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D eutscher Bundestag

71. Sitzung

Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970

Inhalt:

Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . 3931 A Fragen des Abg. Baron von Wrangel:


DPA-Meldung über eine Erklärung des
Fragestunde (Drucksache VI/ 1218) Bundesaußenministers
- betr. die Oder
Neiße-Grenze
Frage des Abg. Freiherr von Fircks:
Scheel, Bundesminister . . . . 3933 C, D,
Vereinbarkeit des deutsch-sowjetischen
3934 A, C, 3935 A
Gewaltverzichtsvertrages mit der Nicht-
anerkennung der Annektion der bal- Dr. Czaja (CDU/CSU) . 3933 D, 3934 B, C
tischen Staaten Dr. Schmitt-Vockenhausen,
Scheel, Bundesminister 3931 B, D, 3932 A Vizepräsident . . . . . . . 3934 A, B
Freiherr von Fircks (CDU/CSU) . . 3931 D, Freiherr von und zu Guttenberg
3932 A (CDU/CSU) 3934 D
Dasch (CDU/CSU) . . . . . . 3935 A
Frage des Abg. Hansen:
Überführung des Document Center in Fragen des Abg. Müller (Mülheim) :
deutsche Verwaltung
Sonderauflagen für weibliche Fahrer
Scheel, Bundesminister . . . . 3932 B, C von Bussen und Straßenbahnen
Hansen (SPD) . . . . . . . . 3932 B, C Dr. Auerbach, Staatssekretär 3935 B, C, D
Müller (Mülheim) (SPD) 3935 D
Frage des Abg. Weigl:
Vorschlag eines UN-Ausschusses betr.
Verbot von Krieger- und Flüchtlings- Frage des Abg. Härzschel:
verbänden Darlehen der Rentenversicherungsträ-
Scheel, Bundesminister 3932 D, 3933 A, B ger zur Erstellung von Eigenheimen
Weigl (CDU/CSU) . . . 3932 D, 3933 A Dr. Auerbach, Staatssekretär 3936 A, C, D
Dr. Fuchs (CDU/CSU) . . . . . . 3933 B Härzschel (CDU/CSU) . . . . . 3936 B, C
II Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970

Fragen der Abg. Frau Dr. Orth: Fragen des Abg. Dr. Apel:
Bearbeitung der auf Grund des Ar- Kommission „Deutsche Tiefwasserhä-
beitsförderungsgesetzes gestellten An- fen" — Entscheidung über den Stand-
träge ort des deutschen Tiefwasserhafens
Dr. Auerbach, Staatssekretär 3936 D, 3937 A Börner, Parlamentarischer
Staatssekretär . 3942 C, D, 3943 A, B, D

Fragen des Abg. Dr. Fuchs: Dr. Apel (SPD) . . 3942 C, D, 3943 B, C

Versorgung der Bevölkerung mit Haus-


Frage des Abg. Dr. Schwörer:
brandstoffen
„Aktion 65" der Bundesbahn
Rosenthal, Parlamentarischer
Staatssekretär . . . 3937 D, 3938 A, B Börner, Parlamentarischer
Staatssekretär . . . 3943 D, 3944 A, B
Dr. Fuchs (CDU/CSU) . 3937 D, 3938 A, B
Dr. Schwörer (CDU/CSU) . . . . 3944 A

Fragen der Abg. Frau Schimschok: Dr. Schmitt-Vockenhausen,


Vizepräsident 3944 C
Pressebericht über Säuglingsmilch-
küchen in Krankenhäusern — Sterili-
Abgabe einer Erklärung des Bundesmini-
sation von Säuglingsmilch
sters des Auswärtigen
Westphal, Parlamentarischer
Scheel, Bundesminister . 3944 C, 3953 B,
Staatssekretär 3938 C, D
3958 D
Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) 3949 B
Fragen des Abg. Dasch:
Dr. Barzel (CDU/CSU) . . . . . . 3956 B
Erhöhung des Kindergeldes und der
Freigrenze
Nächste Sitzung . . . . . . . . . . 3960 D
Westphal, Parlamentarischer
Staatssekretär 3939 A, B, C, D, 3940 A, B
Dasch (CDU/CSU) . . 3939 B, C, 3940 A
Müller (Berlin) (CDU/CSU) . . . . 3939 C Anlagen

Fragen des Abg. Dr. Wagner (Trier) : Anlage 1


Förderung der Ausbildung deutscher Liste der beurlaubten Abgeordneten . . 3961 A
Schüler im grenznahen Ausland
Westphal, Parlamentarischer Anlage 2
Staatssekretär . . . 3940 B, D, 3941 A Schriftliche Antwort auf die Mündliche
Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) 3940 D, Frage des Abg. Dr. Schmitt-Vockenhau-
3941 A sen betr. Erfahrungsbericht über den Bei-
trag der Bundesrepublik zur Weltaus-
Josten (CDU/CSU) 3941 A
stellung in Osaka 3961 D

Fragen des Abg. Susset: Anlage 3


Berufung des Beirats für Ausbildungs- Schriftliche Antwort auf die Mündliche
förderung — Einbeziehung neuer Aus- Frage des Abg. Sieglerschmidt betr. Ra-
bildungsformen in die Ausbildungsför- tifizierung des UNO-Einheitsabkommens
derung über Suchtstoffe 3961 D
Westphal, Parlamentarischer
Staatssekretär 3941 B, C, D Anlage 4
Susset (CDU/CSU) 3941 C Schriftliche Antwort auf die Mündliche
Josten (CDU/CSU) 3941 D Frage des Abg. Koenig betr. Übergangs-
regelung bis zur Abschaffung der grü-
nen Versicherungskarte 3962 A
Frage des Abg. Seefeld:
Inbetriebnahme der Notrufsäulen an Anlage 5
neuen Autobahnstrecken
Schriftliche Antwort auf die Mündliche
Börner, Parlamentarischer Frage des Abg. Dr. Schwörer betr. er-
Staatssekretär 3942 A, B mäßigte Fahrpreise für Rentner bei Be-
Seefeld (SPD) 3942 B nutzung der Bundesbahn 3962 B
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970 III

Anlage 6 Anlage 16
Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Schriftliche Antwort auf die Schriftliche
Fragen des Abg. Becker (Nienberge) betr. Frage des Abg. Weigl betr. Erhebung des
Bau von Lärmschutzanlagen an Auto- Lohnsteuerzuschlags bei Zahlung der
bahnen 3962 C Weihnachtsgratifikation 3966 A

Anlage 7 Anlage 17
Schriftliche Antwort auf die Mündliche Schriftliche Antwort auf die Schriftliche
Frage des Abg. Dr. Enders betr. Flächen- Frage des Abg. Kiechle betr. Vorausschau
bedienung in der Stückgutneuordnung 3962 D der realen und nominalen Wachstums-
raten für 1971 . . . . . . . . . . 3966 B
Anlage 8
Anlage 18
Schriftliche Antwort auf die Mündliche
Frage des Abg. Dr. Enders betr. Ausbau Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen
bestehender Umladehallen . . . . . . 3963 A Fragen des Abg. Baron von Wrangel
betr. unnötige Härten im Zonenrandge-
biet durch Nichtberücksichtigung der
Anlage 9 Mehrwertsteuer bei Gewährung von Bei-
Schriftliche Antwort auf die Mündlichen hilfen an Landwirte 3966 C
Fragen des Abg. Scheu betr. Zurückwei-
sung von Sendungen mit Briefmarken der Anlage 19
Dauerserie „Deutsche Bauwerke aus
Schriftliche Antwort auf die Schriftliche
zwölf Jahrhunderten" durch Ostblocklän-
Frage des Abg. Burger betr. bürokrati-
der 3963 B
sche Hindernisse beim Rentenkapitalisie-
rungsverfahren 3966 D
Anlage 10
Schriftliche Antwort auf die Mündliche Anlage 20
Frage des Abg. Dr. Jobst betr. Gesetz Schriftliche Antwort auf die Schriftliche
über die Zivilverteidigung der DDR . . 3963 C Frage des Abg. Weigl betr. Finanzierung
des Bildungsurlaubs 3967 B
Anlage 11
Schriftliche Antwort auf die Mündlichen Anlage 21
Fragen des Abg. Breidbach betr. „Aktion Schriftliche Antwort auf die Schriftliche
Vermögenserfassung" der DDR . . . . 3963 C Frage des Abg. Kiechle betr. Anstieg der
Arbeitslosigkeit im Jahre 1971 . . . . 3967 C

Anlage 22
Anlage 12 Schriftliche Antwort auf die Schriftliche
Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen Frage des Abg. Brandt (Grolsheim) betr.
Fragen des Abg. Lenzer betr. beschlag- Aufstiegschancen eines zur Bundeswehr
nahmtes privates deutsches Auslandsver- übertretenden Reserveoffiziers mit abge-
mögen 3964 A schlossenem Studium an einer staatlichen
Ingenieurschule 3967 C
Anlage 13
Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen Anlage 23
Fragen des Abg. Biechele betr. Presse- Schriftliche Antwort auf die Schriftliche
meldungen über den Zustand des ehema- Frage des Abg. Brandt (Grolsheim) betr.
ligen Reichsfilmarchivs 3965 B Einberufung eines Teilnehmers an einem
Kursus der Finanzschule Edenkoben zum
Anlage 14 Wehrdienst 3968 A
Schriftliche Antwort auf die Schriftliche
Frage des Abg. Becker (Nienberge) betr. Anlage 24
Verbesserungen bei der Zulage für Be- Schriftliche Antwort auf die Schriftliche
amte des gehobenen Dienstes mit Inge- Frage des Abg. Burger betr. Aufklä-
nieurprüfung 3965 C rungsserie des ZDF „Das Wunder des
Lebens" 3968 C
Anlage 15
Schriftliche Antwort auf die Schriftliche Anlage 25
Frage des Abg. Höcherl betr. Verein- Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen
fachung des Einzugsverfahrens für die Fragen des Abg. Storm betr. Ausbau der
Kraftfahrzeugsteuer 3965 D Bundesstraßen 76 und 501 3968 D
IV Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970

Anlage 26 Anlage 31
Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen
- Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen
Fragen des Abg. Dr. Hauff betr. Bau Fragen des Abg. Rock betr. personelle
einer Verzögerungsspur für die Auto- Besetzung des Posttelegrafenamts Braun-
bahnanschlußstelle Stuttgart-Flughafen . 3969 B schweig 3970 D

Anlage 32
Anlage 27
Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen
Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen
Fragen des Abg. Unertl betr. Pressemel-
Fragen des Abg. Dr. Schmitt-Vockenhau-
dungen über die Auflösung der Ober-
sen betr. Beschleunigung der Arbeiten an
postdirektion Regensburg . . . . . . 3971 A
der B 44 im Kreis Groß Gerau . . . . 3969 D

Anlage 33
Anlage 28 ' Schriftliche Antwort auf die Schriftliche
Schriftliche Antwort auf die Schriftliche Frage des Abg. Erpenbeck betr. Betriebs-
Frage des Abg. Dasch betr. Neubau des ausflug des Bundesministeriums für
Bahnhofsempfangsgebäudes in Burghau Städtebau und Wohnungswesen nach
sen 3970 A Bremen und Helgoland . . . . . . . 3971 B

Anlage 34
Anlage 29
Schriftliche Antwort auf die Schriftlichen
Schriftliche Antwort auf die Schriftliche
Fragen des Abg. Benda betr. Festnahme
Frage des Abg. Kiep betr. Zusammen-
von westdeutschen Reisenden mit frühe-
stöße mit Wild auf der B 8 zwischen Kö-
rem Wohnsitz in der DDR in Ostblock-
nigstein und Glashütten im Taunus . . 3970 B
ländern 3971 C

Anlage 30 Anlage 35
Schriftliche Antwort auf die Schriftliche Schriftliche Antwort auf die Schriftliche
Frage des Abg. Dasch betr. Beginn der Frage des Abg. Haase (Kassel) betr. Bun-
Bauarbeiten bei den Bundesfernstraßen deszuschüsse für Planung, Grunderwerb
München—Passau
- und Regensburg und Ausbau der Gesamthochschule Kas-
Traunstein 3970 C sel 3972 C
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970 3931

71. Sitzung

Bonn, den 9. Oktober 1970

Stenographischer Bericht Erklärung abgegeben hat, die eine Anerkennung der


Eingliederung der baltischen Staaten enthält. Die
Unterzeichnung des deutschsowjetischen. Vertra-
Beginn: 9.00 Uhr ges hat daran nichts geändert.

Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -


Ich habe nach meiner Rückkehr von Moskau ani
Die Sitzung ist eröffnet. 7. August auf dem Flughafen gesagt — ich darf mich
hier selbst zitieren —:
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden
ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht Unsere erklärte Bereitschaft, die Grenzen in
aufgenommen: Europa nicht mit Gewalt anzutasten, ist ein im
Der Bundesminister des Innern hat am 6. Oktober 1970 die
Vertrag festgelegter Teil unseres gegenseitigen
Kleine Anfrage der Abgeordneten Benda, Dr. Barzel, Stücklen Gewaltverzichts. Grenzen können im gegen-
und der Fraktion der CDU/CSU betr. Neuordnung des Beamten-
rechts — Drucksache VI/1177 — beantwortet. Sein Schreiben wird seitigen Einvernehmen auf friedlichem Wege
als Drucksache VI/1246 verteilt. auch in Zukunft verändert oder aufgehoben
Der Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft hat am 5. Ok-
tober 1970 mitgeteilt, daß wegen Ablaufs des Aufhebungsrechts
werden.
des Bundestages gemäß § 77 Abs. 7 des Zollgesetzes sich der
Ausschuß für Wirtschaft mit den beiden Vorlagen Damit ist die Tragweite des Art. 3 des deutsch-
Verordnung zur Ä nderung des Deutschen Teil-Zolltarifs Nr. sowjetischen Vertrages umrissen. Durch die Ver-
24/69 — Zollkontingente für Rohaluminium
— Drucksache VI /565 —
weisung auf die vorstehenden Ziele und Prinzipien
Verordnung zur Ä nderung des Deutschen Teil-Zolltarifs Nr. im Obersatz des Artikels ist klargestellt, daß er eine
5,10 — Angleichungszoll für Rohkaffee Konkretisierung des Gewaltverzichts im Hinblick
— Drucksache VI/591 —
auf die Grenzen enthält. Die Verpflichtung beider
nicht befaßt hat und eine besondere Berichterstattung an das
Plenum infolge des Zeitablaufs nicht mehr erforderlich sei. Seiten, die territoriale Integrität aller Staaten in
Europa zu beachten, schließt also einseitige gewalt-
Wir treten in die same Änderungen aus.

Fragestunde
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

— Drucksache VI/1218 — Eine Zusatzfrage.


ein. Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des
Auswärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht der Freiherr von Fircks (CDU/CSU): Herr Minister,
Herr Außenminister zur Verfügung. sind Sie mit mir nicht der Meinung, daß nach den
Regeln der Logik und auch der deutschen Sprache
Ich rufe die Frage des Abgeordneten Freiherr von
die „Achtung der Integrität eines Staates in seinen
Fircks auf:
heutigen Grenzen", wie es heißt, dann nicht unbe-
Wie ist nach Auffassung der Bundesregierung der zweite Satz
des Artikels 3 im deutschsowjetischen Gewaltverzichtsvertrag, grenzt, sondern eingeschränkt gilt, wenn zugleich
in dem sich die Bundesregierung verpflichtet, die territoriale behauptet wird, daß Teile jener Grenzen völker-
Integrität aller Staaten in Europa in ihren heutigen Grenzen
uneingeschränkt zu achten, vereinbar mit dem Antwortschreiben rechtswidrig, nämlich nicht durch Vertrag, sondern
des Auswärtigen Amtes vom 27. August 1970 (s. „Baltische
Briefe" 9/70) auf eine Anfrage des Baltischen Rats bezüglich des
durch Annexion zustande gekommen sind?
Standpunktes der Bundesregierung zur Frage der Baltischen
Staaten, wo es heißt, daß die Bundesregierung ihren bekannten
Standpunkt in der Frage der Baltischen Staaten — der zuletzt in
einem Schreiben des Bundesinnenministeriums vom 14. Juni 1968
an die IRO als „Nichtanerkennung der von der Sowjetunion
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Ich
durchgeführten Annexion der Baltischen Staaten" formuliert habe den letzten Teil Ihres Satzes akustisch nicht
worden war — nicht geändert habe?
verstanden.
Herr Bundesminister!
Freiherr von Fircks (CDU/CSU) : Wenn be-
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Die hauptet wird, daß ein Teil dieser Grenzen nicht nach
Antwort des Auswärtigen Amtes vom 27. August dem Völkerrecht durch Vertrag, sondern völker-
auf das Schreiben des Baltischen Rates vom 20. Juli rechtswidrig durch Annexion zustande gekommen
geht davon aus, daß keine Bundesregierung eine ist.
3932 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970

Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Das uns nicht akzeptiert werden können. Deswegen müs-
hindert uns ja nicht daran, festzustellen, daß ein- sen die Verhandlungen noch weitergehen.
seitige Veränderungen von Grenzen, die normaler-
weise immer nur mit Gewalt vor sich gehen kön- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

nen, den Frieden in Europa gefährden und deshalb Eine weitere Zusatzfrage.
von uns nicht zur Grundlage unserer Politik ge-
macht werden. Hansen (SPD): Herr Minister, halten Sie es für
vertretbar, daß Auskünfte, die von obersten Bundes-
Wir haben — wenn ich das noch hinzufügen darf
behörden beim Document Center eingeholt werden,
— zum rechtlichen Zustandekommen, zu dem Rechts-
durchschnittlich eine Laufzeit von einigen Monaten
charakter von Grenzen keine Stellung genommen.
bzw. von einigen Wochen haben, obwohl zuweilen
Versorgungsansprüche von Rentnern und anderen
Freiherr von Fircks (CDU/CSU) : Herr Minister, davon abhängen, und meinen Sie nicht, daß die Tat-
gibt es irgendwo einen Nachweis oder auch nur sache, daß selbst telegraphische Auskünfte an den
einen Hinweis dafür, daß die UdSSR als Vertrags- Verfassungsschutz manchmal fünf bis zehn Tage
partner der Bundesregierung den Wortlaut und In- dauern, ein Risiko für die innere Sicherheit der Bun-
halt des Art. 3 des Vertrages ebenso interpretiert, desrepublik bedeuten kann?
wie Sie es soeben hier getan haben?
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Es
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Das wäre zu wünschen, daß Anfragen an das Document
wird die Diskussion über den Vertrag hier ergeben. Center in einem Zeitraum abgewickelt werden kön-
Zu diesem Punkte bin ich befugt, aus den Protokol- nen, der der jeweiligen Sache angemessen ist und
len der Verhandlungen die dazu gemachten Äuße- der Dringlichkeit der Anfrage gerecht wird. Solange
rungen des sowjetischen Außenministers wiederzu- wir aber die Verwaltung des Document Center nicht
geben; das wird in der Diskussion zum Vertrag hier haben, besteht naturgemäß kein direkter Einfluß auf
zutage kommen. die zügige Abwicklung von Vorgängen.

Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -


Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Ich rufe die Frage des Herrn Abgeordneten Hansen Ich rufe die Frage 107 des Herrn Abgeordneten
auf — der Herr Abgeordnete ist im Saal —: Weigl auf:
Teilt die Bundesregierung die Befürchtungen deutscher Diplo-
Wann ist damit zu rechnen, daß das zur Zeit noch dem Foreign
maten, daß der vom UN-Unterausschuß zur Verhinderung von
Office der USA untergeordnete „Document Center" (Berlin), das
wichtige Dokumente aus der Zeit des Nationalsozialismus ent- Diskriminierungen und zum Schutz der Minderheiten der Men-
schenrechtskommission der Vereinten Nationen unterbreitete
hält, in die Zuständigkeit des Innenministeriums übergeführt
Resolutionsvorschlag, außer dem Verbot von Organisationen
wird?
nazistischen und rassistischen Charakters auch Gruppen, die
sich als Krieger-, Veteranen- oder Flüchtlingsverbände tarnen,
Bitte! eine Betätigungserlaubnis zu versagen, das Ziel einer Ein-
mischung in innere Angelegenheiten der Bundesrepublik Deutsch-
land verfolgt?
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: 1967
Herr Minister!
und 1968 fanden Besprechungen zwischen dem Aus-
wärtigen Amt, dem Bundesministerium des Innern
und der amerikanischen Botschaft über einen ameri- Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Herr
kanischen Vorschlag statt, das Document Center in Kollege Weigl, wir haben keine ernstlichen Befürch-
Berlin in deutsche Verwaltung zu übergeben. Die tungen der Art, die Sie ausgesprochen haben. Der
Besprechungen haben zu keinem Ergebnis geführt, sowjetische Resolutionsvorschlag vor dem Unter-
weil die beiden Regierungen sich über die Bedin- ausschuß, den Sie genannt haben, bringt zwar eine
gungen der Übergabe nicht einigen konnten. Die Ausweitung und Verallgemeinerung des behandel-
amerikanische Regierung besitzt als Besatzungs- ten Themas des Rassendiskriminierungs- und Min-
macht in Berlin die Kontrolle über das Document derheitenschutzes und bietet mit Begriffen wie
Center. Sobald es zur Einigung über die Bedingun- „Chauvinismus", „Militarismus" und ,,Revanchis-
gen kommt, wird die Bundesregierung die Archiv- mus" und dem Hinweis auf Krieger-, Vertriebenen-
bände übernehmen. und Veteranenverbände gewisse Möglichkeiten wei-
terer Angriffe propagandistischer Art auch gegen
uns. Eine Gefahr, daß damit das Ziel einer Ein-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
mischung in innere Angelegenheiten der Bundes-
-

Eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter.


republik Deutschland verfolgt werde, wird jedoch
nicht gesehen.
Hansen (SPD) : Herr Minister, teilen Sie meine
Auffassung, daß 25 Jahre nach Kriegsende auch die Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

deutschen Historiker — und hier ist besonders an Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Weigl.
die Zeitgeschichtler zu denken — ein Recht darauf
haben, jede Einsicht in alle Quellen über den Na- Weigl (CDU) : Herr Minister, schließt der
tionalsozialismus zu haben? deutsch-sowjetische Vertrag nicht von vornherein
aus, daß der sicherlich von der Sowjetunion initi-
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Ich ierte Resolutionsvorschlag auf diese Krieger- und
teile diese Auffassung, aber ich glaube, daß die von Soldatenverbände in der Bundesrepublik abzielen
den Vereinigten Staaten gestellten Bedingungen von könnte?
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970 3933

Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Wir uns denken, weil wir wissen, daß es Angriffe dieser
machen meist den Fehler, ,daß wir uns Schuhe an- Art auf uns zwar geben kann, solche aber sicher un-
ziehen, die möglicherweise gar nicht für -uns be- gerechtfertigt sein werden.
stimmt sind. Wenn in der Welt von Chauvinismus
gesprochen wird, muß ich gestehen, daß ich schon Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen:
nach der historischen Entwicklung nicht primär an Ich rufe die Frage 108 des Abgeordneten Baron von
die Bundesrepublik Deutschland denken würde, und Wrangel auf:
wenn von Krieger- und Veteranenverbänden ge-
Kann die Bundesregierung die Meldung der Deutschen Presse-
sprochen wird, denke ich an viele solcher Verbände agentur vom 26. September 1970 bestätigen, derzufolge Bundes-
außenminister Scheel vor Auslandskorrespondenten in New York
in der ganzen Welt und nicht primär und immer ein- erklärt haben soll, Polen habe das Recht, in gesicherten Grenzen
geengt an die Bundesrepublik Deutschland. Da in zu leben, die Bundesregierung respektiere die Oder-Neiße-Linie
als Westgrenze Polens, müsse aber den Vorbehalt machen, daß
diesem Zusammenhang niemand von der Bundes- diese Grenzregelung in einem Friedensvertrag, falls ein solcher
republik Deutschland gesprochen hat, sondern das zustande kommen sollte, bestätigt werde?

ein weltweites universales Problem ist, das disku- Diese Frage steht in einem gewissen Zusammen-
tiert worden ist, kann man den Verdacht haben, ,daß hang mit der nächsten Frage des Fragestellers. Wol-
es Leute geben könnte — wo, weiß ich nicht —, die len Sie beide Fragen gemeinsam beantworten, und
auch die Bundesrepublik Deutschland im Auge ha- ist der Herr Fragesteller damit einverstanden?
ben. Dieser Verdacht muß aber nicht unbedingt zu-
treffen. Zunächst einmal bin ich gar nicht der Auffas-
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Ja, ich
sung, daß wir selbst uns in der Diskussion mit sol- möchte die Fragen gemeinsam beantworten. Sie
chen Fragen befassen sollten, wenn niemand sonst sind auch sehr kurz zu beantworten.
sich damit befaßt.
(Beifall bei Abgeordneten der Regierungs Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen:
parteien.) Ich rufe also auch die Frage 109 des Abgeordneten
Baron von Wrangel auf:
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß diese Erklärung
Herr Kollege, Sie haben noch eine zweite Zusatz- des Bundesaußenministers im Widerspruch zu der Antwort steht,
in der er am 29. April 1970 in der Fragestunde des Deutschen
frage. Bundestages auf die Frage des Vorsitzenden der Fraktion der
CDU/CSU, Dr. Barzel, 'ob die Bundesregierung eine Absichts-
erklärung für die Haltung der Bundesrepublik Deutschland für
den Fall einer friedensvertraglichen Regelung plane, diese Frage
Weigl (CDU/CSU) : Wenn ich Ihre Antwort richtig verneint hatte?
verstanden habe, teilen Sie also die von mir aus-
(Ein Abgeordneter der Mitte meldet sich zu
gesprochenen Befürchtungen nicht?
einer Zusatzfrage zu Frage 107.)
— Herr Kollege, der amtierende Präsident entschei-
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Ich det, inwieweit bei Fragen noch weitere Zusatzfragen
teile die Befürchtungen nicht, und ich will einen
zugelassen werden. Im Hinblick auf die zahlreichen
Zusatz machen: In der Behandlung des Themas im
eingereichten Fragen, die noch beantwortet werden
Unterausschuß der Vereinten Nationen hat der An-
sollen, habe ich jetzt die Fragen des Herrn Kolle-
tragsteller in seinem Antrag und in der Antrags-
gen Wrangel aufgerufen. — Bitte, Herr Minister!
begründung zunächst sogar entgegen früherer Pra-
xis die Bundesrepublik Deutschland nicht mehr in
den Vordergrund des Interesses geschoben. Das Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Herr
habe ich für eine Folge des Vertragsabschlusses ge- Kollege Wrangel, ich habe hier die dpa-Meldung
halten. Wenn in der Diskussion dann noch von allen vor mir liegen, auf die Sie sich beziehen. Diese Mel-
Seiten härtere Formulierungen alten Stils gefolgt dung ist die Zusammenfassung einer Diskussion,
sind, ist es für uns nicht nützlich, das in den Vorder- die ich in den Vereinigten Staaten gehabt habe, eine
grund zu stellen. Zusammenfassung von Gesprächen mit Journali-
sten. Sie trifft nicht wörtlich, aber dem Sinne nach
zu; wörtlich kann sie nicht zutreffen, da sie gerafft
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen: ist. Sie steht nicht in einem Widerspruch zu dem,
Zu einer Zusatzfrage Herr Kollege Fuchs. was ich hier im Bundestag gesagt habe, nämlich daß
eine endgültige Regelung in der Frage der Oder-
Dr. Fuchs (CDU/CSU) : Herr Bundesminister, Neiße-Linie nur durch einen Friedensvertrag erfol-
könnten Sie verstehen, daß man aus Ihrer letzten gen kann.
Antwort doch entnehmen könnte, daß der eigent-
liche Grund die Bundesrepublik Deutschland gewe- Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen:
sen ist, auch wenn sie aus taktischen Gründen nicht Der Herr Kollege von Wrangel stellt keine Zusatz-
genannt wurde? frage. Zu einer Zusatzfrage Herr Abgeordneter
Czaja.
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Nein.
Ich kann mir Leute vorstellen, die sich in einem ge- Dr. Czaja (CDU/CSU) : Herr Bundesaußenmini-
wissen Eifer mit sich selbst beschäftigen und das zu- ster, können Sie versichern, daß sich die Bundesre-
nächst vermuten. Aber ich kann mir auch andere publik Deutschland als Bundesrepublik Deutschland
vorstellen, die mit großer Gelassenheit und in nicht zur Unterlassung verpflichten will und wird,
Kenntnis der Struktur dieser Welt nicht primär an mit friedlichen, diplomatischen und politischen Mit-
3934 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970

Dr. Czaja
teln eine Änderung der Demarkationslinien in Dr. Czaja (CDU/CSU): Die bisherigen Kommen-
Deutschland, insbesondere an Oder und Neiße, zu tare waren noch viel länger. — Ich habe gefragt --
erreichen, also als politisch wirksames Völkerrechts- das wird das Protokoll ausweisen —: Können Sie
subjekt alles so zu betreiben, daß für Schlesien, versichern, daß die Bundesrepublik Deutschland sich
Oberschlesien, Pommern, West- und Ostpreußen eine nicht verpflichtet, zu unterlassen, als politisch wirk-
für Polen und Deutsche tragbare Lösung zustande sames Völkerrechtssubjekt mit friedlichen, diploma-
kommt, und daß die Bundesrepublik Deutschland tischen und politischen Mitteln eine Änderung der
nichts unterlassen wird, um sich für die möglichste Demarkationslinie an Oder und Neiße in der Weise
Bewahrung des Territoriums Deutschland, wie es anzustreben, daß für Schlesien, Oberschlesien, Pom-
die Berliner Feststellung vom 5. Juni 1945, das mern, Westpreußen und Ostpreußen eine für Polen
Potsdamer Protokoll und der Deutschlandvertrag und Deutsche tragbare Lösung zustande kommt?
zur Grundlage haben, mit diplomatischen Mitteln
einzusetzen?
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Herr
Kollege Czaja, verstehen Sie denn nicht, daß die
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
Bundesrepublik Deutschland — sie hat ja, wenn
Herr Kollege Czaja, das war eine vorbereitete Zu- ich das richtig sehe, im Augenblick keine Grenze mit
satzfrage. Ich erlaube mir die Anmerkung, den Richt- Polen —, wenn sie eine solche Politik betriebe, wie
linien für die Fragestunde, daß auch Zusatzfragen Sie sie offenbar anregen wollen, in eine etwas
kurz gefaßt sein sollen, entspricht sie sicher nicht. merkwürdige Situation käme? Es kann doch nur
(Abg. Dr. Czaja: Ich wäre trotzdem für ein darum gehen, Herr Kollege Czaja, daß wir in ver-
kurzes Ja oder Nein dankbar!) traglichen Regelungen, die wir mit Polen treffen
wollen, zunächst einmal eines berücksichtigen, näm-
— Das ist eine andere Frage, ob der Herr Minister
lich daß es eine Verantwortlichkeit der vier alliier-
im Sinne der Richtlinien für die Fragestunde ant-
ten Mächte für alle Fragen, die Deutschland als
wortet. Ich würde es aber für gut halten, wenn
eine solche ausgedehnte Zusatzfrage dem Herrn Ganzes angehen, gibt. Das gilt auch im Hinblick auf
die endgültige Regelung der Grenzfrage. Diese Ver-
Bundesminister zur Kenntnis gegeben würde.
antwortlichkeit besteht so lange, his es einen Frie-
densvertrag geben wird. Der Friedensvertrag und
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Herr die Verantwortlichkeit der vier Alliierten für die
Kollege Czaja, es ist immer besonders — wie soll Fragen, die Deutschland als Ganzes angehen, sind
ich sagen — erleichternd für den Befragten, wenn er zwei unauflöslich miteinander verbundene Dinge.
eine sehr umfangreiche Frage gestellt bekommt, die Solange es keinen Friedensvertrag gibt — und es
ohne weiteres ein Referat von 45 Minuten auslösen gibt keinen Friedensvertrag —, bleiben diese Ver-
könnte, und dann im Interesse der Zeitersparnis al- antwortlichkeiten bestehen, ist eine endgültige Re-
lerdings vom Fragesteller den wohlgemeinten Rat- gelung dieser Frage nicht möglich. Diese Frage
schlag bekommt, sie mit Ja oder Nein zu beant- regelt sich erst in einer Friedensvertragskonferenz.
worten. Das muß vorab gesagt werden.
Aber ich darf mir erlauben, eine Gegenfrage zu
stellen. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, fragen Die Bundesregierung ist aber bereit — das habe
Sie doch, ob die Bundesrepublik Deutschland bereit ich hier mehrfach gesagt —, bis dahin dem Recht der
ist oder nicht, zugunsten oder zuungunsten — ich Polen, in gesicherten Grenzen zu leben — dieses
weiß es nicht — der Deutschen Demokratischen Re- Recht ist früher auch von anderen Regierungen
publik Grenzveränderungen mit Polen zu bestäti- immer wieder betont worden —, dadurch wirklich
gen oder nicht. Geltung zu verschaffen, daß wir die Oder-Neiße-
Linie, so wie sie verläuft, als Westgrenze Polens be-
(Abg. Dr. Czaja: So habe ich die Frage nicht trachten, wobei wir über deren Rechtscharakter gar
gestellt!) nichts sagen.
— Ich habe Sie also falsch verstanden.
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:


- Herr Kollege von und zu Guttenberg!
Herr Minister, das war ja der Grund meiner Inter-
vention bei dem Fragesteller.
Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) :
Herr Minister, besteht nicht ein gewisser Wider-
Dr. Czaja (CDU/CSU) : Darf ich die Frage unter spruch zwischen einerseits dem, was Sie vorhin in
Zitierung der Quellen klar wiederholen? Ich darf Beantwortung der Fragen des Kollegen Baron von
hier doch wohl die Quellen zitieren. Wrangel gesagt haben — ich bitte den Herrn Prä-
sidenten um Verständnis dafür, daß die Begründung
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
- meiner Frage einen längeren Satz erfordert —, daß
Herr Kollege Czaja, für die Fragestunde gibt es nämlich die dpa-Erklärung über das, was Sie in New
Richtlinien. Diese Richtlinien sehen vor, daß die Fra- York geäußert haben. dem Sinne nach richtig sei,
gen kurz sein sollen. Das heißt, Quellenzitate kön- womit Sie also bestätigen, daß Sie dort gesagt
nen nur schwer in der Fragestunde gebracht werden. haben, eine Grenzregelung müsse in einem Frie-
Ich bitte Sie nunmehr, Ihre Frage nochmals kurz ge- densvertrag, falls ein solcher zustande kommen
faßt zu stellen; ich dürfte sonst die Zusatzfrage nicht sollte, bestätigt werden, und andererseits dem, daß
zulassen. Fragen Sie bitte! Sie gesagt haben, Sie sähen in dieser Ihrer New
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970 3935
Freiherr von und zu Guttenberg
Yorker Erklärung keinen Widerspruch zu dem, was auch die Frage 47 des Abgeordneten Müller (Mül-
Sie hier im Bundestag Herrn Dr. Barzel erklärt heim) auf:
haben, daß nämlich die Bundesregierung nicht die Wäre es nicht sinnvoller, unzeitgemäße Erlasse und Anord-
nungen aus vergangenen Jahrzehnten aufzuheben, statt die Be-
Absicht habe, in diesem Zusammenhang eine Er- troffenen auf den Weg einer Normenkontrollklage beim Bundes-
klärung über den Inhalt eines Friedensvertrages verfassungsgericht zu verweisen?

abzugeben? Herr Staatssekretär!

Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Herr Dr. Auerbach, Staatssekretär des Bundesministe-
Kollege von Guttenberg, es kann eigentlich nur ein riums für Arbeit und Sozialordnung: Die Bundes-
übersteigertes Mißtrauen Sie zu dieser Frage ge- regierung ist der Auffassung, Herr Abgeordneter,
führt haben. Denn wenn ich sage, daß eine Grenz- daß diskriminierende Sonderauflagen für Fahrerin-
regelung einer Bestätigung durch einen Friedens- nen von Bussen oder Straßenbahnen, also Auflagen,
vertrag bedarf, dann heißt das für jemanden, der die nicht einem besonderen Schutzbedürfnis der
nicht übertrieben mißtrauisch ist: wenn es eine Frauen dienen, nicht mit dem Grundsatz der Gleich-
solche Bestätigung nicht geben sollte, kann die berechtigung von Männern und Frauen vereinbar
Grenzregelung nicht rechtsgültig werden. sind. Sie hat deshalb bereits im Sozialbericht 1970
angekündigt, daß die Anordnung über die Beschäf-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: - tigung von Frauen auf Fahrzeugen, die vor 30 Jah-
Eine weitere Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten ren erlassen wurde, überprüft wird. Dieser Ankün-
Dasch. digung entsprechend ist im Juli dieses Jahres der
Entwurf einer neuen Verordnung über die Beschäf-
tigung von Frauen auf Fahrzeugen erstellt worden.
Dasch (CDU/CSU) : Herr Minister, Sie haben vor-
In diesem Entwurf wird vorgeschlagen, das zur Zeit
her gesagt, daß wir keine gemeinsame Grenze mit
bestehende generelle Beschäftigungsverbot durch
Polen haben und daß Sie deswegen in gewisser
einen individuellen Gesundheitsschutz, insbeson-
Weise nicht antworten könnten. Ich frage Sie: Was
dere in Form regelmäßiger ärztlicher Vorsorge-
hat denn dann eigentlich die Bundesregierung be-
untersuchungen, zu ersetzen. Frauen sollen also in
wogen, dem Art. 3 des deutsch-sowjetischen Ver-
Zukunft ohne besondere Ausnahmegenehmigungen
-trages zuzustimmen, in dem steht: „die Oder-Neiße
beschäftigt werden können, sofern hiergegen keine
Grenze als Westgrenze Polens"?
gesundheitlichen Bedenken bestehen.

Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Ich


Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:-
kann Ihnen präzise sagen, was die Bundesregierung
Herr Kollege, eine Zusatzfrage? — Bitte schön!
dazu bewogen hat: ihre Absicht, in Europa den
jetzigen Zustand zu überwinden und, nachdem es
gelungen ist, mit den westeuropäischen Ländern ein Müller (Mülheim) (SPD) : Herr Staatssekretär,
Verhältnis der Freundschaft zu entwickeln, jetzt teilen Sie meine Auffassung, daß dies nicht nur
endlich, nach 25 Jahren, auch die Normalisierung eine verfassungsrechtliche Frage ist, sondern auch
unserer Verhältnisse zu Osteuropa einzuleiten. eine Frage, die die Nahverkehrsbetriebe wirtschaft-
lich sehr stark berührt, und das es deshalb wün-
(Beifall bei der SPD.)
schenswert wäre, diese Probleme beschleunigt einer
Lösung zuzuführen, insbesondere nachdem Sie
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: - selbst vorhin erklärt haben, daß die alte Anord-
Ich danke Ihnen, Herr Bundesminister. nung, auf die man sich beruft, noch in die vierziger
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesmini- Jahre zurückgeht?
sters für Arbeit und Sozialordnung auf. Zur Beant-
wortung der Fragen steht Herr Staatssekretär Pro- Dr. Auerbach, Staatssekretär des Bundesministe-
fessor Dr. Auerbach zur Verfügung. riums für Arbeit und Sozialordnung: Ja, sie stammt
Ich rufe als erste Frage die Frage 46 des Abgeord- aus der Kriegszeit. — Herr Abgeordneter, für die
neten Müller (Mülheim) auf: Zeit bis zum November vorigen Jahres kann Herr
Minister Arendt keine Verantwortung übernehmen.
Hält es die Bundesregierung für vereinbar mit dem Grundsatz
der Gleichberechtigung, wenn weibliche Fahrerinnen von Bussen Wir haben sofort mit der Prüfung begonnen, welche
oder Straßenbahnen in öffentlichen Verkehrsbetrieben gegenüber
ihren männlichen Kollegen einer Reihe von Sonderauflagen der Arbeitsschutzverordnungen geändert werden
unterworfen werden? sollten. Sie kennen die vor allem in den Vereinigten
Herr Staatssekretär! Staaten von Amerika vorgetragene Rechtsauffas-
sung der sogenannten open-door-Bewegung, die be-
sagt: Völlig unabhängig von den gesundheitlichen
Dr. Auerbach, Staatssekretär des Bundesministe- Gefahren, die sehr häufig für Männer und Frauen
riums für Arbeit und Sozialordnung: Herr Präsident, unterschiedlich sind, wollen wir gleiches Arbeits-
darf ich die Fragen 46 und 47 zusammen beant- schutzrecht haben. Das wird von allen Parteien die-
worten? ses Hohen Hauses abgelehnt, genauso wie der
Amtsvorgänger meines Ministers und mein Minister
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: - das ablehnen. Deshalb wollen wir einen individuel-
Ist der Herr Fragesteller damit einverstanden? — len Gesundheitsschutz. Wir stehen zur Zeit in Bera-
Der Fragesteller ist einverstanden. Ich rufe dann tungen mit den obersten Arbeitsbehörden der Län-
3936 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970

Staatssekretär Dr. Auerbach


der sowie mit den Gewerkschaften und den Arbeit- Dr. Auerbach, Staatssekretär des Bundesministe-
geberverbänden. Ich kann nicht dafür garantieren, riums für Arbeit und Sozialordnung: Es besteht
daß die Beratungen noch in diesem Kalenderjahr ab- durch die unterschiedliche Finanzlage selbstver-
geschlossen werden können. Ich hoffe aber, daß die ständlich auch ein ganz erheblicher Unterschied in
Verordnung in absehbarer Zeit erlassen werden der Finanzierung. Ich glaube aber nicht, daß man
kann. ohne weiteres von Benachteiligung sprechen kann,
weil die Zahl der Anträge bei der Angestelltenver-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
sicherung vom Versichertenkreis her selbstverständ-
Keine weitere Zusatzfrage. Ich danke Ihnen. lich viel höher ist als die Zahl der Anträge bei der
Arbeiterrentenversicherung, mindestens relativ hö-
Herr Kollege Weigl, Sie hatten Ihre Frage zurück- her. Ich habe die Zahlen nicht da. Wir werden aber
gezogen? Soll das so bleiben? — Ich will mich nur auch noch mit dem Verband der Rentenversicherun-
vergewissern. gen diese Frage zu besprechen haben, um zu sehen,
Wir kommen zu der Frage 49 des Herrn Abgeord- was zu machen ist. Aber Sie wissen, Herr Abgeord-
neten Härzschel: neter — die Beratungen liegen noch nicht lange
Wie hoch waren die Darlehen, die in den Jahren 1968 und 1969 zurück —, daß das Dritte Rentenversicherungsände-
von den Rentenversicherungsträgern den Versicherten zur Er-
stellung von Eigenheimen und Eigentumswohnungen gewährt
rungsgesetz präzise Bestimmungen darüber ent-
wurden, von der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte und hält, daß es die erste Aufgabe ist, die Rentenzah-
von den Landesversicherungsanstalten?
lung jederzeit sicherzustellen, und deshalb ein Teil
Herr Staatssekretär! der Rücklage der Rentenversicherungsträger jeder-
zeit liquide gehalten werden muß.
Dr. Auerbach, Staatssekretär des Bundesministe-
riums für Arbeit und Sozialordnung: Die Zahlen, Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Herr Abgeordneter, sind die folgenden. Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege? — Bitte!
Im Jahre 1968 hat die Bundesversicherungsanstalt
für Angestellte rund 267 Millionen DM und im Jahre Härzschel (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, ist
1969 rund 348 Millionen DM Darlehen für die Er- Ihnen bekannt, daß einzelne Landesversicherungs-
stellung von Eigenheimen und Eigentumswohnun- anstalten überhaupt keine Darlehen mehr an Arbei-
gen an Versicherte gegeben. Darin sind allerdings ter auszahlen, und wären Sie bereit, zu überprüfen,
auch die Mittel enthalten, die den Versicherten nicht ob Sie hier wieder die Gleichheit der beiden An-
unmittelbar, sondern über Kreditinstitute zur Ver- stalten herbeiführen können?
fügung gestellt wurden. Es ist aber gesichert, daß
die Mittel nur für Angestelltenversicherte gegeben Dr. Auerbach, Staatssekretär des Bundesministe-
wurden. riums für Arbeit und Sozialordnung: Durch die Be-
Bei den Trägern der Rentenversicherung der Ar- stimmungen des Dritten Rentenversicherungsände-
beiter wirkt sich die unterschiedliche Finanzlage rungsgesetzes, das ich mir schon zu zitieren er-
natürlich erheblich aus. Es sind als Hypothekendar- laubte, müssen ,die einzelnen Träger der Rentenver-
lehen für Wohnungsgrundstücke im Jahre 1968 sicherung auf jeden Fall einen Teil ihrer Mittel
49 Millionen DM und im Jahre 1969 24 Millionen liquide halten. Wir haben eine Reihe Rentenver-
DM gegeben worden. Diese Statistik über die Ver- sicherungsträger, die heute schon zuschußbedürftig
mögensanlage läßt nicht erkennen, in welcher Höhe sind oder dicht daran sind, es zu werden. Bei diesen
diese Beträge direkt an Versicherte oder an Woh- Trägern werden selbstverständlich die Leistungen
nungsbauunternehmen zur Begründung eines Bele- für diesen Zweck wesentlich niedriger sein als bei
gungsrechts zugunsten Versicherter gezahlt wurden. den großen Landesversicherungsanstalten wie Rhein-
Nach der Bewilligungspraxis der Träger kann aber provinz oder Westfalen.
angenommen werden, daß die Mittel fast ausschließ-
lich den Versicherten zugeteilt worden sind. Es kön- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

nen aber im Einzelfall auch Darlehen für Rentner Ich rufe die Frage 50 der Abgeordneten Frau Dr.
dieser Träger gegeben worden sein. Orth auf:
Außerdem haben die Träger der Rentenversiche- Trifft es zu, was in der ZDF-Sendung „Länderspiegel" vom
26. September 1970 festgestellt wurde, daß von insgesamt
rung der Arbeiter Mittel in Pfandbriefen angelegt, 145 000 eingereichten Anträgen zum Arbeitsförderungsgesetz
62 000 noch nicht bearbeitet worden sind?
die über Kreditinstitute wiederum den Versicherten
für den Wohnungsbau zugute kamen. Sie beliefen Herr Staatssekretär, ich frage Sie, ob Sie, weil ein
sich für das Jahr 1968 auf 5,3 Millionen DM und Zusammenhang besteht, die Fragen gemeinsam be-
für das Jahr 1969 auf 170 Millionen DM. antworten wollen, wenn die Frau Kollegin einver-
standen ist.
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Eine Zusatzfrage! Dr. Auerbach, Staatssekretär des Bundesministe-


riums für Arbeit und Sozialordnung: Ich wäre dank-
bar, wenn ich das tun dürfte.
Härzschel (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, sind
Sie nicht der Meinung, daß diese Zahlen eine un-
gleiche Entwicklung andeuten, die auf Grund des Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

DritenRvschugäderntzsi Ich rufe dann noch die Frage 51 der Abgeordneten


Arbeiter erheblich benachteiligt? Frau Dr. Orth auf:
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970 3937
Vizepräsident Dr. Schmitt-Vockenhausen
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, zur Vermeidung allerdings festgestellt, daß nicht bei allen Arbeits-
unbilliger Härten für die Antragsteller die Bearbeitung dieser
Anträge zu beschleunigen? ämtern die Durchführungsbestimmungen vorliegen.
- Ich weiß nicht, woran das liegt. Ich war so erstaunt,
Bitte, Herr Staatssekretär!
daß ich den Präsidenten eines Landesarbeitsamtes
um Auskunft gebeten habe. Er hat mir zugesagt,
Dr. Auerbach, Staatssekretär des Bundesministe-
das zu überprüfen, und ich bekomme eines Tages
riums für Arbeit und Sozialordnung: Das Anwach-
Bescheid. Wir müssen jetzt auch prüfen, ob der Ver-
sen der Zahl der Anträge auf Förderung der beruf-
lichen Fortbildung und Umschulung, auf die sich Ihre waltungsrat sich in der Lage sieht, weitere Pauscha-
Frage, Frau Abgeordnete, bezieht, ist im Grunde lierungen vorzunehmen.
positiv zu beurteilen. Diese Tatsache zeigt nämlich,
daß sich dieses Gesetz sehr rasch herumgesprochen Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

hat. Frau Kollegin? — Keine Zusatzfrage. Der Kollege


Müller ist auch befriedigt. Ich danke Ihnen, Herr
Zur Zeit sieht der Antr agsstand w ie folgt aus.
Staatssekretär.
In Kraft getreten ist das Arbeitsförderungsgesetz
am 1. Juli vorigen Jahres. Bis zum 31. August die- Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäfts-
ses Jahres sind 219 546 Anträge auf Förderung der bereich des Bundesministers für Wirtschaft. Zur
beruflichen Fortbildung, Umschulung oder Einar- Beantwortung steht der Herr Parlamentarische
beitung gestellt worden. Alle drei Antragsarten Staatssekretär Rosenthal zur Verfügung.
sind in dieser Zahl enthalten. Der Herr Abgeordnete Blumenfeld hat seine bei-
Von diesen Anträgen waren am 1. September den Fragen zurückgezogen.
1970 tatsächlich etwa 62 000 noch nicht erledigt. Al- Die Frage 20 des Abgeordneten Dr. Schmitt-
lerdings muß man berücksichtigen, daß etwa ein Vockenhausen wird schriftlich beantwortet. Die Ant-
Fünftel der Antragsteller erst beantragte, Lehrgänge wort wird als Anlage abgedruckt.
besuchen zu können; sie hatten also nur ihre Ab-
sicht erklärt und am Stichtag noch keinen Anspruch Die Fragen 21 und 22 sind nach I 2 Abs. 2 der
auf Leistungen. Von den übrigen 44 000 Anträgen Richtlinien wegen der Konjunkturdebatte in dieser
konnte in rund 15 000 Fällen die Entscheidung noch Woche nicht zugelassen worden.
nicht getroffen werden, weil die vorliegenden Unter- Ich rufe die Fragen 23 und 24 des Herrn Abgeord-
lagen nicht vollständig waren. Bei den restlichen neten Dr. Fuchs auf:
Anträgen war in mehr als der Hälfte der Fälle fest- Wie beurteilt die Bundesregierung die Versorgung der Be
gestellt worden, daß die Entscheidung in absehba- völkerung mit Hausbrandstoffen,insbesondere mit Koks, für die
Wintermonate in der Bundesrepublik Deutschland, vor allem
rer Zeit fallen würde. Wahrscheinlich ist über diese im ostbayerischen Grenzland?
Anträge inzwischen. bereits entschieden. Welche Maßnahmen gedenkt die Bundesregierung ggf, zu
treffen, um eine ausreichende und fristgerechte Versorgung der
Die Schwierigkeiten, die mit dem eingetretenen privaten Haushaltungen sicherzustellen?
Bearbeitungsrückstand verbunden sind, sind vor Der Herr Kollege ist im Saal. Herr Staatssekre-
allein auf die außergewöhnlich starke Belastung der tär!
Arbeitsämter in der Übergangsphase zurückzufüh-
ren. Zu unserem Erstaunen hat man anscheinend
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim
bei einzelnen Arbeitsämtern das Interesse an diesen
Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Fuchs,
Förderungsmitteln unterschätzt. Im Ministerium wa-
die Versorgung mit Hausbrand beurteilen wir für
ren wir der Meinung, daß vielleicht sogar noch hö-
diesen Winter eindeutig besser als im letzten Jahr.
here Zahlen zu erwarten waren. Aber es ist unter-
Feste Brennstoffe stehen insgesamt in ausreichender
schiedlich. In einigen Bundesländern — dazu gehört
Menge zur Verfügung. Das gilt auch für den ost-
vor allem auch Baden-Württemberg — war die Zahl
bayerischen Raum.
der Anträge ganz besonders hoch. In absehbarer
Zeit wird das bewältigt werden. Die bisherigen Här-
ten für die jungen Menschen können leider nicht be- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

seitigt werden. In einigen Schwerpunkten, z. B. Düs- Eine Zusatzfrage.


seldorf, München, Nürnberg, Regensburg — ich
nenne einmal nur diese vier —, werden deshalb Dr. Fuchs (CDU/CSU): Treffen also Ihrer Mei-
jetzt angemessene Abschläge im voraus gezahlt. nung nach, Herr Staatssekretär, Meldungen der
Die Feinberechnung kommt dann hinterher. „Passauer Neuen Presse" von Anfang Oktober nicht
Das Bundesministerium für Arbeit und Sozial- zu, daß auch zu einem Preis von 11,50 DM, der
ordnung steht mit der Bundesanstalt in ständigem 30 % über dem Vorjahrespreis liegt, kaum Koks
Gespräch, um eine schnellere Bearbeitung zu er- zu erhalten ist?
reichen. Bisher ist folgendes geschehen. Die Zahl
der Sachbearbeiterstellen wird erhöht, zum Teil ist Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim
es schon geschehen. Außerdem hat die Bundesan- Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Fuchs,
stalt einen Arbeitskreis zur Vereinfachung des reich- dies dürfte nicht zutreffen. Ich möchte aber darauf
lich komplizierten Verwaltungsverfahrens gebildet. hinweisen, daß es auch in diesem Winter notwen-
Ferner hat der Verwaltungsrat der Bundesanstalt am dig sein wird, einen Ausgleich zwischen Koks und
30. September beschlossen, die Pauschalierung der Briketts vorzunehmen. Bei Frosteinbrüchen ist es
nach § 45 des Arbeitsförderungsgesetzes zu über- richtig, die Bevölkerung dazu aufzufordern, recht-
nehmenden Fahrkosten zu ermöglichen. Ich habe zeitig einzulagern, nicht wegen der zur Verfügung
3938 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970

Parlamentarischer Staatssekretär Rosenthal


Bakterien, die bei Säuglingen Darmentzündungen hervorrufen
stehenden Menge, sondern wegen der Transport- können, aufweist, wobei oft Keimzahlen erreicht werden, bei
schwierigkeiten, die eventuell entstehen können. denen in einigen Bundesländern die Abgabe von Milch selbst an
Schulkinder verboten ist, und welche Bedeutung mißt die Bun-
desregierung dieser gefährlichen Tatsache bei?
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Eine weitere Zusatzfrage, Herr Kollege. Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim


Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit:
Dr. Fuchs (CDU/CSU): Herr Parlamentarischer Frau Kollegin Schimschok, die Bundesregierung
Staatssekretär, würden Sie mir zustimmen, daß ge- mißt der einwandfreien Beschaffenheit der Säug-
rade die Familien mit geringem Einkommen durch lingsnahrungsmittel große Bedeutung bei. Aus die-
gewisse Schwierigkeiten, die nicht zu verkennen sem Grunde gelten Lebensmittel, die ,für Säuglinge
sind, betroffen sind, insbesondere weil sie bei ver- bestimmt sind, als diätetische Lebensmittel und
späteter Lieferung einen noch höheren saisonbe- unterliegen den besonderen Anforderungen der
dingten Preis zu zahlen haben? Verordnung über diätetische Lebensmittel.
Der Bundesregierung ist der angesprochene Arti-
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim kel über die Hygiene in Säuglingsmilchküchen von
Bundesminister für Wirtschaft: Herr Kollege Fuchs, Krankenanstalten bekannt. Sie war hierauf bereits
bei den Preisen für Koks ist ja noch folgendes zu vor Veröffentlichung dieses Artikels durch Fach-
beachten. Durch eine verhältnismäßig umfangreiche publikationen und aus Wirtschaftskreisen aufmerk-
Umstellung von Heizungsanlagen sowie durch die sam gemacht worden. Das Bundesministerium für
Maßnahmen der Bundesregierung, wie die völlige Jugend, Familie und Gesundheit hat zu Beginn
Freigabe der Kokseinfuhren, und besonders da- dieses Jahres die obersten Landesgesundheits-
durch, daß bei der Stahlindustrie ein Rückgang im behörden und die obersten Landesveterinärbehör-
Koksverbrauch eintritt, ist eine neue Situation ent- den, die für die Durchführung zuständig sind, in
standen. Das dürfte sich für eine bessere Koksver- einem Schreiben gebeten, die Organe der Lebens-
sorgung ebenfalls positiv auswirken. mittelüberwachung entsprechend zu unterrichten.
Die Antwort auf Ihre zweite Frage möchte ich
noch vervollständigen: die volle Auslastung der Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Kokereikapazität im Bundesgebiet sowie die In- Ich rufe die Frage 70 der Frau Kollegin Schimschok
anspruchnahme von Lohnverkokungen im Ausland. auf:
Besteht die Möglichkeit, die in den Vereinigten Staaten zum
Schutz der Säuglingsmilch vorgeschriebene Schlußsterilisation in
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: - Krankenhäusern auch in der Bundesrepublik Deutschland gesetz-
lichfestzugn,admbiesVrfhnazujde
Eine weitere Zusatzfrage des Abgeordneten Dr. Infektionsmöglichkeit ausgeschaltet wird, kein notwendiger Be-
Fuchs. standteil der Säuglingsnahrung verloren geht und das durch die
Erhitzung in Mitleidenschaft gezogene Vitamin C auf anderem
Wege ersetzt werden kann?

Dr. Fuchs (CDU/CSU) : Herr Parlamentarischer Bitte schön, Herr Staatssekretär!


Staatssekretär, würden Sie sich auf Grund dieser
Möglichkeiten, die Sie angedeutet haben — z. B. Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Rückgang bei der Stahlerzeugung —, dafür ein- Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit:
setzen, daß auch die Hausbrandversorgung mit Es besteht gewiß die Möglichkeit, die offenbar in
Koks — denn gerade einfachere Familien haben den Vereinigten Staaten zum Schutz der Säuglings-
keine Ausweichmöglichkeit schnell erfolgt? milch vorgeschriebene Schlußsterilisation in Kran-
kenhäusern auch in der Bundesrepublik gesetzlich
Rosenthal, Parlamentarischer Staatssekretär beim einzuführen. Die Schlußsterilisation ist jedoch in
Bundesminister für Wirtschaft: Ich stimme Ihnen zu, der Bundesrepublik nicht angewendet worden, weil
Herr Kollege Fuchs. Wir werden unser Möglichstes nach der Auffassung und den Erfahrungen der
tun, damit der Kohlebeauftragte die Abstimmung Pädiatrie durch die Sterilisation die biologische
mit den Händlern und den Produzenten in Ihrem Wertigkeit der Milch erheblich herabgesetzt wird,
Sinne beeinflußt. so daß die mit solcher Milch ernährten Säuglinge
schlechter gedeihen als solche, die mit pasteurisier-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
ter Milch ernährt worden sind. In Betracht kommen
könnte die Anwendung von Temperaturen und
Die Fragen des Herrn Abgeordneten Höcherl konn-
Temperatureinwirkungszeiten, wie sie bei der
ten wegen der Konjunkturdebatte nach den Richt-
Pasteurisierung der Milch üblich sind. Ein sicherer
linien nicht zugelassen werden.
Schutz ist jedoch im Hinblick auf hitzestabile Toxine
Damit sind die Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich auch hierdurch nicht gegeben. Erforderlich ist viel-
beantwortet. Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. mehr eine strenge Hygiene bei der Gewinnung und
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes- Zubereitung der Säuglingsnahrung sowie eine
ministers für Jugend, Familie und Gesundheit. Zur lückenlose Kühlhaltung. Besondere Bedeutung
Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staats- kommt auch den hygienischen Maßnahmen auf den
sekretär Westphal zur Verfügung. Ich rufe die Stationen der Krankenanstalten zu. Zur Gewähr-
Frage 69 der Abgeordneten Frau Schimschok auf: leistung der Wirksamkeit dieser Maßnahmen ist
Ist der Bundesregierung der Artikel „Wer kontrolliert die
die Eigenkontrolle in den Krankenanstalten und
Milchküchen" aus der Zeitschrift Selecta" — Nr. 4 vom 26. Ja- eine regelmäßige Überwachung durch die Gesund-
nuar 1970 — bekannt, in dem darauf hingewiesen wird, daß
Säuglingsmilch in Krankenhäusern häufig Bakterien, z. B. Koli- heitsämter und durch die Organe der amtlichen
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970 3939
Parlamentarischer Staatssekretär Westphal
Lebensmittelüberwachung der Länder erforderlich. Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Ergänzend ist zu bemerken, daß zunehmend Fertig- Eine Zusatzfrage.


präparate Verwendung finden, die von der Wirt-
schaft in einwandfreier Beschaffenheit angeboten Dasch (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, wenn
werden. Ihre Argumentation richtig ist, warum ist dann in
der mittelfristigen Finanzplanung bis 1974 wieder-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: - um nicht mehr vorgesehen als praktisch nur die
Keine Zusatzfrage? — Dann rufe ich die Frage 71 Weiterführung der jetzigen geringfügigen von
des Herrn Abgeordneten Dasch auf: Ihnen vorgeschlagenen Verbesserungen?
Glaubt die Bundesregierung, die Erhöhung des Kindergeldes
für jedes dritte Kind um 10 DM und die Erhöhung der Frei-
grenze bei den Zweitkindern seien genügend, um die gestiegenen Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Lebenshaltungskosten der Familie mit zwei und mehr Kindern
auszugleichen? Bundesminister für Jugend, Familie und Gesund-
heit: Den ersten Grund dafür habe ich bereits ge-
Ist der Herr Kollege im Saal? Bitte, Herr
nannt. Der Familienlastenausgleich soll kommen,
Staatssekretär!
wird vorbereitet und wird also auf diese Zeit hin
konzipiert. Man kann nicht jedes Jahr auf diesem
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Gebiet neue Vorgänge machen. Gerade der Dyna-
Bundesminister für Jugend, Familie und Gesund- misierungsvorgang, der zur Debatte steht, wird ein
heit: Herr Kollege Dasch, die Bundesregierung hat Problem des Familienlastenausgleichs sein, kann
sich zu Ihrer Frage bei der ersten Lesung der No- aber keine der Zwischenlösungen sein, um die es
velle zum Kindergeldgesetz sehr ausführlich ge- jetzt geht. Darüber hinaus ist natürlich zu sagen,
äußert, die, wie Sie wissen — Sie haben ja selbst daß diese Regierung eine Verdoppelung des An-
durch Zwischenfragen in die Debatte eingegriffen —, satzes in der mittelfristigen Finanzplanung und
am 16. September 1970, also vor drei Wochen, eine Vorziehung um zwei .Jahre vorgenommen hat.
in diesem Hohen Hause stattfand. Um nicht zu ver- Das war schon ganz beachtlich.
doppeln, was damals gesagt worden ist, möchte ich
Sie herzlich bitten, die entsprechenden Abschnitte
im Protokoll des Bundestages nachzulesen: 64. Sit- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

zung, Seite 3577 ff. Herr Kollege Müller!

Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: - Müller (Berlin) (CDU/CSU): Herr Parlamenta-


Eine Zusatzfrage. rischer Staatssekretär, darf ich Sie fragen, ob Ihnen
noch in Erinnerung ist, daß bei der letzten Fest-
Dasch (CDU/CSU): H err Staatssekretär, hat Ihr setzung des Kindergeldes gerade von dem heutigen
Ministerium bei den Vorschlägen für die Verbesse- Finanzminister beantragt wurde, die Grenze für das
rung des Kindergeldes berücksichtigt, daß die Ver- Zweitkindergeld wegfallen zu lassen.
teuerung beim Warenkorb von 4,1 %, umgerechnet
pro Kind, 6 DM ausmacht und daß nach dem Vor- Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim
schlag einer Verbesserung von 10 DM ab 3. Kind Bundesminister für .Jugend, Familie und Gesund-
die Drei-Kinder-Familie pro Monat nur eine Ver- heit: Ich darf Ihnen in Erinnerung rufen, daß diese
besserung von 3,33 DM und meinetwegen eine Bundesregierung einen Kindergeldgesetzentwurf
Zehn-Kinder-Familie nur eine Verbesserung von vorgelegt hat, in dem eine erhebliche Anhebung der
1 Mark bei einem Verlust von 6 DM an Kaufkraft Einkommensgrenze enthalten ist. Sie wird gerade
erhält? im Haushaltsausschuß beraten.

Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim


Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
Bundesminister für Jugend, Familie und Gesund-
-

Ich rufe die Frage 72 des Abgeordneten Dasch auf:


heit: Unser Ministerium hat natürlich überlegt, ge-
Ist die Bundesregierung nicht der Meinung, daß dadurch be-
rechnet und viele Alternativrechnungen angestellt. sonders die Familien mit vier und mehr Kindern die gestiegenen
Aber nun muß ich doch etwas aus dieser Debatte Lebenshaltungskosten allein zu tragen haben?

vom 16. September wiederholen. Das, was sich die


Bundesregierung vorgenommen hat, ist der große Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Familienlastenausgleich. Da er erst am Ende dieser Bundesminister für Jugend, Familie und Gesund-
Legislaturperiode im Zusammenhang mit der heit: Herr Kollege Dasch, die Bundesregierung hielt
Steuerreform kommen kann, war uns allen klar, und hält nach eingehender Prüfung die Erhöhung
daß es eine Vorwegverbesserung des Kindergeldes der Einkommensgrenze beim Zweitkindergeld für
geben muß. Dazu gibt es Vorlagen in diesem noch wichtiger als die Erhöhung der Kindergeld-
Hause. Sie sind ausführlich begründet und enthalten sätze für das vierte Kind. Für diese Bewertung
eine wesentliche Verbesserung. Aber sie können spricht auch, daß bereits der 5. Deutsche Bundestag
nicht alles das aufholen, was seit 1965 respektive im Jahre 1965 die Beseitigung der Einkommens-
1961, also unter Herrn Erhard, Herrn Heck und grenze als sozialpolitisch dringend bezeichnet hat.
anderen zuständigen Familienministern, die nicht
Sozialdemokraten sind, sich an Kaufkraftverlust der
D-Mark insgesamt ergeben hat. Das letzte decken Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

sie sicher. Eine Zusatzfrage.


3940 Deutscher Bundestag 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970

Dasch (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, können Aufenthalt haben, nahegelegene Schulen im Aus-
Sie dann einräumen, daß wiederum nach der land besuchen. Die Leistung von Ausbildungsförde-
vorgesehenen mittelfristigen Finanzplanung -bis 1974 rung an diese Schüler ist nach der Regelung des § 3
— nach Ihren Vorstellungen eine so starke Benach- des Ersten Ausbildungsförderungsgesetzes nicht
teiligung der Mehrkinderfamilien eintritt, daß eine möglich. Härtefälle, die sich aus dieser Regelung
wesentliche Erhöhung dieser Ansätze in der mittel- ergeben könnten, sind bisher noch nicht an das
fristigen Finanzplanung unbedingt notwendig ist? Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesund-
heit herangetragen worden.
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Zu Ihrer zweiten Frage möchte ich folgenderma-
Bundesminister für Jugend, Familie und Gesund- ßen antworten. Nach dem Entwurf des Bundesaus-
heit: Ich bin in diesen Dingen an die Regierungs- bildungsförderungsgesetzes Stand: 10. September
vorlage gebunden. Wir haben sie mitgestaltet, und 1970, also ganz aktuell —, das am 1. Oktober 1971
wir haben unser Möglichstes getan, um auf diesem in Kraft treten soll, besteht die Absicht, die Förde-
Gebiet vieles hinzuzubekommen. Wir haben etwas rung einer Ausbildung im Ausland einzubeziehen.
hinzubekommen; das habe ich Ihnen erläutert. Das gilt auch für die Schüler, die von ihrem ständi-
Ich kann Ihnen keine Erklärung darüber abgeben, gen Wohnort im grenznahen Geltungsbereich des
ob und wann weitere Steigerungen möglich sind. Gesetzes im Ausland gelegene Schulen besuchen.
Unsere Absicht ist, den großen Familienlastenaus- Eine allgemeine förderungsrechtliche Gleichstel-
gleich durchzuführen. Wenn wir das schaffen — wir lung einer Ausbildung im Ausland mit der Ausbil-
haben die feste Absicht, das zu tun —, werden wir dung im Geltungsbereich des Gesetzes ist allerdings
auf familienpolitischem Gebiet die wirklich not- nicht vorgesehen. Dies ist auch deshalb nicht ver-
wendige grundlegende Verbesserung erreichen, um tretbar, weil die ausländischen Ausbildungsstätten
die es geht. einer deutschen Schulaufsicht nicht unterstehen und
weil die im Ausland vermittelte Ausbildung sowie
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: - die dort erzielten, für eine weitere Ausbildung er-
Eine weitere Zusatzfrage. forderlichen Abschlüsse nicht sämtlich anerkannt
sind. Auch die erhöhten finanziellen Aufwendungen
Dasch (CDU/CSU): Herr Staatssekretär, wenn für eine Ausbildung im Ausland tragen natürlich zu
aber in den nächsten zwei, drei Jahren diese grund- einer solchen Entscheidung bei.
legende Änderung und Verbesserung nicht erreicht
wird, ist das Bundesfamilienministerium dann bereit, Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

eine Änderung der mittelfristigen Finanzplanung zu Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Dr. Wag-
betreiben, um den Mehrkinderfamilien wesentlich ner.
entgegenzukommen?
Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) : Herr Staats-
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim sekretär, worauf gründet die Bundesregierung die
Bundesminister für Jugend, Familie und Gesund- Auffassung, daß es bisher im Grenzbereich nicht zu
heit: Ich möchte nicht über die Antwort hinausgehen, Härtefällen gekommen ist, obwohl der Bundesregie
die ich eben schon gegeben habe. rung bekannt ist, daß eine Reihe von Schülern aus-
ländische Schulen im grenznahen Bereich besuchen,
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
also keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung
Ich rufe dann die Frage 73 des Abgeordneten Dr. haben? Ergibt sich damit nicht automatisch die
Wagner (Trier) auf: Existenz von Härtefällen?
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Bestimmung des
Ausbildungsförderungsgesetzes, nach der für eine Ausbildung
deutscher Schüler im Ausland keine Förderung gewährt wird,
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim
sich besonders im westlichen Grenzstreiten der Bundesrepublik Bundesminister für Jugend, Familie und Gesund-
Deutschland nachteilig für eine gewisse Zahl von Schülern aus-
wirkt, die aus sachlich durchaus fundierter, Gründen eine Schule heit: Herr Kollege Wagner, ich habe nur geantwor-
im Ausland besuchen? tet, daß uns solche Meldungen bisher nicht vorlie-
Wenn der Herr Staatssekretär und der Herr gen. Wir haben zu einer Fülle von Fragen des Aus-
Fragesteller einverstanden sind, können die Fragen bildungsförderungsgesetzes kritische Briefe mit An-
73 und 74 wegen des Sachzusammenhangs gemein- regungen zu Verbesserungen erhalten, die wir nun
sam beantwortet werden. — Ich rufe dann auch die zu verarbeiten haben, wenn wir an das neue Bun-
Frage 74 des Abgeordneten Dr. Wagner (Trier) auf: desausbildungsförderungsgesetz herangehen, was
Ist die Bundesregierung bereit, möglichst schnell eine Novelle wir bereits tun.
zum Ausbildungsförderungsgesetz vorzulegen, mit der entweder
die allgemeine Gleichstellung einer Ausbildung im Ausland mit Wenn Sie mir entsprechende Fälle nennen, wer-
mindest eine befriedigende Lösung für die Schüler im Grenz-
derAusbilngBderpublikDtschan,oderzu- den wir auch diese mit in unsere Prüfung einbezie-
gebiet herbeigeführt wird? hen können. Daß wir solche Absichten haben, liegt
auf der Hand. Das Gesetz, das wir jetzt befolgen,
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim ist ein von diesem Hohen Hause beschlossenes Ge-
Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit: setz. Wir können es nicht zwischendurch anders
Herr Kollege Wagner, der Bundesregierung ist be- handhaben, als es beschlossen worden ist.
kannt, daß eine gewisse Zahl von Schülern, die in
grenznahen Gebieten des Geltungsbereichs des Aus- Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

bildungsförderungsgesetzes ihren gewöhnlichen Eine weitere Zusatzfrage.


Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970 3941

Dr. Wagner (Trier) (CDU/CSU) : Herr Staats- Bundesregierung initiativ wird, um alle förderungswürdigen
Ausbildungsbereiche bundeseinheitlich zu regeln?
sekretär, wann rechnet die Bundesregierung mit der
Herr Staatssekretär!
Vorlage bzw. dem Inkrafttreten des neuen Ausbil-
dungsförderungsgesetzes?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit:
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Herr Kollege, die Bundesregierung wird entspre-
Bundesminister für Jugend, Familie und Gesund-
chend ihrem Grundsatzbeschluß zur Ausbildungs-
heit: Zu Ihrer Frage nach der Vorlage kann ich Ihnen
förderung vom 4. Juni 1970 ein umfassendes Sy-
sagen, daß die Absicht besteht, den Entwurf des
stem der individuellen Förderung der Ausbildung
Gesetzes im Dezember dem Kabinett zuzuleiten und
schaffen. Dabei wird sie auch neue Ausbildungsfor-
ihn noch Ende dieses Jahres dem Hohen Hause vor-
zulegen, d. h. in den Gesetzgebungsgang zu brin- men berücksichtigen. So hat der Bundesminister für
gen. Mit dem Inkrafttreten rechnen wir nach unseren Jugend, Familie und Gesundheit in dem Entwurf
des Bundesausbildungsförderungsgesetzes nach dem
Planungen zum 1. Oktober 1971.
Stand vom 10. September 1970 — das betrifft die
Antwort, die ich soeben schon Ihrem Kollegen gege-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
ben habe —, der zur Zeit mit den obersten Landes-
Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Josten. behörden für Ausbildungsförderung beraten wird,
Leistungen der Ausbildungsförderung für die Teil-
Josten (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, darf ich nahme an Fernunterrichtslehrgängen vorgesehen.
Sie, nachdem wir mit dem vorliegenden Gesetz die
Möglichkeit geschaffen haben, daß auch Deutschen Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

im Ausland Ausbildungsförderung gewährt wird, Eine Zusatzfrage.


fragen, ob Ihr Ministerium bei dem zu erwartenden
Zweiten Ausbildungsförderungsgesetz, von dem Sie
soeben gesprochen haben, dem Hause einen Vor- Susset (CDU/CSU): Was gedenkt die Bundesre-
schlag zur Beseitigung des hier aufgezeigten Man- regierung zu tun, um darauf hinzuwirken, daß Lei-
stungen und Leistungsberechtigungen in allen Bun-
gels unterbreiten wird.
desländern nach einheitlichen Kriterien gewertet
werden?
Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Bundesminister für Jugend, Familie und Gesund-
heit: Ich habe schon in meiner ersten Antwort zum Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Ausdruck gebracht, Herr Kollege Josten, daß dies Bundesminister für Jugend, Familie und Gesund-
unsere Absicht ist. heit: Herr Kollege, ich nehme an, daß Sie vom Be-
reich der Fernschulen. sprechen. Hier gibt es eine Ein-
richtung, die von der Konferenz der Kultusminister
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
geschaffen worden ist und die Aufgabe hat, sich ins-
Der Herr Abgeordnete Sieglerschmidt hat um schrift-
besondere um das Problem der Seriosität solcher
liche Beantwortung seiner Frage gebeten. Dem wird
Institute und dessen, was sich auf diesem Gebiet
entsprochen. Die Antwort wird als Anlage abge- entwickelt hat, zu kümmern. Wir sind auf eine wirk-
druckt.
same Arbeit dieser Stelle sehr angewiesen. Wer in
Ich rufe die Frage 76 des Herrn Abgeordneten der vergangenen Legislaturperiode am Ersten Aus-
Susset auf: bildungsförderungsgesetz mitgewirkt hat, wird sich
Beabsichtigt die Bundesregierung, cien im § 28 des Ausbil- daran erinnern, daß die damalige Entscheidung, die
dungsförderungsgesetzes vorgesehenen Beirat, der Vorschlage
für die Durchführung und weitere Ausgestaltung der gesetzlichen
Förderung von Fernlehrinstituten noch nicht in das
Regelung der individuellen Förderung erarbeiten soll, in Bälde Gesetz einzubeziehen, allein auf Grund des Tatbe-
zu berufen?
stands getroffen wurde, daß es noch keinen Über-
Der Herr Abgeordnete ist im Saal. — Herr Staats- blick. und keine, sagen wir mal, Kontrolle über die-
sekretär! sen Bereich gab.

Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:


-

Bundesminister für Jugend, Familie und Gesund- Eine Zusatzfrage des Herrn Abgeordneten Josten.
heit: Herr Kollege Susset, die Bundesregierung hat
den Beirat für Ausbildungsförderung nach § 28 des
Ausbildungsförderungsgesetzes auf Vorschlag bzw. Josten (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, wird
mit Zustimmung des Bundesrates bereits berufen. Ihr Ministerium bei dem Entwurf des Zweiten Aus-
Der Beirat wird am 21. Oktober 1970, also in eini- bildungsförderungsgesetzes auch von dem Entschlie-
gen Tagen, zu seiner konstituierenden Sitzung zu- ßungsantrag, den dieses Haus damals hei der Ver-
sammentreten. abschiedung des Ersten Ausbildungsförderungsge-
setzes angenommen hat, ausgehen?
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Keine Zusatzfrage? — Dann rufe ich die nächste Westphal, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Frage, die Frage 77, des Herrn Abgeordneten Sus- Bundesminister für Jugend, Familie und Gesund-
set auf: heit: Herr Kollege Josten, ich muß gestehen, daß ich
Beabsichtigt die Bundesregierung, neue Ausbildungsformen, wie jetzt nicht jede einzelne Passage dieses Antrags in
z. B. die des Fernunterrichts, für die Einbeziehung in die Aus-
bildungsförderung vorzuschlagen, und ist zu erwarten, daß die Erinnerung habe. Aber soweit es sich auf die Frage
3942 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970

Parlamentarischer Staatssekretär Westphal


bezieht und mit dem Thema Fernlehrinstitute zu der vier beteiligten Bundesländer nach 15monatiger Arbeit vor-
gelegte Ergebnis?
tun hat, kann ich, glaube ich, mit Ja antworten.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Ich danke Ihnen, Herr Staatssekretär. Fernmeldewesen: Herr Kollege, das bisherige Er-
Ich rufe die Fragen aus dem Geschäftsbereich des gebnis ist positiv zu beurteilen. Die Tiefwasserh ä
Bundesministers für Verkehr und für das Post- und hat am 16. September 1969 zum er--fenkom ison
Fernmeldewesen auf. Zur Beantwortung steht der stenmal getagt und am 23. Juli 1970 — also nicht
Herr Parlamentarische Staatssekretär Borner zur nach fünfzehn-, sondern. nach nur zehnmonatiger Ar-
Verfügung. Die erste Frage — Frage 78 — hat Herr beit — einen Zwischenbericht erstattet. Der Bericht
Abgeordneter Seefeld gestellt: räumt mit sorgfältig abgestimmten Angaben über
Welche Möglichkeit hat die Bundesregierung, beim Neubau von
die zu erwartenden Erz- und Erdöleinfuhren vielfach
Bundesautobahnstrecken sicherzustellen, daß die Inbetriebnahme vorhandene irreale Vorstellungen aus. Bei diesen
der Notrufsäulen nicht erst — wie in der Regel üblich — ein
bis zwei Jahre nach der Verkehrsfreigabe erfolgt? und anderen für die Planungsentscheidung wichtigen
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort. Daten hat die Tiefwasserhäfenkommission auseinan-
dergehende Meinungen und Interessen aufeinander
abstimmen können. Dazu war es nötig, vorhandenes
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim Material zu analysieren und darüber hinaus noch
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und umfangreiche eigene Feststellungen zu treffen. Zahl-
Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Inbetriebnahme
reiche Angaben über Vorgänge des Wirtschafts- und
der Notrufanlagen an den Bundesautobahnen hängt
Verkehrsbereiches, die nicht nachprüfbar waren oder
von der rechtzeitigen Fertigstellung der Autobahn- sich als nicht haltbar erwiesen, wurden aus den Be-
meistereien ab, in die die Fernsprechkabel einge-
trachtungen ausgeschieden. Die Bundesregierung
führt und von deren Fernsprechvermittlungen die sieht in dem bisherigen Arbeitsergebnis eine wert-
ankommenden Notrufe entgegengenommen werden.
volle Grundlage für künftige Planungsentscheidun-
Da Planung und Bau der Autobahnen und ihrer gen.
Nebenanlagen den Straßenbauverwaltungen der
Länder obliegen, hat der Bundesminister für Ver-
kehr nur die Möglichkeit, die Länderverwaltungen Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

zu bitten, um die rechtzeitige Fertigstellung der Eine Zusatzfrage.


Autobahnmeistereien besorgt zu sein. Da die den
Ländern obliegende Verkehrssicherungspflicht für Dr. Apel (SPD): Herr Staatssekretär, wie verein-
) die Bundesfernstraßen nur mit Hilfe der Autobahn- baren Sie diese Aussage mit der Feststellung im Be-
meistereien erfüllt werden kann, sind die Länder richt, daß dieser Bericht auf Grund personeller und
schon von sich aus bemüht, die Autobahnmeiste- sachlicher Mängel, die in der Arbeit dieser Kommis-
reien mit der Verkehrseröffnung der Strecken in sion gelegen haben, nur unvollkommen sein konnte?
Betrieb zu nehmen.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: - Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Eine Zusatzf rage. Fernmeldewesen: Herr Kollege, man hat vielleicht
die Kompliziertheit des Themas etwas unterschätzt.
Seefeld (SPD) : Herr Staatssekretär, stimmen Sie Der Name „Zwischenbericht" sagt ja auch, daß es
mir zu, daß man alles tun sollte, daß künftig Ver- sich hier um eine Frage handelt, die weiter verfolgt
zögerungen von ein bis zwei Jahren nach der In- werden muß. Ich bin überzeugt, daß in der weiteren
betriebnahme nicht mehr vorkommen? Arbeit zwischen den norddeutschen Küstenländern
und der Bundesregierung alle noch offenen Fragen
geklärt werden können.
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich stimme Ihnen zu. Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Ich muß darauf hinweisen, daß in dem wahrschein- Eine weitere Zusatzfrage.
lich von Ihnen herangezogenen Fall eine bedauer-
liche Ausnahme vorliegt, die nicht auf das Ver- Dr. Apel (SPD): Herr Staatssekretär, sind Sie sich
schulden der entsprechenden Straßenbauverwaltun- bewußt, daß es der Auftrag dieser Kommission war,
gen, sondern auf bestimmte Lieferschwierigkeiten im einen Ergebnisbericht und nicht einen Zwischenbe-
fernmeldetechnischen Bereich zurückzuführen ist. richt vorzulegen, und bezeichnen Sie das, was hier
vorliegt, als ein Ergebnis?
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Ich rufe die Frage 79 des Herrn Abgeordneten Koe- Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
nig auf. — Der Herr Kollege ist nicht im Saal. Die Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
Frage wir d schriftlich beantwortet. Die Antwort wird Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich habe deutlich ge-
als Anlage abgedruckt. macht, daß es eine wünschenswerte Klarstellung ver-
Ich rufe die Frage 80 des Herrn Abgeordneten schiedener Faktoren war. Ich habe aber nicht gesagt,
Dr. Apel auf: daß es kein endgültiges Ergebnis geben wird; viel-
mehr kann hier eine nützliche Zwischenbilanz gezo-
Wie beurteilt die Bundesregierung das von der Kommission
„Deutsche Tiefwasserhäfen" des Bundesverkehrsministeriums und gen werden. Wenn wir das Engagement des Bundes
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970 3943
Parlamentarischer Staatssekretär Börner
hier besonders ansprechen wollen, dann darf ich dar- Fernmeldewesen: Es ist mir keineswegs entgangen,
auf hinweisen, daß wir der Wirtschaft insbesondere daß die Kommission diese Fragen aufgeworfen hat,
-
des norddeutschen Raumes durch die Entscheidung sondern ich halte es im Gegenteil — da beziehe ich
des Bundesministers für Verkehr, die Jade mich auf meine vorherige Antwort — für außeror-
für 250 000-Tonnen-Schiffe nutzbar zu machen, eine dentlich verdienstvoll, daß dieses Problem, das, wie
ganz wesentliche Hilfe geleistet haben. Sie zugeben werden, in früherer Zeit auch einmal
emotional diskutiert worden ist, durch diese vielen
Fragen eine wünschenswerte Vorklärung erfahren
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
hat. Ich bitte, nicht zu übersehen, daß die weiteren
Ich rufe die Frage 81 des Herrn Abgeordneten
Arbeiten der Kommission nicht allein von den Wün-
Dr. Apel auf:
schen der Bundesregierung abhängig sind, sondern
Wie will die Bundesregierung sicherstellen, daß die nötigen
Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse für den künftigen daß insbesondere der von Ihnen zitierte Bereich der
Standort des deutschen Tiefwasserhafens so beschleunigt wer- Industrieansiedlung in hohem Maße landespolitische
den, daß der Verkehrswirtschaft und der regionalen Entwicklung
Norddeutschlands keine unnötigen Nachteile entstehen? Entscheidungen der betroffenen Küstenländer erfor-
Herr Staatssekretär! dert bzw. daß der Standort dieses Hafens auch in
Zusammenhang mit solchen Industrieansiedlungen
gesehen werden muß. Die Bundesregierung wird al-
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim les tun, um, wie ich es in meiner Antwort bereits er-
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
wähnt habe, die weiteren Arbeiten dieser Kommis-
Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Aufgabe der
sion zu fördern. Es gibt gute Anzeichen dafür, daß
Tiefwasserhäfenkommission besteht nicht darin,
wir in dieser Bewertung und in unserem Wollen mit
Vorschläge für den künftigen Standort eines deut-
den betroffenen Küstenländern übereinstimmen.
schen Tiefwasserhafens vorzulegen, sondern darin,
zu ermitteln, ob ein Bedarf für die Errichtung von
Tiefwasserhäfen an der deutschen Küste besteht, Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:-

und gegebenenfalls, wo diese zu errichten sind. Die Eine letzte Zusatzfrage.


Bundesregierung glaubt nicht, daß der Verkehrs-
wirtschaft und der regionalen Entwicklung Nord- Dr. Apel (SPD) : Herr Staatssekretär, ist Ihnen
deutschlands durch die bisherige und weiter geplan- bewußt, daß, wenn. wir weiterhin Zeit verlieren oder
te Arbeitsweise der Tiefwasserhäfenkommission verspielen, wir diese Frage nicht mehr zu diskutie-
Nachteile entstehen, zumal über den Ausbau von ren brauchen, weil dann andere europäische Länder
Wilhelmshaven für 250 000-Tonnen-Schiffe bereits einen Tiefwasserhafen gebaut haben werden?
Einvernehmen zwischen dem Bund und den Küsten-
ländern erzielt worden ist. Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
Die Tiefwasserhäfenkommission ist auf die Mitar- Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
beit in- und ausländischer privater Stellen angewie- Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich bin nicht der
sen, die bisher in dankenswerter Weise großzügig Meinung, daß hier schon Zeit verspielt worden wäre
mitgewirkt haben, aber nicht überfordert werden oder daß wir dabei wären, das zu tun. Denn die Ent-
können. Die für den Wasser- und Hafenbau entschei- wicklung in Nachbarländern zeigt, daß schnell ge-
denden natürlichen Verhältnisse an der Nordseekü- troffene Investitionsentscheidungen nicht immer die
ste und die technischen Ausbaumöglichkeiten bedür- volkswirtschaftlich sinnvollen sind. Gerade der Hin-
fen insbesondere für einen möglichen Off-shore-Ha- weis auf eine Kosten-Nutzen-Analyse, den die Kom-
fen sorgfältiger Prüfung. Sie ist Voraussetzung für mission nun gemacht hat, ist ein außerordentlich
viele Kostenermittlungen. Die von der Tiefwasser- wichtiger Punkt, unsere Volkswirtschaft vor Schaden
häfenkommission noch geplanten Arbeiten hält die zu bewahren und die Investitionsentscheidungen der
Bundesregierung für sinnvoll. Sie wird diese Arbei- öffentlichen Hand zu objektivieren.
ten im Rahmen ihrer Möglichkeiten fördern und be-
schleunigen. Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -

Ich rufe die Frage 82 des Herrn Abgeordneten


Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen: -
Schwörer auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele ermäßigte Fahr-
Eine Zusatzfrage. karten an Rentner während der von der Deutschen Bundesbahn
durchgeführten „Aktion 65" verkauft wurden und wie hoch der
Gewinn der Deutschen Bundesbahn aus den verkauften Fahr-
Dr. Apel (SPD) : Herr Staatssekretär, ist Ihnen karten war?
entgangen, daß die Kommission selber in ihrem Be- Bitte, Herr Staatssekretär!
richt weitere Fragen aufwirft, nämlich die Frage der
Wechselwirkung zwischen Tiefwasserhafen und In- Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim
dustrieansiedlung, die Frage nach den Kosten der Bundesminister für Verkehr und für das Post- und
einzelnen Projekte und die Forderung der Kosten- Fernmeldewesen: Herr Kollege, die Deutsche Bun-
Nutzen-Analyse? Und wann, meinen Sie, wird diese desbahn hat bisher drei Sonderaktionen im Reise-
Kommission — oder eine vielleicht personell besser verkehr zugunsten älterer Mitbürger eingeführt.
ausgestattete Kommission — an die Arbeit gehen Diese Sonderangebote richteten sich nicht nur an
und uns vernünftige Ergebnisse vorlegen können? Rentner, sondern an alle Personen, welche die in
diesen Aktionen festgelegten Altersgrenzen er-
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim reicht hatten. Von den beiden ersten Sonderange
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und boten wurde rund 15 Millionen mal Gebrauch ge-
3944 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970

Parlamentarischer Staatssekretär Börner


macht. Der Nettoerlös der Bundesbahn belief sich dehnen, wird erstens das Verkehrsergebnis der
auf etwa 28 Millionen DM. Das dritte Angebot läuft Bahn möglicherweise beeinträchtigt, weil die Reisen
zur Zeit noch, so daß abschließende Zahlen hier- dann nicht in diese Wellentäler der Auslastung der
über nicht bekannt sind. Bundesbahn fallen, zweitens tritt, wenn es eine po-
litische Auflage wird, § 28 a des Bundesbahngeset-
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
zes, der von Ihrer Fraktion auch mit beschlossen
Eine Zusatzfrage. worden ist, mit aller Härte gegen den Bund in
Kraft.
Dr. Schwörer (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär,
diese verbilligten Karten für Senioren gibt es in Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

allen europäischen Ländern. Können Sie mir außer Meine Damen und Herren, damit sind wir am Ende
der Bundesrepublik noch ein Land nennen, das diese der Fragestunde. Die Fragen 88 und 89 und 92 bis
Gelegenheit zum verbilligten Fahren für alte Men- 96 wurden von den Fragestellern zurückgezogen.
schen auf gewisse Zeiten beschränkt? Ich wäre dankbar, wenn die Fragesteller, die ge-
hofft hatten, daß ihre Frage noch mündlich beant-
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim wortet würde, diese gegebenenfalls zurückziehen
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und und erneut einbringen würden. Wir geben noch
Fernmeldewesen: Herr Kollege, das berührt die wenige Minuten Karenzzeit. Andernfalls werden
Antwort auf Ihre zweite Frage. — Ich wäre dankbar, die Fragen nach der Geschäftsordnung schriftlich
Herr Präsident, wenn ich die zweite Frage noch be- beantwortet.
antworten könnte.
Ich rufe nunmehr den nächsten Punkt der Tages-
ordnung auf:
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-

Ich bedaure sehr, Herr Staatssekretär, die weitere Abgabe einer Erklärung des Bundesaußen-
Frage kann ich nach den Bestimmungen für die ministers
Fragestunde nicht mehr aufrufen.
Das Wort hat der Herr Bundesaußenminister.
Eine letzte Zusatzfrage.

Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Herr


Dr. Schwörer (CDU/CSU): Ich wollte noch fra- Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine
gen, Herr Staatssekretär: Wenn schon von der Bun- Herren! Als wir das letzte Mal außenpolitische Fra-
desbahn an diesen Fahrkarten noch verdient wird, gen im Bundestag diskutierten, stand die Politik der
warum läßt man sie dann nicht das ganze Jahr lau- Bundesregierung Osteuropa gegenüber im Mittel-
fen, wie es in anderen Ländern ist, bzw. warum punkt des Interesses. Das Interesse ist auch heute
macht man kostspielige Werbeaktionen — für das, noch unverändert da. Wenn bei unseren Bemühun-
was diese Werbeaktionen kosten, könnte man die gen um Ausgleich bereits wesentliche Ergebnisse —
Verbilligung das ganze Jahr über laufen lassen —
ich denke jetzt an den Moskauer Vertrag vom
und macht die alten Leute nur darauf aufmerksam, 12. August 1970 — erreicht wurden, so befinden wir
wann sie günstig und wann sie weniger günstig uns dennoch, nicht am Ziel. Wir wissen, was wir
fahren können? wollen, wir wissen aber nicht, wann wir unser Ziel,
ein Vertragswerk, das die gesamten Beziehungen
Börner, Parlamentarischer Staatssekretär beim zu den östlichen Gesprächspartnern regelt, erreichen
Bundesminister für Verkehr und für das Post- und werden. Das allgemeine Interesse an diesen Fragen
Fernmeldewesen: Herr Kollege, da Sie seit längerer ist infolgedessen nicht nur in unserem Lande ge-
Zeit in der Verkehrspolitik tätig sind, glaubte ich geben, es reicht weit darüber hinaus. Das war —
annehmen zu können, daß Ihnen bekannt war, daß lassen Sie mich das jetzt betonen — der stärkste
es sich hier nicht um einen Ausdruck von Sozial- Eindruck, den ich bei meinen Besprechungen am
politik handelt, sondern um die Ausfüllung von ge- Rande der UNO-Vollversammlung in New York
wissen Kapazitätsreserven, die die Bundesbahn in gewann.
den Zeiten hat, wo der normale Reiseverkehr zu- Es scheint mir in diesem Zusammenhang geboten,
rückgeht. Es handelt sich hier um eine Rabattge- die Bedeutung der Vereinten Nationen, die in
währung für einen Personenkreis, der auf Grund diesen Tagen ihr .Jubiläum begehen, besonders her-
seiner wirtschaftlichen Verhältnisse normalerweise vorzuheben. Das 25jährige Bestehen dieser inter-
in dieser Zeit nicht reisen würde. Die Erfahrungen nationalen Körperschaft verlangt einfach einen Hin-
sind entsprechend gut. Ich glaube auch, daß diese weis auf die großen Verdienste, auf die außer-
Aktion der Bundesbahn großen Widerhall gefunden ordentlichen Verdienste, die sich diese Institution
hat und fortgesetzt wird. in den Jahren ihres Bestehens erworben hat. Die
Ich muß Sie nur in allem Ernst darauf hinweisen, Vereinten Nationen haben sich vorgenommen, und
daß nach den Gesetzen, die Sie mitbeschlossen sie tun es, der Sicherung des Friedens zu dienen.
haben, bei sozialpolitischen Aktionen eine Aus- Sie sind aus dem Wunsche der in zwei großen
gleichspflicht des Bundes besteht, ferner, daß der Kriegen geschundenen Völker entstanden, dem
Vorstand der Bundesbahn bei solchen Rabattsitua- Mechanismus der Gewalt Einhalt zu gebieten. Zu-
tionen in eigener Verantwortung entscheidet. Wenn gleich macht aber die Existenz der Vereinten Na-
Sie also dieses Angebot auf das ganze Jahr aus- tionen deutlich, daß kleine und große Nationen
Deutscher Bundestag -- 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970 3945

Bundesminister Scheel
gleichermaßen in weltpolitischen Fragen zu hören uns erst möglich ist, wenn eine befriedigende Rege-
sind. Nicht wenige Staatsmänner gerade der klei- lung des Berlin-Problems erfolgt ist.
neren und mittleren Nationen haben vor -diesem (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Forum die Möglichkeit gehabt, ihre Argumente zu
wichtigen Fragen der Weltpolitik gleichberechtigt Ich stelle damit kein juristisches Junktim
zur Geltung zu bringen. (Zuruf von der CDU/CSU: Was heißt das?)
Beim Zusammentreffen in der Vollversammlung, zwischen Moskauer Vertrag und Berlin-Resultat he)
aber auch in den Unterorganisationen gibt es immer Daß aber ein enger politischer Zusammenhang zwi
wieder jenen weltpolitischen Dialog, der allein die schen den Einzelverhandlungen über die einzelner.
Alternative zur Anbetung der Gewalt sein kann. Teile der von uns angestrebten vertraglichen Ge
Hier wird zum Glück für die ganze Menschheit, so Samtplanung vorliegt, darüber besteht kein Zweifel
denke ich, das einzelne Argument immer wieder Ich weiß mich in diesem Punkt einig mit allen, für
gewogen, und es wird nicht nur gezählt. Hier wird die das Ziel einer konstruktiven Ostpolitik ein Ge-
auch immer wieder deutlich, welch große Verant- samtvertragswerk ist, das eine Regelung oder einen
wortung die militärischen Supermächte, welch große Modus vivendi in allen zwischen uns und Ost-
Verantwortung aber auch die reichen Staaten dieser europa anhängigen Fragen gewährleistet. Auch un-
Erde, die Industrienationen, insgesamt haben. Die seren Gesprächspartnern ist bekannt, daß das Zu-
Bundesregierung weiß es zu würdigen, daß sie bei standekommen dieser Berlinregelung, die einen
den Vereinten Nationen immer wieder Unterstüt- humanitären und einen rechtlichen Aspekt hat,
zung und Verständnis für die uns interessierenden nämlich die Bestätigung der bestehenden Bindungen
und für die uns lebenswichtigen Fragen gefunden zwischen Bund und Berlin,
hat und findet.
(Beifall bei der CDU/CSU.— Abg. Wohl
Ich habe, meine verehrten Damen und Herren, in rabe: Auch einen politischen?)
New York über 30 Gespräche geführt, beginnend
mit dem Generalsekretär der UNO, auch mit vielen eine entscheidende Grundlage unserer Ostpolitik
dort sich aufhaltenden Außenministern. Wenn ich darstellt. In dieser Frage muß Klarheit herrschen;
den Eindruck dieser Gespräche vorwegnehmen darf, es darf keine Unklarheit bestehen.
dann muß ich besonders dies sagen: Alle Gesprächs- (Beifall im ganzen Hause.)
partner sehen in unserer Ostpolitik und diese
Ostpolitik ist ein Begriff geworden, der auch in Meine Damen und Herren! Ich bin auf diesen
Fremdsprachen in Deutsch ausgedrückt wird - Punkt eingegangen, um einer unnötigen Diskussion
einen wesentlichen Beitrag zur Entspannung. Alle über diese Frage vor allem in den nächsten Tagen
unsere Gesprächspartner wissen aber, daß diese und Wochen entgegenzuwirken.
Ostpolitik nicht isoliert steht, sondern daß sie die (Abg. Freiherr von und zu Guttenberg:
Ergänzung unserer Westpolitik ist, die auf dem Sehr gut!)
Gedanken der Allianz und der Integration unver-
ändert fest aufbaut. Denn jeder von uns weiß, daß diese Erörterung
uns nichts nützt, gleich, von welcher Seite der Be-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) trachtung des Problems sie geführt wird. Sie nützt
Natürlich stand das Deutschlandthema im Mittel- uns nichts, am allerwenigsten nützt sie den Ber-
punkt der Gespräche, und die Frage Berlin wurde von linern.
allen Gesprächspartnern nicht nur berührt, - sondern Ich meine, genauso unzweckmäßig wäre die Erör-
mit großem Ernst diskutiert. Auch die übrige Welt terung des Themas, ob nun die vier Alliierten, vor
— das kann man sogar generalisieren — hat be- allem aber, ob unsere drei westlichen Verbündeten
griffen, daß es von dem Zustandekommen einer in diesen Berlinverhandlungen unter besonderem
befriedigenden Berlin-Regelung abhängt, ob die von Zeitdruck stehen oder nicht. Alle diese Dinge sind
uns praktizierte Politik der Auflockerung den ost- zu kompliziert, um übers Knie gebrochen zu werden.
europäischen Ländern gegenüber das Ziel, der Ent-
spannung zu dienen und Entspannung herbeizu- (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
führen, erreicht oder nicht, ob sich nach 25 Jahren Alle diese Fragen sind zu ernst, um fortgesetzt
im europäischen Ost-West-Verhältnis tatsächlich zum Gegenstand spekulativer Erörterungen gemacht
jener Wandel abzeichnet, den die Völker dieses zu werden.
Kontinents nach den schrecklichen Erfahrungen zer-
(Beifall im ganzen Hause. — Zurufe von
störerischer Kriege alle so sehr herbeisehnen.
der CDU/CSU: Herr Schütz! — Abg. Wohl
(Beifall bei der SPD.) rabe: Sagen Sie das Herrn Schütz, das ist
doch der schlimmste!)
Die Bundesregierung ist davon überzeugt, daß ein
positives Resultat der Viererverhandlungen über Meine Bitte lautet: Bei der Diskussion des Berlin-
Berlin möglich ist, ein Resultat, das dann den Weg problems und von Berlinproblemen: Vorsicht, Zu-
zu einer tiefgreifenden atmosphärischen Verbesse- rückhaltung, aber auch Selbstsicherheit.
rung im Verhältnis auch zu unseren östlichen Nach- (Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
barn freilegen würde. Uns, meine Damen und Her-
ren, liegt an dieser Berlin-Regelung um so mehr, Meine Damen und Herren, der Beifall in der
als eine Ratifizierung des Moskauer Vertrags durch Mitte freut mich deswegen besonders, weil ich mit
3946 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970

Bundesminister Scheel
dem, was ich gesagt habe - Sie werden es an der der, ohne sie an der Ausarbeitung eines Konzepts
Blickrichtung gemerkt haben —, dieser Art zu beteiligen, nur noch hineinbringen zu
- wollen. Es ist nicht sehr realistisch, Institutionen zu
(Zuruf von der CDU/CSU: Immer gerade
schaffen, bevor die Beitrittsfrage geregelt ist, und
aus! — Heiterkeit)
die Beitrittsfrage — ich bin dessen sicher — wird in
das ganze Parlament gemeint habe, aber sicherlich einem voraussehbaren kurzen Zeitraum geregelt
auch ganz besonders die CDU/CSU-Fraktion. sein.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Wesentlich bei der Entwicklung der politischen
Zusammenarbeit ist für mich, daß die Konsultatio
Unsere Außenpolitik ist bei aller Unterschiedlich-
nen sehr gründlich vorbereitet werden. Gespräche
keit des Einzelauftrages ein unteilbares Ganzes. Ich
der beteiligten Außenminister genügen nicht; diese
will damit sagen, daß wir uns stets der inneren Ver-
Gespräche müssen fundiert vorbereitet sein. Wenn
flechtung unserer politischen Aktionen bewußt sein
es am Anfang nicht immer möglich sein wird, im
sollten, die auf Sicherheit auf der einen Seite und
Zuge der Konsultationen politische Entscheidungen
auf die Eröffnung besserer Zukunftaussichten auf
herbeizuführen, dann wird es doch möglich sein, ge-
der anderen Seite zugleich abgestellt sind, und dies
meinsame Ausgangspunkte für gemeinsames Han-
nicht nur im Bereich der Ostpolitik.
deln zu finden, und das ist ein großer Fortschritt,
Gerade unter Berücksichtigung dieses Gesichts- verglichen mit der Lage, die wir augenblicklich im
punktes der inneren Verflechtung unserer Aktionen Europa der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft
habe ich es erfreulich gefunden, daß es mir in New vorfinden.
York möglich gewesen ist, mich mit vielen Ge-
Ich glaube deshalb, daß wir die Einrichtung der
sprächspartnern über die Europapolitik im engeren
Konsultationen als politisches Gegenstück zu der
Sinne, nämlich über die europäische Integrations-
gemeinsamen wirtschaftspolitischen Planung nicht
politik, zu unterhalten und unsere Entschlossenheit
nur begrüßen dürfen, sondern daß wir sie verlangen
zur verstärkten Fortsetzung dieser europäischen In-
müssen. Denn das, was wir heute erreichen wollen,
tegrationspolitik zu bekräftigen. Damit meine ich
eine Wirtschaftsunion in Europa und eine Wäh-
vor allem die Intensivierung auch der politischen
rungsunion als konsequente Folge der Wirtschafts-
Zusammenarbeit in Europa im Gemeinsamen Markt,
union, kann nicht funktionieren, wenn nicht gleich-
mit der wir nach zehnjähriger Stagnation endlich
zeitig ein zentraler politischer Wille in Europa ent-
beginnen können. So wird es voraussichtlich noch in
steht.
diesem Halbjahr, in dem wir den Vorsitz im Mini-
sterrat der Europäischen Gemeinschaft führen, ge- Die Arbeiten an dem Zustandekommen einer
lingen, auf der Grundlage des Davignon-Berichts, Wirtschafts- und Währungsunion machen erfreuliche
lassen Sie mich einmal sagen, den Mechanismus für Fortschritte. Der Vorsitzende des Ausschusses, der
politische Konsultationen der Mitgliedstaaten der sich mit diesen Fragen befaßt, der luxemburgische
Europäischen Gemeinschaft zu schaffen und dabei Ministerpräsident Werner, wird in Kürze die Ar-
außerdem die beitrittsbereiten Staaten schon zu be- beiten seines Ausschusses, ,die abgeschlossen sind,
teiligen. Ich vermeide bewußt das weniger pragma- der Öffentlichkeit vorlegen können.
tische Wort „Institution", „Institution der politischen Ich begrüße diese Entwicklung. Ich begrüße sie
Konsultationen", sondern ich sage: Mechanismus der um so mehr, als der in Aussicht stehende Beitritt
politischen Konsultationen. Großbritanniens, Dänemarks, Norwegens und Ir-
Ich bitte dabei vor allem diejenigen Kollegen un- lands zur Konsolidierung dieses Europa, an dem
ter Ihnen um Verständnis, die in der Vergangenheit wir arbeiten, beitragen wird.
sehr viel mit dazu beigetragen haben, den Weg zur Die Verhandlungen über die Erweiterung der Ge-
europäischen Zusammenarbeit zu ebnen. Wir wis- meinschaften haben erfreulicherweise einen guten
sen, daß mehr als ein vorzügliches Europakonzept Start gehabt. Nach Ihrer Eröffnung am 30. Juni in
an der Klippe der Auseinandersetzung über Institu- Luxemburg fanden am 21. Juli und am 21. und
tionen gescheitert ist, und wir suchen zu lernen. Eine 22. September Einzelverhandlungen auf Minister-
der Lehren der Vergangenheit lautet, daß man bei ebene statt. Dabei wurde bereits Einigkeit über das
pragmatischem Vorgehen das gesteckte Ziel unter Verhandlungsverfahren erzielt und - was noch be-
Umständen leichter erreicht als bei dem Versuch, deutsamer ist — von allen Beitrittsbewerbern die
politisches Handeln sofort den mitunter doch recht grundsätzliche Bereitschaft zur Übernahme der Ver-
einengenden Regeln von Institutionen zu unterwer- träge und des inzwischen verabschiedeten Folge-
fen. rechts erklärt.
Wenn wir diese Haltung in der Konsultationsfrage Bei meinen Gesprächen mit dem belgischen Außen-
einnehmen, dann berücksichtigen wir im übrigen minister Harmel in New York bestand Einigkeit
natürlich auch, daß vier Länder, die Mitglied dieses — wir haben uns verständlicherweise über europä-
Gemeinsamen Markts werden wollen, noch nicht ische Fragen unterhalten — um so mehr, als der
Mitglied sind, vier Länder, die alle am Zustande- belgische Außenminister als mein Vorgänger bedeu-
kommen der politischen Zusammenarbeit nicht nur tende Erfolge errungen hat in seiner Amtszeit als
ein besonders großes Interesse haben, sondern die Präsident des Ministerrats und auch jetzt bereit ist,
alle selber aktiv daran mitwirken möchten. Schon mitzuwirken an einer Beschleunigung der politischen
deswegen ist es nicht möglich, jetzt die Institutionen Zusammenarbeit in Europa. Es bestand Einigkeit
zu schaffen, vorzugeben, und später diese vier Län- darüber, daß es jetzt, in diesen Monaten, darauf
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970 3947
Bundesminister Scheel
ankomme, die sachliche Erörterung der Hauptpro- terpretationsversuche gehören in das Reich der po
bleme der Beitrittsverhandlungen in Angriff- zu politischen Semantik, der Sprachwissenschaft
nehmen und es nicht bei Einigungen über Formalien
(Abg. Freiherr von und zu Guttenberg:
der Verhandlungen zu belassen und die Sachpro-
AuchHerSkow?)
bleme vor sich herzuschieben. Wir werden bemüht
bleiben, noch unter der deutschen Präsidentschaft, Ich meine ja alle, die sich darüber hinaus an wei-
die bis zum Ende dieses Jahres läuft, die Ver- teren Interpretationen versuchen.
handlungen aus dem Stadium der Tatsachenfest-
stellungen herauszuführen. Diese Feststellung gilt auch für das Schreiben, das
wir den Vertragspartnern in der Wiedervereini-
Wir haben uns für den Rest des Jahres ein ehr- gungsfrage zugesandt haben. Auch hier gibt es keine
geiziges Programm vorgenommen. Es gibt eine Unklarheiten, und es darf auch keine Unklarheiten
zweite und dritte Ministerkonferenz mit Großbri- geben. Unser Standpunkt steht fest, und Herr
tannien am 27. Oktober und am 8. Dezember. Es Gromyko ist in keinem Zweifel darüber, daß die
gibt Ministerkonferenzen mit Irland, Dänemark und friedliche Verfolgung des Ziels ,der Vereinigung der
Norwegen am 15. Dezember. Es gibt auch schon die Deutschen nicht im Widerspruch zum Vertrag steht.
notwendigen Gespräche mit den übrigen EFTA- Wir können und wir wollen nicht ausschließen, daß
Staaten am 10. und 24. November 1970. die Grenze zwischen den beiden Teilen Deutsch-
Meine Damen und Herren! Ich bin überzeugt, daß lands einmal einvernehmlich aufgehoben wird,
sich diese Vertiefung der europäischen Zusammen- gleichgültig, welche völkerrechtliche Konstruktion in
arbeit wiederum positiv auf die Bemühungen um Europa in dieser Zeit die Möglichkeit dazu geben
die Überbrückung des Ost-West-Gegensatzes und wird. Ich habe dies dem Außenminister der UdSSR
damit auch auf unsere Ostpolitik ich meine jetzt in Moskau gesagt, und ich habe dem auch hier
die europäische Ostpolitik — auswirken wird. Ich nichts hinzuzufügen, meine Damen und Herren.
bin außerordentlich befriedigt darüber, daß der fran-
zösische Staatspräsident bei seinem Besuch in Mos- Diese klare Linie wird auch für unsere Abmachun-
kau die gleiche Überzeugung zum Ausdruck ge- den mit Polen gelten. Ich hatte in New York Ge-
bracht hat, daß westeuropäische Integrationspolitik, legenheit, darüber mit dem polnischen Vize-Außen-
wie wir sie treiben, und der Versuch des Ausgleichs minister Winiewicz auch im Hinblick auf meine
zwischen (den Ländern Westeuropas und Osteuropas, Anfang November geplante Reise nach Warschau
Ländern unterschiedlicher Gesellschaftsordnung, ne- und im Zusammenhang mit dem Besuch der polni-
beneinander her die bedeutendsten politischen Auf- schen Delegation in Bonn zu sprechen. Unsere Posi-
gaben unserer Zeit sind. tion ist eindeutig. Ein Vertrag mit Warschau darf
(Beifall bei den Regierungsparteien.) nicht die Rechte und Verantwortlichkeiten der Vier
Mächte in bezug auf Deutschland als Ganzes be-
Meine Damen und Herren! Ich komme damit noch- rühren. Ich habe heute morgen in der Fragestunde
mals auf unsere Ostpolitik. Die Bundesregierung Gelegenheit gehabt, darüber noch Einzelheiten zu
wird weiterhin zielstrebig und zugleich sehr über- sagen, so daß ich es mir ersparen kann, das jetzt
legt vorzugehen haben, auch eingedenk der Tat- hier zu tun.
sache, daß eine zu frühzeitige Darlegung nicht aus-
gereifter Positionen niemandem nützen kann. Was Wir werden aber neben dieser völkerrechtlichen
wir tatsächlich wollen, geht eindeutig aus dem Text Frage, die eine Rolle für einen Vertragsabschluß
des Moskauer Vertrages hervor. Er kennt keine spielen wird, auch besonders die humanitären
Geheimabsprachen. Es gibt keine geheimen An- Aspekte einer deutsch-polnischen Vereinbarung zu
nexe dieses Vertrages. Wenn dem aber so ist, klären haben. Ich hoffe, daß die polnische Regierung
wenn es das nicht gibt, dann sollte wenig Anlaß die Bedeutung versteht, die wir z. B. auch Reise-
bestehen, sich an Hand des Vertragstextes in Inter- erleichterungen im Verkehr zwischen der Bundes-
pretationsversuchen zu üben. republik und Polen beimessen. Ich weiß auch, daß
(Beifall bei den Regierungsparteien.) hier rechtliche Probleme auftauchen. Aber hierzu
möchte ich bemerken, daß die Bundesregierung in
Herr Breschnew sagte am 2. Oktober in Baku, es ihrem Verhältnis zur DDR z. B. unter Beweis ge-
sei absolut unbegründet, Vermutungen darüber an- stellt hat, daß juristische Erwägungen gegebenen-
zustellen, welche Seite durch den Vertrag zwischen falls hinter dem Ziel humanitärer Erleichterungen
der UdSSR und der Bundesrepublik Deutschland zurückzutreten haben. Ich will nicht verschweigen,
mehr und welche weniger gewinnt. daß ich in dieser Bereitschaft, die wir gezeigt haben,
(Abg. Dr. Barzel: Verlesen Sie auch seine eine erhebliche politische Leistung erblicke. Viel-
Rede in Alma Ata!) leicht erleichtert es diese Andeutung, daß für un-
Alle gewinnen in gleich hohem Maße, die so- seren Standpunkt Verständnis aufgebracht wird. Ich
zialistischen Länder, die Bundesrepublik möchte, meine Damen und Herren, noch vor meiner
Deutschland und alle diejenigen, die an der Reise nach Warschau über all diese Fragen mit
Festigung des Friedens in Europa und an der Ihnen in den dafür zuständigen Gremien, aber auch
Milderung der internationalen Spannungen in- mit den interessierten Kreisen und Gruppen anderer
teressiert sind. Art sprechen.
Insoweit zitiere ich Breschnew. In diesem Punkte Eine Frage, deren Klärung der Bundesregierung
weiß ich mich mit ihm einig. Meine Damen und ebenfalls ganz besonders am Herzen liegt, ist das
Herren, weitere Auseinandersetzungen, weitere In Verhältnis zu unserem unmittelbaren Nachbarn, zur
3948 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970

Bundesminister Scheel
Tschechoslowakei. In den nächsten Tagen wird ein Meine Damen Herren, eine Außenpolitik, die sich
Beamter des Auswärtigen Amtes nach Prag reisen, nur innenpolitisch orientierte oder gar von Teil-
-
um erste Kontakte herzustellen. Auch hier wollen interessen bestimmt würde, verdiente die Bezeich-
wir mit Behutsamkeit den Weg suchen, der eine nung Außenpolitik nicht. Ich will es noch einmal
Normalisierung unserer Beziehungen zur Tsche- sagen: Es gibt für unser Volk keine Sicherheit ohne
choslowakei erleichtern soll. Eine einvernehmliche erfolgreiche Außenpolitik, und ich darf annehmen,
Regelung der anhängigen Rechtsfragen sollte nach daß es darüber in diesem Hause keinerlei Mei-
Auffassung der Bundesregierung möglich sein. nungsverschiedenheiten gibt. Deshalb bin ich auch
sicher, daß dieses Haus bei allen Kontroversen, die
Das Ziel dieser Politik ist die Sicherung unserer sich in Einzelfragen ergeben mögen oder ergeben
Zukunft durch Gewährleistung von Sicherheit und haben, jedenfalls in der Zielsetzung selbst einig ist,
Entspannung zugleich. Es handelt sich hier nicht um nämlich in der Wahrung der freiheitlich-demokrati-
Worte. Die Konflikte und Labilitäten in dieser Welt schen Grundordnung und in der Sicherung des Frie-
sind zahlreich — immer noch zahlreich. Wenn wir dens.
Europäer seit über zwei Jahrzehnten in Frieden (Beifall bei den Regierungsparteien.)
leben können, so müssen wir doch gleichzeitig er-
leben, wie die Entwicklung in anderen Teilen der Meine Damen und Herren, es ist ein alter Streit
Welt — vor allem auch, was uns direkt berührt: im der Gelehrtenschulen, in welcher Form Außenpolitik
Nahen Osten — zu ernsthafter Besorgnis Anlaß gibt. in der Demokratie möglich sei, d. h. in welcher Art
Parlament und Öffentlichkeit über außenpolitische
Ich denke dabei nicht nur an die Tatsache poli- Vorgänge und Entwicklungen, vor allem aber noch
tischer und militärischer Auseinandersetzungen, son- nicht abgeschlossene Entwicklungen zu informieren
dern vor allem auch an die Formen, die diese Aus- seien. Ich will ,den wissenschaftlichen Theorien dar-
einandersetzungen gegenüber Unschuldigen und über keine neue hinzufügen. Das ist schon gar nicht
Unbeteiligten angenommen haben. Nicht umsonst meine Aufgabe in der Bundesregierung, Theorien
hat die Entführung deutscher Staatsbürger durch zu entwickeln. Außenpolitik ist ja Vollzug. Ich will
Terroristen unsere Öffentlichkeit so tief beunruhigt. an diesem Punkt lediglich darlegen, in welcher
Es kann nur unser aller Interesse sein, daß im Weise nach vernünftigen Gesichtspunkten eine Gü-
Nahen Osten bald ein Zustand hergestellt wird, der terabwägung vorzunehmen ist. Dabei ist eines ganz
die Interessen aller beteiligten Völker berück klar: die Bundesregierung, gerade diese Bundes-
sichtigt. regierung, hat ihre Informationspflicht immer beson-
Meinen Gesprächspartnern aus dem nahöstlichen ders ernst genommen. Sie ist dabei bis an den Rand
und Mittelmeerbereich, die ich in New York ge- des Möglichen gegangen.
troffen habe, ist dieser Standpunkt der Bundes- (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu
regierung bekannt. Darf ich in diesem Zusammen- rufe von der CDU/CSU.)
hang, meine verehrten Damen und Herren, sagen, Die Oppositionspartei hat nach Kooperation ge-
wie sehr ich es aus diesem Grunde bedauere, daß fragt. Wir haben diesen Gedanken aufgenommen,
mit dem ägyptischen Staatspräsidenten Nasser eine und wir haben unter den Gesichtspunkten, die ich
der bedeutenden politischen Persönlichkeiten der bereits genannt habe, gründlich und umfassend in-
arabischen Welt nicht mehr ist. Sicher war er um- formiert. Jedenfalls hat ,die Bundesregierung — das
stritten. Aber auf ihn haben sich zuletzt im Zu- will ich mit allem Freimut bekennen — hier so ge-
sammenhang mit dem Friedensplan des amerika- handelt, wie es vernünftigerweise zu erwarten ist.
nischen Außenministers Rogers doch die Hoffnungen Uns allen ist heute Gelegenheit gegeben, der
für eine Befriedung des nahöstlichen Raums ge- Welt deutlich zu machen, daß in unserer politischen
richtet. Zielsetzung Einigkeit herrscht, ungeachtet der im
Die Vorgänge im Nahen Osten zeigen uns allen, einzelnen bestehenden Differenzen zwischen den
daß sich eine internationale Entspannung nicht auf Parteien. Niemand hat bestritten, und ich denke,
Einzelbereiche beschränken kann. Sie zeigen, daß niemand wird bestreiten wollen, daß der Weg des
Entspannung unteilbar sein sollte über Kontinente Verhandelns, um zu Entspannung zu gelangen, um
hinweg. Sie zeigen, daß eine Entspannung nur dann aus der Konfrontation in Europa eine Kooperation
diesen Namen verdient, wenn sie alle Völker und werden lassen zu können, der einzig denkbare Weg
Länder einbezieht. in unserer Zeit ist.
Aus dieser Erfahrung ergibt sich das Ziel unserer (Beifall bei ,den Regierungsparteien.)
Außenpolitik: Sie soll, sie muß den Frieden sichern. Der verstorbene Präsident Kennedy hat am
Sie muß die Grundlage für unsere Sicherheit schaf- 20. Januar 1961 in seiner Antrittsrede als Präsident
fen. Aber sie ist auch mehr: sie ist der notwendige der Vereinigten Staaten seinen Mitbürgern, aber
Beitrag, die Voraussetzung zur Eröffnung von Zu- auch der Welt zugerufen: „Wir wollen niemals aus
kunftsaussichten für unser Volk und für unser Land. Furcht heraus verhandeln. Aber wir wollen uns nie-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) mals davor fürchten, zu verhandeln." Er hat dann —
mit dem Blick auf den Osten — hinzugefügt: „Laßt
Eine solche Zielsetzung sollte nicht — nein: sie darf uns auf beiden Seiten herausfinden, welche Probleme
nicht mit einer innenpolitischen Motivierung zer-
uns vereinen, anstatt auf den Problemen herum-
redet, sie darf schon gar nicht den taktischen Rankü-
zureiten, die uns trennen." Dieses Wort hat jetzt
nen untergeordnet werden.
nach beinahe zehn Jahren nichts an seiner Aktuali-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) tät eingebüßt.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970 3949

Bundesminister Scheel
Aber lassen Sie mich dennoch abschließend einen Herr Bundesaußenminister, Sie haben mit einer
Hinweis geben, der nicht nur den Abgeordneten Würdigung der Vereinten Nationen begonnen. Die
hier im Saale, sondern auch den Publizisten in unse- Vereinten Nationen, noch vor dem Ende des letzten
rem Lande und all unseren Bürgern gilt: Diese Weltkrieges gegründet, haben in ihrer Charta all
Bundesrepublik Deutschland hat mehr Nachbar- jene Prinzipien niedergelegt, die Freiheit, Unabhän-
staaten und mehr Nachbarvölker als irgendein gigkeit und Gleichberechtigung der Völker — wie
anderes Land in Europa. Man umschreibt diesen Zu- Sie sagten: der großen u n d der kleinen —, fried-
stand gewöhnlich mit der besonderen geographi- liche Zusammenarbeit, die Regulierung von Streit-
schen Lage, in der wir uns befinden. Aber hinter fragen und Wohlfahrt für alle garantieren. Aber,
dieser Formel von der besonderen geographischen meine Damen und Herren, wir wissen auch — die
Lage verbirgt sich doch nichts anderes als die ganz geschichtliche Erfahrung seit 1945 hat uns dies ge-
besondere Verantwortung, die ein Volk, die ein lehrt , daß Gewalt- und Machtpolitik so oft die
Land, die ein Staat wegen dieser seiner Lage für Durchsetzung jener Prinzipien hinderten und daß so
den Frieden auf unserem Kontinent hat. Diese Ver- manche Hoffnungen enttäuscht wurden.
antwortung wiederum ist unteilbar. Sie ist nicht
So haben z. B. die rigorose Handhabung des Veto-
nur Verantwortung der Regierung, sie ist auch
rechts im Sicherheitsrat und die gegensätzliche Aus-
Verantwortung der Opposition; sie ist zugleich
legung der UN-Prinzipien bei manchen ihrer Mit-
Verantwortung der Publizisten, aber auch und
glieder deutlich gemacht, wie nötig es ist, daß zum
nicht zuletzt Verantwortung aller Bürger, aller
Geist der Vereinten Nationen auch der Wille ihrer
Demokraten in dieser Bundesrepublik Deutschland.
Mitglieder gehört, sich in der praktischen Politik
Unsere Chance, in der Außenpolitik die Ziele zu
diesem Geist entsprechend zu verhalten.
erreichen, die wir uns vorgenommen haben und
die wir uns vornehmen mußten, ist abhängig vom Gerade wir Deutschen, denen in einem Teil des
Maß der Verantwortung, vom Verantwortungs- Landes die Praktizierung der Menschenrechte nicht
bewußtsein all derer, die ich hier genannt habe. erlaubt ist, dürfen nicht in Resignation verfallen,
Wir wollen in diesem Europa als gleichberechtig- sondern wir müssen an dem Gedanken einer umfas-
ter Partner gute Nachbarn unserer Nachbarn sein. senden Völkergemeinschaft und an deren Prinzipien
Wir wollen Vertrauen erhalten und Vertrauen ge- festhalten. Daher arbeiten wir überall, wo dies nütz-
winnen, weil wir den Frieden erhalten wollen, weil lich und nötig ist, konstruktiv mit. Wir arbeiten auch
wir den Frieden sichern müssen. deshalb mit, weil wir tief davon überzeugt sind, daß
die Völker der Welt auf die Dauer nicht an der
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Tatsache vorbeisehen können, daß gerade hier im
Herzen des alten Kontinents, in dem das Licht der
Vizepräsident Dr. Schmitt Vockenhausen:
-
Freiheit und der Menschenwürde zuerst entzündet
Das Wort hat der Herr Abgeordnete Dr. Marx. worden ist, daß in der Mitte und im Osten dieses
Kontinents die grundlegenden Freiheits- und Men-
Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) : Herr Prä- schenrechte nicht nur nicht gesichert sind, sondern
sident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! von den Menschen nicht ausgeübt werden dürfen.
Es war der Wunsch der Bundesregierung, heute hier
vor diesem Hohen Hause einige Informationen aus- (Abg. Freiherr von und zu Guttenberg: Sehr
zubreiten, Informationen, die sich im Zusammenhang richtig!)
mit Ihren Gesprächen, Herr Bundesaußenminister, in
Herr Bundesaußenminister, wir haben Ihre Reise
den Vereinigten Staaten ergeben, auch Informatio-
nach Washington und New York genau verfolgt;
nen, die die weitere Entwicklung der Situation im
ebenso, mit wem und was Sie dort gesprochen
freien Europa betreffen.
haben. Wir haben Ihre Interviews gelesen und die
Wir haben 'Verständnis dafür, Herr Bundesaußen- Kommentare in den Zeitungen und im Rundfunk
minister, daß Sie Gelegenheit suchen, hier Dinge dazu zur Kenntnis genommen. Sie nehmen mir nicht
deutlich zu machen, die wir in vielen Andeutungen übel, wenn ich sage, daß es einem mitunter er-
in den letzten Tagen der Presse entnommen haben. scheint, als sei man in einem Weinland, wo man
Wir haben auch Verständnis dafür, daß Sie in einer saueren Wein mit Zucker etwas aufbessert, wenn
recht schwierigen außen- und innenpolitischen Lage man sieht — dieser Eindruck entstand auch soeben
versuchen — lassen Sie es mich so sagen —, einige bei Ihrer Darlegung —, daß eine Politik im Spie-
Glanzlichter auf eine langsam verblassende Ostpoli- gelbild dessen, was Ihre Partner gesagt haben, dar-
tik zu setzen. geboten wird, eine Politik, die wir vor allem in ihren
(Beifall bei der CDU/CSU. — Widerspruch Konsequenzen anders sehen als Sie selbst.
bei der SPD.)
Aber es war, glaube ich, in dem, was Sie sagten,
Natürlich, Herr Außenminister, verstehen wir auch, auch vieles, was ich als eine „realistische Tönung"
daß heute nicht nur der Bundesaußenminister, son- bezeichnen möchte. Es muß jetzt deutlicher werden,
dern auch der Vorsitzende der Freien Demokra- nachdem der während und nach der Moskauer Ver-
tischen Partei gesprochen hat. tragsunterzeichnung erzeugte euphorische Jubel
(Abg. Dr. Apel: Das ist ja unanständig, hier Stück um Stück abgeebbt ist, daß wir uns alle einer
so etwas zu sagen! — Zuruf von der FDP: nüchternen Betrachtung des deutsch-sowjetischen
Was soll das denn? — Weitere Zurufe von Vertrags und seiner weitwirkenden Konsequenten
den Regierungsparteien.) zuwenden müssen.
3950 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970

Dr. Marx (Kaiserslautern)


Die Bundesregierung so stellen wir, Herr Bun Herr Bundesaußenminister, ich sage das mit großem
desaußenminister, und weite Teile der deutschen Ernst und mit der direkten Bitte an Sie, dabei nicht
-
Öffentlichkeit fest — hat noch vor etwa sieben Wo- mitzuhelfen. Sonst könnte die weitere Entwicklung
chen das „Prinzip Hoffnung" entwickelt und an ihre nämlich dahin gehen, daß Sie und Ihre Regierung in
Unterschriftsleistung eine Fülle von Erwartungen einen Zugzwang geraten, wobei Sie gezwungen
geknüpft. Wir sehen, daß Sie selbst und Vertreter wären, etwas als befriedigend für Berlin anzusehen,
der sie tragenden beiden Koalitionsparteien sich was für uns alle unbefriedigend ist.
jetzt Mühe geben, die damals erzeugten Erwartun- (Beifall bei der CDU/CSU.)
gen und Stimmungen zu dämpfen. Ich denke daran,
daß Sie, Herr Kollege Wehner, bereits in Ihrer Rede Lassen Sie mich bitte einige Bemerkungen zu den
vom 18. September dieses Jahres in diesem Hause Gesprächen in den Vereinigten Staaten machen.
die euphorische Stimmung sehr gedämpft haben. Sie Meine Damen und Herren, draußen in der Öffent-
hatten dafür sicher Ihre guten Gründe. Wir haben lichkeit — auch in diesem Hause — ist wiederholt
uns damals, als wir Ihre skeptischen Bemerkungen gesagt worden, daß offizielle Erklärungen von ver-
etwa über die Möglichkeit einer befriedigenden Ber- bündeten Regierungen als eine Zustimmung zur
lin-Regelung anhörten, gefragt: Wessen Hoffnungen allgemeinen Linie und auch zu Detailfragen der
dämpft Kollege Wehner eigentlich? deutschen Ostpolitik verstanden werden müßten. Ich
selbst habe z. B. in Washington erlebt, wie peinlich
(Abg. Dr. Barzel: Sehr wahr!) es Regierungsvertretern und Mitarbeitern der Re-
Ich will es Ihnen sagen: Ich glaube, Sie haben sich gierung ist, wenn sie feststellen — dabei knüpfe ich
dabei selbst korrigiert, weil es schon nach kurzen an Ihre letzten Bemerkungen an —, wie hinderlich
Wochen notwendig war, einzusehen, daß der so- es ist, wenn Erklärungen befreundeter Regierungen
wjetischen Politik nicht jenes Maß an Elastizität und hier in der Bundesrepublik in der innenpolitischen
Entspannungsbereitschaft innewohnt, das man im Auseinandersetzung verwendet werden,
August noch überall behauptet hatte. (Sehr gut! und Sehr wahr! bei der CDU/CSU)
(Beifall bei der CDU/CSU.) wenn also der Eindruck erweckt wird, als ob das,
Meine Damen und Herren, wenn ich heute über was man eine moderierte Haltung in der Öffentlich-
Berlin spreche, geschieht das ausdrücklich unter Be- keit nennen könnte jedermann weiß, daß be-
rücksichtigung
- der Tatsache, daß zur Zeit die Vier freundete Regierungen sich nicht gegenseitig öffent-
Mächte-Verhandlungen fortgesetzt werden, wobei lich kritisieren —, hier als innenpolitischer Schlag-
ich mir jedoch wünschte, daß man auch im Bereich stock für die Argumente der Bundesregierung be-
der DDR darauf Rücksicht nähme und nicht zur glei- nutzt wird.
chen Zeit die bisher umfangreichsten Manöver des (Beifall bei der CDU/CSU.)
Warschauer Paktes dort ablaufen ließe. Herr Bundesaußenminister, um gerecht zu sein,
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wohl muß man natürlich, wenn man schon zitiert, was an-
rabe: Das alles heißt Entspannung und dere Regierungen sagen ich beziehe mich jetzt
Gewaltverzicht!) ausdrücklich nicht auf diesen Teil Ihrer Rede, son-
dern auf vieles, was in den letzten Wochen und
Ich will heute über Berlin selbst nur soviel sagen: Monaten durch Vertreter der Regierung und der sie
Herr Bundesaußenminister, wir haben aufmerksam tragenden Parteien in der Öffentlichkeit gesagt wor-
zugehört, als Sie noch einmal die Formel von Mos- den ist —, auch feststel en, daß es objektivander
kau über den untrennbaren Zusammenhang zwi- Interessenlagen gibt. Denn unser deutsches Pro-
schen einer befriedigenden Berlin-Regelung und der blem, die politische, psychologische und — auch
Ratifikation des deutsch-sowjetischen Vertrags wie- darauf wiesen Sie hin geographische Lage unse-
derholten. Das halten wir ausdrücklich fest. Wir res Landes verlangen andere Maßstäbe, als sie ver-
stimmen dem von Ihnen mit Betonung vorgetrage- ständlicherweise von jenen angelegt werden, die
nen Satz zu, wo Sie sagten: „In dieser Frage muß weiter ab leben und oft andere Probleme stärker
Klarheit herrschen." Wir werden aber auch, Herr und bedrängender fühlen als das deutsche.
Bundesaußenminister, darüber wachen müssen, daß
nicht durch andere in, wie ich sage, unverantwort- Meine Damen und Herren, wir wissen sehr gut,
licher Weise, z. B. durch den Regierenden Bürgermei- daß befreundete Nationen unser Fraktionsvor-
ster von Berlin, Herrn Schütz, sitzender hat das deutlich gemacht, als er von seiner
Reise in die Hauptstädte der westlichen Verbünde-
(Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Dr. Bar ten zurückkam; ich glaube, es war am 7. Septem-
zel: Sehr wahr!) ber —, daß andere sich nicht in unsere inneren An-
gelegenheiten einmischen. Wir wissen sehr gut, daß
durch das Anerbieten substantieller Dinge auf offe-
sie aber auch hinzufügen, sie könnten natürlich nicht
nem Markte, unüberlegt
deutscher sein als unsere eigene deutsche Regierung.
(Zuruf von der CDU/CSU: Geschwätzigkeit!)
(Beifall bei der CDU/CSU.)
und schädlich, der Inhalt dessen, was eine „befriedi-
Es ist klar, die Verbündeten wahren ihre Rechte.
gende Berlin-Regelung" sein könnte, Stufe um Stufe
Aber erlauben Sie mir, darauf hinzuweisen, daß in
weiter minimalisiert wird.
der letzten Zeit doch auffällt, mit welch steigender
(Abg. Wohlrabe: Und das durch den Berli Betonung auch unsere Verbündeten davon sprechen,
ner Regierenden Bürgermeister!) daß sie auf die Rechte pochen, die ihnen als Sieger-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970 3951
Dr. Marx (Kaiserslautern)
mächten des zweiten Weltkriegs zufließen, und daß Wir denken — Herr Kollege zu Guttenberg — auch
mehr und mehr jene Argumentation zurücktritt, die an das — ich sage auch dies ganz freimütig, denn es
die Staatskunst Adenauers erreicht hatte, -daß sie war ja eine öffentliche Rede, die darüber gehalten
als Verbündete, als Partner ihre Rechte und Pflich- worden ist —, was der sowjetische Emissär Herr
ten mit uns zusammen wahren. Juri Schukow hier vor kurzer Zeit in der Bundes-
(Beifall bei der CDU/CSU.) republik sagte, daß er uns nämlich direkt oder in-
direkt die Hilfe der Sowjetunion anbietet, um der,
Herr Bundesaußenminister, was Sie zur Entwick-
wie er es nennt, „amerikanischen Herausforderung
lung, zur Methodik der Beitragsverhandlungen der
in Europa" entgegenzustehen.
Beitrittswilligen gesagt haben, findet Zustimmung.
Wir ermuntern Sie ausdrücklich, die Verhandlungen Herr Bundesaußenminister, wir unterstützen aus-
mit den vier beitrittswilligen Ländern in diesem drücklich einen. Satz, den ich etwas knapper zu fas-
Geist voranzutreiben. Wir ermuntern Sie auch, dort sen versuche: was wir brauchen in Europa, ist nicht
Ihre Politik weiter durchzusetzen — da haben Sie nur der Wille zur Gestaltung der europäischen frei-
die Unterstützung der CDU/CSU-Fraktion —, wo heitlichen Allianz, sondern auch die enge partner-
Sie darauf pochen, daß es notwendig ist, einen schaftliche Bindung mit den Vereinigten Staaten von
einheitlichen europäischen Willen Nordamerika.
zu erzeugen. Dies ist die treibende Kraft, die wir in
der weiteren Entwicklung unserer europäischen (Beifall bei der CDU/CSU.)
Politik notwendigerweise brauchen. Wir haben auch
beobachtet, Herr Bundesaußenminister, wie Sie in Wir brauchen Fortschritte in der politischen Eini-
New York in Ihren Gesprächen mit den Außenmini- gung des Kontinents, weil nur auf diesem Hinter-
stern der Länder, die aus der nichtgebundenen grund ein wirklich dauerhafter Ausgleich mit dem
Welt kommen, mit den Schwierigkeiten konfrontiert europäischen Osten eingeleitet und dann auch her-
waren, die sich für diese Länder ergeben, um — beigeführt werden kann.
sagen wir einmal — die Zollmauern der EWG zu Herr Bundesaußenminister, ich muß noch einige
überspringen. Wir verstehen, daß in diesen Ländern Bemerkungen hinzufügen. Denn Sie haben — darauf
versucht wird, bestimmte Formen einer direkten
bezog sich vorhin. meine Bemerkung, daß Sie diesen
oder indirekten Zusammenarbeit mit der EWG zu
sauren Wein zu schönen versuchten — gesagt, bei
finden, und jeder findet unsere Unterstützung, der
dem Moskauer Vertrag würden. „wir alle in gleicher
hierbei versucht, besonders harte Schwierigkeiten
Weise gewinnen". Wir wollen jetzt darüber keine
durch Vereinbarungen zu regeln.
lange Debatte anstrengen. Aber wir wären sehr
Sie haben aber auch, Herr Bundesaußenminister, dankbar, wenn in einer dann zu führenden gründ-
als Sie aus Moskau zurückkamen, uns erzählt, daß lichen Debatte Sie sich in der Lage sähen, Herr
die sowjetischen Führer sich mit der Existenz der Bundesaußenminister, diesem Hohen Hause klarzu-
EWG und mit deren Ausweitung abgefunden hätten. machen, ob beide Seiten bei diesem Vertrag Ver-
Sie mag als „Monstrum" bezeichnet worden sein, gleichbares eingebracht haben und ob tatsächlich und
aber Sie sagten doch, Sie hätten den Eindruck ge- konkret beide Seiten aus diesem Vertrag entspre-
wonnen, daß man sich in Moskau politisch auf die chende, für uns alle brauchbare politische Nutzan-
neue Tatsache einstelle. wendungen ziehen können.
In diesem Zusammenhang müssen wir die Öffent-
(Beifall bei der CDU/CSU.)
lichkeit darauf hinweisen, daß die Sowjetunion be-
gonnen hat — jetzt begonnen hat , mehr und mehr Sie haben weiter gesagt, Herr Bundesaußenmini-
ihre Aktivitäten gegen die Europäische Wirtschafts- ster, daß es nicht verschiedene Interpretationen
gemeinschaft und gegen unsere Entschlossenheit, die gebe. Ich denke an einen Satz Ihrer Rede, die Sie
politische Einigung Europas voranzutreiben, zu rich- in Straßburg vor dem Europarat gehalten haben,
ten. wo Sie sich so ausgedrückt haben: Dies alles ist klar
(Zustimmung bei der CDU/CSU.) und eindeutig, da gibt es keine Interpretationen.
Mehr und mehr dringen Äußerungen aus dem euro- Es ist fast eine Preisfrage, Herr Bundesaußenmini-
päischen Osten zu uns herüber, die — und ich sage ster, warum aber dann genau dieser Satz in der
das auch ganz freimütig — vor allem im Zusammen- Veröffentlichung Ihrer Rede im „Bulletin" heraus-
hang mit der Propagierung einer europäischen genommen worden ist.
Sicherheitskonferenz versuchen, die Einigung des
(Abg. Dr. Barzel: Hört! Hört! — Abg. Ras
freien Europa abzubremsen, die Europäer gegen die
ner: Das war wahrscheinlich Ehmke!)
Amerikaner aufzuwiegeln und den Gedanken einer
„gesamteuropäischen", wie es heißt, Konzeption zu Herr Bundesaußenminister, wenn wir miteinander
fördern. „Gesamteuropäisch" aber ist in diesem Zu- über dieses Thema diskutieren wollen, schlage ich.
sammenhang, daß man versucht, das Ergebnis des doch vor, daß wir uns nichts vormachen, daß wir
Zusammenschlusses im freien Europa zu unterlaufen nicht so tun, als ob es nicht verschiedene Interpre-
und unter der dominierenden Macht der Sowjetunion tationen gebe. Sie liegen doch auf der Hand. Jeder-
in Europa ein Modell zu schaffen, daß dem Bild der mann, der sowjetische Zeitungen liest, jedermann,
Sowjetunion von einem solchen künftigen Europa der den Rundfunk in Moskau, in Warschau, in Ost-
ohne die Amerikaner entspricht. Berlin hört, jedermann, der das aufnimmt, was in
(Abg. Freiherr von und zu Guttenberg: Das den Kommuniqués steht, wenn sowjetische Führer
ist das wahre Sowjetkonzept!) sich treffen, muß doch ganz eindeutig feststellen, daß
3952 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970

Dr. Marx (Kaiserslautern)


es zu dem, was die Bundesregierung sagt, weit ab- Regelung ihre Bestätigung finden bzw. es bedürfe,
weichende Interpretationen des 'Vertrages gibt. so hieß es dort, der Bestätigung —, und dem, was
(Beifall bei der CDU, CSU.) Sie in Ihren verschiedenen Einlassungen hier im
Bundestag und im Auswärtigen Ausschuß gesagt
Verschweigen dieser Tatsache, Herr Bundesau- haben, bestünde kein Widerspruch. So haben Sie
ßenminister, schafft die Realitäten, um die es dabei gesagt, und wir halten Sie an dieser Aussage gerne
geht, nicht aus der Welt. Auch wenn Sie den Satz fest; wir werden es auch in der angebotenen Diskus-
hinzufügen, man solle keine politische Semantik be- sion — ich gehe davon aus: in der nächsten Woche
treiben, so bitte ich in allem Ernst darauf hinwei- im Auswärten Ausschuß — deutlich machen.
sen zu dürfen,
Herr Bundesaußenminister, es gäbe noch viele Be-
(Abg. Dr. Barzel: Sehr gut!) merkungen zu machen, etwa die Frage an Sie zu
daß es zwingend notwendig ist, bei einem Partner stellen: Welche Qualität hat die Grenze, die Sie jetzt
wie der Sowjetunion, der aus einem anderen Den- mit Polen zu vereinbaren sich anschicken? Ist dies
ken heraus handelt und seine diplomatische Arbeit eine Grenze, die in die nationalistischen Grenzvor-
nach anderen Methoden gestaltet, Wort für Wort stellungen des 19. Jahrhunderts zurückgeht, oder
zu prüfen, was gemeint ist, was gesagt ist, und nicht ist es eine Grenze, die jene moderne Anforderung
ich sage das jetzt als einen allgemeinen Vor- erfüllt, die wir mit der Aussage umschreiben, sie
wurf — in einer für meine Begriffe recht oberfläch- muß durchlässig sein für Menschen, für Ideen und
lichen Weise selbst an die Übersetzung eines so be- für Güter?
deutenden und für uns alle verbindlichen Textes zu Herr Bundesaußenminister, Sie haben auch darauf
gehen, wie wir es in einer Kleinen Anfrage der hingewiesen, daß so wie diese Regierung kaum
CDU/CSU-Fraktion — und ich sage ausdrücklich: eine andere ihrer Informationspflicht gefolgt sei.
im Augenblick nur an einem entscheidenden Wort Wir müssen sagen, daß die Informationen, die Sie
— dargestellt haben.
uns bisher über den Inhalt dessen gegeben haben,
(Beifall hei der CDU/CSU.) was Sie mit den Polen besprechen, noch immer dürf-
Herr Bundesaußenminister, Sie sagten auch — ich tig sind. Wir hoffen, daß sich dies in den nächsten
muß dies auch noch aufnehmen —: „Wir wollen Tagen ändert. Denn, Herr Bundesaußenminister,
nicht ausschließen, daß die innerdeutschen Grenzen das muß einem jeden bei uns so gehen: Es ist un-
einvernehmlich aufgehoben werden." Herr Bundes- würdig und unerträglich, morgens aufgeregt nach
außenminister, ist dies eine Form der Aktivität, die den Zeitungen langen zu müssen, weil wir eher ver-
Sie zutage treten lassen: „Wir wollen nicht aus- muten können, daß wir in den Zeitungen die ent-
schließen" ? Sind wir nicht alle unter dem Gesetz, scheidenden Formeln unserer Regierung finden,
das uns unser eigenes Grundgesetz auferlegt? Hat (Zuruf des Abg. Wehner)
nicht auch diese Regierung, auch in ihrer Regie-
als daß sie den demokratischen, den parlamentari-
rungserklärung, ihre eigenen Aktivitäten in einer
schen Körperschaften — Herr Wehner: den demo-
bedeutend präziseren Weise vorgetragen? Sie sagen:
kratischen, dazu berufenen Körperschaften — des
„Wir wollen nicht ausschließen." Was heißt das,
Deutschen Bundestages zur Kenntnis gebracht wer-
Herr Bundesaußenminister? Ich hoffe, daß wir nicht
den.
nur „nicht ausschließen", sondern daß wir unsere
(Beifall bei der CDU, CSU. — Zurufe von der
politischen Aktivitäten auch in Zukunft darauf kon-
SPD.)
zentrieren, der Welt deutlich zu machen, daß es
eine abstrakte, schlimme Linie ist, man hier mitten Herr Kollege Wehner, bei allem Streit, den wir
durch unser Land gezogen hat, und daß es nach wie sonst auch haben mögen, bitte ich Sie freundlichst,
vor unsere Aufgabe bleibt, dieses Deutschland daß wir zumindest in der Frage der Methode, wie
zusammenzuführen und sich nicht mit dem abzu- wir so entscheidende Dinge miteinander besprechen,
finden, was heute ist. ein gewisses, ein notwendiges Maß von Einigung
herbeiführen. Wir folgen nicht Ihrer Weisung, der
(Beifall bei der CDU/CSU.) Sie von Anfang an dieses Tischtuch mit Ihrer Be-
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluß. Herr merkung zerschnitten haben, Sie brauchten diese
Bundesaußenminister, Sie haben sich, was die Opposition nicht. Das war nämlich das eigentliche
Polenprobleme anlangt, eben sehr zurückhaltend böse Wort, das in diesem Hause und draußen so
geäußert. Wir haben vorhin in der Fragestunde viel verdorben hat.
eine Reihe von Antworten von Ihnen gehört. Wir (Beifall bei der CDU/CSU.)
müssen die Texte noch einmal genau prüfen, aber
der erste Eindruck, der sich bei konzentriertem Zu- Zum Schluß, meine Damen und Herren, lassen Sie
hören ergibt, ist doch der, daß Ihre Antworten eine mich, damit es für jeden klar ist, folgendes sagen.
Reihe von Widersprüchen enthielten. Die Christlich-Demokratische und die Christlich-So-
ziale Union, Herr Bundesaußenminister, wollen ei-
(Zuruf von der CDU/CSU.) nen Ausgleich mit Polen. Wir wollen einen red-
Ich will jetzt einmal versuchen, Herr Bundes- lichen, einen tragfähigen, einen Ausgleich, der die-
außenminister, mich auch dazu ganz positiv zu sen Namen verdient. Wir wollen, Herr Außenmini-
äußern, und Ihren Satz zitieren, wo Sie sagen, zwi- ster, nicht in eine Fülle juristischer Tricks einge-
schen dem, was die Deutsche Presseagentur aus sponnen werden. Wir wollen keine Rechtsfiktionen,
New York gemeldet hat — wo es nämlich hieß, in welche sich diese Regierung aufbaut, um damit die
einem Friedensvertrag müsse eine deutsch-polnische Hände für ihr eigenes politisches Handeln frei zu
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970 3953
Dr. Marx (Kaiserslautern)
haben. Das redliche, solide Fundament, auf das wir regierung nicht in dem äußersten noch vertret-
das deutsch-polnische Verhältnis gegründet wissen baren Maß bemüht hätte, über alle außenpoliti-
-
wollen, soll es ermöglichen, zwischen beiden Völ- schen Vorgänge die Opposition nicht etwa im nach-
kern schwere und lastende Hypotheken abzubauen. hinein, sondern vorher zu informieren und auch
Dabei ist unserer festen Überzeugung nach die ihre Vorstellungen und Gedanken in das eigene
Grenzfrage nur eine Frage von mehreren, ja, nicht Handeln eingehen zu lassen.
einmal die erste Frage.
(Beifall bei der CDU/CSU.) Vizepräsident Frau Funcke: Herr Bundes-
minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
Daher glauben wir, Herr Bundesaußenminister, Herrn Abgeordneten zu Guttenberg?
daß das Vorziehen dieser Frage und ihre auf eine
überschaubare Zeit endgültig gemachte Festlegung
von uns in dieser Weise auch nicht deshalb ange- Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Bitte
nommen werden kann, weil ein blasser Hinweis auf schön, Herr Kollege zu Guttenberg!
eine Bestätigung bei einer künftigen friedensver-
traglichen Regelung dazu gegeben wird. Freiherr von und zu Guttenberg (CDU/CSU) :
Herr Bundesminister, ist es nicht wahr, daß der
Herr Bundesaußenminister, lassen Sie es mich Staatssekretär im Bundeskanzleramt in Moskau
offen sagen: Wir haben den Eindruck, daß Sie hier einen Vertragstext ausgehandelt hat, während uns
eine Formel verwenden, von der Sie selbst glauben, gesagt wurde, daß dort lediglich Sondierungen
daß es nur eine Formel sei und nicht viel mehr. stattfanden?
Aber genau dies ist es, was wir, wenn wir sowohl
den Polen als auch uns selbst gegenüber ehrlich
sein wollen, nicht tun dürfen. Was wir tun müssen,
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Nein,
das stimmt nicht.
ist, daß wir mit einer Zunge, daß wir mit einem Wil-
len sprechen, damit nicht nur in diesem Hause und (Lachen bei der CDU/CSU.)
in diesem Lande, sondern draußen in der Welt jeder Herr Kollege, ich muß Ihnen schon deswegen wider-
weiß, daß wir, wenn wir eine Sache diskutieren sprechen, weil ich Vorbesprechungen und Verhand-
und unterschreiben, hinterher auch gesonnen sind, lungen selbst im Auswärtigen Amt aufeinander
uns allesamt daran zu halten. Darauf, auf die Glaub- abgestimmt und geplant habe. Wenn man aber Ver-
würdigkeit, auf die Überzeugungskraft kommt es handlungen in einer so wichtigen Sache führen
an, Herr Bundesaußenminister. will, dann ist es nahezu ausgeschlossen — und es
Das war es, was ich Ihnen an dieser Stelle sagen hat niemals etwas anderes gegeben —, etwas ande-
wollte. Gehen Sie bitte davon aus, daß dies die res zu versuchen, als in einem langen Prozeß sich
Grundlagen und die Überzeugungen unserer Poli- in all den Einzelfragen anzunähern, bezüglich deren
tik auch in der Polen-Frage sind. zwischen zwei Partnern eine gemeinsame Lösung
gefunden werden soll. Aber auch darüber haben
(Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)
wir Auskunft gegeben. Ich habe über das Fortschrei-
ten dieser Gespräche von Staatssekretär Bahr im
Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat Auswärtigen Ausschuß in regelmäßigen Abständen
Herr Bundesaußenminister Scheel. berichtet, und er selber hat in regelmäßigen Abstän-
den berichtet und auf Fragen geantwortet. Es ist
Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Frau nicht etwa so, als wenn plötzlich zutage getreten
Präsident! Meine Damen und Herren! Ich will auf wäre, daß er in Moskau solche vorbereitenden Ge-
einige der aufgeworfenen Fragen eingehen, da spräche geführt hätte. Das kann ja nun wirklich
keine Diskussion über das Thema geführt wird. niemand sagen.
Ich möchte, Herr Kollege Marx, mit Ihren Bemer- (Abg. Freiherr von und zu Guttenberg:
kungen zur Informationspolitik der Regierung be- Aber aber, Herr Minister!)
ginnen. Ich bin jetzt in der eigentlich glücklichen Ich will noch einmal wiederholen: die Oppo-
Lage, beide Seiten im Zusammenwirken zwischen sition hat ein Recht, immer mehr Information zu
Regierung und Opposition kennengelernt zu haben. fordern. Die Regierung muß damit nach vernünf-
Ich will es mir versagen, ein Bild über die Informa- tigen Gesichtspunkten die Gepflogenheit in der
tionspolitik früherer Regierungen der Opposition internationalen Politik in Übereinstimmung brin-
gegenüber zu geben, unter der ich damals gelitten gen, über Verhandlungen — und zwar während sie
habe. Es würde ein schrecklich düsteres Gemälde geführt werden und auch nachher — Vertraulichkeit
werden. Das heißt nicht, daß sich die Informations- zu wahren.
politik einer Regierung möglicherweise nach der
holländischen Schule orientieren müßte, sich in Das gilt auch für das in der Öffentlichkeit erho-
dunklen Farben üben müßte, bene Verlangen — ich glaube es kam von einem
Kollegen der CDU —, die Bundestagsabgeordneten
(Abg. Freiherr von und zu Guttenberg: müßten, um den Moskauer Vertrag würdigen zu
Wenn es so war, warum machen Sie es können, alle Wortprotokolle der Verhandlungen
dann auch?) kennen. Dies wäre ein einmaliger Vorgang in der
sondern im Gegenteil, wir wollen immer versuchen, Geschichte der Beziehungen der Völker zueinander.
noch mehr Information zu geben. Aber das kann die Meine verehrten Damen und Herren, das wäre dann
CDU/SimErnstchage,dßiBuns allerdings der letzte Vertrag gewesen, den die Bun-
3954 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970

Bundesminister Scheel
desrepublik mit irgend jemand abschließen kann, Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Nein,
weil wir nämlich in der Welt keinen Vertragspart-
- Herr Czaja hat heute morgen schon alles das ver-
ner mehr finden würden, der mit uns noch Verträge lesen, was er jetzt fragen will.
abschließen möchte.
(Heiterkeit bei den Regierungsparteien. —
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Abg. Freiherr von und zu Guttenberg: Das
war nicht fair! — Weitere Zurufe von der
Das ist es, was ich soeben meinte, als ich daran
CDU/CSU.)
erinnerte, daß es auch zwischen den Beteiligten ein
Maß an Vertrauen geben muß, daß es einer Regie- — Ich antworte hier ohnehin auf das, was Herr
rung erlaubt, sich bei ihrem Handeln nach inter- Czaja fragen will.
nationalen Normen zu richten. Sie werden auch
nicht bestreiten, daß wir uns um dieses Maß an (Abg. Dr. Czaja: Das können Sie nicht
Vertrauen bemühen. Wenn beide Seiten von dieser wissen!)
Überzeugung ausgehen, so wird man — davon bin
Ich darf wiederholen, meine Damen und Herren:
ichüberzugtndsaioleFrg—
Es gibt diesen unauflösbaren Zusammenhang, und
heute morgen ist Herr Wehner in der Presse mit
weil es diesen Zusammenhang gibt, werden wir ihn
diesem Wort zitiert worden — zu mehr Überein-
berücksichtigen. Ich meine, das muß man doch auch
stimmung kommen, als wir im Augenblick vielleicht
zur Kenntnis nehmen, daß es so ist. Aber die Bun-
noch haben. Dennoch muß ich gerechterweise sagen,
desrepublik, für sich handelnd, niemanden in An-
daß sich hier eine positive Entwicklung angebahnt
spruch nehmend — was ja töricht wäre —, wird in
hat, und sie sollte fortgesetzt werden. Das war der
der Lage sein, mit der Volksrepublik Polen ein Ab-
erste Punkt.
kommen zu schließen, das den Anspruch der Polen,
Der zweite Punkt! Herr Kollege Marx, Sie haben in sicheren, gesicherten Grenzen zu leben, erfüllt.
von den Verhandlungen mit Polen gesprochen. Sie Das ist das Problem.
werden verstehen, daß ich jetzt zum Inhalt der Ver-
handlungen nichts sagen kann. Ich will aber etwas Dabei tauchen Fragen — die Sie berührt haben,
auf Ihre Bemerkungen antworten. Ich teile Ihre Auf- Herr Kollege Marx — humanitärer Art auf, die mit
fassung, daß man auch in diesen Verhandlungen in dem, was Sie Durchlässigkeit der Grenzen genannt
den entscheidenden Fragen absolute Klarheit über haben, zusammenhängen. Sie haben gesagt, wenn
das eigene Tun und Handeln und die eigenen Ab- man das Grenzproblem unter dem Gesichtspunkt der
sichten schaffen muß. Deswegen muß man natürlich Schaffung einer besseren Durchlässigkeit betrachtet,
auch denjenigen, der mit — wie soll ich sagen? — dann sieht es anders aus. Das gilt für diesen Be-
ungewöhnlich geschliffenen Worten die Verände- reich. Denn diese humanitären Fragen kann man nur
rung der Oder-Neiße-Linie als eine aktuelle poli- lösen, wenn mehr Durchlässigkeit im Verhältnis der
tische Aufgabe bezeichnet, fragen, ob er sie denn Völker zueinander insgesamt — und das bezieht sich
jetzt, mit welchen Mitteln und wo zu verändern nicht nur auf die Grenze — geschaffen wird. Aber
beantragen wird und zu welchem Zweck er das wenn wir das schaffen wollen, können wir das nur
will. Das muß er doch füglich sagen. auf der Grundlage einer vertraglichen Abmachung,
die nicht allein eine Bewältigung der Vergangenheit
(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Davon ist, wie manche das befürchten — mit Recht —, son-
war gar keine Rede, Herr Außenminister!) dern die ein Ausgangspunkt ist, um endlich wieder
vernünftige Beziehungen zwischen zwei Völkern in
Ich sage auf der anderen Seite ganz klar — —
Europa erst beginnen zu lassen. Das ist das Ziel, das
(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Das Pro wir mit unseren Absichten verbinden. Ich glaube,
blem offenhalten!) das ist ein Ziel, das alle Fraktionen in diesem Hause
gleichermaßen verfolgen.
Das muß er doch sagen, meine Damen und Herren.
Sie haben zu Berlin die Frage gestellt, ob die
(Abg. Dr. Czaja meldet sich zu einer Zwi von mir hier gemachte Äußerung so klar ist, wie ich
schenfrage. — Zurufe von der SPD.) sie gesagt habe. Ich bestätige noch einmal, daß der
Zusammenhang zwischen der Ratifizierung des Ver-
Ich sage ganz klar — ich will das hier nicht ver- trages, den wir mit der Sowjetunion abgeschlossen
schweigen —: Wir sind entschlossen, einem völker- haben, und der befriedigenden Regelung des Berlin-
rechtlichen Tatbestand 'Rechnung zu tragen. Das ist
Problems von der Bundesregierung zu keinem Zeit-
einfach der unauflösbare Zusammenhang zwischen punkt in Zweifel gestellt worden ist. Deswegen habe
Friedensvertrag und Rechten und Verantwortlich- ich ihn hier noch einmal bekräftigt, so nüchtern,
keiten der vier Alliierten, die es deswegen noch
schlicht und präzise, wie ich es ausgedrückt habe.
gibt, weil wir keinen Friedensvertrag haben. Erst
der Friedensvertrag, den wir in Friedensverhand- Zur Europäischen Konferenz über Sicherheitsfra-
lungen abzuschließen versuchen und abschließen gen haben Sie vermutliche Ziele der Sowjetunion ge-
würden, würde diese Verantwortlichkeit und Rechte nannt, Herr Kollege Marx. Es mag sein, daß die Ziel-
der Alliierten absorbieren. Das ist ein Tatbestand. setzung der Sowjetunion sich mit Ihren Vermutun-
gen deckt, nämlich: mehr Einfluß in Europa zu be-
Vizepräsident Frau Funcke: Herr Bundes- kommen.
minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Ab- (Abg. Freiherr von und zu Guttenberg:
geordneten Dr. Czaja? „Prawda" heißt „Wahrheit"!)
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970 3955

Bundesminister Scheel
Es mag sein, daß das so ist. Ich zweifle gar nicht dar- Es ist doch geradezu erschreckend, daß ungewöhn-
an, daß Ihre Vermutung richtig sein könnte. liche Energien darauf verwendet werden, herauszu-
- finden, ob in diesem Text nicht möglicherweise noch
(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Schukow
irgendwie eine Möglichkeit enthalten sein könnte,
wörtlich am 12. September!)
die den Interessen der Bundesregierung schadet.
Aber das ist doch kein Grund für uns, mit der So- Meine Damen und Herren, dieser Eifer, hier bei uns
wjetunion keine vertraglichen Regelungen zu tref- alles herauszufinden, was möglicherweise in der
fen, Welt noch nicht entdeckt ist, macht mich besorgt. Ich
(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Das habe will sagen, wir sollten doch eines gemeinsam haben,
ich nicht gesagt! — Zuruf von der CDU/ nämlich den Willen, die Abmachungen, die die Bun-
CSU: Das sagt auch kein Mensch!) desrepublik Deutschland trifft, in einem Sinne zu
nutzen, der für das ganze Volk und für die Inter-
sofern wir bei den vertraglichen Regelungen, die essen des ganzen Volkes nützlich ist. Damit ist er
wir mit der Sowjetunion abschließen, unsere Inter- auch zum Nutzen für die Entwicklung in Europa.
essen, die andere sind, im Auge behalten. Und das
genau, meine Damen und Herren, haben wir getan. (Beifall bei den Regierungsparteien.)

(Beifall bei den Regierungsparteien.)


Vizepräsident Frau Funcke: Herr Bundes-
Deswegen habe ich eben nicht etwa meine Meinung minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn
zum Ausdruck gebracht, sondern ich habe die Aus- Abgeordneten Dr. Marx?
führungen von Herrn Breschnew in Baku zitiert, wo
er gesagt hat, daß man bei der Beurteilung dieses Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Ja,
Vertrages nicht sagen könne, der eine oder der bitte schön!
andere habe Vorteile für sich errungen. Ich habe
seine Worte zitiert: Es haben eben beide gleichviel
gegeben, beide gleichviel bekommen. Aber die an-
Dr. Marx (Kaiserslautern) (CDU/CSU) : Herr Bun-
desaußenminister, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu
deren in Europa haben alle etwas bekommen, näm-
nehmen, daß ein gewisses, Sie offenbar ärgerndes
lich die Grundlage für mehr Sicherheit. — Ich glaube
Insistieren von uns sehr ernst gemeint ist, weil wir
— so habe ich gesagt —, daß man mit dieser Inter-
sehen, daß die sowjetische Seite ihre Interpretatio-
pretation voll übereinstimmen kann.
nen aus ihrem Verständnis des Vertrages heraus
Sie haben hier noch einmal diese Interpretationen vorträgt und daß sie, anders als wir, die Macht hat,
unterschiedlicher Art von der einen und der anderen ihre Interpretationen durchzusetzen?
Seite erwähnt, und Sie haben Interpretationen er-
(Beifall bei der CDU/CSU.)
wähnt, die mit denen der Bundesregierung nicht
übereinstimmen. Ich darf wiederholen, was ich auch
in Straßburg gesagt habe: Der Text, den wir mitge- Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Herr
bracht haben und der Ihnen vorliegt, bedarf keiner Kollege Marx, ich habe überhaupt nichts dagegen,
Interpretation. Er ist genau so gemeint, wie er da daß die Opposition oder daß auch andere ihre Sorgen
steht. Er bedarf keiner Interpretation, weil nämlich zum Ausdruck bringen und fragen, bestimmte Ar-
in unseren Abmachungen mit der Sowjetunion keine tikel des Vertrages genau kennen wollen und wis-
Nebenabreden enthalten sind, die durch den Text sen wollen, was sich die Bundesregierung dabei ge-
etwa nicht gedeckt wären. dacht hat. Das ist selbstverständlich, ich habe über-
haupt nichts dagegen. Ich habe auch überhaupt
(Abg. Dr. Heck: Sie haben ihn doch selber
nichts gegen eine Diskussion des Vertrages. Nur
im Außenpolitischen Ausschuß in bezug auf
meine ich, wenn die Bundesregierung in einzelnen
die Protokolle interpretiert!)
Punkten eine Antwort gegeben hat, dann kann man
— Augenblick! Es gibt natürlich Auslegungsversu- es bei dieser Antwort belassen und sollte nicht die
che, die den Text in der einen oder anderen Inter- gleiche Frage immer wieder stellen, die vorher
essenrichtung, z. B. bezüglich der Interessen, die die schon beantwortet worden ist. Das, meine ich, nützt
Bundesregierung für die Bundesrepublik vertreten der Sache nicht, sondern schadet ihr.
hat, oder auch gegen deren Interessen, in Anspruch (Beifall bei den Regierungsparteien.)
zu nehmen versuchen.
Lassen Sie mich eine abschließende Bemerkung
(Zurufe von der CDU/CSU: Die Sowjet zu den Fragen machen, die Sie heute morgen auf-
union!) geworfen haben. Sie haben aus meiner Rede von
Was mich besorgt macht, ist ja nicht, daß die Sowjet- heute morgen meine Bemerkung zu dem Grenz-
union — die tut es nicht —, sondern daß Sprecher, problem zwischen den beiden Teilen Deutschlands
und zwar manchmal nicht legitimierte Sprecher der herausgenommen. Ich habe gesagt, daß der Mos-
Sowjetunion so etwas versuchen. kauer Vertrag uns nicht hindert, durch einvernehm-
liche Entscheidungen diese Grenze aufzuheben, wie
Was mich besorgt macht, ist aber etwas anderes: auch niemand in Europa daran gehindert wird, durch
daß diese Versuche, einen Text gegen die Interessen einvernehmliche Entscheidungen die Grenzen in
der Bundesrepublik auszulegen, auch von Mitglie- Europa in einem zunehmenden Integrationsprozeß
dern der parlamentarischen und politischen Gesell- aufzuheben. Sie haben daran die Bemerkung ge-
schaft unseres eigenen Landes gemacht werden. knüpft, Herr Kollege Marx, daß Sie erwartet hätten,
(Zustimmung bei den Regierungsparteien.) die Bundesregierung hätte ein aktives Bekenntnis
3956 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970

Bundesminister Scheel
zur Wiedervereinigung Deutschlands hier ablegen An dieser Stelle, Herr Kollege Scheel, hat soeben
müssen Herr Kollege Czaja Beifall geklatscht. Ich glaube,
-
(Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Es geht Herr Kollege Scheel, daß Sie heute morgen und
nicht um die Frage des Bekenntnisses, son jetzt soeben gegenüber dem Kollegen Czaja nicht
dern um die politische Tat!) ganz fair waren. Sie sind engagiert für Ihre Politik,
der Kollege Czaja ist engagiert für viele unserer
und eine politische Tat zur Wiedervereinigung Mitbürger. Ich meine, dies muß man verstehen, und
Deutschlands ankündigen müssen. Herr Kollege man muß eine Frage, die er stellt — selbst wenn sie
Marx, 25 Jahre lang haben wir Gelegenheit gehabt, Sie einen Augenblick stören sollte —, gerade in
solche politischen Taten in die Wirklichkeit umzu- dieser Situation beantworten. Das hätten wir ge-
setzen. 25 Jahre lang ist das mit den Mitteln, die wünscht.
wir bisher angewandt haben, nicht gelungen. (Beifall bei der CDU/CSU.)
Was wir mit einem Ausgleich zwischen der Bun- Herr Kollege Scheel, Sie haben uns mißverstan-
desrepublik und den Ländern Osteuropas zu errei- den. Ich will nicht sagen, daß Sie hier bewußt etwas
chen versuchen, meine Kollegen, ist eine andere Falsches aufgebaut haben. Unsere Position in den
politische Atmosphäre in Europa, die es ermöglicht, Fragen, die wir mit den Polen zu besprechen haben,
von einem anderen Ausgangspunkt her die Grenzen wie in der Frage, die ganz Deutschland betrifft, ist
in Europa, und zwar jetzt zwischen West und Ost, allein die, diese Fragen jetzt in der Substanz offen-
durchlässiger zu machen, wobei wir nicht verkennen zuhalten, sie nicht zu schließen, um den Weg zu
wollen, daß es sich um Länder unterschiedlicher Ge- einer europäischen Friedensordnung nicht zu ver-
sellschaftsordnungen handelt, mit denen wir es zu bauen. Das ist unsere Position und keine andere.
tun haben. Wir wollen die Grenzen durchlässiger Niemand sollte sie hier anders darstellen.
machen, wir wollen die Zusammenarbeit zu erhöhen
versuchen, damit wir auch für die eigene Politik, (Beifall bei der CDU/CSU.)
was das Verhältnis der beiden Teile unseres Volkes Wir begrüßen es, daß der Bundesaußenminister
angeht, eine neue, eine erfolgversprechende Basis in seinen ersten Sätzen und jetzt soeben noch ein-
gewinnen. mal von dem ganzen Vertragswerk gesprochen hat.
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Er meint damit offensichtlich mehrere internationale
Vorgänge. Es ist nicht verborgen geblieben, daß die
Fraktion der CDU/CSU mit dem Ganzen — entspre-
Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat
chend einem Kabinettsbeschluß vom 7. Juni 1970,
Herr Abgeordneter Barzel.
dem wir in der Ziffer 5 zugestimmt haben — auch
die innerdeutschen Beziehungen meint. Das heißt,
Dr. Barzel (CDU/CSU): Frau Präsidentin! Meine das Ganze ist für uns — um es noch einmal zu be-
Damen und Herren! Diese Debatte findet statt an zeichnen, damit kein Mißverständnis aufkommt —
einem Tag und zu einer Stunde, wo die Vier Mächte der Vertrag mit Moskau, die befriedigende Berlin-
über Berlin sprechen. Es war deshalb die Pflicht aller Lösung, die Dinge, die jetzt mit der DDR möglich
Verantwortlichen, darum bemüht zu sein — nach- sind, die Fragen, die mit Polen zu besprechen sind,
dem bekanntwurde, daß die Bundesregierung heute und die Frage Tschechoslowakei. Damit dies klar
eine Erklärung abgibt , daß hier eine Aussprache ist: das ist das Ganze, was wir meinen.
stattfindet, die die Rücksichten wahrt, die im In- Nun muß ich, Herr Kollege Scheel, zu den Fra-
teresse Berlins, der Berliner und der Gesamtzusam- gen, die Berlin angehen, etwas sagen. Ich beschränke
menhänge zu nehmen sind. Es sah Anfang der
mich auf einen Punkt, den Sie in die Debatte ein-
Woche nicht so aus, als würde es möglich sein, heute
geführt haben, und ich danke Ihnen, daß Sie so
so miteinander zu sprechen.
freundlich waren, unserer Fraktion auf unsere Bitte
Ich möchte — bei allem, was wir an kritischen hin das Protokoll zur Verfügung zu stellen. Ich
Einwendungen haben, Herr Bundesaußenminister — möchte hier — das wissen Sie — nichts erschweren.
hier zunnächst anerkennen, daß Sie sich anders als Aber es könnte sich durch Ihre Aussage ein folgen-
andere Mitglieder der Regierung, vor allen Din- schweres Mißverständnis einschleichen. Das würde
gen anders als der Regierungschef, bemüht ha- ich nicht gerne am Schluß dieser Debatte offen-
ben — — gelassen sehen, — weniger für uns als für das, was
jetzt in Berlin und künftig woanders geschieht.
(Abg. Wehner: Zensuren! — Weitere Zu
rufe von der SPD) Wenn ich Sie und die Regierung bisher recht
verstanden habe, haben Sie — entgegen unserer
— Das ist die Meinung der Opposition, die ich hier Meinung — gesagt, man könne den Vertrag nicht
vortrage. — Ich möchte den Satz wiederholen, der nur paraphieren und unterschreiben, weil — so wa-
auf der linken Seite zu heftigen Widersprüchen ren Ihre Ausführungen — man ja v o r der Para-
führt: Ich wollte dem Bundesaußenminister attestie- phierung in einer damit völkerrechtlich wirksamen
ren, daß er sich in dieser Woche — anders als der
Weise den Vorbehalt der befriedigenden Berlin-
Herr Bundeskanzler — bemüht hat, die Vorausset- Lösung erklärt habe. Dies war, wenn ich die Re-
zungen dafür zu schaffen, daß wir heute mit Rück-
gierung bisher richtig verstanden habe, die Ein-
sicht auf diese Probleme miteinander so sprechen lassung. Wenn Sie nun heute sagen, Herr Kollege
können. Dies wollte ich hier sagen.
Scheel: „Ich stelle damit kein juristisches Junktim
(Beifall bei der CDU/CSU.) zwischen Moskauer Vertrag und Berlin-Resultat
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970 3957

Barzel
her", aber dann „von einem engen politischen Zu- men: weil darin solche wunderbaren Interpretatio-
sammenhang" dieser Fragen sprechen, dann verste- nen zugunsten der Bundesregierung stehen, wollte
-
hen wir uns doch richtig wohl so, daß Sie vom poli- man uns darauf aufmerksam machen, daß dies hilf-
tischen Zusammenhang des Gesamtwerkes sprechen; reich sein könne.
aber das, was die befriedigende Lösung in und um In diesem Zusammenhang haben wir, Herr Kol-
Berlin betrifft, bleibt ein vollgültiger juristischer lege Scheel, inzwischen noch ein anderes Argument,
Vorbehalt, der vor der Paraphierung Ihrem Ver- das Ihnen auch nicht neu ist, das wir aber zum
tragspartner erklärt ist. So ist es doch wohl zu ver- erstenmal in die Debatte des Hauses einführen. Die
stehen; Bundesregierung hat im Zusammenhang mit die-
(Beifall bei der CDU/CSU) sem Vertrag einen Notenwechsel mit den West-
se haben wir es bisher verstanden, und das sollte, mächten geführt. In diesem Notenwechsel — das
glaube ich, klar sein. sind veröffentlichte Dokumente, deshalb kann man
davon sprechen — haben Sie den drei Westmächten
Wir danken Ihnen, Herr Außenminister, für die
mitgeteilt, daß der Außenminister der Union der
Feststellung, daß man über diese Fragen im übri-
Sozialistischen Sowjetrepubliken folgende Erklä-
gen nicht öffentlich sprechen sollte — wir haben
rung abgegeben hat: „Die Frage der Rechte der
dies nicht getan — und daß hier nichts eilbedürftig
Vier Mächte war nicht Gegenstand der Verhand-
sei. Das ist eine sehr wichtige Feststellung.
lungen mit der Bundesrepublik Deutschland." Das
Ich muß aber, Herr Kollege Scheel, auf das Pro- haben Sie notifiziert. Daraufhin haben die Drei
blem der Information und der Kooperation, nach- Mächte, wie erinnerlich, nicht nur — das wäre das
dem Sie es zweimal angeschnitten haben, noch ein- Übliche gewesen — ihre Note im Wortlaut bestätigt,
mal zurückkommen. Sie haben gesagt — das war ein sondern sie haben einen Zusatz gemacht, der Ihnen
Satz, der für sich selbst sprach —: Die Bundesregie- ja bekannt ist. In dieser Gesamtnote des Westens
rung bemühe sich, in dem vertretbaren Maße die heißt es dann: „Die Regierung der Vereinigten
Opposition zu informieren. Das erinnert mich an Staaten" — gleiche Texte der beiden anderen West-
die Mitteilung, die einer meiner Professoren ge- mächte - „nimmt diese Note einschließlich der Er-
macht hat, als er über die Gleichberechtigung der klärung, die der Außenminister der Bundesrepublik
Frauen las und im Zusammenhang mit der Ent- Deutschland und der Außenminister der Union der
wicklung um die Jahrhundertwende das ganze Pro- Sozialistischen Sowjetrepubliken als Teil der Ver-
blem damals auf folgenden gängigen — heute würde handlungen vor der Paraphierung des zwischen der
man sagen — Slogan zusammenbrachte. Nämlich das Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion zu
Verhältnis sei ungefähr so: Er liest die „Frankfur- schließenden Vertrages abgegeben haben,
ter Zeitung" und teilt ihr das Nötige mit.
(Abg. Freiherr von und zu Guttenberg: Hört!
(Heiterkeit. — Parlamentarischer Staats Hört!)
sekretär Moersch: „Kölnische Zeitung"!)
in folgendem Umfang zur Kenntnis." Bleibt also
— Das Zitat zeigt sehr deutlich, wie die Bundes- mindestens festzustellen, daß die Westmächte einen
regierung hier das „vertretbare Maß" der Infor- Punkt, über den man nicht verhandelt hat, zu ei-
mation, die man uns gibt, definiert und praktiziert. nem Teil der Verhandlungen erklären. Dies ist ein
Damit komme ich — ich tue dies hier ganz unpo- weiterer Punkt, der uns sehr interessiert macht, die
lemisch, Herr Kollege Scheel, weil wir uns in einem Protokolle einsehen zu wollen.
Prozeß der Meinungsbildung befinden — auf das Herr Bundesaußenminister, Sie können hier nicht
Problem der Protokolle zu sprechen. Sie erinnern wirklich dartun, daß die Opposition ausreichend in-
sich: Diese Forderung entstand, als wir am 9. Au- formiert worden sei. Wir haben die Debatte über
gust über den deutsch-sowjetischen Vertrag infor- diesen Vertrag noch nicht zu führen, aber ganz
miert wurden, was wir dankend entgegennahmen. sicher kann man schon sagen, daß dieses Haus —
Dann hatten wir Fragen. Daraufhin blätterten die ich bin jetzt sehr vorsichtig in meinem Wort —
Vertreter der Regierung in dicken Konvoluten und manchmal nicht ganz oder unrichtig informiert wor-
lasen uns daraus „das Nötige" vor, — hier mal den ist, z. B. als es um die Frage ging: Gibt es ein
einen Satz und da mal einen Satz. Wir haben uns Bahr-Papier, was steht in ihm? Ich glaube, daß es
darüber unterhalten und gesagt: Also eigentlich auch einige Gespräche gab — sie betreffen nicht
wollen wir das Ganze lesen. Daraus entstand unsere Ihren Verantwortungsbereich —, in denen die In-
Forderung, die in dem Brief vom 10. August zu den formation — ich bin weiter vorsichtig — nicht ganz
Geschäftsgrundlagen der Kooperation gehört, daß zutreffend war.
wir das Ganze vertraulich lesen wollen. In dieser
Forderung vom 10. August wurden wir bestärkt, als Was darüber hinaus die Kooperation betrifft,
wir dann vom 20. August an in den verschiedensten so ist das etwas anderes. Da muß man sich über die
Verlautbarungen Ihrer Vertragspartner lasen, daß Politik unterhalten und sehen, ob man ein paar ge-
sie nicht den Vertrag rühmten, sondern die Ver- meinsame Punkte zustande bekommt. Wir halten
handlungen und den Vertrag nannten, z. B. — um fest: es gab am 9. und 16. September Kooperations-
das wichtigste Dokument zu nennen — in dem gespräche zwischen dem Herrn Bundeskanzler,
Kommuniqué vom 20. August der Konferenz der Ihrem Herrn Parlamentarischen Staatssekretär —
Paktstaaten des Warschauer Paktes in Moskau. Da in Ihrer Vertretung — und der CDU/CSU-Bundes-
wurden wir hellhörig. Warum loben die die Ver- tagsfraktion. Diese Kooperationsgespräche waren,
handlungen und den Vertrag? Wir haben angenom- was Berlin betrifft, auch nach unserer Meinung in
3958 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970

Barzel
der Sache nützlich und erfolgreich. Das sage ich hier ganda z. B. wieder das Wort „Wiedervereinigung",
und heute. Aber seit dem 16. September hat diese das wir aus kommunistischem Mund lange nicht
Kooperation nicht weiter stattgefunden. Das sage gehört haben. Nur fällt es jetzt unter der Über-
ich ebenfalls hier und heute, in der Hoffnung, daß schrift: Die Wiedervereinigung unter einem kapita-
es, nachdem es gelungen ist, diesen Freitag so zu listischen System ist nicht möglich. Sie wissen, was
erreichen und ihn nicht eskalieren zu lassen, doch das heißt. Das heißt, hier gibt es nach wie vor
noch zu mehr kommt. offensive Ziele.
Es muß hier noch ein anderer Punkt angesprochen (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
werden. Es ist uns recht, wenn die Bundesregierung
Es ist doch kein Zufall, daß der erste Besucher von
von den Rechten der Vier Mächte und davon, daß Rang aus der Sowjetunion, Herr Juri Schukow,
sie sie achtet, spricht, weil die Vier Mächte das
hierherkommt und vom gesamteuropäischen Be-
nicht untergegangene einige Deutschland repräsen- wußtsein spricht, von all den Dingen, die Herr Marx
tieren. Das ist uns sehr recht. mit Recht in die Debatte eingeführt hat.
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
Sehen Sie, Herr Kollege Scheel, es war deshalb
Nur: das ist die eine Seite der Medaille. Die andere wohl nicht falsch, als wir Ihnen im März dieses Jah-
Seite — und diese ist doch mindestens von gleichem res in einer Europadebatte „Abteilung West" die
Rang für die Politik in diesem Hause, Frage stellten: Wie es mit der Erklärung Ihres
(Zustimmung bei der CDU/CSU) Bundeskanzlers, die politische Vereinigung des
freien Europa sei Sache der nächsten Generationen?
wenn auch vielleicht nicht in jedem Dokument, das Wie verhält sich das zu dem Ja zur europäischen
die Regierung zustande bringt — ist die Frage: Sicherheitskonferenz, nachdem deutlich geworden
Wie ist es mit den Lebensrechten der Deutschen? ist — die Zitate liegen hier vor —, daß das Kon-
Wie ist es mit dem Selbstbestimmungsrecht der zept, wie es die Sowjetunion versteht, gegen den
Deutschen? Herr Bundesaußenminister, Herr Marx politischen Zusammenschluß des freien Europa ge-
hat das sehr höflich gesagt: Wir hören immer nur, richtet ist? So weit die Analyse.
daß Sie von „Siegerrechten" sprechen. Das hören
wir nun schon eine ganze Weile. Wir wollen ein- Wir treten nicht in diese Analyse ein, um zu
mal aus dem Mund der Regierung etwas mehr von sagen, daß man das fördern oder deshalb keine Ver-
träge mit der Sowjetunion schließen sollte. Das
den Rechten des deutschen Volkes hören!
wäre doch wieder ein Popanz. Wir treten vielmehr
(Beifall bei der CDU/CSU.) in diese Analyse ein, um zu sagen, was man daraus
Wir wollen nicht nur hören: Wir wollen „nicht aus- an Konsequenzen ziehen sollte. Die Konsequenz
schließen", daß sich die Deutschen eines Tages zu- kann doch nur sein — dazu haben Sie heute hier
sammenfinden können; denn das bleibt hinter dem ein paar gute Sätze gesagt —, daß wir hier im
zurück, was Grundgesetz und Geschichte uns auf- Westen ein freies und politisch stärker vereintes
Europa brauchen. Es wäre gut, wenn das diese
geben.
Regierung deutlich machte.
Herr Bundesaußenminister, noch zwei Punkte.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Sie haben Herrn Breschnew aus Baku zitiert. Dieses
Zitat war für Ihre Position nötig. Herr Breschnew Hier, Herr Kollege Scheel, kann sich nämlich kei-
hat wohl empfunden, daß er in Baku etwas gerade- ner hinter dein anderen verstecken.
rücken mußte, was er als seine ursprüngliche Mei-
nung in Alma Ata ganz anders ausgedrückt hat. Es ist bekannt, daß der französische Ministerprä-
sident erklärt hat und immer noch erklärt, Frank-
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) reich werde in den europäischen Fragen so weit
In Alma Ata hat Herr Breschnew im Zusammen- gehen wie seine Partner. Es ist bekannt, daß der
hang mit diesem Vertrag von dem „großen Sieg der britische Ministerpräsident erklärt hat, er wünsche,
konsequenten Politik der kommunistischen Parteien daß England Mitglied eines Europa werde, das am
Europas und der Sowjetunion" gesprochen, den Schluß mit einer Stimme spreche. Es ist bekannt, daß
dieser Vertragsabschluß darstelle. Das wäre dann Ihre Initiative nach Den Haag nur die freiwillige
eine Vervollständigung der Zitate. Konsultation als eine Stufe der politischen Zusam-
menarbeit vorsah. Deshalb können Sie doch nicht
Der letzte Punkt betrifft den europäischen Akzent sagen, nur das sei hier möglich. Wir möchten ge-
der sowjetrussischen Politik, zu dem Sie hier soeben rade wegen dieses Zusammenhangs die Bundes-
gesprochen haben. Sehen Sie, ich glaube, daß hier regierung in Europa zwei Schritte vor den anderen
Herr Marx entweder nicht verstanden worden ist sehen.
oder daß man das heute nicht ganz in die Debatte (Lebhafter Beifall bei der CDU/CSU.)
einführen wollte. Nur das letztere könnte ich für
heute verstehen. Herr Marx ist so zu verstehen --
das gilt für uns alle —: Wir sehen, daß die Sowjet- Vizepräsident Frau Funcke: Das Wort hat
union mit diesem Vertrag nicht nur eine Besiege- der Herr Bundesaußenminister Scheel.
lung des Status quo — wie Sie ihn interpretieren:
als endgültigen — sieht, sondern daß sie bereits Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Frau
den nächsten Schritt einleitet. Seither fällt — es Präsidentin! Zu den Fragen, die gestellt worden
wird Ihnen unschwer möglich sein, sich das vor- sind, nur einige Bemerkungen. Zunächst ein Wort
legen zu lassen — in der kommunistischen Propa- zu dem juristischen Junktim, Herr Dr. Barzel. Es ist
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970 3959
Bundesminister Scheel
natürlich kein juristisches Junktim, weil es keine wenn hier keine amerikanischen Truppen stünden.
Abmachung ist. Die Vereinigten Staaten und ihre Präsenz in Europa
(Abg. Dr. Barzel: Ein Vorbehalt!) ist ein essentieller Bestandteil einer ausgedehnten
Sicherheitsstruktur in Europa. Wenn sie weggingen,
Es ist aber auch gar nicht nötig, wie ich doch wohl würde das den Verlust der Sicherheit für alle be-
soeben deutlich gemacht habe. Es ist der souveränen deuten, auch für die Sowjetunion, um das eindeutig
Entscheidungsgewalt der Bundesregierung unterwor- zu sagen. Auch die Sicherheit der Sowjetunion
fen, wann sie das Ratifikationsverfahren einleitet. hängt damit zusammen, daß in Europa heute ame-
Niemand kann die Bundesregierung zwingen, die rikanische Truppen stehen, um dieses Gleichgewicht
Ratifikation einzuleiten oder nicht einzuleiten. Es zu wahren. Denn Unsicherheit
ist ihre ureigenste politische Entscheidung. Das Ra-
tifikationsverfahren wird aber erst — das haben wir (Abg. Dr. Barzel: Vor wem schützen sie
klargemacht — nach einer befriedigenden Berlin- die denn? — Weitere Zurufe von der
Regelung eingeleitet. CDU/CSU)
(Abg. Dr. Czaja: Eingeleitet!) — meine Damen und Herren, ich will Ihnen sagen,
— Wir haben klargemacht, daß das Ratifikationsver- was ich damit meine —, Unsicherheit entsteht für
fahren nach einer befriedigenden Berlin-Regelung jeden, auch für die hochgerüsteten Nuklearmächte,
eingeleitet wird. Das haben wir sogar sehr klarge- in dem Augenblick, in dem das geschaffene Gleich-
macht. Wir haben aber diese Geschäftsgrundlage gewicht an Sicherheit zerstört wird. Deswegen spre-
nicht erst jetzt geschaffen, weil wir ehrliche Kauf- chen wir noch von dem beiderseitigen, ausgewoge-
leute sind, sondern bei unseren Verhandlungen. Das nen Abbau von Truppen in Europa, weil ein unaus-
weiß der Pa rtner. Ich glaube, das ist klar und ein- gewogener, einseitiger Abbau von Truppen das
deutig. Das ist der erste Punkt. Gleichgewicht der Sicherheit in Europa stören würde
und zu einem Konflikt führen könnte.
Das Zweite: Information in vertretbarem Maße.
Herr Dr. Barzel, wenn ich von dem vertretbaren Maß (Abg. Dr. Marx [Kaiserslautern] : Sie kön-
gesprochen habe, habe ich damit sagen wollen, daß nen das doch nun nicht parallel setzen!)
wir eine Mitte suchen müssen, eine Mitte bei dem
auch in unserem Interesse liegenden Maß an Infor- — Herr Marx, lassen Sie mich noch einmal wieder-
mation des Parlaments und speziell der Opposition. holen: Ungleichgewicht an Sicherheit kann zu Kon-
Das liegt nicht nur in Ihrem, sondern auch in unse- flikten führen, und Konflikte bedrohen die Sicher-
rem Interesse. Man bereitet Gemeinsamkeit durch heit aller.
Information vor. Wie wollen Sie es sonst machen?
Zwischen diesen Gesichtspunkten auf der einen und (Freiherr von und zu Guttenberg: Aber
der Notwendigkeit, bestimmte Bereiche mit Rück- doch nur, wenn einer expansiv denkt!)
sicht auf unsere internationalen Partner in jedem — Aber Herr von Guttenberg, wir leben alle im
Fall vertraulich zu behandeln, auf der anderen Seite Augenblick in der ganzen Welt von dem Gleichge-
gibt es eine Grenze. Eine Regierung kann bis dicht wicht an Sicherheit. Wir leben davon, daß es kein
an die Grenze herangehen. Es kann Regierungen ge- Vakuum geben soll, in das Unsicherheit eindringt.
ben, die sich gar keine Mühe geben, zu informieren. Das ist es, was ich sagen will.
Wir wollen bis dicht an die Grenze herangehen.
Wenn es hier und da einmal mit den Terminen zu
Informationsgesprächen aus technischen Gründen Vizepräsident Frau Funcke: Herr Bundes-
nicht so geht, wie wir alle das wollten, dann, so minister, gestatten Sie eine Zwischenfrage des
glaube ich, müssen wir uns gegenseitig zugestehen, Herrn Abgeordneten Schulze-Vorberg?
das liegt nicht an bösem Willen auf der einen oder
anderen Seite, sondern das liegt häufig an objekti-
ven Widerständen. Ich hätte Sie z. B. sehr gern viel Dr. Schulze-Vorberg (CDU/CSU) : Herr Bundes-
früher über die Berlin-Frage informiert. Wir waren minister, indem ich Ihre Aussage von soeben aus-
uns aber einig darüber, daß ich erst nach New York drücklich würdige, frage ich Sie: Haben Sie diese
reisen mußte und dann erst die Information durch- Aussage unter Berücksichtigung der Tatsache ge-
führen konnte. Wir müssen auch in diesem Bereich tan, daß während der SALT-Verhandlungen zwischen
etwas Verständnis füreinander haben. den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion in
Wien und Helsinki die Sowjetunion bei den Inter-
Jetzt komme ich zum letzten, zu der europäischen kontinentalraketen, um die diese Verhandlungen ge-
Politik. Ich teile die Auffassung und habe es hier führt werden, einen deutlichen Vorsprung vor den
klargemacht, daß das, was man jetzt auch in Fremd- Amerikanern gewonnen hat? Berücksichtigen Sie
sprachen — so habe ich schon gesagt — Ostpolitik die Tatsache, daß diese beiden Supermächte in die
nennt, für uns nur ein Teil einer politischen Gesamt- Verhandlungen mit einem Plus der Amerikaner von
konzeption ist, Teil einer Konzeption in der euro- etwa 100 Interkontinentalraketen hineingegangen
päischen Integrationspolitik — ein fester, großer, sind und daß derzeit schon ein Plus der Russen von
tragender Teil, um auf Herrn Marx noch einmal zu etwa 250 Interkontinentalraketen besteht? Berück-
antworten —, in der die atlantische Allianz ein sichtigen Sie weiter die Tatsache, daß die Sowjet-
fester, großer Bestandteil ist. union nicht wünscht, daß die etwa 700 Mittelstrek-
Zum letzten ist zu sagen, es würde in Europa kenraketen, die Westeuropa bedrohen in diese
keine Sicherheit geben — merkwürdigerweise —, Verhandlungen einbezogen werden?
3960 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970

Scheel, Bundesminister des Auswärtigen: Herr Aktivität und den Erfolg des Bundeskanzlers in der
Kollege, ich möchte jetzt keine Diskussion über den entscheidenden Konferenz in Den Haag hier im
militärischen Teil der Sicherheitspolitik in Europa Deutschen Bundestag erwähnt. Alles, was dann ge-
eröffnen. Daß uns die Mittelstreckenraketen be- schehen ist, ist aus diesem Impuls heraus geschehen.
schäftigen, weil das eine Bedrohung gerade West-
Auch die politische Zusammenarbeit in Europa ist
europas und insbesondere der Bundesrepublik ist,
doch etwas, was bis zur Stunde überhaupt nicht
will ich hier nur am Rande erwähnen. Daß das bei
vorgesehen war als eine politische Zielsetzung in
allen Überlegungen auch um Abrüstung und um
der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, seit die
Truppenverminderung ein außerordentlich wichti-
damaligen Versuche völlig gescheitert waren. Wir
ger Bereich ist, habe ich mehrfach gesagt.
haben die Idee neu beleben müssen. Aber wir
Ich will in diesem Zusammenhang nur erwähnen, haben bei der Ausformung der Idee der politischen
daß die Vereinigten Staaten, , die sehr genau wissen, Zusammenarbeit Formen entwickeln müssen, die
wie die militärische Kräfteverschiebung sich ändert, Aussicht hatten, von allen Beteiligten akzeptiert zu
die SALT Gespräche führen. Sie tun das im vollen
-
werden.
Bewußtsein der Gegebenheiten, unter denen sie
Ich muß Ihnen nun einmal sagen, daß das, was
handeln, und sie tun das in dem Verantwortungs-
wir gefunden haben, was heute von allen sechs Mit-
bewußtsein der Welt gegenüber, den Frieden zu
gliedern einstimmig verabschiedet werden wird,
erhalten. Die Sowjetunion als Gesprächspartner ist
hart an der Grenze, ja auf der Grenze der augen-
der einzige für die USA in dem Bereich der nuklea-
blicklichen Möglichkeiten liegt. Die praktischen Ver-
ren Waffen. Es gibt nur diese beiden Supermächte.
handlungen darüber haben gezeigt, daß man alle
Beide haben die Verantwortung vor der Welt, durch
Energie hat aufwenden müssen, um zu dieser
gemeinsame Abmachungen, gemeinsames Handeln
Grenze vorzustoßen. Darüber hinauszugehen hätte
den Frieden zu erhalten. Sie geben sich offenkundig
das gleiche Dilemma gebracht, nämlich an der
Mühe — ob alle Mühe, will ich gar nicht unter-
suchen; aber Mühe geben sie sich — dieses Ziel zu Frage über mehr Institutionen möglicherweise
das Ganze scheitern zu lassen. Wir haben uns für
erreichen. Wir sollten sie dabei unterstützen. Weil
das Handeln und für den Erfolg in dem Ausmaß
zur Voraussetzung solcher Verhandlungen ausgegli-
entschieden, daß jetzt und heute erreichbar ist. Es
chene Kräfteverhältnisse überall notwendig sind,
ist besser, jetzt einen Schritt zu tun, als einem noch
habe ich betont, daß auch in Europa das ausgegli-
so schönen Plan — ich will es gar nicht Illusion nen-
chene Kräfteverhältnis die Basis der Sicherheits-
nen — erfolglos nachzurennen. Das ist unsere Hal-
struktur in Europa ist und daß deswegen ein Abzug
tung in der EWG.
der amerikanischen Truppen nicht möglich ist, ohne
diese Ausgeglichenheit zu zerstören. (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Daran jetzt theoretische Erörterungen über das Alle Welt, glaube ich, ist glücklich und froh dar-
Verhalten einzelner Mächte in der Machtausein- über, daß wir praktische Fortschritte machen, weil
andersetzung zu knüpfen, meine ich, würde jetzt von der Festigkeit der Zusammenarbeit in der EWG
zu weit führen. Da müssen wir uns eine besondere der Friede nicht nur in Europa abhängt; denn wenn
Zeit dazu nehmen; dann würde man darüber spre- in Europa einmal der Friede gefährdet wird, ist es
chen können. Wir wären möglicherweise gar nicht allerdings auch mit dem Weltfrieden dahin.
so weit auseinander in der Beurteilung dieser allge- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
meinen Frage. Nur das will 'ich damit sagen.
Europa befindet sich also in einem ausgeglichenen Vizepräsident Frau Funcke: Wortmeldungen
Verhältnis. Unsere Politik basiert einerseits auf liegen nicht mehr vor. Ich schließe die Debatte.
dieser Sicherheit und andererseits auf der Dyna-
Meine Herren und Damen, wir sind am Ende der
mik der Integration in Westeuropa. Wir haben
heutigen Tagesordnung.
sicher zu dieser Dynamik beigetragen. Zumindest
haben wir aber wirklich gar nichts getan, um sie zu Ich berufe das Haus auf Mittwoch, den 14. Okto-
stören. Wir haben im Gegenteil in allen Bereichen ber 1970, 9 Uhr, ein.
diese Dynamik gefördert. Ich will uns nicht rühmen, Die Sitzung ist 'geschlossen.
meine sehr verehrten Damen und Herren, aber Sie
selber haben mit einer positiven Würdigung die (Schluß der Sitzung: 12.06 Uhr.)
Deutscher Bundestag - 6. Wahlperiode - 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970 3961

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich

Ott 9. 10.
Liste der beurlaubten Abgeordneten Pieroth 9. 10.
Pöhler *** 9. 10.
Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Dr. Pohle 9. 10.
Dr. Achenbach * 9. 10. Dr. Preiss 9. 10.
Adams ' 9. 10. Raffert ** 9. 10.
Dr. Aigner * 9. 10. Ravens 9. 10.
Amrehn ** 9. 10. Richarts * 9. 10.
Dr. Artzinger * 9. 10. Dr. Schachtschabel 9. 10.
Behrendt * 9. 10. Scheu 9. 10.
Dr. Burgbacher 9. 10. Dr. Schmücker 9. 10.
Corterier ** 9. 10. Schröder (Wilhelminenhof) 9. 10.
Dichgans '* 9. 10. Dr. Schulz (Berlin) *** 9. 10.
Frau Dr. Diemer-Nicolaus ** 9. 10. Schwabe * 9. 10.
Dr. Dittrich * 9. 10. Dr. Schwörer * 9. 10.
Dröscher * 9. 10. Seefeld * 9. 10.
Dr. Evers 9. 10. Sieglerschmidt *** 9. 10.
Faller * 9. 10. Dr. Slotta 15. 10.
Fellermaier * 9. 10. Springorum * 9. 10.
Flämig * 9. 10. Dr. Starke (Franken) * 9. 10.
Fritsch *** 9. 10. Dr. Stoltenberg 9. 10.
Dr. Furler 9. 10. Dr. Tamblé 30. 10.
Frau Geisendörfer 9. 10. Unertl 9. 10.
Gierenstein 9. 10. Dr. Warnke 9. 10.
Gerlach (Emsland) * 9. 10. Wende 9. 10.
Dr. Gradl ** 9. 10. Werner * 9. 10.
Haage (München) 9. 10. Wienand ** 9. 10.
Haar (Stuttgart) 9. 10. Wilhelm 30. 10.
Dr. Hallstein 16. 10. Windelen 9. 10.
Dr. Hein ' 9. 10. Frau Dr. Wolf ** 9. 10.
Frau Herklotz *** 9. 10. Wolfram * 9. 10.
Dr. Hermesdorf (Sehleiden) *** 9. 10.
Heyen 18. 12.
Höcherl 9. 10.
Dr. Jahn (Braunschweig) * 9. 10.
Dr, Jungmann 16. 10. Anlage 2
Dr. Kempfler 9. 10.
Klinker * 9. 10. Schriftliche Antwort
Dr. Koch * 9. 10.
Kriedemann * 9. 10. des Parlamentarischen Staatssekretärs Rosenthal
Frau Dr. Kuchtner 9. 10. vom 9. Oktober 1970 auf die Mündliche Frage des
Lange * 9. 10. Abgeordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen (Druck-
Lautenschlager * 9. 10. sache VI/ 1218 Frage A 20) :
Dr. Löhr ' 9. 10. Ist die Bundesregierung bereit, einen Erfahrungsbericht über
den Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Weltausstellung
Logemann 9. 10. in Osaka der interessierten Öffentlichkeit vorzulegen?
Lücker (München) * 9. 10.
Die Weltausstellung in Osaka ist am 13. Septem-
Majonica 9. 10.
ber 1970 geschlossen worden. Ein Erfahrungsbericht,
Dr. Martin 9. 10.
der von der Bundesregierung über den deutschen
Matthöfer ** 9. 10.
Beitrag zur Weltausstellung bereits vorgesehen ist,
Frau Meermann** 9. 10.
wird z. Z. von den beteiligten Ressorts erarbeitet.
Dr. Meinecke (Hamburg) ** 9. 10.
Meister * 9. 10.
Memmel * 9. 10.
Michels 9. 10.
Müller (Aachen-Land) * 9. 10.
Anlage 3
Frau Dr. Orth * 9. 10.
* Für die Teilnahme an einer Sitzung des Europäischen Schriftliche Antwort
Parlaments
** Für die Teilnahme an der Jahrestagung der Interparla- des Parlamentarischen Staatssekretärs Westphal
mentarischen Union vom 6. Oktober 1970 auf die Mündliche Frage des
*** Für die Teilnahme an Ausschußsitzungen der Bera- Abgeordneten Sieglerschmidt (Drucksache VI/1218
tenden Versamlmung des Europarates 75) : FrageA
3962 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970

Ich frage die Bundesregierung, warum das Ratifikationsver-


fahren hinsichtlich der UNO-Einheits-Konvention über Suchtstoffe
Hierzu ist die Bundesregierung nicht in der Lage.
- zu rech-
1961 noch nicht eingeleitet und wann mit der Einleitung Die Entscheidung über Fahrpreisermäßigungen
nen ist,
und tarifliche Sonderaktionen liegt nach dem Gesetz
Das Bundesministerium für Jugend, Familie und in der Hand des Vorstandes der Deutschen Bundes-
Gesundheit bemüht sich seit längerer Zeit im Beneh- bahn, der den Betrieb nach kaufmännischen Grund-
men mit den beteiligten Ressorts (Auswärtiges Amt, sätzen zu führen hat. Die Möglichkeiten der Bundes-
Bundesministerium des Innern, Bundesministerium regierung, auf die Bundesbahn im Sinne bestimmter
der Justiz) um die Vorbereitung der Ratifizierung Tarifmaßnahmen einzuwirken, sind deshalb gering;
des UNO-Einheitsabkommens über Suchtstoffe von sie muß sich auf Anregungen beschränken.
1961.
Die bisher von der Deutschen Bundesbahn aus
Zur Einleitung des förmlichen Ratifizierungsver- kommerziellen Gründen durchgeführten Sonder-
fahrens bei den gesetzgebenden Organen ist es bis- aktionen im Reiseverkehr waren deshalb erfolg-
lang deshalb noch nicht gekommen, weil völker- reich, weil das Angebot jeweils befristet, überra-
rechtliche, verfassungspolitische und außenpolitische schend und mit wechselnden Bedingungen auf den
Fragen im Zusammenhang mit der Ratifizierung des Markt gebracht wurde. Eine Dauerermäßigung
Abkommens zwischen den beteiligten Ressorts noch würde dagegen zu Einnahmeausfällen führen, die bei
nicht abschließend geklärt werden konnten. der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage der Deut-
Ich werde darauf drängen, daß die interministe- schen Bundesbahn nicht in Kauf genommen werden
riellen Besprechungen alsbald abgeschlossen wer- könnten.
den, damit — nicht zuletzt im Hinblick auf die stei-
gende mißbräuchliche Verwendung von Suchtstoffen
— das Ratifizierungsverfahren beschleunigt einge-
leitet werden kann.
Anlage 6

Schriftliche Antwort

Anlage 4 des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom


9. Oktober 1970 auf die Mündlichen Fragen des Ab-
Schriftliche Antwort geordneter Becker (Nienberge) (Drucksache VI/ 1218
Fragen A 84 und 85) :
des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom Ist die Bundesregierung bereit, an den Böschungen von
Bundesautobahnen bzw. autobahnähnlich ausgebauten Bundes-
9. Oktober 1970 auf die Mündliche Frage des Abge straßen, die in Dammlage an bestehenden Wohngebieten in für
ordneten Koenig (Drucksache VI/ 1218 Frage A 79) : Lärmschutz ungenügendem Abstand vorbeigeführt werden, den
Bau von Lärmschutzanlagen (z. B. eine Fertigbaumauer hinter
Hält es die Bundesregierung als Übergangsregelung bis zur den Leitplanken) auf bundeseigenem Gelände zu dulden?
endgültigen Abschaffung der grünen Versicherungskarte für mög-
lich, im internationalen Grenzverkehr eine Aufklebeplakette ein- Ist die Bundesregierung der Auffassung, daß die Kosten für
zuführen, die gut von außen sichtbar ist, um somit eine bedeu- derartige Lärmschutzanlagen in neu ausgewiesenen Wohnge-
tend zügigere Grenzabfertigung zu erreichen? bieten von den Gemeinden bzw. von den Grundstückserwerbern
zu tragen sind?
Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß
Die Bundesregierung ist grundsätzlich bereit, auf
eine solche Übergangsregelung nicht zu verwirk-
bundeseigenem Gelände an Bundesautobahnen und
lichen ist.
autobahnähnlichen Bundesstraßen den Bau von
Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß die Kom- Lärmschutzanlagen zu dulden, sofern hierdurch we-
mission der Europäischen Gemeinschaften dem Rat der die Verkehrssicherheit noch die Standfestigkeit
einen Richtlinienentwurf über die Angleichung der der Straßenanlagen gefährdet werden und das zum
Rechtsvorschriften in den Mitgliedstaaten hinsicht- Straßenbau erworbene Gelände ausreicht.
lich der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung und
Soweit neue Wohngebiete in der Nähe von Bun-
der Grenzkontrolle der entsprechenden Versiche-
desfernstraßen ausgewiesen werden, ist es den Ge-
rungspflicht zugeleitet hat. Diese Richtlinie sieht die
meinden bzw. den Grundstückserwerbern überlas-
Aufhebung der Kontrolle des Versicherungsnach-
sen, die von ihnen für erforderlich gehaltenen Lärm-
weises an den Binnengrenzen der Gemeinschaft vor.
schutzmaßnahmen zu treffen. Werden neue Bundes-
fernstraßen in der Nähe von Wohngebieten vorbei-
geführt, kommt es auf den Einzelfall an, ob und wie-
weit Lärmschutzmaßnahmen bzw. Entschädigungs-
ansprüche in Betracht kommen.
Anlage 5

Schriftliche Antwort

des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom


9. Oktober 1970 auf die Mündliche Frage des Abge- Anlage 7
ordneten Dr. Schwörer (Drucksache VI/1218 Frage
A 83) : Schriftliche Antwort
Ist die Bundesregierung bereit, auf die Deutsche Bundesbahn
dahin gehend einzuwirken, ähnlich wie in anderen europäischen
des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vorn
Ländern Rentnern, u. a. auch wegen der gestiegenen Lebens- 9. Oktober 1970 auf die Mündliche Frage des Abge
haltungskosten, während des ganzen Jahres ermäßigte Fahr-
preise einzuräumen? ordneten Dr. Enders (Drucksache VI/ 1218 Frage A 86) :
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970 3963

Welche Erfahrungen hat die Bundesregierung seit der Einfüh-


rung der Stückgutneuordnung im Sommer dieses Jahres aus der
Anlage 10
Flächenbedienung der Bevölkerung gewonnen? -
Schriftliche Antwort
Die Flächenbedienung in der Stückgutneuordnung
ist von der Bevölkerung bisher überwiegend positiv des Parlamentarischen Staatssekretärs Herold vom
aufgenommen worden. Die Beobachtungszeit ist 9. Oktober 1970 auf die Mündliche Frage des Ab-
aber noch zu kurz, um abschließend beurteilen zu geordneten Dr. Jobst (Drucksache VI/ 1218 Frage
können, welchen Markt das Angebot finden wird. A 97):
Hierüber wird man sich erst nach einem Jahr ein
Sieht die Bundesregierung in dem „Gesetz über die Zivil-
abgerundetes Bild machen können. verteidigung der DDR" einen Akt der Entspannung?

Die Bundesregierung betrachtet das Gesetz über


die Zivilverteidigung der DDR nicht als einen Akt
der Entspannung. Vielmehr sieht sie sich durch
Anlage 8 dieses Gesetz und die ihm mitgegebene, von ideolo-
gischer Verkrampfung gekennzeichnete Begründung
Schriftliche Antwort in ihrer Überzeugung bestärkt, daß es notwendig
ist, die Bemühungen um Entspannung in Deutsch-
des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom
land beharrlich fortzusetzen. Entspannung ist und
9. Oktober 1970 auf die Mündliche Frage des Ab-
bleibt Aufgabe unserer Politik.
geordneten Dr. Enders (Drucksache VI/1218 Frage
A 87) :
Hält es die Bundesregierung für möglich, durch den Ausbau
bestehender Umladehallen den Warenumschlag zu erhöhen und
den Wagenumlauf der Deutschen Bundesbahn zu beschleunigen?

Die bauliche Kapazität der für den Stückgutver- Anlage 11


kehr vorgehaltenen Umladestellen reicht aus, um
den Erfordernissen Rechnung zu tragen. Die stellen- Schriftliche Antwort
weise auftretenden Engpässe in der Ausschöpfung
der Kapazität sind weniger eine Frage der baulichen des Parlamentarischen Staatssekretärs Herold vom
Situation, als auf die Schwierigkeiten auf dem Per- 9. Oktober 1970 auf die Mündlichen Fragen des Ab-
sonalsektor in Folge der unbefriedigenden Lage auf geordneten Breidbach (Drucksache 1/1/ 1218 Fragen A
dem Arbeitsmarkt zurückzuführen. Im übrigen setzt 98 und 99) :
der Vorstand der Deutschen Bundesbahn alles daran, Ist die Bundesregierung bereit, den in die Bundesrepublik
Deutschland geflüchteten ehemaligen DDR-Bürgern zu garantie-
um im Rahmen der vorhandenen Möglichkeiten und ren, daß ihnen persönlich keinerlei negative Konsequenzen aus
der am 11. Dezember 1968 durch den Ministerrat der DDR einge-
Mittel einen weiteren Ausbau und die Mechanisie- leiteten sogenannten „Aktion Vermögenserfassung" erwachsen?
rung zu fördern. Ist die Bundesregierung bereit, die von den DDR-Behörden
geübte Praxis, wonach bestehendes Flüchtlingsvermögen durch
Verwaltungsakte (Einziehen von Gebühren, Auf- und Umwer-
tungsaktionen) in Forderungen des Staates an den Geflüchteten
umgewandelt werden, als einen unserem Rechtsempfinden ent
gegengerichteten Vorgang zu verurteilen, insbesondere dies auf
einem möglichen weiteren sogenannten „Deutschen Gipfeltreffen"
Anlage 9 zu tun?

Schriftliche Antwort Die Bundesregierung kann Hoheitsgewalt nur


innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, nicht
des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom über die DDR ausüben. Aus diesem Grunde kann
9. Oktober 1970 auf die Mündlichen Fragen des sie es nicht verhindern, wenn die Regierung in Ost-
Abgeordneten Scheu (Drucksache VI/ 1218 Fragen Berlin Maßnahmen ergreifen sollte, die sich auf dem
A 90 und 91) : Territorium der DDR zum wirtschaftlichen Nachteil
Ist der Bundesregierung bekannt, daß Briefe, die mit Postwert- ehemaliger DDR-Flüchtlinge auswirken. Die von
zeichen, welche Bilder und Darstellungen von Objekten aus der Ihnen, Herr Kollege, erbetene Garantie, daß den
DDR zeigen, in den meisten Ländern des Ostens einschließlich
der UdSSR nicht befördert, sondern zurückgeschickt werden? ehemaligen DDR-Flüchtlingen keinerlei negative
Ist die Bundesregierung nicht mit mir der Meinung, daß die als Konsequenzen aus der sog. „Aktion Vermögens-
Erinnerungsmarken für uns Deutsche geschaffenen Briefmarken
von den Ländern des Ostblocks falsch verstanden werden und erfassung" erwachsen, kann die Bundesregierung
deshalb generell aus dem Betrieb gezogen werden sollten? daher hinsichtlich der in der DDR verbliebenen Ver-
Briefe mit Marken der Postwertzeichen-Dauer- mögenswerte dieses Personenkreises nicht abgeben.
serie „Deutsche Bauwerke aus zwölf Jahrhunderten" Um den Flüchtlingen in etwa einen Ausgleich im
mit Motiven aus der DDR werden nur von der Post- Bundesgebiet für das in ihrer Heimat zurückgelas-
verwaltung der UdSSR zurückgesandt. Die Verwal- senne Vermögen zuteil werden zu lassen, hat die
tungen anderer Länder des Ostblocks sowie die Bundesregierung diesem Hohen Haus den Entwurf
Postverwaltung der DDR weisen solche Sendungen einer 23. Novelle zum Lastenausgleichsgesetz zu-
nicht zurück. geleitet.
Die genannte Serie, von deren Motiven insgesamt Nach Auffassung der Bundesregierung sind even-
sechs beanstandet werden, wird Zug um Zug durch tuelle persönliche Forderungen gegen die Flücht-
die neue Dauerserie „Bundespräsident Heinemann" linge aufgrund der Liquidierung ihres Vermögens
ersetzt. Von dieser neuen Serie sind die Werte 5 Pf im Rahmen der sog. Aktion Vermögenserfassung
und 1 DM bereits erschienen. Am 23. Oktober fol- aus rechtlichen Gründen nicht in der Bundesrepu-
gen die Werte 10 Pf und 20 Pf. blik Deutschland durchsetzbar.
3964 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970

Die Bundesregierung erklärt jedoch nochmals aus- Schweiz das Abkommen vom 26. August 1952 ge-
drücklich ihre Bereitschaft, im Falle eines sich schlossen, wonach die deutschen Vermögenswerte
-
wider Erwarten ergebenden praktischen Bedürfnis- gegen Leistung eines Ablösungsbeitrages der Ver-
ses alles in ihren Kräften Stehende zu unternehmen, mögenseigentümer freigegeben wurden. Schweden
um die Flüchtlinge vor Nachteilen zu bewahren, hat auf Grund des Abkommens vom 22. März 1956
die im Bundesgebiet aufgrund von Maßnahmen der die Liquidationserlöse der deutschen Vermögens-
DDR-Behörden entstehen könnten. werte in Höhe von rd. zwei Dritteln freigegeben.
Die Bundesregierung verurteilt alle im Wider- Mit Osterreich wurde am 15. Juni 1957 ein Vermö-
spruch zu rechtsstaatlichen Grundsätzen stehenden gensvertrag geschlossen, der die Freigabe von deut-
enteignungsähnlichen Maßnahmen der DDR, die Sie, schen Vermögenswerten an natürliche Personen bis
Herr Kollege, mit dem Stichwort „Aktion Vermö- zum Wert von 260 000 Schilling vorsieht. Portugal
genserfassung" angesprochen haben. In künftigen hat nach dem Vermögensabkommen vom 3. April
Gesprächen mit der Ostberliner Regierung, einerlei 1958 die deutschen Vermögenswerte freigegeben;
auf welcher Ebene sie stattfinden, wird die Bun- die Vermögenseigentümer mußten an die Bundesre-
desregierung diesen Standpunkt mit Nachdruck ver- publik einen Beitrag von 33 1/3% zahlen, da die
treten. Bundesrepublik die von den Alliierten auf das be-
schlagnahmte Vermögen geltend gemachten An-
sprüche befriedigt hat. Durch das Vermögensabkom-
men mit Spanien vom 8. April 1958 wurden die noch
nicht liquidierten deutschen Vermögenswerte frei-
gegeben. In Abkommen mit Israel vom 1. Juni
Anlage 12
1962, mit Kolumbien vom 4. August 1962 und mit
Schriftliche Antwort Äthiopien vom 21. April 1964 wurde jeweils eine
Entschädigungszahlung für das enteignete deutsche
des Parlamentarischen Staatssekretärs Moersch vom Vermögen vereinbart. Ferner konnte erreicht wer-
5. Oktober 1970 auf die Schriftlichen Fragen des den, daß eine Reihe anderer Staaten durch einsei-
Abgeordneten Lenzer (Drucksache VI/1218 Fragen tige Maßnahmen deutsches Vorkriegsvermögen oder
B 1 und 2) : die Liquidationserlöse hieraus ganz oder teilweise
Wie ist der augenblickliche Sachstand in der Frage des be- freigegeben haben. Zu erwähnen sind insbesondere
schlagnahmten privaten deutschen Auslandsvermögens? die Republik Südafrika, Indien, Dominikanische
Welche Maßnahmen zu einer Lösung des Problems sind von Republik, Ecuador, El Salvador, Pakistan, Brasilien,
der Bundesregierung in der Vergangenheit ergriffen worden oder
noch beabsichtigt? Argentinien, Chile, Iran, Türkei, Malaysia und die
Vereinigte Arabische Republik (Ägypten). Außer-
Der Sachstand hat sich in den letzten sechs Jah- dem wurden in den Ausgleichsverträgen mit Bel-
ren nicht wesentlich verändert. Zur Vorgeschichte gien, Luxemburg und den Niederlanden sowie in
darf daran erinnert werden, daß die drei west- einem — bisher allerdings noch nicht ratifizierten —
lichen Besatzungsmächte mit dem Gesetz Nr. 63 der Grenzvertrag mit Frankreich deutsche Grenzgrund
Alliierten Hohen Kommission vom 31. August 1951 stücke und zum Teil auch andere beschlagnahmte
die bis dahin von den ehemaligen Feindmächten deutsche Vermögenswerte freigegeben. Schließlich
gegen das private deutsche Auslandsvermögen ge- konnte in einem Abkommen mit Italien vom
troffenen Maßnahmen sanktioniert und Ansprüche 2. Juni 1961 erreicht werden, daß beschlagnahmte,
sowie Klagen seitens der deutschen Eigentümer ab- aber noch nicht liquidierte deutsche Vermögens-
geschnitten und für unzulässig erklärt haben. werte freigegeben sowie in bestimmten Härtefällen
In Artikel 2 des VI. Teils des Überleitungsver- Liquidationserlöse erstattet wurden.
trages hat sich die Bundesrepublik verpflichten müs- Seit dem Abschluß des deutschabessinischen Ver-
sen, das Gesetz Nr. 63 nur mit Zustimmung der trages vom 21. April 1964 konnten keine weiteren
Drei Mächte aufzuheben oder zu ändern. In Artikel Vereinbarungen über die Rückgabe des beschlag-
3 a. a. O. hat sie erklärt, in Zukunft keine Einwen- nahmten deutschen Eigentumes oder über Zahlung
dungen gegen die Maßnahmen zu erheben, die ge- von Liquidationserlösen mehr geschlossen werden
gen das für Zwecke der Reparation beschlagnahmte Die Bundesregierung hat auch in den letzten Jah-
deutsche Auslandsvermögen oder sonstige Vermö- ren bei jeder sich bietenden Gelegenheit die Frage
gen durchgeführt worden sind oder werden sollen; des deutschen Auslandsvermögens mit Regierungen,
Ansprüche und Klagen wurden nach wie vor nicht die bisher noch keine Konzessionsbereitschaft ge-
zugelassen. In Artikel 4 a. a. O. wurde anderer- zeigt haben, erörtert. Insbesondere hat sich die Bun-
seits der Bundesrepublik die Möglichkeit einge- desregierung bemüht, in Konsultationen und Noten-
räumt, über gewisse Vermögensarten und mit be- wechseln mit der Regierung von Indonesien zu
stimmten Staaten zu verhandeln, insbesondere mit einem Einvernehmen über die Rückgabe des deut-
den Neutralen. In Artikel 5 a. a. O. hat es die Bun- schen Plantagenbesitzes zu gelangen. Auch mit den
desrepublik übernommen, Vorsorge für eine Ent- Regierungen der Türkei, Ghanas und von Honduras
schädigung der früheren Eigentümer zu treffen. haben wiederholt solche Verhandlungen stattgefun-
Der Bundesrepublik gelang es, durch Abkommen den. Diese Bemühungen haben sich jedoch als außer-
mit mehreren Staaten die Freigabe des beschlag- ordentlich schwierig erwiesen. Die Gründe für die
nahmten deutschen Vermögens oder von Liquida- mangelnde Bereitschaft der beteiligten Regierungen,
tionserlösen hieraus •sowie die Zahlung von Ent- deutsches Auslandsvermögen freizugeben, liegen
schädigungsbeträgen zu erreichen. So wurde mit der einmal in den wirtschaftlichen und finanziellen Ver-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970 3965

hältnissen dieser Länder. Es werden uns aber auch Verkaufskopien zurückgegriffen werden. Soweit
rechtliche Argumente entgegengehalten, wie der diese Kopien noch auf Nitrozellulose gezogen sind,
Hinweis auf die Verzichtsklausel (Artikel 3) und auf besteht die Gefahr der Zersetzung und Selbstent-
die Entschädigungsklausel (Artikel 5) des VI. Teils zündung. Die Nitrozellulosefilme müssen darum
des Überleitungsvertrages. Die indonesische Regie- auf dauerhaften Azetatfilm umkopiert werden. Die
rung steht auf dem Standpunkt, nicht sie sondern die Umkopierungsaktion ist zwar sehr kostspielig. Ihre
ehemalige holländische Kolonialmacht sei für die beschleunigte Durchführung hängt jedoch nicht
Entziehung des deutschen Vermögens verantwort- allein von der Höhe der verfügbaren Finanzmittel
lich und Indonesien habe nur holländisches aber kein ab, sondern auch von personellen und technischen
deutsches Eigentum übernommen. Die Möglichkeit, Voraussetzungen: das Filmmaterial muß archiva-
auf dem Wege über Neuinvestitionen wenigstens risch und technisch aufbereitet und in Umkopie-
größere Teile des früheren deutschen Eigentums in rungsanstalten untergebracht werden.
Indonesien zurückzuerlangen, wird jedoch noch wei- Es gilt, die seit Jahren laufenden Umkopierungs-
ter verfolgt. arbeiten so schnell wie möglich zu Ende zu führen.
Der naheliegende Gedanke, eine befriedigende Die Bundesregierung bemüht sich im Bewußtsein
Regelung des Problems des deutschen Auslandsver- dieser wichtigen Aufgabe, die Bereitstellung der
mögens mit Entwicklungshilfeverhandlungen zu ver- erforderlichen Mittel zu sichern, die technische Aus-
knüpfen (Junktim), hat sich bisher nicht als erfolg- stattung des Filmreferats im Bundesarchiv zu ver-
versprechend erwiesen, weil die vielfältigen Bedürf- vollkommnen, die Lagerungsbedingungen und Kon-
nisse und Interessen, die mit Entwicklungshilfevor- trollmöglichkeiten optimal zu gestalten sowie vor
haben verbunden sind, häufig eine solche weitere allem geeignetes und ausreichendes Personal zu
Komplikation dieser Verhandlungen nach Auffas- gewinnen.
sung der für die Entwicklungshilfe federführenden
deutschen Stellen nicht zulassen.
Zum Ausgleich von Verlusten, die einzelnen deut-
schen Staatsbürgern durch die Maßnahmen der ehe-
Anlage 14
maligen Feindmächte gegen ihr Auslandsvermögen
entstanden sind, hat die Bundesrepublik inzwischen Schriftliche Antwort
das Gesetz zur Abgeltung der Reparations-, Resti-
tutions-, Zerstörungs- und Rückerstattungsschäden des Parlamentarischen Staatsskretärs Dorn vorn
vom 12. Februar 1969 erlassen. Unbeschadet dieser 8. Oktober 1970 auf die Schriftliche Frage des Abge-
Regelung wird jedoch die Bundesregierung weiter- ordneten Becker (Nienberge) (Drucksache VI/1218
hin ihr Augenmerk darauf richten, überall da, wo Frage B 5) :
sich eine günstige politische oder wirtschaftliche Wird die Bundesregierung bei der Verabschiedung des Dritten
Konstellation dafür ergibt, das beschlagnahmte deut- Besoldungsneuregelungsgesetzes Konsequenzen aus der Fest-
legung der „Ingenieurzulage" in den Ländern ziehen, nachdem in
sche Auslandsvermögen oder wenigstens Teile da- der vorletzten Woche auch das Land Haarburg diese Zulage
von oder die Liquidationserlöse zugunsten der ge- erhöht hat?

schädigten deutschen Staatsbürger zurückzuerlan- Bei der Erstellung eines Gesamtkonzepts zur Be-
gen. soldungsneuregelung wird auch geprüft, welche
Verbesserungen bei der Zulage für Beamte des
gehobenen Dienstes mit Ingenieurprüfung unter Be-
rücksichtigung der Gesamtstruktur verwirklicht wer-
Anlage 13 den können.
Ich bitte, das Ergebnis abzuwarten, wobei eine
Schriftliche Antwort wohlwollende Prüfung des von Ihnen vorgetrage-
nen Anliegens beabsichtigt ist.
des Parlamentarischen Staatsskretärs Dorn vom
6. Oktober 1970 auf die Schriftlichen Fragen des
Abgeordneten Biechele (Drucksache VI/1218 Fragen
B 3 und 4) :
Sind Pressemeldungen zutreffend, daß Teile des ehemaligen
Reichsfilmarchivs, die in der Bundesrepublik Deutschland lagern Anlage 15
(im Bundesarchiv in Koblenz und bei der Murnau-Stiftung in
Wiesbaden), von Verderb und Zerfall bedroht sind, weil deren
Auswertung wegen unzureichender Finanzmittel viel zu langsam Schriftliche Antwort
erfolgt?
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, dieses
historisch wertvolle und teilweise unersetzliche Dokumentar-
des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Reischl
und Spielfilmmaterial zu sichern und für eine sachgerechte und vom 6. Oktober 1970 auf die Schriftliche Frage des
breite Auswertung zu erschließen?
Abgeordneten Höcherl (Drucksache VI/1218 Frage
Die von Ihnen genannten Pressemeldungen sind B 6)
insofern nicht zetreffend, als die Bestände des Ist die Bundesregierung bereit, zur Vereinfachung des Ein-
zugsverfahren der Kfz-Steuer künftig für Steuerzahlung und
Reichsfilmarchivs bis auf unwesentliche Teile im Zulassung verschiedenfarbige Plaketten auszugeben, und ist
beabsichtigt, die Besteuerung der PKW nach Hubraum zu
Reichsfilmarchiv verblieben sind und sich somit reformieren?
heute in Ost-Berlin befinden. Für die Bestände des
Bundesarchivs und der Friedrich Wilhelm Murnau- Wie schon aus dem Bericht über den Stand der
Stiftung mußte deshalb weitgehend auf sogenannte Steuerreform (BT-Drucks. VI/1152) hervorgeht, soll
3966 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970

die Steuerreform auch die Reform der Kraftfahr- II. 1. der Großen Anfrage der CDU/CSU-Bundestags-
zeugsteuer umfassen. Dabei wird die Vereinfachung fraktion (BT-Drucksache VI/ 1215) verweisen, in der
-
des Erhebungsverfahrens als ein vordringliches bereits ausführlich auf die Vorausschau für 1971
Anliegen der Reform betrachtet. Selbstverständ- eingegangen wurde.
lich wird zugleich die für Personenkraftwagen gel-
tende Hubraumbesteuerung überprüft.
Auch die unabhängige Steuerreform-Kommission
beschäftigt sich mit den Problemen einer Neuge-
staltung der Kraftfahrzeugbesteuerung. Die Bun- Anlage 18
desregierung hat bereits mehrfach erklärt, daß sie
den Vorschlägen dieser Kommission nicht vorgrei- Schriftliche Antwort
fen wird. Sie kann sich deshalb erst nach Auswer-
des Bundesministers Ertl vom 5. Oktober 1970 auf
tung des Kommissionsberichts zu der Frage äußern,
die Schriftlichen Fragen des Abgeordneten Baron
in welcher Form die Kraftfahrzeugbesteuerung ver-
von Wrangel (Drucksache VI/1218 Fragen B 9 und 10) :
bessert und das damit verbundene Erhebungsver-
fahren vereinfacht werden sollten. Ist der Bundesregierung bekannt, daß durch die Nichtberück-
sichtigung der Mehrwertsteuer bei der Beihilfenberechnung für
Landwirte — und hier insbesondere bei forstwirtschaftlichen
Zusammenschlüssen — im Zonenrandgebiet unnötige Härten ent-
stehen?
Welche Förderungsmaßnahmen will die Bundesregierung er-
greifen, um die dadurch für das Zonenrandgebiet entstehende
nachteilige kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung wieder
Anlage 16 rückgängig zu machen?

Schriftliche Antwort Die Nichtberücksichtigung der Umsatzsteuer


(Mehrwertsteuer) bei Gewährung von Beihilfen an
des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. Reischs Landwirte und forstwirtschaftliche Zusammen-
vom 6. Oktober 1970 auf die Schriftliche Frage des schlüsse ist darauf zurückzuführen, daß einheitlich
Abgeordneten Weigl (Drucksache VI/1218 Frage B 7) : für alle nach § 64 a RHO vom Bund gewährten Bei-
Kann die Bundesregierung Angaben über die Zahl der Arbeit-
nehmer machen, die nach Ausbezahlung der Weihnachtsgratifika-
hilfen die Umsatzsteuer als Bezugsgrundlage nicht
tion erstmals den Lohnsteuerzuschlag bezahlen muß, wenn es mehr berücksichtigt werden soll. Die Umsatzsteuer
bei dem jetzt geltenden Weihnachtsfreibetrag bleiben sollte?
(Mehrwertsteuer) hat bei Unternehmen in der Regel
Im Zusammenhang mit den Beratungen zu dem die Wirkung eines durchlaufenden Postens. Sie trifft
Gesetz über die Erhebung eines rückzahlbaren Kon- den Unternehmer deswegen nicht; weil sie auf den
junkturzuschlags zur Einkommen- und Körperschaft- nächsten Abnehmer weitergewälzt werden kann. Es
steuer ist die Zahl der von dem Zuschlag betroffenen war daher erforderlich, die Gewährung von Bei-
Arbeitnehmer auf etwas weniger als 10 Millionen hilfen nur auf die wirklichen Kostenelemente zu be-
geschätzt worden. In dieser Zahl sind grundsätzlich schränken.
auch die Arbeitnehmer enthalten, die nach Auszah- Die Bundesregierung glaubt nicht, daß durch die
lung einer Weihnachtsgratifikation o. ä. erstmals vorgenannte Änderung der Beihilfegewährung eine
den Konjunkturzuschlag zu zahlen haben. Wie hoch nachteilige kulturelle und wirtschaftliche Entwick-
dieser Anteil ist, läßt sich allerdings nicht mit hin- lung — auch nicht im Zonenrandgebiet — eintreten
reichender Sicherheit sagen. Es dürfte sich aber um wird, weil der Umfang der Beihilfenminderung so
eine verhältnismäßig geringe Zahl von Arbeitneh- gering ist, daß nachhaltige negative Auswirkungen
mern handeln. Hierfür spricht auch, daß wegen des auf landwirtschaftliche Betriebe und forstwirtschaft-
vom Arbeitgeber — teilweise permanent — durch- liche Zusammenschlüsse nicht zu erwarten sind. Ein
geführten Lohnsteuerjahresausgleichs monatliche Ausgleich durch andere Förderungsmaßnahmen ist
Spitzenbeträge weitgehend ausgeglichen werden deshalb nicht beabsichtigt.
und dadurch die Fälle ohnehin relativ selten sind,
bei denen einmalig für einen Monat der Konjunktur-
zuschlag gezahlt werden muß.

Anlage 19

Schriftliche Antwort
Anlage 17
des Parlamentarischen Staatssekretärs Rohde vom
Schriftliche Antwort 6. Oktober 1970 auf die Schriftliche Frage des Abge
ordneten Burger (Drucksache VI/1218 Frage B 11) :
des Parlamentarischen Staatssekretärs Rosenthal
Sind die Ausführungen des VdK-Vizepräsidenten Weishäupl
vom 9. Oktober 1970 auf die Schriftliche Frage des zutreffend, wonach auftretende bürokratische Hindernisse im
Abgeordneten Kiechle (Drucksache VI/1218 Frage Rentenkapitalisierungsverfahren zu einer Gefährdung fur den
Wohnungsbau von Kriegsopfern und zu unerträglichen Schwie-
B 8): rigkeiten bei der Weiterführung geplanter oder begonnener
Bauvorhaben geführt haben?
Hält die Bundesregierung ihre Vorausschau der realen und
nominalen Wachstumsraten für 1971 noch für realistisch?
Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialord-
Hinsichtlich der Beantwortung Ihrer Anfrage darf nung hat sich mit dem Vizepräsidenten des VdK,
ich auf die Antwort der Bundesregierung auf Frage Herrn Weishäupl, bereits in Verbindung gesetzt,
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970 3967

um die im Zusammenhang mit dem neuen Renten- Anlage 21


kapitalisierungsverfahren aufgeworfenen Fragen
- zu
klären. Schriftliche Antwort

Sie wissen, Herr Kollege, daß die gesetzgebenden des Parlamentarischen Staatssekretärs Rohde vom
Körperschaften auf Vorschlag der Bundesregierung 7. Oktober 1970 auf die Schriftliche Frage des Ab-
Anfang dieses Jahres eine neue Grundlage für die geordneten Kiechle (Drucksache VI/1218 Frage B 13) :
Grundrentenabfindung geschaffen haben, damit den Teilt die Bundesregierung die neueste Auffassung der Bundes-
anstalt für Arbeit, wonach 1971 mit einem Anstieg der „sicht-
Wünschen der Kriegsopfer unter Inanspruchnahme baren und unsichtbaren Arbeitslosigkeit gerechnet werden
von Kapitalmarktmitteln schneller entsprochen wer- müsse"?
den kann. Die Neuregelung erforderte eine Verfah-
Im Zuge der erwarteten und erwünschten Nor-
rensumstellung, die erst im Mai dieses Jahres nach
malisierung der Konjunktur im Jahre 1971 dürfte
Verabschiedung des Gesetzes vom 27. April 1970
es auch zu einem Rückgang der erheblichen Span-
und des Bundeshaushalts 1970 vorgenommen wer-
nungen. auf dem Arbeitsmarkt kommen.
den konnte. Dabei mußten kurzfristig größere Kre-
dite auf dem Kapitalmarkt aufgenommen werden. Diese Entwicklung wird jedoch nicht zu einem
Zugleich war ein außergewöhnlicher Überhang an Rückgang der Zahl der Beschäftigten führen. Aller-
vielfach bescheidreifen Abfindungsanträgen aus dem dings ist zu erwarten, daß sich die ungewöhnlich
Vorjahr abzubauen. hohe Zahl der offenen Stellen auf ein angemessenes
Niveau vermindert. Dadurch wird der gegenwärtig
Diese Schwierigkeiten konnten inzwischen über- außerordentlich große Überhang der Nachfrage nach
wunden werden. Bisher sind den Ländern über den Arbeitnehmern gegenüber dem Angebot allmählich
Kapitalmarkt von den im Haushalt 1970 für die abgebaut, die Vollbeschäftigung jedoch nicht ge-
Grundrentenabfindung vorgesehenen 172 Mio DM fährdet.
in drei Raten (Mitte April, Mitte Juli und Anfang
September) bereits ca. 145 Mio DM zugeteilt wor-
den; die restlichen Abfindungsmittel werden voraus-
sichtlich schon in diesem Monat zur Verfügung ste-
hen. Ich möchte dazu betonen, daß die Bereitstellung
dieser Mittel trotz zeitweilig schwieriger Kapital- Anlage 22
marktlage allein durch eine zügige, unbürokratische Schriftliche Antwort
und enge Zusammenarbeit meines Hauses mit dem
Bundesfinanzministerium und der Lastenausgleichs des Parlamentarischen Staatssekretärs Berkhan vom
bank ermöglicht wurde. 7. Oktober 1970 auf die Schriftliche Frage des Ab-
Im übrigen darf ich feststellen, daß es erst die Ein- geordnenten Brandt (Grolsheim) (Drucksache VI/1218
führung des neuen Verfahrens möglich gemacht hat, FrageB14):
erstmals seit Jahren für die Kapitalisierung der Trifft es zu, daß ein zur Bundeswehr als Zeit- oder Beruts-
offizier übertretender Leutnant der Reserve mit abgeschlossenem
Kriegsopfergrundrenten mehr Mittel als in der Ver- Studium an einer staatlichen Ingenieurschule in bezug auf seine
Chancen zum Weiterkommen gegenüber den jungen Offizieren
gangenheit bereitzustellen und ohne Anwendung der technischen Truppe, die die Akademie für Maschinenbau in
eines Dringlichkeitskatalogs auszuzahlen. Darmstadt (eine bundeswehreigene Einrichtung) besucht haben,
absolut benachteiligt ist?

Die allgemeinen Laufbahnaussichten für Offiziere,


die als Leutnant der Reserve nach abgeschlossenem
HTL-Studium wieder eingestellt werden oder die
Anlage 20 nach Abschluß ihrer Ausbildung zum Offizier an der
Akademie des Heeres für Maschinenwesen in Darm-
Schriftliche Antwort stadt studieren, sind für beide Personengruppen —
gleiche Eignung vorausgesetzt — grundsätzlich
des Parlamentarischen Staatssekretärs Rohde vom gleich.
7. Oktober 1970 auf die Schriftliche Frage des Ab
Unterschiedlich ist allerdings der Weg bis zur
geordnenten Weigl (Drucksache VI/1218 Frage B 12): Erreichung des Dienstgrades Hauptmann.
Wie soll die von vielen Seiten angeregte Einführung eines
Bildungsurlaubs finanziert werden, wenn die Bundesanstalt für Ein Leutnant der Reserve wird nach Abschluß
Arbeit bei der gegenüber dem Landesverband Bauern der Deut-
schen Kolpingsfamilie abgegebenen Stellungnahme bleiben
seines Studiums an einer Staatlichen Ingenieur-
sollte, wonach „eine ins Gewicht fallende zusätzliche Belastung schule regelmäßig mit seinem Reservedienstgrad
der Bundesanstalt für Arbeit angesichts ihrer gegenwärtigen und
absehbaren Haushaltslage nicht in Frage kommen dürfte"? wieder in die Bundeswehr eingestellt. Er wird in
der Regel bei Eignung nach einem Jahr zum Ober-
Die Bundesregierung hat die Absicht, dem Deut- leunant und nach 5 Offizierdienstjahren zum Haupt-
schen Bundestag einen Gesetzentwurf vorzulegen, mann befördert. Bei besonders qualifizierten Offizie-
der eine bezahlte Freistellung der Arbeitnehmer ren kann die Mindestdienstzeit für die Beförderung
für die Teilnahme an Bildungsveranstaltungen vor- zum Hauptmann durch Ausnahmegenehmigung wei-
sieht. Der Gesetzentwurf wird z. Z. in meinem Hause ter verkürzt werden. Das auf eigene Kosten abge-
vorbereitet. Dabei ist an eine Freistellung der Ar- schlossene Studium wird besoldungsmäßig dadurch
beitnehmer gedacht, die vom Arbeitgeber zu be- gewürdigt, daß dieser Offizier bis zum Dienstgrad
zahlen ist. Hieraus ergibt sich, daß eine Finanzie- Hauptmann einschließlich eine Technikerzulage
rung durch die Bundesanstalt nicht in Frage kommt. gegenwärtig DM 62,— pro Monat — erhält.
3968 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970

Der Offizier der Technischen Truppe hingegen, der fungstermins die aufgetretenen Schwierigkeiten hät-
nach Abschluß seiner Ausbildung zum Offizier- an der ten vermieden werden können. Der Wehrpflichtige
Akademie des Heeres für Maschinenwesen in Darm- hat im übrigen inzwischen Klage beim Verwaltungs-
stadt studiert, wird regelmäßig frühestens ab 2 1 /2 gericht Neustadt/Weinstr. erhoben. Das Gericht hat
Jahre nach seiner Ernennung zum Leutnant zum die aufschiebende Wirkung der Klage bis längstens
Oberleutnant und frühestens ab 5 1 /2 Jahre Offizier- 31. 12. 1970 angeordnet. Der Wehrpflichtige brauchte
dienstzeit zum Hauptmann befördert. Er erhält keine daher seinen Dienst am 1. 10. 1970 nicht anzutreten.
Technikerzulage, da er auf Kosten der Bundeswehr
studiert.
Die Befürchtung, daß ein wiedereingestellter
Leutnant der Reserve mit abgeschlossenem Studium Anlage 24
an einer Staatlichen Ingenieurschule gegenüber den
an der Akademie in Darmstadt ausgebildeten Offi- Schriftliche Antwort
zieren absolut benachteiligt ist, erscheint mir nicht
begründet. Eine vollkommene Angleichung der Be- des Parlamentarischen Staatssekretärs Westphal
förderungsabläufe ist allerdings nach der zur Zeit vom 6. Oktober 1970 auf die Schriftliche Frage des
gültigen Soldatenlaufbahnverordnung nicht möglich. Abgeordneten Burger (Drucksache VI/ 1218 Frage
Diese Frage wird aber im Zusammenhang mit den B 16) :
Überlegungen für eine neue Personalstruktur ge- Wie beurteilt die Bundesregierung die Aufklärungsserie des
ZDF für die Kleinen „Das Wunder des Lebens", die von Sexo
prüft. logen und nach Meinung der Bundeszentrale fur gesundheit-
liche Aufklärung einen Rückfall bedeute und nicht modern sei?

An der Gestaltung der neuen Fernsehserie des


Zweiten Deutschen Fernsehens „Das Wunder des
Lebens" hat die Bundesregierung oder eine ihr
Anlage 23 nachgeordnete Behörde nicht mitgewirkt. Die in
einer Programmzeitschrift für die Zeit vom 19. bis
Schriftliche Antwort 25. September 1970 veröffentlichte Stellungnahme,
auf die auch andere Pressemeldungen zurückzufüh-
des Parlamentarischen Staatssekretärs Berkhan vom
ren sind, wurde in freier Mitarbeit für die Redak-
7. Oktober 1970 auf die Schriftliche Frage des Abge-
tion der Zeitschrift geschrieben und gibt die per-
ordneten Brandt (Grolsheim) (Drucksache VI/ 1218
sönliche Meinung der Autorin wieder. Sie ist nicht
Frage B 15) :
als amtliche Äußerung der Bundeszentrale für ge-
Ist es im Sinne der Bundesregierung, wenn das Kreiswehr-
ersatzamt Mainz einen Wehrpflichtigen mitten aus einem vier- sundheitliche Aufklärung zu werten, auch wenn die
monatigen Kursus an der Finanzschule Edenkoben heraus zum
1. Oktober einberuft, weil der Ausbildungsabschnitt noch nicht
Verfasserin hauptberuflich Mitarbeiterin dieser mir
weitgehend gefördert sei, obwohl die Zurückstellung um drei nachgeordneten Bundesanstalt ist.
Monate das Problem hätte lösen können?
Die Bundesregierung sieht sich weder durch die
Das Wehrpflichtgesetz läßt eine Zurückstellung Äußerung der genannten Mitarbeiterin der Bundes-
vom Wehrdienst aus Ausbildungsgründen nur dann zentrale für gesundheitliche Aufklärung noch aus
zu, wenn durch die Einberufung ein bereits weit- anderem Grund veranlaßt, eine wertende Beurtei-
gehend geförderter Ausbildungsabschnitt unterbro- lung der Sendung abzugeben.
chen würde. Weitgehende Förderung ist nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erst
gegeben, wenn mindestens ein Drittel der für den
Ausbildungsabschnitt erforderlichen Zeit zurückge-
legt ist. Anlage 25

Der Wehrpflichtige Klaus Corell aus Worms, um Schriftliche Antwort


dessen Einberufung es hier geht, befindet sich seit
dem 1. 8. 1970 im dreijährigen Vorbereitungsdienst des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom
als Finanzanwärter. Im Rahmen dieses Vorberei- 7. Oktober 1970 auf die Schriftlichen Fragen des
tungsdienstes nimmt er seit 27. 8. 1970 an einem Abgeordneten Storm (Drucksachen VI/1218 Fragen
Einführungslehrgang an der Finanzschule Edenko- B 17 und 18):
ben teil. Der bis Ende Dezember 1970 dauernde Kann die Bundesregierung Auskunft geben, wann die Bundes-
straße 501 im Streckenabschnitt Augustenhof-Grube ausgebaut
Lehrgang ist kein selbständiger Ausbildungsab- sein wird mit dem Ziel, den dort bestehenden Engpaß zu besei-
schnitt im Sinne der Zurückstellungsvorschriften, tigen und somit eine Entlastungsstraße für die Europastraße 4
im Bereich des Abschnittes (Neustadt [Holst.]) und Heiligen-
sondern Bestandteil des Vorbereitungsdienstes. Die- hafen zu schaffen, um so auch die erhebliche Unfallhäufigkeit
auf diesem Streckenabschnitt zu senken?
ser Ausbildungsabschnitt könnte erst nach Ablauf
Kann die Bundesregierung Auskunft geben, wann der Ausbau
eines Jahres, also frühestens am 1. 8. 1971, als weit- der Bundesstraße 76 im Streckenabschnitt Kiel-Raisdorf in An-
gehend gefördert angesehen werden. griff genommen wird, und hält die Bundesregierung einen vier-
spurigen Ausbau für ausreichend oder ist sie mit mir der Meinung,
daß diese Strecke sechsspurig ausgebaut werden müßte, um den
Bei dieser Sachlage war eine Zurückstellung des täglichen Berufsverkehr flüssig abwickeln zu können?
Wehrpflichtigen nicht möglich. Die Entscheidung des
Kreiswehrersatzamtes Mainz entspricht der Rechts- Der Ausbau der Bundesstraße 501 im Abschnitt
lage. Trotzdem bin ich der Auffassung, daß auch Augustenhof-Grube wird zur Zeit vorbereitet. Die
hier, wie es in derartigen Fällen sonst üblich ist, Entwurfsunterlagen sind fertig und auf dem Wege
durch eine kurzfristige Verschiebung des Einberu- zum Bundesverkehrsministerium. Das Planfeststel-
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970 3969

lungsverfahren wird voraussichtlich 1971 abgeschlos- Unfallpunktkarte dar, die der Bundesminister für
sen werden können. Angesichts der erheblichen Verkehr in den „Richtlinien für die örtliche Unter-
-
finanziellen Anforderungen von solchen Baumaß- suchung der Straßenverkehrsunfälle" vom 4. Mai
nahmen, die bis zu den olympischen Segelregatten 1957 (StV 1 — 15 St/57) den Bundesländern durch
im August 1972 fertiggestellt werden sollen, muß den Straßenverkehrssicherheitsausschuß zur An-
es einstweilen offenbleiben, ob die finanziellen wendung empfohlen hatte.
Voraussetzungen zum Bau im Jahre 1972 gegeben Das Bayerische Staatsministerium des Innern hat
sein werden. aufgrund der guten Ergebnisse dieser Erprobung
Der Streckenabschnitt Neustadt—Heiligenhafen die Führung der Unfall-Typen-Steckkarte durch
der B 207/E 4, dessen 4spuriger Ausbau im Bedarfs- Entschließung vom 7. Februar 1969 — veröffentlicht
plan zu dem als Gesetzentwurf vorliegenden „ Aus- im Ministerialblatt der bayerischen inneren Ver-
bauplan für die Bundesfernstraßen in den Jahren waltung vom 5. März 1969 S. 67 ff. — angeordnet.
1971-85" von Neustadt bis Oldenburg in 1. Dring- Um diese Unfalltypensteckkarte handelt es sich
lichkeit vorgesehen ist, weist nach den eingeholten auch in Baden-Württemberg, wie eine Nachfrage
Auskünften keine überdurchschnittliche Unfallhäu- ergeben hat.
figkeit auf.
Die Unfalltypensteckkarten haben gegenüber den
Die Bundesstraße 76 wird zwischen der Stadt- Unfallpunktkarten den Vorteil, daß aus den Steck-
grenze Kiel und Raisdorf ausgebaut werden, sobald karten auch die Unfallursachen eines Straßenver-
die Bauarbeiten an der B 76 im Stadtgebiet Kiel kehrsunfalles (z. B. Auffahrunfall beim Abbiegen)
zwischen dem Ostring und der Stadtgrenze östlich abgelesen werden kann. Die Verwendung der Un-
Elmschenhagen beendet sind. Auf diese Weise wird falltypensteckkarte hat noch deutlicher als dies bis-
eine übermäßige Beeinträchtigung des Verkehrs auf her bekannt war, gezeigt, daß insbesondere durch
diesem Streckenabschnitt vermieden. Die Stadt Kiel straßenbauliche Maßnahmen Verbesserungen des
beabsichtigt, den 4spurigen Ausbau der B 76 inner- Unfallgeschehens sowohl auf den Bundesautobah-
halb des Stadtgebietes 1972 fertigzustellen. nen als auch auf den anderen Straßen erreicht wer-
Die umfangreichen Untersuchungen zum „Ausbau- den können.
plan für die Bundesfernstraßen in den Jahren 1971 Im übrigen hat eine Rückfrage beim Innenministe-
bis 1985" haben für die B 76 zwischen Kiel und Rais- rium Baden-Württemberg ergeben, daß das Unfall-
dorf ergeben, daß hier eine 4spurige Straße den geschehen an der Anschlußstelle Stuttgart-Flughafen
aufkommenden Verkehrsmengen genügen wird. Ein nicht mehr und nicht weniger Unfälle aufzuweisen
6spuriger Querschnitt ist danach nicht gerechtfertigt. hat, als an anderen Anschlußstellen im Raum Stutt-
gart.
Die Frage des Baues einer Verzögerungsspur an
der Bundesautobahn-Anschlußstelle Stuttgart-Flug-
hafen wird von der Auftragsverwaltung geprüft.
Anlage 26 Dabei muß in die Überlegungen die geplante Erwei-
terung des Flughafens und die damit verbundene
Schriftliche Antwort Verlegung der Autobahn in diesem Bereich einbe-
zogen werden.
des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom
7. Oktober 1970 auf die Schriftlichen Fragen des Im Augenblick läßt es sich nicht übersehen, bis
Abgeordneten Dr. Hauff (Drucksache VI/1218 Fra- wann die laufenden Untersuchungen zum Abschluß
gen B 19 und 20) : gebracht werden können.
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die Autobahnpolizei
Nordwürttemberg eine neue Unfalltypenstreckenkarte der Öffent-
lichkeit vorgeführt hat und in dieser die Anschlußstelle Stutt-
gart-Flughafen zu den gelährlichsten Autobahnabschnitten ge-
zählt wird?
Ist die Bundesregierung bereit, den Vorstellungen der Auto- Anlage 27
bahnpolizei zu entsprechen und raschmöglichst den Bau einer
sogenannten Verzögerungsspur zu veranlassen?
Schriftliche Antwort
Der Bundesregierung war nicht bekannt, daß die
Autobahnpolizei Nordwürttemberg eine neue Un des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom
falltypensteckkarte (nicht Unfalltypenstreckenkarte) 7. Oktober 1970 auf die Schriftlichen Fragen des Ab
der Öffentlichkeit vorgeführt hat. geordneten Dr. Schmitt-Vockenhausen (Drucksache
Der Bundesminister für Verkehr hat aber dem VI/1218 Fragen B 21 und 22) :
Bayerischen Staatsministerium des Innern (über Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Arbeiten
an der neuen B 44 im Kreis Groß Gerau — nicht zuletzt im Hin-
das Kuratorium „Wir und die Straße" e. V. — jetzt blick auf die zahlreichen Ortsdurchfahrten und schienengleichen
Bahnübergänge — zu beschleunigen?
Deutscher Verkehrssicherheitsrat e. V.) aus For-
Wie steht es mit den Fertigstellungsterminen nach dem heuti-
schungsmitteln seines Hauses einen Zuschuß für die gen Stand?
Erprobung und Ausgestaltung einer Unfalltypen-
steckkarte, die vom Verband der Haftpflicht-, Unfall- Außer dem bereits laufenden Bauvorhaben zur
und Kraftverkehrs-Versicherer e. V. (HUK-Vbd.) Beseitigung des schienengleichen Bahnüberganges
entwickelt wurde, in Höhe von 30 000,— DM am in der Ortsdurchfahrt Groß Gerau, das 1972 fertig-
21. November 1968 zur Verfügung gestellt. Diese gestellt wird, sind zur Verbesserung der Verkehrs-
Unfalltypensteckkarte stellt eine Erweiterung der verhältnisse der B 44 im Kreise Groß Gerau in den
3970 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970

Jahren 1972 bis 1973 der Bau der Umgehungen in dieser Woche zwei Menschen getötet und vier weitere ver-
letzt wurden, noch vor dem erst für das Frühjahr 1972 vorge-
Wolfskehlen und Goddelau vorgesehen. Hierdurch sehenen Abschluß des Versuchsprogramms zur Erprobung von
-
werden zugleich die schienengleichen Bahnüber- Wildschutzzäunen wirkungsvoller zu erfüllen als durch das
Aufstellen von Warnzeichen mit der Aufschrift „Wildwechsel",
gänge der B 44 bei Wolfskehlen und Stockstadt aus- um einer weiteren Gefährdung von Menschen und Tier zu be-
gegnen?
geschaltet.
Für den geplanten 2bahnigen Ausbau der B 44 Die Bundesregierung läßt zur Zeit die Frage ei-
zwischen Zeppelinheim und Mörfelden ist infolge ner Unfallhäufung an der Bundesstraße 8 im Raume
der Vielzahl der sehr dringenden Bauvorhaben die Königstein-Glashütten und die näheren Umstände,
Finanzierung im ersten Fünfjahresplan (1971 bis die zu dem erwähnten Unfall geführt haben, prü-
1975) des Ausbauplanes der Bundesfernstraßen lei- fen. Sie ist bereit, zu den Warnzeichen mit der Auf-
der nicht möglich. schrift „Wildwechsel" weitergehende Maßnahmen
zu ergreifen, wenn sich herausstellt, daß in dem
Im übrigen sind alle Ortsdurchfahrten und freien Streckenabschnitt eine besondere Gefährdung des
Strecken im Zuge der B 44 im Kreise Groß Gerau Verkehrs durch Wild vorliegt und wenn die Frage
der Verkehrsbedeutung entsprechend ausgebaut. der Unterhaltung etwaiger Zusatzanlagen durch die
jagdinteressierten Stellen zufriedenstellend Bere-
gelt werden kann.

Anlage 28

Schriftliche Antwort
Anlage 30
des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom
Schriftliche Antwort
7. Oktober 1970 auf die Schriftliche Frage des Ab-
geordneten Dasch (Drucksache VI/1218 Frage B 23) : des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom
Treffen die Befürchtungen der Stadt Burghausen zu, daß die 7. Oktober 1970 auf die Schriftliche Frage des Ab-
Deutsche Bundesbahn entgegen den mehrfach gegebenen Zusiche-
rungen, den Neubau des Bahnhofsempfangsgebäudes in Burg- geordneten Dasch (Drucksache VI/1218 Frage B 25) :
hausen 1970 noch nicht beginnt?
Bis zu welchem Jahr ist mit dem Beginn der Bauarbeiten bei
den im Ausbauplan vorgesehenen Bundesautobahnstrecken Mün-
Wie mir die Deutsche Bundesbahn mitteilt, ist sie chen—Mühldorf Passau und Regensburg—Landshut—Traunstein
zwar grundsätzlich der Auffassung, daß das Bahn- zu rechnen?

hofsempfangsgebäude in Burghausen erneuerungs- Im Bedarfsplan für den Ausbauplan der Bundes-


bedürftig ist, wegen der noch nicht abgeschlossenen fernstraßen (1971-1985) ist die Autobahnstrecke
Planungen kann jedoch 1970 mit dem Neubau nicht München—Mühldorf mit Fortsetzung als Bundes-
mehr begonnen werden. straße 12 bis Passau in die 2. Dringlichkeit und die
Die Gründe liegen vor allem darin, daß in den Autobahnstrecke Regensburg—Traunstein in die
bisherigen Planungen folgende Sachverhalte noch 3. Dringlichkeit eingestuft worden. Der Baubeginn
nicht eine entsprechende Berücksichtigung gefunden dieser Bundesfernstraßen ist daher zur Zeit noch
haben: In geringem Abstand vom Empfangsgebäude nicht abzusehen.
soll eine Straßenüberführung die Bahnanlagen
queren, die Gleisanlagen bedürfen wegen der
Außerbetriebsetzung des bisherigen Anschlusses
der Wackerwerke im Bahnhofsbereich einer Ver-
änderung und die Entscheidung darüber, ob Burg- Anlage 31
hausen Stückgutbahnhof sein soll, beeinflußt die Schriftliche Antwort
zum Komplex des Empfangsgebäudes gehörenden
Güterverkehrsanlagen. des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom
Die Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn 7. Oktober 1970 auf die Schriftlichen Fragen des
hat die Bundesbahndirektion München beauftragt, Abgeordneten Rock (Drucksache VI/1218 Fragen B 26
die noch ausstehenden Planungen bald zum Ab- und 27) :
schluß zu bringen. Sie hat die Stadt Burghausen Ist der Bundesregierung bekannt, daß beim Posttelegrafenamt
in Braunschweig die personelle Besetzung so schwach ist, daß
über die Angelegenheit schriftlich unterrichtet. über Stunden die Aufnahme telegrafisch durchzugebender Tele-
gramme unmöglich wird und der Telegrafendienst über den
Fernsprecher nicht erreichbar ist?
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um dem offensicht-
lichen personellen Notstand im Telegrammdienst des Postamtes
Braunschweig abzuhelfen?

Anlage 29
Die personelle Besetzung der Haupttelegrafen-
Schriftliche Antwort stelle Braunschweig ist in vollem Umfang den Ver-
kehrsbedürfnissen angepaßt. Ein personeller Not-
des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom stand im Telegrammdienst besteht nicht. Die Er-
b
7. Oktober 1970 auf die Schriftliche Frage des A reichbarkeit der fernmündlichen Telegrammauf-
geordneten Kiep (Drucksache VI/1218 Frage B 24) : nahme Braunschweig ist bisher von keiner Seite be-
Ist die Bundesregierung bereit, ihre Verkehrssicherungsptlicht anstandet worden. Es muß daher angenommen wer-
an der Bundesfernstraße B 8 im Bereich zwischen Königstein und den, daß die vorgetragene lange Wartezeit auf einem
Glashütten im Taunus, in dem es in letzter Zeit zu einer Häu-
fung von Zusammenstößen mit Wild gekommen ist, und wobei Mangel beruht, der als Einzelfall aufgetreten ist.
Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970 3971

Zu besonderen Maßnahmen besteht bei dieser Anstelle eines Betriebsausflugs und unter Inan-
Sachlage kein Anlaß. spruchnahme des Wochenendes unternehmen die
-
Angehörigen des Bundesministeriums für Städtebau
und Wohnungswesen eine Studienfahrt nach Bre-
men.
Sie werden in Bremen Neubauviertel und Sanie-
Anlage 32 rungsgebiete kennenlernen, insbesondere die Neue
Vahr, Blockdiek, Oberneuland, Neu-Schwachhausen
Schriftliche Antwort und die westliche Vorstadt. Außerdem lernen die
BMSt-Reisenden historische Stätten der Bremer
des Parlamentarischen Staatssekretärs Börner vom Innenstadt — Rathaus, Schnoor, Böttchergasse —
7. Oktober 1970 auf die Schriftlichen Fragen des und den Bremer Hafen kennen. Die meisten Teil-
Abgeordneten Unertl (Drucksache VI/1218 Fragen B nehmer der Studienfahrt haben sich für einen Ab-
28 und 29) : stecher nach Helgoland entschlossen, wo — neben
Treffen Pressemitteilungen zu, daß nach den Plänen der
vorn Bundesminister für das Post- und Fernmeldewesen einge-
den Annehmlichkeiten der Nordseeinsel — spe-
setzten zentralen Projektgruppe für die Neuverteilung des Auf- zielle Schwierigkeiten des Wohnungsbaus in der
gabenbereichs der Deutschen Bundespost die Auflösung der
Oberpostdirektion Regensburg geplant sei? Ausnahmesituation einer extremen Insellage stu-
Ist es richtig, daß die Oberpostdirektion Regensburg deswegen diert werden sollen.
aufgelöst werden soll, weil sie die von der Projektgruppe fest-
gesetzte Mindestgröße nicht erreichte und demnach das Gebiet
Niederbayern der Oberpostdirektion München und das Gebiet
Oberpfalz der Oberpostdirektion Nürnberg zugeteilt werden
soll?

Die Pressemitteilungen, wonach die Auflösung Anlage 34


der Oberpostdirektion Regensburg geplant sei, sind
unzutreffend. Die von Ihnen erwähnte Zentrale Pro- Schriftliche Antwort
jektgruppe hat sich bisher mit der Frage der regio-
nalen Neugliederung der Oberpostdirektionsbezirke des Parlamentarischen Staatssekretärs Herold vom
nicht beschäftigt. Damit erübrigt sich die Beantwor- 5. Oktober 1970 auf die Schriftlichen Fragen des
tung der zweiten Frage. Abgeordneten Benda (Drucksache VI/ 1218 Fragen
B 31 und 32) :
Sofort nach Erscheinen der unrichtigen Zeitungs-
Wieviel Fälle sind der Bundesregierung seit dem Sommer 1967
meldungen wurden Presse und Postpersonal darüber bekanntgeworden, in denen Reisende aus der Bundesrepublik
unterrichtet, daß keine Pläne für eine Auflösung der Deutschland, die früher ihren Wohnsitz in Mitteldeutschland
hatten, bei Reisen in osteuropäische Länder von den dortigen
Oberpostdirektion Regensburg bestehen. Behörden wegen „Republikflucht" und sonstiger angeblicher
Straftaten (Boykotthetze, Sabotage u. ä.) festgenommen und an
die Behörden der „DDR" ausgeliefert worden sind?
In wieviel derartigen Fällen konnte die Bundesregierung die
Freilassung der Verhafteten und ihre Rückkehr in die Bundes-
republik erreichen?

Anlage 33 Seit dem Sommer 1967 sind der Bundesregierung


vier Fälle namentlich bekanntgeworden, bei denen
Schriftliche Antwort ehemalige DDR-Flüchtlinge anläßlich einer Reise in
ein osteuropäisches Land aus den von Ihnen ge-
des Parlamentarischen Staatssekretärs Ravens vom nannten Gründen festgenommen und an die DDR
7. Oktober 1970 auf die Schriftliche Frage des Abge ausgeliefert worden sind. Alle Festnahmen erfolgten
ordneten Erpenbeck (Drucksache VI/ 1218 Frage B 30) : in Ungarn.
Trifft es zu, daß das Bundesministerium für Städtebau und In einem Fall ist eine im Jahre 1960 aus der DDR
Wohnungswesen vom 25. bis zum 27. Juni 1970 einen Betriebs-
ausflug nach Bremen und Helgoland veranstaltet hat, der weit- geflüchtete Frau anläßlich einer Reise nach Ungarn
gehend von der „Neuen Heimat" finanziert worden ist?
im Juli 1967 festgenommen, an die DDR ausgeliefert
Auf Anregung des Personalrats haben die Mit- und im Januar 1968 wegen angeblicher Spionage für
arbeiter des Bundesministeriums für Städtebau und den französischen Geheimdienst zu einer Zuchthaus-
Wohnungswesen unter Inanspruchnahme eines strafe von drei Jahren und zehn Monaten verurteilt
worden. Nach ihrer vorzeitigen Entlassung aus der
freien Wochenendes anstelle eines Betriebsausflu-
Strafhaft konnte die betreffende Person im August
ges in diesem Jahr eine Studienfahrt in der Zeit
1968indasBuegbtzrückhn.
vom 25. bis zum 27. Juni 1970 nach Bremen durch-
geführt. Die Vorbereitung und Durchführung dieser In einem weiteren Fall wurde ein Flüchtling, des-
Studienfahrt lag beim Personalrat. sen Fluchtdatum aus der DDR unbekannt ist, im
August 1968 in Ungarn festgenommen und wegen
Die Unkosten für die Studienfahrt wurden weit- Beihilfe zu einer in Ungarn versuchten Flucht zu
gehend von den Mitarbeitern selbst sowie aus einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt,
Haushaltsmitteln des Titels „Gemeinschaftsveran- nach deren Verbüßung er an die DDR ausgeliefert
staltungen" getragen. wurde. Dort wurde er im Oktober 1969 wegen an-
Zur weiteren Unterrichtung füge ich Kopie der geblicher Spionage zu 15 Jahren Freiheitsstrafe ver-
am 24. Juni 1970 durch mein Haus herausgegebenen urteilt, die er z. Z. noch verbüßt.
Pressemitteilung bei. In dem dritten Fall wurde eine im Jahre 1968 aus
BMSt — Studienfahrt nach Bremen der DDR geflohene Person im Frühjahr 1969 in Un-
3972 Deutscher Bundestag — 6. Wahlperiode — 71. Sitzung. Bonn, Freitag, den 9. Oktober 1970

garn wegen dort versuchter Beihilfe zur Flucht fest- Anlage 35


genommen und nach Verbüßung einer Strafe an die
Schriftliche Antwort
DDR ausgeliefert. Hier wurde er wegen seiner
eignen Flucht im September 1970 zu einer Freiheits- des Parlamentarischen Staatssekretärs Dr. von Doh-
strafe von 2 1 /2 Jahren verurteilt, die er z. Z. noch nanyi vom 6. Oktober 1970 auf die Schriftliche Frage
verbüßt. des Abgeordneten Haase (Kassel) (Drucksache
In einem weiteren Fall wurde ein ehemaliger An- VI/ 1218 Frage B 33) :
gehöriger der „Nationalen Volksarmee", der im In welcher Höhe beabsichtigt die Bundesregierung, von den
im Rahmen des Bundeshaushaltsplanes für das Haushaltsjahr
Oktober 1962 in Uniform und mit Waffen aus der 1971 beantragten Investitionsmitteln für die wissenschaftlichen
DDR geflüchtet war, im Juni 1969 in Ungarn festge- Hochschulen Bundeszuschüsse für Planung, Grunderwerb, äußere
Erschließung und Ausbau der Gesamthochschule Kassel zur Ver-
nommen und an die DDR ausgeliefert. Hier wurde er fügung zu stellen?
im November 1969 zu einer Freiheitsstrafe von 5
Voraussetzung für die Mitfinanzierung der Hoch-
Jahren wegen Spionage und anderer Delikte ver- schulneugründung Kassel im Rahmen der Gemein-
urteilt. Im August 1970 erfolgte die Entlassung in
schaftsaufgabe durch den Bund ist zunächst die Auf-
die DDR.
nahme der Hochschule durch Rechtsverordnung der
In dem zuletzt genannten Fall war der betreffende Bundesregierung in das Verzeichnis nach § 4 Abs. 2
Flüchtling im Jahre 1968 unbehelligt nach Ungarn Hochschulbauförderungsgesetz. Das Verfahren ist
gereist ; möglicherweise ist den dortigen Behörden bereits eingeleitet. Der Wissenschaftsrat hat eine im
damals nicht aufgefallen, daß er von der DDR Grundsatz positive Empfehlung ausgesprochen. Es
gesucht wurde. kann damit gerechnet werden, daß das Hochschul-
verzeichnis für 1971 u. a. um die Hochschule Kassel
Von den vier in Betracht kommenden Personen ergänzt wird.
wurden zwei in Ungarn zunächst festgenommen, Bisher ist der Bundesregierung nicht bekannt, in
weil sie dort versucht hatten, anderen Bewohnern welcher Höhe das Land Hessen für das Haushalts-
der DDR zur Flucht zu verhelfen. Nach Verbüßung jahr 1971 Bundesmittel für den Ausbau der Gesamt-
ihrer Strafe wegen Verstoßes gegen die ungarischen hochschule Kassel beantragen wird. Zu den Inve-
Gesetze wurden sie an die DDR ausgeliefert. Den stitionsvorhaben muß dann der Wissenschaftsrat im
beiden anderen Personen wurden, soweit hier be- Rahmen seiner Jahresempfehlung 1971 noch im ein-
kanntgeworden ist, keine Verstöße gegen ungari- zelnen Stellung nehmen.
sche Gesetze zur Last gelegt, jedoch handelt es sich
in dem einen Fall um angebliche Spionage und in Die Bundesregierung hat im Entwurf des Bundes-
dem anderen Fall um einen ehemaligen Angehöri- haushaltsplans für das Haushaltsjahr 1971 Vorsorge
gen der „NVA", der 1962 in Uniform und mit Waf- getroffen, ihrer Verpflichtung zur hälftigen Mitfinan-
fen geflüchtet ist. In beiden Fällen handelt es sich zierung der Hochschulbauvorhaben nachkommen zu
also nicht um „typische" Flüchtlinge aus der DDR. können. Neben dem Ansatz des Hochschulbautitels
3103/882 01 von 1 020 Mio DM werden, wie der Bun-
Der Bundesregierung ist seit dem Sommer 1967 desfinanzminister bei der Einbringung des Bundes-
kein Fall bekanntgeworden, bei dem ein ehemaliger haushalts 1971 am 23. 9. 1970 vor dem Deutschen
Flüchtling anläßlich einer Reise in ein osteuro- Bundestag erklärt hat, darüber hinaus erforderliche
päisches Land von den dortigen Behörden lediglich Bundesmittel aus dem Aufkommen der Bundes-
aufgrund seiner früheren Flucht aus der DDR fest- anleihe für Bildungszwecke finanziert; ein entspre-
genommen und an die Behörden der DDR ausge- chender Zusatztitel 3103/882 02 ist in den Haushalt
liefert worden wäre. eingestellt.

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