch aus dem Justizministerium aufge- Wir kommen zur Abstimmung über den von den
fallen, dass wir in der Weingesetzgebung unverhältnis- Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die
mäßig hohe Strafen haben. Wenn sich ein Winzer ver- Grünen eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Ände-
rechnet, kann er dafür – das steht im Gesetz – mit bis zu rung des Weingesetzes. Der Ausschuss für Ernährung,
drei Jahren Freiheitsentzug bestraft werden. Das gibt es Landwirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in sei-
in keinem anderen Bereich. Wenn sich jemand bei der ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2108, den
Milchquote verrechnet, ist das eine Ordnungswidrigkeit. Gesetzentwurf auf Drucksache 17/1749 in der Aus-
Deswegen war es folgerichtig, dass wir uns entschlossen schussfassung anzunehmen. Diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf in der Ausschussfassung zustimmen wollen,
haben, an diese Regelung heranzugehen. Wir kommen
bitte ich um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
hier zu einer Gesetzesentschärfung, weil nur dann, wenn
haltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf in zweiter Be-
eine Gesundheitsgefährdung vorliegt, solche Strafen ver-
ratung bei Zustimmung durch die Koalitionsfraktionen
(B) hängt werden sollten. Ich habe meinen Studenten immer und die SPD angenommen. Es gab keine Gegenstimmen. (D)
gesagt: Wenn ihr in der Weinwirtschaft tätig seid, dann Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten.
steht ihr aufgrund dieser Regelung immer mit einem
Bein im Kittchen. – Jetzt sorgen wir dafür, dass die Ver- Dritte Beratung
hältnismäßigkeit der Mittel wieder gewahrt wird und
dass wir zu einem im Lebensmittelbereich üblichen und Schlussabstimmung. Diejenigen, die zustimmen
Strafmaß kommen. wollen, mögen sich bitte erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Damit ist der Gesetzentwurf mit dem
(Beifall bei der FDP) gleichen Stimmenverhältnis wie vorher angenommen.
Wir haben die Strafen nur da angepasst, wo es um den Ich komme zu Tagesordnungspunkt 21:
Hektarertrag, um die Auspressquote geht. Es hat sich
aber gezeigt, dass hier noch viele Sachen im Argen lie- Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
gen. Von daher ist es sicherlich nicht das letzte Mal, dass richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
wir über das Weingesetz diskutieren. und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss)

Jetzt möchte ich zu Ihrer Frage kommen: Warum tun – zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver
wir das? Wir haben es hier mit einem regulierten Bereich Kaczmarek, Dirk Becker, Marco Bülow, weite-
zu tun. Dazu müssen wir wissen, dass nur 40 Prozent der rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
in Deutschland getrunkenen Weine aus Deutschland Hochwasserschutz europäisch und ökolo-
kommen. 60 Prozent werden importiert. Gerade einmal gisch nachhaltig umsetzen – Für ein inte-
20 Prozent werden beim Winzer gekauft. Allein der Dis- griertes Hochwasserschutzkonzept
count, also Aldi, Lidl und Norma, setzt 44 Prozent des
deutschen Weins ab. Da können Sie sich vorstellen, in – zu dem Antrag der Abgeordneten Oliver
welchem Wettbewerb ein hiesiger Winzer steht. Da gibt Kaczmarek, Dirk Becker, Marco Bülow, weite-
es Regale mit 100 Weinen zur Auswahl. In dem Wettbe- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
werb muss er sich behaupten können. Es liegt an uns als
Parlament, als Gesetzgeber, der Branche die Möglichkeit Naturnahen Wasserhaushalt durch Schutz
zu eröffnen, auch im internationalen Wettbewerb zu be- und Renaturierung von Nass- und Feuchtge-
stehen. Von daher bin ich mir sicher, dass das Thema bieten fördern – Hochwassergefahren min-
Wein nicht nur bezüglich der Gesetzgebung, sondern dern, Klima schützen
auch bezüglich dessen, was an dem einen oder anderen
parlamentarischen Abend getrunken wird, den richtigen 1) Anlage 12
5096 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) – zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus- (C)
Maisch, Undine Kurth (Quedlinburg), ses für Arbeit und Soziales (11. Ausschuss)
Dorothea Steiner, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 17/2169 –

Auenschutzprogramm vorlegen Berichterstattung:


Abgeordneter Max Straubinger
– Drucksachen 17/1974, 17/1748, 17/1760,
17/ 2176 – Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktionen der
CDU/CSU und der FDP vor.
Berichterstattung:
Abgeordnete Ingbert Liebing Zu Protokoll genommen wurden die Reden von
Oliver Kaczmarek Peter Wichtel, Max Straubinger, Anette Kramme,
Horst Meierhofer Johannes Vogel (Lüdenscheid), Matthias W. Birkwald
Eva Bulling-Schröter und Markus Kurth.
Dorothea Steiner
Zu diesem Punkt haben ihre Reden zu Protokoll ge- Peter Wichtel (CDU/CSU):
geben: Ingbert Liebing, Josef Göppel, Oliver Die soziale Sicherung der Menschen und deren Ver-
Kaczmarek, Horst Meierhofer, Sabine Stüber und Nicole trauen in den Sozialstaat ist und bleibt eines der zentra-
Maisch.1) len Vorhaben der Bundesregierung. Die seit Beginn der
Legislaturperiode gesetzlich verankerten arbeitsmarkt-
Wir kommen zur Abstimmung.
und sozialpolitischen Instrumente und insbesondere der
Der Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- weiter anhaltende positive Trend auf dem Arbeitsmarkt
sicherheit empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschluss- verdeutlichen, dass das Engagement der Regierung auf
empfehlung auf Drucksache 17/2176 die Ablehnung des diesem Gebiet ebenso nachhaltig wie erfolgreich ist. Vor
Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/1974 diesem Hintergrund ist es überaus erfreulich, dass mit
mit dem Titel „Hochwasserschutz europäisch und ökolo- dem heute vorliegenden Antrag ein weiterer Schritt ge-
gisch nachhaltig umsetzen – Für ein integriertes Hoch- tan wird, um unser Modell der sozialen Sicherung deut-
wasserschutzkonzept“. Wer stimmt für diese Beschluss- lich zu stärken. Mit dem Entwurf eines Dritten Gesetzes
empfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch kom-
Damit ist die Beschlussempfehlung angenommen. Zuge- men wir dem Änderungsbedarf nach, der sich in der So-
stimmt haben die Koalitionsfraktionen. Dagegen ge- zialgesetzgebung an mehreren Stellen ergeben hat. Ne-
(B) stimmt haben die Oppositionsfraktionen. ben zahlreichen redaktionellen Anpassungen gibt es (D)
dabei mehrere Punkte, die es gesondert hervorzuheben
Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab- lohnt.
lehnung des Antrags der Fraktion der SPD auf Drucksa-
che 17/1748 mit dem Titel „Naturnahen Wasserhaushalt Wie bereits in der ersten Lesung vor wenigen Wochen
durch Schutz und Renaturierung von Nass- und Feucht- verdeutlicht, ermöglicht der Gesetzentwurf die Teilhabe
gebieten fördern – Hochwassergefahren mindern, Klima des Deutschen Gewerkschaftsbundes am elektronischen
schützen“. Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Entgeltnachweisverfahren ELENA. War bisher bei der
Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussemp- Meldepflicht im Rahmen der Sozialversicherung neben
fehlung ist angenommen. Zugestimmt haben die Koali- diversen Akteuren auch die Bundesvereinigung der
tionsfraktionen. Dagegen gestimmt hat die SPD. Enthal- Deutschen Arbeitgeberverbände involviert, so ist es
ten haben sich Bündnis 90/Die Grünen und die Linke. durchaus sachgemäß und angebracht, zukünftig auch
Schließlich empfiehlt der Ausschuss unter Buchstabe c den DGB einzubeziehen. Das von der Bundesregierung
seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags vorgesehene Anhörungsrecht zur Genehmigung der ge-
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache meinsamen Grundsätze im ELENA-Verfahren soll so-
17/1760 mit dem Titel „Auenschutzprogramm vorle- wohl auf den Vertreter der Arbeitgeber als auch auf den
gen“. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – der Arbeitnehmer erstreckt sein.
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Zugestimmt hat
Auch auf dem Feld der gesetzlichen Unfallversiche-
die Koalition. Dagegen gestimmt hat die Opposition. Die
rung sieht der Entwurf mehrere Änderungen vor. Zu-
Beschlussempfehlung ist somit angenommen.
nächst sollen die Unfallversicherungsträger nach In-
Tagesordnungspunkt 22: krafttreten des Gesetzes verpflichtet sein, eine Regelung
zur Verletztengeldberechnung bei nicht kontinuierlicher
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre- Arbeitsverrichtung in ihre Satzungen aufzunehmen.
gierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Dieser Ansatz ist zwar nicht neu, war aber bisher nur
Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches So- optional und somit nicht verpflichtend. Als ebenso obli-
zialgesetzbuch und anderer Gesetze gatorisch soll zukünftig die Berücksichtigung von Ar-
beitseinkommen aus selbstständiger Tätigkeit verankert
– Drucksache 17/1684 – werden, sodass das Verletztengeld auch in atypischen
Fällen bei selbstständigen Tätigkeiten seine Funktion
1) Anlage 13 als Entgeltersatz erfüllen kann.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5097
Peter Wichtel
(A) Besonders zu betonen gilt es zudem die endgültige Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen. (C)
Umsetzung der Neuorganisation der gewerblichen Be- Mit der Erweiterung der freiwilligen Versicherung wird
rufsgenossenschaften, die im vorliegenden Gesetzent- einem Anliegen des Petitionsausschusses des Deutschen
wurf verankert ist. Nach dem im Oktober 2008 verab- Bundestages Rechnung getragen.
schiedeten Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz
konnte die beabsichtigte Straffung der Organisation Es werden für die Zahlung des erhöhten Übergangs-
durch eine Reduzierung der gewerblichen Berufsgenos- geldes von 75 vom Hundert neben Pflegekindern und
senschaften auf freiwilliger Basis nicht vollständig Kindern, die mit dem Übergangsgeldberechtigten im
erreicht werden. Die Umsetzung der im UVMG formu- ersten Grad verwandt sind, künftig bei der Bemessung
lierten Zielvorgabe, die Versicherungsträger durch frei- dieser Leistung auch Stiefkinder des Übergangsgeldbe-
willige Fusionen bis zum 31. Dezember des vergangenen rechtigten berücksichtigt. Mit der Gleichstellung von
Jahres auf neun zu reduzieren, wurde nicht vollständig Stiefkindern mit leiblichen Kindern bei der Bemessung
erreicht. So ist die logische Folge, dass es nun eine des Übergangsgeldes wird ebenfalls einem Wunsch des
Rechtsgrundlage zu verabschieden gilt, die – wie im Üb- Petitionsausschusses des Deutschen Bundestages ent-
rigen bereits im UVMG festgeschrieben – die Straffung sprochen.
der Organisation des Systems erfolgreich abschließt. Aussetzung der Kürzung von Krankengeld, Versor-
Wir haben mit Freude zur Kenntnis genommen, dass es gungskrankengeld, Verletztengeld und Übergangsgeld
in diesem Punkt einen parteiübergreifenden Konsens zu nach dem SGB IX. Die diesen Entgeltersatzleistungen
geben scheint. zugrunde liegende Berechnungsgrundlage wird norma-
Keine Einstimmigkeit herrscht dagegen zu unserem lerweise jeweils nach Ablauf eines Jahres seit dem Ende
Bedauern bei der vorgesehenen Frist der verbleibenden des Bemessungszeitraums entsprechend der Verände-
Fusionen. So sprechen sich einige der noch nicht fusio- rung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer
nierten Berufsgenossenschaften und auch die SPD- vom vorvergangenen zum vergangenen Kalenderjahr an
Fraktion in einem vorliegenden Änderungsantrag für die Entwicklung der Bruttoarbeitsentgelte angepasst.
eine zusätzliche Verlängerung der gesetzlichen Frist Der Änderungsantrag enthält eine Schutzklausel, mit
aus. Dabei ist ein Bedarf für einen weiteren Aufschub der eine Minderung der genannten Entgeltersatzleistun-
nicht erkennbar. Wir sind davon überzeugt, dass die Fu- gen für den Fall einer negativen Lohnentwicklung aus-
sionshindernisse nicht im zeitlichen Bereich zu suchen geschlossen wird.
sind. Es ist daher ebenso notwendig wie zielführend, den Schließlich ist eine Verschiebung des Inkrafttretens
Fusionsprozess mit der Beibehaltung der geplanten der Regelung über die Weiterleitungsstellen um ein Jahr
Frist weiter voranzutreiben. auf 2012 vorgesehen, also die Einrichtungen, an die Ar-
(B)
Eine Verabschiedung des Dritten Gesetzes zur Ände- beitgeber auf Antrag die Meldungen zur Sozialversiche- (D)
rung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer rung, Beitragsnachweise und sämtliche Zahlungen ein-
Gesetze wird nicht nur unnötige Bürokratiekosten ein- reichen können sollen. Das Inkrafttreten der Regelung
sparen und eine effektivere Gestaltung unseres Modells wurde um ein Jahr zeitlich aufgeschoben, um zunächst
der sozialen Sicherung ermöglichen. Wir werden insbe- weitere Erfahrungen in der Praxis zu sammeln und die
sondere das Vertrauen der Bevölkerung in das Sozial- Option für eine Weiterentwicklung des Gesamtkonzepts
system steigern und die soziale Sicherheit der Men- für den Beitragseinzug offenzuhalten.
schen weiter ausbauen können. Wir bitten Sie vor Von politischer Bedeutung ist insbesondere die Um-
diesem Hintergrund um Zustimmung zum vorliegenden setzung der Neuorganisation der gewerblichen Berufs-
Gesetzentwurf und somit zur Beteiligung an der verant- genossenschaften.
wortungsvollen Aufgabe, unsere Sozialgesetzgebung
den wirtschaftlichen Strukturen anzupassen. Das noch von der Großen Koalition beschlossene Ge-
setz zur Modernisierung der gesetzlichen Unfallversi-
Max Straubinger (CDU/CSU): cherung, UVMG, vom 30. Oktober 2008 sah vor, dass die
26 gewerblichen Berufsgenossenschaften bis zum 1. Ja-
Mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Vierten Bu-
nuar 2010 zu neun Trägern fusionieren sollen. Dieser
ches Sozialgesetzbuch werden zahlreiche technische Än-
freiwillige Fusionsprozess ist erfolgreich verlaufen. Al-
derungen sowie neue Rechtsprechung umgesetzt.
lerdings wurde die Zahl von neun Trägern nicht ganz er-
Aufgrund der Stellungnahme des Bundesrates und reicht, gegenwärtig existieren noch 13 Träger.
zahlreicher weiterer Anregungen, die im Laufe des Be-
ratungsverfahrens erfolgten, wurde ein Änderungsan- Die Reduzierung der Anzahl der Berufsgenossen-
trag eingebracht. Von besonderer Bedeutung sind fol- schaften beruht auf einem Beschluss der Mitglieder des
gende Änderungen: Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossen-
schaften vom 1. Dezember 2006. Um diesem Beschluss
Der bisherige Ausschluss von der Berechtigung zur Nachdruck zu verleihen, ist es daher sachgerecht, dass
freiwilligen Versicherung für versicherungsfreie und von – wie bereits mit dem UVMG angekündigt – eine gesetz-
der Versicherung befreite Personen wegen Nichterfül- liche Vorgabe erfolgt, welche Berufsgenossenschaften
lung der Mindestversicherungszeit von fünf Jahren wird zum 1. Januar 2011 zu gemeinsamen Trägern fusionieren
aufgegeben. Dadurch wird künftig auch zum Beispiel sollen. Der Bundesrat hatte zwar für eine Verlängerung
Beamten und Angehörigen von berufsständischen Ver- der Frist für die Fusion der Berufsgenossenschaften um
sorgungswerken die Möglichkeit eröffnet, freiwillige neun Monate auf den 1. Oktober 2011 plädiert. Es wird

Zu Protokoll gegebene Reden


5098 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Max Straubinger
(A) jedoch an den bisherigen Planungen zur Reduzierung sen. Während ursprünglich geplant war, die Weiterlei- (C)
der Unfallversicherungsträger und dem Fusionstermin tungsstellen komplett zu streichen, wird nunmehr – quasi
1. Januar 2011 festgehalten. Würden die Vorstellungen als Begräbnis zweiter Klasse – eine Verschiebung der
des Bundesrates Gesetz, könnten sich die Verhandlun- Einführung um ein Jahr mit der Begründung formuliert,
gen weitere neun Monate lang nutzlos hinziehen. Dieses dass das Konzept „weiterentwickelt“ werden solle. Hin-
Vorgehen macht keinen Sinn; denn es würde sich nichts tergrund ist eine Regelung, die auf Wunsch der Union in
am Verhandlungsfortschritt ändern. Die vermeintlichen das „Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetz-
Fusionshindernisse sind lange bekannt und werden lichen Krankenversicherung“ aufgenommen wurde.
nicht durch noch längere Verhandlungen ausgeräumt.
Es fehlt nicht an der Zeit, es fehlt am Willen zur Fusions- Demnach können Arbeitgeber ab dem 1. Januar 2011
entscheidung. für ihre Beschäftigten Beitragsnachweise, Meldungen
zur Sozialversicherung etc. an eine Weiterleitungsstelle
Sinn macht es vielmehr, jetzt an dem Termin 1. Januar ihrer Wahl richten. Wir als SPD-Bundestagsfraktion tei-
2011 für die Fusionen festzuhalten und auf diese Weise len zwar das Ziel, Arbeitgeber vom Verwaltungsaufwand
den Fusionsdruck aufrechtzuerhalten. Andernfalls würde zu entlasten. Ob Weiterleitungsstellen dafür der richtige
keine Einigung erzielt. Der Hauptverband der gewerbli- Weg sind, bezweifele ich jedoch. Schließlich unterschei-
chen Berufsgenossenschaften und die Deutsche gesetzli- den sich die Umlagesätze für Lohnfortzahlung im Krank-
che Unfallversicherung fordern die Verlässlichkeit für heitsfall, U1, und bei Mutterschaft, U2, bei den einzelnen
die mit dem UVMG getroffenen Entscheidungen ein. Krankenkassen. Arbeitnehmerbezogene Stammdaten
müssen deshalb auch weiterhin geführt werden. Einen
Liegen dem Bundesversicherungsamt am 1. Oktober Abbau von Verwaltungsaufwand kann ich da kaum er-
2010 keine übereinstimmenden Vereinigungsbeschlüsse kennen.
vor, vereinigt das Bundesversicherungsamt die Berufs-
genossenschaften zum 1. Januar 2011. Mit diesen klaren Diese Einschätzung teilt übrigens auch die Bundes-
Fristen wird der Verwaltungsvollzug durch die Auf- vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, mit
sichtsbehörde vereinfacht und beschleunigt. der wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten
nicht so häufig einer Meinung sind. Diese Einschätzung
Wir erwarten, dass die Selbstverwaltungen der be- teilen aber auch die Krankenkassen, die Rentenversi-
troffenen Berufsgenossenschaften die Fusionen fristge- cherung, die Unfallversicherung sowie der DGB. Alle
recht in eigener Verantwortung abschließen werden. Bei erachten die Einrichtung von Weiterleitungsstellen für
den derzeit noch laufenden Verhandlungen im Bereich überflüssig. Dass die Regierung hier nicht über ihren
Metall/Holz wird erwartet, dass ein Interessenausgleich Schatten springt und statt einer kompletten Streichung
erfolgt. nur eine Verschiebung um ein Jahr anstrebt, ist halbher-
(B) (D)
zig und ein klein wenig jämmerlich. Wir als SPD-Bun-
Anette Kramme (SPD): destagsfraktion fordern die Bundesregierung auf, dem
Mit einer in ihrer bisherigen Amtszeit unbekannten Votum des Bundesrates zu folgen und die ursprünglich
Liebe zum Detail formuliert die Regierung im dritten im Referentenentwurf vorgesehene vollständige Strei-
SGB-IV-Änderungsgesetz diverse Änderungen zu einer chung vorzunehmen.
Vielzahl sozialpolitischer Regelungen. Zu loben ist,
dass neben Anregungen vom Bundesrechnungshof, der Das dritte Thema im vorliegenden Gesetzentwurf ist
Sozialversicherungsträger und der Gewerkschaften natürlich die neue Formulierung des § 225 SGB VII, der
auch die in etlichen Bereichen inzwischen veränderte die Neuorganisation der gewerblichen Berufsgenossen-
Rechtsprechung berücksichtigt wird. Zu kritisieren ist, schaften regelt. Diese ist noch zu Zeiten der Großen Ko-
dass bei genauem Hinsehen erkennbar ist, dass in der alition im Oktober 2008 auf den Weg gebracht worden.
Menge der kleinteiligen Änderungen auch einige Ab- Ziel war es, dass die gewerblichen Unfallversicherungs-
sätze versteckt sind, die durchaus von politischer Bri- träger bis zum 1. Januar 2010 durch Fusionen die Zahl
sanz sind. von damals 26 auf neun Berufsgenossenschaften redu-
zieren. Durch die Reduzierung auf insgesamt nur noch
Nicht umsonst haben uns in den letzten Wochen so neun Träger sollten leistungsfähigere und ausgewoge-
viele Stellungnahmen von Verbänden und betroffenen nere Organisationen entstehen, die mit höherer Effizienz
Organisationen erreicht, die ihre skeptische Einschät- und hoffentlich auch einigen Einsparungen bei den Ver-
zung kundtaten. Zum einen ging es da um den Daten- waltungskosten agieren können. Dass solche Fusionen
schutz. Der Gesetzentwurf sieht einiges vor, das wir So- Schwierigkeiten mit sich bringen, ist wohl normal. Aber
zialdemokratinnen und Sozialdemokraten – und mit uns im Vergleich zu Daimler-Chrysler und anderen Beispie-
die Gewerkschaften – sehr kritisch bewerten. Aber Da- len aus der Wirtschaft kann man definitiv festhalten,
tenschutz ist offenbar eh nicht die große Stärke der Re- dass die Berufsgenossenschaften sich geschickt ange-
gierung, was man auch daran sieht, dass bis heute ein stellt und die ihnen gebotene Chance zur freiwilligen
eigenständiges Arbeitnehmerdatenschutzgesetz nicht Fusion fast alle gut genutzt haben. Wir Sozialdemokra-
verabschiedet ist. Beim Thema Datenschutz muss noch tinnen und Sozialdemokraten finden: Dies ist gut, und es
viel passieren in dieser Legislaturperiode. Ein weiterer ist auch ein Beleg für die funktionierende Selbstverwal-
wichtiger Punkt, auf den in vielen Stellungnahmen ein- tung in der Sozialversicherung. Ganz wurde die ange-
gegangen wurde, sind die sogenannten Weiterleitungs- strebte Zahl von nur noch neun Trägern bisher jedoch
stellen. Hier hat die Bundesregierung auf dem Weg vom leider nicht erreicht. Im Moment existieren im Bundes-
Referenten- zum Gesetzentwurf offenbar der Mut verlas- gebiet 13 Unfallversicherungsträger. Auch für mich als

Zu Protokoll gegebene Reden


Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5099
Anette Kramme
(A) nicht abergläubischen Menschen ist das natürlich keine und keine Perspektive außen vor gelassen wird. Ich freue (C)
schöne Zahl. Unser Ziel war neun, unser Ziel bleibt mich übrigens besonders, dass wir dadurch auch den
neun. Natürlich kann ich nachvollziehen, dass bei den Datenschutz der Arbeitnehmer mit einem tatkräftigen
Beteiligten auch Bedenken gegenüber Fusionen beste- Anwalt, nämlich dem DGB, ausstatten. Gerade mit Blick
hen – nicht nur, weil man sich an Strukturen gewöhnt auf die Datenerfassung, die im Zusammenhang mit dem
hat, sondern auch, weil die Sorgen existieren, als kleines ELENA-Verfahren ansteht, ist es gut, dass hier in gewis-
Rädchen innerhalb eines größeren Trägers branchen- sem Maße „Vorsorge“ getroffen wird. Dazu zählt im
spezifische Belange nicht mehr so gut vertreten zu kön- weiteren Sinne auch, dass wir eine Informationspflicht
nen. bei der unrechtmäßigen Kenntniserlangung von Sozial-
daten begründen – etwas, das uns Liberalen sehr wichtig
Wir haben hierzu den Vorschlag unterbreitet, bei Fu- gewesen ist; denn hiermit gelingt uns eine substanzielle
sionen von mehr als vier Trägern für einen befristeten Verbesserung beim Datenschutz. Gerade für den sensib-
Zeitraum die Vertreterversammlung auf bis zu 76 Perso- len Bereich der Sozialversicherungsdaten begrüße ich
nen vergrößern zu können. Hierdurch wären Vertreterin- das ausdrücklich.
nen und Vertreter aus den verschiedenen Branchen an-
gemessen repräsentiert, und die branchenspezifischen Die Beratungen im Ausschuss haben außerdem ge-
Erfahrungen und Anforderungen könnten gerade bei ei- zeigt, dass wir uns in vielerlei Hinsicht einig sind, so
ner Fusion unterschiedlich großer Träger angemessen etwa mit Blick auf die vorzunehmenden Fusionen der
artikuliert werden. Die Träger der Sozialversicherungen Berufsgenossenschaften. Ich hatte schon in der ersten
sind durch staatliche Hoheitsakte geschaffen worden, Beratung ausgeführt, dass das System der Berufsgenos-
um die im öffentlichen Interesse liegenden Aufgaben des senschaften von einem Anpassungsprozess profitieren
sozialen Schutzes zu organisieren. Sie können daher würde, auch um solche Probleme wie Beitragsspreizung
auch durch das Parlament neu organisiert werden, was oder eine überproportionale Beitragssteigerung. Des-
auch Fusionen einschließt. Und: Bereits mit dem wegen ist es sinnvoll, die Trägerlandschaft zu einer
Unfallversicherungsmodernisierungsgesetz war ange- übersichtlicheren Gliederung zu bringen. Die im Gesetz
kündigt, dass gesetzliche Vorgaben erfolgen werden, vorgesehenen Fusionsverpflichtungen werden ohne
wenn die Reduzierung auf neun Träger nicht auf freiwil- Frage zu einer Kräftigung der Organisationsstruktur
liger Basis gelingt. Die übrigen Unfallversicherungsträ- und zu Effizienzgewinnen führen. Insofern ist es auch
ger, die teilweise mit großen Mühen Fusionen durchge- richtig, dass die Fristen, die für die Fusionen gesetzt
führt haben, erwarten jetzt zu Recht, dass wir uns an wurden, keinen Änderungen unterworfen wurden. Dies
diese Vorgabe halten. ist auch im Ausschuss von Teilen der Opposition so ge-
sehen worden. Dass wir hier nur Rahmenbedingungen
(B) Wenn wir uns jetzt das Votum des Bundesrates, die setzen und ansonsten den Akteuren die Ausgestaltung (D)
Frist zur Fusion um neun Monate zu verlängern, zu ei- überlassen, halte ich für die richtige Vorgehensweise –
gen machen, dann geschieht dies nur in der Absicht, den so wie ich dies grundsätzlich für die richtige Vorgehens-
noch nicht fusionierten Berufsgenossenschaften eine weise halte, wenn wir gesetzgeberisch tätig werden.
Brücke zu bauen, damit sie bis zum Abschluss der So-
zialwahlperiode die Fusion in die Wege leiten können. Unter diesem grundsätzlichen Aspekt halten wir von
Keinesfalls darf dies so verstanden werden, dass wir die der FDP es auch für absolut richtig, die Möglichkeit der
gesetzgeberische Kompetenz zur Reduzierung der Zahl gesetzlichen Rentenversicherung auch für diejenigen zu
der Träger infrage stellen, oder gar die Zielzahl von öffnen, die von der Versicherungspflicht befreit sind. So
neun Berufsgenossenschaften für falsch halten. Da we- gelingt es uns, ein Anliegen des Petitionsausschusses
der dieser Vorschlag noch unsere anderen Änderungs- aufzugreifen, also unmittelbar auf ein Anliegen der Bür-
anträge von den die Regierung tragenden Koalitions- ger einzugehen. Ähnlich sinnvoll erscheint die Änderung
fraktionen angenommen worden sind und auch unseren des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte.
Bedenken bezüglich des Datenschutzes nicht ausrei- Auch darauf hatte ich schon hingewiesen: Hier vereinfa-
chend Rechnung getragen wurde, werden wir uns bei chen wir eine Informationspflicht und vereinfachen so
der heutigen Abstimmung enthalten. unmittelbar das Leben der betroffenen Bürgerinnen und
Bürger. Die widerlegbare Fingierung der Fortgeltung
des Befreiungsantrags von der Versicherungspflicht bei
Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP):
einer Wiederaufnahme der einschlägigen sozialversi-
Heute beraten wir abschließend das dritte SGB-IV- cherungspflichtigen Tätigkeit halte ich für eine intelli-
Änderungsgesetz. Ich freue mich, dass wir nun die vielen gente und schlanke Lösung, die den Aufwand für die Be-
Anregungen, die uns im Lauf des Jahres 2009 erreicht troffenen erheblich zurückführt. Das Problem, dass aus
haben, sinnvoll und nach eingehender Beratung zuletzt Unkenntnis kein neuer Befreiungsantrag gestellt wird
in eine umfangreiche Gesetzesänderung münden lassen und somit Beitragsrückstände entstehen, erledigt sich
können. Ich möchte noch einmal ein paar Punkte he- damit.
rausgreifen, um unsere Überlegungen zu illustrieren:
Ein Beispiel ist die Einfügung in den § 28 b SGB IV. Das Die Beratungen im Ausschuss haben gezeigt, dass
damit geschaffene Anhörungsrecht für den Deutschen über das dritte SGB-IV-Änderungsgesetz weitgehende
Gewerkschaftsbund halte ich nach wie vor für eine gute Einigkeit herrscht. Dass die Fraktion von Bündnis 90/
Sache. So stellen wir sicher, dass bei der Meldepflicht im Die Grünen im Ausschuss mit uns gestimmt hat, zeigt in
Rahmen der Sozialversicherungspflicht Arbeitgeber- meinen Augen auch die qualitative Güte des ganzen Pa-
und Arbeitnehmerseite jeweils Berücksichtigung finden kets – auch die anderen Oppositionsfraktionen haben

Zu Protokoll gegebene Reden


5100 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Johannes Vogel (Lüdenscheid)


(A) sich lediglich enthalten. Ich werbe nun nochmals um Der Vorteil für die Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen (C)
breite Zustimmung und danke Ihnen für Ihre Aufmerk- liegt scheinbar auf der Hand. Unabhängig von der
samkeit! Krankenkasse könnten Arbeitgeber sich fortan an eine
Stelle wenden, wenn denn die Weiterleitungsstellen im
Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): gesamten Umfang die Aufgaben der vielzähligen Ein-
zugsstellen übernähmen. Das ist jedoch nicht der Fall.
Seine Rede zur ersten Lesung zum vorliegenden Ge-
Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände, BDA,
setzentwurf, mit dem verschiedene Bücher des Sozialge-
erklärt nunmehr ebenso wie die Krankenkassen, dass die
setzbuches geändert werden, leitete Peter Wichtel, CDU,
Weiterleitungsstellen überflüssig sind und lediglich zu-
mit einem Lob der Bundesregierung ein. Er rühmte die
sätzliche Bürokratie schaffen.
Koalition aus CDU, CSU und FDP einer Sozialpolitik,
die auch „in wirtschaftlich herausfordernder Zeit“ die Wir Linken sagen: Statt die endgültige Entscheidung
soziale Sicherung der Menschen gewährleiste. Mit dem nur um ein Jahr aufzuschieben, wie die Bundesregierung
vorliegenden Gesetz setze die schwarz-gelbe Koalition dies plant, sollte die Einführung von Weiterleitungsstel-
seines Erachtens nur einen weiteren Schritt auf einem len schlicht und einfach gestrichen werden.
erfolgreichen Pfad. Das ist eine grandiose Fehleinschät-
zung. Die hier zur Diskussion stehenden Maßnahmen
stehen im Kontext einer Politik der Bundesregierung, Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
die unten kürzt und drangsaliert und oben verteilt und Am 20. Mai habe in der ersten Lesung zu diesem Ge-
tätschelt. Während Vermögende geschont werden, wer- setzentwurf festgestellt, dass es gut und notwendig ist,
den insbesondere mit den Kürzungen bei der Arbeitsför- dass man sich neben der Rettung der Finanzmärkte vor
derung die Zukunftsperspektiven von Hartz-IV-Betroffe- Spekulanten und Scharlatanen auch einmal wieder der
nen zunichte gemacht. Mit dem jüngst beschlossenen Fortentwicklung der Sozialversicherungssysteme wid-
Kürzungspaket betreiben Bundeskanzlerin Merkel und met. Das war da richtig. Heute muss ich sagen, ich bin
ihr Vizekanzler Westerwelle eine Streichungspolitik in froh, dass sich diese schwarz-gelbe Koalition überhaupt
einem Ausmaß und in einer Art und Weise, die sie nicht mal wieder den politischen Inhalten widmet und nicht
einmal mehr in den eigenen Reihen als gerecht vermit- „Wildsäue“ und „Gurkentruppen“ durch den Blätter-
teln können. wald treibt; denn um die armen Säue und die wohl-
schmeckenden Gurken, mit denen da Vergleiche ange-
Aus der Perspektive der Linken ist das vorliegende stellt werden, tut es einem ja schon leid.
Gesetz jedoch weitgehend unproblematisch. Zahlreiche
einzelne Aspekte – wie ein Anhörungsrecht für die Ge- Zur Sache: Die Anpassungen in diesem Gesetz, die
werkschaften zum ELENA-Datensatz – werden geregelt, redaktioneller Natur sind und großteils auf Anmerkun-
(B)
die nicht zu kritisieren sind. Auf zwei Punkte möchte ich gen von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden zu- (D)
genauer eingehen. Der erste Aspekt betrifft das Ziel, die rückgehen, sind notwendig und vollziehen häufig ein-
Anzahl der Berufsgenossenschaften zu verringern. In fach nur das nach, was durch Gesetzgebung andernorts
der Tat gilt es, die Struktur der Berufsgenossenschaften notwendigerweise nachvollzogen werden muss. Die
zu erneuern. Die Vorgabe von Fristen für die Fusion ei- Bundesregierungen haben in den letzten Jahren zur Ver-
niger Berufsgenossenschaften entspricht den Plänen des besserung der Risikostruktur, zur besseren Verteilung
Unfallversicherungsmodernisierungsgesetzes. Die Fris- von Altlasten und aus Kostengründen die Fusion unter-
ten waren insofern allen Beteiligten rechtzeitig bekannt. schiedlicher Berufsgenossenschaften auf freiwilliger
Mit dem Änderungsantrag der Regierungskoalition ist Basis vorangetrieben. Viele sinnvolle Fusionen sind auf
nunmehr einer Zwangsvereinigung durch das Bundes- freiwilliger Basis erfolgt. Das ist begrüßenswert und er-
versicherungsamt der Weg geebnet worden. Hier ist jetzt spart uns eine Menge Bürokratie. Allerdings hat es mit
von allen Seiten darauf hinzuwirken, dass mit einer der Fusion noch nicht überall geklappt. Das Fleische-
rechtzeitigen Vorlage von Vereinigungsbeschlüssen reihandwerk, Nahrung und Gaststätten, aber auch Holz,
keine Zwangsmaßnahmen greifen. Metall, Hütten- und Walzwerke haben noch nicht fusio-
niert. Das soll aber jetzt erfolgen. Deshalb bestimmt der
Der Grund, warum die Linke nicht zustimmen wird, Gesetzentwurf nun eine Frist, innerhalb derer die Fusio-
geht auf eine von vielen Fehlentscheidungen zurück, die nen erfolgt sein sollen. Allerdings bleibt der Vorrang der
die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD getroffen Selbstverwaltung in der Unfallversicherung generell ga-
hat. Diese Fehlentscheidung trägt den Namen „Gesetz rantiert, und ich bin sicher, dass die Selbstverwaltung
zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Kran- sachgerechte Lösungen zur Verteilung von fusionsbe-
kenversicherung, GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz – dingten Härten und Anpassungsnotwendigkeiten finden
GKV-WSG“. Das GKV-WSG war und ist in toto falsch. wird.
Dazu hat Gregor Gysi in den damaligen Beratungen al-
les gesagt, was nötig ist. Mit dem GKV-WSG führte die Datenschutz ist ein hohes Gut, gerade Sozialdaten-
Union unter Angela Merkel bei tätiger Mithilfe der SPD schutz. Denn es geht hier nicht um Daten, die freiwillig
unter Franz Müntefering eine Regelung zu zentralen weitergegeben werden. Vielmehr handelt es sich um sol-
Weiterleitungsstellen ein, die zum 1. Januar 2011 in che Daten, die durch die Eingehung eines Arbeitsver-
Kraft treten sollte. Die Vorstellung „einer Beitragsein- hältnisses als Arbeitnehmer anfallen. Deshalb muss hier
zugsstelle“ für alle Sozialversicherungsbeiträge stand eine besondere Sorgfaltspflicht gelten. Die Übertragung
bei dieser Regelung Pate – egal bei welchen Kassen die allgemeiner datenschutzrechtlicher Grundsätze in den
Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen versichert sind. Sozialdatenschutz ist zu begrüßen. Inwieweit allerdings

Zu Protokoll gegebene Reden


Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5101
Markus Kurth
(A) die Beschränkungen sinnvoll sind, ist fraglich. Der Marianne Schieder, Heinz Paula, Marco Buschmann, (C)
Schutz der Informationspflicht sollte sich jedenfalls Caren Lay und Markus Tressel zu Protokoll genommen.
auch erstrecken auf erstens Berufsgeheimnisse, zweitens
auf Daten, die sich auf Ordnungswidrigkeiten beziehen, Marco Wanderwitz (CDU/CSU):
und drittens auf Daten zu Bankkonten und Kreditkarten-
Die isländische Aschewolke hat vielen auf den Flug-
daten, sofern sie erhoben werden. Zwar wollen wir
häfen dieser Welt gestrandeten Reisenden nicht nur viel
Grüne die Hofabgabe als Rentenvoraussetzung komplett
immateriellen Ärger beschert, sondern auch Geld gekos-
abschaffen. Allerdings bedeuten die Vorschläge des
tet. Höhere Gewalt aber kennt keinen Schuldigen. Die
Bauernverbands auf Drucksache 17/1684 fast alle einen
PDS sucht dennoch einen. Diese Hybris muss misslin-
Schritt in die richtige Richtung und können somit mitge-
gen.
tragen werden. Kleine landwirtschaftliche Betriebe wer-
den nämlich jetzt zur Stilllegung gezwungen, weil ein Fluggastrechte sind im europäischen Gemeinschafts-
Landwirt seine Altersrente nur bekommt, wenn er den ei- recht bereits in erheblichem Umfang geregelt. Die Fort-
genen Bauernhof nicht mehr selbst bewirtschaftet. schreibung hat sich die Koalition auf ihre Fahnen
Es ist gut und richtig, dass wir hier und heute Verbes- geschrieben. Wer die bestehenden Verordnungen über-
serungen an unserem sozialen Sicherungssystem vor- blickt, wird aber feststellen, dass es für den Großteil der
nehmen. Denn dadurch, dass wir es immer wieder der heute zu diskutierenden Forderungen an der Notwendig-
Zeit anpassen, es sozusagen warten wie eine Maschine, keit einer weitergehenden Regelung fehlt.
die gut geölt werden muss, machen wir es sogar zu ei- Die Verordnung 1008/2008 des Europäischen Parla-
nem internationalen Exportschlager, der auch Krisen ments und des Rates vom 28. September 2008 hat die ge-
aushält. meinsamen Vorschriften 2407, 2408, 2409/1992 über
den Zugang und die Durchführung von Luftverkehrs-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: diensten in der Gemeinschaft bereits neu gefasst und er-
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für heblich verschärft. Mit der Verordnung wurden die
Arbeit und Soziales empfiehlt in seiner Beschlussemp- Durchgriffsrechte der Behörden gestärkt, die Europäi-
fehlung auf Drucksache 17/2169, den Gesetzentwurf der sche Kommission kann zudem nationale Behörden zur
Bundesregierung auf Drucksache 17/1684 in der Aus- Überprüfung einzelner Fluggesellschaften auffordern.
schussfassung anzunehmen. Wir kommen zunächst zur Die nationalen Handlungsspielräume sind umfang-
Abstimmung über den Änderungsantrag der Abgeordne- reich genutzt. Wer in Deutschland fliegen möchte, benö-
ten Max Straubinger und Dr. Heinrich Kolb auf Druck- tigt eine Betriebsgenehmigung. Von der deutschen Luft-
sache 17/2191. Wer stimmt für den Änderungsantrag? – fahrtbehörde werden solche Genehmigungen nur (D)
(B) Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ände-
denjenigen Fluglinien erteilt, die einen regelmäßigen
rungsantrag ist angenommen. Zugestimmt haben CDU/ Nachweis der aktuellen und künftigen Finanzlage sowie
CSU, FDP und Linke. Dagegen hat niemand gestimmt. Geschäftstätigkeit erbringen. In Deutschland beispiels-
SPD und Bündnis 90/Die Grünen haben sich enthalten. weise haben diese verschärften Regelungen bereits
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der Früchte getragen. Im Frühjahr 2009 wurde einer Flug-
Ausschussfassung und mit der eben beschlossenen Än- gesellschaft vom Luftfahrt-Bundesamt die Betriebsge-
derung zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer ist da- nehmigung erst nach Erbringung bestimmter Sicherhei-
gegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in ten wieder erteilt. Dadurch konnte eine kurzfristige
dritter Beratung angenommen, nachdem wir die zweite Insolvenz ausgeschlossen bzw. abgesichert werden.
Beratung nur mental durchgeführt haben. – Zugestimmt Wie von den Antragstellern selbst vorgetragen, waren
haben CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen. Ge- von November 2005 bis September 2008 29 Fluggesell-
genstimmen gab es nicht. Enthalten haben sich SPD und schaften von Insolvenz betroffen. Diese lagen aber eben
Linke. vor der Verschärfung der Verordnung. Die Regelungen
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 23 auf: sind demnach dem Grunde nach vorhanden. Entschei-
dend ist es, für eine einheitliche und konsequente
Beratung des Antrags der Abgeordneten Caren Anwendung der Verordnung in den Mitgliedstaaten als
Lay, Herbert Behrens, Dr. Ilja Seifert, weiterer Absicherungsregelung zu sorgen. Dies ist unser vorran-
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE giges Bestreben.
Fluggastrechte stärken Eine dennoch nicht komplett auszuschließende Insol-
– Drucksache 17/2021 – venz von Reiseanbietern und speziell Fluggesellschaften
durch europäische Fondslösungen oder Versicherungs-
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
pflichten zum Schutz der Verbraucher abzusichern, ist
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und grundsätzlich überlegenswert, jedoch belasten solche
Verbraucherschutz (f) Instrumente in erster Linie europäische bzw. deutsche
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Fluglinien und provozieren damit globale Wettbewerbs-
Ausschuss für Tourismus verzerrungen. Außereuropäische Fluggesellschaften
Federführung strittig
hätten mangels einer Kostenbelastung einen Vorteil,
Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die könnten mit preiswerteren Angeboten den europäischen
Reden von Marco Wanderwitz, Lucia Puttrich, Verbraucher locken. Die damit einhergehende Gefahr,
5102 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Marco Wanderwitz
(A) Fluglinien zu nutzen, die nicht der Betriebs- und Finanz- digen finden, auch nicht mithilfe der PDS. Die rechtliche (C)
aufsicht der europäischen Luftfahrtbehörde gemäß der Lage ist angesichts des Verschuldensprinzips des Scha-
Verordnung 1008/2008 unterliegen, konterkariert die densersatzrechts eineindeutig. Ohne Verschulden kein
Forderung nach verstärktem Verbraucherschutz. Anspruch. Wenn „ein von außen kommendes und keinen
betrieblichen Zusammenhang aufweisendes, nicht vor-
Grundsätzlich besteht auch keine besondere Notwen- hersehbares, auch durch die äußerste vernünftigerweise
digkeit für solch eine umfassende Insolvenzabsicherung zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis“
zugunsten Individualreisender. Wo der Pauschalrei- eintritt, trifft schon denklogisch schlichtweg niemanden
sende mangels Vertragsbeziehungen zu Hotel und Flug- ein Verschulden. Da die PDS am Pauschalreiserecht Ge-
gesellschaft vor deren Insolvenz geschützt werden soll, fallen zu finden scheint, möchte ich Ihnen die Lektüre
hat der Individualreisende doch seinen unmittelbaren des § 651 j Abs. 2 Satz 3 BGB empfehlen. Den Flug-
Anspruch und zudem im Vorhinein die Möglichkeit, sich gesellschaften das alleinige Risiko und die Kosten auf-
den Vertragspartner selbst auszusuchen. Als mündiger bürden zu wollen, ist absurd. Eine solche Vollkasko-
Verbraucher hat er aber auch gleichzeitig die Pflicht, mentalität letztlich zu Lasten der Allgemeinheit, wie sie
sich vorher ausreichend über die Seriosität und Liquidi- offensichtlich von der PDS gedacht wird, wird es in un-
tät seines individuellen Vertragspartners zu informieren. serem Rechtssystem nicht geben.
Einer Absicherung der gesamten Leistungskette vor ei-
ner Insolvenz des Mittlers wie im Pauschalreiserecht be-
darf es daher nicht. Lucia Puttrich (CDU/CSU):
Ein zentrales Thema des Verbraucherschutzes sind die
Dennoch sehen wir längerfristig eine weitere Har- Fluggastrechte. Mit steigender Mobilität der Bürgerin-
monisierung von Individual- und Pauschalreisen ge- nen und Bürger war es konsequent und richtig, die
rade aus Einheitlichkeitsgründen der Rechtsordnung Rechte der Fluggäste stetig auszubauen; denn ob Vul-
als erstrebenswert. Der in einer Insolvenzabsicherung kanasche, Streiks oder technische Probleme – Flugver-
auch bei Pauschalreisen bislang nicht erfasste Rückbe- spätungen oder Flugausfälle sind unvermeidbar. Aus
förderungsanspruch steht zur Prüfung. Während wir diesem Grund gibt es von der EU und Deutschland klar
auch hier zunächst eine konsequente Umsetzung und beschriebene Fluggastrechte. Denn Mobilität ist eine
einheitliche Interpretation der bestehenden Regelungen Schlüsselfunktion unserer Gesellschaft.
in den jeweiligen Mitgliedsländern vorantreiben wol-
len, gleichzeitig die Mündigkeit der Bürger zur Infor- Schon heute gilt: Die Fluggesellschaften müssen je-
mationsbeschaffung einfordern, erwarten wir natürlich derzeit ihrer Pflicht nachkommen und die Fluggast-
auch eine verbraucherfreundliche Mitwirkung der Flug- rechte einhalten. Sie, werte Kolleginnen und Kollegen
gesellschaften. Das beginnt und endet nicht mit der akti- von der Linken, haben nun einen Antrag vorgelegt, der
(B) (D)
ven Teilnahme an der verkehrsträgerübergreifenden sich mit der „Stärkung der Fluggastrechte“ befasst.
Schlichtungsstelle. Notfalls werden wir die Fluggesell- Nur leider stellt Ihr Antrag einen Katalog überzogener
schaften verpflichten müssen. Forderungen dar. Die Rechte der Fahr- und Fluggäste
sind uns in der Union bereits seit langem ein zentrales
Die Fluggastrechte insgesamt sind umfangreich aus-
Anliegen und wurden von uns – auch auf europäischer
gestaltet, jedenfalls nicht offensichtlich unzureichend.
Ebene – massiv vorangetrieben. Unser Ziel, die Rechte
Der EuGH hat diese mit seinem Urteil vom 19. Novem-
von Fluggästen zu überprüfen und dort, wo es nötig ist,
ber 2009 weiter gestärkt, indem er bei Verspätungen von
zu verbessern, haben wir daher auch im Koalitionsver-
drei oder mehr Stunden einen Anspruch auf Zahlung ei-
trag festgehalten, mit Blick für das Machbare wohlge-
ner Ausgleichsleistung gewährt. Damit hat er diese Flug-
merkt.
gäste denjenigen gleich stellt, die von einer Annullierung
oder Nichtbeförderung betroffen sind und nach der Ver- Bereits heute gelten klar beschriebene Fluggast-
ordnung 261/2004 ausdrücklich Anspruch auf Aus- rechte: 2005 ist die EU-Fahrgastrechteregelung in Kraft
gleichsleistungen in Höhe von – je nach Flugdistanz – getreten. Wer stundenlang am Flughafen warten muss,
250 bis 600 Euro haben. hat seitdem Anspruch auf Verpflegung und Unterkunft.
Auch wurde hier bereits geregelt, dass Fluggäste bei
Es ist letztlich alles hier keine Frage der Rechtssi-
Nichtbeförderung oder bei Annullierung die Betreuung
cherheit oder der fehlenden Regelungen, sondern viel-
der Fluggäste, das Angebot einer anderweitigen Beför-
mehr eine der Informationsverschaffung und damit der
derung und Ausgleichszahlungen bis zu 600 Euro erhal-
Umsetzung bestehender Regelungen. Damit sind einer-
ten können. Auch ein Urteil des Europäischen Gerichts-
seits die Fluglinien gemeint, denen es schlichtweg an
hofs von November 2009 stärkt die Fluggastrechte:
Verantwortungsbewusstsein fehlt, wie nicht nur das Bei-
Künftig werden erhebliche Verspätungen den Annullie-
spiel Schlichtungsstelle aufzeigt. Artikel 14 der Verord-
rungen gleichgesetzt. Somit können auch hier gegebe-
nung 261/2004 vom 11. Februar 2004 regelt nämlich
nenfalls Ausgleichszahlungen fällig werden. Auch tech-
bereits einige der hier geforderten Punkte der Informa-
nische Probleme entbinden übrigens nicht mehr von
tionspflichten, es fehlt nur hier und da an der Umset-
einer Ausgleichzahlung. Darüber hinaus sprach sich der
zung.
Bundesgerichtshof im März dieses Jahres in einem Ur-
Wer nun – und damit möchte ich auf den Anfang mei- teil dafür aus, dass Fluggesellschaften ihren Fluggästen
ner Rede zurückkommen – allerdings Opfer eines Natur- nicht mehr vorschreiben dürfen, ob und in welcher Rei-
ereignisses geworden ist und mit den Mehrkosten eines henfolge sie ihre Flüge antreten. Das heißt: Flugtickets
Zwangsurlaubes konfrontiert ist, der wird keinen Schul- bleiben auch dann gültig, wenn der Reisende den Hin-

Zu Protokoll gegebene Reden


Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5103
Lucia Puttrich
(A) flug oder eine Teilstrecke nicht antritt. Sie sehen, die braucherinnen und Verbraucher auch bezahlbar bleiben (C)
Fluggastrechte sind auf einem guten Weg. Dennoch gilt muss.
es weiterhin, die Rechte der Verbraucherinnen und Ver-
braucher im Flugverkehr beständig voranzubringen. Schließlich schreiben Sie in Ihrem Antrag, dass die
Fluggesellschaften ihren Fluggästen den Erhalt klar er-
Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von der Linken, kennbarer Informationen über deren Rechte am Schalter
helfen mit Ihrem Antrag wenig weiter; denn er schießt und auf jedem Ticket garantieren. Sie hätten es am liebs-
weit über das Ziel hinaus. Sie fordern, Fluggäste gegen ten, dass Informationen über Schadensersatzansprüche
die Insolvenz von Fluggesellschaften per Versicherung und Ausgleichsleistungen beim Buchungsvorgang an die
abzusichern. Auch schlagen Sie vor, einen Fonds zur Fluggäste ausgehändigt werden. Solche bürokratischen
Rückabsicherung für Fluggäste einzurichten. Einen Informationsfluten haben keinerlei Mehrwert für den
Rechtsanspruch auf Rückbeförderung gesetzlich zu ver- Verbraucher. Das sind Forderungen, die weder verbrau-
ankern, ist praxisfern, ein Fonds nicht zielführend. Mein cherfreundlich noch zu Ende gedacht sind.
Kollege Marco Wanderwitz hat in seiner Rede schon
Die christlich-liberale Koalition ist bei den Fluggast-
hinreichend darauf hingewiesen.
rechten auf dem richtigen Weg. Wir wollen die außerge-
Sie fordern, die Beteiligung von Fluggesellschaften richtliche Streitbeilegung im öffentlichen Personenver-
an der Schlichtungsstelle gesetzlich festzuschreiben. kehr voranbringen. Das geht jedoch nur zusammen mit
Dazu kann ich nur sagen: Guten Morgen, auch schon den Fluggesellschaften und nicht ohne sie. Wir sind des-
wach. Es stimmt, dass der Handlungsbedarf besonders halb entschlossen, im Interesse des Verbraucherschut-
im Bereich der Schlichtung gegeben ist. Bereits in unse- zes und der Wettbewerbsgleichheit der Verkehrsträger
rem Koalitionsvertrag fordern wir daher richtigerweise: für jeden Fahr- und Fluggast den Zugang zu einem
Schlichtungsverfahren notfalls durch eine entspre-
Die Einrichtung einer unabhängigen, übergreifen- chende Mitwirkungspflicht der Verkehrsunternehmen
den Schlichtungsstelle für die Verkehrsträger Bus, sicherzustellen. Denn unterschiedliche Anlaufstellen im
Bahn, Flug und Schiff wird gesetzlich verankert. Verkehrsbereich sind für die Verbraucherinnen und Ver-
braucher nicht nachvollziehbar.
Die Schlichtungsstelle öffentlicher Personenverkehr,
söp, hat am 1. Dezember 2009 ihre Arbeit aufgenom- Für die Verbraucherpolitiker der CDU/CSU-Bundes-
men. Der Verein, der von den beteiligten Verkehrsträ- tagsfraktion steht fest: Wer in Deutschland startet oder
gern finanziert wird, leistet gute Arbeit. Derzeit beteili- landet, muss sich an unsere Standards halten. Dies gilt
gen sich acht Unternehmen an der Schlichtung, wobei auch für Billigflieger. Sicherlich: Manche Fluggesell-
der Großteil der Finanzierung durch die Deutsche Bahn schaften agieren vorbildlich und andere machen von al-
(B) AG erbracht wird. leine gar nichts. Aber es ist doch zu einfach gedacht, (D)
wieder einmal nur nach dem alles regelnden Staat zu ru-
Leider sind die Fluggesellschaften nach wie vor nicht fen. Wir in der Union gestehen den Verbraucherinnen
bereit, sich an einer freiwilligen Schlichtung zu beteili- und Verbrauchern zu, proaktiv ihre Rechte einzufordern.
gen. Die Fluggesellschaften verweisen bei Beschwerde- Wir gehen von einem mündigen Verbraucher aus. Ein
fällen gerne auf das Luftfahrt-Bundesamt als zuständige Verbraucher, der gut informiert ist, kann selbstbestimmt
Beschwerdestelle. handeln. Wir stehen für Transparenz, Aufklärung und
Das Luftfahrt-Bundesamt ist jedoch nicht ermächtigt, Rechtsdurchsetzung – und wo nötig, auch mehr Rechte –,
etwaige zivilrechtliche Ansprüche des Fluggastes wie ohne gleich die gesetzliche Regelungswut die Oberhand
beispielsweise Ausgleichs- und Erstattungsleistungen gewinnen zu lassen. Bürokratische Ungetüme haben
oder Schadensersatz durchzusetzen. Im Gegenteil: beim Verbraucherschutz nichts zu suchen. Fahrgast-
Durch das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom rechte sind für die Verbraucher nur dann von Nutzen,
November 2009 ist eine weitere Zunahme zivilrechtli- wenn sie durchgesetzt werden können. Unerreichbare
cher Streitigkeiten um Entschädigungsansprüche zu er- Luftschlösser sind wenig hilfreich. Deshalb lehnen wir
warten. Es liegt nun an den Fluggesellschaften, sich ak- den Antrag der Linken ab.
tiv an der Schlichtungsstelle zu beteiligen. Geschieht
dies nicht, werden wir die Fluggesellschaften zeitnah Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD):
dazu verpflichten. Wir haben im letzten Jahr nach langen und intensiven
Diskussionen die Rechte von Bahnkunden gestärkt. Wir
Das Anliegen von Bundesverbraucherministerin Ilse haben dafür gesorgt, dass Kundinnen und Kunden der
Aigner, die Schlichtungsstelle als verkehrsträgerüber- Bahn auf klar geregelte Fahrgastrechte bauen können
greifende Institution gesetzlich zu verankern, unter- und nicht mehr als Bittstellerinnen und Bittsteller auf
stützen wir daher nachdrücklich. Denn diese schnelle die Kulanz der Bahn hoffen müssen.
nationale Lösung ist richtig und realisierbar. Außerge-
richtliche Streitschlichtungen sind absolut Gerichtsver- Bereits seit Februar 2005 ist die EU-Fluggastrechte-
fahren vorzuziehen. Sie, werte Kolleginnen und Kolle- Verordnung 261/2004 in Kraft. Auf dieser Grundlage
gen von den Linken, schießen aber auch hier wieder könnten die Fluggäste ihre Rechtsansprüche gegenüber
über das Ziel hinaus: Sie fordern, die Streitschlichtung den Fluggesellschaften geltend machen. Eigentlich! Seit
durch Gebühren der Fluggesellschaften zu finanzieren. Jahren zeigt sich aber, dass die Fluggesellschaften mit
Höhere Ticketpreise wären die Folge. Das widerspricht allen möglichen Tricks versuchen, sich um die Zah-
jedoch unserem Grundsatz, dass Mobilität für die Ver- lungsverpflichtungen zu drücken. Aktuellstes Beispiel ist

Zu Protokoll gegebene Reden


5104 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Marianne Schieder (Schwandorf)


(A) natürlich der Vulkanausbruch in Island und die damit Das ausführende Luftfahrtunternehmen stellt si- (C)
einhergehenden Einschränkungen und massiven Pro- cher, dass bei der Abfertigung ein klar lesbarer
bleme, gegen die Fluggäste anzukämpfen hatten. Hinweis mit folgendem Wortlaut für die Fluggäste
deutlich sichtbar angebracht wird: „Wenn Ihnen
Zwar haben die meisten Fluggesellschaften auf ihren die Beförderung verweigert wird oder wenn Ihr
Internetseiten Hinweise und Möglichkeiten der kosten- Flug annulliert wird oder um mindestens zwei Stun-
losen Stornierung und Umbuchung von Flügen aufge- den verspätet ist, verlangen Sie am Abfertigungs-
zeigt. Doch nutzte dies den vielen Passagieren, die auf schalter oder am Flugsteig schriftliche Auskunft
europäischen Flughäfen festsaßen, nichts. Auch das Kri- über ihre Rechte, insbesondere über Ausgleichs-
senmanagement der Bundesregierung ließ viel zu wün- und Unterstützungsleistungen.“
schen übrig, um nicht zu sagen: Es war katastrophal.
Dass sich in vielen Fällen auch die Deutschen Botschaf- Der Bundesregierung sind seit langem Verstöße ge-
ten nicht für zuständig erklärten, ist bis heute nicht gen Art. 14 der Verordnung bekannt. Ich fordere sie des-
nachvollziehbar. halb auf, endlich entsprechende ordnungsrechtliche
Maßnahmen zu ergreifen.
Von daher geht der Antrag der Fraktion Die Linke in
die richtige Richtung. Allerdings macht sie wieder mal
den zweiten vor dem ersten Schritt. Heinz Paula (SPD):
Seit dem Ausbruch des Eyjafjallajökull sind die Flug-
Die SPD-Bundestagsfraktion hat einen 27 Punkte gastrechte wieder in aller Munde. Medienberichten zu-
umfassenden Fragenkatalog erarbeitet, in dem die Bun- folge wurden aufgrund des Flugverbotes 95 000 Flüge
desregierung Stellung nehmen muss zum ungenügenden gestrichen; 10 Millionen Passagiere konnten ihren ur-
Krisenmanagement und der mangelhaften Umsetzung sprünglich gebuchten Flug nicht antreten. Es herrschte
von Passagierrechten. Wir werden die Antworten genau Chaos auf europäischen und internationalen Flughäfen.
prüfen und daraus die notwendigen Forderungen ablei- Gestrandete Passagiere in Übersee mussten auf die
ten. Das ist die richtige Vorgehensweise, sehr geehrte Freigabe des europäischen Luftraumes warten und wa-
Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die Linke. ren ungenügend informiert. Keiner wusste zunächst,
wann und wie es weitergeht.
Das Europäische Parlament hat in seiner Entschlie-
ßung vom 25. November 2009 zur Entschädigung von Es herrschte auch Unklarheit darüber, ob die gel-
Fluggästen im Falle einer Insolvenz der Fluggesell- tende EU-Verordnung für Fluggastrechte aus dem
schaft der Kommission entsprechende Vorschläge unter- Jahre 2004 auch einen Anspruch der Passagiere bei
breitet. Die Kommission ist darin aufgefordert, einen Annullierung der Flüge durch Naturkatastrophen bzw.
(B) Legislativvorschlag vorzulegen. Wir setzen voraus, dass höhere Gewalt abdeckt. Herr Kallas, EU-Kommissar (D)
hier die Bundesregierung im Sinne der Verbraucherin- für Verkehr, hat jedoch ziemlich schnell klargestellt,
nen und Verbraucher verhandelt. dass jeder Reisende das Recht hat, das Geld für den
ausgefallenen Flug erstattet zu bekommen. Dies gelte,
Meine Fraktion wird, wie auch bei der Fluggast- so der Kommissar, ohne Ausnahme für Flüge mit allen
rechte-Verordnung, die derzeit in der EU auf dem Prüf- europäischen Airlines und für alle Flüge mit „auslän-
stand steht, die Verhandlungsergebnisse analysieren und dischen“ Airlines, wenn die ausgefallenen Verbindun-
den Handlungsbedarf prüfen. gen in der Europäischen Union hätte starten sollen.
Eine Schlichtungsstelle ist wichtig und notwendig, Das Chaos auf den Flughäfen hat jedoch trotz der ra-
eine Beteiligung der Luftverkehrsunternehmen ebenso. schen Klarstellung auf EU-Ebene Defizite sowohl bei
Es würde ihnen die Chance eröffnen, ihr Verhältnis zu den Fluggastrechten als auch in der Informationspolitik
ihren Kundinnen und Kunden zu verbessern, neues Ver- der Fluggesellschaften und der Bundesregierung offen-
trauen aufzubauen und damit den entstandenen Image- bart. Es blieben und bleiben zahlreiche Fragen offen:
schaden zu heilen. Dies gilt vor allem mit Blick auf Wer zahlt die Kosten, die durch einen verlängerten Auf-
diejenigen Airlines, die bis heute über kein Beschwerde- enthalt entstanden sind? Sind die Passagiere ausrei-
management verfügen und deren Ziel bisher nur die Ab- chend über ihre Rechte informiert, wie es die europäi-
wehr von Verbraucheransprüchen ist. sche Fluggastverordnung vorschreibt? Was hat die
Um es ganz klar zu sagen: Schlichtung ersetzt nicht Bundesregierung getan, um die gestrandeten Passagiere
das Beschwerdemanagement bei den Verkehrsunterneh- zu informieren? Gab es Probleme bei der Umbuchung?
men. Schlichtung stellt vielmehr eine unverzichtbare Er- Haben die Fluggesellschaften sich ihren Pflichten ge-
gänzung zu einem guten Beschwerdemanagement dar. mäß verhalten? Fragen zur Schlichtungsstelle und zu
den Beschwerdeeingängen beim Luftfahrt-Bundesamt,
Zuständiger Ansprechpartner für Beschwerden von zu den Leistungen der Fluggesellschaften bei Naturka-
Fluggästen ist das Luftfahrt-Bundesamt in Braun- tastrophen schließen sich an. All diese Fragen haben
schweig. Ihm obliegt es allerdings nicht, den Verbrau- wir – ungefähr zeitgleich mit dem vorliegenden Antrag –
cherinnen und Verbrauchern bei der Durchsetzung ihrer in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung ge-
privatrechtlichen Ansprüche behilflich zu sein, das ist richtet. Wir sind gespannt auf die Antworten.
Aufgabe der Zivilgerichte.
Eines jedoch können wir jetzt schon sagen: Das Kri-
Die Informationspflicht der Fluggesellschaften ist senmanagement der Bundesregierung war mangelhaft.
klar in Art. 14 der EU-Verordnung geregelt: Auf der Grundlage dieser neuen und aktuellen Daten

Zu Protokoll gegebene Reden


Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5105
Heinz Paula
(A) werden wir dann die entsprechenden Handlungsschritte auch das Bundesministerium der Justiz und das Bundes- (C)
einleiten. Besonders in der Frage der Beteiligung der ministerium für Verbraucherschutz in der Arbeitsgruppe
Fluggesellschaften an der Schlichtungsstelle herrscht vertreten sein.
dringender Handlungsbedarf.
Wie im Koalitionsvertrag festgeschrieben, werden die
Ihr Antrag greift viele wichtige Punkte auf, Punkte, Rechte von Fluggästen laufend evaluiert und gegebe-
die auch in unserer Fraktion als problematisch erkannt nenfalls verbessert. In einem ersten Schritt wurde erst
werden. Insolvenzabsicherung, Benachteiligung der In- vor wenigen Monaten das freiwillige Instrument der
dividualreisenden bei Flugausfällen aufgrund von Insol- „Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenver-
venz und Naturkatastrophen, mangelnde Information kehr e. V.“ eingerichtet. Man sollte also der „Schlich-
der Fluggesellschaften über ihre Rechte – dies sind nur tungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr e. V.“
einige davon. Auch hinsichtlich der Beteiligung der schon noch die Chance geben, sich zu entwickeln, bevor
Fluggesellschaften an der Schlichtungsstelle sehen wir, man voreilig nach weiterer staatlicher Regulierung ruft,
wie erwähnt, Handlungsbedarf. Eine gesetzliche Fest- wie es die Linke auch in diesem Antrag wieder einmal
schreibung allerdings muss aus rechtlicher Sicht unan- macht.
greifbar und wasserdicht sein. Dies muss sehr genau ge-
prüft werden. Erst dann können wir über das weitere
Caren Lay (DIE LINKE):
Vorgehen entscheiden und fundierte Forderungen stel-
len. Daher lehnen wir Ihren Antrag in vorliegender Auch in diesem Sommer buchen Verbraucherinnen
Form ab. und Verbraucher ihre Reisen zunehmend über das Inter-
net. Doch anders als Pauschalreisende bleiben sie auf
den Kosten sitzen, wenn die Fluggesellschaft in die In-
Marco Buschmann (FDP):
solvenz schlittert. Der Grund ist die uneinheitliche
Der Verbraucherschutz ist ein wichtiges Anliegen der Rechtslage bei Pauschalreisenden einerseits und im
FDP. Das hat erst jüngst wieder mein ausgezeichneter Flugverkehr andererseits. In Streitfällen haben Flug-
Kollege Professor Schweickert mit seinem Konzept ge- gäste ebenfalls schlechte Karten. Zusätzliche Gebühren,
gen Abzocke bei Telefonwarteschleifen gezeigt. Liberale horrende Umbuchungskosten oder verweigerter Scha-
Verbraucherpolitik setzt auf eine Stärkung des Verbrau- densersatz bei Ausfällen – es gibt viele Gründe, sich
chers im Markt. Unser Leitbild ist der gut informierte über Fluggesellschaften zu ärgern. Allerdings birgt der
und mündige Verbraucher. Rechtsweg stets das Risiko unverhältnismäßiger Kosten.
Auch die Stärkung von Rechten der Fluggäste hat die Aber die Möglichkeit der außergerichtlichen Streit-
FDP stets im Blick: Denken Sie nur an unseren Antrag schlichtung bleibt Flugpassagieren verwehrt; denn die
(B) vom 13. Mai 2009 mit dem Titel „Rechte der Fluggäste Beteiligung an der „Schlichtungsstelle für den öffentli- (D)
stärken“. Im Ziel sind wir uns hier im Hause also weit- chen Personenverkehr e. V.“ ist für Fluggesellschaften
gehend einig. Nur unterschiedliche Wege sind es, die wir freiwillig. Das bescheidene Ergebnis: Kein einziges
beschreiten wollen. Flugunternehmen ist Mitglied. Hinzu kommt: 86 Prozent
der Fluggäste erhalten von den Airlines keinerlei Hin-
Die Fraktion Die Linke bemängelt in ihrem Antrag weise über ihre Rechte. Das ergab eine Untersuchung
etwa die unzureichenden Möglichkeiten einer außerge- der Stiftung Warentest im Mai 2009. Dabei nutzen Flug-
richtlichen Streitschlichtung. Daran muss man uns nicht gesellschaften es kräftig aus, dass Fluggäste ihre Rechte
erinnern. Denn wir waren hier Vorreiter: Im Koalitions- nicht kennen.
vertrag legte die christlich-liberale Koalition die Ein-
richtung einer unabhängigen, übergreifenden Schlich- Im Ergebnis sind Fluggäste den Fluggesellschaften
tungsstelle für die Verkehrsträger Bus, Bahn, Flugzeug immer unterlegen. Das muss sich ändern. Die fortdau-
und Schiff fest. Bereits am 1. Dezember 2009 hat die ernde Wirtschaftskrise und das Flugchaos durch den
„Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenver- Ausbruch des isländischen Vulkans haben nicht nur das
kehr e. V.“ ihre Arbeit aufgenommen. Sie ist eine unab- Insolvenzrisiko für Fluggesellschaften erhöht. Es be-
hängige Einrichtung der Unternehmen des öffentlichen steht auch die Gefahr, dass Ausfälle und Kosten, die den
Verkehrs in Deutschland zur Schlichtung von Streitigkei- Airlines entstehen, auf dem Rücken von Fluggästen aus-
ten im Zusammenhang mit Beförderungsverträgen. Die getragen werden. Die unterschiedliche Rechtslage und
Schlichtung wird allen Kunden von Unternehmen im Rechtsauslegung ist vielen Passagieren bereits auf die
Bahn-, Bus-, Flug- und Schiffsverkehr angeboten, die Füße gefallen. Viele Reisende saßen wegen der Vulkan-
sich an dem Schlichtungsverfahren beteiligen. Die Ko- asche fest und wussten nicht, wer die zusätzlich entstan-
alition hat hier schnell und entschieden gehandelt. denen Kosten übernimmt, sei es für zwangsweise verlän-
gerte Aufenthalte und Übernachtungen oder teurere al-
Zwar ist es richtig, dass sich Luftverkehrsunterneh- ternative Rücktransporte mit Schiff oder Bahn. Deshalb
men bisher noch nicht an dieser neuen Schlichtung be- müssen wir die Rechte von Fluggästen stärken.
teiligen. Gleichwohl war die Bundesregierung bereits
aktiv: Die Luftfahrtgesellschaften sind nun durch das Die Linke fordert, alle Fluggäste wirksam gegen die
Bundesministerium der Justiz angehalten worden, sich Insolvenz von Fluggesellschaften abzusichern: nicht nur
in einer Arbeitsgruppe zu treffen, um einen Modus zur Pauschalreisende, sondern auch Individualreisende.
Beteiligung an der Schlichtung zu finden. Ein erstes Eine solche Absicherung muss im Bedarfsfall natürlich
Treffen dieser Arbeitsgruppe wird noch vor der Sommer- auch zahlungsfähig sein. Das kann ein Fonds gewähr-
pause stattfinden. Neben den Fluggesellschaften werden leisten, in den Fluggesellschaften gemeinsam einzahlen,

Zu Protokoll gegebene Reden


5106 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Caren Lay
(A) um im Notfall ungedeckte Ansprüche zu bedienen. Ös- auf wütende Verbraucherinteressen stößt. Es muss gelin- (C)
terreich hat dieses Modell erfolgreich erprobt. Leider gen, dem Verbraucher konkret zu helfen.
hat die Bundesregierung europäische Initiativen zur
Drittens. Die Informationspflicht der Unternehmen
besseren Insolvenzabsicherung von Flugpassagieren
funktioniert nicht. Die Ansätze der Linken halten wir je-
bisher blockiert. Diese einseitige Blockadehaltung muss
doch für Ergebniskosmetik. Sie packen das Problem
sie überwinden – im Interesse der Verbraucherinnen und
nicht an der Wurzel.
Verbraucher.
Viertens. Auch die einheitliche Klärung von Rechts-
Damit Fluggäste ihre Rechte im Zweifelsfall auch fragen klingt zunächst lobenswert, halten wir aber letzt-
durchsetzen können, ist eine unabhängige Schlichtungs- lich für nicht lösungsorientiert.
stelle unabdingbar. Fluggesellschaften müssen sich
selbstverständlich an der Schlichtungsstelle beteiligen. Lassen Sie mich eines kurz festhalten: Der Theorie
Die freiwillige Teilnahme für Flugunternehmen hat sich und der Rechtslage nach sind die Verbraucher gut ge-
als Irrweg zulasten der Flugpassagiere erwiesen. schützt. Das betont auch der Bundesverband der Ver-
Schließlich kann es nicht sein, dass Flugunternehmen braucherzentralen. Insbesondere der deutsche Rechts-
wichtige Informationen vor ihren Fluggästen verste- rahmen mit den §§ 651 a bis m BGB ist hier
cken. Wir fordern klar erkennbare und verständliche In- hervorzuheben. Es gibt jedoch ein Defizit in den Mög-
formationen: auf jedem Ticket, beim Buchungsvorgang lichkeiten zur Geltendmachung beziehungsweise Durch-
am Schalter ebenso wie im Internet und im Wartebereich setzung. Wir – als nationales Parlament und insbeson-
auf dem Flughafen. dere die Bundesregierung – sollten in den nächsten
Monaten allerdings sehr aufmerksam sein. Bundes-
Die Bundesregierung muss jetzt handeln – auf natio- minister Ramsauer wirkte auf der außerordentlichen Sit-
naler Ebene und europäisch. Der Handlungsbedarf ist zung des Europäischen Rates am 4. Mai mit dem Thema
offensichtlich. Jeder Aufschub, jede Blockade, jedes Zö- Verbraucherrechte überfordert. Von der Kommission
gern überlässt Fluggäste weiterhin der Willkür der Un- wurde das als prioritäres Thema in Folge des Vulkan-
ternehmen. ausbruchs genannt. Herr Ramsauer hielt es jedoch nicht
für nötig, sich zu diesem Feld zu äußern. Erstaunlich,
Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wenn Sie mich fragen. Denn sowohl die Fluggastrechte-
Das Verkehrschaos infolge des Vulkanausbruchs des verordnung als auch die Pauschalreiserichtlinie werden
Eyjafjallajökull in Island hat eines offenbart: Das Reise- gerade von der Europäischen Kommission evaluiert und
recht in der derzeitigen Form gibt weder Verbrauchern vermutlich überarbeitet. Wir sind uns einig – das hat der
noch Unternehmen wirklich Klarheit über ihre Rechte. Tourismusausschuss gezeigt –, dass eine Vollharmoni-
(B) Anders als beim Antrag der Linken sehen wir jedoch sierung der Pauschalreiserichtlinie für die deutschen (D)
„den“ Grund dafür in vielen nebeneinander wirkenden Reisenden einen erheblichen Einschnitt bedeuten
gesetzlichen Regelungen. Mehr als ein halbes Dutzend könnte. Deshalb lassen sie uns kooperieren!
Rechtsakte sollen dem Verbraucher auf seiner Reise Lassen sie uns gemeinsam auf die Europäische Kom-
Rechtssicherheit geben. Das Resultat: Der Unterschied mission zugehen und auf europäischer Ebene eine ein-
zwischen Pauschalreisendem und Individualreisendem heitliche Regelung zum Reiserecht durchsetzen, in der
ist unzulänglich geklärt, Unternehmen flüchten teilweise der Wust von Verordnungen in einer Regelung für den
in Rechtslücken, und dem Verbraucher gelingt es häufig Verbraucher klar und einfach zusammengefasst wird.
nur über juristischen Beistand, an seine Rechte zu ge- Liebe Kollegen der Koalition: Sie wollen doch entbüro-
langen. Das darf nicht sein. kratisieren. Hier können sie das zum Wohle aller tun.
Deshalb begrüße ich die Initiative der Linken. So- Denn daran möchte ich an dieser Stelle auch noch ein-
wohl die Prosa als auch die Begründung sind sehr schön mal hinweisen: Wir haben es zwar zum großen Teil mit
zu lesen. Die Schlussfolgerungen, in die dieser Antrag EU-Recht zu tun, dennoch haben wir als nationales Par-
mündet, sind aber leider nicht konsequent „zu Ende“ lament einen Handlungsspielraum, den es zu nutzen gilt,
gedacht. Vielleicht liegt das ja an dem fehlendem euro- und zwar nicht erst dann, wenn die Vorlagen fertig auf
päischen Verständnis, das wir gerne – als mittlerweile unseren Tischen zur Abstimmung im Ausschuss sind.
wohl einzige proeuropäische Partei – ergänzen wollen. An dieser Stelle möchte ich eigene Vorstellungen er-
Denn: In vielen Punkten sind wir uns einig. gänzen. Denn was wir neben einem Schadensersatzan-
Erstens. Das Insolvenz- und Folgerecht, das im Pau- spruch benötigen, ist eine klare Regelung von Sanktio-
schalreisebereich national sehr gut geregelt ist, sollte nen bei Verstoß gegen das Gemeinschafts- oder
auch auf die Individualreisen mit dem Flugzeug ausge- nationale Recht. Wie kann es sein, dass Italien Ryanair
weitet werden. zu einer Millionenstrafe verdonnert, in Deutschland
aber nichts dergleichen passiert? Auch kostenlose War-
Zweitens. Die Schlichtungsstellen müssen ausgebaut teschleifen bei Hotlines im Falle von außerordentlichen
werden. Die Fluglinien müssen sich darin einbringen. Umständen sind zwingend notwendig, um den ohnehin
Eine Verweigerungshaltung ist hier nicht zu akzeptieren. schon gebeutelten Verbraucher nicht noch weiter zu be-
Gerade an Verkehrsknotenpunkten wie internationalen lasten. Auch die Haftungsgrenze für Gepäck muss ange-
Flughäfen und Hauptbahnhöfen sollte Personal vor Ort hoben, die Informationspflichten ausgebaut werden.
sein. Denn hier ist Schlichtung – im wahrsten Sinne des Und noch eines: Wir haben uns wiederholt für die Ein-
Wortes – nötig, wenn Blockadehaltung der Unternehmen führung einer kollektiven Rechtsdurchsetzung in Form

Zu Protokoll gegebene Reden


Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5107
Markus Tressel
(A) der Sammelklagen ausgesprochen. Gerade ein voll be- Veronika Bellmann (CDU/CSU): (C)
setztes oder ausgebuchtes Flugzeug – aber auch ein Bus Es ist keine Übertreibung, zu sagen, dass wir im Zeit-
oder eine Bahn – mit unzufriedenen Passagieren böte alter der Urbanisierung leben. Dieser seit dem Beginn
dazu doch wahrlich eine gute Möglichkeit. der Industrialisierung andauernde Prozess hat sich in
Es besteht Handlungsbedarf im Reiserecht. Der Ver- den vergangenen Jahrzehnten noch einmal enorm be-
braucher muss besser geschützt werden. Das betrifft schleunigt. Während 1950 nur knapp 30 Prozent der
aber nicht nur den Flugreisenden. Es ist Zeit für eine Weltbevölkerung in Städten lebte, sind es gegenwärtig
konzertierte Aktion. Der Antrag fügt sich dabei leider in schon 50 Prozent. Bis 2050 wird sich der Anteil nach
das Bild des gesamten Reiserechts. Viel Stückwerk mit Schätzungen der Vereinten Nationen auf knapp 69 Pro-
dem fehlenden Blick fürs große Ganze. Dafür stehen zent weiter erhöhen. In Europa haben wir diese Marke
weiterhin nur wir Grüne: Denn uns geht es um das bereits heute überschritten. Im Jahr 2007 lebten 72 Pro-
Ganze. zent der europäischen Bevölkerung in Stadtgebieten.
Die Urbanisierung stellt Politik, Wirtschaft und Ge-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: sellschaft vor gewaltige Herausforderungen. Wie in ei-
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf nem Brennglas bündeln sich in den Städten die drängen-
Drucksache 17/2021 an die in der Tagesordnung aufge- den Probleme unserer Zeit: demografischer Wandel,
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist öffentliche Gesundheit und sozialer Zusammenhalt, Um-
jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und der welt- und Klimaschutz, nachhaltiges Wirtschaftswachs-
FDP wünschen Federführung beim Rechtsausschuss. tum und Wettbewerbsfähigkeit.
Die Fraktion Die Linke wünscht Federführung beim Trotz der unbestreitbaren Schwierigkeiten, die diese
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau- Entwicklung mit sich bringt, dürfen wir dabei nicht die
cherschutz. ökonomischen und ökologischen Vorteile der Urbanisie-
Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der rung übersehen. So lässt sich der Zugang der Menschen
Fraktion Die Linke abstimmen. Wer stimmt für diesen zu moderner Infrastruktur in Ballungsgebieten ein-
Überweisungsvorschlag? – Wer ist dagegen? – Enthal- facher, kostengünstiger und häufig sogar umweltscho-
tungen? – Damit ist dieser Überweisungsvorschlag abge- nender organisieren als in dünn besiedelten Gebieten.
lehnt. Dafür haben gestimmt die Fraktionen Bündnis 90/ Unternehmen profitieren vom guten Arbeitskräfteange-
Die Grünen und die Linke. Dagegen haben die anderen bot, kürzeren Wegen und höherer Nachfrage.
Fraktionen des Hauses gestimmt.
Um diese Potenziale auszuschöpfen, bedarf es der
Jetzt lasse ich über den Überweisungsvorschlag der richtigen politischen Weichenstellungen – nicht zuletzt
(B) Fraktionen der CDU/CSU und der FDP abstimmen, also im Bereich der urbanen Mobilität. Vor diesem Hinter- (D)
Federführung beim Rechtsausschuss. Wer stimmt für grund hat die Europäische Kommission im Jahr 2007
diesen Überweisungsvorschlag? – Gegenstimmen? – ein Grünbuch mit dem Titel „Hin zu einer neuen Kultur
Enthaltungen? – Der Überweisungsvorschlag ist ange- der Mobilität in der Stadt“ vorgelegt und ein öffentli-
nommen. Zugestimmt haben CDU/CSU, FDP und SPD. ches Konsultationsverfahren eingeleitet. Auf diesem
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben dagegen Weg konnten sich Bürger und Verbände sowie europäi-
gestimmt. sche Institutionen und Gremien zu den Vorschlägen äu-
ßern.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:
Der im September 2009 vorgelegte Aktionsplan zur
Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
urbanen Mobilität basiert auf den eingegangenen Stel-
richts des Ausschusses für Verkehr, Bau und
lungnahmen der Beteiligten. Dass er keine konkreten
Stadtentwicklung (15. Ausschuss) zu der Unter-
Gesetzgebungsvorschläge, also keine legislativen Maß-
richtung durch die Bundesregierung
nahmen, enthält, ist ein Gebot der Subsidiarität, auf das
Mitteilung der Kommission an das Europäi- ich in diesem Zusammenhang später noch einmal zu-
sche Parlament, den Rat, den Europäischen rückkommen werde.
Wirtschafts- und Sozialausschuss und den
Der Aktionsplan benennt 20 Einzelmaßnahmen für
Ausschuss der Regionen
eine integrierte Stadtverkehrspolitik. Einige davon will
Aktionsplan urbane Mobilität (inkl. 14030/09 ich kurz ansprechen: Die Europäische Kommission will
ADD 1 und 14030/09 ADD 2) (ADD 1 in Eng- lokale Behörden bei der Aufstellung von Plänen unter-
lisch) stützen, die die nachhaltige Mobilität für den Personen-
KOM(2009) 490 endg.; Ratsdok. 14030/09 und Güterverkehr in städtischen und stadtnahen Gebie-
ten zum Gegenstand haben. Sie will Informationsmate-
– Drucksachen 17/136 Nr. A.92, 17/815 –
rial zur Verfügung stellen, den Austausch bewährter
Berichterstattung: Verfahren, Best Practice, unterstützen, Maßstäbe,
Abgeordneter Sören Bartol Benchmarks, ermitteln und Fortbildungsmaßnahmen für
Fachleute auf dem Gebiet der urbanen Mobilität för-
Die Reden werden zu Protokoll genommen. Es han- dern.
delt sich um die Reden der Kolleginnen und Kollegen
Veronika Bellmann, Sören Bartol, Oliver Luksic, Forschungs- und Demonstrationsprojekte sollen
Thomas Lutze und Bettina Herlitzius. auch in Zukunft über das siebte Rahmenprogramm für
5108 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Veronika Bellmann
(A) Forschung und technologische Entwicklung, RP7, un- der Verantwortung der lokalen, regionalen und nationa- (C)
terstützt werden, um die Markteinführung von emis- len Behörden liegt“. Dies entspricht im Übrigen dem
sionsarmen und emissionslosen Fahrzeugen sowie von grundgesetzlich verbürgten Selbstverwaltungsrecht un-
alternativen Kraftstoffen zu erleichtern und die Abhän- serer Städte und Gemeinden.
gigkeit von fossilen Brennstoffen zu verringern. Gehol-
fen werden soll bei der Optimierung der Effizienz im Be- Auf den ersten Blick wird der Aktionsplan mit seinen
reich Logistik, etwa zur Verbesserung der Verbindungen Aktionsvorschlägen den Grundsätzen der Subsidiarität
zwischen dem Fernverkehr, den innerstädtischen Verbin- und der Verhältnismäßigkeit auch gerecht. Bei näherer
dungen und dem urbanen Güterverkehr, um die „letzte Betrachtung allerdings sieht das ein wenig anders aus.
Meile“ bei der Zustellung möglichst effizient zu gestal- Ich will das gerne erläutern. Ein Blick in die den Ak-
ten. tionsplan begleitenden Dokumente zur Folgenabschät-
zung lässt den Eindruck entstehen, die Kommission
Angeboten wird die Unterstützung in Bezug auf ITS- plane mittelfristig eben doch legislative Maßnahmen für
Anwendungen, also intelligente Verkehrssysteme für die den Stadtverkehr. Dies gilt beispielsweise für das Thema
urbane Mobilität in Ergänzung des Aktionsplans zur Umweltzonen.
Einführung intelligenter Verkehrssysteme in Europa.
Hierbei geht es beispielsweise um elektronische Ticke- Im Anhang, der die Politikoptionen auflistet, wird ex-
ting- und Bezahlsysteme, Reiseinformationen, Zugangs- plizit gesagt, dass die EU ein regulatorisches Instrument
kontrolle und Nachfragemanagement sowie um die nutzen könnte, um die Regeln zur Zulassung und Identi-
Möglichkeiten, die sich mit dem europäischen Galileo- fikation von Fahrzeugen in Umweltzonen zu harmonisie-
GNSS-System eröffnen. ren. Gleichzeitig wird darauf hingewiesen, dass dies
vermutlich ein langwieriger Prozess sei und nicht klar
Eine Studie soll sich mit Verbesserungen bei der Inter- sei, ob alle Mitgliedstaaten ein Interesse an einer Har-
operabilität von dienste- und verkehrsträgerunabhängi- monisierung hätten. Man gewinnt den Eindruck, die
gen Ticketing- und Bezahlsystemen befassen sowie mit Kommission versucht, einzelne besonders umstrittene
dem Einsatz sogenannter Smart Cards im Stadtverkehr. Vorschläge des Grünbuchs von 2007 nun einfach in den
Darüber hinaus werden weitere Studien zu einzelnen Anhängen des Aktionsplans unterzubringen. Hier gilt es,
Themen angekündigt, wie zum Beispiel eine Untersu- wachsam zu sein.
chung zu den verschiedenen Zugangsvorschriften für
unterschiedliche Arten von Umweltzonen in der EU oder Wachsam im Sinne der Subsidiarität sollten wir als
zu urbanen Aspekten der Internalisierung externer Kos- Deutscher Bundestag auch sein im Hinblick auf die
ten. Frage der Finanzierung von Infrastruktur.
(B) Mit dem Aktionsplan zur urbanen Mobilität werden Die Kommission kommt hier zu der zutreffenden Ein- (D)
also vor allem zwei Ziele angestrebt: Zum einen sollen schätzung, dass der Finanzbedarf für Infrastruktur,
Städte, regionale und nationale Behörden Impulse und Fahrzeuge und neue Technologien steigen wird, gleich-
Unterstützung bei der Entwicklung und Umsetzung von zeitig aber immer weniger öffentliche Mittel zur Verfü-
sinnvollen Strategien für die urbane Mobilität erhalten. gung stehen werden. Die Kommission will deshalb unter
Zum anderen soll die Wissensgrundlage für Entschei- anderem im Rahmen der Überlegungen zum nächsten
dungsträger auf allen Ebenen im Hinblick auf die Ent- mehrjährigen Finanzrahmen prüfen, wie hoch der künf-
wicklung und Umsetzung solcher Strategien vergrößert tige Finanzbedarf zur Verbesserung der urbanen Mobi-
werden. lität ist. Außerdem will sie in 2011 über bestehende För-
dermöglichkeiten von Strukturfonds, Kohäsionsfonds
Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion begrüßen den und Europäischer Investitionsbank informieren.
Aktionsplan, sofern die vorgeschlagenen Maßnahmen
einen echten europäischen Mehrwert aufweisen. Insbe- Dazu will sie den Zusammenhang von Stadtverkehr
sondere die neu beigetretenen Mitglieder der Europäi- und transeuropäischem Verkehrsnetz darlegen. Dage-
schen Union können von einem grenzüberschreitenden gen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Die Vergabe
Erfahrungs- und Informationsaustausch über bewährte von Fördermitteln darf aber in Zeiten knapper Kassen
Konzepte urbaner Mobilität profitieren. nicht zum Hebel der EU werden, um direkten Einfluss
auf die Gestaltung der städtischen Verkehrspolitik zu
Die EU kann den nationalen Behörden einen „Werk- nehmen.
zeugkasten“ mit bewährten Lösungen anbieten, um den
Risiken fragmentierter lokaler, regionaler und nationa- Um in dieser grundsätzlichen Frage der Kompeten-
ler Konzepte zu begegnen. Dies sind sinnvolle Konzepte, zen Klarheit zu schaffen, haben wir als christlich-libe-
die unsere Unterstützung finden. Gleichzeitig halten wir rale Koalition eine Entschließung im Verkehrsausschuss
gerade im Bereich des städtischen Verkehrs zentrale Re- eingebracht, die in der vorliegenden Beschlussempfeh-
gelungen aus Brüssel für problematisch. Aus unserer lung enthalten ist. Darin fordern wir die Bundesregie-
Sicht sollte sich die europäische Verkehrspolitik auf bin- rung auf, bei Verhandlungen auf europäischer Ebene die
nenmarktrelevante und grenzüberschreitende Verkehrs- deutsche Position unter drei Leitlinien zu stellen:
projekte – wie das Transeuropäische Verkehrsnetz –
konzentrieren. Erstens. Die Rolle der Kommission ist darauf be-
schränkt, den Austausch von Erfahrungen und Beispie-
Zu Recht stellt die Europäische Kommission in ihrer len bewährter Verfahren, Best Practice, unter den Städ-
Mitteilung fest, dass „die urbane Mobilität vor allem in ten zu unterstützen.

Zu Protokoll gegebene Reden


Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5109
Veronika Bellmann
(A) Zweitens. Die Wahrung der Subsidiarität und des keit im Bereich der urbanen Mobilität aussprechen wird, (C)
kommunalen Selbstverwaltungsrechts ist strikt zu beach- sondern auch hinweisen wird auf die wichtige Funktion
ten. von Nahverkehrssystemen bei der Sicherung der Mobili-
tät in der Fläche. Auch hier gilt als Binsenweisheit: Die
Drittens. Städtische Gebührensysteme sind auch mit Stadt lebt von ihrem Umland und das Umland lebt von
Nachteilen verbunden, die regional verschieden sein der Stadt.
können. Hier bestehen aufgrund der jeweiligen Gege-
benheiten unterschiedliche Voraussetzungen für Stadt-
mautsysteme. Sören Bartol (SPD):
Mit „Balancity“, einer Vision einer lebenswerten
Dies spricht gegen eine europaweit einheitliche Re- Stadt, präsentiert sich Deutschland auf der Expo in
gelung. Unsere Bedenken werden von den Bundeslän- Shanghai. Verkehrslärm und Abgase, verstopfte und un-
dern geteilt. In seiner Stellungnahme zum Aktionsplan fallträchtige Straßen stören diese heile Welt nicht.
hat der Bundesrat seine Auffassung bekräftigt, wonach Wunsch und Wirklichkeit liegen noch weit auseinander.
eine EU-Zuständigkeit für den Stadtverkehr im Grund- Von stadtverträglicher Mobilität sind wir auch in
satz nicht besteht und Eingriffe in die Kompetenzen der Deutschland an etlichen Stellen noch ein gutes Stück
Mitgliedstaaten, Länder und Kommunen abzulehnen entfernt.
sind. Die Rolle der Kommmission sei darauf beschränkt,
den Austausch von Erfahrungen und Beispielen bewähr- Ja, es gibt sie, die vielen positiven – auch deutschen –
ter Verfahren, Best Practice, unter den Städten zu unter- Beispiele für nachhaltigen Stadtverkehr: Bremen zeigt
stützen. Hier könnten gerade die in deutschen Städten auf der Expo, wie es gehen kann: Es wurde von UN-Ha-
bereits erarbeiteten Lösungsansätze zur Bewältigung bitat als eines von weltweit drei Beispielen ausgewählt,
der Verkehrsprobleme für andere Städte Europas von In- die sich im Bereich Mobilität präsentieren dürfen, und
teresse sein. zwar mit seinem wegweisenden Carsharing-Projekt, das
nachweisbar Verkehr reduziert und Parkraum entlastet.
Das bedeutet aus meiner Sicht auch, dass die Vergabe
von Studien – etwa zu Stadtmautsystemen oder zu Um- Damit alle Städte in Europa von solchen guten Bei-
weltzonen – nicht als ein erster Schritt zur Vorbereitung spielen profitieren können, brauchen wir einen europa-
legislativer Maßnahmen angesehen werden darf. Auch weiten Erfahrungsaustausch – aber nicht nur das. Wir
hier gilt der Satz von Montesquieu: „Wenn es nicht not- brauchen Unterstützung und Anreize auch vonseiten der
wendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, EU für die Städte und Gemeinden bei der Entwicklung
kein Gesetz zu machen.“ In diesem Zusammenhang ist und Umsetzung nachhaltiger Stadtverkehrskonzepte und
auch die angekündigte Einrichtung eines europäischen eine konsequente Berücksichtigung des Themas „Ur-
(B) Beobachtungszentrums für urbane Mobilität in Form ei- bane Mobilität“ in der EU-Förderpolitik. Die SPD be- (D)
ner virtuellen Plattform kritisch zu bewerten. Selbst der grüßt deshalb ausdrücklich, dass die EU-Kommission
Bundesrat kann keinen Mehrwert erkennen, weder in ei- 2007 das Thema „Urbane Mobilität“ auf die Tagesord-
ner Studie zur Verbesserung der Datenerhebung noch in nung gesetzt hat und jetzt einen Aktionsplan dazu vorge-
der Einrichtung eines solchen Beobachtungszentrums. legt hat.
Vor Einleitung dieser Maßnahmen sollten Kosten und
Nutzen daher noch einmal kritisch abgewogen werden. Das Grünbuch „Hin zu einer neuen Kultur der Mobi-
lität“ in der Stadt war der Auftakt zu einem Konsulta-
Aus Erfahrung wissen wir, wie schnell aus einem tionsprozess, als dessen Ergebnis die Kommission nun
scheinbar bescheidenen Beobachtungszentrum eine Eu- ihren „Aktionsplan Urbane Mobilität“ vorgelegt hat.
ropäische Agentur mit sehr vielen Mitarbeitern und ent- 2008 hat sich der Bundestag mit einem gemeinsamen
sprechend hohem Finanzbedarf werden kann. Was wir in Antrag von SPD und CDU/CSU in die Beratungen zum
der gegenwärtigen Situation aber wirklich nicht brau- Grünbuch eingebracht. Auch Sie, meine Damen und
chen, das sind zusätzliche europäische Bürokratie durch Herren von der CDU/CSU, haben damals ausdrücklich
neue Mitteilungspflichten und Institutionen, die viel kos- begrüßt, dass sich die EU des Themas annimmt – selbst-
ten, aber von geringem Nutzen sind. verständlich unter Einhaltung des Subsidiaritätsprin-
zips.
Ein letzter wichtiger Punkt, der im Aktionsplan leider
zu kurz kommt, ist die Anbindung ländlicher Räume, Mit dem nun vorliegenden Aktionsplan hat die EU-
zum Beispiel über Nahverkehrssysteme. Nur so kann die Kommission genau das getan: Der Aktionsplan berück-
Mobilität in der Fläche gewährleistet werden. Wenn wir sichtigt durchgehend die Vielfalt der Städte und das Sub-
der Abwanderung aus den ländlichen Räumen etwas sidiaritätsprinzip. Die Kommission spricht sich eindeu-
entgegensetzen wollen, dann müssen die Städte, das tig gegen Top-down-Maßnahmen aus. Stattdessen setzt
städtische Umland und die ländlichen Räume gleichwer- sie auf weiche Maßnahmen wie Erfahrungsaustausch,
tig entwickelt werden. Fortbildung und Förderung nachhaltiger Stadtverkehrs-
konzepte.
Der EU-Verkehrsministerrat wird sich in der nächs-
ten Woche mit dem Aktionsplan zur urbanen Mobilität Schade, meine Damen und Herren von den Regie-
befassen. Ich bin zuversichtlich, dass der Rat in seinen rungsfraktionen, dass Ihnen das offenbar entgangen ist
Schlussfolgerungen unseren begründeten Bedenken und Sie sich in Ihrer Entschließung auf drei magere
Rechnung tragen wird und sich nicht nur für eine strikte Punkte beschränken: die Einhaltung des Subsidiaritäts-
Einhaltung der Subsidiarität und der Verhältnismäßig- prinzips, die Ablehnung einer City-Maut und die Be-

Zu Protokoll gegebene Reden


5110 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Sören Bartol
(A) schränkung der Kommission auf die Organisation eines bezahlbarer Mobilität auch für untere Einkommens- (C)
Erfahrungsaustausches. Der Bundesrat hat sich in sei- schichten können sie absehbar nicht erfüllen. Wir for-
ner Entschließung deutlich ausführlicher geäußert. dern deshalb von Herrn Ramsauer: Setzen Sie klare
Prioritäten für den Umweltverbund, für ÖPNV, Fahrrad
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund – und der und Zu-Fuß-Gehen! Sagen Sie endlich, wie Sie die Fi-
muss es ja wissen – sieht das Subsidiaritätsprinzip ein- nanzierung des öffentlichen Nahverkehrs in Zukunft si-
gehalten. Ich zitiere: „In vielen europäischen Ländern chern wollen! Unterstützen Sie neue Formen der Auto-
gibt es keine kommunale Selbstverwaltung. Dort sind nutzung wie Carsharing durch die überfällige Änderung
die Städte oft nicht in der Lage, selbst auf Probleme zu der Straßenverkehrs-Ordnung!
reagieren. Das ist in Deutschland anders. Der jetzt vor-
gelegte Aktionsplan geht darauf ein. Kommunen können All das wäre ein Beitrag zu sozial- und umweltver-
vorgeschlagene Maßnahmen umsetzen, müssen es aber träglicher Mobilität, zum Klimaschutz und zu besserer
nicht, wenn sie selbst andere Maßnahmen in ihrer Ver- Lebensqualität in Städten. Unterstützung auch vonseiten
kehrspolitik treffen können.“ der EU sollte Ihnen dabei willkommen sein.
Vor diesem Hintergrund haben wir im Ausschuss ver-
sucht, Sie davon zu überzeugen, dass das Thema „Städ- Oliver Luksic (FDP):
tische Mobilität“ und die Aktivitäten der EU mehr Be- Wir widmen uns heute mit dem Aktionsplan zur urba-
achtung verdienen als dürftige drei Spiegelstriche. Mit nen Mobilität der EU-Kommission, einem Thema, das
unserer – von der Ausschussmehrheit leider abgelehn- bereits in der letzten Legislaturperiode auf der Agenda
ten – Entschließung begrüßen wir die Maßnahmen zu des Bundestages stand. Damals hatte sich der Bundes-
besserem Informationsaustausch und Förderung nach- tag mit dem Grünbuch der Kommission „Hin zu einer
haltiger Stadtverkehrskonzepte, insbesondere die Fort- neuen Kultur der Mobilität in der Stadt“ zu beschäfti-
führung und Ausweitung des Programms Civitas. Wir gen. Auch die FDP-Fraktion hatte sich bereits dort so-
unterstützen die Kommission in ihrer Sichtweise, dass wohl in der Plenardebatte als auch im Zusammenhang
der ÖPNV das Rückgrat des städtischen Verkehrssys- mit einem Entschließungsantrag im Ausschuss intensiv
tems bildet und die Nutzersicht und Zugänglichkeit auch mit dem damaligen Grünbuch beschäftigt.
für mobilitätseingeschränkte Menschen im Mittelpunkt
Wenn man sich noch einmal durchliest, was die Kom-
stehen muss. Wir begrüßen die Vorhaben, Fahrgast-
mission in diesem Papier an verkehrspolitischen Maßnah-
rechte auf freiwilliger Basis zu verbessern und ein EU-
men gefordert hat, so kann man mit dem jetzt vorliegenden
weites Reiseportal für den Nahverkehr einzuführen. Und
Aktionsplan zur urbanen Mobilität vergleichsweise zu-
was ist einzuwenden gegen eine Auswertung der Erfah-
frieden sein. Der Grundsatz muss sein: Grenzüberschrei-
rungen auch zu intelligenten Verkehrs- und Gebühren-
(B) tende Verkehre sind Aufgabe der EU, der regionale Ver- (D)
systemen, die eine sachliche Diskussion der Vor- und
kehr nicht. Das verstehen wir unter Subsidiarität. Ich
Nachteile unterschiedlicher Modelle der Stadtverkehrs-
darf an Vorschläge im Grünbuch wie die Einrichtung ei-
politik in Europa ermöglicht? EU-Politik ist doch nicht
nes zentralen Registers für die europäischen Fahrzeuge
Politik für Deutschland allein, sondern für ganz Europa.
und einer europäischen Beobachtungsstelle für städti-
Deswegen ist Offenheit für ganz unterschiedliche An-
schen Verkehr erinnern. Das wären Maßnahmen gewe-
sätze der Stadtverkehrspolitik gefragt. Ich empfehle Ih-
sen, für die der Begriff „bürokratische Monster“ noch
nen einen Blick über den Tellerrand!
milde ausgedrückt ist. Falls solche dirigistischen Maß-
Die SPD fordert eine stärkere Berücksichtigung von nahmen, die tief und unnötig in einen der Kernbereiche
städtischer Mobilität in der EU-Strukturfondsförderung der persönlichen Freiheit, nämlich der individuellen
mit besonderem Augenmerk auf umweltfreundliche Ver- Mobilität eindringen, wieder in Vorschlägen der EU-
kehrsmittel und deren intermodale Verknüpfung. Denn Kommission auftauchen sollten, wird sich die FDP-
in der Strukturfondsperiode 2007 bis 2013 fließen – das Fraktion dem genauso entschieden entgegenstellen.
kritisiert auch das EU-Parlament – nur 9 Prozent der
Das gilt vor allem auch für Maßnahmen wie die um-
Strukturfondsmittel im Verkehrsbereich in den städti-
fassende Videoüberwachung von Bussen und öffentlichen
schen Verkehr.
Plätzen. Es gibt für uns auch weiterhin keine Einteilung
Aber nicht nur die EU ist gefordert, ihr im Grünbuch in guten oder schlechten Verkehr, keine Einteilung in
formuliertes Ziel einer neuen Mobilitätskultur weiterzu- Verkehr, der vermieden werden muss und solchen, der
verfolgen, sondern allen voran die Bundesregierung. gefördert werden sollte. Verkehrspolitik mit ideologi-
Leider wird der Spielraum, sozial- und umweltverträgli- schem Schaum vor dem Mund nützt niemandem, am we-
che städtische Mobilität als Teil einer integrierten Stadt- nigsten der Umwelt. Intelligente Strategien zur Verkehrs-
entwicklungspolitik umzusetzen, durch den Raubbau bei lenkung sind die Lösung, nicht solche, die Verkehr
der Städtebauförderung verschwindend gering: Mobili- vermeiden wollen. Wir wollen dem Bürger nicht vor-
tät wäre ein wichtiges Thema im Rahmen des ökologi- schreiben, wie er sich fortzubewegen hat. Das ist seine
schen Stadtumbaus, insbesondere unter den Vorzeichen ureigenste Entscheidung. Auf erzieherische Maßnahmen
des demografischen Wandels. der Politik kann der Bürger gut verzichten.
Wenn Minister Ramsauer meint, allein mit Elektro- Daher ist es positiv zu bewerten, dass sich viele der
mobilität alle städtischen Verkehrsprobleme lösen zu ursprünglichen Maßnahmen nicht mehr im Aktionsplan
können, täuscht er sich gewaltig. Auch Elektroautos finden. Dies unterstützt die Leitlinie der christlich-libe-
brauchen Straßenfläche und Parkplätze. Den Anspruch ralen Koalition, die die Subsidiarität in allen Politikfel-

Zu Protokoll gegebene Reden


Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5111
Oliver Luksic
(A) dern stärken will, gerade auch durch die verbesserten tig: „Ein qualitativ hochwertiger und bezahlbarer öf- (C)
Mitwirkungsrechte der nationalen Parlamente. Wir wer- fentlicher Nahverkehr ist das Rückgrat eines nachhalti-
den also auch in Zukunft gerade bei solchen Ideen der gen städtischen Verkehrssystems.“ Der sich aus dieser
Kommission äußerst wachsam sein; das kann ich ver- Feststellung ergebenden Zielsetzung eines massiven
sprechen. Ausbaus des ÖPNV wird der Aktionsplan leider nicht
gerecht.
Dies gilt insbesondere bei Eingriffen in den kommu-
nalen Bereich. Wir haben in Deutschland ein grundge- Mangels EU-Zuständigkeit beschränkt sich der Plan
setzlich verankertes Selbstverwaltungsrecht der Kom- auf Maßnahmen wie die Erstellung von Ratgebern oder
munen. Dies hat sich in der Vergangenheit bewährt und die Verbesserung des Informationsaustausches. Diese
wird es auch in Zukunft tun. Ich sage das auch als enga- Vorhaben können wir zwar vorbehaltlos begrüßen, hal-
gierter Kommunalpolitiker. Daher muss unter allen Um- ten sie allerdings für nicht ausreichend. Das Pochen der
ständen vermieden werden, dass die Kommunen über Bundesregierung auf die strikte Durchsetzung des Subsi-
die europäische Ebene gegängelt und bevormundet wer- diaritätsprinzips hat an dieser Stelle Weitergehendes
den. Der Kommunalpolitiker vor Ort weiß am besten, verhindert.
was für seinen Ort, seine Gemeinde, seine Stadt die sinn-
vollen Lösungen sind. Am aktuellen Beispiel der Diskus- Unabhängig des Streites um Zuständigkeiten gilt es
sion um die Passagierrechte im Kraftomnibusverkehr nun, das Beste aus dem Vorliegenden zu machen und die
wird deutlich, dass die Kommission gelegentlich über durch den Aktionsplan zur Verfügung gestellten Instru-
das Ziel hinausschießt und auch Dinge regeln möchte, mente zur Verbesserung des Nahverkehrsangebotes zu
die wie der Stadt- und Regionalverkehr auf nationaler nutzen. Und eben hier kommen uns Zweifel, ob die Bun-
bzw. regionaler Ebene bleiben sollten. desregierung dieses Ziel überhaupt verfolgt: Mit dem
Kaputtsparen von Kommunen, der Novellierung des
Daher begrüße ich auch die Idee des Werkzeugkas- Personenbeförderungsgesetzes und der Festschreibung
tens mit verschiedenen verkehrspolitischen Instrumen- einer Vergabepraxis, die kommunale Eigenbetriebe
ten, aus dem sich die Kommunen bedienen können. Kein schlechter stellt, unternimmt diese Bundesregierung
noch so guter Kommunalpolitiker kann auf alle Ideen al- Schritte, die zu einer Schwächung eines attraktiven Nah-
leine kommen. Von daher ist es gut, wenn sie sich durch verkehrsangebotes führen werden.
die Kenntnis vorbildlicher Lösungen für städtische Ver-
kehrsprobleme in anderen Ländern inspirieren lassen Für die Linke ist die schwarz-gelbe Politik eines for-
können. Und ich betone hier: können. Wir sagen ganz cierten Wettbewerbs zulasten von Fahrgästen und Be-
grundlegend: Der Austausch von Best-Practice-Modellen schäftigten nicht tragbar. Wir setzen auf eine bedarfsge-
sollte Vorrang vor legislativen Maßnahmen haben. Al- rechte Finanzierung, soziale und ökologische Standards
(B)
lerdings muss auch hier darauf geachtet werden, dass und die Vergabe an kommunale Eigenbetriebe. Denn (D)
durch die Herausstellung geeigneter Modelle keine fakti- Mobilität ist gesellschaftliche Teilhabe, muss allen zu-
sche Bindungswirkung für die Mitgliedstaaten bzw. deren gänglich sein und darf nicht vom Geldbeutel abhängen.
Untergliederungen entfaltet wird.
Daher muss die Bundesregierung bei der Umsetzung Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
des Aktionsplans darauf achten, dass durch die Vergabe Ein Großteil der Bürgerinnen und Bürger in Deutsch-
von Studien zu Themenfeldern wie City-Maut, Umwelt- land lebt in Städten. Sie alle bewegen sich im öffentli-
zonen, Datenerhebung im Straßenverkehr etc. keine le- chen Raum der Stadt, und sie alle haben ein Interesse
gislativen Maßnahmen vorbereitet werden. Das Gleiche daran, in einer schönen, lebenswerten Stadt mit einer
gilt für Maßnahmen, bei denen der Aufbau zusätzlicher guten Infrastruktur zu leben.
Bürokratie notwendig wäre; das muss vermieden wer- Unsere Realität sieht in vielen Fällen leider anders
den. Die Kommission soll stärker in der Rolle des Orga- aus: Die Stadt wird vom Autoverkehr dominiert. Das ist
nisators von Prozessen des Best-Practice-Austauschs nicht immer nur praktisch, sondern verursacht auch
wirken, anstatt legislative Maßnahmen vorzuschlagen. eine ganze Menge Lärm, Staub und CO2-Emissionen.
Ich habe Vertrauen in die Bundesregierung, dass sie Der öffentliche Raum wird auch durch den ruhenden
auch weiterhin der Wahrung der Subsidiarität einen ho- Verkehr deutlich beeinträchtigt, zugeparkte Straßen und
hen Stellenwert einräumt. Der Entwurf der Schlussfolge- Plätze sind an der Tagesordnung. Andere Verkehrsteil-
rungen des Rates, die beim nächsten Verkehrsministerrat nehmer, insbesondere Fußgänger und Radfahrer, müs-
in Luxemburg beschlossen werden sollen, geht in die sen hinter dem motorisierten Individualverkehr zurück-
richtige Richtung. Wenn das auch bei der Umsetzung be- stecken. Lebensqualität im städtischen Raum geht
achtet wird, gilt weiterhin die Marschroute: europäische verloren.
Probleme in Brüssel lösen, kommunale Probleme vor Für die Zukunft unserer Städte und für die Zukunft
Ort klären. der Bürgerinnen und Bürger müssen wir alles daranset-
zen, eine neue Mobilitätskultur zu schaffen. In diesem
Thomas Lutze (DIE LINKE): Zusammenhang begrüßen wir grundsätzlich das Grün-
Mit dem Aktionsplan „Urbane Mobilität“ hat sich die buch der EU und auch den aktuell vorliegenden Aktions-
EU ein lobenswertes Ziel auf die Fahnen geschrieben: plan. Nur leider wird der Aktionsplan diesem Ansinnen
Die Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs. in keinster Weise gerecht. Denn anstatt den Städten we-
Die Europäische Kommission betont hierbei völlig rich- nigstens einen Rahmen zu setzen oder durch gezielte

Zu Protokoll gegebene Reden


5112 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Bettina Herlitzius
(A) Förderpolitik eine nachhaltige und umweltfreundliche Überweisungsvorschlag: (C)
Verkehrspolitik zu unterstützen, verstecken sich die EU Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
und – wie die Beratungen im Ausschuss für Verkehr, Bau Verbraucherschutz
und Stadtentwicklung gezeigt haben – auch unsere Bun- Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
desregierung hinter dem Subsidiaritätsprinzip. Auf kon- Entwicklung
krete Initiativen im Bereich Mobilität in der Stadt wird Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss
verzichtet. Somit bleibt es einzig bei freiwilligen Aktio-
nen der Mitgliedstaaten. Es werden weder die Fahrgast- Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
rechte im öffentlichen Verkehr gestärkt – es bleibt bei Reden zu Protokoll genommen. Es handelt sich um die
freiwilligen Zugeständnissen – noch geht die Kommis- Reden der Kolleginnen und Kollegen Josef Göppel,
sion konkret das Problem der zahlreichen Verkehrstoten Dr. Matthias Miersch, Angelika Brunkhorst, Sabine
auf innerstädtischen Straßen oder aber die urbanen Um- Stüber und Undine Kurth.
weltprobleme an. Dabei spielt im Kontext des Klima-
wandels der städtische Verkehr eine zentrale Rolle. Er Josef Göppel (CDU/CSU):
ist in den Städten für 70 Prozent aller Treibhausgase
Der Verlust der biologischen Vielfalt ist neben dem
verantwortlich. 90 Prozent aller dort zurückgelegten
Klimawandel die größte globale politische Herausforde-
Autofahrten sind kürzer als sechs Kilometer. Entfernun-
rung unserer Zeit. Die Natur ist unsere Existenzgrund-
gen, die bestens geeignet sind, um auf Bahn, Bus, Rad
lage. Wir wissen, dass wir global, EU-weit und in
oder Fußweg umzusteigen. Hier liegt das größte CO2-
Deutschland das gesetzte 2010-Ziel nicht erreicht ha-
Einsparpotenzial. An dieser Stelle ist der Aktionsplan
ben.
„Urbane Mobilität“ allerdings ernüchternd.
Phasen des massiven Artensterbens hat es im Lauf
Auch zur Gestaltung des öffentlichen Raums werden der Erdgeschichte immer wieder gegeben. Seit dem
keine Aussagen gemacht. Eine nachhaltige, urbane Mo- 18. Jahrhundert jedoch wird der Rückgang der biologi-
bilität kann nur stattfinden, wenn die Verkehrsflächen schen Vielfalt maßgeblich durch menschliches Handeln
anders aufgeteilt werden und attraktive, sichere Flächen verursacht. Die Hauptursachen sind bekannt: allen vo-
für nichtmotorisierte Verkehrsteilnehmer ausgewiesen ran Lebensraumzerstörung und Übernutzung von Öko-
werden. Neue Nutzungskonzepte wie „Shared Space“ systemen, das Einbringen und Verschleppen von gebiets-
und Instrumente wie die „City-Maut“ brauchen drin- fremden Tier- und Pflanzenarten. Auch die vom Mensch
gend einheitliche rechtliche Rahmenvorgaben auf euro- verursachte Klimaveränderung trägt zum Artenschwund
päischer Ebene. Nur mit einer anderen Verkehrspolitik bei.
wird es uns in der EU gelingen, die eigenen Klima-
(B) schutzziele zu erreichen, zugleich die Verkehrssicherheit Der Verlust der Arten ist kein Problem entfernter tro- (D)
zu verbessern und den öffentlichen Raum als Lebens- pischer Länder. Der Artenverlust ist bei uns zu Hause vor
und Bewegungsraum für alle aufzuwerten. Die Forde- der eigenen Türe angekommen. Dazu möchte ich nur ein
rungen der Grünen nach einem generellen Tempolimit Beispiel nennen: eine der bekanntesten Vogelarten der
und einem Ausbau des ÖPNV sowie der Car-Sharing- offenen Kulturlandschaft, die Feldlerche. In Deutsch-
Angebote wären hier ein richtiger Schritt in die richtige land ging der Feldlerchenbestand von 1980 bis 2004 um
Richtung. Unser Leitbild dabei sollte die Stadt der kur- mehr als 50 Prozent zurück. Heute steht die Feldlerche
zen Wege sein, davon würde auch die Lebensqualität der auf der Roten Liste. Der Artenverlust spielt sich mittler-
Menschen in Deutschland profitieren! weile nicht nur bei uns im eigenen Land ab; er geschieht
auch im Rahmen geltender Gesetze. Das bedeutet, dass
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: die bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen der-
zeit noch nicht ausreichen. Wir sind gefordert, politisch
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für aktiv zu bleiben und nach neuen Wegen zur Bekämpfung
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner des Artenschwundes zu suchen. Wir brauchen dabei
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/815, in Kennt- nicht nur den politischen Willen, sondern auch geeig-
nis der Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. nete Instrumente, um dem Verlust der Artenvielfalt ent-
Wer stimmt für die Beschlussempfehlung? – Gegenstim- gegenzuwirken.
men? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist
angenommen. Zugestimmt haben CDU/CSU und FDP. Gerade in der Agrarlandschaft ist der Artenverlust
Dagegen gestimmt haben Bündnis 90/Die Grünen und am deutlichsten. Bei der Neuregelung der gemeinsamen
SPD. Die Linke hat sich enthalten. Agrarpolitik müssen deshalb der Artenschutz und die
Landschaftspflege berücksichtigt und honoriert werden.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf: Wer Leistungen für die Gesellschaft erbringt, muss dafür
Beratung des Antrags der Abgeordneten Undine besser gestellt sein als derjenige, der nur die gesetzli-
Kurth (Quedlinburg), Ulrike Höfken, Thilo chen Mindestanforderungen erfüllt.
Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Am 1. März ist das neue Bundesnaturschutzgesetz in
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kraft getreten. Damit sind Landschaftspflegeverbände
Biodiversität national und international kon- als gleichwertige und freiwillige Zusammenschlüsse von
sequent schützen Kommunen, Landwirten und Naturschützern im Natur-
schutzrecht verankert. Diese Zusammenschlüsse sind
– Drucksache 17/2005 – ein Zukunftsmodell.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5113
Josef Göppel
(A) Landschaftspflegeverbände und vergleichbare Orga- nen Regierungszeit getroffenen Maßnahmen haben also (C)
nisationen wie biologische Stationen in Nordrhein- durchaus einiges bewirkt.
Westfalen, lokale Aktionen in Schleswig-Holstein und
Mit der Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes wur-
Landschaftserhaltungsverbände in Baden-Württemberg
den nun die in der Föderalismusreform beschlossenen
gestalten und pflegen hochbedrohte Lebensräume und
Änderungen umgesetzt. Hier hätte man aus meiner Sicht
sind maßgeblich an der Umsetzung des europäischen
die Gelegenheit nutzen müssen, den Naturschutz in
Biotopverbundes Natura 2000 beteiligt. Gewässerrena-
Deutschland nachhaltig gesetzlich besserzustellen, als
turierung im Zuge der Europäischen Wasserrahmen-
es bisher der Fall ist. Eine solche Naturschutzpoltik war
richtlinie ist ebenso Arbeitsschwerpunkt wie der aktive
aber mit der Union leider nicht machbar.
Klimaschutz. Sie arbeiten mit neuartigen Konzepten an
der Verwertung von Biomasse aus der Landschaftspflege Ein stärkeres Naturschutzrecht haben die Agrarpoli-
oder am naturverträglichen Anbau von Energiepflan- tiker der Union verhindert; ihnen war und ist Klientel-
zen. politik wichtiger als Naturschutz. Diese Klientelpolitik
wird besonders offensichtlich, wenn man sich die vorge-
Darüber hinaus setzen Landschaftspflegeverbände
schlagenen Änderungen bei der „Eingriffsregelung“,
Natur und Landschaft wieder in Wert, indem sie regio-
dem Herzstück des Naturschutzes, im Koalitionsvertrag
nale Wirtschaftskreisläufe fördern. Projekte zur regiona-
zu Gemüte führt. Laut Koalitionsvertrag wird den Bun-
len Vermarktung verbinden wichtige ökologische As-
desländern die Kompetenz gegeben, Eingriffe in Natur
pekte mit ökonomischem Nutzen. Mit dem kooperativen
und Landschaft mit der Zahlung von Ersatzgeld anderen
Naturschutz, wie er mit den Landschaftspflegeverbän-
Kompensationsmaßnahmen gleichzustellen. Damit kann
den heute schon praktiziert wird, haben wir ein brauch-
sich jeder Investor „freikaufen“, sollten seine Vorhaben
bares Instrument, um die biologische Vielfalt in
in schützenswerte Bereiche eingreifen.
Deutschland zu stabilisieren.
Hier kommt zum Vorschein, was ich eingangs ange-
Dr. Matthias Miersch (SPD): sprochen habe: Es mangelt nicht nur an der Umsetzung;
Um die Biodiversität ist es weltweit, in Europa und es mangelt vor allem an Einsicht. Die schwarz-gelbe
auch in Deutschland nicht gut bestellt. Allen internatio- Bundesregierung wird letztlich schmerzlich feststellen
nalen Verträgen, europäischen Biodiversitätszielen und müssen, dass man einmal ausgestorbene Arten auch mit
nationalen Biodiversitätsstrategien zum Trotz nimmt Milliarden Euro nicht mehr wird zurückbringen können.
überall – auch in Deutschland – die Artenvielfalt ab; Le- Hier offenbart sich einer der vielen blinden Flecken der
bensräume sind bedroht, und die genetische Vielfalt re- aktuellen Bundesregierung. Die Flächeninanspruch-
duziert sich. Das Ziel, bis 2010 den Verlust an biologi- nahme und die Flächenversiegelung werden zunehmen;
(B) scher Vielfalt zu stoppen oder zumindest signifikant zu das Nachhaltigkeitsziel zur Reduzierung des Flächen- (D)
verlangsamen, wurde weder weltweit noch auf europäi- verbrauches wird nicht erreicht, und dem Naturschutz
scher Ebene erreicht. wird damit ein Bärendienst erwiesen.
International fand unter deutschem Vorsitz vor zwei
Das ist ein, übrigens überparteilich anerkanntes,
Jahren die Konferenz über die biologische Vielfalt statt.
Faktum. Leider ist zwischen den handelnden Parteien
Es wurden Meeresschutzgebiete geschaffen und der
ein großer Unterschied im Einsatz zur Beseitigung die-
Schutz der Wälder vorangetrieben.
ses untragbaren Zustandes zu beobachten. Es besteht
also nicht nur dringender Handlungsbedarf; es besteht Auch in diesem Zusammenhang zeigt sich, dass bei
zudem Bedarf an Erkenntnis. Schwarz-Gelb Worte und Taten auseinanderklaffen. Lei-
der hat die Bundesregierung ihre auf der Klimakonfe-
Aus diesen Gründen ist der vorliegende Antrag von
renz in Kopenhagen gemachte Zusage, jährlich zusätzli-
Bündnis 90/Die Grünen grundsätzlich zu begrüßen. In
che Mittel in Höhe von 420 Millionen Euro für den
weiten Teilen treffen und überschneiden sich die Positio-
Waldschutz in Entwicklungsländern bereitzustellen,
nen der Grünen und meiner Fraktion, wenn es um den
nicht eingehalten. In diesem Jahr wurden lediglich
Erhalt der Lebensumwelt geht. Trotz begründeter Kritik
70 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt; ob es im
darf man nicht vergessen: Es ist bisher in Sachen Natur-
Jahr 2011 überhaupt Mittel für den Waldschutz geben
schutz und Schutz der biologischen Vielfalt durchaus ei-
wird, ist fraglich.
niges passiert. So wurde die nationale Strategie zur bio-
logischen Vielfalt mit langfristig angelegten Zielen Es ist offensichtlich, dass für diese Bundesregierung
verabschiedet. Sie ist eine Strategie aller Ressorts, bin- internationale Zusagen nichts wert sind. Dies zeigt sich
det alle gesellschaftlichen Akteure ein und nimmt Län- beim Schutz der biologischen Vielfalt, beim Klima-
der und Kommunen in die Verantwortung. schutz, aber auch in andern Politikfeldern, wie zum Bei-
spiel bei der Armuts- und Hungerbekämpfung. Die Bun-
Mit dem Nationalen Naturerbe sichern wir bereits auf desregierung ist gerade dabei, die deutsche Reputation
100 000 Hektar naturschutzfachlich besonders wert- zu verspielen. Es bleibt nur zu hoffen, dass unsere inter-
volle Biotope. Die restlichen 25 000 Hektar werden nationalen Partner auch ohne uns in diesem Feld wei-
noch in dieser Legislaturperiode als Schutzgebiete aus- terarbeiten werden.
gewiesen. Außerdem wurde das Grüne Band an der ehe-
maligen innerdeutschen Grenze gesichert. In diesem Bei allen bisher angestrengten Bemühungen für den
Raum konnten sich über 40 Jahre Flora und Fauna un- Naturschutz ist es für den Naturschutz überlebenswich-
gehindert entwickeln. Die zumeist bereits in der rot-grü- tig, auch andere Politikbereiche mit einzubeziehen. Na-

Zu Protokoll gegebene Reden


5114 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Dr. Matthias Miersch


(A) turschutz ist ein Thema, das fachübergreifend andere gie enthält Ziele für dieses Jahr, aber auch zum Beispiel (C)
Politikbereiche berührt. Insbesondere ist hier die Land- für 2015 oder 2020, und Ziele ohne Zieljahr. Diese Stra-
wirtschaft gefordert. Vor allem der zunehmende Anbau tegie samt ihren Zielen soll mithilfe des Bundespro-
von Biomasse geht zulasten des Grünlandes und damit gramms umgesetzt werden. Momentan wird intensiv da-
beispielsweise der Wiesenbrüter. Bei diesen Arten ver- ran gearbeitet, dieses Bundesprogramm mit konkreten
zeichnen wir bereits einen rapiden Rückgang. Dies be- Maßnahmen auszugestalten.
trifft aber auch den Erhalt der Moore und Auen. Wir
brauchen gerade zum Schutz dieser Lebensräume eine Das alles geschieht vor der Erkenntnis, dass das all-
neue Agrarpolitik, die den Erhalt unserer Lebensgrund- gemeine Ziel verfehlt wurde, bis 2010 den Verlust an
lage finanziell unterstützt und eben nicht Geld dafür biologischer Vielfalt zu stoppen oder zumindest zu ver-
zahlt, dass sich die Landwirte an die gute fachliche Pra- langsamen. Erfreulicherweise gab es bei der Bewah-
xis halten. rung der biologischen Vielfalt auch einige wichtige
Teilerfolge. Viele Bürger zeigten großes Interesse an
Die herkömmliche Agrarpolitik hat den Artenrück- dem Thema der biologischen Vielfalt und nahmen am
gang in unserer Agrarlandschaft nicht stoppen können. 22. Mai 2010, am Internationalen Tag der biologischen
Es bräuchte eine viel stärkere bundesgesetzliche Regu- Vielfalt, an den bundesweiten Wanderungen teil.
lierung, die auf Basis des neuen Naturschutzrechtes
durchaus denkbar wäre, um den Erhalt der biologischen Liebe Kollegen der Fraktion der Grünen, in Ihrem
Vielfalt zu einer Selbstverständlichkeit zu machen. Aber Antrag zum Schutz der Biodiversität stellen Sie Forde-
auch hier ist leider von der Bundesregierung kein Um- rungen, die zum Teil schon umgesetzt sind oder schon in
denken zu erwarten. der Beratungsphase sind. Sie fordern, dass eine Verein-
barung eines verbindlichen europäischen Post-2010-
Die von mir zuletzt erwähnten Aspekte kommen leider Ziels mit konkreten Unterzielen aufgestellt wird. Die
im Antrag von Bündnis 90/Die Grünen noch zu kurz. EU-Kommission hat schon Vorschläge für neue EU-
Sich nur auf den Naturschutz als singuläres Feld zu be- Zielsetzungen zur Biodiversitätspolitik, insbesondere für
ziehen ist schön und richtig. Eine größere Gefahr droht die Zeit nach 2010, gemacht.
der Biodiversität jedoch aus anderen Politikfeldern, de-
ren Regelungen zum Erhalt der biologischen Vielfalt Es sind ein langfristiges Biodiversitätsziel der EU bis
häufig kaum wirksam, schlimmstenfalls jedoch nicht 2050 und vier Optionen für ein mittelfristiges Ziel für
existent sind. Hier muss in Zukunft dafür gekämpft wer- 2020 aufgestellt worden. Die Optionen unterscheiden
den, der aktuellen Bundesregierung auf die Sprünge zu sich in ihrem Ambitionsniveau: Während die erste ledig-
helfen. lich anstrebt, den Verlust an Biodiversität zu verlangsa-
men, hält die zweite Option am bestehenden Ziel der
(B) Eindämmung fest, verlängert aber die Frist für sein Er- (D)
Angelika Brunkhorst (FDP): reichen. Die dritte Option zielt nicht nur auf die Eindäm-
Wir stehen unverändert in der Pflicht, entschlossen mung des Verlusts, sondern auch auf die Wiedernutzbar-
und umsichtig die natürlichen Lebensgrundlagen zu machung von Ökosystemen und deren Dienstleistungen.
schützen und die Lebensqualität nachfolgender Genera- In der vierten Option wird darüber hinaus ein verbesser-
tionen in ökologischer, ökonomischer und sozialer Hin- ter finanzieller Beitrag der EU zur Vermeidung globaler
sicht zu bewahren und weiterzuentwickeln. Wir müssen Biodiversitätsverluste angestrebt.
auch unseren Kindern eine artenreiche Natur hinterlas-
sen, sodass auch sie von den Ökosystemdienstleistungen Diese Vorschläge müssen nun überprüft werden. Auf
der Natur profitieren können. Die Natur ist unser größ- dieser Grundlage will die Kommission bis Ende des Jah-
ter Schatz. res eine EU-Strategie für Biodiversität vorlegen. Erste
Schritte bei der Vereinbarung eines europäischen Post-
Gerade in diesem Jahr – dem Jahr der biologischen 2010-Ziels sind schon auf bestem Wege.
Vielfalt – müssen wir mit Entschlossenheit praktikable
Wege finden, um den Verlust der Artenvielfalt zu stop- Liebe Kollegen der Fraktion der Grünen, Sie fordern
pen. Viele Pflanzen- und Tierarten sind in ihrer Existenz eine nationale Studie zur ökonomischen Bedeutung von
massiv bedroht, und nur wir Menschen können etwas da- Ökosystemdienstleistungen und biologischer Vielfalt,
für tun, diese zu schützen. um die ausreichende Berücksichtigung in allen Politik-
feldern gewährleisten zu können. Eine übergreifende in-
Rückblickend hat es in Bezug auf die Biodiversität ternationale Studie über den „Ökonomischen Wert von
stets gravierende Veränderungen gegeben – auch ohne Ökosystemen und biologischer Vielfalt“ – TEEB-Be-
menschliches Zutun. Dabei sind neue Arten entstanden richt – ist von Deutschland und der EU-Kommission
und alte verschwunden. Beim Schutz der Biodiversität lanciert und erstellt worden. Man wird sicherlich Ergeb-
geht es also nicht darum, bestimmte Arten in diesem Mo- nisse aus dieser Studie auf Deutschland übertragen kön-
ment zu konservieren, sondern entscheidend ist, dass die nen. Somit wäre eine weitere nationale Studie nicht
Fähigkeit von Ökosystemen zur Anpassung an sich ver- zwingend notwendig.
ändernde Gegebenheiten erhalten bleibt. Der Erhalt der
Biodiversität und der Schutz gefährdeter Arten sind Als zusätzliche Informationsquelle ist gerade der At-
Ziele, dem die FDP hohe Aufmerksamkeit widmet. las der Biodiversitätsrisiken auf der Green Week 2010 in
Brüssel vorgestellt worden. Er kombiniert die Haupter-
Die nationale Strategie zur biologischen Vielfalt ist gebnisse des großen EU-Forschungsprojektes ALARM
eine klare Basis für eine langfristige Politik. Die Strate- mit einigen Kernergebnissen aus zahlreichen anderen

Zu Protokoll gegebene Reden


Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5115
Angelika Brunkhorst
(A) Forschungsnetzwerken. Der neue Atlas der Biodiversi- Tiger“, schreibt der WWF; „30 Vogelarten, mehr als je (C)
tätsrisiken ist der erste seiner Art, der die Hauptfaktoren zuvor, sind in Deutschland vom Aussterben bedroht“,
zusammenfasst, die zum Verlust der Artenvielfalt auf eu- warnt der NABU; „Rette die Wale“, fordert der WWF.
ropäischer und globaler Ebene führen.
Die Liste könnte ich fortführen, aber eigentlich war
Auf UN-Ebene ist gerade ein neues internationales ich auf der Suche nach einigen guten Beispielen zum
Wissenschaftlergremium für Biodiversität IPBES – In- Schutz der biologischen Vielfalt. Ich meine nicht die vie-
tergovernmental Science-Policy Platform on Biodiver- len kleinen punktuell wirkenden und gut gemeinten Pro-
sity and Ecosystem Services – nach dem Vorbild des jekte. Sie sind immens wichtig. Wo wären wir ohne sie?
Weltklimarats IPCC von der internationalen Gemein- Aber ich suchte nicht nur einen Ansatz zur Rettung einer
schaft auf einer Konferenz in Südkorea beschlossen wor- Art. Denn es sind die Lebensräume, die nicht weiter zer-
den. Weltweit sollen wissenschaftliche Daten gesammelt, stört werden dürfen – die Meere, die Wälder weltweit,
analysiert und anschließend verschiedene Handlungsop- auch die Tropenwälder, die Mangrovensümpfe, die
tionen angeboten werden. Moore, die Kulturlandschaften. Die Wirkung einer Zer-
störung von Lebensräumen ist überregional, ja global.
Die Daten sollen als zusätzliche, unabhängige und
glaubwürdige Informationen als Entscheidungshilfe Die Ergebnisse haben mich ebenso deprimiert wie die
genutzt werden. Regierungen in Schwellen- und Ent- Beschreibung der Defizite beim Schutz der biologischen
wicklungsländern wird geholfen, eigene Kapazitäten Vielfalt im Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen,
aufzubauen, beispielsweise durch den Aufbau wissen- um den es heute geht: „Biodiversität national und inter-
schaftlicher Kooperationen und den vereinfachten Zu- national konsequent schützen“. Im Januar haben wir es
gang zu Fachliteratur. IPBES soll dazu beitragen, dass alle schon gesagt: Das Ziel, den Verlust der biologi-
Fragen der biologischen Vielfalt sektorübergreifend bei schen Vielfalt umzukehren, wird weit verfehlt. Wir schaf-
politischen Maßnahmen, Strategien und Programmen fen es nicht einmal, ihn zu stoppen. Das war ernüch-
berücksichtigt werden, und damit auch einen Bewusst- ternd. Nun ist die Hälfte des Jahres um, und wir sind
seinswandel der Gesellschaft herbeizuführen. insgesamt nicht sehr viel weitergekommen. Genau das
ist unser Dilemma, und genau das ist das Thema des An-
Es ist offensichtlich, dass nicht nur eine einzelne poli-
trages.
tische Maßnahme die Artenvielfalt retten wird, sondern
dass eine systematische Überprüfung aller Politikfelder Die im Antrag genannten Forderungen an die Bun-
bzw. Ressorts notwendig ist. Nur durch ein international desregierung benennen treffend die Defizite beim Schutz
abgestimmtes Vorgehen kann dem rasanten Verlust an der Funktionsfähigkeit des Naturhaushaltes, unserer Le-
Biodiversität Einhalt geboten werden. bensgrundlage. Es geht um viel, um nicht gleich zu sa-
(B) gen, es geht um alles. Ich will jetzt nicht mit Zitaten aus (D)
Als großes Ereignis im Jahr der biologischen Vielfalt
dem 1972 erschienen Bericht des Club of Rome „Die
tagt die 10. Vertragsstaatenkonferenz – COP 10 – der
Grenzen des Wachstums“ anfangen. Aber die gleichen
Konvention über die biologische Vielfalt – CBD – in Na-
Autoren haben 1992 ein weiteres Buch geschrieben:
goya/Japan. Die deutsche Bundesregierung gibt dann
„Die neuen Grenzen des Wachstums“. Sie kommen zu
ihre Präsidentschaft nach zweieinhalb Jahren ab. Der
keinem anderen Ergebnis: Es geht um ein generelles
Fahrplan, ein Post-2010-Ziel im Herbst festzusetzen, ist
Umdenken. Einer der Autoren, Stewart Udall, beschreibt
schon auf der COP 9 beschlossen worden. Darin wurden
es so: „Alles deutet darauf hin, dass wir ständig die
konkrete Ziele und Vereinbarungen formuliert.
Rolle unserer technologischen Schöpferkraft überbe-
Wir sehen als Hauptaufgabe der deutschen CBD-Prä- werten und die Bedeutung unserer natürlichen Ressour-
sidentschaft den Beschluss der international verbindli- cen unterschätzen. Uns fehlt der Sinn für die Grenzen
chen Vereinbarung zur gerechten Aufteilung der Vorteile und das Bewusstsein für die Bedeutung der Ressourcen
der Nutzung der biologischen Vielfalt – ABS-Regime – im dieser Erde ...“.
Oktober auf der Konferenz in Japan. Mit einem ABS-Re-
Jetzt, nach wiederum 20 Jahren, sage ich, dass uns
gime haben die Herkunftsländer biologischer Ressour-
vielleicht der Sinn für die Grenzen immer noch fehlt,
cen endlich die Chance auf einen gerechten Vorteilsaus-
aber die Bedeutung der natürlichen Ressourcen dringt
gleich und sie können gegen Biopiraterie vorgehen.
langsam doch in unser Bewusstsein. Die Fakten sind
Wir hoffen, dass im Oktober ein gutes Ergebnis der lange genug bekannt; auch, was getan werden muss.
10. Vertragsstaatenkonferenz im Sinne der Erhaltung Der Schutz der Lebensräume ist heute die Aufgabe –
der Artenvielfalt erreicht wird. weltweit. Aber lassen Sie uns benennen, was Deutsch-
land leisten kann. Der sozial-ökologische Umbau der
Sabine Stüber (DIE LINKE): Gesellschaft ist zu schaffen, und das wäre schon die
In Vorbereitung dieser Rede blätterte ich durch ver- halbe Miete.
schiedene Zeitschriften, Broschüren und recherchierte
im Internet. In themenspezifischen Beiträgen wird im- Undine Kurth (Quedlinburg) (BÜNDNIS 90/DIE
mer wieder Alarm geschlagen, ob von Fachbehörden GRÜNEN):
aus Bund und Ländern oder den verschiedenen Umwelt- Dass wir mit unserer Art zu wirtschaften dabei sind,
und Naturschutzverbänden in unserem Land: „Für Fle- weltweit die biologische Vielfalt zu vernichten, unter-
dermäuse geht es ums Überleben“, so die Deutsche Um- streicht nichts mehr als die Ölkatastrophe im Golf von
welthilfe; „Deadline – die Zeit läuft für die letzten 3 200 Mexiko. Wir sind in rasantem Tempo unterwegs, wenn es

Zu Protokoll gegebene Reden


5116 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Undine Kurth (Quedlinburg)


(A) darum geht, Natur zu zerstören, biologische Vielfalt zu stabilisieren das Klima, schützen vor Extremereignissen (C)
verringern und Lebensräume zu vernichten. Von den im und dienen sogar noch der Entsorgung vieler unserer
April 2002 von den Vertragsstaaten des UN-Überein- Abfälle. Deshalb geht es nicht nur um das eine oder an-
kommens über die biologische Vielfalt für das Jahr 2010 dere possierliche Tierchen oder die eine oder andere
formulierten 21 Teilzielen wurde kein einziges erreicht. exotisch-schöne Pflanze. Es geht um unsere Lebens-
Im 3. Globalen Ausblick der CBD, der gerade veröffent- grundlagen und die der Generationen nach uns.
licht wurde, beginnt jede – wirklich jede – Zielbewer-
tung mit der Formulierung „In globalem Maßstab nicht Wir alle sollten wissen: Der so wichtige Schutz der
erreicht …“. Das kann und darf so nicht bleiben. biologischen Vielfalt kann nicht Aufgabe nur eines Res-
sorts sein. Das geht an der Realität der Ursachen des
Die bevorstehende 10. Vertragsstaatenkonferenz ist Biodiversitätsverlustes völlig vorbei. Biodiversitäts-
eine Chance, neue Ziele und neue Maßnahmen für den schutz ist eine klassische Querschnittsaufgabe. Als sol-
weltweiten Schutz unserer Lebensgrundlagen zu verein- che sollte sie in Deutschland endlich begriffen werden.
baren. Der von uns heute vorgelegte Antrag richtet sich
an die Bundesregierung insbesondere in ihrer Eigen- Ich kann Umweltminister Röttgen daher nur auffor-
schaft als amtierende Präsidentschaft der CBD, die sie dern, die Chance zu nutzen und mit dem für dieses Jahr
noch bis zur 10. Vertragsstaatenkonferenz in Japan in- angekündigten Bundesprogramm zur biologischen Viel-
nehaben wird. Dass es eine besonders erfolgreiche Prä- falt einen großen Schritt nach vorne zu machen und da-
sidentschaft war, wird nicht einmal die Bundesregierung bei insbesondere seine Ellenbogen gegenüber seinen
zu behaupten wagen; denn bei keinem der wichtigen Kollegen im Landwirtschafts- und im Verkehrsministe-
Verhandlungspunkte sind bislang Durchbrüche erzielt rium zu nutzen.
worden. Deshalb kommt es darauf an, die verbleibende Orientieren Sie sich auf keinen Fall an dem hessi-
Zeit zu nutzen – national und international. schen Verkehrs- und Wirtschaftsminister Dieter Posch,
Beispiel Biosicherheit. Nicht abschätzbare Risiken FDP, der Denken von vorgestern bietet, wenn er ankün-
drohen uns durch den Anbau von gentechnisch verän- digt, er wolle den Naturschutz „auf ein volkswirtschaft-
derten Pflanzen. Diese Risikotechnologie ist geeignet, lich akzeptables Niveau bringen“. Da hat jemand die
größte Schäden in unseren Ökosystemen anzurichten. Zusammenhänge ganz gewaltig nicht begriffen; denn
Deshalb sollte auf ihre Anwendung verzichtet werden. weniger Naturschutz heute bedeutet mehr volkswirt-
Zumindest brauchen wir dringend eine Regelung der schaftliche Kosten morgen.
Haftungsfragen. Es muss ein rechtlich bindendes Haf- Nehmen Sie sich lieber noch einmal die Rechnung des
tungssystem für alle Vertragsstaaten vereinbart werden. Umweltbundesamtes zur Hand, das Ihnen vorrechnet,
Bislang: Fehlanzeige! dass in unseren Haushalten umweltschädliche Subven- (D)
(B)
Beispiel gerechter Vorteilsausgleich. Wenn es welt- tionen stecken, die uns jährlich 48 Milliarden Euro kos-
weit bei der wirtschaftlichen Nutzung der biologischen ten. Packen Sie hier an; das ist dann wirklich „intelli-
Vielfalt gerecht zugehen soll, dann muss endlich eine Re- gentes Sparen“.
gelung getroffen werden zum Zugang und zum gerechten
Um meine Rede optimistisch zu beschließen, möchte
Vorteilsausgleich bei der Nutzung genetischer Ressour-
ich an dieser Stelle ausdrücklich begrüßen, dass die
cen. Bisher: Wieder Fehlanzeige!
UNEP, das Umweltprogramm der Vereinten Nationen,
Beispiel Schutzgebiete. Die vereinbarten internatio- vor wenigen Tagen beschlossen hat, ein internationales
nalen Schutzgebiete zu Wasser und zu Land bedürfen Wissenschaftlergremium für Biodiversität einzurichten.
dringend einer soliden Finanzierung, hier muss auch die Damit wird für politische Entscheidungsträger ein zu-
Bundesregierung ihren Anteil leisten – nicht nur bei der verlässiges und glaubwürdiges Gremium eingerichtet,
Rettung der Banken. Was wir hier bislang erlebt haben, das Zustand und Entwicklung der weltweiten Biodiversi-
ist eine Mehrfachanrechnung zugesagter Mittel – einmal tät beobachtet, analysiert und bewertet. Neben der Kli-
als Klimaschutz, dann als Biodiversitätsschutz und dann mafrage ist die Frage der biologischen Vielfalt eine der
als Entwicklungshilfe. So werden zwar aus 1 Million elementaren Herausforderungen unserer Zeit, und dafür
Euro schnell 3 Millionen Euro; ein redliches Vorgehen muss entsprechendes gesellschaftliches und politisches
ist das aber nicht. Gemeinhin nennt man das Taschen- Bewusstsein geschaffen werden. Das IPBES – so der
spielertricks. Also: wieder Fehlanzeige! Name des neuen Gremiums – wird dazu sicherlich einen
guten Beitrag leisten. Wir Grünen können uns auch sehr
Im Biodiversitätsschutz – also beim Schutz von Pflan- gut mit dem Gedanken anfreunden, dass dieses Gremium
zen und Tieren, Lebensräumen und genetischer Vielfalt – in Deutschland angesiedelt wird. Entscheidend wird
geht es aber nicht nur um ferne Regenwälder oder Ko- aber bleiben, dass wir handeln; denn wir haben schon
rallenriffe, sondern auch um konkrete Maßnahmen hier heute kein Erkenntnisdefizit, sondern ein Handlungsde-
vor Ort. Auch bei uns in Deutschland treiben Flächen- fizit.
verbrauch, Zerschneidung, intensive Landwirtschaft,
Verschmutzung und Übernutzung die Natur in immer en-
gere Nischen. Die Ökosysteme verarmen und werden in- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
stabil. Intakte Ökosysteme sind aber nicht nur für den Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Tourismus gut. Wir erhalten von ihnen Nahrung, Bau- Drucksache 17/2005 an die in der Tagesordnung aufge-
stoffe, Fasern, Energie, Arzneimittel, sauberes Wasser führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie ein-
und saubere Luft. Sie dienen als technische Vorbilder, verstanden. Dann ist das so beschlossen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5117
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
(A) Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 sowie Zusatz- Kinder, die ständig Süßigkeiten essen können, ohne dick (C)
punkt 4 auf: zu werden, während sich andere Schwimmringe anfut-
tern. Warum? Die schlanken Kinder bewegen sich mehr.
27 Beratung des Antrags der Abgeordneten Karin
Der Energieumsatz des Körpers ist außerdem nicht bei
Binder, Caren Lay, Dr. Martina Bunge, weiterer
jedem Menschen gleich.
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Nährwert-Ampel bundesweit einführen Statt sich vernünftig zu ernähren oder mehr Sport zu
treiben, sollen wir, wenn es nach den Vorstellungen der
– Drucksache 17/2120 – Opposition geht, jetzt farbigen Punkten unsere Gesund-
Überweisungsvorschlag: heit anvertrauen. Das ist nicht unser Verständnis von
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherpolitik. Verstehen Sie mich bitte nicht
Verbraucherschutz (f) falsch. Es ist unbestritten, dass Verbraucherinnen und
Ausschuss für Gesundheit
Verbraucher über den Energiegehalt und die Gehalte an
ZP 4 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be- Nährstoffen in Lebensmitteln auf der Verpackung infor-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- miert werden müssen. Nur so ist durch die Lebensmittel-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu auswahl eine ausgewogene und gesunde Ernährung
dem Antrag der Abgeordneten Ulrike Höfken, möglich.
Nicole Maisch, Cornelia Behm, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE Lassen Sie mich nur ein Argument hervorheben, wel-
GRÜNEN ches meiner Meinung nach gegen eine Ampelkennzeich-
nung spricht: Die Ampelkennzeichnung bezieht sich auf
zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Eu- 100 Gramm. Viele Lebensmittel würden damit als „rot“
ropäischen Parlaments und des Rates betref- klassifiziert, zum Beispiel Nüsse, obwohl sie gar nicht in
fend die „Information der Verbraucher über diesen Mengen verzehrt werden. Die Frage, ob ein Le-
Lebensmittel“ KOM(2008) 40 bensmittel ernährungsphysiologisch günstiger oder un-
hier: Stellungnahme gegenüber der Bundesre- günstiger ist, hängt aber entscheidend von der verzehr-
gierung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grund- ten Menge und vor allem von der Gesamternährung ab.
gesetzes Bei der Ausarbeitung des „1 plus 4 Modells“ hat sich
Lebensmittelinformation verbessern – Verbind- die Bundesregierung deshalb bewusst gegen das Ampel-
liche Ampelkennzeichnung einführen modell entschieden. Die Union unterstützt das Modell
von Bundesministerin Aigner: Wir wollen eine klare und
– Drucksachen 17/1987, 17/2185 – informative Lebensmittelkennzeichnung mit übersichtli-
(B)
Berichterstattung: chen Informationen auf der Verpackung über Nähr- (D)
Abgeordnete Carola Stauche werte, Inhaltsstoffe und Abdeckung des Tagesbedarfs
Iris Gleicke auf der Grundlage einheitlicher, vergleichbarer Bezugs-
Dr. Christel Happach-Kasan größen. Die Kalorienzahl in Bezug auf die empfohlene
Karin Binder Tageszufuhr muss auf die Vorderseite. Der Rest – also
Ulrike Höfken Zucker, Salz, ungesättigte Fettsäuren und Fett – soll auf
die Rückseite.
Hier werden zu Protokoll gegeben die Reden von
Carola Stauche, Iris Gleicke, Dr. Christel Happach- Die Entscheidung des BMELV für dieses Modell ist
Kasan, Karin Binder und Ulrike Höfken. auch aufgrund der Bedenken, die seitens der Wissen-
schaft gegenüber der Ampelkennzeichnung geäußert
Carola Stauche (CDU/CSU):
wurden und immer noch geäußert werden, getroffen
worden. So hat die Deutsche Gesellschaft für Ernäh-
Wir diskutieren heute wieder über ein Thema, das uns
rung deutlich gezeigt, dass die wissenschaftliche Ein-
schon seit geraumer Zeit beschäftigt, und die Meinung
deutigkeit der international vorgeschlagenen Bezugs-
der Union in dieser Frage hat sich nicht geändert. Im
größen wenig überzeugend ist. Sie kritisiert unter
Land des Autos sind wir uns der Bedeutung von Ampeln
anderem die Spannen der im Ampelsystem vorhandenen
durchaus bewusst, allerdings gehören diese an Kreuzun-
Farben. Bei einer Bezugsgröße von 100 Gramm führen
gen und nicht auf Lebensmittel. Auf der Straße helfen
3 bis 20 Gramm Fettanteil zu einem gelben Ampel-
sie, den Verkehr zu regeln; auf Lebensmitteln führen sie
punkt. Was das in dieser Größenordnung für ein Unter-
dazu, den Verbraucher zu verwirren. Es mag schön aus-
schied ist, muss ich niemandem näher erläutern. Auch
sehen, wenn alle Lebensmittel mit grünen, gelben oder
das Beispiel des Cola-Getränks macht deutlich, dass die
roten Punkten gekennzeichnet sind. Aber ist das nicht zu
Ampelkennzeichnung deutliche Schwächen hat. Auf-
kurz gedacht? Sollen wir den Bürgern durch eine Ampel-
grund des Fehlens von gesättigten Fettsäuren, von Fett
kennzeichnung die Entscheidung leicht machen, keine
und Salz erhält es drei grüne Punkte und nur für den Zu-
Margarine mehr zu kaufen, weil diese mit einem roten
ckergehalt einen roten. Sehr übersichtlich auf der Verpa-
Punkt gekennzeichnet ist? Das klingt polemisch, aber
ckung angebracht deutet es auf ein gesundes Lebensmit-
genau das ist die Ampelkennzeichnung auch – Polemik
tel hin: „Dreimal grün und nur einmal rot, was soll’s,
oder vielmehr Aktionismus und Alibipolitik.
das nehm’ ich mit, ist doch völlig ungefährlich.“ Und
Nicht die Lebensmittelwirtschaft ist schuld, wenn un- auch wer glaubt, dass er sich ausgewogen ernährt, wenn
sere Bäuche wachsen, sondern unser Verhalten. Es gibt er nur noch Produkte mit grünen Punkten, zum Beispiel
5118 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Carola Stauche
(A) Äpfel, in seinem Warenkorb hat, liegt falsch. Eine solche An die Kolleginnen und Kollegen der Linken gerich- (C)
Kennzeichnung ist doch total verwirrend. tet: Jetzt werden Sie einen Satz hören, den Sie selten von
mir zu hören bekommen. Ich bin Ihrer Meinung, dass
Die eben genannten kleinen Beispiele zeigen doch Deutschland eine Vorreiterrolle bei der Einführung ei-
deutlich, zu welcher Irritation es bei der Ampel kommen ner nachvollziehbaren Lebensmittelkennzeichnung ein-
kann. Das kann doch nicht im Sinn von verantwortungs- nehmen sollte. Das ist allerdings mit der Ampelkenn-
voller Verbraucherpolitik sein. Kurzum: Simplifizie- zeichnung, wie sie von Ihnen gefordert wird, nicht
rende Farbpunkte, wie die reine Ampelkennzeichnung gewährleistet. Das und die oben genannten Gründe sind
sie vorsieht, bedeuten schlichtweg irreführende Infor- der Grund dafür, dass wir den Antrag ablehnen.
mationen. Nahrungsmittel werden hier in gut und
schlecht eingeteilt. Auch nationale Alleingänge, wie Iris Gleicke (SPD):
von SPD und Linken gefordert, helfen uns wenig. So- Die Anträge für die Ampelkennzeichnung können nur
wohl für die Verbraucher wie auch für die Wirtschaft ist unterstützt werden.
vielmehr eine einheitliche europäische Regelung wich-
tig. Hohe Produktions- und Logistikkosten für die Wirt- Seit Monaten diskutieren Politik, Wirtschaft und Ver-
schaft und Verwirrung für die Verbraucher wären die braucherschützer über die Frage der Nährwertkenn-
Folgen eines nationalen Alleingangs. Eines muss uns zeichnung auf Lebensmitteln; und das europaweit.
doch aber auch klar sein: Eine Kennzeichnung ist letzt- Bei dieser Diskussion sollte das Ziel ganz klar sein,
lich nur eine zusätzliche Hilfestellung für den Verbrau- allen Verbrauchern die Wahl der richtigen Produkte für
cher. Die Linke und die SPD versteifen sich mal wieder eine gesunde und ausgewogene Ernährung zu erleich-
in der Fehlernährungsdebatte auf Kennzeichnungsrege- tern, und zwar so leicht verständlich, dass in Zukunft
lungen. Doch das Problem wird nicht mit bunten Farben niemand mit dem Taschenrechner den Supermarkt betre-
gelöst, sondern mit Verbraucherbildung an Schulen, in ten muss.
Kantinen und im Elternhaus.
Wir brauchen eine klare Kennzeichnungspflicht, da-
Ich möchte noch einmal darauf hinweisen: Wer sich mit Verbraucherinnen und Verbraucher einfach verglei-
bis heute nicht über seine Ernährung informiert hat, chen und bewusst entscheiden können, was sie essen und
wird dies auch in Zukunft nicht tun. Da muss verantwor- trinken. Sie müssen endlich auch ohne ein ernährungs-
tungsvolle Verbraucherpolitik ansetzen. Informieren, wissenschaftliches Studium verstehen können, was ge-
aufklären, behilflich sein statt bevormunden – das ist sund ist und was nicht. Das ist heute leider gar nicht
das Credo der Union. Das ist der Weg, den wir alle ein- mehr so leicht, da viele Produkte, die in der Werbung als
gesund gepriesen werden, versteckte Fette und Zucker
(B) schlagen müssen. Diesen Weg müssen alle gemeinsam beinhalten.
(D)
gehen, Verbraucherinnen und Verbraucher gemeinsam
mit Erzeugern, Händlern, Verbraucherschützern und Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte, die
auch der Politik. Bei Bedürfnissen der Verbraucher und Bundesärztekammer und auch die gesetzlichen Kranken-
Verbraucherinnen müssen Informationsangebote durch kassen fordern seit langem die Einführung der Ampel-
Erzeuger, Händler und Politik gemacht werden. Die kennzeichnung, die auch schon in Großbritannien zu
Politik muss ihrer Sorgfaltspflicht den Bürgerinnen und großem Erfolg geführt hat. Dort ist der Absatz ausgewo-
Bürgern gegenüber nachkommen und Erzeugern und gener Produkte seit Einführung der Ampelkennzeichnung
Händlern bei ihrer Tätigkeit auf die Finger schauen, signifikant gestiegen. Diese Verbände haben meiner
ohne ihnen dabei die Hände festzubinden. Meinung nach ein wesentlich fundierteres Fachwissen
zum Thema ernährungsbedingte Krankheiten als die
Dass wir in Europa nicht allein stehen mit dieser Lobbymaschinerie der Lebensmittelwirtschaft, die sich
Meinung, hat die gestrige Abstimmung im Europäischen – aus ihrer Sicht verständlicherweise – gegen die Am-
Parlament gezeigt. Auch hier stimmte man gegen eine pelkennzeichnung ausspricht.
verpflichtende Ampelkennzeichnung, übrigens mit den
gleichen Argumenten, die wir in dieser Diskussion seit Die Einführung des „Nährwertkästchens“, also der so-
Jahren vorbringen. Die Unionsfraktion begrüßt die Ent- genannten GDA-Kennzeichnung, oder des „1 plus 4 Mo-
dells“ reicht zur Aufklärung nicht aus und ist irreführend.
scheidung des Europäischen Parlamentes ausdrücklich,
Die Nährwertangaben, die für frei variable Portionsgrö-
sich erneut gegen eine stigmatisierende farbliche Am-
ßen angegeben werden können, bieten nur eine abstrakte
pelkennzeichnung auf europäischer Ebene auszuspre-
Vergleichsmöglichkeit. 15 Gramm Schokolade haben
chen. Einmal mehr ist deutlich geworden, dass es in Eu- weniger Zucker und Kalorien als ein Liter Bioapfelsaft.
ropa keine Mehrheit für eine solche Kennzeichnung gibt. Da wird der Einkauf schnell zur Mathestunde, und die
Ein großes Lob sprechen wir der CDU-Europaabgeord- Verbraucher werden schlichtweg verunsichert.
neten und Berichterstatterin Renate Sommer für die kon-
sequente und gute Verhandlungsführung aus. Die Angaben auf dem Etikett müssen einfach, ver-
gleichbar, überschaubar und leicht verständlich sein
Auch die Befürworter einer solchen stigmatisieren- und dürfen keinen Teil unserer Bevölkerung ausgrenzen.
den Kennzeichnung sollten die Zeichen der Zeit endlich Die farbliche Kennzeichnung der Ampel würde all diese
erkennen und ihren Glaubenskrieg beenden. Was der Anforderungen erfüllen. Sie würde insbesondere bei zu-
Verbraucher braucht, sind vergleichende und übersicht- sammengesetzten Produkten wie Tiefkühlpizza, Müsli
liche Informationen, ohne Wertung. oder Fertiggerichten Aufklärungsarbeit leisten.

Zu Protokoll gegebene Reden


Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5119
Iris Gleicke
(A) Nicht nur die SPD ist seit langem für die Einführung Tat ein Problem. Aber wir beobachten nicht nur eine Ge- (C)
der Ampel. Bereits im Juli 2009 hat es eine Emnid-Um- wichtszunahme. Essstörungen wie Bulimie und Mager-
frage gegeben, in der sich 69 Prozent der Verbraucher sucht sind vor allem bei jungen Frauen, mittlerweile
für eine Ampelkennzeichnung ausgesprochen haben. Die aber auch bei jungen Männern weit verbreitet. Nach ei-
Menschen wollen eine einfache Kennzeichnung, die sie ner Studie des Robert-Koch-Instituts aus dem Jahr 2006
auch lesen können, wenn sie einmal ihre Brille verges- hat jedes dritte Mädchen von 11 bis 17 Jahren Essstö-
sen haben, und die sie auch ihren Kindern verständlich rungen und Krankheiten wie Magersucht, Ess-Brech-
machen können. Sucht oder Fettsucht. Bei Jungen im gleichen Alter sind
In Großbritannien sprechen sich sogar die Super- es immerhin 15,2 Prozent. Dieses gesamtgesellschaftli-
märkte selber für eine klare Kennzeichnung aus, da sich che Problem ist nicht durch eine mit Farben unterlegte
Transparenz und Offenlegung auszahlen. Kennzeichnung, die die rationale Information über
Nährwertgehalte durch farbliche Unterlegung emotio-
Auch wenn sich die Europäische Union am Mittwoch nalisiert, in den Griff zu bekommen. Im Gegenteil, ge-
erneut gegen die verpflichtende Ampelkennzeichnung rade für Menschen mit krankhaften Essstörungen birgt
ausgesprochen hat, so brauchen wir wenigstens auf na- die Nährwertampel eine erhebliche Gefahr der Fehlori-
tionaler Ebene diese verständliche Lösung. entierung. Eine Nährwertkennzeichnung muss jedoch
allen Menschen Information und Orientierung geben.
Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Die Nährwertampel ist gestern im Europaparlament Nicht nur die Deutsche Gesellschaft für Ernährung
mehrheitlich abgelehnt worden. Es hat sich die Vernunft hat sich gegen die Nährwertampel ausgesprochen, son-
durchgesetzt, und das ist gut. Die vorliegenden Anträge dern auch die Lebensmittelwirtschaft. Dies wurde von
von den Grünen und der Linken haben sich damit erle- den Befürwortern der Nährwertampel sogleich als Lob-
digt. byismus gebrandmarkt. Zwei plus zwei ist vier, jeder
weiß das. Ist diese wahre Aussage automatisch dann
Bereits jetzt sind auf den meisten Lebensmittelverpa- falsch, wenn ein Lobbyist sie bestätigt? Mir haben die
ckungen Angaben über den Gehalt des Lebensmittels an von mir persönlich angeschriebenen Krankenkassen
Kalorien, Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz keine wissenschaftliche Studie nennen können, die be-
zu lesen. Die freiwillige Kennzeichnung hat sich weitge- legt, dass die Nährwertampel die Gesundheit fördert.
hend durchgesetzt. Die Unternehmen der Lebensmittel- Die Tatsache, dass Verbraucherverbände sich für die
wirtschaft haben zumeist sehr zügig auf die Forderungen Nährwertampel ausgesprochen haben, ist kein wissen-
nach solchen Informationen reagiert und damit akzep- schaftlicher Beleg dafür, dass sie die angesprochenen
tiert, dass selbstverständlich die Verbraucherinnen und
(B) Verbraucher einen Anspruch auf diese Informationen Probleme lösen hilft. (D)
haben. In den beiden letzten Jahrzehnten ist das Durch-
Die Unterlegung dieser Informationen mit Farben schnittsgewicht der Kinder, der Anteil zu dicker Kinder
bedeutet jedoch eine nicht sachgerechte Emotionalisie- gestiegen. Besorgniserregend ist das Auftreten von Dia-
rung. Die Warnfarbe Rot steht für einen hohen Gehalt. betes-Typ-2 bei Kindern, der früher erst im Alter auftrat.
Grün für einen niedrigen Gehalt. Es gibt viele Beispiele, Ändern wir dies durch rote Punkte auf der Bonbonpa-
die zeigen, dass mit diesem einfachen Schema von Gut ckung? Garantiert nicht. Das Bewegungsverhalten der
und Böse keine sachgerechte und den Lebenssituationen Menschen hat sich in den letzten Jahren verändert. Kin-
der einzelnen Verbraucher entsprechende Verbraucher- der spielen weniger draußen, sitzen mehr am Computer,
information möglich ist. und auch Erwachsene bewegen sich wesentlich weniger
als früher. Ich habe vor wenigen Tagen einen Hunde-
Wenn die Ampel an der Kreuzung Rot zeigt, sagt die besitzer gesehen, der im Auto vorneweg fuhr und seine
Straßenverkehrs-Ordnung, dass jeder stehen bleiben Hunde hinterherlaufen ließ. Die Menschen bewegen sich
muss. Die Nährwertampel ist gerade nicht so eindeutig zu wenig. Dies hat erhebliche negative Auswirkungen
wie die Verkehrsampel. Die Ampelkennzeichnung bei
auf ihre Gesundheit. Hier ist jeder Einzelne gefragt, um-
Lebensmitteln ist anders als im Straßenverkehr nicht
zudenken. Die negativen Folgen von Bewegungsmangel
klar: Rot, Gelb und Grün auf Lebensmitteln würde im
können nur durch mehr Bewegung gemindert werden.
Straßenverkehr gleichzeitiges Bremsen, Kuppeln und
Deswegen verfolgt beispielsweise die Plattform „Ernäh-
Gasgeben bedeuten. Und sollte etwa das Matjesfilet, das
wegen des hohen Fett- und Kaloriengehalts zwei rote rung und Bewegung“ den richtigen Ansatz.
Punkte tragen würde, im Regal liegen bleiben? Wo Die polarisierte Diskussion um die Nährwertampel
bleibt die Information, dass der hohe Gehalt an ungesät- verdrängt völlig, dass der Bewegungsmangel für sehr
tigten Fettsäuren Matjes als ein besonders gesundes viele gesundheitliche Probleme verantwortlich ist. Die
Produkt auszeichnet? Wer nur als Grün gekennzeichnete gesundheitlichen Folgen der Bewegungsarmut vieler
Lebensmittel zu sich nehmen wollte, würde schwere Menschen können nur zu einem sehr geringen Teil durch
Mangelerscheinungen in Kauf nehmen. Das kann doch
eine angepasste, das heißt energieärmere Ernährung
niemand wollen.
aufgefangen werden. Es ist bedauerlich, dass viele Ver-
Als Motivation für die Nährwertampel wird immer bände, die es besser wissen müssten, zur Durchsetzung
wieder genannt, dass zunehmend mehr Menschen und einer populistischen Position eine solche Fehlorientie-
gerade auch Kinder Übergewicht haben. Das ist in der rung zum Schaden der Menschen in Kauf nehmen.

Zu Protokoll gegebene Reden


5120 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Dr. Christel Happach-Kasan


(A) Die FDP tritt ein für eine sachliche Nährwertkenn- sen: mehr Geschmack. Von der Lebensmittelindustrie (C)
zeichnung ohne farbliche Bewertung, wie sie inzwischen werden die Dickmacher also gezielt zur Absatzförderung
auf sehr vielen Lebensmitteln zu finden ist. Für eine eingesetzt, da sie eine geschmacksanregende Wirkung
wirksame Bekämpfung von Fehlernährung sind zudem haben. Dem gilt es etwas entgegenzusetzen.
Ernährungswissen und Ernährungsbildung, eine ausge-
wogene Ernährung sowie ausreichende Bewegung und Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen bele-
Sport notwendig. Initiativen wie das Schulobstprogramm gen nun, dass die Nährwertampel am besten zu einer ra-
oder der „Ernährungsführerschein“ der Landfrauen schen und richtigen Beurteilung von Produkten und
helfen dabei. damit zu einer ausgewogenen und gesunden Ernährung
beiträgt. Die Angaben beziehen sich einheitlich auf
Im Übrigen sollte nicht vergessen werden: Wir essen 100 Gramm oder 100 Milliliter, damit alle Produkte mit-
nicht nur, um die notwendige Kalorienaufnahme zu täti- einander vergleichbar sind. Mithilfe des Ampelmodells
gen. Essen ist Kultur. Freude über ein gutes Essen stärkt können Verbraucherinnen und Verbraucher die Zusam-
das Wohlbefinden, ist also gesund. Rote Punkte auf der mensetzung der Nährwerte eines Lebensmittels auf den
Verpackung leisten hierzu keinen Beitrag. ersten Blick richtig einschätzen und auch irreführende
Werbung umgehen.
Karin Binder (DIE LINKE):
Die Mehrheit der Deutschen spricht sich für eine
Die Absage des EU-Parlaments an eine verpflich- farbliche Gestaltung von Nährwertangaben aus, wie
tende Nährwertampel steht im Widerspruch zu den Wün- eine Meinungsumfrage im Auftrag des Bundesministe-
schen der Verbraucherinnen und Verbraucher. Diese riums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucher-
wollen Nährwertangaben, die mit den Farben Grün, schutz zeigt. Nach einer repräsentativen Umfrage des
Gelb oder Rot unterlegt sind, um auf den ersten Blick AOK-Bundesverbandes und des Berufsverbands der
versteckte Dickmacher und Schummelwerbung entlar- Kinder- und Jugendärzte wollen über 90 Prozent der El-
ven zu können. tern die Nährwertampel. Eine aktuelle Studie der Fach-
Ohne Frage: Die Lebensmittellobby hat sich gegen hochschule Münster verdeutlicht: Eine Ampelkennzeich-
die Interessen der Menschen durchgesetzt. Dazu war ihr nung führt zu einer besseren Einschätzung des Zucker-
fast jedes Mittel recht: Verbraucherinnen und Verbrau- und Kaloriengehaltes und zu richtigen Produktverglei-
cher wurden für dumm verkauft, Öffentlichkeit und Poli- chen.
tik mit einer beispiellosen Gegenkampagne überzogen. Die Nährwertampel trägt demnach am besten zu ei-
Geradezu unerträglich ist es aber, dass an Magersucht ner richtigen und raschen Beurteilung von Produkten
leidende Menschen herhalten mussten, um gegen eine durch die Verbraucherinnen und Verbraucher bei. Die (D)
(B) nachvollziehbare Kennzeichnung von Lebensmitteln
Gehalte von Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und
Stimmung zu machen. Salz werden dabei auf der Vorderseite der Lebensmittel-
Bemerkenswert ist auch die Rolle der Bundesregie- verpackung angegeben und entsprechend der Menge
rung. Sie gibt die Parolen der Ernährungsindustrie jeweils farblich unterlegt: grün für „gering“, gelb für
teilweise im Wortlaut wieder – nachzulesen in den Sit- „mittel“ und rot für „hoch“.
zungsprotokollen des Ausschusses und den Antworten
Die Linke fordert deshalb zusätzlich zur unbefriedi-
auf Anfragen aus dem Parlament. Frau Aigner hat sich
genden EU-Entscheidung in Deutschland die Einfüh-
nicht einmal die Mühe gemacht, sich mit den Argumen-
rung der Nährwertampel. Die Brüsseler Regelung ge-
ten der zahlreichen Gesundheitsexperten, Ärzten, Ver-
steht den Einzelstaaten weitere Kennzeichnungen bei
braucherschützern und der überwältigenden Mehrheit
Lebensmitteln zu, sofern diese den EU-Vorgaben nicht
in der Bevölkerung auseinanderzusetzen. Eine derart
widersprechen. Die Bundesregierung kann der Lebens-
schamlose Klientelpolitik lassen wir Schwarz-Gelb nicht
mittelindustrie dazu Vorgaben machen. Verbraucher-
durchgehen. Dass die Bundesregierung mit ihrer Hal-
ministerin Aigner hat damit die Möglichkeit, sich aus
tung gegen die Interessen der Verbraucherinnen und
der Umarmung der Lebensmittellobby zu lösen. Mit der
Verbraucher handelt, möchte ich hier noch einmal ver-
Ampelkennzeichnung würde sie den Verbraucherinnen
deutlichen:
und Verbrauchern beim Einkauf eine klare und nachvoll-
Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und vorzeiti- ziehbare Information an die Hand geben.
ger Gelenkverschleiß sind unter anderem häufige Fol-
gen von Übergewicht. Nach Ansicht von Gesundheits- Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
experten, Ärzte- und Patientenverbänden, Krankenkassen
und Verbraucherschutzorganisationen ist fett- und zu- Gegen jede gesundheits- und ernährungspolitische
ckerreiche Ernährung neben Bewegungsmangel eine Vernunft lehnt die schwarz-gelbe Koalition die Ampel-
Hauptursache. kennzeichnung weiter ab. Die Haltung von CDU, CSU
und FDP hier wie im Europäischen Parlament zeigt:
Schlecht lesbare und unübersichtliche Angaben, ins- Die 1 Milliarde Euro, die sich die Lebensmittellobby
besondere bei kalorienreichen Fertiglebensmitteln, so- ihre Kampagne für ihr Kennzeichnungsmodell hat kos-
wie eine damit einhergehende, oft irreführende Werbung ten lassen, war aus Sicht der Industrie gut investiertes
der Hersteller tragen ihren Teil dazu bei. Ein Zuviel an Geld. Die Abgeordneten haben sich dem Druck von
Fett, Zucker und Salz muss häufig ausgleichen, was an- Kellogg’s, Nestlé und Co. gebeugt. Das Nachsehen ha-
dere Bestandteile im Fertiglebensmittel vermissen las- ben die Verbraucherinnen und Verbraucher.

Zu Protokoll gegebene Reden


Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5121
Ulrike Höfken
(A) Die Entscheidung wird sich als ernährungspoliti- Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/2185, den An- (C)
scher Bumerang erweisen. Die dramatische Zunahme trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksa-
der Zahl ernährungsbedingter Krankheiten, die uns in- che 17/1987 abzulehnen. Wer stimmt für die Beschluss-
zwischen 100 Milliarden Euro jährlich kostet, wird sich empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? –
fortsetzen. Die Hersteller schmeißen weiter ihre Kalori- Die Beschlussempfehlung ist bei Zustimmung durch die
enbomben auf den Markt und tun so, als seien dies sport- Koalitionsfraktionen und Ablehnung der Oppositions-
liche Fitnessprodukte. Besonders gut zu beobachten ist fraktionen angenommen.
das gerade jetzt zur Fußballweltmeisterschaft. Da wird
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 sowie Zusatz-
zum Beispiel die Milka Alpenmilch-Haselnuss-Schoko-
punkt 5 auf:
lade in einer zweigeteilten Packung – 1. Halbzeit und
2. Halbzeit – verkauft. In 90 Minuten verzehrt der 29 Beratung des Antrags der Abgeordneten Oliver
Zuschauer 80 Gramm Schokolade. Die Nährwertanga- Krischer, Sven-Christian Kindler, Hans-Josef
ben beziehen sich jedoch auf eine Miniportion von Fell, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
25 Gramm, wodurch der Nährwertgehalt entsprechend BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
niedrig erscheinen soll. Ohnehin wird kaum ein Fan ne-
ben dem Spiel das Kleingedruckte lesen. Aufhebung der Haushaltssperre und Weiter-
führung des Marktanreizprogramms und der
Wir fordern – wieder und immer noch, zusammen mit nationalen Klimaschutzinitiative zur Förde-
Krankenkassen, Ärzten und Elternverbänden – die Ein- rung erneuerbarer Energien
führung der Lebensmittelampel als einfaches, verbrau-
– Drucksache 17/2007 –
cherfreundliches Kennzeichnungssystem. Noch steht die
Abstimmung im Ministerrat an. Das Argument, die Am- Überweisungsvorschlag:
Haushaltsausschuss (f)
pel verwirre die Menschen, ist fadenscheinig. Seit Jah- Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
ren macht die englische Kette Sainsbury’s vor, wie es Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
funktionieren kann. Alle Eigenprodukte sind dort mit der
Ampel gekennzeichnet. Das Einkaufsverhalten der Leute ZP 5 Beratung des Antrags der Abgeordneten
hat sich nachweislich hin zu gesünderen Produkten Dr. Bärbel Kofler, Sören Bartol, Dirk Becker,
geändert. Und nicht nur das: Mittlerweile nutzt die Su- weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD
permarktkette diese Erkenntnis auch umgekehrt für die Marktanreizprogramm und nationale Klima-
Produktion, das heißt, die Produktentwicklung prüft, ob schutzinitiative fortsetzen
nicht der Salz-, Zucker- oder Fettgehalt in Produkten re-
duziert werden kann. Dies ist für uns ein Effekt, der be- – Drucksache 17/2119 –
(B) sonders wünschenswert ist. Die Produkte werden besser. Überweisungsvorschlag: (D)
Haushaltsausschuss (f)
Der Trend zum Übergewicht konnte mit einem Bündel Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
an ernährungspolitischen Maßnahmen inzwischen nicht Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit
nur in England, sondern zum Beispiel auch in den USA Die folgenden Kolleginnen und Kollegen haben ihre
gestoppt werden. Nur in Deutschland geht die Fehlent- Reden zu Protokoll gereicht: Bernhard Schulte-
wicklung munter weiter, weil die geeigneten politischen Drüggelte, Bettina Kudla, Sören Bartol, Heinz-Peter
Maßnahmen fehlen. Die Ministerin belässt es bei Appel- Haustein, Michael Leutert und Oliver Krischer.
len. Frau Aigner, haben Sie den Supermarkt gesehen,
der nach Ihrer Aufforderung die Süßigkeiten von den
Bernhard Schulte-Drüggelte (CDU/CSU):
Kassen weggeräumt hat und jetzt die Gurken und Toma-
ten dort auftürmt? Mit dem Marktanreizprogramm werden Anlagen zur
Gewinnung erneuerbarer Energien zur Wärmenutzung
Wir fordern die Bundesregierung auf, endlich eine gefördert. Dies ist im Interesse einer zukunftsfähigen
Ernährungs- und Verbraucherpolitik zu machen, die ih- und nachhaltigen Energieversorgung und des Klima-
ren Namen verdient: Setzen Sie sich im Ministerrat für schutzes. Es werden Investitionskostenzuschüsse für So-
die verbindliche Ampelkennzeichnung und Werbever- larkollektoranlagen zur Warmwasserbereitung und Hei-
bote für Süßigkeiten im Umfeld von Kindersendungen zungsunterstützung, kleinere Anlagen zur Verbrennung
und einen Verkaufsstopp von Softdrinks in Schulen ein. fester Biomasse und effiziente Wärmepumpen gewährt.
Wälzen Sie den flächendeckenden Ausbau der Kinder- Das Marktanreizprogramm ist eine Erfolgsgeschichte.
garten- und Schulernährung nicht auf die Länder ab, Allein im Jahr 2009 wurden gut 253 000 Investitionszu-
sondern gehen sie über ein Bund-Länder-Aktionspro- schüsse vergeben. Die Bundesregierung hat dafür
gramm mit in die Verantwortung und Finanzierung. 374 Millionen Euro aufgewendet. Des Weiteren wurden
2 100 Förderkredite in Höhe von 300 Millionen Euro zu-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: gesagt. Mit diesen Darlehen und Zuschüssen wurden
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf insgesamt 3 Milliarden Euro Investitionen ausgelöst.
Drucksache 17/2120 an die in der Tagesordnung aufge- Bundesumweltminister Röttgen hat im Berichterstatter-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie ein- gespräch am 17. Mai 2010 noch einmal auf den Erfolg
verstanden. Dann ist das so beschlossen. des Marktsanreizprogramms hingewiesen. Mit jedem
staatlich geförderten Euro werden circa 8 Euro private
Zusatzpunkt 4: Der Ausschuss für Ernährung, Land- Investitionen ausgelöst. Damit ist dieses Programm das
wirtschaft und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner erfolgreichste Investitionsprogramm der Bundesregie-
5122 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Bernhard Schulte-Drüggelte
(A) rung. Zudem erfolgen nahezu 90 Prozent der Wertschöp- das Marktanreizprogramm und die nationale Klima- (C)
fung in Deutschland. schutzinitiative zur Förderung erneuerbarer Energien
verhängt. Von der Sperre betroffen sind 115 Millionen
Die Berichterstatter des Einzelplans 16 im Haus-
Euro des Bundeshaushaltes 2010. Der Haushaltsansatz
haltsausschuss setzen sich für eine Fortführung und Ver-
für dieses Programm insgesamt beträgt 448 Millionen
stetigung dieses Programms ein. In den letzten Jahren
Euro. Aufgrund der mehreren Tausend Anträge sind be-
ist in vielen Bereichen eine Verstetigung von klimaschüt-
reits 333 Millionen Euro an Fördergeldern gebunden.
zenden Programmen gelungen. Dazu zählt auch das
Diese generieren ein Investitionsvolumen von rund
Marktanreizprogramm. Die Mittel für die Förderung der
1 Milliarde Euro bis April 2010. Mit dem vorliegenden
erneuerbaren Energien wurden kontinuierlich aufge-
stockt. Damit wurde deutlich: Die Investoren und Hand- Antrag fordert die Fraktion der Grünen, dass der Bun-
werksbetriebe haben Planungssicherheit. Planungssi- destag sich grundsätzlich zu dem Marktanreizprogramm
cherheit bedeutet aber nicht, dass dieses Programm bei und der nationalen Klimaschutzinitiative bekennt und
der anstehenden Konsolidierung des Bundeshaushalts dass die Haushaltssperre umgehend wieder aufgehoben
unangetastet bleiben soll. Wichtig ist allerdings ein ein- wird. Hierzu ist Folgendes zu sagen: Die christlich-libe-
deutiges und klares Signal über die Höhe der Förderung rale Koalition steht zu ihren im Koalitionsvertrag
in den folgenden Jahren. festgelegten, ehrgeizigen Klimazielen. Zur Umsetzung
dieser Klimaziele sind regenerative Energien unver-
Das Programm ist gut für den Klimaschutz, es schafft zichtbar. Diese sollten auch gefördert werden. Gleich-
Arbeitsplätze in Deutschland und hilft unserem Land, wohl ist die Bundesregierung in der Verantwortung, mit
die internationale Vorreiterrolle im Bereich der erneuer- den öffentlichen Mitteln sparsam und wirtschaftlich um-
baren Energietechnik zu sichern und auszubauen. zugehen. Insofern ist jeweils eine Abwägung zu treffen
Aus diesem Grund hatte ich bereits in der Debatte zwischen dem, was gesetzlich notwendig ist, und dem,
zum Haushalt 2010 Bedenken hinsichtlich einer Sperre was wünschenswerte Projekte sind. Der Haushalt 2010
und der Verknüpfung mit den Erlösen aus dem CO2-Zer- weist eine Nettoneuverschuldung von über 80 Milliar-
tifikateverkauf. Im Zuge der Beratungen konnte erfreuli- den Euro aus. Dies ist eine bisher nie dagewesene
cherweise eine Veranschlagung der Einnahmen aus dem Größe. Das heißt, der Bund gibt über 80 Milliarden
Verkauf der Emissionszertifikate im allgemeinen Haus- Euro mehr aus, als er einnimmt. Aufgrund der Finanz-
halt erreicht werden. Alle Einnahmen aus dem Handel und Wirtschaftskrise sind erhöhte Unsicherheiten ent-
mit CO2-Emissionszertifikaten stehen nun dem Gesamt- standen, was die Prognose der Einnahmen und auch der
haushalt zur Verfügung. Das ist eine gute Vorbedingung Ausgaben betrifft. Hinzu kommt, dass im Währungsraum
für nachhaltigen Klimaschutz, unabhängig von kurzfris- des Euro aufgrund der hohen Verschuldung der europäi-
(B) tigen Preisschwankungen an den Emissionshandelsbör- schen Staaten zusätzliche Unsicherheiten im Hinblick (D)
sen. auf die Stabilität der Währung des Euro zu verzeichnen
sind. Im Mai 2010 wurde ein umfangreiches Rettungspaket
Aus diesem Grund befürworte ich nun auch die Auf- sowohl für den griechischen Staat als auch für die ge-
hebung der Sperre beim Titel „Förderung von Einzel- samte Euro-Zone beschlossen. Die europäischen Staaten
maßnahmen zur Nutzung erneuerbarer Energien“. Hier sind daher ganz besonders gefragt, ihre öffentlichen
sind Ausgaben in Höhe von 115 Millionen Euro für das Haushalte zu konsolidieren. Dies bedeutet, dass die
laufende Jahr gesperrt. Bundesregierung und sämtliche Fachministerien im
Laut Auskunft des Bundesministeriums für Umwelt, Haushaltsvollzug darauf achten müssen, dass möglichst
Naturschutz und Reaktorsicherheit sind schon jetzt von wenig Geld der entsprechenden, im Haushalt vorgesehe-
den verfügbaren rund 333 Millionen Euro, die auf das nen Ausgaben verbraucht wird. Diesem Zweck dient
Marktanreizprogramm entfallen, circa 265 Millionen eine Haushaltssperre. Die Haushaltssperre hat zur
Euro gebunden. Folge, dass das Bundesfinanzministerium die Ausgaben
nochmals einer exakteren Überprüfung hinsichtlich ih-
Es wird deutlich, dass zur Sicherstellung einer konti- rer Notwendigkeit unterzieht. Öffentliche Haushalte,
nuierlichen Bewirtschaftung des Marktanreizprogramms über die eine Haushaltssperre verhängt wurde, geben in
die Aufhebung der Sperre angezeigt ist. Investitionszu- der Regel wesentlich weniger aus als geplant. Die Haus-
schüsse für Solarkollektoren, Anlagen zur Verfeuerung haltssperre ist also ein Instrument, die Ausgaben zu sen-
fester Biomasse und effizienter Wärmepumpen sind ge- ken. Im Hinblick auf eine hohe Verschuldung ist daher
fährdet. Die Sperre steht einer kontinuierlichen Veraus- eine Haushaltssperre notwendig und gerechtfertigt. Der
gabung der Mittel entgegen und führt zur Verunsiche- Haushaltsausschuss hat auch deshalb die Haushalts-
rung bei geplanten Investitionen. Daher hoffe ich sehr, sperre verhängt, weil bereits zu Beginn des Jahres 2010
dass das Bundesministerium der Finanzen dem Haus- erkennbar war, dass die Planansätze der Einnahmen
haltsausschuss noch vor der parlamentarischen Som- nicht erfüllt werden können. Ursache dafür sind Einnah-
merpause eine entsprechende Vorlage zur Entsperrung meausfälle für den Bund aus dem Handel mit CO2-Zerti-
der Mittel vorlegt. fikaten. Es ist daher vernünftig, auf diese Einnahmeaus-
fälle auch entsprechend zu reagieren. Zu beachten ist
Bettina Kudla (CDU/CSU): jedoch ein Vertrauensschutz gegenüber den Bürgern.
Zum Sachverhalt: Der Haushaltsausschuss des Deut- Auf die Erfüllung gesetzlicher Pflichtaufgaben hat der
schen Bundestages hat im Rahmen der Haushaltsbera- Bürger einen Anspruch. Diese Ausgaben müssen auch
tungen 2010 im März 2010 eine Haushaltssperre über jeweils bei einer Haushaltssperre geleistet werden. Bei

Zu Protokoll gegebene Reden


Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5123
Bettina Kudla
(A) freiwilligen Aufgaben, wie zum Beispiel bestimmten rungen: In laufenden Maßnahmen werden ihnen unver- (C)
Förderprogrammen oder -initiativen, besteht diese ge- mittelt Finanzierungsanteile gestrichen. Der Fortgang
setzliche Verpflichtung nicht. Folglich besteht ein Spiel- und die Vollendung ganzer Baumaßnahmen sind da-
raum, diese Ausgaben zu kürzen. Bei einer möglichen durch infrage gestellt. Sie sehen ihr Vertrauen in die
Kürzung sollte berücksichtigt werden, welchen Mehr- Maßnahmen des Bundes zutiefst verletzt. Da sind die
wert diese Ausgabe hat. Damit meine ich den entspre- Handwerker und kleinen Firmen, die fest mit Aufträgen
chenden Multiplikatoreffekt für Investitionen. und Lieferungen gerechnet haben, und denen diese von
Auch sollte Bürgern und Unternehmen möglichst Pla- jetzt auf gleich wegen der fehlenden Förderung wegbre-
nungssicherheit gegeben werden, das heißt, entspre- chen und deren Betriebspersonal dadurch plötzlich nicht
chende Förderprogramme sollten nicht kurzfristig weg- mehr ausgelastet ist. Auch hier: Vertrauen zerstört,
fallen, was bei einer Haushaltssperre unter Umständen Existenzen bedroht.
gegeben ist. Allerdings ist allgemein bekannt, dass bei Genauso stark betroffen: die Umwelt. Hier kann man
Förderprogrammen, die auf ein bestimmtes Volumen be- die Hoffnung auf einen raschen, nachhaltigen Umstieg
grenzt sind, die Antragssteller keine Sicherheit haben, mit wirksamer Veränderung der CO2-Bilanz begraben.
ob ihrem Antrag wirklich stattgegeben wird. Kritiker an Und das, da wir alle wissen, dass es in Sachen Klima-
dem Instrument der Haushaltssperre sollten daher in veränderung ab einem gewissen Punkt keine Möglich-
Zeiten hoher Verschuldung auch akzeptieren, dass keit mehr gibt, die Dinge umzukehren und Schäden zu
Haushaltsansätze bei Aufstellen neuer Haushalte ver- reparieren. Dies alles wissen wir. Wir wissen es jetzt,
ringert werden. Hiermit richte ich meinen Blick insbe- nach dem Wirksamwerden der Haushaltssperre beim
sondere auf das Haushaltsjahr 2011 und auf das von der Marktanreizprogramm. Wir alle wussten es aber bereits
Bundesregierung vorgelegte Sparpaket. Dies sollten wir vorher. Schon in der ersten Lesung des Bundeshaushalts
uns alle vor Augen führen. Es ist immer eine Abwägung 2010 haben wir das hier in diesem Hause angesprochen,
zu treffen, ob es vertretbar ist, eine Ausgabe auf Kosten auch die verehrten Kollegen aus den Reihen der Koali-
der nachfolgenden Generationen zu finanzieren und tion, mit dem Ergebnis, dass wir gemeinsam die vorgese-
Schulden aufzunehmen, oder ob man nicht andere Wege hene Haushaltssperre nicht beschlossen haben. Wir ha-
suchen muss, den gewünschten Förderzweck zu errei- ben bei der zweiten Lesung des Haushalts versucht, eine
chen, aber ohne sich zu verschulden. Diese Möglichkeit erneute Sperrung zu verhindern. Dabei waren sich die
sehe ich bei dem vorliegenden Marktanreizprogramm mit der Sache Betrauten fraktionsübergreifend einig,
und der Klimaschutzinitiative durchaus. In den ersten wie kontraproduktiv eine solche Haushaltssperre ist.
vier Monaten dieses Jahres wurden allein 82 000 För- Durchgesetzt haben sich andere mit anderen Motivatio-
deranträge bewilligt, für Solarkollektoren, Biomasse- nen. Und ausgelöst hat es die eben angeführten Auswir-
heizungen, Wärmepumpen und Kraft-Wärme-Kopplung. kungen destruktiver Art. (D)
(B)
Das Förderprogramm hat also bereits erheblich dazu
beigetragen, Privatpersonen und Unternehmen zu In- Im Haushaltsausschuss haben die Vertreter von SPD,
vestitionen in den Klimaschutz zu veranlassen. Es be- Grünen und Linken am 29. April 2010 umgehend einen
steht für die Bürger selbst ein Anreiz, entsprechende kli- gemeinsamen Antrag gestellt und die Bundesregierung
maschutzfreundliche Investitionen vorzunehmen, sie aufgefordert, die Aufhebung der Haushaltssperre zu be-
sparen dann langfristig Energiekosten. Dies sollte man antragen. Zur Begründung haben wir bereits dort aus-
im Blick haben bevor man Geld des Steuerzahlers aus- geführt, dass eine Unterbrechung der Programme der
gibt, das eigentlich gar nicht vorhanden ist. Vor dem Bedarfssituation und den Zielen der Klimaschutzinitia-
Hintergrund der hohen Verschuldung des Bundes und tive nicht gerecht würde. Denn durch die Sperre sind
der Möglichkeit, entsprechende Investitionen durch Pri- unter anderem die Investitionszuschüsse für Solarkollek-
vate selbst vorzunehmen, würde ich das Beibehalten der toren, Anlagen zur Verfeuerung fester Biomasse bis
Haushaltssperre begrüßen. Geld, das nicht vorhanden 100 Kilowatt und effiziente Wärmepumpen gefährdet, da
ist, kann auch nicht mit vollen Händen ausgegeben wer- schon der ursprüngliche Ansatz mit 291,3 Millionen
den. Ich wünsche der Bundesregierung weiterhin viel Euro um fast ein Viertel unter dem Betrag lag, der 2009
Mut bei der Kürzung von Ausgaben und bei der Aufstel- in Höhe von 374,3 Millionen Euro nachgefragt und be-
lung des Bundeshaushaltes 2011. willigt wurde. Sie sehen, es waren und sind die gleichen
Argumente, die auch heute in der Debatte von Bedeu-
Sören Bartol (SPD): tung sind und die den Bundesrat zu seiner Entscheidung
bewogen haben.
Das Marktanreizprogramm und die nationale Klima-
schutzinitiative: Man muss kein Prophet sein, um vor- Darüber hinaus haben wir in dem Antrag vom
herzusagen, dass diese Themen uns immer wieder be- 29. April 2010 auch darauf hingewiesen, dass die Bin-
schäftigen werden, bis in der Sache die richtige dung der Haushaltssperre an das Erreichen der Ziel-
Entscheidung getroffen ist; denn mittlerweile dürfte es marke von Einnahmen aus der Veräußerung von Emis-
allen hier im Hause klar sein: Die Auswirkungen der sionszertifikaten in Höhe von 815 Millionen Euro mit
Haushaltssperre für das Marktanreizprogramm sind so dem Haushaltsgrundsatz der Bruttoveranschlagung und
weitreichend und negativ, dass wir im Bundestag die dem Prinzip der Gesamtdeckung nicht vereinbar ist.
Sperre nicht einfach so stehen lassen und zur Tagesord- Dies ist ein haushaltssystematischer Beleg dafür, dass
nung übergehen können. Wir alle haben eine große die Haushaltssperre nicht begründet und deshalb aufzu-
Anzahl an Schreiben von den von den Auswirkungen Be- heben ist. Dieser Antrag ist bis heute im Haushaltsaus-
troffenen erhalten. Da sind die Antragsteller von Förde- schuss nicht abschließend behandelt, da die Koalition

Zu Protokoll gegebene Reden


5124 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Sören Bartol
(A) mit den unterschiedlichsten Begründungen eine Ver- – vor allem im Zuge der Wirtschaftskrise – noch große (C)
schiebung durchgesetzt hat. Wohl will sie damit warten Unwägbarkeiten, und sie bestehen auch weiterhin. An-
bis zu dem fernen Tag, an dem die Vertreterinnen und gesichts der auch heute noch herrschenden extremen
Vertreter der Koalition wissen, was sie dazu meinen. Prognoseunsicherheit über die Erlösentwicklung bei der
Veräußerung der Emissionszertifikate konnte nicht aus-
Wenn wir uns heute im Bundestagsplenum auf der Ba- geschlossen werden, dass im schlechtesten Fall eine um
sis der Entschließung des Bundesrates erneut mit dem den entsprechenden Betrag höhere Verschuldung ein-
Thema befassen, dann ist dabei zu konstatieren, dass der tritt, was angesichts der Staatsverschuldung unbedingt
Bundesrat sich mehrheitlich den Argumenten der Geg- zu vermeiden ist. Insofern wäre die Sperre aus haus-
ner der Haushaltssperre angeschlossen hat, wie auch haltspolitischer Sicht nach wie vor aufrechtzuerhalten.
ich sie in den Beratungen zum Haushalt vorgetragen Und nichts, gar nichts wäre daran falsch. Das muss ich
habe. Das belegt erneut die Stichhaltigkeit dieser Argu- als Haushälter hier auch in aller Deutlichkeit sagen;
mente ebenso wie die Notwendigkeit zur Aufhebung der denn bei den Mitteln für das Marktanreizprogramm han-
Haushaltssperre. Heute, nach den Beschlüssen der Bun- delt es sich um eine Subvention. Und bei Subventionen
desregierung zum Sparen bei künftigen Haushalten, reichen die zur Verfügung gestellten Mittel ohnehin nie-
müssen wir den Argumenten zur Aufhebung der Haus- mals aus, um die Nachfrage, die besteht, oder die Nach-
haltssperre noch ein weiteres hinzufügen: In der „Süd- frage, die überhaupt erst durch die Subvention entsteht,
deutschen Zeitung“ vom 8. Juni 2010 wird in dem Arti- zu befriedigen. Das war beim MAP auch im vergange-
kel „Schlechtes Klima“ ein Gutachten zitiert, nach dem nen Jahr schon so. Nur durch Verwendung anderer
jeder Euro Förderung aus dem Programm 6 Euro Inves- Haushaltsmittel konnten weitere Anträge genehmigt
titionen bewirkt. Das zeigt, dass das Marktanreizpro- werden. Wenn nun in diesem Jahr die verfügbaren Mittel
gramm wirksamer als manch ein Konjunkturförderungs- aufgrund der Antragsflut erschöpft sind, dann ist das
programm ist. nur der Eintritt des Falls, der bereits im vergangenen
Allein durch die Mehrwertsteuer nimmt der Herr Fi- Jahr absehbar war. Im Übrigen werden die Mittel nach
nanzminister für jeden ausgegebenen Euro bei den re- Einschätzung der Experten im BMU auch nach Aufhe-
sultierenden Investitionen 1,04 Euro ein. Dazu kommen bung der Sperre absehbar im Jahresverlauf nicht rei-
Steuereinnahmen an anderer Stelle im Steuersystem wie chen, um die Nachfrage nach Förderung zu stillen.
bei der Einkommensteuer oder der Gewerbesteuer. Da-
Insofern werden diejenigen, die schon immer verant-
mit sind diese resultierenden Einnahmen höher als das
wortungslos nach Aufhebung der Haushaltssperre ver-
eingesetzte Förderkapital. Womit die Aufhebung der
langt haben, ohne zu erklären, woher die Mittel kommen
Haushaltssperre ein aktiver Beitrag zum Verringern des
sollen, wenn eine höhere Staatsverschuldung ausge-
(B) Haushaltsdefizits ist. Deshalb ist dieser Schritt umge- schlossen ist, auch jetzt nicht zufrieden sein. Sie werden (D)
hend geboten: aus den dargelegten fiskalischen Überle-
verantwortungslos noch mehr Subventionen fordern und
gungen, aus den bekannten umweltpolitischen Beweg-
bereitwillig eine höhere Verschuldung in Kauf nehmen.
gründen und nicht zuletzt aus dem angesprochenen
Auf der einen Seite die hohe Verschuldung des Bundes
Vertrauensschutz für die Investoren und Gewerbetrei-
kritisieren, gleichzeitig aber sehenden Auges ohne Ge-
benden. Und deshalb haben wir Sozialdemokraten einen
genfinanzierung beim MAP in eine höhere Verschuldung
Antrag vorgelegt, in dem wir zum wiederholten Male die
laufen – das sage ich in Richtung von SPD und Grünen –,
Aufhebung der Sperre fordern. Wir hoffen, dass die Bun-
ist widersprüchlich. Diesen Widerspruch sollten Sie in
desregierung sich umgehend zu seiner Umsetzung ent-
Ihren eigenen Reihen klären. Wer derartig agiert, be-
schließt.
treibt keine verantwortungsvolle und vor allem keine
nachhaltige Politik, wie Sie es gerade von den Grünen
Heinz-Peter Haustein (FDP): gerne für sich reklamieren. Trotz der haushaltspoliti-
Ich könnte es mir leicht machen und zu Protokoll ge- schen Notwendigkeiten und unter Berücksichtigung der
ben, dass der Antrag der Grünen, der hier zur Debatte schwierigen Finanzlage infolge der größten Finanzkrise
steht, bereits erledigt sei; denn die Grünen sind wieder in der Geschichte der Bundesrepublik hat sich die FDP
einmal nicht auf der Höhe der Zeit. Doch lassen Sie von Anfang an um eine sachgerechte Lösung in der
mich an dieser Stelle noch einmal darstellen, worum es Frage bemüht. Die Vorlage zur Entsperrung der Haus-
in den letzten Wochen ging, als die Aufhebung der Haus- haltsmittel lag einige Zeit beim Bundesministerium der
haltssperre diskutiert wurde, und warum die Haltung Finanzen. Verantwortlich für die Verzögerung bei der
meiner Fraktion die einzig richtige war und ist; denn so Zuleitung der Vorlage an den Bundestag war die Suche
einfach, wie es sich die Grünen hier machen, ist staatli- nach einer Gegenfinanzierung für die Mittel, da, wie ge-
che Verantwortung nicht! Es gibt einen Zusammenhang schildert, auch derzeit die Einnahmesituation beim Zer-
zwischen Ausgaben des Marktanreizprogramms (MAP) tifikatehandel kaum seriös prognostizierbar ist. Wir als
und den Einnahmen des Zertifikatehandels. Die Einnah- FDP haben immer wieder darauf hingewiesen, dass die
men aus dem Zertifikatehandel sollten für das MAP ver- betroffenen Programme insbesondere für das Handwerk
wendet werden. Ziel und Zweck beim Marktanreizpro- die Grundlage für Auftragsvergaben in erheblichem
gramm während der Beratungen zum Bundeshaushalt Umfang sind, was angesichts der wirtschaftlichen Lage
2010 war es, einen Teil der Haushaltsmittel zu sperren, besondere Bedeutung gewinnt. Die nachgewiesenen
bis man die Einnahmesituation beim Emissionszertifika- Multiplikatoreneffekte erreichen gerade im Markt-
tehandel im Jahresverlauf besser beurteilen kann. Hier anreizprogramm eine Größenordnung von 1 : 7, was
bestanden aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklungen eine exzellente Multiplikatorwirkung ist. Nicht verges-

Zu Protokoll gegebene Reden


Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5125
Heinz-Peter Haustein
(A) sen werden sollte, dass es der frühere SPD-Umwelt- Um sowohl eine verlässliche Wirtschaftspolitik als (C)
minister Sigmar Gabriel gewesen ist, der die Keimzelle auch einen langfristigen Beitrag zum Klimaschutz zu
für die aktuellen Probleme gelegt hat. Es war seine Ent- leisten, muss diese Politik der Ungewissheit, des Auf-
scheidung, die Ausgaben des Marktanreizprogramms an schiebens und Abwürgens erfolgreicher Programme ein
die Versteigerungserlöse des CO2-Emissionshandels zu Ende haben. Neben der Senkung der Einspeisevergütung
koppeln. Diese Erlöse brechen in der Wirtschaftskrise für Solarstrom und den Kürzungen im Bereich der ener-
nun ein. Dass der Mittelstand einer solchen Planungs- getischen Gebäudesanierung ist dies bereits der dritte
unsicherheit mit all den jetzt zu besichtigenden Folgen wichtige klimapolitische Bereich, welcher der Politik
unterworfen ist, ist von Herrn Gabriel zu verantworten. der Regierung von CDU/CSU und FDP zum Opfer fällt
Dass das BMF die Vorlage zur Entsperrung der Haus- oder zu fallen droht. Doch auch der wirtschaftpolitische
haltsmittel in voller Höhe nun dem Parlament zuleiten Bereich hat erhebliche Dimensionen. Jeder Förder-Euro
und der Haushaltsausschuss Anfang Juli darüber ent- mobilisiert 7 bis 10 weitere Euro, welche in die Anla-
scheiden und die Aufhebung der Sperre beschließen geninvestitionen fließen. Direkt oder indirekt sichert das
wird, ist aus wirtschaftspolitischer und mittelstandspoli- Programm bis zu 10 000 Arbeitsplätze. Dies sind Zah-
tischer Sicht richtig, um Investitionen zu ermöglichen len, an denen eine verantwortungsvolle und soziale
und Arbeitsplätze zu sichern. Dass die Entsperrung erst Politik, vor allem auch in Zeiten einer akuten Wirt-
nach erfolgter Gegenfinanzierung der Ausgaben in Ver- schaftskrise, nicht einfach vorübergehen darf.
antwortung für dieses Land erfolgt, ist Verdienst und
Kennzeichen dieser Bundesregierung. Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Das Marktanreizprogramm, MAP, ist – oder war,
Michael Leutert (DIE LINKE): muss man inzwischen wohl eher sagen – das Instrument
Das Marktanreizprogramm für erneuerbare Ener- zur Förderung der erneuerbaren Energien im Wärmebe-
gien, über das wir heute reden, und die nationale Klima- reich und für Mini-KWK und kommunale Klimaschutz-
schutzinitiative stehen für die wenigen Beispiele, bei de- projekte. Das MAP dient nicht nur dem Klimaschutz und
nen ökologische und ökonomische Ziele zusammen dem Aufbau einer nachhaltigen Energieversorgung,
erfolgreich angestrebt und erreicht werden. Dies bele- sondern hat die Technologienentwicklung einer ganzen
gen die Zahlen. Allein im Jahr 2009 wurde über eine Branche vorangebracht und Zehntausende Arbeitsplätze
viertel Million Investitionszuschüsse mit einem Gesamt- in Deutschland geschaffen und gesichert.
umfang von über 374 Millionen Euro gewährt und damit Damit ein solches Programm auf Dauer erfolgreich
Gesamtinvestitionen von circa 3 Milliarden Euro ausge- sein kann ist es wichtig, dass es zuverlässig für alle Be-
löst. teiligten läuft. Denn nur stabile Rahmenbedingungen (D)
(B)
schaffen Investitionssicherheit und damit Arbeitsplätze
Besonders für die ostdeutschen Bundesländer, in de- in der heimischen Industrie und im Handwerk. Aber be-
nen von einem selbsttragenden Aufschwung nicht die reits seit Monaten verunsichert die schwarz-gelbe Bun-
Rede sein kann, haben die Zukunftsindustrien auf die- desregierung die gesamte Branche, indem sie Antrag-
sem Sektor eine große Bedeutung. Die erneuerbaren steller und Unternehmen über die Zukunft des MAP im
Energien sind einer der ganz wenigen Wachstumsberei- Unklaren lässt.
che, in dem sowohl technisches Know-how als auch Ar-
beitsplätze neu und dauerhaft entstanden sind. Insofern Das seit Monaten andauernde Hick-Hack um die Zu-
sind das Marktanreizprogramm und die Klimaschutzini- kunft des MAP – Finanzminister gegen Umweltminister,
tiative insgesamt auch ein Wirtschaftsförderprogramm, CDU gegen FDP, CSU gegen CDU, alle gegen alle – ist
welches nicht wie viele andere kurzlebige Subventions- wie vieles andere auch sinnbildlich für den Zustand die-
gräber geschaffen hat, sondern im Gegenteil zum Auf- ser Koalition. Man könnte sich amüsiert zurücklehnen,
bau nachhaltiger Wirtschaftsstrukturen beigetragen hat. wenn nicht die Zukunft einer ganzen Branche auf dem
Spiel stände; denn die verhängte Haushaltssperre in
Ausgerechnet das Marktanreizprogramm mit einer Höhe von 115 Millionen Euro und die bereits erfolgten
Haushaltssperre zu belegen, ist deshalb ökologischer Kürzungen der Mittel haben dazu geführt, dass seit ge-
und ökonomischer Unfug. Es ist schlicht politisch falsch. raumer Zeit keine neuen Anträge mehr bewilligt wer-
Die Linke wird aus diesem Grund dem Antrag der Grü- den. Im Bereich der Mini-KWK erhalten Antragsteller
nen zustimmen. zum Teil jetzt die Ablehnung ihres Antrags, den sie im
August (!) 2009 gestellt haben. So stehen Zehntausende
Zuletzt war zu hören, dass die Bundesregierung doch von Investitionsvorhaben vor dem Aus. Handwerksbe-
noch vor der Sommerpause die Haushaltssperre für das triebe und Industrieunternehmen, die sich auf diese Be-
Marktanreizprogramm aufheben will. Einen solchen reiche spezialisiert haben, haben keine Aufträge mehr.
Schritt würden wir natürlich begrüßen. Allerdings frage
ich mich, wie es um die Nachhaltigkeit des ganzen Pro- Dabei sollte die wirtschaftliche Bedeutung des MAP
grammes bestellt ist, wenn, wie ebenfalls zu hören war, eigentlich allen Beteiligten klar sein: Verschiedene Gut-
dafür einfach Mittel aus dem nächsten Haushalt vorge- achten, auch des Bundesumweltministeriums, BMU, ha-
zogen werden. Dies ist nichts anderes als eine vorweg- ben eindrucksvoll dargelegt, dass bis zu 8 Euro Investi-
genommene Kürzung. Es bliebe damit bei der grundsätz- tionen pro Förder-Euro ausgelöst werden. Es ist
lichen Infragestellung des Programms und zögert schlichtweg nicht nachvollziehbar, dass das so erfolgrei-
dessen Abwürgen nur um ein paar Monate hinaus. che MAP gestoppt wird. Denn durch das Förderpro-

Zu Protokoll gegebene Reden


5126 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

Oliver Krischer
(A) gramm kommen erhebliche Steuereinnahmen zurück in immer wieder die Bereitschaft, sich für eine Aufhebung (C)
den Bundeshaushalt. der Sperre einzusetzen.
Die eingesetzten Haushaltsmittel bringen also einen Nur fehlt uns bis jetzt der Glaube, dass es dazu dem-
doppelten Gewinn: zum einen setzen sie nachhaltige An- nächst auch kommen wird. Ich kann mich noch sehr gut
reize, einen Betrag zum Klimaschutz zu leisten. Zum an- an die Beteuerungen von Herrn Pfeiffer aus der CDU
deren werden Arbeitsplätze im Handwerk und im Mittel- oder Herrn Breil von der FDP auf verschiedenen Veran-
stand geschaffen und nachhaltig gesichert. Angesichts staltungen am Anfang dieses Jahres erinnern, dass das
der im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Ziele zum Impulsprogramm zur Förderung von Mini-KWK fortge-
Klimaschutz, zum Ausbau der erneuerbaren Energien führt werde. Doch nur wenige Wochen später wurde das
und der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland Programm eingestellt.
benötigt die Branche bei der erneuerbaren Wärme und
der Mini-KWK nachhaltige Anreize wie das MAP. Schließlich hat sich zudem der Bundesrat in seiner
Sitzung am 4. Juni 2010 nachdrücklich für eine Aufhe-
Die von Ihnen erlassene Haushaltssperre, sehr ge- bung der Haushaltssperre beim MAP ausgesprochen.
ehrte Kolleginnen und Kollegen aus der CDU/CSU- und
FDP-Fraktion, konterkariert diese Bemühungen. Sie Diesen Entschließungsantrag des Bundesrates, von
blenden offensichtlich aus, dass das MAP und die NKI ihren Parteifreundinnen und -freunden mit verfasst und
zusammengenommen in 2009 Investitionen in Höhe von beschlossen, stellen wir heute zur Abstimmung, um Ih-
circa 3,75 Milliarden Euro ausgelöst haben. Diese In- nen gesichtswahrend eine Zustimmung und damit eine
vestitionen fehlen in Deutschland jetzt und in Zeiten der Aufhebung der Haushaltssperre zu ermöglichen. Denn
Wirtschafts- und Finanzkrise und kosten Zehntausende den durch Ihr Regierungshandeln entstandenen Miss-
Arbeitsplätze. stand wollen wir korrigieren, und wir begrüßen die Ent-
schließung des Bundesrats zur weiteren Förderung er-
Die Auswirkungen dieser Politik bekommen auch die neuerbarer Energien aus dem MAP und der NKI.
Kommunen zu spüren. Zum Beispiel die NRW-Klima-
schutzkommune Saerbeck kann ihre ehrgeizigen Ziele Wir fordern Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der
hin zu einer erneuerbare Energien und energieeffiziente Koalition, auf, der Entschließung des Bundesrates, die
Verfahren nutzenden Gemeinde aufgrund des Förder- wir hier zur Abstimmung stellen, zuzustimmen und die
stopps kaum noch verwirklichen. Diese Auswirkungen Haushaltssperre beim MAP unverzüglich aufzuheben,
für den Mittelstand und das Handwerk vor Ort sind ver- auch wenn der Kollateralschaden durch die in den letz-
heerend. ten Monaten entstandene Verunsicherung von Investo-
ren und Unternehmen schon nicht mehr zu reparieren
(B) Seit mehreren Monaten haben wir immer wieder An- sein wird. (D)
fragen zur Zukunft des MAP an die Bundesregierung
gestellt. Doch klare Aussagen sind Sie uns und den An- Das MAP nützt nicht nur Handwerk und Mittelstand,
tragstellern und Unternehmen bis heute schuldig ge- sondern hilft dem Klima und schafft nachhaltige Anreize
blieben. Es wird sich entweder hinter dem zu erarbei- Energie zu sparen. Wachstumsbranchen wie die der er-
tenden Energiekonzept, den Mindereinnahmen durch die neuerbaren Energien benötigen Investitionssicherheit
CO2-Emissionszertifikate oder noch nicht abgeschlosse- und keine Hängepartien.
nen Beratungen – wahrscheinlich sind es eher Querelen,
was ja in Ihrer Regierung nichts Neues ist – zwischen Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
den einzelnen Bundesministerien und den Regierungs- Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
fraktionen versteckt. Diese fehlende Planungssicherheit den Drucksachen 17/2007 und 17/2119 an die Aus-
hat eine gesamte Branche stark verunsichert und ihr schüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung fin-
Vertrauen in die Verlässlichkeit der Politik tief erschüt- den, wobei die Vorlage auf Drucksache 17/2007 feder-
tert. führend beim Haushaltsausschuss beraten werden soll. –
Das muss ein Ende haben, besser spät als nie. Selbst Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so beschlos-
Teile Ihrer eigenen Parteien auf Bundes- und Landes- sen.
ebene stellen sich gegen Sie und fordern, dass die Hänge- Damit sind wir am Ende der heutigen Tagesordnung.
partei beim MAP eine Ende hat. So haben im Mai dieses
Jahres acht Landesumweltminister – auch der CDU – in Ich wünsche Ihnen einen schönen Abend und den Ge-
einem Brandbrief an Finanzminister Schäuble eine Auf- nuss der gewonnenen Einsichten.
hebung der Haushaltssperre für das MAP gefordert. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
Das BMU hat sich ebenfalls in einem Brandbrief vor destages auf Freitag, den 18. Juni 2010, 9 Uhr, ein.
wenigen Wochen an das BMF gewandt mit der Forde- Die Sitzung ist geschlossen.
rung nach Freigabe der gesperrten Mittel. Auch von Ab-
geordneten der schwarz-gelben Koalition vernehme ich (Schluss: 21.30 Uhr)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5127

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis


Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

van Aken, Jan DIE LINKE 17.06.2010 Dr. Tackmann, Kirsten DIE LINKE 17.06.2010

Bätzing-Lichtenthäler, SPD 17.06.2010 Wolff (Wolmirstedt), SPD 17.06.2010


Sabine Waltraud

Bender, Birgitt BÜNDNIS 90/ 17.06.2010 Zapf, Uta SPD 17.06.2010


DIE GRÜNEN * für die Teilnahme an den Sitzungen der Parlamentarischen Ver-
sammlung des Europarates
Bülow, Marco SPD 17.06.2010 ** für die Teilnahme an den Sitzungen der Westeuropäischen Union

Fischer (Karlsruhe- CDU/CSU 17.06.2010**


Land), Axel E.
Anlage 2
Fischer (Hamburg), CDU/CSU 17.06.2010 Erklärung nach § 31 GO
Dirk
des Abgeordneten Thomas Dörflinger (CDU/
Fritz, Erich G. CDU/CSU 17.06.2010** CSU) zur namentlichen Abstimmung über den
Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung wehr- und
Groschek, Michael SPD 17.06.2010 zivildienstrechtlicher Vorschriften 2010 (Wehr-
rechtsänderungsgesetz 2010 – WehrRÄndG 2010)
(B) Hempelmann, Rolf SPD 17.06.2010 (Tagesordnungspunkt 11 a) (D)

Höger, Inge DIE LINKE 17.06.2010


Dem Gesetzentwurf über die Verkürzung von Wehr-
und Zivildienst auf sechs Monate werde ich heute unter
Hörster, Joachim CDU/CSU 17.06.2010**
Zurückstellung großer Bedenken meine Zustimmung er-
teilen.
Koczy, Ute BÜNDNIS 90/ 17.06.2010
DIE GRÜNEN Aus jahrelanger Tätigkeit als Berichterstatter für den
Bereich Zivildienst weiß ich um den Umstand, dass
Kunert, Katrin DIE LINKE 17.06.2010 schon die Verkürzung des Zivildienstes auf neun Monate
und die damit entstehende Unterjährigkeit zu großen
Dr. Merkel, Angela CDU/CSU 17.06.2010* Problemen bei der Umsetzung sowohl bei den Zivil-
dienststellen als auch bei den Zivildienstleistenden ge-
Nahles, Andrea SPD 17.06.2010 führt hat. Es besteht die berechtigte Befürchtung, dass
sich diese Probleme durch die neuerliche Verkürzung
Nietan, Dietmar SPD 17.06.2010 nochmals vergrößern.
Pflug, Johannes SPD 17.06.2010** Zwar sorgt die Option, die Dauer des Zivildienstes
freiwillig zu verlängern, im Interesse der Einrichtungen
Polenz, Ruprecht CDU/CSU 17.06.2010 für eine gewisse Entspannung der Situation. Es ist aber
schlecht zu bestreiten, dass nach Abzug von Einfüh-
Sager, Krista BÜNDNIS 90/ 17.06.2010 rungslehrgang, staatsbürgerlichem Unterricht und even-
DIE GRÜNEN tuellen Rüstzeiten für die eigentliche Dienstzeit nur ein
überschaubarer Zeitraum zur Verfügung steht, was we-
Schipanski, Tankred CDU/CSU 17.06.2010 der im Interesse der Zivildienstleistenden noch der Ein-
richtungen liegen kann. Es stellt sich zudem die Frage,
Schmidt (Eisleben), SPD 17.06.2010 ob die vom Bundesministerium für Familie, Senioren,
Silvia Frauen und Jugend vorgelegte und begrüßenswerte Kon-
zeption zum „Zivildienst als Lerndienst" innerhalb der
Steinke, Kersten DIE LINKE 17.06.2010 nunmehr geltenden Dauer des Zivildienstes überhaupt
umsetzbar ist.
5128 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) Anlage 3 lich im Sinne der Grundrechte der jungen Männer ent- (C)
schieden werden kann.
Erklärung nach § 31 Abs. 2 GO
Daher ist und bleibt die Aussetzung der Wehrpflicht
des Abgeordneten Hans-Ulrich Klose (SPD) zur unser Ziel. Wir brauchen stattdessen eine moderne Frei-
namentlichen Abstimmung über den Entwurf willigenarmee, die Schaffung sozialversicherungspflich-
eines Gesetzes zur Änderung wehr- und zivil- tiger Arbeitsplätze anstelle von Zivildienststellen im So-
dienstrechtlicher Vorschriften 2010 (Wehrrechts- zialbereich und die Förderung freiwilligen Engagements
änderungsgesetz 2010 – WehrRÄndG 2010) und für die Gesellschaft im Rahmen eines freiwilligen sozia-
über den Entschließungsantrag der Fraktion len Jahres oder verwandter Modelle.
Bündnis 90/Die Grünen (Tagesordnungspunkt
11a und b) Aus unserer Sicht ist jeder Monat Pflichtdienst, der
wegfällt, für die jungen Männer und gleichermaßen für
das Gemeinwesen selbst ein Freiheitsgewinn. Schon
An den namentlichen Abstimmungen jetzt haben wir also mehr erreicht als Bündnis 90/Die
a) auf Antrag der SPD zur 2./3. Lesung des CDU/CSU- Grünen in ihrer Regierungszeit, in der die Wehrpflicht
und-FDP-Entwurfs eines Wehrrechtsänderungsgeset- nur von zehn auf neun Monate verkürzt werden konnte.
zes 2010 und Diese Errungenschaft der jetzigen Koalition werden wir
auch durch ein gemeinsames Abstimmungsverhalten in
b) zum Antrag der Grünen „Wehrpflicht beenden" dieser Frage unterstreichen. Daher lehnen wir den An-
trag von Bündnis 90/Die Grünen samt Entschließungs-
werde ich mich nicht beteiligen, und zwar aus folgenden antrag ab. Die Ablehnung des Antrags der Linken ist
Gründen: schon allein wegen der Unterstellung einer „Kriegspoli-
Ich bin Mitglied der vom Bundesverteidigungsminis- tik“ geboten, die nichts mit dem Dienst unserer Soldatin-
ter berufenen Strukturkommission, die sich unter ande- nen und Soldaten im Ausland zu tun hat. Sollte davon
rem auch mit der Wehrpflicht und der Wehrverfassung abgesehen beim Koalitionspartner noch ein Umdenken
beschäftigt. Vor Abschluss der Beratungen in der Kom- einsetzen und dieser sich einer Aussetzung der Wehr-
mission möchte ich mich in der Sache nicht festlegen; pflicht nicht mehr in den Weg stellen, würden wir dies
ich kann mich aber auch nicht enthalten, weil ich zu bei- ausdrücklich begrüßen und in guter Zusammenarbeit
den Punkten eine Meinung habe. Daher die mit meinem schnellstmöglich umsetzen.
Fraktionsvorsitzenden abgesprochene Nichtbeteiligung
an der Abstimmung.
(B) Anlage 5 (D)
Zu Protokoll gegebene Reden
Anlage 4
zur Beratung der Großen Anfrage: Sicherung
Erklärung nach § 31 GO, Absatz 1 der Technologieführerschaft Deutschlands im
der Abgeordneten Jens Ackermann, Daniel Verkehrs- und Baubereich (Tagesordnungs-
Bahr (Münster), Florian Bernschneider, Sebastian punkt 10)
Blumenthal, Marco Buschmann, Dr. Bijan Djir-
Sarai, Patrick Döring, Manuel Höferlin, Steffen Bilger (CDU/CSU): Vor zwei Monaten habe
Sebastian Körber, Horst Meierhofer, Björn ich im Deutschen Bundestag schon einmal zum Thema
Sänger, Florian Toncar, Serkan Tören und alternative Antriebe gesprochen. Vieles von dem damals
Johannes Vogel (Lüdenscheid) (alle FDP) zur Gesagten ist auch heute noch aktuell. Anlass waren da-
namentlichen Abstimmung über den Entschlie- mals ein umfassender Antrag der Grünen und ein Antrag
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü- der SPD-Fraktion zu nachhaltiger Mobilität. Bei dem
nen zu dem Entwurf eines Gesetzes zur SPD-Antrag fehlte allerdings – wie ich es damals schon
Änderung wehr- und zivildienstrechtlicher Vor- kritisiert hatte – jeder Bezug zur Elektromobilität. Umso
schriften 2010 (Wehrrechtsänderungsgesetz mehr freut es mich, dass wir heute über eine Große An-
2010 – WehrRÄndG 2010) (Tagesordnungs- frage der Sozialdemokraten zu diesem Thema diskutieren
punkt 11 b) können. Um es aber gleich vorwegzunehmen: Außer ei-
nem Haufen Fragen an die Bundesregierung ist den Kol-
Die Verkürzung der Wehrpflicht von neun auf sechs legen von der SPD zur Elektromobilität nichts eingefal-
Monate ist das Ergebnis einer Abwägung zwischen den len.
Grundrechten der von der Wehrpflicht betroffenen jun-
gen Männer und den sicherheitspolitischen Erfordernis- Die christlich-liberale Koalition macht das anders:
sen unseres Landes in der derzeitigen Struktur unserer Wir geben Antworten und handeln. Am 3. Mai haben
Streitkräfte. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, wir mit dem Kanzlergipfel den Startschuss für die Natio-
dass die Wehrpflicht einen massiven Grundrechteingriff nale Plattform Elektromobilität gelegt. Ich habe im März
darstellt und wichtige Kapazitäten in den Strukturen der gesagt, dass wir nach dem Kanzlergipfel loslegen. Das
Bundeswehr, die längst eine Armee im internationalen halten wir auch so. Derzeit arbeiten wir sehr konkret an
Einsatz geworden ist, bindet. Deswegen bleiben wir der einem Koalitionsantrag zur Elektromobilität. Die Ar-
Meinung, dass diese Abwägungsfrage auch grundsätz- beitsgruppen der Nationalen Plattform sitzen mit Hoch-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5129

(A) druck an ihren Empfehlungen. Dies alles dient dem Ziel, für uns als Union klar, dass es sich bei dieser Förderung (C)
Deutschland zum Leitmarkt und Leitanbieter für alterna- nicht um eine Kaufprämie handeln kann. Klar ist aber
tive Antriebe und CO2-arme Fahrzeuge zu machen. auch, dass wir bei der Forschung und Entwicklung för-
dern müssen. In Zeiten des Sparens und der Haushalts-
Dieses Ziel sollte ein gemeinsames Ziel von uns allen konsolidierung geht es um besonders effektiven Einsatz
sein. Daher habe ich auch erfreut zur Kenntnis genom- von staatlichen Fördermitteln. Wir müssen die For-
men, dass Sie in Ihrem Antrag durchaus Positives am schungsförderung über 2011 hinaus fortsetzen und zu-
bisherigen Vorgehen der Bundesregierung sehen. sätzliche Fördermöglichkeiten prüfen. Dabei hilft das
Die Elektromobilität hat für uns allein schon einen klare Bekenntnis der Bundesregierung zu weiteren inten-
hohen Stellenwert, weil sie ein Beitrag sein kann zum siven Investitionen in Forschung und Bildung. Von den
Schutz der Umwelt, zur Schonung von Ressourcen und im Koalitionsvertrag erwähnten zusätzlichen 12 Milliar-
damit letztendlich zur Bewahrung der Schöpfung. den Euro bis 2013 sollten meiner Meinung nach umfang-
reiche Mittel für Elektromobilität bereitgestellt werden.
In der Anfrage geht es aber in erster Linie um die Si- Damit könnte das erfolgreiche 500-Millionen-Paket aus
cherung der Technologieführerschaft Deutschlands im dem zweiten Konjunkturprogramm über 2011 hinaus
Verkehrsbereich. Konkret bedeutet das, Deutschland fortgesetzt werden. Da die Elektromobilität für die Bun-
zum Leitanbieter für alternative Antriebe zu machen. desregierung Priorität hat, wäre das nur folgerichtig.
Die Elektromobilität ist eine große Chance für den Wirt-
schaftsstandort Deutschland – und eine große Herausfor- Wir haben einen Nationalen Entwicklungsplan Elek-
derung: Immer mehr neue Autos werden in Zukunft tromobilität und eine Nationale Plattform. Die Elektro-
elektrisch fahren oder zumindest über einen zusätzlichen mobilität macht aber nicht an nationalen Grenzen halt.
Elektromotor verfügen. Der Bau von Elektrofahrzeugen, Wir brauchen multinationale Vereinbarungen bei der
innovativen Energiespeichersystemen und Ladestellen Standardisierung, der Rechtssicherheit und der Verbrau-
wird in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten cherfreundlichkeit. Sprich: Wir brauchen Europa! Des-
Marktchancen eröffnen und Arbeitsplätze schaffen. halb sind wir hierzu mit unseren französischen Kollegen
Diese werden allerdings nicht nur auf Automobilkon- im Gespräch. Wir begrüßen auch im Großen und Ganzen
zerne und Zulieferindustrie beschränkt sein. Dabei ver- die Strategie der Kommission für saubere und energieef-
steht sich von selbst, dass wir einen technologieoffenen fiziente Fahrzeuge und unterstützen die Arbeit in den zu-
Ansatz verfolgen. Insgesamt gilt es, heute schon an die ständigen Standardisierungsgremien. National handeln,
genannten Punkte zu denken und die Weichen richtig zu aber europäisch denken, ist das Gebot der Stunde. Da-
stellen. rauf kommt es ganz besonders beim weiteren Ausbau
der Elektromobilität an.
(B) Mit der bereits erwähnten Gründung der Nationalen (D)
Plattform Elektromobilität wurde eine Arbeitsstruktur
Karl Hohlmeier (CDU/CSU): „Sicherung der Tech-
geschaffen, um den Nationalen Entwicklungsplan Elek-
nologieführerschaft Deutschlands im Verkehrs- und
tromobilität der Bundesregierung von 2009 fortzuentwi-
Baubereich“ – ein bedeutendes Thema, das die Kollegin-
ckeln. Darüber hinaus ist es ihre Aufgabe, konkrete Kon-
nen und Kollegen von der SPD hier aufgegriffen haben.
zepte zu seiner praktischen Umsetzung vorzulegen. Bis
Ich finde es nur schade, dass sie es in ihrer Großen Anfrage
Ende 2010 werden eine Zwischenbilanz der Arbeits-
so auffällig einseitig darstellen. Aus meiner Sicht und der
gruppen und erste Vorschläge vorliegen. Wir begrüßen
Sicht meiner Fraktion umfasst dieses große Thema doch
diese Initiativen der Bundesregierung ausdrücklich. Ins-
etwas mehr als nur Klima- und Energiefragen, alternative
gesamt muss die Politik gemeinsam mit Verbrauchern,
Antriebstechnologien und ein Tempolimit von 130 km/h
Wirtschaft und Wissenschaft eine Strategie für diese
auf Autobahnen.
wichtige Zukunftstechnologie erarbeiten.
Meine begrenzte Redezeit erlaubt es mir leider nicht,
Ich will nicht verschweigen, dass wir noch viel vor hier heute für umfassende Aufklärung bei den Kollegen
uns haben. Es ist noch viel zu tun in den Bereichen Aus- der Opposition zu sorgen. Das will ich auch gar nicht,
und Weiterbildung, bei der Grundlagenforschung in der die Anfrage richtet sich schließlich an die Regierung.
Speichertechnologie, der Vernetzung von Forschungs- Aber erlauben Sie mir doch den Hinweis auf unseren
projekten, beim Bilden von Forschungsclustern, der Ein- Koalitionsvertrag. Dort steht sehr viel Wichtiges zu die-
beziehung von Verkehrstelematik, beim Recycling, den sem Thema.
Rohstoffabhängigkeiten, bei intelligenten Netzen, der
Auswertung der Modellregionen, der Ausweitung von Ich möchte mich gern auf ein paar Bereiche beschrän-
Elektromobilität auf andere Verkehrsträger und und und. ken, die aus meiner Sicht besonders hervorzuheben sind
Wir wissen das und arbeiten an Antworten. Außerdem und in denen ich dringenden Handlungsbedarf zur Siche-
kann sicherlich auch die Koordinierung der vier beteilig- rung der Technologieführerschaft Deutschlands sehe.
ten Ressorts noch verbessert werden. Der Gemeinsamen
Geschäftsstelle Elektromobilität der Bundesregierung je- Zum Thema Verkehr/Infrastruktur. Für den Verkehrs-
denfalls sollten durchaus mehr Kompetenzen übertragen bereich will ich zunächst einmal auf eine Grundvoraus-
werden. Unsere Aufgabe als Parlament ist es, die Arbeit setzung für die Sicherung der Technologieführerschaft
der Gemeinsamen Geschäftsstelle intensiv zu begleiten. Deutschlands hinweisen: die uneingeschränkte Mobili-
tät. Es geht, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kol-
Für Deutschland die Technologieführerschaft zu si- legen von der SPD, nicht darum, Mobilität zu verhin-
chern, geht nicht ohne finanzielle Förderung. Dabei ist dern, sondern sie uneingeschränkt zu ermöglichen.
5130 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) Wir müssen sicherstellen, dass die Verkehrsströme in gesetzt, dass die Maßnahmen zur energetischen Gebäu- (C)
unserem Land reibungslos fließen können. Dies gilt vor desanierung weitergeführt werden.
allem vor dem Hintergrund stetig steigender Wachs-
Das CO2-Gebäudesanierungsprogramm bleibt uns
tumsraten im Frachtbereich. Hierfür brauchen wir eine
optimale Funktionsfähigkeit aller Verkehrsträger und auch in dieser historisch schwierigen Finanzlage weiter
eine gute Vernetzung. Hierzu brauchen wir intelligente erhalten. Das war nicht einfach und ein gewaltiger Kraft-
Verkehrslenkungs- und Verkehrsmanagementsysteme, und akt, für den ich den Minister ausdrücklich lobe und Kritik
hierzu brauchen wir vor allem Maßnahmen zum Erhalt an seinem Handeln entschieden zurückweise.
sowie zum Neu- und Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Wir sind weiterhin auf einem sehr guten Weg, das er-
folgreiche Marktanreizprogramm fortzuführen. Wir brin-
Zu den konkreten Infrastrukturmaßnahmen. Lassen
gen die Entwicklungen zum Passivhaus stetig voran,
Sie mich kurz auf den konkreten Nachholbedarf in der
denn Energie, die gar nicht erst verbraucht wird, ist im-
Verkehrsinfrastruktur eingehen. Wir brauchen dringend
mer noch die beste.
ein Straßenbauprogramm West. Der Zustand zahlreicher
Bundestraßen und Bundesautobahnen im Westen Lassen Sie mich abschließend an dieser Stelle auch
Deutschlands ist schlecht und bedarf der Verbesserung. einmal die immer wieder vergessene Bedeutung der Roll-
Hier hat das SPD-geführte Verkehrsministerium viel zu laden- und Sonnenschutzbranche hervorheben. Wärme,
lange geschlafen und den Anschluss verpasst. Das wer- die an kalten Tagen durch eine intelligente automatische
den wir nun nachholen. Steuerung von Rollläden nicht nach außen verloren geht,
braucht nicht durch Heizungen ersetzt zu werden. Und
Natürlich bedeutet das nicht, dass wir Abstriche in Wärme, die an warmen Tagen gar nicht erst in die Ge-
den neuen Ländern machen dürfen. Die Verkehrspro- bäude eindringt, muss auch nicht gekühlt und abgeführt
jekte „Deutsche Einheit“ werden wir ohne Wenn und werden.
Aber abschließen. Hier darf Ost und West nicht gegen-
einander ausgespielt werden, sondern wir brauchen eine Wir haben in Deutschland exzellente Technologien im
vernünftige Balance. Der Verkehrsminister, Peter Rollladen- und Sonnenschutzbereich. Genauso, wie wir
Ramsauer, hat dies ganz klar betont. exzellente Technologien in zahlreichen anderen Bereichen
haben. Zur Sicherung unserer Technologieführerschaft
Wir müssen außerdem den zunehmenden Verkehrs- müssen wir daher auch weniger bekannte Branchen unter-
strömen im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung stützen und dürfen uns nicht nur auf bestimmte Techno-
auf Schiene und Straße gerecht werden. Hier ist voraus- logien konzentrieren und verlassen.
schauendes Handeln gefragt, um nicht später der Ent-
wicklung hinterherzuhinken. Die Technologieführerschaft Deutschlands ruht auf
(B) mehreren Säulen. Eine einseitige Betrachtung sichert (D)
Als konkretes Beispiel kann ich hier aus eigener Er- diese Führerschaft mit Sicherheit nicht.
fahrung aus meinem Wahlkreis in Ostbayern, an der
Grenze zur tschechischen Republik berichten. Beim
Ute Kumpf (SPD): Klimawandel und Klimaschutz
Bahnausbau sind uns unsere tschechischen Nachbarn
gehören zu den größten Herausforderungen unserer Zeit.
schon etwas voraus. Sie haben längst die Notwendigkeit
Klimaschutz ist auch die soziale Frage dieses Jahrhun-
erkannt, dass die direkte Bahnverbindung von Prag nach
derts. In diesem Bereich wird entschieden, ob wir das
München über Pilsen, Furth im Wald, Schwandorf und
Ziel einer gerechten Teilhabe – weltweit und national –
Regensburg ausbaut werden muss. In Gesprächen mit
erreichen. Auch nach dem Scheitern der Klimakonferenz
dem tschechischen Verkehrsministerium haben die Kol-
von Kopenhagen muss Deutschland seine Vorreiterrolle
legen aus dem Nachbarland klargemacht, dass für sie
beim Klimaschutz in Europa weiter ausbauen. Bis 2020
eine optimale Vernetzung der europäischen Zentren
sollen die Treibhausgasemissionen in Deutschland um
Grundvoraussetzung für den innergemeinschaftlichen
mindestens 40 Prozent, bis 2050 um 80 bis 95 Prozent
Handel ist.
gegenüber 1990 vermindert werden. Aktuell verursa-
Wenn wir unsere Stellung als Technologie- und Lo- chen die Sektoren Gebäude und Verkehr rund 40 Prozent
gistikstandort langfristig sichern und weiterentwickeln des CO2-Ausstoßes in Deutschland. Das ist eine Heraus-
wollen, müssen wir hier mitziehen, und zwar voraus- forderung für die Baupolitik, Energie- und Klimakon-
schauend. Wir müssen politisch gestalten und dürfen uns zepte zu entwickeln, eine Herausforderung für die Ver-
nicht allein auf die Aussagen von Gutachtern zu Kosten- kehrspolitik, CO2-freie Mobilität zu organisieren, mit
und Nutzenberechnungen zurückziehen. Energieeffizienz, Elektromobilität und nachhaltigen Ver-
kehrskonzepten.
Zum Thema Bauen und Wohnen. Vorausschauendes
Handeln ist auch die Maxime für die Bau- und insbeson- In der rot-grünen Bundesregierung und der Großen
dere die Wohnungsbaupolitik. Hier sind wir auf einem Koalition haben wir die Weichen dafür gestellt, und zwar
sehr guten Weg, den wir dank des Einsatzes unseres Ver- mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz, dem Integrierten
kehrs- und Bauministers auch konsequent weitergehen. Energie- und Klimaprogramm, der Schaffung der Natio-
nalen Plattform für Wasserstoff- und Brennstoffzellen-
In Deutschland entfallen immer noch 40 Prozent des technologie NOW, dem Nationalen Entwicklungsplan
gesamten Energieverbrauchs auf das Heizen und Kühlen Elektromobilität und dem Ziel, bis 2020 1 Million Elek-
von Gebäuden. Das zeigt uns, dass hier ein enormes Ein- troautos auf deutsche Straßen zu bringen, den 500 Mil-
sparpotenzial besteht. Peter Ramsauer hat daher durch- lionen Euro an Fördergeldern im Konjunkturprogramm II
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5131

(A) für die Forschung, Entwicklung und Erprobung von 2 Milliarden Euro in die Forschung und Entwicklung. (C)
Elektromobilität in acht Modellregionen bis 2011. Blei- Und wo sind die Konzepte der deutschen Regierung?
ben wir beim Verkehr und dem Thema Elektromobilität. Deutschland muss starke Anstrengungen unternehmen,
Was macht die schwarz-gelbe Bundesregierung unter um gerade in der Batterietechnologie wieder eigene Stär-
Kanzlerin Merkel? Eigene Ideen? Fehlanzeige! Sie ken zu entwickeln, um wieder Produktionsstätte für Bat-
macht Produktpiraterie, was uns ehren sollte, gibt aber terien zu werden. Was macht die Regierung?
unsere Projekte und Maßnahmen als ihre aus. Sie insze-
niert einen Elektroautogipfel Anfang Mai mit viel Blitz- Die SPD fordert von der Bundesregierung, noch in
lichtgewitter und legt dann im Anschluss alles in die diesem Jahr auch die Frage zu beantworten, wie es 2011
Hände der Automobilindustrie. Vier Ministerien und Mi- in den acht Modellregionen weitergeht, wenn die Förde-
nister machten sich beim Gipfel den Platz auf dem Po- rung durch das Konjunkturprogramm aus der Großen
dium gegenseitig streitig, sprachen mit vielen Zungen, Koalition ausläuft. Wie wird das Wissen, werden die Er-
sind aber bis heute nicht in der Lage, unsere Große An- fahrungen und Konzepte zugänglich gemacht, damit an-
frage, gestellt im März, zu beantworten. Leadership und dere Regionen davon profitieren und ein Wissenstransfer
eine nachhaltige Verkehrspolitik im Interesse der Men- möglich wird? Wissensmanagement muss organisiert
schen sieht anders aus. So verspielt die Bundesregierung werden. Wie geht es vor Ort weiter? Wie wird die Infra-
Merkel auch hier Vertrauen – bei den Verbrauchern, bei struktur, ein enges Netz an Ladestationen vorangetrie-
der Wirtschaft, bei der Industrie. Die Menschen sind offen ben? Ohne Infrastruktur kann Elektromobilität nicht flä-
für Elektromobilität und für nachhaltige Verkehrskon- chendeckend organisiert werden. Die Experten sind sich
zepte. Das belegen Umfragen. 85 Prozent würden beim weltweit seit langem einig: Batteriefahrzeuge werden si-
nächsten Mal ein Elektrofahrzeug kaufen, so eine Studie cherlich billiger werden, die Zahl der Ladezyklen wird
der Münchener Unternehmensberatung Barkawi vom genauso wie die Zuverlässigkeit steigen, ihre Reichweite
Oktober 2009; bei einer Umfrage des ADAC bei seinen wird aber nie die von Verbrennungsmotoren sein. Nur
Mitgliedern im September 2009 waren es 75 Prozent. den Antrieb zu wechseln, reicht also nicht aus. Elektro-
autos brauchen ein neues Fahrzeug- und Mobilitätskon-
Die deutsche Automobilindustrie ist auf diese Nach- zept. Es ist die Chance für eine neue Mobilitätskultur.
frage und auf diese Erwartungen nicht vorbereitet. Es Das zeigen die Modellversuche in London oder auch bei
gibt noch keine alltagstauglichen deutschen Produkte, uns, das Projekt car2go in Ulm. Mehr Menschen werden
die einem Pkw mit Verbrennungsmotor gleichkommen; in naher Zukunft das Auto nutzen, jedoch nicht zwangs-
der Preis bei den Erprobungsfahrzeugen stimmt noch läufig eines besitzen wollen. Da schlägt die Stunde für
nicht, denn circa 40 Prozent der Befragten wollen und Carsharing, für ein nachhaltiges Mobilitätsmanagement
können nicht mehr Geld für ein Elektroauto als für ein in den Städten mit der Vernetzung der Verkehrsträger.
(B) Auto mit Verbrennungsmotor ausgeben. Eine nationale Dieses muss mit politischen Maßnahmen begleitet wer- (D)
Plattform Elektromobilität der Automobilindustrie al- den: mit Privilegierung von Elektromobilität im öffentli-
leine reicht also nicht aus. Die Politik versagt, wenn wir chen Raum. Stichwort: Parkplätze, Benutzen von Bus-
alles der Automobilindustrie überlassen. Wir brauchen spuren und Ladestationen im Parkhaus. Die öffentliche
eine nationale Kraftanstrengung, wir brauchen eine kon- Hand muss mit ihren Fuhrparks Vorreiter werden. Diese
zertierte Aktion für eine CO2-freie Mobilität, und wir Maßnahmen sind für die SPD sinnvoller, bevor wir die
brauchen politische Rahmenbedingungen für Elektromo- Forderung nach einer Prämie in Höhe von 5 000 Euro
bilität. Ein Leitmarkt Elektromobilität fällt nicht vom beim Kauf eines Elektroautos, wie es die Grünen for-
Himmel. Ein Leitmarkt braucht Leitplanken, wie ein dern, unterstützen. Da sind wir ganz auf der Seite von
Förderkonzept für Forschung und Entwicklung, eine Bremens grünem Umweltsenator Loske, der von einer
Qualifizierungsstrategie in Ausbildung, Studium und „unnötigen Zweitwagenprämie“ spricht.
Lehre, ein Förderkonzept für die Infrastruktur in den
Kommunen und in der Fläche, Normen, Standards und Was wir jetzt vor allem brauchen, ist eine handlungs-
Vorgaben, damit wir die Vorreiter im internationalen fähige Bundesregierung, keine Regierung, die alles dem
Wettbewerb in der Automobilindustrie bleiben. Markt und der Automobilbranche überlassen will und
die hinter einer Plattform in Deckung geht und abwartet.
Wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir uns schöner Wir brauchen eine konzertierte Aktion für die Elektro-
reden als wir sind. Die Automobilindustrie hat in den mobilität, die nicht an unserer nationalen Grenze endet.
90er-Jahren durch Outsourcing viele Kompetenzen nach Wir brauchen diese auch für Europa. Die nationale Brille
Asien verlagert, gerade bei der Batterietechnologie. alleine reicht nicht. Die unterschiedlichen Industrien und
Schlüsseltechnologien für die Elektromobilität sind Forschungsdisziplinen müssen miteinander reden, bran-
Fahrzeugbatterien, elektrische Motoren, mechanische chenübergreifende und internationale Forschungs- und
Antriebsstränge und Leistungselektronik. Deutschland Umsetzungsprogramme festlegen, neue strategische Al-
ist gerade in diesen Schlüsselbereichen schlecht aufge- lianzen schmieden. Die SPD hat den Weg vorgezeichnet.
stellt. Japan, Korea und China laufen uns hier den Rang Jetzt muss die Bundesregierung zeigen, was ihre schö-
ab, so die Einschätzung der Expertenkommission „For- nen Worte wert sind! Um mit Weert Canzler und
schung und Innovation“ in ihrem Gutachten 2010 an die Andreas Knie, zwei renommierten Mobilitätsforschern,
Bundesregierung. Und wir laufen Gefahr, weiter zurück- zu enden: „Der angestrebte Leitmarkt von morgen kann
zufallen: So fördert China mit einer Milliarde Euro, in nicht mit Geschäftskonzepten von gestern gesichert wer-
Korea forschen 8 000 Wissenschaftler an der Weiterent- den. Es braucht zukunftsfähige Mobilitätsangebote für
wicklung der Batterietechnologie, die USA stecken die regenerativ versorgte Metropole und ihre anspruchs-
5132 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) vollen, aber nicht mehr autoabhängigen Bewohner.“ Wir schwendet herum. Mit den Batterien gibt es plötzlich ein (C)
brauchen keine Gipfelinszenierung, sondern politische Speichermedium, das die dezentrale Speicherung von
Rahmenbedingungen, damit wir keine Spätzünder beim Strom aus Wind und Sonne in völlig neuer Weise zu-
Elektroauto werden und Weltspitze beim Auto und im lässt. Verkehrsadern werden wieder bewohnbar, weil
Verkehrssektor bleiben. Lärm und Abgase verschwinden. Skeptiker werfen ein
– und die erheischen immer große Aufmerksamkeit –,
Wolfgang Tiefensee (SPD): Deutschland steht vor
das zentrale Problem der Batterie sei in naher Zukunft
nicht lösbar. Zu schwach auf der Brust, heißt es da, zu
einer Richtungsentscheidung: Wollen wir in der Elektro-
schwer, zu teuer, zu gefährlich, mit ewigen Ladezeiten,
mobilität eine Revolution anschieben, oder lediglich ein
paar Forschungsprojekte fördern? Schreitet die Bundes- nicht recycelbar. Deren Fazit: Macht mal halblang, das
wird dauern.
regierung mit beherzten, mutigen Maßnahmen voran
oder verliert sie sich wieder im Klein-Klein, wie bei an- In diesem Geist agiert auch die deutsche Bundesre-
deren Themen auch? Mit dem Elektromobilitätsgipfel gierung. Sie ließ eine schnelle und direkte Zusage für
am 3. Mai 2010 hat sie wieder einmal eine Chance ver- eine bessere staatliche Förderung von Forschung und
passt, einen Aufbruch in ein neues Zeitalter zu wagen. Entwicklung verstreichen; denn im Rahmen der Neu-
Dabei müssen jetzt die Weichen für die Zukunft gestellt gründung der „Nationalen Plattform Elektromobilität“
werden, weil sich Mobilität grundlegend verändern wird. wurden keine konkreten Maßnahmen festgelegt. Dass
Ich weiß, dass sich das nur wenige vorstellen können; die Bundesregierung aus ihrer lahmen Forschungspolitik
denn seit unserem ersten Kindheitsblick auf eine Welt- schon erste Konsequenzen zieht, hat sich leider in der
karte steht Europa im Mittelpunkt; Deutschland ist im Abschlusserklärung nach dem Mobilitätsgipfel gezeigt.
Zentrum, Asien und die USA kleben am Rand. Das Land Das Ziel von einer Million Elektroautos aus heimischer
der Dichter, Denker und Ingenieure steht naturgemäß für Produktion im Jahr 2020 wird nun nicht mehr ange-
Weltgeltung. Beispiel Autoindustrie: Autos wurden hier strebt. Stattdessen wird nun nur noch von einer Million
erfunden und vervollkommnet, Deutschland ist seit Carl Elektroautos auf deutschen Straßen gesprochen, egal ob
Benz Autonation Nummer eins. diese in Deutschland produziert wurden oder nicht. Dies
Es geht um eine Revolution. Was aber, wenn sich die zeigt wiederum, dass mit dieser Bundesregierung keine
Koordinaten rasend schnell und dramatisch verschieben zukunftsgerichtete Technologiepolitik zu machen ist.
würden? Was, wenn Asien ins Zentrum rückte, die Land- Damit die nächste Welle an Elektroautos aus Deutsch-
karten korrigiert werden müssten, wenn dort ein Know- land kommt, muss sofort und mit mehr Dynamik und
how versammelt wäre, das einen Sprung in ein neues Innovation auf die grundlegenden Veränderungen re-
Zeitalter ermöglichte, in die Epoche der Elektromobili- agiert werden.
(B) (D)
tät? Das Thema ist absolut in – noch; denn wie üblich Noch hat Deutschlands Automobilindustrie eine
wird das Interesse bald erlahmen; die Medienkarawane Chance, ihren Rückstand auf die ausländische Konkur-
zieht weiter. renz im Bereich der Elektromobilität aufzuholen. Doch
Nach gründlicher Beschäftigung mit der Materie ist um dies zu schaffen, muss eine erhöhte Forschungsför-
es nichtsdestotrotz meine Überzeugung, dass wir dran- derung Kernpunkt aller politischen Steuerung sein. Der
bleiben müssen, weil es hier entgegen aller Unkenrufe Evonik-Chef und Leiter der Arbeitsgruppe Batterietech-
um eine Revolution geht. Sie steht der in der Kommuni- nologie sagt: „Wenn wir international vorne mitspielen
kationsbranche in nichts nach. Wer nun glaubt, mit zag- wollen, brauchen wir gezielte Unterstützung“, und:
haften Schritten mithalten zu können, wird im Wettbe- „Entscheidungen muss es so schnell wie möglich ge-
werb dramatisch an Boden verlieren. Umgekehrt kann, ben.“
wer die Zeichen der Zeit erkennt, wer kraftvoll inves- In Asien geht man schrittweise vor.
tiert, riesige PotenZiale heben.
Laut einer Studie von McKinsey wird jedoch die
Worum geht es? Verkehrsadern werden wieder be- staatliche Förderung von FuE und der Infrastruktur von
wohnbar, Abgase verschwinden. Elektroautos in Deutschland innerhalb der nächsten fünf
Auch in 30 Jahren wird der gute alte Ottomotor sei- Jahre weit hinter der von anderen wichtigen Automobil-
nen Platz haben, weil Effizienzsteigerungen machbar nationen zurückbleiben. So belegt Deutschland in der
sind. Biogas, synthetische Kraftstoffe, die Wasserstoff- vorliegenden Untersuchung mit 0,615 Milliarden Euro
und Brennstoffzelle vervollkommnen die Palette der Zu- nur den fünften Platz. Die USA mit 22,187 Milliarden
kunft. Im Zentrum steht jedoch die Elektromobilität. Sie Euro, China mit 3,337 Milliarden Euro, Frankreich mit
führt nicht nur zu einem Paradigmenwechsel in der Mo- 2,182 Milliarden Euro und selbst Spanien mit 1,390 Mil-
bilität selbst – man kauft kein Auto mehr, sondern Mobi- liarden Euro fördern deutlich stärker die FuE von Elek-
lität – sondern sie ermöglicht auch Umweltfreundlich- troautos. Diese Zahlen machen deutlich, dass vor allem
keit neuer Qualität, greift man auf grünen Strom zurück. in China und den USA die Elektromobilität als Möglich-
Sie generiert neuartige Werkstoffe, die Einfluss auf Ge- keit angesehen wird, die eigene Automobilindustrie an
wicht und Design haben werden. die Spitze des neu entstehenden Massenmarktes Elektro-
auto zu katapultieren. Daher unterstützen die dortigen
Es entwickelt sich eine Verschränkung von Kraftfahr- Regierungen auch in solch erheblichem Umfang und mit
zeug und Energiewirtschaft. Ein Auto steht bisher zu solch hoher Umsetzungsgeschwindigkeit die heimische
95 Prozent seiner Lebenszeit einfach nur platzver- Automobilindustrie.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5133

(A) In Asien kann man exemplarisch sehen, wie es anders zu einem schlagkräftigen Ganzen. Eine Herkulesaufgabe (C)
gehen kann. Dort peilt man derweil mit deutschen Batte- ist das, aber das lohnenswert!
rieexperten an, in etwa fünf Jahren den Elektroantriebs-
strang für 7 000 Euro anzubieten: vergleichbar dem her- Petra Müller (Aachen) (FDP): Klimaschutz und
kömmlichen Motor- und Getriebepaket, Reichweite über Energieeinsparungen gehören zu den großen Herausfor-
300 Kilometer, kurze Ladezeiten und höchste Sicherheit. derungen. In diesem Punkt sind wir uns wohl alle einig,
Vorreiter ist SB LiMotive in Stuttgart, eine koreanisch- fraktionsübergreifend.
deutsche Kooperation, in Sachsen die Firma Li-Tech.
Deutsche Automobilhersteller warnen zu Recht: Dros- Deutschland hält seine Spitzenposition in der Techno-
selt nicht den Kauf herkömmlicher Autos durch das Ge- logieführerschaft. Genau deshalb müssen wir weiterhin
rede vom verfügbaren Elektroauto. Sie suchen die durch eine verstärkte Forschungsförderung die Techno-
perfekte Lösung. So liegen unsere Tugenden und Wett- logieentwicklung und Innovationskraft und damit die
bewerbsnachteile eng beieinander. Hierzulande werden Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft stärken. Der
sämtliche Schritte einer Neuentwicklung von heute bis sauberen Energie wird die Zukunft gehören. Auch im
zum fernen Ziel als gerade Linie mit allen Risiken vor- Hinblick auf die Öl-Katastrophe am Golf.
bedacht. Der Baubereich spielt neben dem Verkehr bei der
Energieeinsparung eine zentrale Rolle. Durch nachhalti-
In Asien setzt man Schritt für Schritt, kalkuliert den ges Bauen und Sanieren erreichen wir eine Reduzierung
Irrtum ein und korrigiert sich. Über 70 Prozent der Pa- des CO2-Ausstoßes und kommen somit unseren ambitio-
tente werden nicht etwa in der Grundlagenforschung, nierten Klimaschutzzielen immer näher. Deshalb bin ich
sondern in der Produktion generiert. Unterstreicht das auch sehr glücklich, dass das CO2-Gebäudesanierungs-
nicht die Notwendigkeit, Forschung und Fertigung von programm auch über 2011 hinaus seine Erfolgsgeschichte
Beginn an zu verschränken? Die jetzige Bundesregie- weiterschreiben kann. Die heißt: Gebäude sanieren,
rung tut alles, die Erwartung tief zu hängen und das Bud- Klima schützen, Geld sparen. Die energetische Gebäude-
get überschaubar klein zu halten. In ihrer Geschäftsstelle sanierung entlastet dabei nicht nur die Umwelt, sondern
Elektromobilität mühen sich Beamte – dreieinhalb Stel- auch die Geldbörse der Bürgerinnen und Bürger, zum
len – um die Koordinierung komplizierter Projekte. Vier Beispiel bei den Heizkosten.
Ministerien streiten um Kompetenzen. Begleitet von ei-
Als stadtentwicklungspolitische Sprecherin meiner
nem Geldministerium, das die Taschen zuhält, wo visio-
Fraktion möchte ich die Weichen stellen und über das
närer Umgang mit Finanzen nötig wäre.
einzelne energetische Gebäude hinausblicken. Die FDP
In Asien und Amerika werden ehrgeizige Ziele ge- strebt eine quartiersbezogene Lösung an, die energe-
(B) setzt. Innenstädte abgasfrei, öffentliche Wagenparks tisch-dynamische Stadtentwicklung. Wir wollen Ver- (D)
komplett elektromobil. Mit Milliardenbeträgen wird die kehr, Wohnen und Leben in der Stadt harmonisieren.
Grundlagenforschung angetrieben, die öffentliche Hand Das trägt zu einer ressourcenschonenden Stadtentwick-
zum Kauf animiert, der Kunde mit Prämien geködert. Ihr lung bei, etwa über kürzere Wege und weniger Erschlie-
Credo: Die Europäer sind bei den herkömmlichen Tech- ßungsflächen und geringere Wärmeverluste durch kom-
paktere Baustrukturen.
nologien nicht zu toppen, also schlagen wir sie durch ei-
nen Paradigmenwechsel. Das wollen und müssen wir Bei der Zertifizierung von Gebäuden und Quartieren
verhindern. Aber wie? Stichworte: Deutschland wird – es geht um die Bereiche Klimawandel, Energiekosten,
Technologieführer Elektroenergie. Das sollte das große demografischer Wandel, altersgerechtes Bauen – werden
Ziel sein. Der Begriff Leitmarkt verwirrt, denn nicht die kontinuierlich neue Qualitätsstandards entwickelt und
Anzahl gekaufter Fahrzeuge am Markt steht im Vorder- fortgeführt.
grund.
Wir, die Koalition, haben durch das aktuelle Sparpaket
Wir brauchen einen europäischen Pakt Elektromobili- bewiesen, dass wir den Bundeshaushalt stärker auf die
tät. Zukunft ausrichten können, indem wir die Investitionen
in die Zukunft unseres Landes trotz Konsolidierungs-
Statt des x-ten deutschen Gipfels aller ohnehin Über- druck – erhalten und weiter ausbauen. Heute leben über
zeugten ist ein europäisches Projekt, ein europäischer 6 Milliarden Menschen auf dieser Erde, in 40 Jahren wer-
Pakt Elektromobilität vonnöten. Er zielt auf klare Ar- den es wohl 9 Milliarden sein, die alle danach streben, an
beitsteilung, kluge Standardisierung der wesentlichen der Entwicklung teilzuhaben. Allein aus Gründen der
Komponenten und auf beherzte öffentliche Förderung, Ressourcenverknappung sind wir gezwungen, in vielen
die sich an den außereuropäischen Wettbewerbern misst, Bereichen neue Wege zu gehen. Aber das ist auch die
ohne im Brüsseler Notifizierungsdschungel stecken zu Chance. In den rasant wachsenden Ländern wie China
bleiben, auf Bündelung der industriellen, wissenschaftli- und Indien wird individuelle Mobilität genauso eingefor-
chen und öffentlichen Ressourcen zu einem Gesamtpa- dert, wie es bei uns der Fall ist.
ket auf milliardenschwere Förderung der Grundlagenfor- Es ist unsere Aufgabe in Deutschland, dass wir im
schung jetzt, statt der Bezuschussung von Autokäufen, Verkehrs- und Baubereich ressourcenunabhängiger, um-
auf Unterstützung der Kommunen beim Aufbau der weltfreundlicher und nachhaltiger agieren.
Strominfrastruktur durch gesetzliche Flankierung, Stan-
dards und Finanzen, auf Ausbau der Bildungszweige auf Im Koalitionsvertrag bekennen wir uns zum einen zur
dem Felde der Elektrochemie, auf Verschränkung der regenerativen Energie, zum anderen zur Elektromobili-
Energiewirtschaft, Automobilindustrie und Kommunen tät. Die christlich-liberale Koalition möchte dazu beitra-
5134 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) gen, dass Deutschland Leitmarkt für Elektromobilität politik. Das bedeutet keine Technologieführerschaft, (C)
wird und dass bis 2020 eine Millionen Elektrofahrzeuge aber unsere Alternativen sind hochinnovativ. Dazu brau-
auf unseren Straßen fahren. Das ist ein ehrgeiziges Ziel. chen wir ein sicheres und kundenfreundliches Verkehrs-
system mit Bus und Bahn; wir brauchen kundenfreund-
Das unterstützen wir durch eine leistungsfähige und liche Angebote der Bahn AG im Güterverkehr, die von
gut vernetzte Verkehrs, Stadt- und Energieinfrastruktur. den Unternehmen angenommen werden. Wie gesagt, das
Wir im Bund sind dazu Impuls- und Innovationsgeber. hat nichts mit High-Tech oder Technologieführerschaft
Wir brauchen ein umfassendes Konzept über Strom- zu tun, aber es senkt den CO2-Ausstoß und wirkt gegen
erzeugung und -verteilung, die Entwicklung einer Lade- den Klimawandel.
infrastruktur, intelligente Verkehrsleitsysteme. Auch Selbstverständlich werden weiter Autos auf unseren
oder gerade weil ich von der Zukunft der Elektrofahr- Straßen unterwegs sein. Aber ein innovatives Verkehrs-
zeuge überzeugt bin, weiß ich dass letztlich nicht der konzept darf diesen Verkehr nur als einen Teil begreifen.
Staat darüber entscheidet, in welchem Maße sich am Statt Milliarden ins Elektroautos zu investieren, braucht
Markt bestimmte Fahrzeugtypen durchsetzen, sondern es effektive Maßnahmen: Tempolimit, Einsatz von schad-
einzig und allein der Verbraucher, die Nutzer. Das ist li- stoffarmen Verbrennungsmotoren, Carsharing – auch das
berale Politik. ist heute schon machbar. Die Technologie ist vorhanden.
Der technische Fortschritt stellt uns aber auch vor All die Maßnahmen, die ich hier angesprochen habe,
neue Anforderungen an die Berufsbilder. Denn, wenn sind aktive Beiträge zum Klimaschutz und zur Verbesse-
wir keine Ingenieure oder Kfz-Mechaniker mehr ausbil- rung des Verkehrssektors, womit Sie, liebe Kolleginnen
den können, können wir auch nicht die Führung, bei- und Kollegen von der SPD, Ihre große Anfrage begründen.
spielsweise in der Elektromobilität, übernehmen. Genau Was wir wirklich brauchen, ist eine Grundlagenforschung
deshalb wird auch nicht im Haushalt in den Punkten Bil- für erneuerbare Energien und für moderne Transport- und
dung und Forschung gespart. Logistikketten. Also, liebe Kolleginnen und Kollegen von
Nur wenn wir das alles bedenken, wird eine neue der SPD, nicht bei Großen Anfragen stecken bleiben.
Wertschöpfungskette entstehen, und wir können Techno- Schauen Sie in den Sachstandsbericht des Umweltbun-
logieführer für alternative Antriebe, CO2-arme Fahr- desamtes mit dem Titel „CO2-Emissionsminderung im
zeuge und eine energetisch-dynamische Stadtentwick- Verkehr in Deutschland“. Da steht ja drin, was wir tun
lung sein. müssen, um dieses Ziel zu erreichen: Verkehrsvermeidung,
Verkehrsverlagerung, Verkehrsoptimierung, ökonomische
Wir haben den Mut, die Weichen richtig zu stellen. Maßnahmen, und direkte Emissionsvermeidung, alles
Deutschland wird zu den Gewinnern der multipolaren Maßnahmen, die wir als Linke-Fraktion in unser Konzept
(B) Welt gehören. Wir sind schon auf einem guten Weg. Das für eine „ökologisch und sozial nachhaltige Verkehrs- (D)
zeigen die aktuellen Zahlen der Wirtschaftsinstitute. wende“ aufgenommen haben. Statt Milliarden für
Brennstoffzellenforschung wollen wir mehr Geld für die
Herbert Behrens (DIE LINKE): Heute geht es um
Entwicklung alternativer Energieerzeugung; statt Tech-
die Technologieführerschaft der Bundesrepublik. Was nologieführerschaft bei Elektroautos wollen wir innova-
heißt denn eigentlich Technologieführerschaft eines tive Mobilität und Klimaschutz, und das nicht morgen,
Landes? Ich kenne sie bislang von Unternehmen, zum sondern heute.
Beispiel von OHB-System GmbH in Bremen, die in der
Weltraumtechnologie ganz vorne sind und Satelliten für Winfried Hermann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
den militärischen Einsatz entwickelt haben, oder von Mit der großen Anfrage zielt die SPD-Fraktion auf die
Rheinmetall Defence, die mit ihrer Bremer Drohne, dem Nichtaktivitäten der Bundesregierung zum Klima-
Flugroboter für den Kriegseinsatz, führend sind. Techno- schutz. Zu Recht wird danach gefragt, was die Bundes-
logieführerschaft ist kein Wert an sich. Wir müssen fra- regierung konkret tut, wie und wann sie welche Maßnah-
gen: Wem nützt eine Technologie? Ich will nicht unfair men ergreifen will, um den selbstgesteckten Zielen nä-
sein: In diese Richtung zielt diese große Anfrage nicht. her zu kommen.
Sondern? Ihnen geht es um das Erneuerbare-Energien-
Gesetz, um das Integrierte Energie- und Klimapaket und Die Fragen zur Umsetzung des IKEP, des Integrierten
den Nationalen Entwicklungsplan Elektromobilität. Er- Klimaschutz- und Energieprogramms der Bundesregie-
staunlicherweise beziehen sich zwölf Ihrer 27 Fragen auf rung, sind so berechtigt wie die Fragen zur Festlegung
Elektroautomobilität. Ich frage Sie: Gehen wir wirklich und Realisierung der Sektorziele im Bau- und Verkehrs-
einen innovativen Weg, wenn wir den Individualverkehr bereich. Denn leider war die Koalition in all diesen Fel-
mit dem Auto auf Stromantrieb umstellen? Ich finde, wir dern bisher eher untätig.
begeben uns auf den technologischen Holzweg, wenn
wir jetzt deutsche Unternehmen, gefördert mit Millio- Beispiel: Elektromobilität und der Elektromobilitäts-
nenbeträgen aus dem Bundeshaushalt, zu Technologie- gipfel der Kanzlerin. Alle waren gespannt, was die Bun-
führern in der Elektroautomobilität entwickeln wollen. desregierung am 3. Mai 2010 vor der versammelten Pro-
minenz aus Politik, Wirtschaft und Medien vorstellen
Es geht meiner Meinung nach um etwas anderes: Die würde. Präsentiert wurde das Logo für die nationale
Umwelt kann nur nachhaltig geschützt werden, wenn Plattform Elektromobilität, sieben Arbeitsgruppen und
man, statt am Auto rumzuschrauben, nach umweltver- Politik im Talkshowstil auf Unterhaltungsniveau. Keine
träglichen Alternativen sucht. Wir bleiben dabei: Wir Konzeption! Das war eine große Luftnummer ohne Sub-
wollen eine sozial und ökologisch nachhaltige Verkehrs- stanz. Auch die Koalitionsfraktionen haben in dieser Sa-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5135

(A) che keine Eile. Den angekündigten Antrag wird es erst Lebenspartnerschaften. Bei dieser Gelegenheit sollten (C)
nach der Sommerpause geben – wenn überhaupt. wir uns einmal vor Augen halten, was in diesem Bereich
bereits geschehen ist. Vor nunmehr fast zehn Jahren hat
Meine Damen und Herren von der Koalition: Klima-
die damalige rot-grüne Koalition das Lebenspartner-
schutz ist kein Thema von übermorgen. Technologiefüh-
schaftsgesetz verabschiedet. Nachdem die verfassungs-
rerschaft bei der Elektromobilität gewinnt man nicht im
Schlafe. Auch nette Bekenntnisreden des Ministers, „wir rechtlichen Fragen durch die Entscheidung des Bundes-
wollen Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität verfassungsgerichts im Jahr 2002 geklärt wurden, ist
machen“, helfen da nicht weiter. Anfang 2005 das Gesetz zur Überarbeitung des Lebens-
partnerschaftsgesetzes in Kraft getreten. Dabei wurde
Während man in China, USA, Japan und Frankreich – neben der politisch sehr umstrittenen Einführung der
mit kräftigen Marktanreizprogrammen die E-Mobility Stiefkindadoption – das Unterhalts-, Güter- und Versor-
vorantreibt, um die Technologieführerschaft zu gewin- gungsausgleichsrecht auf eingetragene Lebenspartner-
nen, wartet die Bundesregierung auf die Ergebnisse der schaften übertragen und eine Gleichstellung bei der
Arbeitsgruppen in einem Jahr. So wird man die Zukunft Hinterbliebenenversorgung in der gesetzlichen Renten-
nicht gewinnen. versicherung vollzogen. Eingetragene Lebenspartner-
Das Argument, in diesen Zeiten knapper Kassen und schaften sind damit im Zivilrecht weitestgehend gleich-
großer Schuldenberge verbieten sich teure Marktanreiz- gestellt. Das sollte auch einmal von den Kolleginnen und
programme, lassen wir nicht gelten. Wir wollen keine Kollegen der Opposition positiv zur Kenntnis genom-
Subvention des Kaufs von E-Autos wie bei der Ab- men werden.
wrackprämie. Wir wollen den Kaufanreiz für klima- Des Weiteren haben zahlreiche Bundesländer in den
freundliche Autos dadurch finanzieren, dass wir die Kfz- vergangenen Jahren ihre Landesbeamten im Bereich des
Steuer für Spritschlucker, SUVs und andere große Wa- Familienzuschlages, der Hinterbliebenenversorgung und
gen deutlich erhöhen. Wir wollen das Dienstwagensteu- der Beihilfe gleichgestellt. Für den Bereich des öffentli-
erprivileg, das den Kauf und Betrieb von Fahrzeugen mit
chen Dienstrechts hat es zudem mehrere Gerichtsent-
drei bis vier Milliarden Euro steuerlich begünstigt, korri-
scheidungen gegeben, die wir als Gesetzgeber selbstver-
gieren. Klimaschädliche und teure Wagen sollen nicht
ständlich zu beachten haben: Eine Entscheidung des
mehr voll abgeschrieben werden können. Mit den so
erzielten Einnahmen wollen wir Forschung und Ent- Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2007 hatte die
wicklung von klimafreundlichen Mobilitätstechnolo- Frage zum Gegenstand, ob das öffentliche Dienstrecht in
gien, insbesondere Speichertechniken, fördern. Wer die Deutschland gegen das gemeinschaftsrechtliche Diskri-
Arbeitsplätze in der Autoindustrie in Deutschland erhal- minierungsverbot verstößt. Im vergangenen Jahr hat zu-
ten will, der muss den technologischen Wandel zu klima- dem der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts in
(B) freundlichen Fahrzeugen massiv vorantreiben. Bezug auf die betriebliche Hinterbliebenenversorgung (D)
für Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes ganz explizit
Die Debatte zum Nichtstun der Bundesregierung entschieden, dass die Benachteiligung eingetragener Le-
beim Klimaschutz ist überfällig. Die große Anfrage der benspartner verfassungswidrig sei, soweit es nicht einen
SPD gibt dazu einen Anstoß. Man hätte sicher allerdings gewichtigen Grund für die Differenzierung gebe.
gewünscht, dass die SPD in diesem Sinne schon als Re-
gierungspartei gehandelt hätte. Unabhängig von der Frage, inwiefern aus besagten
Entscheidungen konkrete gesetzgeberische Maßnahmen
Notwendig ist ein umfassender Klimaschutz-Aktions- abgeleitet werden können, haben wir im Koalitions-
plan mit klaren Zielen und Maßnahmen für die Bereiche vertrag vereinbart, die familien- und ehebezogenen Re-
Verkehr und Bauen. Klimaschutz kann nur gelingen, gelungen bei Besoldung, Versorgung und Beihilfe im
wenn wir in diesen Bereichen ansetzen. Während frü- Bereich der Bundesbeamten auf die eingetragenen Le-
here Regierungen sich bemühten, die Vorreiterrolle zu benspartnerschaften zu übertragen. Das federführende
übernehmen, hat man bei dieser Regierung den Ein- Bundesministerium des Innern hat hierzu bereits im
druck, sie wolle sich die rote Laterne erschlafen. Wir April dieses Jahres einen entsprechenden Gesetzentwurf
werden alles tun, sie aufzuwecken. Wir sind gespannt
auf den Weg gebracht, der eine vollständige Gleichstel-
auf die Antworten der Bundesregierung.
lung im öffentlichen Dienstrecht zum Gegenstand hat.
Das Gesetz befindet sich derzeit in der Abstimmung mit
den Verbänden, wobei noch einige rechtliche Details zu
Anlage 6
klären sind, wie zum Beispiel die Frage einer etwaigen
Zu Protokoll gegebene Reden Rückwirkung. Es ist geplant, das Gesetz in der zweiten
Jahreshälfte in den Bundestag einzubringen. Wenn alles
zur Beratung der Anträge: klappt, wird es bereits zum Jahreswechsel eine entspre-
– Gleichstellung eingetragener Lebenspart- chende gesetzliche Regelung geben. Dieser Aspekt des
nerschaften SPD-Antrags hat sich also erübrigt.
– Öffnung der Ehe Ein weiterer Punkt im Antrag der SPD betrifft die
Frage des Steuerrechts. Auch dazu haben wir eine Ver-
(Tagesordnungspunkt 12) einbarung im Koalitionsvertrag: „Wir wollen gleich-
heitswidrige Benachteiligungen im Steuerrecht abbauen
Ute Granold (CDU/CSU): Wir beraten heute einmal und insbesondere die Entscheidungen des Bundesverfas-
mehr über die rechtliche Besserstellung eingetragener sungsgerichts zur Gleichstellung von Lebenspartnern
5136 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) mit Ehegatten umsetzen.“ Soweit die Antragsteller der sungsrechtlich geschützten Form des Zusammenlebens (C)
SPD nun auch im Steuerrecht eine vollständige Gleich- auf der einen Seite und der steuerlichen Freistellung
stellung, das heißt insbesondere eine Ausweitung des konkreter Einstandspflichten als Ausdruck der steuerli-
Ehegattensplittings auf eingetragene Lebenspartner- chen Leistungsgleichheit auf der einen Seite ganz gene-
schaften anmahnen, möchte ich zunächst auf das kürz- rell zu überprüfen und gegebenenfalls neu auszutarieren.
lich vom Bundeskabinett verabschiedete Jahressteuerge- Diese Prüfung darf sich allerdings nicht auf das Verhält-
setz 2010 hinweisen: Das sieht für die Bereiche nis von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft be-
Erbschaft-, Schenkung- und Grunderwerbsteuer eine schränken, sondern muss sich vielmehr ganz generell auf
vollständige Gleichbehandlung von eingetragenen Le- alle Unterhaltspflichten, die aus einer familiären Bezie-
benspartnerschaften mit der Ehe vor. Bei Schenkungen hung resultieren, erstrecken. Deshalb plädieren wir be-
und Erbschaften gilt folglich für Lebenspartner künftig reits in unserem Grundsatzprogramm für eine Prüfung,
die gleiche Steuerklasse wie bei Eheleuten. Darüber hi- ob sich das Ehegattensplitting zu einem Familien-
naus soll wie bei Eheleuten bei Grundstücksübertragun- splitting weiterentwickeln lässt. Wir sehen daher für eine
gen keine Grunderwerbsteuer mehr anfallen. kurzfristige, zumindest so weitreichende Änderung zu-
gunsten einer einzelnen Gruppe innerhalb des geltenden
Diese Änderungen bedeuten erhebliche Verbesserun- Einkommensteuersystems derzeit keinen Bedarf und
gen, die für die Betroffenen im Ergebnis in der Praxis lehnen insbesondere die Ausweitung des Ehegattensplit-
mehr bringen als die hier von Ihnen geführten symboli- tings ab.
schen Debatten über Änderungen des Art. 3 des Grund-
gesetzes oder die Frage, ob das Institut der Ehe auch für Ähnlich wie jetzt im Bereich der Schenkung- und
gleichgeschlechtliche Paare geöffnet werden sollte. Mit Erbschaftsteuer sollten wir uns vielmehr auf notwendige
diesen Maßnahmen haben wir unsere Koalitionsverein- punktuelle, kurzfristig zu realisierende Anpassungen be-
barung bereits in zentralen Punkten umgesetzt. Darüber schränken. So wird jetzt zum Beispiel über Angleichun-
hinaus wird aber nun auch gefordert, das Ehegattensplit- gen bei der einkommensteuerlichen Höchstgrenze für
ting auf eingetragene Lebenspartnerschaften auszuwei- Zuwendungen an politische Parteien diskutiert. Darüber
ten. Hier wundert es mich schon, dass ausgerechnet die hinaus gibt es eine Reihe weiterer vergleichbarer Rege-
Parteien, die seit Jahren bei jeder Gelegenheit mit der lungen, beispielsweise bei den Sonderausgabenpausch-
Behauptung, dass es sich hierbei um ein „anachronisti- beträgen, den Vorsorgeaufwendungen oder den Freibe-
sches Instrument“ handele, das Frauen von der Erwerbs- trägen bei Kapitalerträgen. Soweit Forderungen nach
tätigkeit abhalte und sie auf die Rolle der Hausfrau redu- einer vollständigen Gleichstellung immer wieder verfas-
ziere, die Abschaffung des Ehegattensplittings fordern, sungsrechtlich abgeleitet bzw. begründet werden,
nunmehr die Ausweitung auf eingetragene Lebenspart- möchte ich in Erinnerung rufen, dass das Bundesverfas-
(B) nerschaften wollen. Das erscheint mir mehr als paradox. sungsgericht in seiner Grundsatzentscheidung von 2002 (D)
Vielleicht gelingt es Ihnen, diesen Widerspruch in den ganz explizit festgestellt hat, dass das Grundgesetz nicht
anstehenden Beratungen aufzuklären. gebietet, die gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaft
Natürlich erkennen auch wir an, dass die eingetragene bis ins Detail dem Institut der Ehe anzupassen. Das soll-
Lebenspartnerschaft wie die Ehe eine auf Dauer ge- ten auch die Kolleginnen und Kollegen der Opposition
schlossene solidarische Einstandsgemeinschaft bildet. einmal zur Kenntnis nehmen. Hieran ändert auch die
Indem die Menschen füreinander eintreten und sorgen, jüngste – bereits erwähnte – Entscheidung des Bundes-
entlasten sie an vielen Stellen die Gemeinschaft; damit verfassungsgerichts aus dem letzten Jahr nichts; denn
ist diese Form des Zusammenlebens und des Füreinan- hier ging es – wie gesagt – lediglich um die spezielle
derdaseins auch Ausdruck der gerade von uns immer Frage der betrieblichen Hinterbliebenenversorgung für
wieder eingeforderten Subsidiarität. Wo steuerliche oder Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes. Unmittelbare
sonstige staatliche Privilegien ausschließlich an diese Rückschlüsse auf andere Rechtsbereiche sind daher
Einstandspflicht anknüpfen, bedürfen Differenzierun- nicht zulässig.
gen zwischen Ehe und eingetragener Lebenspartner-
Im Bereich des Adoptionsrechts lehnen wir auch zu-
schaft daher einer genauen Prüfung und gegebenenfalls
künftig jede Weiterung, also insbesondere das Recht zur
einer Anpassung. Eben aus diesem Grund haben wir
Volladoption, entschieden ab. Da gibt es mit uns keine
jetzt die hier beschriebenen Änderungen auf den Weg
Diskussionen; denn anders als bei der rechtlichen Aus-
gebracht.
gestaltung der Lebenspartnerschaften stehen die Interes-
Auf der anderen Seite ist jedoch auch zu berücksichti- sen der Kinder und nicht die Interessen der betroffenen
gen, dass die deutsche Rechtsordnung den verschiede- Erwachsenen im besonderen Fokus. Kinder haben ein
nen Formen familiären Zusammenlebens gerade nicht Recht auf Vater und Mutter. Die unterschiedliche Ge-
wertneutral gegenübersteht. Das Grundgesetz trifft viel- schlechtlichkeit ist für die Erziehung und Persönlich-
mehr eine Grundentscheidung zugunsten der Ehe als keitsentwicklung der Kinder von besonderer Bedeutung.
Leitbild des familiären Zusammenlebens, indem es diese Kinder sind daher – bei vergleichbaren sozialen Verhält-
unter den besonderen verfassungsrechtlichen Schutz nissen – im Zweifel bei Vater und Mutter grundsätzlich
stellt. Soweit ein steuerliches Privileg Ausdruck der ge- besser aufgehoben als bei gleichgeschlechtlichen Paa-
zielten Förderung eben dieser speziellen Form des Zu- ren. Vieles spricht dafür, dass Kinder von gleichge-
sammenlebens ist, ist eine Differenzierung auch weiter- schlechtlichen Ehen häufiger Stigmatisierungen erfahren
hin geboten. Es gilt vor diesem Hintergrund, das und Opfer von Mobbing werden. Die Auswirkungen da-
Verhältnis von Förderung einer besonderen, verfas- von können insbesondere bei sensiblen und labilen Kin-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5137

(A) dern sowie in der Pubertät für die betroffenen Kinder Entscheidung aus dem Jahr 2002 ganz klar festgestellt (C)
und Jugendlichen gravierend sein. Der Staat hat hier eine – ich zitiere –: „Zum Gehalt der Ehe, wie er sich unge-
Schutzpflicht und muss im Zweifel von entsprechenden achtet des gesellschaftlichen Wandels und der damit ein-
Gesetzesänderungen absehen. Nach der vom Bundesjus- hergehenden Änderungen ihrer rechtlichen Gestaltung
tizministerium veröffentlichte Studie „Die Lebenssitua- bewahrt und durch das Grundgesetz seine Prägung be-
tion von Kinder in gleichgeschlechtlichen Lebenspart- kommen hat, gehört, dass sie die Vereinigung eines
nerschaften“ haben 47 Prozent der Kinder und Mannes mit einer Frau zu einer auf Dauer angelegten
Jugendlichen angegeben, aufgrund ihrer Lebenssituation Lebensgemeinschaft ist, begründet auf freiem Ent-
Benachteiligungen erfahren zu haben. Hier haben wir als schluss unter Mitwirkung des Staates, in der Mann und
Gesetzgeber einen eindeutigen Schutzauftrag. Frau in gleichberechtigter Partnerschaft zueinander ste-
hen und über die Ausgestaltung ihres Zusammenlebens
Soweit die Studie an anderer Stelle zu dem Ergebnis frei entscheiden können.“ Die Ehe ist also von Verfas-
kommt, dass Kinder und Jugendliche aus gleichge- sungs wegen der Beziehung von Frau und Mann vorbe-
schlechtlichen Familien im Vergleich zu den Kindern halten. Eine Öffnung gegenüber gleichgeschlechtlichen
aus verschiedengeschlechtlichen Familien in ihrer Ent- Beziehungen scheidet damit aus. Ich denke, dass damit
wicklung angeblich keine Nachteile haben, ist darauf zum Antrag der Fraktion Die Linke alles gesagt ist. Ich
hinzuweisen, dass die Studie diesbezüglich nur be- wünsche mir nun sachliche Beratungen in den Ausschüs-
grenzte Aussagekraft hat; denn insbesondere die soziale sen, die sich ausschließlich an den Bedürfnissen der
Herkunft der Kinder wird nicht berücksichtigt. Diese ist
Menschen orientieren und nicht in ideologischen Gra-
jedoch für den Bildungsstatus, die familiäre sowie psy-
benkämpfen erschöpfen.
chologische Situation und damit für die persönliche Ent-
wicklung der Kinder von entscheidender Relevanz. Man
kann dabei durchaus unterstellen, dass gleichgeschlecht- Christine Lambrecht (SPD): Man mag sich fragen,
liche Eltern häufig einen überdurchschnittlich hohen warum wir gerade jetzt einen Antrag zur vollständigen
sozialen Status haben. Um eine belastbare Aussage zu Gleichstellung von Lebenspartnerschaften vorlegen. Der
etwaigen Nachteilen von Kindern in gleichgeschlechtli- Zeitpunkt ist jedoch nicht zufällig gewählt; denn, wie
chen Familien zu erhalten, hätte man also die soziale viele von Ihnen wissen, werden in nächster Zeit zahlrei-
Herkunft in die Untersuchung einbeziehen müssen bzw. che Veranstaltungen anlässlich des Christopher Street
die Situation bei verschieden- und gleichgeschlechtli- Days stattfinden. Auch in den Straßen von Berlin wer-
chen Familien in jeweils gleichen sozialen und wirt- den in zwei Tagen wieder die Regenbogenfahnen wehen.
schaftlichen Verhältnissen miteinander vergleichen müs- Ich habe mich gefreut, sehr geehrte Frau Bundesjustiz-
sen. Dies ist aber leider nicht geschehen. ministerin, dass Sie die Schirmherrschaft über diese Ver-
(B) anstaltung übernommen haben. Aber wenn Sie sich so (D)
Die Ergebnisse der Studie sind in Bezug auf das jetzt
engagiert für die Rechte der Lesben und Schwulen ein-
geforderte gemeinsame Adoptionsrecht auch aus einem
setzen, dann frage ich mich schon, warum Ihren Anträ-
anderen Grund nicht aussagekräftig. Kinder, die im
gen aus der letzten Legislaturperiode und den Ankündi-
Wege der Fremdkindadoption angenommen worden
gungen aus dem Koalitionsvertrag bisher keine Taten
sind, bilden in der Gesamtstichprobe seltene Ausnahme-
gefolgt sind. Der Koalitionsvertrag sieht vor, im öffentli-
fälle. Gerade einmal 13 von 693 Familien, also weniger
chen Dienst die Ausgewogenheit von Rechten und
als 2 Prozent, haben ihr Kind im Wege der Fremdkind-
Pflichten von Eingetragenen Lebenspartnern zu verbes-
adoption angenommen. Entsprechend bewertet die Stu-
sern. Dazu sollen die familien- und ehebezogenen Rege-
die selbst die Aussagekraft ihrer Ergebnisse für diese
lungen über Besoldung, Versorgung und Beihilfe auf Le-
spezielle Familienform infolge der geringen Datenbasis
benspartner übertragen werden. Der Koalitionsvertrag
als eingeschränkt. Auch die Befunde der Studie zur Ent-
sieht ebenfalls den Abbau gleichheitswidriger Benach-
wicklung dieser Kinder können aufgrund der Stichpro-
teiligungen im Steuerrecht und insbesondere die Umset-
bengröße nicht verallgemeinert werden. Darüber hinaus
zung der Entscheidungen des Bundesverfassungsge-
steht ein vollständiges Adoptionsrecht im Widerspruch
richts zur Gleichstellung von Lebenspartnern mit
zum Europäischen Übereinkommen vom 24. April 1967
Ehegatten vor. Noch in Ihrer Regierungserklärung vom
über die Adoption von Kindern. Dies hat das
11. November 2009 haben Sie Verbesserungen im öf-
Bundesjustizministerium jetzt noch einmal in seiner
fentlichen Dienstrecht und im Steuerrecht angekündigt.
Antwort auf eine Kleine Anfrage der Fraktion der Grü-
Sie hatten sich hiernach in der Gesellschaftspolitik nach
nen betont.
eigenen Aussagen viel vorgenommen. Passiert ist jedoch
Abschließend möchte ich noch kurz auf den zweiten nichts! Nach sieben Monaten des Wartens sehen wir uns
heute zur Beratung stehenden Antrag der Fraktion Die jetzt veranlasst, die Bundesregierung an die Realisierung
Linke eingehen. Der Antrag fordert im Wesentlichen, ihrer Ankündigungen zu erinnern. Seit August 2001 bie-
das Institut der Ehe für gleichgeschlechtliche Lebens- tet das Institut der Eingetragenen Lebenspartnerschaft
partner zu öffnen und gleichzeitig das Institut der einge- gleichgeschlechtlichen Paaren die Möglichkeit, ihrer
tragenen Lebenspartnerschaften abzuschaffen. Allein Partnerschaft einen gesicherten Rechtsrahmen zu geben.
aus verfassungsrechtlichen Gründen ist dieser Vorschlag Eingetragene Lebenspartnerinnen und Lebenspartner
abwegig. Zwar enthält das Grundgesetz selbst keine De- sind Eheleuten jedoch bis heute nicht in allen Bereichen
finition der Ehe, sondern setzt diese vielmehr als beson- gleichgestellt. In den vergangenen Legislaturperioden
dere Form des menschlichen Lebens voraus; das Bun- scheiterten die Bemühungen der SPD-Bundestagsfrak-
desverfassungsgericht hat jedoch diesbezüglich in seiner tion um weitere Angleichungen häufig am Bundesrat, in
5138 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) der vergangenen Wahlperiode an unserem Koalitions- zu fragen, was politisch umsetzbar ist. Mit Schaufenster- (C)
partner, der Union. Zurzeit ist zwar die Adoption von anträgen kann man manchmal Teile der Öffentlichkeit
leiblichen Kindern des Lebenspartners zulässig – die so- beeindrucken. Aber entscheidend ist, sein Ziel im Auge
genannte Stiefkindadoption –, nicht jedoch die gemein- zu behalten und – wenn man es nicht sofort erreichen
same Adoption eines Kindes durch beide Lebenspartner. kann – sich ihm Schritt für Schritt zu nähern. Dies tut die
Bisher wurde von Kritikern des großen Adoptionsrechts FDP.
gerne eingewendet, das Aufwachsen von Kindern bei
gleichgeschlechtlichen Partnern sei der Kindesentwick- Wir haben in unserem Koalitionsvertrag mit der CDU
lung abträglich. Das Ergebnis der von unserer damaligen und der CSU vereinbart, den nächsten Schritt zu unter-
Bundesjustizministerin in der vergangenen Legislaturpe- nehmen, um die Schlechterstellung gleichgeschlechtli-
riode in Auftrag gegebenen Studie „Die Lebenssituation cher Paare im Beamtenrecht zu korrigieren. Neben der
von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebenspartner- Gleichstellung von Lebenspartnern im BAföG haben wir
schaften“ widerlegt diese These. Demnach ist der be- im Jahressteuergesetz 2010 sowohl die Gleichstellung
deutsame Einflussfaktor für die kindliche Entwicklung von Lebenspartnern bei den Steuersätzen der Erbschaft-
in allen Familienformen die Beziehungsqualität in der und Schenkungsteuer als auch die Befreiung des Lebens-
Familie. Der Studie zufolge wachsen Kinder in gleichge- partners bei der Grunderwerbsteuer vorgesehen. Das ist
schlechtlichen Partnerschaften genauso gut auf wie bei pragmatische Politik, die den Betroffenen mehr nützt als
heterosexuellen Eltern. Das Ergebnis der Untersuchung zur Schau getragene Maximalforderungen, wie zum Bei-
fordert eindeutig: Die gemeinsame Adoption für Lebens- spiel im Antrag der Linken, der vielleicht viel Beifall
partner ist jetzt endlich zuzulassen. Frau Justizministe- finden mag und hohe Erwartungen weckt, aber dann in
rin, das Ergebnis der Studie liegt seit Juli 2009 vor. Dür- der gesellschaftlichen und politischen Diskussion Wi-
fen wir noch mit einer Vorlage Ihres Hauses rechnen? derstand hervorruft.
Auch im Einkommen- und Grunderwerbsteuerrecht steht Und auch der SPD vermag ich heute kein viel besse-
die Gleichstellung noch aus. Im Erbschaft- und Schen- res Zeugnis auszustellen. Heute beglückt uns die SPD
kungsteuerrecht ist die Angleichung der Steuersätze mit ihren guten Ideen. Das Lebenspartnerschaftsgesetz
nicht erfolgt. Im öffentlichen Dienst werden Lebenspart- ist 2001 zu rot-grüner Regierungszeit in Kraft getreten.
ner bisher nur in Teilbereichen berücksichtigt. Auch hier Und es fällt uns Liberalen auch gar kein Zacken aus der
scheint vollkommener Stillstand eingetreten zu sein in Krone, das anzuerkennen. Die FDP hat damals dem Ge-
Ihrer Koalition und in Ihrem Ministerium. setz nicht zugestimmt, weil sie 1999 selbst schon einen
eigenen Vorschlag in den Bundestag eingebracht hatte.
Weiterhin begrüßen wir zwar, dass der Bundesinnen-
Es ist allerdings, in manchen Teilen, unvollständig ge-
minister für das öffentliche Dienstrecht einen Referen-
(B) tenentwurf zur Übertragung ehebezogener Regelungen blieben. Ich nenne hier Lücken in den Bereichen des Ad- (D)
optionsrechts, des Beamtenrechts, des Einkommensteu-
auf Lebenspartnerschaften vorgelegt hat. Der Entwurf
errechts und des Erbschaftsteuerrechts. 2004 hat die
sieht ein Inkrafttreten am Tag nach der Verkündung vor.
FDP dem Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetz zuge-
Um den Vorgaben der umzusetzenden Richtlinie 2000/
stimmt. Umstrittenster Punkt darin war die Stiefkindad-
78/EG Genüge zu tun, müsste das Gesetz jedoch rück-
option. Der Freistaat Bayern hatte deshalb damals auch
wirkend mit Ablauf der Umsetzungsfrist in Kraft treten. gegen dieses Ergänzungsgesetz einen Normenkontroll-
Auch dies lässt auf Stillstand im Handeln der Bundesre- antrag vor dem Bundesverfassungsgericht erhoben.
gierung schließen. Der ebenfalls im Koalitionsvertrag Nachdem sich nunmehr die FDP in der bayerischen
angekündigte Abbau von Benachteiligungen im Steuer- Staatsregierung befindet, hat der Freistaat Bayern diesen
recht und insbesondere die Umsetzung der Entscheidun- Normenkontrollantrag zurückgezogen. Daran, dass die
gen des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichstellung Union mit uns nun in dieser Legislatur die nächsten
von Lebenspartnern mit Ehegatten ist nicht erfolgt. Im Schritte tun wird, kann man erkennen: CDU, CSU und
Einkommensteuerrecht werden eingetragene Lebens- FDP tun gemeinsam weitere Schritte.
partnerschaften aber entgegen den Ankündigungen im
Koalitionsvertrag insbesondere beim Ehegattensplitting Summa summarum kann ich Ihnen versichern, dass
immer noch gegenüber Ehegatten benachteiligt. Der diese Regierung einen klaren rechts- und innenpoliti-
gleichheitswidrige Zustand hält für die Lebenspartner- schen Kompass besitzt und eine Justizministerin, die mit
schaften damit an. Ihre Schirmherrschaft allein wird den diesem Kompass umzugehen versteht. Ein Kompass ist
Stillstand nicht beenden. Wir fordern Sie daher auf, end- kein Zauberstab, der den Wanderer gleich ans Ziel zau-
lich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der Eingetragene bert. Aber wer seinem Kompass vertraut und unbeirrt
Lebenspartnerschaften in allen Bereichen mit der Ehe Schritt für Schritt macht, der nähert sich unweigerlich
gleichstellt und bestehende Benachteiligungen abschafft. seinem Ziel. Seien Sie gewiss: Die Regierungskoalition
befindet sich auf dem richtigen Weg.
Stephan Thomae (FDP): Ihnen allen ist bekannt,
dass die FDP immer beharrlich und unbeirrbar dafür ein- Michael Kauch (FDP): Die FDP hat Wort gehalten.
getreten ist, dass jeder Mensch seinen Lebensentwurf In den zurückliegenden Monaten hat die FDP in der
verwirklichen kann. Dies galt immer und gilt weiterhin, Gleichstellungspolitik für Lesben und Schwule mehr
auch im Hinblick auf unterschiedliche sexuelle Orientie- durchgesetzt als die SPD in den vier Jahren Regierung
rungen. Die FDP hat dabei immer ihr Augenmerk auf zuvor. Deshalb ist es schon sehr fragwürdig, dass die
das Machbare gelegt. Es war und ist uns immer wichtig, SPD kurz vor den Christopher Street Days in den großen
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(A) Städten Deutschlands diesen Antrag vorlegt. Mit der hei- auf diesem Weg weiter vo-ranschreiten. Unser Ziel ist (C)
ßen Nadel gestrickt, will sie der FDP Nachhilfe geben. die vollständige Gleichstellung Eingetragener Lebens-
partner mit der Ehe. Welchen Namen sie trägt, ist dann
Diese Nachhilfe hätte eher die SPD in der Großen nicht mehr entscheidend. Die Liberalen sind der Motor
Koalition gebraucht, meine Damen und Herren von den für Bürgerrechte in der Koalition mit der Union. Der
Sozialdemokraten. Wir Liberale stehen für Stärkung der Stillstand aus der Zeit von Schwarz-Rot wurde beendet.
Bürgerrechte. Wir haben mit dem gleichen Koalitions-
partner, den die SPD in den letzten Jahren hatte, erheb-
lich mehr für Lesben und Schwule durchgesetzt; denn Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): Am kommenden
wir haben uns nachdrücklich engagiert, hatten Erfolg Wochenende findet der 32. Christopher Street Day in
und arbeiten diesbezüglich alle Punkte des Koalitions- Berlin statt. Der CSD gedenkt alljährlich dem Aufstand
vertrages ab, Schritt für Schritt. FDP und Union haben von Schwulen und Transgendern. Sie rebellierten gegen
vereinbart: „Wir wollen die Ausgewogenheit von Rech- einen brutalen Polizeiüberfall am 27. Juni 1969 auf das
Lokal „Stonewall Inn“ in der Christopher Street in New
ten und Pflichten von Eingetragenen Lebenspartner-
York.
schaften verbessern. Dazu werden wir die familien- und
ehebezogenen Regelungen über Besoldung, Versorgung Der Berliner CSD erwartet mehr als eine halbe Mil-
und Beihilfe auf Lebenspartnerschaften übertragen.“ Zur lion Teilnehmer und Teilnehmerinnen, die bunt, vielfäl-
Umsetzung befindet sich ein Gesetzentwurf in der Res- tig und schrill demonstrieren werden. Lesben, Schwule,
sortabstimmung. FDP und Union haben weiter verein- Transsexuelle, Transgender und Intersexuelle gehen
bart: „Wir werden gleichheitswidrige Benachteiligungen selbstbewusst auf die Straße. Sie fordern endlich in allen
im Steuerrecht abbauen und insbesondere die Entschei- Bereichen „normal“, das heißt gleichbehandelt zu wer-
dungen des Bundesverfassungsgerichts zur Gleichstel- den. Sie fordern ein Ende der vielen kleinen und großen
lung von Lebenspartnern mit Ehegatten umsetzen.“ Diskriminierungen, denen sie sich immer noch im tägli-
chen Leben ausgesetzt sehen. Viele Berlinerinnen und
Als ersten Schritt hat das Bundeskabinett im Mai be- Berliner werden sich dieses Ereignis nicht entgehen las-
schlossen, dass Eingetragene Lebenspartner bei Grund- sen und damit ihre Solidarität ausdrücken.
erwerb- und Erbschaftsteuer völlig mit Ehegatten gleich-
gestellt werden. Das erfolgt im Jahressteuergesetz. Die Sicher ist vieles erreicht worden; Homosexualität wird
Änderung bei der Erbschaftsteuer bringt eingetragenen nicht mehr strafbewehrt oder als Krankheit klassifiziert.
Lebenspartnern nun nicht nur gleiche Freibeträge, son- Als vorläufigen Höhepunkt jahrzehntelangen Kamp-
dern auch gleiche Steuersätze wie Ehegatten. Durch die fes beschloss der Deutsche Bundestag im Jahre 2001 das
Änderung bei der Grunderwerbsteuer wird die Übertra- Lebenspartnerschaftsgesetz. Dieses Gesetz ermöglichte
(B) gung von Grundstücken zwischen Lebenspartnern steu- erstmals eine staatlich anerkannte Partnerschaft von Les- (D)
erfrei. Gleiches gilt für den Grundstückserwerb aus dem ben und Schwulen. Der deutsche Gesetzgeber entschloss
Nachlass bei Tod eines der Lebenspartner. Jetzt gilt auch sich zu einem sehr mutigen und wichtigen Schritt. Doch
im Steuerrecht zunehmend: Wer gleiche Pflichten hat, von Beginn an war dieses Gesetz mit einem Makel be-
muss auch gleiche Rechte bekommen. Hier werden wir haftet. Es schuf ein eigenes Rechtsinstitut für Lesben
weiter machen, auch bei den verbleibenden Benachteili- und Schwule, das deutlich weniger Rechte, aber nahezu
gungen im Steuerrecht. Bereits von der Bundesregie- alle Pflichten der Ehe vorsah.
rung beschlossen und in das parlamentarische Verfahren
eingebracht ist die BAföG-Reform. Lebenspartner wer- Einige europäische Staaten gingen einen anderen
den bei der Ausbildungsförderung und bei den Auf- Weg. Die Niederlande, Belgien, Spanien, Norwegen,
stiegsfortbildungen gleichbehandelt. Die Gleichstel- Schweden und Portugal öffneten die Ehe. Dieser Schritt
lung hat übrigens für die Betroffenen zwei Seiten, ist konsequent, denn er schafft nicht eine Sondergesetz-
nämlich bei Rechten und Pflichten. Einerseits werden gebung, die sich durch zahlreiche Einzelgesetze zieht
künftig die Partnereinkommen bei der Berechnung der und – wie im Fall des Transsexuellengesetzes – zu er-
BAföG-Leistungen angerechnet, andererseits werden heblichen rechtlichen Problemen führt.
dem Paar auch die gleichen Freibeträge bei Einkom- Am 7. Juli 2009 entschied das Bundesverfassungs-
mensberechnung, Darlehensrückzahlung und sonstigen gericht, dass es verfassungsrechtlich nicht begründbar
Abzugsmöglichkeiten wie bei Ehegatten eingeräumt. sei, aus dem besonderen Schutz der Ehe abzuleiten, dass
Zudem – und das ist ein bedeutsamer Fortschritt – wer- andere Lebensgemeinschaften im Abstand zur Ehe aus-
den auch ausländische Lebenspartner künftig förderbe- zugestalten und mit geringeren Rechten zu versehen
rechtigt sein. Sie sehen, welche Fortschritte die FDP be- sind. Es schloss sich in der Argumentation dem soge-
reits erreicht hat. Die FDP setzt in der Regierung das nannten Maruko-Urteil des EuGH vom 1. April 2009 an.
um, was sie vor der Wahl versprochen hat. Das Urteil des BVerfG ist fundamental. Es erteilt dem
Gesetzgeber den Auftrag die Diskriminierung der einge-
Schritt für Schritt zur Gleichstellung, das ist der Weg tragenen Lebenspartnerschaft endlich zu beenden.
der FDP-Bundestagsfraktion und von Bundesjustiz-
ministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Klar ist Wir könnten nun das Lebenspartnerschaftsgesetz in
aber auch: Nicht alle Forderungen der FDP konnten in allen Bereichen der Ehe gleichstellen, wie es die SPD
der Koalition umgesetzt werden. Wir treten weiterhin fordert. Dies ist ein möglicher, aber sehr mühevoller
für das volle gemeinsame Adoptionsrecht eingetragener Weg und erfordert die Änderung einer Vielzahl von
Lebenspartner ein, auch wenn wir wissen, dass die Gesetzen und Verordnungen sowohl auf Bundes- als
Union diesen Weg noch nicht mitgehen will. Wir werden auch auf Landesebene. Darüber legt die heutige, in den
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(A) einzelnen Bundesländern sehr unterschiedliche Situation Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft (C)
ein beredtes Zeugnis ab. Fast zehn Jahre nach der mit der Ehe bzw. die Öffnung der Ehe für Lesben und
Einführung des Lebenspartnerschaftsgesetzes haben es Schwule gefordert haben. Im Gegensatz zu den jetzt vor-
einige Bundesländer immer noch nicht in Landesrecht gelegten Anträgen handelte es sich jedoch um ausformu-
überführt. So darf der Akt der Verpartnerung in Baden- lierte, umfassende Gesetzentwürfe, die wir der Bundes-
Württemberg nicht in den Standesämtern vollzogen wer- regierung gern zur Verfügung stellen, um die heute von
den, sondern wird in die Ordnungsämter verbannt. Zum der SPD und den Linken geforderten Anliegen umzuset-
Teil verlangen Kommunen für eine Verpartnerung dop- zen.
pelt so hohe Gebühren wie für eine Eheschließung. Zu-
dem würden wir weiterhin zwei Rechtsinstitute haben, Die Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartner-
eines für heterosexuelle Menschen und eines für homo- schaft mit der Ehe ist aus verfassungsrechtlichen Grün-
sexuelle Menschen. Dies ist nicht mehr zeitgemäß. den nicht nur möglich, sondern sogar zwingend erforder-
lich. Dies hat das Bundesverfassungsgericht am 7. Juli
Tun wir es dem isländischen Parlament gleich, das des letzten Jahres in einem Entscheid zur Hinterbliebe-
sich am vergangenen Wochenende einstimmig für die nenversorgung deutlich gemacht. Das Gericht hat festge-
Öffnung der Ehe entschied und zugleich die seit 1996 stellt, dass eingetragene Lebenspartnerschaft und Ehe ju-
geltende eingetragene Lebenspartnerschaft außer Kraft ristisch vergleichbar sind, weil sie – ich zitiere – „eine
setzte. Auch der Berliner Senat wird demnächst eine Ini- auf Dauer übernommene, auch rechtlich verbindliche
tiative zur Öffnung der Ehe in den Bundesrat einbringen. Verantwortung für den Partner“ begründeten – BVerfG, 1
Diskriminierung ist nicht mehr zeitgemäß, und die BvR 1164/07 Rn. 102ff. Und – das sage ich insbeson-
Öffnung der Ehe wäre ein wesentlicher Baustein, um die dere in Richtung der Konservativen in CDU/CSU und in
Diskriminierung von Lesben und Schwulen endlich zu der FDP –: „Ein Grund für die Unterscheidung von Ehe
beenden. und eingetragener Lebenspartnerschaft kann nicht darin
gesehen werden, dass typischer Weise bei Eheleuten auf-
grund von Kindererziehung ein anderer Versorgungsbe-
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): darf entstünde als bei Lebenspartnern. Nicht in jeder Ehe
Das Bundesverfassungsgericht hat 2009 die Gleichstel- gibt es Kinder. Es ist auch nicht jede Ehe auf Kinder aus-
lung von eingetragener Lebenspartnerschaft und Ehe gerichtet.“ Und das Gericht weiter: „In zahlreichen ein-
vom Gesetzgeber verlangt. Was ist seither geschehen? getragenen Lebenspartnerschaften leben Kinder.“
Nichts. Die Gleichstellung bei der Erbschaftsteuer? –
Die wurde im November 2009 von der schwarz-gelben Das Bundesverfassungsgericht ist hier in seiner Wahr-
Koalitionsmehrheit abgelehnt. Die Gleichstellung bei nehmung der gesellschaftlichen Realität sehr viel weiter
als große Teile der Regierungskoalition. Während das
(B) der Einkommensteuer? – Fehlanzeige! Die Gleichstel- (D)
lung bei der Beamtenversorgung? – Die verfassungswid- Justizministerium und die Bundesregierung es noch
rige Benachteiligung von Soldatinnen und Soldaten und nicht einmal schaffen, das revidierte europäische Über-
Beamtinnen und Beamten, die in einer Lebensgemein- einkommen über die Adoption von Kindern zu zeichnen,
schaft leben, dauert bis zum heutigen Tag an. Und wo ist erkennt das Bundesverfassungsgericht die gelebte Wirk-
die Bundesjustizministerin? Mehr als warme Worte sind lichkeit von liebevollen Regenbogenfamilien an. Wieder
nicht zu hören. Die Ratifizierung des revidierten euro- einmal ist es Karlsruhe, das der Regierung den Weg wei-
päischen Übereinkommens über die Adoption von Kin- sen muss. Das Gericht ist zum Ergebnis gekommen, dass
dern, das die Adoption durch Lebenspartner endlich zu- Unterscheidungen zwischen den Instituten der Ehe und
lässt, steht noch immer aus, und dies obwohl der eingetragenen Lebenspartnerschaft sachlich nur dann
Deutschland bis zum Jahr 2008 besonders hartnäckig zulässig sind, wenn diese Unterschiede in der Natur der
– auch in Person der früheren Bundesjustizministerin Beziehungen selbst liegen. Meine Fraktion hat die Bun-
Zypries – dafür gearbeitet hat! Die Ermöglichung der ge- desregierung in einer Kleinen Anfrage aufgefordert, zu
meinschaftlichen Adoption, die von der FDP zehn Jahre zeigen, welche Unterscheidungen das sein könnten. Die
lautstark gefordert wurde, wird offensichtlich nicht ein- einzige Unterscheidung, die den Beamten eingefallen
mal vorbereitet. ist: Auch in Zukunft soll es kein Lebenspartnerschafts-
befähigungszeugnis analog zum Ehebefähigungszeug-
Die Fraktionen der SPD und der Linken legen heute nis geben. Da kann man doch nur sagen: Selbst Ihnen
zwei Anträge vor, die im Ergebnis zum selben, richtigen von der CDU/CSU und der FDP fehlt es inzwischen an
Schluss kommen und deshalb von der Fraktion von Fantasie, wie man die von Ihnen betriebene Diskriminie-
Bündnis 90/Die Grünen in der Sache unterstützt werden. rung noch seriös begründen kann!
Ich freue mich, dass gerade die SPD jetzt auch für die
volle Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartner- Die Schlussfolgerungen aus dem Entscheid des Bun-
schaft mit der Ehe inklusive des Adoptionsrecht für les- desverfassungsgerichts sind klar: Der Gesetzgeber ist
bische und schwule Paare eintritt. In der Vergangenheit, verpflichtet, sämtliche Ungleichbehandlungen zwischen
insbesondere in der gemeinsamen Regierungszeit, war Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft zu beseiti-
die Haltung der Sozialdemokraten in dieser Frage nicht gen. Dies gilt insbesondere für das Steuerrecht, das
immer eindeutig. Deswegen begrüße ich die Klarstel- Beamtenrecht und auch für das Adoptionsrecht. Diese
lung, die dieser Antrag für die zukünftige Zusammenar- Auffassung bestätigen auch mehrere Gutachten des Wis-
beit mit sich bringt. Die Fraktion von Bündnis 90/Die senschaftlichen Dienstes des Bundestages. Die Bundes-
Grünen hat bereits in der vergangenen Legislaturperiode regierung und die Koalitionsfraktionen bleiben jedoch
Initiativen eingebracht, die die vollständige rechtliche untätig. Auch ein Jahr nach dem Entscheid liegen dem
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(A) Parlament keine Gesetzentwürfe vor, welche die Miss- Zeit, resigniert auf der Stelle zu treten, sondern die Zeit (C)
stände beseitigen. Die Bundesregierung behält sich vor, des Vorwärtsschauens. Bei der Opposition, vor allem bei
nur bei Neuregelungen von bestimmten Sachgebieten den Linken, ist aber das Schlechtreden der gegenwärti-
die Rechtsprechung des Verfassungsgerichts zu berück- gen Situation symptomatisch. Sie verhält sich damit sta-
sichtigen. Das genügt nicht. Es kann nicht sein, dass die tisch und rückwärtsgewandt. Aus vielerlei Gründen ist
Grund- und Bürgerrechte von Lesben und Schwulen die Stimmung derzeit oft schlechter als die Lage. Statt
weiter ignoriert werden, weil es nicht in das gemächliche hier gegenzusteuern, gießen gerade die Linken mit ihrer
Arbeitstempo, um es höflich zu formulieren, der Angstrhetorik hier immer wieder Öl ins Feuer.
schwarz-gelben Regierung passt. Als Deutscher Bundes-
tag ist es unsere Pflicht, selbst tätig zu werden; denn je- Zwei gegensätzliche Tendenzen sind derzeit sichtbar:
der Tag ohne rechtliche Gleichstellung verletzt die Ver- Einerseits bewegen sich viele Unternehmen mit ihren
fassung unseres Landes. Haltekosten noch immer an den Grenzen der Belastbar-
keit, andererseits beginnt allmählich die wirtschaftliche
Es gibt verschiedene Wege zur Gleichberechtigung. Erholung. Manche Unternehmen erreicht die Krise ver-
Die Öffnung der Ehe für Schwule und Lesben wäre der mutlich erst in den nächsten Monaten und wird sie über
einfachste und gradlinigste Weg: Diesen Weg sind zahl- 2010 hinaus vor Herausforderungen stellen.
reiche europäische Nachbarn gegangen, darunter die ka-
tholisch geprägten Staaten Portugal und Spanien. Die Hier greift die Bundesregierung mit dem Beschäfti-
Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare aner- gungschancengesetz ein. So wird die Sonderregelung
kennt, dass Liebe, Fürsorge und gegenseitige Ver- zur Förderung der Kurzarbeit bis März 2012 verlängert
antwortung nicht in einer heterosexuellen und einer ho- und den Unternehmen damit Planungssicherheit gege-
mosexuellen Ausprägung existieren. Es sind dieselben ben. Darüber hinaus verlängern wir die Sonderregelung,
gelebten Werte und deswegen sollte es auch nur ein dass Kurzarbeitergeld für Zeitarbeitnehmer unter glei-
Institut geben. Dennoch: Bis zur Öffnung der Ehe und chen Voraussetzungen wie für andere Arbeitnehmer
der Neudefinition des Ehebegriffs als eine auf Lebens- möglich ist.
zeit geschlossene Verbindung zweier Menschen, die für-
einander Verantwortung übernehmen, muss das Parla- Für Qualifizierungsmaßnahmen während der Kurzar-
ment seiner Aufgabe gerecht werden und gleiche Rechte beit werden den Arbeitgebern die vollen Sozialversiche-
schaffen. Deswegen ist es konsequent, jetzt die Gleich- rungsbeiträge erstattet, wenn die Arbeitnehmer während
stellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit der mindestens der Hälfte der ausgefallenen Arbeitszeit qua-
Ehe vorzunehmen. Dieser Weg ist vom Verfassungsge- lifiziert werden.
richt vorgezeichnet, und deswegen kann und muss er Die volle Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge
(B) jetzt gegangen werden. Meine Fraktion hat in den ver- für Kurzarbeit ab dem 1. Januar 2009 erfolgt ab dem (D)
gangenen Wochen weitere Gesetzentwürfe eingebracht: siebten Kalendermonat des Bezugs; die Erstattung er-
zur Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartner- folgt arbeitgeberbezogen.
schaft im Adoptionsrecht und im Beamtenrecht. Auch
im Detail werden wir diese Regierung stellen, wo es not- Dabei darf die Kurzarbeiterregelung aber nicht den
wendig ist. Charakter einer Dauersubvention bekommen. Deshalb
soll zum Beispiel auch die Konzernklausel nicht verlän-
In diesen Tagen finden überall in der Republik De- gert werden, nach der Unternehmen Sozialabgaben so-
monstrationen und Paraden für die Rechte von Schwu- fort erstattet wurden, wenn an einem anderen Standort
len, Lesben, Trans- und Intersexuellen statt. Nunmehr schon die Kurzarbeit eingeführt war.
41 Jahre dauert der Kampf um Anerkennung und gleiche
Rechte. Mit der eingetragenen Lebenspartnerschaft und Im Krisenjahr 2009 sind wir wegen des klugen Kri-
der Möglichkeit der Stiefkindadoption haben insbeson- senmanagements der Bundesregierung gut gefahren. Das
dere wir Grünen unseren Beitrag dazu geleistet. Die ist vor allem auch der Kurzarbeit zu verdanken, sozusa-
Große Koalition aus SPD und CDU und auch die jetzige gen dem Kriseninstrument Nummer eins.
schwarz-gelbe Mehrheit haben in der Bürgerrechtspoli-
tik vor allem Stillstand bedeutet. Es ist an der Zeit, den Kurzarbeit verhindert Arbeitslosigkeit zum einen dank
nächsten Schritt zu gehen. der Arbeitgeber, die ihren Beitrag geleistet haben, indem
sie die Haltekosten getragen haben, und zum anderen
dank der Politik, die das Kurzarbeitergeld bewilligt hat.
Anlage 7 Kurzarbeitergeldregelung und flexiblere Tarifvertrags-
gestaltung haben es vielen Unternehmen erlaubt, ihre
Zu Protokoll gegebene Reden Arbeitnehmer auch in der Krise weiterzubeschäftigen.
zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes für Vor allem können sich aber auch die Beschäftigten, die
bessere Beschäftigungschancen am Arbeits- Lohneinbußen auf sich genommen haben, um ihre Ar-
markt – Beschäftigungschancengesetz (Tages- beitsplätze zu behalten, diesen Erfolg zurechnen.
ordnungspunkt 13) Vor allem vom Mittelstand wird die Kurzarbeit ge-
nutzt. Sie sichert Unternehmen ihre gut eingespielte Be-
Paul Lehrieder (CDU/CSU): Noch ist die derzeitige legschaft, die sie für den nächsten Auftrag braucht. Zu
Wirtschafts- und Finanzkrise nicht überwunden, aber wir beobachten ist in diesen Zeiten auch: Viele Betriebe ste-
sind hier auf einem sehr guten Weg. Jetzt ist nicht die hen zu ihren Beschäftigten, insbesondere zu den älteren
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(A) unter ihnen. Es gab keine Entlassungs- und auch keine Chancen auf Beschäftigung zu verbessern. Daran (C)
Frühverrentungswellen. möchte ich die geplanten Veränderungen messen und sie
auf Folgendes hin prüfen: Was wird besser, was ver-
Gerade vor dem Hintergrund des sich wieder verstär- schlechtert sich – und für wen?
kenden Fachkräftemangels war und ist es ein Gebot der
ökonomischen Vernunft, zumindest die Stammbeleg- Beginnen wir mit der freiwilligen Versicherung in der
schaften zu halten. Arbeitslosenversicherung, § 28 a SGB III. Es ist richtig,
Hunderttausende Arbeitsplätze konnten so gerettet diese Möglichkeit zu entfristen. Es ist nachvollziehbar,
werden, zwei Drittel davon vor allem in kleinen und dass die Beiträge erhöht werden sollen. Aber die Bei-
mittleren Unternehmen. Laut DGB gäbe es ohne Kurzar- träge für eine Gründungsphase nur ein Jahr lang auf
beit jetzt wahrscheinlich 200 000 bis 300 000 Arbeits- 50 Prozent zu reduzieren, das scheint mir zu wenig. Der
lose mehr. DGB schlägt 24 Monate vor; das finde ich angemessen.

Drei Aspekte möchte in diesem Zusammenhang be- Schon die Umbenennung in „Versicherungspflicht-
sonders hervorheben: verhältnis auf Antrag“ dokumentiert Ihren lobenswerten
Willen zur Neustrukturierung. Ich möchte Ihnen Mut
Erstens. Gerade kleine und mittelständische Betriebe machen, noch einen weiteren Punkt einer besseren Lö-
profitieren von der Regelung. Über die Hälfte der Kurz- sung zuzuführen. Es geht dabei um mehr Gerechtigkeit
arbeit, 52 bis 56 Prozent, wird in mittelständischen Be- bei der Leistung aus diesem Versicherungsverhältnis.
trieben zwischen 20 und 500 Mitarbeitern geleistet. Wenn die Beitragshöhen gleich sind, sollte beim Leis-
Zweitens. Durch Kurzarbeit werden auch innovative tungsanspruch in der Höhe nicht nach sogenannten Qua-
Betriebe mit hochqualifizierten Arbeitskräften gefördert. lifizierungsstufen differenziert werden. Im Übrigen plä-
Müsste ein Teil dieser Belegschaft gehen, ginge den Un- diere ich für ein wesentlich größeres Zeitfenster für
ternehmen Innovationspotenzial verloren. einen möglichen Beitritt nach Inkrafttreten des Gesetzes.
Geben Sie auch den langjährig Selbstständigen eine
Drittens. Viele Betriebe bilden weiter aus, statt die Chance!
Ausbildung im Zuge der Krise und vor dem Hintergrund
drohender Entlassungen einzustellen. Wesentliche Änderungen nehmen Sie beim Kurzar-
beitergeld vor. Ihre Verlängerung der flexibleren und
Der derzeitige Rückgang der Kurzarbeit beweist noch kraftvolleren Kurzarbeitergeldregelung findet sich da;
einmal, wie wichtig es ist, sie als Instrument zur Bewäl- meines Erachtens wäre sie unter Fortführung der gelten-
tigung der Krise einzusetzen. den Bedingungen besser.
(B) Laut dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsfor- Von herausragender Bedeutung sind jedoch die Ver- (D)
schung, IAB, belief sich die Zahl der Kurzarbeiter im änderungen, die Sie für Transfergesellschaften vorneh-
Monatsdurchschnitt des ersten Quartals 2010 auf rund men wollen. Wir wissen, Transfergesellschaften sind ein
933 000 Personen, nach 1,12 Millionen im dritten und bewährtes arbeitsmarktpolitisches Instrument. Sie die-
984 000 im vierten Quartal des Jahres 2009. nen als Brücke von und in Beschäftigung. Sie haben sich
Sie sehen: Das Beschäftigungschancengesetz ist ein bewährt, wenn es darum geht, strukturelle Umbrüche so-
weiteres Instrument, um der Wirtschafts- und Finanz- zialverträglich zu gestalten. Sie erlauben, stichtagbezo-
krise entschlossen entgegenzutreten. Unser Ziel ist es, gen und unabhängig von individuellen Kündigungster-
aus der Krise heraus neue Brücken zu mehr Beschäfti- minen Strukturveränderungen umzusetzen. Ihr Ziel ist
gung zu bauen und gezielt die zu unterstützen, die es auf es, die Betroffenen für eine weitere, der Qualifikation
dem Arbeitsmarkt besonders schwer haben. entsprechende oder auf ihr aufbauende Tätigkeit zu qua-
lifizieren und in eine entsprechende Tätigkeit zu vermit-
Jetzt ist nicht die Zeit der Zauderer und Bedenkenträ- teln.
ger, sondern die Zeit derjenigen, die Mut zum Handeln
haben. Springen Sie deshalb über Ihren Schatten und Wenn wir Ihre Novellierung an diesen Kriterien mes-
stimmen Sie unserem Maßnahmenpaket zu! sen, stellen wir fest, dass nicht alle zielführend sind. Da-
für drei Beispiele:
Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Gut, dass ein So ist die Regelung „Profiling durch BA“ eine Einla-
Gesetz gilt, von niemandem angezweifelt, nicht beklagt dung zur Doppelarbeit, also besser zu modifizieren.
und als absolut verfassungskonform bewertet. Es ist
nicht das Beschäftigungschancengesetz, das wir heute in So wäre die Erweiterung des Transferkurzarbeitergel-
erster Lesung behandeln, sondern es ist das sogenannte des von 12 auf bis zu 24 Monate jetzt zu diskutieren und
Struck’sche Gesetz. Denn für den Entwurf eines Geset- gegebenenfalls einzubringen. Dazu findet sich jedoch
zes für bessere Beschäftigungschancen am Arbeitsmarkt nichts.
muss es dringend Anwendung finden. Kein Gesetz
kommt so aus dem Bundestag heraus, wie es hereinge- So fehlt es insgesamt an Klarheit in den Regelungen
kommen ist. zu Erfolg und Qualität.
Warum ist das so wichtig in diesem Fall? Vom Ent- Ich hoffe, dass die geplante Anhörung Ihnen auch hier
wurf sind viele arbeitsmarktrelevante Maßnahmen be- Gelegenheit gibt, die jetzt vorliegenden Regelungen zu
rührt. Zusammengefasst sollen sie dem Ziel dienen, die verbessern.
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(A) Lassen Sie uns gemeinsam auch noch einmal auf Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Der Gesetzesentwurf (C)
§ 131 Abs. 3 SGB III schauen, das sogenannte Bemes- der Bundesregierung, das Beschäftigungschancengesetz,
sungsentgelt. Sollte es nicht unser gemeinsames Ziel ist ein wichtiger Beitrag zur wirtschaftlichen Entwick-
sein, Teilnehmer an Transfergesellschaften bei Eintritt lung am Ende der Krise in Deutschland.
von Arbeitslosigkeit so zu stellen, als hätten sie unmit- Hierbei möchte ich insbesondere den Aspekt des
telbar Arbeitslosengeld in Anspruch genommen? Kurzarbeitergeldes beleuchten. Mein Kollege Johannes
Bei mehreren Förderinstrumenten im SGB III schla- Vogel wird sich den Fragen des privaten Vermittlungs-
gutscheins widmen.
gen Sie eine Verlängerung der Laufzeit vor. Das bewer-
ten wir positiv. Hier greife ich drei heraus: die Verlänge- Grundsätzlich muss man sagen, dass das Kurzarbei-
rung des Programms WeGebAU; noch besser wäre die tergeld ein wichtiges arbeitsmarktpolitisches Instrument
Entfristung dieses erfolgreichen Instrumentes, § 417 in der Krise war und ist. Die Zahl der Arbeitslosen wäh-
SGB III; die Verlängerung des Eingliederungszuschus- rend der größten Wirtschafts- und Finanzkrise Deutsch-
ses für Ältere, §421 f SGB III; die Verlängerung des lands ist stabil geblieben; es kam – im Gegensatz zu
Ausbildungsbonus im Zusammenhang mit Insolvenz unseren europäischen Nachbarländern – in deutschen
oder Stilllegung, § 421 r SGB III. Aber Sie wissen, dass Unternehmen kaum zu Massenentlassungen, und die
es zum Ausbildungsbonus weitaus mehr zu sagen und zu Zahl der Arbeitslosen geht beständig zurück – nicht so
regeln gäbe. schnell, wie wir uns das gewünscht hätten, aber doch zü-
giger als erwartet.
Leider konnten Sie sich – bis jetzt – nicht entschlie-
Das ist auch gerade angesichts des bevorstehenden, ja
ßen, andere Instrumente über Dezember 2010 hinaus zu
schon aktuellen Fachkräftemangels enorm wichtig. Die
verlängern, so zum Beispiel den Ausbildungsbonus für Betriebe wissen, dass es für sie unerlässlich ist, Wissen
Altbewerber. Junge Menschen, die es besonders schwer in den Betrieben zu halten und es nicht durch Entlassun-
haben, in Ausbildung zu kommen, dürfen wir nicht ab- gen zu verlieren. Hierbei hat das Kurzarbeitergeld gehol-
schreiben; vielmehr müssen wir uns verstärkt um sie fen.
kümmern. In den Reden der Ministerin höre ich das im-
mer wieder. Recht hat sie. Setzen Sie es in die Tat um! Gerade die Erleichterungen beim Kurzarbeitergeld
haben dazu geführt, dass es von den Unternehmen so gut
Ein Problem will, nein: muss ich hier ansprechen. Es angenommen wurde. Die Lockerungen bei den Anforde-
ist das Ende der Förderung des dritten Ausbildungsjah- rungen an die Anspruchsstellung, aber natürlich insbe-
res in der Altenpflege. Dazu haben wir im Ausschuss den sondere die Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge
hat das Kurzarbeitergeld für die Unternehmen attraktiv
(B) Parlamentarischen Staatssekretär Brauksiepe gehört. In (D)
Ihrem Gesetzentwurf finde ich keine Verlängerung dieser gemacht.
Förderung, § 421 t Abs. 5 Nr. 6 SGB III. Ich schließe da- Es hat viele Menschen damit vor der Arbeitslosigkeit
raus, dass die Bundesregierung beabsichtigt, tatsächlich geschützt, die gerade in der Krise vermutlich Schwierig-
„auszusteigen“. Ich halte das für grundfalsch. keiten gehabt hätten, einen neuen Job zu finden. Wir alle
wissen, dass die Gefahr der Verfestigung der Langzeitar-
Die Ausbildungsanfängerzahlen lagen 2009 noch un-
beitslosigkeit mit jedem Tag ohne Beschäftigung steigt.
ter denen des Jahres 2001/2002. Die Ausbildungskosten Dadurch wurde auch die Bundesagentur für Arbeit bei
in der Altenpflege werden von den Bundesländern nur den Arbeitslosengeldzahlungen erheblich entlastet.
bei den öffentlichen Schulen übernommen. In Nieder- Denn es ist klar, dass das Kurzarbeitergeld im Endeffekt
sachsen zum Beispiel ist jedoch jeder zweite Ausbil- günstiger ist als die Finanzierung der Arbeitslosigkeit
dungsplatz in einer privaten Schule. Hier fällt Schulgeld und die Vermittlungsbemühungen der Bundesagentur für
von circa 260 Euro im Monat an. Das sogenannte Pfle- Arbeit, zumindest dann, wenn sich nicht doch noch Ar-
gepaket in Niedersachsen sieht keine Lösung vor, und beitslosigkeit an die Kurzarbeit anschließt.
ich fürchte, Niedersachsen ist nicht das einzige Bundes-
land, das belastbare Antworten nicht liefert. Ja, es Trotz allem ist beim Einsatz dieses Mittels auch Vor-
stimmt: Der Streit um die Finanzierung der Altenpflege- sicht geboten. Nicht aus einer Befürchtung des Miss-
ausbildung dauert bereits viele Jahre. Ja, dafür brauchen brauchs hinaus – da habe ich großes Vertrauen in unsere
wir eine bundesweite Lösung. Ja, wir dürfen die Bundes- Unternehmen –, sondern um einen notwendigen Struk-
turwandel in den Unternehmen zu ermöglichen.
länder nicht aus der Verantwortung entlassen. Aber wol-
len Sie das auf dem Rücken potenzieller Fachkräfte aus- Eins ist klar: Mit der FDP wird es keine Verlängerung
tragen? Wollen Sie den Fachkräftemangel tatsächlich auf der gesetzlichen Bezugsfrist geben. Das würde Sinn und
diese Weise befeuern? Systematik des Kurzarbeitergeldes widersprechen, weil
der Arbeitsausfall gerade nicht mehr „vorübergehend“
Schon diese Beispiele zeigen: Das Struck’sche Gesetz ist. Das ist aber das gesetzliche Erfordernis, das über-
muss angewendet werden, damit aus diesem Entwurf et- haupt eine solche staatliche Unterstützung rechtfertigt.
was werden kann, das den Namen „Chancengesetz“ ver- Bei einer 36-monatigen Bezugsdauer ließe sich der maß-
dient. Die SPD-Bundestagsfraktion wird Ihre parlamen- gebliche vorübergehende Arbeitsausfall kaum noch von
tarische Nacharbeit kritisch-konstruktiv begleiten. Die dauerhafter Verminderung des Arbeitsvolumens abgren-
Arbeitsuchenden werden Sie daran messen, ob ihre zen. Eine seriöse Marktprognose und personalwirt-
Chancen auf Arbeit tatsächlich steigen. schaftliche Planung ist auf eine so lange Frist kaum zu
5144 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) erstellen. Belastbare betriebswirtschaftliche Prognosen genmerk muss in Zukunft noch mehr auf den Anstren- (C)
zum zukünftigen Arbeitsvolumen erscheinen über einen gungen zur wirtschaftlichen Erholung liegen. Denn trotz
Zeitraum von 36 Monaten nahezu ausgeschlossen. Das aller Effizienz wünschen wir uns doch alle eine wirt-
haben auch alle Experten bei der entsprechenden Anhö- schaftliche Situation, die den Einsatz solcher Maßnah-
rung im Ausschuss gesagt. men überflüssig macht.
Genau aus diesen Gründen beträgt der gesetzliche
Grundfall der Bezugsfrist für das Kurzarbeitergeld sechs Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Es wird Sie
Monate. wenig überraschen, aber ich kann mich den Argumenten
meines Fraktionskollegen Herrn Dr. Kolb nur anschlie-
Kurzfristig in der Krise kann die Solidargemeinschaft ßen. Wir leisten mit dem Beschäftigungschancengesetz
für angeschlagene Unternehmen einstehen; aber bei einen wichtigen, entscheidenden Beitrag zum Ende der
wirtschaftlichen Problemen von bis zu oder sogar mehr Krise auf dem deutschen Arbeitsmarkt.
als drei Jahren – denn die Unternehmen beginnen ja
nicht am ersten Tag der Schwierigkeiten mit Kurzarbeit, Ich will noch einmal kurz und abschließend die zen-
sondern gehen verantwortungsbewusst mit diesem Mit- tralen Punkte mit Blick auf das Kurzarbeitergeld bekräf-
tel als Ultima Ratio um – muss sich ein Unternehmen tigen: Das Kurzarbeitergeld war in der Krise wirklich
auch der Realität stellen, dass gewisse strukturelle Ver- das Mittel der Wahl. Nur durch seinen Einsatz konnten
änderungen wohl unvermeidlich sind. wir verhindern, dass sich auf dem deutschen Arbeits-
markt dieselben schwerwiegenden Einbrüche gezeigt ha-
Vor allem soll das Kurzarbeitergeld die Beschäfti- ben, wie wir es im europäischen Ausland erlebt haben.
gungsverhältnisse sichern, die auch langfristig Bestand Man kann es gar nicht oft genug betonen: Es gibt ein
haben, und keine abzusehende Arbeitslosigkeit verzö- einziges Land in der Europäischen Union, das im Jahres-
gern. Denn das ist ein Punkt, der häufig vergessen wird: verlauf 2008 bis 2009 nicht nur keinen Anstieg der Ar-
Die Kurzarbeit wird durch Mittel der Beitragszahler beitslosigkeit erlebt hat, sondern sogar einen leichten
finanziert, und die Kosten sind insbesondere seit der Er- Rückgang, nämlich Deutschland. Das ist nicht nur, aber
stattung der Sozialversicherungsbeiträge beachtlich. zu ganz wesentlichen Teilen auch dem Kurzarbeitergeld
Deshalb haben wir nützliche Maßnahmen im Be- zu verdanken.
schäftigungschancengesetz befristet verlängert und wer- Allerdings – und darauf haben wir Liberale auch
den weniger hilfreiche Maßnahmen auslaufen lassen. schon immer hingewiesen – sollte uns diese Erfolgsge-
Denn wichtiger als die Quantität ist der richtige Einsatz schichte nicht übersehen lassen, dass wir nun die ersten
der Mittel. Einzelne Regelungen haben nicht den ge- deutlichen Aufschwungsindikatoren haben. Das heißt,
wünschten Erfolg gezeigt. Daher soll die 100-prozentige eine Verlängerung des Kurzarbeitergelds ohne Augen- (D)
(B)
Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge ab dem sieb- maß wäre fatal. Deswegen haben wir eine Regelung ge-
ten Monat künftig betriebsbezogen und nicht mehr kon- wählt, die die Unternehmen unterstützt, aber auch dafür
zernbezogen möglich sein. Damit schaffen wir die soge- sorgt, dass sie nicht einen möglicherweise notwendigen
nannte Konzernklausel ab, die Konzerne bevorzugt und Strukturwandel vernachlässigen. Außerdem haben wir
kleine und mittlere Unternehmen ohne Grund benachtei- schlichtweg Unsinniges abgeschafft, etwa die Konzern-
ligt hat. klausel. Sie sehen, wir waren uns hier im Hause nicht im
Die 100-prozentige Erstattung der Sozialversiche- Prinzip uneinig, wohl aber in den Details, und da haben
rungsbeiträge bei Qualifizierungsmaßnahmen war je- wir unsere Hausaufgaben besser gemacht.
doch eine bewusste Entscheidung, die wir als Liberale
Abgesehen davon gehen wir mit dem Beschäfti-
getroffen haben. Wir haben immer die Relevanz von Bil-
gungschancengesetz noch eine ganze Reihe anderer ar-
dung und Weiterbildung im (Berufs-)Leben anerkannt
beitsmarktpolitischer Aufgaben an. Denn es wäre wenig
und gefördert.
hilfreich, im anstehenden Aufschwung arbeitsmarktpoli-
Dabei muss klar sein, dass es eine Exit-Strategie gibt. tische Instrumente, deren Befristung zum Jahresende an-
Wir sind in einer Erholungsphase; es gibt einen deutli- steht, ohne nähere Prüfung auslaufen zu lassen. Grund-
chen Ausblick auf das Ende der Krise. Daher gibt es in sätzlich bleibt an dieser Stelle erst einmal festzuhalten,
dem Beschäftigungschancengesetz keine vollständige dass die christlich-liberale Koalition bis Ende des Jahres
Synchronisierung der möglichen verlängerten Bezugs- 2011 alle – ich betone: alle – arbeitsmarktpolitischen In-
fristen des Kurzarbeitergeldes und der Erstattung der So- strumente evaluieren wird. Bei dieser Evaluation kann es
zialversicherungsbeiträge. Diese Erstattung wird bis für uns nur einen Maßstab geben. Dieser Maßstab wird
Frühling 2012 verlängert. Nicht zuletzt müssen die Un- die Frage sein: Was bringt Menschen in Arbeit? Wir
ternehmen langsam wieder an die Erhöhung der Rema- werden dies keinesfalls kurzfristig und einseitig verste-
nenzkosten gewöhnt werden. hen, sondern langfristig und umfassend. Der Maßstab
muss also ein Augenmerk auf die Eröffnung von Chan-
Als Fazit lässt sich zusammenfassen, dass das Kurzar- cen legen.
beitergeld ein wichtiges Instrument ist, das maßvoll ein-
gesetzt werden muss. Haltlose Ausweitungen der Be- Mit Blick auf die konkreten Maßnahmen will ich Fol-
zugsfrist oder ein Systemwechsel zur gesetzlich gendes festhalten: Die Möglichkeit der freiwilligen Wei-
festgeschriebenen Erstattung der Sozialversicherungs- terversicherung in der Arbeitslosenversicherung stellen
beiträge hilft nicht den Unternehmen und vor allem nicht wir auf eine neues, solides Fundament. Außerdem ist es
den Arbeitnehmern. Unsere Strategie steht; unser Au- uns gelungen, die bisherigen Erfahrungen einfließen zu
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5145

(A) lassen, weswegen wir beispielsweise die Antragsfrist auf Auch Vorschläge der IG Metall, tarifliche Regelungen (C)
drei Monate verlängern und so Existenzgründern ganz mit gesetzlichen Maßnahmen zu unterstützen, wurden
praktisch das Leben leichter machen. Ferner verlängern nicht aufgegriffen.
wir die Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer, den
Zweitens. Die Möglichkeit für eine bestimmte
Eingliederungszuschuss für Ältere, die Weiterbildung
Gruppe von Selbstständigen, sich freiwillig in der Ar-
beschäftigter älterer Arbeitnehmer in kleinen und mittle- beitslosenversicherung zu versichern, soll bestehen blei-
ren Unternehmen, die erweiterte Berufsorientierung so- ben. Hier sind Sie dem Druck der Linken und den Grü-
wie den Ausbildungsbonus bei Insolvenz. Wie gesagt, nen gefolgt, die dies schon vor drei Monaten in den
hierbei geht es vor allem darum, nicht den ersten Schritt Bundestag eingebracht hatten.
vor dem zweiten zu tun. Alle Maßnahmen werden im
nächsten Jahr überprüft, und dann werden wir in Ruhe Nicht aufgegriffen haben Sie jedoch unsere Vor-
entscheiden, was Sinn hat und was nicht. schläge, die Arbeitslosenversicherung für weitere Grup-
pen von Selbstständigen zu öffnen. Und Sie können
Abgesehen davon werden wir noch Änderungsan- nicht nachvollziehbar begründen, warum Sie die Bei-
träge zum Beschäftigungschancengesetz einbringen, bei- träge für Selbstständige in dieser Form erhöhen.
spielsweise, um den Vermittlungsgutschein nach § 421 g
Drittens. Die Regierung will bestimmte zeitlich be-
SGB III zu verlängern. Darüber hinaus wollen wir ihn
fristete Regelungen verlängern, bis die Überprüfung der
dahin gehend umgestalten, dass er gleich zu Beginn der Instrumente der Arbeitsförderung abgeschlossen ist. Es
Arbeitslosigkeit von Erwerbslosen in Anspruch genom- geht hier zum Beispiel um Beschäftigungshilfen und die
men werden kann. Auch der Vermittlungsgutschein wird Weiterbildung älterer Arbeitnehmer. Es geht um Maß-
sich natürlich der neutralen Evaluation des nächsten nahmen zur Berufsorientierung oder den Ausbildungs-
Jahres stellen müssen. Aber ich möchte doch einmal bonus, der es Auszubildenden von pleitegegangenen
festhalten, dass es ein Grundanliegen der rot-grünen Ar- Betrieben ermöglichen soll, ihre Ausbildung abzuschlie-
beitsmarktreformen gewesen ist, auch private Arbeits- ßen.
vermittlung zuzulassen, womit ein Markt- und Wettbe-
werbselement in den Bereich der Arbeitsvermittlung So weit, so gut. Das Absurde an der Politik der Bun-
Einzug gehalten hat. Als Liberaler kann ich das nur be- desregierung ist: Sie will Maßnahmen verlängern und
grüßen, auch weil ich persönlich bisher den Eindruck ge- streicht zugleich die Gelder, mit denen diese Maßnah-
wonnen habe, dass der Vermittlungsgutschein ein erfolg- men finanziert werden. Union und FDP betreiben damit
reiches Instrument ist. eine Placebopolitik auf dem Rücken der Erwerbslosen.
Unsere Arbeitsministerin Frau von der Leyen hat ihr
(B) Abschließend bleibt also festzuhalten, dass das Be- (D)
Wort gebrochen. Noch Ende April kündigte Sie an: „Wir
schäftigungschancengesetz ein gutes Beispiel dafür ist, werden nicht sinnlos kürzen.“ Nun soll genau das statt-
dass man auch mit einer Summe im Einzelnen wenig finden.
spektakulären gesetzgeberischen Maßnahmen gute Ar-
beitsmarktpolitik betreiben kann. Das Beschäftigungs- Unsere Arbeitsministerin entpuppt sich immer mehr
chancengesetz zeichnet sich durch Bedacht und Ausge- als Ankündigungsministerin; sie tritt in der Öffentlich-
wogenheit aus. Nach den Änderungen der zweiten keit mit schönen Worten auf, aber die Taten bleiben aus.
Lesung werbe ich für breite Zustimmung in der dritten Das erleben wir auch bei dem Thema Leiharbeit. Auf-
Lesung. grund des öffentlichen Drucks kündigte sie Maßnahmen
gegen den Missbrauch von Leiharbeit an. Nun kursiert in
ihrem Haus ein dürftiger Gesetzentwurf, mit dem weder
Sabine Zimmermann (DIE LINKE): Das Beschäfti- die Benachteiligung der Leiharbeiterinnen und Leihar-
gungschancengesetz, das die Regierung heute in den beiter beseitigt noch das Lohndumping mittels Leihar-
Bundestag einbringt, ist ein Scheingesetz. Denn so sinn- beit unterbunden wird.
voll einzelne Regelungen dieses Gesetzes sein mögen:
Durch das zeitgleich von der Bundesregierung angekün- Diese schwarz-gelbe Regierung braucht Druck inner-
digte Sparpaket wird die Axt bei der aktiven Arbeits- und vor allem außerhalb des Parlaments. Dafür wird die
Linke in den nächsten Monaten streiten.
marktpolitik angelegt. 16 Milliarden Euro sollen hier bis
2014 gekürzt werden. So wird den Arbeitsmarktmaßnah-
men, die die Bundesregierung mit dem Gesetz verlän- Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
gern will, die finanzielle Grundlage entzogen. Der Name Beschäftigungschancengesetz ist Etiketten-
schwindel. Denn die Chancen Arbeitsloser, auf Basis
Zum Gesetzentwurf konkret. Dieser enthält drei zen- dieses Gesetzes einen neuen Job zu bekommen, sind
trale Punkte: gleich Null. Die Verlängerung der Sonderregelungen zur
Kurzarbeit wird vielleicht weiterhin einem Anstieg der
Erstens. Die Bundesregierung will die Kurzarbeiter- Arbeitslosigkeit entgegenwirken, obwohl die Kurzarbeit
regelungen verlängern. Das ist vernünftig. Aber leider gerade deutlich zurückgeht – neue Impulse für Beschäf-
hat sie es abgelehnt, die Bezugsdauer des Kurzarbeiter- tigung entstehen dadurch aber nicht. Für einzelne Bran-
geldes auf 36 Monate zu verlängern und die steuerliche chen und Unternehmen kann im Gegenteil eine zu lange
Benachteiligung von Kurzarbeiterinnen und Kurzarbei- Entlastung der Arbeitgeber im Falle von Kurzarbeit, die
tern, den Progressionsvorbehalt, zu beseitigen. zudem noch nicht einmal einen Anreiz für mehr Quali-
5146 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) fizierung setzt, dazu führen, dass der notwendige damit diese Versicherungsoption auch zukünftig für (C)
Strukturwandel behindert und so ein nachhaltiger Auf- Solo-Selbstständige mit kleinen Einkommen bezahlbar
schwung gehemmt wird. bleibt.
Neue Beschäftigungschancen, meine Damen und
Herren von Union und FDP, und neue zukunftstaugliche Dr. Ralf Brauksiepe, Parl. Staatssekretär bei der
Jobs entstehen nur, wenn die Arbeitsplatzpotenziale in Bundesministerin für Arbeit und Soziales: Die Entwick-
den Zukunftsbranchen Umwelt, Bildung, Gesundheit lung des Arbeitsmarktes in der Wirtschaftskrise zeigt,
und Pflege erschlossen werden. Dafür brauchen wir eine dass mit den richtigen arbeitsmarktpolitischen Maßnah-
Neuausrichtung der Aus- und Weiterbildung. Genau das men Beschäftigung und Wirtschaftswachstum gesichert
leisten Sie aber nicht. Im Gegenteil, viele der mit den werden können. Dieser Erfolg, der allen zugutekommt,
Konjunkturpaketen eingeführten Qualifizierungsanreize wird mit dem Beschäftigungschancengesetz fortgeführt.
sollen nicht fortgeführt werden. Das gilt beispielsweise Im Jahr 2009 ging die wirtschaftliche Produktion in
für die komplette dreijährige Förderung von Umschulun- Deutschland in bisher nicht gekanntem Ausmaß zurück.
gen in den Bereichen Kranken- und Altenpflege. Auch Der deutsche Arbeitsmarkt hat sich jedoch als stabil er-
die Sonderregelung, mit der Arbeitnehmer gefördert wiesen. Es ist weder zu dem erwarteten massiven Rück-
werden können, deren Berufsabschluss länger zurück- gang der Beschäftigung noch zu einem sprunghaften An-
liegt, wird gestrichen. Ich finde: Zumindest solange es stieg der Arbeitslosigkeit gekommen. Nach der für uns
die krisenbedingten Sonderregelungen für das Kurzar- alle überraschend geringfügigen Eintrübung der Arbeits-
beitergeld gibt und die Arbeitgeber bei den Sozialabga- marktlage im Jahr 2009 verbessert sich die Situation zu-
ben entlastet werden, sollten auch diese Sonderregelun- sehends. Im Mai gab es erstmals wieder mehr sozialver-
gen weitergelten. sicherungspflichtig Beschäftigte als im Vorjahresmonat.
Auch die Zahl der arbeitslosen und unterbeschäftigten
Auch andere arbeitsmarktpolitische Instrumente lau- Personen – ohne Kurzarbeiter – ist geringer als noch vor
fen Ende des Jahres aus, beispielsweise die Vermitt- einem Jahr. Nach der letzten Meldung von Eurostat ist
lungsgutscheine und der Qualifizierungszuschuss für die Arbeitslosigkeit in 26 Mitgliedstaaten gestiegen, ein-
Jüngere. Die Bundesregierung selbst weist in dem vor- zig in Deutschland ist sie gesunken.
liegenden Gesetzentwurf darauf hin, dass eine ganzheit-
liche Überprüfung aller Arbeitsmarktinstrumente im Das Instrument Kurzarbeit hat den deutschen Arbeits-
Jahr 2011 ansteht. Da wäre es nur folgerichtig, alle Maß- markt stabilisiert und verhindert nach wie vor Arbeitslo-
nahmen, die 2010 auslaufen, um ein Jahr zu verlängern. sigkeit in größerem Umfang. Im März 2010 gab es noch
Dann ließe sich tatsächlich fachlich beurteilen, welche knapp 700 000 konjunkturelle Kurzarbeiter. Allein ge-
(B) Instrumente geeignet sind, um die Menschen zügig und genüber dem Vormonat ist dies ein Rückgang um rund (D)
dauerhaft wieder in Arbeit zu bringen. Verehrte Kolle- 100 000 Kurzarbeiter. Es zeigt sich, dass die Kurzarbeit
ginnen und Kollegen von Union und FDP, ich befürchte, kontinuierlich zurückgeht und gleichzeitig die Arbeitslo-
dass Sie das aber gar nicht wirklich wissen wollen. Bei sigkeit sinkt. Die Befürchtung, Kurzarbeit könne Ar-
Ihnen geht es nur noch um kurzfristig wirksame Einspar- beitslosigkeit nicht verhindern, sondern nur verzögern,
effekte. Das wird aber langfristig eine teure Sache; denn ist bislang unbegründet. Trotz der positiven Entwicklung
nur wenn es gelingt, die Arbeitslosigkeit nachhaltig ab- deutet die hohe Zahl an Kurzarbeitern auf eine immer
zubauen, wird auch der Etat dauerhaft entlastet. noch anhaltende Unterauslastung der Betriebe hin, die
weiterhin eine Gefährdung für den Arbeitsmarkt dar-
Mit dem Beschäftigungschancengesetz soll auch die
stellt. Es muss den Betrieben daher frühzeitig signalisiert
freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbstständige
werden, dass ihr Bemühen um ein Festhalten an ihren
entfristet werden. Das fordern wir seit langem; aber Sie,
Mitarbeitern auch zukünftig unterstützt wird.
meine Damen und Herren von CDU, CSU und FDP, ver-
binden damit eine Vervierfachung der Beiträge. Das Mit dem Beschäftigungschancengesetz verlängern
werden sich viele Gründerinnen und Gründer nicht leis- wir die im Jahr 2009 eingeführten Sonderregelungen
ten können. Die Solo-Selbstständigen gehören nicht zu beim Kurzarbeitergeld bis Ende März 2012. Sie sind bis-
den Besserverdienern. Diese Menschen, die sich eine lang bis Ende 2010 gültig. Dies betrifft die Erleichterun-
neue Existenz mit ihrer Selbstständigkeit aufbauen und gen bei den gesetzlichen Voraussetzungen und die
die in den ersten Jahren oft nur ein sehr bescheidenes Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge. Die Maß-
Einkommen erzielen, wollen Sie jetzt mit höheren Bei- nahmen haben maßgeblich dazu beigetragen, dass der
trägen abzocken. Dem Finanztableau des Beschäfti- Arbeitsmarkt sich in der Krise äußerst stabil zeigt. Ich
gungschancengesetzes ist doch zu entnehmen, dass die nenne Ihnen drei wesentliche Vorteile der Kurzarbeit:
Selbstständigen mittelfristig ein 11-Millionen-Euro-Plus
für die Kasse der Bundesagentur für Arbeit bringen sol- Erstens. Arbeitslosigkeit, die viel teurer geworden
len. Das ist unanständig, und ich sage Ihnen: So wird wäre als die Kosten, die für die Kurzarbeit anfielen,
Deutschland nicht zum Gründerland, und Sicherheit wurde vermieden;
bleibt für viele Menschen ein Fremdwort.
Zweitens. Das für die Betriebe wichtige Know-how
Dieses Gesetz werden wir im Ausschuss ausführlich wurde in den Betrieben erhalten
debattieren müssen. Ich setze darauf, dass es noch Ände-
rungen geben wird. Das hoffe ich insbesondere für die Drittens. Die Kaufkraft der Kurzarbeiter wurde gesi-
freiwillige Arbeitslosenversicherung für Selbstständige, chert.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5147

(A) Auch im nächsten Jahr werden Teile der Wirtschaft ckelt. Denn alle Arbeitsmarktpartner sollen sich für die (C)
von Auftragsausfällen betroffen sein. Diesen Unterneh- Bezieher von Arbeitslosengeld II verantwortlich fühlen
men und ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern wollen und entsprechend handeln. Es ist nicht das Hauptziel,
wir helfen, die Phase mit Auftragsrückgängen möglichst möglichst viele Bürgerarbeitsplätze zu besetzen. Haupt-
ohne Entlassungen zu überstehen. Welchen Betrieben ziel ist, durch eine gute Betreuung und Vermittlung mög-
wird damit geholfen? Teilweise wurde vermutet, es seien lichst vielen Betroffenen vorher zu einer Beschäftigung
vor allem Großunternehmen. Im Gegenteil: Wir wissen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verhelfen. Und
inzwischen, zwei Drittel der Kurzarbeiter arbeiten in nur für diejenigen, die trotz intensiver Hilfen keine Ar-
kleinen und mittelständischen Unternehmen. Lediglich ein beit finden können, stehen die Bürgerarbeitsplätze be-
Drittel der Kurzarbeiter ist in Großbetrieben ab 500 Mitar- reit.
beitern beschäftigt. Der Fokus auf kleine und mittelstän-
dische Unternehmen wird durch die Verlängerung noch Ich bin überzeugt, dass wir mit diesen Regelungen für
einmal gestärkt. Die sogenannte Konzernklausel werden die nächste Zeit zur Sicherung von Beschäftigung und
wir nicht verlängern. Betriebe mit mehreren Standorten Wirtschaftswachstum gut aufgestellt sind.
sind somit künftig Betrieben mit einem Standort gleich-
gestellt.
Anlage 8
Ich bin überzeugt, dass wir so weiterhin die Krise
meistern können. Und gerade in Zeiten knapper Kassen Zu Protokoll gegebene Reden
ist es sozialpolitisch verantwortungsvoll, Beschäftigung zur Beratung des Antrags: Fachkräftepro-
in den Unternehmen zu sichern statt Arbeitslosigkeit zu gramm – Bildung und Erziehung – unverzüglich
finanzieren. Die Geschichte der Kurzarbeit ist eine Er- auf den Weg bringen (Tagesordnungspunkt 14)
folgsgeschichte. Vielfach war vom deutschen Beschäfti-
gungswunder die Rede. Lassen Sie uns diese deutsche
Erfolgsstory weiterschreiben. Marcus Weinberg (CDU/CSU): Die christlich-libe-
rale Koalition legt Priorität auf Bildung. Das haben wir
In diesen schwierigen Zeiten haben wir auch die älte- mit den Aussagen im Koalitionsvertrag, mit der Aufsto-
ren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Blick. ckung des Haushalts und dem Festhalten am 10-Prozent-
Speziell für Ältere werden drei arbeitsmarktpolitische Ziel bis 2015 mehr als deutlich gemacht, und zwar weil
Instrumente verlängert: die Weiterbildung beschäftigter wir davon überzeugt sind, dass wir in die Zukunft unse-
älterer Arbeitnehmer, der Eingliederungszuschuss für res Landes, in die Köpfe unseres Landes investieren
Ältere und die Entgeltsicherung für ältere Arbeitnehmer. wollen und müssen. Dabei haben wir uns auch zum Ziel
Damit werden Beschäftigungschancen für Ältere auf- gesetzt: Bildung von Anfang an mit gerechten Chancen (D)
(B)
rechterhalten. Diese arbeitsmarktpolitischen Instrumente für alle. Lebenslanges Lernen, die Berücksichtigung he-
werden bis Ende des Jahres 2011 verlängert. Auch der terogener Lerngruppen, Durchlässigkeit der Bildungs-
Vermittlungsgutschein soll zunächst um ein Jahr verlän- wege und Transparenz des Bildungssystems dienen als
gert werden. Wie es danach weitergehen wird, werden Eckpfeiler einer modernen Bildungspolitik; denn in den
wir im Zusammenhang mit der für das Jahr 2011 vorge- vergangenen Jahren und auch zukünftig haben wir mit
sehenen Überprüfung aller arbeitsmarktpolitischen In- diesen neuen Herausforderungen zu kämpfen.
strumente zu entscheiden haben.
Es gilt, im immer schnelleren weltweiten Wissenszu-
Besonders wichtig ist es, jungen Menschen beim Start wachs zu bestehen, soziale Aufstiegschancen zu ermög-
in das Berufsleben die erforderlichen Hilfen zu geben. lichen, Migrantinnen und Migranten mit hohem Qualifi-
Deshalb wird die erweiterte Berufsorientierung bis Ende kationsniveau zu integrieren und dem aufgrund des
des Jahres 2013 verlängert. Sie unterstützt junge Men- demografischen Wandels drohenden Fachkräftemangel
schen bei der Berufswahl. Außerdem wollen wir den entgegenzuwirken. Bildungspolitik muss deshalb am
Ausbildungsbonus für Auszubildende insolventer Be- Anfang ansetzen und alle Stationen der Bildungsbiogra-
triebe bis Ende des Jahres 2013 verlängern. Dies sichert fie begleiten. Dass wir auf dem richtigen Weg sind, be-
den erfolgreichen Abschluss von Berufsausbildungen in stätigt der dritte nationale Bildungsbericht „Bildung in
den von der Wirtschaftskrise beeinflussten Jahren. Im Deutschland 2010“, der heute veröffentlicht wurde – und
Jahr 2009 wurden 2 456 Ausbildungsboni in Insolvenz- zwar mit vielen positiven Ergebnissen. Danach lagen die
fällen bewilligt. Bildungsausgaben je Bildungsteilnehmer in 2009 über
Wir wollen weiterhin auch denjenigen einen verbes- dem OECD-Durchschnitt und waren damit höher als in
serten sozialen Schutz bieten, die eine „Anwartschaft“ 2006. Es gab einen Rückgang der Schulabgänger ohne
auf Arbeitslosengeld erworben haben und den Schritt in Hauptschulabschluss. Die ganztägige Bildung und Be-
die Selbständigkeit wagen. Deshalb soll die bis Ende des treuung im Schulalter wurde erheblich ausgeweitet. Da-
Jahres 2010 befristete Möglichkeit für Existenzgründer rüber hinaus ist der Hochschulpakt laut Bildungsbericht
und Auslandsbeschäftigte, ein Versicherungsverhältnis nachweislich ein Erfolgsrezept. Die Studienanfängerzahl
auf Antrag einzugehen, fortgeführt werden. erreichte in 2009 einen Höchststand. Sie stieg von 2006
bis 2009 um 23 Prozent auf rund 423 000. Die Zielgröße
Aber wir vergessen auch nicht diejenigen, die keine des Hochschulpaktes von 91 000 zusätzlichen Studien-
Beschäftigung mehr haben. Neue Ansätze wie die „Bür- anfängern bis 2010 gegenüber dem Basisjahr 2005
gerarbeit“ werden ab Juli 2010 bundesweit erprobt. Die wurde damit bereits 2009 überschritten. Die Studienan-
Modellprojekte werden im regionalen Konsens entwi- fängerquote lag mit 43 Prozent über der hochschulpoli-
5148 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) tisch angestrebten Marke von 40 Prozent. Die Zahl der die Erlangung eines akademischen Abschlusses aus. (C)
Bildungsausländer erhöhte sich in 2008 ebenfalls. Und Hier widerspreche ich den Aussagen der Kollegen der
schließlich etablierte sich entgegen aller Unkenrufe die Linken. Der von mir eingangs genannte Begriff der
Studienaufnahme in den Bachelorstudiengängen. Durchlässigkeit sollte eine größere Gewichtung erhalten.
Aufgrund einer flexibleren Handhabung sollten unter
Nun gilt es, diese Anstrengungen fortzuführen, und Einhaltung der Qualitätsstandards Quereinstiege ermög-
zwar in den Bereichen frühkindliche Bildung, Sprach- licht werden. Und damit ich nicht missverstanden werde:
förderung und Berufsorientierungsprogramm. Im Be- Ich bin nicht gegen eine universitäre Ausbildung, aber
reich der frühkindlichen Bildung legen wir neben der ich halte nichts von einer Konzentration auf eine gene-
Schaffung der Infrastruktur besonderes Augenmerk auf relle Hochschulausbildung, sondern vielmehr von einer
die Qualifizierung der Erzieherinnen und Erzieher. Die dauerhaften begleitenden Qualifizierung. Das würde
Schulleistungsuntersuchungen der jüngsten Vergangen- auch kurzfristigere Lösungen für die Erwerbssuchenden
heit zeigten mehrfach, dass eine entsprechende Ausbil- und den Arbeitsmarkt schaffen, der an pädagogischen
dung des pädagogischen Personals eine Grundvorausset- Fachkräften unterbesetzt ist.
zung für ein erfolgreiches Bildungssystem ist. Um
sowohl Quantität als auch Qualität zu verbessern, hat der Zur Verbesserung aller frühkindlichen, schulischen
Bund, auch wenn die Frage der Kapazitäten, Ausbildung und außerschulischen Angebote halten wir als Union
und Weiterbildung in die Zuständigkeit der Länder fällt, auch weiterhin die Fortführung und Erweiterung von
unterstützend Maßnahmen ergriffen: Das Kinderförde- Leistungsstanduntersuchungen für unerlässlich. Es gilt,
rungsgesetz sichert neben einem Betreuungsplatzausbau die vereinbarten Bildungsstandards in ihrer Bedeutung
die Verbesserung der Qualität der Erziehungsangebote für die „Bildungsrepublik“ zu stärken und umzusetzen
zu. Mit der Qualifizierungsinitiative für Deutschland und eine Gleichwertigkeit der Bildungsabschlüsse inner-
„Aufstieg durch Bildung“ für die Ausbildung von Erzie- halb Deutschlands zu gewährleisten. Hierzu sollte nach
herinnen und Erziehern unterstützt der Bund die Länder Möglichkeit über weitere Fachbereiche in der Hoch-
in der Verbesserung der Ausbildung der Fachkräfte, un- schulreifeprüfung und einen verstärkten Einsatz verein-
ter anderem durch zusätzliche Weiterbildungsangebote. heitlichter Lehr- und Lernmittel nachgedacht werden.
Die Bundeskanzlerin und die Regierungschefs der Län- All diese Maßnahmen zeigen, dass wir kein neu aufge-
der beschlossen auf dem Bildungsgipfel im Dezember legtes Fachkräfteprogramm – wie hier von den Linken
2009 die Durchführung von Maßnahmen in den Berei- gefordert – benötigen. Wir werden die bestehenden Pro-
chen frühkindliche Sprachförderung und Bildung, För- gramme umsetzen, ob Bildungsbündnisse, Bildungsket-
derung von benachteiligten Kindern und Jugendlichen ten oder eine Weiterentwicklung des Ausbildungspaktes.
sowie vertiefte Berufsorientierung. Die „Weiterbildungs-
(B) initiative Frühpädagogische Fachkräfte“ erarbeitet Qua- Die von mir angesprochenen neuen bildungspoliti- (D)
lifizierungsansätze für die Fort- und Weiterbildung von schen Ansätze werden wir zukünftig ebenso energisch
pädagogischen Fachkräften in Kindertageseinrichtun- und mit hervorgehobener Bedeutung weiterverfolgen,
gen. Und das „Aktionsprogramm Kindertagespflege“ wie wir bisher damit erfolgreich begonnen haben.
unterstützt seit 2008 die Länder beim quantitativen und Durchlässigkeit und individuelle Förderung sehen wir
qualitativen Ausbau im Bereich der Kindertagespflege. dabei als Treiber einer modernen Bildungspolitik an statt
überholter Diskussionen um Strukturen oder Gleichma-
In Zahlen ausgedrückt, lassen sich laut nationalem cherei. Wir setzen auf Qualität statt auf rückwärtsge-
Bildungsbericht bereits positive Entwicklungen für den wandte Verteilungspolitik. Die regional unterschiedlich
qualitativen und quantitativen Ausbau festmachen. So gewachsenen Strukturen der Bildungslandschaft erken-
standen rund 47 000 Tageseinrichtungen für Kinder zur nen wir an. Zur Bewältigung der neuen Herausforderun-
Verfügung, und das Personal in den Kindertagesstätten gen und gesellschaftlichen Veränderungen werden wir
wurde um 42 000 Personen erhöht. Weiter heißt es, dass allerdings eine offene Diskussion mit allen Betroffenen
das Angebotsprofil, vor allem in den alten Bundeslän- und Beteiligen darüber führen, was Bildung in Zukunft
dern, gestiegen sei, und im Bereich der Dreijährigen am bedeutet, und darüber, was die Politik auf welcher Ebene
stärksten ausgebaut wurde. Dabei wurde eine Steigerung zu leisten hat.
zwischen 2006 und 2009 von 167 Prozent erreicht – von
20 000 auf 53 000 Kinder. Ebenso fand eine Steigerung
in der Bildungsbeteiligung der Vier- bis Fünfjährigen Ewa Klamt (CDU/CSU): Die Bundesregierung und
von 74 Prozent in 2006 zu bundesweit 95 Prozent in die Länder haben mit dem Hochschulpakt die Vorausset-
2009 statt. Bei den unter Dreijährigen stieg die Quote zung für die Aufnahme neuer Studierender an den Hoch-
der Bildungsbeteiligung im Westen auf 15 Prozent in schulen geschaffen. Die Hochschulen werden bis 2010
2009, 2006 waren es noch 8 Prozent. Folglich wurden insgesamt 91 370 zusätzliche Studienanfänger gegen-
hier innerhalb von drei Jahren 100 000 Plätze geschaf- über 2005 aufnehmen. Dementsprechend erfolgt selbst-
fen. verständlich auch eine Erhöhung der Anzahl der Lehr-
amtsstudienplätze. Bereits jetzt können die Länder für
Was die Frage der Ausbildung von Erzieherinnen und den Ausbau des Lehramtes Unterstützung des Bundes
Erziehern auf Hochschulniveau angeht, so bleibt festzu- aus dem Hochschulpakt erhalten. Der Hochschulpakt
stellen, dass eine wissenschaftliche Unterlegung in der sichert mit der ersten Säule der Vereinbarung ein be-
frühen Bildung eine von mehreren sinnvollen und wich- darfsgerechtes Studienangebot. Hierbei leistet der Bund
tigen Zielsetzungen sein sollte. Die tatsächliche pädago- einen Beitrag pro zusätzlichen Studienanfänger von
gische Befähigung drückt sich jedoch nicht allein durch 13 000 Euro, einen vergleichbaren Beitrag stellen die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5149

(A) Länder bereit. Die fächerspezifische Steuerung des Aus- reitungsdienst bis 2009 um fast 35Prozent gesteigert. Für (C)
baus – in den Jahren 2011 bis 2015 sollen 275 000 zu- das Lehramt an Gymnasium ist eine weitere Anhebung
sätzliche Studienmöglichkeiten entstehen – obliegt den im Jahr 2009 erfolgt. Seit 2006 wurden in jedem Jahr
Ländern. Wenn die Länder den Lehramtsbereich aus- mehr Einstellungen an öffentlichen allgemeinbildenden
bauen wollen, dann erhalten Sie für jeden zusätzlichen Schulen vorgenommen als Abgänge zu verzeichnen wa-
Studienanfänger im Lehramt den oben genannten Betrag ren, und dies bei gleichzeitig sinkenden Schülerzahlen.
vom Bund. Darüber hinaus besteht aus hochschulpoliti- 1 200 Stellen, die wegen sinkender Schülerzahlen einge-
scher Sicht derzeit keine Notwendigkeit für zusätzliche spart werden sollten verblieben im Schulbereich.
Maßnahmen. Die Länder können zudem jetzt schon Mit-
Im Jahr 2008 wurden alle durch Pensionierung frei
tel für zusätzlich geschaffene Studienmöglichkeiten im
werdenden Lehrerstellen wieder besetzt. Diese werden
Zuge einer Akademisierung von Erziehungsberufen er-
zur Verbesserung der Qualität in allen Bildungsberei-
halten. Eine Weiterentwicklung der Erzieherausbildung
chen eingesetzt. Die Zahl der Einstellungen in den
an Hochschulen und der Ausbau der vorhandenen Kapa-
Schuldienst an öffentlichen allgemeinbildenden Schulen
zitäten werden entsprechend dem Zuwachs der Studien-
ist im Jahr 2009 auf 3 374 Lehrkräfte gestiegen. Mit über
anfängerinnen und Studienanfänger in diesem Bereich
86 000 Lehrkräften hat Niedersachsen im Jahr 2009 da-
im Hochschulpakt berücksichtigt. Auch hier steuert der
mit die höchste Zahl in der Geschichte des Landes er-
Bund für jeden zusätzlichen Studienanfänger insgesamt
reicht. Die Zahl der Vollzeiteinheiten für Lehrerinnen
13 000 Euro bei.
und Lehrer ist von 2003 bis 2009 um fast 300 erhöht
Die Bundesregierung hat mit einer Vielzahl von Pro- worden. So sind in den sogenannten Berufswissenschaf-
grammen und einem immensen finanziellen Aufwand ten der Lehrerbildung an den niedersächsischen Hoch-
verbesserte Rahmenbedingungen in den Bereichen Bil- schulen erhebliche positive Veränderungen eingetreten.
dung und Erziehung geschaffen. Beispielhaft genannt Dies betrifft sowohl strukturelle Aspekte als auch die in-
werden können hier folgende Projekte: die Weiterbil- haltliche Profilbildung. Niedersachsen ist in den letzten
dungsinitiative frühpädagogische Fachkräfte zur För- Jahren der Überzeugung gefolgt, dass eine kompetenz-
derung der Anschlussfähigkeit zwischen Aus-, Fort- orientierte und forschungsbasierte Ausbildung unerläss-
und Weiterbildung, um individuelle Bildungs- und Kar- lich für die Gewinnung guter Lehrkräfte ist. Deshalb hat
rierechancen in der Frühpädagogik zu verbessern, Mo- mein Bundesland die berufsfeldbezogene Professionali-
delle der Anerkennung und Anschlussfähigkeit bei sierung, die Forschungsorientierung, das exemplarische
Aus-, Fort- und Weiterbildung zu unterstützen und aus- Lernen und die Fähigkeit zum lebenslangen Lernen in
zuweiten. Der Expertenkreis zum Qualifikationsprofil den Mittelpunkt der Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte
Frühpädagogik – Fachschule/Fachakademie beabsichtigt gestellt. Das Land hat mit der Verordnung über Master-
(B) die horizontale und vertikale Durchlässigkeit zu verbes- abschlüsse für Lehrämter eine bundesweit beachtete (D)
sern. Das wissenschaftlich begleitete Projekt „BIBER – Vorreiterrolle bei der kompetenzorientierten Formulie-
Netzwerk Frühkindliche Bildung“ bietet Fachkräften In- rung von Anforderungen an zukünftige Lehrerinnen und
formationen zu aktuellen Fragestellungen und Themen Lehrer übernommen. In Niedersachsen werden damit die
sowie die Möglichkeiten der Vernetzung und Weiterbil- von der Kultusministerkonferenz im Herbst 2008 be-
dung. Die Qualifizierung von Erzieherinnen und Erzie- schlossenen „Ländergemeinsamen inhaltlichen Anforde-
hern im MINT-Bereich wird im Zuge der Initiative rungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken
„Haus der kleinen Forscher“ gefördert. Anders als im so- in der Lehrerbildung“ bereits umgesetzt. Damit ist Leh-
zialistischen Einheitsstaat ist es im föderalistischen Sys- rerbildung eines der zentralen Handlungsfelder der
tem der Bundesrepublik Deutschland aus gutem Grund Hochschulentwicklung in Niedersachsen.
die Aufgabe der Länder, innerhalb dieses Rahmens und Im Rahmen des Hochschulpaktes werden außerdem
unterstützt durch die begleitenden Maßnahmen des Bun- zusätzliche Studienplätze in Studiengängen mit Lehr-
des mit konkreten Maßnahmen auf den regionalen Be- amtsoption geschaffen werden. So standen beispiels-
darf zu reagieren. Grundsätzlich sind es die Länder, die weise im Wintersemester 2009/10 bereits 413 zusätzli-
für die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern und che Studienplätze in Zwei-Fach-Bachelorstudiengängen
anderer Fachkräfte sowie die Festlegung der Einstel- mit Lehramtsoption zur Verfügung, die im Rahmen des
lungsvoraussetzungen zuständig sind. Der Bedarf an Er- Hochschulpaktes 2020 geschaffen wurden. Im Bereich
zieherinnen und Erziehern – auch an akademisch qualifi- der frühkindlichen Bildung sind bundesweit bereits eine
ziertem Personal – wird vor Ort durch Länder, Vielzahl von verschiedenen Institutionen, Projekten und
Kommunen und Träger der Einrichtungen ermittelt und Ausbildungsgängen entstanden, die sich zum Ziel ge-
gedeckt. setzt haben, die Bildung und Betreuung von Kindern in
Deutschland sowohl quantitativ wie qualitativ auszu-
Nun gehen die Länder zugegebener Maßen sehr unter- bauen und zu verbessern. Seit knapp fünf Jahren erfolgt
schiedlich mit dieser Verantwortung um. Deshalb erlaube in Deutschland ein rascher Aufbau zahlreicher Bachelor-
ich mir, mein Bundesland Niedersachsen exemplarisch zu und Master-Studiengänge im Bereich Pädagogik der frü-
nennen, um zu erläutern, wie verantwortungsvoll und hen Kindheit an deutschen Fachhochschulen, Universi-
vorausschauend Maßnahmen ergriffen werden können, täten und Fachakademien.
um die Lehrerausbildung nachhaltig zu verbessern und
den Bedarf an Lehrkräften zu sichern. Entsprechend dem Auch hier ist Niedersachsen hervorragend aufgestellt.
gestiegenen Bedarf an neuen Lehrkräften wurde bezogen Im Rahmen des Projektes „Professionalisierung, Trans-
auf das Jahr 2002 die Zahl der Auszubildenden im Vorbe- fer und Transparenz im frühpädagogischen Praxis- und
5150 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) Ausbildungsumfeld“ des Niedersächsischen Instituts frühkindlichen und schulischen Bereich sind geschaffen (C)
für frühkindliche Bildung und Entwicklung, nifbe, soll worden. Nun liegt es bei den Ländern, ihre Fachkräfte
exemplarisch die Professionalisierung der Erzieher und auf Bildungseinrichtungen für die Herausforderungen
Frühpädagogen vorangetrieben und Modelle für eine des demografischen Wandels zu rüsten. Das von CDU
Verbesserung von Transparenz und Durchlässigkeit im und FDP regierte Land Niedersachsen hat bewiesen,
System der Aus- und Weiterbildung von Fachkräften in dass dies möglich ist.
Kindertageseinrichtungen entwickelt werden. Das Pro-
jekt fügt sich ein in die Qualifizierungsinitiative „Auf- Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD): Die Bun-
stieg durch Bildung“ der Bundesregierung, in dessen desregierung wird nicht müde, immer und immer wieder
Rahmen unter anderem seit 2008 auch 80 000 Erziehe- zu betonen, dass im Bereich Bildung nicht gespart wer-
rinnen und Erzieher sowie Tagesmütter und -väter er- den dürfe, ja sogar mehr Geld zur Verfügung gestellt
reicht und die frühpädagogische Forschung gestärkt wer- werden müsse. Doch was nützt dies, wenn durch die ver-
den sollen, ein weiteres Beispiel für die positive fehlte Politik der Bundesregierung den Bundesländern,
Wirkung bereits bestehender Förderungsmaßnahmen des die bei den meisten Fragen entweder ganz das Sagen
Bundes. Das wissenschaftlich begleitete Projekt soll als haben oder zumindest ein gewichtiges Wort mitzureden
Beispiel für andere Bundesländer dienen und zeichnet haben, das Geld dafür entzogen wird.
sich durch eine frühzeitige Kontaktaufnahme und Ver-
netzung mit den zuständigen Ministerien der Bundeslän- Durch Aktionen wie das Wachstumsbeschleunigungs-
der, auch mit den von Ihnen mit regierten, aus. gesetz oder das unsoziale Sparprogramm wird die Situa-
tion immer schwieriger. So ist eher davon auszugehen,
Die Ausgaben für frühkindliche Bildung wurden seit dass die Ausgaben der öffentlichen Hand für Bildung
2003 verdoppelt: Bis 2013 werden sie verdreifacht. insgesamt weniger werden, auch wenn der Bund zulegt.
Den Ausbau der Qualität in der Kindertagespflege hat Nicht zuletzt der gescheiterte Bildungsgipfel von letzter
Niedersachsen bereits 2007 mit dem Landesprogramm Woche macht deutlich, wie ernst die Lage ist und wie
„Familien mit Zukunft“ in Angriff genommen. Hier hat sehr die Länder von Finanznöten geplagt sind. Der
das Land bis 2010 100 Millionen Euro für die Verbesse- gescheiterte Gipfel zeigt aber auch, wie wenig ernst es
rung von Betreuungsangeboten für Kinder zur Verfü- der Bundesregierung tatsächlich mit der Bildung in un-
gung gestellt. Das Niedersächsische Ministerium für So- serem Land ist, denn sonst hätte man schon längst dieses
ziales, Frauen, Familie und Gesundheit fördert mit grundlegende Problem in Angriff genommen. Daher ist
80 Millionen Euro den flächendeckend qualitativen Be- es begrüßenswert, wenn mit dem vorliegenden Antrag
treuungsausbau vor allem für die unter Dreijährigen. Mit der Fraktion Die Linke ein Fachkräfteprogramm „Bil-
dung und Erziehung“ gefordert wird.
(B) dem Projekt „Brückenjahr“ soll die Kontinuität des Ler- (D)
nens beim Übergang vom Kindergarten in die Grund- Bei allem Verständnis dafür, dass das im Grundgesetz
schule gesichert werden. Bis Ende 2010 stellt das Nie- verankerte Kooperationsverbot beseitigt werden muss
dersächsische Kultusministerium dafür 20 Millionen und mehr Zusammenarbeit zwischen den Ländern und
Euro bereit, um alle Kinder vor der Einschulung best- mit dem Bund dringend nötig ist, kann es aber nicht das
möglich zu fördern. Die Zusammenarbeit von Kinderta- Ziel sein, jetzt die ureigenen Aufgaben der Länder auf
geseinrichtungen und Grundschule wird gezielt ausge- den Bund zu übertragen. Ziel eines Bund-Länder-Pro-
baut und optimiert, Bildungsziele und -inhalte gramms kann es meines Erachtens nicht sein, zusätzliche
aufeinander abgestimmt. Lehramtsstudienplätze für alle Schularten zur Verfügung
zu stellen, wie im Antrag gefordert, um schließlich in
Mit dem Modellvorhaben „Offene Schule Nieder-
spätestens sieben bis acht Jahren den Ländern 10 000 zu-
sachsen“ werden aufbauend auf dem Projekt „Anrech-
sätzliche Lehrerinnen und Lehrer zur Verfügung stellen
nung beruflicher Kompetenzen“ Studienangebote für
zu können, um 25 000 zusätzliche vollzeitschulische
neue Zielgruppen mit beruflichen Abschlüssen und de-
Ausbildungsplätze für Erzieherinnen und Erzieher ein-
ren Anrechenbarkeit auf das Studium erprobt, um damit
zurichten. Sinnvoll ist auch nicht, eine bessere Ver-
die Durchlässigkeit zwischen beruflicher und schuli-
gleichbarkeit der Statistiken zu fordern, um zukünftig
scher Bildung sowie die Anerkennung beruflicher Quali-
die Modellberechnungen für den Lehrerbedarf zu verein-
fikation zu verbessern. Auch hier werden zusätzliche
fachen.
Projektmittel durch das Land investiert. Entsprechend
haben wir seit mehreren Jahren eine Steigerung berufs- Ich gebe zu, dass auch ich noch nie nachvollziehen
begleitender Studien- und Weiterbildungsangebote zu konnte, warum zum Beispiel mein Bundesland, der Frei-
verzeichnen. Um den Zugang zu diesen Weiterbildungs- staat Bayern, es bislang nie fertig gebracht hat, seinen
angeboten zu verbessern, wurde ein entsprechendes Por- Lehrerbedarf richtig zu berechnen, wo doch jedes Kind
tal im Internet eingerichtet. sechs Jahre alt wird, bis es zur Schule kommt, und jedes
Kind standesamtlich gemeldet ist, also die Zahl der Kin-
Die Bundesregierung hat in der Krise und trotz eines der dem Ministerium lange vor dem Einschulungstermin
Sparpakets in Höhe von 80 Milliarden Euro von Einspa- bekannt ist. Aber diesen Mangel zu beseitigen, ist nicht
rungen im Bildungsbereich ausdrücklich abgesehen. Aufgabe eines Bund-Länder-Programms.
Stattdessen wird zu Recht an dem Beschluss festgehal-
ten, 12 Milliarden Euro in Bildung und Forschung zu in- Besonders drängend ist, dass wir endlich mehr
vestieren. Die Rahmenbedingungen für die Bildung zu- Gleichklang bei den Schulsystemen bekommen und der
sätzlichen pädagogischen Nachwuchses für den ständige Reformaktionismus, den so manches Bundes-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5151

(A) land seit Jahren an den Tag legt, endlich ein Ende hat. Betreuung tragen, zu entlasten. Außerdem muss die (C)
Gerade im Bereich der schulischen Bildung brauchen Bundesregierung auf weitere Steuerermäßigungen, die
wir ein viel stärkeres Zusammenwirken der Bundeslän- zu zusätzlichen Belastungen der Kommunen führen, ver-
der und eine vernünftige Finanzausstattung. Ein gutes zichten und den von der SPD geforderten Rettungs-
Bildungsangebot erreicht man nicht nur durch Quantität, schirm für Kommunen zeitnah angehen.
sondern vor allem durch Qualität. Wir brauchen eine
Den Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die
massive Verbesserung der kompletten Bildungskette,
Linke sage ich: Der vorliegende Antrag geht in seiner
von der frühkindlichen Bildung über den Ausbau der grundsätzlichen Intention zwar in die richtige Richtung.
Ganztagsschulen bis hin zur Ausstattung der Hochschu- Er klammert leider viele Bereiche, die für eine tatsächli-
len. Wir brauchen einen nationalen Pakt von Bund, Län- che Verbesserung der Bildungsinfrastruktur erforderlich
dern und Kommunen, der bundesweit einheitliche Stan- sind, aus und gibt insbesondere auf die Frage nach den
dards festschreibt, um die Teilhabe an Bildung für alle notwendigen Finanzmitteln keine Antwort. Gerade bei
sicherzustellen. Erzieherinnen und Erziehern kommt da- der Bildungsfinanzierung gilt es aber, der Bundesregie-
bei zwar eine Schlüsselstellung zu, doch sie brauchen rung auf den Zahn zu fühlen. Wir als Opposition dürfen
ideale Rahmenbedingungen in den verschiedensten Ein- es nicht zulassen, dass sich Schwarz-Gelb mit einer Er-
richtungen, um eine optimale Betreuung zu gewährleis- höhung des Bundesetats für Bildung brüsten, während
ten. Nicht zuletzt braucht es eine bessere Entlohnung für sie andernorts Familien und Bildungsträgern Milliarden
die Berufsgruppe der Erzieherinnen und Erzieher. Auch wegnehmen, um sie an Hoteliers und andere Günstlinge
hierzu kann ich leider nichts im vorliegenden Antrag finden. zu verteilen.
Kommen wir zum Bereich der Schule. Ich stimme da-
mit überein, dass wir mehr Lehrerinnen und Lehrer brau- Caren Marks (SPD): Heute debattieren wir über den
chen. Doch einfach eine Zahl in den Raum zu stellen, ist drohenden Fachkräftemangel in Schulen und Kinderta-
mir zu wenig. Vielmehr müssen wir die Qualität und die gesstätten, dem Schwarz-Gelb bislang in keiner Weise
Kompatibilität der Lehrerausbildung in den Blick neh- entgegenwirkt; denn wo bleibt die Initiative der Bundes-
men. Es kann doch nicht sein, dass jemand, der in Ba- regierung, damit die offenen Fachkräftestellen schnell
den-Württemberg studiert hat, in Bayern keine Chance besetzt werden können? Wo ist das Engagement der
hat, als Lehrer zu arbeiten, oder dass die Ausbildung so Bundesfamilienministerin, den Ausbau der frühkindli-
auf eine Schulart zugeschnitten ist, dass die Verwendung chen Bildung und Betreuung voranzutreiben und mehr
in einer anderen Schulart nicht möglich ist. Da bringt es Erzieherinnen und Erzieher zu gewinnen? Wo sind die
wenig, wenn der Bund jetzt einseitig mehr Fachkräfte Rettungsmaßnahmen für die Kommunen, damit diese fi-
anordnet und deren Ausbildung qualifiziert. Es braucht nanziell in der Lage sind, den Betreuungsausbau zu
(B) vielmehr ein abgestimmtes Vorgehen auf breiter Front. stemmen? Weit und breit ist nichts in Sicht. In den letz- (D)
ten Wochen und Monaten hatten wir es mit einer Reihe
Darüber hinaus dürfen wir die Kommunen nicht ver- von Rettungspaketen zu tun: Rettungspakete für die Sta-
gessen. Insbesondere im Bereich der frühkindlichen Bil- bilisierung der Banken, für Griechenland, für den Euro.
dung kommt ihnen eine wichtige Rolle zu. Wenn es da- Große Gesetzespakete sind in Windeseile durch den
rum geht, mehr und besser qualifizierte Fachkräfte Bundestag gepeitscht worden. Aber bei der Verbesse-
einzusetzen, dann darf auch die Frage der Finanzierung rung der Bildung und der Qualifizierung von Menschen,
nicht ausgeklammert werden. Vollmundige Forderungen die im sozialen Bereich arbeiten wollen, hat die Bundes-
nach mehr Personal sind nur mit einer soliden Finanzie- regierung keine Eile.
rung realistisch. Der Bildungsgipfel letzte Woche, meine Damen und
Herren von der Bundesregierung, war eine große
In dem von der SPD-Fraktion in der vergangenen Wo- Chance, die Sie verpasst haben. Ich möchte daran erin-
che vorgelegten Antrag zur Verbesserung der frühkindli- nern: 2008 hat die Kanzlerin die „Bildungsrepublik“
chen Betreuung und Bildung haben wir deshalb auch ausgerufen. Sie hat die Steigerung der Ausgaben für Bil-
diese Frage aufgegriffen. Wir halten fest an unserer For- dung und Forschung auf 10 Prozent des Bruttoinlands-
derung, einen Aufschlag auf den Spitzensteuersatz zu- produkts bis 2015 versprochen. Doch was ist letzte Wo-
gunsten der Bildung einzuführen. Es darf nicht sein, dass che passiert? Die Bundesregierung hat konkrete
die Leistungen für sozial Schwache von der Bundesre- Verabredungen wieder auf die lange Bank geschoben,
gierung gekürzt werden, um damit zum Beispiel ein- die CDU-Länder haben wieder einmal gebockt. Der
kommensunabhängige Stipendien für Studierende aufzu- Spiegel titelte zum Scheitern des Bildungsgipfels tref-
legen. fend „Vertagen, verschleppen, vertrösten“. Ich sage Ih-
nen: Wenn das Thema Bildung vertagt und verschleppt
Da im vorliegenden Antrag viele Bereiche angespro- wird, ist dies ein Armutszeugnis für unser Land. Die Zu-
chen werden, die in der Finanzierungsverantwortung der kunftschancen der Kinder und Jugendlichen stehen auf
Länder liegen, muss auch die Frage geklärt werden, wie dem Spiel. Um nichts Geringeres geht es dabei. Was den
wir deren Kassen wieder füllen können. In unserem An- Fachkräftemangel in den Kitas betrifft, fehlt es der Re-
trag von vergangener Woche fordern wir daher, die durch gierung nicht an Erkenntnissen.
das sogenannte Wachstumsbeschleunigungsgesetz bei
den Kommunen entstandenen Einnahmeausfälle von Die Bundesregierung selbst hat auf eine Kleine An-
1,6 Milliarden Euro jährlich vollständig zu kompensie- frage der SPD geantwortet, dass sie mit einem Bedarf
ren und damit die Kommunen, die eine wichtige Verant- von bis zu 40 000 Erzieherinnen und Erzieher bis 2013
wortung zum Ausbau der frühkindlichen Bildung und rechnet. Der Fachkräftemangel ist heute schon in einigen
5152 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) Regionen spürbar. Ein weiteres Vertagen und Verschlep- zuverlässig nach. Der heute veröffentlichte Bildungs- (C)
pen ist daher absolut unverständlich. Nicht nur in dem bericht zeigt, dass wir alle zusammen, Bund und Länder,
Antrag der Linken wird zu Recht ein Fachkräftepro- unsere Anstrengungen intensivieren müssen, wenn solche
gramm gefordert. Auch die SPD fordert in ihrem Antrag schlechten Ergebnisse endlich der Vergangenheit angehö-
zum Thema frühkindliche Bildung und Betreuung, den ren sollen. Professor Weishaupt, unter dessen Leitung der
wir vergangene Woche eingebracht haben, eine Fach- Bildungsbericht erstellt wurde, erklärt als dessen wichtige
kräfteoffensive. Botschaft an die Bildungspolitik, dass die Entwicklungen
im Bildungswesen es erforderlich machten, die Mittel
Wir sagen klar: Kinder können nur dann optimal ge- für Bildung mindestens auf dem gegenwärtigen Niveau
fördert werden, wenn es eine ausreichende Zahl an qua- zu erhalten und für neue Aufgaben zusätzliche Mittel be-
lifizierten Fachkräften in Kitas gibt. Das macht eine gute reitzustellen seien.
Betreuungs- und Bildungsinfrastruktur aus, und das er-
warten auch die Eltern zu Recht. Als Sofortmaßnahme Der Präsident des Deutschen Studentenwerkes, Pro-
müssen arbeitslose und arbeitsuchende Erzieherinnen fessor Dobischat, äußerte sich heute in einer Pressemit-
und Erzieher möglichst schnell und unbürokratisch auf teilung mit folgenden Worten: „Bessere Bildung für alle,
offene Stellen vermittelt werden. Der Beruf der Erziehe- bessere Zukunftschancen für alle – das ist eine gesamt-
rin bzw. des Erziehers muss attraktiver werden; daher gesellschaftliche Aufgabe, hier stehen die Länder in der
sind Aus-, Fort- und Weiterbildung zu verbessern. Wich- Pflicht, dem Bund zu folgen.“ Der Bund investiert schon
tig sind auch eine gerechte Bezahlung von Erzieherinnen jetzt tatkräftig in den Bildungsbereich. Die zusätzlichen
und Erziehern und gute Arbeitsbedingungen in Kitas. Investitionen belaufen sich auf 12 Milliarden Euro. Das
Weil in Kitas nur 3 Prozent männliche Erzieher beschäf- ist eine bislang unerreichte Summe für den Bildungsbe-
tigt sind, müssen deutlich mehr Männer motiviert wer- reich und zeigt deutlich unsere Prioritätensetzung. Im
den, sich für diesen Beruf zu entscheiden. Bund haben wir große Projekte auf den Weg gebracht
und deren Finanzierung sichergestellt. Der Bildungsgip-
Das alles geht nur mit einer klugen Arbeitsmarktpoli- fel am 10. Juni hat gezeigt, dass die Punkte, die vonsei-
tik. Aber der von der Regierung angekündigte Kahl- ten des Bundes zugesagt wurden, eingehalten werden.
schlag bei den Qualifizierungsmaßnahmen für Arbeits- Am 10-Prozent-Ziel halten wir fest, und 40 Prozent der
lose wird die Lage verschlimmern. Mehr Arbeitslose mit Finanzierungslücke von 13 Milliarden Euro für Bil-
weniger Chancen wird das Ergebnis dieser Politik sein, dungsausgaben werden übernommen, und zwar durch
nicht aber mehr qualifizierte Erzieherinnen und Erzieher. konkrete Projekte: die Erhöhung des BAföG, das Stipen-
Es geht auch anders. SPD-geführte Länder haben längst dienprogramm und vor allem der Qualitätspakt Lehre,
erkannt, dass gehandelt werden muss. Die Qualitätsof- als dritte Säule des Hochschulpaktes. Der Qualitätspakt
fensive „Zukunftschance Kinder – Bildung von Anfang Lehre führt zu einer Verbesserung der Studienbedingungen
an“ in Rheinland-Pfalz unterstützt angehende und ausge- und zur Weiterentwicklung guter Lehre in der gesamten
(B) (D)
bildete Erzieherinnen und Erzieher landesweit mit einem Breite der Hochschullandschaft. Bis 2020 wird der Bund
vorbildlichen Aus- und Fortbildungsprogramm. rund 2 Milliarden Euro hierfür bereitstellen.
Wir sagen klar: Der Bund darf die Länder mit der He- Diese einmalige und zuvor noch nie unternommene
rausforderung, den Fachkräftemangel in Kitas zu bewäl- Kraftanstrengung kann jedoch nicht dazu führen, dass
tigen, nicht alleine lassen. Daher muss die Bundesregie- die Länder aus ihrer Verantwortung entlassen werden.
rung endlich aktiv werden und konkrete Maßnahmen mit Sie stehen in der Pflicht, die ihnen vom Grundgesetz zu-
den Ländern verabreden, um mehr Personal für Kitas zu gesprochene Kernaufgabe verantwortungsvoll wahrzu-
gewinnen. Es ist eine Zukunftsaufgabe, mehr Menschen nehmen. Es kann nicht sein, dass die Länder Mittel vom
für die Arbeit mit Kindern zu begeistern und somit dem Bund einfordern, ohne ihre eigenen Hausaufgaben zu
Fachkräftemangel in Kitas und Schulen entgegenzuwir- machen, also durch eine eindeutige Prioritätensetzung
ken. Vor dieser Aufgabe darf sich Schwarz-Gelb nicht die entsprechenden Mittel im Landeshaushalt freizuma-
länger drücken, die zuständigen Ministerinnen dürfen chen. Es kann nicht sein, dass sich die Länder mit ihrem
dies erst recht nicht. Ausgabenverhalten verzetteln, nachrangige Politikfel-
der hochpäppeln und schließlich die Ausfälle im Bil-
dungsbereich dann über Bundesmittel begleichen wollen.
Sylvia Canel (FDP): Der Fachkräftebedarf in den Bundesmittel sind keine Kompensationsmittel! Bundes-
Kindertagesstätten und den Schulen ist nicht von der mittel sollen Investitionen und Bildungsausgaben der
Hand zu weisen. Die Situationsbeschreibung und die Be- Länder sinnvoll ergänzen, um unser Land voranzubrin-
darfsprognosen des Antrags der Linken sind stichhaltig. gen und unsere Zukunftschancen zu verbessern. Die Zu-
Die Verfehlungen einer irregeleiteten Bildungspolitik sammenarbeit von Bund und Ländern darf nicht zu ei-
mit ihren verheerenden Auswirkungen lassen sich be- nem Nullsummenspiel werden. Wir benötigen frisches
sonders schön und plakativ am Beispiel des rot-rot re- Geld im System. Gerade deswegen ist die derzeitige Un-
gierten Berlins nachvollziehen. Die Defizite in der beweglichkeit der Länder so enttäuschend. Die Minister-
Betreuungsqualität in den Kindertagesstätten, der Unter- präsidenten werden derzeit ihrer Verantwortung nicht
richtsausfall, die Probleme bei der Lehrergewinnung und gerecht. Mit den elenden Erpressungsversuchen in Sa-
-versorgung und eine stetige Verschlechterung der Hoch- chen Umsatzsteuerpunkte muss Schluss sein. Es ist Zeit
schulfinanzierung lassen vor allem eines zurück: eine für eine konstruktive Zusammenarbeit! Damit muss end-
desaströse Situation und unzufriedene Schüler, Studie- lich begonnen werden.
rende, Eltern, Lehrer und Hochschulangehörige.
Das Land Berlin und andere Bundesländer kommen Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE): Eine alte Volks-
ihrer Kernaufgabe offensichtlich nicht gewissenhaft und weisheit sagt: „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5153

(A) nimmermehr“ oder in neue, aus Finnland kommende Er- Der Bundesregierung und den Ländern blieben dann (C)
kenntnisse und geschlechtergerecht übersetzt: „Auf den nur weitere Hilfsprogramme wie das Programm mit den
Anfang kommt es an“. Diese Einsicht hat sich in den Berufseinstiegsbegleitern, die Qualität schulischer Bil-
letzten Jahren auch in Deutschland durchgesetzt. Aber dung würde sich weiter verschlechtern, und die soziale
von der Einsicht bis zur Besserung ist es noch ein weiter Schieflage beim Bildungszugang würde weiter zuneh-
Weg. Wir stellen uns die Frage, wie viele internationale men. Dies gilt es zu verhindern, sofern das überhaupt
Studien noch erhoben und ausgewertet werden müssen, noch möglich ist. Deshalb fordert die Linke, umgehend
bis klar ist, dass man gegen den aktuellen und den dro- ein Fachkräfteprogramm „Bildung und Erziehung“ zwi-
henden Mangel an pädagogischem Personal in Kinder- schen Bund und Ländern zu vereinbaren, das den zügi-
einrichtungen und Schulen etwas tun muss. Da hat die gen Ausbau der Ausbildung von Lehrerinnen und Leh-
Bundesregierung vor Jahren endlich einen Rechtsan- rern sowie Erzieherinnen und Erziehern zum Ziel hat.
spruch auf frühkindliche Bildung und Betreuung einge- Dabei geht es sowohl um Lehramtsstudienplätze für alle
räumt, und Länder und Kommunen tun sich schon Schularten und um die frühkindliche Bildung, die in ei-
schwer damit, den Ausbau der Platzzahlen entsprechend ner – nunmehr vierten – Säule des Hochschulpaktes zu
voranzubringen. Dass es aber für eine qualitativ hoch- vereinbaren wären, als auch um die vollzeitschulische
wertige Betreuung auch gut ausgebildeten Personals be- Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern und natür-
darf, ist in der Euphorie untergegangen. Zwar wird etwas lich um berufsbegleitende Weiterbildung, die zum Be-
nebulös auf Bildungsgipfeln von Qualifizierung und rufsabschluss führt, und zwar für alle diejenigen in der
Weiterbildung geredet, aber frühkindliche Bildung Kinderbetreuung Tätigen, die heute noch keinen solchen
braucht hochwertig und vollwertig ausgebildetes Perso- Abschluss haben.
nal.
Auch wenn wir perspektivisch für die Arbeit im früh-
Allein für das Ausbauziel der Bundesregierung, von kindlichen Bereich eine Ausbildung auf Hochschulni-
dem wir heute schon wissen, dass es nicht reicht, und für veau für alle dort Beschäftigten anstreben, muss in einer
den Ersatz älterer Kolleginnen, die heute schon das längeren Übergangszeit noch die tradierte vollzeitschuli-
50. Lebensjahr überschritten haben und in absehbarer sche Ausbildung an Berufsfachschulen genutzt werden.
Zeit nicht mehr zur Verfügung stehen, werden in den Das sind zwar noch nicht alle Aufgaben, die bei der Aus-
nächsten Jahren 130 000 zusätzliche Fachkräfte in der bildung pädagogischen Personals für Kinderbetreuung
Kinderbetreuung benötigt. Etwa die Hälfte davon müsste und Schule anstehen, wenn die Qualität der Bildung ver-
bereits in zwei Jahren zur Verfügung stehen. Diese Auf- bessert werden soll, aber es sind die dringendsten. Da-
gabe zu erfüllen, sind Bund, Länder und in der Folge rum beschränken wir uns in unserem Antrag zunächst
Kommunen weit entfernt. In meinem Bundesland, Sach- auf diese. Sie zu ignorieren, in dieser Sache auf die Län-
(B) sen-Anhalt, in dem es seit 20 Jahren einen Rechtan- der zu verweisen und im Übrigen nach der Devise zu (D)
spruch für alle Kinder unter drei Jahren gibt, liegt die verfahren „Kommt Zeit, kommt Rat“, wäre eine fahrläs-
Betreuungsquote bei den Jüngsten bei 55 Prozent. Wenn sige Unterlassung politischen Handelns, die von der jun-
man diese Betreuungszahlen bundesweit hochrechnet, gen Generation bezahlt werden muss.
fehlen mehr als doppelt so viele Erzieherinnen und Er- Das darf nicht hingenommen werden, darum stimmen
zieher für die Krippenkinder. sie unserem Antrag nach Beratung in den Ausschüssen
Nicht besser wird es in der Schule. Zwar glaubt man zu.
heute noch in einigen Bundesländern, dass man, zumin-
dest in der Summe ausreichend, teilweise sogar zu viele Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Lehrerinnen und Lehrer habe, tatsächlich sind aber heute NEN): In dem Antrag der Linken wird die Einsetzung
schon vielerorts nicht genügend Lehrerinnen und Lehrer eines Fachkräfteprogramms „Bildung und Erziehung“
da, um den Unterricht zu 100 Prozent abzudecken. Zu- gefordert. Sie schreiben in ihrem Antrag, die Bundesre-
dem sind mehr als die Hälfte der Kolleginnen und Kolle- gierung solle dieses Programm „in Abstimmung mit den
gen in den Ländern älter als 50 Jahre, werden also in Ländern“ aufsetzen. Doch hier ergibt sich schon das
absehbarer Zeit den Schuldienst verlassen. Nach Erhe- erste Problem: Spätestens nach dem Scheitern des Bil-
bungen auf Bundesebene werden aber in fast allen Län- dungsgipfels am 10. Juni ist dieses Ansinnen zwar nett
dern zu wenige Lehrerinnen und Lehrer ausgebildet, um gemeint, läuft politisch aber ins Leere. Ein echter Bil-
diesen Bedarf rechtzeitig zu ersetzen. dungsgipfel hätte für diese ohne Frage äußerst relevan-
ten Problemstellungen Lösungsstrategien aufzeigen
Auch Referendariatsplätze stehen nicht genügend zur müssen. Passiert ist in dieser Hinsicht jedoch nichts.
Verfügung. Die Länder können zwar mehr Stellen für
Lehrerinnen und Lehrer in ihren Landeshaushalten ein- Zum inhaltlichen Sachstand lässt sich festhalten: Seit
planen, sie werden aber schon die heute vorhandenen Jahren ist klar, dass Deutschland auf einen riesigen Man-
nicht mehr besetzen können. Dann wird sich die Perso- gel an pädagogischen Fachkräften zusteuert, sei das in
nalsituation an den Schulen dramatisch verschärfen, und Schulen oder in Einrichtungen der Kindertagesbetreu-
es müssen womöglich Klassen zusammengelegt und Un- ung. Laut nationalem Bildungsbericht 2010 sind
terricht gekürzt werden, oder aber die Lehrerarbeitszeit 50 Prozent der Lehrkräfte im Schulbereich 50 Jahre und
muss noch weiter erhöht werden. Das alles sind untaug- älter. Im internationalen Vergleich liegt Deutschland hin-
liche Maßnahmen, wenn die Bildungsqualität verbessert ter Italien und Schweden hier an dritter Stelle. Obwohl
werden soll. die Pensionierungswelle von Lehrerinnen und Lehrern
5154 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) gerade erst anrollt, fehlen schon heute bundesweit Tau- anderen Bildungsbereichen der geringe Akademisierungs- (C)
sende von Lehrkräften, fallen Woche für Woche zig Tau- grad auf: Seit 2006 hat sich dieser nur um 0,4 Prozent-
sende Unterrichtsstunden aus. Bis 2015 werden, so bele- punkte auf 3,2 Prozent erhöht. Der Beruf der Erzieherin
gen es Studien unter anderem von Bildungsforscher bzw. des Erziehers muss dringend ergänzt werden durch
Klaus Klemm, 10 000 Junglehrerinnen und -lehrer jähr- akademisch qualifizierte Frühpädagoginnen und -päda-
lich fehlen. Um dem Lehrermangel entgegenzutreten, gogen. Erzieherinnen und Erziehern soll die Möglichkeit
hat die KMK nach etlichen Anläufen Vereinbarungen eröffnet werden, sich zu Frühpädagoginnen und Früh-
getroffen, um das Lehramtsstudium zu verbessern, unter pädagogen weiterzubilden.
anderem um die länderübergreifende Vergleichbarkeit zu
fördern. Diese Vereinbarung ist gut und richtig, heraus- Ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt, um dem Mangel
gekommen ist bisher allerdings nichts. Da fragt man sich an pädagogischem Personal zu begegnen, ist die Weiter-
schon, was KMK-Beschlüsse überhaupt wert sind. bildung. Hier liegt die Bundeskompetenz beim Bund
und beim Bildungsministerium. Das Scheitern des Bil-
Zudem müssen Mobilitätshindernisse für Lehrerinnen dungsgipfels zwischen Bund und Ländern lässt einen da-
und Lehrer zwischen den Ländern abgebaut werden, wo- ran zweifeln, wie der Bund jetzt seine Aufgaben in die-
bei klar sein muss, dass dies nicht zu einem Wettkampf sem Bereich wahrnehmen soll. Wir brauchen aber einen
um Lehrerinnen und Lehrer führen darf. Auch für Sei- wirklichen Aufbruch hin zu mehr Weiterbildung! Das
teneinsteiger wird von den Ländern viel zu wenig getan. bestehende Meister-BAföG, mit dem auch Erzieherinnen
Wir wollen, dass Quereinsteiger, die über relevante und Altenpfleger gefördert werden können, ist nur ein
Fachkompetenzen verfügen, ein verkürztes Lehramtsstu- Trippelschritt in die richtige Richtung. Um jedem Men-
dium absolvieren und auch berufsbegleitend qualifiziert schen eine Weiterbildung zu ermöglichen, fordern wir
werden können. Für junge Menschen, die Lehrerin oder ein neues Erwachsenen-BAföG, das in dem bisherigen
Lehrer werden wollen, müssen ausreichend viele Lehr- Meister-BAföG aufgehen soll. Im Bereich der Kinderta-
amtsstudienplätze zur Verfügung stehen. Wir halten je- gespflege fordern wir von der Bundesregierung, wie im
doch nichts davon, wie von der Linken gefordert, eine Koalitionsvertrag angekündigt, eine Weiterentwicklung
weitere Säule im Hochschulpakt 2020 für die Lehreraus- der Qualifikationen. Laut Bildungsbericht entspricht das
bildung zu schaffen. Im Rahmen einer dritten Säule im Qualifikationsniveau des Tagespflegepersonals häufig
Hochschulpakt fordern wir eine Gesamtstrategie für gute nicht den fachlichen Anforderungen. 55 Prozent des Per-
Lehre, zu der unter anderem der Ausbau von zusätzlichen sonals verfügen noch nicht einmal über die Minimalqua-
Studienplätzen gehört. Darüber hinaus muss gewährleis- lifikation eines 160-Stunden-Kurses, für Ostdeutschland
tet sein, dass jede und jeder, der ein Lehramtsstudium ist der Anteil sogar noch höher! Hier sind dringend Ver-
beendet hat, seine Ausbildung im Rahmen des Referen- besserungen notwendig. Der Bund sollte im Rahmen des
(B) dariats fortsetzen und beenden kann. Hier liegt zurzeit Kinder- und Jugendhilfegesetzes seine Möglichkeiten (D)
das eigentliche Problem. ausnutzen, hier bessere Standards zu setzen. Der ge-
Für uns Grüne ist es wichtig, den Schwerpunkt nicht wünschte Prozess der Verberuflichung der Kindertages-
nur auf die Quantität des pädagogischen Personals, son- pflege muss auch zu einer angemessenen Entlohnung der
dern auch auf die Qualität zu legen. Hier möchte ich ei- Tätigkeit führen.
nige Stichpunkte nennen: Eine elementare Frage ist die Abschließend lässt sich sagen: Vieles kann von Bun-
Akquisition geeigneter Lehrkräfte. Werbung für den desseite nur angeregt, aber nicht umgesetzt oder durch-
Lehrerberuf sollte bereits in der Schule in der gymnasia- gesetzt werden. Der Antrag, den wir heute diskutieren,
len Oberstufe beginnen, gezielt sollten Studienberech- hat vieles Richtige benannt, läuft aber in großen Teilen
tigte mit Migrationshintergrund angesprochen werden. leider ins Leere.
Vor dem Studium ist es notwendig, beispielsweise über
Praxisphasen und intensive Beratung, die Eignung der
Lehramtsstudiumsinteressierten zu überprüfen. Für die
Lehrerausbildung gilt, dass wir eine Reform der Ausbil- Anlage 9
dung brauchen: hin zur frühzeitigen Heranführung an die Zu Protokoll gegebene Reden
Praxis. Ein stärkerer Praxisbezug, der früh im Studium
beginnt, könnte zudem die hohe Zahl der Studienabbre- zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur
cher erheblich verringern. Die Studierenden müssen so Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes
ausgebildet werden, dass sie den Anforderungen, die im (Tagesordnungspunkt 16)
späteren Berufsleben an sie gestellt werden, begegnen
können. Dazu gehören die individuelle Förderung aller
Schülerinnen und Schüler, die Gestaltung eines moder- Mechthild Heil (CDU/CSU): Seit seiner Entstehung
nen inklusiven Schulsystems und ein an dem einzelnen kritisieren Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Schüler orientierter Unterricht. Grünen, das Asylbewerberleistungsgesetz. Eine Aus-
nahme bildet nur die Zeit, in der Sie an der Regierung
Die Zukunftsperspektiven eines Kindes werden maß- waren. In dieser Zeit gab es dazu keine Initiative von Ih-
geblich geprägt von den Förder- und Bildungsangeboten nen, den als so schlecht gebrandmarkten Zustand zu än-
in frühen Jahren. Daher fordern wir ein bedarfsgerechtes dern. Der uns heute vorliegende Antrag ist zuletzt vor ei-
Angebot an Kindertagesbetreuung und die Verbesserung nem Jahr hier im Hohen Hause gescheitert. Sie
des Personals in der Kindertagesbetreuung durch wissen- versuchen es erneut. Immerhin haben Sie den Antrag
schaftliche Ausbildung. Seit Jahren fällt im Vergleich zu überarbeitet und aktualisiert.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5155

(A) Sie kritisieren wieder, dass Asylsuchende nicht die Ein Weiteres: Im Jahre 1992 hatten 438 191 Men- (C)
gleichen Sozialhilfeleistungen wie deutsche Staatsbürger schen Asyl in Deutschland beantragt. 95 Prozent wurden
bekommen. Als „Ausschluss“ bezeichnen Sie dies und nicht als Asylberechtigte anerkannt. Das zeigt: Ein gro-
als „sozialrechtlich diskriminierend“. Das sehe ich nicht ßer Teil der Asylsuchenden berief sich auf das Asyl-
so! Asylsuchende und bedürftige Bürger unseres Landes recht, ohne tatsächlich politisch verfolgt oder einer un-
werden im Sinne des Staatsbürgerrechts unterschieden. menschlichen Behandlung ausgesetzt gewesen zu sein.
Das Gesetz versteht unter Asyl einen zunächst begrenz- Viele kamen über sichere Drittstaaten zu uns. Wirt-
ten Aufenthalt in Deutschland, bei dem es um eine schaftliche Gründe waren also oft das ausschlaggebende
vorübergehende Versorgung der Betroffenen geht und Motiv für die Einreise und den Aufenthaltswunsch. Um
deren Schutz vor politischer Verfolgung und unmensch- diesem Asylmissbrauch entgegenzutreten, einigten sich
licher Behandlung in ihrem Herkunftsland, bis über den CDU/CSU, SPD und FDP im Jahr 1992 im Asylkompro-
Asylantrag entschieden wird, um nicht mehr, aber auch miss, Regelungen zum Mindestunterhalt von Asyl-
nicht weniger. Folglich müssen Menschen, die sich wo- bewerbern zu schaffen, und im Folgenden wurde das
möglich nur kurz in unserem Land aufhalten, nicht um- Asylbewerberleistungsgesetz erlassen. Dass diese Idee
gehend sozial integriert und mit inländischen Bedürfti- richtig war, zeigt uns die Entwicklung der letzten Jahre.
gen gleichgestellt werden. Sobald Asylbewerber sich aus Das Gesetz verhindert Missbrauch und gewährt politisch
von ihnen nicht zu vertretenden Gründen länger als vier Verfolgten und unmenschlich Behandelten die nötige
Jahre in der Bundesrepublik aufhalten, erhalten sie die Unterstützung. Wir lehnen Ihren Antrag ab.
gleichen Leistungen wie deutsche Staatsangehörige. Sie
werden gleich behandelt. Von Diskriminierung kann
keine Rede sein. Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Ihr Gesetzent-
wurf, den Sie fast wortgleich schon im November 2008
Zuvor erhalten sie Leistungen nach dem Asylbewer- in den Deutschen Bundestag eingebracht haben, enthält
berleistungsgesetz, die geringer als die Leistungen für in der Sache keine neuen überzeugenden Argumente. In-
Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger sind. Ja, sofern interpretieren Sie wieder einmal ein Bundesver-
Asylsuchende und Geduldete erhalten medizinische Ver- fassungsgerichtsurteil nach eigenem Gutdünken, obwohl
sorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz, die auf Ihnen alle Argumente seit den Antworten auf Ihre Anfra-
die unabweisbar notwendige Behandlung „akuter
gen vom Dezember 2007 und März dieses Jahres be-
Schmerzzustände“ beschränkt ist. Das Gesetz garantiert
kannt sind. Es handelt sich vielmehr wieder einmal um
darüber hinaus auch beispielsweise eine Impfvorsorge
einen typischen Oppositionsentwurf, der die Realität
oder umfassende Leistungen bei Schwangerschaft und
ausblendet. Dabei tun die Grünen so, als ob sie schon
Geburt. Die Menschen werden also ausreichend ver-
immer in der Opposition gewesen wären und nicht sie-
(B) sorgt. (D)
ben lange Jahre mit der SPD in der Regierungsverant-
Das Asylbewerberleistungsgesetz ist vor allem nach wortung gestanden hätten. Die Bundesregierung prüft
dem Sachleistungsprinzip aufgebaut. Die Sachleistungen genau, welche Bedeutung die Entscheidung des Bun-
folgen der Preisentwicklung. Steigende Preise werden desverfassungsgerichtes vom 9. Februar 2010 zu den
vom Staat getragen, nicht von Asylsuchenden. Hinzu Hartz-IV-Regelsätzen für die Leistungen nach dem
kommt, dass Leistungen für Asylbewerber nicht – wie Asylbewerbergesetz hat. In der Antwort auf Ihre Kleine
im SGB XII und im SGB II – pauschaliert werden, son- Anfrage im März dieses Jahres hat die Bundesregierung
dern im Einzelfall individuelle Beihilfen – zum weit bereits deutlich gemacht, dass es sich dabei um kompli-
überwiegenden Teil ebenfalls als Sachleistungen – etwa zierte Sach- und Rechtsfragen handelt, deren Prüfung
für Bekleidung, Hausrat usw. gewährt werden. Auch noch nicht abgeschlossen ist. Keineswegs ist seit dem
diese einmaligen Beihilfen folgen der Preisentwicklung Urteil des Bundesverfassungsgerichts klar, wie es der
und belasten die Tasche der Asylanten nicht. Soviel zu vorliegende Gesetzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen
Ihrem Vorwurf, die Leistungen wären seit 1993 nicht suggeriert, dass die Leistungen für Asylbewerber nicht
mehr angepasst worden. den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügen.
Für mich ist das Asylbewerberleistungsgesetz kein Das Bundesverfassungsgericht führt in seinen Entschei-
„ungeeignetes, überflüssiges und unverhältnismäßiges dungsgründen eben aus, dass der Gesetzgeber für die
Gesetz“, wie Sie es in Ihrem Antrag bezeichnen. Im Ge- Hilfeleistung gruppenbezogene Differenzierungen vor-
genteil: Das Gesetz hat seinen Zweck voll erfüllt und nehmen kann. Eine solche Differenzierung liegt dem
erfüllt ihn noch heute. Das Ziel der damaligen Bundesre- Asylbewerberleistungsgesetz zugrunde. Wir reden hier
gierung war es vor allem, den Missbrauch des Asyl- von Asylbewerbern. Das bedeutet, dass es also nicht um
rechts einzuschränken und damit den Zustrom von einen dauerhaften Aufenthalt in Deutschland geht, son-
Flüchtlingen in die Bundesrepublik Deutschland zu be- dern um eine vorübergehende Versorgung der Betroffe-
grenzen. Anfang der 90er-Jahre des letzten Jahrhunderts nen bis zu einer Entscheidung über ihren Asylantrag.
hat unser Land europaweit den Hauptanteil der Flücht- Leistungen für eine Integration sind daher nicht erforder-
lingsströme aufgenommen. Dies hat unsere sozialen Si- lich. Aus diesem Grund dürfen die Grundleistungen für
cherungssysteme in Deutschland enorm belastet. In die- eine eingeschränkte Zeit geringer ausfallen. Außer Frage
sen Zustand wollen wir von der christlich-liberalen steht dabei natürlich, dass die Asylbewerber gerade im
Koalition nicht zurück. Wir wollen auch die Kommunen, Vergleich zu anderen Nationen ausreichend unterstützt
die die Träger der Asylhilfe sind, nicht mit höheren Kos- werden. Dies beinhaltet selbstverständlich auch den Be-
ten belasten. reich der medizinischen Versorgung.
5156 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) Um auf die eingangs erwähnte Realitätsferne der Grü- wegweisendes Urteil gesprochen. Es geht darum, was (C)
nen zurückzukommen, möchte ich auf den Ursprung des ein Mensch braucht, um in Würde leben zu können.
Asylbewerberleistungsgesetzes zu sprechen kommen. Art. 1 des Grundgesetzes spricht dabei von allen Men-
Unter dem damaligen Eindruck massiv steigender Asyl- schen, nicht nur von deutschen Staatsbürgern! Leider
bewerberzahlen haben sich CDU/CSU, SPD und FDP gelten hinsichtlich der Absicherung des Existenzmini-
im Jahr 1992 auf einen Asylkompromiss geeinigt, auf mums unterschiedliche Regeln für deutsche und für viele
dessen Grundlage dann ein Jahr später das Asylbewer- nicht deutsche Bürgerinnen und Bürger in unserem
berleistungsgesetz entstanden ist. Hauptanliegen dieses Land. Für alle, die unter das Asylbewerberleistungsge-
Gesetzes war und ist es, die Leistungen für Asylbewer- setz fallen, gab es seit seiner Einführung im Jahr 1993
ber gegenüber der Sozialhilfe zu vereinfachen und auf keinerlei Erhöhung der Regelsätze. Der tatsächliche
die notwendigen Bedürfnisse eines vorübergehenden Kaufkraftverlust beläuft sich für diesen Zeitraum auf
Aufenthaltes in Deutschland abzustimmen. Dieses Ge- rund 25 Prozent. Schon 2001 haben wir gemeinsam mit
setz war notwendig und richtig und erfüllt nach wie vor den Grünen versucht, die Leistungen für Asylsuchende
seinen Anspruch. Zum einen gewährleistet es eine aus- wenigstens geringfügig heraufzusetzen. Die damalige
reichende Versorgung der Asylbewerber für die Dauer Mehrheit im Bundesrat von CDU, CSU und FDP brachte
ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik, zum anderen unsere Gesetzesinitiative allerdings zum Scheitern. In
reduziert es aber auch die Zahl der Einreisen von Asyl- der Großen Koalition hat sich die Situation für Bezieher
suchenden nach Deutschland und bewegt die bereits nach dem Asylbewerberleistungsgesetz leider weiter
abgelehnten Asylsuchenden bzw. Geduldeten zu einer verschlechtert. Sie müssen seither nicht mehr nur drei,
schnellen Ausreise aus Deutschland. Aber noch einen sondern jetzt vier Jahre im niedrigen Leistungsniveau
weiteren wichtigen Punkt dürfen wir in dieser Debatte des Asylbewerberleistungsgesetzes verbleiben, ehe sie
nicht vergessen: Letztendlich kommt es auch hier wie in
Anspruch auf Sozialhilfe haben. Diese Kröte haben wir
so vielen Bereichen auf einen angemessenen Ausgleich
geschluckt, um dafür im Gegenzug Verbesserungen für
zwischen den Leistungszahlungen und den Steuerzah-
geduldete Ausländer beim Zugang zum Arbeitsmarkt
lern an. Das heißt in diesem Fall konkret, einen Aus-
durchzusetzen.
gleich zwischen den Leistungen der asylsuchenden Men-
schen auf der einen und den Steuerzahlern auf der Das Bundesverfassungsgericht hat jetzt sehr klare
anderen Seite zu schaffen. So können wir doch die Au- Worte zu Regelsätzen und Härtefällen in der Grund-
gen nicht davor verschließen, dass in Deutschland die sicherung gesprochen. Wir erwarten, dass nicht nur die
steuerzahlenden Leistungsträger unserer Gesellschaft Regelsätze in der Sozialhilfe und im Arbeitslosengeld II,
bereits jetzt bis an die Schmerzgrenze belastet werden. sondern auch im Asylbewerberleistungsgesetz entspre-
Erklären Sie, meine Damen und Herren von den Grünen, chend angepasst werden. Wir haben diese Forderung in (D)
(B) einem Hartz-IV-Empfänger einmal, warum er ebenso
unserem Antrag zur Neufestsetzung der Regelsätze vom
viele Leistungen empfangen soll wie ein Asylbewerber,
2. März 2010 formuliert. Wir wollen, dass die Regelleis-
der bedingt durch den nur vorübergehenden Aufenthalt
tung in voller Höhe bar ausgezahlt und nicht als Sach-
in Deutschland ganz andere finanzielle Ansprüche hat.
leistung zur Verfügung gestellt wird. 1,34 Euro am Tag –
Die ohnehin schon strapazierten sozialen Sicherungssys-
teme würden durch die Abschaffung des Asylbewerber- das ist der durchschnittliche gesetzliche Barbetrag, wo-
leistungsgesetzes noch mehr unter Druck geraten. Die von Flüchtlinge und Asylbewerber im Leistungsbezug
Forderung einer Abschaffung des Asylbewerberleis- heute in Deutschland leben müssen. Einer vierköpfigen
tungsgesetzes durch den Entwurf der Grünen entbehrt Familie mit zwei Kindern zwischen 6 und 13 Jahren ste-
somit jeglicher Grundlage und dient wohl eher der hen im Monat 736 Euro zu. Diesen Betrag erhält die Fa-
Pflege der eigenen Klientel als einem konstruktiven Bei- milie aber nicht zwangsläufig in voller Höhe. Die Bun-
trag zum Umgang mit Asylbewerbern. desländer sind nur verpflichtet, einen Barbetrag von
lediglich 81,80 Euro auszuzahlen. Der Rest kann in
Fazit: Das globale und schwerwiegende Problem stei- Sachleistungen erbracht werden. Auf das Jahr gerechnet
gender Flüchtlingsströme lösen wir nicht dadurch, dass beträgt die Regelleistung – in Bar- und Sachleistungen –
wir die Leistungen für Asylbewerber generell anheben für vier Personen 8 832 Euro. Zum Vergleich: Das säch-
und dadurch unser schlechtes Gewissen zu beruhigen liche Existenzminimum liegt für einen alleinstehenden
versuchen. Eine ausreichende Versorgung der Asylbe- deutschen Mitbürger im Jahr 2010 bei 7 656 Euro, für
werber bei uns in Deutschland steht dabei jedoch außer Paare bei 12 996 Euro und für Kinder bei 3 864 Euro.
Frage. Deshalb sollten wir die Prüfung der Bundesregie-
rung im Hinblick auf das Bundesverfassungsgerichts- Wir hatten im Mai 2009 eine Anhörung zum Asylbe-
urteil abwarten. Erst dann gibt es eine neue Sachlage. werberleistungsgesetz. Die Sachverständigen waren sich
Eine vorherige Diskussion ist völlig überflüssig. einig: Insbesondere die Sachleistungen, die von der
schwarz-gelben Bundesregierung gerne bei jeder Gele-
Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Schade, dass wir die genheit für die Sozialpolitik propagiert werden, erweisen
Debatte zum Asylbewerberleistungsgesetz heute nur zu sich als ineffizient, stigmatisierend und schikanierend.
Protokoll führen. Das Zusammenstellen von Essenspaketen entspricht we-
der einem würdigen Umgang mit den Hilfebedürftigen,
Aber besser spät als nie. Auch wir sehen – genau wie noch ergibt es aus finanzieller Sicht Sinn; denn durch
die Antragsteller – dringenden Handlungsbedarf. Das den logistischen Aufwand fallen erhebliche Verwal-
Bundesverfassungsgericht hat am 9. Februar 2010 ein tungskosten an, die eingespart werden könnten. Eine Er-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5157

(A) höhung der Regelsätze für Asylbewerber ist von der Asylsuchende sofort eine Förderung zur Eingliederung (C)
Union immer wieder mit dem Argument ausgebremst in den Arbeitsmarkt erhalten. Bei ungeklärtem Aufent-
worden, dass durch höhere Leistungen ein wirtschaftli- haltsstatus ist das aus unserer Sicht kein geeigneter Weg.
cher Anreiz, nach Deutschland zu kommen, geschaffen Zu diesem Schluss kommt auch das Bundesamt für Mi-
würde. Schlepperbanden würden dadurch Tor und Tür gration und Flüchtlinge. Deswegen spricht sich die SPD-
geöffnet. Bundestagsfraktion dafür aus, das Asylbewerberleis-
tungsgesetz als Rechtskreis beizubehalten. Man muss
Warum aber flüchten Menschen aus ihrer Heimat, und aber, wie bereits ausgeführt, das Asylbewerberleistungs-
warum suchen sie in einem fremden Land Asyl? In der gesetz grundgesetzkonform und menschenwürdig ausge-
Regel sind diese Menschen in ihrem Heimatland massiv stalten.
bedroht. Sie müssen um das eigene Leben und um das
ihrer Familie fürchten. In einer solchen existenziellen Si-
tuation fragt man nicht danach, wie hoch die Sozialleis- Miriam Gruß (FDP): Asylbewerbern muss bestmög-
tungen in dem Land sind, in das man flüchten kann. Man lich geholfen werden. In erster Linie brauchen sie eine
geht dorthin, wo man sicher leben kann. wirkliche Perspektive für ihr weiteres Leben. Ihr Antrag
bietet da leider keine Lösungen. Eines ist klar: Viele Zu-
In der Europäischen Union ist darüber hinaus gere- stände, in denen Asylbewerber leben, sind nicht akzepta-
gelt, dass nur in einem Staat Asyl beantragt werden darf. bel, so bei Teilen ihrer Unterbringung. Was hier man-
Das Übereinkommen von Dublin regelt klar, dass das chenorts lange Zeit Alltag war und teilweise noch ist,
der EU-Staat ist, den der Flüchtling zuerst betritt, und war und ist nicht hinnehmbar. Wir setzen uns jetzt inten-
das ist normalerweise nicht Deutschland! Deswegen ist siv für eine Verbesserung dieser Verhältnisse ein. Die
die Zahl der Leistungsberechtigten nach dem Asylbe- Koalition befasst sich deshalb mit unterschiedlichen
werberleistungsgesetz seit Jahren stark rückläufig: Im Ansätzen, um die Situation von Asylbewerbern zu opti-
Jahr 1996 hatten wir in Deutschland rund 490 000 Leis- mieren. Im Folgenden möchte ich Ihnen diese gern skiz-
tungsberechtigte, Ende des Jahres 2008 waren es nur zieren. Uns Liberalen war es wichtig, die Prüfung des
noch knapp 128 000. Das wirkt sich natürlich auch auf Sachleistungsprinzips im Koalitionsvertrag zu veran-
die Ausgaben für die Leistungen nach dem Asylbewer- kern. Die Bundesregierung wird dies umsetzen, um dann
berleistungsgesetz aus: Hatten wir im Jahr 1996 noch den Asylbewerbern möglichst eine schnelle Hilfe zuteil
Ausgaben von knapp 2,9 Milliarden Euro, lag diese werden zu lassen. Dass es immer Spielräume gibt für
Summe für das Jahr 2008 bei rund 842 Millionen. Euro. praktische Verbesserungen, beweist mein Heimatland
Aber nicht nur die Regelsätze nach dem Asylbewer- Bayern. Die ersten Korrekturen sind dort eingeleitet.
berleistungsgesetz und die Zuteilung von Lebensmitteln Künftig dürfen Familien und Alleinerziehende nach Ab-
(B) oder Gutscheinregelungen sind menschenunwürdig. Es schluss ihres Asylverwaltungsverfahrens in eine eigene (D)
gibt nach wie vor Bundesländer, die Asylbewerbern Wohnung ziehen. Das ist ein erster, wichtiger Schritt.
keine eigene Wohnung zugestehen, sondern lediglich Außerdem sieht der Koalitionsvertrag auf Bundes-
Sammelunterkünfte anbieten. Auch dies müssen wir än- ebene vor, die Residenzpflicht so auszugestalten, dass
dern! Eine nicht hinnehmbare Ungleichbehandlung von eine hinreichende Mobilität, insbesondere im Hinblick
deutschen Sozialleistungsempfängern und Asylbewer- auf eine zugelassene Arbeitsaufnahme, möglich ist. Das
bern zeigt sich auch bei der medizinischen Versorgung. ist ein Beispiel, das Schule machen kann. Auch das
Ein Beispiel: Einem Kind von Asylsuchenden wird in Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den Hartz-IV-
der Regel ein dringend notwendiges Hörgerät verwei- Regelsätzen ist im Zusammenhang mit der Höhe der
gert. Eine massive sprachliche Entwicklungsstörung Leistungen für Asylbewerber zu beachten. Das Bundes-
wird dabei in Kauf genommen. Traumatisierte Flücht- verfassungsgericht hat mit seinem Urteil vom 9. Februar
linge erhalten keinerlei psychologische Betreuung. Auch 2010 entschieden, dass die Regelleistung für Erwach-
die Kinder nicht. Das hat mit Menschenwürde nichts zu sene und Kinder nicht den verfassungsrechtlichen An-
tun. spruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen
Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, Existenzminimums erfüllen. Dieses Urteil hatte bereits
auch wir sehen dringenden Handlungsbedarf und werden die Fraktion Die Linke zum Anlass genommen, die Bun-
einen Gesetzentwurf einbringen. Wir möchten die Miss- desregierung im Rahmen einer Kleinen Anfrage vom
stände im Asylbewerberleistungsgesetz verändern. Das 17. Februar 2010 nach den Auswirkungen auf das Asyl-
bedeutet: Anpassung der Regelsätze an die Sozialhilfe- bewerberleistungsgesetz zu fragen. Das BVerfG hat mit
sätze, Barauszahlung statt Sachleistungen, gleichwertige seinem Urteil den Gesetzgeber beauftragt, dieses Grund-
medizinische Versorgung. Sie fordern eine komplette recht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum zu
Aufhebung des Asylbewerberleistungsgesetzes. Dafür konkretisieren. Das Bundesministerium für Arbeit und
sehen wir keine politischen Mehrheiten, nicht hier im Soziales ist mit der Ausarbeitung eines Lösungsansatzes
Bundestag – das könnte sich allerdings bei dem derzeiti- betraut, der für Herbst dieses Jahres zu erwarten ist.
gen Regierungschaos schnell ändern –, aber es müssen
Für uns Liberale ist neben der rechtlichen Situation
auch die Länder zustimmen.
von Asylbewerbern eines besonders wichtig: Wir möch-
Sie fordern in Ihrer Gesetzesinitiative, dass für Asyl- ten die Möglichkeit fördern, dass Asylbewerber mög-
suchende und deren Angehörige die Rechtskreise der lichst schnell einen Zugang zum Arbeitsmarkt finden. Es
Grundsicherung für Arbeitsuchende bzw. der Sozialhilfe ist Teil des liberalen Selbstverständnisses, dass die Men-
gelten sollen. Das würde bedeuten, dass erwerbsfähige schen ihren Lebensunterhalt ganz oder teilweise selbst
5158 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) erwirtschaften können. Durch einen solchen Schritt es für Langzeitarbeitslose ist, wieder in das Berufsleben (C)
würde man den Asylbewerbern wirklich eine Perspek- einzusteigen. Bei diesen Menschen kommen noch
tive bieten. Ihr Gesetzentwurf führt gerade in diesem sprachliche Schwierigkeiten hinzu; denn Sprachkurse
zentralen Bereich nicht zu einer Verbesserung. Vielmehr und Ähnliches können sie nicht besuchen.
geht es auch hier darum, die Anspruchsberechtigten in
finanzieller Abhängigkeit des Staates zu halten. Lassen Dieses Gesetz dient also der systematischen Ausgren-
Sie mich eines noch zum Ende sagen: Es ist schon er- zung von Asylsuchenden und geduldeten Flüchtlingen,
staunlich, dass Sie jetzt das fordern, was Sie in Ihrer Re- soweit sie auch unter die Regelungen des Gesetzes fallen.
gierungszeit längst hätten umsetzen können. Sie entlar- Es zielt darauf, eine Integration dieser Menschen zu ver-
ven damit Ihren Antrag als einen reinen Scheinantrag. hindern und das Abschreckungspotenzial dieser Regelun-
Wir als Regierungskoalition halten uns lieber an die Re- gen aufrechtzuerhalten. Das Asylbewerberleistungsge-
alität und machen eine Politik, die sich am Menschen ori- setz verletzt eklatant das Recht jedes Menschen auf ein
entiert, damit die Asylbewerber eine echte Chance auf Leben in Würde. Diese und alle vorhergehenden Bun-
ein eigenständiges Leben bekommen. desregierungen stellen dieses Menschenrecht unter einen
Kostenvorbehalt. Der Parlamentarische Staatssekretär
beim Bundesminister des Innern Ole Schröder hat zu Be-
Ulla Jelpke (DIE LINKE): Das Asylbewerberleis-
ginn dieser Woche bei einem Symposium des UN-Flücht-
tungsgesetz wurde 1993 beschlossen, um Asylbewerber
lingshilfswerks weiteren Widerstand Deutschlands gegen
von einer Flucht nach Deutschland abzuschrecken. Es
neue EU-Regelungen angekündigt, Asylbewerber und Be-
war Teil des sogenannten Asylkompromisses, also der
zieher von Sozialleistungen gleichzustellen. Selbst Ver-
faktischen Abschaffung des Rechts auf Asyl in Deutsch-
besserungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt werden von
land. Dieses Gesetz arbeitet mit der Unterstellung, Asyl-
dieser Bundesregierung abgelehnt. Die Bundesregierung
bewerber kämen ohnehin nur wegen des Bezugs von So-
zialleistungen nach Deutschland. Es bedient rassistische ignoriert dabei im Übrigen das Urteil des Bundesverfas-
Vorstellungen von vermeintlichen Wirtschaftsflüchtlin- sungsgerichts zur Festlegung der Hartz-IV-Sätze für Kin-
gen und Sozialschmarotzern, gegen die sich Deutschland der. Das Gericht hat den Gesetzgeber aufgefordert, ein
endlich zur Wehr setzen müsse. Und es wurde noch ein transparentes und sachgerechtes Verfahren zur realitätsge-
weiteres Argument ins Feld geführt. Da die Betroffenen rechten Bedarfsermittlung zu wählen. Das betrifft Asylbe-
ja sowieso nur kurze Zeit in Deutschland bleiben wür- werber ganz offensichtlich genauso wie die Kinder von
den, brauchten sie auch nur das Allernötigste zum Le- Hartz-IV-Empfängern. Denn in diesem Fall hat der Ge-
ben. Die verringerten Sozialleistungen sollen auch eine setzgeber einfach einmal vor 18 Jahren einen Regelsatz
Integration in die Gesellschaft verhindern. Dieses Gesetz festgeschrieben. Der Bedarf wurde also nicht ermittelt,
sondern schlicht politisch festgelegt. Darüber hinaus
(B) ist nicht nur in seinen Grundannahmen rassistisch, es be- (D)
fördert auch Rassismus in der Gesellschaft; denn in die- wurde er niemals erhöht, sondern stattdessen wurde die
sem Gesetz ist auch die Unterbringung von Asylbewer- Bezugsdauer immer weiter ausgedehnt. Legt man die
bern in Wohnheimen geregelt. Damit trägt dieses Gesetz Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts in dem ge-
zur Stigmatisierung von Asylsuchenden aktiv bei. Sie nannten Urteil an das Asylbewerberleistungsgesetz an,
werden zum leichten Ziel für rassistische Attacken und ist vollkommen klar: Dieses Gesetz ist verfassungs-
Pöbeleien bis hin zu gewalttätigen Angriffen. Die Serie widrig und muss endlich abgeschafft werden.
von Brandanschlägen auf Asylbewerberunterkünfte zu
Beginn der 90er-Jahre hat dies auf erschreckende Art vor Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die
Augen geführt. schwarz-gelbe Koalition beschwört jetzt die bürgerli-
Der größte Skandal an diesem gesamten Gesetz ist chen Tugenden, entnehme ich der Presse. Eine dieser
aber, dass hier eine ganze Menschengruppe allein auf- Tugenden ist, sich an Gesetze zu halten, zuvörderst an
grund ihrer Herkunft und ihres Aufenthaltsstatus weit das Grundgesetz, dort an Art. 1, der die Grundrechte ein-
unter dem Existenzminimum vegetieren muss. Diese leitet und gleichzeitig programmatische Grundaussage
Menschen erhalten nur 60 Prozent des Satzes, den Emp- unserer Verfassung ist. Dort heißt es: „Die Würde des
fänger von Hartz-IV-Leistungen erhalten. Zudem gilt das Menschen ist unantastbar.“ Es heißt nicht: Die Würde
diskriminierende Sachleistungsprinzip. Neben der Un- der Deutschen ist unantastbar.“ – Dementsprechend gel-
terbringung in Wohnheimen bedeutet das Ausgabe von ten die Leitsätze des Urteils des Bundesverfassungsge-
Kleidung und Nahrungsmittelpaketen oder Gutschei- richts vom 9. Februar zu den ALG-II-Regelsätzen nicht
nen. Damit wird diesen Menschen jede Möglichkeit ge- nur für Deutsche, sondern für alle Menschen im Gel-
nommen, selbst zu bestimmen, was sie essen und welche tungsbereich des Grundgesetzes.
Kleidung sie tragen.
Das menschenwürdige Existenzminimum ist zu ge-
Und das gilt nicht nur vorübergehend. Zuletzt hat die währleisten und nach einem transparenten und nachvoll-
Koalition aus SPD und Union das Gesetz dahin gehend ziehbaren Verfahren zu ermitteln. Das Bundesverfas-
geändert, dass die Betroffenen nun vier Jahre lang unter sungsgericht sagt ganz klar, dass das soziokulturelle
dieses Sonderregime fallen, vier Jahre, in denen keine Existenzminimum nicht „ins Blaue hinein“ zu schätzen
Integration dieser Menschen stattfinden soll, vier Jahre, ist. Es dürfte doch hier allen einleuchten, dass das selbst-
in denen sie übrigens auch nicht durch eigene Arbeits- verständlich ein universaler Anspruch ist, der nicht nur
leistung ihre Situation verbessern können, weil sie einem für das Zweite Buch Sozialgesetzbuch gilt. Dieser gilt
Arbeitsverbot unterliegen. Wir alle wissen, wie schwer für alle Menschen, und deshalb brauchen wir kein Son-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5159

(A) dergesetz, das Menschenwürde für Flüchtlinge separiert zitiert in der taz vom 15. Juni 2010). Ein merkwürdiges (C)
und im Ergebnis Menschen in ihrer Würde herabsetzt. Politikverständnis. Geht es doch beim Asyl häufig um
Leben und Tod. Von christlicher Nächstenliebe zeugt
Doch seit es das Asylbewerberleistungsgesetz gibt, diese Haltung nicht. Diesmal sollte der Gesetzgeber das
seit 17 Jahren, geschieht genau dies mit vielen Men- Heft des Handelns nicht aus der Hand geben. Anders als
schen. Ob asylsuchend, ob geduldet oder bleibeberech- beim ALG-II-Regelsatz hat er die Möglichkeit, einen of-
tigt, der Aufenthaltstitel unterscheidet sich, nicht aber fensichtlichen Verfassungsbruch selbst zu heilen. Wir
die Unterversorgung. Die Leistungen des Asylbewerber- alle sollten sie nutzen.
leistungsgesetzes liegen um ein Drittel unter den ohne-
hin schon zu niedrig bemessenen Sätzen des SGB II. 17 Jahre nach Inkrafttreten des Asylbewerberleis-
Und sie sind, entgegen geltender Rechtslage, nach § 3 tungsgesetzes ist es Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen,
Abs. 3 Asylbewerberleistungsgesetz nie angepasst wor- Schluss zu machen mit einem Gesetz, das Menschen
den – nicht ein einziges Mal in 17 Jahren. Da sage ich ausgrenzt, Schluss zu machen mit einem Gesetz, das dis-
nur: Bürgerliche Tugenden? Von wegen. Stattdessen will kriminiert und extrem bürokratisch ist, Schluss zu ma-
ich die Kolleginnen und Kollegen hier in diesem Hause chen mit einem Gesetz, dass Menschen das Existenzmi-
fragen, die alle erkennbar keinen Hunger leiden: Wie nimum vorenthält und ihnen nicht die Möglichkeit gibt,
soll man mit 40,90 Euro „Taschengeld“ und 184,07 Euro in Deutschland ihren Lebensunterhalt selbst zu bestrei-
für Ernährung, Kleidung, Gesundheits- und Körper- ten.
pflege und Gebrauchs- und Verbrauchsgüter des Haus- Sagen Sie Nein zur Diskriminierung und damit Ja zur
halts im Monat als erwachsener Haushaltsvorstand aus- Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes.
kommen? Und dann noch ein Hinweis: Das Geld wird
nicht unbedingt auf das Girokonto überwiesen. Stattdes-
sen gibt es regelmäßig Gutscheine und Sachleistungen. Anlage 10
Was für ein Unsinn und was für ein Bürokratiewahn!
Schon all dies rechtfertigt die sofortige Abschaffung des Zu Protokoll gegebene Reden
Asylbewerberleistungsgesetzes.
zur Beratung:
Einen weiteren wichtigen Punkt darf ich mir nicht er- – Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des
sparen: Zum Gesundheitssystem in Deutschland haben Bundeswaldgesetzes
Menschen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleis-
tungsgesetz bekommen, keinen Zugang. Nur bei akuten – Beschlussempfehlung und Bericht:
Erkrankungen und Schmerzzuständen gibt es Hilfe. – Antrag: Bundeswaldgesetz nachhaltig
(B) Konkret heißt das: keine Prävention, keine Untersuchun- gestalten – Schutz und Pflege des Öko- (D)
gen. Es muss schon erst so schlimm sein, dass der Kran- systems für heutige und künftige Genera-
kenwagen vorfahren muss, bevor es Hilfe gibt. Überle- tionen
gen Sie sich einmal, welche Situationen in Ihrem Leben
bei einer solchen medizinischen Versorgung schon ganz – Antrag: Bundeswaldgesetz ändern – Na-
anders hätten ausgehen können! Ich denke, einige hier turnahe Waldbewirtschaftung fördern
hätten Chancen, diese Debatte aus dem Jenseits zu be- – Antrag: Das Bundeswaldgesetz novellie-
trachten. ren und ökologische Mindeststandards
Besonders unmenschlich ist, dass die Bundesregie- für die Waldbewirtschaftung einführen
rung bewusst die sogenannte EU-Aufnahmerichtlinie – Unterrichtung: Waldbericht der Bundes-
nicht umsetzt. Deshalb gibt es für von physischer, psy- regierung 2009
chischer oder sexueller Gewalt betroffene Flüchtlinge
auch keinen Therapieanspruch, der garantiert ist. Die (Tagesordnungspunkt 17 a und b)
Menschen sind auf den guten Willen angewiesen. Auch
Leistungsbeziehende nach dem Asylbewerberleistungs- Alois Gerig (CDU/CSU): Bei der Novellierung des
gesetz brauchen endlich eine vernünftige Krankenversi- Bundeswaldgesetzes biegen wir heute auf die Zielgerade
cherung, so wie wir alle sie haben. Angeblich hat das ein. Der heute zur abschließenden Beratung stehende
wohl auch die Bundesregierung verstanden. Sonst wäre Gesetzentwurf wurde vom Land Niedersachsen über den
gar nicht zu erklären, dass sie auf europäischer Ebene im Bundesrat eingebracht. Die Koalitionsfraktionen haben
Stockholmer Programm zur EU-Rechtspolitik erst im am Gesetzentwurf wichtige Ergänzungen vorgenommen.
Dezember zugestimmt hat, dass Flüchtlinge in der EU Mit dem Gesetzentwurf wollen wir notwendige Ände-
überall ähnliche Lebensbedingungen haben sollen. rungen am Bundeswaldgesetz vornehmen und gleichzei-
tig an Bewährtem festhalten.
Aber an der praktischen Umsetzung hapert es dann
gewaltig. Das ist das übliche System dieser Bundesre- Die Koalition lässt sich bei der Bundeswaldgesetzno-
gierung: Sonntagsreden, wenn man zu Gast in Europa velle von der Zielsetzung leiten, die vielfältigen Funktio-
ist, hier in Deutschland nichts tun, wenn es um Men- nen des Waldes für Pflanzen, Tiere und den Menschen
schen geht, die Hilfe benötigen. Staatssekretär Ole zu erhalten. Intakte Wälder sind notwendig, um die bio-
Schröder geht es aber nur um angeblich anfallende Kos- logische Vielfalt zu bewahren. Als CO2-Speicher sind
ten, weil „die Vorschläge der EU-Kommission … die unsere Wälder zudem aktive Klimaschützer. Für den
Asylverfahren verlängern und verteuern“ würden – so Menschen leistet der Wald nicht nur einen wichtigen
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(A) Beitrag für die Trinkwasserversorgung und zum Immis- in Deutschland stehen immer weniger – aber dafür (C)
sionsschutz; der Mensch findet im Wald auch Ruhe und mächtige – Holzabnehmer gegenüber. Damit sich Erzeu-
Erholung. ger und Abnehmer auf Augenhöhe begegnen können,
wollen wir es den forstwirtschaftlichen Vereinigungen
Daneben hat der Wald eine zunehmend große wirt- ermöglichen, das Holz ihrer Mitglieder zu vermarkten.
schaftliche Bedeutung: Die Forst- und Holzwirtschaft Mit der Gesetzesänderung will die Koalition dazu beitra-
sorgt nicht nur für Wertschöpfung im ländlichen Raum, gen, dass sich die forstwirtschaftlichen Strukturen
sie ist dort auch ein wichtiger Arbeitgeber. Die Aufgabe marktgerecht entwickeln können und die Forstwirtschaft
der Waldpolitik ist, die unterschiedlichen Waldfunktio- ein starkes wirtschaftliches Standbein des ländlichen
nen in einen vernünftigen Ausgleich zu bringen. Dies ist Raums bleibt.
vor dem Hintergrund des Klimawandels keine leichte
Aufgabe. Ich bin überzeugt, dass wir mit dieser Bundes- Eine weitere Neuregelung betrifft die Verkehrssiche-
waldgesetznovelle die richtige Richtung einschlagen, rungspflicht im Wald. Es geht um die Frage, wer haftet,
um dieser Aufgabe gerecht zu werden. wenn Besucher im Wald zu Schaden kommen. Von Wald-
besitzern wird aus Naturschutzgründen verlangt, ver-
Der Gesetzentwurf sieht als Erstes vor, den Waldbe- mehrt Totholz – umgefallene Bäume oder abgefallene
griff zu präzisieren. Künftig sollen Kurzumtriebsplanta- Äste – im Wald zu belassen. Dadurch ergeben sich mehr
gen nicht unter den Waldbegriff des Bundeswaldgeset- Gefahrensituationen für Erholungssuchende. Dies ist
zes fallen. Auf Kurzumtriebsplantagen werden schnell deshalb problematisch, weil die Anzahl der Erholungs-
wachsende Bäume und Sträucher angebaut, um inner- suchenden zugenommen hat und sich auch die Erho-
halb weniger Jahre den nachwachsenden Rohstoff Holz lungsformen ändern; Beispiele hierfür sind Joggen und
ernten zu können. Kurzumtriebsplantagen sind kein Mountainbikefahren.
Wald, weil sie nicht auf dauerhafte und nachhaltige Nut-
zung ausgelegt sind. Diese Kulturform ist eindeutig Der Wald ist als Erholungsraum unverzichtbar. Die
landwirtschaftlich geprägt. Es ist deshalb richtig, Kurz- erfreulich vielen Waldbesucher sind ein wesentlicher
umtriebsplantagen vom Waldbegriff auszunehmen. Grund dafür, dass der Wald in Deutschland eine hohe
Wertschätzung genießt und der Schutz des Waldes in der
Mit der angestrebten Gesetzesänderung werden bes- gesamten Gesellschaft unumstritten ist. Da der Wald für
sere Bedingungen für Kurzumtriebsplantagen geschaf- alle zugänglich ist und dies auch bleiben soll, kann der
fen. Holz ist der mit Abstand wichtigste erneuerbare Waldbesitzer seiner Verkehrssicherungspflicht nicht da-
Energieträger in Deutschland. In den kommenden Jahren durch nachkommen, dass er den Zutritt zum Wald ver-
ist mit steigender Nachfrage nach Energieholz zu rech- wehrt. Deshalb muss im Bundeswaldgesetz nun klarge-
nen. Kurzumtriebsplantagen können dazu beitragen, das stellt werden, dass Waldbesitzer für waldtypische
(B) Potenzial an Energieholz zu vergrößern, ohne dass wir (D)
Gefahren nicht haften.
die Nachhaltigkeit der Waldbewirtschaftung gefährden.
Im Gesetzgebungsverfahren hat die Koalition geprüft,
Beim Waldbegriff muss noch an einer weiteren Stelle ob der niedersächsische Gesetzentwurf ausreichend ist.
nachgebessert werden. Wir wollen, dass mit Forstpflan- Neben der bereits angesprochenen Herausnahme der Al-
zen teilweise bestockte Flächen, die landwirtschaftlich men aus dem Waldbegriff halten wir weitere Änderun-
genutzt werden und deshalb unter die InVeKoS-Verord- gen am Bundeswaldgesetz für erforderlich. So wird der
nung fallen, kein Wald im Sinne des Bundeswaldgeset- Begriff Staatswald eindeutiger definiert, weil viele
zes sind. Die bessere Abgrenzung zwischen landwirt- Forstverwaltungen in Körperschaften des öffentlichen
schaftlichen und forstwirtschaftlichen Flächen dient dem Rechts oder andere Rechtsformen umgewandelt wurden.
Ziel, Almen aus dem Waldbegriff herauszunehmen und Da viele Wälder Bodendenkmäler aufweisen oder aus
ihre Bewirtschaftung dauerhaft zu ermöglichen. Dies ist Parkanlagen oder Friedhöfen hervorgegangen sind, stel-
im Alpenraum nicht nur für die betroffenen landwirt- len wir sicher, dass in Zukunft der Denkmalschutz im
schaftlichen Betriebe von Bedeutung. Die Almwirtschaft Wald berücksichtigt wird. Unser Wald ist ein Kulturgut.
leistet seit Generationen einen wertvollen Beitrag zur Damit Deutschland seine Berichtspflichten gegenüber
Pflege der Kulturlandschaft und für die Offenhaltung der der Europäischen Union und gegenüber dem Klima-
Flächen. Almen sind aus diesem Grund auch für den sekretariat der UN-Klimarahmenkonvention besser er-
Tourismus äußerst wichtig. füllen kann, wird zudem die Bundeswaldinventur zu ei-
nem umfassenden Waldmonitoring ausgeweitet.
Mit dem Gesetzentwurf wollen wir des Weiteren er-
reichen, dass forstwirtschaftliche Vereinigungen das Die Vorschläge der Opposition haben wir geprüft. Die
Holz ihrer Mitglieder vermarkten dürfen. Forstwirt- Forderung, die gute fachliche Praxis im Bundeswaldge-
schaftliche Vereinigungen sind Zusammenschlüsse von setz zu verankern, kann die Union nicht unterstützen.
Forstbetriebsgemeinschaften, die wiederum Zusammen- Wir sehen uns in unserer Auffassung durch die Anhö-
schlüsse von Waldeigentümern sind. Zu den Aufgaben rung bestätigt. Aufgrund der regionalen Besonderheiten
der forstwirtschaftlichen Vereinigungen gehört beispiels- in der Waldstruktur ist es zweckmäßig, dass die ord-
weise die Beratung ihrer Mitglieder. Die Vermarktung nungsgemäße Waldbewirtschaftung wie bisher durch die
von Holz ist ihnen bislang nicht erlaubt. Länder geregelt wird.
Die Entwicklung der Holzindustrie ist seit einigen Da die Holzvorräte der Wälder in den vergangenen
Jahren durch Konzentrationsprozesse geprägt. Den rund Jahren zugenommen haben und unsere Wälder bereits
2,9 Millionen Waldbesitzern und Kleinstwaldbesitzern jetzt einen unverzichtbaren Beitrag zum Erhalt der biolo-
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(A) gischen Vielfalt leisten, halte ich eine bundeseinheitliche grüße dies ausdrücklich; denn Mischwälder sind stabiler (C)
Festlegung der guten fachlichen Praxis für entbehrlich. gegen Witterungsverhältnisse und Baumschädlinge als
Wichtiger als neue bürokratische Vorschriften erscheint die Nadelbaumkulturen der Vergangenheit. Mischwälder
mir, dass in der Forstwirtschaft und in der Forstverwal- machen deshalb sowohl für die Umwelt als auch unter
tung gut ausgebildete Fachkräfte eingesetzt werden. forstwirtschaftlichen Gesichtspunkten Sinn.
Dies stellt sicher, dass das Holz fachgerecht dem Wald
Des Weiteren wirtschaftet eine hohe Zahl von Betrie-
entnommen wird und die Wälder naturnah und nachhal-
ben der Forstwirtschaft bereits auf einem hohen ökologi-
tig weiterentwickelt werden.
schen Standard, einem Standard, der oftmals über die
Meinungsverschiedenheiten in der Frage, ob die gute naturschutzfachlichen Mindestanforderungen laut GfP
fachliche Praxis ins Waldgesetz gehört, haben in der hinausreicht. Ökologische Waldnutzung und die Ver-
Großen Koalition eine Novellierung des Bundeswaldge- marktung ökologischer Holzprodukte gehen Hand in
setzes blockiert. Die Koalition aus Union und FDP Hand. Umso unverständlicher ist, dass Union und FDP
nimmt nun die notwendigen Änderungen vor und leistet in den 70er-Jahren feststecken. Ich bin schon enttäuscht,
damit einen wichtigen Beitrag, unseren Wald auf die Zu- dass das Gesprächsangebot aus meiner ersten Rede kei-
kunft vorzubereiten. Dies zeigt einmal mehr: Die christ- nen Widerhall fand, liebe Frau Kollegin Happach-
lich-liberale Koalition zahlt sich für unser Land aus. Kasan, meine von Ihnen so gelobte Charmeoffensive hin
oder her.
Mit der Änderung des Bundeswaldgesetzes nehmen
wir wichtige Weichenstellungen vor: Wir stellen den An- Nicht jeder Waldbesitzer achtet seinen Besitz. Auch
bau von Energieholz auf eine neue Rechtsgrundlage und das ist eine Tatsache, die man dem Waldbericht der Bun-
unterstützen so den Ausbau erneuerbarer Energien. Für desregierung entnehmen kann. Sie scheinen immer noch
Waldbesitzer schaffen wir mehr Rechtssicherheit in Haf- glauben zu wollen, liebe Kollegen und Kolleginnen der
tungsfragen und stärken zudem ihre Stellung auf dem Koalition, dass gierige Investoren vor der Natur haltma-
Holzmarkt. Wir sichern die Almwirtschaft und sorgen chen. Wer schnelles Geld verdienen will, dem ist egal,
dafür, dass in unserem Kulturgut Wald der Denkmal- dass nach einem Kahlschlag die Waldfläche für Jahr-
schutz größere Beachtung findet. Dies sind alles gute zehnte keine Nutzungen mehr abwirft und die Leistungs-
Gründe, die Bundeswaldgesetznovelle heute zu be- fähigkeit des Waldbodens empfindlich zerstört wird. Be-
schließen. Mit der Gesetzesänderung erreichen wir, dass richte, in denen unseriöse Holzeinschlagsunternehmen
unser Wald – immerhin 31 Prozent der Fläche Deutsch- den Waldbesitzern einen Kahlschlag empfehlen oder pri-
lands – zukünftig neben allen angesprochenen Funktio- vate Investoren innerhalb weniger Tage so viel Holz ein-
nen auch als grüne Lunge für unsere Bevölkerung dienen schlagen, dass eine weitere nachhaltige Entwicklung des
Waldes auf lange Sicht nicht mehr möglich ist, sind lei-
(B) kann. Ich bitte um Ihre Zustimmung. (D)
der keine Seltenheit mehr. Daraus resultierend ist es eine
Bagatellisierung, wenn vonseiten der Koalitionsfraktio-
Petra Crone (SPD): Der dritte Anlauf, das Bundes-
nen immer wieder gesagt wird, dass in unseren Wäldern
waldgesetz zeitgemäß und nachhaltig zu gestalten, ist
die Dinge zum Besten stünden.
gescheitert. Union und FDP verweigern sich ihrer Ver-
antwortung für unsere Lebensgrundlage Wald, indem sie Die Mindestanforderungen der guten fachlichen Pra-
naturschutzfachlichen Aspekten im Bundeswaldgesetz xis, verankert in einem Bundesgesetz, könnten in diesen
eine klare Absage erteilen. Starrsinnig verneinen die Re- Fällen entsprechende Sanktionierungen nach sich zie-
gierungskoalitionen die ökologischen und ökonomi- hen, die der bezweckten Garantiewirkung einer ökologi-
schen Zusammenhänge im Wald. Dadurch liefern sie ein schen Mindestsicherung Rechnung tragen. Häufig sind
Bundeswaldgesetz ab, das weit hinter den Erwartungen die Landeswaldgesetze eben nicht ausreichend hinsicht-
vieler forstlicher Akteure und Akteure des Naturschutzes lich ihrer mit Ordnungswidrigkeiten belegten Regelun-
zurückbleibt. gen oder diese fehlen in einigen Ländern in Gänze.
Für die SPD-Bundestagsfraktion war und ist die Inte- Es kann auch nicht trösten, dass das Bundeswaldgesetz
gration eines Mindestmaßes an Naturschutz auf der ge- an der einen oder anderen Stelle an Effizienz gewinnt. Als
samten Waldfläche unabdingbar. Gemeinsam mit Ver- Resultat aus naturschutzfachlicher Sicht bleibt es ein Fos-
bändevertretern fordern wir weiterhin die Verankerung sil aus dem Jahre 1975. Mit keinem Federstrich werden
der guten fachlichen Praxis im Bundeswaldgesetz. Nach die Ursachen der Missstände in unseren deutschen Wäl-
der erfolgten Anhörung sprach noch mehr für die Auf- dern bekämpft. Ich bin verwundert, dass sich die Kolle-
nahme der Zielstellung einer guten fachlichen Praxis in gen und Kolleginnen der Linken durch ihre Zustimmung
die Bundesgesetzgebung als bereits vorher. Union und zum Gesetz mit so wenig zufrieden geben, zumal sie in
FDP haben nur mit einem Ohr den Sachverständigen zu- ihrem Antrag ein anderes, besseres Bundeswaldgesetz
gehört. Auf dem naturschutzfachlichen Ohr sind sie fordern. Diese Gesetzesänderung begünstigt alleinig
taub. Waldnutzer. Sie vernachlässigt komplett den Adressaten
von Waldpolitik, sprich: den heimischen Wald selbst mit
Dabei liegt eine ressourcenschonende und nachhal- seinen 4 000 Pflanzen- und rund 7 000 Tierarten.
tige Bewirtschaftung klar im ureigenen, ja gar existen-
ziellen Interesse des Waldbesitzers. Erfreulicherweise Wir lehnen auch die Änderung hinsichtlich der Alm-
hat sich in den letzten Jahren einiges getan. Die Ent- flächen ab. Diese Ergänzung führt dazu, dass in den
wicklung geht weg von reinen Nadelbaumkulturen hin bayerischen Alpen circa 7 000 Hektar Bergwald und da-
zu mit Laubbäumen durchsetzten Mischwäldern. Ich be- von die Hälfte ausgewiesener Schutzwald aus der Wald-
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(A) definition herausfallen. Damit unterliegen sie nicht mehr Biomasse in Kurzumtriebsplantagen, KUP, hat gegenüber (C)
dem Schutz des Bundeswaldgesetzes. Berg- und Schutz- Monokulturen wie dem Maisanbau ökologische Vorteile:
wälder haben eine zentrale Bedeutung für den Erosions-, Sie zeigen eine deutlich höhere Biodiversität und benöti-
Lawinen- und Hochwasserschutz. Hier wird auf dem gen weniger Dünge- und Pflanzenschutzmittel. Der Wis-
Umweg über Berlin ureigene bayerische Landespolitik senschaftliche Beirat des Agrarministeriums hatte schon
erledigt, um vor Ort keine Aufregung zu verursachen im Jahr 2007 in seinem Gutachten auf die ökologischen
und geräuschlos die Klientel zu bedienen. Auch dem und ökonomischen Vorteile der Nutzung von Holz aus
Ausgleich zwischen Almbauern und Waldschützern, der Kurzumtriebsplantagen hingewiesen. In verschiedenen
von der Kollegin Cornelia Behm beantragt wurde, ver- Regionen Deutschlands gibt es daher Projekte, in KUP
weigerten Sie Ihre Zustimmung. Holz für die energetische und stoffliche Nutzung zu pro-
duzieren. Diese Projekte können Wettbewerbsfähigkeit
Die Bitte der Almbauern haben Sie aber gern erfüllt. mit anderen Produktionen von Biomasse nur erreichen,
Um unseren Wald, dessen Erzeugnisse und Leistungen wenn sie Rechtssicherheit haben. Dafür müssen Kur-
offenkundig immens sind, haben sich Union und FDP zumtriebsplantagen und auch Agroforstsysteme vom
hingegen nicht bemüht. Der Wald ist mit seinen Multi- Waldbegriff ausgenommen werden. Angesichts der deut-
funktionen unersetzbar, und es bedarf für seine Zu- lichen ökologischen und ökonomischen Vorteile der
standsverbesserung verstärkt einer nationalen und inter- Produktion von Biomasse in Agroforstsystemen gegen-
nationalen Politik für Nachhaltigkeit. Ein gesunder Wald über dem Maisanbau ist diese Weichenstellung überfäl-
muss Zielmarke von Waldpolitik sein. lig.

Dr. Christel Happach-Kasan (FDP): Ich freue Die Herausnahme der licht bewaldeten Bergalmen im
mich sehr, dass es der christlich-liberalen Koalition Alpenraum erfolgte auf bayrischen Wunsch. Um die tra-
gelungen ist, die überfällige Änderung des Bundeswald- ditionelle Bewirtschaftungsform zu gewährleisten, ha-
gesetzes zum Abschluss zu bringen. Es ist der dritte An- ben wir einen vernünftigen Weg gefunden, der sich an
lauf: Rot-Grün ist gescheitert, Schwarz-Rot ist geschei- einer fortdauernden landwirtschaftlichen Nutzung der
tert, jetzt klappt es. Das ist ein schöner Erfolg für den betroffenen Flächen orientiert. Bei Aufgabe der land-
Wald, die Waldbesitzer, die nachhaltige Produktion von wirtschaftlichen Nutzung und zunehmender Bestockung
Biomasse und die bessere wissenschaftliche Begleitung werden diese Almen zu Wald. Die Umsetzung der Al-
der vom Klimawandel verursachten Änderungen im penkonvention wird durch diese Klarstellung gestärkt.
Wald. Ich bedanke mich für die Zustimmung der Linken, Schutzwälder sind keine landwirtschaftlich genutzten
deren Anregung aus der Anhörung wir gern umgesetzt Flächen und daher von der Regelung nicht betroffen.
haben. Wälder sind ein Archiv der Kulturgeschichte. Der Li-
(B) (D)
Das Bundeswaldgesetz hat sich insgesamt bewährt; mes, slawische Wallanlagen, mittelalterliche Pflugspu-
aber vor allem in drei Bereichen ist eine Ergänzung er- ren sind Beispiele für kulturgeschichtliche Entwicklun-
forderlich geworden: bei der Verkehrssicherungspflicht, gen, die in Wäldern bewahrt wurden. Historische
der Walddefinition und der Holzvermarktung durch Parkanlagen und Friedhöfe sind mit ihrem teilweise gro-
forstwirtschaftliche Zusammenschlüsse. ßen Baumbestand ebenfalls Wälder. Der Denkmalcha-
rakter dieser Anlagen verdient besonderen Schutz. Wir
Durch die multifunktionale Nutzung der Wälder erge- wollen, dass die Bewirtschaftung der Wälder auch ihre
ben sich verschiedene Zielkonflikte zwischen Waldbesit- kulturgeschichtliche Dimension berücksichtigt, und ha-
zern und Erholungssuchenden. Im Interesse der faunisti- ben dafür den § 11 ergänzt. Diese Anpassung wird die
schen Biodiversität sind in den vergangenen Jahren die Pflege und den Erhalt der bedeutenden Kulturgüter im
Totholzanteile im Wald gesteigert worden. Damit ist die Rahmen des Waldgesetzes vereinfachen. Die multifunk-
Gefahr gestiegen, dass Menschen durch abfallende Äste tionale Nutzung unserer Wälder gibt Freiräume, auch
oder umstürzende Bäume zu Schaden kommen. Für die denkmalpflegerische Aspekte bei der Waldnutzung zu
Waldbesitzer, die den Wald bewirtschaften, entstehen berücksichtigen. In einem Aufsatz, veröffentlicht in
hierdurch spezielle Anforderungen. Sie sind durch das Band 55 der Schriftenreihe des Deutschen Nationalkomi-
Gesetz verpflichtet, das freie Betretungsrecht zu gestat- tees für Denkmalschutz, wurde die Forstwirtschaft pau-
ten; allerdings erfolgt das Betreten auf eigene Gefahr. schal als Monokultur-Kahlschlag-Methode bezeichnet.
Wir wollen, dass Waldbesitzer nicht für ihre Dienste Ein solches Zerrbild hat nichts mit der forstwirtschaftli-
zum Wohle der Allgemeinheit belastet werden. Die Ver- chen Realität in Deutschland zu tun und kann daher auch
kehrssicherungspflicht an Waldwegen bleibt bestehen; eine Herausnahme von historischen Parkanlagen aus
aber waldtypische Gefahren werden in Zukunft von der dem Geltungsbereich des Bundeswaldgesetzes nicht be-
Haftung ausgeschlossen sein. Ein Blick auf verschiedene gründen.
Gerichtsurteile der letzten Jahre zeigt, dass wir mit die-
ser Formulierung Waldbesitzer entlasten können. Wir Im Bereich der Sägewerke hat in den letzten Jahren
sind uns allerdings bewusst: Wir können durch Regelun- eine erhebliche Konzentration stattgefunden. Der Privat-
gen im Bundeswaldgesetz nicht die Haftungsregelungen wald ist dagegen überwiegend klein strukturiert. Fast
des Bürgerlichen Gesetzbuches aushebeln. 60 Prozent der Waldbesitzer bewirtschaften Wälder, die
kleiner als 20 Hektar sind. Wir wollen deren Möglich-
Die Holznutzung hat in den letzten Jahren enorm zu- keiten, ihr Holz gemeinsam zu vermarkten, verbessern.
genommen. Es ist davon auszugehen, dass sich dieser Um die nachhaltige und wirtschaftliche Nutzung dieser
Trend in Zukunft noch verstärkt. Die Produktion von Ressourcen zu verbessern, wollen wir die forstwirt-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5163

(A) schaftlichen Vereinigungen in die Lage versetzen, diese zur Änderung des Bundeswaldgesetzes, BWaldG, hat ge- (C)
Waldbesitzer bei der Vermarktung des bedeutendsten zeigt, dass die Bundesregierung und die sie tragenden
nachwachsenden Rohstoffes Holz zu unterstützen. Zu Fraktionen lernfähig sind. Wie ich mir von Kolleginnen
diesem Zweck haben wir mit Änderungen in § 37 und und Kollegen, die bereits länger im Agrarausschuss des
§ 40 die forstwirtschaftlichen Vereinigungen besserge- Bundestages sitzen, habe sagen lassen, kommt es selten
stellt. Dies wird eine größere Flexibilität schaffen und bis nie vor, dass die Regierung aus einer Anhörung lernt
gleichzeitig den Verwaltungsaufwand deutlich reduzie- und Erkenntnisse aus einer Anhörung in ihren Gesetz-
ren. Insbesondere die Holzvermarktung der privaten entwurf einfließen lässt.
Kleinwaldbesitzer wird gestärkt und kann helfen, die Doch dieses Mal ist genau das passiert. Der von der
wirtschaftliche Nutzung des Rohstoffes Holz aus diesen Linken benannte Sachverständige Enno Rosenthal, Vor-
Waldflächen unter nachhaltigen Gesichtspunkten zu ver- sitzender des Brandenburger Waldbauernverbandes,
bessern. machte in der Anhörung deutlich, dass Änderungen im
§ 37 BWaldG zur Erleichterung der Arbeit der forstwirt-
Die insbesondere von den Naturschutzverbänden er- schaftlichen Vereinigungen unbedingt auch Folgeände-
hobene Forderung nach der gesetzlichen Festlegung ei- rungen im § 40 nach sich ziehen müssen. Der Hinweis
ner guten fachlichen Praxis im Bundeswaldgesetz sehen war berechtigt, was man schon an den offenen Mündern
wir nicht als notwendig an. In den meisten Landeswald- und staunenden Blicken auf der Regierungsbank bemer-
gesetzen gibt es dazu bereits Regelungen. Gesetzliche ken konnte. Gut, dass Herr Rosenthal die Bundesregie-
Regelungen für Selbstverständlichkeiten wie die Ver- rung noch rechtzeitig darauf hingewiesen hat, dass ihr
meidung des flächigen Befahrens der Waldfläche helfen bei einem Gesetzentwurf, über welchen bereits gefühlte
nicht weiter. Detailliertere Regelungen können nicht all- 100 Jahre debattiert wird, ein dicker Patzer passiert ist.
gemeingültig für alle Wälder von der norddeutschen
Tiefebene über die Mittelgebirge bis zum Alpenrand Eine andere zentrale Forderung aus der Anhörung
festgelegt werden. Viele Waldeigentümer haben zudem – die Definition der „ordnungsgemäßen Forstwirtschaft“
bereits freiwillig höhere Kosten akzeptiert, um höheren im Sinne einer naturnahen Waldbewirtschaftung – wurde
Standards in der Waldbewirtschaftung zu genügen. So natürlich nicht aufgenommen. Genau an diesem Punkt
streiten sich die jetzigen Regierungsfraktionen und die
sind fast 70 Prozent der Waldfläche in Deutschland zerti-
jetzigen Oppositionsfraktionen bereits seit Jahren.
fiziert. Die Ergebnisse der letzten Bundeswaldinventur
zeigen, dass die Waldbesitzer sehr verantwortlich mit ih- Für SPD und Grüne ist das ein Grund, die komplette
ren Wäldern umgehen. Der Waldumbau hin zu stabilen, Gesetzesnovelle nun abzulehnen.
naturnahen Mischwäldern geht voran, und auch der
Wir als Linke wollen uns dieser Totalverweigerung
Schutz von Primärwäldern wird verstärkt. Der Anteil
nicht anschließen, denn der Gesetzentwurf enthält viele
(B) von Totholzanteilen im Wald steigt und leistet einen Bei- (D)
Forderungen, welche auch bereits in unserem Antrag
trag zur Biodiversität. Der Bundeswaldbericht zeigt, 17/1743 „Bundeswaldgesetz ändern – Naturnahe Wald-
dass im Wald ein wesentlich geringerer Artenschwund bewirtschaftung fördern“ aufgelistet sind: Erleichterun-
zu verzeichnen ist als auf der Freifläche. gen bei der Verkehrssicherungspflicht, Neudefinition des
Untersuchungen zeigen uns, dass in den letzten Jah- Waldbegriffes zur Unterstützung der Agroforstwirtschaft
ren Erkenntnisse der Wissenschaft vergleichsweise – meine Kollegin Dr. Kirsten Tackmann hat speziell zu
schnell von der Praxis übernommen worden sind. Dabei diesem Thema bereits mehrfach im Bundestag gespro-
chen – und die Aufgabenerweiterung der forstwirtschaft-
leistet die gute forstliche Ausbildung der Forstmitarbei-
lichen Vereinigungen.
terinnen und -mitarbeiter einen wichtigen Beitrag.
Richtig sind darüber hinausgehende Forderungen, wie
Wir brauchen eine wissenschaftsbasierte Weiterent- sie nicht nur in unserem Antrag, sondern auch in den an-
wicklung unserer Wälder. Dafür müssen wir verschie- deren beiden Oppositionsanträgen zu finden sind. Daher
dene Daten erheben, die den jetzigen Zustand beschrei- werden wir auch allen drei Anträgen zustimmen.
ben. Durch Vergleich mit früheren Waldinventuren lässt
sich die Entwicklung unserer Wälder aufzeigen. Daraus Ich kann nicht verstehen, warum SPD und Grüne
lassen sich Prognosen für die Waldentwicklung ableiten nicht diesen wenigstens kleinen Schritt in die richtige
und Handlungsoptionen für Eingriffe ausarbeiten. Dafür Richtung mitgehen wollen und den Gesetzentwurf der
haben wir auch Änderungen bei der Waldinventur durch- Koalition unterstützen. Wenn Ihnen eine Novelle des
gesetzt. Nur eine breite Wissensbasis ermöglicht sachge- Bundeswaldgesetzes mit naturschutzfachlichen Anfor-
rechte Entscheidungen. Neben den Daten zum Holzbe- derungen so wichtig gewesen wäre, dann hätten Sie dazu
stand, dem Baumartenbestand und der Baumgesundheit von 1998 bis 2005 gemeinsam Zeit gehabt. Damals war,
wollen wir vor allem die Erkenntnisse aus der Bodenzu- wenn ich das richtig in Erinnerung habe, die SPD der
standserhebung mit einbeziehen. Ebenso soll im Rah- große Blockierer.
men von internationalen Verpflichtungen der Kohlen-
Doch zurück zum Wald: Die Linke steht für eine na-
stoffbestand, also die Holzmenge, im Abstand von fünf
turnahe Waldbewirtschaftung. Daran halten wir fest. Da-
Jahren erhoben werden. Diese Maßnahmen sollen das
her werden wir auch weiterhin an der Notwendigkeit ei-
Monitoring unserer Wälder verbessern und noch aussa-
ner Novelle des Bundeswaldgesetzes mit dem Ziel einer
gekräftiger machen.
sinnvollen Definition der „ordnungsgemäßen Forstwirt-
schaft“ festhalten. Liebe SPD, liebe Grüne: Vielleicht
Alexander Süßmair (DIE LINKE): Die gute Nach- sind die Mehrheitsverhältnisse ab 2013 so, dass wir dies
richt zuerst: Der heute zu beschließende Gesetzentwurf dann mit Ihren Stimmen erreichen können.
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(A) Zu einer naturnahen Waldbewirtschaftung gehört für der für den Schutz der Berge falsche Weg. Denn nun- (C)
uns, dass eine größere Naturnähe durch die Wahl stand- mehr steht zu befürchten, dass viele Bergwälder, die das
ortgerechter einheimischer Baumarten, kahlschlagsfreies auch bleiben sollten, ihren Waldstatus verlieren.
Wirtschaften, Waldrandgestaltung, Reduzierung der Bo-
denbearbeitung und Bodenverdichtung, Vermeidung des Auch beim Thema Verkehrssicherungspflicht lässt
Einsatzes von Herbiziden, Pestiziden und Düngemitteln, sich bereits heute vorhersagen, dass die Diskussion da-
waldverträgliche Wilddichten und Verzicht auf gentech- rüber unter Waldbesitzern und unter Naturschützern mit
nisch verändertes Pflanz- und Saatgut erreicht wird. Sicherheit weitergehen wird. Denn eine Lockerung war
nicht das Ziel der vom Bundesrat vorgelegten und von
Darüber hinaus sind soziale und Qualifizierungsstan- der Koalition nunmehr unverändert übernommenen
dards für die Erholungs- und Bildungsfunktion des Wal- Ergänzung dieser Regelung um den Verweis auf wald-
des sowie für die in der Forstwirtschaft Beschäftigten zu typische Gefahren. Hier wird lediglich das derzeit ausge-
entwickeln. Alle Aufgaben sind durch qualifiziertes übte Richterrecht festgelegt, wie aus der Gesetzesbe-
forstliches Personal abzusichern. gründung hervorgeht. Sowohl Waldbesitzer als auch
Naturschützer haben eine Lockerung der Verkehrssiche-
Heute haben wir einen längst fälligen ersten Schritt
rungspflicht erwartet. Genau deswegen wird die Diskus-
getan. Die Linke wird weiter dafür werben, dass diesem
sion darüber weitergehen.
weitere Schritte folgen. Einer könnte eine Novelle des
Bundesjagdgesetzes sein. Hinzu kommt, dass die Verantwortung und die Kos-
tenträgerschaft für die Verkehrssicherungspflicht an
Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Straßen gemäß dem Verursacherprinzip dem Straßen-
Nach der Expertenanhörung war klar, dass die Bundes- baulastträger zuzuweisen ist. Wer Straßen baut, muss
regierung den unzureichenden Bundesratsentwurf für auch die Folgekosten tragen. Es kann nicht sein, dass sie
eine Waldgesetznovelle nachbessern musste. Das betraf weiterhin auf die Waldbesitzer abgewälzt werden. Das
selbst Punkte, über die im Grundsatz parteiübergreifend sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, selbst
Einigkeit besteht. wenn man feststellt, dass das für die leidgeprüften öf-
fentlichen Haushalte eine große Herausforderung ist.
Mit den vorgelegten Änderungsanträgen sind den Re- Sachdienlicher und kostenschonender wäre es, wenn we-
gierungsfraktionen allerdings nur teilweise befriedi- niger Straßen und Wege durch Wälder geführt würden.
gende Lösungen gelungen. An manchen Stellen wurden
sie den Anforderungen nicht gerecht. Zwar hat der Gesetzentwurf den Aufgabenbereich der
forstwirtschaftlichen Vereinigungen um die Holzver-
Wie von dieser Regierung nicht anders zu erwarten, marktung erweitert, nicht aber auch um die Durchfüh-
betrifft das in erster Linie die von allen drei Oppositions- rung forstwirtschaftlicher Maßnahmen. Ich bedaure sehr,
(B) fraktionen geforderten ökologischen Mindeststandards dass die Regierungskoalition diese Anregung aus der (D)
für die Waldbewirtschaftung. Diese werden im Bundes- Expertenanhörung nicht aufgegriffen hat; denn das wäre
waldgesetz auch zukünftig fehlen. Für Bündnis 90/Die im Interesse einer effizienten Bewirtschaftung des
Grünen ist das Bundeswaldgesetz angesichts gestiege- Kleinprivatwaldes gewesen. Die Behauptung von Frau
nen Nutzungsdrucks so nicht zustimmungsfähig. Wir Happach-Kasan, die meisten forstwirtschaftlichen Verei-
werden aber den beiden anderen Oppositionsanträgen nigungen würden das ja bereits heute tun, obwohl sie
zustimmen, die wie unser Antrag ebenfalls Mindeststan- dazu eigentlich nicht ermächtigt sind, kann ja wohl nicht
dards fordern. das letzte Wort gewesen sein.
Nun komme ich zur Abgrenzung von Wald und Agro- Gerne hätten wir diesem Gesetz zugestimmt. Aber die
forstsystemen. Auch aus bündnisgrüner Sicht ist es rich- Mängel bei den vorgelegten Änderungen und der völlige
tig, das Flächenidentifizierungssystem von InVeKoS zu Verzicht auf die Vorgaben für die nachhaltige und ord-
nutzen, um Wälder im Regelfall klar und eindeutig von nungsgemäße Waldwirtschaft lassen das nicht zu. Die
Agrarflächen abzugrenzen. Aber es gibt in den Alpen Novellierung des Bundeswaldgesetzes bleibt daher wei-
eine Schnittmenge von Almweiden und Schutzwäldern. terhin auf der Tagesordnung.
Es ist nicht nachvollziehbar, warum die CSU bestreitet,
dass es diese Schnittmenge gibt. Alle Beteiligten, die
sich in dieser Streitfrage mit ihren gegensätzlichen Inte- Anlage 11
ressen geäußert haben, gehen davon aus, dass es viele
Flächen gibt, die sowohl Schutzwald als auch von Alm- Zu Protokoll gegebene Reden
bauern genutztes Weideland sind. zur Beratung der Anträge:
Angesichts der grundlegenden Bedeutung von
– Todesstrafe weltweit abschaffen
Schutzwäldern muss das Gesetz klarstellen: Schutzwäl-
der müssen Wald bleiben, so wie wir Bündnisgrüne es – Folter bekämpfen und Folteropfer unter-
gestern im Agrarausschuss beantragt haben. stützen
Da das Land Bayern aber per Gesetz viele Almen zu – Abschaffung der Todesstrafe weltweit
Schutzwäldern erklärt hat, die auch aus Sicht der biolo-
gischen Vielfalt zukünftig kein Wald sein sollten, ist es (Tagesordnungspunkt 19 a bis c)
Aufgabe des Landes Bayern, das einzelflächenbezogen
zu ändern. Stattdessen, wie es die Koalition tut, im Bun- Frank Heinrich (CDU/CSU): In diesen Tagen ist man
deswaldgesetz pauschal für alle als Almweide genutzten als Mitglied des Menschenrechtsausschusses versucht, der
Schutzwälder den Waldstatus aufzuheben, ist jedenfalls Opposition ein herzliches Dankeschön zu sagen. Wir ha-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5165

(A) ben Woche für Woche die Gelegenheit, unsere Positio- dabei den unschätzbaren Wert der „Stillen Diplomatie“ (C)
nen zu den wesentlichen Menschenrechtsthemen coram herausgestellt. Ja, Politik muss Missstände auch anpran-
publico neu zu erklären. Dass wir diese bereits im gern. Aber einzelne Schicksale werden gefährdet, wenn
Dezember 2009 in einem Antrag formuliert und im sie mit Sanktionsandrohungen und öffentlichen Bloß-
März 2010 hier im Bundestag beschlossen haben, ent- stellungen einhergehen. Das Gleiche lässt sich von ein-
bindet uns nicht von der Aufgabe, den Stellenwert und zelnen Ländern sagen. Wenn wir diese Länder auf dem
die konkrete Ausgestaltung der Menschenrechte in den Weg zu Ratifizierungen internationaler Abkommen vor-
verschiedenen Themenfeldern wieder und wieder zu be- schnell an den Pranger stellen, geht dieser Schuss nach
tonen, und dadurch ins kollektive Bewusstsein zu trans- hinten los. Lassen Sie es mich als Pädagoge sagen: Ver-
portieren. In diesem Sinne, liebe Freunde von SPD, stärkung und Unterstützung heißen die Zauberworte,
Bündnis 90/Die Grünen und auch von der Linkspartei: nicht Ermahnung und Entmutigung. Ein Antrag, der die
Herzlichen Dank für ihre Vorlage zu einer neuen De- Todesstrafe weltweit ächtet, sollte daher aus unserer
batte! Die CDU/CSU hat als christliche Partei dezidiert Sicht generelle, ja universelle Forderungen und Feststel-
zu Menschenrechten Stellung genommen und wird es
lungen enthalten, um so den Charakter einer Resolution
weiter
zu erfahren. Konkrete Bezichtigungen dagegen kommen
Doch das ist nur eine Perspektive auf die Sache, ich einem politischen Tribunal gleich und können, wie so-
möchte mein Unverständnis zu einer anderen Perspek- eben ausgeführt, letztlich das genaue Gegenteil des Be-
tive nicht verhehlen. Hier werden wichtige, ja wesentli- absichtigten bewirken.
che Sachthemen parteipolitisch instrumentalisiert. Der
Lassen Sie mich zur Position der CDU/CSU zurück-
Bundestag hat beschlossen, die Menschenrechte welt-
kommen. Ich zitiere aus dem Antrag und Beschluss
weit zu schützen. Die Themen Todesstrafe und Folter
„Menschenrechte weltweit schützen“. Gleich im ersten
sind ausdrückliche Bestandteile dieses Beschlusses.
Punkt äußern wir uns klar und unmissverständlich zur
Wenn Sie nun Antrag auf Antrag zu diesen Themen for-
Todesstrafe. „Unveräußerliche Prinzipien wie körperliche
mulieren, kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren,
und geistige Unversehrtheit, Gedanken- und Meinungs-
dass Sie von der eigentlichen Arbeit ablenken wollen.
freiheit und die Freiheit von Diskriminierung sind in vielen
Polemik statt Tagesgeschäft, darin kann sich doch die
Teilen der Welt gefährdet. Die grausamste und un-
Rolle einer Opposition nicht erschöpfen!
menschlichste Form der Bestrafung, die Todesstrafe,
Wie wenig Ihnen an dieser Stelle an einer konstrukti- wurde in vielen Staaten der Welt abgeschafft. Darunter
ven Zusammenarbeit gelegen ist, zeigt das Scheitern eines sind alle Staaten der Europäischen Union. Doch immer
interfraktionellen Antrags zur Ächtung der Todesstrafe. noch wird die Todesstrafe verhängt bzw. vollstreckt, und
Trotz unserer eindeutigen Beschlüsse zum Thema wollte dies nicht nur in autoritären Regimen wie Iran, China
(B) die CDU/CSU-Fraktion gemeinsam mit der FDP und der oder Sudan, sondern auch in Demokratien wie den USA (D)
SPD einen Antrag von Bündnis 90/Die Grünen als ge- und Japan. Es gibt keinen rechtsstaatlichen Grund, der
meinsamen Antrag auf den Weg bringen, um der beson- die Todesstrafe rechtfertigt; zudem können Fehlurteile
deren Bedeutung des Themas Ausdruck zu verleihen. nie ganz ausgeschlossen werden. Ein Grundanliegen
Was in den vergangenen Legislaturperioden noch mög- deutscher Menschenrechtspolitik bleiben deshalb die
lich war, ist diesmal an der Sturheit und Verbissenheit Aussetzung und in letzter Konsequenz die Abschaffung
der Bündnisgrünen gescheitert. Wir bedauern es außer- der Todesstrafe.“
ordentlich.
Deutlicher und eindeutiger kann man die Todesstrafe
Hier noch einmal der Kern unserer unterschiedlichen nicht ablehnen. Menschenrechtliche, rechtsstaatliche und
Auffassungen: Ihr Antrag nennt Namen einzelner betrof- humanitäre Gründe sprechen unisono gegen die Todes-
fener Menschen und einzelne Staaten, die bestimmte strafe. Die Damen und Herren von der Opposition haben
Konventionen oder Protokolle nicht ratifiziert haben, aber unserem Antrag die Zustimmung verweigert.
eine positive Entwicklung aufweisen. So wichtig jedes
Auch zur Ächtung der Folter nimmt unser Beschluss
einzelne Schicksal eines Menschen ist, der in einer Todes-
Stellung und führt eindeutige, evidente Gründe ins Feld
zelle sitzt – und wir sind dankbar für die hervorragende
Arbeit der Menschenrechtsverteidigerinnen und -verteidi- – ich zitiere –: „In mehr als 150 Staaten der Welt sind
ger, die diese Namen international bekanntmachen, kein Menschen Folter sowie grausamster und unmenschlicher
Mensch ist eine Nummer, auch ein Todeskandidat bleibt Behandlung ausgesetzt. In Konfliktsituationen sind in
ein Geschöpf mit persönlicher Würde –, so wenig dürfen den letzten Jahren verstärkt auch Kinder, Jugendliche
wir die Augen vor einer bitteren Realität nicht verschlie- und Frauen Opfer von Folter geworden. Aber auch Tau-
ßen: Insbesondere politische Häftlinge in autoritären Re- sende von politischen Dissidenten sind in den Gefäng-
gimen sind immer wieder zusätzlichen Repressionen nissen weltweit tagtäglich Folter und Misshandlungen
ausgesetzt, wenn sie exemplarisch als Regimeopfer be- ausgesetzt. All dies geschieht, obwohl die Folter völker-
nannt werden. Die Nennung von Namen in ihrem Antrag rechtlich in einer Vielzahl internationaler Abkommen
ist daher menschlich absolut verständlich und doch in verboten wurde. Seit 1984 ist mit dem ,Übereinkommen
der Sache nicht zweckdienlich. gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder
erniedrigende Behandlung‘ der Vereinten Nationen das
Gestern war der Bundesaußenminister im Menschen- Folterverbot für die Vertragsstaaten bindend und die
rechtsausschuss. Sehr glaubwürdig hat er den Einsatz der Überwachung des Verbots von unabhängigen Stellen
Bundesrepublik für die Rechte der Menschen als prioritä- vorgesehen. Das Folterverbot gilt absolut und darf nicht
res Ziel deutscher Außenpolitik betont. Zugleich hat er gegen andere Rechtsgüter abgewogen werden.“
5166 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) Mit diesem Beschluss haben wir dezidierte Grundla- Internationale Unternehmen dürfen in ihrem Engage- (C)
gen, Folter als Menschenrechtsverletzung zu benennen ment nicht wertfrei handeln und stehen in der Pflicht, in
und zu bekämpfen, und wir tun es auch. Allerdings nicht ihrer unternehmerischen Tätigkeit die Menschenrechte
nur in den Ländern, die uns eine Folterpraxis vermuten zu achten. Bereits heute gibt es Mechanismen, die ge-
lassen. Nein, wie ernst wir uns als Bundesrepublik und währleisten, dass Produkte und Dienstleistungen nicht
als Mitglied der Europäischen Union selber nehmen unter Verletzung der Menschenrechte erbracht werden.
müssen und nehmen, zeigt ein Bespiel aus der jüngsten Initiativen, wie der von Kofi Annan begründete Global
Vergangenheit. Der Fall Gäfgen ging zu Genüge durch Compact, durch den sich Unternehmen freiwillig ver-
den Medienwald. pflichten, Menschenrechtsprinzipien in ihrem Engage-
ment zu achten, sind von herausragender Bedeutung.
Ich zitiere eine Meldung der dpa vom 10. Juni diesen Aber auch andere freiwillige Selbstverpflichtungen, Ver-
Jahres: „Kindermörder Gäfgen erzielt juristischen Teil- haltenskodizes und Zertifizierungsmaßnahmen haben
erfolg. Straßburg. Der Kindsmörder Magnus Gäfgen hat gezeigt, dass Unternehmen ihre Verantwortung erkannt
einen Teilerfolg mit seiner Folterbeschwerde gegen haben und bereit sind, diese wahrzunehmen. Mittel- bis
Deutschland erreicht. Mit der Gewaltandrohung gegen langfristig werden sich konkrete Außenwirtschaftsinte-
Gäfgen bei der Fahndung nach einem entführten Kind ressen besser verwirklichen lassen, wenn Rechtsstaat-
habe Deutschland gegen das Folterverbot der Menschen- lichkeit und Menschenrechte beachtet werden.
rechtskonvention verstoßen, befand der Europäische Ge-
richtshof für Menschenrechte (EGMR) am Dienstag in
Straßburg. Die Richter warfen Deutschland eine man- Angelika Graf (Rosenheim) (SPD): Mehrmals haben
gelnde juristische Aufarbeitung dieser Folterandrohung wir parteiübergreifend im Deutschen Bundestag be-
vor.“ schlossen, die jeweilige Bundesregierung aufzufordern,
sich für die weltweite Ächtung und Abschaffung der To-
Dass der EGMR der Bundesrepublik vorwirft, gegen desstrafe einzusetzen. Das tun wir aus gutem Grund;
das Folterverbot verstoßen zu haben, mag auf den ersten denn die Todesstrafe verstößt gegen das Recht auf Le-
Blick erschüttern: In Deutschland wird gefoltert. Doch ben, ein elementares Grundrecht jedes Menschen. Der
auf den zweiten und dritten Blick sieht das Bild ganz an- Staat ist verpflichtet, dieses Grundrecht zu sichern.
ders aus. Der zweite Blick: Wer kann emotional nicht
In exakt 58 Ländern gibt es derzeit noch die Todes-
nachempfinden, wie die Gewaltandrohung zustande
strafe. Im Jahr 2007 sind Schätzungen von Amnesty In-
kam. Ein Entführer verbirgt sein grausames Geheimnis,
ternational zufolge 1 252 Menschen hingerichtet wor-
ein Kind könnte vielleicht noch gerettet werden. Ich ver-
den; im Jahr 2008 waren es 2 390 Menschen, das heißt,
stehe die Drohung gut. Doch eben hier zeigt sich die sitt-
(B) liche Reife einer Gesellschaft. Folter ist grundsätzlich weltweit wurden täglich sieben Menschen hingerichtet, (D)
davon allein mindestens 1 700 in China. Hinter vorge-
falsch, auch wenn sie emotional verständlich ist, und da-
haltener Hand spricht man allerdings von jährlich circa
her lehnen wir sie ab. Der dritte Blick: Es ist ein Beweis
8 000 Hinrichtungen in diesem Land. Sollte sich der Ein-
wahrer Rechtstaatlichkeit, auch unangenehme Urteile zu
druck des Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregie-
akzeptieren. Wer sich dem Urteil eines EGMR stellt, er-
rung, Markus Löning, bestätigen, scheint sich in China
wirbt sich auch das Mandat, selber für die Einhaltung
derzeit etwas zu verändern, nicht nur, was die Delikte,
von Menschenrechten zu werben und zu kämpfen. Wer
welche zur Todesstrafe führen, betrifft, sondern auch be-
Standards im Ernstfall gelten lässt, kann sie im Regelfall
züglich der Rechte der Angeklagten, der Abkehr von der
proklamieren.
Erpressung von Geständnissen durch Folter sowie von
Ein letzter Gedanke. Todesstrafe und Folter stehen im der Öffentlichkeit von Hinrichtungen. Doch klar ist: Die
Zusammenhang mit anderen Menschenrechtsthemen, Bedingungen der Todesstrafe zu verbessern ist keine Lö-
auch dazu führt unser Antrag einiges aus: „Folter und sung; die Todesstrafe gehört abgeschafft.
Misshandlungen stehen in engem Zusammenhang mit Im Iran ist die Lage weiter dramatisch. Die Todes-
Formen der Sklaverei und des Menschenhandels. Sklave- strafe droht nicht nur bei Gewaltverbrechen, sondern
rei ist kein Übel der Vergangenheit, sondern den Angaben auch bei politischer Meinungsäußerung. Die Befürch-
der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zufolge tungen, dass der Jahrestag der umstrittenen Wiederwahl
Schicksal von zwölf Millionen Menschen weltweit – von Präsident Ahmadinedschad am 12. Juni 2010 von ei-
hauptsächlich von Frauen und Kindern. 70 Prozent der ner Hinrichtungswelle begleitet würde, haben sich leider
gehandelten Menschen werden als Zwangsprostituierte bestätigt. Nicht vergessen sollten wir die unerträgliche
Opfer sexueller Ausbeutung. Die übrigen Betroffenen Vielzahl von Todesurteilen nach dem Scharia-Recht: we-
werden als Zwangsarbeitskräfte, Kindersoldaten, unfrei- gen Homosexualität, Ehebruchs oder Apostasie, also
willige Organspender und zu Zwecken illegaler Adop- dem Abfall vom wahren Glauben.
tion verkauft. Sklaverei und Menschenhandel sind seit
Beginn des 20. Jahrhunderts auf Grundlage internationa- Entsetzt bin ich nach wie vor über die Situation in den
ler Abkommen geächtete Verbrechen. Im Rahmen des USA, die ebenfalls zu den fünf Staaten gehören, welche
Protokolls zur Konvention der Vereinten Nationen gegen weltweit die meisten Hinrichtungen zu verantworten ha-
die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität aus ben. Im vergangenen Jahr waren es 52 Menschen. Zu-
dem Jahr 2000 wird ein notwendiger Schritt getan, um dem sitzen mehr als 1 000 Häftlinge in Todestrakten;
Menschenhandel zum Zweck der Prostitution und der häufig tun sie das mehrere qualvolle Jahre, manche jahr-
Sklavenarbeit zu bekämpfen.“ zehntelang, und ohne, dass man ihnen mitteilen würde,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5167

(A) wann die Todesstrafe vollstreckt wird. Meines Erachtens gehen. Das ist leider – wie so vieles – an Ihrem Starrsinn (C)
ist das eine unmenschliche Behandlung, die der Folter und Ihrer Überheblichkeit gescheitert.
gleichgesetzt werden kann.
Kehren Sie um auf diesem Weg! Die Türe zwischen
Dass auch Präsident Obama sich öffentlich für die To- der ersten und der zweiten Lesung ist noch offen: Sie
desstrafe ausgesprochen hat, zum Beispiel für Terroris- können sich dem Antrag von SPD und Grünen noch an-
ten und für Kinderschänder, entsetzt mich nicht nur, weil schließen.
er wissen sollte, dass es auch bei Gerichtsverfahren, die
zur Todesstrafe führen, Fehlurteile gibt. Seit 1973 wur- Marina Schuster (FDP): Weltweit werden weiterhin
den in den USA 139 zum Tode verurteilte Menschen we- Menschen gehängt, erschossen, vergast, mittels Injektion
gen erwiesener Unschuld entlassen; für 23 andere Men- vergiftet, gesteinigt, geköpft oder auf andere Weise hin-
schen kam die Einsicht in ihre Unschuld zu spät. gerichtet. Die Liste der Straftaten, die mit dem Tode
Besonders tragisch an der Tatsache, dass die USA in geahndet werden können, reicht in den Ländern mit To-
der Spitzengruppe der Todesstrafenverhänger und -an- desstrafe von Mord, Vergewaltigung, Landesverrat, Ent-
wender sind, ist insbesondere, dass die USA global für führung, Veruntreuung bis zu Dingen wie Abfall vom
die Entwicklung von Menschenrechten und Demokratie Glauben, Homosexualität und sogar außerehelichem Se-
eintreten wollen. Gelten sie in diesem Bereich als Vor- xualverkehr. Bei Letzterem gilt in manchen Ländern so-
bild, dann haben wir es schwerer, weiterhin für die Ab- gar das vergewaltigte Opfer als Täterin oder Täter, die
schaffung und Ächtung der Todesstrafe einzutreten. oder den es hinzurichten gilt. All diese Fälle zeugen von
tiefer Menschenverachtung. Aus tiefster Überzeugung,
Immerhin ist im Kampf gegen die Todesstrafe Bewe- dass die Todesstrafe eine unmenschliche und grausame
gung. Vor nur 20 Jahren hatten noch zwei Drittel aller Strafe ist, treten wir für ihre weltweite Ächtung und Ab-
Staaten die Todesstrafe. Heute haben sie bereits zwei schaffung ein.
Drittel aller Staaten abgeschafft. Das macht Mut – hof-
fentlich auch allen Nichtregierungsorganisationen, die Die Bundesregierung hat im Kampf gegen die Todes-
sich für den Kampf gegen die Todesstrafe einsetzen. strafe bereits konkrete Erfolge erzielt. Ich möchte an die-
ser Stelle besonders das Engagement von Dirk Niebel
Wir reden heute auch über eine andere schwere Men- herausstellen: Als bekannt wurde, dass in Uganda ein
schenrechtsverletzung, nämlich die Folter. Hierzu haben Gesetzentwurf zur Einführung der Todesstrafe auf Ho-
wir ebenfalls einen SPD-Antrag eingebracht, zum einen mosexualität in das Parlament eingebracht wurde, hat er
um auf den internationalen Tag zur Unterstützung von gegenüber der ugandischen Regierung umgehend deut-
Folteropfern am 26. Juni aufmerksam zu machen und lich gemacht, dass eine Verabschiedung des Gesetzes
zum anderen um die wichtige Arbeit der psychosozialen spürbare Folgen für die Entwicklungszusammenarbeit (D)
(B)
Behandlungszentren für Folteropfer zu würdigen. haben werde. Auch der Menschenrechtsbeauftragte der
Ein besonderer Grund ist aber auch, dass nun der Bundesregierung, Markus Löning, war selbst in Uganda
5. Staatenbericht Deutschlands zur Umsetzung der UN- vor Ort und hat das Gespräch mit Menschenrechtsakti-
Anti-Folter-Konvention, CAT, vorliegt. Darin wird be- visten und Regierungsvertretern gesucht. In der letzten
mängelt, dass Deutschland den vorgeschriebenen nationa- Sitzung des Menschenrechtsausschusses konnte er be-
len Präventionsmechanismus nicht ausreichend umsetzt. richten, dass dieses Gesetz aufgrund des internationalen
Wie wichtig dieser ist, haben wir in den letzten Tagen Drucks und infolge der anstehenden Wahlen in Uganda
gesehen. vom Tisch sei.
Zudem kritisieren wir die schrittweise Aushöhlung Das ist eine Nachricht, die uns alle erleichtert. Denn
des nach der Genfer Flüchtlingskonvention gültigen wir kämpfen alle hier im Haus für die Abschaffung der
Non-Refoulement-Prinzips (Art. 33). Es verbietet, Todesstrafe weltweit. Der Fall belegt aber auch, dass der
Flüchtlinge in Länder aus- oder zurückzuweisen, in de- Kampf genauso geboten ist, damit nicht noch mehr Län-
nen ihnen Verfolgung oder Gefahr für Leben und Frei- der auf die furchtbare Idee kommen, die Todesstrafe für
heit drohen würde. Ich appelliere wie bereits vor einigen immer mehr oder neue Tatbestände einzuführen. Denn
Wochen eindringlich an die Bundesregierung und die sie eines ist für uns klar: Wir wollen nicht, dass der Gesetz-
tragenden Fraktionen: Lösen Sie das aktuelle Rücknah- entwurf des Abgeordneten Bahati in anderen afrikani-
meübereinkommen mit Syrien auf! schen Staaten Nachahmung findet. Ich danke allen, die
sich deutlich dagegen positioniert haben, und ich freue
Lassen Sie mich abschließend noch einen traurigen mich, dass die Opposition das Engagement von Markus
Punkt ansprechen: Leider ist es – im Gegensatz zu früher – Löning in ihrem Antrag ausdrücklich lobt.
nicht möglich gewesen, einen fraktionsübergreifenden
Antrag zur Ablehnung der Todesstrafe vorzulegen, vor Die Todesstrafe ist grausam, unmenschlich und mit
allem wegen der Unionspolitiker im Menschenrechts- unserem Wertesystem nicht vereinbar. Sie ist ein anti-
ausschuss. Sie sollten sich ein Beispiel an den Entwick- quiertes Relikt eines primitiven Verlangens nach Rache.
lungspolitikern nehmen, die ganz selbstverständlich eine Doch Rache steht einem aufgeklärten Staat nicht zu.
gemeinsame fraktionsübergreifende Erklärung zur Ver- Hier darf ich Thomas Dehler zitieren: "Wie der Staat
hängung der Todesstrafe wegen homosexueller Hand- seine Rechtsbrecher behandelt, kennzeichnet seinen
lungen in Uganda verabschieden. Im Menschenrechts- Geist.“ Die Todesstrafe gehört abgeschafft. Ob ein Staat
ausschuss hatten wir übrigens auch versucht, gemeinsam die Todesstrafe abschafft oder nicht, das hängt nicht da-
gegen diese schlimme Menschenrechtsverletzung vorzu- von ab, ob dieser arm oder reich ist; die Abschaffung
5168 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) hängt einzig vom politischen Willen der Verantwortli- Die Todesstrafe ist eine durch nichts zu rechtfertigende (C)
chen ab. Form grausamer und unmenschlicher Strafe. Sie ist bei
Fehlurteilen nicht korrigierbar und wird oftmals rassis-
Der Kampf gegen die weltweite Ächtung und Ab- tisch motiviert verhängt. Darüber hinaus lehnen wir die
schaffung der Todesstrafe ist ein gemeinsamer Kraftakt. Todesstrafe ab, weil sie politisch immer wieder dazu
Umso bedauerlicher finde ich es, dass es keinen inter- missbraucht werden kann und missbraucht wird, um
fraktionellen Antrag dazu geben wird. politische Gegner und Oppositionelle auszuschalten.
Der rot-grüne Antrag führt einige Einzelfälle auf. Das Neben der klassischen, legalisierten Form der Todes-
Nennen von Einzelfällen bringt aber gerade bei diesem strafe hat die Anzahl der extralegalen Tötungen in den
Thema erhebliche Probleme mit sich. Denn es ist nicht letzten Jahren – auch im Zusammenhang mit dem soge-
an uns, einzelne Verfahren, die zu einem Todesurteil ge- nannten Krieg gegen den Terror – in besorgniserregen-
führt haben, zu evaluieren. Unsere Kernaussage muss dem Ausmaß zugenommen. Die extralegalen Tötungen
vielmehr lauten, dass jedes Todesurteil, egal wo, egal werden entweder durch staatliche Sicherheitsorgane
wie zustande gekommen und egal gegen wen, falsch ist. oder durch parastaatliche Gruppen vollsteckt. Extrale-
Das muss doch das klare Signal sein! gale Tötungen sind Ausdruck einer menschenverachten-
Der Antrag von SPD und Grünen bekommt ein Ge- den Willkür und gehen meist Hand in Hand mit der An-
sicht, nämlich jenes der Symbolfigur der Linken. Unser wendung von Folter und dem Verschwindenlassen der
Antrag umfasst aber auch die vielen gesichts- und na- betreffenden Personen. Obwohl es – übrigens im Gegen-
menlosen Hingerichteten weltweit, die keine prominente satz zur Todesstrafe, die grundsätzlich völkerrechtlich
Stimme haben. Mehrere Tausend Menschen sind nach nicht verboten ist – völkerrechtliche Instrumente gibt,
Schätzungen von Amnesty International allein in China fehlt eindeutig der politische Wille zu deren Anwen-
hingerichtet worden. Genaue Zahlen kennt man nicht; dung. Die UN-Generalversammlung hat 2008 erneut mit
sie werden von der chinesischen Staatsführung geheim einer Resolution, 63/182, ihre Grundsätze hinsichtlich
gehalten. der Verhütung und Untersuchung von außergesetzlichen,
willkürlichen und summarischen Hinrichtungen bekräf-
Der Antrag der Linken enthält einen begrifflichen tigt und die wichtige Rolle des Sonderberichterstatters
Fehler. Die sogenannten gezielten Tötungen sind nicht hervorgehoben. Jedoch wird dieser Mechanismus nicht
mit der Tötung aufgrund einer verhängten Todesstrafe genutzt und scheint somit politisch nicht gewollt zu sein.
gleichzusetzen. Gleiches gilt für die extralegalen Tötun-
gen. Selbstverständlich sind beide Handlungen ethisch- Ich fordere an dieser Stelle die Bundesregierung aus-
moralisch verwerflich und verstoßen gegen geltendes drücklich auf, das Thema der extralegalen und gezielten
Tötungen international auch bei ihren Verbündeten auf
(B) Recht. (D)
die Tagesordnung zu setzen.
Extralegale Tötungen erwähnt die Linke zu meiner
großen Verwunderung nur in Kolumbien. Die alleinige Zurück zur klassischen Form der Todesstrafe: Aktuell
Bezugnahme auf Kolumbien wird der globalen Proble- haben 139 Länder die Todesstrafe per Gesetz oder de
matik nicht gerecht. Erst diese Woche haben wir die facto abgeschafft, während 58 Staaten weiterhin an der
Menschenrechtssituation im Nordkaukasus geschildert Todesstrafe festhalten. Weltweit gibt es einen erfreuli-
bekommen. Dass Sie hier nur Kolumbien erwähnen, chen Trend zur Abschaffung der Todesstrafe. So haben
zeigt, dass Sie auf einem Auge blind sind. in den letzten 15 Jahren 54 Staaten die Todesstrafe abge-
schafft, davon allein 15 Länder in den letzten drei Jah-
Abschließend möchte ich noch kurz auf den Antrag ren.
der SPD eingehen. Die SPD hat eine etwas missver-
ständliche Formulierung im zweiten Absatz. Da wir ih- Am 18. Dezember 2007 gab es in der Generalver-
ren Antrag aber in den Ausschuss überweisen, werden sammlung der Vereinten Nationen erstmalig die notwen-
wir dort die Diskussion dazu mit den Kolleginnen und dige Mehrheit zur Verabschiedung einer Resolution, die
Kollegen der SPD führen. zu einem sofortigen weltweiten Hinrichtungsmoratorium
als erstem Schritt zur Abschaffung der Todesstrafe auf-
Für die FDP ist klar: Das Folterverbot gilt umfassend ruft. In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass ein Mo-
und absolut. Die Koalition fährt hierzu auch einen klaren ratorium häufig der erstes Schritt zur tatsächlichen Ab-
Kurs. Im Koalitionsvertrag heißt es auf Seite 150 auch schaffung der Todesstrafe in vielen Ländern war. Ich
ganz klar: fordere die Bundesregierung auf, weitere Länder als Un-
terstützer für diese wichtige Resolution zu gewinnen.
In unserem Regierungshandeln treten wir für die
weltweite Abschaffung von Todesstrafe, Folter und Trotz dieser positiven Initiative werden weltweit
unmenschlicher Behandlung ein. mehrere tausend Menschen jährlich hingerichtet und
zum Tode verurteilt. Die Länder, in denen die meisten
Auch in dem Antrag „Menschenrechte weltweit Exekutionen stattfinden, sind China, der Iran, der Irak,
schützen“, den die Koalitionsfraktionen im Dezember Saudi-Arabien, die USA und der Jemen. Mit den vier
2009 eingebracht haben, haben wir bereits klare Aussa- letztgenannten Staaten unterhält Deutschland umfangrei-
gen dazu getroffen. che Programme zur Polizei- und Militärkooperation und
liefert Technologie zur Ausrüstung der Sicherheitskräfte.
Annette Groth (DIE LINKE): Wir fordern in unse- In China werden mit Abstand die meisten Todesurteile
rem Antrag die weltweite Abschaffung der Todesstrafe. weltweit vollstreckt. Da Exekutionen in China als
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5169

(A) Staatsgeheimnis behandelt werden, gibt es keine ge- gen Sache gemeinsam Anträge gestellt haben. Hierdurch (C)
nauen Angaben. Nachdem der Oberste Chinesische Ge- konnte der Deutsche Bundestag ein starkes Zeichen an
richtshof 2008 alle Todesurteile aus dem Jahr 2007 über- all jene Staaten senden, die nach wie vor auf der Todes-
prüft hat und 15 Prozent aller Urteile als fehlerhaft strafe beharren. Wir konnten ein starkes Zeichen an jene
eingestuft hat, wurde dieses Jahr ein neues Gesetz einge- Menschen senden, die von der Todesstrafe bedroht sind.
führt, das unter anderem durch Folter erzwungene Ge- Und wir konnten ein starkes Zeichen an jene Nichtregie-
ständnisse als ungültig für die Urteilsfindung, besonders rungsorganisationen senden, die tagtäglich für die Ab-
bei der Verhängung von Todesurteilen erklärt. Experten schaffung und Zurückdrängung der Todesstrafe kämpfen
erwarten dadurch eine deutliche Reduzierung der Todes- und dafür unsere Unterstützung benötigen.
urteile.
Dieses starke Zeichen bleibt in dieser Wahlperiode
Vor allem möchte und muss ich an dieser Stelle die unter Schwarz-Gelb aus – unter einer Koalition, die sich
Vollstreckung von Todesurteilen an zwei besonders vul- christliche Werte und liberale Freiheitsrechte auf ihre
nerablen Gruppen, nämlich an Kindern bzw. Minderjäh- Fahnen geschrieben hat. Das ist eine Schande für diese
rigen und an Personen mit geistiger Behinderung oder Koalition und blamiert den Deutschen Bundestag.
psychisch kranken Personen als unmenschliche Praxis
Ein gemeinsamer Antrag konnte nicht zustande kom-
verurteilen. Zu den Ländern, die in diesem oder im letz-
men, weil die Abgeordneten der Koalitionsfraktionen,
ten Jahr die Todesstrafe an Minderjährigen vollzogen ha-
insbesondere die angeblichen Menschenrechtspolitikerin-
ben, gehören Afghanistan, China, der Iran und Saudi-
nen und -politiker der Union, nicht mit den Oppositions-
Arabien. Die Praxis der Hinrichtung von Kindern und
fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Jugendlichen ist durch die UN-Kinderrechtskonvention
zusammenarbeiten wollten. In der Finanzpolitik, der In-
international geächtet, die auch von den betreffenden
nenpolitik, der Wirtschaftspolitik – auf vielen Politikfel-
Ländern ratifiziert worden ist. Zu den Ländern, die die
dern – kann, vielleicht sogar: muss die Koalition ihren
Todesstrafe an Personen mit geistiger Behinderung oder
Weg alleine gehen. In der Menschenrechtspolitik aber ist
an psychisch kranken Personen vollziehen, gehören ne-
eine solche Verweigerungshaltung schlicht borniert und
ben China, dem Iran und Japan auch die USA. Obwohl
zeugt von der mangelnden Souveränität, sich Diskussio-
der Oberste Gerichtshof der USA 2002 die Hinrichtung
nen und Argumenten zu stellen. Die Arroganz der Macht
von Straftätern mit einem gestörten geistigen Entwick-
können in einer Demokratie jene zeigen, die die Mehr-
lungsstand für verfassungswidrig erklärt hat, ist dagegen
heit haben. In einer Diskussion über die Abschaffung der
die Vollstreckung der Todesstrafe an geistig kranken
Todesstrafe kostet sie jedoch möglicherweise Menschen-
Personen in den USA weiterhin erlaubt. Ich fordere von
leben.
der Bundesregierung, sich gegenüber den betreffenden
(B) Ländern deutlich gegen die Vollstreckung von Todesur- Diese Verweigerungshaltung hat zwei überaus bittere (D)
teilen an Kindern und Menschen mit geistiger Behinde- Facetten:
rung bzw. psychisch Kranken einzusetzen.
Erstens ist die Sache, um die es hier geht, viel zu
Darüber hinaus verfolge ich mit großer Besorgnis die wichtig, um sich einer Diskussion einfach zu verschlie-
Entwicklung im Iran, wo allein in diesem Monat rund ßen. Die Forderung nach der Abschaffung der Todes-
20 Todesurteile vollstreckt worden sind. Am 9. Mai wur- strafe folgt unmittelbar aus der Menschenwürde. Dies
den in Teheran vier Männer und eine Frau kurdischer kann in zahlreichen Menschenrechtspakten nachgelesen
Abstammung gehängt. Bereits Anfang des Jahres wurde werden; zumindest sei den Koalitionsabgeordneten aber
die Hinrichtung von zwei Männern bekannt, die im Zuge ein Blick in das Grundgesetz empfohlen: „Die Würde
der Unruhen nach den Präsidentschaftswahlen vor einem des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu
Jahr in Schauprozessen zum Tode verurteilt worden wa- schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“,
ren. Gegenwärtig befinden sich mindestens neun weitere steht dort als allererstes in Art. 1 Abs. 1. Das scheint
Personen, die in ähnlichen Prozessen verurteilt worden bei den vermeintlichen Menschenrechtspolitikern von
sind, im Todestrakt. Schwarz-Gelb in Vergessenheit geraten zu sein. Denn
was, wenn nicht die Drohung mit dem Tod macht den
Als menschenrechtliche Sprecherin meiner Fraktion Menschen mehr zum Objekt staatlichen Handelns und
verurteile ich jede Anwendung der Todesstrafe ebenso beraubt ihn damit seiner Würde? Für was, wenn nicht
wie jede Form von extralegalen Tötungen weltweit und die Abschaffung der Todesstrafe lohnt es sich als aufge-
werde weiterhin für deren Abschaffung kämpfen. klärter Mensch und Menschenrechtspolitiker mehr zu
streiten?
Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Die Todesstrafe muss weltweit abgeschafft werden. – Zweitens betreibt die Koalition parteipolitische
Das ist keine Floskel und keine Binsenweisheit; die For- Machtspielchen, zum einen mit den Oppositionsfraktio-
derung nach der Abschaffung der Todesstrafe ist eine nen – was nur ein wenig peinlich, aber nicht weiter
der, wenn nicht gar die zentrale Forderung der weltwei- schlimm ist –, zum anderen aber auf dem Rücken der
ten Menschenrechtspolitik. von der Todesstrafe bedrohten Menschen. Ich werfe kurz
einen Blick zurück: Wir haben gemeinsam an einem An-
Es war deshalb in den vergangenen Legislaturperio- tragsentwurf gearbeitet, lange und intensiv, haben die
den nur folgerichtig und auch der Sache angemessen, Änderungswünsche der Koalition berücksichtigt und
dass die Fraktionen der CDU/CSU, SPD, der FDP und eingearbeitet und uns bei Zahlen und Fakten immer wie-
von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN in dieser allzu wichti- der bei Amnesty International rückversichert. In alle
5170 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) Entscheidungsprozesse war die Koalition eingebunden – hiesigen Debatte. Nun hat sie einen Antrag zur Abschaf- (C)
bis schließlich und plötzlich der Rückzieher kam. Dies fung der Todesstrafe für die nächste Sitzungswoche an-
war ein Schlag ins Gesicht für alle von der Todesstrafe gekündigt, ohne Debatte und Aussprache. Der Bundes-
bedrohten Menschen, für alle NGOs, die gegen die To- tag zerfällt also in dieser Wahlperiode bei der Forderung
desstrafe kämpfen, und für Amnesty International, die nach der Abschaffung der Todesstrafe erstmalig seit lan-
kurz zuvor den Bericht zur Todesstrafe veröffentlicht ger Zeit in Koalition und Opposition. Das ist blamabel.
hatte. Freuen dürften sich dagegen all jene, die an der Denn nur ein klares gemeinsames Signal hätte eine
Todesstrafe weiter festhalten, die Regimes in China, dem große Wirkung erzielen können.
Iran oder Sudan beispielsweise. Was tun nun wir Men- Wem die Zurückdrängung und Abschaffung der To-
schenrechtspolitiker, wenn wir in diese Länder reisen desstrafe wirklich ein politisches Anliegen ist, der muss
und Vertreter der dortigen Regierungen treffen? Ein star- aufstehen und sich aktiv dafür engagieren. Selbst unser
kes und einstimmiges Votum des Bundstages können wir Antrag ist hierbei nur ein kleiner Beitrag. Aber er ist
ihnen nicht vorhalten. Nur einen Oppositionsantrag, der wertvoll und wichtig, um den Kampf gegen die Todes-
von der Mehrheit des Hauses überstimmt wurde, oder strafe zu unterstützen.
ein gespaltenes Votum, wenn der Antrag der Koalition in
der nächsten Woche kommt. Als ob wir in dieser Frage Wir fordern etwa, China an die Umsetzung seiner
unüberbrückbare Differenzen hätten. Eine Schande ist Selbstverpflichtung zur Ratifizierung zu erinnern und
das. auf die chinesische Führung einzuwirken, die Verhän-
gung und Vollstreckung der Todesstrafe sukzessive ein-
Ich kenne ja die Argumente der Koalition. Sie hat sie zuschränken. Eine Forderung, die es Amnesty Internatio-
lapidar vorgetragen, als sie erklärte, bei einem gemeinsa- nal deutlich erleichtern würde, im kommenden Jahr
men Antrag nicht weiter mitarbeiten zu wollen. wieder einen Bericht über die Todesstrafe vorlegen zu
können, in dem auch valide Zahlen zu China genannt
Erstens sagte die Koalition, sie wolle keine Einzelfall- werden können. Durch diesen Bericht wiederum würde
politik betreiben. Sieben Einzelfälle aus drei verschiede- sich die weltweite Aufmerksamkeit auf die immense
nen Staaten haben wir exemplarisch aufgeführt. Waren Zahl an Exekutionen in China richten und viele Men-
dies sieben zu viel oder 10 000 zu wenig? Keiner konnte schenleben retten. Auch fordern wir, gegenüber Russ-
es uns erklären. Wer aber wie die Koalitionsfraktionen land auf die Ratifikation des 6. Zusatzprotokolls zur
meint, Menschenrechtspolitik könne man losgelöst von EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe zu drän-
Einzelschicksalen betreiben, der hat das Wesen und den gen. Schließlich ist Russland nach wie vor das einzige
Sinn der Menschenrechte nicht verstanden. Denn Men- Land im Europarat, das sich dem verweigert. Bundes-
schenrechtspolitik hat immer zwei Dimensionen, einer- außenminister Westerwelle propagiert momentan, mit
seits die Strategie der Verrechtlichung und der Durchset- seinem russischen Amtskollegen Lawrow über eine Mo- (D)
(B) zung der Menschenrechtsabkommen, andererseits den
dernisierungspartnerschaft zu verhandeln. Warum sollte
Kampf um Einzelschicksale. Denn wenn Staaten zu gro- er diese Forderung also im Rahmen dessen nicht erhe-
ßen rechtlichen und politischen Veränderungen noch ben? Warum soll der Bundestag in vorauseilendem Ge-
nicht willens oder in der Lage sind, bleibt uns nichts an- horsam darauf verzichten, ihn hierzu zumindest aufzu-
deres übrig, als uns um die einzelnen Betroffenen zu fordern? Der Iran richtet Minderjährige hin und bricht
kümmern. Das mag exemplarisch sein und muss deshalb dadurch seine eigenen völkerrechtlichen Verpflichtun-
Stückwerk bleiben. Vielleicht ist es auch nicht ganz ge- gen. Die Bundesregierung muss gegenüber Iran darauf
recht gegenüber denjenigen Menschen, für die man sich drängen, dass dies beendet wird. Und auch auf die USA
nicht hat einsetzen können, weil ihr Einzelfall nicht be- sollte die Bundesregierung einwirken, damit die Todes-
kannt geworden ist. Doch diesem moralischen Dilemma strafe in allen Bundesstaaten abgeschafft und die zum
kann man nicht dadurch begegnen, rein gar nichts zu un- Tode verurteilten Menschen begnadigt werden. – Viele
ternehmen. Denn im Einsatz für die Menschenrechte kleine Schritte sind dies, zugegeben. Aber es wären
geht es in erster Linie immer um die Menschen, nicht enorm wichtige.
nur um große politische Ziele oder pathetische Reden.
Einzelschicksale exponiert herauszuheben wird also nie Es geht hier um einen langen Atem. Es geht um kon-
obsolet werden, andernfalls würden viele Chancen, sistente und kohärente Politik. Es geht um den Wesens-
Menschen zu helfen und Menschenleben zu retten unge- kern unseres Grundgesetzes und aller Menschenrechts-
nutzt verstreichen, während wir auf den großen Wurf pakte. Ich bitte Sie daher herzlich und nachdrücklich,
warten. Wer da behauptet, sie oder er könne einem An- dem Antrag von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
trag zur Abschaffung der Todesstrafe aus dem Grund zuzustimmen. Alles andere wäre fatal.
nicht zustimmen, es gehe darin um Menschen und Indi-
viduen, der ist schlichtweg zynisch und an der Sache
nicht wirklich interessiert. Anlage 12
Zweitens sagt die Koalition, sie fordere die Abschaf- Zu Protokoll gegebene Reden
fung der Todesstrafe ja auch, nur halt nicht so explizit.
Die Forderung stünde schließlich in dem Antrag von zur Beratung des Entwurfs eines Sechsten Ge-
CDU/CSU und FDP mit dem schönen Titel „Menschen- setzes zur Änderung des Weingesetzes (Tages-
rechte weltweit schützen“. Natürlich steht sie dort drin. ordnungspunkt 20)
Als dritte von siebzehn Forderungen. Diese versteckte
Forderung ist ein politisches Nullum, und die Koalition Norbert Schindler (CDU/CSU): Wir beraten heute
unterstreicht diese Einstellung durch ihr Verhalten in der eine Änderung des Weingesetzes. Mit dieser Änderung
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5171

(A) soll wieder mehr Gerechtigkeit für alle weinerzeugenden abführen zu müssen. Weiterhin wird erst der aufnehmen- (C)
Betriebe geschaffen werden. Wir wollen bislang beste- den Hand eine Abstufung in niedrigere Qualitätsstufen
hende Möglichkeiten einer Umgehung der qualitäts- analog zum Winzerbetrieb ermöglicht, damit Gerechtig-
orientierten Mengenbegrenzung im Weinbau ab der keit für alle Wettbewerber auf gleichem Niveau herge-
Ernte 2010 verhindern. Ich sehe darin das Schließen ei- stellt ist.
ner Lücke, die es bislang ermöglicht hat, mehr Wein auf
den Markt zu bringen, als die bestehende Hektarhöchst- Ich denke, dass die oben angegebenen Maßnahmen
ertragsregelung zulässt. ein richtiger und wichtiger Schritt zur Wiederherstellung
der Chancengleichheit im Weinbau sind. Ich möchte
Mit der Novellierung des Weingesetzes wird die von mich ausdrücklich für die gute Zusammenarbeit mit der
unterschiedlichsten Verbänden und Interessengruppen SPD-Fraktion und auch der Landesregierung in Mainz
der Weinwirtschaft in der Vergangenheit mehrfach vor- bedanken, aber auch bei der Bundesministerin Ilse
getragene Forderung erfüllt, wonach der gesetzlich vor- Aigner, MdB, und der Parlamentarischen Staatssekretä-
geschriebene Hektarertrag nicht nur von den Erzeugern, rin Julia Klöckner, MdB, für ihre konstruktive Hilfe bei
sondern auch von allen nachfolgenden Handelsstufen der Überarbeitung dieses fraktionsübergreifenden An-
einzuhalten ist. trags, der jetzt beschlossen werden soll. Ich bedanke
mich auch bei den Bundesländern, die für eine abschlie-
Wenn Umrechnungsfaktoren von Trauben in Kilo-
ßende Beratung im Bundesrat ihre Zustimmung signali-
gramm zu Wein in Liter oder von Most in Liter zu Wein
siert haben und so den Wünschen des Landes Rheinland-
in Liter verwendet werden, müssen diese realistisch defi-
Pfalz und der Weinwirtschaft entsprechen. Sie alle haben
niert und von allen eingehalten werden. Jeder Winzer
eingesehen, dass Qualität unser bestes Verkaufsargument
muss sich an die gesetzliche Vorgabe halten, pro Hektar
ist.
Rebfläche nicht mehr als die erlaubte Menge an Wein in
Litern zu erzeugen. Werden geerntete Trauben zur Wei- Dieses Gesetz dient der Qualitätssicherung, wenn
terverarbeitung etwa an eine Kellerei verkauft, wird de- nicht sogar der Qualitätsverbesserung. Damit sind wir
ren Gewicht in Liter umgerechnet, um die Übereinstim- auch auf gutem Weg, wenn es bei der Umsetzung der
mung mit der Höchstertragsregel festzustellen. Dies Weinmarktreform der Europäischen Union darum geht,
geschieht der Einfachheit halber nach dem generellen unseren deutschen Wein entsprechend positiv herauszu-
Schlüssel: 100 Kilogramm Trauben = 75 Liter Wein. stellen. Hierzu erwarte ich auch konstruktive Vorschläge
Im Gegensatz zu diesem theoretischen Umrechnungs- der Weinbau- und Kellereiverbände. Ich freue mich,
faktor 0,75 konnten bisher aber in der Praxis auch deut- gleich im Anschluss auf dem Sommerfest meines Hei-
lich darüber liegende Mengen als Qualitätswein ver- matlandes ein Glas hochwertigen Weins zu genießen und
danke allen, die daran beteiligt waren, dieses Qualitäts- (D)
(B) marktet werden. Die Hektarertragsregelung muss heute
daher im Weingesetz so verankert werden, dass eine niveau zu bewahren.
Umgehung künftig ausgeschlossen ist.
Gustav Herzog (SPD): Wir beraten heute in zweiter
Der Verkauf von Trauben hat sich in den letzten fünf und dritter Lesung das sechste Gesetz zur Änderung des
Jahren fast verdoppelt und belief sich in der Ernte 2009 Weingesetzes. Seit der ersten Lesung am 21. Mai hat
bereits auf 10 Prozent der rheinland-pfälzischen Ge- sich nicht wirklich viel getan, doch auch heute hat sich
samterntemenge von 6,1 Millionen Hektoliter. Die mehr- das Struck’sche Gesetz wieder einmal bewahrheitet:
jährige Statistik des Genossenschaftsverbandes zu den Kein Gesetz kommt ins Parlament und verlässt es unver-
Auskelterungsergebnissen der größten Winzergenossen- ändert.
schaften in Rheinland-Pfalz belegt, dass der geltende
Umrechnungsfaktor 0,75 in diesen Betrieben nach wie Bereits vor der ersten Lesung haben wir uns so eng
vor dem tatsächlichen Ergebnis entspricht. sowohl mit der Weinwirtschaft als auch mit den Landes-
regierungen der Weinbau betreibenden Länder abge-
Eine Erhöhung auf einen durch intensive Auspres-
stimmt, dass wir das Gesetz überfraktionell einbringen
sung erzielbaren Wert von 0,80 oder mehr widerspricht
konnten. Wir waren uns alle einig, die notwendigen und
unserem konsequenten Qualitätsstreben. Deshalb bleibt
längst überfälligen Änderungen in der Hektarertragsre-
es heute beim für alle Rebsorten gültigen Umrechnungs-
gelung schnell und unkompliziert in Kraft zu setzen, da-
faktor 0,75 von Trauben zu Wein.
mit sie pünktlich zur Lese 2010 rechtskräftig werden.
Die Abgabe von Most durch Erzeuger an nachfol-
Besonders hilfreich war hier die gute Zusammenar-
gende Handelsstufen lag in den letzten Jahren bei etwa
beit mit dem Ministerium in Mainz und die Beratungen
18 Prozent der Gesamterntemenge. Aufgrund der durch
mit der Weinwirtschaft. Die Ergebnisse mündeten dann
Einsatz schonender Ernte- und Verarbeitungstechnik nur
auch im Änderungsantrag der Koalition, dem wir nach
noch niedrigen Trubanteile im Most wollen wir die Än-
einer kurzen aber fruchtbaren Ausschusssitzung zustim-
derung des Umrechnungsfaktors 0,95 von Most – in Li-
men konnten. Alles in allem ein schnelles und konstruk-
ter – zu Wein – in Liter – auf 0,97 im jetzigen Gesetzge-
tives Gesetzesverfahren, gut vorbereitet, klar in der Sa-
bungsverfahren festlegen.
che und schnell durchgesetzt. Das hätte die Koalition
Als Auswirkung der Änderung des Mostfaktors er- alleine sicher nicht so reibungslos hinbekommen, auch
warte ich, dass vor allem die aufkaufenden Kellereien wenn sie im Nachhinein so tut, als hätte sie es alleine ge-
bei der Weinbereitung aus Most nicht in die missliche tan. Ich muss schon sagen, dass das, was ich am 9. Juni
Lage kommen, erzeugte Mehrmengen in die Destillation in der Presse vom Kollegen Bleser gelesen habe, schon
5172 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) recht peinlich war. Ich zitiere: „Die christlich-liberale Unternehmen sich beklagen, damit Sie eine Änderung, (C)
Koalition hat heute eine dringend notwendige Korrektur die vielen nutzen würde, auch dem Verbraucher, wieder
des Weingesetzes vorgenommen und damit auf Fehlent- zurücknehmen? Bei Ihnen verwandelt sich der Wein in
wicklungen der vergangenen Jahre reagiert.“ Wasser; denn sie wollen einfach den Umrechnungsfaktor
von Most zu Wein anheben. Wie ich schon bei der ersten
Hier wurden so oft das Koalitionshandeln und die
Lesung befürchtete, geht es hier um Flickschusterei. Da-
Wichtigkeit des Vorhabens beschworen, dass es schon
bei haben wir davon im Weinrecht wirklich schon genug.
verdächtig ist. Herr Bleser, nur um es gerade zu rücken:
Was wir brauchen, ist keine Zahlenklauberei, sondern
Dieses Gesetz haben wir überfraktionell eingebracht und
beschlossen. Ohne Ihre ganz persönliche Blockade hät- ein mit Weitblick verfasstes neues Weinrecht innerhalb
ten wir es schon 2009 erledigt, und auch in diesem Ver- der Gemeinsamen Marktordnung. Darüber hinaus scha-
fahren haben Sie sich sicher nicht als Öl im Getriebe her- den Sie mit Ihrem legislativen „Gepansche“ der Qualität
vorgetan. Die Lorbeeren Ihrer Fraktion darf sich Ihr und dem Ruf des deutschen Weins.
Kollege Schindler abholen, der eine gute und konstruk- Ihr Zickzackkurs mag gut sein für den Wahlkampf in
tive Zusammenarbeit im Interesse der deutschen Wein- Rheinland-Pfalz, er mag einigen Winzern und Kellereien
wirtschaft geleistet hat. Hoffnung machen. Das, was die Gesetzesnovelle aber
bewirken sollte, nämlich Verlässlichkeit und Sicherheit
Alexander Süßmair (DIE LINKE): Vor wenigen für Erzeuger und Verbraucher, das konterkarieren Sie
Wochen, im Mai, haben wir eine Gesetzesänderung be- mit Ihrem Hin und Her. Die Linke kann und will sich
raten, die sowohl Erzeugern wie Verbrauchern nutzen dem nicht anschließen. Die Linke tritt aber genau so, wie
sollte und die eigentlich auch alle wollten. Die Hektar- es im ursprünglichen Antrag vorgesehen war, für die
ertragsregelungen sollten nicht nur für Winzer, sondern Verbindlichkeit der Hektarertragsregelungen ein. Wir
für alle Wein verarbeitenden Betriebe gelten. werden deshalb den Änderungsantrag ablehnen und uns
Unsere Fraktion wurde an der Erarbeitung der Geset- bei der Abstimmung über die Novelle enthalten.
zesnovelle aufgrund des immer noch geltenden Unver-
einbarkeitsbeschlusses der CDU/CSU nicht beteiligt. Ulrike Höfken (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Be-
Dieses parlamentarisch unwürdige und undemokratische reits in unserer Stellungnahme zur ersten Lesung hatten
Verhalten kennen wir bereits. Inhaltlich allerdings trennt wir den Ansatz einer sinnvollen Mengenregulierung bei
uns in der Weingesetzfrage nur wenig von den Fraktio- den Weinerträgen begrüßt und deshalb aktiv die inter-
nen, die auf dem Antrag stehen; wir sind uns eigentlich fraktionelle Initiative zur Änderung des Weingesetzes in
einig: Deutscher Wein soll nicht durch Menge, er soll den relevanten Punkten mitgetragen. Es ist äußerst be-
(B) durch Qualität punkten. Um dies zu ermöglichen – ich dauerlich, dass die Regierungsfraktionen und hier spe- (D)
hatte bereits in der ersten Lesung darauf hingewiesen – ziell die Union durch einen formalen wie inhaltlichen
will die Linke regionale Wertschöpfungsketten fördern Zickzackkurs diese seltene interfraktionelle Geschlos-
und ökologisch unsinnige Transporte teurer machen. senheit jetzt aufbricht, so dass uns eine Zustimmung lei-
Denn es ist nicht einzusehen, warum Wein, der mehrere der nicht mehr möglich ist. Der deutsche Weinbau hätte
10 000 Kilometer entfernt industriell von prekär Be- eine fraktionsübergreifende Unterstützung verdient, aber
schäftigten hergestellt wurde, nur ein Drittel des hier bei wie sollen wir dem Aufruf der Regierungsfraktionen zur
uns sozial und ökologisch nachhaltig produzierten Weins Zustimmung entgegenkommen, wenn diese offenbar
kostet. Hier müssen wir ansetzen, um unsere europäi- selbst nicht so genau wissen, was Sie eigentlich wollen?!
sche, unsere deutsche Weinwirtschaft zu stärken. Damit
wäre eigentlich alles gesagt. Der quasi in letzter Minute eingebrachte Änderungs-
Aber plötzlich kommt die CDU/CSU mit einem Än- antrag der Unionsfraktion im AfELV ist ein Signal an
derungsantrag zur Novelle heraus, die sie selbst mit ein- die Branche, dass in Sachen Umrechnungsfaktoren und
gebracht und verfasst hatte. Der Umrechnungsfaktor von damit der tatsächlichen Mengenbegrenzung noch nicht
Most zu Wein soll von 95 auf 97 erhöht werden. Sind das letzte Wort gesprochen ist. Statt ein klares Bekennt-
wir denn in Auerbachs Keller? Genau so, wie Mephisto nis zur Qualitätsausrichtung – und damit zu einer geziel-
in Goethes Faust dort jedem den gewünschten Wein aus ten Mengenregulierung – abzugeben, ermuntern die Re-
dem Tisch herauszaubert, scheint es, dass Sie es allen gierungsfraktionen damit die Profiteure der Mehrungen,
recht machen wollen; denn was bedeutet denn Ihre Än- an ihrer Strategie der Ausreizung aller Möglichkeiten
derung faktisch? Durch die Anhebung des Umrech- zur Volumensteigerung festzuhalten.
nungsfaktors für Most zu Wein von 95 auf 97 kann nun
Abschließend noch eine kurze Bemerkung zu einem
mehr Wein aus dem Most hergestellt werden als bisher.
aktuellen Thema, dass vielen Winzern auf der Seele
Damit machen Sie die ursprüngliche Änderung, nämlich
liegt: in vielen Regionen gibt es zurzeit Unmut über die
die Hektarertragsregelung auch auf Betriebe anzuwen-
laufende Registrierung von Flächen im neuen Erosions-
den, welche selbst keine Weintrauben produzieren, wie-
der zunichte. kataster. Wir finden es bedauerlich, wenn die an sich
sehr sinnvolle Erfassung potenziell erosionsgefährdeter
In der Novelle sollte nun erst die Weinqualität gesi- Flächen und deren Einstufung in verschiedene Risiko-
chert werden, damit deutscher Wein eben durch Qualität kategorien durch handwerkliche Fehler in der Umset-
punkten kann. Vor wem aber knicken Sie hier nun wie- zung auf Landesebene als bürokratische Eingriffe wahr-
der ein? Reicht es aus, wenn ein paar Lobbyisten oder genommen werden. Auch wenn es für die Betriebe kein
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010 5173

(A) Trost sein dürfte: zu den jetzigen Problemen hat maß- gangs bereits skizzierte Beispiel: Hochwasserschutz ist (C)
geblich auch die Verzögerungstaktik von Union und und bleibt wichtig!
DBV beigetragen. Jahrelang hat man sich auf die Ver-
schleppung und Verdrängung der Thematik konzentriert. An dieser Stelle möchte ich auf zwei Anträge zurück-
kommen, mit denen wir uns in der vergangenen Sit-
Diese Zeit hätte man besser nutzen können und müssen,
zungswoche im Plenum beschäftigt haben: zum einen
um die Betriebe und Behörden auf das Erosionskataster
auf einen Antrag von der SPD zum Wasserhaushalt in
vorzubereiten. Wir fordern die Bundesregierung und die
Feuchtgebieten, Drucksache 17/1748, zum anderen auf
Landesregierungen deshalb auf, jetzt schleunigst die Be-
einen Antrag von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
triebe bei der konkreten Umsetzung der neuen Vorgaben
zur Vorlage eines Auenschutzprogramms, Drucksache
zu unterstützen und sie nicht in einem bürokratischen 17/1760.
Chaos allein zu lassen!
Da diese drei Vorlagen durchaus grundsätzlich wich-
tige Anliegen aufgreifen und auch der Koalitionsvertrag
Anlage 13 der christlich-liberalen Bundesregierung die Reaktivie-
rung natürlicher Auen für den Natur- und Hochwasser-
Zu Protokoll gegebene Reden schutz sowie die Renaturierung von Flusstälern, wo im-
zur Beratung der Beschlussempfehlung und des mer möglich, beabsichtigt, möchte ich zusammen mit
Berichts zu den Anträgen: meinem Kollegen Josef Göppel anbieten, dass wir hier
zu einem gemeinsamen Beschluss kommen und diesen
– Hochwasserschutz europäisch und ökolo- Themenkomplex erneut behandeln.
gisch nachhaltig umsetzen – Für ein inte-
griertes Hochwasserschutzkonzept Bis dahin widerspreche ich allerdings entschieden
dem Eindruck, den der vorliegende SPD-Antrag vermit-
– Naturnahen Wasserhaushalt durch Schutz telt, Hochwasserschäden würden immer dramatischer
und Renaturierung von Nass- und Feuchtge- und die Bundesregierung arbeite diesen nicht entschie-
bieten fördern – Hochwassergefahren min- den und aktiv genug entgegen. Einige ausgewählte Bei-
dern, Klima schützen spiele belegen das Engagement der Bundesregierung:
– Auenschutzprogramm vorlegen Umsetzung der EU-Hochwasserrisikorichtlinie durch
das neue Wasserhaushaltsgesetz, wobei der Kernbe-
(Tagesordnungspunkt 21) standteil ein integrierter Ansatz im Bereich der Hoch-
wasserrisikovorsorge ist; Förderung von Maßnahmen
(B) Ingbert Liebing (CDU/CSU): In den vergangenen zur Verbesserung des Wasserrückhalts in der Landschaft (D)
Wochen kam niemand umhin, über die Fernseher den und Rückbau von Deichen zur Wiedergewinnung von
abermaligen rasanten Anstieg der Pegel am deutschen Überschwemmungsgebieten im Rahmen der Gemein-
Lauf der Oder verfolgen zu müssen. Die Bilder des Jahr- schaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur und des
hunderthochwassers an der Oder im Jahr 1997 sind nach Küstenschutzes“; Weiterentwicklung der deutschen An-
wie vor in unseren Köpfen präsent. Doch obwohl sich passungsstrategie an den Klimawandel, die im Dezem-
auch in diesem Jahr wieder eine außergewöhnliche Flut- ber 2009 verabschiedet wurde und an deren Weiterent-
welle ankündigte, unterschied sich die diesjährige Situa- wicklung die Bundesressorts derzeit mit der Zielsetzung
tion doch grundlegend von der vor 13 Jahren: Das Gros arbeiten, im Frühjahr 2011 einen mit den Bundesländern
der Deiche ist seit 1997 fast durchweg von Grund auf sa- abgestimmten Aktionsplan vorzulegen.
niert worden, und die Schäden der diesjährigen Flut fie-
len erheblich geringer aus als noch 1997. Neben dem falschen Eindruck, den der vorliegende
Antrag bezüglich des Hochwassermanagements der
Die daraus resultierende grundlegende Verbesserung Bundesregierung erweckt, gibt es einen weiteren we-
der Hochwassersituation in Deutschland ist Ergebnis sentlichen Grund, warum wir diesen ablehnen: Er ver-
entschiedenen Handelns aller politisch Verantwortli- kennt in wesentlichen Punkten die kompetenzrechtlichen
chen: Die Hochwasserproblematik wurde erkannt, es Rahmenbedingungen, aufgrund derer die Zuständigkeit
wurden zeitnah die richtigen Maßnahmen ergriffen, und für Planung und Umsetzung der Maßnahmen des vorsor-
der Hochwasserschutz befindet sich in Deutschland genden Hochwasserschutzes bei den Bundesländern lie-
heute auf dem richtigen Weg. Diese Ansicht äußerte im gen. Beispielsweise ist ein eigenes Auenschutzpro-
Übrigen auch der ehemalige Bundesumweltminister gramm der Bundesregierung verfassungsrechtlich nicht
Sigmar Gabriel in einer Pressemitteilung vom 26. April möglich.
2007 anlässlich der Verabschiedung der europäischen
Hochwasserschutzrichtlinie. Aus diesem Grund über- Abschließend möchte ich festhalten: Deutschland be-
rascht die Kritik, die die SPD in ihrem der heutigen De- findet sich beim Hochwasserschutz auf dem richtigen
batte zugrunde liegenden Antrag „Hochwasserschutz eu- Weg; das letzte Oder-Hochwasser hat dies eindrücklich
ropäisch und ökologisch nachhaltig umsetzen“ übt. Bis belegt. Es wurde bereits viel Gutes auf den Weg ge-
vor einem guten halben Jahr war doch ein SPD-Umwelt- bracht; wir nehmen die Thematik dennoch weiterhin
minister für den Hochwasserschutz verantwortlich! ernst. Aus diesem Grund sind auch wir an einer noch
besseren Verknüpfung der Bereiche naturnaher Wasser-
Dabei will ich den Kollegen von der SPD grundsätz- haushalt, Renaturierung von Feuchtgebieten und Schutz
lich durchaus zustimmen, belegt durch das von mir ein- der Auen interessiert; denn davon würde wiederum auch
5174 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 49. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 17. Juni 2010

(A) der Hochwasserschutz profitieren. Das Angebot an die gebieten, Flussauen und Mooren die Artenvielfalt am (C)
Oppositionsfraktionen von SPD und Bündnis 90/Die meisten bedroht ist.
Grünen zu gemeinsamen Gesprächen ist hiermit gemacht.
Die Forderung, den Erhalt und die Renaturierung von
Feuchtgebieten bei der Neuregelung der Gemeinsamen
Josef Göppel (CDU/CSU): Wir haben die Bilder der Agrarpolitik einzubeziehen, ist sinnvoll. Ich persönlich
Hochwasser an Weichsel und Oder der letzten Wochen unterstütze die Forderung nach der Schaffung einer Ge-
und Monate vor Augen. Die Zahl der Todesopfer in un- nehmigungspflicht für den Umbruch von Grünland und
serem Nachbarland Polen ist indes auf 15 angestiegen. ein Umbruchverbot auf feuchten und anmoorigen Stand-
Tausende Häuser und Straßen stehen unter Wasser. Für orten.
Polen sind es die schlimmsten Überschwemmungen seit
über 100 Jahren. Polens Regierungschef Donald Tusk Genauso sinnvoll ist die bekannte Forderung, die
beziffert die Schäden auf 2,5 Milliarden Euro. Ausweisung von Bauland in der Aue zu unterlassen.
Bauland in der Aue provoziert Hochwasserschäden und
In Deutschland nehmen die Hochwasserschäden nicht erzwingt teure technische Schutzmaßnahmen, die sich
zu. Nach der Flutkatastrophe von 1997 und den Hoch- volkswirtschaftlich nicht rechnen.
wassern an Elbe und Oder 2002 wurden alte Dämme und
Deiche saniert und neue gebaut. In Deutschland ist viel Wir benötigen durchaus bundesweite Lösungsansätze.
für den Hochwasserschutz getan worden. Alle Regierun- Ein Hochwasser macht nicht an einer Landesgrenze halt.
gen der vergangenen Jahre, gleich welcher politischen Die Themen, die wir auf Bundesebene anpacken können,
Konstellation, haben zu dieser Verbesserung beigetra- sollten wir gemeinsam in Angriff nehmen und zielorien-
gen. tiert diskutieren. Ökologischer Hochwasserschutz und
Auenschutz gehen dabei Hand in Hand.
Die jetzige Koalition steht ebenfalls für einen konse-
quenten Hochwasserschutz. Ich darf hierzu aus dem Ko- Ich möchte deshalb mein Angebot für einen gemein-
alitionsvertrag zitieren: samen Antrag zum Schutz des Wasserhaushaltes und der
Feuchtgebiete erneuern.
Frei fließende Flüsse haben einen hohen ökologi-
schen Wert. … Für den Natur- und Hochwasser-
schutz sollen natürliche Auen reaktiviert und Fluss- Oliver Kaczmarek (SPD): Wir reden nicht häufig
täler, wo immer möglich, renaturiert werden. über Wasser in Deutschland. Hohe Standards in der Was-
serwirtschaft, der Trinkwasserversorgung und der Ab-
Vor dem Hintergrund des Klimawandels und der sich wasserbeseitigung gehören zum Alltag. Der damit ver-
(B) ergebenden Folgen für den Wasserhaushalt wird sowohl bundene Aufwand wird zu häufig nicht gesehen. (D)
der Hochwasserschutz als auch der Schutz der Ressource Gesprochen wird über Wasser meist im Zusammenhang
Trinkwasser immer bedeutender. Hochwasserschutz mit Bedrohungen oder manchmal auch Katastrophen.
meint dabei nicht nur technischen Schutz und Verbauun- Diese Ereignisse stellen uns immer wieder vor die He-
gen. Der effektivste Hochwasserschutz ist unbestritten rausforderung, neu über den Gewässerschutz und den
der Schutz der natürlichen Flusslandschaften und der Schutz vor Hochwassern zu debattieren.
Flussauen mit allen positiven Nebeneffekten für den
Grundwasser- und Naturschutz. Wir müssen den Flüssen Vor allem vor dem Hintergrund des Klimawandels
wieder mehr Raum geben, damit Flüsse ihrer natürlichen spielt der ökologische Gewässerschutz eine immer wich-
Dynamik folgen können und Rückhalteflächen geschaf- tigere Rolle. Naturnahe Gewässer sind der beste Schutz
fen werden. Deshalb bin ich aktives Mitglied der parla- vor Hochwasser und somit auch ein Schutz des Men-
mentarischen Arbeitsgruppe „Frei fließende Flüsse“. schen.
Die am 7. November 2007 verabschiedete Nationale Die jüngsten Hochwasser an Weichsel und Oder mit
Strategie zur biologischen Vielfalt umfasst auch den Au- ihren Nebenflüssen haben deutlich gemacht, welche He-
enschutz. Das Bundesumweltministerium hat den Auen- rausforderungen infolge klimatisch bedingter Extrem-
zustandsbericht im Oktober 2009 vorgelegt. Es ist ver- wetterereignisse zukünftig zu erwarten sind: Hochwas-
einbart, dass im Rahmen der Umsetzung der Nationalen ser folgen nicht nur in immer kürzeren Abständen; auch
Strategie ein Bundesprogramm „Biologische Vielfalt“ die Sachschäden für die Bürgerinnen und Bürger werden
erarbeitet werden soll. Das Bundesumweltministerium von Mal zu Mal schwerwiegender.
arbeitet an der Vorbereitung dieses Bundesprogramms.
Es sieht einen Förderschwerpunkt beim Schutz der Der Klimawandel verschärft durch zunehmenden
Flussauen vor. Starkregen die Probleme. In der Folge werden in
Deutschland die Niederschläge im Winter zu-, im
Ein nur auf die Kompetenzen des Bundes bezogenes Sommer jedoch abnehmen. Als mögliche Auswirkungen
Auenschutzprogramm ist nicht sinnvoll, weil die Kom- auf den Wasserhaushalt ist von einer steigenden Hoch-
petenzen nicht alleine beim Bund liegen, sondern sich wasserwahrscheinlichkeit im Winter und im Frühjahr
auf Bund, Länder und Gemeinden verteilen. Dennoch – unter anderem durch die geringere Niederschlagsspei-
greifen die Anträge wichtige Anliegen auf. Dazu gehö- cherung als Schnee – auszugehen.
ren die Reinhaltung des Grundwassers, die Sicherung
der Trinkwasservorräte und die Sicherung der Artenviel- Wir müssen jetzt konsequent handeln, um auf diese
falt. Es ist allgemein bekannt, dass gerade in den Feucht- Herausforderung zu reagieren:
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(A) Erstens. Nachhaltiger Hochwasserschutz ist ökologi- Überschwemmungsflächen zu schaffen. Hier wird auch (C)
scher Hochwasserschutz. Naturnahe Wasserspeicher ein offensichtlicher Mangel der Bundesregierung deut-
leisten den nachhaltigsten Beitrag zum effektiven Schutz lich: Mit dem Hinweis auf Länderzuständigkeiten zieht
vor Hochwassern in den Siedlungsgebieten. man sich aus der Verantwortung. Dabei wäre es richtig,
wenn die Bundesregierung ein Bündnis für den Hoch-
Zweitens. Wir müssen uns stärker als bisher bewusst
wasserschutz und für den Schutz des naturnahen Wasser-
machen, dass Programme und Maßnahmen nicht singu-
haushalts anführen würde, und zwar sowohl auf Bundes-
lär zu betrachten sind. Die Formel ist: Naturschutz ist
wie auch auf europäischer Ebene.
Klimaschutz und Klimaschutz ist Hochwasserschutz.
Deswegen ist Hochwasserschutz auch untrennbarer Teil Denn es ist banal: Flüsse machen an keiner Landes-
der Strategie zur Bewältigung des Klimawandels. grenze halt. Dennoch muss darauf hingewiesen werden,
Drittens. Europäisch denken heißt: Wir müssen mitei- weil heute kaum ein gemeinsames Verständnis über den
nander über ökologischen Hochwasserschutz einen Kon- ökologischen Hochwasserschutz in den Regierungen Eu-
sens finden. Das haben uns die Ereignisse an der Weich- ropas herrscht. Deshalb ist es unabdingbar, nachhaltigen
sel noch einmal deutlich vor Augen geführt. Hochwasserschutz stärker auf der europäischen Ebene
zu verankern und zu kontrollieren. Wir müssen gemein-
Der Wasserhaushalt hat sich in der gesamten Land- sam dafür werben, nachhaltigem Hochwasserschutz
schaft drastisch verändert. In den letzten 100 Jahren durch natürliche Wasserspeicher den Vorrang vor kurz-
wurden Flüsse und Bäche begradigt, Auen ausgedeicht fristigen Maßnahmen, wie der Errichtung von Rückhal-
und landwirtschaftlich genutzt oder bebaut, Moore und tebecken oder Stahlmauern, zu geben. In der Debatte im
Feuchtgebiete entwässert, Böden verdichtet und versie- Umweltausschuss habe ich dazu parteiübergreifend viel
gelt und Wälder zu nicht standortgerechten artenarmen Zustimmung gesehen. Daher bin ich hoffnungsfroh, dass
Forsten umgebaut. wir das Thema nun nicht einfach wieder beiseitelegen
Wer allerdings verheerende Hochwasser nachhaltig und beim nächsten Hochwasser erneut aufrufen, sondern
vermeiden möchte, der kommt nicht umhin, den Flüssen es kontinuierlich bearbeiten und am Ende über Wasser in
ihren Raum zurückzugeben. Die Fehler der Vergangen- Deutschland tatsächlich nicht nur reden, wenn es uns be-
heit wie Kanalisierung und Begradigung der Flüsse, droht.
Wiesenumbruch in den Talauen und Bodenverdichtung
werden mittlerweile gebietsweise rückgängig gemacht. Horst Meierhofer (FDP):
Aber bis heute setzen sich die Flächenversiegelung und
der Zugriff auf Überschwemmungs- und Flusseinzugs- Wir werden die Qualität der Gewässer weiter ver-
gebiete für neue Straßen, Bau- und Gewerbegebiete fort. bessern. Hierzu werden wir die Anforderungen der
(B) Wasserrahmenrichtlinie an die Gewässergüte ge- (D)
Natürliche Wasserspeicher wie Auen und Moore sind meinsam mit unseren Nachbarn zügig umsetzen,
gegenwärtig zu einem Großteil zerstört. Sie schützen Schadstoffeinträge weiter vermindern und den Ge-
aber wirksamer vor Hochwasser als technische Lösun- wässern mehr Raum geben. Die Förderung von
gen wie Stahlmauern oder immer höhere Deiche. Hinzu Agrar-Umweltmaßnahmen ist stärker auf die Ver-
kommt, dass Auen und Moore natürliche CO2-Senken ringerung der Einträge von Nährstoffen und Pflan-
sind und damit einen wichtigen Beitrag zum Kampf ge- zenschutzmitteln in Gewässer auszurichten.
gen den Klimawandel leisten. Außerdem findet sich in
keinem anderen Ökosystem eine so eindrucksvolle Viel- Soweit das Zitat auf Seite 25 des Koalitionsvertrages.
falt an Tier- und Pflanzenarten wie in naturnahen Flüs-
sen und Flussauen. Über 12 000 Arten kommen hier vor, Inhaltlich begrüße ich die Vorschläge der SPD und
darunter viele ausgesprochene Seltenheiten wie Biber, der Grünen. Allerdings zeigt das Zitat auf, dass die An-
Pirol oder der Schwarzstorch. träge keine Fortentwicklung unserer Pläne bringen. Ich
möchte anhand einzelner Bereiche hervorheben, welche
In einem landwirtschaftlich und industriell genutzten Bemühungen bisher getroffen wurden, und aufzeigen,
Raum sind immer wieder Kompromisse zwischen ökolo- dass wir hier keineswegs untätig bleiben.
gischer und ökonomischer Nutzung notwendig. Seit der
Industrialisierung bis heute hat die einseitige Fokussie- Hinsichtlich der Grundwasserqualität werden wir uns
rung jedoch nicht nur zu einem Verlust der Artenvielfalt bald mit der neuen Grundwasserverordnung auf einem
und Biodiversität geführt, sondern auch zu einer Ver- Schutzniveau bewegen, das höher ist als jemals zuvor.
schärfung der Hochwassergefahr. Umso wichtiger ist es, Die europäischen Vorgaben der Wasserrahmenrichtlinie
Industrie, Landwirtschaft und Binnenschifffahrt in die werden mehr als nur eingehalten. Mit der FDP-Fraktion
Planung von wirkungsvollen Hochwasserschutzmaßnah- wird es keine Verringerung des Grundwasserschutzstan-
men mit einzubeziehen. dards geben.
Hochwasserschutz darf nicht auf den Deichbau ver- Zweiter Bereich: Oberflächengewässer. Selbstver-
engt werden. Auch beim letzten Hochwasser an der Oder ständlich ist es richtig, wenn im Antrag der Grünen der
vor einigen Wochen haben Behördenvertreter und Politi- Auenschutz als eines der zentralen Themen für eine an-
ker fast ausnahmslos darüber geredet, ob die Deiche gemessene Hochwasservorsorge hervorgehoben wird.
halten oder nicht. Kaum jemand spricht über die Not- Der Auenschutz liegt uns ohnehin besonders am Herzen.
wendigkeit, im Einzugsbereich der Flüsse den ursprüng- „Für den Natur- und Hochwasserschutz sollen natürliche
lichen natürlichen Zustand wiederherzustellen und mehr Auen reaktiviert und Flusstäler, wo immer möglich, re-
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(A) naturiert werden.“ Auch dies ist ein wörtliches Zitat aus ten der Katastrophe Maßnahmen zu ergreifen, die diese (C)
dem Koalitonsvertrag. zumindest eindämmen oder bestenfalls sogar ganz ver-
hindern. Deshalb würde ich mir eine Beschäftigung des
Unser gemeinsames Ziel muss es sein, darüber hinaus Parlaments mit dem für viele Menschen existenziellen
Auenschutz, mehr Retentionsräume und weniger Ver- Thema „Hochwasserschutz“ auch einmal unabhängig
bauung nicht nur an Donau, Rhein, Elbe oder Oder im von aktuellen Hochwasserereignissen wünschen.
Blick zu haben, sondern das Hochwasserproblem am Ort
seiner Entstehung zu verhindern oder zumindest zu redu- Die bedeutendsten Klimaprognosen für den mittel-
zieren. Das heißt im Klartext: Wenn Bächen und kleinen europäischen Raum sagen voraus, dass sich fortschrei-
Zuflüssen genügend Raum gegeben ist, nimmt auch der tend die Jahresniederschlagsmengen auf immer weniger,
Druck auf die großen Ströme ab. aber umso heftigere Niederschlagsereignisse verteilen
werden. Das stellt bereits heute, da wir die ersten Aus-
Auch ein Blick zurück zeigt, dass dieser Bereich seit wirkungen dieser Entwicklung zu spüren bekommen,
Jahren und über Parteigrenzen hinweg immer im Fokus besondere Herausforderungen und Ansprüche an den
stand. Erwähnenswert ist zum Beispiel die Nationale Gewässer- und Hochwasserschutz.
Strategie zur biologischen Vielfalt aus dem Jahr 2007:
Wir wollen bis 2020 die Fließgewässer und ihre Auen in Die Forderungen nach einem integrierten Hochwas-
der Funktion als Lebensraum soweit sichern, um den ge- serschutzkonzept sind sinnvoll und begrüßenswert, in
samten Naturraum in seiner Vielfalt wiederherzustellen. der vorliegenden Form aber nicht konsequent genug. Sie
Gleichzeitig soll die Anzahl der Überflutungsräume wären besser angelegt in konkreten Gesetzesänderungen
deutlich erhöht werden. oder Programmen. In den Anträgen findet sich unserer
Meinung nach auch die europäische Komponente nicht
Weiter haben wir pünktlich am 22. März 2010 für alle ausreichend wieder. Eine bessere Koordinierung als
relevanten Flussgebietseinheiten die Bewirtschaftungs- bloße Formulierung reicht nicht aus; denn hier muss
pläne an die Europäische Kommission übermittelt und schnellstens gehandelt werden. Höhere Deiche in Bran-
eine Planung für die Verbesserung der Fließgewässer denburg allein sind zwar gut für die örtliche Bevölke-
vorgenommen. rung. Sie können aber nicht die Lösung des Problems
Hier muss erwähnt werden, dass alleine die Umset- sein, wenn auf der anderen Seite der Oder ganze Dörfer
zung der Wasserrahmenrichtlinie bis Ende 2015 ge- unter Wasser stehen. Hochwasser kennt keine Grenzen.
schätzte 9,4 Milliarden Euro kosten wird. Wie Sie hieran Grenzenloses Denken und Planen muss auch Leitschnur
erkennen können, zeigt sich auch auf haushalterischer jeder Hochwasserpolitik sein.
Ebene der politische Wille der Regierung, den Natur- Die Wechselwirkungen zwischen Fluss und Aue be-
(B) schutz trotz finanzieller Sparzwänge hoch zu gewichten. einflussen maßgeblich den ökologischen Zustand beider (D)
Erneut darf ich Ihnen erfreut mitteilen, dass die Arbeit Lebensräume. Flussauen haben vielfältige Funktionen.
der Wasser- und Schifffahrtsverwaltungen auch auf- Sie dienen als Lebensraum, als Biotopverbundachsen,
grund unseres politischen Drängens mittlerweile be- sie sorgen für sauberes Grundwasser und sind Erho-
inhaltet, bei der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie lungsräume. Als Retentionsräume für Flüsse dienen sie
einen ökologischen Part zu übernehmen und sich aktiv für auch dem Hochwasserschutz.
den Umweltschutz einzusetzen – eine sehr erfreuliche Der Schutz von Flussauen ist daher ein wichtiger Be-
Entwicklung! standteil zur Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtli-
Lassen Sie mich noch in aller Kürze auf Schutzmaß- nie, die uns verpflichtet, bis 2015 für einen guten ökolo-
nahmen vor Hochwasser eingehen, die trotz aller erforder- gischen und chemischen Zustand der Gewässer zu
lichen natürlichen Maßnahmen hilfreiche und sinnvolle sorgen. Aus dem Auenschutzbericht geht allerdings her-
Ergänzungen darstellen. Ein Deich wird nicht vollständig vor, dass die Auen in Deutschland ihre Funktion als Le-
durch Auen ersetzbar sein. Technische Lösungen sind bensraum, Wasserfilter und Überflutungsfläche nicht
bis zu einem gewissen Grad gerade in dicht besiedelten ausreichend erfüllen.
Gebieten erforderlich. Wie Sie anhand des letzten Hoch- Deshalb begrüßt Die Linke den Antrag von Bünd-
wassers an der Oder sehen konnten, ist der Zustand und nis 90/Die Grünen, der die Bundesregierung auffordert,
die Pflege dieser Konstruktionen in keinem schlechten die Ergebnisse des Auenschutzberichtes endlich in kon-
Zustand, auch wenn an manchen Stellen noch Verbesse- kretes Handeln umzusetzen.
rungsbedarf besteht.
Wir stimmen zu, dass die Einbeziehung der verschie-
Ich begrüße die Debatte um das elementarste aller denen Akteure zum überregionalen Ausgleich unter-
Güter und bin stets bereit, gute Ideen aufzunehmen, will schiedlicher Nutzungsinteressen erforderlich ist. Ge-
Ihnen aber auch sagen: Die Koalition hat dieses Thema nauso hoch schätzen wir auch den jeweiligen regionalen
im Griff. Interessenausgleich ein. Hier erinnere ich noch einmal
an das geglückte Beispiel der Deichrückverlegung an der
Sabine Stüber (DIE LINKE): Das Thema Gewässer- Elbe bei Lenzen. Dort entstanden 425 Hektar Überflu-
und Hochwasserschutz wird immer dann aktuell, wenn tungsfläche und nach Initialpflanzung wächst seit zehn
die Resultate von jahrelangen Versäumnissen in aller Jahren auf 300 Hektar Auwald. Das ist ein gutes Beispiel
Härte spürbar werden, nämlich dann, wenn es Hochwas- dafür, dass es gehen kann, wenn der politische Wille vor-
ser gibt. Das Vorsorgeprinzip verlangt aber, vor Eintre- handen ist.
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(A) Dass es aber gravierende Defizite gibt, zeigen die der Abstimmung unseres Antrages im Agrarausschuss (C)
Ziele für Feuchtgebiete und Moore in der nationalen enthalten. Hat Ihre interne Abstimmung nicht funktioniert
Strategie zur Biologischen Vielfalt, die bis heute nicht oder hat die Agrarlobby erfolgreich ihre Muskeln spielen
erreicht sind. Deshalb geht uns der Antrag der SPD zum lassen? Dann hätten Sie sich aber auch bei Ihrem eigenen
Schutz von Nass- und Feuchtgebieten auch nicht weit Antrag zum Wasserhaushalt enthalten müssen, dessen
genug. Für uns ist es wichtig, dass Prioritäten gesetzt Forderungen sich weitgehend mit unseren decken.
werden, die in konkretem Handeln münden statt allge-
meiner Erklärungen zum Ernst der Lage. Der SPD-Antrag für ein integriertes Hochwasserkon-
zept beinhaltet viele richtige Ansätze, die wir bereits for-
Um ein Beispiel zu nennen: Moore bedecken nur muliert und in die Debatten im Deutschen Bundestag
3 Prozent der Landfläche, binden aber 30 Prozent des eingebracht haben. Aber er geht nicht weit genug. Es muss
terrestrischen Kohlenstoffs in sich. Das zeigt, welche eine klare Priorität für den naturnahen Hochwasser-
Bedeutung ihnen nicht nur für die Artenvielfalt, sondern schutz vor dem technischen Hochwasserschutz geben.
auch für den Klimaschutz zukommt. Moorschutz hat da- Natürliche Rückhalteflächen müssen konsequent geschützt
her höchste Priorität! Die Länder sind aufgefordert, werden, und verloren gegangene Rückhalteflächen müssen
Moorschutzkonzepte zu erstellen. Als Grundlage müs- als Überschwemmungsgebiete zurückgewonnen werden.
sen Zustandsbewertungen her als Basis für einen flä-
chendeckenden Moorschutz. Ein Umbruchverbot von Die jüngsten Überschwemmungen in Frankreich, Polen
Moorböden kann nur ordnungsrechtlich durchgesetzt und Tschechien haben uns wieder vor Augen geführt,
werden. Dazu muss die Bundesregierung für eine konse- wie gefährlich Hochwasser sein kann. In Folge des Klima-
quente Umsteuerung der EU-Agrarpolitik in diesem wandels werden wir immer häufiger starke Überschwem-
Punkt einsetzen. mungen erleben. Darauf müssen wir uns vorbereiten, und
Intensive Landnutzung, Begradigung von Flüssen und dazu reichen die bisherigen Maßnahmen nicht aus.
Dezimierung natürlicher Auenflächen muss mit konkre-
Naturnaher Hochwasserschutz braucht gesellschaftliche
ten Programmen begegnet werden – durch Renaturie-
Akzeptanz. Die Landwirtschaft, die Waldwirtschaft und
rung von Gewässern, Rückverlegung von Deichen und
die Menschen in den Flusstälern müssen für dieses Kon-
Verbesserung der Wasserrückhaltefähigkeit von Mooren
zept gewonnen werden. Wir sind davon überzeugt: Auen-
und Feuchtgebieten. Die Bundesregierung ist gefordert,
endlich die notwendigen gesetzlichen Rahmenbedingun- schutz und damit Hochwasserschutz sind ein Gewinn für
gen zu schaffen, es ist höchste Zeit. alle, für Mensch und Natur.
Dabei ist die Rolle der Flussgebietsgemeinschaften
(B) Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Unser besonders wichtig, vor allem international. Denn die (D)
Antrag zum Auenschutzprogramm und der SPD-Antrag Überschwemmungen in Polen haben dazu geführt, dass
zum Wasserhaushalt wurden hier im Plenum bereits ein- bei uns das Hochwasser nicht mehr so mächtig war. Un-
mal beraten. Herr Liebing und Herr Göppel von der sere Deiche wurden entlastet. Wenn die Polen ihren tech-
Unionsfraktion hatten sich in dieser Debatte für einen nischen Hochwasserschutz verbessern, bleiben sie beim
gemeinsamen Beschluss im Bundestag ausgesprochen. nächsten Mal verschont, und wir haben wieder mit ver-
Schade nur, dass sie dann in den Ausschüssen unseren schärften Problemen zu rechnen.
Antrag mit fadenscheinigen Argumenten abgelehnt ha-
ben. Wir hätten gemeinsam einen sinnvollen Beitrag zu Höhere Deiche und ein schnellerer Abfluss des Wassers
Artenschutz, Hochwasserschutz und Gewässerschutz verlagern die Probleme immer nur flussabwärts. Dabei
leisten können. wächst die Gewalt der Wassermassen. Aus dieser Spirale
müssen wir ausbrechen, und das geht nur mit einer mo-
Stattdessen hören wir von Schwarz-Gelb in Sachen dernen naturnahen Hochwasserpolitik, die auf Wasser-
Auenschutz bisher nur Sonntagsreden, obwohl der Koali- rückhalt, Wasserspeicherung und langsamere Abfluss-
tionsvertrag die Renaturierung von Auen und Flusstälern
geschwindigkeiten setzt, und das in der gesamten
verspricht. Mit der Zustimmung zu unserem Antrag hät-
Flussgebietsgemeinschaft. Dafür brauchen wir die nöti-
ten sie beweisen können, dass sie es damit ernst meinen.
gen Flächen, die nötigen Mittel und ein ressortübergrei-
Auch über die SPD habe ich in diesem Zusammen- fendes, stimmiges Konzept. Darauf werden wir weiter-
hang gestaunt. Denn wider Erwarten haben Sie sich bei hin drängen.
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
ISSN 0722-7980

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