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Deutscher Bundestag

75. Sitzung

Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Inhalt:

Glückwunsch zum Geburtstag des Abg Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
Schoettle 4131 A Bundeskindergeldgesetzes (CDU/CSU)
(Drucksache VI/86); Schriftlicher Bericht
Eintritt des Abg. Anbuhl in den Bundestag 4131 A des Ausschusses für Jugend, Familie und
Gesundheit (Drucksache VI/1204) —
Erweiterung der Tagesordnung . . . . . 4131 B Zweite Beratung — und mit

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des


Vorverlegung der Frist für die Einreichung Bundeskindergeldgesetzes (CDU/CSU)
von Fragen zur Fragestunde . . . . 4131 B (Drucksache VI/903) ; Schriftlicher Bericht
des Ausschusses für Jugend, Familie und
Amtliche Mitteilungen 4131 B Gesundheit (Drucksache VI/1204) —
Zweite Beratung
Antrag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD, Frau Stommel (CDU/CSU) 4133 C, 4135 C
FDP betr. Berechnung des Verhältnisses
Hauck (SPD) . . . . . 4135 B, 4147 A
der Stärke der einzelnen Fraktionen bei
der Zusammensetzung des Ältestenrates Köster (CDU/CSU) . . 4135 D, 4150 B
und der Ausschüsse sowie die Regelung Frau Eilers (SPD) 4138 C
des Vorsitzes in den Ausschüssen (Druck-
sache VI/1354) in Verbindung mit Frau Strobel, Bundesminister . . 4140 D,
4149 B
Beratung des Antrags der Fraktionen der Krall (FDP) 4141 A
CDU/CSU, SPD, FDP betr. Mitgliederzahl Dasch (CDU/CSU) 4141 D
in den Ausschüssen (Drucksache VI/ 1355)
Schmidt (Kempten) (FDP) 4143 A, 4148 C
Rasner (CDU/CSU) 4132 B
Baier (CDU/CSU) . . . . . . . 4143 D
Schulte (Unna) (SPD) 4132 C
Burger (CDU/CSU) . . . . . . . 4145 A
Mertes (FDP) . . . . . . . . 4132 D
Begrüßung einer Delegation der Koreani-
Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Ände- schen Nationalversammlung unter Lei-
rung und Ergänzung des Bundeskinder- tung ihres Vizepräsidenten Chang . . . 4143 A
geldgesetzes (Drucksache VI/939); Bericht
des Haushaltsausschusses gem. § 96 GO Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des
(Drucksache VI/1263), Schriftlicher Bericht Rechts der gesetzlichen Krankenversiche-
des Ausschusses für Jugend, Familie und rung (Zweites Krankenversicherungsän-
Gesundheit (Drucksache VI/1204 — Zweite derungsgesetz) (Drucksache VI/1130); Be-
und dritte Beratung — in Verbindung mit richt des Haushaltsausschusses gem. § 96
II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

GO (Drucksache VI/1362), Schriftlicher Be- Fragestunde (Drucksache VI/1339) :


richt des Ausschusses für Arbeit und So-
Frage des Abg. Hirsch (SPD) :
zialordnung (Drucksachen VI/1297, zu
VI/1297) — Zweite und dritte Beratung — Zulassung von Beamten des mittleren
in Verbindung mit Dienstes zu einer Laufbahn des geho-
benen Dienstes
Entwurf eines Gesetzes zur Fortführung der
Genscher, Bundesminister . . . . 4185 D
Krankenversicherungsreform (CDU/CSU)
(Drucksache VI/726) ; Schriftlicher Bericht
des Ausschusses für Arbeit und Sozial- Fragen des Abg. Dr. Gruhl (CDU/CSU) :
ordnung (Drucksachen VI/1297, zu VI/1297)
Schädigung der Gewässer durch den
— Zweite Beratung
Phosphatanteil der Waschmittel — No-
Killat-von Coreth (SPD) 4152 D vellierung des Detergentiengesetzes
Franke (Osnabrück) (CDU/CSU) . 4154 A,
4166A Genscher, Bundesminister . . . 4186 B, C
Dr. Schmid, Vizepräsident . . . 4156 A, B, Dr. Gruhl (CDU/CSU) 4186 C
4162 A Dr. Gleissner (CDU/CSU) . . . 4186 C
Dr. Schellenberg (SPD) . 4156 A, 4159 A,
4162C, 4164B, 4166C Fragen des Abg. Schröder (Wilhelminen
Ruf (CDU/CSU) . . . . 4156 D, 4160 A hof) und Dr. Ritz (CDU/CSU) :
Müller (Remscheid) (CDU/CSU) . . 4164 A
Bau einer Rohrleitung für die Einlei-
Schmidt (Kempten) (FDP) . . . 4164 C tung von Abwässern in die Ems-
Arendt, Bundesminister 4166 D Dollart-Bucht

Absetzung des Punktes 12 von der Tages- Genscher, Bundesminister . . 4187 A, C, D,


4188 A
ordnung 4164 B
Dr. Ritz (CDU/CSU) -
4187 B
Entwurf eines Zweiten Wohngeldgesetzes Seiters (CDU/CSU) 4187 C
(Drucksache VI/ 1116) ; Bericht des Haus-
haltsausschusses gem. § 96 GO (Druck- Dr. Frerichs (CDU/CSU) . . . . 4187 D
sache VI/1365), Schriftlicher Bericht des Bittelmann (CDU/CSU) . . . . 4187 D
Ausschusses für Städtebau und Woh-
nungswesen (Drucksache VI/ 1310) — Fragen des Abg. Dr. Müller (Mülheim)
Zweite und dritte Beratung — in Verbin- (SPD) :
dung mit
Durchführung von Kleider- und Alt-
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des materialsammlungen durch private Un-
Wohngeldgesetzes (Abg. Geisenhofer, Dr. ternehmen
Riedl [München], Dr. Schmidt [Wupper-
Genscher, Bundesminister . . . 4188 A, B
tal], Rollmann, Orgaß, Dr. Probst, Mül-
ler [Berlin], Wohlrabe u. Gen.) (Druck-
sache VI/2) ; Schriftlicher Bericht des Aus- Fragen des Abg. Dr. Kempfler (CDU/CSU) :
schusses für Städtebau und Wohnungs- Verbot von Vereinen, deren Zweck und
wesen (Drucksache VI/ 1310) — Zweite Tätigkeit den Strafgesetzen zuwider-
Beratung — und mit laufen und sich gegen die verfassungs-
mäßige Ordnung richten
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für
Städtebau und Wohnungswesen über den Genscher, Bundesminister . . . 4188 C, D,
Dritten Bericht der Bundesregierung über 4189 A
die in den einzelnen Ländern gemachten Dr. Kempfler (CDU/CSU) 4188 D, 4189 A
Erfahrungen mit dem Wohngeldgesetz
(Drucksachen VI/378, VI/1325)
Frage des Abg. Dröscher (SPD) :
Geisenhofer (CDU/CSU) 4169 B, 4177 A
Frau Meermann (SPD) . . 4170 A, 4174 B, Anrechnung von bei Stationierungs-
4179 D, 4182 A streitkräften verbrachten Dienstzeiten
4130 B, 4175 B,
auf die Bewährungszeit
Erpenbeck (CDU/CSU) . .
4176 B, 4183 B Genscher, Bundesminister . . 4189 B, D
Orgaß (CDU/CSU) . . . . . . . 4170 D Dröscher (SPD) . . . . . . 4189 C, D
Ravens (SPD) . . . . . . . . . 4173 D
Wurbs (FDP) 4135 B, 4181 B Fragen des Abg. Dr. Weber (Köln) (SPD) :
Bäuerle (SPD) . . . . . . . . 4176 C Ermittlung des Einheitswertes bei Neu-
Mick (CDU/CSU) . . . . . . 4179 A bzw. Wiederaufbauten von Wohnhäu-
Dr. Lauritzen, Bundesminister . . . 4184 A sern
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 III

Dr. Reischl, Parlamentarischer Dr. Reischl, Parlamentarischer


Staatssekretär 4190 A, B, C Staatssekretär . . . . . . 4194 B, C, D
Dr. Weber (Köln) (SPD) . . . . 4190 C von Bockelberg (CDU/CSU) . . . . 4194 C
Ott (CDU/CSU) . . . . . . . . 4194 C
Frage des Abg. Dr. Warnke (CDU/CSU) :
Zusage des Bundesfinanzministers betr. Frage des Abg. Niegel (CDU/CSU) :
Erhöhung des Arbeitnehmerfreibetrags
im Grenzland Unterschied zwischen dem Mansholt-
Plan und dem einzelbetrieblichen För-
Dr. Reischl, Parlamentarische derungsprogramm des Bundesernäh-
Staatssekretär 4190 D, rungsministeriums
4191 A, B, C,
Logemann, Parlamentarischer
Dr. Warnke (CDU/CSU) . . . . . 4191 A 4194 D, 4195 C, D,
Staatssekretär . . .
Niegel (CDU/CSU) . . . . . . . 4191 B 4196 A
Dr. Kreutzmann (SPD) 4191 C Niegel (CDU/CSU) 4195 B, C
Dröscher (SPD) . . . . . . . 4195 D
Frage des Abg. Engelsberger (CDU/CSU) :
Dr. Gleissner (CDU/CSU) . . . 4196 A
Ermäßigung der Umsatzsteuer bezüg-
lich des Verzehrs von Lebensmitteln in
Fragen des Abg. Biehle (CDU/CSU) :
Hotels und Gaststätten
Dr. Reischl, Parlamentarischer Verbilligte Butter für Rentner
Staatssekretär 4191 D, Logemann, Parlamentarischer
4192 A, B, C Staatssekretär . . . 4196 B, C, 4197 A
Engelsberger (CDU/CSU) . . . 4192 A Biehle (CDU/CSU) . . . 4196 C, 4197 A
Ollesch (FDP) 4192 B
Frage des Abg. Dr. Gleissner (CDU/CSU) :
Fragen des Abg. Geldner (FDP) :
Zeitpunkt der Anhebung des Trink-
Wirtschaftliche Lage des Fremdenver- milchpreises
kehrs nach der D-Mark-Aufwertung —
Logemann, Parlamentarischer
Senkung der Mehrwertsteuer in der
Staatssekretär . . . . . . . 4193 A, C
Gastronomie
Dr. Gleissner (CDU/CSU) . . . . 4197 B
Dr. Reischl, Parlamentarischer
Staatssekretär 4192 C, D
Geldner (FDP) 4192 D Frage des Abg. Dasch (CDU/CSU) :

Erzeugerpreise für Hähnchen


Fragen des Abg. Dr. Ahrens (SPD) :
Logemann, Parlamentarischer
Unterschiedliche zollrechtliche Behand- Staatssekretär . . 4197 C, 4198 A, B, C
lung von Zivilisten und Soldaten beim Dasch (CDU/CSU) . . . . . . 4197 D
Besuch Helgolands
Höcherl (CDU/CSU) 4198 B
Dr. Reischl, Parlamentarischer
Staatssekretär Dr. Ritz (CDU/CSU) 4198 B
4191 A, C
Dr. Ahrens (SPD) . . . . . . 4193 C Dr. Reinhard (CDU/CSU) 4198 C

Frage des Abg. Schlee (CDU/CSU) : Fragen des Abg. Höcherl (CDU/CSU) :

Erhöhung der steuerfreien Pauschbe- Wahlbrief des Staatssekretärs Dr.


träge für Körperbehinderte und Hinter- Griesau an die hessischen Landwirte
bliebene Logemann, Parlamentarischer
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär . . 4198 D, 4199 A, B, C
Staatssekretär . . . . . . . . 4193 D 4200 A, B
Höcherl (CDU/CSU) . . . 4199 A, B, C
Frage des Abg. von Bockelberg (CDU/ Welslau (SPD) . . . . . . . 4199 C
CSU) :
Niegel (CDU/CSU) 4200 A
Neuregelung der steuerlichen Behand-
lung von Reisekosten und Reisekosten- Ehnes (CDU/CSU) 4200 A
vergütungen Dr. Ritz (CDU/CSU) 4200 B
IV Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Begrüßung des Präsidenten und einer Dele- Entwurf eines Gesetzes zur Ä nderung des
gation des Finnischen Reichstags . . . Gesetzes über die Statistik der Bevölke-
rungsbewegung und die Fortschreibung
des Bevölkerungsstandes (Drucksache
Große Anfrage betr. Verbrechensbekämp- VI/1008); Schriftlicher Bericht des Innen-
fung (Abg. Benda und Fraktion der CDU/ ausschusses (Drucksache V1/1280) —

CSU) (Drucksachen V1/703, VI/871) in Ver- Zweite und dritte Beratung — . . . . 4235 B
bindung mit

Entwurf eines Gesetzes zur Ä nderung des


Beratung des Sofortprogramms der Bundes- Gesetzes über Bodennutzungs und Ernte-
-

regierung zur Modernisierung und Inten- erhebung (Drucksache VI/1134); Schrift-


sivierung der Verbrechensbekämpfung licher Bericht des Ausschusses für Ernäh-
(Drucksache VI/ 1334) rung, Landwirtschaft und Forsten (Druck-
Benda (CDU/CSU) . . . 4200 C, 4229 C sache VI/1283) —Zweite und dritte Be-
von Hassel, Präsident 4208 A ratung — 4235 C

Pensky (SPD) . . . . . . .. . 4208 A


Schriftlicher Bericht des Ausschusses für
Genscher, Bundesminister . . . 4214 D Bildung und Wissenschaft über den An-
Dr. Strelitz, Minister des Landes trag der Fraktion der CDU/CSU betr. mit-
Hessen 4218 B telfristige Finanzplanung (Ausbau und
Neubau von Hochschulen) (Drucksachen
Dr. Rutschke (FDP) 4220 D W425, VI/957) . . . . . . . . . . 4235 D
Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) 4222 C
Sieglerschmidt (SPD) 4228 A Schriftlicher Bericht des Ausschusses für
Dorn (FDP) 4231 C Bildung und Wissenschaft über den An-
trag der Abg. Dr. Martin, Dr. Reinhard,
Dr. Preiß und Fraktion der CDU/CSU -
Begrüßung des Präsidenten des Europä betr. Lage der landwirtschaftlichen Fakul-
ischen Parlaments . . . . . . . . . 4214 D täten (Drucksachen V1/156, VI/958) . . . 4235 D

Entwurf eines Gesetzes zur Ä nderung des Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Er-
Gesetzes über den Finanzausgleich zwi- nährung, Landwirtschaft und Forsten über
schen Bund und Ländern (Drucksache die Vorschläge der EG-Kommission für
VI/ 1098) ; Bericht des Haushaltsausschus- den Vorschlag einer Verordnung des
ses gem. § 96 GO (Drucksache VI/1292), Rates zur Aufstellung der Grundregeln
Schriftlicher Bericht des Finanzausschus- für die Lieferung von Butter und Mager-
ses (Drucksache V1/1214) — Zweite und milchpulver an unterentwickelte dritte
dritte Beratung — . . . . . . . . . 4234 B Länder, an das Internationale Komitee
vom Roten Kreuz und an die Joint Church
Entwurf eines Gesetzes zur Ä nderung des Aid
Mineralölsteuergesetzes 1964 (Abg. Kram-
mig, Brück, Porzner, Dr. Slotta, Frau den Entwurf einer Entschließung des
Funcke und Fraktionen der CDU/CSU, Rates über die Finanzierung der Liefe-
SPD, FDP) (Drucksache V1/908) ; Bericht rung von Butter und Magermilchpulver an
des Haushaltsausschusses gem. § 96 GO Entwicklungsländer
(Drucksache VI/1291), Schriftlicher Be- den Entwurf eines Beschlusses des Rates
richt des Finanzausschusses (Drucksache betreffend die Aushandlung der verschie-
VI/ 1192) — Zweite und dritte Beratung 4234 C
— denen Verträge mit einigen Entwick-
lungsländern, dem Internationalen Komi-
tee vom Roten Kreuz und der Joint
Entwurf eines Gesetzes über das Zollkon-
tingent für feste Brennstoffe 1971, 1972, Church Aid
1973, 1974 und 1975 (Drucksache V1/933) ; eine Richtlinie (EWG) des Rates zur
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Änderung der Richtlinien des Rates vom
Wirtschaft (Drucksache VI/1330) — Zweite 14. Juni 1966 über den Verkehr mit Beta-
und dritte Beratung — 4234 D rübensaatgut, über den Verkehr mit Fut-
terpflanzensaatgut, über den Verkehr
mit Getreidesaatgut, über den Verkehr
Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Ä nde-
mit Pflanzkartoffeln und vom 30. Juni
rung des Soldatengesetzes (Drucksache
1969 über den Verkehr mit Saatgut von
VI/938) ; Bericht des Haushaltsausschusses
Öl-undFaserpfz
gem. .§, 96 GO (Drucksache VI/1290),
Schriftlicher Bericht des Verteidigungs- eine Verordnung des Rates über die Dif-
ausschusses (Drucksache V1/1228) — ferenzierung der Erstattung bei der Aus-
Zweite und dritte Beratung — . . . . 4235 A fuhr von Kaseinaten
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 V

eine Verordnung (EWG) des Rates zur ten], Ruf, Liehr, Dr. Götz, Urbaniak und
Änderung der Verordnung Nr. 132/67/ Gen.) (Drucksache VI/1244) — Erste Be-
EWG zur Festlegung der Grundregeln für ratung — 4236 D
die Intervention bei Getreide
eine Verordnung (EWG) des Rates zur Entwurf eines Gesetzes zur Ä nderung so-
Aufstellung von Grundregeln über die zial- und beamtenrechtlicher Vorschriften
Lieferung von butter oil in die Türkei über Leistungen für verheiratete Kinder
(Drucksache VI/1316) — Erste Beratung 4237 A

den Entwurf einer Entschließung des


Rates über die Finanzierung und Liefe-
rung von Butter, butter oil und Mager- Absetzung des Punktes 23 von der Tages-
milchpulver an Peru, Rumänien und die ordnung 4237 C
Türkei
Antrag des Bundesministers für Finanzen
eine Verordnung (EWG) des Rates zur betr. Veräußerung der bundeseigenen
ÄnderugVo nüberdi Liegenschaft „Dönche" in Kassel an die
Finanzierung der Interventionsausgaben Stadt Kassel (Drucksache VI/ 1295) . . 4237 C
auf dem Binnenmarkt
eine Richtlinie des Rates zur Ä nderung Nächste Sitzung 4237 C
der Richtlinie des Rates vom 9. April 1968
über den Verkehr mit vegetativem Ver-
mehrungsgut von Reben (Drucksachen Anlagen
VI/69,1 4VI/08,9 Anlage 1
/V1I2509)3,46A
Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 4239 A
Mündlicher Bericht des Innenausschusses
über den Vorschlag der Kommission der Anlagen 2 und 3
Europäischen Gemeinschaften für den Ent Änderungsanträge Umdrucke 75 und 76 -
wurf einer Verordnung (Euratom) des zur zweiten Beratung des Entwurfs eines
Rates zur Änderung der Regelung der Zweiten Gesetzes zur Änderung und Er-
Bezüge und der sozialen Sicherheit der gänzung des Bundeskindergeldgesetzes
Atomanlagenbediensteten der Gemein- (Drucksachen VI/86, VI/903, VI/939, VI/1204) 4239 B
samen Kernforschungsstelle, die in der
Bundesrepublik Deutschl and dienstlich Anlage 4
verwendet werden (Drucksachen VI/993,
VI/1254) 4236 B Änderungsantrag Umdruck 74 zur zwei-
ten Beratung des Entwurfs eines Zweiten
Krankenversicherungsänderungsgesetzes
Sammelübersicht 11 des Petitionsausschus- (Drucksachen VI/726, VI/1130, VI/1297,
ses über Anträge von Ausschüssen des zu VI/1297) 4239 D
Bundestages zu Petitionen und syste-
matische Ubersicht über die beim Bun-
Anlagen 5 bis 7
destag in der Zeit vom 20. 10. 1969 bis
30. 9. 1970 eingegangenen Petitionen Änderungsanträge Umdrucke 77 bis 79
(Drucksache M/ 1319) 4236 C zur zweiten Beratung des Entwurfs eines
Zweiten Wohngeldgesetzes (Drucksachen
Entwurf eines Gesetzes zur Ä nderung des VI/1116, VI/1310) . . . . . . . . 4240 A
Gemeindefinanzreformgesetzes (Abg. Dr.
Häfele und Fraktion der CDU/CSU) Anlagen 8 und 9
(Drucksache VI/1255) — Erste Beratung 4236 D

Änderungsanträge Umdrucke 82 und 83
zur dritten Beratung des Entwurfs eines
Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Ä nde Zweiten Wohngeldgesetzes (Drucksachen
rung des Eignungsübungsgesetzes (Druck- VI/16,30)42D
sache VI/ 1314) — Erste Beratung — . . 4236 D
Anlagen 10 und 11
Entwurf eines Gesetzes zu dem Überein- Entschließungsanträge Umdrucke 80 und
kommen vom 22. April 1968 über die
84 zur dritten Beratung des Entwurfs
Rettung und Rückführung von Raumfah-
eines Zweiten Wohngeldgesetzes (Druck-
rern sowie die Rückgabe von in den
sachen VI/1116, VI/1310) . . . . . . . 4242 B
Weltraum gestarteten Gegenständen
(Drucksache VI/1322) — Erste Beratung 4236 D

Anlage 12
Entwurf eines Gesetzes zur Ä nderung Antrag Umdruck 81 zur Großen Anfrage
des Knappschaftsrentenversicherungs- der Fraktion der CDU/CSU betr. Verbre-
Neuregelungsgesetzes (Abg. Dr. Schellen- chensbekämpfung (Drucksachen VI/703,
berg, Müller [Remscheid], Schmidt [Kemp- VI/871) 4242 C
VI Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Anlage 13 Anlage 16
Schriftliche Antwort auf die Zusatzfrage Schriftliche Antwort auf die Mündlichen
des Abg. Pawelczyk zu einer Mündlichen Fragen des Abg. Stücklen betr. Vogelfang
Frage betr. Ausbildung von Offizieren in Italien 4244 A
mit einen Hochschulstudium an der Füh-
rungsakademie der Bundeswehr . . . . 4243 B
Anlage 17
Anlage 14 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen
Fragen des Abg. Gallus betr. Rückforde-
Schriftliche Antwort auf die Zusatzfrage
rung von Bagatellbeträgen bei der Ab-
des Abg. Dr. Jenninger zu seiner Münd-
wicklung der Dieselkraftstoffverbilligung 4244 C
lichen Frage betr. Unabkömmlichstellung
landwirtschaftlicher Betriebshelfer . . . 4243 C
Anlage 18
Anlage 15 Schriftliche Antwort auf die Mündlichen
Schriftliche Antwort auf die Mündliche Fragen des Abg. Walkhoff betr. Erschwe-
Frage des Abg. Dr. Häfele betr. Gnaden- rung der Entwicklung sicherer Wagen
gesuch für den seit Kriegsende in Italien und der Abgasentgiftung durch die gegen-
inhaftierten Herbert Kappler 4243 D wärtige Besteuerung . . . . .. . . 4244 D
Deutscher Bundestag—6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4131

75. Sitzung

Bonn, den 4. November 1970

Stenographischer Bericht mann, Frau Stommel, Frau Griesinger, Vogel, Dr. Ritz und Ge-
nossen betr. deutsch-französisches Jugendwerk - Drucksache
VI/1226 — beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1287
verteilt.
Beginn: 9.00 Uhr Der Bundesminister für Bildung und Wissenschaft hat am
20. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Frau
Renger, Dr. Ape], Frau Schanzenbach, Raffert, Matthöfer,
Vizepräsident Dr. Jaeger: Die Sitzung ist er- Moersch, Ollesch und der Fraktionen der SPD, FDP betr. Betreu-
ung der Kinder ausländischer Arbeitnehmer - Drucksache
öffnet. VI/496 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1299
verteilt.
Meine Damen und Herren, Herr Abgeordneter Der Bundesminister des Innern hat am 16. Oktober 1970 die
Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Apel, Fellermaier, Haar
Schoettle hat am 18. Oktober seinen 71. Geburtstag (Stuttgart), Ollesch und der Fraktionen der SPD, FDP betr.
gefeiert. Ich darf ihm die Glückwünsche des Hauses Kraftstoffzusätze - Drucksache VI/ 1186 — beantwortet. Sein
Schreiben ist als Drucksache VI/1300 verteilt.
aussprechen.
Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat
(Beifall.) am 15. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten
Hirsch, Dichgans, Mertes und Genossen betr. Umweltgefähr-
Für den ausgeschiedenen Abgeordneten Dr. Brand dung durch Quecksilberrückstände - Drucksache V1/1155 - be-
antwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1304 verteilt. -
(Pinneberg) ist am 3. November 1970 der Abgeord- Der Bundesminister für Wirtschaft hat am 23. Oktober 1970
nete Anbuhl in den Bundestag eingetreten. die Kleine Anfrage der Abgeordneten Leicht, Dr. Giulini, Hö-
cherl, Dr. Wörner, Picard, Josten, Röhner und Genossen betr.
(Beifall.) Preisentwicklung auf dem Energie-Sektor — Drucksache VI/1231 —
beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1308 verteilt.

Ich darf ihn begrüßen, wenn er hier eingetroffen Der Bundesminister für Verkehr hat am 22. Oktober 1970 die
Kleine Anfrage der Abgeordneten Rollmann, Lampersbach und
ist. Genossen betr. mehr Sicherheit durch Verbundglas in Kraft-
fahrzeugen - Drucksache VI/1227 - beantwortet. Sein Schrei-
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll ben ist als Drucksache VI/1309 verteilt.

die Tagesordnung ergänzt werden um die in der Der Bundesminister des Innern hat am 21. Oktober 1970 die
Kleine Anfrage der Abgeordneten Mick, Dr. Schneider (Nürn-
Ihnen vorliegenden Liste bezeichneten Vorlagen. — berg) und der Fraktion der CDU!CSU betr. Viertes Gesetz zur
Änderung und Ergänzung des Kriegsgefangenenentschädigungs-
Das Haus ist damit einverstanden. Die Erweiterung gesetzes (4. ÄndGKgfEG) vom 22. Juli 1969 - BGBl. I S. 931 —
der Tagesordnung ist damit beschlossen. Ich schlage Drucksache VI/1266 - beantwortet. (Heimkhrstfung)-
Sein Schreiben ist als Drucksache VI/1317 verteilt.
vor, diese Anträge als ersten Punkt der Tagesord-
Der Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen hat am
nung aufzurufen. - Kein Widerspruch; dann ist es 26. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr.
Preiß, Dr. Martin, Rollmann und Genossen betr. Umwandlung
so beschlossen. des Herder-Instituts in Marburg zu einer Abteilung des Ge
samtdeutschen Instituts — Bundesanstalt für gesamtdeutsche
Der Ältestenrat schlägt Ihnen vor, ab sofort die in Aufgaben - Drucksache VI/1278 - beantwortet. Sein Schreiben
Nr. 9 der Richtlinien für die Fragestunde festgelegte ist als Drucksache VI/1320 verteilt.

Einreichungsfrist von freitags 15.00 Uhr auf frei- Der Bundesminister der Finanzen hat am 26. Oktober 1970 die
Kleine Anfrage der Abgeordneten Strauß, Stücklen, Höcherl,
tags 11.00 Uhr vorzuverlegen. — Ich höre keinen Wagner (Günzburg) und Genossen betr. Umsatzsteuerregelungen
für den innerdeutschen Waren- und Dienstleistungsverkehr
Widerspruch; das Haus ist damit einverstanden. Es - Drucksache VI/1264 - beantwortet. Sein Schreiben ist als
ist so beschlossen. Drucksache VI/1321 verteilt.
Der Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen hat am
27. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr.
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden Dollinger, Dr. Riedl (München), Dr. Jobst und Genossen betr.
ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht Schuldscheingeschäfte der Deutschen Bundespost - Drucksache
VI/1265 - beantwortet. Sein Schreiben ist als Drucksache
aufgenommen: VI/1323 verteilt.
Der Bundesrat hat in seiner Sitzung am 23. Oktober 1970 den Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundesminister des
nachstehenden Gesetzen zugestimmt bzw. einen Antrag gemäß Auswärtigen hat am 28. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der
Artikel 77 Abs. 2 GG nicht gestellt: Abgeordneten Strauß und Genossen betr. deutsch-sowjetischer
Vertrag - Drucksache VI/1289 - beantwortet. Sein Schreiben
Gesetz zur Änderung des Güterkraftverkehrsgesetzes ist als Drucksache VI/1326 verteilt.
Zweites Gesetz zur Durchführung von Richtlinien der Euro- Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am
päischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Niederlassungs- 29. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Müller
freiheit und den freien Dienstleistungsverkehr (Remscheid), Russe, Breidbach, Katzer, Mick und Genossen betr.
Neuntes Gesetz zur Änderung des Tabaksteuergesetzes Stellungnahme der Bundesregierung zum Bericht der Biedenkopf
Kommission - Drucksache VI/1288 - beantwortet. Sein Schrei-
Gesetz zu dem Abkommen vom 15. November 1968 zwischen ben ist als Drucksache VI/1331 verteilt.
der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Bolivien
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung hat am
über den Luftverkehr
29. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr.
Gesetz zu dem Abkommen vom 24. September 1969 zur Hammans, Dr. Frerichs, Burger, Biechele, Dr. Probst und Ge-
Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirt- nossen betr. Verleumdung des Berufsstandes der Ärzte im
schaftsgemeinschaft und der Vereinigten Republik Tansania, „stern" Nr. 42 vom 11. Oktober 1970 - Drucksache VI/1284 -
der Republik Uganda und der Republik Kenia sowie zu dem beantwortet. Sein Schreiben wird als Drucksache VI/1332 ver-
Internen Durchführungsabkommen teilt.
Der Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit hat Der Bundesminister für Verkehr hat am 28. Oktober 1970 die
am 15. Oktober 1970 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Roll- Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Apel, Haar (Stuttgart),
4132 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Vizepräsident Dr. Jaeger


Deutscher
OleschundrFaktioeSPD,br. Ver-
kehrssicherheitsrat — Drucksache VI/1277 — beantwortet. Sein Zur Einigung selbst ist festzustellen, daß wir hier
Schreiben ist als Drucksache VI/1335 verteilt. einen Ad-hoc-Beschluß gefaßt haben, der für diese
Die Stellungnahme des Bundesrates zum Entwurf eines Ge- Legislaturperiode gilt und an ihrem Ende der Dis-
setzes über die Erhebung einer besonderen Ausgleichsabgabe auf
eingeführten Branntwein ist als Drucksache zu VI/1222 verteilt. kontinuität unterfällt. Er hat mit der in verschie-
Der Bundeskanzler hat am 13. Oktober 1970 den Bericht der denen Gesetzen festgelegten Methode d'Hondt nichts
Bundesregierung über die Integration in den Europäischen Ge-
meinschaften (Berichtszeitraum April bis September 1970) über- zu tun und stellt diese nicht in Frage. Ich glaube,
sandt, der als Drucksache VI/1268 verteilt ist. auch das sollte in diesem Augenblick noch festge-
Der Bundesrat hat in seiner 357. Sitzung am 23. Oktober 1970 halten werden.
gemäß Artikel 94 Abs. 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit
§ 5 Abs. 3, § 7 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht
als Nachfolger für den auf 8 Jahre ernannten und vorzeitig
(Beifall bei der CDU/CSU.)
ausscheidenden Bundesverfassungsrichter Professor Dr. Hans Kut-
scher für den Rest der Amtszeit den Direktor beim Bundesver-
fassungsgericht Walter Rudi Wand zum Bundesverfassungsrich- Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
ter in den Zweiten Senat gewählt.
Abgeordnete Schulte.
Der Präsident des Bundestages hat gemäß § 96 a der Ge-
schäftsordnung die von der Bundesregierung als dringlich be-
zeichnete
Schulte (Unna) (SPD) : Herr Präsident! Meine
Verordnung zur Ä nderung des Deutschen Teil-Zolltarifs (Nr.
18/70 — Zollkontingent für Holzschliff) sehr verehrten Damen und Herren! Auch die sozial-
— Drucksache VI/1327 — demokratische Bundestagsfraktion begrüßt es, daß
mit der Bitte um fristgemäße Behandlung an den Ausschuß für wir hier zu einer einvernehmlichen Regelung ge-
Wirtschaft überwiesen.
kommen sind.
Der Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Beschluß
des Bundestages vom 25. Juni 1959 die nachstehenden Vorlagen Heute liest man in der Presse, daß ein Säulen-
überwiesen: heiliger des Parlamentarismus, Herr d'Hondt, ge-
EWG-Vorlagen stürzt worden sei. Das ist eine hübsche Formulie-
Bericht an den Rat und die Kommission über die stufenweise rung; aber, ich glaube, man braucht das nicht so
Verwirklichung der Wirtschafts- und Währungsunion in der
Gemeinschaft zu dramatisieren. Es hatte sich herausgestellt, daß
— Drucksache VI/1315 — dieses tradierte System d'Hondt tatsächlich nicht das
überwiesen an den Ausschuß für Wirtschaft (federführend), Höchstmaß an Gerechtigkeit bietet. Bei der Über-
Haushaltsausschuß, Finanzausschuß mit der Bitte um Vor-
lage des Berichts rechtzeitig vor der endgültigen Beschluß- legung, wie man — was selbstverständlich ist —
fassung im Rat
die Mehrheitsverhältnisse dieses Hauses sich in den
Ausschüssen widerspiegeln läßt, wurde die Frage
Dann rufe ich, wie Sie soeben beschlossen haben, erörtert — auch mit Herrn Professor Niemeyer aus
zuerst die beiden Zusatzpunkte auf: Marburg —, ob es nicht denkbar wäre, das rein
Beratung des Antrags der Fraktionen der mathematische Proporzsystem anzuwenden. Es ist
CDU/CSU, SPD, FDP betr. Berechnung des eigentlich eine Überlegung, die sehr naheliegt; denn
Verhältnisses der Stärke der einzelnen Frak- sie besagt ja, daß man nach einer einfachen mathe-
tionen bei der Zusammensetzung des Äl- matischen Gleichung vorgeht. Es stellte sich heraus,
testenrates und der Ausschüsse sowie die Re- daß dieses System erheblich gerechter ist als das
gelung des Vorsitzes in den Ausschüssen von Herrn d'Hondt.
— Drucksache VI/1354 — Selbstverständlich können solche Entscheidungen
jeweils nur für eine Legislaturperiode gelten. Das
Beratung des Antrags der Fraktionen der
liegt im Prinzip der Diskontinuität dieses Hauses
CDU/CSU, SPD, FDP betr. Mitgliederzahl in
begründet. Ich möchte heute noch nicht orakeln, wie
den Ausschüssen
sich der nächste Bundestag in dieser Frage ent-
— Drucksache VI/1355 — scheiden wird.
Das Wort hat zunächst Herr Abgeordneter Rasner. Das ist hier zunächst einmal als Prinzip festzu-
halten. Darauf baut sich dann , die Ausschußstärke
Rasner (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Da- auf. Die Entscheidung über die Ausschußstärke wird
jeweils unter rein pragmatischen Gesichtspunkten
men und Herren! Meine Fraktion begrüßt es, daß es
in dieser Frage der technischen Zusammenarbeit getroffen, und sie sollte nach Möglichkeit unter den
des Hauses zu einer einvernehmlichen Regelung Fraktionen , dieses Hauses einvernehmlich sein. Hier
gibt es keine innere Systematik, sondern lediglich
gekommen ist. Die Verhandlungen waren nicht ein-
Zweckmäßigkeiten, denen sich alle Fraktionen beu-
fach, aber es war auch nicht die schwerste Ausein-
andersetzung hier im ,Hause seit 1949. Herr Kol- gen sollten. Das ist geschehen. Deshalb kommen
wir heute wohl zu einer einvernehmlichen Regelung.
lege Wehner, Sie haben uns parlamentarische Ge-
schäftsführer insgesamt, glaube ich, ein bißchen un- Wir begrüßen dies.
terschätzt. (Beifall bei der SPD.)
Als diese Verhandlungen in eine Krise kamen,
war eine Intervention von außen hilfreich. Der Pro- Vizepräsident Dr. Jaeger: Wird des weiteren
fessor für angewandte Mathematik an der Univer- das Wort gewünscht? — Bitte sehr, Herr Abgeord-
sität Marburg, Horst Niemeyer, lieferte einen Vor- neter Mertes!
schlag, der dann die Grundlage für diese Einigung
geschaffen hat. Es ist ein Beweis dafür, Herr Prä- Mertes (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen und
sident, wie sehr dieses Haus doch immer wieder Herren! Ich möchte nur wenige Sätze sagen. Das
auf die Mitarbeit der Bürger von außen angewiesen mathematische Proportionalsystem ist wesentlich ge-
ist. rechter als das System, nach dem die Verteilung der
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4133
Mertes
Ausschußsitze bisher vorgenommen wurde. Die Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ju
Frage, inwieweit man ein gerechteres System in gend, Familie und Gesundheit (12. Ausschuß)
diesem Hause praktizieren will, gehört zu den re- — Drucksache VI/1204
lativ wenigen Fragen, bei denen eine Gewissens-
entscheidung zu treffen ist. Die auf der Basis dieses Berichterstatterin :
Systems vorgeschlagene Regelung garantiert die Abgeordnete Frau Stommel
Einhaltung des demokratischen Grundprinzips und (Erste Beratung 13. Sitzung)
der demokratischen Selbstverständlichkeit, daß die
Mehrheitsverhältnisse des Plenums sich in allen c) Zweite Beratung des von der Fraktion der
Ausschüssen widerspiegeln, und zwar nicht nur CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Ge-
theoretisch, sondern auch in der Praxis. Meine setzes zur Änderung des Bundeskindergeld-
Fraktion stimmt daher den beiden Anträgen zu. gesetzes
— Drucksache VI/903 —
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ju
Herren, wird des weiteren das Wort gewünscht? —
gend, Familie und Gesundheit (12. Ausschuß)
Das ist nicht der Fall.
— Drucksache VI/1204 —
Dann komme ich zur Abstimmung. Wer dem An-
trag der drei Fraktionen des Hauses betreffend Berichterstatterin:
Berechnung des Verhältnisses der Stärke der ein- Abgeordnete Frau Stommel
zelnen Fraktionen bei der Zusammensetzung des (Erste Beratung 64. Sitzung)
Ältestenrates und der Ausschüsse sowie die Re-
gelung des Vorsitzes in den Ausschüssen — Druck- Ich danke der Berichterstatterin, der Abgeord-
sache VI/1354 — zuzustimmen wünscht, den bitte neten Frau Stommel, für ihren Schriftlichen Bericht
ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die Ge- und gebe ihr zur Ergänzung das Wort.
genprobe. — Eine Gegenstimme des Abgeordneten
Memmel. Enthaltungen? — Eine Enthaltung. Damit Frau Stommel (CDU/CSU) : Herr Präsident!
ist dieser Antrag angenommen. Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestat- -
ten Sie mir noch einige Ausführungen zu meinem
Ich komme dann zu dem Antrag der drei Frak-
Schriftlichen Bericht. Ich bitte Sie aber, zuerst eine
tionen des Hauses auf Drucksache VI/1355 betref-
Korrektur vorzunehmen. Auf Seite 2 des Schrift-
fend Mitgliederzahl in den Ausschüssen. Wer die
sem Antrag zuzustimmen wünscht, den bitte ich um lichen Berichts muß unter „Zu Artikel 3 Nr. 1" in
der viertletzten Zeile das Wort „Kindergeldes"
das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe.
durch das Wort „Krankengeldes" ersetzt werden.
— Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? — Keine
Es handelt sich hier wohl um einen Schreibfehler
Enthaltungen. Der Antrag ist damit einstimmig an-
des Büros. Das vorweg.
genommen.
Der Ausschuß hat bei seinen Beratungen gegen
Ich komme dann zu Punkt 2 der heutigen Tages- die Stimmen der CDU/CSU-Fraktion beschlossen,
ordnung: den Regierungsentwurf Drucksache VI/939 zugrunde
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- zu legen. Der Ausschuß hat sich bei seinen Be-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines ratungen, sofern man von Beratungen reden kann,
Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergän- (Abg. Dr. Schellenberg: Na, na!)
zung des Bundeskindergeldgesetzes
gegen die Stimmen der CDU/CSU für die unverän-
— Drucksache VI/939 — derte Annahme des Regierungsentwurfs ausge-
sprochen und weitergehende Anträge der CDU/CSU
aa) Bericht des Haushaltsausschusses (7. Aus-
entsprechend der Vorlage auf Drucksache VI/903 ab-
schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
gelehnt. Selbst der Alternativvorschlag, der von der
— Drucksache VI/ 1263 — CDU/CSU gemacht wurde, über den Regierungs-
Berichterstatter: Abgeordneter Baier entwurf hinaus wenigstens eine Erhöhung des Kin-
dergeldes für das vierte Kind um monatlich 10 DM
bb) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für zu beschließen, wurde ohne Aussprache abgelehnt,
Jugend, Familie und Gesundheit (12. Aus- obwohl die CDU/CSU den Deckungsvorschlag für
schuß) diese Alternative erbracht hat.
— Drucksache VI/1204 — Sie hat bei der Begründung dieses Antrags darauf
Berichterstatterin: hingewiesen, daß die benötigten Mehraufwendun-
Abgeordnete Frau Stommel gen für 1970 aus dem vorliegenden Etat bereitge-
stellt werden könnten. Für die Folgekosten im
(Erste Beratung 64. Sitzung) Jahre 1971 und in den weiteren Jahren müßte auf
die Kürzungen bei der mittelfristigen Finanzplanung
b) Zweite Beratung des von der Fraktion der verzichtet werden. Bei diesen Bemühungen und bei
CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Ge- ihren Anträgen hat sich die CDU/CSU davon leiten
setzes zur Änderung des Bundeskindergeld- lassen, daß in nahezu allen Industrienationen der
gesetzes Welt der Familienlastenausgleich auch unter dem
— Drucksache VI/86 — Gesichtspunkt gesehen wird, daß die Regeneration
4134 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Frau Stommel
der Bevölkerung über viele Jahrzehnte hinweg ge- Frau Stommel (CDU/CSU) : Ich gebe eine sach
sichert wird. Wir müssen feststellen, daß seit 1965 liche Darstellung dessen, was im Ausschuß gesagt
bei uns die Geburtenzahlen um zirka 20 °/o zurück- worden ist.
gegangen sind. Seit 1969 haben die Geburtenzahlen Hier werden Wechsel auf die Zukunft gezogen,
ein Niveau erreicht, daß die Regeneration nicht für deren spätere Einlösung keine absolute Garantie
mehr sichert. gegeben ist. Zwar ist unbestritten, daß das Sozial-
Entgegen der Darstellung von Frau Minister produkt und der Lebensstandard auch in den näch-
Strobel, die in der ersten Lesung die Auffassung sten Jahrzehnten ansteigen werden. Dies wird aber
vertreten hat, der Geburtenrückgang sei auf das auch in gleichem Maße in anderen Industrienationen
Hineinwachsen geburtenschwacher Jahrgänge in das der Fall sein. Wenn jedoch in unserem Lande wegen
Heiratsalter zurückzuführen, weisen die Statistiken einer Verschlechterung der Altersstruktur und einer
aus, daß der starke Geburtenrückgang zum weitaus damit verbundenen stärkeren Belastung der Er-
überwiegenden Teil auf verändertes Generations- werbstätigen durch Steuern und Sozialabgaben die
verhalten der jungen Familien zurückzuführen ist. Entwicklung der Lebensverhältnisse ungünstiger als
Nach Auffassung der CDU/CSU ist der Rückgang anderswo verläuft, besteht die Gefahr, daß die
schon bei den Zweitkindern, besonders aber bei Bundesrepublik für Gastarbeiter weniger inter-
den Dritt- und weiteren Kindern besorgniserregend essant wird als andere Länder. Nicht außer Betracht
und im übrigen nicht auf den derzeitigen Rückgang bleiben kann außerdem, daß zur Zeit auch in den
der Eheschließungen zurückzuführen. Ländern, aus denen die Gastarbeiter zu uns kom-
men, die Geburtenzahlen zurückgehen und daß dar-
Der Familienbericht der Bundesregierung vom über hinaus in diesen Ländern die sich dort voll-
Januar 1968 hat deutlich gemacht, daß bis zur Mitte ziehende Weiterentwicklung der Wirtschaft mehr
der sechziger Jahre die Zahl der Drittkinder gerade eigene Kräfte binden wird, so daß der Gastarbeiter-
ausreicht, die Regeneration der Bevölkerung sicher- strom geringer werden könnte.
zustellen, und daß das leichte Bevölkerungswachs
tum auf die Familien mit vier und mehr Kindern (Abg. Liehr: Das kann doch alles im
zurückzuführen sei. Ich meine, daß in Anbetracht Schriftlichen Bericht gesagt werden!)
der Tatsache, daß gegenüber 1965 auch die Zahl Außerdem muß in 15 oder 20 Jahren durchaus - mit
der Erst-, Zweit- und Drittkinder zurückgeht, ent- der Gefahr gerechnet werden, daß der qualifizierte
gegen den Tendenzen der Bundesregierung die För- und sprachenkundige eigene Berufsnachwuchs zu-
derung der Familien mit vier und mehr Kindern nehmend auswandern könnte, wenn sich die Lebens-
noch weiter ausgebaut werden sollte, weil die kin chancen in anderen Ländern relativ verbessern. —
derreiche Familie einen unerläßlichen Beitrag für Meine Damen und Herren, diese Ausführungen sind
die Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur im Ausschuß in einer Art und Weise gemacht wor-
leistet. den, der nicht widersprochen worden ist.
Ohnehin müssen wir davon ausgehen, daß nur bei
Meine Damen und Herren, ich kann Ihnen leider
einer kleinen Minderheit der Familien die Bereit-
nicht die Argumentation der Regierungskoalition
schaft besteht, vier und mehr Kinder aufzuziehen.
vortragen, da die Diskussionsbeiträge nur von den
Der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundes-
Vertretern der CDU/CSU vorgebracht und begrün-
minister für Jugend, Familie und Gesundheit, Herr
det wurden.
Westphal, hat in einem Interview in der „Welt"
vom 21. August 1970 herausgestellt, es sei seitens (Abg. Liehr: Gut, daß es die CDU gibt!)
der Regierung weder an eine Prämierung des Kin-
Im übrigen hat der Ausschuß einstimmig be-
derkriegens noch an eine besondere Förderung der
schlossen, die Bundesregierung zu ersuchen, sicher-
Großfamilie gedacht; die Familienpolitik der Bun-
zustellen, daß die Erhöhung des Kindergeldes für
desregierung verstehe sich nicht als eine nationali-
das dritte Kind, soweit sie auf die Monate September
stische Bevölkerungspolitik.
bis Dezember 1970 entfällt, den Kindergeldberech-
Wir sind der Auffassung, daß eine solche Argu- tigten noch vor Ablauf dieses Jahres ausgezahlt
mentation den heutigen Gegebenheiten nicht Rech- wird.
nung trägt. Wir haben auch kein Verständnis für
die Bundesregierung, wenn sie die Gefahren einer Der Bundesminister für Familie, Jugend und
Verschlechterung der Altersstruktur bagatellisiert Gesundheit hat daraufhin den Haushaltsausschuß
und meint, die anwachsenden Versorgungslasten auf die Schwierigkeiten aufmerksam gemacht, den
würden durch den sich weiter vollziehenden Pro- Gesetzesentwurf noch bis zum Auszahlungstermin
duktivitätsfortschritt der Volkswirtschaft bewältigt am 1. November zu verkünden. Der Bundesminister
werden können. der Finanzen sei deshalb damit einverstanden, die
(Unruhe.) Auszahlung des erhöhten Kindergeldes schon vor
der Verkündung mit den Auszahlungen von Novem-
ber dieses Jahres zu verbinden ,wenn der Haushalts-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und ausschuß zustimme. Der Haushaltsausschuß hatte
Herren, ich bitte Sie um etwas mehr Ruhe. gegen dieses Verfahren nichts einzuwenden. Er
(Abg. Dr. Schellenberg: Ist das eine Be hat sich mit der vorgezogenen Auszahlung einver-
richterstattung? — Abg. Fellermaier: Das standen erklärt.
ist doch kein Bericht mehr, Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren, es
— Weitere Zurufe von der SPD.) liegt Ihnen noch ein Änderungsantrag der Frak-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4135
Frau Stommel
tionen der CDU/CSU, der SPD und der FDP zur Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit
zweiten Beratung des Entwurfs vor. möchte ich erklären, daß es nicht zutrifft, daß im
(Zuruf von der SPD.) Ausschuß überhaupt nichts beraten wurde, wie die
Frau Berichterstatterin behauptet hat.
— Ich bin gebeten worden, das hier bei dem Be-
richt zu begründen. Es ist einstimmiger Beschluß. (Zurufe von der SPD: Unerhört!)
Es stößt wohl nicht auf Schwierigkeiten, wenn ich Es ist eine unerhörte Unterstellung, eine Abstim-
einen interfraktionellen Beschluß hier kurz be- mungsniederlage gerade in diesem Ausschuß, wo
gründe. wir wirklich sachlich diskutieren und zu Ergebnis-
sen kommen wollen, pauschal mit der Behauptung
Der Antrag lautet: abzutun, man habe nicht beraten.
Der Bundestag wolle beschließen: (Beifall bei den Regierungsparteien.)
In Artikel 3 erhält Nummer 1 folgende Fassung: So geht es meiner Ansicht nach nicht. Ich erkläre
1. Dem § 183 Abs. 5 wird folgender Satz an- ausdrücklich, daß dieser Ausschuß keine Abstim-
gefügt: mungsmaschine ist, sondern ein Ausschuß, der sich
der Probleme und Sorgen des Bereichs Jugend, Fa-
„Bei der Kürzung bleibt von der Rente ein milie und Gesundheit intensiv und verantwortungs-
Betrag in Höhe des Kindergeldes außer Be- bewußt annimmt.
tracht, das ohne Anwendung des § 8 Abs. 1
des Bundeskindergeld-Gesetzes für die Kin- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
der des Rentenberechtigten zu zahlen wäre."
Das ist ein interfraktioneller Antrag. Vizepräsident Dr. Jaeger: Hierzu Frau Ab-
Lassen Sie mich noch eine abschließende Berner- geordnete Stommel.
kung machen. In der Sitzung des Ausschusses für (Abg. Liehr: Jetzt auch als Bericht
Familie, Jugend und Gesundheit vom 23. Septem- erstatterin?)
ber 1970 haben es die Vertreter der Regierungs-
koalition abgelehnt, die Sachanträge der CDU/CSU Frau Stommel (CDU/CSU) : Jetzt nicht als Be--
in gebührender Form zu beraten. richterstatterin, sondern nur zu einer Gegenäuße-
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) rung.
Man kann nur hoffen, daß nicht alle Ausschüsse zu Herr Vorsitzender, es wird Ihnen bekannt sein,
Abstimmungsmaschinen werden, daß ich im Ausschuß selbst mit Enttäuschung darauf
hingewiesen habe, daß sogar zu dem Alternativvor-
(Abg. Liehr: Und dann haben Sie trotzdem
schlag, den Herr Burger gestellt hat, mit keinem
die Berichterstattung übernommen?)
Wort Stellung genommen wurde. Unsere Anträge
wie es im zuständigen Ausschuß bei den Beratungen wurden gestellt und von Ihnen ohne Aussprache
über die Ergänzung des Bundeskindergeldgesetzes abgelehnt.
in seiner Sitzung vom 23. September 1970 prakti- (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)
ziert wurde.
Es ist nur zur Schlußabstimmung von Ihnen eine
Im übrigen verweise ich auf meinen Schriftlichen Erklärung abgegeben worden.
Bericht.
(Abg. Frau Kalinke: Das ist „mehr De
(Beifall bei der CDU/CSU.)
mokratie"! — Weitere Zurufe von der
CDU/CSU.)
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und
Herren, soweit hier von einem interfraktionellen Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und
Antrag gesprochen wurde, möchte ich bitten, ihn
Herren, ich glaube, wir können jetzt in die Einzel-
vorzulegen. Ich habe ihn im Augenblick nicht bei beratung eintreten.
meinen Unterlagen.
(Abg. Dr. Schellenberg: Eine schlechte Op
(Abg. Rösing: Umdruck 75! *)) position, die sich das im Ausschuß bieten
— Ist das der Antrag, den Sie vorgelesen haben? läßt! — Abg. Frau Kalinke: Na, Sie werden
eine bessere erleben, mein Herr! Ich warne
(Abg. Frau Stommel: Ja, Nr. 75!)
Sie!)
— Dann liegt er vor.
Ich komme nun zu Art. 1, wozu der Änderungsan-
Nun wollte zum Bericht der Abgeordnete Hauck trag Umdruck 7 6 *) gestellt ist, und erteile das Wort
sprechen. zur Begründung dem Abgeordneten Köster.

Hauck (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr ver- Köster (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Da-
ehrten Damen und Herren! Ich bedaure außerordent- men und Herren! Die Beratung im Ausschuß für
lich, daß es zu Beginn dieser Diskussion gleich zu Jugend, Familie und Gesundheit über die Entwürfe
einer Schärfe gekommen ist. Als Vorsitzender des des Kindergeldgesetzes waren tatsächlich ein Trauer-

*) Siehe Anlage 2 *) Siehe Anlage 3


4136 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Köster
spiel. Nachdem Frau Minister Strobel den Regie- tungsmöglichkeiten der heranwachsenden Genera-
rungsentwurf vorgelegt hatte, etwa mit den glei- tion.
chen Worten, wie sie sie im Plenum anläßlich der (Abg. Liehr: Ist es möglich, daß Sie das ver
ersten Lesung gebraucht hatte, war sie als Minister kehrte Manuskript haben, Herr Kollege?
für Familie und Jugend verhindert, an den weiteren Das ist keine Wahlversammlung!)
Beratungen teilzunehmen. — Nein.
(Abg. Lücke [Bensberg] : Unglaublich!) Man mag der CDU/CSU vorwerfen, sie habe in
der vergangenen Wahlperiode zuwenig für die
— Es wird gesagt: Das stimmt nicht. Kinder mit vielen Geschwistern getan.
(Abg. Lücke [Bensberg] : Unglaublich!) (Beifall bei der SPD.)
Frau Strobel ist gegangen. Als Mitglieder der Oppo- — Einen Augenblick! Wenn wir das als Mitglieder
sition mußten wir dann erleben, daß sich während der CDU/CSU-Fraktion selbst sagen, ist das Be-
der weiteren Beratung kein einziges Mitglied der dauern sorgar glaubwürdig. Diese Kritik aus dem
Koalitionsfraktionen zu Wort meldete. Alle An- Munde führender Sozialdemokraten aber ist für
träge der CDU/CSU wurden nur mit dem Gegen- mich einfach Windbeutelei. Denn mir ist nicht be-
argument 15 : 14 oder 14 : 13 Stimmen abgelehnt. kannt, daß die SPD-Fraktion je irgend etwas aus
eigener Initiative für die Lebenschancen der Kinder
(Abg. Wehner: Tut weh, ja? — Zuruf von mit vielen Geschwistern getan hätte.
der SPD: Sie werden sich daran gewöhnen!)
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Hauck:
— Wir werden uns daran gewöhnen, sagen Sie. So- Wir haben die Kürzungen 1967/68 abge
eben wurde das „mehr an Demokratie" noch be- lehnt!)
stritten. Meine Damen und Herren, der Ansatzpunkt für
Meine Damen und Herren, ich habe, als wir zur eine neue Familienpolitik liegt für uns in der ein-
Gesamtabstimmung kamen, auf die Unwürdigkeit stimmigen Absichtserklärung des Bundestages vom
dieser Beratung hingewiesen. Daraufhin hat sich der März 1969, dessen zweiten Teil die Bundesregierung
jetzt leider aus dem Parlament ausgeschiedene Kol- in ihrer Gesetzesvorlage praktisch verleugnet. Darf
-
lege Dr. Brand (Pinneberg), der aus politischen ich Sie, Herr Präsident, an dieser Stelle bitten, zu
Gründen zurückgetreten ist, bereit erklärt, das Wort überlegen, ob einstimmige Absichtserklärungen des
zu ergreifen, und hat unsere Enttäschung zu glätten Bundestages wie die vom 28. März 1969 nicht der
versucht. Aber das war bei der Gesamtabstimmung. besonderen Aufmerksamkeit des Bundestagspräsi-
Bei den Einzelberatungen kein einziges Wort. Offen diums zu empfehlen sind. Wenn der Bundestag eine
sichtlich war das weniger Demokratie als früher, einstimmige Erklärung abgibt, kann jeder Mitbür-
und dieses Weniger war erzwungen durch Be- ger erwarten, daß die Regierung und alle Fraktionen
schlüsse einer Bundesregierung, deren Kanzler an diese Willenskundgebung auch nach einer Wahl
der Familienpolitik praktisch nicht interessiert ist. noch ernst nehmen. Auch der Bundestag als Ganzes
Ich habe nicht den Eindruck, daß der Spiritus rector steht im Wort gegenüber denen, die die Erfüllung
dabei etwa übersehen hätte, daß durch eine unge- seiner Entschließung erwarten. Über den Wunsch
rechte Familienpolitik soziale Nöte und Enttäuschun- nach einer Reform des Familienlastenausgleichs hin-
gen bei der nachwachsenden Generation begünstigt aus hat der Bundestag damals die Regierung in-
werden. Später, im nächsten Wahlkampf, kann man direkt auch darum gebeten, ihre Finanzplanung so
dann mögicherweise immer noch nach der sozialen zu ändern, daß nicht erst 1972, wie es vorgesehen
und bildungsmäßigen Chancengleichheit rufen. war, sondern sofort die Finanzmittel bereitgestellt
würden, um die Leistungen für kinderreiche Fami-
Die Behandlung, die unser Gesetzentwurf im Aus- lien den wirtschaftlichen Verhältnissen anzupassen.
schuß für Jugend, Familie und Gesundheit erfahren
Die CDU/CSU-Fraktion, nicht aber die Bundes-
hat, ist ein neuer Beweis dafür, daß die SPD Wil-
regierung, hat sich an das Votum des Bundestages
lens- und Absichtserklärungen vor der Wahl anders
vom März 1969 gebunden und kurz nach ihrer
deutet als nachher. Sozialistische Politik muß sehr
Konstituierung im November 1969 mit Drucksache
sorgfältig von einer Politik des gerechten und sozia-
VI/86 den Antrag gestellt, den Familienbeitrag vom
len Ausgleichs unterschieden werden. Die SPD nennt
dritten Kind an um 10 DM pro Kind zu erhöhen.
häufig eine Maßnahme dann gerecht, wenn damit
Diese Sofortmaßnahme war nur als Anpassung der
viele Wähler erreicht werden. Ist man aber Ange-
Leistungen an die Änderung der wirtschaftlichen
höriger Verhältnisse von 1964 bis 1970 gedacht. Dieser Be-
(Zuruf von der SPD: Das ist mehr Ihre schluß war die Grundlage, auf der die Neuformu-
Politik!) lierung und auch Neuorientierung der Familienpoli-
tik für die CDU/CSU begann. Die Bundesregierung
einer Wählerminderheit, etwa als Kleinrentner oder
hat einen Vorschlag gemacht, der in keiner Weise
als Eltern einer größeren Kinderschar, findet man
dieser Entschließung gerecht wird, der vielmehr
für die eigene Situation wohl in dem SPD-Wahl-
eine schwere Enttäuschung der Erwartungen und
programm einen passenden Spruch, aber keinen Für-
gerechten Ansprüche von Kindern mit mehreren Ge-
sprecher -im Ausschuß oder im Bundestagsplenum.
schwistern darstellt.
Das, was sich sozial-liberale Koalition nennt, han-
delt auf dem Gebiet der Familienpolitik nicht sozial Familienpolitik, die mit den Eltern und durch die
noch schützt sie in ausreichendem Maße die Entfal Eltern dem Wohle des einzelnen Kindes dient, kann
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4137
Köster
sich jedoch nicht damit begnügen, nur dort zu sagt die Bundesregierung: Das Kindergeld wird auf-
helfen, wo mehrere Kinder in einer Familie auf- gebessert!
wachsen. Die CDU/CSU-Fraktion hat daher in einem (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)
weiteren Gesetzentwurf auf Drucksache VI/903 zwei Für Familien mit drei und mehr Kindern ersetzt
entscheidende Schritte auf die Besserstellung der die Bundesregierung — angeboten werden im gan-
Familien mit zwei Kindern zu getan. Wir haben zen 10 DM monatlich mehr für alle Kinder zusam-
erstens verlangt, den Familienbeitrag für das zweite men — nicht einmal den Kaufkraftverlust beim
Kind, der seit 1961 nicht mehr erhöht wurde, um Normbedarf für drei Kinder im ersten Regierungs-
10 DM zu erhöhen, und haben weiter verlangt, daß jahr.
alle Familien einen Familienbeitrag für das zweite (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)
Kind erhalten unabhängig vom Einkommen oder,
wenn man es so sehen will, unabhängig vom dritten Da hilft auch der Hinweis auf das Ausbildungsförde-
Kind. rungsgesetz der Großen Koalition nicht weiter. Den
Familien mit mehreren Kindern ist der Atem schon
Sind diese Erhöhungen, die die CDU/CSU-Frak- längst ausgegangen, ehe ihre Kinder mit dem
tion vorgeschlagen hat, von der Sachlage her unan- 16. Lebensjahr den Anschluß an die Ausbildungs-
gemessen? Nein. Der Kaufkraftverlust des Norm- förderung finden. — Bitte.
bedarfs für ein Kind seit März 1969 verschlingt fast
zwei Drittel einer Erhöhung des Kindergeldes um
Vizepräsident Dr. Jaeger: Zu einer Zwischen-
10 DM für jedes Kind. Wir nehmen den Normbedarf
frage der Abgeordnete Fellermaier.
mit monatlich 150 DM dabei sicher nicht zu hoch
an. Infolge des Kaufkraftverlustes von 1964 bis
1969 bleiben dann gut 3 DM, ein Ausgleich, der Fellermaier (SPD) : Herr Kollege, Sie sprechen
sicher weit hinter den echten Erfordernissen zurück- immer vom Kaufkraftverlust im Regierungsjahr
bleibt. Brandt/Scheel. Wären Sie bereit, unter Berücksichti-
gung der Tatsache, daß die Kindergeldleistungen,
Wenn die Bundesregierung ihren Gesetzentwurf wie Sie selbst sagen, seit 1961 nicht angehoben wor-
als Erfüllung des Auftrags des Bundestages vom den sind, dem Hohen Hause mitzuteilen, wie der
März 1969 betrachten will, meine Damen und Her- Kaufkraftverlust von 1961 bis 1970 insgesamt war?
ren, ist das Ansinnen, das Kindergeld mit einem
Familienbeitrag von nur 10 DM insgesamt für eine (Sehr richtig! bei der SPD.)
Familie mit vier, fünf oder mehr Kindern an die
wirtschaftliche Entwicklung seit 1964 anzupassen, Köster (CDU/CSU) : Darüber bin ich im Augen-
fast reaktionär. Eine Bundesregierung, die einen blick mit exakten Zahlen, also mit Zahlen nach dem
) solchen Vorschlag macht, ist nicht kinderfreundlich, Komma, nicht versehen.
und fröhliche Kinder auf den Propagandaschriften
des Presse- und Informationsamtes — aber das ist (Abg. Liehr: Sagen Sie doch die Zahl vor
dem Komma! — Weitere Zurufe von der
nur die Rückseite, die Kehrseite der Medaille dieser
SPD.)
Regierung — passen nicht in die Landschaft.
— Im Durchschnitt waren es in diesen Jahren 2%.
(Zurufe von der SPD.)
(Lachen bei der SPD.)
Ich weiß nicht, wie genau es die Bundesregierung
in ihren Informationen mit der Wahrheit nimmt. — Im Durchschnitt der Jahre. Ich lasse mich aber in
Unter dem Titel „Mehr Gerechtigkeit" steht der diesem Punkt gern belehren. Ich muß mich in diesen
Satz: „Das Kindergeld wurde aufgebessert". Das ist Angelegenheiten auf die Wirtschaftspolitiker unse-
in dem Augenblick, wo diese Propaganda politisch rer Fraktion verlassen können
wirksam wurde, an der Wahrheit vorbei. (Lachen bei der SPD — Zurufe von der
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von CDU/CSU)
der SPD.) und tue es auch.

Aber auch wenn dieses ungenügende Gesetz, das


wir heute in zweiter Lesung beraten, Wirklichkeit Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeord-
neter Köster, gestatten Sie eine Zwischenfrage der
werden sollte, ist dieser Satz falsch. Das erste Jahr
Frau Abgeordneten Eilers? — Bitte.
der Regierung Brandt/Scheel schließt für alle Fa-
milien mit Kindern mit einem Minus des realen
Wertes des Kindergeldes ab. Frau Eilers (SPD) : Herr Kollege Köster, ist Ihnen
bekannt, daß im Jahre 1966, in den letzten Monaten
Ich will das begründen. In allen Familien bekom-
der Regierung Erhard, die Preissteigerungen — und
men die zweiten Kinder immer noch dasselbe Kin-
damit der Kaufkraftverlust — um 4,5 % gefallen
dergeld wie im Jahre 1961, nämlich 25 DM monat-
sind — —
lich.
(Abg. Liehr: Fragen Sie doch mal Herrn (Lachen und Zurufe von der CDU/CSU)
Wuermeling!) Preissteigerungen von 4,5 % zu verzeichnen gewe-
Darunter sind auch die Familien, die weniger als . sen sind. — Also hören Sie mal, Herr Kollege Bur-
650 DM monatlich verdienen. Auch diese Familien ger, so einfach können Sie sich es ja nun nicht
an der Grenze des Existenzminimums bekommen machen ; ich habe auch bei Ihnen schon manchen
seit 1961 25 DM für ihr zweites Kind. Und dann Versprecher gehört.
4138 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Frau Eilers
Aber, Herr Köster, haben Sie damals, nachdem gabe und die Erhöhung des Arbeitnehmerfreibetra-
fünf Jahre nichts für die Familienpolitik getan wor- ges für die Verbesserung der wirtschaftlichen Situa-
den war, Anträge gestellt, um Ihre Regierung auf- tion der Familie zu verwenden. Diese Mittel sind in
zufordern, etwas für die Familien zu tun, die dort den Etatansätzen des Jahres 1971 verschwunden,
schwere Einbußen erleiden mußten? ohne daß sie den Familien die versprochene Hilfe
und Verbesserung ihrer Situation gebracht haben.
Köster (CDU/CSU) : Diese Anträge sind im März Der Haushalt 1971 ist vom Parlament noch nicht
1969 gestellt worden beraten worden, und eine Deckung für die in unse-
(Lachen und Zurufe von der SPD) rem Entwurf auf Drucksache VI/903 vorgesehenen
Ausgaben ist noch nicht in Sicht. Trotzdem hält die
zu einem Zeitpunkt, wo es deutlich wurde, daß man
CDU/CSU-Fraktion an ihrer Grundkonzeption fest.
mit kleinen Reformen nicht auskam, und wo man
eine große grundlegende Reform des Familien- (Abg. Dr. Schellenberg: An der Konzeption,
lastenausgleichs anstreben wollte. einerseits den Haushalt zu kürzen und an
dererseits Hunderte von Millionen Mark
(Abg. Liehr: Das fiel Ihnen aber auch erst
mehr an Ausgaben einzubringen!)
zur Bundestagswahl ein!)
Da für uns aber schon heute sichtbar ist, daß wir für
In diesem Punkt hat der Bundestag damals weiter-
eine Erhöhung des Kindergeldes auch für das vierte
hin beschlossen, eine Vorweganpassung vorzuneh-
Kind und die weiteren Kinder einen Ausgleich im
men, und darum geht es jetzt.
Etat 1970 und 1971 vorlegen können, beantragen
Ich könnte an dieser Stelle der Versuchung er- wir, dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/
liegen, den Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion CSU auf Umdruck 76 zuzustimmen.
über die Verbesserung des Familienlastenausgleichs
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von
auch noch mit bevölkerungspolitischen Argumenten
der SPD.)
zu untermauern. Das ist aber nach meiner Meinung
kein spezielles Anliegen der Familienpolitik. Was
ich heute zu vertreten habe, ist der Anspruch der Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat Frau
Kinder auf ihre Lebenschance, unabhängig von der Abgeordnete Eilers.
-
Geschwisterzahl. Denn kein Elternpaar und auch
sonst niemand sollte hier in der Bundesrepublik für
Frau Eilers (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
die Bereitschaft benachteiligt oder getadelt werden,
und Herren! Wir haben hier soeben von Frau Stom-
Verantwortung für die Erziehung von Kindern zu
mel einen Bericht gehört, der weit über das übliche
) übernehmen.
Maß einer Berichterstattung hinausging.

Vizepräsident Dr. Jaeger: Herr Abgeordneter (Beifall bei der SPD.)


Köster, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Abge- Es wurden aus einer verletzten Haltung heraus,
ordneten Schulte? in diesem Hause nicht mehr diejenigen zu sein,
(Abg. Liehr: So ist es!)
Köster (CDU/CSU) : Bitte schön!
die die Entscheidungen in den Ausschüssen über
viele Jahre getroffen haben, in einem Ausschußbe-
Schulte (Unna) (SPD) : Herr Kollege, wollen Sie
richt Dinge auf den Tisch gelegt, die einfach nicht
uns hier im Hause zu Ausgaben animieren, ohne uns
unwidersprochen bleiben können.
zu sagen, wo das dazu erforderliche Geld ist?
Unser Wollen in diesem Ausschuß ist nicht nur
Köster (CDU/CSU) : Sie haben mich nur unter- in der ersten Lesung der Kindergeldgesetzgebung
brochen. Wir haben noch einige Seiten darüber zu zum Ausdruck gekommen. Ich will nicht die jahre-
sprechen. langen Diskussionen zurückverfolgen, sondern
möchte hier nur an die Mai- oder Juni-Diskussion
(Abg. Wehner: Einige Seiten? Ach Gott! — erinnern, weil es im Ausschuß eine Grundsatz-
Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Vorzulesen! — diskussion über die Kindergeldgesetzgebung in
Lachen bei der SPD.) dieser Phase war. Ich möchte ferner daran erinnern,
— Nein. daß die Atmosphäre erfreulich gut war, weil die
Der Freiheitsraum dieser Entscheidung ist in einer CDU erstmalig bereit war, anzuerkenen, daß
freien Gesellschaft mit unserem Lebensstandard un- auch die Kleinfamilie, die junge Familie ein Recht
antastbar. Die Finanzierung unseres Gesetzentwurfs darauf hat, daß die familienpolitischen Leistungen
Drucksache VI/903 vom 4. Juni ist von der CDU/CSU- für sie endlich angehoben werden.
Fraktion nicht ohne Debatte angenommen worden. (Zuruf der Abg. Frau Stommel.)
Aber darin hat sich die sozial ausgleichende Kraft,
die in unserer Fraktion steckt, erwiesen. Sowohl die Es ist das erste Mal gewesen, daß die CDU das in
Arbeitnehmer als auch die Angehörigen der Schich- einer Ausschußsitzung, und zwar erfreulicherweise
ten, die die Ergänzungsabgabe zu zahlen haben, sind durch Herrn Kollegen Köster, zugegeben hat.
sich einig geworden. Mit überwältigender Mehrheit Ich möchte damit nur klarstellen, daß im Ausschuß
sind wir übereingekommen, die von der Bundes- dort, wo Zeit und Ruhe dafür gegeben waren, Sach-
regierung im Steueranpassungsgesetz 1970 ausge- diskussionen in ausreichender Weise geführt wor-
wiesenen Mittel für den Fortfall der Ergänzungsab den sind, daß aber dort, wo es um Entscheidungen
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4139

Frau Eilers
ging, nämlich darum, den Familien noch rückwirkend Burger (CDU/CSU) : Frau Kollegin, erinnern Sie
ab September die Leistungen zukommen zu lassen, sich daran, daß wir im Ausschuß über drei An-
die Dinge wirklich über die Hürden mußten. träge abgestimmt haben? Zunächst ging es um un-
sere Vorlage. Danach haben wir den Antrag ge-
Herr Köster hat seine Rede mit dem Satz ange- stellt, daß über die Regierungsvorlage hinaus für
fangen: „Es ist ein Trauerspiel." Ich möchte dazu alle weiteren Kinder 10 DM mehr gegeben werden
folgendes sagen. Für mich ist es ein Trauerspiel zu sollen, und schließlich haben wir beantragt, daß
sehen, wie ziellos die CDU die Anhebung der Kin- lediglich für das vierte Kind 10 DM gegeben werden
dergeldleistungen betrieben hat. Es gab zunächst sollen. Wir haben also drei Anträge gestellt.
den Antrag im vorigen November, der vom dritten
Kind an für jedes Kind eine Anhebung von 10 DM
forderte. Dieser Antrag wurde in der letzten Aus- Frau Eilers (SPD) : Ich stimme Ihnen zu, aber die
schußsitzung im September — oder war es am Vorlage mit der Einbeziehung von viertem und
12. Oktober? zurückgezogen. fünftem Kind, die jetzt auf dem Tisch liegt, kann
ich nur verstehen mit Blick auf die Angriffe, die
(Zuruf der Abg. Frau Stommel.) ich z. B. gestern in einer Familienzeitung gelesen
habe, die Sie zu dieser Initiative gebracht haben,
— Zurückgezogen, Frau Kollegin.
nachdem man Ihnen vorgeworfen hatte, einen Rück-
(Abg. Burger: Nein, durch den zweiten er zieher gegenüber den eigenen Vorstellungen ge-
setzt! So kam das, Frau Kollegin!) macht zu haben.

— Durch den zweiten ersetzt, aber formell und offi- Ich glaube also, daß es nicht redlich ist, wenn die
ziell zurückgezogen. CDU/CSU hier einen Antrag auf den Tisch legt, der
für das jetzt laufende Jahr ungefähr 60 Millionen
(Abg. Burger: Das ist eine schwierige Sache!) DM zusätzliche Kosten und für das nächste Jahr
180 Millionen DM Kosten bedeuten würde, ohne
— Ich habe es so aus dem Protokoll herausgelesen.
dafür irgendwelche Deckungsvorschläge vorzulegen.
Der zweite Entwurf, der von Ihnen angeboten wur-
Man muß sich ja eigentlich fast komisch vorkom-
de, sah die Einbeziehung der Zweitkinder in die
men, Ihnen immer wieder die gleichen Fragen zu
Kindergeldgesetzgebung ohne Einkommensgrenze -
stellen, die immer wieder nicht beantwortet wer-
vor, eine Forderung, der wir natürlich am liebsten
zustimmen würden. Aber Sie wissen ganz genau, den. Ich höre immer wieder die Herren Müller-
daß wir uns gegenseitig an verbalen Erklärungen Hermann und Stoltenberg, die darauf hinweisen,
zur Familienpolitik nicht übertreffen müssen. Sie dieser Haushalt müsse konjunkturgerecht ausge-
wissen ganz genau, daß dieses Hohe Haus — die richtet werden, die Zahlen müßten gehalten werden.
eine wie die andere politische Partei — daran inter- Ich höre die Forderung nach inneren Reformen, die
essiert ist, die Familien so auszurüsten, daß sie Ihnen angeblich nicht schnell genug vonstatten ge-
wirklich in der Lage sind, den Anforderungen die- hen. Aber ich stelle immer wieder fest, daß für
ser Gesellschaft standzuhalten. Anträge, die von Ihnen gestellt werden, nicht gleich-
zeitig Deckungsvorschläge vorgelegt werden.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD.)
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Und wir können es auf längere Sicht nicht ertra- Ich möchte ganz kurz etwas zu den Punkten sagen,
gen, daß ausgerechnet — — die Frau Stommel aufgegriffen hat, indem sie dar-
(Zuruf des Abg. Franke [Osnabrück].) auf hinwies, daß es für unser Volk eine Frage nicht
nur der Familienpolitik sei, die Familie zu stützen,
— Darauf komme ich gleich zu sprechen. Warten um sie in ihrem Volumen zu erhalten. So darf ich es
Sie bitte ab, Herr Kollege. — Wir können uns hier doch wahrscheinlich ausdrücken. Da muß ich Ihnen,
nicht gegenseitig vorhalten, wer die bessere Fa- Frau Kollegin Stommel, folgendes sagen, und zwar
milienpolitik betreibt und wer die schlechtere. Ich mit den Worten Ihres sozialpolitischen Referenten,
glaube vielmehr, es kommt wirklich darauf an, ge- Herrn Hüttche, der sich in den „Gesellschaftspoliti-
rade den Familien mit Kindern nicht zu sehr einen schen Kommentaren" so äußert: „Erfahrungen in an-
Konsumverzicht zuzumuten. deren Ländern beweisen zwar, daß es nicht möglich
ist, mit materiellen Familienförderungsmaßnahmen
Nun kommt Ihr Antrag für das vierte und fünfte die Geburtenzahlen erheblich zu erhöhen. Aber
Kind, nachdem im Ausschuß nur vom vierten Kind sicher kann man davon ausgehen, daß ein auf Dauer
die Rede war. Ich vermute, das hängt damit zu- ausreichender Familienlastenausgleich den Entschluß
sammen, — vieler Ehepaare, mehr Kinder zu haben, fördern
(Zuruf des Abg. Burger.) kann, wenn der Wunsch nach mehr Kindern an sich
— Doch, Herr Kollege Burger, Sie haben den Antrag vorhanden ist, aber aus materiellen Gründen nicht
für das vierte Kind im Ausschuß gestellt. Der An- verwirklicht werden kann." — Das eine würde dem
trag, der hier vorliegt, sieht die Einbeziehung von anderen also durchaus nicht entgegenstehen. Aber
viertem und fünftem Kind in die Förderungsmaß- er sagt auch ganz deutlich, daß die materielle Förde-
nahmen vor. rung es alleine nicht tut. Ich glaube auch, daß die
Haltung unserer Gesellschaft zum Kind, die hier
(Abg. Burger meldet sich zu einer Zwischen in der Diskussion schon oft eine Rolle gespielt hat,
frage.) neben der materiellen Ausstattung mit dazu beitra-
— Bitte sehr! gen wird, für unsere Familien mehr tun zu können.
4140 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Frau Eilers
Ich möchte Ihnen noch eines sagen. Herr Köster auf dem Weg zum Arbeitsplatz. Oder ich denke an
hat soeben mit sehr hochtönenden Worten einige manche anderen Dinge, die anzusprechen hier die
Thesen vorgebracht, die nicht von ihm — er ist Zeit fehlt. Ich kann Ihnen nur sagen, es genügt nicht,
nicht in diesem Hause gewesen —, aber von Ihrer sich mit Worten für familienpolitische Maßnahmen
Fraktion klugerweise schon drei, vier oder fünf einzusetzen. Es ist auch nicht nur eine schmale
Jahre früher hätten beherzigt werden sollen. Mir Sparte zu sehen, die da heißt „Kindergeldgesetz-
wurde soeben von einer Kollegin zugerufen: „Sie gebung", sondern ich glaube, daß viel mehr dazu
haben ja mit uns in der Großen Koalition gesessen, gehört.
in der seit 1961 nichts getan worden ist. Warum Es ist sehr interessant — wenn ich mir diesen
haben Sie denn nicht 1967 dafür gesorgt, daß etwas Schlenker abschließend erlauben darf —, daß Sie
getan wird?" Ich muß Ihnen sagen: Sie alle wissen, manche Gebiete der Politik heute erst für sich ent-
unter welchen Zwängen das Haus hier gestanden decken, die Sie eigentlich von Ihrem Sachverstand
hat, um erst einmal die verfehlte Wirtschaftspolitik her, der in dieser Fraktion vorhanden sein muß, viel
wieder in Ordnung zu bringen. eher gesehen haben müßten.
(Beifall bei der SPD.) (Beifall bei der SPD.)
Darunter haben die Familien erheblich mit leiden Ich möchte Ihnen zwei Beispiele sagen. Sie haben
müssen. Neben anderem. Unter anderem ist es ja einen Psychiater Ihrer Fraktion in diesem Hohen
bis dahin auch so gewesen, — — Haus sitzen, der nach 13 Jahren Anwesenheit in
(Zuruf von der CDU/CSU: Wie groß muß diesem Haus erstmals eine Debatte über die Psy
der Zwang jetzt sein? — Weitere Zurufe chiatrie in der Bundesrepublik entfacht. Sie haben
von der Mitte.) Pädagogen in Ihren Reihen sitzen, und zum ersten
— Ich möchte Ihnen nur sagen: es ist ja so, daß wir mal seit 21 Jahren CDU-Politik erleben wir, daß
eine Anfrage zur Situation der Erziehungsberatungs
Sozialdemokraten den Familienminister seit einem
Jahr stellen. Ich erinnere mich noch an die Zeit, als stellen gestellt wird und gefragt wird, wieweit sie
Herr Wuermeling dieses Ministerium verließ. Seine aus diesem Haus heraus gefördert werden können.
wörtlichen Ausführungen im Ausschuß hießen: „Aus (Zustimmung bei der SPD.)
-
den Zwängen des Kabinetts entlassen, hoffe ich, Ich möchte Ihnen sagen, wenn Sie den Sachverstand,
heute mehr für die Familien tun zu können." Im den Sie haben, angesetzt hätten, um den Familien zu
Kabinett hat er es nicht geschafft, aber er hat es helfen, hätten Sie in uns immer engagierte und
auch im Plenum seiner Fraktion nicht geschafft, den unterstützende Kollegen gefunden.
Dingen so Nachdruck zu verleihen, wie es ihm am
Herzen gelegen hatte. (Beifall bei der SPD.)
(Beifall bei der SPD. — Zuruf von der SPD:
Genau so war es!) Vizepräsident , Dr. Jaeger: Das Wort hat die
Frau Bundesminister für Familie, Ju g end und
Ich möchte daraus nur folgern: Familienpolitik
Gesundheit.
betreiben bedeutet natürlich, die Familien materiell
in den Stand zu setzen, sich helfen zu können, ohne
daß das Niveau im materiellen Bereich absinkt oder Frau Strobel, Bundesminister für Jugend, Fa-
daß der Konsumverzicht, der sich gerade bei den milie und Gesundheit: Herr Präsident! Sehr geehrte
Frauen erheblich niederschlägt, zu groß wird. Hier Damen und Herren! Ich möchte mich zu dem Gesamt-
sind wir durchaus einer Meinung. Wie sollten wir es problem „Kindergeldregelung" in der dritten Lesung
auch nicht sein! äußern und jetzt nur Sie alle bitten, den Änderungs-
antrag der CDU/CSU abzulehnen, weil die Erhö-
Die andere Frage ist aber die folgende. Sie kön- hung, die von ihr hier angestrebt wird, im Haus-
nen es sich nicht so einfach machen und sagen: „Was halt 1970 60 Millionen DM und im Haushalt 1971
hat denn die Sozialdemokratische Partei bis jetzt 180 Millionen DM mehr erfordern würde, für die es
getan, um den Familien in ihrer Situation zu hel- im Haushalt des Bundesministers für Jugend, Fa-
fen?" Wenn wir vielleicht auch nicht so eifrig wie milie und Gesundheit keine Deckung gibt. Ich muß
Sie die Frage der Anhebung der Kindergeldsätze darauf aufmerksam machen, daß alle Haushalts-
betrieben haben, haben wir uns aber in weit grö- ansätze im Haushalt dieses Ministeriums so knapp
ßerem Maße als Sie, darf ich sagen, bemüht z. B. um bemessen sind, daß es völlig ausgeschlossen ist, da
die Ausbildungsförderungsgesetzgebung. Wenn Sie irgendwelche Abstriche zu machen. Die CDU/CSU
mitgemacht hätten, hätten wir schon 1962/1963 eine hat es ja auch ganz bewußt vermieden, irgendwelche
Gesetzgebung haben können, die wir in der ersten Deckungsvorschläge zu machen.
Phase 1969 verwirklichen konnten.
(Zustimmung bei der SPD.)
(Zustimmung bei der SPD.)
Ich bitte also darum, diesen Antrag abzulehnen. Ich
Ich denke daran, daß Sie eine Debatte um die werde mich als Minister zu der Gesamtfrage noch in
Situation der Kinder in der Bundesrepublik geführt der dritten Lesung äußern.
haben. Der einzige Effekt, der dabei herausgekom-
(Beifall bei der SPD.)
men ist, ist der, daß wir heute ein Gesetz über die
Unfallversicherung für Schüler und Studenten bera-
ten werden, ein Antrag, der von der SPD ein- Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat Herr
gebracht wurde, der sogar die Eltern mit einbezieht, Abgeordneter Krall.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4141

Krall (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen und Betrachtungsweise feststellen müssen, daß sich die
Herren! Bei der Diskussion des Kindergeldrechts reale Einkommenssituation insgesamt nicht ver-
wird häufig vergessen, daß die Kindergeldleistung schlechtert, sondern tendenziell verbessert hat. Das
nur einen Teil der Familienpolitik bzw. des Fami- sind Realitäten, und die gehen nicht an der Wahr-
lienlastenausgleichs darstellt, allerdings einen we- heit vorbei.
sentlichen, entscheidenden Teil. Diese Erkenntnis Die Regierungskoalition hat sich ferner vorge-
hat die Regierung veanlaßt, Verbesserungen der nommen, die Abhängigkeit der Chancengleichheit
Kindergeldleistungen für 1970 und 1971 in Höhe vom Einkommen, dem Vermögen und der Kinder-
von ca. 140 Millionen DM bzw. 420 Millionen DM zahl der jeweiligen Familie dadurch auszugleichen,
vorzunehmen, obwohl — und das möchte ich hier daß in Teilbereichen wie z. B. Ausbildungsförderung
in aller Deutlichkeit sagen — die ursprüngliche und Wohngeld individuelle Förderungsmaßnahmen
mittelfristige Finanzplanung, für die der ehemalige geschaffen und verbessert werden. Gerade auf die-
CSU-Finanzminister Strauß wie der ehemalige CDU- sen Gebieten entstehen heute durch die entspre-
Familienminister Heck mitverantwortlich waren, chenden Ausbildungsgänge bzw. einen größeren
(Abg. Wehner: Sehr wahr!) Wohnbedarf bei Familienzuwachs Kostenschübe, die
zahlreichen Familien auch in der Vergangenheit
für diese Jahre keinerlei Ansätze im Hinblick auf
nicht ermöglicht haben, ihren Kindern die Ausbil-
Verbesserungen enthielt.
dung zu gewähren, die sie auf Grund ihrer Anlage
(Beifall bei den Regierungsparteien.) und Fähigkeiten hätten absolvieren können.
Über diesen Tatbestand können auch zwei weit (Sehr richtig! bei der FDP.)
höhere Anträge der Opposition nicht hinwegtäu-
Diese Förderungsformen gewährleisten neben den
schen.
Mitteln, die als Zuschuß zu ,den allgemeinen Le-
(Abg. Liehr: Sehr richtig!)
benshaltungskosten gewährt werden, eine optimale
Wir Freien Demokraten haben keinen Zweifel Wirkung. Auf diese Weise erfolgt der Einsatz ge-
daran gelassen, daß wir in der Erhöhung der Ein- zielt dort, wo das elterliche Einkommen oder Ver-
kommensgrenze von jährlich 7 200 DM auf 13 200 mögen einen ausreichenden Beitrag für die Finan-
DM, d. h. von monatlich 600 auf monatlich 1 100 DM, zierung der Ausbildung nicht erlaubt.
für den Bezug von Zweitkindergeld und in der Er-
Daß diese Koalition bereit ist, unter Berücksich-
höhung von monatlich 50 auf monatlich 60 DM für
tigung der Einkommenssituation menschenwürdige
das dritte Kind keine langfristige oder endgültige
Wohnverhältnisse zu ermöglichen, zeigt sich in den
Regelung sehen, sondern daß es sich hier um eine
Änderungen und Ergänzungen des Wohngeldge-
Übergangslösung bis zur Kindergeldreform in Ver-
setzes, die heute hier zur Entscheidung stehen. Auch
bindung mit der Steuerreform handelt.
dieses Gesetz ist Bestandteil der Familienpolitik
Die Bundesregierung hat in ihrem Entwurf die dieser Regierung und Koalition.
vorgesehenen Verbesserungen mit den fehlenden
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Änderungen in der Vergangenheit und dem Rück-
gang des Realwertes auf Grund der Preissteigerun- Sicherlich, meine sehr verehrten Damen und Her-
gen begründet. Die CDU-Opposition bezeichnet die ren, handelt es sich bei dem vorliegenden Gesetz-
Anhebung als unzulänglich. Sie vergißt dabei, daß entwurf der Bundesregierung nicht in jedem Punkt
in der Zeit ihrer Regierungsverantwortung die um das Wünschenswerte, wohl aber um das der-
Preissteigerungen für die allgemeinen Lebenskosten zeit Mögliche. Das hat auch die Frau Minister hier
gegenüber vergleichbaren Zeitpunkten des Vorjah- sehr deutlich gesagt. Wir Freien Demokraten wer-
res auf über 3 '°/o, regional sogar 3,4 ' 0/o angestiegen den daher der Regierungsvorlage zustimmen und
waren, ohne daß den Familien auch nur ein Pfennig die Änderungsanträge der CDU/CSU-Fraktion ab-
zusätzlich in Aussicht gestellt worden wäre. Im Ge- lehnen.
genteil, die CDU/CSU hat auf Grund ihrer Mehr- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
heit in der damaligen Koalition
(Abg. Niegel: Und die FDP!) Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
Abgeordnete Dasch.
ihren Partner an stabilisierenden Maßnahmen nicht
zuletzt zum Schaden der Familien gehindert. Das Dasch (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Damen
muß hier zur Klarheit einmal sehr deutlich gesagt und Herren! Der Herr Kollege Krall hat eben von der
werden. Ihr damaliger Bundeskanzler Kiesinger hat früheren mittelfristigen Finanzplanung gesprochen.
sogar im August des vergangenen Jahres noch so Herr Kolleg Krall, ich glaube, Sie dürften allmählich
getan, als gäbe es keine Preissteigerungen und als
Ihre Argumentation berichtigen, denn inzwischen
seien die Tendenzen der Preisentwicklung nach
haben sich drei wesentliche Dinge verändert. Erstens
unten gerichtet.
gab es höhere Steuereinnahmen des Bundes, als
Von der Opposition wird ferner so getan, als sei in der mittelfristigen Finanzplanung vorausgeschätzt
ein entsprechender Kaufkraftschwund bei konstan- waren, zweitens allgemein nominell höhere Löhne
tem Einkommen und bei einem konstanten Zins- und Gehälter und auch Gewinne. Auch sprechen Sie
niveau erst seit wenigen Monaten zu registrieren. immer davon, daß sich der Wohlstand im letzten
Wer einmal die Einkommenssteigerung und die Er- Jahr ebenfalls gehoben hat. Sie müssen, um , der
höhung der Zinsraten mit der Situation vor einem Wahrheit die Ehre zu geben, auch sagen, daß in
oder zwei Jahren vergleicht, wird bei nüchterner der nächsten mittelfristigen Finanzplanung nur Ihre
4142 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Dasch
Miniverbesserungen bis 1974 vorgesehen sind und Gesundheit geherrscht hat. Frau Eilers, Sie haben
damit die Familien auf einem unteren Wohlstands- den ersten Teil dieser Debatte erzählt, aber den
niveau festgeschrieben werden, das sich, je mehr zweiten leider nicht wiedergegeben; denn wir haben
bei anderen die Verdienste nominell steigen, desto Sie vor harten Argumenten absolut verschont, weil
stärker für die Familien mit mehr Kindern ver- wir glaubten, daß es überhaupt nicht denkbar ist, daß
schlechtert. Sie selbst mit diesen Mini-Verbesserungen zufrie-
(Beifall bei der CDU/CSU.) den sind, und weil wir hofften, daß Sie in der Frak-
tion mit der Frau Minister wesentliche Verbesserun-
Frau Minister Strobel, wenn Sie es sich vorher
gen durchsetzen könnten. Aber Sie haben diese
so einfach gemacht haben, daß Sie sagten, in Ihrem
Verbesserungen — —
Haushalt seien keine Deckungsmittel vorhanden
und Sie brauchten in diesem Jahre 60 Millionen und (Abg. Geiger: Unerträglich! — Weitere Zu
im nächsten Jahre 180 Millionen DM, dann darf ich rufe von der SPD.)
Sie doch fragen: Wo waren Sie bei der Beratung — Selbstverständlich, unerträglich! Natürlich ist es
des Haushaltes für 1971, bei der Beratung der nach Ihrer Meinung unerträglich, wenn wir hier un-
mittelfristigen Finanzplanung? Sind Sie denn nicht sere Meinung sagen. Wenn Sie Ihre Meinung sagen,
die starke Frau für soziale Reformen, für die Sie wenn Sie uns niederstimmen, dann ist es immer sehr
sich nach außen im Lande ausgeben? Im Kabinett erträglich, dann ist das immer mehr Demokratie.
können Sie sich im Interesse der Familien offenbar Selbstverständlich!
nicht durchsetzen.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich sage
Entweder konnten Sie sich nicht durchsetzen oder es deswegen so deutlich, weil ich die Problematik
Sie haben nicht den Willen dazu. Ich habe den Ver- der Familie auch aus einer eigenen Familie mit neun
dacht, daß Sie meinen, man könne auf Grund der Kindern kenne und weil sich die meisten der ande-
Tatsache, daß man frühere Wertbegriffe oder Aus- ren Familien hier nicht wehren können.
sagen ablehnt und die Familie gesellschaftspolitisch
einfach anders einordnet, das ganze Problem lösen. Ein kleiner sachlicher Hinweis. Innerhalb des
-
Wir müssen auch sehr deutlich aussprechen, es gibt letzten Jahres, seit Antritt der Regierung Brandt/
nicht nur eine sachliche, sondern es gibt auch eine Scheel, ist für jede Familie bei einer Mini-Rechnung
gesellschaftspolitische Verunsicherung der Familien, von 150 DM Kosten je Kind und Monat eine Ver-
so daß sie sich fragen: Ist es überhaupt noch sinn- schlechterung von 6 DM eingetreten. Man braucht,
voll, Kinder in diese Welt zu setzen, sie mit einem um wenigstens den Wohlstand vom vorigen Jahr
Risiko aufzuziehen, das nicht nur materieller Art ist, zu halten, um 6 DM mehr. Wenn mit den 10 DM,
sondern bei dem man befürchten muß, daß es in der die Sie anbieten, bei der Dreikinderfamilie 18 DM
Zukunft für den einzelnen noch größer wird. Ich mehr gebraucht werden, so ist hier schon ein Minus
möchte hier sehr deutlich sagen, daß mit dem, was vorhanden, das, wenn Sie es bis zu einer Zehn
Sie vorschlagen, keine Aufholung der Mehrkosten, kinderfamilie hochrechnen, 50 DM allein in einem
auch nicht bei einer Familie mit drei oder mehr einzigen Monat ausmacht.
Kindern, möglich wird, ganz zu schweigen davon, Hier geht es nicht um Vergangenheitsbewältigung
daß das bei einer Familie mit fünf oder acht oder weit zurück, sondern darum, Sie auf das festzu-
zehn Kindern auch nur annähernd möglich wäre. nageln, was im letzten Jahr geschehen ist und was
Selbst wenn man den nominell gestiegenen Lohn Sie auf Grund einer schlechteren Politik, einer un-
des Verdieners hinzurechnet, kommt noch nicht soliden Politik den Familien an Schaden zufügen,
mehr heraus. wobei Sie nicht einsehen wollen, daß Sie auch ver-
pflichtet sind, diesen Schaden den Familien zu er-
Frau Minister, Ihnen ist sicher auch bekannt, daß
setzen, weil sie sonst am Wohlstand nicht teilneh-
bei Familien mit mehreren Kindern die Frau nicht
mern können.
berufstätig sein kann, sondern daß sie zu Hause bei
(Beifall bei der CDU/CSU.)
den Kindern zu sein hat, weil die Familie sonst
nicht zurechtkommt. Ich meine, wenn Sie vor ein Frau Minister Strobel, Sie müssen Ihre Zahlen
paar Tagen im ganzen Land in Millionenauflage verbessern. Diese Bemerkung darf ich mir hier noch
Ihren Slogan „Mehr Gerechtigkeit" von der Wahl gestatten. Sie haben bei der letzten Rede hier er-
1969 wiederholt haben und wenn Sie hier diese be- erklärt, daß noch 1975 ein Geburtenüberschuß von
scheidene Verbesserung bei Zwei- und Dreikinder- 100 000 vorhanden sein werde, auch wenn die Ge-
familien als mehr Gerechtigkeit ausgeben, dann burtenrate noch weiter absinke. Sie sind weitgehend
möchte ich Ihnen sagen: Das ist keine soziale Politik, im Irrtum. Die Zahl tritt bereits 1971 ein, wenn sich
sondern sozialistische Politik, wo man letzten Endes wie 1970 und in den vorausgehenden Jahren die
nur gewillt ist, ein paar — — Kinderzahl in der Bundesrepublik verringert.
(Zurufe von der SPD.) Sicher, das hat nicht nur materielle, sondern vor
allen Dingen auch ideelle Ursachen. Aber sie sollen
— Meine Damen und Herren, es ist ja Ihre Sache, erkannt werden. Ich meine, was dieser Deutsche
sich darüber zu ärgern. Bundestag und die Bundesregierung mit materiellen
Vorhin hat Frau Kollegin Eilers über die erfreu- Mitteln tun können, um die Situation der Familien
lich gute Atmopshäre gesprochen, die bei der Juni zu verbessern, das muß getan werden, damit nicht
Sitzung des Ausschusses für Jugend, Familie und im Volk der berechtigte Vorwurf entsteht, daß wir
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4143
Dasch
nicht einmal in der Lage waren, die materiellen Vor- eines richtigstellen, denn der Herr Kollege Köster
aussetzungen für eine gute Familie in der gegen- versuchte vorhin schon, etwas anders darzustellen,
wärtigen Zeit zu schaffen. als die Tatsachen wirklich waren. Meine Damen
(Beifall bei der CDU/CSU.) und Herren, es gibt erfreulicherweise den Beschluß
des Deutschen Bundestages vom 28. März 1969, in
dem die Bundesregierung — insoweit stimme ich
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und mit Ihnen völlig überein — aufgefordert wird, ent-
Herren, bevor ich in der Rednerliste fortfahre, habe sprechende Mittel in die mittelfristige Finanzpla-
ich hier eine angenehme Pflicht zu erfüllen. Ich be- nung einzusetzen. Herr Kollege Dasch, wer aber war
ehre mich, eine Delegation der koreanischen Natio- es denn, der das nicht getan hat, der diesem Auf-
nalversammlung unter Leitung ihres Vizepräsiden- trag nicht gefolgt ist? Das war doch der zur damali-
ten Chang zu begrüßen. gen Zeit zuständige Finanzminister. Es war der
(Beifall.) Finanzminister Ihrer Fraktion und Ihrer Landes-
gruppe.
Die Herren Kollegen aus Korea erwidern den Be-
(Beifall bei den Regierungsparteien. —
such einer Delegation des Deutschen Bundestages,
(Zuruf des Abg. Dasch.)
die im Mai 1969 vom Präsidenten der koreanischen
Nationalversammlung empfangen wurde. Ich darf So war doch die Situation. Wir mußten doch bei der
Ihnen einen guten Aufenthalt in Deutschland und ersten Lesung des ersten Antrages im Herbst vori-
viele persönliche und sachliche Kontakte wünschen. gen Jahres hier im Hause feststellen, daß für 1970
leider keinerlei Vorplanungsmittel vorhanden wa-
(Beifall.)
ren. Erst die neue Bundesregierung mußte über-
Wir fahren in der Rednerliste fort. Das Wort hat haupt Mittel aufschließen, um dieser Forderung des
der Abgeordnete Schmidt (Kempten). Bundestages gerecht zu werden. Das war doch die
Situation. Das muß einmal klargestellt werden. Daß
Schmidt (Kempten) (FDP) : Herr Präsident! Meine es möglich wurde, die Mittel, die für die Maßnah-
sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Kol- men der heute von uns zu verabschiedenden Vorlage
lege Dasch hat soeben — das veranlaßt mich, noch in der Ausschußfassung gebraucht werden, in die
einmal das Wort zu ergreifen — nach dem Motto Finanzplanung einzubauen, war zweifellos nicht- der
„schwarz-weißer geht es nicht" — vielleicht hängt Erfolg des Herrn Strauß, der keine Mittel ab 1972
das etwas mit Ihrem Namen zusammen, Herr Kol- wollte, sondern es war der Erfolg dieser Bundes-
lege Dasch — regierung und der sie tragenden Regierungsfrak-
tionen.
(Heiterkeit)
(Beifall bei der FDP.)
versucht, eine harte Auseinandersetzung über die
Familienpolitik zu beginnen. Er hat Behauptungen Daß es nun nicht möglich ist, über die 400 Mil-
lionen DM für 1971 hinauszugehen — wir mußten
aufgestellt, die nicht unwidersprochen bleiben kön-
ja überhaupt erst einmal diese 400 Millionen DM
nen. Herr Kollege Dasch, ich hätte es für glücklicher
haben — und noch anderen Anträgen Rechnung zu
gehalten, wenn Sie hier nicht mit Schlagworten wie
tragen
„Familie auf unterem Wohlstandsniveau festhal-
ten" (Abg. Dasch: Die gehen doch bis 1974!)
(Abg. Dasch: Das ist doch Ihre Politik!) — über die Frage, wie man den Familienlastenaus-
gleich weiter ausbaut, wird es ja noch einiges zu
oder mit solchen Argumentationen wie „sachliche
sagen geben; das wird in der dritten Lesung ge-
und gesellschaftspolitische Verunsicherung der Fa-
schehen —, liegt doch daran, daß der damals zu-
milien"
ständige Finanzminister dem Auftrag des Bundes-
(Abg. Katzer: Das ist ja leider wahr!)
tages nicht gefolgt ist, sondern die Sache auf 1972
gearbeitet hätten. Sie wissen aus den Beratungen — vertagt hat.
ich weiß es auch aus den Beratungen des Ausschus-
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
ses für Arbeit und Sozialordnung; das muß noch
einmal deutlich gemacht werden —, daß wir uns
sehr sachlich und vernünftig unter Berücksichtigung Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
der Möglichkeiten, die zur Zeit gegeben waren, Abgeordnete Baier.
über diese Fragen unterhalten haben. Es wäre für
die notwendige gemeinsame Familienpolitik im Baier (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Da-
Sinne des Beschlusses des Bundestages vom März men und Herren! Lassen Sie mich zu einigen Dingen
1969 sehr gut gewesen, noch das Wort nehmen. Ich glaube, daß den Fami-
(Zuruf des Abg. Dasch) lien sicherlich nicht damit geholfen wird, wenn hier
im Hause die einen den anderen etwa vorhalten,
wenn man den bayerischen Wahlkampf bei der
was getan wurde oder was nicht getan wurde. Meine
Debatte über die Familienpolitik jetzt nicht plötz
Damen und Herren, das ist sicherlich der schlech-
lich in den Deutschen Bundestag getragen hätte.
teste Dienst, den wir der Sache erweisen können.
(Beifall bei den Regierungsparteien. —
Frau Minister, ich möchte mich nun an Sie wen-
Abg. Dasch: Viel zu einfach!)
den. Sie haben hier in aller Kürze gesagt, der An-
Herr Kollege Dasch, das gibt mir aber Gelegenheit, trag der CDU/CSU solle abgelehnt werden, weil
noch einiges richtigzustellen. Ich möchte vor allem keine Deckung vorhanden sei. Ich bedauere, daß
4144 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Baier
diese Äußerung von Ihnen kam, denn ich hatte auf Vorwürfen darüber, was getan oder nicht getan
Grund Ihrer Äußerungen in der Öffentlichkeit an- wurde.
genommen, daß Sie jede Möglichkeit und jede Hilfe, (Zuruf des Abg. Dr. Schäfer [Tübingen].)
auch wenn sie von der Opposition kommt, wahr- — Sehr verehrter Herr Kollege Schäfer, gerade
nehmen würden, um auf dem Sektor, für den Sie wenn Sie der Meinung sind, daß in den letzten Jah-
politisch verantwortlich sind, etwas zu tun. ren zuwenig getan worden ist, wäre das ein beson-
derer und zusätzlicher Grund, jetzt unserem An-
Bezüglich der Deckungsfrage darf ich folgendes
trag zuzustimmen.
feststellen. Wir haben es uns in der CDU/CSU-
Fraktion mit unseren ausgabewirksamen Anträgen (Beifall bei der CDU/CSU. — Erneuter Zu
nie leichtgemacht, sondern wir haben uns bemüht, ruf des Abg. Dr. Schäfer [Tübingen.]
dafür auch Deckung zu suchen und vorzuschlagen.
Ich darf daran erinnern, daß wir für unseren Stufen- Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und
plan zur Verbesserung des Kindergeldes einen sehr Herren, zu diesem Tagesordnungspunkt liegen keine
konkreten Deckungsvorschlag gemacht haben. Wir Wortmeldungen mehr vor.
wollten nämlich die von der Regierung vorgesehe-
Wir kommen zur Abstimmung über den Ände-
nen Steuersenkungspläne zurückgestellt und den Be-
rungsantrag der Fraktion der CDU/CSU auf Um-
trag, der für den Bund bei Realisierung dieser
druck 76 Ziffer 1. Wer dem Antrag zuzustimmen
Pläne ausgefallen wäre, für Zwecke des Familien-
wünscht, bitte ich um ein Handzeichen. — Ich bitte
lastenausgleichs eingesetzt wissen, weil es uns aus
um die Gegenprobe. — Die Mehrheit ist von hier
Gründen der Priorität eben wichtiger und notwen-
aus nicht festzustellen. Ich muß auszählen lassen.
diger erschien, im Bereich der Familienpolitik end-
lich etwas zu tun, als Steuersenkungen vorzuneh- Meine Damen und Herren, ich eröffne die Ab-
men. Nun, die Bundesregierung hat zwar diese stimmung durch Auszählung über den Änderungs-
Steuersenkungspläne jetzt vom Tisch genommen, antrag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 76
aber die Steuereinnahmen sind nach wie vor zu ver- Ziffer 1. Danach soll in Art. 1 Nr. 6 des Gesetz-
zeichnen. Das ist für uns ein Grund, unseren Antrag entwurfs § 10 Abs. 1 eine neue Fassung erhalten.
aufrechtzuerhalten. Ich bitte diejenigen, die dem Änderungsantrag zu--
stimmen, durch die Ja-Tür, und diejenigen die ihn
Frau Minister, was das laufende Jahr betrifft, ablehnen, durch die Nein-Tür zu gehen, im übrigen
möchte ich aus Erfahrung auf folgendes hinweisen. Stimmenthaltung.
Wir haben in allen vergangenen Jahren festgestellt,
Meine Damen und Herren, ich gebe das Ergebnis
daß der Haushaltstitel „Bundeskindergeld" in Höhe
der Abstimmung durch Auszählung bekannt. An der
von 2,9 Milliarden DM großzügig geschätzt war und
Abstimmung haben sich 446 Abgeordnete beteiligt.
daß wir jeweils mit der Ist-Zahl etwa 100 Millionen
Mit Ja haben 192 Abgeordnete gestimmt, mit Nein
unter dem Haushaltssoll lagen. Ich meine aus vie-
254, keine Enthaltung; der Antrag ist abgelehnt.
lerlei Gründen, daß wir auch in diesem Jahr noch
genügend finanziellen Spielraum haben, um diese (Abg. Wehner: „Hauchdünn"! „Die Koali
Verbesserung, die wir vorgeschlagen haben, jetzt tion bröckelt"! — Abg. Dr. Schellenberg:
noch in Kraft setzen zu können. Das ist eine familienfreundliche Partei!!
Wo sind denn Ihre Abgeordneten?! —
(Zuruf des Abg. Ruf.) Weitere Zurufe von der SPD.)
Sie selbst haben auch schon festgestellt, daß Spiel- — Meine Damen und Herren, ich bitte doch um
raum vorhanden ist, und Sie haben diese Mittel teil- Ruhe, damit wir in der Beratung fortfahren können.
weise für andere, sicherlich wichtige, aber nicht die- Ich lasse nunmehr über den Art. 1 in der Aus-
sen unmittelbaren Zweck betreffende Dinge in Aus- schußfassung abstimmen. Er ist ja nicht verändert
sicht genommen. Eine Realisierung unserer Pläne worden. Wer dem Art. 1 zuzustimmen wünscht, den
scheint uns durchaus vertretbar zu sein, sofern der bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um die
gute Wille vorhanden ist. Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen.
Ich möchte abschließend noch einmal sagen: es ist, Wir kommen zu Art. 2. Das Wort wird nicht ge-
was die kommenden Jahre betrifft, letztlich eben wünscht. Wer dem Art. 2 in der Ausschußfassung
auch eine Frage der Prioritäten. Ich kann keine zuzustimmen wünscht, den bitte ich um das Hand-
Priorität in dem Vorgehen erkennen, in diesem zeichen. — Ich bitte um die Gegenprobe. — Ent-
Jahr die mittelfristige Finanzplanung in punkto haltungen? — Angenommen.
Kindergeld nicht zu erhöhen, sondern sogar noch zu Wir kommen zu Art. 3 und den Änderungsanträ-
kürzen. gen Umdruck 75 und Umdruck 76 Ziffer 2. Der Än-
derungsantrag Umdruck 75 ist durch Frau Abge-
Meine Damen und Herren, dieses wollte ich hier
ordnete Stommel schon begründet worden. Wird das
feststellen, um Ihnen zu zeigen, daß wir es uns Wort gewünscht? — Das ist nicht der Fall.
auch von der finanziellen Deckung her keineswegs
leichtmachen, wenn wir diesen in den finanziellen Wer dem Änderungsantrag der Fraktionen der
Wirkungen geringfügigen Antrag stellen. Wir glau- CDU/CSU, SPD und FDP auf Umdruck 75 zuzu-
ben, es ist eine unbedingte Notwendigkeit, den stimmen wünscht, den bitte ich um das Handzeichen.
Mehrkinderfamilien zu helfen. Vom Reden allein — Ich bitte um die Gegenprobe. — Enthaltungen? —
haben die Familien jedenfalls nichts, auch nicht von Angenommen.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4145
Vizepräsident Dr. Jaeger
Wir kommen damit zu dem Änderungsantrag Um- Sie haben nun die Vorlage zurückgezogen und von
druck 76 Ziffer 2. Begründung und Aussprache sind den Mehreinnahmen, die dadurch entstanden sind,
bereits vorhin erfolgt. Niemand wünscht mehr das nichts zur Anreicherung des Titels für die Kindergel-
Wort. Wer dem Änderungsantrag Umdruck 76 Zif- der eingesetzt. Das ist ein Beispiel dafür, wie Sie
fer 2 der Fraktion der CDU/CSU zuzustimmen Ihre Prioritäten setzen.
wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. — Ich
(Beifall bei der CDU/CSU.)
bitte um die Gegenprobe. — Mit Mehrheit abge-
lehnt. Meine Damen und Herren, das ist eine Frage
der Prioritäten. Sie haben den Haushalt um 12%
Ich lasse nunmehr über Art. 3 im ganzen mit der erhöht, Sie haben Werbeetats um 60 % und den
soeben beschlossenen Änderung — Umdruck 75 — Titel für das Kindergeld um etwas über 6 % erhöht.
abstimmen. Wer zuzustimmen wünscht, den bitte ich Das ist Ihre Antwort auf das gegebene Versprechen,
um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegen- das ist Ihre Antwort auf die von Ihnen gesetzte
probe. — Angenommen. Priorität.
Wir kommen zu den Artikeln 4 und 5 sowie der (Beifall bei der CDU/CSU.)
Einleitung und der Überschrift. Das Wort wird nicht Auch familienpolitische Leistungen sind Investitio-
begehrt. Wer den aufgerufenen Bestimmungen, der nen für die Zukunft. Die Politik ist für den Men-
Einleitung und Überschrift zuzustimmen wünscht, schen da, und der Mensch ist wichtiger als die Sache.
den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um Wir dürfen über alle produktiven Investitionen für
die Gegenprobe. — Enthaltungen? — Angenommen. die Zukunft nicht die Menschen vergessen.
Wir treten nun in die (Abg. Wehner: 20 Jahre lang war der
dritte Beratung Mensch für die Politik da!)

ein. Das Wort hat der Abgeordnete Burger. Herr Professor Schellenberg, Anfang des Jahres hat
der Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung die
Burger (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr CDU-Vorlage einstimmig beschlossen. Damit haben
geehrten Damen und Herren! Die Regierungsfrak- Sie ihr innerlich zugestimmt und ihre Berechtigung
tionen machen es sich zu einfach, wenn sie mit dem in aller Öffentlichkeit unterstrichen.
Blick zurück diskutieren und die bisherige Familien-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, jetzt
politik als nicht ausreichend bezeichnen.
möchte ich auf die Ausführungen von Frau Eilers
(Abg. Liehr: Das ist aber richtig!) eingehen. Frau Eilers, ich bestätige Ihnen gern, daß
das Klima im Ausschuß für Jugend, Familie und Ge-
Wenn Sie meine Damen und Herren von der Koali- sundheit gut ist und wir uns bemühen, sachlich zu
tion, 2,8 Milliarden DM Kindergeld, 1,8 Milliarden diskutieren. Deshalb war unsere Enttäuschung so
DM Familienzuschläge im öffentlichen Dienst, groß, daß weder die Regierung noch Mitglieder der
4,4 Milliarden DM steuerliche Freibeträge und beiden Koalitionsfraktionen eine Antwort auf un-
700 Millionen DM Zuschläge in den Rentengesetzen, seren konkreten Antrag und unsere saubere Begrün-
also insgesamt eine Substanz von fast 10 Milliarden dung gegeben haben. Diese unsere Enttäuschung
DM — und diese Gesetze wurden ab 1955 bei be- haben wir artikuliert. Das möchte ich noch einmal
scheidenen Haushalten mit einem Volumen von 50 deutlich unterstreichen.
oder 55 Milliarden DM beschlossen — als nicht aus-
reichend bezeichnen, wie wollen Sie dann die heu- Enttäuschend und verbitternd nennen die betroffe-
tige Regierungsvorlage bezeichnen? Ich kann nur nen Familien diese Kindergelderhöhung. Die Bun-
sagen: dann verdient diese Regierungsvorlage das desregierung versprach mehr soziale Gerechtigkeit,
Prädikat „total ungenügend". und ich höre heute noch Herrn Professor Schellen-
berg, der gerade dieses Versprechen besonders un-
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Liehr: terstrichen hat. Frau Minister Strobel wirbt für eine
Ganz willkürlich! Der Vergleich hinkt doch rationale Familienpolitik und fordert ein an den
völlig! — Weitere Zurufe von der SPD.) Kosten orientiertes Kindergeld schon vom ersten
Kind an. Herr Ministerialdirigent Dr. Kosmale geht
Meine Damen und Herren, Sie haben die heu- noch weiter. Er bezeichnete in einem Interview mit
tige Vorlage in Ihrer Presseverlautbarung als einen der „Jugendpresse" ein Reformvorhaben als Ziel-
„Meilenstein" bezeichnet und der Opposition vor- vorstellung, das Kindergeld vom ersten Kind an,
geworfen, sie habe keine Deckungsvorschläge vor-
gleiches Kindergeld für alle Kinder und Orientierung
gelegt. Wir haben einen sehr redlichen Deckungs-
der Leistungen an den Kosten noch in dieser Legis-
vorschlag gemacht. Wir haben vor den Wahlen in
laturperiode vorsieht. Doch heute, wo ein entschei-
Nordrhein-Westfalen vorgeschlagen — das war
dender Schritt zur Verwirklichung dieser Verspre-
keine einfache Sache —, statt der Verdoppelung des
chungen getan werden könnte, fehlt es an Geld und
Arbeitnehmerfreibetrages und anstelle der Strei-
gutem Willen. Welch ein Widerspruch! Herr Kos-
chung der Ergänzungsabgabe die Kindergelder zu
male stellt bedenkenlos einen Milliardenwechsel auf
erhöhen. Das war ein sauberer Deckungsvorschlag
die Zukunft aus, während die Regierung zur geichen
der Opposition.
Zeit Kindergeldverbesserungen anbietet, die nicht
(Abg. Frau Eilers: Wieso vor den Wahlen einmal die Kaufkraftverluste der Jahre 1970 und
in Nordrhein-Westfalen?) 1971 ausgleichen. Auch frühere Regierungen gaben
4146 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Burger
den Familien manchmal nur Brot ohne Butter. Sie chen aufwachsen, so liegt das hauptsächlich an den
aber sind dabei, nur noch Brosamen zu spenden. kinderfeindlichen Bedingungen unserer industriellen
(Beifall bei der CDU/CSU: — Abg. Geiger: Leistungsgesellschaft. Ihnen passen sich die einzel-
Na, na!) nen Elternpaare an. Dieser Trend kann und muß
durch sinnvolle Hilfen korrigiert werden. Es ist da-
Meine Damen und Herren, der Bundeskanzler zu höchste Zeit. Nach Mitteilung des Statistischen
fühlt sich für die Vergangenheit nicht verantwort- Bundesamtes wurden im Juli und August 136 000
lich. Aber voll verantwortlich ist er doch für die Kinder geboren; das waren 14 000 oder 9,2 % weni-
Auswirkungen seiner Politik. Die Folgen der Preis- ger als im entsprechenden Zeitraum des Vorjahres.
steigerungen sind für jedes Kind meßbar. Sie liegen Der Geburtenüberschuß geht ständig zurück. Im In-
bei mindestens 12 DM für die Jahre 1970 und 1971, ternationalen Vergleich wird die Bundesrepublik
und dafür ist die jetzige Regierung den Familien vielleicht an die letzte Stelle unter den westlichen
verantwortlich. Verbale Versprechungen für die Zu- Ländern rücken.
kunft sind leichtfertig, vor allem, wenn man diese
mit der Mühsal der Beratungen über die heutige Auch die Unionsparteien wollen Familienpolitik
Vorlage vergleicht und genau weiß, welche gewalti- vom Kinde und seinen Bedürfnissen her entwickeln.
gen mit Prioritäten ausgestatteten Ausgabenblöcke Ihr Sinn muß sein, die Entwicklungs- und Entfal-
auf uns zukommen. tungschancen der Kinder zu verbessern, Start-
ungleichheiten auszuräumen und die Funktions-
Der Deutsche Bundestag hat am 28. März 1969 fähigkeit der Familie zu sichern. Es wird Ihnen,
einhellig das Jahr 1970 für die Kindergelderhöhung Frau Minister, niemand widersprechen, wenn Sie mit
bestimmt. Die Bundesregierung hat diesen sozialen Förderungen vom ersten Kinde an beginnen wol-
Schwerpunkt finanziell ungenügend berücksichtigt. len. Wir sind aber dagegen, daß Sie die Leistungen
Deshalb schlug die CDU/CSU statt der Steuervergün- mit dem dritten Kind enden lassen wollen. Die ge-
stigung die Kindergelderhöhung vor. Nachdem die steigerten Sorgen der größeren Familien müssen
Entwicklung diese Alternative zerschlagen hatte, angemessen berücksichtigt werden. Nicht ein Fa-
war die CDU/CSU bereit, weitergehende Zwischen- milienmythos, sondern Einsicht in die Realitäten
lösungen zu suchen. Jedoch wurden, wie berichtet, zwingt uns, nachdrücklich auf diese Verpflichtung
-
alle Anträge im Ausschuß verworfen. Diese starre hinzuweisen.
Haltung, meine Damen und Herren, entspringt si-
cherlich nicht nur einem finanziellen Notstand, son- Meine Damen und Herren! Ich darf für meine
dern auch einer ideologischen Enge. Die Entschei- Fraktion folgendes erklären. Die CDU/CSU-Frak-
dung, neben der Erhöhung der Einkommensgrenze tion hält die Erhöhung der Kindergelder in dem
für das zweite Kind nur 10 DM für das dritte zu heute zu beschließenden Gesetz für ungenügend.
geben und die größeren Familien auszuschließen, Sie bedauert, daß ihr Finanzierungsvorschlag für die
obschon die Preissteigerungen besonders die größe- größere Lösung — statt Steueränderungsgesetz Er-
ren Familien in Bedrängnis bringen, ist ein Wider- höhung der Kindergelder — nicht realisiert wer-
spruch zu einem Kernsatz der Frau Familienminister, den konnte. Sie bedauert ferner, daß die Haus-
daß jedes politische Handeln grundsätzlich auf das haltsansätze aus dem Finanzplan des Bundes von
Wohlergehen aller gerichtet sein muß. 1969 bis 1973 für das Kindergeld um 240 Millionen
DM gekürzt wurden, obwohl bekannt war, daß
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.)
durch steigende Zahlen von Gastarbeitern auch die
Es geht uns nicht um Ideologien, sondern um Bin- Zahl der anspruchsberechtigten Kinder steigt. Die
senwahrheiten. Bei den Familien mit mehreren Kin- Fraktion ist enttäuscht, daß alle Anträge im Aus-
dern ist das Einkommen pro Kopf geringer als bei schuß für Jugend, Familie und Gesundheit mit der
anderen, so daß steigende Preise diese Familien als kleinsten Mehrheit abgelehnt wurden. Die CDU/CSU
die sozial schwächsten besonders hart treffen. Es wird ihren Gesetzentwurf erneut einbringen, wo-
geht uns allein um die Angemessenheit der Hilfen. nach an Stelle der Änderung der Steuergesetze die
Niemand in der CDU/CSU ist gegen die Förderung Kindergeldverbesserungen vorzunehmen sind. Die
der Zweikinderfamilien, denn jedes Kind hat einen CDU/CSU-Mitglieder der Ausschüsse werden jede
Anspruch. Verbitterung lösen aber auch Äußerungen Gelegenheit wahrnehmen, Möglichkeiten der Mittel-
aus, die als Abwertung der Mehrkinderfamilien ver- beschaffung zur Verbesserung des Kindergeldes
standen werden müssen. So begründete Frau Strobel vorzuschlagen. Diese soziale Aufgabe hat für ,die
die bevorzugte Behandlung der kleineren Familien CDU/CSU Priorität.
kürzlich vor der Katholischen Akademie in Trier mit
der Formel: Den Familien muß geholfen werden, ehe Die Fraktion glaubt ihren Mitgliedern Zustim-
sie in die Subkultur absteigen. — Meine Damen und mung zu diesem Gesetzentwurf empfehlen zu müs-
Herren, was soll diese Aggressivität gegen die kin- sen. Ich persönlich werde gegen diese Regierungs-
derreiche Familie? Die Statistik zeigt doch, daß sich vorlage stimmen, weil man die, die am meisten
die heutigen Eltern hinsichtlich der Kinderzahl im betroffen sind, ausgeschlossen hat und weil auch
allgemeinen rational verhalten und ihr Einkommen durch mancherlei Äußerungen eine zynische Ab-
wertung der kinderreichen Familien erkennbar ge-
berücksichtigen. Es ist ein liebloses Gerede, zu sa-
gen, Eltern wollten aus Bequemlichkeit nicht mehr worden ist.
Kinder. Junge Leute bejahen die Kinder; das ist (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf von
durch Umfragen immer wieder bestätigt worden. der SPD: Trotzdem wollen die anderen da
Wenn trotzdem viele Einzelkinder und Kinderpär für stimmen!)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4147
Burger
Ich werde auch deshalb dagegen stimmen, weil bei schwachen Zweitkinderfamilien durch Erhöhung der
den Fraktionen — von einzelnen Mitgliedern abge- Einkommensgrenze und schwerpunktmäßig den
sehen — keine Bereitschaft vorhanden war, auch Dreikinderfamilien durch Verbesserung des Dritt-
nicht in Ansätzen, im Interesse der Kinder in die- kindergeldes zukommen zu lassen, hat zu den Aus-
ser Frage mit der CDU/CSU zu stimmen. einandersetzungen geführt.
(Beifall bei der CDU/CSU.— Abg. Wehner: Klar und deutlich muß man hier sagen: Wer
Ein logischer Salto mortale!) gleichzeitig die Einkommensgrenze beim Zweitkin-
dergeld erhöhen oder beseitigen will und außer-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der dem noch alle anderen Leistungen verbessern will,
Abgeordnete Hauck. kommt mit den Ansätzen nicht aus, er muß Haus-
haltsplan und Finanzplanung verändern, d. h. die
Ansätze erhöhen. Dies will aber, wie die Diskussio-
Hauck (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr ver-
nen der letzten Monate gezeigt haben, die Opposi-
ehrten Damen und Herren! Im Namen der sozial-
tion auch nicht, denn sie hat ja bei den Etatbera-
demokratischen Bundestagsfraktion gebe ich vor
tungen immer wieder Kürzungen und Einschrän-
der Schlußabstimmung über das Zweite Gesetz zur
kungen vorgeschlagen und Maßhalteappelle los-
Änderung und Ergänzung des Bundeskindergeld-
gelassen. Also muß es bei diesem Volumen bleiben,
gesetzes folgende Erklärung ab.
und auf diesem Hintergrund halten wir die vorge-
Von den Verbesserungen dieses Gesetzes werden schlagene Lösung für die gerechteste. Das hat nichts
ab 1. September 1970 rund 2,5 Millionen Kinder mit einer Aversion gegen kinderreiche Familien zu
betroffen. tun, wie uns heute hier wieder unterstellt worden
(Beifall bei der SPD.) ist.
Der Finanzmehrbedarf beträgt jährlich rund 400 Mil- Wie ernst übrigens die Opposition ihre Anträge
lionen DM. Meine Fraktion begrüßt es besonders, nimmt, Herr Kollege Burger, können Sie daran er-
daß durch die Anhebung der Einkommensgrenze sehen, daß über 50 Ihrer Fraktionskollegen heute
für das Zweitkindergeld rund 670 000 Kinder neu bei dieser Abstimmung gar nicht anwesend waren.
in die Förderung durch das Bundeskindergeldge- -
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg.
setz kommen. Dies sind, auch wenn man noch so
Liehr: Das ist der Unterschied zwischen
sehr herumdiskutiert und sich auch noch bessere
Theorie und Praxis!)
Lösungen vorstellen kann, Leistungen, die sich
durchaus sehen lassen können. Man muß nämlich Wer vom Kindergeld spricht, darf eine andere
wissen, daß seit 1964 alle Kindergeldleistungen gemeinsam geschaffene Leistung nicht vergessen,
stagnieren und daß die Einkommensgrenze für das nämlich die Ausbildungsförderung. Wir betrachten
Zweitkindergeld seit 1965 unverändert bei 650 DM sie als eine wesentliche bildungspolitische Förde-
liegt. Erst diese Regierung hat Leistungsverbesse- rungsmaßnahme, die aber auch familienpolitisch von
rungen eingeplant, wie es in der Regierungserklä- großer Bedeutung ist. Es ist mir unverständlich, daß
rung angekündigt wurde. man, besonders nach der Streichung der Ausbil-
(Beifall bei der SPD.) dungszulage, überall die Ausbildungsförderung
lautstark und zu Recht forderte, sie jetzt aber, da
Hat man eigentlich vergessen, daß in der letzten sie wirksam wird, als Hilfe und Entlastung für die
mittelfristigen Finanzplanung vor dem Regierungs- Familien, zum Teil nicht zur Kenntnis nehmen will.
wechsel unter der Verantwortung eines CDU-Kanz- Wir werden 1971 im Bundesausbildungsförderungs-
lers und der Ressortminister Strauß und Heck erst gesetz, in dem die Studienförderung nach dem Hon-
für 1972 Verbesserungen in Höhe von 200 Millio- nefer Modell mit eingeschlossen ist, weitere Ver-
nen DM vorgesehen waren? Die Forderung des besserungen der Ausbildungsförderung vornehmen.
5. Deutschen Bundestages, bei der Fortschreibung
der Mifrifi dafür Sorge zu tragen, daß die für 1972 Diese Regierung und die sie tragende Koalition
vorgesehenen Verbesserungen des Kindergeldes werden nach der mittelfristigen Finanzplanung 1971
schon im Laufe des Jahres 1970 wirksam werden bis 1974 675 Millionen DM für das Kindergeld und
sollen, haben wir erfüllt, ja sogar übererfüllt, denn 910 Millionen DM für die Ausbildungsförderung
der Ansatz für 1971 wurde verdoppelt. mehr ausgeben. Das sind insgesamt 1,585 Milliar-
den DM. Die Gesamtausgaben in dieser Finanz-
Daß die Opposition das von uns ausgewiesene planung belaufen sich auf rund 21 Milliarden DM.
Finanzvolumen respektiert hat, beweist der Gesetz- Das sind doch Leistungen, die sich sehen lassen kön-
entwurf vom 25. November 1969, der den jähr- nen, die man nicht wegdiskutieren kann und die
lichen Mehraufwand durch die Anhebung des Kin- wir uns von der Opposition auch nicht miesmachen
dergeldes ab drittem Kind auf knapp 400 Millionen lassen.
DM beziffert und unter Hinweis auf den Beschluß (Beifall bei den Regierungsparteien.)
vom 28. März 1969 als Deckung die Fortschreibung
der Finanzplanung fordert. Insoweit waren sich Dabei ist dies — auch das muß man ganz klar
also, was die Höhe des Finanzvolumens betrifft, sagen — nur ein Übergang zu einer von uns an-
alle Fraktionen zunächst einig: 400 Millionen DM gestrebten großen Reform des Familienlastenaus-
war 1969 das Volumen. Erst die Überlegungen der gleichs. Diese Reform wird in dieser Legislatur-
Regierung und der Koalition, die zusätzlichen 400 periode kommen. Wer heute die Ankündigung als
Millionen DM je zur Hälfte den einkommens untaugliches Trostpflaster abtun will, wird sehen,
4148 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Hauck
daß wir dieses zweifellos sehr schwierige Werk SChmidt (Kempten) (FDP) : Herr Präsident! Meine
schaffen werden. sehr geehrten Damen und Herren! Namens der frei-
demokratischen Fraktion dieses Hauses darf ich
Unser Ziel bleibt die Harmonisierung der indirek- meinen beiden Vorrednern aus der Sicht der Freien
ten Leistungen, also der Steuerfreibeträge, und der Demokraten in der dritten Lesung noch einige zu-
direkten Leistungen, des Kindergeldes. Wir werden
sätzliche Gedanken zur Familienpolitik generell
dabei alle Gesichtspunkte berücksichtigen und über- nachsenden. Ich habe es sehr begrüßt, daß der Kol-
denken. Grundlage bleibt für uns, daß ab dem ersten lege Burger hier ein so familienfreundliches Pro-
Kind Kindergeld gezahlt wird, daß es keine Ein- gramm der CDU/CSU vorgelegt hat. Ich habe mich
kommensgrenzen gibt, daß das harmonisierte Kin- allerdings sehr über das Abstimmungsergebnis ge-
dergeld höher sein muß und daß man es dann den wundert: wie die Dinge dann aussehen, wenn es
steigenden Lebenshaltungskosten ständig anpassen zum Schwure kommt. Wir jedenfalls, meine sehr
sollte. geehrten Damen und Herren, sehen in diesem—
Daß diese neue Bundesregierung bis zu dieser (Zuruf des Abg. Rösing. — Abg. Frau Ka
großen Reform auch Leistungsverbesserungen auf linke: Schauen Sie doch einmal Ihre
anderen Gebieten beschließt, möchte ich abschlie- eigene Fraktion an!)
ßend an einigen Beispielen verdeutlichen. Wir be-
schließen heute noch in diesem Haus das Wohn- — Entschuldigen Sie, Frau Kollegin Kalinke, soll ich
geldgesetz, nach dem vor allem die Familien der die Zahlen noch einmal bekanntgeben, damit es in
unteren und der mittleren Einkommensschichten diesem Hause deutlicher wird, daß die Regierungs-
verstärkt gefördert werden. fraktionen fast geschlossen hier waren, daß aber
leider von Ihrer Fraktion bei der Abstimmung über
(Beifall bei den Regierungsparteien.) einen Ihrer Anträge 60 Kollegen fehlten?
Außerdem unternimmt die Bundesregierung große (Beifall bei den Regierungsparteien.
finanzielle Anstrengungen, um den notwendigen Abg. Dr. Schellenberg: Die sind Wahl-
Wohnungsbedarf für die Familien sicherzustellen. kampf führen! — Abg. Frau Kalinke: Herr
In der Vermögensbildung werden durch das Zu- Schmidt, sehen Sie mal zu Ihrer Fraktion:
lagesystem kinderreiche Familien besonders begün- vier, fünf! — Abg. Rösing: Zum Antrag-
stigt. Heute werden wir erstmalig gesetzlich fest- Niederknüppeln waren die Mitglieder Ihrer
legen, daß Kinder bis zu 4 Jahren einen Anspruch Fraktion da!)
auf Vorsorgeuntersuchungen haben. In der ersten
Lesung wird heute das Gesetz über die Unfallver- — Herr Kollege Rösing, ich habe nur festgestellt,
sicherung der Schulkinder und Studenten behandelt. daß ich mich über das Programm des Kollegen Bur-
Es liegt ein Gesetzentwurf vor, der die Verheirate- ger gefreut habe, und bedauert, daß es leider Gottes
tenklausel in allen Gesetzen beseitigt. bei der Abstimmung bei Ihnen anders aussah.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir
sind nur einige Beispiele, die aufzeigen, daß diese Freien Demokraten begrüßen es jedenfalls, daß mit
Bundesregierung die in den zurückliegenden Jahren dem nunmehr hier erfreulicherweise fast einstimmig
vernachlässigte Familienpolitik entscheidend akti- — mit einigen Gegenstimmen, Herr Kollege Bur-
viert. ger zu verabschiedenden Gesetz eine Übergangs-
(Beifall bei der SPD. — Abg. Liehr: Eine regelung gefunden ist, die endlich einmal die seit
eindrucksvolle Bilanz!) den Jahren 1964 und 1965 bestehenden Regelungen
etwas anpaßt. Das ist zweifellos noch keine fami-
Dies sagte auch der Bundeskanzler den Mitgliedern lienpolitische Glanzleistung. Über die Gründe da-
der Arbeitsgemeinschaft der deutschen Familien- für ist bereits heute und in den letzten Monaten
verbände, genug gesagt worden. Daß im Volumen nicht mehr
(Abg. Baier: Die haben das auch geglaubt!) möglich war, darüber wollen wir jetzt nicht noch
einmal diskutieren. Sie kennen die Gründe sehr
die ihm am 20. Juli in einem persönlichen Gespräch
genau; ich habe dazu bereits einiges gesagt.
ihre Sorgen vorgetragen haben. Es war eine offene
und faire Aussprache, die der Bundeskanzler mit Wir begrüßen es, daß eine große Zahl von Kin-
den Familienverbänden geführt hat und in der der dern bzw. Familien erneut in die Kindergeldzahlun-
Bundeskanzler zusagte, daß die Regierung bemüht gen einbezogen wird. Wir begrüßen es vor allem,
sein werde, den Stellenwert der Familie zu heben, daß die Einkommensgrenze bei den Zweikinderfami-
um familienpolitisch noch in dieser Wahlperiode lien erheblich angehoben wurde, weil wir seit Jah-
einen guten Schritt weiterzukommen. Die sozial- ren in vielen Debatten darauf hingewiesen haben,
demokratische Bundestagsfraktion wird die Bundes- daß wir diese Einkommensgrenze für eine sehr un-
regierung bei diesen Bemühungen tatkräftig unter- gute Sache im Rahmen der Kindergeldregelung
stützen. Die heute zu verabschiedenden Verbesse- halten.
rungen des Kindergeldes sind ein Anfang, den wir
Wir begrüßen es darüber hinaus, daß diese Bun-
mit der Reform des Familienlastenausgleichs noch
desregierung und die sie tragenden Regierungs-
in dieser Legislaturperiode abschließen werden.
fraktionen sich bezüglich des Kindergeldes von den
(Beifall bei den Regierungsparteien.) gleichen Vorstellungen von einem vernünftigen Ziel
der Familienpolitik leiten lassen, nämlich eine glei-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der che Leistung vom ersten Kind an in einer Größen-
Abgeordnete Schmidt (Kempten). ordnung, die mindestens dem entsprechen muß, was
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4149
Schmidt (Kempten)
bisher über Steuer und auf andere Weise insge- bis 1972 völlig unverändert zu lassen. Damit hätte
samt als Höchstsumme gewährt worden ist. Daß das man auch in Kauf nehmen müssen, daß Jahr für Jahr
kein Weg von heute auf morgen sein kann, daß das mehr Familien mit zwei Kindern aus dem Bezug
nur im Rahmen der Finanzzahlen möglich ist, die des Zweitkindergeldes hinauswachsen und daß der
auch der Kollege Hauck hier angeschnitten hat, Realwert des Kindergeldes sinkt. Diejenigen, die
daß dabei die Steuerreform mit in die Überlegungen davon betroffen sind, haben hierfür um so weniger
einbezogen werden muß, all das darf ich nur andeu- Verständnis, als die dem Kindergeldgesetz ver-
ten. Jedenfalls sehen wir das als unser Ziel an, und gleichbaren Leistungen für Kinder von Angehöri-
wir sind der festen Meinung, daß es im Rahmen gen des öffentlichen Dienstes oder Sozialversiche-
dieser Regierungskoalition möglich sein wird, dieses rungsrentnern regelmäßig den veränderten Lebens-
Ziel anzustreben und weitgehend zu realisieren. haltungskosten angepaßt worden sind. Daher hat
Wir wären weiter, wenn die Dinge in den letzten diese Bundesregierung Mittel zur Verbesserung des
Jahren nicht stagniert hätten — nicht mit Schuld Kindergeldes nicht erst für das Jahr 1972, sondern
der FDP. bereits für dieses erste Jahr ihrer Amtszeit einge-
Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen plant.
Sie mich abschließen. Der Kollege Hauck hat mit (V o r s i t z : Vizepräsident Dr. Schmid.)
Recht darauf hingewiesen, hier stehen heute noch
eine Reihe von Punkten an, unter denen weitere Ich bin mir natürlich bewußt, daß wir dafür ein
familienpolitische Maßnahmen, die von dieser Bun- viel größeres Volumen im Haushalt hätten brauchen
desregierung und den sie tragenden Fraktionen vor- können. Meine Damen und Herren, man sollte aber
gelegt und beschlossen worden sind, in die Beratung doch anerkennen, daß noch im Haushalt 1970
oder zur Verabschiedung gegeben werden. Ich 137 Millionen DM und ab 1971 411 Millionen DM
glaube, daß gerade diejenigen, die aus den Fami- für Kindergeldverbesserungen verwendet werden.
lienverbänden mit ihren Sorgen aufmerksam auf Setzt man diese Beträge ins Verhältnis zum bis-
den Deutschen Bundestag schauen, sagen können, herigen Kindergeldaufwand, so sieht man, daß eine
daß der heutige Tag auf Grund der Verabschiedung Ausweitung des bisherigen Kindergeldvolumens um
verschiedener Gesetzentwürfe zur Familienpolitik 14% erfolgt. Das ist eine Ausweitung, die doch er-
einer der besten Tage im familienpolitischen Sinne heblich zu Buche schlägt.
bisher war, den wir im Bundestag dank dieser Bun-
Man muß dabei auch berücksichtigen, daß neben
desregierung und dank der sie tragenden Fraktio-
den Kindergeldverbesserungen — das ist auch schon
nen erlebt haben.
von meinen Vorrednern gesagt worden — eine
(Beifall bei den Regierungsparteien.) ganze Reihe Verbesserungen gerade auch für die
Familien mit mehr Kindern in anderen Gesetzen
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat Frau erfolgen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang
Bundesminister Strobel. auch an den Ausbau der Ausbildungsförderung, an
die Verbesserung des Wohngeldrechts, an die Ver-
mögensbildung, an die Verheiratetenklausel, an die
Frau Strobel, Bundesminister für Jugend, Fa- Unfallversicherung. Und, meine Damen und Herren,
milie und Gesundheit: Herr Präsident! Meine sehr
lassen Sie mich, ohne daß ich jemand etwas vor-
verehrten Damen und Herren! Als ich vor einem wegnehmen will, auch sagen, daß es eine große Be-
Jahr das Kindergeldrecht in die Zuständigkeit des
friedigung für den Bundesminister für Jugend, Fa-
Bundesministeriums für Jugend, Familie und Ge-
milie und Gesundheit ist, daß erstmalig dieses Haus
sundheit übernahm, war mir bewußt, wie sehr das
heute, und zwar durch die Initiative der Fraktionen,
Kindergeldrecht und damit der Familienlastenaus-
Gesundheitsvorsorge für Säuglinge und Kleinkinder
gleich allgemein im argen liegen. beschließt.
Seit 1965 ist am Leistungssystem des Bundes- Meine Damen und Herren, ich hatte mir fest vor-
kindergeldgesetzes nichts mehr geändert worden. genommen, diese Auseinandersetzung von Polemik
Die Behebung der strukturellen Mängel des Fami- freizuhalten. Ich will versuchen, das auf alle Fälle
lienlastenausgleichs ist aber nur bei einer grund- durchzuhalten. Ich kann aber nicht darauf verzichten,
legenden Reform möglich. Jedermann weiß, daß wenigstens auf einige sehr billige Äußerungen, den
diese Reform im ersten Jahr der neuen Bundes- verehrten Kollegen von der CDU/CSU, kurz zu ant-
regierung nicht möglich war, vor allem auch des- worten. Herr Baier, Sie wissen sowohl aus dem
wegen, weil sie nur im Zusammenhang mit der Haushaltsausschuß als auch aus dem Fachausschuß,
Steuerreform durchzuführen ist. Dies hat der Herr daß die Bundesanstalt für Arbeit uns mitgeteilt hat,
Bundeskanzler bereits bei der Regierungserklärung daß die Anforderungen an das Kindergeld-Gesamt-
im Oktober 1969 gesagt. Die Bundesregierung be- volumen in diesem Jahr mehr gestiegen sind, als
absichtigt, die Reform so vorzubereiten, daß die man voraussehen konnte, und daß die von Ihnen
Verabschiedung durch den Bundestag noch in dieser genannten Beträge aus diesem Grunde für eine Ver-
Legislaturperiode möglich ist. besserung leider nicht zur Verfügung stehen.
Meine Damen und Herren, ich gehe weiter davon Ich muß auch auf den Vorhalt antworten, daß ich
aus, daß es unvertretbar gewesen wäre, die mittel- in der genannten Ausschußsitzung nicht lange genug
fristige Finanzplanung des früheren Bundesfinanz- anwesend gewesen wäre. Meine Damen und Herren,
ministers zu übernehmen, ihr zu folgen und damit es ist jedermann in diesem Hause bekannt, daß
das Leistungssystem des Bundeskindergeldgesetzes diese Ausschußsitzung für den Vormittag angesetzt
4150 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Bundesminister Frau Strobel
war, wegen wichtiger Punkte in der Plenardebatte Meine zweite Frage lautet: Stimmt es, daß unser
aber auf den Nachmittag verlegt werden mußte. Ich Gesetzentwurf, der vorsah, das Zweitkindergeld
hatte mehrere Konferenzen über wichtige Gesetze, von 25 DM auf 35 DM zu erhöhen, vor Ihrem Ent-
zu denen auch Fachleute, z. B. aus Berlin, angereist wurf im Bundestag eingebracht wurde?
waren, auf dem Terminplan. Ich hatte außerdem ein
seit langem anberaumtes Gespräch mit dem kanadi- Frau Strobel, Bundesminister für Jugend, Fa-
schen Jugendminister. Mit dem Herrn Vorsitzenden milie und Gesundheit: Herr Köster, unser Gesetz-
des Ausschusses hatte ich vereinbart, daß ich in der entwurf sieht eine wesentliche Erhöhung der Ein-
Sitzung von 15 bis 16 Uhr anwesend bin. Den an- kommensgrenze für das Zweitkindergeld vor, näm-
deren Besprechungen konnte ich mich dann aber lich von 650 DM bereinigtes Einkommen auf
nicht entziehen .So viel dazu. 1100 DM bereinigtes Einkommen. Weil 690 000
Familien davon betroffen sind, kostet dies so viel,
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zwischen- daß darüber hinaus eine Erhöhung des Kindergeld-
frage. satzes nicht mehr möglich war. Das zu Ihrer ersten
Frage.
Frau Eilers (SPD) : Frau Minister, können Sie Zu Ihrer zweiten Frage. Bevor die Regierung hier
mir bestätigen — vielleicht läßt sich das aus den einen Entwurf einbringen kann, muß er erst an den
Protokollen entnehmen —, daß wir z. B. in den Bundesrat gehen. Er wird natürlich auch vorbespro-
zwölf Jahren meiner Zugehörigkeit zum Ausschuß chen. In dem Augenblick, da gesagt wurde, daß wir
kaum das Vergnügen gehabt haben, Minister — mit die Einkommensgrenze für das Zweitkindergeld
Ausnahme von Herrn Wuermeling — im Ausschuß erhöhen wollen, haben Sie Ihren Entwurf geändert.
zu sehen, während wir von Ihnen sagen können, daß
(Zustimmung bei der SPD.)
Sie im Ausschuß sehr häufig anwesend gewesen
sind? Sie sind dann sogar darüber hinausgegangen — das
ist richtig —; Sie wollten sogar eine Erhöhung des
Frau Strobel, Bundesminister für Jugend, Fa- Kindergeldsatzes. Sie haben das dann aber wieder
milie und Gesundheit: Frau Kollegin, ich habe dem zurückgezogen, weil Sie keinen Deckungsvorschlag
Ausschuß nicht angehört, aber aus den Protokollen machen konnten.
ist bestimmt ersichtlich, wann der Minister an- (Zuruf von 'der CDU/CSU: Das stimmt doch
wesend war. Ich bemühe mich jedenfalls, so oft wie nicht!)
möglich anwesend zu sein.
Meine Damen und Herren, im ersten Teil der Vizepräsident Dr. Schmid: Eine weitere
Aussprache wurde darauf hingewiesen, daß beim Zwischenfrage, Herr Abgeordneter Ott.
Kindergeld für Zweitkinder seit 1961 nichts mehr
geschehen ist. Das ist richtig. Ich muß Sie dann
Ott (CDU/CSU) : Frau Minister, ist Ihnen in Er-
aber daran erinnern, daß diese Bundesregierung
innerung, daß Sie am Freitag, dem 5. Juni 1970
im ersten Jahr ihrer Amtszeit das nachholt, was Sie,
— neun Tage vor der Landtagswahl in Nordrhein-
meine Damen und Herren, in neun Jahren eben
Westfalen —, im Finanzausschuß die aus der damals
nicht getan haben.
vom Finanzministerium beantragten Verdoppelung
(Beifall bei den Regierungsparteien.) des Arbeitnehmerfreibetrags frei werdenden Beträge
Ich muß Sie auch daran erinnern, daß Ihr erster in Höhe von 1 Milliarde DM nicht zur Kindergeld-
Gesetzentwurf, den Sie eingebracht haben erhöhung verwendet haben wollten?

(Abg. Köster meldet sich zu einer


Zwischenfrage) Frau Strobel, Bundesminister für Jugend, Fa-
milie und Gesundheit: Herr Kollege, was heißt hier
— lassen Sie mich bitte meinen Satz zu Ende „haben wollten" ? Sie beweisen mit Ihrer Frage nur,
sprechen —, nur die Erhöhung des Kindergeldes für daß ich nicht nur im Ausschuß für Jugend, Familie
Idas dritte und jedes weitere Kind vorsah und daß und Gesundheit, sondern auch im Finanzausschuß
Sie zur Einbeziehung der Einkommensgrenze beim bei der Beratung von Kindergeldfragen anwesend
Zweitkindergeld erst durch ,den Regierungsentwurf war.
veranlaßt worden. sind. Sie haben dann erst gleich- (Beifall bei der SPD. — Abg. Ruf: Das ist
gezogen. Auch das muß man, meine ich, hier einmal noch keine Antwort! — Weitere Zurufe
sagen. von der CDU/CSU: Das war aber schwach!)

Vizepräsident Dr. Schmid: Eine weitere Vizepräsident Dr. Schmid: Eine weitere
Zwischenfrage. Zwischenfrage.

Köster (CDU/CSU) : Frau Minister, Ihnen sind Ott (CDU/CSU) : Sie haben meine Frage nicht be-
meiner Meinung nach einige Unrichtigkeiten unter- antwortet. Ich wollte festgestellt haben, ob Sie mir
laufen. darin zustimmen, daß Sie sich am 5. Juni 1970 im
Erstens. Stimmt es, daß auch der Regierungsent- Finanzausschuß dagegen gewehrt haben, die vom
wurf keine Erhöhung des Kindergeldes für das Finanzministerium angeblich zur Aufstockung des
zweite Kind vorsieht? Arbeitnehmerfreibetrages und zur teilweisen Besei-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4151

Ott
tigung der Ergänzungsabgabe vorgesehenen, aber und festgestellt, daß ein solcher Unsinn dort nicht
dann frei werdenden Mittel zur Erhöhung des Kin- behauptet wird.
dergeldes zu benutzen, und zwar mit der Begrün-
(Abg. Wehner: Strauß macht's möglich!)
dung, daß unter den Arbeitnehmern auch einige
kinderreiche Familien seien. Das wären die Mittel Sie sehen, wir erwähnen den „Bayern-Kurier" sogar
gewesen, die Sie nicht haben. in dieser Beziehung. Ich werde jetzt wohl etwas
zur Aufklärung der Redakteure der Zeitschrift „Die
Frau Strobel, Bundesminister für Jugend, Fa- Familie" unternehmen müssen, sonst flattert in
milie und Gesundheit: Herr Kollege, ich vertrete deren Blätterwald eines Tages noch der Klapper-
überall die Regierungspolitik. Ich gehöre diesem storch!
Kabinett an, und dieses Kabinett treibt — das ist (Abg. Wehner: Subventionen!)
eben bewiesen worden — in allen Bereichen eine
In der Diskussion um die jetzt vorzunehmenden
familienfreundliche Politik. Kindergeldverbesserungen ist häufig der absolute
(Beifall bei den. Regierungsparteien.— Abg. Vorrang einer Erhöhung der Kindergeldsätze ge-
Ruf: Das ist aber keine Antwort auf die fordert worden. Hierzu kann man sich natürlich auf
Frage!) die Entschließung des 5. Deutschen Bundestages vom
Man kann Familienpolitik nicht allein als Kinder- 28. März 1969 berufen. Ich glaube, man muß hier
geldpolitik und nicht als eine Ressortangelegenheit auch einmal sagen: Man übersieht dabei, daß schon
betrachten. Man muß sehen, daß den Familien auf viel länger, auch in diesem Hause, die gleichwertige
allen Gebieten geholfen wird. Dies tut diese Regie- Forderung nach Beseitigung der für das Zweitkin-
rung, dies tun diese beiden Fraktionen wie keine dergeld geltenden Einkommensgrenzen besteht und
andere Regierung zuvor. noch immer nicht erfüllt ist. Diese Forderung wird
jetzt wenigstens zu einem Teil erfüllt. 1965 wurde
(Beifall bei den Regierungsparteien.) allerdings mit dem Abbau dieser Grenzen dadurch
Ich bitte darum, mir nunmehr zu gestatten, meine begonnen, daß man die Familien mit mehreren Kin-
Ausführungen zu beenden. Wir haben heute noch dern aus der Einkommensgrenze für die Zweitkinder
eine ganze Reihe wichtiger Gesetze zu beraten. herausnahm.

(Beifall bei der SPD.) Ein weiterer Schritt in Richtung auf den Abbau ist
jetzt geboten. Sie haben ihn in Übereinstimmung
Auch außerhalb des Parlaments — das wollte
mit der Bundesregierung durch die schnelle Behand-
ich noch sagen — haben sich viele darum bemüht,
lung in den Ausschüssen, für die ich Ihnen beson-
die Mittel für die Kindergeldgesetzgebung aufzu-
ders danke, möglich gemacht. Sie haben sich darüber
stocken, um weitere Verbesserungen auf dem Ge-
hinaus in den Ausschüssen zweier wichtiger sozial-
biet des Kindergeldes zu erreichen. Das ist ver-
politischer Forderungen angenommen, deren Lösung
ständlich; ich möchte das ausdrücklich betonen. Ich
bei der Einbringung der Regierungsvorlage übrigens
meine aber, daß bei manchen die Art und Weise,
noch nicht reif war: der Erweiterung des Pflege -
in der das geschehen ist, nicht frei von Polemik war.
kindbegriffs und der Regelung des Konkurrenzver-
Ich möchte, um dieser Auseinandersetzung ein hältnisses zwischen der Kindergeldkasse und den
bißchen die Schärfe zu nehmen, etwas zur Erhei- Trägern der gesetzlichen Krankenversicherung beim
terung beitragen, so ernst diese Angelegenheit Rückgriff auf nachträglich gewährte Sozialversiche-
sonst auch ist. Ich möchte ein Beispiel erwähnen, rungsrenten. Die dazu von Ihnen getroffenen Ent-
bei dem die Kritiker aus lauter Lust, gegen die scheidungen dienen sowohl der gerechteren Gestal-
Regierungskoalition zu polemisieren, den Boden der tung unserer Sozialordnung als auch der Beseitigung
naturwissenschaftlichen Tatsachen unter den Füßen von Unklarheiten, die der Praxis sehr viel zu schaf-
verloren haben. In der September-Nummer der Zeit- fen gemacht haben und oft zu Lasten des einzelnen
schrift „Die Familie" — dies ist das Organ des Deut- Bürgers gegangen sind.
schen Familienverbandes — heißt es:
Dafür, daß die Auszahlung der Erhöhung für die
Der Bayern-Kurier rügt in seiner Ausgabe vom Drittkinder noch in diesem Jahr erfolgen kann, ob-
29. August 1970 ausdrücklich den Mißerfolg der wohl die Beschlüsse erst heute gefaßt werden kön-
Bonner Regierungskoalition auf dem Gebiet der nen, danke ich sowohl den Ausschüssen als auch der
Familienpolitik, der zur Geburten-Katastrophe Bundesanstalt für Arbeit und dem Finanzminister.
des ersten Halbjahres 1970 geführt habe. Ich muß aber auch erwähnen, daß die Zwei-Kinder-
(Heiterkeit bei der SPD.) Familien, die infolge der Erhöhung der Einkom-
mensgrenze nach diesem Gesetz Kindergeld für das
Hiernach soll die Regierungspolitik, die seit Herbst zweite Kind bekommen, dieses Kindergeld nicht
1969 betrieben worden ist, also bereits vor Ablauf mehr in diesem Jahr ausbezahlt bekommen können,
von neun Monaten zu einer Geburtenkatastrophe sondern daß die Auszahlung erst nächstes Jahr er-
geführt haben! folgt.
(Erneute Heiterkeit bei der SPD.)
Trotz der sicher scharfen Auseinandersetzungen
Da ich den Urheber dieser neuesten Erkenntnis hoffe ich, daß wir eine gute Zusammenarbeit in den
„aufklären" wollte, habe ich in der Ausgabe des Ausschüssen zwischen der Bundesregierung und
„Bayern-Kurier" vom 29. August 1970 nachgesehen allen Fraktionen bei den vielen noch anstehenden
4152 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Bundesminister Frau Strobel


tes Krankenversicherungsänderungsgesetz —
größeren Gesetzgebungsvorhaben auf dem Gebiet 2. KVÄG)
der Familien- und Jugendpolitik haben werden. — Drucksache VI/ 1130 —
(Beifall bei den Regierungsparteien.) aa) Bericht des Haushaltsausschusses (7. Aus-
schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
Vizepräsident Dr. Schmid: Weitere Wortmel- — Drucksache VI/... —
dungen liegen nicht vor. Wir kommen zur Schluß- Berichterstatter: Abgeordneter ...
abstimmung.
bb) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für
Der Ausschuß für Jugend, Familie und Gesund- Arbeit und Sozialordnung (10. Ausschuß)
heit empfiehlt in seinem Antrag unter Nr. 1, den — Drucksachen VI/ 1297, zu VI/ 1297
Gesetzentwurf anzunehmen. Wer zustimmen will,
Berichterstatter: Abgeordneter Killat-von
den bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! —
Coreth
Enthaltungen? — Gegen einige Gegenstimmen und
bei einigen Enthaltungen angenommen. (Erste Beratung 64. Sitzung)
Der Ausschuß beantragt ferner, die Gesetzent- b) Zweite Beratung des von der Fraktion der
würfe Drucksachen VI/86 und VI/903 für erledigt zu CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines Ge-
erklären. Wir müssen dabei in der Form vorgehen, setzes zur Fortführung der Krankenversiche-
daß ich nunmehr diese Anträge in zweiter Lesung rungsreform
aufrufe. – Drucksache VI/726 —
Ich rufe in zweiter Lesung auf den Antrag Druck- Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Ar
sache VI/86, Art. 1 bis 3, Einleitung und Überschrift. beit und Sozialordnung (10. Ausschuß)
Wer dafür ist, den bitte ich, die Hand zu erheben. —
Gegenprobe! — — Drucksachen VI/ 1297, zu VI/ 1297
(Unruhe.) Berichterstatter: Abgeordneter Killat-von
Coreth
— Es scheint eine Verwirrung zu bestehen. -
(Erste Beratung 64. Sitzung)
(Abg. Hauck: Über den Antrag muß ge
schlossen abgestimmt werden! — Weitere Zunächst Punkt 3 a). Ich erteile dem Berichterstat-
Zurufe.) ter, dem Abgeordneten Killat-von Coreth, das
Wort.
— Meine Damen und Herren, bewahren wir unsere
Ruhe. Es geht dann viel, viel besser.
Killat von Coreth (SPD) : Herr Präsident! Meine
-

Der Ausschuß beantragt, diese beiden von mir sehr geschätzten Damen und Herren! Ich bitte, in
aufgerufenen Anträge für erledigt zu erklären. Das dem Ausschußbericht in Art. 4 § 4 — das ist die
geschieht in der Weise, daß ich jetzt in zweiter übliche Berlin-Klausel eine Ergänzung vorzuneh-
Beratung diese Anträge aufrufe und Sie, meine men. Bei der Verabschiedung der Vorlage im Aus-
Damen und Herren, ja oder nein dazu sagen kön- schuß ist übersehen worden, daß in § 181 a auch
nen. eine Ermächtigung zum Erlaß einer Rechtsverord-
nung für weitere Maßnahmen zur Früherkennung
Ich rufe also auf den Antrag Drucksache VI/86,
von Krankheiten vorgesehen ist. Deshalb ist § 4
Art. 1, Art. 2, Art. 3, — Einleitung und Überschrift. durch folgenden zweiten Satz zu ergänzen:
— Wortmeldungen? — Keine Wortmeldungen. Ich
lasse abstimmen. Wer diesen Artikeln, der Einlei- Rechtsverordnungen, die auf Grund dieses Ge-
tung und der Überschrift in zweiter Beratung zu- setzes erlassen werden, gelten im Lande Berlin
stimmen will, der möge das Handzeichen geben. — nach § 14 des Dritten Überleitungsgesetzes.
Gegenprobe! — Das ist die Mehrheit. Damit ist der Ich bitte den Herrn Präsidenten, diese notwendige
Antrag erledigt. Ergänzung bei der Beschlußfassung mit aufzu-
Ich rufe nunmehr den Entwurf Drucksache VI/903 nehmen.
Art. 1 bis 4 sowie Einleitung und Überschrift auf. Meine Damen und Herren! Ich halte es wegen der
Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. — großen Bedeutung, die dieses Gesetz zur Weiter-
Gegenprobe! -- Mit Mehrheit abgelehnt. Damit sind entwicklung des Rechts der gesetzlichen Kranken-
diese Punkte erledigt. versicherung hat, für angemessen, noch einige Be-
merkungen zum sachlichen Gehalt dieses Gesetzes
Ich muß noch abstimmen lassen über Ziffer 3 des
zu machen.
Ausschußantrages, die eingegangenen Petitionen für
erledigt zu erklären. Wer einverstanden ist, gebe Nach einigen materiellen Veränderungen und
das Handzeichen. — Angenommen. Verbesserungen im Bereich des Krankengeldes und
der Mutterschaftsleistungen gibt es zwei Fragen
Ich rufe Punkt 3 der Tagesordnung auf: komplexe, die für die Weiterentwicklung des Rech-
a) Zweite und dritte Beratung des von der tes in der Krankenversicherung von gravierender
Bundesregierung eingebrachten Entwurfs Bedeutung sind.
eines Gesetzes zur Änderung des Rechts Der erste Komplex umfaßt die Gleichstellung der
der gesetzlichen Krankenversicherung (Zwei Angestellten mit den übrigen Arbeitnehmern. Nach
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4153
Killat-von Coreth
der gesellschaftspolitischen und auch sozialrecht- Grund der Ausführungen dieser Sachverständigen
lichen Gleichstellung von Arbeitern mit Angestell- und des Materials dieses Sonderausschusses, aber
ten durch die Lohnfortzahlung in der letzten Legis- auch auf Grund der fachkundigen Beratungen, die
laturperiode werden nunmehr die bis jetzt noch wir von seiten der Mitarbeiter des Ministeriums
bestehenden materiellen wie auch sozialrechtlichen für Arbeit und Sozialordnung und des Ministeriums
Benachteiligungen für rund 7 Millionen Angestellte für Jugend, Familie und Gesundheit erfahren haben
beseitigt. Mit der Verabschiedung dieser Ausschuß-
(Abg. Ruf: Und auf Grund unseres Antrags!)
vorlage erhalten alle Angestellten unabhängig von .

der Höhe ihres Einkommens den 50%igen Arbeit- und die wir alle, glaube ich, als sehr hilfreich emp-
geberzuschuß. funden haben, hat der Ausschuß mit Zustimmung
aller drei Fraktionen einstimmig
Mit der Anbindung der Krankenversicherungs-
pflichtgrenze in einer Höhe von 75% an die Bei- (Abg. Ruf: Auf Grund des Antrags der
tragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung CDU/CSU!)
— ab 1. Januar 1425 DM — entfällt in Zukunft der diesen wesentlichen Abschnitt in die Vorlage ein-
ständig im Parlament entstandene und entbrannte arbeiten und dem Hohen Hause zur Beschlußfassung
Streit über die Notwendigkeit und die Höhe der unterbreiten können.
bisher statisch gehaltenen Grenze.
Vielleicht noch der Hinweis, daß bei den Maßnah-
Weiter ist bedeutsam, daß in Zukunft auch die men zur Früherkennung von Krankheiten einmal in
Berufsanfänger unter den Angestellten, unabhängig § 181 ein Rechtsanspruch für einen fest umrissenen
von der Höhe ihrer Einkommen, auch wenn das Personenkreis und für bestimmte Krankheitsarten
Einkommen die Versicherungspflichtgrenze über- festgelegt wird und daß zum anderen in, § 181 a für
schreitet, innerhalb von drei Monaten nach Berufs- die Weiterentwicklung konkret gefaßte Normen
antritt die Möglichkeit erhalten, sich zu entscheiden, enthalten sind. Auf Grund dieser Kautelen kann
ob sie in einer gesetzlichen oder in einer privaten der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung
Krankenversicherung ihren sozialen Schutz erwer- in Gemeinschaft mit dem Bundesminister für Ju-
ben wollen. Diese grundsätzliche Neuordnung, die gend, Familie und Gesundheit Rechtsverordnungen
allen Angestellten einen unabdingbaren Anspruch -
zur Weiterentwicklung dieses Leistungsgebietes er-
auf den Arbeitgeberzuschuß sichert und ihnen erst- lassen.
mals die Wahlfreiheit bei Berufsbeginn gibt, über
die Zugehörigkeit zu der einen oder anderen Ein- (Abg. Franke [Osnabrück]:: Und Herr Schel
richtung zu entscheiden, macht es aus Gründen der lenberg hat uns geschmäht, weil wir die
Gleichbehandlung notwendig, daß wir für einen Rechtsverordnung in unserem Entwurf ha
Übergangszeitraum von drei Monaten auch allen ben!)
übrigen Angestellten, die bisher nicht die Möglich-
— Herr Kollege Franke, Sie werden sich darüber
keit hatten, in eigener Verantwortung zu entschei-
noch mit dem Kollegen Schellenberg unterhalten
den, die Wahlfreiheit geben, ob sie den Kranken-
können. Wir haben uns auf diese Vorlage ver-
versicherungsschutz für sich und ihre Familie in
ständigt, weil Ihre Anträge oder Vorschläge im
einer gesetzlichen Krankenversicherung oder in
Ausschuß ja nicht so weit gingen wie die jetzt ge-
einer privaten Versicherung finden wollen.
meinsam getroffenen Regelungen.
Nun zu dem zweiten wichtigen Fragenkomplex (Abg. Frau Kalinke: Unglaublich!)
in diesem Gesetz. Erstmals werden Vorsorgemaß-
nahmen zur Früherkennung von Krankheiten als Ich darf wohl im Namen der Ausschußkollegen
Pflichtleistung in der gesetzlichen Krankenversiche- aller drei Fraktionen den Mitgliedern des Sachver-
rung eingeführt. ständigenausschusses und auch den Mitarbeitern in
den Ministerien, die sehr hilfreiche Arbeit geleistet
(Abg. Franke [Osnabrück]:: Dank einer Ini
und das Zustandekommen dieses schwierigen und
tiative der CDU/CSU!)
bedeutsamen Abschnitts des Gesetzes ermöglicht ha-
— Darüber werden wir noch in der Auseinander- ben, recht herzlich danken.
setzung sprechen. Das kann ich jetzt nicht als Be- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
richterstatter. — Damit wird ein bedeutsames, und
ich darf wohl auch sagen: neues Kapitel der mo- Abschließend möchte ich auf die im Gesetz vorge-
dernen Gesundheitssicherung begonnen. Der Vor- sehene Pflicht der Krankenkassen hinweisen, eine
sitzende des Sonderausschusses für Vorsorge und umfassende Aufklärung der Versicherten zu betrei-
Früherkennung, Professor Jahn, hat bei der An- ben, damit diese den rechten Gebrauch von den
hörung der Sachverständigen die Feststellung ge- Vorsorgeuntersuchungen und den Maßnahmen zur
troffen, daß die Bundesrepublik mit dieser vorge- Früherkennung von Krankheiten machen, und die
sehenen Lösung und mit den Leistungen, die zur Erwartung aussprechen, daß diese Aufklärung mit
Vorsorge und Früherkennung in der gesetzlichen allen geeigneten Mitteln und auch mit dem notwen-
Krankenversicherung eingeführt werden, an die digen Nachdruck durchgeführt wird. Nur auf diesem
Spitze in Europa treten wird. Im Laufe der Beratun- Wege kann die psychologische Sperre überwunden
gen hat der Ausschuß die Sachverständigen dieser werden, die insbesondere bei den jüngeren Frauen
Kommission gehört, die ja bereits von der Bundes- und vielleicht auch für ihre Kinder immer noch fest-
regierung eingesetzt worden ist, um das Recht in zustellen ist. Erst dann, wenn von den im Gesetz
der Krankenversicherung weiterzuentwickeln. Auf vorgesehenen Maßnahmen umfassend Gebrauch ge-
4154 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Killat-von Coreth
macht wird, kann die segensreiche Wirkung dieses Wenn man hier auch noch etwas Milde walten las-
Gesetzes zum Zuge kommen. sen kann, so ist doch die Absicht erkennbar, in einer
Darstellung des Parlaments, auch im Schriftlichen
Herr Präsident, gestatten Sie, daß ich jetzt noch
Bericht, dieser schwachen Bundesregierung eine
kurz den Änderungsantrag Umdruck 74 *) begründe.
Hilfe zu geben. Wir meinen, daß das in der sach-
Bei der Änderung des § 199 handelt es sich um
lichen Darstellung eines Ausschußberichts unzuläs-
einen Antrag aller drei Fraktionen dieses Hauses.
sig ist.
Mit der neuen Bestimmung wird erreicht. daß die
Schwangeren bei Entbindung in einer Entbindungs- (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von
oder Krankenanstalt nicht wie bisher das niedrigere der SPD.)
Hausgeld für einen Zeitraum von zehn Tagen erhal-
Es heißt weiter unter Punkt 2:
ten, sondern das wesentliche höhere Mutterschafts-
geld. Damit werden auch in diesem Punkt die Damit soll zum Ausdruck kommen, daß dieses
Schwangeren mit den übrigen Kranken in der Kran- Gesetz ein Schritt der von der Bundesregierung
kenhauspflege gleichgestellt. Mit dieser Gleichstel- für diese Legislaturperiode vorgesehenen Wei-
lung ist erfreulicherweise eine erhebliche Verwal- terentwicklung der gesetzlichen Krankenver-
tungsvereinfachung verbunden, weil nicht noch zwi- sicherung ist.
schendurch mit anderen Abrechnungsunterlagen in Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir ha-
verschiedenen Zeitabschnitten gerechnet werden ben hier die Anträge der Bundesregierung und der
muß. größten Fraktion dieses Hauses behandelt. Wenn
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Sie schon eine Initiative erwähnen; was ich für
vielleicht noch legal halte, müssen Sie wegen der
Vizepräsident Dr. Schmid: Ich danke dem objektiven Darstellung aber selbstverständlich auch
Herrn Berichterstatter. Das Wort zum Schriftlichen die Initiative der größten Fraktion dieses Hauses
Bericht hat der Herr Abgeordnete Franke. im Schriftlichen Bericht erwähnen.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Franke (Osnabrück) (CDU/CSU) : Herr Präsident! Während hier die sogenannten Aktivitäten der
-
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Namens schwachen Bundesregierung erwähnt werden, die
der Fraktion der CDU/CSU habe ich an dem Schrift- in einem Schriftlichen Bericht des Parlaments nichts
lichen Bericht und an dem Vorblatt zum Ausschuß zu suchen haben, nennt der parteiische Berichterstat-
bericht einige Kritik anzumelden. ter in seinem Bericht die Abstimmungsergebnisse,
sobald sie einen scheinbaren Vorteil für diese
Auf dem Vorblatt zum Bericht des Ausschusses schwache Koalition bringen.
heißt es:
(Zuruf des Abg. Geiger.)
Im Zuge der in der Regierungserklärung ange-
kündigten Weiterentwicklung des Rechts der Nicht erwähnt werden in dem Schriftlichen Bericht
gesetzlichen Krankenversicherung sind vor des Kollegen Berichterstatters die Initiativen der
allem die Erhöhung und Dynamisierung der CDU/CSU-Fraktion, die in dem Gesetzentwurf der
Krankenversicherungspflichtgrenze . Bundesregierung nicht enthalten waren. Ich darf
auf ein Beispiel verweisen. Zu Nr. 5 heißt es auf
Wir protestieren gegen diese Formulierung in einer Seite 4 des Schriftlichen Berichts:
Darstellung des Parlaments, Herr Präsident. Ich darf
hier anregen oder eventuell einmal den Anspruch Durch die Einfügung werden die Maßnahmen
der Fraktion anmelden, im Ältestenrat darüber zu zur Früherkennung von Krankheiten in den
sprechen. Wir können doch nicht ein Blatt des Parla- gesetzlichen Leistungskatalog einbezogen.
ments zu einem Propagandainstrument dieser Bun- Zu Nr. 6 — Früherkennungsmaßnahmen im einzel-
desregierung machen. nen, §§ 181, 181 a und 181 b RVO — ist in einer
(Beifall bei der CDU/CSU.) längeren Beschreibung mit keinem Wort davon die
Rede, daß das nicht in dem Entwurf der Bundes-
In dem Schriftlichen Bericht des Kollegen Killat regierung, wohl aber im Entwurf der CDU/CSU ent-
von Coreth kann — sicherlich handelt es sich um halten war und dann Allgemeingut der Entschei-
eine Intervention des Beamtenapparats unseres dungen des Parlamentsausschusses geworden ist.
Hauses — unser Gesetzgebungsantrag, der ja vor
dem Entwurf der Bundesregierung über eine Fort- (Zuruf der Abg. Frau Kalinke.)
führung der Krankenversicherungsreform einge- Der Bundesarbeitsminister hat sich noch bei der
bracht worden ist, selbstverständlich nicht unter- ersten Lesung in diesem Hause bereit erklärt, even-
schlagen werden. In dem Schriftlichen Bericht des tuell die Erkenntnisse der Sachverständigenkommis-
Kollegen Killat-von Coreth heißt es aber: sion nachzuschieben. Der Sachverständige Professor
Der von der Bundesregierung vorgelegte Ent- Jahn sagte aber, daß die Sachverständigenkommis-
wurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts sion zu einer abschließenden Beratung noch nicht
der gesetzlichen Krankenversicherung ... wurde gekommen sei, weil das gesamte Instrument der
zusammen mit dem von der Fraktion der CDU/ Früherkennungs- und Vorsorgemaßnahmen von den
CSU eingebrachten Entwurf ... Sachverständigen noch nicht endgültig angeboten
werden könne.
*) Siehe Anlage 4 (Zuruf des Abg. Geiger.)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4155
Franke (Osnabrück)
Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Das Gesetz gewährt allen Versicherten und
SPD- und FDP-Fraktion, Sie haben wahrscheinlich Familienangehörigen folgende Ansprüche zur
das positive Echo registriert, das die Initiative der Sicherung der Gesundheit . . .
CDU/CSU zu § 181, nämlich zu den Früherken-
nungs- und Vorsorgemaßnahmen, ausgelöst hat. Sie Und Sie müssen noch den Vorspruch lesen, meine
glaubten sich in diese Initiative einschleichen zu Damen und Herren! Hier wird das als eine Initiative
müssen, um sie letztlich in diesem Bericht noch als dieser schwachen Bundesregierung dargestellt. Das
Ihre eigene Initiative darstellen zu können. ist einfach unwahr, das ist falsch! Dies ist eine Ini-
tiative der CDU/CSU gewesen, und wir protestieren
(Beifall bei der CDU/CSU. Abg. Liehr: gegen diese falsche Darstellung.
Sehr überheblich! — Abg. Dr. Stark [Nür
tingen]: Das ist der neue Stil! — Weitere (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Das ist der
Zurufe.) neue Stil! — Sehr richtig! bei der CDU/
CSU. — Abg. Liehr: Haben Sie eigentlich
Ein Weiteres, meine Damen und Herren: Kran- auch schon etwas zur Sache gesagt? — Ge
kengeld während der Krankenhauspflege. Im Re- genruf des Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Das
gierungsentwurf ist mit keinem Wort davon die gehört sehr zur Sache!)
Rede gewesen. Der Kollege Graf Arthur Killat-von
Coreth ich glaube, so heißt er jetzt —, Aber das ist noch nicht alles. Auf der gleichen
Ebene — auf der der Propagandaträger der SPD,
(Zurufe von der SPD) als die hier die Einrichtungen des Parlaments miß-
— der ehrenwerte Kollege Killat-von Coreth hat in braucht werden — befindet sich das, was ich im
seinem Schriftlichen Bericht DGB-Nachrichtendienst lese. Ich kann eigentlich
ich sage das als Gewerkschaftler — nur mit großem
(Zuruf des Abg. Bredl)
Bedauern feststellen, welch große Geduld die Ge-
— regen Sie sich doch nicht auf, Herr Kollege werkschaften dieser schwachen Bundesregierung
Bredl — mit keinem Wort darauf verwiesen, daß entgegenbringen, wenn es um die Durchführung
das Krankengeld während der Krankenhauspflege oder Nichtdurchführung der inneren Reformen geht.
eine Initiative der CDU/CSU ist,
(Beifall bei der CDU/CSU.) -
(Zuruf des Abg. Geiger)
Ich möchte einmal sehen, wie uns z. B. auch die Ge-
während er auf der anderen Seite die Abstimmungs- werkschaften, wenn wir als CDU/CSU bei der Be-
niederlagen, die wir, wenn auch mit dem knappsten wältigung der inneren Reformen ein so mieses
Ergebnis, in einigen anderen Fragen erlitten haben, Jahr wie diese Bundesregierung hinter uns gebracht
in diesem seinem Schriftlichen Bericht erwähnt. hätten,
Es geht dann weiter auf Seite 6. Zu § 3 — Bei (Lachen bei der SPD — Beifall bei der
trittsrecht für Rentner — heißt es — ich darf zitie- CDU / CSU)
ren, Herr Präsident —: kritisiert hätten; ich nehme dabei auch die Ge-
Der Ausschuß sieht diese Regelung als eine werkschaft nicht aus, der ich angehöre.
Ausnahme an, zu der er sich durch eine Reihe
von Petitionen veranlaßt sah. Ich möchte hier vorn Arbeitnehmertag der Sozial-
demokratischen Partei sprechen.
Sehr verehrter Herr Kollege Killat, w i r haben den
Antrag eingebracht. Das erwähnen Sie in einem
Nebensatz, nämlich auf Seite 7: Vizepräsident Dr. Schmid: Sie wollten zum
Bericht sprechen. Was Sie jetzt tun, ist etwas an-
Der weitergehende Antrag nach Artikel 6 der deres.
Drucksache VI/726
— hier wird überhaupt nicht von dem Initiativ Franke (Osnabrück) (CDU/CSU): Herr Präsident,
antrag der CDU/CSU gesprochen ich gebe Ihnen das zu. Aber ich wollte nur sagen,
wurde abgelehnt, um präjudizierende Wirkun- daß auch der Herr Kollege Gerd Muhr vom Deut-
gen zur Schaffung weiterer Öffnungsklauseln zu schen Gewerkschaftsbund zu etwas Zuflucht nimmt,
vermeiden. was nicht der Wahrheit entspricht, wenn er sagt, die
Gewerkschaften wüßten es auch zu schätzen, „daß
Meine Damen und Herren, wir halten das für eine jetzt zum erstenmal ein Arbeitsminister bestrebt
unzulässige Darstellung der sachlichen Parlaments- ist, die Gesundheitspolitik weiterzuentwickeln und
arbeit im Ausschuß. die soziale Krankenversicherung in eine Institution
zur Gesundheitssicherung zu transformieren". Meine
Uns scheint das aber Methode zu sein. Ich ent- Damen und Herren, auch dieser Kollege Gerd Muhr
nehme den „Informationen der sozialdemokratischen vom Deutschen Gewerkschaftsbund, der Mitglied
Fraktion im Deutschen Bundestag" von gestern, daß der SPD ist, ist einem großen Irrtum erlegen, denn
die Fraktion der SPD das auf ihre Fahne schreibt, das ist eine Initiative der CDU/CSU gewesen. Und
was ich hier gerade als eine Initiative der CDU/CSU
ich hoffe, daß der Kollege Gerd Muhr dies in einer
dargestellt habe. Da heißt es auf Seite 2 unter
Darstellung berichtigt.
Punkt 4 — Herr Präsident, ich darf mit Ihrer Ge-
nehmigung zitieren —: (Beifall bei der CDU/CSU.)
4156 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeord- Wir sitzen gelegentlich alle wechselweise mitein-
neter, wer zum Bericht sprechen will, muß zum ander im Glashaus.
Bericht sprechen und zu nichts anderem. Er darf (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
nicht, wie Sie es getan haben, „Bemerkungen zum
Bericht" dazu benutzen, urn — was Sie dem Bericht- Und da hier so eindringlich von „schwacher Bun-
erstatter vorwerfen — Parteipolemik zu treiben. desregierung" geredet wird, so erlaube ich mir die
Bemerkung, daß eine kleine Mehrheit mehr ist als
(Abg. Frau Kalinke: Seien Sie altersgütig, eine große Minderheit.
Herr Präsident! Haben Sie Verständnis für
(Beifall und Heiterkeit bei den Regierungs
die Jugend!)
parteien. — Lachen bei der CDU/CSU.)
Das nur nebenbei.
Ich rufe Art. 1 auf, dazu den Änderungsantrag
Ich frage den Berichterstatter, ob er antworten Umdruck 74. Der Antrag wird wohl nicht mehr be-
will. gründet.
(Abg. Dr. Schellenberg: Ich möchte als Aus (Abg. Ruf: Nein!)
schußvorsitzender Stellung nehmen!)
Keine Wortmeldung. Dann stimmen wir über den
— Nein, es ist hier behauptet worden, der Bericht- Antrag Umdruck 74 ab, durch den in Art. 1 eine
erstatter habe sich als Berichterstatter unzulässig Nr. 10 a eingefügt werden soll. Wer zustimmen will,
verhalten. gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthal-
(Abg. Liehr: Das muß doch jetzt der Aus tungen? — Einstimmige Annahme.
schußvorsitzende aufnehmen! — Abg. Mül Dann stimmen wir über Art. 1 in der so geänderten
ler [Remscheid] : Wer präsidiert hier eigent Fassung als Ganzes ab. Wer zustimmen will, gebe
lich, der Präsident oder der Abgeordnete das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
Liehr? — Abg. Breidbach: Nein, der Abge — Einstimmig angenommen.
ordnete Schellenberg!) Art 2, — 3, — 4, — Einleitung und Überschrift.
Zunächst einmal frage ich den Berichterstatter, ob — Wer zustimmen will, gebe das Handzeichen. —
er etwas zu sagen hat. Wenn nicht, dann bitte Herr Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmige-
An-
Abgeordneter Schellenberg als Ausschußvorsitzen- nahme.
der!
Ich rufe zur
dritten Beratung
Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Präsident! Meine auf. Das Wort hat der Herr Abgeordnete Ruf.
Damen und Herren! Ich muß den Herrn Berichter-
statter in Schutz nehmen. Ruf (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr ver-
(Aha! bei der CDU/CSU.) ehrten Damen und Herren! Die CDU/CSU-Fraktion
stimmt dem Gesetz zur Änderung des Rechts der
Wer zu dem vorigen Punkt den Bericht von Frau gesetzlichen Krankenversicherung zu. Wir stellen
Kollegin Stommel gehört hat, mit Genugtuung fest, daß wesentliche Elemente un-
(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Immer Retour seres Gesetzentwurfs in der nun vom Ausschuß be-
kutschen!) schlossenen Vorlage enthalten sind
muß bestätigen, daß sich der Bericht des Abgeord- (Abg. Liehr: Weiterentwickelt worden
neten Killat in seiner Sachlichkeit wohltuend von sind!)
dem abhebt, was wir vorhin als Berichterstattung — und weiterentwickelt worden sind. Ich erwähne
gehört haben. unter anderem die Erhöhung und Dynamisierung
(Beifall bei der SPD. — Abg. Breidbach: der Versicherungspflichtgrenze, den Arbeitgeber-
Das behaupten Sie!) zuschuß für die freiwillig und privat versicherten
Angestellten sowie die Beitrittsberechtigung für
Im übrigen, Herr Kollege Franke, haben Sie über- Berufsanfänger. Diese Punkte waren sowohl im
sehen, daß es unter Ziffer 2 des Antrages — und das CDU/CSU-Antrag als auch im Regierungsentwurf
hat der Ausschuß beschlossen — heißt, den Gesetz- enthalten. Zusätzlich aber wurden vom Ausschuß
entwurf der CDU/CSU durch die Beschlußfassung beschlossen: 1. Maßnahmen zur Früherkennung von
für erledigt zu erklären. Das ist der politisch ent- Krankheiten, 2. die Beseitigung des Hausgeldes und
scheidende Punkt. Es blieb Ihnen schließlich nichts die Gewährung des höheren Krankengeldes bei
anderes übrig, als dem zuzustimmen. Krankenhausaufenthalt, 3. die nochmalige Beitritts-
(Beifall bei der SPD. — Lachen bei der berechtigung für diejenigen Rentner, die im Jahre
CDU/CSU. Abg. Frau Kalinke: Das ist 1968 die Möglichkeit versäumt hatten, in die ge-
unter der Würde eines Ausschußvorsitzen setzliche Krankenversicherung einzutreten. Wir
den! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU: hätten allerdings gern gesehen, wenn auch umge-
Das ist ja mehr als billig! — Diese Einfalls kehrt in Richtung auf die private Versicherung noch
losigkeit!) einmal eine Öffnung beschlossen worden wäre.
Diese drei Punkte waren im Gesetzentwurf der Re-
gierung nicht enthalten. Ihre Aufnahme in das Ge-
Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und setz ist also eindeutig unserer Initiative zu verdan-
Herren, ich betrachte damit die Querele als erledigt. ken.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4157
Ruf
Sie werden uns, der CDU/CSU, wahrscheinlich die Verabschiedung der heutigen Gesetze Meilen-
wieder vorhalten — darauf sind wir gewappnet, steine der Sozialpolitik bedeuteten,
und das sind wir gewohnt —, daß wir das alles (Lachen bei der CDU/CSU)
schon früher hätten beschließen können und daß
wir uns erst, seit wir in der Opposition seien, dazu dann kann man wahrhaftig nur lachen. Sie sind
aufgerafft hätten. sehr, sehr bescheiden.

(Zuruf des Abg. Geiger.) (Abg. Frau Kalinke: Leider wahr!)

— Lieber Kollege Geiger, ich darf nur eine Sache Meilensteine der Sozialpolitik, das sind ganz an-
herausgreifen. In der Regierung der Großen Koali- dere Gesetze. Das ist der Lastenausgleich, das ist
tion haben wir mit dem Lohnfortzahlungsgesetz die die Kriegsopferversorgung, das ist das Betriebsver-
arbeitsrechtliche Gleichstellung aller Arbeitnehmer fassungsgesetz, das ist die Rentenreform, das ist das
im Krankheitsfall gemeinsam beschlossen. Die finan- Arbeitsförderungsgesetz, das ist die Vermögensbil-
ziellen Auswirkungen dieses Gesetzes waren nicht dung — alles Gesetze, die unter Federführung und
unerheblich. Sie sind offensichtlich größer, als wir maßgeblichem Einfluß der CDU/CSU beschlossen
alle es seinerzeit angenommen haben. Damals muß- und durchgeführt worden sind.
ten wir selbstverständlich auf die Belastungen (Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe von
Rücksicht nehmen, die aus der Lohnfortzahlung er- der SPD.)
wachsen. Wir mußten auf die weitere Erhöhung der
Meine Damen Und Herren, wir freuen uns ganz
Grenzen und auch auf den Arbeitgeberzuschuß für
besonders darüber, daß in den Katalog der Pflicht-
Angestellte verzichten und mußten bei der Verab-
leistungen der Krankenversicherung nunmehr die
schiedung des Lohnfortzahlungsgesetzes auch in
Früherkennungsmaßnahmen für bestimmte Erkran-
Kauf nehmen — wir ,die CDU —, daß wir von man-
kungen aufgenommen worden sind. Dies wäre ohne
chen Angestellten damals nicht verstanden wurden.
jeden Zweifel zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht
Niemand kann alles auf einmal realisieren, auch geschehen, wenn nicht die CDU in ihrem Gesetz-
wenn es noch so wünschenswert und noch so ange- entwurf das Kapitel Vorsorge aufgenommen hätte.
bracht wäre. (Abg. Liehr: Das ist doch nur die halbe -
(Abg. Liehr: Sehen Sie, das trifft auch für Wahrheit, Herr Ruf!)
uns zu!)
— Es kommt noch. Wir sind der Auffassung, daß es
Sie, meine Damen und Herren, von den Koalitions- in der gemeinsamen Beratung im Ausschuß nun-
fraktionen, müssen jetzt ebenfalls erfahren, daß Sie mehr gelungen ist, eine Regelung zu finden, die
von Ihren vielen Versprechungen die Sie leicht- dem derzeitigen Stand der medizinischen Wissen-
fertigerweise — das muß man sagen — im Wahl- schaft und den gegebenen personellen und sach-
kampf und später gemacht haben, heute nur einen lichen Voraussetzungen entspricht. Sind Sie jetzt
Bruchteil erfüllen können und daß Sie das, was Sie zufrieden, Herr Kollege Liehr?
sich vorgenommen haben ich erinnere an die (Abg. Liehr: Nur zur Hälfte!)
Kindergelddebatte —, wenn überhaupt, auch nur
schrittweise erledigen können. Sie sollten es sich Auf einer Ärztetagung in Bad Boll wurde vor
daher doch allmählich ersparen, diese billigen Rück- kurzem behauptet, der Bundestagsausschuß für
blenden in die Vergangenheit zu machen und uns Arbeit und Sozialordnung habe sich nicht die Zeit
immer wieder angebliche Versäumnisse vorzu- genommen, Sachverständige zu hören. Das ent-
werfen. spricht nicht den Tatsachen. Dem muß man ent-
gegentreten. Selbstverständlich das wurde vor-
(Abg. Liehr: Sie sind nicht billig, sondern
hin schon vom Berichterstatter erwähnt — hat der
schmerzlich!)
Ausschuß Sachverständige gerade zu dem Kapitel
— Die sind nicht schmerzlich. Auf die Dauer nimmt Früherkennung gehört. Ich brauche darauf nicht
man Ihnen diese pauschalen und stereotypen Vor- mehr einzugehen. Jeder, der sich als Arzt oder als
würfe sowieso nicht mehr ab. Sozialpolitiker mit der Problematik der Früherken-
nung auch nur einigermaßen beschäftigt hat, wird
(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)
zugeben müssen, daß die Beschlüsse des Ausschus-
Dazu sind die Erfolge unserer Sozialpolitik allzu ses mit dem Urteil der Fachwelt darüber, was not-
deutlich und sichtbar. Jedermann weiß, daß wir in wendig und was heute möglich ist, durchaus über-
der Bundesrepublik durch die Politik der CDU, was einstimmen.
das Volumen der Sozialleistungen angeht, an der Es ist zuzugeben, daß vieles von dem, was wir
Spitze aller Länder stehen und daß wir sozialpoli- heute beschlossen haben, heute schon praktiziert
tische Regelungen haben, die in dieser Form und in und von den Kassen finanziert wird. Aber gerade
diesem Ausmaß kein anderes Land der Welt kennt. das hat uns, die CDU/CSU-Fraktion, ermutigt, diese
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Liehr: Leistungen nunmehr offiziell in den Katalog der
Das haben Sie doch nicht alles selbstherr Pflichtleistungen der Krankenversicherung aufzu-
lich allein gemacht! — Abg. Müller [Berlin] : nehmen. Dieser Schritt hat sicherlich erhebliche
Sie machen doch alles allein!) — ich sage erhebliche — personelle, medizinische,
organisatorische und auch finanzielle Auswirkun-
Meine Damen und Herren, wenn ich da in dem gen. Darüber sind wir uns alle im klaren, die wir
Informationsdienst der SPD von gestern lese, daß das beschlossen haben.
4158 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Ruf
Noch etwas. Wenn die CDU/CSU-Fraktion diesen Reform der gesetzlichen Krankenversicherung nicht
Ausbau der Krankenversicherung nicht nur begrüßt, überflüssig geworden.
sondern sogar gefordert hat, dann sind wir des-
(Zuruf des Abg. Dr. Schellenberg.)
wegen noch lange nicht — wie schon behauptet
wurde — in das Lager derjenigen abgewandert, die — Jawohl, hier unterscheiden wir uns von den
einen versorgungsstaatlichen Gesundheitsdienst be- Koalitionsfraktionen, die nur noch von der Weiter-
fürworten. Für uns ist und bleibt auch in Zukunft entwicklung der Krankenversicherung sprechen und
der einzelne der Erstverantwortliche für seine Ge- es nicht wagen, das Wort „Reform der Kranken-
sundheit und nicht der Staat. Dieser Schritt bedeutet versicherung" in den Mund zu nehmen.
für uns nichts anderes als die Weiterentwicklung (Zuruf des Abg. Geiger.)
einer produktiven Sozialpolitik, die die CDU-Ar-
beitsminister — und hier sitzt einer — in früheren — Herr Kollege Geiger, wir wissen, wie leicht es
Jahren auf den verschiedenen Gebieten der Sozial- ist, Krankenversicherungsreform zu fordern, und
politik eingeleitet haben, und zwar nach dem wie schwer es ist, Krankenversicherungsreform zu
Grundsatz: „Vorbeugen ist besser als Heilen, und machen.
früherkennen und rechtzeitig behandeln ist besser (Abg. Frau Kalinke: So ist es!)
als Rente bezahlen." Daß wir im übrigen einen Da haben wir, das muß man sagen, leidvolle Erfah-
staatlichen Gesundheitsdienst nach wie vor ableh- rungen. Deshalb hat unser Kollege Katzer in der
nen, mögen Sie auch aus der Tatsache entnehmen, Regierung der Großen Koalition seinerzeit mit Recht
daß wir die Früherkennungsmaßnahmen in das gesagt, daß eine Reform nur in Schritten durchge-
Kassenarztrecht einbezogen und bestimmt haben, führt werden kann und daß eine Reform der Kran-
daß die notwendigen Richtlinien durch den Bundes- kenversicherung eine permanente Aufgabe ist.
ausschuß Ärzte und Kassen vereinbart werden sol-
len. Die CDU/CSU wird dabei bleiben; auch in Zu- (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)
kunft wird sich ihre Haltung in diesen Fragen nicht Bei dieser Aussage des Kollegen Katzer bleiben wir.
ändern. Dies ist selbstverständlich. Die Bundesregierung hat
eine Kommission eingesetzt. Eine gute Sache! Wir
Meine Damen und Herren, die vom Ausschuß sind damit einverstanden. Wir hoffen aber, daß sie
nunmehr beschlossenen Maßnahmen sind von gro- die Arbeiten dieser Kommission vorantreibt und
ßer Bedeutung für jeden einzelnen Menschen, aber dem Bundestag recht bald entsprechende Vorschläge
auch von Bedeutung für die Gesamtheit. Das muß unterbreitet.
man sehen. Wir wollen hoffen, daß die Berechigten
von den Möglichkeiten des Gesetzes nunmehr auch Im übrigen, meine Damen und Herren, sind auf
Gebrauch machen, daß sie die Scheu überwinden, dem Gebiet der Krankenversicherung schon so viele
sich rechtzeitig und regelmäßig untersuchen zu las- Vorschläge gemacht worden, daß es kaum mehr
sen. Hier sind die Kassen und alle anderen Betei- möglich ist, einen neuen Vorschlag auszudenken.
ligten, auch unsere Ministerien, aufgerufen, für die Worauf es ankommt, sind heutzutage weniger die
notwendige Aufklärung der Bevölkerung zu sorgen. Vorschläge — die haben wir, wie gesagt, zur Ge-
nüge —, sondern es kommt darauf an, daß man den
Man spricht heutzutage sehr viel vom gewachse- Mut hat, sich für etwas zu entscheiden. Daran fehlt
nen Gesundheitsbewußtsein unserer Zeit. Dazu ge- es eben leider bei der neuen Bundesregierung ge-
hört aber, daß jeder von den gegebenen Früh- rade auf diesem Gebiet. Die Bundesregierung wird
erkennungsmöglichkeiten Gebrauch macht und daß den Mut haben müssen, auch hier endlich einmal,
ferner jeder einzelne einsieht, daß er zunächst sel- so wie wir es früher getan haben — ich denke an
ber die Pflicht hat, alles zu tun, um sich gesund zu den Kollegen Blank und andere —, die heißen
erhalten und Krankheiten abzuwehren. Nicht selten, Eisen der Krankenversicherung anzufassen und auch
meine Damen und Herren, ist es doch so, daß mehr unpopuläre Maßnahmen durchzuführen. Daran wer-
Geld dafür ausgegeben wird, die Gesundheit zu den Sie nicht vorbeikommen.
ruinieren, als dafür, sie zu erhalten. (Abg. Liehr: Sie haben doch immer nur
(Abg. Frau Kalinke: Das ist leider wahr!) Päckchen auf- und zugemacht!)
— Jawohl, aber es waren gute Päckchen, Herr
— Das ist leider wahr. Denken wir nur an uns Kollege Liehr.
selbst! Allzu leicht machen wir für gesundheitliche
Schäden unsere Umwelt, die Zivilisation, die Ar- Die Regierung will eine Regierung der Reformen
beitswelt, jedenfalls immer andere verantwortlich sein. Hier, auf dem Gebiet der Krankenversiche-
und denken nicht an das, was wir tun, womit wir rung, könnte sie beweisen, was sie zuwege bringt.
unsere Gesundheit — durch eine unvernünftige Hier kann sie, meine Damen und Herren, z. B. ein-
Lebensweise etc. — gefährden. Daher sind wir der mal zeigen, wie sie das Problem der Kostenexplo-
Meinung, daß auf dem Gebiet der Gesundheits- sion im Gesundheitswesen meistern will; wie sie
erziehung, aber auch auf dem Gebiet der gesund- dafür sorgen will, daß in dem Massenbetrieb der
heitlichen Aufklärung in Zukunft noch mehr zu ge- überfüllten Krankenhäuser und der überlasteten
schehen hat als bisher. Sprechzimmer unserer Ärzte die kranken und
schwerkranken Menschen nicht zu kurz kommen;
Lassen Sie mich noch eine Schlußbemerkung wie sie den Fortschritt der medizinischen Wissen-
machen. Durch den vorliegenden Gesetzentwurf ist schaft und Technik, der ja immer kostspieliger wird,
nach Auffassung der CDU/CSU-Fraktion eine auch in Zukunft auf breiter Basis dem Versicherten
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4159
Ruf
zugute kommen lassen will; wie sie dafür sorgen reform aus der Zeit des Kollegen Blank als Pflicht
will, daß unsere Kassenärzte und unser Pflegeperso- leistung der Krankenversicherung vorgesehen war?
nal entlastet werden, und zwar so, daß Sie endlich
(Zuruf von der CDU/CSU: Sehr richtig!)
die notwendige Zeit für ihre Patienten haben.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wenn Dr. Schellenberg (SPD) : Mit Kostenbeteiligung!
uns die Bundesregierung zu diesen Problemen im Damit hatten Sie die Vorsorge damals unmöglich
Sinne einer Reform der Krankenversicherung wirk- gemacht.
same Maßnahmen vorschlagen sollte, dann werden (Beifall bei der SPD.)
Sie uns, die CDU/CSU-Fraktion, auf Ihrer Seite Denn die Versicherten durch Kostenbeteiligung da-
finden. von abzuhalten, zum Arzt zu gehen, ist das Gegen-
(Beifall bei der CDU/CSU.) teil von Vorsorge.
(Zurufe von der CDU/CSU.)
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
Abgeordnete Professor Schellenberg. Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeord-
neter, Frau Kalinke möchte eine Frage stellen.

Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Präsident! Meine Frau Kalinke (CDU/CSU) : Herr Kollege, aus
Damen und Herren! Die Bemerkungen des Herrn
Vorsorge für Ihre Gesundheit möchte ich Sie nicht
Kollegen Franke und einige Bemerkungen des Kol- erregen,
legen Ruf nötigen mich, um es hinsichtlich der Vor-
(Heiterkeit)
sorge nicht zu einer Legendenbildung kommen zu
lassen, sondern nur fragen: Sind Sie nicht der Meinung,
(Zuruf des Abg. Müller [Berlin]) daß ein Unterschied besteht, ob man in der Bun-
desrepublik Deutschland zwei Jahrzehnte in allen
kurz auf die Entwicklung der Vorsorge zurückzu-
Bereichen, in allen Parteien, im vorpolitischen Raum
kommen. — Passen Sie genau auf, Herr Kollege
von einer Notwendigkeit überzeugt ist, oder ob man
Müller, damit Sie das lernen!
ein Gesetz vorlegt, in dem man die ersten Schritte-
(Lachen in der Mitte. — Abg. Katzer: Ja zur gesetzlichen Neuordnung macht? Darum ging
wohl, Herr Professor! — Zuruf von der es in der Diskussion. Können Sie das bestätigen?
CDU/CSU: Jawohl, Herr Oberlehrer! —
Weitere Zurufe von der Mitte.) Dr. Schellenberg (SPD) : Frau Kollegin Kalinke,
Die CDU versucht, in der Debatte den Eindruck wie unvollkommen das war, was die CDU/CSU
zu erwecken, als sei sie ein Vorkämpfer der Vor- hinsichtlich der gesundheitlichen Vorsorge einge-
sorge. Das ist nicht nur falsch, sondern zeigt eine bracht hat, werde ich im einzelnen noch darlegen.
erstaunliche Unkenntnis (Abg. Frau Kalinke: Sie haben nicht mehr
(Zuruf von der CDU/CSU: Das haben beschlossen als das, was wir eingebracht
Pauker so an sich!) haben!)
des bisherigen Ringens um das Problem der Früh- — Frau Kollegin Kalinke, auch Sie müssen noch
erkennung von Krankheiten in der gesetzlichen einiges lernen.
Krankenversicherung. (Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Frau
(Abg. Katzer: Wir sprechen von diesem Ge Kalinke: Von Ihnen gewiß nicht!)
setz, Herr Kollege!)
Mü ller (Berlin) (CDU/CSU) : Herr Kollege Schel-
— Ich spreche von der gesamten Entwicklung. Dazu lenberg, ist Ihnen denn entgangen, daß seinerzeit in
folgendes: Die erste gesetzliche Vorsorge im Rah- den Vorschlägen von Herrn Kollegen Blank keine
men der Krankenversicherung geht auf eine Initia- Selbstbeteiligung des einzelnen bei der Krankheits-
tive der Sozialdemokraten beim Mutterschutzgesetz vorsorge vorgesehen war?
zurück. Wir haben im Juni 1962 in diesem Hause
beantragt, im Rahmen der Mutterschaftshilfe Vor- (Abg. Ruf: Ja, das stimmt!)
sorgeuntersuchungen einzuführen.
Dr. Schellenberg (SPD) : Soll ich Ihnen den Ge-
setzentwurf vorlesen?
Vizepräsident Dr. Schmid: Gestatten Sie eine
Zwischenfrage? (Zuruf von der SPD: Das nützt auch nichts!)
Wenn Sie das wünschen, tue ich es gerne. Ich habe
den Text hier. Ich lese Ihnen das vor, damit Sie es
Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Präsident, wenn lernen.
Sie so gütig sind, meine Zeit dann entsprechend zu
verlängern, bin ich sehr gern bereit, jede Frage zu (Abg. Frau Kalinke: Nachsitzen und noch
beantworten. etwas hinzulernen! — Weitere Zurufe von
der CDU/CSU.)

Ruf (CDU/CSU) : Herr Kollege Professor Schel- In dem damaligen Gesetzentwurf steht:
lenberg, ist Ihnen entgangen, daß Vorsorge schon (Zurufe von der CDU/CSU: Keine Beteili
im Regierungsentwurf zur Krankenversicherungs gung an der Vorsorge!)
4160 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Dr. Schellenberg
Die Kassen müssen bei der Vorsorge Kosten- Dr. Schellenberg (SPD) : Meine Damen und
beteiligung erheben. Herren, ich lese Ihnen einmal aus dem Regierungs-
(Widerspruch bei der CDU/CSU. — Abg. entwurf vom 14. Januar 1960 vor.
Müller (Berlin) : Sie irren!) (Abg. Breidbach: Wir müssen noch einiges
Meine Damen und Herren, im übrigen war diese „lernen" !)
Vorsorge sehr mangelhaft. In § 181 Abs. 2 des Regierungsentwurfes von 1960
Ein Versicherter im Alter von über 40 Jahren heißt es hinsichtlich der Vorsorge:
sollte einmal innerhalb von drei Jahren einen An- Die Satzung muß eine Kostenbeteiligung der
spruch auf Vorsorge haben. Das war der Inhalt des Versicherten vorsehen.
Gesetzentwurfes.
So steht es in dem damaligen Regierungsentwurf.
(Zurufe von der CDU/CSU.)
(Zustimmung bei der SPD. — Abg. Müller
Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeord- [Berlin] : Aber nicht bei der Vorsorge!)
neter, Sie werden mit Zwischenfragen überschüttet.
Was den jetzt zur Beratung anstehenden Gesetz-
Wollen Sie sie alle beantworten?
entwurf betrifft, so ist, meine Damen und Herren,
im übrigen erst auf Initiative des Ausschusses nach
Dr. Schellenberg (SPD) : Ja, ich bin gerne be- Beratung mit den Sachverständigen eine Vorschrift
reit, Herr Präsident, wenn Sie mir zusätzlich zu in diesen Gesetzentwurf eingebaut worden, daß die
meiner Redezeit die Zeit dazu geben. Kassen verpflichtet werden, die Versicherten auf die
Notwendigkeit der Vorsorge in bestimmten Zeit-
Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeordneter abständen hinzuweisen.
Ruf!
(Abg. Liehr: Das ist ganz entscheidend!)
Ruf (CDU/CSU) : Herr Kollege Professor Schel- Das ist eine Schöpfung der Bundesregierung und
lenberg, ist Ihnen nicht mehr geläufig, daß der da- der Koalitionsparteien, der sich dann die CDU/CSU
malige Regierungsentwurf zwar eine Selbstbeteili- -
angeschlossen hat.
gung des Versicherten bei der zahnärztlichen Vor-
sorge vorgesehen hatte, aber nicht bei der üblichen (Abg. Frau Kalinke: Die sich überwunden
sonstigen Vorsorge? haben! — Abg. Breidbach: Das ist ja un
glaublich! — Weitere Zurufe von der
(Abg. Frau Kalinke: Das dürfen Sie uns
CDU/CSU: Wozu gibt es denn Beratungen?
glauben; wir haben es im Kopf!)
— Abg. Burger: Das ist Rabulistik! — Abg.
Frau Kalinke: Es ist unter Ihrer Würde, es
Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Kollege Ruf, ich so billig darzustellen!)
werde Ihnen den Beweis nachher noch erbringen
und mich auf Ihren eigenen Gesetzentwurf beziehen. Ich will weiter in historischer Reihenfolge vor-
Dort steht es ausdrücklich so, wie ich es gesagt tragen. Ich habe dargelegt — Sie können es nach-
habe. lesen —, daß die erste Vorsorge der Krankenver-
(Zuruf des Abg. Ruf.) sicherung bei der Mutterschaftshilfe im Jahre 1962
von den Sozialdemokraten beantragt und endlich
Frau Kalinke (CDU/CSU) : Herr Kollege Schel- nach drei Jahren, also 1965, angenommen und ins
lenberg, ich habe es — darin werden Sie mir doch Gesetz eingefügt wurde.
zustimmen — als einen Erfolg angesehen, daß Ihre
Fraktion unserer Gesetzesvorlage zugestimmt hat. Alle weiteren Vorsorgemaßnahmen im Zusam-
menhang mit dem früheren sogenannten Sozial-
(Abg. Liehr: Das ist ja falsch! — Abg. paket sind gescheitert. Sie sind auch deshalb ge-
Killat-von Coreth: Sie haben Ihre Vorlage scheitert — Frau Kollegin Kalinke, vielleicht sind
zurückgezogen!) Sie so liebenswürdig, mir Aufmerksamkeit zu schen-
— Das ist doch einfach Klitterung der Wahrheit. Ich ken —, weil die CDU/CSU-Fraktion noch keine
will mich nicht noch härter ausdrücken. klare Vorstellung über die Verwirklichung der Vor-
Herr Kollege Schellenberg, ich frage Sie: Glau- sorge hatte.
ben Sie, daß in Zukunft Maßnahmen zur Früher-
kennung von Krankheit und Vorsorgemaßnahmen Deshalb haben wir im Jahre 1963 beantragt, eine
jeder Art überhaupt Erfolg haben können, wenn Sachverständigenkommission hierfür einzusetzen,
nicht jeder einzelne Bürger durch seine eigene Ver- weil wir wußten, daß das Problem der Vorsorge
haltensweise, d. h. durch das Beteiligtsein daran, mit kompliziert ist. Unser Antrag ist am 15. November
zum Erfolg beiträgt, und würden Sie mir bestätigen, 1963, also vor sieben Jahren, in namentlicher Ab-
daß Sie dieser Auffassung der CDU/CSU heute doch stimmung abgelehnt worden.
wohl aus Einsicht, weil Sie hinzugelernt haben, zu- (Abg. Liehr: So ist es!)
stimmen?
(Zustimmung bei der CDU/CSU. — Abg. Damit ist wertvolle Zeit in der wissenschaftlichen
Wehner: Das ist ein Bandwurm und keine Vorbereitung der gesundheitlichen Vorsorge ver-
Frage! — Weiterer Zuruf von der SPD: lorengegangen.
Kann die Frage nicht wiederholt werden?) (Abg. Liehr: Das ist leider wahr!)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4161
Dr. Schellenberg
Erst die neue Bundesregierung hat es fertiggebracht, Das Entscheidende sind gesetzesreife Vorlagen
die Vorsorge bis zur Gesetzesreife zu entwickeln, über die Vorsorge.
und darauf kommt es an.
(Abg. Frau Kalinke: Die haben wir ge-
(Lachen bei der CDU/CSU. — Abg. Frau bracht! — Die haben Sie ja vorgefunden!)
Kalinke: Das stand doch im CDU/CSU-Ge
setzentwurf! — Weitere Zurufe von der — Frau Kollegin Kalinke, Ihr Gesetzentwurf war in
CDU/CSU.) keiner Weise ausgereift.
Ich darf darlegen, wie planmäßig die Bundes- (Lachen bei der CDU/CSU. — Zuruf von der
regierung vorgegangen ist. Der Herr Bundeskanzler CDU/CSU: Aber Ihrer!)
hat in der Regierungserklärung — der Herr Bundes- — Wenn Sie es wünschen, muß ich es vorlesen. In
arbeitsminister hat dies in der Aussprache ergänzt § 181 des CDU/CSU-Entwurfes steht ein Rechtsan-
— die Einsetzung einer Sachverständigenkommis- spruch auf Vorsorge — wundervoll, aber in § 181 a
sion für die Krankenversicherung angekündigt. Herr heißt es: Die Vorsorge gibt es nur, wenn Art und
Kollege Katzer, Sie haben damals in der Aussprache Umfang der Vorsorgehilfe durch eine Rechtsverord-
ein wenig zynisch gesagt: Nur eine Kommission! — nung der Bundesregierung mit allen möglichen Vor-
Aber das war der richtige Weg. Im Sozialbericht aussetzungen und Einschränkungen festgelegt wer-
hat die Bundesregierung dann die Aufgaben der
den.
Kommission hinsichtlich der Vorsorge konkretisiert
(Zuruf von der CDU/CSU: Das steht ja doch
und erklärt, welche Aufgaben zur Ausarbeitung ge-
auch bei Ihnen drin!)
setzgeberischer Vorschläge für die Vorsorge not-
wendig sind. Bei der ersten Lesung dieser Gesetz- Das heißt auf deutsch: aus Ihrem Gesetzentwurf
entwürfe hat der Herr Bundesarbeitsminister den konnte kein einziger Versicherter und kein einziger
Stand der Arbeiten in der Kommission vorgetragen Familienangehöriger ein Recht auf eine Vorsorge-
und ausdrücklich unterstrichen, daß die Kommission untersuchung ableiten. Das, was Sie brachten, war
bei der Beratung der Gesetze weitere Ergebnisse eine Deklamation. Den Inhalt haben erst die Bun-
ihrer Arbeit vorlegen werde, die für die Gesetz- desregierung durch ihre Vorbereitungen und wir
gebung nutzbar gemacht werden sollten. Das war dann im Ausschuß zustande gebracht. Das ist die
und ist das Entscheidende. Tatsache. -
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
(Beifall bei der SPD.)

Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeord-


Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeord-
neter Dr. Böhme zu einer Zwischenfrage.
neter, eine Zwischenfrage.

Dr. Böhme (CDU/CSU) : Herr Professor Schel-


Frau Kalinke (CDU/CSU) : Glauben Sie nicht, lenberg, würden Sie mir zugeben, daß es doch sehr
Herr Kollege Schellenberg, daß es Sie und Ihre
schwer ist, die Urheberrechte eines anderen sich
Fraktion mehr ehrte, wenn Sie hier die Vorlagen, die
selbst auf die Brust zu schreiben?
doch jeder nachlesen kann, sachlich erklärten? Glau-
ben Sie nicht, daß es uns alle gemeinsam hier im
Parlament ehrte, wenn die eine Fraktion der an- Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Kollege Böhme,
deren zugestünde, daß diese sie überzeugt hat? ich würde Ihnen empfehlen, daß Sie einmal die
Protokolle über die harten Auseinandersetzungen
(Beifall bei der CDU/CSU.)
lesen, die wir hier in diesem Hause und in den
Ausschüssen seit vielen Jahren, seit 1960 über Vor-
Dr. Schellenberg (SPD) : Frau Kollegin Kalinke, sorge geführt haben, und sich dann zu Wort mel-
es kommt nicht so sehr auf Vorlagen an, sondern es den.
kommt darauf an, daß hier Gesetze beschlossen (Zurufe von der CDU/CSU.)
werden,
— Meine Damen und Herren, wer die Geschichte
(Beifall bei der CDU/CSU)
der Sozialpolitik dieses Hauses ein wenig kennt,
und das ist das erste Gesetz, das die Vorsorge in der weiß, wie es hinsichtlich der Vorsorge und der Wei-
gesamten Krankenversicherung verwirklicht. Das ist terentwicklung der Krankenversicherung war. Des-
das Entscheidende. halb ist es gut, daß jetzt ein Anspruch auf Vorsorge
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu festgelegt wird. Ich komme jetzt auf einen weiteren
rufe von der CDU/CSU.) Punkt.
Vorstellungen, Pläne über Vorsorge gibt es schon Seitdem wir hier in diesem Hause über die Wei-
seit Jahrzehnten. terentwicklung der gesetzlichen Krankenversiche-
(Zurufe von der CDU/CSU. — Abg. Frau rung beraten, seit über zehn Jahren, hat es im Zu-
Kalinke: Es handelte sich doch um Geset sammenhang mit der Weiterentwicklung der gesetz-
zesinitiativen!) lichen Krankenversicherung stets die härtesten Aus-
einandersetzungen zwischen uns, den Sozialdemo-
Seit der Rentenreform unterhalten wir uns hier im kraten, und Ihnen, der CDU/CSU, über die Frage
Hause über Vorsorge. der Kostenbeteiligung gegeben. Das war so beim
(Abg. Frau Kalinke: Es handelte sich um ersten Sozialpaket von Herrn Kollegen Blank aus
Gesetzesinitiativen, Herr Professor Schel dem Januar 1960, das war so bei Ihrem letzten
lenberg, nicht um Wahlreden!) Gesetzentwurf der letzten Legislaturperiode am
4162 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75, Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Dr. Schellenberg
18. März 1969, in dem Sie noch Kostenbeteiligung Fahren Sie fort, Herr Abgeordneter!
für den Krankenhausaufenthalt wollten,
(Abg. Frau Kalinke: Herr Professor, — —!)
(Zuruf von der CDU/CSU: Solange jemand
sein Einkommen bezieht!) — Ich erteile Ihnen nicht das Wort.
und das war so bis zum Schwerpunktprogramm (Abg. Frau Kalinke: Herr Kollege, — !)
Ihrer Fraktion für die 6. Legislaturperiode vom — Ich erteile Ihnen nicht das Wort.
August vergangenen Jahres. Das sind die Tatsachen. (Abg. Frau Kalinke: Ach so! — Das tut mir
Sie sind in den Jahren der harten Auseinanderset- aber sehr leid! Das ist nicht „mehr Demo
zungen über die Weiterentwicklung der Kranken- kratie" im Parlament!)
versicherung in der Frage der Kostenbeteiligung
— ich muß es leider sagen — unbelehrbar gewesen. Bitte, Herr Abgeordneter.
Das ist ein Tatbestand.
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Abg. Müller (Berlin) (CDU/CSU) : Herr Kollege Schel-
Frau Kalinke meldet sich zu einer Zwi lenberg, würden Sie mir bestätigen, daß unser An-
schenfrage.) trag, der heute mit zur Diskussion steht, kein Wort
über Kostenbeteiligung enthält?
— Ja, bitte, Frau Kollegin Kalinke!

Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und Dr. Schellenberg (SPD) : Ja, das ist ein inter-
Herren, eine kurze geschäftsordnungsmäßige Be- essanter Wendepunkt in der Ideologie der CDU/
merkung. Nach den Richtlinien für Zwischenfragen CSU, nämlich seitdem sie in der Opposition steht.
entscheidet der Redner, ob er die Zwischenfrage zu-
(Heiterkeit und Beifall bei den Regierungs
lassen will.
parteien. — Lachen und Zurufe von der
(Abg. Frau Kalinke: Er hat es entschieden!) CDU/CSU.)
Aber niemand hat Anspruch auf mehr als zwei
Bis dahin waren Sie immer für Kostenbeteiligung.
Zwischenfragen -
Aber seitdem Sie auf den Bänken der Opposition
(Abg. Frau Kalinke: Aber das ist doch nur sitzen, haben Sie sich gewandelt. Ich hoffe, daß es
in der Fragestunde so!) nicht nur ein taktischer Wandel ist.
zu ein und demselben Gegenstand.
(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der
(Abg. Frau Kalinke: Das gilt nur für die
CDU/CSU: Büttenrede! — Sieben Tage vor
Fragestunde, Herr Präsident!)
Karneval!)
— Nein, es heißt ausdrücklich — denn auch der
Redner muß auf die Ökonomie — — Wenn wir heute über einen Gesetzentwurf abstim-
men, in dem zum erstenmal die Weiterentwicklung
(Abg. Frau Kalinke: Ist die Geschäftsord
der gesetzlichen Krankenversicherung ohne Kosten-
nung geändert worden, Herr Präsident? —
beteiligung vorgesehen ist, so dürfen wir Sozial-
Abg. Liehr: Wer präsidiert denn hier, Frau
demokraten das als einen Erfolg unseres langjähri-
Kalinke?)
gen Kampfes gegen die Kostenbeteiligung bezeich-
Der Präsident darf im gleichen Zusammenhang nen.
nicht mehr als zwei Zusatzfragen zulassen, selbst (Erneuter Beifall bei der SPD.)
dann nicht, wenn der Redner bereit wäre, seiner-
seits weitere Fragen zu beantworten. Also nicht nur Lassen Sie mich jetzt, meine Damen und Herren,
der Fragefreudigkeit wird hier Paroli geboten, auch noch zu einem dritten wesentlichen Punkt kommen.
der Antwortfreudigkeit. — Bitte, Herr Abgeord- Die Sozialdemokraten waren stets für die Ö ffnung
neter! der Krankenversicherung auch für alle Angestellten.
(Abg. Frau Kalinke: Da der Herr Professor Die CDU/CSU wollte immer entsprechend einer in
selbstverständlich bereit ist, darf ich ihn dieser modernen Industriegesellschaft überholten
sicher dies noch fragen: -— —!) konservativen Vorstellung die Krankenversicherung
auf minderbemittelte Schichten beschränken. Ich er-
— Frau Kalinke, innere an den langjährigen Kampf hinsichtlich der
(Abg. Frau Kalinke: Es geht mir immer um Versicherungspflichtgrenze. Wenn es nach Ihnen
eine ganz sachliche Frage zur Sache! — gegangen wäre, hätten wir gegenwärtig eine Ver-
Lachen bei der SPD.) sicherungspflichtgrenze von 990 DM;
Es handelt sich darum, daß Sie Ihr Quantum er- (Zustimmung bei der SPD. — Zurufe von
schöpft haben. der CDU/CSU: Das ist doch einfach nicht
Herr Abgeordneter, bitte! wahr! — Das ist doch unglaublich! — Abg.
Wehner: Natürlich!)
(Abg. Müller [Berlin] meldet sich zu einer
Zwischenfrage.) das haben Sie doch im letzten Jahr noch beantragt.
Frau Abgeordnete, ich bewundere Ihren kämpfe- (Abg. Katzer: Also, das ist doch unglaub
rischen Mut und Ihre Zähigkeit. Aber ich erteile lich! — Abg. Frau Kalinke: Es wird ja im
Ihnen nicht das Wort. mer schlimmer! — Weitere Zurufe von der
(Heiterkeit und Beifall.) CDU/CSU.)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4163

Vizepräsident Dr. Schmid: Herr Abgeord- doch nicht allen Angestellten das Recht auf freie
neter, gestatten Sie eine Zwischenfrage? Wahl in der Krankenversicherung geben. Sie woll-
ten doch für Angestellte eine Höchstbegrenzung bei
Maucher (CDU/CSU) : Herr Kollege Schellen- der Wahlfreiheit einführen.
berg, würden Sie nicht zugeben, daß Sie mit der (Abg. Frau Kalinke: Natürlich!)
Zahl 990 bewußt die falsche Zahl genannt haben?
Das war ein Rückfall in jene Ideologie, die soziale
War es nicht die CDU, die im Deutschen Bundestag
Krankenversicherung nicht mehr nur auf Minder-
den Antrag auf Erhöhung auf 1200 DM mit einge-
bemittelte, aber auf Minderbemittelte und Bezieher
bracht hat?
von Durchschnittseinkommen zu beschränken. Ich
(Zurufe von der SPD.)
wundere mich sehr, daß Sie, nachdem Sie im Aus-
schuß darum hart gestritten haben, es nicht gewagt
Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Kollege Maucher, haben, diesen Antrag hier in der Öffentlichkeit im
ich weiß nicht, ob Sie die Beratungen im Bundestag Plenum zu wiederholen.
der letzten Legislaturperiode genau verfolgt haben.
(Hört! Hört! bei der SPD.)
Am 18. März 1969 hat die CDU/CSU hier einen Ge-
setzentwurf eingebracht, die Beitrags- und Lei- Offenbar haben Sie eingesehen, daß Sie damit
stungsgrenze in der gesetzlichen Krankenversiche- sozialpolitisch und gesellschaftspolitisch nicht gut
rung auf 55 % der Beitragsbemessungsgrenze der ankommen.
Rentenversicherung festzusetzen. Das sind, wenn (Abg. Frau Kalinke: Keineswegs! — Abg.
man das ausrechnet, 990 DM Monatseinkommen. Ruf: Weil Sie ja doch jeden Antrag ab
Das weiß jeder in diesem Hause und auch die lehnen!)
Öffentlichkeit. Ich bedaure sehr, daß Herr Kollege Noch einen anderen Punkt darf ich erwähnen.
Maucher dies offenbar nicht zur Kenntnis genom- Dieser Gesetzentwurf bringt erstmals in der deut-
men hat. schen Sozialgeschichte für alle Angestellten einen
unbedingten Rechtsanspruch auf einen Arbeitgeber-
Vizepräsident Dr. Schmid: Eine letzte Zusatz- beitrag. Damit entfällt eine Ungerechtigkeit, die
frage. insbesondere nach Inkrafttreten des Lohnfortzah-
-
lungsgesetzes offensichtlich wurde, die Ungerech-
Maucher (CDU/CSU) : Herr Kollege Schellen- tigkeit, daß die Mehrzahl der Angestellten keinen
berg, wären Sie dann wenigstens bereit, zuzugeben, Beitragsanteil des Arbeitgebers erhält. Wir sind
daß die Abgeordneten der CDU/CSU die Dinge sehr froh darüber, daß diese Regelung nun besei-
anders praktiziert haben, daß sie nämlich in ihrer tigt wird.
Fraktion den Beschluß gefaßt haben, während wir Meine Damen und Herren, wir sind sehr froh
jetzt immer nur die Beschlüsse kennen, in denen die und stolz darauf — damit Sie es ganz deutlich
Regierungsvorlage akzeptiert wird? sehen — daß, nachdem die endlosen Versuche frü-
herer CDU/CSU-Regierungen und ihrer Arbeits-
minister zur Reform der Krankenversicherung ver-
Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Kollege Maucher,
sandet sind, es der sozialliberalen Koalition auf
ich weiß, daß in der letzten Legislaturperiode die
Anhieb gelungen ist, durch diesen Gesetzentwurf
große Aufgabe der Lohnfortzahlung wegen Ihrer
die gesetzliche Krankenversicherung weiterzuent-
Auseinandersetzungen um die Versicherungspflicht-
wickeln.
grenze um ein Haar gescheitert wäre.
(Beifall der Regierungsparteien.)
(Abg. Wehner: Sehr wahr!)
Sie waren nicht bereit, die Versicherungspflicht- Vizepräsident Schmid: Herr Abgeordneter, ich
grenze sinnvoll zu erhöhen. Das sind die Tatsachen, habe Ihnen zehn Minuten zugestanden. Kommen
die ich in diesem Hause leider erleben mußte. Sie bitte zum Schluß.
(Beifall bei der SPD. — Zurufe von der
CDU/CSU.) Dr. Schellenberg (SPD) : Ich komme zum Schluß,
Herr Präsident.
— Herr Kollege Müller und Herr Kollege Maucher,
Das erfüllt uns mit Genugtuung,
wenn Sie noch weiter fragen wollen, kann ich auch
noch auf etwas anderes hinweisen. Es gab einen (Abg. Ruf: Sie sind aber bescheiden!)
Entwurf einer CDU/CSU-Regierung mit einem weil wir wissen, welche Bedeutung eine moderne
CDU-Arbeitsminister, in dem vorgeschlagen war, Krankenversicherung für die Gesundheit und
den überholten § 178 in der Weise zu fassen, daß soziale Sicherung unsere Volkes hat. Mit diesem
alle freiwillig Versicherten mit einem Einkommen Gesetz wird unsere Krankenversicherung zu einer
von mehr als 1250 DM monatlich durch Gesetz aus Einrichtung modernisiert, die der Erhaltung der Ge-
der freiwilligen Versicherung ausgeschlossen wer- sundheit, der Früherkennung von Krankheiten und
den sollten. Das war Ihre frühere Konzeption. der umfassenden sozialen Sicherung bei eingetre-
(Sehr wahr! bei der SPD.) tener Krankheit für alle Arbeiter, für alle Ange-
stellten und für alle Rentner dient. Deshalb stim-
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich jetzt
men wir dem Gesetzentwurf mit großer Freude zu.
zurückkommen zu den Ausschußberatungen des
jetzt vorliegenden Entwurfes. Da gab es doch einen (Beifall bei den Regierungsparteien. Abg.
Antrag der CDU/CSU. Im Ausschuß wollten Sie Ruf: Dank der Initiative der CDU/CSU!)
4164 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Vizepräsident Schmid: Das Wort hat der hier eine besonders wichtige Vorschrift vorgelesen,
Abgeordnete Müller (Remscheid) zu einer Richtig- die die Kassen, wenn sie freiwillig Vorsorge ent-
stellung. wickeln wollten, dazu zwingen sollte, die Kosten-
beteiligung zu erheben. Das ist das politisch Ent-
scheidende.
Müller (Remscheid) (CDU/CSU) : Herr Präsident!
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn (Beifall bei der SPD. — Abg. Maucher: Das
von diesem Platz aus offensichtliche Unwahrheiten ist keine Erwiderung!)
verbreitet werden, dann genügt es nicht, etwa in
Polemik zu machen, sondern dann sollte man Ge-
setzentwürfe zitieren. Das ist dann die sachliche
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
Abgeordnete Schmidt (Kempten).
Antwort darauf. Ich zitiere aus der Drucksache 1540
aus der III. Wahlperiode des Deutschen Bundesta-
ges, die offensichtlich Herr Kollege Schellenberg Schmidt (Kempten) (FDP) : Herr Präsident!
vorhin hier, allerdings nur auszugsweise, zitiert hat. Meine sehr geehrten Damen und Herren! Eigentlich
In dem Gesetzentwurf der damaligen Bundesregie- ist es doch eine erfreuliche Tatsache, daß sich alle
rung ist unter „Vorsorgehilfe" folgendes ausge- Fraktionen jedesmal, wenn es um die Verabschie-
führt: dung von sozialpolitisch notwendigen Maßnahmen
Die Vorsorgehilfe umfaßt ärztliche Vorsorge- geht, um das Urheberrecht streiten und keiner
untersuchungen, zahnärztliche Vorsorgeunter- zugeben will, wer nun wo wann zuerst die Forde-
suchungen, Vorsorgekuren, sonstige Maßnah- rung erhoben hat. Wir könnten das wohl in allen
men im Einzelfall sowie allgemeine Maßnah- Parteiprogrammen, auf allen Parteitagen immer wie-
men. der nachsehen. Überall haben sich alle Parteien be-
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) müht, die Frage der Vorsorge zunächst einmal in
die Diskussion zu bringen. Aber eines ist doch rich-
Was Herr Professor Schellenberg hier hinsichtlich tig, und darüber läßt sich nicht streiten: Heute sind
der Kostenbeteiligung zitiert hat, gilt gemäß dem im Gesetz die Vorsorgemaßnahmen angesprochen.
§ 187 dieses Gesetzes nicht für die ärztlichen Vor- Damit sind die Leser des Gesetzes, vor allem die für
-
sorgeuntersuchungen, nicht für die zahnärztlichen die Aufklärungsarbeit zuständigen Stellen in der
Vorsorgeuntersuchungen und nicht für die Vor- Lage, ab morgen ganz klar zu sagen: Du hast nun
sorgekuren, sondern nur für sonstige Maßnahmen auf diese oder jene Vorsorgemaßnahme einen An-
im Einzelfall. spruch. Das ist allein dadurch entstanden, daß im
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) Ausschuß konkret dazu Entscheidungen gefällt wor-
den sind.
In der 4. Wahlperiode — ich verweise hier auf die
Drucksache IV/816 — ist das in gleicher Weise auf- (Abg. Ruf: Auf Antrag der CDU! Immer
wieder! — Abg. Killat-von Coreth: Ach
genommen worden, auch ohne bei den Einzelmaß-
was!)
nahmen eine Kostenbeteiligung vorzusehen.
Entschuldigen Sie, Herr Kollege Ruf, ich will gar
Ich hielt es für notwendig, diese sachliche Richtig-
nicht noch einmal in diesen Streit eingreifen.
stellung an Hand der offiziellen Bundestagsdruck-
sachen hier bekanntzugeben. (Abg. Ruf: Aber lassen wir das!)
(Beifall bei der CDU/CSU.) Ich will nur, damit es objektiv bleibt, feststellen,
daß bei den Beratungen im Ausschuß zum erstenmal
die Früherkennungsuntersuchungen für Kinder und
Vizepräsident Dr. Schmid: Meine Damen und
auch die Untersuchungen zur Früherkennung von
Herren, zunächst eine kurze Mitteilung. Interfrak-
Krebserkrankungen im Gesetz verankert wurden. In
tionell ist beschlossen worden — ich nehme an, von
Ihren Vorschlägen — das waren eben Vorschläge,
den Herren Fraktionsgeschäftsführern —, den Punkt
über die man zweifellos schon auf Parteitagen über-
12 — mittelfristige Finanzplanung — von der Tages-
all geredet hat; die sind nicht unbedingt urheberisch,
ordnung abzusetzen. Einverstanden? — Kein Wider-
gesetzlich neu — —
spruch! — Dann ist dieser Punkt von der Tages-
ordnung abgesetzt. (Abg. Ruf: Herr Kollege Schmitt, lassen wir
den Streit! Die Hauptsache ist, daß es drin
Zu einer Erklärung auf die Bemerkung des Herrn
steht!)
Abgeordneten Müller (Remscheid) hat das Wort
der Abgeordnete Dr. Schellenberg. — Gut. Ich wollte nur feststellen, daß es erfreulich
ist, wenn man sich bei solchen Dingen um die Ur-
heberschaft streitet. Mir ist eigentlich nicht klar,
Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Präsident! Meine Herr Kollege Ruf, weshalb Sie bei Ihren Ausführun-
Damen und Herren! Es ist nicht bestreitbar,
gen gesagt haben, es seien keine Meilensteine vor-
(Abg. Ruf: Na also!) handen. Wenn man sich so um die Urheberschaft
streitet, muß das doch ein sozialpolitischer Meilen-
daß alle Versuche mit dem damaligen Sozialpaket
stein sein, den wir heute verabschieden.
in zwei Anläufen an der entscheidenden Frage der
Kostenbeteiligung gescheitert sind. Deshalb ist es (Beifall bei den Regierungsparteien. —
damals zu keiner Vorsorge gekommen. Ich habe Abg. Ruf: Nein, nein!)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4165
Schmidt (Kempten)
Also nachdem wir darüber eine halbe Stunde de- einen Prozentsatz von 75 % der Rentenbemessungs
battiert haben, scheint es mir doch sehr wichtig grenze eine klare Entscheidung für die Zukunft und
zu sein. nicht nur für den heutigen Tag gefällt worden ist,
eine Entscheidung, die entsprechend unseren Vor-
(Abg. Breidbach: Wahrheit oder Unwahr
stellungen von einer gewissen Einkommenshöhe
heit! — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)
an Wahlfreiheit nach allen Seiten ermöglicht. Es
— Meine Damen und Herren, ich will hier erstens besteht zwar eindeutig die Pflicht zur Versiche-
meine Zeit einhalten und zum zweiten einiges zum rung, aber keine Versicherungspflicht. Damit ist der
Gesetzentwurf selber sagen, nachdem in der bishe- frei-demokratischen Vorstellung von einer moder-
rigen Debatte dazu sehr wenig gesagt werden nen Gesellschaftspolitik entsprochen worden. Die
konnte. Grenze soll dynamisch wachsen, nämlich entspre-
Wir Freien Demokraten begrüßen es sehr, daß chend der Rentenbemessungsgrenze. Damit sollen
heute von diesem Hause zwei unserer Vorstellun- die Einkommenssituation und die Leistungen der
gen verabschiedet werden, um die wir lange ge- Krankenkassen einander angepaßt werden. Jeden-
kämpft haben, bei denen es nicht möglich war, mit falls soll nicht immer wieder der Streit darum gehen,
der CDU/CSU zu einer Einigung zu kommen, und ob es bei dieser Grenze hundert Mark mehr oder
bei denen es auch nicht möglich war, unsere gleich hundert Mark weniger sein müßten. Schließlich soll
lautenden Anträge zur Zeit der Großen Koalition der Wahlfreiheitsraum festgeschrieben sein. Das ist
im vorigen Jahr durchzusetzen. eine gute Sache, wobei man auf einer weiteren
Stufe der Krankenversicherungsreform noch darüber
(Abg. Ruf: Aus den bekannten Gründen!) wird reden müssen, ob man nicht überhaupt einmal
Ich meine zum einen den Arbeitgeberbeitrag für für alle Arbeitnehmer diesen Freiheitsraum mit
alle Angestellten, deren Einkommen über der bis- einer bestimmten Einkommensgrenze feststellen und
herigen Versicherungspflichtgrenze liegt. Wir sind Wahlfreiheit von dieser dynamischen Grenze an er-
sehr froh darüber, daß unsere alte Vorstellung von möglichen sollte, eine Frage, über die, wie gesagt,
der Notwendigkeit, den Angestellten die Möglich- noch zu diskutieren sein wird.
keit zu geben, mit den Arbeitern gleichzuziehen, Wir sind damit einverstanden — um in diesem
nunmehr Gesetz geworden ist. Zusammenhang gleich einer immer wieder aufkom- -

(Abg. Ruf: Dafür waren Sie gegen die menden Kritik zu begegnen —, daß einmalig eine
Lohnfortzahlung!) völlige Wahlfreiheit im Gesetz verankert worden
ist, die demjenigen, der es wünscht, die Rückkehr
— Entschuldigen Sie, das hat doch nichts damit zu aus der privaten Versicherung in die gesetzliche
tun, Krankenversicherung ermöglicht. Wir glauben, daß
(Abg. Härzschel: Aber sehr viel!)
es zu diesem Zeitpunkt, wo es sich um einen System-
daß diejenigen Angestellten, deren Einkommen wechsel bei der Festlegung der Grenze und damit
über der Versicherungspflichtgrenze liegt, den Ar- um eine Festschreibung der Situation für die wei-
beitgeberbeitrag nicht bekamen. Das hätte damals tere Entwicklung handelt, richtig ist, einmalig diese
mit geschehen können. Wir haben voriges Jahr in Wahlmöglichkeit für eine Frist von drei Monaten
diesem Zusammenhang im Ausschuß einen entspre- zu geben. Wir stellen aber gleichzeitig fest, daß es
chenden Antrag gestellt. Das wissen Sie doch. nur bei diesem Systemwechsel und nicht etwa je
nach Bedarf auch wieder bei irgendwelchen anderen
(Abg. Ruf: Sie wollen doch eine rationale
Gelegenheiten eine solche Möglichkeit geben kann.
Sozialpolitik, die die Zusammenhänge
Das ist eine einmalige Sache.
sieht!)
Wir sind sehr froh darüber, daß es im Bereich der
— Herr Kollege Ruf, erinnern Sie sich einmal an die
Vorsorge gelungen ist, zu Festschreibungen hinsicht-
Berlin-Sitzung, als wir den Antrag stellten, im Rah-
lich der Maßnahmen zur Früherkennung von Krebs
men der damaligen sogenannten Kleinen Kranken-
und Frühuntersuchungen für Kinder zu kommen. Wir
versicherungsreform — oder wie man sie nennen
bitten die Bundesregierung und alle anderen in Zu-
will — auch die Arbeitgeberbeiträge und die Dyna-
kunft mit der Durchführung des Gesetzes betrauten
misierung der Versicherungspflichtgrenze zu einem
Institutionen, nunmehr dem Auftrag zur Aufklärung
bestimmten Prozentsatz zu beschließen. Das, was die
gerecht zu werden und jedem Versicherungsberech-
Freien Demokraten bereits im vorigen Jahr an Vor-
tigten deutlich zu machen, daß er hier einen Rechts-
stellungen im Ausschuß entwickelt haben, steht
anspruch hat. Das muß jedem so nahe wie möglich
heute im Gesetz. Wir begrüßen es, daß nunmehr
gebracht werden. Es genügt nicht, daß wir es in das
ein Drittel aller Angestellten, deren Einkommen
Gesetz schreiben und nur der eine oder andere es
über der bisherigen Versicherungspflichtgrenze
erfährt, sondern wir wollen doch, daß möglichst
liegt, den Arbeitgeberbeitrag erhält. Das sind
breiteste Kreise der Bevölkerung durch entspre-
immerhin mehr als 3 Millionen Angestellte, und es
chende Vorsorgemaßnahmen vorzeitig vor wesent-
sind immerhin ab 1. Januar etwa 60 DM pro Mo-
lich schwereren gesundheitlichen Schäden, die ein-
nat, die sie in Zukunft weniger für ihre Kranken-
treten könnten, abgesichert werden.
versicherung aufwenden müssen als bisher. Dar-
über hinaus sind sie damit den Arbeitern gleich- (Zustimmung des Abg. Dr. Schellenberg)
gestellt.
Wir würden es sehr begrüßen, wenn es im Rah-
Zum zweiten begrüßen wir es, daß mit der Fest- men des Auftrags, den das Gesetz der Bundesregie-
schreibung der Versicherungspflichtgrenze auf rung gibt, möglich wäre, weitere Festschreibungen
4166 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Schmidt (Kempten)
bestimmter gezielter Vorsorgemaßnahmen im Zu- So darf ich Ihnen also, meine sehr verehrten
sammenhang auch mit dem noch zu erstellenden Be- Damen und Herren von der sozialdemokratischen
richt dem Bundestag vorzulegen. Fraktion hier eindeutig sagen: Nachdem wir im Aus-
schuß darauf bestanden haben, diese unsere Maß-
Insgesamt gesehen — und damit lassen Sie mich
nahmen durchzusetzen, ist es am Abend nach der
schließen, meine Damen und Herren — stellen wir
Ausschußberatung zu einer erneuten Sitzung gekom-
mit Befriedigung fest, daß hier ein Gesetz zur Ver-
men. Unter Mithilfe der Vertreter des Arbeits-
abschiedung steht, das zur Weiterschreibung der
ministeriums haben wir dabei eben eine Formulie-
Krankenversicherung mit sozialliberalem Gedanken-
rung gefunden,
gut angereichert ist und das sehr stark Gedanken-
gänge der FDP enthält, mit denen wir in der Ver- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)
gangenheit im Bundestag keine Mehrheiten bekom- die uns — das gebe ich ganz ehrlich zu — doch um-
men konnten. Jetzt sind diese Vorstellungen im Ge- fassender erschien als das, was wir allein gefunden
setz enthalten, und wir begrüßen es sehr, daß nach hatten, weil wir uns in diesem Stadium des Sachver-
einigen hitzigen Debatten nun eine gemeinsame standes der Mitarbeiter des Bundesarbeitsministe-
friedliche und fortschrittliche Abstimmung erfolgen riums bedient haben. Ich sage noch einmal: Wenn
wird. wir mit unserem Antrag auf Drucksache VI/726 nicht
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu initiativ geworden wären, wären Sie heute nicht in
ruf von der CDU/CSU: Das ist eine Illusion!) der Lage und nicht bereit gewesen, diese Vorsorge-
und Früherkennungsmaßnahmen durchzusetzen.
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der (Beifall bei der CDU/CSU.)
Herr Abgeordnete Franke.
Vizepräsident Dr. Schmid: Wollen Sie dazu
Franke (Osnabrück) (CDU/CSU) : Herr Präsident! noch einmal das Wort, Herr Kollege Schellenberg?
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Streit — Bitte!
um das Erstgeburtsrecht, der Streit darüber, wer die
Vorsorgeeinrichtungen in das Gesetz hineingebracht Dr. Schellenberg (SPD) : Herr Präsident! Meine
-
hat, ist einfach müßig. Denn jeder, der lesen kann, Damen und Herren! Am letzten Tage der Ausschuß-
kann aus unserem Gesetzentwurf — Drucksache beratungen hatte die CDU/CSU im Ausschuß immer
VI/726 — entnehmen, daß wir den § 181, der seit noch keine klaren Vorstellungen für die Vorsorge.
1922 in der Reichsversicherungsordnung leersteht, Ich bitte Sie, das Ausschußprotokoll nachzulesen.
3) durch die von uns vorgeschlagenen Maßnahmen zur Dort haben Sie, meine Damen und Herren von der
Früherkennung und Vorsorgehilfe aufgefüllt haben. CDU/CSU. beispielsweise hinsichtlich der Früh-
Ich habe es soeben schon in meinen Ausführungen erkennung von Krebs — das ist § 181 Abs. 3 —
gesagt, Herr Kollege Professor Schellenberg, daß Sie beantragt, die Vorsorgeuntersuchung zur Früh-
sich sicherlich auch unter dem Druck der öffentlichen erkennung von Krebs für Männer von der Voll-
Meinung bereit gefunden haben, schon jetzt bei der endung des 44. Lebensjahres an auf Krebs der
Verabschiedung dieses Gesetzes das zu tun, was der Prostata und des Mastdarms einmal jährlich zu be-
Herr Bundesarbeitsminister eigentlich für einen grenzen. Das schien uns völlig unzureichend zu
etwas späteren Zeitpunkt versprochen hatte. Ich darf sein. Die CDU/CSU-Fraktion hat sich dann am letz-
aus der Rede des Herrn Bundesarbeitsministers ten Tage der Ausschußberatungen dem Antrag der
Arendt zitieren: beiden Koalitionsparteien, der seinen Niederschlag
Meine Damen und Herren, noch ein Wort zur in diesem Gesetzentwurf gefunden hat, angeschlos-
Vorsorge. Im Hinblick auf die Dringlichkeit die- sen.
ser Frage habe ich die Sachverständigenkommis- (Beifall bei der SPD.)
sion ausdrücklich gebeten, diese Fragen be-
schleunigt zu behandeln. Der hierfür vorge- Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der
sehene Ausschuß der Sachverständigenkommis- Bundesarbeitsminister.
sion hat bereits mehrfach getagt, und ich hoffe,
daß er in Kürze seine Arbeit abschließen wird. Arendt, Bundesminister für Arbeit und Sozial-
Ich zitiere weiter — mit Ihrer Genehmigung, Herr ordnung: Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Präsident — aus dem Protokoll des Ausschusses: Damen und Herren! Vor einem Jahr hat die Bun-
desregierung Vorschläge zur Weiterentwicklung der
Der Sachverständige sozialen Krankenversicherung angekündigt. Wir
— der Vorsitzende eben dieser Sachverständigen- hatten zugesagt: 1. die Überprüfung und Dynami-
kommission — sierung der Versicherungspflichtgrenze für Ange-
stellte und 2. die Einführung des Arbeitgeberbei-
Herr Professor Jahn stellt zunächst fest, daß der
trags für alle Angestellten, die oberhalb der Ver-
Ausschuß „Vorsorge und Früherkennung" der
sicherungspflichtgrenze liegen. Diese Zusage haben
Sachverständigenkommission, die beim Bundes-
minister für Arbeit und Sozialordnung gebildet wir eingehalten.
ist, Empfehlungen zu dem hier behandelten Wir sind sogar noch einen Schritt weitergegan-
Komplex vorgelegt habe. Ein abgeschlossenes gen. Wir haben vorgeschlagen, die gesetzliche Kran-
und genehmigtes Ergebnis dieser Gremien liege kenversicherung für alle Angestellten zu öffnen.
jedoch noch nicht vor. Denn unser Ziel ist es, daß Arbeiter und Angestellte
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4167
Bundesminister Arendt
gleichbehandelt werden. In der vorigen Legislatur- Sozialpolitisch von großer Bedeutung dürfte für
periode hat das Hohe Haus eine ungerechtfertigte die Angestellten sein, daß der soziale Schutz der
Benachteiligung kranker Arbeiter beseitigt: die Krankenversicherung jetzt keinem Angestellten
Lohnfortzahlung wurde eingeführt. Jetzt wird eine mehr verwehrt ist. Durch die Erhöhung der Ver-
Benachteiligung der Angestellten gegenüber den sicherungspflichtgrenze zum 1. Januar 1971 auf
Arbeitern beseitigt. Der Gesetzentwurf, der jetzt monatlich 1425 DM werden etwa eine Million Ange-
verabschiedet werden soll, setzt in logischer Folge stellte versicherungspflichtig. Das bedeutet, daß von
fort, was am 1. Januar 1970 begonnen wurde. Damit den insgesamt 7,1 Millionen Angestellten nahezu
wird eine wichtige innere Reform verwirklicht und 58 % versicherungspflichtig werden. Durch die Dy-
mehr soziale Gerechtigkeit geschaffen. namisierung dieser Einkommensgrenze bei 75 v. H.
Die soziale Krankenversicherung wird noch in der Beitragsbemessungsgrenze der Rentenversiche-
einem zweiten wichtigen Bereich weiterentwickelt. rung ist gleichzeitig sichergestellt, daß der Kreis
Zum ersten Male erhalten alle Versicherten und ihre der Versicherungspflichtigen relativ konstant bleibt.
Familienangehörigen einen Rechtsanspruch auf vor- Wir wissen, daß es unterschiedliche Auffassungen
beugende Hilfen zur Sicherung ihrer Gesundheit. über die Höhe der Versicherungspflichtgrenze gibt.
2,5 Millionen Kinder, 7,6 Millionen Männer und Man sollte aber nicht nur diesen Prozentsatz sehen,
über 16 Millionen Frauen können Untersuchungen sondern das Ganze betrachten. Bei Berücksichtigung
zur Früherkennung von Krankheiten in Anspruch aller Verbesserungen glauben wir, daß die Anhe-
nehmen. Der medizinische Fortschritt wird ihnen bung auf 75 % ein vertretbarer Kompromiß ist.
damit voll nutzbar gemacht.
Entscheidungsfreiheit wird erstmals auch den An-
An dieser Stelle möchte ich ein herzliches Wort gestellten geboten, die bisher nicht der sozialen
des Dankes an die Mitglieder der Sachverständigen- Krankenversicherung beitreten konnten. Bis zum
kommission zur Weiterentwicklung der gesetzlichen 31. März 1971 können alle Angestellten, die jetzt im
Krankenversicherung sagen. Die Vorarbeiten der Arbeitsleben stehen, der gesetzlichen Krankenver-
Kommission waren für die Gestaltung der Vor- sicherung freiwillig beitreten. Für Berufsanfänger
schriften über die Früherkennung sehr dienlich. Das gilt diese Regelung generell.
ist für mich der Beweis, daß die Entscheidung der
Bundesregierung, an der Weiterentwicklung der Nun lassen Sie mich auch einige Bemerkungen
Krankenversicherung Sachverständige zu beteiligen, zur Interessenlage der privaten Krankenversiche-
rung machen. Niemand bestreitet, daß Angestellte
politisch und sachlich richtig war.
von der privaten zur gesetzlichen Krankenversiche-
(Beifall bei der SPD.) rung übertreten werden. Hierbei handelt es sich um
Darüber hinaus hat es sehr zur Versachlichunq der eine freie persönliche Entscheidung der Angestell-
Diskussion beigetragen, daß bereits im Frühjahr ten, die von allen respektiert werden sollte. Es wäre
dieses Jahres anhand von Entscheidungsmodellen aber sicherlich falsch, in diesem Vorgang einen töd-
Abstimmungsgespräche mit allen Beteiligten geführt lichen Aderlaß der privaten Krankenversicherung zu
wurden. Damals haben wir noch in herkömmlicher sehen.
Weise die finanziellen Auswirkungen berechnet. Für (Abg. Ruf: Schwer haben sie's!)
die Gesetzesberatung war es bereits möglich, daß ge- Die private Krankenversicherung verliert etwa 5 %
samte Rechenprogramm mit Hilfe eines Computers aller Vollversicherungen. Sie bleibt damit voll le-
durchzuführen. Damit wurde zum ersten Mal demon- bensfähig.
striert, wie künftig solche Gesetze vorbereitet wer-
den können. Noch wichtiger ist zweifellos, daß Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden
wir dem Bundestagsausschuß für Arbeit und Sozial- Gesetzentwurf werden die Leistungen der sozialen
ordnung Berechnungen vorlegen konnten, die dem Krankenversicherung in einem wichtigen Bereich
neuesten Stand der wirtschaftlichen Entwicklung erheblich ausgebaut. Der Rechtsanspruch auf Maß-
entsprachen. nahmen zur Früherkennung von Krankheiten wird
erstmalig als Pflichtleistung normiert. Der sozialen
Lassen Sie mich einige Anmerkungen zu den Krankenversicherung stellen sich damit neue Aufga-
Verbesserungen machen, die dieses Gesetz im ein- ben, die wesentlich zur Sicherung der Gesundheit
zelnen für Angestellte, für Arbeiter und für Rentner
der Versicherten beitragen werden. Wir alle ken-
bringt. Einen Teil dieser Verbesserungen werden
nen den Grundsatz „Vorbeugen ist besser als hei-
die nichtversicherungspflichtigen Angestellten vom
len". Das wird jetzt auch in der sozialen Kran-
1. Januar 1971 an auf ihrem Gehaltsstreifen vorfin-
kenversicherung in die Tat umgesetzt. Ich begrüße
den. Mit dem Arbeitgeberanteil zum Krankenversi-
es, daß dieser Fortschritt durch die gemeinsame Ar-
cherungsbeitrag werden endlich auch diejenigen An-
beit des Ausschusses, der Sachverständigenkommis-
gestellten, die freiwillig einer gesetzlichen oder pri-
sion und der Bundesregierung zustande gekommen
vaten Krankenkasse angehören, den Pflichtversi-
ist. Vom 1. Juli 1971 an werden die Versicherten
cherten gleichgestellt. Das bedeutet eine Verbesse-
und die mitversicherten Angehörigen ihren An-
rung ihrer Einkommen von mindestens 1,8 Milliar-
spruch auf Untersuchungen zur Früherkennung be-
den DM netto im Jahr. Aber bei dieser Leistungsver-
stimmter Krankheiten wahrnehmen können.
besserung geht es nicht nur um Geld. Es ist genau-
so wichtig, daß die Gleichbehandlung von Arbei- Das gilt auch für Kinder. Ich meine, daß es richtig
tern und Angestellten im Krankheitsfalle, die das und dringend notwendig ist, daß jetzt für Kinder bis
Lohnfortzahlungsgesetz eingeleitet hat, einen ent- zur Vollendung des vierten Lebensjahres ein An-
scheidenden Schritt vorangebracht wird. spruch auf Untersuchungen zur Früherkennung von
4168 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Bundesminister Arendt
Krankheiten eingeführt wird. Dank des medizini- Stelle des niedrigeren Hausgeldes Krankengeld an
schen Fortschritts wissen wir heute, daß die körper- die Versicherten gezahlt werden. Ich begrüße es,
liche oder geistige Entwicklung schon in den ersten daß diese Leistungsverbesserung durch überein-
Lebensjahren stark gefährdet sein kann. Deshalb stimmenden Beschluß aller Fraktionen im Ausschuß
muß alles getan werden, um etwaige Schäden früh- zustande gekommen ist.
zeitig zu erkennen und soweit eben möglich abzu- Lassen Sie mich noch auf eine weitere Vorschrift
wenden. Die ärztliche Betreuung in den folgenden hinweisen. Sie betrifft zwar keinen großen Perso-
Jahren sollte deshalb aber nicht vernachlässigt wer- nenkreis, beseitigt aber eine soziale Härte. Es han-
den. delt sich um das erneute Beitrittsrecht für Rentner.
Ich bin auch davon überzeugt, daß wir jetzt eine Viele 'Rentner haben uns geschrieben, daß sie die
gute Ausgangsbasis für weitere Erfolge in der Früh- Frist zum Beitritt zur gesetzlichen Krankenversiche-
erkennung von Krebserkrankungen haben. Für be- rung vom 1. Januar bis 30. Juni 1968 versäumt
sonders wichtig halte ich es, daß die Maßnahmen haben. Es handelt sich fast ausschließlich um alte
zur Früherkennung von Krankheiten einheitlich von und der Hilfe bedürftige Menschen. Diesen Perso-
sämtlichen Kassen durchgeführt werden, also ein- nen, die die damalige Frist versäumt haben, wird
schließlich der Ersatzkassen und der Bundesknapp- durch die vorgesehene Regelung 'bis zum 31. März
schaft. 1971 erneut die Möglichkeit zum Beitritt gegeben.
Dagegen haben insbesondere die Krankenkassen
Meine Damen und Herren, es gehört zur Politik
Bedenken erhoben. Ich bitte aber die Krankenkas-
dieser Koalition, daß der Selbstverwaltung der
sen zu berücksichtigen, daß bei dieser sozialen
Ärzte und Krankenkassen eine aktive Rolle in der
Ausnahmesituation grundsätzliche und finanzielle
Durchführung der Früherkennungsmaßnahmen zu-
Einwände zurückstehen sollten.
kommen soll. Die von dem Bundesausschuß der
Ärzte und Krankenkassen zu beschließenden Richt- Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden
linien werden dazu beitragen, einen möglichst gro- Gesetzentwurf wird die soziale Krankenversiche-
ßen gesundheitspolitischen Erfolg zu erreichen. Die rung ein gutes Stück weiterentwickelt. Die nächsten
Untersuchungen sind von den frei praktizierenden Schritte werden bald folgen. Die Einführung einer
Kassenärzten und den an der kassenärztlichen Ver- Pflichtversicherung der selbständigen Landwirte,
sorgung beteiligten Krankenhausärzten durchzu- der mitarbeitenden Familienangehörigen und der
führen. Die freie Wahl des Arztes wird damit Altenteiler ist sozialpolitisch besonders dringlich.
garantiert. Das Bekenntnis der Bundesregierung Wir werden daher in Kürze einen entsprechenden
zum Grundsatz der freien Arztwahl und der freien Gesetzentwurf vorlegen. Die Grundsätze für diesen
Berufsausübung der Ärzte wird hier auch bestätigt. Entwurf hat das Bundeskabinett 'bereits beschlossen.

1 Auch die Krankenkassen haben eine wichtige Meine Damen und Herren, ich möchte mich ab-
Aufgabe zu übernehmen. Sie werden verpflichtet, schließend aber an dieser Stelle ausdrücklich auch
die Versicherten von der Bedeutung von Früh- an die Mitglieder des Ausschusses für Arbeit und
erkennungsleistungen für die eigene Gesundheit zu Sozialordnung wenden und ihnen meinen Dank
überzeugen. Dies wird zu einer stärkeren Indivi- aussprechen. Sie haben dieses Gesetz so zügig be-
dualisierung der Krankenversicherung beitragen raten, daß es heute verabschiedet werden kann.
und ihren Dienstleistungscharakter verdeutlichen. Wir wollen größere soziale Sicherheit und Gerech-
Die Selbstverwaltungen der Ärzte und der Kran- tigkeit. Mit ,dem jetzt zu verabschiedenden Gesetz
kenkassen erhalten damit neue Möglichkeiten, zur und den weiteren Vorhaben kommen wir diesem
Gesundheitssicherung wirksamer beizutragen. Die Ziel ein große Stück näher.
gesetzlich festgelegten Leistungen sind ein Anfang. (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Entsprechend dem medizinischen Fortschritt und den
finanziellen Möglichkeiten der Krankenkassen müs-
sen weitere Maßnahmen zur Früherkennung von Vizepräsident Dr. Schmid: Keine weiteren
Wortmeldungen? — Dann kommen wir zur Schluß-
Krankheiten eingeführt werden.
abstimmung. Wer der Vorlage als Ganzem zustim-
Der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung men will, möge sich erheben. — Gegenprobe! —
soll ermächtigt werden, weitere Maßnahmen vor- Enthaltungen? — Ich stelle einstimmige Annahme
zusehen. Ich bin gewillt, zu gegebener Zeit davon fest.
Gebrauch zu machen. Gleichzeitig ist die Wissen-
schaft aufgerufen, Methoden zur Früherkennung Der Ausschuß empfiehlt weiter, den Entwurf der
von anderen Krankheiten zu entwickeln. CDU/CSU Drucksache VI/726 für erledigt zu erklä-
ren. Wir können es vielleicht einfacher machen als
Mit diesem Gesetzentwurf wird jedoch noch nicht beim letztenmal, wenn die Antragsteller einver-
das gesamte umfangreiche Gebiet der Gesundheits- standen sind.
vorsorge abschließend geregelt. Weitere Leistungen (Abg. Ruf: Wir verzichten!)
der Gesundheitsvorsorge müssen von der gesetz-
lichen Krankenversicherung übernommen werden. — Sie verzichten. Damit ist das erledigt.
Die Sachverständigenkommission wird sich dieser In Nr. 3 a und b beantragt der Ausschuß, zwei
Probleme annehmen und uns Vorschläge machen. Entschließungen anzunehmen. — Das Haus ist ein-
verstanden.
Meine Damen und Herren, wir wollen auch die
wirtschaftliche Sicherung bei Krankheit verbessern. In Nr. 4 wird beantragt, die zu den Gesetzent-
Während der Krankenhauspflege soll künftig an würfen eingegangenen Eingaben und Petitionen für
Deutscher Bundestag —6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4169
Vizepräsident Dr. Schmid
erledigt zu erklären. — Ich höre keinen Wider- Der Ausschuß für Städtebau und Wohnungswesen
spruch; es ist so beschlossen. hat den Dritten Wohngeldbericht der Bundesregie-
ung am 19. März 1970 und am 16. Oktober 1970 be-
Damit ist Punkt 3 der Tagesordnung erledigt. raten. Schwerpunkte der Beratungen waren die Aus-
wertungen der in dem Bericht enthaltenen Erfahrun-
Ich rufe Punkt 4 der Tagesordnung auf: gen über aufgetretene Mängel im Vollzug des
a) Zweite und dritte Beratung des von der Bun- Wohngeldgesetzes sowie Vorschläge zu Leistungs-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines verbesserungen entsprechend den veränderten Ver-
Zweiten Wohngeldgesetzes hältnissen und Verwaltungsvereinfachungen.
— Drucksache VI/1116 — Der heute dem Hohen Hause vorliegende Ent-
aa) Bericht des Haushaltsausschusses (7. Aus- wurf eines Zweiten Wohngeldgesetzes der Bundes-
schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung regierung berücksichtigt, soweit möglich, diese Er-
fahrungen des Berichts. Dem Ausschuß lag ferner
— Drucksache VI/1365
seit November 1969 der Entwurf eines Wohngeld-
Berichterstatter: Abgeordneter Müller verbesserungsgesetzes der CDU/CSU-Fraktion
(Nordenham) Drucksache VI/2 vor, der ebenfalls in die Beratungen
bb) Schriftlicher Bericht des Ausschusses für einbezogen worden ist. Auch die Vorschläge aus der
Städtebau und Wohnungswesen (14. Aus- Anhörung der Verbände und Behörden sind in die-
schuß) sem Bericht und in diesem Gesetzentwurf zur Gel-
Drucksache VI/1310 tung gekommen.

Berichterstatter: Abgeordneter Geisen- Zur Bewältigung der umfangreichen Materie muß-


ten neun Ausschußsitzungen abgehalten werden. Be-
hofer
sonders schwierige Fragen wurden von einer klei-
(Erste Beratung 64. Sitzung) nen Kommission vorgeklärt. Die Beratungen verlie-
b) Zweite Beratung des von den Abgeordneten fen trotz harter Konfrontationen in einer sachlichen
Geisenhofer, Dr. Riedl (München), Dr. Schmidt und menschlichen Atmosphäre, wofür den Ausschuß
(Wuppertal), Rollmann, Orgaß, Dr. Probst, mitgliedern, dem Vorsitzenden, Herrn Mick, und
-
Müller (Berlin), Wohlrabe und Genossen ein- auch den Regierungsvertretern Dank und Anerken-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ä n- nung gebührt.
derung des Wohngeldgesetzes Die wichtigsten Neuerungen im Entwurf des Zwei-
— Drucksache VI/2 — ten Wohngeldgesetzes gegenüber dem alten Recht
Schriftlicher Bericht des Ausschusses für sind folgende.
Städtebau und Wohnungswesen (14. Aus- § 29 ,des alten Wohngeldgesetzes, der das Ver-
schuß) hältnis von Wohngeld zu Sozialhilfe und Kriegsop-
Drucksache VI/1310 ferfürsorge regelte, ist durch das Bundesverfas-
Berichterstatter: Abgeordneter Geisenhofer sungsgericht am 14. 11. 1969 für nichtig erklärt wor-
den. Er ist daher in dem neuen Gesetz nicht mehr
(Erste Beratung 10. Sitzung)
enthalten. Die Einkommensgrenze wurde erhöht.
c) Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus- Die Vorschriften für die zu berücksichtigenden Mie-
schusses für Städtebau und Wohnungswesen ten und Belastungen wurden den veränderten Ver-
(14. Ausschuß) über den Dritten Bericht der hältnissen angepaßt. Das Wohngeld und die zu-
Bundesregierung über die in den einzelnen schußfähige Miete und/oder Belastung können erst-
Ländern gemachten Erfahrungen mit dem malig aus einer DM-Tabelle abgelesen werden.
Wohngeldgesetz
Neben der Vornahme von redaktionellen Ände-
— Drucksachen VI/378, VI/1325 — rungen folgte der Ausschuß einigen Verbesserungs-
Berichterstatter: Abgeordneter Geisenhofer vorschlägen, die im wesentlichen von den Mitglie-
Als Berichterstatter hat Herr Abgeordneter Gei- dern der CDU/CSU-Fraktion gemacht wurden. Wei-
senhofer das Wort. — Ich darf zuvor darauf auf- tergehende Verbesserungsvorschläge der CDU/CSU-
merksam machen, daß in der Zwischenzeit der Be- Fraktion wurden von der Ausschußmehrheit abge-
richt des Haushaltsausschusses eingetroffen ist. lehnt. Die Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion
haben sich wegen der Ablehnung dieser Anträge bei
der Endabstimmung im Ausschuß der Stimme ent-
Geisenhofer (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine halten und angekündigt, dem Hohen Hause einige
sehr verehrten Damen und Herren! Zunächst darf Änderungsanträge vorzulegen.
ich Sie bitten, einen Druckfehler zu berichtigen. In
der Drucksache VI/1310 — Schriftlicher Bericht des Die Kosten aus dem Regierungsentwurf einschließ-
Ausschusses zum Entwurf eines Zweiten Wohngeld- lich der vom Ausschuß beschlossenen Verbesserun-
gesetzes — ist auf Seite 5 in der letzten Zeile zu gen belaufen sich nach Aussagen der Regierung auf
§ 34 das Wort „unentbehrlich" durch „entbehrlich" zirka 425 Millionen DM. Sie werden zur Hälfte vom
zu ersetzen. Bund und von den Ländern getragen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, zu den Der Ausschuß faßte einstimmig den Beschluß, dem
Ihnen vorliegenden Schriftlichen Berichten Druck- Bundestag zu empfehlen, das Wohngeldgesetz zum
sachen VI/1325 und 1310 darf ich kurz noch folgende 1. Januar 1971 in Kraft zu setzen.
Ausführungen machen. (Beifall bei der CDU/CSU.)
4170 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Geisenhofer
Vizepräsident Dr. Schmid: Ich danke dem kennt, die in der unteren und in der oberen Hälfte
Berichterstatter. Wird zum Bericht das Wort ge- dieser Spanne liegen.
wünscht? — Das ist nicht der Fall. Sicher ist allerdings, daß jeweils der Übergang
Dann treten wir in die zweite Beratung ein. Ich von der Drei-Personen-Familie zur Vier-Personen-
rufe § 2 auf. Dazu liegt auf Umdruck 79*) ein Ände- Familie bzw. der Übergang zu Mehrpersonenfami-
rungsantrag vor. Zur Begründung dieses Antrags hat lien durch diesen Antrag günstiger gestaltet wird,
die Abgeordnete Frau Meermann das Wort. als das bei der bisher vorliegenden Tabelle der Fall
ist. Insoweit stimmen wir dem Änderungsantrag zu,
Frau Meermann (SPD) : Herr Präsident! Meine ohne die letzte Übersicht über die Auswirkungen zu
Damen und Herren! Ich möchte den Antrag Umdruck haben.
79 für die SPD- und für die FDP-Fraktion begründen. Bei dieser Gelegenheit lassen Sie mich doch noch
Nach Abschluß der Beratungen im Ausschuß ist in folgendes hinzufügen. Wir müssen beanstanden, daß
einigen Ländern bei Nachrechnung der Tabellen dem Ausschuß die notwendigen Unterlagen zur Be-
festgestellt worden, daß sich eine gewisse Uneben- urteilung auch dieser Materie nicht vorgelegen ha-
heit dadurch ergibt, daß zwar die Mietenspannen für ben. Aber was Beurteilungsunterlagen angeht, haben
die Haushalte mit ein bis drei Personen jeweils wir ja in verschiedener Hinsicht negative Erfahrun-
10 DM betragen, daß aber bei den größeren Haus- gen gemacht, u. a. auch die, daß uns erst gestern
haltungen mit vier, fünf und sechs Personen dadurch nachmittag nach mehrmaliger Mahnung die dem
eine gewisse Härte eintreten kann, daß die Span- Ausschuß zugesagten Zahlen des Ministeriums hin-
nen 20 DM betragen. sichtlich der Anforderungen der Länder an den
Ich möchte an die Ausschußberatungen erinnern: Bund — diese Zahlen geben ja Aufschluß über die
Es war wohl der gemeinsame Wille aller im Aus- Gesamtanforderungen an Wohngeld — zugegangen
schuß vertretenen Parteien, daß die Wohngeldkurve sind, während im Ausschuß immer wieder darauf
möglichst sanft verlaufen sollte, insbesondere beim hingewiesen worden ist, daß Vorschläge zur Ände-
auslaufenden Wohngeld, damit es keine plötzliche rung oder auch zur Verbesserung des Gesetzge-
Härte, kein unerwartetes Aufhören der Zahlung gibt. bungswerkes wegen fehlender Deckungsmittel nicht
Diesem Anliegen, das allen drei Parteien gemeinsam mehr berücksichtigt werden könnten. Wenn diese -
war, trägt der vorliegende Antrag Rechnung. Ich Zahlen, die das Ministerium gestern nachmittag zur
bitte Sie, ihm zuzustimmen. Verfügung gestellt hat und uns heute vorgelegt
werden, ausweisen, daß nach einer Hochrechnung
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
zirka 30 bis 40 °/o der für dieses Haushaltsjahr aus-
gewiesenen Bundesmittel nicht in Anspruch genom
Vizepräsident Dr. Schmid: Das Wort hat der men werden, steht doch fest, daß die Auskunft, die
Herr Abgeordnete Erpenbeck. wir im Ausschuß darüber erhalten haben, höchst
fragwürdig ist. Ich glaube, daß man gerade im Zu-
Erpenbeck (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sammenhang mit diesem Änderungsantrag noch ein-
sehr verehrten Damen und Herren! Zum Änderungs- mal ausdrücklich darauf hinweisen muß, daß dem
antrag Umdruck 79 muß ich zunächst unsere Ver- Ausschuß zur Beurteilung aller Auswirkungen die
wunderung zum Ausdruck bringen, daß eine so Zahlen frühzeitig vorliegen müssen.
schwierige und unübersichtliche Materie, wie sie
(Beifall bei der CDU/CSU.)
eine sogenannte computergerechte Tabelle darstellt,
durch einen in letzter Minute vorgelegten Antrag
eine Änderung erfahren soll. Denn um die Auswer- Vizepräsident Dr. Schmid: Weitere Wortmel-
tungen im einzelnen übersehen zu können, muß man dungen liegen nicht vor. Dann stimmen wir ab. Wer
schon EDV-Mathematiker sein. Sonst ist das gar dem Änderungsantrag auf Umdruck 79 zustimmen
nicht möglich. Wie uns im Ausschuß gesagt wurde, will, gebe das Handzeichen. — Gegenprobe! — Ent-
hat ja die Erstellung dieser Tabelle mehr als vier haltungen? — Einstimmig angenommen. Damit ist
Monate in Anspruch genommen. Man kann sicher- Anlage 4 entsprechend geändert.
lich von niemandem, der in dieser Sache nicht „vor- Wir stimmen über § 2 ab. Wer dem § 2 mit der
belastet" ist, verlangen, daß er einen solchen Än- Änderung zustimmen will, gebe das Handzeichen. —
derungsantrag in seinen Auswirkungen sofort voll Gegenprobe! — Enthaltungen? — Einstimmig an-
erkennt. genommen.
Aber auch bei der Anwendung einer leichteren Zum Änderungsantrag auf Umdruck 77 *) zu § 8
Rechenart — das möchte ich den Antragstellern aus- hat Herr Abgeordneter Orgaß das Wort.
drücklich bescheinigen — ist eines ersichtlich: Bei
den Mieten tritt in der unteren Hälfte der Spanne, Orgaß (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine 'ver-
die nach der Vorlage 20 DM, nach Ihrem Änderungs- ehrten Damen, meine Herren! Mit dem Änderungs-
antrag 10 DM betragen soll, eine Verringerung des antrag auf Umdruck 77 legt die CDU/CSU-Fraktion
ausgewiesenen Betrages ein, während in der oberen dem Parlament einen Antrag vor, der von außer-
Hälfte der Spanne gegenüber der Vorlage ein Mehr- ordentlicher sozialpolitischer, aber darüber hinaus
betrag ausgewiesen werden wird. Es läßt sich aller- auch wohnungspolitischer Bedeutung ist. Der klare
dings nur dann sicher feststellen, daß das völlig Wille dieses Antrages ist die Einbeziehung der
kostenneutral sein wird, wenn man die Zahlen Wohnungen im sozialen Wohnungsbau in die volle
*) Siehe Anlage 5 *) Siehe Anlage 6
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4171
Orgaß
Wohngeldfähigkeit, wie es die bisherige gesetzliche 1970 sagen. Trotz mehrfacher Mahnung sind sie uns
Regelung ohnehin schon vorsieht. Wir haben im Aus- bis gestern nicht gegeben worden. Gestern haben
schuß über diese Problematik sehr lange gerungen; wir dann ganz massiven Druck ausgeübt, und wir
ebenfalls auch in der von dem Kollegen Geisenhofer bekamen daraufhin das Schreiben nachmittags um
zitierten Kleinen Kommission. Die Antworten, die 16 Uhr. Dieses Schreiben ist für uns sehr aufschluß-
wir von den Vertretern der Koalitionsfraktionen und reich. Ich hoffe nur, daß es Ihnen ebenfalls zugäng-
vor allem von den Regierungsvertretern erhalten lich gemacht wurde. Es sagt aus, daß von den Län-
hatten, waren mehr als unbefriedigend. Ich glaube, dern bis zum 30. September 1970 218 Millionen DM
daß wir auf Grund dessen verpflichtet sind, allen abgerufen worden sind. Weiter steht darin, daß mit
Abgeordneten des Parlaments die Problematik dar- einer Erhöhung der angeforderten Mittel in den
zustellen, die für den zukünftigen Wohnungsbau ent- restlichen Monaten zu rechnen ist, weil ja die So-
stehen würde, wenn Sie diesem unseren Änderungs- zialhilfeempfänger neu hineingekommen sind und
antrag nicht zustimmen sollten. noch Zug um Zug Anträge bearbeitet werden. Es
Es wurden uns im wesentlichen drei Gründe ent- wird aber niemals so kommen, wie in dem Schrei-
gegengehalten: Der erste Grund war der der Kosten, ben vielleicht der Anschein erweckt werden soll,
auch die Frage der Deckung. Der zweite Grund war daß es 150 Millionen DM zusätzlich sein werden;
der Gleichheitsgrundsatz, und die dritte Begründung denn einen erheblichen Teil haben die Sozialhilfe-
lag darin, daß die Länder ihre Finanzierung zu empfänger bereits aus den Mitteln der ersten neun
Lasten des Bundes verschieben würden. Monate bekommen. Andernfalls würde das Mini-
sterium zweifellos ganz anders formuliert haben.
Ich glaube, gerade bei der Frage der Kosten ist
die Widersprüchlichkeit doch sehr deutlich gewor- Hinsichtlich der Kosten usw. hat man nämlich
den. Zuerst war nämlich gesagt worden, die jetzigen ohnehin sehr variabel formuliert. Ich denke nur
Obergrenzen im sozialen Wohnungsbau, die durch daran, daß beispielsweise auf unsere Forderung,
das Bindungsgesetz einer ständigen preisrechtlichen Studenten und Lehrlinge in die Wohngeldregelung
Kontrolle unterworfen seien, würden durch die einzubeziehen, der Parlamentarische Staatssekretär
Tabelle in § 8 völlig abgedeckt; der Tatsache, daß Ravens am Vormittag erwiderte, wir sollten von
die dynamische Kostenmiete, die wir insbesondere seiten der CDU/CSU, wenn wir dieses Anliegen
verfechten, einen Deckungsvorschlag machen. -
infolge der Mietexplosion der letzten Jahre haben,
ständig nach oben verändert würde, würde man
begegnen, indem wir als Parlament die Tabellen- Vizepräsident Dr. Schmid: Eine Zwischen-
sätze heraufsetzen und dabei dafür sorgen, daß wir frage!
immer an die Obergrenze herankommen. Wenn das
3) so stimmte, wäre das Argument der Mehrkosten hin- Orgaß (CDU/CSU) : Vielleicht darf ich eben noch
fällig. Das kann man uns dann nicht mehr vorhalten. zu Ende sprechen. — Das würde nämlich 200 bis 300
Ich glaube aber, daß es nicht stimmt. Hier beziehe Millionen DM mehr kosten. Am Nachmittag ließ
ich mich sehr eindeutig auf die warnenden Vor- dann der beamtete Staatssekretär Storck verneh-
stellungen, die dem Ausschuß insbesondere von dem men, er habe im Auftrag seines Kollegen Ravens zu
Verband der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft erklären, daß der beabsichtigte Antrag der CDU
und insbesondere vom Deutschen Volksheimstätten überhaupt nicht nötig sei, denn nach der bisherigen
werk vorgetragen worden sind. Als ich mich im Aus- Regelung bekämen die Betroffenen bereits mehr, als
schuß zum Sprecher dieser Argumentation machte, wir vorgesehen hätten. Meine sofort gestellte Frage,
bekam ich als einziges sogenanntes Sachargument wie denn dieser Widerspruch zu erklären sei, hatte
nur die Antwort des Staatssekretärs Storck: Herr eine wirklich nur als peinlich zu bezeichnende Situa-
Orgaß, bei allem Respekt vor der gemeinnützigen tion zur Folge. Wie peinlich diese Situation ist,
Wohnungswirtschaft, — in diesem Punkt sind sie sehen Sie daran, daß Sie jetzt in der dritten Lesung
Interessenten. Ich meine, der Herr Staatssekretär der einen Entschließungsantrag stellen — wie wir übri-
gemeinnützigen Wohnungswirtschaft müßte selbst gens auch —, der in die gleiche Richtung geht.
erklären, was er damit gemeint hat.
Auf der anderen Seite müssen wir auch sehen, Wurbs (FDP) : Entschuldigen Sie, Herr Kollege
wie sich die Praxis des Wohngeldgesetzes bisher Orgaß! Ich wollte nur fragen: Begründen Sie jetzt
vollzogen hat. Herr Minister Lauritzen hat im Aus- den Antrag Umdruck 77?
schuß anläßlich der Beratung in einer Einführungs-
rede erklärt, daß — bezogen auf die bisherige Be- Orgaß (CDU/CSU) : Ja, ich bin dabei, den Antrag
handlung und die im Gesetzentwurf vorgeschlage- Umdruck 77 zu begründen. Wenn ich dabei die
nen Verbesserungen — für das Jahr 1971 für den Aspekte ein wenig weiter fasse, dann ist das mein
Bund ein Bedarf in Höhe von 480 Millionen. DM ent- Recht und auch das Recht der Opposition.
stehen werde, insgesamt also 960 Millionen DM,
weil die Hälfte der Bund und die Hälfte das Land Vizepräsident Dr. Schmid: Eine weitere Zwi-
trägt. Die Verbesserungen, die wir im Ausschuß be- schenfrage hierzu?
schlossen haben, ergeben eine Erhöhung auf insge-
samt 425 Millionen DM. Orgaß (CDU/CSU) : Gern, Frau Meermann.
Wir haben, weil wir Erfahrung mit den Sätzen
beim Wohngeld haben, sehr nachdrücklich gedrängt, Frau Meermann (SPD) : Herr Orgaß, würden Sie
man möge uns einmal die Ist-Zahlen für das Jahr sich gütigst daran erinnern, daß Sie im Ausschuß
4172 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Frau Meermann
völlig andere Anträge gestellt haben, als dies jetzt Die Auswüchse, die es unter Umständen dadurch
in dem Entschließungsantrag zum Ausdruck kommt? gibt, daß der soziale Wohnungsbau nicht voll wohn
geldfähig ist, liegen darin begründet, daß dann
Orgaß (CDU/CSU) : Verehrte Frau Kollegin, außerhalb der erstmaligen Bewilligung überhaupt
daran kann ich mich nicht erinnern, und ich glaube, keine Kontrolle mehr gegeben ist, daß der Vermie-
keiner unserer Kollegen kann es, Wir haben haar- ter eine Miete nur in Höhe der Kostenmiete nimmt.
genau den Antrag gestellt, den sozialen Wohnungs-
bau voll in die Wohngeldfähigkeit einzubeziehen. Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege,
Das aber ist der Antrag, der auch hier zur Diskus- gestatten Sie eine Zwischenfrage? Bitte schön,
sion steht. Herr Abgeordneter Henke!

Frau Meermann (SPD) : Habe ich Sie denn nicht Henke (SPD) : Herr Kollege Orgaß, stimmen Sie
recht verstanden, wenn ich meine, daß Sie soeben mir zu, daß es im Ausschuß kein juristisches Pro-
von den Studenten gesprochen haben? blem war, so wie Sie hier den Gleichheitsgrundsatz
interpretieren, sondern daß es uns darum ging, die
Orgaß (CDU/CSU) : Nein, ich habe das nur bei- Mieter von Altbauwohnungen und freifinanzierten
spielhaft erwähnt. Wohnungen hinsichtlich ihres Anspruchs nach die-
sem Gesetz nicht schlechterzustellen als die Bewoh-
ner von Sozialwohnungen?
Frau Meermann (SPD) : Eben. Und ich möchte
Sie daran erinnern, daß das nicht stimmt.
Orgaß (CDU/CSU) : Ich gebe Ihnen zu, daß auch
das gesellschaftspolitische Element mit zum Tragen
Orgaß (CDU/CSU) : Ich habe es beispielhaft er- kommt. Aber Sie müssen dabei natürlich auch se-
wähnt, um zu zeigen, daß uns in der Frage der hen, daß der freifinanzierte private Wohnungsbau
Finanzierung allerhand Akrobatik vorgemacht insoweit anderen Gesetzen unterliegt. Ich bin mir
wurde. Ich habe Ihnen deswegen die Zahlen der also über die Problematik dort, wo in Ballungzen-
ersten neun Monate vorgelegt mit 218 Millionen DM. tren der Markt nicht funktioniert, im klaren.- Ge-
Hochgerechnet ergäben das 290 Millionen DM. Hinzu rade deswegen möchte ich dies hier haben. Denn
kommen zugegebenermaßen noch die Mittel für die das bedeutet in jedem Fall, daß nach marktmecha-
Sozialhilfeempfänger, die im Moment noch keiner nischen Gesichtspunkten Vermieter und Mieter in
übersehen kann. Im Ergebnis würde das bedeuten, freier Vertragsgestaltung eine Miete aushandeln,
daß zumindest für das Jahr 1971, aber wohl auch auf die niemand einen Einfluß hat, es sei denn, es
darüber hinaus, dieser Antrag auch finanziell ab- geht so weit, daß das Wirtschaftsstrafrecht greift,
gedeckt ist. Das war das Argument, um das es mir was aber überhaupt nur in wenigen Fällen zum
ging. — Herr Kollege Mick! Tragen kommt. Wenn man auch hier einen vollen
Zuschuß zahlen wollte, würde es dahin kommen,
daß zwei Vertragspartner einen Vertrag zu Lasten
Mick (CDU/CSU) : Herr Kollege Orgaß, ist Ihnen des Staates schließen, indem die Wohngeldfähigkeit
aus der Ausschußberatung bekannt, daß die Regie- voll mit in den Vertrag aufgenommen würde.
rungskoalition und auch die Vertreter der Regie-
rung erklärt haben, die in Ausbildung Befindlichen Ich habe gestern abend das große Glück gehabt,
müßten nicht in. das Gesetz einbezogen werden, mit dem hamburgischen Wohnungsbausenator Mei-
weil eine entsprechende gesetzliche Regelung bin- ster zu sprechen. Ich habe ihn wie kann es anders
nen Jahresfrist verabschiedet sei? Haben Sie etwas sein? — auf diese Problematik hingewiesen. Er hat
dagegen, solchen Erklärungen auch einmal Glauben nicht bestritten, daß zumindest in Hamburg, einem
zu schenken? Ballungszentrum, die Entwicklung im Hinblick auf
die jetzige Tabelle mehr als problematisch ist, weil
die angegebenen Zahlen für die Kostenmiete nicht
Orgaß (CDU/CSU) : Herr Kollege Mick, nein, ich identisch sind mit der ursprünglichen Bewilligungs-
habe nichts dagegen. Ich werde also mit Vorsicht miete. Die Kostenmiete kommt durch eine Reihe von
glauben, vielleicht auch Sie. Faktoren — Gebühren der Kommunen, Zinserhö-
Dann haben Sie das Problem der Gleichheit ins hungen der Sparkassen und andere — laufend in
Feld geführt. Ich kann Ihnen dazu sagen, daß wir Bewegung und fast immer nur nach oben, so daß das
uns mit diesem Problem noch einmal sehr ernsthaft Zahlenbild die wirkliche Lage nicht widerspiegelt.
auseinandergesetzt haben und daß wir es auch ver- Von mir befragt, wie er denn in Zukunft aus der
fassungsrechtlich haben prüfen lassen. Wir kommen Malaise herauskommen wolle, sagte er mir: Ja, wir
zu dem Schluß, daß der Gleichheitsgrundsatz nur werden uns dann von Hamburg aus so helfen, daß
dort zutrifft, wo Gleiches gleichzubehandeln ist. Hier wir uns durch höhere Mittel für die einzelne Woh-
aber liegt es nicht gleich, weil der Block des sozia- nung im sozialen Wohnungsbau der Obergrenze an-
len Wohnungsbaues durch gesetzliche Bindung starr nähern. Was bedeutet das? Ich habe es ihm genau
auf die jeweilige Kostenmiete fixiert wird und da- gesagt: Das kann ja nur auf Kosten des vorgesehe-
mit einer ständigen Preiskontrolle unterliegt. Das nen Volumens geschehen. Das bedeutet aber, daß
ist der gravierende Unterschied. die Vorstellung, die der Wohnungsbauminister Lau-
ritzen vor wenigen Wochen hier entwickelt hat, end-
(Vorsitz: Vizepräsident Frau Funcke.) gültig ins Land der Fata Morgana verwiesen wer-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4173

Orgaß
den muß. Der Bundeswohnungsbauminister hat hier fach nicht frei sind und nicht machen können, was
erklärt, daß er durch sein Programm zusätzlich sie wollen, jedenfalls nicht zu Lasten des Bundes.
100 000 Wohnungen schaffen wolle, und dann hinzu-
gefügt, das sei aber nur durch eine entsprechende Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege,
Mithilfe ,der Länder bei der Finanzierung möglich. hier ist noch grünes Licht, aber wir haben das nicht
Schon damals wußte er vom Bundesrat her, daß die richtig eingestellt; an sich müßte es rot sein. Wür-
Länder dazu nicht in der Lage waren und ihm das den Sie wohl zu Ende kommen.
deshalb verweigern mußten. Jetzt aber können
selbst die vorgesehenen Zahlen nicht mehr erreicht
werden, weil in den Ballungsgebieten diese Pro- Orgaß (CDU/CSU) : Ich will gern zu Ende kom-
blematik auftritt. men.
Meine Damen und Herren, ich glaube, alle sach-
Aber es gibt auch bei dem Block der älteren So-
lichen Gründe, insbesondere auch die Gründe, die
zialwohnungen eine Problematik. Das hat mir der
vom Volksheimstättenwerk und von den gemein-
Bausenator ebenfalls bestätigt.
nützigen Unternehmen vorgetragen worden sind,
sprechen für eine Regelung, wie wir sie vorschlagen.
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, Wir als Parlament sollten uns überlegen, wie wir
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- der Sache einen Dienst erweisen können. Wir soll-
ordneten Wurbs? ten einmal bei der Lösung des Problems auf den
einzelnen Wohnungsinhaber Rücksicht nehmen, und
zum anderen sollten wir uns nicht alle Chancen ver-
Orgaß (CDU/CSU) : Aber gern. bauen und den sozialen Wohnungsbau für die Zu-
kunft nicht noch mehr abwürgen als bisher.
Wurbs (FDP) : Herr Kollege Orgaß, stimmen Sie Aus diesem Grunde möchte ich Sie wirklich von
mit mir darin überein, daß bei den 100 000 Wohnun- Herzen bitten, sich selbst Ihr Urteil zu bilden und
gen nicht ausdrücklich gesagt worden ist, daß diese selbst zu entscheiden. Ich bin sicher, daß Sie sich
Wohnungen mit Darlehnsbeträgen zu finanzieren dann für die Annahme unseres Änderungsantrags
-
sind, sondern daß sie vielmehr auch im Wege von auf Umdruck 77 entscheiden werden.
Annuitätszuschüssen finanziert werden können, und
(Beifall bei der CDU/CSU.)
stimmen Sie mit mir darin überein, daß man über
die Annuitätszuschüsse ein Vielfaches von dem
finanzieren kann, was man sonst mit Darlehen Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der
finanziert? Abgeordnete Ravens.

Ravens (SPD) : Frau Präsidentin! Meine Damen


Orgaß (CDU/CSU) : Zweifellos, Herr Wurbs. Ob und Herren! Mir liegt daran, eine Darstellung des
so oder so, das ist nur eine Frage der Streckung. Herrn Kollegen Orgaß zurechtzurücken. Herr Kol-
Aber ob es nun die Direktmittel oder ob es die lege Orgaß, Sie wissen, daß Ihre Fraktion und Sie
Annuitäten sind, zu bezahlen sind sie, und weder selbst zunächst einen Antrag hinsichtlich der aus-
dem Bundesminister noch den Länderministern fällt wärtigen Unterbringung von in Ausbildung befind-
es irgendwie als Weihnachtsgeschenk vom Himmel. lichen Personen eingebracht haben, der ohne jede
Die Problematik ist doch, daß auch die vorgesehene Begrenzung die volle Einbeziehung der auswärts
Regelung der Streckung des Programms schon nicht Beschäftigten in das Wohngeldgesetz vorsah.
möglich war und jetzt noch weniger möglich sein
(Widerspruch des Abg. Orgaß.)
wird.
—Doch!LesnSibtIrAagch,de
Bei einem Block älterer Sozialwohnungen aber Kleinen Kommission vorgelegen hat!
liegt das Problem darin, daß man die Obergrenze
nach der Tabelle nicht erreicht. Damit entfällt die Dieser Antrag hat mir an jenem Morgen vorge-
einzig wirksame ständige Kontrolle hinsichtlich der legen. Er hätte Mehraufwendungen zwischen 200
Frage, ob die Mietforderung des Vermieters sich im und 300 Millionen bedeutet. Über diesen Antrag
Bereich der Kostendeckung bewegt, also zu Recht habe ich debattiert. Ich habe dann auf der Rückfahrt
erhoben wird. Es gibt dann kein wirksames Kon- ins Ministerium noch einmal sämtliche Unterlagen,
trollinstrument mehr gegen eine Preistreiberei. Das die mir vorgelegt worden waren, sehr sorgfältig
müssen Sie sehen, und das kann kein Fachmann durchgesehen. Dabei ist mir der neue Antrag, der
bestreiten. Die Vertreter der Länder, insbesondere zur Beratung anstand, in die Hand gekommen. Weil
der Vertreter des Landes Schleswig-Holstein, haben ich am Nachmittag wegen einer Terminverpflichtung
darauf in aller Deutlichkeit hingewiesen und die an den Ausschußberatungen leider selber nicht teil-
Problematik für die Länder mit aufgezeigt. nehmen konnte, habe ich meinen Kollegen Dr.
Storck gebeten, dem Herrn Vorsitzenden und dem
Auch das Argument, die Länder wären ansonsten Ausschuß mitzuteilen, daß ich am Vormittag bei
vielleicht gehalten, sich auf Kosten des Bundes der Beratung der Zahlen von einer anderen An-
finanziell zu entlasten, ist nicht stichhaltig, wie im tragsformulierung ausgegangen sei, jedenfalls nicht
Ausschuß schon dargelegt worden ist, weil der Bund von Ihrem zweiten Antrag, der letzten Endes ledig-
nach dem Zweiten Wohnungsbaugesetz ein erheb- lich eine gesetzliche Festschreibung der jetzt gelten
liches Gestaltungsrecht hat, so daß die Länder ein den Regelung bedeutet.
4174 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, Höchstbeträge des Zweiten Wohngeldgesetzes an


gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge- den Bewilligungsmieten des sozialen Wohnungs-
ordneten Orgaß? baues nach dem Stand vom Juni 1970, ja sie gehen
sogar noch etwas darüber hinaus.

Ravens (SPD) : Bitte, Herr Kollege Orgaß! Die derzeitigen Mieten sind also gedeckt, und
auch die Ländervertreter, die ja wissen, wie sich bei
ihnen die Kosten im sozialen Wohnungsbau ent-
Orgaß (CDU/CSU) : Herr Kollege Ravens, wäre wickelt haben, waren mit dieser Regelung einver-
es nicht zweckmäßig gewesen — geht das nicht zu
standen, mit Ausnahme — Herr Orgaß, da gebe ich
Ihren Lasten? —, wenn Sie den Antrag schon vor-
Ihnen recht — eines Landes, das im ersten Durch-
mittags sorgfältig gelesen hätten? Dann hätten Sie
gang einen Änderungsantrag in Ihrem Sinne gestellt
diese Begründung nicht zu geben brauchen. Unser
hatte. Aber das gleiche Land hat nachher auch be-
Antrag lag nämlich bereits vor. Er ist in der Kleinen
antragt, daß der Bund statt 50 % der Wohngeld
Kommission geboren worden. kosten 75 % übernehmen sollte. Und da kann ich
nur sagen: Nachtigall, ick hör dir trapsen.
Ravens (SPD) : Herr Kollege Orgaß, mir lag in
der gebündelten Mappe der Anträge der Antrag Sie vermuten, Herr Orgaß, daß, weil die gegen-
aus der Kleinen Kommission vor. Diesen habe ich in wärtigen Höchstbeträge etwas über manchen tat-
meinen Beratungsunterlagen gehabt. Deswegen habe sächlichen Mieten liegen, der Anreiz gegeben wäre,
mit diesen Mieten hochzugehen. Nun, im Bereich
ich am Nachmittag meine Richtigstellung an den
des sozialen Wohnungsbaus und zumal im Bereich
Ausschuß weitergegeben. Ich glaube, anders kann
der gemeinnützigen Wohnungsgesellschaften — das
man sich hier nicht verhalten, als ich mich verhalten
müssen Sie ja auch wissen — finden in jedem Jahr
habe. Mir liegt daran, daß noch einmal deutlich vor
Überprüfungen der Mieten statt. Es ist also durch-
dem Parlament zu sagen. Ich möchte nicht, daß nach
aus nicht jede gemeinnützige Wohnungsbaugesell-
Ihrer Rede der Eindruck entsteht, ich hätte morgens
schaft in der Lage, Mieten so festzusetzen, wie sie
im Ausschuß bewußt mit einer falschen Zahl gear-
es vielleicht für richtig hält. Abgesehen davon habe
beitet. Das habe ich am Nachmittag sehr deutlich -
ich hier auch kein Mißtrauen.
gemacht.
Drittens. Wir verpflichten im Wohngeldgesetz die
Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat die Bundesregierung, dem Bundestag alljährlich einen
Frau Abgeordnete Meermann. Bericht über die Mietenentwicklung zu erstatten. So-
mit hat das Parlament, haben wir alle die Möglich-
keit, die Initiative zu ergreifen, wenn Anpassungen
Frau Meermann (SPD) : Frau Präsidentin! erforderlich sind. Allerdings meinen wir in der
Meine Damen und Herren! Namens der SPD-Bundes- sozialdemokratischen Fraktion, daß Anpassungen,
tagsfraktion bitte ich, den Antrag der CDU/CSU auf die z. B. bei den Neuestbaumieten erfolgen müssen,
Umdruck 77 aus folgenden Gründen abzulehnen. auch den frei finanzierten und den steuerbegün-
Erstens, Herr Kollege Orgaß, geht es hier nicht dar- stigten Wohnungsbau erfassen müssen. Das ist we-
um, festzustellen, ob etwas nach dem Verfassungs- gen der sozialen Gleichheit der Mieter notwendig,
recht nicht dem Gleichheitsgrundsatz widerspricht. die in der einen oder in der anderen Wohnung
Daß die alte Regelung verfassungsrechtlich nicht leben können.
dem Gleichheitsgrundsatz entspräche, ist ernstlich
von niemandem behauptet worden. Aber es ist ein Viertens möchte ich, abgesehen von diesen grund-
Unterschied, ob etwas nach der Verfassung möglich sätzlichen Erwägungen, darlegen, daß Ihr Antrag
ist, oder ob man der Auffassung ist, daß eine bes- auch völlig unpraktikabel ist. Die Erfahrungen, die
sere Gleichheit im Sinne einer besseren sozialen in den Ländern mit dem bisherigen Wohngeldgesetz
Gerechtigkeit hergestellt werden sollte. gesammelt wurden, haben nicht nur die Bundes-
regierung, sondern jeden, der sich mit dem Wohn-
Im Zweiten Wohngeldgesetz werden alle Wohn- geldgesetz befaßt, zu der Überzeugung gebracht,
geldempfänger gleichbehandelt, unabhängig davon, daß Vereinfachungen dringend notwendig sind, auch
ob sie in einer Wohnung des sozialen Wohnungs- um die sehr hohen Verwaltungskosten zu senken.
baus, in einer frei finanzierten oder in einer steuer-
begünstigten Wohnung leben. Wir meinen, daß das Nun geht dieses Zweite Wohngeldgesetz endlich
auch sozial so richtig ist. Denn man muß heute da- von der bisherigen umständlichen Berechnungs-
von ausgehen, daß es in allen drei Wohnungskate- methode — Wohnfläche mal Mietobergrenze, dazu
gorien Menschen gibt, deren Einkommen nicht höher Berechnung des Selbstbeteiligungsanteils, und dann
ist, als im Zweiten Wohngeldgesetz vorgesehen. Es das ganze noch einmal durch die Kappungsmühle
entspricht also dem Gleichheitsgrundsatz, wenn wir gedreht — ab und setzt je nach Art der Wohnung
sie alle in gleichem Maße berücksichtigen. und Wohnungsgröße Höchstbeträge in DM für die
anrechnungsfähige Miete ein. Die benötigte Wohn-
Zweitens. Für uns ist es eine Selbstverständlich- fläche z. B. ist in der Höchstmiete zwar berücksich-
keit, daß sich die Mieter in Sozialwohnungen künf- tigt, aber sie tritt nicht in Erscheinung. Wie wollten
tig keine Sorgen zu machen brauchen, daß sie sich Sie, wenn Ihr Antrag angenommen würde — bei-
auch im wirtschaftlichen Besitz ihrer Wohnung spielsweise den Fall regeln, in dem ein allein-
sicher fühlen müssen. Deshalb orientieren sich die stehender Mensch, der in einer Sozialwohnung von
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4175
Frau Meermann
70 qm zurückgeblieben ist, nicht daran denkt, in dung zum Antrag Umdruck 77 vorgetragen, so daß
eine kleinere Wohnung umzuziehen? Wollen Sie da ich mir weitere Gründe ersparen kann.
die volle Kostenmiete für diese 70 qm übernehmen?
Ich darf nur noch einen Punkt anführen, um viel-
(Zuruf des Abg. Erpenbeck.) leicht Ihnen auch die Zurückziehung dieses Antrages
— Ich gebe zu, Herr Erpenbeck, dies ist ein Extrem- zu erleichtern.
fall. Ich könnte Ihnen hier 20 andere, ähnlich ab- (Lachen bei der CDU/CSU.)
surde Fälle konstruieren; ich sehe davon ab. Wenn
Wir haben in § 8 Abs. 4 ausdrücklich vorgesehen,
Sie aber nicht wollen, daß solche und ähnliche Fälle
daß in gewissen Intervallen die Mietsituation auf
vorkommen, könnten Sie Ihren Vorschlag nur auf
dem Wohnungsmarkt überprüft wird und daß ent-
eine der drei folgenden Arten verwirklichen, die
sprechend den veränderten Verhältnissen in Ab-
alle drei gleich unpraktikabel sind.
ständen die Mietobergrenze angepaßt wird, so daß
Erstens. Sie könnten die umständlichen Berech- sie die Kostenmiete abdeckt. Ich glaube, das ist eine
nungsmethoden des Wohngeldgesetzes 1965 für die vernünftige Regelung, durch die in gewissen Ab-
in Sozialwohnungen lebenden Empfänger von ständen immer der neueste Stand hergestellt wird.
Wohngeld bestehen lassen. Dann gäbe es ein
Aus den dargelegten Gründen sieht sich auch die
Extrarecht für nahezu die Hälfte aller Wohngeldbe-
FDP-Fraktion nicht in der Lage, dem Antrag Um-
zieher. Wo bleibt da noch die Vereinfachung?
druck 77 zuzustimmen.
Sie könnten zweitens bei den Mietern von So-
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
zialwohnungen in jedem Einzelfall Feststellungen
nach dem Wohnungsbindungsgesetz, der Berech-
nungsverordnung und der Neubaumietenverord- Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat
nung anstellen. der Abgeordnete Erpenbeck.
Die dritte Lösung wäre, daß Sie im Zweiten
Wohngeldgesetz zwei verschiedene Tabellen vor-
Erpenbeck (CDU/CSU) : Frau Präsidentin! Meine
sehr verehrten Damen und Herren! Nur ein Wort
sehen, die eine für die Bewohner z. B. von frei
zu dem, was Herr Wurbs gerade sagte, um uns die
finanzierten und steuerbegünstigten Wohnungen, -
Zurückziehung des Antrags zu erleichtern. Herr
die andere Tabelle für die Bewohner von Sozial-
Wurbs, hier geht es, glaube ich, um etwas anderes.
wohnungen. Dabei ist aber nicht abzusehen, wie
Hier geht es doch um den Tatbestand, daß bei der
diese Beträge in der Höhe begrenzt werden sollen.
Kostenentwicklung, die wir zur Zeit haben und
Jede dieser drei möglichen Lösungen wäre ge- auch im sozialen Wohnungsbau haben, es den Mie-
eignet, jeden denkbaren Wohngeldsachbearbeiter tern dieser Wohnung auf Dauer nicht sichergestellt
zur Verzweiflung zu bringen, und statt der von der ist, daß sie diese Wohnung bei Kürzung oder Weg-
Bundesregierung und, ich meine, doch auch von die- fall des Wohngeldes behalten können. Dann hätten
sem ganzen Parlament gewollten, von den Ländern wir den widersinnigen Tatbestand, daß wir auf der
dringend geforderten Vereinfachung des Gesetzes einen Seite mehrere hunderttausend fehlbelegter
hätten wir die totale Komplikation, statt der Ver- Sozialwohnungen — belegt von insofern gesetz-
ringerung der Verwaltungskosten ein rapides An- lich unberechtigten Mietern — haben und auf der
steigen. anderen Seite Mieter in Sozialwohnungen, die be-
Ich möchte mir nicht versagen, am Rande noch rechtigt sind, aber die Wohnung nicht halten kön-
auf etwas einzugehen, das ich beim Durchlesen Ihres nen, weil ihnen das Wohngeld gekürzt oder ent-
Antrages mit Erstaunen vermerkt habe. Ich habe zogen wird. Das ist der Tatbestand, der hier ange-
festgestellt, daß Sie die vorgesehene Änderung nur sprochen wird.
für den Bereich der Mietzuschüsse, nicht aber für Ich möchte auch zu dem Beispiel von Frau Meer-
den der Lastenzuschüsse gelten lassen wollen. Sie mann eine Bemerkung machen. Sie meinte, es
möchten also die mit öffentlichen Mitteln geförder- könnte ein Mißbrauch dadurch getrieben werden,
ten Mietwohnungen günstiger behandelt sehen als daß ein einzelner für eine 70 qm große Sozialwoh-
die in gleicher Weise geförderten Eigenheime. Das nung den Höchstsatz ausnutzte. Frau Meermann,
fand ich immerhin bemerkenswert. Ich habe mich Sie wissen so gut wie ich, daß es im Wohngeld-
gefragt, ob da vielleicht eine grundlegende Wand- gesetz den § 18 gibt, in dem die Versagungsgründe
lung Ihrer Vorstellungen über die Förderung des für Wohngeld ganz klar aufgezeigt sind. Der Fall,
Eigenheimes eingesetzt hat. den Sie hier konstruiert haben, würde dann genau
Ich bitte nochmals, den Antrag der CDU auf Um- unter § 18 fallen.
druck 77 abzulehnen. (Beifall bei der CDU/CSU.)
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Vizepräsident Frau Funcke: Wir kommen zur
Abstimmung über den Antrag der CDU-Fraktion
Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat auf Umdruck 77. Wer dem Antrag zustimmen will,
der Abgeordnete Wurbs. den bitte ich um das Handzeichen. — Ich bitte um
die Gegenprobe. — Das letzte ist die Mehrheit; der
Wurbs (FDP) : Frau Präsident! Meine sehr ge- Antrag ist abgelehnt.
ehrten Damen und Herren! Frau Kollegin Meermann Bevor ich jetzt über den Antrag in der Ausschuß-
hat im wesentlichen schon die ablehnende Begrün fassung abstimmen lasse, müssen wir noch die Ab-
4176 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Vizepräsident Frau Funcke


Stimmung über die §§ 3 bis 7 nachholen. Wer den Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen:
§§ 3 bis 7 in der Ausschußfassung zustimmen will, Das Wort hat der Herr Abgeordnete Bäuerle.
den bitte ich um das Handzeichen.
(Abg. Erpenbeck: Über § 3 soll gesondert Bäuerle (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr ver-
abgestimmt werden!) ehrten Damen und Herren! Zu dem Antrag Um-
druck 78 der CDU/CSU-Fraktion betreffend den
— Es wird beantragt, über § 3 gesondert abzustim-
§ 27 a Wohngeldgesetz darf ich für die Koalitions-
men. Ich rufe also § 3 auf. Wer die Zustimmung
fraktion folgendes feststellen.
geben will, den bitte ich um das Handzeichen. —
Gegenprobe! — Enthaltungen? Das erste war die Ihr Antrag soll ermöglichen, daß das Wohngeld
Mehrheit; angenommen! in sogenannten Härtefällen ohne Unterbrechung
weiter zu gewähren ist, wenn der Antrag auf Wei-
Wir stimmen über die §§ 4 bis 7 ab. Das ist mög-
tergewährung eines bereits bewilligten Wohngeldes
lich. Wer den §§ 4 bis 7 die Zustimmung geben will,
nicht rechtzeitig gestellt ist. Das erscheint den Koali-
den bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe!
tionsfraktionen deshalb nicht erforderlich zu sein,
Enthaltungen? — Einstimmig angenommen.
weil jeder Wohngeldempfänger ausführlich über die
Ich rufe § 8 in der Ausschußfassung auf. Wer die Möglichkeit unterrichtet wird, wann und wie er
Zustimmung geben will, den bitte ich um das Hand- einen neuen Wohngeldantrag stellen kann und zu
zeichen. — Gegenprobe! Enthaltungen? — Bei stellen hat. Er wird des weiteren auf diese Möglich-
zahlreichen Gegenstimmen angenommen. keit bereits im Wohngeldbescheid selbst hingewie-
Ein weiterer Umdruck liegt erst nach § 27 vor. sen und darüber hinaus kurz vor Ablauf des Be-
willigungszeitraums durch einen besonderen Brief
Können wir über die §§ 9 bis 27 einschließlich ge-
meinsam abstimmen? — Kein Widerspruch. Wer aufmerksam gemacht. Aber auch für Fälle unver-
schuldeter Fristversäumnis bedarf es der beantrag-
diesen Paragraphen zustimmt, den bitte ich um das
ten Änderung nicht, weil hier durch Wiedereinset-
Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? --
zung in den vorigen Stand geholfen werden kann,
Es ist so beschlossen.
wobei — das darf ich besonders betonen — aller-
Zu § 27 a rufe ich nun den Umdruck 78 *) der dings auch im Gegensatz zu Ihrem Antrag, meine -
CDU/CSU-Fraktion auf. Zur Begründung Herr Abge- Damen und Herren von der CDU/CSU-Fraktion,
ordneter Erpenbeck! folgende Voraussetzungen verlangt werden müssen:
Erstens muß die Fristversäumnis unverschuldet sein.
Zweitens muß der Antrag 14 Tage nach Wegfall
Erpenbeck (CDU/CSU) : Frau Präsidentin! Meine
des Hindernisses gestellt sein. Nach Ablauf eines
sehr verehrten Damen und Herren! Den Änderungs-
Jahres seit Fristversäumnis ist eine Antragstellung
antrag Umdruck 78 möchte ich wie folgt begründen.
ausgeschlossen.
Die Fristenbestimmung für die Weitergewährung
des Wohngelds scheint uns im Gesetz ungenügend Der Antrag der CDU/CSU fordert keine dieser
geregelt. Oftmals versäumen rechtsunkundige Per- Voraussetzungen. Ihrem Antrag folgend würde,
sonen, vor allen Dingen von Kriegerwitwen, die Fri- pflichtete man ihm in letzter Konsequenz bei, für das
sten. Wir fordern daher, für diese Fälle eine Härte- Gebiet des Wohngeldes insoweit ein Sonderrecht
klausel dergestalt einzufühen, daß auch bei verspä- geschaffen. Außerdem würden erstmalige Anträge
teter Antragstellung innerhalb eines Zeitraums von und Wiederholungsanträge unterschiedlich behan-
3 Monaten ein lückenloser Anschluß an den Bewilli- delt. Aus diesen von mir hier genannten Gründen
gungszeitraum, der vorausgegangen ist, möglich stehen wir von den Koalitionsfraktionen auf dem
bleibt. Standpunkt, daß Ihr Antrag abzulehnen ist.
(Vorsitz: Vizepräsident Dr. Schmitt (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Vockenhausen.)
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
Ich glaube, daß wir eine solche Billigkeitslösung
-

Weitere Wortmeldungen liegen nicht vor.


ins Gesetz aufnehmen müssen, da ein großer Teil
der Wohngeldberechtigten die für die Einzelbe- Wer dem Änderungsantrag der Fraktion der CDU/
stimmungen geltenden Fristen versäumen kann. Die CSU auf Umdruck 78 zustimmen will, den bitte ich
Einzelbestimmungen sind zwar in diesem Gesetz um das Handzeichen. — Ich danke. Gegenprobe! —
übersichtlicher, als das bislang der Fall gewesen ist. Danke. Stimmenthaltungen? — Der Antrag ist ab-
Wir haben versucht, bessere Regelungen zu finden; gelehnt.
aber sie lassen dennoch für Rechtsunkundige eine Ich rufe die §§ 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37,
Fristenversäumnis durchaus als möglich erscheinen. 38, 39, 40, Einleitung und Überschrift auf. Wer die-
Wenn sie unschuldig erfolgt, sollten wir diesen sen Bestimmungen in zweiter Lesung zustimmen
betroffenen Personenkreis nicht schlechterstellen, will, den bitte ich um das Zeichen. — Ich danke.
sondern sollten ihm mit unserer Billigkeitsregelung Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? — Ich stelle
eine Hilfe geben. Ich bitte, dem Änderungsantrag einstimmige Annahme fest.
zuzustimmen.
Wir treten ein in die
(Beifall bei der CDU/CSU.)
dritte Beratung.
*) Siehe Anlage 7 Bitte schön, Herr Kollege!
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4177

Geisenhofer (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Damit, meine sehr verehrten Damen und Herren,
sehr geehrten Damen und Herren! Der dem Hohen geht die Verzögerung und somit auch die zu späte
Hause vorliegende Entwurf der Bundesregierung Leistungsgewährung auf das Schuldkonto der Regie-
eines Zweiten Wohngeldgesetzes verfolgt als Haupt- rungsparteien.
ziel, jeder Familie und jedem Bürger unseres Landes (Abg. Dr. Klepsch: Sehr richtig!)
ein angemessenes und familiengerechtes Wohnen
wirtschaftlich zu sichern. Wir bedauern sehr, daß Ich darf aber feststellen — und wir begrüßen
unsere Anträge in der zweiten Lesung abgelehnt es --, daß die Bundesregierung in ihrem Gesetzent-
wurden und daß dadurch dieses Ziel nicht voll er- wurf aus zwingenden sachlichen Erwägungen von
reicht wird. Anfang an wesentliche Verbesserungsvorschläge
aus dem CDU CSU-Gesetzentwurf übernommen hat.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie betreffen:
Sie mich noch einige grundsätzliche Ausführungen
machen. Die CDU/CSU-Fraktion begrüßt die Weiter- 1. die Erweiterung der Wohnflächen für die Ein-,
entwicklung des Ersten Wohngeldgesetzes und stellt Zwei- und Drei-Personen-Haushalte sowie für junge
in diesem Zusammenhang fest, daß das Wohnbeihil- Familien,
fengesetz aus dem Jahre 1963 und das Wohngeld- 2. die Verbesserung des Wohngeldes für land-
gesetz aus dein Jahre 1965 auf ihre Initiative zurück- wirtschaftliche Vollerwerbsstellen,
zuführen sind. Der Name der Fraktion der CDU/CSU
3. die Verbesserung der Bestimmungen bei An-
ist mit diesem wichtigen sozialen Gesetzgebungs-
rechnung von Vermögen,
werk und Reformwerk ebenso untrennbar verbunden
wie der Name unseres ehemaligen Wohnungsbau- 4. die Einführung einer Sonderortsklasse für die
ministers Paul Lücke. Das Wohngeldgesetz hat sich Millionenstädte Berlin, Hamburg und München,
bewährt und ist aus der Wohnungspolitik und aus 5. die Erhöhung der Einkommensgrenze — aller-
der Sozialpolitik nicht mehr wegzudenken. Über dings ist die Bundesregierung hier nicht in ent-
1 Million Haushaltungen, meist Kleinrentner, Pen- sprechendem Ausmaß unserem Vorschlag gefolgt —,
sionäre, kinderreiche Familien, einkommensschwache
Bevölkerungskreise, sind auf dieses Wohngeld an- 6. die Erhöhung der Mietobergrenzen im Rahmen
gewiesen. Wenn die Mieten weiter so steigen, wer- der neuen Tabellensätze.
den immer noch mehr auf das Wohngeld angewiesen Die CDU/CSU-Fraktion hat ferner erreicht, daß
sein. die Bundesregierung sowie der Ausschuß für Städte-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die baubau und Wohnungswesen während der Beratun-
Wohngeldempfänger müssen das Vertrauen in das gen weitere wichtige Forderungen unserer Fraktion
garantierte Recht und in die ausreichenden Leistun- in den Regierungsentwurf aufnehmen mußten. Das
gen des Wohngeldgesetzes behalten. Wir haben uns gilt erstens für die Tabellensätze. Die dem Gesetz-
daher, um diesem Ziel Rechnung zu tragen, in den entwurf als Anlage beigefügten Tabellen über die
Ausschußberatungen, aber auch hier in der zweiten Höhe des Wohngeldes wurden wesentlich verbes-
Lesung wirklich ernsthaft bemüht, Leistungsverbes- sert. Ich betone, wir haben von Anfang an, bei der
serungen zu erreichen und vor allem Leistungsver- ersten Lesung in diesem Hohen Hause, aber auch
schlechterungen zu verhindern. Wir bedauern sehr, im Ausschuß, schärfste Kritik daran geübt, daß diese
daß uns das nicht immer gelungen ist. Tabellen kinderreiche Familien schlechterstellen,
ihnen das Wohngeld sogar kürzen würden. Unter
Welch große Bedeutung die CDU/CSU-Fraktion
dem Druck der Opposition ist es ermöglicht wor-
dem Wohngeldgesetz in der Vergangenheit bei-
den, daß die Bundesregierung die Tabellen neu er-
gemessen hat und jetzt noch beimißt, beweist die
stellen und unseren Gesichtspunkten Rechnung tra-
Tatsache, daß sie bereits im November 1968, also
gen mußte.
vor mehr als zwei Jahren, und zwar noch während
(Beifall bei der CDU/CSU.)
der Großen Koalition, einen Gesetzentwurf einge-
reicht hat, mit dem der Versuch unternommen wurde, Das gleiche gilt für die in dem Gesetzentwurf ent-
das Wohngeld zu verbessern. Wir bedauern sehr — haltenen Höchstbeträge für Mieten und Belastungen.
wir stellen es heute bei dieser Beratung wieder Die kinderreichen Familien können jetzt zumindest
fest —, daß dieses Bemühen im Ausschuß für Städte- der Besitzstandswahrung sicher sein.
bau und Wohnungswesen durch die SPD leider zu- Zweitens. Bei der Ermittlung des Einkommens
nichte gemacht wurde. wurde erreicht, daß die Grundrenten der Witwen
und Waisen nach dem Bundesversorgungsgesetz und
Den zweiten Anlauf zur Verbesserung des Wohn-
ähnlicher Leistungen wiederhergestellt wurden. Das
geldgesetzes hat die CDU/CSU-Fraktion zu Beginn
alte Recht ist hier wiederhergestellt worden.
dieser Legislaturperiode genommen. Wir haben den
Gesetzentwurf Drucksache VI/2 eingereicht. Wir be- Drittens. Der zunächst gestrichene halbe Freibetrag
dauern zutiefst, daß durch die verspätete Vorlage für die Unterhaltshilfe und die Beihilfe auf Grund
des Dritten Wohngeldberichts der Bundesregierung des Lastenausgleichsgesetzes, des Reparations-
und durch die verspätete Vorlage des Entwurfs eines schädengesetzes, des Flüchtlingshilfegesetzes wurde
Zweiten Wohngeldgesetzes der Bundesregierung die auf Antrag der Opposition wiederhergestellt.
Beratungen und die Verabschiedung dieses Gesetzes Viertens. Die Schutzfristen für Todesfälle wurden
um elf Monate verzögert wurden. entsprechend dem Antrag der CDU/CSU-Fraktion
(Abg. Dr. Klepsch: Sehr wahr!) um ein Jahr verringert.
4178 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Geisenhofer
Jetzt aber, meine sehr verehrten Damen und 100 DM gestrichen wurde. Auch unsere Anträge zu
Herren, nach der zweiten Lesung, stellt die CDU/ § 8 auf Erweiterung der Ortsklassen für weitere elf
CSU-Fraktion fest, daß das eingangs erwähnte Ziel Städte mit über 500 000 Einwohnern wurden abge-
trotz anzuerkennender Verbesserungen im Ausschuß lehnt. Das gleiche Schicksal erlitt unser Antrag auf
nicht erreicht wird, und zwar deswegen, weil durch Erhöhung der Einkommensgrenzen in § 19. Der Re-
Streichung bisheriger gravierender Vergünstigungen gierungsentwurf sieht vor, die Einkommensgrenze
Leistungsverschlechterungen gegenüber dem alten in Höhe von 750 DM um 50 DM auf 800 DM zu erhö-
Recht eintreten. hen. Unser Antrag wollte eine Erhöhung der Ein-
kommensgrenze um 150 DM auf 900 DM. Eine Erhö-
Im Ausschuß wurden von den Regierungsparteien hung der Einkommensgrenze um nur 50 DM wird
fünf Änderungsanträge der CDU/CSU abgelehnt. doch der Preis- und Einkommensentwicklung seit
Drei davon stellt die CDU/CSU-Fraktion nach der 1963 auf keinen Fall mehr gerecht.
zweiten Lesung jetzt in der dritten Lesung erneut
zur Abstimmung. Erstens ist es unser Antrag auf Die CDU/CSU-Fraktion hält es für dringend erfor-
volle Berücksichtigung der Mieten für Sozialwoh- derlich, daß in diesem Gesetz, das sich den vielver-
nungen. Dieser Antrag ist eingehend begründet sprechenden Namen „Reformgesetz" beilegen will,
worden. Meine Damen und Herren von der SPD die vorgenannten wesentlichen Mängel beseitigt
und FDP, ich appelliere dringend an Sie, die be- werden. Wir bitten Sie um Ihre Zustimmung zu
stehende Regelung beizubehalten. Es kann nicht im unseren Anträgen.
Sinne sozialer Gerechtigkeit sein, erst Härten zu (Beifall bei der CDU/CSU.)
schaffen und sie dann später — vielleicht zu spät —
durch eine Anpassung wieder auszugleichen.
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.) Herr Kollege Geisenhofer, habe ich Sie richtig ver-
standen, daß Sie gleichzeitig mit Ihren Ausführun-
Sozialpolitik heißt nicht nachhinken, sondern vor-
gen die Änderungsanträge auf den Umdrucken 82 *)
ausschauend die Dinge in den Griff bekommen.
und 83 **) und den Entschließungsantrag auf Um-
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich bitte
Sie also, diesem Punkt auf keinen Fall Ihre Zu- druck 80 ***) begründet haben?
-
stimmung zu geben. Eine solche Bestimmung darf (Abg. Geisenhofer: Nein, ich habe nur auf
nicht Gesetz werden, weil sie an dem Fundament diese Anträge hingewiesen; die Begrün
des Wohngeldgesetzes, an einer wichtigen Säule dung folgt noch!)
dieses Gesetzes rüttelt. — Diese Anträge werden also noch einmal geson-
(Zustimmung bei der CDU/CSU.) dert begründet werden.
Zweitens stellen wir zu § 27 a erneut den Antrag Frau Abgeordnete Meermann, Sie haben in der
auf Weitergewährung des Wohngeldes bei Fristver- allgemeinen Aussprache das Wort.
säumnissen. Wir wiederholen bewußt diesen An- (Abg. Frau Meermann: Darauf verzichte ich!
trag, weil wir nicht glauben können, meine Herren Ich melde mich, wenn die Anträge im ein
von der SPD, daß Sie rechtsunkundigen alten Leu- zelnen begründet werden!)
ten, z. B. Rentnern, Schaden zufügen wollen. Hinzu
kommt, daß dieser unser Antrag kaum finanzielle Wird von der Fraktion der Freien Demokraten in
Auswirkungen hat. der allgemeinen Aussprache das Wort gewünscht?
— Das ist nicht der Fall.
Drittens stellen wir den Entschließungsantrag Um-
Meine Damen und Herren, dann kommen wir jetzt
druck 80 zu § 4 Abs. 2 — es geht dort um das
zu den Änderungsanträgen der Fraktion der CDU/
Wohngeld für Studenten und Lehrlinge — zur Ab-
CSU auf Umdruck 82 und 83 und zu den Entschlie-
stimmung. Der Antrag, Studenten und Lehrlingen
ßungsanträgen Umdruck 80 und 84. Zur Begründung
Wohngeld zu gewähren, wurde damals im Ausschuß
hat das Wort Herr Abgeordneter Mick.
von der SPD und der FDP abgelehnt. Das Wohngeld
problem für Studenten und Lehrlinge ist im Regie-
rungsentwurf nicht gelöst. Die CDU/CSU-Fraktion Frau Meermann (SPD) : Habe ich den Kollegen
erachtet es für dringend notwendig, bei der Wohn- Geisenhofer recht verstanden, daß er den Antrag
geldreform auch die Mietprobleme der Studenten auf Umdruck 77 noch einmal stellen wird?
und Lehrlinge zu berücksichtigen. Die Wohnungs-
kosten am Studienort belasten minderbemittelte Stu-
denten — um sie geht es — und Lehrlinge — um sie Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

geht es erst recht —, die für ein Zimmer oft mehr Frau Kollegin, der Änderungsantrag ist nach meinen
als 100 DM oder 150 DM zahlen müssen, untragbar Unterlagen auf Umdruck 83 bereits verteilt. Die all-
schwer. Wir fordern nunmehr die Bundesregierung gemeine Aussprache habe ich daher vorgezogen;
in diesem Entschließungsantrag auf, bis zum 1. Juni denn ich wußte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, ob
1971 eine Novelle zum Ausbildungsförderungsgesetz alle Damen und Herren des Hohen Hauses schon im
vorzulegen, in der diesem Anliegen Rechnung ge- Besitz des Umdrucks waren.
tragen wird. Herr Kollege Mick, Sie haben das Wort.
Im übrigen bedauern wir, daß bei § 15 eine Ver- *) Siehe Anlage 8
schlechterung dadurch eintritt, daß der Kinderfrei- **) Siehe Anlage 9
betrag für mitverdienende Kinder in Höhe von ***) Siehe Anlage 10
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4179

Mick (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr Wir haben die groteske Situation, daß seit über
verehrten Damen und Herren! Sie ersehen aus den einem Jahr ein Antrag der CDU/CSU im Ausschuß
Änderungsanträgen, die wir in zweiter und dritter ansteht, die Einkommensgrenzen für den Bezug
Lesung gestellt haben, daß wir hier nicht alle An- einer Sozialwohnung zu erhöhen, und daß dieser
träge wiederholt haben, die wir im Ausschuß ge- Antrag auf Eis liegt, weil sich keine Mehrheit für
stellt haben. Die Gründe ergeben sich aus dem An- eine Beratung dieses Antrags findet.
gebot unserer Fraktion. Nach Beratungen in unserer Was Sie jetzt mit der Ablehnung dieses Antrags
Fraktion stand fest, daß wir keine Anträge stellen tun, Herr Minister, ist, daß Sie den Mann, der heute
wollten, die das Volumen des Haushaltes ausdeh- oder morgen mit 750 DM bereinigtem Einkommen
nen würden. Deshalb haben wir es auch in der Frage eine Sozialwohnung bezieht, eine Miete zahlen las-
der Studenten bei dem Entschließungsantrag belas- sen wollen, die er nicht zahlen kann, und ihm dar-
sen. Wenn wir allerdings mit einer gewissen Hart- über hinaus auch noch das Wohngeld verweigern.
näckigkeit, die meiner Meinung nach der Sache wert Das ist eine Politik, ,die wir hier in aller Deutlichkeit
ist, den Änderungsantrag auf Umdruck 77 als Ände- klarstellen wollen und an der wir keine Verantwor-
rungsantrag auf Umdruck 83 wiederholen, den so- tung mittragen wollen, auch dann nicht, wenn wir
zialen Wohnungsbau in allen Fällen in das Wohn- die übrigen Verbesserungen dieses Gesetzes aner-
geld einzubeziehen, so geschieht das deshalb, weil kennen.
wir meinen, daß hier eine Grundentscheidung sozia-
ler Wohnungspolitik zu treffen ist. Ich mache Ihnen erneut das Angebot, daß wir in
Gemeinsamkeit alles tun, um die Aufstiegstenden-
(Beifall bei der CDU/CSU.) zen der Baupreise durch geeignete Maßnahmen zu
dämpfen. Dann werden wir über dieses Kapitel nicht
Wir sind auch nicht der Meinung, verehrte Frau
zu reden brauchen. Denn dann werden wir nicht in
Kollegin Meermann, daß wir in der Gefahr stehen,
die Gefahr von Mieterhöhungen kommen, die in der
gegen den Gleichheitsgrundsatz zu verstoßen. Wenn
Tat ein finanzieller Ritt über den Bodensee werden
das der Fall wäre, hätten Sie die Konsequenz ziehen
können.
und unseren Antrag dahin gehend ergänzen müssen,
daß alle Wohnungen — ganz gleich, ob frei finan- Ich darf also in Verbindung mit diesem Angebot
ziert, ob steuerbegünstigt —, die in ihrer Miethöhe noch einmal herzlich bitten, unserem Antrag zuzu-
im Limit des sozialen Wohnungsbaus liegen, in das stimmen.
Wohngeld einbezogen werden müßten. Das wäre die Was den Antrag auf Umdruck 82 angeht, so be-
Konsequenz. Denn auch derjenige baut sozial, der ziehe ich mich auf das, was Herr Kollege Erpenbeck
mit anderen Mitteln als denen des sozialen Woh- dazu schon gesagt hat. Ich beziehe mich auch auf die
nungsbaus finanziert, aber sich in der Miete inner- Ausführungen, die Herr Kollege Orgaß gemacht hat,
halb des Limits des sozialen Wohnungsbaus bewegt. und auf den Entschließungantrag, der in der Sache
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) mit Ihrem Antrag d'accord geht. Ich bitte, auch diese
beiden Anträge anzunehmen.
Verehrter Herr Minister, ich habe Ihnen bei der
wohnungspolitischen Debatte namens meiner Frak- (Beifall bei der CDU/CSU.)
tion das Anerbieten gestellt, mit Ihnen gemeinsam
eine Durststrecke im sozialen Wohnungsbau zu Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

durchwandern, wenn Sie die Voraussetzungen dafür Meine Damen und Herren, bevor ich der Frau Ab-
schaffen, daß die Preisauftriebstendenzen im sozia- geordneten Meermann ,das Wort gebe, möchte ich
len Wohnungsbau beseitigt werden. Ich habe Ihnen nur darauf hinweisen, daß wir jetzt die dritte Be-
die Mithilfe meiner Fraktion für Maßnahmen etwa ratung dieses Gesetzentwurfs und die Behandlung
derart in Aussicht gestellt, daß wir einen Teil der der im Zusammenhang damit stehenden Punkte der
Mittel, die Sie im Haushalt für den Wohnungsbau heutigen Tagesordnung zu Ende führen, daß wir
bereitgestellt haben, dazu verwenden, den Woh- dann in die Fragestunde eintreten und anschließend
nungsbau zu rationalisieren, zu mechanisieren und 'die Große Anfrage betreffend Verbrechensbekämp-
kontinuierlich zu gestalten. Sie sind bis jetzt auf fung bzw. Modernisierung und Intensivierung der
dieses Angebot nicht eingegangen. Verbrechensbekämpfung behandeln.
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Wie lange
Daß Sie sich und auch Sie, meine Damen und Her- Fragestunde? 16.00 Uhr?)
ren von der Regierungskoalition, so dagegen sper- — Nach den bisherigen Wortmeldungen rechne ich
ren, daß der soziale Wohnungsbau auf jeden Fall in damit, daß die Fragestunde etwa um 14.45 Uhr be-
das Wohngeldgesetz einbezogen wird, läßt mich dar- ginnen dürfte.
auf schließen, daß Sie mit weiteren Preissteigerun- (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Dann eine
gen im Wohnungsbau rechnen. Bei Ihrer Politik, Stunde?)
Herr Minister, immer wieder neue Geldmittel hin-
einzupumpen, ohne dafür zu sorgen, daß die Woh- — Eine Stunde.
nungswirtschaft und die Bauindustrie leistungsfähi- Das Wort hat die Frau Abgeordnete Meermann.
ger werden, werden Sie mit Ihren Prognosen leider
recht behalten auf Kosten derer, die einen Antrag Frau Meermann (SPD) : Herr Präsident! Meine
auf Wohngeld stellen möchten. Damen und Herren! Bevor ich auf den in dritter
(Sehr wahr! bei der CDU/CSU.) Lesung erneut gestellten Antrag auf Umdruck 83
4180 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Frau Meermann
eingehe, nur ein paar kurze Bemerkungen zu Herrn muß ich mich wundern über das geringe Ver-
Geisenhofer. Herr Geisenhofer, Ihr Vertrauen in trauen, das Herr Kollege Mick offensichtlich in die
die Allmacht einer Regierung ehrt diese Bundes- Möglichkeiten dieses Bundestages setzt. Ich frage
regierung. Aber wenn sie so weit gehen, ihr mich: Was kann denn bei den Mieten des sozialen
zuzutrauen, daß sie auch noch den Kalender ändern Wohnungsbaus passieren, wenn die gegenwärtigen
kann, muß ich sagen: So sehr ich diese Regierung Mieten abgedeckt sind, wenn die Bundesregierung
als meine Regierung bejahe, für omnipotent halte durch Gesetz verpflichtet ist, diesem Haus in jedem
ich sie nicht. Wie kann eine Regierung, die im Ok- Jahr einen Bericht über die Gesamtentwicklung der
tober zusammengetreten ist und im Frühjahr den Mieten vorzulegen? Was kann dann passieren, es
Entwurf des Zweiten Wohngeldgesetzes in die par- sei denn, wir hätten einen Bundestag, der mit allen
lamentarische Beratung bringt, elf Monate ver- drei Fraktionen schläft? Es kann doch dem sozialen
säumt haben? Das ist ein Rechenkunststück, das erst Wohnungsbau überhaupt kein Abbruch getan wer-
einmal dargelegt werden muß. den, weil in dem gleichen Augenblick, in dem die-
ser Bericht vorliegt, natürlich die Prüfung angeht:
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
wie sieht es aus mit den Mieten der Altwohnungen,
wie sieht es aus mit den Mieten für frei finanzierte
Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: Wohnungen, wie sieht es aus mit den Mieten im
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des sozialen Wohnungsbau? Und dann kommen die An-
Herrn Abgeordneten Geisenhofer? träge aus diesem Parlament, wenn sie nicht vorher
von der Bundesregierung gekommen sind.
Geisenhofer (CDU/CSU) : Frau Kollegin Meer-
mann, ist Ihnen bekannt, daß Herr Bundesminister
Lauritzen im November im Ausschuß den Dritten Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen:
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Wohngeldbericht und auch einen Gesetzentwurf der
Bundesregierung für Dezember 1969 angekündigt Herrn Abgeordneten Mick?
hat?
(Abg. Dr. Klepsch: Sehr gut! Ja, es ist so!) Mick (CDU/CSU) : Frau Kollegin Meermann, Sie
sind sich doch darüber klar, daß das auf jeden- Fall
Von daher diese Hochrechnung! immer ein Hinterherhinken ist; denn der Wohn
geldbericht wird alle zwei Jahre erstattet, wenn wir
Frau Meermann (SPD) : Zu der Terminierung das nachher beschließen sollten. Ich nehme an, daß
im einzelnen brauche ich nicht für Herrn Bundesmi- das der Fall sein wird.
nister Lauritzen zu sprechen; das wird er selber ma-
chen. Immerhin frage ich mich, wie Sie Ihre elf Frau Meermann (SPD) : Herr Kollege, es tut
Monate zusammenbekommen. Die stimmen immer mir sehr leid: Sie sind Ausschußvorsitzender und
noch nicht. kennen trotzdem nicht die Gesetzesvorlage. Wir
(Abg. Dr. Klepsch: Von Dezember bis No haben nämlich die Bundesregierung gesetzlich ver-
vember sind elf Monate!) pflichtet, über die Entwicklung der Mieten gesondert
jährlich zu berichten. Das hat mit dem Wohngeld-
Von Dezember bis zum Frühjahr können es keine
bericht überhaupt nichts zu tun. Das steht so in der
elf Monate sein. Im Frühjahr hat die Bundesregie-
Gesetzesvorlage, die wir heute beraten.
rung eingebracht im November verabschiedet das
Parlament. (Beifall bei der SPD.)
(Abg. Dr. Klepsch: Bis November!) Es liegt also in der Hand dieses Bundestages, in
Herr Kollege Geisenhofer, ich rechne Ihnen das jedem Jahr von neuem, wenn er es für nötig hält,
Obergrenzen festzusetzen und dabei die Entwick-
gern nachher noch einmal vor. Aber ich möchte das
lung der Mieten im sozialen Wohnungsbau und im
Plenum damit wirklich nicht aufhalten.
gesamten übrigen Wohnungsbau gebührend zu be-
(Abg. Rösing: Am 20. August ist das Gesetz rücksichtigen. Ich meine wirklich, dieses Recht soll-
hier eingegangen!) ten wir uns als Parlament nicht aus der Hand neh-
Was mich nicht erstaunt hat, sondern was ich mit men lassen. Das ist unsere Auffassung.
Gelassenheit registriere, ist Ihre Behauptung, daß (Beifall bei der SPD. — Abg. Mick: Nehmen
alles, was im Ausschuß an Veränderungen und Ver- Sie es heute wahr!)
besserungen der Regierungsvorlage vorgenommen
— Nein, Herr Kollege,
worden ist, nun auf einmal ausschließliches Ver-
dienst der CDU/CSU sein soll. Ich möchte Sie in (Abg. Mick: Sie dürfen nicht! Sie würden
aller Bescheidenheit bitten, die im Ausschuß gestell- es gern tun!)
ten Änderungsanträge daraufhin zu prüfen, wer wenn wir hier eine Änderung vornähmen, müßten
sie gestellt hat und welche Änderungsanträge an- wir im gleichen Augenblick das Gesetz, mit dem Sie
genommen worden sind. Dann verschiebt sich das in diesem Punkt einverstanden waren, auch wenn
Bild nämlich. Sie es eben nicht genau wußten, wieder ändern. Ich
Nun zu dem Antrag, den Herr Kollege Mick hier versage es mir, auf die Begründung, die ich in zwei-
erneut gestellt hat. Sosehr ich es begrüße, daß Herr ter Lesung gegeben habe, zurückzukommen. Nur
Kollege Geisenhofer ein sehr starkes Vertrauen in damit wir nicht in eine völlig falsche Betrachtung
die Möglichkeiten der Bundesregierung hat, so sehr kommen, Herr Kollege Mick, will ich noch folgendes
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4181
Frau Meermann
anfügen. Den Mann, der ein Einkommen von nur Ziel des Zweiten Wohngeldgesetzes ist es nach
750 DM hat, der in einer Wohnung des sozialen wie vor, jedem Bürger bei Vermeidung sozialer
Wohnungsbaus wohnt -- wenn sie nicht gerade in Härten den ihm und seiner Familie angemessenen
den ersten Jahren gebaut worden ist — und der Wohnraum zur Verfügung zu stellen. Dieser Gesetz-
kein Wohngeld bekommt, — diesen Mann haben entwurf wurde nach den folgenden Gesichtspunkten
Sie zitiert , den gibt es nicht. erarbeitet: 1. Das Genehmigungsverfahren wurde,
(Abg. Mick: Im Augenblick!) so wie es notwendig war, vereinfacht. 2. Die Ein-
kommensgrenzen wurden aufgehoben und den ver-
Bei einer entsprechenden Miete im sozialen Woh- änderten Verhältnissen angepaßt. 3. Der Berechtig-
nungsbau bekommt dieser Mann Wohngeld. Wir tenkreis wurde vor allem im Hinblick auf das Urteil
haben ja in diesem Zweiten Wohngeldgesetz nicht des Bundesverfassungsgerichts erweitert. 4. Die
umsonst die Beträge ganz beachtlich angehoben. Freigrenze wurde von bisher 15 auf 20 % erhöht.

Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:


-
Die Koalition ging bei den internen Beratungen
Frau Kollegin, der Herr Abgeordnete Orgaß wünscht davon aus, daß eine Vereinfachung unerläßlich sei,
eine Zwischenfrage zu stellen. daß aber bei den künftigen Regelungen keine Ver-
schlechterung gegenüber der bisherigen Handha-
Frau Meermann (SPD) : Ich war an sich fertig, bung eintreten dürfe. Diese Überlegungen haben
Herr Orgaß, aber wenn Sie möchten! auch bei den Beratungen im Ausschuß eine dominie-
rende Rolle gespielt. Es muß hier festgestellt wer-
den, daß der vorgelegte Gesetzentwurf in Zusam-
Orgaß (CDU/CSU): Verehrte Frau Kollegin menarbeit aller Fraktionen wesentliche Verbesse-
Meermann, wie beurteilen Sie denn die Proble- rungen erfahren hat.
matik, daß die Länder, wie ich mit Bezug auf Herrn
Wohnungsbausenator Meister ausgeführt habe, die Ich will es mir versagen, hier noch einmal im ein-
Erhöhung an die Obergrenzen nur dadurch bekom- zelnen auf die Punkte einzugehen. Das habe ich be-
men, daß sie Gerechte und Ungerechte unkontrol- reits in der ersten Lesung getan. Aber eine Bemer-
liert subventionieren? kung möchte ich hier noch machen und noch etwas
-
richtigstellen. Hier wurde sehr viel von der Kosten-
Frau Meermann (SPD): Ich würde diese Äuße- miete und der preisrechtlich zulässigen Miete ge-
rung nicht als stichhaltig ansehen, abgesehen davon, sprochen, die als voll wohngeldberechtigt behandelt
daß ich mir nicht vorstellen kann, daß ein verant- werden soll und auf die die Obergrenze keine An-
wortlicher Senator sie getan hat. Denn jährlich wer- wendung finden soll. Von Ihnen, Herr Mick, wurde
den die Mietgrenzen im sozialen Wohnungsbau, ins- damit argumentiert, daß die derzeitige Regelung
besondere in der gemeinnützigen Wohnungswirt- nicht sozial sei. Ich muß ausdrücklich darauf hinwei-
schaft, geprüft, und ich möchte das Unternehmen der sen, daß das Privileg „sozial" nicht von der CDU
gemeinnützigen Wohnungswirtschaft sehen, das ein- gepachtet ist. Die Koalitionsfraktionen haben sich
fach aus der linken Hand heraus seine Mieten so durchaus Sorgen gemacht und Überlegungen dar-
festsetzt, wie es im Augenblick richtig erscheint. über angestellt, wie man die sozialen Dinge auch
Diese Argumentation kann ich nicht anerkennen. gerecht regeln könne.
Sie ist auch von keinem beteiligten Land im Bundes-
Herr Orgaß, Sie sagten, wir hätten bei der Her-
rat, als es um diese Fragen ging, vorgebracht wor-
ausnahme der Kostenmiete damit argumentiert, daß
den. Ich muß mich auf das berufen, was die Länder
ein ungleiches Recht geschaffen werde. Ich will dar-
im Bundesrat gesagt haben, nicht auf das, was
auf gar nicht eingehen und das auch nicht im ein-
irgendeiner einmal in einer privaten Unterhaltung,
zelnen untersuchen. Ich teile die Überlegung, daß
vielleicht mißdeutig, gesagt haben könnte.
der soziale Wohnungsbau anders gehandhabt wird.
(Beifall bei der SPD.) Aber Sie werden mir doch sicher zugeben, Herr
Ich bitte nochmals, den Antrag der CDU/CSU ab- Orgaß, daß erhebliche Härten entstehen, wenn man
zulehnen. eine differenzierte Regelung — Obergrenze und
(Beifall bei der SPD.) Kostenmiete — zuläßt. Wenn wir die Obergrenze
jährlich an die sich verändernden Verhältnisse an-
passen —
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Das Wort hat der Abgeordnete Wurbs. (Abg. Orgaß: Sie schaffen doch die Härten!)
— Wieso? Das müssen Sie einmal begründen.
Wurbs (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen und
(Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)
Herren! Bei der Einbringung des Zweiten Wohn-
geldgesetzes durch die Bundesregierung am 16. Sep- — Nein, das müssen Sie mir einmal beweisen. Das
tember haben die Freien Demokraten festgestellt, ist durch nichts bewiesen; das ist eine Behauptung,
daß sich das bisherige System des Wohngeldes die gar nicht stimmt.
durchaus bewährt hat, daß aber auf Grund der sich (Zuruf des Abg. Orgaß.)
laufend verändernden Bedingungen ein neues Ge-
setz zu schaffen sei, nicht eine Novellierung, wie — Gehen Sie doch ans Mikrophon! Es ist schlecht,
sie die CDU/CSU vorgesehen hat. Das neue Gesetz auf diese Weise einen Dialog zu führen.
wurde dann nach den Erfahrungen der Wohngeld Ich glaube, die vorgesehene Regelung, die Kosten-
berichte erarbeitet. miete nicht besonders zu handhaben, ist schon eine
4182 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Wurbs
gute Lösung, wenn wir laufend eine Anpassung er- Das nur zur Begründung dafür, warum wir einen
möglichen. Die FDP-Fraktion stimmt dem Entwurf eigenen Entschließungsantrag eingebracht haben
zu. und warum wir bitten, den Entschließungsantrag der
(Beifall bei den Regierungsparteien.) CDU abzulehnen, weil er so nicht praktikabel ist.
Ich möchte für die SPD-Bundestagsfraktion aber
Vizepräsident Dr. Schmitt - Vockenhausen: gern noch eine kurze abschließende Erklärung zur
Zu dem Entschließungsantrag hat das Wort Frau dritten Lesung geben. Wir stimmen dem Gesetz in
Kollegin Meermann. der in zweiter Lesung beschlossenen Fassung zu.
Nach diesem Gesetz wird jedem Bürger der ange-
Frau Meermann (SPD) : Herr Präsident! Meine messene Wohnraum wirtschaftlich gesichert. Es wer-
sehr verehrten Herren und Damen! Ich möchte den den Unebenheiten und manchmal auch Ungereimt-
Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD und heiten sowie ungerechte Auswirkungen des Wohn-
der FDP auf Umdruck 84 *) begründen und anschlie- geldgesetzes 1965 beseitigt, und die inzwischen ein-
ßendiparWotlsEkäungzdrie getretene Entwicklung wird in ausreichendem Maße
Lesung sagen. berücksichtigt.
Der Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen Zur Begründung unserer Haltung einige wenige
umfaßt manches von dem, was auch die Opposition Punkte.
gewollt hat. Worum geht es denn? Es geht darum, Erstens. Die finanziellen Leistungen des Wohn-
eine Berücksichtigung der in Ausbildung Befind- geldgesetzes werden den veränderten Einkommen,
lichen bei auswärtiger Unterbringung im Ausbil- Mieten und Belastungen angepaßt und erheblich
dungsförderungsgesetz zu erreichen. Das war auch verbessert. So wird die Einkommensgrenze für den
das gemeinsame Anliegen des Ausschusses. Eine ge- Haushaltsvorstand von 750 DM monatlich auf
wisse Schwierigkeit, meine Herren und Damen von 800 DM und für jedes weitere Familienmitglied von
der CDU, entsteht dadurch, daß Sie in Ihrem Antrag 150 auf 200 DM erhöht. Dazu kommt die Steigerung
die Lehrlinge ebenfalls in das Ausbildungsförde- des allgemeinen Freibetrags, so daß wir erhebliche
rungsgesetz einbeziehen wollen. Nach der gegen- Steigerungen der Bruttoeinkommensgrenze in die-
wärtigen gesetzlichen Regelung erfolgt die Förde- sem Gesetz haben. Diese sind Ihnen bekannt.- Die
rung der Lehrlinge durch die Bundesanstalt für Grenze liegt für einen alleinstehenden Rentner
Arbeit. Wir haben hier also zwei getrennte Wege bei etwa 1000 DM, bei einem Ehepaar mit zwei
zu gehen. Auf der einen Seite muß die Frage der Kindern bei etwa 1822 DM, bei einem Ehepaar mit
Kosten für die auswärtige Unterbringung von Stu- vier Kindern bei 2432 DM.
denten und Schülern im Ausbildungsförderungs Was das bedeutet, meine Herren von der Opposi-
gesetz geregelt werden. Insofern rennt Ihr Antrag tion, die Sie eine höhere Grenze haben wollten,
offene Türen ein; denn die Bundesregierung hat die- wird Ihnen. klar, wenn Sie diese Sätze zu dem
ses Gesetz im Entwurf fertig. Der Entwurf wird in Durchschnittsarbeitnehmereinkommen in Industrie
den nächsten Wochen in die parlamentarische Be- und Handel in Beziehung setzen. Es betrug näm-
ratung kommen. Die Mittel dafür sind in der mittel- lich im September dieses Jahres nur 1275 DM. Wir
fristigen Finanzplanung vorgesehen. Als voraus- sind also schon beim Ehepaar ohne Kinder über
sichtlicher Termin des Inkrafttretens ist der 1. Ok- diesem Satz, und bei größeren Familien erweitert
tober angesetzt. Dennoch halten wir es für richtig, sich die Spanne noch beträchtlich.
in unserem Entschließungsantrag auch darauf hin-
zuweisen. Aber nicht nur der Empfängerkreis wird erwei-
tert, sondern auch die Wohngeldbeträge erhöhen
Im Gegensatz zu Ihrer Vorlage haben wir die sich. So wird z. B. künftig ein alleinstehender Rent-
Lehrlinge im letzten Satz des Entschließungsantrages ner mit einer Rente von 600 DM, der eine Miete von
getrennt behandelt. Wir möchten, daß die Förderung 150 DM bezahlen muß, 41 DM Wohngeld bekom-
für die Lehrlinge mit dem gleichen Gesetz erfolgt men; nach dem bisherigen Recht bekäme er nichts.
und daß keine Zersplitterungen in verschiedenen ge- Ein anderes Beispiel: Bei einem Bruttomonatsein-
setzlichen Regelungen erfolgen. So wird sich also nach kommen von jeweils 1500 DM und einer Miete von
dem letzten Satz unseres Antrags der Herr Bundes- 320 DM erhalten nach dem neuen Gesetz ein 4-Per-
minister für Arbeit mit der Bundesanstalt für Arbeit sonen-Haushalt 60 DM — nach geltendem Recht
in Verbindung setzen, um zu erreichen, daß wir im nichts —, ein 5-Personen-Haushalt 88 DM — nach
Arbeitsförderungsgesetz alle auswärts wohnenden geltendem Recht höchstens 76 DM —, ein 6-Perso-
Lehrlinge erfassen. Zur Zeit ist es so, daß nach dem nen-Haushalt 116 DM, ein 7-Personen-Haushalt
Arbeitsförderungsgesetz diejenigen Lehrlinge einen 150 DM. Das wird besonders bei denjenigen spür-
Zuschuß zur auswärtigen Unterbringung bekommen, bar, die bisher nicht die vollen Höchstsätze bekom-
die entweder verheiratet oder volljährig sind. Aber men haben, weil die Begrenzungen des alten Ge-
die jüngeren Lehrlinge sind in der Tat nicht erfaßt, setzes dem entgegenstanden. Zwei Drittel aller
wohl weil sie meist bei ihren Familien wohnen. Für Wohngeldempfänger können bisher nicht die vollen
diese müssen wir noch etwas tun. Es ist nach unserer Leistungen bekommen, die ihnen nach dem Verhält-
Ansicht aber vernünftiger, das in dem gleichen Ge- nis von Einkommen und Miete zustehen, ein Beweis
setz zu regeln, in dem auch die übrige Lehrlings- dafür, Herr Geisenhofer, daß es mit einer Novellie-
förderung geregelt ist. rung des Gesetzes, wie Sie sie gewollt haben, ein-
fach nicht getan war, sondern daß man hier von
*) Siehe Anlage 11 Grund auf etwas Neues schaffen mußte.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4183
Frau Meermann
Die deutlichsten Leistungsverbesserungen finden gar nicht der netten Kollegin Frau Meermann, aber
sich bei den 1- und 2-Personen-Haushalten, die nach ich möchte doch an die Begründung des Entschlie-
dem derzeit gültigen Recht am schlechtesten wegge- ßungsantrags der SPD/FDP-Fraktion auf Umdruck 84
kommen sind, unter denen sich aber die meisten eine Bemerkung anschließen. Gerade die unter-
Rentner befinden. Es war sozial notwendig, sie schiedliche Regelung der Wohngeldansprüche von
überproportional zu berücksichtigen. in Ausbildung befindlichen jungen Menschen, die
nicht überwiegend von ihrer Familie unterstützt
Zweitens. Die Leistungen der verschiedenen Emp- werden, hat uns ja veranlaßt, im Ausschuß einen
fängergruppen sind in sozial gerechtere Beziehun- Antrag zu stellen, alle Studenten und Lehrlinge,
gen gebracht worden. Dabei ist den Lebensumstän soweit sie ihren Unterhalt überwiegend nicht vom
den derjenigen, die vom Schicksal besonders betrof- Elternhaus erhalten, selbständig wohngeldberech-
fen sind — wie die Kriegsopfer, die Opfer der natio- tigt zu machen und in das Gesetz einzubeziehen.
nalsozialistischen Verfolgung, die Tuberkulosekran-
ken, die Behinderten, die Vertriebenen, die Flücht- Es kommt uns nun doch etwas seltsam vor, daß
linge und die Heimkehrer —, gebührend Rechnung nach dem Entschließungsantrag der Koalition die
getragen. Regelung in verschiedenen Gesetzen erfolgen soll,
obwohl unser Antrag im Ausschuß gerade mit der
Drittens. Nach dem Zweiten Wohngeldgesetz wer- Begründung abgelehnt worden ist, daß diese Ma-
den Bund und Länder im Jahre 1971 etwa 1,3 Mil- terie einheitlich im Ausbildungsförderungsgesetz ge-
liarden DM, also fast 40% mehr als im Jahre 1970, regelt werden solle, welches im Entwurf schon völlig
an über eine Million Haushalte zahlen. Diese finan- fertiggestellt sei und vor der Tür stehe; es müßten
ziellen Auswirkungen gehen an die Grenze des der- lediglich noch einige wenige Zahlen zusammenge-
zeit Möglichen. Herr Kollege Mick hat ja darauf tragen werden, um es ins Parlament zu bringen.
hingewiesen, daß auch die Opposition diese nicht Darauf beziehen wir uns in unserem Entschließungs-
mehr ausgeweitet sehen will. Denn über eines müs- antrag, wenn wir die Regierung auffordern, uns bis
sen wir uns klar sein: Jede weitere Ausdehnung zum 1. Juni des nächsten Jahres die geplanten Re
müßte zu Lasten der direkten Förderung des sozia- gelungen vorzulegen, damit der Inkraftsetzungs-
len Wohnungsbaus gehen — eine Konsequenz, die termin — der 1. Oktober — auch eingehalten wer-
niemand ernsthaft wollen kann. den kann. -

Nach unseren Vorstellungen — ich muß das noch Ich glaube, daß es schon wichtig ist, daß dieses
einmal sehr deutlich sagen — hat das Wohngeld Hohe Haus auch hinsichtlich des Termins eine Wil-
der Mieten- und Lastenentwicklung zu folgen, darf lenskundgebung von sich gibt. Ich fürchte, daß sonst
ihr aber auf gar keinen Fall vorauseilen, da das die Einbeziehung der in Ausbildung befindlichen n
unweigerlich zu Mietsteigerungen führen würde. Studenten und Lehrlinge plötzlich im Dickicht an-
Viertens. Eine neue Systematik des Gesetzes führt gekündigter und erwarteter Reformen — Reform-
zu erheblichen Vereinfachungen. Der Bürger kann vorstellungen, Reformvorschläge - verschwinden
sich leicht zurechtfinden. Wenn er einmal die Hürde könnte. Das dürfen wir von der Sache her auf
der Einkommensentwicklung genommen hat, braucht keinen Fall zulassen.
er nur noch einen Blick auf zwei Tabellen zu werfen, Wir halten diese Frage für außerordentlich wich-
um sein Wohngeld in Mark und Pfennig ablesen tig, da sich schon heute gerade bei dieser Frage ein
zu können. sozialer Sprengstoff angesammelt hat, der bei einer
Fünftens. Damit, meine Damen und Herren, erfüllt Explosion wahrscheinlich Auswirkungen hat, die
das Zweite Wohngeldgesetz alle Voraussetzungen, sich heute niemand vorstellen kann. Dieses Thema
ein wirklich bürgernahes Gesetz zu werden und das berührt nicht nur die Studenten. Es berührt jeden
Vertrauen in das Wohngeld weiter zu stärken. Es in Ausbildung befindlichen jungen Menschen. Aus
gehört zu den inneren Reformen, die diese Bundes- dieser Sicht meinen wir, daß der Entschließungs-
regierung und die sie tragenden Parteien in Angriff antrag der CDU/CSU mit einer klaren Terminset-
genommen haben. zung vom Parlament beschlossen werden sollte, da-
mit man nicht später darauf hinweisen kann, es
Und als 6. und letzter Punkt: Mit diesem Gesetz habe ja lediglich geheißen, in Bälde sei etwas zu
verpflichtet das Parlament die Regierung, einmal tun.
jährlich einen Bericht über die Mietenentwicklung
Ein zweites muß ich hier in einem einzigen Satz
zu erstatten. Aber es verpflichtet damit auch sich
hinsichtlich des § 27 a anfügen, den wir zusätzlich
selbst, die Sorge um die Wohnung der Bürger als
beantragt haben. Herr Kollege Bäuerle, Sie haben
eine fortdauernde politische Aufgabe zu betrachten.
davon gesprochen, daß es eine Wiedereinsetzung in
— Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
den vorigen Stand gebe, wenn nicht schuldhaft ver-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) fahren worden sei. Diese Wiedereinsetzung in den
vorigen Stand gibt es nicht. Ich kann Ihnen eine
ganze Reihe von Fällen sagen, in denen erstens
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen:
nicht das Verfahren geübt ist, das Herr Bäuerle hier
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Erpenbeck.
angesprochen hat — daß jeder erst benachrichtigt
werde usw. usf. —, und daß dann zweitens die
Erpenbeck (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfolge. In
sehr verehrten Damen und Herren! Ich widerspreche vielen Fällen haben es die Betroffenen erst dann
grundsätzlich nicht gerne einer Dame und schon gemerkt, wenn ihnen das Geld nicht gezahlt wurde.
4184 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Erpenbeck
Erst dann merkten sie, was sie an Fristversäumnis druck, wonach die wi rt schaftliche Sicherung ange-
sich selber zuschreiben mußten. Das möchten wir messenen und familiengerechten Wohnens erreicht
mit § 27 a auf jeden Fall verhindert wissen. werden soll.
(Beifall bei der CDU/CSU.) Wir dürfen davon ausgehen, daß sich das Wohn-
geldgesetz, wie wir es bisher hatten, grundsätzlich
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: bewährt und in seiner sozialen Zielsetzung bestätigt
Das Wort hat der Herr Bundeswohnungsbaumini- hat. Bewährt hat sich das Wohngeld als eine nach
ster. dem Individualprinzip gewährte subjektbezogene
Leistung. Dennoch haben wir in den vergangenen
5 Jahren die Erfahrung gemacht, daß Schwierigkei-
Dr. Lauritzen, Bundesminister für Städtebau ten und Unzulänglichkeiten aufgetreten sind und
und Wohnungswesen: Herr Präsident! Meine Da- festgestellt wurden, die es zu beseitigen gilt. Ge-
men und Herren! Am 16. September hat das Hohe rade dieser Gesetzentwurf bringt dabei entschei-
Haus den von der Bundesregierung vorgelegten Ent- dende materielle und strukturelle Verbesserungen.
wurf des Zweiten Wohngeldgesetzes zum erstenmal
beraten. Wenn heute, nur sieben Wochen später, Die Wohngeldleistungen werden erhöht. Darauf
das Gesetz nach abschließender Beratung verab- ist schon hingewiesen worden.
schiedet wird, dann haben wir das vor allem der
Zwei Dinge lassen Sie mich in diesem Zusammen-
zügigen und sachlichen Arbeit der beteiligten Bun-
hang besonders hervorheben. Die Leistungserhöhun-
destagsausschüsse zu danken. Diesen Dank hier im
gen kommen allen nach diesem Gesetz berechtigten
Namen der Bundesregierung zum Ausdruck zu brin-
Personenkreisen zugute, und niemand wird nach
gen, ist mir ein besonderes Anliegen.
diesem Gesetz schlechtergestellt als bisher. Die Ein-
Wenn in diesem Zusammenhang auf die verzö- kommensgrenze wird auf monatlich 800 DM und zu-
gerte Vorlage des Regierungsentwurfs abgehoben sätzlich 200 DM für jedes weitere Familienmitglied
wird, so muß ich mit allem Nachdruck darauf auf- erhöht. Dabei geht es um Familieneinkommen, das
merksam machen, daß eine Vorlage, die mit so gro- sich nach Anwendung der Absetzungsmöglichkeiten
ßen finanziellen Auswirkungen verbunden ist, erst und Freibeträge noch ergibt. Wenn Sie hinzuneh- -
dann im Bundestag vorgelegt werden kann, wenn men, daß der Freibetrag allgemein von 15 auf 20 %
auch die Finanzierung geklärt ist. erhöht wird, dann werden im Vergleich zum gelten-
(Zustimmung bei der SPD.) den Recht jetzt viel höhere Bruttoeinkommen in
diese Einkommensgrenze des Gesetzes fallen als
Die Bundesregierung hat den Entwurf zum Haus- bisher.
haltsplan 1971 und die mittelfristige Finanzplanung
am 9. Juli beschlossen. Dieser Gesetzentwurf ist Ich bin gebeten worden, mich mit Rücksicht auf
gleichwohl bereits am 30. April, also Wochen vor- die Geschäftslage und die eilende Zeit kurz zu
her, verabschiedet worden, als man so ungefähr fassen. Ich hätte gern noch etwas zu den vorliegen-
sehen konnte, wie die mittelfristige Finanzlanung den Anträgen und zur Bemerkung von Herrn Mick
aussieht. Früher war das nun wirklich nicht möglich. gesagt. Vielleicht nur zwei Punkte.
Wenn das Gesetz heute verabschiedet wird, kann es Meine Damen und Herren, es geht darum, daß
voll wirksam werden, da die Mittel dafür am 1. Ja- man Mieter, die in gleich großen Wohnungen zu
nuar 1971 zur Verfügung stehen. gleicher Miete wohnen, nicht unterschiedlich danach
Mit dieser zügigen Beratung haben alle in diesem behandeln kann, ob der eine Kostenmiete zahlt und
Hause vertretenen Fraktionen ihren Willen bekun- der andere eine frei berechnete Miete. Das ist nicht
det, die mit dem Gesetzentwurf beabsichtigten Ver- eine Frage des Rechts, sondern eine Frage unserer
besserungen möglichst bald den davon betroffenen gesellschaftspolitischen Zielsetzung.
und begünstigten Bürgern unseres Landes zugute (Zurufe von der CDU/CSU.)
kommen zu lassen. Sie haben damit zugleich aber
auch den besonderen sozialen und gesellschaftspoli- Hier kann man keine Unterschiede machen.
tischen Stellenwert, den wir diesem Gesetz einräu Was die Bemessung angeht: Wir haben die Tabel-
men, anerkannt. Mehr als eine Million Haushalte, len insbesondere im § 8 nach Abstimmung mit den
darunter vor allem Rentner, Pensionäre, Familien mit Ländern so bemessen, daß die jetzigen Grenzen im
geringem Einkommen, Kinderreiche, vertrauen auf sozialen Wohnungsbau voll dabei sind. Wir werden
die gesetzlich garantierten Wohngeldleistungen. So uns die Mietenwicklung im sozialen Wohnungsbau,
wird das Wohngeld in der Öffentlichkeit mit Recht aber auch die allgemeine Entwicklung, genau darauf
immer mehr als ein Teil der öffentlichen Wohnungs- hin ansehen müssen, wann wir dieses Limit er-
bauförderung verstanden. Es wächst auch das Ver- höhen müssen. Das bedeutet keineswegs, daß damit
ständnis in der Öffentlichkeit dafür, daß mit dem der soziale Wohnungsbau aus dem Wohngeldgesetz
Wohngeld ein ganz entscheidender Beitrag geleistet herauskommt. Er ist voll darin und wird auch in Zu-
wird, das vornehmste Ziel einer gesellschaftspolitisch kunft voll darin bleiben.
verantwortungsbewußten Wohnungspolitik zu errei-
chen, nämlich eine Situation am Wohnungsmarkt zu Zu der Bemerkung über Rationalisierung. Herr
erzielen, die es jedem Bürger und jeder Familie unse- Kollege Mick, gestern abend hat die Bundesregie-
res Staates erlaubt, überall eine angemessene Woh- rung ein ganzes Bündel administrativer und tech-
nung wählen zu können. Das kommt doch gerade in nischer Maßnahmen zum Ziel der Rationalisierung,
der Neufassung des § 1 dieses Gesetzes zum Aus der Weiterführung des Winterbaus, des koordinier-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4185
Bundesminister Dr. Lauritzen
ten Einsatzes der öffentlichen Mittel beschlossen. ßungsantrag zustimmt, den bitte ich um das Zeichen.
Ich sollte das um halb drei Uhr vor der Pressekonfe- — Danke. Gegenprobe! Danke. Stimmenthaltun-
renz im einzelnen erläutern. Wir werden dies auch gen? — Der Antrag ist abgelehnt.
dem Bundestag vorlegen und werden Gelegenheit Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktionen
haben, dann im Vierzehner-Ausschuß im einzelnen der SPD, FDP zur dritten Beratung des Entwurfs
darüber zu sprechen. eines Zweiten Wohngeldgesetzes auf Umdruck 84
Meine Damen und Herren, eine ganz wesentliche auf. Auch dieser Entschließungsantrag ist begründet.
Verbesserung — damit will ich schnell zum Schluß Wer diesem Antrag zuzustimmen wünscht, den
kommen — sehe ich in dem Entwurf, wie er vor- bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! —
liegt, darin, daß künftig die Höchstbeträge für zu- Stimmenthaltungen? — Bei zahlreichen Stimment-
schußfähige Miete und Belastung, aber auch die haltungen aus der CDU/CSU angenommen.
Höhe des Wohngeldes aus Tabellen abgelesen wer- Damit ist der Punkt 4 a erledigt. Ich rufe Punkt 4 b
den können und daß damit ein Gesetz, das für den auf. Meine Herren Antragsteller, ich nehme an, Sie
einzelnen Bürger unseres Landes von so entschei- sind damit einverstanden, wenn ich den Punkt 4 b
dender Bedeutung viel transparenter ist als die bis- auf Grund der Beschlußfassung in dritter Lesung
herige gesetzliche Regelung und ihm einen besseren über das Wohngeldgesetz für erledigt erkläre. — Ja.
Überblick über das gibt, was ihm zusteht. Danke.
Alles in allem — und damit komme ich zum Dann rufe ich Punkt 4 c der heutigen Tagesord-
Schluß — möchte ich ausdrücklich feststellen, daß nung auf. Es liegt ein Antrag des Ausschusses vor.
dem Hohen Hause heute ein Gesetzentwurf zur Ver- Wer diesem Antrag des Ausschusses zustimmt, den
abschiedung vorliegt, der in ausgesprochen abge- bitte ich um das Zeichen. — Danke. Gegenprobe! —
wogener Weise nicht nur den bislang bereits zum Stimmenthaltungen? — Ich stelle einstimmige An-
Bezug von Wohngeld Berechtigten wesentlich bes- nahme fest.
sere und höhere soziale Leistungen bringt, sondern Damit sind die Punkte 4 a, b, c erledigt. Bevor wir
auch den Kreis der Begünstigten wesentlich er- in die Fragestunde eintreten, würde ich allerdings
weitert. Damit ist dieses Gesetz ein entscheidender vorschlagen, daß wir eine ganz kurze Pause ma-
Beitrag im Rahmen einer sozialverpflichteten Woh- chen und um 15 Uhr mit der Fragestunde fortfahren. -
nungspolitik.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) (Unterbrechung der Sitzung von 14,59 bis
15.00 Uhr.)

Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:


-

Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende der Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Aussprache und treten ein in die Abstimmung. Ich Meine Damen und Herren, wir fahren in der Sitzung
lasse zunächst abstimmen über den Änderungsan- fort.
trag der Fraktion der CDU/CSU auf Umdruck 83, Ich rufe Punkt 1 der Tagesordnung auf:
in § 8 einen Absatz 3 a einzufügen. Wer dem Antrag
Fragestunde
zustimmt, den bitte ich um das Handzeichen. — Ge-
genprobe! — Danke. Stimmenthaltungen? — Meine — Drucksache VI/ 1339 —
Damen und Herren, der Antrag ist abgelehnt. Zunächst kommen wir zu den Fragen aus dem
Ich rufe den Änderungsantrag der Fraktion der Geschäftsbereich des Bundesministers des Innern.
CDU/CSU auf Umdruck 82 auf, nach § 27 einen § 27 a Ich rufe die Frage 1 des Herrn Abgeordneten Hirsch
mit der Überschrift „Weitere Gewährung des Wohn- auf:
Hält es die Bundesregierung für sachgerecht, daß nach den
gelds" einzufügen. Wer dem Antrag zustimmt, den Bestimmungen der Verordnung über die Laufbahnen der Bundes-
beamten vom 27. April 1970 (BGBl. I S. 422) Beamte des mittle-
bitte ich um das Zeichen. — Ich danke. Gegenprobe! ren Dienstes, auch wenn sie ihre Laufbahn durchlaufen haben,
— Danke. Stimmenthaltungen? — Das zweite war zu einer Laufbahn des gehobenen Dienstes grundsätzlich nur
nach Ablegung der vorgesehenen Aufstiegsprüfung zugelassen
die Mehrheit, der Antrag ist abgelehnt. und nur beim Vorliegen wichtiger dienstlicher Gründe dem
Bundespersonalausschuß vorgestellt werden können, während
bei anderen Bewerbern eine Feststellung ihrer Befähigung durch
Meine Damen und Herren, wir kommen damit zur den Bundespersonalausschuß genügt?
Schlußabstimmung. Wer dem Gesetzentwurf in drit-
ter Beratung zustimmt, den bitte ich, sich von den Zur Beantwortung Herr Bundesminister.
Plätzen zu erheben. — Ich danke. Gegenstimmen! —
Stimmenthaltungen? — Ich stelle fest: einstimmig Genscher, Bundesminister des Innern: Herr Kol-
angenommen. lege, die Bundesregierung ist der Auffassung, daß
Meine Damen und Herren, dann kommen wir noch die Beamten des mittleren Dienstes, auch wenn sie
ihre Laufbahn bereits durchlaufen haben, regelmä-
zur Abstimmung über die Punkte 2 und 3 des Aus-
ßig nur nach Ablegung der Aufstiegsprüfung in den
schußantrages auf Seite 6 der Drucksache VI/1310.
gehobenen Dienst gelangen sollten. Die dem ent-
Wer zustimmen will, den bitte ich um das Zeichen.
sprechende Regelung in der Bundeslaufbahnverord-
— Danke. Gegenprobe! — Stimmenthaltungen? —
nung geht davon aus, daß für die vollwertige Ver-
Angenommen.
wendung der Beamten in den vielseitigen Aufgaben-
Ich rufe den Entschließungsantrag der Fraktion bereichen des gehobenen Dienstes eine über Erfah-
der CDU/CSU zur dritten Beratung auf Umdruck 80 rung, Wissen und Können hinausgehende solide
auf. Der Antrag ist begründet. Wer dem Entschlie und breite Befähigungsgrundlage vorhanden sein
4186 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Bundesminister Genscher
muß. Der geforderte Nachweis dieser Befähigung Dr. Gruhl (CDU/CSU) : Herr Minister, hat die
dient zugleich der Objektivierung des Leistungsprin- Bundesregierung Forschungsaufträge erteilt, um die
zips. Wirkung der Phosphate in den Gewässern, auch in
den Meeren, genauer festzustellen?
Die künftigen Anforderungen an den gehobenen
Dienst, die eine mehr wissenschaftsorientierte Aus-
bildung zur Voraussetzung haben werden, erhöhen Genscher, Bundesminister des Innern: Sie hat
noch die Bedeutung eines solchen Befähigungsnach- diese Absicht, Herr Kollege.
weises.
Die von Ihnen schon angeführten Ausnahmerege- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Gleissner.


lungen, nach denen die Befähigung durch den Bun-
despersonalausschuß, und zwar in einem geregelten
Verfahren durch einen ebenfalls unabhängigen Un- Dr. Gleissner (CDU/CSU) : Herr Bundesminister,
terausschuß, festgestellt wird, suchen in dem not- sind die Waschmittel der Industrie ohne jegliche
wendigen Maße Härten und Benachteiligungen zu öffentliche Kontrolle entwickelt worden?
vermeiden.
Bei den sogenannten „anderen Bewerbern" han- Genscher, Bundesminister des Innern: Ich kann
delt es sich hauptsächlich um dringend benötigte dazu im Moment keine Antwort geben, Herr Kol-
Fachkräfte, an deren Gewinnung wegen des Man- lege. Ich bin gern bereit, das nachzureichen.
gels an Beamten mit Spezialkenntnissen ein beson-
deres dienstliches Interesse besteht. Diese Bewerber Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

dürfen nur dann in das Beamtenverhältnis berufen Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Dr. Gruhl
werden, wenn sie ihre durch Lebens- und Berufs- auf:
erfahrung innerhalb und außerhalb des öffentlichen Ist der Bundesregierung bekannt, daß in den USA und in
Dienstes erworbene Befähigung unter Beweis ge- Kanada ein phosphatfreies Waschmittel bereits produziert wird,
und bestehen in diesem Zusammenhang Pläne, das Detergentien
stellt haben. Es entspricht dem besonderen Werde- gesetz von 1961 zu novellieren?
gang der „anderen Bewerber" und den Aufgaben-
bereichen, für die sie vornehmlich in Betracht kom- Genscher, Bundesminister des Innern: Die Bun--

men, daß ihre Befähigung in dem besonders gestal- desregierung ist über diese Maßnahmen in Kanada,
teten Verfahren des Bundespersonalausschusses den USA und Schweden unterrichtet. Auch in der
festgestellt wird. Bundesrepublik bemüht sich die Industrie um geeig-
nete Ersatzstoffe für Waschmittelphosphate. Unsere
Die Bundesregierung hält die für beide Bewerber- Sachverständigen sind jedoch der Meinung, daß alle
) gruppen getroffenen Regelungen für sachgerecht. bisher untersuchten Austauschstoffe nicht an die
universellen Eigenschaften der Waschmittelphos-
phate herankommen und möglicherweise sogar ein
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
Risiko für die Gewässer und die Trinkwasserver-
Eine Zusatzfrage wird nicht gestellt. sorgung bedeuten. Ziel der Forschung auf diesem
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Dr. Gruhl Gebiet ist die Entwicklung phosphor- und stickstoff-
auf: freier Substanzen, die gute Wascheigenschaften ha-
ben und biologisch gut abbaubar, aber toxikologisch
Kann die Bundesregierung die in der Presse veröffentlichte
Behauptung bestätigen, daß die jetzigen — zwar schaumlosen, unbedenklich sein müssen. Diese Entwicklungen
aber phosphatreicheren — Detergentien in den Waschmitteln die werden von der Industrie, der Landwirtschaft, der
Gewässer noch stärker schädigen?
Wasserwirtschaft und der wissenschaftlichen For-
Herr Minister! schung in einem gemeinsamen Hauptausschuß „Phos-
phate und Wasser" koordiniert. Einer gesetzlichen
Regelung kann erst dann nähergetreten werden,
Genscher, Bundesminister des Innern: Die Bun-
wenn die erforderlichen wissenschaftlichen Grund-
desregierung, Herr Kollege, kann diese Behauptung
lagen erarbeitet worden sind. Bis dahin erscheint es
nicht bestätigen. In den Wasch- und Reinigungsmit-
notwendig, die Eutrophierung der Gewässer durch
teln, die den Forderungen des Detergentiengesetzes
die Einrichtung dritter Reinigungsstufen oder den
vom 5. September 1961 und der darauf beruhenden
Bau von Ringkanalisationen zu bekämpfen.
Verordnung vom 1. Dezember 1962 entsprechen,
sind zwar die biologisch schwer abbaubaren Deter-
gentien durch leicht abbaubare ersetzt worden, der Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Phosphatanteil ist jedoch im wesentlichen unverän- Keine weiteren Zusatzfragen.


dert geblieben. Dem Phosphatanteil der heutigen Meine Damen und Herren, wir kommen zu Frage 4
Waschmittel kommen im Waschprozeß etwa ebenso des Herrn Abgeordneten Schröder (Wilhelminen
wichtige Funktionen zu wie dem Detergentienanteil. hof) :
Welche konkreten Schritte gedenkt die Bundesregierung zu
Bei den hauptsächlich von Kanada, den USA und unternehmen für den Fall, daß sich die holländische Regierung
Schweden ausgehenden Bemühungen, Phosphate in über alle Bedenken hinwegsetzt, die von deutscher Seite und
auch von holländischen Fachstellen gegen den Bau einer Ab-
Wasch- und Reinigungsmitteln zu ersetzen oder zu wasserleitung in die Ems in der bislang vorgesehenen Form
gemacht worden sind, und sie trotz dieser Bedenken mit den
reduzieren, wird das Ziel verfolgt, die durch diese Baumaßnahmen beginnt, die zur Einleitung ungeklärter Abwäs-
Stoffe verursachte Steigerung der Gewässerdüngung ser in das Ems-Ästuar führen und damit zu einer großen wirt-
schaftlichen Gefahr für die ganze ostfriesische Küste werden
und deren Folgen zu verhindern. können?
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4187
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Wegen des Sachzusammenhangs rufe ich außer- Genscher, Bundesminister des Innern: Herr Kol-
dem die Frage 7 des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz lege, zum ersten Teil Ihrer Frage. Ich muß leider
auf. bestätigen, daß die dort zuständigen Behörden die
Nachdem das Niederländische Provinzialparlament von Gronin-
Abwässer ungereinigt einleiten wollen. Es kann sich
gen einen Beschluß über den Bau einer Abwasserdruckleitung in deshalb nur darum handeln, daß die Bundesregie-
die Ems-Dollart-Bucht herbeigeführt hat, frage ich die Bundes-
regierung, ob dieser Beschluß bedeutet, daß ungeklärte Ab- rung der niederländischen Regierung gegenüber un-
wässer in die nordischen Küstengewässer geleitet werden sollen. mißverständlich zum Ausdruck bringt, daß sie nicht
Ist der Herr Abgeordnete Schröder im Saal? daran denkt, es hinzunehmen, daß diese Pläne ver-
wirklicht werden, wenn nicht vorher noch eine
(Abg. Dr. Ritz: Er mußte leider zur Bericht andere Entscheidung fällt, und zwar eine Entschei-
erstattung in den Haushaltsausschuß!) dung in der Richtung, daß eine biologische Reini-
— Dann wird die Frage schriftlich beantwortet. gung des Wassers erfolgt.
Zur Beantwortung der Frage 7, Herr Minister,
bitte! Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Eine Zusatzfrage.
Genscher, Bundesminister des Innern: Herr
Präsident,achAb eidrntwo Seiters (CDU/CSU) : Herr Minister, ist es richtig,
auf die Frage des Herrn Kollegen Dr. Ritz auf die daß zwischen Ihnen und dem Vertreter der hollän-
Antwort auf die Frage des Kollegen Schröder zu dischen Regierung eine Vereinbarung getroffen
verweisen, kommt Herr Kollege Schröder in Ab- wurde, daß der Bau einer solchen Abwasserdruck-
wesenheit jetzt doch zu dem Vorzug, daß ich seine leitung zumindest bis zum Januar 1971 zunächst
Frage mündlich beantworte. zurückgestellt werden sollte, um die Möglichkeiten
Nach einem Bericht der Deutschen Botschaft in eines Prozesses der Selbstreinigung zu prüfen, und
Den Haag hat das Provinzialparlament in Groningen würden Sie unter diesen Gesichtspunkten an dieser
am 21. Oktober 1970 dem Antrag der Provinzial- Stelle ausdrücklich erklären, daß sowohl der Be-
regierung zugestimmt, mit dem Bau des ersten Ab- schluß des Provinzparlaments als auch die Presse-
schnittes der Rohrleitung für die Einleitung von ankündigung von Herrn Minister Bakker eine Ver-
-
Abwässern in das Ems-Ästuar unverzüglich zu be- letzung dieser Vereinbarung bedeutet?
ginnen ; dabei ist nicht beabsichtigt, die Abwässer,
die nach Vollendung dieses ersten Bauabschnittes Genscher Bundesminister des Innern: Herr Kol-
anfallen werden, biologisch zu reinigen. lege, zumindest widerspricht dieser Beschluß des
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß die Provinzialparlaments dem Geist der Gespräche, die
Einleitung ungereinigter Industrieabwässer, die im wir hier in Bonn geführt haben. Ich möchte das
Schmutzwert dem Abwasser von vielen Millionen ausdrücklich hier sagen, so bedauerlich es auch ist,
Menschen entsprechen, eine Beeinträchtigung und das in einem Fall zu sagen, in dem es sich um einen
nachteilige Veränderung der Umwelt mit schädlich- Nachbarstaat handelt, mit dem wir wirklich freund-
schaftliche Beziehungen unterhalten.
sten Folgen für die deutsche Seite bewirken würde.
Wie schon in der Antwort vom 16. Oktober 1970 auf
die Frage des Herrn Abgeordneten Dr. Gruhl zum Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Ausdruck kam, kann sich die Bundesregierung des- Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Frerichs.
halb mit der Einleitung ungereinigter Abwässer,
auch soweit es sich um den ersten Abschnitt han- Dr. Frerichs (CDU/CSU): Herr Bundesminister,
delt, nicht einverstanden erklären. Sie bereitet zu- sind Sie bereit, die ostfriesische Küstenwirtschaft,
nächst einen geeigneten Schritt vor, durch den dies
insbesondere die ostfriesischen Bäder laufend über
der niederländischen Regierung nochmals nach-
die Maßnahmen der Bundesregierung zu unterrich-
drücklich zur Kenntnis gebracht werden soll. ten? Es ist heute schon abzusehen, daß die Ankündi-
Der Beginn der Baumaßnahmen am Leitungs- gung der niederländischen Regierung nicht nur Un-
system ist nicht die Kernfrage; wichtig ist, daß das ruhe, sondern im Hinblick auf die Badesaison 1971
Abwasser vor der Einleitung in das Ems-Ästuar auch Absagen zur Folge gehabt hat, was außer-
biologisch gereinigt wird. In diesem Sinne wird die ordentlich bedauerlich ist.
Bundesregierung vorstellig werden.
Genscher, Bundesminister des Innern: Herr Kol-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: - lege, wir stehen mit den Betroffenen in einem stän-
Eine Zusatzfrage. digen, engen Kontakt und werden diesen Kontakt
fortsetzen.
Dr. Ritz (CDU/CSU) : Herr Minister, Ihrer sehr
deutlichen Antwort kann ich also entnehmen, daß Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

davon auszugehen ist, daß die beschlußfassenden Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten
Gremien in den Niederlanden die Abwässer unge- Bittelmann.
klärt in die Ems-Dollart-Bucht einleiten wollen? Wie
werden diese von Ihnen angedeuteten konkreten Bittelmann (CDU/CSU): Herr Minister, ist
Schritte, die Sie gegenüber den Niederländern ein- Ihnen bekannt, daß in der Debatte die Ansicht ver-
leiten werden, aussehen? treten wurde, man sollte an den Mündungsstellen
4188 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Bittelmann
der Pipelines in Ems und Dollart Säuberungsein Genscher, Bundesminister des Innern: Herr Kol-
richtungen einbauen? Das wird aber davon abhän lege, der Bundesminister des Innern hat seit dem
gig gemacht, wie die Kostenberechnungen aussehen. Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung des öffent-
lichen Vereinsrechts vom 5. August 1964 drei Ver-
eine verboten, und zwar: am 7. September 1967 den
Genscher, Bundesminister des Innern: Ich Kroatischen Demokratischen Ausschuß wegen Ver-
glaube, für die Interessen der betroffenen Gebiete stoßes gegen die Strafgesetze und gegen den Ge-
kommt es darauf an, daß in jedem Fall garantiert
danken der Völkerverständigung sowie wegen Ge-
ist, daß nur gereinigte Abwässer eingeleitet wer-
fährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung;
den und nicht darauf, daß man Wirtschaftlichkeits-
am 24. Juni 1968 die Kroatische Revolutionäre Bru-
berechnungen im Hinblick auf die Frage anstellt,
derschaft wegen Verstoßes gegen die Strafgesetze
ob man derartige Einrichtungen schaffen sollte oder
und den Gedanken der Völkerverständigung sowie
nicht. Das kann keine Frage der Wirtschaftlichkeit
wegen Gefährdung der öffentlichen Ordnung; am
sein, sondern das ist eine Frage der Umweltbedin-
29. April 1969 den Bund Deutscher National-Soziali-
gungen für alle, die in diesen Gebieten wohnen
sten wegen Verstoßes gegen die Strafgesetze, die
oder dort Erholung suchen wollen.
verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der
Völkerverständigung.
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Ich rufe die Frage 5 des Abgeordneten Müller (Mül- Von den obersten Landesbehörden wurden seit
dem Inkrafttreten des Vereinsgesetzes aus ähnli-
heim) auf:
chen Gründen ebenfalls drei Vereine verboten, und
Kann die Bundesregierung Zeitungsnachrichten bestätigen, wo-
nach zunehmend mehr private Unternehmungen dazu übergehen, zwar: am 3. März 1966 der Stahlhelm-Bund der
unter irreführenden Bezeichnungen und dem Anschein der Wohl-
tätigkeit den anerkannten Wohlfahrtsverbänden bei Kleider-
Frontsoldaten — Ortsgruppe Bad Bergzabern von
und Altmaterialsammlungen Konkurrenz zu machen? der Landesregierung Rheinland-Pfalz; am 3. Mai
1966 die Vereinigung zur Veranstaltung eines Tref-
Genscher, Bundesminister des Innern: Herr Prä- fens der Angehörigen der ehemaligen SS-Division
sident, ich bitte um die Erlaubnis, die Fragen des
„Nordland" in Ebstdorf vom Niedersächsischen Mi-
Kollegen Müller im Zusammenhang beantworten zu
nister des Innern; am 24. Juni 1970 der Sozialisti-
-
dürfen. sche Deutsche Studentenbund, Hochschulgruppe
Heidelberg, vom Innenminister des Landes Baden-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
Württemberg. Dieses Verbot ist noch nicht unan-
Herr Kollege Müller, sind Sie damit einverstanden? fechtbar. Gegen die Verbotsverfügung wurde beim
— Dann rufe ich auch die Frage 6 des Abgeordneten Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg An-
Müller (Mülheim) auf: fechtungsklage erhoben.
Sieht die Bundesregierung Möglichkeiten, solche Manipula-
tionen, die dem vorgegebenen Hilfszweck widersprechen und die
Sozialarbeit der Wohlfahrtsverbände erschweren, zu unter-
binden?
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr.


Kempfler.
Genscher, Bundesminister des Innern: Ich be-
antworte im Einvernehmen mit dem Bundesministe-
rium für Jugend, Familie und Gesundheit Ihre Dr. Kempfler (CDU/CSU) : Herr Minister, sind
Fragen wie folgt. Wie mir bekannt ist, beklagen sich Sie nicht der Auffassung, daß es noch wesentlich
die Organisationen der freien Wohlfahrtspflege, daß mehr Tatbestände gegeben hat, auf die § 3 des Ver-
private Unternehmen zunehmend die Gebefreudig- einsgesetzes hätte angewendet werden können?
keit der Bevölkerung ausnutzen und unter Irrefüh-
rung über die beabsichtigte Verwendung des Samm-
Genscher, Bundesminister des Innern: Herr Kol-
lungserlöses Altmaterial -und Kleidersammlungen lege, es gibt immer wieder Fälle, in denen der Er-
veranstalten. messensspielraum ausgenutzt wird. Auch wenn die
Die Regelung des Sammlungswesens ist Sache tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für
der Länder, die in den Jahren 1962 bis 1970 eigene ein Verbot vorliegen, ist die zuständige Behörde
Sammlungsgesetze erlassen haben. Der Bund hat nicht immer gehalten, das Verbot zu erlassen. Nach
auf diesem Gebiet keine Gesetzgebungskompetenz höchstrichterlicher Rechtsprechung ist die Entschei-
und keine Kontrollbefugnis. Es liegt daher leider dung nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen, also
nicht in seiner Macht, solche Manipulationen zu auf Grund der dafür und dagegen sprechenden und
unterbinden. auf das Wohl des Staates gerichteten Umstände.
Kommt die Verbotsbehörde dabei zu dem Ergebnis,
daß es zweckmäßiger ist, von dem Verbot abzu-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
sehen, handelt sie rechtsstaatsgemäß. Aus diesem
Keine Zusatzfrage. Gesichtspunkt hat z. B., wie Sie wissen, die dama-
Ich rufe die Frage 8 des Abg. Dr. Kempfler auf: lige Bundesregierung im Jahre 1968 von einem SDS-
Verbot abgesehen.
Wie oft ist bis jetzt auf Grund des Gesetzes zur Regelung des
öffentlichen Vereinsrechts vom 5. August 1964 durch eine Ver-
botsbehörde ein Verein gemäß § 3 des Gesetzes verboten
worden? Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Herr Bundesminister! Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege Kempfler.


Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4189

Dr. Kempfler (CDU/CSU) : Herr Minister, sind Zeiten angerechnet werden, die der Angestellte nach
Sie nicht der Auffassung, daß bei diesen Erwägun- dem 5. Mai 1955 bei den Stationierungsstreitkräften
gen mehr und mehr auch der alte Erfahrungssatz in einer entsprechenden Tätigkeit und in einer ent-
Platz greifen sollte, daß man den Anfängen wider- sprechenden Vergütungsgruppe zurückgelegt hat.
stehen solite?
Durch diese übertarifliche Maßnahme ist im Rah-
Genscher, Bundesminister des Innern: Dieser men des geltenden Tarifrechts eine Regelung ge-
Meinung bin ich allerdings, Herr Kollege. troffen worden, die den besonderen Bedürfnissen
der bei den Stationierungsstreitkräften beschäftig-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
ten Angestellten Rechnung trägt.
Ich rufe die Frage 9 des Herrn Abgeordneten So ist sichergestellt, daß ein von den Stationie-
Dr. Kempfler auf: rungsstreitkräften in den Dienst des Bundes über-
Warum sind die Verbotsbehörden (oberste Landesbehörde, nommener Angestellter beim Bewährungsaufstieg
Bundesministerium des Innern) mit solchen Verboten auch dann
äußerst zurückhaltend, wenn klar erwiesen ist, daß Zweck und nicht schlechter, aber auch nicht besser behandelt
Tätigkeit eines Vereins den Strafgesetzen zuwiderlaufen und
sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten, also gleich
wird als jeder andere Angestellte. Schwierigkeiten
mehrere Voraussetzungen der in Rede stehenden Maßnahme er- bei der Anwendung der vorgenannten übertarif-
füllt sind?
lichen Regelung sind mir bisher nicht bekanntge-
Herr Bundesminister! worden. Sollten sich solche ergeben, bin ich selbst-
verständlich gerne bereit, den Ursachen nachzuge-
Genscher, Bundesminister des Innern: Ich kann hen und zu prüfen, auf welche Weise derartige
hier nur etwas über die Verbotspraxis des Bundes- Schwierigkeiten beseitigt werden können.
ministers des Innern sagen. Die Erwägungen der
Verbotsbehörden der Länder, von Verbotsmaßnah-
men abzusehen, werden mir in der Regel nicht be-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dröscher.


kannt. Das Vereinsgesetz sieht eine Beteiligung des
Bundesministers des Innern nur vor — und das auch
nur in bestimmten Fällen , wenn eine Landesbe- Dröscher (SPD) : Herr Bundesminister, darf ich
hörde ein Verbot erlassen will, nicht aber, wenn sie Ihrer Antwort entnehmen, daß Sie mit mir der Mei-
nach Anstellung bestimmter Erwägungen sich ent- nung sind, daß gerade diese Personengruppe der bei
scheidet, davon abzusehen. den alliierten Stationierungsstreitkräften Beschäftig-
ten in ihrer jetzigen schwierigen Situation und bei
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
ihrer zum Teil notwendigen Umsetzung in Tätig-
Keine Zusatzfrage. Ich rufe die Frage 10 des Herrn keiten bei deutschen Behörden auf eine wohlwol-
Abgeordneten Dröscher auf: lende und großzügige Auslegung dieser Bestim-
Wird die Bundesregierung dafür sorgen, daß die früher zuge- mung rechnen darf?
sagte Anrechnung von bei Stationierungsstreitkräften verbrach-
ten Dienstzeiten auf die Bewährungszeit tatsächlich so ange-
wandt wird, wie sie zweifellos von der Bundesregierung ge-
meint war, und damit verhindern, daß die von manchen Genscher, Bundesminister des Innern: So ist es,
Verwaltungen vorgenommene Interpretation, daß diese Tätig-
keit nur dann anerkannt werde, wenn sie in der gleichen Ver- Herr Kollege.
gütungsgruppe zurückgelegt worden sei, dazu benutzt wird,
z. B. Angestellten, die mangels vorhandener besserer Stellen
längere Zeit in BAT VIII bleiben müssen, bevor sie befördert
werden können, diese an sich gewollte Anrechnungsmöglichkeit Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
zu versagen?
Eine weitere Zusatzfrage.
Herr Bundesinnenminister!
Dröscher (SPD) : Darf ich Ihnen konkrete Fälle,
Genscher, Bundesminister des Innern: Nach den die mir bekanntgeworden sind und die auch Anlaß
tariflichen Vorschriften des BAT über den Bewäh-
zu dieser Frage waren, in denen die Betreffenden
rungsaufstieg für die Angestellten des Bundes und ganz eindeutig gegen Ihre vorhin vorgetragene
der Länder werden auf die vorgeschriebene Be-
Meinung behandelt worden sind, mit dem Ziel der
währungszeit nur Zeiten angerechnet, die im Ange- Abänderung vorlegen?
stelltenverhältnis bei Arbeitgebern des öffentlichen
Dienstes in der gleichen oder in einer höheren Ver-
gütungsgruppe ununterbrochen zurückgelegt wor- Genscher, Bundesminister des Innern: Ich
den sind. Dabei sind Unterbrechungen der Bewäh- möchte Sie ausdrücklich darum bitten.
rungszeit von jeweils bis zu 6 Monaten unschädlich.
Zeiten, die ein in den Bundesdienst übernommener Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Angestellter vorher bei den Stationierungsstreit- Ich rufe die Frage 76 des Abgeordneten Weigl auf.
kräften verbracht hat, könnten hiernach nicht be- Das ist eine Frage, die bisher beim Geschäftsbereich
rücksichtigt werden. des Bundesministeriums für Jugend, Familie und
Zur Vermeidung dieses Ergebnisses hat sich mein Gesundheit aufgeführt worden ist, die aber zur
Zuständigkeit des Innenministeriums gehört. Ist der
Haus mit Rundschreiben vom 13. Oktober 1969 an
Herr Abgeordnete im Saal? — Der Abgeordnete ist
die obersten Bundesbehörden damit einverstanden
erklärt, daß bei Angestellten des Bundes auf die nicht im Saal. Die Antwort wird als Anlage abge-
vorgeschriebene Bewährungszeit in einer Vergü- druckt.
tungsgruppe bei Vorliegen der übrigen tarifver- Danke schön, Herr Minister. Damit sind die Fra-
traglichen Voraussetzungen übertariflich auch solche gen aus Ihrem Geschäftsbereich beantwortet.
4190 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen


-

Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministers widersprechen. Die Bundesregierung ist daher nicht
der Finanzen auf. Zur Beantwortung steht der Herr bereit, diese Vorschrift in der gewünschten Form zu
Parlamentarische Staatssekretär Dr. Reischl zur Ver- ändern.
fügung.
Die erste Frage, die Frage 42, ist von dem Herrn Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Abgeordneten Gallus eingebracht. Ist der Herr Ab- Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Weber.
geordnete im Saal? — Das ist nicht der Fall. Dann
werden die Antworten auf diese und die weitere Dr. Weber (Köln) (SPD) : Ist die Bundesregierung
von dem Herrn Abgeordneten Gallus eingebrachte bereit, im Rahmen der Gesamtüberlegungen zur
Frage 43 als Anlage abgedruckt. Neufassung des Bewertungsgesetzes diese Erkennt-
nisse mit zu berücksichtigen?
Ich rufe die Frage 44 des Herrn Abgeordneten
Dr. Weber (Köln) auf:
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
Ist es zutreffend, daß bei Neu- bzw. Wiederaufbauten von beim Bundesminister der Finanzen: Es ist die Frage,
Wohnhäusern, für die am 1. Januar 1964 eine Grundsteuerver-
günstigung gewährt wird, bei der Ermittlung des Einheitswertes ob man das so allgemein sagen kann. Es muß ja
auf den 1. Januar 1964 ein Zuschlag von 12 % auf die Jahres-
rohmiete (§ 79 Abs. 3 des Bewertungsgesetzes in der Fassung
ohnehin immer wieder jeweils eine Neubewertung
vom 10. Dezember 1965) erfolgt, obwohl der Durchschnittssatz stattfinden, die nächste Bewertung zum 1. Januar
der Grundsteuerbefreiung nur 6 % bis 8 % der Jahresmiete aus-
macht, und dadurch eine entsprechende Erhöhung der Mieten 1974. Eine grundlegende Änderung des Bewertungs-
eintritt? gesetzes ist für die nächste Zeit nicht vorgesehen.
Herr Staatssekretär, Sie haben zur Beantwortung
das Wort. Dr. Weber (Köln) (SPD) : Halten Sie nicht im
Hinblick darauf, daß damit insbesondere eine Ver-
günstigung für diejenigen Mieter, die in grundsteuer-
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär begünstigten Wohnungen wohnen, verbunden ist,
beim Bundesminister der Finanzen: Ich bitte darum, eine pauschale Herabsetzung von 12 auf 6 oder 8 °/o
beide Fragen, da sie miteinander in Zusammenhang für wünschenswert?
stehen, gemeinsam beantworten zu dürfen.
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
beim Bundesminister der Finanzen: Ich glaube nicht,
Der Fragesteller ist damit einverstanden, Herr daß wir das durch eine Änderung des ja laufend für
Staatssekretär. Ich rufe daher noch die Frage 45 des die Veranlagung benutzten Gesetzes von 1964
) Herrn Abgeordneten Dr. Weber (Köln) auf: machen könnten, sondern hier gibt es eigentlich nur
Ist die Bundesregierung bereit, § 79 des Bewertungsgesetzes den Weg, daß der jeweilige Eigentümer eine Neu-
dahin zu ergänzen, daß, wenn der Zuschlag von 12 °/o unter-
schritten wird, auf Antrag des Steuerpflichtigen ein geringerer festsetzung beantragt, wenn die Grundsteuerbegün-
Prozentsatz eingesetzt werden kann? stigung weggefallen ist. Es gibt ja dann zwei Fälle,
die man unterscheiden muß. In dem einen Fall hat er
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär praktisch schon vorher nicht das getan, was er hätte
beim Bundesminister der Finanzen: Es trifft zu, daß tun sollen, nämlich die Grundsteuerbegünstigung
die Grundsteuer nach den heutigen Verhältnissen den Mietern zukommen zu lassen. In diesen Fällen
nur etwa 6 bis 8 v. H. der Jahresrohmiete ausmacht. ändert sich an der Sache nichts. Hat er es aber getan,
Zum Teil wird sie sogar noch erheblich unter diesem muß er eine Änderung der Bewertung beantragen.
Prozentsatz liegen. Demgegenüber betrug sie jedoch
in den Jahren vor 1964 mindestens noch 10 bis Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

12 v. H. der Jahresrohmiete. Bei der Einheitsbewer- Keine weitere Zusatzfrage?


tung zum 1. Januar 1964 kann aber nur auf die Ich rufe die Frage 46 des Abgeordneten Dr. Warnke
damaligen Verhältnisse abgestellt werden. Dem- auf:
entsprechend sind zur Berücksichtigung der Grund-
Entspricht die Erklärung des bayerischen SPD-Landesvorsitzen-
steuerbelastung die Vervielfältiger des § 80 Abs. 1 den Volkmar Gabert auf einer Pressekonferenz in Gefrees
des Bewertungsgesetzes jeweils um 12 v. H. gekürzt (Oberfranken) den Tatsachen, daß der Bundesfinanzminister fest
zugesagt habe, die Erhöhung des Arbeitnehmerfreibetrags für
worden. Arbeitnehmer im Grenzland im Rahmen der Steuerreformen im
Jahre 1971 in Angriff zu nehmen?
Bei grundsteuerbegünstigten Wohnungen brauchte
aber die Grundsteuer nur für den anteiligen Grund Herr Staatssekretär!
und Boden entrichtet zu werden. Damit bei diesen
Wohnungen nicht Bewirtschaftungskosten berück- Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
sichtigt werden, die gar nicht angefallen sind, müßte beim Bundesminister der Finanzen: Soweit der Bun-
deshalb der Abschlag in den Vervielfältigern wie- desregierung bekannt ist, hat der bayerische SPD-
der korrigiert werden. Aus Vereinfachungsgründen Landesvorsitzende Volkmar Gabert auf einer Presse-
geschieht dies jedoch in der Weise, daß zu der Jah- konferenz in Gefrees allgemein zu Problemen der
resrohmiete ein entsprechender Zuschlag gemacht Steuerreform Stellung genommen und dabei erklärt,
wird. Eine Ermäßigung dieses Zuschlages müßte des- daß nach Auffassung des Bundesfinanzministers auch
halb zwangsläufig auch zu einer entsprechenden Er- alle die Lohnsteuer betreffenden Fragen spätestens
höhung des Vervielfältigers führen. Eine Änderung im Jahre 1971 in Angriff genommen werden sollten.
nur des § 79 Abs. 3 des Bewertungsgesetzes würde Auf eine Zwischenfrage hat Herr Volkmar Gabert
unter diesen Umständen dem Bewertungssystem weiter erklärt, daß dies auch für das Problem des
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4191
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl
Arbeitnehmerfreibetrags gelte. Die Wiedergabe die- meldungen sind falsch. Nach den uns vorliegenden
ser Äußerungen in Berichten der örtlichen Presse Berichten hat Herr Gabert gesagt: Die ganzen all-
und die Wiedergabe der gestellten Frage treffen gemeinen Fragen, also alle die Lohnsteuer berüh-
nicht zu. renden Fragen — das bezog sich nicht auf das
Zonenrandgebiet, sondern auf die Steuerreform —,
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
werden im Jahre 1971 in Angriff genommen. Das
Eine Zusatzfrage. hat aber nichts mit der speziellen Zonenrandförde-
rung zu tun. Ich muß zweitens noch einmal sagen:
eine Beschränkung eines Arbeitnehmerfreibetrages
Dr. Warnke (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär,
auf das Zonenrandgebiet kommt nicht in Frage.
gibt es Pläne einer steuerlichen Arbeitnehmerbegün-
stigung im Zonenrandgebiet in Ihrem Hause, und
wenn ja, welcher Art sind sie? Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Eine letzte Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr.


Kreutzmann.
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesminister der Finanzen: Es gibt keine
Pläne, auf diesem Gebiet eine allgemeine Lohn- Dr. Kreutzmann (SPD) : , Herr Staatssekretär, ist
steuervergünstigung einzuführen. Ich habe in meh- Ihnen bekannt, daß der Vorgänger des jetzigen
reren Antworten, die ich in diesem Hause gegeben Bundesfinanzministers, der Abgeordnete Strauß, so-
habe, immer wieder betont, daß die Errichtung inner- lange er Bundesfinanzminister war, stets mit Ent-
deutscher Steuergrenzen nicht möglich ist. Die Be- schiedenheit die Schaffung eines besonderen Arbeit-
günstigung muß dann auf andere Weise erfolgen. nehmerfreibetrages für das Zonenrandgebiet abge-
lehnt hat?
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Sie haben einen weitere Zusatzfrage. Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär


beim Bundesminister der Finanzen: Ja, das ist mir
bekannt.
Dr. Warnke (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär,
halten Sie es nicht für angebracht, nach mehr als ein- -

jähriger Diskussion in diesem Hause der Bevölke- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

rung im Zonenrandgebiet jetzt zu sagen, auf welche Ich rufe die Frage 47 des Herrn Abgeordneten
Weise diese Begünstigung erfolgen soll? Engelsberger auf:
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, die Umsatzsteuer
zugunsten des Hotel- und Gaststättengewerbes zu verändern,
nachdem die Lieferung von Nahrungsmitteln einem Steuersatz
) Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär von 5,5% unterliegt, bei Verzehr an Ort und Stelle, wie das in
Gaststätten und Hotels der Fall ist, ein Steuersatz von 11 %
beim Bundesminister der Finanzen: Eine Reihe von erhoben wird?
Maßnahmen sind ja schon in Kraft getreten und
Ist Herr Abgeordneter Engelsberger im Saal? Er
werden auch noch weiter vorgenommen. Ich erin-
ist hier. Herr Staatssekretär!
nere an das Zonenrandförderungsgesetz, das in-
direkt auch die Arbeitnehmer fördert. Darüber gibt
es keinen Zweifel ; denn wenn durch dieses Gesetz Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
die Arbeitsplätze gesichert und Betriebe dort neu beim Bundesminister der Finanzen: Die Bundes-
angesiedelt werden, ist das die beste Förderung. regierung ist der Auffassung, daß die geltende
Eine weitere Maßnahme wird dem Bundestag in der Regelung beibehalten werden sollte. Zwischen
nächsten Woche vorgelegt werden, und zwar die Gastgewerbe und Lebensmittelhandel gibt es grund-
Aufhebung der 40-km-Grenze bei der Kilometer- sätzlich keinen Wettbewerb, der eine steuerliche
Pauschale für die Kraftfahrzeuge, so daß auch Leute, Gleichbehandlung erforderlich machen würde. Dem
die von weiterher anreisen müssen, die Pauschale in Gast wird über den reinen Lebensmittelverkauf
Anspruch nehmen können. hinaus die Gelegenheit zum Verzehr an Ort und
Stelle geboten. Dieser besondere Dienstleistungs-
anteil schlägt sich auch im Preis, und zwar nicht nur
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
in dem regelmäßig erhobenen Bedienungsgeld,
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Niegel. nieder. Es ist daher gerechtfertigt, das Gastgewerbe
mit dem übrigen Dienstleistungsgewerbe gleichzu-
Niegel (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, würden stellen und ebenfalls dem normalen Steuersatz zu
Sie auf Grund Ihrer vorigen Antwort den Herrn unterwerfen.
Landtagsabgeordneten Gabert darauf hinweisen und
Die angestrebte Steuerermäßigung widerspricht
das auch in der Presse bekanntmachen, daß die Bun-
dem Ziel der in Kürze anstehenden Novellierung
desregierung nicht daran denkt, einen Arbeitneh-
merfreibetrag im Zonenrand einzuführen, daß es des Umsatzsteuergesetzes in zweifacher Hinsicht.
Aus dem einheitlichen Steuersatz für alle Umsätze
vielmehr ein Antrag der von der CSU gestellten
des Gastgewerbes, der sich steuertechnisch bewährt
bayerischen Staatsregierung im Bundesrat ist?
hat, würden unterschiedliche Steuersätze für Spei-
(Zurufe von der SPD: Was für eine Frage!) sen auf der einen und Getränke und Beherbergun-
gen auf der anderen Seite. Die notwendige Auf-
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär teilung der Umsätze insbesondere auf den Rechnun-
beim Bundesminister der Finanzen: Erstens sehe ich gen hätte erhebliche praktische Schwierigkeiten zur
keinen Anlaß, darauf hinzuweisen; denn die Presse Folge. Darüber hinaus würde eine neue materielle
4192 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl


Vergünstigung von beträchtlichem Gewicht geschaf- Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
fen. Nach neuesten Schätzungen ergäbe sich ein beim Bundesminister der Finanzen: Das ergibt sich
Steuerausfall von etwa 450 Millionen DM. wohl aus dem Protokoll der damaligen Bundestags-
sitzung.

Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:


Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Engelsberger. -

Ich rufe die Frage 48 des Abgeordneten Geldner auf:


Trifft es zu, daß durch die DM-Aufwertung der Fremdenver-
Engelsberger (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, kehr der Bundesrepublik Deutschland einen Rückgang zu ver-
zeichnen hat?
wäre die Bundesregierung bereit, die Gastronomie
von einer weiteren Erhöhung der Mehrwertsteuer Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
im Zuge der Finanzreform auszunehmen? beim Bundesminister der Finanzen: Ich möchte beide
Fragen zusammen beantworten und bitte um das
Einverständnis des Herrn Kollegen.
Dr. ReiSChl, Parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesminister der Finanzen: Zunächst muß
ich darauf hinweisen, daß eine Erhöhung der Mehr- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

wertsteuer nicht beabsichtigt ist. Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe also
ferner die Frage 49 auf:
Zum anderen: wenn es natürlich durch irgend-
Ist die Bundesregierung bereit, falls ein solcher Rückgang zu
welche Entwicklungen innerhalb Europas später ein- verzeichnen ist, durch Senkung der Mehrwertsteuer in der
mal zu solchen Regelungen käme — das hat aber Gastronomie von 11 % auf 5,5% den Fremdenverkehr zu
fördern?
nichts mit der Steuerreform zu tun —, müßte das
Problem des halben Steuersatzes und damit auch Bitte, Herr Staatssekretär.
das des Gastgewerbes selbstverständlich neu über-
dacht werden. Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesminister der Finanzen: Zur wirtschaft-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
lichen Lage des Fremdenverkehrs möchte ich im
Sie haben noch eine weitere Zusatzfrage, Herr Einvernehmen mit dem Bundesminister für Wirt-
Kollege. schaft folgendes feststellen. Die Zahl der Fremden-
übernachtungen in der Bundesrepublik von Januar
bis Juli 1970 — soweit liegen Zahlen des Statisti-
Engelsberger (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, schen Bundesamtes vor — ist gegenüber dem glei-
I am vergangenen Montag hat Herr Professor Haller chen Vorjahreszeitraum um 2,9 v. H. gestiegen. Bei
geäußert, daß die Mehrwertsteuer im Rahmen der den Inländern beträgt der Zuwachs 2,3 v. H., bei
Finanzreform erhöht werden soll. Man spricht von den Ausländern, beeinflußt durch die Passionsspiele
Sätzen von 15 bis 16 %. Glauben Sie nicht, daß diese in Oberammergau, 9,3 v. H. Da der Fremdenverkehr
Ankündigung Grund genug ist, anzunehmen, daß die demnach weiter zugenommen hat, erübrigt sich wohl
Mehrwertsteuer nun tatsächlich erhöht wird? eine Beantwortung Ihrer zweiten Frage, Herr Kol-
lege, die von einem Rückgang des Fremdenverkehrs
ausgeht. Gleichwohl möchte ich auch in diesem Zu-
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege, es sammenhang auf die allgemeinen Bedenken hinwei-
sen, die gegen die Einführung einer Steuervergünsti-
ist wohl kaum von der Hand zu weisen — ich
gung im Gastgewerbe sprechen. Wegen der Einzel-
nehme das auch als die Voraussetzung der Äußerung
von Professor Haller an —, daß die europäische heiten darf ich auf die Antwort, die ich vorhin dem
Entwicklung zu einer Veränderung des Mehrwert- Kollegen Engelsberger gegeben habe, verweisen.
steuersatzes führen könnte. Nur sind die genaue
Höhe und auch der genaue Zeitpunkt nicht vorauszu- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

sehen; denn die Steuerharmonisierung innerhalb Eine Zusatzfrage.


der EWG steckt noch sehr in den Kinderschuhen. Ich
möchte noch einmal erklären: im Rahmen der Steuer- Geldner (FDP) : Herr Staatssekretär, Sie sagten
reform bestehen solche Absichten nicht. Eine andere soeben, daß im Zuge der Steuerreform eine Redu-
Frage kann die sein, ob die Bundesregierung und zierung der Hebesätze in der Gastronomie nicht vor-
damit letztlich übrigens auch der Bundestag durch gesehen sei. Wären sie bereit, eine Überprüfung
Entwicklungen innerhalb der EWG eines Tages zu vorzunehmen, wenn sich auf Grund der Entwicklung
Änderungen gezwungen werden könnten. in der EWG ergeben sollte, daß die bundesrepubli-
kanischen Fremdenverkehrsbetriebe benachteiligt
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
- sind?
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ollesch.
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
Ollesch (FDP) : Herr Staatssekretär, wären Sie beim Bundesminister der Finanzen: Ich sagte vorhin
bereit, dem Kollegen von der CDU/CSU mitzuteilen, schon, daß für den Fall einer Harmonisierung der
daß, wenn diese Fraktion damals mit den Freien Steuern im Rahmen der EWG ohnehin alle Fragen,
Demokraten gestimmt hätte, er diese Frage heute auch die des halben Steuersatzes, neu überdacht
gar nicht erst zu stellen brauchte? werden müssen. Im übrigen käme gerade dann auch
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4193
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl
die Harmonisierung des halben Steuersatzes in Be- bracht, weil die Kriegsschiffe häufig binnen kürzerer
tracht; denn dann müßte ja wohl in allen EWG- Zeiträume von kleinen Seereisen ohne Drittlands-
Ländern zumindest die Handhabung im wesentlichen berührung zurückkehren und somit nicht die Vor-
die gleiche sein, schon um Wettbewerbsverzerrun- aussetzungen vorliegen, die für die Gewährung der
gen innerhalb der EWG, die durch den EWG-Ver- großen Reisefreimengen bestimmend sind. Die be-
trag gerade ausgeschlossen werden sollten, zu ver- reits erwähnte EWG-Verordnung vom 23. Juli 1969
meiden. steht der beabsichtigten Beschränkung nicht entge-
gen.
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Keine weiteren Zusatzfragen. Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:


-

Die nächste Frage wird vom Herrn Abgeordneten Eine Zusatzfrage, bitte!
Dr. Ahrens gestellt. Ich frage den Herrn Staats-
sekretär und den Fragesteller, ob beide Fragen ge- Dr. Ahrens (SPD) : Herr Staatssekretär, darf ich
meinsam, beantwortet werden sollen. — Das ist davon ausgehen, daß auch die neue Regelung die
der Fall. Dann rufe ich die Fragen 50 und 51 auf: Besatzungen der Kriegsschiffe der Bundesmarine
nicht anders behandeln wird als die Besatzungen
Aus welchen Gründen werden nach der Marinedienstvorschrift
400/8 (Zoll- und Verbrauchsteuerbestimmungen für Kriegsschiffe ziviler Schiffe?
der Bundeswehr) Besatzungen von Kriegsschiffen, die Helgoland
anlaufen, zollrechtlich ungünstiger behandelt als die Insel
besuchende Zivilisten? Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesminister der Finanzen: Selbstverständ-
Welche Rechtsgrundlagen ermöglichen eine solche unterschied-
liche zollrechtliche Behandlung von Zivilisten und Soldaten? lich! Sie werden alle gleichbehandelt. Das ist sogar
das Ziel einer Neuregelung.
Bitte, Herr Staatssekretär!

Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:


-

beim Bundesminister der Finanzen: Erstens. Für Meine Damen und Herren, ich habe die große Ehre
Reisemitbringsel der von der Insel Helgoland zu- und Freude, den Präsidenten des Finnischen Reichs-
rückkehrenden Mitglieder der Besatzungen von tags, Seine Exzellenz Herrn Paasio , mit fünf Mit-
Kriegsschiffen der Bundeswehr gelten zoll- und ver- gliedern des Finnischen Parlaments auf unserer Be-
brauchsteuerrechtlich die gleichen Freibeträge und suchertribüne herzlich willkommen zu heißen.
Freimengen, wie sie auf Grund von Gemeinschafts- (Beifall.)
recht — insbesondere EWG-Verordnung vom 23. Juli Unsere finnischen Gäste erwidern den Besuch einer
1969 über die zolltarifliche Behandlung von Waren, Bundestagsdelegation, die im Mai 1969 im Finni-
3 die im persönlichen Gepäck der Reisenden einge- schen Reichstag sehr herzlich empfangen wurde.
führt werden — im „großen Reiseverkehr" vorge-
sehen sind. Die Zoll- und Verbrauchsteuerbestim- Wir fahren in der Fragestunde fort. Ich rufe die
mungen für Kriegsschiffe der Bundeswehr — MDv Frage 52 des Herrn Abgeordneten Schlee auf:
400/8 — sind keine Rechtsvorschrift, sondern eine Erwägt die Bundesregierung in Anbetracht der Verminderung
Verwaltungsanweisung des Bundesministers der des Geldwertes eine Erhöhung der steuerfreien Pauschbeträge
für Körperbehinderte und Hinterbliebene bei der Besteuerung
Verteidigung. Diese Dienstvorschrift läßt Rechtsvor- des Einkommens?
schriften wie die über die Zollfreiheit im Reisever- Der Herr Abgeordnete Schlee ist im Saal. Herr
kehr unberührt. Das gilt auch, soweit die MDv 400/8 Staatssekretär!
mit rein innerdienstlicher Wirkung nur Tabaker-
zeugnisse in bestimmter Menge — 40 Zigaretten
oder entsprechende Mengeg anderer Tabakerzeug- Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
nisse — als beim Verlassen des Schiffes abgabe- beim Bundesminister der Finanzen: Die Pauschbe-
freie hochsteuerbare Waren bezeichnet. träge für Körperbehinderte und Hinterbliebene nach
den §§ 65 der Einkommensteuer-Durchführungsver-
Zweitens. Es ist vorgesehen, durch Rechtsvor-
schrift die Zollfreiheit für Tabakwaren, die von Mit- ordnung und 26 der Lohnsteuer-Durchführungsver-
gliedern der Besatzungen von Kriegsschiffen der ordnung stellen keine Steuervergünstigung, sondern
Bundeswehr eingeführt werden, auf die Hälfte der eine Vereinfachungsmaßnahme dar. Ihre Festset-
bei der Einfuhr durch Reisende mit Wohnsitz in zung hat lediglich den Zweck, in einer möglichst
Europa zollfrei zustehenden Mengen zu beschrän- großen Anzahl von Fällen den Einzelnachweis der
ken. Nach der vorgesehenen Änderung der Allge- tatsächlich entstehenden außergewöhnlichen Bela-
meinen Zollordnung wären in diesen Fällen 100 Zi- stungen zu vermeiden und dadurch eine Vereinfa-
garetten oder die entsprechenden Mengen anderer chung sowohl bei den in Betracht kommenden Per-
Tabakerzeugnisse zollfrei. Bei Einfuhren von Reise- sonen als auch bei den Finanzämtern zu erreichen.
mitbringseln durch Personen, die auf Behördenfahr- Die Frage, ob die zur Zeit geltenden steuerfreien
zeugen tätig sind und in dieser Eigenschaft üblicher- Pauschbeträge erhöht werden können, ist erst kürz-
weise mehr als einmal im Kalendermonat einreisen, lich noch einmal eingehend geprüft worden. Die
gelten bereits jetzt niedrigere Zollfreimengen als hierbei von den obersten Finanzbehörden der Län-
im „großen Reiseverkehr". Eine ähnliche Beschrän- der angestellten Ermittlungen haben ergeben, daß
kung erscheint im Einvernehmen mit dem Bundes- die Pauschbeträge für Körperbehinderte in der
minister der Verteidigung auch für die von Kriegs- Mehrzahl der Fälle immer noch ausreichen, um die
schiffbesatzungen eingeführten Tabakwaren ange- mit einer Körperbehinderung zusammenhängenden
4194 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Parlamentarischer Staatssekretär Dr. Reischl
außergewöhnlichen Belastungen zutreffend abzugel- Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen:
ten. Das schließt nicht aus, daß sich in Einzelfällen Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten von
die Pauschbeträge für Körperbehinderte tatsächlich Bockelberg.
als nicht ausreichend erweisen mögen. In solchen
Fällen haben die Betroffenen aber die Möglichkeit, von Bockelberg (CDU/CSU) : Darf ich dann
auf die Inanspruchnahme des steuerfreien Pauschbe- fragen, Herr Staatssekretär, ob Sie sich noch an die
trages zu verzichten und die außergewöhnlichen verschiedenen Inflationen erinnern, von denen wir
Aufwendungen in tatsächlicher Höhe geltend zu
sprechen, an die schleichende, die trabende und die
.machen.
gallopierende? Ich habe mich absichtlich aus diesen
Ich darf daher die Frage dahin gehend beantwor- Pferdegangarten herausgehalten.
ten, daß die Bundesregierung im Augenblick eine
Erhöhung der steuerfreien Pauschbeträge für Kör- Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen:
perbehinderte und Hinterbliebene nicht in Erwä- Das war allerdings keine Zusatzfrage, Herr Kollege.
gung zieht. Ungeachtet dessen wird aber die wei- — Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Ott.
tere Entwicklung sorgfältig beobachtet werden.
Sollte hiernach erkennbar werden, daß sich die
Pauschbeträge in der Mehrzahl der Fälle nicht mehr Ott (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, würden Sie,
als ausreichend erweisen, wird eine Erhöhung zu da Sie vorher erklärt haben, daß die neuen Richt-
erwägen sein. linien günstiger als die gegenwärtigen sein werden,
dafür sorgen, daß nicht im Zuge von Betriebs-
prüfungen für den Zeitraum, in dem die günstige
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Regelung nicht gegolten hat, Nachholungen bei den
Keine Zusatzfrage. Betrieben erfolgen?
Der Herr Abgeordnete Walkhoff ist nicht im Saal.
Die Antworten auf die Fragen 52 und 54 werden als Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
Anlage abgedruckt. beim Bundesminister der Finanzen: Das wird sicher
Ich rufe die Frage 55 des Herrn Abgeordneten schon aus Gerechtigkeitsgründen der Fall sein müs-
von Bockelberg auf: sen.
Welche Auswirkungen auf die Kosteninflation erwartet die
Bundesregierung von der indirekten Lohnsteuererhöhung, welche
durch die Änderung der steuerlichen Behandlung von Reise- Ott (CDU/CSU) : Das ist bei der Steuer nicht -im-
kosten und Auslösungen in den Lohnsteuer-Richtlinien (Neufas-
sung des Abschn. 22 LStRE) eintreten wird, sofern die Richt- mer sicher.
linien in der Fassung vom 14. September 1970 oder in etwas
abgemilderter Form verabschiedet werden?
Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär
Der Herr Abgeordnete ist im Saal. Herr Staats- beim Bundesminister der Finanzen: Gut, ich werde
sekretär! mich also darum kümmern, Herr Kollege.

Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen:


Dr. Reischl, Parlamentarischer Staatssekretär Damit sind wir- mit dem Geschäftsbereich des Bun-
beim Bundesminister der Finanzen: Die Bestimmun- desministers der Finanzen am Ende. Ich danke
gen in den Lohnsteuer-Richtlinien über die steuer- Ihnen, Herr Staatssekretär.
liche Behandlung von Reisekosten und Reisekosten-
vergütungen sind durch die zwischenzeitliche Ent- Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
wicklung der Rechtsprechung weitgehend überholt ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.
und bedürfen dringend der Anpassung. Diese An- Zur Beantwortung der Fragen steht der Herr Parla-
passung war in dem von Ihnen erwähnten Entwurf mentarische Staatssekretär Logemann zur Ver-
der Lohnsteuer-Ergänzungsrichtlinien 1971 vom fügung. Ich rufe zunächst die Fragen 11 und 12 des
14. September 1970 vorgesehen. Der Entwurf ist am Herrn Abgeordneten Stücklen auf. — Der Herr Ab-
7. Oktober 1970 mit den interessierten Spitzenver- geordnete ist nicht im Saal. Die Fragen werden
bänden erörtert worden. Das Ergebnis der Erörte- dann schriftlich beantwortet, und die Antworten
rung gibt zu einer nochmaligen Überarbeitung des werden als Anlage abgedruckt.
Entwurfs Anlaß, die zur Zeit in meinem Hause Ich rufe die Frage 13 des Herrn Abgeordneten
durchgeführt wird. Es kann bereits jetzt gesagt wer- Niegel auf:
den, daß die Neufassung keineswegs nur, wie Sie Wie beurteilt die Bundesregierung die in der Zeitschrift Nr. 10
meinen, eine etwas gemilderte Form der ersten Fas- Europäische Gemeinschaft — von der EG-Kommission heraus-
gegeben — herausgestellte Übereinstimmung zwischen dem
sung darstellen, sondern wesentliche Verbesserun- MansholtPlan und dem Entwurf des vom Bundeslandwirtschafts-
gen gegenüber dieser ersten Fassung enthalten wird. minister vorgelegten einzelbetrieblichen Förderungs- und
sozialen Ergänzungsprogramms?
Die Neuregelung wird so gestaltet werden, daß ins-
gesamt weder von einer indirekten Lohnsteuer-
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär
erhöhung noch von einer negativen Auswirkung auf
beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
die Kostenlage der Arbeitgeber die Rede sein kann.
und Forsten: Herr Kollege Niegel, die Vorschläge
Lassen Sie mich zum Abschluß, Herr Kollege, noch der Kommission zur Reform der Landwirtschaft ba-
bemerken, daß das Wort „Kosteninflation" doch sieren auf den Gedanken, die in dem Memorandum
etwas übertrieben erscheint. Man sollte mit dem der Kommission vom Dezember 1969 niedergelegt
Wort „Inflation" wohl etwas vorsichtiger umgehen. worden sind. In diesem Memorandum bestand zwi-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4195
Parlamentarischer Staatssekretär Logemann
schen der Reform der Landwirtschaft und der Her- gen, ob hinsichtlich der Zielsetzung beider Pro-
stellung des Marktgleichgewichts ein sehr enger Zu- gramme nicht doch die Möglichkeit besteht, daß ein
sammenhang, so daß der Eindruck entstehen mußte, Großteil der landwirtschaftlichen Betriebe einzel-
die Kommission wolle die Strukturen bereinigen, betrieblich in der Entwicklung nicht mehr gefördert
um Betriebe entstehen zu lassen, die mit wesentlich werden kann.
niedrigeren Preisen auskommen könnten.
In den neuen Vorschlägen der Kommission wird Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär
dieser Zusammenhang nicht mehr aufgestellt. Die beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
Kommission hat in ihren Vorschlägen keine direkte und Forsten: Nein, das möchte ich nicht so sagen.
Aussage zur Preispolitik gemacht. Aber die Tat- Ich habe vielmehr ausdrücklich darauf hingewiesen,
sache, daß der Beschluß der neuen Preisvorschläge daß zwar bei einzelnen Punkten eine Übereinstim-
von einer Behandlung der Vorschläge der Kom- mung festzustellen ist, daß aber in der Zielsetzung
mission zur Reform der Landwirtschaft abhängig doch ein erheblicher Unterschied schon dadurch ge-
gemacht werden soll, deutet an, daß die Kommission geben ist, daß wir von einem Betrieb mit anderthalb
diesen engen Zusammenhang immer noch sieht. Arbeitskräften ausgehen, während die Zielsetzung
In der Regierungserklärung vom 28. Oktober der Kommission ja bei zwei Voll-AK liegt.
1969 ist deutlich gemacht, daß die Bundesregierung
eine Politik des Preisdruckes ablehnt. In dem einzel-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
betrieblichen Förderungsprogramm wird herausge- Eine weitere Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Nie-,
stellt, daß die Preispolitik ein wesentliches Instru- gel.
ment zur Einkommensicherung der Landwirtschaft
bleibt. Ich darf darauf hinweisen, daß sich die von
Herrn Ries in dem zitierten Artikel angesprochene Niegel (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, sind
Übereinstimmung vorwiegend auf die Buchführung, Ihnen die Äußerungen Ihres beamteten Kollegen,
den Ausbildungsnachweis und den Betriebsentwick- Herrn Dr. Griesau, bekannt, die er am 10. Juni 1970
lungsplan als Förderungsvoraussetzungen bezieht. im „Echolot" des Bayerischen Landfunks auf die
Eine solche Übereinstimmung ist auf jeden Fall zu Frage des Herrn Dr. Geiersberger, ob der Ertl-Plan-
bejahen. Die Unterschiede in der Förderungs- „ein kleiner Mansholt" sei — so durch die Hinter-
schwelle sind für die Bundesregierung jedoch nicht tür —, gemacht hat? Herr Dr. Griesau erklärte:
nur Modalität. Die Förderungsschwelle in den Brüs- „Nun, so ein ganz kleines bißchen vielleicht, so ein
seler Richtlinienentwürfen ist wesentlich höher und ganz kleiner Mansholt" ?
weniger flexibel als die des Bundesernährungsmini-
steriums. Es werden sowohl Betriebe von der Förde- Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär
rung ausgeschlossen, die die Schwelle nicht errei- beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
chen können, als auch Betriebe, die die Schwelle und Forsten: Wenn Sie das kleine Bißchen auf das
zum Zeitpunkt der Antragstellung überschritten ha- beziehen, was ich vorhin als gleichlautend aus den
ben. Einnahmen aus nichtgewerblichen Nebenbe- Vorschlägen herausgelesen habe, dann möchte ich
trieben sowie aus selbständiger und nichtselbständi- insoweit zustimmen. Mir sind im übrigen die Äuße-
ger Arbeit finden keine Berücksichtigung. rungen meines Kollegen Dr. Griesau nicht bekannt.
Darüber hinaus geht die Förderungsschwelle von
grundsätzlich zwei Vollarbeitskräften aus. Die Höhe Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

der Förderungsschwelle beträgt in den Kommis- Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dröscher.
sionsvorschlägen 10 000 bis 12 000 Rechnungseinhei-
ten pro Arbeitskraft. 10 000 Rechnungseinheiten ent- Dröscher (SPD) : Herr Staatssekretär, stimmt die
sprechen rund 32 000 DM an bereinigtem Betriebs- Bundesregierung mit mir darin überein, daß Maß-
einkommen. Wir gehen dagegen nur von einem nahmen auf landwirtschaftlichem Gebiet, die im In-
Reineinkommen aus, das 24 000 DM einschließlich teresse der Landwirtschaft getroffen werden, nicht
Fremdlöhne betragen soll und außerdem noch regio- allein schon deshalb als schlecht bezeichnet oder
nal und einzelbetrieblich merklich gesenkt werden geradezu verteufelt werden können, weil sie mit
kann. ähnlichen Vorschlägen aus dem MansholtPlan über-
In der Diskussion der Beamten meines Hauses mit einstimmen, nachdem dort z. B. ein ganzer Plafond
den Beamten der Generaldirektion Landwirtschaft ausgezeichneter sozialpolitischer Maßnahmen darin
war erfreulicherweise festzustellen, daß die Kom- steht?
mission von den starren technischen Richtgrößen
bereits abgegangen ist. Wir werden auch auf dieser Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär
Ebene weiterwirken, um die Kommission von der beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
Richtigkeit unserer Vorschläge zu überzeugen. und Forsten: Ich stimme hier mit Ihnen völlig über-
ein. Es kommt wirklich darauf an, daß wir mit un-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
- seren Plänen und Vorstellungen die Landwirtschaft
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Niegel. echt fördern.

Niegel (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, der Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:


-

Kernpunkt meiner Frage war ja die Strukturpolitik Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr.
und weniger die Preispolitik. Ich möchte jetzt fra Gleissner.
Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode - 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Dr. Gleissner (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen:


wäre es nicht notwendig, daß der Bundesernäh- Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Biehle.
rungsminister eine Richtigstellung zu dieser Publi-
kation Heft Nr. 10, Jahrgang 1970, der Europäischen Biehle (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, glau-
Gemeinschaften veranlaßt oder eine entsprechende ben Sie nicht auch - ich möchte noch einmal beto-
Erklärung abgibt, nachdem es in diesem Heft wört- nen: es geht weniger um die Winterbrandhilfe, son-
lich heißt - ich zitiere - , "daß die Programmmati- dern um Sozialbutter; das war meine Frage - , daß
ker Ertl und Mansholt diesmal nicht nur in den die Handhabung der Toleranzgrenzen bei den Regel-
Zielsetzungen - das ist schon gefährlich genug - sätzen durch eine entsprechende Anordnung Ihres
übereinstimmen", ferner: "das der entscheidende Ministeriums großzügiger vorgenommen werden
erste Teil des Ertl-Programms, nämlich ,wohin soll könnte, um den Kreis in bezug auf die bisher nicht
es gehen?', auf derselben geistigen Ebene - und Einbezogenen ausweiten zu können?
das ist das Gefährliche - wie die Reformen der
Produktionsstruktur des Mansholt-Planes liegt,
während man" - und jetzt kommt das Entschei- Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär
dende - - beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirt-
schaft und Forsten: Herr Kollege, ich glaube, das
werden Sie gleich aus der Beantwortung der zweiten
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Frage heraush.ören können.
Herr Kollege Gleissner, Zusatzfragen müssen knapp
und kurz sein und dürfen nicht Wertungen enthal-
ten. Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhaus·en:
Keine weitere Zusatzfrage.
Dr. Gleissner (CDU/CSU): Herr Präsident, ich Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Biehle
kürze meinen Schlußsatz: ... während man noch auf:
vor wenig mehr als einem Jahr, vor der Ubernahme
Wenn ja, ist die Bundesregierung bereit, dcn Sozialämtern
des Ministeramtes, geradezu den gegenteiligen größere Freizügigkeit cinzuräumen, um auch Rentnern mit ge-
ringerem Einkommen wie dem angesprochenen Personenkreis
Standpunkt eingenommen und den Mansholt-Plan die gleiche Vergünstigung zukommen zu lassen und die bis-
als schweren Irrweg scharf attackiert habe? herige Benachteiligung zu beseitigen?

Herr Staatssekretär!
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
und Forsten: Herr Kollege Gleissner, ich habe dazu
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirt-
nur zu sagen, daß eigentlich als Antwort der Bun-
schaft und Forsten: Die Bundesregierung bedauert,
desregierung das genügen müßte, was ich vorhin
zur Zeit nicht in der Lage zu sein, alle Rentner
zu dem Mansholt-Plan ausgeführt habe.
mit geringem Einkommen in die Butterverbilligungs-
aktion einzubeziehen, Der vom Fragesteller er-
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vodienhausen: wünschten Freizüg.igkeit stehen Bestimmungen der
Ich rufe die nächste Frage auf, die Frage 15 des Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft entgegen, die
Abgeordneten Biehle. für die Bundesregierung bindend sind. So ist zum
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Rcntner, die nur einige Beispiel in der Verordnung des Rates NT. 414/70
Mark über den Regelsätzen der Sozialhilfe liegen, keine ver-
billigte Sozialbutter erhalten, während Empfänger von Leistun- vom 3. Mäm 1970 festgelegt, daß nur Empfänger
gen wie Pflegcgeld, Ausbildungsbeihilfen nach dem BSHG, LAG
usw., die Einkommen über 1000 DM haben wegen des zuge-
sozialer Hilfen zum Kreis der begünstigten Personen
standenen Freibetrags in den Genuß verbilligtcr Bulter kommen? gehören können. Damit bleiben Rentenempfänger
grundsätzlich von der VerbilUgungsaktion ausge-
Bitte, Herr Staatssekretär!
schlossen, weil es sich bei der Rente nicht um eine
soziale Hüfe handelt. Soweit jedoch Rentner lau-
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär fende Leistungen auf Grund der Regelsatzverord-
beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft nung oder Winterbeihilfe nach örtlichen Regelungen
und Forsten: Herr Kollege Biehle, der Bundesregie- erhalten, kann an diese Personen eine Buttergut-
rung ist bekannt, daß Rentner, deren Rente über scheinkarte ausgegeben werden,
den Regelsätzen der Sozialhilfe liegt und die keine
Winterbeihilfe für die Heizperiode 1969/1970 und Sollte die Butterverbilligungsaktion auch im Jahr
1970/1971 bekommen haben, keine Buttergutschein- 1971 fortgeführt werden, was nach Lage der Dinge
karten erhalten. Durch die Erweiterung des Emp- wahrscheinlich ist, wird die Bundesregierung prüfen,
fängerkreises um die Empfänger von Pflegegeld ob die Möglichkeit besteht, die EWG-Verordnung
nach § 69 des Bundessozialhilfegesetzes und von dahin gehend abzuändern, daß soziale Härten in der
Blindenhilfe nach § 67 des gleichen Gesetzes sind Bundesrepublik gemildert werden können. Ich weise
möglicherweise in Einzelfällen Personen in die Ver- jedoch darauf hin - um keine falschen Hoffnungen
billigungsaktion einbezogen worden, deren Einkom- zu erwecken - , daß es auch dann in der Bundes-
men über dem Regelsatz liegt. Die Erfassung aller republik aus verwaltungstechnischen Gründen
dieser Personen erfolgt im Hinblick auf ihre beson- schwierig sein wird, in EinzeHällen Härten zu ver-
dere Gesamtlage, die sich von der eines Renten- meiden.
empfängers erheblich unterscheidet. Im Grundsatz
ist jedoch von dem Prinzip der Bedürftigkeit nicht Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen:
abgewichen worden. Eine Zusatzfrage.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4197

Biehle (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, ist Preis- und Lohnerhöhungen in der gesamten übrigen
Ihnen bekannt, daß die eng gezogene Toleranz- Wirtschaft und trotz der zahlreichen Eingaben und
grenze bei Sozialrentnern zur Zeit etwa bei 110 % Appelle, die schon vor September erfolgt sind, Ihr
und bei den Kriegsopferrentnern bei 120 % liegt? Haus so lange in der Milchpreisfrage gezögert und
Glauben Sie nicht auch, daß nicht nur eine Anpas- noch in der Fragestunde erst vor 14 Tagen eine
sung, sondern eine entsprechende Anhebung zur völlig ungenügende, hinhaltende und ausweichende
Einbeziehung eines größeren Kreises erfolgen sollte, Antwort gegeben hat?
damit die bisher durch die Freibeträge Benachteilig-
ten gerechterweise ebenfalls zum Zuge kommen? Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirt-
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär schaft und Forsten: Herr Kollege Dr. Gleissner, diese
beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirt- Ihre Aussage kann ich durchaus nicht bestätigen. Ich
schaft und Forsten: Es ist durchaus unser Bemühen, bin der Auffassung, daß die Bundesregierung sich
die Zahl der Benachteiligten so gering wie möglich bemüht hat, gerade bezüglich der Regelung des
zu halten und Härten zu vermeiden. Das habe ich Trinkmilchpreises sehr schnell zu handeln. Sie kön-
wohl zum Ausdruck gebracht, und ich bin auch gern nen heute in Zeitungen lesen, daß in der nächsten
bereit, Ihre Anregung zu prüfen. Woche eine Kabinettsvorlage vorgelegt werden
wird. Wenn eine Verzögerung eingetreten ist, dann
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: vor allen Dingen deshalb, weil wir bis Mitte Oktober
-

Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten Dr. Gleiss- auf genaue Kostenuntersuchungen der Milchwirt-
ner auf: schaft warten mußten.

Trifft es tatsächlich zu, daß nach Angaben des Bundesministe-


(Abg. Dr. Gleissner: Das glaube ich nicht!)
riums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in der Frage-
stunde vom 7. Oktober 1970 die längst fällige Verbesserung des
Milchpreises — trotz der im ganzen Land bekannten Kosten- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
steigerung der Milchgewinnung und Milchverarbeitung — erst
dann behandelt werden kann, wenn „diese Frage innerhalb der Ich rufe die Frage 17 des Abgeordneten Dasch auf:
Bundesregierung, d. h. zunächst einmal in Ressortbesprechungen,
eingehend erörtert und geprüft" wurde? Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Erzeugerpreise für
Hähnchen ab 1. Oktober 1970 insbesondere auf Grund von An-
Herr Staatssekretär! geboten unter den Gestehungskosten aus Holland weiter zurück-
gehen und die bäuerlichen Hähnchenerzeuger in der Bundes-
republik Deutschland eine völlige Unrentabilität ihrer Produk-
tion befürchten müssen?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirt- Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär
schaft und Forsten: Herr Abgeordneter, Sie beziehen beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirt-
sich auf die Fragestunde im Hohen Hause am 7. Ok- schaft und Forsten: Herr Kollege Dasch, der Rück-
tober 1970. Ich gehe davon aus, daß Sie eine An- gang der Hähnchenpreise und hier insbesondere der
hebung des Trinkmilchpreises im Auge haben. Dazu starke Preisabfall im Herbst dieses Jahres sind eine
ist folgendes zu sagen. Anfang September ist von Folge der Ausweitung der Hähnchenproduktion in-
Vertretern der deutschen Milchwirtschaft beantragt nerhalb der Gemeinschaft in einem Ausmaß, dem die
worden, den Trinkmilchpreis wegen der eingetrete- Nachfrage nicht zu folgen vermochte. Nach den stati-
nen Kostenerhöhung anzuheben. Nachdem Mitte stischen Unterlagen über die Erzeugung von Mast-
Oktober — Herr Kollege Dr. Gleissner, das bitte ich küken, die sich in allen Mitgliedstaaten, besonders
zu beachten — von der Witrschaft Unterlagen über stark in den Niederlanden, aber auch in der Bundes-
die Höhe der Kostensteigerung vorgelegt worden republik erhöhte, war diese Marktentwicklung zu
sind, wird zur Zeit geprüft, in welchem Umfang eine erwarten. Der starke Preisabfall wäre vermutlich
Erhöhung des Trinkmilchpreises erforderlich ist. schon früher eingetreten, hätte sich nicht in der
Die Trinkmilchpreise werden durch Rechtsver- ersten Jahreshälfte die Möglichkeit zum Export von
ordnung des Bundesministeriums für Ernährung, Hähnchen in Staaten des Ostblocks ergeben.
Landwirtschaft und Forsten im Einvernehmen mit Die Bundesregierung hat bei jeder sich bietenden
dem Bundeswirtschaftsministerium festgesetzt. Die Gelegenheit auf die Gefahr einer Überproduktion
Rechtsverordnung bedraf der Zustimmung des Bun- hingewiesen. Sie hat jedoch keine Möglichkeit,
desrates. Die Antwort in der Fragestunde am 7. Ok- direkt oder indirekt auf die Produktionsentwicklung
tober 1970, daß diese Frage innerhalb der Bundes- und damit auf den Preis, der sich in Abhängigkeit
regierung, d. h. zunächst einmal in Ressortbespre- von Angebot und Nachfrage bildet, einzuwirken
chungen, eingehend erörtert und geprüft wird, gibt oder Maßnahmen zur Entlastung des Marktes zu
daher nur den bestehenden Rechtszustand wieder. treffen. Es ist daher nicht auszuschließen und nicht
Von einer mit Ihrer Fragestellung zum Ausdruck ge- zu verhindern, daß bei anhaltendem Angebotsdruck
brachten Verzögerung der Anhebung des Trink- die Hähnchenpreise für eine kürzere oder längere
milchpreises kann daher keine Rede sein. Zeit unter die Produktionskosten sinken.

Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: - Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Eine Zusatzfrage. Eine Zusatzfrage.

Dr. Gleissner (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, Dasch (CDU/CSU) : ¡Herr Staatssekretär, ist der
glauben Sie nicht doch, daß ein Versäumnis darin Bundesregierung bekannt, daß bei der Einstallung
liegt, daß bei den Ihnen bekannten alarmierenden von Mastelterntieren bereits folgende Entwicklung
4198 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Dasch
eintritt, daß im ersten Halbjahr 1970 gegenüber 1969 teile zugewachsen sind, die sich heute durch entspre-
die Einstallungen in der Bundesrepublik um 7 % zu- chende Preisunterbietungen auf dem deutschen
rückgingen, in Holland aber nochmals um 22 % auf- Markt auswirken?
gestockt wurden?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Ich glaube nicht, daß hier die Auswir-
und Forsten: Das ist durchaus bekannt. — Ich habe kungen der D-Mark-Aufwertung so entscheidend
den Anfang Ihrer Frage akustisch nicht verstanden, gewesen sind, sondern daß in der Tat die gesamte
Herr Kollege Dasch. Steigerung der Produktion zu dem Marktverfall bei-
getragen hat.
Dasch (CDU/CSU) : Ich wollte Sie fragen, ob der
Bundesregierung die Entwicklung bekannt ist be- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

züglich der Einstallung von Mastelterntieren, also Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Rein-
der Väter der nachfolgenden Gockel. hard.
(Heiterkeit.)
Dr. Reinhard (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär,
Herr Staatssekretär, ist der Bundesregierung wei- glauben Sie, daß durch die Ausgleichsmaßnahmen
ter bekannt, daß das Geflügelkontor in Frankfurt, bei der Aufwertung den Hähnchenmästern ein vol-
das preisbestimmend für die deutschen Hähnchen- ler Ausgleich zuteil geworden ist, wie Sie ihn früher
züchter ist, auf Grund der laufenden Preisunterbie- versprochen haben?
tungen durch die Holländer niedrigere Preise emp-
fohlen hat, die unter den Gestehungskosten unserer
Geflügelmäster liegen? Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
und Forsten: Ich bin der Auffassung, daß wir mit
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär
dem Ausgleich versucht haben, eine Einkommens-
beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
einbuße oder eine Preissenkung soweit wie möglich
-
und Forsten: Ich habe solche Mitteilungen gelesen.
wirklich auszugleichen. Sie, Herr Kollege Dr. Rein-
Wir sehen aber keine Möglichkeit, vom Bundes-
hard, wissen aber genauso gut wie ich, daß man mit
ernährungsministerium aus dagegen einzuwirken.
solchen Ausgleichsmaßnahmen nicht den Markt be-
Herr Kollege Dasch, wir haben ja versucht, früh- einflussen kann.
zeitig zu warnen. Das werden Sie bestätigen. Wir
haben vor einer weiteren Aufstockung der Bestände Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:-

gewarnt. Ich weiß, daß solche Warnungen oftmals Herr Dr. Reinhard, Sie haben nur eine Zusatzfrage.
nicht befolgt werden, weil es in der Tat so ist, daß
für die Produktion von Masthähnchen Investitionen Ich rufe die Frage 18 des Herrn Abgeordneten
erfolgt sind, so daß man Anlagen weiter nutzen muß. Höcherl auf:
Das gestehe ich durchaus zu. Im übrigen haben wir Kann die Bundesregierung Angaben darüber machen, wo und
von wem der von Staatssekretär Dr. Griesau in einer Auflage
uns aber noch zusätzlich bemüht, durch einen Export von über 50 000 Stück an die hessischen Landwirte gerichtete
von Masthähnchen zu einer Markterleichterung bei- FDP-Wahlbrief geschrieben und vervielfältigt worden ist, und
wer die Kosten hierfür trägt?
zutragen. Das werden wir in Zukunft verstärkt tun.
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Höcherl. und Forsten: Herr Präsident, ich darf Sie bitten, mir
zu gestatten, die beiden Fragen des Herrn Abgeord-
Höcherl (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, ist neten Höcherl gemeinsam zu beantworten. Und
Ihnen bekannt, daß die deutsche Produktion nur würden Sie auch einverstanden sein, wenn ich
einen Marktanteil von 50 % hat? Wie können Sie in gleichzeitig die Frage des Abgeordneten Dr. Ritz be-
Ihrer Antwort davon sprechen, daß eine innerdeut- antworte?
sche Überproduktion herrscht?
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:-

Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär Die Frage von Herrn Dr. Ritz kann ich wegen des
beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft Ablaufs der Fragestunde nicht mehr aufrufen. Sie
und Forsten: Herr Kollege Höcherl, ich darf daran können die beiden Fragen des Herrn Abgeordneten
erinnern, daß ich in dem Zusammenhang von der Höcherl gemeinsam beantworten. Daher rufe ich
EWG gesprochen habe. auch die Frage 19 des Abgeordneten Höcherl auf:
Kann die Bundesregierung Angaben darüber machen, wer
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
einer Werbeagentur den Auftrag erteilt hat, den von Staats-
sekretär Dr. Griesau unterzeichneten Wahlkampfbrief der FDP
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Ritz. an die Landwirte in Hessen zu versenden?

Dr. Ritz (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, wür- Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär


den Sie die Auffassung, die im Zusammenhang mit beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
diesem Fragenkomplex häufig geäußert wird, teilen, und Forsten: Herr Kollege Höcherl, ich darf Ihnen
wonach den Holländern durch die Aufwertung Vor folgendes mitteilen. Der von Herrn Staatssekretär
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4199
Parlamentarischer Staatssekretär Logemann
Dr. Griesau geschriebene und an die hessischen Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Landwirte gerichtete Wahlbrief ist im Bundesmini- Herr Höcherl, Sie dürfen eine letzte Zusatzfrage
sterium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten stellen.
in Bonn geschrieben und auch vervielfältigt worden.
(Hört! Hört! in der Mitte.) Höcherl (CDU/CSU) : Sie haben meine Frage
Die Kosten hierfür trägt Herr Dr. Griesau. Die nicht beantwortet. Ich wiederhole sie. Sie haben im
Möglichkeit, sich für private Aufträge der Druckerei Haushalt 1970 für Investitionshilfe nur 63 Millionen
des Ministeriums zu bedienen, steht — Herr DM. Vorher waren es 120 Millionen DM. Wie kön-
Höcherl, das dürfte Ihnen bekannt sein — jedem nen Sie einen solchen Text verantworten und sa-
Angehörigen des Hauses gegen Bezahlung offen. gen, es sei richtig?
Die Kosten für die Verteilung des Briefes sowie die
Verteilung selbst hat der Landesverband Hessen Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär
der FDP übernommen. beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
(Ah!-Rufe von der Mitte.) und Forsten: Wir haben im Haushaltsplan 1970
noch Mittel nachbewilligt, so daß — —
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
(Abg. Höcherl: Nicht nachbewilligt! 63 Mil
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Höcherl. lionen DM!)

Höcherl (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, ken- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:


-

nen Sie den Inhalt dieses Briefes? Herr Abgeordneter, Sie können keine weitere Frage
mehr stellen. Ich lasse noch einige Zusatzfragen
von Kollegen zu. Die nächste Zusatzfrage stellt
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär
beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft Herr Abgeordneter Welslau.
und Forsten: Ich kenne den Inhalt, ja.
Welslau (SPD) : Herr Staatssekretär, ist Ihnen
-
Höcherl (CDU/CSU) : Ist der Inhalt völlig richtig, bekannt, ob unter früheren Ministern im BML ähn-
und beruhen alle Feststellungen und Behauptungen liche Briefe vervielfältigt wurden?
auf der Wahrheit?
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten: Herr Kollege, ich habe nicht lange
und Forsten: Das würde jetzt in eine agrarpolitische nachgeforscht. Aber mir ist für den heutigen Tag
Diskussion ausarten. eine Unterlage ausgehändigt worden, aus der das
tatsächlich hervorgeht. Ich darf hier auf einen Ent-
(Abg. Höcherl: Nein, ich frage Sie!) wurf eines Agrarprogramms hinweisen, das durch
— Ich bin der Meinung, daß der Inhalt richtig ist. Beamte des Bundesministeriums für Ernährung,
Landwirtschaft und Forsten erstellt worden ist, und
(Abg. Höcherl: Sie sind der Meinung, daß
zwar für den Herrn Bundesminister zur Verwendung
der Inhalt richtig ist?)
— Ja. im bayerischen Wahlkampf 1966.
(Hört! Hört! bei der FDP.)
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
Hier heißt es, Herr Kollege Höcherl, u. a. — es ist
Herr Höcherl, Sie dürfen noch zwei Zusatzfragen interessant, das heute noch einmal festzustellen —:
stellen.
Unter Bezugnahme auf die Besprechung bei
Ihnen am 20. Juli wird in der Anlage der Ent-
Höcherl (CDU/CSU) : Sind Sie der Meinung, daß
wurf eines Agrarprogramms für den Herrn
es richtig ist, wenn in diesem Brief z. B. steht, daß
Bundesminister mit Erläuterungen vorgelegt.
Sie Überhänge bei der Investitionshilfe übernom-
Entsprechend Ihrer Weisung ist das Programm
men hätten, während Sie in Wirklichkeit nur die
auf die fünf behandelten Themen begrenzt. Es
Hälfte der Mittel eingesetzt haben, die im Jahr
wurde versucht, Formulierungen zu finden, die
vorher ausgegeben worden sind?
im Wahlkampf einprägsam sind.
Lassen Sie mich nur eine Anmerkung machen: Das
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär ist Ihnen auch gelungen, Herr Kollege Höcherl. Es
beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft heißt hier als Überschrift über einen Artikel: „Bauer
und Forsten: Herr Kollege Höcherl, Sie wissen ge- soll bleiben, wer Bauer bleiben will". Das war sehr
nau wie ich, daß gerade bei der Übernahme des einprägsam, aber das war auch das Wecken falscher
Ministeriums noch Hypotheken da waren, auch in Hoffnungen bei der Landwirtschaft.
Form von Anträgen, die zwar rechtlich genehmigt
waren, für die aber keine finanziellen Mittel zur (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Verfügung standen.
(Abg. Höcherl: Nein, Sie haben meine Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Frage nicht beantwortet!) Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Niegel.


4200 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Niegel (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, werden a) Große Anfrage des Abgeordneten Benda und
ebenfalls die Kosten des Wahlkampfeinsatzes von der Fraktion der CDU/CSU
Beamten und Angestellten des Bundesernährungs- betr. Verbrechensbekämpfung
ministeriums, der derzeit in Mittelfranken nach der — Drucksachen VI/703, VI/871 —
Meldung des Bayerischen Rundfunks von heute b) Beratung des Sofortprogramms der Bundes-
früh, 9 Uhr, läuft, getragen? regierung zur Modernisierung und Intensivie-
rung der Verbrechensbekämpfung
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär — Drucksache VI/1334 —
beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
und Forsten: Mir ist überhaupt gar nicht bekannt, Zunächst hat der Abgeordnete Benda das Wort.
daß Beamte des Ministeriums im Einsatz sind. Ich Für ihn sind 45 Minuten Redezeit beantragt worden.
kenne solche Rundfunkmeldungen nicht. Wenn sie
im Einsatz wären, würde es selbstverständlich so Benda (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine sehr
sein, daß hier die Wahlkosten anderweitig getragen geehrten Damen und Herren! Zunächst eine Vor-
würden. bemerkung. Ich bemühe mich, in meinen Ausführun-
gen zugleich den Entschließungsantrag meiner Frak-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
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tion auf Umdruck 81 *) zu begründen. Wir werden
Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter Ehnes. auf eine gesonderte Begründung dieses Entschlie-
ßungsantrages dann gern verzichten.
Ehnes (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, bezahlt Eine zweite Vorbemerkung richtet sich an Sie,
Herr Staatssekretär Dr. Griesau auch die Omni- Herr Bundesminister Genscher. Die Fraktion der
busse, die zur Zeit in Mittelfranken eingesetzt wer- CDU/CSU findet es höchst ärgerlich, daß die zum
den? Tagesordnungspunkt 17 b verteilte Drucksache, die
das Sofortprogramm der Bundesregierung zum
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär Thema Verbrechensbekämpfung enthält, den einzel-
beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft nen Damen und Herren dieses Hauses erst am ge-
und Forsten: Davon ist mir nichts bekannt. Es be- strigen Tage in der Zeit zwischen 9 und 10 Uhr vor-
steht auch kein Grund, und es ist nicht Aufgabe des mittags zugegangen ist. Derjenige, der den Ablauf
Ministeriums oder eines beamteten Staatssekretärs, des gestrigen Tages in Erinnerung hat — das gilt
für Kosten, die in den einzelnen Ländern entstehen, vermutlich für die Damen und Herren aller Fraktio-
die Deckung zu bringen. nen —, wird wissen, daß dies praktisch bedeutete,
daß die Lektüre dieser Drucksache, die sicherlich
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
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wichtig ist und von uns ernstgenommen werden
Eine letzte Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Ritz. möchte, den einzelnen erst in den Stunden nach
Mitternacht möglich war. Wir bedauern sehr, daß es
der Bundesregierung, die das Sofortprogramm am
Dr. Ritz (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, Sie Donnerstag der vergangenen Woche, glaube ich,
haben sich vorhin mit dem Inhalt dieses Briefes
verabschiedet hat — damals lag ja wohl bereits ein
identifiziert, indem Sie sagten, Sie seien der Mei-
Text vor —, offenbar nicht möglich gewesen ist, dem
nung, der Inhalt entspreche den Tatsachen. Würden
Hohen Hause ihr Material so rechtzeitig zuzuleiten,
Sie auch folgenden Satz als den Tatsachen entspre-
daß den einzelnen Mitgliedern dieses Hauses eine
chend charakterisieren: „Außerdem hat die FDP die
gründliche Lektüre dieser Drucksache möglich war.
Zustimmung ihres Koalitionspartners erwirkt, die
Ich muß mich daher gegenwärtig auf ganz wenige
Unfallversicherung den strukturellen Veränderun-
Bemerkungen zu diesem Sofortprogramm beschrän-
gen der Landwirtschaft anzupassen und ihre Leistun-
ken. Ich erkenne es an, Herr Bundesminister, wenn
gen zu verbessern, ohne daß eine höhere Belastung
Sie — wie Sie, wenn ich richtig unterrichtet bin, ge-
für die Betriebe entsteht."?
sagt haben — mit dieser verspäteten Zuleitung die
Absicht verfolgt haben, zu verhindern, daß eine vor-
Logemann, Parlamentarischer Staatssekretär zeitige Erörterung dieses Programms der Bundes-
beim Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft regierung in der Presse erfolgte. Allerdings zeigt ein
und Forsten: Herr Dr. Ritz, mit einer Antwort auf Blick in die heutigen Tageszeitungen, daß — so löb-
diese Frage würde ich der Beratung im Ernährungs- lich diese Ihre Absicht sein mag — nunmehr das Ge-
ausschuß vorgreifen. Ich glaube, Sie werden morgen genteil eingetreten ist. Die heutige Diskussion steht
um diese Zeit schon mehr wissen. zwangsläufig etwas im Schatten der Pressemeldun-
gen, die am heutigen Morgen in allen Tageszeitun-
(Vorsitz: Präsident von Hassel.)
gen zu lesen waren. Wir hätten formell Fristeinrede
(Abg. Dr. Ritz: Der Brief ist aber älter!) geltend gemacht, wenn wir nicht anerkannt hätten,
— Dann wird genau das zum Ausdruck kommen, — ich erkenne dies ausdrücklich auch hier an —,
was in dem Brief geschrieben worden ist. daß der Vertreter der Bundesregierung im Ältesten-
rat, der ja am Montag mittag getagt hat, bis zu
diesem Zeitpunkt wohl davon ausgehen konnte, daß
Präsident von Hassel: Meine Damen und Her- diese Debatte nicht heute, sondern, wie ursprünglich
ren, die Fragestunde ist bereits um fünf Minuten
vorgesehen, erst am Freitag stattfinden solle. Den-
überzogen worden. Die Fragestunde ist beendet.
Ich rufe Punkt 17 der Tagesordnung auf: *) Siehe Anlage 12
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noch halte ich das eingeschlagene Verfahren für Gesetz über das Bundeskriminalamt gefunden, das
sehr problematisch und sehr ärgerlich. Erlauben Sie im Juli 1969 verabschiedet worden ist. Ich stehe
daher, daß ich insoweit zunächst nur ganz wenige nicht an zu sagen, daß die damals getroffene Rege-
kursorische Bemerkungen mache. Ich werde, denke lung ein mehr oder weniger unzulänglicher Kom-
ich, in einem anderen Punkte meiner Ausführungen promiß war, den ich dennoch und wir alle damals
noch einmal kurz auf dieses Sofortprogramm zurück- begrüßt haben, weil er wenigstens einen gewissen
kommen. Fortschritt gebracht hat. Wir alle mußten damals
Das Sofortprogramm enthält zu einem guten Teil erfreut sein, wenigstens eine Minimallösung zu
Punkte, die mir persönlich und vielen Mitgliedern bekommen.
dieses Hohen Hauses dem Gedanken nach bekannt Damals wie heute ging es, soweit die unmittel-
sind. Es greift nämlich Überlegungen auf, die damals bare Bundeszuständigkeit gegeben ist, vor allem
in dem Plan zur Erhöhung der Effektivität des Bun- darum, das Bundeskriminalamt stärker in die Ver-
deskriminalamtes, dem sogenannten Fünfjahresplan, brechensbekämpfung einzuschalten und ihm ge-
unter meiner Amtsführung bereits im Ansatz einge- wisse Koordinierungsbefugnisse zu übertragen. Es
leitet worden sind. Ich begrüße es, daß in einzelnen ging nicht darum, dem Bundeskriminalamt in erster
Punkten Präzisierung und Fortentwicklung der da- Linie mehr eigene Zuständigkeiten zu übertragen.
mals niedergelegten Gedanken vorgenommen wor- In der öffentlichen Diskussion hören wir einen zu-
den sind. Ich halte überhaupt eine organische Fort- nehmenden Ruf nach der Zentralisierung der Ver-
führung der damals eingeführten Arbeiten in der brechensbekämpfung und einer Übertragung von
Sache für richtig, meine aber, daß man dann ein kriminalpolizeilichen Zuständigkeiten von den Län-
wenig redlicher, als es in der Drucksache VI/1334 dern auf den Bund. Die Überlegungen kreisen im-
geschieht, hieran hätte anknüpfen können. mer wieder um diesen Punkt, der ganz gewiß seine
Bedeutung hat.
Mit dem Begriff redlich meine ich insbesondere
— ich führe das beispielsweise an, weil mir, wie er- Die Überlegungen hatten sich seinerzeit in drei
wähnt, eine gründliche Lektüre bisher nicht möglich verschiedenen Gesetzentwürfen zur Novellierung
gewesen ist —, daß auf Seite 7 zum Thema Finanz- des BKA-Gesetzes konkretisiert, die dann zu dem
plan und Haushaltsansatz Ausführungen gemacht bereits erwähnten Kompromiß führten. Am weite-
werden, bei denen — wie es in der Drucksache sten ging damals der Entwurf der Fraktion der
heißt „die ursprüngliche Finanzplanung der Bun- FDP, der eine weitgehende Verstärkung der zentra-
desregierung" und die gegenwärtigen, nach der len Kompetenz des Bundeskriminalamtes vorsah.
heutigen Finanzplanung der Bundesregierung für die SPD dagegen wollte damals das seitherige
die Erhöhung der Leistungsfähigkeit des Bundes- System nur unwesentlich ändern, während der Ent-
kriminalamtes zur Verfügung stehenden Mittel ge- wurf meiner Fraktion zwischen beiden so etwas
genübergestellt werden. Es ist zwar richtig, daß der wie eine mittlere Lösung vorgesehen hat.
ursprüngliche Finanzplan der früheren Bundesregie- Damals in der Zeit der Großen Koalition gelang
rung in der 5. Legislaturperiode für diesen Zweck nur eine Einigung in Gestalt eines Kompromisses
für 1970, wie hier angegeben wird, 24,8 Millionen zwischen den Entwürfen der CDU/CSU und der
DM enthalten hat. Bereits die dem damaligen Fünf- SPD, damit also ein Stehenbleiben auf etwa einem
jahresplan angefügte Finanzplanung — die Druck- Drittel des nach meiner Auffassung anzustrebenden
sache liegt mir vor —, die sich nicht auf einseitige Weges. Ich möchte meinen — und ich sage dies, an
Ressortüberlegungen des Bundesministeriums des die Damen und Herren der SPD gewandt, ohne jede
Innern bezieht, sondern — wie es dort heißt — mit Polemik —, daß in diesem Zusammenhang wohl
dem Bundesminister der Finanzen abgesprochen ist, auch das historisch gewachsene und historisch ver-
spricht für den gleichen Zeitraum von einer vorge- ständliche Vorurteil der Sozialdemokraten gegen
sehenen Fortschreibung von ursprünglich 24,8 Mil- eine starke, vor allem eine zentralisierte Polizei
lionen DM auf 36,8 Millionen DM für dieses Jahr. bedeutsam ist, von dem ich den Eindruck habe, daß
Ich könnte dieses Zahlenwerk fortsetzen. Es gilt in es heute, ausgesprochen oder nicht, noch eine ge-
vergleichbarer Weise für alle späteren Zahlen, bei wisse Rolle in den Diskussionen spielt.
denen Sie, wie Sie es formulieren, die ursprüngliche Meine Damen und Herren, die wachsende Sorge
Finanzplanung und den gegenwärtigen Ansatz ge- der Bevölkerung über die Zunahme der Kriminali-
genüberstellen. tät ist uns allen bekannt. Meinungsumfragen erge-
Ich nehme an, daß das dahinterstehende politische ben immer wieder, daß die Sorge um die Sicherheit
Motiv darin besteht, die Vergangenheit deshalb so vor der Kriminalität bei der Bevölkerung hohe
düster zu malen, damit die Leistungen der gegen- Priorität genießt. Sie steht nach den Meinungs-
wärtigen Regierung in um so hellerem Licht strah- befragungen sogar vor der zweifellos vorhandenen
len. Das mag verständlich sein, würde sich aber mit und verständlichen Sorge um wirtschaftliche Stabi-
meinen Vorstellungen von Redlichkeit nicht völlig lität. Die Ausgangslage ist in verschiedenen Papie-
decken. ren der Bundesregierung, dem heute vorliegenden
Meine Damen und Herren, wir beschäftigen uns, Sofortprogramm und der Schriftlichen Antwort auf
wie Sie alle wissen, in diesem Hohen Hause bei die Große Anfrage meiner Fraktion dargestellt wor-
weitem nicht das erste Mal mit dem Problem der den. Ich muß das alles hier nicht wiederholen, son-
Verbrechensbekämpfung. Es gibt seit langer Zeit dern darf mit einigen Stichworten nur die Situation
Bemühungen, zu einer wirksameren Bekämpfung in Ihr Gedächtnis rufen.
der Kriminalität zu kommen. Diese Bemühungen Die Kriminalität in der Bundesrepublik hat im
haben ihren Ausdruck zuletzt in der Novelle zum Jahre 1969 — die Kriminalstatistik 1969 liegt uns
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se i t e i n i gen Monaten vor — den bisherigen Höchst- Soweit das Zitat, und so weit, so gut. Tatsächlich ist
stand erreicht, wobei man hinzufügen muß, daß die danach zunächst weiter nichts geschehen.
Gesamtzahl der begangenen Delikte zwar stetig,
Erst als meine Fraktion im Ältestenrat dieses
aber relativ gering steigt. Wirklich bestürzend da-
Hauses vor nunmehr, ich glaube, vier Wochen be-
gegen ist die Zunahme einiger bestimmter Gruppen
antragte, so bald als möglich die Aussprache über
von Verbrechen. Ich erwähne als wichtigste Bei-
die Große Anfrage zur Verbrechensbekämpfung an-
spiele Mord und Totschlag, in der Zeit von 1963 bis
1965 um 55 % gestiegen, Raub und räuberische zusetzen, und in einer Presseerklärung kritisierte,
Erpressung, um 71,1% gestiegen, und Rauschgift- daß das seit einem Jahr angekündigte Sofortpro-
delikte, von 1968 bis 1969, also innerhalb eines gramm immer noch nicht vorliege, wurde dann der
Apparat des Innenministeriums unter Dampf gesetzt,
einzigen Jahres, um 151,8% angestiegen.
damit wenigstens vor Beginn der Debatte etwas vor-
Die verbreitete Sorge der Bevölkerung wegen der lag. „Erreicht den Hof mit Müh und Not", sagt der
Kriminalität in unserem Land hat sicher auch die Dichter. Und er fährt fort: „In seinen Armen das
Bundesregierung veranlaßt, in ihrer Regierungs- Kind war tot."
erklärung vor einem Jahr ein Sofortprogramm zur (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)
Verbrechensbekämpfung anzukündigen. Die Ankün-
digung eines solchen Sofortprogramms liegt in der Herr Minister, Sie haben in Ihrer Rede vor dem
Linie des anspruchsvollen Begriffs der inneren Re- Bundeskriminalrat am 9. März dieses Jahres — ver-
formen. Bei einem Machtwechsel muß natürlich auch öffentlicht im Bulletin vom 12. März — ausge-
auf diesem Gebiet alles viel besser werden, wenn es führt — ich darf wiederum zitieren —:
geht. Die Bundesregierung wird, soweit sie für die
Nun, wir haben mit unserer detallierten Anfrage Verbrechensbekämpfung Verantwortung trägt,
vom April dieses Jahres die Initiative ergriffen. Die entsprechend ihrer Ankündigung in der Regie-
Schriftliche Antwort der Bundesregierung liegt seit rungserklärung die Modernisierung und Inten-
Mai vor. Wir können sie leider erst nach der Som- sivierung der Verbrechensbekämpfung ener-
merpause behandeln. Ich möchte sagen, daß die gisch vorantreiben, um die Sicherheit in unse-
Schriftliche Antwort in wesentlichen Punkten sehr rem Lande zu gewährleisten.
aufschlußreich ist. Sie ist eine brauchbare Grund- Der Bund kann Initiativen setzen. Er ist aus
lage auch für die heutige Aussprache. seiner Gesamtverantwortung heraus entschlos-
Ich finde, Herr Bundesminister Genscher, daß sen, diese Möglichkeit wahrzunehmen.
gerade die zeitliche Verzögerung der Behandlung Das, was heute als Sofortprogramm vorgestellt
dieser Großen Anfrage und ihrer Antwort hier in wird, ist an dieser Ankündigung zu messen. Minde-
diesem Hohen Hause der Bundesregierung eine sehr stens insoweit, als dieses Programm über den Be-
günstige Chance gegeben hätte, das angekündigte reich der unmittelbaren Bundeszuständigkeit, näm-
Sofortprogramm so rechtzeitig vorzulegen, daß alle lich über das Bundeskriminalamt, hinausreicht, ist
Mitglieder des Hauses Gelegenheit gehabt hätten, es nach meiner Auffassung kein Sofort-, sondern
sich vor dieser Aussprache eingehend damit zu be- eher ein Zuspätprogramm.
schäftigen und sich heute damit auseinanderzuset-
zen. In Wirklichkeit — ich habe es erwähnt — Meine Damen und Herren, ich beabsichtige nicht,
haben wir dieses Programm erst seit gestern in den Kritik zu üben an den Beamten des Innenministe-
Händen, also seit einem Tag. riums, die auf Weisung ein solches Sofortprogramm
ausarbeiten mußten. Sie hatten wahrhaftig einen
Ich hatte, wie Sie sich erinnern werden, Herr schweren Stand; denn was schließlich sollte ihnen
Minister Genscher, bereits in der zweiten Lesung innerhalb eines Jahres an neuen Gesichtspunkten,
Ihres Haushalts im Juni dieses Jahres dieses Sofort- die die anspruchsvolle Bezeichnung „Sofortpro-
programm angemahnt. Darauf haben Sie folgendes gramm" rechtfertigen, zusätzlich einfallen? Der In-
erwidert — ich möchte das gern zitieren —: halt des uns heute vorgelegten Sofortprogramms
ergibt ja, daß die damals entwickelten Grundsätze
Herr Kollege Benda hat beklagt, daß das Sofort- von der neuen politischen Leitung des Hauses — ich
programm noch nicht vorliege. Hier muß ich begrüße das — nicht etwa verworfen, sondern auf-
eine sprachliche Klarstellung bringen. „Sofort- genommen und fortgeführt werden.
programm" könnte ja heißen, daß das ein Pro-
gramm ist, das sofort vorgelegt wird. Wir mei- Meine Kritik richtet sich vielmehr gegen die Art
nen aber ein Programm, das sofort zu verwirk- und Weise, in der die Bundesregierung ein so
lichen ist, und das bedarf der gründlichen Er- schwieriges Problem wie das der Verbrechens-
örterung. Deshalb hat der Bundeskanzler mit bekämpfung und der Reform der Kriminalpolizei an-
Recht gesagt, daß wir dieses Programm im geht: als ob dies alles mit einigen starken Worten
Jahre 1970 vorlegen werden. Vom Jahre 1970, und Ankündigungen getan sei. Ich finde, daß die
meine Damen und Herren, ist noch nicht einmal Bundesregierung und insbesondere Sie, Herr Mini-
die Hälfte herum. Ich darf um Geduld bitten. ster Genscher, in dieser Debatte einen leichteren
Wir wollen dann etwas Handfestes vorlegen, Stand hätten, wenn Sie von vornherein klargestellt
für das wir hoffentlich die Unterstützung aller hätten, daß die seinerzeit begonnenen Arbeiten
Parteien des Deutschen Bundestages gewinnen durch eine organische Weiterentwicklung und Fort-
können. schreibung des Fünfjahresplans fortgesetzt werden.
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Die weitere Lektüre des Programminhalts wird früheren öffentlichen Ankündigungen, auch die im
ergeben, daß das, was Sie im Juni dieses Jahres ge- Sofortprogramm, sind zu begrüßen. Aber die Frage
sagt haben: daß es sich um ein Programm handle, ist zu stellen, wie sie zu werten sind im Hinblick
das sofort zu verwirklichen sei, durch den Inhalt auf die tatsächlichen Verhältnisse der ihm unter-
nicht gedeckt wird und natürlich auch nicht gedeckt stellten Behörde. Da ich mich nicht dem Vorwurf
werden kann. Es ist selbstverständlich, daß so einer von unserer Seite kommenden Polemik aus-
schwergewichtige Probleme, wie sie dort angespro- setzen möchte, würde ich gerne zwei Stellungnah-
chen werden, Sache mindestens der nächsten zwei, men von Gremien zitieren, die auch nicht in dem
drei, vier oder fünf Jahre sind — ein Zeitraum, der Verdacht stehen, Hilfstruppen meiner Partei zu sein,
energisch ausgenutzt werden sollte, der aber die Be- nämlich der Bezirksgruppe Bundeskriminalamt der
zeichnung „sofort" nach allgemeinem Sprachgebrauch Gewerkschaft der Polizei, einer Organisation übri-
wahrscheinlich wohl nicht rechtfertigt. gens, die unter Vorsitz eines sozialdemokratischen
Landespolitikers steht, und dem Personalrat des
In diesem Zusammenhang muß ich noch einmal Bundeskriminalamtes.
auf die in diesem Hause zwar eher beiläufig behan-
delte Anzeige des Presse- und Informationsamtes In einer Entschließung der GdP vom Sommer
zurückkommen. Sie hat mit Recht Kritik nicht nur dieses Jahres heißt es — ich darf zitieren —:
in der „Frankfurter Rundschau" gefunden, die ja
nicht unbedingt ein der CDU nahestehendes Presse- Den Delegierten der Bezirksgruppe Bundes-
erzeugnis ist. Sie hat mit Recht geschrieben, daß der kriminalamt der Gewerkschaft der Polizei er-
Text dieser Anzeige genauso gut von einer rechts- scheint es unverständlich und als ein durch
radikalen Partei hätte verfaßt werden können. Ähn- nichts ausgeräumtes Mißverhältnis zwischen
liche Töne haben wir ja alle aus dieser Ecke ver- Ankündigungen und Realität, wenn der Bun-
schiedentlich bereits gehört. desminister des Innern die im Fünfjahresplan
für das Bundeskriminalamt, der durch den da-
Der Herr Bundesminister des Innern hat sich — maligen Bundesinnenminister Benda vorgelegt
und ich begrüße das — nach Erscheinen der Anzeige wurde, aufgezeigten Leitzahlen zur Personal-
von ihrem Inhalt distanziert. Wie es passieren kann, vermehrung immer wieder öffentlich verkündet,
daß das Bundespresseamt, das ja wohl auch ein Teil ohne daß die entsprechenden Voraussetzungen
der Bundesregierung ist, eine Anzeige macht, der der für die Realisierung erkennbar sind.
zuständige Ressortminister nachträglich das Zeugnis
ausstellt, sie sei qualitativ unzureichend, ist ein Pro- Wohlgemerkt richtet sich diese Interpellation, die
blem, über das man sich einmal in einem anderen vom Sommer dieses Jahres handelt, nicht an den
früheren, sondern an den gegenwärtigen Bundes-
Zusammenhang unterhalten sollte. Schon heute aber
würden wir, wenn es geht, recht gern von Ihnen, minister des Innen, der ja diese Ankündigungen im-
Herr Minister Genscher, einmal hören — vielleicht mer wiederholt hat. Es heißt am Schluß dieser Ent-
mit der insoweit zu erhoffenden Unterstützung der schließung:
Herren des Bundespresse- und Informationsamtes —: Die Delegierten erwarten, daß die wiederholten
Was kostet es eigentlich, wenn das Bundespresseamt öffentlichen Ankündigungen endlich Realität
eine solche Anzeige in allen größeren und wohl auch werden, um der Situation dieses Amtes und
den mittleren Tageszeitungen veröffentlicht, von seiner Aufgabenstellung gerecht zu werden.
der der Ressortminister nachher sagt, daß sie unzu- Deshalb wird dringlich die Schaffung der von
reichend sei? Wir würden ganz gern den Betrag, um der Gewerkschaft der Polizei immer wieder
den hier öffentliche Steuergelder verschleudert wor- aufgezeigten Voraussetzungen für eine Ver-
den sind — ich beziehe mich auf Ihr eigenes Urteil —, besserung der Effektivität des Bundeskriminal-
einmal erfahren, damit wir die Größenordnungen amtes gefordert.
kennenlernen, in denen das geschieht.
Schließlich aus der erwähnten Entschließung der
In einem Satz allerdings möchte ich diese Anzeige Delegierten der Bezirksgruppe Bundeskriminalamt
in Schutz nehmen, von der sich der Herr Bundes- der Gewerkschaft der Polizei noch einige Sätze:
minister des Innern im ganzen distanziert hat. Nur
ein Satz ist in dieser Anzeige richtig, aber der Ankündigungen über einen Neubau für die Ab-
stimmt. Dieser Satz lautet: „So darf es nicht weiter- teilung Sicherungsgruppe in Bonn und Pläne
gehen." Das möchten wir unterstreichen. für Erweiterungsbauten in Wiesbaden erwecken
in der Öffentlichkeit immer wieder den Ein-
(Beifall bei der CDU/CSU.) druck, daß das Ende der Raumprovisorien un-
mittelbar bevorstehe. Tatsächlich ist eine Ände-
Ich komme zur Behandlung der einzelnen Sach-
rung für die beengte Unterbringung nicht ab-
bereiche. Die Punkte decken sich, wie Sie bei der
vergleichenden Lektüre unseres Entschließungs- sehbar. Die fertiggestellten Bauabschnitte in
Wiesbaden erbrachten keine Lockerung der an-
antrags feststellen werden, nicht unbedingt in die-
gespannten Raumlage, und der Personalbedarf
ser Reihenfolge, aber inhaltlich mit dem, was dort
deutet auf eine weitere Verschlechterung hin.
von unserer Seite vorgeschlagen wird. Ich möchte
Die Delegierten machen aus ihrer Enttäuschung
das relativ kurz und zusammengefaßt machen.
kein Hehl, daß die Realität mit den Ankündi-
Zunächst der Bereich, in dem der Bund selbst un- gungen über Verbesserungen auch baulicher
mittelbare Zuständigkeiten und Verantwortlich- Art beim Bundeskriminalamt bisher keineswegs
keiten hat, nämlich das Bundeskriminalamt. Die in Einklang steht.
4204 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Benda
Schließlich der Personalrat des Bundeskriminal- einheitlichung und Straffung der Organisation der
amtes in einem Schreiben an den Bundesminister Kriminalpolizei in den Ländern ist dringend not-
des Innern vom 24. August dieses Jahres: wendig. Wenn es den Ländern gelingt, zu einer ein-
Mit Befremden muß der Personalrat des Bun- heitlichen Organisationsstruktur zu kommen — was
deskriminalamtes seit einiger Zeit feststellen, wir für unbedingt notwendig und für möglich hal-
daß das von maßgebender politischer Seite ten , kann es bei der gegenwärtigen Zuständig-
durch Presse, Rundfunk und Fernsehen vom keitsverteilung, wie sie das Grundgesetz vorsieht,
Bundeskriminalamt hinsichtlich seiner personel- im wesentlichen verbleiben, aber auch nur dann. In
len und technischen Ausstattung und einer an- jedem Lande der Bundesrepublik ist die Polizei
geblichen Intensivierung der Verbrechensbe- heute anders gegliedert. Dies ist ein grotesker und
kämpfung gegebene Bild in krassem Gegensatz untragbarer Zustand. Ich sage deutlich, daß nach
zur Wirklichkeit steht. Der Personalrat des unserer Meinung die Länder die Zuständigkeit für
Bundeskriminalamtes hat Ihnen, sehr geehrter das Polizeiwesen nur dann behalten können, wenn
Herr Minister, und ihren Herren Staatssekretä- sie sich selbst entschließen, die kriminalpolizeiliche
ren und weiteren Herren Ihres Hauses anläß- Organisation auf Grund freiwilliger Absprachen
lich des Besuchs in Wiesbaden am 17. Novem- einheitlich und wirkungsvoll zu gestalten.
ber 1969 aus ernster Sorge und im Interesse (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr.
der inneren Sicherung unserer Bürger die unge- Schäfer [Tübingen]:: Wie wollen Sie denn
lösten Probleme des Amtes vorgetragen. Bis das verfassungsrechtlich ordnen?)
heute sind trotz wiederholter Hinweise und An-
fragen keine Lösungen, ja nicht einmal An- — Herr Kollege Professor Schäfer, wenn ich Ihren
sätze hierzu erkennbar. Neun Monate nach Zwischenruf richtig verstanden habe, darf ich Sie auf
Ihrem Besuch in Wiesbaden erlaubt sich der den Text unserer Entschließung zu diesem Punkt
Personalrat, Sie nochmals daran zu erinnern, verweisen. Die Möglichkeiten des Verwaltungsab-
daß kommens oder der Staatsverträge bieten sich an.
Notwendig ist die Einigung in der Sache. Was den
— und hier sind wir uns mit den Vorstellungen Punkt anlangt, der in der ominösen Anzeige des
der Berufsvertretung einig Bundespresseamtes unter dem plastischen Begriff -
nunmehr die notwendigen Grundvoraussetzun- „Wir jagen die Verbrecher nicht nur Tag und Nacht,
gen zur Intensivierung der Verbrechensbe- sondern über alle Landesgrenzen hinweg" erscheint,
kämpfung durch das Bundeskriminalamt und so ist dies glücklicherweise ein seit längerer Zeit
somit zur Gewährleistung der inneren Sicher- überwundener Zustand, auch ohne Änderung der
heit für unsere Staatsbürger endlich geschaffen Landesgrenzen und ohne Änderung der Zuständig-
werden müssen. keiten. Dies ist möglich gewesen
Dies wird dann im einzelnen ausgeführt. Ich kann (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Schweifen
mir das ersparen. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie nicht ab! Das ist eine völlig andere
Sie sich zu diesen Aussagen beteiligter und sach- Frage!)
kundiger Stellen äußerten. Ebenso wären wir dank- mit einer Reihe von zweiseitigen oder multilatera-
bar für eine Äußerung über die Fortschritte beim len Abkommen. Ich sehe keine Schwierigkeiten, hier
Ausbau der elektronischen Datenverarbeitung im in ähnlicher Weise zu verfahren, wenn man dazu
Bundeskriminalamt. den politischen Willen hat, der freilich notwendig
Die Antwort auf die Große Anfrage zu den Fra- ist.
gen 7 und 8 macht deutlich, wie kompliziert Organi- (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Haben Sie
sation und Zusammenarbeit der Kriminalpolizei des früher auch danach gehandelt?)
Bundes und der einzelnen Länder sind, ein Zustand,
Hierzu gehört eine Stärkung der Landeskriminal-
den wir alle in diesem Hause nicht nur Sie, Herr
ämter, eine Beseitigung der noch in drei Bundes-
Minister -- zu verantworten haben. Wir müssen
ländern bestehenden kommunalen Kriminalpolizei,
uns daher selbstkritisch die Frage vorlegen — un-
eine Gliederung der Kriminalpolizei nach kriminal-
sere Entschließung spricht diesen Punkt an —, ob es
geographischen Gesichtspunkten, wenn nötig auch
bei dieser Zuständigkeitsabgrenzung und diesem
über die Ländergrenzen hinweg. Auch das ist durch-
Koordinierungsverfahren bleiben kann, wenn wir
aus im Wege von Verwaltungsabkommen möglich.
eine wirksame Verbrechensbekämpfung erreichen
wollen. Im Rahmen einer Verfassungsreform sollte ge-
Zweitens zu der Organisationsstruktur der Krimi- prüft werden, ob es notwendig ist, kriminalpolizei-
nalpolizei in den einzelnen Ländern (vgl. Frage 2 liche Zuständigkeiten für die Delikte, die nur inter-
unserer Anfrage und die Antwort). Ich finde die national bekämpft werden können, etwa die Rausch-
schriftliche Stellungnahme der Bundesregierung giftdelikte, auf das Bundeskriminalamt zu übertra-
hierzu aufschlußreich. Sie kann in wesentlichen gen.
Punkten auch unsere Zustimmung finden. Die von Drittens die Verbesserung und Vereinheitlichung
der Bundesregierung unter den Ziffern 1 bis 5 die- der technischen Ausstattung der Kriminalpolizei
ses Abschnitts genannten Grundsätze sowie die Be- (vgl. die Fragen 4 und 5 der Großen Anfrage und
merkung über die Stärkung der Landeskriminaläm- die entsprechende Antwort). Ich verstehe ganz gut,
ter und die erkennbare Kritik am System der kom- Herr Minister Genscher, daß die Antworten der Bun-
munalen Polizei halten wir für zutreffend. Eine Ver desregierung dazu sehr allgemein gehalten sind. Sie
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4205
Benda
befassen sich im wesentlichen mit dem polizeilichen Ihrer Aufgabe, die Ihrer Verantwortung als Regie-
Großgerät einschließlich der EDV-Anlagen. Nach rungspartei entspricht, nämlich die Gegenwart und
meinem Eindruck ist es eher so, daß die technische die Zukunft zu gestalten, nicht genügend nach.
Ausstattung unserer Kriminalpolizei, vor allem in (Beifall bei der CDU/CSU. — Zuruf des
den Ländern, ihre Hauptmängel weniger bei dem Abg. Dr. Schäfer [Tübingen].)
freilich bedeutsamen technisch aufwendigen Groß-
gerät, etwa für kriminaltechnische Labors oder für Eine Politik, die in die Vergangenheit gerichtet ist,
das Fernmeldewesen hat, sondern in der unentbehr- wird nicht in der Lage sein, die Zukunft und erst
lichen Technik des Alltags. Es fehlt an den primiti- recht nicht die Gegenwart zu bewältigen.
ven Dingen, von denen viele von uns auch heute (Abg. Dorn: Sehr richtig! Sehr gut! — Abg.
meinen, sie seien eigentlich in der Verwaltung, auch Dr. Schäfer [Tübingen] : Das ist das
in der Exekutive der Polizei selbstverständlich. Es schlechte Gewissen!)
fehlt an Kraftfahrzeugen, an einer hinreichenden
Meine Damen und Herren, das alles sind Mängel,
Ausstattung mit Telefon, auch in den Wohnungen
die vielfach zu Unzufriedenheit und zu Frustations-
der Kriminalbeamten, so daß diese außerhalb der
gefühlen bei den Kriminalbeamten beitragen. Es sind
Dienststunden nur schwer erreichbar sind.
verbreitet bürokratische Hemmnisse, die man bei
Nur ein Streiflicht aus einer Zeitung von gestern; allem Bestreben zu staatlicher Sparsamkeit als un-
das kann man alle paar Tage lesen. Überschrift: verständlich, als geradezu lächerlich bezeichnen
„Polizei bittet um Spenden": muß. Ich denke z. B. an die Notwendigkeit der Ge-
Weil Bremen nicht genug Geld hat, hat die nehmigung dienstlicher Ferngespräche über größere
Kriminalpolizei der Stadt jetzt zur Selbsthilfe Entfernungen durch höhere Vorgesetzte oder die
gegriffen. Das Kommissariat für Todesermitt- Beschränkung bei Dienstreisen, die über den un-
lung der Kriminalpolizei Bremen veranstaltet mittelbaren örtlichen Zuständigkeitsbereich hinaus-
eine Spendensammlung für einen neuen Tat- führen. Ich selber — und auch das ist ein Blick in
ortwagen. Der bisherige Tatortwagen sei durch die Vergangenheit — habe aus meiner eigenen
einen Unfall ausgefallen und das Land Bremen Amtszeit als Bundesminister des Innern in Erinne-
angeblich nicht in der Lage, zur Zeit Ersatz zu rung, welche Schwierigkeiten entstehen, wenn man
beschaffen, z. B. aus dienstlichem Anlaß während eines Hub- -
schrauberflugs versucht — ich bin mehrfach in diese
(Abg. Dr. Wörner: Hört! Hört!) Situation gekommen —, zwischen dem Hubschrau-
teilte ein Sprecher des Landesverbandes Nieder- ber, Fahrzeugen des Bundeskriminalamts und den
sachsen im Bund Deutscher Kriminalbeamter in Dienststellen der zuständigen Länderpolizeien eine
Hannover mit. Funkverbindung herzustellen. Ich nehme an, daß
auch Herr Kollege Genscher zu diesem Thema eini-
Meine Damen und Herren, es mag sein, daß das
ges aus praktischer Erfahrung beitragen könnte.
nicht zutrifft. Ich habe es nicht nachprüfen können,
und ich mache diesen Vorbehalt. Aber jeder von Ich schlage daher vor, zu prüfen, ob die technische
uns, der mit polizeilicher Praxis, speziell kriminal- Ausstattung der Kriminalpolizei nicht durch ein Ver-
polizeilicher Praxis, vertraut ist, weiß, daß selbst waltungsabkommen dem Bund übertragen werden
dann, wenn das nicht wahr wäre, es andere Bei- sollte, ähnlich der bereits bestehenden Regelung
spiele gibt, mit denen man belegen kann, daß hier für die Bereitschaftspolizei der Länder. Eine ent-
und dort ähnliche unerträgliche Zustände bestehen. sprechende Anregung finden Sie in dem Entschlie-
Ich will keine Schwerpunkte nennen und nenne auch ßungsantrag, den wir Ihnen vorlegen.
das angesprochene Land nur als ein Beispiel. Ich will Viertens. Ein Hauptproblem neben der verwirren-
es nicht in Vergleich zu anderen Ländern setzen. den Organisationsstruktur ist die Personallage der
Die Situationen scheinen mir unterschiedlich zu sein. Kriminalpolizei. Dieses Problem kann nach unserer
(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Warum nen Überzeugung nur durch eine durchgreifende Reform
nen Sie es denn?) des Laufbahnrechts und der Besoldungsstruktur der
Kriminalpolizei und der Schutzpolizei, und zwar bun-
Aber daß das insgesamt gesehen ein unerträglicher deseinheitlich, erreicht werden. Das Laufbahnsystem
Zustand ist, wird sich ernsthaft, wie ich meine, nicht der Kriminalpolizei ist anachronistisch. Es entspricht
bestreiten lassen. militärischen Vorbildern der Zeit des 19. Jahrhun-
(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Seit wann derts.
wissen Sie denn das?) (Abg. Dorn: Seit wann?)
— Herr Kollege Schäfer, wir beide, Sie und ich, sind — Seit dem 19. Jahrhundert, wie ich soeben gesagt
seit einer ganzen Weile mit dem Problem beschäf- habe, Kollege Dorn. Ich unterstelle bei Ihnen die
tigt. Ich darf Ihnen in diesem Zusammenhang einmal dem Thema angemessene Aufmerksamkeit.
folgendes sagen. Wenn Sie in dieser Debatte nicht Sachbearbeiter der Kriminalpolizei können nach
mehr vorzutragen haben sollten unserer Auffassung nicht mehr dem mittleren Ver-
(Abg. Dr. Schäfer: Das wollte ich gerade waltungsdienst gleichgestellt bleiben, sondern müs-
sagen!) sen dem gehobenen Verwaltungsdienst angegli-
chen werden.
— ich nehme an, daß Ihre Fraktion Gelegenheit neh
men wird, sich dazu zu äußern — als den Blick in (Abg. Dr. de With: Das ist auch unsere
die angeblich so triste Vergangenheit, kommen Sie Meinung!)
4206 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Benda
Der Verantwortungsbereich und die Befugnisse des tung einnehmen. Das gleiche gilt übrigens auch für
Kriminalbeamten sind nicht zu vergleichen mit den einige Gewerkschaften der Polizei. Ich betone noch
Aufgaben eines Sekretärs im allgemeinen Verwal- einmal, daß es nicht um eine Diskriminierung der
tungsdienst. Schutzpolizei geht. Entsprechende Regelungen für
(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]: Das ist ganz die Schutzpolizei sollten, wie es unser Entschlie-
neu!) ßungsantrag vorschlägt, mit der gleichen Dringlich-
keit und der gleichen Sorgfalt geprüft werden. Es
Gleichzeitig ist eine Hebung der Bildungsvoraus- geht nicht um eine Bevorzugnug der Kriminalpolizei.
setzung für den kriminalpolizeilichen Dienst etwa Entscheidend ist aber eine sach- und funktionsge-
analog dem gehobenen Verwaltungsdienst, nämlich rechte Reform, die den Erfordernissen des modernen
Realschulabschluß oder Abitur mit einem anschlie- Industriestaates Rechnung trägt.
ßenden Vorbereitungsdienst, notwendig. Es muß
dessenungeachtet gewährleistet bleiben, daß das Fünfter Punkt. Die Bundesregierung hat in ihrer
Überwechseln von geeigneten Beamten der Schutz- Antwort zu Ziffer 10 unserer Anfrage mit eindrucks-
polizei und des Bundesgrenzschutzes in den Krimi- vollen Zahlen auf die negativen Auswirkungen der
naldienst möglich ist. Es muß möglich sein, geeig- Liberalisierung des Haftrechts durch das Strafprozeß-
nete Kräfte aus der Wirtschaft für den kriminalpoli- änderungsgesetz vom Dezember 1964 hingewiesen.
zeilichen Dienst zu gewinnen, etwa kaufmännisch Ich möchte auf Grund des Zahlenmaterials, das uns
erfahrene Persönlichkeiten für das Gebiet der Wirt- dort vorliegt, zu dem Ergebnis kommen, daß ein
schaftskriminalität oder Ingenieure für andere Fra- Zusammenhang zwischen dem Rückgang der Auf-
gen. klärungsquote und den praktischen Auswirkungen
der Strafprozeßnovelle unverkennbar ist. Die Frage
Ich glaube, daß die Hauptursache oder eine der wird sein, ob die Kriminalpolizei durch die vorge-
Hauptursachen für den ständigen Rückgang der Auf- schlagenen Maßnahmen in einen Zustand der Funk-
klärungsziffern in dem Personalmangel der Krimi- tionsfähigkeit versetzt wird, der ausreichen würde,
nalpolizei besteht, der nur auf die geschilderte Weise diese negativen Auswirkungen der Liberalisierung
beseitigt werden kann. Ich füge hinzu, was ich vor des Haftrechts auf ein vertretbares Maß herabzu-
einigen Wochen auch öffentlich gesagt habe, daß setzen.
bei einer Reform des Laufbahnrechts und der Besol- -
dungsstruktur die heilige Kuh „Einheitslaufbahn" Die von den Polizenbeamten beklagten negativen
wohl oder übel wird geschlachtet werden müssen. Auswirkungen der neuen Untersuchungshaftbestim-
mung sind sehr ernst zu nehmen. Sie haben zur
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU.) Unzufriedenheit und zur Frustration, ja oft zur Ver-
Notwendig ist es aber auch, den Kriminalbeamten zweiflung bei den Beamten geführt, die häufig genug
durch Beseitigung des Personalmangels von sach- erleben müssen, daß ein schwer Krimineller, der be-
fremden Aufgaben zu entlasten, vor allem von der reits vorbestraft ist, nach langwieriger und schwie-
immer umfangreicher werdenden Schreibarbeit. riger Fahndung vom Haftrichter wieder auf freien
Fuß gesetzt wird, weil er geständig ist und einen
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
festen Wohnsitz nachweisen kann.
Die bisherigen Bemühungen der Landesinnen-
minister, zu einer Reform der Laufbahnstruktur und (Sehr wahr! bei der CDU/CSU.)
zu einem neuen Berufsbild für die Polizeivollzugs- Anschließend — dies ist leider Gottes die Praxis —
beamten zu kommen, gehen — das gilt auch über begeht er in vielen Fällen neue Straftaten und ent-
den Bereich der Kriminalpolizei hinaus für die all- zieht sich dann der früheren und der neuen Strafver-
gemeine Polizei — nur im Schneckentempo voran. folgung durch die Flucht.
Der Unmut vor allem der Kriminalbeamten, aber
darüber hinaus auch anderer über das klägliche Er- Meine Damen und Herren, falls die Frage gestellt
gebnis der Innenministerkonferenz von Ende Sep- werden sollte, welche Konsequenzen die in unserer
tember auf Helgoland ist nach meiner Auffassung Entschließung vorgetragene Meinungsäußerung, mit
verständlich. Mit der Bildung einer neuen Staats- der wir sagen, daß das gegenwärtig geltende Haft-
sekretärskommission für diese Fragen ist es nicht recht geändert werden sollte, hat, sagen wir als An-
mehr getan. Das zeigt sich vor allem dann, wenn wort folgendes. Wenn das Hohe Haus dieser Mei-
man sich vergegenwärtigt, wie zahlreich die anderen nung ist, dann hat dies nach unserer Meinung Kon-
Aufgaben sind, die die Staatssekretäre der Landes- sequenzen für die Haltung der Bundesregierung, von
innenminister haben. Ich richte diese Kritik aus- der ich nach der schriftlichen Antwort auf die Große
drücklich gegen alle der Innenministerkonferenz Anfrage bisher den Eindruck habe, daß sie insoweit
angehörenden Minister, aber ich frage den Bundes- die bestehenden Mängel zwar einräumt, ihnen aber
innenminister, was er im Lichte seines vorhin wie- eher resignierend gegenübersteht und lediglich sagt,
derholten Zitats vor dem Bundeskriminalamt unter- daß eine weitere Verschlechterung der rechtlichen
nommen hat, das lautet: „Der Bund kann Initiativen Situation insoweit nicht hingenommen werden kann,
setzen. Er ist aus einer Gesamtverantwortung her- was mit anderen Worten ja wohl heißt, daß die seit-
aus entschlossen, diese Möglichkeit wahrzunehmen." herige Verschlechterung hingenommen werden soll.
Es hat auch Konsequenzen für meine eigene Frak-
Ich habe kein Verständnis mehr dafür, daß die
tion, welche sich dann erlauben wird, diesem Hohen
Innenminister der Länder — vor allem der Herr
Hause Vorschläge zu unterbreiten.
Kollege Ruhnau aus Hamburg — zur Frage der Ein-
heitslaufbahn nach wie vor eine dogmatische Hal (Zuruf von der SPD: Welche?)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4207
Benda
— Ich komme noch auf Ihre Haltung. Sie können das Klima in dieser ernst zu nehmenden Frage ver-
noch einige Minuten Geduld haben; ich hin gleich an dorben worden ist. Das war nicht sehr hilfreich.
diesem Punkte.
(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Aber das be
Ich glaube, daß beides notwendig ist, nämlich gründete Bemühen sehen Sie auch?!)
erstens durch eine Verbesserung der kriminal- — Das begründete Bemühen sehe ich nicht nur, son-
polizeilichen Organisation und der personellen Aus- dern ich unterstütze es. Wenn wir uns in dieser
stattung die Ermittlungen so zu beschleunigen, daß Frage einig sind, Herr Kollege Schäfer, dann würde
die gegenwärtig vielfach untragbaren Zustände ver- ich sagen: um so besser. Um so schneller können
mieden werden. Auch die Strafjustiz muß in die wir, glaube ich, und müssen wir, weil dies einer der
Lage versetzt werden — und sich übrigens auch praktisch einfach bedeutsamsten Punkte ist, zu
selber versetzen, was oft auch eine Frage der per- einem Ergebnis kommen. Ich bin sehr gespannt dar-
sönlichen Haltung des betreffenden Richters ist; auch auf, was die Kollegen der anderen Fraktionen, was
hierzu ließe sich manches sagen —, der Kriminalität vor allem auch die Bundesregierung zu diesem
wirksam zu begegnen. Thema sagen werden. Wir sollten diese Frage ohne
Dogma, pragmatisch unvoreingenommen prüfen.
Der Maßstab, mit dem wir bei dieser notwendigen Das einzige Dogma — und dem sollen, ja dem müs-
Überprüfung an diese Frage herangehen sollen, ist sen wir uns unterwerfen — ist das Festhalten in je-
das Prinzip, zu dem wir uns alle bekennen, nämlich der Beziehung an den rechtsstaatlichen Erforder-
das Bekenntnis zu unserem Rechtsstaat. Der Rechts- nissen in der Doppelausgestaltung, die ich vorhin
staat erfordert zweierlei, und das bedeutet ein erwähnt habe, die, glaube ich, das Leitbild sein
schwer zu überwindendes Spannungsverhältnis. sollte, was uns dorthin bringen sollte.
Erstens: Wir haben die selbstverständliche Pflicht,
daß im Straf- und im Strafprozeßrecht sichergestellt Ich fasse zusammen. Wir schlagen Ihnen in sechs
Punkten konkrete Maßnahmen vor: eine Straffung
wird, daß niemand, soweit es im Bereich mensch-
und Vereinheitlichung der Organisation der Krimi-
licher Möglichkeiten liegt, auf Grund bloßen Ver-
nalpolizei innerhalb der Länder ; eine Organisation
dachtes unschuldigerweise seiner Freiheit beraubt
der Kriminalpolizei ohne Rücksicht auf Ländergren-
wird. Zweitens geht es um das gleichermaßen durch
zen nach kriminalgeographischen Gesichtspunkten;-
den Rechtsstaat gebotene Erfordernis, daß derjenige
eine Ausgestaltung der Besoldungsstruktur und des
in unserer Bevölkerung, der sich gesetzmäßig ver-
Laufbahnrechts der Kriminalpolizei und der allge-
hält, der seinem ordentlichen Leben nachgeht, davor
meinen Schutzpolizei, damit sie in die Lage versetzt
geschützt wird, das Opfer von Verbrechern oder
werden, durch quantitative und vor allem qualita-
Kriminellen zu werden. Beides erfordert der Rechts-
tive Verstärkung den praktischen Erfordernissen
staat. Zwischen beiden Elementen ist die richtige
besser als bisher nachzukommen ; eine einheitliche
Lösung zu finden.
Ausbildung der Führungskräfte der Kriminalpolizei
Meine Fraktion hat nicht die Absicht, von ihrer in Bund und Ländern; eine Verbesserung und Ver-
eigenen Haltung abzuweichen, die sie bei der Straf- einheitlichung der technischen Ausstattung der
prozeßnovelle 1964 eingenommen hat. Ich sehe Frau Kriminalpolizei durch den Bund und eine Änderung
Kollegin Diemer, und mancher aus unserem Kreise der Vorschriften der Strafprozeßordnung, die sich
ist damals dabeigewesen, ich auch. Ich weiß ganz auf das ganze Recht beziehen mit dem Ziel, daß
genau, was ich damals gesagt habe. Ich kenne die eine unvertretbare Gefährdung der Allgemeinheit,
Diskussionen alle noch — wenn sie jemand nach- vor allem durch die sogenannten Wiederholungs-
gelesen hat —; ich kann Ihnen verraten: ich habe es täter, beseitigt wird.
auch getan. Sie brauchen mir das nicht vorzuhalten. Meine Damen und Herren, bei alledem muß —
Aber ich scheue es nicht. Ich bin auch nicht der Mei- und dies darf am Schluß noch gesagt werden — auch
nung, daß wir das, was wir damals gemacht haben, gesehen werden, daß — und dies ist der letzte, aber
einfach über Bord schmeißen sollten. Manches ist bei weitem nicht der unwichtigste Punkt — bei allen
ein Fortschritt. Auch ich persönlich wünsche nicht in notwendigen praktischen Regelungen im Bereich
den Rechtszustand jener Zeit vor 1964 zurückzukeh- des Polizeilichen, des Kriminalistischen, auch des
ren. Es muß schärfer gesehen werden, als wir es Rechtlichen, Verbrechen, die Haltung der Bürger
damals gesehen haben, vielleicht sehen konnten, daß unseres Landes zum Verbrechen auch ein gesell-
insbesondere — und hier wird der Schwerpunkt der schaftliches Problem allerersten Ranges ist. Polizei-
Überlegungen sein — im Bereich der Wiederholungs- liche und rechtliche Maßnahmen werden immer nur
straftaten wirksame Sicherungen geschaffen werden ein Teilausschnitt zur Lösung dieses Problems sein
müssen. können. Meine Freunde und ich beobachten mit
Sorge, daß in manchen Kreisen unserer Bevölke-
Sie haben nach unserer Haltung in der vergan- rung — glücklicherweise noch in einer verschwin-
genen Wahlperiode gefragt, ich glaube, Sie, Herr dend kleinen Minderheit — die Achtung vor dem
Kollege Schäfer. Ich bedauere, daß durch das — darf Recht als dem Maßstab des menschlichen Verhal-
ich das so formulieren, auch wenn Herr Kollege tens in einer modernen Gesellschaft relativiert
Hirsch nicht da ist — nicht sehr geschickte Vorgehen wird, daß sie teilweise ins Wanken gerät, wozu teil-
in Sachen dessen, was nachher als „Vorbeugehaft" weise auch durch politisch Verantwortliche ermutigt
übrigens insoweit nicht einmal mit der Überschrift wird.
der damaligen Vorschläge übereinstimmt — aber Meine Damen und Herren, ich sage es ganz un-
sehr geschickt war das, glaube ich, nicht —, damals verblümt: Wenn jemand Gewalt oder ein Ver-
4208 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Benda
brechen verübt, dann ist es mir vollkommen gleich- Ich glaube, einen solchen Schattenboxkampf, wenn
gültig, ob er dies aus einer im eigentlichen Sinne er auch mit geringeren Unzen als sonst ausgetra-
kriminellen Gesinnung tut oder ob er dies politisch gen worden ist, haben wir soeben hier erlebt. Ich
oder pseudopolitisch motiviert oder verbrämt. Wenn hoffe, Herr Kollege Benda, Sie haben sich dabei
er das Recht bricht, wenn er kriminell wird, ist er nicht übernommen.
entsprechend zu behandeln, gleichgültig, was seine
Motive sind — das mag der Richter nachher beur Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwi-
teilen —,
schenfrage des Abgeordneten Benda?
(Beifall bei der CDU/CSU)
dann ist er jemand, der Objekt und Gegenstand un- Pensky (SPD) : Bitte schön!
serer heutigen Diskussion ist. Dem Verbrecher und
dem Verbrechen wollen wir — dies ist ein Anliegen, Benda (CDU/CSU) : Herr Kollege Pensky, falls
das wir, wie ich zuversichtlich glaube, gemeinsam in Sie, wie ich vermute, die „Bildzeitung" meinen:
diesem Hause verfolgen energisch und entschie- Täusche ich mich, wenn auf diesem Bilde, das ich
den entgegentreten. übrigens nicht hergestellt habe, der Herr Kollege
(Beifall bei der CDU/CSU.) Genscher, was ich bedaure, einen Schlag von mir
mit einer rechten Geraden ins Gesicht bekommen
Präsident von Hassel: Meine Damen und Her- hat?
ren, bevor ich das Wort an Herrn Pensky für die (Heiterkeit.)
Fraktion der SPD weitergebe, für den 45 Minuten
Redezeit angemeldet sind, darf ich Herrn Kollegen Pensky (SPD) : Ich glaube, wir müssen das Bild
Benda auf folgendes hinweisen. Die Drucksache der einer näheren Untersuchung unterziehen.
Bundesregierung VI/1334 ist am Donnerstagabend
Meine Damen und Herren, bevor ich zum Thema
um 18 Uhr bei uns eingegangen. Infolge des um-
fangreicheren Drucks war es nicht möglich, sie frü- komme — —
her auszuliefern. Wir hatten sie also früher, konn- (Abg. Baron von Wrangel: Es würde der
ten sie aber wegen des Drucks nicht ausliefern. Ich Sache dienen, wenn Sie zur Sache kämen!)
-
wollte das nur zur Richtigstellung darlegen. — Ich komme schon zur Sache. Ich glaube, auch das
Das Wor hat nun der Herr Abgeordnete Pensky; gehört zur Sache, wenn ich an dieser Stelle die
45 Minuten' Redezeit sind beantragt. Anwesenheit des hessischen Innenministers Dr.
Strelitz begrüße,
Pensky (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr geehr- (Beifall bei der SPD — Abg. Baron von
ten Damen und Herren! Der Herr Kollege Benda,
Wrangel: Seit wann ist das üblich?)
mein Vorredner, wurde in den letzten Tagen in
verschiedenen Posen dargestellt — Herr Kollege der damit sein besonderes Interesse an den Fra-
Benda, ich darf das vielleicht vorausschicken —: gen der inneren Sicherheit bekundet.
erstens in der Pose eines Schlachters, (Abg. Dr. Wörner: Diese Verbeugung hät
(Abg. Benda: Das wäre neu!) ten Sie sich sparen können! Die können
denn Sie wollen das war zu lesen, und Sie haben Sie außerhalb , des Parlaments machen! —
es soeben wieder betont heilige Kühe schlachten, Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)
die Sie selbst lange Jahre gehütet haben.
Wir kennen ihn auch so in seiner sonstigen Hal-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) tung, Herr Kollege Wörner, und ich nehme an, daß
Das ist die erste Pose, 'Herr Kollege Benda. Die er über das, was er hier heute hört, kollegialiter
zweite ist die, die ich heute in einer Ihnen sehr auch die CDU-Innenminister der Länder informieren
wohlgesonnenen Zeitung gefunden habe, nämlich wird.
die Pose eines Boxers gegen Innenminister Gen- Meine Damen und Herren, es ist sicherlich nütz-
scher. Das Bild, möchte ich sagen, ist sehr zutreffend lich, daß in diesem Hohen Haus heute Gelegenheit
dargestellt. Auf den Schlag von Benda macht Gen- gegeben ist, Fragen der Verbrechensbekämpfung
scher gar kein schmerzverzerrtes Gesicht. und der inneren Sicherheit schlechthin zu diskutie-
(Zuruf von der FDP: Das liegt am Gewichts ren. Auf diesem Gebiete wie auf allen anderen Ge-
unterschied!) bieten der Politik darf es keine Geheimniskrämerei
Das braucht er auch gar nicht; der Benda schlägt geben. Von dieser Stelle aus sollten alle Bürger hin
immer daneben. und wieder erfahren können, ob und inwieweit die
(Heiterkeit.) Verantwortlichen in diesem Staate sich um ihre
Sicherheit und um ihren Schutz vor dem Verbrechen
Ich glaube, er hat sich offenbar auch nur auf Schat mühen.
tenboxen eingestellt, meine Damen und Herren,
Der politische Wettstreit wird, wenn man auf eine
(Beifall bei den Regierungsparteien)
in diesem Falle nicht angebrachte Polemik verzich-
denn er ist auf diesem Bild mit Brille und ohne tet, zu positiven Ergebnissen führen. Wir sind zu
Mundschutz angetreten. solchen Gesprächen bereit und sind auch durchaus
(Zuruf von der SPD: So ist er nun ein- bereit, Anregungen der Opposition entgegenzuneh-
mal! Abg. Baron von Wrangel: So men und, wenn sie gut sind, sie auch zu verwirk-
komisch ist das nun auch wieder nicht!) lichen. Nur schließt das nicht aus, daß wir uns ge-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4209
Pensky
genseitig in aller Sachlichkeit das sagen sollten, was als daß sie auf durchsichtige Argumente dieser Art
einmal gesagt werden muß, um kein schiefes Bild hereinfallen.
aufkommen zu lassen. So gesehen, ist die SPD- Deshalb sollten Sie wissen, Herr Kollege Benda —
Bundestagsfraktion der Opposition für diese De- auch Ihre Kollegen von der CDU/CSU —: Der Un-
batte und für die von ihr an die Regierung gestell- mut der Polizeibeamten, den Sie ja auch zur Kennt-
ten Fragen sehr dankbar. nis genommen haben, der in diesen Tagen mehr
Bevor ich mich jedoch weiter der Opposition zu- oder weniger heftig zum Ausdruck gebracht wird,
wende, erscheint es mir notwendig, an dieser Stelle richtet sich im Grunde allein gegen Sie, die Sie
noch einmal deutlich hervorzuheben, daß die von schließlich 20 Jahre lang die Verantwortung für das
Bundeskanzler Willy Brandt geführte Bundesregie- Ressort des Innenministers getragen haben und es
rung den Fragen der inneren Sicherheit ein hohes an den notwendigen Maßnahmen zur Behebung der
Maß an Bedeutung beimißt. Der Bundeskanzler hat damals aufgetretenen Mißstände haben fehlen las-
das in seiner Regierungserklärung unterstrichen sen.
und angekündigt, daß die Bundesregierung die Mo- (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu
dernisierung und Intensivierung der Verbrechens- rufe von der CDU/CSU.)
bekämpfung energisch vorantreiben will, um die
Aber Ihre Methode, Herr Kollege Benda — ich
Sicherheit in unserem Lande zu gewährleisten. Er
meine, ich sollte es sagen — frei nach dem Motto
hat gleichfalls in der Regierungserklärung ange-
„Haltet den Dieb!", haben Sie ja gelegentlich in die-
kündigt, daß die Bundesregierung unverzüglich die
sem Hause vorexerziert. Soweit es die Beamten be-
Arbeit an einem Sofortprogramm aufnehmen und
trifft, darf ich auch an die diesjährige Besoldungs-
dieses dem Deutschen Bundestag 1970 zuleiten
debatte erinnern. Hier hatte ein Kollege Ihrer Frak-
werde. Übrigens ist an dieser Stelle zu bemerken,
tion die Stirn, zu sagen, daß es mit dem Gedanken
daß dies die erste Bundesregierung ist, die über-
der Fürsorgepflicht des Staates nicht vereinbar sei,
haupt in ihrer Regierungserklärung ihren poli-
daß man sich überhaupt über einen Besoldungsrück-
tischen Willen in dieser Richtung zu erkennen gege-
stand unterhalte. Sie haben dabei gar nicht bemerkt,
ben hat.
daß Sie sich ganz forsch ein Eigentor getreten ha-
Meine Damen und Herren, wir sehen auch heute, ben; denn für Rückstände können doch wohl nur -

daß dies keine leeren Worte sind. Innenminister diejenigen verantwortlich sein, die in der Lage ge-
Genscher hat den Mitgliedern des Hohen Hauses wesen wären, einen solchen Zustand gar nicht ein-
ein Sofortprogramm — Sie wissen, es ist etwas treten zu lassen.
früher herausgekommen, Herr Kollege Benda, als
Sie beklagten — vorgelegt, das, wie ich noch im Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwi-
einzelnen darlegen werde, realistisch ist und, auf schenfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Schneider?
Notwendigkeiten beim Bundeskriminalamt zuge-
schnitten, dort bald zu entscheidenden Verbesse-
Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) : Herr
rungen der Arbeit und damit der Verbrechensbe-
Kollege Pensky, sind Sie bereit, zu sagen, welcher
kämpfung führen wird. Darüber hinaus umfaßt es
Kollege in welchem Zusammenhang wann und wo
alle Ansatzpunkte für eine effektivere Verfolgung
diese Äußerung getan hat?
von Straftaten, die sich der Bundesregierung zur
Unterstützung der Länder bieten. Wegen der Aktu-
alität und der Bedeutung dieses Programms er- Pensky (SPD) : Ich habe die Unterlagen alle drü-
scheint es mir richtig, es in dieser Debatte gleich ben. Ich werde Sie, wenn Sie es wünschen, gleich
in die Behandlung der Großen Anfrage der CDU/ davon unterrichten. Es steht sinngemäß in dieser
CSU einzubeziehen. Form in einem Bundestagsprotokoll.
Ich darf auch hier sagen: Trotz allen berechtigten
Meine Damen und Herren, Ziel und Absicht der
Drängens der Beamtenverbände um eine zügige
Großen Anfrage der CDU/CSU sind — das möchte
Anpassung der Besoldung an die veränderten Ver-
ich vorweg bemerken — erst recht erkennbar, wenn hältnisse wissen diese durchaus zu würdigen, daß
man in den letzten Wochen und Tagen hört, was
die jetzige Bundesregierung ein faires Angebot der-
CDU-Politiker namentlich auch der frühere Bundes-
gestalt unterbreitet hat, daß sie eine unabhängige
innenminister Benda, zu diesen Problemen vor der
Kommission zur Feststellung des tatsächlichen Besol-
interessierten Öffentlichkeit ausführen. Er hat da-
dungsrückstandes eingeschaltet hat, um an dem Er-
von hier soeben auch einige Kostproben gegeben.
gebnis dieses Gutachtens die weiteren Besoldungs-
Nun, glauben Sie etwa, meine Damen und Her- maßnahmen zu orientieren.
ren von der Opposition, Sie könnten damit den Meine Damen und Herren, nun aber zurück zu
Eindruck vermitteln, die für uns alle sicherlich nicht den speziellen Fragen der Verbrechensbekämpfung
erfreuliche Kriminalitätsentwicklung habe erst mit
(Abg. Dr. Stark [Nürtingen]: Nachdem Sie
der Amtsübernahme dieser Bundesregierung be-
genügend polemisiert haben!)
gonnen? Und glauben Sie etwa ernsthaft, daß die
Polizeibeamten im Lande Ihnen abnehmen, daß diese und damit zu der Großen Anfrage der CDU/CSU
Misere der Polizei und insbesondere auch des Bun- sowie zu dem Sofortprogramm der Bundesregierung.
deskriminalamts auf Versäumnisse dieser Regie- Hierbei ist vorweg zu bemerken, meine Damen und
rung zurückzuführen ist? Die Polizeibeamten sind Herren, daß die Bundesregierung auf Grund ihrer
klug genug und stehen viel zu sehr in der Praxis, Zuständigkeiten nur in der Lage ist, unmittelbar die
4210 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Pensky
Verhältnisse beim Bundeskriminalamt zu ändern erkannt haben. Es muß Ihnen von mir nämlich tat-
und daneben im Rahmen der Bundeskompetenz Ver- sächlich bescheinigt werden, daß Sie die taktische
besserungen einzuführen. Weiterhin fällt ihr durch- Notwendigkeit, verstärkte Anstrengungen auf dem
aus auch die Aufgabe zu, in Kooperation mit den Gebiet der Verbrechensbekämpfung zu bekunden,
Ländern die notwendigen Regelungen zu treffen und schon viel früher erkannt haben. Beim Nachlesen
auch Empfehlungen zu geben. Was die Bundesregie- der Bundestagsprotokolle ist festzustellen, daß
rung in diesem Rahmen tun kann und wird, hat sie schon frühere CDU-Innenminister von der Tatsache
in ihrem Sofortprogramm, das Ihnen vorliegt, dar- einer bedrohlichen Kriminalitätsentwicklung und
gelegt. Herr Kollege Benda, Sie kritisieren hier nun notwendigen Maßnahmen gesprochen haben. Ausge-
die verspätete Vorlage des Programms, und Sie be- löst wurde eine solche Debatte — das muß ich Ihnen
zeichnen es als Zu-spät-Programm. Ich glaube, auch an dieser Stelle sagen — damals aber durch den
hier ist zu sagen, daß Innenminister Genscher durch- Antrag der SPD-Fraktion vom 15. März 1966 auf
aus gut beraten war, zunächst seine grundlegende Drucksache V/434. Die damalige von der CDU ge-
Bestandsaufnahme durchzuführen. um seine Vor- führte Bundesregierung wurde also erst durch eine
schläge an dem letzten Stand der Kriminalitätsent- sozialdemokratische Initiative gezwungen, zum Pro-
wicklung zu orientieren. Außerdem benötigte er blem der inneren Sicherheit Farbe zu bekennen. Sie
einige Zeit, um den Umfang der Versäumnisse des haben aber eben nur gesprochen und nichts oder
früheren Bundesinnenministers zu übersehen. Für sehr wenig getan.
Sie, Herr Kollege Benda, war es dagegen wohl ein
Leichtes, Ihre Große Anfrage an den Ihnen bestens Meine Damen und Herren, der Benda-Vorschlag
zeichnet sich im übrigen auch dadurch aus, daß er
vertrauten, da eigenen Versäumnissen zu orientie-
lediglich der Presse vorgelegt wurde und nie ein
ren. Ich komme darauf zurück.
Mitglied dieses Hohen Hauses auf offiziellem Wege
(Sehr richtig! bei der SPD.) erreicht hat. Das ist genau die Methode, meine Da-
Im Namen der sozialdemokratischen Bundestags- men und Herren von der CDU/CSU,
fraktion sage ich dem Herrn Innenminister sowie (Abg. Dr. Stark [Nürtingen]: Die Sie jetzt
der gesamten Bundesregierung für das entschlos- praktizieren!)
sene Handeln, -
die Sie völlig unberechtigt gelegentlich dieser Bun-
(Lachen bei der CDU/CSU — Zuruf von der desregierung glauben vorwerfen zu müssen.
CDU/CSU: Nach einem Jahr!)
(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Sind wir doch
das aus diesem Sofortprogramm erkennbar ist, An- im Wahlkampf? — Weiterer Zuruf von der
erkennung und Dank. CDU/CSU: Zur Sache!)
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Deshalb bestand auch zu keiner Zeit die Möglich-
Meine Damen und Herren, nun ist aus den Reihen keit, diesen Plan, wie es notwendig gewesen wäre,
der CDU/CSU zu hören — Herr Benda hat es eben in diesem Hohen Hause zu diskutieren.
noch einmal so gesagt —: Alles schon dagewesen!
Auch wenn Herr Benda sagt — er hat das eben
Man verweist auf einen sogenannten Fünfjahres-
erwähnt —, diese Vorschläge seien haushaltsrecht-
plan des früheren Bundesinnenministers Benda zur
lich in der Finanzplanung berücksichtigt, so bleibt
Erhöhung der Effektivität des Bundeskriminalamtes.
dieser Plan, Herr Kollege Benda, dennoch eine un-
BeignaurtchwednSifstlmü-
verbindliche Aussage über notwendige Verbesse-
sen, meine Damen und Herren, daß zwischen diesen
rungen beim Bundeskriminalamt. Es fehlte nämlich
beiden Plänen oder Programmen ein wesentlicher
eine Antwort darauf, wie diese Maßnahmen reali-
Unterschied besteht. So muß zunächst darauf hinge-
siert werden sollen. Um es genauer zu sagen: das,
wiesen werden, daß der Plan Bendas der Öffentlich-
was Herr Benda in diesem Programm tabellarisch
keit im Juni 1969 bekanntgegeben wurde, also zu
ausgeführt hat, ist nichts anderes und nicht mehr als
einem Zeitpunkt, da die Arbeit in der 5. Legislatur-
ein Register von Versäumnissen der früheren Bun-
periode praktisch ausgelaufen war. Man hatte sich
desminister und der früheren Bundesregierungen.
also überhaupt erst zu diesem Zeitpunkt besonnen,
Und die sind nicht von den Sozialdemokraten ge-
daß es notwendig ist, zur Erhöhung der Effektivität stellt worden.
des Bundeskriminalamtes etwas zu tun. Oder sollte
der Plan damals nur noch. dem Bundestagswahl- (Beifall bei der SPD.)
kampf dienen, Herr Kollege Benda? Was soll denn eine solche Aufzählung, wenn beim
(Zuruf von der CDU/CSU: Das waren Zu Bundeskriminalamt nicht einmal die notwendigsten
fälligkeiten! — Weitere Zurufe von der Regelungen getroffen worden sind? Einige Beispiele
CDU/CSU.) möchte ich nennen, um das zu begründen. In diesen
— Das waren Zufälligkeiten, sagen Sie. Ich werde Bereich fällt auch das, was Sie eben als Entschlie-
ßung bekanntgegeben haben. Die drückende Perso-
dazu noch weiteres sagen müssen, meine Damen
nalnot beim Bundeskriminalamt, die schon seit Jah-
und Herren.
ren Ursache dafür ist, daß wichtige Aufgaben nur
(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Haben Sie unzulänglich oder überhaupt nicht wahrgenommen
zur Zukunft auch etwas zu sagen, Herr werden können, wurde von Ihnen nicht beseitigt.
Kollege?) Die Laufbahn der Kriminalbeamten, die Sie eben
— Ja, wir können uns darüber unterhalten. — Ich beklagt haben, mußte jeden Beamten aus den Län-
bescheinige Ihnen auch, daß Sie rechtzeitig etwas dern abschrecken, in diesen Dienst überzuwechseln,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4211
Pensky
da die Verhältnisse in den Ländern trotz der Män- Länder in bestimmten Schwerpunktbereichen der
gel, die auch heute dort noch vorliegen, erheblich Kriminalität dringend geboten ist. Im einzelnen gilt
besser sind. Hierzu muß man wissen, daß das Bun- das für die Bereiche der Rauschgiftkriminalität, des
deskriminalamt keinen eigenen Unterbau hat, aus Diebstahls von Kraftfahrzeugen, der Raub-, Ein-
dem der Nachwuchs kommt. Anders ist es dagegen bruchs-, Wirtschafts- und Ausländerkriminalität so-
in den Ländern, wo sich der Personalbedarf weit- wie bei gewissen Seriendelikten mit sich wandeln-
gehend aus der Schutzpolizei rekrutiert. den Erscheinungsformen. Die Bundesregierung hat
Trotz dieser Misere fanden beim Bundeskriminal- sich jedoch nicht darauf beschränkt, die Gefahren
amt ausgebildete Kriminalbeamte sachfremde Ver- dieser Entwicklung aufzuzeigen, sondern alles in
wendung, z. B. in der Aktenhaltung, in der Zentral- ihrer Macht Stehende veranlaßt, um gerade zur Be-
kartei und sogar als Hauswache für das Gebäude kämpfung solcher Kriminalitätsschwerpunkte beizu-
des Bundeskriminalamtes sowie auch in anderen tragen. Dazu zählt in erster Linie der Aufbau der
Dienstbereichen. Alles das sind Aufgaben, die kriminalpolizeilichen Ermittlungsgruppe beim Bun-
zweckmäßigerweise von Angestellten hätten wahr- deskriminalamt, die die Voraussetzungen dafür bie-
genommen werden können. ten wird, daß in Fällen mit überregionaler oder
internationaler Ausdehnung aus der zentralen Sicht
Nun, Herr Kollege Benda, Sie haben diese Not dieses Amtes alle kriminalistischen Ansatzpunkte
beklagt. Warum haben Sie sie nicht geändert? Das zur rationellen und sachgerechten Aufklärung ge-
hat beispielsweise dazu geführt, daß Spezialkarteien nutzt werden. Eine solche Ermittlungsgruppe hat es
nicht auf dem laufenden gehalten werden konnten bisher nicht gegeben. Die gesetzlichen Möglichkeiten
und dadurch praktisch als Informationsquelle für die zur Einschaltung des Bundeskriminalamts in die exe-
Länder weitgehend unbrauchbar waren. In diesem kutive Bearbeitung sind von der früheren Bundes-
Zusammenhang müßte u. a. noch von Versäumnis- regierung kaum und in der weiter zurückliegenden
sen im Bereich der Bauplanung die Sie auch be- Zeit gar nicht genutzt worden. Daher mußte das
klagt, aber doch offenbar zu vertreten haben —, Bundeskriminalamt im letzten Jahr für die ihm in
der Wohnungsfürsorge für Bedienstete des Bundes- verstärktem Umfang erteilten Ermittlungsaufträge
kriminalamtes und des Zulagewesens sowie der Kräfte aus den verschiedensten Abteilungen des
Überstundenregelung speziell auch für die Be- Hauses zusammenziehen, was jeweils nur zu Lasten
amten der Sicherungsgruppe — gesprochen werden. der Erledigung anderer Aufgaben geschehen konnte.
Wie zweckmäßig und erfolgreich sich diese Mitwir-
Außerdem entsteht bei rückschauender Betrach-
kung des Bundeskriminalamtes gestaltet, zeigen un-
tung über lange Jahre die Überzeugung, daß der
ter anderem die Aufklärung des Überfalls auf das
Bundesminister des Innern damals jedenfalls ver-
Munitionslager in Lebach und die erfolgreiche Fahn-
säumt hat, das Bundeskriminalamt mit einem pra-
dung nach den beiden Gewaltverbrechern Lecki und
xisbezogenen Konzept zur Unterstützung der Län-
Derks.
der in die Verbrechensbekämpfung einzuschalten.
Fachleute kritisieren wohl zu Recht wir sollten Zweitens. In diesem Zusammenhang ist wohl auch
uns viel öfter mit diesen Fachleuten unterhalten —, der Ausbau der Abteilung Sicherungsgruppe des
daß das Bundeskriminalamt über lange Zeit ein Bundeskriminalamts hervorzuheben, der in Veri.
Eigenleben führte und .daß versäumt wurde, seine bindung mit einer organisatorischen Umstellung
Aufgaben im Rahmen der gesetzlichen Möglichkei- eine effektivere Bekämpfung von Staatsschutz-
ten an der jeweiligen Kriminalitätsentwicklung zu kriminalität ebenso wie die Unterstützung der Be-
orientieren. arbeitung politisch motivierter Gewaltdelikte garan-
Das ist heute anders; denn sowohl die Beantwor- tiert. Außerdem hat diese Abteilung aus aktuellem
tung der Großen Anfrage als auch das Sofortpro- Anlaß den Schutz deutscher Diplomaten im Ausland
gramm der Bundesregierung zur Modernisierung als eine neue Aufgabe übernommen.
und Intensivierung der Verbrechensbekämpfung Drittens. Die Vernachlässigung der Aufgaben
machen deutlich, daß die Bundesregierung im Be- einer praxisbezogenen kriminalistisch-kriminologi-
wußtsein um die Mitverantwortung im Bereich der schen Forschung ist ein weiteres Versäumnis, wel-
inneren Sicherheit ,der Bundesrepublik konkrete ches nicht der jetzigen, sondern der früheren Bun-
Maßnahmen der Effektivität der Verbrechensbe- desregierung — oder den früheren Bundesregie-
kämpfung trifft. rungen, besser gesagt — angelastet werden muß.
Meine Damen und Herren, es bietet sich an dieser Beim Bundeskriminalamt besteht schon seit dessen
Stelle an, ,den derzeitigen Sachstand zu gewichtigen Gründung ein kriminalistisches Institut, welches
Fragenkomplexen der Großen Anfrage der CDU/ nach dem Organisationsplan unter anderem mit
CSU zur Verbrechensbekämpfung mit der Situation Forschungsaufgaben befaßt sein sollte. Obwohl man
in der vorausgegangenen Legislaturperiode zu ver- in Fachkreisen schon seit Jahrzehnten davon über-
gleichen. Dieser Vergleich macht deutlich, daß die zeugt ist, daß sich die kriminalistische Aufklärungs-
herbe und streckenweise polemische Kritik meines arbeit an systematischen Forschungsergebnissen zu
Vorredners Kollegen Benda durchaus nicht ange- orientieren hat und daß auch die Kriminalpolitik auf
bracht ist. solche Erkenntnisse angewiesen ist, blieb das krimi-
nalistische Institut ständig unterbesetzt. Das krimi-
Erstens. Die Bundesregierung hat im Anschluß an
nalistische Institut bestand viele Jahre nur aus
die Untersuchung der Kriminalitätsentwicklung und
einem Ein-Mann-Betrieb
der Aufklärungsquote die Feststellung getroffen,
daß eine Unterstützung der Exekutivaufgaben der (Hört! Hört! bei der SPD)
4212 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Pensky
und blieb auf die Veröffentlichung von Vortrags- verfügen wird und daß bestimmte Vorhaben zur
schriftenreihen sowie die Durchführung einer Ar- Einführung eines automatischen Informations-
beitstagung jährlich — einer jährlich! — beschränkt. systems in verschiedenen Bereichen mit erheblichem
Daß dies nicht genügt, hat der frühere Bundesmini- Personalaufwand seit Beginn dieses Jahres einge-
ster des Innern in der öffentlichen Informationssit- leitet sind.
zung des Innenausschusses vom 24. Oktober 1968 Ohne mir ein Urteil über die Auswirkungen eines
mit allem Nachdruck erfahren müssen. Hierauf hat kriminalpolizeilichen Datenverarbeitungssystems
der Kollege Benda als Bundesinnenminister in der auf die Verbrechensbekämpfung anmaßen zu wol-
Bundestagsdrucksache V/3792 vom 30. Januar 1969 len, erlaube ich mir die Feststellung, daß man ge-
erklärt — ich darf mit Erlaubnis des Herrn Präsi- rade auf diesem Gebiete beim Bundeskriminalamt
denten zitieren —: heute sehr viel weiter fortgeschritten wäre, wenn
Diese Vorhaben im wissenschaftlichen Bereich der Bundesminister des Innern vor Jahren die Wei-
sollen ergänzt werden durch intensivierte Un- sung zum Beginn der Aufbereitung des Datenbe-
tersuchungen bei dem Bundeskriminalamt. standes erteilt hätte. So stehen wir heute vor schier
Hierzu wird es allerdings noch eines weiteren unüberwindbaren Bergen.
personellen Ausbaus des Kriminalistischen In- Fünftens. In der Frage des Personalbedarfs ge-
stituts beim Bundeskriminalamt bedürfen; die stehe ich meinem Kollegen Benda zu, daß auch er
hierzu erforderlichen Schritte sind eingeleitet. bereits eine erhebliche Planstellenvermehrung vor-
gesehen hatte. Aber geradezu dilettantisch, Kollege
Auch in dem Fünfjahresplan zur Erhöhung der Benda, sind doch die Vorstellungen des von Ihren
Effektivität des Bundeskriminalamts hat der frühere Fraktionskollegen auch so oft gepriesenen Benda-
Bundesinnenminister anspruchsvolle Forschungsvor- Papiers über Personalbeschaffung; denn sie werden
haben aufgeführt, ohne — entgegen seiner Zusage besonders den erhöhten Anforderungen an die kri-
— eine personelle Verbesserung veranlaßt zu ha- minalpolizeiliche Arbeit in keiner Weise gerecht.
ben. Der Kollege Benda meinte damals — wenn ich
Meine Damen und Herren, dieses mißliche Erbe „damals" sage, meine ich sein sogenanntes Fünf-
hat die Bundesregierung vor einem Jahr angetre- jahresprogramm — den Personalbedarf des Bundes-
ten. Ich finde es deshalb bezeichnend, wenn sich die kriminalamtes durch „Verstärkung der Werbung",
Opposition bei dieser von ihr verschuldeten Situa- „Ausweitung der Ausbildungskapazität", „Ab-
tion an die Frage der Notwendigkeit einer Inten- sprache mit den Ländern mit dem Ziel der vermehr-
sivierung der Forschung auf kriminalpolizeilichem ten Übernahme der Polizeivollzugsbeamten der Län-
Gebiet heranwagt, wie in der Großen Anfrage ge- der und Überprüfung der Einstellungsbedingungen
schehen. decken zu können". Nun, Kollege Benda, ich glaube
Viertens. Etwas vorsichtiger taktiert die Opposi- — und einiges aus Ihren heutigen Ausführungen
tion in der Frage des Einsatzes einer automatischen spricht dafür , daß mit einem solchen Programm,
wie Sie es noch im Juni 1969 vorgesehen haben,
Datenverarbeitung beim Bundeskriminalamt. Meine
Damen und Herren, dieses heiße Eisen wird in der heute kein Hund mehr hinter dem Ofen hervorge-
Fragestellung recht vorsichtig erwähnt, indem sich lockt werden kann und daß Sie damit auch keinen
brauchbaren Kriminalbeamten gewinnen können.
die Opposition nach den Fortschritten beim Ausbau
eines automatischen Auskunfts- und Informations- (Abg. Dorn: Sehr wahr!)
systems des Bundeskriminalamtes und des EDV- Daneben erklärte der Kollege Benda zur Frage
Verbundnetzes mit den Ländern erkundigt. Sie fragt einer etwaigen Neugestaltung der Laufbahn der
nach Fortschritten auf einem Gebiet, über das sie Polizeivollzugsbeamten des Bundes in der bereits
zwar oft und lange geredet, aber auf welchem sie zitierten Bundestagsdrucksache V/3792 zu E, daß Er-
noch so gut wie nichts unternommen hat. örterungen über die Allgemeinausbildung noch
In weitschweifigen Ausführungen über den Stand nicht abgeschlossen seien und sich Konsequenzen
der Vorarbeiten zur Einführung der elektronischen für die Gestaltung der Laufbahn des kriminalpoli-
Datenverarbeitung im Bundeskriminalamt sowie den zeilichen Vollzugsdienstes des Bundes noch nicht
Aufbau eines Datenübertragungsnetzes zwischen ziehen ließen. Ich erinnere daran: es war das Datum
dem Bundeskriminalamt und den Ländern hat der von Januar 1969. Da ließen sich diese Konsequenzen
frühere Bundesinnenminister in seinem Bericht vom noch nicht ziehen!
30. Januar 1969 — es ist die gleiche Drucksache, die
ich soeben nannte — zu kaschieren versucht, daß Präsident von Hassel: Herr Abgeordneter, ge-
weder ein Zeitplan noch konkrete Zielvorstellungen statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten
bestehen. Benda?
Meine Damen und Herren! Auch das im Juni 1969
an die Presse gegebene Benda-Papier enthielt nur Pensky (SPD) : Herr Kollege Benda!
allgemeine Vorstellungen über die elektronische
Datenverarbeitung beim Bundeskriminalamt. Dem- Benda (CDU/CSU) : Herr Kollege Pensky, nach-
gegenüber nennt der Bundesminister des Innern in dem Sie, wenn meine Uhr richtig geht, bisher
seinem jetzt vorgelegten Sofortprogramm erstmalig 40 Minuten sich nicht mit der Politik der gegen-
konkrete Daten, indem er unter anderem feststellt, wärtigen Bundesregierung, sondern der der frühe-
daß das Bundeskriminalamt bis zum Jahresende ren, insbesondere meiner Amtsführung, beschäftigt
1972 über eine eigene Datenverarbeitungsanlage haben,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4213
Benda
(Abg. Dr. Hauser [Sasbach] : Vergangen und tun so, als hätte das alles erst jetzt eingesetzt,
heitsbewältigung!) als hätte es eine Kriminalitätsentwicklung erst ge
was mich rührt und was ich mit Interesse zur Kennt- geben, seitdem diese Bundesregierung im Amt ist.
nis nehme, darf ich fragen, ob Sie wenigstens der (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]: Und dann
sehr zurückhaltenden Formulierung in der Druck- stellt sich der gleiche Mann hier hin, der
sache VI/1334 auf Seite 7 in der Mitte zustimmen: vordem verantwortlich war!)
Bund und Länder haben in den letzten Jahren — Das ist es ja eben.
erhebliche Anstrengungen unternommen, um (Abg. Franke [Osnabrück]: Wir haben nur
die Effektivität der Verbrechensbekämpfung zu gefragt, was Sie uns vorgeführt haben!)
erhöhen.
— Ich sage Ihnen das ja. Hören Sie deshalb weiter-
Spricht das nicht alles ein bißchen gegen Ihre sehr hin gut zu!
lang, aber für mich nicht so wahnsinnig überzeu-
gend vorgetragenen Thesen? (Zuruf von der CDU/CSU: Vielleicht kommt
noch was!)
(Beifall bei der CDU/CSU.)
— Haben Sie es noch nicht gemerkt?
Pensky (SPD) : Herr Kollege Benda, ich kann mir (Zurufe von der CDU/CSU: Nein!)
vorstellen, daß diese Quasi-Synopse, die ich hier
aufstelle, für Sie nicht sehr angenehm ist; denn ich — Ich überreiche es Ihnen auf einem Silbertablett.
orientiere mich an Tatsachen. Vielleicht sprechen Sie darauf besser an. Aber Sie
können mein Konzept nicht stören. Diesen Katalog
(Zurufe von der CDU/CSU: „Quasi" !) der Unannehmlichkeiten müssen Sie über sich er-
— Nein. Ich bringe ja Verbindungen zwischen Ihrer gehen lassen.
Anfrage, den früheren Aussagen, die Sie gemacht (Anhaltende Unruhe bei der CDU/CSU.)
haben, und dem, was der Bundesinnenminister vor-
gelegt hat, was wir voll und ganz bejahen, ohne daß Ich erblicke in der vom Sofortprogramm angespro-
ich es hier in jedem Punkte noch einmal ausdrück- chenen Zulagen- und Überstundenregelung für das
lich zu unterstreichen brauche. Bundeskriminalamt wirksame und notwendige Vor- -
aussetzungen zur Personalgewinnung. Legt man den
(Beifall bei den Regierungsparteien.) verzögerlichen Maßstab der von der CDU/CSU ge-
Die Frage 3 der Großen Anfrage der CDU/CSU- führten früheren Bundesregierungen zugrunde, so
Fraktion zur Notwendigkeit einer Änderung der müßten die Angehörigen des Bundeskriminalamts
Besoldungsstruktur und des Laufbahnrechts läßt er- noch weitere 20 Jahre auf die Verbesserung ihrer
kennen, daß sich der Kollege Benda — er führte es materiellen Situation warten. Jetzt bekommen sie
eben auch aus —, nachdem er aus der Verantwor- die Forderung erfüllt.
tung entlassen ist, mutiger an die für ihn damals (Zurufe von der CDU/CSU: Fortschreibung!
wohl unüberwindlichen Probleme heranwagt. Noch — 200 Jahre!)
deutlicher aber wird das in seinen polemischen
Äußerungen und Versprechungen, die er noch in Diese Bundesregierung hat sich jetzt schnell und
den letzten Tagen und Wochen vor der Polizei- verantwortungsbewußt entschlossen und verdient
beamtenschaft abgegeben hat. dafür unseren besonderen Dank.

Ich kann mich an dieser Stelle auf die sachliche Die Maßnahmen, die jetzt von der Bundesregie-
Feststellung beschränken, daß die Bundesregierung rung getroffen worden sind, sollten auch die Länder
die Notwendigkeit einer funktionsgerechten Lauf- veranlassen, auf diesem Wege entsprechende Ent-
bahnstruktur als Folge der gestiegenen und weiter scheidungen zu treffen, die den aufgezeigten erhöh-
wachsenden Anforderungen an die berufliche Eig- ten Anforderungen an die Qualifikation von Schutz-
nung der Kriminalbeamten sehr schnell erkannt hat und Kriminalpolizei gerecht werden.
und dies mit dem Sofortprogramm in die Praxis (Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Kommen Sie
umgesetzt hat. Sehen Sie, hier ist die Politik der denn auch noch zur Strafprozeßordnung?)
Bundesregierung, die ich Ihnen ebenfalls vorführe,
— Ja, ich komme jetzt zu diesem Punkt. Warten Sie
um sie zu unterstreichen und zu begrüßen. Ich
brauche sie deshalb nicht im einzelnen zu wieder- doch ab! Seien Sie doch geduldig! Ich bin schon da.
holen. (Bravo-Rufe von der CDU/CSU.)
Sechstens. Ebenso erblicke ich in der vom Sofort- Ich bin schon bei Ihrer Frage nach den Auswirkun-
programm — gen der Änderung der Strafprozeßordnung
(Zurufe von der CDU/CSU.) (Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt kommt es!)
Ja, nun hören Sie hin! Ich kann mir vorstellen, daß — das wollten Sie doch hören —, insbesondere des
Ihnen das alles so unangenehm ist, weil Ihnen das Haftrechts, auf die Arbeit der Kriminalpolizei. Hier-
draußen um die Ohren geschlagen wird. auf hat der Bundesminister des Innern jetzt hinrei-
(Widerspruch bei der CDU/CSU.) chend geantwortet.
Sie aber handeln, so wie ich es eingangs sagte, frei (Oh-Rufe von der CDU/CSU.)
nach der Methode „Haltet den Dieb!", Jedenfalls wissen wir dazu heute entschieden mehr,
(Beifall bei den Regierungsparteien) als Herr Benda in seinem wiederholt zitierten Be-
4214 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Pensky
richt vom 30. Januar 1969, also vier Jahre nach In- der Länder angesprochen wird, macht deutlich, daß
krafttreten dieser oft als „Anwaltsgesetz" apostro- die Verbrechensbekämpfung in der heutigen Zeit
phierten Strafprozeßnovelle offenbart hat. Damals als eine gemeinsame Aufgabe angesehen werden
— ich bitte hinzuhören; muß. Sie ist nur dann zu lösen, wenn alle daran be-
(Zurufe von der CDU/CSU: Wir hören teiligten Strafverfolgungsbehörden zusammenwir-
immer hin! — Wir sind ganz Ohr!) ken.

ich muß es wiederholen, weil es wichtig ist —, vier An dieser Stelle möchte ich aber besonders her-
vorheben, daß die Tätigkeit der Schutzpolizei ent-
Jahre nach Inkrafttreten dieser Strafprozeßnovelle,
im Januar 1969, offenbarte der damalige Bundes- scheidende Voraussetzung sowohl für die präven-
innenminister, daß die Erörterungen über die Aus- tive als auch für die repressive Verbrechensbekämp-
wirkungen der Strafprozeßnovelle auf die Verbre- fung ist und auch bleiben muß.
chensbekämpfung noch nicht zu einem Abschluß ge- (Abg. Dorn: Sehr richtig!)
kommen seien. Wenn in der heutigen Debatte der Akzent mehr auf
(Abg. Dr. Hauser [Sasbach] : Und ihr Kol der Kriminalpolizei liegt, so ist die Ursache dafür
lege Hirsch?) ausschließlich darin zu suchen, daß sich die Bundes-
— Was hat denn das damit zu tun? Wir unterhalten kompetenz im wesentlichen auf das Bundeskriminal-
uns darüber, was Sie hier feurig erklären und ver- amt beschränkt. Das ändert nichts daran, daß eine
wirklicht haben wollen in einer Richtung, über die gut qualifizierte Schutzpolizei die wesentliche
wir uns sicherlich noch unterhalten müßten, wenn Grundlage für eine wirkungsvolle Verbrechensbe-
überhaupt darüber gesprochen wird. kämpfung in allen Bereichen bildet.

(Abg. Franke [Osnabrück]:: Warum reden Ich habe nach diesen Ausführungen — wir wer-
Sie immer von vorgestern?) den sie sicherlich weiter vertiefen können — zum
Schluß nur noch einen Satz zu sagen, damit es allen
Wir lassen ja über alles mit uns reden. Das darf klar wird. Die sozialdemokratische Bundestagsfrak-
ich hier anmerken. Aber wenn Sie heute hier ganz tion und, dessen bin ich sicher, auch die Koalitions-
bewußt die Regierung mit einer bestimmten Ten- fraktion und die von ihnen getragene Bundesregie-
-
denz drängen, dann muß man auch auf das hinwei- rung werden sich von niemandem übertreffen las-
sen, was Herr Kollege Benda noch vor etwa einem sen, wenn es um die Wahrung der inneren Sicher-
Jahr dazu gesagt hat. Wenn ich richtig informiert heit für die Bürger in diesem Staat geht.
bin, haben Sie, Herr Kollege Benda, damals als Mit-
(Beifall bei den Regierungsparteien. —
glied des Rechtsausschusses an der Novellierung des
Abg. Breidbach: Das war der wichtigste
Gesetzes mitgewirkt.
Satz! Alles andere konnten Sie sich sparen!
(Abg. Dr. Stark [Nürtingen] : Wir wollen doch — Weitere Zurufe von der CDU/CSU.)
hören, was Sie meinen!)
— Darüber werden wir uns ja unterhalten. Präsident von Hassel: Meine Damen und Her-
ren, ich darf einen Augenblick unterbrechen und den
(Anhaltende Zurufe von der CDU/CSU.)
Präsidenten des Europäischen Parlaments, Herrn
Sie haben hier ein Programm als „Zu-spät-Pro- Scelba, sehr herzlich in unserer Mitte begrüßen.
gramm" bezeichnet. Sie haben uns einen Antrag Herr Präsident, der Deutsche Bundestag wird noch
auf den Tisch gelegt, in dem Sie diese Fragen an- in dieser Woche über Wege zur Stärkung und Er-
sprechen. Ich habe den Antrag zu dem Zeitpunkt weiterung der Befugnisse des Europäischen Parla-
bekommen, als diese Debatte begann, und muß da ments beraten und entscheiden. Es ist mir deshalb
doch wohl sagen, ,daß dies ein „Zu-spät-Antrag hoch eine besondere Ehre und eine große Freude, Sie un-
drei" ist. ter uns zu wissen als den Ersten Vertreter des Par-
laments, auf das sich die Hoffnungen aller Europäer
(Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu
stützen und richten.
rufe von der CDU/CSU.)
(Lebhafter Beifall.)
Meine Damen und Herren, wir sind der Meinung,
daß diese Frage einer Prüfung wert ist. Ich darf hier Herr Präsident, wir wünschen Ihnen einen guten
auch meine persönliche Meinung zum Ausdruck Aufenthalt in unserem Land.
bringen und sagen, daß ich bereit bin, darüber mit Das Wort hat nunmehr der Bundesminister des
Ihnen zu reden. Ich bin sicher, daß auch meine Frak- Innern, Herr Bundesminister Genscher.
tionskollegen die gleiche Bereitschaft zeigen wer-
den. — Ich sehe, daß ich nur noch fünf Minuten Zeit
Genscher, Bundesminister des Innern: Herr Prä-
habe. Ich muß mich deshalb bemühen, zum Schluß
sident! Meine Damen und Herren! Ich habe Ihnen,
zu kommen. Ich will es kurz machen.
Herr Präsident, zunächst dafür zu danken, daß Sie
Meine Damen und Herren, die Vorstellungen der den Kollegen Benda und das Hohe Haus darüber
Bundesregierung über die Notwendigkeit einer en- aufgeklärt haben, daß die Bundesregierung ihr So-
gen Zusammenarbeit zwischen Bund Ländern und fortprogramm bereits am Donnerstag letzter Woche,
darüber hinaus auch auf internationalem Gebiet sind 18 Uhr, dem Deutschen Bundestag zugeleitet hat, in
zu begrüßen. Gerade diese Konzeption, die im So- der Absicht nämlich, die Mitglieder des Hohen Hau-
fortprogramm an mehreren Stellen als konkretes ses rechtzeitig über den Inhalt dieser Vorlage zu
Angebot zur Unterstützung der Exekutivaufgaben informieren. Eine Rückfrage hätte den Kollegen
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4215
Bundesminister Genscher
Benda in die Lage versetzt, das auch ohne Belehrung haben und daß ich dem Kollegen Rasner nur er
durch den Herrn Präsidenten zu wissen. Im übrigen klärt habe, die Bundesregierung werde den Inhalt
trägt die Drucksache das Datum 29. Oktober 1970. des Programms der Öffentlichkeit erst zu dem Zeit-
(Beifall bei den Regierungsparteien. — punkt bekanntgeben, an dem es den Mitgliedern
des Hohen Hauses vorliege, und das werde nach
Hört! Hört! bei der SPD.)
Mitteilung der Bundestagsverwaltung Dienstag in
der Zeit zwischen 9 und 10 Uhr der Fall sein. Das ist
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine Zwi- allerdings der Gegensatz zu Ihrem Verhalten bei
schenfrage des Abgeordneten Benda? Ihrem Fünf-Jahres-Programm, das Sie dem Bundes-
tag gar nicht zugeleitet, sondern nur der Öffentlich-
Benda (CDU/CSU) : Herr Minister, würden Sie keit bekanntgegeben haben!
mir, sofern Sie aus eigener Kenntnis dazu in der
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Lage sind, bestätigen, daß die Drucksache zu der
von mir vorhin angegebenen Zeit, nämlich gestern, Es ist dies übrigens ein Programm, von dem man sa-
Dienstag, zwischen 9 und 10 Uhr, den Abgeordneten gen kann, es sei eine Zusammenfassung all der
in die Fächer gelegt worden ist? Sind Sie zweitens Dinge, die in Ihrer und in Ihrer Vorgänger Amtszeit
in der Lage, entweder zu bestätigen oder zu demen- hätten getan werden müssen, die Sie für notwendig
tieren, daß Sie dem Fraktionsgeschäftsführer mei- hielten, deren Ausführung Sie aber Ihrem Nachfol-
ner Fraktion, dem Kollegen Rasner, auf die Rück- ger im Amt überlassen haben.
frage, die Sie soeben erwähnt haben und die ich (Beifall bei den Regierungsparteien. —
in der Tat veranlaßt habe, gesagt haben, die Druck- Abg. Franke [Osnabrück]:: Wie Sie beim
sache sei auf ihren Wunsch nicht am Montag, son- Umweltschutz!)
dern erst am Dienstag morgen, also gestern zu der
— Na ja, zum Umweltschutz muß ich nun wirklich
von mir genannten Zeit, verteilt worden?
sagen, daß wir da noch ein ganz anderes Programm
(Hört! Hört! bei der CDU/CSU.) abzuwickeln haben. Da sind wir, so würde ich sagen,
auch ganz gut dran, Herr Kollege.
Genscher, Bundesminister des Innern: Herr Prä-
Meine Damen und Herren, ich glaube, es ist in der -
sident! Meine Damen und Herren! Ich habe hier
Tat nicht sinnvoll, über die Vergangenheit zu reden.
nicht zu der Frage Stellung genommen, wann die
Drucksache verteilt worden ist, (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
(Aha! bei der CDU/CSU) Aber ich möchte hier doch feststellen: Wenn jemand
sondern ich habe mich gegen den Vorwurf verwahrt, berechtigt ist, Kritik an jahrelangen Versäumnissen
auf dem Gebiet der Verbrechensbekämpfung und im
(Zuruf von der CDU/CSU: Nicht auswei Bereich der Polizeibesoldung — vor allen Dingen
chen!) auch hinsichtlich der Stellung der Angehörigen des
daß die Bundesregierung diese Vorlage dem Hohen Bundeskriminalamtes — zu üben, dann sind es die
Hause später als denkbar — nämlich später als am Polizeibeamten selbst, aber nicht diejenigen, die das,
Tage der Beschlußfassung — zugeleitet habe. Es geht was sie heute kritisieren, in ihrer Amtszeit hätten
nicht zu unseren Lasten, daß sie erst in dieser abstellen können.
Woche verteilt wurde. Herrn Kollegen Rasner habe (Beifall bei den Regierungsparteien.)
ich auf Rückfrage in der Tat erklärt, daß die Bun-
Insofern weise ich nicht die Kritik, die auf das, was
desregierung am Donnerstag, am Tage der Be-
noch nicht geschehen ist, zielt, ihrem Inhalt nach zu-
schlußfassung, auf eine Veröffentlichung dieses
rück, sondern ich weise zurück, daß sich Herr Kollege
Programms gegenüber der Presse verzichtet habe,
Benda zum Sprecher dieser Kritik macht. Man kann
weil sie wollte, daß die Mitglieder des Hohen Hau-
Tränen der Rührung in die Augen bekommen,
ses dieses Programm nicht aus der Presse kennen-
lernen, sondern hier im Hause durch eine Vorlage. (Heiterkeit bei der SPD)
(Beifall bei den Regierungsparteien.) wenn man hört und liest, wie der Amtsvorgänger
des Herrn Kollegen Benda, Herr Lücke, am 6. Mai
Präsident von Hassel: Gestatten Sie eine 1966 vor dem Hohen Hause über die unzureichende
zweite Zwischenfrage des Abgeordneten Benda? — Ausstattung des Bundeskriminalamts und über die
Bitte! Tatsache geklagt hat, daß der Dienst für die Beamten
dieses Amtes nicht mehr attraktiv sei. Er sagte, man
bekomme keine Beamten mehr, weil inzwischen die
Benda (CDU/CSU) : Ich wäre Ihnen, Herr Mini- Lage bei den Ländern viel besser sei. Das alles ist
ster, sehr dankbar, wenn Sie meine konkrete Frage
richtig. Ich frage mich nur, warum vom Mai 1966 bis
— ich will sie jetzt wiederholen — beantworteten,
zum Oktober 1969 nicht eine konkrete Maßnahme
ob Sie dem Kollegen Rasner gesagt oder nicht ge-
ergriffen worden ist, die geeignet gewesen wäre,
sagt haben, daß die Drucksache auf Ihre Veranlas-
den Dienst in der Weise attraktiv zu gestalten, daß
sung erst gestern früh zwischen 9 und 10 Uhr ver-
die vorhandenen nicht besetzten Stellen hätten be-
teilt worden ist.
setzt werden können.
(Abg. Wehner: Das war die lange Leitung!)
Genscher, Bundesminister ,des Innern: Herr Kol-
lege Benda, ich kann Ihnen noch einmal sagen, daß Wir legen ein Programm vor, in dem es nicht nur
wir den Zeitpunkt der Verteilung nicht bestimmt heißt, die Laufbahn müsse attraktiver werden. Wir
4216 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Bundesminister Genscher
sagen vielmehr, was wir jetzt und sofort tun wollen. Kriminaldienst, aber auch bei der Schutzpolizei
Deshalb trägt das Programm mit Recht den Namen wenigstens angemessen vergütet wird.
„Sofortprogramm", während ich Ihren Antrag, dem
ich sachlich im wesentlichen zustimmen kann, der (Zustimmung bei der SPD.)
sogar eine Bestätigung unseres Programms ist, mehr Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich fest-
als ein Programm der späten Reue bezeichnen stellen, daß die Bundesregierung, obwohl sie im
möchte, der späten Reue, von der wir hoffen, daß Bundeskriminalamt nur eine Kriminalpolizei des
die tätige Reue folgt, d. h. daß wir es dann gemein- Bundes hat, mit besonderem Nachdruck hier betont,
sam verwirklichen können. daß ein ganz wesentlicher Teil der Verbrechens-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) bekämpfung sich im Bereich der Schutzpolizei voll-
zieht, die untrennbar mit einer Gesamtsicherheits-
Welche sind die Maßnahmen, die die Bundes- konzeption verbunden ist.
regierung ergreifen will? Das Problem beim Bundes-
kriminalamt ist zunächst einmal wie bei allen Poli- (Zustimmung bei der SPD.)
zeibehörden des Bundes und der Länder das Per-
Hier liegt der Grund dafür, daß die Bundesregie-
sonalproblem. Das A und O ist die Behebung der
rung zugleich mit ihren Besoldungsvorstellungen für
Personalnot bei der Polizei. Deshalb werden wir für
das Jahr 1971 auch in diesem Bereich durch eine
das Bundeskriminalamt Laufbahnverbesserungen
Verbesserung der Polizeibesoldung erreichen will,
schaffen, die entsprechend der Aufgabenstellung die-
daß der Dienst bei der Schutzpolizei so attraktiv
ser oberen Polizeibehörde des Bundes vorsehen, daß
wird, daß die Personalnot auch in diesem Bereich
nur noch Kriminalbeamte des gehobenen und des
behoben werden kann.
höheren Dienstes beim BKA tätig sein werden. Zwei-
tens haben wir vorgesehen, daß die Zulagen beim Wenn ich davon gesprochen habe, daß wir stärker
Bundeskriminalamt — ein altes, seit Jahren von den und mehr als bisher beim Bundeskriminalamt An-
Beamten mit Recht vorgetragenes Anliegen — end- gestellte beschäftigen wollen, so meine ich damit
lich so gestaltet werden, daß sie denen anderer zugleich, daß das nicht nur Hilfsfunktionen sein
oberer Sicherheitsbehörden des Bundes angepaßt sollen, sondern auch Angestellte für Spezialfunk-
werden, nämlich des Bundesnachrichtendienstes, des tionen, für die Bamte zu gewinnen relativ schwierig
MAD und des Bundesamtes für Verfassungsschutz. ist.
Beide Maßnahmen zusammen sind geeignet, end- Meine Damen und Herren, in der ungewöhnlich
lich dem Dienst beim Bundeskriminalamt von dieser angespannten Personalnot auch bei den Polizeien
Seite her jene Attraktion zu geben, die bewirkt, daß der Länder haben wir in den letzten Monaten ein
wir die Hoffnung haben können, Kriminalbeamte für zusätzliches dem Bund zur Verfügung stehendes
diesen Dienst zu finden und an diesem Dienst zu Sicherheitspotential ausgeschöpft, indem wir z. B.
interessieren. Wir werden damit zugleich, vor allem für Sicherungsaufgaben auf den Flughäfen Beamte
mit den Regelungen für die Zulagen, erreichen, daß des Bundesgrenzschutzes eingesetzt haben mit dem
ein alter, seit Jahren vorhandener, immer wieder Ziel, es den Ländern zu ermöglichen, mit den vor-
kritisierter Überstand beseitigt wird, der darin be- handenen Polizeibeamten weiter die Aufgabe der
steht, daß hochqualifizierte Ermittlungsbeamte beim unmittelbaren Verbrechensbekämpfung zu erfüllen,
Bundeskriminalamt mit ermittlungsfremder Tätig- so daß sie nicht genötigt sind, aus diesem Bereich
keit beschäftigt werden, während im Ermittlungs- Beamte für die Flughäfen abzuziehen. Das alles
bereich diese Beamten fehlen. Deshalb wollen wir sind Maßnahmen, die nicht mehr in dem Programm
jene Aufgaben, die nicht Ermittlungstätigkeit sind, für morgen stehen müssen, die wir auch als eine
durch Beamte der allgemeinen Verwaltung und Bilanz der ersten Monate unserer Tätigkeit erwäh-
durch Angestellte ausführen lassen, und diese An- nen.
gestellten werden wir durch die Neugestaltung der Für die Zusammenarbeit zwischen Bund und Län-
Zulagen finden, die zum 1. Januar 1971 in Kraft dern und der Länder untereinander wird es in der
treten soll. Tat notwendig sein, daß wir vor allen Dingen auf
eine funktionsgerechte Organisationsstruktur der
Ein ebenso seit Jahren bekanntes, noch immer
gesamten Polizei hinwirken. Das hat die Bundes-
nicht gelöstes Problem ist die Frage der Über-
regierung getan, und wir haben die feste Über-
stundenabgeltung, der Bezahlung der Überstunden,
zeugung, daß schon die nächste Innenministerkonfe-
— übrigens nicht nur ein Problem für das Bundes-
renz, bei der wir unsere Vorschläge dafür zur Dis-
kriminalamt, sondern für die Polizei insgesamt. Wir
kussion stellen werden, ein erstes Arbeitsergebnis
sind eben dabei, in der Abstimmung mit den Ländern
zeigt. Dabei besteht auch die Möglichkeit, sich über
und mit den anderen Bundesressorts die gesetzliche
die Fragen der gleichen Ausbildung, der gleichen
Grundlage zu schaffen, damit diese Regelung wirk-
lich geschaffen werden kann, damit wir eine gesetz- Ausrüstung zu unterhalten. Ich möchte hier nicht
liche Grundlage für eine angemessene Überstunden- verschweigen, daß die Verhandlungen über die ge-
bezahlung erreichen, Das geschieht nicht — damit meinsame Ausbildung der höheren Beamten des
wir uns nicht falsch verstehen —, um an die Stelle Kriminaldienstes des Bundes und der Länder in
nicht besetzter Stellen jetzt Überstunden treten zu Hiltrup praktisch abgeschlossen sind. Der Bund wird
lassen, sondern um für die Zeit, in der diese Über- sich dort finanziell beteiligen, mit Lehrkräften be-
stunden noch notwendig sind, zu erreichen, daß der teiligen. Wir garantieren damit, daß alle höheren
aufopferungsvolle Einsatz der Polizeibeamten im Polizeibeamten des Kriminaldienstes zusammen in
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4217
Bundesminister Genscher
einer Institution ausgebildet werden, ein Punkt, den auf das Bundeskriminalamt, sondern in klarer Er-
ich wegen der Zusammenarbeit für unerhört wichtig kenntnis auch unserer Gesamtverantwortung darauf
halte. hingewiesen haben, daß eine Reihe von besoldungs-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) mäßigen Maßnahmen notwendig ist, um die Per-
sonalnot der Polizeibeamten bei Schutzpolizei und
Meine Damen und Herren, wer dieses Sofort-
bei Kriminalpolizei zu beheben. Wir müssen erken-
programm zur Verbrechensbekämpfung studiert hat,
nen, daß Ausbildung, Laufbahn und Besoldung die
wird feststellen, daß z. B. in einem besonders be-
Voraussetzung für die Gewinnung qualifizierter
sorgniserregenden Bereich der Kriminalität, im Be-
Beamter darstellen. Das bedeutet auch — das möchte
reich der Ausländerkriminalität, beginnend mit dem
ich mit allem Ernst sagen —, daß wir alle gemein-
24. November 1969, wenige Wochen nach meinem
sam — insofern sehe ich diese Debatte noch einmal
Amtsantritt die ersten Maßnahmen eingeleitet wor-
als einen Versuch, bei den Fraktionen des Hohen
den sind. Es begann mit dem Auftrag, verstärkt
Hauses eine gemeinsame Grundlage für die Ver-
Nachrichten über radikale Ausländergruppen zu
brechensbekämpfung zu legen — dafür sorgen müs-
sammeln. Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung
sen, daß der Polizeibeamte in der Gesellschaft die
vom 6. Mai 1970 soll die gesetzliche Grundlage da-
Stellung einnimmt, die seiner verantwortungsvollen
für schaffen, daß das Bundesamt für Verfassungs-
schutz durch eine klarstellende Erweiterung seiner Aufgabe entspricht.
gesetzlichen Zuständigkeit endlich in ausreichendem Ich möchte folgende Sorge nicht verschweigen.
Maße radikale Ausländergruppen überwachen kann, Ich habe wiederholt feststellen müssen, wie wich-
um drohende Gewalttaten von Ausländern recht- tigste Entscheidung von Beamten beispielsweise der
zeitig zu erkennen und zu verhindern. Am 19. Fe- Besoldungsgruppen A 9 oder A 8 zu fällen sind. Die
bruar 1970 ist eine Weisung gegeben worden, daß hier anwesenden höheren Beamten der Ministerien
das Ausländerzentralregister des Bundesverwal- werden es mir nicht verübeln, wenn ich sage, daß
tungsamtes eine eigene, jederzeit benutzbare, für mancher Polizeibeamte dieser Besoldungsgruppen A 9
die Polizei Tag und Nacht zur Verfügung stehende oder A 8, mancher Beamte des Bundesgrenzschutzes
Datenverarbeitungsanlage erhält, damit jederzeit in einer Nacht mehr sofortige, nicht durch Mitzeich-
Auskünfte abgerufen werden können. Diese Anlage nung und Rückfrage abgesicherte Entscheidungen
wird bereits im Frühsommer 1971 installiert werden. fällen muß als mancher B-Gruppeninhaber im Laufe
Am 27. April 1970 schließlich haben wir den Innen- seines ganzen Beamtenlebens.
ministern und Innensenatoren der Länder Vor-
schläge zur Verbesserung der Bekämpfung terrori- (Beifall.)
stischer Ausländerorganisationen durch die Polizei Ich finde, es ist notwendig, daß wir hier — dafür
unterbreitet. erhoffe ich die Unterstützung des ganzen Hauses —
eben auch dieser besonderen Verantwortung in der
Hier ist von Herrn Kollegen Benda eine Kritik
Besoldung der Beamten Rechnung tragen. Wir ha-
des Personalrats des Bundeskriminalamtes verlesen
ben den konkreten Vorschlag für das Bundeskrimi-
worden, die sich mit den baulichen Maßnahmen be-
nalamt schon vorgelegt. Wir wollen im Besoldungs-
faßt. In dieser Kritik ist auf meinen Besuch vom
gesetz auch für die Schutzpolizei dazu etwas sagen.
27. November 1969 hingewiesen worden, wo mir die
Ich bin sicher, daß die Länder uns, was die Lauf-
berechtigten Sorgen des Personalrats vorgetragen
bahn für die Kriminalpolizei angeht, folgen werden.
wurden. Niemand wird sagen können, daß die da-
mals vorhandenen Sorgen Sorgen meiner Amtszeit Meine Damen und Herren, ich möchte hier sagen,
seien. Aber aus dem Sofortprogramm ergibt sich daß zu einer wirksamen Verbrechensbekämpfung
unter Angabe von Terminen, welche Raummöglich- neben dieser Lösung der personellen Probleme, ne-
keiten wir durch zusätzliche Anmietungen für das ben der technischen Ausrüstung, neben der Schaf-
Bundeskriminalamt, für die Sicherungsgruppe ge- fung der Arbeitsmöglichkeiten für die Beamten der
schaffen haben, mit dem klaren Hinweis: das sind Polizei auch gehört, daß zu jeder Zeit und zu jeder
keine Lösungen der Probleme, es sind Übergangs- Stunde und mit allen Möglichkeiten der Massen-
maßnahmen; auch die Baumaßnahmen, die wir bis medien auch die Schädlichkeit der Verbrechen für
1972 vollenden wollen, werden am Ende noch nicht die Gesellschaft dargestellt wird.
ausreichend sein.
(Beifall.)
Deshalb haben wir für die längerfristige Planung Deshalb möchte ich auch von dieser Stelle die
in Aussicht gestellt, weitere Gebäude zu errichten. Kritik daran zurückweisen, daß sich Massenmedien
Nur bitte ich bei der Frage, ob es möglich war, in dieser oder jener Form in diesen Dienst der Ver-
diese Gebäude in wenigen Monaten hochzuziehen, brechensbekämpfung und der Aufklärung über die
nicht nur die Beschäftigungslage auf dem Bausek- Folgen von Verbrechen stellen. Meine Damen und
tor, sondern auch zu sehen, daß das Bundesinnen- Herren, es geht darum, nicht nur über die Täter zu
ministerium eine solche Sache nicht allein regeln berichten, es geht darum, nicht nur zu zeigen, wenn
kann, daß eine Zusammenarbeit mit den Baubehör- sich möglicherweise der Gentleman-Verbrecher
den der Länder usw. erforderlich ist. Ich glaube, daß über Monate oder Jahre der Polizei entzieht, nein,
die jetzt vorliegende verbindliche Prognose auch wir müssen auch darstellen, wie die schädlichen
zu einer Beruhigung bei den Beamten des Bundes- Wirkungen auf den einzelnen Betroffenen sind.
kriminalamtes beitragen wird. Mancher, der von Bagatelldelikten redet, weil es
Meine Damen und Herren, vor allen Dingen aber sich um 20 DM, um 30 DM, um 50 DM handelt,
scheint mir wichtig zu sein, daß wir nicht beschränkt wird das Wort Bagatelldelikt nicht mehr so leicht
4218 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Bundesminister Genscher
in den Mund nehmen, wenn er einmal nachdenkt, Geschäftsführung ohne Auftrag praktisch auch für
was 30 oder 50 DM für einen betrogenen Rentner alle meine Kollegen gesagt wird; ich vermute jeden-
bedeuten. Deshalb ist die Verbrechensbekämpfung falls, daß das, was ich zu sagen habe, ohne Unter-
hier genauso wichtig wie bei den Großdelikten mit schied der Hautfarbe, der Konfession und der Par-
einem größeren materiellen Hintergrund. teizugehörigkeit von den meisten Innenministern
(Beifall.) gebilligt werden wird.
Es ist schon fast eine Binsenwahrheit, daß die
Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich
Kriminalität zunimmt. Aber ich würde sagen: Es gibt
möchte auch meine Bedenken anmelden gegen die
auch Binsenunwahrheiten wie die, daß die Polizei
Verniedlichung bestimmter Zeiterscheinungen, die
im Grunde nichts getan habe. Ich erlaube mir daher,
am Ende in ihrer Auswirkung zu einer Häufung der
hier festzustellen: Was als „Unruhe in der Polizei"
Kriminalität führt, z. B. gegen die Verniedlichung
bekanntgeworden ist, ist mehr als verständlich und
des Genusses von Rauschgiften, was am Ende in
berechtigt angesichts des Stresses, unter dem die
fortgeschrittenen Phasen dazu führen kann, daß der
Polizei steht. Aber es ist nicht begründet, daß eine
Süchtige dann mit illegalen Mitteln versucht,
Unruhe in der Bevölkerung vorhanden ist. Denn
(Beifall) diese Polizei tut — das darf ich über die Grenzen
sich diese Rauschgifte zu besorgen. Deshalb messen des von mir zu vertretenden Landes hinaus sagen
wir der Bekämpfung der Rauschgiftkriminalität eine — ihre Pflicht. Das zeigt sich auch deutlich in einer
solche Bedeutung bei. Aufklärungsquote, die gerade bei den Kapitaldelik-
ten trotz der Steigerung dieser Delikte nach wie vor
Lassen Sie mich ein Letztes sagen. Meine Damen über 90% liegt.
und Herren, wir sind in einer Phase, in der manch-
mal für einen Beobachter der öffentlichen Meinung (Beifall bei den Regierungsparteien.)
durch Äußerungen der Eindruck entstehen kann, als Wir müssen dabei ganz zweifelsohne feststellen,
ob wir zu einer Verwischung zwischen Gewaltkri- daß nicht nur die Regierungen, sondern die gesamte
minalität und politischer Auseinandersetzung kom- Bevölkerung dieser Polizei Dank schuldet. Ich hoffe,
men. Es gibt Leute, die die Anwendung von Ge- daß das eine Möglichkeit geben wird, den Stellen-
walt — noch dazu mit der für das Rechtsempfinden wert der Polizei, den Stellenwert der Öffentlichen
-
kaum verständlichen Unterscheidung der Gewalt Sicherheit bei dieser Gelegenheit anzuheben und
gegenüber Sachen und Personen — dann als min- diese Aufgaben gleichberechtigt neben andere wich-
derschwer betrachten, wenn sie Teil einer politi- tige gesellschaftspolitische Aufgaben zu stellen.
schen Auseinandersetzung ist. Ich möchte dringend
(Beifall bei der SPD.)
davor warnen. Ja, ich glaube, es ist notwendig, auch
B) im Interesse der Erhaltung unserer freiheitlich- Aus diesem Grunde danke ich — ich nehme an,
demokratischen Ordnung, daß wir jeder Form von auch alle meine Kollegen — der Bundesregierung
Gewaltanwendung den scharfen Kampf ansagen, und Herrn Bundesinnenminister Genscher für dieses
Sofortprogramm.
(allseitiger Beifall)
auch wenn sie verbrämt wird mit dem Mäntelchen Vizepräsident Frau Funcke: Herr Staatsmini-
einer ideologischen oder politischen angeblichen ster, würden Sie eine Zwischenfrage des Abgeord-
Überzeugung. neten von Thadden gestatten?
(Erneuter Beifall auf allen Seiten.)
Meine Damen und Herren, für den Einsatz gerade von Thadden (CDU/CSU): Herr Minister, sind
gegenüber dem Gewaltverbrechen auf diesem Ge- Sie nicht der Meinung, daß die Polizei auch dadurch
biet ist es notwendig, daß wir die hier vorgeschla- verunsichert werden kann, daß auf ein geschätztes
genen, schnell zu verwirklichenden Maßnahmen Mitglied der Polizei, auf einen Polizeipräsidenten,
einleiten, damit sie dem einzelnen Polizeibeamten so lange parteipolitischer Druck ausgeübt wird, bis
— ich erwähne hier nicht nur den Kriminalbeamten, er weichen muß?
sondern auch den Beamten der Schutzpolizei — zei- (Beifall bei der CDU/CSU.)
gen, daß der Deutsche Bundestag ebenso wie die
Bundesregierung den schweren Dienst kennt, und Dr. Strelitz, Minister des Landes Hessen: Sie
damit der einzelne Beamte weiß: Die politische Füh- dürfen wohl davon ausgehen, daß mir diese Frage
rung dieses Landes und die demokratische Vertre- nicht neu ist; denn sie ist, wie ich weiß, weit über
tung stehen bei seinem Einsatz hinter ihm. den Bereich, in dem sie spielte — in der Stadt Frank-
(Beifall auf allen Seiten des Hauses.) furt —, hinaus ständig ein beliebtes Steckenpferd
geworden. Ich kann Ihnen aber noch viele Polizei-
präsidenten nennen, die von jeder Seite angegriffen
Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat
Herr Staatsminister Dr. Strelitz. werden.
(Zuruf von der CDU/CSU: Aber nicht welche,
die abgesetzt wurden!)
Dr. Strelitz, Minister des Landes Hessen: Herr
Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Her- Das gehört ein bißchen zum Beruf. Von ,,Abset
ren! Erlauben Sie mir, aus der Sicht zumindest eines zen" in dieser Form ist keine Rede. Das macht ein
Bundeslandes, nämlich Hessens, einiges auszufüh- Magistrat. Ich glaube, das ist nicht der erste ausge-
ren, von dem ich jedoch glaube, daß es in einer Art wechselte Polizeipräsident, meine Damen und Her-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4219
Landesminister Dr. Strelitz
ren. Ich glaube nicht, daß es mit den Grundsätzen Gesetz hier angekündigt worden; auch Herr Bun-
der Polizei etwas zu tun hat, wenn ein Polizeipräsi- desinnenminister Genscher hat dieses Gesetzesvor-
dent — er ist ja, wie Sie sicherlich wissen werden, haben auf der Innenministerkonferenz bereits ange-
nach dem Beamtengesetz ein politischer Beamter kündigt — in Hessen sofort durchführen und an-
ausgewechselt wird. wenden oder sofort übernehmen werden. Wir sind
(Zuruf von der CDU/CSU: Aber welche auch sicher, daß der Hessische Landtag dann sofort
das Weitere tun wird. Wir haben das ex cathedra
Begründung steht dahinter!)
erklärt.
— Ich kenne keine andere Begründung als die des
Magistrats, meine Damen und Herren. Wir sind weiter außerordentlich erfreut darüber,
daß auch die Laufbahn Gegenstand der Überlegun-
(Zuruf von der CDU/CSU: Die der „Jusos" !)
gen sein wird. Es ist ganz selbstverständlich, daß
Ich weiß, daß Sie gern in dem Bereich dort in Frank- sich die Laufbahnvoraussetzungen an die veränderte
furt herumwühlen. Aber Sie dürfen sicher sein: Hier Situation anpassen müssen. Ich freue mich außer-
ist nichts Illegales geschehen, sondern es handelt ordentlich, daß hier von Herrn Pensky und vom
sich um eine Maßnahme des Magistrats. Herrn Bundesinnenminister festgestellt worden ist,
daß wir — ich möchte es mit meinen Worten sagen
Wenn es auch eine Binsenunwahrheit ist, daß auf
— keinen Keil und keinen Graben zwischen Schutz-
diesem Gebiet eine Verunsicherung vorliege, würde
polizei und Kriminalpolizei schaffen dürfen.
ich doch meinen, daß die Sorge um die öffentliche
Sicherheit keineswegs eine Angelegenheit ist, die (Beifall bei der SPD.)
auf Ressorts oder Grenzen und Zuständigkeiten be-
Wer die Tätigkeit gerade der Ermittlungsgruppen
schränkt sein sollte. In dem Augenblick, wo die
der Schutzpolizei ein bißchen kennt, die ja häufig
Rechtsbrecher eine bessere Bildung und Ausbildung
die ersten am Tatort sind und die die erste Spuren-
erhalten, und in dem Augenblick, wo auch die poten-
sicherung vornehmen müssen, weiß, daß es verfehlt
tiellen Rechtsbrecher mobiler und besser ausgerüstet
ist, hier überhaupt von einer Differenzierung zu
sind, ist es selbstverständlich, daß mit dem Blick auf
sprechen. Es wäre sehr schlecht, wenn der Nach-
die Zukunft — auch auf die nähere, nahe und
wuchs der Schutzpolizei dadurch gefährdet würde,
nächste Zukunft — die Polizei dementsprechend aus-
daß man. sie als Polizei zweiter Klasse bezeichnet.
gerüstet und ausgebildet sein muß. Deshalb be-
grüßen die Länder — das möchte ich jedenfalls von (Beifall bei den Regierungsparteien.)
meiner Sicht aus sagen — dieses Sofortprogramm. Ich kenne auch keinen Angehörigen der Kriminal-
Wir haben unsere Bereitschaft zur Kooperation ja polizei, der in irgendeiner Weise jemals verlangt
) vom ersten Augenblick an erklärt, auch in der In- hätte, daß die Schutzpolizei minder eingestuft oder
nenministerkonferenz, die ja heute so hart angegrif- minder berechtigt sein sollte. Insofern ist auch die
fen wurde. Die Innenministerkonferenz — sie ist ja, Frage der Einheitslaufbahn aus dem dogmatischen
jedenfalls politisch, ein sehr gemischtes Organ — Begriff herauszuheben. Es ist klarzustellen, daß
hat sich diesen Aufgaben nicht verschlossen. Wir Kripo und Schupo nun einmal zusammengehören,
hoffen sehr, daß der Stellenwert der Polizei, wenn und zwar im Interesse der Gesamtbevölkerung. In
es um die Anhebung geht, auch in den Länderparla- diesem Zusammenhang möchte ich sagen, daß ich im
menten entsprechend eingeschätzt wird. Ich darf für Lande Hessen vor kurzem — es war im April —
die heute hier nicht anwesenden Kollegen Schnur einen Erlaß habe herausgeben können, durch den
und Ruhnau, den Vorsitzenden und stellvertreten- ich gerade die Laufbahn bei der Kriminalpolizei
den Vorsitzenden der Innenministerkonferenz, die, aus der Ochsentour befreit habe. Also ganz so un-
wenn ich recht unterrichtet bin, morgen im Auftrage tätig, wie es vorhin behauptet wurde, sind die Län-
der Innenministerkonferenz mit den Polizeigewerk- der auf diesem Gebiete ganz gewiß nicht gewesen.
schaften verhandeln — damit habe ich den Bogen
wieder in der großen Breite gespannt —, sagen, daß Hinsichtlich der Besoldung möchte ich folgendes
sie diese Problem ebenso klar erkannt haben wie sagen. Wir warten dringlichst darauf — wir hoffen,
die anderen. Die Staatssekretärskommission, die ge- daß sich auch dieses Hohe Haus dazu bereit findet,
gründet ist, stellt ja nicht den alleinigen Weg, sozu- das entsprechende Gesetz bald nach der Vorlage
sagen eine Einbahnstraße dar. Sie ist ein Mosaik- durch die Regierung zu verabschieden —, daß die
steinchen unter vielen, das dieses Problem als Ge- Besoldung der Polizei jene Form annimmt, die er-
samtbild darstellt. forderlich ist, um der Polizei in der modernen Ge-
sellschaft ihren Stellenwert zu geben, damit auch
Meine sehr verehrten Damen und Herren, die
von dort her gesehen, ich will nicht sagen: das Pro-
Problematik, mit der wir es im Bereich der öffent-
lichen Sicherheit zu tun haben, läßt sich mit folgen- blem in der Vollbeschäftigungsgesellschaft für den
öffentlichen Dienst absolut gelöst wird, aber doch
den Schlagworten zusammenfassen: Personalman-
gel, Ausbildung, Berufsbild, Besoldung, Laufbahn, auf alle Fälle eine Minderprivilegierung beseitigt
wird.
Wohnung — dieses Thema ist heute, glaube ich,
noch nicht angesprochen worden —, Ausrüstung (Zustimmung bei der SPD.)
und Organisation. Ich bin berechtigt, hier das zu Ein ganz wichtiges Problem ist die Wohnungsfür-
wiederholen, was auch der hessische Ministerprä- sorge. Wir sind sehr erfreut darüber, daß uns der
sident bereits erklärt hat, nämlich daß wir jedes Bundeswohnungsbauminister neulich sein dreige-
Bundesgesetz auf dem Gebiete der Besoldung und teiltes Programm bekanntgegeben hat. Wir hoffen,
der Laufbahn — erfreulicherweise ist ein solches daß gerade von dem Regionalprogramm wesentliche
4220 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Landesminister Dr. Strelitz


Impulse ausgehen, indem angesichts der Einschrän- ausgeführt. Das gleiche gilt übrigens für die über-
kung des sozialen Wohnungsbaus aus den bekann- örtliche Zusammenarbeit. Wir kennen in unserem
ten Gründen, die auch hier in diesem Hause sehr oft Lande keinen Fall, in dem es etwa dadurch an der
erörtert worden sind, nunmehr eine Möglichkeit be- Aufklärung einer Straftat gemangelt hätte, weil die
steht — nicht durch eine Zunahme der sogenannten kommunalen oder staatlichen Stellen nicht zusam-
Töpfchenwirtschaft, der Spezialprogramme, sondern mengearbeitet hätten.
eingebettet in die allgemeinen Programme , die Das geht sogar noch einen Schritt weiter. Die In-
Wohnungsfürsorge für die Polizeibediensteten ge- nenminister haben am 1. April dieses Jahres ein
rade in den Großstädten und Ballungsräumen — Abkommen geschlossen — ein Abkommen, das hier
dort hapert es natürlich am meisten — vorwärtszu- verlangt wird, wie ich gelesen habe —, nach dem
treiben. Es ist ein unerträglicher Zustand, wenn die grenzüberschreitende Verfolgung von Straftaten
junge Polizeibeamte, die von der Bereitschaftspo- erlaubt ist, und zwar ist es erlaubt, nicht nur unmit-
lizei zum Einzeldienst übergehen, nachher etwa telbar dem Fliehenden nachzusetzen, sondern ganz
Wohnungsmieten in Höhe von 300 DM und mehr allgemein die Strafverfolgung vorzunehmen. Ich
bezahlen müssen. Das ist eine unzumutbare Situa- darf hinzufügen, daß das bundestreue Land Hessen
tion. Es ist notwendig, hier durch Sofortprogramme das schon immer hat gegen sich gelten lassen. Wir
— ich denke nur an das Regionalprogramm des haben schon immer zugelassen, daß Angehörige der
Bundeswohnungsbauministers — Abhilfe zu schaf- Kriminalpolizei anderer Bundesländer oder auch die
fen. entsprechenden Bundesorgane auf unserem Boden
Was die Einstellung von Verwaltungsangestellten, tätig sind. Wir wollten lediglich eine Information
die Befreiung der Polizei von nichtpolizeilichen Auf- über das Tätigwerden. Ein in München begangener
gaben und die Übernahme derjenigen polizeilichen Bankeinbruch kann jederzeit von den bayerischen
Aufgaben, die Spezialkenntnisse, etwa technischer Beamten in Hessen ermittelt werden. Das war schon
Art, erfordern, angeht, möchte ich nur sagen, daß die immer so. Seit dem 1. April 1970 gilt das ganz all-
Länderparlamente sicherlich bereit sind, ihre Haus- gemein für das gesamte Bundesgebiet.
haltsansätze und Stellenpläne in dieser Hinsicht zu Es wird sehr viel davon abhängen, ob wir den
verbessern. Wir fühlen uns da mit den Maßnahmen Geist der Kooperation wirklich herstellen können.
kooperativ verbunden, die hier vorgeschlagen wor- Wir begrüßen daher von der Länderseite her - das
den und notwendig sind. Nicht jeder Fernschreiber Sofortprogramm. Wir sind der Meinung, daß es sich
muß eine Uniform tragen, sondern der Fernschrei- um eine einheitliche Auffassung von den zukünfti-
ber in den Polizeikommissariaten und in den Poli- gen und jetzigen Aufgaben der Polizei, sowohl der
zeistationen kann durchaus ein BAT-Angestellter Kriminalpolizei als auch der Schutzpolizei, handelt.
sein. In Hessen haben wir das zu einem großen Teil Da das angezweifelt wurde und ich meine, daß sich
durchgeführt. Herr Kollege Benda auf diesem Gebiet ein bißchen
Ich gebe Ihnen gern zu, daß nicht allein schon geirrt hat, Goethe aber gesagt hat, die Irrtümer des
durch den Stellenplan auch mehr Personal vorhan- Menschen machen ihn recht eigentlich erst liebens-
den ist. Durch den Stellenplan werden in der Voll- wert, darf ich mir erlauben, Ihnen als einen Beitrag
beschäftigungsgesellschaft natürlich nicht ohne wei- dazu das zu überreichen, was ich hier ankündigen
teres auch geeignete Kräfte herbeigeschafft. Aber wollte, nämlich eine Veröffentlichung, die aus mei-
es wird doch ein Anreiz geschaffen, sich für diesen nem Hause stammt und meine Unterschrift trägt:
Beruf zu entscheiden. „Polizei und Sicherheit in Hessen". Ich betrachte
sie, Herr Bundesinnenminister, als einen Beitrag zu
Es ist hier sehr viel davon gesprochen worden, Ihrem Sofortprogramm, als eine kooperative Maß-
was an der Kriminalpolizei unzulänglich sei. Ich nahme eines Landes.
darf aus dem von Herrn Kollegen Benda begründe-
ten Antrag doch entnehmen, daß verlangt wird, die Herr Kollege Benda, ich darf Ihnen die Veröffent-
bestehende kommunale Kriminalpolizei solle auf- lichung überreichen.
gelöst und eine den Weisungen der Landeskriminal- (Abg. Benda: Ich habe sie bereits! — Bei
ämter unterstehende staatliche Kriminalpolizei ge- fall bei den Regierungsparteien.)
schaffen werden. Ich darf Ihnen sagen, in Hessen,
wo wir noch eine kommunale Kriminalpolizei haben, Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der
besteht keine Hinderung im Sinne der Gefährdung Abgeordnete Dr. Rutschke.
der öffentlichen Sicherheit. Ich füge ganz freimütig
hinzu, daß die kommunale Kriminalpolizei für mich
Dr. Rutschke (FDP) : Frau Präsidentin! Meine
kein Glaubensbekenntnis darstellt. Ich gehöre zu sehr verehrten Damen und Herren! Die Verbrechens-
denen in meinem Heimatland, die davon ausgehen, bekämpfung ist in unserem Lande grundsätzlich
daß wir auch die Kriminalpolizei und die Schutzpoli- Sache der Länder. Nach Art. 73 Nr. 10 des Grund-
zei noch verstaatlichen werden; ich hoffe, recht bald, gesetzes hat der Bund lediglich die Gesetzgebung
nämlich in der neuen Legislaturperiode. über die Zusammenarbeit des Bundes und der Län-
Das hessische Gesetz über Sicherheit und Ord- der in der Kriminalpolizei, über die Einrichtung
nung sieht aber bereits vor, daß unser Landeskrimi- eines Bundeskriminalamtes sowie über die inter-
nalamt der kommunalen Kriminalpolizei. Einzel- und nationale Verbrechensbekämpfung. Sie kann nach
Gesamtweisungen erteilen kann. Unsere Durchfüh- Art. 87 Abs. 1 des Grundgesetzes eine Zentralstelle
rungsverordnung sieht das ebenfalls vor. Laufend für die Kriminalpolizei als bundeseigene Behörde
werden auch solche Anweisungen erteilt und auch einrichten.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4221

Dr. Rutschke
Die Bundesregierung ist der Meinung, daß im insbesondere mit verbesserter Kommunikation, d. h.
Rahmen der föderalistischen Struktur eine wir- mit einem engen Nachrichtenaustausch, Unterstüt-
kungsvolle Verbrechensbekämpfung möglich ist, zung gewährt werden.
wenn Bund und Länder im Rahmen ihrer Zuständig-
keit alle notwendigen Anstrengungen unternehmen. Die schweren Straftaten werden in zunehmendem
Der Bund kann hierbei Initiativen setzen. Er ist aus Umfang überregional, weitgehend sogar internatio-
seiner Gesamtverantwortung heraus entschlossen, nal angelegt. Sowohl Gewaltverbrecher, Diebe und
diese Möglichkeit wahrzunehmen. Einbrecher als auch Wirtschaftskriminelle, Rausch-
gift- und Waffenhändler, aber auch andere Täter-
Der Leistungsfähigkeit des Bundeskriminalamts gruppen wechseln für Vorbereitung, Ausführung und
kommt eine besondere Bedeutung zu. Dieses Amt Verschleierung ihrer Delikte ständig den Aufent-
nimmt nach seinen gesetzlichen Aufgaben als Zen- haltsort innerhalb des Bundesgebietes und miß-
tralstelle für die Verbrechensbekämpfung eine brauchen die Vorteile des liberalen Grenzverkehrs.
Schlüsselposition ein. Eine Verbesserung in der Ver-
brechensvorbeugung und in der Verbrechensabwehr Hier setzt die Verpflichtung, auch die Notwendig-
kann dann erwartet werden, wenn dieses Amt in die keit zur Unterstützung der grundsätzlich zustän-
Lage versetzt wird, seine gesetzlichen Funktionen digen Länderexekutive ein. Mit Nachrichtenaus-
schnell, umfassend und erfolgreich wahrzunehmen. tausch allein ist dieser schweren Kriminalität nicht
beizukommen. Es bedarf der Koordinierung geziel-
Die wesentlichen Aufgaben des Bundeskriminal- ter Bekämpfungsmaßnahmen, der Bestimmung zen-
amtes sind nach dem Gesetz über die Einrichtung raler Kriminaldienststellen zur Durchführung der im
eines Bundeskriminalpolizeiamtes vom 8. März 1951: Einzelfall innerhalb des Bundesgebietes notwendig
— alle Nachrichten und Unterlagen für die krimi- werdenden Ermittlungen, auch der Absprache eines
nalpolizeiliche Verbrechensbekämpfung und die gemeinsamen internationalen Vorgehens. Außerdem
Verfolgung strafbarer Handlungen zu sammeln und muß der Bund eigene Ermittlungskapazität zur Un-
auszuwerten, soweit die Nachrichten und Unterlagen terstützung der Länder bereithalten und in Aus-
nicht lediglich eine auf den Bereich eines Landes nahmefällen in der Lage sein, die ihm aus schwer-
begrenzte Bedeutung haben, wiegenden Gründen zur exekutiven Bearbeitung
übertragenen Fälle zu übernehmen.
— die Behörden der Länder über die sie betreffen-
den Nachrichten und die in Erfahrung gebrachten Die an sich in diesen Bereichen der Kriminalitäts-
Zusammenhänge strafbarer Handlungen zu unter- bekämpfung örtlich zuständigen kommunalen und
richten, staatlichen Dienststellen werden die Initiative des
— nachrichten- und erkennungsdienstliche sowie Bundes begrüßen. Sie sind durch Art und Umfang
kriminaltechnische Einrichtungen zu unterhalten, der angesprochenen Ermittlungskomplexe sehr oft
überfordert. Außerdem zeigt sich, daß die Unart,
— strafbare Handlungen selbst zu verfolgen, wenn die polizeiliche Kriminalstatistik auch als Erfolgs-
eine zuständige Landesbehörde darum ersucht, der
nachweis zu führen und auszulegen, der Bekämp-
Bundesminister des Innern es aus schwerwiegenden fung überregionaler Kriminalität nicht gerade dien-
Gründen anordnet oder der Generalbundesanwalt lich ist. Es soll manchmal sogar vorkommen, daß
darum ersucht oder einen Auftrag erteilt, man sich bei der bekannten personellen und mate-
— zur Unterstützung von polizeilichen Strafver- riellen Zwangssituation, besonders in den kleine-
folgungsmaßnahmen Bedienstete zu den Polizei- ren Bereichen, nicht gern engagiert in Fällen, die
behörden in den Ländern zu entsenden, wenn die zu- sich nicht positiv auf die eigene Statistik auswirken.
ständige Landesbehörde darum ersucht oder wenn
dies den Ermittlungen dienlich sein kann, Nur aus der zentralen Sicht des BKA ist es mög-
lich, zusammenhängende Verbrechenskomplexe in
— im Einvernehmen mit einem Generalstaats- überregionaler, teils internationaler Ausdehnung
anwalt und einer obersten Landesbehörde eines Lan-
rechtzeitig zu erkennen.
des diesem Land die polizeilichen Aufgaben auf dem
Gebiet der Strafverfolgung zuzuweisen, wenn eine Um unrationelles und wenig sachdienliches Ne-
strafbare Handlung den Bereich mehrerer Länder be- beneinanderarbeiten mehrerer örtlicher Dienststel-
rührt oder ein Zusammenhang mit einer anderen len zu vermeiden, kann das Bundeskriminalamt seit
strafbaren Handlung in einem anderen Land besteht dem Inkrafttreten der Änderung des Bundeskrimi-
und angezeigt ist, daß die polizeilichen Aufgaben auf nalamtsgesetzes die zentrale kriminalpolizeiliche
dem Gebiet der Strafverfolgung einheitlich wahr- Bearbeitung einem Landeskriminalamt übertra-
genommen werden. gen. Dieses Zuweisungsrecht ist allerdings an so
viele formale Voraussetzungen gebunden — die
Meine Damen und Herren, die Probleme der Ver-
Beteiligung aller im Einzelfall betroffenen obersten
brechensbekämpfung lassen sich in zwei Gruppen
Landesbehörden und Generalstaatsanwälte sowie
teilen: in Massenkriminalität mit örtlicher Begren-
deren Einvernehmen und hängt oft so sehr vom
zung — hierzu gehören im wesentlichen Eigentums-
guten Willen der Betroffenen ab, daß es bisher nur
und Vermögensdelikte — und in schwere Straftaten
in den gewichtigsten Fällen praktiziert werden
mit überörtlicher Ausdehnung.
konnte. Knapp 20 Zuweisungen von Verbrechens-
Die Massenkriminalität zu bekämpfen, wird in serien, besonders auf dem Gebiete des Einbruchs
erster Linie Sache der örtlich zuständigen Polizei und der Wirtschaftskriminalität, sind bisher in die-
bleiben müssen. Ihr kann aus der Sicht des Bundes ser Weise abgewickelt worden.
4222 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Dr. Rutschke
Eine erweiterte Kompetenz des Bundeskriminal- der Tatausführung auseinandersetzen müssen. Je-
amts wäre der Verbesserung der Verbrechensbe- der Fall liegt anders. Gute Kombinationsgabe, um-
kämpfung dienlich, bedarf jedoch der Abstimmung fassende Ausbildung, fundierte Rechtskenntnisse
mit der derzeitigen Verfassungs- und Gesetzeslage. sind ebenso erforderlich wie körperliche Eignung
und charakterliche Qualifikation. Diese vielgestal-
Mit eine entscheidende Frage ist, inwieweit der tige Berufsmerkmale fordern eine attraktivere Lauf-
Dienst im Bundeskriminalamt attraktiver als bisher bahnregelung, wie sie im Sofortprogramm vorge-
gestaltet werden kann. Der Herr Bundesminister sehen ist.
hat bereits darauf hingewiesen; auch einige andere
Redner haben das getan. Ich kann mich daher kurz (Beifall bei den Regierungsparteien.)
fassen.
Bisher lagen die Verhältnisse so, daß eine Be- Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der
rufung von Landeskriminalbeamten in das Bundes- Abgeordnete Dr. Schneider (Nürnberg). Für ihn sind
kriminalamt vielfach an materiellen Fragen schei- 30 Minuten Redezeit beantragt.
tern mußte. Man kann von diesen Beamten nicht
verlangen, daß sie Einkommenseinbußen durch ihre
Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) : Frau Prä-
Versetzung nach Wiesbaden hinnehmen neben der
sidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren!
Tatsache, daß sie aus ihrer gewohnten Umgebung
So richtig es immer sein wird, daß politische und
herausgerissen werden und die Mühe eines Um-
gesellschaftliche Konflikte nicht mit Maßnahmen
zugs — und was alles damit zusammenhängt — auf
polizeilicher Prävention und Repression gelöst wer-
sich nehmen müssen.
den können, so notwendig scheint es mir zu sein,
Gleichfalls ist besonders zu beachten, daß erheb- diese Parlamentsdebatte über die Verbrechensbe-
liche Anforderungen an die Beamten gestellt wer- kämpfung in einen allgemeinen und grundsätzlichen
den, auch hinsichtlich der normalen Dienstzeit, Verfassungszusammenhang zu stellen.
deren Überschreitung bisher nicht abgegolten wer-
Der Streit um den Standort der Polizei im Span-
den konnte.
nungsfeld zwischen Freiheit und Ordnung wird so
Es ist an sich unverständlich, daß nicht schon schnell kein Ende finden. Das ist nicht zu beklagen;
-
frühere Innenminister auf den Gedanken gekommen denn die demokratische Verfassungsordnung un-
sind, Ermittlungsbeamte für ihre spezielle, quali- serer freiheitlichen Bundesrepublik Deutschland
fizierte Aufgabe vom allgemeinen Schreibtisch steht ebenso unaufhörlich zur Diskussion, wie sie
dienst usw. freizustellen. Der jetzige Weg, den das permanent bedroht und gefährdet ist. Die Schutz-
Bundesinnenministerium beschreitet, für Schreib- funktion der Polizei, die öffentliche Sicherheit und
tischarbeiten und Innendienst Angestellte zu ver- Ordnung zu gewährleisten, hat sich an der konkre-
wenden, um die qualifizierten Ermittlungsbeamten ten Verfassungswirklichkeit zu orientieren. Wenn ich
für ihre eigentliche Arbeit freizustellen, ist vorher von Polizei spreche, meine ich die Kriminalpolizei
leider nicht beschritten worden. Auf diese Art kann ebenso wie die Schutzpolizei, und was an die
man wenigstens einen nicht unerheblichen Teil der Adresse der Schutzpolizei während der Debatte ge-
qualifizierten Kräfte freibekommen, die dem Schutz sagt worden ist, mache ich mir auch persönlich zu
gegen das Verbrechen dienen. eigen.
In dem Sofortprogramm ist ferner Gewicht auf Das Parlament ist auch für die Polizei höchstes
Aus- und Weiterbildung gelegt, aber auch auf mo- Verfassungsorgan. Die Gesetze allein sind die Nor-
derne Arbeitsweisen wie elektronische Datenverar- men, nach denen sich polizeiliches Handeln auszu-
beitung usw. richten hat. Das bedeutet aber umgekehrt, daß der-
jenige, der den Polizisten in Dienst stellt, nämlich
Wenn wir wirklich eine schlagkräftigere Ver- der Staat, und von ihm verlangt und erwartet, daß
brechensbekämpfung durchsetzen wollen, muß es er Verbrechen verhindert und Straftaten verfolgt
uns klar sein, daß wir sowohl im personellen als und aufklärt, ihm auch die Instrumente geben muß,
auch im sachlichen Bereich die Bediensteten der die ihn in den Stand setzen, seinem Dienstauftrag
Kriminalbehörden so ausstatten müssen, daß ihre nachzukommen.
Arbeit maximal effektiv werden kann.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Ich glaube, daß im Sofortprogramm der Bundes-
regierung, das der Bundesminister des Innern vor- Öffentliche Sicherheit und Ordnung sind Begriffe,
gelegt hat, alle schnell realisierbaren Möglichkeiten die zum Kerninhalt demokratischer Zustände und
ausgeschöpft sind, die für eine sofortige Verbesse- demokratischer Freiheit zählen. Wer etwas auf-
rung der Situation notwendig sind. Im übrigen darf merksam auf Stimmen hört, die in der Diskussion
ich auch hier noch einmal ganz allgemein auf die über die Verbrechensbekämpfung laut werden, muß
Drucksache 1334 verweisen. gelegentlich den Eindruck gewinnen, als wäre es
wichtiger, die Verbrecher vor dem Zugriff des Staa-
Am Schluß, meine Damen und Herren, möchte ich
tes zu schützen, als den Staat und seine Bürger vor
noch auf folgendes hinweisen. Zu den Anforderun-
Gewaltakten und Gewalttaten der Verbrecher zu
gen an kriminalistische Arbeit, die den Überlegun-
schützen.
gen zur Änderung des Laufbahnrechts zugrunde
liegen, ist noch zu bemerken, daß sich die Polizei- (Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Dr.
und Kriminalbeamten mit immer neuen Methoden Schäfer [Tübingen] : Allgemeinplätze!)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4223
Dr. Schneider (Nürnberg)
Welchen verfassungsrechtlichen und verfassungs- Zweitens. Massive Kampfansagen an den Rechts-
politischen Funktionswert hat die Polizei in unse- radikalismus, zu denen ich mich bekenne und die
rem Staat? ich vorbehaltlos unterstütze, sind unglaubwürdig,
wenn man fast ohne Reaktion extreme linke Kräfte
(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]: Schulaufsatz
gewähren läßt.
thema!)
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Diese Fragestellung läßt schon erkennen, was ich
unter Polizei verstanden wissen möchte, nämlich Ich bin dem Herrn Innenminister sehr zu Dank ver-
einen verfassungsmäßig gesicherten und gesetzlich bunden, daß er am Ende seiner Ausführungen zu
umschriebenen Bestandteil unserer freiheitlichen diesem Thema ein klares Wort und dabei auch den
Demokratie. Demokratie und Polizei gehören eben- Beifall der Opposition gefunden hat. An unsere
so zueinander wie die Freiheit der Lehre und For- Adresse, Herr Innenminister, war dieser Appell
schung zu unseren Universitäten. nicht zu richten. Ich wünsche nur, daß Sie bei diesen
Ihren Intentionen in Ihrem Amt jederzeit auf allen
Alle Diskussionen über die Polizei und Verbre- Seiten dieses Hauses, auch in Ihrer Koalition, Unter-
chensbekämpfung leiden vielfach unter dem Mangel stützung finden werden.
eines unzulänglichen Ordnungsverständnisses und
Sicherheitsverständnisses mancher Teile in der Be- (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Auch bei der
völkerung. Der Staatsbürger will seine demokra- Opposition! — Weitere Zurufe von der
tische Freiheit in den Grenzen der staatlichen Ord- SPD.)
nung und in der durch den Staat gewährleisteten — Meine sehr verehrten Damen und Herren von
öffentlichen Sicherheit erfahren. Die freie Entfal- der SPD, ich höre immer bissige Stimmen. Ich
tung der Person ist untrennbar mit der Unverletz- merke, daß Ihnen einiges nicht gefällt.
lichkeit verknüpft. Wer hier die Eingriffsmöglich-
keiten des Staates schwächt und die polizeilichen (Abg. Wehner: Im Gegenteil! Endlich wird
Sicherheits- und Ordnungskompetenzen mindert, mal was gesagt!)
verletzt die Freiheits- und Sicherheitsgarantie des
Das ist mir freilich nicht neu.
einzelnen Staatsbürgers.
-
(Weiterer Zuruf von der SPD: Sie müssen
Von dieser fundamentalen Verfassungssicht aus nur mal etwas Gescheites sagen!)
gewinnen alle konkreten und detaillierten Über-
legungen, wie der polizeiliche Einsatz wirkungs- — Ich werde Ihnen gleich mal etwas Gescheites
voller und erfolgreicher gestaltet werden kann, sagen. Der Herr Innenminister aus Hessen hat von
einen grundsätzlichen, und, wie mir scheint, recht- dem Standort der Polizei in Staat und Gesellschaft
lich wie moralisch bestimmenden Aspekt. Die Demo- gesprochen und er hat darauf hingewiesen, welch
kratie lebt von der gewaltlosen politischen Ausein- wichtige Funktion die Polizei im Staate innehat und
andersetzung. Gewalt als Mittel der politischen auszuüben verpflichtet ist. Ich muß allerdings sa-
Auseinandersetzung untergräbt die demokratische gen: wie muß dieser Funktionswert der Polizei und
Staatsform. Der Gesetzgeber aber, der die Libera- höchster Polizeibeamter in der Öffentlichkeit gewer-
lisierung des Strafrechts durch eine Verschärfung tet werden, wenn ein Beamter — gestatten Sie, daß
des Polizeirechts auffangen will, handelt nach dem auch ich auf den Fall Littmann zurückkomme —,
höchst anfechtbaren Grundsatz: Was der Gesetz- dem man fachlich, persönlich, in seiner polizeilichen
geber verdirbt, muß die Polizei wiedergutmachen, und beruflichen Leistung nichts vorzuwerfen hat,
sofern sie dazu in der Lage ist. Solches Verhalten
ist verfassungsrechtlich höchst bedenklich und frag- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU)
würdig. Bei den betroffenen Polizeibeamten aber nur deswegen aus dem Amt gedrängt wird — zu-
führt es zur Resignation und Berufsverdrossenheit. dem noch von unzuständigen Stellen —, weil er sei-
Die Polizei muß in vollem Einverständnis mit der nen Gesetzes-, Amts- und Verfassungsauftrag ge-
Bevölkerung, dem Gesetzgeber, dem Staatsanwalt nauso verstanden hat, wie es soeben der Herr Bun-
und Richter handeln. Sie muß sich verstanden, desminister in diesem Hause vorgetragen hat.
unterstützt, bestätigt und ermutigt wissen.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Hierzu wenige kritische Hinweise auf die jüngste
Gesetzgebung des Bundestages und die gelegentlich
beobachtete polizeiliche Führungspraxis. Vizepräsident Frau Funcke: Gestatten Sie
eine Zwischenfrage? — Bitte.
Erstens. Die Liberalisierung des Strafrechts, ins-
besondere des Demonstrationsrechts,
(Zuruf von der SPD: Das mußte ja kom Zander (SPD) : Herr Kollege, ist Ihnen bekannt,
men!) daß der hier mehrfach angesprochene ehemalige
Polizeipräsident von Frankfurt, bevor der Magistrat
und das Straffreiheitsgesetz haben zu einer Ver- über seine Entlassung beschlossen hatte, in der
schlechterung der Sicherheitslage geführt. Die ge- Öffentlichkeit erklärte, er wolle mit dem neuge-
walttätige politische Auseinandersetzung wurde er- wählten Oberbürgermeister nicht zusammenarbei-
leichtert. Extreme Gruppen werden zugunsten der ten, und daß erst dann die Entlassung erfolgt ist?
Sicherweit aller bevorzugt. Der Staat ist insgesamt
wehrloser, die Polizei insgesamt hilfloser gewor- (Abg. Dr. Ritz: Aber Sie wissen doch,
den. was davor war!)
4224 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) : Herr Kol- Ein Weiteres. Ich bin auch davon überzeugt, daß
lege, wie gut muß dieser Polizeipräsident den neu- eine zügige Ermittlung, schnelle Aufklärung und un-
gewählten Oberbürgermeister, vielmehr seine spe- verzügliche gerichtliche Aburteilung, selbstverständ-
zifische Einstellung zu diesem Problem gekannt ha- lich unter strenger Beachtung der rechtsstaatlichen
ben, bis er diese Ausführung gemacht hat! Grundsätze unserer Verfassung, einem weiteren An-
steigen der Kriminalität entgegenwirken und die
(Abg. Dr. Ritz: Das würde ich auch sagen!
Staatsautorität im rechtsstaatlichen Verständnis der
Sehr gut! Beifall bei der CDU/CSU.)
Bürger festigen können.
Vizepräsident Frau Funcke: Gestatten Sie Meine Damen und Herren, was ich hier sage, ist
eine weitere Zwischenfrage? — Bitte. nicht selbstverständlich. Jedenfalls gibt es sogar
unter denjenigen, die es vor allem angeht, erheb-
liche Meinungsunterschiede. Was meine ich damit?
Dr. Lenz (Bergstraße) (CDU/CSU) : Herr Kollege
In einer soeben erschienenen Polizeidenkschrift —
Schneider, sind Sie in der Lage, zu bestätigen, daß
sie stammt von der GdP — steht folgender Satz;
der vorgenannte Oberbürgermeister von Frankfurt
man mag mir gestatten, ihn zu zitieren:
seinerzeit Unterbezirksvorsitzender der SPD von
Frankfurt war und daß der Unterbezirksparteitag In einer freien Gesellschaft muß sich die Polizei
der SPD den Mißtrauensantrag gegen den Herrn auf die Verhinderung sozial schädlichen und
Littmann, von dem Sie soeben gesprochen haben, sozial gefährlichen Verhaltens beschränken.
angenommen hat? Richtig!
Das bedeutet Orientierung an der Sicherheits-
Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) : Herr Kol-
funktion und Hintansetzung der Ordnungsfunk-
lege, ich bin durchaus in der Lage, dies zu bestäti-
tion. Von dieser entschiedenen Differenzierung
gen.
(Zurufe von der SPD: Bravo, Freut uns!) sind wir vorläufig (jedenfalls bewußtseinsmä-
ßig) noch entfernt.
Nun, Herr Kollege Schäfer, es wäre mir ein ganz
Leichtes, ex tempore viele Fälle, von denen ich Ich sehe in dieser Kontrastierung der beiden ur-
sprünglichen und bis heute gültigen Funktionen- der
hier gesprochen habe und bei denen ich mich in vol-
ler Übereinstimmung mit dem Herrn Innenminister Polizei eine dialektisch zugespitzte Formel, die den
befinde, vorzutragen. Aber das Thema der Ver- Kern des Problems nicht deutlich genug darstellt
brechensbekämpfung verdient es, noch einige und geeignet sein kann, die Polizei als Ordnungs-
grundsätzliche Dinge hinzuzufügen. hüter in falsche Zusammenhänge und sachfremde
Bezüge zu rücken.
(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]: Los! Sie
wollten doch etwas Gescheites sagen! Dann Zweifelsfrei ist es auch heute noch Aufgabe der
sagen Sie es doch jetzt!) Polizei, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu
gewährleisten. Dabei ist unter „öffentlicher Ord-
— Wissen Sie, wenn einer spricht und einer zuhört nung" die Gesamtheit jener ungeschriebenen Re-
und es tritt die Meinung auf, daß das, was gespro- geln für das Verhalten des einzelnen in der Öffent-
chen wird, nichts Gescheites sei, so muß es lange lichkeit zu verstehen, deren Beobachtung nach den
nicht immer beim Redner liegen. jeweils herrschenden Anschauungen als unerläßliche
(Beifall bei der CDU/CSU. — Lachen Voraussetzung eines geordneten Gemeinschaftsle-
bei der SPD.) bens betrachtet wird. Von einer „öffentlichen Ord
nung" kann nur so lange gesprochen werden, als
Drittens. Der Gefahr, die von extremen Auslän-
niemand in seinem Recht auf die freie Entfaltung
dergruppen, insbesondere von Flugzeugentführern
seiner Persönlichkeit behindert wird. Ich erinnere
etc., ausgeht, ist die Bundesregierung nicht genü-
an Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes. Es ist gut, wenn
gend begegnet. Die Grenzkontrollen sind nicht ent-
man diesen Grundrechtsartikel einmal allen Bür-
schieden genug verschärft worden. Die Bundesre-
gern, aber auch allen Mitgliedern dieses Hauses ins
gierung müßte mehr als bisher auf internationale
Gedächtnis und ins Gewissen zurückruft.
Vereinbarungen in diesem Zusammenhang hinwir-
ken. Diese Verfassungsnorm schließt Fortschritt, Wan-
(Abg. Dr. Meinecke [Hamburg] : Was del, Modernität und alle anderen Variationen einer
wollen Sie denn da machen? — Weitere sinnvollen, progressiven Anpassungsfähigkeit an
Zurufe von der SPD: Zum Beispiel?! Vor veränderte Umstände keinesfalls aus. Gerade wer
schläge!) in der Rechtsstaatlichkeit eine unerläßliche und un-
schätzbare Voraussetzung für den sozialen Fort-
Viertens. Bis zu 3000 Kriminalbeamte haben sach-
schritt zu sehen bereit ist, wird zugeben müssen,
fremde Aufgaben zu erfüllen, die in der Polizeista-
daß die Güter und Werte eines Rechtsstaates nur
tistik nicht erscheinen, weil sie keine kriminalisti-
im Rechtsfrieden und in den Grenzen der Ordnung
schen Tätigkeiten darstellen. Die Zusammenarbeit
von Verfassung und Recht geschaffen, erlebt und
der Polizei auf Bundesebene ist in hohem Maße
verbraucht werden können.
— hier stimme ich mit den Vorrednern überein —
ein Kommunikationsproblem. Die elektronische Da- In derselben Polizeidenkschrift steht u. a. noch,
tenverarbeitung kann hier entscheidende Verbesse- daß sich die Polizei nicht als kompromißloser Kämp-
rungen bringen. Es ist Sache des Bundes, realisier- fer für law and order gegen die Feinde der Gesell-
bare Gesamtkonzepte zu entwerfen. schaft verstehen dürfe. Dagegen vertrete ich ent-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4225
Dr. Schneider (Nürnberg)
schieden die Auffassung, daß alle Sicherheitsorgane mögen auch all jene denken, die allzu rasch, allzu
des Staates, die Polizei, die Staatsanwaltschaft und unbedacht den starken Mann herbeisehnen oder
die Gerichte, uneingeschränkt verpflichtet sind, un- auch herbeirufen wollen.
sere freiheitliche Staatsordnung und die indivi- (Abg. Dorn: Sehr gut! — Abg. Dr. Schäfer
duelle, persönliche Integrität des einzelnen mit al- [Tübingen]:: Würden Sie einmal beim Na
len gesetzlichen und materiellen Mitteln zu schützen. men nennen, wen Sie damit meinen? —
(Zuruf von der SPD: Jawohl!) Abg. Dorn: Sowas hören wir immer aus
München!)
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, ge- — Ich habe von diesen Kräften in meiner Rede
statten Sie eine Zwischenfrage? schon einmal gesprochen. Ich habe mich hier ein-
deutig festgelegt.
Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) : Bitte (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Herr Kollege,
sehr! das ist mir entgangen! Würden Sie mir
helfen?)
Pensky (SPD) : Herr Kollege Dr. Schneider, wür- Sicherheit und Ordnung sind keine absoluten
den Sie mir einmal sagen, wo die Polizei nicht die Werte, die allein schon genügten. Sicherheit und
Mittel angewandt hätte, die das Gesetz vorsieht Ordnung sind immer unter dem Gesamtaspekt un-
bzw. wozu es die Polizei verpflichtet, wobei ich serer geschriebenen oder ungeschriebenen Verfas-
davon ausgehe, daß Sie wissen, daß die Polizei nach sungssätze zu sehen und zu verstehen. Dabei darf
§ 163 der Strafprozeßordnung bei gewissen Tatbe- die Freiheit der politischen Diskussion ebensowenig
ständen zum Handeln verpflichtet ist. Würden Sie eingeschränkt werden, wie es den Verfassungsorga-
mir bitte sagen, wo Ihre Beanstandung hinzielt. nen erlaubt wäre, tatenlos zuzusehen, wie das Ver-
Oder ist das allgemeines „Gerede", so sagte man brechen in jeder Schattierung und Färbung frech
hier, genauso wie das Vorherige? sein Haupt erhebt.
(Abg. Wehner: Mit anderen Worten! — (Abg. Wehner: Ja, ja!)
Heiterkeit bei der SPD.) Was ich hier meine, hat Max Frisch in seinem Lehr-
-
stück „Biedermann und die Brandstifter" sehr deut-
Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU): Herr lich und eindrucksvoll vor Augen gestellt: Wehret
Kollege, ich habe einen Artikel der jüngsten Denk- den Anfängen.
schrift der GdP zitiert. Und da steht, daß die Polizei
Meine Damen und Herren, ich bin mir bewußt,
nicht die Aufgabe habe, sich als kompromißlosen
daß ich mißverstanden werden kann und vielleicht
Kämpfer für law and order zu verstehen. Diesen
auch werde, wenn ich dem hinzufüge: Begriffe wie
Satz und nichts anderes habe ich kritisiert.
Autorität, Ordnung, Pflicht und Disziplin sind heut-
(Abg. Pensky: Ach? Kritisiert?) zutage vielen in unserem Lande suspekt. Ihre Sinn-
Die Polizei als Ganzes und der Polizeibeamte als gehalte und Wertvorstellungen werden mittels dia-
einzelner müssen wissen und in diesem Bewußtsein lektischer Tricks und hemmungsloser ideologischer
leben und ihrem Beruf nachgehen können, daß die Verdächtigungen ins Gegenteil verkehrt. Aus „Auto-
Verantwortlichen in Bund, Ländern und Gemeinden rität" wird „autoritär" ; manche machen noch den
ein zutreffendes Berufsbild von der Polizei haben Unterschied zwischen Amtsautorität und Sachautori-
oder zu entwickeln bereit sind. Die Polizei muß sich tät. „Ordnung" wird als repressive Unterdrückungs-
eingeordnet und eingesetzt sehen nach den Richt- formel mißdeutet und verteufelt, Pflicht als Aus-
linien und Zielplänen einer entschlossenen und ein- druck einer antidemokratischen Gesinnung diffa-
satzbereiten Sicherheitskonzeption der öffentlichen miert, und Disziplin wird mit Galeerenzucht und
Hand. Die Bevölkerung muß begreifen, daß die Sklavenpeitscherei gleichgesetzt.
innere Sicherheit ein Bestandteil der sozialen Ver- Lassen Sie mich noch zu einem speziellen Problem
fassungswirklichkeit ist. Es wird keinen sozialen kommen, zu dem des jugendlichen Täters. Der hohe
Fortschritt geben, der nicht durch ein System der Prozentsatz jugendlicher Straftäter legt die Frage
inneren Ordnung geschützt ist und dadurch erst nahe: Werden durch den Vollzug der Jugendstrafe
realisierbar gemacht werden kann. Das Verbrechen die Verurteilten tatsächlich dazu erzogen, künftig
ist nicht nur ein Anschlag gegen den einzelnen in einen rechtschaffenen und verantwortungsbewußten
der Gesellschaft; es bedeutet als gemeinschaftswid- Lebenswandel zu führen, wie dies in § 91 des Ju-
riges Verhalten eine Gefahr für die Gesellschaft gendgerichtsgesetzes festgelegt ist? Ordnung, Ar-
aller und für den Staat als Schutzordnung für die beit, Unterricht, Leibesübungen und sinnvolle Be-
Gemeinschaft. schäftigungen in der freien Zeit sind die Grund-
Wer ein modernes, liberales Strafrecht schaffen lagen für die Erziehung beim Vollzug der Jugend-
und die Organisation und das Berufsbild der Polizei strafe. Wie ist es aber in der Bundesrepublik
reformieren will, muß sich dieses fundamentalen Er- Deutschland um die Resozialisierung der Straftäter
fahrungssatzes bewußt sein: Wohl kann es Staaten — namentlich der jugendlichen — bestellt? Wir
mit öffentlicher Sicherheit und Ordnung ohne demo- kennen die Bewährungshilfe für den auf Bewährung
kratische Verfassung geben, niemals aber wird eine ausgesetzten Strafvollzug; wir kennen sie aber nicht
Demokratie von Bestand sein, in der öffentliche Ord- dann, wenn der jugendliche Straftäter seine Haft in
nung und Sicherheit nicht gewährleistet sind. Daran vollem Umfange verbüßt hat.
4226 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Dr. Schneider (Nürnberg)


Dieses Problem ist im Hinblick auf die Wieder- Pensky (SPD) : Herr Kollege Dr. Schneider, wür-
holungstäter von großer Wichtigkeit. Aus der Wis- den Sie mir zugestehen, daß es in der Tat eine
senschaft wissen wir, daß 85 % aller Jugendkrimi- Landesangelegenheit ist, die Bewährungshilfe
nellen als Pseudokriminelle anzusehen sind, deren durchzuführen? Und das ist auch keine Frage der
Neigung zum Verbrechen mit der größeren Lebens- Verbrechensbekämpfung, die, wie wir ja wissen,
reife der Volljährigkeit als überwunden angesehen geteilt ist, die aber, wenn schon, dann in den Län-
werden darf. Der Jugendstrafvollzug muß daher von dern durchgeführt werden müßte.
allen Mängeln befreit werden, die dazu führen, daß
seine pädagogischen Chancen ungenutzt bleiben Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) : Herr Kol-
müssen. Jugendstrafe ist die härteste Form und lege Pensky, darüber kann es ja überhaupt keinen
auch die letzte Chance eines Erziehungsversuchs. Streit geben. Wenn man von Verbrechensbekämp-
Es darf nicht vorkommen, daß während des Jugend- fung spricht, dann muß man doch schließlich auch
strafvollzugs der jugendliche Straftäter eben genau den Gedanken mit in die Betrachtung einbeziehen:
den Einflüssen ausgesetzt wird oder bleibt, die zu weshalb wird denn der jugendliche Straftäter straf-
den psychischen Fehlentwicklungen und sozialen fällig, und warum wird er denn wiederum straffäl-
Entgleisungen geführt haben. Die Jugendlichen müs- lig? Was stimmt denn da im Staat, was stimmt denn
sen jede Möglichkeit erhalten, ihre Fähigkeit zu da in der Gesellschaft nicht? Das ist doch eine Be-
entwickeln, nach der Strafverbüßung sich wieder in trachtung, die man bei einer solchen Diskussion in
der Gesellschaft zurechtzufinden. sachlicher Weise anstellen muß. - Dabei muß ich sa-
Ich darf beispielsweise eine Statistik aus dem gen — das hat diese Debatte doch eindeutig erge-
Lande Bayern anführen, die die Entwicklung der ben —, daß man über Verbrechensbekämpfung kei-
Zahl der Wiederholungstäter zeigt. Im Jahre 1969 neswegs nur unter bundespolitischen Aspekten
gab es bei den Jugendlichen insgesamt 8754 Straf- sprechen kann. Wer dies wollte, würde doch zu-
täter, darunter 2377 Wiederholungstäter; das ist ein nächst feststellen müssen, daß die Kompetenzen des
Prozentsatz von 27,2. Darunter sind 103 Jugendliche, Herrn Bundesinnenministers bezüglich des heutigen
die mehr als viermal vorbestraft waren. Bei Heran- Themas außerordentlich gering sind. Sicher, es hat
wachsenden gab es 4571 Straftäter, darunter 1939 ja ein Landesminister gesprochen, und spätestens,
Wiederholungstäter; das sind 42,4 %. Die Zahl der nachdem der Herr Innenminister aus Hessen hier
Straftäter, die mehr als viermal vorbestraft waren, in die Debatte eingegriffen hat, war ich doch be-
betrug hier 181 oder 4 % Warum führe ich das aus? rechtigt und sachlich dazu befugt, landespolitische
Aspekte in die Debatte einzuführen.
(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]: Weil es eine
CSU-Regierung in Bayern gibt!) (Beifall bei der CDU/CSU.)
— Ich hätte von Ihnen, Herr Professor Schäfer, einen Ich verstehe überhaupt nicht, was Sie so nervös
intelligenteren Zuruf erwartet, macht. Ich verstehe überhaupt nicht, weshalb Sie in
Verkennung der sozialen Lage sich hier als Sozial-
(Beifall bei der CDU/CSU — Zurufe und demokraten aufregen.
Lachen bei der SPD)
einen viel intelligenteren. Das Problem ist auch gar Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, ge-
nicht geeignet, zu polemisieren. Was besagt denn statten Sie eine weitere Frage des Herrn Abgeord-
das? Das besagt doch — — neten Pensky?
(Anhaltendes Lachen bei der SPD.)
— Darüber gibt es gar nichts zu lachen. Jedenfalls Pensky (SPD) : Herr Kollege Dr. Schneider, wür-
finde ich das höchst merkwürdig, wenn solch eine den Sie bereit sein, zu unterscheiden, daß die Frage
Passage, wo man Ausführungen darüber macht, daß der Verbrechensbekämpfung im engeren Sinne, wie
die Gesellschaft den haftentlassenen Jugendlichen sie beispielsweise aus Ihrer Großen Anfrage her-
in einer Weise betreuen muß, daß ein Hans Fallada vorgeht, eine gemeinsame Aufgabe von Bund und
— „Wer einmal aus dem Blechnapf fraß" — ein für Ländern ist, was hier deutlich gesagt worden ist,
allemal der Vergangenheit angehört — — während die Bewährungshilfe ausschließlich eine
Aufgabe der Länder ist?
(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]: Es geht um
die Zuständigkeit, Herr Kollege!)
,

Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) : Ich gebe


— Ich darf Ihnen sagen: ich spreche von der Ver- Ihnen voll recht. Ich habe auch nichts Gegenteiliges
brechensbekämpfung. Ich könnte Ihnen ja eine Sta- behauptet. Ich habe nur gesagt, wenn wir das Ver-
tistik aus Hessen anführen. brechen bekämpfen wollen, müssen wir die Ur-
(Zuruf von der SPD: Tun Sie's doch!) sachen beseitigen, die zum Verbrechen führen.
— Ich werde sie Ihnen nachreichen.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
(Lachen bei der SPD.)
Ich bin aber ganz sicher, daß die Zahlen dort nicht Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege,
günstiger sein werden als in Bayern. gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Ab-
geordneten Professor Schäfer?
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege Dr.
Schneider, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) : Bitte
Abgeordneten Pensky? sehr!
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4227

Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Herr Kollege Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege,
Schneider, ich bin mit Ihnen vollkommen einig, daß gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge-
es eine der wichtigen Fragen der Verbrechens- ordneten Professor Schäfer?
bekämpfung ist, die Probleme des Strafvollzugs,
insbesondere des Jugendstrafvollzugs, ernsthaft zu
Dr. Schäfer (Tübingen) (SPD) : Herr Kollege
prüfen. Deshalb frage ich Sie, nachdem Sie hier da- Schneider, nicht zu Ihren letzten zwei Sätzen. Ihre
zu Ausführungen machen: Haben Sie sich mit den vorherigen Ausführungen geben mir Anlaß zu der
verschiedenen Lösungsformen, die die einzelnen Frage, ob ich aus Ihren Ausführungen über die Be-
Landesregierungen in den letzten Jahren eingeleitet dingtheit des Verbrechens schließen darf, daß Sie
haben, beschäftigt? die Gedanken und Arbeiten des früheren Frank-
furter Generalstaatsanwalts Fritz Bauer mit unter-
Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) : Ich kann stützen und sich zu eigen machen?
diese Frage mit Ja beantworten. Ich könnte jetzt (Zuruf von der CDU/CSU: Was soll denn
weitere Ausführungen dazu machen. Ich muß aber diese Frage!)
zum Ende kommen; ich habe ohnedies durch Zwi-
schenfragen einige Zeit verloren.
Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) : Ich kenne
Ich möchte in dem Zusammenhang nur die Frage nicht alle Gedanken und Ausführungen des Herrn
stellen: Wer stellt den haftentlassenen Jugend- Generalstaatsanwalts Bauer, hatte aber mehrfach
lichen ein, wer betreut ihn beruflich, wer hilft ihm Gelegenheit, mit ihm zu sprechen, als er als Refe-
ausbildungsmäßig weiter, wer holt ihn aus der per- rent bei den „Nürnberger Gesprächen" aufgetreten
sönlichen Isolierung, der gesellschaftlichen Abseits- ist. Ich habe diesen Mann geschätzt, und ich habe
stellung heraus? Die Organisationen der staatlichen, das, was er zu sagen hatte, durchaus ernst genom-
der kommunalen, der freien sozialen Jugendhilfe, men.
die Gewerkschaften, die Unternehmer, besondere (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Das ist die
Resozialisierungseinrichtungen der öffentlichen gute Basis für uns beide!)
Hand oder der freien Wohlfahrtspflege? Wer von
Verbrechensbekämpfung spricht, muß sich auch fra- Es würde mich freuen, wenn Sie mir dann in
gen, wo, wann, wodurch und durch wen der Mensch folgendem zustimmen könnten, verehrter Herr Kol-
zum Straftäter wird, wo der soziale Bruch, die sitt- lege Schäfer.
liche Krise liegt. Wer hat an dem jugendlichen Ich will hier nicht weiter darauf eingehen, ob die
Menschen versagt? Wer hat ihn verführt? — Ich bildliche und szenische Darstellung von Verbrechen
denke nur an die Rauschgiftsüchtigen und an das aggressionslösend oder aggressionsfördernd ist.
gesamte Problem, das auch in der Statistik zum Vor- Abreaktionstheorie hin, Affektfreisetzungstheorie
schein kommt. Nicht selten steht ein Jugendlicher her — der gesunde Hausverstand des Normalbür-
vor den Schranken des Gerichts und erwartet den gers sieht ein, daß die Gewalt als Unterhaltungs-
Schuldspruch des Richters. Nicht zu verantworten stoff für den jungen Menschen nicht gut sein kann.
aber hat sich sein Verführer, sein geistig-moralischer Es komme mir aber jetzt niemand mit dem Recht auf
Verderber. freie Meinungsäußerung, das in Art. 5 des Grund-
gesetzes verbürgt ist.
Wenn wir mit der Verbrechensbekämpfung erst
dort beginnen, wo die Polizei präventiv oder repres- Lassen Sie mich zum Schluß kommen und folgen-
siv einschreiten muß, wo der Staatsanwalt gerufen des feststellen. Es ist eine gesicherte kriminolo-
wird und der Richter strafen soll, verhalten wir uns gische Erkenntnis: Senkt sich für den Verbrecher das
ähnlich den törichten Menschen, die sich erst dann Risiko, dann muß ein höheres Maß an Kriminalität
um ihre Gesundheit kümmern, wenn nur noch der in Kauf genommen werden. Dagegen kann auch der
Arzt das Schlimmste zu verhüten vermag. Ich stelle Einwand nicht verfangen, wir seien im Interesse der
dies nicht in weltfremder Verkennung der harten Rechtssicherheit gezwungen, die Nachteile einer
Tatsachen fest, mit denen wir uns hier im Bereich großzügigen Haftverschonung hinzunehmen. Wir
der Verbrechensbekämpfung zu befassen haben. Ich müssen uns zu dem Grundsatz bekennen: Das
meine aber, daß die Verherrlichung des Gewalt- Sicherheits- und Freiheitsrisiko darf für den Rechts-
täters in den publizistischen Medien ein Ausmaß brecher nicht kleiner sein als das verfassungsmäßig
erreicht hat, das in den meisten Fällen die Grenzen verankerte und gesetzlich kodifizierte Recht des
des guten Geschmacks, des menschlich Zumutbaren Bürgers auf Unversehrtheit seines Lebens und Kör-
und rechtsstaatlich Hinnehmbaren weit überschrei- pers. Zu den geschützten Grundrechten zählen aber
tet. Mord, Grausamkeit, Brutalität, Unmenschlich- nicht nur Leben und Gesundheit, sondern z. B. auch
keit, Perversionen jeder Spielart und Verderblich- die Unverletztlichkeit der Wohnung und die Ge-
keit werden freimütig in Kinos und auf den Fern- währleistung des Eigentums. Erinnert sei hier auch
sehschirmen gezeigt. Verbrecher schreiben ihre Le- an das Recht aller Deutschen, sich ohne Anmeldung
benserinnerungen und feiern als Lebenslängliche und Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu ver-
draußen in der Freiheit den Triumph ihres „tragi- sammeln. Die Versammlungsfreiheit wird mehr und
schen Schicksals". Der Deutsche Presserat hat sol- mehr durch gewalttätige Straftäter gefährdet, die
cherlei Veröffentlichungen für unvereinbar mit der keinesfalls mit solchen Mitbürgern gleichzusetzen
publizistischen Verantwortung der Presse gehalten. sind — damit hier ja kein Mißverständnis aufkom-
Indessen hat sich seit seinem Votum vom 19. Sep- men kann —, die von ihrem unbestreitbaren und
tember 1968 in dieser Sache nichts geändert. schutzwürdigen Grundrecht der Demonstrationsfrei-
4228 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Dr. Schneider (Nürnberg)


heit Gebrauch machen. Hier steht der Polizist kon- Das Ganze, was Sie hier vorgebracht haben, war
kret und direkt zwischen Freiheit und Ordnung im meiner Meinung nach weitgehend vom amerikani-
Staat, er steht zwischen dem Recht des Einzelbür- schen Wahlkampf beeinflußt. Das war eine klas-
gers und dem Recht der protestierenden Mehrheit sische „Law-and-order"-Rede und nichts anderes.
im konkreten Falle. Wo sich die Gewalt über die
Rechte anderer hinwegzusetzen droht, ist ein poli- Sie haben vom Demonstrationsstrafrecht gespro-
zeiliches Eingreifen in jedem Falle geboten. Demo- chen, Herr Kollege. Im Demonstrationsstrafrecht
kratie beruht letztlich auf dem Konsensus aller gibt es ja die öffentlichen Plätze, die bei den Auf-
Bürger, wonach Freiheit, Ordnung und Sicherheit zügen eine Rolle spielen. Ich kann nur sagen, in
durch niemanden in der Gemeinschaft der Bürger Ihren Ausführungen haben die Allgemeinplätze
zum Nachteil des anderen gewaltsam verletzt wer- eine entscheidende Rolle gespielt. Das waren doch
den darf. zum allergrößten Teil Dinge, die, wenn sie neu
(Beifall bei der CDU/CSU.) waren, nicht gut waren — meistens waren sie auch
gar nicht neu —, und wenn sie gut waren, nicht neu
Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der waren. Das sind alles Dinge, die wir gewußt haben.
Abgeordnete Sieglerschmidt.
Was Ihre Kritik an dem Dritten Gesetz zur Straf-
rechtsreform anbelangt, so machen Sie sich das
Sieglerschmidt (SPD) : Frau Präsidentin! Meine alles sehr einfach. Da wird einfach gesagt, das habe
Damen und Herren! Wenn ich Gelegenheit gehabt die Sicherheit herabgesetzt. Beweisen Sie das doch
hätte zu zählen ich hatte den Computer nicht ein- einmal! Das sind allgemeine Eindrücke, die Sie aus
geschaltet —, wie oft Sie in Ihren Ausführungen, der Fülle Ihres tiefen Gemüts wiedergeben; aber so
Herr Kollege Dr. Schneider, die Worte Ordnung, kann man es doch nicht machen.
Disziplin und ähnliche schöne Sachen gebraucht
haben und wie oft Sie das Wort Freiheit — gele-
gentlich haben Sie es auch verwandt — gebraucht Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege,
haben, gäbe das ein überraschendes Ergebnis, min- gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge-
destens 70 oder 80% „Ordnung" und vielleicht ordneten Dr. Schneider?
-
20 % „Freiheit". Und doch leben wir in einem Staat,
der aus einem ausgewogenen Verhältnis von Frei-
Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) : Herr
heit und Ordnung kommt, einem Staat, der eine
Kollege Sieglerschmidt, wollen Sie mir bitte zuge-
freiheitlich-demokratische Grundordnung hat.
ben, daß alle Fachpublikationen aus dem Bereich
des Polizeirechts und der Kriminologie, die in jüng-
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, ge- ster Zeit erschienen sind, zwei Gesetzesänderungen
statten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abgeord- kritisieren und für den weiteren Anstieg der Krimi-
neten Lenz? nalität verantwortlich machen, einmal unser derzeit
geltendes Haftrecht und zum anderen das letzte
Sieglerschmidt (SPD) : Bitte! Strafrechtsänderungsgesetz?

Dr. Lenz (Bergstraße) (CDU/CSU) : Herr Kollege (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Behauptun
Sieglerschmidt, Sie haben eben gesagt, Sie hätten gen ersetzen keinen Beweis!)
nicht gezählt, wie oft es vorgekommen ist. Wären
Sie bereit, Ihre Schlußfolgerungen so lange zurück- Sieglerschmidt (SPD) : Ich habe mindestens hin-
zustellen, bis Sie die Zählung, von der Sie gespro- sichtlich des letzteren, des Dritten Strafrechtsreform-
chen haben, durchgeführt haben? gesetzes keine Veröffentlichung gesehen, in der mit
(Beifall bei der CDU/CSU.) Zahlen dokumentiert worden ist, daß hier ein ent-
sprechendes Ansteigen vorliegt; da gibt es gar
nichts.
Sieglerschmidt (SPD) : Herr Kollege Lenz, ich
(Beifall bei der SPD.)
bin sicher, daß meine Schlußfolgerungen richtig
sind, auch wenn ich nicht bis auf zwei Stellen hin- Im übrigen, um eine Behauptung, die Sie, Herr
ter dem Komma genau gezählt habe. Ich glaube, so Kollege Lenz, mit Ihrer Zwischenfrage in Zweifel
kann man es nicht machen.
stellen wollten, deutlich zu dokumentieren: Sie
Dieses richtige Verhältnis von Freiheit und Ord- haben sich selbst in einen Widerspruch hinein-
nung klang in Ihren Ausführungen überhaupt nicht geritten. Sie haben die GdP, für die ich nicht zu
durch. Das wurde ja schon deutlich, als Sie sagten, sprechen habe — ich bin in einer anderen Gewerk-
das Parlament wie die Polizei seien höchste Verfas- schaft —, kritisiert, weil sie den Begriff des Ord-
sungsorgane. Da habe ich Sie doch richtig verstan- nungshüters kritisiert hat. Ich möchte Ihnen ganz
den? deutlich sagen: ich habe vor einigen Monaten auf
(Abg. Dr. Schneider [Nürnberg] : Das Parla einem Seminar leitender Polizeibeamter über diese
ment ist auch für die Polizei das höchste Fragen gesprochen und unter allgemeinem Beifall
Verfassungsorgan!) ausgeführt, daß der Polizeibeamte eben nicht nur
— Für die Polizei. Sehr schön! Dann haben Sie sich Ordnungshüter, sondern auch Freiheitshüter ist. Sie
aber so ausgedrückt, daß es sehr schwer zu ver- haben es dann selbst nachher auch gesagt, daß der
stehen war. Polizeibeamte bei seiner Entscheidung zwischen
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4229
Sieglerschmidt
Freiheit und Ordnung steht. Aber Sie haben immer nis zwischen den Notwendigkeiten von Freiheit und
und überall die anderen Dinge in den Vordergrund Ordnung, von Freiheit und Sicherheit zu finden. Wir
gestellt. Sozialdemokraten werden dafür sorgen, daß weder
(Abg. Dr. Schneider [Nürnberg]:: Sowohl als nach der einen noch nach der anderen Seite dieses
auch!) ausgewogene Verhältnis verlassen wird.

— Nein, nicht sowohl als auch. (Beifall bei der SPD.)

(Abg. Dr. Schneider [Nürnberg] : Der Polizist


Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der
zwischen Freiheit und Ordnung!)
Abgeordnete Benda.
— Sie machen es sich so schön einfach, Herr Kollege
Dr. Schneider. Wenn Sie jetzt von der Verherr- Benda (CDU/CSU) : Frau Präsidentin! Meine
lichung — lassen Sie mich das wirklich sehr ernst Damen und Herren! Ich will zum Schluß ganz we-
sagen — von Mord, von Gewalt und dergleichen nige Bemerkungen machen, die zum Teil weniger
mehr sprechen, möchte ich Ihnen in allem Ernst durch den Inhalt, aber doch durch den Gesamttenor
sagen — bitte, fassen Sie es richtig auf, es ist keine der Ausführungen des Kollegen Pensky veranlaßt
Situation, die Sie betrifft —, es gibt Gegenden, wo werden. Der Herr Bundesinnenminister hat eine
die Verherrlichung von Sadismus oder Gewalt usw. Formulierung für richtig gehalten, indem er meinte,
an den Kiosken nicht zu finden ist, wo es also keine etwas zurückweisen zu sollen. Das beansprucht ja
solche zersetzenden Schriften an den Zeitungskios- wohl auch das Zurückweisendürfen, daß ich hier
ken gibt. Ein Stück weiter östlich oder auch in ande- Kritik übe.
ren Staaten ist das Problem gelöst. Sie können die
Schwierigkeiten, die ein freiheitlicher Staat hat, mit Sie haben, Herr Minister, da ein wenig in die fal-
diesen Problemen fertigzuwerden, doch nicht mit sche Kiste gegriffen. Ich bin ganz sicher, daß Sie sich
einer Handbewegung wegwischen. damit nicht eine Befugnis haben anmaßen wollen,
die von Ihnen ernsthaft nicht in Anspruch genom-
men werden kann; denn wer hier für meine Frak-
Vizepräsident Frau Funcke: Gestatten Sie
tion spricht, bestimmt ja sicherlich auf längere Zeit
eine Zwischenfrage des Abgeordneten Dr. Schneider?
nicht der Bundesminister des Innern. Das haben Sie-
auch nicht tun wollen, wie ich annehme.
Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) : Herr
Kollege Sieglerschmidt, erinnern Sie sich noch an Herrn Kollegen Pensky möchte ich nur folgendes
meinen Satz, der da gelautet hat: Wohl gibt es Staa sagen. Ich fühle mich natürlich in gewissem Um-
ten mit öffentlicher Sicherheit und Ordnung ohne fange geehrt, wenn der Redner einer so großen
demokratische Verfassung; aber niemals wird es Fraktion wie der sozialdemokratischen, dem wie
Demokratien ohne öffentliche Sicherheit und Ord- mir 45 Minuten zur Verfügung stehen, um den
nung geben. Standpunkt seiner Fraktion zum Thema ,,Verbre-
chensbekämpfung" darzulegen, 43 1 /2 Minuten sei-
ner Redezeit — ich habe auf meine Uhr geguckt —
Sieglerschmidt (SPD) : Sicherlich. Diesen Satz
habe ich auch gar nicht kritisch aufgenommen; das dafür aufwendet, um sich nicht mit den Tätigkeiten
ist kein Problem. Aber ich möchte einen anderen der gegenwärtigen Regierung, sondern mit denen
Satz von Ihnen kritisch aufnehmen. Sie haben ge- des früheren Bundesministers des Innern ausein-
sagt, es sei ein alter Lehrsatz, daß, wenn sich das anderzusetzen.
Risiko des Verbrechens senke, die Kriminalität (Beifall bei der CDU/CSU.)
steige. Dann muß ja auch das Umgekehrte gelten:
Das ehrt mich. Wir können dies nun, wenn das Hohe
Wenn das Risiko des Verbrechens steigt, muß die
Haus dazu Neigung hat — woran ich zu zweifeln
Kriminalität sinken. Das ist doch richtig, nicht wahr?
einigen Anlaß habe, wenn ich auf die Gesichter
Das heißt also: wenn Sie etwa die Statistiken über
sehr — Punkt für Punkt diskutieren. Herr Pensky,
Gewaltverbrechen in der Nazizeit betrachten, wo
ich möchte Ihnen nur etwas zu bedenken geben.
man ja mit der Todesstrafe sehr schnell bei der Hand
Bitte glauben Sie nicht, daß ich jetzt den Versuch
war, dann müßten Sie erwarten, daß die Kriminali-
unternehmen will, Ihnen irgendwelche Belehrungen
tät gesunken ist; das ist aber nicht der Fall.
zu erteilen. Ich sage wirklich nur einmal, wie ich
(Abg. Dr. Schneider [Nürnberg]:: Sie können das empfinde. Sie werden sich ja wohl sicher auch
das doch nicht damit in Verbindung bringen!) bei den Kontroversen, — die wir haben, daran er-
innern, daß wir in der Zeit, mit der Sie sich be-
— Nein, das tue ich auch nicht. Ich wollte Ihnen nur
schäftigt haben — ich rede jetzt von meiner Amts-
sagen, daß Sie es sich zu einfach machen, wenn Sie
zeit —, zusammen in einer Koalition gesessen ha-
solche Glaubenssätze in die Welt setzen, die durch
ben. Damals habe ich — ich hoffe, daß das von den
andere Statistiken oder andere Sachverhalte wider-
Kollegen, die damals dabei waren, bestätigt werden
legt werden können.
kann — im Bundestagsausschuß für Inneres ein
Damit möchte ich zum Schluß kommen. Ich glaube, Klima der Zusammenarbeit mit den Kollegen auch
mit diesen Ausführungen, Herr Kollege Dr. Schnei- der sozialdemokratischen Fraktion, mit den Kolle-
der, haben Sie der Debatte hier keinen hilfreichen gen meiner eigenen Fraktion und auch mit den Kol-
Dienst geleistet. Worum es geht, ist die sehr schwie- legen der damaligen Opposition gehabt, für das ich
rige Frage, auch auf dem Gebiet der Verbrechens- auch heute noch dankbar bin. Ich habe die notwen-
bekämpfung das richtige und ausgewogene Verhält dige politische Unterstützung von dem damaligen
4230 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Benda
Koalitionspartner gehabt; auch das erkenne ich Noch ein Wort zu dem Thema der Drucksache,
dankbar an. Ich habe auch mit den Herren Innen- das ich mit dem Herrn Bundesminister des Innern
ministern der Länder aus allen Parteien ein ebenso hier erörtert habe. Der Punkt, der zwischen uns
fruchtbares und gutes Verhältnis der Zusammen- strittig bleibt, Herr Minister, nämlich die Frage, was
arbeit gehabt. zwischen dem Fraktionsgeschäftsführer meiner Par-
tei und Ihnen besprochen worden ist, werden wir
(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Dann wissen
aufklären, wenn der Kollege zur Verfügung steht.
Sie ja, was jetzt notwendig ist!)
Aber hier ist ja wohl bestätigt worden — darauf
Ich finde es — gestatten Sie den Ausdruck — ein kam es mir an —, daß uns die Drucksache — nie-
bißchen schäbig, wenn man nach Ablauf eines Jah- mand hat, glaube ich, hier das Gegenteil behauptet
res dann so tut, als ob das, was in der damaligen — in der Tat erst gestern früh zwischen 9 und 10
Zeit geschehen ist, nur gegen den erbitterten Wi- Uhr zur Verfügung gestanden hat. Ich glaube, daß
derstand der Partei, die heute auf der anderen Seite die Auffassung, die ich hier geäußert habe, daß
sitzt, geschehen wäre und als ob das nicht von ihr dieses eine reichlich kurze Zeit ist, wohl auch nicht
mit getragen worden wäre. Verehrter Herr Kollege bestritten werden kann.
Pensky, dabei bestreite ich die parlamentarische
Verantwortung, die die damalige Regierung und
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege
auch ich persönlich für Einzelaktionen oder, wenn
Benda, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn
Sie so argumentieren wollen, angebliche Einzelun-
Abgeordneten Dr. Rutschke?
terlassungen haben, selbstverständlich nicht. Ich
bitte Sie nur einmal zu überlegen, ob es für die
Fraktion der SPD oder überhaupt für dieses Hohe Benda (CDU/CSU) : Ja, sehr gerne.
Haus nützlich ist, eine Debatte über Probleme, die
heute vor uns stehen, mit einer rückwärtsgewende- Dr. Rutschke (FDP) : Herr Kollege Benda, da Sie
ten Betrachtung zu bestreiten. Ich überlasse das soeben beklagt haben, daß sich der Herr Kollege
Ihrem eigenen Urteil; insofern habe ich Ihnen keine Pensky mit Ihren Ausführungen so lange beschäf-
Empfehlungen zu geben. Ich hätte gern mehr kon- tigt hat, darf ich Sie fragen: Sind Sie nicht der Mei-
kret zu den Punkten gehört, die wir vor Ihnen aus- nung, daß Sie das insofern herausgefordert haben,
gebreitet haben. als Sie eigene Sünden als fremde Sünden gebeichtet
(Beifall bei der CDU/CSU.) haben?
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege, ge-
statten Sie eine Zwischenfrage des Abgeordneten Benda (CDU/CSU) : Herr Rutschke, nun wollen
Pensky? wir also das ganze Spiel noch einmal von vorne
anfangen. Aber ich will Ihnen noch etwas zur Sache
sagen. Entgegen der Meinung des Herrn Kollegen
Benda (CDU/CSU) : Ja, sehr gerne, Herr Pensky.
Genscher, den ich jetzt einmal nicht in seiner amt-
lichen Stellung, sondern als Kollegen ansprechen
Pensky (SPD) : Herr Kollege Benda, würden Sie möchte, fühle ich mich wohl legitimiert, zu dem
zunächst zur Kenntnis nehmen, daß ich nicht Ihnen Thema etwas zu sagen. Ich weiß nämlich auch —
allein die Ehre, von der Sie gesprochen haben, an- ich meine, das vorhin gesagt zu haben; vielleicht ist
getan habe, sondern auch Ihren Herren Amtsvor- es ganz gut, wenn man das am Schluß einer Debatte
gängern. Würden Sie auch zur Kenntnis nehmen, wiederholt —, welch ungeheuer schwere Arbeit es
daß es notwendig war, auf Ihre Unterlassungssün- ist, bei der gegenwärtig bestehenden Zuständig-
den, wenn man so will, hinzuweisen, weil Sie diese keitsverteilung zwischen Bund, Ländern und Ge-
Bundesregierung ja nicht nur in diesem Hause, son- meinden — Herr Minister Strelitz, leider muß man
dern auch anderswo attackiert haben. Würden Sie die Gemeinden insoweit ja auch hinzufügen; Thema:
bitte auch zur Kenntnis nehmen, daß es, wenn ich kommunale Kriminalpolizei und allgemeine Polizei
grundsätzlich sage, daß wir das Sofortprogramm der — und bei dem wirklich verdienstvollen, aber lei-
Bundesregierung voll und ganz unterstützen, der, wie es meine Überzeugung ist, nur im Schnek-
(Abg. Dr. Müller-Hermann: Fragen!) kentempo vorankommenden Bemühen der Innen-
minister der Länder, die schwierigen Probleme zu
dann nicht meine Aufgabe ist, dieses Programm wei-
bewältigen.
ter zu erläutern. Das war vielmehr die Aufgabe des
Bundesinnenministers. Heute reden wir über die gegenwärtige Regie-
rung. Das ist ja wohl die Aufgabe des 6. Deutschen
Benda (CDU/CSU) : Ich sage erneut, ich will Bundestages. Das andere überlassen Sie doch den
Ihnen keine Ratschläge für Ihre Argumentation hier Historikern, soweit es von irgendeiner Wichtigkeit
geben; das steht mir auch gar nicht zu. Aber nur um ist. Wir haben immer eine Momentaufnahme. Herr
zu sagen, daß Sie das Sofortprogramm der Bundes- Genscher hat die Dinge in einem bestimmten Zeit-
regierung unterstützen, hätten Sie nach meiner abschnitt übernommen. Ihm ist es gegangen wie
Zeiteinschätzung maximal 10 Sekunden benötigt. mir. Ich stelle mich nicht hinter dieses Podium, um
Im übrigen glaube ich es Ihnen auch so. Urteile über die Tätigkeit meiner Vorgänger abzu-
geben. Das ist eine Frage des Stils; darüber denke
(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU.) ich vielleicht ein bißchen anders als mancher andere
Aber, wie gesagt, das ist Ihr Problem. hier.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4231

Benda
Jeder übernimmt die Dinge in einer bestimmten Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat der
Situation. Er findet Fakten vor, die vielleicht nicht Abgeordnete Dorn.
immer seinen Idealvorstellungen entsprechen, die
er aber einfach hinzunehmen hat. Es wäre ein
törichter Vorwurf, wenn ich oder irgendein anderer Dorn (FDP) : Frau Präsident! Meine sehr verehr-
ten Damen und Herren! Nach den letzten Worten
sagen würde: Das, was nicht in deiner Zeit angefal-
bin ich natürlich in einer ganz schwierigen Position,
len ist, Tatsachen, die vor dir gesetzt worden sind,
da ich weder ein Buch noch ein anderes Geschenk
muß du so behandeln, als wären sie vor dir anders
zu vergeben habe. Ich habe leider, Herr Kollege
gewesen. Das wäre ganz töricht; das sage ich auch
Benda, auch nicht allzu viele Rosen zu flechten.
nicht. Aber ich glaube die zeitliche Situation in der
Regierung — auch bei den Ländern im Augen- Ich möchte eines noch einmal sehr deutlich klar-
blick der Amtsübernahme von Herrn Minister Gen- stellen, Herr Kollege Benda. Die Regierung hat
scher recht genau zu übersehen. Das können wir im durch ihren Vertreter im Ältestenrat zu erreichen
einzelnen diskutieren. Von da an diskutiere ich, versucht, daß diese Debatte am Freitag geführt
und darauf beziehen sich die Bemerkungen, die ich wird. Die Opposition bestand darauf, diese Debatte
gemacht habe. Ich glaube, das wäre auch die rich- heute zu führen. Insofern ist die Zeit zwischen der
tige Art, darüber zu sprechen. Möglichkeit der Kenntnisnahme der Vorlage der
(Abg. Dr. Schäfer: Es sind alle angespro Regierung und der Debatte von den Vertretern der
chen!) Opposition ganz entscheidend eingeschränkt wor
den. Das muß man dann in seine Überlegungen mit
— Nein, Herr Schäfer! Ich glaube, Sie sind da auf
einkalkulieren. Sie sagen: Ich habe nicht genügend
einem Abwege.
Zeit gehabt. Wir wollten die Debatte erst am Frei-
(Abg. Dr. Schäfer: Sie reden jetzt etwas tag machen. Wenn Ihre Partei darauf besteht, sie
anderes als das, was Sie heute nachmittag heute zu führen, können wir in dieser Frage nichts
gesagt haben!) mehr machen.
Ich muß feststellen — das bedauere ich —, daß
Im übrigen meine ich, diese Frage ist nicht so
abgesehen von diesem soeben behandelten, ein we-
entscheidend. Denn das, was Sie vorgetragen ha-
nig polemisch geführten Punkt zu den Sachfragen
ben, hat bewiesen, daß Sie den Bericht der Bundes--
eigentlich relativ wenig gesagt worden ist. Zu dem
regierung über das Sofortprogramm gelesen haben.
Thema Strafprozeßordnung hätte ich sehr gern ein
Da Sie ihn nicht nur gelesen haben, sondern in einer
wenig mehr gehört. Ich habe von Herrn Kollegen
Reihe von Äußerungen, auf die ich gleich zurück-
Pensky zur Kenntnis genommen, daß man darüber
kommen werde, auch qualifiziert haben, meine ich,
reden könne. Von der Fraktion der FDP habe ich
daß das Argument, das Sie vorgetragen haben,
gar nichts gehört, von der Regierung auch nichts.
doch primär ein vorgeschobenes Argument ist.
Wir werden darauf zurückkommen. Man wird das
ja hören. Nun, meine Damen und Herren, wir haben uns in
Zum letzten Punkt. Da wende ich mich an Sie, den letzten Jahren mehrfach in diesem Hause über
Herr Minister Strelitz. Sie haben mir freundlicher- Verbrechensbekämpfung, über Zentralisierung der
weise eine Broschüre überreicht. Ich darf mich be- Verbrechensbekämpfung, über entsprechende Maß-
danken, Ihnen aber sagen, daß ich in diesen Tagen nahmen, über Anträge dazu unterhalten. Ich denke
Gelegenheit hatte — wie der Zufall so spielt —, an den Antrag der FDP-Fraktion vom 30. Oktober
auch • durch das schöne Hessenland zu fahren. Bei 1968 über eine wirksame einheitliche Verbrechens-
einer dieser Gelegenheiten ist es mir dort bereits bekämpfung, an den Antrag der FDP-Fraktion vom
überreicht worden. Ich möchte mich bei Ihnen aber 21. Januar 1969 über die Änderung des Gesetzes
nicht nur im Wort, sondern in der Tat bedanken. über die Einrichtung des Bundeskriminalamtes,
Wir kehren zu der Sitte unserer Väter zurück, die Kompetenzerweiterung und all die Dinge, die da-
sich Geschenke überreicht haben. Darf ich Ihnen mals von uns angesprochen worden sind. Ich denke
ein Produkt überreichen, das gegenwärtig in unse- an die Debatten vom Dezember 1968, vom Januar
ren deutschen Buchläden von jedermann frei käuf- 1969 und vom 5. Februar 1969. Herr Kollege Benda,
lich ist: das Mini-Handbuch für Stadt-Guerillas? In damals waren Sie der zuständige Ressortminister.
diesem Handbuch steht u. a., daß sich der bewaff- Bei keiner dieser Debatten waren Sie im Plenum
nete Kampf der Stadt-Guerillas im Rahmen des anwesend.
unausweichlichen Klassenkampfes gegenwärtig ge- (Hört! Hört! bei den Regierungsparteien.)
gen zwei hauptsächliche Ziele richtet. Das eine Ziel
ist die physische Liquidierung der Chefs und Hen- Am 5. Februar 1969, als das zum drittenmal so war,
kersknechte der Streitkräfte und der Polizei. Ich habe ich das hier kritisiert und gesagt: Ich bedauere
meine, der Umstand, daß dieses Handbuch heute es außerordentlich, daß sich der zuständige Innen-
von jedermann in einem deutschen Buchladen er- minister in der Frage der Verbrechensbekämpfung
worben werden kann, zeigt, daß dieses Geschenk hier im Parlament nicht zur Verfügung stellt. Ihr
kein Gag von mir ist, sondern ein Sachbeitrag zum Fraktionskollege Köppler, den ich persönlich sehr
Thema. Herr Minister, ich erlaube mir, Ihnen das schätze, hat dann gesagt, wenn der Minister ge-
Handbuch als Dank für die Broschüre zu überrei- wußt hätte, daß ich wert darauf legte, daß er an-
chen, die Sie mir gegeben haben und die übrigens wesend sei, und ich ihm dies vor der Debatte mit-
sehr interessant ist. geteilt hätte, wäre er sicher dagewesen.
(Beifall bei der CDU/CSU.) (Hört! Hört! bei der SPD.)
4232 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970
Dorn
Ich habe damals gesagt, er hätte eigentlich aus der Sie haben in diesem Sofortprogramm der Bundes-
Tagesordnung ersehen können, was hier behandelt regierung eine Fülle von Einzelheiten, die sofort,
wird. Anfang des kommenden Jahres, realisiert werden
(Sehr richtig! bei der SPD.) können. Mit ihnen kann man die Voraussetzungen
dafür schaffen, daß die personelle Verstärkung des
Sie haben hier gesagt, die Regierung gebrauche Bundeskriminalamts endlich erfolgen kann. Denn
starke Worte und Ankündigungen, und haben ähn- nur dann kann eine Fülle von Maßnahmen durchge-
liche Kritik an der Haltung der Regierung vorge- führt werden, die Sie und wir in der Anlage der
tragen. Andererseits haben Sie den Fünfjahresplan, Konzeption gemeinsam fordern, wobei ich nicht un-
den Sie damals in Ihrem Hause erarbeitet haben, bedingt unterstellen möchte, daß diese Konzeption
dem Parlament nie zugestellt. Wir haben als Abge- in allen Punkten identisch ist mit dem, was Herr
ordnete doch nie Kenntnis von dem bekommen, was Dr. Schneider hier vorgetragen hat. Zumindest gilt
Sie erarbeitet haben. Sie haben es der Öffentlich- das nicht für mich. Das sage ich genauso deutlich.
keit übergeben. In der Presse ist davon einiges in
Erscheinung getreten. Nun gut; für eine gute public- Herr Kollege Benda, Sie haben hier vorhin kriti-
relations-Arbeit habe ich volles Verständnis. Aber siert, daß das Laufbahnrecht nicht in der Weise ge-
hier war doch der Ort, wo wir uns über Ihre Ideen regelt worden ist, wie es erforderlich wäre. Ich sage
hätten unterhalten können. Sie haben nicht einmal Ihnen, Sie haben in der Sache recht. Als ich den
Gelegenheit genommen, das wahrzumachen, was Zwischenruf machte: Seit wann?, haben Sie gesagt,
Sie heute hier kritisch vermerken, Forderungen an seit dem 19. Jahrhundert. Ich kann Ihnen nur sagen,
das Parlament zu stellen, selber zu sagen: Wir wäre diese Erkenntnis bei Ihnen etwas früher sicht-
brauchen die erforderlichen Mittel, wir brauchen bar geworden, hätten wir manche Entwicklung, die
die Personalverstärkung, wir brauchen die EDV- wir zur Zeit haben, in dieser Zuspitzung vielleicht
Anlagen, und zu sagen, aus welchem Grunde wir gar nicht erst bekommen. Wir hätten sie nicht be-
sie brauchen. Das alles hätten Sie hier in Ihrer kommen, wenn Sie aus dieser Erkenntnis die Kon-
Amtszeit vortragen können. Nicht ein einziges Mal sequenzen gezogen hätten. Wir werden jetzt die
haben Sie diese Gelegenheit genommen. Deswegen Konsequenzen daraus ziehen; darüber gibt es keinen
ist das, was hier an kritischen Bemerkungen vom Zweifel. Das ist das, was die Bundesregierung hier
Kollegen Pensky vorgetragen worden ist, auch so vorgetragen hat.
zu werten, daß man nicht immer nur kritische Be-
merkungen machen und sagen kann, daß das, was Ich möchte im Gegensatz zu meinem Kollegen
die Regierung vorgetragen hat, mit starken Worten von der SPD sagen, daß der Beitrag des Kollegen
vorgetragen worden sei. Der Bundesminister des Schneider doch ein wichtiger Beitrag gewesen ist.
Innern, Hans-Dietrich Genscher, hat hier dem Parla- Er hat uns nämlich auf die Zwischenfragen des Kol-
ment einen klaren Fahrplan vorgelegt. legen Schäfer hin noch einmal klargemacht, welch
große Problematik in bestimmten Bereichen in Bay-
Natürlich ist manches von dem auch in Ihren ern heute entstanden ist
Überlegungen zu finden, vielleicht auch in Überle-
gungen Ihrer Vorgänger. Das kann ich so im ein- (Zustimmung bei der SPD)
zelnen gar nicht beurteilen. Herr Genscher hat ja und wie notwendig es ist, daß auch diese bayerische
zu diesem Thema auch ein Zitat von Herrn Lücke Staatsregierung eine Änderung ihrer politischen
hier im Hause gebracht, welches zeigt, daß im Jahre .
Maßnahmen durchführt. Das, was der Kollege
1966 bereits erkennbar war, welche Probleme an- Schneider vorgetragen hat, war nämlich ein einziges
stehen. Deswegen kommen wir nicht ganz daran Klagelied über die Verhaltensweise dieser Regie-
vorbei, uns auch über die Zeit zu unterhalten, in der rung, die für die Regelung dieser Frage zuständig
Sie die politische Verantwortung für diese Sache ist.
getragen haben. Deswegen, meine ich, ist es eben
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
notwendig, hier noch einmal ganz klar festzustel-
len: Diese Bundesregierung hat mit „Sofortpro- Insoweit, Herr Kollege Schneider, war Ihr Beitrag
gramm" nicht gemeint, daß sie sofort etwas vorlegt ein wichtiger Beitrag. Allerdings muß ich gestehen:
— das hat Herr Genscher damals sehr deutlich ge- überwiegend nur insoweit.
sagt —, sondern diese Bundesregierung hat mit „So-
fortprogramm" ein Programm gemeint, in dem eine
Vielzahl von Einzelmaßnahmen, die sofort realisiert Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege
werden sollen, dem Parlament vorgeschlagen wird. Dorn, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn
Das ist hier an dieser Stelle geschehen, und der Herr Abgeordneten Dr. Schneider?
Bundesminister des Innern hat sich hierzu geäußert.
Nun können Sie sagen, wie Sie es hier, auch in Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) : Herr
der kritischen Bemerkung gegenüber Herrn Minister Kollege Dorn, sind Sie bereit und in der Lage, mir
Strelitz, getan haben: Die Länder können die Zu- Auskunft darüber zu geben, welche Statistiken an-
ständigkeit für die Polizei nur dann behalten, wenn dere Bundesländer über die Jugendkriminalität und
sie in letzter Konsequenz entsprechend dem Antrag über die Rückfallkriminalität der Jugendlichen ha-
ben?
handeln, den Sie von der CDU-Fraktion hier vorge-
legt haben. Wir haben ja nun im Bereich der Innen- (Abg. Dr. Schäfer [Tübingen]:: Sie haben
ministerkonferenz auch im letzten Jahr diese Frage doch gesagt, Sie hätten es studiert! Dann
mehr als einmal diskutiert. wissen Sie es doch!)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4233

Dorn (FDP) : Herr Kollege Schneider, diese Pas- Zu Punkt 3 kann ich Ihnen nur sagen, Herr Kol-
sagen meinte ich gar nicht. Ich meinte die Passagen, lege Benda: was Sie hier fordern, ist von dieser
zu deren Verdeutlichung Herr Professor Schäfer bei- Bundesregierung in der Praxis bereits eingeleitet.
getragen hat, als er zweimal eine Zwischenfrage
stellte. Bei diesen Zwischenfragen ist Ihnen wahr- Zu Punkt 4 kann ich Ihnen auch nur das sagen,
scheinlich nicht deutlich genug geworden, daß für was Herr Genscher vorhin noch einmal vorgetragen
die Probleme, die Sie hier mit Recht kritisiert haben, hat: das Institut Hiltrup ist nun nach langjährigen
einzig und allein die Staatsregierung von Bayern Bemühungen endlich in der Lage, diese Position
zuständig ist. auszufüllen, so daß auch das bereits läuft.
Zum Punkt 5 möchte ich Ihnen eines sehr deutlich
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Kollege sagen, Herr Kollege Benda. Wenn man diese For-
Dorn, gestatten Sie eine weitere Zwischenfrage des mulierung nüchtern liest und die dahinterstehen-
Herrn Abgeordneten Dr. Schneider? den Zusammenhänge nicht bewertet, bekommt man
den Eindruck, daß das ein Problem der Organisa-
Dorn (FDP): Bitte schön! tion der Beschaffung sei. Darum geht es hier aber
gar nicht. Sie sagen in Punkt 5:
Dr. Schneider (Nürnberg) (CDU/CSU) : Wollen daß der Bund das Beschaffungswesen für die
Sie etwa behaupten, daß die bayerische Staatsregie- Kriminalpolizei übernimmt entsprechend der
rung verantwortlich ist für die negative Beeinflus- bereits für die Bereitschaftspolizei der Länder
sung der Jugendmentalität — das habe ich kriti- bestehenden Regelung.
siert — durch die Publikationsträger und durch viele
andere schädliche Einflüsse, die in unserem Lande Das ist nicht ein Problem der Organisation der Be-
landauf, landab zu beobachten und zu beklagen sind? schaffung, das ist erst einmal ein Problem der Orga-
(Abg. Dr. Schäfer [Tübingen] : Das haben Sie nisation der Anlagen überhaupt. Was wir seit Jah-
gesagt!) ren — ich in diesem Hause seit 1962 — in einer
Vielzahl von Etatberatungen, in vielen Fällen kon-
trovers, und auch im Innenausschuß mit Ihrer Frak-
Dorn (FDP): Ich habe die Rede ja nicht gelesen. tion vorgetragen und gefordert haben, ist jahrelang-
Sie haben sie ja hier vorgelesen, und Sie haben die vernachlässigt worden, und nichts ist geschehen.
Kritik angemerkt, so daß ich das Urteil über Ihre Der Innenausschuß hat diese Frage noch einmal bei
Rede der bayerischen Staatsregierung selber über- seiner Bereisung der Vereinigten Staaten im Jahre
lassen möchte.
1966 geprüft. Das Bundeskriminalamt, Herr Kollege
(Heiterkeit bei den Regierungsparteien.) Benda, ist leider durch eine lange Zeit falsch ver-
Nun möchte ich noch wenige Worte zu dem An- tretene Konzeption nicht in die Lage versetzt wor-
trag sagen, der uns von der christlich-demokrati- den, mit den entsprechenden EDV-Anlagen ausge-
schen Fraktion vorgelegt worden ist. In Punkt 1 stattet zu werden, weil man pausenlos neue Über-
sagen Sie, Herr Kollege Benda: legungen angestellt hat, ob es nicht technisch mög-
lich sei, vielleicht noch eine 21. Variante des Keller-
Dabei ist davon auszugehen, daß die noch be-
einbruchs zu finden. Man hat gemeint, bevor man
stehenden kommunalen Kriminalpolizeien auf-
diese Variante nicht gespeichert habe, könne man
gelöst werden und eine den Weisungen der mit den ganzen EDV-Anlagen nicht zu Stuhl kom-
Landeskriminalämter unterstehende staatliche
men. Diese Frage haben wir in den Beratungen des
Kriminalpolizei geschaffen wird.
Innenausschusses hier im Bundestag doch stunden-
Das ist eine Frage, über die wir nicht erst jetzt, son lang diskutiert.
dern schon in früheren Jahren diskutiert haben. Eine
solche Äußerung haben wir bisher aus dem Bereich Lassen Sie mich zum Abschluß folgendes sagen.
der CDU/CSU-Fraktion noch nicht zur Kenntnis ge- Jede Bundesregierung, jeder Innenminister, ganz
nommen. Ich nehme an, da die CSU als Ihr Teil des gleich, von welcher — —
bayerischen Bereichs diesen Antrag ebenfalls be- (Abg. Benda: Punkt 6 noch!)
schlossen hat, daß der bayerische Innenminister
Merk sehr bald die Konsequenzen aus diesem Teil -- Über den Punkt 6 werden wir uns unterhalten
Ihres Antrags ziehen und die bayerische Staatsregie- müssen, Herr Kollege Benda.
rung entsprechend handeln kann; denn Sie haben ja (Abg. Benda: Ja, das ist sehr inhaltsreich!)
dort die absolute Mehrheit und könnten das sofort Wir werden sehen, zu welchem Ergebnis man im
in die Tat umsetzen. Ich bin nicht sicher, ob das so Rechtsausschuß und auch im Innenausschuß des
erfolgen wird. Immerhin, Sie können es ja in Ihrer Deutschen Bundestages kommen wird. Aber so ein-
Partei regeln.
fach, wie Sie es sich hier mit der Darstellung und
Der Punkt 2 ist ohne Zweifel ein interessanter Anreißung des Punktes 6 gemacht haben, kann
Vorschlag. Nur ist er, wie Herr Minister Strelitz vor- man das Problem leider auch nicht lösen.
hin schon dargelegt hat, in vielen Punkten durch die
(Beifall bei der SPD.)
pragmatische Arbeit der Polizei längst überholt, und
ich bin nicht der Meinung, daß man Dinge, die sich Das Problem ist sehr viel vielschichtiger, als Sie
pragmatisch schon eingespielt haben, nachträglich und Herr Kollege Schneider es hier dargestellt ha-
unbedingt noch durch Staatsverträge und ähnliche ben. Sie wissen das selber auch viel zu genau, als
Dinge absichern sollte. daß Sie das hier bestreiten wollten.
4234 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Dorn
Vielleicht sollte man auch in der Opposition doch Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetz
einmal anerkennen, daß die Bundesregierung be- entwurf als Ganzem zustimmen will, den bitte ich,
reits innerhalb eines Jahres — ein Jahr und einen sich zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen?
Tag hat es gedauert bis zur Vorlage des Sofortpro- — Einstimmig angenommen.
gramms nach der Erklärung, die damals abgegeben
wurde — eine Fülle von Fakten realisiert hat. Auch Ich rufe Punkt 6 der Tagesordnung auf:
das kann die Opposition nicht bestreiten. Monate- Zweite und dritte Beratung des von den Ab-
lang vor dieser Debatte sind durch den Bundes- geordneten Krammig, Brück, Porzner, Dr.
minister eine Reihe von Maßnahmen eingeleitet Slotta, Frau Funcke und den Fraktionen der
worden. Das kann die Opposition ebenfalls nicht CDU/CSU, SPD, FDP eingebrachten Entwurfs
bestreiten. Daß sie jetzt in dieser Stunde Kritik an eines Gesetzes zur Änderung des Mineral-
manchen Maßnahmen übt, ist ihre Aufgabe, die ölsteuergesetzes 1964
wiederum ich gar nicht bestreiten will. Aber viel- — Drucksache VI/908 —
leicht hätte die Opposition doch ein Wort dafür fin-
den können, Herr Kollege Benda, daß die Bundes- a) Bericht des Haushaltsausschusses (7. Aus-
regierung immerhin in diesem einen Jahr gehandelt schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung
und auch vieles von den Vorschlägen realisiert hat, — Drucksache VI/1291 —
die zu Ihrer Amtszeit schon erarbeitet worden sind. Berichterstatter: Abgeordneter Hermsdorf
Das sollte man in einer solchen Stunde im Parla- (Cuxhaven)
ment auch nicht verschweigen.
b) Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses
(Beifall bei den Regierungsparteien.) (6. Ausschuß)
— Drucksache VI/1192
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Becker
Vizepräsident Frau Funcke: Meine Damen
(Mönchengladbach)
und Herren, wir sind am Ende der Aussprache und
haben über den Antrag der CDU/CSU auf Umdruck (Erste Beratung 58. Sitzung)
81 zu entscheiden. Mir ist mitgeteilt worden, daß
eine Überweisung an den Innenausschuß — feder- Das Wort in der zweiten Beratung wird nicht - ge-
führend — und an den Rechtsaussuß zur Mitbera- wünscht. Ich lasse über die Fassung abstimmen, wie
tung vorgesehen ist. Wer dem zustimmen will, den sie aus der Zusammenstellung in Drucksache VI/1192
bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! — ersichtlich ist, und rufe die Artikel 1, 2 und 3 sowie
Enthaltung? — Es ist so beschlossen. Einleitung und Überschrift auf. — Wer diesen Ar-
tikeln, der Einleitung und der Überschrift zustimmen
Wir haben noch einige Punkte zu erledigen, bei will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegen-
denen keine Debatte vorgesehen ist. Ich bitte Sie probe! — Enthaltungen? — Angenommen.
deshalb, noch eine Weile im Saal zu bleiben.
Wir kommen zur
Zunächst Punkt 5 der Tagesordnung:
dritten Lesung.
Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Das Wort wird nicht gewünscht. Wer dem Gesetz
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über als Ganzem zustimmen will, den bitte ich, sich zu
den Finanzausgleich zwischen Bund und Län- erheben. — Gegenprobe! — Einstimmig angenom-
dern men.
— Drucksache VI/1098 — Ich rufe Punkt 7 der Tagesordnung auf:
a) Bericht des Haushaltsausschusses (7. Aus- Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung desregierung eingebrachten Entwurfs eines
— Drucksache VI/ 1292 — Gesetzes über das Zollkontingent für feste
Berichterstatter: Abgeordneter Hermsdorf Brennstoffe 1971, 1972, 1973, 1974 und 1975
(Cuxhaven) — Drucksache VI/933 —

b) Schriftlicher Bericht des Finanzausschusses Schriftlicher Bericht des Ausschusses für


(6. Ausschuß) Wirtschaft (8. Ausschuß)
— Drucksache VI/1214 — — Drucksache VI/1330 —
Berichterstatter: Abgeordneter Krammig Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Frerichs

(Erste Beratung 64. Sitzung) (Erste Beratung 58. Sitzung)

Das Wort in zweiter Beratung wird nicht begehrt. Das Wort in zweiter Beratung wird nicht begehrt.
Wir kommen zur Abstimmung. Ich lasse über die vom Ausschuß vorgeschlagene,
aus der Zusammenstellung in Drucksache VI/ 1330
Wer den Artikeln 1, 2 und 3 sowie der Einleitung ersichtliche Fassung abstimmen. Wer den §§ 1, 2, 3,
und Überschrift zuzustimmen wünscht, den bitte ich 4, 5, 6, 6 a, 7, 8, 8 a, 9 und 10 sowie der Einleitung
um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltun- und der Überschrift zustimmen will, den bitte ich
gen? — Angenommen. Wir kommen zur um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltun-
dritten Beratung. gen? — Angenommen.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4235
Vizepräsident Frau Funcke
Wir kommen zur Ich rufe zur
dritten Lesung. dritten Beratung
Das Wort wird nicht begehrt. Wer dem Gesetzent- auf. Wer dem Gesetz im ganzen zustimmt, den
wurf im ganzen zustimmen will, den bitte ich, sich bitte ich, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Ein-
zu erheben. — Gegenprobe! — Enthaltungen? — stimmig beschlossen.
Einstimmig angenommen.
Ich rufe Punkt 11 der Tagesordnung auf:
Ich rufe Punkt 8 auf: Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines
desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über
Zehnten Gesetzes zur Änderung des Solda- Bodennutzungs- und Ernteerhebung
tengesetzes — Drucksache VI/1134
— Drucksache VI/938 -- Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Er-
a) Bericht des Haushaltsausschusses (7. Aus- nährung, Landwirtschaft und Forsten (9. Aus-
schuß) gemäß § 96 der Geschäftsordnung schuß)
— Drucksache VI/ 1290 -- — Drucksache VI/ 1283 —
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Alt- Berichterstatter: Abgeordneter Berlin
hammer (Erste Beratung 64. Sitzung)
b) Schriftlicher Bericht des Verteidigungs-
ausschusses (11. Ausschuß) Ich rufe in der zweiten Beratung auf Artikel 1 —
in der Fassung des Ausschußantrags Drucksache
— Drucksache VI/1228
VI/ 1283 —, Artikel 2, Artikel 3, Artikel 4, Einlei-
Berichterstatter: Abgeordneter Biehle tung und Überschrift. Keine Wortmeldungen.
(Erste Beratung 58. Sitzung) Wer den aufgerufenen Bestimmungen zuzustim-
men wünscht, den bitte ich um das Handzeichen. —
Das Wort in zweiter Lesung wird nicht begehrt.
Gegenprobe! -- Enthaltungen? — Es ist so be-
Der Antrag des Ausschusses lautet, den Gesetzent-
schlossen.
wurf Drucksache VI/938 unverändert anzunehmen.
Ich rufe die Artikel 1, 2 und 3 sowie Einleitung und
Ich rufe zur
Überschrift auf. Wer diesen Artikeln, der Einleitung
und der Überschrift zustimmen will, den bitte ich dritten Beratung
) um ein Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltun- auf. Keine Wortmeldungen.
gen? -- Angenommen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz im ganzen
Wir kommen zur zustimmen, sich zu erheben. — Gegenprobe! — Ent-
haltungen? — Einstimmig so beschlossen.
dritten Beratung.
Punkte 12 und 13 der Tagesordnung:
Wortmeldungen liegen nicht vor. Wer dem Gesetz-
entwurf im ganzen zustimmen will, den bitte ich, 12. Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus-
sich zu erheben. — Gegenprobe! — Einstimmig an- schusses für Bildung und Wissenschaft (16. Aus-
genommen. schuß) über den Antrag der Fraktion der
CDU/CSU betr. mittelfristige Finanzplanung
Ich rufe Punkt 10 der Tagesordnung auf: (Ausbau und Neubau von Hochschulen)
Zweite und dritte Beratung des von der Bun- — Drucksachen VI/425, VI/957
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Gölter
Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die
Abgeordneter Moersch
Statistik der Bevölkerungsbewegung und die
Fortschreibung des Bevölkerungsstandes 13. Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus-
— Drucksache VI/1008 schusses für Bildung und Wissenschaft (16. Aus-
schuß) über den Antrag der Abgeordneten Dr.
Schriftlicher Bericht des Innenausschusses
Martin, Dr. Reinhard, Dr. Preiß und Genossen
(4. Ausschuß)
und der Fraktion der CDU/CSU betr. Lage der
— Drucksache VI/1280 landwirtschaftlichen Fakultäten
Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Miltner Drucksachen VI/156, VI/958 —
(Erste Beratung 64. Sitzung) Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Sperling
Ich rufe in der zweiten Beratung Artikel 1 --- in
Es ist mir gesagt worden, daß interfraktionell die
der Fassung des Ausschußantrags Drucksache
Auffassung bestehe, man möge die Vorlagen für er-
VI/1280 —, Artikel 2, Artikel 3, die Einleitung und
ledigt erklären. Kein Widerspruch. Es ist so be-
die Überschrift auf. Keine Wortmeldungen.
schlossen.
Wer den aufgerufenen Bestimmungen zustimmen
will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegen- Ich rufe die Punkte 14 und 15 der Tagesordnung
probe! — Enthaltung? — Angenommen! auf:
4236 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Vizepräsident Frau Funcke


14. Beratung des Schriftlichen Berichts des Aus- alen Sicherheit der Atomanlagenbediensteten
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und der Gemeinsamen Kernforschungsstelle, die in
Forsten (9. Ausschuß) über die von der Bun- der Bundesrepublik Deutschland dienstlich
desregierung zur Unterrichtung vorgelegten verwendet werden
Vorschläge der EG-Kommission für — Drucksachen VI/993, VI/1254
den Vorschlag einer Verordnung des Rates Berichterstatter: Abgeordneter Dr. Schäfer
zur Aufstellung der Grundregeln für die Lie- (Tübingen)
ferung von Butter und Magermilchpulver an
Es handelt sich um Berichte des Ausschusses für
unterentwickelte dritte Länder, an das Inter-
Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und des In-
nationale Komitee vom Roten Kreuz und an
nenausschusses über Vorschläge der EG-Kommis-
die Joint Church Aid
sion. Keine Wortmeldungen. Ist das Haus damit ein-
den Entwurf einer Entschließung des Rates verstanden, daß wir der Einfachheit halber gemein-
über die Finanzierung der Lieferung von But- sam darüber abstimmen? — Kein Widerspruch. Wir
ter und Magermilchpulver an Entwicklungs- kommen zur Abstimmung.
länder
Wer die Vorschläge der EG-Kommission gemäß
den Entwurf eines Beschlusses des Rates be- den Anträgen der Ausschüsse zur Kenntnis nehmen
treffend die Aushandlung der verschiedenen will, den bitte ich um das Handzeichen. — Gegen-
Verträge mit einigen Entwicklungsländern, probe! — Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
dem Internationalen Komitee vom Roten
Kreuz und der Joint Church Aid Ich rufe den Tagungsordnungspunkt 16 auf:
eine Richtlinie (EWG) des Rates zur Ände- Beratung der Sammelübersicht 11 des Peti-
rung der Richtlinien des Rates vom 14. Juni tionsausschusses (2. Ausschuß) über Anträge
1966 über den Verkehr mit Betarübensaatgut, von Ausschüssen des Deutschen Bundestages
über den Verkehr mit Futterpflanzensaatgut, zu Petitionen und systematische Ubersicht
über den Verkehr mit Getreidesaatgut, über über die beim Deutschen Bundestag in der
den Verkehr mit Pflanzkartoffeln und vom Zeit vom 20. Oktober 1969 bis 30. September
30. Juni 1969 über den Verkehr mit Saatgut 1970 eingegangenen Petitionen -

von Öl- und Faserpflanzen — Drucksache VI/1319 —


eine Verordnung des Rates über die Diffe- Wer dem Antrag des Ausschusses zustimmt, den
renzierung der Erstattung bei der Ausfuhr bitte ich um das Handzeichen. — Gegenprobe! —
von Kaseinaten Enthaltungen? — Es ist so beschlossen.
eine Verordnung (EWG) des Rates zurÄ n-
Ich rufe die Punkte 18 bis 22 auf:
derung der Verordnung Nr. 132/67/EWG zur
Festlegung der Grundregeln für die Interven- 18. Erste Beratung des von dem Abgeordneten
tion bei Getreide Dr. Häfele und der Fraktion der CDU/CSU
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
eine Verordnung (EWG) des Rates zur Auf-
nÄderugsGmifnazreogst
stellung von Grundregeln über die Lieferung
von butter oil in die Türkei — Drucksache VI/1255 —
den Entwurf einer Entschließung des Rates 19. Erste Beratung des von der Bundesregierung
über die Finanzierung und Lieferung von eingebrachten Entwurfs eines Vierten Ge-
Butter, butter oil und Magermilchpulver an setzes zur Ä nderung des Eignungsübungsge-
Peru, Rumänien und die Türkei setzes
eine Verordnung (EWG) des Rates zur Ä n- — Drucksache VI/1314
derung der Verordnungen über die Finanzie- 20. Erste Beratung des von der Bundesregierung
rung der Interventionsausgaben auf dem Bin- eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
nenmarkt dem Übereinkommen vom 22. April 1968
eine Richtlinie des Rates zur Änderung der über die Rettung und Rückführung von Raum-
Richtlinie des Rates vom 9. April 1968 über fahrern sowie die Rückgabe von in den Welt-
den Verkehr mit vegetativem Vermehrungs- raum gestarteten Gegenständen.
gut von Reben — Drucksache VI/1322
— Drucksachen VI/699, VI/991, VI/994, VI/1088,
VI/1090, VI/ 1093, VI/1104, VI/1251 — 21. Erste Beratung des von den Abgeordneten Dr.
Schellenberg, Müller (Remscheid), Schmidt
Berichterstatter: Abgeordneter Bremm (Kempten), Ruf, Liehr, Dr. Götz, Urbaniak und
Genossen eingebrachten Entwurfs eines Ge-
15. Beratung des Mündlichen Berichts des Innen- setzes zur Ä nderung des Knappschaftsrenten-
ausschusses (4. Ausschuß) über den von der versicherungs-Neuregelungsgesetzes
Bundesregierung zur Unterrichtung vorgeleg- (KnVNG)
ten Vorschlag der Kommission der Europä- — Drucksache VI/1244
ischen Gemeinschaften für den Entwurf einer
Verordnung (Euratom) des Rates zur Ände- 22. Erste Beratung des von der Bundesregierung
rung der Regelung der Bezüge und der sozi eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4237
Vizepräsident Frau Funcke
Änderung sozial- und beamtenrechtlicher schuß und den Haushaltsausschuß gemäß § 96 der
Vorschriften über Leistungen für verheiratete Geschäftsordnung.
Kinder Es ist interfraktionell beschlossen worden, Punkt
— Drucksache VI/1316 — 23 von der Tagesordnung abzusetzen.
Das Wort wird nicht gewünscht.
Wir kommen zum Punkt 24 der Tagesordnung:
Wer den aus der Tagesordnung ersichtlichen Beratung des Antrags des Bundesministers
Überweisungsvorschlägen zustimmt, den bitte ich der Finanzen betr. Veräußerung der bundes-
um das Handzeichen. — Gegenprobe! — Danach hat eigenen Liegenschaft
das Haus folgende Überweisungen beschlossen: „Dönche" in Kassel an die Stadt Kassel
Drucksache VI/ 1255 an den Finanzausschuß — fe- — Drucksache VI/ 1295 —
derführend — und an den Innenausschuß;
Drucksache VI/1314 an den Verteidigungsausschuß Nach dem Vorschlag des Ältestenrates soll der
— federführend —, den Ausschuß für Arbeit und Antrag an den Haushaltsausschuß überwiesen wer-
Sozialordnung und an den Haushaltsausschuß ge- den. Wer dem zustimmt, den bitte ich um das
mäß § 96 der Geschäftsordnung; Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthaltungen? —
Es ist so beschlossen.
Drucksache VI/ 1322 an den Ausschuß für Bildung
und Wissenschaft; Meine Herren und Damen, wir sind am Ende
Drucksache VI/1244 an den Ausschuß für Arbeit unserer heutigen Tagesordnung. Ich berufe das
und Sozialordnung — federführend — und an den Haus auf morgen, Donnerstag, den 5. November,
Ausschuß für Wirtschaft; 14 Uhr, ein.

Drucksache VI/ 1316 an den Ausschuß für Arbeit Die Sitzung ist geschlossen.
und Sozialordnung — federführend —, den Ausschuß
für Jugend, Familie und Gesundheit, den Innenaus (Schluß der Sitzung: 19.39 Uhr.)

-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4239

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Der Bundestag wolle beschließen:

In Artikel 3 erhält Nummer 1 folgende Fassung:


Liste der beurlaubten Abgeordneten
1. Dem § 183 Alps. 5 wird folgender Satz angefügt:
Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich
„Bei der Kürzung bleibt von der Rente ein Be-
a) Beurlaubungen trag in Höhe des Kindergeldes außer Betracht,
Adams *** 4. 11. das ohne Anwendung des § 8 Abs. 1 des Bundes-
Amrehn ' 5. 11. kindergeldgesetzes für die Kinder der Renten-
Dr. Artzinger *** 6. 11. berechtigten zu zahlen wäre."'
Bals' 4. 11.
Bauer (Würzburg) * 5.11. Bonn, den 3. November 1970
Blumenfeld * 5.11. Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion
Draeger* 4.11. Wehner und Fraktion
Dr. Erhard 6.11. Schmidt (Kempten) und Fraktion
Lemmrich * 4.11.
Lenze (Attendorn) * 4.11.
Pöhler * 4. 11.
Dr. Rutschke * 5. 11.
Dr. Schulz (Berlin) * 5.11.
Dr. Dittrich *** 6.11. Anlage 3 Umdruck 76
von Fircks 4.11.
Frau Geisendörfer 4.11. Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU
Haar (Stuttgart) 4.11. zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Zweiten
Dr. Hallstein 6.11. Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Bundes-
Dr. Hein 13.11. kindergeldgesetzes - Drucksachen VI/86, VI/903,
Frau Herklotz ** 6.11. VI/939, VI/ 1204 -.
Dr. Jahn (Braunschweig) * 4.11.
Frau Krappe 6.11. Der Bundestag wolle beschließen:
Müller (Aachen-Land) *** 4.11. 1. In Artikel 1 Nr. 6 erhält § 20 Abs. 1 folgende
Richarts 6.11. Fassung:
Pieroth 4.11.
Dr. Rinsche 4.11. „ (1) Das Kindergeld beträgt für das zweite
Dr. Schmidt (Wuppertal) 4.11. Kind 25 Deutsche Mark, für das dritte Kind
Dr. Schmücker 10.11. 60 Deutsche Mark, für das vierte Kind 70 Deut-
Schneider (Königswinter) 4.11. sche Mark, für das fünfte und jedes weitere
Schonhofen 6.11. Kind je 80 Deutsche Mark monatlich."
Dr. Schröder (Düsseldorf) 4. 11.
Dr. Starke (Franken) 6.11. 2. In Artikel 3 Nr. 2 erhält § 583 Abs. 2 Satz 1
Unertl 6.11. erster Halbsatz folgende Fassung:
Steiner 6.11. „ (2) Die Kinderzulage beträgt monatlich min-
Dr. Strauss 5. 11. destens
Wilhelm 6. 11.
Zoglmann 4.11. für das zweite Kind 25 Deutsche Mark.

b) Urlaubsanträge für das dritte Kind 60 Deutsche Mark,


Dr. Götz 30. 11. für das vierte Kind 70 Deutsche Mark,
für das fünfte und
jedes weitere Kind je 80 Deutsche Mark".
Anlage 2 Umdruck 75
Bonn, den 3. November 1970
Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/
CSU, SPD, FDP zur zweiten Beratung des Entwurfs Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion
eines Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergän-
zung des Bundeskindergeldgesetzes, - Drucksachen
VI/86, VI/903, VI/939, VI/1204 -.
*Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Ver-
Anlage 4 Umdruck 74
sammlung der Westeuropäischen Union
Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Beraten-
den Versammlung des Europarates Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/
"* Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen des Europä- CSU, SPD, FDP zur zweiten Beratung des Zweiten
ischen Parlaments Krankenversicherungsänderungsgesetzes - Druck-
sachen VI/726, VI/1130, VI/ 1297, zu VI/ 1297 -.
4240 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

(A) Der Bundestag wolle beschließen:


40 50 60 70 80 90
bis bis bis bis bis bis
In Artikel 1 wird hinter Nummer 10 folgende 50 60 70 80 90 100
Nummer 10 a eingefügt:
7 17 27 37
,10 a. § 199 Abs. 1 Satz 2 und 3 erhält folgende
12 22 32
Fassung:
7 17 27
„Für diese Zeit wird Krankenhauspflege nicht 12 22
gewährt. § 184 Abs. 5 gilt entsprechend." ' 7 17

Bonn, den 2. November 1970 12


7"
Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion
Wehner und Fraktion 2. In der Anlage 5 werden die Zahlen
Schmidt (Kempten) und Fraktion
40 60 80
bis bis bis
60 80 100

21 41 61
Anlage 5 Umdruck 79
17 37 57
Änderungsantrag der Fraktionen der SPD, 14 34 54
FDP zur zweiten Beratung des von der Bundesregie- 10 30 50
rung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Wohn- 5 25 45
geldgesetzes — Drucksachen V1/1116, VI/1310 —. 21 41
Der Bundestag wolle beschließen: 17 37
12 32
Zu §2 8 28
1. In der Anlage 4 werden die Zahlen 23
19
40 60 80 14
bis bis bis 9"
60 80 100
ersetzt durch die Zahlen
31 51 71
27 47 67 40 50 60 70 80 90
23 43 63 bis bis bis bis bis bis
19 39 59 5Ó 60 70 80 90 100

15 35 55 16 26 36 46 56 66
11 31 51
6 26 46 12 22 32 42 52 62
21 41 9 19 29 39 49 59
17 37 5 15 25 35 45 55
10 20 30 40 50
12 32 6 16 26 36 46
7 27
22 12 22 32 42
17 7 17 27 37
12 13 23 33
7" 8 18 28
ersetzt durch die Zahlen 14 24
9 19
40 50 60 70 80 90
bis bis bis bis bis bis 14
50 60 70 80 90 100 9"

26 46 56 66 76 3. In der Anlage 6 werden die Zahlen


36
22 32 42 52 62 72
40 60 80
18 28 38 48 58 68 bis bis bis
14 24 34 44 54 64 60 80 100
10 20 30 40 50 60
6 16 26 36 46 56 18 38 58
11 21 31 41 51 15 35 55
6 16 26 36 46 11 31 51
12 22 32 42 7 27 47
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4241

Anlage 6 Umdruck 77
40 60 80
bis bis bis
60 80 100 Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU
zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Zweiten
24 44 Wohngeldgesetzes —Drucksachen VI/ 1116, VI/ 1310 —.
20 40
16 36 Der Bundestag wolle beschließen:
11 31 In § 8 wird folgender Absatz 3 a eingefügt:
7 27 „(3 a) Anstelle der in Absatz 1 genannten Be-
23 träge tritt bei Wohnraum, auf den das Wohnungs-
19 bindungsgesetz 1965 in der Fassung vom 1. August
14 1968 (Bundesgesetzbl. I S. 889) anwendbar ist, der
10 Betrag der Miete, die nach § 8 bei § 8 b des Woh-
5" nungsbindungsgesetzes 1965 zulässig ist."

ersetzt durch die Zahlen Bonn, den 3. November 1970

40 50 60 70 80 90 Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion


bis bis bis bis bis bis
50 60 70 80 90 100

13 23 33 43 53 63
10 20 30 40 50 60 Anlage 7 Umdruck 78
6 16 26 36 46 56
12 22 32 42 52 Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU
zur zweiten Beratung des Entwurfs eines Zweiten
9 19 29 39 49 Wohngeldgesetzes —Drucksachen VI/ 1116, VI/ 1310 — .
5 15 25 35 45
11 21 31 41 Der Bundestag wolle beschließen:
6 16 26 36
Nach § 27 wird folgender § 27 a eingefügt:
12 22 32
㤠27 a
8 18 28
14 24 Weitere Gewährung des Wohngelds
9 19
5 15 Wird der Antrag auf weitere Gewährung des
10 Wohngeldes innerhalb von drei Monaten nach Ab-
6". lauf des Bewilligungszeitraumes gestellt, so kann
das Wohngeld vom Ablauf des Bewilligungszeit-
raumes an gewährt werden, wenn die Gewährung
Begründung: von einem späteren Zeitpunkt an eine unbillige
Härte für den Antragsteller sein würde."
Die vom Bundestagsausschuß für Städtebau und
Wohnungswesen beschlossenen Wohngeldtabellen
Bonn, den 3. November 1970
(Anlage 1 bis 8 zum Entwurf) sind generell so auf-
gebaut, daß für eine Spanne von jeweils 20 DM der Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion
Miete und Belastung ein einheitliches Wohngeld
zu gewähren ist. Nur in den Anlagen 1 bis 3 ist bei
den Mieten und Belastungen bis 100 DM ein ein-
heitliches Wohngeld für eine Spanne von jeweils
10 DM der Miete und Belastung festgesetzt. Diese Anlage 8 Umdruck 82
bisher nur für die kleineren Haushalte vorgesehene
Tabellengliederung soll nunmehr auch für Haus- Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU
halte mit vier bis sechs Familienmitgliedern gelten, zur dritten Beratung des Entwurfs eines Zweiten
um zu vermeiden, daß bei sonst gleichen Verhält- Wohngeldgesetzes —Drucksachen VI/ 1116, VI/1310 —.
nissen ein größerer Haushalt im Grenzfall weniger
Wohngeld erhält als der nächstkleinere. Der Bundestag wolle beschließen:

Durch die Änderung der Tabellengliederung bei den Nach § 27 wird folgender § 27 a eingefügt:
Haushalten mit vier bis sechs Familienmitgliedern
entstehen keine Mehrkosten. 㤠27 a
Weitere Gewährung des Wohngeldes
Bonn, den 3. November 1970
Wird der Antrag auf weitere Gewährung des
Wehner und Fraktion Wohngelds innerhalb von drei Monaten nach Ab-
Mischnick und Fraktion lauf des Bewilligungszeitraums gestellt, so kann
4242 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

das Wohngeld vom Ablauf des Bewilligungszeit- Der Bundestag wolle beschließen:
raumes an gewährt werden, wenn die Gewährung Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Deut-
von einem späteren Zeitpunkt an eine unbillige schen Bundestag in Bälde eine Regelung für Wohn-
Härte für den Antragsteller sein würde." kosten von Studenten bei auswärtiger Unterbrin-
gung im Bundesausbildungsförderungsgesetz vorzu-
Bonn, den 3. November 1970 legen, dessen Inkrafttreten aufgrund des Grundsatz-
Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion beschlusses der Bundesregierung zur Ausbildungs-
förderung vom 4. Juni 1970 für den 1. Oktober 1971
vorgesehen ist. Ferner soll eine entsprechende Re-
gelung für Lehrlinge in auswärtiger Unterbringung
getroffen werden.
Anlage 9 Umdruck 83
Bonn, den 4. November 1970
Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU
zur dritten Beratung des Entwurfs eines Zweiten Wehner und Fraktion
Schmidt (Kempten) und Fraktion
Wohngeldgesetzes Drucksachen VI/1116, VI/ 1310 —.

Der Bundestag wolle beschließen:


In § 8 wird folgender Absatz 3 a eingefügt:
„(3 a) Anstelle der in Absatz 1 genannten Beträge Anlage 12 Umdruck 81
tritt bei Wohnraum, auf den das Wohnungsbin-
dungsgesetz 1965 in der Fassung vom 1. August 1968 Antrag des Abgeordneten Benda und der Frak-
(Bundesgesetzbl. I S. 889) anwendbar ist, der Betrag tion der CDU/CSU zur Großen Anfrage der Fraktion
der Miete, die nach § 8 bei § 8 b des Wohnungs- der CDU/CSU betr. Verbrechensbekämpfung —
bindungsgesetzes 1965 zulässig ist." Drucksachen VI/703, VI/871 —.

Der Bundestag wolle beschließen:


Bonn, den 3. November 1970 -
1. Die Bundesregierung wird ersucht, unverzüglich
Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion
Verhandlungen mit den Ländern einzuleiten, mit
dem Ziel, ohne Änderung der Zuständigkeits-
regelungen des Grundgesetzes eine Straffung und
Vereinheitlichung der Organisation der Kriminal-
Anlage 10 Umdruck 80 polizei innerhalb der Länder zu erreichen. Dabei
ist davon auszugehen, daß die noch bestehenden
Entschließungsantrag der Fraktion der CDU/ kommunalen Kriminalpolizeien aufgelöst werden
CSU zur dritten Beratung des Entwurfs eines Zwei- und eine den Weisungen der Landeskriminal-
ten Wohngeldgesetzes Drucksachen VI/1116, ämter unterstehende staatliche Kriminalpolizei
VI/ 1310 —. geschaffen wird.
2. Die Bundesregierung wird ersucht, in Verhand-
Der Bundestag wolle beschließen:
lungen mit den Ländern darauf hinzuwirken, daß
Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Deut- in Ballungsgebieten der Kriminalität, die durch
schen Bundestag bis zum 1. Juni 1971 einen Gesetz- Landesgrenzen durchschnitten werden, z. B. im
entwurf, ggf. eine Novelle zum Ausbildungsförde- Rhein-Main-Gebiet oder im Raum Mannheim/
rungsgesetz, vorzulegen, der die Aufbringung der Ludwigshafen, durch Staatsverträge der beteilig-
Wohnkosten durch die in der Ausbildung befind- ten Länder eine den kriminalgeographischen Er-
lichen unterstützungsbedürftigen Personen, ins- fordernissen angepaßte Organisation der Krimi-
besondere Lehrlinge und Studenten, in ausreichen- nalpolizei errichtet wird.
der Form regelt und vor allem diejenigen berück-
3. Die Bundesregierung wird ersucht, die Besol-
sichtigt, die getrennt vom elterlichen Haushalt sind
und nach dem Zweiten Wohngeldgesetz keinen dungsstruktur und das Laufbahnrecht der Krimi
nalpolizei so auszugestalten, daß ein größerer
eigenen Anspruch auf Wohngeld haben.
Anreiz für den Dienst in der Kriminalpolizei ge-
schaffen wird und die Leistungsfähigkeit der Kri-
Bonn, den 3. November 1970 minalbeamten den Anforderungen der modernen
Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion Industriegesellschaft entspricht. Dabei ist von
folgenden Grundsätzen auszugehen:
Der Sachbearbeiter bei der Kriminalpolizei ist
zu besolden wie ein Beamter des gehobenen Ver-
Anlage 11 Umdruck 84 waltungsdienstes. Die Bildungsvoraussetzungen
für den Kriminaldienst sollen denen für den ge-
Entschließungsantrag der Fraktionen der SPD, hobenen Verwaltungsdienst entsprechen; die
FDP zur dritten Beratung des Entwurfs eines Zwei- Ausbildung für den Kriminaldienst soll in einem
ten Wohngeldgesetzes — Drucksachen VI/1116, Vorbereitungsdienst erfolgen. Das Laufbahnrecht
VI/ 1310 —. für die Kriminalpolizei soll ermöglichen, daß für
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970 4243

den Kriminaldienst befähigte Beamte der Schutz- ren Bildungsstand, der zu einer Verwendung auf
polizei und des Bundesgrenzschutzes in den Kri- bestimmten Dienstposten qualifiziert.
minaldienst überwechseln können. Grundsätzlich vermag deshalb ein Studium die an-
Wegen der Bedeutung der Schutzpolizei für die ders geartete Ausbildung an der Führungsakademie
Verbrechensbekämpfung sind Laufbahn- und Be- nicht zu ersetzen. Das schließt aber nicht aus, daß
soldungsstruktur in diesem Bereich ebenfalls vor- wissenschaftlich gebildete Offiziere, wie übrigens
dringlich eingehend zu überprüfen. jeder andere Offizier auch, im Generalstabsdienst
ohne weitere Ausbildung eingesetzt werden können,
4. Die Bundesregierung wird ersucht, energisch dar- z. B. ein Diplom-Volkswirt als G 4.
auf hinzuwirken, daß eine einheitliche Ausbil-
dung von Führungskräften der Kriminalpolizei Ob es bei dieser Gegebenheit die ich auch
in einer von Bund und von allen Ländern getra- noch nicht für ausgewogen halte — bleibt, hängt
genen Akademie für den Kriminaldienst erfolgt. vom Ergebnis der Beratungen der mit dieser Frage
befaßten Kommissionen ab.
5. Die Bundesregierung wird ersucht, unverzüglich
zu prüfen, ob die technische Ausstattung der Kri-
minalpolizei dadurch verbessert und vereinheit-
licht werden kann, daß der Bund das Beschaf-
fungswesen für die Kriminalpolizei übernimmt
entsprechend der bereits für die Bereitschafts- Anlage 14
polizei der Länder bestehenden Regelung.
Schriftliche Antwort
6. Der Bundestag ist der Auffassung, daß die durch
das Strafprozeßänderungsgesetz vom 19. Dezem- des Parlamentarischen Staatssekretärs Berkhan vom
ber 1964 neugefaßten Bestimmungen des Haft- 2. November 1970 auf die Zusatzfrage des Abge-
rechts geändert werden müssen, so daß die da- ordneten Dr. Jenninger zu seiner Mündlichen
durch eingetretene Erschwerung der Strafverfol- Frage *).
gung nicht zu einer unvertretbaren Gefährdung Zu Ihrer in der o. a. Fragestunde gestellten Zu--
der Allgemeinheit, insbesondere durch soge- satzfrage über die Zahl der bisher unabkömmlich
nannte Wiederholungstäter führt. gestellten landwirtschaftlichen Betriebshelfer teile
ich Ihnen zunächst folgendes mit:
7. Die Bundesregierung wird ersucht, dem Deut-
schen Bundestag über die Ergebnisse ihrer Bemü Die Wehrersatzbehörden führen keine nach Be-
hangen zu den Punkten 1-5 bis zum 1. Mai 1971 rufen aufgeschlüsselten Statistiken über die vom
zu berichten. Grundwehrdienst unabkömmlich gestellten Wehr-
pflichtigen. Die Vielzahl der Berufe würde einen
Bonn, den 3. November 1970 nicht vertretbaren Verwaltungsaufwand erfordern.
Auch der Deutsche Bauernverband e. V. in Bad
Benda Godesberg verfügt nicht über einschlägiges Zahlen-
Dr. Barzel, Stücklen und Fraktion material. Er wird entsprechende Ermittlungen an-
stellen, die einige Zeit in Anspruch nehmen dürf-
ten, deren Ergebnis ich Ihnen dann mitteilen werde.

Anlage 13

Schriftliche Antwort
Anlage 15
des Parlamentarischen Staatssekretärs Berkhan vom
30. Oktober 1970 auf die Zusatzfrage des Abgeord-
neten Pawelczyk zu seiner Mündlichen Frage *). Schriftliche Antwort

Nach eingehender Information kann ich Ihnen des Parlamentarischen Staatssekretärs Moersch vom
jetzt, wie in der Fragestunde vom 7. Oktober d. J. 15. Oktober 1970 auf die Mündliche Frage des
zugesagt, die Frage beantworten, ob Offiziere mit Abgeordneten Dr. Häfele (Drucksache VI/ 1253
einem Hochschulstudium, um eine generelle Ver- Frage A 22) :
wendungsbreite zu haben, unter Umständen noch
Tut die Bundesregierung alles, urn dem Gnadengesuch für den
einmal eine Ausbildung von über 2 1 /2 Jahren an der seit Kriegsende in Gaeta/Italien inhaftierten Herbert Kappler
zum Erfolg zu verhelfen, damit durch einen humanitären Akt ge-
Führungsakademie haben müssen. genüber dem Verurteilten und eine freundschaftliche Geste
gegenüber einem Verbündeten ein Schlußstrich gezogen wird?
Studium und Ausbildung an der Führungsakademie
vermitteln unterschiedliche Befähigungen. Während Ihre Frage kann ich unbedenklich mit ja beant-
die Führungsakademie den Offizier auf den speziell worten. Sie können versichert sein, daß sich die
militärischen Generalstabsdienst vorbereitet, er- Bundesregierung aus humanitären Gründen auch
langt er durch ein Hochschulstudium einen auch weiterhin für eine baldige befriedigende Regelung
dem zivilen Bereich vergleichbaren allgemein höhe- dieses Falles einsetzen wird.

*) Siehe 69. Sitzung Seite 3791 ') siehe 69. Sitzung Seite 3793
4244 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 75. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 4. November 1970

Anlage 16 Anlage 17

Schriftliche Antwort Schriftliche Antwort

des Parlamentarischen Staatssekretärs Logemann des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Reischl


vom 4. November 1970 auf die Mündlichen Fragen vom 4. November 1970 auf die Mündlichen Fragen
des Abgeordneten Stücklen (Drucksache V/1339 Fra- des Abgeordneten Gallus (Drucksache VI/ 1339
gen A 11 und 12) : Fragen A 42 und 43) :
Ist der Bundesregierung bekannt, daß bei der Abwicklung der
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung gegenüber der Dieselkraftstoffverbilligung durch die Vorauszahlung erhebliche
italienischen Regierung eingeleitet, um das Töten von durch- Verwaltungsschwierigkeiten bei der Rückforderung von Geldbe-
ziehenden Singvögeln zu verhindern? trägen entstehen und zwar besonders bei solchen Landwirten,
welche die Landwirtschaft aufgeben?
Trifft es zu, daß auf Grund der kürzlich abgeschlossenen No-
vellierung der italienischen Gesetzgebung über das Töten von Ist es sinnvoll, diesen Verwaltungsaufwand auch dort zu be-
Singvögeln die gesetzlichen Erleichterungen so umfangreich sind, treiben. wo es sich um Bagatellbeträge unter 20 DM handelt,
daß mit einer starken Dezimierung der Vogelwelt durch Vogel- und wäre es nicht besser, aus Gründen der Bearbeitungsverein-
steller gerechnet werden muß? fachung und der Verwaltungsentlastung auf diese Beträge zu
verzichten?

Durch das italienische Gesetz vom 28. Januar 1970, Das Bundeskabinett hat am 11. Juni 1970 die
das am 3. März diesen Jahres in Kraft getreten ist, Bundesministerien der Finanzen, für Ernährung,
wurde der Vogelfang in Italien in sehr begrenztem Landwirtschaft und Forsten und für Verkehr be-
Maße wieder zugelassen. Artikel 1 Absatz 1 des auftragt, ein neues vereinfachtes Verfahren für
Gesetzes gestattet lediglich den Fang der Vögel zu die Dieselkraftstoffverbilligung für die Landwirt-
wissenschaftlichen Zwecken sowie zur Haltung als schaft zu erarbeiten. Durch den Auftrag, eine Ver-
Ziervögel. Nach Absatz 2 ist der Fang zu sonstigen einfachung herbeizuführen, wird deutlich, daß die
Zwecken sowie die Tötung der Vögel verboten. Bundesregierung die Schwierigkeiten des Ver-
fahrens kennt und bemüht ist, diese zu beseitigen.
Ich brauche nicht zu betonen, daß die Bundes-
regierung dem Schutz der Zugvögel vor allem auch Die Prüfungen der Ressorts sind noch im Gange.
wegen ihrer Bedeutung für das biologische Gleich- Ich bitte daher um Verständnis, wenn ich es nicht
-
für möglich halte, im jetzigen Zeitpunkt ein einzel-
gewicht des Naturhaushaltes große Bedeutung zu
mißt. Da der Gebrauch von Insektizieden (im Rah- nes Problem herauszugreifen und zu behandeln.
men des Umweltprogramms) überprüft werden
sollte, kommt gerade den Singvögeln erhöhte Be-
deutung in der Schädlingsbekämpfung zu.

Die Bundesregierung hat daher die Deutsche Bot- Anlage 18


schaft in Rom beauftragt, sich über das neue Gesetz
zu unterrichten. Wiederholte Anfragen der Bot-
schaft ergaben, daß die italienische Regierung den Schriftliche Antwort
Standpunkt vertritt, daß dem Vogelfang auch nach des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Reischl
seiner teilweisen Wiederzulassung enge Grenzen
vom 4. November 1970 auf die Mündlichen Fragen
gezogen seien und daß die Zahl derjenigen Perso- des Abgeordneten Walkhoff (Drucksache VI/1339,
nen, denen die Erlaubnis zum Vogelfang erteilt
FragenA53ud4):
wird, sehr klein gehalten werde.
Teilt die Bundesregierung die Meinung führender Vertreter
der Automobilindustrie, daß die Kraftfahrzeug-Besteuerung nach
Die Bundesregierung ist bemüht, auch auf inter- Hubraum die Entwicklung sicherer Wagen der niederen Preis-
nationaler Ebene ihre Vorstellungen über den klasse wesentlich erschwert und Möglichkeiten zur ausreichenden
Entgiftung der Abgase einschränkt?
Schutz der Singvögel zum Tragen zu bringen. Mög-
Hält die Bundesregierung im Falle der Bejahung eine anders-
lichkeiten werden vor allem im Abschluß internatio- artige Besteuerung für sinnvoll und anstrebenswert?
naler Konventionen gesehen. So ist bei der letzten
Sitzung der Arbeitsgruppe „Flora, Fauna und Land- Wie bereits im Bericht über den Stand der Steuer-
schaft" des Europarates eine Resolution gefaßt wor- reform (Bundestagsdrucksache VI/1152) ausgeführt,
den mit dem Ziel, eine internationale Konvention ist im Rahmen der Steuerreform auch die Reform
zum Schutz der Singvögel herbeizuführen. Die Bun- der Kraftfahrzeugsteuer in Angriff genommen wor-
desregierung will auch die Voraussetzungen zum den. Dabei wird geprüft, ob der Hubraum als Be-
Beitritt zur internationalen Vogelschutzkonvention steuerungsgrundlage für Personenkraftwagen noch
treffen. beibehalten werden kann. Selbstverständlich wer-
den in diesem Zusammenhang die Gesichtspunkte
Aufgrund der einschränkenden Bestimmungen des der Verkehrssicherheit und des Umweltschutzes be-
italienischen Gesetzes und aufgrund der vom italie- achtet werden.
nischen Landwirtschaftsministerium vertretenen
Über die mögliche Konzeption einer künftigen
Auffassung müßten die Folgen der italienischen Kraftfahrzeugbesteuerung kann allerdings zur Zeit
Neuregelung für den Singvogelbestand sich in Gren- noch keine Aussage gemacht werden, weil, wie die
zen halten. Die Bundesregierung ist dabei, sich über Bundesregierung schon mehrfach erklärt hat, den
die Auswirkungen dieser Neuregelung ein Bild zu Vorschlägen der unabhängigen Steuerreform-Kom-
verschaffen. Eine abschließende Beurteilung kann mission, die sich ebenfalls mit diesen Fragen be-
im jetzigen Stadium aber noch nicht erfolgen. schäftigt, nicht vorgegriffen werden soll.

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