Sie sind auf Seite 1von 118

D eutscher Bundestag

78. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Inhalt:

Gedenkworte für den verstorbenen ehema- Frage des Abg. Folger (SPD) :
ligen Präsidenten der Französischen Re- Abbau von Kupfer durch eine südafri-
publik, Charles de Gaulle 4345 A kanische Bergwerksgesellschaft in den
österreichischen Alpen
Überweisung von Vorlagen des Bundes- Dorn, Parlamentarischer
ministers der Finanzen an den Haushalts- 4348 A, B
Staatssekretär
ausschuß 4345 C
Folger (SPD) . . . . . . . . 4348 B
Frist für die Einreichung von Schriftlichen
Fragen 4345 D Frage des Abg. Engelsberger (CDU/CSU) :

Amtliche Mitteilungen 4345 D Anwerbung von Spionen durch östliche


Nachrichtendienste
Fragestunde (Drucksache VI/1386) Dorn, Parlamentarischer
Staatssekretär . . . 4348 C, D, 4349 A
Frage des Abg. Unertl (CDU/CSU) :
Engelsberger (CDU/CSU) . 4348 D, 4349 A
Gewährung von Entwicklungshilfe an
die neue chilenische Regierung
Frage des Abg. Berger (CDU/CSU) :
Dr. Eppler, Bundesminister . . . . 4346 C,
4347 A, B Steigerung der Nettogehaltssumme für
Beamte
Unertl (CDU/CSU) . . 4346 D, 4347 A, B
Dorn, Parlamentarischer
Staatssekretär . 4349 B, C, D, 4350 A, B
Frage des Abg. Josten (CDU/CSU) :
Berger (CDU/CSU) 4349 C, D
Einbeziehung von Jungakademikern in
Entwicklungsdienste Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) . 4350 A
Dr. Eppler, Bundesminister . . 4347 C, D Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) . 4350 A
Josten (CDU/CSU) 4347 C, D Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) 4350 B
II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Frage des Abg. Berger (CDU/CSU) : Frage des Abg. Volmer (CDU/CSU) :
Anpassung der Beamtenbesoldung an Stellungnahme der Bundesregierung zu
die allgemeine Einkommensentwick- den Protestaktionen der Beamten
lung
Dorn, Parlamentarischer
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . 4355 D, 4356 A
Staatssekretär . . . 4350 C, D, 4351 A
Volmer (CDU/CSU) . . . 4355 D, 4356 A
Berger (CDU/CSU) 4350 C, D
Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) . 4351 A Frage des Abg. Dr. Riedl (München)
(CDU/CSU) :
Frage des Abg. Wagner (Günzburg) Vorlegung einer Formulierungshilfe der
CDU/CSU) : Bundesregierung zur Richterbesoldung
Differenz der Besoldung zwischen den und den Folgerungen für das gesamte
Beamten der Länder und denen des Besoldungsrecht
Bundes Dorn, Parlamentarischer
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär . . . . . 4356 B, C, D
Staatssekretär 4351 A, C, D, 4352 A, B, C, D, Berger (CDU/CSU) . . . . . . . 4356 C
4352 A, B
Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) . . . 4356 D
Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) . . 4351 B,
4352 B
Dr. Fuchs (CDU/CSU) 4351 C Frage des Abg. Dr. Riedl (München)
(CDU/CSU) :
Unertl (CDU/CSU) 4351 C, D
Bericht der Bundesregierung über die
Raffert (SPD) 4351 D Arbeiten zur Aufstellung einer den
Berger (CDU/CSU) 4352 A Amtsinhalt stärker berücksichtigenden
Bewertungsordnung
Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) 4352 A
Dorn, Parlamentarischer
Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) . . 4352 C
Staatssekretär . . . . . . . 4357 A, B
Volmer (CDU/CSU) 4352 C
Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) . 4357 B
Brück (Köln) (CDU/CSU) 4352 D
Brück (Köln) (CDU/CSU) 4357 B
Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) . 4353 A, B
Fragen des Abg. Dr. Schneider (Nürnberg)
Frage des Abg. Wagner (Günzburg)
(CDU/CSU) :
(CDU/CSU) :
Vermögenswirksame Leistungen für
Vorstellungen im Bundeskanzleramt
Versorgungsempfänger
über eine Verbesserung der Besoldung
für die Beamten Dorn, Parlamentarischer
Staatssekretär . . 4357 C, D, 4358 A, B
Dorn, Parlamentarischer
Staatssekretär 4353 C, D, 4354 A, B, C, D Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) 4357 D,
4358 A
Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) . 4353 C
Berger (CDU/CSU) . . . . . . . 4358 B
Berger (CDU/CSU) 4353 D
Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) . . 4353 D Frage des Abg. Freiherr von Fircks
Volmer (CDU/CSU) 4354 A (CDU/CSU) :
Dr. Fuchs (CDU/CSU) 4354 B Vorlage des Härteberichts zum Gesetz
zu Art. 131 GG
Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) 4354 B
Dorn, Parlamentarischer
Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) . . 4354 C
Staatssekretär . . . 4358 B, D, 4359 A

Frage des Abg. Volmer (CDU/CSU) : Freiherr von Fircks (CDU/CSU) . . 4358 D

Vorlegung des Gutachtens zur Frage Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) . . . 4359 A
des Besoldungsrückstandes im öffent-
lichen Dienst Frage des Abg. Brück (Köln) (CDU/CSU) :
Dorn, Parlamentarischer
Neuregelung der Vor-, Aus- und Fort-
Staatssekretär . . . . . . 4355 A, B, C bildung der Beamten
Volmer (CDU/CSU) 4355 B Dorn, Parlamentarischer
Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) . 4355 B Staatssekretär . . . . . . . 4359 A, B
Berger (CDU/CSU) 4355 C Brück (Köln) (CDU/CSU) . . . . . 4359 B
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 III

Frage des Abg. Brück (Köln) (CDU/CSU) : Höcherl (CDU/CSU) 4400 C


Studienkommission zur Untersuchung
Gallus (FDP) 4402 D
der Stellung und der Aufgaben des
öffentlichen Dienstes in Staat und Ge- Niegel (CDU/CSU) 4407 A
sellschaft Marquardt (SPD) . . . . . . . 4409 D
Dorn, Parlamentarischer Bittelmann (CDU/CSU) 4412 A
Staatssekretär 4359 C
Klinker (CDU/CSU) 4414 D
Entwurf eines Gesetzes über die Verlänge- Löffler (SPD) 4415 D
rung der Amtszeit der Betriebsräte (SPD, Helms (FDP) 4418 B
FDP) (Drucksache VI/1363) — Erste Bera-
Dasch (CDU/CSU) 4419 C
tung —
Dr. Gleissner (CDU/CSU) 4420 C
Müller (Berlin) (CDU/CSU) . . . . 4359 D
Struve (CDU/CSU) 4425 D
Urbaniak (SPD) . . . . . . . . 4360 B
Horstmeier (CDU/CSU) 4427 B
Schmidt (Kempten) (FDP) . . . . . 4361 B
Wolf (SPD) 4428 A
Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU Röhner (CDU/CSU) . . . . . . 4428 C
betr. Agrarpolitik (Drucksachen VI/1145, Dr. von Bülow (SPD) 4429 D
VI/ 1303) in Verbindung mit
Schonhofen (SPD) 4430 A
Große Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP
betr. Maßnahmen der Bundesregierung in Entwurf eines Gesetzes über eine Zählung
der Einkommens-, der Struktur- und der in der Land- und Forstwirtschaft (Land-
Sozialpolitik für die deutsche Landwirt- wirtschaftszählungsgesetz 1971) (Druck-
schaft (Drucksache VI/1187, VI/1302), mit sache VI/1133); Bericht des Haushaltsaus-
schusses gem. § 96 GO (Drucksache
VI/1368), Schriftlicher Bericht des Aus-
Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Ände-
schusses für Ernährung, Landwirtschaft
rung und Ergänzung des Gesetzes über
und Forsten (Drucksachen VI/1282, Nach-
eine Altershilfe für Landwirte (Druck-
trag zu VI/1282) — Zweite und dritte Be-
sache VI/945) ; Bericht des Haushaltsaus-
ratung — 4431 C
schusses gem. § 96 GO (Drucksache
VI/1407), Schriftlicher Bericht des Aus-
schusses für Arbeit und Sozialordnung Entwurf eines Dreiundzwanzigsten Gesetzes
(Drucksachen VI/1384, zu VI/1384) — zur Änderung des Lastenausgleichsge-
Zweite und dritte Beratung —, mit setzes (Drucksache VI/ 1000) ; Bericht des
Haushaltsausschusses gem. § 96 GO
(Drucksache VI/1383), Schriftlicher Bericht
Entwurf eines Fünften Gesetzes zur Ände-
des Innenausschusses (Drucksache VI/1351)
rung und Ergänzung des Gesetzes über
— Zweite und dritte Beratung — in Ver-
eine Altershilfe für Landwirte (Druck-
bindung mit
sache VI/249) ; Schriftlicher Bericht des
Ausschusses für Arbeit und Sozialord-
Entwurf eines Dreiundzwanzigsten Geset-
nung) (Drucksache VI/1384) — Zweite Be-
zes zur Änderung des Lastenausgleichs-
ratung — und mit
gesetzes (CDU/CSU) (Drucksache VI/ 119) ;
Schriftlicher Bericht des Innenausschusses
Entwurf eines Gesetzes zur Nachversiche- (Drucksache VI/1351) — Zweite Beratung —
rung landwirtschaftlicher Unternehmer
in der gesetzlichen Krankenversicherung Hofmann (SPD) . . . . . . . . 4432 B
(Drucksache VI/438) ; Schriftlicher Bericht Freiherr von Fircks (CDU/CSU) . . 4433 D
des Ausschusses für Arbeit und Sozial-
Schmidt (Kempten) (FDP) . . . . . 4435 D
ordnung (Drucksache VI/1384) — Zweite
Beratung — Genscher, Bundesminister . . . . 4437 A
Ehnes (CDU/CSU) 4362 D
Entwurf eines Gesetzes über die Erhebung
Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) . . 4370 B einer besonderen Ausgleichsabgabe auf
Peters (Poppenbüll) (FDP) . . . 4377 C eingeführten Branntwein (Drucksachen
VI/1222, zu VI/ 1222) ; Schriftlicher Bericht
Ertl, Bundesminister . . 4380 C, 4423 B
des Ausschusses für Wirtschaft (Druck-
Arendt, Bundesminister . . . . . 4389 A sache VI/1387) — Zweite und dritte Bera-
Dr. Ritz (CDU/CSU) 4391 A tung — 4438 A

Dr. Schiller, Bundesminister . . . 4395 B


Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Lotze (SPD) 4398 C Gesetzes über den Beitritt der Bundes-
IV Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode - 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

republik Deutschland zu den Abkommen Bericht gem. § 60 Abs. 3 GO über den Stand
über den Internationalen Währungsfonds der Beratungen des von der Fraktion der
und über die Internationale Bank für CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
Wiederaufbau und Entwicklung vom Fünften Gesetzes zur Änderung des Sol-
28. Juli 1952 und des Gesetzes über das datenversorgungsgesetzes
Europäische Währungsabkommen vom Haase (Kellinghusen) (SPD) . . . . 4442 B
26. März 1959 (Drucksache VI/ 1245) ;
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Dr. Klepsch (CDU/CSU) . . . . • 4442 D
Wirtschaft (Drucksache VI/1388) — Zweite Dr. Bußmann (SPD) 4444 C
und dritte Beratung — 4438 B
Berkhan, Parlamentarischer
Staatssekretär 4445 C
Entwurf eines Gesetzes über die Feststel-
lung der Wirtschaftspläne des ERP-Son- Pensky (SPD) . . . . . . . . 4446 A
- dervermögens für das Jahr 1970 (ERP
Wirtschaftsplangesetz 1970) (Drucksache Bericht des Ausschusses für Wahlprüfung,
VI/912) ; Schriftlicher Bericht des Aus- Immunität und Geschäftsordnung
schusses für Wirtschaft (Drucksache Wahlprüfungsangelegenheiten — über
VI/ 1379) — Zweite und dritte Beratung — 4438 C den Wahleinspruch des Adolf von Thad-
den, Bende bei Hannover, Dr. Siegfried
Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Ände- Pohmann, München, Waldemar Schütz,
rung des Eignungsübungsgesetzes (Druck- Hannover, und weiterer vier Präsidiums-
sache VI/1314, zu VI/1314); Bericht des mitglieder der Nationaldemokratischen
Haushaltsausschusses gem. § 96 GO Partei Deutschlands (NPD), Bevollmäch-
(Drucksache VI/1413), Schriftlicher Bericht tigter: RA Dr. jur. Wolfgang Huber, Mün-
des Verteidigungsausschusses (Druck- chen, gegen die Gültigkeit der Wahl zum
sache VI/1389) — Zweite und dritte Be- 6. Deutschen Bundestag vom 28. Septem-
ratung — 4438 D ber 1969 (Drucksache VI/1311)
Schoettle (SPD) . . . . . . . . . 4447 A
Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Ände-
rung des Soldatenversorgungsgesetzes Schriftlicher Bericht des Ausschusses für
(Drucksache VI/936) ; Bericht des Haus- Wirtschaft über die von der Bundesregie-
haltsausschusses gem. § 96 GO (Druck- rung beschlossene Verordnung zur Ände-
sache VI/1408), Schriftlicher Bericht des rung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr.
Verteidigungsausschusses (Drucksache 18/70 — Zollkontingent für Holzschliff)
VI/1366)— Zweite und dritte Beratung — 4439 A (Drucksachen VI/ 1327, VI/ 1378) . . . . . 4448 B

Entwurf eines Sechsten Gesetzes zur Ände- Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
rung des Wehrsoldgesetzes (Drucksache Deutschen Richtergesetzes (Drucksache
VI/ 1011) ; Bericht des Haushaltsausschus- VI/1380 Erste Beratung —
ses gem. § 96 GO (Drucksache VI/1409),
Schriftlicher Bericht des Verteidigungs- Jahn, Bundesminister 4448 C
ausschusses (Drucksache VI/1390)
Zweite und dritte Beratung Nächste Sitzung 4448 D
Damm (CDU/CSU) 4439 C
Genscher, Bundesminister . . 4440 B
Neumann (SPD) 4440 C Anlagen
011esch (FDP) 4441 B
Anlage 1
Entwurf eines Gesetzes über vordringliche Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 4449 A
Änderungen auf dem Gebiet des Steuer-
rechts (Steueränderungsgesetz 1971) Anlage 2
(Drucksachen VI/1313, zu VI/1313) Erste
Antrag Umdruck 90 zur Großen Anfrage
Beratung — 4441 D
der Fraktionen der SPD, FDP betr. Maß-
nahmen der Bundesregierung in der Ein-
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
kommens-, Struktur- und der Sozialpoli-
Gesetzes zu dem Übereinkommen vom
20. Juni 1956 über die Geltendmachung tik für die deutsche Landwirtschaft (Druck-
sachen VI/1187, VI/1302) 4449 B
von Unterhaltsansprüchen im Ausland
(Drucksache VI/1352) — Erste Beratung 4441 D
Anlagen 3 und 4
Entwurf eines Gesetzes über Unfallver- Anträge Umdrucke 89 und 92 zur Großen
sicherung für Schüler und Studenten Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr.
(Drucksache VI/ 1333) — Erste Beratung — 4442 A Agrarpolitik (Drucksachen VI/1145, VI/1303) 4450 A
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode - 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 V

Anlage 5 Anlage 12
Änderungsantrag Umdruck 87 zur zwei- Schriftliche Antwort auf die Mündlichen
ten Beratung des Entwurfs eines Geset- Fragen des Abg. Hein (Salzgitter-Leben-
zes zur Verbesserung und Ergänzung so- stedt) (CDU/CSU) betr. die Zentrale Er-
zialer Maßnahmen in der Landwirtschaft fassungsstelle der Westdeutschen Län-
(Agrarsoziales Ergänzungsgesetz) (Druck- derjustizverwaltungen zur Registrierung
sachen VI/249, VI/438, VI/945, VI/1384, zu von Gewalt und Willkürakten an der
VI/1384) 4451 A Zonengrenze und in der DDR . . . . . 4453 C

Anlage 6 Anlage 13
Entschließungsantrag Umdruck 88 zur Schriftliche Antwort auf die Mündliche
dritten Beratung des Entwurfs eines Drei- Frage des Abg. Härzschel (CDU/CSU)
undzwanzigsten Gesetzes zur Änderung betr. Einschaltpreise für Werbespots im
des Lastenausgleichsgesetzes (Druck- Zweiten Deutschen Fernsehen und bei
sachen VI/1000, VI/1351) 4451 B Werbegesellschaften von ARD-Rundfunk-
anstalten 4453 D
Anlage 7
Anlage 14
Änderungsantrag Umdruck 91 zur zwei-
ten Beratung des Entwurfs eines Sechsten Schriftliche Antwort auf die Mündliche
Gesetzes zur Änderung des Wehrsoldge- Frage des Abg. Jung (FDP) betr. perio-
setzes (Drucksachen VI/1011, VI/1390) . . 4451 C dische Begehung von Wohnsiedlungen
der Bundeswehr . . . . . . . . . 4454 A

Anlage 8
Anlage 15
Schriftliche Antwort auf die Zusatzfrage
Schriftliche Antwort auf die Mündliche
des Abg. Dr. Weber (Köln) (SPD) zu sei-
Frage des Abg. Weigl (CDU/CSU) betr.
ner Mündlichen Frage betr. Vorschriften
Teilnahme des Reichsbundes der Kriegs-
über Mindestwohnfläche und Mindest-
und Zivilbeschädigten, Sozialrentner und
ausstattung 4452 A
Hinterbliebenen an Vorbereitungsarbei-
ten der kommunistisch gesteuerten Ver-
Anlage 9 folgteninternationale mit dem Ziel der
Schriftliche Antwort auf die Zusatzfrage Unterstützung einer europäischen Sicher-
des Abg. Pohlmann (CDU/CSU) zu seiner heitskonferenz . . . . . . . . . . 4454 C
Mündlichen Frage betr. bundeseinheit-
liche Aushaltungs-Richtlinie für Rohholz 4452 C Anlage 16
Schriftliche Antwort auf die Mündliche
Anlage 10 Frage des Abg. Dr. Hammans (CDU/CSU)
betr. Durchsetzung des presserechtlichen
Schriftliche Antwort auf die Mündliche Anspruchs auf Gegendarstellung . . . 4454 D
Frage des Abg. Hussing (CDU/CSU) betr.
die Zahl der in Strafanstalten einsitzen-
den Rauschgifttäter 4452 D Anlage 17
Schriftliche Antwort auf die Mündlichen
Fragen des Abg. Zebisch (SPD) betr
Anlage 11
Untersuchungsergebnisse bezüglich der
Schriftliche Antwort auf die Mündliche Abgasdichte auf Schulwegen 4455 A
Frage des Abg. Weigl (CDU/CSU) betr.
die Unterstellung in einem Informations-
Anlage 18
dienst, daß von der Bundesregierung kein
verstärkter Kampf gegen die zunehmende Schriftliche Antwort auf die Mündliche
sexuelle Verwilderung in Publikations- Frage des Abg. Helms (FDP) betr. Speise-
organen zu erwarten sei . . . . . . . 4453 B kartoffeleinfuhren 4455 C
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4345

78. Sitzung

Bonn, den 11. November 1970

Stenographischer Bericht Meine Damen und Herren, der Bundesminister


der Finanzen hat unter Bezugnahme auf § 37 Abs. 4
der Bundeshaushaltsordnung ,dem Bundestag fol-
Beginn: 9 Uhr gende Vorlagen zugeleitet, die in der Ihnen vorlie-
genden Liste bezeichnet sind und die dem Haus-
Vizepräsident Frau Funcke: Die Sitzung ist haltsausschuß überwiesen werden sollen:
eröffnet. Vorlage des Bundesminister der Finanzen
Betr.: Zustimmung zur Leistung einer überplanmäßigen Aus-
Meine Damen und Herren, bevor wir in die gabe bei Kap. 15 02 Tit. 681 11 (Schul- und Berufsaus-
bildungsbeihilfen an jugendliche Zuwanderer)
Tagesordnung eintreten, gedenken wir des vor-
— Drucksache VI/1305 —
gestern gestorbenen ehemaligen Präsidenten der
Vorlage des Bundesministers der Finanzen
Französischen Republik, Charles de Gaulle.
Betr.: Finanzierung der Olympischen Spiele 1972
hier: Grundsätzliche Einwilligung in eine überplan-
Als am gestrigen Tage die Nachricht von dem mäßige Haushaltsausgabe bei Kap. 06 02 Tit. 893 15
Heimgang des Staatspräsidenten in der Bundes- — Drucksache VI/1306 —
hauptstadt bekanntwurde, richtete der Präsident die- Vorlage des Bundesministers der Finanzen
ses Hauses folgendes Telegramm an den Präsiden- Betr.: Zustimmung zur Leistung einer überplanmäßigen Aus-
ten der Nationalversammlung der Französischen gabe bei Kap. 14 18 Tit. 553 01 (Erhaltung der Schiffe,
Betriebswasserfahrzeuge, Boote, schwimmenden Geräte
Republik, Herrn Achille Peretti: und sonstigen Marinegeräte)
— Drucksache VI/1307 —
Die Nachricht vom Tode des ehemaligen Prä- Vorlage des Bundesministers der Finanzen
sidenten der Französischen Republik Charles Betr.: Zustimmung zur Leistung einer überplanmäßigen Aus-
de Gaulle hat in der Bundesrepublik Deutsch- gabe bei Kap. 14 12 Tit. 517 01 — Bewirts chaftung der
Grundstücke, Gebäude und Räume
land tiefe Anteilnahme ausgelöst. — Drucksache VI/1312 —

Persönlich und im Namen des Deutschen Bun- Vorlage des Bundesministers der Finanzen
Betr. : Überplanmäßige Ausgabe bei Kap. 10 03 Tit. 683 88
destages übermittle ich Ihnen, Herr Präsident, (Frachthilfe für Getreide) Hj. 1970 bis zur Höhe von
und allen Mitgliedern , der Nationalversamm- 7,0 Millionen DM
— Drucksache VI/1318 —
lung Frankreichs unser aufrichtiges Mitgefühl.
Wir trauern mit Ihnen um einen großen Fran- Das Haus ist damit einverstanden? — Es ist so be-
zosen und Europäer, der gemeinsam mit dem schlossen.
ersten Bundeskanzler der Bundesrepublik
Der Ältestenrat empfiehlt ihnen, den in der
DeutschlandKorAeiusöhng
zwischen Franzosen und Deutschen möglich ge- 75. Sitzung des Deutschen Bundestages am 4. No-
vember 1970 gefaßten Beschluß über die Vorver-
macht hat.
legung der Einreichungsfrist für Fragen von freitags
Das Lebenswerk Charles de Gaulles hat die 15 Uhr auf freitags 11 Uhr auf die Schriftlichen Fra-
Geschichte unseres Kontinents wesentlich be- gen auszudehnen. — Ich höre keinen Widerspruch.
stimmt. Es verpflichtet ,die lebenden Generatio- Dann ist das Haus mit der entsprechenden Ände-
nen unserer Völker über seinen Tod hinaus, rung von Nr. 18 der Richtlinien für die Fragestunde
die deutsch-französische Freundschaft weiter zu ebenfalls einverstanden.
stärken und mit immer neuem lebendigem Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden
Geist zu erfüllen. Wir bewahren ihm unseren ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht
Respekt für ein tapferes Lebenswerk im Dienst aufgenommen:
seines Vaterlandes, für die Überwindung alter
Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat
Gegensätze in Europa und damit für den Frie- am 5. November 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten
den auf unserem Kontinent. Dr. Probst, Dr. Riedl (München), Geisenhofer, Roser, Dr. Schnei-
der (Nürnberg), Dr. Kreile, Niegel und Genossen betr. Wohn-
situation der Studenten — Drucksache VI/1285 — beantwortet.
Der Herr Präsident hat gleichzeitig der Witwe des Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1391 verteilt.
Verstorbenen das aufrichtige Mitgefühl und die Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat am
6. November 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr.
herzliche Anteilnahme des Deutschen Bundestages Hauff, Dr. Meinecke (Hamburg), Dr. Lohmar, Raffert, Jung,
ausgesprochen. Graaff, Grüner, Krall, Mertes und der Fraktionen der SPD,
FDP betr. Datenverarbeitung — Drucksache VI/1276 — beant-
wortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1396 verteilt.
Sie haben sich zu Ehren des Verstorbenen erho-
Der Bundesminister der Verteidigung hat am 9. November 1970
ben. Ich danke Ihnen. die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Klepsch, Dr. Zimmer-
4346 Deutscher Bundestag 6. Wahlperiode - 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Vizepräsident Frau Funcke


mann, Damm, Ernesti, Dr. Marx (Kaiserslautern), Haase (Kassel)
und Genossen betr. Finanzplanung Verteidigungshaushalt für die
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bun-
Jahre 1971/1974 — Drucksache VI/1286 — beantwortet. Sein desministers für Städtebau und Wohnungswesen.
Schreiben wird als Drucksache VI/1398 verteilt.
Zur Beantwortung ist Herr Parlamentarischer Staats-
Der Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und
der Ausschuß für Wirtschaft haben gegen die nachfolgenden, sekretär Ravens anwesend. Ich rufe die Frage 1 des
vom Rat der EG inzwischen verkündeten Verordnungen keine Herrn Abgeordneten Jung auf. — Ist Herr Jung
Bedenken erhoben:
anwesend? — Das ist nicht der Fall. Die Frage wird
Verordnung (EWG) des Rates über eine erneute Verlänge-
rung der in Artikel 21 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17/64/ schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als An-
EWG fiber die Bedingungen für die Beteiligung des EAGFL
vorgesehenen Frist für das Jahr 1969 lage abgedruckt.
— aus Drucksache VI/1184 —
Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staats-
Verordnung (EWG) Nr. 1218/70 des Rates vom 29. Juni 1970
über die Festsetzung der monatlichen Zuschläge zum Richt-
sekretär.
preis und zum Interventionspreis für tlsaaten Im Wirt-
schaftsjahr 1970/1971 Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäfts-
Verordnung (EWG) Nr. 1219/70 des Rates vom 29. Juni 1970 bereich des Bundesministers für wirtschaftliche Zu-
zur Festsetzung der Hauptinterventionsorte für Ölsaaten und sammenarbeit. Zur Beantwortung ist Herr Minister
der dort geltenden abgeleiteten Interventionspreise für das
Wirtschaftsjahr 1970/1971 Eppler anwesend. Ich rufe die Frage 2 des Herrn
Verordnung (EWG) Nr. 1220/70 des Rates vom 29. Juni 1970 Abgeordneten Unertl auf:
zur Änderung der Verordnung Nr. 116/67/EWG über die
Beihilfe für Ölsaaten Treffen Meldungen zu, wonach die Bundesregierung der neuen
chilenischen Regierung besondere Entwicklungshilfen gewährt,
Verordnung (EWG) Nr. 1221/70 des Rates vom 29. Juni 1970 und welche Bedingungen wurden ggf. für diese Hilfen verein-
zur Änderung der Verordnung Nr. 876/67/EWG zur Einfüh- bart?
rung einer zusätzlichen Beihilfe für in Italien verarbeitete
Raps- und Rübsensamen Bitte schön, Herr Minister.
— Drucksache VI/1071 —
Verordnung (EWG) des Rates über die Einfuhr von Oliven-
öl aus Spanien Dr. Eppler, Bundesminister für wirtschaftliche
— Drucksache VI/1094 — Zusammenarbeit: Herr Kollege Unertl, die Bundes-
Verordnung des Rates über die Einfuhr von Olivenöl aus regierung gewährt der neuen chilenischen Regie-
Tunesien
— Drucksache VI/1105 —
rung keine besondere Entwicklungshilfe. Dement-
Verordnung des Rates zur Aufnahme weiterer Waren in die sprechend wurden auch keine besonderen Bedin-
im Anhang I der Verordnung (EWG) Nr. 1025/70 des Rates gungen vereinbart. Die Bundesregierung wird ihre
aufgeführte Liste (1. Erweiterung).
— Drucksache VI/1099 —
bestehenden Verpflichtungen vertragsgemäß einhal-
Verordnung des Rates über die teilweise Aussetzung des ten und die laufenden Projekte weiterführen. Die
autonomen Zollsatzes des Gemeinsamen Zolltarifs für Pam- chilenische Regierung weiß, daß wir sie in ihrem
pelmusen und Grapefruits (Tarifstelle 08.02 D)
— Drucksache VI/1202 — Bemühen, die wirtschaftliche und soziale Lage zu
Verordnung (EWG) des Rates über die Einfuhr von Zitrus-
festigen, wie bisher auch weiterhin tatkräftig un-
früchten mit Ursprung in Spanien terstützen wollen. Wir sind bereit, Chile auch in
— Drucksache VI/1096 (neu) —
unsere künftige Planung einzubeziehen. Entspre-
Verordnung (EWG) des Rates über die Einfuhr von Zitrus-
früchten mit Ursprung in Israel
chende Vorschläge der chilenischen Regierung für
— Drucksache VI/1106 — die weitere technische und wirtschaftliche Zusam-
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß
menarbeit müssen abgewartet werden. Nach Ein-
des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen gang neuer Vorschläge werden wir diese wohlwol-
überwiesen:
lend prüfen und im Rahmen unserer Möglichkeiten
EWG-Vorlagen
Verordnung des Rates zur Aufhebung der Verordnung
auch berücksichtigen.
(EWG) Nr. 162/69 betreffend den aktiven Veredelungsver-
kehr bestimmter Milcherzeugnisse Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage
— Drucksache VI/1370 —
des Herrn Abgeordneten Unertl.
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten mit der Bitte uni Vorlage des Berichts rechtzeitig vor
der endgültigen Beschlußfassung im Rat Unertl (CDU/CSU) : Herr Bundesminister, ist
Richtlinie des Rates betreffend die Harmonisierung der Ihnen bekannt, daß nach der Neubildung der dor-
Rechts- und Verwaltungsvorschriften über die in Zollagern
und Freizonen zulässigen üblichen Behandlungen tigen Regierung der neue Präsident nach Presse-
— Drucksache VI/1371 — meldungen erklärt hat, daß er als volkswirtschaft-
überwiesen an den Finanzausschuß mit der Bitte um Vorlage
des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschlußfassung
liche und wirtschaftliche Notwendigkeit die Ver-
im Rat staatlichung von Unternehmen in ausländischer
Verordnung des Rates über die zeitweilige Aussetzung der Hand vorhat? Er sagt zwar, daß er zunächst den
autonomen Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs für Balsam-
terpentinöl der Tarifstelle 38.07 A und für Kolophonium Eisenerz- und Kupferbergbau verstaatlichen will,
der Tarifstelle 38.08 A später aber — s o heißt es dann — sollen die glei-
— Drucksache VI/1372 —
chen Maßnahmen auch in anderen Wirtschaftsbe-
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um
Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschluß- reichen eingeleitet werden. Ist Vorsorge getroffen,
fassung im Rat
daß die Gelder, gegen deren Hingabe, wenn kein
Verordnung des Rates über eine ergänzende Abschlags-
zahlung auf die für den EAGFL, Abteilung Garantie, für Mißbrauch getrieben wird, ich nichts einzuwenden
den Verbuchungszeitraum „zweites Halbjahr 1969" in Be- habe, dann auch in unserem Sinne verwendet wer-
tracht kommenden Ausgaben
— Drucksache VI/1373 —
den?
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und (Anhaltende starke Unruhe.)
Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor
der endgültigen Beschlußfassung im Rat
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Minister,
Wir kommen zu Punkt 1 der Tagesordnung: einen Augenblick bitte! — Ich bitte das Haus um
Ruhe. Wenn Gespräche geführt werden müssen,
Fragestunde daim bitte draußen. Es ist hier nichts zu verstehen.
Drucksache VI/1386 — — Bitte schön, Herr Minister!
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4347

Dr. Eppler, Bundesminister für wirtschaftliche Dr. Eppler, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit: Herr Kollege Unertl, die Bundes- Zusammenarbeit: Herr Kollege Josten, es trifft zu,
regierung verhält sich nach dem Grundsatz der daß Wehrpflichtige unter Freistellung vom Grund-
Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten wehrdienst nur dann für den Entwicklungsdienst
anderer Staaten. Sie wird also ihre Entwicklungs- tätig werden können, wenn sie nicht älter als 22
politik nicht an solchen internen Maßnahmen einer bzw. 23 Jahre sind. Das bedeutet, daß für Akade-
Regierung orientieren können. miker, die normalerweise ihr Studium in diesem
Alter noch nicht abgeschlossen haben, bisher eine
Vizepräsident Frau Funcke: Eine weitere Zu- entsprechende Freistellung nicht möglich ist.
satzfrage des Herrn Abgeordneten Unertl. Ich bin mit dem Bundesminister der Verteidigung
darin einig, daß jährlich bis zu 300 Akademikern
Unertl (CDU/CSU) : Herr Bundesminister, ich die Chance gegeben werden soll, Entwicklungs-
lasse dies ja voll und ganz gelten. Aber im Rahmen dienst an Stelle von Wehrdienst zu leisten. Die
der Verwendung von Steuergeldern wäre doch eine Bundesregierung ist gegenwärtig dabei, dafür die
gewisse Vorsicht auch bei der Hingabe von Entwick- organisatorischen, fachlichen und haushaltsrecht-
lungshilfegeldern am Platze. Ich denke insbeson- lichen Voraussetzungen zu schaffen. Dies ändert
dere auch an andere Länder. allerdings nichts daran, Herr Kollege, daß auf Grund
des Bedarfs der Entwicklungsländer und der bis-
(Zurufe von der SPD: Frage!)
herigen Erfahrungen nur Entwicklungshelfer mit ab-
- Ich frage den Herrn Bundesminister — ob Sie da geschlossener Berufsausbildung Entwicklungsdienst
drüben zuhören können oder nicht — leisten sollen.
(Zurufe von der SPD: Unerhört! — Weitere
Zurufe von der SPD.) Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Josten.
— Ich schließe mich vollkommen dem an, was die
Präsidentin gerade festgestellt hat. Ich habe sonst
gar nichts vor, und es steht mir gar nicht das Recht Josten (CDU/CSU) : Herr Minister, halten Sie
zu, Sie bei der Unterhaltung zu stören. Aber das ist z. B. den Vorschlag, welchen die 3. Akademie des
kein guter parlamentarischer Stil. Cusanuswerkes dem Ausschuß für wirtschaftliche
Zusammenarbeit gemacht hat, für eine gute Lösung,
nach dem Abiturienten auf Wunsch vom Wehrdienst
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege
zurückgestellt werden, um nach dem Studium ge-
Unertl, ich bitte, die Frage kurz und bündig zu stel-
mäß ihrer Qualifikation in Entwicklungsländern ar-
len.
beiten zu können?
Unertl (CDU/CSU): Ich frage den Herrn Bundes-
minister, ob nicht auf Grund der bekannten Tat- Dr. Eppler, Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit: Herr Kollege, darauf läuft unser
sache, daß z. B. gerade auch in den südafrikanischen
Programm hinaus, und zwar für eine bestimmte, be-
Staaten unter Umständen die Gefahr besteht, daß
dort die kommunistischen Guerillas unterstützt wer- grenzte Zahl.
den und Waffen in der UdSSR kaufen, nicht auch ge-
rade bei der Hingabe von Entwicklungshilfe etwas Vizepräsident Frau Funcke: Eine weitere Zu-
mehr Vorsicht am Platze wäre. satzfrage.

Josten (CDU/CSU) : Herr Minister, darf ich Sie


Dr. Eppler, Bundesminister für wirtschaftliche
fragen, ob die Bundesregierung eine Gesetzesände-
Zusammenarbeit: Herr Kollege Unertl, als Mit-
rung vorschlagen wird, wonach durch eine Herauf-
glied des Bundestagsausschusses für wirtschaftliche
setzung der Altersgrenze die Mitarbeit von Jung-
Zusammenarbeit ist Ihnen sicherlich bekannt, daß
akademikern im Entwicklungsdienst ermöglicht
die Bundesregierung niemandem auf dieser Welt
wird.
einfach Geld gibt, mit dem er tun oder auch lassen
kann, was ihm behagt, sondern daß die Bundes-
regierung mit der Regierung des jeweiligen Landes Dr. Eppler, Bundesminister für wirtschaftliche
Projekte vereinbart, die diesem Land und uns rich- Zusammenarbeit: Nein, Herr Kollege, die Bundesre-
tig und für den sozialen und wirtschaftlichen Fort- gierung wird keine Gesetzesänderung vorschlagen,
schritt dieses Landes förderlich erscheinen. weil dadurch Weiterungen entstehen, die Sie und ich
wahrscheinlich nicht wollen. Die Bundesregierung
wird vielmehr versuchen, dasselbe Problem für den
Vizepräsident Frau Funcke: Es tut mir leid, von mir angesprochenen Personenkreis auf dem Ver-
Herr Kollege Unertl; Sie haben Ihre zwei Fragen ge- waltungsweg zu lösen.
stellt. Sie können ja vielleicht später einmal wei-
tere Fragen stellen.
Vizepräsident Frau Funcke: Keine weitere
Ich rufe die Frage 3 des Herrn Abgeordneten Zusatzfrage. Ich danke Herrn Bundesminister Eppler
Josten auf: für die Beantwortung der Fragen.
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, der auf
dem 6. Deutschen Evangelischen Akademikertag beschlossenen Re- Jetzt wären die Fragen 46 und 47 aus dem Ge-
solution Nr. 4 zu entsprechen, die sich mit der Einbeziehung
von Jungakademikern in Entwicklungsdienste befaßt? schäftsbereich des Bundesministers für Ernährung,
4348 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970
Vizepräsident Frau Funcke
Landwirtschaft und Forsten an der Reihe. Da sie je- Bundesrepublik Deutschland täglich zwei Spione für den öst-
lichen Geheimdienst angeworben werden?
doch im Zusammenhang mit der heute noch zu füh-
renden Debatte stehen, sind sie jetzt nicht zugelas- Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim
sen. Bundesminister des Innern: Herr Kollege, die von
Die Frage 48 des Herrn Abgeordneten Helms wird Ihnen genannte Zahl bedarf in zweifacher Hinsicht
schriftlich beantwortet. Die Antwort wird als An- einer Klarstellung. Zum einen sind darin auch die
lage abgedruckt. erfolglosen Anwerbungsversuche enthalten, zum
anderen handelt es sich um sämtliche Versuche
Wir kommen damit zu den Fragen aus dem Ge-
östlicher Nachrichtendienste, innerhalb und außer-
schäftsbereich des Bundesministers des Innern. Zur
halb der Bundesrepublik Deutschland Personen für
Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staats-
Spionageaufträge gegen die Bundesrepublik anzu-
sekretär Dorn zur Verfügung. Ich rufe zunächst die
werben.
Frage 4 des Herrn Abgeordneten Folger auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, daß eine südafrikanische Die Zahl von rund 700 festgestellten Anwerbungs-
Bergwerksgesellschaft- in den österreichischen Alpen mit dem versuchen im Jahr darf zwar nicht verharmlost wer-
Abbau von Kupfer beginnt und die dabei entstehenden chemisch
verseuchten Abwässer über die Tiroler Ache in den oberbaye- den, erscheint dadurch aber in einem anderen Licht.
rischen Chiemsee gelangen können, und, wenn ja, was wird Fast zwei Drittel der Werbungsversuche wurden
sie dagegen tun?
gegenüber Reisenden der Bundesrepublik Deutsch-
Bitte schön, Herr Staatssekretär! land in der DDR vorgenommen. Diese Werbungs-
versuche kann die Bundesregierung natürlich nicht
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim verhindern. Der weit überwiegende Teil der Ver-
Bundesminister des Innern: Herr Kollege, der Bun- suche scheitert jedoch, weil die Angesprochenen
desregierung ist bekannt, daß eine südafrikanische sich nicht zu einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit
Bergwerksgesellschaft in den Kitzbühler Alpen Kup- bereit erklären. Durch die Beschränkung von Ost-
fer abzubauen beabsichtigt. Wegen der dadurch zu blockreisen für Geheimnisträger und durch Auf-
befürchtenden schädlichen Verunreinigungen auch klärung und Warnung von Personen, die bei Ost-
deutscher Gewässer hat die Bayerische Staatsregie- blockreisen Anwerbungsversuchen ausgesetzt wer-
rung bereits Verbindung mit der Tiroler Landesre- den könnten, wird dem Erfolg solcher Versuche
gierung aufgenommen. Wie mir die Bayerische ebenfalls entgegengewirkt.
Staatskanzlei mitgeteilt hat, sollen diese Gespräche
Gegen die Anwerbungsversuche in der Bundes-
demnächst fortgesetzt werden. Es sei bisher noch
republik Deutschland und gegen die Auswirkungen
nicht bekannt, ob und in welchem Umfang bereits
erfolgreicher Werbungen richtet sich die Arbeit der
Schürfrechte verliehen worden sind.
für die Spionageabwehr zuständigen Abteilung im
Sollten die unmittelbaren Gespräche zwischen den Bundesamt für Verfassungsschutz. Personelle und
bayerischen und den Tiroler Behörden zu keinem technische Ausstattung dieser Abteilung sind ver-
befriedigenden Ergebnis führen, wird die Bundesre- stärkt worden; auch für 1971 werden entsprechende
gierung geeignete Schritte gegenüber der österrei- zusätzliche Mittel beantragt werden.
chischen Bundesregierung unternehmen, um Schä-
Im übrigen ist der sogenannte vorbeugende Ge-
digungen, die durch die Abwässer eines Kupferab-
heimschutz intensiviert worden. Dazu gehören
baues zu befürchten sind, von deutschen Gewässern
Sicherheitsüberprüfungen von Geheimnisträgern,
abzuwenden.
ständiger Erfahrungsaustausch zwischen den Ver-
fassungsschutzbehörden und den Sicherheitsbeauf-
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage. tragten bei Behörden, Forschungseinrichtungen und
Industrieunternehmen sowie Veranstaltungen von
Folger (SPD) : Herr Staatssekretär, wäre es mög- aufklärenden Vorträgen, Verteilung von Informa-
lich, daß das Auswärtige Amt schon jetzt mit der tionsmaterial und Vorführung von Lehrfilmen.
österreichischen Regierung verhandelt, damit das
Unglück nicht erst passiert? Eine wesentliche Rolle spielt dabei auch die ge-
rade in letzter Zeit erfreulich gestiegene Zusam-
menarbeit der Bevölkerung mit den Sicherheitsbe-
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim hörden. Alle Bürger unseres Staates bleiben aufge-
Bundesminister des Innern: Herr Kollege, ich bin rufen, einschlägige Wahrnehmungen oder Anwer-
mit Ihnen der Meinung, daß wir mit der Bayerischen bungsversuche unverzüglich den zuständigen Be-
Staatsregierung noch einmal Fühlung nehmen soll- hörden mitzuteilen.
ten, um so schnell wie möglich festzustellen, ob die
Schürfrechte bereits verliehen worden sind und
wann mit den Arbeiten begonnen wird. Dies sollten Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Engelsberger.
wir tun, damit wir uns zum geeigneten Zeitpunkt
einschalten können.
Engelsberger (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär,
Vizepräsident Frau Funcke: Keine weitere liegen Schätzungen darüber vor, wie viele Spione
Zusatzfrage. aus dem Osten in der Bundesrepublik angesetzt
sind?
Ich rufe dann die Frage 5 des Abgeordneten
Engelsberger auf:
Was gedenkt die Bundesregierung gegen die vom Bundes-
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim
amt für Verfassungsschutz bestätigte Tatsache zu tun, daß in der Bundesminister des Innern: Es liegen Schätzungen
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4349
Parlamentarischer Staatssekretär Dorn
vor. Ob diese Schätzungen den Realitäten entspre- Nach Meinung der Bundesregierung spricht zwar
chen, ist eine Frage, die ständig überprüft wird und einiges dafür, daß sich auch für Beamte eine Nettoge-
die kein Mensch genau beantworten kann. haltssumme voraussichtlich in dieser Höhe ergeben
wird. Ich darf das aber noch einmal unter die von
Vizepräsident Frau Funcke: Eine weitere Zu- dem Herrn Kollegen Dr. Schöllhorn genannte Prä-
satzfrage. misse stellen: Eine ganz eindeutige aussagefähige
Zahl ist leider nicht vorhanden.
Engelsberger (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär,
wie vereinbart sich die Eskalation auf dem Gebiete Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage
der Spionage von seiten des Ostens in der Bundes- des Herrn Abgeordneten Berger.
republik mit den Entspannungsbemühungen der
Bundesregierung gegenüber der DDR und der Berger (CDU/CSU) : Bezieht sich Ihre Vermutung,
Sowjetunion? Ist das, was hier geschieht, nicht ge- Herr Staatssekretär, daß bei den Beamten diese
rade konträr: einerseits verhandeln wir, bemühen Zahl von 8 % ungefähr erreicht wird, auf die Bun-
wir uns um friedliche Regelungen, andererseits wird desbeamten, auf die Landesbeamten und auf die
die Zahl der Spione in der Bundesrepublik noch Versorgungsempfänger?
verstärkt?
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim desminister des Innern: Herr Kollege Berger, diese
Bundesminister des Innern: Herr Kollege, von einer Frage ist so unterschiedlich zu sehen, wie Sie sie
Eskalation in den letzten Jahren kann überhaupt schon gestellt haben. Sie wissen, daß in einer Reihe
keine Rede sein. Wenn die Zahlen zutreffen, die in von Bundesländern sehr unterschiedliche Entschei-
früheren Jahren veröffentlicht worden sind, waren dungen getroffen worden sind, sowohl von den
damals erheblich mehr Versuche als zur Zeit unter- Landesregierungen als auch von den Landesparla-
nommen worden. menten, und daß die Bundesbeamten bisher in dem
gleichen Umfang nicht zum Zuge gekommen sind,
Vizepräsident Frau Funcke: Keine Zusatz- wie das bei den Landesbeamten der Fall gewesen
frage. ist. Das gleiche gilt allerdings auch innerhalb der
Bundesländer für den Bereich der Versorgungsbe-
Die Frage 6 des Abgeordneten Weigl wird schrift- rechtigten.
lich beantwortet. Die Antwort wird als Anlage ab-
gedruckt.
Vizepräsident Frau Funcke: Eine zweite Zu-
Frage 7 des Herrn Abgeordneten Dr. Hammans! satzfrage des Herrn Abgeordneten Berger.
— Er ist nicht im Saal. Die Frage wird schriftlich be-
antwortet. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt. Berger (CDU/CSU) : Würden Sie, Herr Staats-
sekretär, den Hinweis auf diese Prämisse nicht be-
Ich rufe die Frage 8 des Herrn Abgeordneten
dauern, die in der Antwort des Staatssekretärs Dr.
Berger auf:
Schöllborn an dieser Stelle überhaupt nicht erwähnt
Trifft die von Herrn Staatssekretär Dr. Schöllhorn in der
Fragestunde vom 15. Oktober 1970 (vgl. Stenographischer Be- ist, wenn die Bundesregierung doch in den Anzeigen
richt Seite 4076 [B]) aufgestellte Behauptung, „den Arbeitneh- des Presse- und Informationsamtes — wie Sie si-
mern verbleibt unter Berücksichtigung der eingetretenen Steige-
rungen der Lebenshaltungskosten eine Zunahme der reinen cherlich wissen — feststellt, daß das Arbeitnehmer-
Nettolohn- und -gehaltssumme von gut 8 %", auch für die Be-
amten zu? einkommen in den ersten 6 Monaten um 14,2 % ge-
stiegen ist, und wenn die Beamten nunmehr die
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
Frage stellen, wieso das Presse- und Informations-
amt dort 14,2 % bzw. real 8 % herausstellt, während
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Sie sagen, bezüglich der Beamten hätten Sie ledig-
Bundesminister des Innern: Herr Kollege Berger, lich eine Hoffnung, ungefähr 8 % zu erreichen?
diese Schätzung, von der Sie sprechen, steht unter
der Prämisse, die Herr Staatssekretär Dr. Schöll-
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
horn in der Fragestunde vom 15. Oktober darge-
desminister des Innern: Herr Kollege Berger, ich
stellt hat und die Sie, Herr Kollege, in Ihrer Frage
habe nicht gesagt, daß ich lediglich eine Hoffnung
nicht erwähnt haben. Ich darf mit Genehmigung der
habe, sondern ich bin nach wie vor der Meinung,
Frau Präsidentin aus dem Protokoll zitieren:
daß wir, wenn wir alle Bereiche des öffentlichen
ich wollte, unsere Statistik wäre so aus- Dienstes mit Bundes-, Länder- und Kommunalbeam-
sagefähig, daß wir solche Durchschnittsrechnun- ten sehen, wahrscheinlich dieses Ergebnis erreichen
gen disaggregieren könnten. Bei uns in der werden. Sie haben nach der differenzierten Beurtei-
Bundesrepublik fehlt nach wie vor eine einiger- lung oder Einstufungsmöglichkeit für die verschiede-
maßen zuverlässige und aktuelle Einkommens- nen Bereiche gefragt, und ich habe Ihnen gesagt,
statistik. Alle Versuche, eine solche Statistik daß hier zwischen Bund und Ländern leider ein
einzuführen — die Vorschläge sind schon seit Nachteil zugunsten der Bundesbeamten sichtbar ge-
vielen Jahren auf dem Tisch , sind bisher ge- worden ist.
scheitert. ... weil sich nach dem Einspruch der
Länder keine Mehrheit im Vermittlungsaus- Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage
schuß ergeben hat." des Herrn Abgeordneten Wagner.
4350 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) : Herr Staats- auch für bestimmte Berufsgruppen — ich darf das,
sekretär, teilen Sie die im August von Herrn Bun- was ich vorhin schon in der Antwort auf die Frage
desminister Genscher geäußerte Meinung, daß die von Herrn Schulze-Vorberg gesagt habe, noch ein-
Angehörigen des öffentlichen Dienstes im Jahre mal betonen — klare Aussagen, allerdings nicht für
1970 voll an der wirtschaftlichen Entwicklung betei- den gesamten Umfang.
ligt worden sind?
Vizepräsident Frau Funcke: Keine weitere
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun- Zusatzfrage.
desminister des Innern: Ich kann im Moment nicht Ich rufe die Frage 9 des Herrn Abgeordneten Ber-
sagen, ob das von Herrn Minister Genscher so ge- ger auf:
äußert worden ist, wie Sie es zitieren. Daß es die Durch welche Maßnahmen hat die Bundesregierung sicherge-
Auffassung der Bundesregierung war, dafür zu sor- stellt, daß ihre Ankündigung, die Beamtenbesoldung zum 1. Ja-
nuar 1971 an die allgemeine Einkommensentwicklung anzupas-
gen, wissen Sie. Wir werden nachher auf die Frage sen, auch termingerecht verwirklicht wird?
des Art. 74 a GG noch zu sprechen kommen. Ich
möchte dieser Antwort jetzt nicht vorgreifen. Eines Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
ist aber ganz sicher, daß die Bundesregierung mit desminister des Innern: Herr Kollege, die Bundes-
ihren vielfältigen Bemühungen, es dahin kommen regierung hat umfassende Analysen aufgestellt und
zu lassen, leider nicht in vollem Umfang die Unter- Berechnungen für zahlreiche Alternativlösungen
stützung gefunden hat, die sie sich gewünscht hat. durchgeführt. Diese sorgfältige Vorbereitung wird
es ermöglichen, in Zusammenarbeit mit allen in Be-
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage tracht kommenden Stellen termingerecht zu einem
des Herrn Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg. sachgerechten und angemessenen Vorschlag für eine
Anpassung, die zum 1. Januar 1971 wirksam wird,
Dr. Schulze Vorberg (CDU/CSU) : Herr Staats-
- zu gelangen.
sekretär, wenn es eine verläßliche Dokumentation
über die Steigerungen des Einkommens bei uns nicht Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage
gibt — wenn ich Sie vorhin richtig verstanden habe, des Herrn Abgeordneten Berger.
daß es eine verläßliche Statistik nicht gibt —, darf
ich Sie fragen, worauf die Bundesregierung ihre Be- Berger (CDU/CSU) : Hält die Bundesregierung es
hauptungen in den soeben erwähnten Anzeigen für termingerecht, wenn ein Vorschlag über die An-
stützt. passung dem Bundestag etwa Mitte Dezember zu-
geht, so daß der Bundestag voraussichtlich vor An-
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun- fang oder Mitte März keine entsprechenden Be-
desminister des Innern: Es gibt keine verläßliche schlüsse fassen kann?
Statistik in vollem Umfang und in allen Abgren-
zungen, die dafür erforderlich wäre. Es gibt die Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
Steuerstatistik, aus der die Bundesregierung einen desminister des Innern: Die Bundesregierung hält
großen Teil der vom Statistischen Bundesamt er- es für termingerecht, Herr Kollege Berger; denn
mittelten Unterlagen erhält, wie Sie selber wissen. frühere Bundesregierungen haben, wie Sie wissen,
Es gibt darüber hinaus eine Reihe von Einkommen- Gesetzentwürfe dieser Art fast immer nach dem
statistiken in den einzelnen Berufsgruppen, so daß Stichtag eingebracht. Das Parlament hat aber in
man hier nach den Entwicklungstendenzen der ver- Übereinstimmung auch mit früheren Bundesregie-
gangenen Jahre zu einigermaßen greifbaren Grenz- rungen Termine, die damals vereinbart worden
werten und Tendenzen kommen kann, die aber nicht sind, eingehalten, und das wird auch in diesem Fall
ganz genau umrissen werden können, solange wir möglich sein.
keine völlig eindeutige Einkommenstatistik haben.
(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Schäfer
[Tübingen]: Sehr richtig! Genauso!)
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider (Nürnberg).
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Berger.
Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) : Herr
Staatssekretär, wollen Sie mit Ihrer letzten Antwort
zum Ausdruck bringen, daß die Bundesregierung bei Berger (CDU/CSU) : Bedauert die Bundesregie-
ihren Anzeigen von Zahlenwerten ausgeht, die Sie rung, die es doch wohl zweifellos besser machen
jetzt hier im Parlament nicht nachweisen können? will als zumindest ihre Vorgängerin, nicht — wobei
ich entschieden die Behauptung zurückweisen möch-
te, daß es immer so geschehen ist, wie Sie es, Herr
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun- Staatssekretär, sagen , daß dann im März ein ent-
desminister des Innern: Nein, ich habe im Gegenteil
sprechendes Gesetz rückwirkend ab 1. Januar in
erklärt — wenn Sie recht zugehört haben, Herr Kol-
Kraft treten muß?
lege Schneider —, daß es eine ganze Reihe von
Steuerstatistiken und anderen Ermittlungen, die ich
im einzelnen aufgeführt habe, gibt. Aus diesen sta- Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
tistischen Unterlagen ergeben sich eindeutige Ten- desminister des Innern: Herr Kollege Berger, die
denzen, und aus diesen Unterlagen ergeben sich Bundesregierung bedauert das deshalb nicht, weil
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4351
Parlamentarischer Staatssekretär Dorn
damit den betroffenen Kreisen, nämlich den Beam- Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
ten, auf jeden Fall ab 1. Januar zu dem verholfen desminister des Innern: Herr Kollege Wagner, Sie
wird, was die Bundesregierung zu tun beabsichtigt. wissen, daß diese Regelung im Rahmen des Dritten
Besoldungsneuregelungsgesetzes durchgeführt wer-
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage den muß, und das wird im Jahre 1971 geschehen. Zu
des Herrn Abgeordneten Wagner. welchem endgültigen Zeitpunkt, kann ich Ihnen im
Moment noch nicht sagen. Daß der Bundesinnen-
minister hier bestimmte Vorstellungen hat, können
Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) : Herr Staats-
sekretär, beabsichtigt die Bundesregierung, gegebe- Sie sich sicher vorstellen.
nenfalls zum 1. Januar eine Abschlagszahlung an die
Bundesbeamten zu leisten? Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Fuchs.
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
desminister des Innern: Diese Frage kann ich im Dr. Fuchs (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, kön-
Moment nicht konkret beantworten, Herr Kollege nen Sie mir erklären, warum die Bundesregierung
Wagner. Das wird die Bundesregierung prüfen. nicht auf Grund der bestehenden Rechtslage in der
Lage sein sollte, einen Ausgleich für die Differenz
von etwa 5% für die Bundesbeamten durchzufüh-
Vizepräsident Frau Funcke: Keine weitere ren?
Zusatzfrage.
Ich rufe die Frage 10 des Herrn Abgeordneten Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
Wagner auf: desminister des Innern: Weil die Rechtslage dem
Wird die Bundesregierung sicherstellen, daß neben der not- entgegensteht, Herr Kollege.
wendigen Anpassung der Beamtenbesoldung an die allgemeine
Einkommensentwicklung die Besoldungsdifferenz, die zwischen (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]: Sehr richtig!)
den Ländern und dem Bund besteht und die von dem Vertre-
ter der Bundesregierung in der Sitzung des Innenausschusses
am 17. September 1970 mit 5 v. H. beziffert worden ist, zusätz-
lich ausgeglichen wird? Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage
Bitte schön, Herr Staatssekretär! des Herrn Abgeordneten Unertl.

Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun- Unertl (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, ist die
desminister des Innern: Herr Kollege Wagner, in Bundesregierung in der Lage, zu sagen, wie hoch
der Tat muß nach der seit Ende 1969 eingetretenen denn überhaupt der Besoldungsrückstand ist, und
Entwicklung davon ausgegangen werden, daß sich zwar im Zusammenhang mit den im letzten Jahr be-
die Mehrzahl der Länder gegenüber dem Bund er- sonders gestiegenen Lebenshaltungskosten, die nach
neut einen Besoldungsvorsprung, insbesondere einer Pressemeldung von heute morgen mit 11 %
durch Einführung von Zulagen und durch umfang- angegeben werden?
reiche Höherstufungen innerhalb der Besoldungs-
ordnungen, verschafft hat. Im Durchschnitt kann Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
man die Höhe dieses Vorsprungs mit etwa 5 % desminister des Innern: Herr Kollege Unertl, ich
ansetzen. habe das, was die Bundesregierung zu tun beabsich-
Die Bundesregierung ist der Meinung, daß hier tigt, hier erklärt. Daß in der Frage der Lebenshal-
ein Ausgleich zugunsten der Bundesbeamten ge- tungskosten und des Besoldungsvorschlags der Bun-
schaffen werden muß. Sie wird dieser Frage bei den desregierung versucht wird, eine Vereinbarung zu
Besoldungsmaßnahmen der nächsten Zeit besondere treffen, die beiden Teilen gerecht wird, werden Sie
Beachtung schenken und sich unter Ausschöpfung verstehen.
der vorhandenen Möglichkeiten — als eine solche
bietet sich z. B. eine stufenweise Vereinheitlichung Unertl (CDU/CSU) : Keine ausreichende Antwort!
an — sobald wie möglich um eine Bereinigung be-
mühen. Das Gelingen dieses Vorhabens hängt je- Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage
doch entscheidend auch davon ab, daß die von der des Herrn Abgeordneten Raffert.
Bundesregierung angestrebte und vom Bundesrat im
ersten Durchgang gebilligte Erweiterung der Gesetz-
gebungskompetenz des Bundes für das Besoldungs- Raffert (SPD) : Herr Staatssekretär, Sie haben ge-
und Versorgungsrecht nach Art. 74 a des Grund- sagt, daß die Angleichung und die Vereinheitlichung
gesetzes alsbald von diesem Hohen Hause beschlos- der Besoldung auch wesentlich von einer Erweite-
sen wird. rung der Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach
Art. 74 a des Grundgesetzes abhängen. Ist der Bun-
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage desregierung bekannt, welche Haltung gerade das
des Herrn Abgeordneten Wagner. Land Bayern in diesem Punkt einnimmt?

Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) : Herr Staats- Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
sekretär, beabsichtigt die Bundesregierung, den Aus- desminister des Innern: Die Haltung des Freistaates
gleich für diese Besoldungsdifferenz ebenfalls zum Bayern ist der Bundesregierung bekannt.
1. Januar 1971 zu gewähren? (Abg. Unertl: Sie ist eindeutig!)
4352 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Parlamentarischer Staatssekretär Dorn


— Sie ist immer eindeutig, wie hier gerade der Bundesregierung hat im Innenausschuß mehrfach
Kollege Unertl sagt, leider nicht zugunsten der Bun- dazu Stellung genommen. Ich werde nachher bei
desbeamten. einigen anderen Fragen, die hier eine Rolle spielen,
(Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. Dr. mit Sicherheit noch darauf zu sprechen kommen.
Schäfer [Tübingen]:: Und da fragen die Meine Antwort an den Kollegen Berger, in der ich
noch!) von der Information der Verbandsvertreter gespro-
chen habe, hat der Kollege Berger wohl richtig ver-
standen.
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage
der Abgeordnete Berger.
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Frage des
Herrn Abgeordneten Professor Schäfer.
Berger (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, haben
Sie nicht Verständnis dafür, daß man vor der an-
gestrebten Einfügung des Art. 74 a in das Grund- Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Herr Staatssekre-
tär, sind Sie nicht mit mir der Auffassung, daß ge-
gesetz wissen will, welchen Gebrauch die Bundes-
rade die Fragen, die hier gestellt wurden, und die
regierung von diesen erweiterten Kompetenzen zu
Antworten, die Sie hierzu gegeben haben, die Not-
machen gedenkt?
wendigkeit der Änderung der Rahmengesetzgebung
und der Einfügung des Art. 74 a für sich selber be-
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun- gründen, und daß es nicht üblich, auch nicht möglich
desminister des Innern: Herr Kollege Berger, ich ist, die ganze sich daraus ergebende Bundesgesetz-
glaube, es gibt kaum jemanden unter den betroffe- gebung hier nun darzulegen?
nen Verbandsvertretern, der die Vorstellungen der
Bundesregierung nicht sehr genau kennt. Die Bun-
desregierung hat mit allen Bereichen, die dafür zu-
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
desminister des Innern: Herr Professor Schäfer, ich
ständig sind, eine Vielzahl von Gesprächen geführt
bin mit dem, was Sie gesagt haben, in vollem Um-
und ihre Absichten eindeutig und klar erkennen
fang einverstanden. Die Bundesregierung teilt diese
lassen.
Konzeption.

Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage


Vizepräsident Frau Funcke: Eine Frage des
des Herrn Abgeordneten Schneider.
Herrn Abgeordneten Volmer.

Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) : Herr Volmer (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, darf
Staatssekretär, sind Sie bereit, zuzugeben, daß mit ich fragen, ob das von Ihnen vorhin zitierte Dritte
der Einfügung des Art. 74 a ein Harmonisierungs- Besoldungsneuregelungsgesetz recht bald einge-
effekt erzielt werden soll und daß die Bundesregie- bracht werden wird und ob es identisch sein wird
rung auch bei der heutigen Verfassungs- und Rechts- mit dem Entwurf des Neuregelungsgesetzes, der
lage keineswegs gehindert ist, die Bundesbeamten nachträglich als Denkmodell bezeichnet wurde?
besser, nämlich in der Höhe der Länderbeamten, zu
besolden? Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
desminister des Innern: Sie gehen von einer fal-
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun- schen Prämisse aus, Herr Kollege. Was in der
desminister des Innern: Herr Kollege Schneider, Sie Öffentlichkeit bekanntgeworden ist, war kein Refe-
wissen doch ganz genau, daß es nicht nur darauf rentenentwurf unseres Hauses, sondern ein Vorent-
wurf, der in der zuständigen Abteilung diskutiert
ankommt, die Gehälter der Bundesbeamten in ein
und erstellt worden ist. Der Referentenentwurf ist
bestimmtes Verhältnis zu den Gehältern der Län-
derbeamten zu bringen, sondern daß es von ganz bis zum heutigen Zeitpunkt noch nicht fertig. Dar-
über hat es eine Reihe von Verhandlungen gegeben.
entscheidender Bedeutung ist, die Besoldungsviel-
Sie werden auch feststellen, daß die Bundesregie-
falt für gleiche Tätigkeiten innerhalb dieses Staates
rung sich in den letzten Wochen mehrfach im Rah-
endlich zu beenden, und daß eine Besoldungsgerech-
men von Ministergesprächen vorbereitet hat, um
tigkeit auf diesem Wege nur erreicht werden kann,
eine klare Konzeption für dieses Dritte Besoldungs-
wenn der Art. 74 a eingefügt wird.
neuregelungsgesetz zu erreichen. Die Unterstellung,
(Beifall bei der SPD.) daß das, was als Vorentwurf bekanntgeworden ist,
ein Entwurf der Bundesregierung sei, trifft in vol-
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Frage des lem Umfang nicht zu.
Herrn Abgeordneten Wagner.
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Frage des
Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) : Herr Staats- Herrn Abgeordneten Brück.
sekretär, sind Sie bereit, zu bestätigen, daß den
Mitgliedern dieses Hauses die gesamte Besoldungs- Brück (Köln) (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär,
konzeption der Bundesregierung bisher nicht be- da zum wiederholten Male von Art. 74 a die Rede
kanntgegeben wurde? war, darf ich Sie fragen: Hätte die Bundesregierung
nicht, nachdem Art. 75 geändert war, etwas mehr
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun- Mut aufbringen müssen, einzelne Länder, die als
desminister des Innern: Herr Kollege Wagner, die Dienstherren den gezogenen Rahmen überschritten,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4353
Brück (Köln)
durch verfassungsrechtliche Schritte zur Ordnung Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
zu zwingen? desminister des Innern: Herr Kollege Wagner, dies
(Zuruf von der SPD: Bayern!) trifft in keiner Weise zu. Es sind im Gegenteil die
Vorstellungen des Bundesministeriums des Innern
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun- zur Besoldungsverbesserung jeweils in voller Ab-
desminister des Innern: Herr Kollege Brück, Sie stimmung mit dem Bundeskanzleramt erörtert wor-
wissen, daß sich die Bundesregierung mit diesem den.
Fragenkomplex befaßt hat und daß der Bundes-
innenminister auf der Innenministerkonferenz in Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage.
dieser Frage eine gemeinsame Auffassung mit den
Innenministern erzielt hatte, daß jedoch die Be- Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) : Herr Staats-
schlüsse des Deutschen Bundestages, die ja in einer sekretär, wie erklären Sie sich dann Pressemeldun-
Reihe von Voraussagen und bestimmten Terminie- gen über einen Stufenplan zur Verbesserung der
rungen für das Jahr 1971 gefaßt worden sind — Besoldung der Bundesbeamten, der angeblich im
wenn ich mich recht erinnere, sogar einstimmig —, Bnudeskanzleramt erarbeitet wurde?
von den Landesparlamenten nicht akzeptiert und
nicht berücksichtigt worden sind. Die Landesparla- Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
mente als die gesetzgebenden Körperschaften dieser desminister des Innern: Die Bundesregierung ist
Länder sind über diese Entscheidungen hinausge- nicht für Pressemeldungen zuständig.
gangen und haben völlig neue Fakten geschaffen, (Beifall bei den Regierungsparteien. —
so daß sich die Bundesregierung permanent darum Lachen bei der CDU/CSU.)
bemühen mußte, hier für gerechtere Bewertungs-
maßstäbe einheitliche Lösungen zu finden.
Vizepräsident Frau Funcke: Eine weitere Zu-
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage satzfrage des Herrn Abgeordneten Wagner.
des Abgeordneten Dr. Riedl. — Es tut mir leid, Herr
Kollege Brück, Sie hatten schon eine Zusatzfrage. Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) : Herr Staats-
sekretär, halten Sie also diese Pressemeldungen
Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) : Herr Staats- ausdrücklich für falsch?
sekretär, ist es nicht sonderbar, daß die Bundes-
regierung einen sogenannten Vorentwurf, den Sie
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
nicht einmal als Referentenentwurf bezeichnen, den desminister des Innern: Wenn sie so geschrieben
zuständigen Verbänden zur Diskussion zuleitet und worden sind, wie Sie es geschildert haben, Herr
dann ganz offensichtlich davon wieder abrückt? Ge- Kollege Wagner, ja.
hört es zum Stil dieser Bundesregierung, daß man
zunächst Denkmodelle in die Welt setzt und dann,
wenn man Kritik gegenüber diesen Denkmodellen Vizepräsident Frau Funcke: Eine Frage des
verspürt und enttäuschte Hoffnungen in der Öffent- Herrn Abgeordneten Berger.
lichkeit erkennt, davon wieder abrückt?
Berger (CDU/CSU) : Ist Ihnen nicht bekannt, Herr
Staatssekretär, daß bei zahlreichen Veranstaltungen
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
desminister des Innern: Herr Kollege Riedl, es ist im weiten Lande einige Beamte aufstehen und sa-
der Stil dieser Bundesregierung, erst nachzudenken gen: „Nach den Informationen, die ich aus dem
und dann etwas als Regierungsvorlage zu erstellen. Bundeskanzleramt erhalten habe — und die von
Herrn Ministerialdirektor Ehrenberg stammen sol-
(Beifall bei den Regierungsparteien. — len —, ist folgendes beabsichtigt", und daß zu die-
Lachen bei der CDU/CSU.) sen Fragen der Herr Innenminister gesagt hat, er
Das gehört auch in diesen Bereich. wisse nichts davon?
Sie wissen, daß ich hier leider nur für die Bundes-
regierung sprechen kann. Sonst könnte ich Ihnen Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
aus der Vergangenheit eine Fülle ähnlicher Bei- desminister des Innern: Derartige Meldungen sind
spiele nennen, die Vorgänger auch in unserem mir nicht bekannt. Aber es wäre ein etwas außer-
Ressort betreffen. gewöhnliches Verfahren, wenn Beamte oder Per-
sönlichkeiten aus einzelnen Behörden über interne
Vorgänge innerhalb der Bundesregierung informiert
Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) : Herr Staats- werden.
sekretär, es gibt aber auch Beispiele aus dieser
Bundesregierung in solcher Fülle.
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Frage des
Herrn Abgeordneten Professor Schäfer.
Vizepräsident Frau Funcke: Meine Damen
und Herren, wir wollen diese Frage nun beenden. Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Herr Staatssekre-
Ich rufe die Frage 11 des Herrn Abgeordneten tär, wollen Sie bitte davon Kenntnis nehmen
Wagner (Günzburg) auf: (Zuruf von der CDU/CSU: Frage!)
Trifft es zu, daß im Bundeskanzleramt eigene Vorstellungen
über eine Besoldungsverbesserung für, die Beamten entwickelt — ja, ich frage, ob der Herr Staatssekretär davon
worden sind, die mit dem Bundesinnenminister als dem zuständi-
gen Fachminister nicht abgestimmt worden sind? Kenntnis nehmen will —, daß mir der Inhalt der
4354 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode - 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Dr. Schäfer (Tübingen)


Frage des Herrn Kollegen Wagner und der Zusatz- Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
frage des Herrn Kollegen Berger vor kurzem be- desminister des Innern: Herr Kollege Schneider,
kannt wurde, daß ich Nachfrage im Bundeskanzler- diese Unterstellung ist von Anfang bis Ende falsch.
amt gehalten habe und daß mir von dort aus be- Die Bundesregierung hat eine klare Konzeption.
stätigt wurde, solche Meldungen seien sachlich und Diese Konzeption hat sie mit den zuständigen Häu-
inhaltlich unrichtig? sern abgesprochen, und in einer Reihe von Minister-
gesprächen haben wir versucht, aus dieser Konzep-
(Zuruf von der SPD: Das ist doch
tion einen Referentenentwurf zu entwickeln, der
nichts Neues!)
dem Kabinett zugeleitet werden kann.
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun- Aber Sie dürfen eben an der Tatsache nicht vor-
desminister des Innern: Ich nehme das gern zur beigehen, daß der Bundesregierung durch eine Reihe
Kenntnis, Herr Kollege Schäfer. Es würde auch der von Bundesländern — unter anderem auch durch das
Auffassung der Bundesregierung entsprechen, daß Land, aus dem Sie kommen bei der Fortschrei-
so gehandelt wird. bung der Arbeit dadurch unerhörte Schwierigkeiten
gemacht worden sind, daß permanent neue Rege-
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Frage des lungen geschaffen worden sind, die wir bei der
Herrn Abgeordneten Volmer. Fortschreibung im Rahmen unseres Referentenent-
wurfs berücksichtigen müssen, damit keine weitere
Volmer (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, darf Benachteiligung für die Bundesbeamten eintreten
ich die Antwort so verstehen, daß zunächst einmal kann.
kein Mehrstufenplan aus dem Bundeskanzleramt (Beifall bei den Regierungsparteien.)
vorliegt, und darf ich fragen, ob Ihr Haus bereit ist,
den als Denkmodell bezeichneten Vorentwurf recht
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Frage des
bald diesem Hause als Gesetzentwurf vorzulegen?
Herrn Abgeordneten Dr. Riedl.

Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun- Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) : Herr Staats-
desminister des Innern: Nein, davon können Sie sekretär, sind Sie in der Lage, hier konkret zu
nicht ausgehen, Herr Kollege. Die Bundesregierung sagen, in welchen Punkten die bayerische Staats-
wird dem Hause nur dann einen Gesetzentwurf zu- regierung die Bundesregierung an der Entwicklung
leiten, wenn er vorher als Referentenentwurf mit einer sinnvollen und vernünftigen Besoldungskon-
allen Ressorts abgesprochen worden ist und die Bil- zeption gehindert hat?
ligung des Kabinetts gefunden hat. (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Da fragen
Sie noch?)
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Frage des
Herrn Abgeordneten Dr. Fuchs.
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
desminister des Innern: Nein, Herr Kollege Riedl,
Dr. Fuchs (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, wür- denn das habe ich nicht behauptet.
den Sie mir zugeben, daß durch diese Veröffent-
lichung verschiedener Denkmodelle eine wesentliche (Abg. Dr. Schneider [Nürnberg] : Sicher
Beunruhigung in der Beamtenschaft aufgetreten ist, haben Sie das!)
und wären Sie bereit, alles zu tun, damit endgültig
— Entschuldigen Sie, Sie müßten dann schon etwas
Klarheit über die Linie herrscht?
differenzierter zuhören. Ich habe behauptet, daß die
Bundesregierung durch Entwicklungen in einer
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun- Reihe von Bundesländern — und zwar, weil dort
desminister des Innern: Über die Linie herrscht im Laufe der letzten Monate neue beamtenrecht-
Klarheit, Herr Kollege. Ich wäre allerdings auch liche Regelungen eingeführt worden sind — ständig
einer Reihe von Kollegen in diesem Hause — vor dazu gezwungen worden ist, ihre eigene Vorlage
allen Dingen auch solchen aus dem Bereich der immer wieder fortzuschreiben, damit im Falle der
Opposition — dankbar, wenn sie nicht noch mehr Verabschiedung des Art. 74 a dann auch eine Lösung
zur Beunruhigung beitrügen. gefunden werden kann, die die Bundesbeamten nicht
(Beifall bei den Regierungsparteien. — benachteiligt. Deswegen mußten wir z. B. die Frage
Abg. Dr. Schäfer [ Tübingen]:: Dahinter der Zulagensysteme für die Studienräte an den
steckt System!) bayerischen Gymnasien mit in diese Regelung ein-
beziehen.
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Frage des (Zuruf des Abg. Dr. Schneider [Nürnberg].)
Herrn Abgeordneten Dr. Schneider.
— Entschuldigen Sie, ich habe ja gesagt, in einer
Reihe von Bundesländern, und habe als Beispiel
Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) : Herr auch Ihr Land erwähnt. Ich kann nur das wieder-
Staatssekretär, darf ich Ihrer vorletzten Antwort holen was ich Ihnen schon gesagt habe.
entnehmen, daß die Bundesregierung im Augen-
blick für die Besoldungsneuregelung überhaupt noch (Zuruf von der SPD: Sehr gut!)
keine Konzeption hat und daß dieser Umstand in
krassem Widerspruch zu Äußerungen in derzeit Vizepräsident Frau Funcke: Keine weiteren
publizierten Anzeigen steht? Zusatzfragen.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4355
Vizepräsident Frau Funcke
Ich rufe die Frage 12 des Herrn Abgeordneten soldungsrückstand festgestellt wird, zusammen mit
Volmer auf: dem Gutachten auch Vorschläge für den Abbau des
Aus welchen Gründen kann die Bundesregierung dem vom Besoldungsrückstandes vorlegen?
Deutschen Bundestag bei der Verabschiedung des Siebten Be-
soldungsänderungsgesetzes angenommenen Entschließungsantrag,
mit dem sie ersucht worden ist, ihr zur Frage des Besoldungs-
rückstandes im öffentlichen Dienst in Auftrag gegebenes Gut-
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
achten bis zum 31. Dezember 1970 vorzulegen, nicht termin- desminister des Innern: Ich gehe davon aus, Herr
gerecht entsprechen?
Kollege Wagner.
(Abg. Wehner: Es sind immer dieselben!)
Bitte schön, Herr Staatssekretär! Vizepräsident Frau Funcke: Eine Frage des
Herrn Abgeordneten Berger.
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
desminister des Innern: Herr Kollege, die Bundes-
regierung hat die Erstattung des Gutachtens der Berger (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, werden
- bis zum 31. Dezember dieses Jahres wenigstens
Deutschen Revisions- und Treuhand-AG in Frank-
einige Vorerkenntnisse, gewissermaßen ein Zwi-
furt, einer unabhängigen Wirtschaftsprüfungs- und
schenbericht, vorliegen, auf Grund dessen man schon
Steuerberatungsgesellschaft, übertragen. Diese Ge-
Entscheidungen für das Haushaltsjahr 1971 treffen
sellschaft führt seit dem Frühjahr dieses Jahres
kann?
sorgfältige und intensive Untersuchungen durch. Sie
hat inzwischen mitgeteilt, daß sie im Hinblick auf (Abg. Wehner: Das hatten wir schon ein
Umfang und Schwierigkeit des Gutachterauftrags mal! — Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Das
das Gutachten nicht bis Ende des Jahres vorlegen ist doch schon beantwortet!)
kann. Ich meine, bei der Bedeutung der Angelegen-
heit sollten wir den Grundsatz respektieren, daß Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
Genauigkeit und Gründlichkeit gegenüber der Ge- desminister des Innern: Herr Kollege Berger, ich
schwindigkeit Vorrang haben. habe mich jetzt schon mehrfach bereit erklärt, nach
Die Bundesregierung legt Wert auf die Feststel- dieser Sitzung z. B. den Innenausschuß oder einzelne
lung, daß sie als erste Regierung einen solchen Auf- Kollegen oder auch das Haus zu informieren. Mehr
trag zur Ermittlung des Besoldungsrückstandes er- kann ich an dieser Stelle nicht sagen. Welche Kon-
teilt hat. Hätten sich frühere Regierungen schon zu sequenzen sich daraus ergeben, kann niemand be-
einem solchen Schritt entschlossen, so wäre Ihre urteilen, solange uns die Unterlagen nicht vorliegen.
Frage, Herr Kollege, jetzt nicht mehr zu stellen ge-
wesen. Im übrigen hätte man dann bei der Einholung Vizepräsident Frau Funcke: Keine Zusatz-
eines neuerlichen Gutachtens auf früher ange- frage.
wandte Grundsätze zurückgreifen können. Dadurch
wäre die Zeitdauer bis zur Erstattung des neuen Ich rufe die Frage 13 des Herrn Abgeordneten
Gutachtens wesentlich verkürzt worden. Volmer auf:
Aufschluß über den derzeitigen Stand der Arbeit Welche Stellungnahme gibt die Bundesregierung zu den sich in
letzter Zeit häufenden Protestaktionen der Beamten ab?
an dem Gutachten erhoffe ich mir von der nächsten
Sitzung des Beirates, der die Treuarbeit bei der Er-
stellung des Gutachtens unterstützt, am 20. Novem- Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
ber 1970. Ich bin gern bereit, Sie nach dieser Sit- desminister des Innern: Es handelt sich um Aktio-
zung entsprechend zu unterrichten. nen verschiedener Beamtengruppen, die bestimmte
Berufe oder Fachrichtungen repräsentieren. Sie wol-
len sich Gehör verschaffen, um jeweils für sich eine
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Volmer. Berücksichtigung ihrer Forderungen im Besoldungs-
gefüge zu erlangen. Dies ist in einer Zeit, in der ein
Gesamtkonzept zur Besoldung erstellt werden muß,
Volmer (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, Sie verständlich. Tatsächlich liegt aber die Schwierig-
sagten, daß am 20. November eine Sitzung stattfin- keit darin, den zahlreichen Sonderinteressen Rech-
det. Ist die Regierung bereit, wenn nach dieser Sit- nung zu tragen und zugleich eine sachgerechte und
zung gewisse Teilergebnisse bekanntgeworden sind, allseits als ausgewogen akzeptierte Gesamtlösung
bis zu dem ursprünglichen Termin, dem 31. Dezem-
zu finden. Es wäre im allgemeinen Interesse zu be-
ber, einen Zwischenbericht vorzulegen? grüßen, wenn das Verständnis auch hierfür in der
Öffentlichkeit verstärkt werden könnte.
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
desminister des Innern: Herr Kollege, der letzte
Satz meiner Antwort lautete: Ich bin gerne bereit, Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage
Sie nach dieser Sitzung entsprechend zu unterrich- des Herrn Abgeordneten Volmer.
ten.
Volmer (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, darf
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Frage des ich fragen, ob Sie diese Veranstaltungen für be-
Herrn Abgeordneten Wagner. rechtigt halten, ob Sie nicht radikale Tendenzen
befürchten und was Sie zu tun gedenken, um solche
Wagner (Günzburg) (CDU/CSU) : Herr Staats- Veranstaltungen von vornherein als unnötig er-
sekretär, wird die Bundesregierung, falls ein Be- scheinen zu lassen?
4356 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun- Insbesondere die uneinheitliche Besoldungsent


desminister des Innern: Ich bitte um Entschuldigung, wicklung der jüngsten Zeit in den Ländern erfordert
Frau Präsidentin. — Den letzten Teil Ihrer Frage neue umfassende Dispositionen, die die Bundes-
habe ich akustisch leider nicht verstanden. regierung unter Koordinierung mit der allgemeinen
Einkommens- und Wirtschaftsentwicklung so recht-
Vizepräsident Frau Funcke: Bitte, noch ein- zeitig zur Vorlage eines Konzepts auswerten wird,
mal! daß termingerecht eine Entscheidung über die für
das Jahr 1971 notwendigen Besoldungsverbesserun-
Volmer (CDU/CSU) : Der letzte Teil der Frage: gen und die anstehenden dringlichen Strukturfragen
Was gedenken Sie zu tun, damit solche Veranstal- getroffen werden kann.
tungen in Zukunft von vornherein überflüssig wer- Ich darf auch bei dieser Gelegenheit wiederholen,
den? daß das Hohe Haus der Bundesregierung die schwie-
- rige Aufgabe einer umfassenden Besoldungsneu-
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun- regelung durch eine alsbaldige Verabschiedung des
desminister des Innern: Herr Kollege, dazu wird Gesetzentwurfs zur Einführung des Art. 74 a GG
keine Regierung in der Lage sein. Wenn ich das wesentlich erleichtern kann.
recht in Erinnerung habe, hat es das zur Zeit aller
Regierungskoalitionen im Bundesgebiet gegeben. Es Vizepräsident Frau Funcke: Zu einer Zusatz-
kommt darauf an, aus den berechtigten Forderun- frage Herr Abgeordneter Berger.
gen, die von den einzelnen Gruppierungen vorge-
tragen werden, nachdem wir in der Frage des Bil- Berger (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, ist sich
dungssystems in verschiedenen Bereichen andere die Bundesregierung darüber im klaren, daß, nach-
Voraussetzungen fordern, nunmehr auch besol- dem nun weder ein Gesetzentwurf noch eine Formu-
dungsrechtlich die Konsequenzen zu ziehen. Daß lierungshilfe vorliegt, am 31. Dezember dieses Jah-
die Organisationen, die sich hier in besonderer res die sogenannte Harmonisierungspause für die
Weise angesprochen fühlen, nunmehr öffentliche Lehrer zu Ende geht und damit ein meines Erachtens
Protestveranstaltungen durchführen und daß die unerträglicher Zustand insofern eintritt, als in der
Abgeordneten der Fraktionen dieses Hauses an die- Praxis in den Ländern etwas ganz anderes besteht,
sen Protestveranstaltungen auch als Diskussionsteil- als es gesetzlich möglich sein sollte?
nehmer teilnehmen, scheint mir ein berechtigtes An-
liegen in einer parlamentarischen Demokratie zu Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
sein. desminister des Innern: Herr Kollege Berger, diese
Harmonisierungspause ist leider nie effektiv gewor-
Vizepräsident Frau Funcke: Keine Zusatz- den. Vielmehr hat in den vergangenen Monaten
fragen. eine Reihe von Bundesländern abweichend von dem
Ich rufe die Frage 14 des Herrn Abgeordneten Dr. Beschluß des Deutschen Bundestages andere Rege-
Riedl auf: lungen getroffen. Die Bundesregierung hat sich —
Warum hat die Bundesregierung dem Ersuchen des Innenaus- das war ja mit ein Teil der beschwerlichen beson-
schusses vom 29. April 1970, bis zum 1. Oktober 1970 eine Ge-
samtkonzeption zur Richterbesoldung und den sich daraus erge- deren Situation für die Erarbeitung unseres Referen-
benden Folgerungen für das gesamte Besoldungsrecht in Form tenentwurfs — permanent mit den inzwischen neu
einer Formulierungshilfe vorzulegen, bis zur Stunde nicht ent-
sprochen? eingetretenen Regelungen in den Bundesländern
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun- auseinandersetzen müssen, um hier nicht zu einer
desminister des Innern: Herr Kollege Riedl, der In- Verschlechterung auf Bundesebene insgesamt zu
nenausschuß hat bei seiner Beschlußfassung selbst kommen und mit dafür Sorge zu tragen, daß die
erkannt, daß es zweifelhaft ist, ob die Bundesregie- Bundesländer, die sich in dieser Frage „bundestreu"
rung die erbetene Formulierungshilfe bis zum 1. Ok- verhalten haben, nicht dadurch bestraft werden, daß
tober 1970 vorlegen kann. Er hat daher — und das zusätzlich ihre eigenen Beamten zusammen mit den
verschweigt Ihre Frage — die Bundesregierung er- Bundesbeamten benachteiligt werden. -
sucht, die Formulierungshilfe „möglichst" bis zum
1. Oktober vorzulegen. Vizepräsident Frau Funcke: Zu einer Zusatz-
frage Herr Abgeordneter Professor Schäfer.
Im übrigen darf ich davon ausgehen, daß Ihnen
der Bericht bekannt ist, den Vertreter meines Hau-
ses über die Besoldungs- und Tarifsituation des Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Herr Staatssekre-
öffentlichen Dienstes am 17. September 1970 im In- tär, wollen Sie bitte noch einmal ausdrücklich be-
nenausschuß des Deutschen Bundestages erstattet tonen, daß die beiden Beschlüsse des Innenausschus-
haben. In dem Bericht sind die Gründe dafür, daß ses vom April über die Vertagung bis Oktober und
die Bundesregierung das Konzept bis zum 1. Okto- vom 17. September über die Aussetzung der Bera-
ber 1970 nicht vorgelegt hat, im einzelnen darge- tung bis Ende des Jahres einstimmig, d. h. also mit
legt worden. Der Ausschuß hat hierauf die weitere den Stimmen der Opposition, gefaßt worden sind?
Beratung des Initiativentwurfs des Bundesrates be-
treffend die Richterbesoldung, der Ausgangspunkt Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
des von Ihnen angeführten Ersuchens vom 29. April desminister des Innern: Was der Vorsitzende des
1970 war, einmütig bis zum Jahresende ausgesetzt Innenausschusses unseres Parlaments hier ausführt,
und damit die vorgetragenen Gründe anerkannt. kann ich nur bestätigen.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4357

Vizepräsident Frau Funcke: Ich rufe die vielen Jahren um eine solche Regelung bemüht. Sie
Frage 15 des Herrn Abgeordneten Dr. Riedl auf: wissen als Beamter aber auch selbst, wie unerhört
Aus welchen Gründen ist die Bundesregierung dem vom schwierig die Frage der Dienstpostenbewertung da-
Deutschen Bundestag bei der Verabschiedung des Zweiten Be-
soldungsneuregelungsgesetzes angenommenen Entschließungs- durch wird, daß nicht nur auf der Bundes-, sondern
antrag, in dem die Bundesregierung ersucht worden war, bis auch auf der Länderebene und noch viel stärker auf
zum 1. Oktober 1970 über die Arbeiten zur Aufstellung einer
den Amtsinhalt stärker berücksichtigenden Bewertungsordnung der Kommunalebene die Frage der Dienstposten-
zu berichten, nicht nachgekommen? bewertung inzwischen gegenüber der ständigen Ver-
änderung des Stellenkegels weit in den Hintergrund
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun- getreten ist und daß dadurch praktisch auch die
desminister des Innern: Hierzu darf ich auf den Frage der Dienstpostenbewertung in einem neuen
Zwischenbericht des Bundesministers des Innern an Licht gesehen werden muß.
den Herrn Präsidenten des Deutschen Bundestages
vom 5. Oktober 1970 verweisen, ferner auf meine Vizepräsident Frau Funcke: Ich rufe die
schriftliche Antwort vom 16. Oktober 1970 auf Fra- Frage 16 des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider
gen, die Herr Kollege Wagner zu demselben Thema (Nürnberg) auf:
gestellt hat. Letztere finden Sie im Stenographischen
Hat die Bundesregierung einem Antrag des Innenausschusses
Bericht über die 74. Sitzung vom 16. Oktober 1970 des Deutschen Bundestages vom 2. Juni 1970 entsprochen und
auf Seite 4112 als Anlage 18. im Zusammenhang mit dem Gesetz über vermögenswirksame
Leistungen für Bundesbeamte, Berufssoldaten und Soldaten auf
Zeit die Fragen geprüft, ob und inwieweit Versorgungsempfän-
Ich möchte besonders hervorheben, daß den Vor- ger und sonstige aus dem Berufsleben Ausgeschiedene vermö-
bereitungen zur Erstellung eines Besoldungskon- genswirksame Leistungen erhalten können, die Beschränkung
der Anspruchsberechtigten hinsichtlich der Höhe der Bezüge auf-
zepts sicher Vorrang einzuräumen war. Überdies gehoben, der Betrag der vermögenswirksamen Leistungen er-
höht werden kann, und welche konkreten Ergebnisse hat sie
steht einer umfassenden Berichterstattung ohnehin dabei gefunden?
entgegen, daß die zur Aufstellung einer konkreti-
sierenden Bewertungsordnung notwendige Aus- Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
gangsbasis durch unkoordinierte besoldungspoli- desminister des Innern: Herr Kollege, die zuständi-
tische Einzelentscheidungen in den Ländern stän- gen Bundesministerien werden dem Antrag des In-
diger Veränderung unterliegt. Alle Bemühungen nenausschusses des Deutschen Bundestages vom
sollten deshalb darauf konzentriert werden, auf der 2. Juni 1970 so bald wie möglich entsprechen. Die
Grundlage der dem Bundestag vorgeschlagenen Überprüfung der vom Innenausschuß gestellten Fra-
Verfassungsänderung zunächst wieder einheitliche gen ist jedoch zur Zeit noch nicht abgeschlossen.
Fixpunkte zu setzen, die eine Weiterentwicklung Hierzu gehört auch die besondere Problematik von
und eine Modernisierung der Besoldung erst ermög- vermögenswirksamen Leistungen für Versorgungs-
lichen können. empfänger und sonstige aus dem Berufsleben aus-
geschiedene Personen. Sie berührt einmal die
Vizepräsident Frau Funcke: Zu einer Zusatz- Grundlagen der bisherigen Konzeption der Vermö-
frage Herr Abgeordneter Dr. Riedl. gensbildung, die vermögensbildende Maßnahmen
nur für die im aktiven Arbeitsleben stehenden Per-
Dr. Riedl (München) (CDU/CSU) : Herr Staats- sonen vorsieht. Sie muß ferner die erheblichen Aus-
sekretär, indem ich Ihre Hemmungsgründe gern an- wirkungen im Auge haben, die Regelungen für die
erkenne, darf ich Sie fragen, ob Sie in der Lage sind, Versorgungsempfänger auf andere Bereiche haben
einen konkreten Termin für die Bekanntgabe der würden.
erforderlichen Bewertungsordnung hier zu nennen.
Sinn des Vermögensbildungsgesetzes ist es, zu-
sätzlich zu Löhnen und Gehältern vermögenswirk-
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun- same Leistungen zu gewähren. Entsprechend diesem
desminister des Innern: Nein, ich kann noch keinen Anliegen hat die Bundesregierung erstmals mit
genauen Termin nennen. ihrer Gesetzesinitiative vermögenswirksame Lei-
stungen an Beamte und Soldaten als gesellschafts-
Vizepräsident Frau Funcke: Zu einer Zusatz- politische Maßnahme vorgeschlagen. Diesem Vor-
frage Herr Abgeordneter Brück. schlag hat das Hohe Haus zugestimmt.

Brück (Köln) (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage
ich darf Sie noch einmal fragen — bzw. auch daran des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider.
erinnern —: Ist es möglich, daß diese Dienstposten-
bewertung, wie ich es einmal nennen will, möglichst Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU): Herr
bald zum Zuge kommt? Denn sonst können Sie ma- Staatssekretär, ist die Bundesregierung bereit, den
chen, was Sie wollen, Sie werden nie zu einer all- hier angesprochenen Personenkreis bei den Maß-
seits befriedigenden Besoldungsregelung kommen nahmen zur Behebung des Besoldungsrückstandes
können. besonders zu berücksichtigen?

Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun- Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
desminister des Innern: Der letzte Teil Ihrer Aus- desminister des Innern: Die Bundesregierung ist
führungen, Herr Kollege Brück, war eine Feststel- bereit, diese Frage erneut zu prüfen. Inwieweit die-
lung. Sie wissen, daß sich das Parlament, speziell ser Personenkreis berücksichtigt werden kann, wird
der Innenausschuß des Deutschen Bundestages, seit nicht zuletzt das Parlament selbst mit entscheiden.
4358 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Vizepräsident Frau Funcke: Keine Zusatz- tober zu erstellen, hat der Bundesminister des In-
frage. nern nicht gegeben.
Ich rufe die Frage 17 des Herrn Abgeordneten Dr. Ihre Frage geht offenbar auf den Bericht des
Schneider (Nürnberg) auf: Bundesministers des Innern über „Gesetzgebungs-
Stimmt die Bundesregierung der Auffassung zu, daß vermö- vorhaben der Bundesregierung und über besondere
genswirksame Leistungen deshalb nicht auf die notwendigen
Besoldungsanpassungen angerechnet werden können, weil Ver-
Verwaltungs- und Organisationsmaßnahmen im Be-
sorgungsempfänger bisher noch keine derartigen Leistungen er- reich des Innern" vom 22. Januar 1970 gegenüber
halten und sie bei einer Anrechnung erneut benachteiligt wür-
den? dem Innenausschuß zurück. Der Bericht befindet sich
als Anlage beim Sitzungsprotokoll über die 6. Sit-
Bitte schön, Herr Staatssekretär!
zung des Ausschusses vom 22. Januar 1970. Aus
Nr. 9 g) dieses Berichts möchte ich hier die in Be-
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun- tracht kommenden Aussagen zitieren:
desminister des Innern: Frau Präsidentin, ich bitte
insoweit um Entschuldigung, als ich versucht habe, Der vom Innenausschuß am 12. Juni 1969 bis
die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten Dr. spätestens 31. Dezember 1970 zum Gesetz zu
Schneider gemeinsam zu beantworten. Art. 131 angeforderte sogenannte Härtebericht
soll nach dem Stand der Arbeiten im Ministe-
(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Das hat er rium früher vorgelegt werden. Wir wollen uns
gemacht!) bemühen, ihn dem Deutschen Bundestag bis
Ich bin aber gern bereit, eventuelle Zusatzfragen zum 1. Oktober 1970 vorzulegen.
des Kollegen Schneider zu beantworten. Ich habe Im Hinblick auf die augenblicklich überaus starke
vergessen — ich bitte dafür um Entschuldigung —, Belastung meines Hauses hat sich dieser von uns
in meinem Eingangssatz zu erwähnen, daß die Ant- selbst gesetzte Zeitplan in diesem speziellen Fall —
wort sich auf beide Fragen bezog. nicht verwirklichen lassen.
Der vom Ausschuß gesetzte Termin wird jedoch,
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege Dr.
wie ich eingangs schon ausgeführt habe, eingehalten
Schneider, Sie können also noch Zusatzfragen stel-
werden.
len.

Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) : Ich ver- Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage
zichte auf Zusatzfragen, weil Sie ohnedies nach der des Herrn Abgeordneten Freiherr von Fircks.
Antwort des Herrn Staatssekretärs auf meine Fra-
gen nichts wesentlich Neues mehr bringen könnten. Freiherr von Fircks (CDU/CSU) : Herr Staats-
sekretär, läßt sich aber heute schon übersehen, ob
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage eine weitere Novellierung des 131er-Gesetzes von
des Herrn Abgeordneten Berger. der Bundesregierung geplant ist und vorgelegt wer-
den wird, oder ist der Stand der Arbeiten noch
Berger (CDU/CSU) : Wie ist die in der Presse er- nicht so weit vorgeschritten, daß sich dazu über-
schienene Mitteilung zu verstehen, daß der Herr haupt etwas sagen läßt?
Bundesinnenminister neben der notwendigen Besol-
dungsanpassung vorsieht, daß den Beamten ab Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
1. Januar 1971 unter Fortfall der Grenze von 1000 desminister des Innern: Die Bundesregierung weiß,
DM 26 DM statt bisher 13 DM monatlich vermögens- daß in dieser Frage noch keine abschließende Rege-
wirksam gezahlt werden können? Kann man das lung gefunden ist. Deshalb wird eine Novellierung
miteinander verbinden? erforderlich sein. In welchem Umfang und zu wel-
chem Zeitpunkt das geschehen kann, wird Bestand-
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun- teil der Beratungen im Innenausschuß des Deut-
desminister des Innern: Das wird bei den Überlegun- schen Bundestages sein.
gen der Bundesregierung eine Rolle spielen.
Vizepräsident Frau Funcke: Eine zweite Zu-
Vizepräsident Frau Funcke: Ich rufe die satzfrage.
Frage 18 des Herrn Abgeordneten Freiherr von
Fircks auf: Freiherr von' Fircks (CDU/CSU) : Muß ich Ihre
Warum konnte die Bundesregierung den vom Herrn Bundes- Antwort so verstehen, daß mit dem Bericht zum
minister des Innern in der Sitzung des Innenausschusses vom
22. Januar 1970 für den 1. Oktober 1970 angekündigten Härte-
31. Dezember 1970 seitens der Bundesregierung
bericht zum Gesetz zu Artikel 131 GG nicht termingerecht vor- dem Plenum noch keine Novelle vorgelegt wird?
legen?

Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun- Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
desminister des Innern: Der Innenausschuß des desminister des Innern: Nein. Dazu ist die Bundes-
Deutschen Bundestages hat die Bundesregierung regierung auch nicht aufgefordert gewesen, Herr
am 12. Juni 1969 ersucht, den sogenannten Härte Kollege.
bericht spätestens bis zum 31. Dezember 1970 vor-
zulegen. Diesen Termin wird die Bundesregierung Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage
einhalten. Eine Zusage, den Bericht bis zum 1. Ok- des Herrn Abgeordneten Professor Schäfer.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4359

Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Herr Staatssekre- eine Frage, die ich Ihnen heute noch nicht endgültig
tär, würden Sie bitte in diesem Zusammenhang noch beantworten kann.
einmal bestätigen, daß der Innenausschuß um diesen
Bericht gebeten hat, um seinerseits eine Beurtei- Vizepräsident Frau Funcke: Keine Zusatz-
lungsgrundlage zu haben, und daß er nicht um eine frage. — Ich habe den Eindruck, die Antwort auf die
Gesetzesvorlage der Regierung gebeten hat? Frage 20 war schon mit dabei. Oder gibt es da noch
eine zusätzliche Antwort, Herr Staatssekretär? —
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun- Frage 20 des Herrn Abgeordneten Brück:
desminister des Innern: Ich bin dieser Meinung. Die Hat die Bundesregierung die nach dem Beschluß des Deut-
Auffassung der Bundesregierung ist so gewesen, schen Bundestages vom 27. Februar 1970 einzusetzende Studien-
kommission unabhängiger Fachleute, die Stellung und Auf-
Herr Professor Schäfer. gaben des öffentlichen Dienstes in Staat und Gesellschaft von
heute untersuchen und Vorschläge für eine zeitgemäße weitere
Entwicklung eines modernen öffentlichen Dienstes unterbreiten
soll, bereits berufen?
Vizepräsident Frau Funcke: Wir kommen zur
Frage 19 des Herrn Abgeordneten Brück: Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun-
Hat die Bundesregierung ein Konzept über die Neuregelung desminister des Innern: Man kann zur Frage 20 nur
der Vor-, Aus- und Fortbildung aller Beamten ausgearbeitet?
wenig sagen, Frau Präsident.
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun- Die Bemühungen, aus den verschiedenen Fachbe-
,

desminister des Innern: Die Neuordnung der Vor-, reichen, Körperschaften und Verbänden geeignete
Aus- und Fortbildung aller Beamten steht in engem Persönlichkeiten als Mitglieder der Studienkom-
Zusammenhang mit der Neugestaltung des Bildungs- mission zu gewinnen und die für den Arbeitsbe-
wesens, vor allem dem künftigen Angebot an Bil- ginn der Studienkommission erforderlichen Grund-
dungsabschlüssen, und mit der künftigen Laufbahn- lagen zu schaffen, sind so weit fortgeschritten, daß
gestaltung insgesamt. die Studienkommission in diesen Tagen berufen
werden kann. Unabhängig davon hat eine beim
Als eine der wichtigsten Grundlagen der Bildungs-
Bundesministerium des Innern eingerichtete Ar-
reform, die in Zusammenarbeit mit den Bundeslän-
beitsgruppe, idie der Studienkommission zuarbeiten
dern vorbereitet wird, wird schon in nächster Zeit
soll, bereits mit materiellen Vorarbeiten für die Un-
der Entwurf eines Hochschulrahmengesetzes einge- tersuchungen der Studienkommission begonnen.
bracht werden.
Für die Laufbahngestaltung kommt es sodann be- Vizepräsident Frau Funcke: Keine Zusatz-
sonders auf die Struktur der Verwaltungsaufgaben frage. Zu den Fragen 21 und 22 hat der Frage-
und die daraus herzuleitenden Leistungsanforderun- steller um schriftliche Beantwortung gebeten. Die
gen an. Antwort wird als Anlage abgedruckt. — Wir sind
Die Bundesregierung hat im Rahmen des personell damit am Ende der Fragestunde. Ich danke dem
und finanziell zunächst Möglichen entsprechende Herrn Parlamentarischen Staatssekretär Dorn.
Untersuchungen in Bereichen, die für die Reform- Wir kommen nun zu Punkt 2 der Tagesordnung:
ansätze besonders wichtig sind, eingeleitet. Erste Beratung des von den Fraktionen der
Die Untersuchungen zur Neuordnung der Vor-, SPD,FeingbrachtEwufseG-
Aus- und Fortbildung der Beamten müssen sich im setzes über die Verlängerung der Amtszeit
übrigen in den Rahmen der Gesamtuntersuchungen der Betriebsräte
zur Reform des öffentlichen Dienstes einfügen, die — Drucksache VI/ 1363 —
der nach dem Beschluß des Deutschen Bundestages
vom 27. Februar 1970 vorgesehenen Studienkommis- Das Wort hat der Herr Abgeordnete Müller (Ber-
sion obliegen. Die Bundesregierung kann den von lin).
der Studienkommission zu entwickelnden grund-
legenden Gestaltungsvorstellungen nicht vorgreifen. Müller (Berlin) (CDU/CSU) : Frau Präsidentin!
Meine Damen und Herren! Namens der CDU/CSU-
Vizepräsident Frau Funcke: Eine Zusatzfrage Fraktion gebe ich folgende Erklärung ab.
des Herrn Abgeordneten Brück. Die CDU/CSU-Fraktion hält das Verfahren, das
mit dieser Vorlage angewandt wird, grundsätzlich
Brück (Köln) (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, für höchst bedenklich. Noch liegt dem Hohen Hause
darf ich Sie fragen, ob daran gedacht ist, bei der kein Gesetzentwurf für die Novellierung des Be-
Erarbeitung der sogenannten Richtlinien in der Zu- triebsverfassungsgesetzes vor. Trotzdem wird mit
kunft sowohl schon in der Ausbildung als auch spä- dieser heute in erster Lesung anstehenden Vorlage
ter in der Fortbildung einen stärkeren Austausch der verlangt, mit Rücksicht auf den angekündigten Ent-
der Beamtenschaft auch zur Wirtschaft vorzusehen, wurf für die Novellierung des Betriebsverfassungs-
damit jener Vorwurf, der heute häufig erhoben wird, gesetzes eine Verlängerung der Amtszeit der zur
Beamte seien zu wirtschaftsfremd, endlich entfällt? Zeit im Amt befindlichen Betriebsräte bis zum April
1972 herbeizuführen.
Dorn, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bun- Wenn das Schule macht, meine Damen und Her-
desminister des Innern: Diese Überlegungen werden ren, daß Fristen, die der Gesetzgeber gesetzt hat,
mit Sicherheit eine Rolle spielen, Herr Kollege Brück. ohne zwingende Gründe auf diese einfache Weise
Inwieweit man sie kurzfristig realisieren kann, ist verlängert werden, erweist sich das Parlament
4360 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Müller (Berlin)
als Gesetzgeber einen außerordentlich schlechten Vorlagen richtig sind, wenn sie von der CDU/CSU,
Dienst. aber falsch und rechtlich unzulässig sind, wenn sie
von dieser Regierungskoalition kommen.
(Abg. Dr. Schellenberg: Damit haben Sie
ja schon 1953 angefangen!) (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Mit der Verlängerung der Amtszeit der zur Zeit Wenn behauptet wird, die früheren Verlänge-
im Amt befindlichen Betriebsräte um ein Jahr setzt rungsgesetze hätten sich immer nur auf künftige
sich das Parlament unter Zugzwang. Innerhalb die- Wahlperioden bezogen, so verwechselt die CDU/
ser Frist muß nämlich dann ein umfangreicher und CSU-Fraktion wohl das Gesetz vom 15. Dezember
eine schwierige Materie behandelnder Gesetzent- 1964 mit den vorgenannten Verlängerungsgesetzen.
wurf beraten und verabschiedet werden, wenn der 1964 wurde in der Tat die Amtszeit der Betriebsräte
Gesetzgeber nicht Gefahr laufen will, diese Fristen für die kommende Wahlperiode von zwei auf drei
eventuell erneut verlängern zu müssen. Der Ge- Jahre heraufgesetzt.
setzgeber muß doch mindestens Zeit haben, die Re- (Abg. Ruf: Na also!)
gierungsvorlage ernsthaft zu prüfen, zu entschei-
den und gegebenenfalls einzelne Vorschriften auf — Kollege Ruf, ich bin noch nicht am Ende, hören
Grund eigener Vorstellungen zu ersetzen. Wenn Sie bitte zu! Die Brocken, die Sie zu verdauen
der Gesetzgeber darauf verzichten wollte, würde er haben, kommen noch!
seiner Aufgabe nicht gerecht werden. Um Ihnen das Nachsuchen nach Ihren früheren
Wenn bisher irgendwelche Fristen verlängert wur- Leistungen auf diesem Gebiet zu erleichtern, darf
den, Herr Kollege Schellenberg, dann geschah dies ich Ihnen einige Fundstellen angeben. Erstens: Ge-
zu einem Zeitpunkt der Beratung eines Gesetzes, in setz über die Verlängerung der Wahlperiode der
dem man übersehen konnte, wann die Gesetzesvor- Betriebsräte vom 8. Januar 1953. Mit § 1 dieses Ge-
lage voraussichtlich verabschiedungsreif sein werde. setzes wurde die Wahlperiode für die Betriebsräte
Jedenfalls haben wir größte Bedenken gegen dieses um ein Vierteljahr bis zum 31. März 1953 verlän-
ungewöhnliche Verfahren. gert. Nach § 1 Abs. 2 wurde außerdem bestimmt
Wir werden der Überweisung der Gesetzesvor- (Zuruf des Abg. Ruf)
lage an den zuständigen Ausschuß nicht widerspre- — warum sind Sie denn so unruhig? Hören Sie
chen, behalten uns aber für die zweite und dritte doch bitte zu! —, daß auch die Wahlperiode derje-
Lesung unsere Entscheidung vor. nigen Betriebsräte bis zum gleichen Zeitpunkt ver-
(Beifall bei der CDU/CSU.) längert wird, deren Amtsdauer bei Inkrafttreten die-
ses Gesetzes abgelaufen war, sofern Neuwahlen
Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat nicht stattgefunden hatten.
der Abgeordnete Urbaniak.
Zweitens: Gesetz vom 20. März 1953 zur Ände-
rung und Ergänzung des Gesetzes vom 8. Januar
Urbaniak (SPD) : Frau Präsidentin! Meine Da- 1953 über die Verlängerung der Wahlperiode der
men und Herren! Wenn die Fraktion der CDU/CSU Betriebsräte. Nach § 2 dieses Gesetzes wurde die
gegen den vorliegenden Gesetzentwurf rechtliche Wahlperiode der amtierenden Betriebsräte, deren
Bedenken oder überhaupt Bedenken erhebt Amtszeit mit dem 31. März 1953 oder später ablief,
(Zuruf von der SPD: Schwerwiegende Be- nochmals bis zur Durchführung der Neuwahlen,
denken! — Heiterkeit bei der SPD) längstens jedoch bis zum 14. Mai 1953, verlängert.
Drittens: Gesetz vom 30. März 1953 über die Ver-
— das will ich feststellen, Herr Kollege Müller: längerung der Wahlperiode der Betriebsräte (Perso-
schwerwiegende Bedenken —, so ist darauf hinzu-
nalvertretungen) in den öffentlichen Verwaltungen
weisen, daß in den Jahren 1953 und 1954, in denen
und Betrieben des Bundes und der bundesunmittel-
die CDU den Bundeskanzler stellte, nicht weniger
baren Körperschaften des öffentlichen Rechts.
als vier Gesetze über die Verlängerung der Wahl-
perioden der Betriebsräte und Personalräte ergan- (Abg. Müller [Berlin] meldet sich zu einer
gen sind. Zwischenfrage.)
(Abg. Ruf: Das stimmt eben nicht! — Wei- — Kollege Müller, ich lasse keine Frage zu.
tere Zurufe von der CDU/CSU.) Nach § i dieses Gesetzes wurde die Wahlperiode
— Nun hören Sie doch bitte zu; wir kommen doch der amtierenden Betriebsräte und Personalvertretun-
noch zur Beratung. gen in den Verwaltungen und Betrieben der öffent-
lichen Hand bis zum 31. März 1954 verlängert. Nach
(Zuruf von der CDU/CSU: Welche Gesetze
§ 1 Abs. 2 dieses Gesetzes wurde diese Verlänge-
sind das denn?)
rung auch für Betriebsräte und Personalvertretun-
Dabei ging man so weit, nicht nur die Amtsperioden gen vorgenommen, deren Wahlperiode schon vor
der noch amtierenden Betriebsräte zu verlängern, Inkrafttreten dieses Gesetzes, aber nach dem 1. Ja-
sondern auch das an sich abgelaufene Amt von Be- nuar 1953, abgelaufen war, sofern eine Neuwahl
triebs- oder Personalräten wieder aufleben zu las- nicht stattgefunden hatte.
sen, sofern Neuwahlen noch nicht stattgefunden Viertens: Zweites Gesetz über die Verlängerung
hatten. der Wahlperiode der Personalvertretungen vom
Hier wird also offensichtlich wieder einmal mit 29. März 1954. Hier sah § 1 eine nochmalige Ver-
zweierlei Maß gemessen nach dem Grundsatz, daß längerung der Amtsperiode der am 31. März 1954
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4361
Urbaniak
im Amt befindlichen Betriebsräte in den Verwaltun- Bis heute früh war man sich darüber einig, ich
gen und Betrieben der öffentlichen Hand bis zum In- müßte falsch unterrichtet sein, wenn es anders wäre.
krafttreten des in § 81 Abs. 1 des Betriebsverfas-
(Abg. Müller [Berlin] meldet sich zu einer
sungsgesetzes vorbehaltenen Gesetzes vor, läng-
Zwischenfrage.)
stens jedoch bis zum 31. Dezember 1954.
— Ich freue mich, daß Sie gesprochen haben, Herr
Das sind die von mir angekündigten Fundstellen.
Kollege Müller; ich freue mich über die Erklärung.
Weiter ist darauf hinzuweisen, daß die Verlänge-
rung der Amtszeit die Betriebsräte, die Gewerk-
schaften und die Betriebe in keiner Weise unvor- Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, ge-
bereitet trifft. Sie wird von den Gewerkschaften statten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeord-
öffentlich nachhaltig gefordert und erspart Gewerk- neten Müller?
schaften und Arbeitgebern die Kosten für Wahlen
im Jahre 1971, die wir 1972 nach dem neuen Ge- Müller (Berlin) (CDU/CSU) : Herr Kollege Schmidt,
setz vollziehen müssen. - ist Ihnen entgangen, daß ich in der Erklärung keine
formalrechtlichen Gründe aufgeführt habe, sondern
Abschließend will ich betonen, daß die Koalitions-
daß ich ausschließlich gesagt habe, wir seien mit
parteien durch Vorlage dieses Gesetzes ihre Absicht
dieser Methode, uns unter Zugzwang zu setzen,
bekräftigen wollen, die Beratung des in allernäch-
nicht einverstanden, denn es liege noch keine Vor-
ster Zeit vorliegenden Entwurfs eines Betriebsver-
lage des Betriebsverfassungsgesetzes vor?
fassungsgesetzes in diesem Hohen Hause mit allen
Kräften zu fördern. Sie hoffen nach mannigfachen
Äußerungen aus Kreisen der CDU/CSU-Fraktion, Schmidt (Kempten) (FDP) : Herr Kollege Müller,
daß die Opposition sie bei diesem Bemühen wirk- ich wollte Sie mit Ihrer Erklärung ja entschuldigen,
sam unterstützen wird. Die Koalitionsparteien sähen ich wollte das auf formalrechtliche Gründe nehmen.
es als ein gutes Zeichen für deren Bereitschaft zur Aber anscheinend haben Sie Erfahrungen aus
Zusammenarbeit auf diesem wichtigen Gebiet der Zeiten, wo Sie immer etwas versprochen haben,
inneren Reformen an, wenn diese Fraktion auf den aber dann nicht in der Lage waren, das durchzu-
Vorbehalt ihres Widerspruchs verzichtete. Die Be- setzen,
triebsräte und die Belegschaften in den Betrieben (Beifall bei den Regierungsparteien)
sowie die Gewerkschaften erwarten, daß die Bera- und deshalb sind Sie wohl vorsichtig geworden.
tungen des Betriebsverfassungsgesetzes Solche Erfahrungen haben auch wir aus Koalitions-
(Abg. Ruf: Legen Sie es doch erst einmal beratungen mit Ihnen aus der Vergangenheit.
vor! Abg. Frau Kalinke: Wo ist es denn?)

Mich veranlaßt hauptsächlich folgendes, hier noch
nach Verabschiedung dieses Gesetzes aufgenommen etwas zu sagen: Die sozialdemokratische Fraktion
werden können, damit die Betriebsratswahlen 1972 und die FDP-Fraktion haben sich bei der Regie-
nach einem neuen fortschrittlichen Betriebsverfas- rungsbildung im vorigen Jahr darauf geeinigt, daß
sungsgesetz vorbereitet werden können und die Be- wir in dieser Legislaturperiode, sobald es nach den
triebsratsarbeit 1972 entsprechend gestaltet werden Vorbereitungen möglich ist, eine Novelle zum Be-
triebsverfassungsgesetz vorlegen werden. Das kön-
kann. Herr Kollege Müller, für die Erklärung der
CDU werden die Arbeitnehmer draußen im Lande nen Sie in der Regierungserklärung nachlesen.
kein Verständnis haben. (Abg. Rasner: Deswegen muß es doch noch
(Beifall bei der SPD.) nicht stimmen!)
— Herr Kollege Rasner, ich muß immer wieder
sagen: Erfahrungen, die mit Versprechungen von
Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat
Ihnen gemacht worden sind, treffen nicht auf diese
der Abgeordnete Schmidt (Kempten).
Regierungskoalition zu.
(Zustimmung bei den Regierungsparteien.
Schmidt (Kempten) (FDP) : Frau Präsidentin!
— Abg. Rasner: Siehe Steuersenkung!)
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr
Kollege Urbaniak hat schon deutlich gemacht, wes- — Herr Kollege Rasner, Sie sollten eigentlich in
halb die Fraktionen der Regierungskoalition der diesem einen Jahr gemerkt haben, daß die jetzige
Meinung sind, Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen
sehr konsequent die Dinge, die in der Regierungs-
(Abg. Ruf: Das genügt ja dann!)
erklärung standen, die sie gemeinsam vereinbart
daß dieses Gesetz heute hier eingebracht und daß haben, Schritt für Schritt und sehr zügig durchfüh-
die Betriebsratswahlen um ein Jahr verschoben ren.
werden sollen. Aber die Erklärung der CDU/CSU (Beifall bei den Regierungsparteien. —
veranlaßt mich, noch einiges dazu zu sagen. Abg. Rasner: Nein! — Abg. Ruf: Keine
Einmal möchte ich feststellen: Man war sich ur- Spur! — Abg. Rasner: Siehe Steuersen
sprünglich im Ältestenrat darüber einig, daß dieses kung!)
Gesetz heute hier eingebracht und daß keine formal- — Herr Kollege Rasner und Herr Kollege Müller,
rechtlichen Bedenken, die jetzt plötzlich erhoben der Sie die Erklärung abgegeben haben, wir werden
werden, angemeldet werden sollen. in Kürze einen solchen Gesetzentwurf vorlegen.
(Abg. Dr. Schellenberg: Hört! Hört!) (Abg. Ruf: Was heißt „in Kürze"?)
4362 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Schmidt (Kempten)
Ich bin sicher, daß wir, nachdem Sie die Bereitschaft bb) Schriftlicher Bericht des Ausschusses
zur Mitarbeit an diesem Gesetz bereits angekündigt für Arbeit und Sozialordnung (10. Aus-
haben, in guten und zügigen Beratungen dieses schuß)
Gesetz so verabschieden können, daß die Betriebs- — Drucksachen VI/1384, zu VI/1384 —
ratswahlen 1972 nach dem neuen Gesetz, das zu Berichterstatter: Abgeordneter Wolf
einer besseren Betriebsverfassung führen soll,
durchgeführt werden können. (Erste Beratung 61. Sitzung)

(Beifall bei den Regierungsparteien.) b) Zweite Beratung des von der Fraktion der
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
Fünften Gesetzes zur Änderung und Er-
Vizepräsident Frau Funcke: Gestatten Sie gänzung des Gesetzes über eine Alters-
eine Zwischenfrage des Abgeordneten Ott? hilfe für Landwirte
— Drucksache VI/249 —
Ott (CDU/CSU): Herr Kollege Schmidt, können -
Sie mir die Gründe sagen, warum die von Ihnen Schriftlicher Bericht des Ausschusses für
am 10. Oktober auf einem Podiumsgespräch in Arbeit und Sozialordnung (10. Ausschuß)
Augsburg für die nächsten 14 Tage angekündigte — Drucksache VI/1384 —
Vorlage des Betriebsverfassungsgesetzentwurfes bis Berichterstatter: Abgeordneter Wolf
heute nicht möglich gewesen ist? (Erste Beratung 34. Sitzung)
c) Zweite Beratung des von der Fraktion der
Schmidt (Kempten) (FDP) : Herr Kollege Ott, CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
wenn Sie sich genau an dieses Podiumsgespräch
Gesetzes zur Nachversicherung landwirt-
zurückerinnern, werden Sie wissen, daß ich gesagt
schaftlicher Unternehmer in der gesetz-
habe: In den nächsten 14 Tagen, drei Wochen wird
lichen Krankenversicherung
das, was zunächst einmal als Entwurf, als Konzept
vorhanden ist — ich habe damals einiges darüber — Drucksache VI/438 —
gesagt —, der Öffentlichkeit bekannt werden. Man Schriftlicher Bericht des Ausschusses für
wird dann mehr darüber diskutieren können. Das Arbeit und Sozialordnung (10. Ausschuß)
ist inzwischen der Fall. -- Drucksache VI/1384 —
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Berichterstatter: Abgeordneter Wolf
(Erste Beratung 36. Sitzung)
Vizepräsident Frau Funcke: Wortmeldungen Das Wort zur Beratung hat der Abgeordnete
liegen nicht mehr vor. Wir kommen zur Abstim- Ehnes für die CDU/CSU-Fraktion. Es sind 45 Minu-
mung über den Überweisungsvorschlag des Älte- ten !Redezeit beantragt.
stenrates. Der Ältestenrat schlägt Überweisung an
den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung vor. Ehnes (CDU/CSU) : Verehrte Frau Präsidentin!
Wer diesem Überweisungsvorschlag zustimmt, den Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die
bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — CDU/CSU-Fraktion des Deutschen Bundestages be-
Enthaltungen? — Es ist so beschlossen. grüßt es, !daß wir heute die Große Anfrage hier im
Hohen Hause behandeln können Wir hatten Ver-
Ich rufe die Punkte 3 und 4 der Tagesordnung auf:
ständnis für die Verschiebung dieser Debatte, und
3. a) Große Anfrage der Fraktion der CDU/CSU ich bringe im Namen meiner Fraktion zum Aus-
betr. Agrarpolitik druck, daß wir uns freuen, daß der amtierende Bun-
— Drucksachen VI/ 1145, VI/1303 — desminister heute hier dieser Debatte beiwohnt und
daß er seine Gesundheit wiedererlangt hat. Die Op-
b) Große Anfrage der Fraktionen der SPD,
positionsfraktion übermittelt Ihnen, verehrter Herr
FDP
Minister, durch mich die besten Genesungswünsche.
betr. Maßnahmen der Bundesregierung in
(Beifall.)
der Einkommens-, der Struktur- und
der Sozialpolitik für die deutsche Wenn wir heute zu der Großen Anfrage, die die
Landwirtschaft Oppositionsfraktion eingereicht hat und die Regie
— Drucksachen VI/1187, VI/ 1302 — rung beantwortet hat, Stellung nehmen, darf ich vor-
weg mitteilen, daß wir als CDU/CSU inzwischen
4. a) Zweite und dritte Beratung des von der ein Jahr der Überprüfung haben verstreichen lassen,
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs weil es dieser Fraktion bekannt ist, daß die Aufga-
eines Fünften Gesetzes zur Änderung und ben der Agrarpolitik in der Europäischen Gemein-
Ergänzung des Gesetzes über eine Alters- schaft nicht einfach zu lösen sind und weil wir lange
hilfe für Landwirte (GAL) genug in der Regierungsverantwortung selbst diese
— Drucksache VI/945 — Agrarpolitik verantwortet haben. Ich darf dazu
sagen, daß aus diesem Jahr Agrarpolitik der neuen
aa) Bericht des Haushaltsausschusses Bundesregierung für uns ein Jahr der Enttäuschung
(7. Ausschuß) gemäß § 96 der Ge- geworden ist; nicht nur für die Oppositionsfraktion,
schäftsordnung sondern vor allem für die Landwirte draußen im
— Drucksache VII... — Lande, die zur Zeit in größter Sorge über die zu-
Berichterstatter: Abgeordneter ... künftige Entwicklung sind. Von der Bundesregie-
Deutscher Bundestag-6. Wahlperiode - 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4363
Ehnes
rung wird nicht von den Fragen ausgegangen, die Erfahrungswerte zugrunde zu legen, nämlich dieje-
wir in der Großen Anfrage gestellt haben, sondern nigen, nach denen abgerechnet worden ist.
in der Antwort werden in geradezu unverständli- (Beifall bei der CDU/CSU.)
cher Weise andere Daten gesetzt. Es war in diesem
Hohen Hause eine gute Gepflogenheit, daß sich jede Diese unrichtige Auskunft ist deshalb in aller
Regierung bemüht hat, bei den Fragen einer Großen Schärfe zurückzuweisen; denn der Index der Erzeu-
Anfrage in aller Objektivität einen gewissen Höhe- gerpreise ist von Juli 1969 bis Juli 1970 von 106,3
punkt zu setzen. Deswegen waren wir von den auf 105,4 gesunken. Der Index der Einkaufspreise ist
Unionsparteien enttäuscht, daß wir auf unsere Fra- im selben Zeitraum von 103,2 auf 108,9 angestiegen.
gen eine völlig unbefriedigende, verschleierte Ant- (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)
wort bekommen haben, die die Agrarpolitik in der
Das sind andere Zahlen als diejenigen, die Sie Ihrer
Öffentlichkeit in einem anderen Licht erscheinen
Antwort zugrunde gelegt haben.
läßt, als dies wirklich der Fall ist.
- Herr Bundesminister, es erhebt sich deshalb hier
Die Unterlassungen und das Unvermögen der die Frage: Sind Sie für Ihre Person für die Beantwor-
Regierung, die Konjunktur zu steuern, sind für die tung der Großen Anfrage verantwortlich, oder zeich-
deutsche Landwirtschaft ganz besonders nachteilig; net derjenige dafür verantwortlich, der die Antwort
denn die Landwirtschaft gehört in unserer Gesell- auf unsere Große Anfrage unterzeichnet hat, näm-
schaft zu den Berufszweigen, die von der Inflation lich Staatssekretär Dr. Griesau?
im besonderen betroffen sind und dieser Preisent-
wicklung ganz besonders wehrlos gegenüberstehen, (Abg. Dr. Schmidt [Gellersen]: Wie lange
weil ihre Preise in Marktordnungen gebunden sind. sind Sie eigentlich hier im Hause?)
Deswegen hat die Landwirtschaft keinen Weg, sich Wenn 'Sie auf Grund Ihrer Abwesenheit durch
selbst zu Wehr zu setzen. Krankheit tasächlich nicht persönlich dafür verant-
wortlich zeichnen,
(Beifall bei der CDU/CSU.)
(Abg. Wehner: Es ist ziemlich impertinent,
Wir von der CDU/CSU stehen auf dem Stand- wie Sie das machen!)
punkt, daß die zwei größten Feinde, die die Land-
wirtschaft überhaupt hat, wäre es eine noble Geste von Ihnen, wenn Sie dies
hier öffentlich feststellen. Denn die Landwirtschaft
(Abg. Wehner: Die CDU und CSU sind!) draußen will wissen, ob für diese Aussage Dr.
Griesau oder Bundesminister Ertl persönlich verant-
a) die Inflation und b) der Radikalismus sind, weil wortlich ist.
beides nicht zu dem führt, was wir in dieser Situa-
tion erwarten, nämlich zur kontinuierlichen Weiter- (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von
entwicklung der Agrarpolitik, so wie sie in den der SPD.)
letzten zwanzig Jahren eingeleitet und von ver-
schiedenen Koalitionen fortgesetzt wurde. Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege
Ehnes, gestatten Sie eine Zwischenfrage?
Die erste Frage, die wir von der Opposition ge-
stellt haben, lautet, wie sich die Preise von Dezem- Ehnes (CDU/CSU) : Bitte sehr, Herr Fellermaier!
ber 1969 bis jetzt entwickelt haben. Die Bundes-
regierung hat diese Frage völlig übergangen und
gibt uns in ihrer Antwort einen Überblick über die Fellermaier (SPD) : Herr Kollege Ehnes, sollte
Preisentwicklung der Jahre 1969/70 und der Jahre Ihnen, obwohl Sie dem Hause schon seit einigen
1968/69. Das heißt also, sie beantwortet unsere Wochen angehören, entgangen sein, daß in der Ge-
Frage für die Zeit, in der unser Freund Hermann schäftsordnung steht: Große Anfragen beantwortet
Höcherl die Verantwortung für dieses Ressort ge- die Bundesregierung?
tragen hat,
(Abg. Dr. Ritz: Sehr wahr!) Ehnes (CDU/CSU) : Große Anfragen beantwortet
die Bundesregierung.
und gibt der Öffentlichkeit Zahlen bekannt, die
seine Regierungsverantwortung im Ministeramt (Abg. Dr. Ritz: Um so schlimmer!)
rechtfertigen. Die Bundesregierung hat aber auch nach der Ge
schäftsordnung des Bundestages — und das erwartet
Meine Damen und Herren, die Regierung gibt be-
dieses Hohe Haus — diejenigen Zahlen bekanntzu-
kannt, daß die Erzeugerpreise um 3,6 % und die Be-
geben, die ,das Statistische Bundesamt ausweist,
triebsmittelpreise nur in einer Relation von 3,3 %
und nicht Zahlen, die sie selbst erfindet.
gestiegen seien. Dazu darf ich Ihnen sagen, daß die
wahren Zahlen anders aussehen (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von
der SPD.)
(Abg. Dr. Ritz: So ist es!)
Die Fragestellung, Herr Kollege Dr. Schmidt, war:
und daß auch die Zahlen, die Sie, Herr Bundesmini- Wie haben sich die Preise seit Dezember 1969 bis
ster, gestern in Bad Godesberg bekanntgegeben ha- zum heutigen Zeitpunkt entwickelt? Unsere Antwort
ben, in keinem einzigen Fall, gemessen am Bundes- darauf lautet, daß die Agrarpreise von Dezember
durchschnitt, zutreffen. Die Landwirtschaft hat ihren 1969 bis September 1970 um 7,4% gefallen und die
Abrechnungen zufolge auch bei Getreide andere Kostenpreise bei den Bedarfsartikeln um über 5%
4364 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970
Ehnes
angestiegen sind. Damit ist festzustellen, daß das ganz deutlich, daß die Bauern in der Bundesrepu-
Preisniveau der landwirtschaftlichen Produkte heute blik Deutschland infolge dieser Veränderung des
wieder das Preisniveau des Jahres 1961 erreicht Wechselkurses einem weit stärkeren Kostendruck
hat. Wenn Sie dem die Unkostenseite gegenüber- und einer weit stärkeren Konkurrenz unterliegen,
stellen, dann können Sie sich selbst denken, daß als es vor der Aufwertung der Fall war und als es
unter diesen Voraussetzungen auch gut strukturierte insbesondere auch von Herrn Bundesminister Schil-
landwirtschaftliche Betriebe nicht mehr existenzfähig ler vorausgesagt worden ist.
sein werden. Es geht uns von der Opposition auch
darum, festzustellen, daß gut strukturierte Betriebe Wenn dieser unhaltbare Zustand anhält, können
unter diesen Voraussetzungen nicht mehr bestehen Sie versichert sein, daß in Ihrer Regierungszeit der
können. nächsten drei Jahre, also in dieser Legislatur-
periode, ein solcher Abstand in der Einkommenslage
(Sehr wahr! bei der CDU/CSU. — Abg. zu erwarten ist, daß die Landwirtschaft auf der
Dr. Schmidt [Gellersen] : Sie überdrehen ja Strecke bleiben wird. Dies ist aus der Entwicklung
-
schon wieder!) sicher zu schließen. Die Preis-Kosten-Auseinander-
Die Preise für landwirtschaftliche Betriebsmittel setzung kann durch andere Maßnahmen nicht mehr
sind in dem Berichtszeitraum für Bauten und Ma- aufgehalten werden.
schinen unterschiedlich, aber insgesamt gesehen um
Ich darf Sie fragen, Herr Bundesminister: Wollen
zirka 20 % gestiegen. In dieser Antwort ist nicht
Sie das in Ihre Person gesetzte Vertrauen der Bau-
berücksichtigt, daß die Löhne in der Zwischenzeit
ern, das bei Ihrem Amtsantritt zweifellos vorhan-
um 9 % gestiegen sind. Insofern hat die Bundes-
den war, restlos verspielen?
regierung unsere Große Anfrage mit einer halben
Wahrheit beantwortet. (Abg. Wehner: Sie sind ein Ehrenmann!
— Abg. Dr. Ritz: Leider wahr, Herr Weh-
Durch die gesamte Antwort der Bundesregierung ner!)
zieht sich wie ein roter Faden der Ausgleich für die
Aufwertungsverluste. In der Regierungserklärung — Herr Wehner, auch die Landwirtschaft hat in un-
vom 28. Oktober vorigen Jahres hat Herr Bundes- serer Gesellschaft einen Platz.
kanzler Brandt erklärt, die Landwirtschaft solle an Wenn Sie überzeugt werden wollen, wie die
der Wohlstandsentwicklung teilhaben. Gerade durch Preissituation ist, dann darf ich Ihnen folgende
diesen Ausgleich der Aufwertungsverluste will die Tabelle bekanntgeben. Nach einem Preisvergleich
Bundesregierung nachweisen, daß dies eingetreten des Statistischen Bundesamtes vom 8. November
sei. Ich darf dazu erstens feststellen, daß die Aus- 1970 beträgt der Unterschied zu den Preisen des
gleichszahlungen degressiv sind. Ihnen ist ja be- Vorjahresmonats bei Schweinen 55,90 DM, bei
kannt, daß vom Jahre 1974 an von Gesetzes wegen Kühen 16,04 DM, bei Bullen 11,50 DM, bei Kälbern
keine Ausgleichszahlungen mehr geleistet werden. 11 DM und bei 100 kg Butter 27,50 DM.
(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen]: Das ist ja (Abg. Dr. Ritz: Alles minus!)
einfach nicht wahr!)
Wenn das der Fraktion der SPD noch nicht die
— Damit, Herr Dr. Schmidt, steht fest, daß die Agrar- Überzeugung gibt, daß das, was ich hier vortrage,
preissenkung um 8,5% in der Bundesrepublik sachlich begründet ist, kann ich nur sagen: es tut
Deutschland voll wirksam wird. mir außerordentlich leid.
(Abg. Wehner: Das ist noch nicht einmal (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Weh
eine Milchmädchenrechnung! — Abg. Dr. ner: Sie sind eine Ehrenmann! Sie fließen
Schmidt [Gellersen] : Das ist die Unwahr- über vor Mitleid! — Gegenrufe von der
heit!) CDU/CSU.)
— Es steht doch fest, daß im Jahre 1972 von dem Die Antwort der Bundesregierung auf die Frage 3
Betrag von 920 Millionen DM bereits 110 Millionen ist gesellschaftspolitisch sehr wichtig. Die Oppo-
DM für andere Zwecke verwendet werden. Im Jahre sition wird leider in ihrer Auffassung bestärkt, daß
1973 sind es dann 220 Millionen DM weniger, und die Aussagen der Bundesregierung im Jahreswirt-
ab 1974 erfolgt keine Ausgleichszahlung mehr. Das schaftsbericht 1970 über die künftige Einkommens-
bedeutet einen Verlust von 8,5 %. entwicklung der Landwirtschaft aufrechterhalten
werden. Auch Sie, Herr Minister Ertl, haben ja —
Es, ist auch interessant, wie diese Aufwertungs-
wenn auch indirekt — dazu gesagt, daß es der
verluste beim Import und beim Export durchschla-
Landwirtschaft gleich sein kann, ob sie ihr Einkom-
gen. Wer die genauen Zahlen des Imports verfolgt,
men direkt über die Preise oder durch bestimmte
der kann feststellen, daß in dem Berichtszeitraum
die Einfuhr von Geflügel aus Holland, weil die Ein- Maßnahmen bekommt. Ich kann nur sagen: die
Aussage im Jahreswirtschaftsbericht 1970, nach der
fuhrpreise günstiger sind, um 8,3 % zugenommen
„es für den Landwirt zweitrangig sein dürfte, ob
hat und daß die Einfuhr von Geflügelfleisch aus den
sich das Einkommen ... aus überhöhten Preisen
osteuropäischen Staaten im Berichtszeitraum sogar
um 32,6 % gestiegen ist. Auch auf dem Schweine- auf Kosten des Verbrauchers oder aus niedrigeren
sektor, wo die Preise einen geradezu vernichtenden Preisen zu Lasten des öffentlichen Haushalts her-
Tiefstand erreicht haben, weist die Statistik aus, leitet" , steht in absolutem Widerspruch zur Auf-
daß die Einfuhr von Schweinen und Schweinefleisch fassung der Opposition.
in der Berichtszeit um 39 % gestiegen ist. Dies zeigt (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4365
Ehnes
Ich muß Sie an das Zehn-Punkte-Programm der Zusammenfassend kann man feststellen, daß die
FDP erinnern, das Sie bei Ihrem Amtsantritt zu- Antwort auf die Frage 5 absolut dürftig ausgefallen
grunde gelegt haben. Wir hätten die Durchführung ist, was die Erzeugerpreispolitik angeht, und daß die
dieses Zehn-Punkte-Programms sehr begrüßt, aber in der Öffentlichkeit 'bekannte Aussage Ides amtie-
davon hat doch nicht mehr ein einziger Punkt seine renden Bundesministers, niedergelegt am 2. März
Gültigkeit. 1966, zu einer Luftblase geworden ist. Sie lautet
(Beifall bei der CDU/CSU.) wörtlich:
... die Gretchenfrage an alle Fraktionen und
In unserer Frage 4 geht es um die Förderungs-
Parteien: Wie hältst du es mit den Agrarprei-
schwelle. In dieser Förderungsschwelle zeigt sich
sen, mit den Erzeugerpreisen? Bist du bereit,
die Unsinnigkeit des ganzen Programms. Die Bun-
dem Bauern dasselbe zuzugestehen, was du der
desregierung ist in ihrer Antwort der Opposition
übrigen Wirtschaft auch zugestehst, nämlich das
wirklich in die Falle gegangen. Wir wollten ja er-
Einkommen über den Preis zu gestalten, oder
fahren, wie die Preis-Kosten-Entwicklung aussehen
hast du hier zwei Meßlatten?
wird. Diese Preis-Kosten-Entwicklung wird von
Ihnen durch eine Schutzbehauptung in der Öffent- So der heutige Bundesminister Ertl. Und es geht
lichkeit so dargestellt, daß Sie erklären: Man kann dann weiter:
mit Zunahmen und Preisverbesserungen in allen Behandelst du eine Gruppe anders als die an-
Bereichen rechnen. Ich muß dazu sagen: wenn Sie dere? Das ist eine Kernfrage. ... die Frage der
den Weg, den Sie in den letzten drei Monaten auf Preispolitik wird die Gretchenfrage bleiben; sie
der preispolitischen Seite eingeschlagen haben, fort- muß es auch, verehrter Herr Minister ...
setzen, wird nach unserer Überzeugung jede land-
wirtschaftliche Förderung sowieso aufhören, weil — Damit war der Kollege Höcherl gemeint —.
es in diesem Bereich zu einem Stillstand kommt,
Das weist das Protokoll aus. Und was weist das
weil bei diesem Preis-Kosten-Verhältnis kein Mann
Protokoll aus, das über die gestrige Delegiertenver-
und keine Frau draußen noch die Verantwortung
sammlung in Bad Godesberg vom Deutschen Bau-
für eine Neuorientierung und für eine Neuausstat-
ernverband niedergelegt werden muß? Es weist aus,
tung des Betriebes übernehmen wird. Ich werde auf
daß von diesen Preisvorstellungen nichts mehr
die Konditionen noch im einzelnen zu sprechen
übriggeblieben ist, daß diese Sätze Wahltaktik wa-
kommen. ren
Nach dem dargestellten Niveau kann man sich (Abg. Stücklen: Augenauswischerei!)
schon ausrechnen, wie das Preis-Kosten-Verhältnis und eine falsche Aussage bedeutet haben. Es weist
im kommenden Frühjahr aussehen wird. Allerdings zudem indirekt aus, daß Ihre guten Bestrebungen,
gibt es sehr widersprüchliche Meldungen. Auf der Herr Minister, im Kabinett nicht die entsprechende
einen Seite erklärt die Bundesregierung: Wir haben Würdigung erfahren haben; denn sonst würden Sie
die Überschüsse beseitigt. Gestern ist beim Deut- hinsichtlich der Preissituation anders auftreten.
schen Bauernverband dagegen gesagt worden: Die
Überschüsse sind so permanent, daß man an die (Beifall bei der CDU/CSU.)
Preiserhöhungen nicht heran kann.
Ich komme damit zu einem anderen Punkt, zur
Wenn die Betriebsmittelpreise weiter nach oben Preispolitik beim Getreide. Sie wissen, daß hier
gehen, wird sich die Bundesregierung davon über- eine Meldung durch die Öffentlichkeit geht, die das
zeugen lassen müssen, daß die Rationalisierung in derzeitige Einkommensniveau der Landwirtschaft
den Betrieben aufhört und daß die Aussage, idle im nicht richtig darstellt. Ich darf Ihnen sagen, daß die
Förderungsprogramm gegenüber der Landwirtschaft Weizen- und Gerstenpreise im Haupterzeugergebiet
gemacht worden ist, geradezu grotesk wirken wird. Bayerns — festgelegt am 10. September 1970, also
zu einem Zeitpunkt, an dem die Ernte zu 80% er-
Ich darf hier auch noch feststellen, daß das För- faßt und abgerechnet war — nicht so aussehen wie
derungsprogramm nicht entsprechend ausgestattet in Ihrer Darstellung, sondern daß das Ergebnis fol-
ist. Im Vergleich mit dem Förderungsprogramm der gendermaßen aussieht: der Weizenpreis beträgt
frühenBudsgifhlemrn10Mi- 34 DM + 8 % = 2,72 DM; der Endpreis ist also
lionen DM in diesem Bereich. Angesichts der Preis- 36,72 DM. Demgegenüber der Weizenpreis des Vor-
steigerungen wird sich jeder selbst ausrechnen kön- jahres: 38,33 DM inklusiver Mehrwertsteuer.
nen, wie sich das Volumen draußen in den landwirt- (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)
schaftlichen Betrieben in der Gesamtheit auswirken
wird. Lediglich bei Braugerste ist — auch das wollen wir
nicht verheimlichen — eine leichte Preisverbesse-
Die in der Großen Anfrage weniger berücksich- rung festzustellen, nämlich auf 37 DM in der Ab-
tigte Lage auf dem Obst- sowie auf dem Eier- und rechnung pro Doppelzentner plus 2,95 DM Mehr-
Geflügelmarkt möchten wir mit einbeziehen, denn wertsteuer, so daß in der Endabrechnung der Brau-
gerade in diesen Bereichen haben wir, wenn der gerstepreis in diesem Jahr 39,95 DM gegenüber
Durchschnittspreis für Eier in der vergangenen 37,28 DM im Vorjahr beträgt. Daß das nicht durch
Woche zwischen 6 und 8 Pfennigen ab Hof gelegen die Agrarpolitik begründet ist, sondern daß das
hat, einen Stand erreicht, der mit dem des Jahres späte Frühjahr insofern, als wir in diesem Bereich
1913 auf dem Gebiet der Eierwirtschaft verglichen nur eine halbe Ernte erzielen konnten, den Aus-
werden kann. schlag gegeben hat, ist Ihnen als Fachmann so be-
4366 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Ehnes
kannt wie uns; darüber brauchen wir sicherlich staune — bei Roggenbrot von 9,3 und bei Misch-
keine Auseinandersetzung zu führen. brot von plus 8 %.
Wenn Sie aber auf die Getreidepreissituation Ich frage die Bundesregierung: Ist die Aussage in
eingehen — die Diskussion darüber steht ja in der Regierungserklärung noch zutreffend? Ich frage
Brüssel bevor —, ,darf ich auch einmal darauf ver- die Bundesregierung weiter: Wird hier der Art. 39
weisen, daß es für das Land, das am marktfernsten des EWG-Vertrages eingehalten, der besagt, daß den
liegt, ganz schlecht aussieht, wenn man daran denkt, Landwirten in der Europäischen Gemeinschaft ein
daß hier nicht nur die Regionalisierung auf dem gutes Preisniveau gesichert sein soll, daß aber der
Spiele steht, sondern daß hier vor allem auf dem Ge- Verbraucherschaft in der Bundesrepublik gute und
biet des Getreides ein neuer Qualitätsbegriff in der beste Nahrungsgüter zu günstigen Preisen zur Ver-
Form gefunden werden soll, daß nach ,dem Vor- fügung gestellt werden sollen? Wir haben kein
schlag der Kommission die Auswuchsgrenze von 8 Interesse daran, daß der Lebensmittelverbrauch zu-
auf 4%, der Feuchtigkeitsgehalt von 24 auf 16,5 %, rückgeht, wir weisen aber die Ausführungen der
der Fruchtkornanteil von 5 auf 3 %, der Kornbesatz Regierung zurück, wenn feststeht, daß die Ver-
von 6 auf 2,5% und der Anteil von Unreinheiten braucherpreise steigen und die Erzeugerpreise in
von 4 auf 0,5% gesenkt werden sollen. der Landwirtschaft von Tag zu Tag sinken. Wenn
Herr Minister, wir möchten Sie hier fragen: Wer- Sie die Notierungen dieser Woche verfolgen, kön-
den Sie in Brüssel dafür sorgen, daß weder die nen Sie feststellen, daß ein weiterer Schritt nach
Regionalisierung in diesem Ausmaß durchgeführt rückwärts getan wurde.
noch dieser Qualitätsbegriff eingeführt wird? Denn
Als besonders gravierend möchte ich die Ausfüh-
Ihre Aussage lautet, daß Sie eine bessere Qualitäts-
rungen zu den Fragen 11 und 12 bezeichnen. Bei den
norm schaffen wollen. Diese würde mit Sicherheit in
Fragen 11 und 12 geht es um dieses Preisniveau.
den Höhengebieten der Bundesrepublik Deutschland
Dazu darf festgestellt werden, daß beim gegen-
zu einem weiteren Verdrängungswettbewerb füh-
wärtigen Zinsniveau und bei der Preisentwicklung
ren, weil es ein Unterschied ist, ob man in Italien
vor allem auf dem Bausektor die Investitionen im
drei oder vier Monate unter heißester Sonne ernten
landwirtschaftlichen Betrieb voll zum Versiegen
kann oder ob man in Frankreich vier Wochen frü-
kommen werden. Das Bundesministerium ist von
her als in der Bundesrepublik mit der Ernte begin-
uns wie auch über einige Landesministerien aufge-
nen kann oder ob man hier Ende August/September
fordert worden, eine günstigere Kondition in der
bei bereits wieder längeren Nächten und weniger
Form zu geben, daß die Zinsverbilligung erhöht
Sonne das Getreide einbringen muß. Wir von der
wird. Dieser Forderung ist die Regierung nichtnach-
Opposition fordern Sie auf, nicht nachzugeben, weil
gekommen, so daß nach wie vor die 4 % zugrunde
nach den Vorschlägen der Kommission bei Passau
gelegt werden, die nach Aussage von Sachverständi-
und bei Mühldorf ein Getreidepreis von unter
gen bei 20jähriger Laufzeit dazu führen, daß der
30 DM herauskäme. Das ist der Preis,. der im Jahre
Bauer, der investiert, eine Belastung von Zinsen
1913 gezahlt wurde.
und Amortisation hat, die zur Zeit und Stunde zwi-
Ich glaube, hier haben Sie vor allem als bayeri- schen 12 und 13 % liegt. Das wurde im Anhörungs-
scher Landsmann die marktfernen Länder Schleswig- verfahren des Deutschen Bundestages von den
Holstein und Bayern besonders zu berücksichtigen, Banksachverständigen festgestellt. Ich darf Ihnen
weil gerade dieses Marktgefälle und weil gerade sagen: Mit 12 und 13 °/o kann weder der Arbeiter
diese große Entfernung und die Regionalisierung sich ein Eigenheim bauen noch der Handwerker
auf diese weit entlegenen Räume doppelt durch- oder der Einzelhändler investieren, noch die Land-
schlagen und die Landwirtschaft in einen absoluten wirtschaft Betriebsgebäude erweitern und Maschi-
Verdrängungswettbewerb bringen. nen beschaffen.
(Zustimmung bei der CDU/CSU.) (Beifall bei der CDU/CSU.)
Meine Damen und Herren, von dieser Regierung Da hören jede Investition und Initiative auf.
ist so viel über die Änderung beim Grünen Dollar,
über die Wechselkursänderung gesprochen worden. Dabei muß man sich allerdings auch darüber im
Ich finde allerdings in dieser Zusammenstellung klaren sein, daß die Landwirtschaft nicht nur Pro-
über die Wechselkursänderung keine deutliche Aus- duzent, sondern auch ein großer Abnehmer des In-
sage, daß der Grüne Dollar verschwinden soll. Es ist dustriebereichs ist. Die Landschaft kann hier bald
geradezu bezeichnend für die Bundesregierung, daß wieder anders sein. Immerhin beträgt der Auftrags-
auch gegenüber den Verbrauchern mit falschen Zah- wert beispielsweise für die Schlepperindustrie und
len operiert wird. Die Landwirtschaft der Bundes- den landwirtschaftlichen Maschinenbau 3 Milliar-
republik Deutschland hat Interesse daran, daß der den DM. Von der chemischen Industrie kauft die
Verbraucher mit besten und qualitativ hochwertigen deutsche Landwirtschaft ebenfalls für 3 Milliarden
Nahrungsgütern dauerhaft versorgt wird; sie hat DM. Für Energie und Treibstoff gibt sie 1,5 Milliar-
aber kein Interesse daran, daß die Erzeugerpreise den DM aus. Die Bauleistungen der Landwirtschaft
sinken und die Verbraucherpreise steigen. Die Ge- betragen jährlich über 2 Milliarden DM. Ihr bedeu-
genüberstellung der Lebensmittelpreise vom Juli tendster Lieferant, die Futtermittelwirtschaft, hat
1969 und vom Juli 1970 zeigt, daß bei Rindfleisch einen jährlichen Umsatz von 5,6 Milliarden DM. Hin-
ein Preis von plus 3,2 ausgewiesen ist, bei Rind- zu kommt die Ernährungswirtschaft mit einem Um-
fleisch zum Braten von plus 2,7, bei Schweine- satz von rund 50 Milliarden DM, weiter das Ernäh-
fleisch 6,2, bei Kotelett 6,7 und — man höre und rungshandwerk, das über eine halbe Million Be-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode - 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4367
Ehnes
schäftigte verfügt, mit einem Umsatz von über 100 und auf der anderen Seite spielt in Ihrem Programm
Milliarden DM. die Entfaltung der Persönlichkeit in einem freiheit-
lichen Staat überhaupt keine Rolle mehr.
Das läßt erkennen, daß es eine Entscheidung zu
treffen gilt, die sich nicht an dem Produktionswert (Beifall bei der CDU/CSU. — Widerspruch
im Verhältnis zum Sozialprodukt orientiert, sondern bei der SPD. — Abg. Wehner: Dafür haben
an dem Gesamtproduktionswert auch der mit der wir ja Sie — Abg. Saxowski: Das spricht
Landwirtschaft verbundenen Bereiche mit einem Um- man so gelassen aus!)
satz von über 100 Milliarden DM. Das zeigt auf, Wer die Programme in der Europäischen Gemein-
wie eng die wirtschaftliche Verflechtung der Land- schaft kennt — und Sie kennen Sie genau, Herr
wirtschaft mit der übrigen Wirtschaft ist und wie Saxowski —, weiß, daß es dort keine Zielschwelle
schwer andererseits der Teil, der durch Marktord- gibt. Es gibt sie nur in der Bundesrepublik Deutsch-
nungen gebunden ist, darunter leidet und wehrlos land.
bleibt, wenn die inflationistische Preis-Kosten-Ent-
- (Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Sie irren sich!)
wicklung voranschreitet.
Herr Saxowski, Sie haben in Italien persönlich er-
Die Bundesregierung hat ein Förderungspro lebt, daß der Staatssekretär Ihnen erklärt hat: Für
gramm und ein soziales Ergänzungsprogramm vor- Förderungsmaßnahmen sind in Italien der Wert des
gelegt, worin eine Zinsverbilligung von 4% vorge- Hofes und die Persönlichkeit maßgebend; auf die-
sehen ist. Insgesamt gesehen, kommt das an die ser Grundlage wird die Förderungswürdigkeit aus-
vorherigen Förderungskonditionen bei weitem nicht gesprochen.
heran. Danach können z. B. bei Nebenerwerbsbe-
trieben die Mittel nur ganz begrenzt eingesetzt wer- Meine Damen und Herren, wir wollen die Förde-
den. Diese Betriebe können eine Zinsverbilligung rungswürdigkeit auf die Person abstellen. Dieser
lediglich für maximal 10 000 DM Darlehenswert er- Gesichtspunkt ist im Programm in keiner Weise
halten, wenn sie für das Vorhaben eine unmittel- berücksichtigt. Das bedeutet, daß junge Landwirte
bare Flächenbewirtschaftung in einer überbetrieb- auf Lebenszeit aus der Landwirtschaft verdrängt
lichen Zusammenarbeit nachweisen. Daß das in der werden. Für uns erhebt sich heute also erneut die
Landwirtschaft nicht leicht praktikabel ist, wissen Frage: Wollen Sie noch behaupten, daß Sie Agrar-
wir alle. Es betrifft aber im Nebenerwerb in man- politik ohne Preis- und Schenkeldruck betreiben
chem Land 80 % der in der Landwirtschaft tätigen wollen?
Menschen. Die Betriebsgrößen sind eben so, daß (Beifall bei der CDU/CSU.)
der Bauer deshalb einen Zu- und Nebenerwerb Ich möchte diesen Nivellierungen und Reglementie-
aufgenommen hat. Bei Nebenerwerbsbetrieben kann rungen entschieden widersprechen. Auch die unter-
grundsätzlich bei Zukauf, Neu-, Um- und Ausbau schiedlichen Einkommensverhältnisse im Nord-Süd-
landwirtschaftlicher Wohnhäuser beispielsweise nur Gefälle in der Bundesrepublik Deutschland haben
eine Maßnahme von 2 700 DM in Anspruch genom- keinerlei Berücksichtigung gefunden. Ich kann Ihnen
men werden, wenn dies im arbeitswirtschaftlichen garantieren, daß Sie sich in einigen Jahren bemühen
Bereich notwendig ist und der Landwirt Mitglied werden, in gewissen Regionen unseres Landes nach
der landwirtschaftlichen Alterskasse ist. Landwirten zu suchen, die als Landschaftspfleger
Dazu ist zu sagen: Wer hier eine Verbesserung auftreten; denn diese Art von Bodenkultur ist billi-
feststellt, macht wirklich eine verkehrte Aussage. ger als die Bezahlung von Landschaftsgärtnern.
Wer von der Zielschwelle ausgeht und sie als (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Ritz:
Grundlage für die Feststellung nimmt, daß sich Umweltschutz!)
dadurch die Situation verbessert, der muß auch das,
was jetzt im zweiten Entwurf als bereinigtes Förde- Die Bayerische Staatsregierung hat beispielsweise
rungsprogramm vorliegt, als ganz dürftig bezeich- für den Regierungsbezirk Unterfranken eine Berech-
nen. Wer davon ausgeht, daß man hinsichtlich des nung durchgeführt, aus der hervorgeht, daß allein
bereinigten Betriebseinkommens auf die Vollar- für diesen Regierungsbezirk jährlich 18 Millionen
beitskraft mit 16 000 DM abstellen muß, und auf DM nötig wären, wenn dort die Flächen, die nicht
Grund der Vorstellungen unserer Fraktion und der bewirtschaftet werden, weil sie landwirtschaftlich
Länder bereit war, eine 10%ige Erhöhung der Ver- uninteressant oder nicht fruchtbar sind, von Leuten
minderung der Schwelle durchzuführen, d. h. wer bewirtschaftet und gepflegt werden müßten, die
ein paar tausend Mark im Nebenerwerb verdient, keine Bauern sind, die also nach Stunden arbeiten,
kann dann schon diese Schwelle erreichen. Die die nach Tarif bezahlt werden und ein verlängertes
3200 DM sind zwar ein kleiner Lichtblick, aber Wochenende haben wollen. Berücksichtigen Sie
keine Hilfe für weite Regionen und Bereiche. Daran dies? Von dieser Förderungsmöglichkeit werden
ändert sich auch nichts, wenn Sie, Herr Minister, im — -gerade auch in dem Land, aus dem Sie kom-
Vorort zum zweiten Entwurf sagen: „In der Dis- men — die wenigsten. Bauern erfaßt werden. Dar-
kussion hat das Programm wertvolle Änderungen an wird sich auch dadurch nichts ändern, daß man
und Ergänzungen erfahren." Ich kann dazu nur sa- die Viehaufstockung dankenswerterweise in die
gen: das sind keine wertvollen, sondern ganz dürf- Förderung beim Grünland hineingenommen hat.
tige Änderungen, denn die - Mindesteinkommens- Ich wundere mich darüber, daß auch im zweiten
schwelle hat nach wie vor ihre Problematik. Auf der Entwurf dieses Förderungsprogramms die Abfin-
einen Seite werden die Mindesteinkommensgrenzen dung weichender Erben nicht zu finden ist, die bei
in der Öffentlichkeit verschiedenartig dargestellt, größer werdenden Betrieben eine absolute Notwen-
4368 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Ehnes
digkeit darstellt. Eine solche Regelung wird zu- darauf hinwirkten, daß die Jungsozialisten endlich
künftig in der Landwirtschaft von besonderer Be- ihren Kampf gegen das Eigentum aufgeben.
deutung sein, weil ,die Erbauseinandersetzung bei (Beifall bei der CDU/CSU.)
größeren Betrieben das Problem Nummer eins sein
wird. Denn gerade Sie sollten wissen, daß die Gesell-
schaft — —
Der Gesamtaussage über dieses Förderungspro-
gramm muß natürlich das Volumen zugrunde gelegt (Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Feller
werden. Wenn hier in diesem Hohen Hause be- maier: Herr Ehnes, warum zerbrechen Sie
kanntgegeben wird, daß es in einigen Bereichen sich den Kopf über uns?)
Baupreiserhöhungen von 40 % gibt, frage ich Sie, — Ich zerbreche mir deswegen den Kopf, weil es die
Herr Bundesminister: Woher beziehen Sie Ihre Un- Landwirtschaft am allerstärksten trifft. Ich habe nicht
terlagen, und worauf basieren Ihre Aussagen, daß umsonst vorhin erklärt, daß Inflation und Radikalis-
mit , diesem Förderungsprogramm mit einem Volumen mus die Landwirtschaft am meisten bedrohen, und
-
von, ich glaube, insgesamt 64 Millionen DM im wer gegen ,das Eigentum angeht, ist bei mir Radika-
Jahre 1971 etwas angefangen werden kann? list, kann er herkommen, wo er will, ob von links
Ich möchte Ihnen aber auch einmal eine Berech- oder von rechts.
nung vorlegen, weil ja Sachlichkeit vonnöten ist (Beifall bei der CDU/CSU.)
und weil das Hohe Haus auf Sachlichkeit Wert
legen muß. Meine Damen und Herren, diese Be- Das heißt, wer gegen das Grundgesetz der Bundes-
rechnung ist auf einer Investitionssumme von republik Deutschland verstößt, sollte auch von der
1000 DM aufgebaut. Jeder kann seine Investitions- Verfassung her überprüft werden. Denn das Grund-
summen dann entsprechend selbst berechnen . gesetz ist in der Bundesrepublik Deutschland im-
merhin unsere Grundlage zu unserer gesellschaft-
Bei der derzeitigen Investitionsbeihilfe ist es so, lichen Ordnung.
daß nach dem Beispiel, das unser Fraktionskollege
und Freund Hermann Höcherl angeführt hat, (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Feller
1000 DM folgendermaßen finanziert wurden: 250 DM maier: Herr Ehnes, kennen Sie überhaupt
Eigenmittel, 150 DM Investitionsbeihilfe, 600 DM das Grundgesetz? — Abg. Wehner: Hat
Kredit zu 7 % Zins, um 4 % verbilligt; ergibt zu- Ihre Partei nicht dagegen gestimmt damals?
sammen 1000 DM. Nach dem Programm von Herrn — Weitere Zurufe von der SPD.)
Höcherl hat damals die Beihilfe des Bundes inklu- — Herr Kollege Dr. Schmidt, ich habe Verständnis,
sive Investitionsbeihilfe und Zinszuschuß 390 DM daß Sie in diesem Punkt so allergisch reagieren. —
betragen. Wenn der Herr Bremer und die Jungsozialisten,
Nach , der heutigen Berechnung beträgt diese, vom Steffen usw., diese Aussagen machen, dann ist das
Bund aus gesehen, 255 DM bei 7 % Zins. Da aber für uns noch nicht so verhängnisvoll, wie wenn der
der Bundesdurchschnitt bei der Zinsbelastung zur Herr Bürgermeister Weichmann und der Herr Bür-
Zeit bei 8,75 bis 9% bei festverzinslichen Darlehen germeister Vogel in denselben Tenor verfallen. Da
liegt, wird zukünftig aus Ihrem Programm über Ziel- sind wir bedenklich.
schwelle und Eckschwelle und Eckfinanzierung und (Beifall bei der CDU/CSU.)
Zinsverbilligung noch eine Beihilfe des Bundes von
Bei dem ersten Personenkreis sind wir weniger be-
insgesamt 124 DM herauskommen.
denklich, aber bei dem zweiten Personenkreis wer-
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) den wir aufmerksam,
Das heißt, vor einem Jahr 390 DM, heute 124 DM. (Abg. Fellermaier: Blühender Unsinn!)
Dabei sind noch nicht die erhöhten Baukosten ein- weil das eine Umfunktionierung unserer Gesellschaft
gerechnet, Herr Minister, so daß Sie bei einer wei- bedeutet, und da sagen wir den Kampf an.
teren Steigerung ab nächstem Jahr mit plus minus
Null rechnen können. Das heißt, Ihre eigene Ini- (Beifall bei der CDU/CSU.)
tiative im Förderungsprogramm ist durch die Preis- Ich bitte deshalb den Bundesminister, daß er uns
Kosten-Entwicklung aufgefressen und für uns nicht Auskunft gibt, ob das Eigentum in dieser Form ge-
mehr existent. sichert bleibt oder ob diese Umfunktionierung schon
(Beifall bei der CDU/CSU.) so weite Teile ergriffen hat, daß diese absolute Be-
drohung, die ich ansprach, gegeben ist.
Meine Damen und Herren, ich darf aber zu dieser
Aussage noch ganz konkret Stellung beziehen, weil Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
es auch in der Frage der Förderungsmöglichkeit und Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischen-
in der Frage der Eigentumsbildung für uns von aus- frage des Abgeordneten Unertl?
schlaggebender Bedeutung ist, wie Sie, Herr Bun-
desminister, zukünftig die Aussagen der Jungdemo-
kraten und der Jungsozialisten bewerten wollen. Ehnes (CDU/CSU) : Bitte sehr!

(Zurufe von der SPD.) Unertl (CDU/CSU) : Herr Kollege Ehnes, es wäre
gut, wenn Du richtigstellen würdest, - -
Ich habe nicht 'die Zeit, Ihnen die einzelnen Aus
sagen hier vorzulegen. Ich wäre Ihnen aber sehr (Lachen bei der SPD.)
dankbar, Herr Kollege Dr. Schmidt, wenn auch Sie Wir sagen „Du" in Bayern und auch in Bonn.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4369

Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: -braucher und Erzeuger gemeinsam, verabschiedet


Herr Kollege, ich hatte Ihnen zu einer Frage das werden. Wenn diese Vorschrift nämlich seit über
Wort gegeben und nicht zu einem Glaubensbekennt- 500 Jahren besteht, wenn wir in der Bundesrepublik
nis. Deutschland fast 80% des Bieres in der Gemein-
(Abg. Unertl: Was hat das mit einem schaft erzeugen und unsere Verbraucher schützen,
Glaubensbekenntnis zu tun?) damit sie beste Qualitäten mit Herkunftsbezeich-
nung und Herstellungsdatum angeboten bekommen,
Unertl (CDU/CSU) : Kollege Ehnes, es tut mir dann wäre es vom Interesse unserer Verbraucher-
leid, daß ich nochmals bitten muß, klarzustellen, schaft her ein großer Rückschritt, wenn künftig die
wer dieser Bremer ist; denn wir haben auch einen Herkunftsbezeichnung und das Herstellungsdatum
Abgeordneten Bremer in der CDU. Das muß des- in dieser Rechtsvorschrift nicht mehr enthalten
halb richtiggestellt werden. wären und umgekehrt durch verschiedene andere
Mischmöglichkeiten ein Weg beschritten würde,
(Abg. Wehner: Sonst ist der gefährdet, ja? nach dem von der deutschen produzierenden Land-
-
— Zuruf von der SPD: Wird er sonst aus- wirtschaft 700 000 t Braugerste nicht mehr abzuset-
geschlossen?) zen wären, die heute für die Bierherstellung Ver-
wendung finden. Dazu darf noch bemerkt werden,
Ehnes (CDU/CSU) : Ich meine den Herrn Bremer, daß wir vom Lande Bayern her — —

der im „Spiegel"-Artikel in Zusammenhang mit


einem Interview abgebildet ist als Chef der Jung- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

demokraten: Heiner Bremer aus Hamburg, mit die- Herr Abgeordneter Ehnes, würden Sie eine Zwi-
ser Abbildung. schenfrage des Herrn Kollegen Fellermaier zulas-
(Abg. Wehner: Steckbrief!) sen? Ihr Satz wird nun allmählich doch zu lang.
Ich glaube, ich darf mich darauf beschränken und Sonst wird. die Frage nicht mehr im Zusammenhang
brauche die Aussage nicht zu wiederholen, nach- gestellt.
dem Sie diese alle kennen, die Aussage, in der er
den Kampf gegen das Eigentum angesagt hat und Ehnes (CDU/CSU): Bitte!
über die auch in Saarbrücken auf dem Parteitag der
SPD öffentlich diskutiert wurde und zu der dort Fellermaier (SPD) : Herr Kollege Ehnes, wür-
Initiativen zu Gesetzentwürfen ergriffen wurden. den Sie sich von Ihrem Kollegen Höcherl gelegent-
(Abg. Wehner: Der gehört eingesperrt?) lich aus den Beratungen im Ministerrat in Brüssel
sagen lassen, daß es sich nicht so einfach darstellt,
Meine Damen und Herren, bei den Punkten 16, wie Sie das hier in Lieschen-Müller-Art dargestellt
17 und 18 unserer Großen Anfrage kommt noch ein haben, indem Sie sagen: Herr Bundesminister Ertl,
Problem, das von einem Teil der Kollegen manch- warum haben Sie eigentlich die Hopfenmarktord-
mal so aufgefaßt wird, als wäre es ein rein bayeri- nung nicht mit der Weinmarktordnung gekoppelt?
sches Problem. Es handelt sich um die Hopfenmarkt- Sie müssen doch wissen, daß darüber eben sechs
ordnung, es handelt sich um das Reinheitsgebot, entscheiden und nicht der Wunsch eines einzelnen
und es handelt sich um die Kennzeichnung und Da- Ministers ausschlaggebend ist.
tierung der Herstellung.
(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der
(Abg. Fellermaier: Das mußte ja jetzt CDU/CSU.)
kommen!)
— Nachdem Sie ein Biertrinker sind, hoffe ich, daß Ehnes (CDU/CSU) : Herr Kollege Fellermaier, ich
ich Ihre Zustimmung habe. würde Ihnen empfehlen, Ihre verehrte Frau Kolle-
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.) gin Strobel zu beeinflussen. Bei Herrn Höcherl habe
ich das nicht nötig, weil er eine ganz klare Aus-
Ich meine den Richtlinienentwurf nach Art. 10, den sage gemacht hat. Ich darf Ihnen sagen: Auch die
die Kommission in Brüssel vorgelegt hat. Vergangenheit zeigt dies. Die verehrte Frau Strobel
Zur Zeit und Stunde ist die Situation die, daß Herr ist hier. Es hat sich oft gezeigt, daß es in Brüssel
Bundesminister Ertl für das Reinheitsgebot einge- etwas besser für die deutsche Landwirtschaft ge-
treten ist. Hier müssen wir von der Opposition aus gangen wäre, wenn die damalige Opposition die
feststellen, daß Sie, Herr Minister, leider die Hop- Forderungen der Regierung in der Marktordnungs-
fenmarktordnung nicht mit der Weinmarktordnung sache besser unterstützt hätte.
oder mit der Agrarfinanzierung gekoppelt haben;
denn da hätten Sie eine weit bessere Voraussetzung (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Feller
gehabt als jetzt im Alleingang. maier: Hören Sie mal! Sich aus der Verant
wortung stehlen, nennt man das!)
(Abg. Wehner: Wir wollen jetzt über den
Petersilienexport reden!) Da haben wir leider diese Liebe und diese Unter-
stützung nicht in dem Ausmaße erfahren, wie es
Genauso wie die Weinmarktordnung zugunsten Ita-
heute der Fall ist.
liens für das Haupterzeugerland Italien verabschie-
det worden ist, erwarten wir von der Bundesregie- Meine Damen und Herren! Zusammenfassend
rung und vom Ministerrat, daß das Reinheitsgebot darf ich feststellen, daß die Antwort der Bundes-
bei Bier und die Hopfenmarktordnung zugunsten regierung auf unsere Große Anfrage zur Agrarpoli-
der deutschen Produzenten und Konsumenten, Ver tik in Inhalt und Stil sehr dürftig war, daß wir mit
4370 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Ehnes
dieser Antwort nicht zufrieden sind. Ich darf weiter Was heißt schon „Schonfrist"? Die Opposition hat
feststellen, daß die Landwirtschaft zur Zeit mit Er- das ganze Jahr hindurch auf Regierung und Bundes-
zeugerpreisen produzieren muß, die teilweise unter minister Ertl einzuschlagen versucht, meistens ohne
dem Stand des Jahres 1961 liegen. Außerdem darf nennenswerte Wirkung.
ich feststellen, daß die in der Antwort enthaltene (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Ach was!)
Aussage nicht den Tatsachen entspricht, sondern daß
die Preissenkung heute 10 % und die Betriebsmittel- Das begann schon nach drei Wochen, als die Regie-
kostensteigerung 5 % beträgt. Ferner muß ich sagen, rung kaum im Amt war.
daß die Landwirtschaft allein auf der Strecke bleibt, Eigentümlich ist an dieser Bemerkung von der
weil sie dieser inflationistischen Tendenz völlig „Schonfrist", daß das Andreas-Hermes-Haus in Bad
kraftlos und wehrlos gegenübersteht und ihr nichts Godesberg zur selben Zeit dieselben Vokabeln be-
entgegenzustellen hat. nutzt hat. In der Tat ist man in einigen Bundeslän-
Abschließend darf ich folgendes sagen. Wenn- die dern in eine Phase eingetreten, die wir alle über-
Bundesregierung nach wie vor handlungsunfähig wunden glaubten. Sicher hängt das mit den dort
bleibt und nicht in der Lage ist, bezüglich der Preis- stattfindenden Wahlen zusammen, aber Sie werden
Kosten-Entwicklung Stabilität in der Bundesrepu- mir zugeben müssen, daß diese Parallelen doch
blik einkehren zu lassen, werden Sie erleben, daß mehr als auffällig sind. Ich frage mich: Warum? Die
die Landwirte im kommenden Frühjahr illiquide Spitze des Andreas-Hermes-Hauses kann keine
sind; denn steigende Zinsen, steigende Löhne, stei- Klage darüber führen, daß die Möglichkeiten der
gende Bedarfsartikelpreise — — sachlichen Auseinandersetzung mit der Bundesregie-
rung begrenzt gewesen sind. Niemals in den letzten
(Abg. Wehner: Und steigende Phrasen!) 20 Jahren hat der Deutsche Bauernverband so oft
— Bei Ihnen, aber nicht bei der Opposition. Dazu Gelegenheit gehabt, im Palais Schaumburg Sorgen
ist uns diese Lage viel zu ernst. Mit dieser Aussage und Anliegen vorzutragen
haben Sie sich selbst einen sehr schlechten Dienst (Abg. Niegel: Das war leider nötig! — wei
erwiesen! tere lebhafte Zurufe von der CDU/CSU)
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: — Herr Niegel, regen Sie sich nicht auf; Sie kommen
Das mußte kommen! — Zuruf des Abg. Dr. nachher aus dem Schreien nicht heraus! Sie werden
Barzel.) sich wundern, was ich zu sagen habe! —, und das
Ich darf der Hoffnung Ausdruck geben, daß uns mit dem Erfolg, daß wir in dem einen Jahr agrar-
die Debatte am heutigen Tage Aufschluß darüber politisch mehr in Gang gesetzt haben, als in vielen
gibt, warum die Bundesregierung nicht echt auf un- früheren Jahren getan wurde.
sere Fragen eingegangen ist. Ich hoffe, daß wir (Beifall bei den Regierungsparteien. —
dann in Sachlichkeit erfahren, wie es in den nächsten Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)
Monaten mit der Landwirtschaft weitergehen soll.
Und das hat noch eine positive Nebenwirkung
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.) gehabt: daß der Herr Bundeskanzler fast zu einem'
versierten Agrarpolitiker geworden ist.
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Schmidt
(Gellersen). In diesem Zusammenhang muß auch die unverzüg-
liche Aufnahme des Bauernverbandes in die Kon-
zertierte Aktion gesehen werden. Nicht zuletzt hat
Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) : Herr Präsident!
erst vor wenigen Tagen ein fünfstündiges Gespräch
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Ant-
worten der Regierung auf die beiden Großen An- (Zurufe von der CDU/CSU: 11 Uhr 11!)
fragen halten wir für völlig ausreichend, zwischen dem Präsidium des Deutschen Bauernver-
(Lachen bei der CDU/CSU) bandes und der Spitze der Regierung und meiner
Partei stattgefunden.
so daß ich mich gar nicht zu den einzelnen Teilen
Herr Präsident He eremann hat gestern auf
zu äußern brauche. Ich möchte deshalb einige mehr
dem Bauerntag eine angemessene und an Fakten
politische Bemerkungen machen.
orientierte Rede gehalten.
Herr Kollege Ehnes, vorweg folgendes: Ich habe
(Zuruf von der CDU/CSU: Warum dann
von Ihnen in der Tat nichts anderes erwartet; dafür
vorher die Verdächtigungen?)
sind Sie uns bekannt. In Ihren Ausführungen war
wenig Wahrheit, aber sehr viel Dichtung! Wir nehmen das mit Befriedigung zur Kenntnis,
wenn auch in der Sache noch erhebliche Meinungs-
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. verschiedenheiten vorhanden sind.
Dr. Barzel: Beweisen!)
(Zuruf von der CDU/CSU: Die hat es
Nach der Sommerpause vernahmen wir von der immer gegeben!)
Opposition, daß die einjährige Schonfrist für die
Aber für uns ist Vilshofen damit korrigiert. Wir
Regierung und für Bundesminister Ertl abgelaufen
sei. wissen nun ganz genau, wo die Scharfmacher sind.
(Zuruf von der CDU/CSU: Wir haben viel (Zurufe von der CDU/CSU. — Zuruf von
Geduld gehabt!) der SPD: Die Feurys!
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4371
Dr. Schmidt (Gellersen)
Doch nun zur Rolle der Opposition im Bereich lich halten und auch billigen. Wir sind sicher, daß
der Agrarpolitik hier im Plenum und in der Öffent- bei einer Fortschreibung das eine oder andere
lichkeit. Anfang dieses Jahres war in der Deutschen geändert werden kann. Wir müssen dann zum Bei-
Bauernzeitung zu lesen, die Opposition mache Krach spiel auch mehr an die Landarbeiter denken.
mit Platzpatronen. Was das Geräusch betrifft, meine Aber statt einer sachlichen Würdigung kamen
Damen und Herren von der Opposition, so hat sich von Ihrer Seite die „wahren Könner" zum Zuge.
bis heute daran nichts geändert. Nur eines hat sich Z. B. hat Ihr Parteifreund Dr. Schneider, der Gene-
geändert: Sie haben die Munition gewechselt. Sie — ralsekretär des Bayerischen Bauernverbandes, das
insbesondere die CSU — haben mit einer Art böse Wort vom Ausrottungsprogramm erfunden und
Tränengas operiert, damit man draußen nicht das damit den Auftakt zu einer Hetzkampagne gegeben,
erkennt, was Sie in den letzten zwanzig Jahren insbesondere in Bayern von der CSU getragen,
versäumt haben
(Beifall bei den Regierungsparteien)
(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Jetzt kommt
die Legende!) - die ihresgleichen sucht und die vor einer Woche in
Hamburg unter der Regie nun sogar eines Nicht-
und damit man auch nicht erkennen kann, was im
bayern einen weiteren Höhepunkt erreicht hat.
letzten Jahr geschehen ist.
(Zuruf von der CDU/CSU: Dann sind die
Sie haben auch das zu vernebeln versucht, was
Bayern gar nicht so schlecht?)
Sie tun würden, wenn Sie an der Regierung wären.
„Ausrottung", „Enteignung", „Sozialisierung der
(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Jetzt kommt
Landwirtschaft", das ist die Munition, meine Damen
die berühmte Legende!)
und Herren von der Opposition, mit der den Bauern
Ich möchte das mit zwei recht aufschlußreichen Bei- und Landwirten suggeriert werden soll, der Regie-
spielen belegen. Das erste Beispiel ist das Förde- rungswechsel in Bonn sei fast mit der russischen
rungsprogramm, von dem hier schon die Rede war. Oktoberrevolution gleichzusetzen.
Sie alle wissen, daß das schon in der Zeit der Großen
(Abg. Dr. Stark [Nürtingen]: „Verbrecher",
Koalition konzipiert worden ist. Alle wesentlichen
„Volksverhetzer"!)
Einzelheiten sind in dem Buch „Die Welt zwischen
Hunger und Überfluß" enthalten, das Sie in jeder Meine Damen und Herren von der Opposition, ich
Buchhandlung — auch hier im Hause — erwerben darf Sie allen Ernstes fragen, ob Sie sich darüber
können. Sie sollten diese Ausgabe schon deshalb im klaren sind, was Sie damit eigentlich anstellen.
nicht scheuen, weil das Honorar Ihrem Parteifreund
(Abg. Wehner: Sehr wahr! — Zurufe von
Hermann Höcherl zufließt.
der CDU/CSU.)
(Zurufe von der CDU/CSU.)
Wenn ich den Vorredner, Herrn Kollegen Ehnes,
Ich will Ihnen das Vergnügen an der' Lektüre nicht richtig verstanden habe, werden Sie, sobald Sie
rauben; um Ihnen aber dennoch das Nachschlagen irgendwann wieder die Verantwortung übernehmen
zu erleichtern, darf ich auf drei Stellen hinweisen. sollten, das ganze Agrarprogramm zerreißen — er
Auf den Seiten 124 bis 126 finden Sie das einzel- hat es eben zerrissen — und unter dem Motto „Die
betriebliche Förderungsprogramm samt Zielschwelle Preise hoch, die Grenzen fest geschlossen" mit klin-
und sogar mit einer Eingangsschwelle; mir persön- gendem Spiel aus der EWG hinausmarschieren
lich ist das sehr sympathisch.
(Beifall bei den Regierungsparteien — Zu
(Zuruf von der CDU/CSU: Ich dachte, das rufe von der CDU/CSU)
sei ein Erbhof!) obwohl —
Auf der Seite 136 wird das soziale Ergänzungspro- (Abg. Dasch: Eine völlig unsachliche Unter
gramm behandelt und auf Seite 138 die Wohnhaus- stellung! — Weitere Zurufe von der CDU/
förderung. Dieses Konzept des Kollegen Höcherl CSU)
hielten Sie, meine Damen und Herren von der Oppo-
sition, — wie auch ich — seinerzeit im Prinzip für — lassen Sie mich doch einmal ausreden; so wie man
genau so vernünftig wie andere auch. in den Wald hineinruft, so schallt es heraus —
Als nun aber diese jetzige Bundesregierung den (Beifall bei den Regierungsparteien)
ersten konkreten Entwurf herausbrachte, waren Sie
obwohl Ihr Kollege Lücker im Agrarbrief Nr. 5 auf
die ersten, die den Grundgedanken des Programms,
Seite 7 gerade das Gegenteil gesagt hat.
entwickelt von Herrn Höcherl, in Bausch und Bogen
verteufelten. Ein zweites Beispiel: Sie haben in den letzten
(Hört! Hört! bei der SPD.) Wochen einen Eventualhaushalt für 1971 gefordert.
Herr Höcherl zog sich zurück, wechselte in eine Das ist Ihr gutes Recht. Sie wollen aus dem Etat für
andere Fakultät über. Dort gewinnt er neue, grö- das nächste Jahr einige Milliarden DM herausstrei-
ßere Maßstäbe und wird daran auch gemessen. chen, natürlich ohne die Personalausgaben, die So
zialausgaben. und die Verteidigungsausgaben anzu-
Natürlich kann man an diesem Förderungspro- greifen. Auf gut deutsch heißt das, daß Sie dann
gramm das eine oder andere kritisieren. Auch meine
den Einzelplan 10 nach bewährtem Muster auf jedes
Freunde und ich glauben, daß man das eine oder Minimum reduzieren wollen,
andere hätte anders machen können. Aber es ist
ein fortschrittlicher Kompromiß, den wir für erträg- (Zuruf von der CDU/CSU)
4372 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Dr. Schmidt (Gellersen)


das in der letzten Finanzplanung des Herrn Strauß Ich bin sicher, daß jeder nüchterne und real Den
festgelegt war. Erinnern Sie sich noch an die pein- kende in Ihren Reihen genauso empfindet wie ich.
liche Situation bei der Verkündung des Agrarpro- (Abg. Unertl: Bei Höcherl und Hundhammer
gramms des Ministers Höcherl, als Herr Strauß eine war es erlaubt!)
halbe Stunde später jeglicher Zusage der Finanzie-
rung des Agrarprogramms eine glatte Abfuhr er- Werden Sie die Geister wieder los, die Sie rufen?
teilte? Bisher war bei Ihrem Schatten-Schatzmini- (Abg. Franke [Osnabrück]: So wie ihr die
ster weder für ein Agrarprogramm noch für einen Geister der Jusos nicht loswerdet!)
sozialen Ergänzungsplan noch für eine ausgewogene
Ist Ihnen nicht klar, Herr Klinker, daß mit diesem
Regionalpolitik Platz. Ich glaube, es ist an der Zeit,
Transparent und dem Aufruf, den Sie zugelassen
die Landwirtschaft davon zu unterrichten, daß ein
haben und der im Fernsehen herausgestellt wor-
Machtwechsel zur CDU/CSU im gegenwärtigen
den ist, eine direkte Beziehung zur „Schwarzen
Augenblick nichts anderes bedeuten würde als ein Fahne" des Jahres 1928, zum „Bombenlegerlied"
vorzeitiges Ende des Aufwertungsausgleichs -und
herstellen: „Ich leg' die Bomb' im Landratsamt,
ein Einfrieren aller agrarreformerischen Arbeiten
im Reichstag Dynamit"?
in altes Polareis.
(Abg. Wehner: Hört! Hört!)
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg.
Barzel: Worauf stützen Sie diese Behaup- Meine Damen und Herren, die Lage der Land-
tung? — Weitere Zurufe von der CDU/ wirtschaft läßt sicher einen Freudenschrei nicht zu.
CSU.) Aber das Jahr 1969/70, das vergangene Wirtschafts-
jahr, hat gegenüber früher keine Verschlechterun-
Man darf gespannt sein, wie dann Herr Klinker gen gebracht. Was sich in den letzten paar Wochen
und sein Bauernverband aussehen würde, der in der am „Preishimmel" ergeben hat,
vergangenen Woche mit der Parole „Bauern lernt
von Al Fatah" auf die Straße gegangen ist. (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Monaten!)

(Abg. Wehner: Hört! Hört!) das wissen wir. Ich begrüße die ausdrückliche Fest-
stellung des Präsidenten des Deutschen Bauernver-
Um nicht mißverstanden zu werden: Niemand wird bandes von gestern, daß die Lage der Landwirtschaft
der Landwirtschaft das Recht nehmen, für ihre Inter- nicht von dieser Regierung allein, sondern auch von
essen einzutreten und, wenn es sein muß, zu demon- allen früheren Regierungen herbeigeführt worden
strieren. Dieses Recht hat auch sie. Aber es ist doch ist.
auffallend und wohl auch bezeichnend, daß die (Hört! Hört! bei der SPD.)
ersten Aktionen dieser Art seit dem Regierungs- Das nehmen Sie bitte auch einmal zur Kenntnis!
wechsel ausgerechnet in Schleswig-Holstein statt-
gefunden haben, wo der Bauernverband früher nie- Meine Damen und Herren, niemand bestreitet und
mals an spektakulären Demonstrationen beteiligt niemand kann bestreiten, daß sich jeder einzelne
war, als die Koalition in Bonn anders aussah. Das Bauer heute Sorgen macht, Sorgen über die Zukunft
kann natürlich an dem ruhigen, wegen seiner Sach- seines Hofes und Sorgen über die Zukunft der nach-
lichkeit von uns hoch geschätzten Kollegen Struve wachsenden Generation in diesem Beruf. Warum das
gelegen haben. Aber jetzt auf einmal geht es los. so ist, habe ich an dieser Stelle schon oft dargelegt.
Einem Mansholt beim Kartenspiel unter Gejohle Der technische Fortschritt erzwingt einen Wandel in
und Gepfeife zuzusehen, das mag noch eine Ge- der Agrarstruktur, der sich durch politische Maßnah-
schmackssache sein. men steuern, nicht aber in seiner Gesamtrichtung
beeinflussen läßt. Das ist in der Bundesrepublik
(Zurufe von der CDU/CSU.)
nicht anders als in den übrigen EWG-Ländern. Nicht
Aber nach dieser Eskalation in Hamburg frage ich nur der einzelne Landwirt, sondern auch seine Orga-
mich und frage ich Sie, Herr Klinker, nisationen müssen sich damit gründlich auseinander-
setzen. Das wird zum Teil auch getan; allerdings ist
(Abg. Fellermaier: Jetzt wird „geklinkert" !
die Reaktion darauf recht unterschiedlich.
— Weitere Zurufe von der SPD)
wie wohl die Saat aufgehen wird, die Sie da säen: In den Niederlanden — jetzt kommt eine Antwort
auch auf eine Bemerkung von Herrn Ehnes — hat
(Abg. Wehner: Sehr wahr!) die Berufsvertretung, die „Landbouwschap", die Re-
„Bauern, lernt von Al Fatah!" gierung und die Parteien vor einigen Wochen drin-
gend aufgefordert, dafür zu sorgen, daß das Tempo
(Abg. Wehner: Hört! Hört!)
der Abwanderung aus der Landwirtschaft verdop-
Als ich das im Fernsehen sah — das können Sie pelt wird. In der Provinz Friesland haben die Bau-
mir glauben —, war ich tief betroffen. ernverbände einen Plan vorgelegt, in dem für die
(Beifall bei der SPD.) Grönlandbetriebe ein Mindestbestand von 40 Kühen
und für die Ackerbaubetriebe eine Nutzfläche von
Ich habe mich als aktiver Landwirt geschämt, weil durchschnittlich 40 ha als Ziel genannt werden. In
der Präsident Klinker ein solches Transparent über- Friesland gibt es heute noch rund 13 000 Grünland
haupt zugelassen hat. betriebe mit durchschnittlich 24 Kühen. Nach Ab-
(Erneuter Beifall bei der SPD. — Abg. schluß des Strukturwandels werden — so die dor-
Wehner: Sehr wahr! — Zurufe von der tigen Bauernverbände — noch etwa 6000 Höfe mit
CDU/CSU.) einem mittleren Bestand von 50 Kühen übrig blei-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4373
Dr. Schmidt (Gellersen)
ben. Die von der friesischen Landwirtschaft - nicht makabre Spiel mit der Gutgläubigkeit der Bauern
etwa von der Regierung; unterscheiden Sie bitte — Gott sei Dank noch nicht überall — hat mit einer
selber angestrebte Zielschwelle, die hier so stark ehrlichen Vertretung des Berufsstandes nichts mehr
kritisiert worden ist, beträgt in Holland 30 000 Gul- zu tun.
den pro Betrieb. Sie werden zugeben, daß sich un- (Beifall bei der SPD.)
sere 24 000 DM mit der Anrechnungsmöglichkeit für
andere landwirtschaftliche Einkommen dagegen Man verzichtet auf jede, aber auch wirklich auf jede
recht bescheiden ausnehmen. quantitative strukturelle Zielvorstellung. Man unter-
schlägt, daß die Entwicklungsfähigkeit in aller Regel
Selbstverständlich erwartet der friesische Bauern- von einer besseren Landausstattung abhängt und
verband, daß die Regierung seinen Mitgliedern bei daß dort, wo aufgestockt werden soll, natürlich auch
der Umstellung hilft. Seine Ansprüche sind nicht ge- abgestockt werden muß. Man behauptet — das hat
rade bescheiden. Sie schließen auch die Forderung Herr Dr. Eisenmann, der Landwirtschaftsminister in
ein,daßschPrmöglitandeKos Bayern, gerade vor einigen Tagen getan —, daß
orientieren sollen. Aber weder in Friesland noch in - jeder Bauer bleiben könne, der Bauer bleiben wolle.
anderen niederländischen Provinzen würde es heute Das ist derselbe Minister Dr. Eisenmann, der durch
ein Bauernführer wagen, der Regierung im Lande die Lande zieht und frank und frei behauptet, die
oder dem Ministerrat in Brüssel oder sonst wem mit Landwirtschaft werde von der Bundesregierung ab-
einem Ultimatum von der Art zu drohen: Entweder gewürgt, aber dessen Glaubwürdigkeit dadurch ge-
werden die Preise sofort um 15 % heraufgesetzt, kennzeichnet ist, daß er in Bonn dem Förderungs-
oder es kommt, wie Herr Klinker sagte — ich darf programm seine Zustimmung gegeben hat, demsel-
ihn doch wohl zitieren —, zu einer Eskalation bis ben Programm, das er im Lande draußen jeden Tag
— so war es auf dem Transparent zu lesen — zu verteufelt.
den Methoden von Al Fatah.
(Abg. Wehner: Hört! Hört! — Widerspruch
bei der CDU/CSU.)
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischenfrage — Wider besseres Wissen. Das sind Tatsachen, die
des Herrn Abgeordneten Dasch? Sie nicht negieren können.
(Abg. Stücklen: Das ist eine ganz falsche
Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) : Bitte sehr! Behauptung! — Weiterer Zuruf von der
CDU/CSU: Das ist die Methode, mit der Sie
seit einem Jahr regieren!)
Dasch (CDU/CSU) : Herr Kollege Dr. Schmidt,
halten Sie eine Ausrichtung der deutschen Agrar- — Wir lesen das doch jeden Tag in den Berichten
politik auf die Größenordnungen, die Sie soeben der Zeitungen.
erwähnt haben, für von dieser Bundesregierung und (Abg. Stücklen: Herr Schmidt, daß ist eine
Ihrer Fraktion erwünscht und möglich? falsche Behauptung!)
— Wider besseres Wissen redet man gerade auch
Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) : Ich habe er- im süddeutschen Raum jeden Tag davon, daß die
klärt: wir stehen zu dem Programm, das Herr Ertl Regierung nicht ernsthaft bemüht sei, eine Anhe-
uns vorgelegt hat. Da sind die Grenzen etwas bung der Erzeugerpreise durchzusetzen. Wenn Sie
niedriger. Das ist unser Maßstab. aber inzwischen gehört haben, was auch mit dem
Ich meine, das Ganze kommt im Grunde genom- Kanzler vereinbart worden ist, müssen Sie zu-
men einer Irreführung gleich, die ihresgleichen sucht. geben, daß eine solche Behauptung frei erfunden
Lassen Sie mich, Herr Klinker, Sie noch einmal an- ist. Man unterstellt, daß es mit preispolitischen
sprechen, einen Mann, der im Europäischen Parla- Maßnahmen möglich sei, den Strukturwandel auf-
ment Sitz und Stimme hat und sicher die realen zuhalten, wobei man selbstverständlich das unter
Möglichkeiten kennt. Im übrigen muß ich ernsthaft der Führung Ihrer Partei geschaffene EWG-System
die Frage stellen: was ist richtig, die Forderung, die ignoriert. Man erklärt schließlich, es gebe Patent-
Herr von Heeremann vor einigen Tagen dem Herrn medizinen in Gestalt von Produktionskontingenten,
Bundeskanzler und dem Präsidium der SPD vorge- mit deren Hilfe alle Marktgesetze auf den Kopf
tragen hat, oder das, was Herr Klinker in Hamburg gestellt werden könnten. So Herr Lücker im „Agrar-
an Forderungen angemeldet hat? Gestern war Herr brief" Nr. 10, Seite 6. Er endet mit einem Appell an
von Heeremann in seinen Ausführungen übrigens die Bundesregierung, seinem Konzept zu folgen,
noch sehr bescheiden und vernünftig und anständig, und mit dem bedeutungsvollen Satz: „Das könnte
als er davon sprach, daß die Bauern „angemessene" — wieder einmal — ins Auge gehen." Ein tolles
Preisanhebungen wünschen. Eingeständnis des Herrn Lücker, was die Beurtei-
lung seiner früheren Regierung hinsichtlich ihrer
Meine Damen und Herren von der Opposition, Tätigkeit in Brüssel anlangt. Mehr braucht man
Kritik muß sein; sie ist das Salz in der demokra- dazu nicht zu sagen.
tischen Suppe. Was aber im tiefsten Süden und im (Abg. Wehner: Sehr wahr! — Abg. Feller
höchsten Norden der Bundesrepublik von der Oppo- maier: Der muß es ja wissen!)
sition und von den durch sie beeinflußten Organisa-
tionen im Augenblick geboten wird, ist nicht nur Wenn das mit den Kontingenten so einfach sein
scharf gewürzt, es ist einfach ungenießbar. Dieses soll, frage ich mich, warum es die europäischen Ver-
4374 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Dr. Schmidt (Gellersen)


bände und auch die EWG-Kommission in Brüssel erbringen, daß Herr Landwirtschaftsminister Dr. Ei-
noch nicht realisiert haben. senmann, der bayerische Staatsminister, das einzel-
betriebliche Förderungsprogramm in allen Punkten
(Abg. Fellermaier: Und der Herr Lücker
gebilligt hat? Ich habe nämlich soeben mit Herrn
mit seiner Fraktion!)
Regierungsdirektor Schuh am Telefon gesprochen.
Wo aber bleiben bei uns in Deutschland und auch Er sagt, das, was Sie behauptet hätten, sei nicht
bei Ihnen die Vorschläge nach der Art der friesi- wahr.
schen Bauernverbände? Wo bleibt eine Strategie
(Zurufe von der CDU/CSU: Hört! Hört!
zur Verteidigung des Marktanteils der deutschen
Gelogen!)
Landwirtschaft durch Erzeugergemeinschaften? Wo
bleibt das Armel-Aufkrempeln als einzig mögliche
Reaktion auf die Herausforderung der modernen Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) : Aus den Pro-
Technik und auf das Zusammenwachsen der Volks- tokollen geht hervor, daß alle Länderminister zuge-
-
wirtschaften in der EWG? Wo bleibt das Positive, stimmt haben. Nun kommen Sie!
das Konstruktive, das Realisierbare, meine Damen (Zurufe von der CDU/CSU.)
und Herren von der Opposition?
Da kann der Regierungsdirektor erklären, was er
(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Mit dem „Wo will.
bleibt das alles" sprechen Sie jetzt sicher (Abg. Stücklen: Welches Protokoll?)
die Regierung an?!)
— Das Protokoll der Sitzung der Ministerkonferenz.
Wann wird vielen von Ihnen eigentlich bewußt, Ich möchte Sie nur bitten, mit dafür zu sorgen, daß
daß Sie mit dem Hochkitzeln von Vorurteilen im die Verhandlungsposition der Bauern beim Bezug
Lande — Herr Ehnes hat das beste Beispiel gege- von Betriebsmitteln und beim Absatz der Produkte
ben —, mit der negativen, nur auf Emotionen aus- nicht schlechter wird, als sie es heute schon ist. Ge-
gerichteten Agitation, mit dem Wecken falscher wiß, am Preisansteig der Betriebsmittel trägt die
Hoffnungen, mit dem Wegschieben aller Verantwor- Landwirtschaft keine Schuld. Aber am Preisverfall
tung auf den Staat und mit dem ganzen konservier- der letzten Wochen bei Eiern, Geflügel, Schweinen
ten Hokuspokus die Landwirtschaft in eine Sack- und wahrscheinlich demnächst auch bei den Rindern
gasse hineintreiben, an deren Ende gar keine trägt die Landwirtschaft doch eine gewisse Mitver-
Agrarpolitik mehr gemacht werden kann, sondern antwortung.
nur noch Konkursverwaltung möglich ist? (Lachen bei der CDU/CSU.)
(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Stark
[Nürtingen] : Das ist doch schrecklich für — Das kann man nicht leugnen. Herr Ehnes, das
Sie! Billige Polemik!) müssen Sie sich sagen lassen. Sie können doch nicht
alles immer auf die Regierung abschieben, obwohl
- Natürlich ist es Ihnen peinlich; das weiß ich. sie dafür gar nicht kann.
Aber es mußte ja einmal gesagt werden.
(Zurufe von der CDU/CSU.)
(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Das liegt unter
Ihrem Niveau!) Wir kennen doch alle die Produktionszyklen, und
wir wissen, daß sie sich in der EWG noch schärfer
Was haben Sie uns in einem Jahr alles zugemutet! auswirken werden als früher.
(Abg. Bewerunge: Unerhört! Sie wissen Aber zurück zu den Betriebsmitteln. In allen mög-
genau, welche Mühe sich die Landwirtschaft lichen Branchen haben Preisbrecher den Markt und
gegeben hat! — Weitere Zurufe von der die Preise wieder normalisiert. Bei den vielfach füh-
CDU/CSU.) renden Positionen in den landwirtschaftlichen Orga-
— Ich weiß genau, was ich sage. nisationen aller Art, die viele Kollegen gerade Ihrer
Fraktion innehaben, frage ich mich, warum es bisher
Wir rechnen nicht damit, daß die Kritik der Land-
noch keinen Preisbrecher z. B. bei Pflanzenschutz-
wirtschaft an der Regierung nachläßt. Aber wir
mitteln und beim Stickstoffdünger gegeben hat, ob-
erwarten im Interesse der Bauern und Landwirte
wohl es an der Zeit ist, daß hier einiges geschieht.
und im Interesse der Menschen im ländlichen Raum,
Oder sollte das die neuangekündigte sehr enge
daß sich die Zielrichtung dieser Kritik entscheidend
Zusammenarbeit von Landwirtschaft und Industrie
ändert. Entwickeln Sie doch Denkmodelle für den nicht zulassen?
Betrieb der Zukunft!
(Abg. Bewerunge: Sie haben doch die
(Zurufe von der CDU/CSU.) Höchstpreisverordnung aufgehoben?)
Zeigen Sie uns doch moderne Formen der Koopera — Ja, Gott sei Dank haben wir sie aufgehoben! —
tion bei der Produktion und bei der Vermarktung!
Und nun hören Sie auf, Lösungsvorschläge, die —
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
wie der Gedanke der Partnerschaft von Voll-, Zu-
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischen- und Nebenerwerbsbetrieben — ja auf ganz bestimm-
frage des Herrn Abgeordneten Niegel? te Voraussetzungen zugeschnitten sind, zu ideologi-
sieren. Hier stimme ich mit Ihrem Kollegen Horst-
Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) : Bitte sehr! meier völlig überein. Kümmern Sie sich doch viel-
leicht auch ein bißchen mehr um den Markt als um
Niegel (CDU/CSU) : Herr Abgeordneter Schmidt, die Höhe der EWG-Preise! Helfen Sie doch aktiv
können Sie den Beweis Ihrer Behauptung von vorhin mit, daß die Regionalpolitik zu einem vollen Erfolg
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4375
Dr. Schmidt (Gellersen)
wird, z. B. durch Vorschläge für die Ansiedlung von tieren versucht. Lassen Sie mich Ihnen erst einmal,
Verarbeitungsbetrieben für die landwirtschaftliche um einiges richtigzustellen, die Entwicklung der
Erzeugung! Kümmern Sie sich auch um diejenigen, mittelfristigen Finanzplanung vortragen. Seitens
die aus der Landwirtschaft ausscheiden müssen und der alten Regierung waren für das Jahr 1970 für
wollen, ein bißchen mehr als bisher, und fordern Sie den inneren Teil 2,506 Milliarden DM vorgesehen.
dann, wenn Sie das tun, die Regierung auf, diese Ini- Die neue Regierung sieht 2,931 Milliarden D'M, also
tiativen zu unterstützen! Das hielte ich für positive, eine Steigerung um 425 Millionen DM vor. Für das
praktische und gute Opposition. Aber machen Sie interessante kommende Jahr 1971 hatten Sie mit
endlich Schluß damit, von diesem Staat, von der der alten Regierung nur eine Steigerung von rund
Bundesrepublik zu verlangen, er solle den Nacht- 20 Millionen DM geplant; wir in der neuen Re-
wächter im Dorfe spielen, und ihm gleichzeitig mit gierung beabsichtigen neuerdings eine Steigerung
Bomben zu drohen, wenn er nicht prompt pariert. von 520 Millionen DM. Ich frage Sie, ob man das
Das ist doch einfach unerhört, und damit muß nicht auch einmal in Ihren Reihen zur Kenntnis
Schluß gemacht werden! - nehmen muß.
(Abg. Wehner: Sehr wahr!) (Abg. Wehner: Sehr wahr! — Zuruf des
So wenig es, meine Damen und Herren, einem Ara- Abg. Bewerunge.)
fat gelingt, den Staat Israel zu liquidieren, so wenig Wenn Sie von dem Stand ausgehen, den die Bun-
werden die grünen Fedajin aus Schleswig-Holstein desregierung vorgefunden hat, dann sind der Land-
diese oder eine andere Regierung dazu bringen kön- wirtschaft 1970 folgende Mittel neu zugeflossen
nen, die Verantwortung für das Schicksal einer — vergessen Sie das 'draußen nicht, darum sage
Gruppe höher zu stellen als die Verantwortung für ich es Ihnen laut und deutlich —: für den Direkt-
die Gesamtheit. einkommensausgleich 920 Millionen DM, Aufwer-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) tungsausgleich über die 'Mehrwertsteuer 780 Mil-
lionen DM, Aufstockung des Agararhaushalts 1970
Da es keine Gerechtigkeitscomputer gibt und da gegenüber der mittelfristigen Finanzplanung von
sich die Landwirtschaft nun einmal in der Minderheit vorher 425 Millionen DM und aus Einsparungen
befindet, muß sie nicht nur die jeweilige Regierung, vor wenigen Wochen — Marktordnung — noch-
sondern auch die Öffentlichkeit überzeugen. Die mals 200 Millionen DM. Das macht zusammen über
Landjugend, meine Damen und Herren von der 2,3 Milliarden DM, die der Landwirtschaft in diesem
Opposition, hat das begriffen, und ich möchte mich Jahre neu zugeflossen sind, und das kann nie-
dafür bei dem Kollegen Horstmeier ausdrücklich mand leugnen.
bedanken. Sein mutiger Beitrag in dem Buch „Die
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu
Union in der Opposition" läßt aufhorchen. Er ver-
ruf des Abg. Bewerunge.)
dient, von allen Agrarpolitikern der Opposition ge-
lesen und — wenn es geht — sogar beherzigt zu Noch eins, Herr Bewerunge — Herr Dasch, Sie
werden. Ich jedenfalls bin in weiten Passagen mit reden ja nachher! —, im Interesse der Landwirt-
ihm in der Beurteilung der Lage und im Ziel völlig schaft — ich unterstreiche das und sage es ganz
einig. deutlich — bitte ich Sie dringend, ganz dringend,
Was soll nun eigentlich, meine Damen und Her- mir nähere Ausführungen zum Aufwertungsaus-
ren von der Opposition, das vor allen Dingen drau- gleich zu ersparen. Es gibt auch Hunde, die nicht
ßen im Lande zu hörende Gerede von der eigentums- schlafen. Das will ich nur dazu sagen. Auch im
feindlichen Politik der derzeitigen Koalition? Sie Haushalt für das kommende Jahr werden natür-
haben immer wieder erklärt, daß Sie Bauern und lich noch Korrekturen vorgenommen. Das gilt erst
Spekulanten nicht in einen Topf zu werfen geden- recht auch in der Finanzplanung für das Jahr 1972.
ken. Im Augenblick geht es für die Landwirtschaft (Zuruf des Abg. Dr. Ritz.)
um die juristisch nicht sehr einfache Frage der Ent-
schädigung einer relativ kleinen Zahl der bäuer- — Natürlich, aber wir stellen weitere Überlegungen
lichen Grundstücksbesitzer in städtebaulichen Ent- an.
wicklungsbereichen. Man hat noch keine für alle be- Ich darf in diesem Zusammenhang auf folgende
friedigende Formulierung, die diese Frage beant- Positionen hinweisen, zuerst auf die am 1. Januar
worten könnte, gefunden, aber an einer solchen For- 1972 einzuführende Krankenversicherung. Sie war
mulierung wird gearbeitet, und die Landwirtschaft vor und auch in der Großen Koalition tabu. Jetzt
kann völlig sicher sein, daß eine für sie vertretbare gehen wir an dieses aktuelle Thema heran. Durch
Lösung gefunden wird. Wir haben in dem Gespräch die Übernahme der Beiträge der Altenteiler im
mit dem Deutschen Bauernverband eine Kommission Rahmen der Krankenversicherung der Landwirte
gebildet, und wir werden sicher zu einer Verständi- entstehen dem Bund zusätzliche Kasten von 322
gung über diese Formulierung kommen. Aber aus Millionen DM für 1972, 355 Millionen DM für das
dieser Detailfrage die Behauptung abzuleiten, man Jahr 1973, 386 Millionen DM für das Jahr 1974 und
wolle den Grund und Boden sozialisieren, ist doch 426 Millionen DM für das Jahr 1975 allein für diese
eine ungeheuerliche Demagogie. eine sozialpolitische Aufgabe.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD. — Zu-
Zweitens. Für das landwirtschaftliche Altersgeld
ruf von der CDU/CSU: Die Jusos!)
sind 639 Millionen DM für 1970 und 675 Millionen
Noch haarsträubender sind die Rechenkunststücke, DM für 1971 veranschlagt. Bis Oktober 1971 muß
mit denen die CDU/CSU den Agraretat zu interpre- eine Neuregelung des Altershilfegesetzes erfolgen.
4376 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Dr. Schmidt (Gellersen)


Sie dürfen versichert sein, daß diese Neuregelung von Erzeugergemeinschaften aus öffentlichen Mit-
keine Verschlechterung, sondern eine Verbesserung teln zu fördern, ihre Mitglieder aber steuerlich
bedeuten wird. schlechterzustellen als die nichtorganisierten Land-
wirte.
Drittens. Für 'die Unfallversicherung waren in der
mittelfristigen Finanzplanung für das laufende Jahr In diesem Bereich, meine Damen und Herren, ver-
180 Millionen DM vorgesehen. Wir haben mit Ihnen misse ich leider auch genügend kräftige Initiativen
gemeinsam 235 Millionen DM daraus gemacht, für des Berufsstandes, der offenbar noch nicht erkannt
1971 sogar 260 Millionen DM. Trotz erheblich ver- hat, wie groß die Chancen sind, die sich mit dem
besserter Leistungen können damit generelle Bei- Marktstrukturgesetz bieten und, wie gefährlich es ist,
tragserhöhungen vermieden werden. daß sich die Bauern in anderen EWG-Ländern den
Wir haben natürlich bei der Entscheidung, ob eine modernen Marktbedingungen rascher und besser als
Anhebung des Altersgeldes oder eine weitere Bei- bei uns anpassen. Wenn das Angebot unserer Land-
tragsbelastung für die wirtschaftenden Landwirte wirtschaft so zersplittert bleibt, wie es heute noch
erfolgen sollte, die Alternative der Beitragsbe- der Fall ist, kann auch die beste Absatzwerbung
lastung für die wirtschaftenden Landwirte gewählt. nicht sehr viel ausrichten. Warum werden, so frage
Für die kommenden Jahre werden wir nach neuen ich mich, die Bauern für diese Möglichkeiten nicht
Verfahren suchen, die der besonderen Lage der mobilisiert? Ich möchte noch einmal den Appell an
Landwirtschaft gerecht werden, Verfahren, die mit die gesamte Landwirtschaft richten, von den Mög-
einem überholten Zunftdenken Schluß machen und lichkeiten dieses Gesetzes Gebrauch zu machen. Die
sich auch nach den agrarsozialen Leistungen un- Misere bei Eiern, Geflügelfleisch und auch bei
serer Nachbarländer richten. Schweinen wäre sicher nicht so einschneidend, wenn
Meine Damen und Herren, Sie haben uns in den wir ein dichtes Netz von Erzeugergemeinschaften
letzten drei Wochen in Ihren Nachrichtendiensten hätten. Was wir heute haben, meine Damen und
unsoziales Verhalten im Ausschuß vorgeworfen. Wir Hern,kadochiGltmenMdr
glauben, daß wir gerade Verantwortung gezeigt Politik beiseite räumen; 'das ist einfach unmöglich.
Solche Initiativen und die staatlichen Hilfen zur
haben, daß wir die sozialen Maßnahmen auf dem
Selbsthilfe sind selbstverständlich kein alleiniger
Lande Schritt für Schritt weiterentwickeln. Über das
vor 15 Jahren entwickelte landwirtschaftliche So- Ersatz für die Preispolitik. Das soll und muß aus-
zialwerk sind wir längst hinaus. Das war einmal bei- drücklich unterstrichen werden.
spielhaft. Aber Sie haben uns — das müssen Sie Ich möchte mich gar nicht hinter der Feststellung
doch zugeben — ein ganzes Jahrzehnt daran ge- verstecken, daß wir in der Preispolitik heute mit
hindert, es zu verwirklichen. Wir waren — das fünf und morgen mit neun Partnern in einem Boot
müssen Sie sich noch einmal sagen lassen — schon sitzen, sondern nur Ihre Aufmerksamkeit auf die
bei der Konzipierung des Landwirtschaftgesetzes Tatsache lenken, daß der Landwirtschaft außerhalb
1955/56 weit voran, als Ihnen das Wort „sozial" der Bundesrepublik bei den dortigen Inflationsraten
noch gar nicht über die Lippen ging. Wir und nicht die Kostenentwicklung noch erheblich mehr zu schaf-
Sie haben darum gekämpft, daß die Sozialpolitik fen macht als unseren Bauern. Nun, das wird aller
auch in die Landwirtschaft Eingang fand. Die Land- Voraussicht nach dazu führen, daß sich im EWG-
wirtschaft kann sicher sein, daß wir Lösungen auch Ministerrat sehr bald jene Mehrheiten finden lassen,
für die Zukunft suchen und finden werden, die den die für Preisänderungsbeschlüsse nun einmal not-
Erfordernissen der Landwirtschaft angemessen sind. wendig sind. Sie dürfen versichert sein, daß die
Ich möchte darauf verzichten, hier auf Einzelheiten deutschen Vertreter, solange sie den Direktiven
einzugehen. Eines ist sicher, die Lösungen, die wir unserer sozial-liberalen Regierung unterstehen, nicht
anstreben, werden fortschrittlich sein. zu jener Gruppe gehören werden, die für Preis-
Noch zu einem anderen Problem. Wir reden seit korrekturen nach unten plädiert. Das hat der Bun-
mehreren Jahren von der steuerlichen Gleichstel- deskanzler in der Regierungserklärung deutlich ge-
lung der Kooperation in der Landwirtschaft. Die macht, und Professor Schiller hat das unterstrichen.
Zusammenschlüsse gehören zu unserer Zeit. Das Aus taktischen Gründen würde ich es aber für un-
gegenwärtige Steuerrecht stellt ein Hindernis gegen verantwortlich halten — auch für den Herrn Mini-
diese moderne Entwicklung dar. Hier haben wir es ster —, mit unseren ins einzelne gehenden Preis-
mit einem außerordentlich schwierigen und kom- vorstellungen für das Wirtschaftsjahr 1971/72 schon
plexen Thema zu tun. Da geht es um die Körper- heute auf den Marktplatz zu gehen. Die Geschichte
schaft-, um die Grunderwerb-, um die Kapitalertrag-, der Entscheidungen über den Getreidepreis dürfte
um die Gewerbesteuer usw. usf. Mit der Entschei- gezeigt haben, in welche Position man sich begibt,
dung von Herrn Strauß vor einigen Jahren, daß es wenn man aller Welt den Aufmarschplan mitteilt,
keine Sonderregelung vor der Steuerreform gibt, bevor die Preisschlacht überhaupt begonnen hat.
war im Finanzministerium alles blockiert. Nicht ein- Auch die Landwirtschaft muß und wird für dieses
mal gedankliche Arbeit wurde für dieses Thema Vorgehen Verständnis haben.
aufgewendet. Erst von dieser Regierung wurde eine
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich nun
Arbeitsgruppe eingesetzt, damit diese Problematik
erörtert werden kann und Maßnahmen vorgeschla- noch eine andere Bemerkung machen. Ich glaube,
gen werden können. Wir sind der Meinung, daß wir werden auch in den kommenden Jahren noch
dieses Problem so rasch wie möglich vom Tisch kom- eine gewisse Durststrecke zu durchlaufen haben,
men sollte; denn e s wäre unsinnig, z. B. den Aufbau nämlich bis zur Herstellung der Wirtschafts- und
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4377
Dr. Schmidt (Gellersen)
Währungsunion. Wir sollten diese Strecke mit guten die Bauern und ihre Organisationen von ihren Kol-
Nerven überstehen. legen aus dem benachbarten Friesland und nicht von
der El Fatah lernen.
(Zustimmung bei der SPD.)
Am letzten Freitag hat Bundeswirtschaftsminister (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Schiller hier im Plenum einen vortrefflichen Beitrag
geleistet und die ernsthaften Bemühungen der Bun- Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen:
desregierung um diese Wirtschafts- und Währungs- Das Wort hat der Herr Abgeordnete Peters.
union noch einmal deutlich unterstrichen. Wenn
dieser höhere Grad an Integration — hoffentlich Peters (Poppenbüll) (FDP) : Herr Präsident! Meine
noch in den 70er Jahren — erreicht ist, ergibt sich sehr verehrten Damen und Herren! Die Koalitions-
auch für die Landwirtschaft eine andere und, wie fraktionen stellten ihre Anfrage zur Agrarpolitik,
ich meine, wesentlich bessere Situation. Meine Da- weil sie der Bundesregierung Gelegenheit geben
men und Herren, wir sollten diese relativ kurze wollten, sachlich zur wirtschaftlichen Lage der
Übergangsphase benutzen, um in unserem Land die Landwirtschaft Stellung zu nehmen. Die CDU/CSU-
strukturellen Probleme zu lösen und den Anpas- Fraktion hat es für richtig gehalten, schon in ihrer
sungsprozeß zu beschleunigen, der sich unabhängig Anfrage mit einer gewissen Polemik zu beginnen.
von der EWG und unabhängig von den Preisen voll- Meine Damen und Herren, übertriebene Polemik
zieht. Trendprognosen sind heute möglich. Der und Unsachlichkeit führt in der Diskussion im
Ernährungsausschuß ist meinem Vorschlag gefolgt, Lande — und das werden Sie ja feststellen — zur
Ende Februar in Berlin eine Anhörung zum Thema Hetze. Wir warnen davor.
„Landwirtschaft 1980" abzuhalten. Dieser Beitrag (Sehr wahr! bei der SPD. — Abg. Dr. Ritz:
wird uns in die Lage versetzen, die Situation der Das hängen Sie sich an Ihren Hut!)
70er Jahre genauer als bisher zu übersehen und
daraus die entsprechenden Maßnahmen für die Was sollen wir davon denken, daß die CDU/CSU-
kommenden Jahre einzuleiten. Fraktion nach eigentumsfeindlichen Äußerungen
einzelner Sozialdemokraten und Freier Demokraten
Wenn zur Erreichung eines bestimmten Produk- fragt, obgleich sie wissen muß, daß der Bundesvor-
tionsvolumens nur eine bestimmte Zahl von Men- stand der FDP die unqualifizierten Äußerungen
schen notwendig ist, ist es in einer wachsenden
eines einzelnen führenden Jungdemokraten einstim-
Wirtschaft auf die Dauer unmöglich, einen überhöh- mig zurückgewiesen hat?
ten Anteil an Erwerbstätigen in diesem Berufs-
zweig zu halten. Dieses einfache volkswirtschaft- (Zuruf von der CDU/CSU: Gestern! — Abg.
liche Gesetz sollten die Bauernverbände und auch Dr. Ritz: Er hat sie immer wiederholt!)
die Opposition begreifen. Sie sollten auch helfen, — Nein, er hat sie auch nicht wiederholt; damit das
die Landwirte darüber aufzuklären, daß nach die- hier ganz klar ist.
sem Gesetz verfahren werden muß. Alles andere ist
unredlich, um nicht zu sagen — Betrug. Wer die (Zuruf von der CDU/CSU: Aus Taktik!)
Selbstausbeutung der Bauern noch fördert, wer sie Sie wissen wie jeder in diesem Hause, daß die
veranlaßt, ihr Vermögen für Investitionen zu riskie- FDP-Fraktion von 1949 bis heute uneingeschränkt
ren, die sich nicht auszahlen können, wer sie sogar für das Eigentum eingetreten ist, auch für Förde-
daran hindert, ihren Kindern eine gute Ausbildung rungsmaßnahmen zur breiten Streuung von neuem
in einem anderen Beruf zu geben, muß sich aller- Eigentum in der Hand aller Bürger. Keine Partei
dings den Vorwurf der bewußten Täuschung gefal- kann für jede Äußerung ihrer jungen Mitglieder
len lassen. Wir werden uns an solchen Manövern aufkommen. Das können auch Sie von der CDU
auf keinen Fall beteiligen. nicht. Sonst müßten wir Ihnen hier einen Katalog
(Beifall bei den Regierungsparteien.) dessen vorlegen, was Mitglieder der Jungen Union
im Gegensatz zu ihrer Partei gesagt haben.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu-
sammenfassen. Bis jetzt ist die Landwirtschaft als (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Zweig der deutschen Wirtschaft noch nicht gefähr- Ich bedauere persönlich, daß Herr Dr. Starke so
det. Das wäre erst dann der Fall, wenn sie ihren schnell den miesen Wahlkampfstil der CSU über-
Markt verlöre. Um das zu verhindern, ist die An- nommen hat. Für meine Partei, meine Damen und
spannung aller Selbsthilfekräfte das Gebot der Herren, begrüße ich seine Aktivität. Sie wird uns
Stunde. Den Anstoß dazu haben wir mit dem neuen in Bayern den gleichen Wahlerfolg bringen wie in
Agrarprogramm, mit der regionalen Strukturpolitik, Hessen, wo ein anderer Überläufer uns behilflich
mit dem Marktstrukturgesetz, mit einer neuen land- war.
wirtschaftlichen Sozialpolitik und mit vielen ande- (Beifall bei den Regierungsparteien. —
ren Initiativen gegeben. Jetzt muß der Berufsstand Abg. Dr. Stark [Nürtingen]: Wir sprechen
damit etwas anfangen. Die Verbände wären völlig uns wieder!)
falsch beraten, wenn sie ihre Mitglieder in den
nationalen Schmollwinkel führten und ihnen weiter Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort zu-
vormachten, daß man sie geringschätze — das hat nächst die Entwicklung der landwirtschaftlichen Er-
man ja immer wieder gehört —, unrecht behandele zeugerpreise und der Kosten des letzten Berichts-
oder gar benachteilige. Noch sind wir optimistisch jahres, also der Zeit vom 1. Juli 1969 bis zum
genug, zu erwarten, daß die realen Gegebenheiten 30. Juni 1970 dargelegt. Herr Ehnes, in diesen Zeit-
auch bei uns mehr als bisher gewürdigt werden und raum fallen nur zwei bis drei Monate, in denen Ihr
4378 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Peters (Poppenbüll)
Minister Bundesminister war. Die Preise stiegen in eine Ferkelabschlachtprämie für Spanferkel mit
diesem Vergleichszeitraum um 3,6 %, die Kosten etwa 20 DM pro 20-kg-Ferkel zahlen, um zu errei-
um 3,3 %. Es wird hier von der Bundesregierung chen, daß wir im Schweinezyklus schneller aus dem
noch dargelegt werden, daß das offizielle Zahlen des Tal herauskommen. Denn auch der Rinderpreis wird
Statistischen Bundesamts sind, und daß Sie mit selbstverständlich von diesem Schweinezyklus mit
Ihren Zahlen schief liegen. nach unten gezogen.
Dazu kommt auf der Einnahmenseite ab Novem- Der Rückblick ergibt, daß Preisminderungen durch
ber 1969 der Währungsausgleich, insbesondere ab die DM-Aufwertung nicht nur voll ausgeglichen
1. Januar 1970 3 % Mehrwertsteuer und 40% des wurden, sondern daß der Ausgleich Einkommens-
Jahresbetrages von dem Flächenausgleich, und nicht, verbesserungen brachte. Dazu kommt noch, daß
wie an einzelnen Stellen, z. B. auch in Schriften des durch die DM-Aufwertung das Unterlaufen der deut-
Bauernverbandes verkündet wurde, in diesem Be- schen Preise vor der Aufwertung unterbunden
richtsjahr der gesamte Währungsausgleich der Flä- wurde. Außerdem wäre die Kostensteigerung .ohne
che nach für ein Jahr. Aufwertung höher gewesen. Ich stelle zusammen-
fassend fest, meine Damen und Herren, daß bis
Die Rechnung für das letzte Berichtsjahr ergab
eindeutig eine Besserstellung der Einkommen um zum Herbst 1970 die Einnahmen plus Währungsaus-
10% im Vergleich zum Vorjahr. gleich nicht niedriger waren als die Einnahmen im
Vorjahr.
Nun, meine Damen und Herren, wir sind so ehr-
Hinsichtlich der zukünftigen Preisentwicklung sagt
lich, auch die Zahlen der weiteren Monate zu nen-
die Antwort der Bundesregierung, daß sich an ihrer
nen. Von Januar bis September 1970 sind die Preise
grundsätzlichen Auffassung zur Agrarpreispolitik
um 1,7 % gefallen, die Kosten um 4,5% gestiegen.
nichts geändert habe. Das bedeutet: Eintreten für
Rechnet man für diesen Zeitraum den Währungs-
Preiserhöhungen bei Produkten ohne Überschüsse,
ausgleich mit hinein, dann ist bei den Einnahmen
eine Besserstellung um 4,5 %, also in gleicher Höhe also bei Futtergetreide und bei Rindern. Der Bundes-
minister hat das gestern in der Versammlung des
wie bei den Kosten, zu verzeichnen. Das ist die
Bauernverbandes noch einmal ausdrücklich bekräf-
Wahrheit, Herr Struve; alles andere sind Märchen.
tigt. Es bedeutet ebenfalls eine Erhöhung des Trink-
Ungünstiger ist der Vergleich der Monate Sep-
milchpreises.
tember und Oktober dieses Jahres mit den gleichen
Monaten des Vorjahres wegen der Preiseinbrüche Voraussetzung für eine aktive Preispolitik ist die
bei Schweinen, Kühen, Kartoffeln, Obst und Eiern. Beseitigung der Überschüsse bei Weizen, Milchpro-
dukten, Schweinen und Zucker. Es ist ein unbestreit-
Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: bares Verdienst dieser Bundesregierung, meine Da-
Herr Abgeordneter Peters, gestatten Sie eine Zwi- men und Herren, zusammen mit der EWG Entschei-
schenfrage des Abgeordneten Struve? dendes getan zu haben, daß diese Überschüsse bis-
her in einem Maße abgebaut worden sind,

Struve (CDU/CSU) : Sie gehen von Durchschnitts- (Abg. Dr. Ritz: Das fing erst im Oktober
werten aus. Gestatten Sie mir folgende Frage: Nach an? Also wissen Sie, Herr Peters, Grimm's
der amtlichen Statistik ergibt sich beim Preisver- Märchen! — Heiterkeit bei der CDU/CSU)
gleich der Erzeuger ein Minus von 7,4% gegenüber wie wir das kaum erwarten konnten. Der Abbau
dem Vorjahr. Wenn Sie das in Beziehung bringen der Überschüsse ist im besonderen ab Herbst 1969
zu den 25 Milliarden DM Einnahmen der Landwirt- geschehen,
schaft, wollen Sie dann bitte ausrechnen, daß allein
dort ein Preisverfall in Höhe von über 1,8 Milliar- (Abg. Dr. Ritz: Und was war 1968?)
den DM entstanden ist? im Vergleich zu dem Vorjahreszeitraum in ver-
stärktem Maße. Das ist unbestritten.
Peters (Poppenbüll) (FDP) : Nein, Herr Struve,
Die starke Ausweitung des Agraretats 1970 um
das gestehe ich in keiner Weise zu, und zwar des-
1,6 Milliarden DM für Marktordnungen gegenüber
halb nicht, weil es falsch ist. Die 7,4 % betreffen
1969 diente ausschließlich dem Zweck des Abbaus
den Monat September.
der Überschüsse und der Marktstützung wegen der
(Abg. Struve: Ja, natürlich!) Aufwertung. Durch den Wegfall solcher Vorhaben
Gegen diese 7,4% müssen Sie zunächst aufrechnen, im Jahre 1971 sind 800 Millionen DM frei geworden.
was an 3 % Mehrwertsteuer und über den Flächen- Diese Summe konnte niemals dem eigentlichen
ausgleich gezahlt wird. Wenn Sie das nehmen, Agraretat zugerechnet werden. Es war eine ein-
haben Sie nur noch 1% Schaden und mehr nicht. malige Maßnahme des Jahres 1970 im Interesse der
deutschen Landwirtschaft.
Jedermann weiß, daß der Schweinezyklus nicht
der Agrarpolitik angelastet werden kann. Wir be- Für die nationale Agrarpolitik stellte sich die
grüßen die Initiative des Deutschen Bauernver- Ausgangslage im Herbst 1969 folgendermaßen dar —
bandes, die Bauern aufzufordern, die Schweine mit ich wiederhole es noch einmal, obgleich es zum Teil
leichterem Schlachtgewicht zu liefern, und wir be- schon gesagt worden ist —. Für 1970 wurde durch
grüßen ebenfalls die von der Bundesregierung er- Kabinettsbeschluß und durch Haushaltsberatung die
griffenen Maßnahmen. Ich bin der Meinung, daß Strauß-Höcherlsche Etatkürzung in der mittelfristi-
man noch etwas Zusätzliches tun sollte, nämlich gen Finanzplanung in Höhe von 520 Millionen DM
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4379
Peters (Poppenbüll)
durchgeführt. Wir müssen es so oft sagen, Herr Dr. Wir begrüßen den Beschluß des Kabinetts, daß
Ritz, damit Sie es endlich einmal begreifen! das Gesetz mit einem Bundeszuschuß von zirka
(Abg. Dr. Ritz: Es wird auch durch das 350 Millionen DM jährlich am 1. Januar 1972 in
ständige Wiederholen nicht wahrer, Herr Kraft treten kann. Ich will die einzelnen Jahres-
Peters! Das ist doch lächerlich!) beträge, die von Herrn Dr. Schmidt genannt worden
sind, nicht noch einmal wiederholen. Für die land-
Im Frühjahr dieses Jahres wurden weitere 200 Mil- wirtschaftlichen Berufsgenossenschaften bedarf es
lionen DM für Agrarstruktur- und Agrarsozialpolitik im nächsten Jahr gesetzlicher Änderungen der finan-
zur Verfügung gestellt, so daß wir im Vergleich zur ziellen Basis. Für 1971 ist sichergestellt, daß trotz
mittelfristigen Finanzplanung der Regierung, in der zwanzigprozentiger Leistungserhöhung keine Bei-
Sie den Bundeskanzler stellten, im Jahre 1970 720 tragserhöhungen erfolgen. Wir haben den im Bun-
Millionen DM mehr zur Verfügung gestellt haben. deshaushalt vorgesehenen Zuschuß von 180 Mil-
Für 1971 wurden für die nationale Agrarpolitik vom lionen DM auf 260 Millionen DM erhöht.
Kabinett im Haushaltsentwurf weitere 110 Millionen
DM vorgesehen. Dazu kommen weitere 60 Millio- - Die Erhöhung der landwirtschaftlichen Alters-
nen DM, die nach Verhandlungen zwischen der Koa- rente muß in der zeitlichen Reihenfolge nach den
lition und der Bundesregierung für die Berufsgenos- vorbezeichneten Maßnahmen rangieren, weil nicht
senschaften bereitgestellt werden. alles auf einmal geschehen kann. Mit einer bedeu-
tenden Erhöhung des Bundeszuschusses auch für
(Abg. Dr. Ritz: Ist das auch nur euer Ver- diesen Komplex wird eine Beitragserhöhung unum-
dienst?) gänglich werden. Geradezu lächerlich erscheint mir
Damit komme ich zur Agrarsozialpolitik der die Kritik an der Beitragserhöhung von 3 DM pro
Koalition, die im besonderen polemischen Angriffen Monat ab 1972 in der Altershilfe
der Opposition ausgesetzt war. Durch eine Novelle (Zuruf von der CDU/CSU: Ohne Leistungs
zum Altershilfegesetz wird die Landabgaberente von verbesserungen! Ihr seid tüchtige Leute!)
275 DM auf 350 DM erhöht und der Kreis der Land-
abgebenden auf den fünffachen Betrag der land- in Anbetracht der Leistungen, die jetzt im agrar-
wirtschaftlichen Pflichtversicherung der Altershilfe sozialen Bereich beschlossen worden sind und die
erhöht, also auf 20 bis 25 ha. Gleichzeitig wird die an eine halbe Milliarde pro Jahr heranreichen, wenn
Nachversicherung von aus der Landwirtschaft Aus- Sie die Beträge für den Rentnerzuschuß — für die
scheidenden in den gesetzlichen Rentenversicherun- Berufsgenossenschaften, für die Landabgaberente
gen ermöglicht und der Nachversicherungsbetrag und für die Nachversicherung zusammenzählen.
zu 70 % vom Bund bezuschußt. Außerdem bedeutet die Gratisversicherung in der
Krankenversorgung für die Rentner eine indirekte
Unzweifelhaft sind die Krankenversicherung und
Erhöhung der Altersrente. Auch das ist gestern
die Erhöhung der landwirtschaftlichen Altersrente
schon vom Minister dargelegt worden. Wir lehnen
die bedeutendsten agrarsozialen Vorhaben. Die
aus diesem Grunde — insbesondere aus Haushalts-
Koalitionsparteien haben sich vordringlich für die
gründen, weil wir nicht alles auf einmal finanzieren
Pflichtversicherung auf berufsständischer Basis und
können — Ihren Antrag auf Erhöhung der landwirt-
für die Gratisversicherung der landwirtschaftlichen
schaftlichen Altersrente zu diesem Zeitpunkt ab.
Altershilfeempfänger entschieden. Die berufstän-
dische Krankenkasse wird gewählt, weil die ein- Der landwirtschaftliche Berufsverband fordert
seitige Öffnung der RVO-Kassen nur für Landwirte mehr, als die Bundesregierung erfüllen kann. Auch
dem Gleichheitsprinzip widerspricht und der volle für die Forderung des Bauernverbandes, für sach-
Rentnerzuschuß des Staates gewährleistet sein muß. liche, klare Forderungen, meine Damen und Herren,
habe ich volles Verständnis, insbesondere weil wir
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
noch einen bedeutenden Abstand zwischen der Land-
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischen- wirtschaft und der übrigen Wirtschaft festzustellen
frage des Herrn Abgeordneten Niegel? haben. Kein Verständnis habe ich allerdings für das
heutige Verhalten der CDU/CSU-Fraktion. Sie wa-
ren 15 Jahre lang, als Sie den Bundeskanzler stell-
Peters (Poppenbüll) (FDP) : Bitte schön! ten, für wesentliche Fakten dieser Agrarpolitik ver-
antwortlich.
Niegel (CDU/CSU) : Herr Kollege Peters, können (Zuruf von der CDU/CSU: Das kennen wir!
Sie mir sagen, warum die Bundesregierung eine
Abg. Ott: Sie waren auch in der Regierung!)
schon vor fünf Wochen gestellte Kleine Anfrage der
CDU/CSU-Fraktion genau zu diesem Thema der — Wir waren nur zeitweise in der Regierung. —
Pflichtkrankenversicherung nicht beantwortet, ob- Ihre Dollpunkte in der Agrarpolitik — hören Sie
wohl die Anfrage gerade diese Einzelheiten klären genau zu, meine Damen und Herren! — waren die
soll? Getreidepreissenkungen, dann der Wortbruch in
der EWG-Anpassung, dann in der Regierungsver-
antwortung Entschließungsanträge auf Preiserhö-
Peters (Poppenbüll) (FDP) : Herr Niegel, ich bin hungen und Etaterhöhungen und darauf die Mel-
nicht für die Bundesregierung verantwortlich. Sie
dung: In Brüssel nichts erreicht und im Haushalt
müssen die Bundesregierung fragen; dazu haben
kein Geld!
Sie gleich Gelegenheit, wenn der Bundesminister
spricht. Ich kann dem nicht vorgreifen. (Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)
4380 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:


- Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt-
Herr Abgeordneter Peters, gestatten Sie eine Zwi- schaft und Forsten: Herr Präsident! Meine Damen
schenfrage des Abgeordneten Ehnes? und Herren! Ich möchte mich zunächst bei dem Kol-
legen Ehnes sehr herzlich für seine Genesungs-
Ehnes (CDU/CSU) : Herr Kollege Peters, stimmen wünsche bedanken. Das hat sehr gut getan. Es hat
Sie der Aussage zu, die Herr Staatssekretär Loge- mir deshalb sehr gut getan — das möchte ich
mann gemacht hat? Er hat erklärt: Auch an der Ihnen hier ganz offen sagen, meine verehrten
Mitverantwortung der FPD für die Agrarpolitik der Kollegen der Opposition —, weil ich zwar eine
kleinen Koalition bis 1966 soll nicht vorbeigegangen sachlich harte Auseinandersetzung sicherlich ver-
werden. Daß diese Agrarpolitik die Zustimmung trage — ich habe sie geführt, und was man selbst
der Bauern fand, beweist der stürmische Beifall, mit tut, muß man anderen zubilligen —, aber ehren-
dem der Bundeskanzler der CDU/FDP-Regierung auf rührige Angriffe nicht vertrage.
den Bauerntag in Düsseldorf bedacht wurde. — So
(Sehr gut! bei der SPD.)
Staatssekretär Logemann. -
Ich habe stets — da können Sie in allen Pro-
Peters (Poppenbüll) (FDP) : Herr Ehnes, selbst- tokollen nachsehen — draußen viel sanfter gespro-
verständlich ist die FDP für die Zeit, in der sie mit chen als hier im Parlament, weil ich draußen eine
in der Regierung war, verantwortlich. Gesamtverantwortung habe, , die die Opposition ge-
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) nauso trägt wie 'die Regierung, wenn die Demokra-
tie und dieser Staat auf die Dauer bestehen sollen.
Aber wir haben damals Verhandlungen geführt. Sie
wissen, daß wir uns in der damaligen Koalition bis (Beifall bei den 'Regierungsparteien. — Zu-
zum letzten gegen die Preisangleichung in der EWG stimmung bei Abgeordneten der CDU/CSU.)
und gegen die Preissenkungen gewehrt haben, Daher schmerzt es einen sehr, wenn man so etwas
(Zurufe von der CDU/CSU: Wir alle!) lesen muß.
(Bundesminister Ertl zeigt ein Plakat.)
daß Sie sie wollten, daß Herr Schmücker sie wollte,
daß er sie noch stärker gemacht hat, als nötig war, Ich nehme an, daß der Kollege Gleissner sich heute
und daß wir nur nachgegeben haben, nachdem der dazu äußert, db er hinter dieser Aktion „Verrät
Bauernverband zugestimmt hat. Das ist die Wahr- Ertl die Bauern?" steht, so wie es in „Monitor" be-
heit. hauptet und wie es mir gesagt worden ist. Das ist
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu- Ehrabschneidung, und ich fordere auf, dazu Stel-
rufe von der CDU/CSU.) lung zu nehmen. Denn einen Verräter lasse ich
mich von niemandem nennen.
Die jetzige Koalition und Regierung sagen nicht
mehr zu, als sie halten können und werden. (Beifall bei den Regierungsparteien.)
(Lachen bei der CDU/CSU.) Dieses Plakat ist auf einer Almbauernversammlung
gemeinsam mit Aufrufen der NPD gegen den Land-
Objektiv festzustellen ist, daß keine frühere Regie-
wirtschaftsminister Ertl verteilt worden.
rung in so kurzer Zeit so viel für die Landwirtschaft
erreicht hat wie die jetzige: (Hört! Hört! bei den Regierungsparteien.)
(Beifall bei den Regierungsparteien — Zu- Ich fordere auf, hierzu Stellung zu nehmen; denn
rufe von der CDU/CSU) so geht es nicht. Ich muß Ihnen sagen, das bricht
mir das Herz.
vollen Aufwertungsausgleich, Verhindeung jeg-
licher Preissenkungen — in dem Fach sind sie, (Abg. Ott: Wer sprach denn in Passau von
meine Damen und Herren von der CDU ja firm —, Verrätern?)
Abbau der Überschüsse und aktive Preispolitik, — Ich habe das auf jeden Fall nie getan. Der
Landabgaberente, Nachversicherung für aus der Kollege Gleissner sitzt heute hier, und ich frage,
Landwirtschaft Ausscheidende, einzelbetriebliches ob das stimmt und ich erwarte, daß er darüber Rech-
Förderungsprogramm, um Fehlinvestitionen zu ver- nung ablegt, ob seine Person hinter dieser Aktion
meiden, Pflichtkrankenversicherung für alle land- steht. Ich begrüße es sehr, daß sich der Bayerische
wirtschaftlichen Familien mit Gratisversicherung für Bauernverband davon distanziert hat, genauso wie
die landwirtschaftlichen Altersrentner und Erhö- ich Herrn Präsidenten Heeremann danke, daß er sich
hung der Unfallrenten ohne Beitragssteigerung. gestern in einer so sachlichen, fairen Weise ver-
(Abg. Bewerunge: Das ist Ihr Kolossalge- halten hat.
mälde für drei Jahre!) Diese Art der Auseinandersetzung nützt keinem
Wir erwarten, daß die Agrarpolitik der Bundes- Mitglied dieses Hauses, sondern sie schadet der
regierung so erfolgreich fortgesetzt wird, wie sie Demokratie und nutzt den Feinden der Demokratie.
im ersten Jahr war. (Beifall bei den 'Regierungsparteien. — Zu
(Beifall bei den Regierungsparteien.) rufe.)
Das muß einmal gesagt werden — denn auch ich
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
- habe ein Recht, irgendwann mein Herz auszuschüt-
Das Wort hat der Bundesminister für Ernährung, ten —, damit wieder Sauberkeit und Stil in dieses
LandwirtschfuFoe,HBndsmitr Haus einziehen. In der „Stimme der Parteien" heißt
Ertl. es „Gleissner verreißt Ertl-Plan". Dann heißt es im
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode - 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4381

Bundesminister Ertl
„Miesbacher Kurier", wortwörtlich zitiert, Ertl folge Das haben Sie von uns auch verlangt. Mit einem so
bereits den Parolen der Jungsozialisten, die eine all- unterschiedlichen Konzept darf man nicht auftreten.
gemeine Sozialisierung des Bodens fordern. Ich Sonst braucht man sich nicht zu wundern, wenn
fordere hier den Beweis; denn das ist eine Ver- Demagogen mit Argumenten der Opposition ihr Ge-
dächtigung, die , des Beweises bedarf, oder die Ent- schäft machen.
schuldigung ist fällig. (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Sehr rich
(Beifall bei den Regierungsparteien.) tig! — Zuruf des Abg. Dr. Ritz.)
So kann man nicht Politik machen, meine Damen — Herr Ritz, ich möchte Ihnen folgendes sagen. Sie
und Herren. Ich hätte mich geschämt, wenn ich je- haben über die Entwicklung der Überschußbestände
mals in der Opposition in irgendeiner Versammlung an Getreide in der Bundesrepublik gesprochen. Ich
irgend so etwas gemacht hätte. nenne jetzt die Zahlen, und zwar in tausend Tonnen:
(Beifall bei den Regierungsparteien.) am 30. September 1969 3300, am 30. September 1970
1400.
Das schmerzt doppelt, wenn man lange Zeit das - (Abg. Dr. Ritz: Das bestreiten wir nicht!)
Gefühl hatte, dieser Kollege war eigentlich sogar
ein Freund. Das tut weh. — Dann dürfen Sie aber nicht sagen, diese Regie-
rung habe nichts getan. Das dürfen Sie dann nicht
(Zuruf von der CDU/CSU.) behaupten, sondern müssen mir wenigstens zugeben,
— Nein, das hat nichts mit Empfindlichkeit zu tun, daß das stimmt und daß es eine Tatsache ist.
sondern das hat etwas zu tun mit Ehrauffassung und Oder nehmen wir die Butter. Als ich mein Amt am
Gerechtigkeitsgefühl und Anstand. 30. September 1969 übernahm, waren es 105 000 t,
(Beifall bei den Regierungsparteien.) jetzt sind es 17 000 t. Das müssen Sie doch zugeben
und dürfen nicht sagen: Das ist alles von selbst
Herr Kollege Ritz, ich habe es so aufgefaßt. Sie gekommen,
müssen verstehen, daß einem das sehr nahegeht.
Ich muß Ihnen sagen: Das kann man nicht in dieser (Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Der liebe
Form ertragen. Gott hat es gemacht!)
(Abg. Dr. Müller-Hermann: Uns geht auch — das hat alles der liebe Gott gemacht. Nein, so
manches nahe!) einfach ist es nicht. Dabei haben wir und, wie ich
zugebe, natürlich auch die Absatzverhältnisse mit-
— Ja, ich habe Sie dabei auch immer verteidigt, Herr geholfen. Ich glaube keineswegs, daß ich ein Wun-
Müller-Hermann. Ich würde es, weil Sie das sagen, dermensch sei oder eine Wunderpolitik vertrete. Im
sehr begrüßen, wenn gerade Sie als Wirtschafts- Gegenteil! Aber eines will ich mir nicht nachsagen
politiker zu den Preisforderungen Stellung nähmen, lassen, nämlich daß ich mich in diesem Jahr nicht
die jetzt erhoben werden. Ich hätte jedenfalls nichts redlich bemüht hätte, die Dinge in den Griff zu
dagegen. Aber dann darf die CSU in Bayern nicht bekommen.
wiederum Wahlaufrufe mit Hinweisen auf die an-
gebliche Inflation, die es, nebenbei gesagt, gar nicht (Abg. Dr. Ritz: Das bestreiten wir doch gar
gibt, bringen. Sie vergißt dabei nämlich, daß die nicht!)
Mark zu dem Zeitpunkt, als diese Regierung antrat, Dabei ist etliches geschehen.
nur noch 56 Pfennige wert war.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Meine sehr verehrten Anwesenden, ich möchte
Das müssen Sie schon sagen. Sie dürfen dann nicht gleich noch auf einige andere Punkte eingehen. Sie
hingehen und erklären, Herr Müller-Hermann, wir haben einen Entschließungsantrag vorgelegt, über
trieben die Preise hoch oder Ertl habe die Preise den wir zu sprechen haben werden. Sie fordern
hochgetrieben, wie es Herr Kollege Luda behauptet darin z. B. die Anhebung des Interventionspreises
hat. Er hat doch nicht einmal die EWG-Preissenkun- für Butter. Ich habe den negativen Korrektivbetrag
gen zugelassen. Sie müssen dann schon mit einer bei der Butter nicht eingeführt; ich habe ihn vor der
Zunge und nach einem Konzept reden Aufwertung beseitigt. Das ist doch das Faktum. Da-
(Abg. Schulte [Unna] : Sehr richtig! Sehr durch wurden die 8,5 % wiederum von 6,90 und
wahr!) nicht von 6,70 DM berechnet. Hier müssen Sie sich
an diejenigen wenden, die den Butterpreis einmal
und dürfen nicht mit zwei verschiedenen Thesen gesenkt haben!
hier bei den Hausfrauen und dort bei den Landwir-
ten auftreten. Genauso erwarte ich, daß die verant- (Zuruf von der SPD: Genau!)
wortlichen Finanzpolitiker der CDU/CSU einmal Hier steht: Der Zuckerrübenpreis sollte auf
sagen, was mit dem 110-Milliarden-Haushalt gesche- 7,25 DM erhöht werden. Einen solchen Antrag haben
hen soll, wo gestrichen werden sollte und wo wir die Freien Demokraten schon einmal gestellt. Ge-
mehr Mittel herbekommen sollen. senkt worden ist er aber doch vor meiner Zeit. Das
(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Fehlanzeige!) müssen Sie doch auch sehen. Wenn Sie mir dabei
helfen können, daß wir wieder zu besseren Verhält-
Das gebieten Lauterkeit und Ehrlichkeit, und so muß nissen kommen, bedanke ich mich für Ihre Hilfe.
man doch das Geschäft betreiben.
(Abg. Dr. Ritz: Wir sitzen nicht im Minister
(Beifall bei den Regierungsparteien.) rat!)
4382 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Bundesminister Ertl
— Dazu möchte ich Ihnen noch etwas sagen, verehr- kann doch nicht auch noch die Verantwortung dafür
ter Herr Kollege Ritz, weil es sicherlich notwendig übernehmen, was die Bauern von den Genossen-
ist. Hier wurden viele Behauptungen über die all- schaften und vom Handel bekommen. Dafür gibt es
gemeine Situation aufgestellt. Ich bin der Meinung, jetzt ein Marktstrukturgesetz. Dann müssen Sie
das Schlimmste, das unserem Volk passieren könnte, Erzeugergemeinschaften bilden, entsprechend ver-
wäre ein Inflation. Wir haben alle Grund, für Sta- handeln und entsprechende Abmachungen treffen.
bilität zu sorgen. Ich bin überzeugt, daß die Land-
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
wirtschaft mit vielen anderen mittelständischen Be-
reichen immer ein großes Opfer der Inflation ist. So einfach können Sie es sich nicht machen. So geht
Aber auch das muß doch hier gesagt werden: im es nicht.
Zeitraum von 1962 bis 1964 wurde eine Preissteige- Zuletzt darf ich Sie noch an folgendes erinnern,
rungsrate von 8,6 % festgestellt. Das ist ein Fak- ob es Ihnen paßt oder nicht. Ich benutze übrigens
tum. Für den Zeitraum von 1965 bis 1967 war es nur Material aus den Unterlagen des Bauernver-
eine Preissteigerungsrate von 8,5 % und für- den bandes, weil dem besser geglaubt wird. Ich habe es
Zeitraum von 1968 bis 1970 eine solche von 8,2%. auf meinem Tisch liegen lassen und lasse es gern
Oder habe ich vielleicht wiederum falsche Zahlen
einsehen.
berichtet? Ich will damit nur einige Probleme an-
schneiden. Ich habe vor mir die Entwicklung der Butterinter-
ventionspreise. Sie haben von 6,35 DM auf 6,50 DM,
Weil hier davon gesprochen wurde, was diese 6,55 DM angezogen. Das ist ein Faktum, das ich ge-
Regierung geleistet hat, darf ich noch einmal fol- genüber den Verbrauchern sogar verantworten muß.
gendes ganz kurz zusammenfassend feststellen. Ich verantworte es. Aber ich lasse dann hier nicht
schwarzmalen, auch nicht von der CDU/CSU. Das
Erstens. Die aufwertungsbedingten Verluste der
lasse ich nicht zu.
Landwirtschaft wurden voll ausgeglichen. Ich bin
gerne bereit, den Beauftragten der Fraktionen das (Beifall bei den Regierungsparteien.)
wissenschaftliche Gutachten über den Ausgleich zu-
zuleiten. Ich glaube, wir werden dann darüber Zum einzelbetrieblichen Förderungsprogramm
brauche ich nichts zu sagen. Ich freue mich sehr, daß
weniger sprechen. Ich habe gestern schon bei einer
Herr Kollege Schmidt darauf eingegangen ist. Ich
anderen Gelegenheit darauf hingewiesen, und Herr
bekenne ganz ehrlich, ich habe hier vieles in Form
Kollege Schmidt hat ebenfalls darauf verwiesen.
einer Kontinuität gemacht. Mein Vorgänger hat vie-
Zweitens. Die strukturellen Überschüsse in der les geleistet; darüber gibt es gar keinen Zweifel. Er
Gemeinschaft wurden durch den Einsatz erheblicher hat sich sogar einmal über mich lustig gemacht, im
Bundesmittel beschleunigt abgebaut. Damit wurde „Bayernkurier" ist es nachzulesen. Aber ich bin ihm
der Preisdruck bei Überschußprodukten entschei- gar nicht böse. Als er nämlich damals sein Pro-
dend gemindert. Ich komme auf meine Zahlen noch gramm vorlegte, habe ich gesagt, wir sähen darin
einmal zurück. Einige Vorredner haben ja schon alte Bekannte und im großen und ganzen begrüßte
manches klargestellt. Ich erspare mir das jetzt. Die ich es. So habe ich in der Opposition gesprochen. Ich
Minderung des Preisdrucks führte z. B. dazu — Herr habe gestern nachgelesen, das ist immer ganz nütz-
Kollege Ehnes, ich wiederhole das —, daß die lich, wie vielem ich damals in der Opposition zuge-
Erzeugererlöse einschließlich Mehrwertsteuer und stimmt habe. Darauf hat er im „Bayernkurier" ge-
Aufwertungsausgleich in den ersten Monaten des schrieben: Recht viel Besseres fällt dem Ertl ja
laufenden Wirtschaftsjahres 1970/71 wie folgt über wohl auch nicht ein, deshalb ist meine Agrarpolitik
dem Vorjahresniveau liegen: bei Weizen um 8 DM so gut. Und heute ist sie plötzlich bei Ihnen so
pro Tonne, bei Roggen um 6 DM und bei Braugerste schlecht geworden. Das verstehe ich nicht; das
um 40 DM. Wenn Sie es noch nicht glauben, Herr müssen Sie mir also deutlich machen.
Ehnes, dann bitte ich Sie, wenigstens einmal nach- (Sehr gut! bei der SPD.)
zulesen, was beispielsweise die Marktberichter-
stelle des Bayerischen Bauernverbandes, dessen Prä- Ich habe — das will ich noch einmal betonen —
sidium Sie angehören und dessen führendes Mit- die Krankenversicherungslösung vorgezogen, weil
glied Sie sind, selbst bekanntgegeben hat: Netto- ich der Meinung bin, daß es dabei um das dringend-
preis für inländische Braugerste: 44,75 DM bis ste soziale Problem geht. Dieses Problem ist zeit-
45,25 DM. Meine Herren, auch das muß hier doch lich noch dringender als die momentane Anhebung
einmal gesagt werden, damit man nicht dauernd der Altershilfe.
Schwarzmalerei betreibt, die möglicherweise partei-
politisch angepaßt ist, die aber den Tatsachen nicht (Beifall bei den Regierungsparteien.)
entspricht. Das heißt nicht, daß die Altershilfe abgeschrieben
(Beifall bei den Regierungsparteien.) ist. Das gleiche gilt für den Zuschuß für die Unfall-
versicherung.
Das muß hier einfach gesagt werden.
Die Einheitswerte bei Hopfen und Spargel, Obst
(Zuruf von der CDU/CSU: Großhandels
und Forsten wurden gesenkt. Die Möglichkeiten der
preise!)
bäuerlichen Veredelungswirtschaft wurden durch
— Das mag sein. Aber Sie sind ja selbst Mitglied in Änderung des § 51 des Bewertungsgesetzes verbes-
den Genossenschaften. Dann müssen sich die Bauern sert. Das Problem der Massentierhaltung ist aufge-
in ihren Führungsgremien selbst durchsetzen. Ich griffen.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4383
Bundesminister Ertl
Ich möchte meinem Kollegen Schiller nicht vor- weit, daß wir Preiserhöhungen diskutieren, und
greifen, aber doch sagen, daß im Rahmen der regio- zwar konkret diskutieren können.
nalen Strukturpolitik 1970 45 000 neue Arbeitsplätze
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
geschaffen wurden. Ich weiß noch, wie groß und
stolz man war — ich muß sagen: damals war das Ich halte das immerhin für eine Veränderung in
ein kühnes Beginnen —, als man die Zahl 20 000 in einem Jahr. Das muß hier einmal gesagt werden.
den Raum stellte. Jetzt sind wir bei 45 000. Sicher-
lich hat die konjunkturelle Lage mitgeholfen. Ich habe mir die CSU-Korrespondenz vom 3. März
1970 zum Marktgleichgewicht sehr gut aufgehoben.
In Richtung auf die Wirtschafts- und Währungs- Meine sehr verehrten Kollegen von der CSU, lesen
union sind erhebliche Fortschritte erzielt worden. Sie einmal nach, welche Vorschläge aus Ihren Rei-
Das darf ich als kleine Einjahresbilanz hier vor- hen zur Herstellung des Marktgleichgewichts be-
legen. Darauf hinzuweisen ist, wie ich meine, mein züglich Preise und ähnliches mehr gemacht worden
gutes Recht. sind. Ich freue mich, daß es nicht so gekommen ist.
DieBundsrgkawohlbenspruc,daß
Bevor ich auf die Diskussionsbeiträge eingehe, sie sich hier aktiv und mit Nachdruck in Brüssel ein-
möchte ich daran erinnern, wie die Agrarpolitik gesetzt hat.
noch vor einem Jahr für die CDU/CSU ausgeschaut
hat, und dazu einige Zitate bringen. Zunächst zwei (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Sätze aus dem Arbeitsprogramm der letzten Bundes- Nun, ich will auf die Beschlüsse, die im Europä-
regierung für die Agararpolitik. Dort heißt es: ischen Parlament gefaßt worden sind, nicht noch
Eine Anhebung der Preise für diese Produkte, einmal hinweisen, will aber einige Bemerkungen
insbesondere Milch und Zucker, ist erst dann machen zu dem Arbeitsprogramm und zur Gestal-
wieder möglich, wenn unter Berücksichtigung tung der Agrarstrukturpolitik. In dem Arbeitspro-
des Außenhandels die Nachfrage auf Grund der gramm zur Agrarpolitik aus dem Jahre 1968 wur-
Einkommens- und Bevölkerungsentwicklung die den zur einzelbetrieblichen Förderung folgende
Höhe des Angebotes überschritten hat. Leitlinien aufgestellt:
Wegen der wachsenden und berechtigten Ein-
— Sie sehen, wie notwendig es war, daß Ertl die
kommensansprüche der Landwirte und der un-
Überschüsse abbauen half. Ich habe das vollzogen,
zureichenden Möglichkeiten der Betriebsauf-
was Sie gefordert haben.
stockung wird ein steigender Anteil der land-
Mithin ist eine Verbesserung der landwirt- wirtschaftlichen Betriebe nur in Verbindung mit
schaftlichen Einkommenslage durch die Preis- einem außerlandwirtschaftlichen Neben- und
politik Haupterwerb eine befriedigende Existenz fin-
den. Die Agrarpolitik muß diesen Tatsachen
— so hieß es im Regierungsprogramm Ihrer Re- durch differenzierte Maßnahmen Rechnung tra-
gierung, meine Herren von der Opposition — gen.
bei diesen Produkten in absehbarer Zeit nicht Ich meine, genau das ist das Ziel meines einzel-
möglich. betrieblichen Förderungsprogramms: dem durch
Das ist anscheinend vergessen worden. differenzierte Maßnahmen Rechnung zu tragen. Und
ich wundere mich, warum Sie hier nicht zustimmen,
Die beschränkten preispolitischen Möglichkeiten warum Sie hier nicht ja sagen. Ich bin allerdings
hat mein Vorgänger durchaus gesehen. Da stimme überzeugt, daß die Dinge nach dem 22. November
ich ihm zu. In der Einbringungsrede zum Grünen und wenn wir erst so weit sind, daß wir die Gemein-
Bericht 1968 hat er im Zusammenhang mit der schaftsaufgaben haben —
Preispolitik ausgeführt, daß „einer Anpassung der
(Sehr richtig! bei der SPD)
Agrarpreise an die allgemeine wirtschaftliche Ent-
wicklung Grenzen gesetzt sind und daß im Inter- denn bis jetzt gehen ja viele Leute durch die Lande
esse des Marktgleichgewichts die notwendige An- und verkünden, was sie alles verteilen, vergessen
passung der Erzeugung an ,den Verbrauch allein dabei aber, daß z. B. 86 % des verteilten Geldes aus
über den Preis nicht möglich ist". dem Bundessäckel kommen und nicht aus dem Lan-
dessäckel, während dann später die Länder mit be-
Soweit die Feststellungen. Ich habe gestern schon
zahlen müssen —, ganz anders ausschauen werden.
die Gelegenheit wahrgenommen, darauf hinzuwei-
sen, wie schwierig es ist, innerhalb der COPA zu Ich darf hier weiter zitieren, damit nichts in Ver-
einer gemeinsamen Basis zu kommen. Um wieviel gessenheit gerät:
schwieriger ist es dann natürlich, die unterschied-
Ab 1973 werden nur noch Betriebsentwicklungs-
liche Interessenlage im Ministerrat zu einer Einheit
pläne von solchen Betrieben begutachtet, die
zu bringen.
zwei Jahre lang vor der Antragstellung Bücher
Aber eines darf ich hier doch feststellen. Als ich geführt haben.
mein Amt übernahm, lagen massive Preissenkungs-
Und nun, Herr Kollege Ehnes und Herr Kollege
vorschläge bei Getreide, bei Butter und bei Zucker
Niegel, passen Sie auf; das ist besonders gut für Sie,
vor. Es wurde aber keine Preissenkung realisiert. Vor
einem Jahr hatte die Landwirtschaft Sorge vor Preis- (Zuruf von der SPD: Ja, richtig! Der Mini-
senkungen. Heute sind wir Gott sei Dank wieder so ster kennt seine Leute, muß ich feststellen!)
4384 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Bundesminister Ertl
damit Sie das besser in Leserbriefen verkünden sagt, wenn es so wäre, wie er es darstellt, würde ich
können: an mir selbst verzweifeln und sicherlich auch die
Die Investitionstätigkeit in Zu- und Neben- Konsequenzen ziehen. Er sagte, ich hätte eine Situa-
erwerbsbetrieben wird dagegen agrarpolitisch tion übernommen, in der es kostendeckende Preise
grundsätzlich nicht mehr gefördert. für die Landwirtschaft gegeben habe, wo noch und
noch gefördert worden sei, wo die Bauern geradezu
So das Arbeitsprogramm der vorigen Regierung, eine Uberfülle von Förderung bekommen hätten. Da
meine Damen und Herren! muß ich fragen, wieso ich bei den Förderungsmaß-
(Hört! Hört! bei der SPD.) nahmen einen Bauchladen übernommen habe. Nur
eben dadurch, daß diese 700 Millionen DM — —
Dann können Sie nicht dauernd durch die Lande
ziehen und solche Verdächtigungen ausstoßen, wie (Zuruf des Abg. Dr. Ritz.)
es hier ein Kollege tut, wenn er möglicherweise so- — Kollege Ritz, auch wenn es Ihnen nicht paßt, es
gar von „Verrat" redet. ist ein Faktum, daß wir die Förderungsmittel und
- damit auch die Überhänge beseitigen konnten, weil
(Beifall bei den Regierungsparteien. - Zu-
wir diese 700 Millionen DM mehr zur Verfügung
ruf von der SPD: Das ist schon mehr als
gestellt haben. Das darf und muß doch einmal ge-
doppelzüngig!)
sagt werden. Man darf dann ,doch nicht dauernd
Das muß ich sagen: Dann wäre die Revolution bei hergehen und sagen, das sei etwas Selbstverständ-
Ihnen schon längst fällig gewesen. Das muß hier liches. Mit dem Bauernverband haben wir nur
einmal — es tut mir furchtbar leid — gesagt wer- 500 Millionen DM abgesprochen. So war das Ab-
den, weil es ja in der Tat so viel an Falschdarstel- kommen vor der Wahl. 700 Millionen DM sind dar-
lungen gibt, die man kaum mehr hinnehmen kann aus geworden. Ich bin aber überzeugt, wenn ich
und zu denen sicherlich einmal eine entsprechende heute 700 Millionen DM gebe, dann heißt es morgen
Richtigstellung notwendig ist. 2 Milliarden DM, und wenn ich 2 Milliarden DM
Es wurde mit Recht darauf hingewiesen — Herr habe, heißt es 4 Milliarden DM. Ich kann machen,
Kollege Struve, ich bin mit Ihnen dieser Mei- was ich will, ich werde es immer falsch machen, weil
nung —, daß wir im September 1970 einen besorg- die Richtung nicht paßt!
niserregenden Abfall der Erzeugerpreise gehabt (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu
haben. Diese Auffassung teile ich mit Ihnen. Aber ruf von der SPD: Genau, der Sack wird
Sie werden mir zugeben, daß das bis jetzt nur im immer größer!)
September festzustellen ist. Wir müssen allerdings Das ist es, und das kann einen fast umbringen, ein
die Entwicklung der Zukunft mit Sorge betrachten. Umstand, der einem weiß Gott sehr an die Nerven
Ich weiß, wie schwierig es zur Zeit mit den Schwei- gehen kann.
nen ist. Ich bin mir dessen bewußt, daß wir hier
einem Zyklustal entgegengehen. Ich habe von mir Ich darf daran erinnern — auch das ist nachzu-
lesen —, die sterilste Agrarpreisperiode, die es je
aus veranlaßt, was zu veranlassen ist, und ich werde
den Markt sehr vorsichtig und sehr aufmerksam gegeben hat, war die Periode von 1957 bis 1961. Da
verfolgen. hat eine einzige Fraktion die absolute Mehrheit
gehabt, meine Herren, Sie von der CDU/CSU. Da
Sie wissen — das möchte ich hier auch einmal gab es keine Milchpreiserhöhung, da gab es nichts.
sagen —: Erstmals sind heuer im September auch in Sie können ,das alles nachlesen. Erst als die Freien
Norddeutschland die Bullen durch die Einfuhr- und Demokraten wieder in die Regierung eintraten, ist
Vorratsstelle herausgenommen worden. In dieser wieder eine Milchpreiserhöhung erfolgt, dann wurde
Woche wird in Süddeutschland interveniert, und ich um den Zuckerrübenpreis gekämpft und anderes
habe mir sagen lassen, daß dadurch mindestens in mehr. Wenn schon, dann wollen wir immer bei der
Augsburg gestern die Preise wieder stabilisiert wor- lauteren Wahrheit bleiben und nicht so tun, als ob
den sind. Allerdings: Wunder wirken von heute auf man selbst alles in Butter gehabt hätte
morgen kann ich nicht.
(Zuruf von der SPD.)
Dafür, daß im nächsten Jahr 2,6 Millionen und nun plötzlich der Versuch gemacht würde, was
Schweine mehr angeliefert werden, trägt der Mini- gut gemacht worden ist, schlechter zu machen. Das
ster sicherlich nicht allein die Verantwortung, son- soll kein Eigenlob sein, meine sehr verehrten An-
dern das ist eine Frage, bei der man sich wirklich wesenden. Die Lage ist ernst, und mir wäre sicher-
überlegen muß, wie man einmal von dieser scheuß- lich manches so lieber, wie es momentan ist, auf dem
lichen Zyklusentwicklung herunterkommt. Dabei strukturellen Sektor, auf dem Preissektor und ande-
gebe ich auch offen zu, daß mir der rasante Produk- res mehr.
tionsanstieg in Belgien und Holland große Sorge
Sie alle kennen mit mir — das haben Sie auch
macht, und ich werde das auch zur gegebenen Zeit
zugegeben — die Schwierigkeiten, die sich nun ein-
bei der nächsten Besprechung des Ministerrats an-
mal zwangsläufig aus der Konstruktion der EWG
bringen. Denn es geht nicht, daß sich ein Partner
und den Verpflichtungen politischer Art, die wir
permanent marktorientiert verhält und die anderen
eingegangen sind, ergeben. Ich habe erst vor kur-
Partner nicht. Aber auch hier bin ich dabei, verschie-
zem meine Rede nachgelesen, die ich als erste hier
dene Probleme zu lösen.
in diesem Hohen Hause im Jahre 1962 gehalten
Es ist schon auf die Beteiligung der Freien Demo- habe. Ich habe damals gesagt: Ist es richtig, ein-
kraten hingewiesen worden. Beim Anhören des seitig Agrarmarktordnungen , aufzubauen und nicht
Referats meines Kollegen Ehnes habe ich mir ge- gleichzeitig mit der Wirtschafts- und Währungs-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4385
Bundesminister Ertl
union zu beginnen? Diese Regierung hat doch seit — Doch, den habe ich sehr wohl gelesen.
Den Haag begonnen, erstmals Fortschritte auf dem (Abg. Dr. Ritz: Unseren Entwurf haben Sie
Wirtschafts- und Währungssektor zu machen. Das mitgestaltet?)
letzte Jahrzehnt war das Jahrzehnt einer isolierten
Politik der Agrarmarktordnungen, und zwar unter — Ich spreche von dem Entwurf der Regierung Kie-
der These: Frankreich das Agrargeschäft, Deutsch- singer. Ich glaube, es war Ihr Bundeskanzler,
land das Industriegeschäft. Man kann über diese der — —
These denken, wie man will, ich habe sie mir nicht (Abg. Stücklen: Der Entwurf ist doch gar
zu eigen gemacht, ich will über sie auch nicht dis- nicht verabschiedet worden!)
kutieren, aber unter dieser These wurde doch das — Wissen Sie, das sind immer so schöne Märchen.
Konzept der Agrarmarktordnungen gemacht und be- Bei Ihnen ist immer nichts verabschiedet worden
schlossen. Jetzt, wo die Regierung hergeht, den und dergleichen mehr. Fest steht auf jeden Fall,
währungs-ditcafpolhenGkg Herr Kollege Stücklen, daß Ihre Minister diesem
zu vollziehen, stellt man die Behauptung auf, man Entwurf zugestimmt haben. Das ist Tatsache.
-
mache keinen Versuch, endlich auch zu einer Ko-
sten- und Wettbewerbsharmonisierung zu kommen. (Abg. Stücklen: Der Entwurf ist nie im
In diesem Herbst ist zum erstenmal beschlossen Kabinett zur Abstimmung gekommen!)
worden, einen Beihilfenkatalog für alle Produkte — Den gibt es doch als Drucksache! Herr Kollege
auszulegen, weil man eine gemeinsame Agrarpolitik Stücklen, behaupten Sie doch nicht Sachen, die nicht
auf die Dauer nur machen kann, wenn die Beihilfen stimmen; ich bitte Sie vielmals! Es gibt doch den
koordiniert werden; das ist eine Selbstverständlich- Entwurf des Städtebauförderungsgesetzes der Regie-
keit. In einem Jahr kann man zwar arbeiten, aber rung Kiesinger als Drucksache!
nicht alles lösen; das muß ich hier auch einmal
sagen. (Abg. Stücklen: Darüber ist gar nicht ab
(Beifall bei den Regierungsparteien.) gestimmt worden!)

Das gilt auch für die Frage ,des Eigentums. Herr — Wissen Sie, was Sie jetzt betreiben, ist beinahe
Kollege Ehnes, ich könnte auch sagen, ich habe die mehr als Dialektik. So schnell kann man sich nicht
Entwürfe gelesen, die zum CDU-Programm einge- aus der Verantwortung herausmogeln; das geht
reicht wurden. Was soll ,das? nicht, verehrter Kollege. Man muß zu den Taten ste-
hen, im Guten wie im Schlechten, und darf nicht
(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen}: Das ist hoch- versuchen, sich permanent herauszumogeln. Das ist
interessant!) kein guter Stil.
Ich könnte darüber etwas sagen. Ich könnte auch
Mit Recht wurde die Frage des Landauffangs und
einige Leute aus München zitieren, Herr Kollege
der Landverwertung sowie der Abfindung der
Ehnes, und zwar dazu, was sie zum bäuerlichen
weichenden Erben angesprochen. In meinem Hause
Eigentum sagen. Auch im Hinblick auf das Städte-
wurden in Übereinstimmung mit den Herren Agrar-
bauförderungsgesetz könnte ich etwas zitieren.
ministern der Länder zwei Arbeitsgruppen gebildet,
Ebenfalls kann ich Namen von Personen dazu nen-
die sich mit Lösungsmöglichkeiten zu den Proble-
nen, und zwar auch aus der CSU, die ganz anderer
men Landauffang und -verwertung, Bodenfonds und
Meinung sind als Herr Gleissner und 'die sagen:
Abfindung weichender Erben befassen. Ich habe
Was interessiert uns schon Herr Gleissner! Dies und
meinen Herren Kollegen zugesagt, daß Sie über das
ähnliches mehr höre ich oft in Diskussionen. Aber
Ergebnis der Untersuchung dieser Arbeitsgruppe
was soll das?
unterrichtet werden.
Ich kann Ihnen nur sagen, was in der Regierungs- Auf Antrag der FDP im Ernährungsausschuß wird
erklärung des Bundeskanzlers auf Grund einer Gro- außerdem heute dem Deutschen Bundestag ein Ent-
ßen Anfrage ausgeführt wurde. Da heißt es, daß es schließungsantrag zur Beschlußfassung vorgelegt,
die breite Streuung des privaten Eigentums zu för- der etwa folgendes vorsieht: Die Bundesregierung
dern und den bäuerlichen Bodenbesitz zu wahren wird aufgefordert, dem Deutschen Bundestag bis
gilt. Dafür möchte ich auch den Beweis vorlegen. zum 31. März 1971 darüber Bericht zu erstatten,
Vergleichen Sie das Städtebauförderungsgesetz, das welche Maßnahmen getroffen werden sollten, um
hier durch meine Mitwirkung, mit dem Städtebau- die Inanspruchnahme von Landabgaberenten, Prä-
förderungsgesetz, das durch Ihre Mitwirkung zu- mien und Nachversicherungszuschüssen auch in den
stande gekommen ist. Dort können Sie einen Ver- Fällen sicherzustellen, wo sich weder ein Käufer
gleich bezüglich der Wahrung des bäuerlichen Bo- noch ein Pächter findet.
denbesitzes anstellen.
(Abg. Dr. Ritz: Das war aber unser Antrag!
(Beifall bei der FDP.) Den hatten wir schon gestellt! Er ist aber
im Ausschuß abgelehnt worden!)
Das will ich Ihnen sehr gern in einer Synopse vor-
legen. Weil ich schon bei dem einzelbetrieblichen Förde-
rungsprogramm bin, noch etwas zur Zielschwelle.
Ja, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich
Auch die Schweiz hat ähnliche Vorstellungen: Offen-
weiß schon — —
legung der Vermögensverhältnisse, dann Möglich-
(Abg. Dr. Ritz: Sie haben unseren Entwurf keit der Betriebsentwicklung. Ähnliche Regelungen
offensichtlich nicht gelesen!) gibt es in Großbritannien und in Frankreich. Dort
4386 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Bundesminister Ertl
werden genaue Größen verlangt und ähnliches Insoweit habe ich immerhin mitgeholfen, den
mehr. Ich wollte das hier nur sagen. Kampffonds für die deutsche Landwirtschaft zu fin
Im übrigen fällt mir in diesem Zusammenhang der zieren. Das freut mich sehr. Ich glaube, daß ich
„Milchwirtschaftliche Informationsdienst" ein. Ich damit auch einen konstruktiven Beitrag zur Aufklä-
habe ihn doch bei mir, weil in ihm auch ganz Inter- rung der Öffentlichkeit geleistet habe. Ich hoffe nur,
essantes zu lesen ist. Herr Kollege Ehnes, ich nehme daß man die Mittel aus dem Fonds dann auch ent-
an, daß Sie diese Zahlen — da Ihr Parteifreund und sprechend verwendet.
mein verehrter Kollege im Bayerischen Landtag, (Abg. Niegel: Mittelfranken!)
Nüssl, Ihr Vorsitzender ist — für richtig halten. Im
September-Bericht werden z. B. folgende Durch- — Es wäre sehr nützlich, wenn Sie zur Aufklärung
schnittsauszahlungspreise für Milch mit 3,7 % Fett- in Mittelfranken etwas beitrügen.
gehalt genannt: August 1968 36,48 DM, August 1969 (Beifall bei den Regierungsparteien.)
37,27 DM und August 1970 36,51 DM. Wenn Sie Herr Kollege Niegel, Sie können sich so große Ver-
dann noch den Flächenausgleich hinzurechnen- — dienste im Hinblick auf eine Versachlichung der
ihn wollen Sie ja immer gern unterschlagen —, Auseinandersetzungen erwerben.
werden Sie feststellen, daß Sie mindestens auf die
Zahl von August 1969 kommen; Sie kommen sogar Herr Kollege Ehnes, Sie haben gefragt — ich
darüber. möchte dieser Frage nicht ausweichen —, wie es mit
den Förderungsmöglichkeiten ausschaut. Die Finan-
Weil der Kollege Kiechle da ist, will ich auch die zierung von Investitionen in Höhe von 1000 DM sah
Zahlen des Milchwirtschaftlichen Vereins für das
bisher folgendermaßen aus: 250 DM Eigenmittel,
Emmentaler Gebiet nennen. Ich weiß, daß man das
150 DM Investitionsbeihilfe, 600 DM zu einem auf
nicht gerne hören will, denn es paßt nicht in die
4 % verbilligten Zins. Ich möchte übrigens betonen,
Schwarzmalerei.
daß ich mit einer Zinsverbilligung um 4% nicht
(Zuruf von der SPD: Es tut aber gut!) unbedingt zufrieden bin. Sie wissen, daß ich den
Die Zahlen lauten: August 1968 37,64 DM, August Versuch gemacht habe, in einem Brief an die Länder-
1969 40,01 DM und August 1970 40,71 DM. Und minister zu erkunden, ob man nicht eine andere
dann kommt noch der Flächenausgleich hinzu. Lösung finden kann. Im Bundesrat haben die Lan-
desfinanzminister eine weitere Ausdehnung der
Meine Damen und Herren, man muß bei der Zinsverbilligungsmarge unisono abgelehnt. Daß muß
Wahrheit bleiben und darf die Wahrheit nicht ver- einmal festgestellt werden, damit nicht immer mit
drehen. Ich bin nicht stolz auf diesen Einkommens- verschiedenen Karten gespielt wird. Wie gesagt,
ausgleich. Er war für mich eine Kompromißformel. wir werden die Gemeinschaftsaufgabe haben, und
Er deckt, glaube ich, die Einkommensverluste der dann werden wir sehen, wie wir gemeinsam mit
Landwirtschaft ab und ist somit ein Beitrag zur den Ländern vorwärtskommen.
Stabilität. Deshalb kann man diesen Einkommens-
ausgleich - ich wiederhole es — niemals als Bei kleinen Investitionen wirkte sich die Gewäh-
Subvention für die Landwirtschaft bezeichnen. Es rung einer Investitionsbeihilfe günstiger auf die
handelt sich hier vielmehr um eine volkswirtschaft- Finanzierung aus als bei hohen und langfristigen
liche Leistung für die Gesamtheit im Interesse der Investitionen. Es muß deshalb festgestellt werden,
Stabilität. daß für niedrigere Investitionen mit kurzen Lauf-
zeiten, insbesondere für Maschinen, Ihre Rechnung,
Daß es gar nicht so schlecht ist, wie viele es dar- Herr Kollege Ehnes, richtig ist. Mit steigender Inve-
stellen, möchte ich hier wie folgt belegen. Ein be- stitionssumme und mit steigender Laufzeit wird
deutender Mann des Deutschen Bauernverbandes jedoch die Finanzierung nach dem neuen Förde-
hat dazu aufgefordert, pro Hektar landwirtschaft- rungsprogramm günstiger als die bisherige Finan-
licher Nutzfläche eine D-Mark für einen Kampffonds zierung über Investitionsbeihilfen und Zinsverbil-
zu erheben, um also die Bevölkerung aufzuklären ligung. Bei den besonders teuren Investitionen sind
und über die Planungen zu unterrichten. Er schreibt durch Gewährung von öffentlichen Darlehen, die im
— ich zitiere jetzt wörtlich —: Vergleich zur Vergangenheit erhöht wurden, Ver-
Wir haben uns reiflich überlegt, ob wir unseren besserungen erzielt worden. Von einer Verschlech-
Mitgliedern diese Sonderleistung zumuten kön- terung kann daher nicht gesprochen werden.
nen. Wir sind aber zu dem Ergebnis gekommen, (Beifall bei der FDP.)
daß unsere Bitte angesichts der weiteren Aus-
einandersetzungen auf nationaler und interna-
tionaler Ebene und des vom Bauernverband
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischen-


durchgesetzten DM-Aufwertungsverlustaus-
frage des Abgeordneten Ehnes?
gleichs in Höhe von rund 70 DM pro Hektar
Getreide und Grünlandfläche, von rund 108 DM
für Hackfrüchte, Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt-
schaft und Forsten: Bitte.
— Obst ist dabei vergessen worden —
den sie im Spätsommer erhalten,
Ehnes (CDU/CSU) : Herr Minister, ich hätte eine
sie haben ihn sogar schon im Frühsommer er-

Frage, damit kein Irrtum entsteht. Der bayerische
halten — Landwirtschaftsminister Dr. Eisenmann gibt mir hier
notwendig und zumutbar ist. schriftlich, daß er im Bundeslandwirtschaftsministe-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4387
Ehnes
rium für eine Kreditverbilligung eingetreten ist, Sie haben mich dazu provoziert, das hier festzu-
die auf 3 % bemessen werden sollte. Stimmt das? stellen.
Ich habe es hier schriftlich. (Beifall bei den Regierungsparteien.)

Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:


-

schaft und Forsten: Darüber wurde in der Agrar- Herr Bundesminister, Sie gestatten eine Zwischen-
ministerkonferenz der Länder gesprochen. Daraufhin frage des Abgeordneten Struve?
habe ich an alle Kollegen einen Brief geschrieben,
und der Erfolg war, daß im Bundesrat die Finanz-
Struve (CDU/CSU) : Herr Minister, könnten wir
minister der Länder es abgelehnt haben. Da muß die Sache nicht klären, wenn ich die Frage stelle:
sich der Herr Kollege Eisenmann an den Kollegen War es bislang nicht so, daß die Höhe der Zinsver-
Pöhner wenden. billigung einzig und allein von der Bundesregierung
beschlossen wurde, statt daß der Bundesrat einge-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen- :
- . schaltet war?
Eine weitere Zusatzfrage. (Abg. Dr. Ritz: Ja, das ist das Problem!)

Ehnes (CDU/CSU) : Darf ich davon ausgehen, daß Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt-
die Aussage, die Herr Eisenmann mir schriftlich ge- schaft und Forsten: Nein. Ich brauche die Zustim-
geben hat, stimmt? mung.
Im übrigen wissen ,Sie doch selbst — Sie waren
Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt- doch lange genug in der Regierung, Herr Kollege
schaft und Forsten: Nicht nur Herr Eisenmann, son- Struve —, daß wir bereits Preissteigerungsraten von
dern auch andere Kollegen haben sich für eine Zins- 4 % hatten — dazu wird der Kollege Schiller noch
verbilligung auf 3 % ausgesprochen. Ich habe gar etwas sagen —, und da haben Sie auch bloß 4 %
nicht behauptet, daß der Herr Eisenmann das nicht Verbilligung gehabt. Ich würde mich von Ihnen gern
gesagt habe. Sie stellen doch eine Frage, die gar belehren lassen. Wenn Sie das früher geschafft hät-
nicht der Sache entspricht. Das ist eine ganz eigen- ten, würde ich das auch gern schaffen.
artige Methode. Ich habe behauptet, daß die Finanz-
minister im Bundesrat es abgelehnt haben. Da muß (Abg. Windelen: Wie war damals der Dis
ich zurückfragen: Ist der Kollege Eisenmann Finanz- kontsatz?)
minister, oder ist er Landwirtschaftsminister? In der — Wir hoffen doch, daß sich der Diskontsatz wieder
Besprechung des Programms waren wir alle der Mei- normalisiert, Herr Windelen.
nung: Wenn sich nicht eine Verbesserung des Dis-
(Abg. Windelen: Von der Hoffnung werden
kontsatzes ermöglichen läßt, sollte man den Ver-
die aber nicht satt, Herr Minister!)
such machen, möglicherweise zu einer größeren Zins-
verbilligungsmarge zu kommen. Das war die Mei- — Das war leider auch früher so. Das war bei der
nung aller Minister. Das war kein Antrag Eisen- Getreidepreissenkung so, und als im Jahr 1966 die
mann, sondern das war die Meinung bei einer Dis- Preissteigerungsrate 4,5% war, war es genauso. Da
kussion in der Agrarministerkonferenz. So ist die konnten sie auch nicht von der Hoffnung satt wer-
klare Antwort, und so sind die Fakten. den. Das muß ich Ihnen hier auch einmal sagen.
Ich stehe zu meiner Aussage, daß die Preispolitik
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
- eine Gretchenfrage ist. Nicht zuletzt habe ich mich
Herr Minister, gestatten Sie noch eine Zwischen- deshalb bemüht, den Markt, wenn es irgendwie
frage des Abgeordneten Ehnes? geht, wieder funktionsfähig zu machen, weil ich
glaube, ,daß die heurigen Verhandlungen min-
destens auf einigen Sektoren mehr Hoffnungen zu-
Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt- lassen als die Verhandlungen noch vor einem Jahr,
schaft und Forsten: Bitte! wo der Markt durch drückende Überschüsse ge-
kennzeichnet war. Das ist das Problem. Insoweit
Ehnes (CDU/CSU) : Herr Minister, ich muß leider kann man dann , die Gretchenfrage positiver beant-
die Frage zum drittenmal stellen. Herr Eisenmann worten. Sie wissen, daß ich immer mit Klarheit ge-
schreibt mir: „Ich habe deshalb im BML immer wie- sagt habe — und dazu stehe ich —: Verbesserung
der aufgefordert, dieser Situation dadurch Rechnung des Rinderorientierungspreises, Verringerung der
zu tragen, daß der Agrarkredit auf 3% verbilligt Spanne zwischen Weichweizen und Futtergetreide-
wird." Ja oder nein möchte ich dazu hören. preis. Und morgen werden wir im Kabinett die
FragedsTinkmlchpbead.
Ich möchte noch einmal betonen, bei der Ein-
Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt-
schaft und Forsten: Natürlich hat er das gesagt. Aber kommensrechnung dürfen Sie weder die 3 % Mehr-
ich muß Ihnen ganz offen sagen, Herr Kollege Ehnes: wertsteueranteil noch die 920 Millionen DM außer
Da muß sich der Kollege Eisenmann beim Herrn acht lassen. Das muß auch gesagt werden.
Finanzminister Pöhner durchsetzen können. Sie ha- Es wurde dann noch sehr ausführlich über die An-
ben damit bestätigt, daß er sich in seinem eigenen passung der Landwirtschaft gesprochen. Das ist ein
Kabinett nicht durchsetzen konnte. Es tut mir leid, Prozeß, der sicherlich nicht leicht ist. Ich betone
4388 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode - 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Bundesminister Ertl
immer wieder, was ich tun kann, wird geschehen, teiligten Gebieten letzten Endes eine Vielzahl von
um diesen Prozeß menschlich und sozial erträglich Betrieben in der gemischten Form von Fremdenver-
zu machen. Das ist ein Komplex, der weit über kehr und Landwirtschaft ihre Dauerexistenz finden
den rein strukturellen Bereich hinausgeht. Ich muß kann und finden muß. Das darf ich doch hinzufügen.
sagen, mein Amtsvorgänger hat hier Hervorragen- Ich stimme dem Kollegen Ehnes zu, daß wir in die-
des geleistet. Es geht darum, in Form von Regional- sen Bereichen gemeinsam Wege finden müssen, sei
programmen, in Form der Infrastruktur die Voraus- es im Schwarzwald, sei es im Bayerischen Wald, sei
setzungen für eine gezielte und konstruktive Struk- es in der Eifel, sei es in den bayerischen Alpen. Auch
turpolitik zu schaffen, wobei die freie Entscheidung dort muß eine funktionsfähige Landwirtschaft erhal-
immer gewährleistet sein muß. ten werden. Das ist in der Tat eine Aufgabe, die weit
über den rein wirtschaftlichen Aspekt hinausgeht
Ich wehre mich gegen folgendes. Wer sagt, daß und tief in den gesellschaftlichen Aspekt eingreift;
in ,diesem Programm die freie Entscheidung nicht denn hier handelt es sich um die Erhaltung der Funk-
gewährleistet sei, der behauptet etwas, was nicht tion der Landschaft als Erholungs- und Freizeitland-
-
stimmt. Vielleicht hat er auch das Programm nicht schaft. Ich würde meinem ganzen Werdegang un-
gelesen. Das wäre dann ein Umstand, der ihm mil- treu, wenn ich das nicht erkennen würde.
dernd zugebilligt werden muß. Aber sowohl die so-
zialen Komponenten als auch der Überbrückungs- Die Hopfenmarktordnung ist von der Kommission
kredit als auch die Differenzierung der Schwellen verbindlich für den Dezember zugesagt worden, und
und meine Zusage, daß in schwierigen Fällen eine zwar deshalb, weil ich gesagt habe: Sonst stimme
neuerliche Überprüfung möglich ist, geben, glaube ich der Hanf und Flachsmarktordnung nicht zu. Im
-

ich, die Möglichkeit zu einem 'Höchstmaß an Flexi- übrigen stand dies schon lange zur Diskussion. Auch
bilität. das ist eine Frage, bei der man nicht alles über den-
selben Leisten schlagen kann. Auf jeden Fall habe
Ich hatte von vornherein die Absicht, nach einem ich gesagt: Es gibt nur dann eine Hanf- und Flachs-
Jahr Bilanz zu ziehen. Ich wiederhole das, was ich marktordnung, wenn es auch eine Hopfenmarkt-
gestern vor dem Bauernverband gesagt habe: Ich ordnung gibt. Wie Sie dem Protokoll des Minister-
bilde mir nicht ein, daß mein Haus Dogmen ver- rats entnehmen können, hat die Kommission eine
kündet, daß damit der Weisheit letzter Schluß ge- solche Zusage für den Dezember gemacht.
funden ist und daß das Patentlösungen sind. Nein,
man muß die Agrarpolitik permanent prüfen und Zum Reinheitsgebot darf ich sagen, daß ich mich
auch permanent neugestalten. Ich werde mich dar- bemühen werde, unsere Interessen mit Nachdruck
um bemühen, und darüber wird sich auch eine zu vertreten; denn ich halte das für ein sehr wichti-
öffentliche Diskussion vollziehen. Wer aber heute ges Anliegen. Hier gibt es keine Differenzen; die
so durch die Lande zieht und Böses verbreitet, dem Schwierigkeiten liegen vielmehr darin, daß andere
muß ich allerdings sagen: Als ich mein Amt antrat, Länder sagen: N u r nach eurem Reinheitsgebot geht
haben seit 1950 60 000 Betriebe ihre Produktion es nicht! Hier werden wir Lösungen finden müssen,
aufgegeben, sind gut 2 Millionen Menschen abge- die auf keinen Fall unsere bewährte Bierherstellung
wandert und hatten keine soziale Alternative. in irgendeiner Form torpedieren.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Damit kein Mißverständnis auftritt, möchte ich
Dazu sollte der Kollege Gleissner hier Stellung neh- darauf hinweisen, daß in der Agrarministerkonfe
men, warum er so lange hier geschwiegen hat. Er renn keine formelle Abstimmung über das Förde-
hätte da schon lange von Verrat reden können, rungsprogramm stattfand. Ich will auch sagen, daß
wenn er dahintergestanden hätte, er oder seine Hin- der Kollege Eisenmann bezüglich der Förderung
termänner. Es stehen sogar Landwirtschaftsbeamte schwere Bedenken gehabt hat. Ich glaube, mit ruhi-
dahinter, Herr Kollege Gleissner. gem Gewissen behaupten zu können, daß die Grund-
konzeption von allen Ministern bejaht wurde, wo-
(Zustimmung des Abg. Saxowski.) bei es allerdings Differenzierungen speziell bezüg-
Ich weiß mehr in der Sache. lich der Förderungsschwelle gab. Ich sage das nicht,
um über irgendwelche Leute zu reden. Ich wünsche
(Zuruf von der CDU/CSU.) mir, daß draußen im Lande mit derselben Redlich-
— Nein, ich habe kein schlechtes Gewissen, sondern keit und Ehrlichkeit argumentiert wird.
ich -bin tief davon betroffen, daß ein Freund in die- Ich darf mich sehr dafür bedanken, daß man wäh-
ser Form polemisiert. rend meiner Erkrankung ein klein wenig Rücksicht
(Zuruf von der CDU/CSU: Er weint gleich!) genommen hat, zumindest von seiten einiger Leute.
Lassen Sie mich zum Schluß noch sagen: ich habe, Herr Kollege Ehnes und meine verehrte Opposi-
glaube ich, gerade durch den Einkommensausgleich, tion, es ist Ihr gutes Recht zu sagen, daß nicht ge-
nicht zuletzt durch die Einbeziehung der Almbauern nügend getan worden sei. Dieses Recht bestreite ich
in den Grünlandausgleich, vielleicht aus der Not eine Ihnen nicht. Auf der anderen Seite ist es auch unser
Tugend gemacht, aber mitgeholfen, daß hier in einer gutes Recht, auf das hinzuweisen, was geschehen
schwierigen Situation Einkommenshilfen zustande ist. Wir werden uns nicht irremachen lassen, sonden
kommen. Der Wohnhausbau soll berücksichtigt wer- alles in unseren Kräften Stehende zu tun versuchen,
den. Das Reineinkommen soll Berücksichtigung fin- um unsere Zusagen im Rahmen der Regierungs-
den, ebenso Einnahmen aus dem Fremdenverkehr, erklärung einzuhalten, damit der Landwirtschaft der
weil wir doch wissen, daß in von Natur aus benach- schwere Anpassungsprozeß sozial erträglich ge-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4389
Bundesminister Ertl
macht wird. Wir werden daran mitzuhelfen versu- Die Bundesregierung hat es nicht bei Ankündi-
chen, daß die Landwirtschaft sich wirklich zu einem gungen bewenden lassen. Sie hat gehandelt. Der Ge-
vollwertigen Partner in unserer Gesellschaft ent- setzentwurf zur Verbesserung der Landabgaben
wickelt. rente wurde so rechtzeitig vorgelegt, daß er bereits
(Beifall bei den Regierungsparteien.) heute verabschiedet werden kann. An dieser Stelle
möchte ich den beteiligten Ausschüssen dieses
Hohen Hauses besonders dafür danken, daß sie
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
diesen Gesetzentwurf noch ausgestaltet und ver-
Wir treten damit in die Mittagspause ein. Nach dem vollkommnet haben.
derzeitigen Stand der Rednerliste werde ich nach
der Mittagspause zunächst Herrn Bundesminister Der Gesetzentwurf zur Einführung einer gesetz-
Arendt und dann dem Abgeordneten Dr. Ritz von lichen Krankenversicherung für Landwirte wird zur
der CDU/CSU das Wort erteilen. Zeit vorbereitet. In diese Vorarbeiten ist auch die
Ich unterbreche die Sitzung bis 15 Uhr. Sachverständigkom zurWetnwick-
- lung der sozialen Krankenversicherung eingeschal-
(Unterbrechung der Sitzung von 13.15 Uhr tet. Ich hoffe, den Entwurf alsbald vorlegen zu
bis 15.00 Uhr.) können.
Die Grundsätze für eine gesetzliche Regelung , der
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
Krankenversicherung der Landwirte hat das Bun-
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet. Das deskabinett bereits (am 22. Oktober beschlossen. Sie
Wort hat der Herr Bundesminister für Arbeit und lauten:
Sozialordnung, Herr Bundesminister Arendt.
1. Die landwirtschaftlichen Unternehmer, ihre Fa-
milienangehörigen und die Altenteiler sind für den
Arendt, Bundesminister für Arbeit und Sozial- Krankheitsflgzcuvrhen.
ordnung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Die fortschrittliche Agrarpolitik 2. Landwirten und Altenteilern, die ausreichend in
— wie die Bundesregierung sie betreibt — hat auch der privaten Krankenversicherung versichert sind,
gewichtige sozial- und gesellschaftspolitische Be- ist die Möglichkeit zu geben, in ihrer Versicherung
standteile. Hierzu möchte ich einige Bemerkungen zu bleiben.
machen. 3. Die Versicherung der Landwirte und ihrer Fa-
Im Sozialbericht 1970 hat die Bundesregierung milienangehörigen ist ausschließlich durch Beiträge
dargelegt, daß der Strukturwandel in der Landwirt- zu finanzieren. Die Mittel für die Versicherung der
schaft besondere Maßnahmen der sozialen Siche- AltenirsodagvmBunfebracht
rung erfordert. In diesem sozialpolitischen Kursbuch werden.
hat die Bundesregierung Verbesserungen bei der
Landabgabenrente angekündigt. Sie sollen es den 4. Der Leistungsumfang soll grundsätzlich dem
Landwirten erleichtern, unrentable Betriebe aufzu- der Sachleistungen , der gesetzlichen Krankenver-
geben und die freiwerdenden Nutzflächen der Ver- sicherung entsprechen. Jedoch wird für 'die durch
besserung der Agrar- und Infrastruktur zuzuführen. längeren Krankenhausaufenthalt ausfallende Ar-
beitskraft des Betriebsinhabers eine Ersatzleistung
Weiter hat die Bundesregierung in ihrem sozial- für notwendig angesehen.
politischen Kursbuch die Einführung einer gesetz-
lichen Krankenversicherung für die Landwirte, für 5. Die Krankenversicherung soll in Selbstverwal-
ihre mithelfenden Familienangehörigen und für die tungskörperschaften durchgeführt werden, die so
Altenteiler angekündigt. Damit soll auch für die in leistungsfähig sein müssen, daß sie auch langfristig
der Landwirtschaft Tätigen eine soziale Sicherung die Risiken der Krankenversicherung der Landwirte
bei Krankheit geschaffen werden. Ein Großteil ist ausgleichen können.
heute völlig unzureichend oder gar nicht versichert. 6. Die soziale Betreuung der Versicherten bei
Die meisten Landwirte sind aber wegen ihrer un- Krankheit, Unfall und Erwerbsunfähigkeit muß
günstigen Einkommensverhältnisse nicht mehr in durch eine enge Zusammenarbeit der Träger der
der Lage, die oft schweren finanziellen Belastungen sozialen Sicherung der Landwirte auch im örtlichen
einer Krankheit allein zu tragen. Eine solidarische Bereich gewährleistet sein.
Krankenversicherung ist daher auch für die Land-
wirte dringend notwendig. Soweit die Grundsätze! Soweit Ihre Kleine An-
frage, meine Damen und Herren von der Opposition,
Zu dieser Auffassung ist übrigens auch ein Ar- vom 22. September dieses Jahres — Drucksache
beitskreis gekommen, der im Auftrage der Bundes- VI/ 1176 — in Frage kommt, muß ich Ihnen sagen, daß
regierung die Möglichkeiten einer gesetzlichen zur Beantwortung eine Reihe von Spezialerhebun-
Krankenversicherung der Landwirte untersucht hat. gen erforderlich sind. Ich hoffe aber, daß Ihnen
Dem Arbeitskreis gehörten Wissenschaftler, Ver-
Ende dieses Monats eine Antwort zugehen kann.
treter des Deutschen Bauernverbandes, der Gewerk-
schaften, der gesetzlichen und privaten Kranken- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt
versicherung sowie der Ärzteschaft an. Dieser Ar- noch etwas zu den Einzelheiten des zur Verabschie-
beitskreis hat sich mit Mehrheit für die Schaffung dung anstehenden Gesetzentwurfs zur Verbesse-
einer eigenständigen Krankenversicherung für die rung und Ergänzung sozialer Maßnahmen in der
Landwirte ausgesprochen. Landwirtschaft sagen.
4390 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode - 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Bei der Landabgaberente sind folgende Verbesse-


Herr Minister, würden Sie - zu dem vorherigen rungen vorgesehen. Der begünstigte Betriebsgrößen-
Komplex, nehme ich an — eine Zwischenfrage des bereich für die Landabgaberente wird mehr als ver-
Abgeordneten Niegel gestatten? doppelt. Er wird auf das Fünffache der Mindesthöhe
der Existenzgrundlage angehoben. Dadurch sind
etwa 75 % aller Haupt- und Zuerwerbslandwirte
Niegel (CDU/CSU) : Herr Bundesminister, wer- begünstigt. Gleichzeitig wird die Landabgaberente
den Sie die Gedankengänge, die uns Anlaß zu der für den Verheirateten von 275 DM auf 350 DM und
Kleinen Anfrage zur Krankenversicherung in der
für den Unverheirateten von 180' DM auf 230 DM
Landwirtschaft gegeben haben, bei Ihrem Gesetz-
monatlich erhöht. Das sind Erhöhungen von rund
entwurf mitberücksichtigen? 27 %.
Bei abgabewilligen Landwirten, die deswegen
Arendt, Bundesminister für Arbeit und Sozial- keine Landabgaberente erhalten können, weil nie-
-
ordnung: Herr Kollege, ich habe Ihnen gerade die mand da ist, der das Land aufnimmt, wird die Erst-
Kabinettsentscheidung vom 22. Oktober in groben aufforstung der Landabgabe gleichgestellt. Dies
Zügen vorgetragen. Diese Punkte dier Kabinetts- kann nur ein erster Schritt zur Lösung des Gesamt-
entscheidung vom 22. Oktober werden sich in den problems sein. Die Bundesregierung wird prüfen,
Grundzügen des vorzulegenden Gesetzes wieder welche weiteren Lösungen möglich sind. Entspre-
finden. chend der vorgelegten Entschließung wird sie dem
Hohen Hause über Lösungsmöglichkeiten berichten.
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
Als völlig neue Maßnahme wird ehemaligen land-
Gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage? wirtschaftlichen Unternehmern, die ihren Hof ab-
gegeben haben und eine rentenversicherungspflich-
Niegel (CDU/CSU) : Werden Sie bei der Aus- tige Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben, die Mög-
arbeitung Ihres Gesetzentwurfs auch davon aus- lichkeit eröffnet, Beiträge zur gesetzlichen Renten-
gehen, daß , die bisherigen freiwilligen Versiche- versicherung nachzuentrichten. Das Recht auf Nach-
rungsmöglichkeiten für die Landwirtschaft in der entrichtung besteht für Zeiten nach dem 31. Dezem-
gesetzlichen Krankenversicherung, sei es Landkran- ber 1955, in denen der Unternehmer selbständig in
kenkasse, sei es Ortskrankenkasse, einen Beitrag der Landwirtschaft tätig war. Unter bestimmten Vor-
von 28 Mark bis etwa 50 Mark vorsehen — im aussetzungen wird das Recht zur Nachentrichtung
Durchschnitt etwa 40 DM pro Betrieb in Oberfran- von Beiträgen auch mitarbeitenden Familienange-
ken und Mittelfranken — während Sie von 70 bis
,
hörigen eingeräumt. Damit soll den Betroffenen die
80 DM bei der Pflichtversicherung sprechen? Möglichkeit gegeben werden, sich in der gesetz-
lichen Rentenversicherung eine ausreichende Alters-
sicherung zu schaffen. Sofern die Abgabe des land-
Arendt, Bundesminister für Arbeit- und Sozial- wirtschaftlichen Unternehmens strukturverbessernd
ordnung: Wir haben noch gar nicht von Beiträgen im Sinne der Regelungen für die Landabgaberente
gesprochen, Herr Kollege. Sie werden — ich sage erfolgt, gewährt der Bund zu den nachzuentrichten-
das noch einmal — die Grundzüge, die 'das Kabinett den Beiträgen einen Zuschuß von 70 %.
am 22. Oktober beschlossen hat und die einen vol- Auch im Bereich der gesetzlichen Unfallversiche-
len Schutz in der Frage der Krankenversicherung rung handelt die Bundesregierung gemäß der be-
für den genannten Personenkreis vorsehen, wieder sonderen Situation der Landwirtschaft. Die rund
finden. 190 000 Unfallrenten aus der landwirtschaftlichen
(Zustimmung bei der SPD.) Unfallversicherung werden vom 1. Januar 1971 an
Meine Damen und Herren! Dieses Agrarsoziale durchschnittlich um 20 % erhöht. Ich habe für die
Ergänzungsgesetz bringt die Sicherstellung der landwirtschaftliche Unfallversicherung eine allge-
Finanzierung der Altershilfe für Landwirte für die meine Zwischenfestsetzung der durchschnittlichen
Jahre 1971 und 1972, es bringt Verbesserungen der Jahresarbeitsverdienste angeordnet, die diese Ren-
Landabgaberente, und es bringt Verbesserungen für tensteigerung bringt. Die Mehraufwendungen von
Maßnahmen zur ausreichenden Alterssicherung aus- rund 55 Millionen DM im Jahre 1971 trägt der Bund.
geschiedener Landwirte, die eine Arbeitnehmer- Außerdem haben wir die Zulagen für die etwa
tätigkeit aufgenommen haben. Ihnen wird die Nach- 18 000 schwerbeschädigten Rentenempfänger der
entrichtung von Beiträgen zur gesetzlichen Renten- landwirtschaftlichen Unfallversicherung für 1971
versicherung ermöglicht. Dazu leistet der Bund gesichert. Wie in den beiden Vorjahren wird der
unter bestimmten Voraussetzungen Zuschüsse. Bund auch im kommenden Jahr Zuschüsse zu den
Beiträgen zur landwirtschaftlichen Unfallversiche-
Zu den einzelnen Regelungen möchte ich folgen-
rung leisten und damit die Weiterzahlung der Zu-
des bemerken. Die Finanzierung der Altershilfe für
lagen gewährleisten. Für diese Zuschüsse wendet
Landwirte ist für die Jahre 1971 und 1972 sicher-
der Bund im kommenden Jahr 15 Millionen DM auf.
gestellt. Die Zuschüsse des Bundes, die in diesem
Jahr 639 Millionen DM betragen, werden für 1971 Meine Damen und Herren, Sie sehen aus dieser
auf 675 Millionen DM erhöht. Eine weitere Erhö- kurzen Darstellung, daß die Bundesregierung ihre
hung auf 680 Millionen DM erfolgt im Jahre 1972. Verpflichtung im agrarsozialen Bereich ernst nimmt.
Die Beiträge werden für 1971 wie für 1970 auf Die Bundesregierung wird auch in Zukunft um grö-
27 DM und für 1972 auf 30 DM monatlich festgesetzt. ßere soziale Sicherung in der Landwirtschaft bemüht
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4391
Bundesminister Arendt
bleiben. Das gilt für die Bleibenden wie für die Aus- Meine Damen und Herren, was macht eigentlich
scheidenden. die derzeitige Situation aus? Was ist es eigentlich,
(Beifall bei den Regierungsparteien.) was die Landwirte draußen im Lande beunruhigt,
und zwar unabhängig davon, ob Redner der Oppo-
sition oder andere ihnen das sagen, einfach deshalb,
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
weil sie es am Portemonnaie und an den Rechnun-
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Ritz. gen merken?
(Abg. Fellermaier: Wo liegen denn die
Ursachen?)
Dr. Ritz (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr — Darauf komme ich noch. Es ist Tatsache, daß die
verehrten Damen und Herren! Zunächst eine Vor- Erzeugerpreise von September 1969 bis September
bemerkung. Die Vorwürfe, die heute vormittag
1970 um 7,4 % gesunken sind.
gegen zwei meiner Fraktionskollegen, nämlich ge-
gen die Kollegen Klinker und Gleissner, erhoben (Abg. Saxowski: Nein!)
worden sind, werden nachher von ihnen selbst zu- — Diese Zahlen stammen aus dem Landwirtschafts-
rückgewiesen werden. ministerium. Sie werden sie doch nicht anzweifeln,
Meine Damen und Herren, wir sind sehr wohl Herr Saxowski! Im gleichen Zeitraum sind die Kosten
bereit, auf den gesundheitlichen Zustand von Herrn um 5,3 % gestiegen. Meine Damen und Herren, was
Minister Ertl Rücksicht zu nehmen. Nur, verehrter heißt das denn nun in der Praxis? Laut Preis-
Herr Minister, Sie können Rücksichtnahme nicht barometer ZMP heißt das in der Praxis einen Rück-
mehr verlangen, wenn Sie selbst Polemik und Halb- gang bei Bullen um 9,80 DM, bei Kühen um
wahrheiten in die Debatte einführen. 11,60 DM, bei Kälbern um 23 DM und bei Schwei-
nen um 41,10 DM. Soll ich diese Liste beliebig fort-
(Beifall bei der CDU/CSU.)
setzen? Das ist doch die Wirklichkeit. Diese Wirk-
Ich muß das einfach am Anfang sagen, um Miß- lichkeit hat nicht nur eine Haltung des Protestes,
verständnissen nachher vorzubeugen. sondern, was schlimmer ist, weithin eine Haltung
der Resignation und der Verzweiflung gerade bei
Meine Damen und Herren, wer die drei ersten
unseren tüchtigen Landwirten ausgelöst.
Reden der Kollegen Dr. Schmidt (Gellersen) und
Peters und des Herrn Ministers zusammenfassen (Abg. Fellermaier: Und Sie stricken eifrig
wollte, der käme zu dem Motto: In diesem Jahr gab mit!)
es die beste Agrarpolitik, die es je gegeben hat. — Das ist die Situation, die heute hier unter das
(Zurufe von der SPD: Sehr wahr! — Motto subsumiert worden ist: Im Grunde geht es
Genau! — Gut zusammengefaßt!) allen gut, nur die böse Opposition will das nicht
glauben.
Wer diesen Eindruck zu erwecken sucht, kann ge-
nauso gut die Behauptung aufstellen: Grimm's (Abg. Wehner: Das sind Ihre Behauptungen!)
Märchen sind eine Dokumentation der Glaubwürdig- Das ist doch die Wirklichkeit, mit der wir es hier zu
keit. Daß muß ich hier einmal mit Nachdruck sagen. tun haben.
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.) Meine Damen und Herren, wir gehen nicht so weit
wie die Sprecher der früheren Opposition, daß wir
Meine Damen und Herren, wir sind weit davon
landauf, landab durch die Lande ziehen und kosten-
entfernt, so zu tun, als hätte es früher keine fehler-
deckende Preise fordern oder etwa wie der heutige
haften Entwicklungen gegeben, als hätte es früher
Bundesminister und damalige Oppositionssprecher
keine Schwierigkeiten gegeben, als wäre früher
Ertl am 15. November 1967 sagen: Wir fordern die
alles gut gewesen. Oh nein, davon sind wir weit
Wiederherstellung des deutschen Getreidepreises
entfernt. Nur, diese Einseitigkeit, mit der hier ver-
für das nächste Wirtschaftsjahr. Nein, so illusionär
sucht wird, so zu tun, als wäre im letzten Jahr alles
sind wir gar nicht. Wir fordern das, was in unserem
gut und alles, was davor war, schrecklich schlimm
Entschließungsantrag steht, und werden es nachher
gewesen, ist schlichtweg unerträglich.
noch begründen. Aber wir wollen doch die Tat-
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: bestände endlich einmal so aufzeichnen, wie sie sich
Wollen Sie leugnen, was bei Ihnen nicht tatsächlich ergeben.
gut war?)
— Verehrter Herr Kollege Wehner, lassen Sie mich Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

folgendes mit aller Deutlichkeit sagen. Sie haben Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischen-
heute morgen hier eine Zwischenbemerkung ge- frage des Herrn Abgeordneten Peters? — Bitte!
macht, die ich noch einmal für das Protokoll fest-
halten will. Als der Herr Kollege Ehnes davon
sprach, was die Hauptgegner der Landwirtschaft
Peters (Poppenbüll) (FDP) : Herr Kollege Ritz,
ist Ihnen noch bekannt, daß Sie damals dasselbe
sind — er meinte Inflation und Radikalismus —,
gefordert haben?
hielten Sie es für richtig, dazwischenzurufen, CDU
und CSU seien die Hauptfeinde der Landwirtschaft.
Dr. Ritz (CDU/CSU) : Herr Kollege Peters, mir
(Pfui-Rufe von der CDU/CSU.) ist nur bekannt, daß ich in keiner Versammlung,
Ich möchte, daß das hier festgehalten wird. in der ich in den letzten zehn Jahren, in denen ich
4392 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Dr. Ritz
mich bemüht habe, agrarpolitisch tätig zu sein, ge mit der wir uns heute, auch Sie, jeden Tag draußen
sprochen habe, den Begriff der kostendeckenden herumschlagen.
Preise gebraucht habe. Ich habe zwar immer gesagt (Beifall bei der CDU/CSU.)
— und dazu stehe ich auch heute noch —: auch
in der Landwirtschaft müssen die Preise an den Was ist zu tun? Das Wichtigste ist natürlich die
Kosten orientiert werden. Aber es ist natürlich Wiedererlangung der wirtschaftlichen Stabilität ins-
eine Illusion, zu glauben, daß wir einen kosten- gesamt. Denn neben den Rentnern, den Sparern und
deckenden Preis unabhängig von der differenzierten den Kinderreichen wird niemand von der inflatio-
Lage der Betriebe in dieser Form verwirklichen nären Entwicklung so hart betroffen wie gerade die
können. Wir fordern aus diesem Grunde die Revi- Bauern.
sion der Agrarpreise, wie es in unserem Entschlie- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
ßungsantrag steht. Darum ist die Hauptforderung zur Erlangung eines
Nun kann man heute, auch im Kommentar-Echo vernünftigen Kostengefüges die Wiederherstellung
-
auf die gestrige Kundgebung des Bauernverbandes, der Stabilität.
feststellen, daß gesagt wird: Im Grunde ist das ja Aber wir sollten uns auch überlegen — das sollte
sehr berechtigt — wenn nicht das Problem des auch diese Regierung tun —, wo wir konkrete An-
Marktgleichgewichts wäre. Diese Auffassung teilen sätze finden, um einen Beitrag zur Stabilität zu lei-
wir durchaus. Natürlich sind wirklich progressive sten. So frage ich mich, ob es nicht an der Zeit ist,
Fortschritte auf preispolitischem Gebiet erst mög- daß die Bundesregierung einmal bei den Länder-
lich, wenn ein vernünftiges Marktgleichgewicht be- regierungen darauf hinwirkt, überaltete Bauverord-
steht. nungen dahingehend zu ändern, daß im landwirt-
(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Na also!) schaftlichen Bereich rationelles Bauen möglich ist.
Ich denke auch daran — um ein zweites Beispiel zu
Nur, Herr Kollege Schmidt (Gellersen), frage ich
nennen —, daß der Herr Bundeswirtschaftsminister
mich, ob wir wirklich gut beraten waren, als wir
die Freigabe der Preisbindung beim Stickstoffdünger
der endgültigen Agrarfinanzregelung in Brüssel mit
als einen großen Beitrag zur Stabilität gefeiert hat,
einer Lastquote von für uns steigend bis knapp 38 %
zustimmten, ohne einmal die Frage zu klären, was (Abg. Bewerunge: Fehlleistung!)
die Länder tun, die im Grunde diese Überschüsse statt die Höchstpreisverordnung entsprechend posi-
produzieren. Denn das ist doch das Problem. Wir tiv zu nutzen. Das Ergebnis dieses Beitrages zur
schlagen uns Jahr für Jahr mit Überschüssen herum, Stabilität war ein Anstieg der Preise um rund 10%.
die gar nicht von uns produziert werden, während Ich glaube, hier bestand wirklich eine Chance, von
man es in anderen Ländern nicht nur duldet, daß uns aus als Staat einen Beitrag zur Stabilität zu
mehr produziert wird, sondern sogar noch Anreize leisten.
dafür schafft. Ich glaube, hier war eine Chance, bei
der endgültigen Verabschiedung der Agrarfinanz- Bundesminister Ertl hat heute und auch gestern
regelung hier auch einmal eine gemeinsame Verant- außerhalb dieses Hauses versucht, den angeblichen
wortung herzustellen, Glanz seiner Leistungen noch dadurch aufzupolieren,
daß er von der schwierigen Erblast gesprochen hat,
(Beifall bei der CDU/CSU) die er übernehmen mußte.
zu der wir uns im Grundsatz nach wie vor bekennen. (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Das tut doch
(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Sie haben jeder! — Abg. Dr. Müller-Hermann: Eine
doch diese Argumente vorher gar nicht vor- alte Leier!)
gebracht, sondern zugestimmt, Herr Kollege Mir scheint es einfach notwendig zu sein, auf die
Ritz!) Punkte, die hier und gestern eine Rolle gespielt
— Diese Finanzregelung ist nicht unter unserer haben, einzugehen. Da wird gesagt: Der Agrarmarkt
Regierung, sondern unter Ihrer Regierung erfolgt, war durch Überschüsse bei Getreide, Butter und
verehrter Herr Kollege. Zucker gekennzeichnet; neben der überdurchschnitt-
Ein Wort zu den Kosten. Wie wirken sich diese lich großen eigenen Ernte war Spekulationsgetreide
aus Frankreich in großen Mengen hereingeflossen.
Kosten in der Praxis aus? 5,3 % hören sich relativ
harmlos an. Ich will die Auswirkung an einem Bei- Das sei zunächst unbestritten. Nur, Herr Minister,
spiel demonstrieren. Mein Kollege Bewerunge hat wer das sagt, der muß auch sagen, daß zur Stabili-
mir gerade einen Brief gegeben, in dem ihm ein sierung der Märkte und zum Abbau der Überschüsse
Landwirt mitteilt, daß er sich im Einvernehmen mit seit 1968 unter Ihrem Amtsvorgänger diese Maß-
allen landwirtschaftlichen Dienststellen dazu ent- nahmen angelaufen waren und daß es dieselben
schlossen habe, eine Aussiedlung vorzunehmen. Ich tüchtigen Beamten gewesen sind, die diese Politik
kann es mir ersparen, den Ort zu nennen; ich werde unter Ihnen konsequent fortgesetzt haben. Das ist
den Brief dem Herrn Minister übergeben. Die doch die ganze Wirklichkeit. Man sollte hier nicht
Kostenanschläge beliefen sich im Vorjahr auf immer mit Halbheiten und Halbwahrheiten operie-
360 000 DM. Die Finanzierung war gesichert. Man ren.
hat mit dem Bau begonnen. In diesem Jahr, wo der (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr.
Rohbau fast abgeschlossen ist, zeigt sich, daß eine Schmidt [Gellersen] : Das gilt auch für Sie!)
Finanzlücke von 80 000 DM besteht, und der Bauer — Natürlich! — Lassen Sie mich dazu noch etwas
fragt sich, wie er diese Lücke decken soll. So sieht sagen. Sie preisen derzeitig die Tatsache, daß nun
das in der Praxis aus. Das ist doch die Wirklichkeit, — Gott sei Lob und Dank — die Überschüsse redu-
Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4393
Dr. Ritz
ziert, ja abgebaut sind. Gleichzeitig lesen wir dann weise tun —, für 1971 in den wesentlichen Positio-
aber in der Antwort auf die Große Anfrage, was da nen genau die Ansätze von 1969 wiederherstellen.
alles im nächsten Jahr wieder an Überschüssen auf Das ist die große Leistung im Agraretat im Einzel-
uns zukommt. Da werden Zahlen genannt, meine plan 10! Wenn Sie daraufhin, verehrter Herr Mini-
Damen und Herren, die in ihrer Höhe selbst über ster, als der starke Mann im Kabinett apostrophiert
das hinausgehen, was die Kommission in ihren werden, kann ich nur sagen: dann war Hermann
Schätzungen für 1971 angibt. Höcherl ein grüner Riese,
(Sehr richtig! und Hört! Hört! bei der CDU/ (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)
CSU.) denn er hat seine Finanzforderungen gegenüber sei-
Ich kann also nur sagen: das ist eine zwiespältige nem eigenen Parteivorsitzenden durchsetzen müs-
Politik, auf der einen Seite sich selbst zu loben, daß sen, und das war sicherlich nicht immer leicht.
man ja alle Überschüsse schön abgebaut habe, aber Zu der vierten „Last", die Sie übernommen
gleichzeitig vorzubeugen, um deutlich zu machen,- haben, zum Städtebauförderungsgesetz, wird mein
es werde ja viel schlimmer, als es gewesen sei, und Kollege Niegel selbst noch einiges sagen.
damit gleichzeitig über den Schätzungen zu liegen,
wie sie die Kommission selbst für einige Positionen Meine Damen und Herren, nun einige wenige Be-
angibt. Ich will das im einzelnen auch gar nicht ver- merkungen zum Förderungsprogramm, das ja heute
tiefen; mir scheint es aber notwendig zu sein, dar- morgen in der Diskussion eine entscheidende Rolle
auf hinzuweisen. gespielt hat. Auch hier begegnen wir einem merk-
würdigen Widerspruch. Während man auf der einen
Zweitens. Herr Kollege Ertl, es kommt dann immer
Seite sagt: „Was für einen Bauchladen haben wir
wieder Ihre Erblast, es kommt die Behauptung, daß
doch vorgefunden, ein furchtbares Durcheinander
Sie die Aufwertung durch die Kursfreigabe ja über-
an Richtlinien, und wie groß ist doch die Leistung
nommen haben. Auch das steht hier unter Punkt 2:
zu veranschlagen, daß Herr Ertl ein neues Pro-
Die Aufwertung war durch die Wechselkursfreigabe
gramm vorgelegt hat", hört man gleichzeitig, wenn
faktisch vollzogen. — Ich kann also nur sagen, wenn
man dieses Programm attackiert: „Ja, was wollt
Sie damit etwa auch noch den Eindruck erwecken
ihr denn? Das haben wir nur von Herrn Höcherl
wollen, Sie seien gegen diese Aufwertung gewesen,
abgeschrieben!" Sie müssen sich also, meine Da-
dann ist das einfach falsch. Sie wissen, daß diese
men und Herren, einmal entscheiden, was nun ist.
Kursfreigabe gar nicht zu vermeiden war, weil
Ist das die eigenständige Leistung von Herrn Ertl —
diese Koalition in der Wahlnacht praktisch perfekt
nun gut, dann kann man darüber diskutieren. Ist
war und damit am Morgen des 29. September die
es aber nur abgeschrieben, so muß ich sagen: Sie
Spekulationsgelder hineingeflossen sind. Auch hier
haben für dieses Abschreiben sehr lange Zeit ge-
nur die halbe Wahrheit, die Sie in diesem Punkte
braucht, nämlich über ein Jahr.
nennen.
(Beifall bei der CDU/CSU.) (Beifall bei der CDU/CSU.)
Das muß man einmal in aller Deutlichkeit sagen; Das ist die Wirklichkeit.
denn mit diesen Behauptungen kommen wir zu einer In dem Zusammenhang wird natürlich über die
verzerrten Darstellung. Förderschwelle diskutiert. Lassen Sie mich dies
Sie sagen drittens — und das kommt immer wie- sagen: bei unserer Kritik an der Förderschwelle
der, etwa von Herrn Peters, von Herrn Logemann geht es keineswegs etwa darum, daß nicht auch wir
und von anderen —, im Rahmen der mittelfristigen helfen wollen, Fehlinvestitutionen zu vermeiden.
Finanzplanung seien für Agrarförderungsmaßnah- Unsere Kritik richtet sich doch dagegen, daß gerade
men Kürzungen in Höhe von 500 Millionen DM vor- die Preis- und Kostenentwicklung dieses Jahres
geschlagen gewesen. — Meine sehr verehrten Da- sichtbar gemacht hat, wie problematisch es ist, ein
men und Herren, wie oft müssen wir denn von Ziel anzustreben, das in vier Jahren verwirklicht
dieser Stelle aus noch wiederholen, daß die Fort- werden soll, ohne gleichzeitig zu wissen, wie in
schreibung der mittelfristigen Finanzplanung in diesen vier Jahren die Preisentwicklung, wie die
Übereinstimmung der damaligen Koalitionspartner Kostenentwicklung ist.
vertagt worden ist, um eine künftige Bundesregie-
Meine Damen und Herren, die gezielte Förde-
rung nicht zu präjudizieren? Wie oft müssen wir
rung: damit hat Kollege Höcherl begonnen. Wir
denn in diesem Hause noch erklären, daß sowohl haben damals mit den Betriebsentwicklungsplänen
der damalige Bundeskanzler als auch der damalige
angefangen, und wir sind durchaus der Meinung,
Bundeslandwirtschaftsminister und der Finanzmini- daß dieses Verfahren verfeinert und ausgebaut
ster mit Nachdruck erklärt haben, daß natürlich für werden muß. So sind wir aber z. B. der Meinung,
die nationale Agrarpolitik mindestens 500 Millionen
daß es besser als eine Förderschwelle wäre, wenn
DM im Etat 1970 zusätzlich eingestellt werden müß- man andere Daten zur Grundlage des Betriebs
ten? Wir sollten doch mit dieser Mär — mehr entwicklungsplanes machte, nämlich den Vermö-
ist es wirklich nicht — endlich aufhören.
gensstatus ,des Betriebes, die Kapitalverzinsung, die
Was die Situation des Haushalts selbst angeht, Qualifikation des Betriebsleiters. Das sind die Po-
nur dies: Die großen Leistungen in der Gestaltung sitionen, die doch letztlich darüber entscheiden, ob
des Haushalts 1971 sehen schlicht und ergreifend so ein Betrieb entwicklungsfähig ist oder nicht. Einen
aus, daß wir, wenn ich einmal den Aufwertungsaus- Betriebsentwicklungsplan, nach dem ich ein zu er-
gleich herausnehme — das muß ich ja wohl fairer- zielendes Einkommen erreiche, will ich Ihnen wohl
4394 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Dr. Ritz
machen, auch wenn ich nicht Wirtschaftsberater bin. wie der Landwirt damit fertig werden soll! Ich kann
Ich schreibe da 500 Schweine mehr rein und habe das nicht. Nun sagen Sie: Ich wollte ja, ich war ja
damit rein theoretisch die Zielschwelle erreicht. Das wohlwollend, aber die Länderfinanzminister! Sie
ist doch nicht das Problem. Das Problem ist, daß haben sich aus der Verantwortung gestohlen, Herr
wir aus der jetzigen Situation, in der sich die Be- Minister. Sie waren in der Lage, für 1971 den Satz
triebe befinden, eine Entwicklung fördern, die von 5 % festzulegen und dann im Rahmen der Ge-
sicherstellt, daß die Investitionen rentabel sind. meinschaftsaufgabe die Frage mit den Ländern aus-
(Beifall bei der CDU/CSU.) zudiskutieren. Natürlich werden sich Finanzmini-
ster immer wehren, wenn es heißt, sie sollen mehr
Das ist die Aufgabe, und wir glauben, daß diesem zahlen, aber wir hatten hier die Möglichkeit, auf
Ziel die Förderschwelle so nicht dient. Grund der Notwendigkeiten, die vor uns stehen,
Meine Damen und Herren, niemand von uns ver- einen Satz von mindestens 5% zu wählen und ,da-
kennt doch etwa, daß sich in Zukunft der Struktur- mit die Länder vor diese Alternative zu stellen, dem
dann 1972 zuzustimmen oder nicht.
wandel fortsetzt. Wollen wir doch hier nicht ver-
suchen, diesen Popanz aufzubauen: Die CDU ist im (Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Herr Kollege
Grunde für Statik, und wir sind für Dynamik. Oh Ritz, erinnern Sie sich daran, daß dieselben
nein, wir wissen sehr wohl, daß der Strukturwandel Leute in der Anhörung gesagt haben, daß
weitergeht. Herr Minister Schiller, wir sind dank- sie von sich aus wahrscheinlich nicht über
bar dafür, daß unsere regionalen Aktionsprogramme die Grenze von 5 % hinausgehen können?)
Erfolg haben. Natürlich sind wir dafür dankbar, wir
haben sie ja gemeinsam erarbeitet, und Sie haben — Herr Kollege Schmidt (Gellersen), ich sprach jetzt
sie in diesem letzten Jahr fortentwickelt. Danke nur von 5%.
schön, dagegen ist gar nichts zu sagen, wir sind froh (Abg. Dr. Schmidt [Gellersen]: Aber Sie
darüber. haben von 8 % gesprochen!)
Nur, meine Damen und Herren, eines muß man — Nein! 8% Annuität, d. h. 8% bleibt die Belastung
zum Förderungsprogramm dann auch noch sagen. für den Landwirt. Da haben wir uns völlig mißver-
Im Grunde kennen Sie nur drei Kategorien, jeden- standen. Aber ich glaube, ich habe mich ziemlich
falls nach einem Aufsatz von Staatssekretär Griesau klar ausgedrückt. Ich bitte um Entschuldigung. Aber
dazu, den ich gelesen habe, einmal jene Betriebe, die wir können das im Privatissimum gern nachholen.
auch in Zukunft ihre Hauptexistenz in der Land-
wirtschaft finden, zweitens jene, die nur noch in Herr Kollege Schmidt (Gellersen), jetzt muß ich
einem Übergang Landwirt sind, und drittens jene, Sie persönlich ansprechen. Ich fand einen Satz in
die ausscheiden. Verzeihen Sie, Herr Minister Ertl, Ihrer Rede völlig deplaziert; Sie haben übrigens
hier fehlt uns eine Kategorie, nämlich diejenigen schon sehr viel bessere Reden gehalten als heute
Landwirte, für die die Landwirtschaft nicht Haupt- morgen.
erwerb bleibt, für die sie aber durchaus eine er- (Zuruf von der SPD.)
strebenswerte Form des Nebenerwerbs bleibt. Die — Natürlich! Jedermann hat das Recht, auch einmal
haben Sie voll ausgeklammert. schlecht zu reden. Was wollen Sie eigentlich, Herr
Kollege? Sie haben heute einen Satz gebraucht, den
Nun habe ich heute morgen mit großem Inter-
ich nicht nur für falsch, sondern auch für gefährlich
esse gehört, auch Sie seien der Meinung, man sollte
halte, nämlich daß es einfach nicht angehe, daß die
jenen Betrieben, die zum Zwecke der Erhaltung der
Landwirtschaft ihre Verantwortung auf den Staat
Kulturlandschaft bereit sind, ihre Grenzertragsböden
abschiebe. Verehrter Herr Kollege Schmidt (Geller-
weiterzubewirtschaften, in die Maßnahmen der so-
sen), das ist in dieser Situation ein böser Satz.
zialen Ergänzung hineinnehmen. Ich kann nur fra-
gen: Warum haben Sie das Ihren Kollegen aus der (Beifall bei der CDU/CSU.)
Koalition nicht ein paar Wochen eher erzählt: Wir
Ich will Ihnen auch sagen, warum. Dieser Satz geht
wären in der Lage gewesen, unseren Antrag, diesen nämlich völlig an dem Beitrag vorbei, den die Land-
Personenkreis in die Nachversicherung einzubezie-
wirtschaft der Bundesrepublik in den vergangenen
hen, einstimmig zu verabschieden. Ich bin dankbar, Jahrzehnten zur Stabilität der Gesamtwirtschaft
daß offensichtlich unser Antrag auf fruchtbaren Bo-
erbracht hat. Das gilt sowohl für ihre Produktivi-
den gefallen ist, und kann nur hoffen, daß wir auch
tätssteigerung als auch für den hohen Beitrag, der
in den nächsten Jahren auf diesem Gebiet ziel-
daraus resultiert, daß sie über eine Million Men-
strebig fortfahren.
schen für die gewerblich-industrielle Wirtschaft frei-
Meine Damen und Herren, was bleibt, ist natür- gesetzt hat.
lich die Höhe der Förderung. Herr Minister, das ist
(Zuruf von der SPD: Ohne Sozialplan!)
ein schwaches Argument, zu sagen, früher betrug die
Förderung auch nur 4 °/o. Es ist doch nicht die böse Das gilt auch für den Bereich der Marktstruktur.
Opposition, die sagt, daß bei dieser Kapitalmarkt- Hier haben wir noch Nachholbedarf. Ich bestreite
lage 4 °/o völlig unzumutbar seien, sondern es waren das nicht. Wer mich kennt, weiß, was ich mit Bauern
die Vertreter der Banken im Hearing, die gesagt in dieser Frage diskutiere. Nur müssen wir halt
haben, daß bei der derzeitigen Kapitalmarktlage sehen, daß wir einen riesigen Nachholbedarf haben,
davon auszugehen ist, daß bei einer Verbilligung und zwar nicht durch die Schuld der Bauern, son-
um 4% dem Landwirt eine Nettoannuität von 8 % dern durch eine 50jährige verfehlte Agrarpolitik
verbleibt. Nun machen Sie mir die Rechnung auf, bis 1949, die auf der Basis der Autarkie gestanden
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4395
Dr. Ritz
hat. Hier haben wir natürlich gegenüber unseren des Deutschen Bauernverbandes akzeptiert. Herr
Nachbarn Holland und Dänemark einen Nachhol- Präsident von Heeremann hat gestern auf der Mit-
bedarf. Den sollten wir gemeinsam gliederversammlung des Bauernverbandes sehr
deutlich gesagt, jene Kundgebung „dürfe und solle
(Zuruf von der SPD)
für niemanden Anlaß sein, sie parteipolitisch zu
— das haben wir durchaus getan — abbauen helfen. mißbrauchen". Er hat weiter gesagt — ich zitiere ihn
Die Situation ist doch die, daß derzeit gerade die wörtlich —: „Wir wissen auch, daß Fehler oder Ver-
Tüchtigen unter den Landwirten resignieren, nicht säumnisse in der Vergangenheit sich heute auswir-,
diejenigen, die wissen, daß sie ohnehin nicht mehr ken."
zurechtkommen. Es sind die Tüchtigen, diejenigen, (Zurufe von der CDU/CSU.)
die sich angepaßt haben, die Anstrengungen unter-
nommen, die investiert haben. Diese sind es, die — Damit hat Herr von Heeremann wohl auch Ihnen
derzeit voller Sorge, voller Resignation sind. Das von der Opposition in höflicher Weise sagen wol-
ist nicht nur wegen der ohnehin schon schwierigen len: Wer selber im Glashaus sitzt, sollte nicht mit
Preis-Kosten-Schere so, sondern auch deswegen — Steinen werfen.
dieser Gedanke muß hier ebenfalls ausgesprochen (Beifall bei den Regierungsparteien.)
werden —, weil sie sehen, daß die Sozialleistungen,
z. B. für den französischen Farmer immer stärker an- Diese Abkehr von Illusionen und Blütenträumen der
steigen, während sie bei uns — nun, gut, mit Aus- Vergangenheit sollte gerade in der Zukunft Grund-
sicht auf die Krankenversicherung wird etwas ver- lage jedes vernünftigen Dialoges und jeder politi-
bessert — im Bereich der Altershilfe vorerst scher Äußerung über die deutsche Landwirtschaft
stagnieren. Dazu wird mein Kollege Dasch etwas sein. Die Versäumnisse und die Fehler der Vergan-
sagen. genheit werden zumindest von dieser Bundesregie-
rung nicht als Entschuldigung für agrarpolitisches
Natürlich sehen unsere Landwirte auch, daß wir Laisser-faire aufgefaßt.
durch die Abwertung auf der einen und die Aufwer-
tung auf der anderen Seite zu einer nominellen Diese Bundesregierung sieht die Landwirtschaft
Verzerrung des Preisgefüges zugunsten der Franzo- nicht als Außenseiter, sondern als integrierten Be-
sen, aber auch der Holländer gekommen sind, die standteil unserer Gesamtwirtschaft an, d. h. Agrar-
wir zweifelsohne auch heute im Markt merken. politik muß mit der Gesamtwirtschaftspolitik ver-
zahnt sein. Herr Kollege Höcherl und ich haben das
Verehrter Herr Minister, wir sprechen Ihnen nicht
ab 1968 zu erreichen versucht. Wir haben es aber
den guten Willen ab, wir sprechen Ihnen auch nicht
in der neuen Bundesregierung auf erweiterter Stu-
Liebe zur Landwirtschaft ab. Aber, verzeihen Sie,
fenleiter fortgesetzt, Herr Kollege Höcherl. Das
guter Wille und auch Liebe zu einer Sache reichen
kommt z. B. im Jahreswirtschaftsbericht 1970 der
allein nicht aus. Hinzu kommen müssen Konzeption
Bundesregierung zum Ausdruck, in dem es zum
und Durchsetzungsvermögen.
erstenmal ein ausführliches Kapitel „Agrarpolitik
(Beifall bei der CDU/CSU.) in der wachsenden Wirtschaft" gibt. Wir wissen
An beidem hat es letztes Jahr leider gemangelt. auch, daß diese Bundesregierung in diesem Jahr
vor der außerordentlich schwierigen Aufgabe stand,
Aus diesem Grunde kommen wir — ich sage: lei- in der Gesamtwirtschaft die 1969 verlorene Preis-
der — zu dem Ergebnis, daß die agrarpolitische stabilität wieder zurückzugewinnen. Diese mühsame
Bilanz dieses einen Jahres eine sehr magere Bilanz Arbeit werden wir auch im kommenden Jahr fort-
ist. setzen.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Wir wissen — in diesem Punkt stimme ich mit
Herrn Kollegen Ritz überein —, daß die deutschen
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
Landwirte in diesem Jahr ihrerseits einen Beitrag
Das Wort hat Herr Bundeswirtschaftsminister Pro- zur gesamtwirtschaftlichen Stabilität leisten. Wir
fess or Schiller. wissen aber auch, daß das Stabilitätsbewußtsein
unserer Landwirte groß ist und daß ihr Interesse an
Dr. Schiller, Bundesminister für Wirtschaft: Herr der Stabilität wohlverstandenes Eigeninteresse ist.
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Es ist bekannt, daß die Landwirte in einem allge-
ren! Ich glaube, gerade im Anschluß an die Äuße- meinen Prozeß sich beschleunigender Preissteige-
rungen des Herrn Kollegen Ritz sollten wir uns alle rungen nicht mitkommen. Es ist in der Tat so: Bricht
vornehmen, bei der Diskussion aktueller agrarpoli- in einer Volkswirtschaft ein offener Verteilungs-
tischer Fragen den Stil der Nüchternheit und der kampf aus — wie wir ihn in anderen Ländern sehen
Klarheit zu pflegen. Niemand sollte heute versu- können —, der sich dann in hohen allgemeinen
chen, den Bauern erneut etwas vorzumachen. Die Preis- und Lohnsteigerungen niederschlägt, so gehö-
deutschen Landwirte brauchen heute mehr denn je ren die Landwirte nicht zu den Gruppen, die in die-
nichts als die reine Wahrheit. sem Verteilungskampf vorne liegen. Deshalb ging
diese Bundesregierung bei ihren notwendigen stabi-
(Beifall bei der SPD.) litätspolitischen Maßnahmen von dem Grundsatz
Mit einer Politik der Illusionen, die früher einmal aus, daß die Landwirte in der Bundesrepublik in
verfolgt wurde, haben wir Schluß gemacht. Dieser diesem Jahr durch die stabilitätspolitischen Maß-
realistische Stil, Agrarpolitik zu betrachten, zu kriti- nahmen nicht zusätzlich belastet werden sollten. Das
sieren und zu betreiben, wird auch vom Präsidium kann man beweisen.
4396 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Bundesminister Dr. Schiller


Erstens. Es ist schon von dem Einkommensaus- Drittens. Auch von den Lasten der weiteren Sta-
gleich für die Aufwertung gesprochen worden, für bilitätsmaßnahmen vom Juli dieses Jahres spürt die
den jährlich 1,7 Milliarden DM zur Verfügung ste- Landwirtschaft wenig. Wir haben das absichtlich so
hen. Für die Zeit von 1970 bis 1973, d. h. also für konstruiert. Wir haben die degressive Abschreibung
vier Jahre, sind gesetzlich und finanzplanungsmäßig für bewegliche Wirtschaftsgüter ausgesetzt. Die für
diese Summen bewilligt worden. Diesen Einkom- die Landwirtschaft geltenden Sonderabschreibungen,
mensausgleich von 1,7 Milliarden DM noch für wei- meine Damen und Herren, blieben erhalten, so daß
tere drei Jahre sollten Sie, Herr Kollege Ritz und agrarische Investitionen durch die Aussetzung der
die anderen Kollegen von der Opposition, nicht im- degressiven Abschreibung nicht zusätzlich belastet
mer außen vorlassen. Sie sollten doch nicht dem wurden.
Motto folgen: Was einmal bewilligt ist, auch wenn Viertens. Von den Vorauszahlungen zur Einkom-
es noch für weitere drei Jahre bewilligt ist, ist ge- mensteuer werden nur etwa 8 % aller landwirt-
gessen und damit vergessen. Das ist falsch. schaftlichen Unternehmen betroffen. Von dem Ge-
(Beifall bei der SPD.) samtaufkommen aus diesem Konjunkturzuschlag in
Sie müssen den Einkommensausgleich in die Ge- der geschätzten Höhe von 5,2 Milliarden DM werden
samtrechnung unserer landwirtschaftlichen Einkom- von unseren Landwirten nur etwa 15 Millionen DM
mensbildung in diesem Jahr und in den kommenden — das sind ganze 0,3 % — aufgebracht werden.
Jahren mit einbeziehen. Weshalb nenne ich diese vier Punkte? Nun, ich
Dieser Ausgleich wurde gestern auch vom Präsi- will zeigen, es kann keine Rede davon sein, daß
denten des Deutschen Bauernverbandes mit den diese Bundesregierung die deutsche Landwirtschaft
Worten anerkannt: Diese Bundesregierung hat zum als Stabilitätsfaktor mißbraucht habe oder das künf-
Thema Aufwertung und Einkommensausgleich ihr tig etwa zu tun gedenke. Vielmehr hat die Bundes-
Wort gehalten. regierung die Landwirtschaft von den Lasten wich-
Wir wissen auch, daß dieser Einkommensaus- tiger und harter stabilitätspolitischer Maßnahmen
gleich dazu beigetragen hat, daß sich in diesem Jahr sorgfältig freigehalten und abgeschirmt.
nicht so wie in früheren Jahren die Disparität zwi- Im übrigen habe ich mich für die Zukunft nicht
schen landwirtschaftlichen Einkommen und Einkom- gegen einzelne Preiskorrekturen in der Landwirt-
men anderer Sektoren vergrößert hat. Dieser Ein- schaft ausgesprochen. Vielmehr teile ich da voll und
kommensausgleich — das müssen Sie einen Augen- ganz die preispolitische Auffassung, die mein Kol-
blick bedenken, zumal da er eben nicht die Vergan- lege Ertl heute morgen namens der Bundesregie-
genheit betrifft, sondern noch weitere drei Jahre rung vorgetragen hat.
läuft — setzte doch ursprünglich bei seiner Berech-
nung voraus, daß infolge der Aufwertung die Erzeu- Ich darf hier noch ein Weiteres anfügen. Wir
gerpreise auf der Basis des „Grünen Dollars", in beide, Herr Kollege Ertl und ich, sind vom Bundes-
D-Mark ausgedrückt, um 8,5 % absinken würde. Das kabinett beauftragt worden, uns in der Frage des
war die ursprüngliche Rechnung: 8,5%, für jedes Trinkmilchpreises zu verständigen. Ich kann sagen,
Prozent 200 Millionen DM, das macht zusammen wir beide, Herr Ertl und ich, werden in der Tat
1,7 Milliarden DM. Tatsächlich stellen wir doch fol- morgen mit einem gemeinsamen Vorschlag ins Kabi-
gendes fest: die Erzeugerpreise sind in diesem Jahr nett gehen, und wir hoffen, daß das Kabinett unse-
von Januar bis September bei weitem nicht in die- rem gemeinsamen Vorschlag in der Frage des Trink-
sem Maße abgesunken. Von Januar bis September milchpreises folgen wird.
dieses Jahres sind die landwirtschaftlichen Erzeuger-
Meine Damen und Herren von der Opposition,
preise gegenüber dem Vorjahr — das hat Herr Pe-
Sie werden es mir jedoch nachsehen, wenn ich um-
ters schon mit Recht zitiert — um 1,7 % abgesunken.
gekehrt vom Standpunkt des Bundeswirtschafts-
Zum anderen sind die Betriebsmittelpreise in diesem
ministeriums auch ein Wort sage zu den Forderun-
Jahr nicht so stark angestiegen, daß sie damit etwa gen anderer nach einer generellen durchschnittlichen
den ganzen Einkommensausgleich aufgezehrt hätten. Erhöhung der landwirtschaftlichen Erzeugerpreise
Sie haben sich um 4,5% — Januar bis September — schlechthin um 10 oder 15 5, einer Forderung, die
gegenüber dem Vorjahr erhöht. Aus diesen beiden hoffentlich niemand in diesem Hause von sich aus
Gründen, nicht so starker Abfall der Erzeugerpreise aufstellt. Ich muß also vom Standpunkt des Wirt-
im bisherigen Jahresdurchschnitt und nicht so star- schaftsministers sagen, eine solche generelle durch-
kes Ansteigen der Betriebsmittelpreise, konnte ins- schnittliche Erhöhung der landwirtschaftlichen Erzeu-
gesamt, zusammen mit dem Einkommensausgleich, gerpreise schlechthin um 10 oder gar 15 5, wie sie
die Relation der landwirtschaftlichen Einkommen Herr Klinker in Hamburg forderte, würde zu einer
zu denen der übrigen Wirtschaft in etwa gehalten unerträglichen Anhebung des allgemeinen Preis-
werden. Ich füge auch hinzu, die Disparität wurde indexes für unsere Lebenshaltung bis zu 2 5 führen.
nicht wesentlich verringert. Aber es ist im Schnitt Dies kann vielleicht nicht alle Bauern sofort über-
keine Verschlechterung eingetreten. zeugen. Aber ich sage, ein solcher Preisschub würde
Zweitens. Die Bundesregierung hat weiter, wie einmal in Brüssel nicht durchzusetzen sein, und er
Sie alle wissen, aus stabilitätspolitischen Gründen würde zum anderen in unserer Wirtschaft erneut als
Anfang dieses Jahres Kürzungen und Sperrungen im Signal und als Anlaß für weitere allgemeine Preis-
Bundeshaushalt 1970 vornehmen müssen. Von die- erhöhungen angesehen werden. Bei solchen dann
sen Kürzungen und Sperrungen ist der Agrarhaus- verursachten weiteren Preiserhöhungen aber kämen
halt ausdrücklich ausgenommen worden. die Landwirte erfahrungsgemäß wieder nicht mit,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4397
Bundesminister Dr. Schiller
d. h. sie würden mit Sicherheit am Ende eines neuen union eröffnen auch der deutschen Landwirtschaft
Preissteigerungsprozesses den kürzeren ziehen. neue günstige Aussichten.
(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Sehr gut!)
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
Die deutsche Landwirtschaft wird dann nicht mehr
Herr Minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
der Prellbock von Ungleichgewichten im monetären
Abgeordneten Dasch?
Bereich oder in anderen wirtschaftlichen Sektoren
sein.
Dr. Schiller, Bundesminister für Wirtschaft:
Bitte sehr! Aber es wäre ein großer Fehler — daß muß ich
auch zu der augenblicklichen öffentlichen Diskussion
sagen —, heute von uns aus zu fordern, daß der
Dasch (CDU/CSU) : Herr Minister, nachdem Sie
Grüne Dollar in Europa bis zur Verwirklichung der
vorhin erklärt haben, die Landwirte sollten nicht
Wirtschafts- und Währungsunion aufgehoben wer-
die Stabilitätsgeschädigten sein, frage ich Sie jetzt,
den müßte. Denn bei aller Problematik des Grünen
wenn Ihnen 10 oder 155 Verbesserung der land-
Dollars, die ich aus dem vorigen Jahr sehr wohl
wirtschaftlichen Erzeugerpreise zuviel sind: Bieten
kenne, müssen wir folgendes sehen: Wenn der
Sie dann wenigstens 5 bis 8 % an?
Grüne Dollar jetzt, gerade in dieser Zwischenzeit
bis zum Übergang zur Wirtschafts- und Währungs-
Dr. Schiller, Bundesminister für Wirtschaft: Ich union aufgehoben werden würde, würden wir sicher-
kann hier nicht wie auf einem Viehmarkt in der lich niemals das Endziel einer tatsächlichen Wirt-
schönen Stadt Husum mit Ihnen einen „Handel" schafts- und Währungsunion erreichen.
über Preise versuchen. Ich kann Ihnen nur eines
(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Sehr gut!)
sagen, das, was autonom zu machen ist, ist der
Trinkmilchpreis. Dazu habe ich Ihnen gesagt, Herr Wie Sie alle wissen, ist das Ziel der Agrarpolitik
Ertl und ich gehen morgen mit einem gemeinsamen dieser Regierung, die Einkommen in der Landwirt-
Vorschlag ins Kabinett. Alles andere, was multi- schaft anzuheben und sie denjenigen in den übrigen
lateral im EWG-Bereich zu machen ist, hat Herr Ertl Bereichen anzunähern. Ich glaube, die gesamte Ent-
auch schon gesagt. wicklung hat gezeigt — und dieses Jahr ist dafür
auch ein Beispiel —, daß durch Agrarpreispolitik
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: allein dieses einkommenspolitische Ziel auch nicht
-

Herr Minister, gestatten Sie eine weitere Zwischen- annähernd erreicht werden kann. Die Landwirtschaft
frage des Herrn Abgeordneten Dasch? sieht sich in einer wachsenden Wirtschaft bei stei-
genden Einkommen der Gesamtbevölkerung einer
unterdurchschnittlichen Nachfrageausweitung gegen-
Dr. Schiller, Bundesminister für Wirtschaft: Ja, über. Sie kann ihre Markteinkommen nur durch
bitte! den Wandel der Produktionsstruktur und durch
Einsparung von Produktionskosten erhöhen. Des-
Dasch (CDU/CSU) : Herr Minister Schiller, wer- wegen haben wir im Bundeswirtschaftsministerium
den Sie, wenn Herr Ertl mit dem Auftrag der Bun- schon seit 1968 jenes strukturpolitische Konzept,
desregierung nach Brüssel gehen will, um dort für das der Kollege Ritz z. B. vorhin erwähnt hatte, in
eine wesentliche Preisverbesserung der Agrarpro- der Absicht entwickelt, den in ländlichen Räumen
dukte zu kämpfen, ihn dann im Bundeskabinett lebenden Menschen bessere Arbeitsplätze mit hö-
unterstützen, und wird der Herr Bundeskanzler auf heren Einkommen anzubieten.
Grund seiner Richtliniengewalt dann tatsächlich
Wir wollen mit jenen Zahlen, die wir auch für
auch hier die Anweisung geben, daß der Landwirt-
die zukünftige Entwicklung angegeben haben, nicht
schaft etwas Spürbares gegeben wird?
etwa ausdrücken, daß der Prozeß so und so ver-
laufen muß, sondern wir wollen nur angeben, was
Dr. Schiller,' Bundesminister für Wirtschaft: Ich der Wirtschaftsminister in seiner eigenen Verant-
kann kurz und knapp antworten. In unserer Ant- wortung an Auffangstellungen für in Zukunft aus-
wort auf Ihre Große Anfrage steht: Die Bundes- scheidende Landwirte zu errichten hat. Heute sind
regierung ist nicht gewillt, von den Grundsätzen wir schon gewöhnt, mit diesen Zahlen zu leben.
ihrer Agrarpreispolitik abzuweichen. Das ist unsere Das verdanken wir auch dem Bundesminister für
Linie. Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Herrn Kol-
(Abg. Dasch: Das war ja bisher keine legen Ertl, der sich in seinem letzten Grünen Bericht
Linie!) mit dem Bundeswirtschaftsministerium zu dieser
rationalen Strukturpolitik mit Zahl und Maß be-
Diese Linie ist bekannt.
kannt hat. Wir sind dabei von der Erfahrungs-
Im übrigen freuen wir uns, daß die deutsche Land- tatsache ausgegangen, daß bisher jährlich etwa
wirtschaft — wie wir gestern gehört haben — den 100 000 Beschäftigte, die in der Landwirtschaft tätig
Stufenplan für eine europäische Wirtschafts und - waren, ausgeschieden sind. Wie auch immer dieser
Währungsunion unterstütz. In der Tat: erst eine Prozeß weitergeht, die dann zurückbleibenden akti-
volle Parallelität und schließlich Identität in den ven Landwirte werden in Zukunft mit hoher Wahr-
nationalen wirtschafts- und finanzpolitischen Maß- scheinlichkeit ein Einkommen erwirtschaften kön-
nahmen in der Europäischen Gemeinschaft und erst nen, das dem in anderen Bereichen nicht nachsteht.
die schrittweise Zusammenführung zur Währungs- Das war und ist der Sinn dieser regionalen Struktur-
4398 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Bundesminister Dr. Schiller


und Entwicklungspolitik. Ich darf hinzufügen, die sammenwirken der allgemeinen Konjunkturpolitik
Förderungsmittel für die regionale Strukturpolitik und der speziellen Strukturpolitik mit der Agrar-
gerade in den ländlichen Räumen sind in den letzten politik. Und das nenne ich — alles in allem —
Jahren laufend aufgestockt worden, und sie sind „agrare Wirtschaftspolitik aus einem Guß".
auch in diesem Jahr von den konjunkturpolitischen (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Kürzungen verschont geblieben. Während 1967 noch
rund 170 Millionen DM Haushaltsmittel für die Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Regionalförderung in diesem Sinne bereitstanden, Das Wort hat der Herr Abgeordnete Lotze.
waren es 1969 325 Millionen DM und 1970
355 Millionen DM. Hinzu kommen Investitions- Lotze (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und
zulagen nach dem Investitionszulagengesetz in Herren! In der Regierungserklärung vom 28. Okto-
Höhe von 270 Millionen DM im Jahre 1969 und ber 1969 und in dem einzelbetrieblichen Förderungs-
300 Millionen DM im Jahre 1970. Ergänzt werden und sozialen Ergänzungsprogramm des Bundesmini-
diese Förderungsmittel durch jährlich mehr als sters für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten vom
500 Millionen DM zinsgünstige Darlehen aus dem 26. Oktober 1970 bringt die Bundesregierung ihren
ERP-Sondervermögen und aus Mitteln der Bundes- Willen zum Ausdruck, die Landwirtschaft zu einem
anstalt für Arbeit. Auf diese Weise hat der Bund gleichrangigen Teil unserer modernen Volkswirt-
es geschafft, daß 1969 die Entstehung von 44 000 schaft zu entwickeln, der an der allgemeinen Ein-
Arbeitsplätzen in strukturschwachen Gebieten mi t kommens- und Wohlstandsentwicklung in vollem
Haushaltsmitteln und durch erhebliche Steuer- Umfang teilnehmen soll. Daran lassen wir nicht her-
verzichte gefördert wurde, und in diesem Jahr umdeuteln. Dieses Wollen der Bundesregierung
werden wir nach den heute vorliegenden Daten wird von den Koalitionsfraktionen uneingeschränkt
mindestens ein gleich gutes Ergebnis erreichen. unterstützt.
Welche Probleme auch immer die Hochkonjunk- (Zuruf von der CDU/CSU: Haben Sie Herrn
tur 1969 und 1970 aufgeworfen hat, meine Damen Schiller nicht zugehört?)
und Herren, für die gewerbliche Aufschließung und Deshalb fordern die Koalitionsfraktionen in ihrem
Entwicklung unserer ländlichen Räume ist diese
Antrag auf Umdruck 90*)
Hochkonjunktur der Industrie ein reiner Segen ge-
wesen. Im übrigen haben wir immer wieder festge- (Abg. Stücklen: Erhöhung des Altersgeldes!)
stellt, daß die Landwirtschaft und insonderheit die — ich komme darauf, Herr Kollege Stücklen — die
landwirtschaftlichen Räume in unserem Wirtschafts- Bundesregierung auf, erstens in der Agrarpreispoli-
gebiet eine stetige, ungebrochene Expansion der tik im Ministerrat ein für die deutsche Landwirt-
Gesamtwirtschaft brauchen. schaft günstiges Ergebnis anzustreben, zweitens in
Insgesamt sind 1969 und 1970 ein Investitions- der Agrarstrukturpolitik die Konzeption des einzel-
volumen von etwa 10 Milliarden DM und die Ent- betrieblichen Förderungsprogramms weiter auszu-
stehung von weit mehr als 100 000 neuen Arbeits- bauen und drittens in der Agrarsozialpolitik einen
plätzen mobilisiert bzw. ermöglicht worden. Dieser Gesetzentwurf für die Einführung der Krankenver-
Prozeß — in zwei Jahren 10 Milliarden Investitions- sicherung der Landwirte vorzulegen und Vorschläge
volumen und mehr als 100 000 neue Arbeitsplätze -- für die Reform der landwirtschaftlichen Alterssiche-
wird sich in den kommenden Jahren fortsetzen. Die rung und der Unfallversicherung zu unterbreiten.
Chancen für die Landwirte werden damit von dieser Und nun reisen Abgeordnete aus den Reihen der
Seite her größer, und weitere Arbeitsplätze sind in Opposition durchs Land und behaupten — wie auch
diesen Gebieten durch Rationalisierungs- und Um- heute hier — in Reden, Artikeln, Leserbriefen, diese
stellungsmaßnahmen besser und sicherer geworden. Regierung gebe zwar viele Erklärungen ab,
Auch in der mittelfristigen Finanzplanung bis 1974
stehen die gleichen Instrumente für diese regionale (Abg. Dr. Ritz: So ist es!)
Wirtschaftspolitik zur Verfügung. stelle Programme auf
Diesen Weg, meine Damen und Herren, werden (Abg. Dr. Ritz: Stimmt auch!)
wir also in den kommenden Jahren ebenso ent- — Ihr Zwischenruf bestätigt meine Feststellung über
schlossen weitergehen. Die Kombination von Agrar- Ihr Verhalten draußen im Lande —, sie denke aber
politik und Entwicklungspolitik in den ländlichen nicht daran, dementsprechend zu handeln. Dieses
Räumen wird die Einkommen aller dort Arbeitenden Verhalten, Herr Kollege Dr. Ritz, Herr Kollege
dauerhaft erhöhen. Ehnes, gibt mir Veranlassung, an einigen Beispielen
Ich sage noch einmal, mit spektakulären Preis- aus dem Bereich der Agrarsozialpolitik zu beweisen,
maßnahmen ist dieses Ziel nicht zu erreichen. Nie- daß derartige Behauptungen falsch sind und wider
mand, der es mit der Verbesserung der Einkommen besseres Wissen aufgestellt werden.
unserer Landwirte ernst meint, kann deshalb sein (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der
Heil in einer inflationären Agrarpolitik suchen. Ich CDU/CSU.)
sage vielmehr zusammenfassend, unsere Landwirt-
schaft ist gleichermaßen am gesamtwirtschaftlichen Im Jahr 1970 sind für die landwirtschaftliche
Wachstum und an der gesamtwirtschaftlichen Stabi- Unfallversicherung, die Altershilfe, die Land-
lität interessiert. An beiden soll sie ihren Anteil abgabenrente und für den Landarbeiterwohnungs-
haben. Aber das ist nicht mit einem Patentrezept
zu schaffen, sondern nur in einem ständigen Zu- *) Siehe Anlage 2
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4399
Lotze
bau, den ich hier mit einbeziehe, also für agrar- machen, und zwar weder hier noch draußen im
soziale Maßnahmen, Bundesmittel in Höhe von Lande.
887 Millionen DM bereitgestellt worden. 1971 wird (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Stark
sich dieser Betrag für die gleichen Zwecke zusätz- [Nürtingen] : Das ist eine Regierung, die
lich der 15 Millionen DM für die Nachentrichtung mehr Kritik wünschte!)
von Beiträgen zu den gesetzlichen Rentenversiche-
rungen auf 982 Millionen DM, also fast 1 Milliarde Meine Damen und Herren, ich möchte nun ein
DM, erhöhen. Durch diese Aufstockung der Mittel paar kurze Bemerkungen zur Krankenversicherung
und durch Umschichtungen im Einzelplan 10 wird der Landwirte sowie zur Reform der landwirtschaft-
z. B. — ich wiederhole es, damit es endlich begriffen lichen Alterssicherung und Unfallversicherung
wird — ermöglicht, erstens den Bundeszuschuß für machen. Dazu vorab folgendes. Wir werden — das
die landwirtschaftliche Unfallversicherung um 80 wissen Sie genauso wie wir weder für 1971 noch
auf 260 Millionen DM anzuheben — dies bedeutet, für die folgenden Jahre unbegrenzte Mittel für
daß trotz erheblicher Leistungsverbesserungen von Maßnahmen der Agrarsozialpolitik zur Verfügung
- haben. Das heißt, es müssen Schwerpunkte gesetzt
durchschnittlich 20%
werden. Der Schwerpunkt Nummer eins besteht für
(Zustimmung bei der SPD) die Koalitionsfraktionen darin, die Pflichtkranken-
generelle Beitragserhöhungen vermieden und damit versicherung für Landwirte gesetzlich zu regeln.
zusätzliche Belastungen von den Landwirten abge- Die Landwirte und Altenteiler bedürfen des gesetz-
wendet werden —, lichen Krankenversicherungsschutzes,
(Abg. Raffert: Sehr gut!) (Abg. Stücklen: Das haben Sie bei uns,
aus unserem Berliner Programm, abge
zweitens den Ansatz für die Altershilfe um 15 Mil-
schrieben!)
lionen DM aufzustocken. Damit wird sichergestellt,
daß den Anforderungen an diesen Titel voll Rech- wobei , die Beiträge für die Altenteiler vom Bund
nung getragen werden kann. Durch diese Aufstok- aufgebracht werden müssen.
kung der Mittel einerseits und die Umschichtungen
im Einzelplan 10 andererseits wird es zudem mög- Wir begrüßen daher den Beschluß des Bundes-
lich, am 1. Januar, wie von Bundesminister Arendt kabinetts vom 22. Oktober, nach dem der Bundes-
angekündigt, ein agrarsoziales Ergänzungsgesetz minister für Arbeit und Sozialordnung beauftragt
in Kraft treten zu lassen, das erstens eine Anhebung worden ist, unverzüglich einen entsprechenden Ge-
der Landabgabenrente um die Ihnen bekannten Be- setzentwurf vorzulegen. Bei der Ausarbeitung des
träge und zweitens die Nachentrichtung von Bei- Entwurfs kann der Bundesarbeitsminister davon
trägen zu den gesetzlichen Rentenversicherungen ausgehen, daß wir in den von seinem Hause ent-
für Landwirte vorsieht. wickelten Grundsätzen für die Krankenversicherung
der Landwirte weitestgehend übereinstimmen. Ich
Meine Damen und Herren, wenn man nun noch möchte Ihnen allerdings auch sagen, Herr Bundes-
— nur um es zu erwähnen — die Aufstockung der minister, daß wir unter unverzüglicher Vorlage eine
Mittel für den Landarbeiterwohnungsbau auf 7 Mil- so rechtzeitige Vorlage verstehen, daß das Gesetz
lionen DM im Jahre 1971 berücksichtigt und darüber zum 1. Januar 1972 in Kraft treten kann.
hinaus an die Ausbildungs- und Umschulungsbei-
hilfen des Berufsausbildungs-, Arbeits- und Ausbil- (Beifall bei der SPD.)
dungsförderungsgesetzes erinnert, Zur Reform der Alterssicherung und der Unfall-
(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Sehr gut!) versicherung stellen wir folgendes fest. Wir lehnen
eine Erhöhung der Altershilfe zur Zeit deshalb ab,
werden alle jene Lügen gestraft, die hier im Hause
weil wir erstens der Einführung der Krankenver-
und mehr noch draußen im Lande den Menschen
sicherung für Landwirte den Vorrang geben
weismachen wollen, diese Regierung rede nur, aber
handle nicht. (Beifall bei der SPD)
(Beifall bei der SPD.)
und zweitens verhindern wollen, daß die Zuschüsse
Die vorgetragenen Fakten zur Verbesserung der zur Unfallversicherung und Landabgabenrente ge-
sozialenStrukdLwischaftben,dß kürzt werden müssen.
diese Regierung und die sie tragenden Parteien
zielstrebig an der Erfüllung dessen arbeiten, was Im übrigen muß das Finanzierungssystem der
sie in Erklärungen und Programmen gesagt und Altershilfe an Haupt und Gliedern reformiert wer-
versprochen haben. den.
(Beifall bei der SPD.)
(Beifall bei der SPD.)
Warum, meine Damen und Herren? Dazu nur ein
Diese Fakten, und zwar auch im agrarsozialen Be- paar Zahlen. Der Anteil des Bundeszuschusses an
reich, beweisen zudem, daß die Bundesregierung den Aufwendungen der Altershilfe — —
die von ihr angekündigten inneren Reformen Schritt
für Schritt verwirklicht. (Abg. Stücklen: Ist zu gering!)
(Sehr wahr! bei der SPD.) — Zu gering, Herr Stücklen? Sie beweisen, daß
Sie keine Ahnung haben.
Wir werden nicht zulassen, daß Vertreter der Op-
position und andere Gruppen diese Leistungen mies (Lachen bei der CDU/CSU.)
4400 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Lotze
Der Anteil des Bundeszuschusses zu dieser Alters- Nach dem Verlauf der Debatte und dem Verhalten
hilfe — nun hören Sie zu — beträgt bei gleichblei- einiger Oppositionsredner draußen im Lande kann
benden Leistungen 1971 — wieviel denn? — ich nicht umhin, mit folgenden Feststellungen abzu-
(Abg. Stücklen: Sagen Sie es doch! — Lachen schließen. Wir wären, meine Damen und Herren von
bei der SPD.) der Opposition, auf dem Wege zur sozialen Sicher-
heit auf dem Lande ein wesentliches Stück weiter,
70 %. Der Anteil beträgt bei der Knappschaft 60 %, wenn die Agrarpolitiker der CDU/CSU ihren Wider-
bei der Rentenversicherung der Arbeiter 20 % und stand gegen jede Sozialpolitik in der Landwirtschaft
bei der Rentenversicherung der Angestellten rund früher als geschehen aufgegeben hätten.
6 %.
(Hört! Hört! bei der SPD.) (Beifall bei den Regierungsparteien. —
Widerspruch bei der CDU/CSU. — Zuruf
Das ist doch nicht in Ordnung. des Abg. Stücklen.)
Wir stehen, auch wenn Sie uns etwas anderes Ein letzter Satz! Wir könnten, Herr Kollege Stück-
unterschieben wollen, nach wie vor zu dem Grund--
len, ein großes Stück weiter sein, wenn Sie zu der
satz, daß die Altershilfe ein wichtiges sozial- und Zeit, als Sie Geld und Macht in diesem Hause hatten,
strukturpolitisches Instrument ist und bleiben muß. einen Teil der Forderungen erfüllt hätten, die Sie
(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Und deshalb heute an diese Regierung stellen, und nehmen Sie
wollen Sie den Zuschuß kürzen?) zur Kenntnis: das reiben wir Ihnen so lange unter
die Nase, wie wir es politisch für notwendig halten
und nicht Sie.
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
(Beifall bei den Regierungsparteien. —
-

Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischen-


Lachen und Zurufe von der CDU/CSU.)
frage des Abgeordneten Dasch?

Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:


-

Lotze (SPD) : Nein. — Wir wollen, daß aus der Das Wort hat der Herr Abgeordnete Höcherl.
Altershilfe eine Altersversorgung mit dem Ziel der
Dynamisierung entwickelt wird. Höcherl (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr
(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Wer soll das verehrten Damen und Herren! Wir sind Zeugen
bezahlen?) eines großen demonstrativen Solidaritätsaktes der
Bundesregierung. Drei leibhaftige Bundesminister
Das kann man aber nur über die Reform des Finan-
steigen auf die Tribüne und singen ein Minnelied
zierungssystems erreichen. Dabei geht es auch um
für die Landwirtschaft.
die Neuordnung des Verhältnisses zwischen Beitrag
und Leistung. Auch das sage ich hier. Um klar zu (Abg. Wehner: Ist es damals von Ihnen
sagen, was ich damit ausdrücken will: wer gute nicht gesungen worden?)
Leistungen fordert, muß, wie in der übrigen Sozial- — Nein, ich habe es allein gesungen, und es war
versicherung auch, angemessene Beiträge entrichten. schöner und harmonischer.
(Beifall bei der SPD.) (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)

Ein neues Finanzierungssystem muß gleicher- Der Anlaß ist aber auch durchaus geeignet für
maßen für die landwirtschaftliche Unfallversiche- einen solchen Großeinsatz. Die Lage ist außerordent-
rung entwickelt werden. Hier stehen wir doch vor lich kompliziert. Ich darf mich zu einigen Bemerkun-
der gleichen Tatsache, daß die Zahl der Beitrags- gen äußern.
zahler laufend abnimmt, während die Leistungen an Herr Kollege Ertl — wir sehen Sie wieder unter
die der übrigen Berufsgenossenschaften angeglichen, uns —, Sie fechten hier in rührender Form für
d. h. erhöht werden sollen. Wahrheit, Gerechtigkeit, Anstand und Demokratie.
Aber diese Toga des Moralisten legen Sie draußen
(Abg. Stücklen: Und die Knappschaft?) ab.
Das sind die Gründe, aus denen die FDP- und die (Abg. Dr. Stark [Nürtingen]: So ist es!)
SPD-Fraktion in ihrem Antrag die Regierung auf- Wenn ich Ihren Spuren folge, kommen mir Bemer
fordern, so schnell wie möglich Vorschläge für die kungen ins Ohr, die sich mit diesem verbalistischen
Reform der landwirtschaftlichen Altershilfe und Un- Moralismus nicht vertragen.
fallversicherung vorzulegen.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Meine Damen und Herren, wer mehr will als das,
Herr Ertl, was soll denn das heißen, wenn Sie die
was diese Bundesregierung und die sie tragenden
Vergangenheit anklagen? Ich kann mich erinnern,
Parteien in einem Jahr auf dem Gebiete der sozialen
daß die FDP 15 Jahre an dieser Vergangenheit mit-
Sicherung für die in der Landwirtschaft Tätigen ge-
gewirkt und mitgestrickt hat. Natürlich weiß jeder,
leistet und sich für die nächsten Jahre vorgenom-
daß es innerhalb der FDP einen differenzierten
men haben, der muß sagen, wie das finanziert wer-
Pluralismus gibt und daß es sehr schwer ist, eine
den soll. Auffordern zum Maßhalten, gleichzeitig
einheitliche Meinung dieser FDP festzustellen. Wir
aber mehr fordern und versprechen ist unredlich.
haben es ja in den Koalitionsjahren immer wieder
(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der erlebt: die Minister haben zugestimmt, die Frak-
CDU/CSU.) tion hat sich anders entschieden. Aber Sie können
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4401
Höcherl
sich nicht absentieren, und wenn Sie die Vergan- hat, sagen Sie mir, ob Schiller oder ob Sie sich
genheit anklagen, klagen Sie auch das an, was in durchgesetzt haben!
der Großen Koalition geschehen ist. Auch mit Ihrer Sie haben davon gesprochen, daß es in der gan-
Zustimmung hier in diesem Hause ist es damals, zen Vergangenheit keine soziale Absicherung für
1968, gelungen, daß sich das ganze Haus hinter ein die 600 000 Betriebsinhaber gegeben habe, die auf-
gemeinsames Agrarprogramm stellte. Was soll denn gegeben haben. Ja, meine Damen und Herren, diese
diese ungekonnte Vergangenheitsbewältigung, Herr 600 000, die aufgegeben haben, wurden durch unsere
Kollege Ertl? Sie haben z. B. erklärt, Sie hätten von Wirtschaftspolitik aufgenommen, eingegliedert und
mir einen Bauchladen übernommen. Na, ich muß in bessere Positionen gebracht. Das war deren frei-
sagen: das war ein hervorragender, moderner williger Entschluß. Damals war es ja gar nicht not-
Selbstbedienungsladen, den Sie da bekommen wendig, ein solches Fangnetz aufzubauen. Jetzt wird
haben. die Sache kompliziert, weil, wie Sie ja selber wis-
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.) sen, dunkle Wolken am Konjunkturhimmel herauf-
Herr Kollege Ritz hat bereits ausgeführt, daß Sie ziehen.
ein ganzes Jahr gebraucht haben, um die Richtlinien Sie haben von der mittelfristigen Finanzplanung
zusammenzustellen. Jetzt geben Sie das als Ertl-Plan gesprochen und von der, die Sie übernommen haben.
aus. Ich muß sagen: alte Bekannte, von unseren Sie wissen ganz genau, daß die mittelfristige Finanz-
hervorragenden Mitarbeitern längst formuliert! Da- planung keine festen Positionen enthält, sondern
zu brauche ich eine Woche. Am 1. Januar 1970 hätten daß es sich hier um Entwürfe handelt, die laufend
diese Richtlinien dasein müssen. Aber Sie haben fortgeschrieben werden. Es war selbstverständlich,
sich ein ganzes Jahr lang mit recht unzulänglichen daß auch diese Finanzplanung fortgeschrieben wer-
Argumenten wie „Investitionshilfe" und „mangels den sollte. Die 500 Millionen DM waren von allen
Masse" hinweggemogelt. Hier allerdings entschei- Beteiligten öffentlich und verbindlich zugesagt. Die
det die Kasse und sonst nichts. Das ist das, was Ihren sind nicht gekommen; sie sollen erst 1971
Ihnen ernsthaft vorgeworfen werden muß. Die Ver- kommen, und dann sind sie längst durch die Preis-
tröstung auf das Jahr 1971, — na, wir werden sehen, entwicklung verschlungen.
was bei Ihrer Wirtschaftspolitik im Jahre 1971 her-
(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)
auskommt.
So ist es doch!
Sie haben, Herr Kollege Ertl, vor allem auf das
hingewiesen, was auf dem sozialpolitischen Gebiet Mit großem Pathos wird darauf hingewiesen, daß
geleistet worden ist. Aber Ihre Federn würden ge- der Aufwertungsausgleich zum Einkommen gezählt
nauso glänzen, wenn Sie bei der Wahrheit geblieben werden müsse und daß er eine besondere Leistung
wären. Wer hat denn die Kommission zur Kranken- der Bundesregierung sei. Ich darf Ihnen folgendes
versicherungsreform für die Landwirtschaft einge- sagen. Schadensersatz — und dann noch auf vier
setzt? Jahre beschränkt — ist keine Tugend, sondern wenn
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU. — Abg. durch einen administrativen Eingriff einer Berufs-
Stücklen: Altersgeld! Wer hat es einge- gruppe auf Grund der Entwicklung im gemeinsamen
führt?) Agrarmarkt 8 1 /2% der Einnahmen weggenommen
werden, ist es die größte Selbstverständlichkeit, ist
Und ich möchte Sie nur warnend darauf hinweisen: es nur recht und billig, daß das ersetzt wird.
Wenn Sie den versicherungsmathematischen Fehler
begehen, eine berufsständische Krankenversiche- (Zustimmung bei der CDU/CSU.)
rung aufzubauen, werden Sie etwas erleben. Bedenklich ist, daß dies auf vier Jahre beschränkt
(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Jawohl!) und degressiv ist.
(Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)
Aber nun gut, das soll Ihre Sorge sein. Wir werden
zur rechten Zeit mit der Kritik zur Stelle sein. Und jetzt will ich Ihnen etwas sagen, ohne den Auf-
wertungsstreit neu beleben zu wollen. Sie hätten
Sie haben davon gesprochen, daß Sie eine mo-
derne, kostenorientierte Preispolitik machen. Darf das aushandeln müssen, bevor aufgewertet wurde.
ich Sie ausdrücklich fragen: Gibt es eine Kabinetts- (Zuruf von der CDU/CSU: So ist es!)
entscheidung dahingehend, daß die Futtergetreide- Dann hätten Sie vielleicht eine Lösung finden kön-
preise und der Rinderorientierungspreis nachgezo- nen, die nicht zeitlich beschränkt ist und die sich auf
gen werden?
alle Produkte erstreckt. Die Situation ist heute so,
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.) daß die Geflügelwirtschaft — und bei den Schwei-
Was mußte ich in der „Agra-Europe" lesen? Herr nen zeichnet sich eine ähnliche Bewegung ab, und
Mansholt hat höhnend vorgetragen, er habe einen zwar nicht nur eine zyklische, sondern eine durch die
solchen Vorschlag auf den Tisch gelegt und der Aufwertung hervorgerufene — mit ihren modernen
Ministerrat habe sich überhaupt nicht damit befaßt. Betrieben keine Chancen mehr hat, den Aufwer-
Erklären Sie mir einmal diesen Widerspruch, Herr tungsverlust zu überwinden, und daß wir mit großen
Kollege Ertl! Herr Mansholt, der ja nun gerade Einbrüchen und schweren Verlusten zu rechnen
kein Preisenthusiast ist, macht einen solchen Vor- haben. Vorsorge ist die Aufgabe der Regierung,
schlag, und von Ihrer Seite — ich weiß nicht, was aber ich habe noch nicht gehört, was Sie gegen
Sie dabei wirklich getan haben — geschieht nichts. diese Situation eigentlich unternehmen wollen.
Sagen Sie mir bitte, was das Kabinett beschlossen (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)
4402 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Höcherl
Es wäre besser gewesen, über die Umsatzsteuer zu selbstverständlich, daß das eine und das andere
einer Lösung zu kommen, nicht ganz glücken kann.
(Zuruf von der SPD: Wir sind gerade dabei!) Ich möchte mich aber mit diesen Einzelheiten gar
und zwar ganz. Damit wäre jedes Produkt ausgegli nicht weiter abgeben. Herr Kollege Ertl, ich will
chen gewesen. Die Verwirklichung des Werner-Pla Ihnen. etwas ganz Ernstes sagen.
nes wird nämlich noch etwas auf sich warten lassen.
Zur Frage der Altershilfe haben wir einen Antrag Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

vorgelegt, der noch begründet werden wird. Auch Herr Kollege Höcherl, gestatten Sie eine Zwischen-
der Deckungsvorschlag wird noch begründet werden, frage des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer?
und vielleicht werden Sie bei dieser Begründung so-
gar einige Überraschungen erleben, wenn das zu- Höcherl (CDU/CSU) : Ja, bitte schön!
trifft, was ich soeben gehört habe. Sie haben recht,
Herr Kollege Lotze: Die Altershilfe ist von uns-ein-
geführt, wie ich mich erinnern darf. Das ist nicht Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Herr Kollege
Ihre Leistung. Höcherl, Sie haben eben das gemeinsame Programm
des Jahres 1968 erwähnt, sind aber sehr schnell
(Zustimmung bei der CDU/CSU.)
weitergegangen: Würden Sie uns vielleicht auch
Sie ist von uns eingeführt und ständig fortgeführt sagen, wie Sie sich heute zur Durchführung des Pro-
worden. gramms stellen.
(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Die nehmen
alles für sich in Anspruch!) Höcherl (CDU/CSU) : Mäßig, muß ich sagen,
- Ja, der edle Teil der Vergangenheit ist ihre mäßige Fortschritte, aber immerhin ein Fortschritt.
Leistung, alles andere haben wir zu tragen. (Heiterkeit.)
(Zuruf des Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern].) Herr Kollege Ertl, ich muß ein ganz ernstes Wort
Nein, bei der Altershilfe geht es darum, wie Sie mit Ihnen sprechen. Sie sind der Eckmann dieser
mit Recht gesagt haben, nicht nur den sozialpoliti- Koalition, "Sie haben sich umgesiedelt von ganz
schen Teil, sondern auch den strukturpolitischen zu rechts nach sehr weit links, und zwar innerhalb
sehen. Wir stehen heute beim Durchschnittsalter der verdammt kurzer Zeit. So war es doch. Ohne Sie
Betriebsinhaber innerhalb der Gemeinschaft mit am wäre diese Koalition nicht zustande gekommen. Sie,
besten. Das ist das Entscheidende, das wurde durch Herr Kollege Ertl, haften nicht nur für den agrar-
die Altershilfe bewirkt. Gerade jetzt, wo es darauf politischen Teil, sondern Sie haften auch für die
ankommt, aus allen möglichen Quellen einen Aus- Wirtschaftspolitik und für die Außenpolitik. Dafür
gleich für die Preis- und Kostenentwicklung zu fin- haften Sie, und das bei einer Wirtschaftspolitik, die
den, wäre es meines Erachtens auch von Ihrer Seite einen so hohen Grad von Teuerung herbeiführt, daß
einer gewissen Anstrengung wert, daß Sie sich an die Landwirtschaft auf der Strecke bleiben muß, wie
unserem Vorschlag beteiligen. Herr Professor Schiller das auch mit Recht festge-
stellt hat. Da mußten Sie eingreifen.
Herr Kollege Schiller, Sie haben erfreulicherweise
Als FDP-Minister ließen Sie aber die Vorschläge
wieder an das Jahr 1968, das Jahr unserer gemein-
von Professor Schiller vom Februar gar nicht zur
samen Agrarpolitik, angeknüpft. Ich stehe zu diesen
Verwirklichung kommen, weil Sie für den 14. Juni
Grundsätzen, und zwar mehr als der Herr Kollege
Lebens- und Existenzangst hatten. So war es. Mit
Ertl, der sich gar nicht mehr daran erinnern mag,
Rücksicht auf Ihre etwas, ja, schwindsüchtige Situa-
weil das nicht mit seinem Namen, sondern mit sei-
tion in der FDP mußten Sie notwendige Maßnahmen
ner Opposition verbunden war. Das ist doch die
zurückstellen. Genauso war es. Und nach dem
Sache. Aber zu den Fehlern der Vergangenheit, Herr
14. Juni kam es. Sie werden aus dieser Haftung
Professor Schiller, die Sie zur politischen Stützung
nicht entlassen, Herr Kollege Ertl. Alles, was hier
Ihrer recht schwachen Koalition immer wieder her-
passiert, im großen Bereich und im wirtschafts-
vorziehen, will ich Ihnen eines sagen: Dem Men-
politischen Bereich, geht auf Ihre Beteiligung zu-
schen ist es nicht gegeben, die Dinge der Zukunft
rück. Sie allein haben das möglich gemacht. Ich darf
in die Gegenwart zu projizieren. Wir mußten mit
schließen: Sehen Sie zu, wie Sie mit dieser Verant-
ganz anderen Koordinaten beginnen. Genau densel-
wortung fertig werden.
ben Vorwurf könnte ich bei der Industrie, beim Ge-
werbe oder beim Handel, bei jedem Berufsstand, (Beifall bei der CDU/CSU.)
anbringen, wenn ich sagte, die Errungenschaften von
heute hätten schon damals angesteuert und verwirk-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
licht werden können. Wir haben beim Punkte Null
-

Das Wort hat der Herr Abgeordnete Gallus.


begonnen und mußten anfangen, Schritt um Schritt
und Stufe für Stufe diese Aufgaben vielfältigster
Art zu bewältigen. Und wenn Sie behaupten, das Gallus (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen und
wäre nicht gelungen, will ich nur sagen, das inter- Herren! Es ist mir eine große Ehre, hier nach dem
nationale Urteil ist der Meinung, daß uns mehr Landwirtschaftsminister a. D. Höcherl sprechen zu
gelungen ist, als man draußen überhaupt zu begrei- können. Ich glaube, es ist richtig, in diesem Zu-
fen vermag. Wenn so viel geleistet wird, ist es ja sammenhang auch gleich einmal eine Bilanz über
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4403
Gallus
die Agrarpolitik der vergangenen 20 Jahre zu politik angekommen sind, wo wir uns zu über-
ziehen. legen haben, in welcher Richtung wir gemeinsam
(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : An der Sie marschieren sollten.
selber beteiligt waren!) (Zuruf des Abg. Dr. Reinhard.)
— Herr Kollege, Sie fragen, warum ich hier irgend- — Ich sage Ihnen das eine: Ich kann hier mit gutem
welche Anschuldigungen erheben will. Ganz ein- Gewissen das vertreten, was ich auch gestern auf
fach deshalb, weil es meines Erachtens in der Agrar- der Delegiertenversammlung des Deutschen Bauern-
wirtschaft heute darum geht, sich Gedanken darüber verbandes vertreten habe; vielleicht sind Sie dort
zu machen, welchen Weg wir in der Zukunft be- gewesen. Ich kann hier nur wiederholen, daß der
schreiten wollen. Markt vor einem Jahr völlig verstopft war und daß
(Abg. Dr. Stark [Nürtingen]. Das ist das es Herr Ertl war, der diesen Markt wieder trans-
Entscheidende!) parent gemacht hat.
Meine sehr verehrten Anwesenden, man kann - (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu
sich darüber streiten, ob der Ansatz der Agrarpolitik rufe von der Mitte.)
1948/49 richtig oder falsch war.
— Sie können andere Auffassungen haben, meine
(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Sie können ja sehr verehrten Damen und Herren; das steht Ihnen
bis zum Dreißigjährigen Krieg zurück- durchaus zu.
gehen!)
(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Herr Gallus,
Dazu möchte ich keine Ausführungen machen. Aber kennen Sie die Preise von heute?)
Tatsache ist, daß diese Bundesregierung, als sie vor
einem Jahr antrat, bei der Landwirtschaft einen Ver- Herr Dr. Stark, die Tatsachen sprechen für sich.
schuldungsgrad von nahezu 26 Milliarden DM an- Wir wollen hier doch eines nicht vergessen. Die
getroffen hat. Tatsache ist, daß 500 000 landwirt- Tatsache, daß wir in die EWG eingetreten sind,
schaftliche Betriebe aufgehört haben zu existieren hat auch Konsequenzen für die 'deutsche Agrar-
und nicht, wie Sie es jetzt sagen, Herr Kollege politik. Gerade diese Konsequenzen sind von zu
Höcherl, von der Industrie aufgefangen wurden. vielen Agrarpolitikern allzulange verschwiegen
Diese Tatsache haben wir auch heute. Von entschei- worden.
dender Bedeutung ist vielmehr, daß diese 500 000 (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Betriebe in die sozialpolitische Wüste entlassen
wurden. Es wurden die Preise angesprochen. Ich zähle
mich durchaus zu jenen, die da glauben, daß in der
(Lachen und Zurufe von der CDU/CSU. Zukunft neben anderen wichtigen Maßnahmen die
Beifall bei den Regierungsparteien.) Preise eine entscheidende Rolle spielen. Ich sage
Diese Landwirte werden erst mit ihrem 65. Lebens- Ihnen hier aber: Wer den EWG-Verträgen zuge-
jahr feststellen, wieviel weniger Rente sie im Ver- stimmt hat, muß heute auch erkennen, daß damals
gleich zu den Kollegen bekommen, die mit ihnen einiges falsch gelaufen ist, und zwar in der Hin-
am Schraubstock stehen. sicht, daß die parlamentarische Kontrolle der EWG
allzulange auf sich warten läßt. Was müssen wir
heute tun, um angemessene Preise in der EWG zu
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
- erhalten? Ich sage es Ihnen am Beispiel des Obst-
Herr Abgeordneter, Gestatten Sie eine Zwischen- baues. In allen Ländern der EWG wurden Obst-
frage? anlagen gemacht, um den Markt für sich in An-
spruch zu nehmen, mit der Konsequenz, daß wir
heute danach trachten müssen, Prämien zu geben,
Gallus (FDP) : Nein! damit diese Junganlagen wieder verschwinden.
(Zuruf von der CDU/CSU: Er ist noch Man hat nämlich allzulange nicht erkannt, daß
unsicher!) ebenso wie in der Industrie auch in der Landwirt-
Jetzt stellen Sie das noch nicht fest; das kommt schaft der Grundsatz gilt, daß letzten Endes der
noch. Markt über die Preisgestaltung entscheidet.
(Abg. Burger: Das sind doch Gemeinplätze!)
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
Wenn Sie heute davon gesprochen haben, daß wir
Meine Damen und Herren, es ist das Recht des eine Überschußproduktion und unechte Preise für
Redners, Zwischenfragen abzulehnen. Eier und Geflügel haben, muß ich diejenigen, die
in den letzten Jahren Verantwortung getragen
Gallus (FDP) : Wir müssen ganz klar sehen, daß haben, fragen: Warum haben Sie nichts dagegen
wir in der vergangenen Agrarpolitik auch eine getan, daß wir Hühnerbestände in einer Größen-
Bilanz von Fehlinvestitionen in Aussiedlungen und ordnung von einer Million und mehr von denen
Althofsanierungen aufzuweisen haben. Ich glaube, bekommen haben, die ihr Geld anderswo als in der
die Anklage der Beratungsgeschädigten in der deut- Landwirtschaft verdient haben?
schen Landwirtschaft ist gar nicht so klein. Ich sage (Abg. Burger: Was schlagen Sie vor? —
das alles nur deshalb, weil ich der Auffassung bin, Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Fragen
daß wir an einem Wendepunkt der deutschen Agrar- Sie mal die SPD!)
4404 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Gallus
Ich glaube, daß es des Nachdenkens wert ist, sich ren, nun die Gelegenheit haben, sich entsprechend
— ausgehend von diesen Fakten — zu überlegen, zu betätigen.
wohin die Reise gehen soll. (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg.
(Abg. Burger: Tragen Sie doch mal Ihre Dr. Schäfer [Tübingen]:: Sehr richtig! Früher
Überlegungen vor!) durften sie gar nicht reden!)
Ich möchte heute insbesondere zu diesem Ertl Die Preise standen heute oft im Mittelpunkt der
Programm, einem Programm für 'die Zukunft, Stel- Debatte. Dazu möchte ich eines sagen. Wer von Prei-
lung nehmen. sen spricht, muß auch anerkennen, daß uns alle in
(Abg. Dr. Stark [Nürtingen]: Ist das ein Zukunft die ungelöste Frage der Mengenregulierung
Ertl-Programm oder ein Höcherl-Programm?) in der EWG stark beschäftigen muß, wenn wir nicht
Gefahr laufen wollen, daß die Landwirtschaft selbst
Der deutschen Landwirtschaft ist nicht mehr damit mit dazu beiträgt, daß die Preise von Fall zu Fall
gedient, daß man ihr sagt: Jeder, der Bauer bleiben kaputtgeschlagen werden.
-
will, kann Bauer bleiben. Der deutsche Landwirt
Nun zu dem Förderungsprogramm. Ich habe davon
will vielmehr wissen, unter welchen Bedingungen
gesprochen, daß ich der Auffassung bin, daß die
er in der Zukunft Bauer bleiben kann. Ich glaube,
Bundesregierung mit diesem Programm eine Ant-
daß Minister Ertl und diese Bundesregierung die
wort auf die Frage gegeben hat, wohin die Reise
Antwort auf diese Frage nicht schuldig geblieben
in der deutschen Agrarpolitik gehen soll. Ich glaube,
sind.
daß gerade diese Tatsache der differenzierten Agrar-
Der Herr Kollege Ehnes hat heute vormittag politik hier in den Vordergrund gestellt werden
stellenweise den bayerischen Wahlkampf in dieses muß. Es ist von seiten des Herrn Bundeslandwirt-
Hohe Haus übertragen. schaftsministers nicht darum gegangen, ein Jahr zu
(Abg. Ehnes: Dazu brauche ich von Ihnen mogeln, sondern es ist darum gegangen, dieses
keine Stellungnahme!) Programm, das zugegeben bereits vorher im Bun-
deslandwirtschaftsministerium in Auftrag gegeben
Ich möchte darauf hinweisen, daß gerade in Bayern worden ist, für die deutsche Landwirtschaft trag-
mit Halbwahrheiten operiert wird, die ich von die- fähig zu machen, mit der deutschen Landwirtschaft
ser Stelle aus einmal abklären muß. In einer Wahl- zu diskutieren. Ich glaube, kein Minister vorher hat
kampfschrift heißt es z. B.: diesen Weg in so ausgezeichneter Weise beschritten,
Die Regierung und ihr Ernährungsminister (Lachen bei der CDU/CSU)
haben gleichfalls verschiedentlich darauf hinge-
wiesen, daß Einsparungen bei den Marktord- wie das von Herrn Ertl gemacht worden ist.
nungsausgaben der nationalen Agrarpolitik zu- (Beifall bei den Regierungsparteien.-Abg.
gute kommen müßten. Auch diese Versprechun-
Dr. Stark [Nürtingen] : Wahlkampf! — Wei
gen sind, wie schon manch andere, nicht wahr
terer Zuruf von der CDU/CSU: Das haben
gemacht worden. die Sachverständigen „bestätigt" !)
Tatsache ist — das wissen alle Kollegen dieses
Hauses, gleichgültig ob sie der Koalition oder der — Herr Kollege, Sie geben mir genau das Stichwort,
Opposition angehören —, daß vor drei Wochen nämlich die Fragen, die im Hearing aufgeworfen
198 Millionen DM an Marktordnungsausgaben in worden sind, als es darum ging: Förderschwelle, ja
Ausgaben der deutschen Landwirtschaft überführt oder nein. Gerade in dieser Frage hätte sich die
worden sind. Das ist die Wahrheit. werte Opposition beinahe auf einen völlig falschen
Dampfer gesetzt. Sie hatte sich bereits angeschickt,
(Zuruf des Abg. Ehnes.) die Vorschläge von Herrn Professor Weinschenk,
— Herr Ehnes, ich glaube, Sie müssen dafür sorgen, die er im Hearing des Ernährungsausschusses ge-
daß diese Unwahrheit im bayerischen Landtagswahl- macht hat, zu den ihren zu machen, nämlich die Vor-
kampf beseitigt wird. schläge, nach optimaler technischer Betriebsaus-
rüstung regional eine entsprechende Anzahl von Be-
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg.
trieben festzulegen. Ich frage Sie, wo nach einer
Ehnes: An erhöhten Zinsen geht noch mehr
solchen Einstellung überhaupt der Freiheitsspiel-
kaputt!)
raum der deutschen Landwirtschaft geblieben wäre.
Meine sehr verehrten Anwesenden, hier ist heute (Beifall bei der FDP. — Lachen bei der
nun auch das Verhältnis des Bauernverbandes zur CDU/CSU.)
Politik des Staates angesprochen worden. Ich ge-
höre nicht zu jenen, die der Auffassung sind, daß Das muß man hier einmal in aller Deutlichkeit
dieser Berufsstand nicht genauso demonstrieren sagen.
kann wie jeder andere Teil unseres Volkes. Das Wenn Sie der Meinung sind, daß die Neben- und
Recht der Demonstration ist in unserer Verfassung Zuerwerbslandwirtschaft zu kurz gekommen sei,
verbrieft, und es gilt für alle Gruppen. Ich stehe darf ich Ihnen sagen: Tatsache ist, daß die Neben-
auf dem Standpunkt, daß es richtig ist, daß ein und Zuerwerbslandwirtschaft heute in der Bundes-
echtes Spannungsverhältnis zwischen Berufsstand republik 65 bis 70 % der gesamten landwirtschaft-
und Regierung besteht. Ich freue mich, daß manche lichen Betriebe ausmacht. Ich selbst komme aus
Präsidenten — das ist das Neue an dieser Entwick- einem Gebiet der Neben- und Zuerwerbslandwirt-
lung —, nachdem sie jetzt der Opposition angehö- schaft. Ich gehöre nicht zu denen, die den Neben-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4405
Gallus
und Zuerwerbslandwirten nur deshalb gut zureden, Kooperationen fördern zu können, dort, wo sich
weil sie ihre Stimmen wollen, sondern ich gehöre Nebenerwerbslandwirtschaft entsprechend entwik-
zu jenen, die die Nöte der Familien, der Frauen, der keln wird.
Kinder gerade in den Zu- und Nebenerwerbsbetrie- Herr Ehnes, wenn Sie die Frage der Finanzierung
ben besser kennen als ein Großteil von denen, die hier so sehr in den Raum gestellt haben, dann muß
es aus den Großbetrieben heraus lediglich bei guten ich Ihnen einmal sagen: Wenn Sie hier konkrete
Ratschlägen belassen. Beispiele anziehen wollen, dann müssen Sie zuge-
Ich sage Ihnen eines: Ich würde Sie davor warnen, ben, daß bei einer Aussiedlung, die 340 000 DM ko-
in der deutschen Agrarpolitik die Neben- und Zu- stet, nach wie vor eine Altstellenbeihilfe von
erwerbslandwirtschaft ideologisieren zu wollen. 30 000 DM eingesetzt ist, eine Erschließungsbeihilfe
von 40 000 DM, 120 000 DM öffentliche Darlehen mit
(Zurufe von der CDU/CSU: Wer tut das
einem Zinssatz von 1 % und einer Tilgung von 2 %.
denn? —Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)
Erst die restlichen 100 000 DM, die darüber hinaus
Denn wer das tut, der leistet der deutschen Landwirt- - gehen, werden aus den zinsverbilligten Kapital-
schaft einen schlechten Dienst. marktmitteln genommen,
(Abg. Dr. Stark (Nürtingen) : Herr Gallus, (Zurf von der CDU/CSU: Bei doppelten
Sie sind doch der Chefideologe von dem Preisen!)
Verein!)
wobei wir alle glauben, daß der heutige Diskontsatz
Meine sehr verehrten Anwesenden, lesen Sie einmal eine vorübergehende Angelegenheit sein wird.
nach, was der Deutsche Bauernverband zur Neben-
Aber nun komme ich zum Kernpunkt dessen, was
erwerbslandwirtschaft herausgebracht hat! Dann
Herr Ehnes hier im Blick auf den bayerischen Wahl-
werden Sie hier eine andere Auffassung vertreten,
kampf als Vorwurf gegenüber dieser Koalition an-
die nicht nur vom politischen Stimmenfang gekenn-
gesprochen hat,
zeichnet ist.
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. (Abg. Ehnes: Das weise ich zurück! Das hat
Stücklen: Wie bei Ihnen!) mit der Wahl nichts zu tun!)

Ich darf in diesem Zusammenhang, weil ich schon nämlich als Vorwurf in bezug auf das Eigentum. Ich
eingangs davon gesprochen habe, nur noch einmal darf feststellen, daß gerade die CDU als Opposition
daran erinnern, daß mir die Förderschwelle, so wie in diesem Hause wie anderswo den Eindruck zu er-
wir sie heute haben, mit der regionalen zehnpro- wecken versucht,
zentigen Abschwächung und mit dem fünfprozenti- (Abg. Stücklen: Das hat Herr Dahrendorf
gen Beitrag für den Betriebsleiter mit 3200 DM Zu- uns eingebrockt!)
satzeinkommen aus nicht selbständiger Arbeit, lie-
als sei durch diese Koalition oder durch die FDP
ber ist als alles andere. Denn das, was Sie als Ersatz
das Eigentum als Institution gefährdet oder in Frage
dafür anbieten, ist nur dazu geeignet, ein Heer von
gestellt. Bei den krampfhaften Bemühungen, einen
Verwaltungsbeamten in eine Situation zu bringen,
Beweis dafür zu bringen, wird immer wieder die
daß sie nicht wissen, nach welchen Grundsätzen sie
eine oder andere Äußerung von Außenseitern zitiert,
bei der Förderung zu verfahren haben. Gerade von
weil keiner der anwesenden Kollegen der CDU oder
dieser Seite wird die Förderschwelle in dieser Form,
CSU in der Lage ist, eine Entscheidung oder Ent-
wie wir sie heute haben, begrüßt. Sie ist auch in
schließung vorzuweisen, und zwar entweder für
bezug auf die Situation in Süddeutschland völlig
diese Regierung oder für diese Koalition oder auch
ausreichend. Denn vergessen Sie nicht: wer in
von einem Entscheidungsorgan der FDP, daß die
Deutschland Agrarpolitik treibt, muß Rücksicht neh-
Institution des Privateigentums von uns in irgend-
men auf die Situation in den EWG-Ländern.
einer Weise gefährdet sei.
(Zurufe von der CDU/CSU: Auch auf die
(Abg. Stücklen: Herr Bremer!)
Preise! Das ist ja ganz neu!)
Und da haben Sie, Herr Ehnes, vergessen, daß die In der Ihnen eigenen Beziehung zur Wahrheit und
zu dem christlichen Gebot: „Du sollst kein falsches
Durchschnittsbetriebgröße in Frankreich, Holland
und Belgien größer ist als bei uns. Mit denen haben Zeugnis geben wider Deinen Nächsten"
wir uns zu messen. (Lachen bei der CDU/CSU)
(Abg. Dr. Ritz: Das haben wir nicht ge- verschweigen Sie gleichzeitig die Äußerungen und
wußt! Das haben wir noch nie gehört!) Stellungnahmen aus den eigenen Reihen,
Ich habe nicht für die EWG gestimmt; da war ich (Abg. Stücklen: Wo wäre Dahrendorf ge
noch nicht im Parlament. blieben?)
Meine sehr verehrten Herren Kollegen, nun ist die mindestens dem entsprechen, was Sie anderen
ja gerade hier die Frage sehr stark in den Vorder- vorwerfen', wenn sie nicht noch teilweise darüber
grund gerückt worden, ob die Nebenerwerbsland- hinausgehen.. Hier in diesem Hause oder in Land-
wirtschaft gefördert wird oder nicht. Ich sage: Sie ist tagswahlkämpfen wird so getan, als existiere ein
hervorragend plaziert in diesem Förderungspro- linker CDU-Flügel oder ein Herr Norbert Blüm in
gramm mit der Tatsache der Inanspruchnahme des der CDU überhaupt nicht und als habe es auch kein
Bäuerinnen-Programms, mit der Möglichkeit, Frem- Ahlener Programm gegeben. Dort jedoch, wo man
denzimmer ausbauen zu können, mit der Tatsache, glaubt, Arbeiterstimmen fischen zu können — mit
4406 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Gallus
entsprechenden Aussagen —, wird so getan, als be- Ich glaube, es sind Ansätze dafür gegeben, daß den
stehe die ganze CDU aus dem linken Flügel und als Bauern mehr gedient ist, als das bei dem vorigen
sei der Wirtschaftsrat die einflußreichste Nebener- Gesetzentwurf der Fall gewesen ist.
scheinung, die man sich überhaupt denken kann.
Nun noch ein Wort zum sozialen Ergänzungspro-
(Abg. Ehnes: Hat das mit Agrarpolitik etwas gramm. Obwohl ich lange Zeit anderer Auffassung
zu tun? Zur Sache!) war —
— Ich komme gleich dazu. (Zurufe und Lachen bei der CDU/CSU)
Im übrigen darf ich auf eine Stellungnahme von — ja, meine Damen und Herren, ich bin so ehrlich,
Professor Föhl in der Sachverständigenanhörung das zuzugeben —, begrüße ich die Tatsache, daß
zum Dritten Vermögensbildungsgesetz verweisen, diese Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur be-
wo er zu dem Investivlohnverfahren der CDU rufsständischen Krankenversicherung vorlegen wird,
meinte: die einige ganz wesentliche Elemente beinhalten
Es kommt mir fast so vor — und ich bitte, mir wird, nämlich daß die alte Last voll vom Staat über-
zu verzeihen, wenn ich es hier zum Ausdruck nommen wird und darüber hinaus genauso wie bei
bringe —, daß es die gute alte Marx-Ideologie der Berufsgenossenschaft die Möglichkeit des Ein-
ist, die hier wieder zum Tragen kommt. satzes von Betriebshelfern gegeben ist. In bezug
auf dieses Gesetz, für das bereits im Jahre 1972
Das ist bei der CDU geschehen. Es könnte auch sein, 320 Millionen DM vorgesehen sind, möchte ich ein-
daß ein Beschluß der Hamburger CDU zum Pro- mal mit den Worten des Präsidenten des Deutschen
grammparteitag noch nicht bis in die Köpfe der Bauernverbandes von Heeremann, sagen: Hier hat
heutigen Debattenredner der CDU/CSU vorgedrun- die Bundesregierung nicht gekleckert, sondern ge-
gen ist oder daß sie ihn schamhaft verschweigen, weil klotzt.
er so gar nicht in die Verdächtigungen der Koali- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
tionsparteien hineinpaßt, die die CDU-Repräsentan-
ten hier und anderswo verbreiten. Pressemeldungen Auch die offene Frage der Erhöhung des Alters-
zufolge — geldes ist von der FDP und dieser Bundesregierung
nicht aufgehoben. Sie ist aufgeschoben, weil auch
(Zurufe und Lachen bei der CDU/CSU) Sie als Opposition zugeben müssen, daß derjenige,
— ich habe sie hier! — verlangt nämlich die Ham- der es mit der Zukunft der deutschen Landwirtschaft
burger CDU, daß Wertsteigerungen von Grund- und mit ihrer sozialen Sicherung ernst meint, da-
stücken, die durch öffentliche Planung oder Investi- für sorgen muß, daß wir von der Altershilfe zu einer
tionen verursacht sind, der „Allgemeinheit zugute echten Altersversorgung kommen müssen. Zu die-
kommen müssen". Wenn man in dem Zusammen- ser echten Altersversorgung haben die deutsche
hang wie die Vertreter der CDU/CSU im Hinblick Landwirtschaft und der Staat ihren entsprechenden
auf den Entwurf eines Städtebauförderungsgesetzes Teil beizutragen. Dabei bin ich überzeugt, daß diese
von Sozialisierung spricht, so sind solche Vorschläge Bundesregierung bereit ist, diese Probleme in der
das Höchstmaß dessen, was man sich in diesem Zu- Zukunft mit dem Berufsstand zu klären.
sammenhang darunter überhaupt vorstellen kann. Wenn gerade in der heutigen Diskussion von sei-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) ten der Opposition immer wieder so sehr darauf
abgehoben wurde, als ob diese Regierung oder die
Wer mit seinen Linken, wie die CDU, selbst im FDP irgend jemanden mit sozialpolitischen oder Er-
Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. gänzungsmaßnahmen dazu zwingen wollte, das Feld
in der Landwirtschaft zu räumen, so darf ich hier
(Beifall bei den Regierungsparteien. — feststellen, daß der Entwurf eines Gesetzes der
Abg. Stücklen: Der sollte nicht mit „Bre- CDU/CSU zur Nachversicherung landwirtschaftlicher
mer" werfen! — Abg. Dr. Stark [Nürtin- Unternehmer in der gesetzlichen Rentenversiche-
gen] : Das ist wohl eine Wahlkampfrede von rung — Drucksache VI/438 — in erster Linie dieser
früher?! — Weitere Zurufe von der Tatsache Rechnung trägt, nämlich dahin gehend, die
CDU/CSU.) Dinge mit Druck bereinigen zu wollen. Hier heißt
— Herr Kollege, das bessert sich! Keine Sorge! es in der Begründung zu Art. 1 Nr. 2:

Was die Fragen des Städtebauförderungsgesetzes „Die Last der Nachversicherung für einen land-
wirtschaftlichen Unternehmer trägt nach dem
anbetrifft, können wir sehr wohl darauf verweisen,
daß unser Herr Bundeslandwirtschaftsminister we- Gesetzentwurf der Bund und der landwirtschaft-
sentlich dazu beigetragen hat, daß eine Verbesse- liche Unternehmer je zur Hälfte."
rung dieses Gesetzentwurfs erreicht wurde, insbe- — Das haben wir mit unseren 70 % weit über-
sondere im Hinblick darauf, daß wir eine klare Ab- schritten. —
grenzung der zu sanierenden Gebiete haben wer-
Dieser Vorschlag beruht auf der Erwägung, daß
den, daß die Frage des Preises im Einvernehmen
der Strukturwandel der deutschen Landwirt-
mit dem Landwirtschaftsministerium geregelt wer-
schaft in den letzten Jahren aus gesamtwirt-
den muß und — die Tatsache ist für die FDP von
entscheidender Bedeutung — daß die Möglichkeit schaftlichen Überlegungen — vor allem aber
durch die vorzeitige Verwirklichung des ge-
der Reprivatisierung besteht.
meinsamen Agrarmarktes — ausgelöst wurden
(Zuruf von der CDU/CSU: Aber wie?) und im Interesse des weiteren Wachstums der
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode- 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4407
Gallus
industriellen und gewerblichen Wirtschaft zu müssen, dann müssen wir antworten: wir haben in
beschleunigen ist. der Politik niemals eine Ideologie oder einen Ideo-
Meine sehr verehrten Damen und Herren Kolle- logieersatz gesehen; wir gehen vielmehr von den
gen von der Opposition, hier haben Sie niederge- Realitäten und den Notwendigkeiten aus. Das ist
schrieben, was Sie in dieser Diskussion bestreiten. gerade in unserem süddeutschen, kleinstrukturierten
Ich bin der Auffassung: wenn die Landtagswahl- Raum der Fall. Wenn Sie meinen, Herr Gallus, daß
kämpfe vollends vorüber sind und die Probleme der wir die überwiegende Anzahl von bäuerlichen Be-
deutschen Agrarpolitik sich versachlichen werden, trieben, die im Neben- und Zuerwerb bewirtschaftet
wird man auch in diesem Hause zu den Realitäten werden, von vornherein abschreiben sollten — bitte
zurückkehren und an die Verwirklichung der Vor- schön, dann wünsche ich Ihnen viel Glück und Er-
schläge herangehen. folg dazu.
(Zuruf bei der CDU/CSU: Das kann man Nun, meine Damen und Herren, lassen Sie mich
nur hoffen!) vorneweg ein Wort zu dem sagen, was heute
morgen Herr Bundestagsabgeordneter Dr. Schmidt
Sie werden dann feststellen, daß es keine wesent-
(Gellersen) erklärt hat. Herr Bundesernährungs-
liche Alternative in der deutschen Agrarstruktur-
minister Ertl mußte mehr oder weniger zugeben,
politik und Agrarsozialpolitik gegenüber dem gibt,
daß das, was Herr Dr. Schmidt sagte, nicht stimmt.
was diese Bundesregierung unter ihrem Bundes-
Ich sehen mich veranlaßt, auch dazu einiges zu
landwirtschaftsminister Ertl diesem Hause vorgelegt
sagen. Die auf Grund meiner Zwischenfrage an
hat.
Herrn Kollegen Dr. Schmidt gegebene Auskunft des
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Kollegen Schmidt, daß Staatsminister Dr. Eisenmann
dem einzelbetrieblichen Förderungsprogramm zuge-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
- stimmt hat, trifft nämlich nicht zu. Ich habe mit
Meine Damen und Herren! Das war die erste Rede Herrn Ministerialdirektor Hopfner vom Bayerischen
des Kollegen Gallus in diesem Hause. Wir wünschen Landwirtschaftsministerium gesprochen —
ihm eine erfolgreiche parlamentarische Laufbahn. —
(Zuruf des Abg. Fellermaier)
Meine Damen und Herren! Das Wort hat der Abge-
ordnete Niegel. — wir müssen uns ja vergewissern—, und er hat
erstens ausdrücklich erklärt, daß das besagte Proto-
Niegel (CDU/CSU): Herr Präsident! Meine sehr koll, das meinetwegen im Bundesernährungs-
ministerium bestehen kann, dem bayerischen Land-
verehrten Damen und Herren! Vielleicht darf ich an
wirtschaftsministerium nicht vorliegt. Zweitens hat
die schwungvollen Ausführungen des Herrn Kol-
Herr Dr. Eisenmann große Bedenken in der Länder-
legen Gallus anknüpfen, der in seine Jungfernrede
agrarministerkonferenz vorgetragen, und zwar a)
die Wahlkampfreden, die er derzeit im bayerischen
zur Höhe der Förderungsschwelle und generell zur
Landtagswahlkampf hält, übertragen und über-
Förderungsschwelle überhaupt und b) zur Frage der
nommen hat.
Zinsverbilligung. Denn Herr Dr. Eisenmann hat —
(Abg. Fellermaier: Dann hat er von Herrn und das hat Herr Minister Ertl heute auf die Frage
Ehnes gut gelernt!) von Herrn Ehnes zugeben müssen — eine Zins-
— Das Stichwort Ehnes werde ich gleich aufgreifen. verbilligung auf 3 % gefordert. Und er hat c) seine
Sie haben meinen Kollegen Ehnes kritisiert, und Bedenken zur Koppelung der Landabgabe mit
ich muß sagen: Herr Kollege Ehnes ist in seiner Sozialmaßnahmen vorgetragen. Hierzu meldete er
heutigen Einführungsrede zur Begründung der seine großen Bedenken an, und die stehen auch
Großen Anfrage meines Erachtens sachlich gewesen, heute noch im Raum. Das wollte ich zur Klarstellung
deutlich sagen.
(Widerspruch von der SPD)
Ein Weiteres. Herr Bundesernährungsminister, mir
wenn man es abwägt, auf jeden Falle sachlicher
liegt Ihr Flugblatt vor, das Sie in einer Auflage von
als Herr Gallus in seiner halben Stunde. Zum
235 000 Stück an die bayerischen und vor allem an
zweiten muß ich erklären, wenn man sagt, Herr
die mittelfränkischen Bauern gerichtet haben, mit
Ehnes habe die Atmosphäre des Wahlkampfes ge-
dem Titel „Liebe Bäuerinnen und Bauern". Darin
rade in der Frage des Eigentums in die Debatte ge-
schreiben Sie unter F:
tragen, so muß ich antworten, daß Herr Ehnes —
erstens — nicht Wahlkampfleiter der CSU in Bayern Gerade aber die Bäuerin und der Bauer müssen
ist und — zweitens — Abgeordneter des Wahl- die ganze Wahrheit kennen. Nur so können
kreises Ansbach ist. Das möchte ich klar heraus- sie beurteilen, wer wirklich hilft.
stellen. Sie haben dann auch in Anzeigen in landwirtschaft-
(Zuruf bei der SPD: Na und?) lichen Fachblättern, insbesondere in der „Hopfen-
Die Rede des Herrn Ehnes war sachlich und mit rundschau", herausgestellt, daß Sie der Garant für
Zahlen untermauert und ist bis jetzt noch nicht eine ehrliche Politik sind. Da sollte man meinen,
widerlegt worden, auch nicht vom Herrn Bundes- daß man es in diesem Flugblatt — das zwar nicht
ernährungsminister. Sie persönlich und nicht die FDP herausgeben, son-
dern das laut Impressunm vom Bundesministerium
(Beifall bei der CDU/CSU.)
für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Bonn,
Wenn Herr Gallus meinte, uns vor einer Ideologi- Oktober 1970, herausgegeben wurde, also praktisch
sierung der Nebenerwerbslandwirtschaft warnen zu eine offizielle Schrift 'darstellt — mit dem angekün-
4408 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Niegel
digten Prinzip der Wahrheit auch ernst meint. Man gesetz mit Recht aufgeschreckt worden ist, lediglich
hat darin verglichen, was der Bund und was der ein wenig Sand in die Augen streuen und sie be-
Freistaat Bayern für die Landwirtschaft leisten. Hier ruhigen. Denn eine Rechtsverordnung kann einen
hat man es mit der Wahrheit nicht so genau genom- vom Gesetzgeber geschaffenen Rahmen niemals
men. Die Zahlen der Leistungen des Freistaats durchbrechen. Wenn der Entschädigungsrahmen in
Bayern wurden hier wesentlich geringer angegeben, § 20 auf den landwirtschaftlichen Verkehrswert be-
als sie tatsächlich sind. Zum Beispiel gibt der Herr grenzt ist, kann der Verordnungsgeber niemals dar-
Minister Ertl an — er ist ja für diese Schrift ver- über hinausgehen. Das wollte ich jedenfalls dazu an-
antwortlich —, daß Bayern für die Flurbereinigung gemerkt haben.
nur 74 Millionen DM zusteuert. Tatsache ist, daß
101 Millionen DM gegeben werden. Praktisch wurde Herr Bundesminister Ertl, Sie haben dem Städte-
ein Viertel unterschlagen. Auf dem Gebiet ,des land- bauförderungsgesetz in dieser Form Ihre Zustim-
wirtschaftlichen Wegebaus ist noch krasser. Hier mung gegeben, und es hat das Kabinett passiert.
wird gesagt, daß nur 1,1 Millionen DM gegeben Dafür hätte ich vielleicht Verständnis, wenn man
werden. Tatsache ist, daß 5,4 Millionen DM gege- sagte: Lassen wir es wegen des Koalitionsverhält-
ben werden. Ich könnte hier Position um Position nisses, das wir nicht stören wollen, im Kabinett
aufgreifen, wo die Wahrheit praktisch unterschlagen durchgehen. Sie haben aber dann draußen in Ver-
wird. sammlungen, in Stellungnahmen und Interviews
immer wieder betont, daß Sie hundertprozentig zu
Nun, Herr Minister Ertl, ich unterstelle, daß Ihre diesem Städtebauförderungsgesetz stünden und es
Unterlagen vielleicht nicht ganz vollständig waren auch verträten. Das ist natürlich etwas anderes, als
und Sie vielleicht nicht den Mut hatten, beim Staats- wenn es nur im Schnellschußverfahren das Kabinett
minister Dr. Eisenmann anzurufen und ihn zu bitten, passiert. Sie billigen also nach wie vor auch die
daß er Ihnen die wirklichen Zahlen gibt. Aber dann, darin enthaltenen eigentumsfeindlichen Tendenzen,
so meine ich, müßten Sie das auf jeden Fall in einer die insbesondere von den Bauernverbänden sowie
gleichen Auflage von 235 000 Stück noch rechtzeitig den Haus- und Grundbesitzerverbänden herausge-
vor dem 22. November korrigieren; denn sonst ist stellt worden sind. Ich weiß, daß die Bauernver-
es mit der Wahrheit vorbei. bände mit Ihnen und auch mit dem Wohnungsbau-
Nun möchte ich noch eine Bemerkung zur Ant- ministerium verschiedene Gespräche geführt und
wort auf die Große Anfrage machen. Hier wurde auf ihre Bedenken hingewiesen haben. Sie haben
heute morgen von Kollegen Ehnes ganz deutlich her- Sie auch gebeten, Herr Minister Ertl, Sie möchten
ausgestellt, daß die Antwort unvollständig und zum im Hinblick auf das neue Urteil über die Besteue-
Teil irreführend ist und daß mit falschen Zahlen rung des Verkaufs von Grund und Boden Ihre Hal-
operiert wurde. Diese Behauptung — ich habe es tung revidieren, um zumindest zu einer verbesser-
vorhin schon gesagt — ist noch nicht aus dem Raum. ten Form der Entschädigung beizutragen. Sie haben
Ich bitte Sie doch, dazu ganz deutlich Stellung zu aber diese Eingabe des Bauernverbandes zur Be-
nehmen. steuerung ebenfalls abgelehnt.
Eine weitere Ergänzung. Sie stellen jetzt die An- Ich will auf Einzelheiten des Städtebauförderungs-
hebung des Trinkmilchpreises als den großen Erfolg gesetzes hier nicht eingehen.
heraus und meinen, damit könnte das Einkommen (Zuruf von der SPD: Das ist auch besser so!)
der Landwirtschaft wesentlich verbessert werden.
Ich begrüße es, daß es zur Anhebung des Trinkmilch- Es ist auch nicht meine Aufgabe, heute darüber eine
preises kommt. Aber damit sind die Probleme kei- Debatte zu führen. Ich wollte nur sagen, daß die
neswegs gelöst. Denn gerade was die bayerische Regelung, auf die sich Herr Minister Ertl beruft, für
Landwirtschaft betrifft, wird von den 4 Pf, um die die Landwirtschaft keineswegs akzeptabel ist und
der Preis angehoben wird, im Höchstfall ein halber daß dagegen auch der Deutsche Bauernverband als
Pfennig bei der Landwirtschaft ankommen, und Vertreter der Landwirtschaft ist.
zwar infolge des geringen Trinkmilchanteils. Ich möchte aber noch etwas anderes ansprechen,
Herr Gallus, Sie haben vorhin die Frage des Herr Bundesminister. Es gibt — das ist vorhin schon
Städtebauförderungsgesetzes und der Eigentums- erwähnt worden — Leute Ihres FDP-Bundesvorstan-
politik angesprochen. Herr Minister Ertl hat heute des, die bewußt die Eigentumsfrage zur Diskussion
morgen darauf hingewiesen, daß er es gewesen stellen und sagen, Eigentum sei kein Tabu mehr.
sei, der das Städtbauförderungsgesetz wesentlich Lassen wir einmal die Jungdemokraten und auch
verbessert habe. Da muß ich gleich fragen, Herr die Jungsozialisten beiseite, für die ich Ver-
Minister Ertl: Wo liegt denn die echte Verbesse- ständnis habe. Aber es gibt auch noch ganz andere,
rung des Städtebauförderungsgesetzes? — Sie ha- stellvertretende Ausschußvorsitzende in diesem
ben lediglich den § 48 Abs. 5 eingeführt, der davon Hause, die geachtet sind, die sich bewußt zur Frage
spricht, daß eine Verordnung erlassen werden kann, des Eigentums äußern. Ich darf aus der „Oberhessi-
die gewisse Richtwerte für die Entschädigung von schen Presse" vom 2. Oktober 1970 zitieren. In Mar-
Grund und Baden ,der Landwirtschaft vorsieht. Da- burg hat der Herr Kollege Martin Hirsch Ausfüh-
zu möchte ich klar sagen, daß diese Verordnung rungen zum Bodenrecht gemacht. Er ergänzte z. B.
keineswegs über , die einschneidenden Bestimmun- Feststellungen zum Bodenrecht damit, daß er sagte,
gen des Entwurfs der Regierung für ein Städtebau- es sei eines der großen Versäumnisse der letzten
förderungsgesetz hinausgehen kann. Man wollte der Regierung gewesen, das Bodenrecht nicht geändert
Landwirtschaft, die durch das Städtebauförderungs- zu haben. Er fuhr fort, er halte es für unmöglich,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4409
Niegel
daß Grund und Boden überhaupt noch in Privat- Geben Sie bitte eine Erklärung dazu, Herr Bun-
hand seien. Hören Sie sich einmal diesen Ausspruch desminister, warum kein Vertreter der bäuerlichen
an! Der dortige Oberbürgermeister Drechsler warf Landwirtschaft in dieser Bodenrechtskommission ist,
noch ein, man müsse zu einer Lösung kommen, wie und geben Sie eine Auskunft darüber, warum kein
sie die Sozialdemokratie vor hundert Jahren gefor- Vertreter des Haus- und Grundbesitzes darin ist. Ge-
dert habe. ben Sie eine Auskunft, warum keine bekannten Ver-
fassungsrechtler darin sind. Sagen Sie vielleicht
(Abg. Dr. Ritz: So rückständig ist man!)
auch, ob Sie überhaupt dazu gehört worden sind.
Falls nicht, würde ich mich an Ihrer Stelle beim
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Bundeskanzler beschweren, daß eine Bodenrechts-
Zwischenfrage des Abgeordneten Fellermaier? kommission eingesetzt wird, die das Bodenrecht da-
hin gehend reformieren will, wie ich es vorhin zi-
tiert habe.
Niegel (CDU/CSU) : Bitte schön, Herr Kollege!
(Abg. Saxowski: Das ist eine Behauptung,
die völlig verdreht ist! — Weitere Zurufe
Fellermaier (SPD) : Herr Kollege, haben Sie sich von der SPD.)
eigentlich einmal darum bemüht, vor Ihrer Rede die Abschließend möchte ich nur sagen, meine Damen
gesamten Ausführungen, die der stellvertretende und Herren, daß die Frage des Eigentums für uns
Fraktionsvorsitzende der SPD, Martin Hirsch, dort keine Frage des Wahlkampfes ist. Wir werden auf
gemacht hat, zu prüfen, Ausführungen, bei denen jeden Fall, solange wir hier in der Opposition sind,
er sich — das darf ich hier sagen — sicherlich vom aufpassen, daß mit dem Eigentum hier nichts pas-
Godesberger Programm dieser Partei hat leiten las- siert. Gerade die Landwirtschaft hat hier am meisten
sen, das unverändert gerade auch für diese Fragen zu verlieren. Ich wünsche Ihnen, Herr Bundes-
gilt? minister Ertl, daß Sie Ihre Aufpasserrolle richtig
ernst nehmen. Bisher haben Sie meines Wissens auf
Niegel (CDU/CSU) : Herr Kollege Fellermaier, diesem Gebiet nicht das erfüllt, was Sie draußen
wenn Sie das Godesberger Programm so auslegen in Bierzelten sagen.
— wie es Herr Martin Hirsch ausgelegt hat —, daß
der Grund und Boden nicht mehr in Privathand sein (Beifall bei der CDU/CSU.)
soll, dann gratuliere ich Ihnen zu dieser Erläuterung.
Aber auch die Arbeitnehmerkonferenz der SPD in Präsident von Hassel: Das Wort hat der Ab-
Schweinfurt hat am 10. und 11. Oktober eine ähn- geordnete Marquardt.
liche Forderung gestellt. Aber nicht nur das! Der
SPD-Parteitag in München sprach sich in einer Ent- Marquardt (SPD) : Herr Präsident! Meine Da-
schließung für die Bodenkommunalisierung aus, men und Herren! Es lohnt nicht, auf das, was der
ebenso der SPD-Unterbezirk von Bremen und auch Kollege Niegel gesagt hat, einzugehen.
der SPD-Oberbürgermeister Möller in Frankfurt. (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Es sind also nicht allein die Jungsozialisten und die
Jungdemokraten, Auch das dauernde Beschwören von Vermutungen
macht die Dinge nicht real.
(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Auch in der
Jungen Union gibt es solche Stimmen!) Aber in Wort zu dem, was der Genosse Dr. Ritz
so mit großer Entrüstung — —
es sind schon Leute, die man ernst nehmen muß.
Ich möchte vor diesen eigentumsfeindlichen Ten- (Zurufe von der CDU/CSU: Genosse?)
denzen. ganz deutlich warnen. — Kollege. Wir haben einmal eine Zeit gehabt, da
Herr Bundesminister Ertl, wenn Sie schon, wie unterschrieb man „Ritz, Schmidt und Genossen".
Sie sagen, sich für das Eigentum hinstellen — das Seitdem ist er mir in so guter Erinnerung, genossen-
hat auch der Herr Dr. Griesau in seinem Wahlbrief schaftlich gesehen, so daß das entschuldbar bleibt.
an die hessischen Bauern herausgestellt —, dann, Herr Kollege Ritz, Sie haben sich vorhin so sehr
meine ich, sollten Sie ebenfalls so viel Einfluß auf entrüstet und so getan, als hätten wir hier darge-
das Bundeskabinett nehmen und genommen haben, stellt, ein Jahr prachtvollster Entwicklung liege hin-
daß in der Bodenrechtskommission, die von Bundes- ter uns. Ich finde, Sie sind einer Sinnestäuschung
minister Lauritzen einberufen wurde, auch Leute unterlegen. Sie sind nämlich der Wunschvorstellung
vertreten sind, die zumindest vom Eigentum her nachgelaufen, als könne diese Debatte völlig so ge-
kommen, ferner entsprechend qualifizierte Juristen, führt werden, wie Sie sich das in der Anlage gedacht
Verfassungsjuristen, welche die Frage des Boden- hatten: daß hier die Angeklagten auf der Regie-
rechts verfassungsrechtlich beurteilen. rungsbank säßen und Sie feste auf sie eindonnern
könnten. Das ist eine Fehleinschätzung.
Präsident von Hassel: Herr Abgeordneter, (Zuruf des Abg. Dr. Ritz.)
Ihre Redezeit läuft langsam ab. Ich darf Sie bitten, — Herr Ritz, in dieser Einschätzung, wie Sie sich
zum Abschluß zu kommen. das hier vorgestellt haben, gehe ich sicher nicht ganz
fehl. Denn derjenige, der ohne kritische Distanz
Niegel (CDU/CSU) : Ich werde zum Abschluß Ihre Große Anfrage mit den in Frageform gekleide-
kommen, Herr Präsident. ten Unterstellungen gelesen hat, und wer die Pole-
4410 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Marquardt
mik, von Ihren Wahlrednern draußen verkauft, über waren, und bietet demjenigen, der davon betroffen
sich ergehen lassen muß, konnte zu zwei verschiede- ist, nur geringen Trost. Der Umstand, daß jetzt der
nen, aber gleichermaßen falschen Schlußfolgerungen Butterberg, der Zuckerberg und der Getreideberg
kommen. fast weggeschmolzen worden sind, ändert die Tat-
sache auch nicht. Auf die Dauer und bei etwa noch
Die erste Folgerung wäre die, daß er meinen größer werdender Produktion werden wir die enor-
könnte, die deutsche Landwirtschaft habe 20 Jahre men Mittel zur Denaturierung, zur Exportförderung
prachtvollster Zeiten, 20 herrliche, goldene Jahre politisch kaum noch vertreten und wegen der finan-
hinter sich, und erst in dem einen Jahr sozial-libe- ziellen Enge schwerlich noch aufbringen können.
raler Koalition sei das große Chaos über sie herein- Wir haben eine Marktsättigung, und wir haben teil-
gebrochen. Es gibt die zweite Schlußfolgerung, daß weise Überproduktion. Von daher läßt sich meines
er nämlich meinen könnte, diese sozial-liberale Erachtens eine pauschale allgemeine Preiserhöhung
Koalition sei gar schon 20 Jahre am Wirken, das derzeit nicht durchsetzen. Hinzu kommt — das wis-
Chaos — das Sie hier immer aufzeigen — sei die sen Sie wie wir —, daß solche Preisbeschlüsse in
Folge ihres Tuns und es sei allerhöchste Zeit, daß Brüssel einstimmig getroffen werden müssen, und
die Opposition endlich an das Regieren komme, um wir kennen doch aus leidvoller Erfahrung die Schwie-
ihre umwälzenden Vorstellungen in die Tat umzu- rigkeit eines solchen Begehrens. Wer dagegen Be-
setzen. hauptungen von der Art, es sei wohl möglich, ein
(Zuruf von der CDU/CSU: Es wurde sogar Plus von 15 % zu erreichen, aufstellt, betreibt
von „Bauchladen" gesprochen!) Augenauswischerei.
— Ja, ja. — Es ist ein sehr simpler Versuch der Zum Beweis dafür, daß ich mit dieser Einschät-
Opposition, von den eigenen Fehlern und Unterlas- zung, die die Regierung ja ebenso vertritt, nicht
sungen der Vergangenheit abzulenken, den Schwar- allein stehe, will ich einen Teil einer früheren Rede,
zen Peter anderen zuzuschieben und die Legende die in diesem Hause gehalten worden ist, zitieren.
von der eigenen Unschuld und von der eigenen Voll- Da heißt es:
kommenheit aufzubauen. Sie werfen dieser Regie-
rung und den Regierungsparteien Halbwahrheiten Die vor allem unter einkommenspolitischen
am laufenden Band vor. Was Sie gebracht haben Gesichtspunkten getroffenen Preisbeschlüsse der
Gemeinschaft waren bei einigen wichtigen Er-
und was von Ihnen im Wahlkampf behauptet wor-
den ist, das ist schon fast die volle Unwahrheit. zeugnissen nicht in der Lage, ein Gleichgewicht
Solche Fehldarstellungen, Herr Dr. Ritz, haben es an zwischen Angebot und Nachfrage herzustellen.
sich, daß sie, wenn man ihnen nicht ständig wider- Insbesondere bei Zucker und Milch sind struktu-
spricht, Wurzel fassen. Deshalb habe ich mich zum relle Überschüsse entstanden,
Wort gemeldet. Ich möchte nochmals einiges gerade- — das ist, nebenbei gesagt, jetzt auch noch so —
rücken, auch wenn Ihnen das langweilig erscheinen
die nur mit steigenden finanziellen Aufwendun-
mag.
gen auf den Märkten innerhalb und außerhalb
Zunächst zwei grundsätzliche Bemerkungen zur der Gemeinschaft untergebracht werden können.
Preispolitik. Niemand — da ist sich das Haus wohl Obwohl der politische Druck in Richtung auf
einig — mißgönnt der deutschen Landwirtschaft eine Senkung dieser Preise ständig wächst,
kostendeckende oder kostenorientierte Preise. Auch wird die Bundesregierung bei den bevorstehen-
wir Sozialdemokraten anerkennen die Leistungen den Brüsseler Verhandlungen mit Rücksicht auf
der Landwirtschaft für unsere Volkswirtschaft und die wirtschaftliche Situation der Landwirtschaft
wissen, mit welchen Schwierigkeiten die Landwirt- mit Nachdruck für die Beibehaltung der derzei-
schaft ringt. Deshalb wird ihr auch Hilfe zuteil. tigen Preisverhältnisse bei Milch und Zucker
Meine Fraktion ist mit dem Koalitionspartner und eintreten.
der Regierung willens, das, was an preispolitischen (Beifall in der Mitte.)
Möglichkeiten gegeben ist, auszuschöpfen. Was wir — So bescheiden waren Sie einmal, meine Damen
darunter verstehen und was wir für möglich halten, und Herren! —
haben wir unter der Ziffer 1 unseres Antrages nie-
dergeschrieben. Das ist unsere Aussage zu diesem Andererseits muß klar ausgesprochen werden,
Bereich. daß bei den Waren mit strukturellen Überschüs-
sen die Grenzen der Preispolitik eindeutig er-
Allerdings haben wir — darin unterscheiden wir reicht sind. Zur Eindämmung der wachsenden
uns vielleicht von Ihnen, insbesondere sicherlich Kosten der Finanzierung dieser Überschüsse,
von Herrn Klinker — eine Selbstbeschränkung vor- die allein mehr als die Hälfte des gesamten
genommen, weil wir die Augen nicht davor ver- Agrarfondsvolumens beanspruchen, ist die preis-
schließen können, daß unserem Begehren bei admini- politische Abstinenz bei Überschußproduktion
strativ festgelegten Preisen Grenzen gesetzt sind. eine sowohl agrar- wie auch finanzpolitische
Wie auch die Antwort der Regierung deutlich ge- Notwendigkeit.
macht hat, leiden wir in der Europäischen Gemein-
Und nun hören Sie den letzten Satz:
schaft — wir können das beklagen; aber es ist so —
immer noch an strukturellen Überschüssen bei ein- Eine Anhebung dieser Preise bei diesen Waren
zelnen Erzeugnissen. Daß die Landwirtschaft der ist erst dann wieder möglich, wenn die steigen-
Bundesrepublik daran am wenigsten beteiligt ist, de Nachfrage in das Angebotsvolumen hinein-
ändert nichts an der Tatsache, daß diese Berge da gewachsen ist,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4411
Marquardt
Sie werden es kaum glauben: der das gesagt hat, zeugnissen; längerfristig gesehen für 1961 bis 1967
ist der frühere Minister Höcherl. ein Rückgang im Preis von 14 % bei pflanzlichen
(Abg. Dr. Ritz: Das glaube ich sofort!) Erzeugnissen, aber Lohnerhöhungen im landwirt-
schaftlichen Bereich um 53 %.
Und das, was er gesagt hat, ist weiterhin gültig,
denn die strukturellen Überschüsse sind weiterhin Meine Herren von der CDU/CSU, das ist die
vorhanden. Das bleibt Wahrheit, Herr Ritz. Wahr- historische Wahrheit. Sie mögen sagen: Was soll
heiten schmecken bitter, aber sie sind besser als man schon mit statistischen Durchschnittszahlen, mit
Schönfärberei und Illusionsmacherei. Indexziffern kann man alles begründen. Wenn Sie
aber so argumentieren — Sie haben es heute zum
(Beifall bei Abgeordneten der SPD. — Abg. Teil versucht —, müssen Sie sich den Spiegel der
Dr. Ritz: Wir haben der Finanzregelung zu- Vereinfachung selbst vorhalten, und Sie müssen das
gestimmt, ohne uns um das Marktgleichge- dann auch für die Ertragslage der Landwirtschaft
wicht zu bemühen!) gelten lassen. Damit meine ich, daß es ein bißchen
— Auch richtig! — Aber nun eines, Herr Ritz: ob zu einfach ist, immer nur von der Landwirtschaft
es uns gefällt oder nicht, es bleibt uns im Bereich und der Ertragslage der Landwirtschaft zu spre-
der Preise nur ein enger Bewegungsspielraum. Und chen. Sie wissen auch um die Einkommensunter-
von daher haben wir den Rückschluß gezogen, daß schiede zwischen Hackfrucht- und Futterbaubetrie-
die besondere Verpflichtung und die Notwendigkeit ben, zwischen den Betriebsgrößen und in den Pro-
besteht, mit anderen Mitteln und Maßnahmen die blemgebieten. Deshalb kann man mit pauschalen
Einkommenslage und die Wettbewerbsfähigkeit Maßnahmen, mit den klassischen Mitteln der Agrar-
unserer Landwirtschaft verbessern zu helfen. Auch struktur nicht weiterkommen und schon gar nicht
wenn Sie diesen Bereich der Politik nehmen, finden mit den „Gießkannen"-Hilfen unseligen Angeden-
Sie in früheren Reden von Herrn Höcherl beherzi- kens. Von daher sind wir darangegangen, eine Bün-
genswerte Feststellungen, die Ihre eigenen Legen- delung agrarstruktureller, marktstruktureller, sozial-
den selbst widerlegen. Ich wundere mich, denn das, politischer und regionalpolitischer Maßnahmen vor-
was er heute zur Regionalpolitik gesagt hat, steht in zunehmen und individuell zum Einsatz zu bringen.
diametralem Widerspruch zu dem, was der gleiche Noch etwas, was Sie sich in Erinnerung rufen
Herr Höcherl, der ja Trapezkünstler eigener Art ist sollten: Wir haben erste gute Ansätze mit dem
und trotz seines gedrungenen Körperbaues den drei- Agrarprogramm der Großen Koalition gehabt,
fachen Salto ständig zustande bringt, übrigens einem Programm, für das Sozialdemokra-
(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD) ten tatkräftig Entwicklungshilfe geleistet hatten.
Wir haben das Marktstruktur- und das Marktfonds-
sagte, als er vor anderthalb Jahren Herrn Schiller
gesetz aus diesem Hause heraus entwickelt. Aber
noch und noch lobte, und wovon er heute als Herr
leider ist so vieles, was daraus möglich gewesen
Höcherl gar nichts mehr wissen will.
wäre, unerfüllt geblieben, wobei ich nicht unter-
(Beifall bei Abgeordneten der Regierungs- suchen will, aus welchen Gründen; auch das ist
parteien.) heute schon angesprochen worden. Die sozial-
Sehen Sie, die CDU/CSU stellt mit — ich will es liberale Koalition ist ein Stück darüber hinaus-
einmal so vorsichtig ausdrücken — schöner Einfach- gegangen. In Richtung auf eine moderne Agrar-
heit in der Begründung ihrer Großen Anfrage fest, politik haben wir erstmalig durch das hier schon
daß die Politik der Bundesregierung — dazu geführt beschriebene einzelbetriebliche Förderungspro-
habe, daß sich die Preis-Kosten-Schere zuungunsten gramm ein umfassendes, in sich geschlossenes und
der Landwirtschaft geöffnet habe. Ich gehe wohl vor allem zukunftweisendes Instrumentarium ge-
nicht fehl in der Annahme, daß Sie damit den Ein- schaffen, das Hilfe zur Selbsthilfe, zur Anpassung
druck erwecken wollten, als sei diese Entwicklung — und zur Umstellung in der Landwirtschaft geben
die Öffnung einer Preis-Kosten-Schere — etwas ganz soll.
Neues, als sei sie erstmalig als Folge des Tuns der Nun, wir geben es zu, das ist kein bequemes
neuen Regierung zu beobachten. Papier. Das setzt im Bereich der Investitionsförde-
(Abg. Dr. Klepsch: Neu ist die ja nicht!) rung beispielsweise harte Kriterien und Voraus-
setzungen.
Deshalb auch hier zwei Feststellungen. Erstens.
Wie die Regierung überzeugend dargestellt hat, Präsident von Hassel: Herr Kollege, die Zeit
sind Ihre Behauptungen und Unterstellungen zu- läuft ab.
mindest für das Wirtschaftsjahr 1969/70 unrichtig.
Das zweite: Richtig ist dagegen, daß in der Ver- Marquardt (SPD): Aber auch das bejahen wir.
gangenheit unter 20 .Jahren Kanzlerschaft der CDU/ Meine Herren Bewerunge, Dr. Ritz, wie ich Sie
CSU tatsächlich eine Preis-Kosten-Schere entstan- hier sitzen sehe, wie viele Gedanken haben wir
den ist. Wenn Sie es noch näher wissen wollen, uns im Ausschuß auch darüber gemacht, welche
lesen Sie die Reden des früheren Bauernverbands- Fehlinvestitionen und Fehlentwicklungen es in der
präsidenten Rehwinkel nach. Der hält Ihnen am Vergangenheit gegeben hat. Wir sind der Meinung,
laufenden Band den Spiegel vor. daß für unsere Landwirtschaft und ihre Dispositio-
Ich will hier nicht alle möglichen Beispiele auf- nen Stunden der Wahrheit und der Klarheit hilf-
zählen. Rechnungsjahr 1966/67 Preisverfall 13 % bei reich sind. Wir wollen nicht, daß die Schallplatten
pflanzlichen Erzeugnissen, 7 % bei tierischen Er- der Vergangenheit wieder aufgelegt und gespielt
4412 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Marquardt
werden. Wir werden gemeinsam mit unserem in eine ganz beachtliche Liquiditätsenge geraten
Koalitionspartner die begonnene neue Agrarpolitik ist. Finanzierungen aus Eigenkapitalbildungen kom-
fortsetzen, auch gegen Obstruktion und Widerstand men überhaupt kaum in Betracht. Das Ausweichen
Neu- oder Altkonservativer durchsetzen. auf den Agrarkredit zur Überbrückung ist bei den
augenblicklichen Konditionen kaum zu verantwor-
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
ten. Aus der Antwort der Bundesregierung geht
zwar hervor, daß bei langfristigen Krediten unter
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Ab- Hinzurechnung der Zinsverbilligung im Augenblick
geordnete Bittelmann. mit einem Anstieg des bisherigen Zinssatzes um
1 1 /2 % zu rechnen ist. Das würde bei langfristigen
Bittelmann (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Krediten allerdings schon eine Zinssteigerung von
sehr verehrten Damen und Herren! Die Bundes- 50 % bedeuten. Aber führende Agrarkreditinstitute,
regierung behauptet, genau wie der Herr Minister bei denen ich mich erkundigt habe, haben mir vor-
Ertl es gestern nachmittag und heute vormittag gerechnet, daß die Landwirtschaft für das Fremd-
wieder getan hat, die Landwirtschaft habe an der kapital für die kurz-, mittel- und langfristigen Kre-
allgemeinen Einkommens- und Wohlstandsentwick- dite, im Kalenderjahr 1970 im Vergleich zu 1969 auf
lung teilgenommen. Mit solchen Behauptungen ist Grund der Erhöhung des Zinssatzes 270 Millionen
den Landwirten nicht geholfen, insbesondere dann DM zusätzlich aufbringen muß. Meine Damen und
nicht, wenn sie feststellen müssen, daß das nicht Herren, darin sind nicht die kurzfristigen Verbind-
zutrifft. lichkeiten oder die Warenkredite beim Landhandel
(Abg. Dr. Klepsch: Sehr wahr!) enthalten. Sie können auch sagen: die Waren-
Herr Minister Schiller hat heute gesagt, der Ein- schulden, die die Landwirte beim Landhandel
kommensabstand sei nicht größer geworden. Er hat haben, die eine Größenordnung von 3 Milliarden
wahrscheinlich das Wirtschaftsjahr 1969/70 gemeint. DM ausmachen. Dort schlägt der Zins von 12%
Es geht aber darum, jetzt exakte Unterlagen über mindestens heute voll durch.
die derzeitige Situation der deutschen Landwirt- (Abg. Dr. Klepsch: Hört! Hört!)
schaft zu erstellen und festzustellen, welche Mög-
Unter Berücksichtigung der Tatsache, daß es im vori-
lichkeiten der Entwicklung sie mittel- und lang-
gen Jahr noch 8 % waren, bringen die 4 % mehr bei
fristig hat, um ein gleichrangiger Partner in der
3 Milliarden DM noch einmal 120 Millionen DM Zin-
Volkswirtschaft zu werden; nur dann lassen sich sen, so daß die Landwirtschaft am Ende dieses Jah-
die nötigen Schlußfolgerungen ziehen. Dazu gehört
res 390 Millionen DM Zinsen mehr aufzubringen
vor allem, daß die gesamte Kostensituation und hat. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das
hier insbesondere die Belastungen durch das Fremd-
ist ein Viertel des Betrages, den die Landwirtschaft
kapital genau beobachtet werden.
insgesamt in diesem Jahr an Zinsleistungen zu er-
Die Antwort der Bundesregierung auf die Frage, bringen hat. Das sind 25 % Zunahme während eines
in welchem Maße die wirtschaftlichen Betriebe durch Jahres!
die Kreditkostenerhöhung auf Grund der Diskont- Nun, meine Damen und Herren, geben Sie genau
erhöhung zusätzlich belastet werden, halte ich für acht! Im Jahre 1970 muß die Landwirtschaft 390 Mil-
unbefriedigend.
lionen DM an Zinsen mehr aufbringen. Im Haushalt-
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.) plan der Bundesregierung steht eine Zinsverbilligung
Der Hinweis, daß keine Agrarkreditstatistik besteht, von 392 Millionen DM. Das heißt, wer gehofft hat,
ist, glaube ich, ein Ausweichen. Es wäre für die einen erheblichen Betrag für Zinsverbilligungen zu
bekommen — 392 Millionen DM —, muß auf der
Regierung ein leichtes gewesen, sich bei den führen-
anderen Seite feststellen, daß wir nun 390 Millio-
den Agrarkreditinstituten zu informieren
nen DM in die Hand nehmen müssen, um den ge-
(Abg. Dr. Klepsch: Sehr wahr!) stiegenen Zinssatz auszugleichen.
und dann darzulegen, wie die Situation in Wirklich- (Abg. Ehnes: Das ist die Wahrheit!)
keit ist.
Meine Damen und Herren, an der Preisentwicklung
(Abg. Bewerunge: Sehr wahr!)
durften wir nicht teilnehmen, um für die Stabilität
Im März dieses Jahres hat Herr Staatssekretär Dr. zu sorgen, wie Herr Minister Schiller gesagt hat.
Griesau auf eine Frage des Abgeordneten Schröder Aber an den gestiegenen Zinsen durften wir parti-
(Sellstedt) geantwortet. Die Frage war: Wie werden zipieren; auf diesem Gebiet müssen wir auch unse-
sich die Belastungen auswirken? Die Antwort: Er ren Teil aufbringen.
werde sich informieren und dann die Information (Beifall bei der CDU/CSU.)
bekanntgeben. Das ist bis heute noch nicht gesche-
hen. Das zeigt doch, daß hier möglicherweise bewußt Meine sehr verehrten Damen und Herren, es geht
eine Unterrichtung unterlassen worden ist und daß hier aber nicht um die Konditionen und um die Zin-
das Ergebnis wahrscheinlich für die Landwirtschaft sen allein, sondern auch um die Kreditfähigkeit
nicht sehr günstig ausgefallen wäre. unserer Betriebe. Noch vor wenigen Jahren sagte
Herr Direktor Noell von der Landwirtschaftlichen
(Zustimmung bei der CDU/CSU.) Rentenbank auf einer Tagung in Hannover: Wir
Es ist offensichtlich, daß in diesem Jahr die Land- Bankleute haben es ja sehr einfach. Wir können der
wirtschaft durch die Entwicklung der Erzeugerpreise Landwirtschaft über die Theke praktisch jeden Kre-
einerseits und der Produktionskosten andererseits dit geben, ohne ein Risiko einzugehen, weil wir
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4413
Bittelmann
wissen, daß der Wert der Betriebe relativ hoch ist, das mit Besorgnis — entnehmen müssen, daß das
die Zinsen aber relativ niedrig sind, wenn man die landwirtschaftliche Realpreisniveau in den nächsten
Zinsverbilligung berücksichtigt. — Die Banken gin- Jahren möglicherweise jährlich um 4 % sinken wird.
gen also kein Risiko ein. Die Landwirte konnten Wenn das der Fall sein sollte, werden die Finan-
die Kredite aufnehmen und ihre Betriebe entspre- zierungsmöglichkeiten, die wir haben, noch erheb-
chend ausstatten. lich weiter eingeschränkt; sie werden sich verschär-
Heute ist das ganz anders. Heute ist nicht mehr fen, vor allen Dingen dann, wenn die Bundesregie-
der Substanzwert, sondern der Ertragswert für die rung dagegen nichts tut. Die Bundesregierung muß
Kredithergabe der Institute maßgebend. Und mit versuchen, die Stabilität wiederherzustellen.
dem Ertragswert sieht es traurig aus. Immer weni- Im Förderungsprogramm — das ist von Herrn
ger Betriebe wirtschaften noch mit Plus und sind Kollegen Ritz hier schon gesagt worden — ist zwar
den Banken gute Kunden. Das muß einmal ganz vorgesehen, daß uns eine Zinsverbilligung um 4 %
deutlich gesagt werden. gewährt werden soll. Meine sehr verehrten Damen
Meine Damen und Herren, es stimmt zwar, daß und Herren, bei dem augenblicklichen Zinsniveau
alle Bereiche von den Steigerungen der Zinsen und reicht eine Verbilligung um 4 % nicht aus, um
von den Kreditkonditionen, die so viel schwerer Kredite in der Landwirtschaft aufnehmen zu können.
geworden sind, betroffen sind. Im Unterschied zu (Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Gehen Sie
anderen Wirtschaftsbereichen können wir Landwirte mal zur Bundesbank!)
diese gestiegenen Zinssätze aber nun leider nicht Der Kapitaldienst, der sich daraus ergibt, beträgt
auf unsere Verkaufsprodukte abwälzen. Konstante nach wie vor 8 bis 9 %. Einen Kapitaldienst von 8
oder gar sinkende Erzeugerpreise — ich glaube bis 9 % können wir insbesondere in der augenblick-
nicht daran, daß die Milch noch 40 Pf kostet; in mei- lichen Situation, wo wir eine Abwärtsbewegung bei
nem Betrieb bekomme ich für den Liter 3,7%ige den Preisen haben, nicht herauswirtschaften. Das
Milch 5 Pf weniger, als ich vor einem Jahr erhalten ist ausgeschlossen. Ich selber bin praktischer Land-
habe; Herr Minister Ertl mag hier vielleicht einen wirt. Ich weiß, bis zu welchem Zinssatz ich Inve-
Sonderfall zitiert haben; ich kenne im Raume Nord- stitionen bestenfalls noch verzinsen kann.
hannover auch noch eine andere Molkerei, wo es zu Da müssen wir unseren Berufskollegen raten,
hohen Milchpreisauszahlungen kommt, aber im
größte Vorsicht walten zu lassen. Aber wenn die
Durchschnitt kommt es nicht dazu —, sinkende
Landwirtschaft nicht mehr investiert, wenn sie es
Preise für Milch, Eier, Geflügel und jetzt auch ganz
nicht mehr wagt, Investitionen zu diesen Zinssätzen
erheblich sinkende Preise das haben wir heute
vorzunehmen, gerät sie mehr und mehr in die roten
wiederholt gehört — bei den Schweinen und dazu
Zahlen. Hier ist also irgendeine Hilfe dringend er-
die erheblich geringeren Erlöse auf Grund einer
forderlich. Wenn die Zinssätze am freien Kapital-
schlechteren Getreideernte haben die Betriebe in
markt nicht bald erheblich sinken — und, meine
arge Bedrängnis gebracht und die Einnahmen arg
Damen und Herren, keiner von uns hier in diesem
zusammenschmelzen lassen. Wenn ich weiter daran
Hohen Hause glaubt wohl daran, wenn die Bundes-
denke, in wie vielen Gebieten in diesem Jahr Hoch-
regierung selber Anleihen zu 8 1 /2% herausgibt, die
wasser- und Dürreschäden zu verzeichnen waren
eine Rendite von 9,2 % erbringen —, dann kommen
— die Ausfälle betrugen 20, 30 und teilweise sogar
wir in der Landwirtschaft gar nicht mehr mit.
40 % , dann werden Sie mir zugestehen müssen,
daß es mit dem Teilhaben der Landwirte an der Ein- Es ist erfreulich, daß Herr Minister Ertl gesagt
kommens- und Wohlstandsentwicklung nicht weit hat: Ich war ja für eine Erhöhung der Zinsverbilli-
her ist. gung. Herr Minister Ertl, wir hätten es begrüßt,
(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Herr Bittel- wenn das bereits in diesem Entwurf zum Förde-
mann, da haben Sie recht! Das stimmt!) rungsprogramm zum Ausdruck gekommen wäre, wie
Herr Ritz vorhin schon betont hat. Dann hätten wir
— Das geben Sie mir zu, Herr Schmidt. Dafür bin um diesen Fall wahrscheinlich nicht mehr zu streiten
ich Ihnen dankbar. brauchen, und Sie hätten sagen können: Jawohl, ich
Ich habe auch an die Bundesregierung geschrieben war für eine Erhöhung der Zinsverbilligung, und
und darum gebeten, denen, die so arg betroffen nun steht sie im Förderungsprogramm drin. Wenn
sind, zu helfen. Mir ist aber daraufhin mitgeteilt sich die Finanzminister der Länder dagegen ausge-
worden, dafür seien die Länder zuständig. Mit den sprochen haben, dann, Herr Minister Ertl, müssen
Ländern ist das aber so eine Sache. Ich möchte hier wir uns etwas einfallen lassen, um der Landwirt-
lobend Schleswig-Holstein erwähnen, das in einem schaft ein Äquivalent zu bieten. Es ist schon einmal
solchen Fall Kredite bis zur Höhe von 60 Millionen von Sockelbeträgen gesprochen worden. Der Ansatz
DM zur Verfügung gestellt hat, und zwar nicht zu dafür im Haushalt ist sehr gering. Ich glaube, er
einem um 4 % verbilligten Zinssatz, sondern zu beträgt ganze 64 Millionen DM. Ich weiß nicht, was
einem Zinssatz von 4 %. Meine Damen und Herren, Sie mit den 64 Millionen DM vorhaben. Aber wenn
das war von dem Land Schleswig-Holstein eine Sie wollen, daß wir investieren, daß wir fortschritt-
Tat, die diese armen Leute, die in Bedrängnis ge- lich bleiben, müsen uns andere Maßnahmen zur
raten waren, wohl zu schätzen wissen. Verfügung stehen als diese Zinsverbilligung um
(Beifall bei der CDU/CSU.) 4 %.
Meine Damen und Herren, den Aussagen nam- Meine Damen und Herren, bei dieser Gelegenheit
hafter Agrarwissenschaftler anläßlich des Hearings sollte ich auch einmal erwähnen, daß die Gesamt-
zum Förderungsprogramm haben wir — wir taten belastung mit Fremdkapital — nicht etwa, weil die
4414 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Bittelmann
CDU so lange an der Regierung war — nunmehr Herr Minister Ertl, Sie haben es schwer, wenn Sie
den Betrag der gesamten Einheitswerte in der Bun- in Brüssel verhandeln. Sie haben durchblicken las-
desrepublik überschritten hat. sen, daß möglicherweise Preiserhöhungen für un-
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) sere Erzeugnisse drin sind. Ich habe Ihnen die
Alternative aufgezeigt: entweder günstigere Finan-
Das ist eine sehr ernste Angelegenheit. Wer von zierungsmöglichkeiten oder Preisanstieg. Andern-
uns Landwirt ist und rechnen kann, weiß, daß damit falls sind wir nicht mehr in der Lage, Investitionen
der Hektar mit 2000 DM Fremdkapital belastet ist. vorzunehmen.
Bei niedrigen Zinssätzen und erträglichen Zinsver-
billigungen ist das zu verkraften. Aber 2000 DM pro Präsident von Hassel: Herr Kollege, Sie müs-
Hektar hoch zu verzinsen bedeutet allein schon eine sen jetzt zu einem Abschluß kommen. Die 15 Mi-
volle Pacht. Es ist nicht möglich, solche Verzinsun- nuten sind überschritten.
gen noch weiter ansteigen zu lassen, indem man bei
einer Zinsverbilligung um 4 % mit einem Kapital-
dienst von 8 bis 9 % investiert. Bittelmann (CDU/CSU) : Ja.
Ich bin der Ansicht wie Sie, Herr Minister Ertl, Die Tatsachen, die ich hier aufgeführt habe, die
daß uns eine erhöhte Zinsverbilligung genutzt hätte. Preissteigerungen und die Preiseinbußen, stehen
Sie hätte nicht zu einem Aufpulvern und zu einem im krassen Gegensatz zu dem, was von der Bundes-
Anheizen des Booms geführt, sondern sie hätte in regierung behauptet wird, daß nämlich die Land-
bescheidenem Maße dazu beigetragen, die rapide wirtschaft an der allgemeinen Einkommens- und
zunehmende Verschuldung der Landwirtschaft ab- Lohnentwicklung teilgenommen habe. Die Land-
zustoppen. Meine Damen und Herren, wie sollen die wirte erwarten daher — und wir hier, die wir aus
landwirtschaftlichen Betriebe sonst Investitionen der Landwirtschaft kommen, möchten das unter-
finanzieren? Wenn die Erzeugerpreise sinken — stützen —, daß sich die Bundesregierung ihrer Ver-
das steht fest —, wenn sie unter ständigem Preis- pflichtung nach dem Grundgesetz bewußt ist und
druck stehen, wenn die Produktionskosten steigen gleichmäßig für das Wohl aller in unserem Staat
— auch das steht fest , wenn eine Eigenkapital- sorgt. Zu ihnen gehören auch die in der Landwirt-
bildung — das wissen die Landwirte - heute so gut schaft tätigen Menschen und ihre Familien.
wie ausgeschlossen ist und wenn der Zins uner- (Beifall bei der CDU/CSU.)
schwinglich ist, auch noch unerschwinglich trotz der
Zinsverbilligung um 4 %, können wir Investitionen Präsident von Hassel: Meine Damen und
nicht verkraften. Herren, ich spreche dem Kollegen Bittelmann für
Nach Aussage von Herrn Dr. Noell — ich habe ihn seine Jungfernrede den Glückwunsch des Hauses
vorhin schon einmal zitiert; ich glaube, er ist ein aus.
Fachmann auf diesem Gebiet — befinden sich im (Beifall.)
Augenblick 75 % unserer landwirtschaftlichen, nen- Das Wort hat nunmehr der Abgeordnete Klinker.
nen wir es ruhig einmal: Vollerwerbsbetriebe in
einem labilen Zustand. Das weitere Schicksal dieser
75 % der Betriebe, die sich in einem labilen Zu- Klinker (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr
stand befinden, wird also davon abhängen, wie die verehrten Damen und Herren! Heute morgen hat
künftige Preis-Kosten-Entwicklung sein wird. Dabei es der agrarpolitische Sprecher der SPD-Fraktion
wird auch entscheidend sein, wie die Finanzierungs- für notwendig gehalten, Ausführungen zu machen,
hilfen sind, ,die die Bundesregierung zu geben ge- die sich mit der verbandspolitischen Arbeit und
willt ist. Die Alternative heißt hier also: entweder auch mit meiner Person beschäftigten. Gestern war
kostengerechte Preise oder verbesserte Finanzie- Herr Dr. Schmidt Gast beim Deutschen Bauerntag
rungsbeihilfen. und hat die Worte des Präsidenten Freiherr von
Heeremann gehört. Er sagte, Aussagen in einer sol-
chen Versammlung sollten nicht parteipolitisch miß-
Präsident von Hassel: Ihre Zeit läuft ab, Herr braucht werden. Ich muß sagen, verehrter Herr
Kollege. Dr. Schmidt, die ausgezeichneten Ausführungen von
Herrn Ehnes hätten für Sie eigentlich Veranlassung
Bittelmann (CDU/CSU) : Vor mir liegt das Kon- genug sein sollen, detailliert auf diese fundierten
zept der FDP zur Agrarpolitik mit den zehn Punk- Ausführungen zu antworten und nicht in eine Pole-
ten. Herr Minister Ertl und Herr Staatssekretär mik auszuweichen. Denn, Herr Dr. Schmidt, Sie
Logemann, wir haben den dringenden Wunsch, daß wissen ja ganz genau, wie sich die Meinungsbildung
Sie aus diesem Zehn-Punkte-Programm einen Punkt im berufsständischen Leben vollzieht; Sie waren ja
erfüllen. Vielleicht ist es ein wichtiger. Ich darf die- Präsident des Kleinbauernverbandes, den Sie dann
sen Punkt, der unter Nr. 3 angeführt ist, einmal zi- in den Bauernverband überführt haben. Sie wissen
tieren: also ganz genau, daß ein Präsident nicht machen
Eine auf die Kostendeckung ausgerichtete Er- kann, was er will, sondern daß die demokratisch
zeugerpreispolitik ist nach wie vor Kernstück gewählten Organe zur Beschlußfassung treiben und
landwirtschaftlicher Einkommenspolitik. Zur daß das dann durchzuführen ist, was diese demo-
Durchsetzung höherer Erzeugerpreise erwartet kratisch gewählten Organe beschließen.
die FDP eine härtere Verhandlungsführung der (Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Ich bin sogar
Bundesrgi. noch Mitglied dieses Verbandes!)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4415
Klinker
— Deswegen spreche ich ja auch zu Ihnen. Er hat eine verbesserte Vorlage gemacht, und er
Ich darf Ihnen sagen, Herr Dr. Schmidt, daß im wird sie noch besser machen, wenn wir um die
Grunde genommen die ganze Frage, weswegen die Lösung der Probleme hart ringen.
Bauernverbände so unruhig sind gestern doch in Sie haben gefragt, was denn nun richtig sei:
aller Deutlichkeit erörtert worden ist und daß die 10 oder 15%? Sie wissen genauso gut wie ich, daß
Beschlüsse des Deutschen Bauernverbandes, demon- 10 % nicht genügen, um die Disparität zu beseitigen.
strative Aufklärungsaktionen in einzelnen Teilen Aber eine harte Verhandlungstaktik in Brüssel — ich
der Bundesrepublik durchzuführen, Ihnen sicherlich kann nur hoffen, daß es dem Minister Ertl gelingt,
nicht unbekannt gewesen sind. diese Verhandlungen hart zu führen — kann durch-
aus dazu führen, daß ein Grenzausgleich beschlossen
Ich darf darauf hinweisen, daß die Demonstra-
wird, ohne das Prinzip des Gemeinsamen Marktes
tion in Hamburg mit äußerster Disziplin abgelaufen
zu verändern. Dabei hätte die Kommission das Vor-
ist, wenn auch leider Gottes dieses eine Schild da-
schlagsrecht, und der Ministerrat hätte dann die
zwischengekommen ist, an dem Sie sich nun pole-
Preise nach den nationalen Kosten festzusetzen.
misch aufhängen.
Dann würde nämlich der Steuerzahler Geld sparen.
(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Das hätten Aber wenn diese Dinge nicht vorgetragen werden,
Sie verhindern müssen!) wenn nur abgewehrt wird, wenn keine Vorstöße
gemacht werden, wenn — das sage ich auch im
Wenn da 10- oder 12 000 Mann stehen, können Sie
Hinblick auf die gestrigen Äußerungen — die deut-
nicht jedes einzelne Schild prüfen.
sche Regierung nicht endlich einmal unabdingbare
Und noch etwas: Die Schilder, die andere Demon- Forderungen stellt — andere Länder verstehen es
stranten teilweise gezeigt haben, begrüße ich auch auch, solche Forderungen zu stellen —, werden
nicht. keine Erfolge zu verzeichnen sein. Darum geht es
(Beifall bei der CDU/CSU.) dem Deutschen Bauernverband bei seinen ganzen
Aber Sie sollen wissen, Herr Dr. Schmidt, daß ich das Anstrengungen.
„El Fatah" nicht unterstreiche. Herr Dr. Schmidt, zum Schluß möchte ich Ihnen
(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Das freut sagen, Sie haben der Solidarität im Deutschen
mich!) Bauernverband einen sehr guten Dienst erwiesen.
Die deutschen Bauern werden auf Grund der Aus-
Sie haben ja gestern gehört, was der Deutsche führungen, die Sie gemacht haben, und auch auf
Bauernverband erklärt hat. Er wird, was die Mög- Grund meiner Ausführungen, die ja in allen Ver-
lichkeiten der nationalen Agrarpolitik betrifft, im bandsorganen erscheinen werden, sehr wohl zu
Februar oder spätestens im März eine Bilanz ziehen wählen wissen.
und sich überlegen, welche legalen Mittel er einset-
(Beifall bei der CDU/CSU.)
zen muß, um das Lebensrecht unserer Landwirte zu
erhalten. Ich glaube, das ist ein legales Recht. Dar-
über brauchen wir uns gar nicht zu unterhalten. Präsident von Hassel: Das Wort hat der Ab-
Ich bin ebenfalls der Meinung, daß in Bad Godes- geordnete Löffler.
berg sehr klare Beschlüsse gefaßt worden sind. Ich
möchte deutlich zum Ausdruck bringen, daß die Aus- Löffler (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr ver-
gangsbasis für diese Aktionen des Deutschen ehrten Damen und Herren! Ich möchte auf zwei —
Bauernverbandes und der regionalen Bauernver- wie ich glaube — wesentliche Punkte eingehen, die
bände letztlich die Entwicklung des Bruttoinlandpro- in den verschiedensten Beiträgen der Oppositions-
dukts, d. h. also des Preisindex von 1960 bis zum sprecher aufgetaucht sind. Erster Punkt: Die Regie-
ersten Halbjahr 1970 ist: Die Preissteigerungen be- rung ist an allem schuld! Zweiter Punkt: Die Agrar-
tragen in diesem Zeitraum in der verarbeitenden preise sind zu niedrig und müssen höher sein.
Industrie 25%, in Handel und Verkehr um 35 %, im
Dienstleistungssektor um 80 %, im Baugewerbe um Zum ersten Punkt lassen Sie mich sagen: Nie-
58 %, in der Energiewirtschaft um 19 % und in der mand wird erwarten, daß die Opposition die Regie-
Land- und Forstwirtschaft um 11 %. Darum geht es rung lobt. Das ist nicht ihre Aufgabe. Aber jeder
im Grunde genommen. In der Regierungserklärung wird erwarten, daß die Opposition sich schon um
steht klar, was sich die Regierungsparteien vor- des Effektes willen bemüht, eine Opposition aus
genommen haben. Gestern haben Sie gemerkt, daß einem politischen Guß zu führen, und das bedeutet,
der größte deutsche Berufsverband — das ist nun daß man sich entscheiden muß:
einmal der Deutsche Bauernverband — gewillt ist, Entweder bekennt man sich zu der eigenen 20jäh-
mit Ihnen zusammenzuarbeiten, um diese Schwierig- rigen Regierungszeit und zu dem, was in dieser
keiten auszuräumen. Zeit geschehen ist. Dann kann man nicht der Regie-
(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Das akzep- rung Brandt/Scheel, die ein Jahr im Amt ist, alle
tieren wir!) Probleme und alle Erscheinungen anlasten, deren
Deswegen bin ich der Meinung, daß Ihre Polemik, Ursachen weit vor dem Antritt dieser Regierung zu
verehrter Herr Dr. Schmidt, falsch am Platze war. datieren sind, so wie es in gewisser Hinsicht Herr
Klinker eben getan hat. Es ist nicht möglich, in
Dann haben Sie noch Kiel und Mansholt erwähnt. einem Jahr die Probleme der Landwirtschaft so weit
Herr Mansholt hat viel gelernt, Herr Dr. Schmidt. zu klären, daß solche Erscheinungen, wie sie hier —
4416 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Löffler
zum Teil mit Recht — dargestellt worden sind, nicht daß die Bundesbank wieder die Handlungsfreiheit
mehr auftreten. erhält, die Diskontsätze zu senken.
Oder man sagt als Opposition: Wir trennen uns Ich glaube, diese Politik, einmal globale Kür-
von unserer eigenen politischen Vergangenheit und zungen, zum anderen aber in Einzelfällen mehr
von unserer politischen Verantwortung und machen zu fordern, ist ein Widerspruch in sich selbst. Sie
die Regierung tatsächlich für alles voll verantwort- erinnert mich ein wenig an einen Ehemann, der
lich. Aber, meine Damen und Herren von der CDU/ seine Frau weniger Kostgeld gibt, aber dann von
CSU, davor möchte ich warnen; denn dadurch ge- ihr besseres Essen, mehr Getränke und bessere
stehen Sie sich selbst indirekt ein, daß Ihre zwan- Wohnverhältnisse verlangt. Als ich meiner Frau
zigjährige Politik insofern gescheitert ist, als es ähnliche Gedankengänge vortrug, wollte sie darin
Ihnen nicht gelungen ist, eine Politik zu betreiben, Anzeichen einer Schizophrenie erkennen. Aber las-
die durch festgelegte Entwicklungen auch in die Zu- sen wir den Ausdruck Schizophrenie, sprechen wir
kunft hineinwirkt. Die zwanzigjährige Agrarpolitik lieber von dem edleren Wort „der zwei Seelen in
der CDU hätte doch — mit ihren eigenen Worten ge- einer Brust". Ich habe manchmal noch in anderer Hin-
sprochen und ihren Gedankengängen folgend — so sicht das Empfinden, als ob Sie zwei Seelen in einer
gut sein müssen, daß sie ein Minister der sozial- Brust hätten, einmal eine nationale und einmal eine
liberalen Koalition gar nicht in einem Jahr hätte europäische. Auf der einen Seite fordern Sie mit
zerstören und solche Zustände in der deutschen Recht — und das findet auch bei anderen Parteien
Landwirtschaft hätte herbeiführen können. Hier Unterstützung —, daß das politisch vereinigte
müßten Sie sich erst einmal entscheiden, wie Sie Europa so schnell wie möglich kommt, weil das in
Ihre eigene politische Stellung in diesem Bereich unserer heutigen Welt eine Lebensnotwendigkeit
sehen wollen. für unseren Kontinent ist. Das bedeutet aber an-
Völlig unmöglich erscheint es mir, je nach dem dererseits, daß wir Abschied nehmen müssen von
politischen Anlaß und je nach dem Bedarf das eine einer Politik, die sich in erster Linie um nationale
oder das andere Roß für die politische Schlacht zu Belange kümmert, Abschied nehmen müssen von
satteln. Es gibt zwar in der deutschen Sprache nicht einer Politik des nationalen Vorteils. Herr Höcherl
den Ausdruck „Doppelrössigkeit" ; aber es gibt den selbst ist es gewesen, der hier am 11. März gesagt
Ausdruck „Doppelzüngigkeit". Ich glaube, daß die- hat, daß es ihm als Landwirtschaftsminister eben-
ser Ausdruck genau auf den Tatbestand zutrifft, den falls nicht gelungen ist, höhere Preise in Brüssel
wir leider in vielen Debatten zu verzeichnen haben, durchzusetzen. Der jetzige Landwirtschaftsminister,
wo Sie von jeweils nach den Bedarf wechselnden Herr Ertl, hat hier bekundet, was er in dieser Hin-
Argumentationsansätzen ausgehen und Ihre Dar- sicht tun wird. Ich glaube, man sollte das dann auch
legungen bringen. wirklich anerkennen und an den tatsächlichen Ge-
gebenheiten messen. — Ich möchte mich jetzt nicht
„Ein Jahr Regierung ist genug!", hat Herr Ehnes weiter mit den Widersprüchen in Ihren Aussagen
vorhin gesagt; ich würde sagen: „Ein Jahr Oppo- beschäftigen, das werden die Historiker später sehr
sition ist auch genug, um — viel besser tun als ich.
(Zurufe: Vorsicht! und Beifall der CDU/CSU) Einiges zu den Agrarpreisen. Zu den Agrarpreisen
— Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich hat die Regierungskoalition klar Stellung genom-
danke herzlich für diesen Beifall. Sie hätten nur den men. Es liegt ein Antrag von uns vor; Sie haben
verkürzten Nebensatz abwarten müssen, den ich ihn gelesen. Wir haben in der Anfrage etwas dar-
jetzt mit „um" einleite: um die grundsätzliche poli- über ausgesagt; Herr Minister Ertl und auch Mini-
tische Plattform für die harte Arbeit innerhalb der ster Schiller haben heute dazu Stellung genommen.
Opposition zu finden. Überall dort, wo es möglich und nötig ist, werden
(Beifall bei den Regierungsparteien.) wir uns bemühen, die Agrarpreise angemessen zu
erhöhen, soweit das eben in unserer Macht steht.
Ein weiterer unvereinbarer Dualismus scheint mir Dazu sage ich jetzt allen Ernstes: Wir müssen aber
zum Beispiel darin zu liegen, daß Sie auf der einen auch gleichzeitig darauf hinweisen, daß sich die Pro-
Seite — das haben Sie oft genug getan — eine bleme der Landwirtschaft nicht allein mit einer An-
globale Kürzung des Haushalts fordern, aber in den hebung der Erzeugerpreise lösen lassen. Wir wis-
einzelnen Fachbereichen jeweils noch etwas auf- sen — Herr Dr. Ritz ist vorhin darauf eingegan-
stocken wollen, ohne im einzelnen zu sagen, woher gen —, daß etwa von 1880 an, dem Beginn des
Sie das Geld nehmen wollen. landwirtschaftlichen Einfuhrschutzes, der Schwer-
(Zuruf des Abg. Bittelmann.) punkt der landwirtschaftlichen Einkommenspolitik
auf preispolitischen Maßnahmen gelegen hat.
— Herr Bittelmann, auch uns befriedigt die Zins-
situation nicht, und ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wir müssen aber erkennen, daß wir im Rahmen
Wir haben auch in unserer Gruppe darüber ge- der EWG eine solche Politik nicht mehr total durch-
sprochen, ob nicht eine Verbesserung möglich ist. führen können, ganz abgesehen davon, daß dieser
Aber wo ist in diesem so genau kalkulierten Einzel- These, daß das Einkommen in erster Linie aus den
plan 10 noch etwas möglich? Sie müßten dann, Herr Erzeugerpreisen zu fließen hat, schon seit Jahrzehn-
Dr. Ritgen, auch sagen, woher Sie das Geld nehmen ten von namhaften Vertretern der Wirtschaftswis-
wollen. Im übrigen darf ich anfügen, daß die senschaft und der Agrarwissenschaft widersprochen
Diskontsätze nicht ewig sind und daß es die Politik wird. Ich will hier gar nicht so weit gehen, wie ich
der Bundesregierung ist, gerade darauf hinzuwirken, es neulich in einer Verlautbarung der Vereinigung
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode - 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4417
Löffler
der Wirtschaftsdienste gelesen habe, wonach die Ziffer 3, ausnehmen, die sich mit der Altershilfe der
Fiktion, daß die Agrarpreise der Lohn der Land- Landwirte beschäftigt, obwohl auch hier wieder
wirtschaft seien, zu den größten Lügen unserer die Regierung stärker zur Kasse gebeten werden
Agrarpolitik gehöre. Aber ich möchte mich dennoch soll. Ich glaube, das ist einfach nicht mehr das hin-
gerade mit diesem Satz beschäftigen, weil ich glaube, längliche Instrumentarium für eine moderne Agrar-
daß durch diesen Satz eine Bewußtseinsänderung in politik. Hier müssen auch andere Fragen mit ein-
der Bevölkerung signalisiert werden kann, die uns bezogen werden.
eventuell dabei hinderlich sein wird, die Probleme (Abg. Dr. Klepsch: Welche?)
der Landwirtschaft zu lösen und wirkungsvoll an-
zupacken. Denn solche Worte kommen bei den Ver- — Ich nenne die Fragen gleich. Meine Fraktion wäre
brauchern selbstverständlich nicht allzu gut an. Es sicherlich bereit, sachlich mit Ihnen zusammenzu-
sollte dabei bleiben: Der Bundeskanzler hat in seiner arbeiten.
Regierungserklärung die große Bedeutung heraus-
Welche Möglichkeiten sieht z. B. die Opposition,
gestrichen, die die sozial-liberale Koalition der Lö--
im Rahmen der EWG Preiserhöhungen für be-
sung unserer agrarpolitischen Probleme beimißt. Die
stimmte landwirtschaftliche Produkte durchzusetzen?
Regierung hat es in diesem einen Jahr auch auf
diesem Gebiet nicht an Entschlossenheit und Taten (Abg. Dr. Klepsch: Welche sehen Sie denn?)
fehlen lassen, auch wenn Sie ,das anders sehen. Vor-
hin hat Herr Dr. Ritz gesagt, wir malen alles weiß. Welche Vorstellungen entwickelt die Opposition,
Das ist so; das ist eine schöne Kontrastfarbe zu um Agrarpreispolitik und Agrarstrukturpolitik in
schwarz. Sie malen alles schwarz. Vielleicht lassen ein vernünftiges Verhältnis zueinander zu bringen,
sich da einige Abtönungen hineinbringen, Herr Dr. wie es z. B. die Bundesregierung in ihrem Förde-
Ritz, die dann die ganze Debatte ein wenig ver- rungsprogramm zu tun versucht hat? Bitte, Herr Dr.
sachlichen würden. Aber eine solche entschlossene Ritz, dazu fehlt einiges, und dazu ist in der heuti-
Reformpolitik, wie sie die Regierung betreiben will, gen Debatte von Ihrer Seite wenig gesagt worden.
kann dadurch gefährdet werden, daß unrealistische, Welche Bildungskonzeption hat die Opposition zur
die Öffentlichkeit beunruhigende und zum Teil Unterstützung der Reformbestrebungen auf dem
schockierende Forderungen erhoben werden, von flachen Lande? Welche Vorstellungen entwickelt sie
denen jeder weiß, daß sie sich nicht realisieren
z. B., um der Landwirtschaft im Zuge eines ständig
lassen.
abnehmenden Erzeugeranteils am Endprodukt einen
Die Hinweise, daß immer weniger Verständnis für hinreichenden Gewinn zu sichern? Ein Problem, mit
eine total auf den Erzeugerpreis abgestimmte Agrar- dem wir uns heute bereits mehrfach beschäftigt ha-
politik aufgebracht wird, häufen sich in der letzten ben, nämlich daß das Endprodukt immer teurer wird
Zeit. So wurde etwa in einem Landfunk erklärt — und die Erzeugerpreise dennoch sinken.
ich zitiere wörtlich —, „daß es absolut sinnlos ist,
Das sind Probleme, über die mit Ihnen zu disku-
einfach Forderungen zu stellen, die sich nun einmal
tieren wir durchaus bereit sind. Das sollte aber, wie
beim besten Willen im EWG-Ministerrat angesichts
wir glauben, nicht in polemischer Art geschehen, und
der Überschußsituation in vielen Bereichen nicht re-
es sollte auch nicht in der Weise geschehen, daß
alisieren lassen. Das hängt nicht davon ab" — so
eine Partei oder eine Parteiengruppierung für sich
fährtdeSpco—,„wlhePartinBod
in Anspruch nimmt, allein Agrarpolitik in Deutsch-
Regierung bildet." — Ich bitte Sie, diese Worte zu
land zu betreiben. Ich sage Ihnen ehrlich: Ich halte
beherzigen. Denn nach dem Gesetz der Demokratie
auch nicht allzuviel davon, daß wir rechthaberisch im
werden Sie ja eines Tages auch wieder die Regie-
Hinblick auf die Vergangenheit sind. Ich glaube,
rung bilden.
viel wichtiger ist für uns alle, daß wir Einfallsreich
(Zurufe von der CDU/CSU.) tum im Hinblick auf die Zukunft entwickeln.
— Eines Tages; Herr Bewerunge, damit wir uns da Heute ist viel über Preise für Schweine, über
recht verstehen: eines fernen Tages. Rinder, Milch, Kosten, Diskontsätze und Zinssätze
Wir würden es jedenfalls bedauern, wenn die An- gesprochen worden. Das sind alles wichtige Dinge.
sätze zu einer konstruktiven Agrarpolitik durch Aber — entschuldigen Sie bitte! — ich habe ein
unrealistische Forderungen zerschlagen würden. bißchen den Eindruck, daß wir über diese mehr tech-
nokratischen Begriffe tatsächlich den Menschen ver-
Ich glaube, die Opposition täte in dieser Situation gessen, der auf dem Lande lebt.
gut daran, nicht nur darauf zu achten, wie ihre For-
(Abg. Dr. Ritz: Herr Löffler, das, was Sie
derungen und ihre Argumente in der Öffentlichkeit,
soeben nannten, betrifft das Einkommen!
insbesondere auf dem flachen Lande, ankommen. Ich
Das ist doch keine Technokratie!)
habe vorhin Ihren Antrag auf Umdruck 92 gelesen
und ihn mit unserem Antrag verglichen. Selbst wenn — Nein, warten Sie doch ab, Herr Dr. Ritz! Zum
ich nicht Mitglied der sozialdemokratischen Frak- Einkommen habe ich schon etwas gesagt. Wir ver-
tion wäre, würde ich sagen: Es ist auffallend, was gessen darüber den Menschen, wenn wir so tun
beide Anträge voneinander unterscheidet. In Ihrem — Herr Dr. Ritz, das ist doch nicht ehrlich —, als
Antrag wird sehr vieles über Preise ausgesagt, d. h. könnten wir mit der Anhebung der Erzeugerpreise
es wird gesagt, die Preise sollten steigen. Zweitens die Verhältnisse auf dem flachen Lande tatsächlich
wird gesagt: Wir wollen mehr Geld von der Regie- so gestalten, daß z. B. das Ziel, das sich die Bundes-
rung. Ich würde davon nur einen Punkt, nämlich die regierung gesetzt hat, erreicht würde.
4418 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Löffler
Ich glaube z. B. auch nicht, daß Herr Mansholt, Diese Aussprache hat nach meiner Auffassung
nur weil Herr Klinker in Kiel unter dem Gelächter Klarheit über die Einstellung, die Maßnahmen und
der Bauern auf der Bühne Skat gespielt hat, seinen die Initiativen der Regierung zu den Problemen
Plan revidiert hätte. Ich sage Ihnen ehrlich: Wenn der Landwirtschaft gebracht. Die unbefriedigende
das für Herrn Mansholt ein Grund gewesen wäre, Vergangenheitsbewältigung mit geschliffenen Argu-
seinen Plan zu revidieren, wäre er in Brüssel an menten hier im Hause hat sicher etwas Reizvolles
der falschen Stelle. Zum Glück kenne ich Herrn und wird sicher einige Gedanken für die Diskus-
Mansholt gut genug, um zu wissen, daß er andere sion in unserer gemeinsamen Arbeit bringen.
Gründe gehabt hat.
In Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit haben
(Zurufe von der CDU/CSU.) wir vereinbart, daß ich meinen Diskussionsbeitrag
Er hätte ihn sicherlich noch überzeugender revidie- streiche, und unseren Entschließungsantrag hier ein-
ren können, wenn man versucht hätte, sich mit ihm bringe und begründe.
sachlich auseinanderzusetzen. Zu Punkt 1 unseres Antrags, der dem Hohen
Ich darf jetzt zum letzten Bereich kommen; ich Hause vorliegt, möchte ich zur Verdeutlichung fol-
sehe nämlich, daß meine Redezeit gleich abgelaufen gendes sagen. Beide Fraktionen anerkennen die Lei-
ist. Ich möchte, was ich schon einmal habe tun müs- stung Minister Ertls, angesichts der erklärten Preis-
sen, noch einiges über Bildungspolitik sagen. Der senkungsabsichten im Ministerrat im letzten Jahr
Landwirtschaftsminister hat in seinem letzten Grü- Preissenkungen verhindert zu haben.
nen Bericht angekündigt, daß er einen umfassenden (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Plan für das ländliche Bildungswesen vorlegen wer-
de. Die Regierung ist bei der Arbeit. Man wäre Inzwischen hat sich gegenüber den Einkommens-
wahrscheinlich schon etwas weiter, wenn es im verbesserungen im Wirtschaftsjahr 1969/70 im lau-
Ministerium ein Bildungsreferat gegeben hätte. Herr fenden Wirtschaftsjahr die Einkommenssituation in
Ertl hat jetzt erst eines einrichten lassen. Nun ist es der Landwirtschaft soweit verändert, daß es unab-
nicht so, daß in diesem Ministerium nie ein Bildungs- dingbar ist, mit einer Anhebung des Futtergetreide-
referat vorhanden gewesen wäre. Es war eines da. preises und einer Erhöhung des Rinderorientierungs-
Es wurde vor vier Jahren aufgelöst, zu einem Zeit- preises in den bevorstehenden preispolitischen Be-
punkt, als die Bedeutung von Bildungsinstitutionen ratungen den derzeitigen gefährlichen Trend in der
und von gleichen Chancen im Hinblick auf die Bil- landwirtschaftlichen Einkommensentwicklung in eine
dung bereits mitten in der gesellschaftspolitischen positive Richtung umzukehren. Die Bundesregierung
Diskussion stand. Heute sind so viele Worte des hat dazu und zur kostenorientierten Anhebung des
Lobes über Herrn Höcherl gesagt worden, daß ich Trinkmilchpreises die nachhaltige Unterstützung der
glaube, er wird es ertragen, wenn ich die Feststel- Koalitionsfraktionen. Wir versprechen uns neben
lung treffe, daß die Auflösung dieses Referats zu den einkommenspolitischen Wirkungen von den
dem damaligen Zeitpunkt eine Fehlentscheidung Maßnahmen eine wünschenswerte Verringerung der
war, u. a. auch für die Entwicklung der deutschen Aufwendungen für Weichweizendenaturierung und
Landwirtschaft. Da Sie schon immer auf die berufs- Exporterstattungen sowie bei den Milchprodukten
ständische Vertretung der deutschen Landwirtschaft eine wirksame Abschwächung der Neigung, für die
hören, würde ich Sie bitten, freundlicherweise z. B. Interventionen zu produzieren.
auch einmal auf das zu hören, was der Deutsche
Es ist auch zu erwägen und zu praktizieren, in
Bauernverband über die Bildungspolitik sagt. Wenn
Brüssel für alle Marktordnungsprodukte, die von der
Sie das aufgreifen und in diesem Raum politisch ver-
Marktlage her eine Preisverbesserung erlauben,
treten, dann finden Sie unsere volle Unterstützung;
Preisanhebungen anzustreben, wie es Herr Minister
denn das ist das für das Land Modernste, was man
Ertl angekündigt hat.
bisher gehört hat. Da haben Sie sogar als Fraktion
einen gewissen Nachholbedarf. Wir ersuchen die Bundesregierung, einerseits im
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Zusammenwirken mit Brüssel rechtzeitig Vorkeh-
rungen gegen einen rapiden Preisverfall, wie z. B.
bei Schweinen, zu treffen und andererseits durch
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr beschleunigte Verbesserung des agrarstatistischen
Abgeordnete Helms. Materials der Landwirtschaft die unternehmerische
Orientierung zu erleichtern. Die Bundesregierung
wird gebeten, im Rahmen der EWG darauf hinzu-
Helms (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen und wirken, mit den Partnerländern ein Instrumenta-
Herren! Die Bundesregierung hat die Großen An- rium der Planung und Unterrichtung zu schaffen, das
fragen der CDU/CSU-Fraktion und der Koalitions- es ermöglicht, rechtzeitig Ü berproduktionen zu ver-
fraktionen nach meiner Auffassung zufriedenstel- meiden.
lend und umfassend beantwortet. Als letzter Spre-
Zu Punkt 2 der Entschließung. Die beiden Frak-
cher der FDP-Fraktion danke ich Herrn Minister
tionen begrüßen die termingerechte Fertigstellung
Ertl für seine Ausführungen, insbesondere aber des einzelbetrieblichen Förderungs- und sozialen
dafür, daß er trotz seiner Krankheit es sich nicht Ergänzungsprogramms und unterstützen die Absicht
hat nehmen lassen, zu dieser Stunde hier Rede und
des Bundesministers, das Förderungsprogramm nach
Antwort zu stehen.
Maßgabe seiner Bewährung in der Praxis auszu-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) bauen.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4419
Helms
Wir sind uns darüber im klaren, daß die all- Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dasch.
gemeine Agrarstrukturpolitik und das einzelbetrieb-
liche Förderungs- und soziale Ergänzungsprogramm Dasch (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Damen
nur die eine Seite der Neuordnung und Gesundung und Herren! Der Herr Kollege Löffler hat gemeint,
des ländlichen Raumes darstellen. Sie müssen ein wir hätten uns von den letzten 20 Jahren Agrar-
Torso bleiben, wenn die regionale Wirtschaftspolitik politik distanziert. Wir haben, Herr Kollege Löffler,
und sonstige Infrastrukturpolitik nicht erheblich danach gefragt und das hier kritisch angemerkt, was
mehr als bisher ergänzend an ihre Seite gestellt im ersten Jahr dieser sogenannten Reformregierung
werden, damit sich der notwendige Strukturwandel nach unserer Auffassung agrarpolitisch absolut ver-
möglichst ohne soziale Härten und ohne sozialen schlechtert worden ist. Noch mehr bestürzt uns, daß
Abstieg der Betroffenen vollzieht. offensichtlich für 1971, wenn Sie weiter regieren,
Zu Punkt 3. Die Koalitionsfraktionen haben sich keine Besserungsaussichten bestehen.
entschlossen, angesichts der knappen verfügbaren Herr Professor Schiller hat hier als Bundeswirt-
Finanzmittel vorrangig die Einführung einer schaftsminister vor einer inflationären Agrarpreis-
Pflichtkrankenkasse für Landwirte zu betreiben. politik gewarnt. Da muß man ja fragen: Was sollen
Unserem Eindruck nach befinden wir uns damit im die Bauern denn verlangen, wenn ihnen 1970 auf
Einklang mit den Wünschen des überwiegenden Grund des Kaufkraftschwundes ihrer Verkaufserlöse
Teils der landwirtschaftlichen Bevölkerung. Durch in der Größenordnung von 5 bis 8 % 1,5 bis 2,4 Mil-
die Freistellung der Altersgeldempfänger von Bei- liarden DM verlorengehen, aber nicht nur keine Ver-
trägen zur Krankenversicherung dürfte manchem besserung der Agrarpreise stattfindet, sondern jetzt
Betriebsführer das Treffen einer sack- und zukunfts- im Herbst bei den entscheidenden Einnahmen im
gerechten Berufsentscheidung — unbeeinträchtigt Veredelungssektor tatsächlich eine ganz klare Ver-
durch ,die Sorge um die soziale Sicherung seiner schlechterung eintritt? Der Herr Professor Schiller
Altenteiler — erleichtert werden. Auch daran ist ist genau an der Aussage vorbeigegangen, wie er
uns gelegen. die von ihm selbst für 1971 prognostizierten Preis-
Seien Sie versichert, meine Damen und Herren, steigerungen, die er schamhaft mit 3 % beziffert,
daß die landwirtschaftliche Altershilfe nach dem tatsächlich ausgleichen möchte. Er hat nichts ange-
Willen der SPD und der FDP nicht zum Stiefkind der boten, und er wir wahrscheinlich keinen Vorschlag
Agrarsozialpolitik werden wird. Bei den Reform- im Kabinett unterstützen, der darauf hinausliefe,
vorschlägen, die wir von der Bundesregierung daß die Landwirtschaft über verbesserte Erzeuger-
bald erwarten, soll es sich um Vorschläge handeln, preise zumindest einen Teilausgleich für den Kauf-
die auf eine echte Altersversorgung und -sicherung kraftschwund ihrer Produktion wirklich erhalten
mit einer zwingenden Anpassungsformel einerseits kann.
und realistischen Eigenleistungen andererseits hin- Aber nun frage ich Sie, meine Damen und Herren:
auslaufen. Was wird denn eintreten, wenn sich der Herr Bun-
Zu Punkt 4. Nach dem neuen Programm sollen deswirtschaftsminister mit seinen Voraussagen wie-
Neben- und Zuerwerbsbetriebe einzelbetriebliche derum irrt und wenn im nächsten Jahre an Preis-
Förderung künftig unter der Voraussetzung in An- steigerungsrate oder Inflationsquote das Doppelte
spruch nehmen können, daß sie sich in Koopera- oder noch mehr auf uns zukommt? Wo steht denn
tionen zusammenfinden. dann die Landwirtschaft? Darauf hätten wir gerne
eine Antwort gehabt, aber die wurde uns hier in
Die Koalitionsfraktionen unterstützen dies, meinen
der Tat nicht gegeben. Eine realistische Agrarpoli-
aber, daß parallel dazu steuerliche Maßnahmen be-
tik, wie sie schließlich auch Herr Professor Schiller
schleunigt, d. h. noch vor der Steuerreform, ge-
vorgeschlagen hat, besteht doch unter anderem
troffen werden sollten, um die betriebliche Zusam-
darin, zu sehen, daß die Landwirtschaft bereits einen
menarbeit rentabel zu gestalten. Alles in allem
Rationalisierungsgrad erreicht hat, bei dem sie mit
soll jedoch dem Grundsatz 'Rechnung getragen wer-
Rationalisierung allein diese Quoten nicht mehr
den, daß der bäuerliche Einzelbetrieb unter steuer-
selbst verkraften kann, sondern darauf angewiesen
lichen Gesichtspunkten nicht schlechter gestellt wird
ist, über verbesserte Preise, die ja direkt auf ihr
als Kooperationen und umgekehrt.
Einkommen durchschlagen, Erleichterungen zu be-
Ich bitte, der Überweisung unseres Antrages an kommen bzw. einen Ersatz für das, was sie in den
den Ernährungsausschuß zur weiteren Beratung zu- Jahren 1970 und 1971 verloren hat oder verlieren
zustimmen. wird.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Wenn ich mir ein paar Worte zur Sozialpolitik
gestatten darf, möchte ich eines auch sehr deutlich
Präsident von Hassel: Meine Damen und Her- sagen. Man soll die Bedeutung der Preis- und
ren, die Geschäftslage sieht folgendermaßen aus. Marktpolitik nicht unterschätzen, denn die beste
Ich habe zur Zeit noch fünf Wortmeldungen vor- Sozialpolitik bleibt wirkungslos, wenn dem Bauern
liegen. Anschließend wird der Herr Landwirtschafts- vorher sein Einkommen geschmälert oder wegge-
minister sprechen. Wir haben noch eine umfang- nommen wurde. Ein Prozent der Verkaufserlöse von
reiche Tagesordnung zu erledigen. Darf ich deshalb 30 Milliarden DM sind 300 Millionen DM. Das ist
anregen, daß sich die Redner möglichst kurz fassen, genau das Geld, das für 1972 zur Bezahlung der
damit wir heute noch mit der Tagesordnung fertig gesamten Krankenversicherung der Altenteiler vor-
werden. gesehen ist. Da muß man sich doch darüber im kla-
4420 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Dasch
ren sein, daß eine entscheidende Verbesserung der stand nicht das volle Gewicht dieser Änderungen
Situation der Landwirtschaft in allererster Linie bei auflasten kann. Ich bitte Sie, meine Damen und
den Erzeugerpreisen und beim Volumen des Mark- Herren, die heutige Debatte zum Anlaß zu nehmen,
absatzes zu suchen ist. Wenn wir Sozialpolitik für durch heute von diesem Parlament zu fassende Be-
die Landwirtschaft treiben, dann, meine Damen und schlüsse in realistischer Sicht der Lage der Land-
Herren, in erster Linie unter dem Gesichtspunkt, wirtschaft die Lage dieser Landwirtschaf und derer,
daß sie zur Entlastung der aktiven Landwirte bei- die dort nachwachsen wollen, so zu verbessern, daß
trägt, daß sie nicht noch mehr belastet. Ich möchte wir auch in Zukunft eine genügende Zahl von
das besonders den Kollegen von der SPD sagen, die Bauern haben, die das Land bewirtschaften, eine
meinen, man könne der Landwirtschaft das aufer- Veredelungsproduktion treiben und damit für die
legen, was ihr durch den Strukturwandel aufge- Wirtschaft und für die Bevölkerung wertvolle
zwungen wird. Dienste leisten.
(Zuruf von der SPD: Wer sagt das denn?) (Beifall bei der CDU/CSU.)
Wir müssen ganz deutlich darauf verweisen, daß
kein anderer Berufsstand innerhalb der letzten bei- Präsident von Hassel: Das Wort hat der Ab-
den Jahrzehnte einem so großen Strukturwandel, geordnete Dr. Gleissner.
einer so großen inneren Umschichtung und auch
einer so großen Umschichtung zu anderen Berufs- Dr. Gleissner (CDU/CSU) : Herr Präsident!
zweigen unterworfen war und vermutlich auch im Meine Damen und Herren! Ich bitte um Ihre ge-
nächsten Jahrzehnt unterworfen sein wird. Des- schätzte Aufmerksamkeit, weil ich mich veranlaßt
wegen dürfen wir Sie, meine Damen und Herren, sehe, zu den Ausführungen des Herrn Bundesernäh-
bitten, nicht von fernen Verbesserungen zu spre- rungsministers von heute vormittag und zu dem,
chen, von einer Verbesserung der Altershilfe zu was er zur Opposition im Lande sagte, einiges zu
einer Rente. Bitte, Sie können hier und heute ergänzen und einiges zu bemerken.
handeln, wenn Sie zwei Dinge mit uns beschließen:
Herr Bundesminister, es geht in der Auseinander-
erstens den Bauern die Sicherheit zu geben, daß sie
setzung — lassen Sie mich diese Vorbemerkung
die Altenlast nicht allein zu tragen haben, also die
machen —, wie Sie wissen, gerade was Ihr Förde-
Defizithaftung wieder einzuführen, zweitens der von
rungsprogramm betrifft, um eine Weichenstellung
uns vorgeschlagenen Erhöhung der Altershilfe auf
in der Agrarpolitik. Es geht darum, welchen Weg
240 bzw. 160 DM ab Mitte 1971 zuzustimmen. Wir
wir gehen wollen, den Weg der rein ökonomischen
sehen besonders auch in den jetzigen Beschlüssen
industrialisierten Großlandwirtschaft oder de n Weg
des Ernährungsausschusses — wir haben das ja
der bäuerlichen Landwirtschaft. Sie wissen selbst,
auch vorgeschlagen —, nämlich Erhöhung der Be-
daß es bei dem Streit, bei dem Sie den Weg der
rufsunfallrenten, eine Maßnahme, die keine stärkere
bäuerlichen Agrarpolitik früher hart vertreten
Belastung der Landwirtschaft bedingt. Wir wünschen
haben, in der Bauernschaft, aber heute auch in der
ebenso, daß die Krankenversicherungslast der
städtischen Bevölkerung bis hin zum Naturschutz-
Altenteiler vom Bund übernommen wird und daß ring, bis hin zu den Leuten, die wissen, daß ihre
die Landwirte und Bauern, die noch keinen gesetz- Landschaft bedroht ist, wenn keine bäuerliche Struk-
lichen Krankenversicherungsschutz genießen, noch- tur mehr vorhanden ist, um Auseinandersetzungen
mals die Möglichkeit des Zutritts bekommen. geht, die sehr tief gehen und den Höhepunkt der
Eines bitte ich aber recht deutlich zu sehen. Bei Opposition, Herr Bundesminister, noch gar nicht er-
all diesen Überlegungen sollten wir uns darüber reicht haben. Wir stehen nach den Wahlen und im
im klaren sein, daß die Landwirtschaft auch in nächsten Frühjahr erst vor den Folgen, die jetzt
ihrem aktiven Teil ein Berufsstand ist, der unten durch das Förderungsprogramm ausgelöst werden.
immer kleiner und oben immer größer wird. Die Herr Bundesminister, eine zweite Bemerkung. Ich
Sorge für die Zukunft heißt, wir müssen den ge- sage es in aller Freundschaft, und ich will die
ringen Berufseinstieg in die Landwirtschaft nicht nur Freundschaft zu Ihnen wahrhaftig nicht brechen.
sozialpolitisch oder gesellschaftspolitisch beachten, Auch Freunde müssen sich manchmal die Wahrheit
sondern müssen die Konsequenzen durchrechnen. ganz hart sagen, auch wenn es nicht immer direkt
Denn wenn nicht bald bessere Chancen für die Zu- erfolgen kann. Sie sollten Opposition gewohnt sein.
kunft der Landwirtschaft geboten werden, haben In der Zeit, als Bundesminister Höcherl Ernährungs-
wir damit zu rechnen, daß ein immer kleinerer Teil minister war — ich habe die Zitate hier und könnte
der Jugend in die Landwirtschaft einsteigt. Und so, sie vortragen, bis hin zu den „Galgen" und schwar-
wie man jetzt gelegentlich versucht, diesen Einstieg zen Fahnen und was es alles gab —, haben Sie die
zu verleiden oder Leute aus der Landwirtschaft Opposition gesehen und toleriert, und zum Teil
herauszubekommen, werden wir in absehbarer Zeit waren Sie mit dabei. Sie haben selbst auch, manch-
den Spieß umkehren müssen. Der geringe Berufs- mal mit Recht, harte Formulierungen gefunden. Hier
einstieg in die Landwirtschaft weist darauf bereits haben wir Ihnen in der Opposition sogar manchmal
ganz deutlich hin. applaudiert, und jetzt sind Sie eigentlich recht
Wir bitten also darum, diese Sozialhilfen für die empfindlich, legen sofort subtile demokratische
Landwirtschaft besonders auch unter dem Aspekt Maßstäbe an, wenn irgendwo hart angegriffen wird.
zu sehen ,daß die Landwirtschaft einem großen Sie übersehen, daß nicht nur an einer Stelle, die Sie
Strukturwandel unterworfen ist und daß man einem heute zitiert haben, nämlich im Fall der Münchner
zahlenmäßig immer geringer werdenden Berufs- Schutzgemeinschaften, Bayrischer Heimatschutz,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4421
Dr. Gleissner
Grüne Aktion, Komitee „Rettet die bäuerliche Land- mißbraucht? Dagegen sollte man sich wehren, wenn
wirtschaft" etc., sondern auch in Niederbayern, in es um die Demokratie geht. Aber das ist das Übliche;
der Oberpfalz, in Hamburg, in Schleswig-Holstein, in man darf es fast nicht einmal sagen und kaum an-
Niedersachsen, überall eine Opposition sich aus- greifen.
breitet und wächst, von der sich der Berufsstand Nun, Herr Minister, muß ich, um das zu Ende zu
vielleicht noch zurückhält, weil wir vor Wahlen ste- bringen, ein Zweites sagen. Sie haben eine Zeitung
hen, was mit Recht geschieht, die aber morgen viru- aus dem Kreis Miesbach, wo Sie wohnen und wo
lent werden kann. Die Bauernschaft steht vor stei- mein Wahlkreis ist, zitiert. Ich kenne diese Presse-
gender Resignation, und die ländliche Bevölkerung
notiz noch nicht, werde sie aber nachlesen; ich habe
würde morgen, wenn es nach Ihrem Förderungspro-
Ihr Zitat da. Es handelt sich um eine Versammlung,
gramm ginge — für Ihre Maßnahmen haben Sie bei
die ich kenne. Dort hat der Bürgermeister von Wall,
dem hohen Zinssatz, der heute wiederholt zur De-
einer berühmten bayerischen Bauerngemeinde in
batte gestanden hat, gar kein Geld —, verstärkt das
Miesbach mit großer Geschichte, einer Bauernge-
Land verlassen. Wir wissen, was dann wäre. Wun-
meinde, die früher fast nie CSU, sondern immer nur
dern Sie sich also nicht, wenn Opposition entsteht!
Bayernpartei gewählt hat, erklärt: „Unser früherer
Nun eine Bemerkung zu einigen Aktionen, die Landwirtschaftsdirektor Ertl, den wir geschätzt und
Sie angezogen haben. Die Grüne Aktion, die ver- geliebt haben legt uns heute ein Programm vor, wo-
schiedenen Schutzgemeinschaften und wie sie alle nach — ich habe in der Schule lesen und schreiben
heißen — ich zähle sie jetzt nicht auf —, haben gelernt — „von 87 Höfen 80 verschwinden müssen
gegen die Expansion Münchens und gegen unge- bzw. abklassifiziert oder abgewertet werden." Das
hemmte Industrialisierung gekämpft; sie haben ge- hat der Bürgermeister vorgetragen, und darum
gen Hofolding und gegen eine Fehlanlage des Flug- ging es. Das habe nicht ich gesagt, das hat er gesagt.
hafens, in Verbindung damit gegen den CSU-Mini- Er fuhr fort: „Das gleiche Landwirtschaftsamt, wo
ster Schedl in offener Feldschlacht gekämpft ; sie Ertl früher war, wirbt jetzt Landwirtschaftsschüler
haben gegen Hundhammer im Fall Ebersberger und hat sechs angeworben. Diese sechs gehören alle
Forst und Münchner Wälder gekämpft; sie haben in die Kategorie, die nach dem Ertl-Programm be-
gekämpft gegen eine Planung von 20 000 neuen Ar- reits nicht mehr zur Landwirtschaft zu rechnen ist."
beitsplätzen einer Großfirma in München-Perlach, Mehr soll dazu nicht gesagt werden.
wo die Wohnungsnot permanent zur Debatte steht
und überall als Problem Nr. 1 gesehen wird. Das Herr Bundesminister, vielleicht können wir
haben diese Schutzgemeinschaften gemacht. Freundschaft schließen. Vielleicht werden wir Ihr
Förderungsprogramm noch grundsätzlich ändern;
Ich kenne die meisten Schutzgemeinschaften. Ich denn es geht um Ihr Förderungsprogramm. Uns lie-
bin nicht Mitglied. Ich kenne die Hofoldinger. Ich gen der Preis, der Milchpreis und die Reform der
könnte die Schutzgemeinschaften in diesem über- EWG-Agrarpolitik ganz am Herzen. Aber die — bei-
lasteten Raum aufzählen und darlegen, wie sie sich nahe hätte ich gesagt: geistige — Entscheidung ist
gegen Fehlplanung wehren, so wie es legitim in vie- Ihr Förderungsprogramm.
len Beispielen in der Schweiz geschieht, um auf alle
Sie können nicht sagen: Sie haben alle Leute auf
Parteien Druck mit legitimen Mitteln auszuüben, um
Ihrer Seite, die da mitbestimmen. Ich kann es jetzt
auch zwischen den Wahlen Fehlentwicklungen zu
nicht mehr vorlesen, aber ich habe die Unterlagen
bekämpfen und wirksame Demokratie zu beweisen.
der zahlreichen Gegenstimmen hier. Es sind Dut-
So haben sich die Schutzgemeinschaften auch in zende von Leuten. In München ist es der Landwirt-
einem Flugblatt „Rettet die bäuerliche Landwirt- schaftsminister Eisenmann, der ein modernes Kon-
schaft!" eingesetzt. Darüber war geschrieben: „Ver- zept hat, das wir heute in Stadt und Land vertre-
rät Ertl die bäuerliche Landwirtschaft?" Dort war ten können, das realistisch und zukunftsträchtig ist
aufgeführt, was er früher gesagt hat, und es wurde und das nicht abgewertet werden kann.
hinzugefügt, was jetzt in Gefahr ist. Die Leute wer-
(Beifall bei der CDU/CSU.)
den Ihnen morgen Beifall geben, Herr Ertl, wenn
manches korrigiert wird und wenn in manchen Din- Herr Bundesminister, da haben Sie einen Weg.
gen auch eine entscheidende Wende vorgenommen Wir sagen es jetzt nicht, weil wir vor einer Wahl
wird. stehen. Hier steht zuviel auf dem Spiel. Denn Sie
wissen und haben selber einmal zu mir gesagt: 50
Herr Bundesminister, es ist eine Verleumdung,
Bundestagsabgeordnete kann man leicht ersetzen,
wenn all diese Aktionen, sobald sie demokratisch
wenn einer geht, warten schon zehn darauf, aber
virulent und interessant werden, aber nicht in das
50 Bauern, die die Almen verlassen, die den Baye-
Programm dieser Regierung passen, in die rechte
rischen Wald verlassen, werden Sie nicht mehr
bzw. politisch radikale Ecke abgeschoben werden.
ersetzen können. — Darum geht es uns.
Man kauft und holt das Fernsehen, macht eine soge-
nannte demokratische Sendung und sendet in einer (Beifall bei der CDU/CSU.)
Art Fernsehdiktatur genau das, was man will, bringt
opferbereite demokratische Bürger in die Nähe der
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine
NPD, ohne daß sich diese Bürger dagegen wehren
Zwischenfrage des Abgeordneten Peters?
können. Ich frage mich: Wer hat dieses Fernsehen
bezahlt? Wer hat es nach München geschickt? Wer
hat harmlose Bürger, die von den Dingen der Fern- Peters (Poppenbüll) (FDP) : Herr Kollege, sind
seh-Macht nichts verstehen, befragt, ausgenützt und Sie bereit, jetzt endlich zu der verleumderischen
4422 Deutscher Bundestag-6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Peters (Poppenbüll)
Äußerung von Ihnen Stellung zu nehmen, oder wol- Präsident von Hassel: Meine Damen und
len Sie noch länger um die Sache herumreden? Herren, darf ich anregen, daß wir uns jetzt auf das
Ende der Debatte konzentrieren und mit Zwischen-
(Lebhafter Beifall bei den Regierungs-
rufen aller Art aufhören.
parteien.)
(Beifall.)

Dr. Gleissner (CDU/CSU) : Herr Peters, das Dr. Gleissner (CDU/CSU) : Herr Präsident, ich
kommt gleich. Ich hatte Kenntnis von solchen Ak-
muß darauf antworten. Wenn wir in diesen Fragen
tionen. Aber ich bin nicht Mitglied dort und hätte
keine geistige Überzeugung mehr haben, wenn wir
keine Möglichkeit gehabt, sie zu verhindern. Was
alle Grundlagen und Werte über Bord werfen und
ich aber verhindert habe, ist folgendes. Meines
nur noch ökonomisch denken, so ist das doch der
Wissens — so haben Sie es zitiert — gab es ein
Anfang eines allgemeinen Materialismus. Das Ende
zweimaliges Auftreten. In dem Moment, als ich
können wir uns dann selbst ausmalen.
erfahren habe, daß Sie krank geworden sind, habe
ich sofort darauf hinzuwirken versucht, daß keine (Widerspruch bei den Regierungsparteien.)
Aktion mehr stattfindet. Meines Wissens — ich bitte Dann können wir uns auch Ihre Stellungnahme zu
mich sonst zu korrigieren — hat keine mehr statt- Landschaft, Heimat und Umwelt ausmalen. Der
gefunden. Ich habe dann noch einmal mit den Komi- Bauer ist mit der wichtigste Träger des Umwelt-
tees, soweit ich diese kannte — es ist ja eine ganze schutzes. Darum müssen wir ihn erhalten. Das hat
Handvoll —, telefoniert und gesagt, es solle nichts nichts mit Ideologie und nichts mit Vergangenheit
mehr geschehen, auch weil wir vor Wahlen stünden. zu tun. Da geht es um die Zukunft.
Auch dem ist entsprochen worden. Ich will nicht
wiederholen, was alles geplant war, um sich ein- Herr Minister, ich kann aus Zeitgründen jetzt lei-
fach zur Wehr zu setzen, um vor die Öffentlichkeit der nicht Ärzte und Rechtsanwälte oder Vorschläge
zu treten, um an den Minister zu appellieren, und zitieren, um aufzuzeigen, daß es einen Weg gibt. Die-
zwar an einen Minister, der früher, was diese Dinge ser Weg ist sehr schwer. Wir wollen uns nichts vorma-
angeht, eine klare Konzeption gehabt hat und damit chen. Wir müssen wirklich auch wieder hier im Hau-
richtig lag. Ich werfe dem Minister — das habe ich se, so gut es geht, ein Mindestmaß an Konsensus er-
ihm in zwei, drei Gesprächen in München und hier reichen. Herr Minister, Sie brächten aus Ihrer Ver-
persönlich gesagt — zunächst nicht vor, was er gangenheit die Voraussetzungen dafür mit. Lassen
politisch getan hat. Das ist seine politische Entschei- Sie mich eine Brücke bauen. Die Gruppen, die ich
dung. Ich habe ihn aber gebeten: Lieber Freund Ertl, kenne, sind überparteilich. Sie sind wohl bereit, mit
bleibe agrarpolitisch der, der du warst, denn du wirst Ihnen zu reden; sie stehen Ihnen zur Seite, Herr
es physisch und psychisch nicht aushalten, wenn du Bundesminister, wenn Sie Ihre Konzeption einer
bäuerlichen Landwirtschaft und einer bäuerlichen
diesen Weg, den du damals gegangen bist und den
du—mitRechanmlgeusb- Agrarpolitik, die Sie vor einem Jahr und früher
schritten hast, verlassen wirst. — Das war ,die Aus- tapfer und unermüdlich vertreten haben, nicht ver-
einandersetzung. Das ist meine Erklärung, die ich lassen. Dann wenden Sie die Hilfe dieser Gruppen
dazu zu geben habe. und der Bauernschaft haben. Wenn Ihnen diese Poli-
tik — ganz gleich, aus welchen Gründen — nicht
Nun eine Schlußbemerkung, die vielleicht eine möglich wäre, sollten Sie, Herr Minister, dies offen
Brücke schlagen kann. Ich bedaure, daß ich Ihnen sagen und ,die Konsequenzen ziehen. Es sollte weder
infolge der fortgeschrittenen Zeit nicht diverse Zi- auf Ihrem Rücken noch auf dem Rücken der Land-
tate, z. B. von Schriftsteller Pause, vortragen kann, wirtschaft Bayerns und der gesamten Bundesrepu-
der im „Schwabinger Bräu" vor Hunderten von blik ausgetragen werden, wenn es zu einer irrepa-
Leuten sagte: Die ganze Rettung der Landwirtschaft rablen Fehlentwicklung im Geiste eines Mini-Mans-
ist nichts wert, wenn wir falschen Programmen nach- holt-Planes käme.
laufen, wenn wir nicht den letzten bäuerlichen Hof
heute in der Partnerschaft — oder wie wir es nen- Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine
nen wollen — zu halten versuchen. Zwischenfrage des Abgeordneten Peters?
(Zuruf von der SPD: Blut und Boden!)
— Das ist nicht Blut und Boden! Dr. Gleissner (CDU/CSU) : Bitte schön!
(Zurufe von der SPD: Doch, das ist Blut Peters (Poppenbüll) (FDP) : Herr Kollege, können
und Boden! — Aber beinahe!) Sie mir nicht darin zustimmen, daß Sie sich für
— Das ist eine Verleumdung! Das ist der falsche Heimat und Recht am besten einsetzen, wenn Sie
Weg, den Sie gehen. sich von den Verleumdern jetzt distanzieren?
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von (Beifall bei den Regierungsparteien.)
der SPD.)
Dr. Gleissner (CDU/CSU) : Herr Peters, wenn
Ich sage auch nicht, daß sich in Ihren Reihen Kom-
Sie das Flugblatt genau lesen — ich habe es jetzt
munisten befinden. Ich nenne die Jungsozialisten
leider nicht zur Hand —, werden Sie feststellen, daß
auch nicht gleich Kommunisten, wenn sie eine Ideo-
in ihm keine Verleumdungen enthalten sind. Meines
logie vertreten. Ich werfe Ihnen das nicht vor.
Wissens wird darin eine Frage gestellt. Das ist ganz
(Zurufe von der SPD.) deutlich. Ich glaube, es ist doch in einer solch schick-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode - 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4423
Dr. Gleissner
salhaften Auseinandersetzung, da wir die Landwirt- Das können Sie nachlesen. Ich habe auch meine Auf-
schaft alle miteinander, auch wir, in den letzten fassungen, wo Grenzen der Opposition sind. Das hat
Jahren nicht gerecht behandelt haben, weil wir gar nichts mit Empfindlichkeit zu tun. Aber in die-
einige entscheidende Dinge vielleicht nicht ganz sem einen Pressebericht wurde wirklich wörtlich
richtig gesehen haben, höchste Zeit, den Forderun- zitiert, ich machte eine Agrarpolitik im Sinne der
gen Ausdruck zu verleihen, die andere Berufsstände Bodenvernichtung, der Jungsozialisten oder so
auf andere Weise zur Durchsetzung bringen. etwas Ähnliches. Ich will die Geschichte nicht mehr
aufrollen. Da gibt es nach meiner Ansicht Grenzen.
Präsident von Hassel: Gestatten Sie noch Das sind sehr weitgehende Grenzen.
eine dritte Zwischenfrage des Abgeordneten Peters? Ich will hier auch einmal folgendes sagen. Ich
habe dieses Programm. Wie immer ich es mache,
Peters (Poppenbüll) (FDP) : Herr Kollege, ist mache ich es verkehrt. Was gut ist, habe ich über-
Ihnen nicht inzwischen klargeworden, daß es in nommen, und was schlecht ist, habe ich eben schlecht
diesem Hause nicht um agrarpolitische Diskussionen gemacht. So wird es sein und so wird es bleiben.
geht, sondern um eine Beleidigung? Daran werde ich mich gewöhnen. Es wird mich nicht
umbringen. Ich habe dieses Programm diskutiert.
Dr. Gleissner (CDU/CSU) : Herr Peters, soweit Ich habe sehr darum gerungen. Ich lehne jede nur
ich die Leute kenne und Einblick habe, hatten sie ökonomische Betrachtungsweise ab. Das weiß jeder-
keine Beleidigung vor, sondern denen ging es wirk- mann, der mich kennt. Ich bin aber nicht so verant-
lich um die Sache. Diese haben früher viel härter wortungslos, Landwirte in Investitionen hineinzu-
ähnliche Gruppen angegriffen, den Minister Schedl hetzen, mit denen sie nachher möglicherweise nicht
und andere, und auch mit Oberbürgermeister Vogel ihre Liquidität erhalten können.
gab es Auseinandersetzungen dieser Art, die gar (Beifall bei den Regierungsparteien.)
nicht parteipolitisch gemeint waren.
Das ist der Punkt, den ich zu entscheiden hatte und
Ich glaube, ich habe das Notwendige dazu gesagt. den ich entschieden habe, und zwar gemeinsam mit
Ich wollte es auch von meiner agrarpolitischen Über- meinen Mitarbeitern, die im übrigen seit Jahr-
zeugung her und im Interesse des Umweltschutzes zehnten die Mitarbeiter in diesem Hause sind. Ich
unterbauen. Ich halte solche Opposition für ver- finde es wahrlich unschön — daß muß ich wirklich
tretbar, auch wenn ich persönlich manches anders sagen —, daß man auch noch die Mitarbeiter hin-
gemacht hätte. Ich habe Ihnen gesagt, was ich ver- einzieht. So geschieht es, und das halte ich für nicht
hindert habe. Ich hoffe, Herr Minister, daß es Ihnen ganz schön.
gelingt, die bäuerliche Konzeption, die Sie einmal
vertreten haben, künftig wieder herzustellen, auch Nun will ich doch noch einige Bemerkungen zur
wenn Sie Auffassungen der letzten Zeit und Ihr Debatte machen. Sie war sehr lebhaft, und das ist
Förderungsprogramm korrigieren müßten. Das sehr nützlich. Sie wurde nachmittags von der Oppo-
würde Sie ehren, und ich und andere würden Ihnen sition durch eine wunderschöne Nachmittagsarie
Beifall geben und Assistenz. meines Amtsvorgängers eingeleitet. Seine Arien
sind immer köstlich; darüber gib es gar keinen
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.) Zweifel. Sein Selbstbedienungsladen war mög-
licherweise wertvoll, aber es war nichts herauszu-
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Herr bekommen. Und das ist das, was ich als Bauch-
Bundesernährungsminister Ertl. laden übernommen habe.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt-
schaft und Forsten: Herr Präsident! Meine Damen Das ist eben der Unterschied. Das darf ich hier noch
und Herren! Für mich gibt es ein Leitmotiv in der einmal feststellen.
Politik. Dieses Leitmotiv lautet: möglichst viel und
möglichst schnell vergessen und noch mehr verzei- Ich möchte aber eine Frage nicht versäumen. Ich
hen. Ich muß Ihnen sagen, nur dieses Leitmotiv habe bereits bei den letzten Verhandlungen mit
macht mir das Dasein in diesem Haus einigermaßen Nachdruck eine Anhebung des Rinderorientierungs-
erträglich. Das ist mein Lebensprinzip. Vielleicht preises vertreten. Herr Kollege Höcherl, Sie wissen
wäre es manchmal auch für andere ganz gut, sich doch aus den Verhandlungen: Sie haben Kompro-
ein solches Prinzip zuzulegen. misse schließen müssen, ich werde Kompromisse
schließen müssen. Ich gebe zu, daß ich heute hier
Aber ich möchte noch eine Bemerkung machen. schwieriger bin. Ich nehme Ihnen gar nicht das
Ich bin beispielsweise als Vertreter der Opposition Recht, zu sagen: Na gut, vielleicht hätten Sie es
zu einer Veranstaltung von Flughafengegnern nach noch besser machen können. Das bestreite ich gar
Erding gerufen worden. Da waren Transparente, die nicht. Ich habe aber die Anhebung des Rinder-
lauteten so: Hängt den Vogel Strauß auf! Schlagt orientierungspreises vertreten und eine Verbesse-
dem Schedl den Schädel ein! Der Oppositionsspre- rung des Futtergetreidepreises. Am Schluß kam
cher Ertl hat gesagt: Unter solchen Bedingungen bin eben der Kompromiß heraus: es bleibt alles beim
ich nicht bereit, hier zu diskutieren. Dafür habe ich alten. Als ich mir die Vorschläge angesehen habe:
Prügel eingesteckt. Senkung des Butter-Interventionspreises, Senkung
(Beifall bei den Regierungsparteien und bei des Zuckerrübenpreises, Reduzierung der Mengen-
Abgeordneten der CDU/CSU.) regulierung bei Zuckerrüben, Senkung der Getreide-
4424 Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Bundesminister Ertl
preise, des Weichweizenpreises, nerneute Verände- lichkeit sagen. Ich glaube, wir müssen von der
rung der Regionalisierung, habe ich geglaubt, daß Tatsache ausgehen — das ist eine Tatsache in der
dieser Kompromiß vielleicht doch noch der günsti- Demokratie —, daß in diesem Hohen Hause alle
gere, mittlere Weg ist. Das wollte ich nur noch untereinander koalitionsfähig sind.
kurz sagen. Lassen Sie mich noch einige Bemerkungen zu
Daß sich das Einkommensgefälle im Laufe der den unterschiedlichen Konditionen des Förderungs-
Zeit immer einmal unterschiedlich zeigt, ist nichts programms machen. Zinsverbilligung: förderungs-
Neues. Ich bin nicht glücklich darüber, daß sich zur fähige Investitionsvolumen früher 66,6 v. H., jetzt
Zeit eine Disparitätserweiterung zeigt, und ich 85 v. H. — das ist der Unterschied —; Aussiedlung:
werde alles in meinen Kräften Stehende versuchen, Altstellengarantie früher 55 000, jetzt 60 000; Er-
hier Lösungen zu finden — ich hoffe, mit Ihrer Unter- schließungsbeihilfe früher 30 000 DM, jetzt 40 000
stützung. Das macht mir selber große Sorgen. DM; öffentliches Darlehen: früher 100 000 DM, jetzt
120 000 DM; Zinsverbilligung: früher 100 000 DM,
Ich will hier nur sagen: Sehen Sie, ich habe -hier
jetzt auch 100 000 DM. Das sind die materiellen Ver-
eine Aufstellung der Verkaufserlöse und Über-
besserungen.
schüsse der Landwirtschaft. Verbliebene Summen
im Jahre 1962 5,8 Milliarden DM, dann 8,7 Milliar- Ähnliches gilt für die Althofsanierung und für die
den, dann in den Jahren 1963, 1964 und 1965 wieder Aufstockung der Beihilfe im Bäuerinnenprogramm.
ein Rückgang auf 7,3 Milliarden DM, 1965/66 Ich glaube, man kann weiß Gott nicht sagen, man
7,7 Milliarden DM, 1968/69 9,0 Milliarden DM. Und habe sich nicht bemüht, etwas zu tun. In diesem Zu-
die jetzigen Zahlen - sie sind nur geschätzt; das sammenhang muß ich noch einmal sagen, das
gebe ich zu — liegen bei 9,8 Milliarden DM. So ist Bäuerinnenprogramm ist für die Nebenerwerbsland-
es in der Vergangenheit gewesen, so wird es wohl wirte genauso wie für die Vollerwerbslandwirte
auch in der Zukunft bleiben. gültig. Wer die Menschen gerade auf dem Lande
fördern will, muß deren Wohnverhältnisse fördern.
Nun will ich ein sehr ernstes Wort noch zu
Deshalb habe ich entschieden, daß dieses Programm
einem anderen Problem sagen. Ich will nur noch
langfristig fortgeführt wird, weil ich die Wohn- und
einige Bemerkungen machen. Mi r wurde gesagt, ich
Lebensbedingungen der Menschen fördern will.
hätte eine besondere Verantwortung für diese
Koalition. Nun, man mag darüber denken, wie man (Beifall bei den Regierungsparteien.)
will. Ich habe auch eine Verantwortung für meine
Es wurde auch noch einmal auf die Besprechung
politischen Freunde, für meine Fraktion und für
mit den Agrarministern hingewiesen. Ich will das
meine Partei. Das ist das eine. noch einmal ganz kurz wiedergeben. Bei der ab-
Das Zweite ist: Ich finde es sehr merkwürdig, daß schließenden Besprechung mit den Agrarministern
man geradezu mit seelischen Methoden — auch in der Länder im September des Jahres wurden die für
dem letzten Beitrag war ein klein wenig dieser besonders wesentlich erachteten Punkte des Pro-
Versuch zu sehen — einem Mann permanent den gramms, z. B. Förderungsschwelle, Zeitpunkt des
Vorwurf macht, er sei an einer besonderen Entwick- Inkrafttretens, Förderungskatalog und Überbrük-
lung schuld. Ich betrachte das gar nicht als einen kungshilfe, noch einmal vom Grundsatz her disku-
Vorwurf. Denn, Herr Kollege Höcherl, Sie haben tiert. Nach Abschluß der Diskussion erfolgte keine
hier mit Herrn Kollegen Strauß — ich habe Ihnen Beschlußfassung. Es konnte jedoch dahingehend
daraus nie einen Vorwurf gemacht; das werden Sie Übereinstimmung erzielt werden, daß alle Länder-
von mir nie gehört haben — auch mit den Sozial- minister insbesondere im Hinblick auf die Gemein-
demokraten in einer Koalition gestanden. Die schaftsaufgaben die Grundsätze des Programms
Demokratie ist nur funktionsfähig, wenn jede Partei akzeptieren. Einige noch offengebliebene Einzel-
in diesem Hause mit einer anderen Partei koali- heiten mehr technischer Art wurden in einer ab-
tionsfähig ist. schließenden Besprechung mit den Referenten der
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Bundesländer geklärt. Im übrigen ist darauf hinzu-
weisen, daß die bayerischen Änderungswünsche
Ich verwahre mich dagegen, daß man hier unter- weitgehend berücksichtigt wurden. Auch das sei hier
schiedliche Betrachtungen anstellt. Ich halte das für noch einmal zu den Bemerkungen des Kollegen Nie-
eine Frage, die wirklich weit in den Grundgedanken gel gesagt.
der Demokratie eingreift. Das hat nichts mit
Moralismus zu tun, sondern das ist etwas, was die Herr Kollege Niegel, es wäre sicherlich sinnvoll,
Funktionsfähigkeit des Bundestages in Frage stellt, noch etwas zum Städtebauförderungsgesetz zu sagen.
es sei denn — und diese Frage muß hier einmal Ich kann Ihnen nur sagen: vergleichen Sie den Ent-
geklärt werden —, es erhebt in diesem Hohen wurf aus der Regierungszeit Kiesingers und den
Hause eine Fraktion oder eine Partei für sich allein jetzigen. Im übrigen hat selbst der Bauernverband
den Führungsanspruch in diesem Staat für alle festgestellt, daß in dem jeztigen Entwurf schon Ver-
Zeiten. Nur was den Führungsanspruch stärkt, wäre besserungen enthalten sind. Der Bauernverband ist
sozusagen demokratisch, richtig, moralisch gerecht nicht der Auffassung, das alles gut ist. Aber Sie
und zu verantworten, und was diesen Führungs- können das nachlesen. Es ist in der Tat wirklich
anspruch nicht rechtfertigt, wäre eben nicht zu ver- kurios, was permanent behauptet wird.
antworten. Das wäre die Alternative. Ich weiß, Sie haben sich über das Flugblatt beschwert, das
verehrter Herr Kollege Höcherl, daß Sie nicht dieser von uns herausgegeben wurde. Warum habe ich
Auffassung sind. Aber ich wollte das mit aller Deut dieses Flugblatt herausgegeben? Sie können das
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4425
Bundesminister Ertl
nachlesen, Sie haben es in der Hand, schlagen Sie lionen angeben, damit die Zahl abgerundet wird und
doch die erste Seite auf: weil vor mir der Kollege Sie zufrieden sind.
Eisenmann als bayerischer Staatsminister im Auf- Die heutige Debatte hat, so glaube ich, erwiesen,
trag der bayerischen Staatsregierung ein ähnliches daß die Landwirtschaft heute sicherlich in einer
Flugblatt herausgegeben hat, in dem er erklärt hat, schwierigen Phase steht und daß die allgemeine
was in Bayern gefördert wird. Darin wurde mit Entwicklung geradezu nach Stabilität schreit. Ich
keiner Zahl ich glaube, es wurde höchstens eine glaube, daß die Bundesregierung mit ihren Maß-
Zahl angegeben — erwähnt, daß der Bund die mei- nahmen einiges zur Abhilfe beigetragen hat. Die
sten Maßnahmen finanziert. Wirtschaftsinstitute haben bestätigt, daß wir zu
(Abg. Wehner: Hört! Hört!) einer Beruhigung der konjunkturellen Situation
kommen. Ich bin aber dem Parlament sehr dankbar,
Es ist das gute Recht von Herrn Eisenmann, das zu
wenn es mir hilft, bessere Lösungen zu finden.
sagen. Aber der Bund zahlt für die Förderungen
mehr Geld als das Land. Ich werde doch noch das Ich darf noch ein weiteres sagen: Ich bin dem
gute Recht haben, die Menschen wenigstens offen EWG-Parlament und den Europaparlamentariern
und ehrlich zu informieren. doppelt dankbar, wenn sie mir helfen und wenn es
ihnen gelingt — Herr Kollege Klinker, Sie sind ein
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
maßgeblicher Politiker im EWG-Parlament —, einen
Hier muß man sich für solche Maßnahmen ja bei- Beschluß herbeizuführen, der den Grünen Dollar
nahe entschuldigen. Wir wollen das einmal ganz auf Zeit aussetzt. Wenn Sie helfen, mir diesen Be-
deutlich festhalten. Sie wissen sehr genau, wie das schluß zu liefern, werden Sie meine Unterstützung
so in Bayern läuft. Das muß gesagt werden, Herr finden. Ich werde dann meinen Part im Ministerrat
Niegel. Wie sich einige Beamte der bayerischen übernehmen. Aber bis jetzt habe ich — wie mir
Landwirtschaftsverwaltung verhalten — das sage scheint, zu Recht — manches nicht getan, was mir
ich aus großer Sorge; denn, wie Sie wissen und von seiten des EWG-Parlaments und auch aus Ihren
nachlesen können, habe ich einmal wegen meiner Reihen empfohlen wurde, sondern ich habe, wie Sie
politischen Grundhaltung einen Stuhl im Ministe- wissen, genau das Gegenteil getan.
rium räumen müssen; ich wollte eigentlich nicht
Aber ich weiß, daß die Sorgen der Landwirtschaft
darüber sprechen , wie sich einige Beamte der
von dem ganzen Hohen Hause geteilt werden. Das
bayerischen Landwirtschaftsverwaltung im Dienst-
ist auch für mich eine gewisse Hoffnung. Möge es
bezirk und im Dienstgeschäft parteipolitisch betäti-
uns gelingen, gemeinsam die sicherlich nicht leichte
gen, daß sucht seinesgleichen. Wenn ich Minister
Phase zu überwinden.
wäre, würde ich sagen: Mein lieber Freund, ein
klein bißchen mehr Zurückhaltung wäre gut! (Beifall bei den Regierungsparteien.)
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Ich habe mich als Amtsvorstand sehr korrekt ver- Präsident von Hassel: Das Wort hat der Ab-
geordnete Struve.
halten.

Präsident von Hassel: Herr Abgeordneter, ge- Struve (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Da-
statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten men und Herren! Das Hohe Haus hat bei guter oder
Niegel? sogar sehr guter Besetzung über 6 Stunden lang
über zwei Große Anfragen, eingebracht von allen
Fraktionen, diskutiert. Ich glaube, aus dieser Tat-
Niegel (CDU/CSU) : Herr Bundesminister, ich
sache kann man schon schließen, daß den Kollegen
habe nicht das Flugblatt als solches kritisiert, son-
aus den einzelnen Wahlkreisen zum Teil ein ande-
dern nur die nicht ganz richtigen Zahlen, die Sie
res Bild über die Lage der Landwirtschaft vermittelt
über die Förderungsleistungen des bayerischen
wurde, als uns hier heute einmal in der schriftlichen
Landwirtschaftsministeriums angeben. Hier sind na-
Antwort, zum anderen aber auch durch die Stellung-
türlich gewaltige Differenzen festzustellen.
nahmen der Herren Kabinettsmitglieder vorgetra-
gen wurde.
Ertl, Bundesminister für Ernährung, Landwirt- Ohne Zweifel war die CDU/CSU-Fraktion gut be-
schaft und Forsten: Herr Kollege Niegel, meine Mit-
raten, als sie neben agrarpolitischen vor allen Din-
arbeiter haben mir gesagt, die Zahlen stimmten. Ich
gen auch wirtschaftspolitische und sozialpolitische
werde sie aber nachprüfen lassen. Mir liegt nichts
Fragen in ihre Betrachtungen einbezog. Auch wenn
ferner, als Ihnen falsche Zahlen zu geben. Aber
man die Beratungen lange Zeit zurückverfolgt,
eines steht fest: Vergleichen Sie den Katalog aus
dürfte man kaum einen Fall finden, indem sich das
Bayern, in dem die Bundesmittel angegeben sind,
mit meinem Katalog. Ich habe fairerweise hinein- Kabinett so intensiv in die Debatte eingeschaltet
geschrieben, daß es Aufgaben gibt, die das Land hat.
Bayern fördert, während der Bund nichts gibt. Ver- Nun ist die Beurteilung von seiten der Sprecher
gleichen Sie das! Dann werden Sie sehen, wer sich der Koalitionsfraktionen zu den Antworten der Re-
fairer und anständiger verhält. Dabei habe ich gierung mit „gut" und noch besser ausgefallen, wäh-
noch nicht einmal angeführt, daß ich auch die Bera- rend wir sehr unzufrieden sind und sie eher mit
tung in Bayern mit finanziere. Das habe ich ver- „ungenügend" bezeichnen. Das ist an sich das Be-
gessen. Dafür könnte ich noch einmal einige Mil- dauerliche an dieser Debatte, daß die Auffassungen
4426 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Struve
über die wirkliche Lage in der Landwirtschaft inner- ren und Unkosten nach nationalen Gesetzen immer
halb des Hohen Hauses und auch in der Bundes- mehr ausufern lassen dürfe. Statt Preissenkungen
regierung und der CDU/CSU-Fraktion so unter- wird er Preiserhöhungen vorschlagen.
schiedlich sind.
Mein Appell geht an die Bundesregierung, hier
An Sie, Herr Minister Ertl als den zuständigen aktiv zu werden und die mahnenden Worte, die
Fachminister, möchte ich schon heute den Appell gestern vor dem Deutschen Bauernverband gespro-
richten: wenn wir im Februar erneut eine altarpoli- chen worden sind, nicht zu unterschätzen. Wenn
tische Debatte haben, konzentrieren Sie die Vor- schon gesagt wird, daß der Bauer Unternehmer sein
arbeiten vor allen Dingen auf die Frage: Was hat und unternehmerisch denken solle, dann müssen Sie
sich in der zweiten Jahreshälfte 1970, ab Juli ereig- sich auch verpflichtet fühlen, für sein Einkommen
net? Hier kann es keinen Zweifel geben, daß uns genauso verantwortlich zu votieren, wie Sie umge-
auf der einen Seite die Preise in dem Unkosten- kehrt eine zehn- und zwölfprozentige Erhöhung der
bereich völlig davongelaufen sind. Ein anderes Pro- Kosten in einem Jahr schon für selbstverständlich.
blem, das vielleicht auch bei der heutigen Debatte halten.
zu kurz gekommen ist, darf nicht wieder — wenn (Beifall bei der CDU/CSU.)
man so will — vom Tisch kommen, das sind die Am Schluß dieser Debatte sollte also, wie ich
völlig veränderten Verhältnisse innerhalb der glaube, noch einmal klar herausgestellt werden, daß
EWG, die die Wettbewerbsverhältnisse zwischen die Initiativen für eine wirkliche Verbesserung der
der deutschen Landwirtschaft und der unserer Part- derzeitigen Lage von der Bundesregierung ergriffen
ner so auseinanderklaffen lassen. und energisch in Brüssel vorgetragen werden müs-
(Beifall bei der CDU/CSU.) sen.
Ich möchte noch ein weiteres und zugleich schon
Herr Minister Schiller, Sie sprechen immer von letztes Problem aus unserem Antrag aufgreifen. Herr
dem rechnerischen Ausgleich, von dem vollen Aus- Minister Ertl, Sie haben auf der gestrigen Kund-
gleich. Sie warne n sogar und sagen, rein rechnerisch gebung u. a. auch die speziellen und konkreten
könne durch die Preisentwicklung in gewissen Be- Wünsche des Berufsstandes entgegengenommen. Sie
reichen sogar herauskommen, daß die Schätzungen äußerten sich in Sachen Altershilfe nach einer mir
zu positiv waren. Im Augenblick zeichnen sich die vorliegenden Notiz wie folgt: „Eine Erhöhung" —
mit der Abwertung des Franc und mit der Aufwer- nämlich der Altershilfe — „würde ich persönlich
tung der D-Mark ohne Zweifel völlig verschobenen sehr begrüßen." Es ist dann ein Satz im Protokoll
Wettbewerbsverhältnisse in der EWG so stark ab, unklar wiedergegeben. Es heißt dort: „Auf Ton-
daß sie für jeden Bauern handgreiflich sind. band unverständlich". — Dann fahren Sie fort:
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. „Wenn Sie mir die parlamentarischen Mehrheiten
Ritz: Das ist das eigentliche Problem!) dazu herbringen, werden wir uns darüber unterhal-
ten können."
Ich kann es auch anders ausdrücken. Die Erzeuger-
preise sind nicht nur statistisch von September bis (Abg. Dr. Barzel: Hört! Hört!)
September um 7 % gefallen, es ist eine derartige Un- Meine Damen und Herren, ich habe diesen Punkt
sicherheit in das Marktgeschehen hineingeraten, daß herausgegriffen, weil er heute in zweiter und drit-
im Bereich der Veredelungswirtschaft nicht nur ein- ter Lesung ansteht. Leider haben die Koalitionsfrak-
zelne illiquid werden, sondern ich befürchte für tionen in den Ausschußberatungen unseren Vor-
viele Betriebe leider noch viel Schlimmeres. schlägen nicht folgen können. Wir bringen heute
Unser erster Appell, meine Herren von der Bun- einen neuen Antrag ein. Wir sind jetzt schon in der
desregierung, geht in dieser Richtung: Bringen Sie Lage, Ihnen für , die 120 Millionen DM, die an öffent-
diese Dinge in Brüssel auf die Tagesordnung; und lichen Mitteln aufgebracht werden sollen, einen
wenn Sie den Grünen Verrechnungsdollar nicht be- Deckungsvorschlag zu machen.
seitigen können, beseitigen Sie diese Wettbewerbs- Über eines allerdings möchte ich keinen Zweifel
verschiedenheit, sonst muß die deutsche Landwirt- aufkommen lassen, und hier gebe ich, wie ich
schaft nicht nur um ihre Zukunft bangen, sondern glaube, nicht nur die Auffassung der CDU/CSU-
sie muß — wie man so schön sagt — unter die Räder Fraktion, sondern auch der bäuerlichen, der länd-
kommen gegenüber den besseren Wettbewerbsbe- lichen Bevölkerung wieder. Reden Sie bitte nicht
dingungen der Landwirtschaft in den anderen EWG- immer nur von der Krankenversicherung, die ab
Staaten. 1972 kommen soll! Sprechen Sie, meine Herren von
(Beifall bei der CDU/CSU.) der Bundesregierung, nicht immer nur von den
Nun ein zweiter Appell an unsere Bundesregie- Kosten, die über 300 Millionen DM betragen und für
rung, den wir auch in unserem Antrag festgehalten die Sie noch eine Deckung suchen müssen! Wenn
haben und der sicher auch in den Ausschüssen noch ich es richtig sehe und die mittelfristige Finanz-
weiter verfolgt wird. Das Preisklima ist völlig um- planung verfolge, wollen Sie doch die Kosten weit-
geschlagen. Ich war im Auftrag meiner Fraktion vor gehend durch die 920 Millionen DM decken, die
14 Tagen einige Tage in Brüssel. Wir haben von heute als Ersatz für den Aufwertungsverlust gezahlt
dem amtlichen Mitarbeiter von Mansholt gehört, daß werden. Mit anderen Worten: die Bauern sollen
er nach Bereisung aller sechs Partnerländer seine auch hier die Beträge indirekt selber aufbringen.
Ansicht revidiere, daß er einsehe, daß man nicht auf Meine Bitte geht also abschließend dahin, daß bei
der einen Seite Erzeugerpreise für Jahre zementie- einem 100-Milliarden-Etat, der für 1971 in Aussicht
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4427
Struve
gestellt ist, heute eine positive Entscheidung fallen Dr. Schmidt für die Würdigung meines Beitrags in
sollte. Die Altershilfeempfänger sollten nicht weiter dem Buch „Die Union in der Opposition" danken. Er
vertröstet werden. hat von dem wirtschaftlichen Teil gesprochen. Aber
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr. Bar- ich hoffe, daß er auch den sozialpolitischen Teil gele-
zel: Sehr gut!) sen hat, und ich hoffe, daß er auch meine Ausfüh-
rungen über die Alterssicherung und die Kranken-
versicherung gelesen hat. Wenn dem so ist und er
Präsident von Hassel: Wir sind damit am zustimmt
Ende der Rednerliste angelangt.
(Zurufe von der SPD: Begründung!)
(Beifall.)
— Nicht zu früh applaudieren! Es kommen noch — Moment, Moment! —, so brauchte ich hier keine
weiteren Worte zu verlieren. Dann würde unser
ein paar kurze Begründungen.
Änderungsantrag durchkommen. Das wollte ich nur
Wir können damit bei den Punkten 3 a und b damit sagen, meine Damen und Herren.
zur Abstimmung kommen. Ich darf Sie bitten, diese
Punkte 3 a und b zur Hand zu nehmen, gleichzeitig (Beifall bei der CDU/CSU.)
die drei Anträge Umdrucke 89 *) 92 **) und 90 ***). Denn dieser Änderungsantrag sieht vor, daß die
Ich rufe zunächst den Antrag der Fraktion der Altershilfe ab 1. Juli 1971 heraufgesetzt werden
CDU/CSU auf Umdruck 89 auf. soll auf 240 DM monatlich für Verheiratete und auf
(Zurufe von der CDU/CSU: Ohne Begrün- 160 DM monatlich für Unverheiratete. Bei dieser
Leistungsverbesserung schlagen wir sogar trotz der
dung!)
schwierigen Lage der Landwirtschaft auch eine hö-
- Ohne Begründung. Das hören wir gern. Es wird here Eigenleistung vor. Wir wollen die Beiträge von
also vorgeschlagen, den Antrag der Fraktion der 27 DM auf 33 DM vom gleichen Zeitpunkt an herauf-
CDU/CSU auf Umdruck 89 gleich zu überweisen, setzen.
und zwar an den Finanzausschuß als federführenden
Ausschuß und an den Ausschuß für Ernährung, Als Drittes wollen wir die Wiedereinführung der
Landwirtschaft und Forsten als mitberatenden Aus- Defizithaftung des Bundes gegenüber den Alters-
schuß. Gleichzeitig soll der Antrag der Fraktion ,der kassen erreichen, ähnlich wie es bei der Knappschaft
CDU/CSU auf Umdruck 92 an den Ausschuß für Er- der Fall ist.
nährung, Landwirtschaft und Forsten als federfüh- Meine Damen und Herren, die Gründe sind hier in
renden Ausschuß und an den Haushaltsausschuß der Debatte immer wieder durchgeklungen. Ich darf
zur Mitberatung überwiesen werden. Wer dem zu- sie punktuell noch einmal nennen. Es geht darum,
stimmt, den bitte ich um ,das Handzeichen. — Ge- in der Landwirtschaft die soziale Gerechtigkeit her-
genprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen. zustellen. Es geht darum, eine Entlastung der Be-
Zu Punkt 3 b liegt ein Antrag der Fraktionen der triebe gegenüber den Altenteilern zu erreichen. Denn
SPD und FDP auf Umdruck 90 vor. Der Antrag ist die Altershilfe ist ja nur ein Teil der Altersversor-
vorhin von Herrn Abgeordneten Helms begründet gung. Der andere Teil muß vom Hof kommen, und
worden. Soweit ich das sehe, wird vorgeschlagen, diese Leistungen des Hofes sind immer schwieriger
ihn an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft zu erbringen. Es geht auch um die Betriebe, die durch
und Forsten als federführenden Ausschuß und an den Strukturwandel schon längst aufgegeben wor-
den Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung als mit- den sind und die Eigenleistung für die Altenteiler
beratenden Ausschuß zu überweisen. — Das Wort nicht mehr erbringen können.
wird nicht gewünscht? - Wer dem Vorschlag zu-
stimmt, den Antrag Umdruck 90 an die genannten Ferner muß ich den EWG-Raum nennen. Wir wis-
Ausschüsse zu überweisen, den bitte ich um das sen, daß die deutsche Altershilfe im EWG-Raum
Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — am geringsten ist. Herr Dr. Ritz hat schon das Bei-
Es ist einstimmig so beschlossen. spiel von Frankreich genannt. Wir können durch
diese Verbesserung — ich will es einmal vorsichtig
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über die sagen — die Wettbewerbsverzerrung auf diesem
Punkte 4 a und 4 b. Ich darf bitten, dazu die Druck- Gebiet vermindern helfen.
sachen VI/1384, zu VI/1384, VI/249, VI/438 und VI/1407
zurHandehm.DiAbstungerfola Ohne Zweifel muß auch über eine Deckung nach-
der Grundlage der Drucksache VI/1384. gedacht werden, aber dann im Gesamthaushalt. Wir
könnten es uns auch so leicht machen, meine Damen
Dazu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion der
und Herren von der Regierungskoalition, wie wir
CDU/CSU auf Umdruck 87 ****) vor. Wer begründet
es bei der Verbesserung der Unfallversicherung er-
ihn? — Herr Abgeordneter Horstmeier, bitte schön!
lebt haben, indem Sie es nämlich der Regierung
überlassen haben, für eine Deckung zu sorgen. Aber
Horstmeier (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine das tun wir nicht. Mein Kollege Röhner wird gleich
sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten Sie sagen, wie diese Deckung im Haushalt möglich ist.
mir zunächst ein persönliches Wort. Ich möchte Herrn Im übrigen sind wir Ihnen bei der Frage der Finan-
*) Siehe Anlage 3 zierung entgegengekommen, in dem wir von dem
*)SiehAnlag4 ursprünglich vorgesehenen Termin 1. Januar 1971
*)SiehAnlag2 abgewichen sind. Wir haben den 1. Juli 1971 ge-
****) Siehe Anlage 5 wählt.
4428 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Horstmeier
Meine Damen und Herren, es geht hier darum, den zung des Landes als Hochwald ermöglicht, die Nut-
internen Strukturwandel in der Landwirtschaft mehr zung der anliegenden Flächen nicht eingeschränkt
zu stützen als bisher. Der Herr Minister Arendt hat wird und die Aufforstung mit anderen Agrar- oder
erneut zum Ausdruck gebracht, daß die Bundesregie- infrastrukturellen Maßnahmen in Einklang steht.
rung gewillt sei, die soziale Sicherung in der Land-
Mit der unter Punkt 3 des Ausschußantrages vor-
wirtschaft für die Ausscheidenden und für die Blei-
gelegten Entschließung soll die Bundesregierung er-
benden — das ist wichtig — zu gewährleisten.
sucht werden, dem Deutschen Bundestag zu berich-
Es hat keinen Zweck mehr, da noch länger hin- ten, welche weiteren Maßnahmen getroffen worden
zuhalten. Es kommt darauf an, daß nun endlich Zei- oder vorgesehen sind, um diesen landwirtschaft-
chen gesetzt werden. Sie haben hier die Gelegenheit, lichen Unternehmern zu helfen.
Zeichen zu setzen. Ich fordere Sie auf, das zu tun.
Meine Damen und Herren! Mit diesem Gesetz
(Beifall bei der CDU/CSU.) werden Sozialpolitik und Strukturpolitik harmo-
nisch miteinander verbunden; der Anpassungspro-
Präsident von Hassel: Mir ist insofern ein zeß der Landwirtschaft an die veränderten struktu-
Versehen unterlaufen, als ich der Meinung war, daß rellen Verhältnisse wird im Interesse aller be-
die Berichterstatter heute morgen gleichzeitig die schleunigt. Ich bitte, die Gesetzesvorlage in der
mündliche Ergänzung gegeben hätten. Das ist nicht Ausschußfassung anzunehmen.
der Fall. Das Wort zur mündlichen Ergänzung hat (Beifall bei den Regierungsparteien und bei
deshalb zunächst der Berichterstatter, Herr Wolf, Abgeordneten der CDU/CSU.)
dem ich für seinen Schriftlichen Bericht danke.

Wolf (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr ver- Präsident von Hassel: Wir fahren mit der
ehrten Damen und Herren! In Anbetracht der fort- Begründung zu Umdruck 87 fort. Das Wort hat der
geschrittenen Zeit möchte ich der Anregung des Abgeordnete Röhner; es folgt danach der Abge-
Herrn Präsidenten folgen und mich in meiner münd- ordnete Schonhofen.
lichen Ergänzung sehr kurz fassen.
Im Laufe der Debatte hat es sich gezeigt, daß die Röhner (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Da-
Schwerpunkte oft falsch gesetzt worden sind und men und Herren! Ich möchte zum Entwurf eines
oft auch nicht deutlich erkannt wurden. Mir scheint Fünften Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des
es notwendig zu sein, noch darauf hinzuweisen, daß Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte mit
dieses Gesetz drei Schwerpunkte schafft: 1. die Bezug auf die Deckungsfrage einige Anmerkungen
Regelung über die Finanzierung der landwirtschaft- zum diesbezüglichen Antrag der CDU/CSU-Fraktion
lichen Altershilfe für die nächsten Jahre, 2. wesent- — Drucksache VI/249 — machen. Die Deckungsfrage
liche Verbesserungen bei der Landabgabenrente ist ja offensichtlich der Hauptgrund für das ableh-
und 3. die Möglichkeiten der Beitragsnachentrichtung nende Verhalten der Koalitionsparteien gegenüber
in der gesetzlichen Rentenversicherung für ausschei- diesem Gesetzesantrag.
dende jüngere Landwirte. Ich persönlich bin der Meinung und ich möchte
In Abkehr von dem bisherigen Grundsatz, nach das auch namens meiner Fraktion ausdrücken und
dem den Landwirten über finanzielle Zuschüsse die vortragen, daß die Auffassung der Koalitionspar-
Aufrechterhaltung ihres Betriebes ermöglicht wurde, teien und der Regierung, für den GAL-Änderungs-
unterstützt dieses Gesetz die Abgabe kleiner, nicht antrag der CDU/CSU-Fraktion auf Erhöhung des
rentabler Betriebe. landwirtschaftlichen Altersgeldes sei im Jahre 1971
keine solide, keine ausreichende Deckung vorhan-
Wichtig erscheint mir auch der Hinweis auf eine den, nicht haltbar ist und nicht zutrifft. Ich möchte
neu eingeführte Möglichkeit, die insbesondere für das Gegenteil behaupten und will auch den Ver-
jüngere strukturbetroffene Landwirte von Bedeu- such machen, das zu beweisen.
tung ist. Nach dieser Möglichkeit können ausge-
schiedene Landwirte Beiträge zur gesetzlichen Ren- Überprüft man einmal den Agrarhaushalt 1971 auf
tenversicherung nachentrichten, wenn sie eine Ar- das in Kapitel 10 03 eingestellte Gesamtvolumen,
beitnehmertätigkeit aufgenommen haben. Zu diesen dann ergibt sich ein Betrag von 2 879 437 000 DM.
Beiträgen gewährt der Bund bei struktureller Ab- Man muß aber wissen, daß in diesem Betrag eine
gabe einen Zuschuß in Höhe von 70 v. H. Dadurch Summe von 149,4 Millionen DM enthalten ist, die
wird dieser Personenkreis in die Lage versetzt, sich auf nationale Ausgaben der Vorratshaltung und
eine ausreichende und mit der anderer Arbeitneh- sonstiger Marktordnungsmaßnahmen entfällt. Ich
mer vergleichbare Alterssicherung aufzubauen. meine mit diesen in Kapitel 10 03 ausgebrachten
nationalen Maßnahmen die Ausgaben für die Vor-
Im Zusammenhang mit den Beratungen hat sich ratshaltung für Berlin, die NATO-Getreidereserve,
der Ausschuß auch eingehend mit dem Problem be- die Frachthilfegetreidemaßnahmen, die Ausfuhr-
schäftigt, vor dem landabgabewillige Landwirte ste- erstattung für Zuchtvieh, die Förderung für Fisch-
hen, die keine Landabgaberente erhalten können, absatz und den Verwaltungskostenzuschuß für EV-
weil kein anderer Landwirt ihr Land übernimmt. Als Stellen. Das heißt, anders ausgedrückt: Tatsächliche
einen ersten Weg, dieses Problem zu lösen, hat der Ausgaben für die EWG-Agrarpolitik sind nach Ab-
Ausschuß beschlossen, die Erstaufforstung der Land- zug dieser 159,4 Millionen DM jene 2 720 000 000
abgabe gleichzustellen. Hierbei wird vorausgesetzt, DM, die in der „Übersicht" im Anhang zum Einzel-
daß eine ordnungsgemäße forstwirtschaftliche Nut- plan 10 unter den Ausgabeblöcken H, J und K tat-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4429
Röhner
sächlich aufgeführt sind. Wir stellen also hier unter- nicht mehr realistisch sind. Sie können heute we-
schiedliche Zahlen fest. sentlich kleiner gehalten werden. Also auch in
Nun ist dabei folgendes zu beachten. Die Aus- diesem Bereich des Kap. 10 03 für 1971 sind echte
gaben für die EWG-Agrarpolitik werden dann vom Umschichtungsmöglichkeiten gegeben.
EWG-Agrarfonds direkt finanziert, wenn ihr Ent- Ich darf hier vielleicht ein, zwei Beispiele heraus-
stehungsgrund nach dem 1. Januar 1971 gegeben ist. greifen. Bei Getreide z. B. darf man sicherlich nach
Entsprechend sind diese vom EWG-Agrärfonds di- den heutigen Tatbeständen und nach den heutigen
rekt an den Bundeshaushalt fließenden Mittel auch Kenntnissen unter Berücksichtigung der voraus-
bei Kap. 60 06, und zwar bei Tit. 686 11 als Minder- sichtlichen Marktsituation mit einem Einsparungs-
ausgaben eingestellt. Die dort eingestellte Minder- betrag von etwa 120 bis 140 Millionen DM rechnen.
ausgabe in Höhe von 2,443 Milliarden DM enthält
außerdem — daß muß auch hervorgehoben wer- Noch ein zweiter Posten sei genannt. Er betrifft
den — einen Betrag von 330 Millionen DM für den die Fette. Wir alle kennen das Problem: Abbau des
Aufwertungsausgleich. Bringt man diese Summe für Butterberges usw. Bei den Fetten — damit meine
den Aufwertungsausgleich von dem gesamten An- ich neben Butter auch den Bereich Magermilchpul-
satz in diesem Titel in Abzug, verbleiben echte ver — könnte infolge niedriger gewordener Durch-
2,113 Milliarden DM. Es ergibt sich also — und schnittsbestände ebenfalls ein Betrag von etwa
um diese Beweisführung ging es mir hier — ein 30 Millionen DM freigesetzt werden.
Differenzbetrag von insgesamt 606 Millionen DM. Allein diese beiden Posten der Vorratshaltung
ergeben zusammen bereits eine Summe von 170 Mil-
Ich bin der Meinung, die Konsequenz, die daraus lionen DM.
gezogen werden kann, ist die, daß diese Ausgaben
wohl 1971 getätigt werden müssen, aber ihr Ent- Aber auch bei den Abbaumaßnahmen wäre durch-
stehungsgrund bereits in der Zeit vor dem 1. Januar aus noch mit einem Betrag von etwa 126 bis 130
1971, also im Jahre 1970 liegt. Und das heißt doch, Millionen DM zu kalkulieren.
daß für diese Ausgaben — ich sprach von rund Ich wollte auch auf (diese zweite Deckungsmög-
600 Millionen DM — noch das alte EWG-Rück- lichkeit hingewiesen haben.
vergütungssystem anzuwenden ist und nicht das
Abschließend darf ich feststellen: Wenn in den
neue direkte Finanzierungssystem.
zurückliegenden Monaten vielleicht auf allen Sei-
In der Finanzierungspraxis hat das natürlich seine ten dieses Hauses zu Recht immer wieder „mehr
entsprechende Auswirkung. Wenn diese im nach- soziale Sicherheit" für unsere bäuerlichen Familien
hinein zu zahlenden Beträge weniger als diese gefordert worden (ist, dann bin ich der Meinung,
606 Millionen DM Differenz ausmachen, dann kön- daß in Anbetracht des Antrages der CDU/CSU-
nen die Ausgaben bei Kap. 10 03 um diesen ver- Fraktion und in Anbetracht der soliden realistischen
ringerten Betrag im Jahre 1971 gekürzt werden. Deckungsvorschläge hier eine Möglichkeit gegeben
ist, einen guten, einen entscheidenden Schritt vor-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn anzugehen in Richtung auf mehr soziale Sicherheit
man bedenkt, daß dieses geschehen kann, ohne daß für unsere deutsche Landwirtschaft.
dabei die Minderausgaben, die bei Kap. 60 06 aus-
gebracht sind, also die Direktzuflüsse aus Brüssel, (Beifall bei der CDU/CSU.)
irgendwie geändert oder gekürzt werden müßten,
ergibt sich daraus für mich die folgende zwingende
Schlußfolgerung: auch bei ganz vorsichtigen Schät- Präsident von Hassel: Das Wort hat Herr Ab-
zungen ist im Jahre 1971 mit Verpflichtungen, geordneter Dr. von Bülow.
deren Entstehungsursachen bereits im Jahre 1970
begründet waren — altes Finanzierungssystem —,
von höchstens 400 Millionen DM zu rechnen. Das Dr. von Bülow (SPD) : Herr Präsident! Meine
ergibt dann einen Restbetrag von mindestens 200 sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte drei
Millionen DM, die im Voranschlag für 1971 bei Bemerkungen zu dem machen, was Herr Röhner
Kap. 10 03 tatsächlich eingestellt sind und die des- vorgetragen hat.
halb umgeschichtet werden können. Erstens. Es sind, glaube ich, kaum drei Stunden
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich her, daß wir die (Berichterstatterbesprechung für
möchte noch auf eine zweite Deckungsmöglichkeit Einzelplan 10 abgeschlossen haben. Da haben wir
ausdrücklich hingewiesen haben. Die Ansätze für darum gekämpft, daß wir 5 Millionen DM aus
Kap. 10 03 sind — und das ist ganz natürlich und Kap. 10 03 freibekommen. Es war keineswegs die
ordnungsgemäß — in den Frühjahrsmonaten des Gewißheit da, wie hier vorgetragen wurde, daß
Jahres 1970 kalkuliert, fixiert und dann im Haus- derartige Mittel vorhanden sind.
halt eingestellt worden. Wenn man dann an die Zweitens. Die Überproduktion der EWG an But-
Ausgabenblöcke — Vorratshaltung und Abbau- ter und anderen Waren war für 1970 klar als ge-
maßnahmen — denkt und wenn man den Versuch ringer zu erkennen. Deswegen war Luft in
macht, diese dort bereitgestellten Summen nach Kap. 10 03. Die Entwicklung für 1971 ist völlig un-
den heutigen Tatbeständen und nach den heutigen übersichtlich. Wir alle wissen, daß diesen Einzel-
Kenntnissen abzustimmen und zu kalkulieren, plan eine hohe Ungewißheit auszeichnet und daß
kommt man auch hier zu dem zwingenden Schluß, es deshalb in hohem Maße unverantwortlich wäre,
daß die damals zu Recht eingestellten Beträge heute in dieser Größenordnung in den Topf zu greifen mit
4430 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Röhner
der Möglichkeit, ,daß das später zu Lasten anderer zu verzeichnen ist, ich kann auch sagen, kein erfreu-
Maßnahmen geht. liches Erbe übernommen worden ist. Es ist das aus-
gesprochene Anliegen dieser Bundesregierung, hier-
Drittens. Herr Röhner, es ist doch einfach eine
für Lösungsmöglichkeiten in relativ kurzer Zeit auf-
kurzfristige und flachbrüstige Argumentation, wenn
zuzeigen.
man Kap. 10 03 für das Jahr 1971 isoliert sieht. Das
Altersgeld ist doch keine Maßnahme, die wir ein Es sollte noch hinzugesetzt werden, daß die beiden
Jahr gewähren können und im anderen Jahr wie- Regierungsparteien der Großen Koalition die Finan-
der wegnehmen. Wir müssen doch die mittelfristige zierung der Altershilfe lediglich bis zum Ende des
Finanzplanung sehen. Darin sind diese Mittel zur Jahres 1970 sichergestellt haben und daß wir mit
Zeit ganz klar nicht vorhanden. diesem Gesetz die Finanzierung nunmehr bis zum
Ablauf der Übergangszeit sicherstellen. Sie haben
Diese wenigen Anmerkungen wollte ich machen.
in den Ausschußberatungen zur Kenntnis nehmen
Es geht uns genauso um die Landwirtschaft wie
können — ich möchte das hier noch einmal wieder-
Ihnen. Aber wir müssen ein realistisches Konzept
- holen —, daß diese Bundesregierung und diese
vorlegen, und wir müssen die Krankenversiche-
Koalition die Absicht haben, mit dem Ablauf der
rungsreform verwirklichen, die Sie bereits 1966 an-
Übergangszeit eine grundsätzliche Neuregelung der
gekündigt, aber bis heute nicht verwirklicht haben.
Altershilfe und Unfallversicherung anzustreben.
(Beifall bei der SPD.)
Meine Damen und Herren, in der heutigen De-
batte — das ist zweifellos kennzeichnend für sie
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Ab- gewesen — ist zum Ausdruck gekommen, daß diese
geordnete Schonhofen. Bundesregierung und diese Koalition willens sind,
zielstrebig und beharrlich, sachbezogen und gleich-
Schonhofen (SPD) : Herr Präsident! Meine , sehr zeitig auch sachgerecht
verehrten Damen und Herren! Wer sich nach neun- (Abg. Stücklen: Das nennen Sie Telegramm
stündiger agrarpolitischer Debatte die letzten stil!)
Sympathien des Hauses nicht verscherzen will, sollte
eine Agrarsozialpolitik zu betreiben. Die vorliegen-
sich im Telegrammstil äußern.
den Anträge der Opposition scheinen uns darauf
Herr Kollege Horstmeier hat in Zusammenhang angelegt zu sein, diese klare Konzeption zu unter-
mit der Begründung des Antrags der CDU/CSU- laufen. Wir sehen uns deshalb nicht in der Lage,
Fraktion Umdruck 87 gemeint, es müßten Zeichen Ihren Anträgen zuzustimmen.
gesetzt werden. Meine Damen und Herren, es sind
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Zeichen gesetzt worden. Man muß sich nur bemühen,
sie zu sehen, sie nicht zu übersehen, sie nicht geflis-
sentlich zu übersehen. Es sind Zeichen in dem Gesetz
gesetzt worden, das wir in wenigen Minuten zu ver- Präsident von Hassel: Meine Damen und Her-
abschieden bereit sind. Wir werden eine beachtliche ren, die Liste der Wortmeldungen ist erschöpft.
Verbesserung der Landabgaberente verabschieden. (Beifall.)
Wir werden in dem gleichen Gesetz, in dem agrar- Der Antrag Umdruck 87 ist begründet. Die Stellung-
sozialen Ergänzungsgesetz, die Nachentrichtung von nahme zur Begründung ist erfolgt.
Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung ein-
führen. Zweitens gehört zu den Zeichen, die diese Ich bitte Sie, Drucksache VI/1384 zur Hand zu
Bundesregierung gesetzt hat, die Einführung der nehmen. Die Aussprache in zweiter Lesung ist
Krankenversicherungspflicht. Sie sind darüber infor- beendet.
miert, daß die Verbesserung der Landabgabenrente, Wir kommen zur Abstimmung. Ich rufe Art. 1 des
die Schaffung der Möglichkeit der Beitragsnach- Gesetzentwurfes auf. Zu Art. 1 § 1 liegen drei
entrichtung in der gesetzlichen Rentenversicherung Änderungsanträge auf Umdruck 87 vor. Auf Um-
und die Einführung eines ausreichenden Kranken- druck 87 Ziffer 1 wird beantragt, Art. i § 1 Nr. 1
versicherungsschutzes in den agrarsozialen Maß- eine Nr. 01 voranzustellen. Auf Umdruck 87 Ziffer 2
nahmen dieser Koalition Vorrangstellung ein- liegt ein Änderungsantrag zu Art. 1 § 1 Nr. 2 vor.
nehmen. Auf Umdruck 87 Ziffer 3 muß eine Berichtigung vor-
Lassen Sie mich abschließend noch wenige Be- genommen werden. Es muß unter Ziffer 3 wie folgt
merkungen zum Thema der Altershilfe, das auch der heißen:
Kollege Horstmeier hier angesprochen hat, machen. Nummer 3 erhält folgende Fassung:
Diese Bemerkungen beziehen sich zugleich auf die
landwirtschaftliche Unfallversicherung. All das ist „3. § 13 a wird gestrichen."
nichts Neues; trotzdem scheint es mir notwendig zu Ich rufe zunächst Ziffer 1 des Änderungsantrags
sein, diese Bemerkungen hier vor aller Öffentlich- der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 87 auf.
keit zu machen, damit kein schiefes Bild entsteht. Danach soll der Nr. 1 in Art. 1 § 1 eine Nr. 01
(Zuruf von der CDU/CSU: Telegrammstil!) vorangestellt werden:
Es ist klar, daß, was die Höhe der Leistungen der (1) Das Altersgeld beträgt ab 1. Juli 1971
Altershilfe und der Unfallversicherung und auch die für den verheirateten Berechtigten 240 Deutsche
Solidität der zukünftigen finanziellen Basis dieser Mark, für den unverheirateten Berechtigten
beiden Einrichtungen angeht, keine erfreuliche Lage 160 Deutsche Mark monatlich.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4431
Präsident von Hassel
Wer diesem Änderungsantrag unter Ziffer 1 auf Bevor ich Punkt 5 aufrufe, darf ich davon Kennt-
Umdruck 87 zustimmt, den bitte ich um das Hand- nis geben, daß der Vorsitzende des Verteidigungs-
zeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. ausschusses mich gebeten hat, Ihnen mitzuteilen,
daß die Sitzung des Verteidigungsausschusses mor-
— So ganz klar sind wir uns nicht. Es wird bezwei- gen nicht, wie vorgesehen, um 9.45 Uhr, sondern
felt, daß das letzte die Mehrheit war. Dann muß erst um 17 Uhr beginnt.
ausgezählt werden.
Meine Damen und Herren! Ich gebe das Abstim- Ich rufe nunmehr Punkt 5 unserer Tagesordnung
mungsergebnis bekannt. Insgesamt sind 469 Stim- auf:
men abgegeben worden. Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
Für Ziffer i des Antrages auf Umdruck 87 wurden desregierung eingebrachten Entwurfs eines
226 Ja-Stimmen und 243 Nein-Stimmen abgegeben. Gesetzes über eine Zählung in der Land- und
Die Ziffer 1 ist damit abgelehnt. Forstwirtschaft (Landwirtschaftszählungsge-
setz 1971)
Mir ist mitgeteilt worden, daß Ziffer 2 zurück-
gezogen wird. — Drucksache VI/1133 —

Nunmehr müssen wir über Ziffer 3 abstimmen. a) Bericht des Haushaltsausschusses (7. Aus-
Nach ihr soll § 13 gestrichen werden. Wer der schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Ziffer 3 des Antrags auf Umdruck 87 seine Zustim- — Drucksache VI/1368 —
mung geben will, den bitte ich um das Handzeichen. Berichterstatterin: Abgeordnete Frau Pie-
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — ser
Die Ziffer 3 ist mit der gleichen Mehrheit abgelehnt b) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für
worden. Ernährung, Landwirtschaft und Forsten
Wir kommen nunmehr zur Abstimmung über (9. Ausschuß)
Art. 1 in der Ausschußfassung. Gleichzeitig können — Drucksachen VI/1282, Nachtrag zu
wir über Art. 2, 3 und 4 sowie Einleitung und Über- VI/1282 —
schrift abstimmen. Wer diesen 4 Artikeln, der Ein- Berichterstatter: Abgeordneter Solke
leitung und der Überschrift zustimmt, den bitte ich (Erste Beratung 64. Sitzung)
um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegen-
probe. — Enthaltungen? Das ist angenommen Ich darf zunächst den Berichterstattern für ihre
worden. Berichterstattung danken. Ich eröffne die zweite Be-
ratung. Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht
der Fall. Ich schließe die zweite Beratung.
Ich eröffnet die
dritte Beratung. Wir kommen zur Abstimmung in zweiter Bera-
tung. Ich darf Sie bitten, die Drucksachen VI/1133,
Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der VI/1282 und zu VI/1282 zur Hand zu nehmen. Ich rufe
Fall. Ich schließe die Beratung. die §§ 1 bis 23 sowie Einleitung und Überschrift auf.
Wir stimmen in dritter Beratung über das ge- Wer zustimmen will, den bitte ich um das Hand-
samte Gesetz in der Ausschußfassung ab. Wer ihm zeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthal-
zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. — tungen? — Das ist einstimmig so beschlossen.
(Lachen bei der SPD.)
Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Wir treten in die
Bei einer Reihe von Enthaltungen ist das Gesetz in dritte Beratung
dritter Beratung angenommen worden.
ein. — Das Wort wird nicht begehrt. Ich schließe die
Wir kommen zur Abstimmung über Ziffer 2 des dritte Beratung.
Antrags des Ausschusses. Ich mache darauf auf-
merksam, daß mit der Annahme dieser Ziffer 2 die Wir kommen zur Abstimmung über den Gesetz-
Tagesordnungspunkte 4 b und 4 c erledigt wären. entwurf in der vorliegenden Fassung. Wer ihm zu-
Wer dem Antrag des Ausschusses unter Ziffer 2 stimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte
seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig
Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — angenommen.
Enthaltungen? — Ziffer 2 des Ausschußantrages ist
angenommen worden. Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:

Wir kommen zu Ziffer 3 des Ausschußantrags. a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
Wer ihr seine Zustimmung geben will, den bitte ich desregierung eingebrachten Entwurfs eines
um das Handzeichen. — Die Gegenprobe. — Ent- Dreiundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung
haltungen? — Das ist angenommen. des Lastenausgleichsgesetzes (23. ÄndGLAG)
— Drucksache VI/1000 —
Wer Ziffer 4 des Ausschußantrags annehmen will,
den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! aa) Bericht des Haushaltsausschusses 7. Aus-
— Enthaltungen? — Das ist so beschlossen. schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Damit haben wir die Punkte 4 a, 4 b und 4 c er- — Drucksache VI/1383 —
ledigt. Berichterstatter: Abgeordneter Röhner
4432 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970
Präsident von Hassel
bb) Schriftlicher Bericht des Innenausschus- einer Hauptentschädigung auf 75 000 DM herauf-
ses (4. Ausschuß) zusetzen, die Einkommensgrenze um etwa ein Drit-
— Drucksache VI/1351 — tel und die Vermögensgrenze um etwa die Hälfte
Berichterstatter: Abgeordneter Freiherr zu erhöhen. Die Opposition begründete diese
von Fircks Schritte in noch sehr verantwortungsbewußter
Weise in der Drucksache VI/119. Ohne daß dem
(Erste Beratung 66. Sitzung)
Ausgleichsfonds zusätzliche, ursprünglich für die
b) Zweite Beratung des von der Fraktion der Vertriebenen und Kriegssachgeschädigten bestimmte
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Drei- Mittel entnommen werden müssen und ohne den
undzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeshaushalt zu berühren, ist es demnach mög-
Lastenausgleichsgesetzes (23. ÄndGLAG) lich, die Flüchtlinge den Vertriebenen in stärkerer
— Drucksache VI/119 — Weise gleichzustellen. Weiter heißt es in demselben
Papier: „ ... von der Überzeugung ausgehend, daß
Schriftlicher Bericht des Innenausschusses
der Spielraum zu 2,6 Milliarden DM nicht über-
(4. Ausschuß)
schritten wird."
- Drucksache VI/1351 —
(Vorsitz : Vizepräsident Frau Funcke.)
Berichterstatter: Abgeordneter Freiherr von
Fircks In der ersten Lesung zu diesem Gesetzentwurf
wird diese Haltung noch einmal bestätigt. Auch
(Erste Beratung 21. Sitzung)
hier wird von dem Sprecher der Opposition gesagt
Dazu sind lediglich Erklärungen vorgesehen. Ich — ich darf mit Genehmigung des Herrn Präsidenten
eröffne die zweite Beratung. Darf ich zunächst ein- zitieren —:
mal eine Frage stellen. Es liegt mir eine Wortmel- Wir sind bemüht gewesen, in der fortschreiten-
dung zur Abgabe einer Erklärung vor. Wird das den Gleichstellung der Flüchtlinge einen, wie
Wort dazu begehrt? — Das ist nicht der Fall. wir meinen, möglichst großen Schritt voran zu
Wir kommen zur Abstimmung in der zweiten Be- tun, ohne neue Fondsmittel zu beanspruchen.
ratung. Wer den §§ 1 bis 6, Einleitung und Über- Wir meinen aber, daß sofort das getan werden
schrift zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. muß, was, ohne jetzt neue Haushaltsmittel in
— Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Anspruch zu nehmen, in verantwortungsbe-
Einstimmig so beschlossen. wußter Weise geschehen kann.
Doch dann, meine Damen und Herren, kam der
Ich eröffne die Gesetzentwurf der Regierung, der den Antrag der
CDU/CSU gegenstandslos machte. Es ist der An-
dritte Beratung.
trag auf Drucksache VI/1000. Die bisher guten Vor-
Wird das Wort gewünscht? — Herr Abgeordneter sätze der Opposition wurden über Bord geworfen.
Hofmann! Ihre bisherigen Vorsätze, ohne Fondsmittel und
ohne neue Haushaltsmittel auszukommen, wurden
Hofmann (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr durch ihre Anträge widerlegt. Im Innenausschuß
verehrten Damen! Meine Herren! Die Bundesregie- wurden die Vorschläge der Regierung um 450 Mil-
rung hat mit der 23. Lastenausgleichsnovelle hier lionen DM verbessert. Die Anträge der Opposition
eine Verbesserung vorgelegt, die selbst die Oppo- gingen darüber hinaus; sie forderte dazu noch ein-
sition in ihrem Initiativantrag Drucksache VI/119 mal 750 Millionen DM.
nochitzufrdewag.Wnochbei- Interessant ist, daß ein weiterer Antrag auf dem
zelnen Beratungen gesagt wurde, daß hier noch nicht Tisch lag, der aber zurückgezogen wurde, weil wir
alle Hoffnungen erfüllt wurden, so muß dann aber § 6 des Lastenausgleichsgesetzes nicht änderten.
auch gesagt werden, daß in diesen zwölf Monaten Dieser Antrag hätte Mehrausgaben von 1400 Mil-
etwas erreicht wurde, was in 18 Jahren nicht ge- lionen DM erfordert. Damit erreichte die Oppo-
schafft werden konnte. s i tion, die unserem Antrag — 450 Millionen DM —
(Unruhe bei der CDU/CSU.) zustimmte, dazu aber 750 Millionen DM forderte,
daß dieser Antrag eine Summe von nochmals
Bis zur 21. LAG-Novelle im vorigen Jahr ist keine
2,6 Milliarden DM ausmachte. Das ist so viel, wie
sichtbare, greifbare Hilfe gegeben worden. 18 Jahre
die 21. und 23. Lastenausgleichsnovelle insgesamt
wurde das Problem der Flüchtlinge im großen und
ganzen übersehen und überhört. Bescheidene An- kosten sollten.
sätze — und auch die mußten erst noch erkämpft Bei diesen Anträgen kam die Opposition ins
werden — waren in der Großen Koalition mit der Schwimmen, und sie schwamm beinahe zwischen
21. Novelle ermöglicht worden. Scylla und Charybdis. Einerseits wollte sie den
Flüchtlingen viel aus dem Topf der Heimatvertrie-
(Abg. Dr. Wörner: Eine Menge Humor
benen geben, ohne den Heimatvertriebenen dabei
haben Sie!)
etwas wegzunehmen. Andererseits wir ihr eigener
Auch der erste Ansatz aus der Opposition heraus Ruf, der ihnen schon selbst lästig im Ohr war:
zeigte in der Drucksache VI/119 nur sehr zaghafte Sparen! Sparen! Stabilisieren hat Vorrang! Der
und zögernde Schrittchen, die letzten Endes die Haushalt ist zu hoch! — um dann doch mit dem
Problematik der 21. Novelle noch komplizierten. Angriff auf den § 6 des Lastenausgleichsgesetzes all
Ihre Versuche bestanden darin, die Höchstgrenze die Mittel, die über 2,6 Milliarden DM hinausgin-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode - 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4433
Hofmann
gen, auf den Bundeshaushalt zu übertragen. Der die Einschränkung des Schadenstatbestandes ent-
Bundeshaushalt war für sie das kleinere Übel, und fällt und daß der Stichtag 31. Dezember 1969 für
dem versuchten sie das Risiko ihrer Anträge auf- Flüchtlinge beseitigt wird. Eine ebenso erfolgreiche
zubürden. Dieser Weg kostete vorerst keine Stim- Arbeit ist es, daß die Texte der Gesetze LAG, BFG,
men bei Flüchtlingen und kostete keine Stimme bei RepG und FG angepaßt wurden.
Vertriebenen. Der Hinweis, daß all dies erst nach An dieser Stelle sei es mir erlaubt, den Beamten
1983 zu entrichten sei, läßt aber sehr deutlich er- der zuständigen Ministerien zu danken, daß sie in
kennen, daß diese Methode von uns nicht mitver- zwölf Monaten diese Arbeit auf sich genommen und
folgt werden konnte; denn sie stand im Widerspruch unser politisches Wollen nach besten Kräften mit
zu den Begründungen Ihres Antrags und zu den ihrem Sachverstand unterstützt haben.
Begründungen Ihres Antrags auf Drucksache VI/119,
diehrvonsStlaugebnwrd. Der Regierungsentwurf wurde aber auch noch im
Innenausschuß verbessert. Nunmehr gibt es bei der
Auf der einen Seite waren Sie also bereit zu
Hauptentschädigung keine Höchstgrenze mehr. Die
sparen — das macht sich immer gut —, dann aber
weitere Abwertung 4 : 1 entfällt. Damit wird die
zog es Sie wieder hinüber zum wahltaktischen Übel,
Bagatellgrenze für Sparguthaben, ob in Reichsmark
mehr zu fordern, als vorhanden ist, mehr ausgeben
oder in D-Mark, d. h. diese Sparguthaben bei der
zu wollen, als eine Regierung verantworten könnte.
Bagatellgrenze werden auf 50 Reichsmark bzw. D-
Gleichzeitig reagieren Sie bei dieser Methode mimo-
Mark (Ost) zurückgesetzt. Die Abwertung 4 : 1 ent-
senhaft empfindlich, wenn Ihre heutigen Forderun-
fällt nun nicht nur für Sparbücher, sondern für alle
gen, die schon im Ausschuß gestellt wurden, mit
geldwerten Ansprüche und dies ohne Urkunden-
Ihrer Tätigkeit in den vergangenen Jahren in Zu-
nachweis. Eine weitere Verbesserung ist dadurch
sammenhang gebracht oder verglichen werden.
eingetreten, daß ein weiterer Jahrgang in die Unter-
Im Hin und Her zwischen den Versäumnissen von haltshilfe einbezogen wurde.
gestern und den unüberlegten, hektischen Forderun- Erwähnt werden muß der Entschließungsantrag,
gen sucht die Opposition ihr Heil. Dabei wird gottlob der darauf hinausläuft, daß es im nächsten Jahr zu
ihr Bild immer klarer, und zwar auch bei den Ver- einer Schlußregelung kommen kann. Ein weiterer
triebenen. Der Bund der Mitteldeutschen hat ihre Entschließungsantrag sieht vor, daß die bisher in
Vorlage auf Drucksache VI/119 als völlig unzu- mehr als einem Dutzend Gesetze verzweigten Stich-
reichend abgelehnt. Zu dem Gesetzentwurf der
tage vereinheitlicht werden.
Regierung mit den Verbesserungen durch den Innen-
ausschuß können wir inzwischen in Dankschreiben Meine Damen und Herren, wir haben damit un-
folgendes lesen — ich darf hier mit Genehmigung ser politisches Wollen noch vor der Berichtspflicht
der Frau Präsidentin zitieren —: erreicht und die Möglichkeit geschaffen, das durch-
Wenn das 23. Änderungsgesetz zum 1. 1. 1971 zusetzen, was in der letzten Legislaturperiode mit
Gültigkeit bekommt und Recht ist, dann haben dem damaligen Bundesminister für Heimatvertrie-
wir Mitteldeutschen den Glauben an die Ge- bene und Flüchtlinge und dem damaligen Bundes-
rechtigkeit zurückbekommen und können allen, finanzminister noch nicht möglich war. So wurde
die sich dafür eingesetzt haben, Dank sagen. So endlich getan, was bisher in 18 Jahren nur verspro-
manch einem Alten kommt nun doch noch für chen blieb. Um der Betroffenen willen bitte ich sie,
ein paar Jahre ein „warmer Regen" in Form meine sehr verehrten Damen und Herren, um ihr Ja
der Rente oder der Hauptentschädigung ins zur 23. Änderung des Lastenausgleichsgesetzes.
Haus. An diese armen Teufel habe ich so oft (Beifall bei der SPD.)
gedacht, deren Los doch jahrelang so unsozial
war, daß man Sorge hatte, dasselbe Schicksal
ebenfalls erleben zu müssen. Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat
der Abgeordnete Freiherr von Fircks.
So weit das Zitat aus einem Dankschreiben.
Meine Damen und Herren, die Zusammenlegung
der beiden Ministerien, des Innenministeriums und Freiherr von Fircks (CDU/CSU) : Frau Präsiden-
tin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ver-
des Ministeriums für Heimatvertriebene und Flücht-
einbart war ja — der Präsident sagte es —, daß wir
linge, ist kein Nachteil für die Betroffenen gewor-
den. Im Gegenteil, sie zahlte sich nach einem Jahr Erklärungen abgeben. Die polemischen Äußerungen
meines Kollegen Hofmann veranlassen mich aber,
der Regierungszeit als ein Vorteil für die Vertriebe-
nen aus. Wir dürfen hier ein Wort des Dankes an einige Sätze vorweg zu sagen.
diese Regierung richten — dabei fällt meiner Frak- Ich darf sie daran erinnern meine Damen und
tion und mir kein Stein aus der Krone —, weil sie Herren, daß der zuständige Minister dieser Koali-
innerhalb der ersten zwölf Monate ihrer Regierungs- tion nach Einbrigung unserer 23. Novelle im De-
zeit, ohne die Berichtspflicht am 1. April 1972 abzu- zember 1969 erklärt hat, wir erweckten damit Hoff-
warten, diesen Gesetzentwurf vorgelegt hat. Wir nungen, die nicht erfüllt werden könnten. Das dürfte
erkennen auch dankbar an, daß die Einkommens- in krassem Widerspruch zu dem Vorwurf stehen,
und Vermögensregelungen entfallen, daß die Kür- den Sie uns machten, Herr Kollege Hofmann, daß
zung der Hauptentschädigung um das vorhandene wir eine unzureichende und ungenügende Novelle
Vermögen entfällt, daß der Begriff des Zonen- eingebracht hätten. Wir haben sie mit der Bemer-
schadens dem Begriff des BFG angepaßt wird, daß kung eingebracht, daß wir damit einen Anstoß geben
4434 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Freiherr von Fircks


wollen, daß die Gesetzgebung in diesem Raum in Nach Einbringung unseres Gesetzentwurfs, der
Fluß kommt. lediglich einen Anstoß zu weiteren Verbesserungen
Zum zweiten war für mich außerordentlich inter- der beschränkten Entschädigungsmöglichkeit für
essant, Herr Kollege Hofmann, daß Sie hier im Zonengeschädigte geben sollte, war uns am 12. De-
Hause, wie ich bemerke, falsche Globalzahlen für zember des vergangenen Jahres von der SPD der
die Kosten nannten, sich aber im Ausschuß auf Vorwurf gemacht worden, anstatt wirklich eine
mehrfaches Drängen weigerten, ein Rechnungswerk Gleichstellung von Flüchtlingen und Vertriebenen
vorzulegen, nach dem Ihre Zahlen berechnet wor- hieb- und stichfest durchzusetzen, neue, wenn auch
den sind, während wir Ihnen die Zahlen über die verbesserte Abstufungen empfohlen zu haben.
Antragsunterlagen, die Höhe der einzelnen Entschä-
Und von der FDP-Fraktion wurde verkündet —
digungsbeträge und die Prozentsätze der abzuleh-
ich zitiere —:
nenden Anträge aus den Erfahrungen des gesamten
Lastenausgleichswerkes detailliert vorgelegt haben. Wir Freien Demokraten waren immer der Mei-
Diese Rechnung, die man wohl im Ausschuß, -aber nung — und die Regierungserklärung der jetzi-
nicht hier machen kann, haben Sie dort verweigert, gen Bundesregierung hat das ebenfalls deutlich
und jetzt schocken Sie hier mit falschen Global- gemacht —, daß es notwendig ist, für die So-
zahlen. wjetzonenflüchtlinge eine rechtliche Gleich-
stellung mit den Heimatvertriebenen zu ver-
Der dritte Punkt, Herr Hofmann, scheint mir der
ankern. Das steht in der Regierungserklärung.
interessanteste zu sein. Nach der Ausschußberatung,
Wir begrüßen es, daß die Opposition hier An-
aber wenige Tage vor dieser Beratung hier hat der
regungen gegeben hat. Wir sehen diese An-
zuständige Referent Ihrer Partei, Herr Haack, in
Ihrem Parteiorgan regungen jedoch nur als eine Ausweitung der
21. Novelle an, nicht als ,das, was geschehen
(Abg. Dr. Klepsch: Hört! Hört!) muß, was dieses Hohe Haus verabschieden
„Selbstbestimmung und Entschädigung — SuE" am muß und was zweifellos im Rahmen der zu er-
3. November dieses Jahres sämtliche Anträge, die arbeitenden Regierungsvorlage ... noch klar
wir im Ausschuß gestellt und die Sie abgelehnt und deutlich festzulegen ist: daß ein Rechts-
hatten, als noch in dieser Legislaturperiode zu ver- anspruch für Sowjetzonenflüchtlinge wie für
abschiedende Tatbestände bezeichnet Heimatvertriebene in gleicher Weise verankert
wird und daß seine Realisierung im Rahmen
(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : So macht der materiellen Möglichkeiten nach sozialen
man das!) Punktsystemen durchgeführt werden kann.
und damit demselben Personenkreis Zusagen ge-
So die FDP am 12. Dezember 1969.
macht, von dem Sie meinten, daß wir ihm nur un-
erfüllbare Versprechungen gemacht hätten. (Abg. Dr. Klepsch: Hört! Hört!)
(Abg. Dr. Klepsch: Hört! Hört!)
Die bei den weiteren Beratungen von der CDU/
Ich glaube, daß hier wieder einmal die Methode CSU-Fraktion gestellten Anträge haben genau das
gilt: Versprechungen geben, Hoffnungen erwecken, zum Inhalt gehabt, was hier von den Sprechern der
hinhalten und hier nur die Hälfte erfüllen. Regierungsfraktionen verbal gefordert worden ist,
(Abg. Dr. Klepsch: Das sind die Methoden!) nämlich den Geschädigten einen Rechtsanspruch auf
volle Ausgleichsleistungen zuzuerkennen und die
Aber lassen Sie mich jetzt zu der Erklärung kom- Stu-ErfülungdiesApchmRaenis
men, die ich abzugeben habe. fenplanes unter Berücksichtigung der Liquiditäts-
Die Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion haben im lage des Ausgleichsfonds und nach sozialen Ge-
Laufe der Beratungen eine Reihe von Anträgen ein- sichtspunkten zu regeln. Die Beratungen und Ab-
gebracht, durch die erreicht werden sollte, daß die stimmungen im federführenden Ausschuß haben
Zonengeschädigten den Vertriebenen gleichgestellt jedoch ergeben, daß unsere nicht zuletzt auf diese
werden. Wir hatten im Blick auf die Regierungs- Erklärungen gestützten Hoffnungen in wesentlichen
erklärung vom 28. Oktober 1969, in der die Bundes- Punkten nicht erfüllt worden sind. Das betrifft ein-
regierung ihren Willen bekundet hatte, den Lasten- mal die Gewährung des Entwurzelungszuschlages
ausgleich auch zugunsten der Flüchtlinge zu einem an Sowjetzonenflüchtlinge und zum anderen die Zu-
gerechten Abschluß zu bringen, und auch im Blick erkennung eines Anspruchs auf die Frühverzinsung
auf die Erklärungen der Vertreter der Fraktionen der Entschädigungsansprüche entsprechend der
der SPD und der FDP anläßlich der ersten Beratung Grundregelung des Lastenausgleichsgesetzes. Dort
des von der CDU/CSU-Fraktion eingebrachten Ge- hat die Mehrheit des Ausschusses darauf bestanden,
setzentwurfs für eine 23. Änderung des Lastenaus- daß diese zusätzlichen Leistungen aus Gründen eines
gleichsgesetzes am 12. Dezember 1969 sowie der damit angeblich zwangsläufig verbundenen erheb-
ersten Lesung des Regierungsentwurfs zu diesem lichen finanziellen Mehrbedarfs nicht gewährt wer-
Gesetz am 18. September 1970 die berechtigte Hoff- den können. Wir bedauern diese Entscheidungen.
nung, daß die Regierungskoalition in dieser 23. La- Wir bedauern sie um so mehr, als sie auf der
stenausgleichsnovelle nun tatsächlich die Gleichbe- Grundlage offensichtlich unrealistischer Kosten-
rechtigung der Sowjetzonenflüchtlinge herstellen schätzungen zum Nachteil der zumeist bereits im
wollte. Ich darf diese Erklärungen noch einmal aus hohen Alter stehenden Geschädigten getroffen wor-
zugsweise in Erinnerung bringen. den sind.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4435
Freiherr von Fircks
Auch die CDU/CSU-Fraktion ist auf Grund ihrer Sprecher der SPD-Fraktion bereits bei der ersten
eigenen Kostenberechnungen davon ausgegangen, Beratung des Regierungsentwurfs einer 23. Lasten-
daß die von ihr beantragten zusätzlichen Leistungen ausgleichsnovelle vor diesem Hohen Hause aus-
möglicherweise Mehraufwendungen erfordert hät- geführt hat. Ich darf nochmals auszugsweise Herrn
ten, durch die jedoch der vorgesehene Finanzrahmen Kollegen Dr. Hupka zitieren:
gegebenenfalls nur geringfügig überschritten wor-
Wir müssen allerdings zur Kenntnis nehmen,
den wäre. Aus diesem Grunde und um eine zusätz- daß eine volle Gleichstellung auch mit dieser
liche Belastung des Ausgleichsfonds zu verhindern, Novelle noch nicht erreicht ist. Dies hat ...
war von den Vertretern der CDU/CSU-Fraktion eine seinen Grund ... vor allem darin, daß immer
Änderung der Finanzierungsvorschrift des Lasten- noch kein genauer Überblick über die Relation
ausgleichsgesetzes dahin gehend beantragt worden, von Antragseingang, finanzieller Höhe der
daß sich aus der Erfüllung der Ansprüche für Zo- Hauptentschädigung und der dadurch bedingten
nengeschädigte möglicherweise ergebende Mehrauf- Inanspruchnahme des zur Verfügung stehenden
wendungen in den Jahren nach 1980 vom Bund ge- Volumens besteht. Bis spätestens zum Ende
tragen werden sollen. dieser Legislaturperiode werden wir wissen,
Angesichts der Fülle der gesetzgeberischen Auf- wie hoch die Schätzungen anzusetzen sind, so
gaben, die in den kommenden Jahren zu bewältigen daß dann auch eine volle Gleichstellung in der
sein werden — ich nenne nur die Bereiche Bildungs- Abgeltung der Vermögensschäden von Flücht-
reform, Vermögenspolitik, Krankenhausfinanzie- lingen mit denjenigen der Schäden durch die
rung und Straßenbau —, und angesichts des damit Vertreibung erfolgen kann.
verbundenen erheblichen Finanzbedarfs glaubten So weit das Zitat.
wir, daß es besser sei, die finanzielle Basis für die
Die CDU/CSU hat bei den Ausschußberatungen
augenscheinlich von allen Fraktionen dieses Hohen
zu dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf ebenfalls
Hauses gewollte Gleichstellung von Flüchtlingen
auf die Notwendigkeit des Vorliegens zuverlässigen
und Vertriebenen schon jetzt schaffen zu sollen,
Zahlenmaterials als Grundlage für eine realistische
statt dieses Anliegen auf einen späteren Zeitpunkt
Kostenschätzung hingewiesen. Hier bestand bei den
zu vertagen, zu dem die Anforderungen an den
Beratungen im Ausschuß eine bedauerliche Infor-
Bundeshaushalt mit Sicherheit nicht geringer als
mationslücke, die eine echte Diskussion über die
heute sein werden. Darüber hinaus glaubten wir,
mutmaßlichen Gesamtkosten aus der Erfüllung von
im Jahre 1970, also 25 Jahre nach Kriegsende, eine
Hauptentschädigung für Zonenschäden den Koali-
Regelung zur Gleichstellung der Flüchtlinge vor-
litionsmitgliedern offensichtlich nicht ermöglichte.
schlagen zu sollen, die eine Lösung des Gesamt-
Es erscheint daher notwendig, daß dem Parlament
problems beinhaltet und nicht zwangsläufig den
alsbald eine solche Gesamtschätzung vorgelegt und
Keim für neue Novellen in sich trägt. Durch eine
ihm damit die Grundlage und die Möglichkeit ge-
solche umfassende Regelung würde im übrigen nicht
geben wird, die Gesetzgebung zur Gleichstellung
nur das Vertrauen der Betroffenen gegenüber dem
der Zonengeschädigten zu vollenden. Diesem Zweck
Parlament gestärkt, sondern es würde auch eine
dient der Entschließungsantrag der CDU/CSU-Frak-
erhebliche Vereinfachung der Arbeit der durch-
tion, der Ihnen vorliegt. Ich bitte, diesen Antrag
führenden und, wie wir alle wissen, in zunehmen-
dem Ausschuß zu überweisen.
dem Maße im Abbau befindlichen Ausgleichsver-
waltung erreicht werden. (Beifall bei der CDU/CSU.)

Dennoch wird die CDU/CSU-Fraktion dem Gesetz-


entwurf in der jetzt diesem Hause vorliegenden Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der
Ausschußfassung zustimmen, da er gegenüber dem Herr Abgeordnete Schmidt (Kempten).
Regierungsentwurf nicht unerhebliche Verbesse-
rungen der Entschädigungsregelungen, insbesondere Schmidt (Kempten) (FDP) : Frau Präsident! Meine
den Wegfall der Entschädigungshöchstgrenze von sehr geehrten Damen und Herren! Namens der
bisher 50 000 DM, die Einbeziehung eines weiteren freien demokratischen Fraktion darf ich folgende
Jahrganges ehemals Selbständiger in die Kriegs- Erklärung zur Verabschiedung der 23. Novelle ab-
schadensrente und eine gerechtere Entschädigungs- geben; auf die Ausführungen des Kollegen von
regelung insbesondere für Schäden an Spareinlagen Fircks darf ich anschließend noch kurz eingehen.
in Mitteldeutschland vorsieht. Dabei geht die CDU/ Die FDP-Fraktion sieht in der Verabschiedung der
CSU-Fraktion von der Erwartung aus, daß alle Frak- 23. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz einen der
tionen dieses Hauses in dem Willen, die Gleich- wichtigsten Marksteine der Kriegsfolgengesetzge-
stellung der Zonenflüchtlinge mit den übrigen bung. Dieses Gesetz ist gleichzeitig einer der ent-
Lastenausgleichsberechtigten zu verwirklichen, künf- scheidenden Schritte auf einem mehr als zwölfjäh-
tig gemeinsam das vollenden werden, was zur Errei- rigen Wege zur rechtlichen und sozialen Gleichstel-
chung dieses Zieles notwendig ist und was verbal lung der Sowjetzonenflüchtlinge mit den Heimat-
von allen zugesagt ist. vertriebenen. Die FDP hat durch ihre Initiativen und
Wir begrüßen es, wenn die SPD-Fraktion in aller- Vorarbeiten in der Vergangenheit zu den einzelnen
jüngsten Verlautbarungen, die ich vorhin ansprach, Stationen dieses langen Marsches wesentlich mit
erneut ihre feste Absicht zu erkennen gibt, dieses beigetragen. Ich darf davon erwähnen: 1958 hat die
Ziel noch in dieser Legislaturperiode zu erreichen. FDP-Bundestagsfraktion einen Gesetzentwurf zur
Diese Erklärungen decken sich mit dem, was der Feststellung und Beweissicherung der Schäden ein-
4436 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Schmidt (Kempten)
gebracht, der an der damaligen absoluten Mehrheit Nun, Herr Kollege Fircks, abschließend nach die-
der CDU/CSU scheiterte. 1961 bereitete der Minister ser Erklärung einige Worte zu dem, was Sie an
für Heimatvertriebene, Flüchtlinge und Kriegssach- Vorwürfen hier zur Ausschußberatung und derglei-
geschädigte, Herr Kollege Mischnick, einen Gesetz- chen gesagt haben. Herr Kollege Fircks, ich glaube,
entwurf zur Feststellung und Beweissicherung vor, es steht der CDU/CSU nicht gut an, in den Aus-
der 1964 in diesem Hohen Hause verabschiedet schußberatungen und vor allen Dingen angesichts
wurde. 1969 kam durch die Große Koalition ledig- dieses Punktes hier zu sagen, es hätte noch mehr
lich im Hinblick auf die Bundestagswahl die 21. No- geschehen können, es hätte noch mehr beschlossen
velle zum Lastenausgleich als eine Notlösung zur werden können. Sie haben dabei wohl die Debat-
Schadensregelung in Form einer Fürsorgeregelung ten in diesem Hause vergessen, als es um die Frage
zustande, was wir damals sehr bedauert haben. Ein der Gleichstellung der Sowjetzonenflüchtlinge ging,
Jahr später hat der Bundesinnenminister als zustän- als Sie bzw. Ihre Fraktion alle Möglichkeiten in die-
diger Ressortminister entsprechend der Regierungs- ser Richtung ablehnten. Sie haben wohl die Debat-
erklärung einen Entwurf der 23. Novelle vorgelegt,
- ten um die Regierungserklärung des Bundeskanzlers
die weit über das hinausging, was im vorigen Jahr Kiesinger vergessen, in der es hieß: keine Leistun-
im Rahmen der 21. Novelle und auch in den Dis- gen mehr für die Vergangenheit, und wo bereits
kussionen vorgesehen war. damals die Sowjetzonenflüchtlinge abgeschrieben
worden waren.
Von den wesentlichsten Dingen darf ich kurz er-
Diese Bundesregierung hat in ihrer Regierungs-
wähnen:
erklärung eine andere Aussage gemacht. Sie er-
1. Einbeziehung zusätzlicher Schadenstatbestände füllt heute den ersten Teil dieser Aussage mit
in die Entschädigungsleistungen. einem Gesetz, das in den Rahmen hineinpaßt und
2. Streichung des Stichtages 31. Dezember 1969 im das man zunächst einmal in dem Rahmen sehen
Hinblick auf den Aufenthalt in der Bundesrepublik. muß, der seinerzeit mit 2,6 Milliarden DM festge-
setzt wurde. Wenn Sie heute der Meinung sind,
3. Wegfall der Jahreseinkommensgrenze, der Ver- Herr Kollege Fircks — — Bitte!
mögensgrenze, im Hinblick auf die Entschädigungs-
ansprüche.
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege,
4. Wegfall des Stichtages für eine Umwandlung gestatten Sie eine Zwischenfrage? — Bitte schön!
der Hauptentschädigung in eine Kriegsschadens
rente in Sonderfällen.
Freiherr von Fircks (CDU/CSU) : Herr Kollege
5. Gleichstellung von Flüchtlingen mit Heimatver- Schmidt, ist Ihnen aufgefallen, daß ich keine Zitate
triebenen bei der Behandlung von Schäden außer- aus früheren Bundestagen gesucht habe, um eine
halb des Geltungsbereiches des Gesetzes. Polemik zu entfachen, sondern daß ich nur Zitate
6. Möglichkeit für den Präsidenten des Bundes- aus diesem Bundestag genommen habe? Ich meine,
ausgleichsamtes, bis zu 500 Millionen DM Betriebs- wir, dieser Bundestag, sind für das verantwortlich,
mittel zu beschaffen. was wir hier gesprochen haben, ob es die Minister
oder die Vertreter der Fraktionen sind. Ich meine,
Wir Freien Demokraten begrüßen es ganz beson- wir sollten es endlich sein lassen, uns mit früheren
ders, daß über diesen stattlichen Katalog hinaus im Bundestagen zu konfrontieren,
Innenausschuß in dankenswerter Übereinstimmung
(Zurufe von der SPD: Fragen!)
aller Fraktionen noch weitere Ergänzungen erfolgen
konnten, so unter anderem der Wegfall der Begren- denen wir womöglich persönlich gar nicht angehört
zung des Grundbetrages der Hauptentschädigung haben.
auf 50 000 DM, die Verbesserung der Entschädigung
der privaten Geldwertansprüche und die Einbezie- Schmidt (Kempten) (FDP) : Herr Kollege von
hung eines weiteren Geburtenjahrganges in den Fircks, ich kann mich nicht erinnern, daß Sie hier
Kreis der anspruchsberechtigten Empfänger von für sich persönlich gesprochen haben; denn Sie wa-
Kriegsschadensrenten. ren damals — das ist richtig — nicht im Bundestag.
Sie haben eine Erklärung für die CDU/CSU abgege-
Mit der heutigen Verabschiedung dieser 23. No-
ben. Darin haben Sie gesagt, jetzt hätte noch mehr
velle erfüllt die FDP nicht nur ein Versprechen
geschehen können. Daraufhin sage ich: Es hätten
ihres Wahlprogrammes, erfüllt diese Koalition nicht
nur ein Versprechen, das sie in der Regierungs- bereits bei der 21. Novelle die 2,6 Milliarden DM
anders ausgeschöpft werden können. Das ist damals
erklärung im vorigen Jahr gegeben hat, sie macht
damit auch einen erheblichen Schritt, setzt einen nicht geschehen. Das wissen Sie sehr genau. Es
Meilenstein auf dem Weg zur — jetzt darf ich zu hätte bereits in den Jahren vorher, wo Anträge in
Ihnen kommen, Herr Kollege von Fircks — noch dieser Richtung vorlagen, in Regierungserklärun-
nicht völlig erreichten rechtlichen und sozialen gen dazu etwas gesagt werden können. Das hat der
Gleichstellung, den sich diese Regierungskoalition Bundeskanzler der Fraktion, für die Sie vorhin eine
vorgenommen hat. Dieser Weg wird in dieser Legis- Erklärung abgegeben haben, nicht gemacht. Soweit
laturperiode noch schrittweise weitergegangen wer- mußte ich das feststellen.
den. Auf die Schritte, auf die Meilensteine haben Lassen Sie mich zu den zwei Fragen, die Sie auf-
wir allerdings in der Vergangenheit unter geworfen haben, abschließend etwas sagen. Auch wir
CDU/CSU-Kanzlern gewartet. wissen noch nicht, ob diese 2,6 Milliarden DM jetzt
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4437
Schmidt (Kempten)
schon ganz ausgeschöpft sind. Die Verabschiedung Freiherr von Fircks (CDU/CSU) : Herr Bundes-
der 23. Novelle ein Jahr nach der Regierungsbil- minister, darf ich Ihre eben gemachte Bemerkung,
dung im vorigen Herbst macht deutlich, daß das zu- daß es nur noch ein kleiner Schritt bis zur totalen
ständige Ministerium und die Regierungsfraktionen Gleichstellung sein werde, dahin auffassen, daß Sie
— sie werden sich ebenfalls damit befassen — so mehr unserer Rechnungsgrundlage zuneigen als der-
bald wie möglich, wenn ein Überblick darüber be- jenigen, die Herr Kollege Hoffmann für die SPD
steht, wieweit die Mittel nicht ausgeschöpft sind, die mit 2,6 Milliarden DM genannt hat?
zur Zeit zur Verfügung stehen, auch an die beiden
Fragen des Entwurzelungszuschlags und einer mög-
lichen Regelung der Frühverzinsung heranmachen. Genscher, Bundesminister des Innern: Herr Kol-
Wir können es nur in dem Rahmen, der uns im vori- lege, ich neige einer sehr soliden Rechnungsgrund-
gen Jahr durch die 21. Novelle gesetzt wurde, tun, lage zu. Dieser kleine Schritt besteht darin, daß wir
der aber leider erst — wenn überhaupt — durch bei näherer Kenntnis dessen, was die Ausführung
dieses Gesetz ausgefüllt wird. bedeutet, uns entschließen können, aber auf einer
gesicherten Grundlage und nicht — ich wiederhole
Wir werden diesem Gesetz mit Freude zustim- es — durch Erweckung von Hoffnungen, die dann
men, weil wir wissen, daß wir den Betroffenen da- möglicherweise in der Sache oder zeitlich nicht zu
mit eine seit Jahren notwendige Gleichstellung und erfüllen sind.
seit Jahren notwendige Entschädigung im Sinne des
Lastenausgleichsrechts — viele von ihnen sind dar- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
über inzwischen alt geworden — geben können. Sie wollen aber bitte die Tatsache, wie die Bun-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) desregierung zu den weiteren Schritten zur Gleich-
stellung steht, auch dahin würdigen, daß wir von
der Möglichkeit des Art. 113 des Grundgesetzes
Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat keinen Gebrauch gemacht haben, weil wir nicht nur
Herr Bundesminister Genscher. Bekenntnisse zur Gleichstellung ablegen, sondern
diese auch auf dem kürzesten Wege erstreben.
Es steht nunmehr fest, meine Damen und Herren,
Genscher, Bundesminister des Innern: Herr Prä-
daß auch für die im Gebiet der DDR eingetretenen
sident! Meine Damen und Herren! Der Sprecher der
Kriegs-, Sach-, Reparations- und Wegnahmeschäden
Fraktion der CDU/CSU hat sich der Beantwortung
sowie für die NS-Verfolgungsschäden genau in der-
einer großen Reihe von Fragen zugewandt. Nur
selben Weise ein Ausgleich gewährt wird, wie ihn
eine Frage hat er nicht beantwortet: warum denn
die vertriebenen und die einheimischen Kriegs-,
nicht die seiner Fraktion angehörenden früheren
Sach- und Reparationsgeschädigten erhalten haben.
Vertriebenenminister und Finanzminister bereits
früher, mindestens im Jahre 1969, dem Deutschen Namens der Bundesregierung begrüßen wir des-
Bundestag eine entsprechende Novelle vorgelegt halb den Beschluß des Innenausschusses. Wir bitten
haben. das Hohe Haus, dieser Fassung seine Zustimmung
(Beifall bei den Regierungsparteien.) zu geben.
Zu dem Gesetzentwurf, den die CDU/CSU Ende Ich möchte abschließend feststellen, meine Damen
des letzten Jahres vorlegte, kann man sagen: Spät und Herren: Nach vielen Versprechungen in den
kommt er, doch er kommt. Die Bundesregierung letzten Jahren wird mit diesem Gesetz ein Akt der
hat damals erklärt, daß sie unter Abkürzung der ihr Gerechtigkeit, wenn auch der späten Gerechtigkeit,
gesetzten Frist, bis zum Jahre 1972 einen Bericht vollzogen. Seine Durchführung ist um so dringlicher.
über die Kosten der Abgeltung der Zonenschäden (Beifall bei den Regierungsparteien und bei
zu geben, bereits in der ersten Hälfte des Jahres Abgeordneten der CDU/CSU.)
1970 eine ausgereifte 23. Novelle vorlegen werde.
Wir haben diese Frist eingehalten.
Vizepräsident Frau Funcke: Meine Damen
Wir haben dem Deutschen Bundestag eine No- und Herren, Wortmeldungen liegen nicht mehr vor.
velle vorgelegt, die über das hinausgeht, was Sie,
Herr Kollege, am Ende des Jahres 1969 selbst für Wir kommen zur Abstimmung in dritter Lesung
möglich hielten. Mit dieser Vorlage überwinden wir über diesen Gesetzentwurf. Wer dem Gesetzentwurf
die bisherige Soziallösung. Wir kommen zu einer zustimmen will, den bitte ich, sich zu erheben. —
Verwirklichung des Entschädigungsprinzips. Von Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig
dort ist es nur noch ein kleiner Schritt bis zu einer so beschlossen.
restlosen Gleichstellung. Sie wissen, daß wir alle, Wir kommen dann zu Nr. 2 des Antrags des
vor allem aber die Bundesregierung, entschlossen Ausschusses. Wer dieser Nr. 2 die Zustimmung
sind, diesen Schritt zu tun, sobald es möglich ist. geben will, den bitte ich um das Handzeichen. —
Die Regierungsvorlage hat in den Ausschußbera- Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so be-
tungen Verbesserungen erfahren, denen sich die schlossen.
Bundesregierung nicht verschließen wird. Wir kommen zu Nr. 3 des Antrags des Aus-
schusses. Wer der Nr. 3 die Zustimmung geben will,
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Bundes- den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe!
minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Enthaltungen? — Es ist einstimmig so be-
Herrn Abgeordneten von Fircks? schlossen.
4438 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Vizepräsident Frau Funcke


Wer Nr. 4 des Antrags des Ausschusses zustim- Wir treten in die zweite Beratung ein. — Wort
men will, den bitte ich um das Handzeichen. — meldungen liegen nicht vor.
Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so be- Wer den Art. 1, 2, — 3, — 4, — 5, — 6 sowie

schlossen. Einleitung und Überschrift in zweiter Beratung die


Zu dem Gesetzentwurf liegt auf Umdruck 88 *) Zustimmung geben will, den bitte ich um das Hand-
noch ein Entschließungsantrag vor. Es ist vorge- zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist
schlagen, diesen Entschließungsantrag dem Innen- einstimmig so beschlossen.
ausschuß zu überweisen. Wer dieser Überweisung
zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen. Ich rufe auf zur
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so be-
dritten Beratung.
schlossen.
Das Wort wird nicht gewünscht. Wer in dritter Be-
Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf: ratung dem Gesetz seine Zustimmung geben will,
-
den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! —
Zweite und dritte Beratung des von der Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines
Gesetzes über die Erhebung einer besonderen Ich rufe auf Punkt 9:
Ausgleichsabgabe auf eingeführten Brannt-
Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
wein desregierung eingebrachten Entwurfs eines
— Drucksachen VI/1222, zu VI/1222 — Gesetzes über die Feststellung der Wirt-
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirt- schaftspläne des ERP-Sondervermögens für
schaft das Jahr 1970 (ERP-Wirtschaftsplangesetz
(8. Ausschuß) 1970)
— Drucksache VI/1383 — — Drucksache VI/912 —

Berichterstatter: Abgeordneter Junghans Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirt-


schaft (8. Ausschuß)
(Erste Beratung 72. Sitzung)
— Drucksache VI/1379 —
Wir treten in die zweite Beratung ein. Wird das
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Frerichs
Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Abgeordneter Kater
Wer den Art. 1, — 2, — 3, — 4, — Einleitung und (Erste Beratung 58. Sitzung)
Überschrift mit der vom Ausschuß vorgeschlagenen
Änderung seine Zustimmung geben will, den bitte Das Wort zur zweiten Beratung wird nicht ge-
ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Ent- wünscht.
haltungen? — Es ist einstimmig so beschlossen. Wer in zweiter Beratung dem Gesetzentwurf mit
den §§ 1 bis 9, der Einleitung und der Überschrift
Wir treten in die die Zustimmung geben will, den bitte ich um das
dritte Beratung Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
Herr Klepsch, Sie wollten dagegen stimmen?
ein. — Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem
Gesetzentwurf in dritter Lesung die Zustimmung (Abg. Dr. Klepsch: Ich wollte mich der
geben will, den bitte ich, sich zu erheben. — Gegen- Stimme enthalten, Frau Präsident!)
probe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so — Bei einer Stimmenthaltung beschlossen.
beschlossen.
Wir kommen zur
Ich rufe Punkt 8 der Tagesordnung auf:
dritten Beratung.
Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetz
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den in dritter Beratung seine Zustimmung geben will,
Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu de n bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! —
den Abkommen über den Internationalen Enthaltungen? — Bei einer Stimmenthaltung ange-
Währungsfonds und über die Internationale nommen.
Bank für Wiederaufbau und Entwicklung vom Wir kommen zur Abstimmung über Nr. 2 des
28. Juli 1952 und des Gesetzes über das Euro- Antrags des Ausschusses, den Entschließungsantrag.
päische Währungsabkommen vom 26. März Wer dieser Nr. 2 des Antrags die Zustimmung geben
1959 will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegen-
— Drucksache VI/1245 — probe! — Enthaltungen? — Einstimmig beschlossen.
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Wirt-
Wir kommen zu Punkt 10 der Tagesordnung:
schaft (8. Ausschuß)
— Drucksache VI/1388 — Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Sprung Vierten Gesetzes zur Änderung des Eignungs-
(Erste Beratung 72. Sitzung) übungsgesetzes
*) Siehe Anlage 6 — Drucksachen VI/1314, zu VI/1314 —
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4439
Vizepräsident Frau Funcke
a) Bericht des Haushaltsausschusses (7. Aus- will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegen-
schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung probe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
— Drucksache VI/1413 —
Wir kommen zu Punkt 12 der Tagesordnung:
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Alt-
hammer Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
b) Schriftlicher Bericht des Verteidigungsaus-
Sechsten Gesetzes zur Änderung des Wehr-
schusses (11. Ausschuß) soldgesetzes
—. Drucksache VI/1389 — — Drucksache VI/1011 —
Berichterstatter: Abgeordneter Würtz
a) Bericht des Haushaltsausschusses (7. Aus-
(Erste Beratung 75. Sitzung) schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Das Wort in zweiter Beratung wird nicht ge- — Drucksache VI/1409 —
wünscht. Wer die Zustimmung zu den Art. 1 und 2, - Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Jen-
der Einleitung und der Überschrift des Gesetzent- ninger
wurfs geben will, den bitte ich um das Handzeichen.
— Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig be- b) Schriftlicher Bericht des Verteidigungs-
schlossen. ausschusses (11. Ausschuß)
— Drucksache VI/1390 —
Berichterstatter: Abgeordneter Neumann
Wir kommen zur
(Erste Beratung 64. Sitzung)
dritten Lesung.
Wir treten in die zweite Beratung ein. Hier liegt
Wer dem Entwurf in dritter Lesung seine Zustim- ein Änderungsantrag auf Umdruck 91*) vor. Zur
mung geben will, den bitte ich, sich zu erheben. — Begründung, bitte!
Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig so be-
schlossen.
Damm (CDU/CSU) : Frau Präsidentin! Meine Da-
Wir kommen zu Punkt 11 der Tagesordnung: men und Herren! Es geht hier — damit jeder weiß,
wovon wir sprechen — um das, was wir ,als Weih-
Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
nachtsgeld für Wehrpflichtige und Ersatzdienstlei-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
stende bezeichnen. Die Fraktion der CDU/CSU hat
Sechsten Gesetzes zur Änderung des Solda-
dazu einen Änderungsantrag gestellt, und der hat
tenversorgungsgesetzes
eine interessante Vorgeschichte. Wir hatten nämlich
- Drucksache VI/936 —
in einem Stadium der Beratung einmal eine Mehr-
a) Bericht des Haushaltsausschusses (7. Aus- heit für diesen Antrag.
schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
(Zuruf von der SPD: Wo ist denn Ihre
— Drucksache VI/ 1408 — Fraktion jetzt?)
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Alt-
Es hat dann eine neue Abstimmung gegeben, und
hammer
eine Fraktion hat einen anderen Abgeordneten ge-
b) Schriftlicher Bericht des Verteidigungs- schickt als das Mal davor, und es hat dann wieder
ausschusses (11. Ausschuß) eine knappe Entscheidung für die alte Vorlage ge-
— Drucksache VI/1366 — geben.
Berichterstatter: Abgeordneter Haase (Kel- Meine Damen und Herren, das ist sehr bedauer-
linghusen) lich, denn es geht um folgendes. Vor einem Jahr
(Erste Beratung 58. Sitzung) haben ,die Wehrpflichtigen und die Ersatzdienst
leistenden 70 DM Weihnachtsgeld erhalten. In die-
Wird in der zweiten Lesung das Wort gewünscht?
sem Jahr sollen sie 75 DM erhalten.
— Das ist nicht der Fall.
(Abg. Dr. Klepsch: Nicht einmal eine
Wer dem Gesetz mit den Art. 1, — 2 und 3, — der Teuerungsquote!)
Einleitung und der Überschrift in zweiter Lesung
die Zustimmung geben will, den bitte ich um das Nach unserem Vorschlag würden diejenigen, , die
Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — vor Weihnachten nächsten Jahres entlassen werden,
Es ist so beschlossen. 240 DM erhalten gegenüber den 75 DM, die die
Regierung vorschlägt.
Das ist eine Angelegenheit, die man nicht auf die
Ich rufe auf zur
leichte Schulter nehmen sollte. Denn in der Begrün-
dritten Lesung. dung der Regierung wird gesagt, diese Weihnachts-
Das Wort wird nicht gewünscht. geldzulage solle sich nach den Bemessungsgrund-
lagen im öffentlichen Dienst richten. Das wären also
Wer in dritter Lesung dem Gesetz zustimmen will, für das Jahr 1970 50 % und für das nächste Jahr
den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — 66 2/3 %. Wenn Sie das wirklich zugrunde legen
Enthaltungen? — Es ist so beschlossen. wollen, müssen Sie bei den Wehrpflichtigen nicht
Wir stimmen ab über Nr. 2 des Antrags des Aus-
schusses. Wer dieser Nr. 2 die Zustimmung geben *) Siehe Anlage 7
4440 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Damm
nur vom Wehrsold ausgehen, sondern auch von den erhalten. Es soll zweitens mit dieser Sonderzuwen-
Zuwendungen materieller Art, die in Geld umzu- dung ein besonderer sozialer Zweck verfolgt wer-
rechnen wären, wie z. B. Verpflegung usw. Wenn den, nämlich dem Wehrpflichtigen für seine Dienst-
Sie das tun, kommen Sie auf den Betrag, den wir leistung im Weihnachtsmonat und zur Bestreitung
beantragt haben, d. h. auf 160 DM für 12 Monate, der in diesem Monat anfallenden besonderen Aus-
und wenn Sie die 18 Monate zugrunde legen, auf gaben neben dem Wehrsold eine zusätzliche Geld-
240 DM. leistung zu gewähren. Drittens geht die Bundes-
Ich meine, wir sollten weder der Öffentlichkeit regierung davon aus, daß die Grundwehrdienst-
leistenden im Weihnachtsmonat unabhängig von der
noch den Wehrpflichtigen Sand in die Augen streuen
bisher geleisteten Dienstzeit im wesentlichen gleiche
und so tun, als gingen wir tatsächlich von der glei-
finanzielle Bedürfnisse haben, was sicher nicht zu
chen Bemessungsgrundlage aus wie beim Weih-
nachtsgeld im öffentlichen Dienst. Wenn wir Ihre bestreiten ist. An Stelle dieser sozial bestimmten
Vorlage annähmen, käme es maximal zu 175 DM einheitlichen Zuwendung sieht der Änderungsantrag
-
für denjenigen Wehrpflichtigen, der bei der Bundes- dienstzeitbezogene Leistungen vor. Sie führen zu
wehr zweimal Weihnachten erlebt. Für denjenigen einer Reihe personalpolitisch unerwünschter Diffe-
renzierungen. Sie führen zu einem erheblichen zu-
aber, der nur einmal da ist, .kommt es entweder zu
75 oder zu 100 DM. Schon dadurch wird eine Si- sätzlichen Verwaltungsaufwand. Aber vor allen
tuation geschaffen, ,die die Ungleichheit unter , den Dingen ist der Inhalt dieses Antrages gegen den
Wehrpflichtigen vergrößert. Sinn einer Sonderzuwendung aus Anlaß des Weih-
nachtsfestes gerichtet. Deshalb empfiehlt die Bun-
Der Hinweis, den Sie im Ausschuß gegeben haben: desregierung dem Hohen Hause, diesen Antrag
das werde ja dadurch ausgeglichen, ,daß diese Men- abzulehnen.
schen ja in den Beruf zurückkehrten und dann dort
ein Weihnachtsgeld bekämen, zieht bei denen nicht, (Beifall bei den Regierungsparteien.)
die als Abiturienten in den Ersatzdienst oder zur
Bundeswehr gegangen sind und nicht in einen Be- Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat
ruf gehen, wenn sie von dort zurückkehren, sondern der Abgeordnete Neumann.
weiter studieren.
Ihre Vorlage ist nicht ausgewogen, sie ist nicht
Neumann (SPD) : Frau Präsidentin! Meine sehr
gerecht, und sie entspricht nicht dem, Herr Würtz,
verehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Frak-
was Ihre Regierung in der Begründung sagt. tion hat ihren Änderungsantrag erneut vorgelegt,
Ich meine, Sie sollten dem Beispiel des Kollegen obwohl sie im Verteidigungsausschuß bereits der
Jung von der FDP folgen und unserem Antrag zu- Regierungsvorlage zugestimmt hatte. Lassen Sie
stimmen. Er hat das damals im Verteidigungsaus- mich dazu ein paar Sätze sagen.
schuß getan, und ,die Wehrpflichtigen haben seiner- (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Trocken
zeit große Hoffnungen gehabt. Sie haben heute noch
Brot ist besser als gar nichts!)
die Möglichkeit, den Wehrpflichtigen das zu geben,
was Sie ihnen versprochen haben, was Sie vor einem — Natürlich, Herr Dr. Marx.
Jahr beschlossen haben und was vernünftig ist. Der Vorschlag der CDU/CSU geht bei der Weih-
Stimmen Sie bitte unserem Antrag zu! nachtszuwendung von der sozial bestimmten ein-
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von heitlichen Zuwendung weg, er geht hin zur dienst-
der SPD.) zeitbezogenen Leistung. Der Antrag der CDU/CSU
bringt für die Wehrsoldempfänger erheblich unter-
Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat schiedliche Beträge bei gleichen Verhältnissen, näm-
Herr Bundesminister Genscher. lich der Dienstleistung im Weihnachtsmonat.
Ihr Antrag, meine Damen und Herren der CDU/
Genscher, Bundesminister des Innern: Frau Prä- CSU, bringt keine Weihnachtszuwendung, sondern
sidentin! Meine Damen und Herren! Ich befinde ein zweites Entlassungsgeld, allerdings ein Ent-
mich in der glücklichen Lage, dem Hohen Hause lassungsgeld von untergeordneter Bedeutung. Im
ebenfalls empfehlen zu können, dem Beispiel meines Entwurf eines 7. Gesetzes zur Änderung des Wehr-
Fraktionskollegen Jung zu folgen und sich besseren soldgesetzes sind u. a. eine Erhöhung des Ent-
Erkenntnissen nicht zu verschließen. Dieser Appell lassungsgeldes und eine Erhöhung des Wehrsoldes
geht Sie an, Herr Kollege. vorgesehen. Dieser Weg wird sicherlich besser sein,
als auf dem Wege über die Weihnachtszuwendung
(Beifall bei den Regierungsparteien.) ein weiteres Entlassungsgeld einzuführen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir Ihr erster Vorschlag, der dem Verteidigungsaus-
haben es heute mit einem weiteren ausgaben schuß vorgelegen hat, hätte zur Folge gehabt, daß
erhöhenden Antrag der Fraktion der CDU/CSU zu z. B. diejenigen, die am 1. Oktober einberufen wer-
tun. Dieser Antrag steht im Gegensatz zu der Ziel- den, keine Zuwendung erhalten, da sie am 1. De-
setzung des Gesetzentwurfs. Ich darf die Grund- zember noch keine zweieinhalb Monate Dienstzeit
sätze dieses Regierungsentwurfs dem Hohen Hause geleistet haben. Das haben Sie inzwischen geändert.
noch einmal vortragen: Ihr erster Vorschlag hätte auch zur Folge gehabt,
Der grundwehrdienstleistende Soldat soll eine daß diejenigen, die im Ausland Dienst leisten, kei-
einheitliche, für alle gleich hohe Sonderzuwendung nen Kaufkraftausgleich erhalten. Auch das haben
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4441

Neumann
Sie in Ihrem Antrag auf Umdruck 91 berücksichtigt. gründeten Zuwendung nicht hinausgehen sollten
Diese nachträglichen Änderungen Ihrer Ausschuß- und daß Leistungsverbesserungen für die Soldaten
vorlage zeigen, wie unausgegoren Ihr Antrag da- nicht auf diesem Wege, sondern über Veränderun-
mals gewesen ist. gen der Besoldungsstruktur oder, wenn Sie so wol-
len, über Veränderungen der Wehrsoldbezüge
(Zuruf von der SPD: Sehr richtig!)
durchgeführt werden sollten. Diese Weihnachtszu-
Lassen Sie mich zu Ihrem Antrag noch ein paar wendungen sind nicht der Weg, um berechtigte For-
Worte sagen. Wir reden überall von Rationalisie- derungen und Wünsche der Soldaten zu erfüllen.
rung und Verwaltungsvereinfachung. Ihr Antrag Wir sind der Auffassung, daß die Zuwendungen,
würde demgegenüber Verwaltungserschwernisse die die Regierungsvorlage vorsieht, dem Sinn der
mit sich bringen, da Sie sechs verschiedene Beträge geplanten Weihnachtszuwendungen entsprechen.
vorsehen. Es wären daneben jeweils Dienstzeitbe- Wir raten Ihnen, der Regierungsvorlage zuzustim-
rechnungen vorzunehmen, es wären die jeweils im men und den Änderungsantrag abzulehnen.
Vorjahr gezahlten Zuwendungen zu berücksichti--
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
gen, und es gäbe sicherlich Mehrarbeit bei der be-
sonderen Auszahlung bei der Entlassung.
Dagegen bringt der Entwurf der Bundesregierung Vizepräsident Frau Funcke: Weitere Wort-
für die Weihnachtszuwendung eine gleiche Bemes- meldungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Ab-
sungsgrundlage für den öffentlichen Dienst und den stimmung über den Änderungsantrag der CDU/CSU,
Grundwehrdienst, Umdruck 91. Ich nehme an, daß wir insgesamt ab-
stimmen können. Wer diesem Änderungsantrag
(Abg. Damm: Das stimmt nicht!) seine Zustimmung geben will, den bitte ich um das
d. h. 50% im Jahre 1970 und ab 1971 66 2/3 % der Handzeichen. — Gegenprobe! —
Dezemberbezüge bzw. des Dezemberwehrsolds. Der Das ist die Mehrheit. Der Antrag ist abgelehnt.
Entwurf der Bundesregierung berücksichtigt das
Prinzip der Verwaltungsvereinfachung. Der Regie- (Zurufe von der CDU/CSU: Knapp abge
rungsentwurf bringt einheitliche pauschalierte Zu- lehnt!)
wendungen für alle Grundwehrdienstleistenden. Wir kommen damit zur Abstimmung über den
Der Regierungsentwurf erfüllt das soziale Ziel der Gesetzentwurf in der Ausschußfassung. Ich rufe
Zuwendung: Der Wehrpflichtige erhält bei Dienst- Art. 1 und 2, Einleitung und Überschrift auf. — Wer
leistungen im Weihnachtsmonat zur Bestreitung der zustimmen will, den bitte ich um das Handzeichen.
gerade in diesem Monat anfallenden besonderen — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig
Ausgaben eine zusätzliche Geldleistung. Diese Lei- beschlossen.
stung richtet sich nicht nach der Dauer der Dienst-
zeit, weil die Regierung der Auffassung ist, daß die Ich eröffne die
Grundwehrdienstleistenden unabhängig von der
Dienstzeit im Weihnachtsmonat im wesentlichen dritte Beratung.
gleiche finanzielle Bedürfnisse haben. Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer dem Gesetz
Ich bitte Sie, den Änderungsantrag der CDU/CSU in dritter Lesung zustimmen will, den bitte ich, sich
abzulehnen und dem Regierungsentwurf Ihre Zu- zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
Einstimmig so beschlossen.
stimmung zu geben.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Ich rufe Punkt 13 der Tagesordnung auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über
Abgeordnete Ollesch. vordringliche Änderungen auf dem Gebiet
des Steuerrechts (Steueränderungsgesetz 1971)
Ollesch (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr ver- — Drucksachen VI/1313, zu VI/1313 —
ehrten Damen und Herren! Der Herr Bundesinnen- Das Wort zur Begründung wird nicht gewünscht,
minister hat dargelegt, daß nach seiner und auch auch nicht zur Beratung. Der Ältestenrat schlägt
nach Meinung der SPD-Fraktion die Regierungsvor- Überweisung an den Finanzausschuß — federfüh-
lage Ihrem Änderungsantrag vorzuziehen ist. Ich rend — und an den Ausschuß für Arbeit und Sozial-
habe dem nicht mehr allzuviel hinzuzufügen. Meine ordnung — mitberatend — sowie den Haushalts-
Damen und Herren, wir haben im Jahre 1969 erst- ausschuß gemäß § 96 der Geschäftsordnung vor.
malig ein Weihnachtsgeld für die Wehrpflichtigen Wer mit diesem Überweisungsvorschlag einverstan-
in Gestalt einer Sonderzuwendung gewährt. Diese den ist, den bitte ich um das Handzeichen. —
Zuwendung wird nunmehr auf eine neue gesetzliche Gegenprobe! — Enthaltungen? — Das ist so be-
Grundlage gestellt. Sie behält den Charakter der schlossen.
Sonderzuwendung, und zwar in Höhe von 75 DM in
diesem Jahr und von 100 DM im Jahre 1971. Ihr
Ich rufe Punkt 14 auf:
Änderungsantrag sieht demgegenüber eine diffe-
renzierte Zuwendung vor, deren Nachteile der Kol- Erste Beratung des von der Bundesregierung
lege Neumann vorhin eingehend geschildert hat. eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Wir sind der Auffassung, daß wir über den Rahmen Änderung des Gesetzes zu dem Übereinkom-
der im Jahre 1969 vorgesehenen und damals be- men vom 20. Juni 1956 über die Geltend-
4442 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970
Vizepräsident Frau Funcke
machung von Unterhaltsansprüchen im Aus- Nr. i — § 26 des Soldatenversorgungsgesetzes — in
land veränderter Fassung anzunehmen; Art. 1 Nr. 2
Drucksache VI/1352 — wurde mit Mehrheit angenommen. Über Art. 1 Nr. 3
— § 63 des Soldatenversorgungsgesetzes — war in-
Das Wort zur Einbringung wird nicht gewünscht. zwischen Einigung erzielt, diese Vorschrift bis zur
Wortmeldungen liegen nicht vor. Der Ältestenrat Vorlage eines Achten Gesetzes zur Änderung des
schlägt Überweisung an den Rechtsausschuß vor. Soldatenversorgungsgesetzes durch die Bundesre-
Wer diesem Überweisungsvorschlag zustimmen will, gierung zurückzustellen.
den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe!
— Enthaltungen? — Das ist so beschlossen. Am 29. April 1970 lag der Schriftliche Bericht des
Verteidigungsausschusses Drucksache VI/745 vor.
Am 26. Mai 1970 erfolgte die Beratung im Haus-
Ihr rufe Punkt 15 auf: haltsausschuß. Der Haushaltsausschuß war der Mei-
Erste Beratung des von der Bundesregierung nung, daß die Beschlüsse des Verteidigungsaus-
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über schusses möglicherweise Auswirkungen auf andere
Unfallversicherung für Schüler und Studenten Versorgungsbereiche haben könnten. Er hat daher
— Drucksache VI/1333 — zur damaligen Zeit keinen Bericht nach § 96 der
Geschäftsordnung erstattet, sondern den Innenaus-
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung schuß um nochmalige Stellungnahme gebeten. Die
hat wegen der fortgeschrittenen Zeit auf seine Wort- erneute Beratung im Innenausschuß erfolgte am
meldung verzichtet. Wird das Wort im Hause be- 15. Oktober 1970 mit dem Ergebnis, die weitere Be-
gehrt? — Das ist nicht der Fall. ratung dieser Vorlage bis zur Vorlage eines Regie-
Der Ältestenrat schlägt Überweisung an den Aus- rungsentwurfs zurückzustellen. Dieser Regierungs-
schuß für Arbeit und Sozialordnung — federfüh- entwurf einer achten Novelle zum Soldatenversor-
rend - und an den Ausschuß für Jugend, Familie gungsgesetz liegt mittlerweile als Bundesratsdruck-
und Gesundheit — mitberatend — vor. Wer diesem sache 521/70 vor. Dieser Beschluß des Innenaus-
Vorschlag zustimmt, den bitte ich um das Handzei- schusses wurde einstimmig gefaßt. Am 4. November
chen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so 1970 wurde im Haushaltsausschuß ein Antrag auf
beschlossen. Behandlung der Vorlage mit Mehrheit abgelehnt.
Das ist der Stand der Beratungen. Die Vorlage
Ich rufe Punkt 16 der Tagesordnung auf: auf Drucksache VI/10 im Zusammenhang mit dem
Bericht des Verteidigungsausschusses Drucksache
Bericht gemäß § 60 Absatz 3 der Geschäfts- VI/745 ist nicht geeignet, abschließend in diesem
ordnung über den Stand der Beratungen des Hohen Hause beraten zu werden.
von der Fraktion der CDU/CSU eingebrach-
ten Entwurfs eines Fünften Gesetzes zur Än- (Beifall bei der SPD.)
derung des Soldatenversorgungsgesetzes
Das Wort hat der Berichterstatter des Innenaus- Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der
schusses, Herr Abgeordneter Haase (Kellinghusen). Abgeordnete Dr. Klepsch.

Haase (Kellinghusen) (SPD) : Frau Präsident! Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Verehrte Frau Präsi-
Meine Damen und Herren! Mein Bericht lautet wie dentin! Meine verehrten Damen und Herren! Die-
folgt. ser Punkt der Tagesordnung stellt ein Novum in
Die erste Lesung des Entwurfs eines Fünften Ge- unserer Parlamentsgeschichte dar. Denn wir haben
setzes zur Änderung des Soldatenversorgungsgeset- uns anläßlich der Maßnahmen zur Parlamentsreform
zes Drucksache VI/10 erfolgte am 12. November entschlossen, der Opposition die Möglichkeit zu
1969 mit Überweisung an den Verteidigungsaus- geben, dafür Sorge zu tragen, daß über ihre Vor-
schuß — federführend —, den Innenausschuß — schläge und Entwürfe im Parlament überhaupt be-
mitberatend — und den Haushaltsausschuß gemäß raten werden muß, auch wenn durch irgendwelche
§ 96 der Geschäftsordnung. Am 27. November 1969 Aktionen der Mehrheit der Versuch gemacht wird,
beschloß der Verteidigungsausschuß eine Verta- die Initiativen der Opposition zu unterbinden.
gung um zirka drei Monate, um der Bundesregie- (Zuruf des Abg. Dr. Schäfer [Tübingen].)
rung Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Am
12. und am 19. März 1970 erfolgte ein weiterer Ver- — Sehr richtig, Herr Professor Schäfer. Sie sind aber
tagungsbeschluß des Verteidigungsausschusses, weil mit dafür eingetreten. Deshalb seien Sie doch nicht
neu gestellte Abänderungsanträge und eine kurz- zornig, wenn wir davon Gebrauch machen.
fristig vorgelegte Stellungnahme der Regierung ein- (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Jetzt
gegangen waren. lacht er!)
Am 16. April 1970 lag die Stellungnahme des mit- Wir waren uns darüber einig, daß man dafür Sorge
beratenden Innenausschusses mit der Empfehlung tragen muß, der Opposition die Chance zu ver-
vor, Art. 1 Nr. 1 — § 26 des Soldatenversorgungs- schaffen, sich mit ihren Initiativen im Hohen Hause
gesetzes — zu vertagen, Art. 1 Nr. 2 — § 38 des auseinandersetzen und ihren Standpunkt darlegen zu
Soldatenversorgungsgesetzes — anzunehmen. Am können, wenn die Regierung dazu beiträgt, daß
23. April 1970 erfolgte die abschließende Beratung Gesetzentwürfe der Opposition unziemlich lange
im Verteidigungsausschuß mit dem Ergebnis, Art. 1 verschleppt werden. Das ist der Sinn des § 60 Abs. 3
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4443
Dr. Klepsch
der Geschäftsordnung, und davon wird heute erst- der Opposition, einmal darzustellen, daß es der Re-
mals Gebrauch gemacht. gierungsmehrheit offensichtlich darum geht, einen
Auf die Daten brauche ich nicht weiter einzu- Antrag, den die Opposition mit Mehrheit durch die
gehen; diese hat der Kollege Haase (Kellinghusen) Ausschüsse gebracht hat, hier im Plenum so lange
dankenswerterweise bereits vor Ihnen ausgebreitet. zu vertagen, bis endlich eine Regierungsvorlage
Sie sprechen für sich selbst. Es ist nur noch zu ergän- zum selben Thema vorliegt.
zen, daß der Gesetzentwurf selber vom 22. Oktober (Abg. Dr. Jahn [Braunschweig] : Nach einem
des Jahres 1969 stammt. Die parlamentarische Ent- Jahr!)
wicklung dieses Entwurfs hat Herr Haase (Kelling- - Nach über einem Jahr.
husen) dargestellt. Aber eines ist dabei vielleicht
nicht recht sichtbar geworden. Der Inhalt des Gesetz- (Abg. Haase [Kellinghusen] : Wer hat denn
entwurfs ist von der Mehrheit des Verteidigungs- die Regierung dazu gebracht, nichts zu tun?)
ausschusses bei wenigen Stimmenthaltungen gebil- — Herr Kollege Haase (Kellinghusen), Sie erinnern
ligt worden. mich daran, daß wir in der Zeit der Großen Koali-
(Hört! Hört! bei der SPD.) tion zusammen über mehr als 55 Gesetzentwürfe
Dem Bundestag liegt darüber auch eine Drucksache positiv entschieden haben. Wir haben in dem Glau-
mit dem abschließenden Bericht vor. Es ist die ben, diejenigen Maßnahmen, die wir für die Bundes-
Drucksache VI/745, in der Herr Kollege Haase (Kel- wehr für notwendig hielten, fortsetzen zu müssen,
linghusen) dem Hause sehr korrekt einen Bericht im Oktober vergangenen Jahres vier Gesetzent-
über die abschließende Beratung dieser Gesetzes- würfe eingebracht, die noch auf unserem gemein-
vorlage vorgelegt hat. samen Wunschzettel gestanden hatten, von denen
Sie sich einen auch zunutze zu machen wußten. Das
(Zuruf von der SPD: Er ist immer korrekt!)
war der Antrag über das Weihnachtsgeld. Weil die
Der Grund dafür, daß wir noch nicht zur Abstim- Regierung vergessen hatte, einen solchen Entwurf
mung und Entscheidung in diesem Hause gekommen rechtzeitig einzubringen, hat man damals auf den
sind, liegt darin, daß nach § 96 der Geschäftsordnung Entwurf der CDU/CSU zurückgegriffen. Aber es geht
der Haushaltsausschuß mir jetzt darum, festzuhalten, daß Sie den materiel-
(Sehr richtig! bei der SPD. — Abg. Haase len Inhalt und die Bedeutung dieser Anträge ja
[Kellinghusen]: Und der Innenausschuß!) immer voll gewürdigt haben. Die ganzen Vertagun-
gen, von denen wir in Ihrem Bericht gehört haben,
eine Stellungnahme abgeben muß. sind zustande gekommen, weil die Regierung ge-
Der Innenausschuß hatte seine Stellungnahme beten hat, ihr Zeit zu lassen, erst drei Monate und
— das hat der Kollege Haase (Kellinghusen) dan- dann noch einmal vierzehn Tage, ihre eigene Vor.
kenswerterweise sehr präzise dargelegt — abgege- lage einzubringen. Aber sie hat sie nicht eingebracht.
ben. Der Verteidigungsausschuß hat sich über das
Votum des mitberatenden Ausschusses hinweg- Nun, nach mehr als einem Jahr, entdecken wir in
gesetzt. Das gibt es auch an anderer Stelle; das ist der Ferne des Bundesrates die 8. Novelle, die sich
gar nichts Ungewöhnliches für ein Parlament. Der zu beiden Punkten äußert, während die Argumen-
Punkt, um den es hier geht, ist, daß sich der Haus- tation war, daß man gutachtlich die Meinung des
haltsausschuß, der an und für sich nichts anderes tun Innenausschusses hören wolle. Der Innenausschuß
könnte, als festzustellen, daß der vorliegende Ge- kam jedoch nicht dazu, die Meinung der Bundes-
setzentwurf, was die Deckung angeht, keine Pro- regierung zu erfahren. Sie war nämlich damit be-
bleme aufwirft, beharrlich weigert, d. h. die Regie- schäftigt, nicht die Stellungnahme zu diesem Ent-
rungsmehrheit im Haushaltsausschuß — — wurf abzugeben, sondern einen eigenen Gesetzent-
wurf ein Jahr lang auszuarbeiten. Das ist der Sach-
(Zuruf von der SPD: Woher wissen Sie das?) verhalt.
— Das hat die Abstimmung ergeben. — § 96 dient (Zustimmung bei der CDU/CSU.)
ihm als Instrument dazu, die Beratung eines von
Nun ist die Situation so: Ende des Jahres werden
einer großen Mehrheit im Verteidigungsausschuß
wir hier im Bundestag wahrscheinlich in den Besitz
verabschiedeten Entwurfs in zweiter und dritter der 8. Novelle kommen. Wir werden sie dann be-
Lesung zu verhindern.
raten, und im Laufe des nächsten Jahres werden wir
(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Hört! Hört! sie verabschieden.
— Abg. Dr. Jahn [Braunschweig] : Das kann
doch nicht wahr sein! — Zuruf des Abg. Dr. Ich räume gern ein, daß die Novelle der Regierung
von Bülow.) in einem der beiden Paragraphen, die in Frage ste-
hen, berücksichtigt, daß diese Verschleppung natür-
— Es ist so, Herr von Bülow; glauben Sie mir! lich Auswirkungen für die Betroffenen hat. Deshalb
Deswegen haben wir darauf gedrungen, daß gemäß ist die Regierungsvorlage in einem ihrer beiden
§ 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung heute der Bericht Punkte so geartet, ,daß sie rückwirkend am 1. März
erstattet wurde. 1970 in Kraft treten soll. Das ist löblich; denn durch
diese Fassung der Vorlage gestehen Sie ein, daß
(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Sehr gut!)
Sie ebenso gut die Vorlage im April, als der Aus-
Wir beraten zwar heute nicht über den Antrag; schuß sie überwies, hätten annehmen können. Mit
aber man muß sich natürlich über die Hintergründe dieser Vorlage und dem rückwirkenden Inkrafttre-
unseres Verhaltens klar sein. Es ist das gute Recht ten auf den 1. März gestehen Sie jetzt ein, daß es
4444 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Dr. Klepsch
sich für Sie ausschließlich darum gehandelt hat, den die wir jetzt hier im Bericht sprechen, bietet ein
Antrag, den wir hier eingebracht hatten, nicht zur anschauliches Beispiel dafür, wie entgegenkommend
Abstimmung zu bringen. sich die Opposition im Interesse der Betroffenen
(Zustimmung bei der CDU/CSU. — Abg. verhalten hat. Die ganzen Vertagungen, über die
Dr. Schäfer [Tübingen]:: Ach, woher denn!) der Kollege Haase (Kellinghusen) gesprochen hat,
waren allein zu dem Zweck bestimmt, gemeinsam,
— Herr Kollege Schäfer, das ist so. durchaus auch mit der. Regierung im Interesse der
Was den anderen Teil der Vorlage angeht, so Betroffenen zu einer Lösung zu kommen.
haben Sie einen, ich will es einmal so sagen: etwas Meine Damen und Herren, dieses Verfahren sollte
geringer gefaßten Wortlaut gewählt, indem Sie statt nicht Schule machen. Wir hoffen, daß wir in Zu-
10 nur 6 v. H. eingebaut haben. Das ist ja der kunft nicht die Notwendigkeit haben werden, nach
gravierende Unterschied der beiden Vorlagen. Ich § 60 Abs. 3 der Geschäftsordnung hier in diesem
weiß nicht, wieso Sie das nicht auch damals als Hause Berichte zu erhalten.
Änderungsantrag hätten einbringen können.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
(Zuruf von der SPD.)
— Hier ist doch der Text dieser 8. Novelle, eine Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der
Bundesratsdrucksache. Seit wir den guten Brauch Abgeordnete Dr. Bußmann.
haben, daß etwas, was den Bundesrat erreicht, auch
diesem Haus zugänglich gemacht wird, erfahren wir
auf diese Weise manchmal etwas über das Wollen Dr. Bußmann (SPD) : Frau Präsidentin! Meine
der Regierung. Aber ich möchte nur feststellen, daß Damen und Herren! Der Herr Abgeordnete Klepsch
der Verlust, der durch das Aufschieben der Ent- hat darin recht, daß zum erstenmal der § 60 Abs. 3
scheidung über diese Frage um ein Jahr oder noch der Geschäftsordnung hier angewandt wird. Aller-
länger entstanden ist, natürlich in vollem Umfang dings glaube ich auch recht zu haben mit meiner
den Betroffenen zur Last fällt. Hier haben Sie nicht Feststellung, daß wir in dieser Legislaturperiode
das rückwirkende Inkrafttreten vorgesehen. Hier zum erstenmal das Vergnügen hatten, einen Ab-
werden die Betreffenden das viel spätere Inkraft- geordneten zu hören, dem offenbar doch die An-
treten angelastet erhalten. strengungen des Tages einigermaßen zugesetzt ha-
ben; denn er konnte die wirklichen Vorgänge nicht
(Abg. Damm: Eine Spezialkonjunktur- darstellen und hat die meisten wichtigen Dinge
zulage!) ausgelassen.
Dieser Bericht bietet ein anschauliches Beispiel (Abg. Dr. Wörner: Kommen Sie jetzt zur
dafür, daß die Bundesregierung es durchaus nicht Sache! — Weitere Zurufe von der CDU/
so eilig hat mit der Verabschiedung selbst vom CSU.)
ganzen Haus für dringend und notwendig gehalte-
ner Maßnahmen. Wir stehen etwas überrascht vor Die bemerkenswerte Tatsache dabei ist nämlich —
der Situation, daß ein großer Teil der so wortreich insbesondere da Sie den Haushaltsausschuß an-
und in Interviews so oftmals untermalten Vorlagen gesprochen haben —, daß wir am 26. Mai be-
sich im Jahre 1970 in reicher Fülle über uns er- schlossen haben, wegen der nicht absehbaren Wei-
gießen sollte, um sehr viel Weiteres und Besseres terungen dieses Gesetzes es an den Innenausschuß
zu schaffen, als in diesen vier dürftigen Gesetzent- zur gutachtlichen Stellungnahme zurückzugeben,
würfen vom Oktober vergangenen Jahres vorge- damit die finanziellen Auswirkungen berücksichtigt
sehen war, die wir eingebracht hatten, eine Flut werden können. Und da heißt es im Protokoll Nr. 20
allerdings, die sich bisher noch irgendwo in der vom 26. Mai:
Ferne, etwas ab von diesem Haus, gebrochen hat. Der Abgeordnete Dr. Althammer
Heute, da wir diese Bilanz ziehen, stellen wir etwas
— ich glaube, er sitzt hier —
überrascht fest, daß wir so sehr viel weiter als die
Vorschläge der Opposition vom vergangenen Okto- schlägt vor, den Ausschuß zu bitten, die
ber nicht gekommen sind. Frage der präjudizierenden Wirkung auf
andere Bereiche zu prüfen und die Beratun-
(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Das wäre
gen des Gesetzentwurfs bis zur Vorlage eines
auch ein Wunder!)
Votums des Innenausschusses zurückzustellen.
— Sie haben recht, Herr Kollege Marx, es wäre auch
(Abg. Dr. Apel: Was sagt ihr dazu?)
ein Wunder; denn wir haben ja hier im Hause fort-
gesetzt erlebt, daß die verkündeten Termine und Der bekannte Abgeordnete Althammer!
Versprechungen sich immer Zug um Zug in die Zu- Was ist dann geschehen? Der Innenausschuß hat
kunft verschoben haben sich tatsächlich damit befaßt und am 15. Oktober
(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Das ist doch beschlossen, daß er dazu kein Votum abgeben wird,
alles Schaumschlägerei!) (Abg. Dr. Klepsch: Sehr gut!)
und daß die konkreten Vorlagen etwa, die wir im weil die gleiche Problematik — da haben Sie
September dieses Jahres in unseren Schubfächern recht — auch mit der 8 . Novelle zum Soldaten-
vorfinden sollten, wie uns von der Regierung versorgungsgesetz aufgeworfen wird und das Ganze
freundlicherweise in Aussicht gestellt wurde, noch im Zusammenhang behandelt werden muß, um von
etwas auf sich warten lassen. Diese Vorlage, über vornherein finanziell unabsehbare Dinge abzustel-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4445
Dr. Bußmann
len. Hier ist ein vernünftiger Vorgang, und hier wohl nichts sagen? — eben. Ich würde hier nicht den
sind Abgeordnete des Haushaltsausschusses wegen Vergleich zur Regierung ziehen. Hier sind Bedenken
ihrer Verantwortung für die Deckung solcher Vor- aufgekommen; diese Bedenken werden geprüft. Wir
lagen ihrer Pflicht nachgekommen, das zu tun, was werden anschließend die Deckungsvorlage zu prüfen
sie zu tun haben, nämlich eine solche Sache auf- haben, und wenn die finanzielle Deckung gefunden
zuhalten bis zu dem Zeitpunkt, da sie finanziell werden kann, wird das Gesetz in einer tragbaren
überschaubar ist. Form verabschiedet werden. Und dabei wird Ihr
Gesetzentwurf einbezogen werden. Aber es war
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, eine sachliche, fundierte und begründete Stellung-
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Ab- nahme des Haushaltsausschusses, und dabei bleibt
geordneten Klepsch? — Bitte! es, weil wir in diesem Punkte unserer Verantwor-
tung bewußt sind.
Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Herr Kollege Bußmann, (Beifall bei den Regierungsparteien.)
darf ich Ihren Ausführungen entnehmen, daß Sie
die gleichen Bedenken hinsichtlich der 8. Novelle
Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der
haben?
Herr Parlamentarische Staatssekretär Berkhan.

Dr. Bußmann (SPD) : Nun, darauf kann man gut (Abg. Dr. Klepsch: Muß das sein?)
antworten; denn der Verteidigungsausschuß und der
Finanzausschuß des Bundesrates haben inzwischen Berkhan, Parlamentarischer Staatssekretär beim
schon zur 8. Novelle Stellung genommen. Sie haben Bundesminister der Verteidigung: Herr Kollege
solche Bedenken angemeldet. Das hat ja nun nichts Klepsch, natürlich muß das sein. Ich will mich aber
mit Persönlichkeitsfragen zu tun, sondern hängt bemühen, in die Polemik nicht einzusteigen, ob-
doch einfach damit zusammen, daß hier eine Materie gleich es mich natürlich juckt, denn das wäre ja
vorliegt, die unter Umständen zu Folgerungen im hochinteressant.
Beamtenrecht führt. Das haben wir zu überprüfen,
und dann haben wir die Frage der Deckungsfähigkeit Ich will nur für die Regierung erklären, daß der
zu beantworten. Das ist doch eine völlig klare Sache. Vorwurf, wir hätten die Vorlagen unangemessen
Darüber kann man nicht auf Klepschsche Art hin- und zum Nachteil der Soldaten hinausgezögert, nicht
weggehen. zutrifft.
(Beifall bei der SPD.) (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Zu Recht
Man kann nicht auf diese Art hier Propaganda besteht!)
machen; denn das, was Sie machen, ist ja sehr — Nicht zutrifft, Herr Kollege, und ich will Ihnen
durchsichtig. auch genau sagen, warum. — Während sich die
(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]: Und doppel- CDU/CSU-Fraktion lobenswerterweise mit der Ver-
züngig!) sorgung der Berufssoldaten in zwei Punkten be-
schäftigte, umfaßt die 8. Novelle, die wir hier gern
in der Diskussion heranziehen möchten — und wir
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, bitten Sie, sie sehr sorgfältig zu prüfen , 50 Punkte
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- und berücksichtigt die Kategorien der Wehrpflichti-
ordneten Klepsch? — Bitte! gen, der Zeitsoldaten und der Berufssoldaten. Sie
ist ausgewogener, und sie verhindert, daß es zu
Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Herr Kollege, darf ich Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Ka-
Ihren Ausführungen entnehmen, daß das, was Sie tegorien von Soldaten kommt. Aber selbstverständ-
„Klepschsche Art" nennen, auch die Praxis der lich, Herr Dr. Klepsch, ist die Bundesregierung nicht
Bundesregierung ist, die ja nach Ihren Ausführun- so arrogant zu glauben, daß sie allein das Richtige
gen eine Vorlage eingebracht hat, über deren Konse- und Weise gefunden hat. Sie werden prüfen. Dafür
quenzen sie sich gar nicht klar ist und die man haben wir ein Parlament. Das ist dieses System, in
sorgfältig prüfen muß? dem wir leben. Das Parlament hat das Recht, Vor-
lagen der Regierung zu prüfen, und nicht nur das
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von
Recht, sondern die Pflicht. Und wenn dem Parlament
der SPD.)
etwas Kluges und Besseres einfällt — ich kann mich
daran erinnern; ich bin im vierzehnten Jahr in die-
Dr. Bußmann (SPD) : Das spricht offenbar doch sem Hause —, wird hoffentlich jede Bundesregie-
dafür, daß ich mit meiner ersten Feststellung recht rung, auch die uns nachfolgende, dem klugen Rat
hatte: der späte Abend trübt manche Dinge, des Parlaments Folge leisten.
(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Das ist Die Regierung hat also zeitgemäß gearbeitet. Ich
keine Antwort! — Weiterer Zuruf von der will Ihnen nur eines sagen, Herr Dr. Klepsch. Ich
CDU/CSU: Nehmen Sie das für sich selbst!) finde es etwas eigenartig, daß Sie nach einem Wech-
und zu den getrübten Dingen gehört zweifellos — — sel der Regierung, welcher ja auch ein Wechsel in
besimmten Kategorien der Politik war, glaubten,
(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.) Sie müßten diese Regierung nun in Einzelfragen so-
— Hier vorn sitzt noch eine politische Hoffnung, fort und jetzt zum Handeln bringen. Wir haben im
die wunderbar winken kann. Dazu können Sie ja Weißbuch ein sehr ausgewogenes Konzept vorge-
4446 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Parlamentarischer Staatssekretär Berkhan


legt, und Sie sind gebeten, an der Verwirklichung durchaus Entwürfe waren, von denen wir meinten,
aller dieser Maßnahmen mitzuarbeiten. Ich glaube, daß sie in Fortsetzung dieses Programms im Bun-
es kommt nichts dabei heraus, wenn wir versuchen, destag einmütiger Annahme sicher sein dürften?
uns in einzelnen Punkten den Rang abzulaufen. Sie
als Person und als Vertreter Ihrer Fraktion sowie
alle Ihre Mitarbeiter sind mir jedenfalls stets gern
Pensky (SPD): Das war ja nichts Neues. Ich
weiß nicht, was das an meiner Aussage hier ändern
gesehene Mitstreiter, wenn es darum geht, die Ver-
soll.
sorgung aller Soldaten, der Wehrpflichtigen, der
Zeit- und der Berufssoldaten, besser zu gestalten. (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Das ist das
reine Gegenteil!)
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Ich darf dazu nur sagen, daß Ihre Kollegen im
Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der Innenausschuß einsichtiger waren und bereit waren,
Herr Abgeordnete Pensky. praktisch zu bescheinigen, daß Sie nämlich doch wie-
- der Flickwerk geschaffen hätten, wenn es Wirklich-
keit geworden wäre. Sie hätten hier gleichzubewer-
Pensky (SPD) : Frau Präsidentin! Meine Damen
tende Gruppen untergebuttert, zumindest einseitig,
und Herren! Ich mache es ganz kurz; nur eines,
denn wir haben gemeinsam eingesehen, daß, wenn
meine ich, sollte ich Ihnen doch noch sagen. Sie hat-
das Gesetz in diesem Punkte zu ändern ist, damit
ten es nach der Bildung der neuen Regierung plötz-
ebenso das Polizeibeamtengesetz wie das Beamten-
lich so sehr eilig, die Schubfächer Ihrer Versäum-
rechtsrahmengesetz für die Polizei der Länder erfaßt
nisse zu öffnen und alle Anträge auf den Tisch des
werden muß. Deshalb hat es — und jetzt hören Sie
Hauses zu schütten.
gut hin —
(Beifall bei der SPD.)
(Abg. Dr. Wörner: Sie wollten es doch
Ich muß daran erinnern, daß es sich beispielsweise kurz machen!)
bei dem einen Punkt — bei der Erhöhung der Ab-
eine einstimmige Anregung im Innenausschuß gege-
findung von 8000 auf 12 000 DM — um eine Sache
ben, die dann zu einem interfraktionellen Antrag
handelt, die seit 1956 festlag.
geführt hat.
(Abg. Dr. Klepsch: 1957!)
(Abg. Dr. Klepsch: Den haben wir auch
— Entschuldigung, da lasse ich mich einmal von übernommen!)
Ihnen korrigieren.
Sie hätten deshalb einsehen müssen, hätten Sie
(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Warum nur daran festgehalten, hätten wir diesen Punkt
nur einmal?) lange über die Bühne gezogen.
— Ja doch, einmal nur. Sonst schaffen Sie es nicht. Aber da wir kein Flickwerk machen wollen und
— Seit 1957 hätten Sie also Zeit gehabt, und plötz- da es keine lieben und liebsten Kinder geben kann,
lich fällt es Ihnen ein, das alles 1969 und 1970 auf müssen wir von seiten des Innenausschusses dar-
den Tisch des Hauses zu kippen. Das muß man Ihnen über wachen, daß gleichzubewertende Tatbestände
zunächst sagen. Daran können Sie gar nichts än- auch gleichbewertet werden. Und um noch einmal
dern. Das sind doch Fakten! auf das Flickwerk zurückzukommen, mit dem Sie
wieder begonnen hätten, möchten wir sagen — und
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, so einsichtig waren Ihre Kollegen im Innenaus-
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Ab- schuß —, daß es doch richtiger ist, auf die Beratung
geordneten Dr. Klepsch? der 8. Novelle zu warten, das da mit einzubeziehen,
weil wir dann 35 Änderungen, die Sie auch schon
Pensky (SPD): Ich kann jetzt keine Zwischen- früher hätten vornehmen können, einbeziehen und
fragen beantworten. Das sind doch Fakten. Aber wir dadurch die Soldaten und gleichzubewertende
unterhalten uns später gerne darüber. Oder wollen Gruppen begünstigen. Das muß ich Ihnen sagen, und
Sie das bestreiten? — Bitte schön! daran werden Sie — —
(Abg. Dr. Wörner: Das haben wir jetzt
Vizepräsident Frau Funcke: Zum Bestreiten gehört!)
bekommt er das Wort nicht; er bekommt es allen- — Sie hören so etwas alles nicht gern, das glaube
falls zu einer Frage. ich Ihnen, aber man muß es Ihnen ja sagen, sonst
tun Sie hier, als wären Sie die großen Wohltäter.
Pensky (SPD): Bitte schön, ja!
(Erneuter Zuruf von der CDU/CSU.)
— Die Soldaten hören das gerne? Den Soldaten
Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Herr Kollege, darf ich
sichern wir zumindest zu, daß durch die Verzöge-
davon ausgehen, daß Sie, da Sie mir vorhin freund-
rungen, die eintreten, keiner Nachteile erleidet,
licherweise zugehört haben, auch gehört haben, daß
und deshalb ist der Zeitpunkt des Inkrafttretens
ich davon sprach, daß wir in der Zeit der Regierung
— 1. März 1970 — auch in der Regierungsvorlage
der Großen Koalition nicht weniger als 55 Gesetze
vorhanden.
einschlägiger Art hier in diesem Hause verabschie-
det haben und daß diese Entwürfe, die Sie, wie Sie (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu
sagen, aus den Schubladen unerledigt herauszogen, ruf von der CDU/CSU.)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4447

Vizepräsident Frau Funcke: Meine Damen auf die ordnungsgemäße Zusammensetzung des
und Herren, weitere Wortmeldungen liegen nicht 6. Deutschen Bundestages hatte, so glaubt er doch
vor. Damit ist der Bericht zur Kenntnis genommen. darauf hinweisen zu müssen, daß im Interesse der
Ich rufe Tagesordnungspunkt 17 auf: parlamentarisch-demokratischen Entwicklung in der
Bundesrepublik sich derartige Wahlfehler nicht
Beratung des Berichts des Ausschusses für
wiederholen sollten. Sicherlich bringen Wahlkämpfe
Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsord-
die Gefahr von Konfrontationen mit sich. Aber es
nung (1. Ausschuß) — Wahlprüfungsangele-
ist in einem demokratischen Rechtsstaat nicht in
genheiten — über den Wahleinspruch des
Ordnung, wenn unter Mißachtung gerichtlicher Ent-
Adolf von Thadden, Bende bei Hannover,
scheidungen einer nicht verbotenen Partei, die sich
Dr. Siegfried Pohmann, München, Waldemar
am Wahlkampf beteiligt, Versammlungsräume ver-
Schütz, Hannover und weiterer vier Präsi-
weigert werden.
diumsmitglieder der Nationaldemokratischen
Partei Deutschlands (NPD), Bevollmächtigter: Auch bei Demonstrationen und Gegendemonstra-
RA Dr. jur. Wolfgang Huber, München, gegen tionen sollten sich gerade die demokratischen Par-
die Gültigkeit der Wahl zum 6. Deutschen teien und alle sich unserem demokratischen Rechts-
Bundestag vom 28. September 1969 staat verpflichtet fühlenden Staatsbürger von dem
— Drucksache VI/1311 — Grundsatz der Würde des Menschen und der Ach-
Berichterstatter: Abgeordneter Dürr tung vor der Meinung des anderen leiten lassen,
Abgeordneter Dr. Pinger auch wenn dieser andere diese selbe Haltung nicht
immer an den Tag legt. Die Politiker dürfen die
Hierzu der Vorsitzende des Ausschusses, Herr Verantwortung nicht auf die Polizeibeamten ver-
Abgeordneter Schoettle. lagern.
Geht man von der im Bericht des Ausschusses
Schoettle (SPD) : Frau Präsidentin: Meine Damen niedergelegten Feststellung aus, daß der demokra-
und Herren! In der 34. Sitzung des 6. Deutschen tische Meinungsbildungsvorgang gestört wird, wenn
Bundestages am 26. Februar 1970 hat Ihnen der
unfriedliche Demonstrationen staatliche Eingriffe
Wahlprüfungsausschuß 31 Wahleinsprüche zur Bun-
erforderlich machen, um Gewalttaten zu verhindern
destagswahl 1969 vorgelegt. Der Ausschuß hatte
oder abzuwehren, dann muß sichergestellt sein, daß
damals empfohlen, diese Einsprüche als offensicht-
die geistige Auseinandersetzung gewaltlos erfolgt
lich unbegründet zurückzuweisen, und zwar weil sie
und sich die Willensbildung frei und offen von
entweder nicht fristgerecht eingelegt, nicht mit unten nach oben vollziehen kann.
einer Begründung versehen waren oder weil der gel-
tend gemachte Mangel offensichtlich keinen Einfluß Die Schutzpflicht des Staates für die freie und
auf das Wahlergebnis gehabt hatte. offene Willensbildung des Volkes entläßt jedoch
Übrig geblieben war noch der Einspruch von Mit- die Staatsbürger nicht aus ihrer Verpflichtung, die
gliedern des Präsidiums der NPD. Nachdem diese geistige Auseinandersetzung zu ihrer eigenen Sache
auf die Durchführung einer öffentlichen mündlichen zu machen. Dies gilt in besonderem Maße auch für
Verhandlung verzichtet haben, offenbar weil sie die Massenmedien. Die Frage muß mindestens rhe-
entschlossen waren, auf jeden Fall vor den Bundes- torisch gestellt werden, ob der Rechts- und Links-
verfassungsgerichtshof zu gehen, legt Ihnen der radikalismus in Deutschland überhaupt so groß ge-
Ausschuß heute seinen Bericht mit der Bitte um worden wäre, wenn man seinen Exponenten etwas
Beschlußfassung vor. Sie finden den Vorschlag eines weniger Publizität verschafft hätte, als es tatsäch-
Beschlusses auf Seite 3 der Drucksache VI/1311. lich geschehen ist.

Der Ausschuß hat es sich, wie Sie nicht allein (Allgemeiner Beifall.)
aus dem Umfang, sondern auch aus der rechtlichen Wie im Bericht des Ausschusses gesagt ist, wird
Würdigung des Vorbringens der Einspruchsführer der Wahlprüfungsausschuß den Bundesminister des
entnehmen können, bei seiner Entscheidung durch- Innern bitten, im Zusammenwirken mit den zu-
aus nicht leichtgemacht. Er hat Stellungnahmen von ständigen Landesbehörden die erforderlichen Vor-
Bundes-, Landes- und Kommunalbehörden sowie sorgemaßnahmen zu treffen, um der Schutzpflicht
von Privatpersonen zu den Behauptungen der Ein- des Staates für eine freie und offene Willensbildung
spruchsführer eingeholt und kam, wie Sie aus dem gerecht zu werden.
Ihnen vorliegenden Bericht entnehmen können, zu
dem Ergebnis, daß das Vorbringen der Einspruchs- Der Wahlprüfungsausschuß hat mit der Vorlage
führer in neun von insgesamt elf vorgetragenen des Berichts seine Arbeit abgeschlossen, soweit es
Einspruchsbegründungen die Wahlanfechtung nicht um Anfechtungen gegen die Gültigkeit der Wahl
zu stützen vermag. zum 6. Deutschen Bundestag ging.
Den Hinweis der Einspruchsführer auf die be- Auf Grund des Gesetzes über Volksbegehren und
haupteten Saalabtreibungen und Störungen von Volksentscheid bei der Neugliederung des Bundes-
NPD-Veranstaltungen hielt der Ausschuß jedoch für gebietes nach Ar. 29 Abs. 2 bis 6 GG ist der Bundes-
so gravierend, daß er nach Prüfung der Sach- und tag jedoch auch zuständig für Einsprüche gegen die
Rechtslage zu der Überzeugung kam, hier eine un- Gültigkeit des Volksentscheids im Gebietsteil Baden
zulässige Wahlbeeinflussung feststellen zu müssen. des Landes Baden-Württemberg vom 7. Juni 1970.
Wenn der Ausschuß dennoch zu dem Ergebnis ge- Dem Ausschuß liegen dazu sieben Einsprüche vor,
langte, daß die Wahlbeeinflussung keinen Einfluß mit deren Beratung er alsbald beginnen wird.
4448 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Schoettle
Gestatten Sie mir noch eine abschließende Be- Wird das Wort gewünscht? — Das ist nicht der
merkung. Bereits bei der Neufassung des Wahl- Fall. Wer diesem Schriftlichen Bericht seine Zustim-
prüfungsgesetzes, die auf Anregung des Wahl- mung geben will, den bitte ich um das Handzeichen.
prüfungsausschusses während der 4. Wahlperiode — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstim-
erfolgte, wurde im Schriftlichen Bericht des Aus- mig so beschlossen.
schusses zum Ausdruck gebracht, daß die Wahlprü-
fung zu gegebener Zeit einer grundsätzlichen Uber- Ich rufe Punkt 19 der Tagesordnung auf:
prüfung unterzogen werden sollte. Nach den Erfah- Erste Beratung des von der Bundesregierung
rungen bei der Erledigung der Einsprüche gegen die eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Bundestagswahl 1969 erscheint die Zeit für eine sol- Änderung des Deutschen Richtergesetzes
che Überprüfung reif. Ich möchte hier keine Vor-
— Drucksache VI/1380 —
schläge machen, in welcher Richtung eine Änderung
erfolgen könnte, bin aber der Meinung, daß diese Zur Begründung hat Herr Bundesminister Jahn
Frage zunächst im Bundesministerium des Innern das Wort.
und gegebenenfalls auch in der Parlamentsreform-
kommission erörtert werden sollte. Jahn, Bundesminister der Justiz: Frau Präsiden-
Namens des Wahlprüfungsausschusses bitte ich tin! Meine Damen und Herren! Ich bitte das Hohe
Haus um das Einverständnis, angesichts der derzei-
das Hohe Haus, dem Bericht des Ausschusses seine
tigen Arbeitslage von einer Begründung absehen
Zutimmung zu geben.
zu dürfen.
(Allgemeiner Beifall.) (Beifall.)

Vizepräsident Frau Funckes Meine Damen


und Herren, wird das Wort gewünscht? — Das ist
Vizepräsident Frau Funcke: Wird das Wort
in der ersten Beratung gewünscht? — Das ist nicht
nicht der Fall.
der Fall.
Dann stimmen wir über den Antrag des Aus-
schusses in Drucksache VI/1311, d. h. über den Be- Nach dem Beschluß des Ältestenrates soll der Ge-
schlußentwurf, der auf Seite 3 verzeichnet ist, ab. setzentwurf dem Rechtsausschuß — federführend —
Wer dem Antrag des Ausschusses die Zustimmung und dem Innenausschuß zur Mitberatung überwie-
geben will, den bitte ich um das Handzeichen. — sen werden. Wer diesem Überweisungsvorschlag zu-
Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig stimmen will, den bitte ich um das Handzeichen.-
so beschlossen. Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlos-
sen.
Ich rufe Punkt 18 der Tagesordnung auf:
Meine Herren und Damen, damit stehen wir am
Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus- Ende der Tagesordnung des heutigen Tages. Ich
schusses für Wirtschaft (8. Ausschuß) über berufe das Haus auf Donnerstag, den 12. November
die von der Bundesregierung beschlossene 1970, 14 Uhr, zu einer Fragestunde ein.
Verordnung zur Änderung des Deutschen
Teil-Zolltarifs (Nr. 18/70 — Zollkontingent
für Holzschliff) Die Sitzung ist geschlossen.
— Drucksachen VI/1327, VI/1378 —
Berichterstatter: Abgeordneter Wolfram (Schluß der Sitzung: 21.43 Uhr.)
Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode - 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4449

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Anlage 2 Umdruck 90

Antrag der Fraktionen der SPD, FDP zur Großen


Liste der beurlaubten Abgeordneten
Anfrage der Fraktionen der SPD, FDP betr. Maß-
nahmen der Bundesregierung in der Einkommens-,
Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich der Struktur- und der Sozialpolitik für die deutsche
Landwirtschaft - Drucksachen VI/1187, VI/1302 -.
a) B eurlaubungen
Der Bundestag wolle beschließen:
Dr. Achenbach 13. 11.
Dr. Aigner * 12. 11. Um die konsequente Weiterentwicklung der ein
Dr. Arndt (Berlin) 13. 11. - geleiteten Neuorientierung in der Agrarpolitik zu
Dr. Artzinger * 13. 11. gewährleisten, wird die Bundesregierung ersucht,
Blumenfeld 11. 11.
Frau Brauksiepe 11. 11. 1. in der Agrarpreispolitik bei den Verhandlungen
Buchstaller 11. 11. im Ministerrat der EG ein für die deutsche Land-
Dr. Burgbacher 11. 11. wirtschaft günstiges Ergebnis anzustreben. Dazu
Corterier 11. 11. gehört vor allem die weitere Heranführung des
Damm 11. 11. Futtergetreidepreises an den des Weichweizens,
Dr. Erhard 11. 11. um dadurch auch zu einer Produktionsumlenkung
Flämig 11. 11. zu gelangen, sowie die Heraufsetzung des Rin-
Dr. Furler 11. 11. derorientierungspreises. Für die infolge der Ko-
Dr. Geßner 11. 11. stensteigerungen erforderliche Anhebung des
Dr. Götz 30. 11. Trinkmilchpreises sollte bald eine Entscheidung
Frau Griesinger 11. 11. getroffen werden. Der Markt muß genau be-
Dr. Hallstein 13. 11. obachtet werden, damit - soweit wie möglich -
Dr. Hein 13. 11. Maßnahmen gegen einen Preisverfall bei ein-
Heyen 31. 12. zelnen landwirtschaftlichen Produkten ergriffen
Dr. Huys 13. 11. werden können. Bei der Beurteilung der Er-
Dr. Jungmann 31. 1. 1971 zeugerpreisentwicklung ist auch in den folgenden
Kater 11. 11. Jahren der Einkommensausgleich für die DM-
Dr. Kiesinger 13. 11. Aufwertung zu berücksichtigen.
Dr. Kliesing (Honnef) 11. 11.
Frau Krappe 14. 11. 2. in der Agrarstrukturpolitik ,die Konzeption des
Dr. Kreile 13. 11. einzelbetrieblichen Förderungsprogramms mit
Kriedemann * 13. 11. seinen entscheidenden Verbesserungen für die
Lange 11. 11. Landwirtschaft auch im Hinblick auf die Über-
Lenze (Attendorn) 11. 11. führung zur Gemeinschaftsaufgabe des Bundes
Dr. Löhr * 11. 11. und der Länder weiter auszubauen. Dabei müssen
Lücker (München) * 11. 11. alle Maßnahmen der allgemeinen Agrarstruktur-
Mattik 11. 11. politik und der regionalen Wirtschaftspolitik dar-
Matthöfer 13. 11. auf gerichtet sein, den Strukturwandel in der
Meister * 13. 11. deutschen Landwirtschaft zu fördern.
Müller (Aachen-Land) * 11. 11.
Neumann 11. 11. 3. in der Agrarsozialpolitik
Petersen 11. 11.
Pöhler 11. 11. a) gemäß dem Grundsatzbeschluß der Bundes-
Dr. Pohle 13. 11. regierung vom 22. Oktober 1970 möglichst
Richarts * 11. 11. schnell einen Gesetzentwurf für die Einfüh-
Dr. Schachtschabel 11. 11. rung einer Pflichtkrankenversicherung für
Dr. Schmid (Frankfurt) 13. 11. Landwirte vorzulegen, damit das Gesetz zum
Schmidt (Würgendorf) 11. 11. 1. Januar 1972 in Kraft treten kann. Die
Schulhoff 11. 11. Empfänger des landwirtschaftlichen Altersgel-
Springorum * 11. 11. des müssen beitragsfrei sein.
Steiner 13. 11. b) Vorschläge für die Reform der landwirtschaft-
Strauß 13. 11. lichen Alterssicherung und der Unfallversiche-
rung zu unterbreiten. Die Altershilfe muß zu
b) Urlaubsanträge einer echten. Altersversorgung ausgebaut wer-
den; ,die Überprüfung des bisherigen Systems
Dr. Jaeger 31. 12.
ist gesetzlich geboten. Die Unfallversicherung
muß stärker auf die Belange der in der Land-
* Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europä- wirtschaft wirklich tätigen Personen abge-
ischen Parlaments stellt werden.
4450 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

4. in der Steuerpolitik beschleunigt Maßnahmen zu Anlage 4 Umdruck 92


treffen, die eine rationelle Zusammenarbeit in
landwirtschaftlichen Kooperationen ermöglichen. Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Großen
Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Agrar-
Bonn, den 10. November 1970 politik — Drucksachen VI/1145, VI/1303 —
Nach Ansicht der Fraktion der CDU/CSU ist die
Antwort der Bundesregierung auf die Große An-
Wehner und Fraktion
frage der Fraktion der CDU/CSU zur Agrarpolitik in
Mischnick und Fraktion
weiten Teilen unbefriedigend. Die derzeit schwie-
rige wirtschaftliche Situation der Landwirtschaft
wird von der Bundesregierung nicht genügend be-
rücksichtigt. Auf den für die deutsche Landwirtschaft
wichtigen Gebieten der Erzeugerpreise, der Be-
-
triebsmittelkosten, der Sozialpolitik und der Struk-
turpolitik sind die Ausführungen der Bundesregie-
Anlage 3 Umdruck 89 rung so vage, daß sie einer Konkretisierung im
Sinne dieses Entschließungsantrages bedürfen. Die
Fraktion der CDU/CSU beantragt daher:
Antrag der Fraktion der CDU/CSU zur Großen
Der Bundestag wolle beschließen:
Anfrage der Fraktion der CDU/CSU betr. Agrar-
politik — Drucksachen VI/1145, VI/1303 —.
Die Bundesregierung wird ersucht,

Der Bundestag wolle beschließen: 1. im Rahmen der bevorstehenden Agrarpreisver-


handlungen im Ministerrat der Europäischen Ge-
Die durch den Beschluß des Bundesverfassungs- meinschaften angesichts der für die Landwirt-
gerichts vom 11. Mai 1970 — 1 BvL 17/67 — geschaf- schaft unerträglichen Preis-/Kostenentwicklung
fene latente Rechtsunsicherheit im landwirtschaft- darauf hinzuwirken, daß das Agrarpreisniveau
lichen Grundstücksverkehr ist durch die Antwort angehoben wird. Vordringlich ist hierbei
der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der
a) eine Angleichung der Preise von Weichwei-
Fraktion der CDU/CSU vom 30. September 1970
nicht beseitigt worden (Drucksache VI/1207). Die Un- zen und Futtergetreide entsprechend ihrem
gewißheit über den Inhalt der von der Bundesregie- Futterwert unter Aufrechterhaltung des Wei-
zenpreises,
rung vorzuschlagenden gesetzlichen Neuregelung
hat Stagnation und unerwünschte Entwicklung auf b) eine Anhebung des Rinderorientierungsprei-
dem Grundstücksmarkt sowie erhebliche Unruhe bei ses um 24 DM/100 kg auf 290 DM/100 kg,
den Betroffenen zur Folge. Ein schnelles Handeln der c) eine Anhebung des Interventionspreises für
Bundesregierung erscheint dringend erforderlich. Butter um zwei Rechnungseinheiten,
d) eine Anhebung des Interventionspreises für
Die Bundesregierung wird daher ersucht,
- Magermilchpulver um vier Rechnungseinhei-
1. die angekündigte gesetzliche Neuregelung um- ten,
gehend vorzulegen, e) eine Anhebung des Zuckerrübenpreises auf
7,25 DM/dz,
2. die Neuregelung so zu gestalten, daß den fik-
tiven Anschaffungskosten die Wertverhältnisse f) eine Anhebung des Grundpreises für Schwei-
im Zeitpunkt des Bekanntwerdens der Entschei- nehälften auf 291,22 DM/100 kg;
dung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde
2. angesichts der in der Molkereiwirtschaft gestie-
zulegen sind, daß weiterhin wegen der anerkannt
genen und noch laufend steigenden Produktions-
typischen landwirtschaftlichen Eigenheiten aus-
kosten den Trinkmilchpreis um mindestens
reichende Befreiungstatbestände, Freibeträge und
4 Pfennig je Liter anzuheben;
sonstige Steuer- bzw. Tarifvergünstigungen ge-
schaffen werden, wie dies vom Bundesverfas- 3. die Altershilfe für Landwirte für Verheiratete auf
sungsgericht angeregt worden ist, monatlich 240 DM und für unverheiratete Be-
rechtigte auf 160 DM anzuheben;
3. sofern ein entsprechender Gesetzentwurf aus
unabweisbaren Gründen nicht umgehend vor- 4. auf dem Gebiet der Agrarstrukturverbesserung,
gelegt werden kann, die bestehende Rechts- der Investitionsförderung und beim Küstenschutz
unsicherheit unter Beachtung der Grundsätze von sicherzustellen, daß hierfür ausreichende finan-
Treu und Glauben und des Vertrauensschutzes zielle Mittel bereitgestellt werden, die die stei-
durch eine sofortige geeignete Übergangsrege- genden Kosten in diesen Sektoren mindestens
lung zu beseitigen. ausgleichen, so daß das Volumen aller Maß-
nahmen im Bereich der Agrarstrukturverbesse-
Bonn, den 10. November 1970 rung und des Küstenschutzes auch bei Einführung
der Gemeinschaftsaufgaben wenigstens nicht zu-
rückgeht. Besondere Beachtung ist dabei der
Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion wirtschaftlichen Entwicklung in Grünlandgebie-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4451

ten und in von der Natur benachteiligten Gebie- 2. auf der Grundlage dieser Ergebnisse sowie unter
ten zu widmen. Berücksichtigung des bis zum Ende der Antrags-
frist nach dem Beweissicherungsgesetz am 31.De-
Bonn, den 11. November 1970 zember 1972 erwarteten weiteren Antragsein-
gangs eine Gesamtschätzung der Kosten für die
Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Erfüllung der Ansprüche auf Hauptentschädigung
für Zonenschäden vorzulegen.

Bonn, den 10. November 1970

Freiherr von Fircks


Anlage 5 Umdruck 87 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion

Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU


zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Gesetzes
zur Verbesserung und Ergänzung sozialer Maßnah-
men in der Landwirtschaft (Agrarsoziales Ergän- Anlage 7 Umdruck 91
zungsgesetz — ASEG —) — Drucksachen VI/249,
VI/438, VI/945, VI/1384, zu VI/1384 —. Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU
zur zweiten Beratung des von der Bundesregierung
Der Bundestag wolle beschließen: eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur
Artikel 1 § 1 wird wie folgt geändert: Änderung des Wehrsoldgesetzes — Drucksachen
VI/101 ,—VI/139.0
1. Der Nummer 1 wird folgende Nummer 01 voran-
gestellt: Der Bundestag wolle beschließen:
,01. § 4 Abs. 1 erhält folgende Fassung: 1. In Artikel 1 werden die Nummern 1 und 2 durch
folgenden Wortlaut ersetzt:
„(1) Das Altersgeld beträgt ab 1. Juli
1971 für den verheirateten Berechtigten 240 § 7 wird wie folgt geändert:
Deutsche Mark, für den unverheirateten Be- a) Die Absätze 1 und 2 erhalten folgende Fas-
rechtigten 160 Deutsche Mark monatlich." ' sung:
2. In Nummer 2 erhält § 12 Abs. 2 folgende Fas- „(1) Dem Soldaten, der Grundwehrdienst
sung: leistet, wird am 1. Dezember und nach Maß-
gabe des Absatzes 2 bei der Entlassung eine
„ (2) Der Beitrag ist für alle Beitragspflichti-
besondere Zuwendung gewährt.
gen gleich. Er beträgt ab 1. Januar 1971 bis
30. Juni 1971 27 Deutsche Mark, ab 1. Juli 1971 (2) Die Zuwendung beträgt nach Ableistung
33 Deutsche Mark." eines Grundwehrdienstes von
— zwei Monaten 75 Deutsche Mark,
3. Nummer 3 erhält folgende Fassung:
— fünf Monaten 80 Deutsche Mark,
„3. § 13 wird gestrichen."
— acht Monaten 120 Deutsche Mark,
Bonn, den 10. November 1970 — elf Monaten 160 Deutsche Mark,
— vierzehn Monaten 200 Deutsche Mark,
Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion — siebzehn Monaten 240 Deutsche Mark.
Auf die Zuwendung sind während des Grund-
wehrdienstes bereits gewährte Zuwendungen
anzurechnen. Die Zuwendungen dürfen den
Gesamtbetrag von 240 Deutsche Mark nicht
Anlage 6 Umdruck 88 übersteigen. Die Zuwendung unterliegt dem
Kaufkraftausgleich nach § 2 Abs. 2 des Bun-
Entschließungsantrag des Abgeordneten Frei- desbesoldungsgesetzes, wenn der Soldat
herr von Fircks und der Fraktion der CDU/CSU zur nach § 2 Abs. 2 dieses Gesetzes doppelten
dritten Beratung des von der Bundesregierung ein- Wehrsold erhält."
gebrachten Entwurfs eines Dreiundzwanzigsten Ge-
setzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes b) Absatz 3 wird gestrichen.
(23. ÄndG LAG) — Drucksachen VI/ 1000, V1/1351 —.
c) Die Absätze 4 bis 6 werden die Absätze 3
Der Bundestag wolle beschließen: bis 5.
Die Bundesregierung wird ersucht, zum 1. April 1972 d) In dem neuen Absatz 3 werden die Zahlen
dem Deutschen Bundestag „1969" und die Worte „oder in den Fällen
1. über die bisherige Entwicklung und den Stand des § 1 Abs. 4 oder des § 2 Abs. 3 dieses
des Antragseingangs nach dem Beweissiche- Gesetzes seinen Dienst nicht ausübt" gestri-
rungs- und Feststellungsgesetz zu berichten; chen.
4452 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

2. Artikel 2 erhält folgende Fassung: Präsident wird dem Vorstand der Bundesanstalt eine
Änderung der „Grundsätze" in diesem Sinne vor-
„Artikel 2 schlagen. Der Runderlaß des Landesarbeitsamtes
Nordrhein-Westfalen 284/69 soll entsprechend modi-
Dieses Gesetz tritt am 1. November 1970 in
fiziert werden.
Kraft."
Darüber hinaus wird im Rahmen der beabsich-
Bonn, den 11. November 1970 tigten Revision der Richtlinien für die Unterkünfte
italienischer Arbeitnehmer aus dem Jahre 1964 eine
entsprechende Regelung über die Mindestwohn-
Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion
fläche angestrebt. Erste Verhandlungen mit italieni-
schen Regierungsstellen haben bereits begonnen.

Anlage 8
Anlage 9
Schriftliche Antwort

des Parlamentarischen Staatssekretärs Rohde vom Schriftliche Antwort


10. November 1970 auf die Zusatzfrage des Abge- des Parlamentarischen Staatssekretärs Logemann
ordneten Dr. Weber (Köln) (SPD) zu seiner Münd-
vom 10. November 1970 auf die Zusatzfrage des
lichen Frage t). Abgeordneten Pohlmann (CDU/CSU) zu seiner
Die Regelungen über die Errichtung von Wohn- Mündlichen Frage *).
heimen sind in den für die Durchführung aller Maß-
Die Sortierung nach der Verordnung über gesetz-
nahmen auf dem Gebiet des Bau- und Wohnungs- liche Handelsklassen für Rohholz vom 31. Juli 1969
wesens zuständigen Ländern nicht einheitlich. Be-
— die fakultativ ist — wird von allen Landesforst-
sondere Vorschriften über Mindestwohnfläche und
verwaltungen und, soweit bekannt, auch von den
Mindestausstattung bestehen nur in den Ländern
Gemeinden und vom Privatwald freiwillig mit Be-
Baden-Württemberg, Niedersachsen und Nordrhein-
ginn des Forstwirtschaftsjahres 1971 eingeführt.
Westfalen. Nach den Wohnheimbestimmungen des
Landes Nordrhein-Westfalen vom 20. Januar 1969 Zwischen den Bundesministerien für Ernährung,
darf bei Wohnschlafzimmern für 2 und mehr Per- Landwirtschaft und Forsten und den Spitzenverbän-
sonen in der Regel eine Wohnfläche von 8 qm je den der Forst- und Holzwirtschaft ist vereinbart
Person nicht unterschritten werden. Diese Bestim- worden, die Erfahrungen bei der Anwendung der
mungen gelten grundsätzlich gleichermaßen für Verordnung im Wirtschaftsjahr 1971 abzuwarten.
Deutsche wie für Ausländer. Abweichend von die- Sollte sich hierbei nach Überwindung der Anlauf-
sem Grundsatz sind nach dem Runderlaß des Landes- schwierigkeiten die Notwendigkeit ergänzender
arbeitsamtes Nordrhein-Westfalen 284/69 vom 23. Mai Richtlinien herausstellen, so ist vorgesehen, daß die
1969 bei der Förderung des Baues von Unterkünften Bundesregierung im Einvernehmen mit den Ländern
für ausländische Arbeitnehmer durch die Bundes- und unter Abstimmung mit den Verbänden der
anstalt für Arbeit ausnahmsweise mindestens 5 qm Forst- und Holzwirtschaft bundeseinheitliche Richt-
Wohnfläche je Person zulässig. Die Bundesanstalt linien herausgibt.
fördert den Bau von Unterkünften für ausländische
Arbeitnehmer mit dieser Mindestwohnfläche seit 1960
mit erheblichen finanziellen Mitteln. Da diese Unter-
künfte entsprechend den von der Bundesanstalt auf-
gestellten „Grundsätzen" vom 28. Oktober 1960 in Anlage 10
Festbauweise als abgeschlossene Wohneinheiten er-
Schriftliche Antwort
richtet werden, läßt sich der Beurteilung , der Wohn-
größe die Gesamtwohnfläche (einschließlich Flur des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Bayerl
und Nebenräumen) zugrunde legen, die wesentlich vom 6. November 1970 auf die Mündliche Frage des
über 5 qm je Person liegt. Eine Vergrößerung der Abgeordneten Hussing (CDU/CSU) (Drucksache
Mindeswohnfläche je Person würde die Baukosten VI/1339 Frage A 34) :
der Unterkünfte und damit die Kostenmiete je Bett-
Wie viele deutsche Staatsangehörige sitzen in der Bundesrepu-
platz erhöhen. Sie würde damit zugleich die nicht blik Deutschland einschließlich Berlin (West) und im Ausland
erwünschte Folge haben, daß die ausländischen Ar- wegen Rauschgiftvergehen in Strafanstalten ein?
beitnehmer, die nicht bereit sind, höhere Mieten zu Statistische Angaben über die Zahl der deutschen
zahlen, in nicht kontrollierte Unterkünfte aus- Staatsangehörigen, die wegen Rauschgiftdelikten
weichen. verurteilt sind und ihre Strafe in Justizvollzugsan-
Ich habe den Präsidenten der Bundesanstalt für stalten der Bundesrepublik Deutschland oder im
Arbeit ,gebeten, in die „Grundsätze über die Förde- Ausland verbüßen, sind nicht vorhanden. Die vom
rung der Unterkünfte" eine Bestimmung aufzuneh- Statistischen Bundesamt Wiesbaden herausgegebene
men, wonach die Gesamtwohnfläche dieser Unter- Strafvollzugsstatistik enthält keine Angaben dar-
künfte 8 qm je Person nicht unterschreiten darf. Der über, wieviel Rauschgifttäter in den Justizvollzugs-

*) Siehe 52. Sitzung Seite 2646 D *) Siehe 76. Sitzung Seite 4255 D
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4453

anstalten einsitzen, da Rauschgiftdelikte bislang im Die Bundesregierung läßt sich in ihren Reform-
Straftatenverzeichnis der Vollzugsstatistik nicht be- vorstellungen nicht von sachfremden Überlegungen
sonders ausgewiesen werden. Im Hinblick auf die leiten.
Entwicklung der Rauschgiftkriminalität in der Bun-
desrepublik Deutschland wird die Bundesregierung
deshalb im Einvernehmen mit den Landesjustizver-
waltungen prüfen, ob künftig auch Vergehen gegen
Anlage 12
das Opiumgesetz in das Straftatenverzeichnis der
Strafvollzugsstatistik aufgenommen werden sollen. Schriftliche Antwort
Hinsichtlich der Anzahl der Verurteilungen wegen
Vergehens gegen das Opiumgesetz sind zur Ergän- des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Bayerl
zung der Antwort der Bundesregierung vom 28. März vom 6. November 1970 auf die Mündlichen Fragen
1968 (Drucksache V/2789) auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Hein (Salzgitter-Lebenstedt)
betr. Status, Beurteilung und Maßnahmen auf dem (CDU/CSU) (Drucksache V/1339 Fragen A 36 und 37) :
Sektor Rauschgifte und Drogen im Gebiet der Bun- Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die Bemühungen
des niedersächsischen Justizministers Schäfer zu unterbinden,
desrepublik Deutschland vom Statistischen Bundes- die Zentrale Erfassungsstelle der Westdeutschen Länderjustiz-
amt fernmündlich folgende Angaben mitgeteilt wor- verwaltungen zur Registrierung von Gewalt und Willkürakten
an der Zonengrenze und in der DDR, die ihren Sitz in Salzgitter
den: hat, aufzulösen?
Ist die Bundesregierung mit mir der Auffassung, daß ein
In den Jahren 1966 bis 1968 sind in der Bundes- solches Vorgehen gegen den Geist und den Inhalt der Euro-
päischen Konvention der Menschenrechte, die von der Bundes-
republik Deutschland wegen Vergehens gegen das republik Deutschland ratifiziert ist, verstößt?
Opiumgesetz rechtskräftig verurteilt worden:
Der Justizminister des Landes Niedersachsen hat
Verurteilte davon Ausländer gelegentlich der Justizministerkonferenz vom 28.
Jahr
insgesamt oder Staatenlose bis 30. Oktober 1970 in Hannover die Frage der
1966 138 59 weiteren Arbeit und Organisation der Zertralen
Erfassungsstelle der Landesjustizverwaltungen in
1967 176 80 Salzgitter aufgeworfen. Die Frage ist eingehend
1968 304 99 erörtert worden. Die Justiminister der Länder haben
nach Abstimmung mit dem Bundesminister der
Für das Jahr 1969 liegen noch keine Ergebnisse Justiz wie folgt Stellung genommen:
vor.
Nach Unterrichtung durch Herrn Justizminister
Bei der Systematik der Strafverfolgungsstatistik, Schäfer über die Zentrale Erfassungsstelle der
der diese Zahlen entnommen sind, läßt sich aller- Landesjustizverwaltungen in Salzgitter sehen
dings die tatsächliche Zahl der Verurteilungen we- die Justizminister keinen Anlaß, ihre früheren
gen Vergehens gegen das Opiumgesetz nicht ermit- Beschlüsse über die Einrichtung und Tätigkeit
teln. Wegen der geringeren Strafandrohung nach dieser Erfassungsstelle abzuändern.
dem Opiumgesetz ist davon auszugehen, daß eine
in Tateinheit oder Tatmehrheit mit einem Straf- Ich habe dem nichts hinzuzufügen.
gesetz mit höherer Strafandrohung ausgesprochenen Die Bundesregierung steht uneingeschränkt hinter
Verurteilung in der Strafverfolgungsstatistik nicht der Europäischen Konvention zum Schutz der Men-
als Rauschmittelvergehen erscheint. Hierauf ist be- schenrechte und Grundfreiheiten. Mit Ihrer Frage
reits bei der vorgenannten Antwort der Bundes- sprechen Sie aber das Problem an, welche Behörde
regierung vom 28. März 1968 hingewiesen worden. in der Bundesrepublik Deutschland für die Straf-
verfolgung von Gewalt- und Willkürakten an der
Zonengrenze und in der DDR zuständig ist. Dieses
ist eine Frage der Organisation und der zweck-
mäßigen Zuständigkeitsregelung, die nach Auffas-
sung der Bundesregierung außerhalb des Rahmens
der Europäischen Konvention zum Schutz der Men-
Anlage 11 schenrechte und der Grundfreiheiten liegt.
Schriftliche Antwort

des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Bayerl


vom 6. November 1970 auf die Mündliche Frage Anlage 13
des Abgeordneten Weigl (CDU/CSU) (Drucksache
VI/1339 Frage A 35) : Schriftliche Antwort
Trifft die im Informationsdienst „R + S Information — Bonner
Politischer Dienst" am 21. Juli 1970 veröffentlichte Unterstellung
zu, daß von der jetzigen Bundesregierung kein verstärkter des Parlamentarischen Staatssekretärs Rosenthal
Kampf gegen die zunehmende sexuelle Verwilderung in ver-
schiedenen Publikationsorganen zu erwarten sei, da eines der vom 6. November 1970 auf die Mündliche Frage des
übelsten pornographischen Produkte, „Die St. Pauli-Nachrichten",
in einer Firma hergestellt werde, die zur Sozialdemokratischen
Abgeordneten Härzschel (CDU/CSU) (Drucksache
Konzentrations-GmbH gehöre? VI/1339 Frage A 59) :
Hält die Bundesregierung die Erhöhung der Einschaltpreise
Nein, Herr Kollege, die Unterstellung, von der für Werbespots im 2. Deutschen Fernsehen und bei fünf Werbe-
gesellschaften von ARD-Rundfunkanstalten in der Höhe zwischen
die Sie sprechen, ist böswillig und trifft nicht zu. 10 und 35 % für gerechtfertigt?
4454 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Ihre Frage ist identisch mit dem zweiten Teil Ihrer Anlage 15
Frage, die wegen Ihrer Abwesenheit in der Frage-
stunde am 15. Oktober 1970 bereits schiftlich von Schriftliche Antwort
Staatssekretär Schöllhorn beantwortet wurde, denn
des Parlamentarischen Staatssekretärs Dorn vom
zwischen „gerechtfertigt" oder „wie beurteilt" ist
11. November 1970 auf die Mündliche Frage des
ein geringer Unterschied. In jedem Fall hat jedoch
Abgeordneten Weigl (CDU/CSU) (Drucksache VI/1386
Herr Schöllhorn in dem zweiten Teil . seiner Ant-
FrageA6):
wort, die ich Ihnen noch einmal zuschicke, Ihre
Wie bewertet die Bundesregierung die Mitarbeit des „Reichs-
Frage beantwortet. bund" an den Vorbereitungsarbeiten einer von der FER, der
kommunistisch gesteuerten Verfolgteninternationale, geplanten
Veranstaltung, die das Ziel hat, eine sogenannte europäische
Wenn Sie noch zusätzliche Fragen haben, werde Sicherheitskonferenz zu unterstützen?
ich gern versuchen, Ihnen diese auch außerhalb der
Fragestunde zu beantworten. Der Bundesregierung ist bekannt, daß der „Reichs-
- bund der Kriegs- und Zivilgeschädigten, Sozialrent-
ner und Hinterbliebenen" auf seiner 7. Bundesta-
gung am 1. bis 3. Oktober 1970 in Koblenz beschlos-
sen hat, die Kontakte zu den Widerstandskämpfer
Verbänden in Osteuropa zu verstärken. Im Rahmen
Anlage 14 dieser Bestrebungen haben Vertreter des „Reichs-
bundes" am 21./22. Oktober dieses Jahres in Belgrad
an einer u. a. von der „Fédération internationale des
Schriftliche Antwort
résistants (FIR)" geförderten Sitzung nationaler Ver-
bände ehemaliger Widerstandskämpfer teilgenom-
des Parlamentarischen Staatssekretärs Ravens vom men. Diese Tagung sollte Zeitpunkt, Ort und The-
11. November 1970 auf die Mündliche Frage des men eines europäischen Treffens ehemaliger Wider-
Abgeordneten Jung (FDP) (Drucksache VI/1386 Frage standskämpfer Europas vorbereiten, auf dem Fra-
A 1): gen eines „auf die Grundsätze der Vereinten Na-
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die im gemeinsamen tionen gegründeten Sicherheitssystems aller euro-
Erlaß des Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen
sowie des Bundesministers der Verteidigung an alle Ober- päischen Völker" erörtert werden sollen.
finanzdirektionen und Wehrbereichsverwaltungen (I B 4 -
56 71 02 - 2 - bzw. U II 5 - Az.: 45-30-01 v. 31. 10. 1969) erbe- Die Bundesregierung sieht keinen Anlaß, zu der
tene zweijährige periodische Begehung von Wohnsiedlungen in
vielen Fällen noch immer nicht durchgeführt ist, und wann wer- Mitwirkung des „Reichsbundes" bei dieser vorberei-
den die Begehungen voraussichtlich abgeschlossen sein? tenden Tagung eine wertende Stellungnahme abzu-
geben. Es gehört nicht zu ihren Befugnissen, demo-
Der Bundesregierung ist bekannt, daß die periodi- kratischen Organisationen wegen der Wahl ihrer
sche Begehung von Wohnsiedlungen der Bundes- Gesprächspartner Lob oder Tadel auszusprechen.
wehr bisher nicht in allen Standorten durchgeführt
ist. Bereits bei Herausgabe des gemeinsamen Erlas-
ses am 31. Oktober 1969 an die Oberfinanzdirek-
tionen und Wehrbereichsverwaltungen war erkenn-
bar, daß die in Betracht kommenden 503 Standorte
Anlage 16
der Bundeswehr im Hinblick auf den Personal- und
Zeitaufwand nicht in kurzer Zeit aufgesucht werden Schriftliche Antwort
können. Der Erlaß sieht daher auch vor, „möglichst"
alle 2 Jahre die Standorte zu begehen und „anste- des Parlamentarischen Staatssekretärs Dorn vom
hende" Probleme gemeinsam zu erörtern. Er emp- 11. November 1970 auf die Mündliche Frage des
fiehlt ferner, solche Standorte vorzuziehen, in de- Abgeordneten Dr. Hammans (CDU/CSU (Druck-
nen sich Schwierigkeiten, insbesondere im Verhält- sache VI/1386 Frage A 7) :
nis Vermieter/Mieter ergeben haben oder abzeich- Hält es die Bundesregierung trotz der Pressefreiheit, die auch
nen. ich bejahe, nicht für notwendig, Maßnahmen zu ergreifen, um
in Zukunft Berufsstände oder Einzelpersönlichkeiten, die mög-
licherweise Presseverleumdungen in besonderen Maßen ausge-
Da sich zu klärende Fragen auch in bereits be- setzt sind, gegenüber solchen Behauptungen zu schützen und
diese Presseorgane durch eine Änderung der betreffenden Be-
gangenen Standorten jederzeit erneut ergeben kön- stimmungen zu zwingen, auch eine wahrheitsgemäße Gegendar-
stellung mit der gleichen Placierung in ihrem Organ zu ver-
nen, ist ein Abschluß im Sinne einer Beendigung anlassen?
der Begehung nicht zu erwarten, zumal auch der ge-
meinsame Erlaß möglichst einen wiederholten Be- Ein Anspruch auf Gegendarstellung ist bereits in
such der Standorte vorsieht. Andererseits-liegt es den Landespressegesetzen gegeben. Er steht der
durchaus im Rahmen des Ermessens der Oberfinanz- „betroffenen Person oder Stelle" zu, soweit sie
direktionen und Wehrbereichsverwaltungen, solche durch eine „im Druckwerk aufgestellte Tatsachen-
Standorte, in denen erkennbar keine Probleme an- behauptung" betroffen ist.
stehen oder sich abzeichnen, in längeren als zwei- Unabhängig vom presserechtlichen Gegendarstel-
jährigen Zeiträumen aufzusuchen oder evtl. gar auf lungsanspruch gibt es zivilrechtliche Ansprüche,
eine Begehung zu verzichten. wenn jemand durch eine Presseveröffentlichung ge-
schädigt wird.
Auf Grund des gemeinsamen Erlasses haben die
Oberfinanzdirektionen und Wehrbereichsverwaltun- Wird Zugleich durch die Veröffentlichung eine
gen 87 Standorte aufgesucht, davon 10 mehrmals. Strafbestimmung verletzt, so tritt entweder nach
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970 4455

den allgemeinen Strafrechtsvorschriften oder nach den Quellen zu bekämpfen ist und daß alle Maß-
den Landespressegesetzen die Strafverfolgung ein. nahmen getroffen werden müssen, um die Luft so
In diesem Rahmen kennt das Strafrecht einen be- rein wie möglich zu halten. Insbesondere gilt dies
sonderen Ehrenschutz für den Bundespräsidenten, für die Entgiftung der Abgase aus Kraftfahrzeugen.
für Verfassungsorgane in Bund und Ländern und In der Bundesrepublik und den anderen Mitglied-
ihre Mitglieder sowie für Personen, die im politi- staaten der Europäischen Gemeinschaften sind Vor-
schen Leben stehen. schriften erlassen worden, durch die der Auswurf
von Kohlenmonoxid und Kohlenwasserstoffen ver-
Durch dieses System ineinandergreifender Rechts-
mindert wird (Anlage XI, XII, XIII und XIV der
vorschriften wird bereits heute ein weitgehender
Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung). Ein Gesetz
Rechtsschutz erreicht.
zur Verminderung der Bleizusätze der Kraftstoffe ist
Bei den Vorarbeiten für den Entwurf eines Presse- in Vorbereitung.
rechtsrahmengesetzes des Bundes wird jedoch in
Die Bundesregierung wird alle Anstrengungen
meinem Hause zur Zeit geprüft, wie der Rechts-
unternehmen, um die dort festgelegten Grenzwerte
schutz in Übereinstimmung mit dem Grundrecht der
weiter zu senken.
freien Meinungsäußerung und der Pressefreiheit im
Bereich des Gegendarstellungsanspruchs und bei Der BMBW wird dieses Problem der Ständigen
der Sorgfaltspflicht der Presse verstärkt werden Konferenz der Kultusminister der Länder in einem
kann. Brief unterbreiten. Über das Ergebnis wird er Sie
schriftlich unterrichten.

Anlage 17
Anlage 18
Schriftliche Antwort
Schriftliche Antwort
des Parlamentarischen Staatssekretärs Dorn vom
11. November 1970 auf die Mündlichen Fragen des des Parlamentarischen Staatssekretärs Logemann
Abgeordneten Zebisch (SPD) (Drucksache VI/1386 vom 10. November 1970 auf die Mündliche Frage
Fragen A 21 und 22) : des Abgeordneten Helms (FDP) (Drucksache VI/1386
Hat die Bundesregierung oder haben andere Stellen in der Frage A 48) :
Bundesrepublik Deutschland die Abgasdichte auf den Schul-
wegen unserer Kinder in den Städten untersucht, und wie sind Welches sind nach Auffassung der Bundesregierung die Gründe
die Untersuchungsergebnisse ausgefallen? dafür, angesichts eines inländischen Überangebotes die Speise-
kartoffeleinfuhren z. B. aus Griechenland mengen- und wert-
Wird die Bundesregierung mit den Ländern dahin gehend Ver- mäßig freizugeben (Bundesanzeiger Nr. 193 vom 16. Oktober
bindung aufnehmen, daß der Schulanfang auf Zeiten verschoben 1970, Ausschreibung 242199)?
wird, die außerhalb der größten Verkehrsdichte liegen, damit
die Schulkinder weder den Gefahren des Straßenverkehrs noch
den Gefährdungen durch hohe Abgaskonzentrationen in den Der augenblickliche Preisdruck auf den norddeut-
Straßen ausgesetzt sind? schen Speisekartoffelmärkten wird nicht durch Dritt-
landeinfuhren verursacht.
Der Bundesregierung sind keine speziellen Un-
tersuchungsergebnisse bezüglich der Abgasdichte 1. Die Einfuhren aus Drittländern sind nicht liberali-
auf Schulwegen bekannt. Die Belastung der Luft mit siert. Vielmehr bestehen nur begrenzte und han-
Luftverunreinigungen auf Schulwegen kann nur mit delsvertraglich festgelegte Einfuhrkontingente,
Hilfe von Analogiebetrachtungen aus den Ergeb- und zwar über 70 000 t aus Polen und bis zu
nissen anderer Messungen hergestellt werden. 2000 t aus der Tschechoslowakei. Beide Kontin-
gente sind ausschließlich für die Versorgung
Der morgendliche Schulanfang fällt im allgemei-
West-Berlins bestimmt und wurden bisher zu-
nen mit dem Maximum der Verkehrsdichte und da-
meist nicht ausgenutzt. Nur in Ausnahmejahren
mit mit einer Höchstbelastung durch Abgase von
wurden begrenzte Partien dieser Kontingente
Kraftfahrzeugen zusammen. Man kann davon aus-
von der heimischen Veredelungsindustrie über-
gehen, daß unsere Kinder auf den Schulwegen
nommen, wenn diese sich mit dem benötigten
maximal bis zu 30 Minuten den Einwirkungen von
Spezialrohstoff im Inland nicht ausreichend ver-
Kraftfahrzeugabgasen ausgesetzt sind. Unter un-
sorgen konnte.
günstigen meteorologischen Verhältnissen ist über
einen Zeitraum von 30 Minuten der Hauptverkehrs- 2. Alle übrigen Speisekartoffeleinfuhren kommen
zeit in den Zentren der Großstädte eine Konzen- aus den EWG-Mitgliedstaaten; diese Einfuhren
tration von 25 ppm (parts per million) Kohlenmono- sind vertragsgemäß liberalisiert.
xid festgestellt worden.
Die Ausschreibung von Einfuhrmöglichkeiten für
Die kurzfristigen Einwirkungen von 25 ppm Koh- Speisekartoffeln aus Griechenland entspricht Ar-
lenmonoxid über einen Zeitraum von 30 Minuten tikel 37 des Abkommens zur Gründung einer
erscheinen nach den vorliegenden Forschungsergeb- Assoziation zwischen der Europäischen Wirt-
nissen noch unbedenklich. Es darf jedoch nicht über- schaftsgemeinschaft und Griechenland, wonach
sehen werden, daß in den Verdichtungsgebieten die die Vertragsparteien die allgemeinen Vorschrif-
Luft nicht nur durch Kohlenmonoxid verunreinigt ten zur Beseitigung von Einfuhrkontingenten so-
ist. Die Bundesregierung ist deshalb der Ansicht, wie von Abgaben und Maßnahmen gleicher Wir-
daß grundsätzlich die Verunreinigung der Luft an kung anzuwenden haben.
4456 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 78. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 11. November 1970

Die gesamte Speisekartoffelernte Griechenlands dersachsen und Schleswig-Holstein 1,07 Millio-


erreichte 1969 nur 220 000 t; sie gestattet keine nen t mehr als im Vorjahr). Da das Angebot in
nennenswerten Ausfuhren. Süddeutschland trotz unterdurchschnittlicher
Ernte für die dortige Nachfrage ausreicht, sind
3. Der Preis in der EWG wird von Angebot und übergebietliche Absatzmöglichkeiten für nord-
Nachfrage bestimmt. Die gesamte EWG-Kartof- deutsche Ware beschränkt. Hinzu kommt, daß die
felernte ist in diesem Jahr nicht größer als im norddeutschen Kartoffelsorten zum Teil nicht der
Vorjahr. Geschmacksrichtung anderer Absatzregionen ent-
sprechen und im Gegensatz zu Süddeutschand
Obgleich auch die deutsche Kartoffelernte 1970
ausreichende Verarbeitungs- und Veredlungs-
mit 16,25 Millionen t nur um 1,7% über der von
kapazitäten fehlen.
1969 liegt, bleiben die diesjährigen Erzeuger-
erlöse erheblich hinter denen des Vorjahres zu- Der Angebotsdruck in Norddeutschand beein-
rück. Hauptursache ist eine größere Produktions- trächtigt leider die Preisentwicklung im gesam-
ausweitung in Norddeutschland (allein in Nie- ten Bundesgebiet.

Das könnte Ihnen auch gefallen