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Plenarprotokoll 14/6

Deutscher Bundestag
Stenographischer Bericht

6. Sitzung

Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Inhalt:

Änderung einer Ausschußüberweisung ........... 319 A Christine Scheel BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN................................................................. 333 C
Tagesordnungspunkt 1:
Dr. Hermann Otto Solms F.D.P....................... 336 C
Fortsetzung der Aussprache zur Regie-
rungserklärung des Bundeskanzlers ...... 319 B Dr. Christa Luft PDS ....................................... 338 C
in Verbindung mit Carl-Ludwig Thiele F.D.P. .......................... 341 D

Tagesordnungspunkt 10: Gerda Hasselfeldt CDU/CSU .......................... 345 A

a) Erste Beratung des von den Fraktionen Klaus Wolfgang Müller (Kiel) BÜND-
SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NIS 90/DIE GRÜNEN .................................... 346 D
NEN eingebrachten Entwurfs eines Dr. Kurt Faltlhauser, Staatsminister (Bayern) . 348 B
Steuerentlastungsgesetzes 1999/2002
(Drucksache 14/23) .............................. 319 B Carl-Ludwig Thiele F.D.P. .............................. 350 B
b) Antrag der Fraktionen SPD und Hans Georg Wagner SPD ............................ 352 A
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Joachim Poß SPD ............................................ 353 A
Zur Kindergeldauszahlung und zur
Peter Harald Rauen CDU/CSU........................ 354 D
Erstellung der Lohnsteuertabellen
1999 (Drucksache 14/28) ..................... 319 B Dr. Barbara Höll PDS...................................... 356 C
c) Antrag der Fraktion der PDS Tagesordnungspunkt 11:
Wiedererhebung der Vermögen- Beschlußempfehlung des Auswärtigen
steuer (Drucksache 14/11) ................... 319 C Ausschusses zu dem Antrag der Bundes-
in Verbindung mit regierung

Zusatztagesordnungspunkt 3: Deutsche Beteiligung an der NATO-


Luftüberwachungsoperation über dem
Antrag der Abgeordneten Dr. Barbara Kosovo (Drucksachen 14/16, 14/32) ......... 357 C
Höll, Dr. Christa Luft, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der PDS Hans-Ulrich Klose SPD................................... 357 D

Besteuerung von Luxusgegenständen Joseph Fischer, Bundesminister AA....... 358 B, 364 D


(Drucksache 14/27) .................................... 319 C Paul Breuer CDU/CSU .................................... 360 A
Oskar Lafontaine, Bundesminister BMF ......... 319 C Rudolf Scharping, Bundesminister BMVg ...... 361 C
Friedrich Merz CDU/CSU ...................... 326 D, 333 A Ulrich Irmer F.D.P........................................... 363 B
Joachim Poß SPD ................... 331 A, 331 D, 336 D Heidi Lippmann-Kasten PDS .......................... 364 A
Dr. Hermann Otto Solms F.D.P. .................. 331 C Volker Rühe CDU/CSU .................................. 366 A
Ingrid Matthäus-Maier SPD.................... 332 D, 340 D Ernot Erler SPD............................................... 366 D
II Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Dr. Klaus Kinkel F.D.P.................................... 367 C NATO-Luftüberwachungsoperation über dem


Kosovo (Tagesordnungspunkt 11)................... 373 B
Angelika Beer BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN . 368 B
Wolfgang Gehrcke PDS................................... 369 A Anlage 3
Namentliche Abstimmung ............................... 369 D Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten
Winfried Nachtwei, Winfried Hermann, Ker-
Nächste Sitzung ............................................... 372 A stin Müller (Köln), Gila Altmann (Aurich),
Angelika Beer, Volker Beck (Köln), Hans-
Anlage 1 Josef Fell, Klaus Wolfgang Müller, Claudia
Liste der entschuldigten Abgeordneten ........... 373 A Roth (Augsburg), Christian Sterzing, Sylvia
Ingeborg Voss (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Anlage 2 NEN) zur Abstimmung über die Be-
schlußempfehlung des Auswärtigen Aus-
Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten schusses zu dem Antrag der Bundesregierung:
Annelie Buntenbach, Monika Knoche, Chri- Deutsche Beteiligung an der NATO-
stian Simmert, Hans Christian Ströbele und Luftüberwachungsoperation über dem Koso-
Irmingard Schewe-Gerigk (alle BÜND- vo (Tagesordnungspunkt 11) ........................... 374 A
NIS 90/DIE GRÜNEN) zur Abstimmung
über die Beschlußempfehlung des Auswärti-
Anlage 4
gen Ausschusses zu dem Antrag der Bundes-
regierung: Deutsche Beteiligung an der Amtliche Mitteilungen..................................... 375 A
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(A) (C)

6. Sitzung

Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Beginn: 10.30 Uhr

Präsident Wolfgang Thierse: Meine Damen und c) Beratung des Antrags der Fraktion der PDS
Herren, die Sitzung ist eröffnet.
Wiedererhebung der Vermögensteuer
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, habe ich
Ihnen noch folgendes mitzuteilen. In der gestrigen Sit- – Drucksache 14/11 –
zung wurde der Antrag der Fraktion der PDS zum Überweisungsvorschlag:
Vermögenszuordnungsgesetz auf Drucksache 14/17 Finanzausschuß (federführend)
zur federführenden Beratung an den Ausschuß für An- Ausschuß für Wirtschaft und Technologie
gelegenheiten der neuen Länder und zur Mitberatung an
den Ausschuß für Wirtschaft und Technologie, an den ZP3 Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Bar-
Rechtsausschuß und an den Haushaltsausschuß überwie- bara Höll, Dr. Christa Luft, Heidemarie Ehlert,
sen. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll die weiterer Abgeordneter und der Fraktion der PDS
Federführung jedoch beim Rechtsausschuß liegen. Sind
Sie mit dieser Änderung einverstanden? – Das ist offen- Besteuerung von Luxusgegenständen
(B) bar der Fall. Dann ist so beschlossen. (D)
– Drucksache 14/27 –
Ich rufe Tagesordnungspunkt 1 auf: Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuß
Fortsetzung der Aussprache zur Regierungserklä-
rung des Bundeskanzlers Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache drei Stunden vorgesehen. – Ich höre kei-
Die Themenbereiche sind jetzt Finanzen und Steuern. nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Außerdem rufe ich die Tagesordnungspunkte 10 a bis Es wird mir gerade mitgeteilt, daß das Plenum nach
10 c sowie den Zusatzpunkt 3 auf: dieser Debatte für zirka 30 Minuten wegen einer Frakti-
10. a) Erste Beratung des von den Fraktionen SPD onssitzung der SPD unterbrochen werden soll. Ich bitte
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- um Ihr Einverständnis.
brachten Entwurfs eines Steuerentlastungsge- (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU], zur
setzes 1999/2000/2002 SPD gewandt: Habt ihr Probleme?)
– Drucksache 14/23 –
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bun-
Überweisungsvorschlag: desminister der Finanzen, Oskar Lafontaine.
Finanzausschuß (federführend)
Ausschuß für Wirtschaft und Technologie (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das ist
Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten die Abschiedsrede!)
Aussschuß für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuß für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen
Ausschuß für Bildung und Forschung
Ausschuß für Tourismus Oskar Lafontaine, Bundesminister der Finanzen:
Haushaltsausschuß mitberatend und gemäß § 96 GO Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
b) Beratung des Antrags der Fraktionen SPD Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das wichtigste Ziel der Bundesregierung deutlich ge-
macht: Das ist die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit.
Zur Kindergeldauszahlung und zur Er- Ich glaube, daß alle in diesem Hause zustimmen werden,
stellung der Lohnsteuertabellen 1999 wenn ich sage, daß wir, solange die Arbeitslosenzahl im
– Drucksache 14/28 – Jahresdurchschnitt etwa 4 Millionen beträgt, nicht von
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Bundesminister Oskar Lafontaine

(A) einer zufriedenstellenden Situation, nicht von einem Verstößt man gegen den Grundsatz der Steuergerechtig- (C)
wohlbestellten Haus sprechen können. keit im Steuerrecht, dann ist das nicht in erster Linie
eine ökonomische Frage, sondern betrifft in erster Linie
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten die Gesamtgesellschaft. Es geht hier um den Zusam-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der menhalt einer Gesellschaft. Der Zusammenhalt einer
PDS) Gesellschaft wird gestärkt und gefestigt, wenn die Steu-
Ich möchte ausdrücklich feststellen, daß wir uns auch erzahlerinnen und Steuerzahler den Eindruck haben: Es
mit den Oppositionsparteien in dem Ziel einig sind, die geht in unserem Staate gerecht zu.
Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Diese Feststellung ist
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
mir wichtig.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Diskussion geht also lediglich um die Frage:
Welche Maßnahmen müssen ergriffen werden, um die Deshalb haben die Meinungsforschungsinstitute ins-
Arbeitslosigkeit zurückzuführen? Eine der Maßnahmen, gesamt von der Gerechtigkeitslücke gesprochen, und
die wir ergreifen wollen, ist eine Veränderung des diese hat die Diskussion im Vorfeld der Bundestags-
Steuerrechts. Ich möchte aber zu Beginn darauf hin- wahlen bestimmt. Sie haben festgestellt, daß es Auftrag
weisen, daß ich nicht der Auffassung bin, daß man allein der Wählerinnen und Wähler war, diese Gerechtigkeits-
oder auch nur in erster Linie mit dem Steuerrecht die lücke zu schließen. Die Regierung Schröder nimmt diese
Aufgabe bewältigen kann, die Arbeitslosigkeit zurück- Aufgabe an und setzt sie jetzt in die Tat um.
zuführen. Das kann man auch nicht ausschließlich mit (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
Maßnahmen zur Senkung der Lohnnebenkosten. Viel- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
mehr braucht man, wenn man die Arbeitslosigkeit zu-
rückführen will, ein ganzes Bündel von Maßnahmen, die Unsere Steuerrechtsvorschläge zielen darauf ab, die
aufeinander abgestimmt sein müssen. Eine dieser Maß- große Mehrheit der Bevölkerung zu entlasten. Es ist kei-
nahmen ist die Reform des Steuerrechts. ne Aussage, die nur aus dem Dialog der Parteien ent-
standen ist, wenn wir feststellen, daß die Arbeitnehme-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten rinnen und Arbeitnehmer in den letzten Jahren überpro-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) portional belastet worden sind, während andere Gruppen
Ich sage das deshalb, weil – sicherlich aus Überzeu- unserer Bevölkerung überproportional entlastet worden
gung – von Vertretern der jetzigen Oppositionsparteien sind. Das gilt nach der Statistik insbesondere für die
im Bundestagswahlkampf immer wieder geäußert wur- Belastung der Arbeitnehmerschaft im Verhältnis zu
de, das Steuerrecht sei der Schlüssel zur Bekämpfung Beamten, zu Selbständigen, zu Unternehmern und ande-
der Arbeitslosigkeit. Ich werde nachher noch im einzel- ren Gruppen der Bevölkerung. Deshalb war es notwen-
(B) dig, gezielt die Arbeitnehmerschaft und die Familien zu (D)
nen darauf eingehen.
entlasten.
Wir sind der Auffassung, daß das Steuerrecht eine
wichtige Rolle spielt. Aber wir würden das Steuerrecht (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS
insbesondere angesichts der Tatsache, daß wir in 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heidemarie
Deutschland die niedrigste Steuerquote in Europa haben, Ehlert [PDS])
überfordern, wenn wir glaubten, das Steuerrecht biete Diesem politischen Anliegen trägt dieser Gesetzentwurf
die Möglichkeit, ganz entscheidende Impulse zu geben, Rechnung.
mit denen die Arbeitslosigkeit zurückgeführt werden
kann. Dieser Gesetzentwurf unterscheidet sich an einer
wichtigen Stelle von den üblichen Verhaltensweisen von
Die unterschiedlichen Steuerkonzepte standen bei der
Regierungen – nicht nur in Deutschland, sondern in
Bundestagswahl zur Diskussion. Die ehemaligen Regie-
vielen Staaten der Welt. Häufig sind vor den Wahlen
rungsparteien haben ebenso für ihre Konzepte geworben,
Steuersenkungen versprochen worden, während nach
wie SPD und Grüne für die ihren geworben haben; die
den Wahlen die Steuern erhöht wurden.
Konzepte unterscheiden sich deutlich voneinander. Inso-
fern kann man wirklich davon sprechen – da die Steuer- (Brigitte Baumeister [CDU/CSU]: Bei Ihnen
politik ein Hauptthema der Bundestagswahl war –, daß auch!)
die Mehrheit der Wählerinnen und Wähler die Steuerkon-
zeption befürwortet und gutgeheißen hat, die wir Ihnen Eine solche Vorgehensweise bevorzugte auch die alte
jetzt in Form eines Gesetzentwurfes vorstellen. Koalition. Nicht zuletzt deshalb haben Sie in der Bevöl-
kerung soviel Vertrauen verloren.
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS
Unsere Steuerpolitik hat einen Ansatz, von dem wir 90/DIE GRÜNEN)
glauben, daß er in den letzten Jahren viel zuwenig be-
achtet worden ist, nämlich den Ansatz, daß das Steuer- Wir setzen mit diesem Steuerreformentwurf genau das
recht auch Steuergerechtigkeit herstellen muß, um von um, was wir den Wählerinnen und Wählern vor der
der großen Mehrheit der Bevölkerung angenommen zu Wahl versprochen haben. Das ist, so glaube ich, tatsäch-
werden. lich ein Neuanfang der Politik in Deutschland.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS
GRÜNEN und der PDS) 90/DIE GRÜNEN)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 321
Bundesminister Oskar Lafontaine

(A) Diese Steuerreform ist arbeitnehmerfreundlich, sie ist dige Schwächung der Nachfrage zum Verlust von Ar- (C)
aber auch familienfreundlich. Ich habe kein Verständ- beitsplätzen führt.
nis dafür gehabt, daß im Vorfeld der Auseinander-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
setzungen immer wieder, auch von Industrieverbänden,
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
behauptet wurde – von der Sache her im übrigen fälsch-
PDS)
licherweise –, die Erhöhung des Kindergeldes schaffe
keinen einzigen Arbeitsplatz. Der ökonomische Zu- Ihr Vorwurf der Umverteilung trifft uns mitten ins
sammenhang ist die eine Sache – klar ist, daß die Fami- Herz. Sie haben recht: Ihre Umverteilung haben wir
lien, die auf jede Mark angewiesen sind, diese auch aus- rückgängig gemacht. Die Umverteilung von unten nach
geben, und somit wird sie in Nachfrage umgesetzt –, oben ist gestoppt. Jetzt wird der großen Mehrheit des
Volkes gegeben. Das ist unser Wählerauftrag; und genau
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) den setzen wir um.
aber uns geht es um etwas anderes: Es genügt nicht, (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
immer nur die Bedeutung der Familie zu beschwören; des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
wir müssen auch die materiellen Grundlagen dafür
schaffen, daß die Familien in unserem Staate gefördert Bei der sogenannten Gegenfinanzierung, meine
werden. Damen und Herren, sind natürlich auch die Vertei-
lungswirkungen und die ökonomischen Auswirkungen
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE zu beachten. Wir haben Ihrem Steuerkonzept widerspro-
GRÜNEN und der PDS) chen, weil es einen systematischen Fehler hatte; daß
Entlastungswirkungen zwar immer wieder angepriesen
Deshalb haben wir kein Verständnis dafür, daß die Op-
worden sind, aber zuwenig darauf geachtet wurde, was
positionsparteien so hartnäckig Widerstand gegen die
die Entlastung für den einzelnen bedeutet.
Verbesserung der Stellung der Familien im Steuerrecht
Es hat keinen Sinn, von Steuerentlastungen zu reden,
(Michael Glos [CDU/CSU]: Kappung des wenn dabei – wie das in der Debatte immer wieder ge-
Ehegattensplittings!) schehen ist – die Begriffe völlig durcheinandergemengt
und die Erhöhung des Kindergeldes geleistet haben. werden. Steuerentlastung für die Gesamtheit, also Net-
toentlastung, sagt zunächst noch gar nichts darüber aus,
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sehr wahr!) wer der Nutznießer und wer der Benachteiligte einer
solchen Entlastung ist. Wir haben das durchgerechnet.
Ich bin der Auffassung: Es wäre auch in Ihrem Interesse,
Im Gegensatz zu Ihrem Steuerkonzept werden bei uns
diese Haltung zu korrigieren. Es ist nicht übertrieben,
die Leistungsträger der aktiven Arbeitnehmerschaft
(B) wenn die Familienverbände und die Kirchen feststellen, nicht belastet, sondern entlastet. Das ist der Unterschied (D)
daß die Familien auch im Steuerrecht in den letzten Jah-
zwischen Ihrem und unserem Konzept.
ren zu schlecht gestellt worden sind. Deshalb wollen wir
das korrigieren. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS PDS)
90/DIE GRÜNEN)
Sie haben – das ist ja nicht zu bestreiten – mit steuer-
Im Zusammenhang mit einer Steuerreform, die ar- systematischen Gründen dafür geworben, die Schichtar-
beitnehmerfreundlich und familienfreundlich ist, wird beiter zu besteuern. Sie haben – das ist ja nicht zu be-
von Ihrer Seite, meine Damen und Herren, immer der streiten – mit steuersystematischen Gründen dafür ge-
Vorwurf der Umverteilung erhoben. Dies ist ein ganz worben, die Kilometerpauschale drastisch zu reduzieren.
und gar spaßiger Vorwurf, und zwar deshalb, weil das Sie haben – das ist ja nicht zu bestreiten – auch dafür
Steuerrecht stets – in welcher Form auch immer – eine geworben – von der Steuerwissenschaft, wie ich meine,
Umverteilung darstellt. Die Frage ist nur, wem gegeben falsch beraten –, den Arbeitnehmerpauschbetrag deut-
und wem genommen wird, wer der Nutznießer und wer lich zu reduzieren. Aber Sie haben versäumt, durchzu-
der Benachteiligte der Umverteilung ist. rechnen, was dies im einzelnen heißt. Dies korrigiert die
(Beifall bei der SPD und der PDS sowie bei Bundesregierung. Die Facharbeiter, die Krankenschwe-
Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE stern, die Fernfahrer, die Busfahrer, sie dürfen nicht die
GRÜNEN) Verlierer einer Steuerreform sein; sie sind bei uns die
Gewinner der Steuerreform.
Wenn also die einen Umverteiler die anderen Um-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
verteiler Umverteiler nennen, dann mag das zwar ganz
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
spaßig sein; aber hier wird auch der Unterschied deut-
PDS)
lich: Man kann von unten nach oben umverteilen in dem
Glauben, daß damit die Wachstumskräfte und die Inve- Natürlich, meine Damen und Herren, würden wir
stitionskräfte gestärkt würden; man kann aber auch für gern auch bei der Nettoentlastung noch größere Schritte
mehr Steuergerechtigkeit sorgen und Ungerechtigkeiten machen. Obwohl sich die Vorurteile hartnäckig halten,
abbauen im Hinblick darauf, daß wir in der Wirtschafts- obwohl viele meinen, Deutschland sei ein Hochsteuer-
politik zwei Augen haben müssen, Angebot und Nach- land, sind die Tatsachen ganz, ganz andere. Tatsache ist,
frage, und unter Beachtung der Tatsache, daß eine stän- daß wir die niedrigste Steuerquote in der Europäischen
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Bundesminister Oskar Lafontaine

(A) Gemeinschaft haben. Wer in einer solchen Situation schrittweise in dem Maße senken, in dem der Staat (C)
sagt, wir müßten die Steuerquote noch weiter zurückfüh- Mehreinnahmen hat.
ren, der ist damit auch für schlechtere Schulen, schlech-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS
tere Forschung, schlechtere Straßen, schlechtere Ausbil-
90/DIE GRÜNEN)
dung, schlechtere Krankenhäuser, schlechtere Kinder-
gärten usw. Man darf den Leuten doch nicht Dinge er- Im übrigen haben wir 70 Subventionstatbestände in
zählen, die nicht zusammenpassen! den Gesetzentwurf geschrieben. Selbstverständlich kann
an diesen Listen einiges geändert werden. Die Bundes-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
regierung hätte ein ganz falsches Verständnis von par-
Wer für ein weiteres Absenken der Steuerquote plä- lamentarischer Beratung, wenn wir der Auffassung wä-
diert, plädiert auch für ein deutliches Zurückfahren der ren: Wir bringen ein solch umfangreiches Gesetz in die
öffentlichen Infrastrukturleistungen. Das muß einmal Ausschüsse ein, und es kommt genauso aus den Aus-
gesagt werden, um die Debatte wieder auf eine rationale schüssen, wie es in die Ausschüsse hineingegangen ist.
Grundlage zu stellen. Es gibt eine ganze Reihe von sachbezogenen Argumen-
ten, bei denen wir nicht sicher sind, ob sie nicht eine
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Überprüfung bestimmter Streichtatbestände erfordern.
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
PDS) Aber eines möchte ich für die Bundesregierung sa-
gen: Das Gesamtkonzept muß insoweit durchgehalten
Wenn ich höre, meine Damen und Herren, wie vor- werden, als nicht in unvertretbarem Ausmaße Einnah-
bildlich die Holländer sind, wie vorbildlich die Dänen meausfälle beschlossen werden. Denn es ist klar: Steuer-
sind, dann bin ich manchmal versucht, in Deutschland senkungen will jeder, aber bei der Gegenfinanzierung
die Steuer- und Abgabenquote Hollands oder Däne- sind dann viele zurückhaltend und zögerlich.
marks einzuführen. Dann möchte ich das Geschrei der-
jenigen hören, die Holland und Dänemark immer als (Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
große Vorbilder in der Europäischen Gemeinschaft dar- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
stellen.
Insoweit glauben wir, eine in sich ausgewogene Vor-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS lage gemacht zu haben, die wir immer auch – das sage
90/DIE GRÜNEN) ich auch bei allen anderen Maßnahmen, die ich anspre-
che – im Hinblick auf die Europäische Gemeinschaft
Natürlich entlasten wir nicht nur Arbeitnehmer und sehen müssen. Das ist vielleicht noch zuwenig bedacht
Familien. Vielmehr greifen wir Vorschläge der Wirt- worden. Aber wir müssen uns angewöhnen, fast alle
schaftsverbände auf, die darauf abzielten, die nominalen Vorlagen, die wir zu Steuer-, Sozial- und ähnlichen Ge-
(B) Steuersätze der Wirtschaft zu senken, sie aber gegenzu- (D)
setzen machen, immer auch auf die Vereinbarkeit mit
finanzieren durch eine Verbreiterung der Bemessungs- den Zielsetzungen der Europäischen Gemeinschaft hin
grundlage. Darüber diskutieren wir jetzt viele Jahre. durchzuchecken. Denn die Europapolitik wird mehr und
Interessanterweise haben eine Reihe von Vorschlägen mehr zur Innenpolitik, und das verlangt eine schrittweise
zur Verbreiterung der Bemessungsgrundlage, die insbe- Harmonisierung der jeweiligen Vorschriften in den ein-
sondere in Nordrhein-Westfalen entwickelt worden sind, zelnen Ländern.
auch in das Steuerkonzept der ehemaligen Regierung
Eingang gefunden. Daran ist nichts Verwerfliches. (Beifall bei der SPD)
Wenn wir da einer Auffassung sind, ist das in Ordnung.
Hier genau ergibt sich auch die Verbindung zu den
Nur besteht hier ein Konflikt, den man mit den Wirt- Lohnnebenkosten. Auch bei den Lohnnebenkosten ha-
schaftsverbänden austragen muß. Die Wirtschaftsver- ben wir ein anderes Konzept als Sie. Im ersten Punkt des
bände wollen nämlich in einem falschen Verständnis Konzeptes stimmen wir sicherlich überein. Dieser lautet:
von Lobbyismus die Öffentlichkeit glauben machen, Die Lohnnebenkosten sind zu hoch; sie müssen auch
man könnte amerikanische Steuersätze und deutsche durch strukturelle Reformen gesenkt werden. Ich möchte
Abschreibungsmöglichkeiten haben. Das geht nicht. Das hier ganz klar sagen – der Bundeskanzler hat es in seiner
ist unehrlich. Deshalb bitten wir hier um etwas mehr Regierungserklärung angesprochen –: Wer bei der Höhe
Wahrhaftigkeit. der Lohnnebenkosten glaubt, man komme ohne struktu-
relle Reformen aus, der macht einen Fehler.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN) (Beifall des Abg. Volker Kröning [SPD])
Meine Damen und Herren, es ist immer wieder kriti- Worüber wir wieder streiten müssen, ist, wie das im
siert worden, daß wir die Steuersätze erst schrittweise einzelnen aussehen soll. Das hatte ich hier an Hand der
senken. Aber das ergibt sich aus der Systematik: Wenn Rentenformel erläutert. Ich will es wiederholen, damit
wir Steuersubventionen abbauen, dann bauen sich die man mir nicht den Vorwurf macht: Der redet nur so all-
Mehreinnahmen des Staates erst langsam auf. Wenn wir, gemein daher. Wir haben bei der Rentenformel kritisiert,
wie wir überall lesen, bei der niedrigsten Steuerquote in daß die Kürzungen über den gesamten Rententarif vor-
Europa – ich wiederhole das – Haushaltsprobleme ha- genommen worden sind. Dann wurden wir mitten im
ben, wäre es fahrlässig und nicht verantwortbar, Steuer- Wahlkampf mit der jetzt vielleicht schon wieder ver-
senkungen weiterhin auf Pump zu finanzieren. Deshalb gessenen Tatsache konfrontiert, daß die Unionsparteien
mußten wir diesen Weg gehen und die Steuersätze insbesondere vor der bayerischen Landtagswahl die
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 323
Bundesminister Oskar Lafontaine

(A) Rentenkürzung für die Rentnerinnen und Rentner rung gewählt werden, um jetzt diese Reform in Angriff (C)
mit mindestens 45 Versicherungsjahren zurücknehmen zu nehmen.
wollten.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS
Das macht nun im Rahmen von Reformvorstellungen 90/DIE GRÜNEN)
gar keinen Sinn, nämlich daß die höheren Renten von
Auch bei den Lohnnebenkosten und der Energiever-
Kürzungen ausgenommen werden und die kleinsten
brauchsbesteuerung möchten wir auf die Notwendigkeit
Renten gekürzt werden. Solche Wege können wir nicht
der europäischen Harmonisierung hinweisen. Es ist
gehen. Deshalb mußten wir hier Ihre sogenannte Reform
schlicht und einfach eine Tatsache, daß wir auch bei
zurücknehmen,
dem Vergleich unserer Steuern und Abgaben mit ande-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS ren immer wieder die europäischen Nachbarn im Auge
90/DIE GRÜNEN) haben müssen und daß wir bei der Harmonisierung ei-
nen Bedarf haben. Hier ergibt sich insgesamt eine große
zumal Sie selbst – das möchte ich bei der öffentlichen Aufgabe für die Europäische Gemeinschaft, die heute
Diskussion der Redlichkeit halber sagen – Ihre soge- angesprochen werden muß. Der Steuerwettbewerb, wir
nannte Reform zurücknehmen wollten, allerdings an der sagen: Steuersenkungswettlauf zwischen den einzelnen
falschen Stelle. europäischen Mitgliedstaaten, ergänzt um die soge-
Bei der Senkung der Lohnnebenkosten wollen wir nannten Steueroasen, hat zu einem nicht haltbaren Zu-
einem weiteren Prinzip unserer Regierungsarbeit Rech- stand der Ungerechtigkeit innerhalb der Europäischen
nung tragen; das ist das Prinzip der Gerechtigkeit. Die- Gemeinschaft geführt. Man kann es nicht oft genug sa-
ses gilt auch für das Steuerrecht. Was meine ich da- gen: Während sich diejenigen, die Geld, hohe Einkom-
mit? Auf Grund der Struktur der Zusammensetzung der men und Gewinne haben, durch Wohnsitzverlagerung,
Sozialversicherungsbeiträge nimmt derjenige, der die Kontoverlagerung, Firmensitzverlagerung oder Gewinn-
Sozialkassen über Gebühr in Anspruch nimmt, auch verlagerung der nationalen Besteuerung entziehen
Umverteilungseffekte in Kauf. Er belastet nämlich über konnten und noch immer können, mußten die Arbeit-
Gebühr den Teil der Arbeitnehmerschaft, der die nehmer in ganz Europa immer höhere Lohnsteuern,
Hauptlast der Sozialversicherungsbeiträge trägt. Insofern Verbrauchsteuern und Sozialabgaben zahlen. Das müs-
war es ein Fehler von Ihnen, zur Finanzierung der sen wir ändern, um Gerechtigkeit auch auf europäischer
deutschen Einheit nicht in erster Linie die Steuer, son- Ebene herzustellen.
dern die Sozialabgaben heranzuziehen. Das war eine (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
falsche Umverteilung, die wir schrittweise korrigieren des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der
müssen. PDS)
(B) (D)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Im übrigen sind uns bei der Verwirklichung dieses
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Prinzips andere Staaten vorangegangen, Staaten, die
Das Gerechtigkeitsempfinden unseres Volkes besagt, – ich nenne Holland und Dänemark als Beispiele; ich
daß die Finanzierung des Aufbaus Ost nicht in erster erwähne auch den extrem hohen Benzinpreis in Groß-
Linie eine Aufgabe desjenigen Teils der Bevölkerung britannien – uns immer wieder als Vorbilder hingestellt
ist, der Sozialversicherungsbeiträge zahlt, natürlich er- wurden. Diese Staaten sind bei der Veränderung der
gänzt um die Beiträge der Unternehmerschaft; vielmehr Steuer- und Abgabenstruktur in bezug auf Lohnneben-
ist dies eine Aufgabe der Allgemeinheit, also aller Steu- kosten und die Belastung durch Energieverbrauchsteu-
erzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland, nach ern vorangeschritten. Insofern sehen wir eine Maßnahme
dem Prinzip der Leistungsfähigkeit. Deshalb war dies vor, die sich sehr wohl in den Kontext der europäischen
eine Fehlentscheidung, die Sie getroffen haben, deren Zusammenarbeit einbetten läßt.
Ursache und Entstehen wir verfolgen konnten. Ich Neben der Steuerpolitik und der Politik bei den Sozi-
wollte das hier noch einmal anmerken. alversicherungsausgaben ist natürlich auch die Haus-
haltspolitik stets heranzuziehen, wenn wir über die Be-
Neben der Gerechtigkeit haben wir bei der Senkung
kämpfung der Arbeitslosigkeit reden. Nur, meine Da-
der Lohnnebenkosten noch ein anderes Ziel im Auge,
men und Herren, es ist mittlerweile unstreitig in ganz
das darin besteht, Arbeit und Umwelt miteinander zu
Europa, daß auf Grund des hohen Schuldenaufbaus der
versöhnen. Es ist in der ganzen Europäischen Gemein-
letzten Jahre – das gilt nicht nur für Europa, das gilt
schaft nicht mehr streitig, daß es richtig ist, die Besteue-
auch für die großen Industrienationen außerhalb Europas
rung der Arbeitsplätze zurückzuführen und die Besteue-
– die Möglichkeiten der Haushaltspolitik, die Arbeitslo-
rung des Umweltverbrauchs schrittweise und maßvoll zu
sigkeit zu bekämpfen, immer mehr reduziert worden
erhöhen. Deshalb sehen wir diese beiden Reformvor-
sind.
stellungen im Zusammenhang. Sie dienen der Gerech-
tigkeit. Sie entlasten die Arbeit, und sie dienen auch län- Auch hierzu noch einmal etwas zur Debatte der letz-
gerfristig bei der Neuordnung des Abgabenrechts dem ten Tage. Es mag ja sein, daß der eine oder andere die
Umweltschutz. Insofern handelt es sich um eine wirkli- gegenwärtige Haushaltssituation als außerordentlich be-
che Reform, die wir auf den Weg bringen mußten, von friedigend ansieht. Darüber will ich mich gar nicht
der wir wußten, daß viele von Ihnen hier ähnliche Vor- streiten. Nur, eine Kennziffer jeden Haushalts ist die
haben umsetzen wollten, aber Sie konnten sich nicht Zins-Steuer-Quote. Bei einer Zins-Steuer-Quote von 26
darauf verständigen. Deshalb mußte eine neue Regie- Prozent sind wir der Auffassung, daß der Haushalt im
324 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Bundesminister Oskar Lafontaine

(A) Ungleichgewicht ist und daß die Spielräume der Haus- rungsstrukturen und die Möglichkeiten der Haushalts- (C)
haltspolitik so gering sind, wie sie in der Bundesrepublik politik zwar gegeben, aber begrenzt sind? Es wäre fahr-
Deutschland noch nie waren. Das ist doch eine Tatsache. lässig, zu sagen, allein wegen des Vorhandenseins der
Möglichkeiten könnte ein deutlicher und dramatischer
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS Abbau der Arbeitslosigkeit eingeleitet werden.
90/DIE GRÜNEN)
Wenn man sich solche Fragen stellt, dann blickt man
Ich wurde in früheren Jahren – wenn Sie mir diese eben auch über den Zaun zu anderen Ländern. Ich hatte
Reminiszenz gestatten – immer mit dem Einwurf vorhin gesagt: Wer das Heil in der Steuerpolitik sucht,
„Saarland“ konfrontiert. Das Erbe, das ich dort angetre- der muß schlicht und einfach von der Sache her beant-
ten hatte, war noch relativ gemäßigt, weil die Zins- worten, warum in früheren Jahrzehnten bei höheren
Steuer-Quote nur bei 19 Prozent lag. Es ist leider nicht Grenzsteuersätzen, etwa bei der privaten Einkommen-
gelungen, sie deutlich zu senken – sie liegt jetzt bei 21 steuer, und bei einer höheren Besteuerung der Unter-
Prozent. nehmen gleichwohl ein größeres Wachstum und ein
(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU) stärkerer Abbau der Arbeitslosigkeit oder gar ein Auf-
wuchs der Beschäftigung vorzufinden waren. Dieser
Aber Ihr Marsch bei der Zins-Steuer-Quote von 12 Sachfrage muß er sich zunächst einmal stellen.
Prozent auf 26 Prozent ist beachtlich und sollte keine
Selbstzufriedenheit in Ihren Reihen hervorrufen. Bei den Lohnnebenkosten ist es ohne Zweifel so, daß
sie auf Grund der Entscheidungen im Zusammenhang
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS mit der Vereinigung ein Rekordniveau erreicht haben.
90/DIE GRÜNEN) Dies ist eine strukturelle Fehlentwicklung, insbesondere
Die Haushaltspolitik hat also keine großen Spielräume. im Hinblick auf die personalintensiven Betriebe im Ein-
zelhandel, im Mittelstand und im Handwerk.
Aber eines wollen wir im Bundeshaushalt wirklich
wieder einführen, nämlich daß wir uns darum bemühen, Bei der Haushaltspolitik sind die Spielräume nicht
auch dem Prinzip der Haushaltswahrheit und der mehr vorhanden. Das muß man in aller Klarheit sagen.
Haushaltsklarheit wieder zum Durchbruch zu verhel- Also: Wo und wie kann angesetzt werden, um wieder
fen; denn dieser Wust von Schatten- und Nebenhaus- zu mehr Beschäftigung zu gelangen?
halten führt doch dazu, daß die wahre Verschuldung in
Deutschland überhaupt nicht mehr bekannt ist. Wenn wir beispielsweise auf die Vereinigten Staa-
ten blicken, dann sehen wir, daß dort eine selbstver-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS ständliche Diskussion im Gange ist, von der ich mir
90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten wünschen würde, daß sie auch in Deutschland in dersel-
(B) der PDS) (D)
ben Sachbezogenheit und Unaufgeregtheit in Gang
Immer wieder geistern unterschiedlichste Zahlen über kommen könnte. Es handelt sich um eine Diskussion
die Verschuldung, die Zins-Steuer-Quote und andere darüber, was die Fiskalpolitik, also die Haushalts- und
Meßziffern des Haushaltes durch die Gegend, weil im Steuerpolitik, was die Lohn – und Einkommenspolitik
Haushaltsbuch nicht mehr das steht, was eigentlich in und was die Geldpolitik – vielleicht koordiniert – tun
das Haushaltsbuch hineingehört, nämlich die gesamte können, um Wachstum und Beschäftigung zu erreichen
Last der Schulden, die gesamte Last der Ausgaben und und die Arbeitslosigkeit langsam abzubauen.
natürlich auch das gesamte Bündel der Einnahmen. Ich möchte Sie mit einem Zitat konfrontieren, um
Wenn wir darüber streiten, ob denn die Strukturen auch hier einmal etwas von der Debatte, die in anderen
des Haushaltes so, wie Sie ihn übergeben, in Ordnung Ländern stattfindet, einzuführen. Im Hinblick auf das
seien, dann ist ein ganz einfacher Sachverhalt Beweis Zusammenwirken von Haushaltspolitik und Geldpolitik
dafür, daß sie eben nicht in Ordnung sind: Sie haben hat mein französischer Kollege Dominique Strauss-
sowohl im Haushalt 1998 als auch im Haushalt 1999 Kahn kürzlich in einem Vortrag gesagt:
Veräußerungen von Bundesvermögen in einer Grö- Wir stehen doch vor verschiedenen Konzepten,
ßenordnung von über 20 Milliarden DM angesetzt. Das entweder das Konzept Reagan/Volcker oder Clin-
ist genau das strukturelle Defizit, das wir festgestellt ha- ton/Greenspan, was das Zusammenwirken von
ben; denn das Tafelsilber steht nicht grenzenlos zur Ver- Haushaltspolitik und Geldpolitik angeht.
fügung. Was soll also die Diskussion? Bleiben wir doch
bei den Tatsachen. Diese Defizite sind schlicht und ein- Er hat sich dafür ausgesprochen, daß wir in Zukunft ver-
fach vorhanden. suchen sollten, eher dem Konzept Clinton/Greenspan zu
folgen als dem Konzept Reagan/Volcker. Was ist damit
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gemeint? Damit ist gemeint, daß der Irrglaube, es sei
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) nicht notwendig, die Haushaltspolitik und die Geldpoli-
Mittlerweile wird dies nicht nur in Deutschland so tik zu koordinieren, zu erheblichen Beschäftigungsver-
gesehen, sondern in ganz Europa. Diese Erkenntnis lusten führt.
führte zu der Frage, die auch in der letzten Zeit die Ge- (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
müter beschäftigt hat: Welche Politik kann zur schritt-
weisen Zurückführung der Arbeitslosigkeit gemacht Dieser Irrglaube hat nicht nur in Amerika dazu geführt,
werden, wenn die Möglichkeiten der Steuerpolitik, die sondern auch in Deutschland, wie ich gleich ausführen
Möglichkeiten der Neuordnung der Sozialversiche- werde.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 325
Bundesminister Oskar Lafontaine

(A) Reagan hat eine expansive Haushaltspolitik mit sich schon, daß es daneben weitere Ziele der Geldpolitik (C)
großer Staatsverschuldung betrieben. Die Geldpolitik geben muß. Genau darüber diskutiert man in Amerika
konnte darauf nur mit Zinsen im zweistelligen Bereich und in Gesamteuropa. Die Antwort, die die Mehrheit
reagieren. Eine solche Konstellation ist auf Grund der mittlerweile gibt, ist einfach: In dem Maße, in dem die
Haushaltsentwicklung nicht machbar. Sie ist auch gar Preisstabilität gewahrt bleibt und gesichert ist – ich nen-
nicht wünschenswert, weil ein solches Bremsen der ne einmal die deutschen Zahlen: jetzt beträgt die Inflati-
Geldpolitik längerfristig zu Beschäftigungsverlusten onsrate 0,7 Prozent; die Bundesbank sagt: davon sind
führen muß, wie sie Anfang der 90er Jahre in den Verei- 0,75 auf Grund von Qualitätssteigerungen überzeichnet;
nigten Staaten zu verzeichnen waren. Auf der anderen demnach hätten wir, wenn man das so rechnet, ein Mi-
Seite besteht jetzt in Amerika eine Situation, in der nus von 0,05 –, ist die Geldpolitik gehalten, Wachstum
Haushaltspolitik – in den USA gibt es sogar leichte und Beschäftigung zu unterstützen. Das kann man für
Überschüsse – und Geldpolitik so aufeinander abge- richtig oder falsch halten; es ist unsere Auffassung.
stimmt sind, daß, abgesehen von der Rezession zu Be-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS
ginn der 90er Jahre, ein langsames und schrittweises
90/DIE GRÜNEN – Ingrid Matthäus-Maier
Wachstum mit ständig zunehmenden Beschäftigungser-
[SPD]: Das steht auch im Vertrag!)
folgen stattgefunden hat. Was hindert uns eigentlich
daran, in der Zukunft eine ähnliche Abstimmung, und – Das steht wörtlich auch im Vertrag, Frau Kollegin
zwar nicht mehr auf nationalstaatlicher Ebene – das geht Matthäus-Maier, das ist richtig. In der jetzigen Situation
jetzt nämlich nicht mehr –, sondern auf europäischer stellt sich die Frage: Was kann die Geldpolitik tun?
Ebene, zu versuchen?
Ich möchte noch einen Irrtum ansprechen. Meine
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Damen und Herren, es hat keinen Sinn mehr, sich in die-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der sen drei, vier Wochen noch über die deutsche Geldpoli-
PDS) tik zu streiten.
In diesem Zusammenhang möchte ich ein paar Be- (Widerspruch bei der F.D.P.)
merkungen zur Geldpolitik machen, wobei ich wirklich – Sie müssen zuhören und nachlesen. Ich sage Ihnen
darum bitten möchte, mich wörtlich zu zitieren und nicht noch einmal: Wenn Sie nicht in der Lage sind, wörtlich
irgendwelche Dinge in die Welt zu setzen, die von der zu zitieren, zuzuhören und nachzulesen, dann laufen Sie
Sache her nicht gedeckt sind. Gefahr, irgendwelche Märchen in die Welt zu setzen,
Erstens. Niemand stellt die Unabhängigkeit der Geld- weil Sie die Zusammenhänge nicht verstanden haben.
politik in Frage. Das liegt dann aber an Ihnen; es tut mir leid.
(B) (Lachen bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS (D)
90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Ramsauer
– Es kann sein, daß Sie nicht lesen oder nicht zuhören; [CDU/CSU]: Das ist die Arroganz eines
das ist dann Ihre Sache. Oberlehrers!)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Deshalb ist die Frage, ob wir jetzt in Europa Spiel-
Ich muß Ihnen noch einmal sagen: Niemand stellt die räume haben, um über die Geldpolitik die Beschäftigung
Unabhängigkeit der Geldpolitik in Frage. Die Unab- und das Wachstum zu unterstützen. Diese Frage wird in
hängigkeit der Geldpolitik hat einen einfachen Grund, Gesamteuropa beantwortet, und zwar auch ohne die De-
der in den Schwächen all derjenigen liegt, die hier – batte hier. Acht europäische Banken sind dabei, die
rechts und links – jetzt zuhören. Wenn die Unabhängig- Geldmarktzinsen Schritt für Schritt zurückzunehmen.
keit der Geldpolitik nicht gegeben wäre und die Politik (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Weil sie
über die Geldpolitik zu entscheiden hätte, dann bestünde höher liegen!)
vor Wahlen immer die Gefahr, daß sachgemäße Ent-
scheidungen im Interesse des Hauptziels der Geldpolitik, – Ja, sie liegen höher; ich will das ja gerne aufgreifen.
der Wahrung der Preisstabilität, nicht getroffen würden; Aber daß es mittlerweile zu einer Veränderung der ge-
deshalb ist es richtig, die Geldpolitik einer unabhängi- samteuropäischen Geldpolitik gekommen ist, können
gen Instanz zu übertragen und dem politischen Zugriff Sie daran erkennen, daß es ursprünglich einmal hieß –
zu entziehen. Daran gibt es keinen Zweifel. das können Sie überall nachlesen –, daß sich die Geld-
politik, was die Geldmarktzinsen angeht, schrittweise
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten einem höheren Niveau als dem deutschen annähern
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der müsse. Ursprünglich war einmal ein Ziel von 5 Prozent
CDU/CSU) in der Diskussion. Dann kam ein Ziel von 4 Prozent in
Wenn wir darin einig sind, dann ist das in Ordnung. die Diskussion. Dann kam vor vielen Monaten die Ent-
scheidung, den Repro-Satz um 0,3 Prozent anzuheben.
Kein Zweifel besteht auch daran, daß das vorrangige Mittlerweile ist die Preisstabilität so stark, daß man ins-
Ziel der Geldpolitik – so heißt es überall in Amerika und gesamt eine Annäherung nach unten vertreten kann. Ge-
in Europa – die Preisstabilität ist, weil alle ökonomi- nau das ist doch gewollt: daß bei Wahrung der Preissta-
schen Untersuchungen der letzten Jahrzehnte gezeigt bilität sinkende Geldmarktzinsen in Europa günstigere
haben, daß ohne Einhaltung des Ziels der Preisstabilität Bedingungen für Wachstum und Beschäftigung schaf-
Wachstum und Beschäftigung nicht in Gang kommen fen. Meine Damen und Herren, es war an der Zeit, dies
können. Aber aus dem Begriff „vorrangiges Ziel“ ergibt hier noch einmal klarzustellen.
326 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

(A) Präsident Wolfgang Thierse: Herr Minister La- genhalten. Dieses unabgestimmte Vorgehen, aus dem (C)
fontaine, ich muß Sie darauf hinweisen, daß die für Sie Sie offensichtlich immer noch nichts gelernt haben, hat
vereinbarte Redezeit schon überschritten ist. Das weitere dann zu einem deutlichen Wiederanstieg der Arbeitslo-
geht auf das Konto der SPD-Fraktion. sigkeit geführt. Ich bitte Sie, einmal über diese Zusam-
menhänge nachzudenken und dann vielleicht auch zu
(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: So ist es
den entsprechenden Schlußfolgerungen zu kommen.
richtig! Auf deren Konto wird noch viel ge-
hen!) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der
CDU/CSU)
Oskar Lafontaine, Bundesminister der Finanzen:
Vielen Dank, Herr Präsident. Die Fraktion hat mir in ih- Meine Damen und Herren, ich bitte um Entschuldi-
rer Großzügigkeit freigestellt, ruhig zwei, drei Minuten gung, daß ich die Redezeit etwas überzogen habe.
länger zu sprechen. (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Es wurde
(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Die wird nicht besser!)
das noch bereuen!) – Das überlassen wir immer den Wählerinnen und
Ich bin jetzt bei der vierten Minute und werde versuchen Wählern, verehrter Herr, und da haben Sie in letzter Zeit
alsbald zum Ende zu kommen. ein bißchen schlecht ausgesehen.

(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das ist (Beifall bei der SPD)
doch seine Abschiedsrede! Laßt ihn doch noch Wir stellen fest, daß die Wählerinnen und Wähler uns
zehn Minuten reden!) den Auftrag gegeben haben, die Wirtschafts- und Fi-
Meine Damen und Herren, das Entscheidende ist, daß nanzpolitik zu ändern.
wir Fehler der 70er und 80er Jahre und auch Fehler, die (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Nein!)
zu Beginn der 90er Jahre gemacht wurden, nicht wie-
derholen. Hier wurde beispielsweise von Herrn Wiss- Sie haben uns den Auftrag gegeben, die Steuerpolitik zu
mann – ich sehe ihn im Moment nicht – gesagt, wir sei- ändern. Sie haben uns den Auftrag gegeben, die Lohn-
en jetzt dabei, die alten Hüte der 70er Jahre wieder her- nebenkosten zu senken und dabei Fehlentwicklungen
vorzunehmen und eine veraltete Politik zu machen. Sol- aus der deutschen Einheit zu korrigieren, und sie haben
che Äußerungen finden sich auch in vielfältigen Stel- uns den Auftrag gegeben, eine Wirtschafts- und Finanz-
lungnahmen, die leider eine Auseinandersetzung mit den politik zu machen, um die Arbeitslosigkeit abzubauen.
Fakten und Daten vermissen lassen. Ich will an einem Satz noch einmal deutlich machen,
(B) warum Ihre Ablösung notwendig war. Wie oft haben Sie (D)
Genau die Konstellation, die wir in den 70er Jahren
hatten, als nämlich die Lohnpolitik weit über das Pro- hier gestanden und gesagt: Beschäftigungspolitik ma-
duktivitätsziel hinausschoß – jeder erinnert sich an die chen wir zu Hause! Die Regierung Schröder sagt: Be-
zweistelligen Forderungen der ÖTV –, die Geldpolitik schäftigungspolitik machen wir zu Hause, aber mehr
mit einem ganz harten Kurs gegenhalten mußte und da- und mehr auch auf europäischer Ebene. Deshalb wartete
mit eben auch Wachstum und Beschäftigung ausbrem- ganz Europa auf eine neue deutsche Regierung.
ste, müssen wir in Zukunft vermeiden. Deshalb müssen (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD
wir über die Frage diskutieren, wie die wesentlichen und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Bei-
Politikbereiche in Deutschland und Europa zusammen- fall bei Abgeordneten der PDS – Zurufe von
spielen müssen. der CDU/CSU: Das war eine billige Vorle-
sung! – Steuerpolitik sechs!)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN)
Präsident Wolfgang Thierse: Ich erteile das Wort
Meine Damen und Herren, gerade weil es für unsere
dem Kollegen Friedrich Merz, CDU/CSU-Fraktion.
Diskussion wichtig ist, möchte ich noch die Situation zu
Beginn der 90er Jahre ansprechen. Zu Beginn der 90er
Jahre haben Sie exakt den gleichen Fehler gemacht, na- Friedrich Merz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine
türlich gestützt durch eine besondere Situation, ohne aus sehr verehrten Damen und Herren! Herr Lafontaine, Sie
den früheren Konstellationen die immer zu Beschäfti- haben viel über Europa gesprochen. Das hatte durchaus
gungseinbrüchen geführt haben, zu lernen. Sie haben einen Sinn. Aber wir hätten doch erwartet, daß Sie heute
gegen den Rat auch der Bundesbank und der Sachver- morgen einmal zu den Spekulationen, die Sie selbst in die
ständigen den Aufbau Ost über Gebühr kreditfinanziert, Welt gesetzt haben, ein Wort sagen, nämlich ob Sie nun
also eine expansive Finanzpolitik betrieben. Auf Grund hier in Deutschland ein Finanzminister auf Abruf sind,
von Plakaten, die ich in Berlin gesehen habe – man hört
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. –
diesen Quatsch ja schon wieder: gleicher Lohn für glei-
Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
che Arbeit –, setzte man dann auch noch eine Lohndrift
NEN]: Ihr seid es, die jetzt abberufen sind!)
in Gang, die weit über das Produktivitätsziel hinaus-
schoß. Man hatte genau die Konstellation der 70er Jahre, ob Sie also die Lage, in der Sie jetzt sind, nämlich die
und die Geldpolitik konnte nur durch scharfes Treten auf Nummer zwei zu sein, eben nicht so lange ertragen und
die Bremse mit einem Diskontsatz von 83/4 Prozent ge- wieder die Nummer eins werden wollen. Herr Lafontai-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 327
Friedrich Merz

(A) ne, dazu hätte von Ihnen heute morgen durchaus ein klä- In diesem Buch schreibt Herr Hombach: (C)
rendes Wort kommen können.
Langfristig darf es aber nicht einfach bedeuten, daß
(Zurufe von der SPD – Rezzo Schlauch beitragsfinanzierte Lasten nun auf steuerfinanzierte
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hier ist doch Lasten umgewälzt werden.
keine Pressekonferenz!)
Wörtlich heißt es weiter:
– Die Tatsache, daß Sie so unruhig werden, zeigt doch,
Das hieße, von einer Tasche in die andere zu wirt-
daß Sie sich offensichtlich mit dem Gedanken anfreun-
schaften.
den, Ihren Parteivorsitzenden zu verlieren.
Herr Lafontaine, mit der Umfinanzierung aus dem Steu-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
erhaushalt in die Sozialhaushalte beginnen Sie genau mit
Meine Damen und Herren, ich will zu Beginn auf diesen Umfinanzierung von einer Tasche in die andere.
einige Punkte zu sprechen kommen, die Sie, Herr La-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. –
fontaine, in Ihrer Einführung dargelegt haben. Lassen
Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Er hat
Sie mich zunächst zu dem Thema der Zinsquote im
auch noch ein Loch in der Tasche!)
Bundeshaushalt etwas sagen. Es ist wahr, die Zinsquote
des Bundeshaushaltes ist relativ hoch. Sie ist aber auch Nachdem Sie, Herr Bundeskanzler, am Dienstag in
deshalb so hoch, weil wir die finanziellen Lasten, die Ihrer Regierungserklärung – man mußte schon ziemlich
mit der Überwindung der deutschen Teilung verbunden aufmerksam zuhören, um das auch wahrzunehmen – zu
waren, ganz überwiegend über den Bundeshaushalt fi- Recht einen Hinweis darauf gegeben haben, daß die
nanziert haben. Dazu, Herr Lafontaine, haben Sie nicht Staatsquote in Deutschland weiter sinken müsse, hätten
ein einziges Wort gesagt. wir nun von Ihnen, Herr Lafontaine, als dem dafür zu-
ständigen Bundesfinanzminister erwartet, daß Sie dieses
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
etwas konkreter darlegen. Denn aus der Summe von
Beim Bundeshaushalt haben wir schon eine etwas ande- Abgabenquote und Sozialleistungsquote, also aus dem
re Lage als beim Haushalt des Saarlandes, den Sie bis Staatsverbrauch, ergibt sich die Staatsquote. Gegenwär-
vor kurzem noch zu verantworten hatten, Herr Lafontai- tig sinkt die Staatsquote in der Bundesrepublik
ne. Ich werde auch auf die Geldpolitik gleich noch zu Deutschland – richtigerweise.
sprechen kommen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Lassen Sie mich vorweg etwas zu den versiche-
Wenn Sie weitere Umfinanzierungen vornehmen, wird
rungsfremden Leistungen sagen, die Sie angesprochen
die Staatsquote steigen. Nun sagen Sie bitte nicht, dies
(B) haben. Herr Lafontaine, richtig ist, daß auch die Sozial- sei nur eine akademische Größe, über die sich vielleicht (D)
versicherungssysteme in der Bundesrepublik Deutsch-
irgendwelche Finanzpolitiker unterhalten, die aber ge-
land über eine gewisse Zeit – wie alle öffentlichen
samtwirtschaftlich keine Bedeutung habe. Das Gegenteil
Haushalte – von den Konsequenzen aus der Überwin-
ist richtig.
dung der deutschen Teilung betroffen waren. Aber Sie
selbst, die SPD-Bundestagsfraktion, wir alle haben in Die Bundesregierung unter Helmut Kohl hat in den
diesem Jahr gemeinsam eine Mehrwertsteuererhöhung Jahren von 1982 bis 1991 die Staatsquote in der Bundes-
beschlossen. republik Deutschland von den gut 51 Prozent, die sie
von Helmut Schmidt übernommen hatte, auf gut 46 Pro-
(Dr. Barbara Höll [PDS]: Wir nicht! Wir wa-
zent abgesenkt. Das Ergebnis war, daß in diesen Jahren
ren dagegen!)
in Deutschland 3,2 Millionen neue Arbeitsplätze entste-
Diese ist am 1. April 1998 in Kraft getreten. Der Bun- hen konnten.
desrat hat dem mit der Mehrheit der SPD-geführten
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Bundesländer zugestimmt. Mit Leistungen aus dem
Bundeshaushalt von jetzt insgesamt gut 100 Milliar- Wenn Sie, Herr Lafontaine, ohne Rückführung der ge-
den DM im Jahr 1999 sind sämtliche sogenannten versi- samten Abgabenbelastung eine reine Umfinanzierung
cherungsfremden Leistungen, die die Rentenversiche- durch Umschichtung von Geldern aus den Steuerhaus-
rung zu tragen hat, abgegolten. Das Thema versiche- halten in die Sozialhaushalte vornehmen, werden Sie das
rungsfremde Leistungen, Herr Lafontaine, ist erledigt. Ziel, das Sie sich gesetzt haben und das wir teilen, näm-
lich die Absenkung der Arbeitslosigkeit, nicht erreichen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Damit schon zu Beginn – wir reden ja über die
Das, was Sie jetzt beginnen, ist eine Umverteilung aus
Schluß- und die Eröffnungsbilanz – die richtigen Zahlen
dem Steuerhaushalt in die Sozialhaushalte. Ich zitiere hier
unserer weiteren Diskussion zugrunde gelegt werden,
einmal aus dem Buch Ihres Ministerkollegen Bodo Hom-
will ich nicht nur die Arbeitslosenzahlen, sondern vor-
bach – der jetzt gerade nicht da ist –, einem Buch, das ich
dringlich noch einmal die Beschäftigtenzahlen nennen.
mit großem Interesse gelesen habe, das ich mir beinahe
In der Zeit zwischen Dezember 1982 – das war der Be-
sogar gekauft hätte, um einen Beitrag dazu zu leisten, daß
ginn der 16jährigen Amtszeit von Helmut Kohl – und
er irgendwann einmal sein Haus bezahlen kann.
Herbst 1992 – das war der Höhepunkt des Aufbaus an
(Detlev von Larcher [SPD]: Typisch Merz! So neuer Beschäftigung – haben wir eine Zunahme der Zahl
ist er eben! – Klaus Lennartz [SPD]: Christlich der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten von 20,1
ist dein Name!) Millionen auf 23,3 Millionen erlebt. Die Zahl der sozi-
328 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Friedrich Merz

(A) alversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland Das ist in der Tat für die neue rotgrüne Regierung (C)
ist also um 3,2 Millionen gestiegen. Von diesen 3,2 unter Oskar Lafontaine eine Erblast, die Sie mit nach
Millionen zusätzlichen sozialversicherungspflichtigen Bonn bringen. In Bayern liegt die Jugendarbeitslosigkeit
Beschäftigungsverhältnissen gibt es heute in den alten bei 5,8 Prozent und in Baden-Württemberg bei
Bundesländern immer noch 1,8 Millionen. 7 Prozent.
Damit wir von den richtigen und den gleichen Zahlen (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: So ist es!)
ausgehen, Herr Lafontaine, wenn wir uns in den näch-
sten Jahren hier im Hause häufiger über Mißerfolge und In diesen Ländern gibt es das Problem in dem von Ihnen
Erfolge der Politik Ihrer Regierung unterhalten, halte ich so emotional beschriebenen Umfang nicht, Herr Bun-
fest: Wir haben heute in den alten Bundesländern immer deskanzler.
noch 21,9 Millionen Beschäftigte. Ich nenne diese Zah- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
len deswegen und lasse sie auch im Protokoll festhalten,
damit Sie nicht in einem Jahr herkommen und sagen: Lassen Sie mich noch einmal auf die Ausgangslage
Wir haben dadurch, daß wir mehrere hunderttausend zu sprechen kommen, die Sie vorfinden. Zur Schlußbi-
Menschen in die Frühverrentung oder in die Rente ge- lanz der Regierung Helmut Kohl und zur Eröffnungsbi-
schickt und ein paar hunderttausend Jugendlichen neue lanz der Regierung Lafontaine
Arbeit verschafft haben, das Problem der Arbeitslosig- (Heiterkeit bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
keit gelöst. Herr Lafontaine, das Problem der Arbeitslo-
sigkeit in Deutschland werden Sie nur lösen, wenn die – Entschuldigung: der Regierung Schröder – gehört:
Arbeitslosenquote sinkt und die Beschäftigtenquote in (Michael Glos [CDU/CSU]: Eine Entschuldi-
Deutschland steigt. Anderes lassen wir nicht durchge- gung ist doch nicht nötig!)
hen.
Die Währung ist stabil, die Arbeitslosigkeit sinkt, die
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Gesamtverschuldung ist rückläufig, das Staatsdefizit
Sie haben erfreulicherweise – ich sage das wirklich wird in diesem Jahr weit unter dem Maastricht-
ohne irgendwelche Hintergedanken – im wesentlichen Kriterium von 3 Prozent, nämlich bei ungefähr 2,5 Pro-
darauf verzichtet, eine Rede über die Erblast zu halten, zent liegen. Damit liegen alle gesamtwirtschaftlichen
die Sie von Helmut Kohl und Theo Waigel übernommen Rahmendaten und Plandaten für den Bundeshaushalt auf
haben. dem Tisch – und nicht erst seit dieser Woche, Herr La-
fontaine, sondern schon seit drei oder vier Wochen. Es
(Joachim Poß [SPD]: Das machen wir beim gab zu keinem Zeitpunkt irgendeine Zahl, die Sie nicht
Bundeshaushalt! Das kommt noch!) kennen konnten und die Ihnen die Beamten Ihres Hauses
(B) – Sie haben aus der gesamten Führungsetage nur einen (D)
– Herr Poß, ich komme auf die Haushaltszahlen gleich
noch zu sprechen. Aber, Herr Bundeskanzler, diesen Beamten übernommen – nicht vorgelegt haben. Alle
Hinweis kann ich mir nicht verkneifen: Der einzige Teil Rahmendaten und alle Plandaten liegen Ihnen vor.
ihrer Regierungserklärung, den Sie am Dienstag in freier (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Rede gehalten haben und in dem eine gewisse Emotion
bei Ihnen zu erkennen war – ansonsten war Ihre Rede Das Fazit lautet: Die neue Bundesregierung übernimmt
völlig emotionslos, wie das die Presse zutreffend be- nicht eine Erblast, sondern sie trifft auf alle Vorausset-
schrieb –, war der Teil, in dem Sie sich mit der Ju- zungen für einen dauerhaften wirtschaftlichen Auf-
gendarbeitslosigkeit beschäftigt haben. schwung in Deutschland in den nächsten Jahren.
(Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
NEN]: So ein Emotionsbolzen sind Sie auch
Dies wird durch die gestern veröffentlichte Steuer-
nicht!)
schätzung eindrucksvoll belegt.
Herr Schröder und Herr Lafontaine, es ist in der Tat
(Joachim Poß [SPD]: Sie hat überhaupt nichts
wahr: Wir haben in Deutschland ein Problem im Bereich
belegt! Es hat sich doch überhaupt nichts ver-
der Jugendarbeitslosigkeit.
ändert!)
(Zurufe von der SPD: Ach!)
Im Jahre 1998, im ersten Jahr eines beginnenden
Dieses Problem stellt sich in den einzelnen Bundeslän- wirtschaftlichen Aufschwungs in Deutschland, werden
dern aber höchst unterschiedlich dar. die Staatseinnahmen aller Gebietskörperschaften, also
des Bundes, der Länder und der Gemeinden, um
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) 7,8 Milliarden DM höher sein, als noch im Mai dieses
Ich will Ihnen die Zahlen der Bundesanstalt für Arbeit Jahres geschätzt. Davon entfallen – ich will diesen Punkt
nicht vorenthalten: Wir haben im Saarland eine Ju- nur der Vollständigkeit halber erwähnen, weil an uns
gendarbeitslosigkeit von 11,2 Prozent, in Niedersachsen häufig die Kritik geübt worden ist, wir ließen die Ge-
von 11,5 Prozent, in Hamburg von 14,2 Prozent, in meinden allein – über 5 Milliarden DM auf die Kommu-
Brandenburg von 15,7 Prozent und in Sachsen-Anhalt, nen. Dies ist ein großartiger Erfolg der Finanz- und
wo jetzt die DVU im Landtag sitzt – das eine hat etwas Wirtschaftspolitik des Jahres 1998, die wir noch zu ver-
mit dem anderen zu tun –, von 16,5 Prozent. antworten hatten.
(Zuruf von der CDU/CSU: Hört! Hört!) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 329
Friedrich Merz

(A) Herr Lafontaine, es gibt im nächsten Jahr nicht etwa schaftliche Steuerquote überhaupt nichts darüber aus- (C)
eine große Lücke und Defizite auf Grund der Verhält- sagt, wie hoch die tatsächliche Steuerbelastung der ein-
nisse, die Sie vorgefunden haben. Vielmehr werden die zelnen Steuerzahler ist. Ich will Ihnen auch sagen, war-
Gebietskörperschaften insgesamt im nächsten Jahr höhe- um die Steuerquote kein Parameter für eine gute und
re Steuereinnahmen von insgesamt 38 Milliarden DM vernünftige Steuerpolitik ist. Wir haben durch die An-
gegenüber dem laufenden Jahr 1998 haben. Davon ent- hebung bzw. Verdoppelung des Grundfreibetrages, die
fallen mehr als 26 Milliarden DM auf den Bund. Sie fin- im Jahre 1996 – ich gebe zu, durch das Bundesverfas-
den einen Haushaltsplan und einen Etat für das nächste sungsgericht erzwungen – vom Gesetzgeber durchge-
Jahr vor, Herr Lafontaine, der Ihnen 26 Milliarden DM setzt worden ist, und durch die Neuregelung beim Kin-
höhere Einnahmen als im laufenden Haushaltsjahr 1998 dergeld rund 30 Prozent der Arbeitnehmerhaushalte in
bringt. Das heißt im Klartext: Der Bund hat gegenüber Deutschland steuerfrei gestellt. Das betrifft die von Ih-
dem laufenden Jahr 1998 um 7,5 Prozent höhere Steuer- nen immer wieder zitierten unteren Einkommen.
einnahmen. Ich komme auf dieses Thema noch zu spre-
chen. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)

Diese Zahlen zeigen zweierlei: Erstens. Die von Ih- Herr Lafontaine, Arbeitnehmer mit niedrigen Einkom-
nen häufig zitierte Steuerquote steigt. Zweitens. Sie fin- men zahlen also seit 1996 praktisch keine Steuern mehr.
den im Bundeshaushalt den Spielraum für eine durch- (Bundesminister Oskar Lafontaine: Außer
greifende Steuerreform mit Nettoentlastungen bei Mehrwertsteuer und Verbrauchsteuern! Es ist
gleichzeitiger Verbreiterung der steuerlichen Bemes- unglaublich!)
sungsgrundlage vor.
Ich will Ihnen in diesem Zusammenhang noch etwas
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – zu Ihrer im wesentlichen nachfrageorientierten Steuer-
Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!) und Finanzpolitik sagen: Wenn Ihre Theorie stimmen
Herr Minister Lafontaine, wenn Sie jetzt bestreiten, würde, daß durch eine Stärkung der Massenkaufkraft,
daß Sie bei diesen Steuermehreinnahmen des kommen- wie Sie das im Wahlkampf immer ausgeführt haben, die
den Jahres den Spielraum für eine durchgreifende Steu- Probleme auf dem Arbeitsmarkt zu lösen seien, dann
erreform haben, dann haben Sie mit den Steuereinnah- hätte es im Jahre 1996 eine durchgreifende Veränderung
men, die Sie im nächsten Jahr zusätzlich haben werden, auf dem Arbeitsmarkt geben müssen.
etwas anderes vor als eine vernünftige Steuerpolitik. (Zuruf von der F.D.P.: So ist es! Genau richtig!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Denn, Herr Lafontaine, im Jahre 1996 hat es durch
Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Genau das die Verdoppelung des Grundfreibetrages und durch die
(B) ist der richtige Rückschluß!) Anhebung des Kindergeldes eine Entlastung der Arbeit- (D)
Ich sage Ihnen vorsorglich – denn es gab heute in den nehmer in Deutschland in Höhe von netto 12 Milliarden
Zeitungen wieder Hinweise auf Art. 115 des Grundge- DM gegeben. Die Wahrheit ist – wir haben das nicht an-
setzes, der die Grenze der Neuverschuldung des Bun- ders erwartet –, daß im Jahre 1996 durch diese Maß-
deshaushaltes bestimmt –: nahmen praktisch keine Veränderungen auf dem Ar-
beitsmarkt eingetreten sind. Sie sagen jetzt ja noch nicht
(Joachim Poß [SPD]: Das ist voll an der Sache einmal eine Nettoentlastung für die Jahre 1999 ff. vor-
vorbei!) aus, sondern Sie nehmen eine reine Umfinanzierung vor,
Die steigenden Steuereinnahmen, die sich langsam ab- wobei für die Steuerzahler netto keine D-Mark mehr
bauende Arbeitslosigkeit in Deutschland, die zurückge- herauskommt.
hende Verschuldung der öffentlichen Haushalte und die Wir sagen Ihnen, Herr Lafontaine, voraus: Diese ein-
anhaltende Preisstabilität verbieten Ihnen schon jetzt für seitig auf die Nachfragekraft konzentrierte Steuerpolitik
das gesamte nächste Jahr die Feststellung der Störung der Bundesregierung wird auf dem Arbeitsmarkt keine
des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. positiven Ergebnisse bringen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Herr Lafontaine, es gibt jetzt im übrigen überhaupt Wenn Sie sich einmal über die Wirkungen einer so ein-
keinen Grund mehr dafür, daß Sie dem Bundestag den seitig nachfrageorientierten Steuer- und Finanzpoli-
Entwurf des Haushaltsplanes für das Jahr 1999 vorent- tik informieren wollen, dann können Sie meinetwegen
halten. Wir erwarten, daß Sie spätestens in der ersten darauf verzichten, alle diesbezüglichen Dokumente der
Dezemberwoche den Etatentwurf für das Jahr 1999 alten Regierung zu lesen. Sie brauchen nur ein Doku-
vorlegen. ment der neuen Regierung heranzuziehen. Ich zitiere
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) noch einmal aus dem Buch Ihres Kabinettskollegen Bo-
do Hombach, der richtigerweise darauf hingewiesen hat
Nun lassen Sie mich noch einmal auf die Steuerpoli- – ich habe es gestern noch einmal nachgelesen, daß bei
tik im engeren Sinne zurückkommen und auf einige einer Zunahme des verfügbaren Einkommens einer Ar-
grundlegende Unterschiede hinweisen, die uns in der Tat beitnehmerfamilie um 100 DM für den Binnenmarkt
trennen. Zunächst zu dem von Ihnen immer wieder an- 27,23 DM übrigbleiben.
gesprochenen Begriff der Steuerquote. Herr Lafontaine,
Sie wissen genauso gut wie wir, daß die volkswirt- (Zuruf von der F.D.P.: So ist es!)
330 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Friedrich Merz

(A) Er weist zudem darauf hin, daß aus der Sicht des Unter- Deutschland gegenwärtig die Chance, 0,5 bis 1 Prozent (C)
nehmers eigentlich nicht 100 DM, sondern 121 DM auf- mit Arbeit mehr zu verdienen, als wenn er es – ohne Ar-
gewendet werden müssen, weil der Arbeitgeber natür- beit – auf der Bank ließe.
lich einen zusätzlichen Anteil an Sozialversicherungs-
beiträgen zu zahlen hat. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der F.D.P.)
(Michael Glos [CDU/CSU]: Er scheint ein
kluges Kerlchen zu sein!) Die Risikoprämie in den wichtigsten Wettbewerbs-
ländern der Bundesrepublik Deutschland – ich nenne nur
Also, Herr Lafontaine, die Arbeitskosten und die einmal zwei: Großbritannien und die Vereinigten Staa-
Steuerquote und damit die Steuerbelastung in Deutsch- ten von Amerika – beträgt 10 Prozent.
land müssen gesenkt werden, damit wir zu einer durch-
greifenden Entlastung der Familien und der Betriebe Jetzt lassen Sie mich, weil Sie es angesprochen ha-
kommen. ben, noch ein Wort zu Amerika sagen. Sie können sich
natürlich nicht immer nur die Rosinen herauspicken und
Damit hier gar keine Mißverständnisse auftreten: sagen: „Was dort in Amerika so gut ist, übernehmen
Niemand von uns widerspricht der Anhebung des Kin- wir,“ aber den Rest verschweigen Sie großzügig. Herr
dergeldes. Lafontaine, Sie wissen es, – und der Bundeswirt-
(Bundesminister Oskar Lafontaine: Das ist schaftsminister wird es vielleicht aus eigener Anschau-
schon mal gut! – Ingrid Matthäus-Maier ung noch besser wissen –, daß die Amerikaner die not-
[SPD]: Sie waren immer dagegen!) wendige Flexibilisierung des Arbeitsmarktes, die wir
hier von dieser Stelle aus immer wieder angemahnt und
Jeder von uns wünscht sich, daß wir noch höhere Lei- die Sie immer wieder blockiert haben, längst hinter sich
stungen an die Familien zahlen könnten. Aber was nützt haben.
es einem Familienvater, wenn er am 1. Januar 1999 ein
höheres Kindergeld bekommt und am 1. Juli 1999 ar- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. –
beitslos wird? Das nützt ihm überhaupt nichts, Herr La- Joachim Poß [SPD]: Wo haben wir bei der
fontaine. Flexibilisierung blockiert?)

(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Herr Lafontaine, das konnten Sie jetzt nicht sehen.
Ich will fair bleiben, aber beim Bundeswirtschaftsmi-
Entscheidend ist, daß wir die strukturellen Probleme nister war ein leichtes Nicken zu erkennen.
auf dem Arbeitsmarkt – das sind die strukturellen Pro-
bleme unseres Steuersystems und unserer Sozialversi- Die Amerikaner haben die strukturellen Reformen
des Arbeitsmarktes und der Sozialversicherungssysteme
(B) cherung – lösen. Hier sage ich Ihnen noch einmal: Wir – soweit man in Amerika überhaupt von Sozialversiche- (D)
vertreten eine völlig andere Philosophie.
rung sprechen kann – längst gemacht. Wenn Sie also mit
Das Problem, das die Bundesrepublik Deutschland im Amerika vergleichen, Herr Lafontaine, dann bitte doch
international sich verschärfenden Wettbewerb hat, ist nur dann, wenn Sie gleichzeitig zugestehen, daß wir ei-
nicht in erster Linie eine Nachfrageschwäche, sondern nige grundlegende Reformen unseres Sozial- und Steu-
das Problem, das wir in der Bundesrepublik Deutschland ersystems zusätzlich brauchen.
haben, ist eine trotz aller Bemühungen der letzten Jahre
anhaltende Investitions- und Wachstumsschwäche der Da offensichtlich Tony Blair – lassen Sie mich nun
deutschen Volkswirtschaft. etwas zu Großbritannien sagen – eines Ihrer großen
Vorbilder ist, lassen Sie mich anmerken, daß der Pre-
Ich will Ihnen das an einem ganz einfachen Beispiel mierminister von Großbritannien bereits zweimal nach
nachweisen, einem Beispiel, das nun wirklich nichts mit seiner erfolgreichen Wahl die Körperschaftsteuersätze
ungezügeltem Shareholder-Kapitalismus zu tun hat, gesenkt hat. Herr Lafontaine, Sie stellen die Senkung
sondern es sind Fakten, die noch nicht einmal Ihre Ehe- der Körperschaftsteuersätze für das Jahr 2002 in Aus-
frau in Frage stellen dürfte, Herr Lafontaine. sicht.
(Heiterkeit bei der CDU/CSU – Zurufe von (Joachim Poß [SPD]: Das ist doch unwahr!
der SPD: Oh!) Schon für das Jahr 99 auf 40 Prozent! Lesen
Wir in der Bundesrepublik Deutschland haben im in- Sie das Gesetz! Das ist nicht die Wahrheit!
ternationalen Vergleich mit die geringste Risikoprämie Das ist eine Lüge!)
für eingesetzes Eigenkapital. Diese Risikoprämie, die Bis dahin werden Sie durch die Verbreiterung der
sich als der Abstand zwischen den Zinsen definiert, die steuerlichen Bemessungsgrundlage die Unternehmen in
Sie für risikolose Staatsanleihen bekommen, und den der Bundesrepublik Deutschland mit höheren Steuern
Zinsen, die Sie für risikobehaftetes Eigenkapital in un- massiv belasten. Das ist die Wahrheit in Deutschland.
ternehmerischer Tätigkeit bekommen, beträgt in der
Bundesrepublik Deutschland gegenwärtig zwischen 0,5 (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. –
und 1 Prozent. Joachim Poß [SPD]: Der erste Schritt erfolgt
99! Das ist eine Lüge!)
Das heißt im Klartext: Ein Unternehmer in Deutsch-
land, der sein Geld nicht zur Bank trägt, sondern es als Ich will wegen der Kürze der Zeit darauf verzichten,
Investitionskapital in das Unternehmen steckt – risiko- zu einzelnen Aspekten – wir werden dazu noch Gele-
behaftet, mit vollem persönlichen Risiko – hat in genheit haben – Ihrer steuerpolitischen Vorschläge
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 331
Friedrich Merz

(A) Stellung zu nehmen. Ich hätte gerne noch etwas zum Er hat sich ausdrücklich dazu bekannt, daß die Steuer- (C)
Thema steuerliche Bemessungsgrundlage, Teilwertab- belastung für die Betriebe steigen und für die Arbeit-
schreibung und all diesen Dingen gesagt. Sie haben aber nehmer sinken muß. Das ist seine Philosophie.
zugesichert – dafür bedanke ich mich –, daß darüber im
Laufe des Gesetzgebungsverfahrens noch einmal geredet (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: So ist
es!)
werden kann. Darüber muß geredet werden, weil es eine
Reihe von höchst problematischen Vorschlägen gibt, die Das ist die Wahrheit, Herr Poß.
Sie hier gemacht haben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Lassen Sie mich noch etwas Grundsätzliches sagen.

Präsident Wolfgang Thierse: Herr Kollege Merz, Präsident Wolfgang Thierse: Herr Poß möchte
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Poß? noch einmal nachfragen.

Friedrich Merz (CDU/CSU): Das tue ich deswegen Friedrich Merz (CDU/CSU): Nein, ich möchte jetzt
gern, weil er dann aufhören kann, zu schreien. gern zum Schluß kommen.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und
der F.D.P.)
Präsident Wolfgang Thierse: Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Kollegen Solms?
Joachim Poß (SPD): Herr Kollege Merz, ich höre
gern auf, zu schreien, wenn Sie aufhören, die Unwahr-
heit zu sagen. Friedrich Merz (CDU/CSU): Dann lasse ich auch
noch eine weitere Zwischenfrage von Herrn Poß zu.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Herr Solms, bitte schön.
Könnten Sie dem Hohen Hause bitte bestätigen – Sie
sind doch sicher in der Lage, Gesetzentwürfe zu lesen –, Dr. Hermann Otto Solms (F.D.P.): Herr Kollege,
daß die Körperschaftsteuer nach unserem Gesetzentwurf würden Sie bitte, um die Fakten richtigzustellen, dem
im ersten Schritt schon im Jahre 1999 von 45 auf Kollegen Poß mitteilen, daß von der rotgrünen Regie-
40 Prozent gesenkt wird? Das Ziel von 35 Prozent ist für rung geplant ist, den Körperschaftsteuersatz erst zum
das Jahr 2002 – wenn möglich, schon früher – angepeilt. 1. Januar 2000 in einer ersten Stufe zu senken.
(B) Könnten Sie dem Hohen Hause bitte bestätigen, daß da- (D)
durch eine nachhaltige Entlastung der Wirtschaft er- (Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
folgt? Ich habe es hier: Die gewerblichen Einkünfte für Perso-
nengesellschaften werden zum 1. Januar 1999 gesenkt,
Friedrich Merz (CDU/CSU): Herr Poß, wenn es zu die Körperschaftsteuersätze zum 1. Januar 2000 in einer
Ihrer Beruhigung beiträgt, bestätige ich Ihnen gern, daß ersten Stufe.
Sie eine marginale Absenkung
(Heiterkeit bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
(Lachen bei der SPD – Joachim Poß [SPD]:
Ich habe es nun wirklich schriftlich hier. Ich bitte, es
Was? Um 5 Prozent! – Peter Dreßen [SPD]: entgegenzunehmen.
Das ist die Hälfte des Ziels, das Sie selbst ver-
folgen!)
– lassen Sie mich doch wenigstens aussprechen – des Friedrich Merz (CDU/CSU): Herr Poß, möchten Sie
Steuersatzes für die betrieblichen Einkünfte im Ein- eine weitere Zwischenfrage stellen?
kommensteuergesetz und eine geringfügige Absenkung
des Körperschaftsteuersatzes zum 1. Januar 1999 vor- (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und
der F.D.P.)
schlagen. Gleichzeitig treten fast alle Maßnahmen in
Kraft, die zur Verbreiterung der Steuerbemessungs-
grundlage herangezogen werden. Dies heißt im Klartext: Präsident Wolfgang Thierse: Bitte, Herr Poß.
Sie werden in den Jahren 1999, 2000 und 2001 die Be-
triebe in Deutschland mit erheblich höheren Steuern be-
lasten, als sie im laufenden Jahr 1998 belastet wurden. Joachim Poß (SPD): Herr Kollege Merz,
Das ist die Wahrheit.
(Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Ohne An-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) walt würde ich mich nicht mehr melden, Herr
Herr Poß, wenn Sie uns nicht glauben, dann lesen Sie Poß! Nehmen Sie sich einen Anwalt!)
doch die frei gehaltene Rede des Bundesfinanzministers,
können Sie dem Hohen Hause bestätigen, daß Sie vorhin
dem ich gut zugehört habe!
wahrheitswidrig behauptet haben, wir würden die Un-
(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Er hat ternehmensteuersätze nicht vor dem Jahre 2002 senken?
das bestätigt!) Das können wir ja dann dem Protokoll entnehmen.
332 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

(A) Friedrich Merz (CDU/CSU): Herr Kollege Poß, daß die zwei neuen beamteten Staatssekretäre Ihres (C)
wenn es denn zur Klarheit beiträgt Hauses ständig über Deflation in Deutschland reden,
und damit eine höhere Geldentwertung in Deutschland
(Klaus Lennartz [SPD]: Zur Wahrheit vor al- für die Zukunft billigend in Kauf nehmen. Mit uns wird
len Dingen!) ein solcher Weg nicht zu machen sein.
– und zur Wahrheit –, will ich Ihnen gerne noch einmal
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
bestätigen, daß Ihre steuerpolitische Konzeption vorsieht
– das ist auch gar nicht ehrenrührig; Herr Präsident, meine Damen und Herren, lassen Sie
mich zum Schluß etwas sagen, weil es notwendig ist, in
(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das ist
einer solchen grundsätzlichen ersten Aussprache über
nicht ehrenrührig, aber falsch!)
die zukünftige Wirtschafts- und Finanzpolitik darüber zu
das haben Sie ausdrücklich so gewollt, ich habe Sie nur sprechen. Sie werden sich auch mit der Flucht in eine,
auf die Konsequenzen hingewiesen –, daß die Steuerbe- wie Sie es formuliert haben, Politik der Wechselkurs-
lastungen zuerst eintreten und die Steuerentlastungen zielzonen nicht den Erfordernissen in der Bundesrepu-
später. Das ist die Konsequenz. blik Deutschland entziehen können. Ich sage es sogar
umgekehrt: Die Erfahrungen, die die asiatischen Länder
(Joachim Poß [SPD]: Das ist falsch! Sie blei- gemacht haben – Indonesien, Malaysia, Korea, Thailand
ben bei der Unwahrheit!) –, Länder, die zum Teil seit Anfang der 80er Jahre eine
Das, was der Kollege Solms gerade zitiert hat, ist die feste Wechselkursbindung an den Dollar vorgenommen
Wahrheit. Sie planen zuerst die Steuererhöhungen und haben, sind genau andersherum gewesen. Dort, wo es
stellen für das Wahljahr 2002 geringfügige Steuerentla- eine zu lange Bindung an Währungen gegeben hat, sind
stungen in Aussicht. Das ist die Wahrheit. Spekulationsblasen entstanden. Es war mit eine Ursache
für die Finanzkrise in Asien, daß die Wechselkurse nicht
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die realen Austauschverhältnisse dargestellt haben.
Meine Damen und Herren, ich möchte zum Schluß (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
noch einmal auf die Geld- und Zinspolitik zu sprechen ordneten der F.D.P.)
kommen. Herr Lafontaine, die Zeit reicht jetzt nicht
mehr aus, um ausführlich über diese Frage zu diskutie- Dies ist der falsche Weg. Die Ursachen für Krisen
ren. Ich will nur den wesentlichen Kernpunkt unserer internationaler, europäischer und auch nationaler Art
Kritik an Ihren Äußerungen der letzten Wochen wieder- liegen nicht in den Wechselkursentwicklungen, sondern
holen. Man kann sich über die Funktion von Geldpolitik in den entscheidenden politischen Weichenstellungen in
und Notenbankentscheidungen durchaus unterhalten. den nationalen Volkswirtschaften. Zu diesen Weichen-
(B) Aber wenn Sie ein Ergebnis in Ihrem Sinne gewollt stellungen, im Sinne des Arbeitsmarktes, im Sinne der (D)
hätten, dann hätten Sie nicht mit diesen maßlosen An- gesunden Entwicklung der Volkswirtschaft der Bundes-
griffen die Deutsche Bundesbank in die Rolle hinein- republik Deutschland, Herr Lafontaine, fordern wir Sie
versetzen sollen, überhaupt nicht anders entscheiden zu auf. Wenn Sie auf dem Weg, den Sie heute morgen be-
können, als sie in der letzten Woche entschieden hat. schrieben haben, weiter voranschreiten, wird es nicht
Herr Lafontaine, das Ergebnis Ihrer Attacken – Sie ha- mehr Beschäftigung, sondern weniger Beschäftigung,
ben in Wahrheit die Europäische Zentralbank und nicht und nicht weniger Arbeitslose, sondern mehr Arbeitslose
die Deutsche Bundesbank gemeint – ist heute in den in Deutschland geben. Dies wird unseren entschiedenen
Zeitungen nachzulesen. Das erste Ergebnis ist nicht, daß Widerspruch zu jeder Zeit herausfordern.
die Geldmarktzinsen sinken, sondern das erste Ergebnis
(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und
ist, daß es einen massiven Vertrauensschwund der Öf-
der F.D.P.)
fentlichkeit in die Stabilität des Euro gibt. Das ist das
Ergebnis Ihrer Attacken auf die Notenbank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Präsident Wolfgang Thierse: Das Wort zu einer
Kurzintervention erteile ich der Kollegin Ingrid Matt-
Geldwertstabilität ist kein Selbstzweck und ist nicht häus-Maier, SPD.
etwas, was irgendwo in den Büchern steht und was dun-
kel gekleidete Herren in den Elfenbeintürmen der No-
tenbanken für sich entscheiden. Geldwertstabilität – das Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Meine sehr verehrten
ist die Erfahrung von 50 Jahren Geldpolitik in der Bun- Damen und Herren, der Kollege Merz hat behauptet, im
desrepublik Deutschland – ist die Grundlage für die Jahr 1999, also im nächsten Jahr, werde der Körper-
Dauerhaftigkeit und Verläßlichkeit von Investitionen, schaftsteuersatz nicht gesenkt,
sie ist die Grundlage für wirtschaftliches Wachstum und
(Zurufe von der CDU/CSU: Nein! Nein!)
neue Arbeitsplätze, und, Herr Lafontaine, sie ist die
Grundlage für die Sicherheit von Renten, von kleinen sondern erst im Jahre 2002. Der Kollege Solms hat dies
Einkommen und von kleinen Ersparnissen. Inflation ist noch ausdrücklich unterstützt. Ich weise darauf hin: In
der Taschendieb des kleinen Mannes. dem hier auf den Tischen liegenden Gesetzentwurf steht
auf Seite 2: Senkung des Körperschaftsteuersatzes für
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
einbehaltene Gewinne auf 40 Prozent ab 1. Januar 1999.
Wir werden Ihnen nicht durchgehen lassen, daß Sie Das gleiche steht im Gesetzestext auf Seite 137, und es
ein Ablenkungsmanöver starten, indem Sie es zulassen, steht in der Begründung zum Gesetzestext auf Seite 278.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 333
Ingrid Matthäus-Maier

(A) Ich gehe davon aus, daß Sie vielleicht nicht bewußt die Solms! Er hat noch nicht einmal den Gesetz- (C)
Unwahrheit gesagt haben. Allerdings kommt es mir vor, entwurf gelesen! Er hat lesen lassen! Herr
als wäre es so, weil der Kollege Poß Sie darauf hinge- Solms, lesen Sie mal selbst!)
wiesen hat. Ich fordere Sie hiermit offiziell auf,
(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie haben Präsident Wolfgang Thierse: Liebe Kolleginnen
gar nichts zu fordern!) und Kollegen, um die Atmosphäre ein wenig zu besänf-
hier heute morgen Ihre unwahre Behauptung zurückzu- tigen, erlaube ich mir, der Kollegin Kerstin Müller herz-
nehmen und zu bestätigen, daß der Körperschaftsteuer- lich zu ihrem 35. Geburtstag zu gratulieren.
satz sinkt. (Beifall)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Ich freue mich, daß Sie Ihren Geburtstag mit uns zu-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) sammen verbringen. Alles Gute für Sie!
Nun erteile ich das Wort der Kollegin Christine
Präsident Wolfgang Thierse: Herr Kollege Merz, Scheel, Bündnis 90/Die Grünen.
Sie haben Gelegenheit zu einer Antwort.
(Zurufe von der SPD: Auf nach Canossa! – Christine Scheel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Auf die Knie!) Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Nachdem
wir ja jetzt geklärt haben, wer lesen oder wer nicht lesen
Friedrich Merz (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine kann, Herr Solms, denke ich, daß wir zur Senkung von
sehr verehrten Damen und Herren! Es ist immer so, Unternehmensteuern 1999 an dieser Stelle zumindest
wenn man frei spricht und kein ausformuliertes Manu- keine so klaren Aussagen mehr zu machen brauchen. Ich
skript hat brauche das alles nicht noch einmal vorzulesen. Ich den-
ke, Sie wissen jetzt mittlerweile, wo es steht.
(Zurufe von der SPD)
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
– Entschuldigung –, daß man Gefahr läuft, mißverstan-
den zu werden. Ich will das noch einmal ausdrücklich Herr Merz, ich finde es allerdings etwas eigenartig,
klarstellen: Ich bezweifle nicht, daß Sie nach dem Ge- wenn Sie sagen, Sie hätten hier in freier Rede natürlich
setzestext, der uns gegenwärtig vorliegt – das ändert sich Schwierigkeiten gehabt, die Zuordnung der Steuersatz-
ja immer wieder –, senkungen auf die nächsten Jahre klar vorzutragen oder
das klar im Hinterkopf zu haben. Wir waren ja auch lan-
(Widerspruch bei der SPD)
(B) ge genug in der Opposition. Jetzt sind wir Regierungs- (D)
die Absicht haben, die Steuersätze des Körper- parteien. Man sollte doch einmal von folgendem ausge-
schaftsteuergesetzes bereits im nächsten Jahr zu senken. hen – das muß man wirklich einmal sagen, gerade an die
(Klaus Lennartz [SPD]: Ist das so schwer, Adresse der Steuerfachleute; das gilt für Herrn Solms
einen Fehler zuzugeben?) genauso, wie es für Herrn Merz gilt –: Die Leute, die
sich hier hinstellen und zu einer Steuerreform reden, die
Ich lege aber Wert auf die Feststellung – ich bleibe jetzt von SPD und Bündnis 90/Die Grünen vorgelegt
dabei –, daß die Bilanz zwischen Entlastung und Bela- worden ist und die in kürzester Zeit zuwege gebracht
stung – – worden ist, sollten wenigstens wissen, wie die Steuersät-
(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Das hat ze in den nächsten Jahren aussehen.
er gesagt! Das ist der Punkt!) (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Wir können das ja gemeinsam, Frau Matthäus-Maier, und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
im Protokoll noch einmal nachlesen. Ich habe gesagt PDS)
und bleibe auch dabei, daß für das Jahr 1999, für das Mit einem Punkt, Herr Merz, ist es mir als Frau – ich
Jahr 2000 und für das Jahr 2001 – vor dem Zeitpunkt, sage das wirklich bewußt – sehr ernst: Sie haben in Ih-
für den Sie eine weitere Absenkung der Körper- ren Ausführungen Herrn Lafontaines Ehefrau, Christa
schaftsteuersätze vage in Aussicht stellen; das steht nicht Müller, angesprochen. Anscheinend ist es für Sie uner-
in diesem Gesetzentwurf –, für diese drei Jahre, für die träglich, daß eine Frau so denken kann.
Wirtschaft und damit für die Arbeitsplätze in Deutsch-
land nicht eine geringere, sondern eine höhere Steuer- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
belastung kommt. Das ist die Konsequenz Ihres Gesetz- und bei der SPD)
entwurfes.
Eine weitere Bemerkung vorab: Ich dachte eigentlich,
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) die CDU habe gelernt, daß die Vergleiche der Bundes-
länder, mit denen Sie durch alle Lande gezogen sind,
Davon, Frau Matthäus-Maier, habe ich nicht nur nichts
zurückzunehmen, sondern den Nachweis, daß dies so ist, (Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Die tun weh,
werden wir Ihnen Jahr für Jahr in den nächsten drei Jah- Frau Scheel!)
ren von dieser Stelle aus führen.
Ihnen im Wahlkampf nicht dienlich waren. Denn
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- schließlich haben sie nicht dazu geführt, daß Sie die
ordneten der F.D.P. – Joachim Poß [SPD]: Wahl gewonnen haben. Ich glaube, auch in dieser De-
334 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Christine Scheel

(A) batte nutzen sie nichts; denn sie bringen uns in keiner von mehr als 10 Milliarden DM aus, und den Ländern (C)
Weise weiter. und Kommunen geht es – ich denke, ich kann das be-
urteilen – auch nicht besser.
Zum Gesetzentwurf selbst: Dieser Gesetzentwurf ist
solide durchgerechnet und sauber finanziert. Das ist der Eine alte Mär, mit der wir vielleicht endlich einmal
große Unterschied zu den Entwürfen, mit denen wir es aufräumen sollten, ist: Wir haben die Finanzierung des-
in der Vergangenheit, in der letzten Legislaturperiode, wegen so geplant, weil wir den öffentlichen Kassen –
zu tun hatten. wie es in den Petersberger Beschlüssen der alten
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES Koalition vorgesehen war – Einnahmeausfälle in Höhe
90/DIE GRÜNEN und der SPD) von 57 Milliarden DM ersparen wollten. Herr Waigel
hat damit – das ist das Problem – immer wieder
Mit diesem Gesetzentwurf wird die Investitionskraft der Begehrlichkeiten geweckt, die in keiner Weise erfüllt
Unternehmen gestärkt, und die Binnennachfrage wird werden konnten. Es waren schlicht unseriöse
entsprechend nachhaltig belebt. Es ist, Herr Merz, in Vorschläge, mit denen er und auch andere aus der CDU,
keiner Weise richtig, wenn Sie sagen, damit werde nur CSU und F.D.P. durch den Wahlkampf gezogen sind.
Nachfragepolitik betrieben. In diesem Gesetzentwurf ist Die Finanzpolitik steht jetzt endlich wieder auf einer
vielmehr ein ausgewogenes Verhältnis von angebots- soliden Grundlage.
und nachfrageorientierter Politik verankert.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Wir haben im Wahlkampf immer gesagt, daß wir die sowie bei Abgeordneten der SPD)
Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen entlasten
wollen, daß wir das Zusammenleben mit Kindern be- Meine Damen und Herren, auch im Wirtschaftsbe-
günstigen wollen. Das haben wir hier umgesetzt. Zudem reich haben wir insgesamt gute Ergebnisse erzielt. Der
wurde – dies ist für die Ländervertreter, Herr Faltlhau- Spitzensteuersatz für gewerbliche Einkünfte wird im
ser, sehr wichtig – der sehr schwierigen Situation der öf- nächsten Jahr, wie gesagt – das haben wir jetzt alle ge-
fentlichen Haushalte Rechnung getragen. Auf Grund lernt –, auf 45 Prozent und im Jahr 2000 auf 43 Prozent
dieser angespannten Haushaltslagen mußte in der ersten gesenkt. Die Körperschaftsteuer – das ist jetzt klar –
und zweiten Stufe eine strikte Aufkommensneutralität wird im nächsten Jahr von 45 auf 40 Prozent gesenkt.
gewahrt werden, und erst in der dritten Stufe konnte eine
Nettoentlastung von rund 15 Milliarden DM vorgesehen Natürlich streben wir eine Unternehmensteuerre-
werden. Das ist richtig und finanzpolitisch äußerst ver- form an. Demnächst wird dafür eine Arbeitsgruppe ein-
nünftig. gesetzt. Diese Unternehmensteuerreform hat als Ziel die
rechtsformunabhängige Besteuerung von Unternehmen,
Nun zu dem Punkt, der immer wieder angesprochen und zwar mit einem Steuersatz von etwa 35 Prozent. Es
(B) wird, nämlich inwiefern die Entlastung bei der Ein- (D)
wäre natürlich wunderbar – dafür werden wir uns ge-
kommensteuer mit dem Ziel der Senkung der Lohnne- meinsam einsetzen –, wenn diese Reform nicht erst im
benkosten und der Erhebung von Ökosteuern vereinbar Jahr 2002, sondern schon im Jahr 2000 umgesetzt wer-
ist. Ich finde, diese Bereiche müssen zumindest punktu- den könnte.
ell in Verbindung gesehen werden. Schließlich kommt
es doch darauf an, was den Leuten am Schluß bleibt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Das ist es, was interessiert. Die Zahlen aus bestimmten sowie bei Abgeordneten der SPD)
Teilbereichen, die irgendwo herumschwirren, verunsi-
chern die Leute nur. Wir gehen auch einen Schritt in Richtung Gleichbe-
handlung aller Einkunftsarten, indem wir zukünftig zum
Alleinerziehende mit zwei Kindern und 2 500 DM Beispiel – das ist ein heikles Thema, das weiß ich; ich
brutto im Monat werden, Stand 1998, insgesamt mit 277 nenne es trotzdem – Einkünfte in der Landwirtschaft
DM an Steuern und Abgaben belastet. Nach der Umset- über einen bestimmten Sockel ähnlich bzw. gleich be-
zung der ökologisch-sozialen Steuerreform und der handeln wie gewerbliche Einkünfte. Wir haben hier na-
Einkommensteuerreform wird ebendiese alleinerzie- türlich auch eine soziale Komponente eingeführt: Klei-
hende Mutter oder dieser alleinerziehende Vater mit nen bäuerlichen Familienbetrieben bis zu 15 Hektar soll
zwei Kindern um monatlich 127 DM entlastet. Ich den- die Durchschnittsbesteuerung erhalten bleiben. Das ist
ke, das ist ein Schritt in die richtige Richtung; damit auch in Ordnung so.
wird – unter Einbeziehung der Erhebung der Ökosteuern
und der Senkung der Einkommensteuern – in diesen Insgesamt – auch das muß man einmal zur Kenntnis
Einkommensgruppen der richtige Effekt erzielt. nehmen – gehen wir einen sehr mutigen Schritt in
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES Richtung Steuervereinfachung und Abbau von Steuer-
90/DIE GRÜNEN und der SPD) vergünstigungen. Es gibt über 70 Maßnahmen zur Be-
reinigung der Bemessungsgrundlage. Das ist vom Um-
Um der Kritik vorzubeugen, wir hätten die Tarife fang, von der Dimension her die größte Steuerreform,
weiter senken sollen: Natürlich wäre dies wünschens- die in der Geschichte der Bundesrepublik jemals mit
wert gewesen; das wissen alle. Aber das Erbe der Kohl- einer solch affenartigen Geschwindigkeit – positiv gese-
Regierung – das muß auch in diesem Zusammenhang hen – und so gut durchgerechnet vorgelegt worden ist.
betont werden – hat uns im Haushalt keinen Spielraum
gelassen. Der Bundeshaushalt weist allein für 1999 ge- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
genüber der Waigelschen Vorstellung Risiken in Höhe und bei der SPD)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 335
Christine Scheel

(A) Außerdem ist es gelungen – da hatten Sie angeblich Es ist auch für die Arbeitgeber sinnvoll, daß wir vom (C)
immer Ihre Probleme –, durch eine frühzeitige Einbin- 1. Januar an die Kindergeldauszahlungen nicht mehr
dung der Bundesländer in die Beratungen sicherzu- über die Arbeitgeber vornehmen. Dies wird nach Be-
stellen, daß im Bundesrat die nötigen Abstimmungser- rechnungen des Deutschen Industrie- und Handelstages
gebnisse erzielt werden können, um diese Reform sehr eine Entlastung von 60 Millionen DM bei den Verwal-
schnell auf den Weg zu bekommen. tungskosten bringen. Das ist, finde ich, ein gutes Ange-
bot an die Arbeitgeber.
Es gibt einen negativen Begleiteffekt der Diskussio-
nen, die in den letzten Tagen, in den letzten Wochen ge- (V o r s i t z : Vizepräsident Rudolf Seiters)
führt worden sind. Man muß feststellen, daß die Erar-
beitung dieses Konzeptes teilweise regelrecht zu einem Wenn hier von der Opposition immer wieder der
Spießrutenlaufen geworden ist. Ich meine, es ist ziem- Topf aufgemacht wird, wir würden die Unternehmen in
lich einmalig, daß, bevor ein Gesetz im Entwurf vor- der Bundesrepublik Deutschland über Gebühr schröp-
liegt, von allen möglichen Gruppen und Kreisen aus der fen, so möchte ich Ihnen in Erinnerung rufen, Herr Dr.
Opposition, aus der Bevölkerung und vor allen Dingen Waigel, daß in den – –
von einigen wenigen aus der Wirtschaft Kritik geübt (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Ich habe
wurde, Nebelkerzen ins Blaue geworfen wurden. In den gar nichts gesagt!)
laufenden Beratungen müssen sie aber feststellen, daß
sich einige der Vorbehalte und auch Teile der Kritik er- – Ich sagte ja: Ich rufe in Erinnerung. Ich habe nicht ge-
übrigen. Dies ist natürlich etwas schwierig, weil so be- sagt, daß Sie etwas gesagt haben. Ich möchte nur bitten,
stimmte Stimmungen erzeugt werden. daß Sie sich in Erinnerung bringen, daß die alte Regie-
rung
Es ist auch unwahr, daß insbesondere die kleinen und
mittleren Unternehmen die Hauptlast dieser Reform zu (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: So alt wa-
tragen haben. Kleine und mittlere Unternehmen werden ren wir nicht! – Detlev von Larcher [SPD]:
entlastet, und zwar in einer Größenordnung von etwa Die abgewählte Regierung!)
4 Milliarden DM. Belastet werden Großunternehmen
und Konzerne. Das sind genau die, die in den letzten in den Petersberger Steuerbeschlüssen zum Beispiel
Jahren einen Gestaltungsspielraum genutzt haben. Das Regelungen zum Thema außerordentliche Einkünfte
hatte mit Steuergerechtigkeit und mit leistungsgerechter hatte. Das hatten Sie in gleicher Form vorgesehen, wie
Besteuerung überhaupt nichts mehr zu tun. Das fahren wir es jetzt tun: Wegfall des halben durchschnittlichen
wir zurück, um die Gerechtigkeit auch innerhalb des Steuersatzes, statt dessen progressionsmildernde Be-
Unternehmensbereiches wiederherzustellen. steuerung durch rechnerische Verteilung auf fünf Jahre.
Deswegen braucht es hier von seiten der jetzigen Oppo-
(B) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES (D)
sition überhaupt kein Geschrei zu geben. Das ist das,
90/DIE GRÜNEN und der SPD – Dr. Peter was damals sinnvoll war; das haben wir übernommen.
Ramsauer [CDU/CSU]: Dünner Beifall! Viel Was nicht sinnvoll war, haben wir eben anders gestaltet.
zu spät!)
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES
Die Gesamtgewinnbelastung der Unternehmen wird 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
übrigens nicht geschmälert; es gibt eine zeitliche Ver-
schiebung bei der Besteuerung. Heute werden sehr früh Aus bündnisgrüner Sicht sind die wesentlichen Re-
stille Reserven gebildet, die am Ende der Besteuerung formziele bei der Einkommensteuer erreicht worden: die
irgendwann wieder aufgelöst werden. Dies wollen wir in dringende Entlastung von Durchschnittsverdienern,
der nächsten Zeit verhindern. Das ist auch richtig. Aufkommensneutralität, Lichtung des Steuerdschungels.
Aber in einigen Punkten wären wir – das müssen wir der
So zeigt dieser Entwurf, daß die meisten Befürchtun- Ehrlichkeit halber sagen; ich finde es gut, daß wir das so
gen auch in der Frage der Unternehmensbesteuerung handhaben können – natürlich gern weitergegangen. Das
unbegründet sind und daß gerade im Bereich des Mittel- ist klar.
standes einiges getan wird.
Wir hätten gerne eine stärkere Erhöhung des Kinder-
Ich sage Ihnen noch ein Beispiel. Unternehmerische
geldes gehabt, um den Kinderfreibetrag überflüssig zu
Verluste bleiben trotz neuer Mindestbesteuerung voll
machen. Aber wir denken, daß wir in den nächsten Jah-
verrechenbar. Der Verlustrücktrag wird für Verluste
ren noch Zeit genug haben, um gemeinsam einen Schritt
bis 2 Millionen DM auf ein Jahr begrenzt. Bis En-
weiterzukommen.
de 2000 bleibt dies erhalten; dann haben wir sehr niedri-
ge Steuersätze, dann ist das in Ordnung. Der Verlust- (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: 2010!)
vortrag bleibt weiter unbegrenzt möglich. Die Mär, daß
die kleinen und mittelständischen Unternehmen von den Nachbesserungsbedarf gibt es aus unserer Sicht auch
Möglichkeiten, die sie heute haben, nicht mehr Ge- bei der Kilometerpauschale. Nach wie vor setzen wir
brauch machen können, ist einfach falsch. Deswegen ist uns für eine verkehrsmittelunabhängige Entfernungs-
es notwendig und richtig, hier zu sagen, daß wir selbst- pauschale ein, die auch den Benutzern öffentlicher Ver-
verständlich die ganze Zeit vor allem an die kleinen und kehrsmittel gerecht wird.
mittelständischen Unternehmen gedacht haben. (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 90/DIE GRÜNEN – Walter Hirche [F.D.P.]:
und bei der SPD) Durchsetzen muß man sich in der Regierung!)
336 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Christine Scheel

(A) Wir wissen ja, daß die heutige Kilometerpauschale miß- Dr. Hermann Otto Solms (F.D.P.): Herr Präsident! (C)
brauchsanfällig ist und weit über den realen Kosten Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedanke
liegt. mich bei Frau Scheel, daß sie so sehr an den Mittelstand
gedacht hat. Nur, das hilft dem Mittelstand, der soge-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
nannten Neuen Mitte, nichts. Sie hätten dafür etwas
sowie bei Abgeordneten der SPD – Carl-
durchsetzen müssen.
Ludwig Thiele [F.D.P.]: Setzen Sie doch ein-
mal etwas durch!) (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne-
Wir wollen uns auch weiterhin für eine weitere Ab- ten der CDU/CSU)
senkung des Spitzensteuersatzes stark machen, um ver- Der ganze Erfolg der Grünen bei der steuerpolitischen
stärkt Impulse für ausländische Unternehmen, die hier Konzeption war, daß sie die SPD gezwungen haben, den
investieren und bei denen es auch darum geht, was der Spitzensteuersatz von 49 Prozent auf 48,5 Prozent zu
Manager verdient und wie hoch er besteuert wird, zu senken. Ein toller Erfolg, immerhin ein halber Prozent-
setzen. punkt. Das wird den mittelständischen Unternehmen
Zusammenfassend möchte ich sagen, daß vom vor- nicht helfen.
gelegten Steuerentlastungsgesetz mit Sicherheit Impulse Ich bestätige ausdrücklich, Herr Poß und Frau Mat-
für mehr Beschäftigung und Binnennachfrage ausgehen thäus-Maier, daß Sie bereits ab 1999 damit beginnen,
werden. Daß die bisher in der Bundesrepublik Deutsch- die Tarife zu senken. Nur, Sie beginnen vorsichtig zu
land geäußerten Befürchtungen im Ausland so über- senken. Aber Sie setzen die Gegenfinanzierung sowie
haupt nicht gesehen werden, wie Sie das immer gern den Abbau von Steuersubventionen und Abschreibungs-
darstellen, zeigt ein Artikel aus der „Financial Times“ bedingungen in der Wirtschaft sehr schnell durch.
vom 13. Oktober 1998. Dort steht geschrieben:
(Joachim Poß [SPD]: Das war doch bei Herrn
Dieser Steuerplan gibt einigen Grund zur Hoff-
Waigel auch der Fall: in der ersten Stufe ge-
nung. Er ist ziemlich vernünftig und stufenweise
genfinanziert!)
vielleicht unvermeidbar angesichts des ungünstigen
globalen Wirtschaftsklimas. Aber seine Betonung Das Ergebnis wird sein, daß gerade in der Neuen
auf Transparenz ist ein definitiver Schritt in die Mitte, die dazu beigetragen hat – während des Wahl-
richtige Richtung. Die Entscheidung, den Plan fis- kampfes auf vielfältige Weise vom Bundeskanzler ge-
kalisch neutral zu halten, ist ebenso begrüßens- ködert –, daß anders gewählt wurde, die Betrogenen zu
wert. Mit einer Staatsverschuldung von immerhin finden sein werden. Sie müssen die Zeche bezahlen. Die
2,5 Prozent des Bruttoinlandprodukts hat Deutsch- Belastung für die mittelständischen Unternehmen steigt.
(B) land nicht viel Spielraum für Neuverschuldung. Das ist das Ergebnis. Das wird den Investitionsprozeß, (D)
(Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: Sehr gut!) den wir brauchen, um Arbeitsplätze zu schaffen, eben
nicht in Gang setzen.
Das ist eine Aussage, die deutlich macht, wie wir im
Ausland wahrgenommen werden. Ich finde es sehr (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
schön, daß das so ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Vizepräsident Rudolf Seiters: Herr Kollege
und bei der SPD) Solms, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeord-
Außerdem scheint die Börse die Aufregung der kon- neten Poß?
servativen Kreise nicht ganz zu teilen. Der DAX hat sich
soweit konsolidiert; die Baisse ist überwunden.
Dr. Hermann Otto Solms (F.D.P.): Bitte schön.
(Michael Glos [CDU/CSU]: Aber nicht mehr
lange! Noch so eine Rede, und der DAX bricht
ab!) Joachim Poß (SPD): Herr Kollege Solms, würden
Sie bestätigen, daß auch bei den Plänen von Herrn Wai-
Das hat sicherlich damit zu tun, Herr Glos, daß im Un-
gel, die erste Stufe voll gegenfinanziert war, weil der
ternehmensbereich jetzt das nachgeholt wird, was woan-
Steuersenkungsspielraum auch nach Meinung von
ders längst üblich ist, nämlich eine objektivierte Gewinn-
Herrn Waigel nicht gegeben war, höchstens in einem
ermittlung mit reeller Ausweisung der tatsächlichen Ge-
Umfang von 1,5 Milliarden DM? Diese Zahl hat er je-
winnsituation der Unternehmen. Das ist eine Anpassung
denfalls in der Haushaltsdebatte und in seiner Vorlage
an internationale Standards, die sonst von der Industrie
zur symmetrischen Finanzplanung genannt.
immer eingefordert wurde. Dies tun wir. Ich sage: Die
Sache ist rund und schafft Steuergerechtigkeit in diesem
Land. Wir sind auf einem verdammt guten Weg. Dr. Hermann Otto Solms (F.D.P.): Der ursprüngli-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN che Plan war, die erste Stufe aufkommensneutral zu ge-
und bei der SPD) stalten. Ihre erste Stufe ist gerade für die mittelständi-
schen Unternehmen nicht aufkommensneutral, sondern
führt zu einer erheblichen Mehrbelastung.
Vizepräsident Rudolf Seiters: Das Wort hat für die
F.D.P.-Fraktion der Abgeordnete Dr. Hermann Otto (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne-
Solms. ten der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 337
Dr. Hermann Otto Solms

(A) Der frühere Bundesfinanzminister Theo Waigel hatte Wissen Sie, was Ihr zentraler Fehler ist? – Wie Sie (C)
auf Grund der guten Entwicklung bei den Steuerein- die Menschen hinters Licht führen wollen. Sie rechnen
nahmen vor der Wahl in Aussicht gestellt, daß wir bei Steuerbelastung und -entlastung und Kindergeld zu-
der ersten Stufe schon eine Nettosteuerentlastung von sammen. Nur, das Kindergeld nützt den Familien mit
10 Milliarden DM ermöglichen könnten. Kindern.
(Joachim Poß [SPD]: Das ist nicht richtig!) (Zuruf von der SPD: Richtig!)
Das ist alles bekannt. Die Haushaltszahlen und die Steu- Das ist aber ein kleinerer Prozentsatz.
ermehreinnahmen, wie es Herr Merz auch dargestellt
hat, würden das auch für Sie zulassen. Aber Sie brau- Die große Masse der Arbeitnehmer, die zu einem gut
chen ja das Geld, um Ihre Wahlgeschenke zu finanzie- Teil nicht vom Kindergeld begünstigt wird, wird da-
ren. Deswegen bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als den durch nicht entlastet. Deren Steuerbelastung bleibt hoch.
Steuerzahler, der zu hoch belastet ist, nicht zu entlasten. Gerade die vom Bundesfinanzminister angeführten
Facharbeiter – Krankenschwestern, Fernfahrer und wer
(Joachim Poß [SPD]: Herr Solms hat ein dabei alles zu nennen ist – werden eben fast nicht entla-
schwaches Gedächtnis!)
stet, weil Sie den Tarif zwischen dem entlasteten Ein-
Ich bin dem Bundesfinanzminister ausgesprochen gangssteuersatz und dem gesenkten Spitzensteuersatz
dankbar, daß er hier bestätigt hat – es ist ja erst ein ande- kaum korrigieren. In diesem Bereich schlägt der Tarif
rer Eindruck erweckt worden –, daß er Systemkorrektu- zu.
ren und -reformen im Sozialsystem für notwendig hält.
Ich bin dankbar, daß Sie das bestätigen. (Joachim Poß [SPD]: Grundfreibeträge, Ein-
gangssteuersätze!)
Nur, was Sie angekündigt haben, ist doch das genaue
Gegenteil von dem, was Sie tun. Sie wollen die Renten- Daher müssen die Facharbeiter weiterhin die hohen
reform mit dem Einbau eines Altersfaktors aussetzen. Grenzsteuersätze in Kauf nehmen.
Sie wollen eine Frühverrentung einführen. Irgendein (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne-
Fonds soll das finanzieren. Natürlich müssen das Ar- ten der CDU/CSU)
beitnehmer und Arbeitgeber bezahlen – das wird dazu
nicht gesagt. Sie wollen die Gesundheitsreform wieder Das führt dazu, daß es nicht nur die kleinen und
so korrigieren, daß Mehrbelastungen herauskommen. mittleren Unternehmen sind, die diese Last zu tragen
Sie wollen die Lohnfortzahlung korrigieren. Sie wollen haben, sondern daß es eben auch die Facharbeiter sind,
den Kündigungsschutz rückabwickeln. die diese Last zu tragen haben. Das sind die beiden
Gruppen, die die Wirtschaft in Gang halten und den Lei-
All das wird die Belastungen erhöhen und nicht sen-
(B) stungsprozeß voranbringen. Um deren Entlastung wäre (D)
ken, wird weniger Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt er-
es in Wirklichkeit gegangen.
möglichen und wird ihn belasten. Wenn schon Struktur-
reformen, dann richtige! (Detlev von Larcher [SPD]: Deswegen wollten
(Beifall bei der F.D.P.) Sie die Zuschläge besteuern!)
Ich würde von Ihnen erwarten, daß Sie Ihren Haus- Das Steuerrecht wird durch Ihre Vorschläge auch
haltsplan, den Sie längst vorgelegt haben müßten – so nicht einfacher. Sie führen zwei neue Steuerarten ein.
wie wir unseren Haushaltsplan vor der Bundestagswahl Wann hat es das gegeben? Wir haben in den letzten Jah-
vorgelegt haben –, jedenfalls vor der hessischen Land- ren viele Steuerarten beseitigt. Eine Mindeststeuer und
tagswahl vorlegen, damit nicht der Eindruck eines eine Stromsteuer sind die zwei neuen Steuerarten.
Wahlbetrugs oder Wahlmanövers entsteht.
Bei der Mindeststeuer ist sowieso die Frage, ob sie
(Beifall bei der F.D.P.) verfassungsrechtlich möglich ist. Sie wollen die soge-
nannten passiven Einkünfte besteuern, obwohl bei-
Das heißt: spätestens im Januar des nächsten Jahres.
spielsweise die Tätigkeit im Immobilienbereich keine
Nein, die Tarifreform, die Sie vorlegen, ist nicht aus- passive Tätigkeit ist. Damit erreichen Sie außerdem eine
reichend. Sie erreichen nämlich nicht die notwendige zusätzliche Steuerungerechtigkeit, weil Einkünfte unter-
Senkung der Steuerbelastung, die Voraussetzung dafür schiedlich behandelt werden: die einen mit Mindeststeu-
ist, daß der Leistungsprozeß angeregt und finanziert er, die anderen ohne Mindeststeuer. Überlegen Sie sich
wird und daß Investitionen in Gang kommen. noch einmal, ob Sie dabei bleiben wollen.
Sie vergessen dabei – darüber ist kein Wort gesagt Die Stromsteuer führt uns zu dem Thema Einstieg in
worden –, daß Sie den Solidaritätszuschlag nicht ab- die ökologische Steuerreform. Was ist darüber alles ver-
schaffen oder senken wollen. Wenn Sie ihn zum Spit- breitet worden, und was ist dabei herausgekommen? Die
zensteuersatz addieren, bleiben Sie bei über 50 Prozent. Grünen, ruhmreich wie häufig, sind angetreten mit
Das ist eine viel zu hohe Besteuerung, die eine entspre- 5 DM pro Liter Benzin und sind bei 6 Pfennig mehr ge-
chende Abwehr in der Öffentlichkeit erzeugen wird. landet. Tolle Leistung! 6 Pfennig Erhöhung der Mine-
(Joachim Poß [SPD]: Das haben Sie doch im- ralölsteuer wird das Verhalten der Verbraucher in kei-
mer gefordert, aber nicht durchgesetzt, weil ner Weise ändern.
das nicht zu finanzieren ist!) (Michael Glos [CDU/CSU]: Reines Abkas-
Das kann so nicht weitergehen. siermodell!)
338 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Dr. Hermann Otto Solms

(A) Das wird also keine ökologische Wirkung auslösen. Das Ergebnis der Steuerreform wird sein, daß dieje- (C)
Wegen eines um 6 Pfennig höheren Benzinpreises wird nigen, auf die es ankommt, nämlich die Facharbeiter, die
niemand einen Kilometer weniger fahren. Das zeigt, daß Leistungsbereiten, die Leistungsträger der Gesellschaft,
die ökologische Steuerreform nichts anderes als eine die Ingenieure, aber auch die kleinen und mittleren Un-
gute Begründung für mehr Steuereinnahmen ist. Darum ternehmen – zum Beispiel die Handwerker –, die die
geht es Ihnen ja auch. Arbeitsplätze anbieten müssen, die Geld in die Hand
nehmen müssen, um etwas auf den Weg zu bringen und
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) zu investieren, enttäuscht sind, sich abwenden werden
Sie brauchen diese Steuereinnahmen eben, um die und möglicherweise ins Ausland gehen werden. Genau
verschiedenen Wahlgeschenke zu finanzieren. das ist die Gefahr, die damit verbunden ist.
(Detlev von Larcher [SPD]: Wieso Wahlge- Das Hinausschieben auf neue Kommissionen führt
schenke?) dazu, daß wir wichtige Jahre verlieren, in denen wir im
Wettbewerb mit den Konkurrenzländern in Europa und
– Die Wahlgeschenke, mit denen Sie die Wähler der
in der Welt zurückfallen werden. Ich kann nur an Sie
Mitte geködert haben, beispielsweise die Kindergelder-
appellieren: Überprüfen Sie Ihre Pläne, machen Sie mit
höhung, die Gesundheitspolitik, die Senkung der Ren-
uns eine Steuerreform, die für niedrigere Steuersätze
tenversicherungsbeiträge,
sorgt und das Steuersystem einfacher und gerechter
(Detlev von Larcher [SPD]: Das nennt der macht. Nur dann erzielen wir die notwendige Wirkung.
„Wahlgeschenke“!) Wir müssen uns an den Konkurrenzländern und deren
Steuersystemen messen. Wenn wir deren Niveau nicht
aber auch der interessante neue Vorschlag vom Bundes- erreichen, dann fallen wir zurück. Ihre Pläne taugen
finanzminister – den ich mit Interesse zur Kenntnis ge- nichts.
nommen habe –, die Pflegeversicherung durch Steuern
zu finanzieren. Das ist ein interessanter Vorschlag. Vielen Dank.
Herr Lafontaine, wo waren Sie als Ministerpräsident
des Saarlandes, als es um die Einführung der Pflegever-
sicherung ging? Die F.D.P. hat damals händeringend ge- Vizepräsident Rudolf Seiters: Das Wort hat für die
fordert und nach Unterstützung gesucht, die Pflegeversi- PDS-Fraktion Frau Dr. Christa Luft.
cherung einzuführen. Sie sollte allerdings anders finan-
ziert werden, nicht im Umlageverfahren, sondern im
Kapitaldeckungsverfahren. Dr. Christa Luft (PDS): Herr Präsident! Verehrte
Kolleginnen und Kollegen! Wenn es wirklich so wäre,
(B) (Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Was? – wie die Abgeordneten der Fraktionen von CDU/CSU (D)
Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr in- und F.D.P., die hier gesprochen haben, gesagt haben,
teressant!) daß eine sinkende Steuerbelastung der Wirtschaft zu
Man hätte natürlich die Lösung finden können, die mehr Arbeitsplätzen führt, dann hätte es in der Zeit der
Regierung Kohl geradezu einen Beschäftigungsboom
Pflegeversicherung für die pflegenahen Jahrgänge vor-
geben müssen.
übergehend steuerzufinanzieren und für die jüngeren
Jahrgänge ein eigenständiges, kapitalgedecktes Versi- (Beifall bei der PDS)
cherungssystem aufzubauen. Aber, Herr Bundesfinanz-
minister, auch das Saarland hat damals einem Antrag Denn es war die Regierung Kohl, die die Vermögen-
des Bundesrates zugestimmt – 16 : 0 Stimmen –, die steuer ausgesetzt hat. Sie hat die Körperschaftsteuer re-
umlagefinanzierte Pflegeversicherung einzuführen. Ich duziert. Sie hat den Solidarbeitrag für die Unternehmen
will keine alten Wunden wieder öffnen. Ich sage nur: gesenkt, und sie hat die Gewerbekapitalsteuer abge-
Wir sehen jetzt, daß diese Entscheidung falsch war, weil schafft. Der Anteil der Unternehmensteuern am Ge-
sie dazu beigetragen hat, daß die Arbeitsplätze durch samtsteueraufkommen in diesem Lande beträgt noch
höhere Lohnzusatzkosten auf Grund der Beiträge zur ganze 18 Prozent.
Pflegeversicherung belastet werden. Wir erkennen, daß
wir von diesem Weg herunterkommen müssen. Ich habe aber nicht vernommen, daß die Wirtschaft
inzwischen ihre nicht unerheblichen Ansprüche an die
(Beifall bei der F.D.P. – Ingrid Matthäus- Finanzierung öffentlicher Leistungen zurückgenommen
Maier [SPD]: Die Hälfte wird doch über den hat. Ich denke beispielsweise an eine exzellente öffent-
Feiertag bezahlt!) lich finanzierte Infrastruktur, die wir in diesem Lande
haben und die ein hervorragender Wettbewerbsfaktor ist.
Insofern bin ich gern bereit, in der Zukunft über diese
Ich denke an Kultur und an eine gute Schulbildung der
Frage mit Ihnen zu diskutieren. Aber das muß im Sinne
Lehrlinge, die die Arbeitgeber aufzunehmen haben. Es
einer Übergangsregelung durch Steuerfinanzierung ge-
wird immer wieder verlangt, daß die Lehrlinge, wenn sie
schehen, die zu einer individuellen, kapitalgedeckten
in die Ausbildung kommen, mehr Schulbildung mitbrin-
Pflegeversicherung hinführen muß.
gen müssen. Dies alles stellt höhere Anforderungen an
Ihre Pläne zu einer Steuerreform sind so chaotisch und die Lehrerinnen und Lehrer in den Schulen. Das alles ist
wirr, weil Sie versucht haben, die unterschiedlichsten In- teuer, das alles muß die öffentliche Hand bezahlen. Die-
teressen miteinander zu verbinden. Dabei herausgekom- sen Zusammenhang zwischen dem, was man von der öf-
men ist eben nur der kleinste gemeinsame Nenner. fentlichen Hand fordert, und dem, was man in den öf-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 339
Dr. Christa Luft

(A) fentlichen Topf hineinzutun bereit ist, muß die Wirt- Eigentums, die die Verfassung dieses Landes vorsieht, (C)
schaft natürlich erkennen und beachten. einzufordern.
(Beifall bei der PDS) (Beifall bei der PDS)
Trotz der erheblichen Steuerentlastungen in den ver- Es muß doch aufhören, daß das Steuerrecht für eine Ge-
gangenen Jahren beobachteten wir aber einen ganz rigi- sellschaftspolitik zielgebend ist, wie es die alte Bundes-
den Personalabbau. Insbesondere die Großunterneh- regierung vorhatte. Es muß doch umgekehrt sein: Ge-
men haben Scheinselbständige produziert, um sich von sellschaftspolitische Ziele müssen Steuerpolitik und
Sozialabgaben zu entlasten. Ihre wachsenden Gewinne Steuerrecht bestimmen.
aber investierten sie nicht in die Produktion, um damit
(Beifall bei der PDS)
Beschäftigung zu schaffen, sondern sie nutzten wach-
sende Gewinne für Finanzanlagen und Immobilienge- Insofern unterstützen wir die Intention des neuen Bun-
schäfte. Wie man diese spekulativen Geschäfte bekämp- desfinanzministers.
fen oder zumindest begrenzen kann, davon habe ich von
der CDU/CSU und vom F.D.P.-Sprecher leider nichts Aber, Herr Bundesfinanzminister, es gibt auch
vernommen. Schritte in Ihrem uns vorgelegten Paket, das ja ziemlich
umfangreich ist, die uns auf dem Wege zu mehr sozialer
(Beifall bei der PDS) Gerechtigkeit viel zu kurz ausgefallen sind. Ich nenne
zum Beispiel die Senkung des Eingangssteuersatzes und
Insofern ist das jetzt einsetzende Standortverschlechte- die Kindergelderhöhung.
rungsgeschrei der Vertreter der Großindustrie wirklich
fehl am Platze. Hoffentlich läßt sich die neue Bundesre- Die marginale Senkung des Eingangssteuersatzes
gierung davon auch nicht beeindrucken. 1999 wird – das vermute ich – durch Mieterhöhungen,
durch Erhöhung von Abgaben und von Tarifen aufge-
Als durchsichtig empfinde ich es auch, wenn sich die fressen werden, wie sie sich in den Kommunen und
Großindustrie nun zum Fürsprecher des Mittelstandes überall in diesem Lande anbahnt.
macht.
Bei dem Schrittmaß, mit dem Sie die Kindergelder-
(Beifall bei der PDS) höhung angehen – Sie wollen es in vier Jahren um
Wenn sie wirklich mit dem Mittelstand solidarisch sein 40 DM anheben –, bräuchten wir mehr als eine Genera-
wollte, dann hätte sie ihn längst entlastet, indem sie sich tion, um an das Existenzminimum von Kindern heran-
an den erheblichen Kosten für die Ausbildung junger zukommen. Das ist keine akzeptable Aussicht,
Menschen beteiligt hätte. Damit läßt sie jedoch den (Beifall bei der PDS)
(B) Mittelstand, Handwerk und Gewerbe, allein. Gleichwohl (D)
macht sie sich jetzt zum angeblichen Fürsprecher des zumal diese Regierung bei der Familienpolitik neue
Mittelstandes; das ist schon ziemlich zynisch. Maßstäbe setzen will, was wir natürlich ausdrücklich
unterstützen. Frau Scheel, wir werden Sie an das erin-
Wir jedenfalls halten den vorgesehenen Abbau der nern, was Sie eben gesagt haben: daß auch Sie sich ein
steuerlichen Bevorzugung von Großunternehmen für ge- höheres Schrittempo bei der Erhöhung des Kindergeldes
rechtfertigt. Wir halten das auch für fair gegenüber dem vorstellen könnten. Wir werden darauf zurückkommen
Mittelstand, der die meisten Arbeitsplätze und Ausbil- und meinen, daß im Laufe dieser Legislaturperiode da-
dungsplätze in diesem Lande schafft. für noch Nachbesserungen notwendig sind.
(Beifall bei der PDS) Warum könnte man nicht, Herr Bundesfinanzminister
Wir könnten uns eine stärkere Förderung des Mittel- – auch das sollte in dem Katalog der Überlegungen ei-
standes vorstellen, indem insbesondere eine direkte nen Platz finden können –, einen ermäßigten Mehrwert-
Wirtschaftsförderung und nicht nur eine Förderung auf steuersatz für Kinderbekleidung und Kinderschuhe ins
dem indirekten Wege, also über Steuerentlastungen er- Auge fassen?
folgt. (Beifall bei der PDS)
(Beifall bei der PDS) Wer Kinder oder Enkelkinder hat, der weiß, wie viele
Wir brauchen hier einen anderen Ansatz; den sollten wir Hundertmarkscheine jeden Monat herausgehen, vor al-
nicht aus dem Auge verlieren. lem bei Kindern, die sich noch in der Wachstumsphase
befinden.
Vorbehaltlos ja sagen wir ebenfalls zur stärkeren Be-
steuerung von Veräußerungsgewinnen beim Handel (Dr. Gregor Gysi [PDS]: Das ist sehr wahr!
mit Wertpapieren und privaten, nicht selbstgenutzten Wir beiden wissen das, Herr Finanzminister!)
Grundstücken. Das ist endlich der Einstieg in die Spe- Auf jeden Fall – das ist unsere grundsätzliche Kritik
kulationsbekämpfung. Auch wir haben das lange gefor- an Ihrem Entwurf –: Mit den vorgesehenen richtigen,
dert, und diese Tendenz unterstützen wir ausdrücklich. aber doch sehr marginalen Verbesserungen für untere
(Beifall bei der PDS) Einkommen und Familien läßt sich nicht kaschieren, daß
Sie die Wurzeln der in 16 Jahren Kohl-Regierung ent-
Meine Damen und Herren, das hat nichts mit Sozial- standenen sozialen Schieflage in diesem Lande nur sehr,
neid zu tun, sondern das ist ein Gebot sozialer Gerech- sehr zaghaft anpacken. Der Zustand wird doch eher ein-
tigkeit. Es ist unsere Verpflichtung, die Sozialpflicht des gefroren. Ich nenne den Grundfreibetrag.
340 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Dr. Christa Luft

(A) Die Erhöhung des steuerfreien Existenzminimums Eine weitere Kritik: Die Steuerreformpläne erwecken (C)
auf 13 000 DM im Jahre 1999 läßt sich nun wahrlich über weite Teile den Eindruck, als habe man bei der
nicht als große Errungenschaft verkaufen. Die SPD war SPD nicht so richtig mit dem Wahlsieg gerechnet. Denn
in der vergangenen Legislaturperiode der Auffassung, sonst müßten Sie doch schon viel mehr ausgearbeitete
daß dieser Grundfreibetrag bereits 1996 auf 13 000 DM Konzepte in der Schublade haben. Aber hier wird vieles
zu erhöhen sei. Die Bündnisgrünen sprachen damals von auf dem Verschiebebahnhof verschoben,
mindestens 14 000 DM, um dem Gebot des Bundesver-
(Beifall bei der PDS)
fassungsgerichtes nach Steuerfreistellung des Existenz-
minimums gerecht zu werden. Berücksichtigt man die indem man eine Kommission hierfür, eine Kommission
Erhöhung der Lebenshaltungskosten seit 1996, dann dafür bildet. Früher haben wir in der DDR gesagt: Wenn
sind 13 000 DM und auch die 14 000 DM, die ab dem du nicht mehr weiterweißt, bilde einen Arbeitskreis!
Jahr 2002 als steuerfreies Existenzminimum vorgesehen
sind, zu gering. (Erneuter Beifall bei der PDS)
Ich denke, die SPD hatte Zeit genug, ihre Pläne ausgear-
Die Nationale Armutskonferenz hat sich Anfang
beitet in der Schublade zu haben.
dieses Monats dafür ausgesprochen, den Grundfreibe-
trag auf etwa 17 000 DM anzuheben, und das ist auch Ich komme zum Schluß und sage Ihnen, meine Da-
unsere Forderung. men und Herren: Der Bundeskanzler hat in seiner Regie-
rungserklärung mehr Mut zum Ausprobieren neuer Mo-
(Beifall bei der PDS)
delle gefordert. Auf steuerpolitischem Gebiet, meinen
Den Spitzensteuersatz wollen Sie, beginnend mit wir, könnte ein Weg dafür sein, beispielsweise über eine
dem Jahr 2000, senken. Wir sehen, ehrlich gestanden, Wertschöpfungsabgabe nachzudenken, mit der nicht
dafür keine Spielräume. Auch das ist kein Ausdruck von nur die Personalkosten mit Sozialversicherungsausgaben
Sozialneid. Ich kann daran erinnern, daß es erst wenige belegt werden, sondern die gesamte Wirtschaftsleistung.
Monate her ist, daß die Finanzexpertinnen und -experten Das würde die personalintensiven kleinen und mittleren
der SPD-Bundestagsfraktion ebenfalls keine Spielräume Unternehmen entlasten. Die PDS wurde bei der Bun-
für eine Absenkung des Spitzensteuersatzes gesehen ha- destagswahl 1998 von 30 Prozent der Selbständigen in
ben. Ich frage mich: Wo ist denn dieser Spielraum in den neuen Ländern gewählt. Sie können uns glauben –
den wenigen Monaten hergekommen? wir sind dort mit vielen im Gespräch –, daß diese sich
einen solchen Weg sehr wünschen.
Was tatsächlich an Vergünstigungen für Besserver-
dienende und Unternehmen abgebaut wird, bleibt bis- (Beifall bei der PDS)
lang noch unklar. Jeden Tag gelingt es mal diesem, mal
(B) jenem Minister, mal auch den Unternehmerverbänden, (D)
Vizepräsident Rudolf Seiters: Ich muß Sie bitten,
die Streichliste weiter schrumpfen zu lassen. Herr Bun- zum Schluß zu kommen.
desfinanzminister, Sie werden sich, wenn das mit der
Schrumpfung der Streichliste so weitergeht, bei gleich-
bleibender Wirtschaftsentwicklung ganz erhebliche Fi- Dr. Christa Luft (PDS): Ja.
nanznöte organisieren.
Man könnte auch neue Modelle ausprobieren. So
Unsere Forderung ist, daß die Mehreinnahmen durch könnte eine Debatte über eine Devisentransaktionssteu-
die Verbreiterung der Bemessungsgrundlage nicht zur er, zunächst zwischen den Ländern der Europäischen
Finanzierung der Senkung der Spitzensteuersätze bei der Union und schließlich darüber hinaus, angeschoben
Einkommen- und Körperschaftsteuer, sondern zur Erhö- werden. All das wären aus unserer Sicht angemessene
hung des Grundfreibetrages und zur Senkung des Ein- Innovationen.
gangssteuersatzes genutzt werden.
Wir werden an Ihrer Seite stehen, Herr Bundes-
(Beifall bei der PDS) finanzminister, wenn es darum geht, durch die Steuer-
politik soziale Gerechtigkeit zu befördern, Anreize für
Damit könnte ein wirksamer Beitrag zur Entlastung ge- die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu stimulieren und die
rade unterer und mittlerer Einkommen und auch der Binnennachfrage anzufachen.
kleinen und mittleren Unternehmen geleistet werden.
Ein darüber hinausgehendes freies Finanzierungsvolu- Danke schön.
men sollte für eine steuerbegünstigte Investitionsrück- (Beifall bei der PDS)
lage verwendet werden, die aus unserer Sicht für den
Mittelstand ebenfalls unendlich wichtig wäre.
Vizepräsident Rudolf Seiters: Das Wort hat für die
Wenn ich sage, daß Sie soziale Ungerechtigkeit eher SPD-Fraktion die Kollegin Frau Ingrid Matthäus-Maier.
einfrieren als spürbar abbauen, dann meine ich damit
beispielsweise, daß Sie unverständlicherweise auf die
sofortige Wiedererhebung der Vermögensteuer ver- Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Sehr geehrter Herr
zichten. Milliarden lassen Sie sich auf diese Weise ent- Präsident Seiters! Meine sehr verehrten Damen und Her-
gehen. Wir können das nicht verstehen und stoßen heute ren! Eine Bemerkung vorweg: Auch Herr Merz hat eine
mit einem entsprechendem Antrag dazu die Debatte in süffisante Bemerkung darüber gemacht, daß sich Christa
diesem Hause wieder an. Müller, die Frau des Finanzministers, zur Wirtschafts-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 341
Ingrid Matthäus-Maier

(A) und Finanzpolitik äußert. Das geht nun schon die ganze cher, Steuervergünstigungen und Rückstellmöglichkei- (C)
Woche so. Ich habe mir das angehört. Es begann mit ten auf ein international übliches Niveau.
Herrn Schäuble und ging mit anderen weiter, so kam das
Drittens. Wir steigen in eine ökologische Steuerre-
zum Beispiel gleich mehrfach in der Rede von Herrn
form ein, in der die Entlastung der Arbeit durch eine
Wissmann vor, der ja ein ausgewiesener Spezialist für
Verteuerung der Energie finanziert wird. Wir beginnen
das partnerschaftliche Zusammenleben von Mann und
damit schon 1999. Der Rentenversicherungsbeitrag, so
Frau ist.
hat es Herr Riester vorgestern gesagt, wird am 1. Januar
(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) 1999 auf 19,5 Prozent abgesenkt, nachdem Sie ihn dau-
ernd angehoben haben.
Ich sage Ihnen – ich hoffe, daß damit die Debatte dar-
über in dieser Woche ein Ende hat, Drei Wochen, nachdem wir die politische Mehrheit
erhalten haben, haben wir in drei wichtigen Fragen das,
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS was wir versprochen haben, eingehalten. Darauf sind wir
90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der stolz, meine Damen und Herren.
CDU/CSU)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS
– wer austeilt, muß auch einstecken, meine Damen und 90/DIE GRÜNEN)
Herren, ich war dabei, als Herr Wissmann hier geredet
hat: Die Zeiten, in denen Ehepartner von führenden Zum ersten Schwerpunkt gehören die Anhebung des
Politikern Denk- und Diskussionsverbot hatten, sind Grundfreibetrages und die Absenkung des Eingangs-
endgültig vorbei. Und das ist gut so. steuersatzes. Beides, besonders aber die Anhebung des
Grundfreibetrages, ist geboten, – vor allen Dingen ver-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS fassungsrechtlich. Meine Damen und Herren von der
90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten Opposition, ich habe nie verstanden, warum Sie nicht
der PDS) mit uns zusammen den Grundfreibetrag, also das steu-
erfreie Existenzminimum, auf 14 000 DM im Jahr erhö-
Wenn Sie meinen, daß Sie mit solch einem Macho- hen wollen. Sie haben doch immer das Thema Lohnab-
Gerede Wähler und Wählerinnen zurückgewinnen, lie- standsgebot, also einen ausreichenden Abstand zwischen
gen Sie schief. Deswegen bitte ich Sie, das zu lassen. Sozialhilfe und niedrigen Einkommen, in die Debatte
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten gebracht. Sie reden doch so gerne davon, daß sich Lei-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der stung lohnen muß. Dies ist ein guter Satz; er darf aber
PDS) nicht auf Ihre Weise interpretiert werden. Sie argumen-
tieren nämlich folgendermaßen: Leistung muß sich loh-
(B) Die SPD hält Wort: Keine drei Wochen nach der nen! Frage: Wer leistet etwas? Antwort: Derjenige lei- (D)
Kanzlerwahl liegt dem Deutschen Bundestag der Ge- stet etwas, der viel verdient. Folge: Derjenige, der viel
setzentwurf zur großen Steuerreform vor. Die SPD ist verdient, muß noch etwas oben draufgelegt bekommen.
von der Opposition in die Regierungsverantwortung in Sie wollen daher die Steuersätze insbesondere für Spit-
einem Tempo durchgestartet, von dem die heutige Op- zenverdiener senken.
position nur träumen kann.
Das ist nicht unsere Philosophie. Für uns ist derjenige
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS Leistungsträger, der eine Familie ernährt, der Kinder
90/DIE GRÜNEN) großzieht, der morgens ins Büro oder an die Werkbank
geht. Diese Menschen sind bei Ihnen und Ihrer Steuer-
Aber nicht nur das Tempo der Politik hat sich geändert, politik schmählich unter die Räder gekommen. Das hört
auch der Inhalt der Politik und schließlich auch noch – auf.
das ist ganz wichtig – der Stil der Politik. Nachdem es
vorher jede Menge Steuerlügen gegeben hat, können wir (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS
nämlich ein Gesetzespaket vorlegen, in dem genau das 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten
verwirklicht wird, was wir vor der Wahl versprochen der PDS)
haben. Das hat es in diesem Lande in steuerpolitischen
Fragen selten gegeben. Es ist gut, daß wir das ändern.
Vizepräsident Rudolf Seiters: Frau Kollegin Matt-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS häus-Maier, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge-
90/DIE GRÜNEN) ordneten Thiele?
Wir haben versprochen, drei Schwerpunkte anzuge-
hen: Erstens. Wir stoppen die bisherigen Umverteilun- Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Bitte.
gen zu Lasten der Arbeitnehmer und ihrer Familien und
entlasten eine Familie mit zwei Kindern und durch-
schnittlichem Einkommen stufenweise. Im nächsten Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Frau Kollegin Matt-
Jahr werden es 1 000 DM sein, im Jahre 2002 sogar häus-Maier, würden Sie dem Hohen Haus bestätigen,
2 700 DM. daß in der letzten Periode das Existenzminimum für alle
Steuerpflichtigen, auch für Kinder, von der alten Koali-
Zweitens. Wir senken die Steuersätze für die Unter- tion erheblich erhöht wurde, daß der Familienleistungs-
nehmen, für die großen, aber auch für den Mittelstand, ausgleich komplett neu geregelt wurde und daß das Kin-
und reduzieren dafür Ausnahmeregelungen, Schlupflö- dergeld von seinerzeit 70 DM auf derzeit 220 DM er-
342 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Carl-Ludwig Thiele

(A) höht wurde? Wir haben also erhebliche Leistungen für Ich darf Ihnen einmal § 31 des Einkommensteuergeset- (C)
die Familien erbracht. zes vorlesen, damit dieser Quatsch, von einem Wahlge-
schenk zu reden, aufhört.
(Widerspruch bei der SPD)
Die steuerliche Freistellung eines Einkommensbe-
Und können Sie bestätigen, daß durch das Jahressteu- trags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes
ergesetz 1996 und durch den Fortfall des Kohlepfennigs wird durch den Kinderfreibetrag . . . oder durch das
im Jahre 1996 die Bürger in unserem Lande mit etwa Kindergeld . . . bewirkt.
30 Milliarden DM entlastet wurden und daß insbesonde-
re die niedrigen Einkommen diese Entlastung erfahren Sie sehen, ein Blick in das Gesetz erleichtert manchmal
haben? die Rechtsfindung.
(Beifall bei der SPD)
(Zurufe von der SPD: Oh! – Joachim Poß
[SPD]: Sie stehen doch noch auf der Redner- Wir werden im Jahre 2002 die Höhe des Kindergel-
liste, Herr Thiele!) des auf 260 DM anheben. Wir finanzieren das durch
eine wirklich maßvolle Reduzierung des Ehegatten-
splittings, beginnend oberhalb eines zu versteuernden
Ingrid Matthäus-Maier (SPD): Herr Kollege, es Einkommens von 170 000 DM.
steht fest, daß nicht Sie, die alte Koalition, sondern wir, (Walter Hirche [F.D.P.]: Wir werden noch se-
der Bundestag, zusammen mit dem Bundesrat und dem hen, ob das verfassungsgemäß ist!)
Vermittlungsausschuß das Kindergeld erhöht haben.
Ich darf daran erinnern, daß Herr Waigel bis zum letzten Ich habe in diesem Hause oft darüber gesprochen, aber
Tag dagegen war, das Kindergeld von 70 DM weiter an- lassen Sie mich eines dazu sagen: Wir gelten steuerlich
zuheben. Wir haben es gegen Ihren Widerstand durch- auf der ganzen Welt als ein besonders ehefreundliches
gesetzt. Land, nicht aber als ein kinderfreundliches. Denn wenn
Sie sechs Kinder haben und großziehen, erhalten Sie
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS keine so hohe Steuerentlastung wie ein Ehepaar mit
90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten einem hohen Einkommen, das keine Kinder hat. Wo
der PDS) sind wir eigentlich hingekommen?
Bis zum letzten Tag in diesem Wahlkampf haben Sie (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS
gesagt: 250 DM Kindergeld ist nicht drin. Viele von 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten
Ihnen haben die Erhöhung des Kindergeldes herab- der PDS)
würdigend als eine Art Steuergeschenk bezeichnet, was
(B) Erst ab dem siebten Kind haben Sie mehr Kindergeld, (D)
man besser sein lasse, womit man sich Wähler kaufen
würde. Ist Ihnen nicht klar, daß nicht nur der normale als im Vergleich dazu der maximale Splittingvorteil er-
Steuerzahler das Recht auf ein steuerfreies Existenz- geben würde. Wenn wir das ein wenig umschichten,
minimum hat – das erreichen wir über den Grundfreibe- dann ist das eine maßvolle, richtige Reform.
trag –, sondern daß auch die Familien mit Kindern das Frau Eichhorn sagte in diesen Tagen, sie habe Zwei-
Recht auf Steuerfreiheit in Höhe der Kosten für die fel an der Wirksamkeit der Kindergelderhöhung. Denn
Ausgaben für die Kinder haben? Die Steuerfreistellung das Kindergeld für das erste und das zweite Kind sei
geschieht in Deutschland zu 95 Prozent über das Kin- nicht so wichtig. Wichtiger sei die Höhe des Kindergel-
dergeld. Deswegen ist es notwendig, daß wir entgegen des für Familien mit mehr Kindern. Liebe Frau Eich-
Ihren dauernden Äußerungen das Kindergeld auf horn, vielleicht ist Ihnen entgangen, daß eine Familie
250 DM anheben. mit vier oder fünf Kindern auch ein erstes und ein
zweites Kind hat. Auch diese Familie wird also eindeu-
Auch den Grundfreibetrag wollen Sie nicht auf
tig entlastet.
14 000 DM anheben. Wenn sich Ihre Meinung in dieser
Frage geändert hat – nach Ihrer Zwischenfrage zu (Beifall bei der SPD)
schließen, könnte das der Fall sein –, dann kann ich nur
sagen: Machen Sie mit uns mit! Das Angebot liegt vor. Herr Merz sagte in seiner Rede, eine Erhöhung des
Es ist nichts einfacher, als daß Sie zustimmen. Kindergeldes sei nicht in Ordnung.
(Widerspruch des Abg. Friedrich Merz
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS [CDU/CSU])
90/DIE GRÜNEN)
– Also gut, es ist doch in Ordnung. – Eigentlich finde er
Daß auch Spitzenforscher – ich will das einmal so sa- es nicht so gut. Denn was habe der Familienvater davon,
gen – nicht vor Torheit in dieser Frage geschützt sind, wenn er mehr Kindergeld habe, aber arbeitslos werde?
sieht man daran, daß in ihrem Herbstgutachten die sechs
wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstitute mei- Das führt zu einer grundsätzlich unterschiedlichen
nen, man könnte auf die Erhöhung des Transfers – ge- Betrachtungsweise dessen, was wir hier tun. Meine Par-
meint war das Kindergeld – verzichten, um etwas ande- tei war immer der Ansicht, es sei ein vernünftiges Mit-
res mit dem Geld zu finanzieren. einander von Nachfragepolitik und Angebotspolitik er-
forderlich. Klar ist auch: Wenn ein Familienvater nicht
(Zuruf von der F.D.P.: Arbeitsplätze!) genug Geld in der Tasche hat, um einzukaufen, dann
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 343
Ingrid Matthäus-Maier

(A) kann auch die Wirtschaft nicht die Produkte verkaufen, ziert. Dafür haben wir den Wählerauftrag. Das werden (C)
die sie gerne verkaufen möchte. wir tun.
Ich weiß, daß Sie das nie glauben, wenn die SPD das (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS
sagt. Das betrifft das alte Wort von Ford: Autos kaufen 90/DIE GRÜNEN)
keine Autos. Aber ich las in diesen Tagen ein Wort des
BMW-Chefs Pischetsrieder; vielleicht überzeugt Sie das Ein weiterer Schwerpunkt: Senkung der Unterneh-
eher. Er sagte: mensteuersätze, nicht nur für die Großen, sondern auch
für Mittelstand, Handwerk und Einzelhandel auf 35 Pro-
Arbeitsplätze werden nicht von Unternehmen ge- zent in Stufen und dafür Beseitigung bzw. Reduzierung
schaffen, von Ausnahmen und Rückstellungsmöglichkeiten.
– das ist eben ein weitverbreiteter Irrtum – Das Feldgeschrei, das entstanden ist, hatte ich erwar-
sondern von Kunden. Nur wenn wir Kunden fin- tet. Ich will nicht verhehlen: Ich habe meine Partei im-
den, die unsere Produkte oder Dienstleistungen so mer gewarnt, daß die Steuersenkungen sehr schnell ein-
attraktiv finden, daß sie bereit sind, Teile ihres Ein- kassiert würden, aber bei jeder Gegenfinanzierungsmaß-
kommens dafür auszugeben, dann können wir mehr nahme ein großes Wehklagen anheben würde. Aber hier
Arbeitsplätze schaffen. handelt insbesondere die Wirtschaft nach dem System
der Rosinenpicker. Sie sagt: Steuersätze wie in Amerika
Deswegen sage ich Ihnen: Eine richtige Mischung von und die Ausnahmen weg. Tatsächlich aber wollen sie
Angebots- und Nachfragepolitik zu schaffen, diese Poli- sich die Rosinen aus beiden Systemen herauspicken,
tik unterscheidet uns von Ihrer. Dafür hat uns der Wäh- nämlich niedrige Steuersätze wie in Amerika und viele
ler eine Mehrheit gegeben. Denn Ihre Politik war abge- Ausnahmen wie in Deutschland. Beides geht aber nicht
wirtschaftet. zusammen. Das werden wir auch nicht tun.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN) 90/DIE GRÜNEN)
Wir werden die Steuerreform in Stufen durchführen. Drei Argumente, warum dieses Wehklagen nicht be-
Im Jahre 2002 wird es zu einer Nettoentlastung in Höhe sonders glaubwürdig ist. Erstes Argument: Hätten wir
von 15 Milliarden DM kommen. der Steuerreform von CDU/CSU und F.D.P. im letzten
In den Zeitungen ist zu lesen, daß man uns mehr Mut Jahr zugestimmt – wozu uns die Wirtschaftsverbände
gewünscht hätte, daß wir kleinmütig seien. Mein Ein- aufgefordert hatten –, dann würde der Großteil der Ge-
druck ist, daß viele, die so vornehm von „mehr Mut“ genfinanzierungsmaßnahmen, über die sie jetzt klagen,
(B) sprechen, mehr Schulden meinen. bereits im Gesetzblatt stehen. Es kann ja wohl nicht sein, (D)
daß Gegenfinanzierung bei Schwarzgelb besser als bei
(Dr. Barbara Höll [PDS]: Nein!) Rotgrün ist.
Manche sagen es auch. Ich habe zum Beispiel ein In- Zweitens. Sie finden bei denen, die uns sagen, wir
terview mit Herrn Wohlers, einem Vertreter der For- sollten die Steuersätze senken und viele Ausnahmen
schungsinstitute, gelesen. Er sagte zur Steuerreform un- abschaffen, dann, wenn es um Ihren persönlichen ge-
serer Koalition, ein etwas höheres Staatsdefizit kollidie- schäftlichen Bereich geht, immer wieder genau die ent-
re nicht mit den Stabilitätskriterien des Maastricht- gegengesetzte Haltung.
Vertrages. Ich hätte eigentlich erwartet, daß dieser Herr
nicht nur den Maastricht-Vertrag kennt, sondern auch Mir kommt ein neues Buch in die Hand: „Aktie, Ar-
Art. 115 des Grundgesetzes. Nachdem Herr Waigel uns beit, Aufschwung“ mit einem Vorwort von Rolf E.
einen Haushalt lieferte, der bei den Ausgaben für Inve- Breuer. Beredte Forderung, daß die Steuersätze gesenkt
stitionen nur 1 Milliarde DM über dem Betrag der Ver- und keine Ausnahmen gemacht werden sollen. Dann le-
schuldung liegt, wäre es wirklich fahrlässig zu meinen, se ich auf Seite 153:
hier könnte man netto noch etwas drauflegen.
Weiteren Auftrieb könnte der Finanzplatz durch ei-
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten ne andere steuerliche Ausnahmebestimmung er-
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) halten: eine zeitlich befristete Senkung der Steuer-
sätze für ausländische Experten. Dabei sollte man
Oder ein von mir wirklich geschätzter Journalist
nicht bei Halbherzigkeiten bleiben. Das Beste wäre
schreibt in der „Süddeutschen Zeitung“ noch offener:
eine vollständige Steuerfreiheit auf fünf Jahre. Das
Es ehrt Rotgrün, daß es keine Schuldenwirtschaft hätte mit den sonstigen Ausnahmebestimmungen,
betreiben will. Auf dem Wege zu einer durchschla- etwa Verlustzuweisungen und Sonderpauschbeträ-
genden Steuerreform aber ist soviel Seriosität hin- ge für einzelne Berufsgruppen, nichts gemein.
derlich. Es wäre besser, die Steuersätze kompro-
mißlos zu drücken und dafür steigende Haushalts- Nein, es ist unglaubwürdig, das Prinzip zu fordern und
defizite in Kauf zu nehmen. bei jeder möglichen und unmöglichen Gelegenheit von
uns Politikern dann eine Sondervorschrift für die eigene
Nein, ich antworte: Finanzpolitische Seriosität ist nie Klientel zu verlangen.
hinderlich. Gerechte Steuern und solide Finanzen gehö-
ren zusammen. Wir haben vor der Wahl versprochen: (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS
Unsere Steuerreform ist bescheidener, aber solide finan- 90/DIE GRÜNEN)
344 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Ingrid Matthäus-Maier

(A) Drittes Beispiel – ich muß zugeben, ich wußte nicht vielen Gesprächen in meinem Wahlkreis, daß die Masse (C)
recht, ob ich mich nun ärgern sollte oder ob es geradezu der Einzelhändler, der Handwerker, des Mittelstandes,
unverschämt ist –: Heute morgen steht in der Zeitung, nicht 214 000 DM zu versteuerndes Einkommen im Jahr
wie sich die Versicherungswirtschaft über unsere Pläne hat. Deswegen ist eines klar: Wer etwas für den Mittel-
beschwert. Eigentlich hatte ich erwartet, es kämen Dan- stand tun will, der muß auch den Mut haben, mittel-
kesschreiben. Ich erinnere mich daran, daß im Steuerre- standsfreundliche Sonderregelungen zu machen. Das tun
formpaket der alten Koalition zum Beispiel eine scharfe wir mit unserem Paket, und dabei bleibt es.
Besteuerung der Lebensversicherung vorgesehen war,
Wissen Sie, woran es mich erinnert, wenn sich zum
und zwar im Bestand. So etwas gibt es bei uns nicht.
Beispiel Herr Henkel als Schutzpatron des Mittelstandes
Trotzdem beschwert sich die Versicherungswirtschaft.
aufführt? Ich habe noch die Zeiten miterlebt, in denen
Ich lese Ihnen einmal einen Kommentar von meiner ört-
Herr von Heereman der Präsident des Bauernverbandes
lichen Zeitung, dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, vor. Sie
war, ein Großgrundbesitzer – den Hof im Münsterland
schreibt:
hätten Sie einmal sehen sollen. Wenn es darum ging, die
Jammern gehört zum Geschäft, das ist beim Versi- Subventionen für die großen Bauern zu streichen oder
cherungsverband nicht anders als bei anderen Lob- anzutasten, dann setzte er die kleinen Bauern in Hessen
byisten. Doch sollten die Versicherer bei ihrer Kri- und Bayern in Gang, damit sie für ihn die Kartoffeln aus
tik an den Bonner Steuerplänen die Kirche im Dorf dem Feuer holen. So kommt es mir vor, wenn sich Herr
lassen. . . . Viele Konkurrenten im Ausland benei- Henkel zum Mittelstand äußert. Nein, die Bedrohung
den die hiesigen Unternehmen seit langem um die kommt nicht durch das Steuerrecht, sondern durch die
üppigen Abschreibungs- und Rückstellungsregeln . . . großen Konzerne, die die kleinen schlucken.
Platte Drohungen, man werde Stellen abbauen, (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
Ausbildungsplätze kürzen oder gar ins Ausland GRÜNEN und der PDS)
abwandern, sind vor diesem Hintergrund ziemlich
fehl am Platze. Rationalisieren wird die Branche, Letzter Punkt: Herr Solms, Sie haben gesagt, wir er-
die in den letzten sechs Jahren bereits rund 20 000 fänden neue Steuern, und nannten die sogenannte Min-
Stellen strich, weiterhin, auch ohne die Bonner deststeuer.
Pläne.
(Walter Hirche [F.D.P.]: Die Ökosteuer hat er
Daß Sie uns deswegen angreifen und uns den Ar- auch genannt!)
beitsplatzabbau, den die Unternehmen zwecks Rationa-
Nein, wir führen keine neue Steuer ein. Wir begrenzen
lisierung ohnehin vorhatten, in die Schuhe schieben die Möglichkeit der Verrechnung von Verlusten. Ge-
wollen, weise ich zurück. Manche bekommen den Hals stern habe ich in der Zeitung die Anzeige gelesen:
(B) nicht voll. (D)
„Hohe Verlustzuweisungen locken – Flugzeugleasing“.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Darin ist von Verlustzuweisungen in Höhe von
GRÜNEN und der PDS) 198 Prozent in vier Jahren die Rede. Dazu kann ich nur
sagen: Wir verhindern, daß Einkommensmillionäre
Nun zum Mittelstand. Viele vergessen, daß sowohl durch die Verrechnung der Verluste aus anderen Ein-
von der Verbesserung des Grundfreibetrages als auch kunftsarten überhaupt keine Steuern mehr zahlen, wäh-
von der Senkung des Eingangssteuersatzes und der Er- rend die Edeka-Verkäuferin enorm zur Kasse gebeten
höhung des Kindergeldes selbstverständlich auch der wird.
Mittelstand, Handwerker und Einzelhändler, profitiert.
Da gesagt wird, es gebe diese und jene Mehrbelastung: (Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE
Wenn es Mittelständler gab – und vereinzelt muß es die- GRÜNEN und der PDS)
se gegeben haben –, die exzessiv von Ausnahmevor- Das ist keine Steuer. Wir stellen eine Mindestbemes-
schriften Gebrauch gemacht haben, die wir abschaffen, sungsgrundlage her. Wer will, mag sich an solchen
dann kann es sein, daß diese stärker belastet werden. Verlustzuweisungsgesellschaften gerne auch in Zukunft
Tatsache aber ist: Auch der Mittelstand wird durch unser beteiligen. Aber die Gewinne, die er daraus zieht, wer-
Konzept entlastet. den wir kräftig reduzieren.
(Beifall des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgit- Das, meine Damen und Herren, hat der Wähler ge-
ter] [SPD]) wollt. Ihre Politik, die empirisch, durch Erfahrung ge-
Wir haben gerade die Frist für Sonderregelungen zugun- scheitert ist, wollte er nicht mehr. Er hat uns die Chance
sten des Mittelstandes verlängert. gegeben, all das, was wir vor der Wahl zur Steuerpolitik
gesagt haben, umzusetzen. Das werden wir tun. Damit
Diese – ich darf es einmal etwas frech formulieren – werden Sie sich abfinden müssen.
Spitzensteuersatzfetischisten, die so tun, als käme in al-
(Anhaltender Beifall bei der SPD und dem
ler erster Linie dem Mittelstand die Spitzensteuersatz-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der
senkung zugute, darf ich einmal darauf aufmerksam ma-
PDS)
chen, daß der Spitzensteuersatz für die gewerblichen
Betriebe – und darum geht es –, der 47 Prozent beträgt,
von einem Mittelständler, zum Beispiel Handwerker, Vizepräsident Rudolf Seiters: Das Wort hat für die
dann erreicht wird, wenn er als Verheirateter im Jahr CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Kollegin Gerda Has-
mehr als 214 000 DM zu versteuern hat. Ich weiß aus selfeldt.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 345

(A) Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU): Herr Präsident! men vorgesehen. Wir brauchen die Senkung nicht erst (C)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Diese Lobes- irgendwann, sie darf nicht nur in Aussicht gestellt wer-
hymne, Frau Matthäus-Maier, auf das, was Sie uns als den. Wir brauchen sie als erstes. Die Senkung der Steu-
Steuerreform vorgelegt haben, war völlig unangebracht. ersätze ist der zentrale Punkt.
In Wahrheit ist es nichts anderes als ein Finanzierungs-
(Beifall bei der CDU/CSU)
manöver, ein Umverteilungsmanöver, ein Abkassie-
rungsmanöver. Sie haben sie nur in Trippelschritten vorgesehen; beim
Eingangssteuersatz ganz minimal und beim Spitzensteu-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
ersatz nur als Kosmetik.
Es belastet zusätzlich diejenigen, die Arbeitsplätze zur
Wenn Sie von 35 Prozent Steuersatz bei Unterneh-
Verfügung stellen sollen. Es belastet die Betriebe, die
men sprechen, so wollen wir das erst einmal sehen.
Unternehmen, es belastet die Wirtschaft zugunsten des
Konsums. Das kann es nicht sein, wenn es darum geht, (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!)
Herr Lafontaine, daß diese Steuerreform auch – natür-
lich nicht alleine – dazu beitragen soll und muß, die Das sind nichts als vage Versprechungen. Die Gegenfi-
wirtschaftliche Situation zu verbessern und für mehr In- nanzierung haben Sie ohnehin schon verbraten. Sie ver-
vestitionen und für mehr Arbeitsplätze zu sorgen. braten sie schon jetzt zu Lasten derjenigen, die die Ar-
beitsplätze zur Verfügung stellen sollen, um das Kinder-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) geld zu erhöhen. Das nämlich ist Ihre Finanzierungs-
quelle. Einen Steuersatz von 35 Prozent haben wir also
Daß mit diesem Vorhaben ein Umverteilungsmanö-
noch nicht.
ver verbunden ist, hat der Finanzminister selbst zugege-
ben. Er hat zugegeben, daß diejenigen, die die Arbeits- Im übrigen ist das Problem, das sich verfassungs-
plätze zur Verfügung stellen sollen, in der Vergangen- rechtlich zeigt, noch gar nicht gelöst. Herr Lafontaine
heit schon entlastet wurden und jetzt nicht mehr entlastet sprach heute davon, es müsse gerecht zugehen, es müse
werden müssen. Er hat völlig außer acht gelassen, wie Steuergerechtigkeit herrschen. Wie ist es – vorausge-
die Situation im internationalen Vergleich ist. Herr La- setzt, Sie schaffen die 35 Prozent wirklich – denn mit
fontaine, wir müssen uns dort orientieren, wo wir sind. der Gerechtigkeit, wenn Einkommen aus unselbständi-
Wir sind nicht auf einer Insel der Seligen. Wir haben uns ger Arbeit um vieles höher besteuert wird als Einkom-
an die Bedingungen in den anderen Ländern anzuglei- men aus selbständiger Arbeit? Diese Spreizung der
chen. Steuersätze müssen Sie nicht nur dem Verfassungsge-
richt, sondern auch den Betroffenen erst einmal erklä-
(Beifall bei der CDU/CSU)
ren!
(B) Wir können nicht einfach zusehen, daß wegen der besse- (D)
(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr richtig!)
ren steuerlichen Bedingungen in anderen Ländern um
uns herum die Arbeitsplätze aus Deutschland weg verla- Mit Gerechtigkeit hat dies überhaupt nichts zu tun.
gert werden und die Arbeitslosen, diejenigen, die drin-
gend auf Arbeit angewiesen sind, dann die Leidtragen- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
den sind. Notwendig wäre es, neben niedrigeren Steuersätzen
Ich weiß sehr wohl, daß die Steuerreform dies nicht und durch sie eine Nettoentlastung zu erreichen.
alles alleine schultern kann, aber sie ist ein ganz wichti- (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr wahr!)
ges, wenn nicht sogar das wichtigste Instrument zur Be-
kämpfung der Arbeitslosigkeit. Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Von Ihnen wird
immer wieder argumentiert: Das können wir uns nicht
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) leisten, weil die Haushaltsspielräume nicht so sind. –
Deshalb muß sich jede Steuerreform daran messen las- Erst vor wenigen Wochen haben Wirtschaftsfor-
sen: Ist sie dazu geeignet, Wachstumskräfte zu stimulie- schungsinstitute deutlich gemacht, daß für das Jahr 1999
ren, ist sie dazu geeignet, das Steuerrecht an die interna- Entlastungsspielräume von 20 bis 30 Milliarden DM
tionalen Bedingungen anzugleichen, ist sie dazu geeig- möglich seien.
net, Arbeitsplätze und Investitionen zu schaffen? (Joachim Poß [SPD]: Die kennen den Art. 115
Da stellt sich natürlich die zentrale Frage: Brauchen nicht, aber Sie müßten den doch kennen!)
wir dazu mehr Nachfrage, oder brauchen wir mehr Inve- – Von der Steuerschätzung, deren Ergebnis in die-
stitionen? Diese Frage ist von den Fachleuten beant- sen Tagen bekanntgegeben wurde, Herr Poß, hat Herr
wortet, die brauchen wir uns gar nicht erneut zu stellen. Lafontaine bei seinen Ausführungen überhaupt nicht ge-
Wir haben nicht in erster Linie ein Nachfrageproblem. sprochen; er hat sie einfach totgeschwiegen. Eine der
Unser Problem liegt auf der Angebotsseite. Die Bedin- wichtigsten Nachrichten in diesen Tagen, wenn wir über
gungen für die Unternehmer müssen verbessert werden. Steuerpolitik diskutieren, ist doch, daß die Steuerschät-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) zung ergeben hat, daß in diesem Jahr 7,8 Milliarden DM
mehr zu erwarten sind, als dies Anfang des Jahres zu-
Da steht an allererster Stelle die Senkung der Steuer- nächst einmal angenommen werden mußte. Herr Lafon-
sätze. In unserem Konzept war eine deutliche Senkung taine, da können Sie nicht einfach zur Tagesordnung
auf 15 Prozent Eingangssteuersatz, 39 Prozent Spitzen- übergehen und das totschweigen. Das ist eine Tatsache.
steuersatz und 35 Prozent Steuersatz für die Unterneh- Das ist nicht von allein gekommen, sondern das ist das
346 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Gerda Hasselfeldt

(A) Ergebnis der vernünftigen, soliden, sparsamen Haus- Es wird einem dann gelegentlich gesagt, man habe ja (C)
halts- und Finanzpolitik von Theo Waigel. viele Nachbesserungen vorgenommen. Welche Nach-
besserungen haben Sie, gerade für den Mittelstand,
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
denn vorgesehen? Sie haben nur etwas verschoben; Sie
ordneten der F.D.P. – Detlev von Larcher
haben nur Anspar- und Sonderabschreibungen nicht
[SPD]: Herr Waigel klatscht vorsichtshalber
gleich abgeschafft, sondern wollen das erst in ein paar
nicht! – Gegenruf des Abg. Dr. Theodor Wai-
Jahren tun. Beim Verlustrücktrag genauso. Sie haben
gel [CDU/CSU]: Herr von Larcher, seien Sie
hier nur minimale Korrekturen vorgenommen; Sie haben
sofort still!)
nichts Substantielles gemacht. Sie haben vor allem zu
Die Spielräume, die wir haben, müssen genutzt wer- keiner Zeit – das ist meines Erachtens ein ganz wichtiger
den, um die Steuerpflichtigen zu entlasten, nicht, um Ih- Punkt – über die Verringerung der Staatsquote disku-
re Haushaltslöcher zu schließen, die daraus entstanden tiert. Bei Ihnen waren weder die Verringerung der
sind, daß Sie das Geld schon verbraten haben. Es geht Staatsquote und der Staatsausgaben noch Ausgabenkür-
darum, diese Entlastungsspielräume den Steuerpflichti- zungen ein Thema. Wir haben diese Trendwende bei den
gen, den Frauen und Männern in unserem Land, zugute Staatsausgaben eingeleitet; Sie verspielen sie wieder.
kommen zu lassen; es geht darum, Spielräume für Ar-
Meine Damen und Herren, Sie hätten die gute Gele-
beitsplätze und Investitionen zu schaffen.
genheit gehabt, am Anfang Ihrer Regierungszeit durch
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vorlage eines vernünftigen, ausgewogenen, vor allem
zielgerichteten Steuerreformkonzeptes dazu beizutragen,
Sehr wichtig ist dabei auch, das Ganze gerecht zu ge-
mehr Arbeitsplätze und mehr Investitionen in Deutsch-
stalten, es solide zu finanzieren und dabei natürlich die
land zu ermöglichen. So aber, wie Sie sich in der ver-
Bemessungsgrundlage zu verbreitern. Auch das hatten
gangenen Legislaturperiode einer sinnvollen Lösung
wir vorgesehen. Allerdings hatten wir vorgesehen – das
verweigert haben, sind Sie auch heute zu einer richtigen
ist ein ganz entscheidender Unterschied –, das nur in
Lösung nicht bereit. Sie haben damit schon am Anfang
Verbindung mit deutlichen Steuersatzsenkungen zu
Ihrer Regierungszeit eine große Chance selbst vertan.
machen. Das haben Sie so nicht vorgesehen. Wir haben
es auch vom zeitlichen Ablauf her anders vorgesehen als (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Sie. Sie machen es nämlich so, daß Sie die steuerliche
Entlastung weit in die Zukunft hinein verschieben; erst
in einigen Jahren soll sie kommen. Vizepräsident Rudolf Seiters: Ich gebe das Wort
für Bündnis 90/Die Grünen dem Kollegen Klaus Müller.
(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Sehr wahr!)
(B) Selbst die Kindergelderhöhung zum jetzigen Zeit- Klaus Wolfgang Müller (Kiel) (BÜNDNIS 90/DIE (D)
punkt führt nicht zu einer Nettoentlastung. Das Ausmaß GRÜNEN): Sehr geehrter Herr Präsident! Meine ver-
dieser Entlastung ist eigentlich lächerlich. Sie finanzie- ehrten Damen und Herren! Auch ich kann es mir nicht
ren obendrein das Ganze über Belastungen, verkneifen, noch einmal auf den Kollegen Merz zurück-
(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Der Wirt- zukommen. Ich habe heute morgen gelernt, daß es ihm
schaft!) leider nicht möglich war, sich das Buch des Herrn
Staatsministers Hombach zu leisten. Nun ist es ja so, daß
und zwar nicht erst dann, wenn die Entlastung eintritt, auch Bundestagsabgeordnete von Steuersatzsenkungen
sondern schon jetzt, nämlich über zusätzliche Belastun- profitieren. Ich schlage vor, daß Sie das Geld, das ab
gen für diejenigen, die Arbeitsplätze zur Verfügung dem 1. Januar 1999 auch bei Ihnen mehr im Geldsäckel
stellen sollen. Das machen Sie, um konsumtive Ausga- ist, für dieses Buch ausgeben und so die Wirtschaft för-
ben zu finanzieren. dern. Es gibt noch mehrere andere Bücher – eines von
(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: So ist das!) dem Herrn Finanzminister, eines von den Herren Mos-
dorf und Kleinert –, bei denen das Geld sicherlich gut
Das führt nicht nur nicht zu zusätzlichen Arbeitsplätzen, angelegt ist.
sondern es ist darüber hinaus kontraproduktiv.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
(Walter Hirche [F.D.P.]: Das ist Gift für Ar-
beitsplätze!) Aber jetzt zum Thema: Neben der Ökosteuer und der
Einkommensteuerreform werden wir in dieser Legisla-
Es wird mit Sicherheit dazu führen, daß wir einen Ver- turperiode noch ein drittes Reformpaket anschieben: ei-
lust von Arbeitsplätzen haben. Alles, was sich in den
ne wirtschafts- und finanzpolitisch sinnvolle Unter-
letzten Wochen und Monaten auf Grund unserer Politik
nehmensteuerreform. Dabei stehen wir vor einer etwas
am Arbeitsmarkt positiv getan hat, nämlich daß die Ar- paradoxen Situation: Einerseits klagen Unternehmen,
beitslosenzahlen zurückgegangen sind und daß die
Verbände und demnächst bestimmt auch die Opposition
Staatsquote zurückgegangen ist, all das, was wir in den
– Herr Solms hat damit heute schon angefangen – über
vergangenen Jahren trotz schwierigster Ausgangspositi- die hohen Steuersätze für Unternehmen. Andererseits
on durch die Wiedervereinigung geleistet haben, wird
hat man sich im Zuge der größten Fusion der jüngeren
durch Ihre einseitige nachfrageorientierte Steuerpolitik
deutschen Geschichte, der von Daimler und Chrysler, si-
wieder aufs Spiel gesetzt. cherlich nicht aus ideologischen Gründen für den Steu-
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Wil- erort Deutschland entschieden. Ich bin sicher, das hat
helm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Unsinn!) etwas mit der steuerpolitischen Realität in diesem Lande
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 347
Klaus Wolfgang Müller (Kiel)

(A) zu tun. Auch daran, daß der Anteil des Steueraufkom- Internationale Vergleichbarkeit und Vereinfachung ist (C)
mens der deutschen Wirtschaft von 1980 bis 1996 von unser Ziel. Die internationale Vergleichbarkeit ist insbe-
27 Prozent auf 15 Prozent gesunken ist, erkennen wir, sondere auch deshalb von Bedeutung, da in der Wirt-
daß die Realität anscheinend anders ist, als es die Kla- schaftspolitik die Zeit der Nationalstaaten längst vorbei
gen glauben machen wollen. Wie kann das sein ange- ist. Wenn wir wirksam politisch gestalten wollen, dann
sichts der vielzitierten hohen Tarife? im europäischen Rahmen.
Das Problem des deutschen Steuerrechtes im Bereich In einer europäischen Steuerharmonisierung liegt
der Unternehmen ähnelt dem Dilemma bei der Einkom- die politische Aufgabe der kommenden Jahre.
mensteuer: Die Steuertarife sind vergleichsweise hoch,
die Bemessungsgrundlage aber, also der ausgewiesene (Zustimmung beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Gewinn der Unternehmen, ist im Vergleich zu anderen NEN)
Ländern auffällig gering. Für eine seriöse Debatte in den
kommenden Wochen und Monaten müssen wir also Selbstverständlich gehören dazu ein stabiler Euro und
zwischen den nominellen Steuersätzen und der realen eine unabhängige und transparente Europäische Zentral-
Steuerbelastung unterscheiden. bank.
Wenn wir jetzt die Steuerreform im Unternehmensbe- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES
reich durchführen wollen, sind wir, so glaube ich, gut 90/DIE GRÜNEN)
beraten, aus der Debatte um die Einkommensteuerre-
Eine europäische Einigung über die steuerliche Be-
form zu lernen. Kollegin Christa Luft, wir setzen nicht
handlung von Kapital und Gewinnen eröffnet auch den
umsonst Arbeitskreise ein – nicht weil wir nicht wüßten,
was wir sonst tun sollten, sondern weil wir die Wissen- nationalen Regierungen neue Gestaltungsmöglichkeiten.
schaftlerinnen und Wissenschaftler, die Unternehmerin- Kapitalflucht und Betriebsverlagerungen verlieren dann
nen und Unternehmer und ihre Funktionäre von Anfang einen Teil ihres Schreckens. Ich gehe davon aus, daß die
an dabeihaben wollen. Ob in einer Bund-Länder- europäische Steuerpolitik und -harmonisierung ein we-
Kommission oder im Rahmen des Bündnisses für Ar- sentliches Thema der deutschen Ratspräsidentschaft sein
beit, es sind sicherlich verschiedene Möglichkeiten wird.
denkbar. Aber wichtig ist eben, daß man dies nicht le- Im Hinblick auf die Europäische Union ist noch ein
diglich von oben herab vorschlägt und durchsetzt, son- anderer Punkt von Bedeutung. Spätestens mit der EU-
dern es gemeinsam diskutiert. Osterweiterung wird die Weiterentwicklung des euro-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) päischen Finanzsystems auf der Tagesordnung stehen.
Trotz des Shareholder-value-Gedankens gilt in Auch wenn die Fragen einer europäischen Steuerhoheit
verfassungsrechtlich und die Diskussion eines Finanz-
(B) Deutschland der handelsrechtliche Bilanzierungsgrund- ausgleichs politisch nicht ganz einfach sind, sollten wir (D)
satz: Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste. Deswe-
gen sollten wir gemeinsam diskutieren, wie wir es in uns dieser Debatte stellen.
Zukunft mit der Bewertung von immateriellem Vermö- Aber auch auf deutscher Ebene ist die Finanzverfas-
gen, materiellem Anlagevermögen, Wertpapieren, Ver- sung reformbedürftig. Gerade die Gemeinden haben
bindlichkeiten und mit der Rückstellungsbildung halten unter dem steuersystematisch sinnvollen Wegfall der
wollen. Fragen der Bilanzierungsvorschriften und das Gewerbekapitalsteuer gelitten. Auch wenn die Einnah-
Verhältnis von Steuer- und Handelsrecht werden wir meausfälle durch höhere Umsatzsteueranteile teilweise
sehr sorgsam diskutieren müssen, da das sehr viele Un- kompensiert worden sind – ein Autonomieverlust war es
ternehmen betrifft. Sinnvoll wäre hier eine Umkehr der allemal. In unseren Augen sind Städte und Gemeinden
Beweislast. Das heißt, je breiter wir die Bemessungs- im Hinblick auf die Agenda 21 wichtige Träger des
grundlage machen, je realitätsnäher die Bilanzierung, Nachhaltigkeitsprozesses. Hier müssen wir wieder
desto weiter können die Grenzsteuersätze sinken. Ich bin Handlungsspielräume schaffen. Deshalb haben wir uns
froh, daß sowohl Bundeswirtschaftsminister Müller ge-
im Koalitionsvertrag entschlossen, die Finanzkraft der
stern als auch Finanzminister Lafontaine heute ausge-
Gemeinden zu stärken und das Gemeindefinanzsystem
führt haben, daß unser Ziel eine schrittweise Reduzie-
einer umfassenden Prüfung zu unterziehen.
rung der Sätze auf 35 Prozent ist. Mit konstruktiver Un-
terstützung der Verbände und vielleicht sogar der Oppo- Wir haben uns vorgenommen, die Neuordnung der
sition werden wir dieses Ziel, so glaube ich, erreichen. Finanzverfassung für das Jahr 2005 vorzubereiten. Dafür
Zumindest in dem Ziel müßten wir uns mit dem ehe- wollen wir eine Enquete-Kommission einrichten. Im
maligen Finanzminister Herrn Dr. Theo Waigel eigent- Vordergrund stehen dabei natürlich finanzpolitische
lich einig sein, der im August letzten Jahres an dieser Fragen, insbesondere, wie es für alle Länder wieder at-
Stelle ausführte: traktiv sein kann, zusätzliche Einnahmen zu erzielen.
Wir brauchen das Stopfen der Schlupflöcher, damit Ich möchte den Bogen aber gerne noch etwas weiter
mehr Geld zur Schaffung von arbeitsplatzschaffen- spannen und an die Antrittsrede des neuen Bundesrats-
den Investitionen eingesetzt wird als zur Suche nach präsidenten, Herrn Ministerpräsident Eichel, vor einer
dem günstigen Steuersparmodell. Woche anknüpfen. Ich stimme ihm ausdrücklich zu, daß
Ich kann nur sagen: Dieses Ziel, Herr Waigel, verfolgen die Bundesländer nicht zu „regionalen Verwaltungskör-
auch wir. perschaften des Bundes absinken“ dürfen. Ich kann mir
vorstellen, daß das auch auf die Unterstützung der CDU
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) trifft.
348 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Klaus Wolfgang Müller (Kiel)

(A) Wir sollten deshalb neu über die Verzahnung und Bundeskanzler, der jetzt hier in den Reihen sitzt, mit ei- (C)
Aufgabenverteilung von Bund und Ländern und über ner Steuerreform angetreten, die in drei Stufen umge-
die Funktion der Mischfinanzierungen und Gemein- setzt wurde und ein Entlastungsvolumen von
schaftsaufgaben nachdenken. Die Rahmen- und die kon- 44 Milliarden DM umfaßte, 44 Milliarden DM in einer
kurrierende Gesetzgebung dürfen die Länder nicht zu Zeit, in der das Steueraufkommen insgesamt etwas mehr
gefesselten Tigern machen. Es geht bei der Diskussion als die Hälfte von heute ausmachte. Sie müssen das
auch um eine größere Transparenz und um erweiterte Ganze also etwa auf 88 Milliarden DM Nettoentlastung
parlamentarische Spielräume für unsere Kolleginnen verdoppeln. Dann wollen Sie das, was Sie heute vorle-
und Kollegen in den Länderparlamenten. gen, damit vergleichen?
Aufgabenzuweisungen seitens des Bundes dürfen in Was wichtiger ist: Gestartet wurde diese Steuerre-
Zukunft nicht mehr allein zu Lasten von Ländern und form damals schon mit einem ersten Schritt von
Gemeinden gehen und diese mit den Kosten belasten. 11 Milliarden DM Nettoentlastung.
Wir erinnern uns nur ungern an die Nebenwirkungen des
Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz oder die (Christine Scheel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Verpflichtungen aus dem Bundesnaturschutzgesetz. Das NEN]: Da war der Haushalt aber noch besser!)
Konnexitätsprinzip – auf deutsch: „Wer bestellt, der be- Der Kollege Uldall hat erst neulich noch einmal eine
zahlt“ – muß gelten, insbesondere solange Länder und Zusammenstellung gemacht. Die würde ich Ihnen emp-
Gemeinden nicht über eigene Einnahmespielräume ver- fehlen. Danach gab es mehr als 10 Milliarden DM
fügen. Steuerentlastung für die Wirtschaft. Das Ergebnis: In
Im Rahmen der Enquete-Kommission sollten wir uns einer langanhaltenden wirtchaftlichen Wachstumsent-
Gedanken über das steuerpolitische Trennsystem ma- wicklung wurden Arbeitsplätze geschaffen. Das war in
chen, ohne dabei allerdings die berechtigten Interessen den 80er Jahren das Resultat der drei Stufen einer – auch
der Länder an stabilen Steuereinnahmen zu ignorieren. systematisch – vernünftigen Steuerreform.
Wir werden uns Gedanken über die Gratwanderung der
(Beifall bei der CDU/CSU)
Länder zwischen Pluralität und Wettbewerb untereinan-
der machen müssen. Jetzt sagt der neue Finanzminister Lafontaine: Mit
Steuern alleine kann man ja letztlich keine Arbeitsplät-
Ich gehe davon aus, daß wir hier über Fraktionsgren-
ze schaffen; das wird die wirtschaftliche Entwicklung
zen hinweg eine konstruktive Debatte erleben werden,
inklusive der Beiträge der Ministerpräsidentin und Mini- nicht entsprechend beeinflussen. Herr Lafontaine – Herr
Schlauch, unterbrechen Sie einmal kurz die Unterhal-
sterpräsidenten von Bayern bis Schleswig-Holstein.
tung, dann kann er zuhören –, genau das Gegenteil ha-
(B) Rotgrün hat sich für die kommenden vier Jahre viel ben aber alle wirtschaftswissenschaftlichen Gutachten in (D)
vorgenommen. Wie heißt es so schön: Packen wir's an! den 80er Jahren bestätigt: Durch die vernünftig gestal-
tete Nettoentlastung der Bürger wurden damals tatsäch-
Vielen Dank. lich Arbeitsplätze geschaffen. Sogar das Institut von
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Herrn Flaßbeck, das DIW, hat damals bestätigt, daß dies
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der das Ergebnis der Steuerpolitik war. Heute wollen Sie
PDS) gewissermaßen zur Steuerpolitik sagen, sie könne so-
wieso nicht helfen, aber nur, weil Sie einen Vorschlag
gemacht haben, der völlig unzureichend ist.
Vizepräsident Rudolf Seiters: Das Wort hat der
Natürlich haben Sie, Frau Matthäus-Maier, 5 Prozent
bayerische Staatsminister der Finanzen, Professor
Senkung der Körperschaftsteuersätze für 1999 ange-
Dr. Kurt Faltlhauser.
kündigt. Haben wir denn vergessen, daß die Bundesre-
gierung, die am 27. September abgelöst wurde, die Kör-
Staatsminister Dr. Kurt Faltlhauser (Bayern): Herr perschaftsteuer um 16 Prozentpunkte gesenkt hat? Das
Präsident! Meine Damen und Herren! Es gibt nicht nur waren noch Zeiten: 16 Prozent! Das sind große Schritte.
in Kirchen und in barocker Umgebung Weihrauchfaß- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
schwenker. Die gibt es auch – das wissen wir alle – in der F.D.P.)
der Politik:
Genau das wurde damals gemacht: Entlastung der
(Detlev von Larcher [SPD]: Das haben wir Wirtschaft zur Schaffung von Arbeitsplätzen. Und heute
16 Jahre erlebt!) – wir haben es genau nachgerechnet – das Gegenteil: Ih-
Die neugewählte Finanzausschußvorsitzende, Frau re Steuerreform führt zu einer Belastung der Wirt-
Scheel, hat sich heute in die Reihe der politischen Weih- schaft von insgesamt 16,5 Milliarden DM.
rauchschwenker eingereiht, indem sie verkündet hat:
Damit wollen Sie die Konjunktur und die Wettbe-
Diese Steuerreform ist die größte, die bisher in der Bun-
werbsfähigkeit dieses Landes fördern? Ich glaube, es ist
desrepublik Deutschland vorgelegt wurde, sozusagen die
der gegenteilige Weg, den Sie gehen. Ich habe von Ge-
GröStaZ.
rechtigkeit gehört. Vor den Wahlen, Herr Lafontaine,
Das fordert natürlich einen Vergleich heraus. Wir habe ich immer gehört, Sie wollen Arbeitsplätze schaf-
müssen in das Jahr 1982 zurückgehen. Damals ist der fen! Hätten Sie doch das Instrument des Steuerrechts
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 349
Staatsminister Dr. Kurt Faltlhauser (Bayern)

(A) genutzt, um Arbeitsplätze zu schaffen! Sie haben die Sa- Gespräche führen, bitten, diese Gespräche draußen zu (C)
che hier völlig verfehlt. führen. – Herr Staatsminister, Sie haben das Wort.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – (Michael Glos [CDU/CSU]: Im hinteren Teil,
Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: So spricht der das ist der Mob! – Dr. Peter Ramsauer
Mann an Stoibers Seite!) [CDU/CSU]: Schlauch ist das hintere Teil!)
Die große Reform in den 80er Jahren, die ich gerade
erwähnt habe, und die Petersberger Beschlüsse verdie- Staatsminister Dr. Kurt Faltlhauser (Bayern): Ich
nen vom Volumen und vom Konzept her den Begriff möchte fortfahren, indem ich noch einmal anfange, den
„groß“, Frau Scheel. Das, was hier vorgelegt wird, kön- letzten Satz des Artikels 108 des Maastrichter Vertrags
nen Sie bestenfalls als Mickymausreform darstellen. zu zitieren:
(Detlev von Larcher [SPD]: Diese undankba- Die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft
ren Wähler! Ihr wart so gut und seit nicht ge- sowie die Regierungen der Mitgliedstaaten ver-
wählt worden!) pflichten sich, diesen Grundsatz
Lassen Sie mich noch etwas zur Unausgewogenheit – der Nichtbeeinflussung –
des Konzeptes sagen. Wir haben errechnet, Herr Lafon-
taine, daß die Unternehmer, die vom Steueraufkommen zu beachten und nicht zu versuchen, die Mitglieder
insgesamt 21 Prozent erbringenen, 77 Prozent der ge- der Beschlußorgane der EZB oder der nationalen
samten Gegenfinanzierung tragen. Im übrigen – das sage Zentralbanken bei der Wahrnehmung ihrer Aufga-
ich insbesondere als Bayer –: Die Landwirtschaft, die ben zu beeinflussen.
bisher 1 Prozent des Steueraufkommens erbringt, wird Jetzt frage ich einmal: Was bedeutet „abstimmen“ denn
jetzt durch die Gegenfinanzierung mit 3 Prozent bela- anderes als beeinflussen?
stet. Eine Verdreifachung der steuerlichen Belastung –
das nenne ich Bauernlegen, meine Damen und Herren. (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Genau!)
Mir ist aber jetzt eine zweite Anmerkung zum neuen Dieser Vorschlag und diese Rede des Bundesfinanzmi-
Finanzminister noch wichtiger. Herr Lafontaine, Sie ha- nisters waren nichts anderes als ein Angriff auf die Un-
ben heute hier ausdrücklich noch einmal betont: Sie abhängigkeit des Systems der europäischen Zentralban-
wollen die Unabhängigkeit der Bundesbank und des ken.
künftigen Systems der europäischen Zentralbanken nicht
antasten. Gleichzeitig haben Sie gesagt – ich habe genau (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
ordneten der F.D.P.)
(B) mitgeschrieben –, daß Sie in Zukunft Haushalts- und (D)
Geldpolitik abstimmen wollen. Lassen Sie mich noch eine Anmerkung zu dem Wort
(Bundesminister Oskar Lafontaine: Ja und?) machen, das dem Finanzminister offenbar so sehr ge-
fällt, die Zins-Steuer-Quote. Die Zins-Steuer-Quote, die
Die Haushaltspolitik ist Aufgabe der Exekutive, dieses Sie mit 23 Prozent angegeben haben, beträgt nach mei-
Finanzministeriums und dieser Regierung, und des Bun- nen Unterlagen – die Zahl kann jedermann aus der Bi-
destages. Sie ist Aufgabe der Politik. Die Philosophie bliothek dieses Hauses herausholen – 17 Prozent.
der Geldpolitik in diesem Land und jetzt auch in Europa
ist, daß Geldpolitik alleine von der Bundesbank und in (Ingrid Matthäus-Maier [SPD]: 26!)
Zukunft von der Europäischen Zentralbank gemacht – 17 Prozent. Ich gebe es dem Finanzminister dann
wird, alleine und unbeeinflußt. Wer abstimmen will, will weiter. – Wichtig sind jedoch nicht Ihre 23 Prozent im
beeinflussen. Wer abstimmen will, will die Unabhän- Saarland oder die 4 Prozent in Bayern. Wichtig ist die
gigkeit dieses Systems gezielt aushöhlen. Das ist der Steigerungsrate. Von 1969 bis 1982 – das ist die Zeit der
Punkt! Sie haben es hier gesagt. Regierungen von Brandt und Schmidt – ist diese Quote
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge- von 2,8 Prozent auf 12,1 Prozent gestiegen. Während
ordneten der F.D.P.) der Regierungszeit von Stoltenberg und Waigel ist sie
lediglich von 12,1 Prozent auf 17 Prozent gestiegen,
Dieser Punkt verstößt auch gegen den Artikel 108 des obwohl die Lasten der deutschen Einigung bewältigt
Maastrichter Vertrages, in dem es ausdrücklich heißt – werden mußten.
ich erlaube mir, Herr Lafontaine, das vorzulesen –:
(Bundesminister Oskar Lafontaine: Da haben
Die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft – – Sie die falschen Zahlen!)
(Bundesminister Oskar Lafontaine: Ich kenne Das ist der entscheidende Unterschied. Trauen Sie sich
ihn!) ja nicht, hier mit irgendwelchen Zahlen anzukommen;
da schauen Sie schlecht aus.
– Offenbar nicht.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
ordneten der F.D.P.)
Vizepräsident Rudolf Seiters: Herr Staatsminister,
darf ich Sie kurz unterbrechen? – Ich möchte die Kolle- Zum Abschluß möchte ich – ich bitte Sie, daß Sie mir
ginnen und Kollegen, die im hinteren Teil des Saales diese Zeit noch gönnen – etwas zu einer Angelegenheit
350 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Staatsminister Dr. Kurt Faltlhauser (Bayern)

(A) zwischen Bund und Ländern sagen, Herr Finanzmi- Schon der Titel dieses Gesetzes ist falsch und irrefüh- (C)
nister. Sie haben mit diesem Steuergesetz vorgeschla- rend. Es handelt sich nämlich um ein Steuererhöhungs-
gen, das Kindergeld zu erhöhen. Wir widersprechen gesetz.
dem nicht. Nur, man muß das finanzieren, und vor allem
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne-
muß man in dem Gesetz auch festlegen, wer das bezah-
ten der CDU/CSU)
len soll. Das steht in keiner Zeile in diesem Gesetz. In
diesem Zusammenhang erinnere ich mich – der ehema- Denn obwohl in den nächsten vier Jahren die Steuerein-
lige Finanzminister Waigel wird das sicherlich auch nahmen nach der Steuerschätzung ohne die Steuererhö-
tun – an folgendes: Damals saßen uns in der nordrhein- hung durch die Ökosteuer um 160 Milliarden DM stei-
westfälischen Vertretung unter anderem Herr Schleußer gen werden, will die neue rotgrüne Koalition lediglich
und Frau Matthäus-Maier im vierten Jahr, im Jahr 2002, die Bürger um 15 Milliar-
den DM entlasten. Selten hat es eine solch drastische
(Zuruf von der CDU/CSU: Was wollte die Steuererhöhung gegeben, die ohne entsprechende Ent-
denn da?) lastungen der Bürger zu einer weiteren Strangulierung
gegenüber. Sie haben uns damals gesagt, daß unbedingt der Wirtschaft unseres Landes führen wird.
ins Grundgesetz hineingeschrieben werden muß – ein (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)
ungewöhnlicher Vorgang –, daß bei der Umstellung der
Kindergeldzahlungen die Länder tatsächlich entlastet Viele Bürger haben nach dem Wahlsieg der neuen Ko-
werden müssen. Die Länder sollten also ihren entspre- alition gehofft, daß diese neue Koalition zu neuen Ufern
chenden Anteil haben. Das wurde ungewöhnlicherweise aufbrechen würde und daß eine Steuerreform vorgelegt
in Art. 106 Abs. 3 des Grundgesetzes festgelegt. In § 1 würde, die diesen Namen tatsächlich verdient. Das Ge-
des Finanzausgleichsgesetzes wurde nach langen Ver- genteil ist der Fall. Dies haben wir insbesondere Ihnen,
handlungen die Quote von 74 Prozent zu 26 Prozent Herr Bundesfinanzminister Lafontaine, zu verdanken;
festgelegt. Wenn dies rechtlich so klar ist, Herr Lafon- denn diese Koalition kennt einen Kanzler – der in den
taine, dann müssen Sie Ihren Haushalt so gestalten, daß Koalitionsverhandlungen nicht anwesend war – und einen
die 1,8 Milliarden DM, um die die Kindergelderhöhung Regierungschef, nämlich Sie, Herr Bundesfinanzminister
die Länder über diese Quote hinaus belastet – insgesamt Lafontaine. Deshalb ist es gut, daß diese Debatte als zen-
kostet die Kindergelderhöhung 5,7 Milliarden DM –, trale Debatte auch ohne Anwesenheit des Kanzlers, aber
den Ländern unmittelbar weitergegeben werden; sonst mit Ihrer Anwesenheit hier geführt werden kann.
machen Sie sich eines Gesetzesbruchs und eines Verfas- (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
sungsbruchs schuldig.
Nach Ihrem Selbstverständnis, Herr Minister Lafon-
(B) (Beifall bei der CDU/CSU) taine, hatte in den vergangenen Jahren nicht nur (D)
Deutschland, sondern letztlich auch Europa auf den Ma-
Das hat nichts zu tun mit dem üblichen Streit um die kroökonomen Oskar Lafontaine gewartet. Ich habe den
Deckungsquote, der durch alle Regierungen hindurch-
Eindruck, daß Ihr persönliches Ziel nicht die Bundesre-
geht. Das ist ein abgekoppeltes Geschäft. Das müssen
publik Deutschland, sondern Europa ist. Sie sind hier
Sie den Ländern zugestehen. Darüber hinaus müssen Sie auf der Durchreise und wollen zukünftig weite Teile Eu-
übrigens auch weitere Beträge – ich habe das auf der Fi-
ropas mit Ihrer Auffassung von Politik und Wirtschaft
nanzministerkonferenz entsprechend vorgetragen – von
beglücken.
insgesamt 9,5 Milliarden DM vorsehen.
Ihre Auffassung von Politik vertraut eben nicht den
Ich komme – in einem letzten Schlußsatz, Herr Präsi- Bürgern in unserem Lande. Ihre Auffassung von Politik
dent – noch einmal auf etwas zurück: Ich hatte eigent- vertraut nur auf den allmächtigen, alles regelnden Staat:
lich nach so langer Ablehnung eines guten Steuerkon- Steuerung der Konjunktur durch Nachfrage, Beschädi-
zeptes, der sogenannten Petersberger Beschlüsse, er- gung der Unabhängigkeit der Bundesbank und der Eu-
wartet, daß eine neue Regierung mit Mut und mit Ge- ropäischen Zentralbank, Aufweichen der Stabilitätskrite-
staltungskraft eine Steuerreform vorlegt, die Arbeits- rien. Damit gehen Sie das Risiko ein, die Stabilität des
plätze schaffen kann. Das Gegenteil ist der Fall. Es ist Euro langfristig zu gefährden. Das ist die falsche Politik
bitter enttäuschend. zur Lösung der Probleme unseres Landes.
Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen. (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Das jetzt vorgelegte Steuerkonzept trägt eindeutig die
Handschrift einer strukturkonservativen SPD. Die Grü-
nen mit ihren ursprünglichen Vorstellungen fanden so-
Vizepräsident Rudolf Seiters: Das Wort hat für die wieso nicht statt. Wenn Frau Scheel erklärt, Sie wollten
F.D.P.-Fraktion der Kollege Carl-Ludwig Thiele. sich jetzt bemühen, dann muß ich dazu sagen: Das reicht
nicht, Sie werden sich durchsetzen müssen! Sie haben
sich nicht durchgesetzt, und Sie werden sich auch zu-
Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Sehr geehrter Herr künftig nicht durchsetzen, weil Ihre Politik der SPD
Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir ziemlich egal ist.
beraten heute in erster Lesung ein Gesetz, welches die (Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne-
Überschrift „Steuerentlastungsgesetz“ trägt. ten der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 351
Carl-Ludwig Thiele

(A) Denn – das möchte ich noch einmal in die Diskussion benseite findet nicht statt. Deshalb wird nach Ihrem Re- (C)
bringen – wo bleibt eigentlich die drastische Vereinfa- zept die Staatsquote nicht sinken. Das ist der Punkt, der
chung des Steuerrechts? Wo bleibt die Umsetzung des allerorts vermißt wird. Es kann doch nicht angehen, daß
Bareis-Gutachtens, nämlich die Streichung aller Aus- der Sozialstaat weiter ausufert. Diejenigen, die Vorsorge
nahmen, die die Grünen ursprünglich vorgesehen haben? betreiben, werden höher belastet, während diejenigen,
Wo bleiben die deutlichen Steuersenkungen über den die keine Vorsorge betreiben, durch einen ausufernden
gesamten Tarif? Sozialstaat zu Lasten der Leistungsfähigen in unserem
Land belohnt werden.
Nichts ist vom Steuerkonzept der Grünen übrigge-
blieben. Das einzige, was in diesem Steuergesetz übrig- Zugleich entdecken Sie neue Mehrbelastungen in
geblieben ist, ist eine massive steuerliche Mehrbela- Ihrem Haushalt in Höhe von 10 Milliarden DM im
stung, die für die Wirtschaft seitens der neuen Koalition Jahr 1999. Wenn man sich die Pressemeldungen genauer
auch eingeräumt wird. anschaut – den Haushaltsentwurf haben wir ja bis heute
nicht –, dann kann man feststellen, daß von den
Den einfachen Bürgern wird vorgegaukelt, daß eine 10 Milliarden DM angeblicher Mehrbelastung allein
Steuerentlastung für sie stattfinde. Aber nicht einmal das 3 Milliarden DM dadurch entstehen, daß Bremen und
ist richtig. In der Steuertabelle der Koalition wird das zu das Saarland zusätzlich mit 3 Milliarden DM beglückt
versteuernde Einkommen in D-Mark miteinander vergli- werden sollen.
chen. Dabei unterschlagen Sie die schleichende Steuer-
erhöhung durch den Progressionstarif. Eine Familie mit (Dietrich Austermann [CDU/CSU]: Selbstbe-
zwei Kindern und 60 000 DM zu versteuerndem Ein- diener!)
kommen wird in drei Jahren ein erheblich höheres steu-
erpflichtiges Einkommen haben als in diesem Jahr. Bei Sie, Herr Finanzminister Lafontaine, haben sich
einer Steigerung der Bruttolohns um 4 Prozent hat eine schon in Ihrer Zeit als Ministerpräsident des Saarlandes
Familie mit zwei Kindern bei erhöhtem Kindergeld im vom Bund die Kosten Ihrer politischen Führung bezah-
Jahr 2001 300 DM mehr Steuern zu zahlen als derzeit. len lassen. Daß Sie nun auch als neuer Finanzminister
Wenn ein Ehepaar keine Kinder hat, dann haben diese eine Morgengabe in dieser Größenordnung Ihrem Nach-
Bürger in unserer Gesellschaft sogar 1 000 DM mehr folger im Saarland – zu Lasten aller anderen Steuerzah-
Steuern zu zahlen, als sie es derzeit tun müssen. Das ist ler, zu Lasten der neuen Bundesländer, die dringend auf
keine Entlastung der Bürger; das ist ein schamloses Ab- Hilfe angewiesen sind, und zu Lasten von Investitionen
kassieren der Bürger durch den Staat. im neuen Haushalt – zukommen lassen, das ist schon ei-
ne besondere Form der Vetternwirtschaft.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne-
(B) In den nächsten vier Jahren steigen die Steuerein- ten der CDU/CSU) (D)
nahmen um 160 Milliarden DM, um etwa 20 Prozent
des derzeitigen Steueraufkommens. Davon lediglich Die F.D.P. bekennt sich zur freien und zur sozialen
15 Milliarden DM zurückzugeben bedeutet mehr Staats- Marktwirtschaft. Aber Leistung muß sich in unserem
einnahmen, Abzocken der Bürger. Die Neue Mitte wird Lande auch lohnen, und das kann nicht dadurch erfol-
von Ihnen als Melkkuh der Nation betrachtet. gen, daß für diejenigen, die Leistung erbringen, die
Steuerlast erheblich erhöht wird. Die F.D.P. hat in der
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- vergangenen Legislaturperiode darauf gedrängt, daß die
ten der CDU/CSU – Detlev von Larcher Bürger um 30 Milliarden DM netto entlastet werden.
[SPD]: Herr Thiele, Herr Thiele!) Das, Frau Matthäus-Maier, hat – ebenso wie die Erhö-
hung des Kindergeldes – nicht die SPD durchgesetzt.
Herr Bundesfinanzminister, ich frage Sie: Wie sollen Wenn Sie ehrlich sind, dann werden Sie zugeben müs-
auf diesem Wege die von Ihrer Regierung propagierten sen, daß die Mehrheit in den letzten vier Jahren bei der
neuen Arbeitsplätze entstehen? Wie sollen mit diesem Koalition aus CDU/CSU und F.D.P. und nicht bei Ihnen
Steuerreformkonzept die Weichen für die Zukunft unse- war.
res Landes so gestellt werden, daß mehr in zukünftige
Arbeitsplätze investiert wird? Wie sollen bei diesem (Detlev von Larcher [SPD]: Was haben wir
Steuerkonzept ausländische Investoren ermutigt werden, kämpfen müssen im Finanzausschuß!)
in Deutschland und nicht in anderen – auch europäi-
schen – Mitbewerberländern zu investieren? Das wird Diese Koalition hat den Familienleistungsausgleich
mit diesem Konzept nicht passieren! durchgesetzt und die Leistungen für Kinder in unserer
Gesellschaft von 70 DM auf 220 DM erhöht.
Sehr geehrter Herr Finanzminister, das Problem in
Deutschland besteht nach wie vor nicht darin, daß wir (Beifall bei der F.D.P.)
zuwenig Staatseinnahmen haben; vielmehr besteht das
Problem darin, daß wir zu viele Staatsausgaben haben.
Vizepräsident Rudolf Seiters: Herr Kollege Thie-
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- le, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
ten der CDU/CSU) Wagner?
Ein ernster Sparwille ist bei Ihnen nicht vorhanden. Die
Sanierung der öffentlichen Haushalte über die Ausga- Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Ja.
352 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

(A) Hans Georg Wagner (SPD): Herr Kollege Thiele, Haushaltsentwurf des jetzigen Abgeordneten und dama- (C)
wären Sie bereit, zuzugeben, daß das, was Sie als Be- ligen Bundesfinanzministers Dr. Waigel erklärt hat, er
glückungsaktion des Herrn Lafontaine für das Saarland sei so gut, daß er von der SPD neu in den Bundestag
bezeichnet haben, auf einem Urteil des Bundesverfas- eingebracht werden könne.
sungsgerichts beruht und daß Ihre Regierung die weite-
ren Hilfen für Bremen und das Saarland im Haushalt (Widerspruch des Abg. Detlev von Larcher
1999 – zwar ohne Zahlen, aber dem Grunde nach – vor- [SPD])
gesehen hatte, über den wir in erster Lesung beraten ha- In diesem Haushalt des ehemaligen Bundesfinanzmi-
ben? nisters Dr. Waigel gibt es keine Leistung für das Saar-
land und Bremen. Es ist überhaupt nichts beziffert. Inso-
Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Herr Kollege Wagner, fern soll diesen beiden Ländern eine Morgengabe über-
Sie werden mir vermutlich zustimmen, daß im derzeit reicht werden. Wir werden darüber diskutieren müssen.
geltenden Finanzausgleichsgesetz geregelt ist, welche Aber es ist ganz interessant, daß eine solche – nicht un-
Mittel die Länder Bremen und Saarland bis zum Jahr wichtige – Information derzeit zwischen den Zeilen aus
1998 erhalten. Mir ist aber kein Gesetz bekannt, welches der Presse herausgelesen werden kann. Dies zeigt, daß
den Bundestag und den Bundesfinanzminister zwingt, es Ihnen nicht darum geht, zu sparen und über die Aus-
entsprechende Sonderzuweisungen für Bremen und gabenseite die öffentlichen Haushalte zu sanieren, son-
das Saarland in den Haushalt 1999 einzustellen. Eine dern daß es Ihnen nur um Umverteilung und stärkere
gesetzliche Grundlage gibt es also nicht. Es gibt das Belastung der Bürger und der Wirtschaft unseres Landes
Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Ich vermute, daß geht.
der Herr Finanzminister irgendwann einen Entwurf zur (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
Änderung des Finanzausgleichsgesetzes vorlegen wird,
weil er ja eine gesetzliche Grundlage für diese Morgen- Der wirtschaftswissenschaftliche Sachverstand hat
gabe braucht. Dann werden wir darüber diskutieren festgestellt, daß die Bürger schon im nächsten Jahr ent-
können, ob diese Mittel seitens des Saarlandes und sei- lastet werden könnten. Aber Sie tun es nicht. Sie könn-
tens Bremens tatsächlich zum Schuldenabbau verwandt ten die Bürger entlasten, aber Sie wollen es nicht. Sie
wurden, wie es das Bundesverfassungsgericht verlangt brauchen das Geld, um es in Ihrem Sinne umzuverteilen.
hatte, oder nur dazu, den Spardruck von den Haushalten Dann aber erzählen Sie den Bürgern nicht, daß Sie sie
in Bremen und dem Saarland zu nehmen. entlasten wollten. Das genaue Gegenteil ist der Fall.
Bleiben Sie bitte einfach bei der Wahrheit!
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU)
(Detlev von Larcher [SPD]: Ach, Herr Thiele,
Diese Diskussion werden wir noch führen. Eine gesetz- reden Sie nicht von der Wahrheit!)
(B) (D)
liche Grundlage für die 3 Milliarden DM ist derzeit nicht
vorhanden. Ich möchte hier abschließend feststellen: Die neue
rotgrüne Koalition will mehr Staat, mehr Bürokratie,
mehr Umverteilung zu Lasten der Leistungswilligen.
Vizepräsident Rudolf Seiters: Gestatten Sie eine Das ist der falsche Weg. Deshalb werden Sie von den
weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Wag- gesamten Medien und dem gesamten wissenschaftlichen
ner? Sachverstand kritisiert. Es kommt doch nicht von unge-
fähr, daß sich diejenigen, die Sie im Wahlkampf positiv
Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Gern, ja. begleitet haben, enttäuscht abwenden, weil sie etwas an-
deres erwartet haben. Es kommt auch nicht von unge-
fähr, daß viele Bürger, die möglicherweise durch Wäh-
Hans Georg Wagner (SPD): Herr Kollege Thiele, len der SPD eine große Koalition wollten, sich jetzt ge-
können Sie mir sagen, welche Beweggründe der ehema- täuscht sehen und von den Reformkonzepten, die Sie
lige Bundesfinanzminister Dr. Waigel hatte, Hilfen für tatsächlich vorgelegt haben, enttäuscht sind. Nehmen
Bremen und das Saarland in den Haushaltsentwurf 1999 Sie einfach diese Kritik auf, orientieren Sie sich an dem
hineinzuschreiben? Steuerkonzept der F.D.P.,
(Widerspruch des Abg. Dr. Theodor Waigel (Lachen bei der SPD – Detlev von Larcher
[CDU/CSU]) [SPD]: Dafür haben Sie 6 Prozent bekom-
Außerdem ist doch von allen Finanzministern in unserer men!)
Republik festgestellt worden, daß beide Bundesländer das von allen gelobt worden ist. Dann können wir Sie
ihre Aufgaben erfüllt haben, was den Schuldenabbau auf diesem Wege auch positiv begleiten.
angeht. Ich verstehe Ihre jetzige Haltung nicht, wenn Sie
behaupten, das sei für Schönwetterzeiten des Saarlandes Herzlichen Dank.
oder Bremens gedacht. Das ist unzutreffend; das müssen (Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU –
Sie mir bitte zugeben. Zuruf von der SPD: Der 11. 11. ist vorbei!)

Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Herr Kollege Wagner,


ich möchte Sie doch bitten, sich einmal mit dem neuen Vizepräsident Rudolf Seiters: Ich gebe das Wort
Finanzstaatssekretär Diller zu unterhalten, der zu dem für die SPD-Fraktion dem Kollegen Joachim Poß.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 353

(A) Joachim Poß (SPD): Herr Präsident! Meine Damen Bundestagswahl noch einmal gewonnen hätten, was der (C)
und Herren! Weil hier einige mit Zahlen, Daten, Fakten Wähler ja Gott sei Dank verhindert hat, dann hätten Sie
und Wahrheiten auf Kriegsfuß stehen, möchte ich zu- erst noch die Entscheidung über die Finanzierung treffen
nächst einmal etwas zu den Steuersenkungsspielräu- müssen. Dabei hätten Sie dann die Mehrwertsteuererhö-
men sagen, die wir auf Grund der neuen Steuerschät- hung ins Auge fassen müssen, die Sie ja schon angekün-
zung haben. Sie hat gegenüber der Mai-Schätzung fest- digt hatten, die bereits im Konzept enthalten war. Ich
gestellt, daß wir in diesem Jahr unter anderem frage mich nur, was Herr Philipp vom Handwerksver-
900 Millionen DM weniger an die EU abführen müssen, band,
der Bund 700 Millionen DM mehr zu erwarten hat, bei
den Ländern 2,4 Milliarden DM mehr eingehen sollen (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Philipp hat
und die Gemeinden insbesondere als Nachzahlung aus recht!)
der Gewerbesteuer 4,9 Milliarden DM mehr erhalten. der unser Konzept so kritisiert, dazu sagt. Natürlich
Das ergibt Schätzabweichungen von insgesamt hätten Sie das nur mit einer Mehrwertsteuererhöhung
7,8 Milliarden DM. Für 1999 kommen die Steuerschät- finanzieren können, was im Moment, wie wir wissen,
zer zu folgendem Ergebnis: für den Bund minus 1 Mil- für die Binnenkonjunktur Gift wäre.
liarde DM, für die Länder minus 1,2 Milliarden DM, für
die Gemeinden plus 1,1 Milliarden DM. Das heißt im (Beifall bei der SPD)
Klartext: Der Steuersenkungsspielraum beim Bund für Sie hätten Ausgaben streichen müssen, ohne konkret sa-
1998 und 1999, den der frühere Bundesfinanzminister gen zu können, welche.
Waigel, auf das Jahr bezogen, noch mit rund 1,5 Milli-
arden DM beziffert hat, wird durch die Steuerschätzung Nein, meine Damen und Herren, der wesentliche
keineswegs vergrößert, sondern eher verringert. Das ist Unterschied zwischen alter und neuer Regierung ist der:
die Feststellung, die hier zu treffen ist. Bei Kohl, Waigel & Co. galt nur das Versprechen, das
gebrochene Wort. Wir halten unser Wort. Das ist der
(Beifall bei der SPD) wesentliche Unterschied.
Von Abgeordneten dieses Hauses – nicht von Kon- (Beifall bei der SPD)
junkturforschern, auch wenn sie Professoren sind, die
offensichtlich die Zusammenhänge nicht kennen –, ob Deswegen werden wir unsere Steuerreform in drei
sie jetzt Hasselfeldt oder Thiele heißen, muß ich die Stufen in den Jahren 1999, 2000 und 2002 umsetzen.
Kenntnis des Art. 115 des Grundgesetzes verlangen.
Was erreichen wir damit? Damit nähern wir uns dem
(Carl-Ludwig Thiele (F.D.P.): Er meint Flaß- Verfassungsgebot der Besteuerung nach der wirtschaft-
beck!) lichen Leistungsfähigkeit, das bei Ihnen in den letzten
(B) (D)
Jahren und Jahrzehnten unter die Räder gekommen ist.
Danach haben wir den Spielraum von 20 bis Die alte Bundesregierung und insbesondere die F.D.P.
30 Milliarden DM für Steuersenkungen eben nicht. Das haben das Steuerrecht verwüstet, aber hier spielen sie
ist die Wahrheit, meine Damen und Herren, die hier sich als große Reformer auf. So sind die Tatsachen.
festzustellen ist. Wir haben diesen Steuersenkungsspiel-
raum nicht. (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS
90/DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der SPD)
Jetzt ist es an der Zeit, die wahren Leistungsträger
Historische Wahrheit ist aber, Herr Kollege Thiele, der Gesellschaft zu entlasten: Arbeitnehmer und Fami-
daß die alte Koalition ein umsetzungsfähiges Steuerre- lien, aber auch den Mittelstand. Es darf doch nicht so
formkonzept nicht vorgelegt hat. weitergehen, daß die Finanzierung unserer Gemein-
(Zuruf von der CDU/CSU: Doch!) schaftsaufgaben nur noch von Arbeitnehmern, Verbrau-
chern und Teilen des Mittelstandes vorgenommen wird.
Ihre Vorschläge waren unfinanzierbar. Wir dürfen nicht akzeptieren, daß Krankenschwestern,
(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Stimmt nicht!) Handwerker, Industriefacharbeiter und Ingenieure weiter
die Lastesel der Nation sind, die sie bei Ihnen waren.
Sie haben aus wahltaktischen Gründen der Bevölkerung
eine Schaufensterauslage ohne Preisauszeichnung prä- (Beifall bei der SPD – Carl-Ludwig Thiele
sentiert. [F.D.P.]: Deshalb muß man sie auch entla-
sten!)
(Beifall bei der SPD – Carl-Ludwig Thiele
[F.D.P.]: Das war eine gute Steuerreform!) Unsere Steuerreform ist auch mutig. Darauf ist schon
hingewiesen worden. Steuersubventionen von mehr als
Für diese Absicht hatte Waigel in seinem Haushalt kei- 40 Milliarden DM abzubauen, gegen den Widerstand
nerlei Vorsorge getroffen. der Betroffenen, ist ein mutiger Schritt. Bei Stoltenberg
waren es 18 Milliarden DM, Herr Kollege Faltlhauser.
(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Wir haben die
Bürger entlastet!) Unser Entwurf unterscheidet sich in entscheidenden
Punkten von Ihrer Vorlage:
Das hat er doch am 2. September in seiner Haushaltsre-
de, in seinen Ausführungen zur „symmetrischen Finanz- (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Deshalb jubeln
politik“ hier festgestellt. Das heißt: Wenn Sie bei der auch alle!)
354 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Joachim Poß

(A) Unsere Steuerreform führt zu mehr Steuergerechtigkeit, Meine Damen und Herren, es muß endlich Schluß (C)
sie ist solide finanziert, sie ist wirtschaftspolitisch ver- damit sein, daß Sie den Standort schlechtreden. Erin-
nünftig – alles Anforderungen, die Ihr Konzept nicht er- nern wir uns: Das Bundeswirtschaftsministerium hat erst
füllt hat. Ihr Konzept hätte – was Sie genau wissen – da- vor wenigen Monaten – fast verschämt – gemeldet, daß
zu geführt, daß Bund, Länder und Kommunen eine un- Deutschland aus der Sicht internationaler Investoren
gedeckte Finanzierungslücke von über 50 Milliarden konkurrenzfähig ist und die ausländischen Investitionen
DM hätten hinnehmen müssen. Sie hätten hier den in Deutschland kräftig gestiegen sind.
Staatsruin beschlossen. Das war doch unsolide bis zum
gehtnichtmehr, was Sie sich geleistet haben. (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Wer hat das
denn hingekriegt?)
(Beifall bei der SPD)
Unsere Steuerreform wird einen geeigneten Beitrag so-
Die Kritik der Verbände nehmen wir doch locker wohl zur dauerhaften Stabilisierung der wirtschaftlichen
hin. Was hat denn der BDI zu dem Gesetzentwurf der Entwicklung als auch zur Wiederherstellung einer ge-
alten Regierung geschrieben? „Im Unternehmensbereich ordneten Finanzwirtschaft leisten. Darauf lege ich gro-
sehen wir nur Verlierer“, hat der BDI 1997 geschrieben, ßen Wert: Unsere Steuerreform ist ein Beitrag zur Wie-
wobei er die Vorschriften zur Objektivierung der Ge- derherstellung des inneren Friedens in unserem Volke,
winnermittlung meinte, die Abschaffung des halben indem endlich mehr Steuergerechtigkeit verwirklicht
durchschnittlichen Steuersatzes für außerordentliche wird.
Gewinne. Das hat er angesprochen, aber auch die Be-
schneidung des Verlustvortrages, was Sie vorhatten. Das (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
haben wir gar nicht vor. Eine Verschlechterung der Be- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
dingungen bei der degressiven Abschreibung wollten
Sie durchsetzen. Dagegen haben wir uns gewehrt. In un-
serem Konzept hat die degressive Abschreibung Be- Vizepräsident Rudolf Seiters: Das Wort für die
stand. Das heißt, unser Entwurf, wenn man die Sicht des CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Peter Rauen.
BDI zugrunde legt, ist in diesen Teilbereichen wirt-
schaftsfreundlicher als Ihr Entwurf. Ich bedauere nur, (Dr. Theodor Waigel [CDU/CSU]: Endlich
daß der BDI, der zu den Wahlverlierern gehört, und spe- jemand, der aus der Praxis kommt! – Zuruf
ziell Herr Henkel nicht die Kraft aufbringen, das auch von der SPD: Jetzt wird wieder die Mittel-
einmal sachlich festzustellen. standsarie gesungen!)

(Beifall bei der SPD)


Im übrigen ist eine wie auch immer geartete Steuer- Peter Harald Rauen (CDU/CSU): Herr Präsident!
(B) (D)
und Abgabenreform kein Wundermittel zur Bekämpfung Meine sehr verehrten Damen und Herren! Trotz einer
der Arbeitslosigkeit und auch keine Jobmaschine. Das Ankündigung von Bundeskanzler Schröder, in den Ko-
gilt für jedes Konzept. alitionsvereinbarungen Nachbesserungen für den Mittel-
stand vorzunehmen, ist das Gesetz noch schlimmer ge-
(Zuruf von der SPD: Das haben wir immer ge- worden, als ursprünglich anzunehmen war.
sagt!)
(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: So ist es!)
Herr Lafontaine hat heute morgen zu Recht darauf hin-
gewiesen. Seriöse wirtschaftswissenschaftliche Untersu- Dieses Gesetz kassiert den Mittelstand ab; es entlastet
chungen haben ergeben – egal, ob man Ihr Konzept, das ihn nicht, sondern belastet ihn ganz massiv. Herr La-
nicht finanzierbar ist, fontaine, Sie haben vor ein paar Tagen gesagt, daß nur
(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Doch!) die Verbände gegen das Gesetz seien und die Unter-
nehmer selbst nichts dagegen sagen würden. Frau Matt-
oder unseres zugrunde legt –, daß man, wenn es gutgeht, häus-Maier, für mich braucht nicht Herr Henkel zu spre-
150 000 bis 250 000 Arbeitsplätze schaffen kann. chen. Ich bin seit 32 Jahren selbständiger Bauunterneh-
(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Ist das denn mer und habe alle Höhen und Tiefen eines Unterneh-
nichts?) mers erlebt.
Das ist gut für die Menschen, die davon profitieren, aber (Rudolf Bindig [SPD]: Tiefen gab es bei Kohl!
das geht auch nicht von heute auf morgen. Unserem Jetzt gibt es wieder Höhen!)
Konzept werden dieselben Qualitäten zugetraut. Ich
Ich habe Geld verdient, war aber auch in Gefahr, in
kann Ihnen da eine einschlägige RWI-Untersuchung
Konkurs zu gehen und vor dem Nichts zu stehen. Ich
zeigen.
weiß also sehr genau, wovon ich hier rede. Wenn Sie,
(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Von Herrn Herr Poß, sagen, daß die Gewinnermittlungsvorschriften
Flaßbeck!) in aller Regel die kleinen und mittleren Unternehmen
nicht betreffen würden, dann ist dieses ausweislich des
– Nein, die wäre dann vom DIW. Sie kennen sich da of-
Gesetzentwurfes unwahr, irreführend und fast schon zy-
fenbar nicht so gut aus.
nisch.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Carl-
Ludwig Thiele [F.D.P.]: Ich kenne mich gut (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
aus!) ordneten der F.D.P.)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 355
Peter Harald Rauen

(A) Welchen Begriff haben Sie überhaupt vom Mittel- Erstes Beispiel: Mit der Streichung der Teilwertab- (C)
stand? Der Mittelstand in Deutschland umfaßt die schreibung legen Sie nicht nur die Axt an das Steuer-
Eigentümer-Unternehmer, vom Einzelhändler bis hin recht, Sie gefährden damit auch die Existenz vieler Be-
zum modernen 500-Mann-Betrieb im Maschinen- und triebe.
Anlagenbau. Das sind 98 Prozent aller Unternehmen, sie
erwirtschaften über 50 Prozent des Bruttoinlandspro- (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
duktes, in ihnen arbeiten zwei Drittel aller Menschen, Sie zwingen Betriebe nicht nur, sich in der Steuerbi-
und sie bilden über 80 Prozent unserer jungen Menschen lanz besser darzustellen, als sie sind – wenn Sie dies in
aus. Es sind die Betriebe, die von 1983 bis 1990 in den der Handelsbilanz täten, würden Sie sich strafbar ma-
alten Bundesländern 3 Millionen und von 1991 bis 1996 chen, sogar möglicherweise wegen Konkursverschlep-
– ebenfalls in den alten Bundesländern – über 1 Million pung ins Gefängnis gehen –, Sie zwingen sie sogar, auf
zusätzliche Arbeitsplätze geschaffen haben; auch in den Waren oder Betriebsanlagen, die nichts mehr wert sind,
neuen Bundesländern tragen diese Betriebe maßgeblich Steuern zu zahlen. Was muß demnächst ein Textilhänd-
zur Beschäftigung bei. ler mit Modeartikeln tun, die nicht mehr zu verkaufen
(Beifall bei der CDU/CSU) sind und daher nichts mehr wert sind? Sie zwingen ihn,
die Ware zum Einkaufspreis zu bilanzieren und damit
Wer diese Betriebe be- und nicht entlastet, vernichtet Steuern zu zahlen, obwohl er durch diese Waren keine
mittelfristig Arbeitsplätze. Genau das tut diese Reform. Einnahmen hat.
Ausweislich Ihrer Zahlen im Gesetzentwurf entlasten (Detlev von Larcher [SPD]: Stimmt doch gar
Sie die Wirtschaft in der dreistufigen Reform durch Ta- nicht!)
rifsenkungen um ca. 13 Milliarden DM, während Sie
gleichzeitig durch veränderte Gewinnermittlungsvor- Was soll ich als Bauunternehmer mit genormten Ge-
schriften die Wirtschaft um ca. 35 Milliarden DM bela- rüst- und Schalungsteilen tun, die auf drei Jahre abge-
sten. Sie holen sich dieses Geld teilweise bei den großen schrieben werden, die aber nach einem Jahr kaputt sind?
Konzernen, vor allem aber – trotz aller Dementis, Be- Ich muß sie weiter bilanzieren, Steuern zahlen und nach
teuerungen und Täuschungen – überwiegend beim Mit- Liquidität suchen, um die neuen Gerüst- oder Scha-
telstand. Die Abschaffung des hälftigen Steuersatzes bei lungsteile zu kaufen, damit meine Leute arbeiten kön-
Betriebsveräußerungen trifft den Mittelstand ins Mark, nen.

(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Ohne Senkung (Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: So ist es! –
des Steuersatzes!) Detlev von Larcher [SPD]: Stimmt doch gar
nicht!)
vor allem die Hunderttausende von Unternehmern, die
(B) Das ist schlicht und einfach die Wahrheit über das, was (D)
alles in den Betrieb gesteckt haben, um Arbeitsplätze zu
schaffen und zu sichern, und die den Betriebswert als Sie mit der Teilwertabschreibung bewirken.
Altersversorgung angesehen haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. –
(Joachim Poß [SPD]: Schauen Sie sich die Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Die Wahrheit
Verteilungswirkung mal an!) wollen die nicht hören!)
– Herr Poß, auch wir hatten die Abschaffung des hälfti- Zweites Beispiel: Begrenzung des Verlustrücktrags
gen Steuersatzes des § 34 Einkommensteuergesetz vor- auf ein Jahr, Rückführung auf 2 Millionen DM und Ab-
gesehen, jedoch mit der Maßgabe, daß sich der durch- schaffung ab dem Jahr 2001. Das ist ein Frontalangriff
schnittliche Steuersatz dann zwischen den Grenzen von auf die Existenz moderner mittelständischer Betriebe.
15 und 39 Prozent bewegt und nicht zwischen 23,9 und
Ich habe einen Betrieb in Baden-Württemberg vor
53 Prozent liegt.
Augen, den ich kürzlich besucht habe. Er wurde vor
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. – Er- 16 Jahren gegründet; er hat 280 hochbezahlte Speziali-
neuter Zuruf des Abg. Joachim Poß [SPD]) sten als Mitarbeiter und beschäftigt sich mit modernstem
Anlagenbau und der Entwicklung von Prototypen, die in
– Halten Sie jetzt einmal den Mund, Herr Poß! der ganzen Welt reißenden Absatz finden. Der Gründer
Auch der ab 2002 vorgesehene Tarif von 19,9 Pro- und Firmenchef nannte mir als die beiden Probleme für
zent Eingangssteuersatz und 48,5 Spitzensteuersatz mil- seine Firma, erstens qualifizierte Mitarbeiter zu finden
dert diese Zumutung für den Mittelstand nur unwesent- und zweitens – auf Grund überbordender Gewährlei-
lich. Mit der Abschaffung der Sonderabschreibungen stungs- und Bürgschaftsverpflichtungen – Kapital zu be-
und der Ansparabschreibung ab dem Jahr 2000 bzw. schaffen. Dieser Betrieb verdient gutes Geld, bezahlt
2001 treffen Sie die Kleinbetriebe mit einem Einheits- viel Steuern, läuft aber auch permanent Gefahr, auf
wert unter 400 000 DM zutiefst in ihrer Liquidität, ohne Grund der Produktenhaftpflicht – zum Beispiel in Ame-
sie andererseits maßgeblich zu entlasten. Für den Mittel- rika – ein oder zwei Geschäftsjahre total „in den Sand zu
stand sind jedoch vor allem die Maßnahmen der Gegen- setzen“. Dieser Betrieb soll nun nicht mehr – ansonsten
finanzierung gravierend, die bei der alten Bundesregie- verkraftbare – Verluste auf ein oder zwei Jahre zurück-
rung nicht vorgesehen waren. Ich kann den Sachverhalt tragen können, um sich Liquidität beim Finanzamt zu
aus zeitlichen Gründen nur an zwei Beispielen deutlich besorgen, Liquidität, die er möglicherweise bei den
machen: Kreditinstituten nicht mehr bekommt. Das gilt glei-
356 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Peter Harald Rauen

(A) chermaßen für Hunderttausende von mittelständischen Ich bleibe dabei: Dieser Gesetzentwurf zur Steuerre- (C)
Betrieben. form ist ein Mittelstands- und Arbeitsplatzvernichtungs-
programm.
(Carl-Ludwig Thiele [F.D.P.]: Genau so!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Wer solche Gewinnermittlungsvorschriften durchsetzen
will, hat vom Mittelstand in Deutschland keine Ahnung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Vizepräsident Rudolf Seiters: Das Wort für die
PDS-Fraktion hat Frau Dr. Barbara Höll.
Meine Damen und Herren, viel aufschlußreicher im
Rahmen der Gegenfinanzierung ist aus meiner Sicht eine
Maßnahme, die Sie nicht durchführen, obwohl die alte Dr. Barbara Höll (PDS): Herr Präsident! Meine Da-
Bundesregierung den Mut dazu hatte. Ich spreche von men und Herren! Der Bundeskanzler pries in seiner Re-
der Begrenzung der Verlustvorträge auf 50 Prozent gierungserklärung die Steuerreform als Einsicht in öko-
der Gewinne bei einem Freibetrag von 2 Millionen DM nomische Notwendigkeiten, in welcher sich moderner
für mittelständische Betriebe. Ihr Verzicht auf diese Ge- Pragmatismus mit einem starken Sinn für soziale Fair-
genfinanzierung begünstigt nicht den Mittelstand. Im neß verbindet. Frau Professor Luft sagte schon, daß wir
Gegenteil: Er begünstigt ausschließlich die Großindu- viele Maßnahmen der Steuerreform begrüßen. Aber die
strie, die es verstanden hat, durch Mantelkäufe nach dem soziale Fairneß vermissen wir an einigen Stellen. Oder
Umwandlungssteuerrecht unter anderem große Verluste meinen Sie, daß betroffene Arbeitnehmerinnen und Ar-
preiswert einzukaufen. Daß es in Deutschland zur Zeit beitnehmer die Halbierung der Freibeträge im Rahmen
Verlustvorträge in Höhe von zirka 400 Milliarden DM von Abfindungen als sozial fair empfinden werden und
gibt, hat nur zum Teil mit operativen Verlusten zu tun, daß die bereits ab 1. Januar 1999 vorgesehene Strei-
in hohem Maße aber mit diesen Mantelkäufen. Mit die- chung des Vorkostenabzuges bei eigenheimzulagebe-
sen Verlustvorträgen ist in Deutschland teilweise ein günstigten Wohnungen den Häuslebauern Freude ma-
schwunghafter Handel getrieben worden, weil man sich chen wird? Wo ist die Individualisierung des Steuer-
damit leicht Liquidität verschaffen konnte. rechtes, wo seine größere Transparenz?

(Joachim Poß [SPD]: Da können wir uns viel- Es gibt auch viel Diskussionsstoff bezüglich der Öko-
leicht noch einigen!) steuer.

Ein großes deutsches Unternehmen hatte – Stand En- Ich sage aber auch: Wir unterstützen Ihren Antrag be-
de 1996 – einen Verlustvortrag in Höhe von 16,6 Milli- züglich der Kindergeldauszahlung und der Erstellung
arden DM. Dieses Unternehmen hat in 1997 ausweislich der Lohnsteuertabellen. Hier tut Eile tatsächlich not.
Aber ich frage Sie: Warum lassen Sie sich andererseits
(B) des eigenen Geschäftsberichtes einen Gewinn von 4,3 (D)
Milliarden DM gemacht. Zahlung von Körperschaft- bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag Zeit? Wer mehr soziale
und Gewerbeertragsteuer: null DM. Stünde das Gesetz Gerechtigkeit will, wer Armut bekämpfen will, muß
der alten Bundesregierung im Gesetzblatt, würde dieser Reichtum begrenzen.
Konzern 1998 bei einem gleichen Gewinn 2,15 Milliar- (Beifall bei der PDS)
den DM mit Verlusten verrechnen können, aber von den
anderen 2,15 Milliarden DM Körperschaft- und Gewer- Gerade weil die alte Regierung von Christdemokraten
beertragsteuer in Höhe von über 1 Milliarde DM zahlen. und Liberalen eine große finanzielle Erblast hinterlassen
Ich kann Ihnen aus der Erinnerung fünf ähnlich gela- hat, reicht es nicht aus, nur erste kleine Entlastungs-
gerte Fälle großer deutscher Konzerne nennen. schritte zu machen, die zum Teil schon gesetzlich ver-
ankert waren und nur erste Schritte sein können. Es
Von dieser Maßnahme läßt die neue Bundesregierung reicht nicht aus, in der Regierungserklärung die alte Lei-
die Finger. Es ist ja auch einfacher, Zehntausende klei- er der staatlichen Ausgabenbeschränkung und der Miß-
ner Betriebe mit der Novellierung der Sonder- und An- brauchskontrolle – nur neu arrangiert – weiter zu spie-
sparabschreibung um Liquidität zu bringen, len. Es gilt, den Mut aufzubringen, tatsächliche Einnah-
(Hans-Peter Repnik [CDU/CSU]: Das hat Sy- meerhöhungen anzustreben.
stem!) Hier sind wir bei dem Stichwort Vermögensteuer.
als sich mit den Interessen derjenigen anzulegen, mit Im Koalitionsvertrag stellen Sie in Aussicht, eine Sach-
denen man jahrelang im gleichen Aufsichtsrat gesessen verständigenkommission einzuberufen, die die Grundla-
hat. ge für eine wirtschafts- und steuerpolitisch sinnvolle
Vermögensbesteuerung schaffen soll. Ich frage Sie: Was
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) soll denn das, meine Damen und Herren von der Regie-
Ich muß zum Schluß kommen. Die rund 3 Millionen rungskoaltion? Ein elegantes Begräbnis? – Damit sind
selbständigen Unternehmen des Mittelstandes werden wir von der PDS nicht einverstanden.
dies alles sehr genau beobachten. Wer in Deutschland Wir fordern Sie deshalb mit unserem Antrag auf, bis
gegen den Mittelstand Arbeitslosigkeit abbauen will, zum 30. März nächsten Jahres einen Gesetzentwurf für
mag bei der Arbeitsbewirtschaftung möglicherweise Er- die Wiedererhebung der Vermögensbesteuerung auf der
folge vorweisen können, nicht aber bei der Zunahme Basis einer reformierten Bemessungsgrundlage vorzule-
von Arbeitsplätzen bzw. von Beschäftigung, was zu gen.
mehr Zahlungen von Steuern und Abgaben führen wür-
de, wodurch letztlich der Staat finanziert wird. (Beifall bei der PDS)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 357
Dr. Barbara Höll

(A) Ich muß Ihnen sagen, liebe Kolleginnen und Kollegen werden. Der Haushaltsausschuß soll diesen Gesetzent- (C)
von der SPD und von den Grünen: Sie scheinen verges- wurf zur Mitberatung gemäß § 96 der Geschäftsordnung
sen zu haben, daß Sie selber schon fix und fertige Ge- erhalten. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
setzentwürfe dazu hatten: Drucksache 13/5504 und Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.
Drucksache 13/4838. Nehmen Sie sie, schauen Sie, wo
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag
Ihre Berührungspunkte sind. Sie sind zu finden. Sie von
der Fraktionen der SPD und des Bündnisses 90/Die
der SPD haben unter anderem noch vor zwei Jahren fast
Grünen zur Kindergeldauszahlung und zur Erstellung
einheitliche Tarife für natürliche und juristische Perso-
der Lohnsteuertabellen 1999 auf Drucksache 14/28. Wer
nen gefordert.
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? –
Sie legten Vorschläge für die Neugestaltung der Frei- Enthaltungen? – Der Antrag ist mit den Stimmen der
beträge vor. Von den Grünen gab es dazu ein Ände- Koalition und der PDS bei Enthaltungen der Fraktionen
rungsgesetz. Sie können also sofort handeln. Ich verste- von CDU/CSU und F.D.P. angenommen.
he nicht, warum sich die Regierung berechtigterweise Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, die sozialdemo-
den Vorwurf von Matthias Geis gestern in der „Zeit“
kratische Bundestagsfraktion beabsichtigt die Durchfüh-
machen läßt:
rung einer kurzen Fraktionssitzung. Daher unterbreche
Wir warten auf Reformkonzepte, die diesen Namen ich die Sitzung für etwa 30 Minuten. Der Wiederbeginn
verdienen. In den Schubladen jedenfalls liegt we- wird rechtzeitig durch Klingelsignal angekündigt.
nig. (Unterbrechung von 14.04 bis 14.36 Uhr)
Herr Bundeskanzler, seien Sie froh, daß die PDS als
linke Opposition im Bundestag ist. Wir werden Sie ver-
Vizepräsidentin Petra Bläss: Die unterbrochene
anlassen, ruhig ein bißchen tiefer in Ihren Schubladen zu
Sitzung ist wieder eröffnet.
kramen und auch die alten Gesetzentwürfe hervorzuho-
len. Auf dieser Basis soll ein Neuvorschlag zur Vermö-
gensbesteuerung bis zum 30. März vorgelegt werden. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:

(Beifall bei der PDS) Beratung der Beschlußempfehlung des Auswärti-


gen Ausschusses (3. Ausschuß) zu dem Antrag
Im Grundgesetz ist nicht nur der Schutz des Eigen- der Bundesregierung
tums verankert. Im Grundgesetz ist eben auch das Sozi-
alstaatsprinzip verankert, die Verantwortung des Staa- Deutsche Beteiligung an der NATO-Luft-
tes für den Ausgleich sozialer Gegensätze und für eine überwachungsoperation über dem Kosovo
gerechte Sozialordnung. Diese Verantwortung muß er – Drucksachen 14/16, 14/32 –
(B) (D)
unserer Meinung nach vor allem auch mit der Erhebung
von Steuern wahrnehmen. Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Christoph Zöpel
Wir unterbreiten Ihnen noch einen zweiten Vor- Karl Lamers
schlag. Herr Poß hat zu Recht darauf hingewiesen, daß Dr. Helmut Lippelt
es notwendig ist, zum Prinzip der Besteuerung nach der Ulrich Irmer
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zurückzukehren. Wolfgang Gehrcke
Deshalb schlagen wir Ihnen vor: Erarbeiten wir gemein-
sam ein Gesetz zur Besteuerung des Erwerbs von Lu- Ich weise darauf hin, daß wir im Anschluß an die
xusgütern; denn die Menschen, die sich zum Beispiel Aussprache über diese Vorlage namentlich abstimmen
ein Schmuckstück im Wert von 10 000 DM kaufen kön- werden. Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist
nen, können auch auf die 16 Prozent Mehrwertsteuer die für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich
6 Prozent einer erhöhten Verbrauchssteuer drauflegen. höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

(Beifall bei der PDS) Wird das Wort zur Berichterstattung gewünscht? –
Ich erteile das Wort dem Vorsitzenden des Auswärtigen
Lassen Sie uns hier anfangen. Dann haben wir wirk- Ausschusses, Hans-Ulrich Klose.
lich ein Zeichen für soziale Gerechtigkeit und für Aus-
gleich gesetzt, auch bei der Steuerreform.
Hans-Ulrich Klose (SPD): Frau Präsidentin! Meine
Ich danke Ihnen. Damen und Herren! Gemäß § 66 Abs. 1 der Geschäfts-
(Beifall bei der PDS) ordnung erstatte ich Ihnen im Einvernehmen mit den
Kollegen Vorsitzenden des Rechts-, Haushalts- und
Verteidigungsausschusses Bericht über die Beratung des
Vizepräsident Rudolf Seiters: Ich schließe die Antrages der Bundesregierung „Deutsche Beteiligung an
Aussprache. der NATO-Luftüberwachungsoperation über dem Koso-
vo“, „NATO Kosovo Air Verification Mission“, Druck-
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen sache 14/16.
auf den Drucksachen 14/23, 14/11 und 14/27 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla- Dieser Antrag ist am Dienstag dieser Woche dem
gen. Das Steuerentlastungsgesetz auf Drucksache 14/23 Auswärtigen Ausschuß federführend und den genannten
soll zusätzlich an den Ausschuß für Tourismus und an Ausschüssen zur Mitberatung überwiesen worden. Un-
den Ausschuß für Bildung und Forschung überwiesen mittelbar nach der Konstituierung am heutigen Morgen
358 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Hans-Ulrich Klose

(A) haben sich die Ausschüsse in ihren ersten Arbeitssitzung stimmung des Deutschen Bundestages an dieser Opera- (C)
eingehend mit diesem Antrag befaßt. tion mit unbewaffneten, unbemannten und ferngesteu-
erten Aufklärungsflugzeugen teilzunehmen.
Der Rechtsausschuß empfiehlt, dem Antrag zuzu-
stimmen. Der Beschluß wurde mit den Stimmen der Für die Bedienung einschließlich des Schutzes dieses
Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses empfindlichen Geräts sollen bis zu 350 Soldaten einge-
90/Die Grünen sowie der F.D.P. gegen die Stimmen der setzt werden. Darüber hinaus soll deutsches Personal im
Fraktion der PDS bei einer Enthaltung seitens der Frak- fliegenden NATO-Frühwarn- und -führungssystem
tion Bündnis 90/Die Grünen gefaßt. AWACS eingesetzt werden.
Der Haushaltsausschuß hat mehrheitlich mit den Ich möchte nochmals den Zusammenhang zu der
Stimmen der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU- Sondersitzung des 13. Deutschen Bundestages her-
Fraktion und der F.D.P.-Fraktion bei drei Stimmenthal- stellen, der in seiner letzten Sitzung beschlossen hat, an
tungen der Fraktion der SPD einer möglichen NATO-Militäraktion teilzunehmen. Die
Konsequenz dieses Beschlusses war dann eine in letzter
(Dr. Wolfgang Schäuble [CDU/CSU]: Hört!
Minute erreichte Einigung zwischen dem US-
Hört!)
Sondergesandten Richard Holbrooke und der Regierung
gegen die Stimmen der Fraktion der PDS empfohlen, in Belgrad. Sie hat eine Militäraktion verhindert. Diese
dem Antrag zuzustimmen. geplante Militäraktion hatte zum Zweck, eine humanitä-
re Katastrophe im Kosovo angesichts zahlloser Flücht-
Der Verteidigungsausschuß hat mit den Stimmen linge, zerstörter Dörfer, zerstörter Wohnungen und des
der Fraktionen der SPD, der CDU/CSU, des Bündnisses drohenden Winters abzuwehren.
90/Die Grünen und der F.D.P. gegen die Stimmen der
Fraktion der PDS ebenfalls den Beschluß gefaßt, dem Heute können wir sagen, daß die humanitäre Kata-
Plenum zu empfehlen, dem Antrag der Bundesregierung strophe – alle vor Ort berichten dies – abgewehrt werden
auf Drucksache 14/16 seine Zustimmung zu erteilen. konnte. Ich denke, das ist ein erster wichtiger Erfolg.
Der Auswärtige Ausschuß hat in Anwesenheit des (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Bundesministers des Auswärtigen und des Bundesver- und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
teidigungsministers beraten und beschlossen. Beiden F.D.P.)
danke ich für die ausführlichen Erläuterungen. Ich stelle
fest, daß sich schon in der ersten Sitzung des Ausschus- Die Flüchtlinge sind zum überwiegenden Teil in ihre
ses eine gute Zusammenarbeit zwischen Parlament und Dörfer und Häuser zurückgekehrt. Worauf es jetzt an-
Regierung gezeigt hat. So soll es sein, und so soll es kommt, ist, die Abwendung der humanitären Katastro-
(B) bleiben. phe in eine Verstetigung des friedlichen Zusammenle- (D)
bens, des friedlichen Alltags, des Wiederaufbaus, der
Der Auswärtige Ausschuß hat in Kenntnis der Voten Hilfe zum Wiederaufbau und einer politischen Lösung
der mitberatenden Ausschüsse beschlossen. Er empfiehlt zu führen.
dem Hohen Hause mit der großen Mehrheit der Stim-
men der Koalitionsfraktionen, der CDU/CSU-Fraktion Holbrooke hatte drei Körbe verhandelt. Die Umset-
und der F.D.P.-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion zung von allen drei Körben wird für die Abwendung der
der PDS die Annahme des Antrags der Bundesregie- humanitären Katastrophe, für die Beendigung des Krie-
rung. Damit verbindet sich unsere Hoffnung auf eine, ges und für eine politische Lösung letztendlich unab-
wie es im Antrag heißt, „Stabilisierung der Verhältnisse weisbar sein. Es besteht hier ein Sachzusammenhang;
im Kosovo“ und auf die Schaffung eines Umfeldes, wel- deswegen müssen wir den Bundestag heute erneut mit
ches zu einer dauerhaften und tragfähigen Friedensre- einem Beschluß beschäftigen und werden ihn in abseh-
gelung beiträgt und auf die Abwendung einer humanitä- barer Zukunft mit einem weiteren Beschluß zu beschäf-
ren Katastrophe abzielt. In diesem Sinne empfehlen alle tigen haben. Ich füge gleich hinzu: Das liegt nicht an der
Ausschüsse die Zustimmung zu dem Antrag. Bundesregierung, sondern allein an den Problemen, die
sich aus dem Konsultationsprozeß des NATO-Rates und
Ich bedanke mich. der Beschlußfassung dort ergeben. Wir hätten dies gern
in einem Beschluß zusammengefaßt.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU und der F.D.P.) Lassen Sie mich in aller Kürze auf die Realisierung
der drei Körbe zu sprechen kommen.
Vizepräsidentin Petra Bläss: Es spricht jetzt der Zum ersten, dem humanitären Korb: Mit dem nach
Bundesaußenminister Joseph Fischer. Meinung westlicher Beobachter und der entsprechenden
NATO-Stellen weitestgehend umgesetzten Rückzug der
jugoslawischen Truppen und Sondereinheiten ist die
Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen: Rückkehr der Flüchtlinge ermöglicht worden. Damit ist
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die Bun- eine humanitäre Katastrophe abgewendet worden.
desregierung bittet heute den Deutschen Bundestag, der
Entsendung deutscher Kräfte zur Teilnahme an einer Der zweite Korb ist die Überwachung dieses Prozes-
NATO-Operation zur Luftüberwachung der VN- ses. Auch dieser Korb ist sowohl für die Sicherheit der
Sicherheitsratsresolutionen 1160 und 1199 zuzustim- Menschen im Kosovo als auch für den Fortgang der po-
men. Die Bundesregierung beabsichtigt, nach der Zu- litischen Lösung unabweisbar. Dafür hat die Bundesre-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 359
Bundesminister Joseph Fischer

(A) gierung in ihrer ersten Kabinettssitzung beschlossen, daß Wir haben hier eine sehr schwierige Situation. Die (C)
wir uns mit bis zu 200 zivilen Mitarbeiterinnen und Mit- Haltung des Westens ist klar definiert. Die Haltung des
arbeitern an der OSZE-Mission beteiligen. Westens, die der Bundesrepublik Deutschland, die der
Vorgängerregierung und auch die dieses Hauses war
Ich habe es an anderer Stelle schon gesagt: Hierin immer die, daß wir Sezession, Unabhängigkeit nicht
liegt ein entscheidender Schritt nach vorne für die Rolle unterstützen; vielmehr unterstützen wir die Durchset-
der OSZE im Peacekeeping, das heißt im Überwachen zung der Menschenrechte und ein weitgehendes Auto-
des Friedens, in der Durchsetzung des Friedens mit zi- nomiestatut, allerdings im Rahmen der Bundesrepublik
vilen Mitteln in Europa. Ich sehe hier ebenfalls einen Jugoslawien. Dies ist Gegenstand der Holbrooke-
großen Fortschritt. Milosevic-Vereinbarung.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie des
PDS und der F.D.P.)
Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.])
Der Kollege Scharping und das Auswärtige Amt
werden je 80 Personen, das Bundesinnenministerium Gestern habe ich, wie ich heute den Ausschüssen be-
wird 40 Personen – jeweils als Höchstgrenze – bereit- richtete – auch hier möchte ich es noch einmal erwähnen
stellen und in den Kosovo entsenden. Die Entsendung –, in einem Gespräch im Ministerium mit Vertretern der
wird im Dezember, nachdem alle Vorarbeiten getroffen Kosovo-Albaner aus Pristina und auch mit hier lebenden
sind und die Einstellungen entsprechend abgeschlossen Exilalbanern auch darauf hingewiesen, daß wir mit gro-
wurden, vorgenommen werden. ßer Sorge die Entwicklung von Gewalteinsatz auf alba-
nischer Seite sehen. Der Friedensprozeß setzt Gewalt-
Wenn man sich dazu durchringt, diesen Schritt zu tun verzicht auf beiden Seiten voraus.
– ich sehe in diesem zivilen Peacekeeping einen wirk-
lich historischen Durchbruch –, dann wird es entschei- (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES
dend sein, daß man den Menschen, die man dort hin- 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU, der SPD,
schickt, optimale Bedingungen schafft. Ich weiß, sehr der F.D.P. und der PDS)
viele Kolleginnen und Kollegen – auch und gerade auf Damit es in diesem Friedensprozeß im Interesse der
der linken Seite des Hauses – haben, als sie in der Son- Bevölkerung tatsächlich zu positiven Ergebnissen kom-
dersitzung zugestimmt haben, auf Grund der rechtlichen men kann, brauchen wir jetzt diese OSZE-Mission und
Aspekte und auch der politischen Folgen, die sich daraus die dazu notwendige Luftraumüberwachung. Sie ist Be-
ergeben können, offene Fragen gehabt. Ich weiß, es gibt standteil dieser Mission. Wir brauchen jetzt vor allen
nach wie vor Fragen und Probleme in diesem Zusam- Dingen eine Einigung über das entsprechende Statut, ein
(B) menhang. Ich bitte aber alle, die sich mit der Zustim- Autonomiestatut für die Dauer von drei Jahren. Auf (D)
mung schwertun, zu bedenken, daß die Verifikation der der Grundlage dieses Statuts kann dann im Kosovo ein
OSZE-Mission daran hängt, daß die militärische, aber konstitutioneller Prozeß beginnen, begründend auf frei-
unbewaffnete Luftraumüberwachung ebenfalls stattfin- en Wahlen, begründend auf einem aus diesen freien
det. Wahlen hervorgegangenen Regionalparlament, begrün-
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES dend auf einer eigenen Justiz, begründend auf einer
90/DIE GRÜNEN und der SPD) eigenen Polizei. Ich denke, das ist es, was jetzt angegan-
gen werden muß. Hier liegen allerdings noch erhebliche
Die Bundesregierung bittet Sie heute um Ihre Zu- Schwierigkeiten. Nur glaube ich nicht, daß wir, ohne
stimmung; denn es geht nicht nur um die Verifikation daß wir hier zu einem positiven Abschluß kommen, tat-
am Boden; vielmehr muß diese Verifikation am Boden sächlich eine Entwicklung hin zu dauerhafter Gewalt-
durch eine militärische, aber unbewaffnete Luft- freiheit und zu Frieden in dieser Region erleben werden.
raumüberwachung gestützt werden. Da es sich hier um An einer solchen Entwicklung haben wir aber großes
hochgeheimes Gerät handelt – der Kollege Scharping Interesse.
wird noch auf das Erfordernis einer klaren Vereinbarung
mit der Regierung in Makedonien zu sprechen kommen (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES
–, wird es hier ebenfalls zum Einsatz von bewaffneten 90/DIE GRÜNEN und der SPD)
Kräften seitens der Bundeswehr zwecks Bewachung des Ich bitte Sie also, dem Antrag der Bundesregierung
unbemannten Fluggeräts kommen. Der Fall, der hier zuzustimmen. Ich möchte auch all diejenigen, die aus
eingetreten ist, ist konstitutiv. Deswegen muß der Ge- nachvollziehbaren Gründen mit einem Ja Schwierigkei-
setzgeber, der Deutsche Bundestag, darüber abstimmen. ten haben, bitten, nochmals über ihre Entscheidung
Ich hoffe, Sie werden mit Ja stimmen. nachzudenken. Ich sage Ihnen ganz persönlich – das
Lassen Sie mich noch auf den dritten und, ich glaube, gilt für den Kollegen Scharping und für den Kollegen
schwierigsten Punkt zu sprechen kommen, den Korb 3, Schily –:
die politische Lösung. Wir müssen davon ausgehen, daß (Michael Glos [CDU/CSU]: Was sagen Sie als
die beiden beteiligten Konfliktparteien sich ausschlie- Außenminister?)
ßende, hochsymbolisch aufgeladene Interessen verfol-
gen. Die albanische Seite will die Unabhängigkeit, die Wir schicken unbewaffnete zivile Mitarbeiterinnen und
Sezession des Kosovos. Ich kenne keine politische Kraft Mitarbeiter in eine sehr schwierige Mission. Die Bun-
in Belgrad, die bereit ist, dies zu akzeptieren. desregierung tut dies als Ganzes; aber ich betone auch
360 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Bundesminister Joseph Fischer

(A) die persönliche Seite. Gerade dann, wenn wir politisch nicht eindeutig nachprüfbar ist, inwieweit die Bundesre- (C)
von der Notwendigkeit einer stärkeren Rolle der OSZE publik Jugoslawien in allen vereinbarten Teilen die Zu-
überzeugt sind, müssen wir den Menschen, die bereit sagen einhält, muß die Drohkulisse der NATO so beste-
sind, dieses Risiko in unserem Auftrag einzugehen, op- henbleiben, wie sie besteht.
timale Bedingungen schaffen. Dazu gehört ein Ja zur
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
heutigen Beschlußvorlage.
der F.D.P.)
Ich bedanke mich.
Der Abzug der serbischen Sicherheitskräfte, der wohl
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN weitestgehend erfolgt ist – das wurde auch von der Bun-
und bei der SPD) desregierung deutlich gemacht –, ist nur der erste
Schritt. Vorrangig wird sein, wie rasch die Modalitäten
dafür geschaffen werden können, daß alle Flüchtlinge,
Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort hat jetzt die zum Teil nach wie vor in den Wäldern hausen müs-
der Abgeordnete Paul Breuer, CDU/CSU. sen, die Angst haben und vom Winter bedroht sind, in
ihre zerstörten Dörfer oder andere Liegenschaften zu-
Paul Breuer (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine rückkehren können.
sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU- Ich begrüße ausdrücklich, daß sich die neue Bundes-
Fraktion unterstützt den Antrag der Bundesregierung regierung zur, wie sie sagt, Kontinuität deutscher Au-
betreffend die Beteiligung der Bundeswehr an der ßen- und Sicherheitspolitik bekennt. Aber es muß
NATO-Luftraumüberwachungsoperation über dem Ko- schon erlaubt sein, darauf hinzuweisen, daß es die alte
sovo. Es geht uns darum, daß Deutschland seinen ver- Koalition war, die die neue Verantwortungsrolle
antwortungsvollen und verantwortungsbewußten Beitrag Deutschlands in der Staatengemeinschaft zu Beginn der
dazu leistet, daß die Menschen im Kosovo nicht nur vor 90er Jahre maßgeblich befördert hat, und daß Sie damals
der humanitären Katastrophe geschützt werden, die sich auf einer anderen Seite gestanden haben.
hier angedeutet hatte und zum Teil schon eingetreten
war, sondern auch auf Dauer eine Lebens- und Friedens- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
perspektive im Kosovo erhalten. der F.D.P.)

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU so- Ohne uns hätten das Ansehen Deutschlands in der Welt
wie des Abg. Ulrich Irmer [F.D.P.]) und die Berechenbarkeit der deutschen Außen- und Si-
cherheitspolitik damals schweren Schaden erlitten.
Es wäre natürlich gut gewesen, Herr Minister Fischer,
wenn wir heute auch über die Entsendung der Schutz- Wir nehmen die innere und äußere Anpassungsfähig-
(B) und Evakuierungstruppe, der sogenannten Extraction keit des neuen Außenministers zur Kenntnis. Der Lernpro- (D)
Force, hätten debattieren und entscheiden können. Aber zeß, den Sie, Herr Minister Fischer, vollzogen haben, ist
es ist richtig: Die Zeitabläufe bei der NATO ließen dies nun in gleichem Maße auch von Ihren Kolleginnen und
nicht zu. Gleichwohl müssen wir heute beides im Zu- Kollegen in der bündnisgrünen Fraktion nachzuvollziehen.
sammenhang debattieren und würdigen. Ich möchte darauf hinweisen – weil man es muß –,
Meine Damen und Herren, für uns muß feststehen, daß am 16. Oktober bei der Abstimmung des alten Bun-
daß Milosevic im Abkommen mit dem US-Sonder- destages immerhin nur 26 von 47 Mitgliedern der Grü-
botschafter Holbrooke nicht zu derart weitreichenden nen-Fraktion dem Einsatz zugestimmt haben. Das war
Zugeständnissen, wie sie zustande gekommen sind, hätte etwas mehr als die Hälfte. Bei so wenig Unterstützung
gebracht werden können, wenn nicht auch der Deutsche aus den eigenen Reihen von einer Kontinuität der Politik
Bundestag, wenn nicht Deutschland seine Verantwor- zu reden, das, Herr Minister Fischer, ist schon etwas
tung in der Art und Weise wahrgenommen hätte, wie verwegen. Auch das muß deutlich gesagt werden.
wir es getan haben. (Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.) Wir werden schon genau darauf achten, und zwar
Deswegen ist es für mich unverständlich – wir werden heute wie in Zukunft, ob die neue Bundesregierung in
im Laufe der Debatte sicherlich noch einiges dazu hö- der Lage ist,
ren –, daß es in diesem Hause nach wie vor Kollegen (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
gibt, die meinen, die Debatte von gestern über Rechts- NEN]: Das dürfen Sie auch!)
grundlagen usw. erneut führen zu müssen.
für Auslandseinsätze hier im Deutschen Bundestag, in
Wir müssen heute sagen: Es war ein Erfolg der inter- diesem Hohen Hause, die erforderlichen Mehrheiten si-
nationalen Staatengemeinschaft, es war ein Erfolg insbe- cherzustellen. Um es klar zu sagen, Herr Kollege
sondere der NATO, Milosevic zu diesen Zugeständnis- Schlauch: Wir stellen uns unserer Verantwortung, gar
sen zu bringen. Wir können das, was wir heute einleiten, keine Frage; das wissen Sie auch. Aber wir sind natürlich
nur auf der Basis dieses Prozesses, der unter Druck zu- nicht dazu bereit, Unstimmigkeiten bei Ihnen durch unse-
stande kam, weiter beraten. re Stimmen zu überdecken. Wir achten genau darauf und
werden Sie in namentlicher Abstimmung fordern.
Es ist wichtig, daß wir nun den zweiten Schritt tun,
indem wir unseren Willen bekunden, die Einhaltung die- (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
ser Zusagen auch wirkungsvoll zu überwachen. Solange der F.D.P.)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 361
Paul Breuer

(A) Spielen Sie also bitte nicht – da möchte ich Sie per- der Sprache, in der die SPD-Opposition – jetzt in der (C)
sönlich ansprechen, Herr Minister – die Qualität des Regierung – in der Vergangenheit mit uns geredet hat.
heute und in der kommenden Woche zu beratenden Ein- Sie haben den damaligen Finanzminister, den Kollegen
satzes herunter! Sie sprachen eben von einem zivilen Dr. Waigel, ständig dazu aufgefordert, daß er das Geld
Peacekeeping. Dieser Einsatz, und zwar sowohl die aus dem Gesamthaushalt geben solle. Ich fordere auch
Luftverifikation wie der Einsatz am Boden, der Einsatz Sie jetzt dazu auf. Sollten Sie, Herr Minister Scharping,
der 2 000 OSZE-Beobachter ist eine höchst gefährliche damit Schwierigkeiten haben: Unsere Unterstützung ist
Unternehmung und kein Weihnachtsspaziergang. Ihnen sicher.
Wenn ich heute in der „Bild“-Zeitung lese – sicher Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
etwas falsch, etwas überzogen dargestellt –, daß die
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P.)
Bundesrepublik Jugoslawien Waffeneinkäufe bei der
Russischen Föderation tätige – ich denke, ich weiß es
richtig einzuschätzen; da besteht nach wie vor ein Rü- Vizepräsidentin Petra Bläss: Es spricht jetzt der
stungsabkommen –, dann weiß ich, daß deutsche Streit- Bundesminister der Verteidigung, Rudolf Scharping.
kräfte dort auch modernsten Waffensystemen begegnen
können.
Rudolf Scharping, Bundesminister der Verteidi-
Wenn man weiß, daß es ständig – täglich – Provoka- gung: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die
tionen zwischen UCK und serbischen Sicherheitskräften Maßnahmen, die die internationale Staatengemeinschaft
gibt – wir sehen beide Seiten –, dann weiß man, in wel- trifft, müssen im Zusammenhang gesehen werden. Dar-
ches schwierige Szenario jeder einzelne OSZE- auf hat mein Kollege Fischer hingewiesen. Der Aufbau
Beobachter dort jeden Tag kommen kann, dann weiß militärischen Drucks hat zu dem Abkommen zwischen
man, wie notwendig es ist, daß bewaffnete Streitkräfte Herrn Milosevic und Herrn Holbrooke geführt. Ich will
als Schutz- und Evakuierungstruppe, und zwar gut aus- an dieser Stelle sagen, damit das auch für die weiteren
gebildet, bestausgebildet, zur Verfügung stehen. Hier Debatten klar ist: Die Bundesrepublik Deutschland hat
dann von einem zivilen Peacekeeping zu reden, könnte, keine Schwierigkeiten mit dem serbischen Volk und
wenn man es so verstehen will, schon dazu dienen, daß hegt keine Animositäten und schon gar nicht Feindschaft
Sie Ihren Leuten, insbesondere in der Grünen-Fraktion, gegen das serbische Volk; sie bedauert aber, daß das
verkaufen wollen, daß das alles einfach sei, und daß Sie serbische Volk eine diktatorische Regierung hat, die das
eine hohe Zustimmungsrate bekommen wollen. Das ist eigene Land und andere unter Druck setzt.
nicht zugelassen. Wir müssen den Menschen in unserem
Lande, den Beobachtern und den Soldaten, schon klar (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(B) sagen, daß es um eine gefährliche Operation geht. Nur des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der (D)
wenn wir dies feststellen, besteht auch mental die Si- CDU/CSU und der F.D.P.)
cherheit, daß diese Menschen wohlbehalten wieder nach Mit diesem Abkommen und den Folgevereinbarun-
Hause kommen können. gen ist erstens die Verifikation am Boden, also die Mis-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und sion durch die OSZE, und zweitens die bemannte und
der F.D.P.) unbemannte Verifikation in der Luft geregelt. Hierfür
gibt es mehrere Rechtsgrundlagen, über die ich Sie jetzt
Das ist verantwortliche Politik, meine Damen und Her- informiere: Neben diesem Abkommen, das häufig er-
ren. wähnt wird, gibt es ein zweites zwischen dem NATO-
In diesem Zusammenhang will ich eines sagen: Wenn Oberbefehlshaber und dem jugoslawischen General-
es darum geht, die deutschen Truppenteile für die stabschef; außerdem gibt es einen entsprechenden Be-
Schutz- und Evakuierungstruppe festzustellen, zu identi- schluß des Ständigen Rates der OSZE und schließlich
fizieren – das wird ja in der kommenden Woche gesche- auch die Resolution des Weltsicherheitsrates mit der
hen –, dann fordern wir schon, daß es die Besten sind, Nummer 1203, die all dies aufgreift und bekräftigt und
die die Bundeswehr hat. Das heißt dann, daß in der Ein- die Staatengemeinschaft ermuntert, in diesem Sinne zu
satzreserve – die braucht man nicht nach Mazedonien zu verfahren.
schicken – das Kommando Spezialkräfte vorgehalten Hinsichtlich der Bedenken gegenüber einer Verifika-
wird. Das sind die in bestimmten Szenarien am besten tion am Boden kann ich das Haus darüber informieren,
ausgebildeten Soldaten. Es kann nicht sein, daß deshalb, daß mittlerweile alle Staaten begonnen haben, ihre Be-
weil die Grünen-Fraktion in der Vergangenheit etwas obachter zu notifizieren, also anzumelden. Das gilt übri-
dagegen hatte, daß diese Truppen aufgestellt werden, gens für alle europäischen Staaten, einschließlich Ruß-
möglicherweise davon abgesehen wird. Auch das will lands und der Ukraine, sowie für die Vereinigten Staaten
ich hier deutlich feststellen. von Amerika. Ich sage das deshalb, damit sich einzelne
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Mitglieder des Hauses oder möglicherweise eine Frakti-
der F.D.P.) on nicht hinstellen und sich für klüger halten kann als
die internationale Staatengemeinschaft, Rußland und die
Ein letztes Wort zur Finanzierung des Einsatzes. Ukraine eingeschlossen.
Dieser Einsatz kostet viel Geld. Er wird – so schreiben
Sie es ja in der Vorlage – in diesem Jahr das Geld des (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS
Verteidigungsetats kosten; das soll aus dem Einzelplan 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten
14 erwirtschaftet werden. Ich spreche jetzt einmal mit der CDU/CSU)
362 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Bundesminister Rudolf Scharping

(A) Im übrigen unterliegen diese 2 000 Beobachter einer Denn für eine demokratische Entwicklung braucht man (C)
Gefahr. Es hat keinen Sinn, daran vorbeizureden. Die mehreres, darunter auch eine unabhängige und freie
Gefahr ergibt sich daraus, daß in dem Abkommen zwar Presse.
geregelt ist, daß die Bundesrepublik Jugoslawien für
die Sicherheit der OSZE-Beobachter die Gewährleistung (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
zu übernehmen hat, daß aber die UCK eigene Interessen des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
verfolgt. Im Kosovo gibt es nicht nur von beiden Seiten Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund des
verursachte Scharmützel, sondern auch den Anspruch, engen Zeitfensters, eines nicht sehr konsistenten Ver-
bestimmte Gebiete mit angemaßter ziviler Autorität haltens einzelner Staaten und der Risiken, die dadurch
zu kontrollieren. Aus diesem Widerstreit einerseits zwi- entstehen, wird es um so wichtiger sein, auch die Ent-
schen den Garantien des Abkommens und anderer- scheidungen sorgfältig vorzubereiten, die sich mit der
seits den Ansprüchen, die die UCK stellt, ergeben sich sogenannten Notfalltruppe ergeben werden. Ich will Sie
Risiken. Es gibt leider auch andere, aber ich wollte darüber informieren, daß im Militärausschuß der NATO
das an diesem einen Beispiel deutlich machen. Es sollte die entsprechenden Operationspläne abgeschlossen sind.
uns also bewußt sein, daß wir mit der Entsendung Das geschah gestern abend und ist heute dann folgerich-
der Verifikateure auch ein gewisses Risiko eingehen, tig im Verteidigungsausschuß wie im Auswärtigen Aus-
das für diese Menschen erheblich werden kann. Das ist schuß berichtet worden.
– ich stimme dem Kollegen Breuer ausdrücklich zu –
kein Spaziergang, sondern ein mit Risiko behafteter Ein- Ich greife diesen Gesichtspunkt deshalb auf, weil aus
satz. den Planungen der NATO und aus den Absichten aller
Mitgliedstaaten ganz eindeutig hervorgeht, daß mit
Um so wichtiger wird es sein, daß die Verifikation in
dieser Notfalltruppe nichts verbunden ist, was militäri-
der Luft funktioniert. Da wird eine Drohnenbatterie der
sche Intervention bedeuten würde. Der Auftrag ist viel-
Bundeswehr entsandt; diese Informationen haben Sie
mehr absolut klar: den OSZE-Beobachtern im Falle
alle. Deswegen will ich mich jetzt auf den Hinweis be-
eines Risikos, das sehr verschieden eintreten kann, die
schränken, daß die Stationierung dieser Batterie erst er-
Hilfe zu geben, die sie brauchen, und sie notfalls aus den
folgen wird, wenn es zu einer entsprechenden Vereinba-
Gebieten, in denen sie bedroht sind, herausholen zu
rung mit der mazedonischen Regierung gekommen ist.
können.
Dazu konnte es wegen des Regierungswechsels in die-
sem Lande nicht kommen. Er hat nicht so gut funktio- Ich weiß, welche Diskussionen hier und da darum
niert wie hier. Aber das ist eine eher scherzhafte Bemer- herumgeflochten werden. Ich will deswegen in aller
kung am Rande. Deutlichkeit sagen: Es ist eine Notfalltruppe, die helfen
(B) Ich möchte darauf aufmerksam machen – damit soll, gegebenenfalls auch zu evakuieren. Sie hat aber (D)
komme ich auf eine Bemerkung zurück, die ich in der keinen Auftrag, die OSZE-Mission in dem Sinne durch-
ersten Debatte am Dienstag schon gemacht habe –, daß zusetzen, daß militärisch interveniert würde.
wir für politische Lösungen nur ein sehr enges Zeitfen- (Zuruf des Abg. Kurt J. Rossmanith
ster haben. Auch wenn das Abkommen eine Zeit von [CDU/CSU])
drei Jahren vorsieht und wenn jetzt für ein halbes Jahr
Entscheidungen innerhalb der OSZE oder der NATO Ich sage das in aller Deutlichkeit, weil hier im Hause
getroffen werden, für die politische Lösung gibt es ver- häufiger einmal das Wort der militärischen Intervention
mutlich nur ein sehr enges Zeitfenster. Es gibt hier eine eine Rolle gespielt hat.
gegenseitige Verantwortung. Man muß das auf mehreren
Seiten klarmachen. Deswegen will ich in diesem Zu- Mit Blick auf aktuelle Berichterstattung und weil Sie
sammenhang sagen, daß Waffenlieferungen gleich wel- schon etwas dazwischenrufen, Herr Kollege Rossma-
chen Staates – das gilt auch für Rußland – und aus wel- nith, will ich auch sagen: Es gibt jetzt Gerüchte über ei-
chen Motiven auch immer in dieses Gebiet hinein ange- nen angeblichen Geheimbericht. Das Bundesministeri-
sichts der Chance eines Friedensprozesses ein unver- um der Verteidigung pflegt nicht nur in diesem Jahr,
antwortliches Verhalten darstellen. Dabei ist es ganz sondern seit vielen Jahren die gute Praxis, die Ausschüs-
egal, von wem es kommt. se regelmäßig über die Umstände des Einsatzes der Sol-
daten im Rahmen von SFOR zu informieren. In diesem
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Zusammenhang ist dem Verteidigungsausschuß bzw.
GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P. so- seinem damaligen Vorsitzenden am 15. Oktober ein Be-
wie bei Abgeordneten der PDS) richt zur Verfügung gestellt worden, der referiert, was
Diplomaten aus den Kreisen Moskauer Militärattachés
Ich will auch deutlich machen, daß beispielsweise in-
beispielsweise in Belgrad hören. Das wird heute öffent-
nerhalb der OSZE die Weigerung Rußlands, im Rahmen
lich als ein angeblicher Geheimbericht dargestellt. Das
der OSZE-Maßnahmen auch eine unabhängige Bericht-
ist er nicht. Diese Darstellung könnte man noch hinneh-
erstattung durch Journalisten aus dem Kosovo heraus zu
men. Aber die Prüfung von Fragen, die sich mit mögli-
ermöglichen, die Situation ebenfalls eher erschwert als
chen Luftschlägen der NATO ergeben, die Gott sei
erleichtert.
Dank nicht erforderlich geworden sind, in einen Zu-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie sammenhang mit der Aufstellung einer Notfalltruppe zu
beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) bringen, die die OSZE-Beobachter schützen soll, was
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 363
Bundesminister Rudolf Scharping

(A) etwas Grundverschiedenes und etwas ganz anderes ist, Wenn ich höre, wie Herr Außenminister Fischer das (C)
ist in jeder Hinsicht unzulässig vorschlägt und gut begründet, überkommt mich ein we-
nig die Erinnerung
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) (Rezzo Schlauch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Die Wehmut!)
und erweckt übrigens auch in der Öffentlichkeit den
Eindruck, als wolle man gewissermaßen herbeischrei- an eine Zeit, die noch gar nicht so lange zurückliegt.
ben, was von keinem der NATO-Partner gewollt ist, Was haben wir uns in diesem Hause alles anhören müs-
nämlich militärische Intervention gewissermaßen „auf sen! Ich will einmal daran erinnern, daß wir seinerzeit,
Teufel komm raus“. als die Rechtsgrundlage für die Beteiligung der Bun-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS deswehr an friedenserhaltenden Maßnahmen noch unge-
90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten klärt war, der SPD vorgeschlagen haben, man möge
der CDU/CSU und der F.D.P.) durch eine Klarstellung im Grundgesetz diese Zweifel
beseitigen, und daß die SPD dies abgelehnt hat, nicht
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn man weil sie rechtliche Bedenken hatte, sondern weil sie es
diese Maßnahmen alle im Zusammenhang sieht, dann politisch nicht wollte. Das ist erst wenige Jahre her.
bleibt am Schluß nur eine einzige Feststellung: Wenn wir
es mit der Verifikation und mit dem Schutz der Men- (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)
schen, die sie in unserem Auftrag übernehmen, ernst mei- Ich habe noch im Ohr, wie insbesondere eine Kolle-
nen, wenn wir es mit dem Friedensprozeß, der eine Chan- gin und ein Kollege aus der Fraktion Bündnis 90/Die
ce, aber noch längst keine Gewißheit ist, ernst meinen, Grünen – ich nenne sie mit Namen –, Frau Kollegin
wenn wir es mit den über 50 000 Menschen, die die Wäl- Beer – sie nickt zustimmend; danke, Frau Kollegin –
der verlassen konnten, aber noch keine dauerhafte Sicher- und der Kollege Ludger Volmer, uns, als wir die Betei-
heit in ihren Wohngebieten haben, ernst meinen, dann ist ligung Deutscher an den AWACS-Einsätzen beschlos-
es dringend erforderlich, daß wir neben den Maßnahmen, sen haben, vorgehalten haben, wir täten dies nicht aus
die unter Begleitung des Militärs getroffen werden und humanitären Gründen, wir täten dies nicht, um den Frie-
auch getroffen werden müssen, die politischen Bemühun- den zu erhalten, sondern wir täten dies ganz bewußt und
gen unterstützen und verstärken, damit das – so befürchte bösartig, um die deutsche Außenpolitik zu militarisieren.
ich – leider nur sehr schmale Zeitfenster, das uns zur Ver-
fügung steht, genutzt wird und die eingesetzten Menschen (Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Und heute
nicht länger als unbedingt erforderlich einem Risiko aus- klatschen sie!)
gesetzt sind, das sie jetzt eingehen. Und heute steht der frühere Fraktionssprecher und jetzi-
(B) Vielen Dank. ge Außenminister, Joseph Fischer, vor uns und emp- (D)
fiehlt uns dringend – in Richtung seiner Fraktion fast be-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS schwörend – die Zustimmung zu dem Vorschlag der
90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten Bundesregierung. Ich kann nur sagen: Ich freue mich
der F.D.P. und der PDS) über diese Entwicklung. Aber ich sage in Abwandlung
eines alten Spruches: Welch eine Wendung durch
Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort hat der Joschkas Fügung.
Abgeordnete Ulrich Irmer, F.D.P. Meine Damen und Herren, lassen Sie mich noch et-
was sehr Ernstes sagen. Herr Fischer hat auf den dritten
Korb der Vereinbarungen Holbrooke-Milosevic hinge-
Ulrich Irmer (F.D.P.): Frau Präsidentin! Meine Da-
wiesen. Wir müssen uns über eines klar sein: Wir haben
men und Herren! Die F.D.P.-Fraktion wird dem Antrag
immer betont, militärische Maßnahmen können nur das
der Bundesregierung zustimmen. Dieser Antrag ist die
letzte Mittel sein, wenn politische Maßnahmen nicht ge-
logische Folge des Beschlusses, den der 13. Deutsche
fruchtet haben. Ich beschwöre alle Beteiligten, eine
Bundestag am 16. Oktober gefaßt hat.
Friedenslösung für den Kosovo zu suchen. Ich rege an,
Ich möchte auf eines hinweisen: Das Beste an dem daß die Staatengemeinschaft ein zweites Dayton-
Beschluß vom 16. Oktober ist jetzt, in der Rückschau, Abkommen initiiert und vorbereitet. In diesen Prozeß
daß die damals als möglich beschlossene militärische müssen alle Interessen eingebunden werden. Die Posi-
Zwangsmaßnahme bisher nicht ergriffen werden mußte. tionen stehen sich heute unversöhnlich gegenüber. Die
Richtig ist es aber, daß die Drohkulisse aufrechterhalten einen wollen nicht Autonomie, sondern Unabhängigkeit,
bleiben muß, weil wir nicht wissen, wie sich ein unbere- die anderen sagen: An unserem Staatsverband wird kei-
chenbares Regime wie das von Milosevic in Zukunft nen Deut gerüttelt. Hier muß, auch durch äußeren
verhalten wird. Druck, eine Vereinbarung politischer Natur zustande
kommen. Ansonsten werden wir Jahr für Jahr, auch in
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne-
ferner Zukunft, hier stehen und werden immer wieder
ten der CDU/CSU)
solche Beschlüsse zu fassen haben wie heute.
Manchmal erlebt man ja Situationen, die einen etwas
gespenstisch anmuten. Auch das Völkerrecht muß weiterentwickelt werden.
Das Völkerrecht ist nicht darauf eingestellt, daß es Kon-
(Dr. Helmut Kohl [CDU/CSU]: Sehr wahr! flikte innerhalb von Staaten gibt. Wir müßten im Völ-
Sehr gut!) kerrecht für Situationen wie im Kosovo Regeln entwik-
364 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Ulrich Irmer

(A) keln, wonach eine Bevölkerung ihre legitimen Rechte Milosevic unterzeichnet hat, mit dem man die Apart- (C)
wahrnehmen kann, ohne sich aus einem Staatsverband heids- und Vertreibungspolitik gegen die Kosovo-
zu lösen. Albaner unterstützte. Denkbare Sanktionen unterhalb ei-
nes militärischen Einsatzes wurden nicht ausreichend
Ich wiederhole: Die F.D.P.-Fraktion stimmt der Vor- genutzt, und auch im Dayton-Vertrag wurde die Koso-
lage der Bundesregierung zu. vo-Frage ausgeklammert.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. Die PDS-Fraktion hat die Entsendung einer OSZE-
(Beifall bei der F.D.P. sowie bei Abgeordne- Beobachtermission begrüßt.
ten der CDU/CSU) (Gernot Erler [SPD]: Aha!)
Nicht einverstanden sind wir mit der Stationierung von
Vizepräsidentin Petra Bläss: Es spricht jetzt die Bundeswehrkräften im Rahmen eines NATO-Einsatzes.
Abgeordnete Heidi Lippman-Kasten, PDS. Denn dadurch wird der zunächst positiv erscheinende
Ansatz der Einbeziehung der OSZE, die Ausweitung
und Stärkung ihrer Rolle bei der zivilen Konfliktbear-
Heidi Lippmann-Kasten (PDS): Frau Präsidentin! beitung, konterkariert.
Meine Damen und Herren! Die Entscheidung des bereits
abgewählten 13. Bundestages vom 16. Oktober, durch Meine Damen und Herren, das bleibt, auch wenn sich
einen völkerrechtswidrigen Einsatz der Bundeswehr im die UN-Resolution 1203 als Mandat für die Überwa-
Rahmen der NATO Jugoslawien gegebenenfalls zu chungs- und sogenannten Notfallmaßnahmen interpre-
bombardieren, stellte einen tiefen Einschnitt in die deut- tieren lassen sollte, ein falscher Weg. Meine Fraktion
sche Geschichte dar. wird dem vorliegenden Antrag nicht zustimmen.
(Kurt J. Rossmanith [CDU/CSU]: Das ist die- Ich warne ausdrücklich davor, daß die heutige Ent-
selbe Rede wie heute morgen im Ausschuß!) scheidung zu einem Präzedenzfall dafür wird, künftige
humanitäre, zivile Missionen generell durch das Militär
Wer allerdings erwartet hatte, daß Rotgrün neue frie- zu unterstützen. An die neue Regierung appelliere ich:
denspolitische Wege beschreiten würde, der wurde arg Verzichten Sie auf eine bellizistisch ausgerichtete Poli-
enttäuscht. Der unter Mißachtung des Völkerrechts zu- tik, und beenden Sie Ihre Politik militärischer Interven-
stande gekommene Beschluß wurde, nachdem Abkom- tionen! Dann werden Sie auch unsere Unterstützung be-
men über die Entschärfung des Konflikts erzielt wurden, kommen.
nicht etwa zurückgenommen, sondern der Angriffsbe-
fehl wurde aufrechterhalten. (Ulrich Irmer [F.D.P.]: Darauf legen wir kei-
(B) nen Wert!) (D)
Durch die Entsendung von Kampftruppen nach Ma-
zedonien, über die wir in den nächsten Tagen beraten Danke.
werden, wird Mazedonien als bisher unbeteiligtes Land (Beifall bei der PDS)
in den Strudel des Konfliktes hineingezogen,
(Beifall bei der PDS) Vizepräsidentin Petra Bläss: Frau Kollegin Lipp-
und zwar ohne daß Mazedonien bis heute einer Statio- mann-Kasten, das war Ihre erste Rede in diesem Hohen
nierung zugestimmt hat. Man hofft lediglich darauf, daß Hause. Ich gratuliere Ihnen dazu.
die neue Regierung zustimmen wird. (Beifall bei der PDS – Lachen bei der
Die aktuelle Debatte und auch die Koalitionsverein- CDU/CSU und der F.D.P. – Dr. Peter Ram-
barung beweisen, daß die neue Regierung nicht den ver- sauer [CDU/CSU]: Ist total daneben gegan-
sprochenen Wechsel bringen wird, sondern die altbe- gen!)
kannte Machtpolitik der Regierung Kohl nahezu nahtlos In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit und im Sinne
von Kanzler Schröder und Außenminister Fischer fort- eines flüssigen Ablaufs der namentlichen Abstimmung
gesetzt wird und die Dominanz des Militärischen in der bitte ich um Ruhe in diesem Haus.
Außenpolitik unseligerweise fortbesteht.
Jetzt hat noch einmal Bundesminister Joseph Fischer
(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE das Wort.
GRÜNEN]: Völliger Blödsinn!)
Statt sich auf den Verfassungsauftrag des Grundgesetzes
Joseph Fischer, Bundesminister des Auswärtigen:
rückzubesinnen, wonach die Bundeswehr nur zu Vertei-
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehrte
digungszwecken eingesetzt werden darf, machen Sie
Kolleginnen und Kollegen! Die Bundesregierung wurde
sich durch Ihre Zustimmung zu Kampfeinsätzen im vor-
von der CDU/CSU-Fraktion nachdrücklich gebeten – da
auseilenden Gehorsam zu Befehlsempfängern der USA
wir keinen Formalstreit wollen und es aus unserer Sicht
und der NATO.
darüber nichts zu streiten gibt, komme ich diesem
An der Verschärfung der Situation im Kosovo trägt Wunsch im Einverständnis mit den anderen Fraktionen
die bisherige deutsche Außen- und Innenpolitik ein Teil gerne nach –, eine aktuelle Unterrichtung über die Irak-
Mitverantwortung, zum Beispiel auf Grund des Rück- Krise zu geben. Wir haben darüber heute morgen im
nahmeabkommens, das 1996 Herr Kinkel mit Herrn Auswärtigen Ausschuß bereits ausführlich unterrichtet
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 365
Bundesminister Joseph Fischer

(A) und diskutiert. Ich will in der gebotenen Kürze die was der Wunsch nach Unterrichtung in diesem Hause (C)
wichtigsten Punkte hier vortragen. wirklich soll.
Wir sehen die Zuspitzung der Lage im Irak als sehr, (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS
sehr ernst an. Alle Anzeichen sprechen dafür, daß es in 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten
der kommenden Woche zu einer sehr ernsten Konfron- der PDS)
tation kommen könnte. Ich dachte, Sie wollten eine ernsthafte Unterrichtung
Die Bundesregierung unterstützt vorbehaltlos die haben.
Position des Sicherheitsrates. Alle Mitglieder des Si- Ich wollte Ihnen nochmals klarmachen, daß es nun
cherheitsrates verurteilen das Vorgehen des Irak und vor allem beim Irak liegt, der Arbeit der UN-
fordern den Irak auf – der Sicherheitsrat vertritt, wenn Abrüstungsbehörde entgegenzukommen, sie aktiv zu
man die jetzige Situation mit der Situation in der letzten unterstützen, um die Aufhebung der schwer auf dem
Irak-Krise vor etwa einem halben Jahr vergleicht, eine Land lastenden Maßnahmen des Boykotts und der Isola-
sehr einmütige Haltung –, die Resolution des Sicher- tion, die vor allen Dingen die Bevölkerung treffen, zu
heitsrates und die Vereinbarung zwischen dem UN- erreichen. Hier betreibt die irakische Regierung ein zy-
Generalsekretär Kofi Annan und der irakischen Regie- nisches Spiel mit den Schwächsten in der eigenen Be-
rung vollständig und rückhaltlos zu erfüllen. völkerung.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten
Ich möchte vor der Abstimmung in aller Kürze, es ist der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS)
wirklich nur im Telegrammstil möglich, – – Die Aufhebung dieser Maßnahmen ist gebunden an
die volle Erfüllung der UN-Sicherheitsratsresolution.
(Dr. Peter Ramsauer [CDU/CSU]: Sie schleu-
Das ist die Haltung der Bundesregierung. Ich möchte
dern ja!)
hier noch einmal klarmachen, warum. Die Haltung des
– Ich schleudere nicht. Sie wollten die Unterrichtung. Irak ist nicht akzeptabel. Wir unterstützen die Haltung
Ich wußte ganz genau, daß es nicht um eine Unterrich- des Sicherheitsrates. Die Präsidentschaft des Sicher-
tung geht. Ich dachte mir, daß wir uns in einer solch zu- heitsrates haben gegenwärtig die USA inne. Insofern
gespitzten Situation, in einer solchen Krise zumindest unterstützen wir selbstverständlich alle Bemühungen,
darin einig sind, daß wir die Position des Sicherheitsra- um einen Zusammenprall zu verhindern. Wir haben mit
tes inhaltlich voll unterstützen. Frau Albright und mit Präsident Clinton gesprochen, der
Bundeskanzler hat gestern noch mit Präsident Clinton
(B) (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS (D)
telefoniert. Ziel der US-Regierung ist es, eine militäri-
90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten sche Konfrontation zu verhindern. Das bedeutet, daß der
der PDS) Irak auf die Grundlage der Erfüllung der Sicherheitsrats-
Ich weiß gar nicht, wo es da ein Schleudern gibt. resolution zurückgehört.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS
Wenn es am Ende zu einem Zusammenprall kommt,
90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten
ist es, so sage ich Ihnen, allein die Schuld der irakischen
der CDU/CSU und der PDS)
Regierung
Sie werden hieraus keine kleinliche parteipolitische
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, des Münze schlagen können. Das verspreche ich Ihnen.
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der
CDU/CSU und der F.D.P.) Ich möchte hier nochmals klarmachen, meine Damen
und Herren: Das atomare Potential des Irak ist weitest-
und eines, wie ich finde, verbrecherischen Regimes, gehend erfaßt und zerstört. Das sogenannte atomare
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE Dossier kann nach Meinung der UN-Abrüstungskom-
GRÜNEN, der CDU/CSU und der F.D.P. so- mission geschlossen werden. Beim Lenkwaffen-Dossier
wie bei Abgeordneten der PDS) gibt es noch Probleme, gibt es noch offene Fragen, auch
wenn sie weitestgehend abgearbeitet sind. Bei den Che-
dessen Vorgehensweise von der Völkergemeinschaft miewaffen gibt es noch sehr ernste Fragen, die aller-
und auch von der Volksrepublik China, von Rußland, dings nach Meinung von Herrn Butler, dem Leiter der
von Frankreich, von allen ständigen und nichtständigen UN-Abrüstungskommission für den Irak, innerhalb von
Mitgliedern abgelehnt wird. drei bis vier Monaten hätten abgearbeitet werden kön-
nen. Dann wäre in der Tat die Möglichkeit eröffnet ge-
(Zuruf) wesen, zumindest eine teilweise Aufhebung des von den
– Dies ist eine ernsthafte Unterrichtung in einer Situa- Vereinten Nationen angeordneten Boykotts gegenüber
tion, in der es unter Umständen in der nächsten Woche dem Irak zu beraten und dann auch zu beschließen. Bei
eine militärische Konfrontation geben kann, die das, was den biologischen Waffen sind nach wie vor noch sehr
seit dem Golfkrieg im Bereich des Denkbaren ist, durch- viele ernste Fragen offen. Das ist die Situation. Der Irak
aus übersteigen kann. Solch eine Unterrichtung quittie- hat sich aus dieser Zusammenarbeit verabschiedet, ob-
ren Sie – seien Sie mir nicht böse – mit nicht gerade sehr wohl die UN-Abrüstungsbehörde seinen Vorstellungen
kompetenten Zwischenrufen. Deshalb frage ich mich, immer wieder entgegengekommen ist. Daß er sich dar-
366 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Bundesminister Joseph Fischer

(A) aus verabschiedet hat, ist die eigentliche Ursache der wir von der Bundesregierung in dieser Situation erwar- (C)
Krise. ten.
Ich sage Ihnen nochmals: Wenn es auch manchmal Im Februar hat der damalige Bundeskanzler, Helmut
schwierig ist, die Dinge zu Ende zu denken, kann es Kohl, – wir waren in München zusammen auf der Si-
nicht akzeptiert werden – niemand im UN-Sicherheits- cherheitskonferenz; Herr Kollege Scharping hat sich
rat, weder ein ständiges noch ein nicht ständiges Mit- damals schon sehr eindeutig geäußert – gesagt: Wenn es
glied, ist bereit, das zu akzeptieren – daß Massenver- zur Anwendung von Waffengewalt kommt, dann stehen
nichtungsmittel in den Händen von Saddam Hussein wir an der Seite unserer amerikanischen Verbündeten.
verbleiben. Das kann nicht akzeptiert werden. Wir werden alle Möglichkeiten nutzen – auch logistisch,
was die Basen angeht –, um sie zu unterstützen. Herr
(Beifall im ganzen Hause) Außenminister Fischer und Herr Bundeskanzler, das ist
Hier muß die irakische Führung wissen, daß die Völker- das, was wir gerne auch von Ihnen hören möchten.
gemeinschaft – ich betone nochmals: alle Mitglieder des Bis zur letzten Minute muß versucht werden, den Irak
UN-Sicherheitsrates – nicht bereit ist, dieses zu akzep- wieder in die Weltgemeinschaft und in die Verabredung
tieren. Ich entnehme Ihrem Beifall, daß Sie hier die zurückzuführen.
Haltung der Bundesregierung unterstützen.
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das hat
Vielen Dank. er doch gesagt!)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS Falls das scheitert, muß klar sein: Deutschland steht an
90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der Seite unserer Freunde und Verbündeten, auch wenn
der CDU/CSU, der F.D.P. und der PDS) es zu einer militärischen Aktion kommt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abge-
Vizepräsidentin Petra Bläss: Der letzte Redner in ordneten der F.D.P.)
der Debatte ist der Abgeordnete Volker Rühe.

Vizepräsidentin Petra Bläss: Liebe Kolleginnen


Volker Rühe (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Liebe und Kollegen, die Debatte wird fortgesetzt. Deswegen
Kolleginnen und Kollegen! Ich glaube, es ist in einer erteile ich jetzt das Wort dem Abgeordneten Gernot Er-
Situation, in der nicht ausgeschlossen werden kann, daß ler, SPD.
es bis zum nächsten Zusammentreten des Deutschen
Bundestages zu schwerwiegenden militärischen Hand- Ich bitte, daß die Kolleginnen und Kollegen vielleicht
(B) lungen kommt, angemessen, daß die CDU/CSU- doch noch einmal die Plätze einnehmen. (D)
Fraktion um diese Unterrichtung gebeten hat und daß (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
wir uns hier im deutschen Parlament abstimmen. Unser
Interesse muß sein, daß die deutsche Stimme in dieser
zugespitzten Situation klar, deutlich und von einem Gernot Erler (SPD): Frau Präsidentin! Meine sehr
möglichst breiten Konsens getragen wird. verehrten Damen und Herren! Ich sehe einen Unter-
schied, Herr Kollege Rühe, zwischen Ihrer Position und
(Beifall bei der CDU/CSU und der F.D.P. so-
der, die der Bundesaußenminister dargelegt hat. Der
wie bei Abgeordneten der SPD)
Bundesaußenminister hat deutlich gemacht, daß es auch
Nur dann haben wir auch einen Einfluß auf die Ent- in einer solchen prekären Situation vernünftiger ist, noch
wicklung. einmal in einem Restoptimismus auf eine Lösung zu
setzen, die eben nicht zu einem militärischen Einsatz
Wir stimmen dem zu, was hier gesagt worden ist: führt. Sie dagegen machen hier nichts weiter als einen
natürlich die Unterstützung für den Weltsicherheitsrat,
Appell, der darauf abzielt, einer anderen Lösung zuzu-
natürlich weiterhin alle Bemühungen. Aber die Frage ist
stimmen. Dazu muß ich sagen: Ich finde das, was Herr
offengeblieben: Was passiert – und das zeichnet sich Fischer hier vorgetragen hat, sympathischer
ab –, wenn das nicht zu einem Erfolg führt?
(Paul Breuer [CDU/CSU]: Hier geht es nicht
Saddam Hussein hat einseitig die Kooperation mit der
um Sympathie!)
Weltgemeinschaft aufgekündigt. Tony Blair, der engli-
sche Premierminister, hat heute gesagt: Dies hat und konstruktiver, und ich finde, daß das in einer besse-
schwerwiegende Konsequenzen für die ganze Welt. ren deutschen Tradition steht.
Wenn es nötig ist, mit Waffengewalt – und das kann in
den nächsten Tagen erfolgen – durch die amerikanischen (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Freunde, durch die Engländer auf einer klaren rechtli-
chen Grundlage der Vereinten Nationen zu handeln, Wir haben in den letzten Stunden und Tagen durch-
dann ist meine herzliche Bitte, damit der deutsche Ein- aus noch Signale bekommen, die anzeigten, daß es eine
fluß zum Tragen kommt, daß wir uns darüber verständi- Möglichkeit gibt, in letzter Minute noch ein Einlenken
gen, daß Deutschland an der Seite derjenigen steht, die der irakischen Führung zu erreichen. Herr Fischer hat
dafür sorgen, daß dem Irak nicht durchgehen kann, sich mit aller notwendigen Deutlichkeit hier zum Ausdruck
aus der Weltgemeinschaft durch die Aufkündigung die- gebracht, daß es keine andere Möglichkeit gibt. Unsere
ser Vereinbarung zu entfernen. Das ist eine Haltung, die Appelle richten sich an niemand anderen als an die ira-
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 367
Gernot Erler

(A) kische Führung, als an Saddam Hussein selbst. Er hat es Deswegen müssen wir gemeinsam darüber nachdenken. (C)
in der Hand, Unheil von seinem Land und seiner Bevöl- Solche Fragen, wie es überhaupt zu solchen Fallen
kerung abzuwenden. Darüber sind wir uns doch hof- kommen kann, in der Außenpolitik mitzubedenken, ist
fentlich einig. wichtiger, als einseitige Forderungen zu stellen, die
meines Erachtens spekulativ sind.
Wir sind uns auch darüber einig – das hat Herr Fi-
scher deutlich gesagt –, daß es einfach nicht akzeptabel Vielen Dank.
ist – es ist vor allem deshalb nicht akzeptabel, weil hier (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
die Autorität der Vereinten Nationen, der Weltorgani- des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr.
sation, auf dem Spiel steht –, daß sich der Irak einseitig Theodor Waigel [CDU/CSU]: Schlechteste
aus seinen Verpflichtungen verabschiedet hat. Aber es Rede des Tages!)
gab auch Signale in den letzten Stunden, die darauf hin-
deuteten, vielleicht durch eine Vermittlung, um die ge-
radezu gebeten wurde, einen Ausweg aus der Falle, die Vizepräsidentin Petra Bläss: Das Wort hat jetzt
hier entstanden ist, zu finden. der Abgeordnete Klaus Kinkel, F.D.P.
Herr Rühe, leider haben Sie dazu gar nichts gesagt.
Das heißt, ich hab den Eindruck, daß Sie eher wünschen, Dr. Klaus Kinkel (F.D.P.): Frau Präsidentin! Liebe
daß es hier zu einer solchen Auseinandersetzung kommt. Kolleginnen und Kollegen! Auch ich bin in der Tat der
Meinung, daß wir eine sehr zugespitzte Situation in der
(Lebhafter Widerspruch bei der CDU/CSU – Region haben. Anders als im Februar, wo es relativ lan-
Paul Breuer [CDU/CSU]: Unglaublich! – Dr. ge danach aussah, daß die Situation durch politisch-
Theodor Waigel [CDU/CSU]: Eine bodenlose diplomatische Gespräche bereinigt werden könnte, ist
Unterstellung! Setzen Sie sich hin! – Weitere die Situation diesmal komplizierter, weil eben Saddam
Zurufe von der CDU/CSU: Pfui! – Schäm Hussein zum wiederholten Male das, was er dem Gene-
dich!) ralsekretär der Vereinten Nationen fest zugesagt hatte,
nicht eingehalten hat. Das ist der entscheidende Unter-
Herr Rühe, warum haben Sie denn dem Außenmini- schied.
ster nicht zugestimmt, daß bis zum letzten Moment – ich
habe darauf gewartet, daß Sie, Herr Rühe, das sagen – Trotzdem glaube ich, daß wir uns hier im Haus ge-
hier verhandelt wird? Ich habe nur festgestellt, daß eine meinsam – deshalb bin ich an das Rednerpult gegangen
solche Äußerung nicht gekommen ist. – über folgende Verfahrensweisen einig sein sollten:
(Paul Breuer [CDU/CSU]: Peinlich! – Dr. Erstens. Es muß alles, aber auch wirklich alles ver-
(B) Theodor Waigel [CDU/CSU]: Blamabel!) sucht werden, um auf politisch-diplomatischem Wege zu (D)
einer Lösung zu kommen. Deshalb fordere ich Kofi
Ich möchte noch etwas Grundsätzliches zu der gan- Annan nochmals auf – ich habe das heute schon an an-
zen Politik gegenüber dem Irak anmerken. Wir haben derer Stelle getan –, unverzüglich in den Irak zu reisen
heute morgen hier eine sehr akzeptable und sehr ver- und genau wie im Februar den Versuch zu machen, doch
nünftige Diskussion mit dem Außenminister im Aus- noch in letzter Minute zu einer politisch-diplomatischen
wärtigen Ausschuß geführt. Wir müssen auch darüber Lösung zu kommen, zumal der Irak erklärt hat, daß er zu
nachdenken, daß die bisherige Politik des Embargos den solchen Gesprächen mit Kofi Annan bereit ist. Das ist
Irak in eine Situation von individueller Ausweglosigkeit Aufgabe des Generalsekretärs. Der Sicherheitsrat sollte
geführt hat. Es ist eine grundsätzliche Überlegung, ob es nicht nur darüber reden, sondern ihm den Auftrag ertei-
richtig ist, eine solche Situation aufrechtzuerhalten. Es len, hinzureisen und diese letzte politisch-diplomatische
muß auch in Zukunft wieder die Möglichkeit geben, ein Anstrengung zu machen, um doch noch zu einer friedli-
politisches Mittel in der Hand zu haben. chen Lösung zu kommen.
Wir haben eine ganz ähnliche Situation bei Milosevic (Beifall bei Abgeordneten der F.D.P.)
in der Bundesrepublik Jugoslawien.
Zweitens. Wenn das nicht gelingt, dann allerdings
(Zurufe von der CDU/CSU: Aufhören!) glaube ich, daß es diesmal wirklich zwingend notwendig
ist, Saddam Hussein zu zeigen, wohin die Reise zu ge-
Hier haben wir kein politisches Mittel mehr in der Hand. hen hat. Denn – ich habe mich mit der Materie auch
– Ich sehe Herrn Kinkel. Sie haben uns einmal im Aus- selbst sehr beschäftigt; was der Kollege Fischer vorhin
wärtigen Ausschuß über Gespräche mit Milosevic be- erklärt hat, ist zutreffend – wir haben nach wie vor ab-
richtet. Sie haben gesagt: Er hat mir geantwortet: Ihr solute Unsicherheit im Bereich der biologischen Waf-
könnt machen, was ihr wollt, ihr könnt mir nicht mehr fen. Was das für die Region und für die Welt bedeuten
weh tun; ihr könnt mich mit nichts mehr bedrohen. – kann, brauche ich hier nicht auszumalen.
Deswegen waren auch die Möglichkeiten reduziert, mit
Das würde bedeuten, daß wir, wenn die Amerikaner
ihm überhaupt ein Agreement, einen Konsens zu finden.
Leider verhält es sich ähnlich – das ist eine grundsätzli- bereit sind und die notwendige Rechtsgrundlage gege-
ben ist – ich glaube, daß sie gegeben ist; ich habe mich
che Frage – in bezug auf den Irak.
gestern noch einmal damit beschäftigt –, auf Grund der
(Zurufe von der CDU/CSU: Es reicht! – Sicherheitsratsresolution 687 – vor allem der alten,
Schwätzer!) aber auch der neuen Resolution vom 5. November –
368 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Dr. Klaus Kinkel

(A) politische und logistische Unterstützung zu leisten um hier jetzt – zu einem Zeitpunkt, zu dem wir die in- (C)
haben. Zu mehr werden wir nicht gefordert werden, aber ternationale Unterstützung und Verurteilung Saddams
das ist notwendig; die alte Bundesregierung hat es im benötigen, um klarzumachen, daß dieser Diktator, dieser
Februar zugesagt. Vernichter der Zivilisation im Irak, international auf der
Anklagebank sitzt – mit einer Bundesregierung, die ge-
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU) nau diesen diplomatischen Weg unterstützt, eine militä-
Dazu sollten wir uns in einer so ernsten Situation dann rische Diskussion zu führen, die uns aus dem Dilemma,
aber gemeinsam bereit finden. das doch offensichtlich ist, nicht herausführt.
Deshalb nochmals mein Appell – ich glaube, es sollte Es ist nun einmal so, Herr Kollege Rühe – als Vertei-
unser aller Appell sein –, alles politisch und diploma- digungsminister haben Sie sehr viel zurückhaltender ge-
tisch Mögliche zu versuchen. Für meine Begriffe hat ne- redet, als Sie das eben getan haben –,
ben Rußland und Frankreich, die Einfluß haben, im (Widerspruch bei der CDU/CSU)
Grunde – wenn überhaupt – nur Kofi Annan die Chance,
die Sache nochmals zu wenden. daß Luftangriffe allein keine politische Lösung für diese
Situation im Irak sind. Wir wissen doch, daß die Men-
Deshalb der Appell an den Sicherheitsrat: Gebt ihm schen zu leiden haben und daß wir in der fatalen Situa-
den Auftrag! Redet nicht immer nur darüber, sondern tion sind, daß Saddam glaubt, sich in dieser Notsituation
gebt ihm in der Funktion als Sicherheitsrat den klaren auch noch selbst stärken zu können, und daß er Luft-
Auftrag, dorthinzureisen! Im Sicherheitsrat wird näm- schläge deshalb fast schon provoziert. Das ist doch das
lich immer herumgeredet – heute kann ich das einmal Zynische an dieser Politik des – man kann es eigentlich
deutlich sagen. Gebt ihm den Auftrag, als Generalse- nicht mehr so nennen – irakischen Regimes. Eigentlich
kretär dorthinzureisen und eine diplomatische, politische müßte man von einem Amoklauf sprechen, der geradezu
Lösung zu suchen. Wenn das allerdings keinen Erfolg eingefordert wird. Die Herausforderung an die interna-
hat, müssen diejenigen, die handeln, wissen, daß sie un- tionale Staatengemeinschaft besteht doch darin, nicht
sere politische und logistische Unterstützung haben. einfach zu sagen: „Wir hauen jetzt drauf“, sondern nach
Vielen Dank. einer Lösung in dieser Region zu suchen.
(Beifall bei der F.D.P. und der CDU/CSU so- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
wie bei Abgeordneten der SPD und des sowie bei Abgeordneten der SPD)
BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Das heißt, daß wir jede Sekunde nutzen müssen, die
Diplomatie zu unterstützen, zu stärken, um die Arbeit
Vizepräsidentin Petra Bläss: Nächste Rednerin ist der UNSCOM nicht leichtfertig – wie etwa durch einen
(B) (D)
die Abgeordnete Angelika Beer, Bündnis 90/Die Grü- Luftangriff – aufs Spiel zu setzen. Wir müssen vielmehr
nen. mit allen Mitteln versuchen, die UNSCOM dort wieder
arbeiten zu lassen – auch im Sinne der Bevölkerung im
(Paul Breuer [CDU/CSU]: Jetzt ist der Bär Irak – und müssen in sehr engen Kontakten mit den
los!) Partnern und den Verbündeten in genau diese Richtung
wirken.
Angelika Beer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Wenn das geschieht, Herr Kollege Rühe, dann wird –
Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Meine da bin ich zuversichtlich – unsere Regierung rechtzeitig
Fraktion sieht die aktuelle Entwicklung im Irak mit verantwortlich diskutieren und unterrichten; denn das,
allergrößter Sorge. Wir wissen wohl, daß die Situation was dort bei einem Militärschlag passiert, wird schlim-
noch ein Stückchen ernster und gefährlicher ist als zu mere Folgen als alles andere zusammen haben.
dem Zeitpunkt, zu dem wir sie im Frühjahr hier disku-
tieren mußten. Ich will hier betonen: Unsere Sorge gilt auch Israel
und der Bevölkerung dort. Fahrlässige Militärschläge
Gerade in dieser Minute, in diesen Stunden laufen die könnten auf Grund des unberechenbaren und verant-
letzten diplomatischen Bemühungen, um zu erreichen, wortungslosen Regimes im Irak eine Eskalationsspirale
daß Kofi Annan überhaupt noch einen Vermittlungsver- hervorrufen. Das heißt, daß wir dort mit Fingerspitzen-
such starten kann. gefühl und nicht mit Parteipolitik zu agieren haben. Die
Ich finde es richtig, daß wir in dieser Situation vom können wir jetzt nicht gebrauchen.
Bundesaußenminister Fischer über die aktuelle Situation (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
unterrichtet wurden. sowie bei Abgeordneten der SPD)
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES
90/DIE GRÜNEN und der SPD) Vizepräsidentin Petra Bläss: Letzter Redner ist
Ich finde es vollkommen fahrlässig, Herr Kollege Rühe, der Abgeordnete Wolfgang Gehrcke, PDS.
wenn diese Situation parteipolitisch mißbraucht wird, (Zuruf: Das fehlt uns gerade noch! – Gegenruf
(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES des Abg. Wolfgang Gehrcke [PDS]: Ja, das
90/DIE GRÜNEN und der SPD – Lebhafter fehlt Ihnen auch noch! – Zuruf von der
Widerspruch bei der CDU/CSU und F.D.P.) CDU/CSU: Was hat er gesagt?)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 369

(A) Wolfgang Gehrcke (PDS): Frau Präsidentin! Liebe Bevor wir zur Abstimmung kommen, gebe ich be- (C)
Kolleginnen und Kollegen! Der Zwischenruf war: „Das kannt, daß es zwei schriftliche Erklärungen zur Ab-
fehlt uns gerade noch“. Darauf habe ich geantwortet: stimmung nach § 31 der Geschäftsordnung gibt. Es han-
„Ja, das fehlt Ihnen auch noch.“ delt sich zum einen um eine schriftliche Erklärung der
Kollegin Annelie Buntenbach und anderer1) und zum
Man hätte diese Debatte nach der sehr ernsthaften anderen um eine schriftliche Erklärung des Kollegen
und differenzierten Information durch den Bundesau- Winfried Nachtwei und anderer.2)
ßenminister vermeiden können, wenn es nicht die maß-
lose und, wie ich fand, schamlose Rede von Volker Rü- Wir kommen damit zur Abstimmung über die Be-
he gegeben hätte – maßlos und schamlos! schlußempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem
Antrag der Bundesregierung zur deutschen Beteiligung
(Beifall bei der PDS – Widerspruch bei der an der NATO Luftüberwachungsoperation über dem
CDU/CSU) Kosovo, Drucksachen 14/16 und 14/32. Der Ausschuß
empfiehlt, dem Antrag zuzustimmen. Die Fraktion der
Der Bundesaußenminister hat hier das Gefühl signali-
CDU/CSU verlangt namentliche Abstimmung.
siert, daß in der Tat auch die Bundesregierung versuchen
wird, ihren Einfluß geltend zu machen, so daß nicht auf Bevor ich die Abstimmung eröffne, bitte ich um Ihre
die Ultima ratio, den Militärschlag, gesetzt wird, son- Aufmerksamkeit für folgenden Hinweis: Es sind sechs
dern daß alle Möglichkeiten zur Verhandlung, die Urnen aufgestellt; jeder Urne ist eine bestimmte Buch-
Saddam Hussein dazu zwingen, die Resolution des UN- stabengruppe zugeordnet. Sie dürfen Ihre Stimmkarte
Sicherheitsrates einzuhalten und die übrigens auch das ausschließlich in diejenige Urne werfen, deren Buchsta-
Leiden der Zivilbevölkerung im Irak mildern können, bengruppe den Anfangsbuchstaben Ihres Nachnamens
genutzt werden, um diesen Militärschlag zu verhindern. umfaßt. Achten Sie bitte darauf, daß die von Ihnen be-
Für diesen Militärschlag gibt es ein Wort, das man hier nutzte Abstimmungskarte Ihren Namen trägt.
im Bundestag auch ansprechen sollte: Krieg. Es handelt
sich um Krieg, bei dem Menschen in großer Zahl um- Ich bitte jetzt die Schriftführerinnen und Schriftfüh-
kommen werden. Wenn man dies zu einer scharfmache- rer, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Sind alle
rischen Rede nutzt, in der nicht gesagt wird: „Nutzt alle Urnen besetzt? – Das ist der Fall. Ich eröffne die Ab-
Verhandlungen!“, sondern die Losung ausgegeben wird: stimmung.
„Jetzt Augen zu und durch!“, dann versündigt man sich
an der Sicherheitspolitik und macht das eigene Anliegen Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
unglaubwürdig. Stimme nicht abgegeben hat? – Das ist nicht der Fall.
Damit schließe ich die Abstimmung.
(B) (Beifall bei der PDS – Paul Breuer [CDU/
CSU]: Sie können nicht zuhören!) Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit (D)
der Auszählung zu beginnen.
Ich möchte auch darauf aufmerksam machen, daß vor
dem Hintergrund der komplizierten Situation, die wir in Bis zum Vorliegen des Ergebnisses der namentlichen
der europäischen Region, im Kosovo und anderswo, ha- Abstimmung unterbreche ich die Sitzung.
ben, ein solcher Militärschlag nicht ohne Auswirkungen
(Unterbrechung von 15.50 bis 15.57 Uhr)
bleiben wird.
Der Bundesaußenminister hat deutlich gemacht, daß
sich der UN-Sicherheitsrat, was die Verurteilung der Vizepräsidentin Petra Bläss: Die unterbrochene
Politik von Saddam Hussein angeht, einig ist. Er muß Sitzung ist wieder eröffnet.
aber gleichzeitig sagen, daß in der Frage eines Militär-
Ich gebe das von den Schriftführerinnen und Schrift-
schlages die Meinungen im UN-Sicherheitsrat sehr un-
führern ermittelte Ergebnis der namentlichen Ab-
terschiedlich sein werden. Auch das mahnt zur Beson-
stimmung über die Beschlußempfehlung des Auswär-
nenheit, zu Verhandlungen und zur Vernunft. Dieses
tigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung
Zeichen sollte von diesem Hause ausgehen und nicht
zur deutschen Beteiligung an der NATO-Luftüber-
solche Reden wie die, wie wir sie uns hier anhören
wachungsoperation über dem Kosovo auf den Druck-
mußten.
sachen 14/16 und 14/32 bekannt. Abgegebene Stim-
Danke sehr. men 582. Mit Ja haben gestimmt 540, mit Nein haben
gestimmt 30, Enthaltungen 12.
(Beifall bei der PDS)

——————
Vizepräsidentin Petra Bläss: Ich schließe damit 1
) Anlage 2
die Aussprache. 2
) Anlage 3
370 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Vizepräsidentin Petra Bläss

(A) (C)
Endgültiges Ergebnis Freitag, Dagmar Küster, Dr. Uwe Scharping, Rudolf
Friedrich (Mettmann), Lilo Kumpf, Ute Scheelen, Bernd
Friedrich (Altenburg), Peter Kunick, Konrad Scheer, Dr. Hermann
Abgegebene Stimmen: 582;
davon: Friese, Harald Labsch, Werner Scheffler, Siegfried
ja: 540
Fuchs (Köln), Anke Lafontaine, Oskar Schild, Horst
nein: 30 Fuhrmann, Arne Lambrecht, Christine Schily, Otto
enthalten: 12 Ganseforth, Monika Lange, Brigitte Schloten, Dieter
Gleicke, Iris Lange (Backnang), Christian Schmidbauer (Nürnberg),
Gloser, Günter Larcher von, Detlev Horst
Ja Göllner, Uwe Lehder, Christine Schmidt (Meschede),
Gradistanac, Renate Lehn, Waltraud Dagmar
SPD Graf (Friesoythe), Günter Leidinger, Robert Schmidt (Eisleben), Silvia
Adler, Brigitte Graf (Rosenheim), Angelika Lennartz, Klaus Schmidt (Aachen), Ulla
Andres, Gerd Grasedieck, Dieter Leonhard, Dr. Elke Schmidt (Salzgitter),
Arnold, Rainer Großmann, Achim Lewering, Eckhart Wilhelm
Bachmaier, Hermann Grotthaus, Wolfgang Lörcher, Christa Schmidt-Zadel, Regina
Bahr, Ernst Haack (Extertal), Lohmann (Neubrandenburg), Schmitt (Berg), Heinz
Barnett, Doris Karl-Hermann Götz-Peter Schneider, Carsten
Bartels, Dr. Hans-Peter Hacker, Hans-Joachim Lotz, Erika Schnell, Dr. Emil
Barthel (Berlin), Eckhardt Hagemann, Klaus Lucyga, Dr. Christine Schöler, Walter
Barthel (Starnberg), Klaus Hampel, Manfred Maaß (Herne), Dieter Scholz, Olaf
Becker-Inglau, Ingrid Hanewinckel, Christel Mante, Winfried Schönfeld, Karsten
Behrendt, Wolfgang Hartenbach, Alfred Manzewski, Dirk Schösser, Fritz
Berg, Dr. Axel Hasenfratz, Klaus Marhold, Tobias Schreiner, Ottmar
Bertl, Hans-Werner Heil, Hubertus Mark, Lothar Schröder, Gerhard
Beucher, Friedhelm Julius Hemker, Reinhold Mascher, Ulrike Schröter, Gisela
Bierwirth, Petra Hempel, Frank Matschie, Christoph Schubert, Dr. Mathias
Bindig, Rudolf Hempelmann, Rolf Matthäus-Maier, Ingrid Schütz (Oldenburg), Dietmar
Binding (Heidelberg), Lothar Hendricks, Dr. Barbara Mattischeck, Heide Schuhmann (Delitzsch),
Bodewig, Kurt Herzog, Gustav Mehl, Ulrike Richard
Brandner, Klaus Heubaum, Monika Merten, Ulrike Schulte (Hameln), Brigitte
Brandt-Elsweier, Anni Hiller (Lübeck), Reinhold Mertens, Angelika Schultz (Everswinkel),
Brase, Willi Hilsberg, Stephan Moosbauer, Christoph Reinhard
Brecht, Dr. Eberhard Höfer, Gerd Mosdorf, Siegmar Schultz (Köln), Volkmar
(B) Brinkmann (Hildesheim), Hoffmann (Wismar), Iris Müller (Völklingen), Jutta Schumann, Ilse (D)
Bernhard Hoffmann (Chemnitz), Müller (Düsseldorf), Michael Schurer, Ewald
Brinkmann (Detmold), Jelena Müntefering, Franz Schuster, Dr. R. Werner
Rainer Hoffmann (Darmstadt), Neumann (Bramsche), Schwall-Düren, Dr. Angelica
Bruckmann, Hans-Günter Walter Volker Schwanhold, Ernst
Bulmahn, Edelgard Hofmann (Volkach), Frank Neumann (Gotha), Gerhard Schwanitz, Rolf
Burchardt, Ursula Holzhüter, Ingrid Niehuis, Dr. Edith Seidenthal, Bodo
Bürsch, Dr. Michael Humme, Christel Niese, Dr. Rolf Simm, Erika
Bury, Hans Martin Ibrügger, Lothar Nietan, Dietmar Skarpelis-Sperk, Dr. Sigrid
Büttner (Ingolstadt), Hans Imhof, Barbara Ohl, Eckhard Sonntag-Wolgast,
Caspers-Merk, Marion Irber, Brunhilde Onur, Leyla Dr. Cornelie
Catenhusen, Wolf-Michael Iwersen, Gabriele Opel, Manfred Sorge, Wieland
Däubler-Gmelin, Dr. Herta Jäger, Renate Ortel, Holger Spanier, Wolfgang
Danckert, Dr. Peter Janssen, Jann-Peter Ostertag, Adolf Spielmann, Dr. Margrit
Deichmann, Christel Janz, Ilse Palis, Kurt Spiller, Jörg-Otto
Diller, Karl Jens, Dr. Uwe Papenroth, Albrecht Staffelt, Dr. Ditmar
Dreßen, Peter Jung (Düsseldorf), Volker Penner, Dr. Willfried Steen, Antje-Marie
Dreßler, Rudolf Kahrs, Johannes Pfannenstein, Georg Stiegler, Ludwig
Dzembritzki, Detlef Kasparick, Ulrich Pflug, Johannes Stöckel, Rolf
Dzewas, Dieter Kaspereit, Sabine Pick, Dr. Eckhart Streb-Hesse, Rita
Eckardt, Dr. Peter Kastner, Susanne Poß, Joachim Struck, Dr. Peter
Edathy, Sebastian Kirschner, Klaus Rehbock-Zureich, Karin Stünker, Joachim
Eich, Ludwig Klappert, Marianne Renesse von, Margot Tappe, Joachim
Elser, Marga Klemmer, Siegrun Rennebach, Renate Tauss, Jörg
Enders, Peter Klose, Hans-Ulrich Reuter, Bernd Teuchner, Jella
Erler, Gernot Körper, Fritz Rudolf Robbe, Reinhold Thalheim, Dr. Gerald
Ernstberger, Petra Kolbow, Walter Rossmann, Dr. Ernst Dieter Thierse, Wolfgang
Faße, Annette Kramme, Anette Roth (Speyer), Birgit Thönnes, Franz
Fischer (Homburg), Lothar Kressl, Nicolette Roth (Heringen), Michael Titze-Stecher, Uta
Fograscher, Gabriele Kröning, Volker Rübenkönig, Gerhard Tröscher, Adelheid
Follak, Iris Krüger-Leißner, Angelika Rupprecht, Marlene Urbaniak, Hans-Eberhard
Formanski, Norbert Kubatschka, Horst Sauer, Thomas Veit, Rüdiger
Fornahl, Rainer Küchler, Ernst Schäfer, Dr. Hansjörg Violka, Simone
Forster, Hans Kühn-Mengel, Helga Schaich-Walch, Gudrun Vogt (Pforzheim), Ute
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 371
Vizepräsidentin Petra Bläss

(A) Wagner, Hans Georg Diemers, Renate Letzgus, Peter Seiters, Rudolf (C)
Wegener, Hedi Dörflinger, Thomas Lietz, Ursula Siemann, Werner
Wegner, Dr. Konstanze Dött, Marie-Luise Link (Diepholz), Walter Späte, Margarete
Weiermann, Wolfgang Doss, Hansjürgen Lischewski, Dr. Manfred Stetten Freiherr von,
Weis (Stendal), Reinhard Eppelmann, Rainer Lohmann (Lüdenscheid), Dr. Wolfgang
Weisheit, Matthias Eymer, Anke Wolfgang Störr-Ritter, Dorothea
Weißgerber, Gunter Falk, Ilse Luther, Dr. Michael Storm, Andreas
Weisskirchen (Wiesloch), Faust, Dr. Hans Georg Maaß (Wilhemshaven), Straubinger, Max
Gert Fink, Ulf Erich Strobl, Thomas
Weizsäcker von, Fischbach, Ingrid Marschewski, Erwin Süssmuth, Dr. Rita
Dr. Ernst Ulrich Fischer (Karlsruhe), Axel E. Mayer (Siegertsbrunn), Tiemann, Dr. Susanne
Welt, Hans-Joachim Frankenhauser, Herbert Dr. Martin Töpfer, Edeltraut
Wend, Dr. Rainer Friedrich (Erlangen), Meckelburg, Wolfgang Uhl, Dr. Hans-Peter
Wester, Hildegard Dr. Gerhard Meister, Dr. Michael Vaatz, Arnold
Westrich, Lydia Friedrich (Hof), Merz, Friedrich Volquartz, Angelika
Wettig-Danielmeier, Inge Dr. Hans-Peter Michels, Meinolf Voßhoff, Andrea
Wetzel, Dr. Margrit Fritz, Erich G. Müller (Jena), Bernward Waigel, Dr. Theodor
Wieczorek, Dr. Norbert Fromme, Jochen-Konrad Müller (Kirchheim), Elmar Weiß (Groß-Gerau), Gerald
Wieczorek (Duisburg), Gehb, Dr. Jürgen Müller, Dr. Gerd Weiß (Emmendingen),
Helmut Geis, Norbert Nooke, Günter Peter
Wieczorek (Böhlen), Jürgen Geißler, Dr. Heiner Obermeier, Franz Widmann-Mauz, Annette
Wiefelspütz, Dieter Girisch, Georg Ost, Friedhelm Wiese (Ehingen), Heinz
Wiese (Hannover), Heino Glos, Michael Oswald, Eduard Wilhelm (Mainz), Hans-Otto
Wiesehügel, Klaus Göhner, Dr. Reinhard Otto (Erfurt), Norbert Willner, Gert
Wimmer (Karlsruhe), Grill, Kurt-Dieter Paziorek, Dr. Peter Willsch, Klaus-Peter
Brigitte Gröhe, Hermann Pfeifer, Anton Wittlich, Werner
Wistuba, Engelbert Grund, Manfred Pflüger, Dr. Friedbert Wöhrl, Dagmar
Wittig, Barbara Hasselfeldt, Gerda Philipp, Beatrix Wolf, Aribert
Wodarg, Dr. Wolfgang Hauser (Rednitzhembach), Pofalla, Ronald Wülfing, Elke
Wohlleben, Verena Hansgeorg Pretzlaff, Marlies Würzbach, Peter Kurt
Wolf (München), Hanna Hauser (Bonn), Norbert Protzner, Dr. Bernd Zeitlmann, Wolfgang
Wolff (Zielitz), Waltraud Heinen, Ursula Pützhofen, Dieter Zöller, Wolfgang
Wright, Heidemarie Heise, Manfred Rachel, Thomas
Zapf, Uta Helias, Siegfried Raidel, Hans
Zöpel, Dr. Christoph Henke, Hans Jochen Ramsauer, Dr. Peter BÜNDNIS 90/
Zumkley, Peter Hinsken, Ernst Reichard (Dresden), Christa DIE GRÜNEN
(B) Hintze, Peter Reiche, Katherina
(D)
Hörster, Joachim Reinhardt, Erika Altmann (Aurich), Gila
CDU/CSU Hofbauer, Klaus Repnik, Hans-Peter Beck (Bremen), Marieluise
Hohmann, Martin Riegert, Klaus Beck (Köln), Volker
Adam, Ulrich Holetschek, Klaus Romer, Franz Beer, Angelika
Aigner, Ilse Hollerith, Josef Ronsöhr, Heinrich-Wilhelm Berninger, Matthias
Barthle, Norbert Hornhues, Dr. Karl-Heinz Rossmanith, Kurt Deligöz, Ekin
Bauer, Dr. Wolf Hornung, Siegfried Röttgen, Norbert Dückert, Dr. Thea
Baumann, Günter Hüppe, Hubert Ruck, Dr. Christian Eichstädt-Bohlig, Franziska
Baumeister, Brigitte Jaffke, Susanne Rühe, Volker Eid, Dr. Uschi
Belle, Meinrad Janovsky, Georg Rüttgers, Dr. Jürgen Fell, Hans-Josef
Bernhardt, Otto Jork, Dr.-Ing. Rainer Schäfer, Anita Fischer (Berlin), Andrea
Blank, Renate Kansy, Dr. Dietmar Schäuble, Dr. Wolfgang Fischer (Frankfurt),
Blens, Dr. Heribert Karwatzki, Irmgard Schauerte, Hartmut Joseph
Bleser, Peter Kauder, Volker Schemken, Heinz Göring-Eckardt, Katrin
Blüm, Dr. Norbert Klaeden von, Eckart Scherhag, Karl-Heinz Grießhaber, Rita
Böhmer, Dr. Maria Klinkert, Ulrich Scheu, Gerhard Hermann, Winfried
Bonitz, Sylvia Königshofen, Norbert Schlee, Dietmar Hermenau, Antje
Borchert, Jochen Kohl, Dr. Helmut Schmidbauer, Bernd Heyne, Kristin
Börnsen (Bönstrup), Kolbe, Manfred Schmidt (Mühlheim), Höfken, Uli
Wolfgang Kors, Eva-Maria Andreas Hustedt, Michaele
Bosbach, Wolfgang Koschyk, Hartmut Schmidt (Fürth), Christian Köster-Loßack, Dr. Angelika
Brähmig, Klaus Kossendey, Thomas Schmidt (Halsbrücke), Lippelt, Dr. Helmut
Brauksiepe, Dr. Ralf Kraus, Rudolf Dr.-Ing. Joachim Loske, Dr. Reinhard
Breuer, Paul Krogmann, Dr. Martina Schnieber-Jastram, Birgit Müller (Köln), Kerstin
Brudlewsky, Monika Krüger, Dr. Paul Schockenhoff, Dr. Andreas Müller (Kiel),
Brunnhuber, Georg Kues, Dr. Hermann Scholz, Dr. Rupert Klaus Wolfgang
Bühler (Bruchsal), Klaus Lamers, Karl Schorlemer Freiherr von, Nachtwei, Winfried
Büttner (Schönebeck), Lamers (Heidelberg), Reinhard Özdemir, Cem
Hartmut Dr. Karl A. Schuchardt, Dr. Erika Probst, Simone
Buwitt, Dankward Lammert, Dr. Norbert Schwarz-Schilling, Roth (Augsburg), Claudia
Caesar, Cajus Laumann, Karl-Josef Dr. Christian Scheel, Christine
Deittert, Hubert Lengsfeld, Vera Seehofer, Horst Schlauch, Rezzo
Deß, Albert Lensing, Werner Seiffert, Heinz Schmidt (Hitzhofen), Albert
372 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

Vizepräsidentin Petra Bläss

(A) Sterzing, Christian Lenke, Ina PDS Seifert, Dr. Ilja (C)
Vollmer, Dr. Antje Niebel, Dirk Wolf, Dr. Winfried
Voß, Sylvia Ingeborg Nolting, Günter Friedrich Balt, Monika
Wilhelm (Amberg), Helmut Otto (Frankfurt), Bläss, Petra
Wolf (Frankfurt), Margareta Hans-Joachim Fink, Dr. Heinrich
Parr, Detlef Fuchs, Dr. Ruth
Pieper, Cornelia Gebhardt, Fred Enthaltungen
F.D.P. Rexrodt, Dr. Günter Gehrcke-Reymann,
Schmidt-Jortzig, Dr. Edzard Wolfgang SPD
Braun (Augsburg),
Schüßler, Gerhard Grehn, Dr. Klaus
Hildebrecht Gilges, Konrad
Brüderle, Rainer Schwaetzer, Dr. Irmgard Gysi, Dr. Gregor
Sehn, Marita Hübner, Carsten Hauer, Nina
Burgbacher, Ernst Kortmann, Karin
Essen van, Jörg Solms, Dr. Hermann Otto Jelpke, Ulla
Stadler, Dr. Max Jünger, Sabine Nahles, Andrea
Flach, Ulrike Oesinghaus, Günter
Frick, Gisela Thiele, Carl-Ludwig Jüttemann, Gerhard
Thomae, Dr. Dieter Kenzler, Dr. Evelyn Röspel, René
Friedhoff, Paul K.
Friedrich (Bayreuth), Horst Türk, Jürgen Knake-Werner, Dr. Heidi
Funke, Rainer Westerwelle, Dr. Guido Kutzmutz, Rolf
Gerhardt, Dr. Wolfgang Lippmann-Kasten, Heidi CDU/CSU
Goldmann, Hans-Michael Lötzer, Ursula
Carstens (Emstek), Manfred
Guttmacher, Dr. Karlheinz Nein Lüth, Heidemarie Wimmer (Neuss), Willy
Haupt, Klaus Marquardt, Angela
Heinrich, Ulrich Müller (Berlin),
SPD Manfred
Hirche, Walter BÜNDNIS 90/
Homburger, Birgit Hiksch, Uwe Naumann, Kersten
DIE GRÜNEN
Hoyer, Dr. Werner Neuhäuser, Rosel
Irmer, Ulrich Ostrowski, Christine Buntenbach, Annelie
BÜNDNIS 90/
Kinkel, Dr. Klaus Rössel, Dr. Uwe-Jens Schewe-Gerigk, Irmingard
DIE GRÜNEN
Kolb, Dr. Heinrich Leonhard Schenk, Christina Simmert, Christian
Kopp, Gudrun Knoche, Monika Schur, Gustav-Adolf Ströbele, Hans-Christian

Entschuldigt wegen Übernahme einer Verpflichtung im


Rahmen ihrer Mitgliedschaft in den Parlamentarischen
Versammlungen des Europarates und der WEU, der NAV, der
(B) OSZE oder der IPU (D)
Abgeordnete(r)

Verheugen, Günter, SPD


Zierer, Benno, CDU/CSU

Damit ist die Beschlußempfehlung und zugleich der


Antrag der Bundesregierung angenommen.
Wir sind damit am Schluß unserer Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Mittwoch, den 18. November 1998, 13 Uhr ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
(Schluß der Sitzung: 15.58 Uhr)
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 373

(A) (C)
Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Mandat aufgebauten Drohszenarios gegenüber der Bun-


desrepublik Jugoslawien, über dessen deutsche Beteili-
Liste der entschuldigten Abgeordneten gung noch der 13. Deutsche Bundestag am 16. Oktober
1998 abgestimmt hat. Wir haben diese Selbstmandatie-
entschuldigt bis rung der NATO als Verstoß gegen internationale Völ-
Abgeordnete(r) kerrechtskonventionen abgelehnt. Bombardierungen
einschließlich
wären sicherlich kein geeignetes Mittel gewesen, die
Dr. Bötsch, Wolfgang CDU/CSU 13.11.98 Situation der Flüchtlinge zu verbessern. Selbstverständ-
Bohl, Friedrich CDU/CSU 13,11,98 lich begrüßen wir jede Verbesserung ihrer Situation
Bulling-Schröter, PDS 13.11.98 nachdrücklich, insbesondere daß sie vor dem Winter
Eva-Maria noch aus den Wäldern zurückkehren konnten.
Geiger, Michaela CDU/CSU 13.11.98
Der Einsatz der OSZE-Beobachter zur Überwachung
Dr. Götzer, Wolfgang CDU/CSU 13.11.98 ist ein Schritt ziviler Konfliktbewältigung – auch nach
Hartnagel, Anke SPD 13.11.98 unserer Auffassung sind die eingesetzten multinationa-
Hovermann, Eike SPD 13.11.98 len Peace-keeping-Einheiten unter Leitung der OSZE
Jacoby, Peter CDU/CSU 13.11.98 die geeigneten Kräfte für die Schaffung eines Sicher-
Dr. Kahl, Harald CDU/CSU 13.11.98 heitssystems auch im Kosovo. Aber wir können nicht
Kemper, Hans-Peter SPD 13.11.98 übersehen, daß mit dem heute zur Abstimmung anste-
Meckel, Markus SPD 13.11.98 henden Beschluß über den „Einsatz bewaffneter Streit-
Dr. Meyer (Ulm), SPD 13.11.98 kräfte mit dem deutschen Beitrag zu der NATO-
Jürgen Luftüberwachungsoperation“ die Fortsetzung der völ-
Michelbach, Hans CDU/CSU 13.11.98 kerrechtswidrigen militärischen Drohung vom Oktober
ist und eine Militäraktion der NATO. Dies gilt genauso
Müller (Zittau), SPD 13.11.98 für den für kommende Woche geplanten Beschluß über
Christian
die Stationierung einer NATO-Interventionstruppe.
Dr. Pfaff, Martin SPD 13.11.98 Auch für diese Militäraktionen in und gegen Serbien
Polenz, Ruprecht CDU/CSU 13.11.98 gibt es kein UNO-Mandat. Der Resolution des Sicher-
Sebastian, CDU/CSU 13.11.98 heitsrates 2203/98 vom 24. Oktober 1998 ist ein solches
Wilhelm-Josef Mandat nicht zu entnehmen. Außerdem handelt es sich
(B) Dr. Seifert, Ilja PDS 13.11.98 nach unserer bisherigen Kenntnis bei der geplanten (D)
Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ 13.11.98 Bundeswehrbeteiligung an dieser Interventionstruppe
DIE GRÜNEN um einen Out-of-area-Einsatz von Krisenreaktionskräf-
Verheugen, Günter SPD 13.11.98 ten, was wir aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnen.
Dr. Volmer, Ludger BÜNDNIS 90/ 13.11.98 Nicht die Bundeswehr, der der frühere Verteidigungs-
DIE GRÜNEN minister Rühe gegen unsere Überzeugung und unser
Wieczorek-Zeul, SPD 13.11.98 Votum immer mehr Aufgaben im Zusammenhang mit
Heidemarie der deutschen Außenpolitik zugewiesen hat, ist die rich-
Wissmann, Matthias CDU/CSU 13.11.98 tige Instanz, um solchen Schutz sicherzustellen.
Zierer, Benno CDU/CSU 13.11.98 * Hinzu kommt, daß die friedlichen Mittel zur Kon-
——————
* für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen
flikteindämmung, auf die wir seit Jahren bei der leider
Versammlung des Europarates absehbaren Eskalation des Konflikts hingewiesen haben,
von der vergangenen Bundesregierung, bei weitem nicht
ausgeschöpft worden sind – von effektivem Embargo
konnte keine Rede sein. Stattdessen wurden weiter
Anlage 2 Flüchtlinge in die Krisenregion abgeschoben. Die Auf-
rüstung der UCK wurde und wird nicht effektiv unter-
Erklärung nach § 31 GO bunden. Von Teilen der Öffentlichkeit wird dies als
Signal internationaler Unterstützung nicht nur der Auto-
der Abgeordneten Annelie Buntenbach, Monika nomiebestrebungen, sondern auch deren gewaltsamer
Knoche, Christian Simmert, Hans-Christian Durchsetzung interpretiert. Dies hat konfliktverschär-
Ströbele und Irmingard Schewe-Gerigk (alle fende Wirkung. Hier besteht dringender Handlungsbe-
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) darf, dem die alte Bundesregierung nicht nachgekom-
zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung men ist und dessen sich die neue Regierung jetzt an-
des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag nehmen muß.
der Bundesregierung: Deutsche Beteiligung an
Da wir zwar vom Grundsatz her den Einbezug der
der NATO-Luftüberwachungsoperation über
OSZE in die Konfliktbewältigung begrüßen, den Kon-
dem Kosovo (Tagesordnungspunkt 11)
text von NATO-Aktionen und Strategie, in dem dieser
Die Entscheidung heute kann nicht herausgelöst wer- Einbezug steht, ablehnen, werden wir diesem Antrag
den aus dem Kontext des von der NATO ohne UNO- nicht zustimmen.
374 Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998

(A) (C)
Anlage 3 Auch wenn sich die humanitäre Lage inzwischen ent-
spannt hat, ein Großteil der Binnenflüchtlinge wieder in
Erklärung nach § 31 GO Dörfern lebt und humanitäre Organisationen sich frei
bewegen können, so bleibt der Waffenstillstand doch
der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Winfried brüchig und das Konfliktpotential hoch brisant. In
Hermann, Kerstin Müller (Köln), Gila Altmann schlimmer Erinnerung ist die Vergeiselung von UN-
(Aurich), Angelika Beer, Volker Beck (Köln), PROFOR-Soldaten in Bosnien im Jahr 1995, die zu
Hans-Josef Fell, Klaus Wolfgang Müller (Kiel), einem Markstein bei der Diskreditierung und Schwä-
Claudia Roth (Augsburg), Christian Sterzing, chung der UN in Bosnien wurde. Angesichts dieser
Sylvia Ingeborg Voß (alle BÜNDNIS 90/DIE hohen Risiken ist die militärische Notfallvorsorge im
GRÜNEN) Interesse der Beobachter und der Autorität der sie ent-
sendenden internationalen Staatengemeinschaft unver-
zur Abstimmung über die Beschlußempfehlung zichtbar und völkerrechtlich nicht zweifelhaft. Ohne ei-
des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag ne solche, nur mit militärischen Mitteln realisierbare
der Bundesregierung: Deutsche Beteiligung an Notfallvorbereitung wäre die Entsendung der zweitau-
der NATO-Luftüberwachungsoperation über send zivilen Beobachter in das latente Kriegsgebiet nicht
dem Kosovo (Tagesordnungspunkt 11) zu verantworten – außer man wollte bewußt das Risiko
einer Wiederholung des UNPROFOR-Traumas in Kauf
Wir stimmen dem Antrag der Bundesregierung zur nehmen. Ohne die Beobachtermission wäre der Waffen-
deutschen Beteiligung an der NATO-Luftüberwa- stillstand und die Flüchtlingsrückkehr ohne Chance,
chungsoperation über dem Kosovo trotz ernsthafter Be- wäre ein Wiederaufflammen der Kämpfe spätestens
denken zu. im Frühjahr vorprogrammiert. Insofern sind Beobach-
termission am Boden, Luftüberwachung und Notfall-
Auf Grundlage der VN-Sicherheitsratsresolution
vorsorge untrennbare Bestandteile des friedensbe-
1203 und des Beschlusses des Ständigen Rats der OSZE
wahrenden und im Kern von der OSZE getragenen Ein-
vom 24./25. Oktober wird in den nächsten Wochen eine
satzes.
OSZE-Verifikationsmission für ein Jahr im Kosovo tätig
werden. Aufgabe der unbewaffneten Beobachter ist die Der Antrag der Bundesregierung schließt ausdrück-
Überwachung des Waffenstillstandes und militärischer lich an den Beschluß des Bundestages vom 16. Oktober
Bewegungen, die Begleitung von Polizeikräften, die (13. Legislaturperiode) an. Unsere Zustimmung zum
Unterstützung internationaler Organisationen bei der jetzigen Antrag der Bundesregierung darf allerdings in
Flüchtlingsrückkehr, die Wahlüberwachung und Unter- keiner Weise als nachträgliches Einverständnis zur An-
stützung beim Aufbau der Selbstverwaltung im Kosovo. drohung eines NATO-Luftangriffes ohne klares UN-
(B) (D)
Mit 2 000 Beobachtern, darunter jeweils 200 aus Mandat verstanden werden. Wir bleiben dabei, daß ein
Deutschland und Rußland, ist es die bisher größte Ope- Mandat von UN bzw. OSZE Mindestvoraussetzung für
ration der OSZE. Ihr Gelingen ist die entscheidende Kriseneinsätze von Militär sein sollte und daß alle Be-
Voraussetzung für die Einleitung eines stabilen Frie- mühungen in Richtung einer Selbstmandatierung der
densprozesses im Kosovo. NATO zersetzend auf die internationale Ordnung wir-
ken und einem internationalen Recht der Stärkeren Vor-
Zur Ergänzung, Effektivierung und Absicherung der schub leisten.
OSZE-Mission auf dem Boden führt die NATO über
dem Kosovo eine Luftüberwachungsoperation mit un- Die bevorstehende OSZE-Mission ist nicht nur un-
bewaffneten Aufklärungsflugzeugen und unbemannten verzichtbar für einen langfristigen Friedensprozeß und
tieffliegenden ,,Drohnen“ durch. Die Bundeswehr soll die Herstellung der Menschenrechte im Kosovo. Sie ist
unter anderem eine Drohnenbatterie stellen, die mit ge- zugleich eine Bewährungsprobe für die OSZE als der
ringen, bewaffneten Sicherungskräften in Mazedonien einzigen gesamteuropäischen Sicherheitsinstitution, die
stationiert sein würde. Grundlage der Luftüberwa- bisher weitgehend im Schatten der NATO und des
chungsoperation ist das zwischen der Bundesrepublik öffentlichen Interesses stand. Insofern begrüßen wir die
Jugoslawien und der NATO am 15. Oktober abgeschlos- OSZE-Beobachtermission als doppelten Beitrag zum
sene Abkommen. Frieden in Europa und zur Zivilisierung der Außen-
politik.
Die NATO plant darüber hinaus eine Notfalltruppe
(„extraction force“) von circa 1 200 bis 1 500 Soldaten Die enormen praktischen Anforderungen an die OS-
für den Fall, daß die für die Sicherheit der OSZE- ZE-Mission zeigen zugleich, wie hochaktuell die im
Beobachter verantwortlichen serbischen Behörden diese Koalitionsvertrag festgelegte Absicht der neuen Bundes-
nicht mehr gewährleisten. Wenn Leib und Leben von regierung ist, die personelle und finanzielle Ausstattung
Beobachtern durch eine der Konfliktparteien gefährdet der OSZE zu stärken, Ausbildungsmöglichkeiten im
sind, bei Geiselnahme oder wenn eine Evakuierung Bereich von Peacekeeping, Peacebuilding und Frie-
durch die OSZE nicht mehr möglich ist, soll sie die densfachdiensten zu schaffen und die Entwicklung des
Beobachter herausholen können. Die in Mazedonien Instruments internationaler Polizeieinsätze voranzu-
stationierte Notfalltruppe hat ausdrücklich keinen treiben. Fortschritte bei der Krisenprävention und zivi-
Interventions- und Erzwingungsauftrag. Die Bundes- len Konfliktbearbeitung sind die Voraussetzung
wehr soll hierzu zwischen 100 und 200 Soldaten dafür, daß sich Bosnien, Kosovo nicht ständig wieder-
stellen. holen.
Deutscher Bundestag – 14. Wahlperiode – 6. Sitzung. Bonn, Freitag, den 13. November 1998 375

(A) (C)
Anlage 4 Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, daß der Ausschuß die nachstehenden EU-
Amtliche Mitteilungen Vorlagen bzw. Unterrichtungen durch das Europäische
Parlament zur Kenntnis genommen bzw. von einer Be-
Der Bundesrat hat in seiner 731. Sitzung am 6. No- ratung abgesehen hat.
vember 1998 der vom Deutschen Bundestag am 26.
Oktober 1998 beschlossenen unveränderten Weiter- Auswärtiger Ausschuß
geltung der Drucksache 13/7017 Nr. 1.6
Drucksache 13/7216 Nr. 2.22
1. Gemeinsamen Geschäftsordnung des Bundestages und Drucksache 13/7867 Nr. 1.3
des Bundesrates für den Ausschuß nach Artikel 77 Drucksache 13/8106 Nr. 1.5
Drucksache 13/9086 Nr. 1.14
des Grundgesetzes (Vermittlungsausschuß) vom Drucksache 13/9819 Nr. 2.14
5. Mai 1951 (BGBl. II S. 103), zuletzt geändert laut
Bekanntmachung vom 16. Mai 1995 (BGBl. I S. 742), Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
gemäß Artikel 77 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes, Drucksache 13/6766 Nr. 2.6
Drucksache 13/7017 Nr. 1.5, 2.9, 2.11
2. Geschäftsordnung für den Gemeinsamen Ausschuß Drucksache 13/7216 Nr. 2.3, 2.8
vom 23. Juli 1969 (BGBl. I S. 1102), zuletzt geändert Drucksache 13/7306 Nr. 2.16, 2.20, 2.23
laut Bekanntmachung vom 20. Juli 1993 (BGBl. I Drucksache 13/7541 Nr. 2.17
Drucksache 13/7706 Nr. 2.5
S. 1500), gemäß Artikel 53a Absatz 1 Satz 4 des Drucksache 13/9312 Nr. 1.8, 1.11, 1.13
Grundgesetzes Drucksache 13/9477 Nr. 2.11, 2.12, 2.17, 2.20, 2.24, 2.25
Drucksache 13/9668 Nr. 1.3, 1.5
und der Drucksache 13/11106 Nr. 2.13, 2.14, 2.16
Drucksache 13/11204 Nr. 2.8
3. Geschäftsordnung für das Verfahren nach Artikel
115d des Grundgesetzes vom 23. Juli 1969 (BGBl. I Ausschuß für Post und Telekommunikation
S. 1100), gemäß Artikel 115d Absatz 2 Satz 4 des Drucksache 13/3668 Nr. 2.19
Grundgesetzes Ausschuß für Fremdenverkehr und Tourismus
zugestimmt. Drucksache 13/8615 Nr. 2.59, 2.75

(B) (D)

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