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Plenarprotokoll 17/125

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

125. Sitzung

Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: (Fortsetzung) Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14738 D


a) Erste Beratung des von der Bundesregie- Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/
rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14738 D
zes über die Feststellung des Bundes-
Florian Pronold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14739 C
haushaltsplans für das Haushaltsjahr
2012 (Haushaltsgesetz 2012) Reinhold Sendker (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 14741 A
(Drucksache 17/6600) . . . . . . . . . . . . . . . . 14721 A
Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 14742 C
b) Unterrichtung durch die Bundesregierung:
Florian Pronold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14743 D
Finanzplan des Bundes 2011 bis 2015
(Drucksache 17/6601) . . . . . . . . . . . . . . . . 14721 B Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 14744 B
Stefanie Vogelsang (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 14744 C
Einzelplan 12
Bundesministerium für Verkehr, Bau Schlussrunde:
und Stadtentwicklung
Haushaltsgesetz 2012
Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 14745 A
BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14721 B
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . 14747 B
Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14724 B
Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . 14750 B
Dr. Claudia Winterstein (FDP) . . . . . . . . . . . . 14726 A
Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE) . . . . . . . . 14752 B
Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 14727 C
Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14754 C
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14728 D
Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . 14756 A
Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 14730 C
Nicolette Kressl (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14757 D
Uwe Beckmeyer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 14733 B Otto Fricke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14760 C
Patrick Döring (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14735 A Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 14762 B
Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 14736 B Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister
Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14763 D
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14737 B Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/
Sebastian Körber (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . 14738 A DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14765 D
Hermann Gröhe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 14766 D
Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14738 D Florian Toncar (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14768 A
II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Rüdiger Kruse (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 14769 C Christoph Strässer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 14781 B


Norbert Brackmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 14770 D Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 14782 D

Tagesordnungspunkt 2: Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14784 C


Vereinbarte Debatte: Für eine Verhand-
lungslösung im Nahostkonflikt Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14784 B
Dr. Rainer Stinner (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 14772 B
Günter Gloser (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14774 A Anlage 1
Ruprecht Polenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 14775 D
Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 14785 A
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 14777 B
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14778 D Anlage 2
Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . . 14780 B Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14785 D
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14721

(A) (C)

Redetext

125. Sitzung

Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Beginn: 9.00 Uhr

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wenn wir die Politik im Bereich dessen betrachten,
Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die was wir heute diskutieren, dann kann man, glaube ich,
Sitzung ist eröffnet. sagen: Darauf können sich die Menschen in unserem
Lande auch verlassen.
Wir setzen die Haushaltsberatungen – Tagesord-
nungspunkt 1 – fort: (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La-
chen bei der SPD – Gustav Herzog [SPD]:
a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
Wer’s glaubt!)
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die
Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das – Sie von der SPD-Opposition kommen mir gerade
Haushaltsjahr 2012 (Haushaltsgesetz 2012) recht. Das soll auch gleich eine Warnung an die anderen
– Drucksache 17/6600 – Oppositionsfraktionen für den Fall sein, dass sie groß tö-
nen.
Überweisungsvorschlag:
(B) Haushaltsausschuss (Lachen bei der SPD und der LINKEN) (D)
b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes- Ich habe mit großem Interesse gelesen, was Sie vor we-
regierung nigen Tagen, am vergangenen Montag, unter der Über-
Finanzplan des Bundes 2011 bis 2015 schrift „Nationaler Pakt für Bildung und Entschuldung.
Wir denken an morgen!“ großspurig verkündet haben.
– Drucksache 17/6601 – Es gibt auch ein Kapitel „Die Situation der öffentlichen
Überweisungsvorschlag: Infrastruktur in Deutschland“. Das habe ich mir vorran-
Haushaltsausschuss gig vorgenommen. Darin kommen die Wörter „Bauwirt-
Am Dienstag haben wir für die heutige Aussprache schaft“ oder „Verkehr“ überhaupt nicht vor. Dazu kann
eine Redezeit von dreieinhalb Stunden beschlossen. ich nur sagen: Thema verfehlt.

Wir beginnen die heutigen Haushaltsberatungen mit (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums für neten der FDP – Gustav Herzog [SPD]: War
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Einzelplan 12. das alles? – Johannes Kahrs [SPD]: Wir reden
aber heute zum Haushalt!)
Als erster Redner hat das Wort der Bundesverkehrs-
minister Dr. Peter Ramsauer. Verlässlichkeit gilt gerade in den Schlüsselbereichen
Bauen, Wohnen und Mobilität – drei Bereiche, die für
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes von he-
rausragender Bedeutung sind – und auch für jeden Ein-
Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr, zelnen in unserem Lande. Ich glaube, diese Verlässlich-
Bau und Stadtentwicklung: keit liefern wir, wie ich gerne darstellen möchte, ohne
Guten Morgen, Herr Präsident! Liebe Kolleginnen alle einzelnen Facetten dieses großen Bereichs so dar-
und Kollegen! Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass stellen zu können, wie es erforderlich wäre. Aber dazu
verlässliche Rahmenbedingungen für eine wachstums- haben wir in den kommenden Wochen und Monaten bei
freundliche Politik und für einen soliden Bundeshaushalt den Etatberatungen in den Ausschüssen die notwendige
genau das sind, was die deutsche Öffentlichkeit von uns Zeit.
erwartet.
Der Gebäudebereich kann, muss und wird einen er-
(Zuruf von der SPD: Die aber enttäuscht heblichen strukturellen Beitrag leisten, wenn es um die
wird!) Bewältigung der Energiewende in unserem Lande geht.
14722 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Bundesminister Dr. Peter Ramsauer


(A) Wir investieren Milliardenbeträge, um all die Potenziale Wir werden in den nächsten Jahren 410 Millionen (C)
zu heben, die im Gebäudebereich schlummern, Euro für die Städtebauförderung bereitstellen.
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Zuruf von der SPD: Es waren mal 600!)
NEN]: Leider nicht!)
Es kommt aber noch etwas Neues hinzu. Ich bin sehr da-
um zu mehr Energieeffizienz zu kommen. für, dass man die vorhandenen Instrumentarien immer
wieder hinterfragt und den Erfordernissen der Zeit an-
(Bettina Hagedorn [SPD]: Wo ihr die gerade
passt. Wir legen ein neues Programm mit dem Titel
zusammengestrichen habt!)
„Energetische Stadtentwicklung“ auf. Dieses Programm
Die Mittel für die bewährten KfW-Programme, die in dotieren wir mit 92 Millionen Euro. Bei all meinen Rei-
den ersten Jahren seit 2006 ein Volumen von rund 1 Mil- sen durch Deutschland haben mir Kommunalpolitiker,
liarde Euro hatten und in den drei Jahren der Konjunk- Bürgermeister und Oberbürgermeister immer wieder ge-
turpakete im Durchschnitt auf 1,5 Milliarden Euro er- sagt: Wir haben wunderbare Einzelprogramme im Be-
höht worden sind – von den Vorzieheffekten abgesehen –, reich der Städtebauförderung. – Diese werden im Übri-
werden wir bis 2015 auf dieselbe Summe wie im Zeit- gen allesamt erhalten. Ein Programm für kleinere Städte
raum der Konjunkturpakete erhöhen. Das heißt, es bleibt und Gemeinden haben wir im letzten Jahr sogar neu auf-
bei den 1,5 Milliarden Euro. Das ist ein verlässlicher genommen. – Die Kommunalpolitiker haben immer wie-
Beitrag der Politik zu dem, was die Bürger in Sachen der betont: Es ist alles großartig.
Förderung der Energieeffizienz erwarten.
(Lachen bei der SPD – Bettina Herlitzius
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit wem ha-
ben Sie gesprochen?)
Ich bedaure sehr, dass der Gesetzentwurf der Bundes-
regierung und der Koalitionsfraktionen zur steuerlichen Aber wir brauchen gerade für den Bereich der energeti-
Förderung der energetischen Gebäudesanierung von den schen Stadtteilsanierung ein besonders zielgerichtetes
Ländern abgelehnt wurde. Ich kann an die Länder, von Programm;
denen viele in SPD-Hand gefallen sind,
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Johannes Kahrs [SPD]: Das war eine demo- NEN]: Dann finanzieren Sie das richtig!)
kratische Entscheidung! – Uwe Beckmeyer
denn es macht keinen Sinn, wenn man in Stadtquartieren
[SPD]: Sind Sie eigentlich Feudalminister,
rein hausbezogen denkt und saniert. Es ist viel effektiver,
oder was ist das hier?)
wenn man großräumiger denkt und im Quartier block-
nur appellieren, verhandlungsbereit zu sein. weise saniert. – Deswegen nehmen wir dieses Programm
(B) (D)
zur energetischen Stadtentwicklung auf. 410 Millionen
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
Euro plus 92 Millionen Euro ergeben nach Adam Riese
Sie hätten das besser machen sollen!)
502 Millionen Euro.
Denn wir waren uns in den Gesprächen mit den
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Ministerpräsidenten im Kanzleramt – ich war an all die-
Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
sen Gesprächen stets beteiligt – immer einig, dass es
NEN]: Die stehen aber nicht im Haushalt!)
nicht allein Aufgabe des Bundes sein kann, Geld dafür
zur Verfügung zu stellen, sondern dass alle Körperschaf- Ich muss Ihnen das in dieser Deutlichkeit vorrechnen.
ten der öffentlichen Hand in Deutschland hier gefordert Das ist mithin deutlich mehr, als die 455 Millionen Euro,
sind, mithin auch die Länder. Ich appelliere an die Län- die wir bisher zur Verfügung gestellt haben. Also: Wir
der, sich einer Beteiligung bei der steuerlichen Förde- handeln entsprechend.
rung bitte schön nicht zu versagen.
Nun zur Verkehrspolitik. In einer Etatberatung ist es
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) wichtig, zunächst auf das Kernerfordernis hinzuweisen,
Zum Bereich der Städtebaupolitik und Stadtentwick- nämlich auf die verlässlich hohe Investitionslinie für un-
lung kann ich mich sehr kurz fassen. sere Verkehrswege. Diesem Erfordernis entsprechen wir,
indem wir bis zum Jahr 2015 durchschnittlich 10 Mil-
(Johannes Kahrs [SPD]: Das stimmt wohl! – liarden Euro in unsere Verkehrsinfrastruktur investieren.
Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Das ist mehr, als dies im Durchschnitt der Jahre 2002 bis
NEN]: Da ist auch nicht viel passiert!) 2008 der Fall war, also in der Zeit vor der Wirtschafts-
und Finanzkrise. Dabei wird – das ist vollkommen klar –
– Sie wissen aber nicht, warum, weil Sie offensichtlich
die Straße der Verkehrsträger Nummer eins bleiben, bei
nicht hier waren. – Wir hatten erst vor wenigen Wochen
allem grundlegenden Bekenntnis zu einer Politik der
zum 40-jährigen Jubiläum der Stadtentwicklungspolitik
Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die
und Städtebauförderung eine mehrstündige Debatte hier
Schiene. Ich füge aber im gleichen Atemzug hinzu: Man
im Haus. Damals wurden die wesentlichen Fakten dar-
muss uns aber auch in die Schiene investieren lassen,
gelegt. Meine Kernbotschaft lautet jedenfalls: Der Bund
und man darf nicht immer – dieser Appell geht vor allen
bleibt ein verlässlicher Partner bei der Städtebauförde-
Dingen an die Oppositionsfraktionen – dann, wenn es an
rung.
den Neubau oder den Ausbau der Schiene geht, Bürger-
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- initiativen zum Dagegensein aufhetzen. Das geht auch
NEN]: Das kann man nicht erkennen!) nicht.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14723
Bundesminister Dr. Peter Ramsauer
(A) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Johannes mentar in der Süddeutschen Zeitung von heute. Besser (C)
Kahrs [SPD]: Das ist unglaublich!) kann man nicht darstellen, was Ramsauer übernommen
hat: „Ein Erbe in Asphalt“. Dieser Herausforderung wer-
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die hohe Beanspru- den wir uns stellen.
chung unserer Infrastruktur hinterlässt ihre Spuren. Wir
stellen deshalb substanzerhaltende Maßnahmen vor Dazu gehört das Bekenntnis – ich habe es an dieser
Neubau. Meine Devise bei knappen Mitteln heißt: Erhalt Stelle schon öfter abgelegt –: Wir befinden uns ange-
vor Neubau. sichts der Herausforderungen in einer dramatischen
Finanzierungssituation, in einem dramatischen Finanzie-
(Beifall der Abg. Stefanie Vogelsang [CDU/
rungsdilemma.
CSU])
(Uwe Beckmeyer [SPD]: Was tun Sie
Ein besonders beeindruckendes Beispiel ist der Um-
dagegen?)
gang mit unseren knapp 39 000 Brücken an den circa
53 000 Kilometern Bundesfernstraßen in Deutschland. – Ich komme gleich darauf zu sprechen.
Wir haben hier einen erheblichen Sanierungsbedarf.
Etwa ein Viertel der knapp 39 000 Brücken muss in den (Johannes Kahrs [SPD]: So viel Zeit haben Sie
nächsten fünf bis sieben Jahren instandgehalten werden. nicht!)
Allein dazu bedarf es einer Summe von etwa 7 Milliar- Ich bitte Sie, mit mir in aller Offenheit die Debatte da-
den Euro. rüber zu führen, wie wir künftig die Finanzierungspro-
(Uwe Beckmeyer [SPD]: Haben Sie bleme lösen können.
die 7 Milliarden?) (Uwe Beckmeyer [SPD]: Ach ja?)
Herr Beckmeyer, Sie haben mir in mehreren Zeitun- Ich bitte, intensiv darüber nachzudenken, wie wir ent-
gen einen haarsträubenden Vorwurf gemacht: Ramsauer weder durch zielgerichtete Budgeterhöhungen oder, wie
lässt die Brücken verrotten. Dazu kann ich nur sagen: es meine Partei vorschlägt, durch irgendeine Art nutzer-
Welch ein Unsinn! Sie kennen ja das Sprichwort: orientierte Abgabe unsere Finanzierungsengpässe besei-
Wer auf andere mit dem ausgestreckten Zeigefinger tigen können, sodass sich die Nutzer unserer Verkehrs-
zeigt, der deutet mit drei Fingern seiner Hand auf wege – ich spreche hier nicht nur von der Straße; das
sich selbst. Dilemma bei der Straße ist aber besonders groß – darauf
verlassen können, dass die Mehreinnahmen ungeschmä-
Glauben Sie denn, dass die Brücken in Deutschland lert in den Bereich Straße fließen, damit das „Erbe in As-
mit Aushändigung der Ministerurkunde an mich, also phalt“ bewältigt werden kann, damit bessere, bedarfsge-
(B) nach meiner Amtsübernahme, nach fünf SPD-Amtsvor- (D)
rechtere, umweltgerechtere, lärmärmere und sicherere
gängern in elf Jahren von einem Tag zum anderen zu Straßen zur Verfügung stehen. Das ist die Herausforde-
bröckeln begonnen haben? Das glauben Sie doch nicht rung. Darüber zu diskutieren, dazu lade ich Sie in den
einmal selbst. kommenden Wochen der Etatberatungen ein.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
In der Zeit zwischen 1998 und 2009 haben Sie, lieber neten der FDP)
Kollege Beckmeyer, soviel ich mich erinnern kann für Zur Bahnpolitik. Ich schlage vor, wieder einmal eine
Ihre Fraktion – die SPD-Fraktion war damals Regie- umfassende Debatte allein über die Bahn zu führen. Ich
rungsfraktion – verkehrspolitische Verantwortung getra- glaube, dass es in den knapp zwei Jahren meiner Amts-
gen. zeit gelungen ist, eine gewisse Kehrtwende in der bahn-
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Da haben politischen Strategie herbeizuführen.
mehr Minister gebröckelt als Brücken!) (Lachen bei der SPD – Uwe Beckmeyer
Sie haben heute bestimmt die Möglichkeit, darzulegen, [SPD]: Das ist ja nicht auszuhalten!)
was Sie in dieser Zeit zur Substanzerhaltung unserer
Wir wollen wegkommen vom Privatisierungswahn mit
Brücken in Deutschland getan haben.
all seinen Auswirkungen, den Sie betrieben haben. Man
Wir haben mittlerweile Konsequenzen gezogen. In Ih- kann ein Unternehmen wie die Bahn zwar kaufmännisch
rer Regierungszeit wurden pro Jahr knapp unter 300 Mil- führen, aber man darf es dabei nicht, wie es unter meinen
lionen Euro, ungefähr 270 Millionen Euro, in Brücken fünf Amtsvorgängern – nicht bei allen gleichermaßen –
investiert. Die Investitionen in Maßnahmen zur Instand- als grundlegende Linie der Fall war, nur nach dem Cash-
haltung von Brücken werden nach unserer Finanzpla- flow-Prinzip unter Missachtung der Belange des öffent-
nung bis 2015 lichen Wohls ausrichten und es finanziell ausbluten las-
sen.
(Johannes Kahrs [SPD]: Dann regieren Sie
doch gar nicht mehr!) (Uwe Beckmeyer [SPD]: Wissen Sie
eigentlich, was Cashflow ist?)
etwa verdoppelt; ihre Höhe liegt bei dann knapp unter
700 Millionen Euro. Im Vergleich zu dem, was Sie uns Nicht allein der Cashflow zählt bei der Deutschen
vorexerziert haben, machen wir eine klare Kehrtwende. Bahn, sondern es zählen auch die Erwartungen, das
Ich verweise in diesem Zusammenhang auf einen Kom- Brot-und-Butter-Geschäft, das, was die Menschen, die
14724 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Bundesminister Dr. Peter Ramsauer


(A) täglich durchschnittlich 7,3 Millionen Bahnbenutzer in nicht ausgesprochen haben, ein Plädoyer für die Pkw- (C)
Deutschland, von der Bahn erwarten. Maut gehalten. Wir haben ja in den letzten Jahren lange
diskutiert, und wir haben Sie immer gefragt: Wollen Sie
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- nun die Pkw-Maut, oder wollen Sie sie nicht? In Ihrem
neten der FDP) Haus wurde daran angeblich nie gearbeitet; keiner wollte
Wir stellen hier auch zusätzliche Mittel bereit. Ich bin das. Sie haben das immer dementiert. Heute haben Sie
ganz ehrlich. Mir ist am letzten Wochenende wieder ein- hier zumindest das erste Mal gesagt, dass Sie eine nut-
mal der Kragen geplatzt. Ich habe gestern zu einem zerfinanzierte Beteiligung – wie auch immer man das
Bahngipfel eingeladen und habe die Bahnindustrie, die machen will – haben wollen. Das nennt sich übrigens
Bahn, das Eisenbahn-Bundesamt und einige andere Ak- Pkw-Maut.
teure dazu verpflichtet, schnellstmöglich das rollende Wenn Sie das denn wollen, dann kann ich verstehen,
Material bereitzustellen, damit wir die entsprechenden dass die FDP nicht ganz so laut geklatscht hat. Für Steu-
Reserven beim rollenden Material haben. Wir haben ererhöhungen sind die eigentlich nicht zu haben.
dazu klare politische Wartungsintervalle – so habe ich es
genannt – verabredet. Alle vier Wochen müssen mir alle (Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Lassen Sie
Beteiligten berichten, wie die Fortschritte sind, damit sich überraschen!)
wir auch hier vorankommen.
Aber schauen wir einmal. Wir haben ja mitbekommen,
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- wer bei dieser Koalition in welchem Tempo umfällt.
neten der FDP) (Patrick Döring [FDP]: Für Steuererhöhungen
Viele weitere Themen, meine Damen und Herren, be- sind ja auch Sie zuständig!)
schäftigen uns hier: Feldversuch mit Lang-Lkw, Fernbus- – Wissen Sie, ich wäre an Ihrer Stelle jetzt ganz ruhig.
linien, Elektromobilität. Das zu vertiefen, werden wir in Sie haben Steuersenkungen versprochen. Schauen wir
den nächsten Wochen viel Gelegenheit haben. Ich lade alle doch einmal, wann Sie liefern. Ihr Minister ist ja fröhlich
ein, sich konstruktiv an diesen Beratungen mit mehr Mit- dabei.
teln für die Verkehrs- und Bahninfrastruktur zu beteiligen.
(Torsten Staffeldt [FDP]: Für Steuererhöhun-
Besten Dank. gen ist die SPD zuständig, das wissen wir!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Uwe – Ach, wissen Sie, solide Haushalte sind kein Marken-
Beckmeyer [SPD]: Das war aber sehr dürftig, zeichen dieser Koalition.
was Sie da erzählt haben!)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(B) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: DIE GRÜNEN – Lachen bei der FDP) (D)
Das Wort hat der Kollege Johannes Kahrs von der Das hat die Große Koalition mit der Schuldenbremse
SPD-Fraktion. durchgesetzt. Sie zerstören hier die Haushalte.
(Beifall bei der SPD) In dieser Frage geht es einmal darum, dass Sie dieses
Hohe Haus und die Bevölkerung in den letzten Jahren
Johannes Kahrs (SPD): systematisch hinter die Fichte geführt haben. Sie haben
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und gesagt, Sie wollten keine nutzerfinanzierten Mauten
Kollegen! Herr Minister, ich habe hier ja schon viel ge- oder Ähnliches. Heute haben Sie sich das erste Mal an-
hört. Aber Ihre Rede war unterirdisch. Wir führen hier ders geäußert. Ich glaube, das sollten wir einmal festhal-
eine Debatte über den Bundeshaushalt. Sie jedoch haben ten. Der ADAC hat zu dem Thema relativ viel gesagt.
sich an uns abgearbeitet. Das kann ich verstehen; denn Sie haben einen Haushalt mit einem Volumen von
das, was Sie gemacht haben, ist eben unterirdisch. Es 25,3 Milliarden Euro. 13,7 Milliarden Euro sind für In-
kommt nicht viel dabei herum. Ich schätze Sie ja persön- vestitionen vorgesehen. Von den 6 Milliarden Euro, die
lich sehr und die hinter Ihnen sitzende Boygroup auch; in den Straßenbau gehen, kommen 3,5 Milliarden Euro
das sind alles feine Jungs. aus der Lkw-Maut. Aus Ihrem eigentlichen Haushalt
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: kommen nur noch 2,4 Milliarden Euro. Es gab ja mal die
Solange Sie da nicht sitzen, ist alles okay!) Ansage, durch die Lkw-Maut gebe es mehr Geld für den
Straßenbau. Im Ergebnis ist das natürlich alles nicht so
Aber im Ergebnis haben wir doch das Problem: Was Sie gekommen, sondern das Geld ist in den Bundeshaushalt
zustande bringen, ist wirklich unterirdisch. geflossen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Gucken wir uns doch jetzt einmal an, was denn mit
der Pkw-Maut passieren würde. Glauben Sie denn ernst-
Das haben wir eben auch daran gesehen, wie ge- haft, das würde alles komplett in den Straßenbau gehen?
klatscht wurde, als Sie gesprochen haben: ein bisschen Das hat noch nie funktioniert. Sie machen es übrigens in
mau bei der CDU/CSU und gar nicht bei FDP. Das zeigt diesem Haushalt vor. Wir haben hier eine reine Abkas-
eigentlich relativ viel. siernummer, wie der ADAC sagt. Sozialdemokratie und
(Zuruf von der FDP: Gar nicht wahr!) ADAC Arm in Arm – Herr Ramsauer, da haben Sie ein
kleines Problem.
Fangen wir doch einmal mit dem an, mit dem Sie auf-
gehört haben. Sie haben hier, auch wenn Sie das Wort (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14725
Johannes Kahrs
(A) Gucken wir es uns einmal an: Die Kanzlerin hat ge- Die Kanzlerin steht noch halbwegs. Ihr Umfalltempo (C)
sagt: keine Pkw-Maut mit ihr. Sie haben gesagt: keine liegt bei drei bis vier Monaten. Sprechen wir uns also im
Pkw-Maut. Dann entdeckt Herr Seehofer, dass in Bayern Winter wieder, wenn sie umgefallen ist.
Wahlkampf ist und dass Herr Ude in den Umfragen bes-
In den Energie- und Klimafonds haben Sie alle mögli-
ser dasteht als er. Die CSU hat leichte Panik, fällt auf
chen Titel versenkt, aber keine ausreichende Gegen-
einmal um und erzählt jetzt irgendetwas davon, dass die finanzierung vorgesehen. Das sage ich hier nur in aller
Ausländer, wenn sie durch Deutschland fahren, nicht Kürze. In einem solchen Fall bin ich ein großer Fan der
zahlen müssen, wir hingegen, wenn wir im Ausland Kameralistik: klare Ansage, transparent und offen, kann
sind, zahlen müssen. Damit wird dann gerechtfertigt, jeder nachlesen. Wenn Sie alle möglichen Programme in
dass die Ausländer endlich einmal zahlen sollen, und es diesen Fonds stecken, der aber nicht durchfinanziert ist,
wird behauptet, alle anderen kämen ungeschoren um die handelt es sich dabei am Ende um nichts anderes als um
Kurve. Das ist natürlich, mit Verlaub und freundlich for- eine Kürzung. Da muss man Ihr Wort, dass CO2-Gebäu-
muliert, Unsinn. Sie wissen doch, dass das nicht funktio- desanierung die große Ansage ist, als scheinheilig be-
niert. zeichnen; denn Sie entziehen ja durch dieses Vorgehen
(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Kennen Sie das Geld.
eigentlich Herrn Stolpe?) (Beifall bei der SPD – Torsten Staffeldt [FDP]:
Quatsch!)
Wir wissen doch, wie es im Ergebnis laufen wird;
denn es gibt keine aufkommensneutrale Pkw-Maut, in Letzter Punkt: Nord-Ostsee-Kanal. Verzeihen Sie mir
welcher Form auch immer. einfach einmal die Ansage, aber angesichts dessen, was
zurzeit beim Nord-Ostsee-Kanal passiert, wird man ge-
(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Den kennt radezu sprachlos. Dort müssen die Schleusen saniert
er nicht! Hat er noch nie von gehört!) werden. Damit diese Sanierung überhaupt durchgeführt
Allein schon für die Einführung einer Vignette fallen werden kann, ist die sogenannte fünfte Schleusenkam-
Systemkosten in Höhe von über 200 Millionen Euro an. mer notwendig. Dafür muss man Geld in die Hand neh-
Nach dem, was der ADAC berechnet hat, nehmen Sie men. Ihr Staatssekretär, Herr Minister, war da. Jetzt kann
von den Ausländern, die auf deutschen Straßen fahren, man lesen: kein Geld, Kanal dicht. Und weiter heißt es:
224 Millionen Euro ein. Das heißt, Sie veranstalten die Der Staatssekretär bestätigt, dass es so ist, dass auf Ver-
Nummer für 24 Millionen Euro. Das glaubt doch kein schleiß gefahren wird. Die CDU-Bundestagsabgeordne-
Mensch. Wenn Sie so ein System einführen, wird das am ten sagen: Es muss dringend etwas passieren, eine
Ende dazu führen, dass der deutsche Autofahrer richtig Grundinstandsetzung und der Bau der sogenannten fünf-
ten Schleusenkammer sind notwendig. – Passieren wird
(B) zahlt. Jeder weiß auch, dass Sie mit der Vignette nicht aber nichts. (D)
weiterkommen. Dadurch würden ja die Vielfahrer ent-
lastet und der normale Autofahrer belastet. Das kann es Herr Minister, wenn Sie das Geld, was Sie angeblich
nicht sein. So werden Sie am Ende, wenn das Ganze ver- nicht haben, nicht für irgendwelche Tunnel in Ihrem
nünftig laufen soll, in der Toll-Collect-Nummer landen. Wahlkreis ausgeben würden – 168 Millionen Euro für
den Kirchholztunnel, den kein Mensch braucht! –,
(Patrick Döring [FDP]: Die haben Sie uns ja
eingebrockt!) (Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Wie heißt
der? Wie heißt der Tunnel?)
Das kostet richtig viel Geld. Was Sie von den Auslän-
dern einnehmen, würde dann nicht einmal die System- sondern für die Dinge, die dieses Land braucht, dann
kosten decken. würden wir deutlich besser dastehen.
Es wäre ganz schön, wenn man sich einmal mit dem (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Tobias
beschäftigte, was der ADAC festgestellt hat. Zu diesem Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Thema gibt es eine wunderbare Studie. Lesen bildet, Ein Nord-Ostsee-Kanal, der nicht funktioniert, würde
denken hilft. Ich denke, es würde viel Sinn machen, ein Desaster für die gesamte deutsche Verkehrswirt-
wenn Sie sich diese einfach einmal anschauen. schaft zur Folge haben. Das wäre eine Katastrophe. Wir
Die Presse auf Ihre Vorschläge ist ein Desaster. Der glauben, dass hier dringend etwas passieren muss.
Focus schreibt: „Ramsauer macht Tempo bei Pkw- (Patrick Döring [FDP]: Was denn?)
Maut“. Das heißt: zwei Jahre gelogen, heute Offenba-
rungseid, Geld reicht nicht – das haben wir ja von Ihnen Für den Hamburger Hafen ist das wichtig, für die Reeder
gehört. ist das wichtig. Reden Sie mit den Mitarbeitern vor Ort!
Gehen Sie einmal nach Schleswig-Holstein! Dort wird
(Zuruf von der CDU/CSU: So ein Quatsch!) man Ihnen das sagen. Sie haben ja im Wahlkampf genü-
gend Gelegenheiten dazu. Der Wähler wird Ihnen dann
– Das ist kein Quatsch. In der Sache haben Sie gelogen. sagen, was er von dem hält, was Sie da veranstalten: ein-
Jetzt machen Sie die Kehrtwende. Im Endeffekt wird fach nur peinlich.
auch die FDP da mitmachen.
Vielen Dank. Schönen Tag noch!
(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Erzählen
Sie doch einmal etwas zu Ihren Vorstellungen! – (Beifall bei der SPD – Thomas Jarzombek [CDU/
Weitere Zurufe von der CDU/CSU) CSU]: Peinlich war nur diese Rede!)
14726 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die Autofahrer dürfen nicht noch mehr zur Kasse gebe- (C)
Für die FDP spricht jetzt die Kollegin Dr. Claudia ten werden. – Herr Kahrs, ich warte an dieser Stelle auf
Winterstein. Ihren tosenden Applaus.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei Abgeordneten der FDP – Johannes
Kahrs [SPD]: Ja, habe ich! Aber ich war der
Dr. Claudia Winterstein (FDP): Einzige!)
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und – Nicht der Einzige, von rechts kam auch Applaus.
Herren! Sehr verehrter Herr Kahrs, Ihre Rede war ja
ganz unterhaltsam; das gebe ich zu. Aber jetzt wird es Meine Damen und Herren, Mineralölsteuer, Öko-
wieder überirdisch. steuer, Mehrwertsteuer, Kraftfahrzeugsteuer: 53 Milliar-
den Euro insgesamt zahlen die Autofahrer jährlich an
(Florian Pronold [SPD]: Eher außerirdisch!) Steuern,
Wir werden uns jetzt mit Zahlen und Fakten befassen. (Johannes Kahrs [SPD]: Genau! Sagt der
(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Sehr gut!) ADAC!)
Genau das habe ich in Ihrer Rede ein wenig vermisst. Ich aber nur 17 Milliarden Euro geben Bund, Länder und
habe nicht gehört, wie viel Sie eigentlich für Investitio- Gemeinden für den Bau und den Erhalt von Straßen aus.
nen ausgeben wollen. Das hätte mich ja doch schon ein- Das muss man so zur Kenntnis nehmen. Die Autofahrer
mal interessiert, nachdem Sie uns vorgeworfen haben, tragen also schon ganz kräftig zum Steueraufkommen
dass wir uns hier nur unterirdisch mit irgendwelchen bei. Darauf noch eine zusätzliche Gebühr zu setzen, ist,
Dingen befassen, aber nichts zu Zahlen und Fakten sa- meine ich, der falsche Weg.
gen.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Herr Ramsauer, Sie haben in Ihrer Rede den Einzel- der CDU/CSU)
plan 12 im Prinzip schon in allen seinen Facetten be-
leuchtet. Lassen Sie uns die Debatte mit mehr Kreativität füh-
ren. Wir wollen die vorhandenen Mittel effektiv einset-
(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ zen. Ein Anfang hierzu wurde mit der Umsetzung von
DIE GRÜNEN) ÖPP-Modellen im Autobahnausbau gemacht.
– Das hat er sehr wohl, vielleicht nicht so, wie Sie sich (Roland Claus [DIE LINKE]: Ja! Wunderbar!)
das vorstellen, aber durchaus ganz klar. – Ich möchte
mich als Haushälterin auf zwei Themen konzentrieren, – Die Erfahrungen mit den ersten vier Projekten sind
(B) die ich angesichts der aktuellen Diskussion für beson- weitgehend positiv, Herr Claus. Es hat sich gezeigt, dass (D)
ders wichtig halte. Vorhaben schneller und effizienter bei gleichzeitig ho-
hem Qualitätsstandard umgesetzt werden können.
(Johannes Kahrs [SPD]: Pkw-Maut!)
(Torsten Staffeldt [FDP]: Genau!)
Das ist zum einen der Bereich der Stadtentwicklung
– auch das ist schon angesprochen worden – und zum Die neu geplanten ÖPP-Modelle sollten nun möglichst
anderen die Frage der Straßenfinanzierung. schnell angegangen werden.
Zunächst ist es sehr erfreulich, dass die Koalition es (Beifall bei Abgeordneten der FDP)
geschafft hat, auch nach Auslaufen der Konjunkturpro-
Beim Thema Straßenerhalt diskutieren wir derzeit ein
gramme die Investitionen in die Fernstraßen im Haushalt
sehr interessantes Pilotprojekt, mit dem die vorhandenen
2012 und in der Finanzplanung bis 2015 mit 4,8 Milliar-
Mittel deutlich effektiver eingesetzt werden können. Es
den Euro jährlich konstant zu halten. Doch man muss
ähnelt dem Prinzip der Leistungs- und Finanzierungsver-
ganz klar festhalten – auch Sie haben es gesagt –: Leider
einbarung bei der Schiene. Partner für den Bund sind
reicht das nicht aus, weil der Bedarf höher ist. Wir alle
hierbei die Länder. Der Bund wird in Bezug auf die Er-
wissen aber, dass wir in der jetzigen Situation mehr
haltung und den Betrieb der Bundesfernstraßen zum Be-
Steuermittel nicht zur Verfügung stellen können; denn
steller eines gewünschten Zustandes dieser Fernstraßen.
diese Koalition steht ganz eindeutig für Haushaltskonso-
Die Länder werden zu Auftragnehmern des Bundes und
lidierung
erhalten von ihm einen pauschalen Betrag. Dafür organi-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten sieren sie in Eigenregie die komplette Erhaltung und den
der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Da Betrieb der Fernstraßen. Mehrere Länder haben ganz
klatscht aber nur die FDP!) klar Interesse bekundet, an solchen Projekten mitzuwir-
ken. Sie erhalten einen Anreiz zu effektivem Handeln,
und hat mit der Schuldenbremse für das Jahr 2016 ein da sie die erwirtschafteten Mittel eigenständig für den
klares Ziel vor Augen. Der Schuldenabbau muss abso- Ausbau und Erhalt von Fernstraßen verwenden können.
lute Priorität haben. Wir sehen ja auch, was in einigen Berechnungen beziffern den Einspareffekt auf etwa
europäischen Ländern gerade geschieht. 600 Millionen Euro im Jahr.
Daraus aber abzuleiten, dass eine Pkw-Maut die ein-
Herr Minister Ramsauer, ich ermuntere Sie, solche in-
zige Möglichkeit ist, mehr Mittel für die Autobahnen
novativen Modelle weiterzuverfolgen und zur Umset-
und Fernstraßen zu generieren, halte ich für falsch.
zung zu bringen. Ich denke, wir werden diesen Weg im
(Beifall des Abg. Johannes Kahrs [SPD]) Parlament sehr konstruktiv unterstützen.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14727
Dr. Claudia Winterstein
(A) Was für den Verkehr gilt, gilt natürlich auch für die Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C)
Stadtentwicklung. Auch hier schafft die Koalition den Das Wort hat der Kollege Roland Claus von der Frak-
Spagat zwischen Sparanstrengungen auf der einen Seite tion Die Linke.
und wirkungsvollen Investitionen auf der anderen Seite.
(Beifall bei der LINKEN)
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Gerade hier nicht!)
Roland Claus (DIE LINKE):
Ich darf an die vergangenen Haushaltsplanberatungen Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!
erinnern. Für den Haushalt 2011 war von Regierungs- Wir reden hier über den Infrastruktur- und Investitions-
seite eine Summe von 305 Millionen Euro an neuen Mit- etat des Bundes. Gewiss, Aufbau von Infrastruktur und
teln für die Städtebauförderung eingesetzt worden. Von Investitionen finden auch in anderen Ressorts statt, aber
der Koalition ist diese Summe dann erhöht worden auf nicht in dieser Dimension. Mehr als 50 Prozent aller In-
455 Millionen Euro. Im Entwurf 2012 – Herr Ramsauer vestitionen des Bundes sind in diesem Ressort veran-
hat es auch schon gesagt – sind neue Bundesmittel in schlagt.
Höhe von 410 Millionen Euro vorgesehen. Dazu kom-
men noch die Mittel zur energetischen Stadtsanierung in Es ist also ein enorm wichtiger Haushalt. Das ist auch
Höhe von 92 Millionen Euro. der Grund dafür, dass die Linke den zuständigen Bun-
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- desminister zu mehr Selbstbewusstsein auffordern muss.
NEN]: Die nicht finanziert sind!) (Beifall bei der LINKEN)
Das heißt also: Zusammen stellt der Bund mehr als eine Mehr Selbstbewusstsein, Herr Ramsauer! Es ist nämlich
halbe Milliarde Euro an Finanzhilfen für die Länder und nicht damit getan, dass Sie hier im Plenarsaal flotte
Kommunen zur Verfügung. Das ist angesichts der Spar- Sprüche gegen die Opposition ablassen und sich dann im
vorgaben eine wirklich ansehnliche Summe. Kabinett alles gefallen lassen.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Genau!
Von der Opposition kritisiert wurden die Kürzungen Richtig so!)
beim Programm „Soziale Stadt“ und die Konzentration
Es zeugt auch nicht von Selbstbewusstsein, hier im Ple-
dieser Mittel auf ausschließlich investive Ausgaben.
Meine Damen und Herren von der Opposition, diese narsaal zu tönen, da seien Länder an die SPD gefallen.
Konzentration war, ist und bleibt richtig; denn die Stadt- Das ist nun wirklich ein undemokratisches, feudales Ver-
umbauprogramme des Bundes haben den Zweck, eine ständnis, das wir zurückweisen müssen.
(B) Infrastruktur zu schaffen, die dann von den Kommunen (Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem (D)
mit Leben gefüllt wird. BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Johannes
(Torsten Staffeldt [FDP]: Keine Streichel- Kahrs [SPD]: Wenn das von der Linkspartei
zoos!) kommt, ist das auch bemerkenswert! – Torsten
Staffeldt [FDP]: Das ist aber die Realität!)
Leider wurden in einigen Bundesländern die Investi-
tionsmittel über Jahre in nichtinvestive Bereiche ver- Herr Bundesminister, der Einzelplan 12 ist kein Stein-
schoben, nämlich als Ersatz für zurückgefahrene Mittel bruch für den Bundesfinanzminister und dessen Sparat-
der Kommunen. Das ist nicht Sinn und Zweck dieser tacken. Der Einzelplan 12 ist aber auch kein Tummel-
Förderung. platz für die ideologischen Schwesternkriege, die Ihr
Parteivorsitzender Seehofer zuweilen gerne anzettelt.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Das muss Ihnen deutlich gesagt werden. Wenn Sie nicht
der CDU/CSU) aufpassen, Herr Bundesminister Peter Ramsauer, dann
Zum Vergleich: Die Sozialausgaben im Haushalt be- werden Sie zum Schwarzen Peter des Kabinetts. Das
tragen insgesamt 155 Milliarden Euro, die Summe aller mag zwar vielleicht in der CSU ein dickes Lob oder ein
Investitionen nur 26,4 Milliarden Euro. Die also ohnehin Ehrentitel sein; hier aber wäre es eine Peinlichkeit.
schon sehr knappen Investitionsmittel sollten insofern
nicht zweckentfremdet werden. Darauf haben wir als (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Haushälter in besonderem Maße zu achten. Anders die Linke. Die Linke hat einen klaren Kurs.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Die Linke steht für eine Verkehrs-, Bau- und Stadtent-
der CDU/CSU) wicklungspolitik, die stets von sozialer Verantwortung
und demokratischer Teilhabe aller an den öffentlichen
Meine Damen und Herren, wir wollen die Investitio- Gütern ausgeht.
nen zur Schaffung einer zukunftsfähigen Infrastruktur
effektiv und zielgerichtet einsetzen, sei es bei der Straße, (Beifall bei der LINKEN)
der Schiene oder in den Städten und Gemeinden. Ich Was alle brauchen, muss öffentlich zugänglich und be-
glaube, dass uns dies trotz der ganzen Sparaufgaben sehr
zahlbar sein. Wenn die Linke sagt, dass unser Zusam-
gut gelingen wird.
menleben ökologischer werden muss, dann meint sie:
Vielen Dank. ökologischer für alle und nicht nur für Reiche.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN)
14728 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Roland Claus
(A) Prüfen wir Ihren Etat an diesem Maßstab bei einigen Herr Bundesminister, Sie haben sich Ihre besten För- (C)
wenigen Positionen. Herr Bundesminister, Sie haben derprogramme bei der energetischen Gebäudesanierung
sich hier mit deutlichen Worten gegen eine Privatisie- und beim Städtebau kürzen oder aus der Hand nehmen
rung der DB AG ausgesprochen. Da sind wir natürlich lassen.
vollkommen an Ihrer Seite. Sie werden bei den abschlie-
ßenden Beratungen zum Haushalt Gelegenheit haben, ei- (Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
nem entsprechenden Antrag der Linken, vielleicht auch Zerschossen! Alles zerschossen!)
noch von anderen, Ihre Zustimmung zu geben und so zu Das ist hier schon mehrfach kritisiert worden und nicht
bekunden: Es darf nicht dabei bleiben, dass die Privati- hinzunehmen. Nun haben Sie vor einigen Monaten eine
sierung wegen der Krise nur verschoben wird; sie gehört bedeutende Logik entwickelt.
endgültig vom Tisch.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!)
(Beifall bei der LINKEN)
Sie haben gesagt: Na ja, jetzt ist mir der Laden halbiert
Sie haben die Chance, Herr Bundesminister. worden; aber ich habe gekämpft, sodass die Halbierung
In der Straßenpolitik verkörpert die Bundesregierung zur Hälfte zurückgenommen wurde. Da kommen dann
den Sieg des Betons über die Vernunft; das ist an vielen genau 75 Prozent, drei Viertel, heraus. Ein Bundesminis-
Stellen gesagt worden. Das Problem der Lkw-Maut ter für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, der nur eine
muss noch einmal zur Sprache gebracht werden: Es ist Dreiviertelposition im Kabinett hat, ist uns aber zu we-
noch immer ein Schiedsverfahren des Bundes gegen die nig. Lassen Sie sich das gesagt sein.
Gesellschaft Toll Collect anhängig, also jenes Konsor- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
tium, das vor Jahren eine 16-monatige Verzögerung bei neten der SPD)
der Einführung der Lkw-Maut zu verantworten hatte.
Seitdem ist geraume Zeit vergangen. Es geht um einen Wir könnten das gelegentlich beim Titel des Gehalts des
Ausfall von über 5 Milliarden Euro. Wir werden darauf Bundesministers thematisieren.
drängen, dass das hier nicht verschwiegen wird. Was (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Ach, nee,
mich hier im Parlament allmählich ärgert, ist, dass wir, nicht so streng!)
die Linke, die Einzigen sind, die überhaupt noch nach
dem Schiedsverfahren und den entgangenen 5 Milliar- Für die Finanzierung der energetischen Gebäude-
den Euro fragen. sanierung haben wir jetzt den Energie- und Klimafonds;
hier gab es eine große Ankündigung. Ich bin aber nach
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig!) den Erfahrungen mit dem Investitions- und Tilgungs-
(B) Liebe Kollegen, ich frage euch einmal: Hat das vielleicht fonds und dem Deutschlandfonds ein bisschen gewarnt, (D)
damit zu tun, dass ihr von Daimler oder der Telekom wenn für solch einen großen Brocken vier Ministerien
wieder eine Spende bekommen habt, von der wir nichts zuständig sind, vor allen Dingen, wenn das Ministerium,
wissen? Es kann doch nicht sein, dass man eine solch das bislang alle Instrumente zur Umsetzung dieses Pro-
große Summe überhaupt nicht mehr thematisiert. gramms in der Hand hatte, nämlich das BMVBS, jetzt
eines unter mehreren Ministerien ist. Ich kann nur hof-
(Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Abg. fen, dass mehr Selbstbewusstsein, Zuversicht und Ener-
Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- gie an den Tag gelegt werden, wenn es darum geht, die-
NEN]) ses gute Programm abzuarbeiten.
– Ich weiß nicht, von wem Sie alles Spenden bekom- Herr Bundesminister, wir werden die Aufstellung Ih-
men; ich frage nur. res Etats mit Leidenschaft begleiten. Noch einmal zum
Was die Pkw-Maut anbetrifft, werden wir jetzt wohl Thema Selbstbewusstsein: Trotz der vermeintlichen
eine größere Schutzgemeinschaft mit dem ADAC gegen Übermacht des Bundesfinanzministeriums gilt beim
die CSU bilden müssen. Mit der heutigen Rede von Umgang mit diesem Ministerium: Kopf hoch und nicht
Minister Ramsauer ist die Katze aus dem Sack. Wie fing die Hände, Herr Minister!
das denn an? Am Anfang haben Sie gesagt: „In meinem (Beifall bei der LINKEN – Heiterkeit des Abg.
Hause gibt es keine Denkverbote.“ Dagegen kann man Johannes Kahrs [SPD] – Johannes Kahrs
nichts sagen. Dann gab es etwas Aufregung, und Sie ha- [SPD]: Der war gut!)
ben so etwas Ähnliches gesagt wie: Niemand hat die Ab-
sicht, eine Maut einzuführen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN Das Wort hat der Kollege Stephan Kühn vom Bünd-
und der SPD – Uwe Beckmeyer [SPD]: Sehr nis 90/Die Grünen.
gut gelernt!)
(Johannes Kahrs [SPD]: Aber nun auf sie mit
Heute kommen Sie nun mit dieser Absicht daher. Ich Gebrüll!)
frage Sie: Reicht denn nicht die Abzocke der Autofahre-
rinnen und -fahrer an der Tankstelle? Muss denn das nun
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
auch noch sein? Wir meinen, nein.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-
(Beifall bei der LINKEN) ren! Man kann es nicht oft genug sagen: Der Haushalt ist
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14729
Stephan Kühn
(A) das in Zahlen gegossene politische Programm einer Re- Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die Klima- (C)
gierung. Man müsste darin also eine Strategie erkennen, schutzziele der Bundesregierung.
(Lachen des Abg. Johannes Kahrs [SPD] – (Torsten Staffeldt [FDP]: Was ist mit der
Johannes Kahrs [SPD]: Das stimmt! Man Wasserstraße?)
müsste!)
Meine Damen und Herren, eine Verlagerung des Ver-
wie einerseits das prognostizierte Verkehrswachstum kehrs auf die Schiene ist also dringend erforderlich, fin-
insbesondere im Güterverkehr bewältigt wird und ande- det aber nicht statt, weil das notwendige Geld für Schie-
rerseits Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen nenprojekte im Haushalt fehlt. Herr Minister, Sie
im Verkehrsbereich deutlich reduziert werden. streichen 500 Millionen Euro an Bahndividende ein, die
Herr Minister, von einer solchen finanziell unterleg- wir im Übrigen für grundfalsch halten. Sie können sich
ten Strategie habe ich weder etwas in Ihrer Rede gehört aber wieder nicht gegenüber dem Finanzminister durch-
– ich glaube, das Wort „Klima“ ist in Ihrer Rede gar setzen; denn das Geld kommt nicht on top. Vielmehr
nicht aufgetaucht –, noch kann ich eine solche dem Etat- bleibt die bisherige Investitionslinie von 1,2 Milliarden
entwurf entnehmen. Sie haben darauf überhaupt keine Euro für Bedarfsplanprojekte der Schiene plus 100 Mil-
Antwort. lionen Euro für den Lärmschutz erhalten. Das Geld der
Bahndividende kommt nicht on top, sondern es ver-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) schwindet. Notwendige Investitionen gerade im Güter-
Wo sind eigentlich die versprochenen sektorspezifischen verkehrsbereich werden nicht getätigt. Die Bahn hat ei-
Ziele, die Sie in einem Energie- und Klimakonzept für nen jährlichen Bedarf von 1,8 Milliarden Euro. Jeder
den Bereich Verkehr formulieren wollten? Diese haben kann es nachrechnen: Bei 1,2 Milliarden Euro plus
Sie im Januar 2010 angekündigt. 100 Millionen Euro plus Bahndividende wären wir bei
der Größenordnung, die eigentlich jährlich gebraucht
(Johannes Kahrs [SPD]: Lange her!) wird, um wichtige Güterverkehrstrassen auszubauen.
Bisher wurde nichts geliefert. Wir erinnern uns daran, Das passiert weiterhin nicht.
dass im Energiekonzept der Bundesregierung kein kon-
(Otto Fricke [FDP]: Da seid ihr doch auch
kretes CO2-Minderungsziel für den Verkehrsbereich auf-
dagegen!)
geschrieben wurde. Herr Minister, ich frage Sie: Wie
sieht eigentlich Ihre Strategie für eine klimafreundliche Sie rufen – so auch heute – immer nach mehr Geld für
Mobilität aus? Darüber haben wir heute nichts gehört, die Straßen. Wir alle haben dies im Sommerloch mit Ih-
und wir finden auch im Etat nichts dazu. rer Forderung nach einer Pkw-Vignette, also nach einer
(B)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Flatrate für das Autofahren, erlebt. Diese Vignette unter- (D)
scheidet jedoch nicht zwischen denjenigen, die viel fah-
Der Anteil des Verkehrssektors am Endenergiever- ren, und denjenigen, die wenig fahren. Sie unterscheidet
brauch in Deutschland steigt, während die Anteile der auch nicht zwischen denjenigen, die in einem Kleinwa-
Industrie, des Gewerbes und der Haushalte sinken. Für gen sitzen, und denjenigen, die in einem Geländewagen
über 80 Prozent des Endenergieverbrauchs ist der Stra- unterwegs sind. Meine Damen und Herren, es kommt
ßenverkehr verantwortlich. Herr Minister, Ihre klima- selten vor, aber hier sind wir uns selbst mit dem ADAC
politische Antwort darauf sind Gigaliner?! einig; denn diese Vignette ist ökologisch kontraproduk-
(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!) tiv, und sie ist vor allen Dingen sozial ungerecht.
Da verzweifelt selbst der ADAC. Dass Gigaliner Um- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
welt und Verkehrswege entlasten würden, entbehrt jeder sowie bei Abgeordneten der SPD)
Grundlage. Während Sie – so auch heute – keine Gele-
genheit auslassen, den massiven Instandhaltungsrück- Mehr Geld löst im Übrigen das Grundproblem nicht.
stand bei der Straßeninfrastruktur zu kritisieren und zu (Johannes Kahrs [SPD]: Das Grundproblem ist
beklagen, wollen Sie gleichzeitig Gigaliner auf den das Ministerium!)
schon jetzt desolaten Straßen fahren lassen.
(Johannes Kahrs [SPD]: Unglaublich!) Das Grundproblem ist, dass die Mittel falsch und nicht
effektiv eingesetzt werden. Sie setzen einfach die fal-
Das ist überhaupt nicht verständlich, schen Prioritäten. Es gibt kein bundeseinheitliches Er-
haltungsmanagement. Wir wissen gar nicht genau, wie
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
schlimm es wirklich aussieht. Wir wissen nicht, wie der
und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der
steigende Instandhaltungsbedarf in den nächsten Jahren
LINKEN)
finanziell dargestellt werden soll. Ich erinnere daran: Der
zumal Gigaliner die Verkehrssicherheit gefährden und Großteil des westdeutschen Straßennetzes wurde Mitte
dem Ziel, Verkehr auf die Schiene zu verlagern, deutlich der 60er- bis Mitte der 80er-Jahre gebaut. Hier schieben
schaden. wir eine riesige Bugwelle an Instandhaltungsinvestitio-
nen vor uns her. Andererseits wollen Sie über 2 000 Ki-
(Johannes Kahrs [SPD]: So ist das!)
lometer an neuen Bundesautobahnen bauen. Ich frage
Nur 17 Prozent des Güterverkehrs werden über die mich, was das mit dem Prinzip „Erhalt vor Neubau“ zu
Schiene abgewickelt, über 70 Prozent über die Straße. tun hat. Gedanken darüber, wie diese zusätzlichen Un-
14730 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Stephan Kühn
(A) terhaltungskosten künftig abgedeckt werden sollen, Arnold Vaatz (CDU/CSU): (C)
macht sich offensichtlich keiner. Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Ich finde schon, dass es erneut gelungen ist, ei-
Statt beim Planen und Bauen verkehrsträgerübergrei- nen Etatentwurf des Ministeriums für Verkehr, Bau und
fend zu denken, also in Netzen und Verkehrskorridoren, Stadtentwicklung vorzulegen, der angesichts der drama-
und statt sich auf Engpässe und Lückenschlüsse zu kon- tischen finanzpolitischen Situation, in der er aufgestellt
zentrieren, geht es weiter wie bisher: Jedem Wahlkreis- worden ist, einen enormen investiven Anteil aufweist.
abgeordneten und dem Minister seine Ortsumfahrung!
Das ist verkehrs- und klimapolitisch eine Sackgasse, und (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
das wissen Sie eigentlich auch. Ich finde auch, dass er ganz klare Akzente setzt. Peter
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Ramsauer hat schon auf einige hingewiesen. Ich will das
auch tun.
Sie ändern aber nichts daran, obwohl Anspruch und
Wirklichkeit deutlich auseinanderklaffen. Es gibt 2011 (Johannes Kahrs [SPD]: Genau! Pkw-Maut!)
und 2012 keine Neubeginne von Projekten im Straßen- Meine Damen und Herren von der Opposition, Sie
bereich. Der neue Investitionsrahmenplan, den Sie bald sprechen seit einiger Zeit ständig hämisch davon, dass
vorlegen werden, wird dem bisherigen Plan gleichen und unsere Investitionsvorhaben unterfinanziert seien usw.
keine neuen Projekte enthalten. Die bisherige Investi-
tionsstrategie – wenn man überhaupt von einer Strategie (Uwe Beckmeyer [SPD]: Das sagt der Minis-
reden kann – ist deutlich gescheitert. ter selbst!)

Legen Sie bitte endlich einen Haushalt vor, mit dem – Ja, aber er sagt es nicht hämisch,
die Erreichung der Klimaschutzziele und die Senkung (Lachen bei Abgeordneten der SPD)
der Lärm- und Schadstoffemissionen wirklich gelingen
können. Was Sie machen, ist einfach planlos. Oder soll sondern
beispielsweise die Kürzung der Mittel für den Radwege- (Ute Kumpf [SPD]: Betroffen!)
bau an Bundesstraßen Ihr Beitrag zur Haushaltskonsoli-
dierung sein? Ich kann mir das, ehrlich gesagt, nicht vor- er hat meines Erachtens in beeindruckender Art und
stellen. Weise für die Verstetigung unseres Investitionshaushal-
tes bzw. Investitionsanteils gekämpft, und er hat das er-
reicht. Das halte ich für eine große Leistung.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Kommen Sie bitte zum Schluss. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(B) (D)
Dass Sie Kritik üben, ist Ihr gutes Recht, aber Ihre Kritik
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): wäre nur dann glaubwürdig, wenn Sie unter den von Ih-
Ich komme zum Schluss. nen eingebrachten zahlreichen Haushalten einen einzi-
gen vorweisen könnten, der dieses Investitionsniveau er-
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, zum Schluss ver- reicht oder gar übertrifft, aber das können Sie nicht.
söhnliche Worte zu finden und das Thema Transrapid
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
anzusprechen. In der Haushaltsdebatte vom 23. Novem-
Johannes Kahrs [SPD]: Die letzten zwei! Na
ber 2010 hat der Minister zum Thema Transrapid gesagt:
klar!)
Wir haben sofort die weiße Fahne eingeholt und Wir werden auch in Zeiten der notwendigen Haus-
sind zu einer Marktoffensive übergegangen. Das haltskonsolidierung unsere wichtigen Investitions- und
Ganze sieht jetzt Gott sei Dank einigermaßen er- Förderprogramme sichern und fortführen. Das ist für das
folgversprechend aus. Wir werfen die Flinte nicht Land das Richtige. Der Kern unserer Verkehrs- und Bau-
ins Korn. politik ist es, die Infrastruktur zu erhalten, zu verbessern
Herr Minister, Sie sind in der Zwischenzeit offen- und keinen weiteren Werteverzehr aufgrund von unter-
sichtlich etwas weiser geworden. Sie haben endlich die lassenen Erhaltungs- und Instandhaltungsmaßnahmen
Beerdigungskosten für den Transrapid in den Haushalt zuzulassen.
eingestellt. Das ist gut so. Ich hoffe, dass Sie in dieser (Johannes Kahrs [SPD]: Aber genau so wird es
Richtung weiterhin so entscheidungsfreudig sind. Das kommen!)
würde uns beglücken.
Das ist der Schwerpunkt.
Herzlichen Dank.
Leider ist es so, dass es die Finanzlage erforderlich
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) macht, dass einige der Instandhaltungsaufgaben nun
auch zulasten von erforderlichen Neu- und Ausbaupro-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: jekten gehen.
Das Wort hat der Kollege Arnold Vaatz von der CDU/ (Johannes Kahrs [SPD]: Keine Steuern weg!
CSU-Fraktion. Dann haben Sie 6 Milliarden!)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Das ist bedauerlich, aber das ist nicht ausschließlich eine
neten der FDP) Folge des knappen Geldes, sondern auch der Tatsache,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14731
Arnold Vaatz
(A) dass die Schar der SPD-Finanzminister über Jahre hin- schnell Verbesserungen des Infrastrukturangebots des (C)
weg die Sanierung vernachlässigt hat, zuzuschreiben. Unternehmens herbeigeführt werden. Auch das ist ein
richtiges Signal.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Johannes Kahrs [SPD]: Das ist doch Unsinn! – Ein weiteres richtiges Signal: Die Einnahmen aus der
Uwe Beckmeyer [SPD]: Absoluter Unsinn! Lkw-Maut fließen wieder vollständig in den Bereich
Kein Finanzminister war erfolgreicher als Straße zurück.
Steinbrück!)
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Was haben Sie denn gemacht? Sie haben uns jahrelang der CDU/CSU – Johannes Kahrs [SPD]: Und
mit Mogelpackungen traktiert. gibt es jetzt mehr Geld für Straßenbau? Nein!)
(Johannes Kahrs [SPD]: Sie haben doch vier Damit unternehmen wir, wie angekündigt, den nächsten
Jahre mit uns regiert!) Schritt in Richtung Nutzerfinanzierung.
Sie haben immer wieder neue klangvolle Namen erfun- (Johannes Kahrs [SPD]: Es gibt doch gar nicht
den: das Zukunftsinvestitionsprogramm ZIP – darin wa- mehr Geld!)
ren die UMTS-Gelder enthalten – oder das Antistaupro-
gramm, wofür Sie die Mittel, die durch die Einführung Jetzt kann jeder den sogenannten Mautkreislauf im
der Lkw-Maut eingenommen wurden, verbraten haben. Haushalt genau verfolgen. Warum? Weil die Maut ein ei-
genes Kapitel erhält. Das ist das Ende des Hütchenspiels
(Johannes Kahrs [SPD]: Herr Kollege, wir ha- mit den Mauteinnahmen, das Sie lange Zeit bewusst ge-
ben zusammen regiert!) spielt haben.
Es gab ständig neue wohlklingende Namen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Johannes Kahrs [SPD]: Sie waren dabei!) Damit schaffen wir Vertrauen.
– Am Anfang waren Sie allein. Die ersten Programme
(Johannes Kahrs [SPD]: Der Etat ist doch gar
haben Sie unter Rot-Grün verabschiedet.
nicht gestiegen!)
(Johannes Kahrs [SPD]: Wir haben zusammen
Vertrauen ist in dieser Frage das Allerwichtigste. Unsere
regiert! Sie haben das hier verteidigt! Vier
Politik wurde dadurch diskreditiert, dass wir ursprüng-
Jahre lang! Nicht die schlechtesten!)
lich versprochen hatten, die Einnahmen aus der Lkw-
Den Investitionsprogrammen stand immer die gleiche Maut direkt in den Bereich Straße zurückzuführen, da-
Menge an Mitteln zur Verfügung. Sie haben lediglich raus aber nichts wurde. Wenn man so mit der Öffentlich-
(B) (D)
Hütchenspiele betrieben, immer mit dem gleichen Geld. keit umgeht, glaubt einem die Öffentlichkeit natürlich
nicht mehr, dass Finanzmittel, die vom Nutzer einer In-
(Johannes Kahrs [SPD]: Sie haben mit-
frastruktur aufgebracht werden, in Zukunft direkt und
gemacht!)
zweckgerichtet für die Erneuerung dieser Infrastruktur
Wir werden die künftigen Investitionen seriös planen. verwendet werden. Ich glaube, an dieser Stelle haben wir
ein Stück weit Vertrauen wiederhergestellt. Ich halte das
(Johannes Kahrs [SPD]: Das erste Mal!)
für sehr wichtig.
Das Ministerium wird in diesem Herbst einen Investi-
Wir müssen in Zukunft dafür sorgen – ich hoffe, dass
tionsrahmenplan für die nächsten fünf Jahre vorlegen.
wir diesbezüglich alle an einem Strang ziehen werden –,
Dieser Haushalt ist die Grundlage dafür und belegt, dass
dass die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft
wir das umsetzen.
kreditfähig ist.
(Uwe Beckmeyer [SPD]: Ist das eine
Recyclingrede?) (Johannes Kahrs [SPD]: Schattenhaushalte!)

Wir brauchen Planungs- und Finanzierungssicherheit. – Nein, das ist kein Schattenhaushalt.
Minister Ramsauer hat es gerade dargestellt: Er konnte (Johannes Kahrs [SPD]: Nein! Das sind
die Finanzierungssicherheit spürbar verbessern. Schattenhaushalte! Das ist Betrug!)
Ich möchte auf das Thema Schiene zu sprechen kom- Sie muss in der Lage sein, flexibel auf Einschränkungen
men. Im Rahmen der Verhandlungen mit der Deutschen zu reagieren, die durch schwankende Einnahmen aus der
Bahn hat der Minister bekanntlich erreicht, dass in den Lkw-Maut entstehen können.
kommenden vier Haushaltsjahren Mittel in Höhe von
insgesamt 1 Milliarde Euro zur Verfügung stehen. Wä- (Johannes Kahrs [SPD]: Das sind Schatten-
ren Sie ehrlich, dann würden Sie diese Leistung anerken- haushalte! Das sind Hütchenspiele!)
nen.
Ich halte das für eine wichtige Sache. Ich glaube, wir
(Uwe Beckmeyer [SPD]: Dabei kommen 25 Mil- sollten das versuchen und nicht diskreditieren. Dadurch
lionen heraus in dieser Legislaturperiode!) werden die Handlungsmöglichkeiten flexibler. Es wird
kein Geld versteckt.
Begrüßenswert ist auch, dass die DB Netz AG mit
Eigenmitteln in Höhe von immerhin 130 Millionen Euro (Johannes Kahrs [SPD]: Doch! Das sind
49 Kleinprojekte durchführt. Auch dadurch können übelste Hütchenspiele!)
14732 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Arnold Vaatz
(A) – Es ist falsch, wenn Sie das sagen. Sie können jede die- Ein zentraler Teil unseres Budgets fließt in die Städte- (C)
ser Kreditaufnahmen nachprüfen. bauförderung. Ich muss sagen, dass ich davon beein-
druckt bin, dass es uns gelungen ist, basierend auf dem
(Florian Pronold [SPD]: Warum haben Sie es Eckwertebeschluss von 266 Millionen Euro jetzt einen
in den letzten zwei Jahren denn nicht gemacht, Ansatz von 410 Millionen Euro, plus 92 Millionen Euro
wenn es richtig ist?) aus dem Energie- und Klimafonds, vorzulegen. Das ist
Bezüglich der Bundesfernstraßen müssen wir den eine enorme Leistung.
Wechsel von der Steuerfinanzierung zur Nutzerfinanzie- (Johannes Kahrs [SPD]: Noch 200 Millionen
rung schrittweise durchführen. Es gibt bereits eine große weniger! Hütchenspiele!)
Diskussion über die Maut. Sie schießen sich darauf
schon ein, obwohl Frau Winterstein Ihnen in aller Deut- Ich finde es außerdem hervorragend, dass es uns gelun-
lichkeit gesagt hat, gen ist, aus dem Programm „Soziale Stadt“ ein Pro-
gramm zu machen, das nicht mehr der Finanzierung von
(Roland Claus [DIE LINKE]: Das Gegenteil Malwettbewerben und Stadtteilfesten dient, sondern der
von Peter Ramsauer hat sie gesagt!) Infrastruktur.
dass es eine Reihe von Alternativen gibt, über die man in (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu-
diesem Zusammenhang reden muss. Sie alle täten gut ruf von der SPD: Pfui! – Bettina Herlitzius
daran, erst einmal abzuwarten, was das Ministerium [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das
dazu vorlegt. Dann sollten wir darüber diskutieren. Das nicht verstanden! Immer noch nicht! Sie soll-
wäre ein sachlicher Stil. ten sich schämen für diese Aussage! – Roland
(Uwe Beckmeyer [SPD]: Das sagen Sie ein- Claus [DIE LINKE]: Sie haben keine Ahnung! –
mal Herrn Ramsauer! Der arbeitet doch da- Uwe Beckmeyer [SPD]: Das Zitat werden wir
ran!) benutzen!)
Es macht doch keinen Sinn, dass Sie sich schon jetzt auf Genau so haben wir das gewollt, und so ist es richtig.
ein Phantom einschießen, über das Sie noch gar nichts Es gibt auch noch – –
wissen.
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Herr Claus, Ihnen will ich sagen: Ich konnte über Ih- NEN]: Gehen Sie nach Hause! – Thomas
ren dümmlichen Witz nicht so richtig lachen. Ich weiß Lutze [DIE LINKE]: Ein Schlag ins Gesicht!
nicht, ob Sie zum Ausdruck bringen wollten, dass die Sie haben keine Ahnung von Sozialem und
Mauer in irgendeiner Weise mit der Maut vergleichbar Kultur in den Städten! – Weitere Zurufe)
(B) ist. (D)
(Uwe Beckmeyer [SPD]: Nein! Mit der Lüge! Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das haben Sie nicht verstanden!) Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Wort hat der
Kollege Vaatz, und anschließend gibt es noch Redner Ih-
Ich war bis jetzt der Meinung, dass die Mauer ein etwas
rer Fraktionen, die dazu Stellung nehmen können. –
anderes Kaliber ist als die Maut.
Bitte.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Arnold Vaatz (CDU/CSU):
NEN]: Ach du liebe Güte!) Es gibt noch ein Problem, und ich hoffe, dass es uns
Zur Maut selber. Uwe Beckmeyer gelingt, dieses zu lösen.

(Johannes Kahrs [SPD]: Guter Mann!) (Zuruf des Abg. Florian Pronold [SPD])

fordert eine flächendeckende Lkw-Maut, und zwar am Im Rahmen des Altschuldenhilfeprogramms stehen noch
liebsten gleich noch für Kreisstraßen. 146 Millionen Euro zur Verfügung, die bisher nicht in
Anspruch genommen worden sind.
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Ja!) (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Er hat wirklich keinerlei Ahnung! Das
Ich muss sagen, das scheint ein typischer Robin-Hood- ist Wahnsinn! Schockierend!)
Reflex in der SPD zu sein: den Reichen etwas wegneh-
Ich hoffe, dass es uns gelingt, diese Summe für diesen
men und den Armen etwas geben. Aber durchdacht ist
Zweck nutzbar zu machen; die Gelder würden sonst im
das nicht. Das ist ein Schuss aus der Hüfte, der keinerlei
Jahr 2013 verfallen. Ich vertraue darauf, dass die Versu-
Bedeutung hat, keinerlei Seriosität ausstrahlt und auch
che, die wir uns vorgenommen haben, glücklich enden
kein Vertrauen bildet.
werden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Uwe Beckmeyer [SPD]: Es ist schade um die
neten der FDP – Johannes Kahrs [SPD]: Mei-
Redezeit!)
nen Sie die Pkw-Maut? – Florian Pronold
[SPD]: Das waren ja gewichtige Gegenargu- Im Übrigen möchte ich noch einmal an die Länder ap-
mente, die Sie gerade gegen diesen Vorschlag pellieren. Ich halte es für einen Skandal, wie man mit
gebracht haben!) dem Entwurf eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14733
Arnold Vaatz
(A) von Maßnahmen zur energetischen Sanierung von aufstellung zu thematisieren und erfolgreich für Abhilfe (C)
Wohngebäuden umgegangen ist. zu sorgen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Herr Minister, Sie sind ein Minister der leeren Ta-
schen. Während sich Ihre Kabinettskollegen ihren Anteil
Überdenken Sie Ihre Haltung und kehren Sie zu einem
am Haushalt sichern, schauen Sie mut- und kraftlos zu.
vernünftigen, berechenbaren Konsens – es war schon Ihrer Tatenlosigkeit folgt Ratlosigkeit. Zwar haben
einmal einer erzielt – zurück. Unterstützen Sie dieses
Union und FDP in ihrem Koalitionsvertrag eine weitrei-
Gesetz; sonst zerstören Sie eine Säule unserer Bemühun-
chende Infrastrukturfinanzierung angekündigt, aber bis-
gen bei der energiepolitischen Sanierung. her ist nichts passiert. Am 22. März 2010 kündigten Sie,
Lassen Sie es uns gemeinsam anpacken. Lassen Sie Herr Minister Ramsauer, an, etwas im Hinblick auf die
uns arbeiten. Ich hoffe, es gelingt uns in den nächsten Kreditfähigkeit der VIFG zu tun. Bis zum heutigen Tage
Wochen und Monaten, noch ein paar kleine Korrekturen haben Sie keine gesetzliche Initiative ergriffen.
vorzunehmen, die den Haushalt noch weiter verbessern.
(Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister: Der
Er ist schon sehr gut.
Entwurf liegt vor!)
Vielen Dank.
Wir haben bei der Auswertung der Medien ohne große
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – La- Mühe über 60 Ankündigungen von Ihnen persönlich als
chen bei Abgeordneten der SPD – Johannes Bundesverkehrsminister identifiziert. Bei allen ist nur
Kahrs [SPD]: Zurück in die Vergangenheit!) heiße Luft herausgekommen.
(Torsten Staffeldt [FDP]: Für heiße Luft sind
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Sie zuständig, Herr Beckmeyer!)
Das Wort hat der Kollege Uwe Beckmeyer von der
SPD-Fraktion. Sie organisieren nicht Mobilität, Sie organisieren den
Stillstand.
(Beifall bei der SPD – Johannes Kahrs [SPD]:
Guter Mann! – Thomas Jarzombek [CDU/ (Beifall bei der SPD)
CSU]: Jetzt sind wir mal gespannt, was ihr bei Wer heute in die Süddeutsche Zeitung schaut und den
der Maut wollt! Dazu hat noch keiner was ge- großen Artikel auf Seite 1 liest, der stellt fest, in welchen
sagt!) finanziellen Nöten Sie sich tatsächlich befinden. So wird
es ab 2012 kein einziges Neubauprojekt bei der Straße
Uwe Beckmeyer (SPD): geben.
(B) Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- (D)
(Patrick Döring [FDP]: Das wusste doch
ren! Herr Vaatz, auf Ihre Rede gehe ich nicht ein. jeder!)
(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: Dann lassen Sie Sagen Sie den Menschen im Lande, dass keine notwen-
es! Das ist doch gut so!) dige Ortsumgehung mehr gebaut wird! Sagen Sie den
Herr Minister Ramsauer, Sie wollen Mobilität in Unternehmen im Ruhrgebiet und den Unternehmen der
Deutschland ermöglichen. Das ist Ihr Stehsatz, den Sie verladenden Wirtschaft in Hamburg und Bremen, an den
bei jeder Gelegenheit, bei jedem öffentlichen Auftritt be- Nord- und Ostseehäfen, dass sie auch in Zukunft mit ih-
nutzen. ren Fahrzeugen im Stau stehen! Sagen Sie den Men-
schen, dass für mehr Lärmschutz kein Geld da ist!
(Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister: Heute
ausnahmsweise nicht!) Wenn ich mir die in der Süddeutschen Zeitung be-
schriebene Unterfinanzierung vor Augen führe, verstehe
Die Frage ist: Was passiert wirklich? Menschen stehen ich nicht, weshalb Sie sich seit zwei Jahren mit allem
im Stau, sie schwitzen im Sommer in den Grillzügen, sie Möglichen beschäftigen, nur nicht mit den zentralen Fra-
warten frierend im Winterchaos bei der Bahn, sie leiden gen der deutschen Verkehrspolitik. Die FAZ hat doch
unter Verkehrslärm, und sie sind frustriert über Ihr Miss- recht, wenn sie schreibt:
management bei der Aschewolke. Die Menschen in
Deutschland sind es leid, nur Ausflüchte und leere Ver- Um Verkehrspolitik zu gestalten, reichen das Fum-
sprechungen von Ihnen zu hören. Herr Minister, ich meln an der Punktekartei in Flensburg, das beglei-
denke, wir brauchen Taten. tete Autofahren mit 17 Jahren
Sie sind ein getriebener, zudem unglücklich agieren- – das ist sicherlich auch wichtig –
der Verkehrsminister, der der deutschen Verkehrspolitik oder das Durchforsten des Verkehrsschilderwaldes
inzwischen mehr und mehr schadet. Wenn Sie, Herr nicht aus.
Minister, heute, aber auch in den letzten Tagen den Fi-
nanzierungsmangel bei der deutschen Verkehrsinfra- Hören Sie auf mit diesem Klein-Klein! Sie pflegen Ihre
struktur öffentlich beklagen, klagen Sie sich im Grunde Bagatellen. Aber diese Bagatellen bringen uns nicht vo-
selbst an. Denn Sie sind es gewesen, der es in den letzten ran: weder die Einrichtung einer Taskforce, die sich mit
Jahren nicht geschafft hat, diesen Mangel bei den Inves- der Frage beschäftigt, wie englische Begriffe in die deut-
titionen für Sanierung und Modernisierung mit Nach- sche Sprache übersetzt werden können, noch die natio-
druck in der jetzigen Bundesregierung bei der Haushalts- nale Salzreserve
14734 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Uwe Beckmeyer
(A) (Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Die Salz- Mobilität. Sie brechen mit Ihrem eigenen Credo, das be- (C)
reserve haben doch Ihre Parteifreunde gefor- sagt, dass Sie die individuelle Mobilität fördern wollen.
dert!) Der ADAC spricht von Abzocke; nehmen Sie das einmal
zur Kenntnis. Wider jede verkehrspolitische Vernunft,
noch die Tatsache, dass Ihre Frau eine Cousine von Frau
heißt es vonseiten des ADAC. Die FDP will sie nicht.
Bullock ist. Das interessiert uns nicht. Uns interessiert
Die CDU will sie nicht. Nur Sie wollen sie. Wir wissen
vielmehr, ob Sie in der Lage sind, die deutsche Verkehrs-
schon heute, dass Sie am Ende des Prozesses mit leeren
wirtschaft und die Investitionen voranzubringen.
Händen dastehen werden. Sie haben nichts organisiert.
Herr Minister, Sie verpassen die großen Themen im Sie haben nur heiße Luft produziert. Sie beschäftigen
Bau- und Verkehrsbereich. Sie haben nicht nur ein Aus- uns damit, aber am Ende ist nichts geschafft.
gabenproblem, weil Sie den vorhandenen Bedarf nicht
(Beifall bei der SPD)
mit den unzureichenden Mitteln unter einen Hut bringen
können, sondern Sie organisieren sich auch noch ein Nicht der Individualverkehr auf unseren Straßen, son-
Einnahmeproblem. Wenn diese Koalition die neuen dern der Güterverkehr wächst. Deshalb brauchen wir
Mautsätze für die Euro-3-Stinker zurücknimmt, verzich- neue Konzepte und einen verkehrspolitischen Konsens
tet sie auf einen dreistelligen Millionenbetrag. Auch was für den Güterverkehr. Sie holen aber niemanden an den
die angekündigte Lkw-Maut auf vierstreifigen Bundes- Tisch, um über das, was wir benötigen, zu reden. Sie re-
straßen angeht, ist bis zum heutigen Tage kein Vollzug den mit niemandem darüber, wie wir es auf die Beine
gemeldet. Im Haushalt sind dafür für dieses und nächstes stellen können, damit es gesamtgesellschaftlich im Kon-
Jahr jeweils 110 Millionen Euro vorgesehen. Sie werden sens akzeptiert wird. Genau das ist doch aber nötig.
das bis zum Ende der Legislaturperiode aber nicht schaf- Kümmern Sie sich bitte darum oder treten Sie ab! Sie
fen. Sie verzichten auf Einnahmen. Sie organisieren Ihr müssen Antworten auf die Fragen geben, wie wir in
Einnahmeproblem im Grunde selbst. Deutschland Infrastruktur organisieren wollen, welches
Netz wir auf der Schiene brauchen, welches Autobahn-
Nicht nur bei diesen Themen, den großen Zukunfts-
netz wir benötigen, wo Ergänzungen nötig sind und wie
themen der Mobilität, versagen Sie, sondern auch beim
Sie die Brückensanierungsprogramme ordentlich finan-
Thema Stadtentwicklung. Wo Stadtentwicklung und Ge-
zieren wollen.
bäudebestand dem demografischen Wandel und dem
Klimaschutz angepasst werden müssten, nehmen Sie
massive Einschnitte vor. Da ist bei Ihnen der Rückwärts- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
gang angesagt und keine flotte Fahrt nach vorn. Nein, Herr Beckmeyer, kommen Sie bitte zum Schluss.
Sie müssen die Städtebauförderung im Rahmen des Na-
(B) tionalen Stadtentwicklungsprogramms endlich als Auf- Uwe Beckmeyer (SPD): (D)
gabe der Politik, als Aufgabe des Bundes begreifen. Das Ja. – Ich will am Ende sagen: Es ist doch klar, worin
heißt, Sie müssen sie gemeinsam mit Ländern und Kom- die Dramatik liegt. Die Regierungskoalition sagt, dass
munen fortführen, sie verlässlich finanzieren und die 10 Milliarden Euro pro Jahr zur Verfügung stehen. Neh-
Programmstrukturen und Schwerpunkte weiterentwi- men Sie aber bitte zur Kenntnis, dass in dieser Zeit die
ckeln. Sie dürfen aber nicht so ein dümmliches Zeug re- Baupreise um 20 Prozent gestiegen sind und dass durch
den wie Herr Vaatz, der dies diskreditiert hat. Umplanungen Kostensteigerungen von weiteren 10 Pro-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ zent entstanden sind. Real stehen Ihnen dadurch für Ihre
DIE GRÜNEN) Aufgaben aktuell 30 Prozent weniger zur Verfügung. In-
sofern stellen wir fest, dass wir es hier mit einem Werte-
Allein, Sie, Herr Minister, haben auf diese Fragen verlust in der Verkehrsinfrastruktur zu tun haben. Sie
keine Antworten. Sie sind ein Mann der leeren Taschen aber bemänteln das.
– ich wiederhole es – und der leeren Versprechungen.
Statt Finanzkraft zu schaffen, sind Ihnen die Milliarden-
beträge vom Bundesfinanzminister und von der Regie- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
rungskoalition abgenommen worden. Im Zusammen- Herr Beckmeyer!
hang mit der DB AG waren es 2 Milliarden Euro. Hinzu
kommen die Aussetzung der von der Großen Koalition Uwe Beckmeyer (SPD):
beschlossenen Erhöhung der Lkw-Maut – ich sage das Sehr geehrter Herr Minister, da Sie diesen Aufgaben
noch einmal –, die Luftverkehrsteuer und die misslun- nicht nachkommen, möchten wir Sozialdemokraten Sie
gene Einführung einer Lkw-Maut auf Bundesstraßen. daran erinnern, dass Sie einen Eid gemäß Art. 56 des
Herr Minister, kein Verkehrsminister vor Ihnen war er- Grundgesetzes geleistet haben. Sie haben sich dem Wohl
folgloser als Sie. des deutschen Volkes zu widmen und seinen Nutzen zu
(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/ mehren. Tun Sie das bitte!
CSU und der FDP – Bartholomäus Kalb (Beifall bei der SPD – Otto Fricke [FDP]:
[CDU/CSU]: Das sagen ausgerechnet Sie! Sie Auch die Opposition!)
haben doch nur Chaos hinterlassen! Es waren
zwei Jahre Chaos bei Ihnen!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Nun wärmen Sie den CSU-Evergreen Pkw-Maut auf. Das Wort hat jetzt der Kollege Patrick Döring von der
Sie machen die Mobilität damit teurer. Sie verhindern FDP-Fraktion.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14735
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
(A) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – nigstens die Infrastruktur nicht mit privatisiert wurde. (C)
Johannes Kahrs [SPD]: Der Vorkämpfer für Sie haben unter Rot-Grün die Politik betrieben, die Sie
die Pkw-Maut!) jetzt beklagen. Dem Bundesverkehrsminister vorzuwer-
fen, dass die in den 90er-Jahren angeschafften ICEs
Patrick Döring (FDP): Qualitätsprobleme haben, ist nun wirklich ein starkes
Herr Präsident! Meine liebe Kolleginnen und Kolle- Stück. Das geht so nicht.
gen! Lieber Herr Kollege Beckmeyer, einen Minister, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
dem der Haushaltsgesetzgeber 25,3 Milliarden Euro, da-
von 13,7 Milliarden Euro für Investitionen, zur Verfü- Es wurde insgesamt aus meiner Sicht zu viel über die
gung stellen will, als Minister der leeren Taschen zu einzelnen Investitionsetats gesprochen, über die wir si-
bezeichnen, sagt viel über Ihr haushaltspolitisches cherlich auch kritisch diskutieren werden. Aber es gilt
Grundverständnis aus. am Ende: Was passiert mit dem Geld? Wie effizient wird
es eingesetzt? Ich finde es schon spannend, dass es einen
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – fundamentalen Widerspruch zwischen den beiden zu-
Bettina Hagedorn [SPD]: Sie wollen doch die künftigen, am liebsten gemeinsam regierenden Fraktio-
Steuersenkungen!) nen Grün und Rot gibt.
In der letzten Fachdebatte vor der Schlussrunde in der (Johannes Kahrs [SPD]: Den zukünftigen! Das
Haushaltswoche darf man so etwas sagen. Ich wundere war schon einmal eine wunderbare Ansage!)
mich darüber, was die Haushaltspolitiker der Sozialde-
mokraten dieser Koalition in der allgemeinen Ausspra- – Mal sehen, ob das so bleibt.
che und auch in der Debatte über den Kanzleretat vorge- (Johannes Kahrs [SPD]: Sie haben sich schon
halten haben: Angeblich trickse die Koalition bei der aufgegeben!)
Berechnung der Schuldengrenze,
Der Kollege Kühn hat das beschrieben, was die Sozial-
(Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist so! Das ist
demokraten in Baden-Württemberg als kleinerer Partner
eine Tatsache! Fragen Sie mal die Bundes-
im Koalitionsvertrag mitgetragen haben: Aus der Sicht
bank!)
der grünen Partei sind neue Projekte beim Straßenbau in
angeblich mache die Koalition mehr Schulden, als sie Deutschland nicht mehr nötig. Das ist ein fundamentaler
müsse, und angeblich sei die Koalition nicht auf dem Widerspruch zu der Rede, die der Kollege Beckmeyer
Pfad der Konsolidierung. Beide Reden aus der sozialde- gehalten hat. Das müssen Sie einmal in Übereinstim-
mokratischen Fraktion zu diesem Etat waren reine Aus- mung bringen. Ich bin sehr gespannt, wie Ihnen das ge-
(B) gabeerhöhungsreden ohne einen einzigen konkreten Ge- lingen wird. Wir haben grundsätzlich eine andere Ein- (D)
genfinanzierungsvorschlag. So geht es nicht. schätzung zu diesem Sachverhalt.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Johannes Kahrs [SPD]: Das ist uns doch sie-
Am Ende wird der Blick auf die ganze Woche gerich- ben Jahre lang hervorragend gelungen!)
tet. Als Opposition den Eindruck zu erwecken, das Geld
fiele in dem Moment, in dem andere regierten, vom Wir werden bei der Frage, ob wir unsere Mittel effi-
Himmel – das haben Sie getan; das wurde in dieser Wo- zient einsetzen, auch mit den Ländern, egal wie sie regiert
che deutlich –, ist schlichtweg unseriös. Ich finde es werden, sehr harte Auseinandersetzungen führen müssen.
schon bemerkenswert, dass der Kollege Beckmeyer Es lohnt, nachzufragen, warum wir nicht genau wissen,
zwar die Muße und die Zeit hatte, der Neuen Osnabrü- wie hoch die Verwaltungskosten und die Planungskosten
cker Zeitung sein Konzept zu einer Schwerverkehrsab- in den einzelnen Bundesländern sind. Wir müssen über-
gabe auf allen Straßen in Deutschland zu erklären, aber prüfen, warum die Bundesrepublik Deutschland so teuer
in seiner Redezeit kein Wort zu baut wie kein anderes Land in der Europäischen Union,
obwohl die gleichen Umweltstandards und die gleichen
(Zuruf von der CDU/CSU: Weil es peinlich Planungsrechte gelten. Daran muss man gehen, bevor
ist!) man sich überlegt, wo man zusätzliche Einnahmen gene-
einem Erhöhungsprogramm für jegliche Waren und Gü- riert. Es ist möglich, Infrastrukturmaßnahmen zu realisie-
ter im täglichen Bedarf und zu einem Preiserhöhungs- ren, wenn man mit den Mitteln kreativ und effizient um-
programm für jeden Umzug in der Stadt, was mit einer geht.
gewaltigen Datenmenge und Verwaltungskosten garniert
(Beifall des Abg. Torsten Staffeldt [FDP])
wäre, verlor. Dazu müssten Sie hier einmal etwas sagen,
geschätzter Kollege, statt einfach nur drumherum zu re- Deshalb sage ich für die FDP-Fraktion ganz klar: Das
den. Gleiche gilt zum Beispiel auch für das, was der Bundes-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) haushalt für die Finanzierung von Schienenpersonennah-
verkehr aufwendet. Der Bundesgerichtshof hat in einem
Bemerkenswert ist auch die Einlassung der Sozialde- bemerkenswerten Urteil festgehalten, dass nach der der-
mokraten zur Deutschen Bahn. Sie haben in Ihrer Regie- zeitigen Rechtslage Direktvergaben im Schienenperso-
rungszeit mit den Grünen die Privatisierung einschließ- nennahverkehr nicht mehr möglich sein sollen. Wir be-
lich des Schienennetzes betrieben. Sie mussten am Ende grüßen dieses Urteil ausdrücklich. Es stellt sicher, dass
auf den Pfad der Tugend gebracht werden, sodass we- wir in der wettbewerblichen Vergabe das beste Angebot
14736 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Patrick Döring
(A) bekommen. Das schafft Effizienz. Dadurch bekommen die Bahn sei zu teuer. Von vielen Bürgerinnen und Bür- (C)
wir mit den gleichen Mitteln im Bundeshaushalt mehr gern wird das auch so wahrgenommen. Doch anstatt der
Schienenpersonennahverkehr. Bahn stärker unter die Arme zu greifen, verursacht der
Gesetzgeber die hohen Preise zum Teil selbst.
Diese Koalition will das. Ich bin gespannt, wie Sie
sich dazu einlassen. Ich höre, dass aus dem Bundesrat Erstes Beispiel: Was hat Deutschland mit Bulgarien,
der Wunsch kommt, die Direktvergabe wieder zu ermög- Estland, Litauen, Ungarn, Rumänien und der Slowakei
lichen. Wir sollten im Sinne der Effizienz als Haushalts- gemeinsam? – Den vollen Mehrwertsteuersatz auf Fern-
gesetzgeber Bundestag gegenhalten. verkehrstickets. In allen anderen EU-Staaten sind diese
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Fahrkarten entweder steuerfrei, zum Beispiel in Großbri-
der CDU/CSU) tannien, oder mit dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz
belegt, zum Beispiel in Frankreich. Ändern Sie das, und
Ein letztes Wort zur Stadtentwicklung und zur Gebäu- die Fahrkarten werden direkt um mindestens 12 Prozent
desanierung. Dass diejenigen, die das CO2-Gebäudesa- günstiger.
nierungsprogramm bewusst befristet in den Bundeshaus-
halt eingestellt haben, wohl wissend, dass im nächsten (Beifall bei der LINKEN)
Jahr nichts mehr gemacht werden würde, uns vorhalten,
die 1,5 Milliarden Euro würden nicht reichen, ist schon Zweites Beispiel: Die direkte Konkurrenz der Bahn
eine sehr bemerkenswerte politische Einschätzung. ist der Flugverkehr. Das gilt zumindest, wenn man den
innerdeutschen Flugverkehr betrachtet. Doch während
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) die Eisenbahn Ökosteuer zahlen muss, ist Flugbenzin
Ich sage Ihnen: Geben Sie Ihren Widerstand gegen nach wie vor steuerfrei.
die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten im Rah- (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]:
men der Gebäudesanierung auf. Lassen Sie uns gemein- Unglaublich!)
sam für die Menschen mit Eigenheim oder mit Eigen-
tumswohnungen, für die Vermieterinnen und Vermieter Was hat das mit Wettbewerbsgleichheit zu tun? Bekla-
von ein bis zwei Wohnungen die Möglichkeiten zur steu- gen Sie bitte nicht, dass die Bahn zu teuer ist. Sie sub-
erlichen Abschreibung verbessern; denn das schafft gute ventionieren die Mitbewerber und halten die Bahnfahr-
Nachfrage bei Handwerk und Handel vor Ort. karten mit der Mehrwertsteuer und der Ökosteuer
(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: künstlich teuer.
Klimaschutz!) Noch ein schönes Beispiel: Die Bundesregierung
(B) Wenn Sie dort auch in den Ländern Ihren Widerstand plant, die Einschränkungen beim Fernbusverkehr abzu- (D)
aufgeben, dann erzielen wir einen zusätzlichen positiven schaffen. Hauptargument sind hierbei die Verbraucher,
Effekt für den Klimaschutz. Das Ministerium ist nämlich die nun ein preiswerteres Angebot im Vergleich zur
nicht nur für Verkehr und Bau zuständig, sondern ganz Bahn erhalten sollen. Dass die Busse ohne Maut über die
besonders auch für den Klimaschutz. Das beweisen wir Autobahn fahren dürfen, ist hierbei selbstverständlich.
mit diesem Haushalt. Dass für den Bahnverkehr auf der Schiene aber Trassen-
gebühren und Gebühren für jeden Halt in einem Bahnhof
Vielen Dank. abgedrückt werden muss, weiß kaum jemand. Was hat es
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – also mit Chancengleichheit im Wettbewerb zu tun, wenn
Johannes Kahrs [SPD]: Den Klimaschutz ha- das eine Verkehrsmittel eine Maut zahlen muss und das
ben Sie doch schon aufgegeben!) andere nicht?
(Beifall bei der LINKEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Für die Linken hat jetzt das Wort der Kollege Thomas Und noch ein Beispiel: Die Bahn – und damit der
Lutze. Bund – investiert Millionenbeträge, damit Züge und
(Beifall bei der LINKEN) Bahnhöfe barrierefrei gestaltet werden können. Das ist
auch gut so. Ich frage Sie, Herr Ramsauer: Müssen ab
1. Januar 2012 auch alle Fernbusse behindertengerecht
Thomas Lutze (DIE LINKE): ausgestattet werden? Bisher nicht. Das ist aber keine
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der freiwillige Leistung. Es ist geltendes Recht, resultierend
Bund unterstützt den Eisenbahnverkehr in einem erheb- aus der Ratifizierung einer UN-Konvention. Wenn Sie
lichen Umfang. Neben den Regionalisierungsmitteln bei der Liberalisierung des Fernbusverkehrs diesen Fak-
sind das vor allen Dingen Investitionen in die Infrastruk- tor außen vor lassen, verstoßen Sie nicht nur gegen gel-
tur. Als Linke fordern wir dennoch mehr finanzielle Un- tendes Recht, sondern behandeln auch hier die einzelnen
terstützung für den Bahnverkehr. Wir sind gegen milliar- Verkehrsträger ungleich.
denteure Prestigeprojekte, falls die Frage auftauchen
sollte, woher das Geld denn kommen soll. (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der
SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
(Beifall bei der LINKEN)
Unglaublich! – Patrick Döring [FDP]: Was
Aber auch andere Entscheidungen der Bundesregie- schon im Gesetz steht, muss man nicht noch in
rung sind wenig sinnvoll. Es wird immer wieder gesagt, andere Gesetze schreiben!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14737
Thomas Lutze
(A) – Herr Döring, dann sorgen Sie einfach dafür, dass ab gen uns tatsächlich wieder einen Haushaltsentwurf vor, (C)
1. Januar 2012 die Busse behindertengerecht ausgestattet der bei genau diesen beiden Schlüsselthemen des Baube-
sind. Sie werden nicht einen Bus finden, der das ist. reiches, Städtebauförderung und energetischer Gebäude-
sanierung, massive Kürzungen vorsieht.
(Patrick Döring [FDP]: Wenn das geltendes
Recht ist, wird es so sein!) (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/
DIE GRÜNEN und der SPD)
– Ich sage Ihnen: Sie werden kein Busunternehmen fin-
den, das seine Fernverkehrsbusse freiwillig so ausstattet, Herr Minister, mit diesem Haushalt verabschieden Sie
dass sie behindertengerecht sind. Das kostet richtig Geld sich endgültig von Ihrem eigenen Klimakonzept der
und wird nur dann gemacht, wenn sie dazu verpflichtet Bundesregierung. Verantwortliche Energie- und Klima-
werden. politik sieht anders aus.
Wenn für diese Busse auch noch eine Autobahntras- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sengebühr bezahlt werden müsste, wären die Tickets fast sowie bei Abgeordneten der SPD)
genauso teuer wie bei der Bahn.
Den ganzen Sommer über haben wir uns viele Sonn-
Die sehr unterschiedlichen Tarifregelungen für die tagsreden angehört. Wir haben von vielen Pressekonfe-
Angestellten der Bahn und die Angestellten der Busun- renzen gelesen. Die Bauindustrie hat gestrahlt. Die Wäh-
ternehmen sind hier ein weiteres Thema. ler, nicht nur in Bayern, waren sehr zufrieden, und unser
Vergleichbares in Ihrer Politik gibt es beim Güterver- Minister Ramsauer zog stolz durchs Land und verkün-
kehr. Der Kollege von den Grünen hat es bereits ange- dete noch im Mai kämpferisch – ich zitiere –:
sprochen. Anstatt hier für die Verlagerung von der Die Städtebauförderung ist unverzichtbar für unsere
Straße auf die Schiene zu sorgen, will die Bundesregie- Städte … Ich werde mich mit Nachdruck dafür ein-
rung sogar die Gigaliner zulassen. setzen, dass im Bundeshaushalt 2012 mindestens
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Unglaub- 455 Millionen Euro für die Städtebauförderung be-
lich! – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- reitgestellt werden.
NEN: Pfui! – Patrick Döring [FDP]: Erpro- Gut gebrüllt, Löwe.
ben!)
Herr Minister, gegen wen kämpfen Sie eigentlich? Sie
Sie werden sich trotz unserer Kritik nicht von diesen selbst haben die Budgetverantwortung für Ihren Haus-
Projekten, die ich gerade aufgezählt habe, abhalten las- halt. Übernehmen Sie sie endlich! Stehen Sie wenigstens
sen. einmal zu Ihren Worten!
(B) (D)
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Doch, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
doch! Dafür sorgen wir!)
Finanzieren Sie eine Städtebauförderung, die ihren Na-
Aber man kann Ihnen dann vorwerfen, dass ein fairer men verdient, und lassen Sie endlich die Finger weg von
marktwirtschaftlicher Wettbewerb zwischen den Ver- der sozialen Stadt!
kehrsträgern für Sie ein Fremdwort ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Als die Linke sagen wir sehr deutlich: Wir wollen sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
eine leistungsfähige, flächendeckende und vor allen Din- KEN)
gen auch preisgünstige Bahn. Und überall da, wo keine
Schienen vorhanden sind oder dies betriebswirtschaft- Sie haben es nicht verstanden. Der Kollege Vaatz hat das
lich nun gar nicht funktionieren sollte, können wir gerne noch einmal demonstriert.
Busse einsetzen. Dafür brauchen Sie die Gesetze nicht Auch für die Bauindustrie gab es politische Visionen
zu ändern. Das geht heute schon. in diesem Sommer. Eine Energie-AfA sollte kommen.
Vielen Dank. Es sollte eine Abschreibung für energetische Sanierung
eingeführt werden.
(Beifall bei der LINKEN)
(Patrick Döring [FDP]: Sie verhindern das
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: doch! Ihre Länder sind das!)
Für die Grünen spricht nun die Kollegin Bettina Noch im Juni hat Herr Ramsauer gesagt – Original-
Herlitzius. zitat –:
Um die Sanierungsquote auf 2 Prozent zu erhöhen,
Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
stellt die Bundesregierung ab dem kommenden Jahr
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen jährlich 1,5 Milliarden Euro … zur Verfügung. Zu-
und Herren! Und täglich grüßt das Murmeltier: Seitdem sätzlich werden wir steuerliche Förderung schaffen,
Schwarz-Gelb in Berlin regiert, treffen wir uns jährlich um weitere Eigentümergruppen für eine energeti-
im Plenum zu den Haushaltsberatungen, und immer läuft sche Sanierung zu gewinnen.
dieselbe Szenerie ab. Den ganzen Sommer über sagen
uns die Mitglieder der Regierung, wie wichtig die Städ- Das hört sich erst einmal gut an. Politische Visionen sind
tebauförderung für unsere Städte und die KfW-Förde- aber die eine Seite, die nackten Haushaltszahlen im
rung für unsere Gebäude ist. Was aber passiert? Sie le- Herbst sind die andere.
14738 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

(A) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Patrick Döring [FDP]: Sie verhindern es!) (C)
Frau Herlitzius, der Kollege Sebastian Körber würde
Sie wollen sich auf Kosten der Länder einen schlanken
Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen.
Fuß machen. Das ist nicht in Ordnung. Auch wir Grünen
wollen eine steuerliche Abschreibung für energetische
Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sanierung.
Ja.
(Patrick Döring [FDP]: Dann macht es doch!)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Wir stehen dazu. Aber wir sollten sie richtig machen,
Bitte schön. nämlich mit einem fairen Finanzausgleich für die Län-
der. So einfach ist das.
Sebastian Körber (FDP): (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
Vielen Dank, Frau Kollegin Herlitzius. Sie haben ein SES 90/DIE GRÜNEN – Otto Fricke [FDP]:
sehr gutes Instrument angesprochen, das zur Gebäude- Das ist doch lächerlich!)
sanierung in Deutschland beitragen könnte, nämlich die
steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten für Immobi- Im Haushalt sind aber noch einige andere Sommer-
lien. Der Gesetzesvorschlag der Koalition und der Bun- märchen enthalten. Das Programm „Altersgerecht Um-
desregierung ist bekanntermaßen im Bundesrat abge- bauen“ der KfW war, glaube ich, Ihr Sommermärchen,
lehnt worden, und zwar unter Federführung der rot-grün Herr Körber. Auch hierfür wollten Sie kämpfen. Seit
geführten Länder, aber auch des grün-rot geführten Lan- zwei Jahren ist dieses Förderprogramm auf dem Markt.
des, nämlich Baden-Württemberg. Die Bauherren hatten kaum Zeit, sich darauf einzustel-
len. Jetzt, da es langsam zu wirken anfängt, stampft
Wenn man den Koalitionsvertrag von Baden- diese Regierung es ein.
Württemberg liest, dann hat man das Gefühl, Klima-
schutz steht in jeder dritten Zeile. Ich finde es fast unver-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
schämt, wenn Sie hier sagen, dass der Bereich von unse-
Frau Kollegin Herlitzius, darf ich Sie noch einmal un-
rer Seite nicht mit ausreichenden finanziellen Mitteln
terbrechen? – Der Kollege Fricke würde Ihnen gerne
bedacht worden ist. Ich frage Sie deshalb: Finden Sie es
eine Zwischenfrage stellen. Sie entscheiden das.
nicht problematisch, oder ist es Ihnen nicht zumindest
etwas peinlich, wie sich der grüne Ministerpräsident
Herr Kretschmann in diesem Punkt verhält? Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Okay.
(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(B) NEN]: Warum haben Sie denn den Vermitt- (D)
lungsausschuss nicht angerufen?) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Bitte schön.
Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Körber, ich glaube, es sollte Ihnen peinlich sein. Otto Fricke (FDP):
Frau Kollegin Herlitzius, ich finde es schon beacht-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lich,
Denn Ihnen müsste das Subsidiaritätsprinzip bekannt (Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
sein. Das heißt, was wir in Berlin beschließen, sollten NEN]: Die sind alle hochnervös!)
wir auch selber auf vernünftige Weise finanzieren.
wenn eine Bundestagsabgeordnete fordert, dass die Län-
(Patrick Döring [FDP]: Die Länder kriegen der Geld vom Bund erhalten sollen. Sie haben eine Ver-
42 Prozent der Einkünfte!) antwortung für den Bundeshaushalt. Vielleicht beruht
Wenn es um den Länderanteil aus der Mehrwert- Ihre Haltung auf einer mangelnden Faktenkenntnis. Ha-
steuer, Einkommensteuer oder anderen Steuern geht, ben nach Ihrer Meinung die Länder und Kommunen
dann müssen wir den Ländern Kompensation anbieten. mehr Steuereinnahmen oder der Bund? Das wissen Sie
wahrscheinlich nicht.
(Otto Fricke [FDP]: Warum das denn? Die
kriegen doch genau dasselbe Geld!) (Beifall bei Abgeordneten der FDP und
der CDU/CSU)
Wir können sie in den aktuellen Haushaltsdebatten nicht
im Regen stehen lassen. Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Herr Fricke, das ist eine allgemeine Aussage. Auf
welche Steuern beziehen Sie sich?
Die 1,5 Milliarden Euro für die KfW-Gebäudesanie-
rung sind leider anders als angekündigt aus dem Haus- (Patrick Döring [FDP]: Die Gesamtsteuer-
halt verschwunden. Man findet sie jetzt im Energie- und einnahmen!)
Klimafonds, allerdings ohne eine sichere Finanzierung.
Wir haben ein sehr differenziertes Steuersystem mit ganz
Mit der steuerlichen Abschreibung – Herr Körber hat unterschiedlichen Sätzen. Denken Sie an die Mehrwert-
es gerade angesprochen – ist es ähnlich. Auch das hat steuer, die Einkommensteuer, die Grunderwerbsteuer
nicht geklappt. oder die Grundsteuer. Es gibt zig verschiedene Instru-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14739
Bettina Herlitzius
(A) mente. Sie wollen jetzt pauschalisieren. Ich denke, das In diesem Sinne. (C)
passt nicht.
(Heiterkeit und Beifall beim BÜNDNIS 90/
(Otto Fricke [FDP]: Sie wissen es nicht!) DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Wir wollen, dass Sie sich fair mit den Ländern aus-
einandersetzen und mit ihnen zusammen eine Lösung Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
finden. Sie haben etwas vorgeschlagen – das werfen wir Für die SPD hat der Kollege Florian Pronold das
Ihnen vor –, und Sie wollen, dass es scheitert. Wort.
(Patrick Döring [FDP]: Sie lassen es (Beifall bei der SPD – Johannes Kahrs [SPD]:
scheitern!) Guter Mann!)
Das ist zu verurteilen; denn Sie spielen mit den Gebäu-
debesitzern, die Sie veräppelt haben. Genau das ist Ihre Florian Pronold (SPD):
Strategie: Große Ankündigungen, und dann setzen Sie Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
das Ding doch in den Sand. und Herren! Lieber Herr Minister Ramsauer, Sie sind bei
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN den vergangenen Debatten immer als Ankündigungs-
sowie bei Abgeordneten der SPD – Wider- minister gestartet – eine Ankündigung nach der anderen.
spruch bei der FDP) Heute müssen wir feststellen: Sie sind der Stillstands-
minister dieser Regierung, weil sich in keinem Ressort
– Regen Sie sich nur ordentlich auf! Machen Sie eine so wenig bewegt wie in Ihrem. Der Ankündigung folgt
vernünftige Finanzpolitik! – kein Handeln.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
und bei der SPD – Patrick Döring [FDP]: Sie des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
sind Bundestagsabgeordnete, nicht Landtags-
abgeordnete!) Im Februar waren Sie bei einem großen Ausstatter der
Deutschen Bahn AG und haben angekündigt: Jetzt wird
Ich komme zu dem Förderprogramm, das Herr Körber es besser. Die Züge werden geliefert, das Eisenbahn-
angesprochen hat, zurück. Es ist seit zwei Jahren auf Bundesamt wird entsprechend handeln. – Gestern fand
dem Markt. Kümmern Sie sich darum. Demografischer ein Bahngipfel statt, auf dem dieselbe Ankündigung ge-
Wandel ist ein wichtiges Thema. Aber der demografi- macht wurde, nämlich dass es besser wird, dass die Züge
sche Wandel ist im Bauministerium offensichtlich so geliefert werden und das Eisenbahn-Bundesamt schnel-
weit fortgeschritten, dass man ihn einfach vergessen hat. ler prüfen wird. Gleichzeitig kündigen Sie schon jetzt an, (D)
(B)
Dabei ist der demografische Wandel in unserer Gesell- dass sich die Bahnfahrerinnen und Bahnfahrer auch in
schaft neben dem Klimawandel eine weitere große He- diesem Winter wieder auf ein Chaos einstellen müssen,
rausforderung. Nur 1 Prozent der Wohnungen ist barriere- weil es die entsprechenden Züge nicht gibt. Was stimmt
frei. Das ist zu wenig. Wir Grüne fordern, dass Sie dieses denn nun, Herr Minister?
Programm wieder auflegen. Wir müssen die Barrieren in
unseren Wohnungen, in unseren Stadtvierteln, aber vor Sie haben hier an diesem Mikrofon angekündigt, dass
allem die Barrieren in den Köpfen dieser Regierung be- zukünftig 100 Prozent des Zuwachses an Güterverkehr
seitigen. auf der Schiene stattfinden soll. Wie sieht es jetzt aus?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sie haben selber die Süddeutsche Zeitung von heute zi-
sowie bei Abgeordneten der SPD) tiert: „Bund fehlt Geld für neue Straßen und Schienen“.
Dem besagten Artikel in der Süddeutschen Zeitung ent-
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Regierungspar- nehmen wir: Y-Trasse – kein Geld vorgesehen; Rhein-
teien, mit diesem Haushaltsentwurf machen Sie uns ei- Ruhr-Express – kein Geld vorgesehen; es gibt keine
nes deutlich: Mit sozial Schwachen, mit Alten und mit neuen Mittel, um tatsächlich zu gewährleisten, dass
Behinderten haben Sie nichts am Hut. Aber die Hoff- mehr Güterverkehr auf der Schiene stattfindet. – Das ist
nung stirbt zuletzt. das Ergebnis Ihrer Ankündigungen: heiße Luft und
nichts dahinter.
Wie sieht es denn mit der Kultur aus? Ist die Baukul-
tur, unser historisches Erbe, vielleicht eine Aufgabe, de- (Beifall bei der SPD)
rer sich diese Regierung annimmt? Nein, weit gefehlt.
Diese Regierung braucht auch keine Baukultur. Selbst Sie haben selber im letzten Haushalt zum Beispiel im
ein kleines Förderprogramm wie das für die Unterstüt- Bereich kombinierte Verkehre gekürzt. Dort haben Sie
zung des UNESCO-Weltkulturerbes in Deutschland sogar das Gegenteil von dem gemacht, was vorher ange-
wird von Ihnen nicht weitergeführt. kündigt worden ist. Was fällt Ihnen als Alternative ein?
(Johannes Kahrs [SPD]: Gestrichen! (Uwe Beckmeyer [SPD]: Nichts!)
Unglaublich!)
Gigaliner. Anfang nächsten Jahres soll es einen entspre-
Dazu fällt mir ein Zitat von Gottlieb Saphir ein: In- chenden Feldversuch geben. Übrigens ist es der zweite
wiefern sind Minister und Pantoffeln sich gleich? Man Versuch dieser Art. Es ist ja nicht so, dass es nicht schon
gewinnt beide oft erst dann lieb, wenn sie abgetreten welche gegeben hat, aus denen man Rückschlüsse hätte
sind. ziehen können.
14740 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Florian Pronold
(A) Selbst das CDU-FDP-regierte Land Hessen steigt aus kommen?“, dann stelle ich Ihnen eine Gegenfrage: Wie (C)
diesem Feldversuch jetzt aus. kann man Milliarden für Geschenke an die Klientel, an
reiche Erben und an Hoteliers, ausgeben und nachher be-
(Patrick Döring [FDP]: Abwarten!) klagen, dass Geld fehlt?
Sie kündigen an, dass Sie Ihr Vorhaben mit einer Aus- (Bettina Hagedorn [SPD]: Und Steuern
nahmeverordnung gegen den Willen der Mehrheit der senken!)
Länder durchsetzen.
Wie kann man die Ausweitung der Lkw-Maut zurück-
Ich sage Ihnen hier von dieser Stelle – die Allianz pro
nehmen und auf Geld für die Infrastruktur verzichten?
Schiene hat ein Gutachten vorgelegt –:
Wie kann man die vierspurigen Bundesstraßen nicht
(Patrick Döring [FDP]: Sie berufen sich ja auf vollständig, sondern nur zu einem Drittel in die Lkw-
interessante Experten!) Maut aufnehmen wollen? Wie ist damit vereinbar, dass
diese Mauteinnahmen nicht einmal in den Haushalt flie-
Das, was Sie machen, ist nicht nur inhaltlich falsch, es ßen, weil das nicht umsetzbar ist?
ist auch verfassungswidrig.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei der SPD – Patrick Döring [FDP]: des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Quatsch!)
Wie kann man von Verkehrsträgerfinanzierungskreisläu-
Die SPD-Bundestagsfraktion wird klagen, wenn Sie fen reden – im letzten Haushalt waren eine Luftverkehrs-
diese Ausnahmeverordnung in Kraft setzen. Der Weg, abgabe und eine Zwangsdividende für die Bahn veran-
den Sie hier einschlagen, ist kein Weg in die Zukunft; kert – und die Mehreinnahmen nicht komplett dem
das ist ein Weg in die verkehrspolitische Vergangenheit. Verkehrshaushalt, sondern der allgemeinen Schuldentil-
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Roland gung zukommen lassen?
Claus [DIE LINKE] – Thomas Jarzombek (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stephan
[CDU/CSU]: Warum steigt das von Ihnen re- Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] –
gierte Land Hamburg dann ein?) Patrick Döring [FDP]: Ich denke, Sie wollen,
Eine weitere Ankündigung von Ihnen lautet, die Ver- dass wir mehr Schulden machen?)
kehrsfinanzierungsgesellschaften kreditfähig zu machen. Sie reden immer davon, dass Sie mehr Geld für Inves-
Darüber kann man trefflich streiten. Sie haben es ange- titionen brauchen. Da haben Sie recht. Aber dann neh-
kündigt, Herr Ramsauer. Herr Vaatz hat es gerade ange- men Sie die Klientelgeschenke zurück und sorgen Sie
(B) kündigt. Was wird aus den Ankündigungen? Sie haben für echte Verkehrsträgerfinanzierungskreisläufe. Inves- (D)
doch die Mehrheit hier. Bringen Sie endlich den ange- tieren Sie das zur Verfügung stehende Geld auch in die
kündigten Gesetzentwurf ein; dann können wir auch da- Verkehrsinfrastruktur. Dann muss man keinen einzigen
rüber reden. Pendler belasten.
Die Bundeskanzlerin hat vor der Wahl versprochen:
(Beifall bei der SPD – Patrick Döring [FDP]:
Es wird mit dieser Regierungskoalition keine Einfüh-
Sparen oder mehr Ausgaben?)
rung einer Pkw-Maut geben.
Die Halbzeitbilanz dieser Bundesregierung dokumen-
(Patrick Döring [FDP]: So ist das auch!)
tiert eines: Sie kann nicht regieren. Sie macht Ankündi-
Da ist sie im Wort. gungen, und daraus folgt im Regelfall nichts. Wenn es
einen Beleg für die Unfähigkeit zum Regieren gibt, dann
(Otto Fricke [FDP]: Es gibt Meinungsfreiheit!) ist es die Personifizierung durch den Bundesverkehrsmi-
Was sagt dazu der Herr Bundesminister? Wessen Wort nister.
gilt denn nun in dieser Bundesregierung? Wer gibt jetzt Herzlichen Dank.
den Ton an? Ist es der Herr Ramsauer, der auf einmal die
Pkw-Maut entdeckt? Er wollte sie erst nur prüfen, in die- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
ser Legislaturperiode aber nicht einführen; binnen vier des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Abg.
Wochen ist nun ein Gesetzentwurf entstanden. Ich frage Reinhold Sendker [CDU/CSU] begibt sich
Sie: Was gilt denn nun? Hat die Bundeskanzlerin recht? zum Rednerpult)
Bleibt es bei dem Wort der Bundeskanzlerin? Oder ist es
so, dass der Herr Ramsauer nach längerer Prüfung doch Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
einen Gesetzentwurf vorlegt, der nur auf eines abzielt,
nämlich darauf, die Autofahrerinnen und Autofahrer ab- Herr Kollege Sendker, ich habe Sie noch nicht aufge-
zuzocken? rufen. Aber Sie können gerne dort stehen bleiben; denn
Sie haben jetzt das Wort. Allerdings ruft immer noch der
(Beifall bei der SPD – Daniela Wagner Präsident die Redner auf. – Das Wort hat der Kollege
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alle anderen Reinhold Sendker von der CDU/CSU-Fraktion.
haben auch eine Maut!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Sie beklagen zu Recht, dass zu wenig Geld in die In- Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Die Abge-
frastruktur fließt. Wenn Sie fragen: „Woher soll das Geld ordneten werden immer selbstständiger!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14741

(A) Reinhold Sendker (CDU/CSU): Das dient weder den Menschen noch der Region. Wer (C)
Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident. – Meine lie- vom Bund mehr Geld für Investitionen im Verkehr for-
ben Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr dert, aber vor Ort ÖPP ablehnt, meine Damen und Her-
Pronold, Sie haben eben die Süddeutsche Zeitung zitiert ren, der muss Geld ohne Ende haben, oder er ist schlicht
und unseren Minister als Stillstandsminister bezeichnet. unglaubwürdig.
(Johannes Kahrs [SPD]: Recht hat er!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Ich darf einmal die Süddeutsche Zeitung vom 1. Septem- NEN]: Nein!)
ber zitieren. Darin werden Sie, verehrter Herr Pronold,
als „Trümmermann der SPD“ bezeichnet. So, wie Sie Neben der ÖPP-Finanzierung verfolgen wir mit
sich heute Morgen eingelassen haben, haben Sie bei uns Nachdruck den Prüfauftrag zur Herstellung eines Finan-
auch nicht gerade den Eindruck erweckt, dass Sie für zierungskreislaufs Straße unter direkter Zuweisung der
Deutschland ein guter Ratgeber in Sachen zukünftige In- Lkw-Maut an die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsge-
vestitionen in die Verkehrsinfrastruktur sind. sellschaft VIFG.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Der Haushaltsentwurf enthält auch gute Mittelansätze
Gustav Herzog [SPD]: Sagen Sie doch einmal für den Lärmschutz, für Radwege an Bundesstraßen, für
etwas zur Sache!) die kombinierten Verkehre und 130 Millionen Euro für
die Beseitigung der Lkw-Stellplatzdefizite. Die Bereit-
Herr Pronold, richtig ist, dass auch in 2012 die inves- stellung dieser Stellplätze ist nicht nur eine gesetzliche
tiven Mittel für den Verkehr nach Auslaufen der Kon- Verpflichtung. Sie dienen vor allem der Sicherheit an un-
junkturprogramme und trotz notwendiger Sparpolitik seren Autobahnen.
höher sind als vor der Krise und auch höher als in 2011.
Solide Haushaltsverhältnisse und mehr investive Mittel Apropos Verkehrssicherheit. Von 1970 bis 2010 sank
für den Verkehr leisten einen starken Beitrag, damit die Zahl der Verkehrstoten auf unseren Straßen von
Deutschland das bleibt, was es ist: Wachstumslokomo- 20 000 auf 4 000. Im abgelaufenen Jahr 2010 starben auf
tive in Europa. Das ist unser Ziel. Deutschlands Straßen mit 3 648 so wenig Menschen wie
seit 60 Jahren nicht mehr. Zielführend war dabei auch
Unser Land ist das Kernland Europas. Es ist Transit- die Einführung des begleiteten Fahrens mit 17 als Dauer-
land und der größte Logistikstandort der Welt. Daran recht, die auf unsere Initiative zurückgeht. Ich darf fest-
muss sich eine zukunftsfähige Verkehrsinfrastruktur stellen, auch hier sind wir auf einem guten Weg.
orientieren.
(Beifall bei der CDU/CSU)
(B) Beim Verkehrsträger Straße sind für uns drei Punkte (D)
von großer Bedeutung: Erstens. Der Finanzierungskreis- Auch beim Verkehrsträger Schiene ist mit über 4 Mil-
lauf Straße ist hergestellt. Er schafft viel Transparenz liarden Euro mehr veranschlagt worden als in 2011. Es
und Akzeptanz für unsere Investitionen. Zweitens ist es gibt eine erfreuliche Perspektive im Finanzplan bis 2015
ebenso erfreulich, dass im Haushaltsplanentwurf für mit einem Aufwuchs um weitere 1,1 Milliarden Euro.
2012 mehr Mittel für die Straße eingestellt sind als für Meine sehr verehrten Damen und Herren, beim
2011. Drittens lautet bei den Investitionen in Straße un- Thema moderne Bahnhöfe und zukunftsfähige Schie-
sere klare Priorität: Erhalt steht vor Neubau. neninfrastruktur empfehle ich den Grünen, Projekte wie
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Stuttgart 21 nicht länger und immer neu zu blockieren
NEN]: Dann machen Sie es mal!) und kurz und klein zu reden. Nehmen Sie stattdessen
endlich auch die sehr positiven und eindeutigen Ergeb-
Der Minister hat das sehr eindrucksvoll begründet. Im nisse des Stresstests zur Kenntnis und handeln Sie in
Sinne einer intakten Verkehrsinfrastruktur darf es hier Verantwortung danach.
keine Rückstände geben.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Natürlich hätten wir gern mehr investive Mittel für Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
den Neubau zur Verfügung. Deshalb gilt unser Augen- NEN]: Und woher nehmen Sie das Geld?)
merk natürlich den neueren Ansätzen zur Optimierung
von Bau und Bestand im Verkehr. Dazu gehört das Die einen, meine Damen und Herren, reden immer
Thema öffentlich-private Partnerschaft mit ersten sehr nur, andere handeln, darunter auch unser Minister, zum
positiven Erfahrungen im Bundesfernstraßenausbau. Beispiel bei dem schwierigen Thema Zugbeschaffung;
Wie wir hören, ist beispielsweise der Ausbau der A1 auf das war ja eben hier schon Thema. Herr Minister, damit
sechs Spuren im Bereich von Osnabrück bis zum Kame- wird alles getan, damit im Winter die Zahl der Zugaus-
ner Kreuz bis zum Jahre 2020 herkömmlich nicht reali- fälle und -verspätungen verringert wird. Das ist eine gute
sierbar. Ich darf feststellen: Mit einem ÖPP-Projekt wäre Perspektive. Herzlichen Dank dafür.
das sehr wohl möglich gewesen. Leider wird aus erkenn-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
bar ideologischen Gründen ein schnellerer Ausbau auf
dieser wichtigen Nord-Süd-Verbindung vom grünen Das Thema Instandhaltung und Erneuerung ist nicht
NRW-Verkehrsstaatssekretär abgelehnt. nur für Schiene und Straße von Bedeutung, sondern auch
für die Bundeswasserwege.
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Es gibt auch finanzielle Gründe!) (Beifall des Abg. Torsten Staffeldt [FDP])
14742 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Reinhold Sendker
(A) Hierbei hat der verkehrswirtschaftliche Nutzen absolute Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (C)
Priorität. Ich darf anmerken, dass allein ein Viertel des Als letzte Rednerin zu diesem Geschäftsbereich hat
gesamten Gütertransports im größten Bundesland NRW die Kollegin Stefanie Vogelsang von der CDU/CSU-
auf den Wasserstraßen verläuft. Fraktion das Wort.
Überaus erfolgreich – das soll hier auch erwähnt sein – (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
entwickelt sich das CO2-Gebäudesanierungsprogramm: neten der FDP und des Abg. Johannes Kahrs
konjunktur-, wohnungs- und klimapolitisch. In diesem [SPD] – Johannes Kahrs [SPD]: Gute Frau!)
Jahr wurden Mittel in Höhe von fast 1 Milliarde Euro
bereitgestellt. Es ist ein Aufwuchs in den nächsten Jah-
Stefanie Vogelsang (CDU/CSU):
ren bis 2014 auf dann jährlich 1,5 Milliarden Euro ge-
plant. Netter Kollege. – Herr Präsident! Meine Damen und
Herren! Lassen Sie mich als Haushaltspolitikerin der
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Union zum Abschluss dieser Debatte noch einmal einen
NEN]: Nicht im Haushalt!) kurzen Blick auf den Etat des Bundesbauministers wer-
Zum Thema Städtebauförderung hat mein Kollege fen. Wir hatten uns – das möchte ich eingangs sagen – in
Arnold Vaatz alles Wesentliche festgestellt. den letzten Monaten, eigentlich schon seit über einem
Jahr, mit der Staatsschuldenkrise der Länder in der Euro-
(Lachen des Abg. Uwe Beckmeyer [SPD]) Zone zu beschäftigen. In der letzten Wahlperiode hatten
wir eine Wirtschafts- und Finanzkrise und haben über
Es ist uns gelungen, gegenüber dem Eckwertebeschluss
80 Milliarden Euro als Konjunkturmittel zur Verfügung
vom März wieder einen Aufwuchs auf insgesamt über
gestellt. Das war eine richtige und wichtige Maßnahme,
500 Millionen Euro herzustellen. Als Baupolitiker darf
um die wirtschaftliche Entwicklung in der Bundesrepu-
ich ergänzen, dass wir auch an den ländlichen Raum
blik Deutschland voranzubringen. Genau das, was die
denken. Den Ansatz des entsprechenden Programms für
Bundeskanzlerin versprochen hat, nämlich dass Deutsch-
kleine Städte und Gemeinden haben wir auf über 40 Mil-
land stärker aus der Krise hervorgeht, als es hineingegan-
lionen Euro angehoben. Auch das ist eine klare Aussage
gen ist, ist damit auch wahr geworden.
in unserem Entwurf.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Nun geht es aber darum, durch Konsolidierungsmaß-
nahmen diese 80 Milliarden Euro zu refinanzieren. Die
Wer all das im Ergebnis als zu wenig kritisiert, der Konjunkturmittel wurden erfolgreich eingesetzt. Jetzt
möge uns dann bitte sagen, wie denn ansonsten die geht es darum, die Ausgaben herunterzufahren. Deswe-
Haushaltsziele der Konsolidierung und das Einhalten der gen ist es so wichtig und richtig, jeden einzelnen Bereich
(B) Schuldenbremse erreicht werden sollen. Wir jedenfalls zu evaluieren und zu schauen, wo eingespart werden (D)
stehen für eine realistische Politik, für solide Haushalts- kann. Ich möchte meinen Schwerpunkt gerne auf drei
verhältnisse und die Verstetigung der investiven Mittel Punkte legen: die Verkehrsinvestitionen, das CO2-Ge-
auf hohem Niveau, für die Prioritätensetzung Erhalt vor bäudesanierungsprogramm und die Äußerungen von Ih-
Neubau, für den Zugang zu neuen Finanzierungsinstru- nen, Herr Kollege Beckmeyer, zum Thema Städte-
menten, für viel Innovation sowie für Planungssicherheit bauförderung.
in der Städtebauförderung und die Stärkung der Energie-
effizienz. Der Etat des Bundesbauministers beinhaltet mit ei-
nem Anteil von 52 Prozent den größten Teil der Gesamt-
(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- investitionen des Bundes. Das ist eigentlich auch eine
NEN]: Alles reine Fantasie!) Selbstverständlichkeit. Die Mittel für Investitionen in
diesem Bereich belaufen sich auf 13,7 Milliarden Euro.
Ich darf noch einmal auf das bereits angesprochene
Das ist ein enormer Betrag. Wichtig ist, wie ich finde,
Interview von meinem Kollegen Beckmeyer in der
dass dieser enorme Betrag in der mittelfristigen Finanz-
Neuen Osnabrücker Zeitung zurückkommen. Dort haben
planung stetig weitergeführt wird, dass dies also auch
Sie, Herr Beckmeyer, etwas gesagt, was ich gerne unter-
der Ansatz für die nächsten Jahre ist. Nichtsdestotrotz
stütze, nämlich dass die Wirtschaft von einer starken In-
sind 13,7 Milliarden Euro und vor allen Dingen 10 Mil-
frastruktur in Deutschland profitiert. Ja, meine Damen
liarden Euro für den Bereich der Verkehrsinfrastruktur
und Herren, wir haben eine starke Infrastruktur in
nicht gerade üppig. Wir werden uns in den Haushaltsbe-
Deutschland.
ratungen jeden noch so kleinen vorhandenen Spielraum
(Uwe Beckmeyer [SPD]: Aber wir müssen sie anschauen, um vielleicht Möglichkeiten zu finden, die-
noch stärker machen! Und dafür brauchen wir sen Bereich zu verstärken.
gute Straßen und Eisenbahnen!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Mit dem Etatentwurf für 2012 wollen wir sie erhalten
und ausbauen. Das ist unser Ziel. Der zweite Punkt ist das CO2-Gebäudesanierungspro-
gramm. Im Haushaltsausschuss und wahrscheinlich auch
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- in diesem Haus sind wir uns darüber einig, dass das ein
NEN]: Sanieren Sie erst einmal die Brücken!) erfolgreiches Programm ist. Wir stellen in diesem Jahr
Herzlichen Dank. 950 Millionen Euro für die zinsverbilligten Kredite bei
der KfW zur Verfügung. In den Folgejahren, 2012 bis
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) 2014, werden es 1,5 Milliarden Euro sein. Das ist eine
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14743
Stefanie Vogelsang
(A) verlässliche Politik: auf der einen Seite im Hinblick auf Wichtig ist doch, dass die Gebietskörperschaften in (C)
die Reduzierung von CO2-Emissionen und auf der ande- diesem Bereich zusammenarbeiten. Wichtig ist, dass
ren Seite für die mittelständische Bauwirtschaft und die nicht der eine mit dem Finger auf den anderen zeigt,
kleinen Investoren vor Ort, die sich an diesem Pro-
(Uwe Beckmeyer [SPD]: Es geht um Zusam-
gramm orientieren. Das unterstützen wir sehr.
menhalt und Integration und nicht nur um Be-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ton!)
neten der FDP)
sondern dass man zusammen für Städtebauförderung
Der dritte Punkt, Herr Kollege Beckmeyer, ist die einsteht und nicht auf Kosten des Bundeshaushalts ei-
Städtebauförderung. gene Ausgaben einspart. Das ist eine völlig falsche und
verfehlte Politik.
(Sören Bartol [SPD]: Jetzt sind wir gespannt!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Wichtig ist die Botschaft: Der Bund bleibt starker, ver- Bettina Hagedorn [SPD]: Quatsch!)
lässlicher Partner in der Städtebauförderung.
Während wir uns von den Linken im Wahlkampf an-
(Uwe Beckmeyer [SPD]: Auf sehr niedrigem hören müssen, dass das Programm „Soziale Stadt“ zur
Niveau!) Gentrifizierung in den Innenstadtbereichen beiträgt,
Wenn Sie, Herr Beckmeyer, hier die Äußerungen meines müssen wir uns von der SPD anhören, dass die „Soziale
Kollegen Vaatz als „dümmliches Zeug“ bezeichnen, Stadt“ dafür verantwortlich ist, dass in den Innenstadtbe-
reichen kein ärmerer Mensch mehr lebt, weil alle hohe
(Uwe Beckmeyer [SPD]: Das war es Mieten zahlen müssen. Das ist in diesem Zusammen-
allerdings!) hang völlig unverständliches Zeug.
dann würde ich Ihnen gerne einmal das dümmliche Zeug Jetzt würde ich die Zwischenfrage gerne zulassen.
Ihres Kollegen Wowereit im Berliner Wahlkampf vor
Augen führen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Entschuldigen Sie, jetzt haben Sie Ihre Redezeit weit
Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- überschritten; deshalb kommt das nicht mehr infrage.
NEN]: Das ist etwas anderes! Aber das, was
Herr Vaatz gesagt hat, war fatal! Das eine ent- (Heiterkeit im ganzen Hause)
schuldigt nicht das andere!)
Stefanie Vogelsang (CDU/CSU):
(B) Das Programm „Soziale Stadt“ mit einem Schwerpunkt Ein letzter Satz noch. Ich bin der felsenfesten Über- (D)
auf Investitionen in Beton, wie es in der Neujustierung zeugung, dass wir so den richtigen Weg in diesem Be-
des Bundesbauministeriums vorgesehen ist, bedeutet reich gemeinsam gehen können.
keineswegs eine Abkehr des Programms von Investitio-
nen in Menschen. Danke schön.
(Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
NEN]: Doch! Das ist genau das Besondere ge-
wesen: dass es um mehr geht als um Beton!) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Hier im Land Berlin – das ist vielleicht das Vorzeigeland Das hat jetzt natürlich den Wunsch nach einer Kurzin-
für verschiedene Maßnahmen – haben die Kommunen tervention des Kollegen Pronold ausgelöst.
und das Land Sozialarbeiterstellen abgebaut und Mittel (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Liebich
des Programms „Soziale Stadt“ tatsächlich für Themen auch!)
wie Malkurse und Zusammenhalten eingesetzt.
– Ich gebe Ihnen das Wort.
(Bettina Herlitzius [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das ist Quatsch! – Sören Bartol [SPD]:
Florian Pronold (SPD):
Aber das gehört doch dazu! Haben Sie es nicht
begriffen? Das ist ein Paket! – Die Abg. Liebe Frau Kollegin Vogelsang, Sie hätten sich ein-
Florian Pronold [SPD] und Stefan Liebich fach einmal die Projekte der „Sozialen Stadt“ anschauen
[DIE LINKE] melden sich zu einer Zwischen- sollen, statt hier nur darüber zu reden.
frage) (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der LINKEN)
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich war im letzten Jahr den ganzen Sommer über unter-
Frau Kollegin Vogelsang, Entschuldigung, der Kol- wegs
lege Pronold würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage
stellen. Lassen Sie das zu? (Patrick Döring [FDP]: Das waren wir alle
schon!)
Stefanie Vogelsang (CDU/CSU): und habe mir vor Ort angeschaut, was mit dem Geld ge-
Ich spreche meinen Satz noch zu Ende, dann lasse ich macht wird. Was dieses Projekt „Soziale Stadt“ aus-
sie gerne zu. macht, ist die Tatsache, dass man nicht nur in Beton in-
14744 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Florian Pronold
(A) vestiert, sondern in den Zusammenhalt der Menschen brauchen diese Projekte in Berlin dringend. Wenn Sie (C)
vor Ort. die Mittel hierfür mit Ihrer Mehrheit kürzen, dann tun
Sie den Berlinerinnen und Berlinern ganz sicher keinen
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Gefallen.
DIE GRÜNEN)
(Beifall bei der LINKEN – Patrick Döring
Wir reden darüber, dass es Problemviertel gibt. Es
[FDP]: Das soll das Land Berlin mit seinen
langt aber nicht, dort einfach nur ein Gebäude zu sanie-
Mitteln selber machen!)
ren, sondern dort muss aktiv etwas für Integration getan
werden.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
(Dr. Claudia Winterstein [FDP]: Aber nicht Frau Kollegin Vogelsang, Sie können auf beide Inter-
aus dem Etat!) ventionen reagieren.
Das geschieht mit dem Programm „Soziale Stadt“, des-
sen Mittel Sie jetzt um über 60 Prozent gekürzt haben. Stefanie Vogelsang (CDU/CSU):
Wenn Sie uns nicht glauben, dass das Unsinn ist, dann Vielen Dank, dass Sie mir die Gelegenheit geben. –
glauben Sie doch wenigstens den Ergebnissen einer Stu- Herr Kollege Pronold, im Gegensatz zu Ihnen habe ich
die über die Wirkung der Städtebauförderung, die das nicht nur einen Sommer getanzt, sondern ich habe mir
Bundesverkehrsministerium in Auftrag gegeben hat. die Programme der „Sozialen Stadt“ über zehn, zwölf
Dort ist insbesondere das Programm „Soziale Stadt“ – in Jahre angeschaut.
der alten Fassung – als besonders effizient und beson-
ders gut bewertet worden. (Sören Bartol [SPD]: Aber nichts gelernt!)
(Patrick Döring [FDP]: Das gibt es ja auch Ich weiß sehr wohl, wie wichtig aufsuchende Sozial-
noch!) arbeit gerade in schwierigen Kiezen und schwierigen
Gebieten ist.
Wir stehen für sozialen Zusammenhalt. Sie aber brin-
gen soziale Kälte in die Stadt. Hier müssen Sie umkeh- (Florian Pronold [SPD]: Warum kürzen Sie es
ren. dann?)
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem Aufsuchende Sozialarbeit ist das Herz funktionierender
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Patrick Sozialpolitik vor Ort. Hier in Berlin gibt es an aufsu-
Döring [FDP]: Quatsch!) chender Sozialarbeit fast nur noch null Komma null Stel-
len. Sie werden ersetzt durch eine Finanzierung des Bun-
(B) Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: des im Bereich von „Sozialer Stadt“. Das ist einfach (D)
Es gibt den weiteren Wunsch nach einer Kurzinter- nicht richtig. Hier muss aufsuchende Sozialarbeit her,
vention des Kollegen Liebich. Frau Vogelsang, Sie kön- und nicht eine Zweckentfremdung von Bundesmitteln.
nen dann auf beide zusammen antworten. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Bitte schön. Florian Pronold [SPD]: Eine Unterfinanzie-
rung! – Sören Bartol [SPD]: Sie haben nichts
gelernt!)
Stefan Liebich (DIE LINKE):
Liebe Frau Vogelsang, Sie haben den Berliner Wahl- Sehr geehrter Herr Kollege Liebich, mit über einer
kampf in den Bundestag getragen. Das ist okay. Dann halben Milliarde Euro im Bereich der Städtebauförde-
müssen wir ihn aber auch miteinander führen. Ich will rung brauchte dieser Bundesbauminister und erst recht
hier noch einmal daran erinnern, dass es der rot-rote Se- die schwarz-liberale Koalition
nat von Berlin war, der auf Antrag des Wirtschaftssena- (Heiterkeit)
tors Harald Wolf im Bundesrat den Antrag gestellt hat,
die Kürzung bei der Städtebauförderung zurückzuneh- – Sie irritieren mich – christlich-liberale Koalition be-
men. Der Bundesrat hat dem zugestimmt. Das war die stimmt keinen Antrag auf Initiative von Harald Wolf aus
Position des Landes Berlin. Diese Position war richtig. dem Land Berlin.
Das Problem besteht nicht im Lande Berlin, sondern bei
(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Doch!)
der Mehrheit des Deutschen Bundestages.
Das haben wir schon selber hingekriegt.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
neten der SPD) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Zu den Malkursen, die Ihr Kollege Vaatz angespro-
chen hat: Wer sich mit der Politik in der Stadt Berlin be- Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
fasst, der weiß, dass das Quartiermanagement und das Weitere Wortmeldungen zu diesem Einzelplan liegen
Programm „Soziale Stadt“ ganz wichtige Arbeit für den nicht vor.
sozialen Zusammenhalt leisten. Die vielen Projekte, die
Wir kommen zur Schlussrunde. Als erstem Redner
immer wieder gelobt werden – gerne auch von Politikern
erteile ich das Wort dem Kollegen Norbert Barthle von
der CDU, gerne auch von Stadträten; früher waren Sie ja
der CDU/CSU-Fraktion.
selbst Stadträtin hier in Berlin –, werden ganz maßgeb-
lich vom Programm „Soziale Stadt“ mitfinanziert. Wir (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14745

(A) Norbert Barthle (CDU/CSU): [CDU/CSU]: Du hast es selbst nicht verstan- (C)
Sehr verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und den!)
Kollegen! Am Ende dieser Haushaltswoche kann man Die Opposition hat hier immer wieder vorgetragen,
die Debatten ein Stück weit Revue passieren lassen. Ins- wir hätten es mit einem Schönwetterhaushalt und einer
besondere wenn ich an die Beiträge der Opposition Schönwetterregierung zu tun. Ich will mich nicht in die
denke, stelle ich fest, dass nur sehr wenig substanzielle Reihe derer einreihen, die immer räsonieren, wer die
Kritik am Haushaltsentwurf der Bundesregierung geäu- Verantwortung trägt, wem der Aufschwung, den wir ha-
ßert wurde. ben, zu verdanken ist. Der Kollege Gabriel hat eine ge-
(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und schichtliche Reihe von Helmut Schmidt über Karl
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Sven- Schiller bis zu sich. Mir fehlt in der Reihe nur noch
Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- Willy Brandt. Ich sage eher: Unser Bundesfinanzminis-
NEN]: Zuhören!) ter reiht sich in eine große christlich-liberale Tradition
der Sparhaushalte ein, die schon bei Stoltenberg begon-
Ich will das gerne erläutern: Es wurde zwar viel kriti- nen hat und bei Theo Waigel fortgeführt wurde.
siert; aber ich habe wenig Kritik an den Grundlinien die-
ses Haushaltes gefunden. Dann gilt ein altes schwäbi- (Widerspruch bei der SPD sowie bei Abgeord-
sches Sprichwort, das da lautet: Net gschempft isch neten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN –
globt gnuag. Auf Deutsch heißt das: Wer nicht meckert, Klaus Hagemann [SPD]: Waigel hat die meis-
der lobt eigentlich genügend. ten Schulden gemacht!)
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Na, das Jetzt findet sich die Tradition in der Tatsache wieder,
ändern wir gleich! – Sven-Christian Kindler dass wir den Ausgabenanstieg limitieren. Wir machen
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer nicht zu- Haushalte mit einem möglichst geringen Ausgabenan-
hört, kriegt gar nichts mit!) stieg in der mittelfristigen Finanzplanung: Der Anstieg
beträgt ganze 0,7 Prozent; das ist historisch einmalig.
Lassen Sie mich zunächst einmal auf die Grundlinien Dies ist der Weg, den wir beschreiten und fortsetzen
eingehen und feststellen: Wo kommen wir eigentlich her wollen. Seit zwei Jahren regiert diese Koalition erfolg-
und wo wollen wir hin? Vor der Finanz- und Wirtschafts- reich.
krise im Jahre 2008 hatten wir noch eine Nettokreditauf-
nahme von 11 Milliarden Euro. Wir wären heute bereits (Burkhard Lischka [SPD]: Hat nur noch keiner
bei einem ausgeglichenen Haushalt angekommen, wäre gemerkt! – Sven-Christian Kindler [BÜND-
nicht die weltweite Finanz- und Wirtschaftskrise dazwi- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso verliert ihr
dann dauernd die Wahlen?)
(B) schengekommen. 2009 gab es 34 Milliarden Euro Netto- (D)
kreditaufnahme. 2010, unter der Großen Koalition, war Das ist der Weg, den wir weiterhin einschlagen.
eine Nettokreditaufnahme von 80 Milliarden Euro vor-
gesehen; tatsächlich sind es 44 Milliarden Euro gewor- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
den. Im Haushaltsentwurf für dieses Jahr, 2011, sind Ein Beispiel: Das Zukunftspaket, das wir beschlossen
48 Milliarden Euro Nettokreditaufnahme vorgesehen; haben, wird Zug um Zug umgesetzt. Wesentliche Ziel-
wir werden am Jahresende voraussichtlich mit 30 Mil- setzungen wurden bereits erreicht. Das steckt drin: Sub-
liarden Euro, vielleicht sogar weniger, herauskommen. ventionsabbau, Beteiligung der Wirtschaft,
Das heißt, diese Regierung nutzt, anders als die Lan- (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
desregierungen in Nordrhein-Westfalen, Rheinland- GRÜNEN]: Wo denn?)
Pfalz und Baden-Württemberg, die bestehenden Ver-
schuldungsspielräume nicht aus. Stattdessen senken wir Änderungen in der Sozialgesetzgebung und Einsparun-
die Nettokreditaufnahme; wir senken den Schuldenstand gen im Verwaltungsbereich. Das machen wir; das setzen
des Bundes, indem wir diese Spielräume nicht nutzen. wir weiterhin so um.
Das unterscheidet uns von anderen Regierungen. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) der FDP – Bettina Hagedorn [SPD]: 50 Pro-
zent der Beiträge für die Arbeitslosen ge-
Ich will deshalb an dieser Stelle dem Bundesfinanz- kürzt!)
minister und der Bundesregierung für diesen sehr guten
Lassen Sie mich wiederholen: Konsolidierungspolitik
Haushaltsentwurf danken, der uns vorgelegt wurde. Da-
ist mühsam und arbeitsreich. Wir beschreiten diesen ar-
rauf können wir aufbauen und gute Beratungen führen.
beitsreichen und mühsamen Weg und scheuen vor den
Wir unterschreiten die Vorgaben der Schuldenbremse im
Anstrengungen nicht zurück.
Grundgesetz. Ich vermute, dass mein Nachredner, der
Kollege Carsten Schneider, gleich wieder dieses Thema Lassen Sie mich auf einige Einzelpunkte eingehen,
aufgreifen wird. Ich erspare uns das. Es genügt, wenn die in dieser Woche vorgetragen wurden. Kollegin
wir das im Haushaltsausschuss in nahezu jeder Sitzung Priska Hinz hat befürchtet, dass die Dividende der Bahn
rauf- und runterdeklinieren. womöglich nicht komme, dass es eine Luftbuchung sei.
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ihr lernt’s (Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
ja nicht! – Heiterkeit bei Abgeordneten der GRÜNEN]: Da habe ich doch recht! Rechte
SPD – Gegenruf des Abg. Andreas Mattfeldt Tasche, linke Tasche!)
14746 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Norbert Barthle
(A) In der vergangenen Woche hat mir Herr Grube, der sehr nanzsektors an dieser Stelle international durchzusetzen. (C)
stolz darauf ist, ein erfolgreiches Unternehmen zu führen Hier hat er unsere ganze Unterstützung. Aber das muss
– das darf er auch sein –, international geschehen. Wenn man das national macht,
wie die Linken es vorschlagen, dann zeigt man zweier-
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
lei: Erstens zeigt man, dass man von der internationalen
GRÜNEN]: Von welchem erfolgreichen Un-
Finanzwirtschaft keine Ahnung hat. Zweitens riskiert
ternehmen sprechen Sie denn?)
man den Abbau von Arbeitsplätzen. Das scheint Ihnen
in einem Gespräch noch mal klar und deutlich ver- egal zu sein. Uns ist das nicht egal.
sichert, dass die Bahndividende kommt; es gibt über-
haupt keinen Zweifel daran, dass sie kommt. (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Einer muss
doch mal anfangen! Einer muss vorangehen,
Lassen Sie mich etwas zur Neujustierung der Sozial- Vorbild sein!)
gesetzgebung sagen. Frau von der Leyen muss als zu-
ständige Ministerin Sparauflagen im Rahmen unseres Lassen Sie mich auf einen weiteren Bereich eingehen,
Sparpaketes erfüllen. Das tut sie auch. Das ist in diesem nämlich auf den Haushalt des BMZ, den Entwicklungs-
Bereich auch möglich; denn wir haben historisch nied- hilfeetat.
rige Arbeitslosenzahlen. Wir haben eine Arbeitslosen- (Johannes Kahrs [SPD]: Herr Kauder, tun Sie
zahl von unter 3 Millionen, die Sie nie erreicht haben. etwas! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sichel
Damit ergeben sich in diesem großen Etat entsprechende geht voran, Hummer folgt!)
Spielräume und Einsparmöglichkeiten. Dort findet alles
andere als ein sozialer Kahlschlag statt, wie der Kollege Hier haben wir einen Aufwuchs von sage und schreibe
Poß es hier vorgetragen hat. Im Gegenteil: Wenn Sie sich 560 Millionen Euro. Der zuständige Minister Niebel
den Anteil der Sozialausgaben an unserem Bundeshaus- baut die Entwicklungshilfeorganisationen um und bringt
halt anschauen, dann werden Sie feststellen, dass dieser frischen Wind in diese Strukturen, was dringend notwen-
über 50 Prozent beträgt. Vor zwölf Jahren, als Rot-Grün dig war.
an die Regierung kam, waren wir bei 38 Prozent.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Klaus Hagemann [SPD]: Rente! Rente!)
Was macht die Opposition? Sie arbeitet sich an der
Diese christlich-liberale Koalition gibt mehr Geld für Mütze des Ministers ab. Meine Damen und Herren, wir
den sozialen Bereich aus, als es eine rot-grüne Regie- haben uns nie an der Frisur von Frau Wieczorek-Zeul
rung jemals getan hat. abgearbeitet, sondern an den Inhalten, die sie vertreten
hat. Daran sollten Sie sich orientieren.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
(B) (D)
Widerspruch bei der SPD) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU
Deshalb ist vollkommen klar: Nicht nur die Finanz- und sowie bei Abgeordneten der FDP)
Wirtschaftspolitik ist bei uns in guten Händen, auch die Was hören wir an Vorschlägen von der SPD?
Sozialpolitik.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Nichts!)
(Beifall bei der CDU/CSU – Manfred Zöllmer
[SPD]: Das glauben ja Ihre eigenen Leute In der Regel werden in allen Etats Mehrausgaben gefor-
nicht!) dert. Dafür gibt es dann ein Steuerkonzept,
Es wurde vorgetragen, die Bundeswehr erbringe die (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja!)
Spardividende nicht. Dazu sage ich klipp und klar: Auch
die Bundeswehr wird das, was wir vereinbart haben, er- ein Steuerkonzept mit einer Steuererhöhungsorgie, die
bringen, allerdings nicht ganz so schnell. Das geschieht sich wirklich sehen lassen kann.
zeitlich etwas verzögert. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja, für
(Manfred Zöllmer [SPD]: Wann denn?) wen?)
Es ist nachvollziehbar, dass man, wenn man die Bundes- Hier denkt man an die Wiedereinführung der Vermögen-
wehr, die eine Parlamentsarmee ist, umbaut und völlig steuer, an die Anhebung des Spitzensteuersatzes auf
umstrukturiert, die entsprechende Zeit zur Verfügung ha- 49 Prozent, an die Abschaffung des Ehegattensplittings,
ben muss. an die Erhöhung der Erbschaftsteuer, an Erhöhungen der
Umsatzsteuer, an die Erhöhung der Kernbrennstoffsteuer
(Johannes Kahrs [SPD]: Sie ruinieren die und an die Absenkung der Agrardieselermäßigung. Die
Bundeswehr!) Landwirte sollen das bitte schön nachlesen.
Das berücksichtigen wir. (Johannes Kahrs [SPD]: Ihr ruiniert die
(Johannes Kahrs [SPD]: Die CDU ist auch Bundeswehr!)
noch stolz darauf, dass sie die Bundeswehr
Von einer Entlastung der unteren und mittleren Ein-
ruiniert! Das ist unglaublich!)
kommen lese ich nirgendwo etwas. Von der Facharbei-
Ein Hauptthema war die Finanztransaktionsteuer. terfalle haben Sie wohl noch nie gehört. Das scheint Ih-
Dazu kann ich nur sagen: Wir unterstützen den Finanz- nen egal zu sein. Wir gehen daran, diejenigen Menschen,
minister, wenn es darum geht, die Beteiligung des Fi- die tagtäglich aufstehen und zur Arbeit gehen, ein Stück
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14747
Norbert Barthle
(A) weit zu entlasten und sie von der Wirkung der kalten Wir befinden uns in einer sehr kritischen weltwirt- (C)
Progression ein Stück weit zu befreien. schaftlichen Situation. Die OECD senkt weltweit die
Wachstumsprognosen, auch für den Euro-Raum und für
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
Deutschland. Herr Trichet, der EZB-Präsident, hat ges-
GRÜNEN]: Unsolide Steuersenkungen sind
tern – die Überschrift im heutigen Handelsblatt lautet:
das!)
„Trichet steuert um“ – eher Leitzinssenkungen in Aus-
Das ist unser Konzept. sicht gestellt als weitere Erhöhungen. Auch die Wachs-
tumsprognosen sind gesenkt worden. An den internatio-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) nalen Finanzmärkten haben wir fast die gleiche Situation
Lassen Sie mich zum Schluss an den Vortrag des Kol- wie 2008, was die Nervosität des Interbankenmarkts und
legen Trittin in dieser Woche erinnern. das Vertrauen der Banken untereinander betrifft. Diesen
Eindruck habe ich insbesondere, wenn ich den Absturz
(Johannes Kahrs [SPD]: Der hat nicht die des DAX sehe.
Wehrpflicht abgeschafft! – Sven-Christian
Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine Wenn man das betrachtet und auch unsere Verantwor-
sehr gute Rede!) tung berücksichtigt, wird deutlich, dass die Bundesregie-
rung mit diesem Haushalt keine Antwort auf diese Situa-
Das war eine Rede, die eher polemisch vorgetragen war. tion gegeben hat. Es ist sicherlich richtig, dass es nicht
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE Aufgabe der Bundesregierung ist, schwarzzumalen. Das
GRÜNEN]: Trotzdem war sie gut! – Sven- wollen auch wir nicht. Aber es heißt doch: Jede revolu-
Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- tionäre Tat beginnt mit dem Aussprechen dessen, was
NEN]: Bei dieser Regierung braucht man ist.
Polemik!) (Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Lassalle!)
Ein Satz ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Herr – Lassalle. Brüder im Geiste.
Trittin hat hier festgestellt: Unter der Regierung von
Angela Merkel gehe es Deutschland gut, aber der Regie- (Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]:
rung schlecht. Lieber Herr Kollege Trittin, ich kann mit Nachhilfestunden für Sozialisten!)
dieser Feststellung sehr gut leben; denn wir arbeiten für Deswegen gehört ein Blick in das Ist dazu.
das Interesse dieses Landes. Wenn es den Menschen in
Deutschland gut geht, dann sind wir zufrieden. Ich versuche das zu reflektieren, was hier in dieser
Woche besprochen wurde und was diesem Haushalt zu-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) grunde liegt. Dann sehe ich, dass Sie noch im Konjunk-
(B) (D)
Dort, wo Rot-Grün regiert, geht es der Regierung gut, turhochsommer leben. Aber wenn der Herbst kommt,
aber den Menschen geht es schlecht. sind Sie überhaupt nicht darauf vorbereitet, in einer sol-
chen Krisensituation zu handeln. Bisher galt: Unser
Danke. Land hat sich gut entwickelt, und zwar trotz dieser Re-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gierung.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Richtig!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich mache mir ernsthafte Sorgen, was passiert, wenn es
Carsten Schneider hat das Wort für die SPD-Fraktion. unserem Land einmal nicht so gut geht und wir immer
(Beifall bei der SPD – Johannes Kahrs [SPD]: noch diese Regierung haben.
Guter Mann!) (Beifall bei der SPD – Johannes Kahrs [SPD]:
Abwählen! – Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]:
Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Dann haben wir immer noch diese Opposi-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! tion!)
Wenn man die Haushaltsdebatten in dieser Woche Revue
Passen Sie auf: Sie haben in einer Situation, in der wir
passieren lässt und die Zeitungen liest, bekommt man
für dieses Jahr die höchsten Steuereinnahmen und das
den Eindruck, es ging um vieles – insbesondere bei der
höchste Wirtschaftswachstum haben, einen Haushalt
Koalition –, aber nur wenig um den Haushalt und die
vorgelegt, der die drittgrößte Neuverschuldung vorsieht,
Lage in unserem Land 2012.
die es jemals in der Bundesrepublik gab.
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das lag an
(Otto Fricke [FDP]: Das stimmt doch gar
euren Beiträgen! – Otto Fricke [FDP]: Weil ihr
nicht! – Gegenruf der Abg. Bettina Hagedorn
nichts zu kritisieren gefunden habt!)
[SPD]: Doch! Natürlich stimmt das!)
Wenn Redner von der Koalition gesprochen haben, dann
Vieles hat eine Rolle gespielt. Sie haben es mit Aus-
ging es eher darum, eine Bindungswirkung herzustellen,
weichmanövern versucht und gesagt, die Sozialdemo-
damit sie noch irgendwie zusammenhält, vor allen Din-
kraten in NRW würden nicht sparen. Der Haushalt sei
gen bei der Euro-Frage. Das war der wirklichen Lage in
daher verfassungswidrig.
Deutschland und in der Welt, wie sie sich am heutigen
Tage darstellt, nicht angemessen. Ich sage das auch be- (Otto Fricke [FDP]: Das hat das Gericht
zogen auf den Haushalt. festgestellt!)
14748 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Carsten Schneider (Erfurt)


(A) Ich habe mir das alles noch einmal genau angeschaut. die Wirtschaft abschmiert. In diese Situation kommen (C)
Ich habe mir den Haushalt unter der Annahme ange- wir, weil Sie den Gegenwartskonsum fördern, nicht in
schaut, dass wir noch die alten Schuldenregeln hätten. In die Zukunft investieren und den Haushalt nicht in dem
NRW und allen anderen Bundesländern gilt sie derzeit Maße konsolidieren, wie das notwendig wäre.
noch, das heißt, dass die Kreditaufnahme nur so hoch
sein darf wie die Investitionen. Wenn das so wäre, dann (Beifall bei der SPD)
wären die Haushalte des Bundes 2010, 2011 und 2012 Herr Kollege Barthle, es ist richtig: Wir haben dazu
verfassungswidrig, ein Konzept vorgelegt. Wir Sozialdemokraten wollen
(Otto Fricke [FDP]: Aber das gilt doch gar – dazu haben wir uns klar bekannt – die Schuldenbremse
nicht mehr!) einhalten, wie der Bundesrechnungshof, die Bundesbank
und der Sachverständigenrat das fordern und wir hier im
weil Sie die Investitionen in einer Art und Weise kürzen, Bundestag das übrigens auch beschlossen haben.
wie Sie es noch nie getan haben. Damit sparen Sie an der
Zukunftsfähigkeit unseres Landes. (Bettina Hagedorn [SPD], an die CDU/CSU
gewandt: Und wie Sie es nicht tun!)
(Beifall bei der SPD – Sven-Christian Kindler
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In Nieder- Das bedeutet für das Jahr 2012: 5 Milliarden Euro weni-
sachen bei Schwarz-Gelb ist es genauso!) ger Kreditaufnahme, als Sie sich gönnen. Sie haben,
konjunkturell bedingt, 20 Milliarden Euro mehr Steuer-
Ich komme zu den Landeshaushalten, weil ich die Ar- einnahmen. Die Nettokreditaufnahme senken Sie um
gumente aufgreifen will, die Sie angeführt haben. Die 13 Milliarden Euro. Das heißt, Sie haben 7 Milliarden
Landeshaushalte von Niedersachsen, Hessen, Schles- Euro verprasst.
wig-Holstein und Saarland sind allesamt verfassungs-
widrig, In den FDP-geführten Ressorts wurde eine Viertel-
milliarde Euro zusätzlich verbucht. Wo ist eigentlich Ihr
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE liberales Sparbuch geblieben?, frage ich mich da.
GRÜNEN]: Alles Schwarz-Gelb!)
(Beifall bei der SPD – Sven-Christian Kindler
und zwar in den Jahren 2009, 2010 und 2011.
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In der Schub-
(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!) lade!)
Wer regiert dort eigentlich? Ich sage das nicht einfach so im Rahmen einer politi-
schen Auseinandersetzung, sondern aus echter Sorge.
(Johannes Kahrs [SPD]: Nicht mehr lange!)
(B) (Widerspruch bei der FDP) (D)
Schwarz-Gelb, noch. Zu Ihrer Verantwortung haben Sie
kein Wort gesagt. Warum ist das so? Warum sind die – Ja. Hören Sie: 2009 konnten wir aus der Krise heraus-
Länder in Gänze in einer so schwierigen Situation? Weil kommen, weil wir Vorsorge getroffen haben. Es hat uns
Sie gleich zu Beginn Ihrer Amtszeit mit einem Gesetz, geholfen, dass wir einen nahezu ausgeglichenen Staats-
das Sie „Wachstumsbeschleunigungsgesetz“ genannt ha- haushalt und bei der Bundesagentur für Arbeit eine Re-
ben – der Volksmund sagt dazu „Hoteliersbegünsti- serve in Höhe von 18 Milliarden Euro hatten. Sie tun das
gungsgesetz“ oder „Mövenpickgesetz“ –, dafür gesorgt Gegenteil. Sie verprassen das Geld heute, sodass Sie
haben, dass den öffentlichen Haushalten zweistellige später, wenn es kritischer werden könnte, keine Luft, um
Milliardenbeträge entzogen worden sind, atmen zu können, und keinen Spielraum mehr haben
(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Stimmt doch gar werden, um die Wirtschaft wieder in Gang zu bringen.
nicht!) (Beifall bei der SPD – Bettina Hagedorn
die dafür hätten genutzt werden können, die Konsolidie- [SPD]: Sie haben auch in die Rentenkasse ge-
rung voranzutreiben. Sie haben das Gegenteil davon ge- griffen! – Johannes Kahrs [SPD]: Pleitegeier!)
tan. Dieser Haushalt ist nicht sozial gerecht, nix da! Vor
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Sven- einem Jahr hat dieses Kabinett nach einer Nachtsitzung
Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- in Meseberg – damals noch mit Herrn Westerwelle; lang
NEN]) sind die Zeiten her – ein Konsolidierungsprogramm mit
einem Volumen von 80 Milliarden Euro vorgelegt. Real
Wer so fahrlässig handelt und es in den besten wirt- umgesetzt wurden 40 Milliarden Euro. Diese 40 Milliar-
schaftlichen Zeiten, die wir haben, was die Einnahme- den Euro betreffen zum größten Teil den Etat von Frau
situation betrifft, nicht schafft, die Kreditaufnahme deut- von der Leyen.
lich zu senken – was Ihre Verpflichtung wäre, damit Sie
auch in schlechten Zeiten agieren können; aber genau (Bettina Hagedorn [SPD]: So ist es!)
das tun Sie nicht – Sie kürzen bei den Arbeitslosen in diesem Land, wäh-
(Zuruf des Abg. Otto Fricke [FDP]) rend die Vermögenden ungeschoren davonkommen.
– ich rede vom Bund –, der gerät sehenden Auges – ich (Beifall bei der SPD sowie des Abg. Sven-
vermute, es wird Sie in dieser Legislatur noch treffen – Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
in die Situation, dass er nicht mehr handeln kann, wenn NEN] – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Das
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14749
Carsten Schneider (Erfurt)
(A) stimmt doch nicht! Luftverkehrsteuer zum Hier war, insbesondere vonseiten der FDP, viel von (C)
Beispiel!) der Schuldenbremse und davon, wie toll sie ist, die
Rede; diese Ansicht teile ich. Ich habe mir einmal das
Das ist ungerecht.
Verhalten bei der Schlussabstimmung dazu angesehen.
Als Antwort darauf haben wir ein Steuer- und Finan- Ein einziger Abgeordneter der FDP hat zugestimmt; das
zierungskonzept vorgelegt, einen Nationalen Pakt für war Florian Toncar. Alle anderen haben dagegen ge-
Entschuldung und Bildung. Ja, Sie haben recht: Wir wol- stimmt oder sich enthalten. Das ist ein Armutszeugnis.
len den Spitzensteuersatz erhöhen.
(Beifall bei der SPD)
(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!)
Ich will hier noch ein paar Sätze zur Europäischen
Ab einem Einkommen von 64 000 Euro soll der Steuer- Union und zur Debatte über den Euro sagen; das hängt
satz sukzessive auf 49 Prozent steigen. Dieser Satz soll natürlich alles zusammen. Im Rahmen der Kritik, die
ab einem Einkommen von 100 000 Euro gelten. hier vorgetragen worden ist – insbesondere am Mittwoch –,
verstieg sich Herr Westerwelle zu der Aussage, die Än-
(Otto Fricke [FDP]: Abkassieren!) derung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sei der
Das trifft – das können Sie in der Süddeutschen und der größte Fehler seit 1945; ich glaube, Herr Westerwelle,
FAZ nachlesen – die oberen 4 Prozent. Mit Verlaub, an- das haben Sie so gesagt. Größer geht es nicht. Ein biss-
gesichts dessen, was wir an Risiken übernommen haben, chen Aufklärung ist an dieser Stelle notwendig.
um Banken und damit letztendlich auch Einkommen und Der Stabilitäts- und Wachstumspakt sah, so wie er
Vermögen zu sichern – nicht nur deswegen haben wir ausgestaltet war, vor, dass man sich 3 Prozent Defizit pro
das getan, aber das ist natürlich auch ein Punkt –, ist es Jahr leisten konnte, egal ob in guten oder in schlechten
nur gerecht, wenn wir das Angebot, das uns viele Millio- Zeiten; es waren immer 3 Prozent.
näre in diesem Staat machen – sie wollen dem Staat ein
wenig geben, damit er existieren kann –, annehmen. Das (Otto Fricke [FDP]: Nein! Stimmt doch nicht!)
muss aber in Gesetzesform gegossen werden, wie es sich
Ich sage Ihnen: Das war falsch. Gerade in guten Zeiten
gehört. Hier müssen Recht und Gesetz gelten; Steuer-
müssen Sie Vorsorge treffen, um in schlechten Zeiten
gerechtigkeit gehört dazu.
Defizite machen zu können. Genau das sieht der neue
(Beifall bei der SPD) Stabilitäts- und Wachstumspakt vor. Bei nahezu ausge-
glichenen Haushalten, „close to balance“, muss in guten
Minister Schäuble hat in seiner Einführungsrede am Zeiten sogar Vorsorge getroffen werden,
Dienstag sehr viel über die Schuldenbremse gesprochen.
Er hat gesagt, wie wichtig sie sei, insbesondere in den (Bettina Hagedorn [SPD]: Ja, also jetzt!
(B) (D)
ersten Jahren. Ich habe hier wirklich schon oft dargelegt, Genau!)
dass Sie die Schuldenbremse untergraben, indem Sie
und das Geld darf nicht ausgegeben werden – Sie tun das
von falschen Werten ausgehen; ich versuche in jeder
Gegenteil; Sie brechen ihn gerade –, um in schlechten
Haushaltsausschusssitzung, ebenso wie die anderen aus
Zeiten agieren zu können.
meiner Fraktion, das anzubringen.
(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]:
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Das kön-
86 Milliarden Euro!)
nen wir bestätigen! Wir können es schon aus-
wendig!) Ich sage Ihnen: Wir Sozialdemokraten stehen dazu, und
das steht im Übrigen auch im Grundgesetz.
Wir haben einen Gesetzentwurf eingebracht, der diese
Schlupflöcher schließen würde. Aber Sie tun das Gegen- (Beifall bei der SPD)
teil.
Denn dieser Pakt war das Vorbild für die Schulden-
(Bettina Hagedorn [SPD]: Richtig!) bremse. – Das sind also alles nur Abwehrkämpfe.
Sie behaupten hier zwar, dass Sie sich an die Schulden- Frau Bundeskanzlerin, wenn wir Sozialdemokraten da-
bremse halten. Sie tun es aber, dem geballten Sachver- mals eines falsch gemacht haben – das will ich klar sagen –,
stand dieser Republik zum Trotz, nicht. Sie bunkern dann war es, dass es damals keine Automatismen gegeben
50 Milliarden Euro auf dem Kontrollkonto, die Sie für hat oder sie für die Bundeshaushalte nicht genutzt wur-
zusätzliche Kredite nutzen können, obwohl sie Ihnen den. Aus Fehlern muss man lernen, und wir Sozialdemo-
nicht zustehen. Wenn Sie, Herr Minister Schäuble, diese kraten tun das. Aus diesem Grund unterstützen wir die
Möglichkeit nicht nutzen wollen, erwarte ich von Ihnen, Kommission und das Europäische Parlament in dem Vor-
dass Sie hier, an dieser Stelle – Sie reden ja nachher haben, dass die Sanktionen demnächst immer automatisch
noch –, klipp und klar sagen: Diese 50 Milliarden Euro verhängt werden sollen. Ich frage mich, warum Sie ei-
werden wir niemals anrühren; deswegen werden wir gentlich in Deauville beim Spaziergang mit Herrn
dem gesetzlich einen Riegel vorschieben. Nur dann gilt Sarkozy genau das wieder gestrichen haben. Genau das ist
es, und nur dann glaube ich es; denn Sie haben in den nämlich der Punkt. Sie fordern hier im Bundestag Sank-
vergangenen zwei Jahren hier so viele Pirouetten ge- tionen ein, und in Europa opfern Sie sie. Das kann doch
dreht, dass man Ihrem Wort an sich nicht mehr glauben wohl nicht wahr sein. Das ist doch nicht ehrlich.
kann.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
(Beifall bei der SPD) des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
14750 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Carsten Schneider (Erfurt)


(A) Ich hoffe, dass Sie in den Haushaltsberatungen noch Weil wir ihn von einem Finanzminister Stegner von den (C)
Einsicht zeigen werden, sowohl bezüglich dieser Flanke Sozialdemokraten haben übernehmen müssen, der Jahr
der sozialen Ungerechtigkeit für Jahr neue Schulden aufgetürmt hat – nichts anderes.
(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: So (Nicolette Kressl [SPD]: Blödsinn! – Weitere
ein Quatsch!) Zurufe von der SPD: Oh! Oh!)
bei der Finanzierung, Kollege Michelbach, als auch bei Die bauen wir jetzt ab. Herr Stegner war der größte
den Ausgaben, insbesondere im Bereich der aktiven Ar- Schuldenmacher im Lande Schleswig-Holstein; das ist
beitsmarktpolitik, wo die Schwächsten der Schwachen die Wahrheit.
jede Chance auf Hilfe von Ihnen, Frau von der Leyen,
versagt bekommen werden. Die Umwandlung von (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU –
Pflicht- in Ermessensleistungen ist nichts weiter als eine Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
reine Kürzungsorgie zulasten der Schwächsten in dieser GRÜNEN]: Wer hat denn vorher in NRW und
Gesellschaft. Baden-Württemberg regiert? Wer war denn
das?)
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) Die Koalition hat in dieser Woche ihren Willen be-
kundet, die bisherigen Sparziele nicht aus den Augen zu
Ich hoffe, dass Sie mit uns dafür sorgen, dass die Ver- verlieren und vor allem die Neuverschuldung deutlich zu
mögen in diesem Land ein Stück weit mehr dazu beitra- reduzieren, und das, ohne auf Investitionen zu verzich-
gen, dass dieses Land sicher, sozial ausgewogen und ten. Wir folgen dem Grundsatz haushaltspolitischer Ver-
fortschrittlich ist, fortschrittlich insbesondere dadurch, nunft und Verantwortung. Wenn die Nettokreditauf-
dass wir notwendige Zukunftsausgaben im Bereich Bil- nahme wesentlich niedriger ausfällt als vorgesehen, dann
dung finanzieren und dass wir die zusätzlichen Mittel zeigt das, dass der Weg der Koalition richtig gewesen ist.
nehmen, um die Neuverschuldung für 2012 deutlich un-
ter die von Ihnen gesetzte Marke zu senken, nämlich auf (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
22 Milliarden Euro statt auf 27 Milliarden Euro. Jeder Dazu – das sei eingestanden – trägt natürlich vor al-
Euro mehr Schulden wird dazu führen, dass wir in Zu- lem die gute Wirtschaftssituation in Deutschland bei. Es
kunft bei steigenden Zinslasten noch höhere Belastungen gibt weniger Arbeitslose und – darauf sind wir stolz –
haben werden, dass die Zukunftsfähigkeit, die Hand- kaum noch Jugendarbeitslosigkeit. Andere Länder in
lungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland einge- Europa würden sich – ich sage es einmal ganz salopp –
schränkt wird und dass wir irgendwann nur noch Ewig- die Finger danach lecken, wenn sie eine solche Bilanz
keitslasten tragen. Das wollen wir Sozialdemokraten hätten wie wir. Das ist der Erfolg dieser Koalition.
(B) nicht. Deswegen stehen wir zu unserem Konzept, Mehr- (D)
einnahmen bei den oberen 4 Prozent zu generieren, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Schulden in den guten Jahren, wie wir sie gerade erle- Ich will Ihnen auch sagen, warum. Es ist richtig: Die-
ben, abzubauen und in die Zukunft zu investieren. ser Erfolg ist nicht allein der Erfolg der Koalition. Er ist
Vielen Dank. auch der Erfolg der Unternehmen in Deutschland und
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer; sie haben ei-
(Beifall bei der SPD) nen großen Anteil daran. Aber das Entscheidende war
doch, dass diese Koalition dafür die Voraussetzungen
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: geschaffen hat, zum Beispiel durch das Wachstumsbe-
Der Kollege Dr. Jürgen Koppelin hat jetzt das Wort schleunigungsgesetz.
für die FDP-Fraktion.
(Lachen bei der SPD – Volker Kauder [CDU/
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten CSU]: Ja! So war das!)
der CDU/CSU)
Das ist ein Beitrag dazu gewesen.
Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP): (Nicolette Kressl [SPD]: Für die Hotels! – Ge-
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! genruf des Abg. Bartholomäus Kalb [CDU/
Der Kollege Carsten Schneider, von mir sehr geschätzt, CSU]: Nein! Wir haben damit die Wirtschaft
ist ja ein intelligenter Mensch. entlastet!)
(Johannes Kahrs [SPD]: Ist er auch!) Vor allem: Wir haben den Unternehmen und den
Menschen in diesem Lande Mut gemacht; das war ent-
Dass er hier so eine Rede hält, wundert einen dann
scheidend. Das gehört nämlich auch dazu. Oder glauben
schon. Ich hoffe, dass er in den Ausschussberatungen
Sie, mit Ihren Ankündigungen, Steuern zu erhöhen, ma-
mehr sachliche Beiträge liefert und nicht nur Polemik
chen Sie den Menschen Mut und setzen Anreize für
betreibt.
mehr Leistung? Das doch wohl ganz bestimmt nicht!
Ich will das aus Zeitgründen nur an einem Beispiel Der Kollege Schneider macht das ganz salopp. Er sagt:
deutlich machen, lieber Kollege Carsten Schneider. Da Vermögende sind Leute, die 65 000 Euro im Jahr verdie-
wird gesagt, der Haushalt des Landes Schleswig-Hol- nen. Bei denen wollen wir ordentlich rangehen. – Wel-
stein sei verfassungswidrig. Dieser Haushalt ist sehr, ches Weltbild haben Sie? Da lohnt sich doch Leistung
sehr kritisch; das will ich sagen. Aber wie kommt das? nicht mehr.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14751
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
(A) Sie waren einmal auf dem richtigen Weg. Waren es – Sie sollten einfach einmal ruhig zuhören. (C)
nicht die Sozialdemokraten, die gesagt haben, dass der
Spitzensteuersatz von 53 Prozent auf 42 Prozent gesenkt (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
werden sollte? GRÜNEN]: Ich sage es ja nur!)

(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Da hat er – Es ist für Sie natürlich schwierig, zuzuhören, lieber
recht! – Nicolette Kressl [SPD]: Nein! Nicht Kollege. – In diesem Kommentar hieß es:
auf 42 Prozent! Das war die FDP!) So mies die Bundesregierung mitunter agieren mag,
Das waren doch Sie.
(Burkhard Lischka [SPD]: Das ist genau
(Joachim Poß [SPD]: Nein! Fragen Sie mal richtig!)
Herrn Brüderle!)
ein Blick auf die Opposition genügt, um Merkel
Das war damals auch vollkommen richtig. Warum ma- und ihre Mannschaft … nicht zu lieben, aber zu
chen Sie jetzt „Kehrt, marsch!“? schätzen.
Ich sage Ihnen, warum. Weil Sie langfristig denken. Das ist doch schon mal etwas. Darauf bauen wir auf.
Sie wissen, dass Sie frisches Geld brauchen, aber nicht
etwa, um damit dieses oder jenes zu erreichen. Das (Heiterkeit und Beifall bei der FDP und der
merkt man zum Beispiel an Ihren Ideen zu Euro-Bonds. CDU/CSU – Manfred Zöllmer [SPD]: 2,8 Pro-
Wenn Sie mit deutschen Steuergeldern schwächelnden zent waren es heute!)
Staaten billige Kredite verschaffen wollen, brauchen Sie
Ich sage Ihnen ganz klar: Wer heute nicht bewusst mit
natürlich frisches Geld. Dann müssen Sie die Steuern er-
dem Ziel, zu konsolidieren und Ausgaben zu reduzieren,
höhen; denn sonst können Sie das nicht machen.
in die Haushaltsberatungen geht, der muss vielleicht
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE morgen Kürzungen bei Gehältern, bei Pensionen, im So-
GRÜNEN]: Was passiert denn gerade bei der zialbereich oder im Bildungsbereich vornehmen; in an-
EZB?) deren Euro-Staaten erleben wir das gerade. Das wollen
wir nicht. Wir werden am Ende der Beratungen einen so-
Ich habe die ganz furchtbare Sorge, dass uns die Sozial- liden Haushalt präsentieren. Davon bin ich fest über-
demokraten, wenn sie an die Regierung kommen, noch zeugt.
andere steuerliche Folterwerkzeuge präsentieren wer-
den. Ich bin froh, dass das Bundesverfassungsgericht Ih- (Burkhard Lischka [SPD]: Dann müssen Sie
nen diese Woche gesagt hat, was es von Ihrer Idee zu aber noch viel daran ändern!)
(B) Euro-Bonds hält. Wir setzen darauf – das sage ich auch (D)
mit Blick auf die Haushaltsberatungen –, dass Deutsch- Ich hatte in dieser Woche allerdings den Eindruck:
land in der Haushaltspolitik Vorbild sein muss. Mit Ihnen, lieber Kollege Carsten Schneider, zu reden
und eine Sachdiskussion zu führen, war überhaupt nicht
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Oh!) möglich. Sie sind immer nur – das haben Sie auch heute
Wir sind Vorbild. Ich bin stolz darauf, dass diese Koali- gemacht – in Polemik ausgewichen.
tion das geschafft hat. Das wäre bei Ihnen nicht der Fall (Burkhard Lischka [SPD]: Das machen Sie
gewesen. Sie hätten Griechenland das Geld hinterherge- doch die ganze Zeit! – Carsten Schneider [Er-
worfen, und zwar sofort, gleich zu Anfang. Darüber ha- furt] [SPD]: Wie bitte?)
ben wir lange genug diskutiert. Rainer Brüderle hat Ih-
nen gestern das Notwendige dazu gesagt. – Sie sind nur in Polemik ausgewichen. Sie haben keinen
Sachbeitrag geliefert.
Meine Damen und Herren, ich könnte es mir einfach
machen (Bettina Hagedorn [SPD]: Ach! Aber Sie
schon?)
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das
machen Sie schon die ganze Zeit!) Ich hatte in dieser Woche manchmal den Eindruck, mit
und sagen: Das Gemurkse und die Polemik, die uns die Ihnen zu reden wäre so, als würde ich mit einer Gans
Opposition in dieser Woche geboten hat, sind auch eine über Weihnachten reden. Es war einfach zwecklos.
Chance für diese Koalition. Aber das ist mir zu einfach. (Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP und der
Wir werden unsere Akzente setzen. CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜND-
(Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist zu befürch- NIS 90/DIE GRÜNEN]: Was macht denn die
ten! – Weitere Zurufe von der SPD: Ui!) FDP?)
Ich habe einen Kommentar gelesen. Er hat mir zwar Wenn Sie als Opposition eine politische Kraft sein
nicht besonders gut gefallen. Trotzdem möchte ich aus wollen, die vielleicht morgen Regierungsverantwortung
ihm zitieren. Denn irgendwie trifft er den Punkt, wenn es übernimmt, dann sollten Sie einmal ein Sparbuch vorle-
darum geht, wie die Menschen in unserem Lande viel- gen, wie die FDP das gemacht hat. Dazu haben Sie aber
leicht denken. gar nicht die Kraft.
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE (Burkhard Lischka [SPD]: Die FDP kann ja
GRÜNEN]: 3 Prozent FDP! Umfrage!) vor Kraft kaum laufen!)
14752 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Dr. h. c. Jürgen Koppelin


(A) Dann müssten Sie nämlich anderen Leuten vielleicht eine sehr interessante Haushaltswoche. Es gab nämlich (C)
wehtun. unterschiedliche Realitäten. Die der Regierung ist, dass
dies ein wunderschönes Land ohne jegliche haushalts-
Ich kann Ihnen für die FDP nur sagen – damit will ich
politische Probleme ist. Die Opposition hat zweifelsohne
zum Schluss kommen –:
eine andere Realität.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Schade!)
Ich habe vor der Haushaltswoche in Mecklenburg-
Wir haben in diesen Tagen vom Bund der Steuerzahler Vorpommern eine dritte Realität kennenlernen dürfen.
eine Broschüre mit Vorschlägen zugesandt bekommen, Dies geschah nicht im Rahmen der Wahlveranstaltungen
an welchen Stellen im Bundeshaushalt noch Einsparun- der Partei, sondern im Rahmen vieler Gespräche mit
gen vorgenommen werden könnten. Menschen. Ich kann nur eines feststellen: Diese Men-
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!) schen verstehen uns häufig nicht. Es sollte ein Alarmsig-
nal und eine Herausforderung für uns sein, dass alle hier
Ich habe das einmal durchgesehen. Manche Sachen kann im Bundestag vertretenen Parteien zusammen keine
ich akzeptieren; über manches müsste man reden. Es ist 50 Prozent der Stimmen der Wahlberechtigten in Meck-
nicht alles akzeptierbar. Ich sage dem Bund der Steuer- lenburg-Vorpommern erreicht haben. Lassen Sie uns
zahler aber zu, dass wir als FDP-Abgeordnete uns im auch bei Haushaltsdebatten gemeinsam darüber nach-
Haushaltsausschuss intensiv mit der Broschüre und den denken.
darin enthaltenen Vorschlägen beschäftigen werden.
Denn der Schluss des Anschreibens, das wir vom Bund Nach dieser Woche bleibt eines: Der Kabinettsbe-
der Steuerzahler bekommen haben, hat mir sehr gut ge- schluss ist weder seriös noch verantwortungsbewusst. Er
fallen. ist das Gegenteil davon. Lassen Sie mich das an fünf
Gründen festmachen:
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Keine
Drohungen!) Erstens. Die Ausgangslage und die Rahmenbedingun-
Als FDP-Abgeordneter stimme ich natürlich mit einer gen, die Frau Merkel und Herr Schäuble hier dargestellt
darin enthaltenen Aussage überein, die da lautet: Den haben, sind weit dramatischer als das, was sie hier darge-
Haushalt zu konsolidieren – das schreibt der Bund der legt haben. Was passiert denn in Griechenland, wenn die
Steuerzahler – und die Bürgerinnen und Bürger zugleich Troika zu dem Ergebnis kommt, dass es kein neues Geld
steuerlich zu entlasten, sind Maßnahmen, um den wirt- geben soll? Was passiert dann in anderen EU-Ländern?
schaftlichen Aufschwung zu stärken. – Dem stimmen Was passiert dann in den Banken? Was passiert, wenn in
wir voll zu. Insofern werden wir auch im Gespräch mit den Vereinigten Staaten das, was angekündigt ist, durch
(B) dem Bund der Steuerzahler bleiben. den Wahlkampf konterkariert wird? Das alles wissen wir (D)
nicht. Es ist viel dramatischer als hier dargestellt.
Ich danke Bundesminister Schäuble für einen realisti-
schen Haushaltsentwurf für das Jahr 2012. Das ist ein Zweitens. Die Risiken der Zinsentwicklung, auch im
Haushaltsentwurf, der gute Zeichen setzt, auch um das Kontext der gesamten existierenden Schattenhaushalte,
von Bundesminister Rösler angestrebte Wachstumsziel sind in keiner Weise im Haushalt abgebildet.
von 2,6 Prozent zu erreichen.
Drittens. Es gibt eine Fehleinschätzung in Bezug auf
(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: die Wirkung der aktuellen Krisenbewältigungsinstru-
Jetzt sind es nur noch 2,6 Prozent!) mente.
Die Haushaltspolitiker der Koalition – da bin ich ganz Viertens. Sie rechnen mit einem Wirtschaftswachstum
sicher – werden sich alle Mühe geben, damit dieses Ziel von 1,6 Prozent in den nächsten fünf Jahren. Wo leben
erreicht wird. Es bedeutet nämlich Einnahmen für unse- Sie denn? Die OECD hat gestern gesagt, dass es im vier-
ren Bundeshaushalt. Es wäre vor allem ein guter Start in ten Quartal ein Minuswachstum geben wird. Das ist die
das Jahr 2012. Die Opposition ist eingeladen, statt Pole- Realität. Das sind alles Annahmen, die nicht seriös sind.
mik konkrete Vorschläge zu machen.
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Die Fünftens. Die Regierung blockiert sich selbst. Sie
kommen jetzt!) agiert in der Regel zu spät. Ich bedaure Herrn Schäuble,
dass er mit der Schülerunion koalieren muss und dass es
Ich danke Ihnen für Ihre Geduld. da ständig Querschüsse gibt.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
neten der SPD)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Dietmar Bartsch hat jetzt das Wort für die Fraktion Sie müssen Ihre tradierten Verhaltensmuster zur Kri-
Die Linke. senbewältigung überwinden. Ja, das sind viele neue He-
rausforderungen. Es wird ein enormes Tempo an Ent-
(Beifall bei der LINKEN) scheidungen abgefordert. Klar bleibt eines: Regulieren
wir nicht die Finanzmärkte, bringen wir nicht die Ban-
Dr. Dietmar Bartsch (DIE LINKE): ken und die Finanzmärkte unter öffentlich-rechtliche
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kontrolle, werden wir immer hinterherlaufen. Gerade
Gestatten Sie mir eine Vorbemerkung: Wir hatten hier auf diesem Gebiet ist mehr oder weniger nichts passiert.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14753
Dr. Dietmar Bartsch
(A) Es gibt ein weiteres Problem: Die Bundesregierung kann nicht die EU, warum können nicht wir Druck ma- (C)
trifft die notwendigen Entscheidungen, und zwar aus chen, dass diese Familien endlich zur Finanzierung des
ideologischen Gründen, in der Regel zu spät oder eben Defizits in Griechenland herangezogen werden?
gar nicht. Ich kann viele Stichwörter nennen. Ich erin-
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
nere zum Beispiel daran, dass wir vor Jahren einen Ge-
neten der SPD)
setzentwurf über die Finanztransaktionsteuer im Haus-
haltsausschuss eingebracht haben. Selbst der damalige Warum lassen wir es zu, dass immer bei den Schwächs-
Finanzminister Steinbrück hat von Teufelszeug und von ten gekürzt wird? Das ist doch ein ungerechtes Herange-
einem Irrglauben der Linken gesprochen. hen.
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig! Ich will einen weiteren Punkt zu Griechenland sagen.
Das ist die Wahrheit!) Griechenland liegt bei den Verteidigungsausgaben mit
Sie reden darüber, aber passiert ist doch überhaupt 685 Dollar pro Kopf auf Platz 3 in Europa. Das ist doch
nichts. ein unhaltbarer Zustand. Warum sorgen wir nicht dafür,
dass Deutschland keine Rüstungsgüter mehr dorthin ex-
(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das portiert? Das würde auch dazu führen, dass das Außen-
stimmt nicht!) handelsdefizit in Griechenland reduziert wird. Das wäre
So ist es auch bei der Finanzmarktkontrolle. Es wird ge- doch eine Maßnahme. Warum muss Griechenland wei-
redet; aber außer dem Verbot von Leerverkäufen ist fast terhin ins Militär investieren? Das ist in dieser Situation
nichts geschehen. völlig falsch.

(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das (Beifall bei der LINKEN – Dr. h. c. Hans
stimmt überhaupt nicht!) Michelbach [CDU/CSU]: Wollen Sie Grie-
chenland annektieren?)
Auch die Verursacher der Krise und die Krisengewinnler
sind in keiner Weise zur Kasse gebeten worden. Fakt ist, Die Bundeskanzlerin hat unrecht, wenn sie sagt,
dass sich die Staatsschulden europaweit auf 10 Billionen Deutschland spare so, dass die Konjunktur nicht abge-
Euro belaufen. Auf der anderen Seite beträgt das Vermö- würgt wird; Herr Barthle hat das noch einmal unterstri-
gen von Millionären und Multimillionären 10 Billionen chen. Richtig ist: Der Haushalt des Jahres 2012 ist erneut
Dollar. Lassen Sie uns doch gemeinsam dafür sorgen, ein Haushalt des Schuldenmachens. Das, was die Bun-
dass beide Zahlen reduziert werden. Das könnten wir ge- desregierung hier vorlegt, ist eben nicht vorbildlich,
meinsam angehen, damit in Deutschland und Europa Jürgen Koppelin. Ich habe ständig das Gefühl, als wür-
mehr Gerechtigkeit entsteht. den wir im nächsten Jahr einen Überschuss von 27 Mil-
(B) liarden Euro erzielen. Die Realität ist: Wir machen (D)
(Beifall bei der LINKEN) 27 Milliarden Euro neue Schulden.
Die Bundesregierung gibt vor, sich für Europa einzu- Herr Schäuble, Sie bleiben der Schuldenkönig unter
setzen. Ja, Herr Schäuble, ich habe Sie hier wieder als den deutschen Finanzministern.
überzeugten Europäer erlebt. Aber was hat denn der Ex-
port des Sozialabbaus in Form von Sparauflagen nach (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Nein, das
Griechenland real gebracht? Nichts, aber auch gar nichts stimmt doch gar nicht!)
hat zur Überwindung der Schuldenkrise, zur Stabilisie- Keine Regierung hat mehr Schulden gemacht. Nach jet-
rung oder zum Wirtschaftswachstum in Griechenland ziger Planung sollen in vier Jahren 144,5 Milliarden
beigetragen. Der griechische Minister sagt – das ist auch Euro Schulden gemacht werden. Das hat noch keine Re-
die Meinung der Experten –: Das Wirtschaftswachstum gierung geschafft.
sinkt um 5 Prozent; von Wachstum zu reden, ist in die-
sem Zusammenhang eigentlich absurd. Um dem Schul- (Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Doch,
denstand überhaupt adäquat begegnen zu können, wäre Steinbrück!)
ein Wachstum von 3 Prozent erforderlich. Wir geben Der grundlegende Fehler Ihrer Politik ist, dass Sie
hier die völlig falsche Medizin. Herr Schäuble, ich rate keine echten Maßnahmen zur Verbesserung der Einnah-
Ihnen: Fragen Sie einmal den Wirtschaftsminister, aber meseite vorschlagen. Das wäre der richtige Weg.
nicht als Wirtschaftsminister – um Gottes willen –, son-
dern als Arzt. Wenn sich eine Medizin als falsch erwie- (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
sen hat, verordnet man etwas anderes. Fragen Sie hierzu neten der SPD und der Abg. Beate Müller-
einmal den Arzt Rösler, nicht den Wirtschaftsminister Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Rösler. Das bedeutet nicht, wie Sie sagen, dass man den Leuten
(Beifall bei der LINKEN) in die Tasche greift; das ist nicht der Fall. Aber Diskus-
sionen über Steuersenkungen sind in dieser Situation
Wir brauchen für Griechenland einen Marshallplan mit völlig absurd. Beenden Sie das!
Investitionen in dem Land, damit irgendwann einmal
Überschüsse produziert werden können. Alles andere ist (Beifall bei der LINKEN)
wirklich absurd.
Frau Merkel, Sie dürfen nicht Arzt am Krankenbett der
In Griechenland verfügen 2 000 Familien über FDP sein. Steuersenkungen in dieser Situation sind
80 Prozent des gesamten privaten Vermögens. Warum falsch. Entlastungen bei Beziehern von kleinen und mitt-
14754 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Dr. Dietmar Bartsch


(A) leren Einkommen sind richtig; aber diejenigen, die viel Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C)
verdienen, müssen stärker herangezogen werden. Herr Der Kollege Sven-Christian Kindler hat jetzt das Wort
Schäuble, Sie könnten ein Held werden, wenn Sie eine für Bündnis 90/Die Grünen.
Millionärsteuer einführen würden mit der Begründung:
Wir treiben verspätet die Steuern ein, die Rot-Grün den
öffentlichen Haushalten vorenthalten hat. – Das wäre der Sven-Christian Kindler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
richtige Weg. Mit diesem Geld könnte man eine ganze NEN):
Menge bewegen. Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
(Beifall bei der LINKEN) Kollegen! Hinter uns liegt nun die erste Haushaltswoche
im Deutschen Bundestag in diesem Jahr. Im Gegensatz
Ich möchte dazu noch etwas sagen. Herr Schäuble, zu anderen Haushaltswochen hatten wir eine ganz be-
Sie haben gesagt: Mit der Linken über Haushaltskonsoli- sondere Woche. Es ging vor allen Dingen um die Fra-
dierung zu reden, ist vielleicht amüsant, aber nicht ziel- gen: Wie gehen wir mit der Finanzkrise um? Wie gehen
führend. – Ich will Ihnen die konkreten Fakten nennen. wir mit der Krise des Euro um? Wie gehen wir mit der
Die rot-rote Regierung in Mecklenburg-Vorpommern hat Staatsschuldenkrise um?
das Land auf einen so guten Kurs gebracht, dass die
Neuverschuldung heute bei null liegt. Was waren die Antworten dieser Koalition darauf?
Ich fange einmal mit der CSU an. Der Chef der CSU,
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- Horst Seehofer, aus München spekuliert darüber, ob
neten der SPD) Griechenland nicht aus dem Euro-Raum austreten sollte,
Die rot-rote Regierung in Berlin hat es geschafft, sich und stellt sich offen gegen die Kanzlerin, die eine euro-
nach den wahnsinnigen Schulden, die Herr Diepgen an- päische Wirtschaftsregierung vorschlägt. Die FDP mit
gehäuft hat, wieder ein paar Gestaltungsräume zu erar- dem neuen Fraktionsvorsitzenden Rainer Brüderle zeigt:
beiten. Beim Anti-Euro-Populismus ist die FDP auf dem glei-
chen Niveau wie die CSU.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord-
neten der SPD – Dr. h. c. Jürgen Koppelin (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist ja eine
[FDP]: Woher ist denn das Geld?) Frechheit!)
In Brandenburg stellen wir einen Finanzminister, der Wie wir heute lesen können: Ihr EU-Kommissar
eine grundsolide Politik macht. Das ist die Politik der Oettinger schlägt vor, in Brüssel die Flaggen von Krisen-
Linken in den Ländern. Die kann sich wirklich sehen ländern auf Halbmast zu setzen. – Mit solchen Reden be-
lassen. dienen Sie nur den deutschnationalen Stammtisch – auch (D)
(B)
(Beifall bei der LINKEN) in Ihren eigenen Reihen – und befeuern die antieuropäi-
sche Stimmung in Deutschland.
Wir werden auch hier in den Haushaltsdebatten in den
nächsten Wochen ganz konkrete Vorschläge vorlegen, (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
wo wir etwas einsparen können. Möglichkeiten gibt es in sowie bei Abgeordneten der SPD)
diesem Haushalt eine ganze Menge.
Was macht die CDU? Was macht diese Kanzlerin?
Ich bin sehr erstaunt, dass von dem schönen Spar- Die Kanzlerin kämpft. Angela Merkel kämpft aber in
buch, das die FDP vorgelegt hat, unter Gelb-Schwarz erster Linie nicht um Europa, sondern vor allen Dingen
nichts übrig geblieben ist. Sie haben immer gesagt, wir um die eigene Mehrheit, um den Machterhalt in den ei-
sollten die Anzahl der Staatssekretäre reduzieren usw. genen Reihen.
Nichts davon ist übrig geblieben. Das ist wirklich sehr,
sehr peinlich. (Norbert Barthle [CDU/CSU]: Machen Sie
sich da mal keine Sorgen!)
Wir müssen eine nachhaltige Finanzpolitik machen.
Wir haben unsere steuerpolitischen Vorschläge einge- Die Frage ist doch: Steht diese Koalition noch?
bracht. Diese Vorschläge sind vernünftig. Sie fördern
Wachstum. Vor allen Dingen führen sie dazu, dass die (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ja, klar! Bleiben
öffentliche Ebene wieder handlungsfähig ist. Sie mal ganz ruhig!)
Die Bilanz der schwarz-gelblichen Regierung ist nach Was macht sie in Europa? Sie wehrt sich gegen ver-
zwei Jahren keine gute. Nichts ist von den Wahlverspre- nünftige Maßnahmen wie europäische Anleihen. Sie
chen übrig geblieben. Was ist denn mit „Mehr Netto setzt sich dafür ein, dass es in den Krisenländern unso-
vom Brutto“? Die Leute können doch nachschauen. ziale Austeritätsprogramme gibt. Sie einigt sich in
Nach zwei Jahren Regierung von Schwarz-Gelb haben Europa immer nur auf den kleinsten gemeinsamen Nen-
sie weniger Netto vom Brutto. Es ist richtig: Deutsch- ner. Eine europapolitische Linie dieser Koalition gibt es
land hat eine andere, eine bessere Regierung verdient – nicht. Sie streiten sich nur. Das Schlimmste ist: Sie ha-
und das möglichst schnell, meine Damen und Herren. ben keinen gemeinsamen Willen, für die Zukunft Euro-
Danke schön. pas einzustehen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
neten der SPD) der Abg. Dr. Barbara Hendricks [SPD])
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14755
Sven-Christian Kindler
(A) Damit – das ist eigentlich das Schlimme – verspielen Sie Was haben Sie stattdessen in den letzten Jahren um- (C)
das europapolitische Erbe von Hans-Dietrich Genscher weltpolitisch gemacht? Sie haben eine massive Verunsi-
und Helmut Kohl. cherung bewirkt. Es gab einen Ausstieg aus dem Aus-
stieg aus dem Ausstieg und ein Auf und Ab beim
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Da warst du Gebäudesanierungsprogramm und beim Marktanreiz-
noch gar nicht geboren! – Gegenruf der Abg. programm. Damit haben Sie das Handwerk, die Klein-
Nicolette Kressl [SPD]: Alter allein ist kein unternehmer, die Mittelständler und die Betreiber von
Verdienst!) Erneuerbare-Energien-Anlagen massiv verunsichert und
– Das waren Leute, die sich für Europa eingesetzt haben. Milliardeninvestitionen verhindert und verzögert.
Diesen Willen spürt man bei dieser Koalition nicht mehr. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) des Abg. Klaus Hagemann [SPD])

Wir haben aber nicht nur die Schuldenkrise in Europa Neu ist an dem vorliegenden Haushalt, dass Sie mit
zu bekämpfen. Wir sind weiterhin mitten in einer schwe- dem Energie- und Klimafonds einen Schattenhaushalt
ren Finanzkrise; das müssen wir uns klarmachen. Wir schaffen. Daraus sollen neue Kohlekraftwerke finanziert
haben weltweit eine verschärfte Klimakrise. Wir haben werden. Neue Klimakiller sollen daraus finanziert wer-
die soziale Spaltung in Europa und in Deutschland anzu- den. Absurder geht es nicht. Das zeigt: Sie haben die
gehen. Weltweit hungern über 1 Milliarde Menschen. Energiewende nicht verstanden.
Wie reagiert diese Koalition auf diese Krisen? Beim (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Blick in den Bundeshaushalt fällt auf: Sie vergrößern mit
diesem Haushalt die haushälterische, die soziale und die Sie vergrößern mit dem Haushalt auch die soziale
ökologische Verschuldung in diesem Land. Verschuldung. Viele Menschen fragen sich zu Recht,
wer die Zeche für die Krise zahlt. Bei Schwarz-Gelb
Zur haushälterischen Verschuldung. Sie feiern sich zahlen vor allem die kleinen Leute, die Langzeitarbeits-
jetzt groß für die Rückführung der Neuverschuldung. losen und die sozial Benachteiligten.
Dabei ist längst klar – das haben wir auch dargelegt –,
Das Einzige, was Sie aus Ihrem sogenannten Spar-
dass Sie nicht wirklich konsolidieren, sondern nur kon-
paket umgesetzt haben, waren die Kürzungen bei Ar-
junkturelle Effekte für die Rückführung der Neuver-
beitsmarktprogrammen, die vor allem die Langzeit-
schuldung nutzen.
arbeitslosen betroffen haben, obwohl wir wissen, dass
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Langzeitarbeitslose, Geringqualifizierte und Menschen
Norbert Barthle [CDU/CSU]: Sie wissen doch mit Behinderungen auf Bildung angewiesen sind und be-
(B) genau, dass das nicht stimmt!) sondere Förderprogramme brauchen. Ihre Politik ist un- (D)
sozial. Durch Ihre Kürzungen rauben Sie vielen Men-
Es stimmt; wir haben Aufschwung in Deutschland. Aber schen die Chance auf Arbeit und Teilhabe in diesem
eines ist klar: Für diese gute Wirtschaftslage sind nicht Land.
Sie verantwortlich. Wir können wirklich heilfroh sein,
dass die Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle und (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Philipp Rösler in den letzten Jahren so wenig getan ha- Wir sind immer noch in einer schweren Finanzkrise,
ben. die wir bewältigen müssen. Um diese Krise zu bewälti-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – gen, haben sich die öffentlichen Haushalte massiv ver-
Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Falsch! Das schuldet; die Banken wurden gerettet, schwere Konjunk-
ist doch dummes Zeug! Wer hat dir das aufge- turpakete wurden aufgelegt. Deswegen ist es nur fair und
schrieben?) angemessen, dass jetzt auch der Finanzsektor und große
Vermögen, die von den hohen Renditen an den Finanz-
Gleichzeitig haben Sie in Ihrem Haushalt lauter Luft- märkten profitieren, einen angemessenen Beitrag zahlen.
buchungen und Risiken. Die Brennelementesteuer und
die Finanztransaktionsteuer sind falsch berechnet und Die soziale Schere hat sich in den letzten Jahrzehnten
eingestellt. Sie sehen für 2014 und 2015 eine nicht kon- in diesem Land weiter geöffnet. 10 Prozent der Men-
kretisierte Globale Minderausgabe von fast 10 Milliar- schen besitzen über 60 Prozent des privaten Nettovermö-
den Euro vor. Die Kosten für die Euro-Rettung sind mit gens in Deutschland. Die untersten 50 Prozent hingegen
keinem Cent etatisiert. Dafür ist keine Vorsorge getrof- haben fast nichts außer Schulden.
fen. Das ist unsolide und unseriös. Aber das kennen wir Wir wollen, dass die obersten 1 Prozent dieser Gesell-
schon: Das ist schwarz-gelbe Haushaltspolitik. schaft, die Millionäre in diesem Land, ihren fairen und
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) angemessenen Beitrag für die Kosten der Krise leisten,
und zwar mit einer einmaligen Vermögensabgabe über
Sie vergrößern auch die ökologische Verschuldung zehn Jahre.
mit diesem Haushalt. Sie drücken sich vor Einsparungen
(Otto Fricke [FDP]: Wie viel?)
zum Beispiel bei Bundesfernstraßen und Autobahnen.
Sie drücken sich vor dem Abbau umweltschädlicher Das wollen auch immer mehr Reiche. Michael Otto,
Subventionen, obwohl diese Subventionen eine doppelte Marius Müller-Westernhagen, Martin Kind und andere
Rendite haben: für den Klimaschutz und für den Staats- haben gefordert, die Steuern für Reiche und Besserver-
haushalt. dienende zu erhöhen. Wir wissen auch: Eine gerechte
14756 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Sven-Christian Kindler
(A) Haushaltskonsolidierung ist nur möglich, wenn die Las- Psychologie, hat Ludwig Erhard einmal gesagt. Wer die (C)
ten fair und gerecht verteilt sind. Krise geradezu herbeiredet, wie dies Carsten Schneider
getan hat, versündigt sich an den Arbeitsplätzen in
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Deutschland. Das ist die Situation.
sowie bei Abgeordneten der SPD –
Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Joschka (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Fischer hat sich noch gar nicht geäußert!) neten der FDP – Carsten Schneider [Erfurt]
[SPD]: Gesundbeten hilft auch nicht!)
Wir Grünen werden Ihnen in den Haushaltsverhand-
lungen faire Angebote für eine nachhaltige und gerechte Natürlich stehen wir vor Herausforderungen und ha-
Haushaltspolitik machen. Wir werden genau zeigen, wo ben Aufgaben, die in schwieriger Zeit nicht einfach zu
man gezielt und sinnvoll sparen, Subventionen abbauen lösen sind. Es sind Aufgaben bei der Wachstumspolitik,
und gerechte Mehreinnahmen erzielen kann, damit wir Aufgaben bei der Haushaltskonsolidierung, Aufgaben
auch investieren können. Wir wollen in die Zukunft, in bei der Stabilisierung der Währungsunion, Aufgaben bei
die Energiewende, in den Klimaschutz und in ein zu- der Regulierung der Finanzmärkte. Das ist eine
kunftsfähiges Bildungssystem investieren und für glo- Herkulesarbeit. Die christlich-liberale Koalition ist dabei
bale Gerechtigkeit eintreten. Das ist der zentrale Unter- auf einem richtigen Kurs. Unsere Krisenbekämpfung
schied zwischen Ihnen und uns. Wir denken an morgen. war bisher erfolgreich und wird von dem Bundesfinanz-
Sie sind eine Koalition von gestern. Es wird Zeit, dass minister in diesem Sinne fortgesetzt werden. Der Euro
Sie abgewählt werden. wurde trotz aller Finanzmarktturbulenzen stabil gehal-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ten. Das ist doch der wichtigste Punkt. Die Nachhaltig-
sowie bei Abgeordneten der SPD) keit und Zukunftsfähigkeit unseres Landes gehen wir mit
dem Haushalt 2012 konsequent an. Den Wettbewerb um
die besseren Lösungen nehmen wir an.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Der Kollege Hans Michelbach hat jetzt das Wort für Die Opposition ist keine zielführende Alternative bei
die CDU/CSU-Fraktion. Wachstum, Haushaltskonsolidierung und Euro-Siche-
rung. Es gibt große Unterschiede in der Stabilitätspoli-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) tik; das ist zum Ausdruck gekommen. Die Koalition
steht für mehr Stabilität, Rot-Grün steht für die Verlet-
Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): zung des Stabilitätspakts.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol-
legen! Das Fazit der Haushaltsdebatten in dieser Woche (Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/
(B) lautet: Die christlich-liberale Koalition ist der Anker der DIE GRÜNEN: Oh!) (D)
Stabilität für Deutschland und Europa. Entschlossen und – Wer hat denn den Stabilitätspakt als Erster gerissen?
besonnen bekämpfen wir die internationale Schulden- Wer hat denn Griechenland in die Euro-Zone aufgenom-
krise und die Finanzmarktexzesse, und wir arbeiten für men? Das waren doch Sie, meine Damen und Herren
eine erfolgreiche Wachstums- und Wettbewerbsfähigkeit von Rot-Grün, oder?
unserer Wirtschaft.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP) Wir setzen beim Euro-Rettungsschirm auf harte Auf-
lagen. Wir stehen für eine funktionsfähige Wirtschafts-
Das ist die Wahrheit, nicht das Schlechtreden unseres und Währungsunion durch klare Anpassungsprozesse.
Landes durch die Opposition. Wir wollen eine Schuldenbremse in allen 17 Euro-Län-
Unser Land ist das Wachstums- und Chancenland dern.
Nummer eins in Europa. Nach dem neuesten Wettbe- Es gibt auch klare Unterschiede bei den Rettungs-
werbsfähigkeitsreport belegen wir unter 142 Ländern maßnahmen. Die Koalition steht für Eigenverantwor-
den guten sechsten Platz. Unser Arbeitsmarkt ist in bes- tung und Solidarität in Europa. Die Opposition hat nichts
ter Verfassung. Wir haben 2 Millionen sozialversiche- anderes zu bieten als Euro-Bonds. Sie will die Schulden
rungspflichtige Beschäftigte mehr als zu der Zeit, als und Zinsen zulasten der deutschen Steuerzahler verge-
Rot-Grün regiert hat. 41 Millionen Erwerbstätige sind meinschaften. Das ist ein Irrweg.
ein Beschäftigungsrekord. Die Jugendarbeitslosigkeit
wurde halbiert. Das ist der beste Sozialstaat, den es in (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Deutschland je gegeben hat.
Damit müsste Deutschland unmittelbar und unbe-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- schränkt für die neuen Schulden der Krisenstaaten ge-
neten der FDP) samtschuldnerisch haften. Ein intransparenter und kaum
kontrollierbarer Finanzausgleich, für den es keine
Allein das zählt.
Grundlagen und vor allem keine Grenzen geben könnte,
Rot-Grün hatte in dieser Woche keine Perspektiven ist ein Irrweg. Das darf es nicht geben. Eigenverantwor-
vorzuweisen, außer sozialistischen Fehlkonzepten, die tung, Subsidiarität und Hilfe zur Selbsthilfe sind ange-
wir auch heute Morgen gehört haben. Was besonders sagt. Das ist letzten Endes das, was auch das Bundesver-
schlimm ist: Sie reden geradezu Krisen herbei. 50 Pro- fassungsgericht gesagt hat. Seine Entscheidung war eine
zent einer guten Wirtschaftsentwicklung beruhen auf Ohrfeige für die rot-grünen Euro-Bonds.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14757
Dr. h. c. Hans Michelbach
(A) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (C)
Bettina Hagedorn [SPD]: Was für ein NEN]: Legen Sie doch mal etwas vor!)
Quatsch!)
Die Steuerungerechtigkeit, die mit den SPD-Vor-
Wir brauchen jetzt zur Sicherung der für Deutschland schlägen verbunden ist, gipfelt darin, dass Sie die Mittel,
wichtigen Währungsunion konditionierte, wachstums- die sich aus der kalten Progression ergeben, einfach ein-
orientierte Hilfen. Sie wollten in vorauseilendem Gehor- kassieren wollen. Das ist ein Anschlag auf die Bezieher
sam Schiffscontainer voll Geld nach Griechenland kleiner und mittlerer Einkommen.
schaffen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Zuruf von der SPD: So ein Quatsch!)
Die kalte Progression muss abgeschwächt werden; denn
Herr Trittin hat uns gestern vorgeworfen, wir würden die dahinter stecken heimliche Steuererhöhungen. Wir wer-
Container immer zu spät schicken. Ich kann Ihnen nur den den Menschen diese Mittel zurückgeben. Ihr Steuer-
deutlich sagen: Dieser vorauseilende Gehorsam ist der konzept ist falsch.
falsche Weg. Sie müssen Anpassungs- und Reformpro-
zesse und Eigenverantwortung verlangen, um Stabilität (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ihre
zu erreichen. Das ist der wesentliche Punkt. Redezeit ist um!)

Mittlerweile gibt es auch in der Wachstumspolitik Letzten Endes werden wir auch die Unterschiede im
klare Unterschiede. Die Koalition steht für mehr Wachs- Bereich der Finanzmarktregulierung deutlich machen.
tum. Die Opposition steht hingegen für höhere Steuern. Wir haben Wesentliches auf die Beine gestellt, von dem
Sie verfolgt damit wieder einmal ein Wachstums- und Verbot der Leerverkäufe bis zur Bankenabgabe. Da las-
Arbeitsplatzvernichtungsprogramm. Das ist die Situa- sen wir uns von niemandem übertreffen.
tion.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Herr Kollege.
der FDP)
Die SPD will die mittelständischen Unternehmen als Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU):
Personengesellschaften höher belasten und gefährdet da- Wir regulieren die Finanzmärkte, und wir werden da-
mit Arbeitsplätze. Die Umsetzung ihrer Pläne würde für für sorgen, dass der Faktor des Dienens der Finanzwirt-
Tausende Unternehmen bedeuten, dass arbeitsplatz- schaft für die Realwirtschaft wieder Platz greift. Das ist
schaffende Investitionsmittel durch Steuern und Solida- der richtige Weg; wir schlagen ihn ein.
(B) ritätszuschlag geradezu aufgefressen werden. Die Große (D)
Koalition hat für die Wachstumsentwicklung 24 Milliar- Herzlichen Dank.
den Euro auf den Weg gebracht. Das hat die Wachstums-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
entwicklung begünstigt. Warum soll das heute falsch
sein? Heute wollen Sie Ihre ideologische Kiste auspa-
cken und die oberen 4 Prozent der Einkommensbezieher Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
an den Pranger stellen. Nicolette Kressl spricht jetzt für die SPD-Fraktion.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Die wollen doch (Beifall bei der SPD)
selber zahlen!)
Ich kann Ihnen sagen: Sie treffen 60 Prozent der mittel- Nicolette Kressl (SPD):
ständischen Betriebe, die diese Mittel für Arbeitsplätze Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
brauchen. Das ist die Wahrheit. Herr Michelbach, ich glaube, Ihre Rede war symptoma-
tisch für das Problem, in dem die Koalition steckt.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Nicolette
Kressl [SPD]: So ein Blödsinn!) (Beifall bei Abgeordneten der SPD –
Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Ja, die Rede
Sie wollen wie immer liquiditätsfeindliche Substanz- war sehr gut! Die Koalition ist auch sehr gut!)
besteuerungen. Sie wollen eine weitere Erhöhung der
Erbschaftsteuer. Sie wollen die Vermögensteuer wieder Sie haben gesagt: Was gestern richtig war, kann doch
erheben, obwohl das Verfassungsgericht gesagt hat, in heute nicht falsch sein. Genau das ist Ihr Problem: dass
Deutschland dürfe die Steuerbelastung 50 Prozent nicht Sie sich nicht mit veränderten Rahmenbedingungen in
überschreiten. Nach Ihren Vorstellungen müssten die dieser Welt und in Deutschland auseinandersetzen und
Spitzenverdiener von 1 Euro 82 Cent Steuern zahlen. für Ihre Politik keinerlei Konsequenz daraus ziehen. Das
Das ist verfassungswidrig und geht daher in dieser Form können wir Ihnen an mehreren Beispielen deutlich ma-
nicht. Wer soll denn noch Risiken bei Investitionen ein- chen.
gehen, wenn von jedem eingenommenen Euro 82 Cent (Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sylvia Kotting-
Steuern zu zahlen sind? Das kann doch nicht die Lösung Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
sein. Ich sage Ihnen: Blockieren Sie nicht unser Steuer-
vereinfachungspaket. Schauen Sie, dass wir gemeinsam Sie stehen zum Beispiel beim Thema Steuersenkun-
zu einer Entlastung kommen. Das wäre das richtige gen wie ein alter Holzpflock im Wasser, lassen die ver-
Konzept. änderten Rahmenbedingungen an sich vorbeirauschen
14758 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Nicolette Kressl
(A) (Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Das ist ten Jahren gewesen? Wir haben, weil Sie immer über (C)
aber sehr unhöflich!) kalte Progression reden, einmal im Hause nachgefragt,
wie es denn wirklich damit aussieht. Ich darf Ihnen aus
und glauben noch, Sie könnten mit Fug und Recht sagen:
der Antwort zitieren:
Was gestern richtig war, kann doch heute nicht falsch
sein. Im Zeitraum 2006 bis 2010 wurde die kalte Pro-
gression im Ergebnis durch gesetzliche Maßnah-
(Beifall des Abg. Joachim Poß [SPD])
men spürbar abgeschwächt.
Das ist unflexible Politik; das ist Politik, die nicht auf die
Menschen ausgerichtet ist. Das wissen Sie auch. Wenn Sie über 6 Milliarden
Euro reden – die FDP will ja noch mehr –, dann bildet
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten das die Veränderungen durch die kalte Progression in
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) den letzten Jahren nicht ab. Dies zeigt, dass Sie nur ein
Schauen wir uns das doch einmal genau an: Spannend Mäntelchen brauchen, um die FDP-Forderungen nicht
war, dass Sie über Einnahmepolitik, über Steuerpolitik vollends als hanebüchen erscheinen zu lassen und ir-
die ganze Zeit so gut wie nichts gesagt haben, obwohl gendwie begründen zu können, dass man jetzt Steuer-
sowohl die Ausgaben- als auch die Einnahmepolitik für senkungen machen müsse. Die Zahlen sprechen aber
einen soliden Haushalt ein wichtiger Faktor sind. Ich eine andere Sprache, Herr Minister Schäuble und liebe
verstehe das: Wer keinen Plan hat, kann auch nichts sa- Koalitionsfraktionen.
gen. Aber es gehört eigentlich zu den wichtigen Aufga- (Beifall bei der SPD)
ben, der deutschen Bevölkerung zu sagen, was Sie tat-
sächlich vorhaben. Abgesehen von diesen Zahlen stellt sich natürlich die
Frage: Wen würden wir damit entlasten? Wir reden doch
(Beifall bei der SPD) von kalter Progression durch steigende Löhne. Ich
Nach unserer sozialdemokratischen Überzeugung wüsste nicht, dass es im unteren und mittleren Einkom-
brauchen wir für ein solidarisches und für ein wirtschaft- mensbereich in den letzten Jahren tatsächliche Lohnstei-
lich erfolgreiches Gemeinwesen ausreichende Finanz- gerungen gegeben hat. Sorgen wir doch gemeinsam da-
kraft, und zwar auf allen Ebenen. Es geht nicht um Steu- für, dass die, die jeden Tag arbeiten gehen, tatsächlich
ereinnahmen um ihrer selbst willen, sondern es geht von dem Geld leben können! Dann können wir auch
darum, dass die Gemeinschaft Ausgaben finanzieren über entsprechende Steuerpolitik reden. Aber es muss
kann, durch die für Gerechtigkeit und für Wirtschafts- schon die richtige Reihenfolge sein.
wachstum gesorgt wird. Das ist beispielsweise bei den (Beifall bei der SPD)
(B) Bildungsausgaben der Fall. Kein Wort ist während der (D)
gesamten Debatte in der Haushaltswoche gefallen, das in Dass Sie sich der Wirklichkeit in diesem Bereich ver-
diesem Bereich einen ernsthaften Weg nach vorne weist. weigern, zeigt, wie ich finde, die gesamte Woche. Ich
denke nur an Dienstag: Von Herrn Wissing kam keinerlei
Wir sind der Überzeugung, dass Menschen mit sehr Vorschlag; er zeigte keinerlei positive Entwicklung auf.
hohen Einkommen und Menschen mit sehr großen Ver- Das Einzige, was geht, ist, dass die FDP immer noch
mögen einen größeren Beitrag für das solidarische Ge- Opposition in der Regierung spielt und sich an irgendet-
meinwesen leisten können, was sie im Übrigen – dies was abarbeitet. Wir erwarten verantwortungsvolles Han-
finde ich spannend – ja auch wollen. deln und Vorschläge, die deutlich machen, wie es in der
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja!) Zukunft weitergeht. Das erwarten wir von Ihnen, und
das erwarten auch die Menschen von Ihnen, wie ich
Das ist es, was ich meine: Sie merken überhaupt nicht, finde, zu Recht.
dass die Zeit an Ihnen vorbeigeht.
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD)
Solidarisch und wirtschaftlich vorausschauend wäre
Diejenigen, die betroffen sind, sagen: Ändert es doch. – es übrigens gewesen, wenn sich Herr Michelbach oder
Sie aber stellen sich hin und verkünden die Rezepte von Herr Barthle – ich weiß nicht, wer von beiden es war –
vor fünf Jahren. Das ist keine kluge und keine voraus- nicht hier hingestellt und gesagt hätte, wenn die Mehr-
schauende Politik. wertsteuervergünstigung für die Klientel Hotels zurück-
Wer sich weigert, veränderte Rahmenbedingungen genommen würde, wäre das eine Steuererhöhung. So ein
wahrzunehmen, der klammert sich wie die FDP immer Blödsinn. Es wäre die Rückkehr zu vernünftigem steuer-
noch an Steuersenkungen, im schlimmsten Fall an Steu- politischen Handeln, wenn Sie diese 1 Milliarde pro Jahr
ersenkungen auf Pump; das wäre in diesem Fall auch so. endlich wieder einnehmen und nicht locker wegschmei-
ßen würden.
(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Anders geht das
ja gar nicht!) (Beifall bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/
CSU]: Hätten Sie lieber der Erhöhung des
Da der Finanzminister das weiß und viele in der CDU es Kindergeldes zugestimmt! Familienfeindliche
eigentlich auch wissen, wird immer die kalte Progres- Politik machen Sie!)
sion bemüht. Um kein Missverständnis aufkommen zu
lassen: Natürlich ist das ein Problem – wenn es denn der Grund dafür – das wissen Sie doch auch –, dass Ihre
Realität entspräche. Aber was ist die Realität in den letz- mehrmals einberufene Mehrwertsteuerkommission ir-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14759
Nicolette Kressl
(A) gendwie nie tagt, ist, dass Sie sich nicht trauen, dieses Dann gibt es noch die internationale Ebene; auch hier (C)
Problem anzugehen. Ich frage mich: Warum? Der Ter- könnten Sie für bessere Steuerpolitik sorgen. Wo bleibt
minplan kann im Laufe von anderthalb Jahren irgendwie eigentlich eine neue deutsche Initiative zur Durchset-
nicht der Grund dafür sein. Es liegt daran, dass Sie nicht zung europäischer Mindeststandards bei der Unterneh-
zu Potte kommen, zu sagen: Da haben wir einen Fehler mensbesteuerung? Wir finden, spätestens nach der De-
gemacht. Das nehmen wir zurück. Damit haben wir für batte um Irland, die unter den Rettungsschirm wollten,
eine vernünftige Struktur unseres Staates jährlich 1 Mil- aber von vornherein ausgeschlossen haben, die Körper-
liarde Euro mehr. – Das ist doch Ihr Problem. Sie stellen schaftsteuer zu erhöhen, hätte es eine deutsche Initiative
sich den Herausforderungen nicht in verantwortlicher geben müssen, um dafür zu sorgen, dass das auf interna-
Weise. tionaler Ebene nicht mehr so weitergeht. Wir haben das
einmal in Angriff genommen. Man kann hier nicht
(Beifall bei der SPD – Norbert Barthle [CDU/ gleich Erfolge verzeichnen; das ist richtig. Ich hätte aber
CSU]: Sie müssen es korrekt darstellen! Die erwartet, dass Sie deutlich gemacht hätten, dass es so
Milliarde teilt sich auf, auf Bund und Länder! nicht geht. Das erwarte ich einfach von einer deutschen
Die haben nicht nur wir!) Regierung.
Solidarisch und vorausschauend wäre es übrigens (Beifall bei der SPD)
auch gewesen, wenn Sie im Rahmen der Gemeindefi-
nanzkommission nicht aufgehört hätten, für strukturelle Ganz großes Kino in der Steuerpolitik stellt ja die
Verbesserungen bei den Kommunen zu sorgen. Wir fin- Frage der Finanztransaktionsteuer dar. Schon vor der
den es ja gut, dass die Kosten für die Grundsicherung Sommerpause haben wir Ihnen hier im Parlament nach-
übernommen werden. Es bedurfte übrigens massiven gewiesen, dass die FDP eine andere Position als der Fi-
Bohrens der A-Länder und der SPD-Seite, dass es so nanzminister vertritt.
weit gekommen ist.
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wie fast
Aber der Punkt ist: Nachdem Sie es nicht geschafft jeder!)
haben, die der Gewerbesteuer zu beseitigen, weigern Sie
Es war damals schon ganz klar und ist es jetzt wieder:
sich jetzt auch, über strukturelle Veränderungen, über
Der Finanzminister sagt: „Finanztransaktionsteuer auch
Gemeindewirtschaftsteuern oder Veränderungen bei der
im Euro-Raum möglich“, die FDP sagt: „Auf keinen
Gewerbesteuer oder was auch immer nachzudenken, um
Fall.“
so dauerhaft die Situation der Kommunen strukturell zu
verbessern. Die Umsetzung eigener Vorschläge nicht ge- (Otto Fricke [FDP]: Sie sagt: In der EU!)
lungen, darüber beleidigt und dann Verweigerungshal-
(B) tung gegenüber anderen Weiterentwicklungsmöglichkei- Jetzt frage ich Sie einmal: Wer soll diese Regierung, (D)
ten – auch das ist symptomatisch für das, was Sie hier im die keine feste Position hat, auf europäischer Ebene ei-
Bereich der Steuerpolitik bieten. gentlich ernst nehmen? Das wird nicht funktionieren. Ich
frage Sie auch: Wann stellen Sie Ihre Position eigentlich
(Beifall bei der SPD) klar? Ich finde, da muss dann auch die Kanzlerin ran und
sagen: Hier gibt es unterschiedliche Positionen. Ich lasse
Sie sind auch nicht bereit, wie wir es sind, über mög-
meinen Finanzminister nicht von meinem Koalitions-
liche Veränderungen beispielsweise im Bereich der
partner demontieren. Wir machen es jetzt so oder so. –
Brennelementesteuer zu reden. Sie wissen doch, dass
Aber da bewegt sich nichts: leerer Raum, keinerlei Posi-
diese Steuer nicht das eingebracht hat, was eigentlich
tionierung.
vorgesehen war, weil Sie im Vorfeld massive Struktur-
fehler begangen haben. Ich denke, es ist an der Zeit, sich (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
zu überlegen, wie man es schaffen kann, dass auch aus des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
diesem Bereich entsprechende Einnahmen hereinkom-
men. In diesem Bereich gab es nämlich massiv steigende In der Biologie nennt man das Verhalten, das Sie bei
Gewinne. der Finanztransaktionsteuer an den Tag legen, Mimikry.
Ich habe einmal nachgeschaut, was das heißt. Die Biolo-
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Oh Gott!) gie sagt: Mimikry ist eine Signalfälschung, die der Tar-
nung dient. Ich finde, alles, was Sie im Moment verbal
Ebenso machen Sie sich keine Gedanken darüber, wie
zum Thema Finanztransaktionsteuer sagen, ist Mimikry.
Menschen mit sehr hohem Vermögen zur Finanzierung
Sie reden darüber, Sie wollen es aber nicht. Dabei glau-
dieses Staates beitragen könnten. Hierfür gibt es ja nicht
ben Sie aber tatsächlich, dass die Menschen so doof sind,
nur ein einziges Instrument. Man kann darüber diskutie-
das nicht zu merken. Ich sage Ihnen: Im Tierreich wären
ren, wie man es macht. Das Problem ist auch hier, dass
Sie schon längst aufgefressen worden. So schlecht ist
Sie sich der Wirklichkeit verweigern und nicht einmal
Ihre Mimikry in diesem Punkt.
über entsprechende Instrumente reden, weil Sie immer
noch an den alten verrückten Zielen festhalten, die da (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
lauten: Steuersenkungen, Steuersenkungen. Aber die Fi- der LINKEN – Christian Lange [Backnang]
nanzierung des Staates, die Chancengleichheit für Kin- [SPD]: In der Politik heißt es: unter 5 Pro-
der – all das geht den Bach hinunter, weil Sie sich der zent!)
Wirklichkeit verweigern.
Das mag jetzt vielleicht witzig klingen, aber das Pro-
(Beifall bei der SPD) blem ist, dass Sie dadurch, dass Sie Ihre Positionen nicht
14760 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Nicolette Kressl
(A) klären, verhindern, dass sich die Akteure auf den Finanz- verklärt. Ich sage Ihnen: Kein Plan, keine gute Arbeit – (C)
märkten an einer ordentlichen Finanzierung der Staaten das schadet dem Haushalt und dem solidarischen Ge-
beteiligen. Das ist das Problem an diesem Verhalten, das meinwesen in Deutschland.
man ansonsten als lustig einstufen könnte. Wir wollen,
dass Sie eine klare Position einnehmen. Dann unterstüt- Vielen Dank.
zen wir Sie auch in dem Kampf zur Einführung einer (Beifall bei der SPD)
Finanztransaktionsteuer auf europäischer Ebene.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
der LINKEN) Otto Fricke hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.
Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen, der unter (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
die Kategorie „Versagen auf internationalem Parkett“
fällt: Herr Minister Schäuble, im Interesse gerechter
Otto Fricke (FDP):
Steuerpolitik hätten wir es für wichtig gehalten, Sie hät-
ten in den Verhandlungen mit der Schweiz eine andere Geschätzte Frau Vizepräsidentin! Meine sehr geehr-
Ausgangsposition eingenommen. ten Damen und Herren! Wenn wir bei den Haushaltsbe-
ratungen über Zahlen reden, sollte man auch immer bei
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten Klarheit und Wahrheit bleiben. Ich bekomme von Bür-
der LINKEN – Dr. h. c. Hans Michelbach gern, die uns zuhören, oft die Frage gestellt: Ist die ge-
[CDU/CSU]: Mit der Kavallerie, wie der Herr plante Neuverschuldung für 2012, wie sie das Kabinett
Steinbrück, oder wie?) beschlossen hat, viel oder wenig? – Erster Teil der Ant-
Es ist ja nicht so, dass dieser Ablasshandel der Kompro- wort: Jede Neuverschuldung ist zu viel. Das wissen wir
miss nach harten Verhandlungen gewesen wäre. Sie wa- hier alle.
ren von Anfang an bereit, diesen pauschalen anonymi- (Beifall bei Abgeordneten der FDP und des
sierten Ablass zu akzeptieren; das ist nachlesbar. Das hat BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
mit Steuergerechtigkeit nichts, aber auch gar nichts zu
tun. Für den zweiten Teil der Antwort ist es sinnvoll, die
Zahl mit einer anderen zu vergleichen. Kollege
(Beifall bei der SPD – Dr. Michael Meister Schneider, es war ein bisschen unfair, falsche Fakten zu
[CDU/CSU]: Hohle Phrasen sind besser als bringen. Sie haben gesagt, es handele sich um die dritt-
Handeln! – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/ höchste Neuverschuldung, die die Bundesrepublik
CSU]: Kavallerie ist besser als Steuergerech- Deutschland je hatte. Ich darf Sie daran erinnern, dass im
(B) tigkeit!) ersten Haushalt von Rot-Grün 1999 bei einem viel gerin- (D)
Es ist immer wieder von der Kavallerie die Rede. geren Haushalt eine höhere Neuverschuldung geplant
Dazu will ich Ihnen etwas sagen. Wenn nicht Finanz- war als jetzt von uns. Die jetzige Neuverschuldung ist
minister Peer Steinbrück, auch verbal, so massiv darauf immer noch zu hoch. Aber die nächste Frage, die der
gedrungen hätte, dass dieses Thema international aufs Bürger stellt, lautet: Ich kann mit der Zahl 27 Milliarden
Parkett kommt, dann hätten wir bis heute noch nicht die gar nichts anfangen; mit solchen Zahlen habe ich nichts
graue Liste bei der OECD, zu tun. Sind Sie wenigstens auf dem richtigen Pfad? Wo
kommen Sie her und wo gehen Sie hin?
(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was
ist denn mit der partnerschaftlichen Zusam- Schauen wir einmal, wie die SPD und ihr Finanz-
menarbeit mit dem Nachbarland? Die guten minister Steinbrück es damals gesehen haben, wo wir
Wirtschaftsbeziehungen, das ist etwas wert, landen werden.
nicht die Kavallerie!) (Bettina Hagedorn [SPD]: Das waren doch
und Sie hätten überhaupt keine Ausgangsbasis gehabt, andere Rahmenbedingungen!)
mit der Schweiz zu verhandeln; – Es waren andere Rahmenbedingungen, weil wir die
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Rahmenbedingungen verändert haben, Frau Kollegin
Hagedorn. Jetzt will ich versuchen, den Bürgern das dar-
denn deren Ziel ist, von der Liste herunterzukommen. zustellen. Sie können sich ja dann ihre eigene Meinung
Sie fahren im Windschatten und erkennen nicht, wer die bilden. – Die SPD und ihr Finanzminister haben ge-
Erkenntnis, dass die Schweiz sich in diesem Bereich be- meint, wir wären im Jahre 2010 bei einer Neuverschul-
wegt, eigentlich ausgelöst hat. dung in Höhe von 86 Milliarden Euro. Diese Summe ha-
Wenn wir jetzt eine Zwischenbilanz ziehen, müssen ben wir als Koalition halbiert.
wir feststellen: kein Plan, keine Zukunftsvorstellungen, (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Wie viel
keine Ideen, wie es werden soll – habt ihr hier im Bundestag beschlossen?)
(Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Ist das die
Aber was hatte die SPD in Bezug auf das Jahr 2012 ge-
Überschrift der Rede?)
dacht, über das wir jetzt reden – natürlich mit einer ge-
deswegen haben wir die ganze Zeit auch nichts über das wissen Ungewissheit hinsichtlich des Verlaufs der Ent-
Thema Steuern gehört –, und wenn einmal etwas kommt, wicklung, die Sie aber auch bei unseren Zahlen
dann wird es durch höchst unprofessionelles Handeln unterstellen?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14761
Otto Fricke
(A) (Bernd Scheelen [SPD]: Das ist Volks- welche Position er in einer Partei oder in einer Regie- (C)
verdummung!) rung hat. Ich traue allen Abgeordneten hier zu, dass sie
die richtige Entscheidung nach bestem Wissen und Ge-
2012 – das muss man der Bevölkerung sagen, damit sie
wissen treffen. Ob es die bessere oder schlechtere ist,
einen Vergleich hat, ob die jetzige Neuverschuldung eine
hängt von der politischen Richtung ab.
schlechte, schlimme, verschlimmernde ist – wollten Sie
und Ihr Herr Steinbrück 54 Milliarden Euro als Neuver- (Volker Kauder [CDU/CSU]: Ein paar Aus-
schuldung in der Planung ansetzen. Das ist in Papieren nahmen müssen wir schon machen!)
des Deutschen Bundestages schriftlich niedergelegt.
Das sollten wir als Parlament auch mit einem gewissen
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Aber die Selbstbewusstsein tun. Die Regierung macht ihre Arbeit
Frau Merkel war dabei, oder?) gut. Die Koalition macht ihre Arbeit gut. Die Opposition
Die jetzige Koalition halbiert diese Summe im Entwurf muss selber beurteilen, ob sie ihre Arbeit gut macht. Ich
des Kabinetts. Also können wir für den Bürger festhal- glaube, dann befinden wir uns auf dem richtigen Weg.
ten: Wir senken die Neuverschuldung ständig. (Christian Lange [Backnang] [SPD]: Große
(Bettina Hagedorn [SPD]: Sie sparen über- Stille!)
haupt nicht!) Diese Woche war bei weitem nicht die Woche der Op-
Es gelingt nur noch Herrn Schneider, durch wildeste position. Wo waren denn Ihre Vorschläge? Nichts kam.
Konstruktionen im Zusammenhang mit der Schulden-
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
bremse festzustellen, dass das nicht so sei.
Halten wir also fest: Die SPD regt sich tierisch auf, Diese Woche ist eine Woche der Regierungskoalition in
weil sie ertappt worden ist, diesem Parlament. Da gibt es Vorschläge von den Grü-
nen zur Steuererhöhung; da gibt es die Vorschläge der
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Nein!) SPD, dass man ab 5 000 Euro brutto in Deutschland in-
und die Koalition macht eine vernünftige Haushaltspoli- zwischen als Reicher gelten soll.
tik. Das ist doch auch schon etwas. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]:
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten Sechseinhalb!)
der CDU/CSU) – Na guck mal, das ist immer so schön. Da wird gesagt
Diese Woche war die Woche des Parlaments; das will „sechseinhalb“. Dass das Weihnachtsgeld mal eben nicht
ich einmal für uns alle hier festhalten. Die Fokus der mitgezählt wird, um die Leute auf eine falsche Fährte zu
(B)
Meldungen und Diskussionen lag auf dem Parlament. locken, spielt da keine Rolle. Es sind 5 000 Euro, wenn (D)
Die Frage ist: Warum eigentlich? Weil es im Parlament Sie das auf 13 Monatsgehälter umrechnen. Ich würde da
um den Haushalt geht und wir darüber entscheiden? – sehr vorsichtig sein. Es sind 5 000 Euro brutto, das muss
Ein Grund war vor allem, dass das Bundesverfassungs- man den Bürgern noch einmal sagen.
gericht das Parlament gestärkt hat. (Nicolette Kressl [SPD]: Es ist nicht brutto!
Ich sage bewusst „das Parlament“, weil jetzt wieder Blödsinn!)
solche Äußerungen kommen, dass nur die Haushälter
gestärkt würden. Nein, das Parlament ist gestärkt. Wir – Aber Sie wollen doch nicht sagen, Sie besteuern vom
sind im Rahmen dieser Aufgabe dabei – das sage ich be- Nettoeinkommen! Das wäre für mich aber etwas Neues,
wusst auch in Richtung der Oppositionsfraktionen, weil Frau Kollegin. Ich finde das alles sehr bemerkenswert.
es hier schon Gespräche gibt –, das Parlament insgesamt Halten wir einmal fest:
zu stärken. Insoweit darf ich mich bei der Opposition da- (Nicolette Kressl [SPD]: Grundkurs Steuer
für bedanken, wie konstruktiv das bisher gelaufen ist. wäre nicht schlecht!)
Wir versuchen, einen vernünftigen Entwurf hinzube- Das ist die eine Sache. Die andere ist: In der General-
kommen, der einerseits Rechte sichert und andererseits debatte heißt es von Ihrer Seite jedes Mal „schlechter
dafür sorgt, dass wir nicht durch falsches Verhalten oder Haushalt“, und in jeder Sachdebatte – der Bereich Ver-
durch Verzögerungen dazu kommen, dass das Ganze am kehr war am allerbesten – sagen Sie: Es fehlen Milliar-
Ende teurer wird als geplant. Man sieht also: Wir können den, wir müssen mehr ausgeben.
auch zusammenarbeiten; und auch das ist eine Message.
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das sagt
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Und wir machen Ramsauer doch auch! – Nicolette Kressl
es selber!) [SPD]: Das hat er in der Zeitung gelesen!)
– Natürlich machen wir es selber. Ich glaube, das ist
Der beste Vorschlag kam von den Grünen. Obwohl
auch ganz klar. Dazu ist das Parlament in der Lage.
Länder und Kommunen von jedem Steuer-Euro mehr
Ich möchte noch etwas zu einem Kommentar in der Geld bekommen als der Bund, sagen die Grünen: Wir
FAZ sagen; dabei geht es um die Frage, wer welche müssen den Ländern und Kommunen noch mehr Geld
wichtigen Entscheidungen trifft. Dort hat ein Kommen- geben. Das ist auf jeden Fall notwendig. – Das ist ein
tator geschrieben, die Frage, ob jemand gute oder bisschen so wie ein Tanz im Kreis. Ich hoffe, Sie wissen,
schlechte Entscheidungen treffe, habe viel damit zu tun, welchen ich meine.
14762 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Otto Fricke
(A) (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE Kindergärten und Schulen um jeden Euro betteln müssen (C)
GRÜNEN]: Erst mal die Steuersenkungen für und viele Kommunen in einem desolaten Zustand sind.
Länder und Kommunen zurücknehmen!)
Sie haben den Einkommenspitzensteuersatz gesenkt
Es ist wirklich so: Mal das Beinchen nach rechts – ihr von 53 auf 42 Prozent, die Körperschaftsteuer von
müsst mehr sparen; mal das Beinchen nach links – ihr 25 auf 15 Prozent, Sie haben Niedriglohnpolitik voran-
müsst mehr ausgeben. Das ist nach meiner Meinung getrieben, Minijobs und Leiharbeit gefördert. Sie haben
keine vernünftige Oppositionspolitik. Sie haben jetzt als durch Steuerrechtsänderungen Einnahmeausfälle – über
Opposition in den kommenden Wochen und Monaten die Jahre gerechnet von 1999 bis 2013 – in Höhe von
die Möglichkeit, Ihre Einsparvorschläge einzubringen. 490 Milliarden Euro zu verantworten. Das sollten Sie
einmal zugeben und auch dazu stehen.
(Nicolette Kressl [SPD]: Sagen Sie einmal
etwas zu sich selbst!) (Beifall bei der LINKEN)
Ich warne Sie vor einem: Schlagen Sie nicht nur vor, Nun sagt Herr Schäuble, wir brauchten eine mentale Ab-
einen besseren Haushalt durch mehr Einnahmen machen kehr vom extremen Pumpkapitalismus. Das kann nur
zu wollen. Selbstkritik sein.
(Bettina Hagedorn [SPD]: Bestimmt nicht Bei Schuldenabbau denken neun von zehn Zuhö-
durch Steuersenkungen!) rern an Kürzungen im Sozialetat, obwohl eine Steuer-
erhöhung bei jenen, welche die Krise ausgelöst ha-
Eines möchte ich dem Bürger noch zu bedenken geben: ben, verursachergerechter wäre.
Kennen Sie einen Politiker, dem man mehr Geld gibt
und der nachher weniger ausgibt? Ist es nicht vielmehr So Norbert Blüm gestern in der FAZ.
so, dass die Politik am Ende immer wieder mehr Geld An Schulden verdienen die Gläubiger, und das sind
ausgibt, wenn man ihr zuvor welches gegeben hat? nicht die Hartz-IV-Empfänger und ihre globalen
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Nicht „der Leidensgenossen. Und die FDP verlangt angesichts
Politik“! Euch!) der Schuldenmisere Steuersenkungen. Das ist so,
als wenn beim Hausbrand die Feuerwehr den Was-
Wir, die FDP, bleiben klar und deutlich bei unserer serhahn suchte, um sich die Hände zu waschen.
Position: Das Geld ist beim Bürger besser aufgehoben,
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Das müssen
weil es der Staat am Ende nur ausgibt und nichts zur
Sie mir einmal erklären! Das habe ich nicht
Schuldentilgung tut. Das ist unsere Position.
verstanden!)
(B) (Beifall bei der FDP) (D)
Das hat Ihnen Norbert Blüm gestern ins Stammbuch ge-
Ich komme zum Schluss. Was bleibt von dieser Wo- schrieben, und er hat recht.
che übrig? Für die Koalition bleibt eines, nämlich dass (Beifall bei der LINKEN)
eine gute Haushaltspolitik Markenzeichen dieser Koali-
tion ist Bürgerinnen und Bürger fragen sich angesichts von so
viel Reichtum und Vermögen in unserem Land: Warum
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Nein!) wächst die Neuverschuldung? Was wird mit meinem
und dass wir von Sigis Sirtaki-SPD in der Opposition Geld in der Krise? Warum geht es mir trotz Arbeit im-
nicht viel zu erwarten haben. mer schlechter? Wo bleiben denn nun Steuerentlastun-
gen und Steuergerechtigkeit? Wo bleibt der Mindest-
Herzlichen Dank. lohn? Warum soll ich jetzt noch für die Banken zahlen?
Sie haben auf all diese Fragen keine Antworten.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Doch!)
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Ich sage Ihnen auch, warum: Sie haben den Draht zu den
Jetzt hat Barbara Höll das Wort für die Fraktion Die Bürgerinnen und Bürgern völlig verloren.
Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN)
Seit Monaten stolpern Sie plan- und konzeptionslos
durch die Gegend. Damit steigt die Politikverdrossenheit
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE): im Land; denn die Menschen wissen: Sie versprechen
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! hier viel, und Sie versuchen gar nicht, es umzusetzen.
Mir ist absolut schleierhaft, warum Sie den Haushalt Sie haben Steuerentlastungen versprochen, aber nichts
2012 so loben. Er macht im Ergebnis die Reichen reicher passiert. Sie haben für die Leistungsgerechtigkeit ge-
und die Armen ärmer. Die Neuverschuldung steigt um kämpft, aber Geschenke an die Hoteliers ausgegeben.
27 Milliarden Euro. Das haben Sie zu verantworten. Sie beleidigten mit Ihrer Dekadenzdebatte Hartz-IV-
Empfängerinnen und -Empfänger.
Die Schuldenmisere ist Ergebnis Ihrer Politik. Ange-
fangen von Rot-Grün über Schwarz-Rot bis hin zu In dieser Woche hat die FDP das Thema Steuerge-
Schwarz-Gelb haben Sie daran gearbeitet, die Einnah- rechtigkeit entdeckt. Da fragt man sich schon: Was ist
mebasis des Staates stetig zu verkleinern, sodass heute hier los? Das Thema Steuergerechtigkeit ist bei uns, der
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14763
Dr. Barbara Höll
(A) Linken, sehr gut aufgehoben. Wir haben Ihnen seit Jah- ten auch die Sozialtransfers sinken, weil die Menschen (C)
ren Vorschläge unterbreitet, wie Steuergerechtigkeit von ihrer eigenen Hände Arbeit leben könnten.
machbar und finanzierbar ist. Wir brauchen einen durch-
Sie betonen immer, Geringverdiener zahlten gar keine
gehend linear-progressiven Einkommensteuertarif. Der
Steuern. Ich weiß nicht, ob Sie vergessen, dass alle in der
Einkommensteuerspitzensatz muss erhöht werden, der
Bundesrepublik natürlich bei jedem Verbrauch Steuern
Grundfreibetrag angehoben werden. Damit wäre es
zahlen: bei jeder verbrauchten Windel 19 Prozent Mehr-
möglich, tatsächlich untere und mittlere Einkommen zu
wertsteuer. Alles, was wir konsumieren, wird natürlich
entlasten, indem man die oberen Einkommen belastet.
besteuert, abgesehen von Kapitalgeschäften, denn wir
(Beifall bei der LINKEN) haben immer noch keine Finanztransaktionsteuer. Ich
muss Ihnen sagen: Ihre Politik geht völlig an der Realität
Wir brauchen natürlich die Wiedererhebung einer und an dem, was notwendig ist, vorbei.
Vermögensteuer als Millionärsteuer. Wir brauchen eine
Reform der Erbschaftsteuer. Wir brauchen einen wirkli- Ich möchte schließen und noch einmal auf Norbert
chen Kampf gegen Steuerhinterziehung. All das muss Blüm zurückkommen. Er hat Ihnen gestern ins Stamm-
man tun, aber Sie sind untätig. buch geschrieben, es sollte so sein:
(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Steuer- Der Staat ist Koch, die Wirtschaft Kellner. So lautet
operation gelungen, Patient tot!) der Grundsatz der christlichen Soziallehre.
Fakt ist: Die Schere zwischen Arm und Reich geht Es wäre gut, wenn Sie sich wieder auf Ihre Grund-
immer weiter auseinander. Wenn Sie hier, wie schon in sätze der Politik besinnen könnten.
der gestrigen Debatte, mit Zahlen jonglieren und sagen, (Beifall bei der LINKEN – Dr. h. c. Jürgen
dass die oberen 10 Prozent der Einkommensteuerleisten- Koppelin [FDP]: Ich denke, Sie sind Athe-
den tatsächlich 55 Prozent des Einkommensteuerauf- istin!)
kommens erbringen, dann sollten Sie bitte auch einmal
sagen, wie hoch ihr Anteil am Einkommen ist. Das ist
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
doch die entscheidende Frage. Das Einkommen der sehr
gut verdienenden Haushalte ist nichtsdestotrotz gestie- Das Wort hat der Bundesminister Dr. Wolfgang
gen. Schäuble.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Der Abstand zwischen den Haushaltseinkommen der
unteren und der oberen Gruppe hat sich in den letzten
Jahren wieder vergrößert: 1999 verdiente der durch- Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
(B) schnittliche Besserverdienerhaushalt das 3,5-Fache der zen: (D)
unteren Einkommensgruppe, 2009 war es bereits das Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
4-Fache. Das ist in lediglich zehn Jahren geschehen. Die Herren! Gegen Ende dieser Haushaltswoche ist es viel-
Gehälter gehen in unserer Gesellschaft immer weiter leicht gut, zunächst einmal das im Wesentlichen Unstrei-
auseinander. Und 10 Prozent der Bevölkerung besitzen tige zu betonen. Ausnahmen bestätigen die Regel, aber
66 Prozent des Gesamtvermögens, über die Hälfte be- im Wesentlichen unstreitig ist, dass es dem Land zumin-
sitzt nichts oder hat Schulden. Das ist die Realität; da dest dann, wenn man die heutige Situation mit der Situa-
muss man gegensteuern. tion vergleicht, aus der wir kommen, gut geht
Es wurde schon mehrfach erwähnt, dass die Vermö- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
gensmillionäre Ihnen sagen: Bitte besteuert uns stärker! und dass wir aus einem schweren wirtschaftlichen Ein-
(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Jeder bruch als Folge der Finanz- und Bankenkrise fast besser
kann freiwillig zahlen!) herausgekommen sind, als wir es zu hoffen gewagt hät-
ten. Es ist unstrittig, dass wir auf dem Weg der Rückfüh-
Nein, bloß nicht, und wenn doch, dann vielleicht freiwil- rung der zu hohen Neuverschuldung mehr Fortschritte
lig. Vielleicht lebt Herr Wissing im Feudalismus: Da gemacht haben, als wir es für möglich gehalten haben.
kann man etwas abgeben, wenn man Lust hat, oder auch
nicht. Noch gilt das Grundgesetz: Eigentum verpflichtet. Damit wir nur bei den Punkten streiten, bei denen es
Die Leute sagen Ihnen: Bitte setzt das bei allen durch! in der Sache begründet ist, will ich noch einmal aus-
Sie verweigern sich dem. drücklich klarstellen: Es ist völlig klar, die Maßnahmen
zur Bekämpfung der dramatischen Krise mit dem
(Beifall bei der LINKEN) schwersten Wirtschaftseinbruch in der Nachkriegsge-
schichte, nämlich mit einem Einbruch von 5,1 Prozent
Der gesetzliche Mindestlohn ist etwas ganz Entschei-
nach den bereinigten Zahlen des Statistischen Bundes-
dendes. Denn wenn wir einen gesetzlichen Mindestlohn
amtes, waren richtig. Richtig war auch der damit verbun-
von 10 Euro pro Stunde hätten, dann hätten wir eine an-
dene dramatische Anstieg der Neuverschuldung.
dere Situation. Wenn die Menschen einen Mindestlohn
von 10 Euro pro Stunde hätten, würden sie Steuern zah- Wir hatten für das Jahr 2010 in der mittelfristigen Fi-
len. Damit würde das Erwerbseinkommen um 26 Mil- nanzplanung 6 Milliarden Euro geplant. Im Entwurf
liarden Euro steigen; die Einnahmen der Sozialversiche- wurden daraus plötzlich 86 Milliarden. Das ist völlig un-
rung würden steigen, es gäbe eine Entlastung der streitig. Gemessen daran ist es gut, dass wir in diesem
Sozialkassen. Das wäre eine neue Realität. Dann könn- Jahr mit einer Neuverschuldung von etwa 30 Milliarden
14764 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


(A) Euro herauskommen, und im nächsten Jahr einen Haus- (Bettina Hagedorn [SPD]: Natürlich!) (C)
haltsentwurf mit einer Neuverschuldung von 27 Milliar-
Lassen Sie deshalb Ihre verleumderische Behauptung,
den Euro vorlegen werden. Das ist das Entscheidende.
wir wollten an unser Polster gehen. Wir werden den
Das ist ein großer Erfolg, wir sind auf einem guten Weg.
Kurs einer soliden Rückführung der zu hohen Verschul-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) dung fortsetzen.
Wenn wir über Sozialpolitik diskutieren, dann sind (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
dies die wichtigsten Zahlen: Wir haben die höchste An-
Frau Kollegin Kressl, bei allem Respekt: Lassen Sie
zahl an Erwerbstätigen und den niedrigsten Stand der
uns über ein Doppelbesteuerungsabkommen mit der
Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung. Das ist
Schweiz dann reden, wenn wir es unterzeichnet haben,
doch ein Erfolg für die Menschen in diesem Land.
weil wir vorher nicht in der Lage sind, den Text vorzule-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) gen. Das ist nun einmal so. Man muss auch auf die
Schweiz ein bisschen Rücksicht nehmen. Es ist para-
Herr Kollege Schneider, wir werden dies im Haushalts- phiert, aber noch nicht unterzeichnet.
ausschuss noch rauf und runter diskutieren, aber es ist
so: Wir halten die Schuldenbremse des Grundgesetzes (Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Das
auf Punkt und Komma und auf Euro und Cent ein. ist richtig!)
Es gab eine Debatte über die Frage: Welcher Wert des Stochern Sie nicht mit der Stange im Nebel herum, nur
strukturellen Defizits im Jahr 2010 bildet die Ausgangs- um irgendetwas zu finden. Angebliche Verdächtigungen
lage? Anfang 2010, kurz nach dem Regierungswechsel, machen überhaupt keinen Sinn.
hat das Bundesfinanzministerium noch amtlich gesagt:
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ausgangspunkt für die Schuldenbremse und für die
Rückführung ist das Soll des Haushalts 2010. Sie kön- Wir werden es vorlegen. Ich sage Ihnen vorher: Wir wer-
nen sich vorstellen, welcher Finanzminister wahrschein- den eine Lösung finden. Sie werden sehen, dass wir das
lich verantwortlich dafür war, dass man so geplant hatte. unter allen Gesichtspunkten überhaupt Mögliche tun
werden.
(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Also 86 Mil-
liarden Euro!) Ich komme jetzt zu einem anderen Punkt. Es wird im-
mer von der „Kavallerie“ gesprochen. Ich habe meinen
Dann kam der neue Bundesfinanzminister und hat in der
Vorgänger immer in Schutz genommen, indem ich ge-
ersten Haushaltsdebatte gesagt: Nein, wir werden das
sagt habe: Der Humor in Deutschland ist unterschied-
sich abzeichnende, wirkliche Defizit zugrunde legen.
(B) Das wird wesentlich niedriger sein. Manch einer hat ver- lich. Die Alemannen haben ein anderes Verständnis als (D)
die Norddeutschen. Aber man muss sagen: Hilfreich war
mutet: Der will nur aus anderen Gründen Haushaltsspiel-
es nicht, dass man in Luxemburg sagen musste: Wir ha-
räume kleiner machen. Ich habe gesagt: Nein, der Wert,
ben deutsche Soldaten schon einmal erlebt. Deswegen
den wir bei der mittelfristigen Finanzplanung, also Mitte
ist es besser, wenn wir auch mit unseren kleineren Nach-
des Jahres, zugrunde legen, ist der Ausgangspunkt für
barn in Europa höflich umgehen, Verständnis zeigen und
die Anwendung der Schuldenregel des Grundgesetzes,
sie nicht von oben herab behandeln.
damit wir, wie es in Art. 115 steht, in gleichmäßigen Ra-
ten bis zum Jahr 2016 den Wert von 0,35 Prozent des (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Bruttoinlandsprodukts erreichen. Diese Linie ist gezo- Bettina Hagedorn [SPD]: Aber doch nicht zum
gen. Profit von Steuerhinterziehern! – Christian
Lange [Backnang] [SPD]: Die Steuerhinterzie-
Nun kommt der nächste Punkt. Natürlich gibt es das
her danken! Unglaublich!)
Ausgleichskonto. Zum wiederholten Male sage ich als
Finanzminister zu Protokoll des Deutschen Bundestages: – Die Schweiz hat ihre eigene Tradition. Damit muss
Die Bundesregierung – der Bundesfinanzminister – hat man umgehen. Wir werden darüber reden, wenn wir das
die feste Absicht, dass wir das Ausgleichskonto nicht Abkommen unterzeichnet haben, und nicht im Vorhinein
nutzen werden. Wir sind in der Tat vor der Kurve. Sie die Dinge durch falsche Angaben diffamieren.
können es rechnen, wie Sie es wollen. Selbst wenn Sie
Ihren Wert zugrunde legen würden, wären wir mit dem (Bettina Hagedorn [SPD]: Das ist nicht wahr!)
strukturellen Defizit in den Jahren 2011 und 2012 noch – Doch, genau das ist der Punkt.
unterhalb dessen, was das Grundgesetz fordert.
(Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP]: Zur Ab-
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: 2012 schreckung schicken wir Kollegin Hagedorn
nicht!) hin!)
– Auch in 2012, doch. Gegen Ende unserer Debatte möchte ich eine weitere
Bemerkung machen. Natürlich ist es wahr – was wir
(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]:
heute in der OECD-Prognose lesen, bestätigt nur, was
5 Milliarden!)
ich am Dienstag zu Beginn dieser Haushaltswoche be-
– Wir werden das im Haushaltsausschuss weiter disku- reits gesagt habe –: So gut unsere Lage in Deutschland
tieren. Sie werden sehen, dass Ihre Zahlen nicht stim- ist – die Lage von Wirtschaft, Arbeitsmarkt und Finan-
men. zen –, so sehr ist die Entwicklung der Weltkonjunktur an
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14765
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
(A) einem kritischen Punkt. Ich habe am Dienstag schon an- spricht das auch dem Urteil aller internationalen Institu- (C)
gekündigt, dass ich im Anschluss an diese Haushalts- tionen –: Die Hauptursache für die Krise ist das
debatte zum Treffen der Finanzminister und Notenbank- Übermaß an öffentlicher Verschuldung in den Staats-
gouverneure der G-7-Staaten in Marseille fahre. Wir haushalten.
werden schwierige Debatten führen. Sie alle haben die
Wenn wir die Krise bekämpfen und in dieser kriti-
Rede des amerikanischen Präsidenten heute Nacht zur schen Phase Kurs halten wollen, und zwar in Deutsch-
Kenntnis genommen. Wir befinden uns an einem kriti- land, in Europa und in der Welt, dann muss der Kurs
schen Punkt der Weltkonjunktur. maßvoller Defizitreduzierung fortgesetzt werden.
(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: „Kritisch“ (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ist noch viel zu optimistisch!)
Nur in diesem Rahmen, ohne Veränderung der Defizitre-
– „Kritisch“ heißt, dass wir uns in einer Situation befin- duzierung, hat jedes Land die Möglichkeit – das kann je-
den, in der sich viele Dinge entscheiden. Ich warne zu- des Land entscheiden; im Rahmen der Haushaltsberatun-
nächst vor unangemessenen und falschen Dramatisierun- gen werden wir auch in Deutschland weiter um jeden
gen. Deswegen habe ich am Dienstag mit großer Euro ringen –, durch zusätzliche Schwerpunktsetzungen
Klarheit darauf hingewiesen: Bei allen Sorgen, was im die Wirtschaft zu beleben, wenn die Situation schwieri-
Bankensystem an Risiken und Ansteckungsgefahr ste- ger werden sollte. Dabei dürfen wir aber nicht den Kurs
cken kann, ist es verkehrt, wenn wir mit falschen der Defizitreduzierung verlassen. Das gilt in Deutsch-
Berechnungen Tatarenmeldungen schüren. Vertrauen ist land, das muss in Europa und das muss weltweit gelten.
– das wissen wir seit Ludwig Erhard, auf den sich inzwi- Wir können die Krise nicht dadurch bekämpfen, dass wir
schen alle berufen – die wichtigste Ressource für eine die Probleme, die zu der Krise geführt haben, weiter ver-
nachhaltige und stetige Entwicklung der Wirtschaft. schärfen. Das wäre der falsche Weg. Mit den Möglich-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und keiten der Geldpolitik, der Geldschöpfung und einer
der FDP – Bettina Hagedorn [SPD]: Aber noch weiter gehenden öffentlichen Verschuldung die
Krise zu bekämpfen, wäre der falsche Weg. Damit wür-
dann darf man in dieser Situation nicht über
den wir die Probleme verschärfen und nicht lösen.
Steuersenkungen reden!)
Wir befinden uns in einer guten Lage. Wir sind gut
Vertrauen ist wichtig, das heißt, man muss einseitige
vorangekommen. Die Bundesregierung und die Koali-
Dramatisierungen vermeiden. tion sind entschlossen, Kurs zu halten. Kurs halten heißt:
Das OECD-Gutachten spricht – so lauten heute die solide Finanzen als Grundlage für wirtschaftlichen
Überschriften – von einer möglichen starken Abkühlung Wohlstand und soziale Gerechtigkeit.
(B) der Konjunktur in Deutschland. Aber das OECD-Gut- (D)
Herzlichen Dank.
achten sagt zugleich, dass damit zu rechnen ist, dass wir
in Deutschland in diesem Jahr ein Wachstum von (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
2,9 Prozent haben werden. Der Kollege Rösler hat ges-
tern gesagt, die Bundesregierung hat – so ist unsere amt- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
liche Prognose – 2,6 Prozent zugrunde gelegt, das heißt, Priska Hinz hat jetzt das Wort für Bündnis 90/Die
selbst bei einer gewissen Eintrübung der Konjunktur in Grünen.
Deutschland im Quartalsverlauf sind wir auch nach den
Aussagen der internationalen Experten vor der Kurve,
Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
genau wie bei der Defizitreduzierung. Also bitte keine
NEN):
falschen Dramatisierungen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Mit die-
Meine zweite Bemerkung, die ich mit großen Ernst sem Haushaltsentwurf, über den wir in dieser Woche dis-
machen will. Die Weltkonjunktur wird Auswirkungen kutiert haben, sind im Prinzip zentrale Weichenstellun-
auf Deutschland haben, weil wir stark in die internatio- gen verbunden: für die Bewältigung der Euro-Krise,
nale Arbeitsteilung eingebunden sind und große Erfolge über die wir in dieser Woche sehr ausführlich gespro-
auf den Exportmärkten haben. Deswegen hat uns die chen haben, für die ökologische Modernisierung und für
Krise 2009 härter getroffen als andere. den Zusammenhalt unserer Gesellschaft. Ich gebe den
Kollegen recht, die gesagt haben – das waren vor allen
Umso wichtiger ist, dass wir bei allen Maßnahmen in Dingen Herr Barthle und Herr Koppelin –, dass uns
dieser kritischen Phase daran denken, was die Hauptur- polemische Debatten nicht weiterhelfen.
sachen der Krise sind. Eine Ursache ist die mangelnde
Regulierung der Finanzmärkte. Wir arbeiten auf interna- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
tionaler und europäischer Ebene mit aller Kraft, damit Ich kann es aber nicht akzeptieren, dass Sie diese Debat-
wir diesbezüglich so viel wie möglich erreichen. Wenn ten hier trotzdem weiterführen und dabei noch nicht ein-
wir Spielraum dafür haben, gehen wir notfalls auch auf mal Revue passieren lassen, dass die Grünen zu jedem
nationaler Ebene voran; das haben wir bereits bewiesen. Einzelplan Gegenvorschläge unterbreitet haben. Wir ha-
Das gilt übrigens auch für die Finanztransaktionsteuer. ben nicht nur kritisiert, sondern auch konkrete Gegen-
Ich muss jetzt nicht wiederholen, was ich dazu oft genug vorschläge unterbreitet. Wir haben gesagt, was man an-
gesagt habe. Genauso wichtig ist die Erkenntnis – daran ders machen sollte.
halten wir neben der Forderung nach einer weiter gehen-
den Regulierung der Finanzmärkte fest; übrigens ent- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
14766 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Priska Hinz (Herborn)


(A) Wir erkennen die Fortschritte bei den anderen Frak- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN (C)
tionen an. Die SPD zum Beispiel schlägt in ihrem Steu- sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg]
erkonzept vor, ökologisch schädliche Subventionen [SPD])
abzubauen. Diesbezüglich haben wir in den Haushalts-
Die größte Volkswirtschaft in Europa ist Deutschland.
beratungen jetzt endlich Mitstreiter. Die Koalition hat
Die Solidität unserer Staatsfinanzen ist daher besonders
die Energiewende beschlossen. Dazu müssen wir aber
gefragt. Noch haben wir das Rating AAA – im Gegen-
sagen, dass die Koalition beim Energie- und Klima-
satz zur Bundesregierung, die nach der Halbzeitbilanz
fonds, der als Schattenhaushalt geführt wird – das ist an
eher ein Default darstellt.
sich ein schlechtes Instrument –, bisher nicht die Kraft
hatte, energisch voranzuschreiten und deutlich zu ma- (Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten des
chen, dass wir viel mehr Geld im Bereich der Energieef- BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des
fizienz brauchen; es gibt nur winzige richtige Ansätze. Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD] –
Um das zu erreichen, muss man Subventionen kürzen; Zurufe von Abgeordneten der CDU/CSU und
aber dafür fehlt Ihnen die Kraft. der FDP: Ha! Ha!)
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Die Risiken sind aber nach wie vor unübersehbar. Egal
sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] ob Steuersenkungen kommen oder nicht, besteht ange-
[SPD]) sichts Ihrer Finanzplanung trotz sinkender Neuverschul-
dung – das gebe ich gerne zu – das Risiko, dass bei hö-
Das Hauptproblem auf diesem Feld ist immer noch
herem Zinsniveau die hohen Zinsausgaben nicht aus
der Wirtschaftsminister, der von der Energiewende an-
dem Haushalt kompensiert werden können.
scheinend nichts mitbekommen hat; denn er macht wei-
terhin Subventionspolitik – nicht von gestern, sondern (Zuruf des Abg. Otto Fricke [FDP])
von vorgestern – ohne die notwendigen Investitionen in
die Zukunft der Netze und in die Ressourceneffizienz. – Ich will es ja nicht beschreien; im Finanzplan ist jeden-
Da liegt das Problem Ihres Haushaltsentwurfes. Es wird falls keine Vorsorge getroffen.
nicht in eine nachhaltige Zukunft investiert. Sparen ist (Otto Fricke [FDP]: Wie soll man das denn
kein Selbstzweck. Man muss sparen und konsolidieren, machen? Wie macht man das denn?)
um zukünftig in gute Wirtschaftsstrukturen zu investie-
ren. Der Haushalt ist auf Kante genäht; das ist das Pro-
blem. Das Risiko der wirtschaftlichen Konjunktur, das
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN der Bundesfinanzminister gerade beschrieben hat, ist im
sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] Haushalt nicht eingepreist. Auch dies ist ein Problem.
(B) [SPD]) Sie rechnen über den ganzen Zeitraum des Finanzplans (D)
mit 1,5 Prozent Wachstum.
Das Recht, den Haushalt des Bundes zu beschließen,
ist von zentraler Bedeutung für unsere parlamentarische Wichtig ist, dass wir Subventionsabbau betreiben,
Demokratie; Herr Fricke, das ist richtig. Das hat uns das dass wir bei den Ausgaben, die keine Zukunftsrendite
Bundesverfassungsgericht bestätigt. Aber dieses Recht bringen, konsolidieren, zum Beispiel bei der Fusionsfor-
gilt nicht nur für eine Beteiligung bei Entscheidungen schung, dass wir Mehreinnahmen durch den Abbau von
zur EFSF, sondern auch und vor allem für solides Haus- Mehrwertsteuerausnahmen erhalten und dass wir das
halten. Das ist allerdings von der FDP bislang falsch ver- Steuersystem mit einem höheren Spitzensteuersatz ge-
standen worden. Sie stellen sich Ihrer Verantwortung rechter machen. Sie brauchten Kraft zum Handeln und
nicht; denn dann müssten Sie die Steuersenkungspläne Mut zur Entschlossenheit. Wir haben diesen Mut. Wir
offiziell beerdigen. werden Ihnen grüne Ideen für schwarze Zahlen liefern,
die – im Gegensatz zu den Plänen, die Sie hier bislang
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
vorgelegt haben – dafür Sorge tragen, dass wir auch bei
Ich dachte schon – da Sie die ganze Woche lang so dröh- einem Konjunkturgewitter einen soliden Haushalt haben.
nend dazu geschwiegen haben –, dass Sie diese Pläne
Danke schön.
wohl nicht mehr aus der Mottenkiste hervorholen. Lei-
der hat mich Kollege Koppelin eines Besseren belehrt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Er kam wieder mit dem Thema Steuersenkungen. sowie bei Abgeordneten der SPD)
(Zuruf von der FDP: Wir vergessen die Steuer-
zahler nicht!) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Jetzt hat Hermann Gröhe für die CDU/CSU-Fraktion
Das ist nun wirklich nicht das, was wir brauchen. Herr das Wort.
Bundesminister, es wird sich zeigen, ob Sie das Schatz-
kästlein Kontrollkonto nutzen werden, (Beifall bei der CDU/CSU)
(Zuruf von der SPD: Ja!)
Hermann Gröhe (CDU/CSU):
wenn die FDP auf Steuersenkungen drängt. Wir werden Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
das jedenfalls ganz genau beobachten. Zur Einhaltung Herren! Bei so mancher Rede aus den Reihen der Oppo-
der Vorgaben der Schuldenbremse würden Steuersen- sition in dieser Woche fragte man sich: In welchem Land
kungen jedenfalls nicht beitragen. leben Sie eigentlich? Ihre Häme und Ihre Kritik passen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14767
Hermann Gröhe
(A) überhaupt nicht zur Realität in unserem Land. Man wird Durch den Hochschulpakt wurden 182 000 zusätzliche (C)
den Eindruck nicht los, dass Sie den Menschen in unse- Studienplätze in unserem Land geschaffen. Das bedeutet
rem Land den gemeinsam erreichten Erfolg nicht gön- für mehr junge Leute in diesem Land eine exzellente
nen. Ausbildung.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP)
Gemeinsam haben die Menschen durch die Politik
unserer Koalition dieses Land nach vorne gebracht. Un- Wir investieren in die Familien, die Keimzellen unse-
ser Land ist gestärkt aus der Wirtschafts- und Finanz- rer Gesellschaft; das Kindergeld und die Kinderfreibe-
krise hervorgegangen. 2010 ist die Wirtschaft um träge wurden erhöht. Wir investieren in eine zukunftsfä-
3,6 Prozent gewachsen – das höchste Wachstum seit der hige Energieversorgung; wir zeigen, dass der Umstieg
deutschen Einheit. Das bedeutet volle Auftragsbücher ins Zeitalter erneuerbarer Energien mit ökologischem
für den Mittelstand, für das Handwerk und für die Indus- und ökonomischem Augenmaß funktioniert.
trie. Deutschland hat eine niedrigere Arbeitslosenquote
als vor der Krise. Die Horrorbilanz von Rot-Grün waren (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das wolltet
5 Millionen und mehr Arbeitslose. Die Arbeitslosenzahl ihr ja schon seit 30 Jahren, oder?)
wurde auf deutlich unter 3 Millionen gesenkt. Dahinter Wir arbeiten für ein geeintes Europa. In wenigen Wo-
stehen Tausende persönlicher Erfolgsgeschichten, Men- chen wird der siebenmilliardste Mensch auf diesem Pla-
schen, von denen jeder wieder für sich selbst und die ei- neten geboren. 2050 werden wir Europäer nur noch
gene Familie sorgen kann. Das ist das Ergebnis unserer 7 Prozent, wir Deutsche nur noch 0,7 Prozent der Welt-
Politik. bevölkerung ausmachen. Das zeigt: Wir brauchen ein
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) starkes Europa, wenn wir nicht zum Spielball des Welt-
geschehens werden wollen. Nur so und nur gemeinsam
Wenn man sich die Jugendarbeitslosenquote, die können wir Wohlstand und Frieden sichern. Deshalb ar-
deutlich verringert werden konnte, anschaut und den beiten wir für mehr Wettbewerbsfähigkeit der Staaten im
Blick nach Großbritannien und Spanien richtet, dann Euro-Raum und für eine Schuldenbremse in allen euro-
zeigt sich, wie wichtig das ist. Deutschland ist erfolg- päischen Verfassungen. Dieser Tage schreitet diese Poli-
reich. Dazu haben zwei Bundesregierungen unter Füh- tik in wichtigen Euro-Ländern erfolgreich voran. Ich zi-
rung von Angela Merkel entscheidend beigetragen. Die- tiere Konrad Adenauer:
sen Weg gehen wir weiter.
Europas Geschick ist das Geschick eines jeden
(Beifall bei der CDU/CSU) europäischen Staates.
(B) (D)
Unser Haushalt zeigt: Wir können die Konsolidierung Wir wollen Solidität und dafür nicht nur ein Beispiel
und deutliche Fortschritte bei der Rückführung der Neu- geben, sondern sie auch exportieren. Im Gegensatz dazu
verschuldung damit verbinden, klare Akzente zu setzen. stehen rot-grüne Vorschläge einer ausufernden Verge-
Wir halten die Schuldenbremse ein. Wir hören auf, die meinschaftung von Schulden. Es war interessant, in die-
Spielräume unserer Kinder und Kindeskinder zu be- ser Woche zu beobachten, wie Sie sich auf leisen Sohlen
schneiden. von diesen Ideen zu verabschieden versuchen. Nachdem
Was aber tut die SPD? Sie führen hier das Wort „Spa- das Bundesverfassungsgericht dazu Klartext gesprochen
ren“ im Munde. Aber in den Ländern geben Sie mit vol- hat, wurden Sie im Hinblick auf Euro-Bonds plötzlich
len Händen Geld aus, das Sie gar nicht haben. ganz ruhig.
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Aha!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
NRW macht Rekordeinnahmen und zugleich Rekord- GRÜNEN]: Erst mal das Urteil lesen! – Lothar
schulden. Die Schuldenkönige sitzen in Düsseldorf, Binding [Heidelberg] [SPD]: Aber Sie haben
Mainz, Bremen und Berlin. das Urteil offensichtlich nicht gelesen!)
(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Oh nein! Das Dann haben Sie vollmundig ein Programm für Bil-
stimmt so nicht!) dung und Entschuldung vorgelegt. Wenn das Ihre Priori-
Das ist der Unterschied: Christlich-Liberale sanieren, täten sind, brauchen Sie nur dem Haushalt zuzustimmen.
Rot-Grüne ruinieren. Denn dort sind die Prioritäten auf Zukunft und auf Bil-
dung gerichtet. Zugleich schreitet die Entschuldung vo-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – ran. Was aber ist Ihr Rezept? Steuererhöhungen für den
Christian Lange [Backnang] [SPD]: Saarland? Mittelstand und Steuererhöhungen für unsere Familien.
Schleswig-Holstein? Sie haben wohl eine ge- Sie nennen so etwas sozialen Patriotismus. Das ist aber
trübte Wahrnehmung! – Sven-Christian weder sozial noch patriotisch. Das ist allenfalls ein pein-
Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was liches Koalitionsangebot an die Linken.
ist denn mit Schleswig-Holstein?)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Wir haben die Weichen dafür gestellt, dass Deutsch-
land ein starkes Land bleibt. Wir investieren in die Zu- Die christlich-liberale Koalition hat Deutschland er-
kunft, in Bildung und Forschung. Der BAföG-Höchst- folgreich durch stürmische Zeiten gelenkt. Es ist gut,
satz ist seit 2005 um 15 Prozent angehoben worden. dass keine Leichtmatrosen am Ruder sind. Wir stellen
14768 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Hermann Gröhe
(A) mit diesem Haushalt die Weichen für eine gute Zukunft, Sie dieses Jahr gerade die Regierung übernommen ha- (C)
für ein starkes Deutschland in einem starken Europa. ben, haben Sie die 1 Milliarde Euro an Steuermehrein-
nahmen gleich wieder ausgegeben. Dadurch werden Sie
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
erst neun Jahre später, als von der alten Landesregierung
Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
geplant, die Nullverschuldung erreichen. Klarer kann
GRÜNEN]: Wie war das mit den Leichtmatro-
man doch den Kontrast zu unserer Politik nicht deutlich
sen? – Christian Lange [Backnang] [SPD]:
machen, als darauf hinzuweisen, was passiert, wenn Sie
Was war das gerade eigentlich?)
Geld in die Hand bekommen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Florian Toncar hat jetzt das Wort für die FDP-Frak- der CDU/CSU)
tion. Die These, dass man mit Einnahmeerhöhungen und
(Beifall bei der FDP) massiven Steuererhöhungen – die schlagen Sie vor –
Haushalte konsolidieren kann, haben Sie in Ihrer eige-
nen Zeit im Grunde genommen selbst widerlegt. In der
Florian Toncar (FDP):
letzten Wahlperiode gab es die größte Steuererhöhung
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle- auf einen Schlag, die es in Deutschland je gegeben hat.
gen! Um diesen Haushalt zu beurteilen – das ist schon Das Ergebnis war aber nicht ein ausgeglichener Haushalt
gesagt worden –, muss man sehen, woher wir kommen. – auch vor der Krise nicht; aber das lasse ich bei dieser
Wir kommen von einer Neuverschuldung von 86 Mil- Betrachtung einmal außen vor –, sondern das Ergebnis
liarden Euro, die Sie wollten, liebe Sozialdemokraten. war, dass außer den Steuereinnahmen in den drei Jahren
Innerhalb von nur zwei Jahren sind wir auf einen Ansatz bis 2008 die Ausgaben des Staates um 23 Milliarden
von nur 27 Milliarden Euro gekommen. Das ist noch Euro gewachsen sind. Das ist eben das Problem, wenn
kein endgültiges Ergebnis. Es ist aber in jedem Fall ein man Steuern erhöht. Man kann dann bestimmten Ausga-
gewaltiger Fortschritt, die Neuverschuldung in nur zwei bewünschen nicht widerstehen. Deswegen wird die von
Jahren so stark zu reduzieren. Ihnen vorgeschlagene Lösung ganz bestimmt nicht zu
Frau Kollegin Hinz, das ist solide gerechnet. Die solideren Staatsfinanzen führen.
Haushaltsansätze der letzten zwei Jahre waren eher vor- Wir als Koalition nehmen in Kauf, dass wir durch un-
sichtig berechnet. Sie wissen auch, dass der Vollzug des seren schnellen Konsolidierungskurs auch geringere
Haushalts wesentlich besser vonstattengegangen ist, Spielräume für neue Ausgaben haben. Wir setzen aber
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE die richtigen Schwerpunkte, indem wir in vier Jahren zu-
(B) GRÜNEN]: Nur wegen der Konjunktur!) sätzlich 12 Milliarden Euro in Bildung und Forschung (D)
und somit in die Zukunft investieren.
weil wir vorsichtig rechnen und weil wir nicht tricksen,
wie das Rot-Grün unter Herrn Eichel gemacht hat. Die- (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
ser musste sich immer wieder korrigieren. Wir dagegen GRÜNEN]: Bei der Bundeswehr wird nicht
rechnen ganz sauber, verlässlich und solide. Da müssen gespart!)
Sie überhaupt keine Sorgen haben. Das finanzieren wir aber nicht durch höhere Schulden
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen, sondern da-
der CDU/CSU) durch, dass wir an anderen Stellen sparen. Das ist
Schwerpunktsetzung im Haushalt: Sparen an der richti-
Wir sind uns einig, dass wir Vorgaben der Schulden- gen Stelle, Investieren in Bildung und in Zukunft. So
bremse, die im Grundgesetz steht, schneller einhalten macht es diese Koalition.
wollen als verlangt. Wir sind nach unserer Finanzpla-
nung auch auf dem besten Weg dahin. Der Anspruch die- (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
ser Koalition ist, dass wir nicht nur das machen, was die der CDU/CSU)
Verfassung verlangt. Wir sagen: Die Schulden müssen
Trotz ausgesprochen geringer Spielräume für neue
runter, und zwar so schnell wie möglich. – Genau auf
Ausgaben und neue Ideen sind wir dieses Jahr eine
diesem Weg befinden wir uns mit der vorliegenden
ganze Reihe von Großreformen und politischen Projek-
Finanzplanung.
ten angegangen, die wirklich bemerkenswert sind. Da
Ein Kontrast dazu ist das, was Sie dort abliefern, wo wäre die Bundeswehrreform zu nennen. Das ist die
Sie Verantwortung tragen. Ich messe Parteien eigentlich größte Reform in der Geschichte der Bundeswehr.
immer eher an dem, was sie tun, als an dem, was sie in
(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Das ist
der Opposition vertreten.
ein Desaster! – Sven-Christian Kindler
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Ein-
GRÜNEN]: Was ist denn in Niedersachsen sparungen bei der Bundeswehr!)
los? Landesrechnungshof sagt: Das in Nieder-
Da wäre die Reform der Entwicklungszusammenarbeit
sachsen ist rechtswidrig!)
zu nennen. Das ist ein Projekt, an dem Sie sich jahrelang
Rot-Grün hat vier Jahre in Folge die Latte des die Zähne ausgebissen haben. Die Deutschen können
Maastricht-Vertrags gerissen. Das ist beispiellos. Das hat sich darauf verlassen, dass die Entwicklungszusammen-
es so noch nicht gegeben. In Baden-Württemberg, wo arbeit in Zukunft effektiv und effizient funktioniert und
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14769
Florian Toncar
(A) dass Steuergelder dort besser, wirtschaftlicher und sinn- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: (C)
voller eingesetzt werden als früher. Das ist ein großes Rüdiger Kruse hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-
Reformwerk, auf das wir stolz sind. Fraktion.
(Beifall bei der FDP – Lothar Binding [Heidelberg] (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
[SPD]: Versprechen wurden gebrochen!)
Woran wir in diesem Herbst gerade arbeiten, ist die Rüdiger Kruse (CDU/CSU):
überfällige Reform der Instrumente der Bundesagentur Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
für Arbeit. Das ist jahrelang moniert worden. Jeder weiß Herren! Ich möchte erst einmal auf das letzte Jahr zu
doch im Grunde, dass in diesem Bereich viel Unsinniges sprechen kommen. Vor einem Jahr habe ich hier in ei-
gemacht worden ist. Diese Koalition nimmt diese über- nem Beitrag zur Haushaltsdebatte die Regierung daran
fällige Reform in Angriff. Das bringt unseren Arbeits- erinnert, dass das Parlament sich für die Umsetzung des
markt und unser Land voran. Projekts Villa Tarabya entschieden hat, dass das aber
nicht so läuft, wie wir das gerne hätten. Ich komme da-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
rauf zurück, weil sich das Außenministerium unter der
der CDU/CSU)
Federführung von Frau Staatsministerin Pieper dieser
In Vorbereitung ist ein Gesetz, mit dem erstmals sys- Kritik angenommen hat und sie nicht einfach an sich hat
tematisch das Problem des Ärztemangels erfasst wird abperlen lassen. Sie hat dieses Projekt in den letzten Mo-
und darauf eine Antwort zu geben versucht wird. Das naten in Angriff genommen und umgesetzt. Dieses Pro-
wird in diesem Herbst sicherlich eine ganz wichtige Be- jekt einer Künstlerakademie ist auf einem sehr guten
ratung werden. Wir werden uns auch des Themas Pflege Weg, genauso wie wir uns das vorgestellt haben.
annehmen. (Beifall bei der SPD)
Wir machen das alles unter schwierigsten haushalteri- Wenn man eine Regierung kritisiert, insbesondere
schen Bedingungen. Dass das geht, dass wir so viele Re- wenn es die eigene ist, dann soll man sie auch loben,
formprojekte gleichzeitig anstoßen, obwohl wenig Geld wenn sie das tut, was das Parlament will. Es ist bemer-
vorhanden ist, ist eine gewaltige politische Leistung die- kenswert, dass die Regierung in dieser Zeit solche Pro-
ser Koalition. jekte vorantreibt, die ihren Wert erst wesentlich später
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Zwei- entfalten werden. Das spiegelt sich auch im vorliegen-
Jahres-Steuererklärung!) den Haushaltsentwurf wider. Sehr beliebt bei öffentli-
(B) chen Forderungen nach Kürzungen ist der Kulturbe- (D)
Die Zeit verlangt nicht nach linker Politik, nach mehr reich. Das macht zwar keinen Sinn, weil der Kulturetat
Ausgaben und immer neuen Programmen. Ich weiß, dass immer sehr klein ist, aber trotzdem wird er immer gerne
Sie auf vielen Parteitagen und auch intern sich immer genannt. Schauen Sie sich einmal in anderen Ländern
neue Ausgaben ausdenken. Aber die Schuldenkrise in um, zum Beispiel in Holland, einem bürgerlich-demo-
Europa und auch die demografische Entwicklung in den kratischen Land. Dort ist der Kulturetat zusammenge-
nächsten zehn Jahren verlangen nicht nur in Deutschland, strichen worden. In Deutschland hingegen können wir
sondern in ganz Europa einen ganz anderen Ansatz. Das hier sehr zufrieden sein, weil der Kulturetat weitgehend
ist eine Politik des schlanken Staates, eine Politik, die stabil geblieben ist; er weist über die Jahre sogar einen
jede Möglichkeit nutzt, unsere Wirtschaft wettbewerbsfä- leichten Aufwuchs auf. Auch das zeigt, dass hier mit ru-
higer und stärker zu machen. Das heißt, Ihr Glaube, dass higer Hand regiert wird und nicht um des Sparens willen
Ihr Ansatz die Lösung für die nächsten zehn Jahre ist, ist Werte zerstört werden und hier auch nicht Populismus
verwegen. Sollten Sie wirklich glauben, dass man heute betrieben wird.
den Staat weiter ausdehnen und ihm neue Aufgaben über-
Die Kulturszene und die Kunst widmen sich häufig
tragen kann, dann werden Sie Schiffbruch erleiden, so-
Sinnfragen und Sehnsüchten. Fangen wir einmal mit
bald Sie das beweisen müssen.
Letzterem an. Auch in dieser Debatte wurden interessan-
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Schauen terweise Sehnsüchte geäußert. Vielleicht aus der Tiefe
wir mal!) seiner Seele hat Herr Gabriel erklärt, er vermisse in den
Reihen der Sozialdemokraten Staatsmänner wie Helmut
Ich glaube, dass wir mit diesem Haushalt, mit dieser Schmidt; auch Giscard d’Estaing wurde genannt. Sogar
Politik und mit den Reformprojekten, die wir neben dem Helmut Kohl hat er lobend erwähnt. Das kann ich gut
Haushalt angehen, Deutschland in einer Zeit voranbrin- verstehen; denn wenn man keine Vision hat, dann sollte
gen, die nicht einfach ist, und unter schwierigsten finan- man wenigstens einen Helmut Schmidt haben. Visions-
ziellen Rahmenbedingungen politisch gestalten. Das losigkeit ist aber nicht der richtige Ansatz für Politik;
zeigt, dass wir mit Geld umgehen und dafür sorgen kön- denn man muss schon Ziele haben, damit man auch den
nen, dass die Wirtschaft gut durch diese ausgesprochen richtigen Weg geht.
riskante und schwierige Zeit kommt.
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das wäre
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ganz gut! Das gilt auch für die Regierung! Das
der CDU/CSU) stimmt schon!)
14770 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Rüdiger Kruse
(A) Das ist auch gut für die Regierung. Im Übrigen schätzen (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist (C)
auch wir unsere Altvorderen. Es ist aber nicht so, dass das FDP-Modell, ja!)
wir sie so schmerzlich missen müssen,
Es kann doch nicht wahr sein, dass ein Bundesland wie
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: In der Hamburg das in seiner Landeshaushaltsordnung veran-
Regierung offensichtlich schon!) kerte Schuldenverbot ab 2013 nun kippen will und er-
klärt, man werde sich ganz enthusiastisch für die Schul-
wie das bei Ihnen offenbar der Fall ist, weil bei uns die denbremse des Bundes engagieren. Das ist so, als ob Sie
Lücken gut gefüllt sind. oder ich erklären würden, wir würden die Straßenver-
kehrsordnung einhalten. Die Schuldenbremse des Bun-
Ich danke Ihnen, Herr Bundesfinanzminister. Sie ha- des muss auf jeden Fall eingehalten werden. Wenn sich
ben diese Debatte geprägt, und zwar nicht in typischer ein Bundesland wie Hamburg Berlin, Bremen, das Saar-
Manier eines Haushälters. Haushälter haben ja oft, auch land und Sachsen-Anhalt zum Maßstab nimmt und deren
wenn sie gut sind, den Beigeruch des Krämers. Ziele zu seiner Benchmark erklärt, dann ist das peinlich.
Das ist so, als ob die Bundesregierung sagen würde: So-
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
lange wir 2 Prozent besser sind als Griechenland, reicht
GRÜNEN]: Wir aber nicht! Das weise ich mit
das.
Entschiedenheit zurück!)
Diese Haushaltberatungen zeigen meines Erachtens,
Sie haben hier deutsche Haushaltspolitik, Belange unse- warum unser Kurs für Deutschland richtig ist. Ich bin
res Landes und europäische Ziele in Einklang gebracht. sehr froh darüber, dass nicht nur ein Gericht, sondern
Das tun Sie nicht nur hier in dieser Debatte, sondern seit auch die nette kleine Ratingagentur Einfach & Ärmlich
Monaten unermüdlich. Der Lohn dieser Mühe ist, dass – besser bekannt als Standard & Poor’s –
die Zustimmung zur Politik dieser Regierung nicht nur
von Gerichten geäußert wird, sondern auch von der Be- (Heiterkeit bei der CDU/CSU – Christian
völkerung. Lange [Backnang] [SPD]: Das war gut!)
das von den Sozialdemokraten favorisierte Modell der
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Aber sie
Euro-Bonds verworfen hat. Es war interessant, zu sehen,
wird geringer!)
was aus Ihrem Allheilmittel Euro-Bonds geworden ist.
Natürlich bekommen die Aufregungsszenarien, die die Nun sollen diese Euro-Bonds plötzlich nicht mehr die
Opposition gerne entwirft – auch heute wieder –, am An- sein, über die alle gesprochen haben.
fang erst einmal die gewünschte Aufmerksamkeit. Das (Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Auf sol-
(B) ist aber schnell vorbei, wenn wir erklären und verständ- che Leute beruft ihr euch!) (D)
lich machen – das haben der Minister und die Kanzlerin
in diesen Haushaltsberatungen getan –, warum das Mein Dank geht noch einmal an den Minister und die
Ganze solide ist und warum wir das eigentlich tun. Denn Kanzlerin. Mit dem eingeschlagenen Weg werden wir ei-
nicht nur Kinder fragen, warum. Auch jeder Bürger fragt nen guten Beitrag für Deutschland leisten und die Inte-
zu Recht: Warum wollt ihr eigentlich sparen? Warum gration in Europa fördern. Das sehen Sie daran, dass an-
wollt ihr den Euro retten? Wenn wir darauf nur die Ant- dere Länder unser Modell übernehmen.
wort geben: „Das muss jetzt sein“, wäre das nicht rich-
tig. Der Sparkurs, den wir aus Gründen der Konsolidie- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
rung des Haushalts eingeschlagen haben, ist nicht nur Herr Kollege.
alternativlos und moralisch geboten, sondern nutzt auch
den jetzt handelnden und lebenden Generationen, weil er Rüdiger Kruse (CDU/CSU):
wieder Spielräume eröffnet. Newsweek hat zur Haushaltspolitik von Spanien ge-
Wir alle haben uns mit der Euro-Krise beschäftigt. schrieben: Budget control German style. – Und das ist
Die Analyse, dass die Ursache der Probleme die über- ein hohes Lob.
bordende Staatsverschuldung ist, ist richtig. Genauso Danke.
richtig ist dann der von uns eingeschlagene Weg, der
zum Ziel hat, die Konsolidierung voranzutreiben. Wir (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
erliegen nicht der Versuchung, mit zusätzlichen Pro-
grammen oder Maßnahmesteigerungen konjunkturelle Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Effekte zu nutzen und so eventuell Wählerstimmen zu Norbert Brackmann hat jetzt das Wort für die CDU/
gewinnen. Das funktioniert bei uns sehr gut. CSU-Fraktion.
Schauen wir uns einmal an, was andere machen. Die (Beifall bei der CDU/CSU)
Linke hat den Hamburger Finanzsenator gelobt; darüber
soll er sich freuen. In Hamburg gilt jetzt offenkundig das Norbert Brackmann (CDU/CSU):
Motto „Pay as you go“. Frei übersetzt heißt das: Bezah- Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
len Sie, wenn Sie gehen. Damit ist gemeint: Wir machen Kollegen! Es liegt ein bisschen in der Natur der Sache,
so lange Party, bis es vorbei ist. Beim Hinausgehen ver- dass wir in den Haushaltsberatungen über mögliche
weisen wir dann auf die nachfolgende Generation; die Mehreinnahmen durch Steuererhöhungen sprechen oder
darf die Zeche zahlen. Bewertungen vornehmen, wie Einsparungen bzw. Kür-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14771
Norbert Brackmann
(A) zungen möglich sind. Ein bisschen vermisst habe ich die gen hat, dass der Spitzensteuersatz erheblich gesenkt (C)
Würdigung des dritten Weges, den die Bundesregierung wurde.
gegangen ist, nämlich auch durch intelligentes Sparen
und Wachstumsförderung in nicht unerheblichem Um- In der heutigen Situation wollen Sie dieses erfolgrei-
fang Einnahmen zu generieren. che Rezept, von dem Sie selbst profitieren – auch das
klagen Sie immer wieder ein –, wieder aufgeben und die
Dieser Weg hat nämlich gerade in dieser Zeit dazu ge- Leistungsträger unserer Gesellschaft zusätzlich besteu-
führt, dass die Steuereinnahmen des Gesamtstaates in ern, indem Sie den Spitzensteuersatz und andere Steuer-
den ersten sieben Monaten dieses Jahres gegenüber dem sätze erhöhen und eine Vermögensteuer einführen wol-
Vorjahreszeitraum um 9,7 Prozent gestiegen sind. Die len. Das wird niemandem bei uns helfen.
Körperschaftsteuereinnahmen zum Beispiel stiegen um
31,8 Prozent. Aber auch die Lohnsteuereinnahmen leg- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
ten mit 9,5 Prozent deutlich zu. neten der FDP)
Das ist mehr als nur ein Indiz. Es ist geradezu der Be- Sie halten in der Debatte an den Euro-Bonds fest,
weis dafür, dass Wirtschaft und Arbeitsmarkt aufblühen. auch wenn Sie das partiell zurückgenommen haben
Das Wachstum betrug im vergangenen Jahr 3,5 Prozent – Herr Gabriel hält sie mittlerweile für nicht mehr mit
und wird in diesem Jahr 2,5 bis 3 Prozent erreichen. Im der gegenwärtigen Vertragslage vereinbar – oder mit be-
zweiten Quartal waren in Deutschland rund 41 Millionen sonderen Auflagen versehen wollen – von Steinmeier-
Menschen erwerbstätig. Das sind gut 500 000 mehr als Bonds ist die Rede –, und bürden damit den deutschen
im Jahr zuvor und damit in diesem Frühjahr so viele wie Steuerzahlern zusätzliche Aufwendungen auf. Nach
noch nie. Schätzungen der Bundesregierung müssen 17 Milliarden
Euro pro Jahr zusätzlich aufgebracht werden.
Es gibt noch mehr gute Zahlen. Im August dieses Jah-
res erreichte die Zahl der Jobsuchenden mit rund (Manfred Zöllmer [SPD]: Unsinn!)
2,95 Millionen den niedrigsten Wert im Monat August
seit 20 Jahren. Das sind nicht nur abstrakte Zahlen. Hin- Nach Schätzungen des Ifo-Instituts sind es sogar 47 Mil-
ter jeder einzelnen Zahl steht ein menschliches Schick- liarden Euro. Wenn man die von Standard & Poor’s an-
sal. Dass es so vielen Menschen wieder gut geht, ist kein gekündigte schlechte Bewertung der Euro-Bonds zu-
Zufall, sondern Ergebnis der guten Politik der deutschen grunde legt, sind es noch mehr.
Regierung und der Schaffenskraft seiner Menschen. (Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
(Beifall bei der CDU/CSU) GRÜNEN]: Sie haben falsch gerechnet!)
(B) Wenn über dieses hervorragende Ergebnis Einverneh- Das ist dramatisch mehr als zum Beispiel die 10 Milliar- (D)
men besteht – es wurde in der gesamten Haushaltswoche den Euro, die wir im Investitionsetat des Verkehrsminis-
von niemandem bestritten –, dann mutet es etwas eigen- teriums haben.
tümlich an, wenn davon gesprochen wird, wie heute
(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE
etwa von Ihnen, Herr Schneider, und am Mittwoch von
GRÜNEN]: Es kommt auf die Ausgestaltung
Herrn Steinmeier, dass dieses Ergebnis trotz dieser Re-
von Euro-Bonds an!)
gierung
(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist Mit diesen Investitionen sichern wir ein Stück weit die
richtig!) Zukunft und die Arbeitsplätze. Sie wollen jährlich ein
Vielfaches dieser Summe ausgeben, um Euro-Bonds zu
und nicht wegen dieser Regierung erzielt wurde. finanzieren. Damit laufen Sie einem Hirngespinst hinter-
Herr Steinmeier hat vor einem Jahr gesagt, das Spar- her.
paket der Bundesregierung drohe den Konjunkturauf- (Beifall bei der CDU/CSU)
schwung abzuwürgen.
Deutschland ist dank der guten Arbeit der christlich-
Was wäre denn die Alternative gewesen? Wenn Sie in liberalen Koalition, der Sozialpartner und der fleißigen
diesem Jahr selbst bestätigen, dass es den Konjunktur- Menschen besser aus der Krise herausgekommen, als es
aufschwung gegeben hat, dann kann das im Um- hineingegangen ist. Deutschland benötigt jetzt Geradli-
kehrschluss doch nur bedeuten, dass es mit Ihrer Politik nigkeit und Kontinuität. Kraftmeierei, neue Belastungs-
nicht funktioniert hätte. proben für Leistungsträger, unnötige Geldausgaben für
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Euro-Bonds und Schwarzmalerei helfen den Menschen
der FDP – Bettina Hagedorn [SPD]: Das Kon- nicht. Genauso wenig hilft die bloße Hoffnung auf Bes-
junkturpaket läuft doch aus!) serung; denn sie ist nur eine Mischung aus Feigheit,
Handlungsunfähigkeit und Selbstbetrug.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, was ist da-
rüber hinaus mit Ihren steuerpolitischen Vorstellungen, Der von der Bundesregierung vorgelegte Haushalts-
die Sie uns hier präsentieren? Es war doch Ihr Kanzler- plan und der Finanzplan sind der Beweis, dass intelli-
kandidat in Lauerstellung, der, die 5 Millionen Arbeits- gentes Sparen gleichzeitig Wachstum und Wohlstand
losen fest im Blick, darauf gekommen ist, dass die Leis- bringen kann. Deshalb setzt die christlich-liberale Koali-
tungsträger in unserer Gesellschaft weniger Steuern tion diesen Konsolidierungskurs unbeirrbar fort. Diese
zahlen müssen, und seinerzeit maßgeblich dazu beigetra- Selbstbeschränkung ist nicht nur eine Tugend, sie ist
14772 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Norbert Brackmann
(A) auch Ausdruck unserer Verantwortung für die kommen- Der Konflikt zwischen Israel und Palästina war nie (C)
den Generationen. ein isolierter Prozess. Er hatte immer Auswirkungen auf
die Region und weltweit. Die Auswirkungen werden
Diese Haushaltswoche war von der teils hitzig ge- jetzt noch deutlicher, und sie werden uns noch mehr be-
führten Diskussion über die Rettungspakete in Europa treffen. Deshalb ist es wichtig, diese Debatte in aller
geprägt. Übermorgen ist der zehnte Jahrestag der verhee- Ernsthaftigkeit zu führen.
renden Terroranschläge in New York und anderswo. In
diesen Tagen ist es nicht nur Zeit, der Opfer zu geden- Wir müssen uns fragen, ob unsere Ziele, die wir jahre-
ken, sondern auch Zeit, sich darauf zu besinnen, welch lang verfolgt haben, noch die richtigen sind. Wir müssen
lange Zeit des Friedens Europa uns gebracht hat. Unver- prüfen, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind. Für
zichtbarer Teil dieses Europas ist auch der Euro, und ich meine Fraktion sage ich ganz deutlich: Die Ziele, die wir
füge hinzu: der stabile Euro. Ohne einen solchen Haus- in diesem Prozess haben, sind völlig unverändert. Wir
halt wird aber auch die stärkste Volkswirtschaft Europas stehen nach wie vor eindeutig zu der für uns einzig sinn-
keinen nachhaltigen Beitrag zur Stabilität des Euro leis- vollen Lösung: der Zwei-Staaten-Lösung. Wir wollen,
ten können. Deswegen ist der vorgelegte Haushalt der dass beide Staaten in Frieden und Sicherheit leben kön-
christlich-liberalen Koalition zugleich eine Investition in nen, dass beide Staaten in die Lage versetzt werden, für
Frieden, Freiheit und Wohlstand für Deutschland und ihre Bürger eine Verbesserung der Lebensbedingungen
Europa. zu erreichen. Auch das gehört zu einer solchen Lösung.
Danke schön. (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- [DIE LINKE])
neten der FDP)
Außerdem möchten wir, dass diese Lösung ohne weitere
militärische Konflikte, ohne weiteres Blutvergießen und
Vizepräsidentin Petra Pau: ohne weitere Tote erreicht wird. Das ist unser Ziel.
Ich schließe die Aussprache.
Die Elemente einer solchen Lösung sind seit Jahren
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen genau beschrieben – wir alle kennen sie –:
auf den Drucksachen 17/6600 und 17/6601 an den Haus-
haltsausschuss vorgeschlagen. Sind Sie damit einver- Erstens: die Gebietsfrage, Grenzen von 1967 plus ei-
standen? – Das ist der Fall. Dann sind die Überweisun- nem beiderseitigen einvernehmlichen Gebietsaustausch.
gen so beschlossen. Zweitens: die Frage Jerusalems als Hauptstadt beider
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf: Staaten.
(B) (D)
Drittens: die Frage der Rückkehr der Flüchtlinge. Ich
Vereinbarte Debatte
möchte nicht verhehlen, dass ich die Lösung, die in der
Für eine Verhandlungslösung im Nahostkon- Genfer Initiative von 2003 beschrieben worden ist, im-
flikt mer noch für den richtigen und sinnvollen Ausgangs-
punkt der Diskussion halte.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen Das heißt, die Themen liegen auf dem Tisch. Es be-
Widerspruch. Dann ist so beschlossen. darf – in Anführungsstrichen – „nur noch“ eines Prozes-
ses, um entsprechend weiterzukommen. Darum geht es
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege in diesen Tagen.
Dr. Rainer Stinner für die FDP-Fraktion.
Ich wiederhole gerne, was ich in jeder Debatte zu die-
(Beifall bei der FDP) sem Thema hier sage – ich tue das mit Inbrunst, weil es
meinem Denken entspricht –: Ich persönlich verstehe
Dr. Rainer Stinner (FDP): sehr gut, dass im Zentrum jeglicher Überlegungen in Is-
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! rael die Sicherheit des Staates stehen muss. Dafür habe
Angesichts der veränderten Situation in der Region lau- ich vollstes Verständnis. Ich meine daher, dass manche
fen diesmal in der Debatte, die wir seit Jahren führen, Kritik an Israel übermäßig ist. Wir alle müssen wissen,
mehrere neue Handlungsstränge zusammen, die wir bis- dass die Sicherheit Kern der Staatsräson Israels sein
her noch nicht kannten. Ich nenne einerseits die Verän- muss. Angesichts der Veränderungen in der Region, an-
derungen in der arabischen Welt, die natürlich einen we- gesichts der Geschichte Israels und angesichts neuer Ra-
sentlichen Einfluss haben, ich nenne aber auch die uns keten, die Israel bedrohen, haben wir noch mehr Ver-
sehr beunruhigende Situation zwischen Israel und der ständnis dafür, dass Israel die Sicherheit seines Staates in
Türkei. Die Äußerungen des türkischen Ministerpräsi- den Vordergrund stellt.
denten in diesen Tagen beunruhigen uns außerordent- Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen uns fra-
lich. Wir möchten hier sehr deutlich zum Ausdruck brin- gen und die Freunde in Israel müssen sich fragen, wel-
gen, dass dies natürlich Einfluss hat. che Vorgehensweise Israels Sicherheitsinteressen eigent-
lich nachhaltig befördert; diese Frage muss gestellt
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
werden.
der SPD und des Abg. Dr. Frithjof Schmidt
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]) (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja klar!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14773
Dr. Rainer Stinner
(A) Was ist der richtige Weg, um Israels Sicherheitsinteres- den sehen, wie sich die Palästinenser einlassen. Wir wis- (C)
sen wirklich nachhaltig zu befördern? Ich habe in einer sen, dass sie noch über ihr Vorgehen verhandeln.
Rede im Frühjahr schon gesagt: Ich finde zum Beispiel
Zweitens müssen wir uns fragen, ob das, was in New
die Israeli Peace Initiative bemerkenswert, angestoßen
York passiert, eine Zwei-Staaten-Lösung – unser erklär-
von – ich darf das einmal so despektierlich sagen –
tes Ziel – näher rücken lässt oder ob es uns von einer sol-
Hardlinern der israelischen Sicherheitsdebatte, vom Ex-
chen Lösung eher entfernt. Das ist eine Frage, die wir
Mossad-Chef und von Exgenerälen. Sie haben uns hier
uns stellen müssen. Sie ist weiß Gott nicht einfach zu be-
in Berlin gesagt: Helft uns dabei, die israelische Regie-
antworten.
rung dahin zu bringen, dass sie in den Verhandlungspro-
zess einsteigt; bekanntlich arbeitet die Zeit – das sagen Wir müssen uns fragen, ob das, was in New York pas-
wir seit Jahren – nicht für Israel. – Der Weg der Ver- siert, und unsere Entscheidung uns unserem ausdrückli-
handlungen ist richtig, und wir sind nach wie vor dafür, chen Ziel, weitere militärische Konfrontation sowie wei-
ihn zu gehen. tere Tote und Verwundete zu vermeiden, näher bringt
oder ob die Gefahr besteht, dass das eventuell wieder
Die Palästinenser haben angekündigt, dass sie in die- aufbricht. Wir müssen uns auch fragen, ob die Entschei-
sem Monat in New York aktiv werden. Wir wissen noch dung in New York eine friedliche Lösung eher behindert
nicht genau, welchen Weg sie gehen werden. Das ist oder befördert.
auch bei ihnen noch sehr umstritten. Es kann jetzt noch
keine endgültige Positionierung zu einem Vorhaben ge- Das muss sich natürlich auch Israel sehr genau über-
ben, das noch gar nicht bekannt ist. legen; denn – das ist unsere Meinung, und diese Mei-
nung wird von vielen in Israel geteilt; das wissen wir alle
(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD]) genau – die Zeit arbeitet nicht für Israel, und auch Israel
Wir wissen aber, dass es einige wichtige Determinanten muss einen Weg nach vorne gehen.
gibt. Neben der inhaltlichen Frage ist für meine Fraktion Wir alle wissen noch nicht, liebe Kolleginnen und
ganz wichtig, dass die Europäische Union in dieser An- Kollegen, wie die Umbrüche in der arabischen Welt en-
gelegenheit möglichst – möglichst! – eine einheitliche den werden. Aber eines möchte ich schon wagen voraus-
Position erreicht. zusagen: Was auch immer dabei an staatlicher Struktur
(Beifall des Abg. Hans-Ulrich Klose [SPD]) in Ägypten und in anderen Staaten dort herauskommt,
die Position gegenüber Israel und die Position zwischen
Das Ganze hat über den sachlichen Aspekt hinaus auch Israel und Palästina werden sich jedenfalls nicht zuguns-
für Europa erhebliche außen- und sicherheitspolitische ten Israels verändern – das will ich einmal so einigerma-
Konsequenzen, und deshalb müssen wir entsprechend ßen höflich ausdrücken –; denn es ist selbstverständlich,
(B) daran arbeiten. (D)
dass sich jede neue ägyptische Regierung gegenüber
Israel anders verhalten wird als Mubarak und sein Re-
Wir wissen, dass die Bundesregierung, insbesondere gime. Damit müssen wir rechnen, und damit muss natür-
der Außenminister, in diesem Zusammenhang seit Wo- lich auch Israel rechnen.
chen, seit Monaten mit den Kolleginnen und Kollegen
der Partnerstaaten in der Europäischen Union ganz in- Deshalb sage ich: Wir können nicht einfach so weiter-
tensiv verhandelt. Natürlich können diese Verhandlun- machen wie bisher.
gen nicht immer am offenen Tisch ausgetragen werden.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Haben Sie
Der Außenminister reist an diesem Wochenende in die
auch eine Antwort auf Ihre Fragen?)
Region, um nochmals zu eruieren, welche einvernehmli-
chen Lösungen gefunden werden können. Das zeigt das – Ich bin noch nicht ganz zu Ende, warte aber natürlich
Commitment dieser Bundesregierung; das zeigt das mit großer Spannung auf Ihre Rede, Herr Gehrcke.
Commitment dieses Außenministers. Meine Fraktion
Wir können nicht so weitermachen wie bisher, den
unterstützt ausdrücklich, Herr Minister, Ihre Initiative
Palästinensern unsere Sympathien zu versichern und
und Ihr Commitment in diesem Zusammenhang.
dann nichts weiter zu machen. Deshalb stelle ich als Par-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten lamentarier in den Raum, dass die Lösung eines Non-
der CDU/CSU) Member-Observer-Status für Palästina vielleicht ein
Weg sein könnte, der hier in die richtige Richtung weist.
Zur Entscheidung in den Vereinten Nationen sind Die Lösung wird häufig verkleinernd, verniedlichend
mehrere Überlegungen abzuwägen. mit der Vokabel „Vatikan-Lösung“ umschrieben. Ich
Erstens müssen sich die Palästinenser überlegen, was halte das für falsch. Das ist keine Lösung für Briefmar-
für sie der richtige Weg ist. Wir alle wissen, dass auch kenstaaten. Sowohl die Schweiz als auch die beiden
unter den Palästinensern bis zum heutigen Tage umstrit- deutschen Staaten haben jahrelang mit dieser Lösung ge-
ten ist, was der richtige Weg ist. lebt. Also hat diese Lösung eine gewisse Mächtigkeit.
Wir sollten überlegen, ob das die richtige Lösung ist. Ich
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Warten Sie weiß, es gibt durchaus Widerstände. Aber wir sind noch
den Antrag ab!) nicht am Ende des Tages, und wir müssen gucken, wie
wir das lösen.
– Wir warten den Antrag ab. – Herr Fajjad hat sich sehr
skeptisch zu der Frage geäußert, ob es im Interesse Pa- Es geht uns darum, die Zwei-Staaten-Lösung zu be-
lästinas ist, den Weg nach New York zu gehen. Wir wer- fördern, diesen Prozess entsprechend anzustoßen. Wir
14774 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Dr. Rainer Stinner


(A) sind überzeugt, dass dazu eine einvernehmliche Ver- Doch nicht nur aufseiten der Palästinenser sind Hin- (C)
handlungslösung das Beste ist. Der Außenminister ist in dernisse für eine Verhandlungslösung auszumachen. Die
diesen Tagen da, um das entsprechend anzuschieben. Massenproteste Hunderttausender in Tel Aviv gegen die
israelische Regierung zeigen das Unbehagen vieler Is-
Herr Präsident, ich komme zum Schluss. Deutsche
raelis gegenüber ihrer Regierung. Der Protest richtet sich
Politik kann dazu nur einen Beitrag leisten. Überheben
zwar vor allem gegen die Wohnungspolitik, gegen hohe
wir uns bitte nicht! Wir können im Rahmen der Europäi-
Mieten und steigende Kosten für die Lebenshaltung. Ich
schen Union einen Beitrag leisten. Der ist auch wichtig
will in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf auf-
genug. Ich habe ja einleitend gesagt, wie wichtig es für
merksam machen, dass die Bürgerinnen und Bürger Is-
die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Eu-
raels selbst ohne Gefahr für Leib und Leben demonstrie-
ropäischen Union ist, hier eine gemeinsame Position zu
ren können, um ihre Rechte, um ihre Ansprüche
finden. Ich weiß, das ist schwer genug. Ich gehe auch
durchzusetzen, und dass das auch beispielgebend für an-
keine Wetten ein, ob das am Ende des Tages gelingt.
dere Regionen, für andere Länder in der Nachbarschaft
Aber wir sollten es auf jeden Fall versuchen; denn es
sein kann, wo das eben nicht möglich ist. Dieser Protest
geht hier, liebe Kolleginnen und Kollegen, um viel. Es
zeigt aber auch die Folgen der Vernachlässigung des
geht um viel für Palästina. Es geht um viel für Israel. Es
Wohnungsbaus in Israel und der intensiven Förderung
geht um viel für die Region. Es geht aber auch um viel
des Siedlungsbaus im Westjordanland auf. Die israeli-
für Europa.
sche Nichtregierungsorganisation Peace Now hat doku-
Vielen Dank. mentiert, dass im letzten Jahr doppelt so viele Wohnun-
gen in den Siedlungen gebaut wurden wie in ganz Israel.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Das zeigt diese inneren Spannungen auf, das zeigt, dass
es nicht dem Zusammenhalt der israelischen Bevölke-
Vizepräsidentin Petra Pau: rung dient, wenn es eine derartige Spaltung gerade in so
Das Wort hat Günter Gloser für die SPD-Fraktion. einem wichtigen Bereich gibt.
(Beifall bei der SPD) Nun wollen die Palästinenser nach vielen Bemühun-
gen ihre Staatlichkeit von den Vereinten Nationen aner-
Günter Gloser (SPD): kennen lassen. Das kann – ganz abgesehen von den
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und schwierigen völkerrechtlichen Fragen, die das aufwirft –
Kollegen! Die SPD-Bundestagsfraktion hat im Juni ei- eine Verhandlungslösung nicht ersetzen. Darauf habe ich
nen Antrag zum heutigen Debattenthema eingebracht. auch vor einigen Wochen in diesem Parlament hingewie-
Ich darf den Titel wiederholen: „Den Nahost-Friedens- sen. Wenn man nun die Verlautbarungen der israelischen
(B) bemühungen neuen Schwung verleihen“. Dabei haben Regierung dazu liest, so scheint es zwingend, dass diese (D)
wir uns von jenen jungen Palästinensern inspirieren las- Initiative der Palästinenser bei den Vereinten Nationen
sen, die in Ramallah, aber auch an anderen Orten im eine Gewalteskalation zur Folge haben wird. Wir brau-
Frühjahr zu Tausenden auf die Straße gegangen sind und chen nur die entsprechenden Meldungen, Zeitungsbe-
friedlich für ein Ende des politischen Stillstandes de- richte und Lagebeurteilungen zu lesen. Ich möchte doch
monstriert haben. Das war und ist ein hoffnungsvolles anmerken, ob sich denn nicht auch eine andere Frage
Zeichen in einer ansonsten recht verfahrenen Situation. stellt: Was passiert eigentlich dann, wenn nichts passiert,
Ich sehe diesen Willen der Jugend in Palästina zur Ver- (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Sehr
änderung deshalb auch als einen Bestandteil des arabi- richtig!)
schen Frühlings. Wir sollten der palästinensischen Ju-
gend die gleiche Solidarität zusagen, die wir den jungen wenn wieder ein „Fenster der Gelegenheit“ zugeschla-
tunesischen, ägyptischen, syrischen oder libyschen Re- gen wird? Analyse hin oder her, jedenfalls tragen beide
volutionären in diesen Tagen ganz selbstverständlich im- Seiten Verantwortung dafür, eine solche Eskalation zu
mer wieder versprechen. verhindern. Das heißt: Zurück an den Verhandlungs-
tisch!
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
LINKEN) DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der
CDU/CSU, der FDP und der LINKEN)
Nun ist es aber auch fast ein halbes Jahr nach der
grundsätzlichen Einigung zur Bildung einer palästinensi- Die territoriale Integrität und die Sicherheit Israels
schen Einheitsregierung noch immer nicht zu dieser Re- stehen für uns Sozialdemokraten nicht zur Disposition,
gierungsbildung gekommen. Der Unmut wächst also und zwar für alle Zeiten. Die verbale Aufrüstung beider
wieder. Eigentlich sollten doch alle Akteure – das gilt Seiten im Vorfeld des 20. September beobachten wir
nicht nur für die Palästinenser – vom arabischen Früh- deshalb auch mit großer Sorge. Ich stimme da mit Ihnen
ling gelernt haben, dass Hinhaltetaktiken und Symbol- überein, Kollege Stinner. Das gilt übrigens auch bezüg-
politik von den Menschen nicht mehr toleriert werden. lich der Entwicklung zwischen Israel und der Türkei. An
Für das Erreichen einer Friedenslösung muss daher auf anderer Stelle und in anderen Debatten haben wir ja im-
palästinensischer Seite dringend neuer Schwung geholt mer herausgestellt, welch wichtige Rolle die Türkei in
werden, indem eine international anerkennungsfähige dieser Region spielt, sei es in Bezug auf Syrien, den Iran,
Regierung gebildet wird, die für alle Menschen in Gaza aber auch in Bezug auf Israel. Ich sage den türkischen
und im Westjordanland sprechen kann. Freunden ganz bewusst, dass sie sich fragen sollten, ob
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14775
Günter Gloser
(A) sie sich durch die Verlautbarungen und Töne der letzten (Mechthild Rawert [SPD]: Das war falsch! – (C)
Zeit nicht ihrer eigenen politischen Gestaltungsmöglich- Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ohne
keiten berauben, deren Wahrnehmung in dieser Region Gründe!)
ja eine Notwendigkeit darstellt.
Wie soll danach denn noch eine gemeinsame europäi-
(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des sche Haltung entstehen können? Sie, Herr Außenminis-
Abg. Dr. Bijan Djir-Sarai [FDP]) ter, haben ja auch am informellen Rat in Sopot teilge-
nommen. Dort hat sich gezeigt, wie gegensätzlich die
Die politische Konstellation im gesamten Nahen Os- Positionen sind.
ten ist derzeit alles andere als stabil. In Ägypten werden
An dieser Stelle haben Sie am Mittwoch dieser Wo-
die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vielleicht
che gesagt – ich zitiere wieder mit Genehmigung der
mehr Klarheit bringen. In Jordanien hat eben erst ein
Präsidentin –:
Prozess zu mehr Bürgerbeteiligung begonnen. Aus Sy-
rien erreichen uns jeden Tag Schreckensmeldungen über Die frühzeitige Festlegung auf eine bestimmte Op-
das unerbittliche, brutale Vorgehen des Assad-Regimes tion in der Frage der Anerkennung eines palästinen-
gegen die eigene Bevölkerung. Und die politische Lage sischen Staates brächte weit mehr Risiken als Nut-
im Libanon ist weiterhin fragil. zen.
Die Frage ist doch: Welche Schlüsse sind aus dieser Und weiter:
Situation für den Nahostkonflikt zu ziehen? Ja, die Si- Eine geschlossene Haltung der Europäischen Union
tuation wird nicht besser werden. Sie war zwar schon ist das Ziel. Sie vergrößert auch unsere Möglichkei-
besser, aber sie wird nicht besser werden. Wir haben des- ten.
halb die Bundesregierung bereits im Juni eindringlich
aufgefordert – ich zitiere aus unserem Antrag –, „sich für Sie haben recht, Herr Westerwelle. Nur befinden Sie
die baldige Wiederaufnahme direkter Friedensgespräche sich damit im Widerspruch zur Bundeskanzlerin. Die
zwischen Israel und den Palästinensern … einzusetzen Folge des Alleingangs der Kanzlerin ist: Sie hat damit
und dafür Initiativen im Rahmen der Vereinten Nationen nicht nur Deutschlands Möglichkeiten minimiert, son-
und der Europäischen Union zu starten“, weil sonst die- dern auch für die Handlungsunfähigkeit Europas ge-
ses berühmte „Fenster der Gelegenheit“ bald wieder zu- sorgt.
geschlagen werden würde. (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Herr Außenminister, wir waren im Frühjahr ja eigent- Hat denn die Regierung in den letzten Monaten nichts
(B) lich auf einem ganz guten Weg. Das ist auch an dieser dazugelernt? Das ist doch das Gegenteil von gemeinsa- (D)
Stelle zu betonen. Großbritannien, Frankreich und die mer Europapolitik, aber vor allem das Gegenteil einer
Bundesrepublik Deutschland hatten in den Vereinten Na- Stärkung der gemeinsamen europäischen Außenpolitik.
tionen eine gemeinsame Initiative gestartet. Was pas-
sierte eigentlich danach? Heute müssen wir feststellen, Wir finden es gut, dass Sie in diese Region fahren.
dass die Bundeskanzlerin und Sie, Herr Außenminister, Wir appellieren an Sie: Reden Sie mit den Parteien des
bislang zu wenig getan haben – wenn es anders wäre, Konflikts, und üben Sie endlich gemeinsam mit den
wäre es wirklich hinter verschlossenen Türen und nicht Partnern in der EU Druck auf beide Seiten aus, sich zu
transparent geschehen –, um dieses Ziel zu erreichen. einer Verhandlungslösung zu bewegen! Alles andere
Die Bundesregierung hat im letzten Vierteljahr entgegen verkennt unsere Verantwortung für Israel und die Paläs-
allen Beteuerungen versäumt, sich aktiv für ein soforti- tinenser. Alles andere wird zu einer weiteren Verhärtung
ges Ende des israelischen Siedlungsbaus in den palästi- der Positionen führen. Das dient nicht dem Frieden und
nensischen Gebieten zu engagieren. Dies ist umso ärger- widerspricht unseren Interessen ebenso wie denen der
licher, als gerade die deutsche Regierung in den Menschen in Israel und der Menschen in Palästina, die in
vergangenen Monaten eine besondere Chance gehabt Freiheit, Sicherheit und Würde leben wollen.
hätte, aus der historischen Verpflichtung Deutschlands Vielen Dank.
gegenüber Israel und den Palästinensern heraus einen
konstruktiven Beitrag zu einer Verhandlungslösung zu (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
leisten. der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]:
Diese Chance hätte bestanden, wenn Deutschland zu- Warum ärgert sich denn Herr Westerwelle so?
erst mit den europäischen Partnern gesprochen hätte, um Stimmte doch alles! Nicht ärgern!)
frühzeitig eine gemeinsame Haltung zur Staatlichkeit
Palästinas zu erreichen. Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Ruprecht Polenz für die
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
Unionsfraktion.
DIE GRÜNEN)
Doch die Kanzlerin hat es vorgezogen, sich bereits im Ruprecht Polenz (CDU/CSU):
April beim Besuch des israelischen Premierministers Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Netanjahu auf ein Nein zu jeglicher palästinensischer Unsere Debatte über den Nahostkonflikt führen wir im
Initiative in den Vereinten Nationen festzulegen. Vorfeld der UN-Generalversammlung, wo wir mit einem
14776 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Ruprecht Polenz
(A) möglichen Antrag der palästinensischen Führung rech- seln in der Rhetorik von Erdogan überhaupt nicht dazu (C)
nen, Palästina als Vollmitglied in die UNO aufzunehmen bei, die Situation einigermaßen in Grenzen zu halten.
und als Staat anzuerkennen. Nach allem, was man weiß, Auf der anderen Seite möchte ich aber auf Folgendes
würde es für einen solchen Antrag wahrscheinlich eine hinweisen: Heute war in der Zeitung zu lesen, dass der
Mehrheit in der Generalversammlung geben. israelische Außenminister Lieberman unter der Über-
schrift „Zusammenarbeitsprogramm mit den Feinden der
Trotzdem muss natürlich jeder, der den Konflikt Türkei“ ankündigt, sich jetzt besonders den Kurden und
kennt, die Sorge haben, dass auch bei einer mehrheitli- den Armeniern im amerikanischen Kongress zuwenden
chen Annahme eines solchen Antrags sich für die Paläs- zu wollen. Zwischen den Diplomaten Israels und der
tinenser vor Ort wenig Sichtbares ändert. In dem Fall Türkei war ja schon, soweit man lesen und hören konnte,
wäre die Enttäuschung in der palästinensischen Bevölke- eine Formel gefunden, wie der Streit um die Flotilla bei-
rung vorherbestimmt. Es käme zu Protesten, die nach al- gelegt werden könnte. Das ist letztlich am israelischen
ler Erfahrung in der Region wahrscheinlich das Risiko Außenminister gescheitert.
einer gewaltsamen Eskalation bergen würden.
Bei all diesen Diskussionen geht unter – deshalb
Deshalb ist es jetzt wichtig, zu schauen – das ist eine möchte ich es hier erwähnen, vielleicht auch als Appell
weitere Sorge, die ich habe –, dass der Westen, die Euro- an die israelische Seite, sich ein umfassendes Bild von
päische Union im Vorfeld dieser Generalversammlung der Türkei zu machen –, dass die Türkei gerade jetzt zu-
möglichst gemeinsam auftritt. Denn wenn wir nicht ge- gestimmt hat, ein Hochleistungsradar im Osten des Lan-
meinsam votieren, dann hat die Europäische Union, des zu installieren, das – zusammen mit Schiffen der
dann hat der Westen im Nachhinein noch weniger Ein- USA – der Abwehr der ballistischen Raketen aus dem
fluss als jetzt. Das wäre verhängnisvoll. Iran dienen soll. Das Kerninteresse Israels ist es, vor der
Ebenso habe ich eine Sorge, wie diese Entwicklung iranischen Bedrohung geschützt zu sein. Hier steht auch
den arabischen Frühling beeinflussen würde. Bisher gab für die israelische Seite eine ganze Menge auf dem
es keine antiisraelischen, antiwestlichen Demonstratio- Spiel.
nen auf dem Tahrir Square und anderswo. Aber ein Es- Letztlich können beide, Türkei und Israel, nur verlie-
kalieren der Spannungen zwischen den Israelis und den ren, wenn es nicht gelingt, die Abwärtsspirale, in der wir
Palästinensern würde den alten Herrschern Ablenkungs- uns im Augenblick befinden, zu stoppen und den Streit
möglichkeiten bieten, wie sie sie in der Vergangenheit beizulegen. Ich denke, dass Deutschland hinter den Ku-
gerne genutzt haben. Das ägyptische Militär hat nach lissen – ich weiß, Herr Außenminister, dass Sie sich da-
wie vor keinen klaren Kurs auf Demokratie und Rechts- rum bemühen – vielleicht etwas dazu beitragen kann,
staatlichkeit. Vielleicht nutzt man dann solche Vor- diesen Streit beizulegen. Das wäre sehr wichtig.
(B) kommnisse und schwächt auf diese Weise die friedlichen (D)
Reformbestrebungen in den arabischen Ländern. Auch Ich habe diese Punkte genannt, um den Hintergrund
diese Nebenwirkungen können also von einer Ver- zu beleuchten, der zeigt, wie wichtig es ist, einen Show-
schlechterung im Nahostkonflikt nach der Generalver- down in der Generalversammlung der Vereinten Natio-
sammlung ausgehen. nen möglichst zu vermeiden. Es ist heute noch zu früh,
um etwas über das Abstimmungsverhalten zu sagen. Der
Auch habe ich nach den Anschlägen in Eilat, wo es Text ist noch nicht bekannt, und vor allen Dingen – das
bei den Vergeltungsmaßnahmen Israels zum Tod ägypti- ist ganz wichtig, das hat heute noch keiner gesagt – ist
scher Soldaten kam, die Sorge, dass inzwischen jede auch noch gar nicht bekannt, wie sich die Hamas zu die-
kleine terroristische Splittergruppe in der Region weiß, sem Text einlässt. Es ist ja keine palästinensische Regie-
dass man bei dem vorhersehbaren Schema von Aktion rung, die diesen Text einbringt.
und Reaktion das Land oder die Region sehr schnell an
den Rand eines neuen großen Nahostkrieges bringen (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]:
kann. Der Präsident!)
Ich habe auch große Sorgen – Kollege Stinner hat es – Ja, der Präsident; aber die Hamas sagt dazu nichts. –
angesprochen – wegen der Verschlechterung des israe- Natürlich macht es einen Unterschied, ob die palästinen-
lisch-türkischen Verhältnisses. Das hat angefangen mit sische Initiative Israel verspricht, es gehe um die Gren-
dem Streit um die Flotilla. Jetzt sind die diplomatischen zen von 1967, das als Grundlage für Verhandlungen an-
Beziehungen heruntergestuft. Beide Seiten schauen vor bietet und das die Position ist, oder ob ein Teil der
allen Dingen auf die innenpolitische Situation und geben Palästinenser nach New York geht und sagt: Wir ergrei-
dort Raum für jeweils gegenseitige Ressentiments. Ich fen jetzt die Initiative und, was den anderen Teil betrifft,
glaube aber, dass Israel in diesem Konflikt mehr zu ver- müssen wir mal schauen, den bringen wir schon noch
lieren hat – egal wer recht hat. Denn die Herabstufung dazu. – Das ist ein großer Unterschied.
der diplomatischen Beziehungen löst jetzt aus der Bevöl-
kerung heraus einen ziemlich starken Druck in Jordanien Eine Zwei-Staaten-Lösung kann, wie Herr Stinner es
und Ägypten aus, dasselbe zu tun. Damit wäre das, was bereits ausgeführt hat, nur durch Verhandlungen entste-
durch die Friedensverträge wenigstens im Hinblick auf hen. Deshalb müssen wir daran festhalten, dass weitere
einen kalten Frieden erreicht worden ist, infrage gestellt. Verhandlungen durch den Prozess in New York nicht be-
hindert werden dürfen. Im Gegenteil: Wir sollten versu-
Natürlich trägt auf der einen Seite – da stimme ich chen, ihm näherzukommen. Wir sollten auch dazu
dem Kollegen Stinner ausdrücklich zu – das Säbelras- beitragen, dass weitere Eskalationen möglichst nicht ein-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14777
Ruprecht Polenz
(A) treten. Das geht aber nur, wenn wir eine gemeinsame nen arabischen Staat vorzuschlagen. Großbritannien ent- (C)
Haltung der Europäischen Union zusammen mit den hielt sich der Stimme; alle anderen Vetomächte, also die
Amerikanern erreichen. USA, China, Frankreich und die Sowjetunion, unter-
stützten diesen Teilungsplan. Im Mai 1948 rief Ben-
Es steht aber außer Frage – auch hier schließe ich an
Gurion, fortan israelischer Premierminister, den Staat
das an, was der Kollege Stinner gesagt hat und was auch
Israel aus. Es war, wenn man so will, ein einseitiger
Sie gesagt haben, Herr Kollege Gloser –: Wir haben be-
Schritt Israels, aber eben unter Berufung auf den Tei-
sondere Beziehungen zu Israel. Die besonderen Bezie-
lungsvorschlag der Vereinten Nationen.
hungen Israels zu Deutschland verpflichten uns, dafür
einzutreten, dass der Staat Israel sicher in Frieden und 6 Millionen Jüdinnen und Juden wurden durch die
Freiheit mit seinen arabischen Nachbarn leben kann. Das deutschen Nazis ermordet. Nur durch die in unserem
geht nur über eine Zwei-Staaten-Lösung. Das ist der Land begangenen Verbrechen kam es überhaupt zu ei-
Konsens, den dieses Haus vielfach zum Ausdruck ge- nem solchen UN-Beschluss. Deshalb müssen wir Deut-
bracht hat und der im Grunde auch die Linie der Bundes- sche dafür eintreten, dass die Jüdinnen und Juden das
regierung ist. Diese Zwei-Staaten-Lösung kann aber nur Recht auf einen Staat haben, in dem sie die Mehrheit
durch Verhandlungen erreicht werden. Einseitige stellen, aber – dies ist ebenso selbstverständlich – Nicht-
Schritte, die die Beteiligten von Verhandlungen entfer- jüdinnen und Nichtjuden gleichberechtigt zu behandeln
nen, die Verhandlungen erschweren, sind falsch. haben.
(Beifall der Abg. Bettina Kudla [CDU/CSU]) (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN –
Herr Gloser, natürlich haben Sie recht damit, dass der Bettina Kudla [CDU/CSU]: Das stimmt ein-
Siedlungsbau, Haus für Haus, sozusagen einen einseiti- fach nicht, was Sie hier sagen!)
gen Schritt nach dem anderen bedeutet.
Wir müssen aber auch dafür eintreten, dass die Palästi-
(Günter Gloser [SPD]: Und der ist materiell!) nenserinnen und Palästinenser in einem eigenen souve-
ränen Staat leben können. Sie dürfen nicht für die von
– Richtig, der ist materiell. – Deshalb ist es wichtig – die
den deutschen Nazis begangenen Verbrechen büßen
Bundesregierung tut es –, dies der israelischen Regie- müssen.
rung deutlich zu machen.
Herr Gloser, bei allem Respekt vor der Rolle der Op- Die UNO hatte 1947 einen Teilungsplan mit zwei
position: Es ist nicht richtig, hier der Regierung ein politisch souveränen, unabhängigen Staaten, die aber
Päckchen aufzupacken. Obama hat es mit all den Mitteln wirtschaftlich eng verbunden sein sollten, vorgeschla-
und Möglichkeiten, die die Amerikaner gegenüber Israel gen, also auch einen palästinensischen Staat. In Überein-
(B)
haben, vergeblich versucht, Israel vom Siedlungsbau ab- stimmung mit sämtlichen UNO-Beschlüssen muss end- (D)
zuhalten; er hat es, wie wir wissen, nicht geschafft. Das lich der Staat Palästina in den Grenzen von 1967
ändert nichts an der Richtigkeit dieses Ziels. Aber wir anerkannt werden.
sollten eben auch nicht aus dem Auge verlieren, dass un- (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
sere Möglichkeiten, in diesem Konflikt hilfreich zu sein,
begrenzt sind; wir sollten nicht zu hohe Erwartungen er- Ein Austausch von Territorien kann nur zwischen Israel
wecken. und Palästina vereinbart werden.
Wir haben als wichtiges europäisches Land und ange- Herr Polenz, Sie haben, was die Hamas betrifft, wahr-
sichts unseres besonderen Verhältnisses zu Israel die scheinlich recht. Aber gerade wenn die UNO Palästina
Aufgabe, ehrlich zu sagen, wo unsere Sorgen liegen, was als Vollmitglied aufnimmt und dabei die Grenzen von
auf dem Spiel steht und dass wir bereit sind, mitzuhel- 1967 festlegt, wird die Hamas gezwungen, dies zu ak-
fen, eine Lösung zu finden. Dem soll auch die heutige zeptieren. Wir können doch nicht auf das Einverständnis
Debatte dienen. der Hamas warten. Ich bitte Sie!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie Viele Länder haben Botschafter mit Palästina ausge-
bei Abgeordneten der SPD und des BÜND- tauscht. Aber die Bundesregierung traut sich das nicht.
NISSES 90/DIE GRÜNEN) Ich finde es falsch; das muss endlich geschehen.

Vizepräsidentin Petra Pau: Nach dem Sechs-Tage-Krieg hatte es etliche Versuche


Das Wort hat der Kollege Dr. Gregor Gysi für die gegeben, den Konflikt auf friedlichem Wege zu lösen.
Fraktion Die Linke. Erinnert sei an den Friedensprozess unter Vermittlung
Norwegens und an die zahlreichen Versuche auch ameri-
(Beifall bei der LINKEN) kanischer Präsidenten, eine Zwei-Staaten-Lösung zwi-
schen Palästinenserinnen und Palästinensern und Israelis
Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): zustande zu bringen. Aber alle diese Friedensprozesse
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am scheiterten. Sie haben recht: Auch der letzte Versuch von
29. November 1947 beschloss die Generalversammlung US-Präsident Barack Obama, eine Zwei-Staaten-Lösung
der Vereinten Nationen in der Resolution 181, die Tei- auf der Grundlage der Grenzen von 1967 zu erreichen,
lung des historischen Palästina in einen jüdischen und ei- blieb erfolglos.
14778 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Dr. Gregor Gysi


(A) Nunmehr haben die Palästinenserinnen und Palästi- (Beifall bei der LINKEN – Dr. Rainer Stinner (C)
nenser und ihr Präsident Abbas die Initiative ergriffen [FDP]: Für was?)
und wollen bei den Vereinten Nationen beantragen, dass
– Für die Aufnahme Palästinas als Vollmitglied der
Palästina endlich als Vollmitglied der internationalen
UNO. Erklären Sie einmal den Palästinenserinnen und
Staatengemeinschaft in die UNO aufgenommen wird.
Palästinensern, weshalb sie wegen unserer Geschichte
Israel ist strikt dagegen. Warum eigentlich? Gerade wenn
benachteiligt werden. Ich kann es ihnen nicht erklären,
sich die Lage zuspitzt, müsste Israel diesbezüglich sogar
ich muss das ganz klar sagen. Das ist nämlich die
initiativ werden und nicht ausschließlich versuchen, es zu
Schwierigkeit dabei.
verhindern. Aber die USA sind auch dagegen. Deutsch-
land, Tschechien und die Niederlande sind ebenfalls dage- (Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Alles hat
gen. Länder wie Frankreich, Großbritannien, Spanien, mit unserer Geschichte zu tun!)
Belgien, Polen, Schweden, Finnland, Luxemburg und
– Natürlich hat das mit unserer Geschichte zu tun. Das
viele andere Staaten sind aber dafür. Haben die alle un-
können Sie nun wirklich nicht leugnen.
recht?
Es ist zu befürchten, dass ein solcher Antrag im Si-
Die Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister cherheitsrat am Veto der USA scheitern wird. Der Be-
warnen vor einseitigen Schritten. Herr Westerwelle, was schluss des Sicherheitsrates kann aber durch eine Zwei-
soll daran einseitig sein? Israel ist schon Mitglied der drittelmehrheit der Mitglieder der UNO aufgehoben
UNO. Warum soll nicht auch Palästina endlich Mitglied werden. Völkerrechtlich wird dies unterschiedlich gese-
werden? Das ist doch nicht einseitig. hen, aber viele sehen es so. Mindestens 128 der 192 Mit-
(Beifall bei der LINKEN) gliedstaaten müssten dafür stimmen; das ist durchaus
möglich.
Wenn wir auf das Einverständnis der israelischen Regie-
rung warten, dann sind wir nicht besonders souverän in Für mich ist es ein sehr positives Signal, dass sich
dieser Frage. Vielleicht müssen wir dann noch sehr viele auch die Grünen und die SPD in diesem Sinne äußern,
Jahre warten. Auch das ist nicht akzeptabel. sodass sich wenigstens die drei Oppositionsfraktionen
diesbezüglich im Prinzip einig sind. Vielleicht werden
Sie haben völlig recht: Die Lage im Nahen Osten und wir uns sogar noch im gesamten Bundestag einig, was
in Nordafrika hat sich verändert. Wir wissen noch nicht, besonders wichtig wäre.
welche Strukturen in Ägypten, Tunesien, Libyen, Syrien,
(Günter Gloser [SPD]: Die Hoffnung stirbt
Jemen und Bahrain entstehen. Gerade in einer solchen
zuletzt!)
Situation wäre das friedliche Nebeneinander der Staaten
(B) Israel und Palästina für den Friedens- und Demokratie- Wir müssen unsere guten Beziehungen zu Israel auf- (D)
prozess im Nahen Osten und in Nordafrika ungeheuer rechterhalten. Ebenso müssen wir aber den Staat Paläs-
wichtig. Durch eine Mitgliedschaft Palästinas in der tina anerkennen und für die Mitgliedschaft Palästinas in
UNO stünde Palästina Israel etwas gleichberechtigter der UNO stimmen.
gegenüber. Das ist doch nicht nichts, das hat doch Ge-
(Beifall bei der LINKEN)
wicht, gerade auch für Friedensverhandlungen.
(Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Petra Pau:
Das ist das Besondere: Es stärkte Palästina, ohne Israel Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-
zu schwächen. Deutschland muss das Zwei-Staaten-Mo- legin Kerstin Müller das Wort.
dell aktiv unterstützen, im Interesse der Palästinenserin-
nen und Palästinenser, im Interesse der Israelis und im Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Interesse aller Menschen im Nahen Osten und der Welt- NEN):
gemeinschaft. Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Lage in der Region ist für Israel in den letzten Mo-
Herr Stinner, wir wissen, dass sich die Situation hin- naten nicht gerade komfortabler geworden; viele Vorred-
sichtlich des Antrags Palästinas noch ändern kann; das ner haben es schon dargestellt. Israel verhält sich gegen-
stimmt. Vielleicht wird noch ein anderer Weg gefunden über den arabischen Revolutionen eher abwartend.
und gegangen. Was wir aber entscheiden müssen, ist,
wie Deutschland sich verhält, wenn der Antrag Palästi- Zum Teil kann man dies verstehen. Für viele Israelis
nas auf Mitgliedschaft in der UNO zur Abstimmung ge- bestätigen die Anschläge in Eilat vom 18. August das
stellt wird. Wir können uns doch nicht ewig davor drü- Misstrauen gegenüber den Veränderungen in den arabi-
cken, Herr Bundesaußenminister. schen Staaten. Welches Gefahrenpotenzial das derzeitige
syrische Regime für den Fall, dass es sein Ende kommen
(Beifall bei der LINKEN) sieht, darstellt, ist auch noch offen.
Egal ob die Abstimmung im Sicherheitsrat – hier Ich will auch auf das Verhältnis zur Türkei eingehen.
üben wir den Vorsitz aus – oder in der UN-Vollversamm- Dass sich Israel in dieser nicht einfachen Situation ge-
lung stattfindet: Deutschland müsste schon aus histori- rade jetzt, wo die Türkei zum einflussreichsten Staat in
scher Verantwortung heraus dafür stimmen; alles andere der Region wird, ein dramatisches Zerwürfnis mit dem
können wir uns meines Erachtens überhaupt nicht leis- strategischen Partner Türkei leistet, ist wirklich unver-
ten. ständlich. Viele Demokraten in den arabischen Ländern
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14779
Kerstin Müller (Köln)
(A) sehen in der Türkei ein Vorbild. Dass die Türkei ihrer- samen Position zu kommen. Das ist von zentraler Be- (C)
seits damit droht, dass Kriegsschiffe die Lieferungen deutung.
nach Gaza begleiten sollen, ist ein nicht akzeptabler, ein
sehr besorgniserregender Schritt zur weiteren Eskala- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
tion; denn bisher war für beide, für die Türkei und Israel, sowie bei Abgeordneten der SPD und der LIN-
der jeweils andere ein extrem wichtiger strategischer KEN)
Partner in der Region. Wir sind uns offensichtlich einig, Es gibt eine gute Grundlage für eine solche gemein-
dass man an beide Seiten eindringlich appellieren muss, same europäische Position – es wurde bereits erwähnt –:
abzurüsten und wieder aufeinander zuzugehen; sonst nämlich die gemeinsame Stimmerklärung der EU-3 vom
wird der außenpolitische Schaden für beide Seiten sehr Februar 2011 zur sogenannten Siedlungsfrage. Da hat
groß sein. Europa klar und mit einer Stimme gesprochen. Ich frage
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mich: Wie bringt man das voreilige Nein der Regierung
sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der zur Anerkennungsfrage mit dieser Erklärung vor dem
SPD und der LINKEN) UN-Sicherheitsrat zusammen? In der Erklärung werden
die Parameter für die notwendigen Verhandlungen klar
Hinzu kommt die völlige Blockade in den Nahostfrie- und deutlich benannt: die Festlegung der Grenzen, die
densverhandlungen, der die Palästinenser im September Einsetzung von Sicherheitsarrangements, die Regelung
mit einem Gang zur UNO begegnen wollen. Die israeli- der Flüchtlingsfrage und Jerusalem. Für meine Fraktion
sche Regierung meint: Würden die Palästinenser in die- sage ich Ihnen klar: Wir teilen diese Position und diese
ser ohnehin sehr schwierigen Situation vor den Vereinten Parameter. Wir fanden es richtig, dass es diese Stimm-
Nationen erfolgreich sein, könnte die Lage noch weiter erklärung gegeben hat.
eskalieren. Aber es ist nicht erkennbar, dass die israeli-
sche Regierung zu substanziellen Verhandlungen bereit Leider hat die israelische Regierung – nicht zuletzt
Netanjahu mit seiner Rede im Mai in Washington – we-
ist. Ich kann jedenfalls nicht erkennen, dass sich die
Blockade in absehbarer Zeit lösen wird. Insofern kann sentliche Teile dieser Parameter zurückgewiesen. Auch
der Siedlungsausbau wird vorangetrieben. In dieser Si-
ich verstehen, dass sich die Palästinenser mit einem
tuation stellt sich erneut und dringlich die Frage, was ge-
Antrag an die UNO wenden. Man muss auch berück-
tan werden kann, um das Konzept einer Zwei-Staaten-
sichtigen: Premierminister Fajjad hat das Projekt der
Regelung überhaupt noch zu retten. Das ist die eigentli-
Eigenstaatlichkeit immerhin seit zwei Jahren verfolgt,
che Frage, die sich viele besorgt stellen, übrigens auch in
übrigens finanziell und politisch unterstützt von der
Israel und in den USA.
UNO und der Europäischen Union. Es ist also eine kom-
(B) plizierte Lage. (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Richtig!) (D)
Herr Stinner, es ist leider keineswegs so, dass die Der intensive Siedlungsausbau führt dazu, dass viele
Bundesregierung offen in die Gespräche mit den Kon- – nicht nur bei den Palästinensern – die Zwei-Staaten-
fliktparteien und den europäischen Partnern geht, son- Regelung in weiter Ferne sehen. Natürlich wird es die
dern das Gegenteil ist der Fall: Die Festlegung von Bun- Zwei-Staaten-Regelung letztlich erst durch Verhandlun-
deskanzlerin Merkel, eine solche Initiative – Klammer gen geben – da gebe ich allen Kollegen recht –, also
auf: den Text kennen wir noch nicht, wie Kollege Polenz durch das Ende der Besatzung. Aber die Frage ist doch,
eben zu Recht gesagt hat – abzulehnen, war kontrapro- ob der Gang der Palästinenser zur UNO die Blockade in
duktiv und aus meiner Sicht völlig überflüssig. den Verhandlungen lösen kann, uns also der Zwei-Staa-
ten-Regelung näher bringt, oder ob er die Fronten ver-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, härtet.
bei der SPD und der LINKEN)
Ein Ende der Besatzung wird damit nicht erreicht.
Denn in dieser Gemengelage – da gebe ich Ihnen recht – Eine Zustimmung, etwa zu einer Aufwertung des paläs-
ist es zunächst wichtig, dass es ein gemeinsames Vorge- tinensischen Status bei der UNO zum „Nichtmitglied-
hen mit den Partnern in der EU gibt, vor allem mit den staat“ durch eine große Mehrheit der Generalver-
wichtigsten: den Franzosen und den Briten. Derzeit ist sammlung – Herr Polenz, darüber wird zurzeit wohl
die EU gespalten, und das ist sozusagen unsere Verant- diskutiert –, würde aber signalisieren: Die internationale
wortung. Auf dem Außenministertreffen in Sopot – es Gemeinschaft steht zu einer Zwei-Staaten-Regelung –
wurde schon erwähnt – konnte man keine gemeinsame und dazu gehört langfristig auch die Anerkennung eines
Position finden. Die Europäische Union ist in einer zen- eigenständigen palästinensischen Staates.
tralen außenpolitischen Frage wieder einmal gespalten,
und zwar aufgrund unserer Position. Das ist ein Trauer- Noch ein Argument: Natürlich kann es zu einer Eska-
spiel. lation kommen. Es kann aber auch sein, dass ein solches
Signal der internationalen Gemeinschaft ein Stück weit
Herr Westerwelle, ich habe heute gelesen, dass Sie am die Frustration auffängt, die sich aufgrund der politi-
Wochenende noch einmal in die Region fahren werden. schen Blockade in der Bevölkerung angestaut hat.
Ich bitte Sie: Revidieren Sie die bisherige Position des
voreiligen Neins. Gehen Sie offen in die Gespräche mit Es wird immer gesagt – auch das ist ganz wichtig –,
den Konfliktparteien und setzen Sie vor allem alles da- das würde zu einer Delegitimierung des Staates Israel
ran, innerhalb der Europäischen Union zu einer gemein- führen: Dieses Argument kann ich nicht nachvollziehen;
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Kerstin Müller (Köln)


(A) denn die Palästinenser fordern einen eigenen Staat neben dem Nahostkonflikt eine gemeinsame Position zu for- (C)
Israel. mulieren. Das erfordert einerseits, dass die handelnden
Personen – an dieser Stelle möchte ich die Hohe Vertre-
(Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Eben!)
terin, Lady Ashton, ausdrücklich nennen – ihre Aufga-
Es geht also um das Selbstbestimmungsrecht der Palästi- ben und ihr Amt wahrnehmen. Die europäische Außen-
nenser und nicht darum, in irgendeiner Form den Staat politik hängt nicht nur von den Grundlagen ab, die im
Israel infrage zu stellen. Lissabonner Vertrag festgelegt wurden, sondern sie
hängt auch von den Personen ab, die die europäische
In der UNO macht es letztlich einen Unterschied, ob
Außenpolitik gestalten wollen. Sie müssen Formulierun-
die Europäer dabei sind oder nicht. Voraussetzung dafür
gen finden und das Heft des Handelns in Europa in die
ist, dass es eine gemeinsame Position gibt. Ich sage: Das
Hand nehmen. Ich glaube, wir können Lady Ashton nur
ist offen. Das hängt von dem Text ab, der letztlich vor-
ermutigen, etwas deutlicher voranzugehen und sich zu
liegt. Die Frage ist, ob er uns weiterbringt oder nicht.
bemühen, die europäischen Positionen zu bündeln.
Umso wichtiger ist, dass die Bundesregierung offen in
die Verhandlungen geht. Wir spielen dabei eine zentrale Auf der anderen Seite erwarten wir, dass kein Mit-
Rolle. Weil es den Palästinensern wichtig ist, dass die gliedstaat vorprescht, sondern sich alle bemühen, zu ei-
Europäer dabei sind, haben sie sogar angeboten, den ner gemeinsamen Position zu kommen. Frau Kollegin
Text mit der Europäischen Union abzustimmen. Deshalb Müller, ich glaube, es ist etwas zu früh, an dieser Stelle
gilt: keine Vorfestlegungen und offen in die Verhandlun- von einem gespaltenen Europa zu sprechen. Natürlich
gen gehen. Im Gegenteil: Wir sollten eher die Vorausset- kann man gar nicht leugnen, dass es unterschiedliche
zungen formulieren, unter denen wir gegebenenfalls be- Positionen gibt und man unterschiedlich an die Frage-
reit wären, einer Resolution zuzustimmen. stellung herangeht. Das letzte Treffen der Außenminister
Ich finde, das wäre das richtige Vorgehen. Wir dürfen habe ich aber so verstanden, dass man sich auf eine ge-
Europa nicht erneut spalten und leichtfertig Einfluss- meinsame Lösung zubewegt.
möglichkeiten verspielen, wie das bei der Libyen-Ent-
An dieser Stelle, Herr Kollege Gysi, muss man sagen:
scheidung der Fall war; denn das wäre zum Schaden ei-
Die Frage einer Anerkennung des palästinensischen
ner gemeinsamen europäischen Außenpolitik. Das darf
Staates darf man zum jetzigen Zeitpunkt – ich habe Ihren
auf keinen Fall passieren.
Ausführungen entnommen, dass Sie dies unstreitig stel-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN len; möglicherweise habe ich Sie falsch verstanden – mit
sowie bei Abgeordneten der SPD) Fug und Recht mit einigen Fragezeichen versehen. Die
Anerkennung ist schon aus völkerrechtlicher Sicht nicht
(B) Vizepräsidentin Petra Pau: konstitutiv für eine Staatsqualität. Hierzu braucht es ein (D)
Das Wort hat der Kollege Dr. Johann Wadephul für genau definiertes Staatsgebiet, ein Staatsvolk, eine
die Unionsfraktion. Staatsgewalt und eine Anerkennung nach Art. 4 der VN-
Charta: Nur ein friedliebender Staat kann Mitglied wer-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) den. An die palästinensische Seite, insbesondere an die
Hamas, besteht die Aufforderung, sich vor den Verhand-
Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): lungen klar zum Friedensprozess zu bekennen, auf Ge-
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und walt zu verzichten und insbesondere das Existenzrecht
Herren! Im Vorfeld einer möglichen Zuspitzung des Israels anzuerkennen. Das ist eine Voraussetzung für
Nahostkonflikts vor dem Hintergrund der zu erwarten- Verhandlungen.
den palästinensischen Anträge ist es sicherlich gut, dass
sich das Hohe Haus mit diesem Thema auseinandersetzt Wenn Sie, Herr Gysi, abschließend sagen, dass wir
und sich der Herr Bundesaußenminister trotz der Haus- gute Beziehungen zu Israel brauchen, sage ich, dass das
haltsdebatte in dieser Woche und der drängenden Pro- vollkommen klar ist. Vor dem Hintergrund nicht nur der
bleme im Euro-Raum und in Europa diesem Thema wid- Bedrohung durch den Iran, sondern der gesamten Situa-
met und in diesen Tagen in die Region reisen wird, um tion in dieser Region muss allen Parteien klar sein, dass
sich des Themas vor Ort anzunehmen. das Existenzrecht Israels außer Frage steht.

Bei allen Übereinstimmungen, die im Großen und (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der
Ganzen in diesem Hause herrschen – einige Erläute- SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ-
rungen des Kollegen Gysi waren, glaube ich, sehr hilf- NEN)
reich –, möchte ich den Kolleginnen und Kollegen von
der Opposition doch sagen: Durch das Verhalten des Das sage ich nicht nur in Ihre Richtung, sondern auch in
Bundesaußenministers bzw. der Bundesregierung wer- Richtung der Palästinenser, die natürlich erwarten, dass
den alle Optionen, zu einer gemeinsamen europäischen jetzt Bewegung in den Prozess kommt.
Position zu kommen, gewahrt. Deswegen danke ich aus-
Ich schließe mich auch der kritischen Bemerkung des
drücklich für das Verhalten in den letzten Wochen und
Kollegen Polenz im Hinblick auf die Siedlungspolitik,
für die Position, die zu diesem Thema eingenommen
die Israel betreibt – der Siedlungsstopp wurde nicht ver-
wurde.
längert –, an. Die Europäische Union – das hat Lady
Wir sind uns darüber einig, dass Europa in der Lage Ashton klar formuliert – hat das mit großer Enttäu-
sein muss, auch zu einem so gewaltigen Problem wie schung zur Kenntnis genommen; dies gilt auch für die
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14781
Dr. Johann Wadephul
(A) Vereinigten Staaten von Amerika. Israel bleibt weiterhin (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten (C)
aufgefordert, seine Position zu korrigieren. der LINKEN)
Ich würde gern abschließend in Richtung Nordafrika Ich hoffe, dass das auch im Fortgang dieser Diskussion
blicken. Natürlich sehen wir die Demokratisierungsbe- so bleiben wird.
wegungen überall mit großer Freude, auch mit freudiger
Erwartung auf das, was dadurch entstehen kann. Aber Ich möchte mit dem Hinweis des Kollegen Gysi auf
wir dürfen diese Entwicklung nicht mit Naivität betrach- das Jahr 1947 einsteigen. Ich glaube, dass damals Wei-
ten. Ich glaube, diese Entwicklung ist eine Chance. Herr chen für völkerrechtliche Entwicklungen gestellt worden
Stinner, da bin ich vielleicht etwas optimistischer als Sie. sind, die wir noch heute zur Kenntnis nehmen sollten.
Sie haben gesagt – so habe ich Sie verstanden –, besten- Wenn man so will, dann kann man, glaube ich, zu
falls bleibe der Status quo für Israel gewahrt. Es kann dem Ergebnis kommen, dass mit der damaligen Resolu-
auch besser werden. tion 181 der Generalversammlung der Vereinten Natio-
Betrachten wir beispielsweise die Entwicklung in nen zumindest die Weichen für eine Zweistaatenlösung
Ägypten. Ägypten hat, glaube ich, schon allein aufgrund in dieser Region gestellt worden sind. Das war vor
seiner Größe und seines Bevölkerungsreichtums dort 64 Jahren. Diese Entscheidung ist mittlerweile in die Ge-
den größten Einfluss. Wenn es in Ägypten eine Entwick- schichte eingegangen. Aus meiner Sicht – da bin ich
lung zu Rechtsstaatlichkeit, zur Wahrung von Men- vielleicht etwas anderer Auffassung als Sie, Herr Kol-
schenrechten und zu einem wirklichen Demokratisie- lege Wadephul – hatte diese Entscheidung auch völker-
rungsprozess gibt, dann bieten sich für Israel dadurch rechtliche Wirkung. Diese völkerrechtliche Wirkung,
natürlich größere Chancen in der Zukunft, als vielleicht mehrfach bestätigt durch verschiedenste Entscheidungen
bei einem Fortbestehen des Mubarak-Regimes oder ei- der Generalversammlung, aber auch des Weltsicherheits-
nes möglichen Nachfolgeregimes bestanden hätten. rates, bedeutet, dass das palästinensische Volk ein
Staatsvolk ist
Aber wir müssen auch die Gefahren zur Kenntnis
nehmen. Entsprechende Befürchtungen auf israelischer (Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja!)
Seite sind natürlich gut zu verstehen. Bis vor kurzem und dass das palästinensische Volk insofern auch eigen-
konnte man sich durchaus sicher sein, dass der Friedens- ständig von seinem Selbstbestimmungsrecht, einen eige-
vertrag zwischen Ägypten und Israel eingehalten wird. nen Staat zu gründen, Gebrauch machen darf.
Aber man hat natürlich auch gesehen – das könnte sich
jetzt negativ auswirken –, dass eine Popularisierung die- Dieser Realität muss man sich stellen. Dabei geht es
ses Friedensvertrages beispielsweise – pars pro toto – in um folgende Fragen: Was ist eigentlich in den letzten
(B) Ägypten unterblieben ist. Das birgt durchaus eine große 64 Jahren in dieser Region passiert? Wie hat sich die in- (D)
Gefahr, die wir ernst nehmen müssen. ternationale Staatengemeinschaft zu diesen Entwicklun-
gen verhalten? Welche Konsequenzen ziehen wir heute
Deswegen müssen wir allen, die jetzt politische, ge- daraus? Ich habe angesichts der Entwicklungen in dieser
sellschaftliche und militärische Verantwortung in diesen Region – ich sage das einmal ganz persönlich und privat –
Ländern übernehmen, sagen: Pacta sunt servanda, solche durchaus Verständnis dafür, dass Abbas jetzt die entspre-
Verträge müssen gewahrt werden. Sie müssen auch ge- chenden Anträge, von denen wir alle noch nicht wissen,
lebt werden. Es wird für die neuen politischen Eliten, die wie sie letztendlich aussehen, einbringt. Das ist ver-
dort allenthalben entstehen, eine große Herausforderung ständlich, auch aus Gründen der Legitimierung der Pa-
sein, dieser Friedenspolitik, die entstanden ist und die lästinensischen Autonomiebehörde gegenüber der eige-
beispielsweise in Ägypten schon seit vielen Jahrzehnten nen Bevölkerung. Ich glaube, dass viele Menschen in
Staatspraxis nach außen hin war, auch innerhalb des dieser Region sehr genau hinschauen, was in New York
Landes zu einer Mehrheit zu verhelfen. Ich denke, wenn passiert und wie sich welches Land verhält.
das gelingt, ist der Demokratisierungsprozess im Nahen
Osten eine große Chance für Israel. Auch ich habe Bedenken – das sage ich ebenfalls
ganz deutlich –, ob der Schritt, Palästina jetzt zu einem
Herzlichen Dank. Vollmitglied der Vereinten Nationen zu erklären, tatsäch-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lich die Folgen haben wird, die sich Abbas und andere
davon versprechen. Darüber muss man nachdenken. Es
stellt sich die Frage: Ist eigentlich klar bzw. kann man
Vizepräsidentin Petra Pau: davon ausgehen, dass durch eine solche Entscheidung
Das Wort hat der Kollege Christoph Strässer für die die Lösung der Probleme in dieser Region leichter wird?
SPD-Fraktion. Eines dürfte uns allen klar sein: Machen die USA im
(Beifall bei der SPD) Weltsicherheitsrat von ihrem Recht auf Einlegung eines
Vetos in Bezug auf eine entsprechende Empfehlung nach
Art. 4 der Charta der Vereinten Nationen nicht Ge-
Christoph Strässer (SPD): brauch, kommt es also zu einer Zustimmung, sodass es
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! in Zukunft ein neues Vollmitglied der Vereinten Natio-
Ich glaube, die Debatte heute zeigt, wie man ernst und nen gibt, werden die Probleme für die Menschen in die-
ohne Provokationen eine Debatte über ein ganz schwie- ser Region definitiv nicht gelöst sein. Dazu braucht es
riges Thema führen kann. Dafür bin ich sehr dankbar. sehr viel mehr. Ich würde gleich gerne noch in aller
14782 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Christoph Strässer
(A) Kürze auf die menschenrechtliche Situation in dieser Re- (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie (C)
gion eingehen. bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN)
Man kann feststellen – das haben wir bei Staatsneu-
gründungen in den letzten zehn Jahren immer wieder er- Ich finde, das muss man immer wieder ansprechen. Ich
lebt; als Beispiele nenne ich den Südsudan und das Ko- möchte an dieser Stelle eine Forderung des Bundes-
sovo –: Die Erwartung, durch die Gründung eines neuen außenministers wiederholen – das tue ich nicht oft –: Als
Staates würden die Probleme in der Region und die Pro- eine der Voraussetzungen für einen vernünftigen Frie-
bleme der Menschen gelöst, war und ist ein Irrglaube. Im densprozess muss die Blockade Gazas beendet werden.
Sudan sieht man das heute noch ganz deutlich, obwohl (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
dem Prozess der Staatsgründung ein einvernehmlicher BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Friedensvertrag zugrunde lag und entsprechende Abma-
chungen getroffen wurden. Nichtsdestotrotz gehen die Wie bereits angesprochen worden ist, haben wir noch
Konflikte weiter, und sie verschärften sich sogar. Ich andere Probleme. Diese können wir nicht allein lösen.
finde, man muss darüber nachdenken, ob dieser Schritt So müssen der Siedlungsbau und auch die Regelung des
Grenzverlaufs in den besetzten Gebieten im Westjordan-
als endgültige Lösung für diese Region wirklich geeig-
land immer wieder thematisiert werden. Denn dort ist
net ist, um die dortigen Probleme zu lösen. Ich glaube,
die Situation für die Menschen sehr schwierig. Es ist für
das ist in dieser Situation nicht der Fall. Man könnte,
sie schwer, sich frei zu bewegen, in die Schule zu gehen
sollte und müsste an dieser Stelle über andere Möglich-
oder Zugang zu gesundheitlicher Versorgung zu bekom-
keiten, mit denen man der Lösung der Probleme näher- men. Auch darüber muss man reden.
kommt, nachdenken. Das gilt auch mit Blick auf die Ver-
handlungen. Ich möchte noch einen letzten Punkt ansprechen – der
ist Ihrer Aufmerksamkeit vielleicht entgangen –: Anfang
Wir alle wissen, dass wir seit vielen Jahrzehnten ver- Oktober tagt in Straßburg wieder die Parlamentarische
handeln, ohne dass es vorangeht; das rechtfertigt auch Versammlung des Europarates. Dort wird über einen An-
unsere Ungeduld. Das ist nachvollziehbar. Aber ich er- trag der Palästinensischen Autonomiebehörde über eine
warte von der Bundesregierung, dass sie uns Auskunft Partnerschaft für Demokratie, also sozusagen über eine
darüber erteilt, wie der Stand der Diskussion innerhalb beobachtende Mitgliedschaft in diesem Gremium, im
der Bundesregierung darüber ist, den Status der palästi- Europarat, zu entscheiden sein.
nensischen Vertretung in Berlin zu verändern.
(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist ein
(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der sehr guter Antrag!)
(B) LINKEN) (D)
Ich habe heute gelesen, dass der Politische Ausschuss
dieses Europarates sich einstimmig dafür ausgesprochen
In Frankreich und anderen EU-Ländern wurde sehr
hat, dies zu unterstützen. Diese Möglichkeit gibt es erst
deutlich: Auf diesem Weg kann man es vielleicht schaf-
seit 2009. Das erste Mitglied, das aufgenommen wurde,
fen, einen Verhandlungsweg einzuschlagen, für eine
war Marokko. Ich könnte mir vorstellen, dafür zu wer-
Aufwertung zu sorgen, die Palästinenser einzubinden ben, dass der Antrag der Palästinensischen Autonomie-
und ihnen mehr Verantwortung zu übertragen, als es bis- behörde angenommen wird. Denn dann haben wir neue
her der Fall ist. Ich glaube, dies wäre ein erster Schritt, Möglichkeiten der Verhandlungen über den Fortgang des
der dazu führen würde, dass der Bundesaußenminister Prozesses. Im Sinne der Menschen aus der Region wäre
auch eine gute Botschaft in die Region tragen kann, ein solcher Schritt sinnvoll, um endlich zu einem Ende
wenn er, was ich sehr unterstütze, dorthin fährt. dieses furchtbaren Konfliktes zu kommen.
Lassen Sie mich noch zwei oder drei Sätze zu der Herzlichen Dank.
Menschenrechtssituation und dazu, was auf die Men-
schen in dieser Region zukommt und wie sehr sie im (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Moment leiden, sagen; man kann es wirklich so sagen:
wie sehr sie leiden. Ich erinnere wieder einmal an Fol-
gendes – ich finde, man kann diese Debatte im Deut- Vizepräsidentin Petra Pau:
schen Bundestag nicht führen, ohne das zu tun –: Wir Das Wort hat der Kollege Thomas Silberhorn für die
fordern – würde diese Forderung erfüllt, wäre das auch Unionsfraktion.
eine positive Grundlage für Verhandlungen – die Freilas- (Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
sung von Gilad Schalit. Das muss an dieser Stelle noch CDU/CSU)
einmal betont werden.
(Beifall im ganzen Hause) Thomas Silberhorn (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bereits
Genauso sollten wir uns – ich kann das jetzt nicht vor der Sommerpause haben wir hier am 1. Juli 2011
mehr ausführen – massiv für die Verbesserung der Situa- über die Anerkennung Palästinas als eigenständigen
tion von Kindern und Frauen im Gazastreifen einsetzen. Staat debattiert. Meine Auffassung, die ich damals geäu-
Diese ist in menschenrechtlicher Hinsicht nach wie vor ßert habe, kann ich nur unterstreichen. Einseitige
desolat. Schritte, egal von welcher Seite, sind dem Friedenspro-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14783
Thomas Silberhorn
(A) zess eher abträglich als zuträglich. Bei dem erwägten Neben all diesen Fragezeichen ist nach wie vor auch (C)
Antrag handelt es sich um einen einseitigen Schritt. Al- alles andere als klar, ob ein Antrag bei den Vereinten Na-
lerdings ist Bewegung in diese Debatte gekommen, die tionen sowohl von der Fatah als auch von der Hamas
sich schlecht ergebnislos beenden lässt. Man darf des- mitgetragen wird. Die Palästinenser müssen im eigenen
halb nichts unversucht lassen, um in den wenigen Tagen Interesse Klarheit über ihr weiteres Vorgehen schaffen.
bis zum Beginn der UN-Generalversammlung eine Frie- Wir können nur darauf setzen, dass sie sich dabei von
densperspektive zu entwickeln, die den Interessen beider Augenmaß und Realismus leiten lassen.
Seiten Rechnung trägt.
Kurzfristig gilt es, vor allem zwei Ziele zu erreichen:
Ohne eine Annäherung zwischen Israel und Palästina Einerseits muss für den geplanten Antrag der Palästinen-
wird man den Stillstand im Friedensprozess nicht über- ser ein diplomatischer Weg des Umgangs gefunden wer-
winden können. Tragfähige Fortschritte erfordern aber den, mit dem sich dauerhafte Schäden am Friedenspro-
direkte Verhandlungen zwischen den beteiligten Akteu- zess vermeiden lassen. Andererseits heißt das: Das zu
ren in Richtung einer Zweistaatenlösung. Es besteht wei- erwartende Scheitern des Antrags auf staatliche Aner-
terhin die erhebliche Gefahr, dass das geplante palästi- kennung darf nicht zu einem erneuten Ausbruch von Ge-
nensische Vorgehen nicht nur erfolglos bleibt, was die walt führen. Die Protestaufrufe, die in den palästinensi-
Eigenstaatlichkeit anbelangt, sondern dass es zu einer schen Gebieten für den 20. September zirkulieren, lassen
Verhärtung der Positionen auf beiden Seiten oder – noch hier nicht unbedingt Gutes erwarten.
schlimmer – zu einer erneuten Eskalation der Gewalt
Gleiches gilt für die hohen Erwartungen der palästi-
kommt. Niemandem wäre mit einem solchen Ergebnis
nensischen Bevölkerung an eine Abstimmung in den
gedient.
Vereinten Nationen. Ein Ergebnis von Meinungsumfra-
Sowohl die Abläufe bei der Generalversammlung und gen ist, dass mehr als 75 Prozent der Palästinenser den
im Sicherheitsrat als auch ihre Auswirkungen auf den Schritt vor die Vereinten Nationen befürworten. Eine
Friedensprozess sind noch mit vielen Fragezeichen ver- fast gleich hohe Mehrheit spricht sich für eine Ausdeh-
sehen. Wir wissen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nung der palästinensischen Souveränität auf das ganze
nicht, was genau Gegenstand eines palästinensischen Westjordanland aus, auch zum Preis einer Konfrontation
Antrags sein und an wen dieser Antrag gerichtet sein mit Israel. Hier kommt der palästinensischen Führung
wird. Verschiedene Äußerungen von palästinensischer eine hohe Verantwortung zu, die Erwartungen in der Be-
Seite, so zum Beispiel von Außenminister al-Maliki, völkerung auf ein realistisches Maß zu drosseln und jeg-
deuten darauf hin, dass Präsident Abbas noch vor Eröff- liche gewaltsamen Aktivitäten zurückzuweisen und zu
nung der UN-Generalversammlung am 19. September unterbinden.
(B) 2011 dem UN-Generalsekretär Ban Ki-moon persönlich (Beifall bei Abgeordneten der FDP) (D)
einen Antrag auf staatliche Anerkennung übergeben
könnte. Klar ist allerdings auch: Selbst wenn diese kurzfristi-
gen Ziele erreicht werden können, so sind die zentralen
Ein solches Vorgehen – wir haben das mehrfach ge- Fragen noch lange nicht gelöst: Wie kann ein Ausweg
hört – ist bereits heute zum Scheitern verurteilt, auch aus der Sackgasse, in der der Friedensprozess derzeit
wenn 9 der 15 Mitglieder des Sicherheitsrates angekün- steckt, gefunden werden? Wie können Fortschritte für
digt haben, dieses palästinensische Anliegen unterstüt- eine Verhandlungslösung erzielt werden? Das sind die
zen zu wollen. Es ist in jedem Fall mit einem Veto der entscheidenden Fragen, denen sich alle beteiligten Ak-
USA zu rechnen. Das hat das amerikanische Außen- teure stellen müssen, denn in der Frustration über den
ministerium gestern bereits öffentlich angekündigt. unbefriedigenden Zustand der Verhandlungen liegt ein
wesentlicher Grund für den Weg zu den Vereinten Natio-
Mit einer Abstimmung in der Generalversammlung
nen, den die Palästinenser beschreiten wollen.
stünde ein Alternativweg offen. Man könnte mit einfa-
cher Mehrheit und ohne Veto eine Aufwertung des Sta- Diese Frustration ist zu einem gewissen Grad ver-
tus der Palästinenser in den Vereinten Nationen herbei- ständlich. Die Palästinenser haben in den letzten Jahren
führen. Statt des bisherigen Status eines nichtstaatlichen substanzielle Fortschritte beim Aufbau eines Staatswe-
Beobachters hätten die Palästinenser dann den Status ei- sens gemacht, was international wiederholt bestätigt
nes nichtstaatlichen Mitglieds mit weitreichenderen worden ist. Damit nimmt eine der wesentlichen Voraus-
Rechten in der Generalversammlung und mit Zugang zu setzungen für eine Zweistaatenlösung mehr und mehr
Organisationen wie der UNESCO oder dem Internatio- Gestalt an.
nalen Strafgerichtshof.
Die israelische Regierung unter Premier Netanjahu
In einem dritten Szenario könnten die Palästinenser ei- hat mehrmals öffentlich ihre Bereitschaft zu Friedens-
nen völkerrechtlich nicht verbindlichen Resolutionstext verhandlungen bekräftigt, zuletzt vor wenigen Tagen.
in die Generalversammlung einbringen, der Kriterien und Aber diese Haltung, die grundsätzlich zu begrüßen ist,
Bedingungen für eine künftige Friedenslösung enthält. wird zugleich an substanzielle Einschränkungen ge-
Allerdings darf man nicht verkennen, dass eine solche knüpft, an Bedingungen für eine Verhandlungslösung,
Festlegung Fakten schaffen würde, hinter die die Palästi- wie die Kontrolle über ganz Jerusalem, und an eine Fort-
nenser in Verhandlungen kaum zurückgehen könnten. setzung des Siedlungsbaus im Westjordanland. Zuletzt
Das muss eine Verhandlungslösung nicht unbedingt er- wurden Mitte August 200 Baugenehmigungen für Häu-
leichtern. Das kann sie auch erschweren. ser in einer israelischen Siedlung angekündigt. Das war
14784 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

Thomas Silberhorn
(A) allein im August das dritte Mal, dass die israelische Re- Stellung als Leuchtturm der Demokratie im Nahen Osten (C)
gierung einer Ausweitung der Siedlungsaktivitäten im stärken.
Westjordanland zugestimmt hat.
Unabhängig vom Ausgang des palästinensischen An-
Es ist der Eindruck nicht ganz zu vermeiden, dass die trags bei den Vereinten Nationen gilt: Fortschritte im
rhetorischen Zugeständnisse in erster Linie verhand- Friedensprozess können nur in Verhandlungen erzielt
lungstaktischer Natur sind und das Interesse an einer werden.
Fortsetzung des Friedensprozesses in Wahrheit geringer Aus diesem Grund müssen alle Kräfte nun darauf
ausgeprägt ist, als es scheint. Der israelische Historiker konzentriert werden, die Wiederaufnahme der direkten
Moshe Zimmermann spricht daher in der FAZ vom Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern
2. September dieses Jahres nicht ohne Grund von – ich zu erreichen.
zitiere –
Vielen Dank.
Netanjahus Taktik, von den Palästinensern die Auf-
nahme der Friedensverhandlungen zu verlangen, (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ohne das Ende der Siedlungspolitik zu signalisie-
ren, um so die Friedensverhandlungen ad calendas Vizepräsidentin Petra Pau:
graecas zu vertagen. Weitere Wortmeldungen liegen mir nicht vor.

Dieser Eindruck könnte leicht zerstreut werden, in- Ich schließe die Aussprache.
dem die israelische Regierung darlegt, wie aus ihrer Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
Sicht eine Verhandlungslösung aussehen sollte, die den ordnung.
Interessen beider Seiten gerecht wird.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
Ich bin der festen Überzeugung: Von einer dauerhaf- destages auf Mittwoch, den 21. September 2011, 13 Uhr,
ten Friedenslösung würde gerade Israel profitieren. Zum ein.
einen wäre sie die angemessene Antwort auf die funda-
Die Sitzung ist geschlossen.
mentalen Veränderungen, die wir im größeren Nahen
Osten erleben. Zum anderen würde sie Israel in seiner (Schluss: 14.16 Uhr)

(B) (D)

Berichtigung
124. Sitzung, Seite 14678 C, dritter Absatz, der
vierte Satz ist wie folgt zu lesen: „Die Gesundheitswirt-
schaft in Deutschland ist mit 4,5 Millionen Beschäftigten
und einem Finanzvolumen von nahezu 300 Milliarden
Euro sowie einem erheblichen Wachstumspotenzial eine
Kernbranche unserer Volkswirtschaft.“
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14785

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten

entschuldigt bis entschuldigt bis


Abgeordnete(r) einschließlich Abgeordnete(r) einschließlich

Behrens, Herbert DIE LINKE 09.09.2011 von der Marwitz, Hans- CDU/CSU 09.09.2011
Georg
Brüderle, Rainer FDP 09.09.2011
Mast, Katja SPD 09.09.2011
Canel, Sylvia FDP 09.09.2011*
Nahles, Andrea SPD 09.09.2011
Daub, Helga FDP 09.09.2011
Neumann (Bremen), CDU/CSU 09.09.2011
Dr. Dehm, Diether DIE LINKE 09.09.2011 Bernd

Edathy, Sebastian SPD 09.09.2011 Nietan, Dietmar SPD 09.09.2011

Glos, Michael CDU/CSU 09.09.2011 Nink, Manfred SPD 09.09.2011

Göppel, Josef CDU/CSU 09.09.2011 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 09.09.2011

Goldmann, Hans- FDP 09.09.2011 Pothmer, Brigitte BÜNDNIS 90/ 09.09.2011


Michael DIE GRÜNEN

Golze, Diana DIE LINKE 09.09.2011 Dr. Ratjen-Damerau, FDP 09.09.2011


Christiane
Dr. Hofreiter, Anton BÜNDNIS 90/ 09.09.2011
(B) DIE GRÜNEN Dr. Röttgen, Norbert CDU/CSU 09.09.2011 (D)

Hoppe, Thilo BÜNDNIS 90/ 09.09.2011 Rupprecht (Tuchenbach), SPD 09.09.2011*


DIE GRÜNEN Marlene

Dr. Jochimsen, Lukrezia DIE LINKE 09.09.2011 Schieder, Werner SPD 09.09.2011

Kamp, Heiner FDP 09.09.2011 Schreiner, Ottmar SPD 09.09.2011

von Klaeden, Eckart CDU/CSU 09.09.2011 Werner, Katrin DIE LINKE 09.09.2011

Kossendey, Thomas CDU/CSU 09.09.2011 Wieczorek-Zeul, SPD 09.09.2011


Heidemarie
Kramme, Anette SPD 09.09.2011
Wunderlich, Jörn DIE LINKE 09.09.2011
Krestel, Holger FDP 09.09.2011

Krischer, Oliver BÜNDNIS 90/ 09.09.2011 * für die Teilnahme an Sitzungen der Parlamentarischen Versamm-
DIE GRÜNEN lung des Europarates

Lambrecht, Christine SPD 09.09.2011


Anlage 2
Dr. Lammert, Norbert CDU/CSU 09.09.2011
Amtliche Mitteilungen
Laurischk, Sibylle FDP 09.09.2011
Der Bundesrat hat in seiner 885. Sitzung am 8. Juli
Dr. Lehmer, Max CDU/CSU 09.09.2011 2011 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzu-
stimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Absatz 2
Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ 09.09.2011 des Grundgesetzes nicht zu stellen:
DIE GRÜNEN
– Zweites Gesetz zur Änderung der Bundes-Tierärzte-
ordnung
14786 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

(A) – Gesetz zur Änderung des Infektionsschutzgeset- satz erneuerbarer Energien im Altbaubestand das (C)
zes und weiterer Gesetze größte Potenzial, die zukünftigen klimapolitischen
Ziele tatsächlich zu erreichen.
Der Bundesrat hat ferner die nachstehende Entschlie-
ßung gefasst: 2. Zum Gesetz insgesamt
Zu Artikel 1 Nummer 6 Buchstabe a (§ 11 Absatz 2 a) Der Bundesrat stellt fest, dass der Ausbau der erneu-
IfSG) erbaren Energien der Schlüssel zu einer sicheren
klima- und umweltverträglichen Energieversorgung
Der Bundesrat stellt fest, dass als eine Erkenntnis aus
ist. Dieser Ausbau muss durch geeignete Maßnah-
dem aktuellen EHEC-Ausbruchsgeschehen festzuhalten
men konsequent fortgesetzt und beschleunigt wer-
ist, dass die im Infektionsschutzgesetz normierten Fris-
den.
ten für die Übermittlung von gemeldeten Erkrankungs-
fällen durch das Gesundheitsamt an die zuständige Lan- b) Der Bundesrat ist der Auffassung, dass mit einem
desbehörde und von dort an das Robert Koch-Institut wachsenden Anteil erneuerbarer Energien an der
den Erfordernissen und Möglichkeiten eines schnellen Stromversorgung neben dem quantitativen Wachstum
Informationsverfahrens in einer akuten Bedrohungssi- auch Fragen der Integration der Erneuerbaren in das
tuation weder gerecht werden, noch die Realität wider- energiewirtschaftliche System an Bedeutung gewin-
spiegeln. Während der besonderen Gefahrensituation nen, um damit Versorgungssicherheit und Effizienz
durch den EHEC-Erreger haben die zuständigen Behör- bei der Stromversorgung zu gewährleisten. Der Bun-
den und Stellen bereits über die gesetzlichen Vorgaben desrat erkennt an, dass mehr Flexibilität im Stromver-
hinaus täglich EHEC-Erkrankungen sowie Erkrankun- sorgungssystem eine der wesentlichen Grundlagen
gen am hämolytisch-urämischen Syndrom auf elektroni- für einen erfolgreichen Umbau des deutschen Ener-
schem Wege gemeldet und auf diese Weise eine schnel- gieversorgungssystems ist.
lere Informationsweitergabe gewährleisten können.
c) Der Bundesrat stellt fest, dass Wind- und Sonnenen-
Die frühzeitige Erkennung von Infektionsgefahren ergie eine entscheidende Rolle beim Zubau neuer Er-
mit überregionalem Bezug und deren Bewertung setzen zeugungskapazitäten zukommen wird. Ihr Beitrag
auch im Routinebetrieb eine rasche Information an die zur Stromversorgung wird stetig zunehmen und da-
Landesbehörden und das Robert Koch-Institut voraus. mit der Anteil fluktuierender Energiequellen bei der
Dem sollten die gesetzlichen Regelungen Rechnung tra- Erzeugung.
gen.
d) Der Bundesrat sieht in der Schaffung geeigneter Spei-
Der Bundesrat bittet daher die Bundesregierung, die cherkapazitäten zum Ausgleich dieser Volatilitäten
(B) in § 11 des Infektionsschutzgesetzes geregelten Über- eine der wesentlichen Voraussetzungen zur Gewähr- (D)
mittlungsfristen und Verfahren zu überprüfen und mit ei- leistung der Netzstabilität und Versorgungssicherheit
ner entsprechenden Gesetzesinitiative umgehend anzu- in einem durch verstärkte Nutzung erneuerbarer Ener-
passen. gien geprägten Energiesystem. Dabei sind bewährte
– Gesetz zur Anpassung der Rechtsgrundlagen für und ausgereifte Technologien wie Pumpspeicher-
die Fortentwicklung des Emissionshandels kraftwerke ebenso erforderlich wie die möglichst ra-
sche Entwicklung und Markteinführung neuer Spei-
– Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Errichtung chertechnologien.
eines Sondervermögens „Energie- und Klima-
fonds“ (EKFG-ÄndG) e) Der Bundesrat teilt die Auffassung der Bundesregie-
rung, dass bei der Umlage der Lasten, die durch das
– Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Atomgeset- Fördersystem des EEG anfallen, auf eine möglichst
zes gerechte Verteilung geachtet werden muss und Um-
– Gesetz zur Neuregelung des Rechtsrahmens für gehungstatbestände so weit wie möglich beseitigt
die Förderung der Stromerzeugung aus erneuer- werden müssen.
baren Energien f) Der Bundesrat fordert aber, dass die gesetzlichen
Der Bundesrat hat ferner beschlossen, die folgende Grundlagen so gestaltet sein müssen, dass der erfor-
Entschließung zu fassen: derliche Ausbau der Speicherkapazität und der freie
Zugang zu Speichern durch alle Marktteilnehmer mit
1. Zu Artikel 7 (Änderung des EEWärmeG) angemessenen Maßnahmen angereizt und Hemm-
nisse beseitigt werden.
Die Bundesregierung wird aufgefordert, unverzüglich
eine Gesetzesinitiative für ein Erneuerbare-Energien- g) Der Bundesrat stellt fest, dass das jetzt vorgelegte
Wärmegesetz als marktfinanziertes Anreizmodell zu er- Gesetz zu § 37 EEG die Zwischenspeicherung von
greifen. Dieses sollte insbesondere Wirkung für den Alt- Strom weder mit hinreichender Klarheit noch in er-
baubestand entfalten forderlichem Maße von der EEG-Umlage befreit.
Begründung: Die vorgesehene Regelung belastet Energieverluste,
die beim Speichern unvermeidlich anfallen, mit
Die Energiewende muss in einem ganzheitlichen An- EEG-Umlage, was selbst effiziente Pumpspeicher-
satz verfolgt werden und darf sich nicht allein auf kraftwerke unnötig wirtschaftlich belastet und neue
den Stromsektor konzentrieren. Dabei bietet der Ein- Technologien mit geringerem Wirkungsgrad erst
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011 14787

(A) recht in ihrer Entwicklung behindert. Der Rest der gesetzliche Ermächtigungsgrundlage und ist daher (C)
gespeicherten Energie ist nur dann frei von EEG- unzulässig.
Umlage, wenn der Speicherbetreiber diese aus eige-
Da nach dieser Rechtsprechung der in § 9 ARegV ge-
nen Kraftwerken füllt. Damit würden Energieversor-
regelte generelle sektorale Produktivitätsfaktor man-
ger ohne eigene Speicher beziehungsweise Speicher- gels Rechtsgrundlage keine Anwendung mehr findet,
betreiber ohne eigene Kraftwerke benachteiligt. sondern allein die allgemeine Geldwertentwicklung
h) Der Bundesrat fordert die Bundesregierung auf, das nach § 8 ARegV, wird die Regulierungsformel weit-
Erneuerbare-Energien-Gesetz beim Punkt Zwischen- gehend entwertet, da der generelle sektorale Produk-
speicherung von Energien grundlegend auf Hemm- tivitätsfaktor erhebliche Auswirkungen auf die Erlös-
nisse für den Speicherausbau zu überprüfen, diese in obergrenzen hat.
einer Überarbeitung des Gesetzes rasch zu beseitigen Die Einfügung schafft daher eine gesetzliche Grund-
und insbesondere eindeutig sicherzustellen, dass lage für die Berücksichtigung des notwendigen netz-
Energie, die zur Speicherung benötigt wird, nicht wirtschaftlichen Produktivitätsfortschritts in der An-
durch die Kosten aus der EEG-Umlage belastet wird. reizregulierung.
– Erstes Gesetz zur Änderung schifffahrtsrechtli- – Gesetz zur Förderung des Klimaschutzes bei der
cher Vorschriften Entwicklung in den Städten und Gemeinden
– … Gesetz zur Änderung des Parteiengesetzes und
– Gesetz über Maßnahmen zur Beschleunigung des
… Gesetz zur Änderung des Abgeordnetengeset-
Netzausbaus Elektrizitätsnetze
zes
– Gesetz zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtli-
cher Vorschriften Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
mitgeteilt, dass der Ausschuss gemäß § 80 Absatz 3
Der Bundesrat hat ferner folgende Entschließung ge- Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung
fasst: zu den nachstehenden Vorlagen absieht:
Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, baldmög-
lichst einen Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes Haushaltsausschuss
zur Neuregelung energiewirtschaftsrechtlicher Vorschrif-
ten vorzulegen, in dem die Verordnungsermächtigung des – Unterrichtung durch die Bundesregierung

(B) § 21 a EnWG um Regelungen zur Anwendung und Be-


Haushaltsführung 2011
(D)
stimmung eines generellen sektoralen Produktivitätsfak- Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushalts-
tors erweitert wird. ordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige
Ausgabe bei Kapitel 11 02 Titel 632 01 – Beteiligung des
Bundes an der Grundsicherung im Alter und bei Er-
Begründung:
werbsminderung – bis zur Höhe von 5,484 Mio. Euro
Netzentgelte für die Nutzung der Energieversorgungs- – Drucksachen 17/6008, 17/6392 Nr. 1.5 –
netze werden seit dem 1. Januar 2009 im Wege der
Anreizregulierung nach der Verordnung über die An- Ausschuss für Bildung, Forschung und
reizregulierung der Energieversorgungsnetze (ARegV) Technikfolgenabschätzung
bestimmt.
– Bericht gem. § 56 a GO-BT des Ausschusses für Bildung,
Die ARegV ist auf Grund der Ermächtigungsgrund- Forschung und Technikfolgenabschätzung
lage nach § 21 a Absatz 6 Satz 1 EnWG erlassen Technikfolgenabschätzung (TA)
worden, welche die Bundesregierung zum Erlass ei- Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag –
ner Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundes- Eine Bilanz
rates ermächtigt, in der Einzelheiten zur Einführung – Drucksachen 17/3010 –
und Durchführung der Anreizregulierung geregelt
– Bericht gem. § 56 a GO-BT des Ausschusses für Bildung,
werden können. Forschung und Technikfolgenabschätzung
In zahlreichen bei den Oberlandesgerichten anhängi- Technikfolgenabschätzung (TA)
gen Verfahren ist strittig, wie einzelne Vorschriften Innovationsreport
der ARegV auszulegen sind. Stand und Bedingungen klinischer Forschung in
Deutschland und im Vergleich zu anderen Ländern un-
Der Bundesgerichtshof hat nunmehr erstmals mit ter besonderer Berücksichtigung nichtkommerzieller
Studien
zwei Beschlüssen vom 29. Juni 2011 zu einzelnen
Vorschriften der ARegV entschieden. Wie der Mittei- – Drucksachen 17/3951 –
lung Nr. 114/2011 der Pressestelle zu entnehmen ist,
findet nach Ansicht des Bundesgerichtshofs die in Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben
§ 9 ARegV vorgesehene Berücksichtigung eines mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden
netzwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritts in der Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei-
Verordnungsermächtigung des § 21 a EnWG keine ner Beratung abgesehen hat.
14788 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 125. Sitzung. Berlin, Freitag, den 9. September 2011

(A) Auswärtiger Ausschuss Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit (C)


Drucksache 17/3280 Nr. A.4 und Entwicklung
EuB-BReg 123/2010 Drucksache 17/5822 Nr. A.50
Drucksache 17/6176 Nr. A.6 Ratsdokument 6666/11
Ratsdokument 16903/10 Drucksache 17/5822 Nr. A.51
Drucksache 17/6407 Nr. A.1 Ratsdokument 8718/11
EuB-BReg 162/2011 Drucksache 17/6010 Nr. A.20
Ratsdokument 9334/11
Drucksache 17/6176 Nr. A.22
Ausschuss für Bildung, Forschung und Ratsdokument 9800/11
Technikfolgenabschätzung
Drucksache 17/6010 Nr. A.19
Ratsdokument 9419/11 Ausschuss für Kultur und Medien
Drucksache 17/4509 Nr. A.37
EuB-EP 2101

(B) (D)
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin, www.heenemann-druck.de
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de
ISSN 0722-7980

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