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77. Sitzung
Inhalt:
Absetzung des Punktes 9 von der Tages- Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
ordnung 4265 A über den Vorschlag der Kommission für
eine Richtlinien des Rates über das ge-
Erweiterung der Tagesordnung 4265 B meinsame Steuersystem für Mutter- und
Tochtergesellschaften verschiedener Mit-
Überweisung von Vorlagen an Ausschüsse 4265 B gliedstaaten (aus Drucksache V/3774,
Drucksache VI/1344), mit
Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . 4265 C
Mündlicher Bericht des Haushaltsausschus-
ses über die Entschließung des Euro-
Begrüßung des Präsidenten des Parlaments päischen Parlaments zu den vom Rat der
der Republik Gambia . . . . . . . 4275 B Europäischen Gemeinschaften festgeleg-
ten Bestimmungen
Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluß zur Ersetzung der Finanzbeiträge der
des Rates der Europäischen Gemeinschaf- Mitgliedstaaten durch Eigenmittel der
ten vom 21. April 1970 über die Erset- Gemeinschaften
zung der Finanzbeiträge der Mitglied-
zur Änderung bestimmter Haushaltsvor-
staaten durch eigene Mittel der Gemein-
schriften der Verträge zur Gründung der
schaften (Drucksachen VI/880, zu 880) ;
Europäischen Gemeinschaften und des
Schriftlicher Bericht des Haushaltsaus-
Vertrages zur Einsetzung eines gemein-
schusses (Drucksache VI/ 1374) — Zweite
samen Rats und einer gemeinsamen Kom-
Beratung und Schlußabstimmung — in
mission der Europäischen Gemeinschaf-
Verbindung mit
ten (Drucksachen VI/915, VI/1369) und mit
Anlage 16 Anlage 24
Schriftliche Antwort auf die Mündliche Zusätzliche Schriftliche Antwort auf die
Frage des Abg. Dr. Müller-Hermann Schriftlichen Fragen des Abg. Dr. Rutschke
(CDU/CSU) betr. reale Zuwachsraten im (FDP) betr. Verbesserungen für die in
Bundesfernstraßenbau 1971 4328 D Polen verbleibenden Personen deutscher
Muttersprache 4331 D
Anlage 17
Anlage 25
Schriftliche Antwort auf die Mündlichen
Fragen des Abg. Dr. Aigner (CDU/CSU) Schriftliche Antwort auf die Schriftliche
betr. Installierung von Zweitapparaten Frage des Abg. Rollmann (CDU/CSU)
für Posthalter . . . . . . . . . . 4329 A betr. Regelung der Probleme der in Po-
len lebenden Deutschen . . . . . . . 4332 A
Anlage 18 Anlage 26
Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen
Fragen des Abg. Schmidt (München)
Fragen des Abg. Lemper (SPD) betr. den
(SPD) betr. Fehlbestand der Bundespost
beamtenrechtlichen Status und die Be-
an Ingenieuren und Besserstellung dieser
soldung der Rechtspfleger 4332 B
Ingenieure 4329 B
Anlage 27
Anlage 19
Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen
Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Fragen des Abg. Niegel (CDU/CSU) betr.
Fragen des Abg. Varelmann (CDU/CSU) Geruchsbelästigungen durch eine Tierkör-
betr. Baukostenentwicklung und eigen- perverwertungsanstalt in Forchheim . . 4332 C
tumspolitische Bemühungen der Woh-
nungs- und Vermögenspolitik . . . . 4329 C
Anlage 28
Anlage 33 Anlage 42
Schriftliche Antwort auf die Schriftliche Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen
Frage des Abg. Baier (CDU/CSU) betr. Fragen des Abg. Dr. Häfele (CDU/CSU)
Zusammenlegung der Oberfinanzdirek- betr. Gefahren eines Verbots gesund-
tionen Karlsruhe und Freiburg . . . . 4335 A heitsbezogener Werbung für Lebensmit-
tel 4338 C
Anlage 34
Anlage 43
Schriftliche Antwort auf die Schriftliche
Frage des Abg. Dr. Schmitt-Vockenhau- Schriftliche Antwort auf die Schriftliche
sen (SPD) betr. Anrechnung der Kassen- Frage des Abg. Burger (CDU/CSU) betr.
bestände der Kreditinstitute auf die bei Ausbau der Bundesstraße 33 4338 D
der Bundesbank zu haltenden Mindest-
reserven 4335 B Anlage 44
Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen
Anlage 35 Fragen des Abg. Schiller (Bayreuth) (SPD)
Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen betr. Stillegung des Reisezugverkehrs auf
Fragen des Abg. Dichgans (CDU/CSU) den Strecken Kirchenlamitz Ost—Wei-
betr. Beseitigung der Bandbreiten zwi- ßenstadt und Bayreuth—Hollfeld . . . 4339 B
schen den Währungen der Mitgliedslän-
der der europäischen Gemeinschaften — Anlage 45
Ausgabe von europäischen Münzen . . 4335 C
Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen
Fragen des Abg. Dr. Gatzen (CDU/CSU)
Anlage 36 betr. Frühzugpaar zwischen Bonn und
Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen Euskirchen und Nahschnellverkehr Bonn
Fragen des Abg. Kiechle (CDU/CSU) betr. —Euskirchen—Düren 4339 C
Unkostensteigerungen der Molkereibe-
triebe 4336 B Anlage 46
Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen
Anlage 37 Fragen des Abg. Dr. Hammans (CDU/
Schriftliche Antwort auf die Schriftliche CSU) betr. Mittel für die EB 7 (L 135)
Frage des Abg. Wende (SPD) betr. An- im Haushaltsjahr 1971 4339 D
passung des Weingesetzes an die EWG-
Weinmarktordnung . . . . . . . . 4336 C Anlage 47
Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen
Anlage 38 Fragen des Abg. Biechele (CDU/CSU)
Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen betr. Projekt einer Brücke über den Über
Fragen des Abg. Zebisch (SPD) betr. linger See 4340 B
Verwendung nicht bruchsicheren Glases
und anderer bruchunsicherer Werkstoffe Anlage 48
in Türfüllungen . . . . . . . . . 4337 A Schriftliche Antwort auf die Schriftliche
Frage des Abg. von Bockelberg (CDU/
Anlage 39 CSU) betr. Auffahrunfall auf der Bun-
Schriftliche Antwort auf die Schriftliche desautobahn Hannover—Oberhausen vor
Frage des Abg. Dr. Jungmann (CDU/ der Behelfsauffahrt Vennebeck . . . . 4340 D
CSU) betr. Prüfung von pflanzlichen Arz-
neistoffen und homöopathischen Arznei-- Anlage 49
mitteln 4337 C Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen
Fragen des Abg. Dr. Klepsch (CDU/CSU)
Anlage 40 betr. Bauarbeiten für die Südbrücke Kob-
Schriftliche Antwort auf die Schriftliche lenz von der B 327 bis zur B 42 — Ver-
Frage des Abg. Burger (CDU/CSU) betr. besserung der Verkehrsverhältnisse auf
Mittel für die Entwicklung eines neuarti- der B 9 im Bereich der Königsbacher
gen Geräts für blinde Programmierer . . 4337 D Brauerei 4341 A
Anlage 41 Anlage 50
Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen
Fragen des Abg. Geisenhofer (CDU/CSU) Fragen des Abg. Dröscher (SPD) betr.
betr. Anrechnung der Renten von Waisen Kriechspuren auf den Steigungsstrecken
aus der gesetzlichen Rentenversicherung Weinsheimer Stich und Steinhardter Stich
auf die Leistungen nach dem Ausbil- im Zuge der B 41 — Bau der Rheinbrücke
dungsförderungsgesetz . . . . . . . 4337 D bei Geisenheim . . . . . . . . . 4341 B
VI Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970
77. Sitzung
Meine Damen und Herren, ich darf zunächst nach- Erhebt sich gegen beabsichtigte Überweisung
tragen, daß Punkt 9 der Tagesordnung — zweite Widerspruch? — Ich stelle fest, daß dies nicht der
und dritte Beratung des von der Fraktion der Fall ist.
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Fünften
Gesetzes zur Änderung des Soldatenversorgungsge- Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden
setzes — nicht behandelt werden kann, da der Be- ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht
richt des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Ge- aufgenommen:
schäftsordnung nicht vorliegt. Der Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Fern-
meldewesen hat am 4. November 1970 die Kleine Anfrage der
Abgeordneten Leicht, Dr. Pohle, Franke (Osnabrück), Haase
Ich teile ferner mit, daß nach einer interfraktio (Kassel) und der Fraktion der CDU / CSU betr. Ertragslage von
Bundesbahn und Bundespost — Drucksache VI/1301 — beantwor-
nellen Vereinbarung die Tagesordnung um die in tet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/1381 verteilt.
der Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten Vorlagen Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat
ergänzt werden soll. -- Das Haus ist damit einver- am 4. November 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau
Dr. Henze, Burger, Frau Stommel und Genossen betr. Richt-
standen. Die Erweiterung der Tagesordnung ist da- linien für den Bundesjugendplan — Drucksache VI/1296 — be-
antwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/1382 verteilt.
mit beschlossen.
Die Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Vier-
ten Gesetzes zur Änderung des Eignungsübungsgesetzes wird
Es liegt Ihnen ferner eine Liste von Vorlagen vor, als Drucksache zu VI/1314 verteilt.
die keiner Beschlußfassung bedürfen und die nach
§ 76 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung den zustän- Wir treten dann in die Tagesordnung ein. Ich rufe
digen Ausschüssen überwiesen werden sollen: Punkt 25 der Tagesordnung auf:
Vorlage des Staatssekretärs des Auswärtigen Amts a) Zweite Beratung und Schlußabstimmung über
Betr.: Halbjahresberichte der Bundesregierung über die den von der Bundesregierung eingebrachten
Tätigkeit des Europarates und der Westeuropäischen
Union Entwurf eines Gesetzes zu dem Beschluß des
Bezug: Beschlüsse des Bundestages vom 22. Februar und Rates der Europäischen Gemeinschaften vom
28. April 1967 21. April 1970 über die Ersetzung der Finanz-
— Drucksache VI/1294 —
beiträge der Mitgliedstaaten durch eigene
zustandig: Auswärtiger Ausschuß
Mittel der Gemeinschaften
Vorlage des Generalsekretärs des Europäischen -Parlaments
Betr.: Entschließung zu den vom Gemischten Parlamenta-
— Drucksachen VI/880, zu VI/880 —
Bundeskanzler Brandt
dem sich auch andere so verhalten, geht es in un- Aufnahme von Verhandlungen mit den beitritts-
serem Teil Europas wieder voran, und zwar ohne willigen Ländern. Die Bundesregierung geht davon
daß es dazu wie in den 50er Jahren des Antriebs aus, daß die Verhandlungen, die bereits auf einem
einer akuten außenpolitischen Bedrohung bedarf. guten Wege sind, in der kürzestmöglichen Zeit zu
einem befriedigenden Ergebnis führen, d. h. zur
Die dem Hohen Hause zur Verabschiedung vor-
Vollmitgliedschaft Großbritanniens und der an-
liegenden Gesetze sind das Ergebnis langer und ge-
deren Staaten.
duldiger Beratungen. Dies gehört zu der Verpflich-
tung, die die Bundesregierung auf der Haager Gip- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
felkonferenz im Dezember vergangenen Jahres zu-
sammen mit ihren Partnern eingegangen ist. In den Der Beitritt dieser Länder wird die Wirtschaftskraft
Augen von Perfektionisten mag dies unvollkommen der Gemeinschaft vermehren, ihren sozialen Ausbau
sein. Tatsächlich sind sie, worauf auch schon der fördern und sie politisch stärken. Die Verhandlungen
Herr Berichterstatter hingewiesen hat, zwei neue mit den Staaten, die eine andere Form der Verbin-
wichtige Bausteine für den inneren Ausbau der dung mit der Gemeinschaft suchen, beginnen in die-
Europäischen Gemeinschaft. Die in der Finanzrege- sen Tagen. Die Bundesregierung wird sich auch hier
lung vorgesehenen eigenen Einnahmen der Gemein- für einen zügigen Verlauf einsetzen.
schaft stellen ein Stück vorweggenommener födera- Die große gemeinsame Aufgabe der 70er Jahre ist
tiver Ordnung dar. Mit der — wenn auch noch un- die Fortentwicklung der Gemeinschaft zur Wirt-
zulänglichen Erweiterung der Befugnisse des schafts- und Währungsunion. Wir müssen hier mit
Europäischen Parlaments wird ein Schritt in Rich- unseren Partnern entschlossene Schritte in die Zu-
tung auf eine Stärkung der demokratischen Basis kunft tun. Der von den Sechs zusammen mit der
getan. Kommission ausgearbeitete Stufenplan stellt in
Die Bundesregierung betrachtet diese beiden Ge- Wirklichkeit eine neue Magna Charta für die Ge-
setze als den Übergang in ein neues Jahrzehnt ineinschaft dar. Dies bedeutet u. a.: Die Einigung
westeuropäischer Politik, in dem die Gemeinschaft Europas darf nicht mißverstanden werden als Eini-
zu einer möglichst beispielhaften Ordnung entwik- gung zugunsten der jeweils höchsten Preise.
kelt wird, einer Lebensordnung, die ihre Anzie-
hungskraft nicht nur für die Völker, die ihr heute, Erforderlich sind weitgehende institutionelle Re-
und für jene, die ihr morgen angehören, wirken formen. Die Wirtschafts- und Währungsunion wird
läßt, sondern auch für andere Völker in Europa mit der seit langem geforderten Stärkung der Ge-
und in anderen Teilen der Welt. meinschaftsinstitutionen verbunden sein müssen.
Das parlamentarische Kontrollorgan muß verstärkt
(Beifall bei den Regierungsparteien.) werden. Es sollte auch in der Entwicklung, die vor
uns liegt, aus allgemeinen, unmittelbaren Wahlen
Wir schulden es nicht zuletzt der jungen Gene-
ration, daß wir der Gemeinschaft Inhalte geben und hervorgehen können.
Aufgaben stellen, zu denen sie sich bekennen kann. (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Dazu gehört, durch unser Tun deutlich zu machen,
daß für uns die Gemeinschaft mehr ist als nur ein Die Bundesregierung ist jedenfalls bereit, diesen
Zweckverband zur Befriedigung materieller Bedürf- Weg zu gehen und sich mit ihren Partnern ein zeit-
nisse. liches Ziel für die Durchführung der notwendigen
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Aufgaben zu setzen. Die Wirtschafts- und Währungs-
union wird Wachstum und Stabilität im größeren
Die Bundesregierung hat sich für dieses Jahr- Raum sichern. Diese Union wird, wenn sie ihren
zehnt insbesondere fünf Ziele gesetzt: Nutzen voll entfalten soll, von Fortschritten in ande-
— die baldige Erweiterung der Gemeinschaft um ren Bereichen begleitet sein müssen. Dazu gehören,
die beitrittswilligen Staaten, um nur einige wichtige Komplexe zu nennen, die Re-
form und Ausgestaltung der europäischen Agrar-
— die Errichtung der Wirtschafts- und Währungs- politik, die Ausarbeitung einer umfassenden, über
union, die die Römischen Verträge weiterführen die Römischen Verträge hinausführenden europä-
und vervollständigen soll, ischen Technologie-Politik, die Überwindung der
— die nun beginnende westeuropäische politische teilweise noch krassen Unterschiede in einzelnen
Zusammenarbeit so zu entwickeln, daß daraus eine Regionen der Gemeinschaft, eine Angleichung der
politische Gemeinschaft werden kann, Bildungspolitik und eine fortschrittliche europäische
(Sehr gut! bei der SPD) Sozialpolitik mit dem Ziel, die Gemeinschaft in die-
sem Jahrzehnt zum wrklich fortschrittlichen großen
— die Partnerschaft der Gemeinschaft mit Amerika Raum dieser Erde zu machen.
zu etablieren und auf angemessene Weise weltpoli-
tische Verantwortung zu übernehmen, Dringend notwendig erscheinen mir Maßnahmen,
die geeignet sind, das Wesen und die Vorteile der
— und nicht zuletzt den jeweils gegebenen Mög- Gemeinschaft für die einzelnen Bürger in den Part-
lichkeiten der Kommunikation und Kooperation nerstaaten unmittelbar sichtbar und fühlbar zu
mit den Staaten Osteuropas nachzugehen und sie machen. Eine Maßnahme, die in diese Richtung zielt,
im allseitigen Interesse zu nutzen. wäre die Abschaffung der Grenzkontrollen im Reise-
und Warenverkehr.
Meine Damen und Herren, zu den wichtigsten
Fortschritten der letzten zwölf Monate gehört die (Beifall bei den Regierungsparteien.)
4270 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970
Bundeskanzler Brandt
Die Bundesregierung wird sich auch hier bemühen, an, sondern wir wollen in der Gemeinschaft und mit
erneut anderen mit gutem Beispiel voranzugehen. unseren Partnern gemeinsame Auffassungen er-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) arbeiten und gemeinsames Handeln vorbereiten.
Es ist auch dringend geboten, daß wir innere Re- Die schrittweise Verwirklichung der Wirtschafts-
formvorhaben in den Ländern der Gemeinschaft auf- und Währungsunion und die Harmonisierung der
einander abstimmen und gemeinsame Vorstellungen außenpolitischen Zusammenarbeit können uns im
entwickeln. Dabei geht es nicht nur um die Anglei- Verlauf dieses Jahrzehnts an den Punkt heran-
chung der Lebensbedingungen. Europa muß jeden- führen, an dem unser Teil Europas im vollen Sinne
falls mehr sein als der Exerzierplatz einer Techno- des Wortes wirklich mit einer Stimme spricht.
kratie, deren Übungen von den Menschen in unseren Ich würde es begrüßen, wenn die Außenminister
Ländern nur schwer verstanden werden. bei ihren Konsultationen dem, was man Ostpolitik
(Beifall bei den Regierungsparteien.) nennt, besondere Aufmerksamkeit widmeten. Für
die Partner der Gemeinschaft geht es hier um ein
Das Bundeskabinett hat gestern über den Stand gemeinsames Problem. Staatspräsident Pompidou
des Ausbaus der Gemeinschaft beraten und unsere hat bei seinem jüngsten Besuch in Moskau auf die-
zukünftige Marschroute festgelegt. Wir werden ini- sen Zusammenhang ausdrücklich und mit vollem
tiativ bleiben, so wie wir es gewesen sind; das kann Recht hingewiesen. Die Beziehungen zur Sowjet-
ich Ihnen ohne jede Übertreibung sagen. union und zu den anderen Partnern des Warschauer
Die politische Zusammenarbeit kommt nun endlich Pakts dürfen nicht als ein Spielfeld rivalisierender
auch in Gang. Es ist gut, daß die sechs Außenmini- Aktionen verstanden werden.
ster ihren gemäß Ziffer 15 des Haager Kommuniqués (Beifall bei den Regierungsparteien.)
erstatteten Bericht am 27. Oktober in Luxemburg
Es liegt im Interesse aller Beteiligten, daß sich
verabschiedet haben. Mit der bevorstehenden Ta-
keiner gegen einen anderen ausspielen läßt. Die
gung am 19. November in München wird zum ersten-
westeuropäische Einigung dient nicht nur den Inter-
mal seit 1962 ein außenpolitischer Konsultations-
mechanismus zwischen den Mitgliedstaaten der Ge- essen der unmittelbar Beteiligten, sie dient auch
und sie soll dienen dem friedlichen Zusammenleben
meinschaft in Gang gesetzt.
zwischen West und Ost. Sie dient damit der euro-
Die Ergebnisse des Berichts der Außenminister päischen Friedensordnung, die es zu finden und zu
mögen vielen als mager erscheinen. organisieren gilt.
(Abg. Barzel: Sehr wahr!) Meine Damen und Herren, als ich im August ein
— Ich würde einem solchen Urteil, Herr Kollege paar Tage in der Hauptstadt der Sowjetunion war,
Barzel, nicht widersprechen. Wir mußten jedoch von hatte ich den Eindruck, daß die dort Verantwort-
der Tatsache ausgehen, daß in Wirklichkeit gerade lichen die Realität der sich fortentwickelnden west-
auf diesem Feld nur Trümmer lagen; so war es europäischen Gemeinschaft zu würdigen wissen.
doch von 1962 und den folgenden Jahren her. Formelle Beziehungen zur Gemeinschaft müßten sich
aus einer solchen Einsicht mit einer gewissen Logik
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. entwickeln. Dies würde jene Kooperation fördern,
Dr. Marx [Kaiserslautern] : Die hatten wir die im Interesse der Staaten und der Menschen
doch nicht verursacht!) West- wie Osteuropas liegt und die dazu beitragen
— Das habe ich doch nicht gesagt! würde, den Frieden sicherer und hoffentlich eines
Tages auch weniger kostspielig zu machen.
(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Dann
sagen Sie es bitte dazu, damit der Beifall (Beifall bei den Regierungsparteien.)
erklärt wird!)
Im übrigen brauche ich kaum zu betonen, wie
Das habe ich doch nicht gesagt! Das weiß doch jeder, großen Wert wir darauf legen, daß die Gemeinschaft
wie die europäische Entwicklung verlaufen ist! mit den Vereinigten Staaten nicht nur eng verbun-
(Abg. Dr. Klepsch: Sie waren doch der den bleibt, sondern daß für diese enge Verbindung
Außenminister!) auch die geeigneten Formen gefunden werden. Es
ist falsch anzunehmen, daß die amerikanische Regie-
— 1962 war ich noch nicht Außenminister. Aber es rung ihr Interesse an einer europäischen Einigung
ist gut, daß Sie mir jetzt eine schon so lange Mit- verloren habe. Im Gegenteil, den Vereinigten Staa-
wirkung und Erfahrung auf diesem Gebiet zu- ten liegt sehr daran, daß Westeuropa sich durch
trauen. seinen Zusammenschluß zu einem vollwertigen
(Beifall bei der SPD.) Partner der Friedenssicherung in Europa und dar-
Es mußten neue Grundlagen geschaffen werden. über hinaus entwickelt.
Jetzt kommt es darauf an, den neugeschaffenen Unsere Bereitschaft, unser Teil der europäischen
Konsultationsmechanismus zu nutzen und zu gege- Bereitschaft zur Zusammenarbeit, richtet sich nicht
bener Zeit von den vorgesehenen Möglichkeiten zuletzt an die Dritte Welt. Mit der Assoziierung der
einer stufenweisen Verbesserung der außenpoliti- afrikanischen Staaten hat die Gemeinschaft einem
schen Abstimmung Gebrauch zu machen. historisch begründeten Erfordernis entsprochen. Un-
Für die Bundesregierung will ich sagen: Wir sere Bereitschaft zu partnerschaftlicher Zusammen-
streben nicht nur den bloßen Meinungsaustausch, arbeit richtet sich darüber hinaus an alle Staaten, die
nicht nur die Gegenüberstellung von Auffassungen an guten Beziehungen zur Gemeinschaft interessiert
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970 4271
Bundeskanzler Brandt
sind. Europa wird seiner Verantwortung nur ge- der werden Positionen, die ihre Logik nur in dem
recht, wenn es den Partnern in der Dritten Welt Ziel der Wiederherstellung eines autarken Reiches
Zukunftsträchtiges zu bieten hat. haben. Wir müssen ein Europa anstreben, in dem die
Grenzen nicht schmerzen, also ein Europa des Ver-
Ich möchte hier gern noch ein paar Feststellungen
zichts auf Gewalt, ein Europa der Zusammenarbeit
treffen, die vielleicht — hoffentlich — für die Dis-
zwischen den Völkern. Nur in einem solchen Europa
kussion bei uns in der Bundesrepublik hilfreich sein
wird es auch möglich sein, daß unser Volk seine
können. Erstens möchte ich sagen, daß ich eine
Selbstbestimmung verwirklichen kann, ohne daß das
Ideologisierung der Europapolitik für ausgesprochen
den Frieden sichernde Gleichgewicht sich verändert
schädlich halte.
oder unsere Nachbarn Sorgen zu haben brauchen.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Die Parole oder Schreckparole von einem „sozia-
Schließlich ist die Bundesrepublik Partner der
listischen Europa" ist ebenso töricht wie die Furcht
europäischen Familie nur, solange sie den Schild der
vor einem „christdemokratischen" oder „konservati-
Demokratie sauberhält. Ich bin sicher, daß auch dies
ven Europa".
der gemeinsamen Einsicht und Überzeugung der
(Beifall bei den Regierungsparteien. — übergroßen Mehrheit dieses Hohen Hauses ent-
Unruhe bei der CDU/CSU.) spricht.
Die Einigung Europas ist eine zu wichtige Sache, (Anhaltender lebhafter Beifall bei den
als daß sie durch ideologische Spaltungen belastet Regierungsparteien.)
werden dürfte.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Präsident von Hassel: Das Wort hat der Ab-
Das ideelle Fundament des westeuropäischen Zu- geordnete Dr. Barzel. Ihm folgt der Abgeordnete
sammenschlusses ist, daß sich seine Mitglieder un- Dr. Apel.
beschadet der politischen Gruppierungen zur frei-
heitlichen, rechtsstaatlichen und sozialen Demokratie Dr. Barzel (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
bekennen. Damen und Herren! Wir begrüßen es, daß der Bun-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) deskanzler diese Europadebatte selbst eröffnet hat.
Wir finden, daß er einen guten Satz zu Anfang
Dies ist der Richtpunkt nicht nur für den Ausbau sagte: Diese Debatte soll deutlich machen, wie sehr
und die Fortentwicklung der Europäischen Gemein- uns allen an der Politik der Vereinigung des freien
schaft, sondern auch für unsere Bemühungen um Europa liegt. Der Satz ist gut, nur ist Europapolitik
einen gesicherten Frieden in Europa und in der keine Frage mehr von Worten, sondern eine Frage
Welt. Nur wenn alle demokratischen Kräfte insoweit von Taten, von praktisch abmeßbaren Taten. Davon
solidarisch zusammenarbeiten, werden sie die vor werden wir hier gleich einiges in die Debatte ein-
uns liegenden Aufgaben erfüllen können. führen, um dem Bundeskanzler Gelegenheit zu
Zweitens, meine ich, sollte niemand den Versuch geben, darzutun, wie sehr allen in diesem Hause
machen, Kontroversen zu erfinden, wo sie nicht nötig an der politischen Vereinigung des freien Europa
sind. liegt.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) (Beifall bei der CDU/CSU.)
Konkret: Die Bundesregierung hat intern und öffent- Ich muß auf Grund Ihrer Einlassung, Herr Bundes-
lich vor und nach der Unterzeichnung des Moskauer kanzler, zwei Bemerkungen dazwischenschieben. Sie
Vertrages vom 12. August keinen Zweifel daran haben offensichtlich die Fragen, die der Kollege
gelassen, daß unser souveränes Recht nicht beein- Scheel zur Stunde in Warschau verhandelt, nicht mit
trächtigt und nicht berührt wird, Europa zu bauen, in diese Debatte einführen wollen, aber doch ein
Souveränitäten abzubauen und die heute noch be- paar Sätze dazu gesagt. Wenn Sie damit eine De-
stehenden Grenzen zwischen den Partnern der Eu- batte haben wollen, kann man sie eröffnen. Wir
ropäischen Gemeinschaft zu Verwaltungslinien zu würden bereit sein, heute darauf zu verzichten,
machen. - trotz der Bemerkung des Kanzlers. Wir beschränken
(Beifall bei den Regierungsparteien.) uns deshalb in diesem Augenblick auf zwei Sätze:
Drittens. Auch wenn es auf dem Wege nach Euro- Unsere guten Wünsche gelten dem Ausgleich der
pa nicht ohne Vorleistungen aller Beteiligten geht, beiden Völker, gelten dem Finden von Lösungen
sind wir uns sicher darin einig, daß die Interessen und gelten den Bausteinen für eine europäische
der Bundesrepublik ebenso . nachhaltig vertreten Friedensordnung. Wir sehen bisher leider nur das
werden müssen, wie dies andere für ihre Interessen Suchen nach Formeln mit dem Blick in die Ver-
tun. Dennoch dürfen wir keinen inneren Wider- gangenheit oder aus der Vergangenheit.
spruch auftreten lassen, einen Widerspruch, der Ein zweiter Punkt bedarf in diesem Zusammen-
entstünde, wenn wir nach Westen die Zukunft und hang der Klarstellung, auch im Zusammenhang an-
nach Osten die Vergangenheit beschwörten. derer Sätze, die sich am Schluß Ihrer Einlassung,
(Beifall bei der SPD.) Herr Bundeskanzler, befanden. Sie haben gesagt —
ich weiß nicht, gegen wen Sie diese Feststellung
Je weiter und enger das westliche Europa zusam trafen —, das Motiv der Europapolitik der Bundes-
menwächst, je mehr unrevidierbare Entscheidungen regierung, ihr „Antrieb" — so sagten Sie — sei
und Entwicklungen es gibt, um so wirklichkeitsfrem nicht eine „außenpolitische Bedrohung". Nun will
4272 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970
Dr. Barzel
ich jetzt nicht über die bestehenden Fakten der wird. Mit anderen Worten: Muß man sich nicht mit
außenpolitischen Bedrohung sprechen. Ich glaube, der gleichen Intensität, mit der man sich um die Er-
es gehört nicht in diese Debatte. Die Fraktion, die weiterung bemüht, zugleich um die Vertiefung der
die Europapolitik in diesem Hause seit über 20 Jah- Gemeinschaft und des politischen Ziels kümmern?
ren als Nummer 1 ihrer Außenpolitik betrachtet hat, Dazu hätten wir gerne Konkreteres als die allge-
hat nie eine Europapolitik aus dem „Antrieb außen- meinen Worte von Ihnen gehört, Herr Bundeskanz-
politischer Bedrohung gemacht". Dafür haben wir ler.
die Politik der NATO gehabt, Herr Bundeskanzler. Nachdem Sie sagten, die Bundesregierung sei hier
Unsere europäische Politik hatte einen anderen An- „die treibende Kraft", möchte ich gerne versuchen,
trieb, nämlich den, im freien Teil Europas eine Sie beim Wort zu nehmen:
europäische Friedensordnung herzustellen, die uns
allen eine Zukunft sichert, in der es unmöglich ist, Erstens. Wenn dies so ist, sollte es der Bundes-
daß das Böse, das in der Vergangenheit war, regierung möglich sein, dem Antrag der CDU/CSU-
wiederkommen kann. Bundestagsfraktion, den wir in den Ausschüssen zu
beraten wünschen, als hilfreich und förderlich zu
(Beifall bei der CDU/CSU.) betrachten, und dann sollte der Bundeskanzler eine
Meine Damen und Herren, dies ist eine Politik nicht Möglichkeit sehen, diesem Antrag, vor allen Dingen
aus Angst, sondern für eine bessere Zukunft. Und in seinen Schlußsätzen, nicht nur seine Sympathie,
wir wären sehr froh, wenn dies das einzige Motiv sondern auch seine Zustimmung zu geben. Dies ist
auch in der Ostpolitik dieser Bundesregierung sein ihm zumutbar, bei allen Rücksichten auf Nachbarn,
könnte, von der Sie ja auch hier am Rande gespro- die vielleicht eine andere Politik wollen, aber dies
chen haben. Uns interessiert an dieser Politik, real ist zumutbar, und deshalb, Herr Bundeskanzler,
Bausteine für eine gesamteuropäische Friedens- hätte ich eben gerne nicht nur die Sätze über die
ordnung zu finden, so wie wir real Bausteine zur parlamentarischen Dinge in Europa, die wir begrüßt
europäischen Einigung gefunden haben. Mit anderen haben — ich komme darauf zurück —, sondern auch
Worten: Deutsche und Polen sind ganz Europa min- noch Sätze von Ihnen darüber gehört, was man in
destens das als Schritt nach vorn schuldig, was der europäischen Diskussion die Finalität der Ge-
Deutsche und Franzosen für das freie Europa gelei- meinschaft nennt, d. h. das Endziel.
stet haben. Nur dies zur Klarstellung der Positionen, Da sind Sie ja immer noch mit Ihrem Wort aus
Herr Bundeskanzler. London, daß Sie die politische Union auf die näch-
(Beifall bei der CDU/CSU.) sten Generationen vertagen, — —
Nun zur westeuropäischen Politik im engeren (Abg. Fellermaier: Das mußte ja kommen!
Sinne. Herr Bundeskanzler, Sie haben festgestellt, — Abg. Wehner: Das haben Sie erfunden!)
es ginge wieder voran. Dies kann niemand bestrei-
— Aber, Herr Kollege Wehner, wenn Sie etwas
ten. Es geht voran in einer Richtung, über die wir
uns nach der Konferenz von Den Haag, die ja leiser rufen, ist es auch noch zu verstehen! Zweitens
unmittelbar nach dem Regierungswechsel stattfand, möchte ich Ihnen sagen, daß wir dieses Zitat im
hier verständigt hatten, worüber wir übrigens auch März hier in die Debatte eingeführt haben und
vorher gute Gespräche hatten. den Kanzler gefragt haben, ob es zutreffe, was er
nicht bestritten hat. Wenn Sie also über Erfindungen
Aber, meine Damen und Herren, es hieße doch sprechen, müssen Sie sich an Ihren Bundeskanzler
nun wirklich die Arbeit des Außenministers Brandt wenden und nicht an mich als den Vorsitzenden der
falsch einschätzen, wenn wir in diese Debatte nicht CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
völlig klar einführten, daß alles das, was jetzt hin-
(Beifall bei der CDU/CSU.)
sichtlich der Erweiterung der Gemeinschaft erfreu-
licherweise möglich geworden ist, nichts mit deut- Aber vielleicht war dies eine Form eines Dementis
schen Initiativen zu tun hat, denn die gab und gibt um die Ecke.
es immer, sondern — wenn wir redlich diskutieren
(Heiterkeit bei der CDU/CSU.)
— mit einem Wechsel in Paris in der grundsätzlichen
Frage zu tun hat. Dann sollte es dem Bundeskanzler um so leichter
(Zustimmung bei der CDU/CSU.) gelingen — und dann ist diese Debatte vom Tisch,
Herr Kollege Wehner —, eine Möglichkeit zu finden,
Diese Feder, Herr Bundeskanzler, sollte sich hier zur letzten Abteilung unserer Drucksache etwas Po-
keiner an einen Hut stecken, weil sie nicht daran sitives zu sagen.
paßt. Es ist peinlich, dies auch nur zu versuchen.
Zweiter Punkt, Herr Bundeskanzler: Sie haben
(Beifall bei der CDU/CSU.) auch von Wirtschaftsunion, von Währungsunion ge-
Ich hätte nun aber gerne, Herr Bundeskanzler — sprochen. Alle Welt, dieses Haus, alle Kollegen in
damit leiten wir über zu den praktischen Punkten —, Europa diskutieren das, was unter der Überschrift
von Ihnen etwas über das wirkliche Problem gehört, „Werner-Bericht" in der Presse steht. Dies ist eine
ob nämlich durch die Zahl der Mitgliedstaaten, die Sache, die in die richtige Richtung geht; darüber
dieses Europa ausmachen werden, die vor der Tür wird hier wohl kein Mensch streiten. Nur denke ich,
stehen, für deren Beitritt wir sind — wir sind auch Herr Bundeskanzler, daß auch in folgendem kein
dafür, daß die anderen Möglichkeiten des Mitwir- Streit sein sollte, und ich möchte dies hier für die
kens, der Assoziierung, wie immer Sie wollen, fin- Bundestagsfraktion der CDU/CSU in aller Deutlich-
den —, die Qualität der Gemeinschaft verändert keit erklären: Ein weiteres Abgeben fundamentaler
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970 4273
Dr. Barzel
Kompetenzen, fundamentaler Zuständigkeiten der folgt hat: daran, daß Sie heute ein Ergebnis als
Bundesrepublik Deutschland auf den Gebieten von „mager" bezeichnen, das Sie selbst vorgeschlagen
Währung und Wirtschaft an europäische Institutio- haben. Denn Ihr eigener Vorschlag ging doch über
nen liegt sehr in der Richtung unserer Politik. Dies das, was man „freiwillige Konsultation" nennt, nicht
kommt aber nur in Frage, Herr Bundeskanzler, wenn hinaus.
erstens parlamentarische Kontrolle in diesem Europa (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)
sichtbar, glaubhaft und funktionsfähig sein wird
Das Ergebnis sind nun „freiwillige Konsul-
(Beifall bei der CDU/CSU) tationen", und dies ist mager. Herr Bundeskanzler,
und wenn zweitens dies zugleich in eine politische warum machen Sie dann nicht für Ihre Regierung
Union führt. Ich kenne keinen Verantwortlichen, — Sie können es doch — einen weitergehenden
der bereit ist, ein Stück Verantwortung für seine Vorschlag? Warum treten Sie nicht mit einem Vor-
Währung zu Hause an eine europäische Institution schlag hervor, der nun mindestens diese Konsulta-
abzugeben, wenn nicht die europäische Institution tionen und wenn es zunächst nur für einige The
zu einer gemeinsamen Politik führt. men ist—zwingend macht sowohl in dem Sinne, daß
man sich konsultiert, als auch in dem, daß man sich
(Beifall bei der CDU/CSU.) hinterher an das gemeinsame Ergebnis hält? Das
Deshalb, Herr Bundeskanzler, fehlt doch — und wäre Ihnen doch nach der Rede, die Sie hier ge-
das weiß jeder, das ist auch Ihnen nicht verborgen, halten haben, zumutbar, damit wir nicht nur Worte
und das wissen die Kollegen aller Fraktionen, die hören, sondern praktische Taten sehen.
im Europäischen Parlament arbeiten, und jeder, der (Abg. Dr. Klepsch: Sehr gut!)
sich an der europäischen Diskussion beteiligt, weiß
dies neben ,dem Werner-Stufenplan mit dem Ich möchte Sie auffordern, Herr Bundeskanzler,
Ziel der Wirtschafts- und Währungsunion nun der auch folgendes noch zu erwägen. Da wird es ja am
Stufenplan für die politische Union. Jeder weiß, 19. November wieder einmal zufällig in einer
daß er fehlt. Sie bezeichnen sich als die „Trieb- Stadt, die es dem Bundesaußenminister erlaubt, seine
kraft" Europas. Warum, Herr Bundeskanzler, legen Landtagswahlkampfverpflichtungen mit außenpoliti-
Sie einen solchen Stufenplan zur politischen Union schen Verpflichtungen in Übereinstimmung zu brin-
nicht vor? Dies wäre eine Tat und nicht nur ein gen, — —
Wort, meine Damen und Herren! (Abg. Fellermaier: Billig, Herr Barzel! Das
ist billig! Wollen Sie damit den anderen
(Abg. Wehner: Sie reden, als ob Sie Außenministern unterstellen, daß sie Herrn
nichts von Paris wüßten, und wissen doch Scheel zuliebe nach München fahren? —
ganz genau, wie delikat das ist!)
Weitere Zurufe und Unruhe bei den Regie
— Aber, Herr Wehner, warum Sie heute morgen rungsparteien. — Gegenrufe von der CDU/
so laut sind, ist mir wirklich nicht erklärlich. CSU.)
(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Lassen Sie — Herr Kollege, ich habe das höfliche Wort „zu-
Wehner ruhig schreien!) fällig" gebraucht. „Noch zufälliger" konnte ich es
ja nicht sagen. Wie zufällig das Ganze ist, zeigt Ihre
Ich wiederhole, meine Damen und Herren, daß
Erregung, Herr Kollege.
es sehr gut wäre, wenn diese Bundesregierung nicht
nur Worte, sondern Taten setzen würde. Ich habe (Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)
sie gerade ermuntert, einen Stufenplan für die Er- Herr Bundeskanzler, ich möchte vorschlagen, daß
richtung der politischen Union vorzulegen, weil es man doch versucht, bei dieser Konferenz in München
sonst zur Wirtschafts- und Währungsunion nicht am 19. November aus jener mageren Situation her-
kommen wird, wie jedermann in Europa weiß und auszukommen. Ich glaube, daß in Bayern auch mehr
wie es auch Herrn Wehner nicht unvertraut ist. Verständnis für Vollmilch vorhanden ist, wenn Sie
(Beifall bei der CDU/CSU.) den Platz schon nutzen wollen.
Nun das Dritte, Herr Bundeskanzler. Sie haben Ich schlage Ihnen vor, Herr Bundeskanzler, ein-
— und dies war erfreulich zu hören — das Ergebnis mal zu prüfen, ob Sie nicht folgende Punkte auf die
des Davignon-Berichts über die politische - Zusam- Tagesordnung setzen sollten. Warum schlagen Sie
menarbeit der Außenminister als „mager" be- nicht vor — Sie können es doch —, daß Ihr Außen-
zeichnet. Das war eine redliche Vokabel. Ich denke, minister in München den Antrag stellt: Die Konfe-
dieses „mager" haben Sie empfunden nicht nur im renz der Direktoren, die ja nun eingesetzt ist, erhält
Blick auf den Inhalt dieses Papiers, das uns ja der einen zusätzlichen Auftrag, nämlich den, in einer
Außenminister dankenswerterweise in einer Druck- bestimmten Frist einen Stufenplan zur Erreichung
sache noch vorgelegt hat, sondern wohl auch hin- der politischen Union vorzulegen?
sichtlich der Tatsache, daß sich hier neben die Gre- (Beifall bei der CDU/CSU.)
mien und neben den Gang der Institutionen, also
neben die Verfassungswirklichkeit der Gemein- Dies sollte Ihnen doch zumutbar sein.
schaft, neue Wege zu schieben beginnen. Ich nehme (Zuruf des Abg. Wehner.)
an, dieses „mager" haben Sie auch so gemeint. Ich
— Damit wir uns hier klar verstehen, Herr Kollege
will das jetzt nicht weiter ausdehnen. Aber, Herr
Wehner: Ich sage „Stufenplan", weil natürlich jeder
Bundeskanzler, an einem kann doch nun kein
von uns weiß, daß nicht alles auf einmal möglich ist.
Zweifel sein, wenn man die Debatten dieses Hauses
zur Europapolitik in den letzten zwölf Monaten ver- (Zurufe von der SPD.)
4274 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970
Dr. Barzel
Ich meine, es würde dieser Regierung gut anstehen, anderes tun, als Sie beim Wort nehmen. Sie haben
nachdem die freiwillige Konsultation beschlossen die Möglichkeit, Sie haben das Mandat, Vorschläge
worden ist, nun eine verpflichtende, eine obligatori- in dieser Richtung zu machen. Sie können sich dar-
sche Konsultation einzuführen und als nächste Stu- auf verlassen, daß Sie dann, wenn Sie solche Vor-
fen dann eine wirksame Koordination, eine politi- schläge machen, wahrscheinlich die einstimmige Un-
sche Kooperation und dann die politische Union ins terstützung dieses Hauses haben werden. Damit kön-
Auge zu fassen. Das ist ein vernünftiger Stufenplan. nen Sie doch etwas anfangen!
Das ist ein Fahrplan, der im Timing, im Zeitablauf, (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Weh
neben den Zeitablauf der Wirtschafts- und Wäh-
ner: Sie haben jedenfalls Hoffnungen im
rungsunion, wenn es auf diesen Gebieten gutgeht,
Hinblick auf die Fähigkeiten der Regie
gestellt werden muß. Herr Bundeskanzler, dazu rung!)
hätte ich von Ihnen gerne etwas gehört.
— Herr Kollege Wehner, Sie freuen sich heute, daß
Unser konkreter Vorschlag ist also: Auftrag der
ich hier Hoffnung habe.
Minister an die Direktoren, einen Stufenplan zur
Erreichung der politischen Union vorzulegen, und (Abg. Wehner: Na sicher! Dann ist doch
zwar mit folgenden Stufen: obligatorische Konsul- nichts verloren!)
tation, wirksame Koordination, politische Koopera- — Ich bin immer froh, wenn der Bundeskanzler end-
tion und schließlich politische Union. lich — und das habe ich ja gehört — wieder von der
Ein weiterer Punkt, Herr Bundeskanzler, der drin- politischen Vereinigung des freien Europa spricht.
gend der Debatte auf dieser Konferenz in München Darum habe ich ihn im März gebeten.
bedarf, ist die Herstellung einer einheitlichen Auf- (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]: Er handelt
fassung der Regierungen der Sechs in den Fragen danach!)
einer europäischen Konferenz, wie die Sowjetunion
sie vorschlägt. Das ist doch ein wichtiges Thema. — Jetzt sagen Sie, Herr Schäfer, er handelt danach.
Wenn man sagt — ich habe das hier zu meiner Dann kann er gleich hier heraufkommen und zu den
Freude vom Bundeskanzler gehört —, wir seien der konkreten Vorschlägen, die in seinen Möglichkeiten
Motor Europas, dann würde ich auch gern hören, liegen, Stellung nehmen und sie in die Debatte ein-
daß der Bundeskanzler vorschlägt, eine einheitliche führen, meine Damen und Herren.
Haltung in diesen Fragen herbeizuführen. Das (Beifall bei der CDU/CSU.)
könnte z. B. in München geschehen.
Es würde, Herr Kollege Wehner, weil wir niemand
Ein anderer Punkt, meine Damen und Herren. Es überfordern wollen, uns völlig genügen, wenn er er-
weiß doch jeder, daß 1973 die fundamentalen Ent- klärte, daß er auch diese Vorschläge überprüfen
scheidungen in Sachen Handelspolitik auf die Ge- wolle, weil er nicht so aus dem Handgelenk dazu
meinschaft übergehen. Sie selbst haben in einem Stellung nehmen kann. Das kann ich alles ver-
Satz, über den wir uns gefreut haben, deutlich ge- stehen. Wenn das der Kanzler sagt, werden wir so
macht, daß Sie die Gefahr sehen, daß sich die west- froh gucken, wie Sie eben guckten, als ich dies sagte,
lichen Industrieländer nun — lassen Sie es mich Herr Kollege Wehner.
etwas deutlicher sagen — in Moskau im Hinblick
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.)
auf die Höhe der Kredite gegenseitig überbieten und
im Hinblick auf die Zinssätze der Kredite gegenseitig Meine Damen und Herren, es kommt nun ein vier-
unterbieten. Herr Bundeskanzler, warum versuchen ter Punkt. Herr Bundeskanzler, glauben Sie nicht,
Sie nicht, diesen Punkt in München auf die Tages- daß es an der Zeit ist, nach den Erfahrungen, die
ordnung zu bringen, mit dem Ziel, schon jetzt eine doch jeder hat sammeln können, hinsichtlich der
einheitliche Haltung bei diesen großen Geschäften Chancen von Entspannungspolitik, die irgend je-
herbeizuführen? mand nur auf seine eigenen Schultern nimmt, einen
(Beifall bei der CDU/CSU.) Vorschlag zu machen, der folgendes völlig deutlich
macht: Wir sind in diesem Europa in einer Konkur-
Sie haben von den Problemen im Zusammenhang renz zweier Konzepte. Keiner kann dies leugnen,
mit der Anwesenheit der USA hier gesprochen.
- und Sie tun dies sicher nicht. Da gibt es die Konzep-
Meine Damen und Herren, dies ist eine Frage, die tion der westlichen Länder mit dem Endziel der poli-
alle Europäer angeht. Es geht hier nicht nur um die tischen Vereinigung und inzwischen der Erweite-
Lasten, die diese Anwesenheit mit sich bringt. War- rung. Aber dagegen steht das sowjetische Konzept
um setzen Sie dieses Thema nicht auf die Tagesord-
einer gesamteuropäischen Konferenz, die klar gegen
nung? das Zusammenwachsen des freien Europa zu einer
Und sprechen wir gar nicht erst von den Sorgen politischen Gemeinschaft gerichtet ist. Dieses beides
hinsichtlich des Mittelmeers, die sicherlich nicht nur muß man zur Kenntnis nehmen.
unsere italienischen Kollegen haben. Auch dieses Nun haben Sie den französischen Staatspräsiden-
Thema gehört auf die Tagesordnung einer solchen ten zitiert. Herr Bundeskanzler, wie wäre es, wenn
Konferenz. Sie eine Initiative ergriffen, die folgendes zum In-
Diese Themen machen doch deutlich, daß mit einer halt hätte: Wir machen jetzt diesen Stufenplan für
freiwilligen Konsultation den Europäern in ihrer die politische Vereinigung des freien Europa und
Gesamtheit nicht gedient ist. Wenn wir hier weiter- bieten zugleich allen Europäern — gerade denen im
kommen wollen, müssen wir über alle diese Themen Bereich des Warschauer Paktes — an, die praktische
sprechen. Herr Bundeskanzler, wir können nichts Entspannung im Bereich von Kultur, Wirtschaft,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970 4275
Dr. Barzel
Tourismus, Technologie und Truppenreduzierung lich, daß die Regierungserklärung der Großen Koa-
zu einer Frage gemeinsamer Politik zu machen? Das lition damals der Verbesserung des deutsch-franzö-
hat doch dann mehr Chancen, Herr Bundeskanzler, sischen Verhältnisses einen so breiten Raum ein-
und nimmt auch denen noch ihr Mißtrauen, denen geräumt hat. Es ist eben falsch, zu sagen, das, was
in der westlichen Welt nicht überall ganz geheuer sich inzwischen an politischen Verbesserungen erge-
ist bei deutschen Alleingängen in solchen Richtun- ben hat, sei nur die Folge eines politischen Klima-
gen. wechsels in Paris. Es ist die Folge der zielbewußten
(Beifall bei der CDU/CSU.) Arbeit des Außenministers Willy Brandt gewesen.
Warum, Herr Bundeskanzler, schlagen Sie dies nicht Es ist die Folge der zielbewußten Arbeit dieser so-
vor? zialliberalen Koalition gewesen.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Wir sind froh, von Ihnen bessere Worte als im
März gehört zu haben; aber von neuen Taten gar Meine Damen und Herren! Was sehr wesentlich
nichts. Sie haben die Möglichkeit, Herr Bundeskanz- dabei ist: Wir haben dieses deutsch-französische
ler, und keiner der Vorschläge, die hier gemacht Verhältnis wiederhergestellt, gesund gemacht, funk-
worden sind, ist irgendwo in der Nähe dessen, was tionsfähig gemacht, ohne daß damit in der EWG das
Sie Ideologie oder Utopie nennen. Das alles ist im Mißtrauen entstanden ist, Deutschland und Frank-
Bereich des Möglichen. reich könnten bilateral über die Köpfe der anderen
Und verlassen Sie sich auf folgendes. Selbst wenn hinweg Europapolitik vorplanen, vorprogrammieren.
Sie einmal zwei oder drei Schritte westpolitisch zu Dies ist eine wesentliche Aufgabe des Außenmini-
weit vorpreschen sollten und nicht alle Ihre Partner sters Brandt und des Kanzlers Brandt gewesen. Dies,
in Europa mitgehen sollten, hätte dieses Haus das Herr Barzel, kann nicht wegdiskutiert werden. Es
lieber, als daß von Ihnen nicht, wie es doch möglich hat eben nicht nur etwas mit dem Klimawechsel in
wäre, die genügenden Initiativen ausgegangen wä- Paris zu tun, sondern damit, daß dieser Bundeskanz-
ren. Das Wort, Herr Bundeskanzler, Ihre Regierung ler und sein Außenminister Realisten sind. Denn wir
sei die Triebkraft der Vereinigung des freien Europa, müssen Politik machen, und wir müssen mit den
haben wir nun gehört. Lassen Sie uns bitte ein paar Gegebenheiten rechnen.
Taten sehen! Meine Damen und Herren, ein Zweites kann nicht
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.) bestritten werden: daß diese Bundesregierung und
insbesondere ihr Außenminister der Motor der Be-
schleunigung des britischen Beitritts zur EWG ge-
Präsident von Hassel: Bevor ich das Wort wesen sind. Herr Scheel wird in allen deutschen Zei-
) weitergebe, nutze ich die Gelegenheit, einen Gast in tungen zu recht als derjenige gefeiert, der die Kuh
unserem Hause zu begrüßen. Der Herr Präsident vom Eise gebracht hat,
des Parlaments der Republik Gambia befindet sich
auf der Ehrentribüne. Ich heiße Sie, Sir Alieu S. Jack, (Beifall bei den Regierungsparteien)
sehr herzlich in unserem Kreise willkommen. der dafür gesorgt hat, daß die Fristen in den Bei-
(Beifall.) trittsverhandlungen kürzer werden. Und auch das
haben wir wiederum erreicht, meine Damen und
Wir wünschen Ihnen, Mr. Speaker, einen guten Auf- Herren, ohne in Paris Porzellan zu zerschlagen.
enthalt in unserem Lande.
Das Wort hat nun der Abgeordnete Dr. Apel. Für Ich will über das volle Vertrauen, das zwischen
der US-Außenpolitik und uns besteht, keine Einzel-
ihn sind 30 Minuten Redezeit angemeldet worden.
heiten verlieren. Aber, Herr Barzel, vielleicht wäre
es ein guter Beitrag zur westeuropäischen Integra-
Dr. Apel (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen tion, wenn Sie einige Ihrer Kollegen daran erinner-
und Herren! Namens der sozialdemokratischen Bun- ten, daß es für unser Land übel ist, wenn diese Kol-
destagsfraktion erkläre ich, daß wir mit den fünf von legen in den Vereinigten Staaten Verdächtigungen
dem Herrn Bundeskanzler genannten Zielen der über die Politik dieser Bundesregierung ausstreuen,
europäischen Integration voll einverstanden
- sind die jeder Basis entbehren.
und daß die Sozialdemokraten in diesem Hause wie (Beifall bei den Regierungsparteien.)
die Sozialdemokraten, die von diesem Hause im
Europäischen Parlament arbeiten, ihre ganze Kraft Das sind dieselben Leute, die gern das Wort vom
einsetzen werden, um diesen Zielen der europäi- Landesverrat in den Mund nehmen. Ich halte es auch
schen Integration zu entsprechen. für einen Verrat des Landes, wenn man in den USA
(Beifall bei der SPD.) diese Bundesregierung verketzert.
Ich glaube, Herr Kollege Barzel, wenn wir eine (Zurufe von der CDU/CSU.)
Bilanz der aktuellen politischen Europa-Situation, — Wer denn? — Der Herr Strauß. Nun fragen Sie
der Integration nach Westen ziehen wollen, müssen doch nicht noch so, als wüßten Sie das nicht!
wir damit anfangen, daß in der Tat der Herr Bun- (Zurufe von der CDU/CSU: Dumme Wahl
deskanzler Ende 1966, als er als Außenminister zum kampfbehauptung!)
erstenmal Regierungsverantwortung für die Bundes-
republik übernommen hat, zumindest im Verhältnis Meine Damen und Herren, ich würde es auch für
gegenüber Frankreich vor einem Scherbenhaufen einen guten Beitrag zur westeuropäischen Integra-
gestanden hat. Es ist deshalb auch nicht verwunder tion halten, wenn Herr Heck, bevor er über Formu-
4276 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970
Dr. Apel
lierungen im deutsch-sowjetischen Vertrag spricht Sie wagen es aber heute, dem Herrn Bundeskanzler,
über die Formel „unverletzlich" —, sich etwas ge- der konsequent um die politische Zusammenarbeit in
nauer mit den Fakten beschäftigte und nicht, wie Europa bemüht ist, zu unterstellen, er wolle das
damals bezüglich der 15 Milliarden, irgend etwas be- eigentlich nicht. Herr Kollege Barzel, ich gehe nicht
hauptete, was dann nicht zu beweisen ist. Es ist erneut auf das zurück, was Sie wiederholt in bezug
eine üble Sache, wenn auf diese Art und Weise ver- auf das Londoner Interview des Herrn Bundeskanz-
sucht wird, den Brunnen zu vergiften und zu sagen, lers gesagt haben. Denn wenn Sie heute morgen
wir könnten ja eigentlich im Bundestag auf dem die Presse gelesen haben, werden Sie auf Grund
Wege zur politischen Union gar nichts schaffen, ob- der Ausführungen des französischen Außenmini-
wohl die Fakten eindeutig beweisen, daß das nicht sters Schumann erkannt haben, daß nur die Politik
den Tatsachen entspricht. des Bundeskanzlers, die mehr ist als diplomatische
Dazu eine Zusatzbemerkung. Unsere Kollegen in Konsultation und die in kleinen Schritten auf die
den anderen EWG-Ländern hätten ja wohl kaum die politische Union zugeht, realistisch und durchsetzbar
politische Zusammenarbeit mit uns so weit vorange- ist.
trieben, wie aus dem Davignon-Bericht ersichtlich Wenn wir uns in diesem Haus in Verbalradika-
— ich komme darauf noch zurück , wenn das, was lismen ergehen wollen, dann sind wir von der euro-
Herr Heck behauptet hat, auch ihren Empfindungen päischen Politik entfernt. Wir landen dann erneut
entspräche. bei dem Scherbenhaufen, vor dem ein Außenmini-
(Abg. Wehner: Da muß man ihm zugute ster einer CDU-Regierung 1965 und 1966 gestanden
halten, daß er das nicht gemerkt hat!) hat.
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
— Na ja, das wissen wir ja: Herr Heck ist eben
Heckenschütze, weniger Politiker. Ich sollte vielleicht in diesem Zusammenhang
eine neutrale Stimme zitieren,
(Beifall bei den Regierungsparteien. —
Zurufe von der CDU/CSU: Unerhört! — (Abg. Dr. Klepsch: Die „Frankfurter Rund
Abg. Wehner: Weniger Schütze als CDU!) schau"?)
eine neutrale Stimme aus dem Europäischen Parla-
Präsident von Hassel: Herr Abgeordneter ment, Herr Klepsch, einen Bericht des Politischen
Apel, ich rufe Sie zur Ordnung wegen dieses Aus- Ausschusses, der bei einer Gegenstimme mit einer
drucks. Enthaltung angenommen worden ist. Berichterstatter
(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen bei der war ein italienischer Christdemokrat, Herr Scarascia
SPD. — Abg. Wehner: Als ob „Schütze" be Mugnozza, der alles andere ist als Mitglied der
leidigend wäre!) sozial-liberalen Koalition. Dieser Herr Scarascia
Mugnozza hat dem Europäischen Parlament in der
— Das Wort „Heckenschütze" ist fraglos eine Be- letzten Plenarsitzung einen Bericht vorgelegt, der
zeichnung, die in diesem Hause nicht fallen darf. so akzeptiert worden ist, in dem er feststellt — dar-
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: in werden wir uns einig sein —, daß es keine Auto-
Gut, daß Sie nicht in Würzburg waren! — matik zur politischen Union gibt. Das hat ja auch
Abg. Rasner: Sie freuen sich ja noch über Herr Barzel soeben gesagt. Er hat dann ausgeführt,
den Ordnungsruf! Er kopiert Herbert Weh- das Scheitern bisheriger politischer Ansätze sei auf
ner! — Abg. Dr. Klepsch: Er lacht noch über die tiefgreifenden Disparitäten zwischen den Außen-
den Ordnungsruf, er freut sich darüber!) politiken der einzelnen Regierungen zurückzuführen
gewesen.
Dr. Apel (SPD) : Herr Präsident, lassen Sie mich Auch aus dieser Perspektive muß einmal unsere
einige Bemerkungen zur Frage der politischen Union Ostpolitik bewertet werden. Sie baut tiefgreifende
machen, die ja in den Ausführungen von Herrn Bar- Disparitäten der Außenpolitik ab. Sie vollzieht sich
zel eine so große Rolle gespielt hat. Herr Barzel, in freundschaftlicher und direkter Abstimmung mit
Sie sind seit 1964 — wenn ich mich recht erinnere — Paris, mit London, mit New York, mit Rom und mit
Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Fraktion.
- Mein den Hauptstädten der Benelux-Länder. Insofern
Kollege Klaus-Peter Schulz hat ein Zitat gefunden, schafft auch die Ostpolitik eine Voraussetzung für
das er hier im Bundestag am 18. Juni 1970 auch vor- das, was dieser italienische Christdemokrat sagt,
getragen hat. Dieses Zitat von Herrn Erhard aus nämlich für den Abbau der Disparitäten, die ursäch-
dem September 1966 lautet wörtlich: lich dafür sind, daß eine politische Union nicht zu-
Ich glaube nicht, daß wir bemüht sein sollten, stande gekommen ist.
die politische Integration der EWG zu fördern. (Beifall bei der SPD.)
(Abg. Wehner: Hört! Hört!)
Derselbe Berichterstatter kommt dann zu einer
Herr Kollege Barzel, der Sie seit 20 Jahren für sich Bewertung dessen, was wir in politischer Zusam-
in Anspruch nehmen, Europa politisch integrieren menarbeit in diesem Jahre geleistet haben, und
zu wollen, Sie haben damals Ihrem Bundeskanzler sagt, man könne auch eine — ich zitiere wörtlich —
in dieser ungeheuerlichen Aussage nicht widerspro- sehr leichte Kritik anbringen, aber insgesamt gebe
chen. es drei positive Aspekte. Der erste positive Aspekt,
(Hört! Hört! bei der SPD. — Abg. Wehner: so sagt er, sei der, daß zum erstenmal seit 1962
Vielleicht hat er ihn deswegen gestürzt?!) wieder ein Mechanismus politischer Zusammenarbeit
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970 4277
Dr. Apel
in Gang gesetzt worden sei und versucht werde, rungen — auch auf dem europäischen Gebiet zu dem
die Außenpolitik der Mitgliedsländer zusammenzu- hinzuführen, was ihr ureigenstes Recht ist: zur Etat-
führen. Er sagt dann weiter, daß diese politische hoheit. Es war ein langer Weg bis dahin, und wer
Zusammenarbeit in der Gemeinschaft fest verankert die heutige Situation verstehen will, sollte sich ein-
worden sei und auf Grund der Bestimmungen nicht mal kurz das in die Erinnerung rufen, was damals
nur die derzeitigen, sondern auch die künftigen Mit- schon Gegenstand der Debatte und Gegenstand der
glieder an ihr teilnehmen könnten. Er kommt zu verschiedenen Auffassungen war. Sie wissen alle,
dem Ergebnis, ein wesentlicher politischer Vorteil daß ich in diesen entscheidenden Zeiten nicht hier
— der dritte positive Aspekt — liege darin, daß sein konnte. Deshalb habe ich mich in Vorbereitung
diese politische Zusammenarbeit in spätestens zwei auf das, was heute im Bundestag verhandelt wird,
Jahren überprüft und dann zu beschließen sein einmal mit den schriftlichen Unterlagen befaßt. Da-
werde, was weiter zu geschehen habe. bei war es sehr lehrreich zu sehen, daß die gleichen
Bedenken, die heute von Ihnen vorgetragen werden,
Ich meine, meine Damen und Herren, dieser
damals, im Jahre 1955, von uns, den Freien Demo-
Bemerkung des christlich-demokratischen italieni-
kraten, wenigstens zum Teil vorgetragen worden
schen Politikers ist eigentlich nichts hinzuzufügen.
sind.
Sie macht deutlich, daß die Bundesregierung auf
dem richtigen Weg ist, daß sie die politischen Rea li- Herr Kollege Barzel sprach über einen fehlenden
täten erkennt, daß sie keine Gräben zu den Nach- Stufenplan, den wir vorlegen sollten, den die Regie-
barn aufreißt, daß sie die Möglichkeiten voll aus- rung vorlegen sollte. Dem halten wir entgegen, daß
schöpft. Wir begrüßen es, daß gerade jetzt in dieser es damals die Meinung der CDU/CSU-Fraktion war,
Phase der Dreiklang der politischen Arbeit der daß es in erster Linie darauf ankomme, die wirt-
Bundesregierung in der EWG in den vergangenen schaftliche Union herzustellen. Damals, meine Da-
zwölf Monaten deutlich wird: der Werner-Bericht men und Herren von der Opposition, war sehr we-
zur Schaffung der Währungs- und Wirtschaftsunion, nig von einer politischen Einigung zu reden. Es mag
der Schöllhorn-Bericht, wenn ich ihn einmal so nen- schwer gewesen sein,
nen darf: die Vorlage eines Dritten Programms zur (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Aber Herr
mittelfristigen Wirtschaftspolitik, weil in der Tat Borm, das ist doch ein Entwicklungsprozeß!)
die beiden Dinge zusammenhängen, und der Davig- aber es wäre gut gewesen, wenn Sie diese Forde-
non-Bericht, der deutlich macht, daß wir auf dem rung nach einem Stufenplan nicht heute erhoben
Wege zur politischen Union sind. hätten, sondern wenn Sie in einer Zeit, als Sie selbst
In zwölf Monaten diesen Dreiklang erreicht zu die Regierung führten, das Ihre dazu getan hätten.
haben, ist eine gute Leistung. (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu
(Beifall bei den Regierungsparteien.) ruf des Abg. van Delden. — Abg. Dr. Marx
[Kaiserslautern] : Herr Borm, lesen Sie nach
Wir brauchen uns nicht zu verstecken, und wir
Adenauer 20. Juli 1961 hier in Bonn!)
können die Opposition nur auffordern, unsere Initia-
tiven zu unterstützen und mit uns zusammen — Ja, was hat er denn getan?
Europa zu bauen. Es hat in diesem Hause bis zum (Abg. Dr. Apel: Und was ist dabei heraus
Oktober 1969 niemals Gegensätze in der Europa- gekommen?)
Politik gegeben. Wir waren uns einig in dem Ziel
der westlichen Integration. Sie versuchen dagegen Und was ist dabei herausgekommen?
jetzt aus naheliegenden Überlegungen, einen sol- (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Wenn Sie
chen Gegensatz aufzureißen. Wir bitten Sie, im schon zitieren, dann aber alles korrekt und
Interesse der europäischen Integration von dieser nicht ausgewählt nach parteipolitischen
für Europa gefährlichen Politik abzulassen. Zielen! — Zurufe von der SPD.)
(Beifall bei den Regierungsparteien.) — Ich verwahre mich ja nur dagegen, Herr Kollege
Marx, daß wir diese Lebensfrage nicht nur unseres
Präsident von Hassel: Das Wort hat
-
für die Volkes, sondern Europas unter parteipolitischen Ge-
FPD-Fraktion der Abgeordnete Borm. Es sind sichtspunkten betrachten. Ich glaube, wir sollten
30 Minuten angemeldet. mehr versuchen, zusammenzukommen. Ich will gar
nicht polemisch sein; aber ich will mir nur die
Borm (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen und Frage erlauben, warum Sie dann zu Ihrer Zeit, viel-
Herren! Es geht in der Tat wieder einmal um die leicht dann nicht nur einmal durch Herrn Adenauer
Schicksalsfragen unseres Erdteils, und wir begrüßen 1961, sondern laufend, nicht auf das gedrückt haben,
es, daß es wieder einmal möglich ist, über das, was was Sie jetzt von uns verlangen.
uns trennt, aber auch über das, was uns vereinen (Zurufe von der CDU/CSU.)
sollte und Gott sei Dank auch auf weiten Wegen ver-
einigt, zu reden. Es geht um die Schaffung einer eige- — Nun, wie dem auch sei.
nen Finanzhoheit in Brüssel, und es geht um eine Ver- Zweitens. Wir hatten damals große Bedenken, uns
stärkung und Erweiterung der Befugnisse des Euro- auch im Anfang zunächst zu beschränken auf nur
päischen Parlaments. Gerade in dem letzten scheint sechs; denn diese Sechs sind eben nicht Europa, sie
uns eine besondere Bedeutung zu liegen; denn hier sind auch nicht einmal Westeuropa. Infolgedessen
wird ein erster Schritt getan, um die Parlamente als drängten wir auf die Vereinigung weiterer Völker
Vertreter des Volkswillens — und nicht die Regie Europas in dieser EWG, die jetzt Gott sei Dank sich
4278 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung, Bonn, Freitag, den 6. November 1970
Borm
anschickt, eine EG, eine Europäische Gemeinschaft — Ja nun, wußten Sie vor 15 Jahren, was alles ist?
und nicht nur eine europäische Wirtschaftsgemein- (Zuruf von der CDU: Lesen Sie einmal die
schaft zu werden. Auch dort, meine Damen und
Reden von Herrn Dehler nach!)
Herren von der Opposition, wäre es vielleicht gut
gewesen, wenn Sie in den 15 Jahren, die dazwischen Nur finden wir, Herr Kollege Lenz, manches bestä-
liegen, sich etwas mehr dieser jetzt von Ihnen er- tigt von den Befürchtungen, die wir damals gehegt
hobenen Forderung bewußt gewesen wären. haben.
(Beifall bei der SPD.) Aber es ist heute trotzdem noch ein Fehler — und
das gebe ich sehr gerne zu —, wenn etwa für das
Wir befürchteten damals Zollmauern durch Europa, nächste Jahr der Etat der Europäischen Gemeinschaft
und wer sich die Dinge ansieht, der weiß, in welche um 19 % erhöht wird und wenn dann die parla-
Schwierigkeiten die skandinavischen Staaten, in mentarischen Institutionen nur mit kümmerlichen
welche Schwierigkeiten Großbrtannien und Irland 10 % bedacht werden. Ich glaube, das wird man ein-
geraten sind; aber er weiß auch darum — auch das mal unter die Lupe zu nehmen haben.
war heute bereits Gegenstand einer Bemerkung —,
daß diese Zollmauern, die vielleicht errichtet wer- Und hinsichtlich der Bewertung dessen, was sei-
den sollten, in den USA zu großen Bedenken Anlaß tens der Bundesregierung geschehen ist, darf ich
gaben. doch wohl auf ein sehr unverfängliches Zeugnis zu-
rückgreifen. Dieses Zeugnis stammt aus der Sitzung
Und das letzte: die parlamentarische Kontrolle!
der französischen Kammer von gestern abend und
Das Fehlen der parlamentarischen Kontrolle, die
ist abgegeben worden von Herrn Schumann, von
jetzt institutionalisiert zu werden beginnt, war das,
dem Sie sicher nicht glauben werden, daß er etwa
was wir damals als Mangel empfunden haben. Und
voreingenommen sei. Er sagt, verfahrensmäßig
da allerdings bin ich der Meinung, daß gerade das
müsse man verlangen, daß die Gemeinschaft mit
in den vergangenen 15 Jahren etwas mehr hätte
einer einzigen Stimme spreche — Ihre Forderung,
vorangetrieben werden sollen.
meine Damen und Herren von der Opposition, und
Der Herr Kollege Barzel ist ungeduldig. Ich bin unsere Forderung! —, so wie es der Präsident —
Ihnen sehr dankbar, Herr Kollege, daß sie unge- und dieser Präsident heißt derzeit Bundesaußen-
duldig sind; aber in dieser Ungeduld stehen Sie minister Walter Scheel — zur Zeit tue, der sich die-
wirklich nicht allein. ser schwierigen Aufgabe ausgezeichnet unterziehe;
und dann fügt er hinzu: der aber immer bedroht
(Abg. Dr. Barzel: Sehr gut!) sei. — Von wem wohl, meine Damen und Herren?
Ich entsinne mich sehr wohl auch Ihres Wortes, das (Beifall bei den Regierungsparteien. —
mir sehr gefallen hat, daß Sie sagten: Dieses Abg. Dr. Klepsch: Von der Auflösung der
Europa der Sechs ist schon so weit fortgeschritten, FDP!)
daß es nicht mehr rückgängig gemacht wird. Sie ge-
Auch in Paris ist man ungeduldig, weil es nicht
brauchten das schöne Bild von den Eiern, die man
schnell genug vorangeht. Ich empfehle Ihnen, das,
in eine Schüssel geschlagen hat. Ich war sehr davon
was darüber auch von Herrn Schumann gesagt wor-
angetan; es ist einleuchtend. Aber nun sprechen Sie
den ist, nachzulesen; dort stehen manche Dinge, vor
heute von „mager", Herr — —
allem steht dort, daß sich der entscheidende Schritt
(Zuruf Dr. Barzel: Wollen wir das Bild ganz zur Einigung Europas im Jahre 1970 vollzogen
nehmen! Ich habe gesagt: Aus sechs Eiern habe oder noch vollziehen werde. Soviel ich weiß,
ist ein Omelett geworden, das aber kann waren Sie zu diesem Zeitpunkt nicht an der Regie-
auch vergammeln!) rung.
— Ja, sehen Sie, genau da, Herr Kollege, sind wir. (Beifall bei den Regierungsparteien. —
Zu einem Omlett gehört etwas Fett, und auch Ihre Abg. Dr. Klepsch: Wenn er sich noch voll
Politik ist etwas mager — die Sie heute u n s vor- ziehen soll, ist die Zeit zu kurz!)
werfen —, denn wir sind in der Tat mit ihr nicht Das alles wurde in der französischen Kammer ge-
weitergekommen. - sagt und scheint mir infolgedessen als Zeugnis un-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) verdächtig zu sein.
Denn es nützt ja nichts, Diese Dinge kann man aber natürlich nicht voll-
kommen losgelöst von der allgemeinen Entwicklung
(Zuruf Dr. Marx [Kaiserslautern] : Die Regie unserer Bundesrepublik betrachten. Die Wurzeln
rung hört Ihnen nicht zu! Der Kanzler ist dafür, daß eine solche Politik überhaupt möglich ist,
gar nicht da) liegen im Grundgesetz, sie liegen in der Entschei-
heute nur Forderungen zu stellen; dann müssen Sie dung über die freie Marktwirtschaft. Und auch da,
sich schon gefallen lassen, daß wir Ihnen eine Rech- meine Damen und Herren, sollten Sie, so wie ich es
nung aufmachen, was auch Sie in 15 Jahren nicht tue, gelegentlich nachlesen. Nicht alle in Ihrem
erreicht haben. Kreise waren damals der Meinung, daß die freie
Marktwirtschaft richtig sei. Auch dort glaubte man
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Dr. nach Ahlener Vorstellungen — ich will nicht rech-
Lenz [Bergstraße] : Wir haben mehr er ten, sondern es nur feststellen —, daß eine andere
reicht, als die Freien Demokraten damals Wirtschaftsform, eine Planwirtschaft eher mit den
gefordert haben!) damaligen Nöten fertig werden könne. Sich das ein-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970 4279
Borm
mal ins Gedächtnis zurückzurufen, scheint mir durch- so sehr verspottete Kollege Pfleiderer war, der
aus notwendig zu sein. Hier waren es die Liberalen, diese Ideen schon 1952 in die Öffentlichkeit ge-
meine Damen und Herren, bracht hat.
(Abg. Haase [Kassel] : Mit denen haben Ich möchte noch etwas anderes nennen, was wir
Sie doch nichts mehr zu tun!) uns als Erfolg der jetzigen Regierung zurechnen.
die da nicht irgendwie eine andere Meinung ver- Ich meine die Ostpolitik. Ich will nicht sagen, daß
treten haben, — — es frühere Bundesregierungen nicht auch versucht
hätten; aber erst jetzt werden die Dinge konse-
(Zuruf Dr. Marx [CDU/CSU] : Gucken Sie quent verfolgt. Und gerade heute zeigt sich, daß
doch mal Ihren Koalitionsgenossen an! — diese Politik die unausweichliche Voraussetzung da-
Lemmrich [CDU/CSU] : Seid Ihr noch Libe für ist, daß unsere Frage, die deutsche Frage, gelöst
rale? — Weitere Zurufe.) wird. Die Lösung der deutschen Frage also ist eine
— Bitte, sagen Sie, wen Sie meinen mit „Ihr". Von unabdingbare Voraussetzung des ganzen Europa.
mir darf ich annehmen, daß ich ein in der Wolle ge- Insofern ist das, was wir jetzt als Gewaltverzicht
waschener Liberaler bin. Deswegen bin ich Ihnen mit der Sowjetunion, mit Polen, mit der Tschecho-
vielleicht manchmal so unbequem. slowakei durchzuführen uns bemühen, im wahrsten
Sinne nationale und zugleich europäische Politik.
(Beifall bei der FDP.) Erstmalig seit vielen Jahren in dieser neuesten Ge-
Wir haben stets sehr klar und sehr eindeutig hier schichte unseres Volkes sind unsere nationalen
und anderswo in der Öffentlichkeit das vertreten, was Interessen gleichlaufend mit den europäischen.
wir für die Entwicklung in unserem Europa für not- (Abg. Dr. Jahn [Braunschweig] : Das glau
wendig halten. Ich verweise nur auf das, was unser ben Sie doch selbst nicht!)
verstorbener Kollege Thomas Dehler vorgetra- — Das glaube ich sehr wohl; denn wie wollen Sie
gen hat, wie schwer er manchmal an der Engstirnig
die deutsche Frage lösen, wenn Sie nicht irgendwie
keit derer gelitten hat, die glaubten, für Europa sei in ein vernünftiges Verhältnis mit dem Osten kom-
genug geschehen, wenn sich sechs Völker zusam-
men? Durch den kalten Krieg mit dem Osten be-
mengefunden hätten. Ich sage Ihnen heute, meine
stimmt nicht!
Damen und Herren: Nicht Westeuropa allein ist es,
um das es geht. Dieses Europa ist größer. Unser (Beifall bei den Regierungsparteien. —
Streben danach mag heute noch wenig Aussicht auf Abg. Ott: Durch Unterjochung geht es
baldige Realisierung haben. Es mag sein, daß darin auch!)
von einigen eine Utopie vermutet wird. Aber fast — Wer redet denn von Unterjochung? Wollen Sie
alles, was in der Geschichte groß und notwendig unterjochen? Verdrehen Sie doch nicht die Tat-
war, begann mit Vorstellungen, die von manchen, sachen, Herr Kollege! Wollen Sie nicht oder kön-
die kleinmütig waren, als Utopie bezeichnet wurden. nen Sie nicht verstehen?
Es geht eben nicht nur um den Westen. Dieser (Beifall bei den Regierungsparteien. —
Westen kann so stark und so gefestigt sein, wie Abg. Wehner: Worte nimmt er genauso
er will, — wenn es nicht gelingt, zugleich zu einem ernst wie seinen Parteinamen; das ist alles
Ausgleich mit dem Osten zu kommen, werden wir relativ! — Zurufe von der Mitte.)
militärisch, wirtschaftlich, ideologisch immer be- — Wahrscheinlich. Herr Kollege, darauf kann man
droht sein. Wir wissen auch um die Gefahren, die nicht antworten. Eine so billige Polemik ist wahr-
darin liegen, daß man sich in eine Berührung mit lich unter Ihrer Würde.
totalitären Mächten begibt. Das wissen wir von uns
hier im eigenen Land, und das weiß keiner besser (Beifall bei den Regierungsparteien. —
als ich, der es leider lange genug hat machen müs- Abg. Lemmrich: Ist in Prag Unterjochung
sen. Aber eines, meine Damen und Herren, wissen oder nicht?)
wir auch: daß wir in unserer Überzeugung, durch
unsere Wirtschaftskraft und durch das, was wir Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine
-
bisher erreicht haben, gegen ideologische Gefahren Zwischenfrage des Abgeordneten Lemmrich?
genauso gefeit sind wie — durch das Bündnis, in
dem wir vertreten sind — gegen militärische Ge- Lemmrich (CDU/CSU) : Herr Kollege, ist das bil-
fahren. lige Polemik, wenn man Sie an Prag erinnert?
Immer wieder waren es die Freien Demokraten, (Widerspruch und Lachen bei den Regie
die zur Politik drängten, wenn ängstlicher Immobi- rungsparteien.)
lismus diese Politik zu ersticken drohte — vielleicht
deswegen, weil man glaubte, daß das, was erreicht Borm (FDP) : Entschuldigen Sie, wir treiben hier
war, dadurch gefährdet werden könnte. Was er- keine tschechische oder sowjetische Politik, son-
reicht wurde, ist viel; das gebe ich zu. Aber es ist dern deutsche Politik.
noch längst nicht genug. Wir Freien Demokraten
waren in diesem Land die ersten, die für diesen (Abg. Dr. Klepsch: Wird an der Zonen
Ausgleich mit dem Osten eingetreten sind, nicht nur grenze nicht mehr geschossen?)
im Interesse unseres Landes, nein, im Interesse Ich habe Ihnen gesagt, daß Sie gerade diese Unter
Europas. Ich erinnere daran, daß es der damals jochung nicht aus Europa herausbrächten, wenn wir
als „Utopist", als „ein Mann mit Hirngespinsten" uns wiederum — wie wir es lange, viel zu lange
4280 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970
Borm
getan haben — in eine Position des kalten Krieges — Ich habe nicht davon geredet, daß in Würzburg
hineinbegäben. Das habe ich Ihnen gesagt. Dinge auf der Straße geschehen sind; dem ist ja
(Beifall bei den Regierungsparteien.
— auch entgegengetreten worden. Ich habe davon ge-
Abg. Lemmrich: Verwechseln Sie hier nicht redet, wer diesen makabren Haufen zusammenge-
Ursache und Wirkung?) bracht hat, und das waren nicht die Sozialdemo-
kraten oder die Freien Demokraten.
Ich darf feststellen — ich habe Ihnen eben eine
Bestätigung aus der französischen Kammer vorge- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
lesen —: der Durchbruch in Den Haag ist erfolgt,
während diese Regierung im Amt war, nicht wäh- Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine
rend Sie im Amt waren. Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Feller-
maier?
(Zustimmung bei den Regierungsparteien.)
Die mutige Ostpolitik, die wir angefangen haben, Fellermaier (SPD) : Herr Kollege Borm, können
die genau dem dienen soll, den europäischen und Sie mir in der Feststellung zustimmen, daß die mo-
den deutschen Interessen, ist von uns konsequent natelangen Haßtiraden des „Bayernkuriers" gegen
durchgeführt worden, trotz mancher verbalen Äuße- die Bundesregierung
rungen, die wir von Ihnen gehört haben.
(Zurufe von der CDU/CSU: Unerhört!)
Aber es geht auch noch um die Innenpolitik, und
hier sei mir bitte noch ein sehr ernstes Wort ge- ein Klima erzeugen, welches zu Würzburg führen
stattet. kann?
(Zustimmung bei der SPD. — Fortgesetzte
(Abg. Lemmrich: Ursache und Wirkung!) lebhafte Zurufe von der CDU/CSU.)
— Genau auf Ursache und Wirkung werden wir
kommen, Herr Kollege. — Diese Innenpolitik, das Borm (FDP) : Herr Kollege Fellermaier, diese
wissen wir genau, nämlich diejenigen Parteien, die Dinge werden mit dazu beigetragen haben. Aber die
die jetzige Regierung tragen, und auch die Regie- Ursachen liegen noch viel tiefer. Denn diejenigen
rung selbst, diese Innenpolitik ist bedroht von Kräfte, die schon zweimal Europa und unser Volk
Extremisten von rechts und von links. Deren von beinahe in den Abgrund gestürzt hätten, die sind
links werden wir uns erwehren können. Aber wenn wieder da. Und das ist nicht nur der „Bayern-
man gestern abend im Fernsehen hören konnte, kurier",
daß der bayerische Innenminister sich unterfängt zu (lebhafter Widerspruch und Pfui-Rufe von
sagen, an dem, was in Würzburg mit diesem ma- der CDU/CSU)
kabren Haufen geschehen ist, sei das liberalisierte
Demonstrationsrecht schuld, dann beweist das, daß aber die da vielleicht dahinterstehen, die mögen es
man da die Dinge auf den Kopf stellt. sein.
(Beifall bei der SPD. — Abg. Lemmrich:
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Leb Das ist Verleumdung, was Sie hier fabri
hafte Zurufe von der CDU/CSU.) zieren! Weitere Zurufe von der CDU/CSU.
— Wer hat denn den Haufen zusammengebracht, — Unruhe.)
das Demonstrationsrecht oder wer?
(Zuruf von der CDU/CSU: Der Oberbürger Präsident von Hassel: Meine Damen und Her-
meister gehört der SPD an und konnte ren, ich lasse noch eine letzte Zwischenfrage zu. —
nicht zugreifen! — Weitere lebhafte Zurufe Herr Abgeordneter, sind Sie bereit, noch eine Zwi-
von der CDU/CSU.) schenfrage von Herrn Abgeordneten Ott zuzulas-
sen?
— Ich frage, wer den Haufen zusammengebracht
hat!
(Abg. Haase [Kassel] : Sie haben doch dem Borm (FDP) : Bitte sehr!
Mob die Straße frei gemacht! — Zuruf von
-
der CDU/CSU: Reden Sie von Europa! — Ott (CDU/CSU) : Herr Kollege Borm, ist Ihnen be-
Weitere Zurufe von der Mitte.) kannt, daß das innenpolitische Klima bereits da-
durch verschlechtert wurde, daß Herr Waldemar von
Knoeringen bereits 1957
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine
Zwischenfrage des Abgeordneten Ott? (Lachen bei den Regierungsparteien)
— ja, ja, daß Waldemar von Knoeringen bereits
1957 damit begann, Franz Josef Strauß als den
Ott (CDU/CSU) : Herr Kollege Borm, können Sie
Volksfeind Nummer eins zu bezeichnen?
mir sagen, ob in Würzburg der Oberbürgermeister
oder der Polizeichef nicht der SPD angehört? (Lachen bei der SPD.)
Präsident von Hassel: Gestatten Sie noch eine dann wirkt Ihre Frage, was wir denn nun eigentlich
Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Barzel? erreicht haben, sehr merkwürdig. Ich wünschte sehr,
daß, statt von Ihnen nur Kritik — manchmal als
Borm (FDP) : Bitte! Selbstzweck — zu hören, eine wirklich konstruk-
tive Mitarbeit der Opposition festgestellt werden
könnte.
Dr. Barzel (CDU/CSU) : Glauben Sie nicht, Herr (Zurufe von der CDU/CSU.)
Kollege, daß es der Schlußaufforderung des Bundes-
kanzlers, den Schutzschild der deutschen Demokra- Meine Damen und Herren, es geht ja nicht nur
tie klar zu haben, wohl bekommen würde, wenn Sie um diese Regierung, es geht nicht nur um die Bun-
alle Verdächtigungen der Art, wie sie der Kollege desrepublik, es geht um Europa. Da wäre, glaube
Fellermaier und Sie selbst hier eben geäußert ha- ich, eine Kritik nur um der Kritik willen fehl am
ben, vom Tisch nähmen, indem Sie völlig klarmach- Platze. Ich vermisse Ihre Anregungen, wie es wohl
ten, daß in diesem Hause demokratisch mit unter- weitergehen sollte, auf allen Gebieten. Das scheint
schiedlichen Meinungen gerungen wird und man mir wichtiger zu sein.
dem andern nichts unterstellen sollte, so wie Sie es (Zurufe von der CDU/CSU.)
eben getan haben?
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine
den Regierungsparteien.) Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Klepsch?
Borm (FDP) : Herr Kollege Barzel, ich muß Ihnen Dr. Klepsch (CDU/CSU) : Herr Kollege Borm,
energisch widersprechen. Ich habe diesem Hause Ihren letzten Satz kann man nur dann verstehen —
nichts unterstellt. das darf ich einleitend zu meiner Frage bemer-
(Sehr wahr! bei der SPD.) ken —, wenn man davon ausgeht, daß Sie während
der Rede des Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU
Ich habe mich nur gegen die Kräfte gewandt, die nicht im Saal gewesen sind. Deshalb frage ich Sie:
Gott sei Dank in diesem Hause nicht sind. Hat nicht der Kollege Dr. Barzel hier sehr präzise
(Abg. Dr. Klepsch: Sie haben den „Bayern und konkrete Vorschläge darüber gemacht, wie es
Kurier" genannt!) weitergehen soll? Wir hatten gehofft, von Ihnen zu
hören — das darf ich Sie fragen —, wie Sie als
— Der „Bayern-Kurier" ist ja auch nicht hier. Das Sprecher der Freien Demokratischen Partei zu die-
möchte ich betonen. Nichts ging gegen dieses Haus. sen Vorschlägen stehen.
(Abg. Ott: Der „Bayern-Kurier" hat politi (Zurufe von den Regierungsparteien.)
sche Gegner nie als „Verbrecher" bezeich
net! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)
Borm (FDP) : Sie haben, Herr Kollege Klepsch,
manchmal etwas gehofft, was Gott sei Dank nicht
Präsident von Hassel: Meine Damen und Her- in Erfüllung gegangen ist. Ich gebe aber sehr wohl
ren, ich darf vorschlagen, daß wir auf allen Seiten zu, daß die Anregungen, die Herr Kollege Barzel
des Hauses in der Europa-Debatte fortfahren. Das gegeben hat, durchaus überlegenswert sind. Es ist
Wort hat der Abgeordnete Borm. aber nicht meine Sache als Parlamentarier, dazu
Stellung zu nehmen. Dafür ist die Regierung da.
Borm (FDP) : Meine Damen und Herren, nicht ich (Lachen bei der CDU/CSU.)
habe diese längere Unterbrechung in der Erörterung
Hier allerdings, meine Damen und Herren, muß ich
der Europapolitik herbeigeführt. Es gehört aber auch
sagen, ist ein kleines Körnchen von — noch dazu
zu einer erfolgreichen Europapolitik, daß das
sehr polemischen — Anregungen, das Sie bereits
deutsche Volk von dieser Tribüne erfährt, was im
als einen Erfolg darstellen wollen, noch nicht so
Innern diese Politik von rechts und von links durch
wertvoll, daß ich es als eine wirklich konstruktive
Extremisten gefährden kann. Dieses Recht sollte
Mitarbeit werten könnte.
jeder von uns für sich in Anspruch nehmen.-
Die Freien Demokraten wollen, daß das Werk,
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
das die Regierung begonnen hat, nicht nur in Brüs-
Ein letztes, meine Damen und Herren. Diese neue sel, sondern überall fortgeführt wird. Deshalb wer-
Regierung ist ein Jahr am Werk. Sie hat sich, ver- den wir auf diesem Teilgebiet der Ratifikation zu-
gleichen Sie die Regierungserklärungen, sehr viel stimmen.
vorgenommen, nach innen und nach außen. Vor (Beifall bei den Regierungsparteien.)
dem Hintergrund, daß wir im Innern an die Befrie-
dung unseres Volkes herangehen wollen, wollen
wir nicht dulden, daß Extremisten dieses Werk ge-
Präsident von Hassel: Das Wort hat der Ab-
geordnete Dr. Wagner. Für ihn hat die CDU/CSU-
fährden. Viele Dinge — Dinge, die vielleicht erst
Fraktion 30 Minuten Redezeit beantragt.
langsam gereift sind —, sind von Ihnen jedoch nicht
in Angriff genommen worden, sind noch zu er-
ledigen; wir betreiben nach dem Westen hin eine Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) : Herr Präsident!
erfolgreiche — ich wiederhole: erfolgreiche — Meine Damen und Herren! Die Redezeit, die unter
schrittweise Politik. Wir gehen aber auch nach dem anderen Voraussetzungen beantragt war, werde
Osten. Wenn wir uns das alles vor Augen halten, ich mit Sicherheit nicht benötigen.
4282 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970
Zusammenhang mit dieser Finanzregelung etwa im Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischen-
institutionellen Bereich bewirkt worden ist. Das frage des Herrn Abgeordneten Dr. Apel?
Haushaltsrecht, das dem Europäischen Parlament
eingeräumt wurde, ist ungewöhnlich bescheiden. Das Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) : Bitte.
Parlament hat das letzte Wort bezüglich der Ver-
waltungsausgaben. Ich weise darauf hin, daß die Dr. Apel (SPD) : Herr Kollege Wagner, sind Sie
Verwaltungsausgaben nur etwa 4 % der Gesamt- bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die Bundes-
ausgaben der Gemeinschaften ausmachen. Bezüglich regierung sehr intensiv in diesen Fragen in Brüssel
aller anderer Ausgaben — das sind etwa 96 % — vorstellig geworden ist, und sind Sie sich des
ist das Parlament nach wie vor an das Votum des Problems bewußt, daß die schwerwiegenden recht-
Ministerrats gebunden. Das bedeutet, daß der weit- lichen Argumente von 1965 für meine Fraktion
aus überwiegende Teil der Milliardenbeträge, die in natürlich leider auch heute noch gelten?
Zukunft im Gemeinschaftshaushalt stehen werden,
nach Inkrafttreten dieser Regelung jeder parlamen- (Abg. Dr. Klepsch: Ja, wer hat denn seine
tarischen Kontrolle in Europa, sowohl der nationalen Meinung geändert?)
als auch der europäischen, entzogen sein wird.
Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) : Herr Kollege
Wir sehen den Zusammenhang, den es hier zwi- Apel, es ist mir bekannt, daß die Bundesregierung
schen dem vollen Haushaltsrecht und dem Gesetz- in Brüssel vorstellig wird. Da Sie es mir sagen, bin
gebungsrecht des Europäischen Parlaments gibt. Ein ich auch gern bereit, hiermit zur Kenntnis zu neh-
volles Haushaltsrecht wird sich, so glaube ich, nur men, daß sie intensiv vorstellig wird.
erreichen lassen, wenn dem Europäischen Parlament
auch Gesetzgebungsbefugnisse übertragen werden. Die rechtlichen Fragen sind von uns geprüft wor-
Eben dies ist unsere Forderung. den. Wir sind der Auffassung, daß die rechtliche
Problematik, die sich mit einem solchen isolierten
Gleichzeitig ist unsere Forderung, daß die direkte Vorgehen zweifellos stellen würde, überwindbar ist.
Wahl des Europäischen Parlaments herbeizuführen Das heißt, daß sich Formen und Gestaltungsmöglich-
ist. Dabei sind wir der Auffassung, daß der Bundes- keiten finden lassen, die sowohl mit nationalem
tag, wenn sich die Verhandlungen über die direkte Verfassungsrecht als auch mit europäischem Recht
Wahl weiter ad infinitum im Rat hinschleppen soll- vereinbar sind.
ten, selber die Initiative ergreifen sollte und nicht
zögern sollte, die Direktwahl zumindest der deut- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
schen Abgeordneten zum Europäischen Parlament, Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
isoliert zunächst, herbeizuführen in der Erwartung Herrn Abgeordneten Blumenfeld?
und der Hoffnung, daß dies dann die anderen Staa-
ten, einen nach dem anderen, nach sich zieht.
Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) : Bitte, Herr Blu-
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.) menfeld.
Bitte, Herr Apel.
Blumenfeld (CDU/CSU) : Herr Kollege Dr.
Dr. Apel (SPD) : Herr Kollege Wagner, ist Ihnen Wagner, würden Sie mir nicht zustimmen, daß sich
die Frage erhebt, warum die sozialdemokratische
bekannt, daß die CDU/CSU einen Antrag der SPD-
Fraktion, wenn sie den Antrag des Kollegen Dr.
Fraktion, der in die gleiche Richtung ging, mit recht-
Mommer, auf den Herr Dr. Apel eben abgehoben
lichen, aber auch mit einer Reihe politischer Über-
hat, immer noch gültig und rechtlich einwandfrei
legungen vor einigen Jahren abgelehnt hat?
findet, ihn nicht als Entschließungsantrag einge-
(Abg. Dr. Luda: Die Zeit ist jetzt reifer bracht hat, sondern einen anderen Text vorgelegt
geworden!) hat?
Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) : Herr Kollege Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) : Herr Kollege
Apel, Sie sagen mit Recht: vor einigen Jahren. Das Blumenfeld, ich kann Ihnen selbstverständlich nur
ist der Punkt. Die Zeit ist reifer. Die Gemeinschaft zustimmen. Diese Frage liegt sehr nahe. Der Zwie-
ist in ihr Endstadium eingetreten. spalt bei der Fraktion der SPD scheint offen zutage
zu liegen.
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
Wir sind dabei, in die Wirtschafts- und Währungs- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
union einzutreten. Wir haben diese Finanzgesetze Herr Kollege, gestatten Sie eine weitere Zwischen-
vor uns. Wir sind also der Meinung, daß die Zeit für frage des Herrn Abgeordneten Gerlach?
den damaligen Standpunkt, noch etwas abwarten zu
können in der Hoffnung, daß dann alle mitmachen, Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) : Ja, mit der Be-
jetzt vorbei ist, jedenfalls daß nicht mehr beliebig merkung, Herr Präsident, daß ich bei Fortsetzung
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970 4285
Dr. Wagner (Trier)
1 der Zwischenfragen Gefahr laufe, meine Redezeit Ich bin deswegen der Auffassung, daß die Bundes-
von 30 Minuten doch noch zu erreichen. republik Deutschland hier einen Hebel hatte, den
sie hätte ansetzen können und müssen.
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Herr Kollege, wir werden dann Toleranz üben. Ich glaube, daß die Bundesregierung ihre Verhand-
lungsposition von vornherein dadurch geschwächt
Gerlach (Emsland) (SPD) : Herr Kollege Dr. hat, daß sie sich einseitig auf, sagen wir, das Frei-
Wagner, würden Sie so liebenswürdig sein, zur machen des England-Beitritts fixiert hat. Die Bun-
Kenntnis zu nehmen, daß nach dem Protokoll der desregierung ist mit der Vorstellung, mit der Über-
zeugung in diese Finanzverhandlungen gegangen,
letzten Ministerratssitzung die Expertenkommission
beauftragt worden ist, eine Feststellung über die hier ganz einfach nachgeben zu müssen, damit die
Beitrittsverhandlungen beginnen können. Nur die
Möglichkeit der Wahlen für das Europäische Par-
lament zu treffen, und zwar in den einzelnen Mit- Beitrittsverhandlungen; es handelt sich ja noch kei-
neswegs um den Beitritt. Deswegen hat sie nicht
gliedsstaaten nach einem möglichst einheitlichen
System? mehr die Kraft gehabt, gaube ich, — —
(Abg. Wehner: Unglaublich, was Sie glau
(Abg. Dr. Klepsch: Dann kann er dafür stimmen!) ben!)
— Herr Wehner, ich sage hier aber, was ich glaube.
Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) : Ich bin gern be- Ob Sie das interessiert, interessiert vielleicht andere
reit, dies zur Kenntnis zu nehmen bzw. aus Ihrem wieder nicht.
Mund mir abermals bestätigen zu lassen. Aber ich
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des
muß andererseits sagen, daß uns Beschlüsse ähn-
Abg. Wehner.)
licher Art, nämlich Prüfungen und Aufträge an Ex-
pertengruppen usw., aus den vergangenen Jahren — Herr Wehner macht hier wieder die charmanten
schon sattsam bekannt sind. Wir haben Beschlüsse Bemerkungen, durch die er dem ganzen Hause so
dieser Art schon öfter gehabt und leider die Erfah- bekannt und auch bei allen so beliebt ist. Das ken-
rung gemacht, daß sie oft wieder nur in den Schub- nen wir und das rührt niemanden mehr. Das wird
laden landeten. allmählich zum Amusement des Hauses.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner:
Selbstverständlich ist auch die Fraktion der CDU/
Schlimm, wenn es mir nicht gelänge, Sie zu
CSU ganz klar der Meinung, daß es das weitaus
amüsieren, wissen Sie! — Heiterkeit bei
beste wäre, die direkte Wahl aller Abgeordneten
der SPD.)
zum Europäischen Parlament in allen Ländern nach
einem einheitlichen Verfahren durchzuführen. Die
Formulierung in unserem Entschließungsantrag, daß Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
wir dies notfalls auch allein tun würden, ist eben, Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischen-
wenn Sie so wollen, eine Notformulierung, eine frage des Herrn Abgeordneten Lenz?
Formulierung für den Fall, daß es anders nicht
geht. Dr. Lenz (Bergstraße) (CDU/CSU) : Herr Kollege
Dr. Wagner, die Kollegen von den Koalitionsfrak-
tionen haben darauf hingewiesen, daß die Ver-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
handlungen in Brüssel so ungeheuer schwierig wa-
Herr Kollege, würden Sie eine Zwischenfrage des ren. Halten Sie vor diesem Hintergrund die Aus-
Herrn Kollegen Dr. Koch gestatten? führungen des Kollegen Apel für berechtigt, man
könne frühere Bundesregierungen dafür tadeln, daß
Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) : Bitte. sie in der Zeit bis 1969 — bei anderen Verhältnissen
in einem anderen Mitgliedstaat — größere Fort-
schritte nicht gemacht haben?
Dr. Koch (SPD) : Herr Kollege Wagner,- sind Sie
bereit, zuzugeben, daß die Gewinnung dieser zwei- Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) : Herr Kollege
fellos bescheidenen Haushaltsrechte beinahe schon Lenz, ich halte unter diesem Aspekt die Ausführun-
an dem Widerstand einer großen westlichen Macht gen des Herrn Kollegen Apel in der Tat für falsch.
der EWG gescheitert wäre und daß es angesichts Ohne jeden Zweifel sind diese Verhandlungen, seit-
dieses Widerstands praktisch nicht möglich war, dem sich in Paris etwas geändert hat, leichter ge-
darüber hinauszugehen? worden und ist eine ganze Reihe von Dingen über-
haupt erst wieder möglich geworden. Das wissen
Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) : Herr Kollege die Kollegen bei der sozialdemokratischen Fraktion
Dr. Koch, ich bin nicht bereit, Ihnen dies zuzuge- — zumindest einige von ihnen — so gut wie wir.
stehen. Ich bin der Auffassung, daß die Bundes- Wir sind im übrigen der Auffassung, daß abge-
republik Deutschland in diesen Verhandlungen eine sehen von diesen institutionellen Fragen, die ihre
ungewöhnlich starke Position hatte, und zwar ganz große Bedeutung haben, auch der gesamtpolitische
einfach deshalb, weil sie der finanziell gebende Teil Zusammenhang, d. h. die Ausdehnung der Integra-
ist. tion auf Bereiche, die bisher von ihr nicht erfaßt
(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!) sind, hier hineingehört. Dazu hat unser Fraktions-
4286 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970
worden ist, ist ja früher in umgekehrter Richtung Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischen-
ebenfalls ausgetauscht worden. Man kam am Ende frage des Abgeordneten von und zu Guttenberg?
immer zu dem Ergebnis, das ich Ihnen hier nur mit-
teilen kann: daß alles nur gemeinschaftlich zu lösen
ist. Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär 'beim
Bundesminister des Auswärtigen: Bitte schön!
Die Bundesregierung ist froh, daß sie auf dem
Weg zur Verstärkung der Gemeinschaft in den ver-
gangenen zwölf Monaten ein ganz wesentliches Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) :
Stück weitergekommen ist. Der Herr Bundeskanzler Herr Kollege Moersch, ist Ihnen wirklich entgan-
hat darauf heute morgen schon hingewiesen. Die gen, daß der Herr Vorsitzende der CDU/CSU-Frak-
Europapolitik dieser Bundesregierung und die Euro- tion, der Kollege Dr. Barzel, heute vormittag zu-
papolitik überhaupt ist seit einem Jahr mit großer sätzlich zu dem Stufenplan, der den Namen des
Intensität betrieben worden. Diese Bundesregierung Herrn Ministerpräsidenten Werner trägt, einen
hat die europäische Aufgabe, wie ich meine, mit Stufenplan zur politischen Union verlangt hat,
gutem Erfolg angepackt. Ich möchte das hier doch (Abg. Dr. Barzel: Das ist doch der Punkt!)
noch einmal im einzelnen darlegen, damit nicht ein
falscher Eindruck auf Grund mancher Äußerungen von dem er meint, daß diese Regierung ihn vorlegen
der Opposition entstehen kann. solle, wenn sie sich, wie sie selbst gesagt hat, als
Vergleicht man in der europäischen Entwicklung Motor der europäischen Einigung versteht?
das Jahr 1970 mit den vorangegangenen Jahren, (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr.
so wird der Wandel im positiven Sinne, der unge- Barzel: Das ist es!)
wöhnliche Fortschritt beim inneren Ausbau der
Europäischen Gemeinschaft und auf dem Wege zu
ihrer Erweiterung, evident. Die Hoffnungen, die sich Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim
an das Treffen der Staats- und Regierungschefs im Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege von
Haag vom 1. und 2. Dezember 1969 geknüpft hatten, Guttenberg, mir ist das keineswegs entgangen,
haben nicht getrogen. Die Regierungen der Mitglied- (Abg. Baron von Wrangel: Warum reden Sie
staaten sind sich während des vergangenen Jahres denn so, Herr Moersch?)
in zunehmendem Maße — und das ist doch wohl
und ich versuche ja gerade darzulegen, daß die
entscheidend wichtig — ihrer gemeinsamen Interes-
Kritik des Kollegen Dr. Barzel an den gegebenen
sen bewußt geworden. Vor vier Wochen hat Mini-
Tatsachen in Europa vorbeigegangen ist und daß
ster Scheel an dieser Stelle mitgeteilt, daß von un-
das, was wir erreicht haben, unter den gegenwär-
serer Seite die Absicht bestehe, einen Mechanismus
tigen Umständen sicherlich optimal ist. Es geht
europäischer politischer Konsultationen einzurich- nicht um das, was wir wünschen, sondern es geht
ten. Vor wenigen Tagen nun, am 27. Oktober, ge- um das, was möglich ist. Wir haben das getan, was
lang es, diese Absicht in Luxemburg zu verwirk-
möglich war.
lichen und damit einen der wichtigsten Aufträge
der Haager Konferenz zu erfüllen. (Abg. Wehner: Einen Fahrstuhl gibt es nicht!
Kollege Barzel hat heute morgen gesagt, das sei — Zurufe von der CDU/CSU.)
nicht genug; es müsse hier ein wirklicher Stufen-
plan ausgearbeitet werden. Ich darf darauf ver- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
weisen, daß eben dies geschehen ist. Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine weitere Zwi-
(Abg. Dr. Apel: Sehr richtig!) schenfrage des Herrn Abgeordneten von und zu
Guttenberg?
Es ist ein Stufenplan, der hier verabschiedet wor-
den ist. Ich werde im Verlauf dieses Beitrags noch
auf einige Einzelheiten kommen, die, glaube ich, Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim
deutlich machen, daß Herr Kollege Barzel wohl den Bundesminister des Auswärtigen: Bitte schön!
-
wirklichen Gehalt dieser Entscheidung nicht ganz
aufgenommen hat,
Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) :
(Abg. Dr. Apel: Das Gefühl habe ich auch!) Herr Kollege Moersch, Sie haben soeben gesagt:.
daß er eine sehr euphemistische Deutung dieses „Das, was wir erreicht haben" — Sie haben dieses
Beschlusses gegeben hat „wir" gewiß auf die Bundesregierung bezogen —,
(Abg. Dr. Barzel: Aber Herr Moersch!) sei optimal gewesen. Erlauben Sie mir, daran die
Frage anzuschließen, ob Sie nicht mit dieser von
und daß eine intensive Beschäftigung mit dem Ver- Ihnen getroffenen Feststellung in der Tat das tun,
fahren ihn sicherlich zu einem anderen Urteil ge- was Herr Dr. Barzel heute früh „die falsche Feder
bracht hätte. an den falschen Hut stecken" genannt hat; denn die
(Abg. Dr. Barzel: Sagen Sie doch, daß wir Fortschritte, die es tatsächlich in Europa gegeben
unterschiedlicher Meinung sind! Aber ma hat, haben doch im wesentlichen einen Grund,
chen Sie doch den anderen nicht herunter! nämlich die politische Veränderung in einer euro-
Das ist doch keine Art!) päischen Hauptstadt, die nicht Bonn heißt.
— Ich mache keinen herunter. (Beifall bei der CDU/CSU.)
4288 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim ken, das es gar nicht geben würde, wenn es nach
Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege von dem Willen Ihrer Fraktion gegangen wäre?
Guttenberg, es läge jetzt natürlich nahe, einen klei- (Lachen bei der CDU/CSU.)
nen Ausflug in die Bewertung vergangener Dinge
zu machen.
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim
(Abg. Wehner: Mildernde Umstände!) Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Dr.
Aber daß Sie das, was in der gesamten westeuro- Lenz, ich habe hier nicht für die Fraktion zu spre-
päischen Gemeinschaft, zuletzt gestern abend vom chen, aber ich möchte Sie dringend vor Geschichts-
französischen Außenminister Schuman in der franzö- klitterung und vor gewagten Bildern warnen. Denn
sischen Nationalversammlung, als maßgebender Bei- der Einwand der Liberalen gegen diese Art von
trag dieser Bundesregierung voll gewürdigt wird, Vertrag, der damals geschlossen wurde, war u. a.
hier zu verkleinern versuchen, verstehe ich nicht, ein Einwand, den Sie heute selbst vorbringen, daß
da es nicht den Tatsachen entspricht. nämlich die demokratische und parlamentarische
Kontrolle nicht genügend entwickelt sei, und ich
(Beifall bei den Regierungsparteien. — glaube, das ist ein ehrenwerter Einwand gewesen.
Abg. Wehner: Geben Sie ihm mildernde
Umstände!) (Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Luda: Das
war nicht der Grund!)
Ich kenne die Debatten von damals, und Sie müssen
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
dann schon nicht mit halben Argumenten kommen.
Herr Staatssekretär, gestatten Sie eine Zwischen-
Denn auch hier gilt, daß, wer halb zitiert, mög-
frage des Herrn Abgeordneten Dr. Arndt?
licherweise ganz gewinnt, aber die Wahrheit auch
ein bißchen dabei verdreht.
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim
(Abg. Dr. Klepsch: Das ist jetzt Geschichts
Bundesminister des Auswärtigen: Bitte schön! Ich
klitterung! — Zuruf des Abg. Dr. Jahn
möchte dann aber weiterkommen.
[Braunschweig].)
— Ich brauche da nicht zu lesen, ich habe ein gutes
Dr. Arndt (Berlin) (SPD) : Herr Kollege Moersch,
Gedächtnis, Herr Dr. Jahn. Daß Sie als engagierter
halten Sie eine Vielzahl von Stufenplänen auf meh-
Europäer hier auftreten, hätte ich nach anderen
reren oder vielen Gebieten, also eine Art „Stufen-
Äußerungen von Ihnen gar nicht erwarten können.
planwirtschaft", wie sie dem Kollegen von Gutten-
berg vorschwebt, der europäischen Einigung wirk- (Abg. Wehner: Sehr wahr! Propaganda ist
lich für zuträglich? das!)
Zum Verfahren selbst: Von der Bundesregierung
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim hier haben wir einen Bericht verabschiedet, der
Bundesminister des Auswärtigen: Herr Kollege Dr. auch — und das bitte ich zu beachten — von den
Arndt, ich werde das hier im einzelnen noch dar- Beitrittskandidaten gebilligt worden ist. Und dar-
legen. Ich glaube, man muß deutlich unterscheiden, auf hatten wir ganz besonders zu achten in diesen
daß man in Wirtschafts- und Währungsfragen sehr Zusammenhang, in dieser Phase der Gespräche.
wohl einen konkreten Stufenplan vorlegen und sich
Die künftige Art der politischen Konsultation
auch darüber einigen kann,
wird nicht nur, wie Skeptiker befürchtet haben, ein
(Abg. Dr. Klepsch: Vorlegen will!) bloßer Informationsaustausch sein, sondern wird
daß sich aber die Frage der intensiven politischen ganz wesentlich durch einen Meinungsaustausch,
Zusammenarbeit danach beantwortet, ob die Inter- durch Diskussion, durch Argument und Gegenargu-
essen von den Beteiligten zunehmend identisch ment die Harmonisierung der Standpunkte der be-
werden oder nicht. Daß es uns gelungen ist, zuneh- teiligten europäischen Staaten in den wichtigen
mend zu einer gemeinsamen Definition der Inter- außenpolitischen Fragen erleichtern. Diese poli-
tische Konsultation — das beginnt sich bereits jetzt
essen in der Gemeinschaft zu kommen, halte ich,
- abzuzeichnen — wird die Solidarität unter den Mit-
unter uns gesagt, für den größten Erfolg des ver-
gangenen Jahres. gliedern der Gemeinschaft fördern.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Allein die Vorbereitungen dieses Berichts haben
im übrigen auch — das darf ich anmerken — dazu
geführt, daß es mehr und mehr zu direkten fach-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
lichen Kontakten leitender Beamter in den betrof-
Herr Staatssekretär, gestatten Sie noch eine Zwi- fenen Außenministerien gekommen ist und daß sich
schenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lenz? auf diese Weise das Verfahren bei der Abstim-
mung von Detailfragen innerhalb der Gemeinschaft
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim erheblich zu vereinfachen beginnt. Das mag neben-
Bundesminister des Auswärtigen: Bitte schön. sächlich klingen. Aber man sollte auch die Bedeu-
tung solcher Vorgänge für die Entwicklung einer
Dr. Lenz (Bergstraße) (CDU/CSU): Herr Kollege politischen Praxis in dieser neuen Phase nicht unter-
Moersch, würden Sie mir darin beipflichten, daß die schätzen. Wie ich überhaupt hinzufügen möchte,
Redner der FDP heute hier den Versuch unterneh- daß Institutionen eine Sache sind, die wir nicht
men, sich Federn eines Huhnes an den Hut zu stek unterschätzen wollen, persönliche Kontakte und
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970 4289
Parlamentarischer Staatssekretär Moersch
persönliches Vertrauen aber eine andere Sache, die Von der Entwicklung dieser mehr allgemeinen
gewiß nicht minder wichtig ist. Und hier, so meine Komponente, nämlich der politischen Zusammen-
ich, darf gerade diese Bundesregierung mit Genug- arbeit und Konsultation, wird sicherlich Art und
tuung auf die vergangenen zwölf Monate zurück- Umfang der Verwirklichung eines für die Praxis der
blicken. europäischen Zusammenarbeit besonders bedeut-
(Beifall bei der SPD.) samen Projektes abhängen; ich meine die hier schon
erwähnte Wirtschafts- und Währungsunion. Wenn
Lassen Sie mich noch einmal zurückkommen auf sonst auch die mehr technisch erscheinenden
die bedeutsame Tatsache, daß dieser Bericht, der Aspekte eines europäischen Einigungsprozesses
Luxemburger Bericht, der Avignon-Bericht, auch relativ wenig Resonanz finden, so ist der Begriff
von Dänemark, Irland, Norwegen und dem Ver- der Währungsunion stärker ins allgemeine Bewußt-
einigten Königreich akzeptiert worden ist. Das sein eingedrungen, weil eben in jedem Land — und
heißt die politische Kooperation zwischen den nicht nur bei uns — Währungsfragen über die
Sechs und den Vier, wie wir sie uns vorstellen, Experten hinaus besondere Aufmerksamkeit finden.
macht es eben notwendig, daß von Anbeginn an
zwischen den Sechs und den Vier ein Meinungs- Zur Sache selbst darf ich anmerken, daß die
austausch über die Ergebnisse der politischen Kon- Bundesregierung ihren Partnern bereits im Februar
sultationen stattfindet. Je zügiger die Beitrittsver- dieses Jahres einen Stufenplan zur Errichtung einer
handlungen vorankommen, desto früher werden die Wirtschafts- und Währungsunion vorgelegt hat. Der
vier genannten Staaten in der politischen Kommis- Übergang der Gemeinschaft in eine solche Union
sion unsere unmittelbaren Gesprächspartner sein. sollte nach unseren Vorstellungen noch Ende der
Und eben dies ist das Ziel der Bundesregierung, die 70er Jahre erreicht sein. Das halten wir für eine
vier beitrittswilligen Staaten so früh wie möglich in realistische Zielsetzung.
vollem Umfang an der Abstimmung der außenpoli- Eine Arbeitsgruppe unter der sehr verdienstvollen
tischen Fragen für die Gemeinschaft zu beteiligen. Leitung des luxemburgischen Ministerpräsidenten
Werner hat den sogenannten Werner-Bericht vor-
Das Europaparlament ist bei all dem der ständige
gelegt. Wir möchten, daß der Stufenplan, der den
Gesprächspartner der Regierung. Das Parlament
Inhalt dieses Berichtes bildet, schon zu Beginn des
wird an der neuen politischen Zusammenarbeit der
kommenden Jahres in Kraft tritt. Damit kämen wir
Sechs künftig beteiligt sein. Halbjährlich sollen die
in der europäischen Zusammenarbeit und in der
Außenminister und die Mitglieder der politischen
Richtung auf die Union der europäischen Staaten ein
Kommission der Versammlung zur Diskussion jener
wichtiges Stück voran.
Fragen zusammentreffen, die Gegenstand der Kon-
sultationen sind. In jedem Jahr wird der amtierende In diesem Stufenplan wird — ich darf hier auf
Präsident des Ministerrats das ganze Europaparla- den Herrn Bundeskanzler verweisen — ein ,,qualita-
ment über die Weiterentwicklung der Gemeinschaf- tiver Sprung in Richtung auf die Begründung neuer
ten unterrichten. Im Anschluß an das Ministertref- Kompetenzen" vorgeschlagen. Insofern ist dieser
fen in München ist für den 20. November das erste Vorschlag das kühnste Unterfangen seit dem Ab-
derartige Kolloquium, wie es genannt wird, von schluß der Gemeinschaftsverträge überhaupt.
Ministerrat und politischem Komitee vorgesehen. Neben diesen beiden besonders herausragenden
Ich denke, daß Sie, meine Damen und Herren, Ereignissen der europäischen Politik in diesem Jahr
genauso wie die Bundesregierung Genugtuung dar- 1970, nämlich der Einführung eines politischen Kon-
sultations- und somit Einigungsverfahrens und dem
über empfinden oder empfinden sollten, daß wir die
vorgelegten Stufenplan für die Wirtschafts- und
ersten Gastgeber in diesem neuen Abschnitt politi-
Währungsunion, ist auch in anderen Bereichen im
scher europäischer Zusammenarbeit sein dürfen. Und
die Kollegen aus Bayern, auch die der CSU, dürften vergangenen Jahr Bedeutsames geschehen. Lassen
Sie mich wenigstens in Stichworten jene Liste er-
— ich nehme an, trotz der Einlassung ihres Frak-
tionsvorsitzenden — dessen bin ich sicher, über die wähnen, die das Bild abrundet.
Wahl Münchens zum Tagungsort sicherlich nicht Die Handelsabkommen der Mitgliedstaaten mit
betrübt sein. dritten Ländern sind vereinheitlicht worden. Das ist
eine für die Profilierung der Gemeinschaft nach
(Abg. Dr. Barzel: Er fand das großartig! — außen wichtige Sache. Daneben hat die Gemein-
Abg. Dr. Wagner [Trier] : Glücklicher Zu- schaft am 1. Oktober Präferenzabkommen mit Spa-
fall! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.) nien und Israel rechtskräftig werden lassen. Seit dem
— Früher hat man in Bonn, Herr Dr. Wagner, Zufall 1. Mai bereits wird ein nichtpräferentielles Handels-
mit CV geschrieben; daran erinnern wir uns noch abkommen mit Jugoslawien angewandt. Darüber
sehr gut. hinaus sind auch Verhandlungen mit der Vereinig-
ten Arabischen Republik und mit dem Libanon im
(Beifall bei der SPD. — Abg. Dr. Barzel: Gange. Ein Assoziierungsabkommen mit Malta steht
Aber das Ergebnis dieser Zufälle war gar kurz vor der Unterzeichnung.
nicht so schlecht!)
Zur Kennzeichnung der Fortschritte in der Ge-
Spätestens zwei Jahre nach Aufnahme der außen- meinschaft darf ich die Reform des europäischen
politischen Konsultation werden die Außenminister Sozialfonds erwähnen und auf die — wenn auch im
der Gemeinschaft Zwischenbilanz ziehen und mög- Zusammenhang mit Euratom und seinen Problemen
liche Verbesserungen der Zusammenarbeit vor- noch schwierigen — Versuche zur Entwicklung der
schlagen. europäischen Technologie-Politik in den vergange
4290 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970
holen, denn wir sind auf den Gleichklang aller Part- Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischen-
nerstaaten angewiesen. frage des Herrn Abgeordneten Dr. Apel?
hingewiesen, daß die Einnahmeseite und die Aus- Das Wort hat der Bundesminister Schiller.
gabeseite beim Europäischen Parlament zwei Paar
Stiefel sind. Auf der Einnahmeseite kann man sich
auf die Dauer der Forderung nicht entziehen, die Dr. Schiller, Bundesminister für Wirtschaft:
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
finanziellen Lasten nach der Leistungsfähigkeit ein-
Herren! Hier in der Debatte wurde — insbesondere
zuteilen. Die Schwierigkeit, vor der wir stehen —
von Herrn Kollegen Barzel — auf die Zusammen-
das betone ich noch einmal —, bezieht sich auf die
hänge zwischen Wirtschaftsunion und politischer
Ausgabeseite, auf die europäischen Marktordnun
Union Bezug genommen. Meine Damen und Herren,
gen. Es ist eben ein Unterschied, ob man mit 30, mit
ich möchte mit einigen wenigen Worten beweisen,
36 oder mit 37 0/o an einem europäischen Butterberg
daß der Bericht der Werner-Gruppe zur Wirtschafts-
beteiligt ist oder ob dieser Butterberg nicht vor-
und Währungsunion in viel größerem Umfang be-
handen ist. Das ist das Entscheidende, und unsere
reits starke Elemente der politischen Einigung ent-
Aufgabe muß es einfach sein, im Bereich der Markt-
hält, als hier angenommen wurde.
ordnungen zu vernünftigen Regelungen zu kommen,
die diese Überschüsse beseitigen. (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Herr Dr. Wagner hat der Regierung vorgeworfen, Dieser Stufenplan zeigt an einigen konkreten Stel-
sie habe mit versteckten Karten gespielt, sie habe len, wie Wirtschaftsunion und politische Union mit-
für die Zeit ab 1975 kein Zahlenmaterial veröffent- einander verschränkt sind. Das sollte man berück-
licht. Darüber kann man tatsächlich streiten. Auf der sichtigen, wenn man hier — besonders Herr Barzel
anderen Seite muß man zugeben, daß Berechnungen hat das getan — von einem gesonderten Plan oder
für die Zeit ab 1975 schwer anzustellen sind. Es lie- Stufenplan zur politischen Union spricht. Wenn man
gen Modellrechnungen vor, die vom Bruttosozial- das andere nicht sieht, käme man, Herr Barzel, sehr
produkt der Bundesrepublik und ihrem Anteil an leicht zu einer Planung im luftleeren Raum.
den Agrarabschöpfungen und an den Zöllen aus-
(Abg. Dr. Barzel: Sie können doch nicht
gehen. Inzwischen hat es einen Meinungsaustausch
unterschlagen, daß in dem Bericht selbst die
mit den Briten über diese Frage gegeben. Die Kom-
Notwendigkeit verstärkter Zusammenarbeit
mission hat sich damit beschäftigt, und sie hat er-
unterstrichen wird!)
neut bestätigt, daß konkretes und genaues Zahlen-
material letztlich nicht erarbeitet werden kann. — Ich komme gleich auf diese Punkte zu sprechen,
um Ihnen aufzuzeigen, was in dem Bericht schon ge-
Man kann' diese Finanzregelung natürlich kriti-
sagt ist.
sieren. Sie hat aber, glaube ich, einen großen Vor-
teil, weil sie eine dynamische Finanzierungsbasis Herr Barzel, Sie haben gesagt: Mehr Taten als
gewährt und gleichzeitig eine Einkommensober- Worte! Der Werner-Bericht ist eine Tat, an der
grenze für die EWG festsetzt. diese Regierung beteiligt ist.
Lassen Sie mich zum Schluß kommen. Ich glaube, (Beifall bei den Regierungsparteien.)
daß das, was jetzt erreicht ist, ein wichtiger Teil-
schritt — nach den Erfahrungen der letzten Jahre Wir sollten miteinander alles tun, um zu erreichen,
kann es sich ja nur um Teilschritte handeln — auf daß diese Tat ab 1. Januar 1971 ihre weiteren
die Vereinigten Staaten von Europa hin ist. Es ist Früchte trägt.
ein Verhandlungserfolg der Regierung, daß es ge- Die Gedankenführung dieses Stufenplans zur Wirt-
lungen ist, so weit zu kommen, — zugegebener- schafts- und Währungsunion ist sehr logisch. Sie
maßen auf dem Hintergrund anderer Verhältnisse; läßt sich wie folgt formulieren: die Währungsunion
aber die Gelegenheiten, die sich in dieser Situation allein, d. h. für sich und abstrakt, würde bei diver-
boten, wurden wahrgenommen. Das Schiff der EWG- gierender Politik in der Gemeinschaft und in den
Länder und der beitrittswilligen Staaten ist flottge- einzelnen Mitgliedstaaten gesprengt werden. Also
macht. Dabei sind die deutschen Interessen in dem gehört zur Währungsunion das solide Fundament
notwendigen Maße gewahrt worden. einer wirtschafts-, finanz- und geldpolitischen Har-
-
(Beifall bei der SPD.) monisierung. Zu dieser wirtschaftspolitischen Har-
monisierung gehört die in den Bericht eingebaute
Ganz gewiß sind weitere Schritte notwendig. Die
Bereitschaft zu Fortschritten zur politischen Zusam-
Resolution des Haushalts- und Finanzausschusses
menarbeit und zum Ausbau der Institutionen mit
und der Entschließungsentwurf der Fraktionen der
parlamentarischer Kontrolle.
SPD und FDP weisen den Weg. Wir müssen zur
Direktwahl des Europäischen Parlaments kommen. Ich glaube, am wichtigsten ist in dieser Beziehung
Dem Europäischen Parlament müssen Legislativ- die sehr genau skizzierte mittlere Phase oder die
und Haushaltsbefugnisse übertragen werden. Es Reihe der mittleren Stufen. Das ist jene Phase, die
müssen weitere Schritte zur Stärkung der euro- ich in den Verhandlungen als die Stufe der Trans-
päischen Institutionen und zur politischen Zusam- formation beschrieben habe, in der Befugnisse auf
menarbeit unternommen werden. Aber, wie gesagt, Gemeinschaftsorgane, die ihrerseits ausgebaut wer-
wir können hier nur Schritt für Schritt vorgehen. den, übertragen werden. Da wird vom Übergang zu
Alles auf einmal zu wollen bedeutet alles in Frage verbindlichen Richtlinien und Entscheidungen in der
stellen. gemeinschaftlichen Wirtschaftspolitik und vom Aus-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) bau der Institutionen gesprochen.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970 4295
Bundesminister Dr. Schiller
Was die parlamentarische Verantwortung betrifft, Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
so ist der Bericht sehr deutlich; und wir, die Ver- Herr Bundesminister, Sie gestatten die Zwischen-
treter der Bundesrepublik, haben in dieser Gruppe frage des Abgeordneten Blumenfeld?
Wert darauf gelegt, daß folgendes in diesen Bericht
eingebaut wird und gerade über diese mittlere Stufe Blumenfeld (CDU/CSU) : Herr Bundesminister,
und den Übergang zur Endstufe zwingend ausge- darf ich also aus Ihren Worten schließen, die Sie
sagt wird: im Zitat vorgetragen haben, daß die Bundesregie-
Mit dem Übergang von Befugnissen, die bisher rung und Sie selbst als verantwortlicher Minister
von nationalen Instanzen ausgeübt wurden, auf darauf dringen werden, daß dieses Papier der Wer-
die Gemeinschaftsebene wird gleichzeitig auch ner-Gruppe nicht verwässert wird, weder durch Be-
eine entsprechende parlamentarische Verant- strebungen der Kommission noch durch irgendeine
wortung von der nationalen Ebene auf die Ge- der anderen Regierungen?
meinschaftsebene übertragen werden müssen.
Das wirtschaftspolitische Entscheidungsgremium Dr. Schiller, Bundesminister für Wirtschaft:
muß einem Europäischen Parlament gegenüber Ich kann auf diese Frage des Herrn Kollegen Blu-
politisch verantwortlich sein. Dieses Parlament menfeld mit einem klaren Ja antworten.
wird nicht nur hinsichtlich des Umfangs seiner
Befugnisse, sondern auch hinsichtlich des Wahl- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
modus seiner Mitglieder einen der Erweiterung Herr Bundesminister gestatten Sie eine weitere
der Gemeinschaftsaufgaben entsprechenden Sta- Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten von und
tus erhalten müssen. zu Guttenberg?
Das ist ein Kernsatz aus dem Werner-Bericht. Ohne Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) :
diesen Kernsatz funktioniert der Stufenplan nicht. Herr Bundesminister, nachdem Sie sagen, daß zwi-
Da ist das schon enthalten, meine Damen und Her- schen dem Werner-Plan und dem Fortschritt zur
ren. politischen Union eine Wechselwirkung bestehe —
eine Sache, die auch wir bejahen —, möchte ich die
Ein Weiteres. Der Bericht der Werner-Gruppe
Frage an Sie richten, ob es dann nicht logisch
sagt: Erstens: Parallelität zwischen den monetären
wäre, die Anregung des Fraktionsvorsitzenden
und den wirtschaftspolitischen Fortschritten, aber
der CDU/CSU aufzugreifen, auch für die politische
zweitens Parallelität zwischen den schrittweisen
Union an die Erarbeitung eines solchen Stufenplans
Verzicht auf nationale Autonomie und dem gleich-
heranzugehen.
zeitigen Aufbau gemeinschaftlicher Befugnisse,
(Beifall bei der CDU/CSU.)
(Abg. Dr. Apel: Das ist nämlich das Entschei-
dende! Darauf kommt es an!)
Dr. Schiller, Bundesminister für Wirtschaft:
drittens — alles schon dort festgehalten — Paralle- Herr von Guttenberg, ich darf dazu folgendes
lität zwischen dem Aufbau gemeinschaftlicher Ent- sagen. Ich habe versucht, nachzuweisen, daß der
scheidungsorgane und dem Ausbau der parlamen- StufenplazrWisch-udängio
tarischen Kontrolle auf Gemeinschaftsebene. Das ist hin schon Elemente der politischen Union enthält.
alles dort eingebaut. Und viertens — das ist in Das halte ich für den richtigen und realistischen
diesem Zusammenhang für uns außerordentlich Weg. Ich bin der Meinung, die politische Union wird
wichtig gewesen, und die Formulierung ides von mir nicht geschaffen durch einen davon separierten Plan
gleich zu zitierenden Satzes bringt ganz deutlich die oder Stufenplan, die politische Union wird nicht
deutsche Handschrift zum Ausdruck — heißt es geschaffen in der Retorte. Das halte ich für keinen
dort: richtigen Weg. Nach meiner Ansicht kann — und
Diese Übertragung von Befugnissen ist ein Vor- das ist das Konzept, das hier niedergelegt ist — die
gang von grundlegender politischer Bedeutung, politische Union nur wachsen auf dem Mutterboden
der eine progressive Entwicklung der politi- der Wirtschaftsgemeinschaft, nur wachsen — Herr
schen Zusammenarbeit voraussetzt. Die Wirt- Moersch hat das vorhin schon angedeutet — auf
schafts- und Währungsunion erscheint somit der zunehmenden Konvergenz der materiellen
Interessen der einzelnen Mitgliedstaaten. Das ist
— das ist, glaube ich, ein guter Vergleich im Be- ein ganz wichtiges Ferment für die politische Union.
richt der Werner-Gruppe —
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
als ein Ferment für 'die Entwicklung der poli-
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischen-
tischen Union, ohne die sie auf die Dauer nicht
frage des Abgeordneten Dr. Wagner?
bestehen kann.
Entwicklung zur Wirtschafts- und Währungsunion Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) : Herr Bundes-
als ein Ferment zur politischen Union, das ist das minister, glauben Sie nicht, daß diese Erwartung
Entscheidende, meine Damen und Herren. Hier wird oder Hoffnung, aus dem Mutterboden der immer
in diesem Bericht gesagt, daß die Entwicklung zur engeren wirtschaftlichen Einigung werde die poli-
Wirtschafts- und Währungsunion und die zur poli- tische Einigung erwachsen, eigentlich durch die Er-
tischen Union in immannenter Wechselwirkung zu- fahrungen der Vergangenheit nicht bestätigt wird?
einander stehen. Sind Sie nicht der Auffassung, daß zwar die wirt-
4296 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970
Blumenfeld (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Dr. Apel (SPD) : Herr Kollege Blumenfeld, sind
Damen und Herren! Wie wir in unserem Entschlie- Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß die sozial-
ßungsantrag zu dem Zustimmungsgesetz, der im liberale Koalition immer wieder und mit allem
übrigen schon von meinem Kollegen Dr. Wagner Nachdruck unterstrichen hat, daß die westeuropä-
begründet worden ist, zum Ausdruck gebracht ha- ische Integration mit dem Ziel einer westeuropä-
ben, begrüßen wir die stufenweise Übertragung der ischen Föderation überhaupt nicht zur Debatte steht?
Finanzautonomie auf die Europäische Gemeinschaft. Das ist das erklärte Ziel dieser sozial-liberalen Koa-
Unsere Zustimmung beruht auf der klaren Vorstel- lition. Wenn wir über Kooperationsformen sprechen,
lung von dem, was jetzt in Europa getan werden wie Sie es soeben getan haben, betrifft das nur das
mull. Für uns hat nämlich dieser Zusammenschluß Verhältnis zwischen Ost- und Westeuropa. Sind Sie
neben vielen anderen Begründungen eine grund- bereit, das zur Kenntnis zu nehmen und hier einen
legende Bedeutung. Er kann und darf nicht der genauen Unterschied zu machen, damit wir sauber
puren Hoffnung auf eine gesamteuropäische Frie- diskutieren können?
densordnung zur Disposition gestellt werden. Denn
dieser unser europäischer Zusammenschluß ist ja Blumenfeld (CDU/CSU): Herr Apel, ich freue
selbst eine Art Verwirklichung der Friedensord- mich darüber, daß Sie jetzt diesen Beitrag geliefert
nung, wie wir sie uns vorstellen, allerdings in dem haben; denn bislang ist diese Form einer klaren
Teil Europas das darf man hier wohl anmer- Abtrennung in den Ausführungen Ihrer verschiede-
ken —, an dessen Grenzen eben nicht geschossen nen Redner nicht zum Ausdruck gekommen.
wird und in dem die Freiheit garantiert ist. (Abg. Dr. Apel: Dann haben Sie die Regie
rungserklärung nicht gelesen!)
Deswegen fordern wir auch immer wieder die
Bundesregierung auf, die westeuropäische Einigung Das möchte ich hier einmal ganz klar feststellen.
und deren Erweiterung, wie sie jetzt vorgenommen (Abg. Dr. Apel: Na, hören Sie mal!)
wird, als das unverrückbare Fundament für die an-
visierte gesamteuropäische Konstruktion- aufzufas- — Ich freue mich darüber, daß Sie heute Gelegen-
sen, sich auch entsprechend zu äußern und sich vor heit genommen haben,
allen Dingen entsprechend zu verhalten. (Abg. Dr. Apel: Aber ich bitte Sie, Herr
Blumenfeld, bei aller Liebe!)
Meine Damen und Herren von der sozialdemokra-
tischen Fraktion, Sie halten uns manchmal entgegen das hier undifferenziert zu sagen.
— jedenfalls haben Sie das in der Diskussion der (Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Apel.)
vergangenen Monate getan —, daß man abwarten
Meine Damen und Herren, unser Ziel und unsere
müsse, ob sich nicht in der Zukunft geeignetere Mo-
Forderung entstammen eben auch nicht irgendeiner
delle für eine Organisierung der europäischen Zu-
intellektuellen Spielerei, sondern wir meinen, daß
sammenarbeit und einer europäischen Friedensord- wir zu dieser Feststellung gezwungen und berechtigt
nung finden ließen. Liegt in einer solchen Haltung, sind gegen den ernsten Hintergrund der politischen
die sich in ihrer Zielansprache von eventuellen zu- Lage in Europa. Sie ist nämlich heute entgegen den
künftigen politischen Entwicklungen abhängig Versicherungen — das ist meine Auffassung —, die
macht, nicht ein Verzicht auf die politische Zielset- wir heute wieder aus dem Munde der Vertreter der
zung, die wir doch alle gemeinsam haben sollten? Bundesregierung gehört haben, durch die neue
4298 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970
Blumenfeld
Strategie der sowjetischen Europapolitik bedrohter Sind Sie bereit, das zur Kenntnis zu nehmen, und
als noch vor einem Jahr. sind Sie damit auch bereit, endlich zu unterscheiden
zwischen dem. was sowjetische Aussage ist, und
(Abg. Dr. Wagner [Trier] : Sehr richtig!)
erklärter Politik dieser Bundesregierung?
Wir müssen doch leider als Tatsache verzeichnen,
daß diese gefährlichen Tendenzen der sowjetischen
Blumenfeld (CDU/CSU) : Ich bin gern bereit,
Europapolitik durch die für mich unverständliche
zur Kenntnis zu nehmen, was der Bundeskanzler in
und für die deutsche und europäische Sache schäd-
der Fernsehansprache gesagt hat. Ich stelle das ge-
liche Hast, mit der die Bundesregierung ihre Ost-
nauso wie Sie fest; das ist ja nichts Neues. Nur,
politik betreibt, in hohem Maße gefördert werden.
Herr Apel: Sie wollen eben nicht zur Kenntnis
Das Instrument dieser sowjetischen Politik ist die
nehmen, daß in der Erarbeitung einer Politik, die
propagierte europäische Sicherheitskonferenz. Mit
diese riesigen Gefahren beinhaltet, es nun wirklich
ihr versucht nämlich die Sowjetunion eine Alter-
auch darauf ankommt, zunächst einmal auf einem
native — Herr Dr. Apel, ich hoffe, Sie stimmen mir
gesicherten Fundament gemeinsame europäische
zu — zur westeuropäischen Integration aufzubauen.
Ostpolitik zu machen, und nicht Alleingänge.
Sie erhofft sich dadurch, daß sie die Vision einer
gesamteuropäischen Ordnung schmackhaft macht, (Beifall bei der CDU/CSU.)
um die Energie und das Engagement der Westeuro-
päer von der europäischen Gemeinschaft abzulen- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
ken. Ihr Ziel ist dabei, die westeuropäische Inte- Herr Abgeordneter Blumenfeld, gestatten Sie eine
gration zum Stillstand zu bringen und die Bindun- Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wag-
gen Westeuropas an die Vereinigten Staaten zu ner?
lockern, um schließlich ihren eigenen Einfluß und
ihre eigenen Einflußmöglichkeiten nach Westeuropa
auszudehnen. Blumenfeld (CDU/CSU) : Ja, wenn Sie dann auch
so gütig sind, Herr Präsident, das ein bißchen ab-
Herr Dr. Apel, bevor ich Ihnen gern die Frage ge- zuziehen von den wenigen Minuten, die ich noch
statte, nur noch ein Wort an Sie und zu dem, was habe. Das wäre Toleranz am Freitagnachmittag.
Sie uns vorhin hier erzählt haben von einem christ-
demokratischen Berichterstatter des Politischen Aus-
schusses des Europäischen Parlaments, von dem ich
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
Ja, ja. Ich hoffe, daß auch die Redner mit dem
hoffe, daß Sie ihn für das Bundesverdienstkreuz
Haus Toleranz üben, dann sind wir alle zufrieden.
vorschlagen werden. Herr Dr. Apel, es ist schade,
Bitte!
daß Sie nicht vor wenigen Wochen dabei waren,
als eine Bundestagsparlamentariergruppe zwei Tage
lang in Rom mit italienischen Parlamentariern dis- Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU): Herr Blumen-
kutierte — von Ihrer Fraktion waren ebensoviel feld, würden Sie dann vielleicht Herrn Dr. Apel
Kollegen dabei wie von der meinen —; dann hätten darauf hinweisen, daß die Diskussion in der Bun-
Sie nämlich gemerkt und gewußt, daß die Sorge der desrepublik natürlich an Klarheit gewinnen würde
italienischen Parlamentarier quer durch die Parteien, und daß viele Sorgen zerstreut wären, wenn eben
von den CDU-Leuten bis zu den verschiedenen nicht gewisse Äußerungen führender Vertreter der
sozialistischen Gruppen, um einen Kernpunkt herum Regierungskoalition zuweilen diese Zweifel recht-
sich bewegte: Das war die Sorge um die Entwick- fertigen, wie etwa das Kommuniqué des Bundes-
lung, die in der Ostpolitik jetzt in Bewegung ge- vorstandes der SPD, in dem davon die Rede ist, daß
bracht worden ist, im Hinblick auf die europäische die Sowjetunion an jeder Veränderung von Grenzen
Einigung. Genau die Sorge, die ich jetzt hier zum in Europa durch Verhandlungen zu beteiligen ist?
Ausdruck gebracht habe, ist in den Äußerungen der Das mag so oder so gemeint sein. Aber meinen Sie
italienischen Kollegen sehr deutlich geworden. nicht, daß es der Klarheit dienen würde, wenn
solche Äußerungen unmißverständlich formuliert
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) wären?
Bitte schön, Herr Dr. Apel!
Blumenfeld (CDU/CSU) : Ich würde Ihnen voll
zupflichten.
Dr. Apel (SPD) : Herr Kollege Blumenfeld, sind
Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, daß der Herr
Bundeskanzler in der Fernsehansprache, die aus Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
Moskau in die deutschen Netze überspielt wurde, Herr Abgeordneter Blumenfeld, würden Sie noch
vor der Unterzeichnung des Vertrages festgestellt eine weitere Zwischenfrage des Herrn Abgeord-
hat — ich zitiere wörtlich —: neten Dr. Apel gestatten?
(Abg. Blumenfeld: Meinem ehrenwerten
Der Vertrag beeinträchtigt in keiner Weise die
Hamburger Kollegen will ich natürlich
feste Verankerung der Bundesrepublik und
immer gerne zuhören!)
ihrer freien Gesellschaft im Bündnis des
Westens. Es bleibt auch bei dem Willen, immer
mehr Staaten Europas mit dem Ziel einer politi- Dr. Apel (SPD) : Schönen Dank, Herr Blumen-
schen Gemeinschaft immer enger aneinanderzu- feld, obwohl ich mit Heizölheizung keine Kohlen
binden. mehr verwende, aber immerhin.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970 4299
Dr. Apel
Herr Blumenfeld, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu Zu einem Zeitpunkt, da in ganz Europa eine
nehmen, daß das von Herrn Wagner zitierte Kom- starke Tendenz zur Einigung des Kontinents be-
muniqué in dem Abschnitt, über den hier gespro- steht, da die Initiative der sozialistischen Län-
chen wird, sich ausdrücklich über Ostpolitik äußert der zur Schaffung eines gesamteuropäischen
und hier in der Tat natürlich die Mitwirkung der Systems der Sicherheit und der umfassenden
Sowjetunion bei Grenzveränderungen erforderlich Zusammenarbeit breite Anerkennung gewinnt,
ist, daß dieses Kommuniqué aber insbesondere würde die Förderung einer in sich geschlosse-
abhebt auf die Rede des Herrn Bundeskanzlers vom nen Organisation, wie es die EWG ist, die Tei-
3. September, in der er die Passage verwendet hat, lung Europas nur verstärken und die Annähe-
die ich Ihnen eben vorgelesen habe, und insofern rung zwischen Ost und West in einer Hinsicht
vielleicht die journalistische Fassung dieses Kom- blockieren, gemeinsame europäische Aktionen
muniqués nicht ganz glücklich ist, woraus aber behindern und die praktische Verwirklichung
nicht hergeleitet werden kann, daß Sozialdemokra- der Idee der friedlichen Koexistenz erschweren.
ten ihre Politik in dieser Frage geändert haben? Das ist ein Zitat aus der „Tribuna Ludu", und es
(Zuruf von der CDU: Das sind doch die lassen sich noch eine ganze Reihe weiterer Zitate
üblichen Purzelbäume!) hier auf den Tisch legen; ich will das nicht tun. Ich
meine nur, um dieser klar erkannten Gefahr zu be-
gegnen — und ich hoffe, sie ist von Ihnen völlig
Blumenfeld (CDU/CSU) : Herr Kollege Dr. Apel, klar erkannt, Herr Apel —, müssen wir dafür sor-
ich bin erst bereit, Dinge Ihnen hier protokollmäßig gen, daß die Basis unserer westlichen Politik erhal-
zu bestätigen, wenn ich sie auch richtig gelesen ten bleibt und verstärkt wird. Dazu genügt es nicht
habe; meine Zeit erlaubt es leider nicht, jedes nur — und ich sage das in diesem Hohen Hause
Kommuniqué des sozialdemokratischen Bundesvor- nicht nur an die Bundesregierung gewendet, son-
stands zu lesen, so wichtig das im einzelnen auch dern an alle europäischen Regierungen —, sich
sein mag. europäisch zu gerieren. Die europäische Basis un-
(Heiterkeit bei der CDU.) serer Politik muß konsequent und effektiv ausge-
baut werden. Alles, was in diesem letzten Jahr im
Aber darf ich in meinen Gedanken weiter fort-
europäischen Bereich an politischer Integration ge-
fahren? — Es entspricht doch einfach nicht den Tat-
schehen ist, bietet hierzu leider nur die Ansätze. Die
sachen, wenn die Bundesregierung behauptet, daß
Fakten stehen noch aus. Hier setzen unsere Beden-
die Sowjetunion die Europäische Gemeinschaft nun
endlich anerkenne und bereit sei, in ein vernünf- ken ein.
(Abg. Dr. Koch meldet sich zu einer
tiges Kooperationsverhältnis mit ihr zu treten. Der
Bundeskanzler hat heute früh diesen Gedanken Zwischenfrage.)
noch einmal aufgenommen und hat gesagt, er habe — Herr Kollege, gestatten Sie, daß ich diesen Ge-
aus seinen Gesprächen in Moskau diesen Eindruck danken jetzt zu Ende entwickle; denn hier fängt
mitbekommen, und er hat damit praktisch das, was das gelbe Licht schon an zu leuchten, was bedeutet,
ich eben gerade sagte, noch einmal unterstrichen. daß ich nur noch sehr wenig Zeit habe.
Tatsache ist doch vielmehr, daß die Sowjetunion
versucht, durch schmackhafte Angebote an einzelne Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen:
Mitglieder der Gemeinschaft oder an Länder, die ihr Ich gebe Ihnen noch einige Minuten Redezeit, nach-
beitreten wollen, die Gemeinschaft auseinanderzu- dem Sie hier verschiedene Zwischenfragen beant-
dividieren. wortet haben.
Es ist bezeichnend, Herr Dr. Apel, daß diese bila-
teralen Angebote zu einem Zeitpunkt kommen, zu Blumenfeld (CDU/CSU) : Gut, dann, Herr Kol-
dem auch für die größten Skeptiker der euro- lege, stellen Sie die Frage!
päischen Einigung und Integration klar wurde, daß
durch den Beginn der Beitrittsverhandlungen, durch Dr. Koch (SPD) : Herr Kollege Blumenfeld, was
den Plan einer Wirtschafts- und Währungsunion, sagen Sie in diesem Zusammenhang zu der Behaup-
durch die Ausstattung der Gemeinschaft mit eigenen tung Ihres Fraktionskollegen Wagner, der gesagt
Mitteln und durch die verbindliche Festlegung des hat, die von den Deutschen in der neuen Finanzver-
Termins für eine gemeinschaftliche Außenhandels- fassung der EWG übernommenen Verpflichtungen
politik nun wirklich die Europäische Gemeinschaft seien deswegen so groß, weil wir allzu deutlich den
sich auf dem Wege zu einer engeren politischen, zu Wunsch verraten hätten, daß Großbritannien der
einer einheitlichen organisatorischen Lösung befin- EWG beitrete? Wenn das aber so ist, dann haben
det. Diese Entwicklung, die auch wir, genau wie wir damit doch dokumentiert, daß wir diese Ge-
Sie, für notwendig halten, will die Sowjetunion auf- meinschaft des Westens durch den möglichst baldi-
halten. Und die Sowjetunion argumentiert — und gen Beitritt Großbritanniens stärken wollen. Damit
das wissen wir nicht erst, seitdem Herr Schukow beweisen wir doch, daß wir die Westpolitik, die In-
vor einigen Wochen in Bonn war —, daß die Euro- tegration in den Westen, sehr betont mit deutschen
päische Gemeinschaft ein Hemmnis ist für die Über- Finanzleistungen vorantreiben wollen. Das ist ge-
windung der Teilung Europas. nau das Gegenteil von dem, was — —
Mit Erlaubnis des Präsidenten möchte ich ein
paar Sätze aus der „Tribuna Ludu" zitieren dürfen, Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen:
die kürzlich erschienen sind. Dort heißt es: Herr Kollege Koch, ich muß bei dieser Gelegenheit
4300 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970
scheidenden Jahren keine Unglücke passieren. Die Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Rutschke.
beiden vor uns liegenden Jahre sind deswegen ent-
scheidend, weil sie zwei Jahre des Übergangs sind, Dr. Rutschke (FDP) : Herr Präsident! Meine
nämlich des Übergangs hinsichtlich der Erweiterung Damen und Herren! Herr Kollege Blumenfeld, ich
der Gemeinschaften, die eben noch nicht vollzogen weiß nicht, ob Ihr Beitrag, den Sie hier geleistet
ist. Die Wirtschafts- und Währungsunion befindet haben, den Sinn hatte, der Bundesregierung nach-
sich, wie Herr Kollege Schiller hier ausgeführt hat, zuweisen, daß sie nicht alles tut, um der europä-
noch in der Experimentierphase. Die institutionellen ischen Einigung jeden Impuls zu geben, der möglich
Verbesserungen der Gemeinschaft sind noch nicht ist. Wenn Sie diesen Eindruck erwecken wollten,
voll in Kraft getreten, und die gemeinsame Außen- dann tun Sie das sehr zu Unrecht. Sie persönlich
handelspolitik ist noch nicht in vollem Umfang zur sind allerdings in der Wahl Ihrer Mittel auf diesem
Tatsache geworden. Gebiet nicht sehr wählerisch. Denn wenn Sie hier
auch aus den europäischen Gremien zitieren, denen
In dieser Zeit, meine Damen und Herren, wird die
- ich ja auch angehöre, und Sie immer wieder fest-
sowjetische Europapolitik gerade effektiv. Das müs-
stellen zu müssen glauben, daß innerhalb dieser
sen wir heute registrieren und in den kommenden
europäischen Gremien Widerstände gegen die deut-
zwei Jahren sicherlich noch sehr viel stärker. Des-
sche Ostpolitik seien, so ist das schlicht und ein-
wegen brauchen wir schon jetzt die Ausbildung des
fach unwahr.
europäischen Willens und die europäische Hand-
(Abg. Dr. Apel: Genau!)
lungsfähigkeit. Das bedeutet, daß wir die politische
Union haben müssen, sobald sie möglich ist. Sie haben doch selbst erleben müssen, daß Sie
eine anständige Bauchlandung machen mußten, als
(Abg. Dr. Koch: Wenn die anderen mit
Sie einmal Berichterstatter sein mußten und nicht
machen!)
die Meinung des Ausschusses wiedergegeben haben,
— Da ist ja gerade ein Punkt, Herr Koch! Sie schie- sondern Ihre persönliche Meinung, die eben anders
ben das immer ab und sagen: Wir können uns nur aussieht als die Meinung, die die Mehrheit dort
auf den Minimalkoeffizienten einigen, weil die ande- vertreten hat. Sie werden sich auch entsinnen, daß
ren es nicht wollen. Warum denn diese Schonung? es natürlich einzelne Mitglieder in den europäischen
Warum denn diese Zurückhaltung? In der Ostpolitik Gremien gibt, ich denke z. B. an die von Ihnen zi-
sind Sie ja auch nicht so zurückhaltend. Warum sind tierten Italiener — es sind ja praktisch nur zwei,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970 4301
Dr. Rutschke
zumindest im Europarat , die eine andere Meinung Dr. Rutschke (FDP) : Gnädige Frau, ich war
über die deutsche Ostpolitik haben als die Mehrheit dabei, und ich hatte einen wesentlich anderen Ein-
im Ausschuß. Nur stellen Sie das bitte nicht immer druck als den, den Sie hier wiedergeben. Das scheint
so dar, als wenn man in den europäischen Gremien innerhalb Ihrer Fraktion abgesprochen zu sein, und
Ihrer Meinung wäre! Genau das Gegenteil ist näm- deswegen will ich nicht näher darauf eingehen.
lich der Fall.
(Zuruf des Abg. Dr. Lenz [Bergstraße].)
(Zustimmung bei der SPD.)
Meine Damen und Herren, ich glaube, daß die
Ostpolitik leider etwas unsere Initiativen im Rah-
Präsident von Hassel: Herr Abgeordneter men der Europapolitik verdeckt hat. Es mag sein,
Dr. Rutschke, gestatten Sie eine Zwischenfrage des daß die Ostpolitik natürlich etwas Neueres und In-
Herrn Abgeordneten Blumenfeld? teressanteres ist als die Situation, wie sie sich auf
der europäischen Ebene seit Jahren immer wieder
Blumenfeld (CDU/CSU) : Wenn Sie von einer durch verzögerliche Entwicklungen und recht erfolg-
Bauchlandung gesprochen haben, so heben Sie lose Vorstöße dokumentiert hat. Ich glaube aber
wahrscheinlich auf einen Bericht ab, der nicht ver- nicht, daß man dieser Bundesregierung den Vorwurf
öffentlicht worden ist und der in Brüssel für die machen kann, daß sie im Hinblick auf die europä-
Nordatlantische Versammlung erstattet worden ist. ische Einigung nicht jede Gelegenheit wahrgenom-
Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, daß dieser men hat, um diese europäische Einigung vorwärts
Bericht keineswegs abgelehnt worden ist, sondern zubringen. Sozusagen ihre erste Amtshandlung war
daß nur einzelne Passagen die Haager Konferenz, wo sich die Bundesregierung
mit ihrer Initiative mit gutem Erfolg durchsetzen
(Lachen bei den Regierungsparteien) und die stagnierende europäische Politik wieder in
dieses Berichtes, dieses Vorberichts, in dem Politi- einen Vorwärtstrend bringen konnte.
schen Ausschuß auf den Widerstand der sozialdemo- Nun sagte Herr Kollege Barzel — ich sehe ihn
kratischen Kollegen gestoßen sind, weil zum Zeit- leider jetzt nicht hier —, daß das durch die Ände-
punkt der Abstimmung fast nur diese dort waren, rung der Verhältnisse in Frankreich begünstigt war.
und deswegen ist so abgestimmt worden. Das ist sicherlich richtig. Aber zumindest hat diese
Bundesregierung nicht die Fehler gemacht, die vor-
Dr. Rutschke (FDP) : Herr Kollege Blumenfeld, her gerade im Hinblick auf den Beitritt Englands
ich glaube, auch die sozialistische Fraktion wird gemacht worden sind, daß man, wie es Herr Bun-
dann, wenn Sie die Wahrheit sagen, sicherlich zu- deskanzler Kiesinger seinerzeit getan hat, nach
stimmen, aber in den Fällen, in denen Sie nicht die Paris fährt und dort sehr viel Verständnis für die
Wahrheit gesagt haben, hat sie sich dagegen ge- Haltung Frankreichs zum Ausdruck bringt und sagt:
wehrt, und zwar völlig mit Recht. Mein Eindruck aus Nun ja, wir verstehen gut, daß die Franzosen die
den europäischen Gremien ist der, daß Sie da klar in Engländer nicht in der EWG haben wollen;
der Minderheit sind. Ihre Behauptungen, mit den (Abg. Freiherr von und zu Guttenberg: Das
Sie es immer so darstellen, als ob es anders sei, hat er nie gesagt!)
sind einfach nicht wahr.
und dann fährt man nach London und sagt, man
(Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] : Würden Sie habe sehr viel Verständnis dafür, daß die Englän-
mir beipflichten, daß Meinungsverschieden der in die EWG eintreten wollen.
heit und Wahrheit nichts miteinander zu tun
haben?) (Zuruf des Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] :
Das hat er nie gesagt! Belegen Sie das ein
— Nein, Herr Kollege Lenz, nur in der Darstellungs- mal! Wo steht denn das?)
art sollte man etwas seriöser sein und nicht den
Eindruck erwecken, als ob die große Mehrheit die — Wenn Sie diese Veröffentlichung nicht gelesen
deutsche Ostpolitik verdammte. Das stimmt näm- haben, dann tut es mir leid. Sie haben offensichtlich
- daß sie
lich nicht. Genau das Gegenteil ist der Fall, immer für das ein sehr schlechtes Gedächtnis, was
durchaus bejaht und für vernünftig gehalten wird. Ihnen unangenehm ist.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) (Zurufe von der CDU/CSU.)
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischen- Herr Abgeordneter Rutschke, gestatten Sie eine
frage der Frau Abgeordneten Klee? Zwischenfrage des Herrn Abgeordneten Gutten-
berg?
Frau Klee (CDU/CSU) :Herr Rutschke, haben
Sie denn nicht an der politischen Debatte des Euro- Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) :
parates teilgenommen, um sich ein vernünftiges Ur- Herr Kollege Rutschke, würden Sie bitte zur Kennt-
teil zu bilden, und waren Sie nicht bei der Sitzung nis nehmen, daß das, was Sie eben über die Hal-
der WEU dabei, wo man durchaus einen umge- tung des damaligen Bundeskanzlers Kiesinger in
kehrten Eindruck gewinnen konnte als den, den Paris gesagt haben, mit der historischen Wahrheit
Sie hier verkünden? nichts, aber auch gar nichts zu tun hat?
4302 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970
Dr. Rutschke (FDP) : Schön, Was für die Zölle gilt, muß auch für die Abschöp-
fungen, die praktisch nur eine besondere Form von
(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Schön ist Agrarzöllen darstellen, richtig sein. So war es ver-
das nicht; das ist traurig!) ständlich, wenn der Ministerrat aus Anlaß der
das ist Ihre Meinung; es stand jedenfalls anders zu Finanzierung der gemeinsamen Agrarpolitik in der
lesen. Das ist sicher. Verordnung Nr. 25 vom 2. April 1962 festgelegt
hat, daß die Abschöpfungen nach Ende der Über-
(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Wo denn? gangszeit' Eigeneinnahmen werden sollen. Der Rat
Vielleicht in einem FDP-Blatt? — Abg. Dr. hat damals — darüber muß heute bei unserer Dis-
Wagner [Trier] : In der „Freien Demokra kussion über die finanziellen Wirkungen der vor-
tischen Korrespondenz"? — Weitere Zu liegenden Zustimmungsgesetze gesprochen werden
rufe von der CDU/CSU.) — folgenden Grundsatzbeschluß gefaßt:
— Nein, nicht dort; aus den Erklärungen konnte Die Einnahmen aus den Abschöpfungen aus
man das entnehmen, darüber besteht gar kein Zwei- dritten Ländern fließen der Gemeinschaft zu und
fel. werden für gemeinschaftliche Ausgaben ver-
(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Nennen wandt, so daß die Haushaltsmittel der Gemein-
Sie doch mal die Quelle!) schaft gleichzeitig diese Einnahmen sowie alle
sonstigen Einnahmen umfassen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zu
den Anträgen, die uns hier zur Abstimmung vor- Hier ist der Ministerrat — daran muß erinnert wer-
liegen, noch einiges sagen. Die Fraktion der Freien den — eine politische Selbstbindung eingegangen,
Demokraten begrüßt die beiden Zustimmungs- die am Ende der Übergangszeit einzulösen war. Die
gesetze zur Finanzordnung der Europäischen Ge- Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat
meinschaften und zur Stärkung der Haushaltsbe- dann aus Anlaß des Übergangs zur Endphase im
fugnisse des Europäischen Parlaments. Wir sehen Juli 1969 die Probleme aufgegriffen und einen Vor-
in der Annahme der beiden vorliegenden Gesetze schlag gemacht, der auf eine Übertragung der Zölle
einen wichtigen Beitrag zur weiteren politischen und Abschöpfungen hinzielte, während der Rest
und wirtschaftlichen Einigung Europas. Wir hoffen, auch weiterhin in Form von Finanzbeiträgen gelei-
daß von diesen neuen Regelungen wichtige Impulse stet werden sollte
zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungs- Es ist der Bundesregierung und dabei insbeson-
union im Laufe dieses Jahrzehnts ausgehen. dere dem Bundesaußenminister und dem Bundes-
finanzminister sehr dafür zu danken, daß die Bun-
Wir wissen, daß ohne eine solche Finanzregelung
desregierung diesen Vorschlägen insoweit nicht ge-
die Verhandlungen über den Beitritt weiterer Staa-
folgt ist, als sie der Übertragung eigener Einnahmen
ten zu den Gemeinschaften nicht möglich gewesen
auf die europäischen Gemeinschaften nur dann zu-
wären. Wir verfolgen mit großem Interesse den
stimmen wollte, wenn die Europäische Gemeinschaft
offensichtlichen guten Verlauf dieser Beitrittsver-
handlung und können der Bundesregierung für zugleich mit den Eigeneinnahmen eine volle Finanz-
verantwortung auch auf der Einnahmenseite über-
ihre besondere Aktivität, auch in den letzten Wo-
nimmt. Nur der unnachgiebigen Haltung der Bun-
chen und Monaten, auf diesem Gebiet danken.
desregierung ist es zu verdanken, daß die Kommis-
Dank der Initiative und Entschlossenheit dieser
Bundesregierung wird die Europäische Gemein- sion in der allerletzten Phase der Verhandlungen,
nämlich am 11. Dezember 1969, diesen berechtigten
schaft weiter wachsen.
deutschen Wünschen gefolgt ist und zu den Zöllen
Die Finanzierungsregelung ist kein Selbstzweck. und Abschöpfungen nur noch eine begrenzte Finanz-
Sie wird auf die Dauer nur als ein Element der Wei- masse auf der Bemessungsgrundlage der Mehrwert-
terentwicklung der europäischen Gemeinschaften steuer vorgeschlagen hat. Damit ist — und das halte
zu einer handlungsfähigen Union verstanden wer- ich für den wichtigsten Verhandlungserfolg der Bun-
den können. desregierung — aus einer Europäischen Gemein-
schaft mit unbegrenzter Nachschußpflicht eine Euro-
In Kenntnis dieser politischen Zusammenhänge
- päische Gemeinschaft mit eigener voller Finanzver-
lassen Sie mich einen Blick auf den EWG-Vertrag antwortung, bezogen auf eine dynamisch limitierte
selbst zurück werfen. Die Schöpfer der Römischen
Finanzmasse, geworden.
Verträge haben richtig erkannt, daß bei einer voll-
endeten Zollunion und nach Abschaffung der Bin- Meine sehr geehrten Damen und Herren, warum
nenzollgrenzen auf die Dauer die Zolleinnahmen habe ich diese Entwicklung vom Zeitpunkt des Ver-
und die zollähnlichen Einnahmen nicht mehr den tragsabschlusses her aufgezeigt? Wenn jetzt so
Volkswirtschaften der einzelnen Mitgliedstaaten zu- getan wird — das hat besonders der Kollege Wag-
gerechnet werden können. Sie haben daher die not- ner getan —, als ob die Bundesregierung neue, erst
wendige Konsequenz gezogen, daß sich die Zölle jetzt im Zusammenhang mit dem neuen Finanz-
bei vollendeter Zollunion als besonders geeignet für system entstandene, zusätzliche Lasten übernimmt,
die Finanzierung einer Wirtschaftsgemeinschaft er- die ursprünglich im Vertrag nicht vorgesehen ge-
weisen. So ist es auch zu verstehen, daß der EWG- wesen seien und sicherlich von einer Regierung mit
Vertrag — der Euratomvertrag in ähnlicher Form — einem CDU-Kanzler nicht übernommen worden wä-
bestimmt, daß nach Vollendung der Zollunion in ren, ist demgegenüber auf die Tatsache zu verwei-
erster Linie die Zolleinnahmen als Eigeneinnahmen sen, daß im Jahre 1957 jemand den Artikel 201 des
der Gemeinschaft in Betracht zu ziehen sind. EWG-Vertrages unterschrieben hat. Wenn jemand
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970 4303
Dr. Rutschke
in Kenntnis des hohen deutschen Außenhandels- scheinen. Deshalb sollten wir die Bundesregierung
beitrages politisch verantwortlich dem Agrarfinan- hier unterstützen und auffordern, alles zu tun, um
zierungssystem von 1962 zugestimmt hat, dann kann neue Ausgabentatbestände zu vermeiden.
man jetzt nicht jammern und bedauern, daß der Nach alledem bitte ich das Hohe Haus, den bei-
deutsche Anteil um einige Prozente steigt. den Zustimmungsgesetzen zuzustimmen und den
(Abg. Dr. Wagner [Trier] meldet sich zu vom Unterausschuß für Fragen der EWG-Finanzie-
einer Zwischenfrage.) rung in so sorgfältiger und mühevoller Arbeit er-
stellten Entschließungsentwurf zu billigen.
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: (Beifall bei den Regierungsparteien und bei
Herr Abgeordneter, gestatten Sie eine Zwischen- Abgeordneten der CDU/CSU.)
frage?
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
Dr. Rutschke (FDP) : Nein, ich möchte jetzt den Das Wort hat Frau Staatssekretär Focke.
Gedanken zu Ende führen. — Hinzu kommt, daß
auch ein eventueller Prozentsatz von 36 oder 37 in Frau Dr. Focke, Parlamentarischer Staatssekre-
sehr viel späteren Jahren an sich überhaupt nichts tär beim Bundeskanzler: Herr Präsident! Meine Da-
aussagt. Entscheidend ist vielmehr das Volumen, men und Herren! Gestatten Sie mir nur einige we-
auf das er sich bezieht. Der Wurm steckt nicht in nige Bemerkungen, zu denen mich die Ausführun-
dem Apfel der Einnahmeseite, sondern in der Struk- gen von Herrn Blumenfeld veranlassen, auch wenn
tur und der Höhe der Ausgaben. Und wie sieht es dieser leider inzwischen gegangen ist und auf diese
da aus? Die Ausgaben der Gemeinschaft sind zu Weise — —
mehr als 90 % Ausgaben für die gemeinschaftliche (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Er mußte
Agrarpolitik. Diese Kosten sind bekanntlich enorm nach Den Haag zur NATO-Parlamentarier
hoch. Doch kann man wahrlich nicht dieser Regie- konferenz!)
rung die Verantwortung hierfür anlasten. Man sollte — Das ist allerdings eine europäisch und atlantisch
sich vielmehr daran erinnern, daß es eine andere motivierte Entschuldigung, die ich gelten lasse.
Regierung war, die bereits 1962 den grundlegenden
EWG-Beschlüssen über die Finanzierung der EWG- (Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] : Der Herr Bun
Agrarpolitik und darin dem Grundsatz der gemein- deskanzler ist ja auch nicht da! — Abg.
schaftlichen Finanzierung der Agrarpolitik zu- Dr. Apel: Ja, es ist ja gut!)
stimmte, was zu der bekannten Ausgabeneskalation
für die Agrarmarktordnungen führte. Sie mögen sa- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
gen, daß man damals nicht anders konnte. Das mag Die Entschuldigung muß natürlich von dem amtie-
zutreffen. Man kann aber nicht so tun, als ob man renden Präsidenten anerkannt werden.
mit der Verantwortung für die Ausgaben der EWG-
Agrarpolitik nichts zu tun habe. Frau Dr. Focke, Parlamentarischer Staatssekre-
tär beim Bundeskanzler: Ich habe das jetzt doch nur
(Abg. Dr. Wagner [Trier]: Das tut ja in bezug auf meine Auseinandersetzung mit ihm ge-
niemand!) meint, Herr Präsident.
Daß diese Regierung aber bemüht ist, die Ausgaben (Abg. Dr. Wagner [Trier] : Es ist übrigens
zu begrenzen, hat sie in der Vergangenheit sehr auch kein Minister da, Herr Lenz! Kein Mi
deutlich gemacht. Sie war es, die den EWG-Minister- nister ist da!)
rat bei der Verabschiedung des Brüsseler Finanz- Herr Blumenfeld hat hier eine, wie mir scheint,
pakets zu der Entschließung veranlaßte, der Rat gefährliche Alternative aufzubauen versucht, was
solle vorrangig Maßnahmen zur besseren Beherr- schon durch eine Zwischenfrage von Herrn Dr. Apel
schung der Agrarmärkte und damit zur Beschrän- in einer sehr wichtigen Hinsicht korrigiert worden
kung der Haushaltslasten beschließen. Die Regie- ist: die Alternative zwischen Integration und Koope-
rung hat also gezeigt, daß sie bestrebt ist, den Aus- ration. Wir sollten dabei noch einmal ganz deutlich
-
gabenfluß aus den bestehenden Agrarmarktord- festhalten, daß die Integration in Westeuropa und
nungen im Rahmen der verbliebenen Möglichkeiten die Kooperation zwischen West- und Osteuropa ge-
in den Griff zu bekommen. rade zwei Dinge sind, die sich vertragen, daß es
Entscheidend ist aber, das Entstehen neuer Aus- zwei Dinge sind, die zwar qualitativ auf verschiede-
gabensäulen zu verhindern. Die Gefahr neuer Aus- nen Ebenen liegen, die sich aber notwendigerweise
gabentatbestände besteht allerdings schon. Die ergänzen.
EWG-Kommission hat bekanntlich dem Minister- Es ist dann auch ein falsches Bild, wenn hier eine
rat Vorschläge zur Gemeinschaftsfinanzierung von Alternative zwischen der Integrationspolitik im We-
Agrarstrukturmaßnahmen vorgelegt, die den in der sten und einer europäischen Sicherheitskonferenz
Agrarfinanzierungsverordnung beschlossenen Pla- konstruiert wird. Die europäische Sicherheitskon-
fond für Agrarstrukturausgaben von 285 Millionen ferenz gehört auf die Ebene der Kooperation zwi-
Rechnungseinheiten in diesem Jahr bei weitem schen West und Ost und stellt insofern auch wieder
überschreiten würden. Wenn es nicht gelingt, die- eine sinnvolle Ergänzung unserer bisherigen west-
sen neuen Ausgaben Einhalt zu gebieten, besteht europäischen Integrationsbemühungen dar. Eine
in der Tat die Gefahr, daß die finanziellen Belastun- solche Konferenz beißt sich in keiner Weise mit der
gen der Bundesrepublik kaum noch tragbar er- Fortführung dieser Bemühungen.
4304 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970
In dieser Zeitschrift wird unter dem Thema der (Beifall bei der CDU/CSU.)
Sowjetischen Europapolitik über die „minimale
Variante" gesagt, Voraussetzung sei erstens, daß Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine wei-
-
die Bundesrepublik Deutschland die Unantastbarkeit tere Zwischenfrage der Abgeordneten Frau Dr.
aller Grenzen erkläre. Im Hinblick auf den Text Focke?
des Moskauer Vertrages können wir diese sowjeti-
sche Forderung sozusagen als erfüllt abhaken. Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) : Dann
werde ich wahrscheinlich doch die 25 Minuten brau-
Es wird zweitens gesagt, daß die Oder-Neiße- chen, Herr Präsident.
Linie als Westgrenze Polens definiert werden
müsse. Wir können auch diese sowjetische Forde- Präsident von Hassel: Das werden wir zu-
rung abhaken. legen. Bitte schön, Frau Dr. Focke!
Es wird drittens gesagt, die Grenzlinie zwischen
den beiden deutschen Staaten müsse endgültig an- Frau Dr. Focke (SPD) : Herr Dr. Marx, ich hätte
erkannt werden. Auch dies kann abgehakt werden. so gerne von Ihnen gehört, was Sie für ausschlag-
gebend für die politische Entwicklung in West-
Viertens wird gesagt, daß diese beiden deutschen europa halten: das ; was Sie für die Absicht der
Staaten sich gegenseitig anerkennen müßten, d. h. Sowjetunion halten oder als deren Absicht inter-
die volle völkerrechtliche Anerkennung der DDR. pretieren, oder unsere Absicht.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970 4307
Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) : Gnädige Stenographen mitbekommen haben, weil das dann
Frau, um die Frage konkret zu beantworten: das Konsequenzen haben müßte.
wird sich nicht hier in einem Rededuell zwischen (Abg. Dr. Luda: Das war die Taktik! —
uns endgültig vereinbaren lassen. Aber das wird Zuruf des Abg. Dr. Jahn [Braunschweig].)
sich in den nächsten Monaten und Jahren zeigen,
und damit wir dort gerüstet sind — — Meine Damen und Herren, die Sowjetunion ent-
wickelt mehr und mehr und immer deutlicher gegen
(Abg. Dr. Apel: Sie haken doch schon ab! das, was sie das „Kleineuropa" nennt, was sie
Sie haben doch alles abgeschrieben!) jenes Europa nennt, das die „amerikanischen Mono-
— Herr Apel, stören Sie doch nicht in einem fort. pole" mehr und mehr in den Griff bekommen hät-
Sie haben offenbar hier die Rolle des „Störers vom ten, ihre sogenannte großeuropäische oder gesamt-
Dienst". Herr Wehner, er übernimmt allmählich Ihre europäische Variante. Sie möchte gern ein Europa
— und sie macht das immer deutlich — entblößt von
Funktion.
den Vereinigten Staaten, ein Europa seiner frei-
(Beifall bei der CDU/CSU.)
willigen und freiheitlichen Zusammenschlüsse be-
Gnädige Frau, es wird sich in den nächsten Mona- raubt, ein Europa, das mehr und mehr in den Sog
ten und Jahren herausstellen, wer in welcher Weise der sowjetischen Machtpolitik gerät.
welche Position in Europa durchsetzt. Ich befürchte, Meine Damen und Herren, nach der Konsolidie-
daß wir nicht genau zur Kenntnis nehmen, welche rung, die die sowjetische Macht etwa auf den letzten
Positionen die Sowjetunion aufbaut, welchen Weg Konferenzen der Partei- und Regierungschefs oder
sie dabei einschlägt und daß sie, wenn die Politik auch durch den militärischen Eingriff und die danach
im Westen so weitergeht, mehr und mehr auch die folgenden tiefgreifenden und bedrückenden Verän-
Macht dazu gewinnt, diese ihre Ziele und Planungen derungen in der Tschechoslowakei erreicht hat —
durchzusetzen. das ist offensichtlich —, greift sie jetzt über ihren
eigenen gesicherten, von ihr geführten, in allem
(Beifall bei der CDU/CSU.)
kontrollierten Machtbereich hinaus und versucht,
Ich bitte herzlich darum, dieses Faktum nicht aus neben denjenigen, die sie sich direkt zu tributärer
der Diskussion zu lassen. Wir müssen uns damit Leistung unterworfen hat, ein neues Geflecht von
beschäftigen. indirekten tributären Verhältnissen westlich ihres
eigentlichen Machtbereichs zu erreichen.
Ich habe übrigens gesagt, Herr Apel: der Unter-
schied zwischen der einen und der anderen Va- Meine Damen und Herren, man sagt, daß es die
riante. Ich habe nicht gesagt, daß das Ihre Politik Aufgabe der Westpolitik sei, Vertrauen auch ge-
ist. Ich habe abgehakt, weil das, was hier an For- genüber dem Osten zu schaffen. Man sagt, eine der
derungen numerisch aufgestellt ist — niemand wird Notwendigkeiten sei, eine Brücke zu schlagen. Nur
das abstreiten können, der den Text des deutsch- so kann ich den Ausdruck des Kanzlers von den
sowjetischen Vertrages kennt —, Stück um Stück Gleichgewichtsstörungen, die nicht vorhanden seien,
tatsächlich von der Regierung unserer Bundes- verstehen. Aber ich bitte doch, dabei zur Kenntnis
republik Deutschland sozusagen abgehakt worden zu nehmen, daß das Verhältnis der Sowjetunion
ist. gegenüber dem Westen durch ein tiefes Mißtrauen
(Abg. Dr. Apel: Wiederum eine sehr bös gegenüber all diesen Überlegungen gekennzeichnet
willige Unterstellung, die auch nur von ist, weil sie überall die Gefahr einer gewissen Diver-
Ihnen kommen kann, Herr Marx!) sion wittert. Ich muß hier einen Mann zitieren, den
sicher viele dem Namen nach kennen, den früheren
Meine Damen und Herren, in dieser Zeitschrift
Chefredakteur der Prawda, Herrn Rumanzer, der
„Weltwirtschaft und internationale Beziehungen"
alle diese Versuche als eine „leise Form der Kon-
steht fünftens die Forderung, daß die Bundesrepu-
terrevolution" bezeichnet.
blik den Alleinvertretungsanspruch aufgibt. Ich
kann es nicht anders als sagen: auch dies ist ge- Meine Damen und Herren, die Sowjetunion sagt
schehen. Die Forderung stammt vom Oktober 1969, uns, daß auf dem Gebiet der geistigen Auseinander-
nicht von gestern nachmittag. - setzung eine Übereinstimmung keinesfalls möglich
und auch nicht erwünscht sei, sondern daß es im
Die genannte Zeitschrift sagt: Dies ist eine mini- Gegenteil darum gehe, gerade auf diesem Sektor
male Variante. Was ist die maximale, und was ist den Sieg zu erringen.
der Weg zur maximalen? Da wird man sagen müs-
sen, daß sich mehr und mehr herausbildet — — In der Parteizeitung der KPdSU, der „Prawda" —
lassen Sie mich das noch hinzufügen —, stand im Juni,
(Unruhe bei der SPD.) und zwar anläßlich des ersten Jahrestags der Mos-
kauer Konferenz der Kommunistischen Parteien, ein
offizieller Grundsatzartikel, in dem die Sowjetunion
Präsident von Hassel: Herr Kollege Marx, die
die Elemente ihrer neuen Westpolitik darlegte. Sie
Zeit läuft weg, wenn Sie länger zuhören.
sagt dabei erstens, daß die Westpolitik als Mittel
auf die Veränderung der bestehenden Verhältnisse
Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) : Herr Prä- in Europa hinwirken müsse. Das betrifft das In-
sident, die Zeit läuft vor allem dann weg, wenn ich strumentarium, das sie sich jetzt schafft. Sie er-
Gelegenheit habe, Äußerungen des Kollegen Weh- klärt, bei einer Analyse der Situation in Europa
ner zu hören, von denen ich nicht weiß, ob sie die komme man zu dem Schluß, daß jetzt die Zeit für
4308 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970
(Abg. Wehner: Herr Meister, das haben Sie (Abg. Wehner: Quatsch ist das! Uns so
gut angebracht!) etwas zu später Stunde hier noch zu ser
vieren!)
— Danke sehr für das Kompliment, Herr Wehner.
— Verehrter Herr Wehner, es wird Herrn Schukow
Herr Kollege, Sie könnten sich dazu auch auslassen.
sicher sehr amüsieren,
(Abg. Wehner: Ich denke nicht daran, den
Vorhang zu lüften! Wer weiß, mit wem ich (Abg. Wehner: Es ist doch Ihre Sache, wie
es dann zu tun bekäme!) Sie das verkaufen!)
auf dem Umweg über das Protokoll des Deutschen
Präsident von Hassel: Darf ich bitten, daß wir Bundestages von Ihnen die Zensur zu erhalten,
jetzt zu einem Abschluß kommen. Herr Kollege daß dies ein Quatsch sei.
Marx, Sie haben noch das Wort. (Abg. Wehner: Der kriegt ein Extra-Exem-
plar von mir!)
Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) : Danke Ich habe die Antwort auf die Frage, die Herr
schön, Herr Präsident. Ich muß nur zu Ihnen, Herr Kollege Arndt in einer außerordentlich sachlichen
Wehner, die eine Bemerkung machen: Ich bin gern und angenehmen Weise gestellt hat, an den Schluß
bereit, mich mit Ihnen vor jedem Publikum darüber meiner Ausführungen hier gesetzt. Herr Arndt, ich
zu äußern, wer bei wem welchen Vorhang öffnet hoffe, daß ich mit dem, was ich Ihnen zusätzlich
und was sich hinter diesem Vorhang befindet. sagte, das, was Sie an mich als Frage heranbrachten,
(Sehr gut! in der Mitte.) beantwortet habe. Es gibt andere Dinge, Herr Weh-
ner; die sollte man dann, wenn Sie wollen, vor
Ich bin dazu bereit. Ich habe kein Publikum irgend- versammeltem Hause und zu anderer Stunde, dann
wo in Deutschland, wo ich auch nur das geringste zu aber nicht nur in Zwischenrufen, sondern in aller
verbergen hätte. Ich lade Sie ein, daß wir diese Offenheit, hier klarmachen.
Diskussion miteinander führen.
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner:
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: Was haben Sie vor? Hören Sie mal!)
Was haben Sie noch für einen Auftrag?)
Meine Damen und Herren, wenn einer so ange- Präsident von Hassel: Meine Damen und
sprochen wird, muß man natürlich auch damit rech- Herren, bevor ich das Wort dem Herrn Parlamenta-
nen, daß geantwortet wird. - rischen Staatssekretär beim Bundesaußenminister,
Nun, Herr Arndt, zu dem, was Sie sagten. Ich Herrn Moersch, erteile, möchte ich zur Geschäftslage
wollte darauf hinweisen, daß von seiten des Herrn folgendes sagen.
Popow den ihn fragenden Studenten gesagt worden Es handelt sich um die letzte Wortmeldung in der
ist, daß sie nicht vom Selbstbestimmungsrecht aus Debatte. Dann folgt die Begründung des Entschlie-
argumentieren dürften, sondern sie müßten vom ßungsantrags Umdruck 85 *) durch den Kollegen
Klassenbewußtsein her diese Frage angehen. Das Lautenschlager. Darf ich einmal fragen, ob noch wei-
war die erste Antwort. tere Wortmeldungen vorliegen? — Wir würden
dann über den ganzen Komplex abstimmen. Ich
.Nun das zweite. Sie haben zitiert, Herr Arndt,
müßte inzwischen zur Fragestunde läuten lassen,
wie sich Herr Schukow auf eine Frage Ihnen gegen-
die dann — von jetzt an in etwa 15 Minuten — be-
über geäußert hat. Jetzt zitiere ich eine Antwort
ginnen würde. Könnten wir so verbleiben? — Es
von ihm, mir und einem anderen Kollegen aus die-
liegt noch eine weitere Wortmeldung vor, und zwar
sem Hause gegenüber, auf die Frage, wie es denn
von meinem Nachbarn zur Rechten, Herrn Josten,
mit der innerdeutschen Demarkationslinie sei, die
der fünf Minuten sprechen wird.
im deutsch-sowjetischen Vertrag als eine feste, end-
gültige Grenze, „jetzt und künftig", so heißt es, *) Siehe Anlage 3
Deutscher Bundestag 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970 4311
Präsident von Hassel
Herr Parlamentarischer Staatssekretär, Sie haben Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim
das Wort. Bundesminister des Auswärtigen: Herr Dr. Lenz, ich
finde, das ist eine feine Umschreibung, die Sie eben
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim gegeben haben. Ich erinnere mich, daß zwei Ihrer
Bundesminister des Auswärtigen: Herr Präsident! Fraktionskollegen andere Fraktionskollegen von
Meine Damen und Herren! Ich finde es doch recht Ihnen gewarnt haben, die Interpretation der ande-
bezeichnend, daß der letzte Sprecher, der Sp re cher ren Seite für sich in Anspruch zu nehmen und den
der Opposition, zur europäischen Problematik, zu Vertrag beispielsweise gegen die deutschen Inter-
dem, was wir heute hier behandeln, zur West- essen zu interpretieren. Ich möchte das hier nur
europapolitik, eigentlich nur wenig beizutragen ausdrücklich hinzufügen. Es waren Herr Dr. Schrö-
hatte, der und Herr Majonica.
(Abg. Rösing: Er hat die Dinge in den poli
tischen Zusammenhang gebracht!) Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine
sondern auf ein Feld ausgewichen ist, von dem zweite Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Lenz?
ich sagen muß, Herr Dr. Marx, daß man aus falschen
Analysen keine passenden Prognosen für die Zu-
Dr. Lenz (Bergstraße) (CDU/CSU) : Herr Moersch,
kunft ziehen kann. ist es Ihnen entgangen, wirklich entgangen, daß der
(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Ich habe Kollege Dr. Marx nicht die Interpretation der So-
keine Prognose gestellt, sondern darauf wjetunion für sich in Anspruch genommen, sondern
aufmerksam gemacht, daß man die Dinge sie hier bekanntgegeben hat? Und ist es Ihnen nicht
im Zusammenhang sehen muß! Herr
(Lachen bei der SPD)
Moersch, Sie haben sich auch zur Ostpoli
tik geäußert!) doch klar, daß zwischen diesen beiden Dingen ein
kleiner Unterschied besteht.
— Herr Dr. Marx, ich habe das mit großer Auf
merksamkeit gehört, was Sie gesagt haben. Ich will
auf den letzten Teil, der in manchem doch etwas Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim
märchenhaft war, nicht eingehen. Bundesminister des Auswärtigen: Herr Dr. Lenz,
(Abg. Dr. Apel: Beleidigen Sie den Herrn jetzt habe ich wirklich die Befürchtung, Sie könnten
Grimm doch nicht!) glauben, was Sie sagen.
Ich will nur auf einen Punkt eingehen, der in der (Lachen bei der SPD.)
Tat zentral ist, der nämlich die Ost- und Westpolitik Nein, das war eben anders. Ich will hier noch ein-
betrifft. Dabei habe ich wirklich den Eindruck, daß mal darlegen, wie es war.
es fast unmöglich ist, einigen Mitgliedern der Oppo-
(Abg. Dr. Lenz [Bergstraße] meldet sich zu
sition den Standpunkt der Bundesregierung deutlich
einer weiteren Zwischenfrage.)
zu machen, den sie so oft in schriftlicher Form und
in Reden dargelegt hat, der aber eben nicht in das — Wir wollen jetzt keine weiteren Zwischenfragen,
Weltbild paßt, das Sie sich offensichtlich zurecht- Herr Präsident, sonst schaffe ich das mit der Zeit
gelegt haben. nicht.
(Abg. Dr. Apel: Das ist genau richtig!) (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Herr
Denn daß die Ostpolitik die Westpolitik gefördert Moersch, besitzen Sie doch das notwendige
Maß an Fairneß, das Sie haben müssen als
hat und daß zwischen Westpolitik und Ostpolitik
Parlamentarischer Staatssekretär! — Abg.
eine Interdependenz besteht, das haben wir nicht
Dr. Luda: Begabter Polemiker!)
nur begründet und gesagt, sondern das haben wir
in einer Weise dargelegt, die Sie eigentlich, wenn — Ich verstehe nicht, daß Sie mit einer solchen Emp-
Sie aufmerksam zugehört haben, nicht in Zweifel findlichkeit reagieren, Herr Dr. Marx, wo ich doch
ziehen können. Ich will aber nicht die ganze Debatte lediglich in sehr vorsichtiger Form auf das eingehe,
wiederholen. - was Sie gesagt haben. Darüber könnte man nun
wirklich einiges sagen. Aber ich meine, ich möchte
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwi- dafür diese Stunde nicht in Anspruch nehmen. Ich
schenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Lenz? will hier nur zur Sache einiges bemerken. Das kann
man ja wohl nicht im Raume stehenlassen, was Sie
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim heute versucht haben aus dieser Europadebatte zu
Bundesminister des Auswärtigen: Wenn es sein machen.
muß, ja. (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)
Ich meine, da hört die Sanftmut bei mir auf; das
Dr. Lenz (Bergstraße) (CDU/CSU) : Herr Kollege
muß ich allerdings bekennen.
Moersch, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen,
daß Herr Kollege Marx eben genau dasselbe getan (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Wer hat
hat, aus sowjetischer Sicht zu tun versucht hat, was denn die ganze ostpolitische Variation hier
Sie eben mit Recht hier angeführt haben, nämlich hineingebracht? Doch Sie mit Ihrem Vor
die Interdependenz zwischen Ost- und Westpolitik trag! — Gegenruf des Abg. Wehner: Sie
darzulegen? haben das hier hineingebracht!)
4312 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970
Präsident von Hassel: Das Wort hat Herr dieses Parlament seine Einmütigkeit dokumentieren
Abgeordneter Josten. und die Sache nach außen eindrucksvoll vertreten
können. Es hätte damit auch der Bundesregierung
Josten (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine für die schwierigen Verhandlungen im Rat die ent-
Damen und Herren! Lassen Sie mich kurz auf einen sprechende Unterstützung gewähren können. Die im
wichtigen Punkt hinweisen. Der Herr Bundeskanzler Entwurf der Opposition unter Ziffer 2 geforderte
hat heute morgen einen Hinweis auf die Verant- nationale Lösung der Direktwahl für den Fall, daß
wortung Europas gegenüber der Dritten Welt ge- die supranationale Lösung nicht zustande kommt,
geben. Ich glaube, wir alle stimmen ihm in diesem hätte schon im Jahre 1964 verwirklicht werden kön-
Punkt zu, und wir wissen, daß besonders die Jugend nen, wenn der damalige sogenannte Mommer-Ent-
draußen auf diesem Gebiet anzusprechen ist. wurf nicht mit rechtlichen und europäisch-politischen
Bedenken als völlig unmöglich abgetan worden
Unsere Verantwortung, unsere Hilfe der Bundes- wäre. Wenn die CDU/CSU heute in diesem Punkt
republik fand ihren Niederschlag in der Vorlage des anderen Sinnes geworden ist, so kann man das nur
Bundeshaushalts für wirtschaftliche Zusammen- begrüßen, daß sie sich nun auch der Argumentation
arbeit für 1971. Diese Regierungsvorlage mit ent- der SPD bedient.
sprechend erhöhtem Ansatz fand im Fachausschuß
dieses Hauses, dem Ausschuß für wirtschaftliche Im Bewußtsein der Bürger dieses Europa ist viel-
Zusammenarbeit, einstimmige Annahme. fach ein Zerrbild von dem von uns allen angestreb-
ten Endgebilde entstanden, das es in mühevoller
(Zuruf des Abg. Dr. Apel.). Kleinarbeit zurechtzurücken gilt. Ein Weg dazu ist
— Passen Sie auf, Herr Kollege Apel, wie ich Sie in es, diese Bürger bald in ihre Rechte zur Mitwirkung
dieser Hinsicht noch brauche. — Die einstimmige an der Gestaltung eines integrierten Europas einzu-
Annahme ist sicher ein erfreuliches Ergebnis. setzen. Wenn man aber an die Fortentwicklung
Europas mit dem Motto herangeht, „Wer zahlt,
Nun eine sehr bedauerliche Tatsache, meine Da- schafft an", und mit diesem Herr-im-Haus-Stand-
men und Herren. Der Haushaltsausschuß hat in die- punkt den anderen zeigen will, was eine Harke ist,
ser Woche 120 Millionen DM von der Kapitalhilfe trägt man bestimmt nicht dazu bei, dieses Zerrbild
und leider auch andere Ansätze der Entwicklungs- zu beseitigen,
hilfe gekürzt.
(Beifall bei der SPD)
(Abg. Mertes: Was hat das mit der Europa
Debatte zu tun?) ganz zu schweigen von dem Erpressungsmotiv, das
nach dem Vorbild eines nicht mehr im Amt befind-
— Ja, das paßt dazu. Heute morgen wurde auf die lichen Staatspräsidenten in dieser Haltung versteckt
Bedeutung hingewiesen. In den Broschüren lesen liegt. Mit Schmollwinkelsitzen oder Auftrumpfen
Sie von den erhöhten Ansätzen — die wir begrüßen wird dieses Europa nicht zu einem demokratischen
— im Rahmen der Entwicklungshilfe. Die Mehrheit Gebilde, äußerstenfalls zu einem politischen Poker-
im Haushaltsausschuß — wenn es auch eine knappe klub.
Mehrheit der Regierungsparteien ist; das wissen (Beifall bei der SPD.)
Sie, Herr Mertes — hat anders beschlossen. Ich kann
Sie daher nur bitten: Damit wir glaubwürdig blei- Wenn wir heute mit Genugtuung feststellen kön-
ben, sollten wir quer durch alle Fraktionen dazu nen, daß die Initiative des Bundeskanzlers, noch
beitragen, die Regierungsvorlage wiederherzustel- bevor sich die Tage des Treffens von Den Haag
len. Das, meine Damen und Herren, wäre auch ein gejährt haben, solch eindrucksvolle Erfolge erzielt
Beitrag zu unserer Europapolitik. hat, so wissen wir doch, daß trotz Luxemburger Ab-
kommen, trotz Werner-Bericht, Davignon-Bericht,
(Beifall bei der CDU/CSU.)
noch sehr viele Schritte zu tun sein werden. Bis das
alles, was sich jetzt schon greifbar abzeichnet, zu
Präsident von Hassel: Wir sind am Ende der Ende geführt werden kann, sind noch viele Schritte
Aussprache zu den allgemeinen Betrachtungen. Das zu tun. Es geht alles in die Richtung, daß wir Schritt
Wort zur Begründung des Umdrucks 85- hat der um Schritt nationale Souveränitätsrechte zugunsten
Herr Abgeordnete Lautenschlager. supranationaler Einrichtungen und Organe aufge-
ben. Diese Entwicklung kann sich aber nur unter der
ständigen Mitarbeit, Kontrolle und Einflußnahme
Lautenschlager (SPD) : Herr Präsident! Meine eines nach demokratischen Grundsätzen gewählten
Damen und Herren! Die heutige Verabschiedung Europäischen Parlaments gedeihlich vollziehen.
der Ratifizierungsgesetze zu den Eigeneinnahmen
der Europäischen Gemeinschaften und zum Budget- Wenn der Deutsche Bundestag diese Ansicht durch
recht des Europäischen Parlaments sollte zum Anlaß seine Entschließungen unterstreicht, müssen auch
genommen werden, darauf hinzuweisen, daß das dergestalt die Konsequenzen daraus gezogen wer-
Budgetrecht und daß die Rechte überhaupt einem den, daß die Wähler aus den Mitgliedstaaten mit
Parlament gegeben werden, das nicht aus unmittel- ihren Stimmzetteln entscheidend an der Zusammen-
baren Wahlen hervorgegangen ist. Mit dem auf setzung dieses Parlaments und damit an der politi-
Umdruck 85 vorliegenden Resolutionsentwurf soll schen Gestaltung dieses neuen Europa teilnehmen.
versucht werden, diesen Zustand zu ändern. Es ist Der vorausgehende Wahlkampf würde darüber hin-
bedauerlich, daß es zu keinem gemeinsamen Ent- aus den Wählern die Möglichkeit geben, die Absicht
wurf des Bundestages gekommen ist. Damit hätte der einzelnen politischen Parteien kennenzulernen
4314 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970
Lautenschlager
und erläutert zu bekommen, welche Wege diese ein- I Gesetzentwurf einzubringen. Vielmehr soll die Bun-
schlagen würden, um das Ziel eines einigen Europa desregierung mit einer Resolution aufgefordert
zu erreichen. werden, beim Scheitern der Verhandlungen über
eine Vereinbarung nach Art. 138 Abs. 3, also im
Durch die direkte Wahl würde das Gewicht des Falle des Nichtzustandekommens der supranationa-
Europäischen Parlaments wesentlich gestärkt, und len Lösung, die Möglichkeit aufzuzeigen, wie „nach
zwar auch in den Bereichen, in denen es auch in einem von jedem Mitgliedstaat bestimmten Verfah-
Zukunft nur beratend wird tätig sein können. Weil ren" — so der Wortlaut des Vertrages — ein Gesetz
die Mitglieder eines nach einem supranationalen über die direkte Wahl der deutschen Mitglieder
Verfahren gewählten Parlaments nicht mehr unter des Europäischen Parlaments zustande kommen
der Last des Doppelmandates stünden, wäre ihrer kann.
Eigeninitiative wesentlich mehr Raum gegeben. Die
Noch aus einem anderen Grunde halte ich eine
übrigen Organe der Gemeinschaft, besonders die
Resolution im gegenwärtigen Zeitpunkt für besser
Kommission und der Rat, wären dann gezwungen,
als einen Initiativgesetzentwurf. Im Gegensatz zu
in stärkerem Maße, als dies bisher der Fall ist, auf
1964, wo besonders auf Grund der Haltung eines
die Beschlüsse und Wünsche des Parlaments einzu-
Mitgliedstaates einer der Tiefpunkte in den Inte-
gehen. Auf diese Weise könnten die Ziele der Eini-
grationsbestrebungen zu verzeichnen war, ist heute
gungsbestrebungen schneller erreicht werden, als
nach der Konferenz von Den Haag, nach den Luxem-
das nach dem bisherigen umständlichen und vielen burger Beschlüssen sowie im Hinblick auf die zu
Zufälligkeiten ausgelieferten Verfahren, das we- erwartenden Ergebnisse des Werner- und des
sentlich von politischen Auseinandersetzungen auf Davignon-Berichtes eine günstige Situation gege-
anderen Gebieten als dem der Europapolitik ab- ben. Auch das Europäische Parlament war nicht
hängig ist, geschehen kann. untätig und hat seine bisherigen ständigen und viel-
Die Entwicklung auf vielen Gebieten — auf dem fältigen Bemühungen fortgesetzt, den Rat unter
der Wirtschaft, dem der Währung, dem der Wissen- Druck zu setzen, nun nach fast zehn Jahren seine
schaft und Forschung, um nur einige zu nennen — Verpflichtung aus dem Vertrag zu erfüllen. Auf
nimmt einen immer rascheren Verlauf. Zwar sind Veranlassung von Präsident Scelba fand am
die Koordinierungsbestrebungen teilweise in Gang 26. Juni dieses Jahres ein Gespräch beim damaligen
gesetzt, und es ist zu hoffen, daß die wirtschaftliche Ratspräsidenten, Herr Harmel, statt, dessen Ergeb-
und währungspolitische Integration bis 1980 abge- nisse zu neuen Hoffnungen Anlaß geben. Während
schlossen sein wird; aber dies kann nicht ohne Ein- des Gesprächs ergab sich, daß auf der Ebene des
schaltung eines frei, allgemein und unmittelbar ge- Rates eine Sondergruppe der Ständigen Vertreter
wählten Parlaments geschehen. gebildet werden sollte. Diese Gruppe hat ihren Auf-
trag bereits weitgehend erfüllt. Nach den Versiche-
Die Parlamente der Mitgliedstaaten sind heute rungen von Präsident Harmel ist die Arbeit dieser
schon mit nationalen Aufgaben gerade im Hinblick Sondergruppe bereits so weit gediehen, daß berech-
auf die Strukturwandlungen und die sich immer tigte Hoffnung besteht, demnächst mit dem Politi-
stärker und schneller abzeichnenden Entwicklungen schen Ausschuß des Europäischen Parlaments schon
über Gebühr in Anspruch genommen. Es besteht über die Einzelheiten Gespräche zu führen.
daher die große Gefahr, daß in den Organen der
Ich möchte an dieser Stelle keine weiteren Aus-
Gemeinschaft, soweit sie schon bisher beschließende
führungen über die Problematik in politischer und
Befugnisse haben, Absichten in die Wirklichkeit
rechtlicher Hinsicht machen, die eine nationale
umgesetzt werden, die nicht zu kontrollieren und
Lösung des Problems nach sich zöge. Darüber soll-
später nicht mehr zu korrigieren sind. Diese Gefahr
ten wir, glaube ich, im Auswärtigen Ausschuß spre-
kann nur vermieden werden, wenn von einem
chen. Herr Präsident, ich beantrage, die beiden
demokratisch zusammengesetzten Parlament schon
Resolutionsentwürfe von CDU sowie SPD und FDP
jetzt eine Kontrollfunktion wahrgenommen wird.
dem Auswärtigen Ausschuß zur Beratung zu über-
Meine Damen und Herren, die Versuche, die in weisen.
den einzelnen Parlamenten der Mitgliedstaaten in (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Angriff genommen wurden, um eine nationale
Lösung zu finden, sind sehr zahlreich. Die meisten Präsident von Hassel: Meine Damen und Her-
sind an den Problemen gescheitert, die der Wort- ren, die Rednerliste ist erschöpft.
laut des Art. 138 des EWG-Vertrages aufwirft. So
Ich schließe die zweite Beratung über die unter
wäre eine Direktwahl der deutschen Mitglieder nach
den Tagesordnungspunkten 25 a) und b) verzeich-
der nationalen Lösung nur dem Namen nach denk-
neten Gesetzentwürfe.
bar, denn sie könnte nur unter den Bedingungen
von Art. 138 Abs. 1 des EWG-Vertrages stattfinden. Wir kommen zur Schlußabstimmung über den
Das bedeutet, daß das Hauptärgernis des jetzigen Gesetzentwurf Drucksache VI/880. Wer den Artikeln
Zustandes, das Doppelmandat, nicht beseitigt würde. 1, 2 und 3, der Einleitung und der Überschrift zu-
Eine solche Lösung könnte nur die Aufgabe haben, stimmt, den bitte ich, sich zu erheben. — Ich bitte
auf den Rat dahin Druck auszuüben, nun endlich um die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Einstimmig
tätig zu werden und seine Verpflichtungen aus dem angenommen.
Vertrag zu erfüllen. Wir kommen zur Schlußabstimmung über den
Es wäre auch nicht opportun, im gegenwärtigen Gesetzentwurf Drucksache VI/879. Wer den Artikeln
Zeitpunkt — ähnlich wie 1964 — einen eigenen 1, 2 und 3 sowie der Einleitung und der Überschrift
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970 4315
Präsident von Hassel
seine Zustimmung gibt, den bitte ich, sich zu er- Hermsdorf (Cuxhaven) (SPD) : Herr Präsident!
heben. Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltun- Meine Damen und Herren! Ich bitte um Entschuldi-
gen? — Ebenfalls einstimmig angenommen. gung; ich war nicht im Hause, als der Abgeordnete
Josten hier die Frage der Kapitalhilfe behandelte.
Wir kommen nunmehr zu einigen Entschließungs- Ich habe das nur in der Übertragung gehört. Ich
anträgen. Bitte nehmen Sie Drucksache VI/1374 zur stelle fest, daß sich das, was Herr Abgeordneter
Hand. Auf Seite 2 finden Sie unter Abschnitt III die Josten hier gesagt hat, wie folgt abgespielt hat: Auf
Vorschläge des Ausschusses. Ich bringe in Erinne- meinen Antrag hin ist auf Grund der vorhandenen
rung, daß der Berichterstatter, Herr Röhner, heute Tatsachen bei der Kapitalhilfe mit den Stimmen der
morgen noch eine Nummer 7 angefügt hat. Diese CDU gegen einige Stimmen der SPD die Kapitalhilfe
Nummer 7 ist offensichtlich aus einem Versehen gestrichen worden.
nicht mit ausgedruckt worden. Der Text ist in der
Zwischenzeit vervielfältigt und verteilt worden. (Zurufe und Lachen bei den Regierungs
parteien.)
Wer der Entschließung im Abschnitt III mit den
Nummern 1 bis 7 zustimmt, den bitte ich um das Präsident von Hassel: Meine Damen und Her-
Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — ren, es empfiehlt sich, später noch einmal das Wort-
Enthaltungen? — Einstimmig so beschlossen. protokoll nachzulesen, um genau zu sehen, wie es
Ich rufe den Antrag Umdruck 85 auf, der soeben sich verhält.
von Herrn Kollegen Lautenschlager begründet wor-
den ist. Ich stelle die Frage, ob wir über die Über- Wir treten jetzt ein in die
weisung der Anträge auf den Umdrucken 85 und 86 Fragestunde
zugleich abstimmen können. In beiden Fällen soll
— Drucksache VI/1339 —
Überweisung an den Auswärtigen Ausschuß erfol-
gen. Sind Sie einverstanden, daß darüber gemein- Mit Blickrichtung auf die Tribüne möchte ich auf
sam abgestimmt wird? folgendes aufmerksam machen. Da die Fragestunde
von der üblichen Zeit, 9 Uhr bis 10 Uhr, auf das
(Zustimmung.)
Ende der Plenarsitzung verschoben worden ist, ist
Wer der Überweisung des Antrags Umdruck 85, die Beteiligung an der Fragestunde jetzt verständ-
der sich auf den Tagesordnungspunkt 25 b) bezieht, licherweise wahrscheinlich geringer. Wir werden
und der Überweisung des Antrags Umdruck 86, der sehr schnell durchkommen, wenn Sie mir dabei
sich auf die Tagesordnungspunkte 25 a) und 25 b) helfen..
bezieht, an den Auswärtigen Ausschuß zustimmt,
Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen
den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe!
Amts auf, zuerst die Frage 118 des Abgeordneten
— Enthaltungen? — Die Überweisung dieser beiden
Hansen:
Entschließungsanträge ist einstimmig beschlossen.
Wann gedenkt die Bundesregierung erneut und mit Nachdruck
über die Rückgabe des Document Center (Berlin) mit der Regie-
Wir kommen zur Abstimmung über Punkt 25 c) rung der USA zu verhandeln?
der Tagesordnung. In Drucksache VI/1344 finden Sie
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staats-
auf der letzten Seite unter dem Buchstaben B den
sekretär Moersch.
Antrag des Ausschusses. Wer diesem Antrag seine
Zustimmung geben will, den bitte ich um das Hand-
zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim
so beschlossen. Bundesminister des Auswärtigen: Ihre Frage, Herr
Kollege Hansen, ist fast identisch mit der von Ihnen
Dann kommen wir zu den beiden Zusatzpunkten, vor knapp einem Monat, nämlich in der Fragestunde
die wir heute morgen auf die Tagesordnung gesetzt vom 9. Oktober 1970, gestellten Frage. Ich kann nur
und gemeinsam mit beraten haben, zunächst zu der auf das verweisen, was Ihnen der Herr Bundes-
Drucksache VI/1369. Der Ausschuß beantragt, die in außenminister damals geantwortet hat. Schließlich
Drucksache VI/915 enthaltene Entschließung zur ist festzustellen, daß deutsche Auskunftsersuchen
Kenntnis zu nehmen. Wer diesem Antrag des Aus- vom Document Center zuverlässig beantwortet wer-
schusses zustimmt, den bitte ich um das- Hand- den und Verzögerungen künftig hoffentlich nicht
zeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — Es ist mehr eintreten.
einstimmig so beschlossen.
Schließlich zum zweiten Zusatzpunkt von heute Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des
früh. Sie finden den Antrag des Ausschusses auf Herren Abgeordneten Hansen.
Drucksache VI/ 1376. Wer diesem Antrag zustimmt,
den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um
die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Es ist einstim- Hansen (SPD) : Herr Staatssekretär, würden Sie
mig so beschlossen. nicht meinen, daß, nachdem die letzten Verhandlun-
gen über die Übergabe des Document Center im
Damit sind die Punkte 25 a) bis c) und die beiden Jahre 1968 stattgefunden haben, es an der Zeit wäre,
Zusatzpunkte 1 und 2 erledigt. diese Verhandlungen wiederaufzunehmen? Deshalb
(Abg. Hermsdorf [Cuxhaven] : Kann ich meine erneute Fragestellung.
das Wort zu einer persönlichen Erklärung
haben?) Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Bitte schön, Herr Kollege Hermsdorf. Bundesminister des Auswärtigen: Die Bundesregie-
4316 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staats- Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des
sekretär. Abgeordneten Dr. Jahn.
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Wir fahren fort mit dem Geschäftsbereich des
Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeord- Bundesministers der Justiz. Die Fragen 40 und 41
neter, meine Antwort widerspricht nicht dem, was sind vorn Fragesteller zurückgezogen. Damit sind
Sie sagen. Das ist in jedem Falle richtig. Aber es wir am Ende des Geschäftsbereichs des Bundesmi-
gibt internationale Abmachungen, die der Zustim- nisters der Justiz.
mung des Parlaments bedürfen, und es gibt solche, Wir nehmen dann den Geschäftsbereich des Bun-
die dieser Zustimmung nicht bedürfen. desministers für Wirtschaft. Die Frage 56 ist zu-
rückgezogen.
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des
Abgeordneten Reddemann. Zu den Fragen 57 und 58 erbittet der Fragesteller
schriftliche Beantwortung. Die Antworten werden
als Anlage abgedruckt.
Reddemann (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär,
halten Sie es nicht für mißverständlich, wenn, nach- Ich rufe die Frage 59 des Abgeordneten Härzschel
dem die Bundesregierung erklärt hat, sie wolle eine auf. Ist der Abgeordnete im Saal? — Er ist nicht im
Ratifikation des deutsch-sowjetischen Vertrages Saal. Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die
erst vornehmen, wenn eine entsprechende Berlin- Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Regelung erfolgt ist, in dieser Sammlung des Bun-
despresseamts lediglich die Unterzeichnung des Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staats-
Ratifikationsgesetzes durch den Bundespräsidenten sekretär, daß Sie sich bereit fanden, die Fragen
erwähnt wird? auch ohne Anwesenheit der Abgeordneten zu be-
antworten.
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Wir nehmen dann den Geschäftsbereich des Bun-
Bundesminister des Auswärtigen: Ich bin sicher, daß desministers der Verteidigung. Die Fragen 60 und
hier für diejenigen, die das richtig gelesen haben, 61 sind zurückgezogen. Die Fragestellerin der Fra-
kein Mißverständnis möglich war, weil es hier ja gen 62 und 63 hat um schriftliche Beantwortung ge-
nicht um eine politische Willenserklärung geht, son- beten. Die Antworten werden als Anlagen abge-
dern um eine Darstellung der rechtlichen Verhält- druckt. Das gleiche gilt für die Frage 64 des Abge-
nisse, die allerdings möglicherweise zu knapp aus- ordneten Dasch. Die Fragen 65 bis 67 sind von den
gefallen ist; das will ich gar nicht bestreiten. Fragestellern zurückgezogen worden. Auch der Ab-
geordnete Dr. Klepsch hat seine Frage 105, die ur-
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage des sprünglich im Geschäftsbereich des Bundesministers
Abgeordneten Niegel. für Bildung und Wissenschaft stand und nun vom
Bundesminister der Verteidigung beantwortet wer-
den sollte, zurückgezogen. Zu den Fragen 68 und 69
Niegel (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, können erbittet der Fragesteller schriftliche Beantwortung.
Sie mir sagen, welche Verträge keiner Ratifikation
Auch hier wird die Antwort als Anlage abgedruckt.
durch das Parlament bedürfen?
Damit sind alle Fragen aus diesem Geschäftsbereich
erledigt.
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
Bundesminister des Auswärtigen: Herr Abgeord-
ministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zu-
neter, es wäre unter Umständen möglich, Ihnen die
nächst die Frage 70 des Abgeordneten Hussing. Ist
entsprechenden Kommentare aus der Völkerrechts-
der Abgeordnete im Saal? — Er ist nicht zu sehen.
lehre zuzustellen. Ich bin nicht Völkerrechtler, und
Die Frage wird schriftlich beantwortet. Die Ant-
ich kann nicht sagen, welche Abmachungen nicht
wort wird als Anlage abgedruckt.
der Ratifikation durch das Parlament bedürfen. Die
Mehrzahl der Verträge jedenfalls bedürfen der Rati- Ich rufe die Frage 71 des Abgeordneten Wolfram
fizierung durch das Parlament. Es gibt aber andere auf:
Abmachungen, die nicht dazu gehören. Aber diese Teilt die Bundesregierung die Auffassung von Prof. Häfner,
daß die Lage der Psychiatrie in unserem Lande einen nationalen
Unterrichtung werden Sie in der Bibliothek in Notstand darstellt?
jedem Lehrbuch finden können. Der Abgeordnete ist anwesend.
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staats-
Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 128 sekretär Westphal.
des Abgeordneten Dr. Jahn (Braunschweig) auf:
Ist die Bundesregierung nicht der Auffassung, daß durch die
Publikation des Presse- und Informationsamtes der Bundes-
regierung der Eindruck erweckt wird, als bedürfe „Der Vertrag
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim
vom 12. August 1970" nicht der Zustimmung der gesetzgeben- Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit:
den Körperschaften?
Herr Kollege Wolfram, Herr Professor Häfner hat
1965 in einem Aufsatz mit dem Titel „Dringliche
Moersch, Parlamentarischer Staatssekretär beim Reformen in der psychiatrischen Krankenversor-
Bundesminister des Auswärtigen: Die Antwort gung in der Bundesrepublik" von einem „nationalen
lautet: Nein. Notstand" im Hinblick auf die Lage der Psychiatrie
gesprochen. Die Bundesregierung ist sich bewußt,
Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Ich daß die psychiatrische Versorgung der Bevölkerung
danke Ihnen für die Beantwortung, Herr Parlamen- in erheblichem Umfang und beschleunigt verbessert
tarischer Staatssekretär. werden muß. Diesem Ziel dienen die vielseitigen
4318 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der Präsident von Hassel: Ich rufe die Frage 72
Abgeordnete Wolfram. des Abgeordneten Wolfram auf:
Welche Maßnahmen sind vorgesehen, um die augenblickliche
Situation zu verbessern, und ist insbesondere ein Soforthilfe-
programm und ein nationaler Plan nach dem Beispiel der USA
Wolfram (SPD) : Herr Staatssekretär, welche und anderer Länder vorgesehen?
Möglichkeiten sehen Sie, durch Früherkennung und
Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staats-
Frühbehandlung zu verhindern, daß es auf diesem
sekretär Westphal.
Gebiet praktisch nur krankenhausreife Patienten
gibt?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit:
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim In der Bundestagsdebatte vom 17. April 1970 wur-
Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: den bereits Vorstellungen der Bundesregierung
Herr Kollege Wolfram, der Begriff „krankenhaus- über die Maßnahmen zur Verbesserung der Situa-
reife Patienten" ist natürlich etwas problematisch; tion der Psychiatrie mitgeteilt.
denn es gibt auf diesem Gebiet z. B. erhebliche
Möglichkeiten der teilstationären Behandlung. Wenn Die Möglichkeiten eines Sofortprogramms und
die stationäre Behandlung wirkungsvoll gemacht eines nationalen Plans nach dem Beispiel der USA
werden kann, kann sie auch kurzfristiger werden. und anderen Ländern werden zur Zeit eingehend
Im Hinblick auf die Früherkennung ist es in diesem geprüft. Die Möglichkeiten einer raschen Verbesse-
Bereich natürlich besonders schwer, Ratschläge oder rung der gegenwärtigen Situation der Psychiatrie in
klare Möglichkeiten der Regelung zu geben. Es geht der Bundesrepublik werden in engster Zusammen-
immer um lange Beobachtungszeiten. Die Beratung arbeit mit Wissenschaftlern und den Ländern sowie
auf diesem Gebiet muß verbessert und ausgedehnt allen sonstigen staatlichen, halbstaatlichen und pri-
werden. Psychotherapeutische und psychiatrische Be- vaten Organisationen, Verbänden und Einrichtun-
handlung in solchen Stellen ist wünschenswert, und gen erörtert, um die kurzfristig und auf lange Sicht
es ist auch von diesem Haus immer wieder dringend notwendigen Maßnahmen zur Verbesserung der
gefordert worden, daß diejenigen, die dafür zustän- Hilfe für psychisch Kranke zu programmieren und
dig sind, solche Stellen einrichten. zusammenzufassen.
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatz- Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der
frage, Herr Abgeordneter Wolfram. Abgeordnete Wolfram.
Glombig (SPD) : Herr Parlamentarischer Staats- Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatz-
sekretär, haben Sie den Eindruck, daß neben den frage, der Abgeordnete Wolfram.
Ländern auch die Bundesarbeitsgemeinschaft für
Rehabilitation auf dem Feld der Rehabilitation für Wolfram (SPD) : Herr Staatssekretär, wird an
psychiatrisch Kranke alles getan hat, was möglich einer Beseitigung der gesetzlichen Diskriminierung
und notwendig ist? der psychisch Kranken gearbeitet?
Präsident von Hassel: Keine Zusatzfragen. sind Notrufanlagen nicht vorhanden, weil die fern-
meldetechnischen und betrieblichen Voraussetzun-
Wir kommen zu den Fragen 87 und 88 des Abge-
gen hierzu noch nicht gegeben sind. Erst nach einer
ordneten Dr. Müller-Hermann. — Der Abgeordnete
Aufstufung dieser Straßen zu Bundesautobahnen
ist nicht anwesend. Die Fragen werden schriftlich
können nach Verlegung der Fernmeldekabel und
beantwortet. Die Antworten werden als Anlage ab-
Errichtung von Autobahnmeistereien auch an diesen
gedruckt.
Straßen Notrufsäulen installiert werden.
Ich rufe die Frage 89 des Abgeordneten Niegel
auf: Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr
Gibt es besondere Gründe dafür, daß trotz Zusage weder der
Bundesminister für Verkehr und für das Pest- und Fernmelde- Abgeordneter Wende.
wesen noch sein parlamentarischer oder beamteter Staatssekre-
tär am 12. Gewerkschaftstag der GDBA im Deutschen Beamten-
bund in Nürnberg teilgenommen haben, jedoch beim außer- Wende (SPD) : Können Sie in diesem Zusammen-
ordentlichen Gewerkschaftstag der Deutschen Postgewerkschaft
im DGB in Kassel der Bundesminister für Verkehr und für das
hang darüber Angaben machen, Herr Staatssekretär,
Post- und Fernmeldewesen mit den Staatssekretären Börner und welche Erfahrungen gemacht worden sind — oder
Gscheidle anwesend waren?
können Sie mir gegebenenfalls diese Angaben
Zur Beantwortung, Herr Parlamentarischer Staats- schriftlich zukommen lassen — mit neuartigen Not-
sekretär. rufsäulen, die nicht mehr auf dem Kabelwege, son-
dern auf dem Funkwege operieren?
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Gründe für die Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
unterschiedliche Beteiligung der politischen Leitung Fernmeldewesen: Herr Kollege, wir haben uns bis-
unseres Hauses an den beiden Gewerkschaftstagen her für Verkabelung entschieden, weil die Betriebs-
lagen in der Tatsache begründet, daß der Kongreß sicherheit und die Tatsache, daß wir sehr wenige
der Deutschen Postgewerkschaft in einer sitzungs- Funkfrequenzen in der Bundesrepublik für solche
freien Woche des Bundestages durchgeführt wurde, Dinge nutzen können, für Verkabelungen sprachen.
während der Gewerkschaftstag der GDBA in einer Wir verfolgen natürlich auch fernmeldetechnische
Plenarwoche stattfand. Entwicklungen, wie Sie sie soeben zitiert haben. Ich
bin gern bereit, Ihnen darüber ergänzende Aus-
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, der kunft zu geben.
Abgeordneten Niegel. Ich möchte aber noch hinzufügen, daß es ja nicht
nur das Problem der Installierung solcher Notruf-
Niegel (CDU/CSU) : Eine unterschiedliche Be- anlagen gibt, sondern auch der Vorhaltung eines c
handlung der verschiedenen Gewerkschaftsorgani- entsprechenden Rettungsdienstes. Denn es handelt
sationen — die eine gehört dem DGB, die andere sich ja hier um einen Betrieb, der über 24 Stunden
dem Beamtenbund an — liegt seitens Ihres Hauses in Betrieb sein muß, und nicht nur darum, daß man
also nicht vor? irgendwo ein Telefon installiert, wo man anrufen
kann. Diese Fragen werden im Zusammenhang mit
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim der Vorlage des Verkehrsberichts der Bundesregie-
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und rung, der in der nächsten Woche auf der Tagesord-
Fernmeldewesen: Nein. Das können Sie u. a. daraus nung des Hohen Hauses steht, dann noch weiter
ersehen, daß ich den neugewählten Vorsitzenden behandelt werden. Ich nehme an, daß sich auch die
der GDBA in den nächsten Tagen zu einem Ge- Gelegenheit ergibt, in der Aussprache über den Ver-
spräch empfangen werde, so wie auch andere Her- kehrsbericht Ihr Petitum zu vertiefen.
ren aus der Gewerkschaftsbewegung, die mit uns in
Verbindung stehen, von Zeit zu Zeit zu Fachge Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage.
sprächen empfangen werden. Ich rufe auf die Fragen 91 und 92 des Herrn Ab-
geordneten Dr. Aigner. — Er ist nicht anwesend.
Präsident von Hassel: Keine Zusatzfrage. Ich Die Antworten werden als Anlage abgedruckt.
-
rufe auf die Frage 90 des Herrn Abgeordneten Ich rufe auf die Frage 93 des Abgeordneten
Wende: Schmidt (München). Ist er anwesend? — Das ist
Wie weit ist der Ausbauzustand von Notrufsäulen an Bundes- nicht der Fall. Die Antwort wird als Anlage abge-
autobahnen sowie an autobahnähnlich ausgebauten Bundes-
straßen? druckt.
Der Herr Abgeordnete ist im Saal. Zur Beantwor- Wir kommen zu Frage 94 des Herrn Abgeordne-
tung, bitte! ten Schmidt (München). — Der Fragesteller ist nicht
im Saal. Die Antwort wird als Anlage abgedruckt.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Ich rufe auf die Frage 95 des Herrn Abgeordneten
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und Wende:
Fernmeldewesen: Von den zur Zeit in Betrieb be- Wel ch e Voraussetzungen müssen noch erfüllt werden, um im
gesamten Bundesgebiet die Notrufnummer 110 einzurichten?
findlichen 4100 km Bundesautobahnen sind 3765 km,
das sind rund 92 %, mit Notrufsäulen ausgerüstet. Bitte zur Beantwortung!
Weitere 100 km Notrufanlagen, deren Inbetrieb-
nahme bis Ende 1970 vorgesehen ist, sind im Bau. Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
An autobahnähnlich ausgebauten Bundesstraßen Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970 4321
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
Fernmeldewesen: Die technischen Voraussetzungen vorgeschlagen haben, weil diese Nummer besser zu
für die bundeseinheitliche Notrufnummer 110 sind wählen sei und die Notrufe dann doch schlagkräf-
gegeben. Offen ist zur Zeit noch die Frage der tiger vorgenommen werden könnten?
Finanzierung. Die Bundesregierung bemüht sich um
eine Lösung dieses Problems und hofft, bald zu Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
einem Ergebnis zu kommen. Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Fernmeldewesen: Herr Kollege, sicher wird man das
Präsident von Hassel: Eine Zusatzfrage, Herr noch prüfen, aber die Erfahrungen unseres Hauses
Abgeordneter Wende! gehen dahin, daß die Nummer 110 in einem Teil
der Bundesrepublik schon eingebürgert ist und daß
Wende (SPD) : Herr Staatssekretär, haben Sie hinter dieser Nummer sich auch ein bestimmter Be-
Kenntnis von dem Verfahren, wie es im Regierungs- griff beim Kraftfahrer verbirgt, so daß man von der
bezirk Nordwürttemberg angewendet worden ist, Gewöhnung her die Nummer 110 bevorzugen sollte.
wo in Zusammenarbeit zwischen staatlichen und pri- Aber, wie gesagt, ich will Ihr Argument gerne noch
vaten Stellen ein Finanzierungsschlüssel erarbeitet einmal prüfen lassen.
wurde, der es dort ermöglicht, in kürzerer Frist be-
reits die einheitliche Notrufnummer 110 einzufüh- Präsident von Hassel: Wir sind am Ende des
ren? Geschäftsbereiches angelangt. Es folgt der Geschäfts-
bereich des Bundesministers für Wohnungswesen
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim und Städtebau. Ich danke Ihnen zunächst, Herr Par-
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und lamentarischer Staatssekretär.
Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich muß offen sa- Ich rufe die Frage 96 des Herrn Abgeordneten
gen, daß mir das Angebot privater Beteiligung an Geisenhofer auf.
dieser Aktion nicht bekannt ist. Aber ich werde gern Ist der Bundesregierung bekannt, daß, vor allem in München
den Dingen nachgehen. Wir würden es selbstver- durch Zweckentfremdung von Altbauwohnungen in Gastarbeiter
Schlafstellen und sonstige Massenquartiere bei langeingesesse-
ständlich begrüßen, wenn hier private Initiative nen Mietern, aber auch bei Gastarbeitern selbst, große Härten
noch hinzukäme. Aber ich bin nicht sicher, ob Sie auftreten, die nicht nur Unruhe bei den Betroffenen, sondern
auch in den angrenzenden Stadtteilen hervorrufen?
denselben Sachverhalt meinen, den ich in meiner
Antwort angesprochen habe. Die Kosten, von denen Zur Beantwortung Herr Parlamentarischer Staats-
ich hier sprach, beziehen sich auf die fernmelde- sekretär Ravens.
technische Installation, also auf das, was die Deut-
sche Bundespost und der Bundesminister für Ver- Ravens, Parlamentarischer Staatssekretär beim
kehr und für das Post- und Fernmeldewesen hier zu Bundesminister für Städtebau und Wohnungswesen:
tun haben. Ich nehme an, daß sich Ihr Argument Herr Präsident, wenn Herr Kollege Geisenhofer ein-
mehr auf die Vorhaltung des Rettungsdienstes be- verstanden ist, so würde ich gerne beide Fragen im
zieht, den man eben mit dieser Nummer erreichen Zusammenhang beantworten.
kann. Das erfordert natürlich auch erhebliche Ko-
sten. Präsident von Hassel: Keine Bedenken. Dann
rufe ich auch die Frage 97 auf:
Präsident von Hassel: Eine zweite Zusatz- Ist der Bundesregierung bekannt, daß vor allem internationale
Maklerfirmen, aber auch Bundesbehörden an der Zweckentfrem-
frage, bitte schön, Herr Kollege! dung solcher Häuser beteiligt sind, und gedenkt die Bundes-
regierung, Maßnahmen einzuleiten, wie sie in dem Gesetz-
entwurf der CDU/CSU, Drucksache VI/13 vom 23. Oktober 1969,
Wende (SPD) : Es bezieht sich nicht nur darauf. gefordert werden?
Berichtigung
Es ist zu lesen:
75. Sitzung, Seite 4229 A, Zeile 15 statt „Situation":
„Insiuato"
Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode - 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970 4323
* Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Euro- Der Bundestag fordert, daß dieses Revisionsver-
päischen Parlaments fahren zu einer substantiellen Verstärkung der
** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Beraten föderativen und demokratischen Elemente in
ten Versammlung des Europarates der Gemeinschaftsverfassung, insbesondere
4324 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970
a) zur Ausstattung des Europäischen Parla- 2. angesichts der Tatsache, daß die Staats- und Re-
ments mit Gesetzgebungsbefugnissen gierungschefs in Punkt 5 des Haager Kommuni-
gués in Übereinstimmung mit dem EWG-Vertrag
b) zu einer baldigen Direktwahl des Euro- ihre Bereitschaft zu einer weiteren Prüfung der
päischen Parlaments
Frage der Direktwahl zum Europäischen Parla-
führt. ment zum Ausdruck gebracht haben, mit um so
größerem Nachdruck an einer Lösung zu arbei-
2. Der Bundestag erklärt seine Absicht, für den ten, die eine allgemeine, unmittelbare Wahl der
Fall, daß ein Beschluß über die Direktwahl des Abgeordneten zum Europäischen Parlament er-
Europäischen Parlaments in allen Ländern der möglicht.
Gemeinschaft nicht in absehbarer Zeit zustande
kommt, die direkte Wahl der deutschen Abge-
Bonn, den 3. November 1970
ordneten im Europäischen Parlament so bald wie
möglich herbeizuführen. Wehner und Fraktion
Mischnick und Fraktion
3. Der Bundestag ist davon überzeugt, daß er mit
der Annahme der vorliegenden Gesetze einen
wichtigen Beitrag zur weiteren politischen und
wirtschaftlichen Einigung Europas leistet und
den Beitritt weiterer Staaten zu den Gemein- Anlage 4
schaften erleichtert. Er geht davon aus, daß die
Schriftliche Antwort
Wirtschafts- und Währungsunion in den kom-
menden Jahren stufenweise verwirklicht wird. des Parlamentarischen Staatssekretärs Rosenthal
Dabei besteht er darauf, daß die Integration im vorn 5. November 1970 auf die Mündlichen Fragen
Bereich der allgemeinen Wirtschaftspolitik und des Abgeordneten Dr. Beermann (Drucksache VI/1339
im Bereich der Währungspolitik gleichzeitig und Fragen A 57 und 58) :
aufeinander abgestimmt vollzogen wird. Im Hin- Ist der Bundesregierung bekannt, daß kürzlich der Springer
Verlag die im Wahlkreis Stormarn-Lauenburg erscheinende
blick auf diese notwendige Entwicklung und auf „Ahrensburger Zeitung" und nunmehr der Heinrich-Bauer-Verlag
Grund der allgemeinen politischen Lage Europas die ,Norddeutsche Rundschau" und die „Glücksstädter Fortuna"
aufgekauft hat?
fordert er dringend die baldige Konstituierung Welche Auffassung hat die Bundesregierung zu diesen die
einer handlungsfähigen politischen Union. vielfältige Struktur insbesondere der schleswig-holsteinischen
Heimatpresse zerstörenden Konzentrationsvorgängen?
ist nicht üblich und es kann auch nicht eingeführt Aus Kostengründen können Soldaten „an öffent-
werden, daß sich Interessenten für die Öffentlich- lichen Arbeitssitzungen demokratischer Körper-
keitsseminare der Schule für Innere Führung außer schaften", so drückt sich der entsprechende Erlaß
mit Anschrift, Beruf und Alter auch mit anderen Per- aus, nur dann teilnehmen, wenn „die Entfernung
sonalia, wie Religions- oder Parteizugehörigkeit, zum Zielort" 200 km nicht überschreitet; d. h. daß
eintragen lassen. Soldaten, deren Garnison weiter als 200 km von
Wenn in dem Einladungsschreiben vom Referat Bonn entfernt liegt, zur Zeit keine Möglichkeit ha-
Fü S VII 1 darauf hingewiesen wird, daß dieses Se- ben, zu Lasten von Haushaltsmitteln die Bundes-
minar für „Mitglieder von Verbänden, die dem RPJ hauptstadt zu besuchen.
angeschlossen sind" durchgeführt wird, ist dies als Sie haben dafür in jedem Falle die Möglichkeit,
Kennzeichnung des Seminars zu verstehen und be- an den Sitzungen der Länderparlamente .teilzu-
deutet nicht, daß nicht auch andere junge Menschen nehmen.
kommen können, die für das spezielle Programm
dieses Seminars ein besonderes Interesse haben.
Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, Orga-
nisationen, die nicht dem RPJ angeschlossen sind, Anlage 8
zur Benennung von Teilnehmern an den „RPJ-Se-
Schriftliche Antwort
minaren" einzuladen. Sie sieht allerdings auch kei-
nen Anlaß, wegen dieses Einzelfalles das bisher ge- des Parlamentarischen Staatssekretärs Berkhan vom
übte Verfahren — Interessenten allgemein zuzulas- 6. November 1970 auf die Mündliche Frage des
sen — einzuschränken. Abgeordneten Zebisch (Drucksache VI/1339 Frage
A 69) :
Welche Erfahrungen hat die Bundesregierung bisher mit der
Globalanmietung von Wohnungen für die Soldaten gemacht,
und wie wird sie diese Aufgabe weiterverfolgen?
den medizinisch-pharmakologischen und sozial- — Task Force Report: Narkotika und Drogenmiß-
pädagogisch-therapeutischen Bereichen gefragt ist. brauch (Narcotics and Drug Abuse),
Der Bundesregierung sind zahlreiche in- und aus- Bericht über den Rauschmittel- und Drogenmiß-
ländische Berichte über Drogen- und Rauschmittel- brauch in den USA, herausgegeben von einer
mißbrauch bekannt. Kommission des amerikanischen Präsidenten
Aus dem Inland liegen ihr insbesondere folgende (President's Commission on Law Enforcement
neuere Berichte vor: and Administration of Justice), Washington
— Bschor, F.: 1967;
— Weil, A. T. — Zinberg, N. E. — Nelsen, J. M.:
Junge Rauschmittelkonsumenten in Berlin
Klinische und psychologische Wirkungen von
(West),
Marihuana (Clinical and Psychological Effects
Bericht über die Erkundungsstudie 1969/70 der of Marihuana in Man), Zeitschrift „Science",
Forschungsgruppe S am Institut für gerichtliche USA, Vol. 162, S. 1234 ff.
und soziale Medizin der Freien Universität Ber-
lin, 1970; Untersuchungen, die im Ausland erstellt und
publiziert wurden, haben für die Bemühungen in
- Hippius, H — Coper, H.: der Bundesrepublik Deutschland nur dann Aussage-
Mißbrauch von Haschisch (Marihuana), wert, wenn sie methodisch vergleichbar und von
Zeitschrift „Deutsches Ärzteblatt", 1970 S. 1618 ff.; Bleichgelagerten Rauschgiftsituationen ausgehen.
Im übrigen gibt es eine große Anzahl wissenschaft-
— Strunk, P. — Remschmidt, H. — Dauner, I.: licher und nichtwissenschaftlicher Arbeiten zur
Drogenabhängigkeit bei Jugendlichen, Problematik des Drogen- und Rauschmittelgenusses.
Bericht über Momente der Suchtgefährdung, Ich erwähne nur die wissenschaftlichen Veröffent-
eigene Erfahrungen mit Patienten und Fragen lichungen von Prof. Dr. H. E. Ehrhardt, Marburg:
der Prävention und Therapie aus der Klinik für — Rauschgift, 3. Aufl., Hamm 1967;
Kinder- und Jugendpsychiatrie der Philipps-
— Rauschgiftsucht, aktuelle Probleme und Auf-
Universität Marburg;
gaben,
— Wanke, K. — Süllwold, L. — Ziegler, B.:
Zeitschrift „Deutsches Ärzteblatt", 1970, S. 1151 ff.
Jugend und Rauschmittel — Prävention, Thera-
pie und Rehabilitation, Besonders bekannt geworden. ist in letzter Zeit
der „Haschisch-Report" von Rudolf Walter Leon-
erste Untersuchungsergebnisse der Frankfurter hardt, der sich nicht zuletzt auf den Bericht der 1893
Beratungsstelle, Zeitschrift „Rehabilitation", von der britischen Kolonialregierung eingesetzten
Band 23, Heft 2, Juni 1970; Indischen Hanfdrogen-Kommission stützt und mit
Aus dem Ausland sind vor allem folgende Reports dem sich unter anderem Erwin K. Scheuch in seinem
bekannt: Buch „Haschisch und LSD als Modedrogen", Osna-
brück 1970, kritisch auseinandersetzt.
— Cannabis — Bericht des Beratenden Komitees
„Drogenabhängigkeit" (Advisory Committee on Ich bin gern bereit, Ihnen eine Liste einschlägiger
Drug Dependence), London 1968; Veröffentlichungen zu übersenden.
— Cronholm, B. Die Bundesregierung bemüht sich, alle ihr zu-
gänglichen Arbeiten zur Drogenproblematik für In-
Alkohol und Drogenabhängigkeit (Alcohol and formations- und Aufklärungsmaßnahmen nutzbar
drug dependence), Bericht über die Situation in zu machen. Daneben hält sie eine möglichst umfas-
Schweden aufgrund der Untersuchungen der sende zentrale Sammlung und Aufbereitung der
Schwedischen Narkotika-Kommission, 1969 einschlägigen Literatur aller beteiligten Wissen-
(deutsche Übersetzung) ; schaftsbereiche für die Fachwelt für erforderlich.
— Kielholz, P. — Ladewig. D.: Diese Aufgabe übernimmt das Deutsche Institut für
Drogenabhängigkeit bei Jugendlichen mit be- medizinische Dokumentation und Information in
sonderer Berücksichtigung des Haschischrau- Köln in Zusammenarbeit mit anderen wissenschaft-
lichen Dokumentationsstellen.
chens;
Bericht über Untersuchungen in Basel,
Zeitschrift „Deutsche Medizinische Wochen-
schrift", 1970 S. 101 ff.;
Anlage 10
— Mader, R. — Sluga, W.:
Schriftliche Antwort
-
Soziale Verläufe und Katamnesen rauschgift
und drogenabhängiger Jugendlicher, des Parlamentarischen Staatssekretärs Westphal
vom 4. November 1970 auf die Mündliche Frage des
Zeitschrift „Wiener Medizinische Wochenschrift", Abgeordneten Brandt (Grolsheim) (Drucksache
1969, S. 604 ff.; VI/1339 Frage A 75):
— Das Narkotikaproblem, Ich frage die Bundesregierung, welche Möglichkeiten sie sieht,
Krankenpflegeschulen und Kinderkrankenpflegeschulen mit in
Gutachten des Schwedischen Narkomanenpflege- die Finanzierungsmöglichkeiten des Gesetzes zur wirtschaftlichen
Sicherung der Krankenhäuser (Krankenhausfinanzierungsgesetz)
Komitees, Stockholm 1969; aufzunehmen?
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970 4327
Die Vorhaltung von Krankenpflegeschulen und Dem Antrag der Deutschen Bundesbahn auf Auf-
Kinderkrankenpflegeschulen ist keine Angelegen- lösung von sechs Bundesbahndirektionen lag das
heit des Bundes. Diese Schulen stehen anderen schu- Zahlenmaterial des im Juni 1967 abgeschlossenen
lischen Einrichtungen gleich, für die in erster Linie Berichtes der bei der Deutschen Bundesbahn einge-
Länder und Gemeinden die Finanzverantwortung setzten Organisationskommission zugrunde. Bei
tragen. Die Finanzhilfen .des Bundes, die zur wirt- ihrer Beschlußfassung am 23. Juli d. J. ist die Bun-
schaftlichen Sicherung der Krankenhäuser gewährt desregierung davon ausgegangen, daß wegen der
werden sollen, müssen auf Einrichtungen beschränkt zwischenzeitlich stark gestiegenen Personalkosten
bleiben, die diesem Zweck dienen. die Relation zwischen dem einmaligen Aufwand und
den jährlichen Einsparungen bei den vorgesehenen
Die Bundesregierung hält eine Förderung der
Maßnahmen sich auf keinen Fall verschlechtert
Krankenpflegeschulen und der Kinderkrankenpfle-
hatte. Von dem hohen Rationalisierungseffekt ist
geschulen für unerläßlich. Sie wird deshalb bei den
aber nicht nur die jetzige Bundesregierung über-
weiteren Gesprächen mit den Ländern und anderen
zeugt. Die Regierung der Großen Koalition hatte
Beteiligten im Zusammenhang mit dem Entwurf
bereits am 9. Juli 1969 die Anträge der Deutschen
eines Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der
Bundesbahn positiv beurteilt.
Krankenhäuser nach Wegen suchen, wie eine aus-
reichende Förderung dieser Einrichtungen sicherge- Die Wirtschaftlichkeit der Neugliederung der Mit-
stellt werden kann. telinstanz der Deutschen Bundesbahn ergibt sich aus
den Berechnungen der Zentralstelle für Betriebs-
wirtschaft und Datenverarbeitung der Deutschen
Bundesbahn. Danach werden allein die rechnerisch
erfaßbaren Kosteneinsparungen nach Durchführung
Anlage 11 der Auflösung der 6 Direktionen rd. 112 Millionen
DM pro Jahr gegenüber einmaligen Ausgaben von
Schriftliche Antwort rd. 75 Millionen DM betragen. Hiervon entfallen
des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom auf die Bundesbahndirektion Augsburg jährliche
6. November 1970 auf die Mündlichen Fragen des Einsparungen von 13 Millionen DM und einmalige
Abgeordneten Sieglerschmidt (Drucksache VI/ 1339 Ausgaben von 6,9 Millionen DM.
Fragen A 77 und 78) :
Ist der Bundesregierung bekannt, daß auf den Gehwegen
häufig von Kindern mit Kleinfahrrädern durch ihr Verhalten
ein Vorrecht gegenüber den Fußgängern durchgesetzt und viel-
fach sehr viel schneller und rücksichtsloser gefahren wird als
von Erwachsenen, die etwa — verbotenerweise — den Gehweg
mit dem Fahrrad wegen schlechter Pflasterung der Fahrbahn Anlage 13
benutzen?
Hält die Bundesregierung es insbesondere im Hinblick auf die Schriftliche Antwort
Gefährdung alter Menschen durch derartige „Kinderspiele" nicht
für angebracht, in Zukunft auch die Benutzung von Kleinfahr- des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom
rädern auf den Gehwegen — mindestens von einer bestimmten
Große bzw. Höchstgeschwindigkeit an — zu untersagen? 6. November 1970 auf die Mündlichen Fragen des
Abgeordneten Lenzer (Drucksache VI/ 1339 Fragen
Es ist allgemein bekannt, daß Kinder auf Gehwe- A 81 und 82) :
gen häufig mit Kleinfahrrädern schneller als ver- Wie beurteilt die Bundesregierung die Meldung des Nach-
tretbar fahren. richtenmagazins „Der Spiegel" (Nr. 43 vom 19. Oktober 1970,
Seite 122), daß in dem Luftraum über 7500 m Flughöhe noch
immer keine Luftverkehrskontrolle besteht, im unteren über-
Einer solchen Regelung bedarf es nicht. Das Spie- wachten Luftraum Segel- und Motorsportflieger nach Sichtflug-
len auf Gehwegen ist zwar nach alter und neuer regeln eigenmächtig die Bahnen der Verkehrsflugzeuge kreuzen
und ziviler und militärischer Flugverkehr weitgehend unab-
Straßenverkehrsordnung erlaubt. Hierbei darf aber hängig voneinander mit mangelhafter Koordination überwacht
werden?
nach § 1 der Straßenverkehrsordnung niemand ge-
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, diesen Zu-
fährdet werden. Diese Regelung dürfte ausreichen. stand im Interesse der Sicherheit des zivilen und militärischen
Flugverkehrs unverzüglich abzustellen?
entbindet diese Luftfahrzeugführer nicht davon, bei eines Vertreters der Deutschen Lufthansa zu dem
Sichtwetterlagen den Luftraum auf mögliche unkon- Plan eines zusätzlichen Verkehrsflughafens in der
trollierte Flüge nach Sichtflugregeln zu beobachten Bundesrepublik, die dieser während eines Streit-
und die Ausweichregeln anzuwenden. Im übrigen gesprächs am 22. Mai 1970 in Bocholt gemacht hat.
sind in Zusammenarbeit mit allen Interessierten in Hieraus kann aber nicht hergeleitet werden, daß die
Lufträumen sehr hoher Verkehrsdichte und starker Deutsche Lufthansa dem Projekt eines dritten Ver-
Vertikalbewegungen (Start- und Landebetrieb) be- kehrsflughafens in Nordrhein-Westfalen negativ ge-
reits seit längerem Räume mit einschränkenden genübersteht. Vielmehr hat sie den Herrn Minister
Sonderregelungen für den Sichtflugverkehr geschaf- für Wirtschaft, Mittelstand und Verkehr in Düssel-
fen. dorf bereits am 10. August 1970 schriftlich davon
unterrichtet, daß sie keineswegs Bedenken gegen ein
Der zivile und militärische Luftverkehr im unte-
solches Projekt habe und auch einen dritten Ver-
ren Luftraum wird aufgrund einer Vereinbarung
kehrsflughafen in Nordrhein-Westfalen entsprechend
zwischen dem BM für Verkehr und BM für Vertei-
dem zu erwartenden Fluggastaufkommen bedienen
digung schrittweise zusammengeführt und schließ-
werde.
lich integriert werden. Im oberen Luftraum wird das
Betriebskonzept geändert und ebenfalls die Inte-
gration schrittweise eingeführt werden. Schließlich
wird der zivile und der militärische Luftverkehr von
einer Stelle kontrolliert werden.
Anlage 15
Herr Kollege, mein Herr Minister wird zu diesen
Fragen auch ausführlich bei Einbringung des Ver- Schriftliche Antwort
kehrsberichts 1970 — voraussichtlich am 11. Novem- des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom
ber 1970 — Stellung nehmen. 6. November 1970 auf die Mündliche Frage des Ab-
geordneten Dr. Müller-Hermann (Drucksache VI/1339
Frage 87) :
Wann wird die Bundesregierung den von ihr angekündigten
„Verkehrsbericht" dem Parlament vorlegen?
ßerung des Spielraums für Sparleistungen geführt der Fertigstellungen im Wohnungsbau insgesamt,
haben. Das gilt auch für Arbeitnehmer, die ein sondern darum, daß jetzt, durch verstärkte Förde-
Eigenheim oder eine Eigentumswohnung bauen rung des sozialen Wohnungsbaues, soziale Span-
oder erwerben wollen. nungen abzubauen sind, die sich durch die nach Auf-
fassung der Bundesregierung zu frühzeitige Been-
Von einem Rückschlag in den eigentumspoliti-
digung der Wohnungsbewirtschaftung und durch die
schen Bemühungen der Wohnungs- und Vermögens-
Einschränkung der Förderung des sozialen Woh-
politik kann keine Rede sein. Die Zahlen für die
nungsbaues ergeben haben.
Entwicklung der Bauspartätigkeit und der Woh-
nungsbaugenehmigungen beweisen das Gegenteil. Auch bei dieser Frage sind zwei Klarstellungen
In den ersten 8 Monaten dieses Jahres wurden erforderlich.
für rund 10 v. H. mehr Wohnungen Baugenehmi-
gungen erteilt als vor Jahresfrist. Es ist zwar nicht 1. Aus der bereits erwähnten Übersicht in der Ant-
im einzelnen bekannt, wie groß dabei jeweils der wort auf die Frage des Abgeordneten Müller —
Anteil der Eigentümerwohnungen war. Es wird die Übersicht ist Ihnen sicher bekannt — ergibt
jedoch allgemein angenommen, daß in diesem Jahr sich, daß die Fertigstellungen im sozialen Woh-
im Rahmen der Bauabsichten der Anteil der Eigen- nungsbau, wenn man den ersten und den zwei-
tümerwohnungen gestiegen ist. ten Förderungsweg zusammennimmt, keineswegs
von Jahr zu Jahr drastisch abgenommen haben.
Den zweiten Förderungsweg muß man deshalb
einbeziehen, weil der Gesetzgeber selbst mit dem
Wohnungsbauänderungsgesetz 1965 die Grund-
Anlage 20 lage für die Zweiteilung des sozialen Wohnungs-
Schriftliche Antwort baues gelegt hat.
des Parlamentarischen Staatssekretärs Ravens vom 2. Die Feststellung in der von Ihnen angezogenen
6. November 1970 auf die Mündlichen Fragen des Anzeige, daß die Förderung des sozialen Woh-
Abgeordneten Dr. Schulze-Vorberg (Drucksache nungsbaues eingeschränkt wurde, bezieht sich
VI/1339 Fragen A 100 und 101) : eindeutig auf die Förderungs- und nicht auf die
Wie erklärt die Bundesregierung, daß sie in Werbeanzeigen Fertigstellungsergebnisse, die Veränderungen in
— zu Recht — „zuwenig Wohnungen" beklagt, tatsächlich aber
nach den Mitteilungen des Bundesministers für Städtebau
der Förderung erst mit einer Phasenverschiebung
und Wohnungswesen vor dem Deutschen Bundestag — von der von 1 bis 2 Jahren widerspiegeln.
derzeitigen Bundesregierung jährlich über 100 000 Wohnungen
weniger gebaut werden und auch künftig nach ihren Planungen
über 100 000 Wohnungen jährlich weniger gebaut werden sollen Die Bewilligungen haben sich aber wie folgt ent-
als im langjährigen Durchschnitt der von der CDU/CSU ver
antworteten Bundesregierung? wickelt:
Wie erklärt die Bundesregierung, daß sie in Werbeanzeigen Während 1964 noch Bewilligungen für 260 000 So-
angebliche „Fehler früherer Regierung" anprangert und be-
hauptet, „Die Förderung des sozialen Wohnungsbaues wurde zialwohnungen erteilt werden konnten, wurde 1966
eingeschränkt" — während tatsächlich in der Amtszeit des der- mit 172 000 Sozialwohnungen ein Tiefstand erreicht.
zeitigen Bundesministers für Städtebau und Wohnungswesen die
Zahl der im sozialen Wohnungsbau errichteten Wohnungen von Es gelang uns, dieses Tief durch die Konjunktur-
Jahr zu Jahr drastisch abnahm und 1970 — als Folge überhöhter
Zinssätze und also stark gestiegener Baupreise — praktisch programme zu überwinden; 1967 wurden wieder
zusammengebrochen ist? fast 200 000, 1968 204 000 Wohnungen gefördert.
Nach Abwicklung der Konjunkturprogramme mußte
Zunächst bedarf Ihre Frage wohl in zwei Punkten
erneut in Erscheinung treten, daß für die Förderung
einer Klarstellung.
des sozialen Wohnungsbaues von seiten des Bundes
1. Die seit Gründung der Bundesrepublik gebauten nur noch geringe Mittel zur Verfügung standen. Das
Wohnungen sind weder unter den früheren Bun- aber spiegelt nur die Tatsache wider, daß die För-
desregierungen noch unter der jetzigen Bundes- derung des sozialen Wohnungsbaues, was den Bund
regierung von der Bundesregierung selbst, son- angeht 1966 dem Nullpunkt nahe war. Niemand
dern von einer Vielzahl privater Bauherren und kann bestreiten, daß der soziale Wohnungsbau in-
Wohnungsunternehmen gebaut worden, teils mit nerhalb der Politik der damaligen Bundesregierung
- keine Priorität mehr genoß. Dies zeigt sich im § 18
— teils ohne direkte staatliche Hilfen. Die Woh-
nungsbauleistung ist heute wie früher eine Ge- II. Wohnungsbaugesetz, der vorsieht, daß nach einer
meinschaftsleistung. Bereitstellung von 700 Millionen DM im Jahr 1957
dieser Betrag jährlich um 70 Millionen DM verrin
2. Der langjährige Durchschnitt der von 1953 bis gert werden sollte, Aufgrund der Defizitrechnung
1966 errichteten Wohnungen liegt, wenn man nach dem Lückeplan herrschte offensichtlich die Auf-
die statistisch-technische Überhöhung der dama- fassung vor, daß der soziale Wohnungsbau nach
ligen Jahresergebnisse eliminiert, nicht um weitgehender Deckung des rechnerischen Defizits
100 000, sondern um rd. 50 000 Wohnungen über auf ein niedrigeres Volumen zurückgeführt werden
der heute allgemein anerkannten Zielvorstellung könne. Erst die jetzige Bundesregierung hat dem so-
von 500 000 jährlich zu errichtenden Wohnungen. zialen Wohnungsbau durch das langfristige Woh-
Im übrigen darf ich auf meine schriftliche Ant- nungsbauprogramm wieder einen höheren Stellen-
wort vom 17. September 1970 an den Kollegen wert gegeben.
Müller (Berlin) Bezug nehmen. So ist vorgesehen, den Gesamtplafond des Haus-
Im übrigen ging es in der Anzeige des Presse- haltes des Städtebauministeriums von 1970 auf 1971
und Informationsamtes nicht um die Entwicklung um 36 % aufzustocken. Nachdem im Haushalt 1970
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970 4331
1,921 Mrd. DM bereitgestellt waren, sind in der mit- Welches konkrete Verhandlungsziel verfolgt die Bundesregie-
rung hinsichtlich einer Ausreiseerleichterung und des Status der
telfristigen Finanzplanung für 1974 3,7 Mrd. DM in der Volksrepublik Polen lebenden Deutschen?
für die Gesamtausgaben unseres Hauses angesetzt. Ist die Bundesregierung bereit, den geplanten Vertrag mit der
Volksrepublik Polen auch dann zu unterschreiben, wenn die
Auch die Zahlen der Darlehensbereitstellung unter- polnische Regierung eine gleichzeitige gerechte Lösung für die
mauern die in der von Ihnen herangezogenen An- in der Volksrepublik Polen lebenden Deutschen ablehnen sollte?
Anlage 24
Zusätzliche Schriftliche Antwort
Anlage 22 des Parlamentarischen Staatssekretärs Moersch vom
Schriftliche Antwort 6. November 1970 auf die Schriftlichen Fragen des
Abgeordneten Dr. Rutschke (Drucksache VI/ 1253
des Parlamentarischen Staatssekretärs Moersch vom Fragen B 1 und 2 1):
6. November 1970 auf die Mündlichen Fragen des
Abgeordneten Rollmann (Drucksache VI/1339 Fra- *) Siehe 74. Sitzung, Seite 4119 B (Einfügen auf Seite
gen A 119 und 120) : 4119 C nach Zeile 8)
4332 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970
rung des Betriebes in Forchheim unterstützt. Aus grenzen nicht mehr erhält, während er sie noch er-
Ihrer Anfrage entnehme ich, daß die Modernisie- halten würde, wenn er geringfügig unter der Ein-
rung der Anlage nicht ausgereicht hat, die Belästi- kommensgrenze bliebe, ist eine Folge, die sich auch
gung der Nachbarschaft zu beseitigen. Da der Be- in vielen anderen Gesetzen über staatliche Sonder-
trieb mitten im Wohngebiet der Stadt Forchheim zuwendungen auswirkt (z. B. beim Wohngeld-
liegt, ist es zweifelhaft, ob eine weitere finanzielle gesetz).
Unterstützung noch sinnvoll ist. Ich bin der Ansicht, Die Formulierung Ihrer Frage gibt mir darüber
daß grundsätzlich Tierkörperverwertungsanstalten hinaus Anlaß darauf hinzuweisen, daß ein Arbeit-
bzw. Knochenverwertungsanstalten nicht in ,der nehmer die von Ihnen aufgeführten Vergünstigun-
Nähe dichtbesiedelter Gebiete stehen sollten. Die- gen erst von dem Lohnzahlungszeitraum (Monat)
ser Grundsatz wurde auch in die 2. Durchführungs- ab verliert, in dem sein Bruttoarbeitsverdienst den
verordnung zum Tierkörperbeseitigungsgesetz über- Betrag von 2840 DM überschreitet. Ein rückwir-
nommen. kender Verlust der gewährten Vergünstigungen,
Nach den im In- und Ausland gewonnenen Erfah- der nach der Formulierung Ihrer Frage als möglich
rungen gibt es bis jetzt noch kein Verfahren, das erscheint, ist nach dem Gesetz nicht vorgesehen.
die völlige Beseitigung der mit einem solchen Be- Aus der Antwort zu Frage 6 ergibt sich schon,
trieb zwangsläufig verbundenen Gerüche ermög- daß die in Frage 6 dargestellte Auswirkung für das
licht. Kalenderjahr 1970 gewollt ist. Die Bundesregie-
rung ist der Auffassung, daß eine darin liegende
gewisse Härte, die bei einem Bruttoarbeitsverdienst
im Monat von über 2840 DM jedoch nicht über-
schätzt werden darf, für dieses eine Jahr von den
Anlage 28
betroffenen Berliner Arbeitnehmern aus den vor-
Schriftliche Antwort stehend aufgeführten Gründen in Kauf genommen
des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Reischl werden muß.
vom 3. November 1970 auf die Schriftlichen Fragen
des Abgeordneten Müller (Berlin) (Drucksache
VI/1339 Fragen B 6 und 7) :
Ist der Bundesregierung bekannt, daß ein Berliner Arbeitneh-
mer, auf dessen Lohnsteuerkarte Freibeträge für vier Kinder Anlage 29
bescheinigt sind und der während des ganzen Jahres 1970 im
Monat 2840 DM verdient, nach dem Berlinhilfegesetz zusätzlich Schriftliche Antwort
393,60 DM Berlinzulage und außerdem 1056 DM Kinderzulagen
(4 X 22 X 12), also insgesamt 1449,60 DM jährlich erhält, wäh-
rend der gleiche Arbeitnehmer infolge der Geburt eines weite- des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Reischl
ren Kindes im Januar 1970 und einer geringfügigen Erhöhung vom 3. November 1970 auf die Schriftlichen Fragen
seines Bruttoarbeitslohns, die den Betrag von 2840 DM monatlich
übersteigt, für das ganze Jahr die Kinderzulagen in Höhe von des Abgeordneten Dr. Jenninger (Drucksache VI/1339
bisher 1056 DM und außerdem die Berlinzulage nach altem
Recht in Höhe von 393,60 DM verliert, also im Jahr insgesamt Fragen B 8 und 9) :
1449,60 DM? Treffen Pressemeldungen zu, wonach die Bundesregierung an-
War die in Frage 6 dargestellte Auswirkung gewollt, oder was geblich bei der Neuanschaffung von Pkws weitgehend nur nodi
gedenkt die Bundesregierung zu tun, um diese zweifellos be- eine Automarke berücksichtigt?
stehende Härte zu beseitigen? Kann die Bundesregierung Mitteilung darüber machen, in wel-
chem Verhältnis bei der Neuanschaffung von Pkws auch andere
Es ist der Bundesregierung bekannt, daß ein Ber- Automarken Berücksichtigung finden?
Die Bundesregierung hat — wie auch die übrigen Wegen der besonderen Kostenerhöhungen bei
Mitgliedsländer der Gemeinschaft — die Empfeh- Trinkmilch ist von den Vertretern der deutschen
lung des Europäischen Parlaments vom 28. 11. 1966, Milchwirtschaft eine Erhöhung des Trinkmilchprei-
europäische Münzen zu prägen, nicht aufgegriffen, ses — der bisher als Festpreis staatlich festgesetzt
weil eine solche Münze den Zahlungsverkehr inner- wird — beantragt worden.
halb der Gemeinschaft gegenwärtig nicht erleichtern Die Bundesregierung prüft zur Zeit die von der
würde. Eine europäische Münze würde in der Mehr- deutschen Milchwirtschaft vorgelegten Unterlagen
zahl der EWG-Länder notwendigerweise in einer über die Kostensituation bei Trinkmilch. Vorn Er-
„krummen" Relation zur jeweiligen Landeswährung gebnis dieser Prüfung wird es abhängen, in welchem
stehen, die eine Umrechnung kompliziert machen Umfang eine Trinkmilchpreiserhöhung erforderlich
würde. Dadurch würde die europäische Münze im ist.
größeren Teil des EWG-Gebietes für den täglichen
Gebrauch unhandlich.
Selbst im grenzüberschreitenden Reiseverkehr Anlage 37
wäre die Münze nur von geringem Nutzen. Von den
in Betracht kommenden Zahlungen könnte nur ein Schriftliche Antwort
kleiner Teil in Münzen geleistet werden. des Parlamentarischen Staatssekretärs Westphal
Eine europäische Münze wäre im übrigen, so- vom 3. November 1970 auf die Schriftliche Frage des
lange noch Paritätsänderungen innerhalb der Ge- Abgeordneten Wende (Drucksache VI/1339 Frage B
meinschaft möglich sind, mit der Unsicherheit bela- 19) :
stet, daß sich ihr Wert gegenüber einzelnen Mit- Ist die Bundesregierung bereit, im Zusammenhang mit dem
Durchführungsgesetz zur EWG-Weinmarktordnung die entspre-
gliedswährungen verändern kann. chenden Bestimmungen im deutschen Weingesetz, insbesondere
bei dessen § 97 Abs. 5, so rechtzeitig zu ändern, daß für die
Es ist daher sehr fraglich, ob sich die positiven deutsche Weinwirtschaft angesichts der zu erwartenden großen
Ernte dieses Jahres die Übergangsfrist über den 20. Juli 1971
psychologischen Wirkungen, die man sich von einer hinaus verlängert werden könnte?
europäischen Münze verspricht, tatsächlich einstel-
len würden. Auf jeden Fall würde sich eine Reihe Die Bundesregierung ist bemüht, das zur Durch-
zusätzlicher Probleme ergeben. führung der EWG-Weinmarktorganisation notwen-
dige Durchführungsgesetz in möglichst kurzer Frist
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß es
den gesetzgebenden Körperschaften zuzuleiten. Die
wichtiger ist, durch eine zunehmende Koordinie- ,
Der Aus- bzw. Neubau der zweibahnigen Bun- erforderlichen Beurteilungsunterlagen für diese von
desstraße 33 ist für den Abschnitt Offenburg— der Deutschen Bundesbahn angestrebten Maßnah-
Hausach als vordringliche Maßnahme in dem Be- men:
darfsplan für die Bundesfernstraßen eingeplant. Aus Da beide Strecken im Zonenrandgebiet liegen,
Gründen einer möglichst verkehrswirksamen Ver- wird sich entsprechend dem Verkehrspolitischen
wendung der nur begrenzt zur Verfügung stehen- Programm der Bundesregierung ein Interministeriel-
den Mittel werden die nächsten Abschnitte zunächst ler Arbeitskreis zu gegebener Zeit mit allen im Zu-
2-spurig gebaut werden. Der künftige 2-bahnige sammenhang mit einer evtl. Einschränkungsmaß-
Querschnitt (4 Spuren) wird jedoch soweit berück- nahme der Deutschen Bundesbahn auftretenden Fra-
sichtigt, daß bei der späteren Ergänzung keine we- gen eingehend befassen und eine Empfehlung für
sentlichen Umbauten mehr erforderlich werden. die abschließende Entscheidung des Bundeskabinetts
erarbeiten. Bei dieser Prüfung werden neben den
Der ursprünglich schon in diesem Jahr vorgese-
Interessen der Bundesbahn vor allem die gesamt-
hene Baubeginn eines weiteren Abschnittes zwi-
und regionalpolitischen Gesichtspunkte gewürdigt.
schen Gengenbach und Biberach hat sich durch
Schwierigkeiten bei der Planfeststellung und die
hieraus sich ergebende Notwendigkeit von Umpla-
nungen etwas verzögert. Die Bauvorbereitungen sind Anlage 45
inzwischen soweit vorangekommen, daß mit dem Schriftliche Antwort
Baubeginn dieses Bauabschnittes im nächsten Jahr
gerechnet werden kann. Es ist vorgesehen, im des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom
1. Fünfjahresplan Mittel für diese Maßnahme so 4. November 1970 auf die Schriftlichen Fragen des
einzuplanen, daß eine zügige Durchführung erfolgen Abgeordneten Dr. Gatzen (Drucksache VI/ 1339 Fra-
kann. gen B 31 und 32) :
Ist die Deutsche Bundesbahn bereit, zur Entlastung des Stra-
Der anschließende nächste Bauabschnitt Bibe- ßenverkehrs Euskirchen—Bonn morgens je ein Zugpaar einzu-
rach Steinach ist planerisch abgeschlossen und be- setzen, damit in Zukunft gewährleistet ist, daß die Berufstätigen
ihre Arbeitsstätten in Euskirchen oder Bonn pünktlich und sicher
findet sich z. Z. in der Planfeststellung. Es ist be- vor 8 Uhr erreichen können?
absichtigt, die Bauvorbereitungen (Planfeststellung, Ist die Bundesregierung bereit, baldigst Planungen für einen
schienengebundenen Nahschnellverkehr Bonn—Euskirchen—Düren
Grunderwerb, Mittelbereitstellung) so voranzutrei- einzuleiten?
ben, daß auch dieser Abschnitt noch im 1. Fünfjah-
resplan begonnen werden kann. Nach Mitteilung der Deutschen Bundesbahn (DB)
ist der Fahrplanwunsch, den Ihre Frage enthält, von
Der Abschnitt Steinach—Hausach—Gutach befin- anderer Seite noch nicht vorgebracht worden. Die I
det sich in der baureifen Planung. Die Baudurch- Deutsche Bundesbahn hat mir zugesagt, Ihre An-
führung fällt in den Zeitraum nach dem 1. Fünf- regung zu prüfen. Ich erwarte über das Ergebnis die-
jahresplan, so daß sowohl aus Gründen der Mittel- ser Prüfung einen Bericht und werde Sie danach
bereitstellung als auch beim derzeitigen Sachstand unterrichten.
dieses Bauabschnittes genauere Angaben über die
Baudurchführung noch nicht gemacht werden kön- Nach dem Generalverkehrsplan Nordrhein-West-
nen. Der zügige Weiterbau der Bundesstraße 33 im falen besteht vorläufig keine Notwendigkeit für die
Kinzigtal wird jedoch angestrebt. Einrichtung eines S-Bahnverkehrs auf dieser Strecke.
Es ist lediglich beabsichtigt, den Nahschnellverkehr
im Taktfahrplan zu betreiben (S-Bahn-ähnlicher Ver-
kehr). Ein solcher Nahschnellverkehr, der jedoch im
wesentlichen nur bis Rheinbach erforderlich ist, läßt
Anlage 44 sich auf den bestehenden Bahnanlagen durchführen.
Planungen für eine Verbesserung der Infrastruktur
Schriftliche Antwort
dieser Strecke sind zwar bei der DB betrieben wor-
des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom den, ihre Ausführung kommt jedoch erst in Betracht,
4. November 1970 auf die Schriftlichen Fragen des wenn hierfür nach weiterer Besiedlung des Gebietes
Abgeordneten Schiller (Bayreuth) (Drucksache längs der Strecke eine Notwendigkeit besteht.
VI/ 1339 Fragen B 29 und 30) :
Beabsichtigt die Bundesregierung, den Reisezugverkehr auf der
Nebenstrecke Kirchenlamitz-Ost—Weißenstadt und auf der Bahn- Anlage 46
linie Bayreuth-Hauptbahnhof—Hollfeld stillzulegen?
Ist sich die Bundesregierung darüber im klaren, daß im Falle Schriftliche Antwort
der Bejahung der Frage 29 hiervon sehr viele Arbeitnehmer im
Grenzland betroffen sind? des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom
4. November 1970 auf die Schriftlichen Fragen des
Eine Entscheidung der Bundesregierung über die Abgeordneten Dr. Hammans (Drucksache VI/1339
von der Deutschen Bundesbahn auf den beiden Fragen B 33 und 34) :
Strecken Kirchenlamitz Ost—Weißenstadt und Bay-
Treffen Pressemeldungen zu, wonach im Haushaltsjahr 1971 für
reuth Hbf—Hollfeld angestrebten Stillegungsmaß- die EB 7 (L 135) keine Mittel zur Verfügung stehen sollen,
obwohl die Brückenbauwerke bereits errichtet wurden, weil alle
nahmen kann erst dann getroffen werden, wenn ihr Mittel dem Bau der Autobahn A 14 im Raum Krefeld zufließen
entsprechende Anträge des Vorstandes der Deut- sollen?
schen Bundesbahn vorliegen. Dies ist für beide Wenn die Frage 33 bejaht wird, ist sich die Bundesregierung
dann darüber im klaren, daß ein weiteres Mal weite Teile des
Strecken noch nicht der Fall. Damit fehlen auch die linksniederrheinischen Raumes vernachlässigt werden?
4340 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970
Für den Abschnitt der B 7 neu (L 135) zwischen dung über den Bodensee hat der Bundesminister für
niederländischer Grenze und der B 7 alt östlich Dül- Verkehr in Übereinstimmung mit der Landesstra-
ken sind in den Entwurf des Straßenbauplans 1971 ßenbauverwaltung Baden-Württemberg von Anfang
10,1 Millionen DM eingestellt. Im Juli 1970 wurde an die Auffassung vertreten, daß die Verwirklichung
der Abschnitt niederländische Grenze bis zur Kreis- eines solchen Projektes unter Abwägung aller ver-
straße 2 bei Dülken dem Verkehr übergeben. Für die kehrlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkte nicht
kostenmäßige Abwicklung dieser unter Verkehr lie- als Bundesaufgabe im Rahmen des Bundesfernstra-
genden Strecke wird eine erheblicher Teil der ausge- ßenbaues vertretbar ist. Diese Auffassung wurde
wiesenen 10,1 Millionen DM verwendet. Die rest- durch das Ergebnis der inzwischen abgeschlossenen,
lichen Mittel fließen in den Weiterbau der B 7. umfangreichen und mit wissenschaftlichen Methoden
durchgeführten Untersuchungen zur Aufstellung des
Auf der Neubaustrecke zwischen der B 7 alt östlich Bedarfsplanes zum Ausbauplan für die Bundesfern-
Dülken und dem Winkelner Kreuz nordwestlich straßen in den Jahren 1971 bis 1985 bestätigt. Damit
Mönchengladbach sollen im Jahre 1971 7 Millionen sind die Voraussetzungen für die Aufnahme einer
DM investiert werden. Damit können die angelaufe- festen Straßenverbindung über den Bodensee in den
nen Arbeiten zügig weitergeführt werden. Bedarfsplan nicht gegeben.
Der Abschnitt Winkelner Kreuz bis Neersen ist In der Zwischenzeit wurde für eine vorgutacht-
Bestandteil der im Entwurf des Straßenbauplanes liche Stellungnahme im Rahmen der Bundesfern-
enthaltenen Maßnahme „B 7/230 Düsseldorf-Heerdt straßenplanungen im Bodenseeraum weitere örtliche
bis Waldniel". Die dort vorgesehenen 9,8 Millionen Verkehrsuntersuchungen und Planungsüberlegungen
DM werden im wesentlichen der kostenmäßigen Ab- durchgeführt, von deren Ergebnis das Innenministe-
wicklung der im Jahre 1970 unter Verkehr genom- rium Baden-Württemberg den Bundesminister für
menen Teilabschnitte Düsseldorf-Heerdt — Kaarster Verkehr unterrichtet hat. Danach ergaben sich neuer-
Kreuz und Kaarster Kreuz — Schiefbahn dienen. dings keine Gesichtspunkte, die eine Änderung der
Es ist vorgesehen, den durchgehenden Straßenzug bisher vertretenen Auffassung in dieser Angelegen-
der B 7 neu zwischen niederländischer Grenze und heit zulassen würden.
Düsseldorf etwa 1973/74 verfügbar zu haben. Die Im übrigen ist durch die vorgesehene Fortschrei-
Bauarbeiten bzw. die Bauvorbereitungen sind auf bung der langfristigen Planungen eine ausreichende
diesen Termin abgestellt. Anpassungsfähigkeit des Ausbauplanes an sich än-
Eine Stellungnahme zu Ihrer Frage B 34 entfällt, dernde verkehrliche und wirtschaftliche Verhält-
da keine Mittel von der B 7 neu auf andere Strek- nisse sichergestellt. In die entsprechenden Untersu-
ken abgezogen wurden. chungen kann bei Vorliegen nicht voraussehbarer
triftiger Gründe zu gegebener Zeit auch die feste
Straßenverbindung über den Bodensee einbezogen
werden.
Anlage 47
Schriftliche Antwort
Anlage 48
des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom
4. November 1970 auf die Schriftlichen Fragen des Schriftliche Antwort
Abgeordneten Biechele (Drucksache VI/1339 Fragen
B 35 und 36) : des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom
Hat das Innenministerium Baden-Württemberg das vom Bun- 4. November 1970 auf die Schriftliche Frage des
desminister für Verkehr und für das Post- und Fernmeldewesen Abgeordneten von Bockelberg (Drucksache VI/1339
im Februar 1970 erbetene Vorgutachten zum Projekt einer Brücke
über den Überlinger See (Bodensee) inzwischen erstattet? FrageB37):
Ist die Bundesregierung bereit, das bekundete Interesse an Welchen Grund hat der große Auffahrunfall gehabt, welcher
dieser Brücke wegen der besonderen regionalen und überregio- sich am 18. Oktober 1970 gegen 18.45 Uhr auf der Bundesauto-
nalen Bedeutung dieses Projekts dadurch zu unterstreichen, daß bahn Hannover—Oberhausen vor der Behelfsauffahrt Vennebeck
dieses Projekt in den Neuen Ausbauplan für die Bundesfern- ereignet hat?
straßen 1971 bis 1985 aufgenommen wird? -
Am 18. Oktober 1970 ereigneten sich auf der
Zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse im Bundesautobahn Hannover—Oberhausen auf der
Bodenseeraum sind umfangreiche Maßnahmen an nördlichen Fahrbahn im Bereich der Anschlußstelle
den vorhandenen Bundesstraßen und insbesondere Vennebeck zwischen 18.00 Uhr und 19.00 Uhr 4
im Zuge der neuen Autobahnen Singen–Konstanz Unfälle, an denen 12 Personenkraftwagen beteiligt
und Singen–Lindau vorgesehen und großenteils als waren. abgesehen von dem Unfall um 18.00 Uhr,
vordringlich im Bedarfsplan eingeplant. Diese Maß- der durch die Mißachtung der Vorfahrt durch einen
nahmen, deren Notwendigkeit unbestritten ist, über- in die Autobahn einfahrenden Personenkraftwagen
steigen bereits die im Zeitraum des Ausbauplanes verursacht wurde, handelt es sich bei den 3 anderen
hierfür zu erwartenden Mittel, so daß mit der Durch-
Unfällen um Auffahrunfälle. Diese Auffahrunfälle
führung weiterer Maßnahmen nicht gerechnet wer-
sind dadurch zustande gekommen, daß eine vorüber-
den kann.
gehende Stauung, bei der der Verkehr zum Still-
Zu dem von dritter Seite und insbesondere von stand gekommen war, nicht rechtzeitig erkannt
der Studiengesellschaft Seebrücke-Seetunnel e. V. wurde. Als Unfallursache ist daher menschliches
unterstützten Projekt einer festen Straßenverbin Versagen anzugeben.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 77. Sitzung. Bonn, Freitag, den 6. November 1970 4341
nisation, elektronischer Datenverarbeitung, Netz- der Bediensteten sowie das der Post anvertraute
plantechnik, Raumplanung). Auch die Mobilität des Gut wirksam schützen. Sie haben sich in der Ver-
Personals wird auf diese Weise gefördert. gangenheit bewährt und werden ständig überprüft
und den sich ändernden Erfordernissen angepaßt.
Mitte 1970 wurde die Akademie für Führungs-
kräfte der Deutschen Bundespost gegründet. Diese
Einrichtung fördert die leitenden Kräfte des höhe-
ren und gehobenen Dienstes als Träger der Füh- Anlage 53
rungsfunktionen in den Gebieten Organisation, Be- Schriftliche Antwort
triebslenkung und Mitarbeiterführung. des Parlamentarischen Staatssekretärs Ravens vom
Seit Ende August 1970 gibt es eine „Rahmenan- 5. November 1970 auf die Schriftlichen Fragen des
weisung für die berufsbegleitende Fortbildung der Abgeordneten Schmidt (Kempten) (Drucksache
Dienstkräfte des einfachen, mittleren und gehobe- VI/1339 Fragen B 46 und 47):
nen Postdienstes". Generell ist darin u. a. die regel- Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, im Rahmen des
mäßige Teilnahme des Personals an Lehrgängen Bundesbaugesetzes durch entsprechende Durchführungsverordnun-
gen zu veranlassen, daß zumindest bei Bauten im öffentlichen
innerhalb bestimmter Zeitabstände. Die Maßnah- Bereich diese so gestaltet werden, daß Körperbehinderten der
Zugang wesentlich besser möglich ist, als dies in den meisten
men werden sich in Kürze als grundlegende Verbes- Fällen bisher der Fall ist?
serung des Fortbildungssystems erweisen. Ist die Bundesregierung bereit, wenn das Bundesbaugesetz
solche Rechtsverordnungen oder Durchführungsbestimmungen
Die technischen Dienstkräfte werden, soweit sie augenblicklich nicht ermöglicht, einen entsprechenden Novellie-
rungsvorschlag in dieser Richtung zu machen, der auch den Län-
nicht schon in die Maßnahmen der Führungsakade- dern und deren Bauordnungen entsprechende Änderungsüber-
mie einbezogen sind, zusätzlich in speziellen zen- legungen empfiehlt?
eine weitere positive Entwicklung im Wohnungs- rahmen reichte bei weitem nicht aus, um allen An-
bau für Schwerbehinderte erkennbar. So haben u. a. trägen auf Bereitstellung zusätzlicher Bundesmittel
auch mehrere Länder in der Zwischenzeit besondere zu entsprechen.
Bestimmungen für die Förderung des Wohnungs- Bei der erforderlich gewordenen Auswahl der zu
baues für Schwerbehinderte erlassen, und zwar z. B. fördernden Objekte wurde verständlicherweise de-
Niedersachsen mit Runderlaß des Herrn Nieder- nen der Vorzug gegeben, deren Planung erkennen
sächsischen Sozialministers vom 14. Mai 1969 läßt, daß die Wohnbauten der vorhersehbaren Ent-
(NdS MBL Nr. 24/1969, S. 528) wicklung Rechnung tragen.
Von ausschlaggebender Bedeutung sind hierbei
Schleswig-Holstein mit Erlaß des Herrn Ministers u. a. die Größe des Wohnraums und die Ausstat-
für Arbeit, Soziales und Vertriebene vom 21. Au- tung, insbesondere die sanitäre. Der Wohnraum muß
gust 1969 genügend Bewegungsflächen haben, weil sich der
(ABL Schl. H. 1969 S. 550) alternde Mensch den größten Teil des Tages in die-
sem Raum aufhält. Ferner muß bedacht werden, daß
Nordrhein-Westfalen mit Runderlaß des Herrn Mi
der alternde Mensch, für den dieser Wohnraum be-
nisters für Wohnungsbau und öffentliche Arbeiten
stimmt ist, an den Komfort des eigenen Bades ge-
(MBL NRW 1969, S. 1706). wohnt sein wird und darauf nicht verzichten will.
Es erscheint daher wichtig, bei Neubauten oder Er-
Den für das Bau- und Wohnungswesen zustän- weiterung von Altenwohn- und Altenheimen darauf
digen Ministern der Länder sind im März 1969 hinzuwirken, daß jedem Wohnheimplatz eine eigene
gleichzeitig Planungsempfehlungen zugeleitet wor- Naßzelle, bestehend aus Waschtisch, WC und alters-
den, die Grundriß- und Ausstattungsregeln für den gerechter Bademöglichkeit unmittelbar zugeordnet
Bau von Wohnungen für Körperbehinderte enthal- wird.
ten. Wenn sich bei der Verwirklichung dieser Pla-
nungsempfehlungen anderweitig nicht aufzuf an- Das Altersheim Eberbach entspricht diesen Vor-
gende Mehrkosten ergeben, können diese im Rah- stellungen nicht. Aus diesem Grunde konnte auch
men verfügbarer Haushaltsmittel durch zusätzliche eine finanzielle Beteiligung des Bundes an diesem
zinsbillige Darlehen bis zu 4000 DM je Wohnung Objekt nicht in Aussicht gestellt werden.
vom Bund mitgetragen werden. Diese Mittel wer- Dem Lande sind die Gründe, die eine Förderung
den zusammen mit den öffentlichen für den Woh- nicht als vertretbar erscheinen ließen, am 14. Sep-
nungsbau bestimmten Mitteln der Länder einge- tember 1970 mitgeteilt worden.
setzt. Auf Anregung der Bundesregierung hat der Nicht unerwähnt lassen möchte ich, daß auch eine
oben erwähnte Fachnormenausschuß mit der Auf- andere Stelle (Stiftung Deutsches Hilfswerk e. V.),
stellung einer Norm DIN-18025 „Wohnungen für bei der ein Antrag auf Gewährung eines Zuschusses
Schwerbeschädigte" begonnen. Als erster Teil die- in Höhe von nahe l/3 der Gesamtkosten gestellt
ser Norm wurde im Februar 1970 der Abschnitt wurde, dem Bürgermeister der Gemeinde Eberbach
„Wohnungen für Rollstuhlbenutzer" im Entwurf die Gründe mitgeteilt hat, die einer Bewilligung des
veröffentlicht. Die übrigen Teile werden sich mit erbetenen Zuschusses entgegenstehen.
Wohnungen für Seh- und Hörbehinderte beschäf-
tigen. Dabei wird davon ausgegangen, daß den Be-
hinderten jeder Raum der Wohnung zugänglich sein
muß und alle Teile der Einrichtung von ihm bequem Anlage 55
benutzt werden können. Der Behinderte muß durch Schriftliche Antwort
entsprechende Bemessung und Ausstattung aller
des Parlamentarischen Staatssekretärs Herold vom
Räume in die Lage versetzt werden, nicht nur von
2. November 1970 auf die Schriftliche Frage des Ab-
fremder Hilfe weitgehend unabhängig zu sein, son-
geordneten Weigl (Drucksache VI/ 1339 Frage B 49) :
dern im Mehrpersonenhaushalt auch tätig mitzu-
Ist es richtig, daß in diesem Jahr drei Millionen DM der bei
wirken. Kapitel 27 02 — Tit. 685 03 des Bundeshaushalts 1970 ausgewie-
senen Mittel zur Förderung kultureller Maßnahmen gesamt-
Sobald diese Norm in ihrer endgültigen- Fassung deutschen Charakters im Zonenrandgebiet nicht nach Maßnah-
men vergleichbarer Dringlichkeit, sondern nach Zufällen, z. B.
verabschiedet ist, soll sie die oben genannten Pla- persönlicher Befürwortung durch Abgeordnete der Koalitions-
nungsempfehlungen ersetzen. parteien, vergeben wird?
munalverbänden, kirchlichen Stellen sowie von Ab- bildungsstätten in der Bundesrepublik gegenüber
geordneten aller Fraktionen des Deutschen Bundes- derjenigen, die den oben erwähnten Empfehlungen
tages gestellt oder befürwortet. Eine Zuweisung zugrunde liegt, erhöhen wird. Insoweit wird es auch
von Bundeszuschüssen aufgrund eines sachlich ge- nicht mehr möglich sein, bei den künftigen Maßnah-
rechtfertigten und befürwortenden Antrages eines men zur Erweiterung der Ausbildungskapazität im
Abgeordneten kann doch nicht als Zufall bezeichnet Fach Medizin allein die Empfehlungen des Wis-
werden. senschaftsrates aus dem Jahre 1968 zugrunde zu le-
Die in der Frage anklingende Unterstellung, mein gen. Die Frage, an welchen Hochschulneugründun-
Haus würde nach Zufälligkeiten Zuschüsse verge- gen medizinische Fakultäten bzw. Fachbereiche ein-
ben, muß ich entschieden zurückweisen. gerichtet werden sollen, wird gemeinsam von Bund
und Ländern bei der Erstellung des 1. Rahmenplans
für den Hochschulausbau zu entscheiden sein.
Der Wissenschaftsrat hat vorgeschlagen, die Über-
Anlage 56 legung, zu einem späteren Zeitpunkt einen medizi-
Schriftliche Antwort nischen Gesamtbereich an der Gesamthochschule
Kassel einzurichten, zunächst zurückzustellen. Das
des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. von Doh-
nanyi vom 4. November 1970 auf die Schriftlichen Land Hessen und der Planungsausschuß werden bei
der Aufstellung des Rahmenplans zu prüfen haben,
Fragen des Abgeordneten Wurbs (Drucksache
ob sie sich dieser Empfehlung anschließen.
VI/ 1339 Fragen B 50 und 51) :
Ist die Bundesregierung bereit, die am 18. Juni 1970 durch
Gesetz vom Hessischen Landtag geplante „Gesamthochschule Kas-
sel" als Modell für ihre eigene Konzeption der Gesamthoch-
schule anzuerkennen und sie daher finanziell über den Anlage 57
50%igen Anteil hinaus am Ausbau der „Gesamthochschule Kas-
sel" zu fördern? Schriftliche Antwort
Wird die Bundesregierung trotz der Studienplatzbeschränkun-
gen im medizinischen Bereich und des gesellschaftlichen Bedarfs des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. von Doh-
an Ärzten und Zahnärzten den Empfehlungen des Wissenschafts- nanyi vom 4. November 1970 auf die Schriftliche
rats folgen oder entsprechend dem Angebot des Landes Hessen
durch eine finanzielle Beteiligung den Ausbau neuer Studien- Frage des Abgeordneten Dr. Jobst (Drucksache
plätze im medizinischen Bereich, insbesondere in Kassel, för-
dern? VI/ 1339 Frage B 52) :
Wie viele und welche Forschungs- bzw. Beratungsprojekte
Zur Frage 50: wurden von der Bundesregierung auf Grund besonderer Um-
stände freihändig, d. h. ohne Ausschreibung an Wissenschaftler,
Institute oder sonstige Forschungseinrichtungen vergeben?
Die Bundesregierung begrüßt den Beschluß des
Hessischen Landtages, in Kassel eine Gesamthoch- Die Vergabe von Forschungs- bzw. Beratungspro-
schule zu errichten. Als Modell kommt Kassel für jekten erfolgt im allgemeinen ohne Ausschreibung.
alle Gesamthochschulneugründungen in Frage, wenn Bei der Vergabe von Forschungs- bzw. Beratungs-
die örtliche Situation, vor allem der vorhandene projekten handelt es sich im allgemeinen um erst-
Bestand an Bildungseinrichtungen, mit der in Kas- mals bzw. einmalig zu erstellende Leistungen, bei
sel gegebenen Situation vergleichbar ist. Für die Er- denen zunächst nur ein Programm der Auftraggeber
arbeitung eines flexiblen Gesamthochschul-Modells vorhanden ist, also hinsichtlich der Art und des Um-
ist die im Rahmenplan für die Gesamthochschule fangs der Leistung noch keine hinreichende Klar-
Kassel enthaltene Konzeption von großem Wert. heit über die zu erbringende Leistung bei der Ver-
Nach der derzeitigen Fassung des Grundgesetzes gabe besteht. Eine öffentliche oder beschränkte Aus-
ist eine über 50 v. H. hinausgehende Beteiligung des schreibung verbietet sich also. Außerdem sind die
Bundes an den Ausbau- und Neubaukosten sowie Projekte in vielen Fällen so speziell, daß es prak-
an den Planungsausgaben für Hochschulen nicht tisch keinen Wettbewerbsmarkt gibt. Die hierfür in
möglich. Frage kommenden Institute legen einen Arbeits-,
Kosten- und Zeitplan auf der Basis der vorgegebe-
Zur Frage 51: nen Zielsetzung vor. Bei der Auftragserteilung wird
In seinen im Jahr 1968 vorgelegten „Empfehlun- die Angemessenheit der Preiskalkulation jeweils
gen zur Struktur und zum Ausbau der - medizini- eingehend geprüft. Die Prüfung stellt sicher, daß
schen Forschungs- und Ausbildungsstätten" hat sich Forschungs- bzw. Beratungsprojekte nur dann ver-
der Wissenschaftsrat für den Ausbau der damals geben werden, wenn der Preis unter Beachtung der
vorhandenen und im Aufbau bzw. in der Planung Grundsätze der Wirtschaftlichkeit ermittelt worden
befindlichen medizinischen Forschungs- und Ausbil- ist.
dungsstätten ausgesprochen, um den vorausberech- Die Vorschriften der Verdingungsordnung für Lei-
neten Bedarf an Nachwuchs in den ärztlichen Beru- stungen (VOL/A) finden hier Anwendung. Gemäß
fen langfristig zu decken. Seit der Veröffentlichung § 3 Ziff. 3 a-n kann unter bestimmten Voraus-
dieser Empfehlungen sind weitere Hochschulneu- setzungen eine freihändige Vergabe erfolgen.
gründungen entweder beschlossen worden oder In den Fällen, in denen eine wenigstens be-
werden gegenwärtig geplant. schränkte Ausschreibung angewendet werden kann,
Wenn auch bei diesen Neugründungen überwie- wird diese Vergabeart in der Regel auch gewählt.
gend auf die Errichtung von medizinischen Fakul- Über die Zahl der vergebenen Forschungs- und
täten bzw. Fachbereichen verzichtet werden wird, Beratungsprojekte liegen mir für die Gesamtheit der
so muß doch davon ausgegangen werden, daß sich Bundesressorts keine Angaben vor. Hierfür müßte
die Zahl der medizinischen Forschungs- und Aus eine langwierige Umfrage eingeleitet werden.