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D eutscher Bundestag

54. Sitzung

Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970

Inhalt:

Anteilnahme des Bundestages an den Na- Ollesch (FDP) 2791 D


turkatastrophen in Peru und Rumänien 2749 A
Stahlberg (CDU/CSU) 2794 A
Pawelczyk (SPD) 2796 A
Regelung für die Einreichung von Fragen
während der Parlamentsferien . . . 2749 B Damm (CDU/CSU) 2799 A
Schmidt (Würgendorf) (SPD) . . 2803 B
Amtliche Mitteilungen 2749 C Dr. Wörner (CDU/CSU) 2811 A

Beratung des Weißbuchs 1970 zur Sicher- Schriftlicher Bericht des Verteidigungsaus-
heit der Bundesrepublik Deutschland und schusses über den Jahresbericht 1969
zur Lage der Bundeswehr (Drucksache des Wehrbeauftragten des Bundestages
VI/765) 2750 A (Drucksachen VI/453, VI/800)
Schmidt, Bundesminister . 2750 A, 2806 C Ernesti (CDU/CSU) 2813 D
Dr. Zimmermann (CDU/CSU) . . 2762 A Horn (SPD) . . . . . . . . 2814 A
Buchstaller (SPD) 2767 A Jung (FDP) 2814 C
Jung (FDP) 2772 C
Nächste Sitzung 2815 C
Brandt, Bundeskanzler 2778 A
Dr. Klepsch (CDU/CSU) 2780 D Anlage
Wienand (SPD) 2786 D Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 2817 A
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2749

54. Sitzung

Bonn, den 2. Juni 1970

Stenographischer Bericht Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden


ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht
aufgenommen:
Beginn: 14.00 Uhr
Der Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fern-
meldewesen hat am 27. Mai 1970 die Kleine Anfrage der Abge-
ordneten Hirsch, Dichgans, Mertes und Genossen betr. Motor-
Präsident von Hassel: Meine Damen und Her- bootführerschein für die Binnenwasserstraßen - Drucksache
VI 774 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/866
ren, die Sitzung ist eröffnet. verteilt.

In den vergangenen Tagen haben sich zwei Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am
29. Mai 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Metzger,
schwere Naturkatastrophen ereignet. Dr. Dr. h. c. Bechert (Gau-Algesheim), Corterier Dr. Geßner,
Heyen, Matthöter, Dr. Müller (München), Pawelczyk, Säckl,
Schollmeyer, Seefeld, Wrede, Würtz, Bäuerle, Wuttke betr.
(Die Anwesenden erheben sich.) Verstoß gegen Artikel 12 CG — Drucksache VI 561 — beant-
wortet. Sein Schreiben ist els Drucksache VI 867 verteilt.
Am letzten Sonntag verloren bei einem Erdbeben Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am 29. Mai
im Norden Perus Tausende von Menschen ihr 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Burger, Maucher,
Muller (Remscheid), Dr. Götz, Geisenhofer, Franke (Osnabrück)
Leben. Hunderttausende wurden obdachlos. Der und Genossen betr. orthopädische Versorgung — Drucksache
Umfang der Katastrophe und das Ausmaß der Schä- VI/540-beantwor.Sich stalDrukeVI86
verteilt.
den sind zur Stunde nicht abzusehen. Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am
29. Mai 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Hussing,
Gleichzeitig bangen noch immer zahllose Opfer in Wissebach, Mutter (Remscheid), Morse l, (Soltau-Harburg), Zinn
und Genossen betr. Arbeitsschutzverordnung für Winterbau-
den von einer Flutkatastrophe heimgesuchten Ge- stellen vom August 1968 - Drucksache VI 541 — beantwortet.
bieten Südosteuropas und vor allem Rumäniens um Sein Schreiben wird als Drucksache VI 876 verteilt.
ihre Habe und um ihre Existenz. Die Flut forderte Der Bundesminister cl ot Verteidigung hat am 1. Juni 1970 die
Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Klepsch, Dr. Marx (Kai-
das Leben von mehreren hundert Menschen. serslautern), Dr. Zimmermann, Dr. Kliesing, Dr. Abelein, Damm
und Genossen und der Fraktion der CDU CSU betr. militärisches
Der Deutsche Bundestag spricht den Regierungen Kräfteverhältnis zwischen Ost und West in Mitteleuropa und
gleichwertiger Truppenabbau — Drucksache VI 696 - beant-
und der Bevölkerung der betreffenden Länder seine wortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI 878 verteilt.
tiefempfundene Anteilnahme aus. Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß
des Bundestages vorn 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen
überwiesen:
Ich gebe zunächst folgendes bekannt. Der Älte-
stenrat empfiehlt, für die Einreichung von Fragen LWG-Vorlagen
Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG)
während der Sommerpause abweichend von der Nr. 1230/69 über die Anwendung von Ausgleichsbeträgen
Geschäftsordnung folgende Regelung zu treffen: beim Handel mit bestimmten unter die Verordnung (EWG)
Nr. 1059 fallenden Waren
Jedes Mitglied des Hauses ist berechtigt, in den - Drucksache V1/814 —

Monaten Juli und August 1970 je vier Fragen ein- überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und
Forsten mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor
zureichen. Die Fragen für den Monat Juli müssen der endgültigen Beschlußfassung im Rat
spätestens bis Freitag, den 31. Juli, 15 Uhr, die Verordnung des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG)
Nr. 2610/69 des Rates vom 15. Dezember 1969 über die Er-
Fragen für August bis Montag, den 31. August, öffnung, Aufteilung und Verwaltung der Gemeinschaftszoll-
15 Uhr, im Parlamentssekretariat eingehen. Fragen, kontingente für auf Handwebstühlen hergestellte Gewebe
aus Seide oder Schappeseide oder aus Baumwolle der Tarif-
die in den Monaten Juli und August eingereicht nummer ex 50.09 und ex 55.09 des gemeinsamen Zolltarifs
werden, werden von der Bundesregierung schriftlich (1970)
— Drucksache VI/815
beantwortet.
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte uni
Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschluß-
Fragen, die im September gestellt werden, wer- fasungimRt
den gemäß den Richtlinien für die Fragestunde be- Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften
antwortet. Sperrfrist für die Einreichung von Fra- der Mitgliedstaaten über die Abfüllung und den Handel mit
natürlichen Mineralwässern
gen für die Fragestunden der ersten Plenarsitzun- Drucksache VI/816 —
gen nach der Sommerpause ist gemäß Nr. 9 der überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft mit der Bitte um
Richtlinien für die Fragestunde Freitag, der 11. Sep- Vorlage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschluß-
fassung im Rat
tember, 15 Uhr.
Verordnung des Rates zur Festlegung der Grundregeln für
die Gewährung der Erstattungen bei der Ausfuhr von Wein
Ich frage, ob das Haus mit dieser Regelung ein- und der Kriterien für die Festsetzung des Erstattungsbetrages
verstanden ist. — Widerspruch erhebt sich nicht; es Verordnung des Rates betreffend den Zusatz von Alkohol
zu den zum Weinsektor gehörenden Erzeugnissen mit Ur-
ist so beschlossen. sprung in der Gemeinschaft
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Präsident von Hassel


Verordnung des Rates über die Regeln zur Einrichtung einer — Ja, auf der Seite der FDP sehe ich durchaus die
Klassifizierung der Rebsorten
— Drucksache VI 817 — Kollegen sitzen, die sich öffentlich mit diesen The-
überwiesen an den Ausschuß für Ernährung, Landwirtschaft und men auseinandersetzen; die sind vollzählig.
Forsten (federführend), Ausschuß für Jugend, Familie und Ge-
sundheit mit der Bitte um Vorlage des Berichts rechtzeitig vor (Lachen bei der CDU/CSU.)
der endgültigen Beschlußfassung im Rat
— Da gibt es gar nichts zu lachen. Ich finde es unge-
Wir treten nunmehr in Punkt 1 der Tagesordnung hörig, wenn Herr Kiesinger draußen über die Sicher-
ein: heitspolitik dieser Bundesregierung unverantwort-
Beratung des Weißbuchs 1970 zur Sicherheit liches Zeug redet und sich hier nicht zur Debatte
der Bundesrepublik Deutschland und zur Lage stellt!
der Bundeswehr (Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg.
— Drucksache VI/765 — Dr. Klepsch: Aber der Bundeskanzler ist
doch auch nicht da!)
Das Wort dazu hat der Herr Bundesminister der Ver-
teidigung. Ich komme darauf zurück.
(Abg. Dr. Klepsch: Wo ist denn Herr
Schmidt, Bundesminister der Verteidigung: Herr Brandt?)
Präsident! Meine Damen und Herren! Das Weißbuch, — Für den Bundeskanzler spreche im Augenblick
von dem eben der Herr Präsident sprach und das ich als das zuständige Mitglied der Bundesregierung!
ich für die Bundesregierung heute hier im Hohen (Beifall bei der SPD. — Abg. van Delden:
Hause einbringe, ist das Ergebnis jener Kritischen Herr Schmidt, vertreten Sie auch den
Bestandsaufnahme, die der Bundeskanzler in der Außenminister? — Weitere Zurufe.)
Regierungserklärung vom 28. Oktober angekündigt
— Der Außenminister und ich sind gleicher Mei-
hatte — das Ergebnis einer Selbsterforschung der
nung.
Bundeswehr, wie es sie in einer solchen Form und
(Lachen bei der CDU/CSU.)
auch in einer solchen Intensität bisher nicht gegeben
hat. — Aber ja! Lieber Herr van Delden, der Abschnitt
Zugleich stellt dieses Weißbuch das sicherheits- oder das Kapitel zur Sicherheitspolitik ist ein sehr
politische Programm der Bundesregierung für die umfangreiches Kapitel, das das Auswärtige Amt
nächsten Jahre dar. Das Kabinett hat dieses Weiß- und das Verteidigungsministerium gemeinsam erar-
buch einstimmig gebilligt, und es hat mit diesem beitet haben, das der Sicherheitsausschuß des Kabi-
Votum das, was im Weißbuch steht, zu der für die netts, der Bundessicherheitsrat, debattiert, verän-
Regierung verbindlichen Definition der Einsichten dert und das die Bundesregierung anschließend ge-
und der Absichten der Bundesregierung gemacht. meinsam gebilligt hat. Hier gibt es überhaupt nichts
hineinzugeheimnissen! Der Unterschied zwischen
Was die ungefähr 120 konkreten Entschlüsse an- der Bundesregierung und Ihrer Fraktion besteht
geht, die in diesem Weißbuch inkorporiert sind, so darin, daß die Bundesregierung in diesen Dingen
bitte ich jedermann, davon auszugehen, daß wir un- eine abgestimmte, durch Beschluß festgestellte ein-
verzüglich und zielstrebig an ihre Verwirklichung heitliche Meinung hat und daß auf Ihrer Seite die
gehen werden. Es handelt sich um drei verschiedene verschiedensten Herren das verschiedenste Zeug
Kategorien, wenn ich sie einmal prozedural beurtei- öffentlich schreiben und reden!
len soll, zum einen um Gesetzesnovellen, zu denen (Beifall bei den Regierungsparteien. —
der Deutsche Bundestag sein Wort und sein Votum Zuruf von der CDU/CSU: „Zeug"? — Wei
abzugeben haben wird, zum anderen um Erlasse und tere Zurufe.)
Verordunngen, die die Bundesregierung treffen
kann, und zum dritten um Maßnahmen, die das Ver- Ich will meine Verantwortlichkeit für das, was in
teidigungsministerium im eigenen Zuständigkeits- diesem Buch steht, meine Herren von der CDU/
bereich anordnen wird. CSU, nicht nur formal sehen; vielmehr identifiziere
ich mich persönlich mit der Gesamtdarstellung wie
Ich bin dankbar für die Gelegenheit, heute auf mit den in diesem Regierungsdokument enthaltenen
einige der wesentlichen Resultate der Kritischen Entscheidungen, an deren Ausarbeitung ich, wie
Bestandsaufnahme nochmals hinweisen und die eben skizziert, von Anfang an ständig und unmittel-
Schwerpunkte dieses Programms skizzieren zu kön- bar und auch richtunggebend beteiligt gewesen bin.
nen. Ich setze das Interesse bei denjenigen Mitglie- Wenn Sie so wollen, trägt es nicht nur meine Unter-
dern des Hauses voraus, die anwesend sind. Es gibt schrift, sondern auch inhaltlich meine Handschrift.
eine Reihe von Mitgliedern, die zwar öffentlich
über Sicherheitspolitik reden, aber nicht anwesend Aber ich will damit nicht sagen, daß ich dieses
-
sind — wenn ich besonders die rechte Seite des Weißbuch schon in allen Teilen für der Weisheit
Hauses betrachte. letzten Schluß hielte. Es ist für niemanden auszu-
schließen, daß wir durch längeres Nachdenken noch
(Zuruf von der CDU/CSU: Sie meinen die
klüger würden. Ich bekenne z. B. für meinen Teil,
FDP?)
daß mir etwa die dort vorgeschlagene Wehrsold-
— Nein, ich meine Herrn Dr. Kiesinger zum Bei- erhöhung in der geplanten Staffelung heute schon
spiel; ich komme auf ihn zurück; den meine ich. fragwürdig vorkommen will, wenn ich mir die dort
(Zuruf von der CDU/CSU: Würden Sie enthaltenen Sätze ansehe.
freundlicherweise Ihre Blicke noch etwas (Zuruf von der CDU/CSU: Schon etwas von
weiter nach rechts richten?) uns gelernt!)
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Bundesminister Schmidt
Diese persönliche Identifizierung mit dem Weiß- Wir wissen, daß dem Atlantischen Bündnis 21
buch soll auch etwas anderes nicht verdecken: den Jahre des Friedens in Europa zu danken sind, daß
Anteil, den die Bundeswehr und ihre Soldaten das Bündnis durch seine Funktionsfähigkeit die Be-
selbst am Entstehen und am Inhalt haben, nämlich drohungen gemindert hat und daß es auch heute und
mehrere tausend Soldaten und zivile Mitarbeiter, morgen das Unterpfand unserer Sicherheit und zu-
die sich fünf Monate lang an der Kritischen Be- gleich das unerläßliche Fundament unserer Entspan-
standsaufnahme beteiligt haben. Es hat in diesem nungspolitik sein muß. Dieses klare Bekenntnis im
Weißbuch nicht ein einzelner seine Meinung gesagt, Weißbuch sollte bei allen Gutwilligen alle Zweifel
nicht nur die Bundesregierung ihre Meinung gesagt, zerstreuen, die gelegentlich von Böswilligen hier in
sondern es drückt die Meinung meines Hauses die Welt gesetzt werden.
genau so aus, wie sie sich in langen Diskussionen Nun tut es mir leid, daß der Abgeordnete Kiesin-
herauskristallisiert hat — in vielen Konferenzen, ger immer noch nicht da ist. Ich muß seinetwegen
dazu zwei mehrtägigen Klausurtagungen und allein oder wegen derjenigen, die seine öffentlichen Ein-
vier Schlußredaktionssitzungen der Abteilungslei- lassungen gelesen haben sollten, an dieser Stelle
ter, der Inspekteure und des Generalinspekteurs.
Wenn ich das alles zusammenzähle, sind das mehr (Abg. Dr. Wörner: Auf welche Äußerungen
als hundert Stunden der Diskussion allein unter den beziehen Sie sich?)
militärischen und zivilen Leitungspersonen des Ver- — ich komme gleich darauf zurück — den vollen
teidigungsministeriums. Wortlaut des Punktes vorlesen, Herr Präsident, den
die Außen- und die Verteidigungsminister des Nord-
Die in diesem Dokument niedergelegten Gedan-
atlantischen Bündnisses in der letzten Woche in
ken sind also keineswegs etwa der Bundeswehr
bezug auf die Unterstützung unserer Entspannungs-
oktroyiert, sondern sie sind gemeinsam erarbeitet.
politik durch unsere Alliierten beschlossen haben.
Es ist keine Übertreibung, wenn ich sage, daß das
ich darf zitieren:
Weißbuch von den Gedanken der Truppe befruch-
tet, vom Sachverstand der militärischen und der Mit Unterstützung und Verständnis ihrer Ver-
zivilen Führungspersonen getragen und von einem bündeten hat die Bundesrepublik Deutschland
klaren politischen Willen geprägt ist. Es ist ein Gespräche mit der Sowjetunion, Polen und der
Gemeinschaftswerk der politischen Leitung, der DDR aufgenommen, um die Lage in Mittel-
militärischen Führung und der Spitzen der Verwal- europa zu verbessern. Die Bündnispartner er-
tung gleichermaßen. Dies dem Hohen Hause deut- achten dies als ermutigend. Sie geben der Hoff-
lich zu machen, daran liegt mir ganz besonders. nung Ausdruck, daß diese Gespräche zu Ergeb-
nissen führen und nicht durch unannehmbare
Wenn sich nun einer Ihrer Kollegen — ich sehe Forderungen beeinträchtigt werden. Die Bemü-
ihn hier und darf ihn deshalb mit Namen nennen —, hungen um die Lösung offener Probleme und
Herr Kollege Stahlberg, über dieses Kollegialprinzip um einen Modus vivendi in Deutschland, der
in einem Zeitungsaufsatz mokiert hat, wenn Sie gar den besonderen Verhältnissen der deutschen
kritisieren, Herr Stahlberg, daß wir während dieser Lage Rechnung tragen würde, stellen einen
Bestandsaufnahme viele Truppenbesuche für unum- wichtigen Beitrag zur Sicherheit und zur Zusam-
gänglich gehalten haben, so zeigen Sie damit, finde menarbeit in Europa dar. Die Minister sprechen
ich — erlauben Sie mir, daß ich nun auch meiner- die Hoffnung aus, daß alle Regierungen, die zu
seits mal ein bißchen spitz werde; Sie haben sich ja einer Politik der Entspannung in Europa beizu-
auch ausgelassen —, daß Sie ein bißchen zu lange, tragen wünschen, eine durch Verhandlungen zu
einen zu langen Zeitabschnitt Ihres Berufslebens im erzielende Regelung der Beziehungen zwischen
alten Bundesministerium der Verteidigung gear- den beiden Teilen Deutschlands und die Ent-
beitet haben. Ich denke nämlich, daß Information ein wicklung der Verbindungen der Bevölkerung
unverzichtbares Führungsmittel ist, daß Diskussion nach Kräften erleichtern.
unbedingt notwendig ist, wenn man informiert sein
will, und daß Diskussion und Kollegialität, was Sie Ich habe kein Wort hinzugefügt und kein Wort aus-
mir beides angekreidet haben, unverzichtbare Ele- gelassen. Ich habe mich für verpflichtet gehalten,
mente moderner innerer Führung sind. das zu zitieren, angesichts von Äußerungen, die Herr
Dr. Kiesinger am Sonntag bei Wahlveranstal-
(Beifall bei den Regierungsparteien. tungen im Saarland gemacht hat. Herr Kiesinger hat
Abg. Dr. Klepsch: Sehr billig!) unsere Bemühungen um Entspannung mit Worten
„Befehlsentgegennahme" und „Leichenschau" kriti-
Ich will zu dem Abschnitt über die Sicherheits- siert. Ich finde, dies ist schlechterdings unerträglich.
politik, der den ersten Hauptteil bildet, im Augen-
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
blick nicht allzuviel sagen. Die meisten von Ihnen
haben ihn gelesen, haben jedenfalls Ausschnitte ge- Ich darf noch hinzufügen — ich habe an der NATO-
lesen. Wir zeigen dort den weltpolitischen Hinter- Ratssitzung selbst teilgenommen —, daß sich so-
grund, die sicherheitspolitischen Kriterien unserer wohl in der öffentlichen Eröffnungssitzung vor vie-
Politik in einer Weise, von der ich annehme, daß sie lerlei Publikum in Rom als auch in den internen
in diesem Hause weithin auf Zustimmung trifft. Ich und natürlich hinter verschlossenen Türen vor sich
möchte nachdrücklich das Bekenntnis zum Atlanti- gehenden Beratungen des höchsten Organs des ge-
schen Bündnis unterstreichen, das diesen Teil des meinsamen Bündnisses die Vertreter der anderen,
Weißbuchs bestimmt. uns verbündeten Regierungen ohne Rückhalt, ohne
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Bundesminister Schmidt
Einschränkung und ohne Zweifel etwa zwischen den durch den Minister, Zwischenfragen gemäß unserer
Zeilen positiv in dem Sinne geäußert haben, der Geschäftsordnung nicht zugelassen werden dürfen.
dann schließlich zu der eben verlesenen Ziffer Wenn die Aussprache eröffnet ist, können Zwischen-
führte, ohne daß dazu eine einzige Widerrede oder fragen gestellt werden.
irgendeine Diskussion notwendig war — im Ge-
gensatz zu manchen anderen Punkten, die nichts
mit der deutschen Ostpolitik zu tun haben, wo es
Schmidt, Bundesminister der Verteidigung: Herr
Klepsch, wir müssen uns beide fügen.
allerdings darauf ankam, sich in einem langwierigen
Prozeß auf gemeinsame Formeln zu einigen. Es (Abg. Dr. Klepsch: Es handelt sich nur um
wäre gut, wenn der Abgeordnete Dr. Kiesinger in die Auszüge, Herr Minister.)
Zukunft aufhören würde, öffentlich zu behaupten,
es handele sich keineswegs um eine volle oder eine
Präsident von Hassel: Ich lasse Zwischenfra-
uneingeschränkte Unterstützung unserer Ostpolitik.
gen auch dann nicht zu, wenn Sie, Herr Bundes-
Wir wissen-ich wiederhole das —, daß es der minister, bereit sind, auf sie zu antworten. Das ist
zeit ohne die Atlantische Allianz keine Sicherheit erst in der Aussprache möglich.
gibt und, wie die Dinge heute liegen, ohne die
Allianz auch keinen Ausgleich mit dem Osten geben
kann; wir wissen, daß das Bündnis so lange fort- Schmidt, Bundesminister der Verteidigung: Ich
bestehen muß, bis vielleicht eines späteren Tages glaube, ich habe ohne Arg in fairer Weise zitiert;
europäische Sicherheit auch ohne Abstützung durch ich habe den ganzen Aufsatz bei mir. Mir kommt
militärische Allianzen möglich geworden sein es darauf an, Herr Dr. Klepsch, daß Sie erkennen,
könnte. daß diese Bundesregierung im Gegensatz zur Mei-
nung der Autoritäten, die Sie zitieren, ihren Wunsch
Es sollte, denke ich, den Fraktionen dieses Hauses nach beiderseitigen, nach ausgewogenen, nach
nicht schwerfallen, den tragenden sicherheitspoliti- gleichwertigen Rüstungsbeschränkungen aktiv ver-
schen Prinzipien beizupflichten, die hier entwickelt folgt, daß sie ihn im Weißbuch ausführlich vorgetra-
sind: dem Prinzip der Vorne-Verteidigung, das un- gen und bald darauf — einige Wochen nach dem
serem Volk die Gewißheit einer Verteidigung unse- Beschluß zum Weißbuch im Kabinett - in Rom
rer Grenzen und nicht irgendwelcher Flüsse, die dazu die Zustimmung unserer Bündnispartner ge-
weiter hinten liegen, gibt; dem Prinzip der inter- funden hat.
national gemischten Präsenz auf unserem Boden,
nach dem ein etwaiger Angreifer von Anfang an auf Ich kann mich gut erinnern, wie ich einmal vor
die Streitkräfte einer möglichst großen Zahl ver- beinahe zehn Jahren von dieser selben Stelle aus
schiedener Verbündeter stoßen würde; dem Prinzip über die beiderseitige, ausgewogene und gleich-
der militärischen Integration, das aus dein Bündnis wertige Reduzierung militärischer Kräfte in Europa
einen Verteidigungsorganismus von beträchtlicher gesprochen habe. Dort, wo Sie, Herr Dr. Klepsch,
Dichte und innerer Verwobenheit gemacht hat; dem jetzt sitzen, saß der damalige Bundeskanzler, der
Grundsatz der betonten Zurückhaltung in der Pla- sich auf seinen Abgeordnetensitz begeben hatte,
nung des Gebrauchs nuklearer Waffen durch die Dr. Adenauer. Ich weiß mich gut zu erinnern, wie
Allianz; sowie schließlich und insgesamt dem Prin- sorgfältig er zugehört hat, und ich weiß mich genau
zip der Erhaltung des Gleichgewichts. Hier, so so gut zu erinnern, daß anschließend nichts geschah.
scheint mir, sind Grundforderungen der deutschen Insofern ist es wirklich Geschichtsklitterung, wenn
Sicherheitspolitik formuliert, an denen keine Re- Sie sagen, wir setzten die Sicherheitspolitik Dr.
gierung, wie immer sie zusammengesetzt sein mag, Adenauers fort.
wird rütteln wollen. (Abg. Dr. Wörner: Würden Sie sich ein
Demgegenüber — und ich wende mich abermals mal gütigst des Studiums der Friedensnote
an einen, diesmal allerdings anwesenden, Kollegen der Regierung Erhard aus dem Jahre 1966
von der CDU; ich meine Herrn Dr. Klepsch — erinnern, in der eben das vorgeschlagen
wurde!)
es ist — erlauben Sie den Ausdruck — Geschichts-
klitterung, wenn Herr Dr. Klepsch schreibt, dieses — Lieber Herr Dr. Wörner, ich habe kein Hühnchen
Weißbuch fordere — ich zitiere seinen Wortlaut — mit Dr. Schröder zu rupfen. Ich wehre mich gegen
„eine kontinuierliche Fortsetzung der von Adenauer die Zitierweise, die mich als den Fortsetzer der
und Strauß eingeleiteten und geprägten, von Hassel Politik von Herrn Strauß darstellt. Dagegen habe
und Schröder weitergeführten Sicherheitspolitik". — ich mich gewehrt.
Ich darf Sie, Herr Dr. Klepsch, z. B. auf den Ab- (Lebhafter Beifall bei der SPD. — Zurufe
-

schnitt 12 des Weißbuchs verweisen, in dem von der CDU/CSU.)


von — —
Wir haben früher über denselben Komplex unter
(Abg. Dr. Klepsch: Gestatten Sie eine Zwi
der Überschrift „Zone beiderseitig begrenzter und
schenfrage?)
verminderter Rüstung in Mitteleuropa" gesprochen.
— Bitte sehr!
Heute ist der Sprachgebrauch etwas anders, aber im
Kern handelt es sich um dieselben Gedanken. Heute
Präsident von Hassel: Verzeihung, ich muß redet man von beiderseitiger ausgewogener Ver-
darauf aufmerksam machen, daß während der Ein- minderung militärischer Kräfte und bezieht das
bringung einer Vorlage, während der Begründung wiederum auf Mitteleuropa.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2753

Bundesminister Schmidt
Die Partner der Allianz und wir, die Bundesrepu- geben zu können, wenn jedermann versteht, daß es
blik, haben auf der NATO-Ratssitzung in Rom ge- sich hierbei um abgrundtiefe Ironie handelt.
meinsam angeboten — ich darf wohl zitieren, Herr (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.-Abg.
Präsident —: Dr. Klepsch: Sie stehen unter dem Schutz
Sofern als Ergebnis dieser Gespräche und in der Geschäftsordnung!)
den gegenwärtigen Gesprächen besonders über - Herr Klepsch, vielleicht lernen Sie daraus, daß
Deutschland und Berlin Fortschritte erzielt wer- die Sicherheit dieses Landes im Grunde zu wichtig
den, erklären die verbündeten Regierungen, ist, als daß sie mit billiger Polemik in der öffent-
daß sie bereit wären, mit allen interessierten lichen Debatte behandelt werden könnte.
Regierungen multilaterale Kontakte aufzuneh-
men. Eine der Hauptaufgaben solcher Kontakte (Lebhafter Beifall bei den Regierungspar
bestünde darin, zu erkunden, wann die Einberu- teien.-Abg. Dr. Klepsch: Wer hier klit
fung einer Konferenz oder einer Reihe von tert, das sind Sie! — Weitere Zurufe von
Konferenzen über die europäische Sicherheit der CDU/CSU.)
und Zusammenarbeit möglich wäre. Die Errich- Ich habe viele Monate lang keine einzige Gelegen-
tung eines ständigen Gremiums könnte als eine heit genommen, auf diese Art von Anzapfungen zu
von mehreren Möglichkeiten vorgesehen wer- antworten. Was habe ich alles lesen müssen, ange-
den, um zu gegebener Zeit multilaterale Ver- fangen vom „Bayernkurier" bis hin zu den eben
handlungen aufzunehmen. Zu den zu erkunden- zitierten Schritten und Reden! Aber irgendwann im
den Themen, die die Sicherheit und Zusammen- Laufe des parlamentarischen Prozesses kommt der
arbeit in Europa berühren, gehören insbeson- Augenblick, wo man zurückzahlen muß.
dere a) die Grundsätze, die für die Beziehun-
gen zwischen den Staaten maßgebend sein soll- (Beifall bei der SPD. — Zurufe von der
ten einschließlich des Gewaltverzichts. b) die CDU/CSU: Das werden wir auch tun!)
wicklung von internationalen Beziehun- Ent
Ich habe deswegen all die Monate geschwiegen,
gen ... Herr Klepsch, weil ich die sachliche Arbeit an der
Ich übergehe diesen Passus, der jetzt folgt, weil er Bestandsaufnahme der Bundeswehr und durch die
mit der Sicherheitspolitik nicht direkt im Zusam- Bundeswehr nicht durch Beteiligung an solcher
menhang steht. Es heißt dann weiter: Polemik gefährden wollte. Lassen Sie mich zu dieser
sachlichen Arbeit und ihren sachlichen Ergebnissen
Außerdem messen die Minister der Lander, die
jetzt einiges sagen.
sich am Verteidigungsprogramm der NATO
beteiligen, der weiteren Erkundung der Mög- Das bedeutendste Problem der Armee ist offen-
lichkeit einer beiderseitigen und ausgewogenen kundig das Personalproblem. Der Armee fehlen
Truppenverminderung mit anderen interessier- 26 000 Unteroffiziere, 3500 längerdienende Mann-
ten Parteien besondere Bedeutung bei und ha- schaften, ungefähr 2600 Zeitoffiziere. Dazu kommen
ben deshalb eine besondere Erklärung ver- die Sorgen, denen sich die in der Bundeswehr die-
öffentlicht. nenden Unteroffiziere und Offiziere gegenüber-
sehen, vor allem die etwa 3000 Hauptleute und Ka-
„Parteien" heißt hier „Staaten" - der Text, aus
pitänleutnante, die ihre Stabsoffizierprüfung bestan-
dein ich zitiert habe, ist eine Übersetzung aus dem
den haben, aber nicht zum Major oder zum Korvet-
Englischen —, und die Worte „der Länder, die sich
tenkapitän befördert werden können, weil es bis-
am Verteidigungsprogramm der NATO beteiligen"
her keine Stellen gibt. Es kann deshalb — nicht nur
sind eine freundliche Umschreibung dafür, daß ein
deswegen, auch wegen der dringenden Reformbe-
Land, nämlich dasjenige, das sich aus der militäri-
dürftigkeit der Bildungsgänge der Offiziere - nicht
schen Integration in der NATO zurückgezogen hat, verwundern, daß heute junge Leute zögern, Offizier
sich zwar an der Beratung dieses Textes sehr sorg-
zu werden, und daß es der Bundeswehr an Offiziers-
fältig beteiligt hat, nicht aber an der besonderen
anwärtern gegenwärtig etwas mangelt. Aus diesem
Erklärung, die hier angekündigt ist und die ja Mangel erklärt sich vielleicht auch, warum die Bun-
gleichfalls veröffentlicht wurde, beteiligt hat. deswehr mehr Stabsoffiziere als Leutnante hat.
Herr Klepsch, ich komme noch einmal auf Sie zu
Die Bundesregierung schlägt dem Bundestag in
sprechen. Ich denke nicht daran, Sie mit meinem
dem Weißbuch ein massives Sofortprogramm vor.
Amtsvorgänger oder mit Ihrer Gesamtfraktion zu
identifizieren. Wenn Sie aber einerseits im „Rheini- In! übrigen arbeiten wir derzeit an neuen Vorstel-
lungen von struktureller und quantitativer Personal- -
schen Merkur" die Behauptung aufstellen - ich
planung, daneben auch an Veränderungen für die
zitiere - „Schmidt treibt sicherheitspolitisch ein
qualitative Personalplanung; die quantitative be-
Vabanquespiel erster Ordnung"
zieht sich auf die Aufkommensplanung im allgemei-
(Abg. Dr. Klepsch : Richtig!-Lachen bei nen, die qualitative auf die Verwendung für den
der SPD) einzelnen Mann.
und andererseits in einer Verlautbarung Ihrer Eine Fülle von Maßnahmen, die eine größere
Pressestelle sagen - ich zitiere —: „Helmut Schmidt Durchsichtigkeit der Werdegänge ermöglichen soll,
hat sich als vernünftiger, abwägender Mann erwie- eine Neugestaltung des Laufbahnwesens, ein inten-
sen", so tut es mir leid, diese letztere Schmeichelei siver Ausbau des Berufsförderungswesens — das
dem Abgeordneten Klepsch höchstens dann zurück ist übrigens ein Gebiet, auf dem wir der Öffent-
2754 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970

Bundesminister Schmidt
lichkeit in diesem Weißbuch zeigen, was hier schon Hier kommt es auf eine sehr sorgfältige Verzahnung
alles von mehreren meiner Amtsvorgänger gelei- an. Alles, was man von dem lernen kann, das sich
stet worden ist — all das zusammen soll hier Ab- auf dem Gebiet des Bildungswesens in der Gesell-
hilfe schaffen. schaft tut, muß man prüfen. Diese Prüfung ist für
die Bundeswehr heute deswegen nicht leicht, weil
Der Deutsche Bundestag wird noch in diesem Jahr
sich bis heute noch nicht auf allen Gebieten der
Gelegenheit erhalten, sich mit diesbezüglichen Ge-
Reform des Bildungswesens sehr klare Linien abge-
setzesvorlagen der Bundesregierung zu beschäf-
zeichnet haben. Wir haben uns im Weißbuch zu
tigen. Wir möchten die heutige Debatte abwarten,
diesem Punkt auch deshalb zurückhalten müssen,
um unmittelbar anschließend an das Ausarbeiten,
weil wir noch nicht deutlich erkennen, wohin der
an das Niederschreiben der Gesetzentwürfe zu ge-
Gesamtkomplex Bildungsreform auf vielen Einzel-
hen. Sie werden sie nach den parlamentarischen
gebieten heute in der Gesamtgesellschaft zielt.
Sommerferien in Ihrem Posteingang finden.
Das vierte Problem, das Problem der Wehr-
Im Zusammenhang mit dem Personalkomplex steht gerechtigkeit, ist im Frühjahr in diesem Parlament
dann zweitens die große Zahl all derjenigen Pro- mehrfach behandelt worden. Die Bundesregierung
bleme, die sich aus den Mängeln in der Fürsorge legt das erste Mal von Amts wegen einen zusam-
ergeben. Ich meine jetzt Fürsorge im umfassend- menhängenden Plan vor, größere Wehrgerechtig-
sten Sinne, so wie man unter Soldaten von Fürsorge keit zu schaffen, als die bisherige Praxis sie ermög-
für die Truppe spricht; ich meine nicht nur Fürsorge licht hat. Wir wissen, daß es eine absolute Gerech-
im Sinne des sozialgesetzgeberischen Begriffsinhalts. tigkeit nirgendwo unter Menschen geben kann.
Gemessen an den Maßstäben, die sich sonst überall Aber wir wollen und wir müssen den wehrpflich-
in unserer Wohlstandsgesellschaft eingebürgert tigen jungen Leuten unseres Volkes, die ihren
haben, ist der Soldat in seinem sozialen Status an Wehrdienst leisten, zumindest die Gewißheit geben,
vielen Stellen beträchtlich zurückgeblieben, und daß wir uns um die größtmögliche Wehrgerechtig-
dies, obwohl er besonderen, in diesem Beruf spezi- keit von Staates wegen, von Parlaments wegen,
fischen Belastungen ausgesetzt ist, nämlich häufigen von Regierungs wegen bemühen.
Versetzungen, dienstlicher Überbeanspruchung, viel- Das muß durch eine weitgehende Gleichbehand-
fältigen Kommandierungen, unregelmäßigen Dienst- lung der wehrpflichtigen jungen Männer, durch
zeiten — Sonderbelastungen, wie sie in dieser einen Abbau der Wehrdienstausnahmen, der Wehr-
Addition für den einzelnen in kaum einer anderen dienstbefreiungen, und durch einen Härteausgleich
Berufsgruppe anzutreffen sind. Der soziale Status für die Dienenden erreicht werden. Sie finden dazu
der Soldaten ist vielfach den sachlichen Umständen, im Weißbuch eine Reihe von in Aussicht genomme-
unter denen sie arbeiten und leben müssen, nicht nen Schritten. Dazu gehören auch diejenigen, die
angemessen. Was wir etwa jungen ledigen Unter- verhindern sollen, daß Studienbewerbern zusätzlich
offizieren in der räumlichen Unterbringung zumu- zu dem 18monatigen Zeitverlust aus ihrem Wehr-
ten, ist angesichts des Lebensstandards, den sich dienst erhebliche weitere Nachteile erwachsen, etwa
ein gleichaltriger ziviler Arbeitnehmer leisten kann, durch Wartezeiten zwischen ihrer Entlassung aus
in meinen Augen nicht tragbar. Wir geben in die- der Bundeswehr und dem Beginn des Studienjahres
sem Weißbuch einige erschreckende Beispiele, die oder wegen neuer, während ihres Wehrdienstes
ich der Lektüre empfehle. zusätzlich eingeführter Zulassungsbeschränkungen.
Die Bundesregierung ist fest entschlossen, den Ich möchte hier ein deutliches Wort sagen. Eigent-
Sozialstaat endlich auch für den Soldaten zu einer lich ist es eine Wiederholung; ich habe schon ein-
spürbaren, erlebten Wirklichkeit werden zu lassen. mal eine andere kurze Debatte in diesem Frühjahr
Das Weißbuch enthält auf diesem Gebiet ein Sofort- dazu benutzen dürfen, die Tendenz dessen, was ich
programm, von dem ich hoffe, daß der Bundestag hier sagen will, zum Vortrag zu bringen. Ich hoffe,
ihm zustimmen wird. daß es durch die Wände dieses Hauses dringt und
von den Verantwortlichen der Länder, besonders in
Ich berühre im Zusammenhang mit dem Personal- den Kultusministerien, vernommen wird.
problem ein drittes Hauptproblem, das ist das Bil- Es ist eine erwiesene Tatsache, daß die Bundes-
dungswesen. Ich bin hier sehr freimütig und sage, wehr ohne Abiturienten nicht funktionieren könnte.
obgleich es in den bisherigen publizistischen Kriti- In den letzten Monaten ihres Wehrdienstes nehmen
ken durch Kollegen und durch Journalisten kaum wehrpflichtige Abiturienten vor allem im Heer
recht berührt worden ist, dennoch, daß auf diesem wichtige Unterführeraufgaben wahr. Ich möchte hin-
Felde nicht nur aus den eigengesetzlichen Notwen- zufügen dürfen, daß sie dies überwiegend in einer
digkeiten innerhalb der Armee einiges geändert guten und verläßlichen Weise tun. Wer das weiß,
werden muß, sondern insbesondere deshalb, weil wird an dem gängigen Bild von der ausschließlich
niemand von uns sehenden Auges zulassen könnte, „aufbegehrenden Jugend" eine, wie mir scheint,
daß bei dem großen Wandel, den das Bildungs- erhebliche Ergänzung vornehmen müssen. Diesen
wesen in der Gesamtgesellschaft gegenwärtig durch- jungen Männern die Steine auf dem Weg zum Stu-
macht — nicht nur in bezug auf die Bildungsgänge, dium fortzuräumen, wäre eine Aufgabe, der sich
sondern auch in bezug auf die Bildungsinhalte —, die Länderregierungen und die Universitäten mit
dies etwa ohne Auswirkung auf die Bildung in der mehr Eifer und Verständnis sollten widmen können,
Bundeswehr bleiben dürfte. als dies bis zum heutigen Tage der Fall gewesen ist.
(Beifall bei der SPD.) (Beifall.)
Deutscher Bundestag —6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2755
Bundesminister Schmidt
Am Rande nur ein kleines Beispiel: Ich halte es — Herr Wörner, ich sage das überall, wo es ge-
für ein Unding, daß es bisher nicht gelungen ist, boten ist.
mit den Kultusministern eine Abmachung zu tref- Ich darf den Gedanken noch ein wenig fortsetzen:
fen, nach der den dringend benötigten aktiven Sani- ebenso abwegig, ebenso diskriminierend und eben-
tätsoffizieren wenigstens 50 Studienplätze im Jahr so anmaßend gegenüber den Staatsbürgern in Uni-
— 50 für die ganze Bundesrepublik! — eingeräumt form wäre die Vorstellung, daß nur die Kriegsdienst-
werden. Ich halte das für unerträglich. verweigerer Friedensdienst leisteten.
(Abg. Damm: Das muß in das Hochschul (Sehr richtig!)
rahmengesetz!)
Ich möchte dieser Vorstellung mit aller Entschieden-
Ich appelliere von dieser Stelle aus an die Ver- heit entgegentreten.
antwortlichen in den Landesministerien und den (Beifall bei den Regierungsparteien und bei
Universitäten, dort Entgegenkommen zu zeigen, wo Abgeordneten der CDU/CSU.)
es darum geht, größere Wehrgerechtigkeit herzu-
stellen und wo dringende Maßnahmen dazu außer- Unsere 460 000 Soldaten leisten Friedensdienst oder
halb der Kompetenz des Bundes und insbesondere sind — wie das Zweite Vatikanische Konzil mit
außerhalb der Kompetenz des Bundesverteidigungs- Recht formuliert hat — Diener des Friedens. Wer
ministeriums liegen. das nicht begreifen kann, der hat eben nichts be-
griffen von den Kräften und den Konzepten, von
Im übrigen denken wir unter dem Aspekt der den politischen, den militärischen, den psychologi-
Gleichbehandlung und der Gerechtigkeit, daß es un- schen Mechanismen, die in unserem Teil der Erde in
erträglich ist, daß derzeit von 100 Wehrpflichtigen den letzten 20 Jahren den Frieden bewahrt haben
nur etwa 60 tatsächlich zum Wehrdienst oder zu und, wie wir hoffen, auch weiterhin zuverlässig
einem vergleichbaren Dienst eingezogen werden. bewahren werden.
Die Bundesregierung wird diese untragbaren Rela-
tionen dadurch verbessern, daß künftig bis zur Hälfte Natürlich wird eine Erhöhung der Wehrgerech-
derjenigen, die als „eingeschränkt tauglich" ge- tigkeit durch Verminderung der Ausnahmen für die
mustert werden, ihre Wehrpflicht ableisten müssen. Struktur der Bundeswehr Konsequenzen haben. Im
Durch modifizierte Grundausbildung und Verwen- Weißbuch erklärt die Bundesregierung, daß sie den
dung in bestimmten, festgelegten Funktionen ist dies Willen hat, den bisherigen organisatorischen Um-
ohne weiteres möglich. Wir haben nicht die Absicht, fang der Bundeswehr von 460 000 Mann beizubehal-
die medizinischen Kriterien in irgendeiner Weise zu ten; ebenso den Willen zur Beibehaltung der allge-
diesem Zweck zu ändern oder zu beeinflussen. Wir meinen Wehrpflicht. Aber sie gibt zu erkennen —
denken nur, daß jemand, der Plattfüße hat, in einer ich sagte das schon —, daß in Zukunft 50 Prozent
motorisierten Truppe durchaus vollgültig seinen der eingeschränkt Tauglichen zu bestimmten Funk-
Dienst tun kann. tionen eingezogen werden sollen. Das macht zwangs-
(Heiterkeit.) läufig, wenn man beides zusammennimmt, eine Ver-
kürzung der Dauer des Grundwehrdienstes nötig.
Zur Wehrgerechtigkeit gehört weiter, daß für die Überlegungen, die dazu im Weißbuch angestellt und
Kriegsdiensverweigerer der Ersatzdienst funktio- angedeutet sind, sollen von einer Kommission, die
niert. Mein Kollege Bundesminister Arendt ist da- die Bundesregierung in diesen Wochen einsetzen
bei, den Ersatzdienst so auszubauen, daß Wehr- wird, weiterverfolgt werden. Ich gehe davon aus,
dienstverweigerer in Zukunft keine größere stati- daß der Bundestag seine durch Gesetz zu treffende
stische Chance haben, an einer Dienstleistung vor- Entscheidung über diesen Vorschlag im Laufe des
beizukommen, als die restlichen 99 Prozent der späten Winters wird treffen können.
Wehrpflichtigen.
Natürlich geschieht dies keineswegs, ohne daß wir
Die Bundesregierung — das will ich an dieser in engster Konsultation mit unseren Verbündeten
Stelle sagen — achtet die Entscheidung eines jeden über dieses Problem stehen. Ich habe meine Kol-
jungen Mannes, der sich aus Gewissensgründen legen in den Vereinigten Staaten, in Frankreich,
weigert, Wehrdienst zu leisten. Die Bundesregierung in Großbritannien und Holland, die ich in dem kur-
hat jedoch einen ebenso hohen Respekt vor der zen halben Jahr meiner bisherigen Amtszeit habe
Gewissensentscheidung der übergroßen Mehrheit besuchen können, aber auch den NATO-Rat insge-
unserer jungen Männer, die 18 Monate lang ihre samt, von unseren vorläufigen Erwägungen, von der
Pflicht in der Bundeswehr erfüllen. Tendenz unserer Gedanken offen unterrichtet. Ich -
will hier hinzufügen, daß in einigen unserer euro-
(Beifall bei den Regierungsparteien und päischen Partnerländer, zumal in Frankreich, Hol-
bei Abgeordneten der CDU/CSU.) land und in anderen — aus der gleichen Notwendig-
Wir möchten darum bitten, daß jedermann sich hüte, keit, Gleichbehandlung, Gerechtigkeit zu erzielen —,
die jungen Männer je nach ihrem Gewissen in zwei ähnliche Erwägungen zum Teil nicht nur gepflogen
verschieden gut zu bewe rt ende Kategorien einzu- wurden, sondern auch schon in Gesetzgebungsbe-
teilen. schlüssen durch das Kabinett ihren Niederschlag ge-
(Erneuter Beifall bei den Regierungspar funden haben.
teien. — Abg. Dr. Wörner: Das sollten Sie Zu den Grundsätzen der Inneren Führung, zum
auch einigen Leuten in Ihrer Partei ins Be Konzept des Staatsbürgers in Uniform, finden Sie
wußtsein bringen!) in diesem Weißbuch sehr eindeutige Darlegungen.
2756 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970

Bundesminister Schmidt
Das Weißbuch versucht dem Leser nahezulegen, daß Ich sage: Diskussion ist ein Wesenselement demo-
Schluß gemacht werden muß mit der künstlichen kratischer Spielregeln.
Gegeneinanderstellung von Militär einerseits und (Zuruf von der CDU/CSU: Auch bei uns!)
ziviler Gesellschaft andererseits. Es ist niemandem
— Sicher, auch bei Ihnen. — Zur Diskussion gehört,
damit gedient, wenn hier immer wieder Kontraste
daß jedermann seinen Standpunkt erst einmal vor-
geschaffen werden, wo in Wahrheit keine sind oder
bringt; dann kann man darüber debattieren.
keine mehr sind. Daß Weißbuch formuliert unmiß-
verständlich; ich darf zitieren: (Abg. Damm: Er sollte aber tunlichst mit
dem Grundgesetz übereinstimmen!)
Die Bundeswehr ist ein Teil unserer pluralisti-
schen Gesellschaft. — Das würde auch ich denken.

Die Bundesregierung kann und will den gesell- Lassen Sie mich zur inneren Führung noch ein
schaftlichen Standort der Bundeswehr nicht de- anderes sagen. Das Grundgesetz hat das Leitbild
finieren. Jeder einzelne kann und muß sich sei- des Staatsbürgers in Uniform verbindlich gemacht.
nen Standort in der Gesellschaft selbst suchen Auch wenn das Wort „Staatsbürger in Uniform"
und schaffen. Es ist deshalb gut und richtig, daß im Grundgesetz nicht vorkommt, so sind doch alle
in der Bundeswehr diskutiert wird, und es ist Elemente dieses Konzepts darin verbindlich gemacht
natürlich, daß dabei auch gegensätzliche Posi- worden. Die Bundesregierung erklärt deshalb, daß
tionen bezogen werden. Die Diskussion, eine diese Grundsätze keine „Maske" sind, die man ab-
der fundamentalen Spielregeln einer demokra- legen könnte, sondern ein Wesenskern dieser Ar-
tischen Gesellschaft, wird von mir innerhalb der mee. Wer diesen Wesenskern ablehnt, taugt nach
Armee bewußt und energisch gefördert. Die der Vorstellung der Bundesregierung nicht zum
Bundesregierung erklärt dazu, daß Diskussion Vorgesetzten unserer Soldaten.
unter Soldaten und Gehorsam sich nicht aus- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
schließen, daß sie sich vielmehr ergänzen. Der
Wir sagen klipp und klar: Die demokratische Ge-
Gehorsam fällt der Jugend leichter, wenn sie
sellschaft schafft sich durch Gesetzgebung, durch
begreift, weshalb und warum sie gehorchen
Regierung, durch parlamentarische Kontrolle die ihr
soll.
gemäßen Streitkräfte und weist ihnen ihren Auftrag
Die Bundesregierung erklärt ebenso eindeutig, und zu. Es ist nicht etwa umgekehrt die Aufgabe der
ich möchte es hier wiederholen, daß es bei der Dis- Armee, den Staat oder die Gesellschaft zu gestalten
kussion allerdings eine einzige, unerläßliche Aus- oder umzugestalten. Am Prozeß und an der Reform
nahme gibt, nämlich der Gehorsam gegenüber dem der Gesellschaft können und sollen alle Staatsbür-
Grundgesetz, gegenüber der verfassungsmäßigen ger mitwirken, auch die Staatsbürger in Uniform.
Bundesregierung, gegenüber den Gesetzen, gegen- Nicht aber hat die Bundeswehr als Institution hier
über den Befehlen, die auf der Basis des Grundgeset- eine Aufgabe. Ebensowenig kann die Bundeswehr
zes gegeben werden. Dieser Gehorsam ist nicht dis- Sachwalterin eines bestimmten gültigen weltan-
kutierbar. schaulichen Konzepts oder eines allgemeingültigen
Geschichtsbildes sein, ganz abgesehen davon, daß
(Beifall bei den Regierungsparteien. — es kein einheitliches Bild geben kann.
Abg. Dr. Wörner: Das ist ja die Regel und
nicht die Ausnahme!) Für den Abgeordneten Dr. Kiesinger und no-
tabene auch für den Schriftsteller von Studnitz füge
— Herr Wörner, Sie werden das nicht als Polemik ich an dieser Stelle hinzu: Die Schule der Armee
gegen sich empfunden haben. ist die Nation
(Abg. Damm: Das ist gar keine Polemik, (Zuruf von der CDU/CSU: Ist die Gesell
sondern eine Klarstellung für Ihre Leute schaft!)
drüben!)
und nicht etwa umgekehrt.
— Ich bin dankbar, daß Sie, Herr Damm, den Unter- (Beifall bei den Regierungsparteien. —
schied — — Abg. Damm: Was heißt das? Erläutern Sie
(Abg. Damm: Ich habe die Saarbrückener das ein bißchen!)
Anträge alle gelesen! Schlimm war das teil
— Erläutern? Sie waren doch im vorigen Bundestag
weise, was da alles gefordert wurde!) hier, als der Abgeordnete Kiesinger, damals als
— Ja, auch ich würde zustimmen, daß manches in Bundeskanzler, von diesem Pult aus sprach und- uns
den Anträgen weiß Gott mein politischer Geschmack mit der überraschenden Weisheit beglückte, daß die
nicht war. Insofern würde auch ich zustimmen. Nur, Armee eine Schule der Nation sei.
lieber Herr Damm, was ist das für ein Unterschied
(Zurufe von der CDU/CSU: Eine Friedens
zwischen einer demokratischen Partei, in der tau-
schule! — Auch eine Schule! — Weitere
send Ortsvereine tausend Anträge einbringen, und
lebhafte Zurufe von der Mitte.)
einer anderen, in der durch Akklamation Reden zu-
gestimmt wird, die im Grunde den Kern der Sache — Ja, ich kann mich noch genau an die Interpre-
nicht treffen?! tationskunststücke erinnern, die er hinterher vier-
zehn Tage lang angestellt hat.
(Beifall bei der SPD. — Abg. Damm: Sie
sprechen von der FDP? — Abg. Dr. Klepsch: (Heiterkeit und Beifall bei der SPD. —
Er spricht vom Koalitionspartner!) Zurufe von der CDU/CSU.)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2757
Bundesminister Schmidt
Er hat damit weder der Armee noch sich selbst und Kontra-Traktate über Fragen der Inneren Füh-
noch seiner Partei einen Dienst erwiesen. Das ist rung, die angeblich Grundlagen schaffen sollen,
seine Sache. Nur, meine Sache mußte es sein, auch aber meistens doch nur Streit stiften. Ich denke, daß
in diesem Punkte klarzustellen, daß diese Bundes- die Diskussion der praktischen Fragen der Inneren
regierung, Herr Dr. Klepsch, nicht die Politik ihrer Führung sich nicht so sehr an Theorien ausrichten
Vorgängerinnen fortsetzt. soll, sondern an den geltenden Rechtsnormen, an
(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der den Gesetzen, an der Truppenerfahrung und aller-
CDU/CSU. - Abg. Stücklen: Herr Schmidt, dings auch an der fortschreitenden Erkenntnis und
das ist ja unsere Sorge!) an den fortschreitenden Ergebnissen der pädago-
gischen Wissenschaft.
— Lieber Richard Stücklen, ich werde Ihnen doch
nicht Ihre Sorgen nehmen. Ich bin ja froh, wenn Sie Hier gilt es überall und unwiderruflich den An-
Sorgen haben. Wenn ich den „Bayernkurier" lese, schluß an die heutige Zeit zu finden. Die Armee
kommt mir das reichlich sorglos vor, muß ich sagen. von heute ist nicht wie die Armee von gestern.
Sie ist anders, in einer sehr viel besseren Gesell-
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.
schaftsordnung insgesamt; und dieser Andersartig-
Zurufe von der CDU/CSU.)
keit muß man auch in dem Bereich, von dem hier die
Ich möchte im Zusammenhang mit öffentlichen De- Rede ist, Rechnung tragen.
batten über Themata, die mit dem Komplex der
Mir liegt am Herzen, in diesem Zusammenhang
Inneren Führung zusammenhängen, eines hier auch
einen anderen Gedanken zwar kurz, aber sehr deut-
klarstellen: Ich habe in den, wie ich zugebe, nicht
lich auszusprechen: Für die Bundeswehr, für die Sol-
sehr langen Monaten meiner bisherigen Amtszeit
daten ist die Fähigkeit zu kämpfen, kämpfen zu
nirgendwo den geringsten Anlaß gehabt, an der
können, kämpfen zu wollen im Notfalle, unerläß-
Loyalität der Soldaten gegenüber den verfassungs-
lich. Kämpfen zu können ist die beste Garantie da-
mäßigen Organen zu zweifeln. Das möchte ich hier
für, nicht kämpfen zu müssen.
sehr deutlich sagen.
(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten
(Beifall bei allen Fraktionen.)
der CDU/CSU.)
Die vielen Diskussionen, die ich bei Truppenbe-
suchen und in Konferenzen gehabt habe, veranlas- Ich beeile mich allerdings hinzuzufügen: Für diese
sen mich auch dazu, zu sagen, daß nach meinem unsere Armee ist der Frieden der Ernstfall. Ich
Eindruck unsere Soldaten sich als Bürger unter meine das nicht nur als abstrakte Aussage über die
Bürgern fühlen und in der großen Mehrheit auch Abschreckungsfunktion. von Streitkräften im Zeit-
in zunehmendem Maße in der Öffentlichkeit so alter der modernen Massenvernichtungsmittel, son-
angesehen werden. Man findet das bestätigt durch dern ich meine dies - Frieden der Ernstfall - auch
Meinungsumfragen sowohl unter den Soldaten wie ganz konkret für den Alltag unserer Truppe.
im zivilen Teil unserer Gesellschaft. Mir scheint es Was dieser Alltag der Truppe im Frieden abfor-
unnütz, daß wir angesichts dieser Sachlage den dert, steht nicht viel hinter dem zurück, was in an-
Soldaten dauernd öffentliche Bekenntnisse zur de- deren Zeiten, in anderen Situationen - in schlim-
mokratischen Grundordnung abverlangen, genauso meren. Situationen. - Soldaten abgefordert worden
unnütz und genauso überflüssig ist. Nur handelt es sich heute um ganz andere Ar-
(Zurufe von der CDU/CSU) len von Leistung, andere Arten. von Zucht und an-
dere Arten von Disziplin, nämlich um Sachdisziplin,
bitte lassen Sie mich den Satz zu Ende spre-
von der im Weißbuch als Bestandteil zeitgemäßer
chen —, wie es der Versuch wäre, die Gesellschaft
Menschenführung gesprochen ist.
ständig auf öffentliche Bekenntnisse zur Bundes-
wehr festnageln zu wollen. Das ist beides nicht Sachdisziplin entsteht aus der unerbittlichen Lo-
notwendig. gik, aus den Zwängen der Technik. Es gibt im indu-
(Beifall bei der SPD.) striellen, im technischen Bereich Abläufe, Tätigkei-
ten, Handgriffe, die immer wieder mit der gleichen
Die Bundesregierung wird jedenfalls alles tun, um
Zuverlässigkeit von Menschen ausgeführt werden
die Entwicklung solcher Selbstverständlichkeit zu
müssen, weil davon die Sicherheit, das Leben oder
fördern. Das sollte uns um so leichter fallen, als großenSachwdie
tbäg.Dsilenoud Gesundheit anderer oder die Erhaltung von
die ganze aufgeregte Diskussion, die zu Beginn des
Jahres um die Innere Führung Wellen schlug, sich
in gleichem Maße für große Bereiche der Streit-
inzwischen auf ihre normale Proportion zurückent-
kräfte, die vorwiegend technisch orientiert sind. Es
wickelt hat.
gilt besonders dort, wo die Abschreckungspräsenz
Ich muß hier das Bekenntnis der Bundesregierung von Mensch und Technik Dauerleistungen verlangt,
zur Institution des Wehrbeauftragten nicht wieder- die immer wieder und immer in gleichbleibender
holen; es ist jedem in Erinnerung. Qualität und gleichbleibender Sicherheit erbracht
Ich will aber im Zusammenhang mit dem Gebiet werden müsen. Gegen Versagen des Materials mag
der Inneren Führung eines noch sagen: Wir brau- strengste Materialkontrolle helfen, gegen mensch-
chen keine ideologische Überhöhung des soldati- liches Versagen kann nur absolute Sachdisziplin hel-
schen Dienstes, weder in der einen Richtung noch in fen.
der anderen. Wir brauchen auch nicht so viel Ver- Noch nie in der Geschichte bewaffneter Streit-
kündigung. Wir brauchen auch nicht so viele Pro- kräfte in unserem Land ist von Soldaten im Frie-
2758 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970

Bundesminister Schmidt
den ein so hohes Maß an Sachdisziplin so katego- Amt tätig gewesen sind, deswegen große Vorwürfe
risch gefordert worden wie gegenwärtig in der Bun- gemacht werden, weil sie diese Entwicklung ein-
deswehr. Dabei stehen ganz offensichtlich manche geleitet haben. Es ist notwendig, vielerlei Entwick-
Waffengattungen unter einem noch höheren Anfor- lungen einzuleiten, die nicht alle hinterher in die
derungsmaß als andere. Serienproduktion führen. Schlimm ist es, wenn man
glaubt, man habe schon in eine Entwicklung zu viel
Ein Wort zum Rüstungsplan der Bundeswehr! Die Prestige investiert, wenn man meint, sich selbst
vorige Bundesregierung und die zuständigen Aus- schon so festgelegt zu haben, daß man unbedingt
schüsse dieses Hauses haben in den vergangenen auch in die Serienfertigung gehen müßte. Solche
Jahren einer Reihe von Rüstungsprojekten für die Fälle gibt es; ich kann mich daran erinnern, daß es
Bundeswehr — zum Teil Neubeschaffungen, zum im Laufe der letzten 15 Jahre solche gegeben hat.
Teil Umrüstungen — zugestimmt. Sie befanden sich
bei Amtsantritt .der gegenwärtigen Bundesregierung Eine zweite Entscheidung ist getroffen worden.
in verschiedenen Stadien der Planung, der Entwick- Die ursprünglich vorgesehene Zahl von 800 neuen
Bluensgtadrfhcm.Die Kaumpfflugzeugen MRCA wird ganz wesentlich
hat in diesem Zusammenhang zu zweierlei Ergeb- reduziert werden. Ich mache übrigens diejenigen,
nissen geführt. die nachher noch darüber sprechen wollen, darauf
aufmerksam, daß die MRCA niemals als ein All
Zum ersten. Der bisherige Rüstungsplan war nach
zweckflugzeug gedacht gewesen ist, weder von der
den bisherigen Plafondsziffern der mittelfristigen
Luftwaffe noch von meinem Amtsvorgänger. Man-
Finanzplanung, die wir in bezug auf den Einzel-
ches von dem, was ich an Kritik gelesen habe, läßt
plan 14 ja nicht verändert haben, nicht durchfinan-
mich daran zweifeln, ob alle diejenigen, die sich
ziert. Ebenso hat sich ergeben, daß er nach dem
darüber schriftlich ausdrücken, damals oder heute
Entwicklungsstand der jeweiligen Projekte zeitlich
den Gesamtzusammenhang erfaßt haben.
nicht im Rahmen des Programms abzuwickeln ge-
wesen wäre. Drittens. Es ist klar, daß die Fregatte 70 insbeson-
Zum zweiten. Die Bestandsaufnahme hat zu der dere wegen ständig steigender Kostenvoranschläge
Notwendigkeit geführt, einen Teil der Mittel im als Projekt eingestellt werden mußte. Wir waren
Einzelplan 14 — im Verteidigungshaushalt — um- zuletzt bei einem Aufwand angelangt, der für jede
zuschichten auf die Gebiete, von denen ich vorhin der vier geplanten Fregatten auf über 300 Millio-
gesprochen habe. Beides führt dazu, daß der bis- nen DM hinauslief. Dies schien mir unerträglich.
herige Rüstungsplan insgesamt neu angesehen wer- (Zuruf des Abg. Damm.)
den muß. Ich bin mitten darin. Einige Entscheidun-
— Bitte sehr?
gen sind schon getroffen. Ich will sie für diejenigen,
die dem Verteidigungsausschuß nicht angehören, (Abg. Damm: Im Weißbuch steht etwas von
noch einmal ins Bewußtsein heben. der Konzeptionsphase!)
Wir haben im Einvernehmen mit der Regierung —Ja, wir sind in diesem Punkt seit dem Weißbuch
der Vereinigten Staaten von Amerika die deutsch- schon etwas weiter vorangekommen.
amerikanische Gemeinschaftsentwicklung des Kampf- (Abg. Damm: Also endgültig gestrichen?)
panzers 70 — in der Presse manchmal als „MBT
— Jawohl! Wir sind in den letzten 14 Tagen etwas
Seventy" zitiert — als gemeinsames Projekt ein-
weitergekommen.
gestellt. Einzelne Baugruppen dieser Entwicklung
werden für den „Leopard II" übernommen werden. Das heißt nicht, wie ich irgendwo gelesen habe,
Ich sage hier als Fußnote und in Klammern, daß daß die Marine nun nichts bekäme. Das finanzielle
Leser, die darüber in den Zeitungen etwas berichtet Volumen, das im Rüstungsplan für die Marine vor-
finden, erkennen müssen, daß es wie beim Bau gesehen war, ihr Anteil, wird genutzt werden —
ziviler Automobile genauso auch bei der Bundes- viele Kollegen auch von der CDU/CSU werden sich
wehr und bei jeder Streitkraft immer notwendig ist, nachträglich in manchem bestätigt finden, was sie in
eine Reihe von Projekten bis zu einer gewissen früheren Jahren dazu gesagt haben —, um für die
Reife zu entwickeln, um dann zu entscheiden, daß Ostsee Boote wesentlich kleineren Typs, anderer
dieser „Erlkönig" oder jener „Erlkönig" nicht in die Auslegung und anderer taktischer Aufgabenstellung
Serienproduktion geht. Das kann man nicht am Reiß- für die Marine zu beschaffen.
brett entscheiden, sondern erst dann, wenn be-
Wir sind ferner dabei, uns das Transporthub-
stimmte Entwicklungsstadien erreicht und bestimmte
schrauberprogramm und das Fla-Panzer-Programm,
Erprobungen durchgeführt worden sind. — Ich sehe -
ein besonders problematisches Programm, kritisch
mit besonderer Freude, daß der Betriebsratsvorsit-
anzusehen. Wir müssen uns bei all dem von der
zende einer der größten deutschen Automobilfabri-
Vorstellung losmachen, daß die Bundeswehr über-
ken in diesem Fall zustimmend mit dem Kopf nickt.
all das Meiste und das Beste haben könnte. Wir
— Anders ist das auch in der zivilen Industrie nicht
müssen uns von der Faszination der großen Zah-
möglich.
len und der technischen Perfektion freimachen.
(Zurufe von der CDU/CSU.)
Manchmal ist das Einfachere und manchmal ist das
— Wie bitte? — Nein, der versteht was davon. — Billigere angesichts der Verhältnisse, unter denen
Anders ist es hier auch nicht möglich. Ich würde also wir leben, das Geeignetere. Das überzüchtete, beste
bitten, daß z. B. in bezug auf den Kampfpanzer 70 und teuerste Gerät ist keineswegs immer das
nun nicht nachträglich anderen, die vor mir in diesem zweckmäßigste, und zwar auch deshalb, weil es
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2759
Bundesminister Schmidt
unsere Truppe zum Teil wirklich überfordert. Auch Herr Strauß ist nicht anwesend, er hätte nicht zu
dafür gibt es Beispiele, die ich hier nicht noch ein- raten brauchen, denn das stand natürlich im „Bayern-
mal zu nennen brauche, nämlich daß sehr teure und kurier" !
sehr komplizierte Waffensysteme mindestens zu-
nächst die betreffende Waffengattung überfordert (Heiterkeit bei der SPD. — Abg. Stücklen:
haben. Sie bekommen noch Provision von ihm!)
— Lieber Herr Stücklen, das Kennzeichnende ist, daß
Ich hoffe, daß diese generelle Überprüfung der da nie ein Name daruntersteht! Man muß es also
großen Rüstungsvorhaben noch in diesem Sommer dem Herausgeber anrechnen. Wenn das ein Namens
abgeschlossen werden kann. Ich biete dem Verteidi- artikel wäre, könnte ich dessen Namen ja zitieren.
gungsausschuß an, ihn während der Ferien darüber
sorgfältig zu unterrichten, wenn wir so weit sind. Aber es gibt auch seriösere Quellen für nicht halt-
Das kann Anfang Juli der Fall sein. bare Behauptungen, meine Damen und Herren von
der CDU/CSU, aus Ihren Reihen! Ich habe vor mir
Ich möchte aber in diesem Zusammenhang noch den „Deutschland-Union-Dienst" vom 29. Mai. Er ist
eines an die Adresse der Mitglieder des Verteidi- für die heutige Debatte geschrieben. Da schreibt
gungsausschusses sagen dürfen. Ich fühle mich, einer Ihrer Kollegen in einer sachlich erscheinenden
meine Damen und Herren — das gilt für manche Anklage — ich kann das nicht alles hier aufgreifen,
meiner militärischen und zivilen Mitarbeiter in glei- ich nehme nur dies eine auf —, man kürze die Flug-
cher Weise —, auf ein sehr indirekte und schwer er- stunden, um die Materialübermüdung hinauszuschie-
kennbare, aber doch sehr spürbare Weise bei man- ben. Wo haben Sie das eigentlich her, Herr Klepsch?
chen der soeben angedeuteten und bei manchen der (Abg. Dr. Klepsch: Ich werde es Ihnen nach
nicht genannten Projekte durch eine mir durchaus her sagen!)
verständliche Rüstungslobby aus der Industrie unter
Druck gesetzt. Ich möchte alle Kolleginnen und Kol- Fragen Sie einmal Herrn Steinhoff! Fragen Sie Herrn
legen in diesem Hause dringend bitten, sich nicht — Admiral Jeschonneck! Ich nehme an, es hat Ihnen
schon gar nicht bewußt; das muß ich wohl nicht ein mißgünstiger Mensch einen Bären aufgebunden.
eigens aussprechen — ungewollt und unbewußt zu
(Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)
Instrumenten der deutschen oder der amerikanischen
oder sonstiger ausländischer Rüstungslobby machen Ich könnte auch formulieren: Sie haben sich einen
zu lassen. Bären aufbinden lassen!

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten (Erneute Heiterkeit bei den Regierungsparteien.)
der CDU/CSU.)
Oder zweitens: Sie polemisieren, man fordere
Ich habe seit meinem Amtsantritt mit keinem einzi- eine stärkere Rolle der Luftwaffe im Erdkampf —
gen deutschen und auch keinem ausländischen Rü- das ist richtig — und halbiere gleichzeitig die Be-
stungsindustriellen gesprochen, Ich meine, daß sich schaffungszahlen der MRCA. Ja, was hat das mit-
der politische Verantwortliche angesichts der Not- einander zu tun? Haben Sie bisher das MRCA als
wendigkeiten, die die Streitkräfte vorzutragen ha- reines Erdkampfflugzeug aufgefaßt?
ben, und angesichts der Möglichkeiten, die sich aus (Zurufe.)
dem Haushalt ergeben, zunächst ein eigenes Urteil
bilden muß. Ich sehe die ganze halbgare, in das Ge- — Um Gottes willen!
wand militärischer Argumentation gekleidete Pres-
sion in allen möglichen Diensten und Dünsten mit Oder drittens: „Man beschreibt die vierfache
großer Besorgnis. Ich würde mich freuen, wenn alle maritime Überlegenheit des Warschauer Paktes in
Kollegen in diesem Hause sehr viel Abstand von der Ostsee und streicht gleichzeitig das Fregatten-
denen hielten, die das schreiben, und auch Abstand programm." Dabei wissen Sie aus der Verlautba-
hielten im Zitieren. Es hat jüngst ein süddeutsches rung des Ministeriums, daß das eine halbe Wahr-
Intelligenzblatt gemeint, in solchem Zusammenhang heit ist, weil an die Stelle — das sagte ich vorhin
das Folgende schreiben zu sollen — ich darf zitieren, übrigens — ein Programm einer größeren Zahl
Herr Präsident —: kleinerer Boote treten wird, die in der Ostsee
voll geeignet sein werden. Oder, es geht wei-
Der Bundesverteidigungsminister tut alles, um ter — —
unsere Bundeswehr, die ohnehin heute einen
(Abg. Dr. Wörner: Können Sie mir illu -
schweren Stand hat, noch weiter zu verun-
strieren, worin Sie die Rolle der MRCA
sichern. Aus opportunistischer Gesinnungs-
sehen?)
kumpanei mit den linksextremen Kräften inner-
halb der Partei — Das will ich gern tun. Ich habe dem Vorsitzen-
den des Verteidigungsausschusses gesagt, daß ich
(Lachen bei der SPD) bereit bin, das nach dem morgigen Tage zu tun,
weil ich, seit langen Monaten auf morgen terminiert,
versucht die SPD, den Verteidigungsauftrag eine umfängliche Sitzung von Fachleuten einberufen
und die Schlagkraft unserer Streitkräfte derart habe, nach der ich etwas klarer sehen werde.
zu nivellieren, daß sie kein ernst zu nehmender
Gegner mehr sind. (Unruhe bei der CDU/CSU.)
2760 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970

Bundesminister Schmidt
Wir hatten eine Verabredung, Herr Wörner, mit beiträgt. Es stimmt, daß die Atommächte USA,
dem Verteidigungsausschuß! Großbritannien und Frankreich einen größeren An-
(Abg. Damm: Sie haben ihn heute kriti teil ihres Sozialprodukts für ihre Verteidigungsan-
siert, dann müßten Sie doch heute schon strengungen, für ihren Beitrag zum Bündnis auf-
dazu etwas sagen können!) wenden. Es stimmt ebenso, daß eine Reihe von
NATO-Partnern einen kleineren Anteil aufwenden
— Das muß ich gar nicht! Ich lasse mir doch weder als wir, und es stimmt auch, daß der deutsche So-
von Lobbyisten draußen noch von denen in diesem zialproduktanteil, der für die Verteidigung aufge-
Hause vorschreiben, wann ich Entscheidungen zu wandt wird, fast genau bei dem statistischen Mit-
treffen habe! tel innerhalb der Allianz liegt. Die Bundesrepublik
(Lebhafter Beifall bei den Regierungsparteien. leistet einen angemessenen Beitrag für Sicherheit
— Zurufe von der CDU/CSU.) und Frieden und wird das auch in Zukunft tun.
— Das muß ich gar nicht! Ich kann mich gut er- Ich möchte das allerding nun auch mit Nachdruck
innern, wie hier mancher meiner Amtsvorgänger unterstreichen, meine Damen und Herren: Ich würde
unter Druck gebracht worden ist, über materielle es für lebensgefährlich halten, wenn wir in unserem
Rüstungsbeschaffungen eher zu entscheiden, als sie Beitrag zur gemeinsamen Sicherheit nachließen, ehe
wirklich ausgereift waren. die Bemühungen um eine allgemeine Entspannung
zu konkreten, verbindlichen Vereinbarungen über
(Zuruf von der CDU/CSU: Darum geht es eine beiderseitige gleichzeitige und gleichwertige
doch gar nicht!) Rüstungsverringerung geführt haben. Die Bundes-
Das möchten wir nicht wiederholen. regierung wird dieses Gebot nicht außer acht lassen,
(Beifall bei den Regierungsparteien.) auch nicht angesichts der gewaltigen innenpoliti-
schen Aufgaben, die in diesem Jahrzehnt gelöst
Und wenn ich Herrn Klepsch zitiert habe, dann nur werden müssen.
wegen des einen Satzes in einem dieser Dienste. Hier gibt es eine Korrelation der Notwendig-
(Abg. Dr. Wörner: Sie haben gesagt: „Wo keiten: Ohne Reform im Innern werden wir auf die
her wissen Sie, daß das ein Erdkampfflug Dauer die Sicherheit nach außen nicht bewahren
zeug ist?" Das sollen Sie mir jetzt einmal können. Und umgekehrt: Ohne äußere Sicherheit
erläutern!) kann es auch keinen zuverlässigen inneren Fort-
schritt geben.
— Dazu bin ich bereit, und zwar nach dem morgi-
gen Tage! Ich habe mich aus diesem Grunde dafür stark
gemacht, daß die Verteidigungsausgaben nicht er-
(Lachen und Zuruf von der CDU/CSU: Wie
höht werden. Ich habe die konjunkturell bedingte
war das mit dem Bären?!)
Sperre nach Durchrechnung aller sich daraus erge-
— Das mit dem Bären bezog sich auf die Flug- benden Konsequenzen akzeptiert, aus Überzeugung
stunden, die angeblich eingeschränkt sind. Gut, wir vertreten und mich dafür verbürgt, daß auch die
werden das hören. Daß das MRCA nur ein Erd- von uns geplanten und Ihnen dargelegten Maßnah-
kampfflugzeug wäre, wird Herr Klepsch im Ernst men zur sozialen Besserstellung der Soldaten im
hier nicht vertreten wollen. Er hat an anderer Stelle Rahmen des unveränderten mittelfristigen Finanz-
von einem Allzweckflugzeug gesprochen. plans finanziert werden können. Das Kabinett hat
diesen Standpunkt gebilligt.
Ich muß noch ein letztes hier zitieren. Da wird
kritisiert, wir beschrieben die sowjetische Luftüber- Ich möchte mit gleicher Eindeutigkeit hinzufügen,
legenheit, zögerten anschließend aber die Entschei- daß die mittelfristige Planung für den Einzelplan 14
dung über ein Luftabwehrsystem der Panzerver- auch nicht verringert werden darf, wenn wir das
bände hinaus. Derjenige, der das geschrieben hat, Weißbuch-Programm durchführen wollen.
weiß genau, daß nicht unter meiner Leitung, aber Das Weißbuch hat seit der Veröffentlichung einen
unter der Leitung meiner Amtsvorgänger viele erheblichen publizistischen und politischen Wider-
Jahre nebeneinander zwei Projekte entwickelt wor- hall gefunden. Auf den letzteren bin ich hier schon
den sind und daß ich in diesem Sommer die Ent- ein wenig eingegangen. Ich bin, wenn ich mir die
scheidung zu treffen haben werde, welches von Diskussion in den Zeitungen anschaue, im Grunde
beiden genommen werden soll. Aber daß ich das froh darüber, daß die Bundeswehr, daß die Soldaten
nun nicht drei Tage vor dieser Debatte mache, sich nicht nur mit ihren Problemen wiedererkannt
wird im Ernst auch Herr Klepsch mir nicht verar- haben, sondern daß sich die Soldaten — wenn -ich
gen. Auch dazu braucht man Sorgfalt und Ruhe. lese, was die Zeitungen zustimmend oder kritisch
Ich will auf den finanziellen Aspekt zu sprechen zu den Darlegungen der Bestandsaufnahme sagen
kommen. Wie die Umfangsstärke, so ist auch die - auch in ihrem Dasein und in ihrem So-Sein aner-
Höhe unserer Verteidigungsausgaben, wie sie sich kannt fühlen dürfen.
aus den Plafondszahlen der mittelfristigen Finanz- Ich will eine Tendenz der kritischen Bemerkungen,
planung ergibt, angemessen; sie berechtigt die die ich bisher gelesen oder gehört habe, noch ein-
Bundesregierung zu der Feststellung, daß dieser mal aufgreifen. Jemand hat es so ausgedrückt, das
Staat Bundesrepublik Deutschland im Verhältnis Ganze lese sich wie der Bericht einer Betriebsver-
zu seiner Wirtschaftskraft in angemessener Weise sammlung; die eigentlichen Elemente würden aus-
zu den gemeinsamen Anstrengungen des Bündnisses geklammert, dafür aber Aufstiegschancen und Ver-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2761
Bundesminister Schmidt
sorgungsfragen in den Vordergrund gerückt, und die Ich halte dieses System, ob wir es nun „gegen-
Sicherheitsfragen fielen dabei dieser Tendenz zum seitige Abschreckung" nennen oder ob wir es wie
Opfer. Ich halte es für nötig, dazu folgendes zu sa- jener „Drohsystem" nennen, keineswegs für ideal.
gen, meine Damen und Herren: Wenn wir uns nicht Ich bin dafür, daß aus dieser Konfrontation auf sehr
intensiver und nicht besser um den sozialen Status hoher Ebene in der Rüstung etwas anderes wird.
der Soldaten, die psychologischen Umstände, unter Wir haben vorhin darüber gesprochen. Aber für
denen sie leben, kümmern, z. B. um das Bildungs- den gegenwärtigen Augenblick, für das Jahr 1970,
gefüge insbesondere der Längerdienenden, dann für das dieses Weißbuch geschrieben ist, hat noch
geht die Bundeswehr an personeller Auszehrung niemand recht aufzeigen können, wie wir wohl mit
ein, und dann nützen uns weder soviel noch soviel geringeren Risiken etwa bessere Garantien für
hundert Flugzeuge! unser staatliches Überleben in Freiheit und Unab-
hängigkeit verbürgen könnten.
(Beifall bei den Regierungsparteien und bei
Abgeordneten der CDU/CSU.) Den Vorwurf der Ideologiefeindlichkeit nehme
ich, was die Sicherheitspolitik unseres Staates an-
Die Gesundung der-lassen Sie mich ruhig mal geht, gern auf mich.
das Wort aus der Industrie nehmen — Betriebs-
(Beifall bei der SPD.)
atmosphäre ist nicht möglich nur mit Worten und
mit Wortklauberei. Da muß man wirklich etwas Die Sicherheitspolitik muß ideologiefeindlich sein.
tun. Wenn es uns nicht gelingt, von daher das Sie muß nämlich nüchtern und abwägend und reali-
Klima wesentlich zu ändern, das Vertrauen in den stisch sein. Sie muß ideologiefeindlich nach beiden
Staat wesentlich zu stärken, dann sind alle Worte Seiten sein nach links, wo uns eine Utopie des
über Kampfkraft in den Wind geredet. kostenlosen Friedens angedient wird, wie nach
rechts, wo uns Feindbilder und Rezepte für die Mili-
Über die K ampfkraft ist in diesem Weißbuch kei- tarisierung der eigenen Gesellschaft aufgeschwatzt
neswegs zuwenig, sondern sehr lapidar etwas ge- werden sollen, die man als Demokrat ablehnen
sagt. Auf Seite 43 lesen Sie, wie die Bundesregie- muß. Ich halte die Utopie von einem Frieden zu
rung die Kampfkraft dieser Bundeswehr einschätzt. kleinen Preisen und zu kleinen Anstrengungen für
Ich darf zitieren: eine gefährliche Utopie. Ich mache daraus gar kein
Hehl. Genauso ist mir allerdings das Weltbild der
Der physische und geistige Gesamtzustand der ehemaligen AdK unsympatisch, die wir mit diesem
Bundeswehr, ihre Kampkraft und Einsatzbereit- Weißbuch endgültig aus den Akten der Bundes-
schaft brauchen einen Vergleich mit den Ver- wehr getilgt haben.
bündeten nicht zu scheuen. Die Bundeswehr
ist in befriedigender Weise geeignet, gemein- (Beifall bei der SPD.)
sam mit unseren Bündnispartnern jenen Ab- Ich will der Debatte, die Sie zu führen beabsich-
schreckungsauftrag zu erfüllen, der zur Wah- tigen, meine Damen und Herren, nicht weiter vor-
rung des Gleichgewichts notwendig ist. greifen. Ich weiß, daß die Opposition mit dem Argu-
ment operieren möchte, dieses Weißbuch bringe
Ich vertrete dieses Urteil. Wir haben lange Zeit ge- nichts Neues. Ich kann da nur raten zu verglei-
braucht und Sorgfalt aufgewandt, ehe wir es uns chen. Ich habe beide Weißbücher auf meinem Tisch
gebildet haben. Das Urteil ist eine Quersumme aus liegen. Ich kann auch nur raten, zu vergleichen,
der Einzelbewertung von vielen Verbänden, Groß- wieviel Zeit man für das eine und für das andere
verbänden. Waffengattungen, wie sie die militä- gebraucht hat. Mir kommt es nicht darauf an — das
rische Spitze regelmäßig jedes Jahr nach NATO-Kri- will ich ebenso deutlich sagen —, wer zuerst etwas
terien vorzunehmen hat. Wir haben im Kabinett aufs Papier gebracht hat, sondern mir kommt es
und im Sicherheitsrat im einzelnen erläutert, aus darauf an — und uns allen muß es darauf ankom-
welchen Komponenten sich das Urteil zusammen- men, w ann etwas in die Tat umgesetzt und ver-
setzt. Die Gesamtnote „befriedigend" ergibt sich wirklicht wird.
aus dem gewogenen Durchschnitt der Einzelnoten.
(Beifall bei den Regierungsparteien. —
Einige Verbände liegen unter dieser Note, viele lie-
Zurufe von der CDU/CSU: Sehr gut! —
gen darüber. Aber das im Weißbuch festgestellte
Ausgezeichnet!)
gewogene Mittel dieser Bewertung ist eine durch
die Tatsachen gerechtfertigte Gesamtwertung. Diese Regierung, die sich mit der Sicherheits
politik von Amts wegen gerade sieben Monate hat
Es gibt eine andere Tendenz der Kritik, die hier beschäftigen können, verpflichtet sich, dem Parla-
vielleicht auch erwähnt und berührt werden muß. ment alsbald nach der Sommerpause die Gesetz--
Jemand schreibt — vielleicht nicht nur für sich; ich entwürfe vorzulegen, die zur Verwirklichung des
glaube es war in der „Süddeutschen Zeitung" - im Weißbuch angekündigten Programms notwendig
das Weißbuch weise keinen Weg in eine Zukunft, sind. Es ist der Wunsch und die Erwartung der
in der der Frieden nicht mehr von der Existenz der Soldaten — und ich halte es für möglich , daß
gegenseitigen Drohsysteme abhänge. Dieser Mann, die Masse dieser Gesetze bis Ostern nächsten Jah-
der das schreibt, glaubt offenbar nicht an das Gleich- res durch den Gesetzgebungsgang hindurch ist,
gewichtssystem. Ich will dazu sagen: Das Wort durch Bundestag und Bundesrat. Was die Bundes-
„Drohsystem" ist ein anderes Wort für das System regierung dazu tun kann, wird sie tun, damit dieser
gegenseitiger Abschreckung, das seit 1945 in Eu- Termin eingehalten wird. Ich möchte meine Ausfüh-
ropa den Zustand des Nicht-Krieges garantiert hat. rungen mit dem Appell an die Damen und Herren
2762 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970
Bundesminister Schmidt
des Hohen Hauses beschließen, die Erwartungen In Erkennnis dieser Opportunität haben meine
unserer Soldaten insoweit nicht zu enttäuschen. Freunde und ich uns an die Sperrfrist gehalten, aber
(Anhaltender Beifall bei den Regierungs nicht deshalb, weil „VS-vertraulich" darauf gestan-
parteien.) den hat, sondern weil Sie, Herr Minister, uns im
Vorstand Ihrer Partei lieber sind als irgendein
linksextremer Jungsozialist.
Präsident von Hassel: Meine Damen und Her-
ren! Sie haben die Einbringungsrede zum Weißbuch (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.
1970 gehört. Ich eröffne die Aussprache. Das Wort — Lachen bei der SPD.)
hat für die CDU/CSU-Fraktion der Abgeordnete
Man muß sich aber in der Tat fragen, wie es um
Dr. Zimmermann. Es sind für diesen Redner 30 Mi-
den wirklichen — nicht um den erklärten — Ver-
nuten Redezeit angemeldet worden, und Herr Abge-
teidigungswillen in Ihrer Partei bestellt ist, wenn
ordneter Dr. Zimmermann hat gemäß § 37 der Ge-
der Verteidigungsminister seine Verteidigungskon-
schäftsordnung beantragt, daß er seine schriftlich
zeptionen auf dem Parteitag nicht zur Gänze aus-
niedergelegte Rede vorlesen darf.
breiten kann, ohne um seine Wiederwahl fürchten
Bitte schön, Herr Abgeordneter Dr. Zimmermann! zu müssen.
(Sehr wahr! bei der CDU/CSU. — Oho!-
Dr. Zimmermann (CDU/CSU) : Herr Präsident! Rufe bei der SPD.)
Meine Damen und Herren! Bevor ich zu meinen
Meine zweite Bemerkung betrifft die Vergabe
eigentlichen Ausführungen komme, kann ich der
des Druckauftrages. Die Bundesregierung hat es für
Bundesregierung und insbesondere Ihnen, Herr
richtig gehalten, das Weißbuch in einer Auflage
Verteidigungsminister Schmidt, zwei Vorbemerkun-
von 150 000 Stück bei einer der SPD und den Ge-
gen nicht ersparen, die sich auf Stilfragen im Zu-
werkschaften gehörenden Druckerei, dem Druck-
sammenhang mit dem Weißbuch beziehen.
haus Deutz in Köln, in Auftrag zu geben.
Nachdem das Kabinett das Weißbuch genehmigt
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)
hatte, erhielt der Fraktionsvorsitzende der CDU/
CSU — wie auch ich — am 11. Mai ein hektogra- Maßgeblichen Einfluß in diesem Unternehmen ha-
phiertes Exemplar des Buches. In dem Begleitschrei- ben prominente SPD-Politiker wie die Herren Nau
ben hieß es, daß das Weißbuch aus technischen und Heine.
Gründen erst am 20. Mai 1970 veröffentlich werden (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)
könne und bis dahin als „VS-vertraulich" zu be-
handeln sei. Es war bisher nicht üblich, daß die Regierung die
Wirtschaftsbetriebe der sie tragenden politischen
Die Verschlußsachenanweisung der Bundesregie- Partei so unverblümt bevorzugt.
rung schreibt eine Kennzeichnung mit „VS-vertrau-
lich" dann vor, wenn durch Veröffentlichung des (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.
Inhalts eines Dokumentes der Bundesrepublik — Widerspruch bei der SPD.)
Schaden entstehen würde. Jedermann weiß, daß Ich glaube, daß dieser Regierungsauftrag mit den
davon in diesem Falle keine Rede sein kann, weil wirtschaftlichen Interessen der SPD ein wenig zu
das Buch zum Zweck der Veröffentlichung verfaßt sehr harmoniert.
wurde. Jedermann weiß auch, daß der wirkliche
Grund für die Verzögerung der Veröffentlichung (Vereinzelt Beifall bei der CDU/CSU.)
der Parteitag der SPD in Saarbrücken gewesen ist.
Meine Damen und Herren! Ich will nicht näher
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) auf den Teil des Weißbuches eingehen, den man
Der Schaden drohte nicht der Bundesrepublik, son- als den Dokumentationsteil bezeichnen könnte. Zu
dern allenfalls der Stellung des Verteidigungsmini- ihm zählen vor allem die zahlreichen und instruk-
sters in seiner Partei, tiven Statistiken, die Darlegungen der historischen
Entwicklungen, der offiziellen NATO-Strategie und
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU —
ähnliches. In diesem Teil des Buches steckt viel
Lachen bei der SPD)
Fleiß von Beamten und Soldaten, und insoweit ist
weil vielleicht einige Formulierungen des vollstän- Dank und Anerkennung für diese Arbeit zu sagen.
digen Weißbuches manchen Genossen in Saar-
brücken nicht ganz wohlgefällig in den Ohren ge- Völlig anders verhält es sich allerdings mit den
klungen hätten. wertenden und programmatischen Aussagen des
Weißbuches. Was sich die Regierung hier an inne- -
Ich hätte allenfalls noch Verständnis dafür ge- ren Widerprüchen, Wunschdenken und bewußter
habt, Herr Minister, wenn Sie von einer Sperrfrist Unvollständigkeit geleistet hat, wird darzulegen
bis zum 20. Mai gesprochen hätten. Die Sperrfrist sein. Das gilt schon für den ersten Satz: „Die Bun-
haben Sie aber selbst durchbrochen, indem Sie desregierung betrachtet den Frieden als das höch-
Ihnen günstig erscheinende Teile vorweg veröffent- ste Gut." Dieser Satz ist richtig und falsch zugleich.
licht haben. Hier hätte die Regierung eine Gelegenheit gehabt,
Es liegt hier also ein Mißbrauch der Vertraulich- ein überzeugendes Bekenntnis zum freiheitlichen,
keitsbestimmungen zugunsten Ihrer persönlichen demokratischen Rechtsstaat abzulegen — wenn
parteipolitischen Opportunität vor. nicht hier, wo eigentlich sonst?
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) (Beifall bei der CDU/CSU.)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2763
Dr. Zimmermann
Es wäre nötig gewesen, der Öffentlichkeit, insbeson- dem Übergewicht von 13 000 östlichen Panzern
dere der wehrpflichtigen Jugend, unsere Freiheit etwas wesentlich ändern?
als ein verteidigungswertes Gut ins Bewußtsein zu In ähnlicher Weise muß ich die Angaben über die
rufen und den Frieden, den wir meinen, von einer Luftwaffe kritisieren. Die östliche Überlegenheit an
pax sovietica, die wir auch ohne Bundeswehr jeden Flugzeugen von 2 : 1 soll dadurch relativiert sein,
Tag haben könnten, klar abzugrenzen. Diese Gele- daß der Westen technisch und ausbildungsmäßig
genheit hat die Bundesregierung nicht genutzt. Für überlegene Einheiten besitzt. Kann man das bei un-
mich und meine politischen Freunde gilt jedenfalls seren bekannten Schwierigkeiten auf diesem Ge-
weiterhin die Wertordnung: Freiheit, Frieden, Ein- biet aufrechterhalten? Ist nicht der noch völlig feh-
heit. lende Flakschutz unserer Flugplätze ein viel wich-
Wir bedürfen nicht eines Verteidigungsweiß- tigerer Minusfaktor in dieser Rechnung? Und
buches, um uns quasi für das Vorhandensein der schließlich: Wie wird es mit unserem Flugzeugbe-
Bundeswehr zu entschuldigen und in fast serviler stand in den Jahren 1975/76 und zu Ende der sieb-
Weise unsere Defensivgesinnung zu betonen. Jeder- ziger Jahre aussehen?
mann in Ost und West weiß, daß die Bundeswehr (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
seit eh und je für andere als defensive Aktionen
völlig untauglich ist. Sollten diese Passagen des Weißbuches nicht
überarbeitet und durch eine etwas wirklichkeits-
(Abg. Dr. Klepsch: Sehr wahr!)
nähere Darstellung ersetzt werden? Nach meinen
Wir müssen aufpassen, ,daß uns nicht eines Tages Informationen hat die NATO selbst ihre bisherige
das Sprichwort „Qui s'excuse s'accuse" entgegen- Bewertung der Panzerwaffen und Luftwaffen in
gehalten wird. allerjüngster Zeit zuungunsten des Westens revi-
(Abg. Wehner: Gut betont!) diert. Mir scheint, daß die Darstellung des Weiß-
buchs nicht nur im Punkt „Fregatten", den der Mini-
Wenn die Regierung das Gleichgewichtsprinzip ster erwähnt hat, sondern auch hier auf einer be-
als obersten sicherheitspolitischen Leitgedanken reits überholten Beurteilung beruht.
herausstellt, so hat sie dafür die volle Zustimmung
der CDU/CSU. Aber welche Verrenkungen macht Das Weißbuch charakterisiert die sowjetische
das Weißbuch, um eine Gleichgewichtslage in Ge- Europapolitik als konservative Machtpolitik, auf
genwart und Zukunft als gegeben zu konstruieren, Konsolidierung ihrer Interessensphäre bedacht, ohne
obwohl nach den eigenen Aussagen ein konventio- die Absicht territorialen Gewinns. Scheinbar folge-
nelles Gleichgewicht in Europa seit langem nicht richtig ist dann auch an anderer Stelle von „Ver-
mehr vorhanden ist! teidigungsanstrengungen der Sowjetunion" die
Rede. Die Sowjetunion hat als einzige Macht des
Ich freue mich einerseits, daß die Stärkerelationen zweiten Weltkriegs durch Annexion von polnischen
aller Teilstreitkräfte in Mitteleuropa klar genannt Ostgebieten und anderen Gebieten einen territoria-
sind. Wenn man aber schon so weit geht, sie öffent- len Gewinn erzielt. Seit dieser Zeit hat sie eine
lich zu nennen, dann müßte man dazu die exakte Erweiterung ihres Hoheitsgebiets nicht mehr er-
Rechnung mit x plus drei, x plus sechs, x plus zehn kennbar angestrebt. Darauf aber kommt es über-
Tagen usw. aufmachen. Leider findet sich eine solche haupt nicht an. Die Expansionspolitik der Sowjet-
Rechnung nicht einmal im geheimen Teil des Weiß- union ging vielmehr auf politische Unterwerfung
buches. Aus einer solchen Rechnung würde sich der umliegenden Staaten, also auf Herstellung von
nämlich ergeben, daß sich das Kräfteverhältnis nach Satellitenverhältnissen; das ist ihre moderne Form
wenigen Tagen ganz entscheidend zu unseren Un- des Imperialismus.
gunsten verändert hätte. Das politisch-psycholo-
Wenn die Bundesregierung nur noch von „Ver-
gische Gleichgewicht, in das sich die Regierung in
teidigungsanstrengungen der Sowjetunion" spricht,
dem Weißbuch hineinrettet, würde dann ganz er-
so verrät sie damit ein bedenkliches Maß an Blind-
heblich angeschlagen erscheinen.
heit.
Im Zusammenhang mit dem Kräfteverhältnis zwi- (Beifall bei der CDU/CSU.)
schen Ost und West muß ich einer Reihe von Fest-
stellungen widersprechen, z. B. bei der Panzerwaffe. Noch in der letzten Lagebesprechung des Verteidi-
gungsausschusses mit den Experten des Ministe-
Das Verhältnis der Panzer zwischen Ost und West
riums war unstreitig, daß die Streitkräfte des War-
wird mit 2 : 1 oder 13 650 : 6 600 angegeben. Binnen
schauer Pakts in Europa nach Ausbildung, Bewaff-
kurzer Frist soll es 3 : 1, nämlich 20 000 : 6 600 be-
nung, Ausrüstung und strategischer Konzeption nicht
tragen. Nun soll diese Überlegenheit des Ostens an-
defensiv, sondern offensiv angelegt und ausge-
geblich durch das über 15jährige Alter vieler Ost-
richtet sind.
blockpanzer relativiert werden. So steht es im Weiß-
buch. Ich frage die Bundesregierung: Wie alt sind (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)
die Kampfpanzer M 48 der Bundeswehr und anderer Wie es an der Südflanke der NATO mit den
Einheiten der NATO und die Centurions unserer „Verteidigungsanstrengungen" der Sowjetunion
Verbündeten? Angeblich soll die östliche Panzer- aussieht, kann man zur Zeit in allen Zeitungen
überlegenheit weiter durch eine um ein Drittel lesen. Nachdem ich soeben von einer Reise in den
höhere Zahl der Schützenpanzer des Westens relati- Norden zurückgekehrt bin, möchte ich die Aufmerk-
viert werden. Will die Bundesregierung wirklich be- samkeit der Bundesregierung auf die Nordflanke
haupten, daß vielleicht tausend Schützenpanzer an des Bündnisses richten. Dort ist die Ü berlegenheit
2764 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970

Dr. Zimmermann
der Sowjetunion auf der Halbinsel Kola gegenüber grad besitzt als die NATO-Einheiten, also ohne oder
der NATO wie folgt: Bei der Truppenstärke 4 : 1, mit ganz geringer militärischer Vorwarnzeit für den
bei den Panzern 23 : 1, bei der Artillerie 6: 1, bei Westen zu Aktionen in der Lage ist. Unter dem Ein-
der Luftwaffe 7 1, bei der Marine 4 : 1. Die offi- druck dieses Tatbestandes hätten alle Uberlegungen
zielle NATO-Analyse lautet dort: Norwegen ist von zur Einschränkung der Präsenz der Bundeswehr,
der Sowjetunion eingekreist, das Nordmeer von der vor allem die Reduzierung des Grundwehrdienstes,
Sowjetunion kontrolliert. Auch dort verstärken die gesehen werden müssen. Dies durfte aber wohl nicht
Sowjets ihre Potentiale laufend, und zwar nicht sein.
gegen uns, sondern unmittelbar gegen ein kleines,
friedliebendes, tapferes Volk, die Norweger. Un- Wie steht es mit der atomaren Schwelle? Soll sie
mittelbar an der sowjetisch-norwegischen Grenze nach Auffassung der Bundesregierung möglichst
hat vor kurzem ein großes amphibisches Lande- hoch oder soll sie möglichst niedrig sein? Nach den
manöver mit einem vorhergehenden sowjetischen sehr vagen Andeutungen in Ziffer 25 des Weiß-
Truppenaufmarsch stattgefunden, obwohl diese buchs könnte man zu dem Schluß kommen, daß die
Grenze in Friedenszeiten von norwegischer Seite Bundeswehr und überhaupt die konventionellen
praktisch unbewacht ist. NATO-Truppen nicht viel mehr als eine Stolper-
drahtfunktion ausüben sollen. Wenn ich dann noch
Wird die Bedrohung der Süd- und Nordflanken die kurz- und langfristigen Umschichtungen zu
der NATO, die sich laufend verstärkt hat, in den Lasten der konventionellen Rüstung betrachte, so
letzten Monaten nicht augenfällig? Paßt das zu der bleibt im Wege der Deduktion nur noch übrig, anzu-
Formulierung der Bundesregierung im Weißbuch nehmen, daß die Regierung eine sehr niedrige
von den bloßen Verteidigungsanstrengungen der atomare Schwelle einplant, d. h. den Einsatz von
Sowjetunion wirklich hinein? Wenn die Bundes- Atomwaffen in einem sehr frühen Stadium der Aus-
regierung bei dieser militärischen Gesamtlage — einandersetzung in Kauf nimmt. Will das die Bun-
und auf die kommt es an, nicht auf täglich wandel- desregierung wirklich?
bare Absichten — die Beruhigungspille des politisch
psychologischen Gleichgewichts in Verkehr bringt Ein regierungsamtliches Dokument, das mit der-
und wenn sie dann vollends erklärt, es genüge, artigen Ansprüchen angetreten ist, mit so viel pro-
nicht weniger zu tun als bisher, so muß ich sagen, pagandistischem Aufwand zustande kam und dann
das ist eine große Verharmlosung. so wichtige Zusammenhänge bewußt ignoriert, ent-
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) wertet sich damit selbst; es bringt sich um den Ruf
der Objektivität.
In den sicherheitspolitischen Ausführungen des
Weißbuchs habe ich ferner einen entscheidenden Das Weißbuch räumt der Idee einer ausgewo-
Problemkreis vergeblich gesucht, den Begriff der genen gegenseitigen Truppenreduzierung in Zen-
Vorwarnzeit. Herr Minister Schmidt, wenn ich als
traleuropa ein großes Gewicht ein. Sie wird als eine
Lehroffizier bei einem Stabsoffizierslehrgang eine Schlüsselfrage europäischer Ausgleichspolitik be-
Klausur über aktuelle strategische Probleme schrei- zeichnet. Sie selbst, Herr Minister, haben diesem
ben ließe und dieses Thema in einer Klausurarbeit Vorschlag in den letzten Monaten wiederholt Priori-
nicht erwähnt wäre, so würde ich diese Arbeit mit tät verliehen. Aus aktuellem Anlaß, nämlich im Hin-
der Zensur „mangelhaft" zurückgeben. blick auf die NATO-Konferenz in Rom, möchte ich
(Beifall bei der CDU/CSU.) auf den diesbezüglichen Sachstand doch näher zu
Nun gibt es zwischen einer Lehrgangsarbeit und sprechen kommen. Die NATO-Konferenz in Rom
dem Verteidigungsweißbuch der Bundesregierung hat den allgemein gehaltenen Appell von Reykjavik
ganz sicher einige Unterschiede. Der geplagte Lehr- aus 1968 zu einem förmlichen Angebot an die, wie
gangsteilnehmer mag aus Unwissenheit oder Ver- es heißt, „interessierten Staaten" verdichtet, in Ge-
geßlichkeit gehandelt haben. Das unterstelle ich der spräche über beiderseitige ausgewogene Truppen-
Bundesregierung nicht. Hier kommt nur Vorsatz in verminderungen einzutreten. Ich darf daran erin-
Frage, und das leuchtet auch ein. Eine realistische nern, daß die damalige, von der CDU/CSU geführte
Behandlung dieses Komplexes hätte das Kartenhaus Bundesregierung den Appell von Reykjavik an füh-
zum Einsturz gebracht, auf dem die Lagebeurteilung render Stelle unterstützt hat. Das Verhandlungs-
des Weißbuches beruht. angebot wurde jetzt in voller Kenntnis der Tatsache
gemacht, daß die früheren Appelle ohne jede Re-
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) aktion aus dem Osten geblieben waren.
Das aber macht die Unterlassung nicht weniger un-
verzeihlich. Man hätte nämlich zu dem Problem der Wir sind auch weiterhin der Meinung, daß man -

politischen Vorwarnzeit Stellung nehmen müssen, nichts unversucht lassen sollte, um ohne weitere
an die selbst ihre britischen Erfinder niemals ernst- Verschlechterung der Gleichgewichtslage die Po-
lich geglaubt haben. Ich habe den Eindruck, daß die tentiale zu reduzieren. Die Frage ist aber, welche
politische Vorwarnzeit inzwischen in aller Stille Chancen diesem Versuch vernünftigerweise einzu-
beigesetzt wurde. Stimmt das, Herr Minister? räumen sind. Nicht ohne Grund stellte der franzö-
sische Außenminister auf dieser Konferenz die
(Abg. Damm: Sie ist für geheim erklärt Frage, was denn geschehen solle, wenn die andere
worden!) Seite einen solchen Vorschlag nicht annehme. Die
Man hätte erklären müssen, daß das Potential des „Stuttgarter Zeitung" vom 29. Mai 1970 schreibt
Warschauer Paktes einen viel höheren Bereitschafts- in einer Konferenzbetrachtung dazu — ich zitiere —:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2765
Dr. Zimmermann
Aber niemand stieß zum Kern des Problems Ich steile ohne Schadenfreude fest: auf diese
vor. Niemand stellte die Gretchenfrage, warum Weise werden wir von unseren Verteidigungskosten
sich wohl die Sowjetunion auf Verhandlungen schwerlich herunterkommen. Ich frage die Bundes
über eine wechselseitige Reduzierung der Trup- regierung, welche Konsequenzen sie ziehen will,
pen in Europa einlassen sollte, solange sie die wenn die Absage der Sowjetunion vollends und offi-
begründete Hoffnung auf eine einseitige Redu- ziell auf dem Tisch liegen wird.
zierung der westlichen Streitkräfte durch eine Es liegt für die Bundesregierung nahe, aus dieser
wesentliche Verminderung der in Europa sta- Konferenz von Rom auch für ihre Ostpolitik Honig
tionierten amerikanischen Truppen haben kann. zu saugen. Es ist immer gut, auf internationalen
(Zustimmung bei der CDU/CSU.) Applaus von Freunden verweisen zu können. Herr
Minister Schmidt hat ja auch nicht verfehlt, vorher
Selbst die schwer zu übersehende Tatsache, daß
darauf hinzuweisen. Was diese Zustimmung im ein-
ein Ausschuß des amerikanischen Senats aus-
einzelnen enthält, wird allerdings nur durch die
gerechnet am Tage vor dem Zusammentritt der
ganz genaue Lektüre des langen Kommuniqués klar.
NATO-Konferenz mit einer neuen Überprüfung
der militärischen Verpflichtungen der USA in (Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!)
Europa begonnen hat, konnte die Verteidi- Ich darf die gerade für die Ostpolitik entscheidende
gungs- und Außenminister der Allianz nicht aus Ziffer 4 des Kommuniqués zitieren:
ihrer allzu taktvollen Zurückhaltung heraus-
locken. Die Minister bekräftigen, daß der Friede, um
dauerhaft zu sein, auf der Respektierung des
Soweit das Zitat aus der ,Stuttgarter Zeitung". Rechts der europäischen Völker beruhen muß,
Es freut mich gleichwohl, wenn die NATO-Regie ihr Schicksal selbst zu bestimmen, ohne daß sie
imwes ntlicheneinerMeinu gsind,daßein von außen mit intervention, Zwang oder Nöti-
solcher Versuch gemacht werden sollte. Ich kann gung bedroht werden.
mich aber nicht des Eindrucks erwehren, daß dabei (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)
die Haltung mitspielt: Nützt es nichts, dann scha-
det es nichts. Laßt den Leuten ihr Spielzeug; sie Diese Stelle, Herr Minister Schmidt, haben Sie vor-
werden schon sehen, wie weit sie kommen! Noch her nicht vorgelesen.
deutlicher scheint mir diese Beurteilung auf ameri- (Abg. Damm: Warum wohl? — Abg. Dr.
kanischer Seite schon bei dem Besuch des Bundes- Barzel: Die hat auch Herr Ahlers unter
kanzlers und des Verteidigungsministers in Ame- schlagen!)
rika im März dieses Jahres geworden zu sein.
In Ziffer 8 ist schließlich auch die Hoffnung aus-
Wie weit man mit diesem Vehikel kommt, hat gedrückt, daß bei einer Regelung der Beziehungen
jetzt die „Prawda" vorn 31. Mai wohl früher, als zwischen den beiden Teilen Deutschlands — nicht
erwartet, klargemacht. Darin heißt es: etwa zwischen den beiden deutschen Staaten —
Der Vorschlag einer ausgewogenen Reduzie (Hört! Hört! bei der CDU/CSU)
rung der Streitkräfte der NATO und des War
schauer Paktes ist für die sozialistischen Länder die Entwicklung der Kommunikation zwischen den
völlig unannehmbar. Es handelt sich dabei nur Menschen nach Kräften erleichtert wird.
um ein taktisches Manöver der NATO. Schließlich ist von der Bereitschaft zu multinatio-
Bekanntlich steht in der „Prawda" nichts, was nicht nalen Kontakten zwischen Ost und West die Rede.
der erklärte Standpunkt der Sowjetunion ist. Und da Als Themen solcher Kontakte sind genannt größere
die Bundesregierung laut Weißbuch weiß, daß im Freizügigkeit, Förderung der Zusammenarbeit im
Ostblock nichts Wesentliches ohne die Sowjetunion kulturellen, wirtschaftlichen, technischen und wis-
geschehen kann, gilt das auch für die übrigen Ost- senschaftlichen Bereich und auf dem Gebiet der
blockstaaten. menschlichen Umwelt. Mit anderen Worten: Hier
sind eindeutig das Selbstbestimmungsrecht und die
Die Bundesregierung mag über eine solche Reak- menschlichen Erleichterungen angesprochen.
tion enttäuscht sein, insbesondere Sie, Herr Minister
Schmidt, der sie noch in PPP vom 27. Mai 1970, (Beifall bei der CDU/CSU.)
also vor wenigen Tagen, eine totale Ablehnung die Ich erkläre hier für die CDU/CSU-Fraktion: Würden
ser Vorschläge durch die Sowjets als ganz unwahr Bundesregierung allein
die Ostgespräche der Bundesregierung
scheinlich bezeichnet haben. auf diesen Grundsätzen bewegen, so wäre der
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) wesentliche Teil der Besorgnisse in meiner Fraktion --runge
gegenstandslos.
Wenn ich mir die zunehmende Verdünnungspolitik
der NATO betrachte, jetzt verstärkt durch die Poli- (Erneuter Beifall bei der CDU/CSU.)
tik der Bundesregierung, dazu die Unlust der Ameri- Wir fordern also die Bundesregierung auf, im Geiste
kaner, ihre jetzige Präsenz in Europa beizubehal- dieses Kommuniqués zu handeln.
ten, dann ist in der Tat für die Sowjetunion nicht
der geringste Grund vorhanden, auf derartige Ge- Eine Feststellung drängt sich mir allerdings zu
dankengänge einzugehen. Der Wert eines solchen den NATO-Konferenzen der letzten Zeit auf. Das
Vorstoßes der NATO liegt für mich ausschließlich in Thema, wie die Verteidigung innerhalb der euro-
der Desillusionierung einiger unermüdlicher Traum- päischen Staaten enger und wirksamer gestaltet
wandler. werden kann, scheint überhaupt nicht mehr gefragt
2766 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970

Dr. Zimmermann
zu sein. Auch eine gemeinsame Vertretung militä- Was sich hinter dem euphemistischen Wort von
rischer und politischer Interessen gegenüber dem der Umschichtung des Verteidigungshaushalts auch
Partner USA kommt den europäischen Regierungen verbirgt, es ist das der stärkste Schlag gegen die
offenbar nicht mehr in den Sinn. Ich würde das als Kampfkraft der Bundeswehr überhaupt.
einen glaubwürdigen Hintergrund für die Entspan- (Abg. Damm: Sehr richtig!)
nungsbemühungen betrachten, die einer NATO-
Konferenz gut angestanden hätten. Umweltbedin- Denn rund 3 Milliarden DM sollen der Rüstung ent-
gungen und Truppenreduktion in allen Ehren, — zogen werden, wobei die Kostenexplosion für die
aber schließlich ist die Verteidigung die primäre vorgesehenen Maßnahmen noch gar nicht einge-
Aufgabe der NATO und wird es nach allem, was rechnet ist.
wir heute wissen, wohl auch bleiben. Die Folgen einer zunehmenden technischen und
(Sehr wahr! in der Mitte.) funktionellen Überalterung von Waffen und Gerät
werden offenbar in Kauf genommen. Schon nach
Ich komme nun zu dem haushalts- und rüstungs- dem bisherigen Rüstungsplan haben die Experten
wirtschaftlichen Teil des Weißbuchs. Die Regie- auf die Gefahr hingewiesen, daß nicht alle Be-
rungspolitik bis 1973 ist hier durch folgende Punkte reiche der Rüstung auf einem modernen Stand ge-
gekennzeichnet: halten werden können. Daß die Regierung nun eine
1. ständig sinkender Anteil des Verteidigungshaus- rasch zunehmende Veralterung des Materials billigt,
halts am Gesamthaushalt, im Jahre 1973 noch wird sich auch bei den potentiellen Freiwilligen
19,9 %; herumsprechen, und zwar wohl kaum mit positi-
ven Wirkungen.
2. durchschnittliche jährliche Zuwachsrate von
2,8 %, d. h. weniger, als zum Ausgleich des Kauf- Die rüstungspolitischen Erfordernisse, die das
kraftschwundes notwendig ist; Weißbuch selber aus der militärischen Lage und
dem derzeitigen Stand der Bewaffnung ableitet,
3. starke Drosselung der Ausgaben für Rüstungs-
stehen in krassem Widerspruch zu den bis jetzt
investitionen gegenüber dem Rüstungsplan.
bekannten Streichungen. So fordert man die Beweg-
In allen drei Punkten melde ich den Widerspruch lichkeit des Heeres und kürzt das Transporthub-
meiner Fraktion an. schrauberprogramm. Man klagt über die unge-
Welche Folgen hat eine solche Politik? Die Kri- nügende Eignung des Starfighters für den konven-
tik der USA an unserem Verteidigungsbeitrag wird tionellen Einsatz und verlängert gleichzeitig seine
sich verstärken, ebenso die Gruppe derjenigen Se- Indiensthaltung nicht bis 1975/76, sondern über
natoren und Kongreßmitglieder, die eine Reduzie- 1980 hinaus, was für das Gros der F 104, wie jeder
rung des US-Kontingents in Europa oder einen di- weiß, nicht geht. Man stellt die starke Rolle der
rekten deutschen Beitrag für die Stationierungs- Luftwaffe im Erdkampf fest und halbiert die Be-
kosten fordern. Es genügt eben nicht, nur auf die schaffungszahlen des MRCA. Wenn man jetzt eine
Einsicht der USA in die Wichtigkeit der euro- zweisitzige und zweimotorige Lösung beim MRCA
päischen Position zu vertrauen, wie es das Weiß- anstrebt, dann ist klar, daß dieses Flugzeug ent-
buch tut. Man muß auch etwas dafür tun, und zwar gegen der ursprünglichen Absicht eben nicht die
nicht nur unerbetene Ratschläge auf Parteitagen 104 und die Fiat G 91 ersetzen kann, weil es für
für die Fernostpolitik der USA erteilen. Erdunterstützung viel zu kostbar ist. Die Frage
bleibt also: Wie wird die Flugzeuglücke für den
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Erdkampf ausgefüllt? Was sind die Planungen der
Es ist Ihre Sache, Herr Minister Schmidt, sich um Regierung dazu? Diese Frage ist im Weißbuch völlig
eine angemessene Erhöhung des Verteidigungs- offengeblieben.
haushalts entweder nicht genügend bemüht oder
Wenn ich mir die ganze Gespaltenheit des Weiß-
sich nicht durchgesetzt zu haben.
buches in diesen Rüstungsfragen ansehe, wo nicht
Es kann die Bundesregierung nicht entlasten, zu Ende gedachte Streichungen vorgenommen wor-
wenn sie auf die Haushaltspolitik anderer euro- den sind, dann kann ich mir das leztlich nur mit
päischer Staaten hinweist. Wir liegen an der unmit- der persönlichen Position des Verteidigungsmini-
telbaren Nahtstelle zum Osten wie niemand sonst, sters auch innerhalb seiner Partei erklären. Herr
und jede Schwäche des konventionellen Potentials Minister Schmidt, Sie sind viel zu intelligent, als
würde zunächst einmal mit Verlust auf unserer daß Ihnen der doppelte Bruch in diesem Weißbuch
Seite und unseres Bodens bezahlt werden müssen. entgangen sein könnte; einmal der Bruch zwischen
militärischen Fakten und ihrer Beurteilung, zum
Die Steigerungszahlen des Verteidigungshaus-
anderen zwischen Ihrer anfechtbaren Beurteilung
halts sind so unzureichend, daß sie nicht einmal
ausreichen, die Auswirkungen des Inflationskurses und den daraus überhaupt nicht gezogenen Konse-
quenzen auf dem militärischen Gebiet.
der Bundesregierung aufzufangen.
(Beifall bei der CDU/CSU.) (Glocke des Präsidenten.)

Selbst wenn man also dem Satz zustimmen würde, — Ich komme zum Ende, Herr Präsident.
es genüge, wenn man nicht weniger tue als bisher Anders kann ich mir auch nicht erklären, daß
— wie es im Weißbuch steht —, so straft sich die Sie grundlos und ohne nähere Prüfung schon im
Bundesregierung damit selbst Lügen, weil sie fak- vergangenen Jahr von einer Verkürzung der
tisch weniger tut als bisher. Wehrpflicht, ja von einer Option für eine Berufs-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2767

Dr. Zimmermann
armee gesprochen haben. Sie wissen genausogut Nacht dieses Weißbuch zusammengetragen und er-
wie ich, daß das verteidigungspolitische Programm arbeitet haben,
in Wirklichkeit Bestandteil des Vorleistungspro- (Abg. van Delden: Die hat Dr. Zimmermann
gramms der Bundesregerung für den Ost-West gelobt!)
Dialog ist. Mit diesem Programm entfernt sich die
NATO in Mitteleuropa noch weiter vom Zustand nicht in einem Punkt eine Anerkennung und eine
des Gleichgewichts, als das schon bisher der Fall positive Wertung zu finden, halte ich schlechthin für
ist. Das psychologisch-politische Gleichgewicht, von unmöglich.
dem Sie sprechen, kann Ihnen niemand, der kri- (Beifall bei der SPD.-Zurufe von der
tisch ist, abnehmen. Ganz sicher würde das der CDU/CSU.)
Osten nicht abnehmen.

Diese Bundesregierung hat zu verantworten, auf Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwi-
Sicht weniger Sicherheit zu produzieren, als not- schenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Klepsch?
wendig ist, um die Bundesgenossen zu halten, we-
niger, als notwendig ist, um zusammen mit dem Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Herr Kollege Buchstal-
Bündnis die Gegner abzuschrecken. Die Sicherheit ler, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß
hat ihren Preis. Und so bleibt nur festzustellen: der Kollege Zimmermann diese Leute gerade aus-
Das Weißbuch 1970 vernachlässigt zugunsten drücklich gelobt hat, daß er sich aber sonst beziehen
außen-, sozial- und leider auch zugunsten partei- mußte auf die Ausführungen des Herrn Ministers
politischer Momente die Sicherheit der Bundes- selber, daß ,alles seine Handschrift sei, was in die
republik Deutschland. Weißbuch stünde? Eine klarere Übernahme der -sem
(Beifall bei der CDU/CSU.) Gesamtverantwortung durch den Minister für jede
Aussage kann man ja wohl nicht aussprechen.

Präsident von Hassel: Das Wort hat für die Buchstaller (SPD) : Selbstverständlich wird diese
Fraktion der SPD der Abgeordnete Buchstaller. Für klare Übernahme der Verantwortung nicht bestrit-
ihn sind 30 Minuten angemeldet. Außerdem hat er ten. Aber, Herr Dr. Klepsch, diejenigen, die im Ver-
um die Genehmigung nachgesucht — die ich er- teidigungsausschuß wiederholt gezwungen sind,
teile —, eine vorbereitete Rede zu halten. Fachdebatten zu führen, mußten doch annehmen,
daß der erste Sprecher der Opposition auch auf
Buchstaller (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr einige Punkte einginge, die aus der Sicht der Oppo-
verehrten Damen und Herren! Den Beweis, daß die sition in dieser Diskussion als positiver Beitrag zu
Bundesregierung es mit der äußeren Sicherheit ernst werten sind.
meint und diese ständig im Auge hat, legt sie heute (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Wörner:
in Form des Weißbuches 1970 zur Sicherheit der Das kommt noch, Herr Buchstaller!)
Bundesrepublik Deutschland und zur Lage der Bun-
— Das kommt noch? — Da bin ich sehr froh. Nur er-
deswehr vor. Diese umfassende und gründliche Ar-
warte ich sie keinesfalls von Herrn Dr. Klepsch, das
beit, hinter die sich die gesamte Bundesregierung
sage ich Ihnen ganz offen.
stellt, hat offensichtlich die Handschrift des Bundes-
verteidigungsministers Helmut Schmidt. (Abg. Dr. Wörner: Vielleicht werden Sie
angenehm überrascht!)
Die Bestandsaufnahme, die uns heute vorliegt, ist
die erste seit fünfzehn Jahren Bundeswehr. Ich sage Ich muß Ihnen jedenfalls, Herr Minister, bestä-
diesen Satz mit Absicht; denn das Weißbuch 1969 tigen, daß ich es für gut halte, daß Sie in diese
war sicher ein Anfang, aber erst das Weißbuch 1970 Arbeit auch Mitarbeiter einbezogen haben, die aus
entspricht unseren Vorstellungen hinsichtlich Aus- anderen Wissensgebieten Wesentliches mit einge-
führlichkeit und Präzision. Helmut Schmidts Dyna- bracht haben in die Formulierung dieses Buches.
mik und seinem Elan ist es zu verdanken, daß diese Mit diesem Weißbuch wurde nach Auffassung der
Bestandsaufnahme eingeleitet und so schnell zu sozialdemokratischen Bundestagsfraktion eine fun-
Ende gebracht wurde. Erfreulich ist auch der Stil, in dierte Grundlage für unsere verteidigungspolitische
dem das Buch geschrieben wurde. Damit wird die Arbeit im Parlament und für eine sachliche Ausein-
schwierige Materie auch jedermann leichter ver- andersetzung über alle Wehrfragen in der Öffent-
ständlich. lichkeit geschaffen. Außerdem ist die Bundeswehr
für den Außenstehenden transparenter geworden.-
(Abg. van Delden: Das ist auch das einzige!) Auch die Soldaten haben damit eine Richtschnur
erhalten, die ihre Aufgabe erleichtert und klar und
- Das einzige? — Ich glaube, das ist etwas über
trieben. Ich habe überhaupt zur Kenntnis genom deutlich sagt, was die Bundesregierung von ihnen
men, daß ein — mindestens in der Ausschußarbeit erwartet.
— so objektiver Mann wie Dr. Zimmermann glaubt, Die mir aus Kreisen der Bundeswehr bisher be-
die Leistung dieses Weißbuches nicht anerkennen kanntgewordenen, durchweg positiven Reaktionen
zu sollen. Dieses Buch ist nicht nur die Leistung betonen ausdrücklich diesen klärenden Charakter
eines Mannes. Vielleicht hat Dr. Zimmermann die des Weißbuches. Viele Mißverständnisse in der
Gelegenheit wahrnehmen wollen, den Minister zu Bundeswehr und viele Mißverständnisse über die
„zerreißen". Aber für die Männer, die Tag und Bundeswehr wurden ausgeräumt. Dies scheint mir
2768 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970

Buchstaller
schon heute einer der wichtigsten Erfolge des Weiß- klingen diese Schwierigkeiten an. Ich rechne trotz
buches zu sein. der ersten Rede der Opposition damit, daß sich auch
An dieser Stelle will ich namens der SPD-Frak- die Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion der Mit-
tion all denen danken, die in den vergangenen Wo- wirkung bei den vorgeschlagenen Maßnahmen nicht
chen und Monaten unter vollem Einsatz sich alle versagen werden.
nur erdenkliche Mühe gegeben haben, um trotz des Aber auch noch in anderer Hinsicht bedarf der
Zeitdrucks mehr zustande zu bringen als lediglich Verteidigungsminister unserer Unterstützung.
eine Aneinanderreihung von Informationen. Unser
besonderer Dank gilt natürlich Verteidigungsmini- (Abg. Damm: Weiß Gott!)
ster Helmut Schmidt, der nicht nur geistiger Urhe- — Selbstverständlich! Er bedarf der Unterstützung
ber, sondern auch Motor dieser Bestandsaufnahme des ganzen Parlaments, und wir bemühen uns auch
war. darum.
Dieses Weißbuch 1970 entspricht unseren Erwar-
tungen. Es bildet die Grundlage der Wehrpolitik (Abg. Damm: Die kriegt er auch, wenn es
der neuen Bundesregierung. Gleichzeitig ist es Aus- vernünftig ist!)
gangspunkt zu weiteren Konkretisierungen in spe- Warum muß sich eigentlich die Debatte in den Fach-
ziellen Bereichen. Dazu sind bereits fünf konkrete ausschüssen wesentlich von den Sachdebatten im
Untersuchungen im Weißbuch angekündigt. Dar- Plenum unterscheiden?
über hinaus werden durch zahlreiche Gesetzesvor-
lagen der Bundesregierung und interne Änderungs- (Abg. Dr. Klepsch: Das müssen Sie dem
maßnahmen im Bereich des Bundesverteidigungs- Minister sagen! — Abg. Damm: Wie der
ministeriums Schritte zur Behebung der Probleme hier rumgebrüllt hat!)
der Bundeswehr und zur Stärkung der Schlagkraft
der Streitkräfte eingeleitet. Verteidigungsminister Sie wissen ganz genau, daß wir gerade in der Frage
Helmut Schmidt wird bei diesen Anstrengungen der Stärkung der Verteidigungskraft und der Be-
die volle Unterstützung der SPD-Bundestagsfraktion wältigung der Probleme der Bundeswehr im Ver-
haben. teidigungsausschuß viele Berührungspunkte haben.
Dennoch wird heute hier im Plenum über ein so
Die Erwartungen und die Hoffnungen, welche
umfangreiches Papier, das zum erstenmal erarbeitet
Soldaten und Öffentlichkeit in Helmut Schmidt als
worden ist, konträr diskutiert.
Verteidigungsminister gesetzt haben, sind durch
das Weißbuch 1970 erfüllt worden. Die Unruhe in
der Öffentlichkeit und in der Bundeswehr sowie die
Gegensätze in der Diskussion um die Bundeswehr
Präsident von Hassel: Herr Abgeordneter,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
wurden mit seinem Amtsantritt bereits weitgehend
Dr. Wörner?
gemildert. Zudem bahnen sich Entwicklungen an,
die das Verständnis unseres Volkes für Sicherheits-
fragen vergrößern und die der Bundeswehr den ihr
gebührenden Platz in unserer Gesellschaft stärken.
Buchstaller (SPD) : Ja.
Der Gesetzgeber darf — und hier möchte ich Mini-
ster Schmidt ausdrücklich unterstreichen — dieses
gestiegene Vertrauen zur politischen Führung nicht Dr. Wörner (CDU/CSU) : Herr Kollege Buchstal-
ler, ich möchte Sie, damit. Sie sich nicht noch mehr
enttäuschen.
an Unnützem vergeuden, fragen, ob Sie bereit
Die Bundeswehr wurde in den letzten Jahren oft wären, zur Kenntnis zu nehmen, daß das Weißbuch
und gern als ein „Unternehmen" oder ein „Betrieb in zwei Teile zerfällt, nämlich zum einen in eine
zur Produktion von Sicherheit" angesprochen. Das sicherheitspolitische Analyse und zum zweiten in
ist gut und nützlich in vielerlei Hinsicht. Es darf eine Zusammenstellung von Maßnahmen zur Ver-
aber nicht übersehen werden, daß dein „Vorsitzer besserung der sozialen Situation der Soldaten, und
des Vorstands" dieses „Unternehmens" Bundeswehr wären Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß sich
weit weniger Vollmachten zustehen als beispiels- der Kollege Zimmermann ausschließlich zum ersten
weise dem Vorstand einer Aktiengesellschaft. Viele Teil, und hierzu mit Recht sehr kritisch, geäußert
Befugnisse sind auf uns, das Parlament, übertragen. hat, daß aber der zweite Teil hier noch vom
Diese Befugnisse werden von verschiedenen Aus- Kollegen Klepsch abgehandelt werden wird?
schüssen des Bundestages, manchmal, so meine ich
aus der Sicht des Verteidigungsausschusses, von (Zurufe von der SPD.)
zu vielen anderen Ausschüssen wahrgenommen.
Über vieles wird in den Ausschüssen des Bundes-
tages, vor allem auch im Haushaltsausschuß, mit Buchstaller (SPD) : Ich nehme das gern zur
entschieden. Kenntnis. Aber gestatten Sie mir, dazu etwas zu
sagen. Erstens glaube ich, daß jeder von uns, der
Die Fragen der Besoldung und die Maßnahmen sich mit der Debatte zu befassen hat, nicht nur auf
zur Berufsförderung setzen z. B. einen großen Me- das einzugehen hat, was heute gesprochen wird,
chanismus des Bundestages und teilweise auch des sondern auch auf das, was in den letzten Tagen
Bundesrates in Bewegung; denn zu diesen und zu geschrieben wurde.
einer Reihe anderer Fragen wollen auch die Länder
gefragt sein. An einigen Stellen des Weißbuches (Zustimmung bei der SPD.)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode —54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2769
Buchstaller
Minister Schmidt hat mit einem gewissen Recht spruch durchzusetzen. Die Streitkräfte unserer Zeit
einige Punkte angesprochen, über die inzwischen sind nur noch geeignet, anderen Staaten gegenüber
schon geschrieben worden ist. das Recht zur Verteidigung zu behaupten. Ein
(Abg. Dr. Wörner: Er hat eine Stunde ge System der Abschreckung soll den Einsatz von Waf-
redet! Herr Zimmermann hatte nur 30 Mi fen verhindern. Der Zweifel, ob dieses System diese
nuten!) Aufgabe zu lösen vermag, scheint begründet. So-
lange jedoch noch nichts gefunden ist, was an seine
— Er hätte 45 Minuten Redezeit beantragen kön- Stelle treten kann, bleibt es bei der Gemeinschafts-
nen. Das ist doch gar keine Frage. aufgabe, die .Abwehr zu organisieren. Dies sollten
Hier geht es doch einfach um folgendes, Herr Dr. wir gemeinsam, unserer Bevölkerung klar-
Klepsch; das muß einmal klar ausgesprochen wer- machen.
den. Andererseits müssen wir uns-auch die Ange
(Abg. Dr. Klepsch: Los, raus! Worum geht hörigen der Bundeswehr - bemühen, Konflikte
es?) ohne Waffengewalt zu beseitigen. Ich spreche hier-
Es geht darum, ob Sie anerkennen wollen, daß zur mit das weite Feld der Friedens- und Konflikt-
Stärkung der Verteidigungspolitik und der Schlag- forschung an. Die Bundeswehr wird von ihren Ge-
kraft der Streitkräfte Priorität Nummer eins die sichtspunkten aus für beide Gebiete wertvolle Bei-
Lösung der Personalprobleme und der Personal- träge liefern müssen und liefern können.
schwierigkeiten in der Bundeswehr sein muß. Wenn Es ist nicht meine Absicht, jetzt in allen Einzel-
Sie dem zustimmen, können Sie keinen anderen heiten auf den Inhalt des Weißbuches einzugehen.
Weg wählen, als eine Umschichtung im Haushalt für Das werden meine Kollegen im Laufe der Diskussion
Verteidigungslasten vorzunehmen. noch tun. Es sei mir jedoch gestattet, einige Punkte
(Beifall bei der SPD.) des Weißbuches hervorzuheben.
Wenn Sie aber- - Während das Weißbuch 1969 die F r ag e d er S i
(Zuruf von der CDU/CSU.) und Verteidigungspolitik nur kurz an--cherits-
spricht, geht das Weßbuch 1970 sehr ausführlich
— Entschuldigen Sie, herr Dr. Klepsch! auf diesen Komplex ein. Unsere Verteidigungsan-
(Abg. Dr. Klepsch: Ich habe nichts gesagt! strengungen werden überzeugend und glaubwürdig
Abg. Stahlberg: Wir haben Vorschläge motiviert. Das Weißbuch setzt diese Verteidigungs-
gemacht! Die haben Sie nicht angenom anstrengungen aber gleichzeitig auch in die richtige
men.) Relation zu den außenpolitischen Bemühungen der
Regierung um Entspannung zwischen Ost und West.
— Entschuldigen Sie! Selbstverständlich! Wir wer-
Es legt die Notwendigkeit dar, „in Europa durch
den auch auf diese Vorschläge wieder eingehen,
Riistungskontrollvereinbarungen eine für alle Part-
(Abg. Dr. Marx [Kaiserlautern]: Nach ner nicht minder verläßliche, cinch möglicherweise
Weihnachten!) stabilere und billigere Sicherheitsstruktur zu schaf-
wenn wir in dem Umschichtungsprozeß, der einge- fen als die bisherige".
leitet worden ist., die Summen verlagern können, die Wenn es der Regierung der Sowjetunion wirklich
dazu notwendig sind. ernst. ist mit ihrem Vorschlag für eine internationale
ich weiß, daß auch Sie nicht ohne soziales Gewis- Konferenz über die Sicherheit Europas, dann wird
sen die Frage der Bundeswehr untersucht haben. sie auf die Vorschläge der NATO zur beiderseitigen
Truppenreduzierung mit realistischen Verhandlungs-
(Zuruf des Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern]:
angeboten eingehen müssen. Niemand soll sich über
ist das wahr?)
das mögliche Ausmaß von Trunpenreduzierungen
Selbstverständlich! Aber weil Sie nicht bereit und einen frühen Zeitpunkt dafür Illusionen machen.
waren, den vielleicht gar nicht so populären Schritt Die ersten sowjetischen Reaktionen auf die Vor-
einmal zu tun, schläge von Rom sind nicht, das muß unumwunden
(Zuruf von der CDU/CSU: Populär ist das zugegeben werden, besonders ermutigend.
doch bestimmt!) (Abg. Damm: Gar nicht ermutigend!
Rüstungsaufgaben und Rüstungsausgaben etwas zu Abcj. Dr. Klepsch: Was ist an ihnen ermu
strecken, waren Sie einfach nicht in der Lage und tigend, Herr Kollege Buchstaller?)
wären Sie auch künftig nicht das
Ldianegr, , Nicht ermutigend! E rmu ti g e n d wäre für mich,
-
Problem zu lösen. Das ist die Kernfrage, auf die, wie wenn auf diese Bemühungen der Bundesregieung,
ich annehme, Herr Dr. Klepsch noch eingehen wird. eingebettet in die Bemühungen der NATO-Partner,
auf seiten der Warschauer-Pakt-Staaten die Bereit-
Die Fragen, ob die Bundeswehr und ob Verteidi-
schaft erkennbar wäre, zu einem echten Gespräch
gungsanstrengungen überhaupt nötig sind, nehmen
z' kommen und über diese Vorschläge zu verhan-
in dem Maße zu, in dem wir uns in Mitteleuropa
deln. Das wäre für mich ermutigender als das, was
von dem zweiten Weltkrieg entfernen. In anderen
heute als Reaktion festzustellen ist.
Teilen der Welt zeigt sich auch deutlich, daß die
Folgen eines Einsatzes von Waffen nicht wert sind, In dem gesamten Prozeß einer etwaigen Truppen-
mit Gewalt nationale Ziele zu verfolgen, eine Ideo- reduzierung, das möchte ich hier festhalten, darf das
logie zu verbreiten oder irgendeinen Gebietsan- Sicherheitsgefühl auf beiden Seiten nicht verloren-
2770 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970

Buchstaller
gehen. Alle Völker Europas müssen sich auch in passen kann, hat nun einmal in einem Dienstlei-
Zukunft in ihren jeweiligen Sicherheitssystemen stungsbetrieb, wie es die Streitkräfte sind, die
oder in neu zu schaffenden Sicherheitssystemen ge- größte Bedeutung. Aber seine Arbeitskraft — das
borgen fühlen können. Deshalb wird es für die Bun- kann doch auch von seiten der Opposition nicht
desrepublik besonders wichtig sein, daß die ameri- verkannt werden — wird um so teurer, je höher
kanische Präsenz in Europa und besonders in un- der Lebensstandard steigt. Dieser Satz gilt für alle
serem Lande gewahrt bleibt und nicht vorzeitig Lebensbereiche. Die Steigerung der Personalkosten
und einseitig abgebaut wird. Solange es Staaten ist für alle Dienstleistungsbetriebe, auch für die
gibt, deren Absicht es ist oder sein könnte, anderen Bundeswehr, das zentrale Problem.
Staaten den eigenen politischen Willen durch Ge-
walt oder durch Androhung von Gewalt aufzuzwin- Ebenfalls von zentraler Bedeutung in gesellschaft-
gen, ist es notwendig, daß jeder Staat die Fähigkeit licher Hinsicht für unsere Jugend und unseren
behält, sich zu wehren. Rechtsstaat ist die Herstellung von Wehrgerechtig-
keit. Die eingehende Behandlung des Komplexes
In diesem Zusammenhang möchte ich im Gegen- Wehrgerechtigkeit, Wehrdienstverweigerung und
satz zu den Darlegungen von Dr. Zimmermann die Wehrpflichtsystem liefert uns Parlamentariern mehr
realistische Darstellung der Bedrohung durch die sachliche Information, als wir bisher bekommen
Streitkräfte des Warschauer Paktes im Weißbuch hatten. Der, wie ich sagen möchte, gelungene
besonders hervorheben. Die differenzierten Metho- Versuch, den Bedarf der Bundeswehr an Wehr-
den des Weißbuchs 1970 erlauben eine sachgerechte pflichtigen in eine mathematische Formel zu klei-
und realistische Einschätzung der uns gegenüber- den, wird uns viele künftige Entscheidungen er-
stehenden Streitkräfte. In diesem Jahr kommen auch leichtern. Die Entscheidung, die Wehrdienstzeit zu
die amerikanischen und britischen Untersuchungen kürzen, darf nicht daran scheitern, daß Bedenken
zu den gleichen Ergebnissen wie wir. Was mir in hinsichtlich der Ausbildung ins Feld geführt wer-
diesem Zusammenhang — und deswegen habe ich den. Der Verteidigungsminister und seine zustän-
das erwähnt — sehr wesentlich ist: Die nüchterne digen Dienststellen werden dann eben nach neuen
Betrachtung des Kräfteverhältnisses zwischen hü- Formen und Methoden suchen müssen. Forschung
ben und drüben erlaubt auch die Feststellung, die und Praxis bieten manche Anregung dazu. Für jed-
Helmut Schmidt getroffen hat: daß die Bundes- wede Bedenken, für alle gegebenen Probleme und
wehr ein brauchbares und verläßliches und ein kei- Schwierigkeiten gibt es Möglichkeiten der Abhilfe.
neswegs ungenügendes Instrument der Sicherheits- Für Gerechtigkeit gibt es keinen Ersatz.
politik unseres Staates ist. Bei der früher oft ge-
übten, an Panikmache erinnnernden übertriebenen Auch die planerischen Überlegungen von Helmut
Darstellung des militärischen Kräfteverhältnisses er- Schmidt über die Kombination einer Berufsarmee
gab sich nämlich für die Öffentlichkeit und für die und eines Milizsystems wird die Kommission über
Soldaten der Bundeswehr selbst zu leicht der Rück- die Wehrstruktur zu überdenken haben, vor allen
schluß, daß die eigenen militärischen Anstrengungen Dingen auch unter Berücksichtigung der Anpassung
gemessen an denen der anderen Seite fruchtlos sind unserer Wehrorganisation an die Entwicklung un-
und weitere Anstrengungen fruchtlos bleiben müs- serer Industriegesellschaft. Das Parlament, insbe-
sen. sondere die Mitglieder des Verteidigungsausschus-
ses, wird diese Entwicklung aufmerksam zu ver-
Im zweiten Teil des Weißbuches zur Lage der folgen haben und mit eigenen Vorstellungen und
Bundeswehr finden wir die Darstellung des Ist Vorschlägen aufwarten müssen.
Zustandes, gleichzeitig eine Reihe von Maßnahmen
Uns Sozialdemokraten haben die soziale Lage
zur Verbesserung, die — das nehme ich erfreut zur
des Soldaten und seine Einbettung in die Gesell-
Kenntnis — einem Großteil sozialdemokratischer
schaft von jeher am Herzen gelegen. Es ist er-
Forderungen entsprechen. Für viele Mängel müssen
frischend, zu sehen, welche Ansätze zur Verbesserung
Maßnahmen noch erwogen werden, Mängel, deren
sich in der kurzen Zeit seit der Amtsübernahme
Beseitigung unser aller Anstrengung bedarf. Ent-
durch Helmut Schmidt im vergangenen Herbst er-
scheidend für diesen Teil des Weißbuches ist die
geben haben und in Zukunft verwirklicht werden.
Erkenntnis, daß für die Angehörigen der Bundes-
wehr in vieler Hinsicht noch Außerordentliches Nun ist es nicht etwa so, daß alle Erkenntnisse,
getan werden muß, damit sie ihre Aufgaben er- die das Weißbuch enthält, neu sind oder bisher
füllen können. Wir müssen zumindest vorüber- unbekannt waren.
gehend — und das möchte ich noch einmal unter-
(Abg. Damm: Das stimmt!)
streichen: vorübergehend, aber jetzt zwingend — -
eine Umschichtung der Mittel vom Materialsektor Das Weißbuch hat ausdrücklich den vorhandenen
auf den Personalsektor vornehmen; denn wenn es Bestand aufgenommen. Zum Teil sind die Probleme
uns nicht gelingt, die Probleme im personellen sogar schon sehr, sehr alt und waren immer wieder
Bereich zu lösen, haben ein noch so guter Panzer Diskussionsgegenstand, auch in den Fachberatun-
und ein noch so gutes Flugzeug im Verlaufe der gen. Aber wenn die Probleme auch alt sind, so haben
Zeit nur noch Schrottwert. Auch in den Streit- wir doch in den vergangenen Jahren aus dem Ver-
kräften macht erst der Mensch den Betrieb zum teidigungsministerium darüber nicht viel mehr als
lebendigen Organismus, denn der Mensch als ein die Erklärungen guter Absichten bezüglich ihrer
denkendes Wesen, das sich im Gegensatz zur Ma- Lösung gehört. Ausreichende Taten sind den Erklä-
schine ständig wechselnden Einsatzbedingungen an- rungen nicht gefolgt.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2771
Buchstaller
Jetzt haben wir es im Weißbuch 1970 nicht mehr Zugleich schafft eine Auffächerung der Laufbahnen I
nur mit Erkenntnissen zu tun, sondern auch mit der die Möglichkeit, durch eine funktionsorientierte
Ankündigung einer ganzen Reihe von konkreten Besoldung den tatsächlichen Tätigkeiten und dem
Verbesserungsmaßnahmen. Es ist müßig, die ange- tatsächlichen Verantwortungsbereich gerecht zu wer-
kündigten internen Maßnahmen und die Gesetzes- den.
initiativen einzeln aufzuzählen. Sie befassen sich Eine solche flexible Besoldungsordnung erlaubt
fast ausschließlich mit der Person des Soldaten und es, hochwertige Spezialisten in der Bundeswehr zu
seinem Wohlergehen. Helmut Schmidt sagt nicht halten, ohne sie an Unteroffiziers- bzw. Feldwebel-
nur, daß der Soldat ein Teil der Gesellschaft und lehrgängen scheitern zu lassen. Und eine solche Per-
uns allen ebenbürtiger Mitbürger ist, er will ihn sonalplanung liefert gleichzeitig einen wichtigen
auch so behandeln und am sozialen Fortschritt teil- Beitrag zum leidigen Problem der Wehrgerechtig-
haben lassen. keit. Wie durch den Verteidigungsminister hier be-
Aus parlamentarischer Erfahrung und langer Beob- reits dargetan, sind die Tauglichkeitsmerkmale aus-
achtung des Geschehens in der Bundeswehr weiß schließlich an der Befähigung zu messen, einen
ich jedoch — und nicht nur ich allein —, wieviel brauchbaren Dienst in der Bundeswehr leisten zu
guter Wille von Politikern in der Vergangenheit können.
an den veralteten Verwaltungsstrukturen in unse- Auch die Dauer der Zugehörigkeit zur Bundes-
rem Staate, an bürokratischer Gesinnung und an wehr beeinflußt das Ausbildungssystem. Neben
Gleichgültigkeit gescheitert ist: Wir hier im Parla- Wehrpflichtigen stehen Soldaten mit zeitlich be-
ment haben daher die Aufgabe, wenn es notwendig grenzter Verwendung. Ich glaube, daß gerade in
ist, dem Verteidigungsministers entsprechend Schüt- diesem Bereich eine Reihe von Vorschlägen des
zenhilfe zu gewähren und Maßnahmen durchzuset- Weißbuches von uns im Verteidigungsausschuß auf-
zen, welche den Ablauf der Prozeduren beschleuni- gegriffen werden sollten, um sie dann in gesetz-
gen und erleichtern. geberische Initiativen umzuwandeln.
Der Abschnitt ,,Ausbildung der Soldaten" muß Ich sehe, Herr Präsident, daß meine Redezeit zu
nach meiner Auffassung noch präzisiert und erläu- Ende geht. Ich versuche aus diesem Grunde, einige
tert werden. Wir fordern, daß die Ausbildung in der Punkte aus meinem Manuskript zu umgehen.
Bundeswehr, soweit dies dienstlich tragbar ist, so Auf eine Bemerkung, die Herr Dr. Zimmermann
gestaltet wird, daß der Soldat auch für sein ziviles gemacht hat, möchte ich noch eingehen. Auch ich bin
Leben einen Vorteil davon hat. Das ist dann nicht nicht sehr glücklich über die im Haushaltsausschuß
nur ein Vorteil für ihn, den Soldaten, sondern auch übrigens einstimmig beschlossene Umwandlung der
ein Vorteil für unsere Gesellschaft. Meines Erach- Sperrungen in Kürzungen.
tens kann die Bundeswehr heute schon ohne weite-
res mehr in dieser Richtung tun, als tatsächlich ge- (Abg. Damm: Wer hat da die Mehrheit?)
schieht. Luftwaffe und Marine haben diesbezüglich — Einstimmig! Und ganz einfach deshalb einstimmig,
schon manche Pionierarbeit geleistet. weil hier nicht verteidigungspolitische, sondern kon-
In der Diskussion um neue Leitbilder für das Füh- junkturpolitische Gesichtspunkte maßgebend waren.
rungspersonal der Bundeswehr geht es heute darum, Es muß, glaube ich, ein Kompromiß gefunden wer-
diese Leitbilder in die Wirklichkeit umzusetzen. Die den, um in die Gestaltung des Haushalts künftig
Bundeswehr hat sich von der Vorstellung zu lösen, die Aspekte der Verteidigungspolitik angemessen
daß im militärischen Bereich der preußische Leut- einzubeziehen. Das ist eine Bitte, die ich vor allen
nant und im zivilen Bereich der preußische Assessor Dingen an die Kollegen des Haushaltsausschusses,
alles könnten. Sollen die Mittel für unsere Sicher- die diese entscheidende Verantwortung tragen, zu
heit sinnvoll eingesetzt werden, dann darf bei der richten habe.
Besetzung der Stellen nicht danach gefragt werden, Ein paar abschließende Bemerkungen, Herr Prä-
ob ein Soldat oder ein Beamter einzusetzen ist. Das sident, in der Bemühung, die Redezeit nicht allzu
ist nur eine Frage des Status. Genauso wenig darf stark zu überziehen, gestatten Sie mir hinsichtlich
die Besetzung einer Stelle von der Zugehörigkeit der neuen Waffensysteme zu machen, die von
zu einer Teilstreitkraft abhängig sein. Die Frage Herrn Zimmermann angesprochen wurden. Wir
muß vielmehr lauten: Von welcher Art ist die an der sind uns klar darüber, daß neue Waffensysteme
Stelle zu leistende Tätigkeit, und welche Vorausset- auch unter dem Gesichtspunkt der Bedienung und
zungen muß der Stelleninhaber mitbringen? Wartung gesehen werden müssen. Ich erinnere nur
Um die Aufgaben, die in der Bundeswehr zu lei- daran, daß die Bundesmarine schon seit Jahren
sten sind, als Gemeinschaftsaufgaben zu erkennen, einen Teil ihrer Kriegsschiffe einmotten muß, weil
sollte die Ausbildung auf möglichst vielen Gebieten sie weder Personal noch finanzielle Mittel hat, um
in Einrichtungen vollzogen werden, die auch für an- diese Schiffe im Dienst zu halten. Das Projekt des
dere Lebensbereiche zur Verfügung stehen. Dies ist Kampfpanzers 70 ist nicht zuletzt daran gescheitert,
zugleich ein guter Beitrag zur Integrierung der Bun- daß dieser Panzer nur von hochqualifizierten Fach-
deswehr. leuten hätte bedient werden können. Es geht also
nicht nur um die finanziellen und haushaltspoliti-
Die Feststellung, daß weite Teile der Ausbildung
schen Gesichtpunkte; es geht wesentlich auch um
gemeinsam durchgeführt werden können, führt von
die personellen Notwendigkeiten.
selbst zu dem Schluß, daß das Personal der verschie-
denen Bereiche austauschbar ist. Der Soldat kann mit Waffensysteme und -geräte müssen vom Men-
vergleichbaren zivilen Tätigkeiten konkurrieren. schen voll beherrscht werden. In Friedenszeiten
2772 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970

Buchstaller
darf die Truppe nicht durch ständige Wartungsauf- Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
gaben überfordert werden. Wir dürfen nicht noch Abgeordnete Jung. Für ihn sind 45 Minuten Rede-
einmal ein solch bitteres Lehrgeld zahlen, wie wir zeit angemeldet.
es beim Starfighter mit Menschenleben und Millio-
nenverlusten bezahlen mußten. Ich stimme deshalb
dem Verteidigungsminister voll zu, wenn er er-
Jung (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr geehr-
ten Damen und Herren! Die Aussprache des Deut-
klärt, daß er sich bei der Einführung, Entwicklung
schen Bundestages über das Verteidigungsweiß-
und Beschaffung neuer Waffensysteme nicht von
buch 1970 der Bundesregierung findet zu einem
einer genauen und umsichtigen Prüfung und Über-
Zeitpunkt statt, in dem nicht nur die Außenpolitik,
prüfung, auch hinsichtlich der personellen Bewäl-
sondern insbesondere auch die europäische Sicher-
tigung, abbringen läßt, auch dann nicht, — Herr
heitspolitik in Bewegung geraten ist. Ich möchte
Minister, ich nehme das, was hier zum Ausdruck
mich deshalb ebenso wie Herr Zimmermann in mei-
gebracht wurde, sehr ernst —, wenn ein Exponent nen Ausführungen besonders auf den ersten Teil
der sehr starken Rüstungslobby als CDU-Abgeord- des Weißbuchs konzentrieren und bedaure eigent-
neter im Verteidigungsausschuß sitzt. lich, daß Herr Kollege Zimmermann nicht mehr an-
(Hört, hört! bei der SPD. — Zurufe von wesend ist, weil ich zu einer anderen Wertung
der CDU/CSU.) komme als er. Die Tagung des NATO-Ministerrats
in der vergangenen Woche in Rom hat nämlich ge-
Wenn es um Milliardenbeträge und um die Sicher- rade auf diesem Sektor zu bedeutsamen Beschlüssen
heit des Menschen geht, darf sich kein Verteidi- geführt, meine Damen und Herren. Es ist ein gar
gungsminister unter Zeitdruck setzen lassen. nicht hoch genug einzuschätzender Erfolg dieser
Bundesregierung und insbesondere ihrer beiden
Unsere Vorstellungen von einem Plan oder von
Minister Scheel und Schmidt, daß sie eine einschlä-
Planung überhaupt umfassen nicht nur vorausseh-
gige Marschroute der NATO-Partner bei den Bemü-
bare neue wissenschaftliche Erkenntnisse und tech-
hungen erreichen konnte, zu kontrollierten gleich-
nische Erfindungen. Es sind vielmehr auch andere
gewichtigen Rüstungsverminderungen in Ost und
Möglichkeiten zur Gestaltung der Verteidigung zu
West zu kommen.
entwickeln. Das Planen darf die Wahlmöglichkeiten
nicht verengen, sondern es muß sie erweitern. Für (Abg. Damm: Das wurde doch schon in
die, die zu wählen vermögen, bedeutet das einen Reykjavik gesagt!)
Zuwachs an realer Freiheit. Jeder Plan beinhaltet
eine Vorstellung oder einen Willen zur Gestaltung Die Frage eines Abbaus der Rüstung in Europa
der Zukunft. gewinnt eine immer stärkere Bedeutung. Allen Ein-
sichtigen und Gutwilligen in Ost und West wird im-
Form und Inhalt des Weißbuches lassen uns hof- mer klarer, daß der Fortschritt der Menschheit ent-
fen, daß die Bundeswehr unter Helmut Schmidt sol- scheidend gehemmt wird, wenn es nicht gelingt, die
che Planungen zuwege bringt, Planungen, die all völlig unproduktiven Rüstungskosten entscheidend
die Veränderungen der Faktoren einbeziehen, von zu senken. Diese Interessenidentität ist völlig un-
denen im ersten Teil des Weißbuches die Rede ist. abhängig von den politischen Zuständen in den ein-
Die Organisation zur äußeren Sicherheit, wird in zelnen Ländern und den ideologischen Grundlagen,
weit höherem Maße dem Wandel unterworfen sein, von denen die Militärblöcke jeweils getragen sind.
als das bisher der Fall war. Zunehmend werden wir
uns vom Hergebrachten lösen müssen. Auch die
Ergebnisse der Friedens- und Konfliktforschung Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeord-
müssen einbezogen werden. Die Organisation zur neter, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge-
äußeren Sicherheit darf nie zum Selbstzweck wer- ordneten Damm?
den.
Ausgangspunkt aller unserer Überlegungen hier Damm (CDU/CSU) : Herr Jung, sind Sie wirklich
in diesem Hohen Hause soll der Mensch, einbezo- davon überzeugt, daß auch die Verantwortlichen
gen in unsere staatliche Ordnung, sein. Um ihn in im Osten diese Meinung hegen?
den Genuß der im Grundgesetz formulierten Rechte
zu bringen, bemühen wir uns, seinen Arbeitsplatz,
seine Gesundheit, seinen Lebensstandard, seine Fa- Jung (FDP) : Herr Kollege Damm, ich werde
milie, Leib und Leben zu sichern. Für dies alles be- gleich noch darauf kommen. Sie sprechen sicher die
darf es auch einer Sicherung nach außen. Diese Reaktion der „Prawda" an, die ja auch Herr Zim-
Sicherung ist aber nur gegeben, wenn die Men- mermann hier vorhin erwähnte. Aber ich bitte Sie,
schen, die diese Gemeinschaftsaufgabe der Siche- sich einen Moment zu gedulden. Ich bin genau wie
rung, sei es als Beruf, sei es als Wehrpflichtige, er- Generalsekretär Brosio der Meinung, daß eine harte
füllen, in unserer sozialen Fürsorge ihre Bestäti- Absage heute noch lange nicht bedeutet, daß mor-
gung finden. Nur dies gibt ihnen die Kraft und die gen auf der östlichen Seite die gleiche Haltung be-
moralische Rechtfertigung zu dieser schweren und steht.
verantwortungsvollen Aufgabe. Die SPD-Bundes- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
tasgfraktion ist sehr froh darüber, daß dem Weiß-
buch diese Einstellung zugrunde liegt. Vizepräsident Dr. Jaeger: Gestatten Sie eine
(Beifall bei der SPD.) Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Wörner?
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2773

Dr. Wörner (SPD) : Ich will Ihren Ausführungen Reformen, wie etwa die unseres Bildungssystems,
nicht vorgreifen, aber anschließend an die Frage in den kommenden Jahren benötigen. Dieses Kon-
meines Kollegen Damm fragen, wie Sie dazu kom- zept der Bundesregierung, das in der vergangenen
men, es als besonders sensationell oder gar als Er- Woche in Rom mit unseren NATO-Partnern abge-
folg der Verhandlungsbemühungen zweier deut- sprochen wurde und von ihnen gebilligt worden ist,
scher Minister zu werten, daß sich die NATO in wird nur dann Erfolg haben, wenn auch die Macht-
Rom erneut bereit erklärt hat, Abrüstungsschritte zu haber im Osten ihre wahren Interessen im Auge
unternehmen. Ist Ihnen nicht bekannt, daß das seit behalten. Ob sie vernünftig reagieren werden, Herr
langem das Angebot der NATO gewesen ist und Damm, bleibt in 'der Tat abzuwarten.
bleiben wird?
Ich wiederhole noch einmal: Ich neige mehr der
Ansicht des Generalsekretärs Brosio zu, der sagte,
Jung (FDP) : Herr Kollege Wörner, natürlich auch eine harte Reaktion bedeute noch nicht, daß
kenne ich die Beschlüsse von Reykjavik, und ich nicht morgen im Osten die Einsicht größer werde,
kenne auch die Bemühungen der NATO seit langem für einen gegenseitigen Abbau einzutreten.
um diesen gegenseitigen Abbau. Aber noch nie ist (Abg. Dr. Klepsch: Der Herr Minister hört
so deutlich geworden wie in Rom, daß eben alle schon gar nicht mehr zu!)
NATO-Partner die Bemühungen der Bundesregie-
rung, in Gesprächen mit den verschiedenen Ge- Auch hier gilt wie sonst in unserer Ostpolitik, Herr
sprächspartnern im Osten aktiv zur Entspannung Klepsch, daß die Bundesregierung beharrlich, aber
beizutragen, unterstützen. Das ist in der Vergangen- ohne Illusionen tun muß, was das Interesse der .
heit noch nie so deutlich geworden wie gerade in Menschitrfod.
diesen Tagen.
Es liegt auf der Hand, daß wir gerade im Bereich
(Beifall bei den Regierungsparteien.) der Sicherheitspolitik nur in einer Weise aktiv wer-
den können, die unsere fundamentalen Sicherheits-
interessen nicht gefährdet.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeord-
neter, gestatten Sie eine weitere Frage des Abge- (Abg. Dr. Klepsch: Die Regierung hört Sie
ordneten Damm? nicht!)
Das heißt, bis es zu definitiven Vereinbarungen über
Damm (CDU/CSU) : Herr Jung, ist es denn not- eine gleichwertige Rüstungsverminderung in Ost und
wendig gewesen, daß sich unser Außenminister, Ihr West kommt, muß das NATO-Bündnis absolut intakt
Parteivorsitzender, Herr Scheel, besonders bemühen und auf der vollen Höhe seiner Leistungsfähigkeit
mußte, um das zu erreichen? Haben die anderen bleiben. Wir Freien Demokraten haben uns auch in
Partner so große Schwierigkeiten gemacht? der Vergangenheit bei den Bemühungen um eine
Abrüstung stets gegen Vorleistungen gewehrt, ob-
gleich uns gerade von Ihrer Seite so etwas hin und
Jung (FDP) : Ich glaube, daß es sein besonderes wieder unterstellt wurde. Wir stehen auch heute
Verdienst war, deutlich zu machen, was diese Bun- noch dazu. Materielle Vorleistungen sind — ich
desregierung will. glaube, das sind wir mit der Breite des Hauses einig
(Abg. Damm: Das kann Herr Schmidt sicher — kein Schritt hin auf einen gesicherten Frieden.
viel besser!) Sie würden die Gegenseite nicht unbedingt zum
Nachziehen veranlassen, sondern möglicherweise
Er hat sicher bei diesen Gesprächen und bei diesen nur die Erwartung stärken, daß man den Westen
Verhandlungen eben die volle Zustimmung der auch ohne eigene Zugeständnisse schwächen kann.
NATO-Partner in Rom in einem Maße erhalten, wie
das in der Vergangenheit nicht der Fall war. (Abg. Dr. Klepsch: Das müssen Sie Herrn
Schmidt sagen, wenn er Ihnen zuhört!)
Auch der Kommunismus wird seinem Ziel, nämlich
den Lebensstandard der Bevölkerung entscheidend Es wird daher intensiver und langfristig angeleg-
zu verbessern, ter .Bemühungen bilateraler und multilateraler Art
bedürfen, um auf diesem besonders schwierigen Ge-
(Abg. Damm: Ist das sein Ziel?)
biet internationaler Verhandlungen zu Erfolgen zu
nicht näherkommen, wenn er auch weiterhin sein kommen. Wir Freien Demokraten haben die hierfür
Geld wie bisher für die militärische Rüstung ge- erforderliche Geduld und unterstützen die Bundes-
wissermaßen zum Fenster hinauswirft. Ebenso fun- regierung voll und ganz bei ihren entsprechenden
damental ist das Interesse aller westlichen Nationen Bemühungen.
an einem Abbau der militärischen Konfrontation.
(Abg. Damm: Hoffentlich auch nach dem
Für die Bundesrepublik ist diese Frage nicht nur 14. Juni! — Gegenruf des Abg. Mischnick.)
deswegen von Bedeutung, weil Abrüstung ein be- — Auch nach dem 14. Juni, Herr Damm.
sonders wichtiger Faktor bei den Bemühungen der
Bundesregierung um eine wirksame Friedenssiche- In der Zwischenzeit gilt es, unsere westlichen
rung ist. Darüber hinaus haben auch wir ein ökono- Verteidigungsanstrengungen so effektiv zu gestal-
misches Interesse daran, die Rüstungsausgaben ein- ten, daß von ihnen eine wirklich abschreckende
zuschränken und auf diese Weise die Mittel zu ge- Wirkung ausgeht. Die FDP hat hierzu bei den gro-
winnen, die wir für die großen innenpolitischen ßen verteidigungspolitischen Debatten der vergan-
2774 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970

Jung
genen Jahre stets konsequent ihr Verteidigungs- eine Gliederung in der Spitze schon zu großen Tei-
konzept vorgetragen. len verwirklicht wurden, können wir heute fest-
stellen, daß in wesentlichen Teilen des Weißbuches
(Abg. Damm: Das ist aber nicht ins Weiß
eine Bestätigung der Richtigkeit der Verteidigungs-
buch eingegangen!)
konzeption der FDP zu sehen ist.
— Ich glaube, es sind große Teile darin eingegangen,
Herr Kollege Damm. Ich werde Ihnen das nachher Ich darf Ihnen noch einmal die wesentlichen Fak-
im einzelnen erläutern. Sie werden sich wundern. toren und Forderungen der FDP auf diesem Gebiet
in die Erinnerung zurückrufen:
(Abg. Stahlberg: „Eingegangen" ist richtig,
aber in einem anderen Sinn!) (Abg. Damm: Sonst merkt das nämlich keiner!)
Wir haben darüber hinaus die Absicht der Bun- 1. Konzentration der deutschen Anstrengungen
desregierung dankbar begrüßt, eine Bestandsauf- auf die konventionelle Verteidigung und Arbeits-
nahme vorzunehmen, die die Erfolge und die leider teilung im Bündnis.
unbestreitbaren Schwächen unserer Verteidigungs- (Abg. Damm: Wieso geben wir denn die
anstrengungen aufzeigt. Das Verteidigungsweißbuch nukleare Komponente auf?)
1970 wurde dieser Forderung weitgehend gerecht.
In verhältnismäßig kurzer Zeit ist es dem Verteidi- 2. Weitgehende Ausschöpfung des bisher brach-
gungsminister und seinen Mitarbeitern gelungen, liegenden Reservistenpotentials und Verbesserung
eine umfassende Übersicht über die Situation unse- des Erfassungs- und Mobilmachungssystems.
rer militärischen Landesverteidigung zu geben. 3. Dadurch ermöglichte Verkürzung der Dauer
Hierfür spreche ich Ihnen, Herr Minister, und Ihren des Grundwehrdienstes auch als einen entspre-
Mitarbeitern auch den Dank der Freien Demokraten chenden Beitrag zur Wehrgerechtigkeit.
aus.
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. 4. Orientierung des Verteidigungsauftrages an
Dr. Barzel: In Abwesenheit!) einem realistischeren Kriegsbild, d. h. ausgehend
nicht von allen beliebigen möglichen, sondern von
Das Verteidigungsweißbuch bringt eine Reihe von den wahrscheinlichen gegnerischen Aktionen.
sehr konkreten Vorschlägen zur Beseitigung ver-
schiedener Schwierigkeiten der Bundeswehr. Zu den In diesem Zusammenhang stimmen wir der Be-
Besoldungsverbesserungen, die wir Freien Demo- urteilung der Gefahren, die in den Abschnitten 25
kraten ausdrücklich begrüßen, zu den Fragen der bis 29 des Weißbuches aufgezeigt sind, uneinge-
Wehrgerechtigkeit, der Personalstruktur, der Inte- schränkt zu. Hier wird nun endlich auch amtlich
gration in die Gesellschaft werden meine Kollegen der Öffentlichkeit gesagt, wie die Lage wirklich
Ollesch und Krall sicherlich noch eingehend Stellung ist:
nehmen. 1. Die großangelegte Aggression gegen West-
Aber mindestens ebenso wichtig wie diese kurz- europa, die zwar nicht ausgeschlossen ist, wird als
fristig durchzuführenden konkreten Maßnahmen zur wenig wahrscheinlich bezeichnet.
Verbessernug der Besoldungsstruktur und zur Be-
2. Auch die begrenzte Aggression gegen Teile
seitigung personeller Engpässe sind die langfristi- des NATO-Gebietes, die auf territoriale Faustpfän-
gen Perspektiven, die sich aus dem Inhalt des der abzielt, wird für die überschaubare politische
Weißbuches für die Gestaltung unserer Landesver- Etappe als wenig wahrscheinlich charakterisiert.
teidigung ergeben.
Der Bundesminister der Verteidigung hat sich, 3. Als gegeben wird dagegen eine Lage skizziert,
wie ich meine, zu Recht gehütet, in dem Weißbuch bei der die Gegner politische Pressionen ausüben,
Patentlösungen vorzuschlagen. Er hat vorhin auch die auf militärische Mittel abgestützt sind; eine
erklärt, er wolle die Debatte und die Ergebnisse Aktionsform, die in ihrer Anwendung etwa auf
dieser Debatte abwarten, um dann nach der Sommer- Westberlin eine zusätzliche Spezifik besäße und be-
pause diesem Hause die entsprechenden Lösungen sondere Gefahren heraufriefe.
vorzulegen, Die Versäumnisse der Vergangenheit Die Regierung folgert richtig, daß die Schmäle-
gerade im Bereich der militärischen Landesverteidi- rung ihrer politischen Entscheidungsfreiheit durch
gung sind nicht durch Patentlösungen zu beheben. Druck oder Drohungen die eigentliche Gefahr ist,
Es bedarf umfangreicher Strukturveränderungen in die der Bundesregierung und ihren Bündnispartnern
allen Bereichen, die sorgfältig aufeinander abge- widerfahren könnte. Genau diese Einschätzung ist
stimmt sein müssen und ein langfristiges Konzept eine der Grundlagen der seit Jahren vorgetragenen
-
voraussetzen, das eine ausreichende politische Rük- Verteidigungskonzeption der FDP. Wir freuen uns,
kendeckung auch im Parlament genießt. feststellen zu können, daß hier Realismus und Ob-
jektivität den alten Zopf des Irrationalismus und
Nachdem wir schon im Frühjahr feststellen konn- der emotional motivierten Feindverteufelung ab-
ten, Herr Kollege Damm, daß erfreulicherweise Vor- geschnitten haben.
stellungen der FDP, die noch im vergangenen Jahr
abgelehnt wurden, Lassen Sie mich noch einen weiteren Komplex
erwähnen, in dem sich die Freien Demokraten voll
(Abg. Damm: Welche denn?) bestätigt sehen: die politisch richtig gewichtete Ein-
nämlich über die Gesamtorganisation der Landes ordnung der zivilen Verteidigung. Zwei Gedanken
verteidigung, durch eine Umorganisation, durch möchte ich unterstreichen:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2775
Jung
1. Der Aufbau der zivilen Verteidigung hängt Damm (CDU/CSU) : Herr Jung, bedeutet Ihre
weitgehend von der Mittelzuweisung ab. Angesichts Antwort, daß der Bundesminister der Verteidigung,
der Haushaltslage des Bundes hat die Bundesre- Helmut Schmidt, die nukleare Komponente in der
gierung jedoch die von ihrer Vorgängerin vorge- Bundeswehr abschafft?
sehenen Ansätze nur halten, nicht aber erhöhen
können. Jung (FDP) : Nein, diese Antwort bedeutet nicht,
2. Die unerläßliche Gleichbehandlung beider daß Herr Schmidt diese nukleare Komponente ab-
Komponenten der Gesamtverteidigung — militäri- schafft. Ich verweise auf die Interviews — ich
scher und ziviler Bereich — zwingt zu einer Ver- komme nachher noch darauf —, die er auch im Zu-
stärkung der zivilen Verteidigung und zu einer sammenhang mit der NATO-Ministerkonferenz in
Heranführung an den Aufbaustand der militärischen Rom gegeben hat. Es bedeutet, daß er bereit ist,
Verteidigung. diese Komponente im Rahmen der gegenseitigen
Abrüstungsbemühungen in Frage zu stellen. Ich
empfehle Ihnen, dieses Interview einmal kurz nach-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeord- zulesen.
neter Jung, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Abgeordneten Damm? (Abg. Stahlberg: Lesen Sie mal, was der
Verteidigungsminister Herrn Schultz in der
ersten Debatte in diesem Hause geant
Jung (FDP) : Bitte schön! wortet hat!)
— Lassen Sie mich kurz die Behandlung der zivilen
Damm (CDU/CSU) : Herr Jung, wie rechtfertigen Verteidigung zu Ende bringen. Es entspricht genau
Sie Ihre Behauptung, daß das Weißbuch eine reali- den Vorstellungen und den Forderungen der Freien
stischere Betrachtungsweise, d. h. also eine Betrach- Demokraten und unserer Festellung, daß eben die
tungsweise von der Bedrohung hat, die lediglich da- militärische Verteidigung inkonsequent ist und sinn-
von ausgeht, daß wir vielleicht politisch erpreßt los werden kann, wenn ihr die zivile Verteidigung
werden können? Denn in Ziffer 24 des Weißbuchs in der Dotierung, der materiellen Ausstattung und
heißt es folgendermaßen: Die Warschauer-Pakt- der Effektivität nicht entspricht,
Kräfte in Mitteleuropa — und jetzt beginnt das (Abg. Damm: Sehr richtig!)
Zitat —
... sind weit stärker, als dies für die Abwehr wenn der eine Sektor nicht fugen- und reibungslos
eines Angriffs aus dem Westen nötig oder für in den anderen übergeht.
die Aufrechterhaltung der sowjetischen Vor- (Abg. Damm: Sehr richtig!)
herrschaft erforderlich wäre. Die Existenz solch
— Ich freue mich, Herr Damm, daß Sie mir hier zu-
riesiger Streitkräfte darf nicht als Bluff be-
stimmen.
trachtet oder behandelt werden. Zudem er-
höhen die Sowjetunion und ihre Verbündeten Zur Frage der Verkürzung des Grundwehrdienstes
— anders als der Westen — ihre Verteidi- wird in dem Weißbuch eine Reihe von Modellen
gungsanstrengungen von Jahr zu Jahr weiter. entwickelt. Wenn sich das Verteidigungsministe-
Es gibt kein konventionelles Gleichgewicht in rium hinsichtlich dieser Modelle auch noch nicht ent-
Zentraleuropa. schieden hat, so ist es doch klar, daß die Probleme
Das ist alles Zitat des Weißbuchs. der Personalstruktur der Bundeswehr ohne eine ein-
schneidende Verkürzung in der Zukunft nicht gelöst
werden können. Es ist schon jetzt abzusehen, daß
Jung (FDP) : Herr Kollege Damm, es gibt eine sich die Kommission, die diese Frage nochmals un-
alte militärische Weisheit, die besagt, daß ein An- tersuchen wird, in dieser Richtung entscheiden muß.
greifer dreimal so stark sein muß wie einer, der Wir Politiker sollten hier und heute schon deutlich
diesen Angriff abzuwehren gedenkt. Wenn Sie also sagen, daß der Zug in diese Richtung fährt. Wir
unseren Forderungen in der Vergangenheit gefolgt Freien Demokraten jedenfalls stehen nicht an, das
wären, nämlich die konventionelle Komponente der hier und heute auch deutlich zu sagen.
Bundeswehr zu stärken, dann hätten wir heute nicht Allerdings haben wir die Forderung auf Verkür-
die so beklagten Lücken in der Panzerabwehr und zung des Grundwehrdienstes auch nie isoliert er-
in der Tieffliegerabwehr, sondern dann hätten wir hoben. Wir haben damit eine ganze Reihe von For-
das, was wir in den vergangenen Jahren gefordert derungen verbunden, insbesondere hinsichtlich der
haben, Behebung des Unteroffiziersmangels. Eine Einbuße -
(Beifall bei den Regierungsparteien) an Kampfkraft soll nach unserer Vorstellung insbe-
und wir hätten nicht Waffensysteme, von deren sondere aber auch dadurch verhindert werden, daß
Einsatzmöglichkeit wir überhaupt nicht überzeugt das bislang weitgehend ungenutzte Potential an
sind, weil wir sie nämlich gar nicht zum Einsatz ausgebildeten Reservisten für unsere Verteidigungs-
bringen können. anstrengungen mit eingesetzt wird. Hierzu bedarf es
(Zustimmung bei der SPD.) eines wesentlich verbesserten Mobilmachungs-
systems. Auch in dieser Hinsicht sehen wir uns
durch den Inhalt des Weißbuches vollauf bestätigt.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Gestatten Sie eine Wir Freien Demokraten sichern der Bundesregie-
zweite Frage? rung schon jetzt unsere volle Unterstützung zu bei
2776 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970

Jung
ihren Bemühungen, die ausgebildeten Reservisten in ter statt Kanonen", wie die CDU es jetzt tut, eigene
unsere Verteidigungsanstrengungen einzubeziehen, Fehler verschleiern.
auch im Rahmen der Präsenz. Wenn die Bundes-
Nach Streichung des Main-Battle-Tank 70 sowie
regierung bereits vor einigen Wochen den Reser-
der Fregatten stehen wir jetzt vor einer Kürzung
visten nach Abschluß ihres Grundwehrdienstes die
des Etats für die Beschaffung der Transporthub-
Anweisung erteilt hat, im Verteidigungsfall zu ihren
schrauber CH 53. Das wird natürlich Folgen haben,
alten Einheiten zurückzukehren, so ist auch das ein
die nicht nur auf taktischer und technischer, son-
Schritt in die richtige Richtung.
dern auch auf ökonomischer Ebene zu suchen sind.
Das Verteidigungsweißbuch unterstreicht die seit Eine Streichung des Programms um rund 40 %
1967 gültige NATO-Doktrin der flexiblen Reaktion. würde bedeuten, daß eine neue Heereskonzeption
Auch die FDP ist seit langem der Ansicht, daß diese erarbeitet werden muß. Denn es liegt auf der Hand,
Doktrin einen erheblichen Fortschritt gegenüber daß eine so starke Kürzung von 135 auf 80 natür-
dem Prinzip der massiven Vergeltung darstellt. lich die höhere Luftbeweglichkeit des Heeres be-
Letzteres war eigentlich nie recht glaubhaft und einträchtigen würde. Auch die niedrigere Produk-
konnte deshalb auch nicht in dem Maße abschrek- tionszahl wird zwar die absoluten Kosten verrin-
kend wirken, wie es erforderlich ist. Nur durch eine gern, aber nicht die stückzahlunabhängigen Fix-
hochmoderne, leistungsfähige konventionelle Rü- kosten. Dadurch wird der einzelne Hubschrauber
stung 'der Bundeswehr kann innerhalb der NATO natürlich teurer.
unseren berechtigten sicherheitspolitischen Interes-
sen Rechnung getragen werden. Mit Bedauern müs- Auch scheint mir der Lizenzbau dann in Frage ge-
sen wir feststellen, daß nicht zuletzt die schwierige stellt, wenn eine so starke Kürzung vorgenommen
Konjunkturlage — wie Herr Buchstaller es sagte —, wird, weil dieser zumindest nach den Angaben, die
in der wir uns infolge der unterlassenen Maß- uns seinerzeit im Verteidigungsausschuß gemacht
nahmen der früheren Bundesregierung in diesem wurden, an sich nur bei etwa 120 vertretbar sei.
Bereich befinden, zu Streichungen und zu Streckun- Die deutsche Luftfahrtindustrie, die sich zum Teil
gen gerade im konventionellen Rüstungsbereich bereits auf dieses Programm eingestellt hat, wird
natürlich erhebliche Ausfälle an Kapazitäten hin-
führen wird.
nehmen müssen. Diese werden auch Auswirkungen
Die Situation der Bundeswehr, wie sie im Weiß- auf die Beschäftigungslage haben. Was mir aber
buch in bezug auf die Rüstungsplanung aufgezeigt viel wichtiger ist, ist der Verlust an Know-how, der
ist, zeigt, wie sehr die FDP mit ihren von mir vor- bei der Entwicklung und bei dem Bau solcher
getragenen Forderungen — ich erinnere an die Etat- Systeme insbesondere der gesamten Volkswirt-
debatte im Jahre 1968 — recht behielt, bei der schaft zugute kommen könnte.
Beschaffung atomarer Trägersysteme zugunsten der
konventionellen Ausrüstung und des Personalbe- Aber nicht nur die CH 53 ist betroffen, sondern
reichs zu kürzen. Schon damals schlug 'die FDP eine auch andere Waffensysteme, z. B. der Luftwaffe. Ich
Kürzung um eine runde Milliarde D-Mark vor und erinnere daran, daß zur gleichen Zeit, als die FDP
forderte die Umschichtung dieser eingesparten Mit- ein Waffensystem bekämpfte, das mit dem für eine
tel — zumindest eines Teils dieser eingesparten Zwischenlösung horrenden Stückpreis von rund
Mittel, nämlich von 500 Millionen DM — zugunsten 25 Millionen DM veranschlagt wurde — Sie wissen,
des personellen Bereichs. Wäre man damals diesem es war die „Phantom" —, die FDP die Vorantreibung
Vorschlag gefolgt, brauchten wir heute über die eines europäischen Gemeinschaftsprojekts „Neues
Probleme, über die wir uns nur unterhalten, gar Kampfflugzeug" forderte, das den Anforderungen
nicht mehr sprechen; denn dann wären sie zumin- der siebziger und achtziger Jahre gerecht werden
dest im personellen Bereich schon im wesentlichen sollte, insbesondere mit Rücksicht auf unsere poli-
in den letzten beiden Jahren gelöst worden. tische, militärpolitische und geographische Situa-
tion. Aus dem NKF wurde dann das MRCA, das
(Zustimmung bei der FDP.) in der Tat, Herr Minister — und hier muß ich Herrn
Vielleicht darf ich eines deutlich machen, nachdem Zimmermann recht geben —, sowohl diesem Par-
hier in einer Zeitung steht, daß von mir Kritik an lament als auch uns Mitgliedern im Verteidigungs-
Minister Schmidt geübt wurde, weil diese Umschich- ausschuß als das Nachfolgemuster für die Fiat G 91
tung jetzt eben nicht durchgeführt worden sei: Diese und die F 104, den Starfighter, vorgestellt wurde.
Forderung bezieht sich auf das Jahr 1968. Ich bitte Wie anders könnte den dieser Name „Multi-Roll" —
Sie, die Protokolle nachzulesen. Es ist also nicht „Mehrfach" — und für mehrere Zwecke einzuset-
eine Forderung, die hier und heute gestellt wurde, zendes Flugzeug — zustande kommen? Denn das
-
sondern die von uns damals gestellt worden ist. Und bedeutet ja eben MRCA. Der Systemstückpreis sollte
ich weise nochmals darauf hin: Vieles wäre in der bei etwa 10 Millionen DM liegen. Mittlerweile zeich-
Zwischenzeit bereits erledigt worden. net sich in der Tat durch die Verhandlungen im
Konsortium ab, daß dieses Flugzeug nicht geeignet
Unter dem Druck der Umstände muß jetzt eine ist, alle die Aufgaben zu übernehmen, die ihm ur-
Reihe von Waffensystemen, wie schon in den vor- sprünglich - ich sage ursprünglich, nicht nach den
hergegangenen Reden erwähnt, zum Teil zeitlich ge- Verhandlungen im Konsortium — zugedacht waren.
streckt und zum Teil gekürzt werden. Aber man Deswegen steht nun die Frage, ob man statt der
soll jetzt aus den Sünden der Vergangenheit ler- vorgesehenen 800 nur 400 beschafft. 800 sollten
nen und - hier wende ich mich an Sie, Herr Dr. zum Gesamtpreis von knapp einer Milliarde be-
Klepsch — nicht mit billigen Schlagworten wie „But schafft werden. Diese 400 werden aber nach meinen
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2777
Jung
Schätzungen bei einem Systempreis pro Stück liegen, gegenüber dem Warschauer Pakt und besonders der
der näher bei 30 Millionen denn bei 10 Millionen Sowjetunion verknüpft. Es ist vollkommen klar, daß
DM liegt, wie es ursprünglich vorgesehen war. 400 jede außenpolitische Möglichkeit ausgeschöpft wer-
werden dann 20 % mehr kosten, als ursprünglich den muß, um aus einer etwaigen Hingabe der
insgesamt vorgesehen war, und dafür haben wir nuklearen Komponente den höchstmöglichen Sicher-
dann nur die Hälfte der vorgesehenen Flugzeuge. heitsgewinn zu erzielen.
Außerdem müssen wir gerade für den Air-close-
Ich möchte an dieser Stelle wiederholen, daß die
support, für die Erdkampfunterstützung, nun ein
langjährige Forderung der FDP nach Verzicht auf
anderes Flugzeug konzipieren. Zumindest die Kolle-
die Trägersysteme nie allein gestellt wurde, son-
gen im Verteidigungsausschuß kennen die Absicht,
dern stets mit der Forderung nach präzise verein-
zu diesem Zweck das deutsch-französische Trainer-
barter Arbeitsteilung im Bündnis und einem Ge-
projekt mitzuverwenden.
samtwandel in der Struktur unseres Verteidigungs-
Meine Damen und Herren, vergessen wir aber potentials gekoppelt wurde, einem Wandel, von
auch nicht die Geschichte um den „Matador". Die seit dem vieles in der Ankündigung des Weißbuches zu
Jahren betriebene Entwicklung der 30-Millimeter- erkennen ist.
Panzerflak hat inzwischen etwa 200 Millionen DM
Anders ausgedrückt: In der sehr maßvollen Er-
verschlungen. Trotzdem liegen immer noch keine
klärung über die Bereitschaft zu einer Einbeziehung
greifbaren Ergebnisse vor. Ich möchte Sie, meine
der nuklearen Komponente in ein etwaiges gegen-
Kollegen von der CDU/CSU, in diesem Zusammen
seitiges Sicherheits- und Entspannungsarrangement
hang daran erinnern, daß vor wenigen Tagen Ihr
mit den Ländern des Warschauer Paktes sehen die
Vorsitzender, Herr Kiesinger, gesagt hat, man solle
Freien Demokraten ein Politikum ersten Ranges.
diese Koalition vor dem 14. Juni bekämpfen, wo
Hier deutet sich ein Wandel an, der deshalb hoch
man sie bekämpfen könne, und alles offenlegen.
einzuschätzen ist, weil er das Prinzip der flexiblen
Herr Minister Schmidt, ich fordere Sie auf: Legen
Reaktion aus dem militärstrategischen in den
Sie noch vor dem 14. Juni diese Geschichte offen!
eigentlichen politischen Bereich hinein ausweitet,
Informieren Sie die Öffentlichkeit und machen Sie
und zwar in die für uns alle wünschbare Richtung
deutlich, wer hier versagt hat und wo die Schwächen
auf Entspannung, Abbau von Konfrontation und
liegen!
Friedenssicherung. Die Regierung und Helmut
(Beifall bei den Regierungsparteien. —
Schmidt haben in dieser Richtung die volle Unter-
Lachen bei der CDU/CSU.)
stützung der FDP, einer Richtung, die wir nunmehr
Denn, meine Damen und Herren, so kann man es in der dritten Legislaturperiode konsequent an-
nicht machen. steuern.
Ich möchte darüber hinaus empfehlen, Herr Mini- Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zum
ster, daß alle Projekte, über die wir in den letzten Abschluß noch eine grundsätzliche Bemerkung
beiden Jahren befunden haben, in die Überprüfung machen. Als diese Koalition die Regierungsverant-
mit einbezogen werden, damit wir sehen, ob wir wortung übernahm, war in einigen politischen Be-
noch die Möglichkeit haben, zugunsten der konven- reichen im Parallelogramm von Kontinuität und Fort-
tionellen Seite auf Streichungen, die nicht in unser setzung des Bisherigen einerseits und von Wechsel
Gesamtkonzept hineinpassen, zu verzichten. und Reform andererseits das Gewicht auf die Reform
Es wäre sicher zweckmäßiger gewesen, den schon zu legen. Dies galt und gilt für den Sicherheits- und
vor Jahren gemachten Vorschlägen der FDP, von Verteidigungsbereich ganz gewiß, nicht weil ein
denen ich vorhin sprach, zu folgen und Einsparun- Regierungswechsel stattgefunden hatte, sondern weil
frühere Regierungen, auch solche, an denen wir be-
gen nicht im Konventionellen, sondern im Bereich
teiligt waren, einen Rückstau hatten auflaufen, einen
der nuklearen Trägermittel vorzunehmen. Der ent-
standene Schaden ist kurzfristig nicht zu beseitigen. Stillstand hatten eintreten lassen.
Wir dürfen jedoch mit Interesse feststellen, daß Wir haben mit Interesse die Methodik Helmut
man bei der NATO-Ministerratstagung in der vori- Schmidts beobachtet. Er hat sich zunächst an eine
gen Woche nicht mehr unter allen Umständen auf Bestandsaufnahme gemacht, die im Unterschied zu
der Beibehaltung der nuklearen Trägersysteme der so mancher früheren Bestandsaufnahme diesen Na-
Bundeswehr bestanden hat. Hier verweise ich noch- men wirklich verdient. Er fand im Zuge dieser Be-
mals auf die beiden Interviews vom 27. und standsaufnahme einige unveränderbare und von uns
31. Mai, die der Verteidigungsminister gegeben hat. nicht beeinflußbare Daten vor. Andere Daten und
Fakten aber waren veränder- und beeinflußbar. -
Wir haben Verständnis dafür, daß über die so-
Diese Daten und Fakten wurden und werden geprüft,
genannte nukleare Komponente der deutschen Ver-
und ich meine, nach einer gründlichen Prüfung muß
teidigung nicht nur unter rein verteidigungs- oder
eben das Ministerium dann auch die konkreten Maß-
rüstungspolitischen und auch nicht etwa nur unter
nahmen hier diesem Hause vorlegen.
rein finanzpolitischen Aspekten gesprochen werden
kann. Vielmehr sind hier vorrangig sicherheits- und Wir begrüßen, daß die Verteidigungs- und Sicher-
außenpolitische Gesichtspunkte zu berücksichtigen. heitspolitik nicht vordergründig auf eine Koalitions-
Das bedeutet, daß wir Freien Demokraten eine stromlinie à la kleinster gemeinsamer Nenner ge-
Politik unterstützen werden, die einen Verzicht auf bracht wurde, sondern daß sie objektiviert und
die nuklearen Trägersysteme mit der Forderung auf rationalisiert wurde. Die Probleme der Bundeswehr
Äquivalenz und entsprechenden Sicherheitsgewinn liegen nunmehr deutlich vor aller Augen. Niemand
2778 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970
Jung
kann sich mehr an ihnen vorbeidrücken. Die Wei- verkürzungen in seinem Hause und bei seinen
chen sind gestellt. An diesem Hohen Hause wird es Mitarbeitern geführt hat. Er hat mir selbst gesagt,
jetzt weitgehend mit liegen, ob und wie schnell wir daß er es begrüßt hätte, wenn das vor jenem Par-
zu Lösungen kommen, die einerseits der sich ständig teitag, auf den Bezug genommen worden ist, vor-
verändernden internationalen Lage vollauf Rech- gelegen hätte. Das war nicht zu machen, weil es
nung tragen, andererseits aber auch unseren Frie- einen bestimmten zeitlichen Abstand nun einmal
denswillen immer wieder überzeugend unter Beweis gab zwischen Verabschiedung durch den Sicher-
stellen, ohne unsere fundamentalen Sicherheits- heitsrat der Bundesregierung, anschließend die Bun-
interessen zu vernachlässigen. desregierung insgesamt und Drucklegung. Das kann
(Beifall bei den Regierungsparteien.) sich jeder ausrechnen. Das steckt dahinter!
(Zurufe von der CDU/CSU.)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und Im übrigen aber, Herr Kollege Zimmermann, muß
Herren, das Wort hat der Herr Bundeskanzler. ich auch den Mangel an Logik bedauern; denn
erstens haben Sie unterstellt, Herr Schmidt habe
das Weißbuch nicht vor Saarbrücken haben wollen,
Brandt, Bundeskanzler: Meine Damen und Her- weil es dort seine Stellung hätte erschweren kön-
ren! Zunächst möchte ich hier vor dem Hohen Hause, nen, und in einem späteren Teil Ihrer Rede haben
wie ich es auch im Kabinett getan habe, denen dan- Sie gesagt, Herr Schmidt habe Rücksicht genommen
ken, die direkt und indirekt zu dem Zustandekom- auf Strömungen, denen er habe Rechnung tragen
men des Weißbuches beigetragen haben. Es gehört wollen. Das eine Argument paßt mit dem anderen
ein ungewöhnlicher Arbeitsaufwand dazu, die große nicht zusammen.
Bestandsaufnahme durchzuführen und ihre Ergeb-
(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der
nisse zusammenzufassen.
CDU/CSU: Wo ist denn da der Unter
Hinter dem Inhalt des Weißbuches und den kon- schied?)
kreten Vorschlägen steht die Bundesregierung in
Aber lassen wir das; ich habe einen wichtigeren
ihrer Gesamtheit. Für uns gehören diese Vorschläge
Punkt. — Sie wissen selbst, daß dies ein Abgleiten
zum Programm der Reformen, das in der Regierungs-
der Argumentation, ein unnötiges Abgleiten, ins
erklärung vom 28. Oktober vergangenen Jahres an-
Parteipolitische war
gekündigt worden war. Ich finde, das Weißbuch ist
auch ein gutes Beispiel, wie man Probleme und (Beifall bei den Regierungsparteien)
Alternativen für die interessierte Öffentlichkeit
durchsichtig machen kann. zu einem Punkt, wo es nicht erforderlich ist. Das
wissen Sie genau.
Der Bundesverteidigungsminister wird selbst zu
Aber ich habe einen wichtigeren Punkt. Herr
antworten wissen auf das, was Herr Dr. Zimmer-
mann in seinem Beitrag vorgebracht hat. Aber ein Kollege Zimmermann, wenn ich Sie vorhin bei
paar Punkte möchte ich jetzt in meinem Beitrag her- Ihrer Rede richtig verstanden habe, haben Sie in
ausgreifen. Zumal zu dem ersten Punkt möchte ich bezug auf unseren Hinweis auf das streng defensive
Prinzip unserer Verteidigung gesagt, hier handle
etwas sagen, der mehr ins Parteipolitische ging und
der dabei wirklich auch in die Irre ging. es sich um eine fast servile Betonung des defen-
siven Prinzips. Das war kein guter Satz. Das war
(Unruhe bei der CDU/CSU.) kein guter Satz, denn, meine verehrten Damen und
Ich will versuchen, das zu erklären. Die Vermutung Herren, das defensive Prinzip kann, wie die Dinge
von Herrn Dr. Zimmermann war, der Bundesvertei- in der Welt stehen, von uns und für uns gar nicht
digungsminister habe das Weißbuch nicht so früh auf deutlich genug unterstrichen werden!
dem Markt haben wollen, wie es auf dem Markt (Beifall bei den Regierungsparteien.)
hätte sein können, weil dies seine Stellung innerhalb
seiner Partei auf deren Parteitag in Saarbrücken be- Darum unterstreiche ich es! Meine Damen und
einträchtigt hätte. Das ist wirklich nicht wahr! Herren, ich werde das begründen.
(Zurufe von der CDU/CSU: Warum?) (Zuruf von der CDU/CSU: Herr Bundes
kanzler, ein Zwischenruf: Herr Zimmer
— Ich will versuchen, - das zu erklären. Erstens: Die
mann hat auch gesagt, daß dieses Prinzip
Verantwortung dafür, daß das Weißbuch dem Ka-
bisher immer das grundlegende Prinzip -
binett noch im Mai und nicht, wie ich hier dem
der Bundeswehr war! — Lebhafte Zustim
Hohen Hause angekündigt hatte, erst im Juni
mung bei der CDU/CSU.)
unterbreitet wurde, trage ich; denn ich habe den
Verteidigungsminister gebeten, in einem bestimm- Ich wende mich gegen das Wort von der fast ser
ten Zeitpunkt mit dem Kollegen Leussink zu tau- vilen Betonung! Das weise ich im Zusammenhang
schen, weil dieser wegen der Verzögerung an an- mit dem Weißbuch auf das nachdrücklichste zurück!
derer Stelle seinen Bericht über Bildung und Wis-
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
senschaft erst jetzt, nämlich übermorgen, ins Kabi-
nett bringen kann, während er für Mai vorgesehen Aber — und das hat jetzt nichts mit einer Polemik
war. Herr Kollege Schmidt war mit dem Vorziehen unter uns zu tun — weil wir, weil diese Regierung
auf Mai einverstanden, was zu bestimmten Frist wie Regierungen sonst in der Bundesrepublik immer
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2779
Bundeskanzler Brandt
noch und immer wieder feindseligen Behauptungen sollte, dann könnte ich nur sagen: jeder wäre uns
ausgesetzt sind, sollte auch von meiner Seite dabei willkommen.
(Zurufe von der CDU/CSU. — Zuruf von (Abg. Wehner: Die wollen nur per Anhal
der SPD: Seid doch mal ruhig! — Zuruf von ter fahren!)
der CDU/CSU: Er ist doch kein Gott!) Meine Damen und Herren, wenn draußen in der
Welt oder in einem bestimmten Teil der Welt je-
hier noch einmal festgestellt werden: die Bundes-
mand behauptet, er kenne Angriffspläne, die in den
wehr dient ausschließlich der Verteidigung. Dies ist
Panzerschränken der Bundeswehr lägen, so ist das
nicht nur so, weil es nach Ausrüstung, Organisa-
nicht nur feindselige Propaganda, sondern böswil-
tion und Integration in das Bündnis nicht anders
lige Verleumdung.
sein kann; es ist auch so, weil wir es nicht anders
wollen! (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu Ich erkläre mit Nachdruck, daß es bei uns solche
rufe von der CDU/CSU: Wir alle!) Pläne nicht gibt.

— Ich habe gesagt: Ich sage dies unabhängig von (Beifall ,bei den Regierungsparteien und bei
den polemischen Bemerkungen, die voraufgegangen Abgeordneten der CDU/CSU.)
sind! Wenn man meint, der Bundeswehr oder den Ver-
Das Gesetz, nach dem diese Bundesrepublik bündeten mit dem Schlagwort einer Vorwärts-Stra-
Deutschland angetreten ist, der Auftrag, der uns tegie eine aggressive Planung unterstellen zu kön-
gestellt ist, schließt die Anwendung jeder Art von nen, so soll jeder wissen, daß weder die NATO
Gewalt als Mittel der Politik aus. Wir haben unsere noch die Bundeswehr militärische Pläne verfolgt,
Sicherheit in einem Bündnis gleichgesinnter Natio- die über die Grenzen des vom Bündnis geschützten
nen gesucht, das ausschließlich auf Verteidigung Gebiets hinausgehen. Diese Grenzen aber sichert
eingestellt ist. Darüber hinaus haben wir unsere das Bündnis, und zwar ganz vorn, gegen jede Be-
Bereitschaft erklärt, mit jedermann Abkommen zu drohung.
schließen, die in den gegenseitigen Beziehungen die Die Bundeswehr allein, meine Damen und Her-
Anwendung oder Androhung von Gewalt ausschlie- ren, wäre sowohl als Instrument der Abschreckung
ßen, und wir sind dabei, solche Abkommen vorzu- wie als Instrument der Verteidigung für diese Auf-
bereiten und nach Möglichkeit zu verhandeln. Es gabe nicht ausreichend. Sie ist von den Kräften
ist wichtig, daß wir uns dabei in vollem Einver- und Hilfsmitteln der Allianz abhängig und kann
nehmen mit unseren Verbündeten befinden. Es hat ihre Aufgabe nur im Verband und gemeinsam mit
keinen Sinn, diese Feststellung, die ich in aller anderen auf deutschem Boden stationierten verbün-
Kürze hier noch einmal treffe — die Feststellung deten Streitkräften erfüllen. Für die Sicherheit Eu-
über das volle Einvernehmen mit unseren Ver- ropas und der Bundesrepublik Deutschland bleiben
bündeten —, ih Frage zu stellen. besonders das politische Engagement und eine aus-
reichende militärische Präsenz der Vereinigten
In der vorigen Woche, als noch nicht die Formu- Staaten für eine nicht absehbare Zukunft unerläß-
lierung des NATO-Kommuniqués vorlag — sie lag lich. Die Bundesregierung wird weiterhin das in
erst am Abend des Tages vor, an dem hier die ihren Kräften Stehende dazu beitragen, daß diese
außenpolitische Debatte stattfand —, an jenem Mitt- Voraussetzungen der gemeinsamen Sicherheit ge-
woch hat der Kollege Strauß den Hinweis auf das währleistet bleiben.
Einvernehmen mit den Verbündeten teils für nicht
richtig, teils für nicht so wichtig gehalten. Herr Die Nordatlantische Allianz ist, wie wir hier
Kollege Zimmermann sagt demgegenüber — und alle wissen, nicht nur ein Bündnis zur gemeinsamen
da habe ich besonders aufmerksam zugehört —, Verteidigung, sondern sie hat sich zugleich die Auf-
daß er und seine politischen Freunde mit Gesprä- gabe gestellt, nach einem stabilen Frieden in Eu-
chen mit den Staaten des Warschauer Pakts auf der ropa zu suchen. Die Bundesregierung ist an diesen
Basis des NATO-Kommuniqués — ich habe sehr Bemühungen aktiv beteiligt, davon war schon die
wohl verstanden: des ungekürzten NATO-Kommu- Rede. Eine Friedensordnung für Europa ist nur zu
niqués — einverstanden wären. Das ist eine unge- erreichen, wenn das relative Gleichgewicht der
wöhnlich wichtige Feststellung, die hier heute vor Kräfte erhalten bleibt. Andernfalls würde nicht nur
diesem Hohen Hause getroffen worden ist. Denn, unsere Sicherheit gefährdet, sondern es würden
meine Damen und Herren, dies ist die Politik der auch die Aussichten für einen Ausgleich zwischen
-
Regierung. Die Regierung hat an diesem Kommuni- West und Ost schwinden. Ich sehe nicht ein, warum
qué in allen seinen Teilen mitgewirkt. wir uns wegen dessen streiten müssen, was die
Fachleute MBFR, ausgewogene, gleichgewichtige,
(Beifall bei den Regierungsparteien.) gleichwertige Begrenzungen von Truppen und Rü-
Dies ist die entscheidende Basis unserer Politik ge- stungen, nennen. Ich kenne das, was damit zu tun
genüber anderen. hat, nun ziemlich genau; ich war an dem hier mehr-
fach zitierten Reykjaviker Vorgang im einzelnen
Heißt dies ein Einschwenken in Richtung auf ein beteiligt und war es auch seitdem. Ich weiß aber
gemeinsames Bemühen? Heißt es das Ankünden — ohne das zu überschätzen — natürlich auch, daß
eines Abschlusses der totalen Opposition gegen es ein Unterschied ist, ob das Bündnis durch seinen
diesen Teil unserer Politik? Wenn es dies 'bedeuten Ministerrat ein Signal — das Signal von Reykjavik
2780 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970

Bundeskanzler Brandt
hat man es damals genannt — ins Kommuniqué der Gesellschaft und für diese von Regierung und
hineinnimmt oder ob man durch die Erörterungen Parlament, besser gesagt, von Parlament und Re-
seitdem — und es ist ja viel mehr aufgeschrieben gierung anerkannt und gewürdigt wird.
worden, als jetzt dort veröffentlicht worden ist — (Beifall.)
und nun durch die Beratungen in Brüssel und an-
derswo dazu gekommen ist, eine eigene Erklärung Noch eine Bemerkung, Herr Kollege Zimmermann,
des Bündnisses zu diesen Fragen herauszugeben. was die Mittel für die Verteidigung angeht. Ich
denke, wir sind uns darin einig, daß Verständi-
Ich bin der Meinung, wir sollten auf diesem Ge- gungsschwierigkeiten zwischen uns auftreten, wenn
biet der gleichwertigen, ausgewogenen Rüstungs- — manchmal am gleichen Tage, jedenfalls in einer
begrenzungen nicht kurzatmig argumentieren. Hier gewissen Parallelität — von uns erwartet wird, wir
geht es überhaupt nicht darum, wer was heute oder sollten a) weniger Geld ausgeben und b) mehr Geld
morgen oder übermorgen dazu sagt, sondern hier ausgeben. Das geht nicht gut zugleich. Sosehr ich
geht es darum, daß keiner von uns, denke ich, den das verstehen kann, was Herr Kollege Zimmermann
Gedanken daran aufgeben will, daß der Tag kom- gesagt hat — er steht damit ja auch nicht allein,
men muß, an dem darüber verhandelt wird, wie auch nicht mit dem, was er im Hinblick auf die
diese größte Konzentration militärischer Zerstö- räumliche Ausdehnung des Hohen Hauses gesagt
rungsmittel, die es je in der Geschichte in einem hat —, wir stehen andererseits vor der Tatsache,
solchen Raum gegeben hat, durch etwas Vernünf- daß seine eigenen Fraktionskollegen keine entspre-
tigeres abgelöst und, was die Massivität angeht, chenden Anträge im Haushaltsausschuß gestellt ha-
reduziert werden kann. ben, sondern daß man sich dort quer über die Par-
Insofern ist dies ein paralleler Vorgang zu den teien hinweg auf einen Vorschlag verständigt hat,
BemühungdrViteSan,mdro- der dem Hause in dieser Woche unterbreitet wird.
wjetunion über eine Begrenzung der strategischen, Der Haushaltsausschuß ist dabei sogar ein bißchen
zumal der interkontinentalen strategischen Rüstun- weitergegangen, als die Regierung es ihm vorge-
gen zu sprechen. Ich sehe das alles auf längere schlagen hatte; das nur nebenbei.
Sicht. Aber ich sage jedenfalls: auch der Skeptiker Meine Damen und Herren, ich möchte hier als
muß zugeben, daß es gut und vernünftig ist, daß Bundeskanzler deutlich sagen — auch dies nicht als
die westliche Seite über eigene solide Vorschläge Polemik und schon gar nicht als Retourkutsche —:
auf diesen Gebieten verfügt und daß nicht etwa im was in diesem Jahr ,aus konjunkturpolitischen Grün-
Bewußtsein mancher Leute die Sicherheitsproble- den notwendig sein mag, darf nicht — hier weiß
matik oder gar die Friedenssehnsucht in falschen der Verteidigungsminister mich an seiner Seite —
Händen oder irgendwo einseitig angesiedelt bleiben. zum Ausgangspunkt und Maßstab für kommende
Hier muß der Westen unabhängig davon, wann so Jahre werden. Das möchte ich hier ganz deutlich
etwas .wirklich zum Tragen kommen kann, selbst sagen.
initiativ und aktiv sein. (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten
(Abg. Damm: Unstrittig!) der FDP und CDU/CSU.)
,

Ich möchte noch einen ganz kurzen Blick auf die Ich bin überzeugt, 'meine Damen und Herren, daß
innere Ordnung der Bundeswehr werfen dürfen, die die von der Bundesregierung vorgeschlagenen Maß-
das Weißbuch auf Grund der bisherigen Ergebnisse nahmen und die entsprechenden Entscheidungen des
der kritischen Bestandsaufnahme ausführlich be- Parlaments dazu beitragen werden, die Sicherheit
handelt. Unsere Sorge gilt, wie es der Verteidi- unseres Landes weiterhin zu ,gewährleisten und, so
gungsminister hier heute mittag gesagt hat, vor die der Friede von uns hofeic,zugldOpr
allem einer höheren Wehrgerechtigkeit und einer fordert, gerechter zu verteilen.
angemessenen Fürsorge für die Angehörigen der (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Bundeswehr. Damit werden wir auch der Überwin-
dung der Personalschwierigkeiten einen großen
Schritt näherkommen. Die Bundesregierung ist ent- Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
schlossen, geeignete Maßnahmen zu treffen, um Abgeordnete Dr. Klepsch. Für ihn sind 40 Minuten
diese Probleme zu lösen. Ich bitte das Hohe Haus, Redezeit angemeldet.
die Bundesregierung weiterhin bei ihren Bemühun-
gen zu unterstützen, die innere und vor allem auch Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
die soziale Ordnung der Bundeswehr zu verbessern. Damen und Herren! Ich freue mich, sagen zu kön-
Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind erforderlich, nen, daß der Herr Bundeskanzler in seinen Aus-
damit die Bundeswehr ihren Auftrag für die Allge- führungen eine Aufzählung von Fixierungen vorge-
meinheit möglichst gut erfüllen kann. nommen hat, denen wir in einem sehr großen Um-
fang vollständig zustimmen können. Ich möchte nur
Unsere Soldaten und die zivilen Angehörigen der
anmerken, daß es für uns erstaunlich ist, wie oft
Bundeswehr verdienen auch eine Hebung ihres so-
die Bundesregierung auf das NATO-Kommuniqué
zialen Status, denn sie haben in den vergangenen
von Rom Bezug nimmt und daß sie dabei stets, ich
15 Jahren — oft unter schwierigen Bedingungen —
möchte fast sagen, systematisch die leider deprimie-
wesentlich dazu beigetragen, daß uns der Frieden
rende Reaktion aus Moskau verschweigt.
erhalten geblieben ist. Die Angehörigen der Bundes-
wehr, nicht zuletzt die jungen Wehrpflichtigen, sol- Die CDU/CSU unterstützt die Entspannungsbemü-
len wissen, daß ihr Dienst an ,der Gemeinschaft von hungen der Nordatlantischen Verteidigungsgemein-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2781
Dr. Klepsch
schaft — ich möchte das, was mein Kollege Zimmer- begrenzten Luftüberlegenheit ist das neue
mann in dieser Frage Für uns ,alle ganz klar zum Kampfflugzeug MRCA vorgesehen, das begin-
Ausdruck gebracht hat, ausdrücklich unterstreichen nend in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre
— und verbargt eine realistische Beurteilung der den Starfighter F-104 G und die Fiat G-91 ab-
Entspannungsmöglichkeiten, denn diese Möglichkei- lösen soll.
ten sind leider gering.
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)
Ich möchte aber ausdrücklich darauf hinweisen,
Ich würde Ihnen empfehlen, Ihr eigenes Buch zu
daß wir uns sowohl Ziffer 4 als auch Ziffer 8 des
lesen, bevor Sie mir solche Vorwürfe machen. Im
Kommuniqués zu eigen machen. Ich ,möchte den Text
übrigen können Sie sich an meine Kollegen Wörner
noch einmal vorlesen, damit hier kein Mißverständ-
und Abelein wenden, die die G-91 fliegen.
nis entsteht. Ziffer 4 des Kommuniqués lautet:
Die Minister bekräftigen, daß Ider Friede, um (Beifall bei der CDU/CSU.)
dauerhaft zu sein ..., auf der Respektierung des Zum zweiten. Was die Frage der Flugstunden an-
Rechts der europäischen Völker beruhen muß, geht, nach der Sie mich gefragt haben, empfehle ich
ihr Schicksal selbst zu bestimmen, ohne daß sie Ihnen: wenden Sie sich an den Inspekteur der Luft-
von außen mit Intervention, Zwang oder Nöti- waffe. Die entsprechende Ausführung von mir
gung bedroht wenden. stammt aus einem Interview Ihres Inspekteurs in
(Beifall bei der CDU/CSU.) einer großen deutschen Tageszeitung.

In Ziffer 8 heißt es schließlich, daß eine ,,Regelung (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)
der Beziehungen zwischen den beiden Teilen Zur dritten Frage, der Geschichtsklitterung, die
Deutschlands" — der Kollege Zimmermann hat zu
Sie mir vorwerfen zu müssen meinen, möchte ich
Recht darauf hingewiesen, daß dort nicht von .den
auf das eingehen, was der Kollege Zimmermann
beiden deutschen Staaten die Rede ist — die Ent-
ganz zu Beginn kritisch anmerkte. Es war eigentüm-
wicklung der Kommunikation zwischen den Men-
liche tropfenförmige Zur-Welt-Kommung des Weiß-
schen nach Kräften erleichtern wind. Das möchte ich
buchs, das gewisse Mißverständnisse zwischen uns
hier ausdrücklich noch einmlal festhalten.
ermöglichte.
(Zuruf des Abg. Wehner.)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeord- — Ach, Herr Kollege Wehner, Sie sind ja selbst
neter, gestatten Sie eine Zwischenfrage ,des Abge-
immer sehr sprachschöpferisch in diesem Hause
ordneten Stücklen?
tätig gewesen.
(Abg. Wehner: Das Deutsch ist herrlich:
Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Bitte sehr! Zur-Welt-Kommung!)
— Wenn es Sie freut, freut es mich auch.
Stücklen (CDU/CSU) : Herr Kollege Klepsch,
wären Sie bereit, noch weiter vorzulesen, und zwar Ich möchte dazu noch folgendes sagen. Die zwan-
auch den Absatz, in dem der Kollege Zimmermann zigseitigen Auszüge waren leider gerade in dem
sagte,dßwirn desmAbatz sicherheitspolitischen Teil, um den es ja geht, so
enthaltenen Grundsätze zur Grundlage der Ostpoli- beschaffen, daß nicht nur ich, sondern auch andere
tik der Bundesregierung gemacht würden, dieser Kollegen meiner Fraktion zu einer nicht ganz zu-
Politik uneingeschränkt zustimmen würden? treffenden Auslegung kommen konnten.

(Zustimmung bei der CDU/CSU.) (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)


Ich möchte ausdrücklich für meinen Kollegen Rom-
merskirchen, der hier anwesend ist, und für den
Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Ich will das gerne tun, Kollegen Birrenbach sagen, daß wir bis zu diesem
Herr Kollege Stücklen. Die entsprechenden Sätze Zeitpunkt noch das in ihnen sahen, was Sie zu dem
lauten: Kollegen Rommerskirchen gesagt haben. Sie haben
Ich erkläre hier für die CDU/CSU-Fraktion: darauf verwiesen, daß Sie eine Anlaufzeit brauch-
Würden sich die Ostgespräche der Bundes- ten, um sich einzuarbeiten, Ruhe, möglichst Mit-
regierung allein auf diesen Grundlagen be- arbeit oder Stillhalten. Sie hatten aber ausdrücklich
wegen, so wäre der wesentliche Teil der Be- darauf verwiesen, daß Sie beasichtigten, die Sicher-
sorgnisse meiner Fraktion gegenstandslos. heitspolitik fortzusetzen. Wenn Sie nun hier das
Aber, meine Damen und Herren, wir müssen ver- Forum des Deutschen Bundestages heute dazu ver-
suchen, in der Debatte des Weißbuchs weiter voran- wenden, sich bei bestimmten Teilen Ihrer Fraktion
zukommen. Ich darf zunächst auf ein paar Bemer- und Partei in dieser Frage zu rehabilitieren, so
kungen, die der Herr Minister Schmidt an mich sollten Sie das nicht mir vorwerfen. Ich bin gern
persönlich gerichtet hat, kurz eingehen. Da war zu- bereit, einzuräumen, daß ich in allen nachfolgenden
nächst die Frage nach dem Erdkampfflugzeug. Ich Ausführungen, die sich nicht auf die Auszüge, son-
zitiere die Ziffer 191 des Weißbuches. Da heißt es: dern auf den Text bezogen — und Ihre Mitarbeiter
werden doch wenigstens noch diesen Unterschied
Zur Erdkampfunterstützung bei jedem Wetter herauszufinden vermögen —, den neuen Herrn
und zur Erkämpfung einer örtlich und zeitlich Schmidt, so wie ihn der Kollege Zimmermann hier
2782 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970
Dr. Klepsch
mit Recht dargestellt hat, schon richtig gewürdigt samkeit sicher die geglückteste Lösung vor uns
habe. haben.
(Abg. Jung: War das nun eine persönliche (Abg. Damm: Das kann man wohl sagen!)
Erklärung wie die der Kollegen Petersen Das möchte ich uneingeschränkt zugestehen.
und Dichgans, mit der sie von Ihrem ersten
zustimmenden Lob zum Weißbuch abrück Ich möchte auch festhalten, das uns das Programm
ten?) übergeben wurde, das die Bundesregierung zur
Diskussion stellt und das, wie es darin zu lesen ist,
— Lieber Kollege Jung, ich weiß nicht, was das für diese vier Jahre Gültigkeit haben soll. Daß wir
überhaupt mit der Sache zu tun hat. Ich habe über- das Programm heute nicht abschließend in allen
haupt einige konfuse Ausführungen von Ihnen be- Details diskutieren können, ist klar, Deshalb wird
richtet erhalten, ich hätte da von Kanonen und es auch dem Verteidigungsausschuß überwiesen.
Butter reden sollen. Wir werden hier des öfteren Gelegenheit haben,
(Heiterkeit bei der CDU/CSU.) auf die Einhaltung oder Weiterentwicklung der
Ankündigungen dieses Werkes einzugehen.
Aber ich möchte noch zwei andere Bemerkungen
zu Herrn Minister Schmidt hin machen. Erstens: Ich Wir haben aber heute — das möchte ich nach-
bedaure sehr, daß er meinem Kollegen, dem Haupt- drücklich sagen — die Chance, wenigstens zu eini-
feldwebel a. D. Stahlberg, hier mangelnde Truppen- gen Fragen dieses Weißbuches Stellung zu nehmen.
besuche zum Vorwurf gemacht hat, obwohl wir alle Mein Kollege Zimmermann hat das in ganz vorzüg-
wissen daß er einer von den Kollegen ist, die sich licher Weise für den ersten Teil getan; einige Kol-
fortgesetzt bei der Truppe aufhalten. Soll man ihm legen und ich werden sich bemühen, das für die
denn vorwerfen, daß er acht Jahre die Möglichkeit anderen Stellen dieses Weißbuchs zu tun.
hatte, die Soldaten hier im Deutschen Bundestag zu Den Beteiligten ist für das Unternehmen sehr viel
vertreten? Ich verstehe solche Schlenker nicht. Lob gespendet worden. Diesem Lob schließt sich
Auch die von dem Kollegen Buchstaller vorge- sicher jeder an, obwohl man die Frage stellen muß,
tragenen Redewendungen, auch die des Ministers ob das Ergebnis, das sich in Entscheidungen und
Schmidt von „Lobbyisten der CDU im Verteidi- Vorschlägen niederschlägt, ganz diesen ungeheuren
gungsausschuß" müssen uns doch sehr merkwürdig Anstrengungen entspricht. Sie haben Glück, Herr
berühren. Wenn Sie sich da etwas konkreter fassen Minister Schmidt, denn Sie haben hier eine Oppo-
wollten, werden wir gern darauf eingehen. Auf eins sition vor sich, die keine Ohne-mich-Opposition
möchte ich verweisen. Die in Frage stehenden Pro- treibt. Sie haben vielmehr eine Opposition vor sich,
jekte der Luftwaffe hat der Veteidigungsausschuß von der Sie sicher wissen, daß .sie Ihnen in allen
allerdings sorgsam nach militärfachlichem Rat be- Fragen, auf die es Ihnen ankommt, eine gute Unter-
handelt. Wir sind gespannt, zu hören, warum sich stützung bieten wird, nämlich in den Fragen, die
die eindeutigen Bedingungen, die man uns vorge- den Sozialbereich der Bundeswehr angehen. Es
tragen hat, so plötzlich verändert haben sollen. wäre ja nicht das erste Mal, daß Sie. im Ausschuß
stolz sein konnten auf die Unterstützung durch die
Ich möchte in diesem Zusammenhang darauf hin- gesamte CDU/CSU-Fraktion, wenn nicht alle Stim-
weisen, daß jemand, den Sie wohl, wie ich einer men Ihrer eigenen Fraktion hinter Ihren Vorschlä-
Zeitung entnehme, demnächst in Ihren Stab auf- gen zu finden waren.
zunehmen gedenken, nämlich Herr Becker, in der
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)
„Zeit" ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht
hat, daß entweder die Entscheidung in dieser Frage Sie haben also Glück, daß Sie auf eine Opposition
seinerzeit völlig abträglich und schlecht gewesen sei stoßen, die bereit ist, mit Ihnen den Weg weiter-
oder daß sich für die Luftwaffe ein Desaster an- zugehen, der notwendig ist, um diese Bundeswehr
bahne. Diese Frage wird hier noch zu behandeln zu dem schlagkräftigen und funktionstüchtigen
sein. Sie bleibt zunächst im Raume stehen. Instrument zu machen, das wir auch in Zukunft
brauchen werden.
Lassen Sie mich nach diesen Vorbemerkungen
ein paar Ausführungen zum Weißbuch im ganzen Die Illusionisten und Phantasten haben Sie in
machen. Sosehr wir den Stil kritisiert haben, wie den Reihen Ihrer eigenen Partei und Ihrer eigenen
es an die Öffentlichkeit und in unsere Hände ge- Fraktion. Heute morgen sprach der eine oder
langt ist, so sehr müssen wir Sie zu dem vorzüg- andere schmunzelnd darüber, ob man vielleicht die
lichen Stil beglückwünschen, in dem es abgefaßt ist. Anträge zum Parteitag in Saarbrücken herausneh-
-
Es ist ein gut lesbares, instruktives und vorzüglich men sollte, um einmal die Stimmungslage in der
zusammengestelltes Buch. Sie unterstützenden großen Fraktion zu unter-
(Beifall.) suchen. Davon wollen wir Abstand nehmen. Ich
will mich jetzt nicht dem Antrag zuwenden —
Ich begrüße dieses Buch auch schon deshalb, weil immerhin kam er auf Wunsch eines Bezirksverban-
es sicher einer breiteren Öffentlichkeit sehr oft und des der SPD zustande —, der das Anbringen von
zweckdienlich als Informationsquelle über Vertei- Sprenglöchern in Bundesstraßen verbieten wollte;
digungsfragen und Probleme der Bundeswehr die- ebensowenig möchte ich mich mit dem Antrag be-
nen mag. Ich begrüße das um so nachdrücklicher, als fassen, der das Verbot militärischen Zeremoniells
wir in diesem umfangreichen dritten Weißbuch der bei Staatsempfängen — falls doch, dann wenigstens
Bundesregierung bezüglich der Öffentlichkeitswirk ohne Stahlhelm — zum Ziel hatte. Ganz zu schwei-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2783
Dr. Klepsch
gen von dem Kern der Fragen, auf die ich später Das möchte ich einmal ganz nachdrücklich sagen. Wir
noch eingehen werde. haben in jenen Jahren alle Hände voll zu tun ge-
habt, Herr Kollege Pawelczyk, gegen Ihren Wider-
Ich möchte aber doch die große Kritikempfind-
lichkeit Ihrer Fraktion, die sich nicht nur auf diesen stand dafür zu sorgen, die Voraussetzungen zu
Bereich erstreckt, bedauern. Herr Bundeskanzler, schaffen, die heute Herr Minister Schmidt als be-
ich möchte sagen, diese Empfindlichkeit gilt für friedigend bezeichnet.
die ganze Regierung, auch für Sie selbst, da Sie sich (Beifall bei der CDU/CSU.)
schon durch das Wort „servil" zu einem Diskus-
Das möchte ich ebenfalls ganz nachdrücklich sagen.
sionsbeitrag genötigt fühlten.
(Abg. Dr. Wörner: Wer hat lange Zeit die
(Abg. Wehner: Weil er an Sie gedacht hat!
Soldaten verketzert?)
— Heiterkeit bei der SPD.)
— Sie haben an mich gedacht, Herr Kollege Weh- Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeord-
ner? Das freut mich sehr. Diese Kritikempfindlichkeit neter Klepsch, gestatten Sie eine weitere Frage des
hat sogar dazu geführt, wenn sich unter dem Motto Abgeordneten Pawelczyk?
„Mehr Demokratie" — die doch eigentlich (zur SPD
gewandt) Sie in diesen Staat und in diese Ordnung
Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Ja.
bringen wollten — ein Verband wie der Deutsche
Bundeswehrverband entschließt, in einer Stellung-
nahme „Programm mit Lücken" seinen Diskussions- Pawelczyk (SPD) : Weichen Sie doch nicht aus,
beitrag zu diesem Weißbuch einzureichen, dann der Herr Dr. Klepsch! Zur Verwirklichung dieser Einzel-
Kollege Buchstaller gleich nachdrücklich über diesen maßnahmen genügt die einfache Mehrheit, die Sie
Verband herfällt. Ich glaube, daß das kein Stil ist, 14 Jahre ununterbro chen hatten! Wieso haben Sie
der „mehr Demokratie" entspricht. das Programm nicht verwirklicht?

Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeord- Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Herr Kollege Pawel-
neter Klepsch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des czyk, ich bedanke mich auch für diese Frage. Sie wer-
Abgeordneten Pawelczyk? den jetzt sofort hören, wie ich zu den Einzelmaß-
nahmen stehe. Gedulden Sie sich noch ungefähr fünf
Minuten!
Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Aber selbstverständ-
lich, Herr Präsident! An einigen Stellen dieses Weißbuches ist mir auf-
gefallen, daß es Hürden aufstellt oder Hürden höher
Vizepräsident Dr. Jaeger: Bitte sehr! zieht, die eigentlich gar nicht vorhanden sind, wahr-
scheinlich um ihre Bewältigung besonders zu unter-
streichen. So ist z. B. in der Ziffer 84 davon die
Pawelczyk (SPD) : Herr Kollege Dr. Klepsch,
Rede, daß eine Fülle von Vorschlägen auf die Er-
wenn Sie diese „Illusionisten" in Ihren Reihen nicht
höhung der Leistung für Wehrübende nach dem Un-
haben und ausdrücklich das Sachprogramm begrü-
terhaltssicherungsgesetz, die bisher für Unverheira-
ßen, dann möchte ich Sie doch fragen, wieso Sie in
tete 60 % des Einkommens und für Verheiratete
den letzten 14 Jahren, in denen die CDU/CSU in un-
80 % des Einkommens betrage, abziele, und es wird
unterbrochener Reihenfolge den Verteidigungsmini-
versprochen, daß die hier behandelten Fragen ge-
ster stellten, dieses Programm nicht verwirklicht
prüft werden und daß bis 1. Januar 1971 diesem
haben. Und zweitens: Wieso mußte erst die „Partei
Haus Vorschläge vorliegen werden.
der Illusionisten" die Kompetenzen der Inspekteure
der Teilstreikräfte so verbessern, daß eine Effektivi- Zu dieser Frage kann ich nur sagen: Der Bundes-
tät im Einsatz der Streitkräfte möglich wird? tag hat bereits am 5. Februar 1969 im Zweiten Ge-
setz zur Änderung des Unterhaltssicherungsgesetzes
(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Marx [Kai
den Prozentsatz für Ledige von 60 auf 70 und für
serslautern]: Zunächst einmal haben wir
Verheiratete von 80 auf 90 % verbessert, und zwar
die Verteidigung durchgesetzt!)
auf Grund eines interfraktionellen Antrages, den
für die SPD-Fraktion niemand anders unterschrieben
Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Herr Kollege Pawel- hat als Sie selbst, Herr Minister.
cyk, ich bin Ihnen außerordentlich dankbar für Ihre
Fragen. Was den Sachteil angeht, so werde ich glei ch Wenden wir uns nun aber einmal den wirklich
darufBezgnhm,wilsoezudnNt- zentralen Fragen zu, mit denen sich dieses Weißbuch -
wendigkeiten gehört, zu diesen Fragenkreisen hier auseinandersetzen mußte. Hier sind wir, daß muß
etwas zu sagen; denn da sind wir nicht ganz hun- ich Ihnen sagen, in doppelter Richtung bedrückt.
dertprozentig einig, wie Sie vielleicht unterstellen. Das eine ist folgendes: Bei allen Fragen, bei denen
es darauf angekommen wäre, Herr Kollege Pawel-
Zur Sache möchte ich Ihnen zunächst folgendes czyk, durchgreifende Lösungen zu finden, haben wir
sagen: Wenn wir hier eine Bundeswehr haben und Sie, anders als Sie es gesagt haben, Herr Minister
wennn wir in die NATO eingetreten sind — davon Schmidt, nicht in den letzten Monaten verfolgt, son-
sprach der Bundeskanzler eben mit „wir" —, dann dern wir haben die Kritische Bestandsaufnahme ab-
war das eine Entscheidung, die in diesem Hause gewartet; wir sind ja auch immer fortgesetzt darauf
gegen Ihre Fraktion gefällt wurde. vertröstet worden. Der einzige, der permanent und
(Beifall bei der CDU/CSU.) ununterbrochen abweichende und sich widerspre-
2784 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970

Dr. Klepsch
diende Erklärungen abgegeben hat, sind Sie selber stimmt. Die konkreten Fragen, die wir gestellt
gewesen. haben, werden dann sowieso vor Herbst dieses Jah-
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) res nicht zur Verhandlung kommen können, weil
der Verteidigungsausschuß vorher gar nicht mehr
Wir haben abgewartet, was denn nun neben dem
zusammentritt.
Aufzählen dessen, was ist, an durchbrechenden Kon-
zepten und Vorschlägen herauskommt. Ich bedaure, daß man auf diese Art und Weise
einen eigentümlichen Stil von „mehr Demokratie"
Dann haben wir fünf Kommissionen erhalten, die in der Information der Opposition wie der Öffent-
zum Teil befristet, zum Teil sogar unbefristet ans
lichkeit entwickelt.
Werk gehen sollen, um Lösungen zu erarbeiten.
Es handelt sich auch um Fragen, die bereits bis ins (Beifall bei der CDU/CSU.)
Detail von Kommissionen durchgearbeitet worden
Aber, meine verehrten Kollegen, es muß, da so oft
sind. Ich erinnere nur an die sehr gründliche Arbeit,
davon gesprochen worden ist, noch ein Wort zur
die die sogenannte Adorno-Kommission hier ver- vorgesehenen Umschichtung im Verteidigungshaus-
richtet hat. Demselben Fragenkreis wird sich eine halt gesagt werden, schon allein deshalb, weil wir
neue, sogenannte unabhängige Kommission zu-
bis zum Erscheinen des Weißbuchs eine Fülle von
wenden. Ich will es mir ersparen, diese Kommissio-
Zahlenangaben aus dem Munde des Ministers wie
nen jetzt im einzelnen aufzuzählen. Die Frage für
aus Artikeln, die er abgezeichnet hatte, zur Kennt-
mich bleibt nur — und die müssen wir alle stellen —:
nis nehmen konnten, die immer wieder schwankten.
Wenn wir nun tatsächlich die Konzepte diskutieren
Immerhin konnte die Nordatlantische Verteidigungs-
wollen, dann fehlen sie für diese fünf Fragenkreise
gemeinschaft nach dem Manöver „Rösselsprung"
vorläufig völlig.
noch feststellen, daß die Bundeswehr die modernste
Der Bundestag hat in der letzten Wahlperiode, Rüstung nach den USA habe. Eine sehr bedeutsame
Herr Kollege Pawelczyk, in guter Zusammenarbeit Feststellung!
mit dem Minister Schröder in der Gesetzgebung be- Wenn ich mir nun die vorgesehenen Umschich-
sonders daran gearbeitet, die Probleme der Bundes-
tungen, die den Rüstungshaushalt angehen, be-
wehr, vor allem auch die des sozialen Bereichs, in
trachte, so komme ich doch zu folgender Feststel-
Auswertung der Ergebnisse der sogenannten Ador- lung: In diesem Jahr ist über 1 Milliarde DM in die
no-Kommission zu bewältigen. Wir waren in der
Zukunft geschoben worden. Die 2,5 Milliarden DM,
letzten Periode ein sehr arbeitsamer Bundestag. 65
zu denen sich die Bundesregierung gegenüber der
Gesetze sind dazu eingebracht worden, und 56 Ge-
NATO zusätzlich verpflichtet hatte, sind aus unse-
setze aus diesem Bereich sind auch verabschiedet
rem Vokabular verschwunden. In den nächsten drei
worden. Wir haben wesentliche Fortschritte gemacht,
Jahren werden wir — nach den Feststellungen des
die Sie zum Teil auch hier, stolz als Ergebnisse ver-
Weißbuchs — abermals 2,5 Milliarden DM aus dem
merkt, wiederfinden. Wir werden alles tun, um diese
Rüstungstopf zur Umschichtung herausnehmen. Wir
Arbeit fortzuführen; denn unsere Sorge gehört
werden schließlich - davon schreibt das Weißbuch
selbstverständlich den Menschen in der Bundeswehr,
natürlich nichts — mit dem Aufwuchs infolge der
der Funktionstüchtigkeit dieses Instruments und sei-
Preisexplosion zu tun haben, sowohl bei den Löh-
ner Fähigkeit, unsere Sicherheit zu gewährleisten.
nen wie bei den Materialkosten. Die sind überhaupt
Wir haben deshalb auch nicht gezögert, das ein- nicht veranschlagt, aber sie werden sich doch wohl
geleitete Gesetzgebungswerk durch Anträge fortzu- auch niederschlagen müssen. Und letztlich ist es
setzen, die wir in dieser Legislaturperiode bereits in klar, daß der Ansatz für Materialerhaltung so, wie
einer ganzen Anzahl eingebracht haben. Einige da- Sie ihn im Weißbuch ausweisen, ganz sicher nicht
von haben Sie sich sogar mit zunutze gemacht, an- ausreichen kann, wenn ich die Modernisierung so
dere haben Sie mit Mehrheit vertagt, bis wir das weit strecke und zurücksetze.
Weißbuch erhalten, oder abgelehnt.
Wenn ich im ganzen ein Fazit ziehe, kann ich
(Abg. Damm: Hört! Hört!) also nur zu dem Ergebnis kommen, daß der Kollege
Wir haben versucht, einige Dinge durch Kleine Zimmermann aus anderer Blickrichtung heute schon
Anfragen vorzubereiten. Man hat uns bei einem vorgetragen hat: Wir werden es zu tun haben mit
Teil der Antworten auf diese Kleinen Anfragen auf einem raschen Veralten der Ausrüstung, und das
das Weißbuch vertröstet. Leider muß ich Ihnen wird verbunden sein — das sage ich gerade im
sagen, daß uns diese Vertröstung keine Antworten Hinblick auf unsere Friedenspolitik — mit einem
gebracht hat. Die meisten der zurückgestellten Sinken nicht nur des Kampfwertes, sondern auch
Fragen unserer zwei Kleinen Anfragen sind im des Bündnis- und des Abschreckungswertes. Das
Weißbuch nicht beantwortet worden. Wir warten ist unsere Sorge, meine Damen und Herren.
nun ab, was in dieser Frage werden wird. Hoffent- (Beifall bei der CDU/CSU.)
lich wird es nicht genauso mit der Kleinen Anfrage
gehen, die wir zum militärischen Kräfteverhältnis Darüber hinaus ist es erstaunlich, daß solche
zwischen Ost und West in Mitteleuropa und zu dem Ankündigungen in den Raum gestellt werden und
gleichwertigen Truppenabbau vorgebracht haben. daß keine Klarheit darüber herrscht — auch heute
Denn hier wird uns vorgetragen, daß der Verteidi- noch nicht —, wo diese Schnitte überhaupt vorge-
gungsausschuß laufend über Manöver im Rahmen nommen werden sollen. Das ist sehr vage und sehr
des Warschauer Pakts unterrichtet werde, — eine unbestimmt, und auf die Frage des Kollegen Damm
Feststellung, die mit den Realitäten nicht überein- hat der Minister Schmidt uns noch nicht einmal
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2785
Dr. Klepsch
sagen können, welches Konzept er nunmehr für das und in die Zulagen für Dienst unter erschwerten
MRCA habe. Bedingungen. Das hätte doch hier irgendwo seinen
Niederschlag finden müssen. Das Weißbuch schweigt
Ich möchte deshalb sagen, daß wir in dieser Frage
sich darüber aus.
der Umschichtung zwar sehr wohl das beachten,
was der Herr Bundeskanzler gesagt hat über die Wir hatten auch erwartet, daß die Antworten zu
Probleme, die bei der Bewilligung des Verteidi- den Wehrdienstausnahmen, die uns nicht gegeben
gungshaushalts gegeben sind; aber dieser Vertei- worden sind, jetzt im Weißbuch erfolgen würden.
digungshaushalt ist ja in seinen Steigerungsraten Es ist nichts davon eingetreten. Wir haben danach
für die Zukunft unter der Inflationsrate, die diese gefragt: Wie soll das mit den beschränkt Tauglichen
Regierung für normal hält, geblieben, gehen? Was wird das ganze Unternehmen kosten?
Bei unserer Kleinen Anfrage ist uns das nicht beant-
(sehr wahr! bei der CDU/CSU)
wortet worden; im Weißbuch, auf das wir verwiesen
und da wird man sich ja fragen müssen, wie der wurden, ist auch niemand darauf eingegangen. So
Minister Schmidt das Kunststück fertigbringen will, werden wir also weiter fragen müssen und erwarten
mehr Kampfkraft für weniger Geld zuwege zu müssen, daß der Herr Minister uns hier Auskunft
bringen. gibt.
(Zustimmung bei der CDU/CSU.) Ich möchte aber ausdrücklich sagen, daß das Kern-
Wir werden das aufmerksam verfolgen. problem der Personalstruktur der Bundeswehr die
ungelöste Frage der Zeitsoldaten ist. Hier ist das
Das alles, meine Damen und Herren, kann uns
Weißbuch bemerkenswert dürftig. Das hat wohl
nicht davon entbinden, uns für den Soldaten, so-
auch dem Kollegen Buchstaller an der Kritik des
wohl für den Wehrpflichtigen wie für den Berufs-
Bundeswehrverbandes am wehesten getan, daß dort
soldaten und den Zeitsoldaten, angestrengt um
der Finger auch auf diese Wunde gelegt wurde. —
eine Besserung dort zu bemühen, wo er mit Proble-
Bitte sehr, Herr Kollege Buchstaller.
men zu ringen hat. Ich darf mir ein paar kurze Be-
merkungen dazu erlauben.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Gestatten Sie eine
Uns fällt es auf, daß eine einzige Gruppe bei der Zwischenfrage des Abgeordneten Buchstaller?
Kritischen Bestandsaufnahme nicht gehört wurde.
Das waren die Wehrpflichtigen selber.
Buchstaller (SPD) : Herr Kollege Klepsch, gestat-
(Abg. Damm: Nanu, wie kommt das denn?) ten Sie zur Klarstellung die Frage, ob Ihnen ent-
Die sollen naher in Wehrpflichtigen-Parlamenten gangen ist, daß in der Stellungnahme meiner Frak-
gehört werden. Wir hätten es begrüßt, wenn man tion zu der Erklärung des Bundeswehrverbandes
schon jeden beteiligte, daß man auch diese befragt eine ganz klare Differenzierung zwischen dem Bun-
und herangezogen hätte. Gerade auf diesem Sektor deswehrverband als solchem und der Verbands-
hätten wir gehofft, mehr von den Ankündigungen, führung auf der anderen Seite vorgenommen wurde?
die der Minister Schmidt — seinerzeit noch als der (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU. —
Abgeordnete Schmidt — auf dem Wehrpolitischen Zurufe von der Mitte: Der alte Trick! —
Forum der SPD in Bad Honnef machte, wiederzu- „Nachtigall, ick hör dir trapsen"!)
entdecken.
(Abg. Damm: Wo ist denn der Minister
überhaupt?) Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Herr Kollege Buchstal-
ler, ich bin fast versucht, den Minister Schmidt zu
- Der Herr Minister hat sich zwar vorhin darüber zitieren, der heute mittag sagte: „Darauf kann man
beklagt, daß einige meiner Kollegen, speziell der eigentlich nur noch ironisch antworten." Das kann
Kollege Stahlberg, nicht anwesend waren, man auch nur. Denn das hat ja mit der Aussage, die
(Abg. Damm: Kann man den Minister denn ich Ihnen vorgetragen habe, nichts zu tun. Es hat
nicht holen?) sicher am wehesten getan.
aber ich bin mir bewußt, daß sowohl die Ausführun- (Beifall bei der CDU/CSU.)
gen seines Koalitionspartners wie die der Opposi- Ich möchte, ohne jetzt die Sache zu sehr in die
tion für ihn so unwichtig sind, daß er ihnen nicht Breite zu führen, darauf verweisen, daß auch der
folgen zu müssen glaubt. Wehrbeauftragte Matthias Hoogen diese Frage als
(Abg. Damm: , Mehr Demokratie" ist das!) eine Schlüsselfrage bezeichnet hat und daß wir uns
bemüht haben, durch Gesetzesvorlagen, die diesem
Wir hätten erwartet, daß der Herr Minister uns
Bundestag vorliegen, die dem Ausschuß zur Bera-
etwas zu seiner Ankündigung von Honnef gesagt
tung überwiesen sind, etwas weiter zu kommen, als
hätte, daß er für Wehrpflichtige 100 DM je Monat
das Weißbuch hier geht. Denn wir sind der Mei-
leisten wolle. Er schlägt jetzt 50 DM vor. Wir hätten
nung — das darf ich für meine Fraktion nachdrück-
erwartet, daß er etwas zu seinem Grundsatz, den er
lich sagen —, daß von der Lösung des Problems der
im Ausschuß vorgetragen hat, gesagt hätte, daß man
Zeitsoldaten die Bewältigung einer ganzen Fülle
nämlich dafür Sorge tragen müsse, daß die Wehr-
von Fragen abhängt.
pflichtigen hinsichtlich der Belastung, die sie zusätz-
lich übernehmen, genauso behandelt werden wie die Lassen Sie mich zu einem Punkt in Bausch und
Zeit- und Berufssoldaten, daß sie also auch einbe- Bogen etwas sagen. Alles, was uns in Weiterfüh-
zogen werden müßten in die Zulagen für Ausbilder rung der Vorschläge der Adorno-Kommission oder
2786 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970

Dr. Klepsch
dieser Kommissionsvorschläge uns hier erreicht und Das ist doch der Sachverhalt.
sich sinnvoll in die Bemühungen einfügt, die wir Ich darf zum Schluß noch Herrn Kurt Becker, der
seit Jahren pflegen, werden wir in diesem Bundes- ja wohl demnächst eine führende Funktion im Stab
tag wie im Ausschuß in gewohnter Weise unter- des Ministers Schmidt erhalten soll, zitieren. Er
stützen. Denn die Christlichen Demokraten werden schreibt in der „Zeit":
es sich nicht nehmen lassen, diejenigen zu bleiben,
deren Sorge der Bundeswehr gehört. Doch wie lange lassen sich Rationalisierung und
Zurückstufung in der Ausrüstung fortsetzen,
Wir vermissen im Weißbuch eine Fülle von Aus- ohne nicht auch bald die Fortdauer des bisheri-
sagen zu Fragen, zu denen wir gern etwas Konkre- gen Umfanges einsetzbarer Kampfverbände in
teres gehört hätten, zu Fragen, die an die ganze Frage zu stellen?
Bundesregierung zu richten waren — leider ist der
Bundeskanzler nicht mehr hier — im Sinne der An anderer Stelle sagt er:
Gesamtverteidigung, Fragen vor allen Dingen
Trotz aller alarmierenden Angaben über die
auch — — Kostenexplosion bleibt offen, ob der Etat in den
(Zuruf von der CDU/CSU: Wer ist denn nächsten Jahren Mindesterfordernisse für die
überhaupt da von der Regierung?) Verteidigung noch tatsächlich deckt.

— Der Staatssekretär Westphal. Meine Damen und Herren, ich glaube, daß es
dieses Weißbuch wert ist, sorgfältig gelesen zu wer-
(Zurufe von der CDU/CSU: Der andere den, und daß es sich lohnt, eine eingehende Diskus-
holt den Minister! — Die Herren haben sion über die einzelnen Aussagen zu führen. Ich
Durst! — Vorhin hat Herr Schmidt bemän kann Herrn Minister Schmidt aber für meine Frak-
gelt, daß Herr Kiesinger nicht da war! — tion nicht ungeteilte Zustimmung zusagen, sondern
Wir verlangen Unterbrechung der Sit nur versichern, daß er dort, wo wir vorwärtswei-
zung! — Unruhe. — Glocke des Präsi sende und vertretbare Vorschläge finden werden —
denten.) sie sind in diesem Buch sicher in reicher Fülle vor-
handen —, unserer Unterstützung gewiß sein kann.
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeord- An anderer Stelle werden wir allerdings dafür
neter, fahren Sie fort. Sorge tragen müssen, daß die Sicherheit unserer
freiheitlichen Ordnung, die für uns — damit komme
ich auf das zurück, was der Kollege Zimmermann zu
Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Ich darf nur sagen: wir Anfang sagte — der Kardinalpunkt bei unseren
hätten erwartet, wenn man schon an so große Um- Verteidigungsanstrengungen ist, gewährleistet wird.
schichtungen im Verteidigungshaushalt geht, daß Wir tun das ja nicht, um eine Art Schweizer Garde
man dann den Fragenkreis des zivilen Bevölke- aufzustellen, sondern wir tun das, um die Freiheit
rungsschutzes nicht wieder völlig unter den Tisch dieser unserer Ordnungs zu gewährleisten und un-
gebügelt hätte. Da nützen auch ein paar Reden, die serem Volk die Möglichkeit zu geben, in Freiheit zu
der Herr Dorn irgendwo draußen im Wahlkampf leben.
hält, wenig, wenn wir hier im Weißbuch nichts, aber (Beifall bei der CDU/CSU.)
auch gar nichts Konkretes finden.
(Beifall bei der CDU/CSU.) Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
Abgeordnete Wienand. Für ihn sind 30 Minuten
Das zweite, was uns stört, ist, daß wir eben vom Redezeit gemeldet.
Herrn Minister hören mußten, daß Teile des Weiß-
buches schon wieder überholt sind. Das hat er heute (Lebhafte Zurufe von der CDU/CSU: Wo ist
während seiner Ausführungen zum besten gegeben. der Minister? — Abg. Dr. Wörner: Zur
Geschäftsordnung!)
(Zuruf von der SPD: Was stört Sie denn
daran?)
Wienand (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
— Das stört mich. Denn worüber soll ich mit Ihnen und Herren! Wir haben hier in der Debatte
diskutieren, wenn der Minister dauernd eine an-
dere Stellungnahme aus der Tasche zieht? (Zurufe von der CDU/CSU: Ohne Minister
gehen wir hinaus! — Wenn d a s das In
Ich möchte drittens sagen: das, was an Vorschlä- teresse an der Demokratie ist!!)
-
gen uns vorgelegt worden ist, was dazu dient, die über das Weißbuch zwei Reden,
soziale Lage der Bundeswehr zu verbessern, wird
unsere Unterstützung finden. Wir haben — das wol- (ein Teil der Mitglieder der CDU/CSU-
len wir nicht verhehlen — große Sorgen, daß sich Fraktion schickt sich an, den Saal zu
der Minister und auch der Bundeskanzler mit der verlassen — Unruhe — Glocke des
Bitte an die Opposition wenden werden, sie bei der Präsidenten)
Beschaffung der Mittel zu unterstützen, die sie für eine von Herrn Dr. Zimmermann und eine von
notwendig halten, die sie aber selbst nicht zur Be- Herrn Dr. Klepsch, gehört,
schlußfassung vorzuschlagen wagen.
(Verteidigungsminister Schmidt kehrt in
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) den Saal zurück)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2787
Wienand
und wir haben in diesen beiden Reden die leider etwas zum Stil des Herrn Dr. Zimmermann und be-
in der letzten Zeit übliche Mischung der Opposition stimmter Leute hier geworden ist.
von unterschwelliger Unterstellung und teils diff a
(Beifall bei der SPD.)
mierenden Äußerungen zur Kenntnis nehmen müs-
sen. Diese beiden Dinge hätte man sich im ersteren Fall
Herr Dr. Zimmermann hat es für richtig gehalten, durch eine Information vom Ältestenrat und im
Stilfragen aufzuwerfen, und zwar im Zusammen- zweiten Fall durch eine einfache Rücksprache im
hang mit der Vorlage und dem Druck des Weiß- Verteidigungsministerium beschaffen können. Das
buches. Lassen Sie mich über das hinaus, was der ist das, was den Stil des Herrn Dr. Zimmermann
Bundeskanzler schon dargestellt hat, zum einen aus prägt.
der Sicht des Ältestenrates, zum anderen aber auch
im Hinblick auf die Vorgänge selbst ganz kurz Stel- Vizepräsident Dr. Jaeger: Gestatten Sie eine
lung nehmen, um hier auch den Stil von Herrn Zwischenfrage des Abgeordneten van Delden?
Dr. Zimmermann entsprechend würdigen zu können.
Wie der Herr Bundeskanzler bereits gesagt hat, van Delden (CDU/CSU) : Herr Kollege Wienand,
wurde von dem Vertreter der Regierung im darf ich Sie daran erinnern, daß diesen Stil der
Ältestenrat der Wuns ch vorgetragen, daß das Herr Bundesminister der Verteidigung selber pro-
Weißbuch vorgezogen werden möge. Es wurde voziert hat, indem er nämlich von Lobbyismus und
dann im Ältestenrat Einvernehmen darüber erzielt, noch dazu mit Blick auf eine bestimmte Person ge-
daß die Kabinettvorlage den Fraktionsvorsitzenden sprochen hat?
zugeleitet werden sollte, damit die Debatte, die auf
den heutigen Tag festgelegt wurde, entsprechend Wienand (SPD) : Verehrter Herr Kollege van
vorbereitet werden konnte. Zu diesem Zeitpunkt Delden, der Herr Minister hat gestern in der Frak-
wußte jeder im Ältestenrat — und die Kommuni- tion einiges gesagt, was er an die Adresse aller zu
kation der Ältestenratsmitglieder mit den anderen sagen beabsichtigte, und in der Fraktion hat sich
Fraktionsmitgliedern, auch mit Herrn Dr. Zimmer- keiner das angezogen; er hat in der Fraktion aus-
mann, muß doch irgendwie noch funktionieren —, drücklich darauf hingewiesen und ich habe ihn auch
daß eine Kabinettvorlage noch keine druckreife so verstanden, daß er damit alle meinte und nicht
Vorlage ist, weil der Druck erst nach der Beschluß- ganz bestimmte Personen, und er hat nicht nach
fassung und der entsprechenden Überarbeitung einer Richtung gesehen.
durch die verantwortlichen Männer nach der Kabi-
nettsitzung erfolgen kann. Wenn man das hier an- Vizepräsident Dr. Jaeger: Gestatten Sie eine
zuzweifeln versucht, sollte man zumindest nicht von Zwischenfrage des Abgeordneten Ott?
Stil reden.
Ott (CDU/CSU) : Herr Kollege Wienand, da Sie
Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeord- vorher genau Bes cheid wußten, daß die anderen
neter Wienand, gestatten Sie eine Zwischenfrage Bewerber teurer waren, können Sie mir sagen, um
des Abgeordneten Dr. Zimmermann? wieviel der zweite Bewerber teurer war als das
erste Angebot?
Wienand (SPD) : Nein! (Vorsitz: Vizepräsident Frau Funcke.)
(Aha-Rufe bei der CDU/CSU.)
Ich möchte eine zweite 'Bemerkung dazu machen. Wienand (SPD) : Nein! Aber Sie können es beim
Herr Dr. Zimmermann hat dann, um im Stil weiter- Verteidigungsministerium erfahren. Ich bin sicher,
zugehen, vom Druckhaus Deutz gesprochen und hat daß man es Ihnen sagen wird.
gesagt — wieder unterschwellig, wie es die Art des
„Bayernkurier" ist —, hier sollte einem bestimmten Vizepräsident Frau Funcke: Gestatten Sie
Verlag etwas zugeschanzt werden. Wenn Sie dann eine Zwischenfrage des Herrn Dr. Klepsch?
vorwerfen, es sei irgend "etwas verletzt worden,
dann kann ich sagen, Herr Dr. Zimmermann, daß Sie Wienand (SPD) : Nein! — Nachdem ich diese
zumindest die Sorgfaltspflicht bei der Vorbereitung beiden Dinge klargestellt habe, lassen Sie mich auf
Ihrer schriftlichen Verlesung verletzt haben. einige andere Fragen eingehen, die der Kollege Dr.
Denn Tatsache ist folgendes: Es ist beschränkt Zimmermann hier angesprochen hat.
ausgeschrieben worden. Sechs Verlage sind ange- Herr Dr. Zimmermann hat unter anderem aus- -
schrieben worden und haben ihre Angebote auch geführt, er vermisse ein überragendes Bekenntnis
mit Blickrichtung auf die Termine abgegeben. Der zum demokratischen Rechtsstaat, die Bundesregie-
vorhin erwähnte Verlag war der zweitpreiswer- rung habe diese Stunde nicht genutzt, und dann hat
teste, der zweitbilligste, und der einzige, der in der er in diesem Zusammenhang, wiederum etwas
Größenordnung der Preisstellung termingerecht lie- unterschwellig, von Konzessionen an Linke gespro-
fern konnte. Die anderen Verlage, auf die Sie ange- chen. Er vermißte, wie er sagte, ein Bekenntnis zu
spielt haben, konnten nicht termingerecht liefern der Wertordnung Freiheit —Friede Einheit.

und waren darüber hinaus über 33% teurer. Einverstanden!


Mir lag daran, das festzustellen, damit dieses Aber können wir uns nicht endlich einmal in die-
Unterschwellige herausgenommen wird, was leider sem Hause dazu verstehen, daß doch unbestritten
2788 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970

Wienand
ist, daß wir in Freiheit leben, daß wir Frieden haben daß wir heute dieses Ergebnis haben, was Sie be-
und ihn sicherer machen wollen und daß wir, von klagen mögen. Aber weil es da ist, müssen wir ver-
diesen beiden Positionen ausgehend, die dritte ver- suchen, das Beste in der Zielrichtung daraus zu
wirklichen können, und nur so, und daß es nicht machen, wie es die NATO jetzt nach entsprechender
immer erneuter 'Bekenntnisse bedarf und daß, wenn Vorbereitung oder Signalgebung von Reykjavik
sie nicht gegeben werden, dem anderen nicht unter- aus über Brüssel angefangen und bis zu diesem kon-
stellt wird, er wolle mit seiner Politik die Freiheit zentrierten Angebot von Rom getan hat.
aufs Spiel setzen. Das ist doch allmählich unerträg- Und jetzt fragt man weiter: Was macht denn die
lich in einem 'Hause von erwachsenen Menschen! Bundesregierung, wenn der Osten, wenn Rußland
(Abg. van Delden: Den Vorsatz unterstel wieder nein sagt? Ja, meine Damen und Herren von
len wir nicht, aber die Gefahr!) der CDU/CSU, ich frage Sie: Stehen wir denn heute
in der NATO und als Bundesrepublik nach den Er-
Herr Kollege van Delden, ich finde, wir sollten uns, gebnissen Ihrer jahrelangen Politik schon nackt da,
gerade wenn es um diese Frage geht, von der Phra- oder hat diese Bundesregierung in sieben Monaten
senfront entfernen und sollten nicht immer wieder das ausgezogen, womit Sie die Bundeswehr
versuchen, anderen das zu unterstellen, was man in all den Jahren Ihrer Sicherheits- und Verteidi-
selbst für sich nicht haben will und auch nicht gungspolitik umkleidet hatten. Sie sollten doch nicht
möchte. so tun, als sei etwas verschenkt worden oder als sei
Wir haben dann erlebt, wie hier Herr Dr. Zim- die Situation, die wir heute haben und aus der das
mermann mit Verrenkungen in Sachen Gleich- Beste gemacht werden soll, ein Verschulden dieser
gewicht, konventionelles Gleichgewicht, wiederum Regierung!
recht statisch und statistisch Dinge darstellte und (Abg. Dr. Wörner: Jetzt bauen Sie einen
gleichzeitig so etwas unterkühlt von ,,Verteidi- Türken!)
gungsanstrengungen" — und man solle das nicht so
nennen — der Russen sprach, denn das sei doch Das ist das, wogegen ich mich leidenschaftlich
alles offensiv und nicht defensiv zu sehen. Ja, wende, und das muß man aus der Diskussion her-
meine Damen und Herren, wie oft ist hier von uns, ausnehmen, wenn wir insgesamt glaubwürdig blei-
von der Regierung, von anderen darauf hingewie- ben wollen.
sen worden, daß auch die Wortwahl und die (Abg. Stücklen: Sie bauen sich einen
Sprache ein nicht zu unterschätzender Faktor in der Popanz auf und gehen darauf los! — Einen
Außen- und Sicherheitspolitik eines Volkes ist und Türken!)
eines Bundestages, der sich in der Situation befin- — Nein, ich baue weder einen Popanz noch 'einen
det, in der wir uns nun einmal befinden. Ich glaube,
Türken auf. Ich habe das aufgegriffen, was der
wir würden uns allen und der gemeinsam vertre-
Herr Dr. Zimmermann sorgfältig ausgearbeitet hier
tenen Sache einen entsprechenden Gefallen tun,
vorgelesen hat, wovon ich annehme, daß es die
wenn wir das endli ch einmal zur Kenntnis nähmen Meinung der Gesamtfraktion ist, und um diese Le-
und beherzigten.
gendenbildung aus der Welt zu schaffen, wende ich
Der Herr Bundeskanzler hat dann von sich aus mich leidenschaftlich dagegen!
ebenso wie der Herr Verteidigungsminister auf die (Beifall bei der SPD. — Zuruf von der
Frage der beiderseitig ausgewogenen Truppenredu- CDU/CSU: In dem Punkt stimmt es doch
zierungen hingewiesen. Ich möchte, weil immer wie- nicht!)
der etwas einseitig , die Frage des Abzugs amerika-
nischer Soldaten ins Gespräch gebracht worden ist,
darauf hinweisen, was in den vergangenen Jahren
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege,
gestatten Sie eine Zwischenfrage?
geschehen ist, als wir gemeinsam bemüht waren,
einer solchen Entwicklung zu steuern oder aber,
wenn sie schon nicht aufzuhalten war, das Beste Wienand (SPD) : Ja!
daraus zu machen. Jetzt kann man sich doch nicht
hier hinstellen und, nachdem eine Regierung sieben Vizepräsident Frau Funcke: Bitte schön, Herr
Monate die Verantwortung übernommen hat, so Kollege Wörner.
tun, als gäbe es nicht vier, fünf Jahre vorher mit
Truppenreduzierungen — leider nicht beiderseitig Dr. Wörner (CDU/CSU) : Wären Sie bereit, Herr
und ausgewogen, sondern teilweise einseitig —, Kollege Wienand, einen Bruchteil Ihrer Leidenschaft
und das Ergebnis nunmehr einer Regierung anla- der Antwort auf die Sachfrage des Herrn Zimmer--
sten, die sich bemüht, daraus eine beiderseitige mann zuzuwenden, ob nicht die Umschichtungen und
Truppenreduzierung zu machen, so wie es der Herr der Rückgang des prozentualen Anteils des Ver-
Bundeskanzler als das Ziel seiner Politik darge- teidigungshaushalts zu einer Schwächung der Ver-
stellt hat! teidigungskraft, der Schlagkraft, der Bundeswehr
Wenn es wirklich ein gemeinsames Anliegen ist, führen würden? Denn alles Gerede kann nicht dar-
daß gerade auf diesem Gebiet die besondere Auf- über hinwegtäuschen, daß das der Kern seiner Kritik
merksamkeit der Bundesregierung auf diese Fragen war!
zu lenken, dann sollten wir doch nicht so tun, als
sei es jetzt Schuld dieser Regierung und dieses Ver- Wienand (SPD) : Ich werde im Verlauf meiner
teidigungsministers und dieses Bundeskanzlers, Ausführungen genau darauf zurückkommen. Aber
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2789

Wienand
vorab, um Sie zufriedenzustellen, Herr Kollege Nun, die Außen- und Verteidigungsminister der
Wörner, folgendes: Betrachten Sie einmal die NATO haben in der vergangenen Woche in Rom
Historie unserer Bundeswehr, und überlegen Sie der Sowjetunion und den weiteren Mitgliedstaaten
einmal, was damals der Herr Kollege Blank kon- des Warschauer Pakts Vorschläge zur gleichwerti-
zipiert hat und der Herr Strauß reduzieren und gen und ausgewogenen Reduzierung der militäri-
strecken mußte! Überlegen Sie einmal, was dann der schen Kräfte in Mitteleuropa unterbreitet. Die Mini-
Herr Strauß neu konzipiert hat und was Herr ster des Bündnisses folgten damit Vorarbeiten der
von Hassel reduzieren und strecken mußte! Über- deutschen Bundesregierung. Die Vorschläge von
legen Sie einmal, was dann der Herr Schröder ge- Rom konkretisieren in vier Punkten die in der letz-
macht hat, um Ruhe in die Truppe hineinzubekom- ten Zeit wiederaufgelebten Diskussionen über bei-
men, und welche Truppe dann Herrn Schmidt über- derseitige ausbalancierte Rüstungsbeschränkungen
lassen wurde! Und wenn jetzt Herr Schmidt sagt: und Truppenverminderungen.
„Ruhe in die Truppe, ja; darüber hinaus erst nach-
Der römische Appell folgt - ich sage es noch
denken, dann handeln", und wenn er sagt, er sei in
einmal-dem Signal von Reykjavik vom Juni 1968.
einer Reihe von Fragen mit der Prüfung noch nicht
Er steht nicht isoliert im Raum, wie es hier und da
fertig, und wenn er vorhin sagte, er lasse sich nicht
dargestellt wird, sondern er kann und muß parallel
in Zugzwang bringen, aber er werde, wenn er diese
zu den sowjetisch-amerikanischen Gesprächen in
Überlegungen abgeschlossen habe, Rede und Ant-
Wien über den Versuch einer Begrenzung der
wort stehen, scheint mir das seriös zu sein und nichts
großen strategischen Waffen gesehen werden.
Neues in der Geschichte der Bundeswehr! Wer jetzt
drängt und glaubt, es könnten in kurzer Zeit Ant- Die Erklärung des Atlantikrats von Rom deckt
worten gegeben werden - Antworten, die dann sehr sich auch mit den entsprechenden Ausführungen des
leicht falsch sein können, wie aus dem Ergebnis der Weißbuchs zur Sicherheit der Bundesrepublik
Vergangenheit sehr leicht nachzuweisen ist, wo Deutschland. Die römische Erklärung steht mit den
frühzeitig gegebene Antworten uns viel Geld ge- weiteren Überlegungen der Bundesregierung in
kostet und Unsicherheit auch in der Öffentlichkeit Übereinstimmung. Das verdient festgehalten zu
gebracht haben —, der sollte dankbar und froh sein, werden bei allen Anständen, die man zu einzelnen
daß jetzt eine Atempause gemeinsamer Überlegung Punkten vorbringen kann.
eingeleitet worden ist und daß dann nach sorgfälti- Die Verbündeten der Bundesrepublik haben die
gem Abwägen die Antworten auf gewiß drängende Außen-, Deutschland- und Sicherheitspolitik der
Fragen gegeben werden. Bundesregierung fast zur gleichen Stunde nachhaltig
(Beifall bei der SPD.) unterstützt, als im Deutschen Bundestag vor einer
Woche die Opposition die Gefahr an die Wand
Ich wollte nur noch einen abschließenden Gedan- malte, die Bundesrepublik würde von ihren west-
ken aus meiner Sicht zu der Frage der beiderseitigen lichen Freunden und Verbündeten isoliert. Heute
Truppenreduzierungen beitragen. Gewiß kann kei- können wir, ja, müssen wir mit Nachdruck und in
ner von uns sagen, wie die Reaktion Rußlands oder aller Deutlichkeit feststellen, daß die CDU/CSU in
der anderen Warschauer-Pakt-Staaten sein wird. der vorigen Woche die Situation falsch dargestellt
Aber, meine Damen und Herren, selbst wenn es hat und heute die Möglichkeit gehabt hätte, nicht
keine befriedigende Antwort ist, haben wir uns dann nur die Darstellungen zu geben, die gegeben wor-
etwas damit vergeben, daß wir vernünftige, der Welt den sind, sondern ausdrücklich festzustellen, daß
verständliche Angebote im Einvernehmen mit unse- sie, wenn sie die Politik der NATO unterstützt, wie
ren Vertragspartnern gemacht haben? sie im Kommuniqué festgehalten worden ist, damit
auch die Politik der Bundesregierung in diesen
(Abg. Stücklen: Das hat ja keiner behauptet!) Fragen unterstützt; denn es gibt keinen Unterschied
zwischen dem NATO-Kommuniqué und der Politik
— ich stelle doch die Frage; wir können uns ja ver-
der Bundesregierung.
ständigen -, Angebote, die nicht nur in der west-
lichen Welt und Öffentlichkeit, die nicht nur bei uns, (Beifall bei der SPD.)
sondern die, wenn auch nicht an offizieller Stelle, so Wenn die CDU hier anders argumentiert, dann muß
doch an anderen Stellen, auch im Osten gewürdigt sie sich die Frage gefallen lassen, ob sie sich nicht
werden? Ich finde, es ist auch ein Beitrag guter und selbst isoliert hat oder zumindest aber verkennt,
sinnvoller Politik, wenn dann die anderen zu etwas was dort in letzter Zeit wirklich vorgegangen ist
nein sagen müssen, was von uns angeboten wird und und in Rom einen gewissen Abschluß gefunden hat.
der Weltöffentlichkeit als vernünftig erscheint.
Allein das sollte doch auch einmal abgewartet und In Rom wurde nicht nur eine Übereinstimmung
in diesem Zusammenhang auch gewürdigt werden. unserer sicherheitspolitischen Vorstellungen mit
denen der Partner im Bündnis festgestellt. Unein-
(Abg. Damm: Wir sind doch auch gar nicht geschränkt haben die Verbündeten die Ostpolitik
dagegen!) der Bundesregierung unterstützt — uneinge-
schränkt, meine Damen und Herren von der CDU/
— Ich weiß nicht, warum Sie dann polemisieren, CSU! Sie haben gemeinsam festgestellt, daß es
Herr Damm. Das ist bei Ihnen immer schwer zu ver- einen Zusammenhang gibt zwischen den Versuchen
stehen. der Bundesrepublik Deutschland, durch zweiseitige
(Abg. Damm: ln dem Punkt polemisieren Gespräche Verhandlungen mit der Sowjetunion, mit
wir doch gar nicht!) Polen und mit der DDR einzuleiten, und den Ge-
2790 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970

Wienand
sprächen zwischen den drei Mächten und der So- wenn man sich auf offizielle Dokumente beruft —
wjetunion in Berlin und daß damit die westlichen macht das Weißbuch der Bundesregierung allen, die
Anstrengungen, in Mitteleuropa zu einer wirksamen es zu lesen verstehen, klar, daß dieses Gleichgewicht
Entspannung zu kommen, eine Einheit bilden. Diese niemals statisch und niemals statistisch war und
Einheit sollten wir bewahren helfen, und wir sollten auch nicht so gesehen werden darf. Das Weißbuch
dazu unseren Beitrag leisten. Die CDU/CSU steht macht ebenso deutlich, daß gewisse Asymmetrien
hier also zur Zeit mit ihren vorgebrachten Argumen- konstant sind und bleiben werden, ohne daß dar-
ten leider allein. unter das Gleichgewicht oder gar das Prinzip der
wirksamen gegenseitigen Abschreckung leiden
Die in Rom erzielte Übereinstimmung der Zielvor- müßte. Das ist die Antwort, Herr Dr. Klepsch, auf
stellungen für die nächsten Jahre und im besonde- eine Reihe der von Ihnen und auch von Herrn Dr.
ren die zwischen den römischen Erklärungen und Zimmermann gestellten Fragen.
den Intentionen des Weißbuches bestehende Über-
einstimmung hinsichtlich der weitergehenden Ziele Ich darf für meine Fraktion und für meine Partei
der gemeinsamen — ich unterstreiche: der gemein- in Anspruch nehmen, daß über Reykjavik und Brüs-
samen — Sicherheitspolitik bedeuten für meine sel bis zu Rom in jüngster Zeit Überlegungen in die
Fraktion und für mich, daß den besonderen psycho- offizielle Bündnispolitik Eingang gefunden haben,
logischen Realitäten dieser Tage wirkungsvoll und die von der SPD schon vor etwa 12 Jahren erstmals
in vierfacher Weise Rechnung getragen wurde. diskutiert und dann vornehmlich von Fritz Erler und
Helmut Schmidt hier im Bundestag und auch in der
Die Gestaltung der deutschen Außen- und Sicher- WEU vertreten wurden. Vielleicht war es für un-
heitspolitik hat erstens die Unterstützung unserer sere damaligen sozialdemokratischen Initiativen mit
Freunde und Verbündeten. Zweitens ist sie den Ge- dem Ziel, die militärische Konfrontation speziell in
sprächen mit den Staaten des Warschauer Paktes Mitteleuropa abzubauen und zu einem besseren
dienlich. Sie berücksichtigt drittens in gebührendem Sicherheitssystem zu kommen, noch zu früh. Ich will
Maße den inneren Zustand der Bundeswehr, und sie heute nicht darüber rechten. Immerhin dürfte fest-
liegt viertens im Trend der in der Öffentlichkeit der stehen, daß wir Sozialdemokraten am Ende der 50er
Bundesrepublik mehrheitlich gestützten und immer und zu Beginn der 60er Jahre mit unseren sicher-
stärker erkennbar werdenden politischen Zielvor- heitspolitischen Vorstellungen nicht nur bei den
stellungen. damaligen Regierungsparteien in der Bundesrepu-
(Zuruf von der CDU/CSU: Wie lauten die blik, sondern, was die Denkansätze anging, zunächst
denn?) auch im Bündnis insgesamt nur auf geringes Ver-
ständnis stießen. Das hat sich mittlerweile grund-
Das Weißbuch der Bundesregierung führt an meh- sätzlich gewandelt.
reren Stellen aus, daß es das vorrangige Interesse
Die 60er Jahre haben in der Bundesrepublik, im
der deutschen Politik sei, von der Phase der Kon-
westlichen Bündnis und wohl auch in dem uns ge-
frontation zu einer Ara der Kooperation zu kom-
genüberstehenden Warschauer Pakt eine nüchterne
men. Auch dies ist wiederum ein gemeinsames Ziel
und realistische Betrachtung der mit der Sicherheit
des Bündnisses, wie es in dieser Deutlichkeit zu-
und Verteidigung der Völker einhergehenden Pro-
erst vor knapp zwei Jahren in Reykjavik, dann im
bleme mit sich gebracht. Wir sollten weiter alle dar-
vergangenen Jahr in Brüssel und nun in der vergan-
an interessiert sein, daß es bei dieser Versach-
genen Woche in Rom wieder formuliert wurde. Es
lichung bleibt, damit Gespräche möglich sind. Diese
handelt sich hierbei zudem um einen Zugang zu
Wandlung fand z. B. in der Änderung der Strategie
den Problemen der internationalen Politik in Euro-
des Bündnisses im Frühjahr 1967 ihren Nieder-
pa, den auch die gegenwärtige amerikanische Re-
schlag, der ja schon fünf bis sechs Jahre vorher die
gierung ganz oben auf ihrer Prioritätenliste stehen
entsprechende Wandlung der amerikanischen Stra-
hat.
tegie vorausgegangen war. Ich sehe hier noch einige
Der Übergang von der Konfrontation zur Koope- Kollegen, die Anfang der 60er Jahre mit im Ver-
ration kann nicht von heute auf morgen gesehen teidigungsausschuß saßen. Ich erinnere sie daran,
werden. Der Herr Bundeskanzler hat das vorhin in wie ernsthaft wir darüber nachgedacht und disku-
sehr eindrucksvoller Weise klargestellt. Meine tiert haben und wie sehr wir uns bemüht haben,
Freunde und ich halten es für bedeutsam, daß wir diesen Anschluß herzustellen. Ich erinnere sie daran,
nun immerhin gemeinsam mit unseren Verbündeten wieviel uns damals noch unverständlich erschien und
erkannt haben, daß wir uns in einer Übergangs- daß selbst die Bundesregierung und der Verteidi-
phase befinden. Ich brauche nicht zu betonen, daß gungsminister im Ausschuß mit Analysen und Er-
der Abbau der Spannungen bei den vorhandenen klärungen nicht nachkommen konnten. Das sind doch
tatsächlichen und psychologischen Realitäten nie- die Stunden in jenen Jahren gewesen, die jeder
mals ein Drahtseilakt ohne Netz sein darf. Alle Stu- noch in Erinnerung hat und die teilweise hier in die-
fen, die zu einer Entspannung führen sollen und sem Bundestag ihren Niederschlag gefunden haben.
können, müssen dadurch gekennzeichnet sein, daß Wir alle sollten froh darüber sein, daß all das über-
das Gleichgewicht der in Europa wirksamen und wunden ist und wir jetzt zu einer versachlichenden
auf Europa wirkenden politischen, wirtschaftlichen Sprache in diesen Punkten gekommen sind.
und militärischen Kräfte erhalten bleiben muß. Im Zuge dieser Entwicklung hat sich zwar das
In einer für deutsches sicherheitspolitisches Den- Sicherheitsbedürfnis der europäischen Völker nicht
ken bisher einmaligen Art und Weise — jedenfalls gemindert, wohl aber ist jene Einstellung aus den
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2791
Wienand
50er Jahren gewichen, nach der es galt, einer unmit- uns ein System für Europa bringen könnten, das
telbar und beinahe unausweichlich drohenden Ge- vom Standpunkt der Sicherheit für die europäischen
fahr zu begegnen. Ich will damit nicht sagen, daß Völker beiderseits der trennenden Linien interessan-
wir möglichen drohenden Gefahren gegenüber nach- ter, weil sicherer sein könnte oder würde.
lässiger geworden wären oder daß sich bei uns die
Tendenz ankündige, die eigenen Verteidigungsan- Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion gibt
strengungen zu reduzieren. Wohl aber wird uns zu verstehen, daß diese Bundesregierung mit dem
allen in zunehmendem Maße deutlich, daß Sicherheit Weißbuch ein Dokument vorgelegt hat, das durch
in diesem Jahrzehnt etwas anderes bedeutet als im die Deckungsgleichheit mit den politischen Vor-
vergangenen Jahrzehnt oder gar als vor rund 20 stellungen der Verbündeten gekennzeichnet ist und
Jahren. Mit dieser Feststellung soll keine Kritik an das in einem bisher nicht gekannten Ausmaß die
den Maßnahmen, die aus Ihrer Sicht damals als rich- in der Bundeswehr vorhandenen Probleme erkennt
tig angesehen wurden, aus unserer Sicht — zumin- und zusammenfaßt. Das ist auch von Rednern Ihrer
dest was die Ausgangsposition anging — als falsch Fraktion unterstrichen worden. Wir glauben, daß
angesehen wurden, verbunden seien. Ich möchte die dem Weißbuch vorangegangenen Diskussionen
diesen Streit nicht erneut aufleben lassen, sondern des Ministers und seiner Mitarbeiter mit einigen
nur darauf hinweisen, daß wir uns heute gemein- tausend Soldaten auch in der Bundeswehr einen
sam in einer besseren Position, was die gemein- Prozeß weiterer Diskussion auslösen werden. Schon
samen Beurteilungsgrundlagen angeht, befinden. Es jetzt merken die Truppe und die interessierte Öf-
wird in zunehmendem Maße deutlich, daß die Sicher- fentlichkeit, wie manche Begleiterscheinungen in
heit heute anders sichergestellt werden kann und den Unterhaltungen und Kommentaren über die
muß und daß viele Dinge teilweise auch anders Bundeswehr entzerrt worden sind, weil durch die
beurteilt werden. Vorlage des Weißbuchs die Dinge beim Namen
genannt und deshalb ohne Nebelschleier dargelegt
Meine Damen und Herren, dieser Bewußtseins- werden können.
wandel, der meines Erachtens nichts mit zunehmen-
der Nachlässigkeit zu tun haben darf und kann, ist Die Bundesregierung hat jetzt die Aufgabe, für
nicht allein auf die Völker Westeuropas beschränkt. die fast hundert im Weißbuch angekündigten kon-
Die aus dem Bereich des Warschauer Paktes erkenn- kreten Maßnahmen die gesetzestechnische Form zu
baren Gesten auch der Verantwortlichen deuten an, finden. Sie wird meine Fraktion an ihrer Seite fin-
daß man auch dort zumindest den Trend in den den, wenn es darum geht, die von ihr eingebrach-
Völkern verspürt und vielleicht in einem Nachhol- ten Vorschläge ohne Zeitverzögerung zu verwirk-
prozeß, in dem auch wir uns jahrelang befunden lichen.
haben, bemüht ist, aus der dortigen Sicht Anschluß (Beifall bei den Regierungsparteien.)
zu finden.
(Abg. Dr. Wörner: Ist das eine Hoffnung?) Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der
— Sollte dann von uns aus, Herr Dr. Wörner, sei Abgeordnete Ollesch.
es durch drohende Gebärden, sei es durch eine fal-
sche Sprache, sei es durch eine Darstellung der Poli-
Ollesch (FDP) : Frau Präsidentin! Meine sehr
tik, wie wir sie gemeinsam nicht wollen, selbst wenn
verehrten Damen und Herren! Es ist das zweite
es nur eine Hoffnung ist, diese Hoffnung zunichte
Weißbuch, das der Deutsche Bundestag diskutiert.
gemacht werden, oder lohnt es das Ziel nicht, alles
Wir beschäftigen uns mit diesem Weißbuch schon
daran zu setzen, daß aus den Hoffnungen Realitäten
seit 14 Uhr, immerhin seit 4 1 /2 Stunden, und es sieht
werden!
so aus, als wenn es uns noch eine geraume Zeit
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
beschäftigen wird. Ich erinnere mich an die Diskus-
Die sozialdemokratische Bundestagsfraktion be- sionen über das erste Weißbuch, das dem Hohen
grüßt es, daß die hier von mir skizzierten Wandlun- Hause im vergangenen Jahr vorgelegt wurde. Da-
gen auch im Weißbuch der Bundesregierung ihren mals wurde dieses Weißbuch kaum diskutiert. Der
Niederschlag gefunden haben. Allein schon die einzige Sprecher, der in längeren Ausführungen
knappe Diktion dieses Dokumentes, der Verzicht auf dazu Stellung nahm, war mein früherer Kollege,
schmückende und meist verzerrende Beiworte, muß der jetzige Wehrbeauftragte. Daran mögen Sie
doch jedem Leser angenehm auffallen. Die doppelte erkennen, daß dieses Weißbuch, das die jetzige
Funktion unserer Sicherheits- und Verteidigungs- Bundesregierung vorgelegt hat, sich gegenüber dem
politik wird durch die klare Sprache deutlicher als ersten Weißbuch, das uns im vergangenen Jahre
jemals zuvor. Diese doppelte Funktion, das möchte vorlag, sicherlich fortentwickelt hat. So schlecht
ich hier noch einmal hervorheben, bedeutet: wir sind kann es also nicht sein, wie es von den Rednern
auf der einen Seite dabei, die notwendigen und mög- der Opposition gelegentlich dargestellt wird. Denn
lichen Maßnahmen zu unserer Verteidigungspolitik sonst würden wir ja keinen Grund haben, uns so
gemeinsam mit unseren Verbündeten zu tragen, und lange damit zu beschäftigen.
wir werden bei diesen Anstrengungen nicht erlah-
men. Wir sehen auf der anderen Seite die Notwen- Von den Sprechern der Opposition ist in den Ein-
digkeit, abgedeckt durch diese Maßnahmen in einem gangsbemerkungen Kritik an der Höhe des Ver-
stärkeren Maße als bisher eine Politik in die Wege teidigungshaushalts, gemessen am Gesamthaushalt,
zu leiten, durch welche Spannungen beseitigt und geübt worden. Es wird der Eindruck zu erwecken
Wege in eine Zukunft gefunden werden sollen, die versucht, als zeige sich hier eine mangelnde Ver-
2792 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970

Ollesch
teidigungsbereitschaft der jetzigen Bundesregierung stellt fest — wir unterstreichen diese Fesstellung —,
und der diese Regierung tragenden Koalition. daß die Bundesregierung auch in Zukunft am Prin-
Meine Damen und Herren, die Mittel an sich zip der allgemeinen Wehrpflicht festhalten wird,
sind weder Ausdruck einer Kampfkraft noch des ungeachtet der Tatsache, daß in späterer Zeit eine
Verteidigungswillens. Es würde uns nichts nützen, andere Struktur unserer Verteidigung möglich sein
wenn wir die Mittel erhöhten, aber nicht die Men- könnte.
schen hätten, die in der Lage wären, diese Mittel Selbst bei einer Hinwendung zur Berufsarmee
in effektive Kampfkraft umzusetzen. würden wir auf die allgemeine Wehrpflicht — dann
(Abg. Damm: Was nützt es uns, wenn wir allerdings von kürzerer Zeitdauer im Rahmen einer
die Menschen haben, aber nicht die Kampf Miliz oder ähnlichem — nicht verzichten können.
kraft?) Die Vorschläge der Freien Demokraten zur Reorga-
nisation der Bundeswehr und zur Struktur der Bun-
— Herr Kollege Damm, bisher hat es mehr an den
deswehr für die Zukunft gingen auch immer von
Menschen als an den Geräten gemangelt. Das steht
der Voraussetzung aus, daß die allgemeine Wehr-
wohl außer Frage.
pflicht beibehalten bleibt. Aber, meine Damen und
Sie kritisieren, daß die Ansätze zu niedrig seien. Herren, das System der allgemeinen Wehrpflicht
In diesem Zusammenhang darf ich darauf hinwei- läßt sich nur praktizieren — unter Vermeidung in-
sen, daß Sie das schon seit geraumer Zeit bei den nerpolitischer Schwierigkeiten —, wenn eine aus-
verschiedensten Problemen, die wir hier in diesem reichende Wehrgerechtigkeit erreicht wird. Wir sind
Hause behandeln, zu tun pflegen. Immer haben Sie dem Verteidigungsminister besondes dankbar, daß
der Regierung und den Regierungsfraktionen vorge- das Problem der Wehrgerechtigkeit in diesem Weiß-
worfen, es sei eben zu wenig an Mitteln bereitge- buch einen großen Raum einnimmt. Die Bundes-
stellt worden, und die Aufgaben seien damit nicht regierung hat in ihrer Regierungserklärung erklärt:
so zu lösen, wie es notwendig wäre. Ich kann mich Wir wollen ein Maximum an Gerechtigkeit durch
aber daran erinnern, daß Sie der Bundesregierung Gleichbehandlung der wehrpflichtigen jungen Män-
im Frühjahr dieses Jahres vorgeworfen haben, sie ner schaffen. Und der Verteidigungsminister sagt:
habe einen Haushalt vogelegt, der nicht konjunktur- Die Erreichung größerer Wehrgerechtigkeit bei der
gerecht sei, weil er eine Steigerungsrate gegenüber Durchfühung der Wehrpflicht ist zum Kernproblem
dem Vorjahr aufweise, die viel höher sei als der und Prüfstein des derzeitigen. Wehrsystems gewor-
Produktivitätszuwachs. Irgend etwas kann an Ihren den.
Argumenten nicht stimmen: entweder legen wir
Hier stimmen wir zu. Diese Zustimmung fällt uns
einen konjunkturgerechten Haushalt vor — dann
leicht, weil wir uns in der Vergangenheit — und ich
ist in allen Bereichen unserer Politik kein Platz für
selbst einige Male hier von diesem Pult aus — ge-
die Erhöhung von Mitteln —, oder wir beschrän-
rade dieses Problems in besonderer Weise ange-
ken uns darauf, besondere Vorhaben besonders zu
nommen haben.
fördern. Ich denke nur an Ihre Anträge zum Fa-
milienlastenausgleich, zu den Bildungsaufgaben und Es ist also der Wille der Bundesregierung, grö-
zum Wohnungsbau. ßere Wehrgerechtigkeit zu erreichen, dabei aber die
(Abg. Damm: War der Haushalt denn Kampfkraft zu erhalten, den Haushaltsrahmen nicht
konjunkturgerecht?) zu überschreiten, die Präsenzstärken nicht zu ver-
ändern — sie sind auch vom Haushalt her be-
Nach Ihrer Meinung tun wir auf allen diesen Ge- stimmt —, aber die Hälfte aller heute wegen einge-
bieten zuwenig; jetzt tun wir auch noch auf dem schränkter Tauglichkeit Noch-nicht-Dienenden zum
Sektor der Verteidigung zuwenig! Wie soll der Wehrdienst heranzuziehen und die Rückstellungs-
Haushalt denn eigentlich aussehen? Wenn wir sum- gründe zu überprüfen, die dazu führen, daß ein gro-
mieren, kommt immer mehr heraus; das ist eben ßer Teil unserer jungen Menschen — und nicht die
das Wesen der Summierung. unintelligentesten, aus Ausbildungsgründen heraus
Das vorliegende Weißbuch ist das Ergebnis einer — am Wehrdienst vorbeikommt.
Bestandsaufnahme. Wir sollten dieses Weißbuch
Dieser Wille, die Wehrgerechtigkeit zu erreichen,
dementsprechend würdigen als das Ergebnis einer
ist anzuerkennen, und ich glaube, er findet den Bei-
Feststellung, was ist mit Vorschlägen, wie die Ver-
fall des ganzen Hauses, denn wir haben uns in der
teidigung in der Bundesrepublik unter Beachtung
Vergangenheit aus vielen aktuellen Anlässen her-
unserer Bevölkerungsstärke, unserer Wirtschafts
aus allzuoft mit diesem Problem beschäftigen müs-
kaft und unserer Finanzkraft organisisiert werden -
sen. Aber, meine Damen und Herren, das ist ein
soll. Diese Punkte können nicht unbeachtet bleiben.
Teufelskreis. Denn die Jahrgangsstärken steigen in
Wir sind dankbar für diese Bestandsaufnahme und
den 70er Jahren an, und wenn wir das Potential
stellen fest, daß sie erstmalig in diesem großen
ausschöpfen wollen, dazu noch den Anteil der ein-
umfassenden Rahmen erfolgt ist.
geschränkt Tauglichen — heute bis zu 35 % —
Das Weißbuch ist in zwei große Abschnitte ge- drastisch verringern, die Hälfte zum Wehrdienst ein-
gliedert: „Die Sicherheit der Bundesrepublik ziehen wollen, ,die Rückstellung nicht mehr so groß-
Deutschland" und „Die Lage der Bundeswehr". Im zügig wie bisher handhaben, aber andererseits die
Abschnitt zur Lage der Bundeswehr nimmt das Ka- gleiche Präsenzstärke, die gleiche Umfangszahl bei-
pitel „Wehrstruktur und Wehrreform" eine beson- behalten wollen, dann ist das Problem nicht lösbar,
dere Stellung ein. Der Bundesverteidigungsminister wenn wir die derzeitige Dauer des Grundwehr-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2793
Ollesch
dienstes von 18 Monaten beibehalten. Das ist eine sem Weißbuch verhältnismäßig kurz behandelt wird.
schlichte und einfache Feststellung. Das läßt sich Sie wissen, daß die Bundesregierung einen Bericht
auch mit einfacher Mathematik errechnen; dazu be- zur Zivilverteidigung vorgelegt hat, in dem sie dar-
darf es nicht großer Rechenkunststücke oder beson- getan hat, daß im Jahre 1970 nicht mehr Mittel be-
derer Computer. reitgestellt werden können, als es in der Vergangen-
Der Bundesverteidigungsminister spricht dieses heit der Fall war, daß sie aber bereit ist, im Rahmen
Problem an und legt ein Denkmodell dar, bei dem der Fortschreibung der mittelfristigen Finanzplanung
von einer Grundwehrdienstdauer von 15 Monaten mehr Mittel einzustellen. Wir stellen ausdrücklich
ausgegangen wird. Da befinden wir uns in voller fest, daß zur Verteidigung die aktive militärische
Übereinstimmung mit dem Bundesverteidigungs- Verteidigung, aber auch der zivile Bevölkerungs-
minister, denn die Verringerung des Grundwehr- schutz gehören.
dienstes in der zeitlichen Dauer haben wir Freien
Demokraten nicht erst seit heute oder seitdem wir Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege
in der Regierung sind oder solange wir in der Ollesch, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn
Opposition waren, sondern auch davor schon ge- Abgeordneten Damm? - Bitte!
fordert.
Ich bin der Auffassung - und ich vertrete die Damm (CDU/CSU) : Herr Ollesch, können Sie
Meinung der Fraktion —, bestätigen, daß eine Rundfunkmeldung, die ich
gestern abend gehört habe, zutrifft, derzufolge der
(Abg. Damm: Herr Jung nicht?)
Parlamentarische Staatssekretär Dorn gesagt haben
daß die Verringerung der Grundwehrdienst soll, daß erstens die Förderung von Schutzraum in
dauer —— Zu diesem Problem, Herr Damm! Wenn Privathäusern künftig eingestellt werden soll und
wir hier oben stehen, vertreten wir immer die Auf- zweitens die Vorratsläger für den Vorsorgefall ab-
fassung der Fraktion. gebaut werden sollen und an deren Stelle eine Wer-
(Abg. Damm: Ich fragte es, weil Sie das bung für die Haltung privater Vorräte treten soll?
besonders betont haben!)
- J a, ich sagte zwar: „ich bin der Auffassung", Ollesch (FDP) : Herr Kollege Damm, ich habe
wollte aber nur unterstreichen, daß ich es nicht meinen Kollegen Dorn nicht darauf angesprochen.
allein bin. Herr Damm, das wissen Sie aber auch, Ich habe die Meldung so zur Kenntnis genommen
ohne mich fragen zu müssen. wie Sie.
(Abg. Damm: Sie sprachen für die anderen (Abg. Damm: Sind Ihnen da nicht die Haare
30 mit?) zu Berge gestiegen?)
- Ja, natürlich, immer, Herr Kollege. Da er vor dem Bundesverband für Selbstschutz ge-
Die Kampfkraft braucht dadurch nicht verringert sprochen hat, mag es zutreffen. Herr Kollege Damm,
zu werden; denn sie wird nicht allein von der Dauer ich sehe gar keinen Widerspruch zwischen den Er-
bestimmt. Vielmehr können die Intensität der Aus- klärungen des Kollegen Dorn und unserem Bestre-
bildung und die Möglichkeit, die Ausbildung zweck- ben, den Zivilschutz auszubauen. Sie haben ver-
mäßig zu gestalten, durchaus den Nachteil des kür- schwiegen, daß er dabei erwähnt hat, daß er Ge-
zeren Grundwehrdienstes ausgleichen. Drei Monate meinschaftsschutzräume in öffentlichen Gebäuden, in
scheinen mir nicht überwältigend zu sein. Anlagen, die von unseren Menschen benutzt werden.
mehr fördern wolle als bisher. Dafür sollen vorran-
Hier sollten recht bald nach Rücksprache mit unse- gig Mittel bereitgestellt werden, weil der ange-
ren Verbündeten die Vorarbeiten zur Einführung strebte Bevölkerungsschutz in diesen Anlagen eher
eines kürzeren Grundwehrdienstes betrieben wer- erreichbar ist als mit unzulänglichen Maßnahmen in
den. Denn, meine Damen und Herren, wir können Einzelwohngebäuden, sosehr auch, Herr Kollege
Waffensysteme anschaffen, welche immer wir wol- Damm, in der Vergangenheit notdürftig ausgebaute
len, wenn wir das Personalproblem der Bundes- Keller dazu beigetragen haben, die Verluste niedrig
wehr, wenn wir die Wehrgerechtigkeit nicht in zu- zu halten. Angesichts der knappen Mittel muß eben
friedenstellender Weise lösen, dann wird diese Bun- entschieden werden, wo der Schutz vorrangig ist.
deswehr eben nicht Teil des gesamten deutschen
Volkes sein, nicht ins Bewußtsein unserer Jugend (Abg. Damm: Und was ist mit den Vorräten?)
hineingerückt werden, dann werden wir auch nicht — Herr Kollege Damm, was heißt: „Was ist mit den
die Verteidigungsbereitschaft erreichen können, Vorräten?"
deren wir bedürfen. Das Problem der Wehrgerech- (Abg. Damm: Na?) -
tigkeit ist, wie ich meine, von daher so ungeheuer - Ich weiche da gar nicht aus; ich bin darin ganz
wichtig, daß es nicht mehr nur verbal abgetan wer- ehrlich: Ich halte auch nichts-wie der Kollege
den kann, sondern daß die Vorarbeiten zur Errei- Dorn — von der Bevorratung durch Behörden, Insti-
chung einer Wehrgerechtigkeit mit den Kriterien, tutionen oder die Bundesregierung. Die beste Vor-
die ich erwähnt habe, und den Zwangsläufigkeiten, ratshaltung und die beste Verteilerstelle, die wir
die gesehen werden müssen, bald durchgeführt wer- in einem Eventualfall haben, sind die vielen kleinen
den müssen. Einzelhändler. Wir sollten alles daransetzen, diese
Von einem meiner Vorredner ist hier bemängelt kleinen Existenzen zu erhalten, die die Vorratshal-
worden ich glaube, es war der Kollege Dr. tung und Verteilung im Notfall viel besser vorneh-
Klepsch -, daß die Frage des Zivilschutzes in die- men können als die zentralen Verteilungsstellen.
2794 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung, Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970

Ollesch
Darauf sollten wir unser Hauptaugenmerk richten den Tisch gelegt und Vorschläge gemacht worden
und nicht Verteilerstellen schaffen, bei denen das wären, an die man hätte anknüpfen können. Denn
Umwälzen von Nahrungsmitteln notwendig ist, die wie könnte es sonst richtig sein, daß Sie am Anfang
sonst nachher verderben. Sehen Sie, so gefährlich ist Ihrer Amtszeit erklärt haben, Sie hätten eine gute
das gar nicht. Die Bundesregierung weicht von der Grundlage von Ihrem Herrn Vorgänger vorgefun-
von ihr geäußerten Auffassung nicht ab, daß zu den, auf der man habe aufbauen können. Sicherlich
einer Landesverteidigung sowohl die militärische ist auch von der Opposition dankbar vermerkt wor-
Verteidigung als auch der zivile Bevölkerungsschutz den, daß Sie bei einigen Dingen im Weißbuch gesagt
gehört, daß beide zur Erreichung des Verteidigungs- haben: „Hier knüpfe ich an meinen Vorgänger an."
zieles untrennbar miteinander verbunden sind. Niemand hat Ihnen bestritten, daß Sie sich selber
Meine Damen und Herren, ich werde, da meine eine Ubersicht verschaffen wollten. Aber — ich sage
Sprechzeit abgelaufen ist, meine Stellungnahme zum es noch einmal im Hinblick auf Äußerungen, die
Weißbuch und zu dem Problem der Wehrgerechtig- Sie vorher getan haben, sind wir doch in einigen
keit mit diesen Ausführungen beenden. Wir haben Punkten enttäuscht. Es würde sicher zu weit führen,
in der Vergangenheit über mögliche Denkmodelle diese Punkte hier alle und im einzelnen aufzuführen.
so oft gesprochen, daß ich mich darauf beschränken Aber einige wenige Sätze müssen heute schon dazu
kann, zu sagen, daß der Bundesverteidigungsmini- erlaubt sein.
ster in diesem Weißbuch das Problem, wie ich meine, Ich verweise auf die Nummern 103 bis 122, die sich
in voller Ausführlichkeit behandelt. — Herr Kollege mit der Personalsituation der Bundeswehr befassen;
Ernesti, Sie lächeln so süffisant; wir werden gemein- darin ist festgestellt, welchen Fehlbestand es gibt,
sam die Gesetzgebungsmaßnahmen vorbereiten und was die Folgen des Fehls sind und was die Haupt-
durchführen müssen, weil wir ja alle um die Berei- ursachen des Fehls sind. Zu meiner Verwunderung
nigung dieses Problems im Interesse unserer Vertei- stelle ich fest, daß bei den Hauptursachen des Fehls
digung bemüht sind. an Personal die Wohnungs- und Mietfrage mit kei-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) nem einzigen Wort angesprochen worden ist.
(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)
Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der
Es ist richtig, Herr Minister, daß an anderer Stelle
Abgeordnete Stahlberg.
natürlich auch auf die Wohnungsfürsorge eingegan-
gen wird. Aber ich darf bescheidenerweise darauf
Stahlberg (CDU/CSU) : Frau Präsidentin! Meine hinweisen, daß Sie selbst, Herr Minister, im Beisein
Damen und Herren! Der Kollege Buchstaller hat ge- Ihres Parlamentarischen Staatssekretärs am 10. No-
meint, es sei richtig, einen Appell an die Opposition vember 1969 in einem „Bild"-Interview zu diesem
zu richten, sie möge ihre Unterstützung nicht ver- Punkt gesagt haben: „Berkhan und ich sehen aber
sagen bei der Durchsetzung von Gesetzen, die dem die Wohnungsfrage als ein Schlüsselproblem an und
Soldaten dienen sollen. Herr Kollege Buchstaller, ich werden diese Sache auch so behandeln." Von
frage mich, warum Sie diesen Appell an uns gerich- „Schlüsselproblem" ist dann keine Rede mehr. Die
tet haben, nachdem Sie auf Ihrer Seite des Hauses Personalsituation hängt in Wirklichkeit sehr ernst-
besser wissen müßten, daß alle Initiativen zu Ge- haft von der Wohnungs- und Mietfrage ab.
setzesvorlagen für die Soldaten, die seit dem 26. Ok-
tober 1969 von uns, von der Opposition, vorgelegt Herr Minister, Sie haben vorhin kritisiert, daß
worden sind, von Ihnen bis auf zwei alle abgelehnt ich mich zum Kollegialprinzip in Ihrem Hause ge-
worden sind. äußert habe. Ich darf mir erlauben, Ihnen zu schil-
dern, wie sicher wir sind, daß das Kollegialprinzip
(Abg. Dr. Klepsch: Sehr wahr! — Beifall hervorragend funktioniert. Während Sie mit Ihrem
bei der CDU/CSU.) Parlamentarischen Staatssekretär der Auffassung
Wir haben uns dann allerdings in etwa damit zu- sind, daß dieser Frage ein hoher Rang einzuräumen
friedengegeben, nun erst einmal die Kritische Be- ist, hat, wenn meine Informationen richtig sind,
standsaufnahme abzuwarten. Herr Staatssekretär Birckholtz der doch sicherlich
Ich muß zugeben, daß wir an diese Kritische Be- ins Kollegialprinzip einbezogen ist —
standsaufnahme auch jene Hoffnungen geknüpft (Heiterkeit bei der CDU/CSU)
haben, die die Soldaten an sie geknüpft haben, näm-
lich die Hoffnung, daß dies in jeder Richtung eine in einer interministeriellen Sitzung kampflos —
Offenbarung wäre in bezug darauf, daß es dann kein kampflos! — zugestimmt, daß die zukünftige Miet-
Problem mehr wäre, wenn man die Kritische Be- belastung des Soldaten nicht mehr wie seit 1959
standsaufnahme erst einmal durchgeführt hat, gleich- 15 % betragen dürfe, sondern dem Soldaten zuge-
zeitig Gesetzesinitiativen auf den Tisch zu bringen. mutet werden könne, daß sie jetzt nach der Tren-
Ich muß aber, Herr Minister, leider feststellen, daß nungsgeldverordnung 18 % ausmache.
an den neuralgischen Punkten sich diese Hoffnung
(Abg. Dr. Klepsch: Hört! Hört! — „Sozialer
nicht erfüllt hat. Ich gebe Ihnen recht, daß das die
Fortschritt!")
erste umfassende Kritische Bestandsaufnahme ist, die
in dieser Form vorgelegt worden ist. Man kann Das ist also ein deutlicher Rückschritt. Im übrigen
allerdings nicht behaupten, daß in den zehn Jahren ist bei der Diskussion der einstimmige Beschluß
vorher im Verteidigungsministerium nicht sozusagen des Verteidigungsausschusses vom 12. Juni 1969
periodisch neue Kritische Bestandsaufnahmen auf überhaupt nicht erwähnt worden, daß wir die alte
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2795
Stahlberg
Wohngeldregelung für den Soldaten wieder brauch- Im Zusammenhang mit der neuen Personalstruk-
ten. tur heißt es — das ist der erste Satz —: „Langfristig
Bei den sogenannten Sofortmaßnahmen weisen ist die Personalnot der Bundeswehr mit Aushilfs-
Sie, Herr Minister, im Weißbuch darauf hin, daß maßnahmen nicht zu lösen." Wenn man diesen Satz,
die Zweite Wohngeldverordnung vom 30. April daß die Probleme mit Aushilfsmaßnahmen offen-
1970 die notwendige Abhilfe schaffen werde. Ich sichtlich nicht zu lösen sind, gelesen hat — dieser
habe mir sehr große Mühe gegeben, einmal festzu- Meinung waren wir übrigens schon immer —, er-
stellen, ob die Zweite Wohngeldverordnung dem wartet man, daß nun im Weißbuch zukunftsorien-
Soldaten auch nur in irgendeiner Weise Rechnung tierte Gedanken in bezug auf die Verbesserung der
trägt. Personalsituation vorgetragen werden. Statt dessen
(Abg. Dr. Klepsch: Hört! Hört!) wird überall dort, wo es scheinbar besonders wich-
tig ist, eine Kommission eingesetzt. An anderer
Ich versichere Ihnen: sie tut es nicht; sie nimmt auf Stelle heißt es dann, daß die Personalstrukturkom-
den Soldaten keine Rücksicht. mission bis Ende 1971 ihre Vorarbeiten ab-
(Abg. Dr. Klepsch: Sehr richtig!) schließen werde. Eine solche Personalstrukturkom-
mission, Herr Minister, ist übrigens schon von
Hier muß ich auf den Kollegen Wienand zurück- Herrn Bundesminister von Hassel konzipiert und
kommen, der 1965 in der ersten Aussprache mit dann von Herrn Bundesminister Schröder konkre-
Soldaten, als ich über das Wohnungs- und Mietpro- tisiert worden. Sie hat auch getagt. Meine Frage
blem sprach, den Soldaten anschließend erklärt hat: lautet: Was ist eigentlich dabei herausgekommen,
„Nehmt es ihm nicht übel; er ist noch zu neu im warum steht das Ergebnis nicht im Weißbuch, und
Geschäft, er hat noch zu wenig Ahnung. Der Ver- was soll künftig diese Personalstrukturkommission
teidigungsausschuß kann in bezug auf Wohnung eigentlich tun, damit wir ein besseres Ergebnis
und Mieten gar nichts tun; das ist Sache des Woh- erzielen können?
nungsbauministers und des Wohnungsbauministe-
riums." Und dann hat er zu den Soldaten gesagt: Der Weg der Tugend wird schließlich wieder da-
„Der wird von der CDU gestellt, und da geschieht durch verlassen, daß man zu Aushilfsmaßnahmen
eben nichts." Nun, wenn ich die Landschaft heute greift. Es wird nämlich vorgeschlagen, dort, wo ein
richtig sehe, wird der Wohnungsbauminister inzwi- Beförderungsstau entstanden ist, eine Reihe von Be-
schen von der SPD gestellt. förderungsstellen zu schaffen. Bei allen, die mög-
licherweise von der Beförderungswelle, wenn sie
(Zuruf von der CDU/CSU: Seit drei
überhaupt kommt — bisher ist nicht eine einzige
Jahren!) Stelle beantragt worden; ich weiß also noch gar nicht,
Bei den ersten Anfragen aus dem Bereich der Bun- wie das Problem technisch gelöst werden soll —, pro-
deswehr wußte dieser Wohnungsbauminister hier fitieren werden sind große Hoffnungen geweckt wor-
in diesem Hause von der Regierungsbank her zu den. Herr Minister, es muß, weil die Betreffenden
der Diskussion aber 'immerhin beizutragen, daß ein selber die erste Aktion so charakterisiert haben,
Zollbeamter auf der gleichen Etage im gleichen erlaubt sein zu sagen — nehmen Sie mir das nicht
Haus 50 Mark weniger Miete als ein Soldat be- übel —: Ist das nicht eine zweite Aktion „Abend-
zahle, weil er sich immer im Dienst befinde, auch sonne"? Ist diese Aktion überhaupt in der Lage, das
dann wenn er in seiner Wohnung sei, und deswe- personalstrukturelle Problem zu lösen?
gen sei das eine Dienstwohnung. Dem Wohnungs-
bauminister war bis dahin wahrscheinlich von der Zur Fürsorge und Betreuung haben Sie in den
Alarmbereitschaft und ähnlichem in der Bundes- Vorankündigungen zum Weißbuch wiederholt Aus-
wehr noch wenig bekanntgeworden. führungen gemacht. Wenn ich mich recht erinnere,
war zunächst von 200 Millionen DM für Fürsorge-
(Abg. Damm: Das kann doch nicht wahr
und Betreuungsmaßnahmen die Rede, die man um-
sein!)
schichten wollte. Schließlich haben Sie in Wilhelms-
Ich möchte also an Sie, Herr Minister, die Bitte haven, wie ich in der Zeitung gelesen habe, von
richten, das dem Wohnungsbauminister einmal 750 Millionen DM gesprochen, die in dieser Rich-
klarzumachen, wenn Sie schon keine Zuständigkeit tung umgeschichtet werden sollten. Statt dessen
in dieser Frage haben und der Verteidigungsaus- lese ich im Weißbuch unter „Fürsorge und Be-
schuß hier wenig tun, sondern eigentlich nur kla- treuung", daß die Zahl der Fürsorgerinnen um 15
gen kann. erhöht und eine Verstärkung der Fürsorge bei der
(Abg. Dr. Klepsch: Das Buch ist doch von Standortverwaltung vorgenommen werden soll. Ich
der Bundesregierung!) meine, Herr Minister, daß auf Grund der Umstruk-
turierung in der Spitze der Bundeswehr in bezug
— Da dieses Buch von der Bundesregierung stammt, auf die Teilstreitkräfte die Fürsorge und Betreuung
hätte es in 'bezug auf Wohnungen und Mieten ausschließlich in die Hände der Soldaten und der
eigentlich etwas mehr Gehalt haben müssen. Disziplinarvorgesetzten gehören und ein zentrales
Ich vermisse auch jeglichen Hinweis darauf, was Fürsorgeamt der Bundeswehr bei FüS installiert
getan werden könnte, um zu verhindern, daß ein werden sollte. Ein Wegweiser für die derzeitigen
Maßnahmen und Möglichkeiten reicht allein nicht
Soldat in ein und derselben Wohnung in drei Jah-
ren eine Mietsteigerung von inzwischen 35 % hin- aus.
nehmen muß. Das sind Antworten, die wir vermis- Wir sind mit denn Journalisten der Auffassung —
sen. Sie haben das selbst geschildert —, daß an der
2796 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970
Stahlberg
Kritischen Bestandsaufnahme in Zukunft in der Tat wehr. Ich will nicht das nochmal aufgreifen, was ich
niemand mehr vorbeikommt. Diese Auffassung tei- vorhin schon in einer Frage angeschnitten habe.
len wir sehr ausdrücklich. Wir möchten aber auch Ich gehe davon aus, daß der verfassungsrechtliche
sagen, und das werden Sie uns nicht verübeln, daß Einbau der Bundeswehr in die Gesellschaft weit-
wir in einer permanenten Kritischen Bestandsauf- gehend gelungen ist. Aber die Konsequenzen, die
nahme prüfen werden, ob sie die großen Hoffnun- für den einzelnen Soldaten daraus zu ziehen sind,
gen zu erfüllen in der Lage sind, die inzwischen bei harren noch der Lösung. Das wird der Schwerpunkt
den Soldaten geweckt worden sind. Ich kann also unserer Aufgabe sein. Es genügt nicht, sich mit dem
nur feststellen, ,daß der Standpunkt, den ich vor zufriedenzugeben, was der Herr Kollege Stahlberg
Monaten eingenommen habe, heute noch richtig ist. angesprochen hat, sondern hier muß man das Grund-
Ich möchte Sie dringend darum bitten, die Kritische problem ansprechen. Dazu gehört, daß man nach-
Bestandsaufnahme nicht zu einer Verhinderungs- denkt über die Funktion des Soldaten in unserer
aktion für die aktuelle Gesetzgebung werden zu Gesellschaft, daß man sie mit der nötigen Nüchtern-
lassen. Ich meinerseits fordere die Kollegen von heit definiert, um den Ansprüchen, die der Soldat
den Koalitionsfraktionen auf, nun endlich die Ge- zu stellen hat, auch gerecht zu werden.
setzentwürfe im Verteidigungsausschuß zu behan-
deln und positiv zu verabschieden, die wir ihnen Ich will es hier noch einmal ganz praktisch sagen:
seit dem 26. Oktober 1969 vorgelegt haben. der Soldat ist Produzent von Sicherheit für die
Sicherheit der Bundesrepublik nach außen. Für mich
(Beifall bei der CDU/CSU.) steht fest, daß seine Produkte Heer, Luftwaffe und
Marine sind und daß das Ergebnis der Arbeit meß-
Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der bar und sichtbar vor uns liegt. Die Summe dieser
Abgeordnete Pawelczyk. Produkte bildet die Abschreckungskraft. Daß diese
Leistungen meßbar sind, ergibt sich aus den Lei-
Pawelczyk (SPD) : Frau Präsidentin! Meine stungsergebnissen internationaler Wettkämpfe, die
Damen und Herren! Ich will nur in einer Bemerkung im Weißbuch angeführt sind. Wir sollten den Ver-
auf das eingehen, was Herr Kollege Stahlberg so- teidigungsminister bitten, die Meßbarkeit der Lei-
eben angesprochen hat, nämlich die Frage der Woh- stungen zu verfeinern. Eine Orientierung gibt das
nungen. Ich bin eigentlich etwas erstaunt, denn die Weißbuch, nämlich das Leistungsabzeichen.
Ziffern 127 ff. auf Seite 103 ff. sprechen sich sehr
ausführlich über Wohnungsfragen und Wohnungs- Es kann gar keine Rede davon sein; daß der Sol-
probleme aus, so daß ich glaube, daß zu dieser datenberuf im Frieden ein unproduktiver Beruf sei,
Kritik kein Anlaß besteht. wie es so gern und oft dargestellt wird. Wir sollten
auch aufhören, von der Paradoxie soldatischer Exi-
stenz im Frieden zu sprechen. Wir haben heute
Vizepräsident Frau Funcke: Gestatten Sie und an anderer Stelle oft sehr ersnt davon ge-
eine Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. sprochen — und das unterschreiben wir alle —,
Klepsch? daß der Friede der Ernstfall ist. Wir können daraus
folgern, daß das Optimum an Ertragsleistung, die
Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Herr Kollege Pawel- der Soldat erbringt, die Aufrechterhaltung des Frie-
czyk, wollen Sie mit diesen Bemerkungen das in dens erleichtert. In einer Zeit der Anwesenheit der
Frage stellen, was der Kollege Stahlberg soeben Massenvernichtungsmittel mit der bekannten Aus-
festgestellt hat, daß die Belastung von 15 auf 18 % wirkung auf die Substanz ganzer Völker muß man
gestiegen ist? eher in umgekehrter Weise von einer Paradoxie
soldatischer Existenz sprechen. Die Wirklichkeit
Pawelczyk (SPD) : Nein! Er sprach auch vom und die eigentliche Aufgabe des Soldaten liegt hier
unbefriedigten Wohnungsbedarf. Hier wird mit und heute, und sie ist konkret faßbar. Diese Ab-
Zahlen sehr ausführlich dargestellt, wo der Bedarf schreckungsfunktion trägt ihm auf, mit dazu beizu-
ist, wo die Lücken sind, welche Maßnahmen und tragen, daß es zum Ausbruch eines Krieges nicht
welche finanziellen Mittel vorgesehen sind, um die kommt; sie trägt ihm aber zugleich auf, für den
Dinge zu ändern. Wenn Sie sich auf Seite 105 die Fall, daß er stattfindet, kämpfend von der Ausdeh-
Nr. 2 ansehen, werden Sie auch die Bemühungen nung und Ausweitung des Krieges abzuschrecken
zur Kenntnis nehmen, finanziell abzudecken, was und auch abzuschrecken von der Benutzung und An-
sich aus der besonderen Situation der Soldaten er- wendung gefährlicherer Mittel. Soldatische Existenz
gibt. so definieren heißt unserer Gesellschaft den Raum
geben, der die freie Gestaltung erlaubt. Alles an-
dere verstellt den Blick für die klare Definition
Vizepräsident Frau Funcke: Gestatten Sie soldatischer Existenz. Hieran, an dieser Aufgabe,
eine zweite Frage des Herrn Abgeordneten Dr. wirkt aber auch jeder Bürger unserer Bundesrepu-
Klepsch?
blik mit. Aus diesem Grunde kann der Soldat eine
Sonderstellung nicht beanspruchen. Er übt einen
Pawelczyk (SPD): Nein. — Ich möchte jetzt zu Beruf aus wie jeder andere. Er übt allerdings im
einem anderen Thema sprechen. Ich finde es in- Frieden einen Beruf aus, dessen Belastungen weit-
teressant, daß Sie in all Ihren Beiträgen ständig aus höher sind als in vielen anderen Berufen. Diese
auf Fragen der Rüstung drängen und daß Sie ab- Belastung ist nicht durch Sonderstellung, sondern
lenken von den inneren Problemen der Bundes- durch materiellen Ausgleich zu honorieren.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2797

Pawelczyk
Hier liegen die Aufgaben, die sich uns jetzt tet haben und daß wir hier unsere Stellungnahmen,
stellen. Ich zähle dazu — um nur einige Beispiele auch darüber hinausgehende, abgeben.
zu nennen — erstens eine Ausbildung, die dem (Beifall bei der SPD. — Zustimmung bei
Schwierigkeitsgrad der Materie gerecht wird, zwei- der CDU/CSU.)
tens eine Besoldung, die dem Wert der Arbeit ent-
spricht. Es ist ein unerträglicher Zustand, daß z. B. Das ist die Grundlage der Diskussion, und dazu
für die Bewertung einer Kompaniechef-Stelle die sollte man es genau lesen. Deswegen habe ich meine
Kriterien angelegt werden, die seit Friedrich dem Eingangsbemerkung gemacht.
Großen gelten; seitdem ist der Kompaniechef Haupt- Für falsch halte ich es — um das hier abschließend
mann. Dasselbe gilt, um ein Beispiel aus dem Unter- zu diesem Teil zu sagen —, in Zukunft Versuche zu
offiziersbereich zu nehmen, für den Panzerkom- unternehmen, die den Soldaten wieder in eine Son-
mandanten, der ein Objekt von über 1 Million DM derstellung führen sollen. Das muß zwangsläufig
zu verwalten hat und zudem Soldaten auszubilden dazu führen, daß das Trennende zwischen Armee
und zu erziehen hat. und Gesellschaft gesucht wird. Das wäre integra-
Es gehört dazu aber auch, eine Organisation des tionshemmend und würde eine Entwicklung einlei-
militärischen Dienstes zu finden, die es dem Solda- ten, die wir nicht zulassen können.
ten erlaubt, an den Annehmlichkeiten dieser Ge-
Einsatzwert und Berufsattraktivität hängen im
sellschaft teilzunehmen. Die Polemik, wir hätten
übrigen nicht von der Einräumung einer Sonder-
eine Fünf-Tage-Armee, die unsere Sicherheit frei-
stellung ab. Der Einsatzwert hängt dagegen aller-
tags ab 17.00 Uhr nicht gewährleisten kann, ist
dings davon ab, in wie großem Umfang Staatsbürger
wenig hilfreich. Für mich steht fest, daß der Soldat
in Uniform und Staatsbürger die Abschreckungs-
an der Freizeitgesellschaft teilhaben muß. Hier
funktion, die wir alle in diesem Staat zu leisten
müssen Alternativen angeboten werden. Die Alter-
haben, verstehen. Hier, glaube ich, hat die neue
native wird sein müssen. den Soldaten am Freizeit-
Bundesregierung in einem dreiviertel Jahr Erheb-
rhythmus teilhaben zu lassen.
liches an Bewußtseinsbildung geschaffen durch die
Veranstaltung der Bestandsaufnahme, durch die
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, Anteilnahme des Bundeskanzlers.
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordne-
ten Lenz? Ich will hier ausdrücklich die Beteiligung des Bun-
despräsidenten an den Sorgen der Soldaten er-
Pawelczyk (SPD) : Ja. wähnen. Ich habe mir eine Zusammenstellung geben
lassen, aus der zweifelsfrei hervorgeht, daß sich die-
ser Bundespräsident in nicht ganz einem Jahr mehr
Dr. Lenz (Bergstraße) (CDU/CSU) : Herr Kollege, mit den Problemen der Soldaten beschäftigt hat —
sind Sie nicht mir mir der Auffassung, daß es wich-
durch Besuche, durch Gespräche, — als sein Vor-
tiger ist, den Soldaten auf den Kampf mit dem mög-
gänger in den zehn Jahren davor.
lichen Gegner vorzubereiten, als ihn in die Freizeit-
gesellschaft zu integrieren? (Abg. Dr. Wörner: Herr Kollege, das Parla
ment war noch nie eine Propagandastelle
(Beifall bei den Abgeordneten der CDU/
für den Bundespräsidenten!)
CSU. — Lachen bei der SPD.)
— Für Sie — lassen Sie mich das auf diesen Zwi-
Pawelczyk (SPD) : Ich habe gar keinen Zweifel schenruf sagen — gab es doch wohl ständig Anlaß,
daran, daß es weder wünschbar noch erreichbar ist, daran zu zweifeln, daß dieser Bundespräsident von
den Soldaten aus dem Rhythmus dieser Gesellschaft der Notwendgikeit einer einsatzfähigen Armee über-
herauszuhalten. Er hat dieselben Ansprüche wie je- zeugt ist. Ich glaube, er hat hier einen Beweis ge-
der andere auch. Wir haben uns ein System einfal- liefert, der diese Zweifel klar und eindeutig wider-
len zu lassen, das die Sicherheit der Bundesrepublik legt.
garantiert. Auch in einem 5-Tage-Dienst im Frieden Dieses Weißbuch, das uns vorgelegt worden ist,
kann er zu einem hohen Einsatz erzogen und ausge- ist ein Weißbuch, das es nach 14 Jahren jedem er-
bildet werden. möglicht, sich an den Diskussionen über sicherheits-
politische Fragen und über Probleme der Bundes-
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, wehr zu beteiligen. Es gab bisher kein Buch — das
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- hat Herr Dr. Klepsch vorhin bestätigt —, das so klar
ordneten Petersen? und verständlich für den Laien die Probleme auf-
-
zeigt. Und wir sollten nicht versäumen, dieses Weiß-
Pawelczyk (SPD) : Ja. buch allen Schulen in etlichen Exemplaren zur Ver-
fügung zu stellen.
Petersen (CDU/CSU) : Herr Kollege, haben Sie Wir stehen auch vor der Frage, ob die Ver-
den Eindruck, daß Ihre großartigen Vorstellungen teilung des Etats, der uns zur Verfügung steht, rich-
im Weißbuch in Form von Vorschlägen oder Plänen tig vorgenommen wurde. Ich bin der Überzeugung,
ihren Niederschlag gefunden haben? daß eine Senkung des Etats nicht verantwortbar
wäre, ich bin aber genauso der Auffassung, daß es
Pawelczyk (SPD) : Ich gehe davon aus, daß wir nicht verantwortbar wäre, den Nachholbedarf an
alle das Weißbuch durchgelesen und durchgearbei- sozialpolitischen Maßnahmen immer weiter hinaus-
2798 Deutscher Bundestag —6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970

Pawelczyk
zuzögern. Nur wenn das vermieden wird, werden Öffentlichkeit in zunehmendem Maße unglaubwür-
wir auch in Zukunft eine einsatzfähige Armee dig machen, und damit wird ihre Wirkung einfach
haben. verpuffen. Der Vertrauensbeweis, den unser Ver-
An den bestehenden Schwierigkeiten, die die teidigungsminister in Saarbrücken bekommen hat,
war kaum zu überbieten.
Bundeswehr hat, tragen Sie — das will ich Ihnen
deutlich sagen — ein erhebliches Maß an Schuld. (Zuruf von der SPD: Jawohl!)
Sie haben 14 Jahre lang ununterbrochen den Ver-
Zeigen Sie mir die Stellen aus der Debatte von
teidigungsminister gestellt;
Saarbrücken, wo das erhärtet wird, was Sie hier
(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist eine Un vortragen.
verschämtheit! - Widerspruch bei der (Zuruf von der CDU/CSU.)
CDU/CSU)
— Sie haben es ja ausgelöst! Jetzt will ich es gerne
keiner Ihrer Koalitionspartner noch vortragen, was ich Ihnen ersparen wollte. Wir
(Zuruf von der CDU/CSU: Wer hat denn haben den Inspekteuren der Teilstreitkräfte die
dauernd dagegen gestimmt?) Kompetenzen innerhalb eines halben Jahres zugebil-
ligt, die sie brauchen. Ist das nicht ein Vertrauens-
hat jemals dieses Ressort geführt. Sie haben —
beweis? Ich kann Ihre kritischen Anmerkungen nicht
(weitere Zurufe von der CDU/CSU) verstehen.
lassen Sie mich es noch einmal sagen; in meiner (Zuruf von der CDU/CSU: Ja, vorher war gar
Zwischenfrage war es wahrscheinlich nicht deutlich nichts!)
genug — immer die Mehrheit gehabt, um die sozial-
Ich meine aber auch, die Befriedigung der sozial-
politischen Maßnahmen, die Sie jetzt für so beson-
politischen Bedürfnisse ist jetzt das Gebot der
ders wichtig halten, durchzusetzen.
Stunde. Es wäre gut, wenn wir alle gemeinsam
(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der daran arbeiten. Wir haben — und Sie haben
CDU/CSU: Gegen Sie! — Weitere Zurufe es sicherlich auch — Interesse an einer intakten
von der CDU/CSU.) Bundeswehr. Dazu gehört ein intaktes inneres Ge-
Seit 1956 batten Sie jeden Tag diese Möglichkeit! füge. Wir wissen, daß die Probleme zur Zeit sehr
groß sind. Denken Sie z. B. an den Offiziersnach-
wuchs. Wir wollen Soldaten, die sich ihres Wer-
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, tes bewußt sein können, die einen Ort inmitten der
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Gesellschaft haben. Wir wollen nicht, daß der Sol-
Wörner? dat materiell Stiefkind dieser Gesellschaft bleibt.
Deswegen haben wir diesen ausführlichen Katalog
Dr. Wörner (CDU/CSU) : Herr Kollege, ich habe vorgesehen. Wir sind die ersten, die sich in dieser
diese Auseinandersetzung über die Vergangenheit Klarheit stellen. Wir haben Ihnen, uns selber und
nicht gesucht. Aber glauben Sie, da Sie vorher von der gesamten Öffentlichkeit ein Weißbuch an die
der Integration des Soldaten in diese Gesellschaft Hand gegeben, das Vorschläge — —
sprachen, daß es die Integration und das Selbst- (Zurufe von der CDU/CSU: Wer ist „wir"?
bewußtsein dieses Soldaten gefördert hat, daß er — Sind Sie die Bundesregierung? — Ich
immer wieder, über Jahre hinweg, von Mitgliedern dachte, die Bundesregierung!)
der Sozialdemokratischen Partei in seiner Funktion
als Soldat diskriminiert und verketzert wurde? — Gut, die Bundesregierung.

(Beifall bei der CDU/CSU. - Zuruf von der (Abg. Ernesti: Das ist wichtig! — Abg. Wör
SPD: Lassen Sie ihn doch reden!) ner: Das ist ein kleiner Unterschied!)
— Wenn Sie schon einmal über den modernen Par-
Pawelczyk (SPD) : Das ist etwas, was nicht unter lamentarismus nachgedacht haben, werden Sie wis-
Beweis gestellt werden kann. sen — das wissen Sie auch; Sie haben das ja 20
Jahre praktiziert —
(Oho-Rufe und Widerspruch bei der CDU/
CSU. — Abg. Dr. Klepsch: Lesen Sie die (Abg. Ollesch: Viel zu lange!)
Protokolle! — Abg. Wörner: Wer im Glas
— ja, viel zu lange; das ist richtig —, daß die poli-
haus sitzt ...! Zuruf von der CDU/CSU:
tische Gestaltung heute von Mehrheitsfraktion und
Eine billige Ausrede!)
Regierung auf der einen Seite und Opposition auf
Als Beweis gilt hier nur eines: das ist die Mehr- -
der anderen Seite geleistet wird. Das können Sie
heitsbildung innerhalb einer Fraktion zugunsten überall nachlesen.
von Maßnahmen und deren Durchsetzung. Das
fehlte in den 14 Jahren. Ich will nur so viel sagen: Sie und wir alle haben
— kontrollierbar! — ein Programm für die letzten
(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der drei Jahre dieser Legislaturperiode an die Hand
CDU/CSU: Jusos!) bekommen. Wir haben uns damit einem Zwang aus-
— Was heißt hier „Jusos"? —, Sie hatten sehr gesetzt, dem Sie immer aus dem Wege gegangen
ernsthafte Befürchtungen um unseren Verteidigungs- sind. Wir haben nicht nur geredet. Wir haben uns
minister vor dem Parteitag in Saarbrücken. Ich durch Ankündigungen und Taten festgelegt. Wir
meine, diese Tatarenmeldungen werden Sie in der haben den Wunsch, das Programm, das hier vorge-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2799
Pawelczyk
stellt wird, gemeinsam zu verwirklichen, weil wir Vizepräsident Frau Funcke: Gestatten Sie
der Überzeugung sind, daß wir damit den Einsatz- eine Zwischenfrage?
wert der Bundeswehr heben und damit auch den
Sicherheitsbeitrag für die Bundesrepublik leisten, Damm (CDU/CSU) : Ich bin gern bereit zu unter-
den wir brauchen. brechen.
(Beifall bei der SPD.)
Ollesch (FDP) : Herr Kollege Damm, ist es nicht
Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat auch Ihr Ziel, daß der Verteidigungshaushalt auf
der Abgeordnete Damm. Es ist eine Redezeit von die Dauer verringert werden möge? Mein Ziel ist es
20 Minuten beantragt. jedenfalls.

Damm (CDU/CSU) : Frau Präsidentin! Meine Damm (CDU/CSU) : Ich bin ganz sicher, Herr
Damen und Herren! Ich will dem Kollegen Pawel- Ollesch, daß es, solange wir leben und unsere Kin-
czyk, der hier, wenn ich es richtig sehe, soeben seine der und unsere Enkel leben, keine Welt geben
Jungfernrede gehalten hat , wird, in der wir in diesem Land ohne Verteidi-
(Beifall) gungshaushalt auskommen.
(Abg. Ollesch: Das war nicht meine Frage!)
weiß Gott nicht den Glauben an seine Partei neh-
men. — Herr Ollesch, wenn Sie von mir wissen wollen,
(Heiterkeit bei der CDU/CSU. — Zuruf von ob ich das begrüßen würde, fällt es mir genauso
der SPD: Das können Sie auch nicht! — leicht wie Ihnen, das zu begrüßen.
Abg. Schulte [Unna] : Sie Witzbold!) (Abg. Ollesch: Eben!)
Ich will deshalb auch gar nicht darauf eingehen, daß Nur, was haben wir beide davon, wenn wir uns
er hier davon gesprochen hat, all das geschehe zum über diese Utopie einig sind? Wir wissen beide,
erstenmal. daß leider das Leben in diesem Land und in diesem
Herr Pawelczyk, richtig ist vielmehr folgendes. Europa und in dieser Welt anders aussieht.
Erstens: Natürlich werden wir auf das Weißbuch (Zurufe von der CDU/CSU: Südhessen!)
immer wieder zurückkommen. Zweitens: Sie, Herr
Pawelczyk, werden wie wir alle, auf welcher Seite
Vizepräsident Frau Funcke: Gestatten Sie
wir hier auch sitzen mögen, die Erfahrung machen, eine zweite Frage?
daß sehr viel Rauhreif auf die Blütenträume fällt,
die man zu Beginn hat. Deshalb sollten wir uns
über solche, mehr parteipolitisch orientierten Äuße- Ollesch (FDP) : Können Sie dann nicht den Ver-
rungen gar nicht erregen. such machen, den Antrag so zu sehen, wie wir beide
das Problem sehen?
Nur noch ein letzter Hinweis, Herr Pawelczyk.
Sie werden Herrn Dröscher in Ihrer Fraktion sicher-
lich nicht so schnell los. Auch nach der Wahl in Damm (CDU/CSU) : Herr Ollesch, bei den Sozial-
Rheinland-Pfalz wird er noch hier sein. Der Ärger, demokraten aus Hessen-Süd gehe ich davon aus,
den er bei den Amerikanern provoziert, wird auf daß sie erstens weit entfernt sind, weltfremde
Sie zurückfallen. Das wird natürlich auch gewisse Illusionisten zu sein, und zweitens tatsächlich eine
Auswirkungen auf das Verteidigungsministerium Vorstellung von politischer Freiheit und politischer
haben. Es wird des Herrn Würtz bedürfen, der dann Grundordnung haben, die, wie ich vermute, weder
mit Recht von Einseitigkeit und Einäugigkeit spricht. mit Ihrer noch mit meiner übereinstimmt, und daß
Herr Pawelczyk, Ihnen werden auch weiterhin An- deswegen ganz andere Absichten hinter diesem
träge wie der aus Südhessen-Süd — es war der An- Antrag stehen.
trag Nr. 170 — vorgelegt werden, der schlicht be- (Beifall bei der CDU/CSU.)
sagt: „Der Parteitag möge beschließen: Die SPD-
Bundestagsfraktion wird aufgefordert, keiner wei- Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege,
teren Erhöhung des Wehretats zuzustimmen. Die gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage?
nach der mittelfristigen Finanzplanung vorgesehe-
nen Erhöhungen sind dem Bildungsetat zuzuführen. (Zurufe von der CDU/CSU: Jetzt kommt
Langfristiges Ziel muß die Verringerung des Ver- Hessen-Süd!)
teidigungsetats sein."
Horn (SPD): Eben, jetzt kommt Hessen-Süd. Ent-
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) schuldigen Sie bitte vielmals, Herr Kollege Damm,
Herr Pawelczyk, wenn sich eines Tages eine Mehr- aber würden Sie vielleicht etwas dedizierter eine
heit für einen solchen Antrag in Ihrer Partei finden derart massive Unterstellung hier auch untermauern
wird — ich hoffe, daß das nicht der Fall sein wird —, und begründen, statt sich in pauschalen Urteilen
dann müssen Sie alle Ihre Hoffnungen fahren las- über eine ganze Gruppe von politisch engagierten
sen. Menschen zu ergehen?
Meine Damen und Herren, der Verteidigungs- (Zurufe von der CDU/CSU.)
minister hat ein Weißbuch vorgelegt, das so um-
fangreich ist und so vielfältige Punkte enthält, daß Damm (CDU/CSU) : Herr Kollege Horn, um mich
es sicherlich — — nun wirklich dem Weißbuch zuzuwenden, empfehle
2800 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970

Damm
ich Ihnen — und das sind mindestens 50 % der So müssen sich naturgemäß zukünftig die Re-
Antwort —, die übrigen Anträge aus Hessen-Süd gierungen kommunistischer und nichtkommu-
und der näheren Umgebung — ich meine jetzt die nistischer Staaten die Frage stellen, ob im Ver-
politische Umgebung — zu lesen. Dann werden Sie hältnis zur Sowjetunion entscheidende Grund-
schon eine ganze Menge dessen erkennen, was Sie lagen !des Völkerrechts einseitig für ungültig er-
sich wahrscheinlich selbst als Antwort sagen kön- klärt worden sind.
nen. Sie beklagen weiter, daß durch diese Doktrin die
Meine Damen und Herren, ich wollte zum Weiß- Glaubwürdigkeit der Sowjetunion aufs Spiel gesetzt
buch sagen, es ist so umfangreich und enthält logi- werde, wenn sie „ihre Vertragspartner grundsätzlich
scherweise so viele Einzelpunkte, daß ein Pau- vor die Notwendigkeit stellt, die Vereinbarkeit
schalurteil „gut" oder „schlecht" natürlich nicht ge- eines Vertrages mit der sowjetischen Interpretation
geben werden kann. Wir sind uns sicher mit dem der marxistisch-leninistischen Lehren nachzuprüfen"
Verteidigungsminister darin einig, daß er von der
Opposition hier nicht Lobgesänge erwartet, sondern Diese Ausführungen finde ich hochinteressant
daß er erwartet, daß wir die Dinge nennen, die wir unter dem Aspekt, daß wir uns, wie ich vermute, in
am Weißbuch zu kritisieren haben. Das möchte ich Vorverhandlungen mit den Sowjets — vielleicht
tun. sind es schon Verhandlungen — befinden. Sie sagen
Ich möchte aber zu Anfang, Herr Schmidt, mit dann, es gebe fünf Möglichkeiten der Interpretation
dieser Doktrin. Unter Punkt 5 heißt es in Ihrem
einem Lob beginnen. Ich freue mich, daß Sie die
Buch, sie sei eine Drohung ader vorwegnehmende
Vorstellungen der Freien Demokraten, Ihres Koa-
Rechtfertigung von Interventionen gegen nichtkom-
litionspartners, in Sachen nuklearer Arbeitsteilung
nicht akzeptiert haben, und ich bin der Meinung, munistische Staaten.
daß es zu begrüßen ist, daß unter Ziffer 66 auf Auf der folgenden Seite heißt es — es sind immer
Seite 40 folgendes steht: noch Zitate aus Ihrem Buch —:
Die Bundeswehr besitzt weder nukleare Waffen Die Breschnew-Doktrin impliziert zugleich eine
noch irgendeine Verfügungsgewalt über sie. Drohung gegen die Bundesrepublik, weil und
Die Bundesregierung hat wiederholt erklärt, soweit diese
daß sie auch keinen Besitz und keinerlei Ver-
— ,die Bundesrepublik —
fügungsgewalt anstrebe. Jedoch muß die Bun-
deswehr mit Trägermitteln für nukleare Waf- zu vertraglichen Regelungen über das „Mitein-
fen ausgerüstet sein, solange der potentielle anderleben" mit der DDR oder mit anderen
Gegner und die Streitkräfte der Verbündeten kommunistischen Staaten zu gelangen sucht.
darüber verfügen. Besäße die Bundeswehr sie Am Ende heißt es, die Breschnew-Doktrin sei nichts
nicht, so gäbe es bei der Art des westlichen kategorisch Neues. Aber:
Abwehrgefüges beträchtliche Lücken in der Ab-
schreckung; im Verteidigungsfall könnte die Gleichwohl macht sie deutlich, daß die koexi-
Bundeswehr nicht in der gleichen Weise kämp- stenzbetonte Phase sowjetischer Außenpolitik,
fen wie der Gegner und die eigenen Bundes- die unter Chruschtschow eingeleitet worden
genossen. Deshalb sind Luftwaffe und Heer war, wieder einer hegemoniebetonten Phase ge-
mit Trägermitteln für Atomwaffen ausgestattet. wichen ist. Die alte Lehre Shdanows von den
zwei Lagern ist außenpolitisch aufgewertet und
Herr Minister, ich möchte ausdrücklich betonen, daß ideologisch komplettiert worden. Die allgemeine
ich diese Aussage, und zwar in voller Übereinstim- Koexistenz wird beschränkt auf eine Koexistenz
mung mit meiner ganzen Fraktion, für richtig halte. der Hegemonialmächte.
Ich sage noch einmal, Gott sei Dank hat sich hier
die FDP in den Koalitionsverhandlungen nicht durch- Herr Verteidigungsminister, das sind nur wenige
setzen können. Zitate aus der umfangreichen Darstellung dieses
(Beifall bei der CDU/CSU.) Themas in Ihrem Buch.
Ein Zweites, das ich allerdings kritisch anmerken (Abg. Dr. Klepsch: Sehr interessant! —
muß. Herr Schmidt, Sie haben in diesem Weißbuch Abg. Stücklen: Goldrichtig!)
einen sehr umfangreichen analytischen strategischen Ich frage mich sehr: Was hat sich seit der Veröffent
Teil. Ich habe nachgeschaut, ob wenigstens im Index lichung der ersten Auflage vor einem Jahr geändert?
an irgendeiner Stelle ein Stichwort enthalten ist,
dem Sie in Ihrem Buch sehr viele Seiten widmen (Abg. Stücklen: Ja, was hat sich geändert?
und von dem ich meine, daß es eine sehr große Be- Nichts!) -

deutung für die Betrachtung unserer sicherheits- Was ist wesentlich anders geworden im Verhältnis
politischen Situation hat: es handelt sich um das der Sowjetunion und der Breschnew-Doktrin zu
Stichwort Breschnew-Doktrin. Ich stelle fest, Herr Europa, zu den kommunistischen und den nichtkom-
Verteidigungsminister, daß in Ihrem Weißbuch die- munistischen Staaten, daß Sie auf dieses wesentliche
ses Wort noch nicht einmal vorkommt, geschweige Moment in Ihrem eigenen Weißbuch, das doch Ihre
denn eine Darstellung, die auch nur annähernd der Handschrift trägt, nicht eingegangen sind.?
Darstellung entspricht, die Sie vor einem Jahr in (Beifall bei der CDU/CSU.)
Ihrem Buch gegeben haben. Sie sagen nämlich auf
Seite 107 folgendes — ich darf mit Genehmigung der Ich komme nunmehr zu einem anderen Gebiet. In
Frau Präsidentin zitieren —: diesem Weißbuch ist auch die Rede von den organi-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2801
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satorischen Neuregelungen im Verteidigungsmini- len, ob nicht am Ende die Inspekteure nur mehr
sterium. Hier stellen sich für mich drei Komplexe Verantwortung haben und so gut wie keine neuen
dar, die ich ganz kurz abhandeln will; ich kann das Zuständigkeiten.
nur in Stichworten tun, weil ich nicht genügend Zeit
In einem Punkt — das wollen wir nur fest-
habe. Es handelt sich zunächst einmal um das Pro-
halten — sind wir entschieden anderer Meinung
blem Ihres Stellvertreters. Herr Schmidt, in Ihrem
Buch „Strategie des Gleichgewichts" heißt es — Sie als Sie. Wir waren der Meinung und haben das
zitieren sich aus früheren Jahren —: gesagt, daß es eine Joint-chiefs-of-staff-Lösung ge-
ben sollte. Sie haben das nicht gewollt. Ich bin
Die Vertretung des Verteidigungsministers sicher, daß wir in einiger Zeit, in ein bis zwei Jah-
durch einen beamteten Staatssekretär ist ver- ren, miteinander feststellen werden, daß sich Ihre
fassungswidrig. Lösung, wie Sie sie jetzt getroffen haben, daß sich
Ich bin mit Ihnen einer Meinung. Das ist verfas- das Verhältnis Generalinspekteur zu den Inspek-
sungswidrig und war, soweit es früher geschehen teuren nicht bewährt.
ist, genauso verfassungswidrig, wie es heute ver- (Zuruf von der CDU/CSU: Das sollte Pawel
fassungswidrig ist, wenn Sie durch einen Beamten czyk mal sagen!)
oder, was rein rechtlich gesehen leider noch weni- Meine Damen und Herren! Der frühere Vertei-
ger ist, lieber Herr Berkhan, durch einen Parlamen- digungsminister McNamara hat zum Thema Mana-
tarischen Staatssekretär de facto vertreten werden. gement folgenden Satz gesagt; das können Sie
(Zuruf von der CDU/CSU: Aber er ist ja nachlesen bei Servan-Schreiber in seiner „Ameri-
ein Kollektiv gewohnt!) kanischen Herausforderung" ; der hält ihn für so
Ich weiß, daß Herr Bundesminister Leber, juristisch wichtig, daß er es dort zitiert:
gesehen, nach der Geschäftsordnung der Bundes- Das Management ist schließlich die schöpfe-
regierung, Ihr Vertreter ist. Das ist richtig. Aber rischste aller Künste. Es ist die Kunst der
de facto ist es Ihr Parlamentarischer Staatssekretär. Künste, denn es ist die Kunst, Talente richtig
Das ist in der Sache auch gar nicht falsch. Nur wenn einzusetzen.
es so ist, meine ich, dann sollten Sie einen der beiden
möglichen Lösungswege gehen: Entweder wählt Herr Verteidigungsminister, ich halbe den Eindruck,
diese Bundesregierung für das Verteidigungsmini- daß Sie die vorhandenen Talente in Ihrem Hause
sterium — das hat insoweit eine Sonderstellung — durch Ihre Neuorganisation nicht richtig eingesetzt
haben.
die „Ehmke-Lösung" aus dem Bundeskanzleramt
und macht Herrn Berkhan zum Bundesminister für Jetzt möchte ich ein Wort sagen zum MRCA, al-
besondere Aufgaben und macht ihn gleichzeitig lerdings nicht zu dem Thema, daß der Minister nicht
zum stellvertretenden Verteidigungsminister. Das wußte, daß wir mit unter dem NATO-Standard lie-
wäre eine Lösung, die Sie ganz schnell und aus genden Flugstunden bei dem Starfighter fliegen,
eigener Kraft machen könnten. Oder Sie machen um auf diese Weise strecken zu können; ich will
ihn — was andere von mir schon gefordert haben, auch nicht über die Tatsache reden, daß er nicht
was viele in Ihren eigenen Reihen für richtig halten wußte, daß MRCA nach den bisher dem Verteidi-
zum Staatsminister, d. h. Sie bringen entspre- gungsausschuß vorliegenden gültigen Papieren die
chende Gesetzentwürfe ein und ändern an diesem Erdkampfunterstützung durch die G 91 ablösen
Punkt die Verfassung. Ich meine, daß das nötig und sollte. Ich will folgendes festhalten: In Ihrem
richtig wäre. Weißbuch steht etwas drin, was bisher im Ver-
teidigungsausschuß überhaupt nicht besprochen
Ein anderer Punkt: Sie haben jetzt zwei beamtete
worden ist, von dem ich auch annehmen muß, daß
Staatssekretäre. Der eine ist besonders für die Ver- es in Ihrem eigenen Haus noch keine Entscheidung
waltung da, der andere ist besonders für die
gibt, denn Sie halben heute hier gesagt, Sie würden
Rüstung da. Beide Bereiche werden durch Haupt-
erst morgen darüber reden. Dennoch heißt es defi-
abteilungen abgedeckt. Beide Bereiche haben Mini-
nitiv mehr als 420 würden auf keinen Fall gebaut
sterialdirektoren an der Spitze, hockbezahlte Be-
werden. Ich muß deutlich sagen: Das ist eine ein-
amte, wie es sie sonst nirgendwo in einem Mini-
same Entscheidung, die Sie getroffen haben, eine
sterium gibt. Sie haben durch die Bestellung dieser
Entscheidung, von der Sie uns im Verteidigungs-
beiden beamteten Staatssekretär zwei Flaschenhälse
ausschuß erst nachweisen müssen, daß sie sinnvoll
geschaffen.
ist. Denn Sie haben es zugelassen, Herr Minister,
(Abg. Dr. Klepsch: Sie sind nicht Beamte!) daß der Verteidigungsausschuß am 11. Dezember
1969 — das ist jetzt ein halbes Jahr her — eine -
— Ich gehe jetzt einmal der Einfachheit halber da-
Entschließung gefaßt hat, in der der auf Ihre Wei-
von aus, daß Herr Mommsen Beamter ist. Sonst
sung hin erstattete Bericht über den Stand der
wird es zu kompliziert, wenn ich auch noch auf
MRCA-Sache begrüßt wird und in der der Vertei-
seinen Angestelltenvertrag eingehen muß. — Sie
digungsausschuß zum Ausdruck bringt, daß dieses
schaffen hier, da Sie die beiden Hauptabteilungs-
umfangreichste aller von der NATO bisher in An-
leiter behalten, Flaschenhälse, von denen ich nicht
griff genommenen Projekte sich auch weiterhin
meine, daß sie der Sache dienen.
positiv entwickelt. Ich meine, daß Sie Ihre, wie ich
Ein letztes zu diesem Bereich: Wie Sie sagen, glaube, hoffentlich noch korrigierbare Entscheidung
Herr Schmidt, haben Sie den Inspekteuren mehr — ich halte es für nötig, daß sie korrigiert wird —,
Zuständigkeiten gegeben. Es wird sich herausstel- auf 420 herunterzugehen und kein Jota mehr, bes-
2802 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970
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ser getroffen hätten, nachdem Sie sich mit dem Ver- vielmehr ein neues europäisches Kampfflugzeug als
teidigungsausschuß darüber unterhalten hätten. Fortentwicklung schnellstens gefordert habe, diese
Ich erwarte jedenfalls, daß wir vor der Sommer- unsere Forderung zu unterstützen? Dann wären wir
pause im Ausschuß über dieses Thema mit Ihnen heute sicher einen wesentlichen Schritt weiter in
und den verantwortlichen Herren Ihres Hauses noch Richtung auf das, was Sie eben forderten.
werden sprechen können. Ich wünsche mir, daß die
— wie immer sie aussehen muß — geänderte Kon- Damm (CDU/CSU) : Herr Jung, ich würde Ihnen
zeption für die Luftwaffe vom Verteidigungsaus- gern zustimmen, weil Ihnen der eigene Koalitions-
schuß noch vor der Sommerpause verabschiedet partner ja noch nicht einmal zustimmt in so wesent-
oder, sagen wir, zur Kenntnis genommen werden lichen Fragen, wie Sie sie in Sachen Nuklearbewaff-
kann. Warum, meine Damen und Herren? Hier geht nung aufwerfen. Aber ich kann es nicht. Denn hät-
es nicht darum, daß wir, Herr Pawelcyk, für die ten wir Ihnen damals unter dieser Prämisse zuge-
soziale Seite keine Antenne hätten und immer nur stimmt, hätte das bedeutet, daß wir eine nicht zu
in Tanks, Kanonen, Flugzeugen oder Schiffen däch- schließende Lücke bei den F-104-Verbänden gehabt
ten; hier geht es um die Tatsache, daß es sich um hätten. Das hätte erstens unsere Abschreckungsfä-
jahrelange Entwicklungsprojekte handelt, die, wenn higkeit so heruntergesetzt, daß wir es nicht hätten
sie jetzt nicht beschlossen werden, ein halbes oder verantworten können, weder Sie noch wir, und zwei-
ein ganzes Jahr später erst zur Verfügung stehen. tens würde das die Struktur — ich habe es eben
Wir sehen uns vor die Tatsache gestellt, daß die schon einmal gesagt — der Luftwaffe halbiert haben,
Struktur der Luftwaffe nicht wird aufrechterhalten und das wäre nicht wieder aufzuholen gewesen.
werden können, wenn wir, wie es auch im Weiß- In dem Augenblick, wo wir einmal Staffeln oder
buch heißt, die durch die verspätete MRCA-In- gar Geschwader stillegen, Herr Jung — das sollten
dienststellung oder vielleicht -Nichtindienststellung Sie als ein Reservist der Luftwaffe eigentlich wis-
entstehende Lücke nicht rechtzeitig werden schlie- sen —, würde es fünf, zehn Jahre dauern, bis wir
ßen können. das wieder aufgeholt hätten. Vermutlich würden
wir nie dahin kommen.
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, Nun, meine Damen und Herren, noch ein letztes
gestatten Sie eine Zwischenfrage Thema; dann ist ja leider die Zeit schon wieder ab-
gelaufen. Der Minister hat sehr viel zum Thema
van Delden (CDU/CSU) : Herr Kollege Damm, Wehrgerechtigkeit gesagt und hat ja auch betont,
da Sie als letzter Redner unserer Fraktion das daß er das für eine ganz wichtige Angelegenheit
Wort haben, darf ich Sie fragen, ob sie den Minister halte; darum habe er dem im Weißbuch so viel
nicht ebenfalls bitten wollen, das gleiche für die Raum geben wollen. Herr Minister, ich möchte Sie
Marine zu tun, nachdem die vier Fregatten gestri- auf eine Entwicklung aufmerksam machen, die sich
chen worden sind, damit wir auch hier eine neue erst jüngst abzeichnete, und zwar im Hamburger
Konzeption der Marine im Verteidigungsausschuß Raum, und die im Zusammenhang steht mit dem
möglichst bald vorliegen haben. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. De-
zember vorigen Jahres. In diesem Urteil ist die Rede
davon, daß Ausbildung in trennbare Ausbildungs-
Damm (CDU/CSU): Herr van Delden, ich habe
abschnitte zerlegt sein müsse und daß man eben,
den Eindruck, das brauche ich jetzt gar nicht mehr zu
wenn ein solcher Abschnitt erreicht sei, jemanden
sagen, da das, was Sie sagten, bei ihm angekommen
einziehen könne.
ist.
In einem Fall, der mehrere größere Firmen in
Ich muß hierzu noch ein Wort sagen. Natürlich
spielt hier eine Rolle — — Hamburg betrifft — HFB beispielsweise, Deutscher
Ring, Volksfürsorge und Margarine-Union — und
bei dem mindestens 12 bis 14 Lehrlinge betroffen
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, sind, passierte jüngst folgendes. Volksschüler, die
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- im Anschluß an ihre Volksschule die zweijährige
ordneten Jung? Handelsschule besucht und auf diese Weise die
mittlere Reife erworben haben — in der Regel zu
Damm (CDU/CSU) : Bedeutet das — —? dem Zweck, eines Tages die Fachoberschule zu be-
suchen —, entschließen sich, meistens weil sie In-
Vizepräsident Frau Funcke: Dafür können genieure werden wollen, die Praxis vorher zu
Sie zwei Minuten länger sprechen. machen; sie gehen also nach der zweijährigen Han-
delsschule in eine normale Lehre. In dem Fall, den
Jung (FDP) : Herr Kollege Damm, Ihre letzte Be- ich hier vor mir liegen habe, ist der Betroffene im
merkung, daß die Entscheidung jetzt getroffen wer- April dieses Jahres überhaupt erst in seine Lehre
den muß, um noch rechtzeitig das Nachfolgemuster als Flugzeugbauer gegangen. Er wird jetzt einge-
für die Fiat G-91 und F-104 zu haben, veranlaßt zogen. Ich meine, daß das nicht mehr, sondern
mich zu der Frage: Kommt diese Ihre Erkenntnis weniger Wehrgerechtigkeit ist. Sie sollten das ab-
nicht ein bißchen reichlich spät, und wäre es nach stellen, indem Sie diesem Hause — wenn Sie nicht
Ihrem heutigen Wissensstand nicht besser gewesen, selber das Ermessen haben, anzuordnen, daß diese
damals, als ich 1968 und schon 1967 davor gewarnt Leute jetzt nicht eingezogen werden müssen —
habe, eine Zwischenlösung zu nehmen, und dafür (Beifall bei der CDU/CSU)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2803
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einen Entwurf zur Änderung des § 12 des Wehr- „aus dem Stand" vollzogene Tatsachen schaffen
pflichtgesetzes zuleiten, und zwar möglichst schnell, zu können.
wodurch Sie ermächtigt werden, in einem solchen
Fall diese jungen Leute nicht einzuziehen. Denn, Dann geht es weiter. Das war die Ergänzung, die Sie
Herr Schmidt, wenn dieser betroffene junge Mann leider nicht vorgelesen haben. Ich halte nichts da-
nicht über die Volksschule und die Handelsschule von, daß man bei solchen Halbwahrheiten stehen-
ginge, sondern das Gymnasium besuchte, wäre er bleibt.
genauso alt wie wie wenn er seine Lehre beendet (Zuruf von der CDU/CSU : Halbvorlesungen,
hätte und dann sein Abitur machte. Im Augenblick nicht Halbwahrheiten!)
der Heranziehung gibt es da also überhaupt keinen — Das waren Halbwahrheiten. Das war wohl mit
Unterschied. Tatsächlich aber benachteiligen Sie die Absicht nicht vollständig vorgelesen worden.
Volksschüler und diejenigen, die nur die mittlere (Abg. Damm: Der zweite Absatz ist ja noch
Reife erwerben, und Sie bevorzugen, ohne das zu viel schlimmer!)
wollen, die Gymnasiasten. Herr Minister, ich möchte
Sie herzlich bitten, diese Sache möglichst schnell zu — Nein, der ist gar nicht schlimmer, sondern ist
regeln und nach Möglichkeit durch Ermessensent- durchaus eine Erläuterung, der man zustimmen
scheidungen dafür zu sorgen, daß Ihre Kreiswehr- kann.
ersatzämter nicht nach diesem Verwaltungsgerichts- Herr Damm, ich darf dann noch zu einigen ande-
urteil verfahren, sondern großzügiger sind. ren Ausführungen Stellung nehmen. Wir — und ich
Ein Allerletztes, meine Damen und Herren. Wir selbst auch — finden es immer sehr amüsant, wenn
haben heute zu Beginn der Debatte, und zwar, wie ich Sie und Ihre Kollegen sich den Kopf über unsere
eigens betonen möchte, unter Ausnutzung der Ge- Probleme, die für uns gar keine sind, zerbrechen.
schäftsordnung, einen Verteidigungsminister erlebt, (Zurufe von der CDU/CSU.)
der sich doch über eine ganze Menge Dinge auf- — Die für uns keine sind, ich sage es noch einmal,
geregt hat, über die er sich eigentlich nicht hätte
aufzuregen brauchen, wenn er wirklich das im (Abg. Dr. Klepsch: Dröscher gegen Würtz!)
Wortlaut zur Kenntnis genommen hätte, was z. B. — Dröscher gegen Würtz, das ist immerhin in aller
mein Kollege Klepsch geschrieben und in Interviews Freundschaft.
gesagt hat. Ich mußte bei dieser Gelegenheit daran
denken, daß unser derzeitiger Verteidigungsminister (Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)
jüngst ein ganz kleines graues Büchlein zitiert hat, — Natürlich, das verstehen Sie nur nicht, weil Sie
das den Titel trägt: „Die Armee auf der Erbse." keine große Mitgliederpartei sind, wo man sich mit
Herr Minister, wir sind auf dem Wege, eine Armee allen Richtungen auseinandersetzen muß
zu haben, die sich eben nicht mehr wie die Prinzes-
sin auf der Erbse fühlt. Ich wünsche mir nur, daß (Beifall bei der SPD)
wir nicht im Austausch dafür einen Verteidigungs- und nachher akzeptiert, daß die Mehrheit auch eine
minister kriegen, der ein Verteidigungsminister auf Meinung bildet, der sich die Minderheit anschließt.
der Erbse ist.
(Beifall bei der CDU/CSU.) (Abg. Dr. Klepsch: Herr Würtz hat ja recht
gehabt.)
Bei uns ist diese Diskussion — auch mit unserem
Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat sehr geehrten und sehr geschätzten Kollegen Drö-
der Abgeordnete Schmidt (Würgendorf). cher — sozusagen das Salz in der Suppe. Bei Ihnen
wird die Suppe ohne Salz gegessen; das ist der
Schmidt (Würgendorf) (SPD) : Frau Präsidentin! Unterschied dabei.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muß (Abg. Stücklen: Ihre Suppe ist stark ver
mich heute abend gleich mit Ihnen, Herr Kollege salzen! — Abg. Damm.: Sie müßten einen
Damm, beschäftigen. Aus diesem Grunde habe ich Dröscher haben, wenn es ihn nicht gäbe!)
das Weißbuch mitgebracht. Sie haben heute mittag
in einer Zwischenfrage bei meinem Kollegen Buch- — Ja, natürlich, das müßte man. — Das Salz in der
staller die Ziffer 24 vorgelesen. Allerdings haben Suppe, das haben Sie eben nicht.
Sie sie nicht vollständig vorgelesen. Aus diesem (Zurufe von der CDU/CSU.)
Grunde möchte ich, daß diese Halbwahrheit durch
ein Zitat ergänzt wird, das ich jetzt vorlese. Mit dem Dann muß ich unseren Kollegen Ernesti anspre- -
Satz „Es gibt kein konventionelles Gleichgewicht in chen. Herr Kollege Ernersti, ich habe gestern und
Zentraleuropa" haben Sie geendet. Im zweiten Ab- heute Anrufe von Kommandeuren und Chefs — aus-
satz dieser Ziffer steht aber: schließlich von Einheiten in Nordrhein-Westfalen —
bekommen. Sie erzählten mir sehr empört, daß sie
Indessen gibt es aber ein politisch-psychologi- von Ihnen einen gedruckten Brief bekommen hät-
sches Gleichgewicht der Abschreckung. Es be- ten — wahrscheinlich einen Brief, der an viele ge-
ruht nicht darauf, daß jedem Soldaten des War- gangen ist —, und diesem Brief sind die Anträge
schauer Paktes ein Soldat der NATO entgegen- 149 bis 185 an den SPD-Parteitag beigefügt.
gestellt wäre, sondern darauf, daß hinlänglich
viele NATO-Soldaten da sind, um jedermann (Abg. Ernesti: Aus dem neuen „Vorwärts"!
vor Augen zu führen, daß niemand hoffen darf, Abg. Dr. Klepsch: Zur Information!)
2804 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970

Damm
— Natürlich sind nicht die Entscheidungen des Par- mehr möglich sein. Es wäre jedenfalls interessant
teitags beigefügt; gewesen, etwas über die Veränderungen in der
NATO selbst und über die wesentliche Mitwirkung
(Abg. Ernesti: Ich habe nur den „Vorwärts"
der Bundesregierung daran zu erfahren, daß die
verschickt! — Weitere Zurufe von der
Verteidigungsgemeinschaft mehr geworden ist als
CDU/CSU)
nur eine Gemeinschaft zur Verteidigung. Es wäre
darauf legen Sie keinen Wert. Natürlich, das ist ferner interessant gewesen, etwas über die
doch völlig klar, das wußten wir doch, daß Sie nur Assignierung unserer Streitkräfte in die NATO und
das verschicken, was Ihnen in Ihren Kram paßt. Die damit auch über einen Beweis, daß wir nicht nach
Entscheidungen, die der Parteitag nachher mit der Atomwaffe greifen, zu sagen. Ich werde das
Mehrheit beschlossen hat, haben Sie natürlich ver- aber herauslassen und vielleicht zu Protokoll geben.
gessen. Die Empörung draußen war genau so, wie
Es gibt jedoch eine andere Frage, Herr Minister,
ich sie Ihnen jetzt geschildert habe.
die uns sehr interessiert. Wir haben mit besonde-
rem Interesse diejenigen Abschnitte zur Kenntnis
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, genommen, die sich mit der Frage der wehrtech-
gestatten Sie eine Zwischenfrage? nischen Forschung, Entwicklung und Erprobung be-
schäftigen. Ich möchte hier einen Bereich kurz
ansprechen, weil er vor wenigen Tagen Thema
Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Herr Kollege Schmidt, einer „Monitor" Sendung gewesen ist. In den Ab-
-

darf ich Ihre Auffassung so verstehen, daß Sie schnitten 68 bis 70 des Weißbuches werden die
d a s verschicken, was Ihnen nicht in Ihren Kram Grundsätze zum Ausdruck gebracht, die für die
paßt? Bundesrepublik in der Frage der B und C Waffen
- -

(Heiterkeit bei , der CDU/CSU. — Zurufe gelten. Danach hat


von der SPD.)
die Bundesrepublik Deutschland . . . 1954 auf
die Herstellung biologischer und chemischer
Schmidt (Würgendorf) (SPD) : Herr Dr. Klepsch, Waffen verzichtet. Sie betreibt weder For-
wir kennen uns zu gut. Ich versuche jedenfalls bei schung noch Entwicklung zur Herstellung von
all dem, was ich an die Truppe verschicke — und B- und C-Waffen. Sie besitzt und lagert keine
das ist sehr viel — objektiv zu sein, nach zwei Sei- B- und C-Waffen, strebt weder deren Besitz
ten zu informieren. Das hier ist nicht nach zwei noch Verfügungsgewalt darüber an, hat keiner-
Seiten informiert, sondern es sind Anträge, von lei Vorbereitungen für ihre Verwendung ge-
denen Herr. Ernesti ganz genau weiß, daß sie natür- troffen, bildet keine Soldaten dafür aus und
lich auf dem Parteitag zur Abstimmung gestellt wird dies alles auch in Zukunft nicht tun.
worden sind. Aber es ist nicht gesagt worden, wie
Im Abschnitt 197 wird gesagt, daß nichts geschehe,
die Abstimmung ausgegangen ist. Aber wir wollen
was gegen völkerrechtliche Bindungen verstoße. Ge-
uns nicht mehr darüber unterhalten; das ist natür-
rade das aber sind die Aussagen, die in der „Moni-
lich auch etwas, was intern Stilfragen sind.
tor"-Sendung angezweifelt worden sind.
Wenn Sie, Herr Damm, meinen, Sie könnten nach
Aus diesem Grund, Herr Minister, möchten meine
den wenigen Monaten, die die Regierung im Amt
politischen Freunde und ich wissen, welche Antwort
ist, bereits heute über Talente oder Talente, die
hier gegeben werden kann, damit sich der Bürger
nicht richtig eingesetzt sind, entscheiden, dann be-
wundere ich Sie. Das ist doch eine Sache, die Sie in unserem Land eine Vorstellung darüber bilden
zunächst einmal der Zeit überlassen müssen. kann, was Wahrheit und was Dichtung ist, nämlich
eine Antwort auf die Frage, ob er die Aussagen des
(Abg. Damm: Herr Schmidt hat sich doch Weißbuches oder die Darstellung von „Monitor" als
schon 15 Jahre damit beschäftigt!) glaubwürdig betrachten sollte.
Sie sprechen heute schon Urteile, die Sie nach Ich darf Ihnen vielleicht noch ein Zweites sagen.
einem Jahr revidieren müssen.
(Zuruf des Abg. Dr. Klepsch.)
(Abg. Dr. Klepsch: Er hat doch schon viele
Bücher darüber geschrieben!) — Herr Dr. Klepsch, hatten Sie eine Frage?
(Abg. Dr. Klepsch: Wir wollen Sie jetzt
— Viele Bücher darüber geschrieben? Über die nicht aufhalten!)
Talente, die er jetzt eingestellt hat? Oder über eine -
Konzeption? — Ach so, Sie essen jetzt; dann können Sie nicht
fragen.
(Erneute Zurufe von der CDU/CSU. — Ge
genrufe von der SPD.) Die Einbettung der Bundeswehr in das Nordatlan-
tische Bündnis bedingt natürlich, daß Änderungen
— Ja, ich würde auch sagen: wir müßten einen Son- in der Struktur, z. B. auch in der Wehrdienstzeit,
derbeauftragten, nämlich den Herrn Damm, dazu mit den NATO-Partnern abgestimmt werden müs-
haben, dann würde das alles klappen. sen. Vertragstreue und Zuverlässigkeit als Partner
Ich habe an sich die Absicht gehabt, auch über setzen ständige Konsultationen im NATO-Rat vor-
Bündnispolitik und über Bundeswehr im Bündnis aus. Zur Verteidigungsbereitschaft der Bundeswehr
etwas zu sagen. Das wird jetzt auch mit Rücksicht im Rahmen der NATO gehören nicht nur die besten
auf die mir zur Verfügung stehende Zeit sicher nicht Waffensysteme, sondern dazu gehört auch die in-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2805
Schmidt (Würgendorf)
nere Bereitschaft der Soldaten, für die Freiheit ihrer nicht ein Jahr Lehre hinter sich. Wird er dann ein-
Nation im Bündnis zu kämpfen. gezogen, so ist er fast 22 Jahre alt, wenn er zurück-
kommt. Folglich kann er, da das erste Jahr seiner
(Abg. Dr. Klepsch: Sehr gut!)
Ausbildung ja auch fast verloren ist und er noch
Das entspricht dem, was Herr Damm soeben sagte. einiges nachzuholen hat, mit 24/25 Jahren noch Lehr-
Wir alle wissen, daß Wehrpflichtarmeen ein Spiegel- ling sein. Hier also die Bitte, daß auf jeden Fall vom
bild der Gesellschaft sind, aus der sie ihre Soldaten Verteidigungsminister versucht wird, eine vernünf-
einberuft, daß sie also auch die Probleme dieser tige Lösung zu finden, und zwar schnell, weil das,
Gesellschaft offenbaren. Das ist auch unser Problem, was hier von Herrn Damm und auch von mir ge-
zu dem im Weißbuch ausführlich und sorgfältig schildert wurde, jetzt erstmalig nach Inkrafttreten
Stellung bezogen worden ist. des Urteils eingetreten ist; das gilt auch für die Kon-
Wichtig für das Engagement aller Soldaten in sequenzen, die das Verteidigungsministerium dar-
Wehrpflichtarmeen ist die Frage der Wehrgerech- aus gezogen hat.
tigkeit. Wissen zu müssen, daß das Gesetz den (Zuruf von der CDU/CSU: Hier sind wi r
jungen Mann zur Ableistung seiner Wehrpflicht völlig unschuldig, hier muß diese Regie
aufruft, daß jedoch ein Teil diesem Ruf aus mancher- rung handeln!)
lei Gründen nicht folgen muß, bringt Unlust und — Ja, die Regierung muß handeln. Nur ist sie auch
Verdrossenheit, und zwar — ich sage das auf Grund nicht schuld daran! Denn die bisherigen Bestimmun-
von Erfahrungen, die ich mit meinen eigenen Söh- gen für die Freistellung sagten ganz klar, daß Lehr-
nen gesammelt habe — mit vollem Recht. Hier zu linge, soweit sie die Lehre begonnen hatten, und z. B.
annähernden Werten der Gerechtigkeit zu kommen, Ingenieurschulstudenten im ersten Semester frei-
ist in vielen Diskussionen im Verteidigungsausschuß gestellt wurden. Damit hat die Regierung also nichts
und auch im Plenum dieses Bundestages versucht zu tun. Da müssen wir das oberste Gericht, nämlich
worden, bis jetzt ohne Erfolg. Das Weißbuch zeigt da s Bundesverwaltungsgericht, ansprechen oder, wie
hier neue und, wie ich meine, gangbare Wege. Wenn gesagt worden ist, hier eventuell durch Initiative des
wir die Verteidigungsbereitschaft unse re r Bundes- Parlaments etwas tun.
wehr stärken wollen, dann müssen wir diesen Vor-
schlägen der Bundesregierung nähertreten. Ich meine, der Stein des Anstoßes auch in der
Öffentlichkeit ist die große Zahl der eingeschränkt
Wir haben davon auszugehen, daß im Durch- Tauglichen, die nun nicht draußen mit einem Schild
schnitt von 100 Wehrpflichtigen eines Jahrgangs auf der Brust herumlaufen: „Ich bin eingeschränkt
etwa 35 untauglich oder eingeschränkt tauglich tauglich." Man sieht es ihnen ja nicht an. Es sind
sind und deshalb nach den bisher anerkannten Re- zum Teil Spitzensportler der verschiedensten Sport-
geln überhaupt nicht zu dienen brauchen. Wenn arten unter ihnen. Es ist klar, daß hier von den
wir diese Zahlen einmal mit denen in Frankreich, Eltern und auch von den Wehrdienstleistenden im-
das auch eine Wehrpflichtarmee hat, vergleichen, mer wieder Vergleiche gezogen werden. Wir alle
stellen wir fest, daß dort nur 17%, also weniger haben den Versuch gemacht, draußen aufklärend zu
als die Hälfte, nicht zu dienen brauchen. Das ist ein wirken, aber der Kreis, der von uns angesprochen
Zeichen dafür, daß die Sache hier durchaus groß- wird, kann immer nur klein sein. Ich begrüße es da-
zügig gehandhabt wird. Etwa 15 % werden aus be- her sehr, daß die Bundesregierung und auch der
sonderen Gründen, vor allen Dingen aus Ausbil- Bundesverteidigungsminister diesem Problem beson-
dungsgründen, zeitweilig zurückgestellt und etwa dere Aufmerksamkeit schenken. Es ist notwendig,
50 % unmittelbar zum Wehrdienst eingezogen. den größeren Teil der eingeschränkt Tauglichen
durch Änderung der Ausbildungs- und Verwendungs-
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Schmid.)
vorschriften in die Bundeswehr hineinzubringen.
Nur 10 % von denen, die für Ausbildungszwecke Hier den richtigen Mann an den richtigen Platz zu
zurückgestellt werden, gehen völlig am Wehrdienst bringen, ist auch ein dringendes Erfordernis. Es wird
vorbei. Das sind die Feststellungen, die mit einem in Zukunft auch mit Computern zu arbeiten sein.
abgeschlossenen Jahrgang gemacht worden sind. Manches, was vorgekommen ist, darf in Zukunft
Das Problem, das Herr Damm hier angeschnitten nicht mehr möglich sein. Ich kenne viele Fälle, wo
hat, wollte ich ebenfalls vortragen. Ich will seine junge Leute, die über einen Test für besondere Waf-
Hinweise jetzt unterstützen. Es ist tatsächlich so, daß fengattungen festgelegt waren, nachher bei Truppen-
das keine Befreiungen sind, daß das auch kein Ver- einheiten dienten, die sie nicht brauchen konnten,
stoß gegen die Wehrgerechtigkeit ist, wenn wir ge- während die Wehrpflichtigen anderen Einheiten in
wisse Ausnahmen zulassen. Dabei muß das Urteil erheblichem Maße fehlten. -

des Bundesverwaltungsgerichts natürlich Grundlage


Daß in diesem Zusammenhang auch die Länge der
zunächst einmal der Festlegungen im Verteidigungs-
Wehrdienstzeit angesprochen worden ist, ist richtig.
ministerium sein. Aber, um das eine Beispiel, das
Auch das zählt zu den Fragen der Wehrgerechtig-
Sie gegeben haben, Herr Damm, noch zu ergänzen
keit, die — wie Minister Schmidt schon sagte — nur
— ich kenne den Fall und habe ihn auch mit
dem Parlamentarischen Staatssekretär schon be- im Einvernehmen mit unseren Verbündeten gelöst
werden können.
sprochen —: Wenn ein junger Mann z. B. zum
Abitur hinstrebt und es nicht ganz durchsteht — Von Herrn Jung ist die Frage des Fla-Panzers an-
das kommt ja auch vor — und dann in eine Lehre geschnitten worden. Auch hier, Herr Minister,
geht, ist er mit 18 Jahren Lehrling und hat noch möchte ich die Bitte von Herrn Jung unterstützen
2806 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970
Schmidt (Würgendorf)
und möchte Sie bitten, dieser Frage Ihre besondere Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
Aufmerksamkeit zuzuwenden. Die Angelegenheit Herr Bundesminister der Verteidigung.
läuft schon seit über vier Jahren, und nach meinen
Informationen sind trotz der fast 200 Millionen DM
Entwicklungskosten heute noch keine Aussichten, Schmidt, Bundesminister der Verteidigung: Herr
daß ein Fla-Panzer zur Verfügung stehen wird, mit Präsident! Meine Damen und Herren! Es sind in die-
dem wir in nächster Zeit oder in den nächsten ser Debatte eine ganze Menge interessanter Bemer
Monaten Truppenversuche machen könnten. Die kungen zur Sache gemacht worden. Es ist unmöglich,
Truppe selbst hat sowieso schon ihre Meinung dazu sie alle am Schluß einer solchen Debatte zu beant-
gesagt. Sie hat sich anders entschieden, als aus Ihrem worten. Das Ministerium wird eine Reihe von Tagen
Hause immer wieder argumentiert wird. Vielleicht brauchen, um sie alle im einzelnen zu lesen, zu
führt das als eine Hypothek der Vergangenheit da- prüfen und zu sehen, was aus ihnen zu machen ist.
zu, daß wir auf diesem Sektor durch Beendigung der Ein paar Bemerkungen allerdings bedürfen hier
Versuche und Einführung eines anderen, bereits am Schluß doch noch der Erwiderung, einfach des-
truppenfesten Systems viele Millionen einsparen. wegen, weil sie im öffentlichen Raum nicht ohne
Möglicherweise gibt es noch eine ganze Menge an- weiteres stehenbleiben können.
derer Hypotheken, die in diesem Sinne ebenfalls
abzubauen sind und wo wir dann Mittel frei bekom- Herr Kollege Damm hat ein paar Bemerkungen
men, die für die sozialen Aufgaben in der Bundes- zur Spitzengliederung des Ministeriums gemacht.
wehr gebraucht werden können. Ich empfehle Ihnen, das Bundestagsprotokoll vom
21. September 1966 zu lesen, in dem ich mich —
Zum Schluß möchte ich Ihnen, Herr Dr. Wörner, abgesehen von anderen Gelegenheiten, bei denen
noch sagen: Weder Sie noch ich waren dabei, als ich mich dazu ausgesprochen habe — dazu geäußert
hier um die beste Form der Verteidigung oder der habe. Sie werden eine gewisse Verwandtschaft er-
Außenpolitik überhaupt gerungen wurde, und Ver- kennen hinsichtlich dessen, was ich damals gesagt
teidigungspolitik ist ein Teil der Außenpolitik, und was Sie heute ausgesprochen haben.
nicht mehr und nicht weniger. Ich habe das seiner-
zeit mit Aufmerksamkeit verfolgt, weil ich selbst Übrigens war das eine Auseinandersetzung, in der
Frontsoldat gewesen bin und natürlich daran inter- es im Zusammenhang mit der Krise um die Generale
essiert war auch für meine Söhne —, wie es wer- Trettner und Panitzki um den Bundesminister von
den wird. Es ist eine Lösung gefunden worden, Hassel ging. Mich interessiert auch, was ich selber
wobei Argumente mit allem Für und Wider gegen- damals zu dem Amt gesagt habe, über dessen Spit-
einanderstanden. Wir bedauern heute, daß man- zengliederung Sie hier sprachen. Damals war klar,
che Entwicklung, die es in den 50er Jahren gege- daß Sie Ihren damaligen Verteidigungsminister aus-
ben hat, nicht beim Schopfe genommen worden ist, wechseln würden; Sie wußten nur noch nicht genau,
zumindest um zu testen, was daraus hätte werden wann und durch wen. Ich habe dann gesagt, dieses
können. Ministerium sei ein Ministerium, das in besonderer
Weise die Fehler, die jeder Mensch hat, die jeder
Dann war die Bundeswehr da, und die ganzen Minister hat, exponiere, ein mörderisches Amt. Ich
gesetzlichen Verankerungen sind mit der damali- habe inzwischen bestätigt gefunden, daß das eine
gen Opposition zusammen geschaffen worden. Des- richtige Diagnose war. Aber ich habe nicht die Ab-
halb: wenn nun die überwiegenden Mehrheiten der sicht, mich z. B. dadurch ermorden zu lassen, daß
Fraktionen, die in der Vergangenheit in diesem ich mich von Ihnen, Herr Damm, und von anderen
Hause waren, und wenn insbesondere diese Partei, in vorschnelle Entscheidungen über MRCA, über
die ja schon vor der Jahrhundertwende in ihren Hubschrauber, über Fregattennachfolge oder über
Programmen festgelegt hatte, daß die Verteidigung irgend etwas dieser Art hineintreiben lasse. Auch
auch eine Aufgabe eines Volkes sei, das gemein- wenn Sie hier noch dreimal erklären, Sie müßten
sam geschaffen haben, dann möchte ich doch bitten, das noch vor den Ferien hören, hören Sie es von mir
davon abzusehen, immer wieder diffamierend hier vor den Ferien noch nicht, sondern erst dann, wenn
aufzustehen und zu sagen, dieser oder jener habe ich weiß, was zu sagen ich verantworten kann.
dies und das gesagt. Natürlich gibt es verschiedene Damit das völlig klar ist!
Meinungen.
(Beifall bei der SPD.)
(Abg. Dr. Wörner: Würden Sie Ihren Rat
Im übrigen, was die Herren Staatssekretäre
schlag gütigerweise auch dem geben, der
Mommsen, Berkhan und Birckholtz angeht: Das sind
damit angefangen hat?) -
keine Flaschenhälse, Herr Damm, sondern Köpfe.
— Ich wollte ihn zunächst Ihnen geben, denn Sie Ich bin dankbar dafür, daß wir sie haben.
haben ja den angesprochen, der damit angefangen
haben soll. Ich wollte also Sie jetzt ansprechen, da- (Beifall bei der SPD. — Zuruf des Abg.
mit, wenn schon nach beiden Seiten in dieser Weise Damm.)
ausgeteilt wird, sich das gegenseitig aufhebt. — Sie haben es nicht so gemeint?
(Abg. Dr. Wörner: Ich bin sofort einver (Abg. Damm: Das wissen Sie ganz genau,
standen!) daß ich das nicht so gemeint habe!)
— Herzlichen Dank! — Ja, das ist aber eine von den Ausdrucksweisen,
(Beifall bei der SPD.) bei denen man gern zunächst offenläßt, wie es drau-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2807
Vizepräsident Dr. Schmid
ßen ankommt. Ich wollte das klargestellt haben. Ich zichten wollen. Ich hoffe, daß das mehr eine polemi-
bin dankbar, wenn Sie mir zustimmen. sche Einleitungsbemerkung hat sein sollen.
(Abg. Damm: „Flaschenhals" ist ein land Sie haben gemeint, die Vorwarnzeit sei über-
läufiger Ausdruck; er bedeutet, daß etwas haupt nicht erwähnt. Sie ist erwähnt. Aber sie ist
durch eine enge Lücke muß!) nicht breit dargestellt, aus zwei Gründen. Zum einen
hat es keinen Zweck und keinen Sinn, wenn sich
Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Minister, ge- in diesem Weißbuch alles mögliche wiederholt, was
statten Sie eine Zwischenfrage ? in dem vorigen dargestellt worden ist, es sei denn,
die Lage habe sich wesentlich geändert. Es gibt
Schmidt, Bundesminister der Verteidigung: viele Dinge, die im vorigen Weißbuch von Herrn
Nein, schönen Dank, ich möchte die Debatte wirklich Schröder dargestellt worden sind und hier nur ge-
nicht noch durch vielerlei Polemik belasten. streift werden.

Ich möchte auf eine Bemerkung des Kollegen Es hat aber noch einen zweiten Grund. Die Frage
Schmidt (Würgendorf) antworten; und ich bin dank- der politischen wie der militärischen Vorwarnzeiten
bar dafür, daß das hier noch erwähnt worden ist. ist, wie Sie wissen, immer umstritten gewesen. Man
Es hat mich auch ein bißchen geärgert, muß ich soll nicht unbedingt schlafende Hunde wecken. Es
sagen, nicht nur für meine Person oder für mein gibt vielerlei Streitfragen innerhalb des Bündnisses.
Amt, sondern für die ganze Bundeswehr, daß eine Sie, der Sie insbesondere von der Notwendigkeit
Fernsehanstalt geglaubt hat — trotz klarer Aus- engerer europäischer Kooperation gesprochen haben
kunft, die ihr gegeben wurde —, in der Öffentlich- — das haben Sie früher auch schon getan —, wis-
keit den Eindruck erwecken zu sollen, als ob die sen, daß wir uns zu diesem Punkt auch deswegen
Bundeswehr doch über chemische Kampfstoffe ver- hier relativ zurückhaltend ausgedrückt haben, weil
füge. Ich fand das unerhört, muß ich sagen. Aber es wir das zarte Pflänzchen der Entwicklung, das in
hat keinen Zweck, sich darüber aufzuregen. Es wird einer uns sehr nahe benachbarten anderen euro-
einem in den Massenmedien ja so vieles Unerhörte päischen Hauptstadt dabei ist, sich zu entfalten,
mit dem scheinbaren Charakter der Dokumentation nicht stören wollen.
geboten. Sie haben dann an anderer Stelle bemängelt, daß
(Abg. Rösing: Davon können wir ein Lied die Einschätzung der uns drohenden Gefährdung
singen!) nicht deutlich genug zum Ausdruck gekommen sei.
Hier muß ich Sie auf den Text auf Seite 19 unten
— Ja, ich auch. Ich singe gerade davon. und auf Seite 20 oben aufmerksam machen. Ich darf
Die Bundeswehr verfügt nicht über chemische die drei Sätze vorlesen, Herr Präsident:
Kampfmittel. Sie verfügt allerdings — das hat der Dennoch ist nicht zu leugnen: In Mitteleuropa
Mann gemeint und geglaubt, er kann daran eine unterhält der Warschauer Pakt wesentlich stär-
große Story aufhängen — genau wie eine Feuer- kere konventionelle Streitkräfte als die NATO.
wehr, wie ein Bergbaubetrieb oder wie ein Indu- Sie sind weit stärker, als dies für die Abwehr
striebetrieb, der Rauchmasken oder Gasmasken er- eines Angriffs aus dem Westen
proben muß, über Schwelkörper, aus denen Tränen-
— hypothetischer Fall —
gas herauskommt. Weil man es anders nicht heraus-
kriegt, muß man die Maske aufsetzen und muß nötig oder für die Aufrechterhaltung der so-
ausprobieren, ob etwas Tränengas durchkommt. wjetischen Vorherrschaft erforderlich wäre. Die
Wenn etwas durch kommt, fangen die Augen an zu trä- Existenz solch riesiger Streitkräfte darf nicht
nen, und dann muß man an der Maske etwas ändern als Bluff betrachtet oder behandelt werden.
oder eine andere nehmen. Das ist alles. Es handelt Hier haben Sie das alles mit wünschenswerter Klar-
sich um Schwelkörper und Sprühdosen, die im übri- heit, wie ich denke, was Sie vermißt zu haben
gen auch im Gelände verwandt werden, um im schienen. Aber ich nehme es nicht übel; denn Sie
Manöver einen Angriff mit chemischen Waffen oder können hier nicht alles gleichzeitig im Kopf präsent
mit Gas durch den Gegner zu simulieren. Wie ge- haben, was sich in diesen 200 Seiten — —
sagt, es handelt sich um dieselben harmlosen Dinge,
die Bergbau, Industrie oder Feuerwehr für die Prü- (Abg. Dr. Klepsch: Als der Kollege Damm
fung verwenden. das vorhin vorgetragen hatte, wurde er
gestraft, weil er unvollständig zitiert habe!)
Ich hätte gern noch einige Bemerkungen zu Ihnen,
Herr Zimmermann, gemacht. — Ich habe den Kollegen Damm weder zu strafen,
noch habe ich das versucht, sondern ich antworte -
Sie haben den fehlenden Hinweis auf die Freiheit hier auf eine Bemerkung des ersten Redners Ihrer
beklagt. Ich weiß nicht, ob Sie es wirklich so ge- Fraktion, die ich als ernstgemeint aufgefaßt habe
meint haben. Es klang sehr, sehr gewichtig. Sie und der ich eine ernstgemeinte Antwort erteile.
haben übersehen, daß der Satz, den Sie zitiert
haben, unmittelbar unter der Überschrift „Frieden Wenn Herr Damm nun mit vielen Worten be-
in Freiheit" steht, und haben auch übersehen, was mängelt, daß in diesem Regierungsdokument nicht
im Vorwort des Herrn Bundeskanzlers seht. Ich ein ganzes Kapitel meines Buchs wieder abgedruckt
könnte Ihnen den Freiheitswert an vielen Stellen worden ist, so glaube ich, daß er das selbst nicht
zeigen. Ich verzichte darauf. Ich hoffe, daß Sie im ganz ernst nehmen kann.
Ernst nicht glauben, daß wir auf die Freiheit ver- (Abg. Damm: Nicht einmal das Wort!)
2808 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970
Bundesminister Schmidt
Die Breschnew Doktrin ist keine Angelegenheit, die
-
— nicht auf Null zu bringen, weil das uns das Mit-
bei der Sicherheitspolitik der Bundesrepublik spracherecht nähme.
Deutschland und bei der Lage der Bundeswehr Ich will nicht noch einmal darauf zurückkommen
hätte behandelt werden müssen. Außerdem ist sie — der Bundeskanzler hat das schon angedeutet —,
im Weißbuch gestreift. Sie müssen einmal ein biß- welch erheblicher Fortschritt in der Sache — auch
chen nachlesen; ich will Sie nur nicht durch lauter im Detail — in der Entwicklung von Reykjavik bis
Zitate am Abend noch festhalten. Im übrigen ist die zu dieser besonderen MBFR Erklärung von Rom -

Breschnew-Doktrin für den, der zwischen den Zeilen liegt, die eine Reihe von Kriterien enthält, die die
zu lesen versteht, im römischen NATO-Kommuniqué westlichen Bündnispartner für beiderseitige Rü-
erneut behandelt. Aber ich sage noch einmal: das stungsverminderungen in Europa gemeinsam nen-
Weißbuch ist nicht der Ort, an dem wir uns mit nen. Aber ich will doch sagen, Herr Dr. Zimmer-
sowjetischen Völkerrechtsinterpretationen ausein- mann: Die „Prawda" ist nicht unbedingt ein Baro-
anderzusetzen haben. meter für sowjetisches Verhalten im Laufe der näch-
(Sehr richtig! bei der SPD. — Zuruf von sten 12 oder 18 Monate — wann immer es zu einer
der CDU/CSU.) Konferenz über solche Fragen käme. Die „Prawda"
ist natürlich von ganz großer Bedeutung, aber ihre
— Es ist wirklich nicht der Ort. — Wenn es einmal
Hauptaufgabe ist sicherlich, die innenpolitische
ein Weißbuch für die deutsche Außenpolitik geben
Wirkung in der Sowjetunion und — wenn ich so
würde,
sagen darf — die innenpolitische Wirkung inner-
(Abg. Damm: Ich bin anderer Meinung!) halb des Warschauer Paktes und unter den kommu-
dann würde es dort ganz bestimmt hineingehören. nistischen verbündeten Staaten und Parteien zu er-
Das wäre übrigens vielleicht eine interessante zielen. Es ist darüber hinaus auch für uns wichtig,
Sache, einmal ein Weißbuch zur deutschen Außen- sie zu lesen. Ich denke nicht, daß man davon aus-
politik zu haben. gehen darf, daß die Sowjets dieses Angebot ohne
weiteres annehmen. Nur werden sie in dem Maße,
(Abg. Damm: Ich stelle fest: Wir sind in in dem sie es mit ihrem Konferenzvorschlag ernst
dieser Sache verschiedener Meinung!) meinen, erkennen, daß sie ernst nehmen müssen,
— Nein, wir sind nicht verschiedener Meinung in daß wir diesen Punkt dann allerdings auf die Tages-
bezug auf die Doktrin, sondern bezüglich der Frage, ordnung einer solchen Konferenz setzen werden.
ob sie in dieses Buch hineingehört. (Beifall bei den Regierungsparteien.)
(Beifall bei der SPD.) Über Frankreich habe ich schon eine Andeutung
Den Streit zur Sache möchte ich im Augenblick als gemacht.
noch nicht geführt ansehen. Ich muß einen Wortlaut aufgreifen, der mißver-
Dann hat jemand von Ihnen gefragt — und das ständlich war. Es ist nicht der Verteidigungsetat —
ist nun allerdings der wichtigste Punkt, den ich hier auch nicht der Rüstungsetat — um 2 1/2 Milliarden
heute abend vor aller Öffentlichkeit deutlich klar- DM gekürzt worden, sondern es ist angekündigt
stellen muß — ,ob wir denn vielleicht zur Stolper- worden, daß die Umschichtungen zugunsten des
draht-Funktion zurückwollten und ob wir eine nied- sozialen Status des Soldaten, zugunsten der Bil-
rigere atomare Schwelle wünschten, d. h. in Kauf dung und zugunsten der Berufsförderung für eine
nehmen wollten, daß in Zukunft möglicherweise Reihe von Jahren vorläufig etwa in einer Größen-
durch das Bündnis eher von nuklearen Waffen Ge- ordnung von 600 Millionen DM liegen. Sie haben
brauch gemacht werde als bisher vorgesehen. das dann mit 4 Jahren multipliziert, und so sind Sie
auf21/2Mil ardengekom en.Oberhabenwires
Dies ist nicht die Auffassung der Bundesregie- multipliziert? Ich weiß es nicht.
rung. Das muß ich ganz eindeutig sagen. Die Bun-
(Abg. Dr. Klepsch: Sie haben es multipli
desregierung hält fest — wie auch unsere Verbün-
ziert!)
deten — am Konzept der beweglichen Erwiderung
oder der „flexible response". Im Gegenteil, ich habe Das mag für vier Jahre so sein; das wird sicherlich
vorhin ausgeführt — Sie finden das im Weißbuch nicht über zehn Jahre hinweg so bleiben.
ausführlicher wieder, als ich es heute nachmittag Im übrigen haben Sie ja zu den Fragen des Pla-
gesagt habe —, als ich von den Prinzipien unserer fonds des Einzelplans 14 den Herrn Bundeskanzler
Sicherheitspolitik sprach — ich habe deren fünf gehört.
genannt —, daß eines dieser Prinzipien ausdrück- Mir bleibt noch übrig, auf ein paar Bemerkungen
-
lich heißt: Zurückhaltung beim Gebrauch nuklearer über MRCA einzugehen. Vieles was hier gesagt
Waffen durch das Bündnis. Ich bitte Sie, es im Pro- worden ist, ist mir sehr verständlich, weil es auf
tokoll zu vergleichen; Sie haben das überhört. einem unzureichenden Informationsstand der ein-
Hier gibt es überhaupt keinen Gesinnungswandel. zelnen Kollegen, die hier gesprochen haben, auf-
Eher gibt es — nicht nur, aber auch unter dem Ein- baut. Ich bin sehr gehandikapt und zögere sehr,
fluß unserer Kollegen von der FDP — eine Verstär- meinerseits in diese Debatte einzusteigen, denn
kung der Tendenz, die dahin zielt, den deutschen mein Informationsstand ist nach meinem eigenen
Anteil an den Vorbereitungen für einen solchen Urteil noch nicht zureichend, um ein abschließendes
möglichen Fall noch zu verringern, ihn allerdings — Urteil zu bilden.
da wiederhole ich eine Meinung, die sich auf Koa- (Abg. Damm: Warum haben Sie dann 420
litionsvereinbarungen dieser beiden Parteien stützt gesagt?)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2809
Bundesminister Schmidt
— Wenn Sie es unbedingt wissen wollen: weil das schusses, daß ich es abgelehnt habe, mich gegen-
gegenüber den ausländischen Partnern notwendig wärtig auf irgend etwas festzulegen, mit der ein-
war. Es tut mir leid, daß Sie nicht so viel Taktgefühl zigen Ausnahme, daß ich gesagt habe — ich habe
aufbringen können, um mir diese Antwort zu er- nicht, wie hier einige zitiert haben, gesagt: wir be-
sparen. schaffen 400 Flugzeuge dieses Typs —: Entgegen
(Beifall bei der SPD.) den Plänen, die der Verteidigungsausschuß bisher
zustimmend zur Kenntnis genommen hat — viel-
Mein Gott, das hätte man ja auch irgendwie im leicht hieß es auch nur: zur Kenntnis genommen
Privatgespräch klären können! hat; ich bin nicht ganz sicher, ob das Wort „zustim-
(Zuruf von der CDU/CSU.) mend" vorkam —, in denen von etwa 800 Flug-
zeugen für Marine und Luftwaffe gemeinsam die
— Irgendwo, lieber Freund, nehme ich es ernst mit
der These, die mein Amtsvorgänger aufgestellt hat, Rede war, kann eine Zahl oberhalb von 420 über-
daß man sich bemühen muß, in Dingen der Sicher- haupt nicht in Betracht kommen. Das ist das einzige,
heit, wo es möglich ist und soweit es möglich ist, worauf ich mich festgelegt habe. Damit ist nicht ge-
sagt, womit die etwa entstehende Lücke auszufüllen
miteinander zu kooperieren, um keinen Schaden
wäre. Damit ist auch keineswegs gesagt, daß es
eintreten zu lassen.
420 Flugzeuge sein werden. Es können auch weni-
Alle Entscheidungen über diese Höchstzahl hin- ger sein. Diese einzige Festlegung war — ich habe
aus bleiben offen und müssen offenbleiben. Das es schon gesagt — im Hinblick auf die Gespräche,
MRCA wird ganz bestimmt kein reines Erdkampf- die wir mit unseren beiden ausländischen Partnern
flugzeug. Es gibt dieses Flugzeug überhaupt noch führen, notwendig.
nicht. Alles, was die Kollegen hier darüber reden,
Ich habe meine Bemerkungen heute mittag über
klingt für den Laien so, als ob es ein Flugzeug
wäre, das man irgendwo besteigen und ausprobie- Lobbyismus aus Reihen der Abgeordneten ganz be-
ren könnte. Es gibt keinen einzigen Prototyp sonders wegen des Drucks gemacht, der auf mich
davon. Es dauert noch Jahre, bis der erste fliegt. in Sachen MRCA ausgeübt wird. Ich sehen den Kol-
Und selbst wenn uns ein Bundestag überflüssiger legen Schneider hier sitzen. Er ist zu mir gekommen
weise drei Milliarden DM zusätzlich bewilligte, und hat gesagt, einige Kollegen hätten meine Be-
könnte er keinen Tag früher kommen, als die ge- merkungen mißverstanden und gemeint, sie hätten
genwärtigen Pläne vorsehen. Und dann weiß immer sich auf ihn bezogen. Er ist nicht gemeint gewesen.
noch niemand, wie gut er funktionieren wird. Dann Das möchte ich hier deutlich sagen, damit das nie-
muß man das MRCA immer noch ausprobieren. mand mißversteht. Ich empfinde diesen Druck —
Dann kann es immer noch passieren, daß wir es auch hier im Plenum ausgeübt — als der Sache
nicht in Serie bauen können. Deswegen finde ich absolut unangemessen. Das will ich in aller Deut-
diese ganzen Philosophien, die sich an die Über- lichkeit sagen. Sie haben die Möglichkeit, mich zu
legungen knüpfen, wie schnell wir dieses Flugzeug Aussagen zu zwingen. Sie können einen Unter-
wohl bekommen, damit der Starfighter abgelöst suchungsausschuß einsetzen. Dann werden Sie her-
werden kann, restlos voreilig. Es kann Ihnen im- ausfinden, daß ich bisher keine einzige Entschei-
mer noch passieren, daß wir etwas ganz anderes dung getroffen habe. Kein Untersuchungsausschuß
machen. wird der Bundesregierung eine Entscheidung ab-
Ich finde dieses Projekt — hier stimme ich mit zwingen können. Das Mittel des Untersuchungsaus-
meinem Amtsvorgänger überein — unter außen- schusses haben Sie; doch ich empfehle Ihnen, sich zu
politischen Gesichtspunkten interessant. Es wäre überlegen, ob Sie sich wirklich dieses Mittels be-
das erste wirklich bedeutsame Rüstungsprojekt, das dienen wollen.
hier in Europa in Zusammenarbeit mehrerer euro- Außerdem möchte ich Sie bitten, sich als Abge-
päischer Staaten, insbesondere der Engländer und ordnete innerlich einmal die Frage zu stellen, ob es
der Deutschen, entsteht. Das finde ich außenpolitisch eigentlich gut ist, wenn Sie hier als freiwillige und
und auch unter den Aspekt der Europapolitik hoch- unbezahlte Lobbyisten Ihrer jeweiligen Reservisten-
interessant. waffengattung oder Streitkraft auftreten. Zum Teil
(Abg. Schneider [Königswinter] : Und tech werden hier Dinge vorgetragen im, wie man denkt,
nisch!) wohlverstandenen Interesse der eigenen Waffen-
gattungen oder der eigenen Teilstreitkraft, die nicht
- Technisch sowieso, Herr Schneider. Aber ich bitte
ganz der fachlichen Beurteilung standhalten. Ich
auch einmal zu erfühlen, daß das Projekt Risiken in
nehme das nicht übel, aber ich bitte ganz freund-
sich birgt, die auch nicht durch eine innerhalb von
lich, sich einmal zu überlegen, ob das sein muß. -
14 Tagen stattfindende neue Unterrichtung des Ver-
teidigungsausschusses des Bundestages kleiner oder Damit mich das Haus klar versteht: Vor der Som-
größer werden. merpause wird es nichts mit einer Entscheidung, die
Im Hinblick auf alles — das sage ich vielen Kol- Ihnen vorgetragen werden könnte, weder über
legen, die dazu gesprochen haben —, was Sie bei MRCA noch über das Flottenbauprogramm, noch
früherer Gelegenheit im Verteidigungsausschuß des über den Hubschrauber, noch über den Fla-Panzer.
Bundestages dazu vorgetragen bekommen haben, I ch unterstreiche, was Herr Jung zum Fla-Panzer ge-
mache ich einen Generalvorbehalt. Mir können Sie sagt hat. Ich fand diese Probleme vor, ich kann sie
das, was Sie bei früherer Gelegenheit dazu gehört auch nicht in sieben Monaten entscheiden, nachdem
haben, nicht vorhalten. Im Gegenteil, Sie wissen sie vorher zum Teil sieben Jahre gelegen haben.
von mir aus zwei Sitzungen des Verteidigungsaus- Beides sind keine herausggeriffenen Zahlen. Aber
2810 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970

Bundesminister Schmidt
ich habe heute mittag meine Bereitschaft erklärt — Ich hätte das alles nicht gesagt, wenn nicht heute
und ich wiederhole sie hier —, Ihnen Anfang Juli — mindestens sechsmal jemand von Ihnen gesagt
ich nehme an, daß ich im Laufe des Monats Juni hätte: warum ist dies noch nicht, warum ist das
soweit kommen kann — ganztägig zu all diesen noch nicht? Wir machen es doch erst seit sechs
Projekten zur Verfügung zu stehen. Monaten, Sie haben es über 15 Jahre gemacht. Sie
(Abg. Damm: Wir haben diese Entscheidung müssen einmal ein bißchen sachlich sein.
auch nicht aus dem hohlen Bauch zur Kennt (Beifall bei der SPD.)
nis genommen! Uns ist das doch auch alles
mit sehr vielen detaillierten Argumenten Ein paarmal ist hier vom sozialdemokratischen
vorgetragen worden!) Parteitag die Rede gewesen. Ich habe nichts dage-
gen, daß Sie sich unseren Kopf mit zerbrechen.
Ich kann immer nur warnen — ich gehöre dem Nur, die Mehrheiten zu den Anträgen, die Herr Damm
Haus mit einer Unterbrechung seit 1953 an; ich war hier zitiert hat, waren auf dem Parteitag eindeutig.
1955 Vorsitzender eines Unterausschusses des Ver- Herr Damm, wir kennen uns seit vielen Jahren,
teidigungsausschusses für Beschaffung — vor dem auch aus Hamburg, nicht erst aus diesem Hause.
Tempo, mit dem der Verteidigungsausschuß oder Ich finde, Sie sollten sich auch überlegen, ob Sie
sein Vorgänger, der Sicherheitsausschuß, Rüstungs- mit der Zitierung solcher Geschichten wirklich zur
beschaffungsvorlagen akzeptiert haben. Ich kann Verlängerung eines Märchens beitragen wollen, das
davor nur warnen. Ich habe in zwei Kardinalfällen Herr Wörner durch eine Zwischenfrage wieder auf-
vorher dringend gewarnt, bei denen die spätere gewärmt hat, des Märchens, die Sozialdemokraten
Entwicklung meine Besorgnisse bestätigt hat. Ich seien den Soldaten gegenüber eine unzuverlässige
will das nicht vertiefen. Ich denke nur, daß die Kol- Gesellschaft. Das schien mir jedenfalls dabei un-
legen im Verteidigungsausschuß ihre Urteilskompe- terschwellig anzuklingen. — Wenn Sie das nicht
tenz in solchen Fragen richtig einschätzen sollten. gemeint haben, wenn Sie jetzt mit dem Kopf schüt-
Ich will hier auf viele weitere Einzelheiten nicht teln, höre ich sofort auf, darüber zu sprechen.
eingehen. Nur, lieber Herr Wörner: wenn die Maxime von
Herr Stahlberg, ich habe Ihnen nicht vorgewor- Dr. Gerhard Schröder, die ich noch einmal in Er-
fen, daß Sie die Truppe nicht besucht hätten, son- innerung rufen will, weil ich ihr im Grunde zu-
dern ich habe mich dagegen gewehrt, daß Sie mir stimme — in Sicherheits- und Verteidigungsfragen
vorwarfen, ich hätte die Truppe zuviel besucht. Sie sollte man sich gegenseitig nicht mehr Schwierig-
haben einen Aufsatz mit der Überschrift „reist und keiten als geboten machen, und man sollte nicht
reist und redet und redet" geschrieben. Dagegen mehr zerhacken, als wirklich auseinandergenom-
habe ich mich gewehrt; ich fand es nicht so beson- men werden muß —, richtig ist, müssen auch Sie,
ders nett. Ich bin nicht empfindlich gegen Kritik. dem soeben schon gesagt worden ist, daß er da-
Ich möchte hier meine Bereitschaft zur Zusammen- mals gar nicht dabei war, mit diesen simplifizieren-
arbeit wiederholen. Es geht nur nicht, daß man den Darstellungen von Debatten in diesem Hause
fachlich-sachlich und freundschaftlich-kollegial im aufhören, die vor anderhalb Jahrzehnten unter völ-
Verteidigungsausschuß — das Plenum ist ja heute lig anderen außenpolitischen Voraussetzungen ge-
ein Ausschußersatz geworden durch vielerlei Bei- führt wurden. Ich will gar nicht weiter darauf ein-
träge, ich kann nicht dafür — über alles mögliche gehen, und ich polemisiere jetzt gar nicht.
freundlich redet und dann draußen Reden hält, Ar-
tikel schreibt und Interviews gibt, die im Grunde Ich bin damit am Schluß. Ich habe, so denke ich,
eine solche Art der Zusammenarbeit unterminieren bis zum heutigen Tage niemandem in der Opposi-
müssen. tionsfraktion Grund gegeben — weder durch das,
was ich in der Öffentlichkeit gesagt oder geschrie-
Wenn jemand gesagt hat, die Bestandsaufnahme ben habe, noch durch das, was ich hier im Parlament
dürfe nicht zu einer Verhinderung von Novellie- geäußert habe —, sich in Fragen Sicherheitspolitik
rungsgesetzen werden, so kann ich dazu nur sagen: oder Bundeswehr verletzt zu fühlen. Ich bitte mir
Wenn ich diesen Satz in den Mitteilungen für die nachzusehen, daß ich es, nachdem ich in den letz-
Truppe abdruckte, würde die halbe Armee darüber ten Wochen und Monaten vielerlei Böses habe
lachen, und die andere Hälfte würde sich darüber lesen müssen, allerdings heute einmal für notwen-
wundern. Denn in Wirkli chkeit weiß doch jeder in dig hielt, darauf zu anworten — nicht zuletzt des-
der Armee, daß Herr Ho ogen recht hat mit dem, halb, um zu zeigen, daß ich es notfalls immer noch
was er nach seinem Ausscheiden aus dem Amt ge- kann. So ist es nicht. -
sagt hat. Als er ein freier Mann geworden war,
hat er ausweislich der „Rheinischen Post" auf einer (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)
Veranstaltung eines Arbeitskreises der Christlich
Aber schön ist es nicht, wenn man so miteinander
Demokratischen Union gesagt — es sollen dort reden muß. Meine Bereitschaft haben Sie, sofern
herbe Worte der Kritik von seiner Seite gefallen in Zukunft bei gewissen Presseverlautbarungen und
sein; das will ich alles offenlassen, ich zitiere nur Interviews Ihrer Seite ein bißchen mehr Sorgfalt
das, was hier in Gänsefüßchen abgedruckt ist —, waltet. Ich meine damit gar nicht Herrn Kiesinger;
Sie hätten die Probleme, auf seine eigene Partei denn ihn habe ich als einen Sicherheitspolitiker nie
gemünzt, die jetzt im Weißbuch behandelt werden, ernst genommen.
schon vor Jahren aufgreifen müssen. „Hier ist viel
versäumt worden." So ist es. (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2811

Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der als diese Bundeswehr zu hegen, zu pflegen, zu för-
Abgeordnete Wörner. dern und immer weiter zu entwickeln.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Dr. Wörner (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Herr Schmidt, lassen Sie mich das sagen: Es ist
sehr verehrten Damen und Herren! Ich bedaure es wohl kaum je ein Minister in den ersten Monaten
an sich, die Debatte noch einen kleinen Moment seiner Amtsführung so glimpflich und so fair und
verlängern zu müssen. Ich hätte wirklich gewünscht, schonend behandelt worden wie Sie.
Herr Schmidt, daß wir nicht nur uns, sondern vor
(Lachen bei der SPD.)
allen Dingen auch Abwesenden dieses Maß an Pole-
mik ersparen, mit dem Sie sich selbst ununterbro- Ich gehöre zu denen, und das sage ich jetzt nicht
chen Lügen strafen. Man kann nicht auf der einen polemisch, die immer und immer wieder auch drau-
Seite in einer Weise, wie Sie es eben getan haben, ßen vor der Truppe sagen: Ich bin gar nicht unglück-
empfindlich auf sicher gelegentlich polemische lich darüber, daß einmal ein Sozialdemokrat als
Äußerungen reagieren, und dann andererseits dn Bundesverteidigungsminister das sagen kann und
einer so massiven und abwertenden Weise auf Mit- sagen muß, was wir hier gehört haben; beispiels-
glieder dieses Hohen Hauses zu sprechen kommen. weise, daß der Soldat in der Lage sein muß zu kämp-
fen, damit er nicht kämpfen muß. Wann hätten wir
Im übrigen, so glaube ich, hat es gerade der von das je in dieser Form von diesem Podest von einem
Ihnen zuletzt genannte Politiker am allerwenigsten sozialdemokratischen Bundesminister sonst zu hören
nötig, von mir Ihnen gegenüber in Schutz genom- bekommen?
men zu werden. Ich wünschte mir, Sie würden als
Verteidigungsminister dermaleinst so viel leisten, (Abg. Fellermaier: Aber Herr Wörner,
wie dieser Mann im Deutschen Bundestag und in machen Sie doch keine Geschichtsklitterung
hier!-Weiterer Zuruf der d e r SPD : Ich
der Regierung geleistet hat. Dann könnten wir alle
zu einem sehr positiven Urteil über Sie kommen. lasse Ihnen mal Auszüge zukommen!)

(Beifall bei der CDU/CSU. — Widerspruch Deswegen haben Sie an sich keine Ursache, zu kla-
bei der SPD.) gen. Ich bin der Meinung und gebe das ganz offen
zu, daß nicht alle Polemik hin und her in dieser
Lassen Sie mich einiges zurechtrücken und auch Debatte der Bundeswehr und der Debatte über das
ein bißchen die Fronten in diesem Gefecht klären. Weißbuch genützt hat. Das gilt sicherlich gleicher-
Ich habe den Eindruck, daß die Fronten am Schluß maßen für alle Seiten des Hauses. Ich stimme Ihnen
ein wenig verschwommen sind. Lassen Sie mich völlig zu, wenn Sie sagen, wir müßten hier ver-
auch noch ein paar Dinge herausgreifen, die mei- suchen, gerade was die Bundeswehr anlangt, klein-
nes Erachtens unbeantwortet im Raum stehenge- karierte Polemik aus dem Spiel zu lassen. Aber
bliensd. genauso, wie ich selber diese Meinung gern be-
herzigen möchte, muß ich Sie bitten, sich dann eben-
Zunächst zu meiner persönlichen Bemerkung. Ich falls in der Wahl Ihrer Worte und in der Wahl Ihrer
weiß nicht, ob Sie der Debatte ausreichend gefolgt Polemik selbst zu disziplinieren. Dafär haben Sie in
sind, um zu wissen, aus welcher Situation heraus dieser Debatte, so glaube ich, einige Beispiele ge-
ich die Zwischenfrage gestellt habe, ob es der Inte-
liefert.
gration der Bundeswehr in diese Gesellschaft ge-
dient hat, daß der Soldat in seiner Funktion von Aber nun zur Klärung der Fronten. Ich darf noch
- das können Sie im Protokoll nachlesen — ein- einmal zusammenfassen, damit. hier nichts Falsches
zelnen Sozialdemokraten während vergangener stehenbleibt, wo wir die Bundesregierung, den Bun-
.Jahrzehnte laufend verketzert worden ist. Das desverteidigungsminister unterstützen. Bei all den
trifft nicht Sie. Diese Frage muß aber erlaubt sein, Maßnahmen, die im Verteidigungsweißbuch in recht
wenn man von eben der Partei, die zunächst ein- brauchbarer, nützlicher Form zusammengestellt sind
mal die Ohne-mich-Stimmung hochgekurbelt und und die dazu dienen, wie Sie es mit Recht hervor-
sich dann auf diese gestützt hat, zu hören bekommt, gehoben haben, die psychologische Situation, die
daß man nicht genug für diese Bundeswehr getan innere Lage der Bundeswehr zu bessern; bei all den
habe, die man selbst zunächst einmal doch gar nicht Maßnahmen, bei denen es darum geht, die Stellung
wollte. Das bezieht sich gar nicht auf die Debatte des Soldaten in dieser Gesellschaft, also nicht nur
hier im Bundestag. die soziale, sondern auch die gesellschaftliche Stel-
lung, aufzubessern, haben Sie unsere Unterstützung,
(Beifall bei der CDU/CSU.) und zwar unsere uneingeschränkte Unterstützung.
Herr Schmidt, wenn lauter Sozialdemokraten Ich stehe nicht an zu sagen, daß mir das Weißbuch
Ihres Schlages und, was die Bundeswehr anlangt, gefallen hat, aus verschiedenen Gründen, zumindest
Ihrer Stellung und Ihrer Courage gegenüber der in dem Teil — auf das andere komme ich noch —, der
Bundeswehr und Ihrer eigenen Partei schon in den sich mit der inneren Lage der Bundeswehr befaßt.
Anfangsjahren vorhanden gewesen wären, dann Was mir besonders gefallen hat - ich weiß nun
hätte ich weder die Notwendigkeit gefühlt noch die nicht, ob das Ihre Handschrift ist, ich will Ihnen gern
Möglichkeit gehabt, eine solche Zwischenfrage zu diesen Lorbeer lassen, oder ob das die Handschrift
stellen. Aber es ist doch einfach unerhört, wie man eines Mannes ist, der hinter Ihnen sitzt —, ist das
so tut, als ob die Sozialdemokratie seit Gründung gute Deutsch, in dem dieses Weißbuch abgefaßt ist.
der Bundeswehr keine andere Sorge gehabt habe, Das darf man in diesem Saal auch einmal sagen.
2812 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970

Dr. Wörner
Ich bin auch dankbar dafür — ich wiederhole es —, Hier widerspreche ich Ihrer Aussage auf das ener-
daß Sie hier ausgeführt haben, daß der Soldat für gischste. Es darf einfach nicht vorkommen, daß die
sich in Anspruch nehmen kann, Friedensdienst zu Bundeswehr gelegentlich auf unflätige Weise in Zei-
leisten. Es ist ja längst nicht mehr so, daß bei uns der tungen angegriffen wird, ohne daß das Verteidi-
Kriegsdienstverweigerer derjenige wäre, der im gungsministerium die Notwendigkeit empfindet, sich
Ghetto ist und sich verteidigen muß, den man an- vor die Soldaten zu stellen und Anwürfe, die nicht
klagt. Heute ist es doch so, daß man dem Wehr- berechtigt sind, zurückzuweisen.
pflichtigen, der seiner Wehrpflicht genügt, zu sugge-
rieren versucht, daß er das nur schlechten Gewissens (Beifall bei der CDU/CSU.)
tun könne. Nein, er kann beanspruchen, daß er für
Da könnte ich Ihnen Beispiele nennen. - Das war
den Frieden mindestens ebensoviel tut, wie der, der
Einwand Nummer eins.
den Wehrdienst verweigert.
(Beifall bei der CDU/CSU.) Einwand Nummer zwei. Es läßt sich nicht ganz so
einfach darüber hinwegreden, Herr Schmidt, daß die
Auch da gibt es, wie gesagt, zwischen uns und zwi-
Umschichtung von Mitteln und die sogenannte
schen Ihnen, zwischen den Koalitionsfraktionen und
Streckung des Verteidigungsetats, vor allen Dingen
der Opposition, keinerlei Streit.
des Rüstungsprogramms, ganz erhebliche Auswir-
Wir sollten diese Debatte auch nicht so auffassen, kungen hat. Das hat auch der Kollege Zimmermann,
daß in diesen Punkten und in unserer Einigkeit hier wie ich glaube, in vortrefflicher Form, und zwar un
auch nur der leiseste Ton der Diskrepanz auftaucht, polemisch, gefragt. Die Bundeswehr wird Not lei-
denn das würde dieser Bundeswehr sicherlich nichts den, und ich möchte sogar behaupten, daß auf lange
nützen, sondern ganz im Gegenteil. Hier wünsche ich Frist nicht nur die Schlagkraft dieser Truppe dar-
Ihnen ich sagte es Ihnen schon in einer Fernseh- unter leiden könnte, sondern ganz sicher auch das
sendung, ich sage es hier noch einmal — unab- Betriebsklima der Bundeswehr. Denn ich habe immer
hängig von der Partei, der Sie angehören, persönlich wieder feststellen können, daß die guten jungen
vollen Erfolg, und zwar nicht um Ihretwillen - so Soldaten und auch die guten älteren Soldaten etwas
uneigennützig bin ich gerade auch nicht , sondern leisten wollen und daß sie gegenüber den Möglich-
um der Bundeswehr willen. Ich würde das jedem keiten und Waffen, die man ihnen an die Hand
anderen Verteidigungsminister gleichermaßen sa - gibt, ungemein kritisch sind. Sie wollen keine Papp-
gen. Da hat mein Kollege Klepsch recht: Sie haben kameraden spielen, sondern wollen wissen, daß sie
das Glück, eine Opposition zu haben, die in diesen so ausgerüstet sind, daß sie ihren Auftrag erfüllen
Punkten hundertprozentig und, wenn es sein muß, können.
auch gegen Ihre eigene Partei hinter Ihnen steht.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der Da könnte es sehr wohl sein, daß die Streckung,
SPD: Überheblichkeit!) die, wie ich glaube, gar nicht so einfach aufzuholen
sein wird, wie Sie es skizziert haben, dazu führt,
Nun lassen Sie mich noch einmal die drei oder daß gerade die Besten in der Bundeswehr anfangen,
vier zentralen Einwände wiederholen, die nach die- an ihrer Waffe, an ihrem Auftrag und an ihrer Auf-
ser Debatte und nach Ihrer Antwort, Herr Bundes- gabe zu zweifeln.
verteidigungsminister, bei meiner Fraktion und mir
zurückgeblieben sind. Ich sage Ihnen darum - ich sage das mehr als
Bitte -: Überlegen Sie sich gut, ob nicht unsere An-
Zunächst einmal sagten Sie, diese Bundeswehr
merkung jenseits aller parteipolitischen Polemik der
habe es nicht nötig, daß man laufend Bekenntnisse
berechtigten Sorge um die Abschreckungskraft, die-
zu ihr ablege. Wenn das ein Mann wie Sie sagt,
ses Bündnisses und dieser Bundeswehr entspricht.
nehme ich ihm das ab. Nur glaube ich nicht, daß das
Denn Sie selbst sind ja einer derer, die immer wie-
die tatsächliche Lage der Bundeswehr und die Not-
der von der Abschreckungswirkung der Bundeswehr
wendigkeiten trifft. Ich beobachte immer wieder —
mit Recht gesprochen haben und ein Buch darüber
und ich lasse mich hier gern als Lobbyist der Bun-
geschrieben haben, das ich, wenn ich Ihnen das
deswehr, als ein Reservist der Bundeswehr bezeich-
hier sagen darf, für gut halte.
nen -, daß Soldaten unterschiedlicher Range, bis
gelegentlich hoch zu Generälen, aber auch herunter Sie haben diesen Punkt dann ein bißchen, wie ich
bis zu den Unteroffiziersanwärtern, so möchte ich glaube, zu sehr herabgespielt: man brauche nicht
einmal sagen, res erleben müssen, daß Politiker in das meiste und beste und nicht überzüchtetes Ge-
ihren Veranstaltungen beispielsweise sehr viel mehr rät usw. Ich weiß nicht, ob Sie da nicht aus der Not
-
Zeit, Energie und Raum darauf verschwenden, über eine Tugend gemacht haben. Diese Frage, Herr
populäre Maßnahmen zu reden, darüber, daß man Schmidt, müssen Sie uns in diesem Hause oder im
Straßen und Schulen bauen müsse usw. — darüber Ausschuß noch sehr viel eingehender beantworten,
sprechen wir ja alle —, daß sich aber kaum jemand als Sie das bis jetzt getan haben.
mehr bereit findet, der Bevölkerung zu sagen,
warum diese Bundeswehr nötig ist und daß der Ich will es mir versagen, auf die MRCA-Ge-
Preis, den wir für die Freiheit zahlen müssen, der schichte einzugehen. Ich teile Ihre Auffassung: Die-
Dienst in der Bundeswehr ist. Die Bundeswehr fühlt, ses Ding ist viel zu heikel, als das es hier in aller
daß diese Courage querbeet nicht mehr besteht. Das Breite diskutiert werden sollte. Ich persönlich bin
ist weder allein an Sie noch allein an uns gesagt, überdies in Ihren Augen ja befangen, weil ich
sondern das geht uns alle an. Lobbyist dieser Teilstreitkraft bin.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode —54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2813
Dr. Wörner
Ich möchte bloß drei Dinge ganz kurz dazu sagen. Ich finde, es ist bei manchen Ihrer Parteifreunde
Mir ist es unverständlich, — — eine ganz charakteristische Gefahr, daß man sich
(Abg. Buchstaller: Wieviel Redezeit hat der nicht mehr traut, in aller Ausführlichkeit davon zu
denn?) sprechen, was eintreten könnte, wenn sich die Ab-
— Wenn es Ihnen unangenehm ist, Herr Buchstaller, sichten der russischen Führung von heute auf mor-
mich anhören zu müssen, — — gen ändern, wenn man das Potential sieht, das die-
ser Regierung zur Verfügung steht. Denn davon
(Zuruf von der SPD: Nein! Langweilig ist geht langfristig aus — das können Sie gar nicht ver-
es!) hindern —, daß die Verteidigungsbereitschaft in un-
— Ausgezeichnet! serem Volk nachläßt.
(Abg. Fellermaier: Sie waren doch Parla (Glocke des Präsidenten.)
mentsreformer in Ihrer Fraktion!) Ich möchte damit schließen, daß ich Ihnen sage:
— Wenn Sie mich schon als Parlamentsreformer Es war nicht gut, auf den Wehrbeauftragten Hoogen
apostrophieren — ich habe mir diesen Titel nicht und sein Zitat zu sprechen zu kommen. Ich könnte
gegeben —, wenn Sie das schon tun, dann möchte dem ein anderes Zitat entgegensetzen, das Sie in
ich Ihnen etwas sagen: seinem Bericht nachlesen können, wonach der letzte
Bundestag von 65 Gesetzen für die Bundeswehr 55
(Zuruf von der SPD: Das ist ja zum
verabschiedet hat.
Gähnen!)
Ich persönlich meine aber: Es kann um die Bun-
zur Parlamentsreform gehört nach Ihren eigenen
deswehr nur einen einzigen Wettstreit zwischen
Beteuerungen doch die Chancengleichheit von Re-
uns geben, nämlich den Wettstreit des Handelns.
gierung und Opposition.
Das Weißbuch ist, wie ich glaube, auf der Basis der
(Zuruf von der SPD.) inneren Situation eine brauchbare Arbeit. Wir soll-
ten darin — und in nichts anderem —, wetteifern,
Und jetzt zählen Sie bitte zusammen, wie lange der
aus diesem Vorhaben Gesetz werden zu lassen. Ich
Bundesverteidigungsminister und der Bundeskanz-
ler zusammen gesprochen haben! Sie werden uns bin sicher, daß die CDU/CSU bei einem solchen
dann erlauben, daß wir dazu wenigstens noch einige Wettbewerb nicht schlecht abschneiden wird.
Ausführungen machen. (Beifall bei der CDU/CSU.)
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von der
SPD: Es kommt darauf an, was Sie sagen!) Vizepräsident Dr. Schmid: Wird das Wort
Herr Schmidt, ich glaube, Sie haben recht, wenn noch gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
Sie sagen, Sie wehren sich, vorschnelle Entscheidun- Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ältesten-
gen zu treffen. Aber es bleibt der Widerspruch be- rat schlägt Ihnen vor, die Vorlage an den Verteidi-
stehen, daß Sie dennoch eine Entscheidung getrof- gungsausschuß zu überweisen. Ist das Haus einver-
fen haben, nämlich die, soundso viele nicht zu standen? — Kein Widerspruch; es ist so beschlos-
bauen. Ich wünschte mir, Sie hätten auch diese Ent- sen.
scheidung zurückgestellt; denn Sie werden fest-
stellen: Es bleibt Ihnen nichts anderes übrig, als Ich rufe Punkt 2 der Tagesordnung auf:
diese Entscheidung in der einen oder anderen Form Beratung des Schriftlichen Berichts des Ver-
zu korrigieren; denn sonst sind bis zu dem Jahr, in teidigungsausschusses (11. Ausschuß) über
dem Sie die 400 haben, so viele vom Himmel ge- den Jahresbericht 1969 des Wehrbeauftrag-
fallen, die Sie erneuert haben müssen, daß die ten des Bundestages
Kosten wahrscheinlich noch beträchtlich höher wer-
den. Ich möchte das, wie gesagt, nicht ausführen; ich — Drucksachen VI/453, VI/800 —
sage es Ihnen hier bloß in der Form einer Prophe- Berichterstatter: Abgeordneter Rommerskir-
zeiung. Wir werden uns im Ausschuß darüber wei- chen
ter unterhalten.
Es liegt ein Schriftlicher Bericht vor. Er soll offen-
Eine letzte Bemerkung und eine letzte Einschrän- bar nicht mündlich ergänzt werden. Die Fraktionen
kung: Es war mir sehr interessant, von Ihnen zu haben vereinbart, sich mit Erklärungen zu begnü-
hören, daß Sie persönlich bei der Wortwahl und bei gen.
der Darstellung der potentiellen Bedrohung aus dem
Das Wort zu der ersten Erklärung hat der Abge- -
Osten sich offensichtlich anderer Worte bedienen
ordnete Ernesti.
und von anderen Motiven getragen sind als von
denen, wie sie uns, wie ich finde, in einem muster-
haften Stil der Kollege Wienand dargestellt hat. Ernesti (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr
Ich meine das gar nicht polemisch. Erinnern Sie sich verehrten Damen und Herren! Wir haben uns ver-
an den Haupteinwand des Barons von Guttenberg ständigt, daß wir den Bericht des Wehrbeauftragten
gegenüber der neuen Ostpolitik: man glaubt, da- nicht mehr diskutieren. Ich gebe im Namen meiner
durch, daß man die Dinge nicht mehr beim Namen Freunde eine Erklärung ab.
nennt, die anderen zum Nachgeben bewegen zu Wir haben Verständnis für den Wunsch, daß der
können. Man glaubt also, durch Wortwahl den Be- Bericht des Wehrbeauftragten für 1969 hier noch
wußtseinswandel herbeireden zu können! einmal ausführlich diskutiert werden sollte. In den
2814 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970
Ernesti
vergangenen Jahren ist häufig Kritik an diesem die schwachen Stellen verfolgen, damit die Jahres-
Hause geübt worden, weil den Beratungen keine berichte zu einem Instrument werden, das uns zu-
genügende Beachtung geschenkt wurde. Nach dem verlässige Kriterien für die Situation der Bundes-
Verlauf der Diskussion am heutigen Tage halten wir wehr im zeitlichen Ablauf liefert.
eine erneute Debatte nicht für angebracht. Parlament und Regierung wird man auch daran
Ich erinnere daran, daß der Bericht in seinen we- messen können, in welchem Maße der dynamischen
sentlichen Punkten bereits bei der Verabschiedung Entwicklung Rechnung getragen wird, in der sich
des Wehrbeauftragten Hoogen diskutiert worden die Bundeswehr als ein wesentlicher Bestandteil
ist. Wir haben ihm den Dank ausgesprochen; ich unserer Gesellschaft befindet.
wiederhole ihn namens meiner Freunde. Unab- Die SPD-Fraktion nimmt den Antrag des Vertei-
hängig von der heutigen Auffassung bleibt es bei digungsausschusses an.
unserer grundsätzlichen Einstellung, die Berichte
des Wehrbeauftragten in diesem Parlament jährlich (Beifall bei der SPD.)
ausführlich zu diskutieren.
Wir werden dem Antrag des Ausschusses die Zu- Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
stimmung geben. Abgeordnete Jung.

(Beifall bei der CDU/CSU.)


Jung (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr geehr-
ten Damen und Herren! Nachdem ich bereits am
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der 11. März die grundsätzliche Stellungnahme meiner
Abgeordnete Horn. Fraktion, der Freien Demokraten, zum Bericht des
Wehrbeauftragten abgegeben habe, möchte ich mich
Horn (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen und jetzt wie meine Vorredner auf die Abgabe einer
Herren! Für die Bundestagsfraktion der SPD möchte kurzen Erklärung beschränken.
ich folgende Erklärung abgeben.
Ich unterstütze namens der Freien Demokraten
Die Bundestagsfraktion der SPD hält es nicht für den Antrag des Ausschusses in allen drei Punkten
zweckmäßig, nach der ausführlichen Debatte über und begrüße besonders, daß diejenigen Teile des
das Weißbuch des Verteidigungsministers noch eine Jahresberichts 1969, die von grundsätzlicher Be-
Diskussion über den Bericht des Wehrbeauftragten deutung sind, in einer Broschüre zusammengefaßt
für das Jahr 1969 anzuschließen. In der voraus- werden sollen, um damit der Öffentlichkeit inter-
gegangenen Debatte wurden auch die im Bericht essantes Material an die Hand zu geben, damit sie
des Wehrbeauftragten dargestellten zentralen Sach sich mit den Problemen innerhalb der Bundeswehr
verhalte diskutiert. beschäftigen kann und eine objektive und sachliche
Information bekommt.
Außerdem stehen wir in diesem Jahr vor der be-
sonderen Situation, daß durch den Wechsel im Amt Ich begrüße aber auch, daß der neue Wehrbeauf-
des Wehrbeauftragten der Bericht für das Jahr tragte die Arbeit seines Vorgängers bereits weiter-
1969 nicht mehr vom Verfasser vor dem Parlament entwickelt und, wie ich der Presse mit Freude ent-
vertreten werden kann. Die SPD-Fraktion dankt nommen habe, neue Wege beschritten hat, nämlich
dem ausgeschiedenen Wehrbeauftragten für die sich durch unangemeldete Besuche bei den Truppen-
vielen Anregungen und Empfehlungen, die in dem teilen aus eigener Anschauung zu informieren und
Bericht ihren Niederschlag gefunden haben. Wir damit nicht immer nachher zu kommen, sondern die
begrüßen es, daß wesentliche Punkte Eingang in Zustände in der Bundeswehr durch diese Besuche
das Weißbuch gefunden haben und daß das Weiß- schon von vornherein möglicherweise positiv zu
buch an entscheidenden Stellen Amt und Bericht beeinflussen.
des Wehrbeauftragten würdigt. Ich begrüße auch, daß sich der Herr Minister in der
Wir bitten den neugewählten Wehrbeauftragten, heutigen Debatte über das Weißbuch, und zwar
den für das Jahr 1970 zu erstellenden Bericht recht- mit Engagement, die auch im Bericht des Wehr-
zeitig vorzulegen, damit er entsprechend seiner beauftragten geforderte Studienfürsorge in seinen
Wichtigkeit für die Bundeswehr und für das Par- Ausführungen zu eigen gemacht und die Länder dazu
lament eingehend in diesem Hause diskutiert wer- aufgefordert hat, gerade auf diesem Gebiet Wege
den kann. zu beschreiten, um die Ungerechtigkeiten, die der
Wehrbeauftragte in diesem Bereich aufgezeigt hat,
Das Amt des Wehrbeauftragten wurde auf Initia- zu beseitigen. -
tive der sozialdemokratischen Bundestagsfraktion
geschaffen. Wir sind sicher mit den Soldaten der Die zivilberufliche Wiedereingliederung der Sol-
Bundeswehr der Auffassung, daß dieses Amt seine daten und auch der Offiziere auf Zeit ist im Bericht
Bewährungsprobe bestanden hat und als Einrich- des Wehrbeauftragten ebenso wie in den Debatten,
tung des Parlaments für die Soldaten nicht mehr die wir vorher geführt haben, angeführt worden,
wegzudenken ist. Mit Bedacht hat Fritz Erler den und wir begrüßen, daß auch das Eingang in die
Wehrbeauftragten einen Parlamentsbeauftragten ge- Broschüre findet.
nannt, der Auge und Ohr der Volksvertretung in Eine Bitte hätte ich an das Ministerium, näm-
den Streitkräften zu sein hat. Wir werden mit beson- lich die versprochene Überprüfung in einem Gesamt-
derer Aufmerksamkeit in einer vergleichenden Be- paket im Zusammenhang mit der Soldatenversor-
trachtung auch die Entwicklung der Hinweise auf gung möglichst rasch vorzulegen, damit wir im
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2815
Jung
Verteidigungsausschuß Beschlüsse fassen können, Ich lese am besten die drei Punkte vor:
die im Sinne des Berichts des Wehrbeauftragten lie- Der Bundestag wolle beschließen:
gen. Eine weitere Bitte geht dahin, möglichst rasch
auch die Reservistenkonzeption aufzustellen, damit 1. Der Jahresbericht 1969 des Wehrbeauftrag-
die im Bericht des Wehrbeauftragten angesproche- ten — Drucksache VI/453 — wird zur Kennt-
nen Probleme bei den Wehrübungen der Reservisten nis genommen. Der Bundestag dankt dem
sobald wie möglich durch eine entsprechende Kon- Wehrbeauftragten für seine Arbeit im Be-
zeption bereinigt werden. richtsjahr.
2. Die in dem Bericht enthaltenen Empfehlun-
Meine Damen und Herren, ich möchte abschließend
gen werden für die weitere die Bundeswehr
folgendes sagen. Ich wünschte mir ich glaube,
fördernde Arbeit der Bundesregierung ver-
ich spreche hier in Ihrer aller Namen —, daß das bunden mit dem Wunsche nach Prüfung und
Interesse der Politiker an den Problemen der Bun-
Erwägung, zur Kenntnis gebracht.
deswehr größer würde. Ich möchte noch einmal den
schon am 11. März ausgesprochenen Dank an den 3. Der Bundestag wird die Teile des Jahres-
in der Zwischenzeit ausgeschiedenen Wehrbeauf- berichts 1969 von grundsätzlicher Bedeutung
tragten wiederholen und seinem Nachfolger Glück in einer Broschüre zusammenfassen und her-
in der Fortsetzung des beschrittenen Weges wün- ausgeben lassen.
schen. Ist das Haus einverstanden? — Das ist der Fall.
(Beifall hei den Regierungsparteien.) Damit ist die heutige Tagesordnung erledigt.
Ich berufe die nächste Plenarsitzung auf morgen,
Mittwoch, den 3. Juni 1970, 8 Uhr, ein.
Vizepräsident Dr. Schmid: Weitere Wortmel- Ich schließe die heutige Sitzung.
dungen liegen nicht vor. Das Wort wird nicht weiter
gewünscht. (Schluß der Sitzung: 21 Uhr.)
Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode - 54. Sitzung. Bonn, Dienstag, den 2. Juni 1970 2817

Anlage zum Stenographischen Bericht

Liste der beurlaubten Abgeordneten Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich


Dr. Meinecke (Hamburg) 3. 6.
Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich
Dr. Müller (München) * 4. 6.
a) Beurlaubungen Müller (Remscheid) 6. 6.
Pfeifer 4. 6.
Dr. Ahrens * 4. 6. Pöhler * 4. 6.
Alber * 4. 6. Richter * 4. 6.
Amrehn * 4. 6. Dr. Rinderspacher * 4. 6.
Bals * 4. 6. Roser * 4. 6.
Bauer (Würzburg) * 4. 6. Dr. Rutschke * 4. 6.
Benda 2. 6. Dr. Schmücker * 4. 6.
Berberich 5. 6. Dr. Schulz (Berlin) * 4. 6.
Dr. Birrenbach 8. 6. Sieglerschmidt * 3. 6.
Blumenfeld * 4. 6. Strauß 2. 6.
Frau Dr. Diemer-Nicolaus * 4. 6. Frau Dr. Walz * 4. 6.
Dr. Dittrich ** 2. 6. Werner 2. 6.
Draeger * 4. 6. Zebisch 3. 6.
Dr. Erhard 7. 6. Zoglmann 5. 6.
Fritsch * 4. 6.
Dr. Furler * 4. 6. b) Urlaubsanträge
Dr. Gölter 2. 6.
Bartsch 20. 6.
Frau Herklotz * 4. 6.
Dr. Jenninger 21. 6.
Dr. Hermesdorf (Schleiden) * 4. 6.
Säckl 21.6.
Heyen 6. 6.
Schmidt (München) 19. 6.
Hösl * 4. 6.
Katzer 5. 6.
Dr. Kempfler * 4. 6.
Frau Klee * 4. 6. *Für die Teilnahme an einer Tagung der Versammlung
Freiherr von Kühlmann-Stumm 2. 6. der Westeuropäischen Union
Lenze (Attendorn) * 4. 6. ** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Euro-
Dr. Martin 5. 6. päischen Parlaments

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