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Deutscher Bundestag
Stenografischer Bericht
89. Sitzung
Inhalt:
Anlage 3 Anlage 8
Mündliche Fragen 19 und 20 Mündliche Fragen 35 und 36
Dr. Hermann Ott (BÜNDNIS 90/ René Röspel (SPD)
DIE GRÜNEN)
Konzept „Akademie für die Lehre“
Deutsche Beteiligung am Green Climate
Fund; Finanzielle Beteiligung und Feder- Antwort
führung der Bundesministerien beim Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär
Green Climate Fund BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10025 A
Antwort
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin Anlage 9
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10023 D
Mündliche Fragen 37 und 38
Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD)
Anlage 4
Ergebnisse des Treffens der Steuerungs-
Mündliche Frage 21 gruppe von Bund und Ländern am 28. Ja-
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ nuar 2011 zur Umsetzung des Studienplatz-
DIE GRÜNEN) mehrbedarfs im Hochschulpakt
Von der schleswig-holsteinischen Atomauf- Antwort
sichtsbehörde und den fünf weiteren Lan- Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär
desbehörden gemeldeter Nachrüstbedarf BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10025 C
für Atomkraftwerke
Antwort
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin Anlage 10
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10024 A
Mündliche Frage 39
Nicole Gohlke (DIE LINKE)
Anlage 5 Verwendung der durch die Abschaffung
leistungsabhängiger Schuldennachlässe im
Mündliche Frage 22
Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ Rahmen des BAföG frei werdenden Gelder
DIE GRÜNEN) Antwort
Verhalten der bayerischen Atomaufsichts- Dr. Helge Braun, Parl. Staatssekretär
behörde im Fall des Primärkreislaufbefun- BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10025 D
des im Atomkraftwerk Grafenrheinfeld
Antwort Anlage 11
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10024 B Mündliche Fragen 40 und 41
Christine Buchholz (DIE LINKE)
Befreiung des von den US-Streitkräften
Anlage 6 festgehaltenen Deutschen Haddid N.; Zu-
Mündliche Frage 30 sammenarbeit mit US-amerikanischen
Dirk Becker (SPD) Stellen in diesem Fall
Dioxinbelastung im Biodiesel Antwort
Cornelia Pieper, Staatsministerin
Antwort
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10026 A
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10024 C
Anlage 12
Anlage 7 Mündliche Frage 42
Mündliche Frage 31 Inge Höger (DIE LINKE)
Dirk Becker (SPD) Vorlage von Informationen über den ver-
Schadstoffbelastung mit Dioxin in Luft und muteten Giftgaseinsatz der türkischen
Boden nach der Verbrennung in Kraftfahr- Armee gegen die kurdische PKK im Jahr
zeugmotoren 2009
Antwort Antwort
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin Cornelia Pieper, Staatsministerin
BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10024 D AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10026 C
VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011
Anlage 13 Anlage 18
Mündliche Frage 43 Mündliche Frage 48
Inge Höger (DIE LINKE) Heike Hänsel (DIE LINKE)
Inhalt, Ziele, Ergebnisse und Teilnehmer Vorwürfe gegenüber dem Auswärtigen
der Gespräche mit politischen Führungs- Amt und der deutschen Botschaft in Bezug
persönlichkeiten aus Bosnien-Herzego- auf eine etwaige Verharmlosung der Situa-
wina im Januar 2011 in Berlin tion in Ägypten und fehlende Unterstüt-
zung bei der Ausreise
Antwort
Cornelia Pieper, Staatsministerin Antwort
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10026 D Cornelia Pieper, Staatsministerin
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10029 A
Anlage 14
Anlage 19
Mündliche Frage 44
Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ Mündliche Frage 49
DIE GRÜNEN) Heike Hänsel (DIE LINKE)
Aufenthalt von BKA-Beamten in Ägypten;
Umstellung der IT-Infrastruktur des Aus-
Zusammenarbeit mit Ägypten bei der Aus-
wärtigen Amts
bildung und Beratung ägyptischer Sicher-
Antwort heitskräfte
Cornelia Pieper, Staatsministerin
Antwort
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10027 B Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär
BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10029 C
Anlage 15
Mündliche Frage 45 Anlage 20
Klaus Hagemann (SPD) Mündliche Frage 50
Pläne zur Anpassung des Renteneintrittsal- Klaus Ernst (DIE LINKE)
ters bei Beschäftigten der EU-Kommission Entwicklung der Zahl der Leiharbeitneh-
Antwort mer und Leiharbeitnehmerinnen bei bun-
Cornelia Pieper, Staatsministerin desunmittelbaren, bundeseigenen und
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10027 D mehrheitlich in Bundeseigentum befind-
lichen Unternehmen und Einrichtungen
seit 2005
Anlage 16 Antwort
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 46 BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10029 D
Sevim Dağdelen (DIE LINKE)
Verlängerung des EU-Fischereiabkom-
mens mit Marokko Anlage 21
Antwort Mündliche Fragen 51 und 52
Cornelia Pieper, Staatsministerin Hans-Joachim Hacker (SPD)
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10028 B Befreiung der Inselflüge von der Luftver-
kehrsteuer; Kompensation für die verspä-
tet erteilte Steuerbefreiung
Anlage 17
Antwort
Mündliche Frage 47 Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/ BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10030 C
DIE GRÜNEN)
Gefahr eines Übergreifens der revolutionä-
ren Entwicklungen in Ägypten und ande- Anlage 22
ren arabischen Ländern auf den Sudan Mündliche Frage 53
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE)
Antwort
Cornelia Pieper, Staatsministerin Naturschutzrelevante Optionen zur weite-
AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10028 C ren Verwendung des Geländes des ehemali-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 VII
Mündliche Frage 55
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Anlage 29
Umsetzung der steuerlichen Gleichbehand- Mündliche Frage 62
lung von eingetragenen Lebenspartner- Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/
schaften DIE GRÜNEN)
Antwort Auswirkungen des gestiegenen Ölpreises
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10031 C Antwort
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10033 C
Anlage 25
Mündliche Frage 56 Anlage 30
Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) Mündliche Frage 63
Schlüsse aus dem Bericht des Bundesrech- Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/
nungshofes über die Steuerermäßigung für DIE GRÜNEN)
haushaltsnahe Dienstleistungen und Hand- Strategien im Fall eines Erdölpreisanstiegs
werkerleistungen nach § 35 a EStG; Inan- auf über 150 bzw. 200 US-Dollar je Barrel
spruchnahme der Steuerermäßigung in
den Jahren 2004 bis 2008 Antwort
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
Antwort BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10033 D
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10032 A
Anlage 31
Anlage 26 Mündliche Frage 64
Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/
Mündliche Fragen 57 und 58 DIE GRÜNEN)
Peter Friedrich (SPD)
Industriepolitische Strategie der chinesi-
Sonderkonditionen privater Krankenver- schen Regierung bei der Photovoltaik und
sicherungen für bestimmte Gruppen Schlussfolgerungen für die eigene Strategie
Antwort Antwort
Hartmut Koschyk, Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär
BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10032 C BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10034 A
VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011
Anlage 32 Antwort
Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär
Mündliche Frage 65
BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10036 A
Sevim Dağdelen (DIE LINKE)
Export von Polizeiausrüstung, sogenannten
weniger letalen Waffen und IT-Technologie Anlage 36
nach Ägypten und Tunesien
Mündliche Frage 69
Antwort Monika Lazar (BÜNDNIS 90/
Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär DIE GRÜNEN)
BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10034 C
Erwartungen an die geforderten freiwilli-
gen Maßnahmen zur Erhöhung des Frau-
Anlage 33 enanteils in Führungspositionen in der
deutschen Wirtschaft
Mündliche Frage 66
Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) Antwort
Vorlage eines Entwurfs zur Novellierung Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär
der Tierschutz-Nutztierhaltungsverord- BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10036 B
nung; Haltung von Mastkaninchen
Antwort Anlage 37
Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär
BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10035 A Mündliche Fragen 70 und 71
Caren Marks (SPD)
(A) (C)
Redetext
89. Sitzung
Präsident Dr. Norbert Lammert: Wir stehen unzweideutig auf der Seite der Menschen-
Die Sitzung ist eröffnet. rechte. Wir stehen unzweideutig an der Seite derer, die
für Bürgerrechte eintreten. Wir fügen aber genauso klar
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt eine inter- hinzu: Wer das ägyptische Volk regieren wird, ist nicht
fraktionelle Vereinbarung, die heutige Tagesordnung um unsere Sache, sondern Sache des ägyptischen Volkes
eine vereinbarte Debatte zur Entwicklung in Ägypten zu selbst. Genau deswegen wollen wir freie und faire Wah-
erweitern, die gleich im Anschluss als Erstes aufgerufen len.
werden soll. Außerdem ist vorgesehen, nach der Frage-
stunde, die auf die Befragung der Bundesregierung folgt, (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
eine von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP ver- Wir haben klare Erwartungen an die ägyptische Seite
langte Aktuelle Stunde durchzuführen, die sich mit den formuliert und sie in persönlichen Gesprächen übermit-
Ausschreitungen im Zusammenhang mit der Räumung telt: die Bundeskanzlerin in ihrem Gespräch mit Präsi-
eines besetzten Hauses hier in Berlin befasst. Sind Sie dent Mubarak, ich selbst in zahlreichen Gesprächen mit
(B) damit einverstanden? – Das ist offensichtlich der Fall. (D)
dem Vizepräsidenten Suleiman und dem Außenminister
Dann ist das so beschlossen. Ägyptens, aber auch mit dem Generalsekretär der Arabi-
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf: schen Liga, Herrn Amru Mussa, der in Ägypten ein ge-
wichtiges Wort hat, und mit Vertretern der Opposition,
Vereinbarte Debatte beispielsweise mit Herrn al-Baradei, den wir aus ande-
zur Entwicklung in Ägypten ren Zusammenhängen und von früheren Tätigkeiten sehr
Ich erteile dem Bundesminister des Auswärtigen, gut kennen.
Dr. Guido Westerwelle, das Wort. Unsere Erwartungshaltungen sind ganz klar: Wir wollen
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) erstens die Aufhebung des Ausnahmezustandes, zweitens
das Ende der offenen und verdeckten Einschüchterung von
Demonstranten und Medien, drittens die Freilassung aller
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus- politischen Gefangenen und viertens die unverzügliche
wärtigen: Umsetzung der Verfassungsreform. Wir wollen, dass die
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her- Menschenrechte geachtet werden; das sagen wir jedem
ren! Was wir derzeit in Ägypten, aber nicht nur dort erle- Land, auch jetzt an die Adresse der ägyptischen Regierung.
ben, ist eine Zeitenwende, eine historische Zäsur. Wir Das ist keine unzulässige Einmischung in die inneren An-
wissen nicht, wie diese Entwicklung in Ägypten, in den gelegenheiten; es gibt eine Pflicht zur Einmischung in die
anderen Ländern der arabischen Welt und in den Magh- innere Angelegenheit der Menschenrechte. Das ent-
reb-Staaten weitergeht. Aber eines kann man schon jetzt spricht unserem Kompass einer interessengeleiteten und
sagen: Nichts wird danach noch so sein, wie es vorher werteorientierten Außenpolitik.
gewesen ist. Das gilt zum einen für die gesellschaftliche
Situation in den betroffenen Ländern, zum anderen für (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Europa und seine strategischen Nachbarschaftsbeziehun- Der Gegensatz, wonach eine werteorientierte Außen-
gen. politik und eine interessengeleitete Außenpolitik nicht
Ich will es hier vorab ganz klar sagen: Die Entwick- miteinander vereinbar seien, ist von gestern. Aus unserer
lungen in Ägypten bergen aus Sicht der Bundesregie- eigenen, aus der deutschen Geschichte müssten wir er-
rung eine große Chance auf mehr Demokratie. Wir ste- kannt haben, dass ein Wandel durch Handel sehr wohl
hen als Demokraten an der Seite von Demokraten. möglich ist und befördert wird. Das, was wir derzeit se-
hen, ist das Ergebnis von Globalisierung. Entgegen der
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU) Meinung derer, die vor der Globalisierung als irgendei-
9964 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011
(A) Jan van Aken (DIE LINKE): lich, dass weder Frau Merkel noch Herr Westerwelle (C)
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Mubarak noch Hillary Clinton oder irgendwer im Westen es fer-
muss weg! – Das fordert das ägyptische Volk. Das for- tigbringt, zu sagen: Mubarak muss weg! Suleiman muss
dern auch wir. Ich frage mich allerdings, warum ich das weg! Die ganze Folterclique der letzten 30 Jahre muss
eigentlich nicht von Ihnen hier im Deutschen Bundestag weg! – Erst dann haben sie die Chance auf Freiheit.
höre.
(Beifall bei der LINKEN)
(Beifall bei der LINKEN)
Daher, Herr Westerwelle, müssen Sie sich wirklich
Seit zwei Wochen wird in Ägypten demonstriert. Mil- entscheiden, auf welcher Seite Sie stehen. Stehen Sie auf
lionen von Menschen gehen auf die Straße. Obwohl be- der Seite der Demokratie und auf der Seite der Demon-
reits 300 von ihnen getötet worden sind, gehen sie Tag stranten? Oder stehen Sie auf der Seite des Despoten?
für Tag mit einem unglaublichen Mut auf die Straße. Ich Lassen Sie das ägyptische Volk jetzt nicht allein, und
finde es bewundernswert. Ich muss an dieser Stelle sa- lassen Sie endlich Mubarak, Suleiman und alle anderen
gen: All unsere Hoffnung und all unsere Wünsche sind fallen. Das haben Sie bis heute nicht gemacht.
bei den Menschen, die heute wieder auf dem Tahrir-Platz
in Kairo und anderswo demonstrieren. (Volker Kauder [CDU/CSU]: Da haben Sie als
Nachfolgepartei der SED allen Grund, wenn
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeord- man sieht, was Sie bei der Revolution in
neten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE Deutschland angerichtet haben! – Gegenruf
GRÜNEN) von der LINKEN: Das hat damit gar nichts zu
Ihna wa’ifin hadkum wa natlub maakum ad-dimuqra- tun!)
tiyya wa l-hurriyya. – Wir stehen an eurer Seite und for- Natürlich – da stimme ich mit Ihnen, Herr
dern mit euch Demokratie und Freiheit. Westerwelle, überein – hat kein Mensch in Deutschland,
(Beifall bei der LINKEN) kein Mensch im Westen darüber mitzubestimmen,
Es gibt aber etwas, was uns in den letzten Tagen im- (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: In
mer mehr aus Ägypten erreicht: Das ist die Angst der Deutschland haben wir uns jedenfalls gegen
Menschen – trotz des Mutes, der sie jeden Tag wieder euch durchgesetzt!)
auf die Straße treibt –, von uns verraten zu werden. Die wann Wahlen in Ägypten stattfinden, ob es Mussa oder
Menschen in Ägypten wissen, dass die Bundesregierung al-Baradei wird. Wir haben dafür zu sorgen, dass das
und der Westen Mubarak und sein Regime 30 Jahre un- ägyptische Volk die Freiheit bekommt, zu entscheiden,
terstützt haben. wer dort regiert.
(B) (D)
(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sie
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Hätten Sie mal
haben die Bürgerrechtler verraten und schwät-
in der DDR für Freiheit gesorgt!)
zen hier so etwas daher! Das ist eine Frech-
heit!) Sie machen allerdings genau das Gegenteil von dem,
Sie wissen auch, dass sie Mubarak und sein Regime nie- was Sie hier gesagt haben. Sie haben hier behauptet, dass
mals loswerden, wenn der Westen Mubarak oder Sie auf der Seite der Demokratie sind. In Wahrheit sind
Suleiman – das ist aus ägyptischer Sicht ein und dieselbe Sie jedoch auf der Seite von Suleiman, dem Vizepräsi-
Soße – weiter unterstützt. denten und Geheimdienstchef. Der hat genauso viel Blut
an den Händen kleben wie Mubarak. Trotzdem bezeich-
Es gibt etwas, was mir persönlich wirklich Angst nen Sie Suleiman als Ihren Partner.
macht. Meine arabischen Freunde sagen mir, dass in die-
sen Tagen in der arabischen Jugend ein Satz, der über (Volker Kauder [CDU/CSU]: Das hat kein
Facebook und Twitter millionenfach im Internet verbrei- Mensch gesagt!)
tet wird, die Runde macht. Der Satz lautet: Wir hassen Damit sind Sie nicht auf der Seite der Demokratie.
euch nicht für eure Freiheit, sondern dafür, dass ihr uns
die Freiheit verwehrt. (Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der
LINKEN: Diktatorenfreunde!)
Darüber muss man einmal nachdenken. Der erste Teil
des Satzes ist doch ganz interessant: Wir hassen euch Mit Ihrer Unterstützung für Suleiman machen Sie tat-
nicht für eure Freiheit. – Das sind eben keine Westen- sächlich Brandstifter zu Feuerwehrmännern und lassen
Hasser. Das sind keine religiösen Fundamentalisten, die das ägyptische Volk und die Demonstranten alleine.
auf die Straße gehen. Das ist die junge Generation, die
Ich will noch ein Wort zum etwaigen Klinikaufenthalt
für ihre Freiheitsrechte einsteht und die Pressefreiheit,
von Mubarak sagen. Ich bin absolut dafür, dass Men-
soziale Gerechtigkeit und Arbeitsplätze fordert. Das al-
schen nach Deutschland kommen können und hier medi-
les sind Werte, die sie auch bei uns in Deutschland und
zinisch behandelt werden. Das gilt auch für Mubarak.
im Westen bewundern. Sie schauen nicht mit Hass auf
Dabei muss aber Folgendes gelten: In dem Moment, wo
den Westen.
die medizinische Behandlung abgeschlossen ist, muss er
Aber der zweite Teil des Satzes müsste uns wirklich noch im Krankenhaus wegen Verbrechen gegen die
zu denken geben: Wir hassen euch dafür, dass ihr uns die Menschlichkeit und – das darf man nie vergessen – we-
Freiheit verwehrt. – Die jungen Menschen sehen näm- gen Diebstahls verhaftet werden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 9969
Jan van Aken
(A) (Beifall bei der LINKEN) Heute wissen wir das von Ägypten. Letzten Freitag ha- (C)
ben Sie die Waffenlieferungen nach Ägypten eingestellt.
Mubarak und seine Familie haben Milliarden Euro bei-
Das ist auch gut so. Was ist aber mit Algerien? Was ist
seitegeschafft. Sie lagern auch hier in Deutschland und
mit Jordanien?
in Europa bei den Banken. Ich bin dafür, dass Sie dieses
Geld einfrieren und es dem ägyptischen Volk zurückge- (Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Saudi-
ben. Arabien!)
(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/ Was ist mit Saudi-Arabien?
CSU]: Wo sind eure SED-Milliarden?)
(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sol-
Herr Mützenich, ich muss es einmal sagen: Den Tanz len wir der afghanischen Armee Waffen geben
mit dem Teufel haben nicht nur die CDU/CSU und die oder nicht?)
FDP gemacht, den Tanz mit dem Teufel hat auch die
Soll ich Ihnen einmal kurz vorlesen, was Amnesty In-
SPD gemacht. Es gab ein Treffen zwischen dem Außen-
ternational zu Jordanien geschrieben hat, wo in diesen
minister Steinmeier von der SPD und Mubarak, bei dem
Tagen ebenfalls die ersten Demonstrationen stattfinden?
Herr Steinmeier Mubarak polizeiliche Hilfe zugesichert
hat. Er hat ihm sogar – das muss man sich auf der Zunge (Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sol-
zergehen lassen – technische Hilfsmittel für den Polizei- len wir der afghanischen Armee Waffen geben
aufbau zugesagt. Ich möchte mir nicht vorstellen, was in oder nicht?)
den Folterknästen Ägyptens mit technischen Hilfsmit-
Amnesty International schreibt dazu:
teln aus Deutschland für die Polizei angestellt wird. Hier
haben Sie sich genauso schuldig gemacht, und ich kann Es trafen erneut Berichte über Folter und Misshand-
auch von Ihnen das erwarten, was die Grünen gemacht lungen
haben, nämlich dass auch Sie sich einmal kritisch mit Ih-
– in Jordanien –
rer eigenen Vergangenheit im Außenministerium aus-
einandersetzen. ein. Mindestens zwei Männer starben … an den
Folgen von Schlägen, die ihnen Polizisten zugefügt
(Beifall bei der LINKEN)
hatten. Tausende Personen befanden sich ohne An-
Es geht nicht nur um Waffen für die Polizei, und es klageerhebung oder Gerichtsverfahren in Haft.
geht nicht nur um Wasserwerfer. Apropos Wasserwerfer:
An diese Verbrecher liefern Sie weiter ungeniert Waf-
Sie können sich das entsprechende Video im Internet an-
fen: 2 496 Maschinenpistolen und 303 Gewehre in den
schauen. Sie sehen dort einen Wasserwerfer aus deut-
letzten fünf Jahren. Hören Sie doch endlich damit auf,
(B) scher Produktion, mit dem in diesen Tagen in Kairo De- (D)
die Unterdrücker mit den Waffen auszurüsten, die sie für
monstranten von der Straße gepustet werden.
ihre Unterdrückung brauchen!
Es geht auch um ganz andere Waffen. Deutschland
(Beifall bei der LINKEN)
hat in den letzten zehn Jahren Waffen im Wert von sage
und schreibe 276 Millionen Euro nach Ägypten gelie- Herr Kauder, wenn in vier Wochen die Revolution
fert. Herr Kauder, Sie können nicht sagen: Das hat doch und der Volksaufstand Jordanien erreicht haben, können
niemand gewusst. – Sie wussten, dass Waffen im Wert Sie nicht sagen: Wir haben das alles nicht gewusst. Sie
von 276 Millionen Euro nach Ägypten geliefert wurden, wissen es heute, und Sie können heute die Konsequen-
und Sie wussten von all den Menschenrechtsverletzun- zen ziehen. Deswegen bin ich dafür, dass ab sofort alle
gen und Folterungen. Waffenlieferungen in den Nahen und Mittleren Osten
eingestellt werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich danke Ihnen.
Trotzdem haben Sie die Waffen geliefert. Darunter wa-
ren zum Beispiel 606 Maschinengewehre und 1 726 Ma- (Beifall bei der LINKEN)
schinenpistolen. Das haben Sie zu verantworten, und Sie
wussten alles vorher. Präsident Dr. Norbert Lammert:
(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ich persönlich Das Wort erhält nun die Kollegin Kerstin Müller für
wusste das nicht!) die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Wer Waffen an Diktatoren liefert, der macht sich mit-
Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
schuldig an Folterung, an Unterdrückung und an Zensur.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
(Beifall bei der LINKEN) Demokratiebewegungen in Tunesien, in Ägypten, in Jor-
danien und anderswo machen deutlich – einige Vorred-
Mit diesen Waffenlieferungen haben Sie sich schuldig
ner haben es schon gesagt –, dass die arabische Welt
gemacht. Sie haben sie mit beschlossen.
wahrscheinlich am Beginn einer neuen Ära steht. Wir se-
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschland hen Menschen aller Altersstufen und Gesellschafts-
gar keine Waffen mehr exportieren sollte, nirgendwohin, schichten auf den Straßen in Tunis, in Kairo und an-
vor allen Dingen aber nicht an diejenigen Länder des derswo. Tausende von Frauen sind unter ihnen. Sie
Nahen und Mittleren Ostens, von denen wir heute schon kämpfen für Demokratie, für Menschenrechte, für Frei-
wissen, dass es dort Menschenrechtsverletzungen gibt. heit, für Selbstbestimmung und auch für mehr soziale
9970 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011
Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU): Ich bin froh, dass die letzten beiden Redner, Frau
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich bedanke mich, lie- Müller und Herr Stinner, Israel angesprochen haben.
ber Herr Kollege Stinner, dass Sie für mich gesprochen Ägypten war das erste Land, das mit Israel Frieden ge-
haben. Sie haben das in der Tat getan, aber ich will es schlossen hat. Jordanien ist dann gefolgt. Jordanien und
trotzdem noch bekräftigen. Ägypten sind die einzigen Länder in der Region, die mit
Israel Frieden geschlossen haben und die diesen Frieden
(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Es war unzurei- 30 Jahre lang – das ist der Fall bei Ägypten – gelebt ha-
chend!) ben. Es war deshalb unsere Pflicht, mit diesem Land zu-
– Ich habe noch sechs Minuten. sammenzuarbeiten. Wir hätten doch auch aufgrund unse-
rer eigenen historischen Verantwortung keinen größeren
(Zuruf von der SPD: Keine Drohungen!) Beitrag zur Stabilität leisten können, als verantwortungs-
Herr Außenminister, Sie haben zu Recht gesagt: Das voll mit diesem Land zusammenzuarbeiten. Ägypten
ist ein historischer Umbruch. – Es wird in der arabischen war für alle Regierungen, ob schwarz-gelb, rot-grün,
Welt, es wird im Nahen Osten nicht bei der alten Ord- schwarz-rot oder jetzt wieder schwarz-gelb, eines der
nung bleiben. Was in Tunesien begonnen hat, wird nicht Hauptzielländer deutscher Entwicklungspolitik. Das war
in Ägypten aufhören. Es ist vergleichbar mit der Situa- es aus guten Gründen, und das muss auch so bleiben.
tion, die wir in Europa zwischen 1989 und 1991 erlebt Ich will noch etwas zu dem Transformationsprozess
haben. 1996 ist das Buch The Clash of Civilizations des sagen. Frau Müller, Sie haben recht: Ein Spielen auf Zeit
amerikanischen Politologen Samuel Huntington erschie- garantiert nicht, dass die Demokratie gewinnt, aber ein
nen: Die These, unsere Werteordnung, geprägt von Drängen auf Eile garantiert, dass die Demokratie ver-
einem Menschenbild, das auf Freiheit, Pluralität, Men- liert. Ob Mubarak bleibt oder nicht, entscheiden nicht
schenrechten, Rechtsstaatlichkeit und guter Regierungs- wir. Ich bin stolz darauf, dass Honecker nicht vom ameri-
(B) führung beruht, sei mit einem islamischen Kulturkreis kanischen Präsidenten abberufen oder von Gorbatschow (D)
nicht vereinbar, wird derzeit durch die Ereignisse in abgesetzt wurde.
Ägypten widerlegt. Aber es handelt sich noch um einen
fragilen und schwierigen Prozess. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Ich finde es gut, dass alle, die bisher geredet haben, Dass wir sagen konnten „Wir sind das Volk“, darauf bin
bei allen Unterschieden, die wir haben, gesagt haben: ich als Deutscher, auch als Westdeutscher, stolz. Das ist
Wir stehen eindeutig auf der Seite derer, die diese
Teil unserer Identität, und das ist ein Teil des Sieges der
Chance für die arabische Welt und den Nahen Osten nut-
Demokratie.
zen wollen. Diejenigen, die Freiheit, soziale Gerechtig-
keit und persönliche Lebensperspektiven wollen, haben Vom 9. November 1989 bis zur ersten gesamtdeut-
unsere Unterstützung, und zwar uneingeschränkt. Es ist schen Wahl ist über ein Jahr vergangen. Frau Müller,
gut, dass das von links bis rechts in diesem Hause gilt. wenn wir diese Zeit nicht gehabt hätten und diesen Pro-
Wir alle werden sie in diesem Prozess unterstützen. zess der politischen Transformation, der an den runden
Ich halte es für ziemlich wohlfeil, jetzt aufzulisten, Tischen stattgefunden hat, nicht zugelassen hätten, dann
welche deutsche Regierung wann welchen ägyptischen hätte eine Partei, die „Bündnis 90“ in ihrem Namen
Präsidenten oder ägyptischen Regierungsvertreter ge- trägt, an dieser ersten gesamtdeutschen Wahl nicht teil-
troffen hat. Herr Mützenich, ich schätze Sie als einen nehmen können.
sehr nachdenklichen Politiker. Ich habe einmal erlebt
Das ist Demokratie. Wir müssen das zulassen. Wir
– vielleicht können Sie sich daran erinnern –, dass Sie,
müssen alle unterstützen, die diesen Wandel wollen. Sie
als wir über die Reform der Vereinten Nationen gespro-
haben unsere uneingeschränkte Unterstützung. Aber wir
chen haben und Gerhard Schröder einen ständigen Sitz
wollen diesen Prozess nicht von außen lenken. Wir ha-
für Deutschland im Sicherheitsrat wollte, gesagt haben:
ben eine historische Erfahrung, und diese können wir
Auch Ägypten muss einen Sitz im Sicherheitsrat haben.
weitergeben. Dazu gehört, dass an den runden Tischen
(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Ich?) ein klarer Zeitplan festgelegt wird, so wie festgelegt
wurde: Wir führen am 18. März die erste freie Wahl zur
– Ja, das waren Sie, Herr Mützenich. Aus Ihrer Partei
Volkskammer durch, am 1. Juli kommt die D-Mark, und
kam dieser Anstoß.
am 2. Dezember findet die erste gesamtdeutsche Wahl
(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Ich war für einen statt. Das war gelebte Demokratie. Damit haben wir Er-
ständigen Sitz für Deutschland! Vielleicht ha- folg gehabt. Aber es gibt auch Beispiele dafür, dass sol-
ben Sie das verwechselt!) che Prozesse schiefgelaufen sind.
9974 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011
Holger Haibach
(A) nicht gebrauchen, nämlich innenpolitisches Geplänkel. abgestimmtes Vorgehen, wenn es um so etwas wie Wirt- (C)
Jeder, der sagt, diese Regierung reagiere an der einen schaftsförderung im Sinne von Aufbau einer selbsttra-
oder anderen Stelle falsch, der zeigt auf sich selbst zu- genden Wirtschaft mit Wertschöpfungsketten in den
rück. Ich habe im Deutschen Bundestag seit 2002, ehr- Ländern geht. Wir brauchen die Unterstützung beim
lich gesagt, keine Debatte erlebt – sei es unter einem Au- Aufbau von Bildungs- und Berufsbildungssystemen. Wir
ßenminister Fischer oder unter einem Außenminister brauchen die Unterstützung beim Aufbau von Infrastruk-
Steinmeier –, in der diejenigen, die heute so klug daher- tur, und wir brauchen die politischen Stiftungen. Die Tat-
reden, entsprechende Worte auch schon früher gebraucht sache, dass die Bundesregierung, dieses BMZ, gerade
hätten. Es ist immer wieder die gleiche Geschichte: Zei- ein Programm aufgelegt hat, um die politischen Stiftun-
gen Sie mit dem Finger auf jemanden, zeigen drei Finger gen in diesen Ländern zu unterstützen, zeigt sehr deut-
auf Sie zurück. Ich bitte Sie deshalb: Unterlassen Sie lich, dass wir nicht nur reden, sondern an dieser Stelle
das! auch handeln.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
neten der FDP – Kerstin Müller [Köln] neten der FDP)
[BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen Auf einen Punkt möchte ich noch gerne hinweisen.
ein bisschen genauer hinschauen!) Wael Ghonim, der große Internetaktivist und Google-
Das ist der eine Punkt. Manager, der in Ägypten lange in Haft war, hat gesagt:
Ein weiterer Punkt kommt mir in dieser Debatte sehr Ich hörte nichts, ich erkannte nichts, hatte keine
merkwürdig vor: Hier wird sehr viel ineinandergemischt Ahnung, was draußen auf den Straßen passiert.
und zusammengetan, was aus meiner Sicht nicht zwin- Und weiter:
gend zusammengehört. Die Situation in Tunesien ist eine
andere als die in Ägypten, in Jordanien oder vielen ande- Wenn du zwölf Tage lang nichts siehst als schwarze
ren Ländern. Es gibt allerdings auch ein paar Gemein- Szenerie, dann betest du, dass die, die draußen sind,
samkeiten. Schauen wir uns einmal die Situation in sich noch an dich erinnern.
Ägypten an: Hier gibt es eine sehr junge Bevölkerung. Vermutlich wird dies meine letzte Rede in diesem
Jedes Jahr kommen ungefähr 600 000 Menschen auf den Hause sein, weil ich den Bundestag Ende dieses Monats
Arbeitsmarkt; hiervon bleiben aber zwei Drittel arbeits- verlasse. Wenn wir eine Aufgabe haben, dann ist es die
los. Seit Jahren schon gibt es circa 3 Millionen arbeits- Aufgabe, auch die Stimme derjenigen zu sein, die selbst
lose ägyptische Akademiker. Ähnliche Befunde bzw. keine Stimme haben, weil wir privilegiert sind.
entsprechende Parallelen lassen sich wahrscheinlich
(B) auch in Tunesien, in Jordanien und in vielen anderen In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen weiterhin (D)
Ländern finden. eine gute Arbeit. Ich wünsche Ihnen allen, dass Sie für
Deutschland die richtigen Entscheidungen treffen, was
Wenn wir nach den Ursachen für diese Konflikte fra- immer extrem schwierig ist.
gen, dann sollten wir einmal in die Entwicklungspolitik
schauen. Wir haben die Problematik, dass wir es meis- Ich habe hier sehr viele interessante Menschen ken-
tens mit autoritären Regimen zu tun haben, die nicht in nengelernt. Ich möchte mich bei meiner Fraktion recht
der Lage sind, die an sie gestellten Anforderungen und herzlich und auch bei Ihnen für manches gute überpartei-
Probleme zu lösen. Dies führt im Allgemeinen dazu, liche Miteinander bedanken. Ich wünsche Deutschland
dass Menschen unzufrieden werden. Dies führt zu Ar- und der Welt viele engagierte Demokraten.
beitslosigkeit und zu einem nicht funktionierenden Wirt- Danke sehr.
schaftssystem. Das ist der Nährboden, aus dem Protest
entsteht, neben dem Willen zu Freiheit und Demokratie. (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP
Auf diesem Nährboden kann sehr Unterschiedliches und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
wachsen: Es kann entweder zu einem Streben nach De- bei Abgeordneten der LINKEN)
mokratie, nach Rechtsstaatlichkeit kommen, oder es
kann dazu führen, dass der Extremismus gestärkt wird. Präsident Dr. Norbert Lammert:
Auf die Frage nach den Ursachen für Terrorismus und Lieber Kollege Haibach, die für uns natürlich betrüb-
auf die Frage: „Wie können wir eigentlich dafür sorgen, liche Nachricht, dass Sie den Deutschen Bundestag vor
dass Terrorismus im Keim erstickt wird?“, ist eine rich- dem Ende der Legislaturperiode freiwillig verlassen
tige, gut geleitete Entwicklungspolitik in diesen Ländern wollen, wird durch die Information beinahe ausgegli-
die einzige Antwort. chen, dass Sie eine sehr ähnliche Aufgabe übernehmen,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und die aber mit der gleichzeitigen Mitgliedschaft im Deut-
der FDP) schen Bundestag schon aus räumlichen Gründen schwer
vereinbar ist.
Ich will das gar nicht gut- oder schlechtreden. Das be-
(Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister: Das
deutet nicht, dass wir in der Vergangenheit alles richtig
kann man so sagen!)
gemacht hätten. Aber was deutsche Entwicklungspolitik
erkannt hat, was auch wir gemeinsam erkannt haben und Ich möchte meinen herzlichen Dank für Ihre Arbeit
was zwingend europäischer Konsens werden muss, ist, hier im Deutschen Bundestag mit allen guten Wünschen
dass wir diese Schritte gehen müssen. Wir brauchen ein für die neue Aufgabe verbinden.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 9977
Präsident Dr. Norbert Lammert
(A) (Beifall) der Europäischen Union geschaffen haben, ist in der Tat (C)
das Papier kaum wert, auf dem sie geschrieben steht.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Wir müssen uns kritisch die Frage stellen, ob wir in sol-
Kollege Thomas Silberhorn für die CDU/CSU-Fraktion. chen Gesellschaften, die autokratisch regiert werden,
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und nicht noch viel intensiver den Kontakt jenseits offizieller
der FDP) Stränge über unsere politischen Stiftungen stärken müs-
sen. Deswegen ist es ein ganz wichtiges Signal, dass wir
Thomas Silberhorn (CDU/CSU): uns jetzt mit den Vertretern der politischen Stiftungen
darauf verständigen, uns in Ägypten – sicherlich lässt
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
sich das auch auf andere Staaten ausdehnen – intensiver
Herren! Dem Kollegen Holger Haibach ist für seine Ar-
zu engagieren.
beit bereits gedankt worden. Ich darf die etwas verklau-
sulierten Hinweise des Präsidenten auf seine Zukunft Es steht außer Frage, dass wir die Unterdrückung von
auflösen, indem ich anfüge, dass er für die Konrad- Oppositionellen und die Verweigerung von Bürgerrech-
Adenauer-Stiftung nach Namibia gehen wird. Das be- ten offensiv anprangern müssen. Die Menschenrechte
deutet, lieber Holger, dass du unter Beweis stellen gelten universell, und deswegen müssen sie auch univer-
kannst und wirst, dass die Dinge, über die wir hier disku- sell eingefordert werden. Wir dürfen nicht den Fehler ma-
tiert haben und die du als entwicklungspolitischer Spre- chen, wie bei Facebook Staaten danach einzuteilen, ob sie
cher unserer Fraktion vorangetrieben hast, in der Praxis unsere Freunde sind; vielmehr müssen wir unabhängig
umgesetzt werden können. Viel Erfolg für deine künftige davon auf der Einhaltung der Menschenrechte bestehen,
Aufgabe! denn diese sind unteilbar. Deswegen ist die wichtigste
Aussage, die wir in der aktuellen Debatte treffen können,
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie
dass wir als Deutsche und als Europäer an der Seite der-
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
jenigen stehen, die sich in Ägypten und in den anderen
GRÜNEN)
Gesellschaften der arabischen Welt und des Nahen Os-
Meine Damen und Herren, die Stabilität ist brüchig tens für Freiheit und Demokratie einsetzen. Diese Men-
geworden, nicht nur in Ägypten, sondern auch in weiten schen, die mutig unter Einsatz ihres Lebens auf die Straße
Teilen Nordafrikas und im Nahen Osten. Zu einer Ana- gehen, müssen wissen, dass sie unsere Unterstützung ha-
lyse gehört sicherlich, dass wir uns zunächst eingeste- ben. Wir dürfen nicht zulassen, dass auf Zeit gespielt
hen, dass wir alle von der Wucht und Geschwindigkeit wird, sondern müssen dafür sorgen, dass die Rahmenbe-
der Ereignisse überrascht worden sind. Wir haben durch- dingungen jetzt so gesetzt werden, dass diese Menschen
aus Anlass, unsere Politik zu überdenken. Dennoch ist ihre Anliegen in den politischen Prozess einbringen kön-
(B) nicht alles falsch gewesen, was wir bisher im Kontakt nen. (D)
mit diesen Ländern getan haben; denn Ägypten hat sehr
Wir sollten uns allerdings davor hüten, so zu tun, als
wohl eine konstruktive Rolle im Nahostfriedensprozess
wüssten wir besser, wie es dort vorangehen muss. Insbe-
in den letzten Jahrzehnten gespielt. Ägypten ist der ein-
sondere die Forderung nach einem sofortigen Rücktritt
zige arabische Staat, der einen Friedensvertrag mit Israel
Mubaraks ist nicht gerade hilfreich. Es hat auch niemand
hat. Deswegen dürfen wir bei aller berechtigten Debatte
gefordert, dass er im Amt bleibt, um das einmal deutlich
über die Situation in Ägypten nicht aus dem Auge verlie-
zu sagen. Aber die Entscheidung, wie es weitergeht,
ren, dass wir auch den Nahost-Friedensprozess weiter
müssen wir dem ägyptischen Volk überlassen. Wenn wir
vorantreiben müssen. Es wäre ein positives Signal, wenn
für Demokratie eintreten wollen, dann muss die interna-
es jetzt gelingen würde, im Friedensprozess zwischen Is-
tionale Gemeinschaft jetzt deutlich machen, dass sie das
rael und den Palästinensern weitere Fortschritte zu erzie-
Selbstbestimmungsrecht des ägyptischen Volkes hoch-
len. Vor diesem Hintergrund war der Besuch der Bun-
hält und mit dazu beiträgt, die Rahmenbedingungen da-
deskanzlerin und des halben Kabinetts in Israel ein
für zu schaffen, dass die Ägypter sich frei entscheiden
wichtiges Signal.
können, wie es in ihrem Land weitergehen soll. Diesen
Wir haben aber die gesellschaftlichen Entwicklungen Respekt vor dem Souverän sollten gerade diejenigen
in Ägypten und weiteren Staaten Nordafrikas deutlich un- aufbringen, die die Volksherrschaft vor sich hertragen
terschätzt, obwohl die Bundesregierung seit vielen Jahren und mit guten Gründen jetzt die Chance sehen, dass in
auch für die Zivilgesellschaft in diesen Staaten unterwegs der arabischen Welt eine Demokratisierung stattfindet.
ist. Ägypten ist nicht ohne Grund einer der wichtigsten Wir sollten mit großer Aufmerksamkeit die Stimmen
Partner in unserer Entwicklungszusammenarbeit. Auch aus Ägypten wahrnehmen, die für Demokratie und Frei-
für die Teilhabe der Zivilgesellschaft an politischen Pro- heit eintreten, gleichwohl Zeit für die Gestaltung dieses
zessen, für privatwirtschaftliches Engagement und für
Prozesses einfordern. Es besteht nun einmal offenkundig
Berufsbildung haben wir viel getan. Wir haben mit dem die Gefahr, dass eine zu frühe Wahl
Goethe-Institut, einer deutschen Universität in Kairo und
den Deutschland-Wochen in Ägypten ausgedehnte kultu- (Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE
relle Kontakte nach Ägypten geknüpft. GRÜNEN]: Das will ja keiner!)
Trotz dieser so vielfältigen Kontakte haben wir nicht nur für diejenigen von Vorteil wäre, die schon jetzt so
geahnt, was sich – fast möchte man sagen: unter der aufgestellt sind, dass sie in dem Land politisch agieren
Oberfläche der offiziellen Kontakte – abgespielt hat. könnten, nämlich die Stützen des jetzigen Regimes, viel-
Auch die Union für das Mittelmeer, die wir im Rahmen leicht die Muslimbruderschaft, daneben aber nicht allzu
9978 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011
Thomas Silberhorn
(A) viele. Deswegen sollten wir es sehr ernst nehmen, wenn den Vierten Erfahrungsbericht über die Durchführung (C)
Friedensnobelpreisträger al-Baradei öffentlich dafür ein- des Stammzellgesetzes beschlossen; er geht dem Deut-
tritt, dass erst im nächsten Jahr Wahlen stattfinden und schen Bundestag und dem Bundesrat unverzüglich zu.
jetzt ein Prozess eingeleitet wird – er fordert einen Präsi-
dialrat –, um eine demokratische Entwicklung in Gang Mit dem Stammzellgesetz vom 28. Juni 2002 wurde
zu bringen. der Umgang, insbesondere die Forschung mit menschli-
chen embryonalen Stammzellen klar geregelt und unter
(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE strenge gesetzliche Voraussetzungen gestellt. Der Schutz
GRÜNEN]: Der fordert aber auch den Rück- der Embryonen bleibt durch das Embryonenschutzgesetz
tritt von Mubarak! Das ist jetzt ein schlechter weiter gewährleistet, denn hier ist die Gewinnung von
Kronzeuge!) Stammzellen aus Embryonen weiterhin unter Strafe ver-
Wir sollten hier nicht als Besser-Wessis auftreten, son- boten.
dern dafür sorgen, dass die Ägypter eine Chance haben, Die Berichtspflicht umfasst die Durchführung des
den Prozess selbst zu gestalten. Stammzellgesetzes, also die Genehmigung der Verwen-
(Kerstin Müller [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE dung embryonaler Stammzellen, aber auch „die Ergeb-
GRÜNEN]: Er ist einer der schärfsten Kriti- nisse der Forschung“ an anderen Formen pluripotenter
ker!) Stammzellen. Der Berichtszeitraum umfasst die Jahre
2008 und 2009. In diesem Zeitraum wurde die Frist für
die Nutzung humaner embryonaler Stammzellen geän-
Präsident Dr. Norbert Lammert: dert: Man kann sie verwenden, wenn sie vor dem 1. Mai
Herr Kollege. 2007 gewonnen wurden. Die Erweiterung der Frist hat
die Möglichkeit verbessert, embryonale Stammzellen
Thomas Silberhorn (CDU/CSU): auch in Deutschland für Forschungszwecke zu nutzen,
Herr Präsident, gestatten Sie mir bitte ein letztes sodass die deutsche Forschung im internationalen Ver-
Wort. gleich weiterhin mithalten kann.
Ich plädiere sehr dafür, dass wir in Deutschland und Die Stammzellforschung ist nach wie vor eine Do-
in der Europäischen Union eine engagierte Debatte dazu mäne der Grundlagenforschung, selbst wenn sich in ein-
führen. Wir müssen diese Debatte aber so führen, dass zelnen Bereichen andere Möglichkeiten ergeben haben,
Demokratie für die ägyptische Gesellschaft als erstre- etwa bei der Erweiterung der Möglichkeiten der Thera-
benswert erlebt werden kann. Deswegen dürfen wir sie pie und im Bereich der Medikamentenforschung. Schon
nicht mit innenpolitischen Kabbeleien überfrachten. der dritte Bericht hat gezeigt, dass man versucht, weitere
(B) Vielmehr sollten wir als Deutsche und Europäer gemein- Quellen für pluripotente Stammzellen zu erschließen. (D)
sam an der Seite derjenigen stehen, die in Ägypten für Trotz der zunehmenden Möglichkeiten in diesem Be-
Freiheit eintreten. reich kann man nach wie vor nicht auf humane embryo-
Vielen Dank. nale Stammzellen für die Forschung verzichten. Es geht
hier auch darum, die embryonalen Stammzellen des
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Menschen zu verstehen. Die Verwendung anderer pluri-
neten der FDP) potenter Stammzellen hat oft nicht den Erfolg gebracht,
den man sich zu Beginn davon versprochen hat, sodass
Präsident Dr. Norbert Lammert: davon auszugehen ist, dass weiterhin nicht auf humane
Ich schließe die Aussprache. embryonale Stammzellen verzichtet werden kann.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf: Der Erfahrungsbericht zeigt, dass die Erweiterung der
Fristen der deutschen Forschung die Möglichkeit gege-
Befragung der Bundesregierung ben hat, in dem Bereich weiter aktiv zu sein und gleich-
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka- zeitig die ethische Komponente beizubehalten, die in der
binettssitzung mitgeteilt: Vierter Erfahrungsbericht der Diskussion aus dem Jahre 2002 herausgearbeitet wurde.
Bundesregierung über die Durchführung des Stamm-
zellgesetzes. Präsident Dr. Norbert Lammert:
Bevor ich dem Bundesminister für Gesundheit das Gibt es Wortmeldungen zu diesem Bericht? – Bitte
Wort zu einem kurzen einleitenden Bericht erteile, bitte schön. Wir machen es diesmal von links nach rechts.
ich diejenigen Kolleginnen und Kollegen, die an diesem
Tagesordnungspunkt nicht mitwirken können oder wol- Dr. Petra Sitte (DIE LINKE):
len, ihre Gespräche oder Verhandlungen außerhalb des Herr Minister Rösler, Ihre Zusammenfassung ähnelt
Plenarsaals fortzusetzen, damit die einströmenden Kol- der des ersten, des zweiten und des dritten Berichtes. In-
leginnen und Kollegen ungehindert Platz finden können. sofern ist es für uns jetzt schwierig, Fragen zu diesem
Herr Bundesminister, Sie haben das Wort. Bericht zu stellen, die in die Tiefe gehen. Meine Frage
ist daher eher ein Schuss ins Blaue. Ich schaue einmal,
ob irgendwo ein Treffer zu landen ist.
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Wir haben eine sehr lange Debatte zu dem Stichtag
Herren Abgeordnete! Die Bundesregierung hat heute selber geführt. Die Frage lautet: Ist in diesem Bericht et-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 9979
Dr. Petra Sitte
(A) was dazu ausgeführt, inwieweit die Verbesserungen, die Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: (C)
Sie selber für die Stammzellforschung konstatiert haben, Herr Abgeordneter, es wurden in dem Zeitraum 2008
tatsächlich mit diesem veränderten Stichtag herbeige- bis heute insgesamt 30 Anträge gestellt. Davon beziehen
führt wurden? Gibt es gar Stimmen, die erneut eine Ver- sich 17 bereits auf die neuen Stammzelllinien. Das ist
änderung dieses Stichtages für notwendig halten? Ist die Information, die ich Ihnen jetzt hier geben kann. Die
diese Frage Hauptinhalt mancher Debatten? weiteren Frageschwerpunkte und die einzelnen Anträge
sind dann dem Bericht selber zu entnehmen. Wie gesagt:
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Der Stand der Anträge – auch derer, die die Anträge ge-
stellt haben – und das Genehmigungsverfahren über das
Sehr verehrte Frau Abgeordnete, mit der Novellie- Robert-Koch-Institut sind dann dem eigentlichen Bericht
rung des Stammzellgesetzes wurde der Stichtag auf den zu entnehmen.
1. Mai 2007 gelegt. Das hatte ich bereits erwähnt. Damit
ist die Forschung in Deutschland auf eine tragfähige Ba-
sis gestellt worden. Man hat damit die Möglichkeit, sich Präsident Dr. Norbert Lammert:
international vernetzt – weil man auf die gleichen Bitte schön, Frau Hinz.
Stammzelllinien zurückgreifen kann – auch im For-
schungsbereich an humanen embryonalen Stammzellen Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
zu betätigen. Es wird deswegen nicht gefordert oder dis- NEN):
kutiert, diese Fristenlösung nochmals in irgendeiner Herr Minister, welche Zielsetzung ist denn bei diesen
Form vom Datum her zu ändern. 30 Anträgen angegeben? Was soll mit den Projekten in
der Forschung erreicht werden? Wovon gehen die An-
Präsident Dr. Norbert Lammert: tragsteller aus? Welche Krankheiten sollen hier gezielt
erforscht und vielleicht auch geheilt werden?
Herr Rossmann.
Jens Ackermann
(A) herauszukommen und die Erkenntnisse, die man in der Bei dem Bericht geht es zunächst einmal darum, die (C)
Theorie gewonnen hat, in die Praxis umzusetzen. In der Entwicklung auf dem Gebiet der Forschung an humanen
Vergangenheit war immer von sehr langen Zeiträumen embryonalen Stammzellen und ihre Nutzung in Deutsch-
die Rede. Wir haben gehört, dass es bis zu 20 Jahre dau- land unter dem Gesichtspunkt der geänderten Frist
ern kann, bis man die theoretischen Erkenntnisse in die – 1. Mai 2007 – darzulegen.
Praxis umsetzen kann. Wie sehen Sie das? Besteht auf-
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
grund der guten Forschung an embryonalen Stammzel-
len die Chance, die Erkenntnisse jetzt in die Praxis um- NEN]: Das weiß ich!)
zusetzen? Es geht um die humanen embryonalen Stammzellen. Ich
habe angedeutet, dass es im Rahmen der Forschung Ver-
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE suche gibt, weitere Quellen für pluripotente Stammzel-
GRÜNEN]: Hat er doch gerade gesagt! Geht len zu erschließen, die eben nicht aus Embryonen stam-
nicht! Haben wir nicht!) men. Ich habe gesagt, dass die Entwicklung noch nicht
so vielversprechend ist, dass man auf die Erforschung
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: der humanen embryonalen Stammzellen wird verzichten
Auch hier muss ich auf die Antwort von eben verwei- können. Das ist eine große ethische Debatte. Die einen
sen. Man ist noch im Bereich der Grundlagenforschung. Stammzellen werden gewonnen aus Embryonen, die ver-
Es geht also darum, die Mechanismen der Entwicklung storben sind oder getötet wurden. Versuche, andere
der embryonalen Stammzellen zu verstehen. Weil aus Stammzellen zu entwickeln, zum Beispiel induzierte
Stammzellen ganze Organsysteme entwickelt werden pluripotente Stammzellen, beziehen sich auf adulte Zel-
können, verspricht man sich von der Stammzellfor- len, die man versucht zurückzuentwickeln. Der Prozess
schung in der Tat, dass man eines Tages therapeutischen der Umprogrammierung ist aber noch nicht so weit fort-
Nutzen daraus ziehen kann. Das geht aber nur, wenn geschritten, dass man sagen kann, dass man jetzt auf die
man die Mechanismen verstanden hat und in der Lage anderen Stammzellen verzichten kann. Unabhängig von
ist, sie zu beeinflussen. Die bisherigen Forschungsergeb- diesem Vergleich zwischen diesen beiden wird man wei-
nisse zeigen, dass es noch etwas länger dauern wird, bis terhin die Forschung an humanen embryonalen Stamm-
man zu dem Punkt kommt, an dem man weiß, dass man zellen brauchen, um – ich kann es nochmals sagen – das
alles richtig verstanden hat. Dann kann man Möglichkei- Verständnis der Zusammenhänge und Entwicklungen
ten finden, um aus pluripotenten Stammzellen klinische der embryonalen Stammzellen selbst zu erlangen.
Entwicklungen und Anwendungen – so sage ich das ein-
mal – zu entwickeln. Präsident Dr. Norbert Lammert:
(B) Herr Minister, mein Eindruck ist, dass die Kollegin- (D)
Präsident Dr. Norbert Lammert: nen und Kollegen gerne wissen wollen, ob es auf der
Basis des Berichts, der uns noch nicht vorliegt, eine Prä-
Frau Kollegin Haßelmann.
ferenz der Bundesregierung für bestimmte Forschungs-
strategien gibt.
Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, auch NEN]: Vielen Dank für die Übersetzung!)
ich möchte Sie gerne etwas fragen. Ich bin ein bisschen
irritiert. Die Befragung der Bundesregierung führen wir
eigentlich durch, um wirklich etwas zu erfahren. Der Be- Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit:
richt war aber äußerst dünn. Deswegen frage ich nach. Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Her-
Ich habe Sie so verstanden, dass die embryonale Stamm- ren Abgeordneten, es gibt ausdrücklich keine Festlegung.
zellforschung ein Schwerpunkt der Forschung ist und bei Es gibt keinen Goldstandard – wenn Sie so wollen – für
Ihnen Priorität hat. Habe ich das richtig verstanden? Auf die eine oder andere Zellrichtungsentwicklung. Das gibt
die Frage meiner Kollegin Priska Hinz haben Sie so ge- der Bericht auch eindeutig her.
antwortet. Vor dem Hintergrund Ihrer bisherigen Einlas-
sungen frage ich, was Sie genau machen wollen. Präsident Dr. Norbert Lammert:
Herr Kollege Rossmann.
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit:
Das Stammzellgesetz schreibt nicht nur vor, dass man Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
nur unter bestimmten, engen und klaren Kriterien an hu- Herr Präsident, zunächst einmal vielen Dank dafür,
manen embryonalen Stammzellen forschen darf, sondern dass Sie das, was eine ernsthafte Regierungsbefragung
auch, dass die Bundesregierung dem Deutschen Bundes- sein soll, weg von der Farce hin zur parlamentarischen
tag alle zwei Jahre darüber Bericht zu erstatten hat, und Ernsthaftigkeit führen. Deshalb noch eine Rückfrage.
zwar im Rahmen eines Erfahrungsberichtes. Können Sie uns mit Blick auf den Bericht sagen, ob
(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- sich Anträge vorrangig auf die neu zugelassenen Stamm-
NEN]: Das weiß ich alles!) zelllinien beziehen oder ob es auch Anträge gibt, die sich
noch auf das „alte“ Material beziehen? Es wurde immer
Dieser wurde heute beschlossen. Dass er beschlossen argumentiert, dass die alten Stammzelllinien angeblich
wurde, habe ich berichtet. zu nichts mehr zu gebrauchen seien. Vielleicht habe ich
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 9981
Dr. Ernst Dieter Rossmann
(A) das bisher in Ihren Darlegungen überhört. Mich interes- nen Jahres wurde bekannt gegeben, dass Kooperationen (C)
siert, ob das sowohl für die neuen als auch für die alten mit US-amerikanischen Wissenschaftlern mit 12 Mil-
Anträge gilt und in welcher Relation die entsprechenden lionen Euro gefördert werden. Nach meiner Lesart
Anträge genehmigt worden sind; denn das war ein Ent- müsste das alles einer bestimmten strategischen Ausrich-
scheidungskriterium im Rahmen der Novellierung. Des- tung folgen. Inwieweit hat es dazu in der heutigen Kabi-
halb ist das eine sehr wichtige Information der Regie- nettssitzung eine Verständigung gegeben?
rung, die eigentlich aus dem ersten Überprüfungsbericht
hervorgehen sollte. Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit:
Es hat ja nicht nur im Kabinett, sondern selbstver-
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: ständlich auch vorher eine Verständigung gegeben. Der
Herr Abgeordneter, ich habe die Zahlen gerade ge- Bericht wurde von Frau Kollegin Schavan und mir ge-
nannt. Sie sind vielleicht ein bisschen untergegangen. Es meinsam erstellt. Es geht in der Tat auch darum, noch
gab 30 Anträge. Von Anfang an beziehen sich 17 An- einmal das Ergebnis der Debatte zu zeigen, die 2002 und
träge auf die neuen Stammzelllinien. Deshalb kann man dann im Zusammenhang mit der Novellierung beispiels-
davon ausgehen, dass sich die anderen 13 Anträge auf weise über die Änderungen der jeweiligen Fristen ge-
die alten Stammzelllinien beziehen. führt wurde. Das Ziel war damals, auf der einen Seite die
hohen ethischen Ansprüche zu erhalten und auf der an-
Präsident Dr. Norbert Lammert: deren Seite die Forschungsfähigkeit in Deutschland für
Kollege Henke. die Zukunft zu gewährleisten.
Der Bericht zeigt, dass genau das gelungen ist. Auf
Rudolf Henke (CDU/CSU): der einen Seite gibt es nach wie vor den hohen Schutz,
Herr Minister Rösler, wenn ich es recht verstehe, ist auch die ethische Bewertung wurde durch die Änderung
man zurzeit dabei, die grundsätzlichen Wirkungen und nicht verändert, gleichzeitig hat die deutsche For-
Wirkmechanismen der biologischen Aktivität von schungslandschaft die Möglichkeit, im Rahmen von in-
Stammzellen zu erschließen. Erst wenn dieses Element ternationaler Vernetzung – Sie haben das angesprochen –
der Grundlagenforschung verstanden sein wird, kann es im Forschungswettbewerb mithalten zu können. Genau
um die Frage gehen, ob es mehr Nutzen oder mehr Ri- das war das Ziel der Bundesregierung insgesamt, von
siko gibt. Mich interessiert deshalb, ob sich nach Ihrem Forschung und Gesundheit gleichermaßen.
Überblick überhaupt schon klinische Anwendungen in
den Anträgen abzeichnen und ob gegebenenfalls auch Präsident Dr. Norbert Lammert:
ein Schwerpunkt für diese Fragen der Nutzen-Risiko- Gibt es noch Fragen zu diesem Bereich? – Bitte (D)
(B)
Abwägung zu finden ist. schön, Frau Kollegin Hinz.
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit: Priska Hinz (Herborn) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Zum jetzigen Zeitpunkt ist dort kein klinischer Nut- Herr Minister, nachdem Sie vorhin auf meine Frage
zen erkennbar. Es geht nach wie vor um die Grundlagen- geantwortet haben, dass sich auch nach weiteren zwei
forschung. Wenn überhaupt, dann würde man mit Jahren die embryonale Stammzellforschung im Bereich
bestimmten embryonalen Stammzellen bestimmte Medi- der Grundlagenforschung befindet, möchte ich Sie fra-
kamente und toxikologische Eigenschaften testen. Mit gen: Könnten Sie uns vielleicht mitteilen, inwieweit bei
Blick auf klinische Anwendungen zeichnet sich in den der adulten Stammzellforschung die klinische Forschung
30 Anträgen aber bisher noch keine Entwicklung ab. vorangeschritten ist und ob es auf diesem Gebiet bereits
Therapien gibt? Wie wird die Strategie der Bundesregie-
Präsident Dr. Norbert Lammert: rung im Hinblick auf solche Unterschiede künftig ausge-
Frau Kollegin Sitte. richtet sein? Soll der Schwerpunkt künftig eher bei der
adulten Stammzellforschung liegen, oder wird er weiter-
Dr. Petra Sitte (DIE LINKE): hin bei der embryonalen Stammzellforschung liegen?
Herr Minister, gemäß Stammzellgesetz sind Sie der (Rudolf Henke [CDU/CSU]: Das ist eine Un-
Berichterstatter dieses alle zwei Jahre vorzulegenden terstellung! – Gegenruf der Abg. Priska Hinz
Berichts. Nun haben Sie in der heutigen Kabinetts- [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
sitzung über diesen Bericht gesprochen. Dennoch gibt es Das ist keine Unterstellung!)
eine gewisse Vernetzung zwischen dem Bundesministe-
rium für Bildung und Forschung und Ihrer Verantwort-
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Gesundheit:
lichkeit. Wie hat sich das Bundesministerium für Bil-
Ich kann mich an dieser Stelle nur wiederholen: Es
dung und Forschung zu Ihrem Bericht positioniert?
gab in der Tat Forschungsergebnisse, in deren Rahmen
Außerdem bezieht sich meine Frage auf die Ausfüh- vorgeschlagen wurde, sich andere Quellen zu erschlie-
rungen des Präsidenten. Welche Ableitung von konkre- ßen. Dies war mit großen Hoffnungen belegt, die aber
ten Strategien haben Sie unter Umständen in Ihren bei- nicht in vollem Umfang erfüllt wurden. Das ist ein sehr
den Häusern ins Auge gefasst? Wenn man sich das dynamischer Forschungsbereich. Eine Schlussfolgerung
Register des Robert-Koch-Instituts anschaut, dann stellt der Bundesregierung daraus ist, dass man sich heute
man eine breite Streuung fest. Im November vergange- nicht schon auf nur die eine oder andere Zellart wird
9982 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011
(A) Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Ich darf jetzt fragen, ob es Fragen zu anderen Themen (C)
desministerin für Bildung und Forschung: der heutigen Kabinettssitzung gibt. – Frau Kollegin
Herr Kollege Dr. Rossmann, selbstverständlich ist ein Dağdelen.
Kennzeichen der embryonalen Stammzellforschung, die
von den deutschen Wissenschaftlern verantwortlich be- Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
trieben wird, dass sie in großer Kooperation über die na- Herr Präsident, verzeihen Sie mir, wenn ich Ihnen
tionalen Grenzen hinaus durchgeführt wird. Dies ist im vorgreife. Es geht um ein Thema, das heute nicht auf der
Rahmen der gesetzlichen Vorgaben selbstverständlich Tagesordnung stand – –
auch hier der Fall. Wir erwarten uns von den intensiven
Kooperationen auch Erkenntnisfortschritte insgesamt.
Präsident Dr. Norbert Lammert:
Ich will, weil Sie Ihren Blick auch ein Stück weit auf Dann können wir auch schön der Reihe nach verfah-
die Forschung gerichtet haben, an dieser Stelle betonen, ren. Ich frage zunächst – Sie kommen ja dran –, ob es je-
dass man, wenn man den dritten mit dem vierten Stamm- manden gibt, der eine Frage zur heutigen Kabinettssit-
zellbericht vergleicht, feststellen muss, dass die Frage an zung stellen möchte.
Gewicht gewonnen hat, inwiefern die induzierten pluripo-
tenten Stammzellen, die sogenannten iPS-Stammzellen, (Zuruf von der LINKEN: Das ist doch zur Ka-
tatsächlich das gleiche Niveau, die gleichen Fertigkeiten binettssitzung! Wir haben Hartz IV im Ver-
haben wie die humanen embryonalen Stammzellen, mit mittlungsausschuss!)
denen wir eine ethische Problematik verbunden sehen. – Frau Kollegin Dağdelen hat doch gerade vorgetragen,
Es zeichnet sich ab, dass es nicht nur technologische sie bitte um Nachsicht, wenn sie eine Frage stellen
Schwierigkeiten bei der Reprogrammierung gibt – je- würde, die nichts mit der Kabinettssitzung zu tun habe.
denfalls dann, wenn man das gleiche Niveau wie bei hu- Daraufhin habe ich gesagt, dazu bekomme sie sicherlich
manen embryonalen Stammzellen erreichen will –, son- Gelegenheit. Nach unserer Geschäftsordnung erfolgt die
dern die Wissenschaftler beschäftigen sich in ihren Regierungsbefragung allerdings ganz präzise nach die-
Forschungsprojekten auch mit der Frage, ob die indu- sem Muster: Zunächst erfolgen Fragen zum vorgetrage-
zierten pluripotenten Stammzellen die gleiche Sicherheit nen Bericht, dann Fragen zu möglichen anderen Themen
bieten, damit sie später einmal – ich betone: später ein- der Kabinettssitzung und abschließend sonstige, von der
mal – therapeutisch angewandt werden können. Kabinettssitzung unabhängige Fragen.
Eine weitere Frage, die im Kern der nationalen, aber Nun haben wir uns gerade davon überzeugt, dass es
auch der internationalen Forschungsbemühungen steht, Fragen zu möglichen anderen Themen der Kabinettssit-
(B) lautet, ob eine reprogrammierte, eine induzierte pluripo- zung nicht gibt und dass wir deshalb zu anderen Fragen (D)
tente Stammzelle tatsächlich über die gleichen funktio- an die Bundesregierung kommen können. – Bitte schön,
nellen Eigenschaften verfügt wie eine humane embryo- Frau Kollegin Dağdelen.
nale Stammzelle.
Sevim Dağdelen (DIE LINKE):
Wenn Sie mir noch eine Bewertung gestatten: Die Vielen Dank, Herr Kollege Lammert. Es kann auch
Projekte, die im Stammzellbericht beschrieben werden, sein, dass es ein Missverständnis war. Ich möchte nun
befassen sich kaum mit der Forschung, die auf Therapie- aber zu meiner Frage kommen.
anwendung bezogen ist. Im Mittelpunkt steht vielmehr
die Frage, wie wir Stammzelllinien nutzen können, im Ich möchte gerne wissen, ob es heute im Kabinett auch
Bereich der Medikamentenentwicklung beispielsweise ein Gespräch zum Scheitern der Hartz-IV-Verhandlungen
im Rahmen von Wirkstoffscreenings oder pharma- bzw. gegeben hat. In diesem Zusammenhang möchte ich noch
toxikologischen Tests, bei denen man die Wirksamkeit einmal darauf hinweisen – und diesbezüglich bitte ich
bzw. Schädlichkeit eines Medikaments an Gewebe oder hier und heute um eine Stellungnahme seitens der Bun-
Zellkulturen erprobt, statt dies unmittelbar am Menschen desregierung –, welches Demokratieverständnis die Bun-
zu tun. desregierung an den Tag legt. Denn die Fraktion Die
Linke – diese ist bekanntlich eine Anti-Hartz-IV-Partei –
Präsident Dr. Norbert Lammert: ist von den Verhandlungsgesprächen der informellen Ar-
Mit Blick auf die noch verfügbare Zeit und weitere an- beitsgruppe des Vermittlungsausschusses, einem gemein-
gemeldete Fragewünsche an die Bundesregierung schließe samen Gremium des Bundestages und des Bundesrates,
ich diesen Teil jetzt. Er ist offenkundig weiterhin erläute- ausgeschlossen worden; diese informelle Arbeitsgruppe
rungs- und diskussionsbedürftig. ist übrigens illegal zustande gekommen.
Herr Lammert, Sie haben heute den Brief meines
(Priska Hinz [Herborn] [BÜNDNIS 90/DIE
Fraktionsvorsitzenden Gregor Gysi erhalten. Ich möchte
GRÜNEN]: Oh ja! Allerdings!)
fragen, was das für ein Verständnis von Demokratie ist
Dazu werden wir in verschiedenen Ausschüssen und Gre- und ob die Bundesregierung nicht auch glaubt, dass in-
mien Gelegenheit haben, zumal zu Recht darauf aufmerk- nerhalb Deutschlands die Politikverdrossenheit wächst
sam gemacht worden ist, dass sich auch der gesetzliche und die Glaubwürdigkeit der Politik bei den Bürgerinnen
Rahmen in einer eher untypisch breiten parlamentari- und Bürgern leidet, weil seit einem Jahr kein verfas-
schen Weise ergeben hat und wir mögliche Rollenkon- sungskonformes Ergebnis präsentiert werden kann und
flikte hier eigentlich am wenigsten auszutragen haben. die Frist abgelaufen ist.
9984 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011
Sevim Dağdelen
Daðdelen
(A) Es war schließlich möglich, innerhalb einer Woche Meine zweite Frage, die sich anschließt, ist: Warum (C)
ein Bankenrettungspaket zu schnüren. Es war allerdings muss ein Hartz-IV-Empfänger bei einem Meldeversäum-
nicht möglich, innerhalb eines Jahres eine verfassungs- nis mit der Streichung seiner Gelder rechnen, während
konforme Regelung bezüglich des Existenzminimums die Bundesregierung, die ein Urteil nach einem Jahr
für Hartz-IV-Empfänger zu treffen. Was gedenken Sie noch nicht umgesetzt hat, keine Strafauflagen erhält? Es
insofern zu tun? gibt keine Nachzahlungsfristen, die vielleicht sogar zu-
gunsten der Hartz-IV-Empfänger wären. Hier wird eine
Präsident Dr. Norbert Lammert: Nichthandlung sozusagen straffrei gesetzt, das heißt, es
erfolgt keine Strafe, obwohl ein demokratischer Prozess
Zur Beantwortung der Staatsminister im Kanzleramt.
nicht eingehalten wurde.
Bitte schön, Herr Kollege von Klaeden.
(A) Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): Ausbau von Bundesfernstraßen, und wie ist dieser Wert im (C)
Vergleich zu den anderen Bundesländern zu bewerten?
Der Bundesrechnungshof hat gesagt, dass die private
Vorfinanzierung der Bundesfernstraßen quasi die glei- Herr Staatssekretär.
chen Auswirkungen hat wie eine Kreditaufnahme des
Bundes. Wie steht die Bundesregierung auch mit Blick
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim
auf die Schuldenbremse in Zukunft zur Vorfinanzierung
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
solcher Straßen?
Im Land Baden-Württemberg liegen bestandskräftige
Planfeststellungsbeschlüsse für Vorhaben bzw. Ab-
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim schnitte von Vorhaben des Bedarfsplans für die Bundes-
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: fernstraßen, deren Finanzierung derzeit noch nicht gesi-
In großer Verantwortung und auch in Absprache mit chert ist, mit einem Kostenvolumen zulasten des Bundes
dem BMF haben wir die verschiedenen Projekte aus den von rund 700 Millionen Euro vor. Baden-Württemberg
zwei Staffeln in die Wege geleitet. In der ersten Staffel hat im Vergleich zu den anderen Bundesländern zurzeit
sind es vier Projekte, von denen zwei schon abgeschlos- ein sehr großes Volumen von bestandskräftigen planfest-
sen sind. Denken Sie nur an die A 8 zwischen München gestellten Maßnahmen. Nur der Freistaat Bayern weist
und Augsburg. Dieses Projekt haben wir in Rekordzeit ein noch größeres Volumen auf.
und mit positiven Erfahrungen verwirklicht.
Auch Projekte der zweiten Staffel wie der Abschnitt Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Augsburg–Ulm sind in der Umsetzung. Wir führen die Haben Sie eine Nachfrage? – Bitte schön.
Vorhaben in zwei Staffeln durch, um aus den Erfahrun-
gen zu lernen. Im zuständigen Fachausschuss haben wir
Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
schon des Öfteren über die Vor- und Nachteile geredet.
Jede Ausschreibung wird mit den Erfahrungen aus den Sieht die Bundesregierung die Schwierigkeit, dass
vorhergehenden Projekten abgestimmt. Unser Ziel ist es, sich angesichts des Zeitraums, bis planfestgestellte Bun-
die ÖPP-Projekte, die unter einer anderen politischen desfernstraßen tatsächlich realisiert werden – ich weise
Leitung des BMVBS in zwei Staffeln auf den Weg ge- auf das Beispiel Stuttgart 21 hin –, die Prämissen zwi-
bracht wurden, entsprechend umzusetzen. schenzeitlich vielleicht ändern? Wie steht die Bundes-
regierung dazu?
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim
Haben Sie eine weitere Nachfrage? – Das ist der Fall.
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
(B) Bitte sehr. (D)
Frau Kollegin Schwarzelühr-Sutter, Sie haben das
Projekt Stuttgart 21 genannt. Stuttgart 21 ist kein Projekt
Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): des Bundes, sondern nur die Strecke Wendlingen–Ulm
Gibt es Unterschiede zwischen den ÖPP- oder PPP- ist in unserer Verantwortung. Es besteht auch kein Zu-
Projekten und anderen privat vorfinanzierten Projekten? sammenhang mit den Straßenbauprojekten in Baden-
Württemberg.
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim
Man muss dazu sagen, dass wir allein in Baden-
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
Württemberg Projekte mit einem Kostenvolumen von
Man kann keinen Abschnitt und kein Projekt mit dem rund 1,4 Milliarden Euro im Bau haben. Daher haben
anderen vergleichen. Es gibt kein standardisiertes Ver- wir eine starke Verpflichtung, die Baustellen wirtschaft-
fahren. Beim Albaufstieg erfolgt jetzt eine neue Berech- lich abzuwickeln und die Projekte fertigzustellen. Natür-
nung, weil die bekannten Modelle nicht passgenau sind. lich gibt es durch den Anstieg der Verkehre einen erhöh-
Man muss auch einen privaten Partner finden, der die ten Bedarf. Wir können allerdings nicht jedem Begehren
Projekte umsetzt, damit durch privates Kapital neue In- nach einer Ortsumfahrung nachkommen. Für uns besteht
vestitionen in die Infrastruktur möglich werden. der Druck, die jetzt begonnenen Baumaßnahmen abzuar-
Es gibt, wie gesagt, kein standardisiertes Verfahren. beiten. In dem Sinne gibt es eine enge Kooperation mit
Erstens lernen wir aus den schon laufenden Projekten, der Auftragsverwaltung in Baden-Württemberg, damit
und es wird das Ganze evaluiert. alles möglich gemacht wird, um den Investitionsberg ab-
zubauen und bedarfsorientiert zu arbeiten.
Das Zweite ist, dass jedes Projekt in Abstimmung mit
dem Bundesrechnungshof und dem BMF erneut analy- Ich weiß, dass es viele Gespräche mit den Abgeordne-
siert wird und demnach die Entscheidungen anhand der ten über die einzelnen Projekte gibt. Es gibt da neuralgi-
passgenauen Berechnungen für das einzelne Projekt ge- sche Punkte, bei denen wir momentan keine Finanzie-
troffen werden. rung in Aussicht stellen können, weil wir in der
Verpflichtung für die bereits laufenden Projekte sind. Da
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: sind wir auch in der Verantwortung gegenüber dem
Haushalt.
Dann kommen wir zur Frage 4 der Abgeordneten Rita
Schwarzelühr-Sutter:
In welchem Ausmaß verfügt das Land Baden-Württem-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
berg über bestandskräftig planfestgestellte Projekte für den Eine weitere Nachfrage. Bitte sehr.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 9987
(A) Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): troffen sein? Vielleicht können Sie das nach Bundeslän- (C)
Was gedenkt die Bundesregierung gegen die chroni- dern aufschlüsseln.
sche Unterfinanzierung zu tun, die zum Beispiel in Ba-
den-Württemberg und in Bayern erkennbar ist? Wie wird Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim
sie sich verhalten, wenn es bei den Planfeststellungsbe- Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
schlüssen eine weitere Beschleunigung gibt? Herr Kollege Beckmeyer, momentan laufen Beratun-
gen im Haushaltsausschuss. Der Haushaltsausschuss hat
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim den infrage stehenden Bericht angefordert. Er ist am
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: 26. Januar zugegangen. Wir haben die Meldung bekom-
Frau Kollegin Schwarzelühr-Sutter, bei uns gibt es men, dass der Haushaltsausschuss aufgrund der umfang-
immer Überlegungen, wie wir die Finanzierung der Ver- reichen Überlegungen des BMVBS erst heute beraten
kehrsinfrastruktur auch in Zukunft sicherstellen können. kann. Meine Kollegen sind gerade im Ausschuss und er-
Natürlich vertrauen wir da auch auf die Mithilfe der läutern den Aufbau und die Neustrukturierung der Orga-
SPD-Fraktion, dass sie der Koalition im Haushaltsaus- nisation. Basierend auf diesen Grundüberlegungen, wer-
schuss bei dem Bemühen, dem Bundesministerium für den die Diskussionen im Haushaltsausschuss und in der
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung für die nächsten Folge im zuständigen Fachausschuss, der heute eine An-
Jahre eine konstante Investitionslinie zu garantieren, hörung beschlossen hat, geführt. Von daher gibt es genü-
kräftig unter die Arme greift. Das haben wir mit diesem gend Möglichkeiten, darüber zu diskutieren. Es wäre
Haushalt dank der Koalitionsbeschlüsse weitgehend er- völlig verfrüht, jetzt über einzelne Ämter zu diskutieren.
reichen können. Somit ist das BMVBS weiterhin das In-
vestitionsministerium des Bundes. Entsprechend diesem Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Zeitplan werden wir die Projekte, die planfestgestellt Haben Sie eine weitere Nachfrage? – Bitte schön.
sind, verantwortungsvoll abarbeiten. Aber ich bedanke
mich jetzt schon für Ihre Mithilfe.
Uwe Beckmeyer (SPD):
(Florian Pronold [SPD]: Scherzkeks!) Wir sind hier im Plenum, Herr Staatssekretär. Sie sa-
gen, Sie arbeiteten daran. Sie haben einen Vorschlag ge-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: macht. Vielleicht können Sie dem Deutschen Bundestag
Wir kommen jetzt zur Frage 5 des Abgeordneten Uwe sagen, welche Außenbetriebe, Ämter und Direktionen
Beckmeyer: kurz- oder mittelfristig von den Änderungen, die Sie
dem Haushaltsausschuss vorschlagen, betroffen sein
Welche konkreten Konsequenzen werden aus Sicht der
Bundesregierung die in dem Bericht des Bundesministeriums
werden.
(B) (D)
für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung zur Reform der Was-
ser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes, WSV, enthalte- Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim
nen Handlungsempfehlungen für die WSV haben?
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
Bitte schön, Herr Staatssekretär. Herr Kollege Beckmeyer, der 27 Seiten umfassende
Bericht liegt Ihrer Fraktion vor. Er stellt das Grundgerüst
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim dar und enthält die Aufgabenstellung aus dem Haus-
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: haltsausschuss. Ich kann gerne diese 27 Seiten vorlesen.
Das Konzept zur Neustrukturierung des Wasserstra- Aber ich glaube, dass es besser ist, das nicht zu tun; denn
ßennetzes wurde dem Haushaltsausschuss zugeleitet. Es es gibt im Vorfeld der Anhörung noch genügend Mög-
wird zur Stunde beraten. lichkeiten, darüber zu sprechen. Zuerst sollten sich die
zuständigen Ausschüsse mit dem Grundkonzept befas-
Im Anschluss daran werden die Aufgaben und die sen; dann folgt die Anhörung. Es gibt also genügend
Personalstruktur sowie die Aufbauorganisation der WSV Möglichkeiten, darüber zu diskutieren und Abwägungen
der neuen Netzstruktur angepasst. Ziel ist: Ausbau, Un- vorzunehmen.
terhaltung und Betrieb von Bundeswasserstraßen mit ho-
her Verkehrsbedeutung und damit eine Priorisierung die- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
ser vor Wasserstraßen mit geringer oder sogar fehlender Eine Nachfrage? – Bitte schön.
Verkehrsfunktion. Die Personal- und Aufbauorganisa-
tion der WSV wird daran angepasst.
Florian Pronold (SPD):
Herr Staatssekretär, vielleicht ist es doch möglich, ein
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: bisschen mehr zur Sache zu antworten und sich weniger
Sie haben eine Nachfrage. Bitte sehr. in Ausflüchte zu begeben. Sie haben in dem Bericht, den
Ihr Haus der Bundesregierung vorgelegt hat, das Fehlen
Uwe Beckmeyer (SPD): höherwertiger Planstellen und den Beförderungsstatus
Frau Präsidentin, danke schön. – Sie sind nach Art. 65 im gehobenen und höheren Dienst bei der Wasser- und
des Grundgesetzes für Ihren Geschäftsbereich selbst- Schifffahrtsverwaltung des Bundes angesprochen und
ständig und eigenverantwortlich zuständig und dürfen festgestellt, dass das zur Abwanderung von Fachperso-
sich nicht hinter dem Haushaltsausschuss verstecken. nal in andere Verwaltungen und in die Privatwirtschaft
Herr Staatssekretär, meine Frage lautet: Welche Direk- geführt hat. Was gedenkt die Bundesregierung denn zu
tionen und Ämter werden von einem Stellenabbau be- tun, um das zu unterbinden?
9988 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011
(A) Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim schutzpolizei und Technisches Hilfswerk und denen des (C)
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Bergungsunternehmens ein Wort des herzlichen Dankes
Durch das Modernisierungskonzept der Verwaltung und der Anerkennung für die schwierige Arbeit sage, die
wollen wir sicherstellen, dass der Sachverstand im Haus sie dort mit großer Verantwortung geleistet haben.
bleibt. Die WSV ist ein absolutes Flaggschiff, wenn es
um die Ausbildung junger Menschen geht. Wir haben in (Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP
der Vergangenheit – auch schon, als die Leitung des und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie
Hauses von Mitgliedern Ihrer Fraktion ausgeübt wurde – bei Abgeordneten der LINKEN)
etwa 5 000 Stellen abgebaut. Wir werden die Strukturen Sie haben an erster Stelle die Sicherheit gewährleistet,
mit dem infrage stehenden Konzept weiter verschlanken aber auch die Interessen der Binnenschifffahrt berück-
und damit die Schlagkraft erhöhen, sodass die Attrakti- sichtigt. Als Chemielaborant weiß ich, dass 2 400 Ton-
vität für die Mitarbeiter gesteigert wird. nen hochkonzentrierte Schwefelsäure durchaus mit einer
(Florian Pronold [SPD]: Das hat aber nichts Bombe zu vergleichen sind. Darauf haben diese Men-
mit meiner Frage zu tun!) schen gearbeitet.
Herr Staatssekretär, Sie haben zu den Fragen meiner
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Kollegin, was die mögliche Abwanderung von Fachkräf-
Bitte schön. ten angeht, Stellung genommen. Nach Ihrem Konzept
wird im Osten dieses Landes nichts mehr neu gebaut.
Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): Deswegen besteht die Gefahr, dass die Neubauämter, die
Welche konkreten Maßnahmen, Herr Staatssekretär, es dort gibt, aufgelöst werden. Wie wollen Sie verhin-
hat die Bundesregierung unternommen bzw. wird sie un- dern, dass die Fachkräfte abwandern?
ternehmen, um künftig die Abwanderung von Fachper-
sonal zu verhindern? Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Herr Kollege Herzog, herzlichen Dank für dieses Lob
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: der Verwaltung und der Beteiligten. Es ist wichtig, deren
Ihre Frage deckt sich ungefähr mit der des Kollegen Arbeit hervorzuheben; denn eine sachkundige Verwal-
Pronold. tung ist wichtig zur Bewältigung einer Havarie. Wir
müssen diese Havarie auswerten und mögliche Havarien
(Florian Pronold [SPD]: Die Sie nicht beant-
bei dem Modernisierungskonzept berücksichtigen; denn
wortet haben!)
(B) wir müssen auch nach einer Reform auf solche Havarien (D)
Ich möchte die Verteilung der Planstellen nach Lauf- reagieren können und den Schutz der Bevölkerung und
bahngruppen darlegen: einfacher Dienst 3 Prozent, hö- der Binnenschifffahrt gewährleisten.
herer Dienst 5 Prozent, 18 Prozent gehobener Dienst.
Der Rest ist mittlerer Dienst. Der Haushaltsausschuss hat uns die Aufgabe gestellt,
Strukturen zu ändern. Der Auftrag ist nicht neu, also
Sie sehen, dass wir mit den Stellen und Planstellen nicht von 2010; ich möchte auf den Beschluss des Haus-
der WSV in den Laufbahngruppen rund 9 800 überwie- haltsausschusses vom 26. Januar 2005 verweisen, in
gend Tarifbeschäftigte im mittleren Dienst haben, im ge- dem eine konsequente Aufgabenkritik und Prozessopti-
hobenen und höheren Dienst sind es 2 800, vor allem In- mierung gefordert wurden. Der Haushaltsausschuss hat
genieure, Juristen, Nautiker und Verwaltungswirte. Es ist schon damals aufgrund eines Berichts des Bundesrech-
das Ziel der Verwaltungsreform, die Verwaltung so at- nungshofes das BMVBS aufgerufen, Modernisierungs-
traktiv zu gestalten, dass der Sachverstand dort gehalten schritte einzuleiten. Diese Aufgabe, die über Jahre liegen
werden kann. Das war die Aufgabenstellung einer Kon- geblieben ist, haben wir aufgrund der Erneuerung des
zeptgruppe, die schon ab dem Jahr 2005 getagt hat, also Beschlusses des Haushaltsausschusses wieder in Angriff
zu einer Zeit, als das BMVBS unter Ihrer Leitung stand. nehmen müssen. Die kommende Struktur wird zentraler
und schlanker sein.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
(Uwe Beckmeyer [SPD]: Ein Zentralamt! Nun
Herr Herzog, bitte.
wissen wir es!)
Gustav Herzog (SPD): Wir werden das Fachpersonal und damit den Sachver-
Frau Präsidentin! Bevor ich dem Staatssekretär eine stand im Hause behalten, weil die Verwaltung an Attrak-
weitere Frage zu der möglichen Gefahr der Abwande- tivität gewinnen wird.
rung von Fachkräften stelle, will ich als Abgeordneter
aus Rheinland-Pfalz und Berichterstatter für die Binnen- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
wasserstraßen und die Binnenschifffahrt etwas zu der Jetzt hat der Kollege Groß eine Nachfrage.
Havarie auf dem Rhein sagen. Ich war am Freitag vor
Ort. Ich glaube, ich spreche im Namen aller Kolleginnen
und Kollegen, wenn ich den Mitarbeiterinnen und Mitar- Michael Groß (SPD):
beitern der Wasserschifffahrtsverwaltung, aber auch de- Können Sie etwas zur angedachten Aufgabenbe-
nen der anderen Organisationen wie Feuerwehr, Wasser- schreibung des Wasserstraßen-Neubauamtes Datteln sa-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 9989
Michael Groß
(A) gen? Können Sie vor allen Dingen dort einen Perso- nach werden wir die Veränderungsvorschläge des Parla- (C)
nalabbau ausschließen? ments mit berücksichtigen.
Kirsten Lühmann
(A) Ich möchte in diesem Zusammenhang, anschließend form der WSV eingebunden. Auch als erfahrenes Haus- (C)
an die Kollegin Kumpf, noch einmal grundsätzlich auf haltsausschussmitglied haben Sie schon seit Jahren die
Havarien eingehen. Denn bei der Veränderung der Was- Möglichkeit gehabt, an dieser Reform mitzuarbeiten.
ser- und Schifffahrtsverwaltung muss man sich auch Ge- Unser Ziel ist es, mit dieser Priorisierung vor allem für
danken darüber machen, ob die Verwaltung personell die Hauptstrecken, auf denen die größte Belastung ist,
und technisch ausreichend gerüstet ist, um in solchen die absolut beste Abdeckung zu haben, dort auch in Be-
Fällen Nothilfe zu leisten. zug auf die Investitionen einen Schwerpunkt zu bilden.
Wir werden weiter sicherstellen, dass in einer gewissen
Ich kann vermuten, was Sie mir jetzt als Antwort sa- Zeit auch andere Wasserstraßen, Wassertourismusstra-
gen: Sie müssten noch evaluieren. Dann sagen Sie mir ßen beispielsweise, dann, wenn es zu Unfällen kommt,
aber bitte, wann diese Evaluierung abgeschlossen ist, von uns, von der Verwaltungsseite, abgedeckt werden
wann wir die Ergebnisse erhalten, damit wir sie in un- können; das ist selbstverständlich. Aber auf einer Was-
sere Beratungen mit einbeziehen können. sertourismusstraße ist es anders als auf einer Vorrang-
wasserstraße, auf der es viele Verkehre gibt. Sie haben
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim gesehen, zu welchen Staus es durch die Havarie gekom-
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: men ist. Von daher haben wir die Aufgabe, vor allem die
Frau Kollegin Lühmann, was die aktuelle Havarie an- Hauptwasserstraßen in einem perfekten Zustand zu hal-
geht, müssen wir erst einmal diesen Fall abschließen, be- ten.
vor wir zu einer Auswertung kommen können.
Wenn Sie sich den Fluss anschauen, auf dem die Ha- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
varie passiert ist, stellen Sie fest, dass das die wichtigste Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Kahrs auf:
Wasserstraße in Deutschland ist. Sie wird von der Ver- Beabsichtigt die Bundesregierung, die WSV aufzufordern,
waltungsseite her auch in Zukunft bestens abgedeckt. Es weitere Aufgaben über das jetzige Maß hinaus auszuschreiben
geht sogar um eine Verstärkung der Stärken, die wir im und an Dritte abzugeben?
Wasserstraßensystem haben. Von daher können Sie ganz
beruhigt sein. Gerade die am meisten belasteten Wasser- Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim
straßen werden von der Verwaltungsstruktur her gut ab- Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
gedeckt sein. Herr Kollege Kahrs, aufgrund der haushaltsgesetz-
lichen Einsparauflagen seit 1993 und der im Zuge der
Dass wir externen Sachverstand brauchen – es gibt
weiteren Haushaltskonsolidierung zu erwartenden zu-
Private, die schon jetzt Schleusen betreiben und vieles
sätzlichen Personaleinsparungen bei allen Bundesbehör-
mehr –, wird auch in Zukunft kein Sonderfall sein, son-
(B) dern es wird im Infrastrukturbereich immer Realität sein, den werden auch weitere Aufgaben der WSV an Dritte (D)
vergeben. Das deckt sich mit der Antwort, die ich vorher
dass man sich Private als zusätzliche Hilfe holt, auch un-
der Kollegin Kumpf gegeben habe.
ter Optimierungsaspekten, wobei die Qualität nicht auf
der Strecke bleiben darf.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Haben Sie eine Nachfrage? – Bitte sehr.
Die nächste Nachfrage kommt vom Kollegen Kahrs.
Johannes Kahrs (SPD):
Johannes Kahrs (SPD): Herr Staatssekretär, im Bericht vom 27. Oktober 2010
aus Ihrem Hause schreiben Sie, dass der Betreuungsauf-
Herr Staatssekretär, im Handelsblatt von gestern gibt
wand für Vergabeverfahren deutlich gestiegen ist, das
es einen Artikel mit der Überschrift „Das ist Ramsauers
Nachtragsmanagement während der Auftragserledigung
Abwrackkarte“. Darin steht, wie Sie wichtige Flussab-
erheblich umfangreicher und komplexer geworden ist
schnitte verfallen lassen wollen und wie Sie verfügbare
und die Ausführungsqualität nachgelassen hat. Sie
Sach- und Personalressourcen auf Teile der Wasserstra-
schreiben also selber, dass die Wasser- und Schifffahrts-
ßeninfrastruktur konzentrieren wollen, die ein hohes
verwaltung – ich zitiere – „nicht in der Lage ist, weitere
oder ein sehr hohes Verkehrsaufkommen haben. Das ha-
Vergaben zu generieren“. Das passt eigentlich überhaupt
ben Sie eben geschildert und bestätigt.
nicht zu dem, was Sie eben gesagt haben. Mich würde
Meine Frage ist, wie Sie denn künftig gewährleisten also interessieren, wie Sie zu den Ausführungen Ihres ei-
wollen, dass es dann, wenn Personal aus weiter Entfer- genen Hauses stehen.
nung anreisen soll, nicht zu unnötigem Zeitverlust und
zu einer Überlastung der Einsatzkräfte kommt. Das kann Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim
natürlich gerade bei solch extremen Gefahrensituationen Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
von Bedeutung sein, wenn man es zeitlich gar nicht Herr Kollege Kahrs, ich stehe natürlich zu tausend
schaffen kann. Prozent zu den Ausführungen meines Hauses; aber seit
Oktober hat sich halt auch einiges getan. So sind wir in
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim der Aufgabenkritik und Prozessoptimierung einen
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Schritt weitergekommen, was die Aufgabenstellungen
Herr Kollege Kahrs, Sie waren als Berichterstatter für seitens Bundesrechnungshof und Haushaltsausschuss
den Verkehrsausschuss in alle Diskussionen um die Re- angeht. Wir müssen diese Erfahrungen einbeziehen,
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 9991
Parl. Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer
(A) wenn wir einen Auftrag an Private vergeben. Das heißt, viel externer Sachverstand eingekauft. Gleichwohl muss (C)
wir werden auch an dieser Stelle, bei der Vergabe an Pri- ja alles kontrolliert und auf Rechtmäßigkeit und Stand
vate, wozu wir durch die Reform ja noch mehr angehal- der Technik überprüft werden. Können Sie mir Beispiele
ten werden, gemäß der Aufgabenkritik zu Verbesserun- nennen, bei denen die Übernahme von Aufgaben durch
gen kommen, vor allem die Aufgaben so definieren, dass Private günstiger war als die Durchführung durch die
es eine Partnerschaft aus Verwaltung und Privaten gibt. Wasser- und Schifffahrtsverwaltung?
Aus diesen Erfahrungen werden wir natürlich bei der
Aufgabenkritik unsere Schlüsse ziehen. Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Beckmeyer, ich kann Ihnen gern zehn Beispiele
Herr Kahrs, Sie haben eine weitere Nachfrage. Bitte aus den verschiedensten Aufgabenbereichen ausarbeiten
schön. lassen. Dann können Sie sehen, dass es sowohl positive
als auch negative Beispiele gibt. Genauso ist es bei der
Johannes Kahrs (SPD): Schiene und bei der Straße. Das ist ja nichts Neues. Wir
In dem Beschluss des Haushaltsausschusses, der eben handhaben es nämlich so, dass wir die Aufgabenerfül-
erfolgt ist, schreiben Sie, dass Sie von einer Auftragsver- lung bewerten. Wir diskutieren hier also nicht über neue
waltung zu einer Gewährleistungsverwaltung kommen Sachverhalte, sondern genauso wie wir bei Bau- und Un-
wollen, das heißt, deutlich mehr privatisieren wollen. terhaltsmaßnahmen bei anderen Verkehrsträgern Externe
Dem haben CDU/CSU, FDP und die Grünen zuge- hinzuziehen, werden wir auch hier vorgehen und die
stimmt. Demnach glauben Sie also, dass Private künftig Durchführung der Arbeiten immer wieder beurteilen.
kostengünstiger, qualitativ hochwertiger, schneller und Wir werden Ihnen also zehn Beurteilungen nachreichen,
zuverlässiger diese Aufgaben erledigen können als Ihre damit Sie im Rahmen der Anhörung mit diesen Beispie-
eigene Verwaltung. Ich würde dazu gerne noch einen len arbeiten können.
Kommentar von Ihnen hören; denn Sie sind ja schließ- (Uwe Beckmeyer [SPD]: Danke schön!)
lich die Spitze des Hauses, das Sie hier selber kritisieren.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Herr Pronold zu einer Nachfrage, bitte.
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
Herr Kollege Kahrs, zunächst einmal: Die Spitze des
Florian Pronold (SPD):
Hauses ist Bundesminister Dr. Ramsauer, dem ich sehr
Zum Komplex „Vergabe nach außen“ eine weitere
(B) gerne zuarbeite. Das Zweite ist: Die Grünen haben heute Frage: Wie haben sich denn in den letzten Jahren das (D)
im Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
ähnlich wie bei Fragen der Bahn die Koalition insofern Nachtragsmanagement und die Überwachung der nach
unterstützt, als es unsere Aufgabe ist, Belastungsspitzen, außen vergebenen Tätigkeiten entwickelt? Welche zu-
die sich gerade bei Neubauten ergeben, in der Form ab- sätzlichen Anforderungen sind da auf die WSV zuge-
zufedern, dass zusätzlich zu der in der Verwaltung vor- kommen?
gehaltenen Sachkompetenz Externe für einen überschau-
baren Zeitraum herangezogen werden. Damit fallen Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim
geringere Fixkosten an, als wenn ein Apparat vorgehal- Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
ten werden müsste, der auf Spitzenbelastungen ausgelegt Zusätzliche Aufgaben haben sich vor allem in Bezug
ist. Das ist doch selbstverständlich. Beim Straßenbau auf Neubaumaßnahmen, die wir machen müssen, erge-
und bei der Schiene machen wir es ja genauso. Auch bei ben. Denken Sie nur an die komplizierten Verfahren bei
der Wasserstraßenverwaltung ist es natürlich unsere den Beispielen, die ich vorhin genannt habe, wie Elbver-
Pflicht, dann, wenn es zu Belastungsspitzen in Bezug auf tiefung, Weservertiefung, Maßnahmen beim Nord-Ost-
Bauausführung und Planung kommt, externen Rat hin- see-Kanal oder, Herr Kollege Pronold, Donau-Ausbau.
zuzuholen. Das wird vor allen Dingen dann der Fall sein,
wenn es um Elbvertiefung, Weservertiefung, Maßnah- (Florian Pronold [SPD]: Das wird eh nichts!)
men beim Nord-Ostsee-Kanal und ähnliche Dinge geht. Gerade beim Donau-Ausbau, gegen den Sie seit Jahren
Zur Erfüllung dieser Aufgaben, die uns ordentlich bin- massiv kämpfen, gibt es ja komplizierte Anforderungen.
den, brauchen wir externen Sachverstand.
(Uwe Beckmeyer [SPD]: Es geht um das
(Johannes Kahrs [SPD]: Also, mit Schwarz- Nachtragsmanagement, Herr Kollege!)
Grün haben wir in Hamburg keine guten Er-
fahrungen gemacht!) Ich nenne zum Beispiel die Aufgaben, die im Zuge des
intensiven Bürger- und vor allem Expertendialogs im
Lenkungsausschuss und in der Monitoringgruppe etc.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
auf uns zugekommen sind. Hier mussten Zusatzbohrun-
Herr Beckmeyer. gen vorgenommen und Gutachten erstellt werden, die
ökologische Fragen untersuchen. Das alles wird nicht
Uwe Beckmeyer (SPD): weniger. Die Großprojekte werden immer umfangrei-
Herr Staatssekretär, über die Wasser- und Schiff- cher. Auch ist gewünscht, einen breiten Dialog zu füh-
fahrtsverwaltung wurde in den letzten Jahren schon sehr ren.
9992 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011
(A) Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim ben. Das heißt, für die weitere Umsetzung des Kernauf- (C)
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: gabengutachtens müssen wir weiterhin die Aufgaben – –
Herr Kollege Herzog, ich habe die Reformbemühun- (Ute Kumpf [SPD]: Jetzt fehlen die Worte!)
gen der Koalition, aber vor allem der Kolleginnen und
Kollegen der FDP-Fraktion nicht so verstanden, dass zu – Entschuldigung, jetzt habe ich den Faden verloren.
150 Prozent alles nach außen vergeben und privatisiert
(Uwe Beckmeyer [SPD]: Und das schon seit
werden muss. Vielmehr werden wir nach dieser Reform
geraumer Zeit!)
eine schlagkräftige, modernisierte Verwaltung haben, die
natürlich, so wie jetzt auch, den externen Sachverstand Die Umsetzung der Kernaufgaben wird in einem Gut-
von Privaten zur Abwicklung der Aufgaben braucht. achten geklärt – Entschuldigung, das habe ich falsch
wiedergegeben –, wo noch fehlende Fragen zu klären
Ich möchte noch einmal auf das Modernisierungskon-
sind. Mit diesem Kernaufgabengutachten werden Sie
zept und dessen Ziele Bezug nehmen. Die verkehrspoliti-
den Katalog bekommen, in dem steht, was nach außen
schen Anforderungen, zumindest in Bezug auf die Wasser-
vergeben wird und was bei der Verwaltung bleibt.
straßen mit hohem Verkehrsaufkommen, müssen erfüllt
werden. Die Aufträge aus dem Koalitionsvertrag für die
laufende Legislaturperiode, nach denen die WSV für wei- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
tere Aufgaben – Wassertourismus, Naturschutz, Umwelt- Herr Pronold, Sie haben eine weitere Nachfrage.
schutz, Hochwasserschutz – eingesetzt werden soll, müs-
sen umgesetzt werden, um die Fachkompetenz der WSV Florian Pronold (SPD):
langfristig zu sichern und die Effizienz zu steigern. In die- Erstens glaube ich, dass „fehlende Fragen“ sehr
sem Sinne wird diese Reform umgesetzt. schwer zu klären sind, Herr Staatssekretär; denn wenn
sie fehlen, sind sie nicht gestellt worden, und dann kann
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: man sie auch nicht klären.
Jetzt kommen wir zur Frage 7 des Kollegen Pronold:
Wird die Bundesregierung weitere Schritte unternehmen, Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim
um die WSV in eine Gewährleistungsverwaltung umzustruk- Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
turieren, wie dies in dem Antrag der Koalitionsfraktionen der Danke, Herr Kollege Pronold, für die Belehrung; ich
CDU/CSU und FDP im Haushaltsausschuss des Deutschen bin sehr dankbar dafür.
Bundestages vom 27. Oktober 2010 formuliert ist?
(A) Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD): nahmen, die Sie angesprochen haben, umgesetzt wer- (C)
Herr Staatssekretär, inwieweit spiegelt die Äußerung den?
des verkehrspolitischen Sprechers der FDP-Fraktion,
dass es sich bei der WSV um „eine extrem große Ver- Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim
waltung für relativ wenig Verkehrsgeschehen“ handelt, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
die Haltung der Bundesregierung wider? Ich kann mich nur wiederholen: Zentrale Aufgaben
sind die Aufrechterhaltung der Sicherheit und Leichtig-
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim keit des Schiffverkehrs, Überwachung und Vorhaltung ent-
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: sprechender Tauchtiefen, bedarfsgerechter Ausbau der In-
Die Wasserstraßen bilden eine wichtige Säule im ver- frastruktur, Hindernisbeseitigung, Betrieb von Schleusen,
kehrsträgerübergreifenden Ansatz des Bundesministe- Schiffshebewerken und Wehranlagen, die Verkehrsrege-
riums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Der ver- lung, -überwachung, -beratung und -lenkung einschließ-
kehrspolitische Sprecher der FDP-Fraktion hat, so wie lich der hierfür erforderlichen verkehrstechnischen
ich ihn verstehe, die Wasser- und Schifffahrt mit anderen Einrichtungen, Seezeichen und Fahrwasserkennzeich-
Verkehrsträgern verglichen. Damit wollte er nicht die nungen, Leuchtfeuer, Radaranlagen, Funkstationen, Ver-
Wasserstraßen in Misskredit bringen, sondern darauf kehrs- und Revierzentralen, Abwehr von Gefahren für
hinweisen, dass wir ein Kernnetz haben, das für den Lo- den Zustand der Bundeswasserstraßen, den Schiffsver-
gistikweltmeister Deutschland äußerst wichtig ist. Sein kehr sowie von Gefahren, die von der Schifffahrt ausge-
Vergleich dürfte auf die Tonnenkilometern bzw. die be- hen, also Verkehrsüberwachung, Verkehrslenkung und
förderten Tonnen der verschiedenen Verkehrsträger ver- Havariemanagement. Diese Aufgaben bleiben erhalten.
weisen. Er steht damit nicht im Widerspruch zum Bun- Herr Kollege Behrens, zum zweiten Teil Ihrer Frage,
desministerium. der sich auf die Zukunft der Verwaltung bezieht. Wir dis-
Die FDP-Fraktion hat des Öfteren bewiesen, wie kutieren gerade über ein Basiskonzept genau dafür. Es
wichtig ihr die Wasserstraßen sind. Ich glaube, dass Sie hält fest, wie die Verwaltung 2020 aussehen soll. Das ist
die Haltung der FDP-Fraktion mit dem Zitat, das Sie die Grundlage der Diskussion sowohl im Parlament als
wiedergegeben haben, verkürzt darstellen; denn die auch in der Öffentlichkeit. Sie haben die Möglichkeit,
Überlegungen der FDP-Fraktion zum Modernisierungs- sich mit Ihrer Fraktion bei der bevorstehenden Anhörung
prozess gehen sehr weit. im zuständigen Fachausschuss einzubringen.
Johannes Kahrs
(A) vorne und hinten nicht reicht. Dass der Etat nicht groß nete Wasserstraßensystem in einem perfekten Zustand (C)
genug ist, wissen wir. Es wird weiter gesagt, dass man zu halten.
nur in bestimmten Bereichen etwas tun müsse. Ihr Kol-
lege, Staatssekretär Scheurle, hat im Haushaltsausschuss Die Karte, von der im Handelsblatt die Rede ist, will
gesagt, dass man zum Beispiel die Lahn an die Bundes- ich nicht kommentieren. Das steht mir auch nicht zu.
länder abgeben könne. Dann müssten die sich darum (Johannes Kahrs [SPD]: Aber das war doch
kümmern. Beim Teltowkanal ist es ähnlich. Es gibt viele nur die Vorbemerkung! Jetzt fehlt noch die
solcher Geschichten. Antwort!)
In dem Artikel im Handelsblatt steht, dass der Bun- – Die Vorbemerkung bezog sich auf die Gemeinsame
desverband der Deutschen Binnenschiffahrt befürchtet, Vereinbarung zwischen der Gewerkschaft und dem
dass die Infrastruktur östlich von Braunschweig dem Ministerium sowie auf die Arbeitsgruppe.
Verfall preisgegeben wird. Hier wird über die Elbe ge-
sprochen, die den Anlagenbauern aus Sachsen-Anhalt,
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Sachsen und Thüringen als Transportweg nicht mehr zur
Verfügung stehen soll. Wenn Sie sich den Faktor Wert- Sie haben gleich während der Sitzungsunterbrechung
schöpfung ansehen, stellen Sie natürlich fest, dass die Gelegenheit, diesen Dialog fortzusetzen.
Elbe auf ihrem Weg zur Nordsee eine unterschiedliche Jetzt folgt eine Nachfrage des Kollegen Beckmeyer.
Wertschöpfung ermöglicht. Gleichzeitig gibt es aber das Danach lasse ich keine weiteren Nachfragen zu dieser
Ziel der Bundesregierung und Ihres Ministers, der im- Frage zu, weil wir dann die Sitzung unterbrechen wol-
mer wieder sagt: Wir wollen möglichst viel Verkehr von len.
der Straße auf die Schiene und die Wasserwege umlei-
ten. Wie stehen Sie zu der Aussage Ihres Ministers vor Bitte schön, Herr Beckmeyer.
dem Hintergrund dieser Äußerungen zur Wertschöp-
fung? Uwe Beckmeyer (SPD):
Herr Staatssekretär, ich habe gerade gelernt, dass Sie
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim ganze Flüsse oder Wasserstraßen an Private abgeben.
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
(Ute Kumpf [SPD]: Kann man sich darum
Herr Kollege Kahrs, ich möchte die Antwort mit einer schon bewerben?)
Vorbemerkung einleiten. Zur Vorbereitung der Untersu-
chungen zur Ämterstruktur wurde auf Grundlage der Ge- Das ist etwas ganz Neues.
(B) meinsamen Vereinbarung vom 8. August 2005 zwischen (D)
dem Ministerium und den Gewerkschaften eine Arbeits- Sie haben eine Kategorisierung vorgenommen – das
gruppe eingerichtet. Die Arbeitsgruppe hatte unter ande- haben Sie gerade ausgeführt –, ohne dass Verbände, Län-
rem den Auftrag, verbindliche Leitlinien für die Ge- der oder wer auch immer angehört wurden. Ihnen wurde
schäftsprozessoptimierung in der WSV, verbindliche nicht Gelegenheit gegeben, ihren Sachverstand einzu-
Obergrenzen für die Vergabe an Dritte, Haltelinien usw. bringen. Ich frage noch einmal ganz konkret nach. Hier
zu erarbeiten. Das heißt, diese ganze Reformdiskussion ist von Kollegen festgestellt worden, dass Ihrer Katego-
ist nicht neu. risierung nur die Menge zugrunde liegt, also die Jahres-
tonnage auf den Flüssen. Dabei ist es egal, ob es um
Wir haben jetzt die Kategorisierung vorgenommen. Sand, Pkws, Maschinen oder sonst etwas geht. Bei Ihnen
Das ist die gleiche Diskussion wie bei den Straßen. Im zählt zurzeit nur die Menge, nichts weiter. Weil vorhin
Rahmen der Föderalismuskommission haben wir Bun- schon darauf hingewiesen worden ist, frage ich noch ein-
desstraßen, die parallel zu Bundesautobahnen verlaufen, mal bewusst nach, ob nicht auch andere Kriterien für In-
an die Bundesländer abgegeben. Ich halte das nicht für vestitionen in Bundeswasserstraßen sinnvoll sein könn-
verwerflich. Das ist sogar eine Chance für die Bundes- ten, weil zukünftige Entwicklungen – –
länder, die Infrastruktur im Bereich der Wasserwege, ge-
(Hans-Werner Kammer [CDU/CSU]: Das ist
rade bei nachrangigen Flüssen, besser zu nutzen.
doch längst beantwortet! Hören Sie doch zu!
(Johannes Kahrs [SPD]: Die wollen die gar Durch Wiederholen wird Ihre Frage doch nicht
nicht haben!) besser!)
(A) Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim Württemberg ja auch fordern. Mit Ihren Rand- und (C)
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Kernnetzbetrachtungen würden Sie eine Leistungsregion
Frau Kollegin Lühmann, ich will der Auswertung ei- wie Stuttgart natürlich total in den Schatten stellen.
ner Untersuchung nicht vorgreifen. Wir werden das aus-
Wie gehen Sie mit diesem Problem um? Sie lesen
arbeiten.
schließlich auch Zeitungen, und vielleicht nicht nur
Sie bringen hier Ihre eigene Meinung in das Plenum bayerische, sondern auch schwäbische. Vielleicht kön-
ein, dass diese Untersuchung nichts bringt. Wir sind an- nen Sie ein bisschen konkreter darauf eingehen, ob das
derer Auffassung. Wir werden diese Auswertung durch- Versprechen, das Sie gegeben haben, nicht etwa ein Ver-
führen und damit die auf das Modernisierungskonzept sprecher, sondern tatsächlich ein Commitment ist, dass
der WSV abgestimmten Ableitungen vornehmen. sich die Unternehmen in der Region auf die Ausbau-
pläne verlassen können. Herr Grübel ist als Schriftführer
(Kirsten Lühmann [SPD]: Sie weichen also
anwesend und hört auch gerade zu.
auch dieser Frage aus!)
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
Ich rufe die Frage 12 der Kollegin Ute Kumpf auf:
Frau Kollegin Kumpf, die Bewertung meiner Antwort
Gehört der gesamte Ausbau der 27 Neckarschleusen zwi- auf die Hauptfrage ist Ihre eigene Meinung. Ich könnte
schen Mannheim und Plochingen, wie er von der letzten Bun-
desregierung im Investitionsrahmenplan zugesichert wurde, jetzt sagen, dass Ihre Nachfrage populistisch ist. Denn es
zu den laufenden Investitionsprojekten, oder wird die Bundes- geht beim Neckar nicht um ein Randnetz.
regierung den Ausbau der Neckarschleusen südlich von Heil-
bronn aufgrund einer Zuteilung dieses Streckenabschnittes Ich möchte zum Ersten auf das Verkehrsaufkommen
zum Ergänzungs- und Nebennetz aufgeben? eingehen. 1980 waren es über 11 Millionen Tonnen.
2009 waren es immer noch 6,5 Millionen Tonnen. Das
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim zählt nicht zur Kategorie Randnetz; ein Verkehrsauf-
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: kommen über 5 Millionen Tonnen fällt in die Kategorie
Frau Kollegin Kumpf, erst im Anschluss an die Bera- Hauptnetz. Die Unterstellung, dass wir den Neckar zum
tungen des Verkehrs- und des Haushaltsausschusses wer- Randnetz zählen, ist völlig unzutreffend.
den die Wasserstraßen bzw. Wasserstraßenteile der Zum Zweiten hatte ich in der letzten Woche je einen
neuen Netzkategorie zugeordnet. Also wäre es verfrüht, Ortstermin in Ilvesheim und Heilbronn. In den vielen
Ergebnisse über den Neckar zu referieren. Gesprächen mit den Medien, aber vor allem auch mit
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Opti- den kommunalen Entscheidungsträgern und den Abge-
(B)
mierung von Anlagen, also zum Beispiel eine Schleu- ordneten ist es uns äußerst wichtig, zu erklären, welche (D)
senverlängerung, im Rahmen notwendiger Ersatzmaß- Investitionen in das Hauptnetz, zu dem auch der Neckar
nahmen auch in Netzteilen zulässig bleibt, die nicht der zählt, wir vornehmen wollen. Der Neckar bleibt also
höchsten Kategorie zugeordnet werden. Hauptnetz. Auch der Bericht des BMVBS macht deut-
lich, dass der Neckar nicht zum Randnetz zählt. Ein
Hauptnetz hat neben dem Vorrangnetz als Kategorie eine
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: große Bedeutung. Ihre Frage ist völlig klar so zu beant-
Frau Kumpf, Sie haben eine Nachfrage. Bitte sehr. worten, dass wir auch weiterhin zu unseren Aussagen
stehen.
Ute Kumpf (SPD):
Das war eine wunderbare, klar schwammige Antwort. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
(Heiterkeit bei der SPD) Ich weise darauf hin, dass Herr Grübel zurzeit Schrift-
führer ist und sich nicht nur um eine entsprechende äu-
Ich will ein bisschen einfacher und plastischer nachfra- ßere Form, sondern auch um einen außerordentlich neu-
gen. tralen Gesichtsausdruck bemüht.
Nachdem Sie das in irgendeiner Art und Weise und (Zuruf von der CDU/CSU: Und eine Krawatte
sehr nebulös nicht zum Kernnetz, sondern zum Randnetz trägt!)
gemacht haben: Heißt das vielleicht, dass Sie überlegen,
diesen Abschnitt zukünftig als Daimler-River zu verkau- Insofern ist er nicht anzusprechen, weil er nicht als Fra-
fen? Sie haben vorher ja gesagt, dass Sie auch darüber gesteller das Wort hat.
nachdenken, Schifffahrtslinien und -strecken zu privati- Sie haben eine zweite Nachfrage, Frau Kumpf.
sieren. Ist das eine Möglichkeit?
Wenn dieses schöne Netz nicht ausgebaut wird, wer- Ute Kumpf (SPD):
den zum Beispiel 290 000 Lastwagen auf der Straße Ich habe noch eine Nachfrage zu Ihren Unterlagen. Es
sein, weil sich das große Unternehmen mit einem blin- gibt so viele Rand-, Neben- und Kernnetze. Vielleicht
kenden Stern darauf verlassen hat, dieses Netz nutzen zu muss ich Sie nach Stuttgart einladen. Wir könnten das
können, um seine Motoren zukünftig auf längeren Schif- auch gemeinsam mit der Kollegin Roth und dem Kolle-
fen über Mannheim nach Rotterdam zu transportieren. gen Grübel machen, um Ihnen zu zeigen, dass Stuttgart
Das würde natürlich auch eine wahnsinnige Entlastung nicht Heilbronn ist und dass der ganze Neckar bis Stutt-
für die Straße bedeuten, was die Unternehmen in Baden- gart als Nebennetz kartiert ist. Vielleicht haben Sie in
10000 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011
Ute Kumpf
(A) Bayern die schwäbische Karte nicht so genau studiert. Karin Roth (Esslingen) (SPD): (C)
Da kann man vielleicht ein bisschen Nachhilfe geben. Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Dr. Scheuer,
Deswegen noch einmal: In Ihren Unterlagen ist er als Sie waren – das haben Sie gerade gesagt – in der Region
Nebennetz kartiert. Meine Frage an Sie ist, ob Sie sich und haben natürlich auch Gespräche geführt. Darüber
mit den Zuständigen in der leistungsstarken Region gibt es ja auch öffentliche Äußerungen. Am 4. Februar
Stuttgart – es gibt nicht nur Heilbronn, sondern auch waren Sie in Heilbronn, und da haben Sie gesagt – ich
Stuttgart – in Verbindung gesetzt haben, und vor allem darf zitieren –:
mit den Unternehmen, die auf das Wassernetz als Trans- Der Ausbau der 27 Neckarschleusen von Mann-
portträger setzen. Das wäre sicherlich hilfreich. heim bis Stuttgart
Der erste Punkt ist also meine Einladung an Sie, und
dann kommt meine Frage, ob Sie mit den Menschen re- – nebenbei gesagt: bei 27 Schleusen wäre das bis Plo-
den. chingen –
ist nicht gefährdet.
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Das heißt auf gut Deutsch – das wird auch so interpre-
Frau Kumpf, ich komme gerne zu Ihnen. Das habe ich tiert –, dass die Neckarschleusen ausgebaut werden. Ich
auch heute schon in einem anderen Zusammenhang im weiß, eine Staatssekretärin oder ein Staatssekretär muss,
Ausschuss gesagt. Bei den ganzen Terminen, die Sie mir wenn sie oder er etwas sagt, wissen, dass das dann ver-
schon angeboten haben, wird das allerdings ein Mam- bindlich ist, und zwar nicht nur im Bundestag, sondern
muttag. auch draußen in den Regionen. Kann ich also, wenn Sie
den Vertrag nicht kündigen wollen und sich an das hal-
(Florian Pronold [SPD]: Bist du sicher, dass du ten, was üblicherweise die Bundesregierung macht,
den willst?) nämlich nicht nur im Parlament zu reden, was Sache ist,
sondern auch dazu zu stehen, was man in der Region er-
Ich komme herzlich gerne, aber natürlich nur in Verbin-
zählt,
dung mit den zuständigen CDU/CSU- und FDP-Kolle-
gen. Dann machen wir eine kleine Gesprächsrunde. (Dr. Günter Krings [CDU/CSU]: Genau das
Sie können mich gerne einladen, aber ich war ohnehin macht die Bundesregierung!)
schon vor einigen Tagen in der Region und habe Gesprä- davon ausgehen, dass das, was Sie in den Regionen er-
che mit der IHK und vielen anderen geführt. Die Aus- zählen, zutrifft, das heißt, dass die Schleusenverlänge-
sage bleibt bestehen, dass wir um die Verkehrsbedeutung rung von 110 Meter auf 135 Meter bei allen 27 Schleu-
(B) des Neckars wissen und ein Ausbaukonzept erstellen. sen erfolgt, und zwar entsprechend dem Vertrag in den (D)
Sie kennen aber auch die verschiedenen Planungsstände nächsten 15 Jahren Modernisierung und Sanierung zu-
der einzelnen Schleusen und vieles mehr. Die Kollegin sammen?
Roth hat die Frage 13 vorgelegt, bei der es um einen
ähnlichen Sachzusammenhang geht.
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim
Ich kann definitiv sagen, dass uns die Neckarschleu- Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung:
sen auch für die politischen Mandatsträger, die in den letz-
ten Jahren dafür gekämpft haben, äußerst wichtig sind. Frau Kollegin Roth, da Sie eine erfahrene Staats-
sekretärskollegin a. D. sind, möchte ich unterstreichen,
dass die christlich-liberale Koalition mit ihren Vertretern
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: natürlich zu den Aussagen in der Region steht. Ich
Dann kommen wir jetzt zu Frage 13 der Kollegin könnte jetzt viel zu dem sagen, was Sie uns alles an Ver-
Karin Roth: sprechen und an internationalen Verpflichtungen hinter-
Beabsichtigt die Bundesregierung, den mit der Landes- lassen haben, die uns finanziell äußerst stark fordern
regierung Baden-Württemberg geschlossenen Vertrag zur werden. Das werde ich an dieser Stelle nicht machen. Zu
Neckarschleusenverlängerung von Mannheim bis Plochingen Ihrer Zeit ist man eher leichtfertig mit solchen Zusagen
zu kündigen und dabei die bereits eingesetzten Personalkosten umgegangen.
zu erstatten?
(Uwe Beckmeyer [SPD]: Kommen die
Neckarschleusen, oder nicht?)
Dr. Andreas Scheuer, Parl. Staatssekretär beim
Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung: Sie zitieren den Oberbürgermeister der Stadt Heil-
Danke, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin Roth, die bronn und stellen es so dar, als hätte ich das gesagt. Ich
Antwort auf die Frage ist: Zurzeit gibt es keinen Anlass, habe gesagt, dass uns die Neckarschleusen sehr wichtig
mit dem Land Baden-Württemberg über eine vorzeitige sind und dass das Ausbaukonzept auch abgearbeitet
Beendigung des Vertrags zu verhandeln – das deckt sich wird – nicht mehr und nicht weniger.
auch mit der vorhergehenden Antwort zur Frage von
Frau Kumpf –, denn wir messen den Neckarschleusen (Florian Pronold [SPD]: Bis wann?)
eine hohe Bedeutung bei.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Haben Sie eine zweite Nachfrage? – Bitte schön, Frau
Sie haben eine Nachfrage, Frau Roth. Bitte sehr. Roth.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 10001
(A) Karin Roth (Esslingen) (SPD): Dann kommen wir zu Frage 15 des Kollegen Josip (C)
Wir wollen ja konkret sein. Es ist eine erste baureife Juratovic:
Schleuse in Baden-Württemberg vorhanden. Die Schleuse Welche Auswirkungen hat die Verlängerung der Neckar-
Feudenheim könnte sofort auf 135 Meter verlängert wer- schleusen von 110 Meter auf 135 Meter auf die Erhöhung der
den. Meine Frage ist: Wann ist der Baubeginn? Güterkapazitäten und damit auf die mögliche Erhöhung von
Tonnagevolumen und Containerverkehr?
Sabine Stüber (DIE LINKE): Ob die Übertragung eines entwickelten Modells für
Frau Staatssekretärin, Sie haben gesagt, dass es unter- einen Flusslauf möglich ist, hängt von verschiedenen
schiedliche Warn- und Alarmstufen gibt. Irgendwann wird Faktoren ab und erfordert eine eingehende fachliche Prü-
auch der Bund informiert. Wissen Sie sofort, wenn Sie fung und Abwägung, angefangen bei den Anforderun-
beispielsweise die Meldung bekommen, dass Warnstufe 3 gen an die Qualität der Vorhersageergebnisse über die
in Thüringen – ich weiß nicht genau, wie es heißt – geforderten bzw. vorhandenen Eingangsdaten bis hin zur
Prüfung der Art und Weise notwendiger Auswertungen
und Analysen nach einem Hochwasserereignis.
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- Ein Beispiel dafür, dass die Anwendung eines Systems
cherheit: an mehreren Flüssen bereits gelungen ist, ist das von der
Es heißt Alarmstufe 3 in Thüringen. Bundesanstalt für Gewässerkunde entwickelte Wasser-
standsvorhersagesystem WAVOS. Es wird zur Niedrig-
und Mittelwasservorhersage für Rhein, Elbe und Donau
Sabine Stüber (DIE LINKE): angewendet. Die Veröffentlichung dieser Vorhersagen er-
– und Alarmstufe 3 in Brandenburg gilt, was das be- folgt über ein elektronisches Wasserstraßeninformations-
deutet? system. Darüber hinaus wird WAVOS auch in den Hoch-
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 10003
Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser
(A) wasservorhersagezentralen Rhein, Elbe, Main und Oder Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim (C)
eingesetzt. Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit:
Dieses Thema betrifft auch die Fragen 26 und 27 des
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
Kollegen Bülow. Daher steht meine Antwort im Zusam-
Sie haben eine Nachfrage? – Bitte schön. menhang mit diesen Fragen.
Kollege Miersch, die zuständigen Aufsichts- und Ge-
Sabine Stüber (DIE LINKE): nehmigungsbehörden, die Sachverständige nach § 20
Danke schön, Frau Präsidentin. – Gibt es generell Ge- des Atomgesetzes hinzuziehen, wenden die einschlägi-
spräche mit den einzelnen Bundesländern, sämtliche gen Vorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts an,
Hochwasserwarnstufen zu synchronisieren, um eine Ver- zum Beispiel die Regelung zum Ausschluss von Sach-
einfachung in der allgemeinen Wahrnehmung herbeizu- verständigen wegen der Besorgnis der Befangenheit. Die
führen? Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen einschließlich
des sehr umfangreichen kerntechnischen Regelwerks
durch die Sachverständigen und die umfangreichen Kon-
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim trollen und Abnahmen durch Auftraggeber und Behör-
Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- den zwingen die Sachverständigen zu hoher Qualität und
sicherheit: Objektivität.
Kollegin Stüber, ich habe vorhin schon einmal gesagt:
Der Hochwasserschutz liegt generell in der Zuständig- Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt:
keit der Bundesländer. Wir sehen hier keinen Ände- Sie haben eine Nachfrage? – Bitte schön.
rungsbedarf, weil er bei uns gut funktioniert.
Was das Vorwarnsystem WAVOS angeht, habe ich Dr. Matthias Miersch (SPD):
vorhin schon einiges erläutert. Die Bundesländer wissen Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Dass das in den
schon, wie sie mit ihren Flüssen umzugehen haben. Die Bestimmungen steht und dass es zur Objektivität ver-
Flüsse sind nun einmal sehr unterschiedlich. Ich glaube, pflichtete Gremien gibt, ist bekannt. Angesichts der Tat-
was für die Elbe gilt, gilt nicht für den Main oder den sache, dass der TÜV Süd damit betraut ist, mögliche
Rhein und umgekehrt. Daher ist es durchaus nachvoll- Fehler in einem AKW festzustellen, und wir wissen,
ziehbar, warum wir nicht zu einer absoluten Vereinheitli- dass unter anderem EnBW und Eon, also große AKW-
chung kommen können. Betreiber, Mitglieder im TÜV Süd sind, habe ich die
(B) Frage an Sie: Sehen Sie jenseits dieser Bestimmungen (D)
aufgrund der Mitgliedschaften nicht zumindest Ansätze
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: dafür, dass man an der Objektivität des TÜV Süd zwei-
Sie haben keine weitere Nachfrage. feln muss?
(Abg. Dorothee Menzner [DIE LINKE] mel- Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim
det sich zu einer Nachfrage) Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
– Wir hatten verabredet, dass wir wegen der Unterbre- sicherheit:
chung nur noch die Nachfragen der Fragestellerinnen Zum Verfahren: Das Land Bayern ist zuständig für
bzw. Fragesteller zulassen. Dafür bitte ich um Verständ- die Aufsicht über die Kernkraftwerke in Bayern und hat
nis. damit auch die Verantwortung für die Empfehlungen, die
die Sachverständigen abgeben. Wir, der Bund, wiederum
Ich stelle fest, dass die Fragen 19 und 20 des Kolle- haben die Aufsicht über die Aufsichtsbehörden. Dies ist
gen Ott und die Fragen 21 und 22 der Kollegin Kotting- also die zweite Stufe.
Uhl schriftlich beantwortet werden. Sie spielen hier auf das Kernkraftwerk Grafenrhein-
feld an. In diesem Fall haben wir zusätzlich unsere Re-
Frau Kofler – Fragen 23 und 24 – und Frau Vogt
aktor-Sicherheitskommission hinzugezogen, sodass man
– Frage 25 – sind nicht anwesend. Dasselbe gilt für den
über verschiedene Ebenen hinweg ein und denselben
Kollegen Bülow – Fragen 26 und 27. Es wird in diesen
Fall gemeinsam behandelt hat. Ich glaube, dass wir ein
Fällen verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgese- gutes System haben, um dies alles in Einklang zu brin-
hen. gen.
Ich rufe die Frage 28 des Kollegen Dr. Miersch auf: Darüber hinaus darf ich in Erinnerung rufen, dass die
Wie kann die Bundesregierung ausschließen, dass die Mit- Technischen Überwachungs-Vereine auch zur Selbst-
gliedschaft der drei Atomkraftwerksbetreiber Eon, Vattenfall hilfe und Selbstkontrolle der Wirtschaft gegründet wur-
und EnBW im TÜV Süd e. V., der wiederum circa drei Viertel den. Sie kennen mittlerweile die Struktur der TÜVs: In
der Aktienanteile an der TÜV Süd AG hält, zu möglichen In- diesem Verein sind die Unternehmen tatsächlich Mit-
teressenkonflikten bei der sicherheitstechnischen Überprü-
glied. Diesem Verein gehört die Gesellschaft für Techni-
fung von kerntechnischen Anlagen bzw. der folgenden Be-
wertung der Prüfergebnisse durch den TÜV Süd führt? sche Überwachung an, die die Sachverständigenarbeit
vornimmt. Insoweit besteht durchaus eine deutliche Ent-
Frau Staatssekretärin. fernung zwischen dem einzelnen Mitgliedsunternehmen
10004 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011
(A) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: vergangenen Jahren 8 Millionen Euro gezahlt, damit (C)
Vielen Dank. – Die Fragen 30 und 31 des Kollegen PCB-haltiger Transformatorenabfall nach Dortmund zur
Dirk Becker werden schriftlich beantwortet. Envio AG geliefert wird. Gibt es eine besondere bilate-
rale Warnung an Kasachstan? Gibt es an die anderen
Wir kommen zur Frage 32 des Kollegen Kurth: Länder, in denen die Envio AG Standorte unterhält, be-
Inwiefern besteht für die Bundesregierung in Anbetracht sondere Warnungen, oder gibt es dort vor diesem Hinter-
neuester Entwicklungen im sogenannten PCB-Skandal in
Dortmund weiterhin keine Veranlassung, weiter gehende
grund Veranlassung zu Überprüfungen?
Maßnahmen als die Unterrichtung der Behörden in Deutsch-
land, in Europa und in Übersee über den aktuellen Stand der
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim
Ermittlungen durch das Regierungspräsidium Arnsberg zu er-
greifen (siehe Antworten auf die schriftlichen Fragen 135 Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
bis 138 vom 9. Juli 2010 auf Bundestagsdrucksache 17/2537) sicherheit:
– obwohl ein zur Gruppe der massiv PCB-Belasteten zählen- Die Zahl von 8 Millionen Euro, die Sie genannt haben
der, jahrzehntelang Beschäftigter der Firma Envio AG Ende
Januar 2011 gestorben ist (siehe Westfälische Rundschau vom – sie ist aus einem älteren Drahtbericht der deutschen
29. Januar 2011) und obwohl die Kriminalpolizei Dortmund Botschaft in Astana, der Ihnen vorliegen könnte; ich ver-
Zeugen im derzeitigen Ermittlungsverfahren vereinzelt Perso- mute einmal, dass Sie oder die Landesregierung Nord-
nenschutz angeboten haben soll (siehe Der Westen, Lokales, rhein-Westfalen die Information da herhaben –, ist, um
Dortmund vom 1. Februar 2011) –, und wie könnte die Bun-
desregierung aufgrund ihrer größeren Durchsetzungskraft im
das vorweg zu sagen, in keinem Fall korrekt.
Vergleich zum Regierungspräsidium Arnsberg Letzteres dahin
gehend unterstützen, weltweit Behörden und infrage kom-
Die GEF führt Projekte in Kasachstan über UNDP
mende Geschäftspartner der Firma Envio AG über den Stand durch, um die kasachischen Behörden zu einem fachlich
der hiesigen Ermittlungen zu unterrichten? und technisch richtigen Umgang mit PCB-Abfällen zu
befähigen. Da die Bundesregierung im Rahmen ihrer
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Beteiligung an der GEF diese Aktivitäten unterstützt,
Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktor- sind Kasachstan indirekt Bundesmittel zugutegekom-
sicherheit: men.
Die Bundesregierung hat auf Anregung des Landes
Nordrhein-Westfalen ein Informationsschreiben zur ge- Vizepräsidentin Petra Pau:
genwärtigen Situation der PCB-Entsorgung bei der Ihre zweite Frage, bitte.
Firma Envio in Dortmund an die Globale Umweltfazili-
tät – ich verwende im Weiteren die Abkürzung „GEF“ –
gesandt. Die GEF ist ein internationaler Mechanismus Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
(B) zur Finanzierung von Umweltschutzprojekten in Ent- Ein Teil meiner ersten Frage ist nicht beantwortet (D)
wicklungsländern. Sie unterstützt unter anderem Maß- worden, –
nahmen zur Zerstörung und Entsorgung von bestimmten
langlebigen organischen Schadstoffen wie PCB im Rah- Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim
men der Stockholmer Konvention. Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
Die GEF wird in dem Schreiben gebeten, auch die für sicherheit:
die Durchführung von GEF-Projekten zuständigen Orga- Dann wiederholen Sie das bitte.
nisationen, also Weltbank, UNDP, UNEP usw., über die
Situation bei Envio zu informieren. In dem Schreiben Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
wird auf die massiven Bodenkontaminierungen und die – nämlich ob Sie bilateral mit der kasachischen Re-
Verstöße gegen betriebliche Umwelt- und Sicherheits- gierung Kontakt aufgenommen haben.
standards bei der Firma Envio hingewiesen, weshalb die
Firma weiter geschlossen bleibe. Weiterhin wird vor-
sorglich darauf hingewiesen, dass die Firma Envio in ih- Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim
rem Geschäftsbericht angekündigt hat, ihr internationa- Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
les Geschäft in der PCB-Entsorgung auszudehnen. Die sicherheit:
Bundesregierung setzt sich dafür ein, dass die GEF und Bundesminister Röttgen war im Juli des vergangenen
die umsetzenden Institutionen sowie deren Vertragspart- Jahres in Astana. In einem Gespräch mit dem kasachi-
ner bei ihren Operationen international hohe Umwelt- schen Umweltminister wurde in der Tat über die Unter-
standards einhalten. Es wurde außerdem darum gebeten, brechung der Lieferungen von PCB aus Kasachstan zur
die Informationen zum Fall Envio an die Institutionen Entsorgung nach Deutschland sowie darüber gespro-
weiterzuleiten, die GEF-Projekte umsetzen. chen, dass das zu Problemen führen könnte.
Das Bundesumweltministerium hat auch deutlich ge-
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: macht, dass eine Verbringung der PCB-belasteten Kon-
Herr Kurth, Sie haben eine Nachfrage. Bitte schön. densatoren nach Deutschland auf absehbare Zeit nicht
stattfinden kann. Wir haben in der Folge der kasachi-
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): schen Seite eine Beratung zur sachgemäßen Zwischenla-
Frau Staatssekretärin, die Bundesrepublik Deutsch- gerung und zum Umgang mit gefährlichen Abfällen an-
land hat nach einem mir vorliegenden Vermerk des Lan- geboten. Ich muss allerdings sagen, dass die kasachische
desumweltministeriums Nordrhein-Westfalen in den Seite auf dieses Angebot bislang nicht eingegangen ist.
10006 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011
Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Wie beurteilt die Bundesregierung die Vorwürfe ge- Ich selbst habe in einem Brief an verschiedene Orga-
genüber dem von deutscher Seite für den Import von nisationen auf den Sachverhalt und den PCB-Skandal in
PCB-haltigem Müll aus Kasachstan verantwortlichen Dortmund hingewiesen. Mir wurde versichert, dass es
Geschäftsmann, Herrn Boris Meckler, und seiner Firma besser wäre, wenn die Bundesregierung zusätzlich direkt
Juwenta, wonach dieser sich aufgrund eines Korrup- tätig werden würde, weil Behörden wie die Bezirksre-
tionsverdachtes in Kasachstan nach Süddeutschland ab- gierung Arnsberg international nicht so bekannt sind.
gesetzt haben soll? Über welche Firma wickelt die Wollen Sie zusätzliche Schritte zu den bereits vollzoge-
Bundesregierung gegebenenfalls künftig solche Schad- nen unternehmen, um besonders auf diese Firma auf-
stoffentsorgungen ab? merksam zu machen?
Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin beim
Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi- Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
cherheit: sicherheit:
Ich muss ehrlich sagen, dass ich Ihnen diese Frage Erst einmal – das habe ich schon bei der Beantwor-
schriftlich beantworten werde. Ich habe dazu zwar noch tung Ihrer vorherigen Frage gesagt – geben wir über
umfangreiches Material, aber ich möchte Ihre Frage kor- GEF Hinweise an alle, die mit der Entsorgung von PCB
rekt beantworten. Sie bekommen dann morgen die zu tun haben, sodass wir die tatsächlichen Verursacher
schriftliche Antwort. Können wir so verfahren? direkt erreichen.
Zum Zweiten hat das Bezirkspräsidium Arnsberg
Vizepräsidentin Petra Pau: – ich würde dessen Licht wirklich nicht unter den Schef-
Das halten wir so fest. – Herzlichen Dank. fel stellen – als zuständige Behörde die Behörden in Eu-
ropa und Übersee über den aktuellen Stand unterrichtet.
Wir kommen zur Frage 33 des Kollegen Kurth: Ich glaube, es wäre kein vernünftiges und faires Verfah-
Inwiefern wird die Firma Envio AG nach Ansicht der ren, wenn wir vonseiten des Bundes, obwohl eine Be-
Bundesregierung der Verpflichtung aus der Stockholmer Kon- hörde ordnungsgemäß arbeitet, alle unsere Verfassungs-
vention gerecht, wonach die Unterzeichner die besten verfüg-
strukturen umgehen und das Informieren der anderen
(B) baren Techniken und die besten Umweltschutzpraktiken ein- (D)
setzen müssen, um PCB als eine der weltweit geächteten Länder übernehmen würden. Das Regierungspräsidium
Stoffgruppen dauerhaft unschädlich zu machen, und welche Arnsberg ist die richtige Behörde dafür. Das Land Nord-
Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus ihrer Einschät- rhein-Westfalen hat klar entschieden. Ich glaube, dass
zung? die Informationen sehr nachhaltig sind, wie beispiels-
Bitte, Frau Staatssekretärin. weise der Besuch in Kasachstan gezeigt hat.
(A) Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär bei der Bun- Gewalttaten und anhaltende Ausschreitungen (C)
desministerin für Bildung und Forschung: in Berlin und anderen Städten im Zuge der
Zunächst möchte ich Ihnen ausdrücklich bestätigen, Räumung eines besetzten Hauses („Liebig 14“)
dass die Antwort der Bundesregierung bezüglich der Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
700 000 Euro weiterhin den Fakten entspricht. Kai Wegner für die Unionsfraktion.
Die Antwort auf die zweite Frage möchte ich Ihnen (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
gerne schriftlich nachreichen. Denn – wenn ich mir diese
generelle Bemerkung auch zu Ihrer ersten Frage erlau- Kai Wegner (CDU/CSU):
ben darf – man muss sehen, dass, je konkreter die ver- Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
schiedenen Optionen sind, auch die Kostenkalkulationen Herren! Die Gewaltexzesse und Straftaten zu Beginn
konkreter werden. Bei einem Neubau beispielsweise, dieses Monats in Berlin im Zusammenhang mit der Räu-
wie ihn die Landesregierung erwägt, müssten die Bedin- mung eines besetzten Hauses in der Liebigstraße 14 in
gungen und Kriterien, die das Bundesamt für Strahlen- Friedrichshain sollten uns allen Sorge bereiten.
schutz in diesem Fall auferlegen wird, Grundlage einer (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
konkreten Kostenkalkulation sein. Da diese natürlich Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Guter Ein-
nicht vorlagen, schon gar nicht bei den Überlegungen im stieg!)
Rahmen der damaligen Aufsichtsratssitzungen, kann die
Während die Zahl politisch motivierter Gewaltstrafta-
Kostenkalkulation logischerweise erst danach erfolgen.
ten aus dem rechten Spektrum – auf einem viel zu hohen
Niveau – insgesamt rückläufig ist, zeichnet sich ab, dass
Vizepräsidentin Petra Pau: die Zahl der Gewaltdelikte aus der linken Szene deutlich
Danke, Herr Staatssekretär. zunimmt. Laut Verfassungsschutzbericht haben wir eine
Steigerung von über 59 Prozent im Jahr 2009 erleben
Die Fragen 35 bis 58 – das betrifft die übrigen Fragen müssen. Daher begrüße ich es ausdrücklich, dass die Bun-
des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums für Bil- desregierung die Sicherheitsbehörden angewiesen hat,
dung und Forschung sowie die Geschäftsbereiche des sich künftig verstärkt auch um die linksextreme Szene zu
Auswärtigen Amtes, des Bundesministeriums des Innern kümmern und dem Linksextremismus unter anderem mit
und des Bundesministeriums der Finanzen – werden Schulungsprojekten entgegenzuwirken.
schriftlich beantwortet. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
In den verbleibenden vier Minuten kommen wir zum Eine Demokratie darf ihren Feinden gegenüber nicht
(B)
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft blind sein, weder auf dem rechten noch auf dem linken (D)
und Technologie. Zur Beantwortung der Fragen war mir Auge. Gewalt darf nie als Mittel der politischen Aus-
der Parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Otto einandersetzung akzeptiert werden. Zu diesem gesell-
schaftspolitischen Konsens rufe ich alle demokratischen
angezeigt. – Ist die Zuständigkeit zu einem anderen Mit-
Parteien in diesem Hause, aber auch unsere gesamte Zi-
glied der Bundesregierung gewechselt? Könnte ich bitte
vilgesellschaft auf.
ein Zeichen bekommen?
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord-
(Dr. Dieter Wiefelspütz [SPD]: Die Bundesregie- neten der FDP)
rung gibt kein Zeichen! Das ist unmöglich!)
Wir hatten zur Zeit der Großen Koalition hier im
– Die Bundesregierung gibt sicherlich ein Zeichen, wie Hause einen Konsens bei der Verurteilung rechtsextre-
wir das jetzt lösen können und auf welche Art und Weise mer Straftaten. Ich bedauere zutiefst, dass es einen sol-
die Fragen des Kollegen Bollmann beantwortet wer- chen Konsens offensichtlich bei linksextremen Strafta-
den. – Gut, dann schlage ich vor, dass wir zur Kenntnis ten nicht gibt.
nehmen, dass die Fragen des Kollegen Bollmann und ge- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
gebenenfalls die Frage der Kollegin Vogt nicht münd- NEN]: Wie kommen Sie denn darauf?)
lich, aber sicherlich in aller Ausführlichkeit schriftlich
– Herr Wieland, das sage ich Ihnen gleich. – Gerade in
beantwortet werden. – Ich sehe keine Anträge auf Her- der Stadt Berlin, in der nicht Sie, Herr Wieland, regieren,
beiholung des Staatssekretärs für die verbleibenden drei sondern ein roter Senat unter Beteiligung der Linkspar-
Minuten. tei, wird das Versagen im Kampf gegen linke Gewalt be-
sonders deutlich.
Die übrigen Fragen werden dann ebenfalls gemäß der
Geschäftsordnung schriftlich beantwortet. (Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Aha!)
Damit beende ich die Fragestunde. Die Liebigstraße 14 steht symbolisch für die stetig
steigende Gewalt von Linksextremen in dieser Stadt.
Ich rufe nun den Zusatzpunkt 2 auf: (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Sie haben
Aktuelle Stunde keine Ahnung, wie immer!)
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und Kriminelle, die unter dem Deckmantel der vermeintlich
der FDP alternativen Wohnform Rechtsbruch begehen und an den
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 10009
Kai Wegner
(A) Grundfesten unserer rechtsstaatlichen Ordnung rütteln, und die gesagt haben, dass die Räumung rechtsmäßig war. (C)
wollen rechtsfreie Räume durchsetzen und nehmen da- Diese haben darauf gedrungen, eine friedliche Lösung
bei schwere, ja sogar lebensbedrohliche Verletzungen herbeizuführen. Es gibt aber auch ein zweites Gesicht der
von Polizistinnen und Polizisten in Kauf. Dem muss der Grünen. Die Grünen müssen sich schon entscheiden: Ak-
Rechtsstaat mit Entschlossenheit entgegentreten. zeptieren sie das Gewaltmonopol des Staates? Sind sie ge-
gen jede Form von Gewalt oder tolerieren sie diese? Die
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zu- Grünen in dieser Stadt müssen sich endlich entscheiden.
ruf von der SPD: Das ist richtig!) Ich habe das Gefühl, dass da einige Fragen noch offen sind.
Der Berliner Senat sowie SPD und Linke sind beim (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Umgang mit diesen Vorgängen tief gespalten. NEN]: Nur bei Ihnen!)
(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Gar nicht!) Berlin ist eine moderne und vielfältige, eine liberale
und tolerante Stadt. Dafür steht Berlin; das zeichnet Ber-
– Doch! – Vertreter der Linken sympathisieren offen mit lin aus. Aber auch in Berlin müssen Sicherheit und
der Hausbesetzerszene. Sie schlagen sich auf die Seite Recht durchgesetzt werden. Auch das gehört zu einer
derer, die erworbenes Eigentum in Schutt und Asche le- Hauptstadt.
gen, nämlich auf die Seite der Hausbesetzer. Lieber Herr
Liebich, ich habe des Öfteren relativ wenig Verständnis (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
für die Aussagen der Bundesvorsitzenden Ihrer Partei,
Gesine Lötzsch. Wenn sich Frau Lötzsch nun auf die Vizepräsidentin Petra Pau:
Seite der Hausbesetzer stellt Kollege Wegner, achten Sie bitte auf die Zeit.
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Es waren
Bewohnerinnen und Bewohner!) Kai Wegner (CDU/CSU):
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Die Menschen er-
und, nachdem die rot-rote Landesregierung die Räu- warten Freiheit und Sicherheit. Um diese Güter zu ge-
mung dieses Hauses veranlasst hat, erklärt, dass sie den währleisten, sind unsere Polizistinnen und Polizisten da.
Polizeieinsatz bedauert, dann ist das ein politisch fal-
sches Verhalten. Zum Abschluss möchte ich mich ganz herzlich bei den
Polizistinnen und Polizisten für ihren besonnenen und
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie konsequenten Einsatz bedanken. Lieber Herr Ströbele,
bei Abgeordneten der SPD) sie tragen keine Schuld an der Eskalation. Sie haben kon-
Ich glaube: Es ist nicht zu bedauern, dass die Polizei sequent und besonnen gehandelt. Hierfür gilt ihnen unser
ganz besonderer Dank.
(B) Recht durchgesetzt hat. Vielmehr ist es zu bedauern, (D)
dass es viel zu viele verletzte Polizistinnen und Polizis- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
ten gab; die Beamten und ihre Familien sind zu bedau- Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
ern, nicht die Straftäter, die ein Haus besetzt haben. NEN]: Das sehen wir auch so!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Herzlichen Dank der Berliner Polizei und den Unterstüt-
Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Es waren zungskräften.
Bewohnerinnen und Bewohner!)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Die Ausschreitungen im gesamten Stadtgebiet und auch
in anderen Städten der Republik sind zu bedauern. Die Vizepräsidentin Petra Pau:
Steuerzahler sind ebenfalls zu bedauern; denn sie müs- Das Wort hat der Kollege Wolfgang Gunkel für die
sen die Kosten tragen, die durch die sinnlosen Gewaltex- SPD-Fraktion.
zesse einiger Krimineller entstanden sind.
(Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Herr Wieland, auch die Rolle der Grünen muss hinter- Wolfgang Gunkel (SPD):
fragt werden. Die Gewerkschaft der Polizei sagt, Herr Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ange-
Ströbele trage „eine Mitverantwortung für diese Gewalt- sichts der letzten Worte meines Vorredners musste ich
ausbrüche“. Das hat nicht die CDU/CSU oder die FDP ein wenig darüber schmunzeln, dass hier ausdrücklich
gesagt, sondern die Gewerkschaft der Polizei. Der grüne dem Kollegen Ströbele für sein Wirken gedankt wird.
Bezirksbürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, (Kai Wegner [CDU/CSU]: Der sollte nur zu-
Franz Schulz, sympathisiert offen mit den Krawallma- hören!)
chern und kritisiert das Vorgehen der Polizei. Er müsste
es doch besser wissen, denn er wird von Linksextremen Nichtsdestotrotz verwundert und erstaunt es mich, dass
in der Stadt bedroht und benötigt den Schutz der Polizei. ausgerechnet vonseiten der CDU/CSU-Fraktion und der
FDP zu diesem Thema eine Aktuelle Stunde anberaumt
Hier zeigen sich die zwei Gesichter der Grünen. Ja, worden ist.
Herr Wieland, es gab viele Grüne, deren Worte sehr ver-
nünftig waren (Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Patrick Kurth
(Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- [Kyffhäuser] [FDP]: Ist ja nichts gewesen! Al-
NEN]: Praktisch alle!) les ganz normal!)
10010 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011
Wolfgang Gunkel
(A) Weil Sie jetzt so schön dazwischenrufen: Man kann andere Leute auf der Straße gewesen, die die Polizei ent- (C)
vor Wahlen natürlich immer ein bisschen Politikklamauk sprechend eingedeckt haben. Wenn man es spaßig be-
betreiben. Immerhin stehen einige Wahlen an. Es ist aber schreiben will, kann man sagen: Da wurde mit Papierkü-
grundverkehrt, diese Situation zum jetzigen Zeitpunkt gelchen geworfen, hier aber wurde richtig Rambazamba
dazu auszunutzen, den Links- und Rechtsextremismus gemacht. Das ist ein wesentlicher Unterschied. Die Ber-
als eine Gefahr für Deutschland zu skizzieren. liner Polizei hat mit den Unterstützungskräften der Bun-
despolizei und auch der Länderpolizei wirklich eine or-
Zur Rechtslage möchte ich zunächst Folgendes sagen:
dentliche Leistung hingelegt und die Angelegenheit
Weder handelt es sich bei „Liebig 14“ um ein besetztes
unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit gelöst.
Haus
(Beifall bei der SPD – Christian Lange [Back-
(Beifall bei der LINKEN)
nang] [SPD]: Das ist der Unterschied zu Stutt-
noch war es eine Maßnahme, die von der Polizei initiiert gart!)
worden ist. Es ging stattdessen darum, dass in einem
ehemals besetzten Haus die Wohnverhältnisse durch Sie wollen dem Volk doch nur erzählen, im Berliner
Mietverträge legalisiert worden waren. Wer in die Berli- Senat sei niemand in der Lage, die öffentliche Sicherheit
ner Geschichte zurückblickt, der weiß, dass nach eini- und Ordnung zu gewährleisten.
gem Hin und Her in den 80er-Jahren – die „Berliner Li- (Beifall bei der SPD – Kai Wegner [CDU/
nie“ hatte für sozialen Frieden gesorgt – etwa Mitte der CSU]: Die Frage kann man doch stellen!)
1990er-Jahre die Häuser legalisiert wurden; das heißt,
die dort lebenden Menschen haben Mietverträge bekom- Ich muss Sie doch sehr bitten! Für wie dumm halten Sie
men und seitdem legal dort gewohnt. denn die Anwesenden?
Auslöser für den aktuellen Konflikt war eine Streitig- (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
keit mit dem neuen Vermieter, der das Haus im Jahr der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE
1999 gekauft hat. Gegen die Mietersituation im Haus ist GRÜNEN)
er zunächst mit Umbauten vorgegangen und hat darauf- Der Berliner Senat hat in ganz konkreten Vorgaben
hin ein Gerichtsverfahren in die Wege geleitet. Dadurch dargelegt – auch die Linkspartei hat sich dem ange-
wollte er erreichen, dass die Leute das Haus verlassen schlossen –, die Angelegenheit werde so friedlich wie
sollten. Dieser Rechtsstreit zog sich bis vor kurzem hin. möglich gelöst. Genau das ist auch geschehen.
Ein Gericht hat dann eine Entscheidung gefällt und einen
vollstreckbaren Titel erteilt. Diesen Titel hatte ein Ge- (Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie
richtsvollzieher umzusetzen. So ist das nun einmal in un- bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
(B) GRÜNEN) (D)
serer Rechtsordnung. Jeder, der die Situation vor Ort
kennt, weiß, dass der arme Mann natürlich nicht alleine
Im Endergebnis wurde dem Hauseigentümer sein
dort hingehen konnte; darum wurde durch die Polizei
Haus übergeben. Ich kann nicht verstehen, was man in
Vollzugshilfe geleistet.
dieser Aktuellen Stunde in den Vordergrund stellen will.
(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Warum Für mich als alter Berliner ist das kalter Kaffee. Sie bud-
denn eigentlich nicht?) deln hier eine Geschichte aus, die etwa 30 Jahre zurück-
liegt. Der Kollege Ströbele war damals schon dabei.
– Er kann das wohl kaum leisten, weil die Leute das
Haus nicht freiwillig verlassen wollen. (Heiterkeit bei der SPD)
(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Ach so! – Er stand mir öfter mal gegenüber. Dass er seine Meinung
Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU]: Also nicht ändern wird, ist doch wohl klar.
keine Besetzung?)
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
– Nein, das Haus ist nach wie vor nicht besetzt; die NEN]: Sie waren auch dabei, Herr Kollege
Leute sind nach wie vor Mieter. Sie müssen aber auf- Gunkel!)
grund des Räumungstitels das Haus räumen. Die Polizei
hat also Amtshilfe bzw. in diesem Fall Vollzugshilfe ge- – Ja, auch ich, aber auch Frau Künast.
leistet und die entsprechenden Maßnahmen getroffen. (Lars Lindemann [FDP]: Da waren Sie ja alle
Weil Sie so schön dazwischenrufen: Sie können an- dabei!)
hand dieses hervorragend vorbereiteten, durchgeführten Sie hat damals als Vorsitzende der AL sogar die Koali-
sowie nachbereiteten Einsatzes der Berliner Polizei ler- tion von Rot-Grün wegen einer Häuserräumung platzen
nen, wie man verhältnismäßig vorgeht. Das gilt insbe- lassen.
sondere im Hinblick auf Ihr Auftreten bei Stuttgart 21.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie NEN]: Drei Häuser, bitte schön!)
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE
GRÜNEN) Der Wandel, dem sich die Grünen unterzogen haben, ist
schon erstaunlich, lieber Kollege Wieland.
Da wurde gegen friedliche Bürger, Kinder, Studenten
und andere mit Maßnahmen vorgegangen, die zur Er- (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
blindung eines Menschen geführt haben. Hier sind ganz NEN]: Wir machen heute Geschichtsstunde! –
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 10011
Wolfgang Gunkel
(A) Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Schön, dass Die Freiheit des Einzelnen endet … dort, wo mit (C)
Sie das alles laut sagen!) Gewalt rechtswidrig in die Rechte Dritter eingegrif-
fen wird.
Da Frau Künast jetzt als Bürgermeisterin kandidiert, ist
klar, dass sie heute eine andere Haltung einnehmen (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
muss. der CDU/CSU)
Lassen Sie mich zusammenfassend sagen, dass dies Was auffällt, ist, dass sich immer wieder eine be-
keine Aktuelle Stunde, sondern eine Märchenstunde ist. stimmte Richtung für diese Straftaten verantwortlich
In diesem Sinne: Vielen Dank für die Aufmerksamkeit. zeigt. Was man nicht oft genug wiederholen kann, ist,
dass die Gewalttaten aus der linksextremen Szene klar
(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie verurteilt werden müssen, und zwar von allen in diesem
bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE Hause.
GRÜNEN – Stefanie Vogelsang (CDU/CSU):
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Wir werden den Polizisten in Baden-Württem-
der CDU/CSU)
berg sagen, dass Sie das für „Papierkügelchen“
gehalten haben!) Angriffe auf Polizisten, Beschädigung von Geschäften,
Zerstören von Einrichtungen, Anzünden von Autos – all
Vizepräsidentin Petra Pau: diese Taten in Berlin und im Rest der Republik sind
durch nichts zu rechtfertigen. Das ergibt sich nicht nur
Der Kollege Kurth hat für die FDP-Fraktion das Wort. aus dem grundsätzlichen Schutz des Eigentums, sondern
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ganz konkret auch aus dem Umstand, dass linke Gewalt-
der CDU/CSU) taten einfache Menschen treffen: Ladengeschäfte gehö-
ren keinen Superreichen; die Zerstörung von Einrichtun-
gen und abgebrannte Autos treffen keine Superreichen.
Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Betroffen sind vielmehr ganz normale Versicherungs-
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und nehmer. Gewalt gegen Polizisten bedeutet verletzte Fa-
Herren! Sehr geehrter Herr Gunkel, Sie sprachen von milienväter, bedeutet bedrohte Töchter und Frauen.
„kalter Kaffee“ und „Märchenstunde“. (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- An dieser Stelle richte ich deshalb meinen herzlichen
NEN]: Ja, die haben wir hier!) Dank an die vielen Menschen, die einen schweren
(B) 100 Polizisten wurden verletzt, 99 Personen festgenom- Dienst verrichten, um den Rechtsstaat zu verteidigen: an (D)
die Polizisten, die Mitarbeiter der Verwaltung und die
men, Sachschaden in Millionenhöhe und ein über 4 Stun-
Ordnungsbeamten. Ihnen gilt unser Dank.
den dauernder Einsatz, der wahrscheinlich weitere Mil-
lionen gekostet hat – das ist die Bilanz des 2. Februar. Das (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
ist keine „Märchenstunde“, das ist kein „kalter Kaffee“,
das ist Berlin. Die linksextreme Gewalt ist durch nichts zu rechtfer-
tigen. Man vermisst, leider auch in dieser Diskussion,
(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – La- klare Worte der Opposition dazu. Man fragt sich schon,
chen bei der SPD – Mechthild Rawert [SPD]: welche Vorstellung Menschen aus der linksextremen
Sie wohnen hier! Vergessen Sie das nicht! – Szene vom gesellschaftlichen Zusammenleben haben.
Christian Lange [Backnang] [SPD]: Nun ma- Leben auf Kosten anderer? Nehmen, was ihnen nicht zu-
chen Sie Berlin mal nicht schlecht! Es ist un- steht? Zerstören, was ihnen in die Quere kommt? Und
glaublich, wie Sie mit der Stadt umgehen! Da diese Straftaten sollen am Ende auch noch politisch ge-
muss man sich ja schämen!) adelt werden? Ich hoffe, das gesamte Haus verurteilt sol-
che Gewalttaten.
Worum ging es hier? Es ging um eine Selbstverständ-
lichkeit in einem Rechtsstaat. Es ging um den Schutz von (Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)
Eigentum. In diesem Land wird Eigentum respektiert. Es Worum ging es im konkreten Fall? Um ein Kulturpro-
wird nicht nur respektiert, es wird auch verteidigt. Eigen- jekt, um eine moderne Form des Lebens oder Ähnliches?
tum ist nicht nur grundsätzlich vor staatlichem Zugriff ge- Die Berliner Zeitung fragte:
schützt, sondern eben auch vor unrechtmäßigem privaten
Zugriff. Warum eigentlich nochmal hätten „wir alle“ uns ge-
rade jetzt mit den Bewohnern der Liebigstraße 14
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Eigentum solidarisch erklären sollen? In welcher Hinsicht
verpflichtet!) geht ihre Renitenz, ihr Kampf, ihr künstlerischer
und kreativer Einsatz „uns alle“ an? Welcher politi-
Wir Liberale stehen dafür, dass der staatliche Einfluss sche Wille verbindet sich mit diesem Projekt?
da, wo es möglich ist, zurückgenommen wird. Bei sol-
chen Dingen muss man aber konsequent vorgehen. Hier Welche Vision einer Stadt steckt dahinter? Mit wel-
geht es nicht um Versammlungsfreiheit oder Ähnliches. cher Form von Kultur wollten die Bewohner dieses
Die Berliner FDP hat dazu richtigerweise Stellung bezo- Hauses ihre Umgebung bereichern, herausfordern,
gen – Zitat –: beglücken? Man weiß es nicht. Auf alle diese Fra-
10012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011
Dazu verweigern Sie Gespräche, Sie verweigern die (Beifall bei der LINKEN – Stefanie Vogelsang
Realität, Sie verweigern die Fakten. Kurz gesagt: Sie [CDU/CSU]: Handeln Sie, und reden Sie hier
sind Totalverweigerer, und das ändert sich auch nicht kein falsches Wort!)
durch Ihr Dazwischenbrüllen.
Vizepräsidentin Petra Pau:
(Beifall bei der LINKEN)
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-
In meinem Wahlkreis fand gestern eine Veranstaltung lege Wieland das Wort.
einer Betroffeneninitiative – die Wohnungen befinden
sich in einem Sanierungsgebiet – statt. Dort sagte eine Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
ältere Frau, dass sie in drei Jahren in Altersrente gehen
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was die
wird und dass sie und ihr Mann sich die Wohnung dann
Koalition mit der Beantragung dieser Aktuellen Stunde
nicht mehr leisten können. Darüber sollten wir reden,
erreichen wollte, ist, denke ich, Frau Kollegin
statt hier Pappkameraden aufzubauen.
Wawzyniak, ganz eindeutig: Ihnen als rot-rotem Senat in
(Beifall bei der LINKEN – Patrick Kurth Berlin etwas am Zeug zu flicken – das war die falsche
[Kyffhäuser] [FDP]: Reden sie einmal mit Ih- Ebene; das haben Sie richtig gesehen – und uns bei der
ren Pappkameraden! – Stefanie Vogelsang Gelegenheit auch noch etwas vorzuwerfen, nämlich dass
[CDU/CSU]: Wer erhöht denn die Gebühren? der liebe Kollege Ströbele in der Liebigstraße nicht so
Sie setzen alles rauf! Wasserpreise ohne Ende! agiert habe, wie sie es offenbar gerne wollte.
Und hier stellen Sie sich so hin?)
Dazu sage ich zunächst einmal Folgendes: Nach der
Wenn Sie wirklich etwas gegen Verdrängung aus In- Räumung gab es Randale, zum Beispiel in Hamburg
nenstädten, gegen Gentrifizierung tun wollen, dann – zurzeit unter CDU-Alleinregierung; dies ist nicht mehr
kümmern Sie sich um die Fragen des Mietrechts und lange so –, in Göttingen – dort gibt es eine schwarz-
nicht um Scheinprobleme wie das sogenannte Miet- gelbe Landesregierung – und in Rostock, wo die CDU
nomadentum. Ich bin gespannt, wie Sie sich morgen zu mitregiert. Also hören Sie endlich auf, komplexe Fragen
10014 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011
Wolfgang Wieland
(A) der inneren Sicherheit und des inneren Friedens plump dass der Berliner Fraktionsvorstand erklärt, die polizeili- (C)
auf eine Farbskala zu reduzieren. che Räumung sei besonnen und klug durchgeführt wor-
den.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,
bei der SPD und der LINKEN) (Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Dieser Stein fällt Ihnen auf die eigenen Füße. Man kann doch sagen: Wir möchten diese oder jene
Maßnahme verhindern. – Das machen wir sehr oft; den-
Gerade Sie, Herr Wegner – wir kennen uns nicht erst ken Sie nur an Gorleben. Wenn die Maßnahme dennoch
seit heute –, müssten doch wissen, dass in Berlin der durchgeführt wird, können wir gleichzeitig sagen: Wir
größte Unfrieden um besetzte Häuser zu einem Zeit- wollen, dass deeskalierend vorgegangen wird. Wir wol-
punkt war, als Ihr Heinrich Lummer, len, wie Herr Gunkel richtig gesagt hat,
(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Genau!) (Wolfgang Gunkel [SPD]: Oh!)
dessen treuerster Schildknappe Sie waren, als Innense- professionelle Polizeieinsätze.
nator glaubte, ein Haus nach dem anderen räumen zu
können. Zu der Zeit ging es richtig ab in dieser Stadt. (Zuruf von der LINKEN: Eben! Das mögen
wir nicht! – Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]:
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Ja!)
bei der SPD und der LINKEN – Stefanie
Vogelsang [CDU/CSU]: Zu der Zeit war Ham- Wenn sie stattfinden, dann loben wir sie auch. Das ist
burg kuschelig, oder wie?) das Gegenteil von Doppelzüngigkeit. Das ist eine gerad-
linige, korrekte Haltung, die wir haben.
Machen Sie jetzt nicht madig, dass Kollege Ströbele,
aber auch der Bezirksbürgermeister Franz Schulz ver- (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
sucht haben, zu einer Verhandlungslösung zu kommen. und bei der SPD – Stefan Liebich [DIE
Kollege Ströbele hat drei Jahre lang Briefe geschrieben, LINKE]: Wir wollen Ströbele hören!)
er ist initiativ geworden und hat mit der Senatsverwal- Genauso eindeutig war bei allen, die von uns zu die-
tung geredet. Er hat sich ganz lange für dieses Haus ein- sem Thema das Wort ergriffen haben, die Ablehnung
gesetzt. Sie haben hier gesagt, das seien alles Gewalttä- von Gewalt. Wenn Sie das nicht verstehen, Frau
ter und die Situation sei fürchterlich. Ihr früherer Wawzyniak, und wenn Sie wirklich meinen, das sei
Regierender Bürgermeister Richard von Weizsäcker war keine einheitliche Haltung, dann haben Sie offenbar die
der Erste, der im Rathaus Schöneberg sogenannte Frie- gleichen Denkschemata wie die Autonomen im Kopf.
densgespräche mit verhandlungsbereiten Hausbeset- Die können das auch nicht differenziert betrachten. Die
(B) zern, mit Kirchen und mit Verbänden initiiert und ge- (D)
können das auch nur einseitig beurteilen und glauben,
führt hat. hier gebe es einen riesigen Widerspruch.
(Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Dagegen hat (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
keiner etwas!) der FDP – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]:
Natürlich! Was sagen denn Herr Ratzmann
Das war richtig, das war notwendig, und das hat dazu ge-
und die anderen dazu?)
führt, dass mehr als 100 besetzte Häuser legalisiert wur-
den. Abschließend. Wir haben natürlich auch kritisiert,
dass der rot-rote Senat die Suche nach einer Alternativ-
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) lösung, einer Ersatzlösung nicht betrieben hat;
Warum ist es richtig, wenn es Richard von Weizsäcker (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
tut, und warum ist es falsch, wenn sich Christian sowie der Abg. Stefanie Vogelsang [CDU/
Ströbele darum bemüht? CSU] – Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ich
(Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Das hat kei- würde gerne mal hören, was Ströbele dazu
ner gesagt!) sagt!)
Das erklären Sie mir bitte! dafür gibt es Beispiele. Ströbele weiß das genau,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – (Stefan Liebich [DIE LINKE]: Warum redet
Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Das hat kein Ströbele denn nicht? – Halina Wawzyniak
Mensch gesagt, Herr Wieland!) [DIE LINKE]: Hätten Sie mal Ströbele reden
lassen! Der weiß es besser als Sie!)
Nichts anderes haben der Bezirksbürgermeister und
Christian Ströbele gemacht. und er hat es gesagt. Auch der Bezirksbürgermeister
weiß das genau.
Sie sagen, es sei eine riesige Doppelzüngigkeit der
(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wir wollen
Grünen und eine Heuchelei,
Ströbele hören!)
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ja! Hören
Es gab kein Ersatzangebot.
Sie sich Ratzmann und Pop doch mal an! –
Gegenruf von der CDU/CSU: Die haben nun (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Doch! Gab
mal zwei Gesichter!) es!)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 10015
Wolfgang Wieland
(A) So etwas gibt es in anderen Bezirken. Stephan Mayer (Altötting) (CDU/CSU): (C)
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Ach ja? In ginnen! Sehr geehrte Kollegen! Ich habe Verständnis da-
anderen Bezirken?) für, dass Ihnen, meine sehr verehrten Kollegen von den
– Natürlich gibt es das in anderen Bezirken, Oppositionsfraktionen, diese Aktuelle Stunde denkbar
unangenehm ist.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Quatsch! –
in Mitte zum Beispiel das Atelierhaus Wiesenstraße und Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]:
das Ex-Rotaprint-Gebäude. Aus dem Liegenschafts- Wie bitte? Den Eindruck hatten wir gerade
fonds des Senats, in den die Bezirke all ihre Grundstücke aber nicht! Ein Grüner hat gesprochen, und die
übertragen mussten Union hat geklatscht! Das war doch wunder-
bar!)
(Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Genau!)
Mich befremdet aber – das muss ich in aller Deutlichkeit
– sie konnten sie nicht behalten –, wurden Grundstücke
sagen –, dass Sie diese Aktuelle Stunde als Wahlkampf-
zur Verfügung gestellt, und das wurde über eine Stiftung getöse, als Märchenstunde und als Klamauk abtun.
finanziert.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Richtig!
Dafür war das Geld auch!) Ich möchte Sie auffordern – das ist sehr ernst ge-
meint –, dies den 61 Polizisten, die bei diesem Einsatz
Das ist eine politische Lösung, die der Bezirk wollte und verletzt wurden, zu sagen. Ich möchte Sie bitten, dies
für die es vom Senat null Unterstützung gab. den Nachbarn der Liebigstraße 14 zu sagen,
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das ist ein (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE
Ammenmärchen!) GRÜNEN]: Sicher! Wir gehen da nämlich hin,
Das müssen Sie sich sagen lassen. Sie aber nicht! – Wolfgang Wieland [BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN]: Tun wir! – Weiterer
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Geht doch mal mit da hin!)
Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]) die geradezu flehend Transparente mit der Aufschrift
Ihre Politik, Frau Wawzyniak, erst Zehntausende von „Hier lebt und schläft ein Kind“ ins Fenster gehängt ha-
Wohnungen zu verkaufen – das hat Rot-Rot gemacht – ben, weil sie Angst hatten, dass die Bewohner der
(B) Liebigstraße 14 Farbbeutel auf dieses Fenster werfen. (D)
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und
der FDP) (Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN]: Mit wem haben Sie denn da gere-
und dann die Wohnungen, die Sie gerade verkauft haben, det?)
zu rekommunalisieren,
Ich möchte Sie bitten, dies auch dem Inhaber des Auto-
(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Ach! So ein hauses, dessen Schaufenster zerstört wurden, zu sagen.
Quatsch! Ihr wollt doch alles verticken, was
noch geht! – Patrick Kurth [Kyffhäuser] (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: In der Lie-
bigstraße? Da ist kein Autohaus! Schade, dass
[FDP]: Sehr richtig! So war das!)
Sie sich in Berlin nicht auskennen!)
ist nun wirklich alles andere als glaubwürdig. Das ist
Ich möchte Sie bitten, dies auch den Geschäftsführern
Heuchelei. der beiden Kaufhäuser, die im Rahmen der Krawalle und
(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Wo er der Ausschreitungen am 2. Februar dieses Jahres demo-
recht hat, hat er recht!) liert wurden, zu sagen.
Deswegen schreien Sie so. (Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN]: Das sagen wir doch!)
Vielen Dank.
Ich höre in diesem Haus von Ihrer Seite kein einziges
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Wort des Bedauerns für die Opfer dieser Krawalle; das
sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der fehlt mir.
SPD und der FDP – Patrick Kurth [Kyffhäu-
ser] [FDP]: Guter Mann! – Weiterer Zuruf von (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
der FDP: Ja, genau! Da tut es den Linken weh! – Sie sprechen nur über die Täter, aber in keiner Weise
Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wir wollen über die Opfer.
Ströbele hören!)
Um eines einmal klar zu sagen: Die Rechtfertigung
für diese Aktuelle Stunde im Deutschen Bundestag er-
Vizepräsidentin Petra Pau: gibt sich nicht daraus, dass offenbar einige Linksauto-
Der Kollege Mayer hat für die Unionsfraktion das nome und Linksextreme in Deutschland und vor allem in
Wort. Berlin – und zu ihnen gehören auch
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) (Mechthild Rawert [SPD]: Selbst in Bayern!)
10016 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU) der CDU/CSU)
Ich will mich auch an die Linke wenden, Frau Kolle-
Stephan Thomae (FDP): gin Wawzyniak, weil auch Sie versucht haben, dem Ei-
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die gentümer die Schuld in die Schuhe zu schieben, weil er
FDP macht sich immer und jederzeit zum Anwalt der Gespräche mit den Bewohnern verweigert habe und
Vielfalt der Lebensentwürfe und Lebensformen, auch al- nicht an einer politischen Lösung interessiert gewesen
ternativer Lebensentwürfe und Lebensformen, aber nicht sei.
auf Kosten und zulasten anderer. Die Entfaltungsfreiheit (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Richtig!
findet in der Rechtsstaatlichkeit ihre Grundlage und ihre Das haben Sie begriffen!)
Grenzen. Ich bedauere es sehr, dass aufseiten der Grünen
hierzu noch keine einheitliche und eindeutige Haltung – Das haben Sie gesagt. Richtig. Aber ich frage mich,
gefunden worden ist. warum der Eigentümer des Hauses an einer politischen
Lösung interessiert sein muss, wenn die Kündigung der
Was der grüne Bezirksbürgermeister Schulz dazu zu Mietverträge rechtmäßig und der Räumungstitel rechts-
sagen hatte, waren lediglich Worte des Bedauerns. Er kräftig ist. Dann gibt es keinen Grund, warum der Eigen-
fand es einen schweren Verlust, was angesichts der Räu- tümer nicht daraus vollstrecken darf.
mung des Hauses passiert.
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten
Ich finde es auch bemerkenswert, Kollege Ströbele der CDU/CSU – Halina Wawzyniak [DIE
– das kann ich Ihnen nicht ersparen –, dass Sie lediglich LINKE]: Weil Eigentum verpflichtet!)
dem Geld nachgetrauert haben, das der Polizeieinsatz
zur Räumung des Hauses gekostet hat. Sie sagten – ich Das ist in meinen Augen ein bemerkenswerter Versuch,
erlaube mir, zu zitieren –: „Für den Preis hätte der Senat den Eigentümern die Schuld in die Schuhe zu schieben.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 10019
Stephan Thomae
(A) Das werden wir zurechtrücken, meine Damen und Her- (Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Keine (C)
ren. Hausbesetzer! Mieterinnen und Mieter!)
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Dass Sie im vergangenen Jahr zu einer europaweiten Konferenz
„Eigentum verpflichtet“ nicht akzeptieren, ist mit dem Thema „Straßenkampf“ eingeladen, und die
mir klar!) Gesinnungsgenossen sind gekommen. Die Folgen davon
erleben wir jetzt im ganzen Land. Lieber Kollege Mayer,
Ich will abschließend mit Erlaubnis der Präsidentin ich glaube, wir in Baden-Württemberg und Bayern ver-
eine bemerkenswerte Äußerung eines 30-jährigen Auto- stehen unter einem Geberland etwas anderes. Berlin hat
nomen aus Leipzig zitieren, jetzt zum ersten Mal gezeigt, dass es auch etwas geben
(Mechthild Rawert [SPD]: Außerhalb von kann: Gewalt. Aber das wollen wir nicht.
Berlin!) (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
der extra nach Berlin angereist ist, Frau Kollegin, um Christian Lange [Backnang] [SPD]: So wird
hier mit zu demonstrieren. Er klagte wörtlich, dass im- Berlin nachgemacht!)
mer mehr linke Freiräume verloren gehen.
Drittens. Schwere Ausschreitungen in Berlin und
Wenn linke Freiräume dasselbe sind wie rechtsfreie Hamburg, Parolen wie: „Tritt den Bullen ins Gesicht, bis
Räume, dann, meine ich, ist der Verlust an linken Frei- der Schädel bricht“, 61 verletzte Polizisten. Meine Da-
räumen leicht zu verschmerzen. men und Herren, wir wünschen uns, dass Protest in an-
deren Ländern gewaltfrei stattfindet. Wir appellieren in
Vielen Dank. dieser Form, waren aber in der vergangenen Woche ein
(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten ganz schlechtes Vorbild; das möchte ich einmal deutlich
der CDU/CSU) sagen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
Vizepräsidentin Petra Pau: Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Der Kollege Schuster hat für die Unionsfraktion das NEN]: Was heißt denn „wir“?)
Wort. Sogar die taz schreibt am 4. Februar: Es ist nicht nur die
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeord- Politik der Zeichen, auch der Gewalt. Es ist ein Kampf
neten der FDP) auf der Straße überall und dessen Inszenierung ohne
Rücksicht auf Verluste.
(B) Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU): Meine Damen und Herren, es geht den autonomen (D)
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle- Chaoten nicht um eine Auseinandersetzung, um ein poli-
ginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und tisches Thema oder um eine Botschaft. Wir erleben bei
Herren! Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir diese De- „Liebig 14“ das Ende eines linksradikalen Hausprojekts,
batte führen, und das aus drei Gründen: Erstens. Wir ver- eines Projekts ohne jede gesellschaftliche Relevanz. Al-
urteilen die in Berlin leider schon üblich gewordene ternative Lebensformen gewaltsam durchzusetzen, er-
Randale wie vergangene Woche oder am 1. Mai aus- zeugt in Deutschland schon längst keine Solidarisierung
drücklich und scharf. Welcher absurde Kontrast, wenn mehr. Genau genommen ist es ein anachronistischer
regionale Politiker hier verharmlosend von Fun Events Rückfall in die Zeiten der 80er- und 90er-Jahre. Das ist
gewalttätiger Jugendlicher sprechen! aus meiner Sicht ganz eindeutig das Ergebnis einer Stadt-
politik, die linksextreme Gewalt viel zu lange schon ver-
(Mechthild Rawert [SPD]: Wo waren Sie denn harmlost.
bei der Rede von Herrn Schulz?)
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
Herr Gunkel, Sie haben eben gerade „Rambazamba“
gesagt. Für mich ist das zu verharmlosend. Ich halte es Dafür müssen wir die Regierenden in Berlin endlich
lieber mit dem Polizeipräsidenten Glietsch, der das zur Verantwortung ziehen, oder sie müssen beginnen,
Ganze politisch motivierten Vandalismus nennt und von sich verantwortlich zu fühlen
blinder Zerstörungswut und wahlloser Sachbeschädi-
gung spricht. Darüber muss man im Deutschen Bundes- (Beifall der Abg. Stefanie Vogelsang [CDU/
tag reden. CSU] – Mechthild Rawert [SPD]: Wer ist denn
„wir“? – Zuruf von der CDU/CSU: Abwäh-
Zweitens müssen wir im Deutschen Bundestag auch len! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Das
darüber reden, dass die Berliner Verhältnisse zu Solidari- werden die Wähler tun!)
sierungsaktionen in ganz Deutschland führen, wie in der
vergangenen Woche in Hamburg, Saarbrücken und Ro- für brennende Autos, besetzte Häuser, autonome Ban-
stock oder auch in Göttingen. den, die wahllos in dieser Stadt Sachbeschädigungen be-
gehen.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)
(Stefan Liebich [DIE LINKE]: CDU 17 Pro-
Wundern darf man sich über diese Ausstrahlungswir- zent, FDP 4 Prozent! – Gegenruf der Abg.
kung von Berlin aber nicht. Immerhin haben die hiesigen Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Aber am
Hausbesetzer 18. September 35 Prozent, Herr Kollege!)
10020 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011
(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Da hat er Meine sehr verehrten Damen und Herren von den
recht!) Linken, mit der Scheinheiligkeit kennt sich Frau Lötzsch
nun wirklich aus. Wer die „Wege zum Kommunismus“
Dazu muss man sagen: Wer die kulturelle Vielfalt über sucht und sich dabei nicht scheut, Veranstaltungen ge-
unser Recht stellt, ist doch wohl falsch im Amt des Be- meinsam mit ehemaligen RAF-Terroristen durchzufüh-
zirksbürgermeisters. ren, disqualifiziert sich an dieser Stelle wirklich selbst.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
(Mechthild Rawert [SPD]: Das war in Ihrem
Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
Wahlkreis! Vorsicht! – Lachen bei der CDU/
NEN]: Hat er doch nicht gemacht! Meine
CSU)
Güte!)
Jetzt kommen wir zum Kollegen Ströbele, der wieder – Das tut gar nichts zur Sache.
da ist. Sie haben, wenn ich es richtig gesehen habe, in Meine Damen und Herren, ich komme jetzt zum
der Presse dieses alternative Wohnprojekt als Marken- Schluss. In Deutschland und besonders in Berlin ist nun
zeichen Berlins bezeichnet. Ich weiß nicht, wie es Ihnen, wirklich viel Platz für bunte Lebensweisen, und das ist
meine Damen und Herren, geht. Auf Markenzeichen, die auch in Ordnung so. Aber in unserem Land ist kein Platz
von gewaltbereiten Leuten bewohnt werden, kann ich für Straftäter und Chaoten, deren einziges Ziel es ist, ihre
sehr gut verzichten. Interessen auf Kosten anderer rücksichtslos und mit Ge-
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) walt durchzusetzen. In unserem Land ist kein Platz für
die „Wege zum Kommunismus“, wie sie die Linken su-
Herr Ströbele, man muss festhalten: Berlin hat ganz an- chen. In unserem Land ist kein Platz für die Verherrli-
dere Markenzeichen. Berlin hat den Berliner Bären, chung oder Verharmlosung von links- oder rechtsextre- (D)
(B)
(Mechthild Rawert [SPD]: Buddies!) mer Gewalt. In unserem Land ist auch kein Platz für
Angriffe auf Polizisten. Weil das so ist, ist in unserem
Berlin steht für die friedliche Überwindung der deutsch- Land auch kein Platz für Argumentationen, wie sie uns
deutschen Teilung und der Mauer, die mitten durch die die Linken und die Grünen hier anbieten: widersprüch-
Stadt ging, und vieles mehr. Das sind die richtigen Mar- lich, inkonsequent und ohne klare Abgrenzung zu den
kenzeichen Berlins, nicht aber linksautonome Projekte Linksautonomen.
wie die in der Liebigstraße.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Vielen Dank.
Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP –
NEN]: Und die Schultheissberliner wie Sie!) Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Eine Große
Jetzt kommen wir – das ist schon angesprochen wor- Koalition machen wir trotzdem nicht!)
den – zu der Bundesvorsitzenden der Linken. Da wird es
wirklich ganz absurd. Sie sagt, sie hätte sich eine politi- Vizepräsidentin Petra Pau:
sche und friedliche Lösung gewünscht. Dann schiebt sie Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
die politische Verantwortung dem Berliner Senat zu. In ordnung angelangt.
dem Falle hat sie zwar recht, aber vermutlich hat sie ver-
gessen, dass die Linke seit zehn Jahren in dieser Stadt Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
mitregiert. Das ist doch wirklich an Scheinheiligkeit destages auf morgen, Donnerstag, den 10. Februar 2011,
nicht mehr zu überbieten. 9 Uhr, ein.
(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Die Sitzung ist geschlossen.
Mechthild Rawert [SPD]: Sie sind ja nur nei-
disch!) (Schluss der Sitzung: 18.37 Uhr)
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 10023
Anlage 1 Anlage 2
Liste der entschuldigten Abgeordneten Antwort
des Parl. Staatssekretärs Dr. Andreas Scheuer auf die
entschuldigt bis Frage der Abgeordneten Ulrike Gottschalck (SPD)
Abgeordnete(r) einschließlich (Drucksache 17/4638, Frage 11):
Wie will die Bundesregierung dem Ziel gerecht werden,
Bülow, Marco SPD 09.02.2011 mehr Güter von der Straße auf den umweltfreundlichen Ver-
kehrsträger Wasserstraße zu bringen, wenn sie diesem Bereich
Finanzmittel entzieht und zudem große Teile der Infrastruktur
Friedhoff, Paul K. FDP 09.02.2011
aufgibt?
Gottschalck, Ulrike SPD 09.02.2011 Ein zentrales verkehrspolitisches Ziel der Bundesre-
gierung ist die Verlagerung von Verkehr von der Straße
Graf (Rosenheim), SPD 09.02.2011 auf die umweltfreundlicheren Verkehrsträger Schiene
Angelika und Wasserstraße, wo immer dies möglich und sinnvoll
ist. Ein Großteil der Verlagerung des zusätzlich zu er-
Dr. Freiherr zu CDU/CSU 09.02.2011 wartenden Transportaufkommens trägt dazu bei, Um-
Guttenberg, welt- und Klimaschutzziele zu erreichen und die opti-
Karl-Theodor male Nutzung des Verkehrsnetzes zu verbessern. Diese
Zielsetzung ist daher auch in den Aktionsplan Güterver-
Herlitzius, Bettina BÜNDNIS 90/ 09.02.2011
kehr und Logistik aufgenommen worden. Unter der Ziel-
DIE GRÜNEN
setzung „Stärken aller Verkehrsträger durch optimal ver-
Dr. Jochimsen, Lukrezia DIE LINKE 09.02.2011 netzte Verkehrswege nutzen“ enthält der Aktionsplan als
konkrete Maßnahmen zum Beispiel die „Verbesserung
Dr. Knopek, Lutz FDP 09.02.2011 der Rahmenbedingungen für den Kombinierten Verkehr“
und die „Förderung von Innovationen und Kapazitäts-
Lenkert, Ralph DIE LINKE 09.02.2011 steigerungen im intermodalen Verkehr“.
(B) Leutert, Michael DIE LINKE 09.02.2011 Im Übrigen geht die Frage offenbar davon aus, dass (D)
dem Verkehrsträger Wasserstraße einseitig Finanzmittel
Lutze, Thomas DIE LINKE 09.02.2011 entzogen würden. Dies ist unzutreffend. Die notwendige
Konsolidierung des Bundeshaushaltes führt zu Restrik-
Dr. de Maizière, Thomas CDU/CSU 09.02.2011 tionen bei allen Verkehrsträgern.
Möller, Kornelia DIE LINKE 09.02.2011 der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die
Fragen des Abgeordneten Dr. Hermann Ott (BÜND-
Nietan, Dietmar SPD 09.02.2011 NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/4638, Fragen 19
und 20):
Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 09.02.2011 In welchem Rahmen – Zuständigkeit der Bundesministe-
rien, Mitarbeit im Transitional Committee – und in welcher
Dr. Raabe, Sascha SPD 09.02.2011 Form – Mittelhöhe und Verwendung – beteiligt sich Deutsch-
land im Rahmen der multilateralen und bilateralen Klimapoli-
Dr. Ruppert, Stefan FDP 09.02.2011 tik am Green Climate Fund?
Wie verteilt sich die finanzielle Beteiligung auf die ver-
Dr. Schick, Gerhard BÜNDNIS 90/ 09.02.2011 schiedenen Bundesministerien, und welches Bundesministe-
DIE GRÜNEN rium hat die Federführung?
(A) Zu Frage 20: Der Vorgang ist von den beteiligten Behörden und (C)
Sachverständigenorganisationen intensiv erörtert worden.
Das Transitional Committee hat die Aufgabe, bis zur Im Rahmen der abschließenden Bewertung des Sachver-
17. Vertragsstaatenkonferenz der Klimarahmenkonven- halts, unter anderem auch nach Beratung durch die Re-
tion (Durban, Dezember 2011) Vorschläge zur näheren aktor-Sicherheitskommission, hielt es die bayerische
Ausgestaltung des Green Climate Fund vorzulegen. Da- Atomaufsicht – wie auch das BMU – für erforderlich be-
her können zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine reits im März 2011 eine abschließende Ursachenklärung
Aussagen zur möglichen finanziellen Beteiligung Deutsch- herbeizuführen.
lands getroffen werden. Die Bundesregierung bekennt
sich jedoch zu den in Cancún getroffen Beschlüssen und
sieht die Einrichtung des Green Climate Fund als ein Anlage 6
wichtiges Element zur Ausgestaltung der internationalen
Klimafinanzierungsarchitektur. Antwort
der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die
Frage des Abgeordneten Dirk Becker (SPD) (Drucksa-
Anlage 4 che 17/4638, Frage 30):
Antwort Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die
Dioxinbelastung und damit eine mögliche Gesundheitsschäd-
der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die lichkeit von Biodiesel vor?
Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜND-
Auch bei den für die Biodieselproduktion eingesetzten
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/4638, Frage 21):
Rohstoffen, wie beispielsweise Ölsaaten, muss grundsätz-
Was sind die wesentlichen Inhalte und Aussagen der lich – wie bei allen anderen landwirtschaftlichen Produk-
Nachrüstliste, die die schleswig-holsteinische Atomaufsichts- ten – von einer Hintergrundbelastung mit Dioxinen
behörde dem BMU am 2. September 2010 übermittelt hat
– bitte auch mit Angabe, auf welche der drei schleswig-hol- ausgegangen werden. Beim Einsatz in der Biodieselpro-
steinischen Anlagen sie sich bezieht –, und welche weiteren duktion gelten für diese Rohstoffe die Grenzwerte der
Informationen zum anlagenspezifischen Nachrüstbedarf wur- Chemikalienverbots-Verordnung. Bei der Herstellung
den dem BMU von den fünf Landesatomaufsichtsbehörden von Biodiesel kann jedoch kein Dioxin entstehen. Vo-
im Zusammenhang mit der Bund-/Länder-Nachrüstliste für
Atomkraftwerke seit dem 2. September 2010 noch übermittelt –
raussetzungen für die Entstehung von Dioxin sind sowohl
gegebenenfalls bitte insbesondere mit Angabe des Datums die Anwesenheit von Chlor oder chemischen Verbindun-
und Umfangs der übermittelten Informationen? gen von Chlor, von organischen Materialien aber auch
Reaktionstemperaturen von mehr als 250 °C. Entspre-
(B) Die am 2. September 2010 beim Bundesministerium chende Bedingungen sind bei der Herstellung von Biodie- (D)
für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU, sel aus Pflanzenölen und Tierfetten ausgeschlossen.
eingegangene Liste des Landes Schleswig-Holstein ist
eine tabellarische Auflistung zur Umsetzung von zehn Bei Biodieselanlagen, die gebrauchte Speisefette ver-
Einzelmaßnahmen aus der sogenannten Nachrüstliste arbeiten, könnte Dioxin nur unter bestimmten Vorausset-
„Sicherheitstechnische Anforderungen/Maßnahmen zur zungen in den Prozess eingeschleust werden. Dies
weiteren Vorsorge gegen Risiken“ in den drei schleswig- könnte der Fall sein, wenn der Rohstoff Altfett mit ge-
holsteinischen Anlagen. brauchten technischen Altfetten und (Bio-)Altölen, die
bereits mit Dioxinen verunreinigt sind, vermischt wurde.
Weitere Informationen zum anlagenspezifischen Das Dioxin würde jedoch nach der Abdestillation des
Nachrüstbedarf in anderen Bundesländern liegen bisher Biodiesels als Rückstand in der Sumpfphase der Vaku-
nicht vor, werden aber Gegenstand der bevorstehenden umdestillation zusammen mit den größtenteils höhermo-
Gespräche des BMU mit den Ländern sein. lekularen Fettsäureresten verbleiben. Ein entsprechender
Rückstand muss in der Folge nach den Vorschriften des
Abfallrechts – Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz –
Anlage 5 entweder schadlos und ordnungsgemäß verwertet oder
allgemeinwohlverträglich beseitigt werden.
Antwort
der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die
Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜND- Anlage 7
NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/4638, Frage 22):
Antwort
Ist es nach den Erkenntnissen des Bundesministeriums für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, BMU, korrekt, der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die
dass die bayerische Atomaufsichtsbehörde zunächst die Posi- Frage des Abgeordneten Dirk Becker (SPD) (Druck-
tion vertrat, das Kernkraftwerk Grafenrheinfeld, KKG, über sache 17/4638, Frage 31):
das Jahr 2011 hinaus mit dem bestehenden Primärkreislaufbe-
fund weiterlaufen lassen zu wollen – gegebenenfalls bitte mit Sind der Bundesregierung Studien bekannt, die die Schad-
Angabe, bis wann die bayerische Atomaufsicht diese Position stoffbelastung mit Dioxin nach der Verbrennung in Kraftfahr-
vertrat –, und ab wann hielt die bayerische Atomaufsicht nach zeugmotoren in der Luft und in den Böden untersuchen, und,
den Erkenntnissen des BMU einen Austausch des vom Be- wenn ja, zu welchem Ergebnis führen diese?
fund betroffenen KKG-Rohrsegments bzw. eine Verfügbarkeit
des zu fertigenden Austauschrohrsegments circa ab März/ In einem vom Umweltbundesamt veröffentlichten
April 2011 für möglich? Hintergrundpapier zu Dioxinen, Juni 2010, werden
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 10025
(A) sowohl die Entwicklung der Dioxinemissionen im Zeit- die sich für die weitere Qualitätsentwicklung in der (C)
raum 1990 bis 2004 als auch die Dioxinemissionsquellen Hochschullehre engagieren.
in Deutschland beleuchtet. Demnach konnten die jährli-
chen Dioxinemissionen, in Gramm Toxizitätsäquiva-
lente, Gramm I-TEQ, seit 1990 um rund 92 Prozent ge- Anlage 9
senkt werden. Der gesamte Verkehrsbereich hatte dabei
im Jahr 2004 einen Anteil von rund 4 Prozent an den Ge- Antwort
samtdioxinemissionen. Eine weitergehende Analyse hin- des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Fragen
sichtlich des Emissionsbeitrags straßen- und nichtstra- des Abgeordneten Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD)
ßengebundener Kraftfahrzeuge erfolgt im Rahmen des (Drucksache 17/4638, Fragen 37 und 38):
genannten UBA-Hintergrundpapiers nicht. Welche Ergebnisse hatte das Treffen der Steuerungsgruppe
von Bund und Ländern am 28. Januar 2011 zur Frage der Um-
Die Dioxinemissionen des straßen- und nichtstraßen- setzung des Studienplatzmehrbedarfs im Hochschulpakt auf-
gebundenen (Land-)Verkehrs werden im „European grund der Aussetzung der Wehrpflicht?
Union emission inventory report 1990 bis 2008 under Hat die Bundesregierung zum Treffen der Steuerungs-
the UNECE Convention on Long-range Transboundary gruppe von Bund und Ländern am 28. Januar 2011 den Län-
Air Pollution, LRTAP“ beleuchtet. Dem straßen- und dern ein Angebot zur Umsetzung der Finanzierung vorgelegt,
nichtstraßengebundenen Verkehr wird in diesem zusam- und, wenn ja, beinhaltet es eine Anpassung des Ausgaben-
deckels des Bundes im Hochschulpakt II oder die Anpassung
menfassenden Emissionsbericht für die „EU 27“ nur ein der Vorauszahlungen an die Länder?
sehr geringer Anteil von 2 Prozent an den Gesamtemis-
sionen der Gruppe der „Dixone und Furane“ zugeordnet. Zu Frage 37:
Der straßen- und nichtstraßengebundene Verkehrsbe-
reich stelle demnach keine wesentliche Quelle, soge- Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz, GWK,
nannte Key Category, für Dioxine dar. von Bund und Ländern hat mit ihrem Beschluss vom
8. Dezember 2010 die Staatssekretärs-Arbeitsgruppe
„Hochschulpakt“ beauftragt, im Lichte der Entscheidung
Anlage 8 des Bundes zur Aussetzung von Wehr- und Zivildienst
und einer Prognose der Kommission für Statistik der
Antwort Kultusministerkonferenz über deren Auswirkungen Vor-
des Parl. Staatssekretärs Thomas Rachel auf die Fragen des schläge zu erarbeiten, wie damit im System des beste-
Abgeordneten René Röspel (SPD) (Drucksache 17/4638, henden Hochschulpakts verantwortungsvoll umzugehen
Fragen 35 und 36): ist. Die Beratungen zwischen Bund und Ländern in Vor-
(B) bereitung der nächsten GWK-Sitzung am 21. März 2011 (D)
Hat die Bundesregierung mit den Ländern eine Einigung
für ein Konzept zur angekündigten Akademie für die Lehre
dauern an.
erzielt, und, wenn nein, woran scheiterte bisher eine Einigung
aus ihrer Sicht? Zu Frage 38:
Hat die Bundesregierung in den Verhandlungen vorge-
schlagen, die Akademie für die Lehre durch den Stifterver-
Die Bundesregierung steht zu ihrer Zusage aus dem
band für die Deutsche Wissenschaft betreuen zu lassen, und Treffen der Regierungschefs von Bund und Ländern am
wenn ja, welche Überlegungen liegen diesem Vorschlag mit 15. Dezember 2010, die aus der Aussetzung des Wehr-
welchem Nutzen zugrunde? und Zivildienstes resultierenden zusätzlichen Studien-
anfänger im System des bestehenden Hochschulpaktes
Zu Frage 35: gemeinsam, wie bislang hälftig durch Bund und Länder
zu finanzieren. Wie damit im System des bestehenden
Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz, GWK,
Hochschulpakts umzugehen ist, ist Gegenstand der lau-
von Bund und Ländern hat am 25. Oktober 2010 über
fenden Beratungen, deren Ergebnissen ich nicht vorgrei-
den Vorschlag einer Akademie für Studium und Lehre
fen kann.
beraten. Sie hat die Staatssekretärs-Arbeitsgruppe
„Hochschulpakt“ beauftragt, bis zur nächsten GWK-Sit-
zung am 21. März 2011 einen Vorschlag zu Aufgaben,
Struktur und Finanzierung einer Akademie vorzulegen. Anlage 10
Die Beratungen zwischen Bund und Ländern verlaufen Antwort
konstruktiv, sind jedoch noch nicht abgeschlossen.
des Parl. Staatssekretärs Dr. Helge Braun auf die Frage
Zu Frage 36: der Abgeordneten Nicole Gohlke (DIE LINKE) (Druck-
sache 17/4638, Frage 39):
Bund und Länder begrüßen, dass sowohl die Hoch- Erwägt die Bundesregierung, die Gelder, die sie durch die
schulseite als auch der Stifterverband für die Deutsche Abschaffung von leistungsabhängigen Schuldennachlässen
Wissenschaft den Vorschlag einer Akademie für Stu- im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes,
dium und Lehre ausdrücklich befürworten. BAföG, gestrichen hat, so einzusetzen, dass die BAföG-
Schulden für alle Betroffenen niedriger ausfallen und im Ge-
Mögliche Organisationsformen einer Akademie für genzug der Zuschussanteil im BAföG erhöht wird, und wie
begründet sie dies?
Studium und Lehre sind Gegenstand der laufenden Bera-
tungen. Selbstverständlich wird in diesem Zusammen- Die von Ihnen angefragte Regelung ist ein Element
hang auch die Einbeziehung relevanter Akteure erörtert, des 23. BAföGÄndG. Im Rahmen dieses Gesetzes wurde
10026 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011
(A) der Bedarfssatz des BAföG um 2 Prozent und die Freibe- strafrechtlich verfolgt wird – vor, sondern ermöglicht ei- (C)
träge um 3 Prozent angehoben. Die Altersgrenze wurde ner unparteiischen humanitären Organisation wie dem
für Studenten, die einen Masterstudiengang absolvieren, Internationalen Komitee vom Roten Kreuz, den am Kon-
auf 35 Jahre festgelegt, Verschlechterungen der Förde- flikt beteiligten Parteien ihre Dienste anzubieten.
rungsart nach einem Fachrichtungswechsel aufgehoben,
Die USA stellen beziehungsweise gewähren Inhaf-
Kinderbetreuungszeiten bei der Altersgrenze besser
tierten dann einen Rechtsbeistand, sobald sie ein Straf-
berücksichtigt, die Förderkonditionen für Schüler
verfahren gegen sie einleiten.
verbessert und eingetragene Lebenspartnerschaften
gleichgestellt. Zudem wurden mit dem Ziel der Entbüro-
kratisierung der Wohngeldzuschlag pauschaliert und Zu Frage 41:
spezielle Darlehensteilerlässe gestrichen. Zur Frage der Beteiligung deutscher Stellen an der
Die zahlreichen Verbesserungen des 23. BAföGÄndG Festnahme des Herrn N. hat sich die Bundesregierung
führen in der Summe zu erheblichen Mehrausgaben bereits wiederholt geäußert. Insoweit erlaube ich mir,
beim Bund und bei den Ländern. Im Haushalt 2011 auf die Antworten der Bundesregierung auf die Schriftli-
wurde der Haushaltsansatz für diese Mehrausgaben be- chen Fragen (Nr. 1/242 und 1/342) Ihrer Fraktionskolle-
reits um 162 Millionen Euro angehoben. Insofern ist aus gen Jelpke und van Aken zu verweisen.
dem 23. BAföGÄndG keine Einsparung entstanden, Bei weiteren Nachfragen hierzu unterrichtet die Bun-
über deren Verwendung noch zu befinden sein könnte, desregierung das Parlament in dem dafür zuständigen
sondern die erwähnten Mehrkosten. Diese tragen jedoch Parlamentarischen Kontrollgremium.
zu Verbesserungen bei, die BAföG-Beziehern nachhaltig
zu Gute kommen.
Anlage 12
Anlage 11 Antwort
(A) Merkel im Januar 2011 politische Führungspersönlichkeiten rungen. Dies gilt ohne Unterschied sowohl für quell- (C)
aus Bosnien-Herzegowina nach Berlin eingeladen hatte, und offene als auch für proprietäre Software.
wer genau hat daran teilgenommen?
Die Bundesregierung hat gemeinsam mit den Part- Das Auswärtige Amt hat Mitte 2010 einen Moderni-
nern in der Europäischen Union großes Interesse daran, sierungsprozess (AA 2020) gestartet. Die IT-Strategie ist
dass der Reformprozess in Bosnien und Herzegowina eng mit diesem Modernisierungsprozess verknüpft. Im
nach den allgemeinen Wahlen am 3. Oktober 2010 wie- Koordinatensystem von Nutzerbedarf, Sicherheit und
der an Fahrt gewinnt. Dies ist wichtig vor allem für Kosten stellt die IT-Strategie den Nutzer in den Mittel-
Bosnien und Herzegowina selbst, aber auch von großer punkt. Nicht das technisch Machbare, sondern das für
Bedeutung für die gesamte Region des Westlichen Bal- den Nutzer zur Erfüllung seiner Aufgaben Notwendige
kans. gibt das Maß für die IT-Entwicklung vor.
Wenn Bosnien und Herzegowina Fortschritte bei der Unter diesen Aspekten konsolidiert das Auswärtige
Annäherung zur Europäischen Union machen will, setzt Amt seine derzeitige sehr ausgefächerte IT-Landschaft.
dies vor allem Anpassungen der Verfassung voraus. Die Dabei entwickelt das Auswärtige Amt seine ursprüng-
jetzige Verfassung ist Teil des Dayton-Friedensabkom- lich ausschließlich auf quelloffene Software ausgerich-
mens von 1995 und hat als solche ihren primären Zweck, tete IT-Strategie fort zu einer kooperativ ausgerichteten
nämlich den Ausbruch neuer Feindseligkeiten zu verhin- IT-Strategie im Rahmen der gemeinsamen IT-Strategie
dern, erfüllt. des Bundes. Wo immer möglich strebt das Auswärtige
Amt im Sinne einer effizienten Ressourcennutzung den
Mit ihren zahlreichen Veto- und Proporzvorschriften Einsatz von in der Bundesverwaltung bereits bestehen-
sowie einem überaus komplizierten Staatsaufbau lähmt den Lösungen an, so zum Beispiel im Rückgriff auf die
sie jedoch die politische Entscheidungsfindung. Bemü- gemeinsamen IT-Dienstleistungszentren des Bundes.
hungen um eine Verfassungsreform sind daher aus Sicht
der Bundesregierung dringend erforderlich. In der IT-gestützten Personalverwaltung beabsichtigt
das Auswärtige Amt eine Kooperation mit dem Bundes-
Lösungen können dabei nur von den Verantwortli- ministerium der Finanzen auf Basis einer dort bereits
chen in Bosnien und Herzegowina gefunden werden. eingesetzten proprietären Standardsoftware.
Die Bundesregierung ist aber bereit, den Gesprächspro-
zess zu begleiten. Vor diesem Hintergrund haben Ende Im laufenden Projekt zur Hardware-Modernisierung
Januar 2011 mehrere Treffen mit den Vorsitzenden der der Server wird eine Virtualisierung der Backoffice-Sys-
größten Parteien in Bosnien und Herzegowina stattge- teme angestrebt. Hier wird dann auch wieder quelloffene
funden. Weitere Gespräche sind geplant. Software eingesetzt. Die Weiterentwicklung der Client-
Systeme orientiert sich stark an den Benutzerbedürfnis-
(B) An den Treffen haben Vertreter der bosnischen Par- (D)
sen. Hier werden proprietäre Client-Lösungen einge-
teien sowie seitens der Bundesregierung Mitarbeiter des setzt.
Bundeskanzleramtes und des Auswärtigen Amtes teilge-
nommen. Die AA-spezifischen IT-Systeme im Umfeld des
Rechts- und Konsularwesens setzen auf webbasierte
Einige der Gäste haben auch kurze Vieraugengesprä- Oberflächen. Hier wird wiederum quelloffene Software
che mit Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel geführt. eingesetzt. So wird es einen Mix aus quelloffenen und
proprietären Software-Lösungen geben.
Anlage 14
Antwort Anlage 15
(A) bei der Sitzung des Europäischen Rates am 4. Februar Tagesordnung des Ausschusses der Ständigen Vertreter (C)
2011 vorgestellten Initiative eines Pakts für Wettbe- der EU-Mitgliedstaaten am 9. Februar 2011 (heute). Die
werbsfähigkeit ist, die wirtschaftliche Koordinierung der Europäische Kommission wird dabei über das weitere
Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion und Vorgehen informieren.
der Europäischen Union zu verstärken, um so die Wett-
bewerbsfähigkeit der EU als Ganzes zu stärken. Die Bundesregierung unterstützt die von der EU-Kom-
mission an die marokkanische Seite wiederholt herange-
Details des Plans sollen in den kommenden Wochen tragene Bitte um Informationen zu den Rückflüssen aus
ausgearbeitet werden. Auch auf EU-Ebene setzt sich die dem Fischereiabkommen der EU mit Marokko an die
Bundesregierung dafür ein, die Ausgabendisziplin zu Bevölkerung der Westsahara.
verbessern. Dabei sollten sich die Anstrengungen der
Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine Steigerung der Eine Analyse der von der marokkanischen Seite vor-
Wettbewerbsfähigkeit auch durch Anpassungen in den gelegten Informationen wurde von der Kommission bis-
Institutionen der EU widerspiegeln. Der Rat hat im Ja- lang nicht vorgelegt. Das Fischereiabkommen enthält
nuar 2011 Ratsschlussfolgerungen, die Deutschland ini- keine Definition des Rechtsstatus der Meeresgewässer
tiiert hat, angenommen, Rats-Dokument 18250/10, und der Westsahara und greift einer Festlegung des Status
darin die EU-Kommission ersucht, bis Ende 2011 ange- nicht vor.
messene Vorschläge für Änderungen des EU-Beamten- Die Beachtung der Menschenrechte ist regelmäßiger
statuts vorzulegen, um den prognostizierten Anstieg der Bestandteil des EU-Dialogs mit Marokko.
EU-Pensionskosten zu drosseln. Dabei soll die EU-
Kommission ausdrücklich auch eine Anhebung des Ru-
hestandseintrittsalters in Betracht ziehen. Anlage 17
Auch im Rahmen der in 2012 anstehenden Neuver- Antwort
handlungen der EU-Gehaltsanpassungsmethode wird
sich die Bundesregierung mit Nachdruck für weitere Än- der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der
derungen des EU-Beamtenstatuts einsetzen. Abgeordneten Kerstin Müller (Köln) (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/4638, Frage 47):
Das alleinige Initiativrecht für jede Änderung des Sta-
tuts der Beamten der Europäischen Union liegt bei der Für wie groß schätzt die Bundesregierung die Gefahr ein,
dass die revolutionären Entwicklungen in Ägypten und ande-
Europäischen Kommission. Die EU-Mitgliedstaaten ent- ren arabischen Ländern auch den Sudan erreichen, und hält
scheiden über Änderungen des EU-Personalstatuts im die Bundesregierung es weiterhin für richtig, das autoritäre
Rat mit qualifizierter Mehrheit. Die Änderungen werden Regime al-Baschir für das friedliche Referendum über die
(B) im Wege des Mitentscheidungsverfahrens unter Beteili- Unabhängigkeit des Südsudan zu belohnen, wie es die USA (D)
gung des Europäischen Parlaments beschlossen. angekündigt haben, obwohl das Beispiel in Tunesien und
Ägypten gezeigt hat, dass dies der falsche Weg war?
(A) Dazu zählen positive Signale wie die Umsetzung des Während alle ausreisewilligen Lehrer und Familien- (C)
Schuldenerlasses für den Sudan und die Verbesserung angehörige nach Deutschland sicher zurückkehrten,
der politischen Beziehungen. wurde die Botschaft personell verstärkt und ist vollstän-
dig arbeitsfähig. Alle Botschaftsangehörigen sind im in-
Dieser Ansatz der Internationalen Gemeinschaft hat tensiven Einsatz rund um die Uhr, um unsere Landsleute
den friedlichen, freien und fairen Verlauf des Referen- mit Familienangehörigen nach besten Kräften in Kairo
dums ermöglicht. Die Bundesregierung will vor diesem und in ganz Ägypten zu betreuen und allen, die nach
Hintergrund den politischen Dialog weiterführen, um zur Deutschland zurückkehren wollen, bei der Rückreise zu
Stärkung von Demokratie, Menschenrechten und Rechts- helfen. Auch jetzt noch arbeiten unsere Kollegen rund
staatlichkeit im Sudan beizutragen. um die Uhr im Schichtdienst in der Botschaft, schlafen
mitunter nur wenige Stunden auf Iso-Matten in ihren Bü-
ros und leisten großartige Unterstützung für unsere
Anlage 18 Landsleute.
(A) Wie hat sich die Zahl der Leiharbeitnehmer und Leih- (C)
arbeitnehmerinnen seit 2005 bei bundesunmittelbaren, bun- Jahr 2005 2006 2007 2008 2009 2010
deseigenen und mehrheitlich in Bundeseigentum befindlichen
Unternehmen und Einrichtungen entwickelt (bitte aufge- Anzahl 26 8 29 30 36 38
schlüsselt nach Jahren sowie Ressortzuständigkeit)? der Zeitar-
beitskräfte
In der Antwort auf die Kleine Anfrage zur „Leiharbeit
im Bankensektor“ (Drucksache 17/2771) hat die Bundes-
regierung dargestellt, dass Personalfragen der Beschäf- Unfallkasse Post und Telekom: Keine Zeitarbeits-
tigten bei Banken, die Kapital oder Garantien des Sonder- kräfte.
fonds Finanzmarktstabilisierung in Anspruch genommen
haben, in den alleinigen Verantwortungsbereich des je-
weiligen Unternehmens fallen. Auch bei anderen Unter- Anlage 21
nehmen, an denen der Bund unmittelbar oder mittelbar be- Antwort
teiligt ist und die in den Rechtsformen privaten Rechts
geführt werden, zählen Personalfragen – und damit auch des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Fra-
der Umfang von Zeitarbeitsverhältnissen – zum aus- gen des Abgeordneten Hans-Joachim Hacker (SPD)
schließlichen Verantwortungsbereich der Unternehmen (Drucksache 17/4638, Fragen 51 und 52):
und nicht zu dem der Bundesregierung. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung konkret un-
ternommen, um die von ihr versprochene Befreiung der Insel-
Zu vergleichbaren Einrichtungen in den Rechtsformen flüge von der Luftverkehrsteuer in die Tat umzusetzen, und ab
von juristischen Personen des öffentlichen Rechts (jeweils wann gilt die Steuerbefreiung – vergleiche § 5 Nr. 5 und 7 des
im Geschäftsbereich des BMF) entwickelte sich der Ein- Luftverkehrsteuergesetzes?
satz von Zeitarbeitskräften wie folgt: Wie kompensiert die Bundesregierung den entstandenen
wirtschaftlichen Schaden für die Inselflugunternehmen und
Bei der KfW, auf die die Bundesregierung bereits in die zu viel gezahlten Steuern der Reisenden durch die verspä-
der Antwort auf die Kleine Anfrage in der Drucksache tet erteilte Befreiung von der Luftverkehrsteuer?
17/2771 für das Jahr 2010 eingegangen ist, zeigt sich
folgende Entwicklung (Stand: jeweils 31. Dezember) Zu Frage 51:
Die Steuerbefreiung für Rundflüge nach § 5 Nr. 7
Jahr 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Luftverkehrsteuergesetz ist nicht beschränkt und ist am
Anzahl 121 148 127 124 216 175 Tag nach der Verkündung des Gesetzes in Kraft getre-
der Zeitar- ten.
(B) beitskräfte Die Steuerbefreiung für Abflüge auf Nordseeinseln (D)
– § 5 Nr. 5 Luftverkehrsteuergesetz – tritt nach Art. 24
Bei der am 17. Oktober 2008 gegründeten Finanz- Abs. 1 Satz 2 des Haushaltsbegleitgesetzes 2011 rück-
marktstabilisierungsanstalt werden keine Zeitarbeits- wirkend zum 1. Januar 2011 in Kraft, sofern hierzu eine
kräfte eingesetzt; im Hinblick auf die Struktur der Be- beihilferechtliche Genehmigung der Europäischen Kom-
schäftigung verweise ich auch hier auf die Antwort der mission vorliegt. Die Bundesregierung hat das beihilfe-
Bundesregierung auf die Kleine Anfrage in der Druck- rechtliche Notifizierungsverfahren bereits vor Verkün-
sache 17/2771. dung des Luftverkehrsteuergesetzes durch Übermittlung
Für die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben stellt der sogenannten Voranmeldung – Pränotifizierungsver-
sich die Entwicklung wie folgt dar (Stand jeweils fahren – am 1. Dezember 2010 eingeleitet; ergänzende
31. Dezember) Fragen der Kommission wurden durch die Bundesregie-
rung am 11. Januar 2011 beantwortet.
Jahr 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Zu Frage 52:
Anzahl 19 47 105 102 52 61 Die Steuerbefreiung für Abflüge auf Nordseeinseln
der Zeitar- – § 5 Nr. 5 Luftverkehrsteuergesetz – wurde erst im
beitskräfte Rahmen der 34. Sitzung des Haushaltsausschusses am
26. Oktober 2010 in den Gesetzentwurf aufgenommen.
Museumsstiftung für Post und Telekommunikation Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass es durch
(Stand jeweils 31. Dezember) die Einleitung des beihilferechtlichen Pränotifizierungs-
verfahrens am 1. Dezember 2010 und damit bereits vor
Jahr 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Verkündung des Luftverkehrsteuergesetzes zu keiner
Verzögerung gekommen ist. Darüber hinaus bittet die
Anzahl 0 0 1 0 1 1 Bundesregierung zu berücksichtigen, dass die Steuerbe-
der Zeitar- freiung rückwirkend zum 1. Januar 2011 in Kraft tritt,
beitskräfte sofern die beihilferechtliche Genehmigung erteilt wird.
Für die Luftverkehrsunternehmen besteht keine Ver-
Bundesanstalt für Post und Telekommunikation Deut- pflichtung nach dem Luftverkehrsteuergesetz, die Flug-
sche Bundespost (einschließlich Sozialeinrichtungen) gäste mit der Steuer zu belasten oder etwa nach Ertei-
(Stand jeweils 31. Dezember) lung der Genehmigung die bereits gezahlte Steuer zu
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 10031
(A) erstatten, da Steuerschuldner nicht die Fluggäste, son- das Atommüllzwischenlager Nord genehmigt, und wie hoch (C)
dern die Luftverkehrsunternehmen sind. sind jeweils die in den Jahren ab 2010 erzielten bzw. einge-
planten Gesamteinnahmen, die aus der Zwischenlagerung von
radioaktiven Reststoffen privater Atomkraftwerksbetreiber er-
zielt werden bzw. erzielt werden sollen?
Anlage 22
Die abgeschlossenen Verträge basieren auf bestehen-
Antwort den Genehmigungen der zuständigen Behörden des Lan-
des Mecklenburg-Vorpommern. Entsprechend den inter-
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage nen Regularien der Energiewerke Nord GmbH wurden
der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) die einzelnen Verträge von der Geschäftsführung bzw.
(Drucksache 17/4638, Frage 53): von Prokuristen des Unternehmens gezeichnet.
Welche konkreten naturschutzrelevanten Optionen zur
weiteren Verwendung des Geländes des ehemaligen Bombo- Soweit nach dem Gesellschaftsvertrag des Unterneh-
droms in der Kyritz-Ruppiner Heide werden aktuell von der mens erforderlich, wurde die Zustimmung des Auf-
Bundesregierung geprüft, und wann wird eine Entscheidung sichtsrats zu den einzelnen Verträgen erteilt.
dazu fallen?
2010 wurden aus der Behandlung von radioaktiven
Wie Ihnen bekannt ist, besteht ein Lenkungskreis zur Reststoffen privater Kernkraftwerksbetriebe Einnahmen
Konversion des Truppenübungsplatzes, TrÜbPl, in Höhe von 1,4 Millionen Euro erzielt. 2011 sind Ein-
WITTSTOCK, in den die Bundesanstalt für Immobilien- nahmen in Höhe von 1,6 Millionen Euro, 2012 von
aufgaben, Bundesanstalt, die Staatskanzlei des Landes 3,2 Millionen Euro, 2013 von 2,6 Millionen Euro und
Brandenburg, das Bundesministerium der Verteidigung 2014 von 2,8 Millionen Euro geplant.
sowie der Landrat des Landkreises Ostprignitz-Ruppin
Vertreter entsandt haben. Die „Kommunale Arbeits-
gruppe“, KAG, als bündelnde Vereinigung der kommu- Anlage 24
nalen Aufgaben und der örtlichen Interessensträger hat
Beobachterstatus. Antwort
Der Lenkungskreis hat den örtlich zuständigen Bun- des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage
desforstbetrieb Westbrandenburg der Bundesanstalt be- der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (DIE LINKE)
auftragt, zu den Kernthemen der Konversionsplanung (Drucksache 17/4638, Frage 55):
vor Ort Arbeitskreise zu bilden, in die alle für das jewei- Welche Anstrengungen wird die Bundesregierung unter-
lige Thema wichtigen öffentlichen Aufgabenträger so- nehmen, um das auch im Koalitionsvertrag verankerte Ziel
wie ein Vertreter der KAG eingeladen werden. Auf diese der steuerlichen Gleichbehandlung von eingetragenen Le-
benspartnerschaften zu verwirklichen, auch vor dem Hinter-
(B) Weise wird der Planungsprozess auf eine möglichst (D)
grund, dass nun bereits erste Gerichte – Niedersächsisches
breite Grundlage vor Ort gestellt. Finanzgericht, Beschluss vom 9. November 2010 – den Aus-
schluss der eingetragenen Lebenspartnerinnen und Lebens-
Die von Ihnen angesprochenen „naturschutzrelevan- partner von der Anwendung der Regelungen über das Ehegat-
ten Optionen“ werden im Arbeitskreis „Naturschutz- tensplitting für verfassungswidrig erachten, und stimmt die
fachliche Entwicklung und Wildtiermanagement“ erar- Bundesregierung damit überein, dass es nicht zielführend ist,
diese Frage durch die Gerichte klären zu lassen, um dann le-
beitet. Dieser Planungsprozess ist gerade angestoßen diglich passiv auf diese Urteile zu reagieren?
worden, sodass Ergebnisse noch nicht vorliegen können.
Der Facharbeit vor Ort sollte im Übrigen auch nicht vor- Der Abbau gleichheitswidriger Benachteiligungen im
gegriffen werden. Steuerrecht und insbesondere die Umsetzung der Ent-
scheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Gleich-
Wichtige Planungsparameter werden aber die hohe stellung von Lebenspartnern mit Ehegatten sind wichtige
Kampfmittelbelastung, das naturschutzfachliche Ma- steuerpolitische Anliegen der Bundesregierung.
nagement der NATURA-2000-Lebensraumtypen sowie
Planungen zur Einbeziehung der Liegenschaft in das Na- Mit dem Jahressteuergesetz 2010 wurden daher Le-
tionale Naturerbe Deutschlands sein. Alle Beteiligten am benspartner im Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuer-
Planungsprozess gehen davon aus, dass Planung und gesetz und im Grunderwerbsteuergesetz den Ehegatten
Umsetzung der Konversion – und des naturschutzfachli- gleichgestellt.
chen Aspekts als einem der Teilaspekte dieser Konver- Der aufgeführte Beschluss des niedersächsischen
sion – sehr langfristig gedacht werden müssen. Finanzgerichtes vom 9. November 2010 betrifft die The-
matik des Splittingverfahrens. Gegenwärtig sind hierzu
drei Verfahren beim Bundesverfassungsgericht anhän-
Anlage 23 gig.
Antwort Gegen den aufgeführten Beschluss des niedersächsi-
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage schen Finanzgerichtes vom 9. November 2010 wurde
des Abgeordneten Klaus Hagemann (SPD) (Drucksa- zudem von dem betroffenen Finanzamt Beschwerde ein-
che 17/4638, Frage 54): gelegt. Bei dem Verfahren ging es um eine Aussetzung
der Vollziehung, sodass dementsprechend bisher nur
Wer hat jeweils im Einzelnen den Abschluss der von
den Energiewerken Nord, EWN, GmbH in der Antwort auf
eine summarische Prüfung erfolgt ist. Ob die Entschei-
die Frage 4 der Kleinen Anfrage auf Bundestagsdrucksache dung über die Beschwerde und das Hauptsacheverfahren
17/4009 – Positionen 3, 4, 6 und 8 – genannten Verträge für zu dem gleichen Ergebnis führt, ist daher offen.
10032 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011
des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Frage des Parl. Staatssekretärs Hartmut Koschyk auf die Fra-
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll (DIE LINKE) gen des Abgeordneten Peter Friedrich (SPD) (Drucksa-
(Drucksache 17/4638, Frage 56): che 17/4638, Fragen 57 und 58):
Wie beurteilt die Bundesregierung Sonderkonditionen pri-
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus dem Be- vater Krankenversicherungen für bestimmte Gruppen wie bei-
richt des Bundesrechnungshofes über die Steuerermäßigung spielsweise die der Deutschen Krankenversicherung AG,
für haushaltsnahe Dienstleistungen und Handwerkerleistun- DKV, für Mitglieder der FDP und deren Familienmitglieder
gen nach § 35 a des Einkommensteuergesetzes hinsichtlich und insbesondere die damit verbundene Aufnahmegarantie –
der zielgerichteten Wirkung für legale Beschäftigungsverhält- siehe Süddeutsche Zeitung vom 21. Januar 2010, www.sued
nisse, Risikoprüfung durch die Finanzbehörden, Mitnahme- deutsche.de/politik/liberale-und-krankenversicherung-die-
effekte, und in welcher Höhe wurde die Steuerermäßigung in rabatt-koenige-der-fdp-1.57348?
den Jahren 2004 bis 2008, basierend auf den Einkommensteu-
erstatistiken bzw. bisher vorliegenden Meldungen, im Durch- Hat die Bundesregierung Kenntnis über weitere Gruppen-
schnitt gewährt – getrennt nach Grund- und Splittingtabelle? tarife privater Krankenversicherungen mit Sonderkonditio-
nen, die in ähnlicher Weise wie der Gruppentarif der DKV für
Die Steuerermäßigungsregelung des § 35 a EStG Mitglieder der FDP und deren Familienangehörige eine Auf-
nahmegarantie aussprechen, und sieht die Bundesregierung
wurde 2003 als Anreiz zur Schaffung von Beschäfti- eine Notwendigkeit, dagegen vorzugehen?
gungsverhältnissen in Privathaushalten sowie zur Förde-
rung von Arbeitsplätzen in Unternehmen, die hauswirt- Zu Frage 57:
schaftliche Dienstleistungen anbieten, geschaffen. Die
Bekämpfung der Schwarzarbeit in den jeweiligen Berei- Gruppenversicherungsverträge sind in der Privatver-
chen steht dabei im Vordergrund. Auch dient sie der ge- sicherung seit langem bekannt und grundsätzlich nicht
sellschaftlichen Anerkennung hauswirtschaftlicher Tä- zu beanstanden. Da sie in der Regel für die Versicherten
tigkeiten. Seit 2006 dient die Regelung zusätzlich der zu günstigeren Beiträgen führen, ist ihre Verbreitung im
Förderung der häuslichen Pflege und Betreuung sowie Gegenteil eher zu begrüßen.
der Stärkung von Handwerk und Mittelstand. Natürlich ist dafür Sorge zu tragen, dass es durch
derartige Vertragskonstruktionen nicht zu einer unge-
Durch das Gesetz zur Umsetzung steuerrechtlicher rechtfertigten Besser- oder Schlechterstellung von Versi-
Regelungen des Maßnahmenpakets „Beschäftigungs- cherten kommt. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleis-
sicherung durch Wachstumsstärkung“ – „Konjunkturpa- tungsaufsicht und ihre Vorgängerbehörden haben seit
ket I“ – wurde die Steuerermäßigung für Handwerker- jeher darauf geachtet, dass Gruppenverträge von Versi-
(B) leistungen ab 2009 von bis dahin 600 Euro auf 1 200 cherungsunternehmen bestimmte Mindeststandards ein- (D)
Euro verdoppelt, „um auch für das Handwerk weitere halten. Dazu gehört insbesondere, dass die im Rahmen
Impulse für die Stärkung und Stabilisierung der Auf- eines Gruppenvertrags angebotenen besonderen Kondi-
tragslage zu setzen“. Mit der Verdoppelung verbunden tionen sich aus dem Vertrag heraus selbst tragen. Es darf
ist die Aussage des Gesetzgebers, die Wirkung der Rege- keine Subventionierung eines solchen Vertrages durch
lung nach zwei Jahren zu evaluieren. die übrigen Versicherten geben. Niedrigere Beiträge sind
nur zulässig, wenn ihnen entsprechende Kosteneinspa-
Diese Überprüfung der Steuerermäßigungen nach rungen gegenüberstehen, zum Beispiel durch den Weg-
§ 35 a EStG hat das Ziel, festzustellen, ob der Gesetzes- fall von Vermittlerprovisionen. Günstigere Konditionen
zweck, die Schaffung von Beschäftigungsverhältnissen in Bezug auf das sogenannte versicherungstechnische
und Arbeitsplätzen und die Bekämpfung der Schwarzar- Risiko sind nur so weit zulässig, wie der tatsächliche
beit zu fördern, erreicht wurde. Risikoverlauf des Vertrags es rechtfertigt.
Vor weiteren Entscheidungen sollten die Ergebnisse Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, spricht
der angekündigten Evaluierung abgewartet werden. nichts dagegen, wenn ein Unternehmen oder eine sons-
tige Organisation für ihre Angehörigen einen derartigen
Nach aktuellem Stand belaufen sich die Steuerermä- Vertrag abschließt.
ßigungen nach § 35 a EStG derzeit auf ein jährliches Vo-
lumen von rund 2 Milliarden Euro. Davon entfallen rund Zu Frage 58:
80 Prozent, das heißt rund 1,6 Milliarden Euro pro Jahr
auf Handwerkerleistungen. Diese Schätzung stützt sich Versicherungsunternehmen müssen Gruppenverträge
auf aktuelle Verwaltungsdaten aus den Landesfinanzver- nicht besonders anzeigen. Daher hat die Bundesregie-
waltungen. Rückschlüsse auf Durchschnittswerte sind rung keinen Überblick über die aktuell tatsächlich beste-
damit nicht möglich. Ergebnisse der Einkommensteuer- henden Gruppenverträge.
statistik liegen insbesondere für die Handwerkerleistun- Die Feststellungen der Bundesanstalt für Finanz-
gen noch nicht vor, da die Steuerermäßigung für die dienstleistungsaufsicht rechtfertigen die Annahme, dass
Inanspruchnahme von Handwerkerleistungen für Reno- die Versicherungsunternehmen die aufsichtsrechtlichen
vierungs-, Erhaltungs- und Modernisierungsmaßnah- Vorgaben für Gruppenversicherungsverträge beachten
men erst 2006 eingeführt wurde. Erst nach Vorliegen sta- und dass es nicht zu einer ungerechtfertigten Ungleich-
tistischer Einzeldaten sind Durchschnittsbildungen und behandlung von Versicherten kommt. Eine Notwendig-
eine Aufgliederung nach Grund- und Splittingtabellen- keit, gegen Gruppenversicherungsverträge vorzugehen,
fälle möglich. ist daher für die Bundesregierung nicht ersichtlich.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 10033
Zu Frage 59:
Anlage 29
Eine zügige Kabinettsbefassung des gemeinsamen
CCS-Referentenentwurfs des BMU und des BMWi zur Antwort
Umsetzung der Richtlinie 2009/31/EG wird angestrebt. des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Frage
Die Bewertung von Pilotprojekten und die daran ge- des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE
knüpfte Vergabe der Fördermittel aus der Neuanlagen- GRÜNEN) (Drucksache 17/4638, Frage 62):
reserve des Europäischen Emissionshandels trifft die Welche Auswirkungen des infolge eines längerfristigen
Kommission. Nach gegenwärtiger Rechtslage müssen Trends auf nunmehr über 100 US-Dollar pro Barrel Brent ge-
stiegenen Ölpreises erwartet die Bundesregierung für Wirt-
die nationalen Genehmigungen in einem Zeitraum von schaft und Verbraucher, und inwiefern hält die Bundesregie-
24 Monaten, im Falle der CO2-Speicherung in salinen rung die in den Energieszenarien für das Energiekonzept
Aquiferen innerhalb von 36 Monaten nach Erlass der zugrundegelegte Annahme eines realen Ölpreises von
Finanzhilfebeschlüsse der Kommission erteilt werden 110 US-Dollar je Barrel im Jahr 2030, 120 US-Dollar im Jahr
(Art. 9 des Beschlusses der Kommission vom 3. Novem- 2040 und 130 US-Dollar im Jahr 2050 aufgrund der aktuellen
Preisentwicklung noch für realistisch?
ber 2010, 2010/670/EU).
Für die am 19. Januar 2011 veröffentlichte Projektion
Zu Frage 60: der Bundesregierung wurde – unabhängig von kurzfristi-
gen Schwankungen – ein durchschnittlicher Ölpreis von
Im Bereich der CCS-Gesetzgebung besteht eine ge- rund 94 US-Dollar je Barrel für das Jahr 2011 unterstellt.
(B) meinsame Federführung des Bundesministeriums für Eine weitere erhebliche Verteuerung von Energieroh- (D)
Wirtschaft und Technologie und des Bundesministe- stoffen könnte bremsend auf die gesamtwirtschaftliche
riums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit. Entwicklung wirken. Die Auswirkungen auf Wirtschaft
Eine Änderung ist nicht geplant. und Verbraucher lassen sich aber aus vielen Gründen
nicht exakt beziffern. So dämpft etwa die derzeitige ten-
denzielle Aufwertung des Euro gegenüber dem US-Dol-
Anlage 28 lar den Ölpreisanstieg für die europäischen Länder.
Antwort Darüber hinaus fließt ein Teil der für Ölimporte ausgege-
benen Mittel über höhere Importe wieder in das eigene
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die Land zurück.
Frage der Abgeordneten Ute Vogt (SPD) (Drucksache
17/4638, Frage 61): Energiepreisannahmen für die Zukunft sind grund-
sätzlich mit Unsicherheiten verbunden. Die im Rahmen
Wie beurteilt die Bundesregierung die Vorgänge um das
offenbar leckgeschlagene CCS-Speicherfeld in der kanadi- der Szenarien für das Energiekonzept verwendeten
schen Provinz Saskatchewan im Hinblick auf die generelle Annahmen orientieren sich an internationalen Experten-
Zuverlässigkeit und Zukunftsfähigkeit der CCS-Technologie? erwartungen und unterstellen künftig real steigende
Die Bundesregierung hat die in den internationalen Ölpreise. Dabei steht jedoch nicht die aktuelle Preisent-
Medien sowie auf den einschlägigen Internetseiten ver- wicklung, sondern die künftig erwartete durchschnittli-
öffentlichen Informationen über einen möglichen CO2- che Preisentwicklung im Vordergrund.
Austritt im Zusammenhang mit der Nutzung von CO2
für Entölungsmaßnahmen im Ölfeld Weyburn verfolgt.
Das vorliegende Gutachten von Petro-Find Geochem Anlage 30
reicht für die Bewertung/Postulierung einer CO2- Antwort
Leckage nicht aus. Wissenschaftler von Universitäten
und Forschungseinrichtungen, die sich mit Weyburn, des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die
aber auch generell mit Bodengasanalysen befassen, ha- Frage des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/
ben in einer gemeinsamen Stellungnahme (PTRC DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/4638, Frage 63):
[19.01.2011]: IEAGHG Weyburn – Midale CO2 monito- Welche Strategien hat die Bundesregierung für den Fall
entwickelt, dass der Erdölpreis dieses Jahr die Marke von
ring & storage project: Response to a soil gas study per- 150 US-Dollar je Barrel überschreiten würde, sowie für den
formed by Petro-Find Geochem. Ltd.) festgestellt, dass Fall, dass in den nächsten Jahren die Marke von 200 US-Dol-
es keine Hinweise auf Leckagen gibt. Sie legen unter an- lar je Barrel überschritten würde?
10034 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011
(A) Die Bundesregierung beteiligt sich grundsätzlich gungen für ausländische Anbieter auf dem chinesischen (C)
nicht an Spekulationen über die kurzfristige Höhe des Markt zu verbessern.
Erdölpreises. Die Bundesregierung ist aber fortlaufend
in verschiedenen internationalen energiepolitischen Gre- Die Bundesregierung hat im Juli 2010 die Innova-
mien aktiv, die den Produzenten-Konsumenten-Dialog tionsallianz Photovoltaik ins Leben gerufen. Bis 2014
sowie die Transparenz auf den internationalen Ölmärk- werden das BMU und das BMBF für die Innovations-
ten und Ölterminmärkten fördern und somit zu einer allianz Photovoltaik bis zu 100 Millionen Euro bereit-
Stabilisierung des Ölpreises beitragen sollen. Hierzu ge- stellen. Förderfähig im Rahmen dieser Initiative sind
hören das Internationale Energieforum, IEF, sowie die primär industriegeführte Verbundprojekte zu anwen-
Energie-Expertengruppe der G-20-Staaten. Mit dem dungsorientierten Forschungsarbeiten des vorwettbe-
Energiekonzept hat die Bundesregierung Leitlinien für werblichen Bereichs. Die Bundesregierung setzt dabei
eine umweltschonende, zuverlässige und bezahlbare insbesondere auf eine stärkere vertikale Kooperation in-
Energieversorgung formuliert und beschreibt erstmalig nerhalb der Prozessketten sowie von Ausrüstungs- und
den Weg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien. Die Systemtechnologieunternehmen mit den Anwendern in
Energieszenarien für das Energiekonzept der Bundes- der Photovoltaikindustrie. Die PV-Industrie hat zuge-
regierung gehen von einem langfristig deutlich rück- sagt, im Ergebnis der Forschungsmaßnahmen 500 Mil-
läufigen Mineralölverbrauch in Deutschland aus. Im lionen Euro für Investitionsmaßnahmen und weitere
Energiekonzept ist das Ziel verankert, den Primärener- Forschungsleistungen einzusetzen. Vereinbarungen der
gieverbrauch gegenüber 2008 bis 2020 um 20 Prozent Anlagenhersteller und der Photovoltaikunternehmen bil-
und bis 2050 um 50 Prozent zu senken. Damit ist auch den einen wichtigen Bestandteil zur Umsetzung der For-
eine Reduzierung der Abhängigkeit von Ölimporten ver- schungs- und Entwicklungsergebnisse der Innovations-
bunden. Zur Erreichung dieser Ziele ist die Ausschöp- allianz. Die Bundesregierung leistet mit dieser Initiative
fung der Effizienzpotenziale und Energieeinsparung von einen wesentlichen Beitrag, die internationale Wettbe-
zentraler Bedeutung. werbsfähigkeit der deutschen Photovoltaikindustrie mit-
tel- und langfristig zu sichern und auszubauen.
Anlage 31
Anlage 32
Antwort
Antwort
des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die
Frage des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜND- des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Otto auf die
Frage der Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE)
(B) NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/4638, Frage 64): (Drucksache 17/4638, Frage 65): (D)
Welche detaillierten Erkenntnisse liegen der Bundesregie-
rung darüber vor, welche industriepolitische Strategie die chi- Welche Kenntnisse hat die Bundesregierung über den Export
nesische Regierung bei der Photovoltaik verfolgt, und welche von Polizeiausrüstung – Helme und andere Schutzkleidung,
Schlussfolgerungen leitet die Bundesregierung daraus für die Schilder, Handschellen, Funkgeräte, Fahrzeuge, Waffen –, soge-
eigene industriepolitische Strategie ab? nannten weniger letalen Waffen, insbesondere Wasserwerfer,
deren Komponenten und chemische Reizstoffe – „Tränengas“
Die Regierung der VR China betreibt auf dem Gebiet etc. – und IT-Technologie, die sich für die Überwachung des
der Photovoltaik, PV, eine aktive Industriepolitik. Dazu Internets und der Telekommunikation und deren Zensur eig-
wurde im Jahr 2009 das „Golden Sun Demonstration net, nach Ägypten und Tunesien und deren Anwendung im
Zusammenhang mit den gegenwärtigen Protesten in beiden
Program“ ins Leben gerufen, um die heimische Nach- Staaten?
frage nach Solarindustrieprodukten zu stärken. Es soll
für den Zeitraum 2009 bis 2011 gelten. Insgesamt um- Die Bundesregierung verfügt über Informationen
fasst das Projekt ein Finanzvolumen von 3 Milliarden über die für den Export von ausfuhrgenehmigungspflich-
Yuan (rund 340 Millionen Euro). Dabei werden rund 275 tigen Gütern erteilten Ausfuhrgenehmigungen, jedoch
über das ganze Land verteilte Einzelprojekte unterstützt, grundsätzlich nicht über alle auf deren Grundlage tat-
die im Laufe der nächsten drei Jahre fertigzustellen sind. sächlich exportierten Güter. Über die tatsächlich erfolgte
Die Mehrheit dieser Projekte sind lokale PV-Anlagen, Ausfuhr von Kriegswaffen berichtet die Bundesregie-
die einzelne industrielle und kommerzielle Anlagen be- rung in ihrem jährlichen Rüstungsexportbericht. Ent-
dienen, nur etwa 35 Projekte sind größere Stromerzeu- sprechende Lieferungen waren auch für das ägyptische
gungsanlagen, die in das Stromnetz einspeisen sollen. Innenministerium bestimmt.
Nach den Informationen, die der Bundesregierung Die Ausfuhr von Polizeiausrüstung ist zu einem gro-
vorliegen, sind ausländische Unternehmen nicht von ßen Teil nicht genehmigungspflichtig. Eine Genehmi-
vornherein von der Teilnahme an diesem Programm aus- gungspflicht besteht lediglich für Ausrüstung, die auch
geschlossen. Allerdings zeigt die Erfahrung in anderen militärisch relevant sein könnte und somit in Teil I Ab-
Bereichen, dass der Zugang zu öffentlichen Ausschrei- schnitt A der Ausfuhrliste – Anhang zur Außenwirt-
bungen in China für ausländische Unternehmen immer schaftsverordnung – oder in Anhang I der EG-Dual-Use-
wieder schwierig ist, weil das Vergabeverfahren häufig Verordnung – EG Nr. 428/2009 – genannt ist. Dies gilt
intransparent ist und Fristen sowie Anforderungen oft zudem für Ausrüstung, die auch zur Folter verwendet
auf chinesische Anbieter zugeschnitten sind. Die Bun- werden könnte, wie zum Beispiel bestimmte Hand- und
desregierung setzt sich deshalb für einen Beitritt Chinas Fußfesseln, und somit in Anhang III der Anti-Folter-Ver-
zum WTO-Beschaffungsabkommen ein, um die Bedin- ordnung – EG Nr. 1236/2005 – aufgeführt wird.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 10035
(A) Seit 2007 bis heute hat das Bundesamt für Wirtschaft Welche personenbezogenen Daten im Gutachten zur NS- (C)
und Ausfuhrkontrolle, BAFA, nach vorläufiger Auswer- Vergangenheit des Bundeslandwirtschaftsministeriums sind
anders als die personenbezogenen Daten in der Studie zur NS-
tung keine Ausfuhrgenehmigungen gemäß der Dual- Vergangenheit des Auswärtigen Amts schutzwürdiger, und
Use-Verordnung oder Anti-Folter-Verordnung für Liefe- warum kann dieser angeblichen Schutzwürdigkeit nicht auf
rungen der genannten Güter an die ägyptische bzw. tune- anderem Wege – zum Beispiel durch Schwärzung oder Ano-
sische Polizei oder das jeweilige Innenministerium er- nymisierung – im Einzelfall Rechnung getragen werden?
teilt. Die Frage geht davon aus, dass im BMELV ein Gut-
Für Lieferungen von Gütern, die von Teil I Abschnitt A achten zur NS-Vergangenheit des heutigen Bundes-
der Ausfuhrliste (Anhang zur Außenwirtschaftsverord- ministeriums vorliegt. Dies ist nicht der Fall. Wie sich
nung) erfasst werden, an die ägyptische Polizei und das bereits aus der Antwort der Bundesregierung auf die
Innenministerium wurden nach vorläufiger Auswertung Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die
im Jahr 2007 Ausfuhrgenehmigungen im Wert von insge- Grünen – Bundestagsdrucksache 17/4344 – ergibt, sind
samt rund 2,7 Millionen Euro, im Jahr 2008 Ausfuhrge- im Jahr 2005 vom damaligen Bundesministerium für
nehmigungen im Wert von insgesamt rund 500 000 Euro, Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft zwei
im Jahr 2009 Ausfuhrgenehmigungen im Wert von ins- Untersuchungsaufträge erteilt worden:
gesamt rund 800 000 Euro, im Jahr 2010 eine Ausfuhr- Auftrag 1: „Rolle und Inhalt der Agrarpolitik und
genehmigung im Wert von insgesamt rund 100 Euro, Agrarforschung von Vorgängerinstitutionen des Bundes-
und im Jahr 2011 bisher keine Ausfuhrgenehmigung er-
ministeriums für Verbraucherschutz, Ernährung und
teilt. Derartige Lieferungen an die tunesische Polizei und Landwirtschaft“.
das tunesische Innenministerium sind nach vorläufiger
Auswertung seit 2007 bis heute nicht erfolgt. Auftrag 2: „Entwicklung von Kriterien zur Bewer-
tung der Ehrwürdigkeit von ehemaligen Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeitern des BML/BMVEL und der Dienst-
Anlage 33 stellen seines Geschäftsbereichs im Hinblick auf die Zeit
des Nationalsozialismus“.
Antwort
Beide Untersuchungen sind angefertigt worden und
des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Frage
liegen vor. Angesichts der Nachfragen ist beabsichtigt,
der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE)
die 2006 fertig gestellte Untersuchung zum Auftrag 1:
(Drucksache 17/4638, Frage 66):
„Rolle und Inhalt der Agrarpolitik und Agrarforschung
Wann wird die Bundesregierung einen Entwurf zur Novel- von Vorgängerinstitutionen des Bundesministeriums für
lierung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung vorlegen,
(B) und wie wird dabei die Haltung von Mastkaninchen geregelt
Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft“ auf (D)
werden? den aktuellen Stand zu bringen und alsbald zu veröffent-
lichen. Schon jetzt kann nach den Vorschriften des Infor-
Die geplante Ergänzung der Tierschutz-Nutztierhal- mationsfreiheitsgesetzes in die Untersuchung Einblick
tungsverordnung um spezifische Anforderungen an die genommen werden. Ein entsprechender, dem BMELV
Haltung von Kaninchen zu Erwerbszwecken bedarf der vorliegender Antrag wird demnächst positiv beschieden
Zustimmung des Bundesrates. Das Bundesministerium werden.
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
hat in einer Projektgruppe mit Ländervertretern Eck- Gegenstand der Ende November 2007 fertig gestell-
punkte der zukünftigen Regelung erarbeitet. Diese ten Untersuchung zum Auftrag 2 ist eine Bewertung der
werden nun mit den für den Tierschutz zuständigen Län- Lebensläufe von insgesamt 62 ehemaligen Bediensteten
derreferenten abgestimmt und danach Tierschutz- und des heutigen Bundesministeriums für Ernährung, Land-
Wirtschaftsverbänden zur Stellungnahme übersandt. wirtschaft und Verbraucherschutz hinsichtlich ihrer poli-
tischen Belastung in der Zeit des Nationalsozialismus.
Wesentliche Inhalte der Regelungen werden Anforde- Bei den 62 Personen handelt es sich um alle zum Zeit-
rungen an die Besatzdichte und die Mindestgröße der punkt der Erteilung des Untersuchungsauftrages noch le-
Haltungseinrichtung, die Bodengestaltung, die Struktu- benden ehemaligen Bediensteten – vom Boten bis zum
rierung der Haltungseinrichtung, die Fütterung, das Staatssekretär – der potenziell NS-belasteten Jahrgänge.
Stallklima und die Betreuung sein. Es erfolgte also keine Vorauswahl nach Verdachtsmo-
Das BMELV ist an einem zügigen Fortgang interes- menten und auch nicht danach, ob die Bediensteten be-
siert, der weitere Zeitablauf ist aber wesentlich vom Ver- reits im Reichslandwirtschaftsministerium tätig waren.
lauf der Abstimmungen und dem Diskussionsbedarf der Die bereits verstorbenen Ehemaligen wurden nicht über-
im üblichen Verfahren zu Beteiligenden abhängig. prüft. Grundlage der Bewertung waren Personalakten
des BML/BMELV. Die so gewonnenen Daten unterlie-
gen dem Datenschutz und können deshalb nicht heraus-
gegeben werden. Das BMELV lässt diese Rechtsauffas-
Anlage 34
sung, die sich aus § 5 Informationsfreiheitsgesetz ergibt,
Antwort gegenwärtig durch den Bundesbeauftragten für den Da-
tenschutz und die Informationsfreiheit überprüfen.
des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Frage
des Abgeordneten Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ Auch wenn man personenbezogene Daten schwärzen
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/4638, Frage 67): würde, ergäben sich aus den Lebensläufen noch ausrei-
10036 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011
(A) chende Anhaltspunkte, aus denen auf die Person rückge- Die Vereinbarung zwischen Bundesregierung und (C)
schlossen werden kann. Deshalb ist es aus den bereits Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft aus dem
angegebenen datenschutzrechtlichen Gründen nicht Jahr 2001 zur Förderung der Chancengleichheit ver-
möglich, eine Schwärzung oder Anonymisierung vorzu- folgte vier Ziele:
nehmen.
– die Verbesserung der Chancengerechtigkeit im Be-
reich der Ausbildung,
Anlage 35 – Verbesserungen bei der Vereinbarkeit von Familie
Antwort und Beruf,
des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die – mehr Frauen in Fach- und Führungspositionen und
Frage der Abgeordneten Monika Lazar (BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/4638, Frage 68): – Abbau der Entgeltunterschiede.
Wie wird die Bundesregierung auf die zahlreichen Pro- In den ersten beiden Bereichen hat die Vereinbarung
teste gegen die sogenannte Extremismusklausel reagieren, – so konstatierte die 2008 vorgelegte 3. Bilanz – durch-
nachdem an einem Aktionstag am 1. Februar 2011 Hunderte
von Initiativen, Vereinen, Politikerinnen und Politikern sowie
aus zu erkennbaren Fortschritten geführt, die sich seither
Privatpersonen schriftlich eine Rücknahme der Klausel gefor- fortgesetzt haben. Die Frage, ob die 2008 erhoffte Aus-
dert haben, unter anderem auch Sachsen-Anhalts Landes- strahlung der Dynamik aus den ersten beiden Zielberei-
regierung? chen auf die beiden letztgenannten in ausreichendem
Die Bundesregierung bekräftigt ihre Auffassung, dass Maße erfolgt ist, wird aufgrund der 4. Bilanz der Verein-
für die Vergabe staatlicher Fördermittel im Bereich der barung zu beantworten sein, die in den nächsten Wochen
Extremismuspräventionsprogramme wie bisher ein Be- vorgelegt wird.
kenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundord- Im Koalitionsvertrag für die 17. Legislaturperiode
nung gefordert wird. verpflichten sich die Koalitionsfraktionen, den Anteil
Bei der Durchführung von Programmen zur Extre- von Frauen in Führungspositionen in Wirtschaft und öf-
mismusprävention gilt es insbesondere zu verhindern, fentlichem Dienst maßgeblich zu steigern und dazu ei-
dass extremistische Organisationen staatliche Zuwen- nen Stufenplan vorzulegen. Der Stufenplan setzt zuerst
dungen für Programme der Bundesregierung für Demo- auf Selbstverpflichtungen und Berichtspflichten.
kratie und Toleranz ausnutzen und ihnen insoweit eine
Die Bundeskanzlerin hat ebenso wie mehrere Kabi-
Plattform geboten wird. Über die Unterzeichnung der
nettsmitglieder in den letzten Wochen nachdrücklich
Demokratieerklärung soll vor allem eine Sensibilisie-
(B) zum Ausdruck gebracht, dass es der Bundesregierung (D)
rung, aber auch die Verpflichtung der geförderten Träger
sehr ernst ist mit dem im Koalitionsvertrag festgelegten
erreicht werden, eigene Verantwortung dafür zu über-
Ziel:
nehmen, dass extremistische Gruppierungen nicht von
Bundesmitteln profitieren. Die Bundesregierung hält es für wirtschafts-, beschäf-
Vor diesem Hintergrund wird weiterhin an dem Erfor- tigungs- und gleichstellungspolitisch gleichermaßen un-
dernis der Unterzeichnung der Demokratieerklärung erlässlich, das Potenzial der gut ausgebildeten Frauen zu
durch die in den Extremismuspräventionsprogrammen nutzen und den Anteil von Frauen in Führungspositionen
geförderten Träger festgehalten. Die Absender der bei in dieser Legislaturperiode maßgeblich zu steigern.
der Bundesregierung eingegangenen Schreiben werden
entsprechend informiert.
Anlage 37
Nach Kenntnis der Bundesregierung hat die Landes-
regierung von Sachsen-Anhalt keine Rücknahme der Antwort
Demokratieerklärung gefordert.
des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Fra-
gen der Abgeordneten Caren Marks (SPD) (Druck-
Anlage 36 sache 17/4638, Fragen 70 und 71):
Welche Höhe beträgt das Einsparvolumen insgesamt bei
Antwort den Elterngeldleistungen aufgrund der Tatsache, dass – teil-
weise – im Ausland versteuerte Einkünfte seit Januar 2011
des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die nicht mehr als Berechnungsgrundlage für das Elterngeld
Frage des Abgeordneten Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ herangezogen werden, und wie viele Monate insgesamt ent-
DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/4638, Frage 69): fallen bei laufender Zahlung an die Elterngeldbezieherinnen
und -bezieher – bitte getrennt nach Geschlecht angeben und,
Welche Erwartungen knüpft die Bundesregierung an die
falls nur Schätzungen möglich, diese bitte angeben – auf
von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel geforderten freiwilli-
2011?
gen Maßnahmen zur Erhöhung des Frauenanteils in Füh-
rungspositionen in der deutschen Wirtschaft vor dem Hinter- Wie bewertet die Bundesregierung die Kürzungen im Zu-
grund, dass die freiwillige „Vereinbarung zur Förderung der sammenhang mit der Bundesprogrammlehrkraft, wobei Aus-
Chancengleichheit von Frauen und Männern in der Privatwirt- landslehrerinnen und -lehrer auch als Repräsentanten für die
schaft“ aus dem Jahr 2001 bisher ohne Erfolg geblieben ist Bundesrepublik Deutschland verstanden werden müssen, und
und die Bundesministerin für Arbeit und Soziales, Dr. Ursula in welchen anderen Bundesprogrammen – bitte Auflistung –
von der Leyen, gesetzlich bindende Maßnahmen vorgeschla- gibt es ebenfalls von der Gesetzesänderung betroffene Eltern-
gen hat? geldbezieherinnen und -bezieher?
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011 10037
(A) Zu Frage 70: nicht im Inland versteuertes Einkommen erzielt haben (C)
und damit als Elterngeldbezieherinnen und -bezieher
Das Einsparvolumen im Jahr 2011 beläuft sich auf ebenfalls von der Gesetzesänderung betroffen sind, kann
rund 30 Millionen Euro. Für weibliche Elterngeldbezie-
angesichts des Umfangs einer solchen Auflistung im
her, deren Kind im Jahr 2010 geboren wurde, entfallen Rahmen dieser mündlichen Frage nicht erfolgen. Auf
nach einer groben Schätzung im Durchschnitt rund 6 Be- Einkommen, die im Rahmen der Teilnahme an solchen
zugsmonate unter das neue Elterngeldrecht im Jahr
Programmen erzielt werden, werden aber die soeben
2011, für männliche Elterngeldbezieher sind es im dargelegten Berechungsgrundsätze in gleicher Weise an-
Durchschnitt rund 2 Bezugsmonate. Die Schätzung gewendet.
wurde auf Basis der Elterngeldstatistik vorgenommen,
wobei angenommen wurde, dass sich die durchschnittli-
che Bezugsdauer der Elterngeldbeziehenden mit auslän-
Anlage 38
dischem Einkommen vor der Geburt nicht von der
durchschnittlichen Bezugsdauer aller Elterngeldbezie- Antwort
henden unterscheidet.
des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Fra-
gen des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE)
Zu Frage 71:
(Drucksache 17/4638, Fragen 72 und 73):
Das Elterngeld ist eine Leistung, die aus Steuermit- Inwieweit teilt die Bundesregierung die Einschätzung der
teln finanziert wird und nicht – wie etwa die Grundsiche- in der Arbeitsgemeinschaft Conterganopfer – Aufbruch 2011
rungsleistungen nach SGB II – bedarfsabhängig ist. Vor zusammengeschlossenen Conterganinitiativen sowie des Bun-
diesem Hintergrund ist es gerechtfertigt, bei der Berech- desverbandes Contergangeschädigter e. V. – siehe unter ande-
rem Pressemitteilung vom 30. September 2010 – dass trotz
nung von einkommensabhängigem Elterngeld nur die des im Jahr 2009 beschlossenen Zweiten Conterganstiftungs-
Erwerbseinkünfte zu berücksichtigen, die nach den steu- änderungsgesetzes die gewährten Hilfen und Entschädigun-
erlichen Regeln bei der Berechnung der Steuer berück- gen unzureichend sind und ein selbstbestimmtes und umfas-
sichtigt werden und mit denen damit grundsätzlich ein sende Teilhabe ermöglichendes Leben in Würde nicht
möglich ist, und gibt es in diesem Zusammenhang Pläne zu
Beitrag zum Steueraufkommen geleistet wird. Veränderungen im Jahr 2011?
Diese Überlegung trifft auch auf das Einkommen von Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung mit
Bundesprogrammlehrkräften, BPLK, zu, die – vermittelt Blick auf die UN-Behindertenrechtskonvention aus der Kritik
durch das Bundesverwaltungsamt, BVA, Zentralstelle der Organisationen der Conterganopfer, dass im Stiftungsrat
der Conterganstiftung – einer Stiftung mit Rechtsaufsicht
für das Auslandsschulwesen – ein Arbeitsverhältnis mit durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen
einer Schule im Ausland eingehen und dafür vom BVA und Jugend – drei von fünf Stiftungsratsmitgliedern Regie-
(B) an dieses Arbeitsverhältnis gekoppelte finanzielle Zu- rungsvertreter und nur zwei gewählte Leistungsempfänger der (D)
wendungen erhalten. Der Umstand, dass sie eine staat- Conterganstiftung sind, zwei freie Stiftungsratsplätze nicht
besetzt werden und auch im Stiftungsvorstand die Betroffenen
lich gewünschte und geförderte Tätigkeit ausüben, in der Minderheit sind?
ändert nichts an der Berücksichtigungsfähigkeit des Ein-
kommens bei der Elterngeldberechnung. Die Anerken- Zu Frage 72:
nungswürdigkeit der Tätigkeit kann insoweit nicht dazu
führen, dass das aufgrund dieser Tätigkeit erzielte Ein- Grundsätzlich ist die Sozialgesetzgebung der Bundes-
kommen abweichend von den gesetzlichen Regelungen republik Deutschland Basis für eine umfassende und
bei der Elterngeldberechnung berücksichtigt wird. nachhaltige soziale Sicherung der Bürgerinnen und Bür-
ger. Auf der Grundlage der geltenden Sozialgesetzbü-
Elterngeldberechtigte, die als Bundesprogrammlehr- cher werden – orientiert am jeweiligen Bedarfsfall – für
kräfte tätig sind oder waren, erhalten dementsprechend Menschen mit Behinderung finanzielle Leistungen zur
einkommensabhängiges Elterngeld nur auf den Teil ihres wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Teilhabe er-
Einkommens,
bracht. Contergangeschädigten Menschen stehen neben
– das zu den Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 diesen Leistungen des Sozialstaats, abhängig vom Grad
Nr. 1 bis 4 des Einkommensteuergesetzes, EStG, ge- der Behinderung, auf Sozialleistungen nicht anrechen-
hört oder bare persönliche Leistungen der Conterganstiftung zu,
insbesondere die seit dem 1. Juli 2008 verdoppelten mo-
– das in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union, natlichen Conterganrenten und die seit 2009 erfolgenden
in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über zusätzlichen jährlichen Sonderzahlungen.
den Europäischen Wirtschaftsraum oder in der
Schweiz versteuert wird und damit nach Art. 5 der Durch die Änderungsgesetze zum Conterganstif-
Verordnung (EG) Nr. 883/2004 „im Inland versteuer- tungsgesetz in 2008 und 2009 sollten vor allem die
tem Einkommen“ gleichgestellt ist – vgl. auch Bun- finanziellen Auswirkungen sowohl der Spät- als auch
destagsdrucksache 17/3030, Seite 48. der Folgeschäden gemildert werden. Dies schließt nicht
aus, dass es Fallkonstellationen gibt, in denen zusätzli-
Elterngeldberechtigte, die im maßgeblichen Bemes-
che Hilfen benötigt werden. Weiteren Aufschluss hierzu
sungszeitraum derartige Erwerbseinkünfte nicht oder nur
werden die Ergebnisse des am 1. Oktober 2010 begonne-
teilweise erzielt haben, erhalten mindestens den Eltern-
nen Forschungsprojekts „Wiederholt durchzuführende
geldmindestbetrag in Höhe von monatlich 300 Euro.
Befragungen zu Problemen, speziellen Bedarfen und
Die Auflistung aller Bundesprogramme, deren Teil- Versorgungsdefiziten contergangeschädigter Menschen“
nehmerinnen und Teilnehmer – zumindest teilweise – geben. Ziel des Projekts ist es, Handlungsempfehlungen
10038 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 89. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Februar 2011
(A) zur weiteren Verbesserung des Lebensalltags contergan- § 6 Abs. 1 des Gesetzes sieht ausdrücklich vor, dass (C)
geschädigter Menschen zu erarbeiten. Gegenstand des drei Mitglieder vom BMFSFJ im Einvernehmen mit dem
Projekts ist die systematische Erfassung bereits vorhan- Bundesministerium der Finanzen, BMF, und dem Bun-
dener sowie künftig auftretender spezifischer Probleme, desministerium für Arbeit und Soziales, BMAS, als Stif-
Bedarfe und Versorgungsdefizite contergangeschädigter tungsratsmitglieder benannt werden.
Menschen, um rechtzeitig geeignete und nachhaltige Für die beiden Betroffenenvertreter und ihre Stellver-
Unterstützungsmaßnahmen anbieten bzw. entwickeln zu treter wurde vom BMFSFJ eine Direktwahl durchgeführt.
können. Durchgeführt wird das Projekt vom Institut für Ein solches Wahlverfahren war in dem Gesetzgebungs-
Gerontologie der Universität Heidelberg. verfahren von den damaligen Regierungsfraktionen ge-
Erste Ergebnisse des Forschungsprojekts werden im wünscht worden. Die Wahlbeteiligung lag bei knapp
Rahmen eines Zwischenberichts Dezember 2011 vorlie- 60 Prozent. Die Stimmenauszählung erfolgte am 17. No-
gen. Der Endbericht wird zum 31. Oktober 2012 erwar- vember 2009. § 6 Satz ContstiftG legt sieben als maxi-
tet. Insofern sind im laufenden Jahr keine Veränderun- male Mitgliederzahl des Stiftungsrates fest. Damit soll
gen geplant. die Möglichkeit eröffnet werden, zwei wissenschaftliche
Expertinnen oder Experten zur Beurteilung von Fachfra-
gen, insbesondere im Hinblick auf Forschungsvorhaben,
Zu Frage 73: in den Stiftungsrat zu berufen.
Das 2. Änderungsgesetz des Conterganstiftungsgeset- Die Conterganstiftung für behinderte Menschen ist
zes hat eine Verkleinerung des Stiftungsrates und Direkt- eine öffentlich rechtliche Stiftung. Mit der Besetzung
wahl der Betroffenenvertreter umgesetzt. Damit verbunden des Stiftungsrats durch Vertreter von drei Bundesminis-
ist eine Stärkung des Gewichts der Betroffenenvertreter. terien hat die Bundesregierung bereits seit Inkrafttreten
Der Stiftungsrat besteht seit dem 1. Dezember 2009 aus des Stiftungsgesetzes im Jahr 1972 deutlich gemacht,
insgesamt fünf Mitgliedern: je ein Vertreter von dass sie sich in der Verantwortung für die Belange der
BMFSFJ, BMF und BMAS sowie zwei Betroffenenver- Betroffenen sieht. Die Bundesregierung hält diese Beset-
treter. zung für sachgerecht.
(B) (D)
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ISSN 0722-7980