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Plenarprotokoll 15/168

Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht

168. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Inhalt:

Tagesordnungspunkt 1: Mündliche Frage 1


Ursula Lietz (CDU/CSU)
Befragung der Bundesregierung: Zur techno-
logischen Leistungsfähigkeit Deutschlands Investitionen in das Bundeswehrkranken-
2005; eventueller Bundeswehreinsatz im haus Hamburg im Rahmen einer einsatz-
Sudan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15709 A bezogenen Transformation der Bundes-
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin wehrkrankenhäuser
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15709 B
Antwort
Ulrike Flach (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15711 A Hans Georg Wagner, Parl. Staatssekretär
BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15716 D
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15711 C Zusatzfrage
Jörg Tauss (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15712 C Ursula Lietz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 15717 A

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin


BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15712 D
Mündliche Frage 2
Willi Brase (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15713 B Ursula Lietz (CDU/CSU)
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin Verhandlungen des Bundeswehrkranken-
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15713 C hauses Hamburg über eine Kooperation
Katherina Reiche (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 15714 A mit dem Bernhard-Nocht-Institut für Tro-
penmedizin
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15714 B Antwort
Hans Georg Wagner, Parl. Staatssekretär
Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU) . . . . . . . 15715 A BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15717 C
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin
Zusatzfragen
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15715 C
Ursula Lietz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 15718 A
Petra Pau (fraktionslos) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15716 B Antje Blumenthal (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 15718 B
Hans Georg Wagner, Parl. Staatssekretär
BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15716 C
Mündliche Frage 3
Petra Pau (fraktionslos)
Tagesordnungspunkt 2:
Transfer von deutschen Patientendaten aus
Fragestunde dem Disease-Management-Programm nach
(Drucksache 15/5229) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15716 C Vietnam
II Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Antwort Mündliche Frage 12


Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU)
BMGS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15718 D
Berücksichtigung der Auffassung der Bun-
Zusatzfrage desbank zur Finanzierung eines Schul-
Petra Pau (fraktionslos) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15719 B denerlasses für Entwicklungsländer durch
die Goldreserven des Internationalen Wäh-
rungsfonds auf der Frühjahrstagung von
Mündliche Frage 8 IWF und Weltbank im April 2005
Roland Gewalt (CDU/CSU) Antwort
Bewertung des Entwurfs des Bundesrats zu Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin
einem Graffitibekämpfungsgesetz BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15724 A

Antwort Zusatzfrage
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . 15724 A
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär
BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15720 B
Zusatzfrage Mündliche Frage 13
Roland Gewalt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 15720 B Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU)
Auffassung der Bundesregierung auf der
Frühjahrstagung von IWF und Weltbank
Mündliche Frage 9 im April 2005 bezüglich des im Zusammen-
Roland Gewalt (CDU/CSU) hang mit der Heranziehung der Goldvor-
Eventueller weiterer Beratungsbedarf hin- räte des IWF diskutierten Schuldenerlasses
sichtlich Graffitibekämpfung für Entwicklungsländer

Antwort Antwort
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin
BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15720 D BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15724 C

Zusatzfragen Zusatzfrage
Roland Gewalt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 15720 D Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . 15724 D
Dr. Ole Schröder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 15721 C
Mündliche Frage 14
Mündliche Frage 10 Georg Girisch (CDU/CSU)
Dr. Ole Schröder (CDU/CSU) Sondergenehmigungen des Bundesfinanz-
ministeriums für Volksfeste im Rahmen
Auswirkung der Entscheidung des Ober-
der deutsch-amerikanischen Freundschaft
landesgerichts Dresden von 2004 bezüglich
auf den US-Streitkräften zur Nutzung
der Strafbarkeit des großflächigen Besprü- überlassenen Liegenschaften, bei denen
hens von Eisenbahnwaggons mit Lack- Eintrittsgeld zur Verwendung für wohl-
farbe tätige Zwecke erhoben wird
Antwort Antwort
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin
BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15721 D BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15725 B
Zusatzfragen Zusatzfrage
Dr. Ole Schröder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 15722 A Georg Girisch (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 15725 C
Roland Gewalt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 15722 D

Mündliche Frage 15
Mündliche Frage 11 Georg Girisch (CDU/CSU)
Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU)
Fälle einer nicht erteilten Ausnahmerege-
Handlungsbedarf bei der Bekämpfung von lung durch das Bundesfinanzministerium
Graffitivandalismus in Deutschland für Volksfeste, bei denen das Eintrittsgeld
Antwort wohltätigen Zwecken zugeführt wurde
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär Antwort
BMJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15723 A Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15726 B
Zusatzfragen
Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 15723 B Zusatzfrage
Roland Gewalt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 15723 D Georg Girisch (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 15726 C
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 III

Mündliche Frage 16 mern über 50 Jahre auf das Einstellungs-


Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) verhalten von Betrieben und Verwaltungen
Steuerliche Begünstigung für Standortver- Antwort
lagerungen von Unternehmen ins Ausland Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär
BMWA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15732 A
Antwort
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin Zusatzfrage
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15726 D Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU) . . . . 15732 C
Zusatzfragen
Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos) . . . . . . . . . . 15727 A Mündliche Fragen 27 und 28
Carl-Ludwig Thiele (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . 15728 A Ina Lenke (FDP)
Erforderlich werdende Veräußerung staat-
Mündliche Frage 19 lich geförderten Eigentums durch Anrech-
Gerlinde Kaupa (CDU/CSU) nung der Eigenheimzulage auf das Ein-
kommen von ALG-II-Empfängern
Mögliche Erhebung von Mehrwertsteuer
auf Mitgliedsbeiträge zu Vereinen Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär
BMWA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15733 B
Antwort
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin Zusatzfrage
Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15733 D
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15728 C
Zusatzfragen
Gerlinde Kaupa (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 15728 C Mündliche Frage 31
Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15729 B Helmut Heiderich (CDU/CSU)
Georg Fahrenschon (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 15729 C
Ablehnung des Gesetzentwurfs des Bun-
desrats zur Änderung des Postgesetzes
durch die Bundesregierung
Mündliche Frage 20
Gerlinde Kaupa (CDU/CSU) Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär
BMWA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15735 C
Erwägungen der Bundesregierung bezüg-
lich einer Erhebung von Mehrwertsteuer Zusatzfrage
auf Mitgliedsbeiträge der Vereine Helmut Heiderich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 15735 C
Antwort
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin Mündliche Frage 32
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15729 D Dr. Karl Addicks (FDP)
Zusatzfragen Mindestmenge von 16 Millionen Tonnen
Gerlinde Kaupa (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 15730 B pro Jahr zu fördernder Steinkohle zur
Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD) . . . . . . . 15730 D Sicherung des Know-hows dieses Indus-
Ina Lenke (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15731 A triezweiges sowie Zahl der dafür benötig-
ten Arbeitsplätze
Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 21
BMWA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15736 A
Uwe Schummer (CDU/CSU)
Zusatzfrage
Anzahl der bei der Bundesagentur für Dr. Karl Addicks (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15736 B
Arbeit beschäftigten Berufsberater und
Arbeitsvermittler im Verhältnis zur
Gesamtzahl der Beschäftigten Mündliche Frage 33
Antwort Dr. Karl Addicks (FDP)
Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär Konsequenzen aus den Feststellungen des
BMWA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15731 C Sachverständigenrats zur Begutachtung
Zusatzfrage der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
Uwe Schummer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 15731 D im Jahresgutachten 2003/04 bezüglich Ein-
stellung der Steinkohleförderung sowie
Sicherheit der Energieversorgung
Mündliche Frage 22 Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär
Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU) BMWA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15736 D
Eventuelle Auswirkungen der Änderung Zusatzfrage
des Kündigungsschutzes von Arbeitneh- Dr. Karl Addicks (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15736 D
IV Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Mündliche Frage 34 Thomas Rachel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 15747 D


Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU)
Günter Nooke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 15749 A
Fehlurteile bzw. fehlerhafte Untersuchun-
Petra Pau (fraktionslos) . . . . . . . . . . . . . . . . . 15750 D
gen der Stiftung Warentest sowie wirt-
schaftliche Folgen für die betroffenen Katherina Reiche (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 15751 C
Unternehmen
Dorothee Mantel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 15752 D
Antwort
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär
BMVEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15737 B Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15754 C
Zusatzfrage
Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU) . . . . . 15737 C
Anlage 1
Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 15755 A
Mündliche Frage 37
Veronika Bellmann (CDU/CSU)
Anteil der anthropogenen Schadstoffe an Anlage 2
den in der EU-Feinstaub-Richtlinie
erwähnten Chemikalien und Feinstäuben, Mündliche Fragen 4 und 5
insbesondere solcher aus Deutschland Klaus Hofbauer (CDU/CSU)
Antwort Ausschreibungen für den Lückenschluss
Simone Probst, Parl. Staatssekretärin der A 6 zwischen Amberg-Ost und
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15738 B Wernberg-Köblitz; Fertigstellungstermine
Zusatzfragen Antwort
Veronika Bellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 15738 C Achim Großmann, Parl. Staatssekretär
Peter Dreßen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15739 A BMVBW . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15755 C
Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU) . . . 15739 C

Anlage 3
Mündliche Frage 38
Veronika Bellmann (CDU/CSU) Mündliche Frage 6
Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU)
Verringerung der Feinstaubbelastung bei
Ausstattung aller Kraftfahrzeuge in Suspension der staatlichen Entwicklungs-
Deutschland mit entsprechenden Rußfil- zusammenarbeit mit Simbabwe
tern Antwort
Antwort Dr. Uschi Eid, Parl. Staatssekretärin
Simone Probst, Parl. Staatssekretärin BMZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15755 D
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15739 C
Zusatzfragen
Veronika Bellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 15739 D Anlage 4
Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . 15740 B Mündliche Frage 7
Bernhard Kaster (CDU/CSU)
Zusatztagesordnungspunkt 1: Kosten der Anzeigenkampagne „Sozial-
hilfe? Wir holen die Menschen aus der
Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion Sackgasse!“
der CDU/CSU: Religionspolitik des Berli-
ner Senats und Grundgesetz . . . . . . . . . . . . 15740 C Antwort
Béla Anda, Staatssekretär und Chef des Presse-
Dr. Hermann Kues (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 15740 C und Informationsamtes der Bundesregierung 15756 A
Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD) . . . . . . . 15741 D
Markus Löning (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15743 A
Anlage 5
Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/
Mündliche Frage 17
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15744 A
Jens Spahn (CDU/CSU)
Hermann Gröhe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 15745 B
Fortschreibung der Statistik der Einkom-
Christa Nickels (BÜNDNIS 90/ men- und Körperschaftsteuer sowie über
DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15746 C die Personengesellschaften/Gemeinschaf-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 V

ten nur als grobe Schätzung vor dem Hin- ver Energien und daraus eventuell resultie-
tergrund möglicher Steuereinnahmen im render Interessenkonflikt
Zusammenhang mit § 7 g des Einkommen-
Antwort
steuergesetzes
Simone Probst, Parl. Staatssekretärin
Antwort BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15758 A
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15756 C
Anlage 10
Mündliche Fragen 42 und 43
Anlage 6 Michael Kretschmer (CDU/CSU)
Mündliche Frage 18 Vergabe der Mittel zur Förderung des wis-
Jens Spahn (CDU/CSU) senschaftlichen Nachwuchses in den neuen
Bundesländern eventuell über die Deutsche
Vorliegen einer Prognoseentscheidung Forschungsgemeinschaft; Start des ange-
über künftiges Investitionsverhalten kündigten Nachwuchsprogramms und
zwecks Entscheidung über die Zahlung von erforderliche Haushaltsmittel
Ertragsteuern durch Gewerbetreibende
und Freiberufler; Auswirkungen auf den Antwort
Bezug von Sozialleistungen durch die Kin- Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär
der dieses Personenkreises BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15758 B

Antwort
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin Anlage 11
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15756 D
Mündliche Fragen 44 und 45
Werner Lensing (CDU/CSU)
Änderung der Modalitäten zur Förderung
Anlage 7
der Ganztagsschulen im Rahmen des Vier-
Mündliche Fragen 35 und 36 Milliarden-Euro-Programms; Bewertung
Gitta Connemann (CDU/CSU) des im „Spiegel“-Artikel vom 4. April 2005
aufgeführten Zahlenwerks hinsichtlich der
Wirtschaftlicher Schaden für deutsche Abrufquote der Mittel zur Förderung von
Gartenbaubetriebe durch das Verbot von Ganztagsschulen für die einzelnen Länder
Importen pflanzlicher Erzeugnisse aus
Deutschland nach Russland; Aufhebung Antwort
des Importverbots Ulrich Kasparick, Parl. Staatssekretär
BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15758 C
Antwort
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär
BMVEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15757 B Anlage 12
Mündliche Frage 46
Albrecht Feibel (CDU/CSU)
Anlage 8
Finanzielle Einsparungen durch die Schlie-
Mündliche Frage 39 ßung der Bibliotheken des Goethe-Instituts
Bernhard Kaster (CDU/CSU) in Mumbai, Bangalore, Chennai und New
Delhi; Zugang der Inder zu deutschspra-
Finanzierung der Ökokampagne „Deutsch- chigen Büchern
land hat unendlich viel Energie“ des Bun-
desumweltministeriums Antwort
Kerstin Müller, Staatsministerin AA . . . . . . . 15759 A
Antwort
Simone Probst, Parl. Staatssekretärin
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15757 D Anlage 13
Mündliche Frage 47
Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU)
Anlage 9
Maßnahmen zur Respektierung und
Mündliche Fragen 40 und 41 Umsetzung demokratischer Grundprinzi-
Jürgen Koppelin (FDP) pien und Menschenrechte in Simbabwe
Privates Finanzengagement des Bun- Antwort
desumweltministers im Bereich regenerati- Kerstin Müller, Staatsministerin AA . . . . . . . 15759 B
VI Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Anlage 14 Antwort
Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 48
BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15760 B
Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos)
Aufarbeitung der Rolle des Auswärtigen
Amts während des Nationalsozialismus Anlage 18
durch die Mitarbeiter
Mündliche Frage 52
Antwort Hartmut Koschyk (CDU/CSU)
Kerstin Müller, Staatsministerin AA . . . . . . . 15759 D
Beteiligung Deutschlands an der von der
EU für 2010 und 2011 geplanten europa-
Anlage 15 weiten Zensurrunde; Schließung der seit
1987 entstandenen Datenlücken
Mündliche Frage 49
Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) Antwort
Verzögerte Beantwortung der schriftlichen Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär
Fragen (Drucksache 15/5181, Nrn. 10 BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15760 D
und 11) des Abgeordneten Dr. A.
Schockenhoff bezüglich der Nachrufpraxis
des Auswärtigen Amts Anlage 19
Antwort Mündliche Frage 53
Kerstin Müller, Staatsministerin AA . . . . . . . 15759 D Dr. Ole Schröder (CDU/CSU)
Technische und personelle Mittel des Bun-
Anlage 16 desgrenzschutzes zur Durchführung des
Scannens von Kfz-Kennzeichen
Mündliche Frage 50
Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) Antwort
Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär
Unterstützung des „Khmer Rouge Tribu- BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15760 D
nals“ in Kambodscha durch das Auswär-
tige Amt angesichts der Haltung des Mit-
arbeiters H.-G. S. aus dem Planungsstab
Anlage 20
gegenüber dem Massenmörder Pol Pot
Antwort Mündliche Frage 54
Kerstin Müller, Staatsministerin AA . . . . . . . 15760 A Petra Pau (fraktionslos)
Übermittlung der Ratifizierungsurkunde
für das Zustimmungsgesetz zum Europäi-
Anlage 17 schen Übereinkommen vom 6. November
Mündliche Frage 51 1997 über die Staatsangehörigkeit an das
Hartmut Koschyk (CDU/CSU) Generalsekretariat des Europarats
Stelleneinsparungen durch die erfolgte Antwort
Verlängerung der wöchentlichen Arbeits- Fritz Rudolf Körper, Parl. Staatssekretär
zeit der Bundesbeamten BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15761 C
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15709

(A) (C)

Redetext

168. Sitzung

Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Beginn: 13.01 Uhr

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bericht festgestellt, dass Deutschland auch im interna-
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit- tionalen Vergleich eine herausragende Position wahr-
zung ist eröffnet. nimmt. Wir liegen, sowohl was die Veröffentlichungen
als auch was die weltmarktrelevanten Patentanmeldun-
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
gen angeht, ganz weit vorne, im Übrigen vor unseren
Befragung der Bundesregierung größten Konkurrenten.
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka- Damit bestätigt der Bericht den Kurs der Bundesre-
binettssitzung mitgeteilt: Bericht „Zur technologischen gierung. Wir haben in Forschung investiert und die Wirt-
Leistungsfähigkeit Deutschlands 2005“. schaft bei Innovationen unterstützt; das wird in dem
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht Bericht herausgestellt. Es wird ebenfalls darauf hinge-
hat die Bundesministerin für Bildung und Forschung, wiesen, dass die öffentlichen Forschungsaufgaben wie
Edelgard Bulmahn. auch die Forschungsausgaben wieder deutlich zuge-
(B) nommen haben. Bei den öffentlichen Ausgaben für For- (D)
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ schung und Entwicklung ist es zu einer jährlichen Stei-
DIE GRÜNEN) gerung von 2 Prozent gekommen. Gleichzeitig, so heißt
es, sind die richtigen Schwerpunkte gesetzt worden, so-
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung wohl bei der Technologieförderung in den für unsere
und Forschung: Volkswirtschaft wichtigen Schlüsselbereichen wie den
Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich habe IuK-Technologien als auch bei der Produktionstechnik,
heute im Kabinett den Bericht zur technologischen Leis- den optischen Technologien, den Umwelttechnologien,
tungsfähigkeit dargestellt, der von acht unabhängigen der Biotechnologie und der Nanotechnologie.
Forschungsinstituten erarbeitet worden ist. Im Anschluss
an die Kabinettssitzung haben die Forschungsinstitute In dem Bericht wird ganz klar darauf abgestellt, dass
und ich ihn gemeinsam der Öffentlichkeit vorgestellt. In- Investitionen in Forschung und Entwicklung für unsere
zwischen findet dieser Bericht weltweit große Beach- Volkswirtschaft entscheidend sind: für die internationale
tung. Mittlerweile haben eine ganze Reihe anderer Län- Wettbewerbsfähigkeit, die Wachstumsentwicklung und
der mit einer ähnlichen Form der Berichterstattung die Arbeitsplatzentwicklung.
begonnen. Die Unternehmen, die stark in Forschung und Ent-
Zu Beginn möchte ich kurz die Kernpunkte und Kern- wicklung investieren, haben deshalb auch einen Export-
aussagen des Berichtes vorstellen. In dem Bericht wird boom erlebt – und sie erleben einen Exportboom –, wo-
nachgewiesen und ausdrücklich gesagt, dass die deut- hingegen die Unternehmen, die nicht in Forschung und
schen Unternehmen inzwischen zu den innovativsten in Entwicklung investieren, Wachstumsprobleme haben.
Europa gehören. Der Anteil der Unternehmen, die in neue Das unterstreicht noch einmal die Notwendigkeit und die
Produkte und Verfahren investieren, ist im Jahr 2003 erst- Bedeutung der Investitionen in Forschung und Entwick-
mals seit drei Jahren wieder auf 59 Prozent gestiegen. Die lung. Der Bericht zeigt genau diesen Zusammenhang
wissenschaftlichen Forschungsinstitute weisen in dem klar auf und stellt ihn ganz stark heraus.
Bericht auch darauf hin, dass die Unternehmen – das kann
Für Deutschland bedeutet das, dass die Wettbewerbs-
man wirklich sagen – verhalten optimistisch sind, ihre In-
fähigkeit der Unternehmen insgesamt stark gestiegen ist.
novationsanstrengungen zu verstärken, sodass sie deut-
Das hängt auch mit der gezielten Forschungsförderung
lich zunehmen werden.
zusammen, die wir betreiben. Wir haben in der For-
Neben der Tatsache, dass die deutschen Unternehmen schungsförderung meines Ministeriums den Schwer-
zu den innovativsten in Europa gehören, wird in dem punkt auf die kleinen und mittleren Unternehmen
15710 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Bundesministerin Edelgard Bulmahn


(A) gesetzt, weil sie wichtige Treiber von Innovationen sind Aber ich sage ausdrücklich: Das muss fortgesetzt wer- (C)
und zusätzliche Arbeitsplätze schaffen. Wir haben vor den; auch darauf weisen die Experten hin.
allen Dingen auch die Kooperation, die Zusammenarbeit
Zusammenfassend will ich zwei zentrale Schlussfol-
von großen und kleinen bzw. mittleren Unternehmen im
gerungen aus dem Bericht ziehen: Zwei zentrale Projekte
Blick, weil auch sie eine wichtige Rolle dafür spielt, dass
stehen an, die darüber mitentscheiden, ob es uns gelingt,
das Innovationsgeschehen erfolgreich ist.
den Kurs, den wir jetzt eingeschlagen haben und der er-
Die Beteiligung der kleinen und mittleren Unterneh- kennbar Früchte bringt – weil das Innovationsgeschehen
men an den Technologieförderprogrammen des Bundes- deutlich verstärkt worden ist und die Unternehmen deut-
forschungsministeriums hat im Übrigen von 1998 bis lich an Innovationsstärke gewinnen –, fortzusetzen. Zum
2003 um rund zwei Drittel zugenommen. In dem Bericht Ersten handelt es sich um die Entscheidung über die Ei-
wird darauf hingewiesen, dass es darauf ankommt, dass genheimzulage.
sich gerade kleine und mittlere Unternehmen in noch
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans-
stärkerem Maße an Forschung und Entwicklung beteili-
Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] –
gen; denn auch bei den kleinen und mittleren Unterneh-
Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)
men zeigt sich, was bei den großen Unternehmen klar er-
kennbar ist, nämlich dass ihre Wettbewerbsfähigkeit und – Das ist absolut kein Grund zum Lachen. Ihnen ist der
ihre Wachstumschancen in einem ganz entscheidenden Ernst der Lage offensichtlich nicht bewusst. Ich will nur
Maße von ihren Forschungsanstrengungen abhängen. darauf hinweisen, dass die Schwellenländer ihre Investi-
Von daher ist auch für die kleinen und mittleren Unter- tionen in Forschung und Entwicklung massiv erhöht
nehmen die Teilnahme am Innovationsgeschehen von haben. Allein China hat seine Aufwendungen für For-
großer Bedeutung. schung und Entwicklung seit Mitte der 90er-Jahre
vervierfacht. Auch die Opposition muss begreifen, dass
Neben der klaren Fokussierung der Technologieför- es hier um die Zukunft unseres Landes geht und dass es
derprogramme auf kleine und mittlere Unternehmen und zwingend notwendig ist, dass wir in den öffentlichen
einer ganzen Reihe von anderen Maßnahmen, die ich jetzt Haushalten umschichten.
nicht alle nennen will, hat die Bundesregierung zum ei-
nen die Ausgründung von Unternehmen aus Universi- (Beifall bei der SPD)
täten und Forschungseinrichtungen erheblich verbessert,
Wir müssen weg von den traditionellen Subventionen
und zwar sowohl durch eine entsprechende Veränderung
und hin zu den Investitionen in die Zukunft. Dabei geht
der Rahmenbedingungen als auch durch entsprechende
es um die Investitionen in Forschung und Entwicklung
Programme. Zum Zweiten haben wir die steuerlichen
sowie in Bildung.
Rahmenbedingungen für Wagniskapital erheblich ver- (D)
(B)
bessert und den Hightech-Masterplan aufgelegt. In dem Ein Land wie Niedersachsen kürzt bei den Wissen-
Bericht wird allerdings auch darauf hingewiesen, dass schaftsausgaben zurzeit massiv. Wenn Sie von der Oppo-
wir in Deutschland die Anstrengungen fortsetzen müssen, sition mir sagen können, wie Sie die notwendige Steige-
dass wir die Investitionen in Forschung und Entwicklung rung der Haushaltsmittel in Zukunft erreichen wollen,
weiter verstärken müssen, und zwar in allen öffentlichen dann können Sie auch kritisieren, dass die Bundesregie-
Haushalten. rung hier vielleicht nicht ausreichend Vorschläge auf den
Tisch legt. Darüber können wir dann diskutieren. So-
Als dritten Punkt will ich hier noch kurz anreißen, lange Sie aber in den Ländern, in denen Sie die Regie-
dass in dem Bericht auch auf den Nachwuchs eingegan- rung stellen, in den für unser Land so wichtigen Zu-
gen wird. Es wird noch einmal hervorgehoben, dass es kunftsbereichen die Mittel kürzen, müssen Sie hier im
dringend notwendig ist, die Kraftanstrengungen, die wir Bundestag auch sagen, wie Sie diese Herausforderung
in den letzten sechs Jahren unternommen haben, um ge- eigentlich bewältigen wollen.
rade für die ingenieurwissenschaftlichen und naturwissen-
schaftlichen Fächer Nachwuchs zu gewinnen, fortzuset- Wir weisen in diesem Bericht darauf hin, dass es
zen. Ich will darauf hinweisen, dass die Bundesregierung zwingend notwendig ist, dass Bund und Länder in den
hier durch die Initiative „Wissenschaft im Dialog“ und öffentlichen Haushalten umschichten. Die Bundesregie-
durch Initiativen, die wir gemeinsam mit den Berufsver- rung hat einen ernst zu nehmenden Vorschlag auf den
bänden und mit den Wirtschaftsverbänden durchgeführt Tisch gelegt. Ich erwarte von einer Opposition, dass sie
haben – zum Beispiel durch die Einrichtung von Schü- sich konstruktiv damit auseinander setzt, den Ernst der
lerlabors in den Forschungseinrichtungen oder durch die Lage wahrnimmt und die Verantwortung dafür über-
Einrichtung von Kinderuniversitäten etc.; wo immer wir nimmt.
in unseren Forschungseinrichtungen Einflussmöglich-
(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Hans-Josef
keiten haben –, eine Trendwende erreichen konnte: In
Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
den 90er-Jahren ist die Zahl der Studienanfänger in die-
sen Fächern weiter gesunken. Seit 1998 haben wir eine Als zweiten Punkt möchte ich die Exzellenzinitiative
klare Trendwende: Die Zahl der Studienanfänger in die- ansprechen. Die Wissenschaftsorganisationen, die Uni-
sem Bereich hat deutlich zugenommen, was jetzt lang- versitäten und die Wirtschaftsverbände haben überein-
sam zu einer höheren Zahl von Studienabsolventen stimmend gefordert, dass Bund und Länder diese Exzel-
führt; Sie wissen ja, dass die durchschnittliche Studien- lenzinitiative jetzt starten. Die Wissenschaftsminister
dauer bei diesen Fächern ungefähr sechs bis sieben Jahre haben über ein Jahr lang intensiv miteinander verhan-
beträgt. Jetzt spüren wir also die positiven Ergebnisse. delt. Wir haben ein gutes, tragfähiges und sehr Erfolg
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15711
Bundesministerin Edelgard Bulmahn
(A) versprechendes Konzept miteinander erarbeitet. Beide Das dritte Thema betrifft die Zahl der Studierenden (C)
Seiten sind dabei aufeinander zugegangen. Die Minister- im Bereich der Ingenieurwissenschaften. Die Zahl der
präsidenten haben es jetzt in der Hand, darüber zu ent- Absolventen ist in den letzten Jahren eingebrochen.
scheiden, ob diese Chance unseren Universitäten erhal- Beabsichtigen Sie, ein Sonderprogramm aufzulegen?
ten bleibt oder ob sie ihnen verwehrt wird. Das ist nicht Wollen Sie entsprechende Vorschläge unterbreiten? Ver-
nur eine Chance für die Universitäten. Es ist auch eine handeln Sie in diesem Fall einmal konstruktiv mit den
Chance für unser gesamtes Innovationssystem, für un- Ländern?
sere Universitäten genauso wie für die Wirtschaft, die
auf die Leistungsfähigkeit der Universitäten entschei- Das möchte ich gerne von Ihnen wissen.
dend angewiesen ist.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Morgen werden die Ministerpräsidenten zusammen- Bitte schön, Frau Bundesministerin.
treffen und hierüber beraten. Jetzt liegt es in der Hand
der Ministerpräsidenten, in unserem Land wichtige Per-
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
spektiven für Forschung und Entwicklung zu schaffen.
und Forschung:
Vielen Dank. Ich komme zunächst zum Thema Eigenheimzulage.
Die Bundesregierung wird keinen anderen Vorschlag
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ vorlegen. Die Länder können ihrerseits Vorschläge ein-
DIE GRÜNEN) bringen. Frau Flach, ich sage es noch einmal ausdrück-
lich: Es geht um unser ganzes Land.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank, Frau Bundesministerin Bulmahn. – Wir
kommen zunächst zu den Fragen, die den angesproche- Deshalb hat nicht allein die Bundesregierung ein Pro-
nen Themenbereich betreffen. Als Erste hat sich die Kol- blem, sondern wir alle, Bund und Länder, haben die Auf-
legin Ulrike Flach gemeldet. gabe, sicherzustellen, dass wir stärker in Forschung und
Entwicklung investieren können.

Ulrike Flach (FDP): Ich erinnere daran, dass für die Investitionen in Wis-
senschaft und Forschung – man muss schließlich beides
Herr Präsident! Frau Ministerin! In dem Bericht wird
zusammen betrachten – zwischen Bund und Ländern
viel Erfreuliches gesagt; das ist gar keine Frage. In den
eine hälftige Verteilung gilt. Es reicht nicht aus, wenn
drei zentralen Bereichen, die uns seit vielen Jahren um-
allein die Bundesregierung ihre Investitionen in For-
(B) treiben – zum Ersten geht es da um die staatliche Förde- schung und Entwicklung verstärkt. Bund und Länder (D)
rung von FuE, zum Zweiten um die Förderung im priva-
müssen ihre Investitionen verstärken. Daher ist nur ein
ten Bereich und zum Dritten um das in den letzten
Vorschlag zielführend, der sowohl dem Bund als auch
15 Jahren geradezu katapultartige Ansteigen des Man-
den Ländern neue Gestaltungsspielräume eröffnet und
gels an Fachkräften im ingenieurwissenschaftlichen Be-
höhere Investitionen in Forschung und Entwicklung er-
reich –, macht er aber sehr deutlich, dass wir dabei sind,
möglicht. Genau das ist mit der Abschaffung der Eigen-
den Anschluss zu verlieren, und nicht, wie Sie es gerade
heimzulage möglich; denn über 50 Prozent der Mittel
dargestellt haben, dass wir sozusagen vor der ganzen
aus der Eigenheimzulage kämen den Ländern zugute.
Kohorte hergaloppieren.
Das heißt, sie hätten damit die notwendigen finanziellen
Deswegen komme ich zu meiner ersten Frage. Für Spielräume, um in Forschung und Entwicklung zu inves-
den Fall, dass Sie erkennen müssen, dass die unionsge- tieren.
führten Länder bei der Eigenheimzulage nicht nachge- Die Bundesregierung könnte aus ihrem Anteil eben-
ben werden – und wir können keine Signale dafür erken- falls die notwendigen Investitionen tätigen.
nen, dass ein Nachgeben erfolgen wird –, hat der
Kanzler damals einen Plan B vorgeschlagen. Ich würde Von der Streichung dieser Subvention würden Bund
von Ihnen gerne hören, welche Alternativen zur Ab- und Länder profitieren; so könnten sie die Umschichtun-
schaffung der Eigenheimzulage Sie sich inzwischen vor- gen durchführen. Ansonsten gibt es, wie Sie wissen,
stellen können; denn Sie brauchen ja das Geld. Anders nicht sehr viele Möglichkeiten. Insofern gibt es keinen
als andere Länder gibt Deutschland im öffentlichen Sek- großen Spielraum, andere Möglichkeiten vorzuschlagen.
tor zurzeit nicht massiv mehr aus. Die Ziele, die Sie sich Genau das ist der Grund, warum die Bundesregierung
gesetzt haben, erreichen Sie ja nicht. vorgeschlagen hat, genau diese Subvention zu streichen.
So können beide Seiten, Bund und Länder, investieren.
(Jörg Tauss [SPD]: Schauen wir mal!) Ansonsten erreichen wir nicht das Ziel, das ich ange-
sprochen habe.
Ich komme zur zweiten Frage. In dem Bericht wird
sehr deutlich gesagt, dass Venture Capital fehlt. Die Ich komme zu dem zweiten Punkt, den Sie angespro-
entsprechenden Haushaltsmittel dafür wurden gesperrt, chen haben. Ich habe vorhin darauf hingewiesen, dass
sodass Sie große Schwierigkeiten haben, den kleinen wir die steuerlichen Rahmenbedingungen für
und mittleren Unternehmen zu helfen. Ich wäre Ihnen Wagniskapital im letzten Jahr verbessert haben. Sie
dankbar, wenn Sie mir sagen würden, wie Sie bei diesem werden sich daran erinnern; das haben wir im Deutschen
sehr wunden Punkt vorgehen wollen. Bundestag beraten. Weil wir dies gemeinsam für
15712 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Bundesministerin Edelgard Bulmahn


(A) notwendig erachten, fand dieser Vorschlag die Zustim- Technik, zumindest als Querschnitt – in den Schulen (C)
mung mehrerer Fraktionen. Wir haben den Dachfonds eine größere Rolle spielen. Sie müssen dafür Sorge tra-
des ERP-Sondervermögens und des Europäischen gen, dass der Unterricht so gestaltet wird, dass die jun-
Investitionsfonds aufgelegt und mit 500 Millionen Euro gen Leute Spaß an Naturwissenschaften und Technik ha-
ausgestattet. Wir wissen, dass das private Wagniskapital ben und nicht davon abgeschreckt werden.
und vor allen Dingen das Seed Capital – das ist das
Die Länder erklären immer wieder mit Nachdruck
Hauptproblem – durch die private Seite noch nicht in
– das wissen Sie –, die Schule sei ihre Sache. Deshalb
ausreichendem Maße zur Verfügung gestellt wird.
sage ich: Die Länder müssen dafür sorgen. Die Bundes-
Wir haben aber nicht nur den Wagniskapitalfonds ge- regierung hat mit ihren Partnern alles, was sie kann, da-
schaffen, sondern sind auch im Rahmen der Initiative für getan, dass die Naturwissenschaften und die Inge-
„Partner für Innovation“ mit Unternehmen und ihren nieurwissenschaften wieder an Stellenwert gewinnen.
Wagniskapitalgesellschaften, aber auch mit der Finanz- Die Länder haben die Verantwortung. Sie fordern sie im-
wirtschaft im Gespräch, um in einem noch deutlich stär- mer ein, sie wollen die Verantwortung und sie müssen
keren Maße das notwendige Seed Capital bereitzustel- sie deshalb auch wahrnehmen.
len. Das wird von privater Seite nach wie vor noch nicht
in ausreichendem Maße zur Verfügung gestellt; darin Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
stimme ich Ihnen zu. Deshalb führen wir diese Gesprä- Vielen Dank. – Der nächste Fragesteller ist der Kol-
che. Wir haben auch die Rahmenbedingungen entspre- lege Jörg Tauss.
chend verändert, um die Anlage in solchen Fonds zu un-
terstützen.
Jörg Tauss (SPD):
Ich komme zum letzten Punkt, zum wissenschaft- Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Ich kann mir die
lichen Nachwuchs. Ich will anhand der Zahlen zeigen, Vorbemerkung nicht verkneifen, dass die Union – dazu
dass wir in den vergangenen Jahren Erhebliches geleistet könnte Herr Staatssekretär Diller sicherlich einiges sa-
haben. Vielleicht haben Sie heute Morgen in der „Welt“ gen – alle Pläne B, zu einem Subventionsabbau zu kom-
den Bericht zu diesem Thema gelesen. Die Überschrift men, ebenfalls blockiert. Insofern ist das ein bisschen
dieses Berichtes ist sicherlich zutreffend. Wenn es uns merkwürdig.
nicht gelingt, in Zukunft noch mehr junge Menschen für
Ich will an dieser Stelle nachfragen, Frau Ministerin,
ein Studium der Ingenieurwissenschaften oder Naturwis-
weil wir heute Morgen im Ausschuss eine Diskussion
senschaften zu motivieren, dann werden wir auf Dauer
darüber geführt haben und die Kolleginnen und Kolle-
ein Problem haben. Was der Bericht leider völlig ver-
gen eindeutig wieder die Priorität auf Einbauküchen an-
(B) schweigt, obwohl die Daten vorliegen, ist die Tatsache, statt auf Bildung und Forschung gelegt haben. Können (D)
dass wir gerade in den letzten sechs Jahren große Fort-
Sie uns den Schaden, der im aktuellen Haushalt und da-
schritte erzielen konnten.
rüber hinaus durch die Blockaden der Union angerichtet
Ich will Ihnen die Zahlen dazu nennen: Seit 1998, als und dem Wissenschaftsstandort Deuschland durch die
sich diese Bundesregierung mit der damaligen Situation Union zugefügt wird, beziffern und darlegen, wie sich
auseinander setzen musste, nämlich dem rasanten diese Blockade und diese destruktive Haltung insgesamt
Einbruch der Zahl der Studierenden der Natur- und Inge- auf die technologische Leistungsfähigkeit Deutschlands
nieurwissenschaften – diese Entwicklung war seit An- auswirken können, wenn man diesen Kurs nicht umge-
fang der 90er-Jahre bis 1998 zu beobachten –, ist die hend stoppt?
Zahl der Studierenden in beiden Bereichen rasant gestie-
gen. In den Naturwissenschaften und in der Mathematik Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
betrug die Steigerung 81 Prozent. In absoluten Zahlen: und Forschung:
1998 begannen 38 000 Studierende ein solches Studium, Lieber Kollege Tauss, wir haben die Aufwendungen,
2004 waren es 68 000. Bei den Ingenieurwissenschaften das heißt die Investitionen in Forschung und Entwick-
ist die Lage vergleichbar. Als ich Ministerin wurde, fand lung zwischen 1998 und 2003 von 2,31 Prozent auf
ich hier ebenfalls eine absolut desolate Situation vor: 2,55 Prozent gesteigert. Wir haben also einen gewaltigen
45 000 Studierende begannen ein Ingenieurstudium. Schritt in die richtige Richtung gemacht. Wir haben uns
Inzwischen sind es 70 000. Das zeigt, dass unsere Initia- gleichzeitig auf europäischer Ebene darauf verständigt,
tiven, die ich beschrieben habe, sowohl die mit den For- dass wir 3 Prozent des Bruttoinlandsproduktes in
schungsorganisationen als auch diejenigen mit den Be- Forschung und Entwicklung investieren wollen. Das
rufsverbänden und den Wirtschaftsverbänden, Früchte zeigt, dass wir immer noch einen erheblichen Schritt ma-
tragen. chen müssen, um das 3-Prozent-Ziel zu erreichen.
Ich will allerdings eines an dieser Stelle klar sagen: Um unseren Beitrag auch vonseiten der öffentlichen
Die Entscheidung, ob ein junger Mensch ein natur- Haushalte zu erbringen, die ein Drittel dazu beitragen
wissenschaftliches oder ingenieurwissenschaftliches müssen, müssen wir in den öffentlichen Haushalten um-
Studium ergreift, fällt häufig in der zehnten Klasse, spä- schichten. Wenn uns diese Umschichtung nicht gelingt,
testens in der elften, nämlich dann, wenn sich die Ju- dann ist das 3-Prozent-Ziel, so fürchte ich, gefährdet.
gendlichen entscheiden, welche Leistungskurse sie bele- Deshalb müssen wir umschichten. Es geht kein Weg da-
gen. Deshalb müssen die Länder dafür Sorge tragen, ran vorbei. Das, was andere Länder im Übrigen auch
dass die naturwissenschaftlichen Fächer – auch das Fach tun, muss auch in unserem Land gelingen.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15713
Bundesministerin Edelgard Bulmahn
(A) Ich will noch darauf hinweisen, dass andere Länder internationalen Märkten. Die kleinen und mittleren (C)
wie die USA, Japan und die skandinavischen Länder Unternehmen gelten bisweilen als Sorgenkinder des In-
ihre Ausgaben für Forschung und Entwicklung sehr novationsgeschehens. Sie betreiben seltener Forschung
stark gesteigert haben. In den skandinavischen Ländern und Entwicklung und gelten manchmal auch als weniger
liegt der Anteil am Bruttoinlandsprodukt bei über 4 Pro- erfolgreich in ihren Innovationsaktivitäten. Welche Un-
zent, in Japan liegt er inzwischen deutlich über 3 Prozent terstützung benötigen die KMU durch die Forschungs-
und die USA steigern ihre Ausgaben ebenfalls. Dort und Innovationspolitik? Welche Fortschritte der Bundes-
liegt der Anteil aber noch unter 3 Prozent. Das heißt, wir regierung sehen Sie in der Innovationsförderung zuguns-
sind hier nahe an den USA. Aber hinzu kommt, dass ten der KMU, damit wir dort einen noch stärkeren Pro-
auch die Schwellenländer ihre Investitionen in For- zess anstoßen können?
schung und Entwicklung erheblich gesteigert haben. Ich
habe vorhin auf China hingewiesen. Aber auch Korea
Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
hat seine Ausgaben in diesem Bereich erheblich gestei-
und Forschung:
gert.
Der Bericht weist auf den von Ihnen geschilderten
Die gute Position, die Deutschland einnimmt – wir Zusammenhang hin. Forschung und Innovation sind bei
sind nach den USA das Land mit dem höchsten Welt- kleinen und mittleren Unternehmen im Großen und Gan-
handelsanteil bei forschungsintensiven Gütern; das zen nicht so breit verankert wie bei großen. Wir haben
heißt, wir haben aufgeholt: Der Abstand zwischen ers- – das kann ich für mein Ministerium sagen – bei den
tem und zweitem Platz ist geringer geworden –, können kleinen und mittleren Unternehmen durch eine Verän-
wir nur halten oder sogar noch verbessern, wenn wir derung der Förderbedingungen die Beteiligung dieser
stärker in Forschung und Entwicklung investieren. Das Unternehmen an dem Technologieprogramm, dem Fach-
ist nur möglich, wenn wir in den öffentlichen Haushalten programm meines Ministeriums, seit 1998 um zwei Drit-
eine Umsteuerung vornehmen. tel, um über 66 Prozent, erhöhen können. Wir werden
diese Anstrengungen, wie gesagt, auch fortsetzen, weil
Insofern betone ich noch einmal: Das ist nicht nur
auch die kleinen und mittleren Unternehmen Wachstums-
eine Aufgabe, die in der Verantwortung der Regierung
chancen bekommen und Beschäftigungszuwächse erzie-
liegt, sondern es ist auch die Aufgabe der Opposition, da
len, wenn sie in Forschung und Entwicklung investieren
sie in vielen Ländern die Landesregierung stellt. Bund
und sich am Innovationsgeschehen beteiligen.
und Länder müssen die Ausgaben für Forschung und
Entwicklung steigern. Wenn nur der Bund eine Ausga- Ich habe des Weiteren auch mit den kleinen und mitt-
bensteigerung vornimmt, ist es ein Nullsummenspiel. leren Unternehmen diskutiert, wie wir die Zusammen-
(B) Das hätte zur Folge, dass die notwendigen Anstrengun- arbeit zwischen den Universitäten, den Fachhochschulen (D)
gen nicht unternommen werden könnten. Gerade kleine und den kleinen und mittleren Unternehmen verbessern
und mittlere Unternehmen – das gilt aber auch für grö- können. Wir haben zum einen die Rahmenbedingungen
ßere Unternehmen – sind auf die öffentliche Forschungs- für die Verwertung verändert. Zum anderen haben wir
förderung angewiesen, weil nur so die erforderliche gleichzeitig die Universitäten darin unterstützt, dass sie
Dynamik entsteht. Ohne eine exzellente öffentliche Fi- durch eine Programmförderung richtige Verwertungs-
nanzierung von Forschungseinrichtungen, Universitäten agenturen aufbauen können, die auch als Partner und
wie außeruniversitäre Forschungseinrichtungen, können Koordinator für die Zusammenarbeit zwischen Wirt-
wir diese positive Entwicklung nicht einschlagen. schaft und Unternehmen auftreten.
Um ein konkretes Beispiel anzuführen, verweise ich Wir beziehen die kleinen und mittleren Unternehmen
auf die neuen Bundesländer. Dort ist es uns durch eine systematisch in unsere Innovationsnetzwerke ein, weil
gezielte strategische Forschungsförderung, durch An- sie dadurch auch Zugang zu potenziellen Partnern, so-
siedlung und Ausbau von Forschungsinstituten und die wohl Abnehmern als auch Kunden, erhalten. Wir haben,
Ansiedlung von neuen Forschungsfeldern in der Region wie gesagt, auch durch die indirekte Förderung des Bun-
Dresden gelungen, an die Weltspitze zu gelangen. Das deswirtschaftsministeriums den Fokus klar auf die klei-
ist uns zwar bereits in anderen Bereichen gelungen, aber nen und mittleren Unternehmen ausgerichtet.
es ist notwendig, dass diese Entwicklung auch in der
Breite stattfindet. Deshalb ist eine Umschichtung in den Last, not least bleiben das Wirtschaftsministerium
öffentlichen Haushalten dringend notwendig. und mein Ministerium im Gespräch und wir haben un-
sere Förderprogramme insgesamt so aufeinander abge-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: stimmt, dass sozusagen eine Kette entstanden ist und
eine größere Transparenz geschaffen wird. Wir haben
Die nächste Frage stellt der Kollege Willi Brase.
auch einen einfacheren Zugang geschaffen, indem wir
(Dr. Martin Mayer [Siegertsbrunn] [CDU/CSU]: eine Stelle eingerichtet haben, bei der sich ein kleines
Kommt die Union denn gar nicht vor?) oder mittelständisches Unternehmen über die Möglich-
keiten der Forschungs- und Innovationsförderung infor-
mieren kann.
Willi Brase (SPD):
Herr Präsident! Frau Ministerin! Ich möchte ein ande- Das heißt, wir haben die Strukturen so vereinfacht
res Thema ansprechen. Die deutschen Unternehmen und verbessert, dass die Programme gerade für kleine
feiern mit Hightechgütern große Exporterfolge auf den und mittlere Unternehmen leichter zugänglich sind.
15714 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Bundesministerin Edelgard Bulmahn


(A) Nach wie vor schwierig ist für kleine und mittlere Un- geren Ausführungen hingewiesen – leider nicht der Fall (C)
ternehmen – darauf hat Frau Flach bereits hingewiesen – war.
die Innovationsfinanzierung. Deshalb haben wir einen
(Zurufe von der SPD: Hört! Hört!)
Fonds eingerichtet, befinden wir uns in Gesprächen mit
der Finanzwirtschaft und haben wir die steuerrechtlichen Der Bericht besagt, dass die Ausgaben für Bildung so-
Rahmenbedingungen verbessert, um auch für diese Un- wie für Forschung und Entwicklung seit einigen Jahren
ternehmen die Innovationsfinanzierung zu erleichtern. – genauer: seit wir die Bundesregierung stellen – einen
Ich gehe davon aus, dass die Senkung der Körperschaft- höheren Stellenwert haben. Der Bericht macht eines
steuer, wie sie geplant ist, auch für die kleinen und mitt- ganz deutlich – das habe ich bereits mehrfach gesagt –:
leren Unternehmen eine Hilfestellung bedeuten wird, ge- Die Bundesrepublik Deutschland – Bund und Länder so-
nauso wie die Umsetzung unserer Vorschläge betreffend wie die private Wirtschaft – muss ihre Forschungs- und
die Personengesellschaften. Entwicklungsanstrengungen noch weiter verstärken,
auch wenn die bisherige Entwicklung positiv ist; denn
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: andere Länder setzen ihre Anstrengungen sehr dyna-
misch fort. Das ist eine weitere Kernaussage des Berich-
Die nächste Frage hat die Kollegin Katherina Reiche. tes. Ich habe bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass
die Regierungsfraktionen und die Opposition gemein-
Katherina Reiche (CDU/CSU): sam dazu bereit sein müssen, die notwendigen Um-
Frau Ministerin, wenn man den Bericht liest, dann schichtungen im Bundeshaushalt durchzuführen, der
weiß man, warum die Bundesregierung von der jährli- auch für die Länder Gestaltungsräume beinhaltet.
chen Berichterstattung abrücken will und stattdessen nur Nun zur Frage nach der Einführung von Studien-
alle zwei Jahre einen Bericht zur technologischen Leis- gebühren: Auch hier haben Sie nur eine Hälfte des Be-
tungsfähigkeit Deutschlands präsentieren möchte. So richts angeführt. Der Bericht besagt ausdrücklich, dass
kann man sich nämlich Kritik gut entziehen. Der vorlie- eine umfangreiche Gewährung von Stipendien durch die
gende Bericht beginnt mit der Diagnose anhaltender Länder sichergestellt sein muss, damit sich die Zahl der
Wachstumsschwäche und hartnäckiger Arbeitsmarktpro- Studienanfänger weiterhin positiv entwickelt – das habe
bleme und vermeldet nur einzelne positive Signale. Wei- ich vorhin erwähnt –, dass sie nicht einbrechen darf. Auf
ter ist zu lesen, dass Deutschland in der zweiten Hälfte diesen Punkt geht der Bericht sehr ausführlich ein.
der 90er-Jahre stark war – ich glaube, zu diesem Zeit-
punkt haben wir noch regiert – und nun deutlich hinter Außerdem geht er sehr stark darauf ein, dass gerade
die nordischen Länder zurückgefallen ist, genauso wie die Studierenden der Ingenieurwissenschaften zu einem
großen Teil aus den typischen Arbeitnehmerfamilien
(B) hinter Großbritannien und Frankreich. Es ist weiterhin (D)
zu lesen, dass die Zahlen der Unternehmensgründungen kommen.
dramatisch eingebrochen sind und dass andere große In- (Jörg Tauss [SPD]: Deswegen soll das BAföG
dustrieländer eine erheblich größere Dynamik aufweisen gestrichen werden!)
als Deutschland. Es ist außerdem zu lesen – erstaun-
licherweise erst auf der letzten Seite –, dass sich die Ver- Dabei handelt es sich um diejenigen, denen es unsere
fasser des Berichts für die Einführung von Studien- Politik ermöglicht hat, dass sie studieren können. Seit
gebühren aussprechen. der BAföG-Reform 2001 ist die Zahl der Studienanfän-
ger aus diesen Familien um fünf Prozentpunkte gestie-
Erstens. Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung gen. Das ist der erste Anstieg in diesem Bereich seit un-
aus dieser Wirtschafts- und Wachstumsdiagnose für ih- gefähr 20 Jahren.
ren eigenen Haushalt? Zweitens. Wie bewerten Sie den
Ratschlag Ihrer eigenen Experten, Studiengebühren ein- Einige Wissenschaftsminister der CDU haben nichts
zuführen? Besseres zu tun, als zu fordern, dass das BAföG abge-
schafft wird.

Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung (Jörg Tauss [SPD]: Unglaublich!)


und Forschung: Frau Reiche, dazu sage ich Ihnen ganz klar: Das ist ein
In dem Bericht wird darauf hingewiesen – das haben Skandal.
Sie nicht erwähnt, liebe Frau Reiche –, dass zum Bei-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/
spiel das Durchsetzungsvermögen der exportierenden
DIE GRÜNEN)
Industrie in Deutschland uneingeschränkt hoch ist, dass
diese Industrie auf den Weltmärkten alle Rekorde bricht. Damit gefährden Sie wirklich die Zukunft unseres Lan-
In jedem Kapitel des Berichts wird auf den engen Zu- des. Deshalb bitte ich Sie, mit Ihren Parteikollegen, die
sammenhang zwischen wirtschaftlichem Wachstum so- in den Ländern Minister sind, wirklich einmal ein ernst-
wie Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen hinge- haftes Wort zu reden, damit diese Verunsicherung auf-
wiesen. Das ist eine Kernaussage des Berichtes. Wenn hört. Diese Minister müssen, wenn sie schon Studienge-
ich mich recht erinnere, wird in Punkt 4 des Berichts bühren einführen – die Einführung von Studiengebühren
darauf hingewiesen, dass seit einigen Jahren Bildung, liegt, wie Sie wissen, nicht in der Hand der Bundesregie-
Forschung, Wissenschaft und Technologie wieder einen rung; das hat das Bundesverfassungsgericht ausdrück-
höheren Stellenwert in Deutschland haben, was in den lich festgestellt –, dafür Sorge tragen, dass diese Per-
90er-Jahren unter Ihrer Regierung – darauf wird in län- sonen auch in Zukunft noch studieren können.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15715
Bundesministerin Edelgard Bulmahn
(A) Kreditfinanzierungsmodelle ermöglichen das nicht; sie sammenfassend dargestellt, wie sich die Wettbewerbsfä- (C)
bedeuten nämlich, dass Studenten am Ende des Stu- higkeit der Bundesrepublik im Vergleich zu den mit ihr
diums Schulden in Höhe von 50 000 Euro, 60 000 Euro konkurrierenden Ländern verändert hat. Eine solche
oder noch mehr haben. Darstellung finde ich in diesem Bericht nicht. Insofern
wäre ich Ihnen dankbar – ich verweise auf die Analogie
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
zum letzten ergänzenden Bericht zur technologischen
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Leistungsfähigkeit 2003/2004 –, wenn Sie die Entwick-
Ich sage Ihnen ausdrücklich: Sie müssen sich Gedan- lung der relevanten Faktoren im Vergleich zur Konkur-
ken machen, wie Sie sicherstellen wollen, dass die posi- renz betrachteten: die Erwerbstätigenproduktivität, die
tive Entwicklung der Zahl der Studienanfänger in den IuK-Ausgaben, den Hochtechnologiehandel, die For-
Naturwissenschaften und in den Ingenieurwissenschaf- schungsbeachtung, die FuE-Ausgaben, die Bildungsaus-
ten seit 1998 anhält. Dafür sind Ihre Landesregierungen gaben, die Zahl der technikrelevanten Hochschulabsol-
verantwortlich. Ich kann Sie nur ermuntern, mit Ihren venten. In Bezug auf all diese Bereiche gab es nach den
Landeskollegen ein ernsthaftes Wort zu reden. früheren Berichten ein Zurückfallen Deutschlands ge-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ genüber konkurrierenden Ländern, und zwar trotz aller
DIE GRÜNEN) eindrucksvollen Anstrengungen, die hier unternommen
worden sind.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Die eine Bitte ist, uns nachträglich darüber zu infor-
Vielen Dank. – Als Nächster hat der Kollege Heinz mieren, wie sich die Situation in dieser Berichtsperiode
Riesenhuber das Wort. diesbezüglich darstellt. Die andere Bitte ist, uns zu sa-
gen, an welchen Stellen Sie Ihre Berichterstattung in der
Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU): Zukunft wieder so gestalten, dass wir die Konkurrenz,
Frau Ministerin, Sie haben soeben festgestellt, dass es auf die es ankommt, kennen, dass wir von da aus wirk-
nicht reicht, dass die Bundesregierung allein ihre Inves- lich Strategien entwickeln können und nicht nur rabulis-
titionen in Forschung und Entwicklung erhöht. Nach tische Diskussionen über einzelne Zahlen führen müs-
dem Bundesforschungsbericht wurden die Ausgaben für sen.
Forschung im Jahr 2004 im Vergleich zum Jahr 2003 so-
wohl in Ihrem Ressort als auch in Bezug auf die Gesamt- Edelgard Bulmahn, Bundesministerin für Bildung
ausgaben der Bundesregierung gesenkt; und Forschung:
(Jörg Tauss [SPD]: Ab 1998 wollen wir mal Herr Riesenhuber, ein Blick in den Bericht zeigt, dass
(B) rechnen!) die Vergleiche, die Sie gefordert haben, enthalten sind, (D)
2003 waren es insgesamt 9,162 Milliarden Euro, 2004 auch in der Kurzfassung. Darin sind zum Beispiel ent-
waren es insgesamt 8,882 Milliarden Euro. Dieser Trend halten die Innovatorenquote, der Wertschöpfungsanteil
entspricht dem, was in der Zusammenfassung dieses Be- von FuE-intensiven Industrien und wissensintensiven
richts steht: Die FuE-Pläne 2004 der Wirtschaft haben Dienstleistungen, die Produktion in forschungs- und ent-
nach einem unerwartet positiven Jahr 2003 einen Rück- wicklungsintensiven Industriezweigen, die Forschungs-
gang bis maximal Status quo vorgesehen. und Entwicklungsintensität in ausgewählten Regionen
der Welt, die Entwicklung der internen Forschungs- und
Frau Ministerin, es wäre gut, wenn wir von der Alibi- Entwicklungsausgaben der Wirtschaft, die Entwicklung
diskussion über die Eigenheimzulage wegkämen. Ich auch differenziert nach Ausgaben der Wirtschaft und des
stimme mit Ihnen völlig überein, dass wir im Haushalt öffentlichen Sektors insgesamt, die Entwicklung der Stu-
neue Prioritäten setzen müssen. dienanfängerzahlen in Deutschland. Im Übrigen habe
(Beifall bei Abgeordneten der SPD) ich gerade darauf hingewiesen, welch positive Entwick-
lung zu verzeichnen ist.
Die andere Hälfte der Wahrheit ist jedoch, dass die
Bundesregierung, die in diesem Jahr über einen Haushalt Ich würde es begrüßen, wenn Sie einmal selbstkri-
mit einem Volumen von rund 250 Milliarden Euro ver- tisch dazusagen würden, Herr Riesenhuber, dass Sie es
fügt, nicht nur im Hinblick auf die Unterscheidung zwi- in den 90er-Jahren versäumt haben, durch vielfältige An-
schen Ist und Soll, sondern auch im Hinblick auf die Pla- strengungen dafür Sorge zu tragen, dass der Nachwuchs
nung nicht diejenigen Prioritäten setzt, die in der Sache gewährleistet ist. Wir leiden heute zum Teil immer noch
notwendig sind. Durch diese Alibidiskussion blockieren unter dem, was Mitte der 90er-Jahre unter Ihrem Kolle-
Sie sich bei den Verhandlungen mit dem Finanzminister. gen Rüttgers versäumt worden ist. Er hat damals die For-
Er hat Sie erfolgreich in eine Sackgasse gelockt. Darin schungs- und Entwicklungsausgaben im Haushalt dieses
sitzen Sie jetzt und alle Ihre Verhandlungsbemühungen Ministeriums in unverantwortlicher Weise zurückgefah-
mit dem Finanzminister werden mit dem Hinweis auf ren und vieles zerstört. Er hat sich damals unverantwort-
den Bundesrat abgeblockt, sodass Sie in eine wirklich licherweise überhaupt nicht um das Problem geküm-
schwierige Lage gekommen sind. mert, dass der Nachwuchs bei den Ingenieuren fehlt.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
(Jörg Tauss [SPD]: Aber darüber geredet hat er
Wenn es in der Vergangenheit um diese Berichte ging, viel! – Gegenruf der Abg. Ursula Lietz [CDU/
haben Sie immer in einer sehr interessanten Weise zu- CSU]: So wie Sie, Herr Tauss!)
15716 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Bundesministerin Edelgard Bulmahn


(A) Das sind Zahlen, die Sie, Herr Riesenhuber, genauso gut Hans Georg Wagner, Parl. Staatssekretär beim (C)
kennen wie ich; das weiß ich ganz genau. Wir haben das Bundesminister der Verteidigung:
damals im Deutschen Bundestag diskutiert. Angesichts Ja, Frau Kollegin Pau, Sie haben richtig gelesen. In
dessen sollten Sie zumindest an die Adresse Ihres Kolle- der Presse wurde öffentlich gemacht, dass sich die Bun-
gen Rüttgers sagen – ich will jetzt nicht auf das einge- desregierung heute mit einem Einsatz von Soldaten im
hen, was in den 80er-Jahren war; das liegt wirklich zu Rahmen einer UN-Mission im Sudan befasst hat. Dabei
weit zurück –: Lieber Jürgen Rüttgers, damals hast du geht es um 50 Militärbeobachter. Der Bundestag wird in
wirklich große Fehlentscheidungen getroffen. Sie sollten der nächsten Sitzungswoche damit befasst werden, weil
korrigiert werden. – Dass wir sie korrigiert haben, habe er ja die endgültige Zustimmung zu einem solchen Aus-
ich vorhin deutlich dargestellt. Herr Riesenhuber, man landseinsatz geben muss. Sie wissen, dass dies nach den
sollte sich ein wenig intensiver mit dem befassen, was Kriterien der Vereinten Nationen ein unbewaffneter Ein-
sich in den letzten zehn Jahren wirklich vollzogen hat. satz für unsere Soldaten ist und sich auf die Beratung des
Sie werden mir darin Recht geben müssen, dass wir vie- dortigen, im Aufbau befindlichen Stabes bezieht.
les von dem, was damals versäumt worden ist, kompen-
siert haben. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Sie wissen wie ich, Herr Riesenhuber, dass die durch- Vielen Dank. – Ich beende damit die Befragung der
schnittlichen Studienzeiten in den Ingenieur- und Natur- Bundesregierung und komme zum Tagesordnungs-
wissenschaften sechs Jahre betragen. Ich hoffe immer punkt 2:
noch, dass wir gemeinsam versuchen, sie zu reduzieren. Fragestunde
Aber dabei sind die Länder, die Universitäten in der
Hauptverantwortung. Nach sechs Jahren gibt es erste po- – Drucksache 15/5229 –
sitive Entwicklungen auch bei den Absolventen. Das Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-
wird sich in den nächsten Jahren noch verstärken. ministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht
Was Sie eingefordert haben, ist – das sage ich noch ein- der Parlamentarische Staatssekretär Hans Georg Wagner
mal ausdrücklich – in diesem Bericht enthalten. Für die zur Verfügung, der ja schon eben geantwortet hat.
Zukunft haben wir im Deutschen Bundestag beschlossen, Wir kommen zur Frage 1 der Kollegin Ursula Lietz:
dass der Bericht zur technologischen Leistungsfähigkeit
Wie hoch sind die notwendigen Investitionen in das Bun-
von den Wirtschafts- und Forschungsinstituten weiterhin deswehrkrankenhaus Hamburg, um es nach dem Konzept zur
selbstständig erarbeitet und vorgestellt wird, so wie das einsatzbezogenen Transformation der Bundeswehrkranken-
zum Beispiel beim Jahreswirtschaftsbericht geschieht, häuser zukunftsfest zu machen?
(B) und dass wir ihn dann im Bundestag diskutieren. Die (D)
Bundesregierung wird alles tun, damit wir die Indikato- Hans Georg Wagner, Parl. Staatssekretär beim
ren und präzisen Daten bekommen, die eine wichtige Bundesminister der Verteidigung:
Grundlage für die zielgerichtete Weiterentwicklung des Frau Kollegin Lietz, für das Bundeswehrkrankenhaus
Forschungs- und Innovationssystems sind, die man Hamburg ist ein mittelfristiger Bedarf von 31,6 Millio-
braucht, um Arbeitsplätze in unserem Land zu halten oder nen Euro für infrastrukturelle Investitionen veranschlagt.
auch neue Arbeitsplätze zu schaffen. Das ist die Zielset- Bis etwa 2015 werden langfristig weitere 25,8 Millionen
zung der Bundesregierung. Euro notwendig werden. Insgesamt sind also 57,4 Millio-
nen Euro für infrastrukturelle Investitionen veranschlagt.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Sie wissen, die Entscheidung, das Bundeswehrkran-
Vielen Dank. kenhaus Hamburg zu erhalten, ist am 1. November ver-
Wegen des Zeitablaufs kann ich jetzt nur noch eine gangenen Jahres von Herrn Minister Dr. Struck getroffen
Frage zu einem anderen Themenbereich der Kabinetts- worden. Damals geisterten noch andere Zahlen herum.
sitzung zulassen. Das Wort hat die Kollegin Petra Pau. Da waren es nämlich 115 Millionen Euro. Auch Sie wis-
sen das, da Sie ja vor Ort waren. Der Bedarf hat sich
jetzt herunterstabilisiert auf geschätzte Kosten von – ich
Petra Pau (fraktionslos): bin mir nicht sicher, ob das endgültig so bleibt – etwas
Vielen Dank, Herr Präsident. – Der Presse war zu ent- mehr als 57 Millionen Euro. Dafür soll ein Bettenhaus
nehmen, dass sich das Bundeskabinett heute mit weite- gebaut werden. Das Bettenhaus, das jetzt benutzt wird,
ren schwer wiegenden Themen beschäftigt hat bzw. dazu ist alt, muss also renoviert werden, und liegt ziemlich
Entscheidungen getroffen hat. Ich frage die Bundes- weit weg vom OP-Bereich, der schon saniert worden ist,
regierung: Trifft es zu, dass eine Entscheidung über ei- und auch von der Unfallchirurgie. Deshalb wird das
nen neuen Auslandseinsatz der Bundeswehr, in diesem erste größere Projekt, an dem gebaut wird, das Betten-
Fall im Sudan, getroffen wurde? Welchen Umfang hat haus sein. Danach folgen Renovierungsmaßnahmen in
dieser Einsatz? Welcher Art ist er? Für wie lange ist er anderen Bereichen.
geplant?
Ein wichtiger Entscheidungsgrund, das Krankenhaus
in Hamburg zu erhalten, war nicht nur die Höhe der In-
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: vestitionskosten, sondern auch die Tatsache, dass dieses
Wer möchte antworten? – Staatssekretär Wagner, bitte Krankenhaus als einziges Krankenhaus mitten in der
schön. Stadt Hamburg über einen Hubschrauberlandeplatz ver-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15717
Parl. Staatssekretär Hans Georg Wagner
(A) fügt. Ich gehe davon aus – da stimmen Sie mir sicherlich Ursula Lietz (CDU/CSU): (C)
zu –, dass an vergleichbar günstiger Stelle in Hamburg Wird das vor dem Jahre 2008 sein?
ein Hubschrauberlandeplatz unter den heute herrschen-
den Bedingungen in dem Bereich nicht mehr genehmigt (Vorsitz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert)
werden würde. Der Erste Bürgermeister der Freien und
Hansestadt Hamburg hat uns ein neues Krankenhaus an- Hans Georg Wagner, Parl. Staatssekretär beim
geboten, weil er im Zuge der Neustrukturierung der Bundesminister der Verteidigung:
Hamburger Krankenhauslandschaft ein Krankenhaus ab- Ich gehe davon aus, dass vor dem Jahr 2008 begonnen
geben wollte. Das wäre der beste Weg gewesen, um die werden wird. Die entsprechenden Mittel für den Neubau
Bettenzahl zu verringern. Auf dieses Angebot konnten müssen zunächst im Haushalt 2006 verfügbar gemacht
wir aufgrund des dort nicht vorhandenen Hubschrauber- werden. Bisher waren, wie Sie zu Recht gesagt haben,
landeplatzes nicht eingehen, weil wir ja unsere verletz- nur Unterhaltungsmaßnahmen vorgesehen. Ich gehe da-
ten Soldatinnen und Soldaten sehr schnell unmittelbar von aus, dass an dem Bau im Jahr 2008 bestimmt gear-
dahin bringen müssen, wo Operationsmöglichkeiten be- beitet wird.
stehen.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Lietz auf:
Zusatzfrage, Frau Lietz? Wie weit sind die Verhandlungen des Bundeswehrkran-
kenhauses Hamburg für eine Kooperation mit dem Bernhard-
Nocht-Institut für Tropenmedizin, BNI, fortgeschritten?
Ursula Lietz (CDU/CSU):
Ja. – Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Ant-
worten. Ich entnehme meinen Unterlagen, wenn ich das Hans Georg Wagner, Parl. Staatssekretär beim
richtig interpretiere, dass bis zum Jahre 2003 über einen Bundesminister der Verteidigung:
Zeitraum von insgesamt fünf Jahren 19 Millionen Euro Sie sprechen die Frage der Zusammenarbeit an. Wir
in Bauunterhaltung und Baumaßnahmen gesteckt wur- haben einen Entwurf des Kooperationsvertrages erarbei-
den. Danach gab es erst einmal eine Pause, wahrschein- tet, in dem es um die Zusammenarbeit mit dem
lich wegen der möglicherweise anstehenden Stilllegung. Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin geht. Dieser
Jetzt haben Sie von mittelfristigen Investitionen gespro- Kooperationsvertrag muss in verschiedenen Teilpunkten
chen. Für die Benutzung der Vokabel „Herunterstabili- noch weiter ausgearbeitet werden. Seit kurzem ist
sierung“ anstelle von Reduzierung von Investitionen bekannt, dass die Gesundheitsbehörde der Freien und
kann ich Ihnen übrigens nur gratulieren; dabei handelt es Hansestadt Hamburg plant, die stationäre Versorgung
(B) sich wirklich um eine freundliche Umschreibung. der Patienten des Bernhard-Nocht-Institutes für Tropen- (D)
medizin aus dem Institut auszulagern und zu reorganisie-
Meine Frage lautet nun: Wann beginnen Sie mit die- ren. Bezüglich dieser möglichen Neuorganisation der
sen so genannten mittelfristigen Investitionen und wie stationären Krankenbehandlung durch das Bernhard-
lange, glauben Sie, brauchen Sie, nachdem Sie davon Nocht-Institut fanden erste Gespräche statt, in denen die
gesprochen haben, dass das meiste bis 2015 fertig sein Freie und Hansestadt Hamburg, das Bernhard-Nocht-In-
soll, bis dieses Krankenhaus wieder voll funktionsfähig stitut selbst und mögliche Interessenten, also auch wir,
ist? Sie wissen ja, dass es schwierig ist, während Bau- das Bundesministerium der Verteidigung, für das Bun-
maßnahmen in einem Krankenhaus zu arbeiten. deswehrkrankenhaus Hamburg dessen Möglichkeiten
und Grenzen einer Zusammenarbeit bzw. einer Träger-
Hans Georg Wagner, Parl. Staatssekretär beim schaft bei der Versorgung im Bereich der Tropen- und
Bundesminister der Verteidigung: Infektionsmedizin erschließen.
Sobald Planungssicherheit herrscht, werden wir un- Der Inhalt des Kooperationsvertrages zwischen uns,
verzüglich damit beginnen, die entsprechenden Aus- dem Bundesministerium der Verteidigung, und dem
schreibungen vorzunehmen. Sie wissen, dass der OP-Be- Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin sowie der
reich schon saniert ist. Das war ja das Erste und Zeitpunkt des Vertragsabschlusses werden durch die
Wichtigste. Auch die Unfallaufnahme wurde erneuert. Entscheidung der Freien und Hansestadt Hamburg über
Man ist da jetzt fähig, schnell zu reagieren. In diesen bei- die künftige Organisation der stationären Versorgung der
den Bereichen war die Lage nämlich am kritischsten. Patienten des Bernhard-Nocht-Institutes für Tropenme-
Das Bettenhaus ist als Nächstes dran; auch dessen Zu- dizin beeinflusst werden. Sie wissen, die Nähe zu diesem
stand ist nicht der beste. Dann werden der Kreuz- und Institut war mit ein Grund für die Erhaltung des Ham-
Südbau renoviert werden; das wird sich bis 2015 hinzie- burger Bundeswehrkrankenhauses, weil die vielfältigen
hen. Aber den Schwerpunkt bei den Baumaßnahmen Einsätze der Bundeswehr in Krisengebieten dazu führen
stellt das Bettenhaus dar, das neben dem OP-Bereich, können, dass Krankheiten auftreten, die wir nicht unbe-
also in unmittelbarer räumlicher Nähe, gebaut wird. Da- dingt vermuten und die im Tropeninstitut untersucht
mit wird begonnen, sobald die entsprechenden Aus- werden müssen. Da sind die räumliche Nähe und eine
schreibungen gelaufen sind. engere Kooperation natürlich sinnvoll.

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:


Zweite Zusatzfrage, bitte schön. Zusatzfrage?
15718 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

(A) Ursula Lietz (CDU/CSU): gangenen Jahren, wenn auch nicht auf vertrag- (C)
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär, licher Basis!)
mich würde noch interessieren: Gibt es schon Konzepte
– Deshalb habe ich ja gesagt, dass eine Verbesserung
dafür, wie die Verteilung der Finanzierung zwischen
eintritt.
dem Land Hamburg und der Bundeswehr bzw. dem
Bernhard-Nocht-Institut, das ja vom Lande finanziert
wird, in Zukunft aussehen wird? Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Ihr Kommentar, Frau Blumenthal, ist sicher zutref-
Hans Georg Wagner, Parl. Staatssekretär beim fend, aber nicht zulässig, weil von Nichtfragestellern nur
Bundesminister der Verteidigung: eine Zusatzfrage gestellt werden darf.
Diese Überlegungen werden zurzeit angestellt. Aber (Antje Blumenthal [CDU/CSU]: Ich habe
aufgrund der Ungewissheit bezüglich der Ausgliederung noch eine Frage!)
der stationären Versorgung kann ich Ihnen keine konkre-
ten Zahlen nennen. Dass jedoch in Bezug auf die Be- – Das ist ja in Ordnung, aber es gibt keine weitere Zu-
handlung von Bundeswehrangehörigen im Tropeninsti- satzfrage. Das Reglement ist streng, aber es ist nicht vom
tut eine vernünftige Finanzierungsregelung gefunden amtierenden Präsidenten erfunden, sondern unter den
werden muss, ist selbstverständlich. Fraktionen so vereinbart und verabschiedet worden.
Damit sind wir mit dem Geschäftsbereich des Bun-
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: desministeriums der Verteidigung durch.
Weitere Zusatzfrage? Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Gesundheit und Soziale Sicherung auf. Zur
Ursula Lietz (CDU/CSU): Beantwortung steht die Parlamentarische Staatssekretä-
Beziehen Sie Ausbildungsmöglichkeiten für Sanitäts- rin Frau Caspers-Merk zur Verfügung.
offiziere am Bernhard-Nocht-Institut in Ihre Planungen
mit ein? Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Petra Pau auf:
Welche Kenntnis hat die Bundesregierung darüber, dass
deutsche Patientendaten aus dem so genannten Disease-Ma-
Hans Georg Wagner, Parl. Staatssekretär beim nagement-Programm im großen Stil nach Vietnam transferiert
Bundesminister der Verteidigung: worden sein sollen – vergleiche Sendung „Monitor“ vom
Das wird sicherlich so sein. Ich habe auf die mög- 17. März 2005 –, und was hat die Bundesregierung unternom-
men, um diesen Vorgang aufzuklären?
lichen Einsätze in Krisengebieten hingewiesen, die uner-
(B) wartete Folgen haben können, zum Beispiel durch Seu- Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin bei der
(D)
chen. Der jetzt bevorstehende Einsatz im Sudan könnte
durchaus die Gefahr einer Tropenerkrankung mit sich Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung:
bringen. Die Krankheit kann dann in Kooperation mit Frau Kollegin Pau, Sie fragen nach einem Vorgang,
dem Bernhard-Nocht-Institut untersucht werden. Gleich- der in den Medien seinen Niederschlag gefunden hat. Es
zeitig muss das Thema der speziellen Ausbildung erör- geht darum, ob personenbezogene Daten aus dem
tert werden, damit unsere Leute in die Lage versetzt wer- Disease-Management-Programm im Ausland verarbeitet
den, vor Ort zu erkennen, welche Krankheiten auftreten wurden und welche Maßnahmen die Bundesregierung
und wie diese behandelt werden können. ergriffen hat, um diesem Vorgehen aus datenschutzrecht-
lichen Gründen Einhalt zu gebieten.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Ich will der guten Ordnung halber sagen, dass schon
Eine Zusatzfrage der Kollegin Blumenthal. vorher zwei Kollegen, nämlich die Frau Kollegin
Dr. Lötzsch und der Herr Kollege Wolfgang Zöller, da-
Antje Blumenthal (CDU/CSU): nach gefragt haben. Ich verweise in meiner Antwort des-
Herr Staatssekretär, welche Synergieeffekte ver- halb auch auf die damals gegebenen Antworten.
spricht sich das Bundeswehrkrankenhaus Hamburg von Die Arbeitsgemeinschaften Disease-Management-
der zukünftigen Kooperation mit dem Bernhard-Nocht- Programm in Thüringen, Hessen, Schleswig-Holstein
Institut? und Mecklenburg-Vorpommern haben eine Firma in
Bamberg mit der Verarbeitung von DMP-Daten beauf-
Hans Georg Wagner, Parl. Staatssekretär beim tragt. In diesen Verträgen ist eine Verarbeitung im Aus-
Bundesminister der Verteidigung: land ausdrücklich ausgeschlossen.
Wir versprechen uns davon, dass die Zusammenarbeit
Die Firma soll ungeachtet der Bestimmungen in die-
durch den Kooperationsvertrag intensiver wird und dass
sem Vertrag personenbezogene Daten an ihre Tochter-
bei Auftreten entsprechender Fälle in Krisengebieten so-
firma in Vietnam zur Verarbeitung übermittelt haben.
fort darauf zugegriffen werden kann. Das ist eine wich-
Demgegenüber verweist die Firma nach Angaben der
tige Verbesserung der bisherigen Zusammenarbeit, die
kassenseitigen Vertragspartner darauf, lediglich anony-
durch die Schaffung der vertraglichen Grundlage ge-
misierte Daten an ihre Tochterfirma in Vietnam zur Opti-
schieht.
mierung der Beleglesesoftware zu Testzwecken übermit-
(Antje Blumenthal [CDU/CSU]: Diese Zu- telt zu haben. Es sollen eidesstattliche Erklärungen der
sammenarbeit gab es ja auch schon in den ver- Mitarbeiter der Tochterfirma in Vietnam vorliegen, dass
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15719
Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk
(A) keine personenbezogenen Daten verarbeitet wurden. Die rung vergeben werden, in denen die Behörden nicht über (C)
Firma in Bamberg hat den Geschäftsführer entlassen. entsprechende eigene Kompetenzen – wie zum Beispiel
im Bereich der Datenverarbeitung – verfügen. Dieses
Die betroffenen Arbeitsgemeinschaften DMP haben Vorgehen ist nicht zu beanstanden. In dem vorliegenden
unter Einschaltung der jeweils zuständigen Landesdaten- Vertrag wurde ausgeschlossen, dass die Daten ins Aus-
schutzbeauftragten unverzüglich Ermittlungen eingelei- land übermittelt werden dürfen. Aber es ist rechtswidrig
tet. Eine unabhängige Prüfstelle, eine Geschäftsstelle des gehandelt worden.
TÜV Rheinland in Vietnam, wurde beauftragt zu prüfen,
wie die Verarbeitung der Datensätze durch die im Aus- Insofern macht es Sinn, dass wir nicht jede einzelne
land ansässige Niederlassung des Dienstleisters erfolgte. Kasse zwingen, eine sehr aufwendige Hard- und Soft-
Nach den nun vorliegenden Gutachten des TÜV Rhein- ware für die Verarbeitung großer Datensatzmengen im
land vom 10. März 2005 konnten keinerlei Hinweise auf Rahmen der DMP-Programme vorzuhalten. In diesem
DMP-Daten festgestellt werden. Ebenso konnten keine Falle kann man sich vielmehr Fachfirmen bedienen, die
DMP-Daten rekonstruiert werden. aufgrund ihrer Vertragstreue und Leistungsfähigkeit aus-
zuwählen sind.
Wir haben geprüft, an welcher Stelle die Bundesregie-
rung handeln könnte, und sind zu dem Ergebnis gekom- Der Vertrag ist entsprechend der Rechtslage abge-
men, dass wir in dieser Frage nicht gefordert sind. Denn schlossen worden. Einer hat vertragswidrig gehandelt;
die Kontrolle obliegt den Aufsichtsgremien der Länder. das können Sie nie ausschließen. Es macht nach wie vor
Die aufsichtsrechtliche und datenschutzrechtliche Prü- Sinn, dass wir uns für eine sparsame Verwaltung der
fung ist vonseiten der Landesbehörden eingeleitet wor- Mittel, die die versicherten Arbeitnehmer und Arbeitge-
den. Es wurden sowohl die Landesdatenschutzbeauftrag- ber aufbringen müssen, einsetzen. Deswegen können wir
ten als auch die jeweiligen Fachstellen eingeschaltet. nicht jeder kleinen Betriebskrankenkasse vorschreiben,
dass sie selbst große Datenverarbeitungskapazitäten vor-
Die Bundesregierung besitzt in diesem Bereich keine hält. Das würde zu einer Erhöhung der Beiträge führen.
Zuständigkeit. Das kann nicht in unserem Sinne sein.
Im Gesetz haben wir sehr strenge Anforderungen,
was die Verarbeitung von DMP-Daten angeht, festge- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
legt. Der Datenschutzbeauftragte des Bundes hat daran Weitere Zusatzfrage? – Bitte.
mitgewirkt. Insofern gibt es keine Fehler in der Gesetz-
gebung. Aber wie es immer ist: Niemand von uns kann Petra Pau (fraktionslos):
garantieren, dass Regelungen, die in Gesetzen oder in Ich will keiner Betriebskrankenkasse einen weiteren
Verträgen festgelegt wurden, im Einzelfall nicht unter- Verwaltungsapparat vorschreiben. Meine Frage bezog
(B) laufen werden. Verstöße sind lückenlos aufzuklären und (D)
sich aber auf die Qualitätsstandards, die nicht nur mit
abzustellen. Dies ist im vorliegenden Fall erfolgt. Geld und Aufwendungen begründet werden können.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Im Zusammenhang mit meinen Recherchen zu die-


Zusatzfrage, Frau Kollegin Pau. sem Thema stieß ich unter anderem auf das gerade erst
in Kraft getretene Verwaltungsvereinfachungsgesetz und
auf Vorhaltungen sowohl von Datenschützern als auch
Petra Pau (fraktionslos): von Sozialrechtlern, dass die Bundesregierung mit Art. 4
Danke, Frau Staatssekretärin. – Die Stichworte Da- Nr. 6 dieses Gesetzes die Vergabe von Aufträgen an
tenschutz und Datenschutzbeauftragte sind schon gefal- Dritte einschließlich der Übertragung vollständiger Da-
len. Mir sind intensive, zum Teil heftige und zum Teil tenbestände nachträglich legalisiert bzw. vereinfacht und
über die Presse ausgetragene Auseinandersetzungen damit der Praxis, dass solche Aufträge ins Ausland ge-
zwischen den Landesschutzbeauftragten und dem Bun- hen, Tür und Tor geöffnet habe. Wie treten Sie solchen
desversicherungsamt im Vorfeld der Verarbeitung von Vorwürfen entgegen?
Patientendaten gerade zur Kenntnis gelangt. Die Daten-
schutzbeauftragten hatten bemängelt, dass das Bundes- Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin bei der
versicherungsamt die Beachtung des Datenschutzes re- Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung:
gelmäßig nicht als Kriterium für die Vergabe solcher
Das ist eine Frage, die über den Einzelfall weit hi-
Aufträge nimmt. Vielmehr bekommt derjenige den Auf-
nausreicht. Sie fragen ja, ob es generell zulässig ist, sol-
trag, der die Daten am preisgünstigsten verarbeitet. Es
che Aufträge an Dritte zu vergeben. Ich glaube, dass es
werden also keine Qualitätskriterien angelegt. generell Sinn macht, an Dritte solche Aufträge zu verge-
Sind Ihnen diese Auseinandersetzungen im Vorfeld ben. Man muss aber über Einzelverträge sicherstellen,
der Verarbeitung der Daten bekannt gewesen und inwie- dass alle Auflagen des Datenschutzes eingehalten wer-
weit haben Sie dem Bundesversicherungsamt als Auf- den.
sichtsbehörde den Hinweis gegeben, dass nicht nur der Das angesprochene Beispiel zeigt, dass erstens die
Preis ein Kriterium sein kann? Aufsicht und zweitens die Landesdatenschutzbeauftrag-
ten tätig geworden sind, dass also die Kontrollmechanis-
Marion Caspers-Merk, Parl. Staatssekretärin bei der men greifen. Sie können nie ausschließen, dass jemand
Bundesministerin für Gesundheit und Soziale Sicherung: in irgendeinem Verwaltungsverfahren gegen Gesetze
Es ist üblich, dass über Ausschreibungen Aufträge an verstößt. Der entscheidende Punkt ist: Gibt es Kontroll-
Drittfirmen in denjenigen Bereichen der Sozialversiche- mechanismen und wird hinterher eine transparente
15720 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Parl. Staatssekretärin Marion Caspers-Merk


(A) Aufklärung vorgelegt? In diesem Fall ist es so gewesen. Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- (C)
Deswegen spricht nichts dagegen, dass man sich Fach- desministerin der Justiz:
firmen bedient; denn diese können eine solche Arbeit in Herr Kollege Gewalt, die Bearbeitung lag in den Hän-
aller Regel kostengünstiger und leistungsfähiger erfül- den der Abgeordneten des Deutschen Bundestages; sie
len. Der entscheidende Punkt dabei ist: Alle daten- vollzog sich im Rahmen der Beratungen des Rechtsaus-
schutzrechtlichen Auflagen müssen erfüllt werden und schusses. Auf diese Bearbeitung hat die Bundesregie-
man muss dafür sorgen, dass diese Firmen nur anonymi- rung gemäß dem Prinzip der Gewaltenteilung keinen
sierte bzw. pseudonymisierte Daten erhalten. Genau das Einfluss; das ist auch gut so.
ist, zumindest was unseren Fall hier angeht, im Rahmen
der DMP-Regelungen gewährleistet gewesen.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Weitere Zusatzfrage.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Vielen Dank, Frau Caspers-Merk.
Roland Gewalt (CDU/CSU):
Die Fragen 4 und 5 des Kollegen Hofbauer aus dem Herr Staatssekretär, Ihrer Äußerung, dass Sie den Ge-
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, setzesvorschlag des Bundesrates unterstützen, entnehme
Bau- und Wohnungswesen, die Frage 6 des Kollegen ich – das möchte ich Sie fragen –, dass die Bundesregie-
Jüttner aus dem Geschäftsbereich des Bundesministe- rung keinen eigenen Vorschlag unterbreiten wird und
riums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick- den Vorschlag des Bundesrates unterstützt.
lung sowie die Frage 7 des Kollegen Kaster aus dem
Geschäftsbereich des Bundeskanzlers und des Bundes- Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
kanzleramtes werden schriftlich beantwortet. desministerin der Justiz:
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun- Ich kann Ihre Frage so beantworten: Die Bundesregie-
desministeriums der Justiz. Hier steht Herr Parlamentari- rung wird keinen eigenen Gesetzesvorschlag unterbreiten
scher Staatssekretär Hartenbach zur Beantwortung der und wird es den Koalitionsfraktionen und den anderen
Fragen zur Verfügung. beiden Fraktionen überlassen, ob sie im Rechtsausschuss
des Deutschen Bundestages den Gesetzentwurf des Bun-
Zunächst rufe ich die Frage 8 des Kollegen Roland desrates unverändert übernehmen oder ihn gegebenen-
Gewalt auf: falls verbessern wollen.
Wie bewertet die Bundesregierung inhaltlich den Gesetz-
entwurf des Bundesrates (Bundesratsdrucksache 914/02) über Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
ein Graffiti-Bekämpfungsgesetz?
(B) Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Gewalt auf: (D)
Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass über die bis-
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- herige Behandlung dieser Gesetzesinitiative ein weiterer Be-
desministerin der Justiz: ratungsbedarf in der Sache besteht?
Herr Kollege Gewalt, die Bundesregierung ist der
Auffassung, dass es neben strafrechtlichen Maßnahmen Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
ebenso Anstrengungen auf dem Gebiet der Prävention desministerin der Justiz:
bedarf, um dem Graffitiunwesen entgegenzuwirken. Aus Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass Ände-
strafrechtlicher Sicht begegnet der Begriff der nicht un- rungen des Strafgesetzbuches eine komplementäre Rolle
erheblichen Veränderung gegen den Willen des Eigentü- bei der Bekämpfung des Graffitiunwesens zukommen
mers oder eines sonst Berechtigten keinen durchgreifen- sollte. Denn zum einen ist in allen Fällen, in denen es zu
den Bedenken. Eine Erweiterung der Straftatbestände in einer wenn auch nur geringfügigen Substanzverletzung
den §§ 303 und 304 Strafgesetzbuch, wie in dem Gesetz- kommt, eine Strafbarkeit nach §§ 303 und 304 Strafge-
entwurf des Bundesrates vorgeschlagen, hätte im We- setzbuch gegeben; zum anderen kommt der Prävention
sentlichen den Vorteil der Vereinfachung der Strafverfol- eine zumindest ebenso wichtige Bedeutung zu. Im Übri-
gung, da kein Beweis mehr darüber erhoben werden gen werden derzeit Gespräche der Fraktionen der SPD
müsste, ob die Graffitischmierereien zu einer Substanz- und des Bündnisses 90/Die Grünen geführt, in denen Re-
verletzung geführt haben. Häufig dürfte – wenn auch gelungsvorschläge erörtert werden. Das habe ich Ihnen
erst durch die Reinigung – eine Substanzverletzung vor- schon eben in etwa gesagt.
liegen.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Bitte schön.
Zusatzfrage.
Roland Gewalt (CDU/CSU):
Roland Gewalt (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, mich würde sehr interessieren
Herr Staatssekretär, wenn Sie, was ich ausdrücklich – das habe ich ja auch in der Frage so angesprochen –,
begrüße, diese Gesetzesvorlage des Bundesrates unter- wie denn die Bundesregierung dies sieht. Sehen Sie als
stützen, wie erklären Sie sich dann, dass diese Gesetzes- Bundesregierung angesichts einer zweieinhalbjährigen
initiative des Bundesrates seit zweieinhalb Jahren hier Beratung des Gesetzentwurfs des Bundesrates und einer
im Bundestag auf Eis liegt? fünfjährigen Beratung zweier weiterer Gesetzentwürfe
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15721
Roland Gewalt
(A) des Bundesrates jetzt wirklich noch irgendwelchen Bera- (Günther Friedrich Nolting [FDP]: Aber die (C)
tungsbedarf? Bundesregierung hat doch eine Meinung!)
– Ihre Meinung hat die Bundesregierung schon geäußert,
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Herr Nolting.
desministerin der Justiz:
Herr Kollege Gewalt, wenn Sie sich die Stellung- (Jörg Tauss [SPD]: Sogar schriftlich!)
nahme der Bundesregierung zu dem Gesetzentwurf des Sie müssen einfach den Gesetzentwurf des Bundesrates
Bundesrates in der betreffenden Bundestagsdrucksache lesen.
ansehen, dann werden Sie feststellen, dass die Bundesre-
gierung dort erklärt hat, dass sie die im Gesetzentwurf Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
verwendete Formulierung bevorzuge und unterstütze. Eine Zusatzfrage.
Die Bundesregierung hat allerdings zu den vorausgegan-
genen Vorschlägen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion,
von denen derzeit zumindest noch einer im Verfahren ist, Dr. Ole Schröder (CDU/CSU):
immer gesagt, dass die Bundesregierung den Begriff des Kann ich der Tatsache, dass die Bundesregierung über
Verunstaltens nicht in einem Gesetz haben wolle. Dieser zwei Jahre hinweg nicht aktiv geworden ist und selbst
Meinung der Bundesregierung, die im Übrigen auch von keine Vorschläge zu einer gesetzlichen Änderung vorge-
den Koalitionsfraktionen geteilt wird, ist bei – soweit ich legt hat, entnehmen, dass die Bundesregierung in den
mich erinnern kann – mindestens zwei Anhörungen in letzten zwei Jahren der Meinung war, dass hier kein
der 14. und in der 15. Legislaturperiode von der über- Handlungsbedarf besteht? Sieht die Bundesregierung
wiegenden Zahl der Sachverständigen zugestimmt wor- das heute anders?
den. Es waren ein oder zwei Stimmen, die den Begriff (Jörg Tauss [SPD]: Nein! – Gegenruf des Abg.
des Verunstaltens, der im Übrigen – wenn ich Ihnen das Manfred Grund [CDU/CSU]: Seit wann sind
noch sagen darf; wahrscheinlich wissen Sie das aber – in Sie die Bundesregierung?)
das österreichische Strafgesetzbuch Eingang gefunden
hat, nicht abgelehnt haben. Wir sind der Meinung, dass
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
dieser Begriff in das Gesetz nicht hineinpasst.
desministerin der Justiz:
Ich sagte es schon: Ich glaube, dass der Begriff des Herr Kollege Schröder, ich möchte hier nicht über de-
nicht unerheblichen Veränderns gegen den Willen des mokratisches Verhalten und demokratische Gepflogen-
Eigentümers oder des sonst Berechtigten, wie er sich heiten belehren. Ich habe die Frage ausführlich beant-
jetzt in dem Vorschlag des Bundesrates befindet, durch- wortet. Ich wiederhole meine Antwort aber gern: Die
(B) aus akzeptabel ist. Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme zu dem Ge- (D)
setzentwurf des Bundesrates – das ist nachzulesen – Ein-
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: vernehmen signalisiert. Danach lag dieser Gesetzent-
Weitere Zusatzfrage. wurf den Gremien des Bundestages zur Beratung vor.
Die Bundesregierung hatte keine Veranlassung, in diese
Beratungen einzugreifen. Sie steht allerdings zur Verfü-
Roland Gewalt (CDU/CSU): gung, wenn sie um Formulierungshilfen gebeten wird.
Herr Staatssekretär, bereits vor einem Jahr, als wir
dies im Bundestag debattiert haben, hat die CDU/CSU- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Bundestagsfraktion erklärt, dass wir, sobald die Koali-
Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Dr. Schröder auf:
tion die Anträge zur Abstimmung zulassen würde, unse-
Welche Auswirkungen hat nach Auffassung der Bundesre-
ren eigenen Antrag für erledigt erklären würden. Des-
gierung die Entscheidung des Oberlandesgerichts Dresden
halb steht er ja auch gar nicht mehr zur Debatte. (Beschluss vom 27. Mai 2004 – 1 Ss 48/04 = NJW 2004,
2843 ff.) aus dem Jahr 2004, derzufolge nach der gegenwärti-
Deshalb noch einmal meine Frage: Sieht die Bundes- gen Rechtslage selbst das großflächige Besprühen von Eisen-
regierung, obwohl nur noch der Antrag des Bundesrates bahnwaggons mit Lackfarbe nicht strafbar ist?
zur Beratung und zur Abstimmung steht, der von allen
Bundesländern mit Ausnahme von Schleswig-Holstein Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
unterstützt wird, nach zweieinhalb Jahren noch weiteren desministerin der Justiz:
Beratungsbedarf über diesen Antrag des Bundesrates? Herr Kollege Schröder, das Oberlandesgericht Dres-
den hat nicht entschieden, dass das großflächige Besprü-
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- hen von Eisenbahnwaggons mit Lackfarbe nicht strafbar
desministerin der Justiz: ist, vielmehr hat es das landgerichtliche Urteil aufgeho-
Die Bundesregierung, Herr Kollege Gewalt, hat das ben und das Verfahren an eine andere Strafkammer des
Ihrige getan, indem sie zu dem Entwurf des Bundesrates Landgerichts zurückverwiesen. Als Begründung führt
Stellung genommen hat. Danach ist – so ist das nun ein- das Oberlandesgericht an, dass dem landgerichtlichen
mal in einer Demokratie – der Bundestag, in diesem Fall Urteil nicht mit hinreichender Sicherheit entnommen
die Fachausschüsse des Bundestages, gefragt. Die Bun- werden könne, ob die für eine Sachbeschädigung erfor-
desregierung wird dort, wo es vonseiten des Rechtsaus- derliche Substanzverletzung tatsächlich eingetreten ist.
schusses gewünscht wird, gern mit Formulierungshilfen Die Sache wurde deshalb an das Landgericht zurückver-
unterstützend tätig werden. wiesen, damit dort die entsprechenden Feststellungen
15722 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach


(A) nachgeholt werden konnten. Das entspricht im Übrigen der Meinung, dass es auch zukünftig immer der Feststel- (C)
auch der bisherigen Rechtsprechung. lung einer Sachsubstanzbeschädigung bedürfen muss,
oder sehen Sie hier Handlungsbedarf?
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Zusatzfrage. Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
desministerin der Justiz:
Dr. Ole Schröder (CDU/CSU): Herr Kollege Schröder, wenn man den § 303 des
Ich möchte mich auf den Beschluss des Oberlandes- Strafgesetzbuches oder den § 304 des Strafgesetzbuches
gerichtes beziehen. Der Sachverhalt ist folgender: Das zur gemeinschädlichen Sachbeschädigung richtig aus-
untergeordnete Landgericht hat in dem angefochtenen legt, bedarf es schon nach geltender Rechtsprechung ei-
Urteil festgestellt, dass der Angeklagte zu dem Tatzeit- ner Substanzverletzung. Das ist schon seit 100 Jahren so,
punkt einen hellgrau und rot lackierten Reisezugwagen seitdem es das Strafgesetzbuch gibt. Eine andere Rege-
großflächig mit lösemittelhaltigen Kunstlacken besprüht lung hat es bisher nie gegeben.
hat. Dies hat es als Sachbeschädigung angesehen.
Die Bundesregierung hat – das habe ich bereits in
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden sagt meiner Antwort auf die erste Frage des Herrn Kollegen
unter Punkt 2: Die Feststellungen des Landgerichtes Gewalt zum Ausdruck gebracht – deutlich gemacht, dass
rechtfertigen die Verurteilung des Angeklagten wegen sie sich durchaus vorstellen kann, dass die Formulierung
Sachbeschädigung gemäß § 303 StGB nicht, weil das des Gesetzentwurfes des Bundesrates – nach der die
Landgericht keine Sachsubstanzverletzung festgestellt nicht unerhebliche Veränderung gegen den Willen des
hat. Eigentümers oder sonstiger Berechtigter ebenfalls straf-
Das bedeutet, dass zukünftig das Besprühen von Bun- bar sein soll – Eingang in ein Gesetz finden kann. Aller-
desbahnwaggons nicht mehr dem Straftatbestand der dings wiederhole ich: Das liegt nicht in den Händen der
Sachbeschädigung entspricht. Bundesregierung, die angesichts der Debatten, die der-
zeit im Rechtsausschuss geführt werden, keine Notwen-
Meine Nachfrage ist: Welche Folgen hat das Ihrer digkeit sieht, einen eigenen Gesetzentwurf zu unterbrei-
Meinung nach insbesondere für die Deutsche Bahn AG? ten. Vielmehr liegt es in den Händen der Mitglieder des
Rechtsausschusses und dieses Hohen Hauses, ob man
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- sich auf eine Formulierung einigt, die allen gerecht wird.
desministerin der Justiz:
Herr Kollege Schröder, gestatten Sie, dass ich ein Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
(B) kleines Repetitorium durchführe. Ich will Ihnen zwar Herr Kollege Gewalt. (D)
gerne nachsehen, dass es für Sie nicht ganz einfach ist,
ein Revisionsurteil eines Oberlandesgerichtes richtig zu
lesen. Aber in meiner Antwort auf Ihre ursprüngliche Roland Gewalt (CDU/CSU):
Frage habe ich diese Frage bereits beantwortet. In die- Herr Staatssekretär, nach der Veröffentlichung des
sem Urteil steht nicht, der Angeklagte sei freizuspre- Beschlusses des Oberlandesgerichts Dresden ist die Zahl
chen. Das Oberlandesgericht Dresden hat lediglich fest- der Graffitischmierereien im Bereich der Berliner Bahn-
gestellt, dass die Feststellungen des Landgerichts für gelände, für die der Bundesgrenzschutz zuständig ist, um
eine Verurteilung nicht ausreichen und dass man, um 17 Prozent gestiegen, während sie in Berlin im Übrigen
eine Verurteilung zu erreichen, mehr unternehmen muss. nur um 2 bis 3 Prozent gestiegen ist. Hier ist also ein kla-
Das Landgericht muss zum Beispiel dartun, warum eine rer Zusammenhang zu erkennen. Würden Sie, Herr
Substanzverletzung vorliegt und worin sie besteht. Staatssekretär, mir zustimmen, dass solche Beschlüsse,
und insbesondere die unklare Rechtslage, auf der sie ba-
Die Schlussfolgerung, die Sie daraus ziehen, kann ich sieren, zu solchen Entwicklungen führen?
überhaupt nicht teilen; denn wenn – ob beim großflächi-
gen oder beim kleinflächigen Besprühen; dafür dürfte be-
reits eine Fläche von 5 Quadratzentimetern ausreichen – Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
eine Substanzverletzung festgestellt wird, handelt es sich desministerin der Justiz:
um Sachbeschädigung. Das war übrigens schon so, als Herr Gewalt, jetzt haben Sie eine Frage angespro-
ich noch Staatsanwalt war; das ist jetzt 30 Jahre her. chen, die eigentlich der Kollege Fritz Rudolf Körper be-
antworten müsste; denn hier geht es um Ermittlungstä-
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: tigkeiten. Gleichwohl will ich versuchen, soweit das
Eine weitere Zusatzfrage. Bundesministerium der Justiz in dieser Frage für die
Bundesregierung sprechen kann, etwas dazu zu sagen.
Dr. Ole Schröder (CDU/CSU): Ich kann mir nicht vorstellen, Herr Kollege Gewalt,
Herr Staatssekretär, unser Kernproblem, das auch Sie dass die Sprayerszene in Berlin aufgrund des Urteils des
vorhin erkannt haben, ist, dass immer eine Sachsubstanz- Oberlandesgerichtes Dresden, welches von Mitgliedern
beschädigung festgestellt werden muss, was insbeson- von CDU und CSU völlig falsch ausgelegt wird – ihre
dere dann, wenn sehr glatte Flächen, zum Beispiel Wag- Aussagen haben mit der Realität gar nichts mehr zu
gons der Deutschen Bahn AG, besprüht wurden, nicht tun –, animiert worden ist, verstärkt zu sprühen. Ich
ganz einfach ist. Deshalb lautet meine Frage: Sind Sie hoffe nur, Herr Kollege Gewalt, dass Sie die Sprayer
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15723
Parl. Staatssekretär Alfred Hartenbach
(A) nicht über das Urteil des Oberlandesgerichtes informiert Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (C)
haben. Zweite Zusatzfrage.
(Dr. Ole Schröder [CDU/CSU]: Das ist ein Be-
schluss! – Gegenruf des Abg. Swen Schulz Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU):
[Spandau] [SPD]: Das ist jetzt aber ganz Herr Staatssekretär, zunächst eine Anmerkung: Die
kleine Münze!) Strafe auf Graffitisprayen ist in den skandinavischen
Ländern wesentlich höher als in Deutschland.
– Ja, es handelt sich natürlich um einen Beschluss; vie-
len Dank. – Eher kann ich mir vorstellen, dass die Szene Aber noch einmal eine konkrete Nachfrage: Erachten
durch die mit sehr viel öffentlicher Aufmerksamkeit ein- Sie es bzw. erachtet es die Bundesregierung als erfolg-
hergehende Tagung gegen Graffitischmierereien etwas reiche Prävention, wenn, wie in der vergangenen Woche
aufgemischt wurde, was zu entsprechenden Aktivitäten geschehen – das wurde schon angesprochen –, Graffiti-
geführt hat. sprayer in Berlin mit Hubschraubern gejagt werden,
auch dingfest gemacht werden, aber dann wieder freige-
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: lassen werden, ohne dass Anklage gegen sie erhoben
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Stephan Mayer wird?
auf:
Wo sieht die Bundesregierung Handlungsnotwendigkeit, Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
um die Bekämpfung von Graffitivandalismus in Deutschland desministerin der Justiz:
voranzutreiben?
Diese Frage ist so unvollständig, dass ich sie auch nur
unvollständig beantworten kann. Ich nehme – das wissen
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Sie – für die Bundesregierung grundsätzlich keine Stel-
desministerin der Justiz: lung zu Zeitungsmeldungen – und nur aus solchen kön-
Herr Kollege Mayer, ich habe das eigentlich alles nen Sie dieses ja wissen. Herr Gewalt weiß schon, wie
schon beantwortet; ich verweise auf meine Antworten ich darauf reagiere. Sie können die Frage auch gerne
auf die Fragen 8 und 9 des Herrn Kollegen Gewalt und selbst stellen; Sie bekommen keine andere Antwort.
auf die Zusatzfragen der Kollegen Gewalt und Schröder.
Mehr kann ich dazu eigentlich nicht sagen. Wir haben einen Rechtsstaat; das möchte ich Ihnen
sagen. Wenn in diesem Rechtsstaat Beschuldigte festge-
stellt und festgenommen worden sind, dann darf, wenn
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
kein Haftgrund vorliegt, niemand einen Täter länger als
Zusatzfrage. bis zum Ablauf des nächsten Tages festhalten. Das steht
(B) (D)
in § 112 Strafprozessordnung; das können Sie nachlesen.
Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): Danach beginnen die Ermittlungen. – Das nur am Rande,
Herr Staatssekretär, ich habe zwei Nachfragen. Die ganz gegen meine sonstige Gewohnheit, zu Zeitungs-
erste: Wie bewertet die Bundesregierung das konse- meldungen nicht Stellung zu nehmen. – Ich kann mir gar
quente Vorgehen gegen Graffitivandalismus in den skan- nicht vorstellen, dass die Staatsanwaltschaft bereits in-
dinavischen Ländern, das sehr erfolgreich vonstatten nerhalb von drei Tagen – so lange ist es ja erst her, dass
geht? man das lesen konnte – eine Entscheidung über den wei-
teren Fortgang des Verfahrens getroffen hat.
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
desministerin der Justiz: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Mayer, auch dazu habe ich – wenn auch Zusatzfrage, Kollege Gewalt.
nicht unter Nennung der skandinavischen Länder – et-
was gesagt: Die Strafbarkeit macht nur einen Teil des
Rezeptes gegen die Schmierereien aus. Umgekehrt spielt Roland Gewalt (CDU/CSU):
die Prävention – das ist ja das, was die skandinavischen Herr Staatssekretär, wie sehen Sie in diesem Zusam-
Länder im Wesentlichen betreiben – eine mindestens ge- menhang die Äußerung des Berliner Generalstaatsan-
nauso große Rolle, wenn nicht eine noch viel größere walts Karge, der mir gegenüber erklärt hat, bei Glas und
Rolle, das heißt, die Möglichkeiten der polizeilichen Er- Metall als Unterfläche von Farbschmierereien erfolge als
mittlung, aber auch die Möglichkeiten, Sprayer mit an- Konsequenz dieser Situation regelmäßig die Einstellung
deren Mitteln auf das Verwerfliche ihres Tuns hinzuwei- des Verfahrens schon bei der Staatsanwaltschaft?
sen.
Alfred Hartenbach, Parl. Staatssekretär bei der Bun-
Ich würde mir wünschen, dass die Bundesländer hier
desministerin der Justiz:
endlich einmal ihrer Verantwortung gerecht würden und,
anstatt immer nur Gesetze zu unterbreiten, präventiv tä- Ich freue mich, dass Sie mit Herrn Generalstaatsan-
tig würden. In Berlin gibt es zum Beispiel eine Anti- walt Karge im Gespräch sind. Aber da ich bei diesem
sprayergruppe bei der Polizei; aber auch in anderen Bun- Gespräch nicht dabei war, kann ich dazu auch nichts sa-
desländern, etwa in Nordrhein-Westfalen. Wenn man das gen.
machen würde, könnte man Sprayer anhand ihrer ganz
speziellen Tags – ich glaube, man nennt das so – sehr Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
viel besser ermitteln. Vielen Dank, Herr Hartenbach.
15724 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert


(A) Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes- Deswegen lautet meine Frage an Sie: Sieht die Bun- (C)
ministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht Frau desregierung, nachdem diese Hinweise offenbar aus der
Staatssekretärin Hendricks zur Verfügung. Ich rufe die deutschen Delegation gekommen sind, die Möglichkeit,
Frage 12 des Kollegen Peter Weiß auf: den geplanten Schuldenerlass durch den IWF ohne
Wie bewertet die Bundesregierung die Stellungnahme der
Rückgriff auf die Goldreserven und damit ohne echte
Deutschen Bundesbank zu der Frage der Verwendung der Verkäufe der Goldreserven zu finanzieren?
Goldreserven des Internationalen Währungsfonds, IWF, zur
Finanzierung eines Schuldenerlasses für arme Entwicklungs-
länder – vergleiche „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ vom Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
4. April 2005 – und in welcher Weise wird die Bundesregie- Bundesminister der Finanzen:
rung die Auffassung der Bundesbank bei ihrer Meinungsbil- Die Bundesregierung hält dies jedenfalls nicht für
dung in Vorbereitung der Frühjahrstagung von IWF und Welt-
bank am 16. April 2005 berücksichtigen?
ausgeschlossen.

Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:


Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen: Ich rufe die Frage 13 auf:
Welche Auffassung wird die Bundesregierung bei der
Herr Kollege Weiß, die Bundesregierung setzt sich Frühjahrstagung von IWF und Weltbank am 16. April 2005
für eine ergebnisoffene Analyse aller Finanzierungs- hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung und des Umfangs
wege eines multilateralen Schuldenerlasses ein. Sie wird des im Zusammenhang mit der Heranziehung der Goldvorräte
Ihre Haltung hinsichtlich der eventuellen Verwendung des IWF diskutierten weiteren Schuldenerlasses vertreten?
von IWF-Goldreserven im Einvernehmen mit der Deut-
schen Bundesbank festlegen. Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen:
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Herr Kollege Weiß, die Bundesregierung wird sich
auf der bevorstehenden Frühjahrstagung von Weltbank
Bitte schön.
und IWF für einen multilateralen Schuldenerlass aus-
sprechen, der auf Basis einer fallweisen Analyse – also
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): einer jeweiligen Analyse bezogen auf ein spezielles
Frau Staatssekretärin, der G-7-/G-8-Gipfel naht und Land – das Ziel hat, die Schuldentragfähigkeit von hoch
dort soll eine Entscheidung getroffen werden, nachdem verschuldeten, armen Entwicklungsländern wiederher-
man sich beim letzten Gipfel grundsätzlich darauf ver- zustellen.
(B) ständigt hatte, einen solchen weiteren Schuldenerlass (D)
durchzuführen, wobei man die Details offen gelassen Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
hatte. Wann wird die Bundesregierung ihre Position fest- Bitte.
legen und entscheiden, ob sie Goldverkäufe des IWF zur
Finanzierung des Schuldenerlasses heranziehen oder
doch eher andere Wege beschreiten will? Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):
Frau Staatssekretärin, nach den Erfahrungen mit der
letzten größeren Entschuldungsaktion, der so genannten
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim HIPC-II-Initiative, ist festzustellen – –
Bundesminister der Finanzen:
Die Bundesregierung wird dies zusammen mit der Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesbank im Lichte der Debatte festlegen. Bundesminister der Finanzen:
Entschuldigung, dass ich unterbreche: Sie läuft ja
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: weiter.
Bitte schön.
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):
Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Ja, sie ist für eine bestimmte Zahl von Ländern bis
zum Jahre 2006 verlängert worden. Ansonsten wäre sie
Frau Staatssekretärin, gemäß einiger Pressemeldun- 2004 zu Ende gegangen. – Nach diesen Erfahrungen
gen – zum Beispiel heute in der „Frankfurter Allgemei- muss man feststellen, dass erstens eine Reihe bereits ent-
nen Zeitung“ – wird von Mitgliedern der deutschen schuldeter Länder wieder in einem Maße verschuldet ist,
Delegation behauptet, dass der Internationale Währungs- das weit über der so genannten Schuldentragfähigkeits-
fonds einen solchen Schuldenerlass im Umfang von grenze liegt, und dass zweitens unterschiedliche Ergeb-
3,8 Milliarden Euro aufgrund seiner sonstigen finanziel- nisse bezüglich der Verwendung der frei gewordenen
len Möglichkeiten auch ohne den Einsatz der Goldreser- Mittel für die Armutsbekämpfung vorliegen.
ven stemmen könnte. Daneben wird darauf verwiesen,
dass in Bezug auf Mexiko und Brasilien bereits früher Deswegen lautet meine Frage an Sie: Wird die Bun-
ein besonderes Verfahren gewählt worden ist, wonach desregierung darauf drängen, dass für diese neue Runde
der IWF das Geld für den Schuldenerlass durch Rück- von Entschuldungen neue Konditionen festgelegt wer-
käufe finanziert hat, ohne dass die Höhe der Goldreserve den, und auf welche Kriterien wird die Bundesregierung
abgeschmolzen werden musste. dabei gegebenenfalls besonders Wert legen?
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15725

(A) Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim geländes erhoben werden sollen, wird eine (C)
Bundesminister der Finanzen: Genehmigung nicht erteilt.
Die Bundesregierung legt in diesem Zusammenhang
Sollten dennoch Eintrittsgelder erhoben oder die Ver-
ganz besonderen Wert auf die so genannte Good Gover-
fahrensanweisung in anderen Fällen missachtet werden,
nance, also den Nachweis, dass die verantwortlichen Re-
stellt dies eine Beteiligung am deutschen Wirtschaftsver-
gierungen tatsächlich nach bestem Wissen und Gewissen
kehr dar und löst die damit verbundenen abgabenrechtli-
handeln, um es einmal allgemein verständlich auszudrü-
chen Konsequenzen aus. Die Eintrittsgelder wären dann
cken. In diesem Zusammenhang ist die Korruptionsbe-
Entgelt für eine umsatzsteuerpflichtige Leistung und für
kämpfung natürlich unabdingbar. Ansonsten gäbe es ja
die von der ausländischen Truppe auf dem Volksfest ver-
auch keine Good Governance. Korrupte Regierungen
kauften Waren wären dann Zoll und Einfuhrumsatz-
können per se keine guten Regierungen sein. Das ist der
steuer zu entrichten. Dies gilt auch dann, wenn nicht die
ganz entscheidende Hintergrund für die Handlungsweise
US-Streitkräfte selbst, sondern ein Dritter, zum Beispiel
der Bundesregierung und das wird auch in Zukunft der
der gemeinsame deutsch-amerikanische Ausschuss, als
wesentliche Gegenstand sein.
Organisator nach außen auftritt.

Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU):


Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Staatssekretärin, nachdem im Vorfeld des G-7-/
Bitte schön, Herr Girisch.
G-8-Gipfels und der Frühjahrstagung des Internationalen
Währungsfonds aus dem Kreis der Bundesregierung in
der Öffentlichkeit durchaus unterschiedliche Bewertun- Georg Girisch (CDU/CSU):
gen abgegeben worden sind – die Bundesministerin für Frau Staatssekretärin, dem deutsch-amerikanischen
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat Ausschuss wurde empfohlen, diese Vorschriften zu um-
den Einsatz der Goldreserven des IWF als eine sehr gute gehen, indem kein Eintrittsgeld, sondern eine Spende
Möglichkeit öffentlich angepriesen; das Bundesfinanz- verlangt wird. Eine Spende wäre nach Recht und Gesetz
ministerium, das Sie vertreten, hat sich hier kritischer in Ordnung. Sie müssen sich aber einmal vorstellen, was
geäußert – frage ich Sie: Sind die jetzt von Ihnen vorge- das Ganze für eine Organisation bedeutet, die in diesem
tragenen Positionen die gemeinsame Haltung von BMF Jahr das deutsch-amerikanische Volksfest im 50. Jahr
und BMZ? durchführt, bei dem alle Eintrittsgelder und Gewinne nur
gemeinnützigen Organisationen zur Verfügung gestellt
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim werden.
Bundesminister der Finanzen: Ich frage Sie: Wäre es möglich, dass man zumindest
(B) Für uns kommt es nicht auf den Weg an, sondern auf (D)
für die Eintrittsgelder dieses deutsch-amerikanischen
das Ziel. Darin sind sich das BMF und das BMZ einig. Volksfestes, nachdem es nun schon 50 Jahre besteht,
eine Ausnahmegenehmigung erteilt?
(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]:
Dann werden wir mal schauen, was dabei he-
rauskommt!) Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen:
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Nein, Herr Kollege, ich habe Ihnen die Rechtslage
dargestellt, die ich nicht erfunden habe. Sie basiert auf
Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Georg Girisch auf:
der einen Seite auf dem Zollkodex, der schon immer eu-
Wie will die Bundesregierung mit Sondergenehmigungen ropäisch abgestimmt war, und auf der anderen Seite auf
für Volksfeste, die im Rahmen der deutsch-amerikanischen
Freundschaft auf den den in Deutschland stationierten ame-
dem Umsatzsteuerrecht, bezogen auf die Einfuhrumsatz-
rikanischen Streitkräften zur Nutzung überlassenen Lie- steuer, welches ebenfalls dem harmonisierten Recht ent-
genschaften durchgeführt werden, in den Fällen umgehen, spricht. Es ist so, dass in den vergangenen Jahren die
in denen abweichend von der Verfahrensanweisung Zahl der deutsch-amerikanischen Volksfeste gestiegen
– III B 2 – Z 6315 – 5/03 – des Bundesministeriums der Fi- ist und dass diese Handlungsanweisung der Zollverwal-
nanzen, BMF, ein gemeinsamer deutsch-amerikanischer Aus-
schuss als Organisator auftritt, der Eintritt erheben würde und tung vorgelegt worden ist, um eine einheitliche Handha-
diese Eintrittsgelder im vollen Umfang für wohltätige Zwecke bung herbeizuführen.
unter dem Leitmotiv der deutsch-amerikanischen Freund-
schaft verwendet? Dazu muss man wissen: Dieses Volksfest findet auf
dem Gelände der amerikanischen Truppe statt. Dieses ist
– um es einmal vereinfacht auszudrücken – exterritoria-
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
les Gebiet. Dort gelten andere Bestimmungen, sofern
Bundesminister der Finanzen:
sich dort nur amerikanische Bürger aufhalten. Für sie ist
Herr Kollege Girisch, Volksfeste, die im Rahmen der alles zoll- und steuerfrei. Jetzt werden aber viele deut-
deutsch-amerikanischen Freundschaft durchgeführt wer- sche Bürger auf dieses Gelände eingeladen und auch
den, können vom Hauptzollamt genehmigt werden, Waren verkauft. Dies ist auch möglich, wenn man die
wenn die Voraussetzungen der entsprechenden Verfah- entsprechenden Bestimmungen einhält. Man muss sich
rensanweisung erfüllt sind. Anträge für Volksfeste, die aber an diese Bestimmungen halten.
diese Voraussetzungen nicht erfüllen, sind nicht geneh-
migungsfähig. Ergibt sich aus dem Antrag für das Volks- Es tut mir wirklich sehr Leid, aber diese Zoll- und
fest, dass Eintrittsgelder für das Betreten des Volksfest- Steuerfreiheit, die für die amerikanischen Bürger auf
15726 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks


(A) diesem exterritorialen Gelände gilt, kann eben nicht auf des NATO-SOFA-Office vor. Bisher wurde davon aber (C)
eine Vielzahl von deutschen Bürgern übertragen werden. kein Gebrauch gemacht. Es ist mir kein Antrag bekannt,
Das war schon immer geltendes Recht. Die Handlungs- der im Ministerium angekommen wäre. Die Genehmi-
anweisung, die wir gemacht haben, dient der Vereinfa- gungsbehörden sind die Hauptzollämter. Bisher ist noch
chung, damit die Zollämter wissen, wie sie vorgehen sol- kein Antrag auf Ausnahmegenehmigung beim Bundes-
len und ob sie Genehmigungen erteilen können. Ein ministerium der Finanzen eingegangen.
Eintrittsgeld macht eine solche Veranstaltung umsatz-
steuerpflichtig. Das können wir leider nicht ändern. Man Georg Girisch (CDU/CSU):
wundert sich manchmal, wie die Welt ist; aber sie ist nun Frau Staatssekretärin, kann ich davon ausgehen, dass
einmal so. Das können auch wir nicht beeinflussen. Sie sich, wenn der Antrag vom deutsch-amerikanischen
Ausschuss kommt, bemühen, diesen Antrag wohlwol-
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: lend zu prüfen, zu entscheiden und dann eventuell an die
Gibt es Zweifel, dass die Welt so ist, wie sie ist, Herr Zollbehörden weiterzugeben?
Kollege Girisch?
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
Georg Girisch (CDU/CSU): Bundesminister der Finanzen:
Frau Staatssekretärin, Sie müssen sich einmal den Selbstverständlich, Herr Kollege Girisch, wobei wir
technischen Ablauf vorstellen. Der deutsch-amerikani- uns natürlich bei der Bescheidung eines Antrags an
sche Ausschuss würde für das Volksfest eine Genehmi- Recht und Gesetz halten müssen.
gung erhalten, wenn am Eingang des Truppenübungs-
platzes eine Bude aufgestellt und auf deutschem Boden Georg Girisch (CDU/CSU):
Eintritt verlangt würde. Das Ministerium hat meinen
Mehr erwarte ich auch nicht von Ihnen.
Kollegen mitgeteilt, sie sollten das einfach in eine
Spende umwandeln. Ich bin aber der Meinung, dass mit Danke.
einer Spende nicht die Erfüllung eines Zweckes verbun-
den sein darf. Frau Staatssekretärin, mir geht es eigent- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
lich nur darum, dass man gemeinsam einen Weg suchen Die letzte Bemerkung stößt auf allgemeines Verständ-
sollte, um aus diesem Dilemma herauszukommen. nis.

Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Ich rufe jetzt die Frage 16 der Kollegin Dr. Lötzsch
Bundesminister der Finanzen: auf:
(B) Herr Kollege Girisch, ich kann nicht bestätigen, dass Teilt die Bundesregierung die Auffassung von Porsche- (D)
das Ministerium Ihren Kollegen die Empfehlung gege- Chef Wendelin Wiedeking, dass „es ... wenig sinnvoll“ ist,
„wenn man in Zeiten, in denen mehr als fünf Millionen Men-
ben hat, das in eine Spende umzuwandeln, weil mir die- schen als Arbeitslose in Deutschland registriert sind, den Job-
ser Sachverhalt nicht bekannt ist. export auch noch aus dem … Steuertopf subventioniert“
– „Spiegel online“, 5. April 2005 –, und sieht die Bundes-
(Georg Girisch [CDU/CSU]: Das kann ich regierung in diesem Zusammenhang Handlungsbedarf im
Ihnen schicken!) Hinblick auf den Umstand, dass Unternehmen bei Standort-
verlagerungen ins Ausland die Kosten für die Planung der In-
Wenn es so ist, dann ist das die pragmatische Möglich- vestitionen, den Transfer der Arbeitsplätze, die Verwaltung
keit. Wenn das Ministerium diesen Rat gegeben hat, und die Finanzierung voll steuerlich absetzen können?
dann könnte sich damit ein praktischer Weg eröffnen.
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Bundesminister der Finanzen:
Ich rufe die Frage 15 des Kollegen Girisch auf: Frau Kollegin Lötzsch, das geltende Steuerrecht ent-
Sind der Bundesregierung neben dem deutsch-amerikani- hält entgegen einer weit verbreiteten Auffassung keine
schen Volksfest auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr, Regelungen, die die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins
das seit 1952 vom gemeinsamen deutsch-amerikanischen Ausland subventionieren. Für die steuerliche Beurtei-
Ausschuss durchgeführt wurde und bei dem der Eintritt im
vollen Umfang zur Verwendung für wohltätige Zwecke unter
lung von Aufwendungen im Zusammenhang mit Be-
dem Leitmotiv der deutsch-amerikanischen Freundschaft er- triebsverlagerungen ins Ausland gilt der allgemeine
hoben wurde, vergleichbare Fälle bekannt, bei denen die Aus- steuerliche Veranlassungszusammenhang. Danach sind
nahmeregelung durch das BMF nicht erteilt wurde, und, wenn Aufwendungen für eine Betriebsstättengründung im
ja, wurden dadurch erhebliche Veränderungen in den Organi- Ausland der ausländischen Betriebsstätte zuzuordnen
sationsstrukturen von deutsch-amerikanischen Veranstaltun-
gen herbeigeführt? und damit in Deuschland insoweit nicht zu berücksichti-
gen.
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Bei einer Unternehmensverlagerung in eine ausländi-
Bundesminister der Finanzen: sche bestehende Tochtergesellschaft müssen die Auf-
Genehmigungen für Volksfeste können nur erteilt wendungen zwischen der inländischen Muttergesell-
werden, wenn die Voraussetzungen der Verfahrensan- schaft und der ausländischen Tochtergesellschaft
weisung vom Februar 2004 erfüllt sind. Hierauf hatte ich steuerlich wie unter fremden Dritten abgerechnet wer-
schon hingewiesen. Diese Verfahrensanweisung sieht den. Um Gewinnverlagerungen entgegenzuwirken, führt
Ausnahmeregelungen nur durch das BMF auf Antrag die Finanzverwaltung hinsichtich der Verrechnungen
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15727
Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks
(A) zwischen den Gesellschaften eine Angemessenheitsprü- Jahre 2002 und 2003 zu prüfen sind. Weiter dürften die (C)
fung durch. Finanzverwaltungen noch nicht sein. Deswegen kann
noch keine Aussage darüber getroffen werden, welche
Für die steuerliche Beurteilung von Aufwendungen eventuellen Steuereinnahmeausfälle damit verbunden
zur Finanzierung und Verwaltung einer Beteiligung an sind.
einer Tochtergesellschaft enthält das geltende Recht eine
pauschalierende Sonderregelung. Danach kann die in-
ländische Muttergesellschaft in Deuschland die Aufwen- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
dungen, insbesondere Finanzierungsaufwendungen, als Eine weitere Zusatzfrage, Frau Lötzsch.
Betriebsausgabe abziehen. Es gelten jedoch 5 Prozent
der steuerfreien Beteiligungserträge als nicht abziehbare
Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos):
Betriebsausgaben. Dieses pauschale Betriebsausgaben-
abzugsverbot ist 1999 eingeführt worden, weil das bis Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Staatssekretärin,
dahin für Auslandsbeteiligungen geltende Abzugsverbot Sie haben zwar ausgeführt, dass Sie keine Angaben zu
für Betriebsausgaben durch Gestaltungen vollständig un- dem Jahr 2004 machen können; aber ich gehe davon aus
terlaufen werden konnte und zudem sehr streitanfällig – darauf will ich allerdings keine Zusatzfrage ver-
war. Eine solche pauschale Regelung ist EG-rechtlich in schwenden –, dass Sie Angaben zu den vorangegange-
der Mutter-Tochter-Richtlinie vorgesehen. Sie gilt aus nen Jahren hätten machen können. – Das ist allerdings
EU-rechtlichen Gründen für Aufwendungen im Zusam- nur eine Anmerkung, keine Frage.
menhang mit Inlands- und Auslandsbeteiligungen. Eine (Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin:
Verschärfung der Regelungen zulasten der Auslandsbe- Das verstehe ich!)
teiligungen wäre nach dem EG-Vertrag nicht zulässig.
Soweit mir durch die Medien bekannt ist, haben sich
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: zumindest Abgeordnete der Grünen dahin gehend ge-
Zusatzfrage, Frau Lötzsch. äußert, dass die Steuerregelungen, die den Jobexport
quasi subventionieren oder für die Unternehmen erleich-
tern, zu ändern sind. Hat die Bundesregierung diese Vor-
Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos):
schläge aus der Fraktion des Koalitionspartners aufge-
Herr Präsident! Frau Staatssekretärin, Sie haben rela- griffen bzw. gedenkt sie, diese Vorschläge aufzugreifen,
tiv einleuchtend beschrieben, dass es zwar de jure keine und wenn ja, wann?
Subventionierung von Jobexport gibt, dass aber die
Steuergesetze die Wirkung haben, dass Jobexport sub-
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
(B) ventioniert wird oder sich für die betroffenen Unter- (D)
nehmen steuerlich positiv bemerkbar macht. Ich bin im Bundesminister der Finanzen:
Übrigen nicht die Einzige, der das aufgefallen ist; es ist Frau Kollegin Lötzsch, ich würde Ihnen die Frage, die
auch von Mitgliedern Ihrer Fraktion diskutiert worden. Sie nicht als Zusatzfrage verstanden wissen wollten,
Ich gehe deshalb davon aus, dass Sie intern berechnet gleichwohl gerne beantworten. Die Körperschaftsteuer-
haben, wie hoch die Steuerausfälle im Jahr 2004 durch statistik – ich habe das eben in der Einleitung meiner
die De-facto-Subvention von Jobexport waren. Antwort auf Ihre Frage schon ausgeführt – enthält auch
für die vorangegangenen Jahre keine so spezifizierten
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Angaben. Ich glaube nicht, dass wir diese Angaben zu
Bundesminister der Finanzen: den vorangegangenen Jahren machen können. Ich will
Nein, Frau Kollegin Lötzsch. Dazu kann ich keine dem aber gerne nachgehen.
Angaben machen, weil das die Körperschaftsteuerstatis- Die einzelnen Sachverhalte werden in den Betriebs-
tik nicht hergibt. Im Übrigen ist das Jahr 2004 – verein- prüfungen nicht festgehalten. Nach den zahlreichen Be-
facht ausgedrückt – in körperschaftsteuerlicher Hinsicht triebsprüfungen, die in der Bundesrepublik Deutschland
noch längst nicht abgeschlossen. Es geht hierbei um erfolgen, liegt zwar hinterher ein Ergebnis vor; aber nur
Sachverhalte, die naturgemäß in der Regel Gegenstand diejenigen, die diese Prüfungen selber vor Ort durchge-
der Betriebsprüfung sind. Die Unternehmen bzw. Ak- führt haben, wissen, wie dieses Ergebnis zustande ge-
tiengesellschaften leisten eine Körperschaftsteuer- kommen ist. Ich fürchte, aus der Körperschaftsteuersta-
vorauszahlung, und zwar – sofern sie überhaupt Erträge tistik geht das nicht hervor.
erwarten – regelmäßig jedes Vierteljahr. Das wird von
der Finanzverwaltung festgesetzt. Erst durch eine Be- Auch mir ist bekannt geworden – um nun auf Ihre
triebsprüfung wird die endgültige Steuerlast festgestellt. Frage einzugehen –, dass sich Kollegen und Kolleginnen
Die Betriebsprüfungen für das Jahr 2004 haben aber aus der Fraktion der Grünen kritisch zu dem angespro-
noch nicht stattgefunden. Das ist den Landesfinanzver- chenen Sachverhalt in unserem Körperschaftsteuer-
waltungen nicht vorzuwerfen; vielmehr sind die Betriebs- gesetz geäußert haben. Mir ist dies nicht recht verständ-
prüfungen noch mit den Vorjahren befasst. Große Kon- lich, weil wir dieses Gesetz gemeinsam beschlossen und
zerne werden schließlich nahtlos geprüft. Es finden nicht in der Vergangenheit durchaus schon den Versuch unter-
nur ab und an stichprobenartige Prüfungen statt; viel- nommen haben, die Pauschalierung, von der ich sprach,
mehr werden die Betriebsprüfungen jedes Jahr durchge- etwas höher anzusetzen. Diese hätte aber aus europa-
führt. Das Jahr 2004 erscheint aber sicherlich frühestens rechtlichen Gründen nicht nur in Bezug auf das Ausland,
im Jahr 2006 auf dem Prüfplan, weil vorher die sondern auch auf das Inland angewandt werden müssen.
15728 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks


(A) Insofern ist uns keine handhabbare Alternative zu der Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim (C)
pauschalierenden Regelung ersichtlich. Bundesminister der Finanzen:
Frau Kollegin Kaupa, Gegenstand der Prüfung einer
Insbesondere ist – wie auch die frühere Praxis gezeigt möglichen Erhebung von Umsatzsteuer auf Leistungen
hat – ein generelles Abzugsverbot für Aufwendungen, von Vereinen an ihre Mitglieder sind durch ein Urteil des
die mit steuerfreien Beteiligungserträgen in Zusammen- Europäischen Gerichtshofs aus dem Jahr 2002 aufge-
hang stehen, sehr gestaltungsanfällig. Die für die steuer- worfene komplexe Rechtsfragen. Eine Untersuchung der
liche Beurteilung notwendige Zuordnung von Aufwen- finanziellen Auswirkungen ist völlig nachrangig. Sollte
dungen lässt sich nicht befriedigend lösen, sodass nur es dort zu Änderungen kommen, würde dies nicht aus
der Weg der Pauschalierung bleibt. finanziellen Gründen, sondern aus Rechtsgründen ge-
schehen.
In diesem Zusammenhang erlaube ich mir, darauf
hinzuweisen, dass sich nicht nur die Kollegin Scheel,
sondern auch der bayerische Ministerpräsident, Gerlinde Kaupa (CDU/CSU):
Dr. Edmund Stoiber, vor einigen Wochen in einer Fern- Es ist für mich überraschend, dass Sie sich noch nicht
sehsendung sinngemäß in der Weise geäußert haben, einmal über die Höhe Gedanken gemacht haben. Aber
dass das überhaupt nicht zu verstehen ist. für die Vereine hätte das eine riesengroße Auswirkung.
Daher ist es wert, sich darüber Gedanken zu machen.
Ich darf in diesem Zusammenhang die Bitte an die Darf ich Ihnen ein Beispiel nennen? – Ich betreue bei
Bayerische Staatsregierung richten, uns eine handhab- uns 315 Vereine mit 87 000 Mitgliedern. Wenn man den
bare Alternative vorzuschlagen, sofern sie eine hat. Mindestbeitrag von circa 50 Euro jährlich ansetzt, dann
stellt man fest, dass allein die Vereine in dem kleinen
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Bereich Stadt und Landkreis Passau 400 000 Euro an
Umsatzsteuer abführen müssten. Das wäre für die Ver-
Eine Zusatzfrage des Kollegen Thiele.
eine eine Katastrophe. Wenn man über etwas nachdenkt
und anschließend nicht dementiert und sagt: „Okay, wir
Carl-Ludwig Thiele (FDP): lassen es sein“, dann muss man sich auch darüber Ge-
Herzlichen Dank, Herr Präsident. – In Ergänzung die- danken machen, welche Folgen das hat. Was sagen Sie
ses Sachverhaltes frage ich Sie Folgendes, Frau Staats- dazu?
sekretärin: Plant die Regierung keine Änderungen in die-
sem Bereich, auch nicht im Zusammenhang einer Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
(B) Gegenfinanzierung der Senkung des Körperschaftsteuer- Bundesminister der Finanzen: (D)
satzes von 25 auf 19 Prozent? Hat die Bundesregierung Frau Kollegin Kaupa, wir haben das schon demen-
keine Anhaltspunkte, die darauf hinweisen, dass bei ei- tiert. Wir haben zwar darauf hingewiesen, dass es in der
ner Änderung der entsprechenden Regelung dem Fiskus Tat einen Prüfungsvorgang von Bund und obersten
Mehreinnahmen in Höhe von bis zu 5 Milliarden Euro Finanzbehörden der Länder gibt, und zwar wegen eines
pro Jahr entstehen, wie das teilweise medial behauptet EuGH-Urteils. Aber Zielrichtung weder der Bundes-
wurde? regierung noch der obersten Finanzbehörden der Länder
ist, auf alle Vereinsbeiträge Umsatzsteuer zu erheben
und auf diese Weise Geld zu schöpfen. Zielrichtung der
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Prüfung ist vielmehr, das EuGH-Urteil so auszulegen,
Bundesminister der Finanzen: dass möglichst wenige Betroffenheiten entstehen. Das
Ich weiß, dass das teilweise medial behauptet wurde. ist der Gegenstand der Prüfung. Eine Hochrechnung der
Das bezieht sich unter anderem auf Äußerungen des Umsatzsteuer auf alle Mitgliedsbeiträge an die Vereine
Fachhochschulprofessors Jarass. Diese sind so aber nicht in einem Landkreis ist daher wirklich nicht notwendig.
zu bestätigen. Die Bundesregierung plant nicht, dies als
Ich will Ihnen nicht unterstellen, dass Sie Panikmache
eine Gegenfinanzierungsmaßnahme – wozu auch immer –
betreiben. Aber ich bitte Sie, vor Ort für Entwarnung zu
heranzuziehen, da sie derzeit keine handhabbare Alter-
sorgen; denn es ist weder die Absicht der Bundesregie-
native sieht. rung noch die der obersten Finanzbehörden der Länder,
auf alle denkbaren Vereinsmitgliedsbeiträge, zum Bei-
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: spiel auf die Beiträge an die Sportvereine, Umsatzsteuer
Die Fragen 17 und 18 des Kollegen Spahn werden zu erheben. Vielmehr geht es darum, dies so eng wie
schriftlich beantwortet. möglich zu handhaben. Ihre Sorgen sind unbegründet.

Wir kommen zur Frage 19 der Kollegin Gerlinde Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Kaupa: Eine weitere Zusatzfrage.
Zu welchem Schluss im Hinblick auf die geschätzte Höhe
des Steueraufkommens ist die Prüfung durch den Bundes- Gerlinde Kaupa (CDU/CSU):
minister der Finanzen, Hans Eichel, gelangt, die sich – „Köl-
ner Stadt-Anzeiger“ vom 15. März 2005 – mit der möglichen
Wenn meine Sorgen unbegründet sind, dann können
Erhebung der Mehrwertsteuer auf Mitgliedsbeiträge zu Verei- Sie sich ja dazu definitiv äußern und sagen: Die Vereins-
nen befasst hat? mitgliedsbeiträge werden nicht besteuert. Dann sind die
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15729
Gerlinde Kaupa
(A) Vereine zufrieden und ich muss sie nicht mehr be- dass die Sportvereine – in ihnen üben die Bürgerinnen (C)
schwichtigen. Sind Sie dazu bereit? und Bürger einfach nur Sport aus – davon nicht betroffen
sein werden. Nur das kann ich schon jetzt sagen.
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Ich kann nicht sagen: Alle eingetragenen Vereine sind
Bundesminister der Finanzen: davon ausgeschlossen; denn der EuGH richtet sich nicht
Frau Kollegin Kaupa, ich hatte Ihnen ja bereits ge- nach dem deutschen Gemeinnützigkeitsrecht. Er urteilt
sagt, dass der Prüfungsvorgang noch nicht abgeschlos- vielmehr nach europäischem Recht.
sen ist.
(Gerlinde Kaupa [CDU/CSU]: Wann kann der Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
abgeschlossen werden?) Kollege Fahrenschon, bitte.
– In naher Zukunft. Es gibt einen Bericht, der den Lan-
desministerien zugehen wird. Ich gehe davon aus, dass Georg Fahrenschon (CDU/CSU):
das mit dem Abschluss der Prüfung wahrscheinlich im Frau Staatssekretär, Sie haben bei der Beantwortung
Mai so weit sein wird, wenn ich das richtig sehe. der Frage der Kollegin Kaupa gesagt, dass Sie sich nicht
in der Lage sehen, schon heute Entwarnung, was eine
Ich kann aber die von Ihnen gewünschte Aussage eventuelle Steuerpflicht angeht, zu geben. Habe ich Sie
nicht treffen; denn das EuGH-Urteil kann in eng be- da richtig verstanden? Stehen Sie damit gegebenenfalls
grenzten Ausnahmen – so eng wie nur möglich – tat- im Widerspruch zum Finanzminister des Landes Nord-
sächlich eine Pflicht zur Erhebung der Umsatzsteuer auf rhein-Westfalen? Er hat ausweislich eines Artikels im
Vereinsmitgliedsbeiträge rechtlich notwendig machen. „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 18. März 2005, also vor
Deswegen kann ich nicht sagen: Es wird gar nicht dazu etwa einem Monat, geäußert – ich zitiere –:
kommen. – Im Moment ist eine solche Aussage nicht
möglich. Aber ich kann Entwarnung für fast alles geben. Dieckmann erläuterte, er habe in Gesprächen auf
Landes- und Bundesebene bereits durchgesetzt,
(Gerlinde Kaupa [CDU/CSU]: Sehen Sie dann dass Fördervereine grundsätzlich nicht betroffen
Bürokratiezuwachs?) sind, dass Sportvereine von der Umsatzsteuer-
pflicht befreit sein werden und dass weitere Vereine
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: – soweit es machbar ist – ebenfalls umsatzsteuerbe-
Das müssten Sie im Rahmen der Behandlung der freit bleiben.
nächsten Frage ansprechen. Sie hatten nämlich schon
Der Kollege Dieckmann hat also gesagt: Das Thema
zwei Zusatzfragen.
(B) Fördervereine ist erledigt, das Thema Sportvereine eben- (D)
Jetzt dürfen Frau Kollegin Lenke und dann der Kol- falls; nur bei den weiteren Vereinen gibt es noch ein Pro-
lege Fahrenschon eine Zusatzfrage stellen. Frau Lenke, blem. Ich sehe da einen Widerspruch.
bitte.
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
Ina Lenke (FDP): Bundesminister der Finanzen:
Frau Staatssekretärin, Sie haben gesagt, Sie könnten Ich sehe da keinen Widerspruch. Ich habe Frau Kolle-
Entwarnung für fast alles geben. Dann haben Sie noch gin Lenke schon darauf hingewiesen, dass zum Beispiel
gesagt, Sie versuchten, dieses Urteil so eng wie möglich weder Sportvereine noch Fördervereine betroffen sein
auszulegen, damit es keine negativen Auswirkungen auf werden.
die Sportvereine und auf andere Vereine hat. Das zeigt
mir aber – diese Botschaft vermitteln Sie –, dass die Vor- Aber es sind eben nicht alle Vereine nicht betroffen.
prüfung wahrscheinlich ergeben hat, dass doch einige Abschließend muss noch geklärt werden, wie klein die
Vereine betroffen sind. Ich möchte jetzt gerne von Ihnen Gruppe der Betroffenen sein wird. Darum geht es uns.
wissen, ob Sie ausschließen können, dass die eingetrage- Ich möchte noch einmal ganz deutlich machen: Es geht
nen Vereine – viele Vereine sind eingetragen – betroffen uns nicht darum, irgendwie mehr Geld einzunehmen; es
sind. geht uns nicht darum, mehr Bürokratie zu schaffen. Es
geht uns darum, das EuGH-Urteil so vereinsfreundlich
wie nur irgend möglich auszulegen.
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister der Finanzen:
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Frau Kollegin, eigentlich sind alle Vereine eingetrage-
nen Vereine. Genauso wie ich gerade gesagt habe, dass Ich rufe Frage 20 der Kollegin Kaupa auf:
ich nicht ausschließen kann, dass kein Verein betroffen Wird seitens des Bundesministers der Finanzen, Hans
Eichel, die Erhebung der Mehrwertsteuer auf Mitgliedsbei-
ist, kann ich auch nicht sagen: Ich kann ausschließen, träge der Vereine erwogen oder schließt er diese Form der Be-
dass alle eingetragenen Vereine betroffen sind. steuerung definitiv aus?
Die Prüfung ist noch nicht abgeschlossen. Wir kön-
nen sie nicht allein durchführen. Wir führen sie zusam- Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
men mit den obersten Finanzbehörden der Länder, also Bundesminister der Finanzen:
mit allen 16 Länderfinanzministerien, durch. Wir sind Hintergrund dieser Frage ist das Urteil des Europäi-
uns in der Zielrichtung einig. Ich kann sicherlich sagen, schen Gerichtshofs vom 21. März 2002 – Kennemer
15730 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks


(A) Golf & Country Club – zur umsatzsteuerlichen Behand- Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim (C)
lung der Leistungen eines Sportvereins an seine Mitglie- Bundesminister der Finanzen:
der, das aufgrund eines niederländischen Vorabentschei- Nein.
dungsersuchens ergangen ist.
Gerlinde Kaupa (CDU/CSU):
Bei dem Verfahren vor dem EuGH ging es unter an-
Die Frage ist, ob sich die Bundesregierung dagegen
derem um die Frage, unter welchen Voraussetzungen die
wehren würde, wenn es Vereine gäbe, für die eine solche
Leistungen eines Sportvereins an seine Mitglieder um-
Regelung existenziell wäre, falls am Schluss doch die
satzsteuerbar sind und der Mitgliedsbeitrag somit Ent-
Sportvereine betroffen würden.
gelt für von einem Sportverein erbrachte sonstige Leis-
tungen ist. Der EuGH hat hierzu entschieden, dass die
Jahresbeiträge der Mitglieder eines Sportvereins Gegen- Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim
leistung für eine von dem Verein erbrachte Leistung dar- Bundesminister der Finanzen:
stellen können. Der EuGH hat in seiner Entscheidung Nein, die Bundesregierung kann sich gar nicht dage-
weiter die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil A Abs. 1 gen wehren, weil ein solches Urteil bindend ist. Das ist
Buchstabe M der 6. EG-Richtlinie bestätigt. schon die letzte Instanz. Da ist der Rechtsweg auf euro-
päischer Ebene ausgeschöpft. Ich glaube auch nicht, dass
Die in Deutschland geltende Regelung, wonach echte man zum Beispiel noch vor dem europäischen Men-
Mitgliedsbeiträge als Gegenleistung für nicht steuerbare schenrechtsgerichtshof klagen könnte; das hielte ich für
Leistungen eines Sportvereins angesehen werden, führt eher unwahrscheinlich.
zum gleichen fiskalischen Ergebnis wie die Entschei-
dung des EuGH, nach der die Mitgliedsbeiträge Entgelt Die Bundesregierung legt schon Wert darauf, das Ur-
für steuerbare, aber steuerfreie Leistungen eines Sport- teil so eng wie eben möglich auszulegen. Aber es gibt
vereins sind. Danach fällt also wie bisher keine Umsatz- natürlich Vereine, die infrage kommen könnten. In dem
steuer an. Bericht der Arbeitsgruppe, der den obersten Finanzbe-
hörden der Länder zugegangen ist, wird vorgeschlagen,
Gleichwohl muss geprüft werden, ob aufgrund der die Möglichkeiten der 6. EG-Richtlinie so weit wie mög-
Entscheidung des EuGH das nationale Recht an die ver- lich auszunutzen und bislang nicht transformierte Steu-
bindlichen Vorgaben der 6. EG-Richtlinie zur Harmoni- erbefreiungen in das nationale Umsatzsteuerrecht aufzu-
sierung der Mehrwertsteuern angepasst werden muss. nehmen, sodass wir da EU-konform blieben.
Gegenstand der Prüfung ist auch die weitestgehende Gleichwohl wird ein Bereich von Leistungen von
Ausnutzung der Spielräume des Gemeinschaftsrechts, Vereinigungen an ihre Mitglieder, im Wesentlichen au-
(B) damit es nur in möglichst wenigen Fällen zu einer wirt- ßerhalb des Sportbereichs, aufgrund der engen Vorgaben (D)
schaftlichen Belastung mit Umsatzsteuer kommt. der 6. EG-Richtlinie künftig der Umsatzsteuerpflicht un-
Hierzu hat die schon genannte Bund/Länder-Arbeits- terliegen. Beispiele hierfür sind Leistungen von Dach-
gruppe einen Bericht erstellt, der nun den obersten Fi- verbänden an ihre selbstständigen Untergliederungen im
nanzbehörden der Länder vorgestellt und alsbald – nach Bereich des Sports – nicht die Mitgliedsbeiträge des ein-
meinem Kenntnisstand wird das im Mai sein – erörtert zelnen Menschen – oder individualisierbare Leistungen
werden soll. Nach bisheriger Erkenntnis werden sich von Automobilclubs an ihre Mitglieder, die nicht unter
insbesondere bei der umsatzsteuerrechtlichen Behand- eine der bereits bestehenden Steuerbefreiungen fallen
lung der Leistungen eines Sportvereins an seine Mitglie- und für die neben dem Mitgliedsbeitrag kein gesondertes
der, die Sport ausüben, im wirtschaftlichen Ergebnis Entgelt gezahlt wird, zum Beispiel die Abgabe von Stra-
keine Änderungen ergeben. Andere Vereine, zum Bei- ßenkarten oder die Erarbeitung von Reiserouten. Solche
spiel Gesangsvereine, kommen ohnehin nicht in Frage. Leistungen können in Zukunft möglicherweise nicht
mehr umsatzsteuerbefreit sein. Darüber wird noch end-
(Ina Lenke [FDP]: Musikvereine!) gültig zu entscheiden sein. Sie sehen, wie sehr wir uns
bemühen, das so eng wie eben möglich auszulegen.
– Musikvereine oder ähnliche Vereine, in denen Unter-
richt erteilt wird. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Zweite Zusatzfrage? – Das ist nicht der Fall.
Gerlinde Kaupa (CDU/CSU): Herr Kollege Schmidt.
Wenn Sportvereine nicht gemeint sind, wenn auch
Trachten- oder Musikvereine nicht gemeint sind, dann Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD):
ist zu fragen, ob überhaupt noch Vereine übrig bleiben, Frau Staatssekretärin, ich entnehme dem Fall, der die-
die es betrifft. sem Urteil des EuGH zugrunde liegt, dass – das haben
Sie zuletzt auch betont – der normale Vereinsbeitrag,
(Ute Kumpf [SPD]: Ja, Golfclubs!)
egal ob es sich um einen Verein im Bereich des Sports
Welche Vereine betrifft es? oder der Kultur oder der Wohlfahrtspflege handelt, of-
fensichtlich nicht im Fokus der Auswertung steht, die
Man hat in der Vergangenheit festgestellt, dass die Sie genannt haben, sondern dass, wenn überhaupt, eher
Bundesregierung nicht jedes EUGH-Urteil hinnimmt, zusätzliche Dienstleistungen, die von einem Verein für
sondern mitunter auch dagegen klagt. Mitglieder oder gar für Externe erbracht werden, in den
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15731
Wilhelm Schmidt (Salzgitter)
(A) Fokus geraten würden mit dem Ziel, eine Umsatzbesteu- Bitte, Herr Schlauch. (C)
erung herbeizuführen. Ist das so ungefähr das, worum es
in der Auswertung geht? Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister für Wirtschaft und Arbeit:
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim Sehr geehrter Herr Kollege Schummer, ich beant-
Bundesminister der Finanzen: worte Ihre Frage wie folgt: Die Agenturen für Arbeit
Ja, Herr Kollege, das ist die Richtung; das haben Sie verfügen über insgesamt 15 137 Stellen für Arbeitsver-
richtig erkannt. Es kommt nicht zuletzt auf Art und Um- mittlerinnen und Arbeitsvermittler sowie für Berufsbera-
fang der Gegenleistungen an, die für den Mitgliedsbei- terinnen und Berufsberater. Rund 21 Prozent aller Be-
trag erbracht werden. schäftigten der Bundesanstalt arbeiten in diesen
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Vielen Bereichen. Auf die Arbeitsvermittlerinnen und Arbeits-
Dank!) vermittler entfallen 11 514 Stellen; damit arbeiten in die-
sem Bereich rund 16 Prozent aller Beschäftigten der BA.
3 623 oder rund 5 Prozent der Beschäftigten der BA sind
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Berufsberaterinnen und Berufsberater.
Frau Kollegin Lenke.
Darüber hinaus können die Agenturen für Arbeit zu-
Ina Lenke (FDP): sätzlich bis zu 2 259 Arbeitsvermittlerinnen und Arbeits-
Frau Staatssekretärin, erst einmal bedanke ich mich vermittler im SGB-III-Bereich befristet einstellen. Diese
für Ihre Ausführungen. Hierbei gibt es kein parteipoliti- Quote wird nach Auskunft der Bundesanstalt im Laufe
sches Hickhack. Wir alle sind dafür – das ist ganz klar –, des Jahres 2005 ausgeschöpft werden. Weiterhin stehen
dass Vereinsmitglieder nicht noch zusätzliche Beiträge in der Zentralstelle für Arbeitsvermittlung, die unter an-
zahlen müssen. Auch deshalb sind die Fragen sehr ge- derem für die Vermittlung vom und ins Ausland sowie
rechtfertigt. für besondere Personengruppen zuständig ist, weitere
158 Stellen für Arbeitsvermittlerinnen und Arbeitsver-
Was in den einzelnen Landkreisen passiert, davon ha- mittler zur Verfügung.
ben Sie sicherlich auch schon Kenntnis bekommen. In
meinem Landkreis herrscht helle Aufregung und keiner
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
weiß Bescheid. Deshalb wurden ja auch die entsprechen-
den Fragen für die heutige Fragestunde gestellt. Deshalb Bitte schön, Herr Schummer.
ist in Bezug auf diese Sache Transparenz vonnöten und
bis zum Mai vielleicht auch eine gewisse Beruhigung Uwe Schummer (CDU/CSU): (D)
(B)
der Bürger und Bürgerinnen. Deshalb meine Frage, ob Herr Staatssekretär, sehen Sie den politischen Willen
Sie den Bericht, aus dem Sie gerade vorgetragen haben, der Bundesregierung erfüllt, im Zuge der Hartz-I-Ge-
nicht dem Plenum zur Verfügung stellen können. setze die Zahl der Arbeitsvermittler in den Agenturen
aufzustocken? Wie erklären Sie vor diesem Hintergrund,
Dr. Barbara Hendricks, Parl. Staatssekretärin beim dass die Zahl der Vermittlungserfolge in den letzten zwei
Bundesminister der Finanzen: bis drei Jahren um etwa ein Drittel zurückgegangen ist?
Frau Kollegin, das kann ich leider nicht, weil es sich
um den Bericht einer Bund/Länder-Arbeitsgruppe han- Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
delt, über den ich nicht frei verfügen kann. Ich müsste minister für Wirtschaft und Arbeit:
zunächst eine Genehmigung von den Ländern einholen;
deshalb kann ich das hier nicht zusagen, so Leid es mir Herr Kollege, Sie sehen schon an den Zahlen, dass es
tut. Wir werden aber prüfen, ob wir das zumindest den hier eine deutliche Bewegung nach oben gibt. Im Rah-
Mitgliedern des Finanzausschusses zur Verfügung stel- men der Umstrukturierung der Bundesanstalt wird das
len können, damit sie damit entsprechend umgehend Verhältnis der Beschäftigten, die im Bereich Arbeitsver-
können. Das müssen wir aber erst prüfen. mittlung und Berufsberatung tätig sind, gegenüber den
Beschäftigten im Verwaltungsbereich nachhaltig verbes-
sert. Auch das ist ein Ziel der Umgestaltung und Um-
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: strukturierung sowie der Zuweisung von neuen Aufga-
Zur gleichen Frage ist keine weitere Zusatzfrage mehr ben an die Bundesagentur, wie Sie genau wissen. Wenn
möglich, Frau Kaupa. Weitere Wünsche nach Zusatzfra- dies in Einzelfällen in manchen Regionalbereichen noch
gen sehe ich im Augenblick nicht. nicht zu dem von uns gewünschten und ins Auge gefass-
Ich bedanke mich bei Ihnen, Frau Hendricks, und rufe ten Ergebnis geführt hat, dann deshalb, weil der Um-
den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirt- strukturierungsprozess noch nicht abgeschlossen ist.
schaft und Arbeit auf. Zur Beantwortung steht der Parla- Klar ist aber, dass die Vermittlungstätigkeit im Vorder-
mentarische Staatssekretär Rezzo Schlauch zur Verfü- grund der Aufgaben und der Ziele der BA steht und wei-
gung. terhin entwickelt wird.

Frage 21 des Kollegen Uwe Schummer:


Uwe Schummer (CDU/CSU):
Wie viele Berufsberater und wie viele Arbeitsvermittler
hat die Bundesagentur für Arbeit, BA, gemessen jeweils an Herr Staatssekretär, ist bei der Umsetzung von
den gesamten Beschäftigten? Hartz IV sichergestellt, dass auch bei den optierenden
15732 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Uwe Schummer
(A) Kommunen die Berufsberatung bei den Arbeitsagentu- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (C)
ren personell abgesichert und unterstützt wird? Zusatzfrage, Herr Kollege Weiß?

Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU):
minister für Wirtschaft und Arbeit: Herr Staatssekretär, man kann das etwas einfacher
formulieren: Die rot-grüne Regierung hat den Kündi-
Die Agenturen sind ausschließlich für die Vermittlung
gungsschutz für die über 50-Jährigen faktisch abge-
zuständig. Selbstverständlich wird der auf die Bundes-
schafft, jedenfalls weit heruntergefahren. Nach 26 Mo-
agentur entfallende Anteil des Engagements abgesichert. naten stellt der Bundeskanzler fest, dass keine
Dazu gehört die Berufsberatung. Beschäftigungswirkung eingetreten ist.
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was hat
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
denn die Union bei diesem Thema gemacht?)
Ich rufe die Frage 22 des Kollegen Gerald Weiß auf:
Bedeutet das für Sie jetzt, dass die Entscheidung damals
Liegen der Bundesregierung Daten über die Auswirkun- falsch war? Oder hoffen Sie, dass sich in der Zukunft
gen der Änderungen des Kündigungsschutzes der Arbeitneh-
mer über 50 Jahre vor, auf denen die Aussage des Bundes-
– in der Antwort auf die erwähnte Anfrage haben Sie ja
kanzlers Gerhard Schröder vor dem Deutschen Bundestag am Erkenntnisse für Herbst 2005 in Aussicht gestellt – doch
17. März 2005 beruht, diese Änderungen hätten bei diesem noch positive Wirkungen ergeben könnten?
Personenkreis nicht zu einer massiven Einstellungswelle ge-
führt, und weicht die Bundesregierung damit von der Antwort
auf die Frage 11 der Kleinen Anfrage der Fraktion der CDU/ Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
CSU „Wandel der Arbeitswelt und Modernisierung des Ar- minister für Wirtschaft und Arbeit:
beitsrechts“ auf Bundestagsdrucksache 15/2932 ab, wonach Herr Kollege, ich möchte die pauschale Feststellung,
sich in dem kurzen Zeitraum seit In-Kraft-Treten der geänder- die Sie treffen, dass der Kündigungsschutz für ältere Ar-
ten Anwendungsschwelle des Kündigungsschutzgesetzes beitnehmer quasi aufgehoben sei, korrigieren. Ältere Ar-
Auswirkungen auf das Einstellungsverhalten der betreffenden
Betriebe und Verwaltungen noch nicht feststellen ließen und beitnehmer, die ein befristetes Arbeitsverhältnis begrün-
wonach dem Deutschen Bundestag bis Ende 2007 über die den, haben aufgrund der Befristung natürlich keinen
Beschäftigungswirkung berichtet werde? Kündigungsschutz; das liegt im Wesen der Befristung.
Aber ältere Arbeitnehmer, die in einem unbefristeten Ar-
Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
beitsverhältnis stehen, haben selbstverständlich einen
Kündigungsschutz.
minister für Wirtschaft und Arbeit:
(B) Sehr geehrter Herr Kollege Weiß, ich beantworte Ihre (Peter Dreßen [SPD]: Sogar verstärkten!) (D)
Frage nach dem Kündigungsschutz für ältere Arbeitneh- Insofern ist Ihre pauschale Aussage, die jedenfalls in Ih-
mer wie folgt: Die von Ihnen zitierte Aussage in der rer Fragestellung impliziert war, für meine Begriffe nicht
Regierungserklärung von Bundeskanzler Gerhard zutreffend. Wir hoffen nach wie vor, dass die Flexibili-
Schröder bezieht sich auf die seit Januar 2003 beste- tät, die wir mit der Ausweitung der Befristungsmöglich-
hende Möglichkeit, Arbeitnehmer auf der Grundlage des keit geschaffen haben, von der Wirtschaft, den Unter-
§ 14 Abs. 3 Teilzeit- und Befristungsgesetz ab dem nehmen, den Arbeitgebern nach und nach zur Kenntnis
52. Lebensjahr, bei einer vorausgehenden Befristung genommen und entsprechend praktiziert wird, sodass
nach § 14 Abs. 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz bereits dann ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu-
ab dem 50. Lebensjahr ohne Vorliegen besonderer nehmend eingestellt werden.
Gründe befristet zu beschäftigen. Da befristete Arbeits-
verträge ohne Kündigung auslaufen, findet das Kündi- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
gungsschutzgesetz in diesem Fall keine Anwendung. Weitere Zusatzfrage.
Wie die Arbeitsmarktzahlen zeigen, hat diese seit über
zwei Jahren bestehende Möglichkeit der Beschäftigung
ohne Kündigungsschutz, die eine höhere Flexibilität als Gerald Weiß (Groß-Gerau) (CDU/CSU):
vorher gestattet, bislang nicht zu spürbar mehr Einstel- Herr Staatssekretär, da Sie es sozusagen mit diesem
lungen älterer Arbeitsuchender geführt. Der Bundes- Mauseloch versucht haben, frage ich Sie, ob der Bundes-
kanzler hat das als volkswirtschaftliche Vergeudung von kanzler mit der Feststellung, für Personen ab 50 Jahren
Wissen, Erfahrung, Fähigkeiten und Kreativität kritisiert existiere so gut wie kein Kündigungsschutz mehr, Recht
und es als Pflicht der Unternehmen bezeichnet, ältere hat.
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einzustellen. (Peter Dreßen [SPD]: Wenn sie neu eingestellt
werden!)
Die Antwort der Bundesregierung auf die Frage 11
der Kleinen Anfrage „Wandel der Arbeitswelt und Mo- Er kommt allerdings zu dem Ergebnis, dass diese Rege-
dernisierung des Arbeitsrechts“ bezieht sich nicht auf die lung bisher keine Beschäftigungswirkung gehabt hat.
Beschäftigungssituation Älterer, sondern auf die im
Januar 2004 angehobene betriebliche Anwendungs- Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
schwelle des Kündigungsschutzgesetzes. Über deren Be- minister für Wirtschaft und Arbeit:
schäftigungswirkung wird die Bundesregierung dem Herr Kollege, ich muss Sie leider noch einmal korri-
Deutschen Bundestag bis Ende 2007 berichten. gieren. Für Personen ab 50 Jahren, die in einem Beschäf-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15733
Parl. Staatssekretär Rezzo Schlauch
(A) tigungsverhältnis sind, besteht sehr wohl Kündigungs- Leistung der Sozialhilfe, also Hilfe zum Lebensunter- (C)
schutz. Wenn Sie beispielsweise die arbeitsgerichtliche halt, hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden,
Rechtsprechung betrachten, dann können Sie feststellen, dass diese anzurechnen ist, weil es sich hierbei nicht um
dass der Kündigungsschutz für Personen über 50 Jahren, eine zweckgebundene Leistung handelt. Dieser Grund-
die in bestehenden Arbeitsverhältnissen sind, aufgrund satz ist auch auf die Leistungen der Grundsicherung für
der Sozialauswahl noch besser ist als der für jüngere Ar- Arbeitsuchende nach SGB II anzuwenden, da es sich da-
beitnehmer. Insofern ist diese pauschale Aussage nicht bei um eine staatliche, bedarfsorientierte und bedürftig-
zutreffend. keitsabhängige Fürsorgeleistung handelt. Diese Fürsor-
geleistung soll weder dem Vermögensaufbau dienen
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: noch diesen auf andere Weise fördern.
Die Fragen 23 und 24 des Kollegen Dirk Niebel so- Dementsprechend handelt es sich bei einer Eigen-
wie die Fragen 25 und 26 der Kollegin Dagmar Wöhrl heimzulage, die einem Angehörigen der Bedarfsgemein-
werden schriftlich beantwortet.1) schaft ausgezahlt wird, um eine einmalige Einnahme im
Ich rufe die Frage 27 der Kollegin Ina Lenke auf: Sinne des § 2 Abs. 3 Arbeitslosengeld II, die vom Be-
ginn des Monats an zu berücksichtigen ist, in dem sie zu-
Wie bewertet die Bundesregierung den Umstand, dass es
durch die Anrechnung der Eigenheimzulage auf das Einkom-
fließt. Arbeitslosengeld-II-Empfänger, die zur Finanzie-
men von ALG-II-Empfängerinnen und -Empfängern insbeson- rung ihres Eigenheims auf ein Darlehen angewiesen
dere bei kinderreichen Familien dazu kommen kann, dass sind, erhalten im Rahmen der Kosten für Unterkunft und
Kredite für – auch im Vertrauen auf Leistungen der Eigenheim- Heizung nach § 22 SGB II die angemessenen Darlehens-
zulage – erworbenen Wohnraum nicht mehr getilgt werden zinsen. Tilgungsleistungen können hingegen nicht über-
können und dadurch ein Verkauf oder eine Zwangsversteige-
rung des Eigenheims/der Eigentumswohnung unumgänglich nommen werden, da sie dem Vermögensaufbau dienen.
wird, obwohl kinderreiche Familien vor allem im städtischen
Raum kaum Chancen haben, eine geeignete und bezahlbare
Die Bundesregierung fördert durch die Gewährung
Mietwohnung zu finden? der Eigenheimzulage die Schaffung von Wohnungsei-
gentum. Es ist richtig, dass in den Fällen, in denen der
Verkauf oder die Zwangsversteigerung des Wohneigen-
Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
tums notwendig ist, die beabsichtigte Wirkung der Ei-
minister für Wirtschaft und Arbeit:
genheimzulage nicht erreicht wird. – Nach Ihrer Körper-
Sehr geehrte Frau Kollegin Lenke, wenn Sie es ge- sprache zu urteilen, Frau Kollegin Lenke, wissen Sie
statten, möchte ich Ihre Fragen 27 und 28 zusammen be- schon alles.
antworten.
(Ina Lenke [FDP]: So ist es! Ich will Lösun-
(B) gen!) (D)
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Dann rufe ich noch die Frage 28 der Kollegin Ina Wie gesagt: Es ist richtig, dass in den Fällen, in denen
Lenke auf: der Verkauf oder die Zwangsversteigerung des Wohnei-
Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass nach gentums notwendig ist, die beabsichtigte Wirkung der
dem Verkauf oder der Versteigerung des Wohneigentums von Eigenheimzulage nicht erreicht wird. Dies gilt aber nicht
ALG-II-Empfängerinnen und -Empfängern bereits ausge-
zahlte und investierte Leistungen aus der Eigenheimzulage
nur für Arbeitslosengeld-II-Bezieher, denen die weitere
und dem Baukindergeld ihre beabsichtigte Wirkung verfehlen, Finanzierung ihres Eigenheims nicht möglich ist. Ist die
weil die Empfänger der Leistungen am Ende doch ohne Tilgung des Darlehens dadurch gefährdet, dass die Ei-
Wohneigentum bleiben und stattdessen als Mieter auf Wohn- genheimzulage zur Sicherung des Lebensunterhaltes
kostenzuschüsse im Rahmen des ALG II angewiesen sind, verwendet werden muss, kann mit dem Kreditgeber
und, wenn ja, welche Maßnahmen wird die Bundesregierung
ergreifen, um zu verhindern, dass ALG-II-Empfängerinnen
eventuell auch die Stundung der Darlehensrückzahlung
und -Empfänger staatlich gefördertes Wohneigentum veräu- vereinbart werden.
ßern müssen?
(Ina Lenke [FDP]: Das war es?)
Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär beim Bundes- – Ja, das ist die Rechtslage, nach der Sie gefragt haben.
minister für Wirtschaft und Arbeit:
Grundsätzlich sind bei der Gewährung von Arbeits- Ina Lenke (FDP):
losengeld II bzw. Sozialgeld alle vorrangig zur Verfü- Herr Staatssekretär, wenn Bundestagsabgeordnete,
gung stehenden Einnahmen zu berücksichtigen. Sie kön- weil Bürger in Not sind, die Bundesregierung fragen,
nen so zu einer Minderung – gegebenenfalls bis zum dann erwarte ich von Ihnen nicht nur, dass Sie mir die
Wegfall – der Leistung führen. Entsprechend diesem Rechtslage deutlich machen, sondern dass Sie vielleicht
Grundsatz sind nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II als Ein- auch einmal selber überlegen, ob nicht seitens der Bun-
kommen alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert mit desregierung aufgrund der Neuerungen im Rahmen des
Ausnahme weniger Sozialleistungen zu berücksichtigen. ALG II Veränderungen nötig sind, wenn sich solche
Das SGB II – Grundsicherung für Arbeitsuchende – Dinge, wie ich sie dargestellt habe, auftun.
sieht eine Privilegierung der Eigenheimzulage nicht vor. Deshalb meine Frage: Wie bewerten Sie das und wel-
Zur Frage der Anrechnung der Eigenheimzulage auf die che Lösungen haben Sie? Sie haben all das aufgeführt,
was ich und sicher auch andere, die daran Interesse ha-
1) Die Antworten werden zu einem späteren Zeitpunkt abgedruckt. ben, schon recherchiert haben. Sie wissen ganz genau,
15734 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Ina Lenke
(A) dass die Eigenheimzulage nicht zu berücksichtigen ist, Ina Lenke (FDP): (C)
wenn sie nicht als bereite Einnahme zur Verfügung steht. Herr Staatssekretär, ich kann Ihnen sagen, dass der
Das ist dann der Fall, wenn die Eigenheimzulage bereits Landkreis Verden, der für diese Familie zuständig ist,
im Rahmen der Kreditfinanzierung wirksam an den Kre-
ditgeber abgetreten worden ist. In diesem Fall hat der (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie
Hilfsbedürftige keinen Zugriff mehr. müssen fragen!)

Ein anderer, der die Eigenheimzulage zwar abgetreten keinen Ermessensspielraum gesehen hat und diesem
hat, sich auch in dieser Notlage befindet, bei dem die Ehepaar gesagt hat: Sie sollen klagen. Ich finde, dass die
Abtretung aber jährlich erneuert wird, muss sie zurück- Bundesregierung dann, wenn sich zeigt, dass bei einem
zahlen. Das ist doch eine Ungleichbehandlung. Ich habe neuen Gesetz irgendetwas nicht in Ordnung ist und für
in meinem Wahlkreis zum Beispiel eine Familie, die bestimmte Personen eine Notlage entsteht, sagen sollte:
fünf Kinder hat und in einem älteren Haus lebt. Der Va- Hier müssen Änderungen vorgenommen werden.
ter ist jetzt arbeitslos geworden. Ich würde gerne einmal (Peter Dreßen [SPD]: Wie mag es wohl aus-
von Ihnen wissen, was Sie als Bundesregierung vorha- sehen, wenn Sie das Sagen hätten? Eine Ka-
ben, um den Menschen, die die Eigenheimzulage bisher tastrophe!)
zur Verfügung hatten, um ihre Zinsen zu bezahlen, damit
ihr Haus nicht zwangsversteigert wird, in dieser Notlage Es gibt hier anscheinend –
zu helfen. Ich würde Sie gerne fragen: Was haben Sie
sich angesichts meiner Fragen, wobei Sie ja wissen, wel- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
che Ziele diese Fragen haben, überlegt?
Frau Kollegin!
Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
minister für Wirtschaft und Arbeit: Ina Lenke (FDP):
Sehr geehrte Frau Kollegin Lenke, wenn Sie mich – ja, meine Frage – keinen Ermessensspielraum. Des-
nach der Rechtslage fragen, dann stelle ich die Rechts- halb frage ich – denn das steht in Frage 28, Herr Staats-
lage dar. sekretär –: Welche Maßnahmen wird die Bundesregie-
rung ergreifen, um zu verhindern, dass ALG-II-
(Ina Lenke [FDP]: Gut! – Wilhelm Schmidt Empfängerinnen und -Empfänger staatlich gefördertes
[Salzgitter] [SPD]: Sehr richtig!) Wohneigentum veräußern müssen?
Wenn Sie nach Lösungen fragen, dann nenne ich Ihnen Dazu würde ich gern noch eine Anmerkung machen.
(B) Lösungen. Wenn ich Ihre Fragen recht in Erinnerung Wir haben heute parallel die Anhörung zum TAG, zum (D)
habe – ich kann sie vorlesen; das möchte ich mir KICK, dem Entwurf eines Gesetzes zur Weiterentwick-
ersparen –, dann haben Sie nicht nach Lösungen gefragt. lung der Kinder- und Jugendhilfe, und zum Entwurf
eines Gesetzes zur Entlastung der Kommunen im sozia-
(Ina Lenke [FDP]: Doch!) len Bereich, KEG, sowie zum Entwurf eines Gesetzes
Sie haben vielmehr gefragt: Ist der Sachverhalt, bezogen zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch.
auf diese Familie, wirklich so? Dazu kann ich nur sagen: Auch dabei geht es um Bedürftige. Im Zusammenhang
Dieser Sachverhalt ist rechtlich so, wie ich ihn darge- mit der Feststellung der zumutbaren Belastung steht in
stellt habe. einem Änderungsantrag der SPD und der Grünen in Be-
zug auf dieses Gesetz:
Jetzt kommen wir zu der Frage der Lösung. In diesem
Fall ist eine Lösung mit Sicherheit nicht von der Bun- Bei der Einkommensberechnung bleibt die Eigen-
desregierung innerhalb eines weiteren Gesetzentwurfes heimzulage nach dem Eigenheimzulagegesetz
zu finden. Im gesamten Gesetzeswerk zum Arbeitslosen- außer Betracht.
geld ist vielmehr vorgesehen, dass man dann, wenn es
Warum kann die Bundesregierung nicht im Zusam-
sich um einen besonderen Härtefall handelt, vor Ort zu
menhang mit dem, was ich bezüglich des ALG II als
pragmatischen Lösungen kommt.
Problematik aufgeführt habe, handeln? Das ist meine
(Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Wie denn?) Frage. Und da würde ich Sie bitten, dass Sie mir jetzt
über das, was Sie bisher genannt haben, hinaus vielleicht
Dazu wird es mit Sicherheit keiner Intervention der Bun- noch andere Lösungsvorschläge vortragen.
desregierung bedürfen. Vielmehr werden die handelnden
Institutionen vor Ort schauen, wie weit die gesetzliche (Peter Dreßen [SPD]: Das ist ja ein Referat!)
Regelung geht und ob es nach den Gesetzen aufgrund ei-
nes Härtefalles möglicherweise zu einer Stundung, einer Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Verhinderung der Zwangsversteigerung etc. kommen minister für Wirtschaft und Arbeit:
kann. Sie werden wohl kaum erwarten, dass das das Mi-
Sehr geehrte Frau Kollegin, vielleicht wissen Sie,
nisterium für Wirtschaft und Arbeit durchgreifend erle-
dass im Zuge der Durchführung von Hartz IV eine
digen kann.
Schiedskommission unter Vorsitz des Exministerpräsi-
denten Biedenkopf eingerichtet worden ist; diese Kom-
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: mission sammelt genau solche Härtefälle und Problem-
Weitere Zusatzfrage. fälle wie den von Ihnen geschilderten. Sie wird in der
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15735
Parl. Staatssekretär Rezzo Schlauch
(A) Mitte des Jahres oder am Ende des Jahres auf diese Pro- Post AG innerhalb derselben Gemeinde einzuliefern, unter- (C)
blemfälle mit Veränderungsvorschlägen reagieren. stützt hat?

Zum einen schlage ich Ihnen vor, dass Sie den Fall, Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
den Sie hier geschildert haben, bei dieser Kommission minister für Wirtschaft und Arbeit:
einreichen; zum anderen biete ich Ihnen an, dass Sie die-
sen Fall auch mir vorlegen und ich nach Wegen suche Sehr geehrter Herr Kollege Heiderich, ich beantworte
– ich kann Ihnen nicht versprechen, ob ich sie finde –, Ihre Frage wie folgt: Die Bundesregierung sieht keinen
um an diesem Punkt das Schlimmste zu verhindern. Widerspruch in ihrem bisherigen Vorgehen. Die Frage
zielt auf die Aufhebung der örtlichen Einlieferbeschrän-
kung für Unternehmen ab, die im Auftrag eines Absen-
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: ders für diesen bei der Deutschen Post AG Sendungen
Bitte schön, Frau Lenke. einliefern. Nach Auffassung der Bundesregierung sollen
derartige Unternehmen dies entsprechend dem zwischen
Ina Lenke (FDP): dem Absender und der Deutschen Post AG bestehenden
Ich bedanke mich sehr herzlich dafür, Herr Staats- Vertrag auch bei den Briefzentren der Deutschen
sekretär, dass Sie Ihre persönliche Hilfe angeboten ha- Post AG tun können und nicht auf die nächste Annahme-
ben. Denn Sie wissen ja: Wenn die betroffene Familie stelle oder eine andere Annahmestelle innerhalb dersel-
– es ist eine Familie mit fünf Kindern – keine Unterstüt- ben Gemeinde beschränkt sein. Rücksprachen mit der
zung erhält, dann kann es unter Umständen passieren, Deutschen Post AG wie auch mit den Wettbewerbern ha-
dass die Banken nicht stillhalten und dass die Familie ben ergeben, dass es bereits heute gängige Übung und
aus dem Haus ausziehen muss. damit branchenbekannt ist, dass Einlieferungen auch
von Wettbewerbern überall erfolgen können. Insofern
(Peter Dreßen [SPD]: Das müssen sie nicht! hätte eine eventuelle Gesetzesänderung allenfalls klar-
Die Zinsen werden bezahlt!) stellende Wirkung.
Wir wissen ja, dass das unter Umständen den Steuerzah-
ler noch mehr Geld kosten würde. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Bitte schön, Herr Heiderich.
Ich bedanke mich herzlich dafür, dass wir miteinan-
der zu einem konstruktiven Ende gekommen sind.
Danke. Helmut Heiderich (CDU/CSU):
Herr Staatssekretär, habe ich Sie richtig verstanden,
Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär beim Bundes- dass die Bundesregierung nicht länger der Auffassung
(B) (D)
minister für Wirtschaft und Arbeit: ist, dass der zitierte Absatz aus § 51 gegen das Recht der
Europäischen Union verstößt, und sie insofern ihre Posi-
Gerne.
tion auch nicht weiter aufrechterhält, die sie gegenüber
dem Bundesrat dargestellt hat?
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Eine typische Frage war das zuletzt Gesagte nicht. Ich
Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
mache noch einmal darauf aufmerksam: Gelegentlich ist
minister für Wirtschaft und Arbeit:
es schwierig, die kunstvolle Gratwanderung zwischen
Debatte und Fragestunde zu bewältigen. Wenn die faktische Situation so ist, wie ich sie ge-
schildert habe, dann hat sie möglicherweise die gesetz-
Die Fragen 29 und 30 des Kollegen Hinsken werden liche überholt.
schriftlich beantwortet.1)
Ich rufe somit Frage 31 des Kollegen Heiderich auf: Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Abweichung zwi- Zweite Zusatzfrage.
schen ihrer am 6. April 2005 in ihrer Kabinettsitzung be-
schlossenen Stellungnahme zu Art. 1 Nr. 2 Buchstabe b des
Gesetzesentwurfs des Bundesrates zur Änderung des Postge-
Helmut Heiderich (CDU/CSU):
setzes – Bundesratsdrucksache 33/05 (Beschluss) –, wo sie Ich möchte zusätzlich fragen, ob bei der Bundesregie-
die vorgeschlagene Änderung insgesamt ablehnt, obwohl sie rung eine untergesetzliche Regelung in Bearbeitung ist,
bisher, zum Beispiel auf dem BDI/DIHK-Workshop (BDI: mit der der Vorgang so klargestellt wird, wie Sie das
Bundesverband der Deutschen Industrie, DIHK: Deutscher
Industrie- und Handelskammertag) am 13. Oktober 2004 in eben mir gegenüber geschildert haben.
Bonn sowie in der Stellungnahme der Bundesregierung an die
EU-Kommission im kartellrechtlichen Verfahren gemäß
Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
Art. 86 EG gegen die Bundesrepublik Deutschland – verglei-
che Beschluss des Bundeskartellamtes gegen die Deutsche minister für Wirtschaft und Arbeit:
Post AG vom 11. Februar 2005, Seite 46, Az. B 9 – 55/03 –, Eine solche untergesetzliche Regelung ist nicht in Be-
eine Änderung in § 51 Abs. 1 Nr. 5 Postgesetz hinsichtlich der arbeitung. Aber ich bin gern bereit, nachzuhören, ob eine
Streichung der Verpflichtung für „denjenigen, der Briefsen-
dungen im Auftrag des Absenders bei diesem abholt“, diese
Klarstellung des von mir dargestellten Sachverhalts, in
bei der nächsten oder einer Annahmestelle der Deutschen welcher Form auch immer, erfolgen kann.
(Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Das wäre
1) Die Antworten werden zu einem späteren Zeitpunkt abgedruckt. hilfreich! Vielen Dank!)
15736 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

(A) Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Dr. Karl Addicks (FDP): (C)
Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Karl Addicks auf: Es wäre jedoch interessant gewesen, das zu wissen.
Ist nach Meinung der Bundesregierung 16 Millionen Ton-
nen pro Jahr die Mindestmenge an Steinkohle, die gefördert Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär beim Bundes-
werden muss, damit deutsche Bergbautechnik hierzulande in minister für Wirtschaft und Arbeit:
einem Maße eingesetzt werden kann, das zur Sicherung des
Know-hows dieses Industriezweigs ausreichend ist, und wie Das hält aber – –
viele Arbeitsplätze würden zur Förderung dieser Mindest-
menge noch benötigt werden (vergleiche Antwort des Staatsse- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
kretärs im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit,
Rudolf Anzinger, vom 21. Dezember 2004 auf meine schriftli- Der Austausch über die Frage, was interessant gewe-
che Frage 35 auf Bundestagsdrucksache 15/4595 sowie Ant- sen wäre, ist hochgradig hypothetisch. Ich würde deswe-
wort des Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesmi- gen sehr empfehlen, von der Möglichkeit einer weiteren
nister für Wirtschaft und Arbeit, Dr. Ditmar Staffelt, vom konkreten Frage Gebrauch zu machen oder auch nicht.
31. März 2005 auf meine schriftliche Frage 21 auf Bundes-
tagsdrucksache 15/5195) ?
Dr. Karl Addicks (FDP):
Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Ich verzichte auf eine weitere Frage.
minister für Wirtschaft und Arbeit:
Sehr geehrter Herr Kollege Addicks, die Bundes- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
regierung wird die deutsche Steinkohlenförderung bis Ich rufe die Frage 33 des Kollegen Karl Addicks auf:
zum Jahre 2012 wie allgemein bekannt auf 16 Millionen Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den
Tonnen zurückführen. Die unternehmerische Entschei- Feststellungen des Sachverständigenrats zur Begutachtung
der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung im Jahresgutach-
dung, in welchen Bergwerken und mit wie vielen Arbeit- ten 2003/04, wonach durch die Einstellung der Steinkohlen-
nehmern die weitere Förderung erfolgen wird, obliegt förderung in Deutschland die Sicherheit der Energieversor-
der RAG. Mit dieser Förderung ist einerseits die weitere gung nicht gefährdet wird und, falls es für den Export von
sichere Energieversorgung unter Berücksichtigung des Fördertechnologie notwendig ist, Versuchs- und Probeberg-
heimischen Energieträgers Steinkohle möglich, anderer- werke zu betreiben, es in erster Linie Aufgabe der entspre-
chenden Unternehmen ist, diese Basis ihrer Exporttätigkeit
seits wird die Sicherung des Know-hows der deutschen selbst zu finanzieren (vergleiche Antwort des Parlamentari-
Bergbauzulieferindustrie ermöglicht. schen Staatssekretärs beim Bundesminister für Wirtschaft und
Arbeit, Dr. Ditmar Staffelt, vom 31. März 2005 auf meine
Deutschland ist beim Export von Bergbautechnik die schriftliche Frage 21 auf Bundestagsdrucksache 15/5195)?
mit Abstand führende Nation in der Europäischen Union
und auch weltweit die Nummer eins. Vom Gesamt- Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär beim Bundes- (D)
(B)
umsatz der Bergbaumaschinenindustrie in 2004 in Höhe minister für Wirtschaft und Arbeit:
von 1,8 Milliarden Euro entfallen rund 70 Prozent auf Angesichts hoher und weiter wachsender Import-
den Export. Diese Position ist vor allem auf den hohen abhängigkeit bei Energierohstoffen stellt der Zugang zu
Entwicklungsstand der Technik für den untertägigen eigener Steinkohle ein wichtiges Element der Versor-
Steinkohlenbergbau in Deutschland zurückzuführen. Der gungssicherheit dar. Darüber gibt es derzeit eine sehr ak-
Weiterentwicklung dieser modernen Technologie in tuelle Diskussion, die Sie kennen. Die Steinkohlenhilfen
deutschen Bergwerken kommt somit auch eine wichtige sind seit Jahren degressiv ausgestaltet. So wird die Stein-
Rolle für den Industriestandort Deutschland zu. kohlenförderung von gegenwärtig 26 Millionen Tonnen
bis zum Jahr 2012 auf – die Zahl wurde bereits genannt
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: – 16 Millionen Tonnen zurückgeführt. Dies liegt auf der
Zusatzfrage, bitte schön, Herr Addicks. Linie der Feststellung des Sachverständigenrates zur Be-
gutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.
Dr. Karl Addicks (FDP): Neue Bergbautechnik wird weltweit aufgrund der ho-
Herr Staatssekretär, ich hatte diese Frage schon ein- hen Kosten nur in aktiven Bergwerken und im Tagebau
mal schriftlich gestellt. Damals wurde der Kern der eingesetzt und unter echten Einsatzbedingungen weiter-
Frage ebenso wenig beantwortet wie jetzt hier. Ich entwickelt. Ein Wegfall der Einsatzmöglichkeit in
möchte gerne von Ihnen wissen, wie viele Millionen Deutschland würde sich somit auch auf die Erhaltung
Tonnen Steinkohle nach Ansicht der Bundesregierung der Arbeitsplätze in über 120 mittelständischen Unter-
mindestens gefördert werden müssen, um das Know- nehmen auswirken.
how, das wir natürlich in unserem Land halten wollen,
zu sichern. Sie sprechen davon, die Jahresförderung auf Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
16 Millionen Tonnen zurückzuführen. Ist das Ihre Min- Zusatzfrage.
destfördermenge?
Dr. Karl Addicks (FDP):
Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär beim Bundes- Weshalb ist die Beurteilung der Versorgungssicher-
minister für Wirtschaft und Arbeit: heit in Deutschland so grundsätzlich anders, sodass wir
Die Frage, wie hoch die Mindestförderung sein muss, die Steinkohle unbedingt für unsere nationale Energie-
um einen bergbautechnologischen Standort zu halten, reserve brauchen, während man in Frankreich vor kur-
kann ich Ihnen wirklich nicht beantworten. zem die letzte Steinkohlenzeche geschlossen hat? Worin
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15737
Dr. Karl Addicks
(A) besteht der generelle Unterschied zu Frankreich? Warum Weitere Fehlurteile oder fehlerhafte Untersuchungen (C)
ist das bei uns Ihrer Ansicht nach so unsicher? der Stiftung Warentest sind der Bundesregierung nicht
bekannt. Über etwaige wirtschaftliche Folgen für betrof-
Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär beim Bundes- fene Unternehmen liegen der Bundesregierung keine Er-
minister für Wirtschaft und Arbeit: kenntnisse vor.
Herr Kollege Addicks, Sie und ich wissen, dass die Die Stiftung Warentest hat sich im Laufe ihrer 40-jäh-
Frage – deshalb komme ich auf die vorhergehende Frage rigen Arbeit eine allseits anerkannte, überaus hohe Wert-
zurück –, die nach der Mindestfördermenge von Stein- schätzung erworben. Einer der maßgeblichen Gründe für
kohle, nicht mit der Frage verknüpft werden darf, wie die erfolgreiche Arbeit der Stiftung ist neben der in ihrer
wir die Technologiestandards in diesem Bereich, über Satzung festgeschriebenen Unabhängigkeit ihre qualita-
die wir verfügen und die wir exportieren, erhalten kön- tiv hochwertige Testarbeit.
nen.
Das ist vielmehr eine politische Frage, die die Bun- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
desregierung so, wie ich es hinsichtlich der 16 Millionen Bitte schön, Herr Kollege Mayer.
Tonnen geschildert habe, beantwortet hat.
Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU):
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Staatssekretär, welche Konsequenzen – insbe-
Eine weitere Zusatzfrage. sondere hinsichtlich der Gewährung des Bundeszuschus-
ses von immerhin 6,5 Millionen Euro pro Jahr – würde
Dr. Karl Addicks (FDP): die Bundesregierung ziehen, wenn die Stiftung Waren-
Wie bewertet die Bundesregierung in Anbetracht der test zukünftig zu Schadenersatzleistungen verurteilt wer-
sich in letzter Zeit im saarländischen Lebach häufenden den würde?
Erdbeben, von denen die dort lebende Bevölkerung sehr
stark betroffen ist, die Möglichkeiten, das Berggesetz Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
angesichts dieser Nebenwirkungen zu ändern, um statt Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und
eines Sofortvollzugs einen Sofortstopp zu erreichen? Landwirtschaft:
Herr Kollege Mayer, die rein hypothetische Frage,
Rezzo Schlauch, Parl. Staatssekretär beim Bundes- was geschehen würde, wenn eine Gerichtsentscheidung
minister für Wirtschaft und Arbeit: dies zum Ergebnis hätte, kann ich Ihnen nicht beantwor-
(B) Diese Frage kann ich Ihnen nicht beantworten. Aber ten, zumal ich in der Antwort, die ich Ihnen gegeben (D)
ich bin gern bereit, Ihnen die Beantwortung dieser Frage habe, darauf hingewiesen habe, dass sich die Stiftung
schriftlich nachzureichen. Warentest in der Öffentlichkeit hohes Ansehen und gro-
ßes Vertrauen erworben hat.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Das ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass es
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. in den letzten Jahren nur etwa zehn Rechtsstreitigkeiten
pro Jahr gegeben hat und die jeweilige Untersuchung der
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
Stiftung Warentest in 90 Prozent der Fälle vom zuständi-
riums für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirt-
gen Gericht nicht beanstandet worden ist. Bisher musste
schaft auf. Zur Beantwortung der Fragen steht der Parla-
in keinem einzigen Fall Schadenersatz geleistet werden.
mentarische Staatssekretär Thalheim zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 34 des Kollegen Mayer auf: Das ist der Hintergrund für meine Antwort, dass dies
auch für die Zukunft nicht zu vermuten ist. Wenn aller-
Hat die Bundesregierung Erkenntnisse über Fehlurteile dings ein solcher Einzelfall vorkäme, dann müsste er in
bzw. fehlerhafte Untersuchungen durch die Stiftung Waren-
test e. V., gegebenenfalls über deren wirtschaftliche Folgen Relation zu den Gerichtsentscheidungen der letzten
für einzelne davon betroffene Unternehmen und, wenn ja, Jahre gesehen werden. Für eine Kürzung des Bundeszu-
welche? schusses gäbe es aber auch dann überhaupt keine Be-
gründung.
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Landwirtschaft: Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Kollege Mayer, Ihre Frage beantworte ich wie
folgt: Im September 2002 wurde in der Zeitschrift Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU):
„Finanztest“ ein Test über so genannte Riester-Renten- Herr Staatssekretär, ich habe noch eine konkrete
versicherungen veröffentlicht, der einen systematischen Nachfrage: Welche Anstrengungen unternimmt die Bun-
Fehler enthielt. Die Stiftung Warentest hat auf diesen desregierung, um zu überprüfen, wie die von mir er-
Fehler professionell reagiert, die diesbezügliche Aus- wähnten immerhin 6,5 Millionen Euro, die die Stiftung
gabe nach ihrem Erscheinen unverzüglich vom Kiosk Warentest pro Jahr erhält, verwendet werden
zurückgeholt und in der folgenden Ausgabe einen über-
arbeiteten und korrigierten Testbericht veröffentlicht. (Peter Dreßen [SPD]: Mein Gott!)
15738 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Stephan Mayer (Altötting)


(A) und ob die Seriosität und Ordnungsgemäßheit der ent- Die „Importe“ aus den Nachbarländern tragen sehr (C)
sprechenden Überprüfungen und Maßnahmen eingehal- unterschiedlich, insbesondere regional unterschiedlich,
ten werden? zur Luftbelastung bei. In Ballungsräumen oder an stark
befahrenen Straßen ist der aus dem Ausland stammende
Dr. Gerald Thalheim, Parl. Staatssekretär bei der Anteil deutlich niedriger als in ländlichen Gebieten. Bei
Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid und Partikeln kann die-
Landwirtschaft: ser Anteil prozentual – das muss man immer sehen –
Die zuletzt von mir zitierten Zahlen, der Hinweis auf zwischen 10 und 20 Prozent liegen; bei Blei spielen sol-
den Erfolg bei Rechtsstreitigkeiten und die öffentliche che Ferntransporte keine Rolle.
Würdigung der Arbeit der Stiftung Warentest sind die
Gründe für meine Antwort, dass dieser Fall rein hypo- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
thetisch ist. Wir sehen überhaupt keinen Handlungs- Eine Zusatzfrage.
bedarf, zumal uns auch von der Satzung her keine Hand-
lungsmöglichkeit gegeben wäre. Durch die Satzung hat
Veronika Bellmann (CDU/CSU):
der Bund lediglich auf die Besetzung des Verwaltungs-
rates Einfluss. Auf die Arbeit der Stiftung hat der Bund In Deutschland hat sich infolge der Umsetzung dieser
aber keinen direkten Einfluss. Ich möchte hinzufügen: EU-Richtlinie durch die Bundesregierung regelrecht
Das ist auch gut so und hat letztendlich der Unabhängig- eine Filterhysterie ausgebreitet. Man schiebt alles nur
keit der Stiftung und ihrer Arbeit, auch aus Sicht der Öf- auf die Kfz-Ausstöße. Ich habe daher folgende Zusatz-
fentlichkeit, sehr gut getan. frage: Sehen auch Sie die Tendenz weg von der Fest-
schreibung von Grenzwerten hin zur Festschreibung ei-
ner bestimmten technischen Ausführung, nämlich eines
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Rußfilters?
Zusatzfragen liegen hierzu nicht vor.
Die Fragen 35 und 36 der Kollegin Connemann wer- Simone Probst, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
den schriftlich beantwortet. minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes- heit:
ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- Diese Einschätzung teile ich überhaupt nicht. Es geht
sicherheit. Zur Beantwortung steht Frau Staatssekretärin wirklich um den Grenzwert. Dieser ist davon abhängig,
Probst zur Verfügung. welche Gesundheitsgefährdung wir in Kauf nehmen.
Um diesen Grenzwert einzuhalten, spielt der Partikel-
Ich rufe Frage 37 der Kollegin Veronika Bellmann filter eine herausragende Rolle. Wenn es andere Mög- (D)
(B)
auf: lichkeiten gäbe, die Luftreinhaltung durch Kfz zu ge-
Welcher Prozentsatz der in der so genannten EU-Fein- währleisten, gäbe es keine Präferenz für eine bestimmte
staubrichtlinie – 99/30/EG – erwähnten Chemikalien und Technik. Aber in diesem Fall ist nur diese Technik auf
Feinstäube wird tatsächlich von Menschen verursacht und wie
viele dieser so genannten anthropogenen Schadstoffe stam-
dem Markt. Aktuell ist die Situation doch die, dass viele
men aus Deutschland? Bürgerinnen und Bürger alarmiert sind und sich um ihre
Gesundheit sorgen.
Simone Probst, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Es geht aber nicht nur um den Kfz-Bereich, es geht
minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- auch um Industrie und Gewerbe. Sie wissen, dass die
heit: Bundesregierung die Großfeuerungsanlagenverordnung
Sehr geehrte Frau Kollegin, die Richtlinie 1999/30/EG und die TA Luft novelliert hat und dass gerade den Städ-
regelt die Stoffe Schwefeldioxid, Stickstoffdioxid, Stick- ten und Gemeinden durch Verkehrsleitsysteme, durch
stoffoxide und Partikel, allgemein unter Feinstaub be- die Verbesserung des ÖPNV, durch Umrüstung ihrer ei-
kannt, und Blei. Die Stoffe Stickstoffdioxid, Stickstoffo- genen städtischen Fuhrparks und anderes viele Möglich-
xid und Blei werden nahezu ausschließlich anthropogen keiten gegeben sind, um die Feinstaubbelastung gering
erzeugt. Bei dem Stoff Schwefeldioxid und den Partikeln zu halten. Ich wiederhole: Es geht darum, welche Ge-
ist es anders: Hier kann der natürliche Anteil unter be- sundheitsgefährdung wir in Kauf nehmen, es geht nicht
stimmten Bedingungen nennenswert sein. Deshalb sind darum, singulär eine bestimmte Technik zu fördern.
in der Richtlinie für genau diese Stoffe entsprechende Wenn es aber eine Technik gibt, die die größten Erfolge
Regelungen vorgesehen. Über diese beiden Stoffe kann ermöglicht, sollte man natürlich darauf setzen.
man sagen: Schwefeldioxidemissionen entstehen in der
Nähe von Vulkanen oder bei anderen geothermischen
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Aktivitäten; dieses ist für Deutschland nicht relevant.
Natürliche Partikel bilden sich aber auch durch Aufwir- Eine weitere Zusatzfrage.
belung von Erdkrustenmaterial oder aus Seesalz. Ab-
schätzungen hierfür, die man aufgrund von Modellrech- Veronika Bellmann (CDU/CSU):
nungen und Messungen vornehmen kann, kommen zu Daran anschließen möchte ich eine Zusatzfrage be-
dem Ergebnis, dass der Anteil der natürlichen Partikel an züglich der Angleichung der EU-Richtlinie an den wis-
der Luftbelastung in Deutschland weniger als 5 Prozent senschaftlichen Fortschritt bzw. deren Umsetzung. Wir
ausmacht. Der Anteil von Seesalz kann in küstennahen konnten dieser Tage lesen, dass das Herausfiltern von
Gebieten 10 Prozent betragen. Rußpartikeln – ich beziehe mich auf die Ausstöße von
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15739
Veronika Bellmann
(A) Kfz – nicht ausreichend ist bzw. zu einer noch größeren Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (C)
Gefährdung und Konzentration der Partikel, insbeson- Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Fischer.
dere der Feinstäube, führt, weil sich kleine Partikel nicht
mehr an die großen anhängen können; das ist chemisch Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU):
nun einmal so. Frau Staatssekretärin, bei dem unglaublichen En-
Es wurde gesagt, dass die EU mit ihrer in der Richtli- gagement dieser Regierung in den letzten Tagen frage ich
nie getroffenen Festlegung der Grenze in Bezug auf die Sie: Seit wann sind die Fahrzeuge der Bundeswehr mit
Mikrometerbelastungen den wissenschaftlichen Er- Rußpartikelfiltern ausgerüstet?
kenntnissen hinterherhinkt. Inwiefern kann die Bundes-
regierung hier gegensteuern bzw. in der EU darauf hin- Simone Probst, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
wirken, dass es dort zu einer Angleichung kommt? minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
heit:
Simone Probst, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- Über die Fahrzeuge der Bundeswehr müsste ich mich
minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- bei den Kollegen aus dem Verteidigungsministerium er-
heit: kundigen. Ich werde das gerne tun und Ihnen die Ant-
Ich denke, wir sind sehr froh, dass wir eine Luftquali- wort schriftlich zukommen lassen.
tätsrichtlinie haben, die Regelungen über die Partikel in
der Größenordnung von PM 10 enthält. Sie haben aber Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Recht, dass in der wissenschaftlichen Diskussion auch Ich rufe noch die Frage 38 der Kollegin Veronika
kleinere Partikel mit der Größe PM 2,5 als sehr gesund- Bellmann auf:
heitsgefährdend eingeschätzt werden. Deshalb wird auf In welcher Größenordnung würde die Feinstaubbelastung
EU-Ebene darüber diskutiert, auch hier Regelungen vor- verringert, wenn alle Kraftfahrzeuge in Deutschland mit ent-
zusehen. Diese Diskussion wird von der Bundesregie- sprechenden Rußfiltern ausgestattet würden, und ist es wahr,
rung unterstützt. dass gemäß EU-Feinstaubrichtlinie auch die durch Kraftfahr-
zeuge angesaugten – nicht anthropogenen – Feinstäube zulas-
ten der Feinstaubbilanz dieser Fahrzeuge gehen?
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Dreßen. Simone Probst, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
Peter Dreßen (SPD): heit:
Frau Staatssekretärin, man hört nur von Feinstaub- Frau Kollegin, wenn alle Dieselfahrzeuge in Deutsch-
(B) messungen in Großstädten, zum Beispiel in Düsseldorf, land mit Partikelfiltern, die einen Wirkungsgrad von grö- (D)
Stuttgart und München, und dass dort die Grenze über- ßer als 90 Prozent haben, ausgestattet würden, dann
schritten worden ist. Ich komme aus dem ländlichen hätte dies zur Folge, dass die gesamte Feinstaubbelas-
Raum. Deshalb lautet meine Frage: Wird im ländlichen tung in einer exemplarisch angenommenen stark befah-
Raum überhaupt nicht gemessen oder ist dort die Fein- renen Straße in Berlin um bis zu 30 Prozent abnehmen
staubentwicklung gravierend niedriger? könnte. In der Praxis muss man aber sagen, dass nur
Fahrzeuge der neuesten Generation mit derart leistungs-
(Markus Löning [FDP]: Da gibt es so was fähigen Systemen ausgestattet werden. Bei nachgerüste-
nicht!) ten älteren Fahrzeugen ist der Wirkungsgrad niedriger.
Sie haben in Ihrer Frage einen zweiten Teil angespro-
Simone Probst, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
chen. Damit knüpfen Sie an meine Antwort auf die
minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher-
Frage 37 an, dass der Anteil der natürlichen Partikel an
heit:
der Luftbelastung in Deutschland nur wenige Prozent
Natürlich wird auch im ländlichen Raum gemessen. beträgt, sodass die durch die Kraftfahrzeuge angesaug-
(Markus Löning [FDP]: Aber nur nach dem ten nicht anthropogenen Feinstäube in der Feinstaubbi-
Pflügen!) lanz dieser Fahrzeuge keine maßgebliche Rolle spielen.
Aus meiner Antwort zum ersten Teil der Frage 38 erken-
Wenn Sie konkrete Regionen im Blick haben, empfehle nen Sie, dass der Partikelfilter einen großen Anteil hat.
ich Ihnen, auf der Homepage des Umweltbundesamtes Die anderen Maßnahmen, die ich vorhin bei der Beant-
nachzusehen. In Ballungsgebieten und in Städten mit ei- wortung Ihrer ersten Frage exemplarisch genannt habe,
ner schwierigen topographischen Lage ist dieses Pro- müssen aber natürlich auch greifen. Wir müssen alles
blem sicherlich evidenter und es liegt eher auf der Hand, tun, um die Feinstaubbelastung zu reduzieren.
aber natürlich gibt es auch im ländlichen Bereich stark
befahrene Straßen, sodass der Schutz der Anwohner so-
wie der Bürgerinnen und Bürger dort genauso gewähr- Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
leistet werden muss wie in Ballungsgebieten. Das Um- Eine Zusatzfrage.
weltbundesamt gibt auf seiner Homepage Auskunft
darüber, wo die Messstellen sind. Wir sind immer offen Veronika Bellmann (CDU/CSU):
für eine Diskussion darüber, wie wir diese Verfahren, in Das ist vollkommen einsichtig. Ich habe noch eine
die auch die Länder maßgeblich involviert werden, opti- Frage zu Ihrer Einschätzung. Aufgrund der Vielzahl an-
mieren können. derer Probleme, die sowohl Deutschland als auch diese
15740 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Veronika Bellmann
(A) Regierung ohnehin schon haben, hat das Thema Fein- Die Fragen 39 bis 54 werden schriftlich beantwortet (C)
staub, wie ich vorhin schon sagte, die Bundesregierung
derart überlastet, dass man sich fragen muss, wie das in Ich rufe nun den Zusatzpunkt 1 auf:
anderen Ländern gehandhabt wird; denn auch dort gibt Aktuelle Stunde
es sicherlich eine solche Belastung. auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU
In diesen Ländern ist die Umweltpolitik bei weitem Religionspolitik des Berliner Senats und
nicht so fortschrittlich, wie dies hier seit Jahren der Fall Grundgesetz
ist. Wie wird das dort gehandhabt? Welche Maßnahmen
werden ergriffen, wenn der Grenzwert überschritten Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält zunächst
wird? der Kollege Dr. Hermann Kues für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Simone Probst, Parl. Staatssekretärin beim Bundes-
minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- Dr. Hermann Kues (CDU/CSU):
heit: Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Das kann man pauschal nicht beantworten. Die EU- Absicht des Berliner Senats, getragen von SPD und
Richtlinie ist natürlich in allen EU-Staaten gültig. Wir PDS, ab dem Schuljahr 2006 den ohnehin freiwilligen
haben in der Diskussion gesehen, dass zum Beispiel Religionsunterricht der Kirchen und Religionsgemein-
auch die Industrie einen maßgeblichen Anteil an der Be- schaften abzudrängen und faktisch durch eine staatlich
lastung hat. In Frankreich haben die Automobilhersteller organisierte Wertevermittlung zu ersetzen, ist für die
sehr früh auf die Partikelfilter gesetzt und sie serien- Union nur eines: Ein Anschlag auf die Bekenntnis- und
mäßig eingebaut. Ich bin sehr froh, dass dies nun auch in Gewissensfreiheit in unserem Lande.
Deutschland in die Wege geleitet wird. Wir haben ein (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
großes Interesse daran, dass das, was wir in den Städten neten der FDP)
und Kommunen tun können, auch gemacht wird und
dass die Gesamtfeinstaubbelastung ebenso in den ande- Das Ganze geht weit über die Berliner Landespolitik
ren EU-Ländern reduziert wird. hinaus. Es ist eine Kampfansage an den Grundkonsens
unserer pluralen Gesellschaft, wenn zum Beispiel Schü-
lerinnen und Schüler, die religiös gebunden sind, keine
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Chance haben, sich vom staatlich verordneten Werte-
Eine weitere Zusatzfrage, Frau Homburger. unterricht abzumelden. Nach unserem Verständnis muss
der Staat Freiheiten garantieren und nicht Werte normie-
(B) Birgit Homburger (FDP): ren. (D)
Frau Staatssekretärin, könnten Sie uns bitte den An-
teil mitteilen, der bei den Feinstaubemissionen im (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
Schnitt auf den Verkehr entfällt? Beim Verkehr geht es bei Abgeordneten der SPD)
nicht nur um Feinstaub aus Dieselruß, sondern es geht Religionsfreiheit ist eines der vornehmsten Men-
auch um den Abrieb von Reifen, die Aufwirbelung von schenrechte. Die Legitimation des Religionsunterrichtes
Staub, der auf der Straße liegt, und um den Abrieb bei- im geltenden Verfassungsrecht folgt aus der Verpflich-
spielsweise von Bremsbelägen. Wie hoch ist deren An- tung des freiheitlich-demokratischen Staates. Wegen der
teil an den Feinstaubbelastungen? weltanschaulichen Neutralität des Staates und seiner
Verantwortung für das Schulwesen hat er dafür zu sor-
Simone Probst, Parl. Staatssekretärin beim Bundes- gen, dass religiöse Bezüge als Erfahrungsgut der Schüle-
minister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicher- rinnen und Schüler nicht ausgeblendet werden, sondern
heit: in das auf ganzheitliche Persönlichkeitsbildung ausge-
Es ist nicht möglich, diese Frage pauschal zu beant- richtete Unterrichtsprogramm fachlich einbezogen wer-
worten, weil in jeder Stadt und in jeder Straße eine an- den. Ich will es einmal so formulieren: Jede Generation
dere Situation vorherrscht. Wenn wir im Umweltaus- hat einen Anspruch darauf, mit religiösen Erfahrungen
schuss weiterhin über dieses Thema diskutieren, werden konfrontiert zu werden. Dies gilt umso mehr, als wir
wir über viele Maßnahmen debattieren. Ich habe vorhin wissen, dass unser Staat und unsere Verfassung ohne die
die Großfeuerungsanlagenverordnung und die TA Luft religiösen Traditionen, die wir in unserem Lande haben,
genannt. Diese Maßnahmen zeigen insbesondere in Ge- nicht denkbar wären.
bieten, in denen sich sehr viel Industrie und Gewerbe an- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
gesiedelt haben, eine große Wirkung. Dort, wo es um
den Straßenverkehr und um Dieselfahrzeuge geht – be- Lassen Sie mich Bischof Wolfgang Huber zitieren:
sonders dann, wenn der Lieferverkehr sehr hoch ist –, Seelenlose „Religionskunde“ kann den Religions-
haben diese Maßnahmen einen sehr viel höheren Anteil. unterricht nicht ersetzen. Man braucht ein eigenes
Insofern kann diese Frage nicht pauschal beantwortet Verhältnis zu Gott, zur Nächstenliebe und zu geleb-
werden. tem Glauben, wenn man andere darin unterrichten
will. Es gehört nicht zu den Aufgaben des Staates,
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: das Christentum aus unseren Schulen zu verdrän-
Wir sind damit am Ende der Fragestunde. gen. Das verletzt die Pflicht des Staates zu religiö-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15741
Dr. Hermann Kues
(A) ser Neutralität. Es widerspricht auch dem demokra- neuen Fach unter fachlichen und personellen Gestal- (C)
tischen Miteinander. tungsgesichtspunkten nicht diejenigen, die sich für Reli-
gion einsetzen würden, wieder einen Fuß in die Tür be-
Dem ist nichts hinzuzufügen.
kämen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
(Thomas Rachel [CDU/CSU]: Hört! Hört!)
bei Abgeordneten der SPD und der Abg.
Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE Das heißt also, wer irgendwie religiös orientiert ist, soll
GRÜNEN]) demnach dieses Fach nicht unterrichten dürfen. Der Hu-
manistische Verband ist schon dabei, ein Konzept zu ent-
Ich sage Ihnen ganz offen: Das, was sich hier in Ber-
wickeln,
lin abspielt, riecht verdammt nach DDR.
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Haben Sie
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
etwas gegen Humanisten?)
neten der FDP)
weil er die Unterrichtung dieses Faches für sich reservie-
Bei der PDS – das sage ich auch ganz deutlich – wundert ren will.
mich das nicht. Dass sich aber 77 Prozent der Berliner
SPD auf dem Landesparteitag in unserer Bundeshaupt- Der Kultursenator des Berliner Senats, Herr Flierl
stadt dem religionsfeindlichen Geist, der dahinter steckt, (PDS), der diesem Verband, wenn ich es richtig sehe,
anschließen, auch angehört, hat dafür gesorgt, dass dieser Verband
Jahr für Jahr 580 000 Euro aus dem wahrlich klammen
(Peter Dreßen [SPD]: Na ja!) Berliner Haushalt bekommt. Diese Einrichtung wird im
macht mich auch im Hinblick auf die deutsche Vergan- Verhältnis zu den Kirchen überproportional gefördert.
genheit fassungslos. Das ist ein gefährlicher Weg. Das (Werner Lensing [CDU/CSU]: Skandalös! –
ist ein verantwortungsloser Irrweg. Swen Schulz [Spandau] [SPD]: So ein
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Quatsch! Keine Ahnung!)
Es werden in diesen Tagen kräftig Nebelkerzen ge- Die Ausgaben für Kirchen und Religionsgemeinschaften
worfen, auch wenn ich das Engagement des stellvertre- werden stattdessen systematisch gekürzt.
tenden SPD-Parteivorsitzenden Wolfgang Thierse aus- Deswegen sage ich ganz deutlich: Toleranz setzt vo-
drücklich anerkenne, wiewohl er nur eine kleine raus, dass man sich selbst darüber im Klaren ist, wer
Minderheit darstellt. Herr Müntefering sagt, Kulturpoli- man eigentlich ist. Dazu gehört Religion. Toleranz ohne
tik sei Sache der Länder. eine eigene Position fördert Orientierungslosigkeit und
(B) (D)
(Peter Dreßen [SPD]: Da hat er auch Recht!) Beliebigkeit. Wir unterstützen die Kirchen in Berlin und
auch die Jüdische Gemeinde bei ihrem Einsatz für das
Tiefer gehende Zusammenhänge versucht er auszublen- Fach Religion als Wahlpflichtfach.
den. Der eigentliche Höhepunkt ist aber die Art und
Weise der Argumentation des Regierenden Bürgermeis- Herzlichen Dank.
ters, der sagt, es ändere sich eigentlich gar nichts. Eine (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Zeitung hat heute geschrieben, das sei entweder Igno-
ranz oder Dummheit.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Für die SPD-Fraktion erhält der Kollege Wilhelm
Volker Kauder [CDU/CSU]: Beides!) Schmidt das Wort.
Man muss sich ein wenig das Umfeld dieser Entschei-
dung ansehen; dann merkt man auch, was beabsichtigt Wilhelm Schmidt (Salzgitter) (SPD):
ist. Michael Müller, der stellvertretende SPD-Fraktions- Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
vorsitzende, hat gesagt, die Mittel für den Religions- Herr Kues, lassen Sie die Kirche im Dorf, auch im Dorf
unterricht könnten sowieso gekürzt werden, da künftig Berlin.
ohnehin weniger Schülerinnen und Schüler daran teil-
(Günter Nooke [CDU/CSU]: Das ist
nehmen würden. Monika Buttgereit hat sogar gesagt, sie
bezeichnend!)
möchte den Katholiken nicht absprechen, dass sie auch
Werte hätten – sehr großzügig, kann ich nur sagen –, Als Kirchenbeauftragter meiner Fraktion will ich um
aber das seien nicht die Werte, die sie mit Schülern dis- der Sache willen auch einen Beitrag zum Religionsfrie-
kutiert haben wolle. Das sagte sie im „Spiegel“ dieser den liefern. Das ist der Angelegenheit, wie sie in den
Woche. Das ist eine deutliche Kampfansage. vergangenen Wochen und Monaten behandelt worden
ist, sicherlich angemessen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich glaube, dass es nicht richtig ist, wenn Sie von
Ich will auch nicht verhehlen, dass mich sehr wohl
einem Abdrängen oder faktischen Abschaffen des Chris-
beschäftigt, welch enge Verbindung es zwischen dem
tentums und der Abschaffung der Religionsfreiheit spre-
Berliner Senat von SPD und PDS und dem atheistischen
chen.
Humanistischen Verband gibt. Der Verband hat heute
eine Presseerklärung herausgegeben, in der es unter an- (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Aber natür-
derem heißt, man müsse jetzt aufpassen, dass bei dem lich!)
15742 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Wilhelm Schmidt (Salzgitter)


(A) Ich halte es auch nicht für richtig, wenn zum Beispiel – Es geht doch nicht darum, was ich persönlich für rich- (C)
ausweislich der „Berliner Morgenpost“ vom 5. April tig halte;
Reymar von Wedel wie folgt zitiert wird:
(Zurufe von der CDU/CSU: Ach so!)
Viele, die unseren Aufruf zur Bewahrung des Reli- die Frage ist vielmehr, ob das Plenum des Deutschen
gionsunterrichtes begrüßt haben, stellen die Frage, Bundestages mit einer Aktuellen Stunde der richtige Ort
warum dieser Vergleich: So schlimm wie 1934, als für die Diskussion über ein solches Vorgehen und eine
Niemöller den Pfarrernotbund gründete, ist es doch solche politische Entscheidung ist.
heute nicht. Das ist richtig, aber es kann so werden
und manches ist schon heute vergleichbar. (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, aber das ist un-
wichtig!)
In demselben Artikel wird auch Kardinal Sterzinsky
zitiert, der den Vergleich „wie in der Nazizeit und in der Diese Frage beantworte ich sehr deutlich mit Nein: Das
DDR“ gezogen hat. Ich halte das nicht für angemessen. Plenum des Bundestages ist nicht der richtige Ort. Denn
es sind die CDU/CSU-geführten Bundesländer, in denen
(Manfred Grund [CDU/CSU]: Was ist denn es immer wieder zur Blockade in allen Fragen der Bil-
angemessen?) dungspolitik, auch der Schulhoheit, kommt.
Wir müssen uns mit diesen Fragen in anderer Form aus- (Dorothee Mantel [CDU/CSU]: Das ist doch
einander setzen. keine Schulpolitik!)
(Beifall bei der SPD) – Natürlich ist das eine. – Sie haben es sogar so weit ge-
trieben, die Föderalismuskommission an diesem Thema
Was passiert eigentlich konkret? Eine seit über scheitern zu lassen.
50 Jahren geübte Praxis wird um ein neues Angebot er-
gänzt, das als Pflichtfach eingeführt wird. Nehmen Sie die Verantwortung, die Sie hier zum
Ausdruck zu bringen versuchen, wahr und sorgen Sie
(Lachen bei der CDU/CSU – Dorothee Mantel erst einmal dafür, dass die Diskussion relativiert bzw. in
[CDU/CSU]: Gezwungenermaßen!) Gang gebracht wird und wir vielleicht gemeinsam eine
Wer hindert denn diejenigen, die die freiwilligen Mög- andere Grundlage bekommen, um uns mit solchen The-
lichkeiten des Religionsunterrichts in Anspruch nehmen men wie dem heute zur Diskussion stehenden Thema
wollen, daran, dies zu tun? auseinander zu setzen! Ehe Sie vordergründig in dieser
Weise auftreten, sollten Sie sich meines Erachtens selber
(Dorothee Mantel [CDU/CSU]: Sie sind so in dieser Frage prüfen und dafür sorgen, dass wir eine
(B) weit weg von der Realität! – Gegenruf des objektive Debatte führen, wobei ich es übrigens für rich- (D)
Abg. Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sie ha- tig halte, das Für und Wider zu erörtern. Es ist durchaus
ben doch gar keine Ahnung von der Situation, richtig, sich in solchen Fragen auseinander zu setzen.
Frau Mantel!) Aber nur so zu tun, als ob Sie als Fraktion einhellig auf
der Seite derjenigen sind, die den Religionsunterricht an-
Von daher wäre ein bisschen mehr Nüchternheit und bieten,
Objektivität angemessen.
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber natürlich
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie sollten Ihre sind wir das!)
Fraktion nicht so blamieren!)
reicht nicht aus. Wenn Sie im Übrigen fordern, den Men-
– Nun lassen Sie das doch mal! Sie haben noch die Gele- schen die Entscheidung über den Religionsunterricht zu
genheit, zu reden. überlassen,
Wer von Ihnen hat sich denn in den vergangenen (Katherina Reiche [CDU/CSU]: Sie nehmen
50 Jahren darüber aufgeregt, dass nur 20 Prozent der Se- ihnen doch diese Freiheit!)
kundarstufenschüler ab der 7. Klasse den freiwilligen
dann ist das doch die Konsequenz: Zur Religionsfreiheit
Religionsunterricht wahrgenommen haben? Niemand
gehört auch diese Entscheidung.
von Ihnen hat das hier zum Thema gemacht. Insofern ist
das, was Sie heute abliefern, einmal mehr Ausdruck Ih- Von daher glaube ich, dass Sie auf dem falschen
rer heuchlerischen Politik, wie sie immer wieder festzu- Dampfer sind, liebe Kolleginnen und Kollegen. Mit ei-
stellen ist. ner Aktuellen Stunde wird man diesem Thema nicht im
Entferntesten gerecht. Sehen Sie zu, dass Sie Ihre Posi-
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ tion überprüfen. Lassen Sie uns gemeinsam darum rin-
DIE GRÜNEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: gen, dass diese Überlegungen, wenn sie denn in die Pra-
Sie sollten Herrn Thierse nicht beleidigen!) xis umgesetzt werden, doch noch in eine andere
– Bleiben Sie ganz ruhig, Herr Kauder! Richtung gehen, als es bei Parteitagsbeschlüssen oder
Ähnlichem, wie es jetzt von Ihnen inkriminiert wird, der
Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich persönlich die Fall ist.
Entscheidung nicht für richtig halte.
Ich persönlich schließe auch nicht aus, dass das, was
(Markus Löning [FDP]: Warum verteidigen zum Beispiel Senator Böger und ich zum Ausdruck ge-
Sie denn dann den Mist?) bracht haben – nämlich dass die brandenburgische Lö-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15743
Wilhelm Schmidt (Salzgitter)
(A) sung viel besser wäre –, immer wieder ins Gespräch ge- (Katherina Reiche [CDU/CSU]: Das können (C)
bracht wird. Sie aber ruhig tun!)
Kämpfen Sie mit denjenigen darum, die auf diese Ich schätze die beiden Berliner Kolleginnen von der
Weise ihre Position zu erkennen gegeben haben! Aber PDS durchaus. Aber Sie sollten einmal darüber nachden-
machen Sie es nicht zum Gegenstand einer vordergrün- ken, ob es sich hier nicht um Applaus an der falschen
digen und, wie ich finde, zum Teil ziemlich heuchleri- Stelle handelt, wenn die PDS eine Maßnahme begrüßt,
schen Auseinandersetzung im Plenum des Deutschen die nichts anderes als den Versuch bedeutet, Kinder von
Bundestages! der Religion zu entfernen und den alten marxschen
Spruch „Religion ist Opium für das Volk“ umzusetzen.
(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/
Ich sage Ihnen: Das ist nicht so. Ich bin sicherlich kein
CSU]: Sie sind schon ein armes Kerle! Sie
Freund der Kirchen. Aber es steht uns als Staat nicht zu,
sind der letzte Mohikaner! Das erkenne ich
die Werte im religiösen Bereich zu bestimmen. Es steht
an!)
uns als Staat ebenfalls nicht zu, zu bestimmen, ob Kinder
am Religionsunterricht teilnehmen sollen, ob sie glauben
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: sollen oder nicht.
Nächster Redner ist der Kollege Markus Löning für
die FDP-Fraktion. (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das
steht nirgendwo! Das ist eine falsche Unter-
stellung!)
Markus Löning (FDP):
Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Liebe Es steht uns erst recht nicht zu, über einen staatlichen
Kollegen! Herr Schmidt, ich will Ihnen ausdrücklich Re- Werteunterricht zu versuchen, Kindern Religiosität und
spekt dafür zollen, dass Sie hier für die SPD in die Bütt Religion oder den Zugang dazu auszureden, Herr
gegangen sind. Schmidt.
(Manfred Grund [CDU/CSU]: Als Einziger!) (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU – Swen Schulz [Spandau]
Ich möchte Sie aber gerne fragen – ich bitte Sie, diese Fra- [SPD]: Das ist unter Ihrem Niveau! – Weiterer
gen auch Ihren Kollegen zu stellen; dabei nehme ich die Zuruf von der SPD: So ein Quatsch!)
Kollegen Dzembritzki und Schulz ausdrücklich aus –:
Wo sind die Berliner Kollegen, die das zu vertreten ha- – Wenn Sie sagen, dass das unter meinem Niveau ist,
ben? dann stelle ich Ihnen gerne das FDP-Modell vor.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Machen Sie
(B) (D)
mal!)
Wo ist Klaus Uwe Benneter, der Generalsekretär Ihrer
Partei, der an führender Stelle in der Berliner SPD tätig Wir treten für ein Wahlpflichtfach ein, in dem ein Teil
ist? Wo ist er, wenn wir hier über einen Parteitagsbe- Ethik sein kann und zu dem auch Religion gehört – alle
schluss der Berliner SPD reden? Religionen sollen Unterricht abhalten können –, wobei
die Kinder zwischen den verschiedenen Fächern wählen
(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der
können. Selbstverständlich gibt es – darin sind wir uns
CDU/CSU)
mit Herrn Böger durchaus einig – Reformbedarf bei der
Ich finde es zwar gut, dass der Berliner Kultursenator staatlichen Aufsicht über den Religionsunterricht. Ich
von der PDS an dieser Bundestagsdebatte teilnimmt. bin nicht dafür, dass religiöse Körperschaften – seien es
Herzlich willkommen! Aber wo ist der zuständige die christlichen Kirchen, sei es die Islamische Födera-
Schulsenator Ihrer Partei, liebe Kollegen von der SPD? tion oder seien es in Zukunft die Zeugen Jehovas – ohne
Warum ist Herr Böger nicht hier? staatliche Aufsicht Unterricht abhalten. Wir wollen
staatliche Aufsicht. Aber die Kirchen sollen die Mög-
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten lichkeit und die Schüler sollen die Wahlfreiheit haben,
der CDU/CSU) ihrem Unterricht nachzugehen.
Herr Schmidt, ich möchte ausdrücklich hinzufügen: Es ist richtig, dass wir auch von staatlicher Seite Wer-
Wir, die FDP, haben 2001 Koalitionsverhandlungen mit teunterricht machen müssen. Aber das ist nur begrenzt
der Berliner SPD geführt. Ich habe die SPD als eine au- möglich; denn was wir als Staat in einem Werteunter-
ßerordentlich pragmatische Partei kennen gelernt. Wir richt vermitteln können und was wir auch in anderen Fä-
waren uns zwar nicht in allen Punkten einig, aber in vie- chern vermitteln sollten, sind die Grundwerte des
len, gerade mit Herrn Böger. Aber was die Berliner SPD Grundgesetzes. Das sind Demokratie und Rechtsstaat-
nun beschlossen hat – Einheitsschule und staatlich ver- lichkeit sowie die Einhaltung der Menschenrechte.
ordnete Werteorientierung –, ist ein Zurück in die 70er-
Jahre. Das ist unerträglich. Damit stellt sich die SPD (Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Warum
selbst völlig ins politische Abseits. unterstellen Sie den anderen jetzt etwas ande-
res?)
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zu-
ruf von der SPD: Unsinn!) Das sind unsere Grundrechte. Darauf muss sich der Staat
bei der Wertevermittlung aber auch beschränken.
Ich bin wahrlich kein kalter Krieger, der auf die PDS
schimpft oder einschlägt. (Zuruf von der SPD: Genau!)
15744 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Markus Löning
(A) Herr Schulz, ich sage Ihnen eines: Wenn ich mir vor- Natürlich ist die Frage des Verhältnisses von Religion (C)
stelle, dass meine Kinder in einer Berliner Schule Unter- und Schule immer umstritten. In Bremen, Brandenburg
richt erhalten, in dem Werte vermittelt werden, die per und Berlin gilt eine verfassungsrechtliche Ausnahme.
Parlamentsmehrheit festgelegt worden sind, dann wird Gerade wegen dieser Ausnahme haben wir jetzt diese
mir schlecht. Diskussion hier im Land Berlin.
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Zweitens. In Berlin ist die religiöse Vielfalt mit mehr
als 130 Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften
Dann werde ich alles tun, damit meine Kinder an solch
so ausgeprägt wie nirgendwo anders in Deutschland.
einem Werteunterricht nicht teilnehmen müssen.
Berlin ist eine multireligiöse Stadt. Nur knapp die Hälfte
Ich kann daher nur dringend an Sie appellieren: Kor- der Menschen hier ist überhaupt christlichen Glaubens.
rigieren Sie diesen Beschluss! Nehmen Sie diesen Be-
schluss zurück! In dieser gesellschaftlichen Situation – ich nenne hier
nur die Probleme der Integration und das unschöne Wort
Vielen Dank. „Parallelgesellschaft“ – stellt sich die Frage: Wie schaf-
fen wir eine allgemeine Wertevermittlung? Darauf als
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – einzige Antwort zu geben: „Die einen gehen in den Reli-
Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sie dis- gionsunterricht, die anderen gehen in den Ethikunter-
kutieren auf einer völlig falschen Basis!) richt“, das halte ich für relativ realitätsfern. Es geht da-
rum, den jungen Menschen in dieser Stadt, egal welcher
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: ethnischen oder weltanschaulichen Herkunft, eine ge-
Ich erteile das Wort der Kollegin Grietje Bettin, meinsame Wertebasis zu vermitteln. Wir brauchen eine
Bündnis 90/Die Grünen. Grundlage für das Leben miteinander und den Respekt
voreinander.
Grietje Bettin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): (Dr. Wolfgang Gerhardt [FDP]: Als würde das
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle- durch Religionsunterricht gestört! Ich habe
gen! Das Thema dieser Aktuellen Stunde hat mich doch selten so einen Unsinn gehört!)
einigermaßen verwundert. Gerade Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der Union, sind es doch, die sich jede Die SPD in Berlin reagiert mit ihrem Beschluss auf
Einmischung der Bundesregierung in die Landespolitik dieses schon lange schwelende Problem: In der Schule
wutschnaubend verbitten. müssen die Grundüberzeugungen und gemeinsamen
Werte, die die Gesellschaft überhaupt erst zusammenkit-
(B) (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Schöne Föde- ten, in Form gemeinsamer Diskussionen über gesell- (D)
ralisten! – Günter Nooke [CDU/CSU]: Sie ha- schaftliche Werte ihren Platz erhalten. Dabei geht es
ben die Dimension nicht verstanden, Frau Kol- nicht darum, den Kindern und Jugendlichen einzutrich-
legin!) tern, was wahr und richtig und gut und falsch und
Sie setzen heute ein schulpolitisches Thema auf die schlecht und böse ist. Diese Überzeugungen kann und
Agenda, nur weil Sie glauben, daraus politisch Profit darf der Staat selbst nicht vorschreiben.
schlagen zu können. Sie werfen damit Ihre föderalen Es muss aber gesellschaftliches Ziel sein, dass alle
Prinzipien über Bord, nur weil Sie glauben, hier eine po- jungen Menschen mit einem ausgeprägten demokrati-
pulistische Diskussion aufziehen zu können. Oder soll schen Grundverständnis und mit dem Respekt vor ande-
der Bundestag in Zukunft auch über Lehrpläne und Bil- ren Weltanschauungen die Schule verlassen. Dazu muss
dungsstandards diskutieren? man die Weltanschauungen im Unterricht kennen gelernt
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Am besten in und demokratisches Handeln im Schulalltag erprobt ha-
Bayern und Hessen!) ben.

– Darüber können wir gerne sprechen. Schon lange wollen wir Grüne mit dieser Art von
Wertevermittlung alle Kinder und nicht nur die getauften
Wie dem auch sei: Es handelt sich bei der Diskussion erreichen. Deshalb sind wir durchaus für ein religionsun-
über den Werteunterricht um ein sehr spezielles Berlin- abhängiges Fach und eine eigene, damit verbundene
problem, und zwar aus mindestens zwei Gründen: Lehrerausbildung. Deswegen begrüße ich das Vorhaben,
Erstens. Im Grundgesetz ist der Religionsunterricht ein verbindliches Unterrichtsfach „Lebenskunde, Ethik,
an öffentlichen Schulen als verpflichtendes ordentliches Religionskunde“ für alle Schülerinnen und Schüler ein-
Lehrfach verankert. Der Staat muss also die erforderli- zurichten. Der Religionsunterricht wird deshalb ja nicht
chen Räume zur Verfügung stellen und die Kosten dieses abgeschafft.
Unterrichts größtenteils tragen. Der Religionsunterricht Wir erwarten nun aber vom Berliner Senat, dass die
wird laut Grundgesetz in konfessioneller Gebundenheit Voraussetzungen und eine entsprechend gründliche Aus-
vermittelt. Das heißt faktisch: Die Kirchen bestimmen bildung von Lehrerinnen und Lehrern für dieses Fach
über den Inhalt mit. Kinder, die nicht konfessionsgebun- konsequent geschaffen werden.
den sind, müssen in den meisten Bundesländern Ersatz-
unterricht besuchen, der „Ethik“, „Philosophie“ oder (Günter Nooke [CDU/CSU]: Bis zum nächs-
ähnlich heißt. ten Jahr, ja?)
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15745
Grietje Bettin
(A) Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, im- (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Aber die Auf- (C)
mer wenn es in der Politik um Fragen der Religion geht, klärung gehört auch dazu! – Gegenruf von der
versuchen Sie, einen Alleinvertretungsanspruch in Be- CDU/CSU: Die haben Sie nicht verstanden!)
zug auf ein christliches Weltbild anzumelden.
Übrigens ist die Fähigkeit, über den eigenen Glauben,
(Günter Nooke [CDU/CSU]: Das ist doch un- zumindest aber über die religiösen Wurzeln der eigenen
glaublich!) Kultur Auskunft zu geben, Voraussetzung für einen Dia-
log mit Menschen anderer religiöser und kultureller Prä-
Das haben Sie schon in Bayern mit dem Kruzifix ge- gung.
macht – nicht ungeschickt übrigens – und das versuchen
Sie heute wieder. Der zunehmende religiöse Analphabetismus in unse-
rem Land ist daher nicht allein eine Angelegenheit der
(Dorothee Mantel [CDU/CSU]: Gott sei Dank Kirche; er bedroht vielmehr die Grundlagen unseres Ge-
haben wir die Kreuze noch in Bayern!) meinwesens, an deren Pflege der Staat ein großes eige-
nes Interesse haben muss.
Da ist es Ihnen auch plötzlich egal, dass der Bundestag
eigentlich gar nicht zuständig ist. Das ist reine Heuche- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
lei. In Sonntagsreden über christliche Werte zu sprechen, neten der FDP)
im politischen Alltag aber ein Programm sozialer Kälte Zu Recht hat daher das Bundesverfassungsgericht
zu fahren – ich sage nur: Änderungen beim Kündigungs- 1995 formuliert – ich zitiere –:
schutz, Studiengebühren ohne soziale Absicherung und
Abschaffung des BAföG –, Auch ein Staat, der die Glaubensfreiheit umfassend
gewährleistet und sich damit selber zu religiös-
(Beifall des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜND- weltanschaulicher Neutralität verpflichtet, kann die
NIS 90/DIE GRÜNEN] – Widerspruch bei der kulturell vermittelten und historisch verwurzelten
CDU/CSU) Wertüberzeugungen und Einstellungen nicht ab-
das lassen wir Ihnen so nicht durchgehen. streifen, auf denen der gesellschaftliche Zusam-
menhalt beruht und von denen auch die Erfüllung
Danke schön. seiner eigenen Aufgaben abhängt. Der christliche
Glaube und die christlichen Kirchen sind dabei, wie
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN immer man ihr Erbe heute beurteilen mag, von
und bei der SPD – Dorothee Mantel [CDU/ überragender Prägekraft gewesen. Die darauf zu-
CSU]: Total vorbei! – Günter Nooke [CDU/ rückgehenden Denktraditionen, Sinnerfahrungen
(B) CSU]: Da klatscht nicht mal die Fraktionsvor- und Verhaltensmuster können dem Staat nicht (D)
sitzende! Die Theologin hat nicht geklatscht! – gleichgültig sein.
Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das ist
keine Theologin! Sie hat keinen Abschluss!) Doch es ist nicht Gleichgültigkeit, auf der die fakti-
sche Abschaffung des evangelischen und katholischen
Religionsunterrichts,
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Kollege Hermann Gröhe, CDU/ (Zuruf von der SPD: Das stimmt nicht!)
CSU-Fraktion. den heute 114 000 Schülerinnen und Schüler in Berlin
(Beifall bei der CDU/CSU) besuchen, beruht. „Religions- und Kirchenfeindlichkeit“
hat Richard Schröder als Motiv für die rot-rote Politik
ausgemacht.
Hermann Gröhe (CDU/CSU):
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ren! Dass wir an einem Unfallopfer, das wir nachts auf Robert Leicht formuliert unmissverständlich:
der Autobahn sehen, nicht achtlos vorbeifahren dürfen,
also ohne zu helfen oder Hilfe zu rufen, wissen wir. In der Berliner SPD (und in der PDS sowieso) hat
Doch ist es nicht § 323 c Strafgesetzbuch, der diese sich ein starr betoniertes Milieu alt-marxistischer
Norm in unseren Herzen und Köpfen verankert hat. Viel- und vulgär-materialistischer Kirchenfeindlichkeit
mehr ist die prägende Wirkung der Überzeugung, dass erhalten.
mögliche Hilfe zu unterlassen etwas Schlechtes ist, in (Ina Lenke [FDP]: Das stimmt!)
unserem Kulturkreis ganz wesentlich jener Geschichte
vom barmherzigen Samariter zu verdanken, die Jesus er- Der Marxismus und der Materialismus haben zwar
zählte. Auch andere für unser Zusammenleben unerläss- ziemlich abgedankt, aber die Religionsfeindlichkeit
liche Normen – „Du sollst nicht töten“, „Du sollst nicht ist geblieben.
begehren deines Nächsten Hab und Gut“ – sind uns eher (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
in der klaren Sprache biblischer Gebote als im Wortlaut
der entsprechenden Strafrechtsnormen vertraut. Es ist diese Kirchen- und Religionsfeindlichkeit, die
Rot-Rot in Berlin die Religionsfreiheit von 114 000 Schü-
Unsere Zivilisation lässt sich ohne eine gewisse lerinnen und Schülern und das Erziehungsrecht ihrer El-
Kenntnis jener biblischen Tradition, die sie so nachhaltig tern missachten lässt. Es ist diese Kirchen- und Religions-
prägt, überhaupt nicht verstehen. feindlichkeit, auf deren Grundlage sich der rot-rote Senat
15746 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Hermann Gröhe
(A) nun selbst zum Weltanschauungsmonopolisten aufschwin- den. Dem darf man die Zukunft unseres Gemeinwesens (C)
gen will. nicht länger anvertrauen.
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ziem- Vielen Dank.
lich überzogen!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Warum merken eigentlich so wenige Berliner Sozialde-
mokraten, in welche Tradition sie sich damit begeben? Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Das Wort hat die Kollegin Christa Nickels,
Bündnis 90/Die Grünen.
Überall spüren wir: Orientierung tut Not. Orientie-
rung setzt die Möglichkeit voraus, Überzeugungen ken-
Christa Nickels (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
nen zu lernen, damit man eigene Überzeugungen entwi-
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ckeln kann. Solche Überzeugungen aber entstehen nicht
ist richtig, Bildungspolitik und auch Religionsunterricht
im Niemandsland der Gleichgültigkeit, sondern in der
sind Ländersache. Sie, Herr Kollege Schmidt, sagten,
Begegnung mit einer gelebten Glaubensüberzeugung.
man solle die Kirche im Dorf lassen. Berlin wäre dann
Deshalb kann ein staatlich verantworteter Werteunter-
unser Bundeshauptstadtdorf.
richt allenfalls die Ergänzung eines konfessionell verant-
worteten Religionsunterrichts im Rahmen eines Wahl- (Markus Löning [FDP]: Gegen den Ausdruck
pflichtfaches sein. verwahre ich mich!)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und Berlin hat aber eine ganz besondere ausstrahlende Wir-
der FDP) kung.
Aber man hat sich noch viel mehr vorgenommen. So (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
hat die PDS-Fraktionsvorsitzende in Berlin dem neuen
Schulfach die Aufgabe zugedacht, den Kindern beizu- Ich habe auch meiner Kollegin Grietje Bettin schon
bringen – Zitat –, ihre Herkunftsreligion zu relativieren. gesagt: Die Bremer Klausel, die man hier in Berlin bis-
Entchristlichung von oben – die PDS bleibt ihren Wur- her so ausgestaltet hatte, dass es keinen Werte- und kei-
zeln treu! nen Religionsunterricht als Pflichtfächer gibt, sollte man
besser durch Inhalte füllen. Das ist, wie ich glaube, mitt-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) lerweile Konsens. Spätestens nach dem 11. September
haben wir begriffen, dass es gut ist, wenn in Schulen ein
Die SPD macht da mit. Weil dies eine Grundsatzfrage wertebezogener Unterricht erteilt wird, der Schülerinnen
(B) für unsere Gesellschaft ist, Herr Schmidt, muss sie hier und Schüler vor Fundamentalisten jeglicher Art feit und (D)
diskutiert werden. sie miteinander ins Gespräch bringt. Darum begrüße ich
Ihre heutige Diskussionsverweigerung in Bezug auf erst einmal, dass hier Ethikunterricht eingeführt wird.
Präsenz und Rednerzahl ist das Eingeständnis eigener Wenn man allerdings diesen Schritt geht, dann ist es
Schwäche, nicht nachvollziehbar, dass man den Religionsunterricht
(Zuruf des Abg. Wilhelm Schmidt [Salzgitter] als Werteunterricht minderer Güte und noch nicht einmal
[SPD]: Was für ein Instrument dafür ist denn als ein Wahlfach in einem Wahlpflichtbereich einführt,
die Aktuelle Stunde?) sondern nur als freiwilliges Zusatzangebot vorsieht, was
man als Privatvergnügen machen kann.
die schon dadurch zum Ausdruck kommt, dass die Bun-
des-SPD nicht einen entsprechenden Landesparteitags- (Beifall der Abg. Katrin Göring-Eckhardt
beschluss verhindern konnte [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] sowie bei der
CDU/CSU und der FDP)
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Ist doch
Unsinn!) Es kann nicht sein, dass man Ethikunterricht einführt,
Religionsunterricht aber sozusagen als Zaungast ansieht
und sich nur mit dürren Worten davon distanziert hat. und wie eine Bastel-AG behandelt. Das ist unsäglich. Ich
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) glaube auch, Hermann Gröhe, dass es bundesweit be-
kannt ist, dass die Kirchen und die Religionsgemein-
Es ist offenkundig, dass Ihnen die Zurückdrängung schaften generell im Rahmen der Subsidiarität wertvolle
der Religion im öffentlichen Raum kein vordringliches Dienste für die Zivilgesellschaft leisten.
Problem zu sein scheint. Bundeskanzler Schröder hat ja
schon bezüglich des Verzichts auf die Anrufung Gottes (Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNIS-
bei der Ableistung seines Amtseides SES 90/DIE GRÜNEN sowie bei der CDU/
CSU und der FDP)
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ich breche
zusammen!) Auch wir Grünen sind in den Bundesländern ver-
schieden an dieses Problem herangegangen und haben
– hören Sie sich ruhig einmal die entsprechende Begrün- unterschiedliche Beschlüsse gefasst, insbesondere auch
dung an – erklärt: Religion ist Privatsache. – Wer so re- vor dem Hintergrund, Hermann, dass wir uns hierzu-
det, hat nichts vom geistesgeschichtlichen Beitrag des lande stärker pluralisieren und säkularisieren. In Bran-
Christentums zu unserer politischen Ordnung verstan- denburg gibt es zum Beispiel maximal 20 bis 30 Prozent
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15747
Christa Nickels
(A) konfessionell gebundene Kinder, welcher Art auch im- richt in Deutsch, auf dem Boden des Grundgesetzes und (C)
mer. Es kann sich auch um muslimische Kinder handeln mit didaktisch-methodisch ordentlichen und guten Curri-
oder um Anhänger der Zeugen Jehovas, die mittlerweile cula, die von der Schulbehörde in didaktisch-methodi-
als Religionsgemeinschaft anerkannt sind. Es erhalten ja scher Hinsicht – nicht in Bezug auf den Glaubensinhalt –
immer mehr Religionsgemeinschaften den Status einer begutachtet worden sind, stattfindet.
Körperschaft des öffentlichen Rechts und können damit
(Beifall des Abg. Markus Löning [FDP])
gleiche Rechte wie die beiden großen Konfessionen in
Anspruch nehmen. Vor diesem Hintergrund finde ich es Das ist ein wesentliches Recht, durch das den Kindern
richtig, wenn man sagt, wir wollen all denjenigen, die im Sinne der Integration die Möglichkeit gegeben wird,
sich nicht weltanschaulich oder konfessionell gebunden ihren eigenen Glauben im Schulunterricht kennen zu ler-
fühlen, einen ordentlichen, guten Werteunterricht geben, nen.
in dem sie die anderen Religionen, deren Weltanschau-
ungen und auch die Grundwerte, die uns alle tragen, ken- (Beifall der Abg. Katrin Göring-Eckardt
nen lernen, nämlich die Grund- und Menschenrechte. [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] sowie bei der
Das begrüße ich sehr. CDU/CSU und der FDP)

Ich sage aber noch einmal: Ich verstehe nicht, dass Zum Schluss: Ich werde den Verdacht nicht los, dass
Berlin, wenn es, statt sich auf die Bremer Klausel zu be- hier zwar von beiden Seiten teilweise klassenkämpfe-
rufen, einen Schritt weiter geht, den konfessionellen Un- risch diskutiert wird, dass aber möglicherweise der
terricht nicht gleichberechtigt und auf einer Augenhöhe schnöde Mammon mehr wiegt als die hohen Werte, die
mit dem Werteunterricht implementiert. man immer bemüht. Jeder weiß, dass im Rahmen der Sä-
kularisierung und Pluralisierung zunehmend auch andere
(Beifall der Abgeordneten Katrin Göring- Religionsgemeinschaften – ich erwähnte es schon; zum
Eckhardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] so- Beispiel die Zeugen Jehovas und verschiedene muslimi-
wie bei der CDU/CSU und der FDP) sche Religionsgemeinschaften – den Status einer Kör-
perschaft des öffentlichen Rechts erhalten. Wenn Reli-
Ich denke, dass das von den Kirchen zu Recht als Herab- gionsunterricht ein ordentliches Unterrichtsfach sein
würdigung angesehen wird, ganz abgesehen von den an- soll, dann müssen natürlich die Religionslehrer an den
deren guten Gründen, die hier schon genannt wurden, Universitäten ordentlich ausgebildet und dann bezahlt
warum man nicht so vorgehen sollte. werden. Das kostet Geld. Ich kann verstehen, dass viele
Natürlich verstehe ich es und halte es auch für richtig, mit Blick auf Schulen, an denen Religionslehrer zehn
wenn man sagt, dass Kinder in Zeiten von Säkularisie- verschiedener Konfessionen unterrichten müssten, diese
(B) rung und Pluralisierung in gewissen Themenbereichen Lehrer lieber zum Beispiel für den Deutschunterricht (D)
gemeinsam unterrichtet werden. Da gefällt mir der Vor- einsetzen wollen. Aber das ist kein Argument dagegen,
schlag von Kardinal Sterzinsky und Bischof Huber, den den Religionsunterricht als ordentliches Unterrichtsfach
sie Anfang der 90er-Jahre im Zusammenhang mit dem einzuführen. Ich bitte die Religionsgemeinschaften,
erbitterten Streit um LER gemacht haben und der mir Ökumene in den islamischen, den christlichen und den
jetzt schon fast ein wenig visionär erscheint, nämlich ei- anderen Religionsgemeinschaften vielleicht ein bisschen
nen Wahlpflichtfachbereich mit konfessionellem Unter- weiter zu denken. Das wird in den alten und neuen Bun-
richt und Ethikunterricht einzurichten, aber mit fest ver- desländern teilweise schon getan. Die Alternative, wenn
abredeten gemeinsamen Unterrichtseinheiten, wo alle man aus der Bremer Klausel herauswachsen will, kann
Schülerinnen und Schüler integrativ unterrichtet werden. aber nicht sein, den Religionsunterricht nicht gleichbe-
Das ist leider bis heute nicht umgesetzt worden. Man rechtigt an den Tisch zu setzen, sondern an den Katzen-
hätte jetzt die Gelegenheit dazu. Damit hätte Berlin et- tisch zu verbannen.
was Beispielhaftes für ganz Deutschland einführen kön- (Beifall der Abg. Katrin Göring-Eckardt
nen. Denn alle Bundesländer, selbst Bayern, das ja noch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] sowie bei der
immer sehr katholisch ist, bekommen durch die Säkula- CDU/CSU und der FDP)
risierung und Pluralisierung zunehmend Probleme.
Wenn man die Kinder nicht ohne Werteunterricht auf-
wachsen lassen will, wäre ein Modell, wie die beiden es Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
vorschlagen, richtig und zukunftsweisend. Thomas Rachel ist der nächste Redner für die CDU/
CSU-Fraktion.
(Beifall der Abg. Katrin Göring-Eckardt
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] sowie bei der Thomas Rachel (CDU/CSU):
CDU/CSU und der FDP – Wilhelm Schmidt
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen
[Salzgitter] [SPD]: Das ist aber keine bundes-
und Herren! Lieber Herr Bischof Huber! Die Kraft des
politische Aufgabe!)
christlichen Glaubens, die Johannes Paul II. den Frauen
Ich möchte noch einen Punkt ansprechen. Meine Kol- und Männern der Solidarnosc gegeben hat, war der An-
legin Grietje Bettin hat gesagt, Integration sei sehr wich- fang vom Ende des Kommunismus in Polen.
tig. Das stimmt. Aber ich glaube, gerade im Sinne der
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Integration sollten wir es ermöglichen, dass Kinder ver-
schiedenster Religionsgemeinschaften das Recht auf ein Die Kraft des christlichen Glaubens, die die katholische
Pflichtfach an ihrer Schule erhalten, wo Religionsunter- und die evangelische Kirche den Bürgerrechtlern und
15748 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Thomas Rachel
(A) Widerstandsgruppen in der DDR gegeben hat, besiegelte muss auch dort gelten, wo SPD und PDS Hand in Hand (C)
das Ende des real existierenden Sozialismus. regieren und neben einer Einheitsschule auch ein Ein-
heitsfach Wertekunde durchsetzen wollen. Wer soll die-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
ses Fach eigentlich unterrichten? Ach ja, wahrscheinlich
Wir wissen es alle: Die Wiedervereinigung Deutschlands die alten Staatsbürgerkundelehrer früherer Zeit. Und die
wäre ohne die Kirchen niemals friedlich verlaufen. Das Inhalte? Vielleicht gibt es noch einige Bücher aus der
Wachs der Kerzen verstopfte die Waffen der Stasi Vergangenheit.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Kein Wunder, dass bei dieser Perspektive ein Auf-
und die Gebete der Gläubigen öffneten die Tore und Tü- schrei durch dieses Land geht. Die Menschen spüren in-
ren zur Freiheit. Die christlichen Wertvorstellungen wa- stinktiv, dass etwas falsch läuft. Als Christen wollen wir
ren und sind es, die unserer Demokratie Stabilität verlei- dies stoppen.
hen. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Wowereit und Co. wollen den Staat selbst als Werte-
Nun sollte man meinen, dass diese Erkenntnis über vermittler etablieren. Gerade mit Blick auf Berlin muss
die Parteigrenzen hinweg anerkannt ist. Aber das ist ein man sagen: Hier wird der Bock zum Gärtner gemacht.
Irrtum. Die SPD hat die Absicht, die Kirchen aus dem Im Gegensatz zu SPD und PDS sind wir der festen
öffentlichen Leben herauszudrängen. Überzeugung, dass der freiheitliche, der demokratische,
(Günter Nooke [CDU/CSU]: So ist es! – Zuruf der weltanschaulich neutrale Staat keine Kompetenz hat,
von der SPD: Es wird ja immer schlimmer!) Vorgaben zu machen. Zu unseren demokratischen
Grundprinzipien gehört nämlich die Wahlfreiheit. Dies
Wie ist es sonst zu verstehen, dass der Parteitag der gilt auch für den Religionsunterricht. Alles andere be-
Hauptstadt-SPD beschließt, die Kirchen aus dem Schul- deutet eine staatliche Weltanschauungsdiktatur.
unterricht zu jagen?
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das stimmt
Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das ist ja Ka-
doch nicht! – Gegenruf von der CDU/CSU:
barett!)
Doch!)
Waren die Bedingungen für den freiwilligen Religions- Um eines deutlich zu sagen: Der Religionsunterricht
unterricht in Berlin aufgrund der SPD-Politik schon ist kein Privileg der Kirchen. Nein, es handelt sich um
schwer genug, soll jetzt ein für alle verbindlicher staatli- ein Freiheitsrecht der Eltern und Kinder.
(B) (D)
cher Werteunterricht eingeführt werden, der keine Ab- Worum geht es eigentlich bei dem einvernehmlichen
wahlmöglichkeit zulässt. Die SPD fällt mit dieser kir- Handschlag von SPD und PDS in Berlin? Die Antwort
chenfeindlichen Politik nicht nur hinter ihr eigenes hat der Theologieprofessor und SPD-Fraktionsvorsit-
Godesberger Programm zurück, sondern bricht auch mit zende in der ersten frei gewählten Volkskammer,
der nach 1945 gefassten demokratischen Einsicht, dass Richard Schröder, gegeben. Er nennt als Motiv Reli-
der Staat nicht selbst monopolistisch die Werte vermit- gions- und Kirchenfeindlichkeit und sagt ferner:
teln kann, von denen er lebt.
Religionsunterricht, auch der christliche, gilt als ge-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) fährlich.
Die Bildungsarbeit der Kirchen in der Schule ist ein An diesem Punkt sind wir in Berlin inzwischen gelandet.
die Demokratie in unserem Land erhaltender Wert. Dies Ich finde, das ist eine Schande.
wird von der SPD als wertlos erachtet.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu-
Der Bundestagspräsident ist mit seiner Warnung vor
einer erneuten Verdrängung der Religion aus der Schule ruf von der SPD: Auch der kann irren!)
– wie in der DDR – gescheitert und von Wowereit dema- Der Landesvorsitzende der Berliner SPD, Michael
gogisch abgekanzelt worden. Müller, macht aus seinem Fünfjahresplan zur Verdrän-
(Günter Nooke [CDU/CSU]: Jawohl!) gung der Kirchen aus der Schule kein Geheimnis. Er
sagt, dass der staatliche Werteunterricht einen Teil der
Die Wowereits und die Müllers sind es, die mittlerweile Schüler mittelfristig aus dem Religionsunterricht heraus-
in ihrer Partei den Ton angeben. Dieser richtet sich ziehen werde und dass man dann – so freut sich Herr
schrill und unerträglich gegen die christlichen Stimmen Müller – weniger Zuschüsse an die Religionsgemein-
in diesem Rechtsstaat. schaften zu zahlen brauche.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – (Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)
Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sie sind ja ein
Scharfmacher!) Wenn dies nicht eine klare Ansage zum Kulturkampf ist,
dann weiß ich nicht, was je unter Kulturkampf zu verste-
Wer sich in einer globalisierten Welt orientieren will, hen war.
der braucht verlässliche Wertmaßstäbe. Religion ist eine
eigenständige Dimension menschlichen Lebens. Die (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Schüler haben ein Grundrecht auf Religionsfreiheit. Das neten der FDP)
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15749
Thomas Rachel
(A) Es wird höchste Zeit, dass aus der deutschen Haupt- In was für einer Partei, meine Damen und Herren von (C)
stadt andere Signale in dieses Land gesendet werden. Es den Sozialdemokraten, sind Sie eigentlich? Was sind
wird Zeit, dass die Hauptstadt endlich die Schulbildung denn nun die Inhalte Ihrer Partei? Es geht doch völlig an
bekommt, von der ganz Deutschland seit Jahrzehnten den Interessen, die Sie hier vertreten, vorbei, wenn es
profitiert. Dies geht nur mit den Kirchen und nicht gegen dort drunter und drüber geht. Es gibt in Ihrer Partei keine
sie. Das war, ist und bleibt die Überzeugung der Christ- Führung, keine Autorität, keinen Anstand.
lich Demokratischen Union Deutschlands.
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das sagt aus-
Herzlichen Dank. gerechnet die Berliner CDU!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- Sie sind schlicht orientierungslos und haben – so könnte
rufe von der CDU/CSU: Bravo!) man sagen – die Werte vergessen.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU –
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Das kommt
Nächster Redner ist der Kollege Günter Nooke, CDU/ ausgerechnet von der Berliner CDU!)
CSU-Fraktion. – Hören Sie einmal zu! Jetzt geht es inhaltlich weiter. –
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Jetzt kommt Das kommt heraus, wenn man versucht, die Frage, wie
die Stimme der Berliner CDU!) Werte in die Gesellschaft kommen, ohne Transzendenz
und persönliches Glaubenszeugnis zu beantworten.
Dann geht es in der Partei drunter und drüber.
Günter Nooke (CDU/CSU):
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Der – noch – Regierende Bürgermeister Wowereit hat
Was am vergangenen Wochenende auf dem Parteitag der gesagt:
Berliner SPD passierte, war ein Rückfall in die ideologi- Wertevermittlung ist nicht nur eine Aufgabe der
schen Grabenkämpfe der 70er-Jahre: staatlich verordne- Kirchen. Es ist auch eine wichtige Aufgabe des
ter Werteunterricht ab der 7. Klasse, Verbannung des Re- Staates.
ligionsunterrichts an den Rand der Stundentafel und die
Einheitsschule bis zur 10. Klasse als bildungspolitische Dafür erhielt er großen Beifall.
Perspektive für das 21. Jahrhundert. Doch genau darin liegt der Irrtum Ihrer Partei. Welche
Lehrer sollen denn diese „staatliche Weltanschauungs-
Der Schaden für Berlin und für Deutschland kann
diktatur“, wie die „FAZ“ schrieb, unterrichten? Wenn
nicht dadurch eingegrenzt werden, dass im Plenum die
der Staat Werte vermitteln und dafür Lehrer einstellen
(B) SPD kneift und sich Herr Schmidt irgendwie ein biss- (D)
soll, dann müssen Sie sagen, wie Sie diese Lehrer aus-
chen davon distanziert.
wählen. Sind es Christen, sind es Religionskundelehrer
(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Das interes- oder sind es die überzeugten Atheisten vom Humanisti-
siert keinen!) schen Verband, der vor kurzem sein 100-jähriges Jubi-
läum im Willy-Brandt-Haus der SPD hier in Berlin fei-
Man könnte fast Mitleid mit Ihnen haben. erte?
Am Samstag gab es in der Tat einen gefährlichen (Thomas Rachel [CDU/CSU]: Hört! Hört!)
Rückschritt. Es waren keineswegs wertneutrale Sozialde-
mokraten, sondern weltanschauliche Atheisten – schlim- Oder sind es sogar die Staatsbürgerkundelehrer der
mes antikirchliches und antireligiöses Fußvolk der SPD, DDR, die reaktiviert werden, wie Wolfgang Thierse auf
zu dem wohl inzwischen auch der Regierende Bürger- dem Parteitag befürchtete?
meister Wowereit gehört –, Der Beschluss der Berliner SPD zur Schulpolitik geht
weit über das bekannte Maß an politisch-ideologischer
(Widerspruch des Abg. Wilhelm Schmidt
Anmaßung hinaus. Er greift in den Kern unserer euro-
[Salzgitter] [SPD])
päisch gewachsenen deutschen Kulturnation ein. Was
die sich im Hinblick auf diesen Beschluss durchgesetzt uns im Innersten zusammenhält, ist nicht im Synkretis-
haben. Ihre SPD ist außer Rand und Band geraten. mus der Religionen, nicht im Idealismus eines „Edel sei
der Mensch, hilfreich und gut“ und erst recht nicht im
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Karneval der Kulturen zu finden. Meine Damen und
Es ist beschämend, welche Leute sich dort durchsetzen Herren von der Koalition, der Beschluss der Berliner
konnten, gegen den versammelten Sach- und Fachver- Parteifreunde ist sogar beängstigend für mich; denn sie
stand des zuständigen Bildungssenators, des katholi- glauben, man könne ernsthaft und glaubhaft über Werte
schen Bundestagspräsidenten, des Kanzlers, des SPD- reden, ohne selber welche zu haben.
Bundesvorsitzenden, der ehemaligen Bundesministerin (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
für Familie und Jugend und viele ehrlich besorgte christ-
liche Sozialdemokraten. Unser Grundgesetz lässt uns mit dem Gottesbezug in
der Präambel nicht im Unklaren. Wir haben für den Got-
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wie stark tesbezug auch in der europäischen Verfassung gekämpft,
kennen Sie sich denn in der Berliner CDU weil die jüdisch-christliche Tradition für unsere Kultur
aus?) konstitutiv ist. Im Wertepflichtfach der Berliner SPD
15750 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Günter Nooke
(A) wird ein allgemeines Palaver angestimmt und jeder muss Vizepräsident Dr. Norbert Lammert: (C)
daran teilnehmen. Sie wollen ein gesellschaftliches Mit- Herr Kollege!
einander und verleugnen zugleich den religiösen Kern
des Christentums, der unser Land immer noch zusam- Günter Nooke (CDU/CSU):
menhält, auch wenn das viele vergessen haben.
Einen Abschlusssatz noch. – Ich kann Ihnen nur emp-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) fehlen – sagen Sie das bitte den Berliner Parteifreunden –,

Wer aber Religion wirklich verstehen will, muss (Zurufe von der CDU/CSU: Genossen!)
Glauben existenziell erfahren können. Man muss ihn er- dieses Vorhaben fallen zu lassen. Es schadet uns allen.
fahrbar machen. Die Berliner SPD verdrängt den Reli-
gionsunterricht aus den Schulen – und das in einer Zeit, Wenn Ihnen das egal sein sollte, dann sage ich Ihnen
in der wir beim Begräbnis von Papst Johannes Paul II. noch etwas anderes: Dieses Vorhaben, auch das Vorha-
erleben, welche Anziehungskraft gelebter Glaube und ben der Einführung einer Einheitsschule bis zur zehnten
damit Religion heute wieder verstärkt haben. Klasse, schaden Ihrer Partei; das wird Sie im nächsten
Wahljahr viele Tausend Stimmen kosten.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Markus Löning [FDP]: Das hoffen wir doch
Papst Johannes Paul II. hat deshalb so viele Menschen sehr!)
und Vertreter aller großen Religionen nach Rom gezo-
gen, weil er als gläubiger Christ überzeugte. Ich glaube, das ist nicht in Ihrem Interesse.
(Markus Löning [FDP]: Aber in unserem ist
Der Berliner SPD sind aber nicht nur die Werte, son-
das!)
dern – das ist noch schlimmer – auch die Maßstäbe für
die Werte abhanden gekommen.
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU) Herr Kollege!
Nur vor diesem Hintergrund ist solch ein Beschluss zu
verstehen und in seiner zerstörerischen Wirkung für die Günter Nooke (CDU/CSU):
Gesellschaft richtig zu bewerten. Sie wollen integrieren; Uns geht es hierbei um mehr. Kämpfen Sie mit uns
aber sie wissen nicht, wo hinein sie integrieren wollen. gemeinsam!
Sie wollen tolerant sein; aber sie merken gar nicht mehr,
Danke schön.
dass es ihnen deshalb so leicht fällt, tolerant zu sein, weil
(B) sie nichts mehr zu verlieren haben. Wenn sich der (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (D)
Mensch keiner Wahrheit verpflichtet weiß, geht er in die neten der FDP)
Irre. Wenn sich der Staat einer Wahrheit verschreibt,
wird er totalitär. Denn Wahrheit ist an sich intolerant; Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
aber sie muss tolerant vertreten werden.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Petra Pau.
Der Beschluss der Berliner – im Grunde: Westberli- (Dorothee Mantel [CDU/CSU]: Da kann die
ner – SPD ist der deutschen Hauptstadt unwürdig. Das SPD mal wieder klatschen!)
alte Westberlin konnte als Frontstadt des freien Westens
als vorgeschobenes Bollwerk im Sowjetblock nur des-
halb überleben, weil der Westen zu seinen Werten der Petra Pau (fraktionslos):
Freiheit und Selbstbestimmung stand. Das freie Berlin Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
wurde von außen materiell am Leben erhalten und mili- aktuelle Streit dreht sich scheinbar um ein neues Unter-
tärisch verteidigt. Dagegen wurden die Werte des Wes- richtsfach an Berliner Schulen. Die SPD nennt es Wer-
tens schon zu Mauerzeiten von der Berliner SPD verra- teunterricht; die PDS spricht vom interkulturellen Dia-
ten. Jetzt knüpfen die Berliner Sozialdemokraten an log.
diese Verleugnung der eigenen Werte an. In der Kon- (Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)
frontation zum Kommunismus, der christliche Werte ab-
lehnte und bekämpfte und im Grunde ja eine Heilslehre Der wiederum reduziert sich eben nicht auf eine Unter-
war, wurde das eigene Wertefundament immer mehr ver- richtsstunde; er ist vielmehr Teil eines größeren Anlie-
gessen. Mit dem Einzug der 68er-Ideologen in die Schu- gens.
len
(Katherina Reiche [CDU/CSU]: Das glaube
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Schon mal ich gern!)
was von Willy Brandt gehört?) Dabei geht es um zwei grundlegende Fragen: Wie
wurde das dann weiter beschleunigt. Jetzt sind Sie wie- lässt sich das gesellschaftliche Miteinander in Berlin
der dort angekommen, wo Sie in den 70er-Jahren schon künftig besser gestalten? Und: Welchen Beitrag können
einmal waren. die Schulen dazu leisten? Es geht also um die Zukunft
einer Metropole, die für dreieinhalb Millionen Berline-
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und rinnen und Berliner aus über hundert Nationen Heimstatt
der FDP) ist – mit und ohne Gott.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15751
Petra Pau
(A) (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- überlastet – dem Religionsunterricht fernbleiben könnte. (C)
tionslos]) Ich finde das wenig selbstbewusst. Wir sollten uns die
Situation einmal ansehen: In Berlin nehmen Schülerin-
Andersherum: Hie und da und auch heute ja wieder
nen und Schüler am Religionsunterricht vorwiegend
ist von einem Feldzug gegen die Kirchen die Rede. Ich
während der Grundschulzeit teil. Das neue Fach beginnt
habe keinen in Berlin getroffen, der das will. Wer die
aber erst ab Klasse sieben. Warum soll es nicht möglich
Geschichte des Grundgesetzes und einschlägige Gutach-
sein, Kindern in der Grundschulzeit zu vermitteln, dass
ten kennt, weiß auch: Es gibt mit diesem Beschluss auch
Religionsunterricht auch über Klasse sieben hinaus ei-
keinen Verfassungsbruch, wie Wolfgang Thierse und an-
nen Wert hat, und ihn so zu einem Bedürfnis zu machen?
dere es vermuten.
(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak-
Die PDS möchte, dass Berlin eine weltoffene Haupt-
tionslos])
stadt der Kultur und des Wissens wird.
All das gehört zu einer sachlichen Debatte, ebenso
(Günter Nooke [CDU/CSU]: Karneval der
wie die Tatsache, dass Religionsunterricht in Berlin na-
Kulturen!)
türlich auch weiterhin staatlich gefördert wird. Mir ist je-
Die Berliner SPD will das auch. Deshalb arbeitet die rot- denfalls kein Beschluss zur Abschaffung der staatlichen
rote Koalition unter anderem an einer weit reichenden Förderung bekannt. Wir sollten entsprechend den Gebo-
Schulreform. ten unseres Glaubens und des Grundgesetzes mit Tole-
ranz weiter für die beste Lösung streiten.
(Markus Löning [FDP]: Es ist bezeichnend,
dass Sie die Berliner SPD hier verteidigen (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak-
müssen! Warum machen die das nicht selber?) tionslos])
Ein kleiner, aber nicht unwichtiger Baustein ist dabei
dieses neue Unterrichtsfach. Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort erhält nun Katherina Reiche, CDU/CSU-
(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- Fraktion.
tionslos])
Die PDS war und ist für eine Trennung von Staat und Katherina Reiche (CDU/CSU):
Kirche; das ist nicht neu. Aber darum geht es bei dem Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Eckhard
aktuellen Streit um dieses Unterrichtsfach nicht. Fuhr schrieb in der „Welt“:
Denn was sind denn nun die Hauptkontroversen? Im Einsteinjahr wartet der rot-rote Senat mit einer
(B) Relativitätstheorie der besonderen Art auf. Die (D)
Am weitesten geht der Vorwurf, die Schule sei weder
SPD-PDS-Koalitionäre wollen in den Schulen ei-
fähig noch berechtigt, ein Unterrichtsfach anzubieten,
nen für alle verpflichtenden Werteunterricht einfüh-
bei dem es auch um Werte geht. Ich finde das grund-
ren, in dem die Schüler lernen sollen, daß Wertvor-
falsch. Die Schule ist dazu sogar verpflichtet, wenn sie
stellungen relativ sind.
das Grundgesetz und ihren kulturellen Auftrag ernst
nimmt. Ich setze hinzu: Ich fühle mich in der Tat fatal an den
sozialistischen Staatsbürgerkundeunterricht erinnert. Mit
(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak-
Wehmut muss ich konstatieren, dass Berlin wieder dort
tionslos])
gelandet ist, wo es bereits vor 15 Jahren einmal war. Die
Andere kritisieren: Ein solcher Unterricht wäre un- PDS gemeinsam mit den Sozialdemokraten setzt durch,
verbindlich und beliebig. Richtig ist: Er bindet nieman- dass ausnahmslos alle Schüler an einem vom Staat dik-
den an einen bestimmten Glauben. Das ist aber auch tierten, angeblich wertneutralen Unterricht teilnehmen
nicht Aufgabe der Schule und des Staates, sondern das müssen,
ist Anliegen der Kirchen und der Religionsgemeinschaf-
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Was ist mit
ten
dem Deutschunterricht? Ist der von Übel? Da
(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- werden Werte vermittelt!)
tionslos])
in dem eben keine verbindlichen Werte vermittelt oder
und zum Schluss ist es Privatsache. über unsere christlichen Wurzeln nachgedacht wird.
Wieder andere sagen, man solle wenigstens wählen Die Sozialdemokraten wollten von jeher einen Staat,
können. Ich halte das nach wie vor für ein schwaches der stark ist, und Bürger, die schwach sind, weil man sie
Argument; es geht übrigens zulasten der Kirchen. Denn bevormundet und ihre Wahlfreiheit beschneidet. Rot-
was wäre das für ein interkultureller Dialog, wenn aus- rote Kaderschulweisheit wird nun staatlich verordnet
gerechnet die Jugendlichen fehlen, die den Glauben ihrer und in einem Zeitgeistgebräu vermengt, das angeblich
Religion authentisch vertreten können? wertanschaulich neutral ist.
(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch [frak- (Johannes Kahrs [SPD]: Haben Sie mal das
tionslos]) Grundgesetz gelesen, gnädige Frau?)
Schließlich lautet ein weiteres Argument: Der Staat Was ist eigentlich wertanschaulich neutral? – Etwa, dass
raube den Kirchen die Jugend, weil diese – schulisch gegen den Elternwillen ein bunter religiöser Warenkorb, in
15752 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Katherina Reiche
(A) dem sich jeder nach Lust und Laune bedienen kann, in merzahlen am Religionsunterricht steigen und dort, wo (C)
die Schulen geschüttet wird? Ist es neutral, die eigene Religionsunterricht angeboten wird, sinkt die Beteili-
Herkunft zu relativieren und eine routinemäßige unkriti- gung an LER.
sche Offenheit gegenüber allem Fremden mechanisch
einzuimpfen? Glaubt man in Berlin allen Ernstes, so die (Beifall bei der CDU/CSU)
umstrittene Islamische Föderation aus den Grundschulen Im Jahr 2003 veröffentlichte das Bildungsministerium
entfernen und fundamental-islamistische Tendenzen be- Brandenburg eine LER-Studie; ein vernichtendes Urteil,
kämpfen zu können? Mir scheint vielmehr, in Berlin denn darin heißt es: Im Hinblick auf die Wirksamkeit
kommt oktroyierter Atheismus im Deckmäntelchen der von LER wird man skeptisch sein bzw. die Ziele realis-
weltanschaulichen Neutralität daher. tischer formulieren müssen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Der Bericht spricht dem Fach LER ganz klar die Inte-
Meine sehr geehrten Damen und Herren von der SPD, grationsfähigkeit ab. Die Lehrer sind bei der Vorgabe,
Sie begeben sich in der Tat auf verfassungsrechtliches Ethik, Lebensgestaltung und Religion gleichberechtigt
Glatteis. Sowohl in der Berliner Landesverfassung als nebeneinander unterrichten zu müssen, offensichtlich
auch im Grundgesetz gibt es Anhaltspunkte für die Ver- überfordert. Der Bericht stellt fest, dass religiöse Inhalte,
ankerung des Religionsunterrichts. Das Grundgesetz ist insbesondere christliche, nur zu einem geringen Teil be-
gerade in der Frage der Religion und des Gottesbezugs handelt werden.
eine ganz bewusste Antwort der Verfassungsväter und In den Religionsmodulen hat das Judentum den größ-
-mütter auf die Erfahrungen von Diktatur und Religions- ten Umfang. Die Kinder lernen wenig über den Islam,
losigkeit. So sieht es auch das Bundesverfassungsge- geschweige denn etwas über das Christentum. Durch
richt. Ich möchte gern aus einer Entscheidung des Bun- LER gelingt es nicht, den Schülern die angebotenen
desverfassungsgerichts aus dem Jahr 1995 zitieren: Werte so nahe zu bringen, dass sie diese auch verinnerli-
Auch ein Staat, der die Glaubensfreiheit umfassend chen.
gewährleistet ..., kann die kulturell vermittelten und Auch bei der Wahl der Schulbücher hat man sich in
historisch verwurzelten Wertüberzeugungen und Brandenburg alle Mühe gegeben.
Einstellungen nicht abstreifen, auf denen der gesell-
schaftliche Zusammenhalt beruht und von denen (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sie mischen
auch die Erfüllung seiner eigenen Aufgaben ab- sich in Landesangelegenheiten ein, Frau
hängt. Reiche! Das ist ja ganz merkwürdig! Das
merke ich mir für andere Debatten!)
(B) Es heißt weiter: Menschen, die zu DDR-Zeiten zum Klassenkampf auf- (D)
Das gilt in besonderem Maß für die Schule, in der riefen, die das Selbstbewusstsein der sozialistischen Per-
die kulturellen Grundlagen der Gesellschaft vor- sönlichkeit betonten und den Sozialismus bzw. Kommu-
nehmlich tradiert und erneuert werden. nismus als einzigen Weg beschrieben, um die freie
Die SPD und die Kommunisten sagen, sie wollen Entwicklung von Individuen zu verwirklichen, haben ein
Toleranz statt Wahlfreiheit. Das ist für mich ein Para- Lehrbuch geschrieben, das noch heute im LER-Unter-
doxon; denn es ist intolerant, die Wahlfreiheit zu versa- richt genutzt wird. Deshalb, meine Damen und Herren,
gen. muss man aufpassen, was in Berlin passiert.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Ich schließe mit Karsten Voigt, der gesagt hat:

Rot-Rot will Integration statt Religion; sie gibt eindeutig Es wäre gut, wenn die SPD im vereinigten Berlin
dem Fremden und Multikulti den Vorrang vor dem Wis- auch in Bezug auf ihre Einstellung gegenüber den
sen um die eigene kulturelle Identität und Herkunft. Kirchen endlich im vereinigten Deutschland an-
käme und den Berliner religionspolitischen Sonder-
Wir sind in Brandenburg im Streit um LER – das ist weg aufgäbe.
die Abkürzung für Lebensgestaltung-Ethik-Religions-
kunde – und dem Religionsunterricht einen weiten Weg (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
gegangen. Ich persönlich bin als Christin und Mutter
über diesen Weg nach wie vor unglücklich. Verglichen Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
mit Berlin muss ich nun aber sagen, es hätte noch Letzte Rednerin in dieser Aktuellen Stunde ist die
schlimmer kommen können. Kollegin Dorothee Mantel, CDU/CSU.
Nachdem auch in Brandenburg alle Kinder zunächst (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
einen verpflichtenden Unterricht LER belegen mussten,
traf im Jahr 2001 das Bundesverfassungsgericht ein ver- Dorothee Mantel (CDU/CSU):
mittelndes Urteil. Es wertete den Religionsunterricht auf Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
und das Land entschied, dass sich Kinder von LER be- Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wiederum
freien lassen können, wenn sie den Religionsunterricht unternimmt die SPD einen Anschlag auf unsere christ-
belegen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsge- lich-abendländischen Grundwerte.
richts wird der Religionsunterricht in Brandenburg zwar
immer noch stiefmütterlich behandelt, aber die Teilneh- (Lachen bei Abgeordneten der SPD)
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15753
Dorothee Mantel
(A) Die Berliner Eltern werden bevormundet und die Berli- wir uns befinden, gefährlich ist. Denn in Deutschland ist (C)
ner Schüler in ein Pflichtfach „Werteunterricht“ gezwun- die Situation momentan so, dass der 10-jährige Moham-
gen. med genau weiß, wofür seine Werte und seine Religion
stehen,
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wer hat Ihnen
das denn aufgeschrieben?) (Günter Nooke [CDU/CSU]: Jawohl!)
Durch die zusätzlichen Unterrichtsstunden wird der Re- dass aber der 10-jährige Maxi dies mittlerweile nicht
ligionsunterricht an den Rand gedrängt. Was hinter die- mehr weiß. Jetzt versuchen Sie, dem 10-jährigen Maxi
sem Vorstoß steckt, ist offenkundig: Die rot-dunkelrote auch noch seinen Religionsunterricht wegzunehmen.
Landesregierung versucht, die christliche Erziehung und
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
Lehre aus dem Unterrichtsplan zu verbannen. In Berlin
neten der FDP – Swen Schulz [Spandau]
wird systematisch versucht, eine wertelose, staatsfixierte
[SPD]: Das ist doch Quatsch! Er bleibt doch
Generation heranzuziehen.
bestehen! Der kleine Maxi kann doch zum Re-
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Ja, das ist der ligionsunterricht gehen! – Gegenrufe von der
große Plan!) CDU/CSU: Gehen Sie doch ans Rednerpult,
wenn Sie etwas sagen wollen! – Auch Sie hät-
Ein Staat, in dem das schon einmal versucht wurde, ist ten in dieser Debatte reden können!)
1989 Gott sei Dank gescheitert.
In Zeiten, die immer schwieriger werden, braucht un-
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- ser Land ein gemeinsames Wertefundament, allerdings
neten der FDP – Wilhelm Schmidt [Salzgitter] keines, das von Politikern ideologisch nach Gutdünken
[SPD]: Das, was Sie hier machen, ist unan- vorgegeben wird. Aber, meine lieben Kolleginnen und
ständig!) Kollegen, eigentlich dürften wir uns über diesen Vorstoß
Berlin ist das einzige Bundesland in Deutschland, in aus Berlin nicht wundern; denn er passt zu unserer Bun-
dem es in den Schulen verboten ist, unser christliches desregierung, die die Abschaffung des 3. Oktober als
Kreuz auch nur als Schmuckstück zu tragen. Feiertag forderte
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Dann nehmen (Markus Löning [FDP]: Das ist wirklich nicht
Sie doch das Kopftuch! – Gegenruf von der sehr religiös!)
CDU/CSU: Der Mann hat keine Ahnung!) und ständig versucht, christliche Feiertage abzuschaffen
Nun soll Berlin auch das einzige Bundesland werden, in und dafür muslimische Feiertage einzuführen.
(B) dem die Schüler in einen rein staatlichen Werteunterricht (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Stoiber!) (D)
gezwungen werden. – Ich bin Katholikin und Christin;
mir ist das Kreuz näher als ein Kopftuch. – Sie können nicht einmal Zitate richtig lesen. Aber ich
hätte auch nichts anderes von Ihnen erwartet.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
Die rot-dunkelrote Landesregierung läuft neuen Ideen der FDP)
hinterher und wirft dabei traditionelle Werte über Bord.
Diese Entwicklung ist unerträglich. Sie aber schauen da- Was ist von einer Regierung zu halten, von der sich
bei einfach zu. Mein Rat an Berlin ist, sich nicht nur all- über die Hälfte der Kabinettsmitglieder weigert, bei ih-
gemein am Schulsystem Bayerns zu orientieren, sondern rem Amtseid die Formel „so wahr mir Gott helfe“ zu
sich bei der Vermittlung von Werten und Religion ganz verwenden?
konkret ein Beispiel an Bayern zu nehmen.
(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Was sich die rot-dunkelrote Landesregierung mit diesem
Ein wichtiges Symbol für das Bekenntnis zu Werten und Vorschlag anmaßt, zeigt auch die Äußerung des Regie-
Religion sind die Kruzifixe in den bayerischen Klassen- renden Bürgermeisters von Berlin, der gesagt hat, Werte
zimmern. Mir tut es in der Seele weh, zu wissen, dass die zu unterrichten sei Aufgabe des Staates. Aber welcher
Schüler in allen anderen Bundesländern darauf verzich- Staat kann festlegen, welche Werte unterrichtet werden
ten müssen. müssen, welche falsch sind, welche richtig sind?
Die rot-dunkelrote Landesregierung in Berlin ist of- Ich möchte mich auch bei der Kirche bedanken, mit
fensichtlich der Meinung, dass man auf Werte und Welt- der wir sehr gut zusammenarbeiten. Kirche und Staat
anschauung verzichten kann. Unter dem Deckmantel müssen gemeinsam dafür Sorge tragen, dass unsere Kin-
„Werteunterricht“ werden unsere traditionellen Werte der einen Unterricht erhalten, der die christlich-abend-
aus der Schule verbannt. Stattdessen will der rot-dunkel- ländische Tradition unseres Landes vermittelt. Ich
rote Senat bestimmen, was richtig und was falsch ist. möchte als Katholikin besonders Bischof Huber danken,
der sich gemeinsam mit Kardinal Sterzinsky dafür stark
Eine wertentleerte Erziehung halte ich nicht nur für macht, dass die katholische und die evangelische Kirche
unerträglich, sondern auch für gefährlich; denn durch hier zusammenstehen und notfalls auch vor dem Bun-
diese staatliche Bevormundung wird den Schülern die desverfassungsgericht klagen.
Möglichkeit genommen, ihre eigenen Wurzeln kennen
zu lernen. Ich muss schon sagen, dass der Weg, auf dem (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
15754 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

Dorothee Mantel
(A) Zum Schluss noch ein Wort an den Kanzler – viel- Vielen Dank. (C)
leicht können Sie es an ihn weiterleiten, Herr Staatsse-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
kretär Körper –: Scheinheilig beim Papstbegräbnis ste-
hen, aber untätig zusehen, wie die Berliner Genossen
Vizepräsident Dr. Norbert Lammert:
den Religionsunterricht abschaffen – das passt nicht zu-
sammen! Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit zu-
gleich am Ende unserer heutigen Tagesordnung.
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU und der Ich berufe die nächste Sitzung des Bundestages auf
FDP) morgen, Donnerstag, den 14. April 2005, 9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.
Vielleicht richten Sie ihm aus, dass an dieser Stelle ein
Machtwort angebracht wäre. (Schluss: 16.52 Uhr)

(B) (D)
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15755

(A) Anlagen zum Stenografischen Bericht (C)

Anlage 1 Anlage 2
Liste der entschuldigten Abgeordneten Antwort
des Parl. Staatssekretärs Achim Großmann auf die Fra-
gen des Abgeordneten Klaus Hofbauer (CDU/CSU)
entschuldigt bis (Drucksache 15/5229, Fragen 4 und 5):
Abgeordnete(r) einschließlich
In welchen Bauabschnitten wird der Lückenschluss der
Bundesautobahn A 6 zwischen Amberg-Ost und Wernberg-
Austermann, Dietrich CDU/CSU 13.04.2005 Köblitz ausgeschrieben, und welche Fertigstellungstermine
sind für die jeweiligen Bauabschnitte in den Ausschreibungen
vorgesehen?
Bachmaier, Hermann SPD 13.04.2005 Welche Bauabschnitte für den Lückenschluss wurden be-
reits vergeben, und bis wann ist mit einer endgültigen Vergabe
der gesamten Strecke zwischen Amberg-Ost und Wernberg-
Carstensen (Nordstrand), CDU/CSU 13.04.2005 Köblitz zu rechnen?
Peter H.
Zu Frage 4:
Dominke, Vera CDU/CSU 13.04.2005 Da das nachgeordnete Staats- und Kreisstraßennetz
zur Aufnahme des Autobahnverkehrs ungeeignet ist,
Gleicke, Iris SPD 13.04.2005 gibt es keine für sich allein verkehrswirksamen zwi-
schenzeitlich zu nutzenden Bauabschnitte, sondern nur
Kauder, Volker CDU/CSU 13.04.2005 eine Gesamtfertigstellung für den rund 20 km langen Lü-
ckenschluss im Zuge der Bundesautobahn A 6 zwischen
Amberg-Ost und dem Kreuz Oberpfälzer Wald bei
Dr. Küster, Uwe SPD 13.04.2005 Wernberg-Köblitz Ende 2008. Dementsprechend wird
die Gesamtleistung nicht in Bauabschnitten, sondern in
Laurischk, Sibylle FDP 13.04.2005 einzelnen Gewerken ausgeschrieben, und zwar in
32 Brückenbau-, fünf Erdbau-, zwei Oberbau- und vier
Ausstattungslosen.
Leutheusser- FDP 13.04.2005
(B) Schnarrenberger, (D)
Zu Frage 5:
Sabine
Vergeben sind bereits fünf Bauwerke und zwei Erd-
Lintner, Eduard CDU/CSU 13.04.2005* baulose. Weitere sechs Bauwerke und ein Erdbaulos ste-
hen vor der Vergabe. Veröffentlicht sind derzeit sechs
weitere Bauwerke. Die Vergabe der einzelnen Gewerke
Pieper, Cornelia FDP 13.04.2005 erfolgt entsprechend der Baudisposition und des ange-
strebten Gesamtfertigstellungszieles zwischen 2005 und
Polenz, Ruprecht CDU/CSU 13.04.2005 2008.

Dr. Rossmann, Ernst SPD 13.04.2005


Dieter Anlage 3
Antwort
Schäfer (Bochum), Axel SPD 13.04.2005 der Parl. Staatssekretärin Dr. Uschi Eid auf die Frage des
Abgeordneten Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) (Druck-
Scharping, Rudolf SPD 13.04.2005 sache 15/5229, Frage 6):
Wird die Bundesregierung an der Suspension der staatli-
chen Entwicklungszusammenarbeit mit Simbabwe festhalten,
Ströbele, Hans-Christian BÜNDNIS 90/ 13.04.2005 und wenn ja, welche Möglichkeiten sieht die Bundesregie-
DIE GRÜNEN rung, durch den Ausbau der nichtstaatlichen Entwicklungszu-
sammenarbeit die simbabwische Bevölkerung zu unterstüt-
zen?
Teuchner, Jella SPD 13.04.2005
Das Ergebnis der Parlamentswahlen in Simbabwe
gibt keinen Anlass für eine Beendigung der Suspension
Vogel, Volkmar Uwe CDU/CSU 13.04.2005 der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit. Die Bun-
desregierung unterstützt weiterhin den nach den Wahlen
Wächter, Gerhard CDU/CSU 13.04.2005 2002 formulierten gemeinsamen EU-Standpunkt, der
eine Normalisierung der Beziehungen an sichtbare Fort-
schritte unter anderem im Hinblick auf ein Ende der
* für die Teilnahme an den Sitzungen der Westeuropäischen Union politischen Gewalt und die umfassende Gewährung
15756 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

(A) demokratischer Rechte knüpft. Nach den Wahlen im und Körperschaftsteuer sowie eine Statistik über die Perso- (C)
Jahre 2002 hat die Bundesregierung die bilaterale Ent- nengesellschaften/Gemeinschaften aus dem Jahre 1998, und
warum wird die Statistik nur als grobe Schätzung fortge-
wicklungszusammenarbeit eingestellt. Stattdessen wurde schrieben, wenn die Auflösung der Ansparabschreibungen
die Unterstützung von NRO verstärkt und zwar insbe- nach § 7 g Abs. 3 Einkommensteuergesetz offensichtlich ein
sondere zur humanitären Hilfe, entwicklungsorientierten nicht unerhebliches Einnahmepotenzial für die öffentlichen
Not- und Übergangshilfe einschließlich Ernährungs- Kassen bietet?
sicherung, direkter Armutsbekämpfung, Förderung de- Die Durchführung der Lohn- und Einkommensteuer-
mokratischer Kräfte, HIV/Aids-Prävention und Ernäh- statistik, die Statistik über die Personengesellschaften/
rungssicherung. Ein weiterer Ausbau der Unterstützung Gemeinschaften und die Körperschaftsteuerstatistik wer-
durch NRO ist derzeit nicht opportun. Die simbabwische den zur Begrenzung des damit verbundenen hohen per-
Regierung hat sich mit der Ende 2004 im Parlament be- sonellen und technischen Aufwands für die Finanzämter,
schlossenen restriktiven NRO-Gesetzgebung ein Mittel die Statistischen Landesämter und das Statistische Bun-
der Kontrolle und der Repression geschaffen. Das Ge- desamt nach dem Gesetz über Steuerstatistiken nur für
setz ist noch nicht in Kraft getreten, da der Präsident die jedes dritte Jahr (für die Veranlagungszeiträume 1998,
notwendige Unterschrift noch nicht geleistet hat. Der 2001, 2004) durchgeführt. Um eine möglichst vollstän-
Beschluss zeigt aber, dass das politische Klima einer un- dige Erfassung der steuerrelevanten Daten sicherzustel-
gehinderten Tätigkeit von NRO in Simbabwe derzeit len, können die Statistiken erst dann erstellt werden,
nicht förderlich ist. Die Bundesregierung wird die Unter- wenn nahezu alle Steuerveranlagungen für den jeweili-
stützung deutscher NRO und ihrer lokalen Partner der- gen Veranlagungszeitraum durchgeführt wurden. Der
zeit deshalb nicht ausweiten, aber vorerst wie geplant Abschluss der statistischen Aufbereitung ist daher erst
fortsetzen und die weiteren Entwicklungen zusammen im vierten Folgejahr des Veranlagungszeitraums mög-
mit den Partnern in der EU sorgfältig beobachten. lich. Im Ergebnis hat dies zur Folge, dass zurzeit nur Er-
gebnisse für 1998 vorliegen. Die Daten für 2001 werden
in der zweiten Jahreshälfte 2005 bereitstehen. Soweit
Anlage 4 statistische Informationen für die vergangenen Veranla-
gungszeiträume vorliegen, können diese auf Gegen-
Antwort wartsverhältnisse fortgeschrieben werden. Über die ak-
des Parl. Staatssekretärs und Chef des Presse- und Infor- tuelle Höhe der Ansparabschreibungen ist nur eine grobe
mationsamtes der Bundesregierung Béla Anda auf die Einschätzung möglich.
Frage des Abgeordneten Bernhard Kaster (CDU/CSU)
(Drucksache 15/5229, Frage 7):
(B) Welche Kosten sind für die Anzeigenkampagne „Sozial- Anlage 6 (D)
hilfe? Wir holen die Menschen aus der Sackgasse!“, die unter
anderem am 1. April 2005 in der Tageszeitung „DER TAGES- Antwort
SPIEGEL“ ganzseitig geschaltet worden ist, in den verschiede-
nen Kostenbereichen wie Agenturvergütungen oder einzelne der Parl. Staatssekretärin Barbara Hendricks auf die
Schaltungskosten entstanden, und aus welchem Haushaltstitel Frage des Abgeordneten Jens Spahn (CDU/CSU)
ist diese PR-Kampagne der Bundesregierung finanziert wor-
den? (Drucksache 15/5229, Frage 18):
Lässt sich aus der Antwort der Parlamentarischen Staats-
Die Schaltkosten belaufen sich bisher auf sekretärin beim Bundesminister der Finanzen, Dr. Barbara
577 770,59 Euro. Die Agenturkosten für die gesamte Hendricks, vom 17. März 2005 auf meine schriftliche
Anzeigenkampagne stehen noch nicht fest, weil die vor- Frage 37 auf Bundestagsdrucksache 15/5167 schließen, dass
erst letzte Anzeige erst heute erschienen ist. Eine Ge- die Bundesregierung Gewerbetreibenden und Freiberuflern
mittels einer Prognoseentscheidung über ihr künftiges Investi-
samtrechnung der Agenturkosten liegt daher noch nicht tionsverhalten die Entscheidung überlässt, ob sie für das abge-
vor. Die Kosten werden aus dem Haushaltstitel 542 01 laufene Wirtschaftsjahr Ertragssteuern zahlen wollen oder
bezahlt, der dem Presse- und Informationsamt der Bun- nicht, und liegen der Bundesregierung Erkenntnisse darüber
desregierung für Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung vor, ob diese Praxis auch Auswirkungen auf die Möglichkeit
steht. Im Übrigen handelt es sich nicht um eine PR- der Kinder dieses Personenkreises hat, Sozialleistungen (zum
Beispiel Wohngeld oder Leistungen nach dem Bundesausbil-
Kampagne, sondern um Anzeigen zur Information der dungsförderungsgesetz) zu erhalten?
Öffentlichkeit.
Im Rahmen des Standortsicherungsgesetzes vom
13. September 1993 wurde für kleine und mittlere Be-
triebe das Wahlrecht eingeführt, gewinnmindernde An-
Anlage 5 sparabschreibungen zu bilden, um die Finanzierung
Antwort künftiger Investitionen im Bereich der beweglichen
Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens zu erleichtern.
der Parl. Staatssekretärin Dr. Barbara Hendricks auf die Die Regelung konnte erstmals für Wirtschaftsjahre in
Frage des Abgeordneten Jens Spahn (CDU/CSU) Anspruch genommen werden, die nach dem 31. Dezem-
(Drucksache 15/5229, Frage 17): ber 1994 beginnen. Die Inanspruchnahme von § 7 g
Aus welchem Grund gibt es, wie in der Antwort der Par- Abs. 3 EStG setzt voraus, dass das begünstigte Wirt-
lamentarischen Staatssekretärin beim Bundesminister der Fi-
nanzen, Dr. Barbara Hendricks, vom 17. März 2005 auf
schaftsgut voraussichtlich angeschafft oder hergestellt
meine schriftlichen Fragen 36 und 37 auf Bundestagsdruck- wird. Die geplante Investition ist hinreichend konkreti-
sache 15/5167 ausgeführt, nur eine Statistik der Einkommen- siert, wenn das einzelne Wirtschaftsgut seiner Funktion
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15757

(A) nach benannt wird und die Höhe der voraussichtlichen tes am 15. November 2004 entstandenen Verlust durch (C)
Anschaffungs- oder Herstellungskosten angegeben wer- nicht nach Russland abgesetzte Waren auf rund 5 Millio-
den (BMF-Schreiben vom 25. Februar 2004, BStBI l nen Euro. Nach Angaben des Bundes Deutscher Baum-
S. 337; Rdnrn. 7 und 8). Ein Investitionsplan ist nicht er- schulen konnten aufgrund des Importverbots bei neun
forderlich. Der Verzicht auf die Vorlage eines Investi- Baumschulen konkrete Aufträge in Höhe von rund
tionsplans oder anderer vergleichbarer Dokumentationen 6,25 Millionen Euro nicht umgesetzt werden. Weitere
ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, kleinen und mitt- Angaben liegen der Bundesregierung nicht vor.
leren Unternehmen, für die § 7 g Abs. 3 EStG gedacht
ist, keine zusätzlichen bürokratischen Lasten aufzuerle- Am 9. April 2005 haben die Bundesregierung und die
gen. Ich stimme deshalb dem Fragesteller ausdrücklich Russische Föderation verbindlich vereinbart, dass ab
zu, dass angesichts dieser tatbestandsmäßigen Ausge- dem 1. Mai 2005 Pflanzen und Pflanzenerzeugnisse aus
staltung Ansparabschreibungen auch mit dem Ziel einer Deutschland wieder in die Russische Föderation ausge-
Verringerung der Steuerbelastung gebildet werden. In führt werden können. Voraussetzung ist jedoch, dass die
bestimmten Fällen verbleibt ein Steuervorteil selbst vereinbarten Verbesserungen der phytosanitären Aus-
dann, wenn bei Ausbleiben der Investition ein Gewinn- fuhrregelungen bis zu diesem Zeitpunkt umgesetzt sind.
zuschlag von 6 Prozent je Wirtschaftsjahr gewinnerhö- Hierzu gehört zum Beispiel ein einheitlicher Stempel,
hend zu berücksichtigen ist. Im Hinblick auf den allseits ein fälschungssicheres Pflanzengesundheitszeugnis und
geforderten Bürokratieabbau lässt sich dieser Effekt die Ausstellung von Pflanzengesundheitszeugnissen aus-
nicht vermeiden. schließlich durch in einer Bundesliste aufgeführte In-
spektoren, die durch spezielle Schulungen qualifiziert
Die Ausübung steuerlicher Wahlrechte bringt defini- und autorisiert sind. Die Bundesregierung geht nach der
tionsgemäß Spielräume für die Steuerpflichtigen mit sich. Unterzeichnung des deutsch-russischen Memorandums
Dies kann auch Auswirkungen auf die Gewährung von davon aus, dass ab 1. Mai 2005 wieder eine Normalisie-
staatlichen Leistungen haben, die an das zu versteuernde rung der intensiven Handelsbeziehungen der deutschen
Einkommen anknüpfen. Konkrete Erkenntnisse im Zu- Gartenbauwirtschaft mit der Russischen Föderation ein-
sammenhang mit § 7 g Abs. 3 ff. EStG liegen der Bun- treten wird.
desregierung jedoch nicht vor.

Anlage 8
Anlage 7
Antwort
(B) Antwort (D)
der Parl. Staatssekretärin Simone Probst auf die Frage
des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerald Thalheim auf die des Abgeordneten Bernhard Kaster (CDU/CSU)
Fragen der Abgeordneten Gitta Connemann (CDU/ (Drucksache 15/5229, Frage 39):
CSU) (Drucksache 15/5229, Fragen 35 und 36):
Trifft es zu, dass mit der Ökokampagne „Deutschland hat
Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass den Gar- unendlich viel Energie“, die am 6. April 2005 in Nordrhein-
tenbaubetrieben in Deutschland durch das russische Import- Westfalen unter anderem von dem Bundesminister für Um-
verbot auf pflanzliche Erzeugnisse aus Deutschland ein wirt- welt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Jürgen Trittin, ge-
schaftlicher Schaden entstanden ist, und wenn ja, wie hoch startet worden ist, Positionen pro Ökoenergie in den redaktio-
beziffert sie diesen? nellen Teilen der Medien platziert werden sollen, und aus
welchem Haushaltstitel wird diese Kampagne durch die Bun-
Was unternimmt die Bundesregierung, um die Aufhebung
desregierung mitfinanziert?
des Importverbotes zu erreichen, und wie ist der aktuelle
Sachstand ihrer Bemühungen?
Am 6. April 2005 fand die Auftaktveranstaltung der
Deutschland hat unmittelbar nach Ankündigung des unter dem Motto „Deutschland hat unendlich viel
Importverbotes im letzten Jahr alle bestehenden Kon- Energie“ stehenden Informationskampagne für erneuer-
takte und Möglichkeiten sowohl auf Fachebene als auch bare Energien in Anwesenheit des Schirmherren der
politischer Ebene genutzt, um möglichst bald eine Auf- Kampagne, UNEP-Direktor Klaus Töpfer, und Bun-
hebung des Importverbotes für die betroffenen Pflanzen desumweltminister Jürgen Trittin statt. Mit der überpar-
und Pflanzenerzeugnisse zu erwirken. Das Importverbot teilich angelegten Informationskampagne will sich die
wurde wegen Insektenbefalls an sechs Schnittblumen- Branche der erneuerbaren Energien mit konkreten Zielen
sendungen erlassen, der gegen die Einfuhrvorschriften und Erfolgen zum Ausbau der erneuerbaren Energien
der russischen Föderation verstößt. Parallel dazu haben präsentieren. Geplant sind neben Veranstaltungen auch
Verhandlungen auf EU-Ebene unter Beteiligung von redaktionelle Beiträge in den Medien, um über die Chan-
Deutschland zur EU-Vereinheitlichung der phytosanitä- cen der erneuerbaren Energien auf dem Weg zu einer
ren Zeugnisse stattgefunden, die mit der Zeichnung ei- klima- und ressourcenschonenden Energieversorgung zu
nes Memorandums zwischen der Europäischen Kom- informieren. Die Informationskampagne wird gemein-
mission und der Russischen Föderation am 15. März sam von der Branche und dem Bundesministerium für
2005 abgeschlossen wurden. Damit wurde ein von russi- Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU)
scher Seite für den 1. April 2005 angedrohtes Importver- finanziert. Das BMU stellt die Mittel aus dem Markt-
bot für die gesamte EU abgewendet. Der Zentralverband anreizprogramm für erneuerbare Energien zur Verfü-
Gartenbau schätzt den seit Verhängung des Importverbo- gung.
15758 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

(A) Anlage 9 wird nicht über die Deutsche Forschungsgemeinschaft (C)


erfolgen.
Antwort
der Parl. Staatssekretärin Simone Probst auf die Fragen Zu Frage 43:
des Abgeordneten Jürgen Koppelin (FDP) (Druck- Der Start des Programms wird in den nächsten Wo-
sache 15/5229, Fragen 40 und 41): chen erfolgen, sodass nach erfolgreichem Abschluss des
Liegt mit einem privaten Finanzengagement des Bundes- Auswahlverfahrens die ersten Nachwuchsforschungs-
ministers für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, gruppen voraussichtlich im Herbst 2005 ihre Arbeit auf-
Jürgen Trittin, im Bereich regenerativer Energien ein Invest- nehmen können. Im ersten Jahr (2005) stehen hierfür
ment vor, welches im Aktienbereich als „Insiderhandel“ be-
zeichnet wird? 4 Millionen Euro zur Verfügung.
Warum ist die Bundesregierung nicht bereit, Auskunft da-
rüber zu erteilen, ob sie einen Interessenkonflikt darin sieht,
dass der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reak- Anlage 11
torsicherheit, Jürgen Trittin, zuständig für das Gesetz zur Neu-
regelung des Rechts der Erneuerbaren Energien im Strom- Antwort
bereich und für andere Gesetze mit Auswirkungen auf
regenerative Energien, sich privat finanziell an Windkraft-
des Parl. Staatssekretärs Ulrich Kasparick auf die Fragen
anlagen bzw. Windparks beteiligt hat? des Abgeordneten Werner Lensing (CDU/CSU) (Druck-
sache 15/5229, Fragen 44 und 45):
Die Bundesregierung verweist auf die Ihnen bereits Plant die Bundesregierung, wie im „SPIEGEL“-Artikel
auf Ihre schriftlichen Fragen 99 und 100 der Drucksa- „Der Milliarden-Bluff“ vom 4. April 2005 beschrieben, eine
che 15/5004 (Arbeitsnummer 2/202–2/203), der Fra- Änderung der Modalitäten zur Förderung der Ganztagsschu-
ge 82 in der Drucksache 15/5167 (Arbeitsnummer 3/48) len im Rahmen des so genannten Vier-Milliarden-Euro-Pro-
sowie der Frage 75 in der Drucksache 15/5181 (Arbeits- gramms?
nummer 3/185) erteilten Antworten. Wie bewertet die Bundesregierung derzeitig die Förderung
von Ganztagsschulen im Rahmen des so genannten Vier-Mil-
liarden-Euro-Programms in Bezug auf das im oben genannten
Artikel aufgeführte Zahlenwerk zur Abrufquote der vorgese-
Anlage 10 henen Förderung für die einzelnen Länder?

Antwort Zu Frage 44:


des Parl. Staatssekretärs Ulrich Kasparick auf die Fragen Nein, die Bundesregierung plant keine Änderung der
des Abgeordneten Michael Kretschmer (CDU/CSU) Fördermodalitäten des Investitionsprogramms „Zukunft
(B) (Drucksache 15/5229, Fragen 42 und 43): Bildung und Betreuung“. (D)
Wie plant die Bundesregierung die von der Bundesminis-
terin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn, auf der Zu Frage 45:
Innovationskonferenz „Aufbau Ost“ am 31. März 2005 ange-
kündigten 150 Millionen Euro zur Förderung des wissen- Nach Auskünften der Kultusministerien der Länder,
schaftlichen Nachwuchses in den neuen Bundesländern an die für die Umsetzung des Investitionsprogramms „Zu-
Hochschulen und Institute zu vergeben, und ist dabei an eine kunft Bildung und Betreuung“ (IZBB) in ihrem jeweili-
Vergabe über die Deutsche Forschungsgemeinschaft gedacht? gen Land zuständig sind, ist es wegen umfangreicher
Wann ist mit dem Start des angekündigten Nachwuchspro- Planungsvorläufe und erforderlicher baurechtlicher Prü-
gramms zu rechnen, und welche Haushaltsmittel sind für das fungen der Schulträger/Kommunen zu Planungsverzöge-
erste Jahr der Förderung vorgesehen? rungen bei der Umsetzung des IZBB gekommen. Insbe-
sondere in den neuen Ländern wird wegen des starken
Zu Frage 42: Schülerrückgangs vor dem Ausbau der Schulen zu
Ganztagsschulen zunächst die Bestandssicherung der
Mit dem neuen Programm, das den Namen
einzelnen Schulstandorte geprüft. Außerdem darf der
INNOPROFILE trägt und Teil der Innovationsinitiative Abruf der Mittel aus dem IZBB nach den Bestimmungen
des BMBF in den Neuen Ländern, „Unternehmen Re- der Verwaltungsvereinbarung zum IZBB nur nach Bau-
gion“, ist, sollen Hochschulen und Forschungseinrich- fortschritt erfolgen. Die in dem genannten „SPIEGEL“-
tungen in die Lage versetzt werden, ihr Forschungsprofil Artikel dargestellten Abrufquoten der Investitionsmittel
frühzeitig auf solche Technologien und Forschungsthe- des Bundes stellen insofern nur die bereits realisierten
men auszurichten, die die Grundlage für die Herausbil- Teile der Vorhaben in den Ländern dar. Die Planungen
dung eines regionalen Innovations- und Wirtschaftspro- der Länder weisen eine vollständige Inanspruchnahme
fils bilden. In vier aufeinander folgenden Jahren sollen der Investitionsmittel des Bundes aus. Dies wird von al-
jährlich mindestens zehn wirtschaftsorientierte Nach- len Ländern ausdrücklich bestätigt. Außerdem ist es den
wuchsforschungsgruppen für die Dauer von jeweils fünf Ländern möglich, die Ihnen aus dem IZBB jährlich zur
Jahren gefördert werden. Die Entscheidung über die För- Verfügung stehenden Mittel in die Folgejahre zu übertra-
derung von Vorhaben erfolgt im Rahmen eines wettbe- gen. Die Bundesregierung rechnet deshalb damit, dass
werblichen Verfahrens. Zuwendungsempfänger sind bereits in diesem Jahr und insbesondere im Jahr 2006 die
Hochschulen und die Institute der Forschungsgemein- Mittel aus dem IZBB in erheblich größerem Umfang ab-
schaften der Max-Planck- und Fraunhofer-Gesellschaft fließen werden und die Mittel bis zum Ende der Laufzeit
sowie der Leibniz- und Helmholtz-Gemeinschaft mit des Programms vollständig in Anspruch genommen
Sitz in den neuen Ländern. Die Vergabe der Fördermittel worden sind.
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15759

(A) Anlage 12 deren SADC-Staaten haben ein großes Interesse daran, (C)
die Krise in Simbabwe zu überwinden. Sie betonen je-
Antwort
doch stets die begrenzten direkten Einwirkungsmöglich-
der Staatsministerin Kerstin Müller auf die Frage des keiten und die Notwendigkeit, dass die Simbabwer ihr
Abgeordneten Albrecht Feibel (CDU/CSU) (Druck- Schicksal selbst in die Hand nehmen müssten. Im Vor-
sache 15/5229, Frage 46): dergrund steht bei ihnen die Sorge vor einer Destabilisie-
Welcher Betrag wird durch die vier Schließungen der rung Simbabwes und deren politischen und wirtschaftli-
Bibliotheken des Goethe-Instituts in Mumbai, Bangalore, chen Folgen für die Region. Die Bundesregierung wird
Chennai und New Dehli eingespart, und welchen Zugang ha- sich auch in Zukunft bilateral und im Rahmen der EU
ben die Inder beim Erlernen der deutschen Sprache zu aktiv gegenüber den Regierungen Südafrikas und der
deutschsprachigen Büchern?
SADC-Staaten dafür einsetzen, dass diese sich im Rah-
Die Bundesregierung hat bereits in ihrer Antwort vom men ihrer regionalen Verantwortung und angesichts der
23. Februar 2005 auf Ihre schriftliche Frage Nr. 2/102 andauernden politischen Krise und des sozioökonomi-
sowie in einem weiteren an Sie gerichteten Schreiben schen Niedergangs in Simbabwe noch stärker für einen
vom 14. März 2005 mitgeteilt, dass die Schließung der politischen Wandel in Simbabwe engagieren.
vier Bibliotheken in Mumbai, Bangalore, Chennai und
Kolkata nicht in erster Linie der Kosteneinsparung
diente. Die Stellen in den Bibliotheken an den Standor- Anlage 14
ten Mumbai und Bangalore wurden seit 1993 ausschließ-
lich über Sponsorengelder finanziert; die Kosten belie- Antwort
fen sich zusammen auf 10 500 Euro pro Jahr. Die der Staatsministerin Kerstin Müller auf die Frage der
Planstellen an den Bibliotheken in Chennai und Kolkata Abgeordneten Dr. Gesine Lötzsch (fraktionslos)
wurden an das Goethe-Institut New Delhi verlagert, wel- (Drucksache 15/5229, Frage 48):
ches als neues regionales Servicezentrum für die Pla- Wie beurteilt die Bundesregierung die Aufarbeitung der
nung und Durchführung der gesamten Informations- und Rolle des Auswärtigen Amts (AA) während des Faschismus
Bibliotheksarbeit in Indien verantwortlich ist. Dies ver- durch die Mitarbeiter des AA vor dem Hintergrund von
deutlicht, dass es sich nicht um eine haushaltsrechtliche Presseberichten, wonach nach dem Zweiten Weltkrieg zwei
Einsparung handelt, sondern um eine strukturelle Neuor- Drittel der höheren Beamten des AA ehemalige Mitglieder
der NSDAP waren, mehr als in jedem anderen Bundesminis-
ganisation. Die ausgesonderten Bücherbestände werden terium („Financial Times Deutschland“ vom 31. März 2005),
an ausgewählte indische Bibliotheken übergeben und und was hat die Bundesregierung unternommen, um bei den
stehen dort auch zukünftig der interessierten Öffentlich- Mitarbeitern des AA die Bereitschaft zu fördern, die Ge-
keit zur Verfügung. An den Goethe-Instituten finden schichte des Ministeriums aufzuarbeiten?
(B) Deutsch Lernende weiterhin Materialien zum Thema (D)
Den personellen Kontinuitäten und Verbindungslinien
„Deutsch als Fremdsprache“ sowie einen Bestand aktu- zwischen der nationalsozialistischen Verwaltung und
eller Nachschlagewerke. Darüber hinaus unterhält das den Ministerien und Behörden der Bundesrepublik
Goethe-Institut New Delhi als regionales Servicezen- Deutschland muss sich das Auswärtige Amt auch
trum eine voll ausgestattete Bibliothek. 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs stellen.
Wie das Beispiel von Fritz Kolbe zeigt, den Bundes-
minister Fischer im September 2004 für seinen mutigen
Anlage 13 Widerstand geehrt und rehabilitiert hat, ist dies – anders
Antwort als bei den ermordeten Widerstandskämpfern aus den
Reihen des Auswärtigen Amts – sehr spät erfolgt. Umso
der Staatsministerin Kerstin Müller auf die Frage des mehr hat das Auswärtige Amt ein massives Eigen-
Abgeordneten Dr. Egon Jüttner (CDU/CSU) (Druck- interesse an der Aufarbeitung der Geschichte.
sache 15/5229, Frage 47):
Welche Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Regional-
organisation SADC (South African Development Community) Anlage 15
und insbesondere auf die südafrikanische Regierung sieht die
Bundesregierung, damit auch von dieser Seite Einfluss auf die Antwort
simbabwische Regierung ausgeübt wird, demokratische
Grundprinzipien und Menschenrechte zu respektieren und der Staatsministerin Kerstin Müller auf die Frage des
umzusetzen? Abgeordneten Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU)
Die Bundesregierung befindet sich mit der südafrika- (Drucksache 15/5229, Frage 49):
nischen Regierung und mit den SADC-Partnern im stän- Wieso sind meine schriftlichen Fragen mit den Arbeits-
digen Gespräch zur Situation in Simbabwe. Dies gilt nummern 2/325 und 2/326 für den Monat Februar zur Nach-
gleichermaßen für die EU-Partner. Vor den simbabwi- rufpraxis des Auswärtigen Amts erst nach 22 Tagen beant-
wortet worden?
schen Parlamentswahlen im März 2005 haben die EU-
Mitgliedstaaten in einer konzertierten Demarchenaktion Die Gedenkpraxis für verstorbene Angehörige des
gegenüber der südafrikanischen Regierung an die Auswärtigen Amts hat zu intensiven Diskussionen unter
Verantwortung der SADC-Staaten für die Entwicklung den Beschäftigten des Auswärtigen Amts geführt. Ich
in Simbabwe appelliert und auf die Einhaltung der bitte um Ihr Verständnis, dass Bundesminister Fischer
SADC-Richtlinien für demokratische Wahlen gedrängt. zunächst das Ergebnis eines Gesprächs mit dem Perso-
Sowohl die südafrikanische Regierung als auch die an- nalrat des Auswärtigen Amts abwarten und dies allen
15760 Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005

(A) Mitarbeitern mitteilen wollte. Unmittelbar danach hat sparen, der sich ergäbe, wenn 0,4 vom Hundert der im (C)
Staatssekretär Dr. Scharioth Ihre schriftlichen Fragen be- Bundeshaushalt ausgebrachten Planstellen kegelgerecht
antwortet. eingespart würden. Deshalb ist es nicht möglich, die
Zahl der künftig tatsächlich eingesparten Stellen kon-
kret zu benennen. Die mittelbare Bundesverwaltung
Anlage 16 wird von der haushaltsgesetzlichen Bestimmung nicht
erfasst. Es handelt sich bei der Erhöhung auf 40 Stun-
Antwort den auf Bundesebene um eine relativ gemäßigte Maß-
der Staatsministerin Kerstin Müller auf die Frage des nahme, im Gegensatz beispielsweise zu den Ländern
Abgeordneten Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) Bayern und Hessen, die ihre Arbeitszeit auf in der Re-
(Drucksache 15/5229, Frage 50): gel 42 Stunden angehoben haben. Auch weil die Rege-
Wie beurteilt die Bundesregierung vor dem Hintergrund lung auf Bundesebene nicht zu Entlassungen von vor-
der jüngsten Ankündigung, das „Khmer Rouge Tribunal“ in handenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern führt, sieht
Kambodscha mit 1 Million US-Dollar zu unterstützen, das die die Bundesregierung gesamtgesellschaftlich und volks-
schwersten Verbrechen der Roten Khmer unter Pol Pot zwi- wirtschaftlich im Hinblick auf die Arbeitslosenquote
schen 1975 und 1979 strafrechtlich verfolgen soll – darunter
Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, schwere
keine unmittelbaren Wirkungen.
Verletzungen der Genfer Konvention, Mord und Folter (Pres-
semitteilung des AA Nr. 117/05 vom 1. April 2005) –, das Be-
kenntnis des jetzigen Mitarbeiters im Planungsstab des AA, Anlage 18
H.-G. S., zum Massenmörder Pol Pot, dem er in seiner frühe-
ren Funktion als Sekretär des Zentralen Komitees des Kom- Antwort
munistischen Bundes Westdeutschland in einem Grußtele-
gramm 1980 „anlässlich des 5. Jahrestages des Sieges des des Parl. Staatssekretärs Fritz Rudolf Körper auf die
kampucheanischen Volkes in seinem Kampf gegen den US- Frage des Abgeordneten Hartmut Koschyk (CDU/
Imperialismus unsere feste Solidarität mit dem Kampf des CSU) (Drucksache 15/5229, Frage 52):
kampucheanischen Volkes gegen die sowjetisch-vietnamesi-
sche Aggression“ zusicherte und die „Siege“ Pol Pots als „das Wie wird sich Deutschland nach den Vorstellungen der
Ergebnis der korrekten Linie der KPK (Kommunistische Par- Bundesregierung an der von der EU für 2010 und 2011 ge-
tei Kampucheas) und der korrekten Politik der Einheitsfront planten europaweiten Zensusrunde beteiligen, und wie ge-
im Inneren“ bezeichnete („Frankfurter Allgemeine Zeitung“ denkt die Bundesregierung auch im Hinblick auf eine für den
vom 31. Januar 2001)? Finanzausgleich zwischen Bund und Ländern erforderliche
Datenbasis die Datenlücken, die seit der letzten Volkszählung
Es ist nicht Sache der Bundesregierung, Äußerungen im Jahr 1987 entstanden sind, zu schließen?
und Meinungen von Bediensteten zu kommentieren, die Die Bundesregierung strebt an, dass sich Deutschland
(B) vor der Einstellung in den Bundesdienst liegen. Im an der von der EU für 2010/2011 geplanten Zensusrunde (D)
Übrigen verweist die Bundesregierung auf ihre Antwort in Form eines registergestützten Zensus beteiligt, um auf
auf die mündliche Frage 42 in der Fragestunde am diese Weise die Kosten und Belastungen der Bevölke-
14. Februar 2001 (vergleiche Stenografischer Bericht rung möglichst gering zu halten. Durch diesen register-
14/151 S. 14804 A). gestützten Zensus soll insbesondere auch die Basis für
die Fortschreibung der Bevölkerungszahlen neu justiert
werden.
Anlage 17
Antwort
Anlage 19
des Parl. Staatssekretärs Fritz Rudolf Körper auf die
Frage des Abgeordneten Hartmut Koschyk (CDU/ Antwort
CSU) (Drucksache 15/5229, Frage 51): des Parl. Staatssekretärs Fritz Rudolf Körper auf die
Wie viele Stellen werden durch die aufgrund der Drei- Frage des Abgeordneten Dr. Ole Schröder (CDU/CSU)
zehnten Verordnung zur Änderung der Arbeitszeitverordnung (Drucksache 15/5229, Frage 53):
vom 23. September 2004 erfolgten Verlängerung der regelmä-
ßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Bundesbeamten im Bun- Hat der Bundesgrenzschutz zum gegenwärtigen Zeitpunkt
desbereich einschließlich der mittelbaren Staatsverwaltung die notwendigen technischen und personellen Mittel, um das
eingespart, und welche Wirkung hat dies gesamtgesellschaft- Kfz-Kennzeichen-Scanning durchzuführen, bzw. liegen Pla-
lich und volkswirtschaftlich im Hinblick auf die Arbeitslosen- nungen vor, solche Mittel bereitzustellen und einzusetzen?
quote?
Seit der Antwort der Bundesregierung vom 2. August
Die Verlängerung der Wochenarbeitszeit für Beam- 2004 auf Ihre schriftliche Frage vom 26. Juli 2004 hat
tinnen und Beamte von 38,5 auf 40 Wochenstunden be- sich der Sachstand nicht geändert (Bundestagsdruck-
wirkt grundsätzlich eine Erhöhung der Arbeitskapazität sache 15/3638). Der BGS hat bislang ein solches System
um 3,9 vom Hundert und ermöglicht damit rechnerisch nicht eingesetzt. Der konkrete personelle und materielle
eine Einsparung von Planstellen in entsprechendem Aufwand, der mit dem Betrieb verbunden wäre, ist bis-
Umfang. Die Einsparung wird durch jährliche haus- her weder erhoben worden noch liegen Planungen für
haltsgesetzliche Regelungen über einen Zeitraum von die Bereitstellungen vor, da zunächst neben den Ergeb-
zehn Jahren, beginnend im Haushaltsjahr 2005, um- nissen laufender und bereits durchgeführter Modellver-
gesetzt. Dies bedeutet jährliche Einsparschritte von suche und Projekte insbesondere auch die rechtlichen
0,4 vom Hundert. Nach § 21 des Haushaltsgesetzes und technischen Möglichkeiten zur Einführung dieses
2005 sind Stellen in einem finanziellen Umfang einzu- Systems im Rahmen der ständigen Konferenz der Innen-
Deutscher Bundestag – 15. Wahlperiode – 168. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. April 2005 15761

(A) minister und Senatoren (IMK) untersucht werden. Ein Die Ratifikationsurkunde der Bundesrepublik (C)
abschließendes Ergebnis liegt noch nicht vor. Ein Deutschland zu dem Europäischen Übereinkommen
solches Ergebnis sollte abgewartet werden, bevor weit vom 6. November 1997 über die Staatsangehörigkeit ist
reichende Maßnahmen ergriffen werden. von der Bundesregierung noch nicht beim Generalsekre-
tariat des Europarates hinterlegt worden. Bei der Unter-
zeichnung des Abkommens durch die Bundesrepublik
Anlage 20 Deutschland am 4. Februar 2002 hat diese zu mehreren
Artikeln des Übereinkommens Vorbehalte und Ausle-
Antwort gungserklärungen angebracht, die bei der bevorstehen-
den Hinterlegung der Ratifikationsurkunde noch einmal
des Parl. Staatssekretärs Fritz Rudolf Körper auf die formell bestätigt werden müssen. Nach inzwischen er-
Frage der Abgeordneten Petra Pau (fraktionslos) folgter Abstimmung innerhalb der Bundesregierung
(Drucksache 15/5229, Frage 54): wird die Übersendung der Ratifikationsurkunde an die
Hat die Bundesregierung die Ratifizierungsurkunde für Ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland
das Zustimmungsgesetz zum Europäischen Übereinkommen beim Europarat in Straßburg in Kürze erfolgen. Die
vom 6. November 1997 über die Staatsangehörigkeit (Geset- Ständige Vertretung wird anschließend mit dem General-
zesbeschluss Deutscher Bundestag am 20. Februar 2004, Bun- sekretariat des Europarates einen Termin für die Hinter-
desgesetzblatt Teil II 2004, 18. Mai 2004, S. 578) unmittelbar
nach Verabschiedung an das Generalsekretariat des Europara-
legung der Ratifikationsurkunde und die gleichzeitige
tes übersandt, und wenn nein, warum ist dies nicht gesche- Bestätigung der Vorbehalte und Auslegungserklärungen
hen? abstimmen.

(B) (D)
Gesamtherstellung: H. Heenemann GmbH & Co., Buch- und Offsetdruckerei, Bessemerstraße 83–91, 12103 Berlin
Vertrieb: Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH, Amsterdamer Str. 192, 50735 Köln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Telefax (02 21) 97 66 83 44
ISSN 0722-7980

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