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D eutscher Bundestag

13. Sitzung

Bonn, den 31. Januar 1962

Inhalt:

Nachruf auf den Abg. Meyer 335 A Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen:
Jubiläumszuwendungen an Beamte
Die Abg. Glombig und Busch treten in den
Höcherl, Bundesminister 337 C, D, 338 A
Bundestag ein 350 B
Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 337 C, D
Zusammenstellung der über- und außer- Brück (CDU/CSU) 337 D
planmäßigen Haushaltsausgaben im drit-
Ritzel (SPD) . . . . . . . . 338 A
ten Vierteljahr des Rechnungsjahres 1961
(Drucksache IV/140) . . . . . . . . 350 C
Fragen des Abg. Dr. Dollinger:
Fragestunde (Drucksache IV/148) Steuerliche Selbstveranlagung
Frage des Abg. Dr. Mommer: Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . 338 B, D,
339 A
Anstellungsverhältnis der Presserefe-
renten des Auswärtigen Dienstes Dr. Besold (CDU/CSU) . . . . . 338 C
Dr. Carstens, Staatssekretär . . . 335 D, Dr. Koch (SPD) 338 D
336 A, B, C
Dr. Mommer (SPD) 336 A Fragen des Abg. Dr. Stecker:

Ritzel (SPD) 336 B Kursmünzen


Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . 339 A, B
Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Gewandt (CDU/CSU) 339 B
Kommission betr. Fragen der politi-
schen Bildung Frage des Abg. Dröscher:
Höcherl, Bundesminister 336 C, D, 337 A Grundsteuervergünstigung für Woh-
nungen von Angehörigen der Statio-
Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . 336 C, D nierungsstreitkräfte
Dr. Schäfer (SPD) 336 D Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . 339 C, D,
Dr. Frede (SPD) . . . . . . . 337 A 340 A, B, C, D, 341 A
Dröscher (SPD) 339 D
Frage des Abg. Schmitt-Vockenhausen: Wittrock (SPD) . . . . . . . 340 A
Laufbahnen des Polizeivollzugsdienstes Dr. Brecht (SPD) 340 B, C
Höcherl, Bundesminister . . . 337 A, B Schmitt-Vockenhausen (SPD) . 340 D,
Schmitt-Vockenhausen (SPD) . . . 337 B 341 A
II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962

Frage des Abg. Dr. Mommer: Frage des Abg. Ritzel:


Entschädigung für in den Vereinigten Schutz für Taxifahrer
Staaten beschlagnahmtes deutsches Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister
Privatvermögen 346 B, C, D
Dr. Hettlage, Staatssekretär 341 A, B, C, D, Ritzel (SPD) . . . . . . . . 346 C, D
342 C
Memmel (CDU/CSU) 346 D
Dr. Mommer (SPD) 341 B
Ritzel (SPD) . . . . . . . . 341 C Frage des Abg. Felder:
Dr. Kohut (FDP) . . . . 341 D, 342 A Bau der Großschiffahrtsstraße Rhein-
Main—Donau
Dr. Carstens, Staatssekretär . . 342 A, B
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister
Dr. Schäfer (SPD) 342 B
347 A, B, C
Jahn (SPD) 342 C Felder (SPD) . . . . . . . . 347 B
Bauer (Würzburg) (SPD) . . . . . 347 C
Frage des Abg. Dröscher:
Randgemeinden der Truppenübungs- Frage des Abg. Felder:
plätze Kanalbau Nürnberg-Regensburg
Dr. Hettlage, Staatssekretär . . . . 342 D, Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 347 D
343 A, B
Dröscher (SPD) 343 A, B Frage des Abg. Felder:
Autobahn Frankfurt—Nürnberg
Frage des Abg. Blumenfeld: Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister 348 A, B
Indonesische Staatsgesellschaften und Felder (SPD) . . . . . . . . . 348 B
deutscher Außenhandel
Dr. Westrick, Staatssekretär . . . 343 C, Frage des Abg. Schmidt (Kempten) :
344 A Ü berbreite landwirtschaftliche Maschi-
Blumenfeld (CDU/CSU) 343 D, 344 A nen im Straßenverkehr
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister .
Fragen des Abg. Murr: 348 B, C, D
Vereinbarungen in Brüssel über Tabak Schmidt (Kempten) (FDP) . . . . 348 C, D
und Hopfen
Schwarz, Bundesminister . . . . . 344 B Fragen des Abg. Dr. Kohut:
Gepäckabfertigung und Fahrkartenver-
Murr (FDP) . . . . . . . . 344 C
kauf am Bahnhof Langen (Hessen)
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister . 348 D,
Frage des Abg. Sander: 349 A
Schutzimpfung gegen die Maul- und
Frage des Abg. Ritzel:
Klauenseuche
Fernsprechanschlüsse in den Rasthäu-
Schwarz, Bundesminister . 344 D : 345 A
sern an den Bundesautobahnen
Sander (FDP) . . . . . . . . . 344 D
Stücklen, Bundesminister . . . . 349 C

Frage des Abg. Müller (Worms): Ritzel (SPD) . . . . . . . . 349 C, D

Angestelltenrente des Rentners Hirsch


Frage des Abg. Ritzel:
aus Osthofen
Depots mit Blutplasma in Autobahn-
Dr. Claussen, Staatssekretär . . 345 B, C
raststätten
Matthöfer (SPD) 345 C
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundes-
minister .......... 349 D
Frage des Abg. Schmidt (Kempten) :
Stellenangebote deutscher Firmen in Frage des Abg. Gewandt:
österreichischen Zeitungen Verkauf von Arzneimitteln im freien
Dr. Claussen, Staatssekretär . . 345 D, Verkehr
346 A, B Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundes-
Schmidt (Kempten) (FDP) . . . . 346 A minister . . . . . . . . . 350 A, B
Dr. Kohut (FDP) 346 B Gewandt (CDU/CSU) . . . . . . 350 B
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 III

Aussprache über die Erklärung der Bundes- Lücker (München) (CDU/CSU) . . 394 A
regierung Schwarz, Bundesminister 399 C
Dr. von Brentano (CDU/CSU) . . 350 C
Antrag betr. Vorlage eines Berichtes wegen
Birkelbach (SPD) 354 B
Belastung mit lohnbezogenen Abgaben
Freiherr von Kühlmann-Stumm (FDP) 360 D (CDU/CSU, FDP), (Drucksache IV/134)
Struve (CDU/CSU) 366 C Dr. Dahlgrün (FDP) 402 B
Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) . . 371 C Burgemeister (CDU/CSU) . . . 403 A
Ertl (FDP) 376 C Lange (Essen) (SPD) 403 C
Bauer (Wasserburg) (CDU/CSU) . 381 C
Nächste Sitzung 404 C
Frau Strobel (SPD) 384 C
Mauk (FDP) . . . . . . . . 391 B Anlagen 405
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13. Sitzung

Bonn, den 31. Januar 1962

verbunden ist. Bei dem Bundesverwaltungsamt wurden in kurzer


Stenographischer Bericht Zeit Tausende mehr oder weniger substantiierter Anträge aus
allen Teilen der Welt eingebracht, die erfaßt und gesichtet wer-
den mußten. Da ausreichende Beweisunterlagen meist fehlen, ist
Beginn: 9.00 Uhr es zunächst notwendig, die erforderlichen Ermittlungen anzustel-
len. Die Hauptschwierigkeit besteht jedoch darin, daß die Fest-
stellung eines Gesundheitsschadens im Sinne dse Art. 1 des
Abkommens vom 5. 10. 1960 nur auf Grund eines ärztlichen Gut-
Vizepräsident Dr. Dehler: Die Sitzung 'ist achtens erfolgen kann. Die meisten Antragsteller haben ihren
Wohnsitz im Ausland, so daß die ärztliche Untersuchung durch
eröffnet. die Vertrauensärzte der deutschen Auslandsvertretungen vor-
genommen werden muß. Hierdurch entsteht ein Zeitverlust, der
Meine Damen und Herren, leider nicht vermieden werden kann. Die geschilderte Ermitt-
lungsarbeit sowie die Anforderung der vertrauensärztlichen Gut-
(die Abgeordneten erheben sich) achten ist vom Bundesverwaltungsamt in der Zwischenzeit aufge-
nommen worden. Die zuständigen Bundesressorts werden alle
Anstrengungen unternehmen, um auf dieser Grundlage eine be-
am 29. Januar 1962 verstarb nach langer schwerer schleunigte Abwicklung der Anträge sicherzustellen.
Krankheit unser Kollege Phillipp Meyer aus
Oppertshofen. Er wird heute in Oppertshofen bei- Wir treten in die Tagesordnung ein und beginnen
gesetzt. mit der
Herr Kollege Phillipp Meyer wurde am 29. März Fragestunde (Drucksache IV/148).
1896 in Auhausen in Mittelfranken geboren. Er er- Ich rufe zunächst die Frage des Herrn Abgeord-
lernte das Müllerhandwerk, war im ersten Welt- neten Dr. Mommer auf, die den Geschäftsbereich
krieg Soldat und übernahm später den Betrieb einer des Auswärtigen Amts betrifft:
Mühle und die Bewirtschaftung eines Bauernhofes. Weiß die Bundesregierung von der Gefahr, daß manche der
Er war Kreishandwerksmeister, Vorstandsmitglied Pressereferenten in den diplomatischen Vertretungen der Bundes-
republik wegen der Unsicherheit in ihrem Anstellungsverhältnis
des Bayerischen Müllerbundes und Kreisvorstands- wieder aus dem Bundesdienst ausscheiden möchten?
mitglied des Bayerischen Bauernverbandes. Er war
Herr Staatssekretär, bitte!
Mitglied der Landessynode der Evangelischen Kirche
in Bayern. Nach dem zweiten Weltkrieg schloß er
sich der Christlich-Sozialen Union an. Dem Deut- Dr. Carstens, Staatssekretär dies Auswärtigen
schen Bundestag gehörte er seit 1953 an. Er vertrat Amts: Ich darf die Frage des Herrn Abgeordneten
den Wahlkreis Donauwörth. Er war Mitglied des Dr. Mommer wie folgt beantworten.
Ausschusses für Mittelstandsfragen und des Aus- Die Pressereferenten des Auswärtigen Dienstes
schusses für Heimatvertriebene. werden zur Zeit mit einem auf drei Jahre befriste-
Ich spreche der Fraktion der CDU/CSU und den ten Vertrag angestellt. Die Befristung der Verträge
Angehörigen des verstorbenen Kollegen unser herz- ist im Jahre 1959 eingeführt worden, nachdem erst-
liches Beileid aus. Wir werden dem Verstorbenen mals eine größere Zahl von Stellen für den Ausbau
ein dauerndes ehrendes Gedenken bewahren. — der Öffentlichkeitsarbeit im Ausland bewilligt wor-
Meine Damen und Herren, Sie haben sich zu Ehren den war, von denen ein großer Teil auf Missionen
des Verstorbenen von den Plätzen erhoben. Ich in tropischen Ländern entfällt. Die Befristung —
danke Ihnen. ursprünglich ein Jahr, später drei Jahre — ent-
spricht den Bedürfnissen des Dienstes. Sie gibt die
Meine Damen und Herren, zu der in der Frage- Möglichkeit, die weitere Entwicklung der Öffent-
stunde der 12. Sitzung des Deutschen Bundestages lichkeitsarbeit abzuwarten; sie erlaubt insbesondere
am 24. Januar 1962 gestellten Frage des Abgeord- auch, sich von Mitarbeitern zu trennen, die sich für
neten Dr. Böhm (Frankfurt) Nr. III/2 ist inzwischen ein dauerndes Dienstverhältnis als nicht geeignet
die schriftliche Antwort des Herrn Staatssekretärs erweisen.
Dr. Hettlage vom 24. Januar 1962 eingegangen. Sie
lautet: Es ist vorgesehen, nach Ablauf der Vertragsdauer
das Dienstverhältnis auf unbestimmte Zeit zu ver-
Es trifft zu, daß das Bundesverwaltungsamt bis zum Ende des
Jahres 1961 erst einen Bescheid über die Entschädigung von längern, sofern nicht besondere Umstände im Ein-
Nationalgeschädigten erlassen hat. Die Gründe hierfür liegen
auf personellem rund sachlichem Gebiet. zelfall dem entgegenstehen. Das Auswärtige Amt
Die zuständige Abteilung des Bundesverwaltungsamts mußte hat bisher nur in wenigen Ausnahmefällen davon
im Laufe des vorigen Jahres völlig neu aufgebaut werden. Da Gebrauch gemacht, das Dienstverhältnis nach Ab-
alle fachkundigen Kräfte bei den Ländern, die das Bundesent-
schädigungsgesetz durchführen, fest angestellt sind, bedurfte es lauf der Vertragsdauer nicht zu verlängern. Bisher
langwieriger Verhandlungen, um geeignetes Personal für die
neue Wiedergutmachungsbehörde zu gewinnen. ist noch kein Pressereferent wegen der Unsicherheit
In sachlicher Hinsicht hat sich die bereits von den Ländern in seinem Arbeitsverhältnis wieder aus dem Bun-
gemachte Erfahrung bestätigt, daß gerade der Aufbau von Wie-
dergutmachungsbehörden mti besonderen Anlaufschwierigkeiten desdienst ausgeschieden.
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Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Mommer, eine Zusatzfrage! Amts: Es handelt sich um einige wenige Ausnahme-
fälle, Herrr Abgeordneter, so daß ich den Prozent-
Dr. Mommer (SPD) : Herr Staatssekretär, ist satz kaum angeben kann.
Ihnen nicht bekannt, daß trotz der Versicherung, die
Sie abgeben, Unruhe bei manchen dieser Referenten Vizepräsident Dr. Dehler: Danke, Herr
deswegen besteht, weil die kurze Zeit zwar den Be- Staatssekretär.
dürfnissen des Dienstes entspricht, die Referenten Wir kommen nun zu den Fragen aus dem Ge-
aber sich in einer gewissen Unsicherheit darüber schäftsbereich des Bundesministers' des Innern, zu-
befinden, ob nun das Dienstverhältnis verlängert nächst zur Frage II/1 — des Herrn Abgeordneten
wird oder nicht, und daß sie deswegen geneigt sind, Schmitt-Vockenhausen — :

in ihre frühere Stelle zurückzukehren, daß sie je-


denfalls diesen Gedanken erwägen? Wie oft ist die von der Bundesregierung eingesetzte Kommis-
sion zur Beratung in Fragen der politischen Bildung der deut-
schen Jugend bisher zusammengetreten?

Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen Bitte, Herr Minister.


Amts: Herr Abgeordneter, den Pressereferenten ist
bekannt, daß in der ganz überwiegenden Mehrzahl Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich darf
der Fälle das Dienstverhältnis in ein dauerndes die Frage wie folgt beantworten. Die Kommission
Dienstverhältnis umgewandelt werden wird, und in zur Beratung der Bundesregierung in Fragen der
den wenigen Fällen, in denen das nicht beabsichtigt politischen Bildung — und zwar nicht nur der poli-
ist, ist das auch den Betreffenden bekannt. tischen Bildung der Jugend — hat bisher insgesamt
sechs Sitzungen abgehalten. Einer konstituierenden
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Zu- Sitzung im Dezember 1960 folgten zwei Arbeitssit-
satzfrage! zungen der Kommission sowie drei Sitzungen der
inzwischen gebildeten Unterkommissionen.
Dr. Mommer (SPD) : Darf ich weiter fragen, ob
Sie in der Lage sind, wenigstens, sagen wir, nach Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage!
einem Jahr des Dienstverhältnisses den Betreffen-
den schon zu sagen, wie es sich voraussichtlich ent- Schmitt-Vockenhausen (SPD) : In welcher Form
wickeln wird? werden die Arbeitsergebnisse der Kommission der
Öffentlichkeit mitgeteilt?
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen
Amts: Ich möchte glauben, daß vielleicht nach Ab- Höcherl, Bundesminister des Innern: Die
lauf eines Jahres eine solche Entscheidung schwer Arbeitsergebnisse der Kommission werden nicht der
zu fällen sein wird. Ganz sicher aber wird sie recht- Öffentlichkeit mitgeteilt. Es handelt sich um ein un-
zeitig vor Ablauf der Dreijahresfrist getroffen wer- abhängiges Professorenkollegium, das sich seine
den können, so daß dem Betreffenden in jedem Fall Aufgaben selbständig stellt und das den Bericht nur
die Möglichkeit bleibt, sich auf eine Fortsetzung an das Bundesinnenministerium zu geben hat. Der
oder auf eine andere Tätigkeit einzustellen. Abschlußbericht ist bisher noch nicht erstattet wor-
den.
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Ritzel! Vizepräsident Dr. Dehler: Eine zweite Zusatz-
frage des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhau-
sen.
Ritzel (SPD) : Darf ich fragen, Herr Staatssekre-
tär, welche etwa unterschiedlichen Erfahrungen das
Schmitt-Vockenhausen (SPD) : In welcher Form
Auswärtige Amt in bezug auf die Wirksamkeit der
werden dann der Bundestag bzw auch die Länder,
beamteten und der lediglich angestellten Vertreter
die an diesen Arbeitsergebnissen sehr interessiert
dieser Art gemacht hat?
sind, von Ihnen Nachricht erhalten?

Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen Höcherl, Bundesminister des Innern: In jeder
Amts: Ich glaube sagen zu können, Herr Abgeord- gewünschten Form.
neter, daß sich aus der Tatsache, daß einige Presse-
referenten im Beamten- und andere im Angestell-
tenverhältnis stehen, keine unterschiedlichen Erfah-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
rungen ergeben haben. des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer!

Dr. Schäfer (SPD) : Bis wann kann damit gerech-


Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter net werden, Herr Minister, daß der Bundestag oder
Ritzel zu einer weiteren Frage! die Länder von einem gewissen Abschlußergebnis
dieser Arbeiten unterichtet werden?
Ritzel (SPD) : Wie hoch schätzen Sie, Herr Staats-
sekretär, den Prozentsatz derjenigen Angestellten, Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Kol-
die sich als ungeeignet erwiesen haben? lege, ich habe schon darauf hingewiesen, daß es sich
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Bundesinnenminister Höcherl
um eine autonome Einrichtung handelt. Ich habe die An uns liegt es also nicht. Wenn die Anhörung er-
Herren in den nächsten Tagen bei mir und werde, folgt ist, können die Verordnungen, wie ich an-
weil offenbar großes Interesse besteht, darauf drin- nehme, noch im März erlassen werden.
gen — ohne Verletzung dieser Autonomie —, daß
mir möglichst bald ein Abschlußbericht vorgelegt Vizepräsident Dr. Dehler: Wir kommen zur
wird. Frage II/3 — des Herrn Abgeordneten Schmitt-
Vockenhausen — :

Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage Wann wird die Bundesregierung die Rechtsverordnung über
des Herrn Abgeordneten Dr. Frede. die Jubiläumszuwendungen erlassen, die Beamten gemäß § 80 a
des Bundesbeamtengesetzes bei Dienstjubiläen gewährt werden
können?
Dr. Frede (SPD): Herr Minister, kann man erfah- Bitte, Herr Minister!
ren, welche besondere Aufgabe die Unterkommis-
sion hat?
Höcherl, Bundesminister des Innern: Die Ver-
ordnung über die Gewährung von Jubiläumszuwen-
Höcherl, Bundesminister des Innern: Das Kol- dungen an Beamte und Richter des Bundes wird
legium hat sich bisher vor allem mit der Tätigkeit
voraussichtlich im Laufe der nächsten Wochen er-
der Bundeszentrale für Heimatdienst und des Insti-
lassen. Sie soll rückwirkend auf den 1. Oktober
tuts für Zeitgeschichte befaßt. Es stellt sich, wie ge-
1961 in Kraft gesetzt werden. Der Entwurf der Ver-
sagt, selbst die Themen, ohne daß ich eine Möglich-
ordnung ist bereits mit den Spitzenorganisationen
keit hätte, außer mit Anregungen verbindlich darauf
der Gewerkschaften besprochen worden. Über we-
einzuwirken.
nige noch offene Fragen soll in einer Ressortbespre-
chung Anfang Februar Einigung erzielt werden.
Vizepräsident Dr. Dehler: Wir kommen zur
Frage II/2 — des Herrn Abgeordneten Schmitt-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
Vockenhausen —
des Herrn Abgeordneten Schmitt-Vockenhausen!
:

Wann wird die Bundesregierung die Rechtsverordnung gemäß


§ 3 Abs. 2 des Bundespolizeibeamtengesetzes vom 19. Juli 1960
mit den näheren Bestimmungen über die Laufbahnen des Polizei- Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Bedauern Sie
vollzugsdienstes erlassen?
nicht mit mir, Herr Minister, daß es nicht möglich
war, diese Verordnung wenigstens zum 1. Januar
Höcherl, Bundesminister dies Innern: Ich darf zu verkünden?
die Frage wie folgt beantworten:
Auf Grund des § 3 Abs. 2 des Bundespolizei- Höcherl, Bundesminister dies Innern: Ja, ich
beamtengesetzes vom 19. Juli 1960 muß die Bundes- bedaure es mit Ihnen. Aber es sind noch zwei ent-
regierung zwei Rechtsverordnungen erlassen: 1. für scheidende Fragen offen, die gelöst werden müssen.
die Laufbahnen des Polizeivollzugsdienstes im Bun- Sie sind auch nicht ohne finanzielle Auswirkungen.
desgrenzschutz und im Bundesministerium des In-
nern und 2. für die Laufbahnen des Polizeivollzugs- Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Zu-
dienstes im Bundeskriminalamt, im Bundesministe- satzfrage!
rium des Innern und in der Verwaltung des Deut-
schen Bundestages. Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Nachdem bei der
Die Vorbereitungen der Verordnungen stehen vor Verabschiedung der Novelle im letzten Jahr dem
dem Abschluß. Beide Verordnungen werden den Ministerium aber der Grundsatz klar war, frage ich,
Spitzenorganisationen der Gewerkschaften auf Herr Minister: Wäre es nicht richtiger gewesen, die
Grund des § 94 des Bundesbeamtengesetzes in Vorarbeiten so zu beschleunigen, daß die Beamten-
Kürze zugehen. Sobald sie mit den Gewerkschaften schaft nicht erst auf sehr lange Zeit rückwirkend
erörtert worden sind, können die Verordnungen er- von dieser Verordnung Kenntnis erhält?
lassen werden.
Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Kol-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage! lege, wir haben im allgemeinen den Grundsatz,
möglichts wenig rückwirkend zu bestimmen. Wenn
Schmitt-Vockenhausen (SPD:) Glauben Sie wir hier eine Ausnahme machen, sündigen wir
nicht, Herr Minister, daß bei allem Verständnis für eigentlich gegen diesen Grundsatz. Ich glaube aber,
die Schwierigkeiten des Vorbereitungsganges doch es ist eine mittlere Linie, wenn wir den Zeitraum
eine gewisse Beschleunigung bei diesen beiden Ver- für die Rückwirkung vorsehen, den ich Ihnen mit-
ordnungen notwendig wäre? geteilt habe.

Höcherl, Bundesminister des Innern: Herr Kol- Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
lege, ich habe schon mitgeteilt, daß sie unmittelbar des Herrn Abgeordneten Brück!
vor dem Abschluß stehen. Ich nehme an, daß die
Gewerkschaften sehr rasch auf den Vorschlag ant- Brück (CDU/CSU) : Herr Bundesminister, darf ich
worten werden. Es war schwierig, mit anderen Sie in diesem Zusammenhang fragen, ob daran ge-
Häusern zu einer Verständigung zu gelangen, weil dacht ist, nunmehr auch die neuen Unterstützungs-
ja wesentliche finanzielle Interessen berührt sind. richtlinien bald bekanntzugeben? Oder sind noch
338 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962

Brück
umfangreiche Überlegungen anzustellen, so daß sich zu gegebener Zeit dem Finanzausschuß des Bundes-
auch diese Bekanntgabe noch verzögert? tages über die endgültigen Erfahrungen mit diesen
Versuchen berichten.
Höcherl, Bundesminister des Innern: Es sind in Es ist nicht ausgeschlossen, daß die Versuche
diesem Falle umfangreiche Überlegungen angestellt einer Selbstberechnung der Steuer — man muß von
worden. Die Richtlinien sind in Bearbeitung und der Selbstberechnung sprechen; „Selbstveran-
werden demnächst verkündet. lagung" wäre das falsche Wort — durch den Ausbau
des elektronischen Rechnens und Arbeitens über-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage holt werden. Auch auf diesem Gebiete sind Ver-
des Herrn Abgeordneten Ritzel! suche eingeleitet. Wenn die Steuer elektronisch er-
rechnet werden kann, wäre eine Berechnung durch
Ritzel (SPD) : Herr Minister, wie verhält es sich den Steuerpflichtigen selbst nicht mehr erforderlich.
mit der Bewertung der Tatsache, daß die Frist für Wann man auf diesem Gebiet zu gewissen Erfah-
das Inkrafttreten im Gesetz selbst festgelegt ist? rungen kommt, steht noch aus. Bei der Kompliziert-
heit unseres Steuerrechts ist es selbst bei elektro-
nischen Maschinen nicht ganz einfach, ein einwand-
Höcherl, Bundesminister des Innern: Ich kann freies Verfahren zu entwickeln.
auf die Frage im Augenblick keine Antwort geben.
Ich darf Sie bitten, die Antwort schriftlich entgegen- Ich möchte diese Antwort in der Fragestunde da-
zunehmen. zu benutzen, zu versichern, daß die Bundesfinanz-
verwaltung im engen Einvernehmen mit den Län-
Vizepräsident Dr. Dehler: Wir kommen nun- derfinanzverwaltungen alles Mögliche tut, um den
mehr zu den Fragen aus dem Geschäftsbereich des Fortschritt der modernen Technik auch dem Steuer-
Bundesministers der Finanzen. Ich rufe auf die wesen und der Steuertechnik nutzbar zu machen.
Frage III/1 — des Herrn Abgeordneten Dr. Dollin-
ger, der von Herrn Abgeordneten Dr. Besold ver-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage.
treten wird —:
Welche Erfahrungen hat der Herr Bundesfinanzminister mit der
seinerzeit im Bereich der Oberfinanzdirektion Hannover ver- Dr. Besold (CDU/CSU) : Sind ähnliche Versuche,
suchsweise durchgeführten steuerlichen Selbstveranlagung ge-
macht? wie sie jetzt unternommen worden sind, auch im
Bereich anderer Oberfinzdirektionen noch vorge-
Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini- sehen?
steriums der Finanzen: Herr Abgeordneter, ich bitte,
Ihre beiden Fragen zusammen beantworten zu dür- Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini-
fen. steriums der Finanzen: Nach meinem Wissen sind
sie in Hessen vorgesehen. Wie weit die Arbeit fort-
Vizepräsident Dr. Dehler: Dann rufe ich auch geschritten ist, kann ich Ihnen nicht sagen.
auf die Frage III/2 — des Herrn Abgeordneten Dr.
Dollinger
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
—:

Gedenkt Ader Herr Bundesfinanzminister aus den Erfahrungen,


die bei der im Bereich der Oberfinanzdirektion Hannover ver- des Herrn Abgeordneten Dr. Koch.
suchsweise durchgeführten steuerlichen Selbstveranlagung ge-
macht worden sind, Folgerungen zu ziehen?
Dr. Koch (SPD) : Herr Staatssekretär, würde die
Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini- endgültige Einführung der Selbstberechnung durch
steriums der Finanzen: Es wird nach den Erfahrun- den Steuerpflichtigen nicht voraussetzen, daß we-
gen mit der Selbstberechnung der Einkommensteuer sentliche Vorschriften der Abgabenordnung — etwa
bei zwei Versuchsfinanzämtern im Lande Nieder- §§ 170, 204 — geändert werden müßten?
sachsen gefragt; es sind die Finanzämter in Celle
und in Stadthagen. Endgültige Feststellungen über Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini-
die Bewährung einer Selbstberechnung der Einkom- steriums der Finanzen: Eine allgemeine Selbstbe-
mensteuer können wir Ihnen noch nicht übermitteln, rechnung der Steuer bei den veranlagungspflichti-
weil die Veranlagung des Jahres 1960 abgewartet gen Einkommensteuerpflichtigen würde Anpassun-
werden soll, die bei diesen Finanzämtern etwa im gen im Text der Abgabenordnung und einiger an-
Februar/März dieses Jahres endgültig abgeschlossen derer Gesetze erfordern.
sein soll.
Wir haben diese Versuche im Einvernehmen mit Dr. Koch , (SPD) : Noch reine Frage, Herr Staats-
dem Land Niedersachsen in der Hoffnung gefördert, sekretär. Ich habe einer Mitteilung des Düsseldorfer
daß dadurch ein Beitrag zu einer Vereinfachung der „Handelsblattes" entnommen, daß vor einigen Mo-
Steuererhebung geleistet werden könnte. Die Stel- naten in Ihrem Hause von Ihren Herren ein Bericht
lungnahme der Steuerpflichtigen ist verständlicher- über weitgehende Vereinfachungsmöglichkeiten bei
weise unterschiedlich. Die Stellungnahme der steuer- der Steuer fertiggestellt worden ist. Das „Handels-
beratenden Berufe ist nach unseren Eindrücken blatt" fügte hinzu, es sei offenbar nicht beabsichtigt,
überwiegend negativ und die Stellungnahme der diesen Bericht der Öffentlichkeit zugänglich zu ma-
Finanzämter ist überwiegend positiv. Wir werden chen. Stimmt das in dieser Form?
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 339

Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini- nicht den Bedürfnissen des Zahlungsverkehrs nach
steriums der Finanzen: Es handelt sich um eine Auf- hinreichender Unterscheidbarkeit. Vorläufig ist nicht
zeichnung der Arbeitsergebnisse des bekannten beabsichtigt, ein neues Zweimarkstück zu prägen.
Ausschusses für Steuervereinfachung zum Ende der
vergangenen Wahlperiode. Damit die bis dahin ge- Vizepräsident Dr. Dehler: Frage 5 — des
leisteten Arbeiten nicht wirkungslos blieben und in Herrn Abgeordneten Dröscher —:

der neuen Legislaturperiode gegebenenfalls nicht


Trifft es zu, daß die Bundesregierung ihre nachgeordneten
wieder von vorn begonnen werden müßten, ist eine Stellen angewiesen hat, auch für die zur Unterbringung alliierter
Zwischenaufzeichnung des Arbeitsergebnisses ge- Truppenangehöriger erbauten zahlreichen Mietwohnungen die
seinerzeit für Wohnungen des .sozialen Wohnungsbaues" gesetz-
macht worden. Es handelt sich also nicht um eine lich geschaffene Grundsteuervergünstigung in Anspruch zu neh-
men, und dadurch den betroffenen Gemeinden auf die Dauer von
Denkschrift, die zur öffentlichen Diskussion gestellt 10 Jahren erhebliche Ausfälle entstehen?
werden sollte.
Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini-
Vizepräsident Dr. Dehler: Frage 3 — des steriums der Finanzen: Herr Abgeordneter Dröscher,
Herrn Abgeordneten Dr. Stecker, der von Herrn Ab- die Wohnungen von Angehörigen der Stationie-
geordneten Gewandt vertreten wird —: rungsstreitkräfte sind insoweit von der Grundsteuer
Wann gedenkt die Bundesregierung die Übung, bei besonderen befreit, wie Wohnungen nach dem Ersten und Zwei-
Anlässen Kursmünzen als Gedenkmünzen auszugeben, wie- ten Wohnungsbaugesetz allgemein von der Grund-
deraufzunehmen?
steuer befreit sind. Anders ausgedrückt: die Benut-
zung der Wohnungen durch Angehörige der Statio-
Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini- nierungsstreitkräfte ist kein Grund, der die Grund-
steriums der Finanzen: Ich bitte, die Fragen 3 und 4 steuerfreiheit beeinträchtigt.
zusammen beantworten zu dürfen.
Es war in den vergangenen Jahren vorüberge-
Vizepräsident Dr. Dehler: Frage 4 — des hend streitig, ob die Grundsätze des Ersten und
Herrn Abgeordneten Dr. Stecker —: Zweiten Wohnungsbaugesetzes über die Grund-
steuerbefreiung auch auf Wohnungen von Angehö-
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, die jetzigen Kurs- rigen der Stationierungsstreitkräfte angewendet
münzen zu 5 DM, die von vielen Münzfreunden als nicht schön
empfunden werden, durch Münzen mit einem anderen Prägebild werden müßten.
und die Nickelstücke zu i und 2 DM durch neue Emissionen in
Silber zu ersetzen? Durch höchstrichterliche Entscheidungen, insbe-
sondere durch ein Urteil des Bundesverwaltungsge-
Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini- richts vom 7. Juli 1961, ist bestätigt worden, daß die
sterium der Finanzen: Herr Abgeordneter Dr. Grundsteuerbefreiung unter den Voraussetzungen
Stecker fragt nach der Ausprägung von Gedenkmün- des Ersten und des Zweiten Wohnungsbaugesetzes
zen im Kurswert von 5 DM. Zur Zeit sind bei uns auch für Wohnungen von Angehörigen der Statio-
etwa 100 Millionen Stück Fünfmarkstücke im Um- nierungsstreitkräfte zu gewähren ist.
lauf. Von diesen 100 Millionen Stück sind nur 4 Mil-
lionen Stück Gedenkmünzen, die aus verschiedenen Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage?
Anlässen jeweils mit 1 Million Stück geprägt wor-
den sind. In den letzten Jahren ist das Prägen von Dröscher (SPD) : Herr Staatssekretär, können Sie
besonderen Gedenkmünzen nicht in dem Maße wie sagen, wie hoch die Ausfälle sind, die den Gemein-
in früheren Jahren gepflegt worden. Der Grund liegt den in der Bundesrepublik durch die Anwendung
zum Teil darin, daß die Münzstätten übermäßig be- dieser Bestimmungen auf Wohnungen von Angehö-
lastet sind. Wir haben einen ausgesprochenen rigen der Stationierungsstreitkräfte entstanden sind?
Kleingeldmangel, insbesondere bei den Münzen, die
für die Automaten geeignet sind — mehr als früher.
Sobald die Münzstätten wieder zu einer normalen Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini-
Beschäftigungslage zurückkommen, soll auch die Ge- steriums der Finanzen: Das kann ich Ihnen leider
pflogenheit der Ausprägung -von Gedenkmünzen aus nicht sagen, Herr Abgeordneter. Die Auswirkungen
besonderen Anlässen wieder aufgenommen werden. sind bei den einzelnen Gemeinden naturgemäß sehr
unterschiedlich je nach der Anzahl solcher Wohnun-
gen in der Gemeinde.
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage.
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Zu-
Gewandt (CDU/CSU) : Darf ich eine Zusatzfrage satzfrage!
stellen, Herr Staatssekretär. Ist dann auch beabsich-
tigt, die Zweimarkmünzen eventuell anders zu prä- Dröscher, (SPD) : Warum, Herr Staatssekretär,
gen? Sie wissen, daß es noch heute im täglichen ist bisher keine Absicht erkennbar geworden, ge-
Verkehr mit den Münzen sehr häufig Verwechslun- setzgeberisch initiativ zu werden und diese Bestim-
gen zwischen Fünf- und Zweimarkstücken gibt. mungen, die von den Gemeinden doch als ungerecht
empfunden werden, abzuändern?
Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini-
steriums der Finanzen: Herr Abgeordneter, das Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini-
Zweimarkstück ist eine unglückliche Erfindung. steriums der Finanzen: Diese Bestimmungen wer-
Schon seine heutige Form ist ein Verbesserungsver- den von den Gemeinden vielleicht als ungerecht
such. Aber auch die heutige Form genügt offenbar oder unbillig empfunden. Diese Grundsteuerbe-
340 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962
Staatssekretär Dr. Hettlage
freiung ergibt sich aber aus den internationalen Ab- herauskommen, sondern lediglich der Bund zu
machungen über die Unterbringung der Stationie- Lasten der Gemeinden den Vorteil hat?
rungsstreitkräfte im Zusammenhang mit dem deut-
(Zustimmung bei der SPD.)
schen allgemeinen Grundsteuerrecht.
Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage steriums der Finanzen: Herr Abgeordneter Dr.
des Herrn Abgeordneten Wittrock! Brecht, die Grundsteuerbefreiung trägt selbstver-
ständlich auch zu einer ermäßigten Miete bei. Das
Wittrock (SPD) : Herr Staatssekretär, ist die Bun- ist die Absicht des Ersten und des Zweiten Woh-
desvermögensstelle angehalten worden, die Unter- nungsbaugesetzes gewesen. Aber nach den klaren
lagen über die Belegungsdichte und die Größe der Feststellungen, die anläßlich der Beratung dieser
Wohnungen — bezogen auf den Stichtag — den zu- Gesetze getroffen worden sind, sollte die Grund-
ständigen Behörden schnellstens und genauestens steuerbefreiung nach dem Ersten und auch nach
zur Verfügung zu stellen, weil sich ja daraus die dem Zweiten Wohnungsbaugesetz auch für Woh-
entscheidende Feststellung ergibt, ob die jeweiligen nungen der Stationierungsstreitkräfte gegeben wer-
Wohnungen unter die Bestimmungen über die den. Es liegt im verantwortlichen Ermessen der Sta-
Grundsteuerbefreiung fallen? tionierungsstreitkräfte, ob und inwieweit die Grund-
steuerbefreiung zu einer Mietminderung beiträgt.
Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini-
steriums der Finanzen: Herr Abgeordneter, ich habe Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Zu-
keinen Grund zu der Annahme, daß die Zusammen- satzfrage, Herr Abgeordneter Dr. Brecht!
arbeit zwischen der Bundesbau- und -vermögens-
verwaltung als der Eigentümerin der Wohnungen Dr. Brecht .(SPD) : Glauben Sie wirklich, Herr
und den einzelnen Gemeinden, in denen die Woh- Staatssekretär, daß man die Wohnungen für die
nungen liegen, nicht eng genug sei. Stationierungsstreitkräfte als solche Wohnungen
bezeichnen kann, die nach § 1 des Wohnungsbau-
gesetzes nach Größe, Ausstattung und Miete für die
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Zu-
breiten Schichten des Volkes bestimmt sind?
satzfrage des Herrn Abgeordneten Wittrock!

Wittrock (SPD) : Abgesehen von der Bemerkung, Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini-
steriums der Finanzen: Herr Abgeordneter, der Ge-
daß meine Frage erkennen läßt, daß vielleicht doch
setzgeber selber hat Ihre Frage dadurch beantwor-
ein Anlaß zu dieser Frage besteht, darf ich eine
tet, daß er diese Wohnungen von der Grundsteuer
weitere Zusatzfrage vorbringen. Herr Staatssekre-
befreite, wenn sie nach Größe, Ausstattung und
tär, ist Ihnen bekannt, daß bezüglich der Wohnun-
Wert den allgemeinen Richtlinien entsprechen.
gen für die Angehörigen wirtschaftlicher Betriebe
der Stationierungsstreitkräfte — beispielsweise ist (Abg. Dr. Brecht: Das steht aber gar nicht
AFFEX ein solcher wirtschaftlicher Betrieb — sehr im Gesetz!)
erhebliche Schwierigkeiten bestehen, die Unterlagen
zu erhalten — jedenfalls ist mir das bezüglich der Vizepräsident Dr. Dehler: Zu einer Zusatz-
amerikanischen Stationierungsmacht in Wiesbaden frage Herr Abgeordneter Schmitt Vockenhausen.
-

bekannt —, weil die Stationierungsstreitkräfte auf


dem Standpunkt stehen, diese Wohnungen seien
grundsteuerfrei? Schmitt Vockenhausen (SPD): Herr Staats-
-

sekretär, ist das Finanzministerium bereit, den Ge-


meinden in irgendeiner Form einen Ausgleich für
Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini- den Grundsteuerausfall zu geben, der sich gerade
steriums der Finanzen: Derartige Beobachtungen durch diese sehr extensive Interpretation der Be-
haben wir nicht gemacht. Wenn Sie einen bestimm- stimmung über die Grundsteuerbefreiung für den
ten Anlaß haben, Herr Abgeordneter, werden wir sozialen Wohnungsbau ergibt?
ihn gerne aufklären.
Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini-
Wittrock, (SPD): Betrachten Sie die Frage bitte steriums der Finanzen: Herr Abgeordneter Schmitt-
als Anlaß. Vockenhausen, es handelt sich hier um eine reine
Rechtsfrage. Es wäre unbillig, demjenigen die
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage, Grundsteuer zu erlassen, der sie nach gerichtlichem
Herr Abgeordneter Dr. Brecht! Urteil zu zahlen hat. Das verbietet auch der Respekt
vor der dritten Gewalt.
Dr. Brecht (SPD) : Herr Staatssekretär, sind die (Lachen bei der SPD.)
Bestimmungen über die Grundsteuerbefreiung auf Auf der anderen Seite sind mir Fälle bekannt — ich
10 Jahre nicht deshalb ins Gesetz hineingenommen denke beispielsweise an eine bestimmte Gemeinde
worden, weil man erreichen wollte, daß die Mieter im Hunsrück —, in denen der Grundsteuerausfall
eine entsprechend billigere Miete haben, während eine besondere Bedeutung für die finanzielle Lei-
doch in diesem Falle gar keine billigeren Mieten stungsfähigkeit der Gemeinden hat. In solchen Fäl-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 341
Staatssekretär Dr. Hettlage
len kann im Einzelfall nach den allgemeinen Grund- Ritzel (SPD) : Herr Staatssekretär, ist in dem
sätzen des Abgabenrechts geholfen werden. geplanten Gesetz vorgesehen, -daß — schon aus
finanzpolitischen Gründen — vor allem der Kreis
Schmitt-Vockenhausen (SPD) : Können Sie uns, der Geschädigten vorzugsweise berücksichtigt wer-
nachdem Sie die Notwendigkeit anerkannt haben, den soll, der zu den sogenannten kleinen Leuten
sagen, in welchem Umfange geholfen worden ist? gehört? Ich erinnere an die großen Verluste, die
zahlreiche deutsche Dienstmädchen erlitten haben.
Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini-
steriums der Finanzen: In welchem Umfange gehol- Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini-
fen worden ist, vermag ich nicht zu sagen. steriums der Finanzen: Herr Abgeordneter, nach
dem jetzigen Stand der Beratungen ist eine Grup-
Vizepräsident Dr. Dehler: Frage III/6 — des penbildung der Geschädigten nach der Dringlich-
HernAbgodtMmer—: keit ihrer Ansprüche nicht vorgesehen. Die Rechts-
ansprüche auf Entschädigung, die das Gesetz ge-
Wann ist von seiten der Bundesregierung mit der Vorlage währen will, sind grundsätzlich für alle gleichwer-
eines Gesetzes zu rechnen, das eine Entschädigung des in den
Vereinigten Staaten während des zweiten Weltkrieges beschlag- tig, denen diese Ansprüche zustehen. Für einen be-
nahmten deutschen Privatvermögens vorsieht?
stimmten Personenkreis — nämlich für die älteren
Herr Staatssekretär! Betroffenen — haben wir, wie Ihnen bekannt ist,
vorweg schon eine Regelung getroffen, nach der
Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini- unverzinsliche Darlehen als Vorschüsse auf Ent-
steriums der Finanzen: Herr Abgeordneter Mom- schädigungen nach der künftigen gesetzlichen Rege-
mer, die Regelung der Reparationsschäden ist im lung gegeben werden können, damit diesen Per-
§ 3 Abs. 1 Nr. 2 des Allgemeinen Kriegsfolgengeset- sonen im hohen Alter oder in bedrängter Lebens-
zes einem besonderen Gesetz vorbehalten. Zu die- lage infolge der späten Gesetzgebung keine Nach-
sen Reparationsschäden gehören auch die Schäden, teile entstehen.
die durch den Verlust deutschen Vermögens in den
Vereinigten Staaten im Zusammenhang mit dem Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage
zweiten Weltkrieg entstanden sind. Der Referenten- des Herrn Abgeordneten Ritzel!
entwurf für ein solches Reparationsschädenschluß-
gesetz ist im Bundesfinanzministerium fertiggestellt Ritzel (SPD) : Herr Staatssekretär, denkt die
und wird zur Zeit mit den beteiligten Ressorts er- Bundesregierung daran, bei Gelegenheit von später
örtert. Da über die Grundfragen dieses Gesetzent- noch kommenden Finanzverhandlungen mit den
wurfs zwischen den beteiligten Bundesministerien Vereinigten Staaten — Finanzverhandlungen aus
Einvernehmen besteht und nur noch technische und anderem Anlaß — eine Regelung herbeizuführen,
Formulierungsfragen erörtert werden, rechne ich da- die eine endgültige Beilegung dieser bis jetzt uner-
mit, daß der Gesetzentwurf noch vor den Sommer- ledigten Ansprüche der Bundesrepublik enthält?
ferien im Hohen Hause eingebracht werden kann.
Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusazfrage, steriums der Finanzen: Herr Abgeordneter, Ihre
Herr. Abgeordneter Mommer! Frage fällt in den Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amts. Ich kann sie aus eigener Beobachtung nicht
Dr. Mommer (SPD) : Darf ich fragen, ob die Bun- hinreichend beantworten.
desregierung damit alle Hoffnungen begraben hat,
daß die beschlagnahmten Vermögen in den Ver- Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
einigten Staaten wieder freigegeben werden? des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut!

Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini- Dr. Kohut (FDP) : Wird von der deutschen Bun-
steriums der Finanzen: Die Einbringung dieses Ge- desregierung überhaupt ernsthaft mit der Regierung
setzentwurfs, der neben den Reparationsschäden der Vereinigten Staaten über die Rückgabe des be-
noch sonstige Kriegsschäden umfaßt, hat nichts zu schlagnahmten Vermögens in Amerika verhandelt?
tun mit der Auffassung der Bundesregierung hin-
sichtlich ihrer Rechtsansprüche oder ihrer Wünsche Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini-
um Freigabe des deutschen Vermögens in den Ver- steriums der Finanzen: Auch diese Frage, Herr Ab-
einigten Staaten.
geordneter, gehört in den Geschäftsbereich des Aus-
wärtigen Amts. Nach meiner Unterrichtung wird
Dr. Mommer (SPD) : Herr Staatssekretär, habe ernsthaft verhandelt.
ich richtig verstanden, daß Sie ankündigten, daß
nach dem Gesetz doch eine Entschädigung den Ge-
schädigten der in den Vereinigten Staaten beschlag-
Vizepräsident Dr. Dehler: Ist das Auswärtige
Amt zu einer Antwort bereit? — Sind Sie nicht ge-
nahmten Vermögen gezahlt werden soll?
willt?
Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini- (Abg. Dr. Schäfer: Warum soll denn das
steriums der Finanzen: Ja! Auswärtige Amt nicht antworten? Wir
fragen doch die Bundesregierung!)
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage Herr Staatssekreär wollen Sie die Frage des Herrn
des Herrn Abgeordneten Ritzel! Abgeordneten Kohut beantworten?
342 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962

Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen Jahn (SPD) : Ich wüßte gern — ich weiß nicht,
Amts: Herr Präsident, ich bin gern bereit, die Frage welcher der Herren Staatssekretäre bereit ist, diese
des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut zu beantworten. Frage zu beantworten —, welche Ergebnisse die ge-
Ich kann sagen, daß die Bundesregierung in der Tat wiß unternommenen Bemühungen des Herrn Bun-
Gespräche über die Frage der Rückgabe des deut- deswirtschaftsministers bei seinem kürzlichen Besuch
schen Vermögens in den Vereinigten Staaten wie- in den Vereinigten Staaten gehabt haben.
deraufgenommen hat und daß sie beabsichtigt, diese
Gespräche in den kommenden Monaten mit Nach- (Abg. Schmitt-Vockenhausen: Kaffeesteuer!
druck fortzusetzen. — Heiterkeit.)
(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Das hören Ich sehe mit Interesse die Beratungen auf der Regie-
wir schon seit acht Jahren!) rungsbank. Aber vielleicht kann sich einer der be-
troffenen Herren Staatssekretäre entschließen, die
Dr. Kohut (FDP) : Darf ich fragen, wann die Ge- Frage zu beantworten.
spräche wiederaufgenommen worden sind? Waren
sie überhaupt unterbrochen? Vizepräsident Dr. Dehler: Ist die Regierung
gewillt, die Frage zu beantworten? —
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen (Zuruf von der Regierungsbank: Schriftlich!)
Amts: Es tut mir leid, Herr Abgeordneter, ich habe
die Frage nicht verstanden. Es erfolgt keine Antwort. Eine weitere Frage! Oder
soll erklärt werden, daß eine schriftliche Antwort
Dr. Kohut (FDP) : Sie sagten, die Gespräche .erfolgt? — Es erfolgt keine Antwort!
seien wiederaufgenommen worden. Darf ich fragen, Herr Abgeordneter Jahn, eine weitere Frage!
wann die Gespräche wiederaufgenommen worden
sind und ob sie überhaupt unterbrochen waren? Jahn (SPD) : Ich habe noch eine Frage an den
(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Vor allem, in Herrn Staatssekretär im Bundesfinanzministerium:
welcher Form?) Wie viele der betroffenen Inhaber von Vermögen
in den Vereinigten Staaten von Amerika sind
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen eigentlich in den vergangenen 17 Jahren gestorben?
Amts: Die Gespräche sind Anfang dieses Jahres
wiederaufgenommen worden, nachdem in ihnen zu- Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini-
vor eine Pause eingetreten war. steriums der Finanzen: Herr Abgeordneter, ich würde
Ihre Frage gern beantworten. Ich überlege aber, ob
sie überhaupt beantwortet werden kann.
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer!
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf die
FrageI/7—dsAbonteDröch—:
Dr. Schäfer (SPD) : Herr Staatssekretär, besteht
Sieht die Bundesregierung eine Möglichkeit, den Randgemein-
das Angebot der Vereinigten Staaten, deutsche Ver- den der Truppenübungsplätze einen finanziellen Ausgleich für
mögenswerte bis zu 10 000 Dollar vollkommen frei- die ständigen Mehrkosten der Selbstverwaltung zu verschaffen,
die sich aus der laufenden militärischen Inanspruchnahme der
zugeben, nach wie vor, und welche Stellungnahme öffentlichen Einrichtungen, der häufig wiederkehrenden Bearbei-
nimmt die Bundesregierung heute dazu ein? tung von Schadenersatzanträgen und ähnlicher ungewöhnlicher
Belastung dieser Gemeinden ergeben?
(Abg. Schmitt-Vockenhausen: Im Interesse
der Großen!) Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini-
steriums der Finanzen: Ich beantworte die Frage des
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen Herrn Abgeordneten Dröscher nach einem etwaigen
Amts: Herr Abgeordneter, es handelt sich hier um finanziellen Beitrag des Bundes zu den Verwal-
einen, wie Sie wissen, sehr schwierigen und zu- tungskosten der Gemeinden am Rande von großen
gleich heiklen Komplex unserer Beziehungen zu den Übungsplätzen. Herr Abgeordneter, Grundlage für
Vereinigten Staaten von Amerika. Ich glaube, ich etwaige Finanzleistungen und Finanzhilfen des Bun-
würde dem von uns gemeinsam verfolgten Ziel kei- des an Gemeinden, die durch Maßnahmen des Bun-
nen guten Dienst erweisen, wenn ich die Einzel- des übermäßig belastet sind, wäre der Art. 106
heiten der Pläne der Bundesregierung auf diesem Abs. 7 des Grundgesetzes. Ich brauche ihn nicht zu
Gebiet darlegte. verlesen. Danach würde eine Bundesfinanzhilfe nur
dann an einzelne übermäßig belastete Gemeinden in
Frage kommen, wenn die Mehrausgaben unmittel-
Dr. Schäfer (SPD) : Darf ich dann darum bitten, bar durch die Bundeswehreinrichtungen verursacht
mir diese Frage schriftlich zu beantworten? sind und wenn diese Mehrausgaben der einzelnen
Gemeinde nach ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit
Dr. Carstens, Staatssekretär des Auswärtigen nicht zugemutet werden können. Diese Vorausset-
Amts: Ich bin damit einverstanden, Herr Abgeord- zungen müssen nach dem Wortlaut des Art. 106
neter. Abs. 7 vorliegen.
Für gewisse Folgeeinrichtungen der Gemeinden,
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter insbesondere bei Straßenbauten, Kanalisation, Be-
Jahn, eine Zusatzfrage! leuchtung, vielleicht sogar Schulwesen und derglei-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 343
Staatssekretär Dr. Hettlage
Chen, gibt der Bund heute schon Finanzhilfen. Sie Vizepräsident Dr. Dehler: Danke sehr, Herr
sind im Bundeshaushaltsplan bei Kapitel 1412 in Staatssekretär.
Titel 570 und 571 veranschlagt. Bisher sind daraus
nach meinem Wissen keine laufenden Verwaltungs- Ich rufe auf die Frage aus dem Geschäftsbereich
kosten einer einzelnen Gemeinde ersetzt worden, des Bundesministers für Wirtschaft. Es ist die Frage
weil in der Regel davon ausgegangen werden kann, des Herrn Abgeordneten Blumenfeld:
daß solche Mehrbelastungen an laufenden Verwal- Ist der Bundesregierung bekannt, daß die indonesische Regie-
rung versucht, den Ein- und Verkauf von Waren in der Bundes-
tungskosten im Polizeibereich oder wo sonst von der republik ausschließlich auf deutschem Boden tätigen Staatsge-
Gemeinde selbst aufgebracht werden können; denn sellschaften (Usindo, Central Trading Company CTC, Dharma-
Niaga GmbH) zu übertragen und damit Jahrzehnte alte deutsche
die Gemeinden haben nicht nur Nachteile aus sol- Außenhandelsinteressen zu schädigen?
chen Bundeswehreinrichtungen, daraus entstehen
regelmäßig auch gewisse Vorteile. Wenn in einem Bitte, Herr Staatssekretär!
außerordentlichen Fall tatsächlich die finanzielle
Leistungsfähigkeit der Gemeinde schon nur durch Dr. Westrick: Staatssekretär im Bundesmini-
ihren Verwaltungsmehraufwand beeinträchtigt wer- sterium für Wirtschaft: Die Bundesregierung ist
den sollte, dann würde ausnahmsweise aus den er- über die Tätigkeit der in Ihrer Anfrage, Herr Ab-
wähnten Bundesmitteln geholfen werden können. geordneter, genannten indonesischen Staatsgesell-
schaften unterrichtet. Tendenzen dieser Gesellschaf-
ten, die deutschen Exporteure und Importeure aus-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage zuschalten, sind sowohl mit der indonesischen
des Herrn Abgeordneten Dröscher.
Botschaft als auch in den jüngsten Verhandlungen
einer deutschen Regierungsdelegation mit der indo-
Dröscher (SPD) : Habe ich Sie richtig verstanden, nesischen Regierung in Djakarta erörtert worden.
Herr Staatssekretär, daß es nach Ihrer Meinung da- Ein Vertreter des deutschen Außenhandels war bei
bei bleiben soll, daß es im Normalfall den steuer- diesen Besprechungen beteiligt.
zahlenden Bürgern der Truppenübugsplatz-Randge-
meinden überlassen bleibt, die laufenden Mehr- Die Bundesregierung hat keinen Zweifel darüber
kosten, die durch die Nähe des Truppenübungs- gelassen, daß sie eine Ausschaltung des deutschen
platzes oder die ständige Berührung entstehen, aus Ein- und Ausfuhrhandels nicht hinnehmen kann. In
ihren Steuermitteln gewissermaßen als zusätzlichen dem gemeinsamen Protokoll über die Verhandlun-
Verteidigungsbeitrag zu zahlen? gen in Djakarta hat die indonesische Regierung zu-
gesichert, daß die genannten Gesellschaften in kei-
ner Weise gegen die in der Bundesrepublik gelten-
Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini- den Regelungen für den Handel und die üblichen
steriums der Finanzen: Herr Abgeordneter, in der Handelsformen verstoßen werden. Ferner hat der
Regel werden diese laufenden Mehrkosten der Ge- Generaldirektor der indonesischen Staatshandels-
meinde zugemutet werden können. Nur wenn dies gesellschaften in einem Schreiben an die deutsche
ausnahmsweise nicht der Fall sein sollte, könnte ihr Delegation erklärt, daß die Gesellschaften angewie-
geholfen werden. sen sind, ihre Geschäftstätigkeit im Ausland, also
auch in der Bundesrepublik, nach den internationa-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage! len Handelspraktiken und den Gepflogenheiten und
Bestimmungen des betreffenden Landes auszurich-
Dröscher (SPD) : Darf ich in diesem Zusammen- ten. In dem Schlußprotokoll über diese Verhand-
hang fragen, ob die Absicht besteht — das reicht in lung ist auf den soeben genannten Brief Bezug ge-
dieses Gebiet hinein —, eine Art Verwaltungs- nommen worden.
kostenbeitrag für Arbeitsplätze bei Dienststellen der Die Bundesregierung erwartet, daß die indonesi-
Verteidigungsverwaltung in diesen Gemeinden zu schen Staatshandelsgesellschaften die Geschäfts-
zahlen, ähnlich wie das Bundespost und Bundes- tätigkeit der deutschen Exporteure und Importeure
bahn tun, um somit den betroffenen Gemeinden, künftig nicht mehr beeinträchtigen werden.
deren Bürger ja für die Produktion ausfallen und
keine Gewerbesteuer bringen, zu helfen?
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
Blumenfeld.
Dr. Hettlage, Staatssekretär des Bundesmini-
steriums der Finanzen: Herr Abgeordneter, ein sol- Blumenfeld (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär,
cher Plan besteht nicht. Wohl ist, wie Sie sich er- darf ich mir die Frage erlauben, ob der Passus in
innern werden, am Ende der vergangenen Wahl- dem Brief des General Management Board, der dem
periode ein Gesetzentwurf über die Zahlung von deutschen Delegationsführer während der Verhand-
Verwaltungskostenzuschüssen für bestimmte Be- lungen in Djakarta übergeben wurde und in dem
triebe der Bundeswehr und der Stationierungs- es heißt, daß, wo auch immer, Direktbeziehungen
mächte vorgesehen gewesen. Dieser Gesetzentwurf zwischen den staatlichen Einkaufsgesellschaften
ist aber nicht mehr verabschiedet worden. Auch ist Indonesiens und den Herstellern nach geltendem
dieser Gesetzentwurf nicht in erster Linie durch den Landesrecht zulässig sind und daß die Agenturen
Mehraufwand an Verwaltungskosten gerechtfertigt der staatlichen Handelsgesellschaften Indonesiens
worden, sondern wegen der Befreiung von der Ge- diese Direktbeziehungen pflegen bzw. aufrechterhal-
werbesteuer. Dafür sollte ein Ausgleich gegeben ten werden, nicht in einem gewissen Gegensatz zu
werden. den mündlich abgegebenen und zweifelsohne nicht
344 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962
Blumenfeld
völlig verbindlichen Erklärungen während der Ver- Murr (FDP) : Herr Minister, ist Ihnen bekannt,
handlungen in Djakarta steht? daß der Anbau von Tabak und Hopfen gerade für
kleinbäuerliche Betriebe eine Existenzfrage ist und
Dr. Westrick: Staatssekretär im Bundesmini- was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um diese
sterium für Wirtschaft: Herr Abgeordneter, ich kleinen Existenzen vor dem Ruin zu schützen?
glaube nicht, daß daraus ein Gegensatz zu konstru-
ieren ist. Ich leugne nicht, daß die ganze Wirt- Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land-
schaftsgesetzgebung in Indonesien einen restrik- wirtschaft und Forsten: Herr Kollege Murr, der Bun-
tiven und in die Richtung auf Nationalisierung lau- desregierung, insonderheit dem Landwirtschafts-
fenden Trend zeigt. Aber die Zusicherung, die in ministerium, ist völlig klar, daß es sich hier um
dem von Ihnen soeben angezogenen Brief gegeben Produkte handelt, die für die Ertragslage gewisser
ist, ist in einem der Schlußabsätze dieses Briefes so Kleinbetriebe ausschlaggebend sind. Auf dem Ge-
umfassend formuliert, daß ich meine: wir haben biete des Tabakbaus ist, wie Ihnen bekannt sein
hinsichtlich der Sicherung der Betätigung deutscher dürfte gerade eine Regelung hinsichtlich Flächen-
Exporteure und Importeure erreicht, was in diesen subventionen getroffen worden, die die Schwierig-
Verhandlungen erreicht werden konnte. keiten ausgleichen soll, welche auf dem Gebiete des
Tabakbaus entstanden sind. Auf dem Gebiete des
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage Hopfenbaus sind die Preise, soweit ich im Bilde bin,
des Herrn Abgeordneten Blumenfeld. in diesem Jahr durchaus ausreichend.
Blumenfeld (CDU/CSU) : Herr Staatssekretär, ist
die Bundesregierung bereit, die Entwicklung auch Murr (FDP) : Danke schön.
in Zukunft in derselben Weise zu beobachten, um
insbesondere einem etwa möglichen Strukturwan- Vizepräsident Dr. Dehler: Keine weitere
del in den Beziehungen zwischen den deutschen Frage.
Herstellern und diesen Entwicklungsländern vorzu- Wir kommen zur Frage V/3 des Abgeordneten
beugen, um keine Einseitigkeit aufkommen zu las- Sander:
sen und vor allen Dingen um auch den mittelstän-
dischen Herstellern in Deutschland ihre Wettbe- Ist die Bundesregierung angesichts der gefährlichen Zunahme
der Maul- und Klauenseuche in den Nachbarländern und in der
werbschance zu erhalten? Bundesrepublik bereit, sofort im Interesse umfassender Abwehr-
und Vorbeugungsmaßnahmen die Kosten der Schutzimpfung zur
Hälfte aus Bundesmitteln zu erstatten und mit den Ländern eine
Dr. Westrick: Staatssekretär im Bundesmini- Vereinbarung mit dem Ziel der Übernahme der Restkosten her-
beizuführen?
sterium für Wirtschaft: Die Bundesregierung ist ent-
schlossen, ihre besondere Aufmerksamkeit der Bitte, Herr Minister.
Pflege dieser Geschäftsbeziehungen zu widmen.
Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land-
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke, Herr wirtschaft und Forsten: Ich darf die Frage wie folgt
Staatssekretär. beantworten: Die Bekämpfung der Tierseuchen fällt
Ich rufe auf die Fragen aus dem Geschäftsbereich nach Art. 74 des Grundgesetzes und nach den Vor-
des Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft schriften des Viehseuchengesetzes vom 26. Juni
und Forsten. Ich nehme an, daß die Fragen V/1 und 1909 in den Zuständigkeitsbereich der Länder, die
V/2 zusammen beantwortet werden. Ich rufe daher damit auch für die Regelung des Verfahrens und die
auf die Fragen V/1 und V/2 — des Herrn Abgeord- Aufbringung der entstehenden Kosten verantwort-
neten Murr —: lich sind. Hiernach ist der Bund nicht in der Lage,
von sich aus eine allgemeine Schutzimpfung gegen
Welche Vereinbarungen sind bei den Brüsseler Verhandlungen
über Tabak und Hopfen getroffen worden? die Maul- und Klauenseuche anzuordnen; hierzu sind
Sollen Tabak und Hopfen in das Abschreibungssystem einbe- nur die Länder berechtigt, die — wie ausgeführt —
zogen werden?
für die Kosten aufzukommen haben. Wegen der
In der Drucksache IV/148 hat sich in die Frage übergebietlichen Bedeutung der Maul- und Klauen-
V/2 ein Fehler eingeschlichen. Das Wort „Abschrei- seuche sind im Bundeshaushaltsplan jedoch seit
bungssystem" muß durch das Wort „Abschöpfungs- Jahren Mittel zur Unterstützung von den Ländern
system" ersetzt werden. — Herr Minister! angeordneter Schutzimpfungen gegen diese Seuche
enthalten. Im Haushaltsjahr 1962 sind im Entwurf
Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land- für den Einzelplan 10 Kap. 10 02 Tit. 615 d 2 100 000
wirtschaft und Forsten: Herr Präsident, ich bitte die DM für diesen Zweck vorgesehen. Die Mittel sind
Fragen V/1 und V/2 zusammen beantworten zu dür- als Zuschuß in Höhe von 25 % zu den von den Län-
fen. dern aufgebrachten Kosten bei der Durchführung
Bei den Brüsseler Verhandlungen sind für Tabak von Schutzimpfungen gegen die Maul- und Klauen-
und Hopfen keine Vereinbarungen getroffen wor- seuche bestimmt.
den. Es ist nicht bekannt, ob die Europäische Kom-
mission beabsichtigt, auch für Tabak und Hopfen Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
marktordnende Maßnahmen zu treffen. des Abgeordneten Sander!

Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage Sander (FDP) : Herr Minister, ist Ihnen bekannt,
des Herrn Abgeordneten Murr. daß bei starker Ausweitung dieser Seuche die von
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 345
Sander
der Bundesregierung zur Verfügung gestellten Mit- Matthöfer (SPD) : Wenn das in diesem Fall rich-
tel in Höhe von 2,1 Millionen DM nicht ausreichen? tig ist, Herr Staatssekretär, ist dann die Bundes-
regierung nicht trotzdem der Auffassung, daß die
Darf ich gleich eine weitere Frage an Sie richten:
Härten, die sich in anderen Fällen aus der Beibehal-
Ist die Bundesregierung bereit, bei einem stärkeren
tung der Fristbestimmung ergeben, ungleich schwe-
Seuchengang höhere Mittel frühzeitig zur Verfü-
rer wiegen als die doch verhältnismäßig geringe
gung zu stellen? Mehrarbeit und Mehrbelastung, die für die Renten-
versicherungsträger entsteht, und könnte sich des-
Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land- halb die Bundesregierung, die bis jetzt auf der Bei-
wirtschaft und Forsten: Herr Kollege Sander, bei behaltung der Antragsfrist besteht, nicht doch dazu
stärkerem Seuchengang ist die Bundesregierung zu- entschließen, eine entsprechende Novellierung der
nächst nicht bereit einzugreifen. Sie kann es nicht Rentengesetzgebung zu befürworten?
aus den soeben dargelegten Gründen. Sollten sich
aber Katastrophenfälle einstellen, wird die Bundes- Dr. Claussen, Staatssekretär im Bundesmini-
regierung prüfen, inwieweit sie in der Lage ist, hier sterium für Arbeit und Sozialordnung: Dazu, Herr
weitere Mittel zu geben. Abgeordneter, kann ich auf die Antwort verweisen,
die ich in der vorigen Fragestunde erteilt habe. Zur
Zeit ist nicht beabsichtigt, diese Bestimmung zu än-
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen,
Herr Minister. dern.

Wir kommen dann zu den Fragen aus dem Ge- Vizepräsident Dr. Dehler: Zu einer weiteren
schäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Frage Herr Abgeordneter Matthöfer.
Sozialordnung. Zunächst Frage VI/1 des Abgeord-
neten Müller (Worms) :
Matthöfer (SPD) : Meine Frage ging dahin, ob
Ist der Bundesregierung der Fall des 83jährigen Rentners Hein-
rich Hirsch aus Osthofen bekannt, auf dessen Angestelltenrente
sich die Bundesregierung zur Zeit überhaupt dazu
— Geschäftszeichen IV 5839 H 49 — Beiträge für eine 22jährige entschließen kann, eine entsprechende Novellierung
Versicherungszeit nicht angerechnet worden sind, weil der Ver-
sicherungsträger darauf besteht, daß die Anrechnung dieser zu befürworten.
Beiträge nach einer formalen Vorschrift des Angestelltenversiche-
rungs-Neuregelungsgesetzes (Artikel 2 § 43) bis zum 31. Dezem-
ber 1958 hätte zum zweiten Male beantragt werden müssen? Dr. Claussen, Staatssekretär im Bundesmini-
Herr Abgeordneter Müller (Worms) wird vertre- sterium für Arbeit und Sozialordnung: Wir werden
ten von Herrn Abgeordneten Matthöfer. ja sowieso zu bestimmten Fragen der Rentengesetz-
gebung Änderungsvorlagen einbringen müssen. Ich
Bitte, Herr Staatssekretär. nehme an, daß im Zuge dieser Neuordnung und
Ausgleichung verschiedener Mängel, die das Gesetz
Dr. Claussen, Staatssekretär im Bundesmini- hat, auch eine solche Frage berücksichtigt werden
sterium für Arbeit und Sozialordnung: Ich darf die kann, obwohl ihre praktische Bedeutung nicht be-
Frage wie folgt beantworten: In dem Fall des Rent- sonders hoch zu veranschlagen ist.
ners Hirsch ist es ohne Bedeutung, daß dieser ver-
spätet, nämlich nach dem 31. Dezember 1958, die Vizepräsident Dr. Dehler: Frage VI/2 — des
Überprüfung seiner Rente beantragt hat. Der Rent- Herrn Abgeordneten Schmidt (Kempten) —:

ner würde auch bei rechtzeitigem Antrag nicht mehr Ist der Bundesregierung bekannt, daß österreichische Zeitungen
an Rente erhalten können, als er jetzt bezieht, Abdrucke von Stellenangeboten deutscher Firmen von einer Ge-
nehmigung des zuständigen Landesarbeitsamts abhängig machen
müssen, um eine gerichtliche Bestrafung zu vermeiden?
Die seit dem 1. April 1949 laufende Rente wurde
nach dem Angestelltenversicherungs-Neuregelungs- Herr Staatssekretär!
gesetz zum 1. Januar 1957 pauschal umgestellt. Da-
bei stellte sich heraus, daß die Vervielfältigung des Dr. Claussen, Staatssekretär tim Bundesmini-
bisherigen Steigerungsbetrages mit dem in der An- sterium für Arbeit und Sozialordnung: Der Öster-
lage zum Gesetz bestimmten Faktor eine niedrigere reichische Oberste Gerichtshof hat in einer Entschei-
Rente ergab, als sie vor dem 1. Januar 1957 bezogen dung vom 12. September 1960 festgestellt, daß die
wurde. Deswegen wurde dem Rentner die alte am 20. Mai 1938 in Osterreich eingeführte reichs-
höhere Rente belassen, die durch den vorgeschrie- deutsche Verordnung über Vermittlung, Anwer-
benen Sonderzuschuß von 21 DM monatlich erhöht bung und Verpflichtung von Arbeitnehmern nach
wurde. Die Rentensteigerung aus der nicht anrechen- dem Ausland vom 28. Juni 1935 formell und mate-
baren Versicherungszeit — es sind etwa acht Jahre, riell als österreichisches Recht weiterbesteht. Diese
Herr Abgeordneter, nicht 22 Jahre — würde zusam- Verordnung und die dazu erlassene Anordnung
men mit dem Steigerungsbetrag aus der angerech- vom 8. Januar 1936 bestimmen unter anderem, daß
neten Versicherungszeit den heute ausgezahlten die Vermittlung und Anwerbung von Arbeitneh-
Rentenbetrag nicht erreichen. Infolgedessen hat der mern nach dem Ausland durch Stellenangebote in
Rentner Hirsch infolge des Versäumnisses der An- Zeitungen, Zeitschriften und Stellenlisten der Ge-
tragstellung vor dem 1. Januar 1959 keine Nachteile nehmigung des zuständigen Landesarbeitsamts be-
erlitten. darf. Zuwiderhandlungen gegen diese Bestimmun-
gen sind unter Strafe gestellt.
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage Der Bundesregierung, Herr Abgeordneter, ist be-
des Abgeordneten Matthöfer! kannt, daß das österreichische Bundesministerium
346 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962
Staatssekretär Dr. Claussen
für soziale Verwaltung die österreichischen Landes- aus verschieden liegen, die in Frage kommenden
arbeitsämter im Hinblick auf die angespannte Ar- Schutzeinrichtungen in ihrer Wirkung sehr unter-
beitsmarktlage in Osterreich angewiesen hat, ihre schiedlich beurteilt werden und es jedem Droschken-
Zustimmung zur Veröffentlichung von Stellenange- halter freisteht, die ihm notwendig und geeignet
boten in Zeitungen usw. nur noch zu erteilen, wenn erscheinenden Einrichtungen zum Schutze des Taxi-
nach eingehender Prüfung der Arbeitsmarktlage fahrers zu verwenden.
feststeht, daß durch die Abwanderung der gesuch- Da bei der Häufung der Überfälle in letzter Zeit
ten Arbeitskräfte der österreichischen Wirtschaft jedoch befürchtet werden muß, daß die Taxifahrer
kein Schaden zugefügt wird. mangels eines entsprechenden Schutzes aus Furcht
vor einem Überfall durch ihre Fahrgäste in der
Vizepräsident Dr. Dehler: Zu einer Zusatz- sicheren Führung ihres Fahrzeuges beeinträchtigt
frage Herr Abgeordneter Schmidt. werden, wird bei uns zur Zeit geprüft, ob der Ein-
bau einer geeigneten Schutzeinrichtung, etwa
Schmidt (Kempten) (FDP) : Herr Staatssekretär, einer Trennwand, aus Gründen der Verkehrssicher-
hat die Bundesregierung schon einmal versucht, in heit für alle Droschken vorgeschrieben werden soll.
dieser Hinsicht zu intervenieren, um hier ein Grund- Natürlich verteuert das die Beschaffung und er-
recht des freien Arbeitsplatzwechsels, das auch in schwert eine spätere anderweitige Verwendung der
Osterreich gilt, zu verteidigen? Fahrzeuge.

Dr. Claussen, Staatssekretär im Bundesmini- Ritzel (SPD) : Denken Sie daran, Herr Bundes-
sterium für Arbeit und Sozialordnung: Nein, die- minister, die Einrichtung einer Trennwand nicht nur
selbe Bestimmung gilt ja auch in Deutschland noch fakultativ zu ermöglichen, sondern obligatorisch an-
weiter. zuordnen?

Schmidt (Kempten) (FDP) : Sie wird aber nicht Dr. - Ing. Seebohm, Bundesminister für Ver-
angewandt? kehr: Das wird, wie ich soeben sagte, Herr Kollege
Ritzel, noch einmal geprüft. Die Taxibesitzer selbst
Dr. Claussen, Staatssekretär im Bundesmini- sind nicht für die obligatorische Einführung einer
sterium für Arbeit und Sozialordnung: Wenn auf solchen Trennwand, weil dadurch erhebliche Kosten
Grund von Stellengesuchen Arbeitskräfte ins Aus- entstehen und die Trennwand gewisse Schwierig-
-
land vermittelt werden sollen, muß nach dem Ge keiten bereitet, wenn beispielsweise der dritte Platz
setz über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenver von Fahrgästen mit in Anspruch genommen werden
sicherung die vorherige Zustimmung der Bundes- soll.
anstalt vorliegen.
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage des Abgeordneten Ritzel.
des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut.
Ritzel (SPD) : Stehen Sie, Herr Bundesverkehrs-
Dr. Kohut (FDP) : Herr Staatssekretär, halten Sie minister, mit den zuständigen Länderministerien
dastlicheArbvmungsoplchfür wegen der Abwendung der den Taxifahrern ständig
zeitgemäß? drohenden und ständig steigenden Gefahren in
enger Zusammenarbeit?
Dr. Claussen, Staatssekretär dm Bundesmini-
sterium für Arbeit und Sozialordnung: Ja. Dr. - Ing. Seebohm, Bundesminister für Ver-
kehr: Ja, Herr Kollege, das wird mit den Herren
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen, dauernd besprochen.
Herr Staatssekretär.
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäfts-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Memmel.
bereich des Bundesministers für Verkehr.
Frage VII/1 — des Abgeordneten Ritzel —:
Memmel (CDU/CSU) : Herr Bundesminister,
Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Taxi-
fahrer in der Bundesrepublik gegen Überfälle besser als bisher
glauben Sie nicht, daß allein die Tatsache einer
zu schützen? Debatte in diesem Hause über die Todesstrafe auch
eine heilsame Wirkung haben würde?
Dr. - Ing. Seebohm, Bundesminister für Ver- (Zurufe von der SPD: Hu!)
kehr: Ein voll wirksamer Schutz für den Taxifahrer
ist bisher leider noch nicht entwickelt worden. Mit
Verordnung vom 7. Juli 1960 ist vorgeschrieben, daß Dr. - Ing. Seebohm, Bundesminister für Ver-
Taxen mit vier Türen ausgestattet sein müssen. kehr: Ich glaube kaum, daß eine Debatte über die
Hiermit ist die Voraussetzung für den Einbau einer Todesstrafe jemanden, der bereit ist, wegen weniger
Trennwand geschaffen worden. Von weiteren ge- Mark einen Menschen zu überfallen, daran hindern
setzlichen Maßnahmen auf diesem Gebiet wurde könnte.
bisher abgesehen, da die Verhältnisse nach den (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten
Standorten und dem Einsatz der Droschken durch- in der Mitte.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 347

Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf die sehe nicht ein, warum wir auf dieses Exposé hin
Frage VII/2 — des Abgeordneten Felder —: nun noch wieder mit einer Gegendenkschrift arbei-
Ist der Herr Bundesverkehrsminister bereit, nähere Auskunft
ten sollen. Ich glaube, wir arbeiten lieber an dem
über die wiederholten Verzögerungen zu geben, die eine Einhal- Abschnitt des Kanals.
tung der fest zugesagten Termine beim Bau der Großschiffahrts-
straße Rhein—Main—Donau vereiteln? (Beifall in der Mitte.)
Bitte, Herr Bundesminister.
Vizepräsident Dr. Dehler: Zu einer weiteren
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Ver- Frage Herr Abgeordneter Bauer.
kehr: Bei einem Bauobjekt derartigen Umfanges,
das vor 40 Jahren begonnen wurde und dessen Bauer (Würzburg) (SPD) : Herr Bundesminister,
Durchführung sich sicher über mehr als 50 Jahre ist Ihnen die Äußerung bekanntgeworden, die in
erstrecken wird, können Termine auch für Teilab- der vorigen Woche im Wirtschaftsteil der „Süddeut-
schnitte nur für Zeiträume, nicht aber für feste Daten schen Zeitung" enthalten war und die offensichtlich
in Aussicht genommen werden. Verbindlich zusagen auf eine Äußerung des Herrn bayerischen Staats-
lassen sie sich überhaupt nicht. ministers für Wirtschaft zurückgeht, daß die Errei-
Zahlreiche Faktoren politischer, technischer, kli- chung der Donau, die also die Endphase der Kanali-
matisch-jahreszeitlicher, rechtlicher und finanzieller sierung darstellt, für das Jahr 1975 zu erwarten ist?
Art wirken bei einem derart langfristigen Bauobjekt
auf den Ablauf des genannten Baugeschehens wie Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Ver-
auf das seiner Teilabschnitte ein. Auf die besondere kehr: Das ist mir sehr wohl bekannt. Aber Sie wis-
Abhängigkeit der Wasserbauten von Witterungs- sen, Herr Kollege Bauer, daß wir in allen solchen
einflüssen und auf die Tatsache, daß die Bauarbei- Dingen, wie schon gesagt, nur schätzen können. Wir
ten im Fluß unter Aufrechterhaltung der bisherigen können solche Aussagen nicht mit Sicherheit ma-
Schiffahrt ausgeführt werden müssen, mache ich chen. Ich habe ja schon darauf hingewiesen, welche
besonders aufmerksam. Es war z. B. geplant, den Gründe eine solche Arbeit erschweren können. Das
vollschiffigen Ausbau des Mains bis Bamberg bis spielt ganz besonders für die Strecken eine Rolle,
zur Jahreswende 1961/62 fertigzustellen. Da jedoch die zur Zeit noch nicht in Bau sind.
die Ausbaggerungen des Flußbettes teils durch
Niedrigwasser, teils durch Hochwasser, teils durch Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf die
eine ungünstige Beschaffenheit der auszubaggern- Frage VII/3 des Abgeordneten Felder —:
-
den Flußsohle sich verzögerten, wird die Großschiff Teilt der Herr Bundesverkehrsminister die von Herrn Ober-
bürgermeister Dr. Andreas Urschlechter, Nü rn berg, publizierte
fahrt erst Mitte 62, also einige Monate später als Auffassung des Deutschen Kanal- und Schiffahrtvereins, daß
„angesichts der sich abzeichnenden politischen sind wirtschaftlichen
erwartet, den neuen Hafen Bamberg vollschiffig an- Entwicklung im gesamten europäischen Raum heute nachhaltiger
fahren können. denn je die unverzügliche Inangriffnahme des Kanalbau-Ab-
schnitts Nürnberg—Regensburg gefordert werden muß"?
Mit den Arbeiten auf der Kanalstrecke Bamberg-
Nürnberg wurde 1959 begonnen. Bisher wickelten Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Ver-
sich die Bauarbeiten auf dieser Strecke planmäßig kehr: Es ist wirtschaftlich zweckmäßig, ein Bauob-
ab. Inzwischen hat sich aber h erausgestellt, daß die jekt dieses Umfanges, das, wie die Rhein-Main-
ordnungsmäßige Durchführung der Planfeststel- Donau-Großschiffahrtsstraße, eine Streckenlänge
lungsverfahren, die ja gerade bei Wasserbauvorha- von 764 km hat, seit fast 40 Jahren in Aus-
ben vor Aufnahme der Durchführungsarbeiten abge- führung begriffen ist und sich sicher über mehr
schlossen sein sollen, mehr Zeit erfordert, als ein- als fünf Jahrzehnte Gesamtbauzeit erstrecken
geplant war. Es ist beabsichtigt, den Arbeitsablauf wird, in Abschnitten in der Weise auszuführen,
so durchzuführen, daß der Hafen Nürnberg spä- daß jedes fertiggestellte Teilstück günstige wirt-
testens bis Ende 1969 erreicht wird, wenn keine zur schaftliche Auswirkungen hat. Nach Fertigstel-
Zeit unvorhersehbaren rechtlichen und technischen lung der Main-Kanalisierung von Würzburg bis
Schwierigkeiten eintreten, wenn die Darlehen des Bamberg, die in den Jahren 1948 bis 1962 er-
Bundes und des Landes ab 1963 in der erforderlichen folgte, werden jetzt die Arbeiten auf die Durchfüh-
Höhe zur Verfügung gestellt und rechtzeitig und rung der Kanalstrecke von Bamberg bis Nürnberg
ohne unter globale Kürzungen zu fallen bedient konzentriert, mit denen 1959 begonnen wurde und
werden. die hoffentlich bis 1969 durchgeführt sein werden.
Der Bau der Kanalverbindung zwischen Nürnberg
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordne- und der Donau und der Ausbau der Donau im
ter Felder zu einer Zusatzfrage. Raume Regensburg, zwei weitere Abschnitte des
großen Werkes, sind vorbereitet. Der Baubeginn
Felder (SPD) : Herr Minister, ist Ihnen das Exposé dieser Strecken hängt davon ab, von wann ab dazu
des Herrn Oberbürgermeisters von Nürnberg zu die- die erforderlichen finanziellen Mittel — sowohl sei-
sem Fragenkomplex bekannt, und sind Sie auch tens der Rhein-Donau-AG wie auch Darlehen des
bereit, nach entsprechendem Studium eingehend Bundes und des Landes — zur Verfügung stehen
dazu Stellung zu nehmen? werden. Wenn die Mittel für die Investitionen zum
Ausbau unserer Wasserstraßen nicht entscheidend
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Ver- erhöht werden können, dürfte es erst am Ende der
kehr: Das Exposé ides Herrn Oberbürgermeisters Bauzeit der Strecke Bamberg—Nürnberg möglich
Urschlechter ist mir sehr wohl bekannt. Aber ich sein, mit dem Bau zwischen Nürnberg und Regens-
348 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962

Bundesminister Dr.-Ing. Seebohm


burg zu beginnen. Dagegen wird es sich vielleicht verkehr ein Grenzwert von 3 m, soweit diese Ge-
und hoffentlich ermöglichen lassen, mit dem Bau räte nach dem 1. Juli 1961 in Verkehr gekommen
der erforderlichen weiteren Staustufen in der Donau sind. Sind die neuen Fahrzeuge breiter als dieser
östlich und westlich Regensburg früher zu begin- Grenzwert, dann bedarf es zu ihrem Verkehr auf
nen. Das trifft vor allem für die Arbeiten östlich öffentlichen Straßen einer Ausnahmegenehmigung.
Regensburg zu, die nach Beendigung der Niedrig- Die Verwendung überbreiter Fahrzeuge kann schon
wasserregulierung der Donau aufgenommen wer- seit Jahren von Bedingungen abhängig gemacht
den sollten. werden, soweit dies zum Schutz öffentlicher Interes-
sen des Verkehrs nötig ist. Dazu kann sogar die
Vizepräsident Dr. Dehler: Keine Zusatzfrage. Begleitung durch ein Polizeifahrzeug gehören, doch
kommt dies bei land- und forstwirtschaftlichen Ar-
Dann die Frage VII/4 — des Herrn Abgeordneten beitsgeräten kaum in Frage.
Felder —:
Arbeitsgeräte, die vor dem 1. Juli 1961 bereits im
Ist der Herr Bundesverkehrsminister bereit, alle Maßnahmen
zu treffen, die die zugesicherte Fertigstellung der Autobahn Verkehr waren, unterliegen der neuen Vorschrift
Frankfurt—Nürnberg bis 1964 garantieren? über den Grenzwert von 3 m nicht, doch müssen bei
Bitte, Herr Minister! ungewöhnlich großer Breite die zur Sicherung des
Straßenverkehrs erforderlichen Maßnahmen getrof-
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Ver- fen werden.
kehr: Herr Kollege, es besteht kein Grund zu Be-
fürchtungen, daß die für den Weiterbau der Bundes- Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
autobahn Frankfurt—Nürnberg festgelegten Ter- des Herrn Abgeordneten Schmidt (Kempten) !
mine nicht eingehalten werden könnten. Es ist Vor-
sorge getroffen, daß diese Autobahnverbindung in Schmidt (Kempten) (FDP) : Herr Minister, wie ist
ganzer Länge noch vor Jahresende 1964 dem Ver- eine derartige Verordnung, die eine Belastung dar-
kehr zur Verfügung stehen wird. Von dem guten stellt, mit der notwendigen und immer geforderten
Fortschreiten der technisch besonders schwierigen Rationalisierung und Technisierung der Landwirt-
Arbeiten bei der Umgehung Würzburg habe ich schaft zu vereinbaren?
mich vor wenigen Tagen überzeugt. Alle großen
Bauwerke auf der ganzen Strecke sind im Bau und Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Ver-
gut gefördert. Bis zum Herbst dürfte sich die ge- kehr: Herr Kollege Schmidt, es ist doch so: - selbst
samte Strecke auch im Erdbau in Ausführung befin wenn Sie eine Maschine entwickeln, die für die Ra-
den. Der Abschnitt östlich Höchstadt/Aisch wird bis tionalisierung sehr zweckmäßig ist und die breiter
Juli fertigestellt, und zwar zweibahnig. Auch wei- ist als die Straße, kann sie auf der Straße überhaupt
tere Abschnitte werden noch vor Ende 1964 über- nicht befördert werden. Infolgedessen muß man sich
geben werden. So wird die Südumgehung Würzburg doch an die normalen Abmessungen halten, und es
wohl schon bis Ende nächsten Jahres betriebsbereit ist durchaus möglich, die landwirtschaftlichen Ma-
sein. schinen in diesen Grenzwertbreiten herzustellen.
Darüber ist mit den Firmen sehr eingehend gespro-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage? chen worden.

Felder (SPD) : Herr Minister, ist es also nicht Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage
richtig, daß die im Jahre 1961 gestellten Bautermine des Herrn Abgeordneten Schmidt!
nur deshalb nicht eingehalten werden konnten, weil
— nach Mitteilungen — 8 Millionen DM fehlten und Schmidt (Kempten) (FDP) : Herr Minister, wird
Sie damals dringend gebeten wurden, die fehlenden die neuerdings erforderliche Ausnahmegenehmi
8 Millionen DM bereitzustellen? gung von einer Gebührenpflicht begleitet sein?

Dr.-Ing. Seebohm: Die Bereitstellung von Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Ver-
Geld ist nicht Angelegenheit des Bundesministers kehr: Ich glaube nicht, daß es eine gebührenpflich-
für Verkehr, sondern des Bundesministers der Fi- tige Ausnahmegenehmigung ist.
nanzen, der dazu der Genehmigung dieses Hohen
Hauses bedarf.
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf die
Frage 6 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut —:
Vizepräsident Dr. Dehler: Frage VII/5 — des
Billigt der Herr Bundesverkehrsminister die Verfügung der
Herrn Abgeordneten Schmidt (Kempten) — :
Deutschen Bundesbahn, daß ab 1. Januar 1952 am Bahnhof der
Industriestadt Langen (Hessen) in der Zeit von 22 Uhr bis
Trifft es zu, daß im Rahmen einer Verschärfung der Straßen- 6 Uhr kein Expreßgut und Reisegepäck abgefertigt wird?
verkehrsordnung das Befahren öffentlicher Straßen mit überbrei-
ten landwirtschaftlichen Maschinen von einer Ausnahmegenehmi-
gung abhängig gemacht werden soll bzw. in Einzelfällen hierzu Bitte, Herr Minister!
eine Polizeieskorte benötigt wird?

Bitte, Herr Minister! Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Ver-


kehr: Im Hinblick auf den engen sachlichen Zusam-
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Ver- menhang bitte ich, damit einverstanden zu sein, daß
kehr: Seit dem 1. Juli 1961 gilt für die Breite land- ich die Fragen 6 und 7 des Herrn Kollegen Kohut
oder forstwirtschaftlicher Arbeitsgeräte im Straßen gemeinsam beantworte.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 349

Vizepräsident Dr. Dehler: Dann rufe ich auch Stücklen, Bundesminister für das Post- und
die Frage 7 — des Herrn Abgeordneten Dr. Kohut Fernmeldewesen: Die Fernsprechanschlüsse in den
— auf: Rasthäusern an den Bundesautobahnen sind im. all-
Ist dem Herrn Bundesverkehrsminister bekannt, daß am Bahn-
gemeinen Privatanschlüsse des Pächters. In Einzel-
hof von Langen, einer Stadt mit 22 000 Einwohnern, in der Zeit fällen gibt es zusätzlich noch bei den Pächtern er-
von 22 Uhr bis 6 Uhr kein Fahrkartenverkauf stattfindet und der
Wartesaal geschlossen bleibt, obwohl in diesen Nachtstunden 18 richtete öffentliche Sprechstellen, die entweder mit
Züge aus beiden Richtungen in Langen halten? einem gewöhnlichen Apparat oder mit einem Münz-
fernsprecher ausgerüstet sind. Darüber hinaus sind
Dr.-Ing. Seebohm, Bundesminister für Ver- vereinzelt auf dem 'Gelände der Rasthäuser auch
kehr: Die Deutsche Bundesbahn hat mir dazu fol- öffentliche Sprechstellen mit Münzfernsprechern in
gendes berichtet. Reisegepäck ist im Bahnhof Langen Fernsprechhäuschen der Deutschen Bundespost vor-
schon seit längerer Zeit nachts überhaupt nicht mehr handen.
aufgeliefert worden. Der Expreßgutversand be-
schränkte sich durchschnittlich auf 1 bis 2 Stück. Bei Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage!
dieser Sachlage entspricht die Schließung des Ge-
päck- und Expreßgutschalters zur Nacht auf diesem
Bahnhof wie auch auf vielen anderen Bahnhöfen den Ritzel (SPD) : Herr Bundespostminister, sind Sie
Erfordernissen der Rationalisierung, die der Deut- trozIheBmüung,wirksaeDtmKun-
schen Bundesbahn durch die Beschlüsse des 3. Deut- den der Bundespost zu leisten, nicht bereit, die
schen Bundestages zur Pflicht gemacht worden ist. öffentlichen Fernsprechstellen so zu vermehren, daß
Expreßgut kann nachts an den Packwagen der Züge den Widerwärtigkeiten und der Verteuerung von
jederzeit aufgeliefert werden. Gesprächen durch die Benutzung von privaten Fern-
sprechstellen an den Autobahnraststätten begegnet
Es ist richtig, daß in Langen zwischen 22 Uhr wird?
abends und 6 Uhr morgens keine Fahrkarten aus-
gegeben werden, abgesehen von den Montagen, an Stücklen, Bundesminister für das Post- und
denen die Berufstätigen ihre Wochenkarten kaufen. Fernmeldewesen: Herr Kollege, ich bin sehr gern
Montags ist der Fahrkartenschalter bereits ab bereit, diesen Kundendienst auszuweiten. Ich habe
4.45 Uhr geöffnet. Die nächtlichen Zugbenutzer sind dabei nur das Bedenken, daß bei der heutigen
fast ausschließlich Zeitkarteninhaber. Für die weni- Situation im Selbstwählferndienst nur ungefähr
gen sonstigen Reisenden besteht jederzeit und ohne 85 % der Gespräche im Bundesdurchschnitt
Benachteiligung die Möglichkeit, ihre Fahrausweise - selbst
angewählt werden können, so daß der übrige Teil
im Zug zu lösen. Der Warteraum auf dem Bahnhof noch angemeldet werden muß. Wenn ein öffent-
Langen ist regelmäßig auch nachts geöffnet. Er war licher Münzfernsprecher vorhanden ist, sind die
nur am 2. und 3. Januar nicht geöffnet. Schwierigkeiten bei der Bedienung solcher Ge-
Die Rationalisierungsmaßnahmen der Bundesbahn spräche immer außerordentlich groß. Sobald wir also
werden in gleicher Weise auch auf vielen anderen einen noch höheren Grad des Selbstwählferndien-
Bahnhöfen durchgeführt. Die Bundesbahn führt nach stes erreicht haben, werden wir auch den Ausbau
dem Bundesbahngesetz ihren Betrieb selbständig weiter forcieren.
und bedarf bei ihren organisatorischen Maßnahmen
nur in seltenen, im Gesetz besonders bezeichneten Ritzel (SPD) : Danke sehr.
Fällen, z. B. bei der Auflösung großer Dienststellen
oder der Stillegung von Strecken, einer Genehmi- Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke dem
gung der Aufsichtsbehörde. Maßnahmen wie beim Herrn Minister.
Bahnhof Langen trifft sie also in eigener Zuständig-
keit. Wir kommen jetzt zu den Fragen aus dem Ge-
schäftsbereich des Bundesministers für Gesundheits-
wesen, zunächst zur Frage IX/1 — des Herrn Abge-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage? ordneten Ritzel —:
— Die Fragestunde ist an sich abgelaufen, aber auf Ist die Bundesregierung bereit, zur Rettung verletzter Ver-
Grund einer interfraktionellen Vereinbarung wer- kehrsteilnehmer in sorgfältig ausgewählten Raststätten an deut-
schen Autobahnen Depots mit Blutplasma zu errichten?
den wir heute — ohne Präjudiz — noch die rest-
lichen Fragen erledigen, weil wir wahrscheinlich erst Bitte, Frau Ministerin.
in 14 Tagen wieder eine Fragestunde haben werden.
Ist die Frage 7 — des Herrn Abgeordneten Dr. Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für
Kohut — schon erledigt? Gesundheitswesen: Die Bundesregierung beabsich-
tigt, neben den bestehenden Depots der Blutspende
(Abg. Dr. Kohut: Ja!) dienste alle Unfallkrankenwagen mit Blutplasma
— Sie ist erledigt. Ich danke dem Herrn Minister. und Blutersatzstoffen auszustatten. Daneben haben
in Übereinstimmung mit den österreichischen Be-
Wir kommen jetzt zu der Frage aus dem Ge-
strebungen die beteiligten Ressorts gemeinsam mit
schäftsbereich des Bundesministers für das Post- und
den in der Unfallhilfe tätigen Organisationen eine
Fernmeldewesen — einer Frage des Herrn Abgeord-
Prüfung eingeleitet, ob und in welchem Umfang
neten Ritzel —:
nach medizinischer Auffassung die Auslagerung von
Sind die Sprechstellen in den Rasthäusern an den Bundesauto- Blutplasma zur Sicherung einer schnellen Versor-
bahnen Privatanschlüsse der Pächter oder öffentliche Sprech-
stellen? gung von Unfallverletzten erweitert werden kann.
350 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962

Bundesminister Frau Dr. Schwarzhaupt


Weiter ist mit dem Deutschen Roten Kreuz und der Es ist eingegangen: Zusammenstellung der über-
Kraftfahrervereinigung deutscher Ärzte vereinbart und außerplanmäßigen Haushaltsausgaben im drit-
worden, in einem begrenzten Bezirk des Bundes- ten Vierteljahr des Rechnungsjahres 1961, Druck-
gebietes probeweise 600 Arztunfallkoffer auszu- sache IV/140. Ist das Haus mit der Überweisung der
geben, die u. a. auch Blutersatzmittel enthalten. Vorlage an den Haushaltsausschuß einverstanden.
— Ich höre keinen Widerspruch; es ist so beschlos-
Sollten die Erfahrungen mit diesen Arztunfall
koffern und die Stellungnahme der Organisationen, sen.
die zuständig sind, ergeben, daß eine weitere Streu- Ich rufe auf Punkt 2 der Tagesordnung:
ung von Blutplasmadepots zweckmäßig und notwen-
dig ist, so werden dafür in erster Linie die Neben- Aussprache über die Erklärung der Bundes-
betriebe der Bundesautobahnen — das sind Rast- regierung.
stätten und Tankstellen —, Straßenmeistereien und Es ist eine Vereinbarung dahin zustande gekom-
die Unfallhilfestellen in Anspruch genommen wer- men, daß zunächst die allgemein-politischen Fragen
den. Entsprechende Maßnahmen werden dann von in Anknüpfung an die Erklärung des Herrn Bundes-
der Bundesregierung eingeleitet werden. kanzlers, dann die spezifischen agrarpolitischen Fra-
gen in Zusammenhang mit der Erklärung des Herrn
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf die Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und
Frage IX/2 — des Herrn Abgeordneten Gewandt —: Forsten behandelt werden sollen.
Wann beabsichtigt die Bundesregierung die Rechtsverordnun- Ich erteile das Wort dem Herrn Abgeordneten
gen über den Verkauf von Arzneimitteln im freien Verkehr nach Dr. von Brentano.
den Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes zu erlassen?

Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Dr. von Brentano (CDU/CSU) : Herr Präsident!
Gesundheitswesen: Die Vorarbeiten für die Rege- Meine Damen und Herren! In der Sitzung vom
lung des Verkaufs von Arzneimitteln im freien Ver- 17. Januar hat der Herr Bundeskanzler eine erste
kehr durch Rechtsverordnung nach den §§ 30 und 32 Erklärung zu den Brüsseler Beschlüssen abgegeben.
des Arzneimittelgesetzes sind im Gange. Ich er- Er hat in dieser Erklärung auf die politische Bedeu-
warte, daß die Verordnungen nach der Sommer- tung der Entwicklung hingewiesen, die mit den Be-
pause dem Bundesrat zur Zustimmung vorgelegt schlüssen von Brüssel ihren Fortgang genommen
werden können. hatte, und er hat davon gesprochen, daß häufig der
-
Mangel an Initiative in der westlichen Welt beklagt
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage werde, daß aber gerade hier im europäischen Be-
des Herrn Abgeordneten Gewandt! reich eine echte Initiative sichtbar werde, daß hier
eine im echten Sinne des Wortes revolutionäre Ent-
wicklung eingeleitet worden sei.
Gewandt (CDU/CSU) : Ist Ihnen bekannt, Frau
Ministerin, daß in den einschlägigen Kreisen des Meine Damen und Herren, wenn wir die Ergeb-
Handels und der Industrie durch das Fehlen der nisse von Brüssel betrachten, dann sollten wir diese
Rechtsverordnung eine große Unsicherheit entstan- Überlegungen in den Vordergrund stellen und uns
den ist, und sehen Sie keine Möglichkeit, die von klarmachen, was in den vergangenen Jahren auf
Ihnen genannte Frist etwas zu verkürzen? dem Gebiete der europäischen Politik geschehen ist;
denn nur dann kommen wir auch zu einer gerechten
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Würdigung dieser letzten Entscheidungen, zu deren
Gesundheitswesen: Herr Kollege, ich weiß, daß sachlichem Inhalt andere Freunde aus meiner Frak-
diese Verordnungen dringend erwartet werden. Wir tion, meine Kollegen Struve und Bauer, noch Stel-
brauchen aber eine gewisse Zeit. Wir brauchten zu- lung nehmen werden.
erst ein Gutachten des Bundesgesundheitsamtes, das
Wenn wir von diesen Entscheidungen in Brüssel
Ende vorigen Jahres eingegangen ist. Ferner ist die
sprechen, dann, glaube ich, erinnern wir uns alle
Anhörung des Beirates notwendig, der nach § 33
der ersten Entscheidung, die wir hier in diesem
des Arzneimittelgesetzes gebildet werden muß, in-
Hause getroffen haben, der ersten Diskussionen, die
zwischen gebildet worden ist und auch demnächst
mit der Vorlage des sogenannten SchumanPlanes
zusammentritt Wir brauchen schließlich die Stel-
ihren Anfang nahmen. Ich möchte heute daran er-
lungnahmen der beteiligten Wirtschaftskreise. Aber
innern, was damals der Redner meiner Fraktion,
wir werden die Fertigstellung der Verordnung be-
der Abgeordnete Dr. Henle, gesagt hat; denn es
schleunigen, sosehr es möglich ist.
gilt, wie ich glaube, noch heute unverändert, wie es
damals, am 12. Juli 1951, galt. Er sagte, nachdem er
Vizepräsident Dr. Dehler: Damit ,ist die Frage- das Für und Wider dieses Vertragswerks behandelt
stunde beendet. hatte, es stelle sich heraus, daß wir letztlich vor
Als Nachfolger für die am 25. bzw. 26. Januar einem völkerpsychologischen Problem stünden, für
ausgeschiedenen Abgeordneten Schmidt (Hamburg) dessen Beurteilung wir nur die Erfahrungen der
und Frau Keilhack sind die Abgeordneten Glombig Vergangenheit besäßen; und er fuhr dann fort:
und Busch in den Bundestag eingetreten. Ich be- Das ... bringt wiederum die Gefahr mit sich,
grüße sie in unserer Mitte und wünsche ihnen eine daß wir nach einem halben Säkulum, in dem im
gute Zusammenarbeit. alten Europa mehr Verblendung als Verstand
(Beifall.) zu regieren schien, einer Skepsis anheimfallen,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 351
Dr. von Brentano
die vor jedwedem kühnen Versuch und Wag- Spaltung Europas bedeuten werde, die auch politi-
nis, wie es der Schumanplan darstellt, zurück- sche Konsequenzen haben müsse —, daß die Ent-
schreckt. Skepsis aber bedeutet Mißtrauen; Ver- scheidungen, die wir in der europäischen Zusam-
such und Wagnis hingegen sind in ihrem Ge- menarbeit getroffen haben, an außenpolitischer
lingen durch das Vertrauen in den Erfolg des Bedeutung nicht hinter denen zurückstehen, die
Unternehmens bedingt. Damit wird klar, daß etwa im Bereich der atlantischen Zusammenarbeit
das Ja oder Nein zum Schumanplan stärkstens getroffen worden sind.
dadurch bestimmt ist, ob wir unser Vertrauen Das atlantische Bündnis ist im Jahre 1949 in der
bewahrt haben in die Kräfte und in den gesun- Abwehr gegen eine drohende Gefahr gegründet
den Geist der westeuropäischen Völker, ob wir worden; aber auch das atlantische Bündnis hat,
es durch die Katastrophen der jüngsten Ver- wenn wir die Artikel 1 bis 4 des Vertrages lesen,
gangenheit hindurchgerettet haben oder ob wir nicht in erster Linie den Inhalt, ,die Verteidigung zu
angesichts der trüben Erfahrungen der Vergan- organisieren, sondern den, die Voraussetzungen für
genheit lieber resignieren wollen. eine gemeinsame Verteidigung zu schaffen. Die
Er hat dann für die Freunde meiner Fraktion ein Artikel 1 bis 4 des atlantischen Vertrags — und ich
klares und eindeutiges Ja zu der Vorlage ausge- erinnere daran, weil das manchmal in Vergessen-
sprochen; einer Vorlage, die — ich darf daran erin- heit zu geraten droht — beschäftigen sich mit der
nern, meine Damen und Herren — damals sehr um- Notwendigkeit der politischen und der ökonomi-
stritten war und die von großen Teilen auch der schen Zusammenarbeit im Bereich der nordatlan-
Mitglieder dieses Hohen Hauses leidenschaftlich tischen Gemeinschaft.
bekämpft wurde. Ich glaube, diese Erkenntnis ist sehr verständlich;
Ich selbst habe dann bei der dritten Lesung dieses denn wie kann man eine gemeinsame Abwehrfront
Vertragswerkes gesprochen. Ich habe darauf hin- errichten, wie kann man eine gemeinsame Vertei-
gewiesen, daß wir den Schuman-Plan als eine erste digung organisieren, wenn man nicht über die
Entscheidung, eine erste Etappe bei der Errichtung Grundlagen des politischen Denkens eine Einigung
dieses europäischen Gebäudes betrachten. herbeiführt! Wir haben in dem Bündnissystem der
Die Entwicklung hat denen, die so dachten — die Nato immer wieder diese Notwendigkeit erkannt.
man damals utopischen oder illusionären Denkens Wir haben uns immer wieder mit dem Problem
bezichtigt hat — recht gegeben. beschäftigt: Wie können wir diese Artikel 1 bis 4
des Nato-Vertrags verwirklichen, was können wir
Wir haben dann im Juni 1957 über die Verträge tun, um im Wege der Konsultation und der Koope-
von Rom diskutiert, polemisch und kontrovers dis- ration unsere Außenpolitik mehr als seither zusam-
kutiert über das Für und Wider sowohl in der insti- menzuführen? Denn hinter der gemeinsamen Vertei-
tutionellen Anlage der Verträge wie auch im mate- digung muß — ich glaube, das sieht jeder — auch
riellen Inhalt. Ich habe damals als Außenminister ein gemeinsamer politischer Wille stehen. Es ist
die Vorlage vertreten und darauf hingewiesen, daß undenkbar, daß eine Verteidigung organisiert wird,
wir auch in der Vorlage dieser Römischen Verträge wenn die Außenpolitik der Länder, die sie organi-
nicht den Abschluß der europäischen Entwicklung sieren, nicht in ihren wesentlichen Voraussetzungen
erblickten, sondern der Meinung waren, daß auch und in ihren wesentlichen Richtungen überein-
die Römischen Verträge eine Etappe auf dem Wege stimmt.
zur europäischen Zusammenarbeit darstellen soll- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
ten, daß wir aber auch der Überzeugung waren, daß
dieser wirtschaftliche Zusammenschluß im Gemein- Und hier sehe ich, meine Damen und Herren, die
samen Markt Tatsachen schaffen werde, die diese große Bedeutung der europäischen Zusammenarbeit;
politische Entwicklung mit Zwangsläufigkeit nach denn wir haben in einem leichter überschaubaren
sich ziehen müßten. Raum, in einem Raum, der sehr viel mehr unserer
unmittelbaren Verantwortung unterliegt, versucht,
Wir stehen jetzt nach dem Ergebnis der Brüsseler die Voraussetzungen zu schaffen, einen gemein-
Beratungen in der Tat vor einer neuen Etappe; denn samen politischen Willen zu entwickeln, auch wenn
der einstimmige Beschluß vom 14. Januar, den der wir dazu Umwege gehen mußten, die jeder von uns
Rat der EWG , gefaßt hat, bedeutet den Übergang nicht gern gegangen ist.
zur zweiten Stufe bei der Errichtung des Gemein-
samen Marktes. Diese Entscheidung ist von größter Wir haben die Rückschläge eingesteckt, von de-
politischer Bedeutung, nicht nur für die Weiterent- nen wir alle wissen. Wir haben nicht die Euro-
wicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, päische Verteidigungsgemeinschaft verwirklichen
sondern überhaupt für den Einigungsprozeß Euro- können. Ich glaube, diejenigen, die damals die Euro-
pas und damit für die Stellung Europas in der Welt. päische Verteidigungsgemeinschaft zu Fall gebracht
haben, würden heute anders denken und wären
Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sollten glücklich, wenn sie damals diese kühne europäische
uns darüber klar sein, daß die Zusammenarbeit Konzeption nicht sabotiert, sondern realisiert hätten.
zwischen den europäischen Staaten, die mit der
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
Zusammenarbeit der Sechs begonnen hat — wir
wurden manchmal darum gescholten, daß wir mit Wir sind auch nicht — das hing mit dem Scheitern
der Errichtung dieses kleinen oder kleinsten Euro- der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft zusam-
pas begonnen haben, und wir wurden manchmal men — in der politischen Integration dahin gekom-
auch mit dem Hinweis darauf gewarnt, daß das eine men, wohin wir kommen wollten. Ich kann darüber
352 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962

Dr. von Brentano


sprechen, denn ich habe damals die Verhandlungen päischen Gemeinschaften mit vollen Rechten und
geführt, die der Kommission aufgetragen waren, die Pflichten anschließen will. Ich möchte hier für meine
eine politische Ordnung für Europa vorbereiten Fraktion mit großem Nachdruck sagen, daß wir
sollte. diese Entscheidung der britischen Regierung für
Diese Rückschläge haben das Tempo verlangsamt eine historische halten und daß wir unsere Regie-
und haben dazu geführt, daß wir uns den eigent- rung und die Regierungen der übrigen Mitglied-
lichen politischen Zielen mehr oder weniger auf staaten dringend bitten, alles und jedes zu tun, da-
Umwegen nähern mußten. Heute haben wir jedoch mit diese Entscheidung auch Wirklichkeit wird, da-
Grund und Anlaß, zu sagen, daß der Zusammen- mit Großbritannien dieser europäischen Gemein-
schluß der Sechs eine politische Wirklichkeit gewor- schaft als siebentes Mitglied mit vollen Rechten und
den ist, die von niemand in der Welt bestritten wer- Pflichten beitreten wird.
den kann. Er ist eine politische Wirklichkeit geworden (Beifall bei den Regierungsparteien und bei
auch im Verhältnis zu unseren Verbündeten in der Abgeordneten der SPD.)
freien Welt und in unserem Verhältnis zu unseren
Die Begründung, die damals der britische Lord-
politischen Gegnern in der unfreien Welt.
siegelbewahrer Heath im englischen Unterhaus ge-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) geben hat, war eine überzeugende Rechtfertigung
Denn er verrät — das ist das Wichtige — das Ver- unserer Politik. Er sprach davon, daß sich im euro-
trauen der europäischen Völker, die Überzeugung päischen Bereich eine unerwartete Entwicklung voll-
dieser europäischen Nationen, daß die Zukunft in zogen habe. Man habe es nicht für möglich gehal-
ihrer Hand liegt, daß es ihre Aufgabe ist, durch eine ten, daß der Zusammenschluß der Sechs diese Form
enge freundschaftliche Zusammenarbeit auf allen annehmen werde, und Großbritannien stehe nun vor
Gebieten dem europäischen Kontinent ein neues Ge- der Frage, ob es sich an dieser Entwicklung be-
sicht und ein eigenes Gewicht zu geben. teiligen solle oder nicht. Er verwies darauf — und
Ich sagte, daß wir mit den Beschlüssen vom wenn das aus diesem Munde gesagt wird, können
14. Januar einen weiteren Schritt nach vorne getan wir es, glaube ich, auch mit großer Befriedigung
haben, und ich möchte dazu noch einige kurze Be- zitieren —, daß auf dem europäischen Kontinent
merkungen machen. In Zukunft können nun im eine Entwicklung begonnen habe, die dazu führe,
Raum der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft daß hier ein Wirtschaftsraum mit einer Produktions-
zahlreiche Entscheidungen im Rat mit qualifizierter kapazität, mit einer Kapazität an Menschen, an wis-
Stimmenmehrheit getroffen werden. Das ist eine senschaftlicher Erfahrung, an Kultur und Tradition
-
Entwicklung, die wir angestrebt haben. Denn damit entstehe, der nur zu vergleichen sei etwa mit dem
wird der übernationale, föderale oder konföderale Wirtschaftsraum des Ostblocks oder dem Wirt
Charakter der Gemeinschaft wesentlich stärker in schaftsraum der Vereinigten Staaten von Amerika.
Erscheinung treten. In Zukunft wird es ausgeschlos-
sen sein, daß das Veto eines einzigen Mitglieds die Er führte weiter aus — und auch das möchte
Entwicklung der Gemeinschaft in bedeutenden Be- ich unterstreichen, weil ich darin wirklich eine ent-
reichen des Vertrages hemmen könnte. Die Gemein- scheidende Wendung der britischen Politik sehe —,
schaft erhält dadurch einen neuen Antrieb für eine auch früher habe Großbritannien bilaterale Verträge
schnellere Verwirklichung ihrer Ziele. Die Bestre- mit kontinentaleuropäischen Staaten geschlossen.
bungen zur Herstellung eines einheitlichen Wirt- Aber diese Verträge seien in erster Linie bestimmt
schaftsraumes, die Verschmelzung der Volkswirt- gewesen, einer echten oder vermuteten militärischen
schaften der Mitgliedstaaten und die Bildung der Gefahr zu begegnen. Diese Voraussetzungen seien
erhofften Wirtschaftsunion werden dadurch zwei- heute für Europa nicht mehr gültig. Es gebe keine
felsfrei gefördert. Gefahr mehr für einen europäischen Staat durch
einen anderen europäischen Staat. Wir wissen es ja
Aber mit dem Übergang in die zweite Stufe tritt
alle: es gibt nur eine Gefahr für die freie Welt
die Gemeinschaft auch aus dem Stadium der noch
unfertigen Zollunion heraus; sie tritt aus dem Sta- Europas; sie liegt nicht in Europa, sondern am
dium der Beseitigung der Handelshemmnisse — als Rande Europas.
einer negativen, aber wichtigen Aufgabe — in die Ich sehe in dieser Entwicklung, in dem Beitritt
Phase der Verwirklichung der Politik auf allen übri- Großbritanniens, der ja auch Beitrittsverhandlungen
gen Gebieten. Wir sehen, daß diese Entwicklung mit einigen skandinavischen Ländern zur Folge
auch in der Welt nicht unbeobachtet geblieben ist. haben wird, mit Dänemark und voraussichtlich mit
Diejenigen, die seinerzeit für die Fortsetzung dieser Norwegen, tatsächlich die Fortsetzung dieser von
europäischen Politik gewesen sind, haben recht be- uns begonnenen europäischen Politik. Denn wir
halten. Ich habe es damals so formuliert und möchte haben immer wieder unterstrichen — und das soll
das wiederholen: wir können die Verwirklichung auch heute hier gesagt werden —, daß wir nicht
unserer europäischen Ziele nicht davon abhängig einen geschlossenen Raum der Sechs schaffen, daß
machen, ob wir den letzten Zweifler überzeugen. wir nicht etwa in die Fehler einer vergangenen
Wir müssen mit denen beginnen, die dazu bereit Autarkiepolitik zurückfallen wollten, indem wir ein
sind, und mit den Methoden, die sich dazu anbieten, neues Autarkiedenken im erweiterten Raum schaf-
und in den Bereichen, die sich dazu eignen. fen oder zulassen wollten, sondern daß diese Ge-
Es gibt keine bessere Rechtfertigung für die Rich- meinschaft der Sechs denen, die sich ihren politi-
tigkeit dieser Politik als die Entscheidung der briti- schen Zielen anschließen wollen, offenstehen solle
schen Regierung vom vergangenen Sommer, die da- und offenstehen müsse.
hin ging, daß sich Großbritannien allen drei euro (Beifall bei der CDU/CSU.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 353
Dr. von Brentano
Meine Damen und Herren, wenn ich von dieser institutionellen Ordnung nicht verändert werden,
Entwicklung spreche und sage, daß die Entschei- es sei denn, es würde verbessert.
dung der britischen Regierung eine überzeugende (Beifall bei der CDU/CSU.)
Rechtfertigung war, möchte ich aber ebenso nach-
drücklich auf das verweisen, was vor wenigen Ta- Hier möchte ich ein besonderes Wort zu den Auf-
gen der amerikanische Präsident Kennedy in seiner gaben des Europäischen Parlaments sagen. Gerade
Botschaft an die Nation gesagt hat. Wir wissen — jetzt, wo die Europäische Gemeinschaft in die zweite
und ich glaube, es ist ermutigend für uns alle —, daß Stufe tritt, wo also auch auf dem Gebiete der ge-
die amerikanische Administration unter dem Präsi- meinsamen Handelspolitik, der gemeinsamen Zoll-
denten Eisenhower und unter dem Präsidenten politik, der gemeinsamen Preispolitik, einer gemein-
samen Kartellpolitik, um nur einige Beispiele zu
Kennedy diese Politik des europäischen Zusammen-
nennen, Entscheidungen auf uns zukommen, die ge-
schlusses mit allen Mitteln zu fördern bereit ist, ob-
troffen werden müssen, wenn wir unser Ziel er-
wohl man drüben wohl weiß, daß dieser weitere
reichen wollen, scheint es meinen politischen Freun-
europäische Zusammenschluß auch nachteilige Fol-
den und mir absolut notwendig zu sein, daß wir
gen für die Wirtschaft der Vereinigten Staaten ha-
alles tun, um von uns aus die Stellung des Euro-
ben muß. Denn objektiv diskriminierende Wirkun-
päischen Parlaments zu stärken.
gen gehen selbstverständlich von einem solchen Zu-
sammenschluß, von der Schaffung einer solchen gro- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
ßen Wirtschaftsgemeinschaft aus. Trotzdem — das Wir brauchen, wenn wir diese Aufgaben erfüllen
hat Präsident Kennedy ausdrücklich unterstrichen — wollen, eine demokratische und damit parlamen-
wünscht man auch drüben, daß die europäische Eini- tarische Mitarbeit. Das Europäische Parlament hat
gung fortgesetzt wird. Man ist sich auch in den Ver- auch heute schon eine Stellung, die stärker ist, als
einigten Staaten darüber im klaren — ich sagte es im Vertrag vorgesehen war. Diese Entwicklung
eingangs —, daß es gerade für die Zusammenarbeit hatte ich seinerzeit schon angekündigt, und sie ist
der freien Welt von unschätzbarem Wert ist, wenn auch eingetreten. Es ist eine Eigengesetzlichkeit, die
— so hat sich einer der Mitarbeiter des Präsidenten einem Parlament innewohnt und innewohnen muß,
ausgedrückt — in Europa nicht mehrere Juniorpart- daß sich die Zuständigkeitsgrenzen zwangsläufig
ner, sondern wenn eine volle europäische Kraft an ausdehnen.
der Seite der Vereinigten Staaten steht. Das soll
Aber ich möchte auch dazu sagen: uns genügt das,
unser Ziel sein, meine Damen und Herren. Damit was heute an Zuständigkeit besteht, nicht. Wir hof-
tragen wir auch zu der wesentlichen und entschei- fen und wünschen, daß sich die Regierungen darüber
denden Stärkung der Atlantischen Gemeinschaft bei. unterhalten — nicht von heute auf morgen —, wie
Wenn die Vorstellung einer atlantischen Union ein- das Europäische Parlament die echten Aufgaben
mal Wirklichkeit werden sollte, dann nur unter der eines Parlaments erhalten kann, also eine echte
Voraussetzung, daß zunächst die europäische Union Kontrollbefugnis und eine echte Initiativbefugnis.
geschaffen wird. Daß die Möglichkeit einer echten Legislative heute
noch nicht besteht, sollten wohl auch diejenigen ein-
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
sehen, die ungeduldig sind wie ich und andere.
Diese Zuständigkeiten des Parlaments zu erweitern
Ich bin nun weit davon entfernt, heute zu sagen,
und zu ergänzen, scheint mir eine Aufgabe zu sein,
daß wir uns mit dem Erreichten abfinden und zufrie-
die in der nächsten Zukunft ebenfalls angepackt und
den sind. Im vergangenen Jahr hat die Konferenz
gelöst werden muß; denn wir wissen und haben
der Regierungschefs in Bad Godesberg getagt. Dort es auch wissend so entschieden, daß wir Zuständig-
sind Entschlüsse gefaßt worden, auf deren Verwirk-
keiten, die an sich in die nationalstaatlichen Parla-
lichung wir heute noch warten. Wir wissen, daß dar-
mente — auch in dieses Hohe Haus — gehören, an
über Verhandlungen im Gange sind. Ich möchte jedoch
den Ministerrat und an die Kommission in Brüssel
für meine politischen Freunde sehr klar ankündigen, abgegeben haben.
daß wir die Bundesregierung bitten werden, die
Verhandlungen mit dem Ziele zu führen, daß die Beide Institutionen haben unser volles Vertrauen.
Ankündigung von Bad Godesberg raschestens ver- Ich glaube aber, es wäre für beide Institutionen
wirklicht wird. Dieses Ziel ist, die Voraussetzungen auch eine Erleichterung ihrer Arbeit und ihrer Ver-
für eine gemeinsame Außenpolitik unter den sechs antwortung, wenn sie ihre Entscheidungen treffen
Staaten, für eine gemeinsame Verteidigungspolitik könnten in enger Zusammenarbeit mit einem in sei-
zur Stärkung der NATO und im Rahmen der NATO nen Zuständigkeiten nicht beschränkten Parlament.
und für den unerläßlichen Zusammenschluß auf dem Meine sehr verehrten Damen und Herren, das
Gebiete der Wissenschaft und Kultur zu schaffen. sind die Wünsche, die ich heute für meine Fraktion
Wir können und wollen unsere Arbeit nicht nur auf anmelde. Ich habe keinen Zweifel, daß die Bundes-
den wirtschaftlichen und auch nicht nur auf den poli- regierung mit uns in der Beurteilung dieser Not-
tischen Bereich begrenzen. Selbstverständlich müs- wendigkeit übereinstimmt. Wir sind uns nämlich im
sen auch die Voraussetzungen dafür geschaffen wer- klaren, daß wir das Erreichte nur bewahren können,
den, daß die Gesetzgebung im Bereiche der Gemein- wenn wir es ständig und konsequent fortentwickeln.
schaft ständig und konsequent harmonisiert wird.
Bei der Äußerung dieser Wünsche sage ich gleich: Ich habe schon einige Gebiete genannt, auf denen
wir wollen, daß diese Wünsche erfüllt werden, aber diese Fortentwicklung nötig sein wird, und ich
nicht auf Kosten der bestehenden Gemeinschaft. möchte wiederholen: diese zweite Phase des Ge-
Was wir haben, darf in der Substanz und in der meinsamen Marktes wird nur dann die erwarteten
354 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962
Dr. von Brentano
Erfolge bringen, wenn wir in dieser zweiten Phase nisch die Beteiligten in einer Weise überfordert und
stärker als bisher zu einer übereinstimmenden Ge- überlastet waren, daß man wirklich nicht glauben
setzgebung und auch zu einer übereinstimmenden konnte, das Verhandlungsthema hätte in der noch
Verwaltungspraxis kommen. Ich darf daran er- verfügbaren Zeit unmittelbar gestaltet werden kön-
innern, daß wir eine gemeinsame Wirtschaftspolitik nen. Gewisse Verordnungen sind verabschiedet wor-
in dem großen Raum der Europäischen Gemeinschaft den. An der Kompliziertheit der Texte sehen wir,
auf die Dauer schlechthin nicht führen können, welche Mühe die Verfasser sich gegeben haben, und
wenn nicht in den Grundsätzen des handelspoliti- ich stehe nicht an, denjenigen, die unmittelbar an
schen Denkens auch zwischen den Mitgliedstaaten diesen Verhandlungen, speziell in der letzten
eine Übereinstimmung erreicht wird. Wir können Etappe, beteiligt waren, unsere Anerkennung auch
eine echte Wirtschaftspolitik in diesem Raum auf für die physische Leistung auszusprechen, die sie
die Dauer auch dann nicht führen, wenn nicht die dort erbrachten.
Steuergesetzgebung der einzelnen Staaten in die- (Beifall.)
sem Bereich langsam, aber konsequent einander an- Diese Anerkennung schließt sicher nicht die
gepaßt wird. Akzeptierung des gesamten Inhalts ein. Über den
(Beifall bei den Regierungsparteien sowie konkreten Inhalt des Verhandlungsergebnisses wer-
bei Abgeordneten der SPD.) den andere, Berufenere sprechen, soweit es um die
Agrarpolitik geht.
Sonst schaffen wir nämlich Steuerbedingungen und
Steuergefälle, die einen echten Wettbewerb behin- Ich will nur folgendes noch einmal betonen: Die
dern. Beteiligten sind deshalb unter diesen Zeitdruck ge-
raten, weil im Jahr der Bundestagswahlen bestimmte
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.)
Überlegungen auf der Mehrheitsseite vorher, vor
Es ist unser gemeinsames Ziel, in diesem Gemein- den Wahlen, nicht so weit vorangetrieben werden
samen Markt nicht etwa Oasen zu schaffen oder konnten, daß man in bezug auf bestimmte Wähler-
Oasen zu erhalten, vielmehr ist es unser Bestreben, schichten ein politisches Risiko hätte daraus ab-
in diesem Gemeinsamen Markt, fernab von jedem leiten können.
Autarkiedenken, die Voraussetzungen für eine (Beifall bei der SPD.)
echte soziale Marktwirtschaft zu schaffen, wie wir
Ich will das nicht näher darlegen. Ich will nur darauf
sie auch in der Bundesrepublik wünschen und an- hinweisen, daß dann nach der Wahl ein vorsich-
erkennen. -
tiger, ein unruhiger möglicher Koalitionspartner auch
(Beifall bei den Regierungsparteien.) wieder nicht zuließ, daß man sehr rasch die Klar-
heit fand, die eigentlich schon vor den Verhand
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der lungen hätte bestehen müssen.
Abgeordnete Birkelbach. (Erneuter Beifall bei der SPD.)
Dabei müssen wir in Rechnung stellen, daß die
Birkelbach (SPD) : Herr Präsident, meine Da- französische Regierung nicht so ganz unrecht hatte,
men und Herren! Die sozialdemokratische Fraktion als sie zum Ausdruck brachte, daß man mit Grund-
wertet den Beschluß des Ministerrats der Europäi- satzbeschlüssen allein in Fragen der Agrarpolitik
schen Wirtschaftsgemeinschaft, den Übergang zur nicht sehr viel weiter kommen würde, daß man
zweiten Stufe des Gemeinsamen Marktes zu voll- Texte haben müsse. Wahrscheinlich vertrat sie des-
ziehen, als einen wichtigen Beitrag zur europäischen wegen diese Anschauung, weil sie glaubte, daß
Einigung. Sie glaubt, daß damit der Weg frei ist ohne Texte die Herausbildung der Grundlagen einer
für eine weitere günstige Entwicklung der Europäi- gemeinsamen Agrarpolitik auf den Sankt-Nimmer-
schen Wirtschaftsgemeinschaft. Wir wissen, daß die- leins-Tag verschoben würde.
sem Beschluß, zur zweiten Stufe überzugehen, eine
Einigung auf gewisse Grundlagen einer gemeinsa- Ich sage, man kann diese Einstellung nicht ganz
men Agrarpolitik vorausging und daß in diesem Zu- verurteilen, zumal selbst nach dem Abschluß der
sammenhang gewisse Verordnungen im Ministerrat Verhandlungen zum Beispiel aus Pressemeldungen
verabschiedet worden sind. zu erkennen war, daß man da und dort sagte: Aber
das alles muß ja jetzt erst durch die nationalen Par-
Wir glauben sagen zu müssen, daß wir die mate- lamente ratifiziert werden. Daraus klang so ein
rielle Vorbereitung der Verhandlungen auf diesem wenig die Neigung, daß das Verhandlungsergebnis
speziellen Gebiet keinesfalls als befriedigend be- einer nachträglichen Revision zu unterziehen sei.
zeichnen können; denn allen Sachverständigen war
seit Monaten, ja viel länger, klar, um was es gehen Meine Damen und Herren, davon kann nicht die
würde. Wir hatten überall genügend Debatten, so Rede sein. Ich glaube, der Herr Bundeswirtschafts-
daß man erkennen konnte, wo die politischen Kern- minister hat mit vollem Recht festgestellt, daß die
punkte liegen würden. Es war daher kein Grund vor- Verordnungen des Ministerrats europäisches Recht
handen, in einen derartigen Zeitdruck zu geraten, daß geworden sind und unmittelbar in jedem Mitglied-
man am 31. Dezember die Uhr in dem betreffenden staat gelten, daß sie das nationale Recht außer Kraft
Saal für vierzehn Tage anhalten mußte, um zu errei- setzen, soweit es mit ihnen nicht vereinbar ist. Das
chen, daß das Werk noch im alten Jahr verabschiedet ist eine wichtige Erkenntnis, eine wichtige Feststel-
wurde. Wir glauben, daß hierfür sicher keine Veran- lung, weil wir nunmehr auf dieser Grundlage auch
lassung bestand. Die jetzt vorliegenden Verord- im internationalen Rahmen wissen, daß es da be-
nungstexte zeigen außerdem, daß rein gesetzestech stimmte Verpflichtungen und Konsequenzen gibt.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 355
Birkelbach
Aber ich möchte nun die politische Bedeutung die- Laissez-faire-Raum entstehen lassen, in dem für das
ses Übergangs zur zweiten Stufe noch ein wenig wirtschaftliche Geschehen niemand wirklich unmit-
würdigen. Ich sagte schon, den agrarpolitischen Teil telbar verantwortlich ist. Wir wollten wissen, wo
werden andere, berufenere Sachverständige im Na- die Verantwortung dann sein würde. Wir wissen,
men meiner Fraktion hier behandeln. daß sich das nur schrittweise herausbilden kann.
Wir glauben, daß ein Nichtvollziehen dieses Be- Deswegen fordern wir in einem solchen Groß-
schlusses das ganze Unternehmen des Zusammen- raum handlungsfähige Gemeinschaftsorgane. Diese
wachsens Europas außerordentlich geschwächt hätte, Organe können nur handlungsfähig sein, wenn es
daß es das Vertrauen in die Zukunft einer solchen unter den Partnerstaaten eine gewisse Übereinstim-
Gemeinschaft gefährdet hätte. Aus diesem Grunde mung in der wirtschaftspolitischen Grundlinie gibt.
war dieser Beschluß politisch notwendig. Wir müssen daher, glaube ich, sagen, daß die
(Beifall bei allen Fraktionen.) Brüsseler Entscheidungen Anlaß zur bewußteren
Gestaltung der Gemeinschaftspolitik sein müssen.
Wir haben außerdem nicht zu erwarten, daß wir Denn hier — wir wollen das noch einmal gesondert
wieder in die gleiche Situation, wie sie jetzt gege- betrachten — ist nun für viele Staatsbürger in allen
ben war, hineinkommen, in die Situation, in der Ländern erkennbar geworden, daß es eine unmittel-
eine einzige nationale Regierung die Macht hätte, bare Rechtssetzungs- und Entscheidungsbefugnis gibt,
den Übergang zur dritten Stufe oder den Abschluß eine Befugnis, die auch in unser eigenes Leben
der Übergangszeit zu blockieren. Hier ist nach dem hineinwirkt, ohne daß wir im nationalen Bereich
Vertrag ein neues Stadium erreicht, das auch poli- die Stelle suchen können, wo die Verantwortung
tisch unter besonderen Gesichtspunkten gewürdigt dafür liegt.
werden muß.
Durch die Mehrheitsentscheidungen im Minister-
Wir müssen damit rechnen, daß diese Automatik, rat kann es sogar dahin kommen, daß ein nationaler
die nun einfach für die Zukunft gegeben ist, auch Minister vor sein nationales Parlament tritt und
die Unternehmer, alle Interessierten insofern vor sagt: „Sie können mich im nationalen Bereich ja gar
klare Daten stellt. Sie wissen jetzt, daß es eigentlich nicht zur Verantwortung ziehen, im übernationalen
ein richtiges Scheitern wäre, wenn sich der Zeitraum Bereich sowieso nicht; denn ich bin bei der Abstim-
bis zum Übergang zur dritten Stufe noch verlängern mung im Ministerrat unterlegen."
oder irgendwie verändern würde, es sei denn, er
würde abgekürzt. Daraus muß eine Konsequenz gezogen werden.
-
Sie kann nur darin bestehen, daß dieses Entweichen
Wir glauben also, daß wir deswegen gewisse
aus dem nationalen System der parlamentarischen
Konsequenzen auch in den Wirtschaftsentscheidun- Kontrolle auf der Gemeinschaftsebene ausgeglichen
gen schon erkennen können. Wir müssen das um so wird.
mehr erkennen, als, wie Herr Kollege von Brentano
auch darlegte, in den kommenden Jahren der (Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten
Ministerrat eine verstärkte Möglichkeit hat, zur Not der Mitte.)
mit Mehrheit zu entscheiden. Das braucht nicht im- Wir haben dabei sicher nicht die Vorstellung, daß
mer zu bedeuten, daß die Mehrheitsentscheidung man alles in einem Zug vollenden könne. Darin
auch herbeigeführt wird. Aber allein die Möglich- stimme ich mit Ihnen völlig überein, Herr Kollege
keit, daß zur Not mit Mehrheit entschieden wird, von Brentano: es wäre ein wenig vermessen, zu
gibt der ganzen Angelegenheit eine neue politische glauben, daß man nur diese Gesetzgebungs- und
Kontur. Kontrollbefugnis unmittelbar diesem Parlament zu
Die Sozialdemokraten haben immer die Auffas- übertragen brauche. Aber sollten wir nicht klarere
sung vertreten, daß es mit dem Abbau von Handels- Vorstellungen von den möglichen unmittelbaren
beschränkungen, mit der Beseitigung von Hemm- Schritten haben, die auch jetzt schon gegangen wer-
nissen an der Grenze für den Wirtschafts- und den können? Und sollten wir sie nicht ständig vor-
Personenverkehr allein nicht getan ist. Wir wissen, bringen, damit es nicht so aussieht, als müsse man
daß eine solche Automatik, ein solches ständiges Ab- sich erst an das andere gewöhnen?
bauen der Grenzhindernisse einen besonderen Nut- (Beifall bei , der SPD.)
zen hat. Aber wir glauben, daß dies ergänzt werden
muß durch eine Gemeinschaftspolitik, ein konstruk- Ich glaube, daß wir dabei heute sowohl in diesem
tives Arbeiten sowohl der Organe der Gemeinschaft politischen Bereich in bezug auf die Entscheidungen
wie auch der für gewisse Bereiche ja immer verant- wie im rein wirtschaftlichen Bereich nicht von der
wortlichen nationalen Regierungen. Vorstellung ausgehen können, man könne einen
hochfliegenden europäischen Verfassungsentwurf
(Beifall bei der SPD.) verabschieden und dann .das Ganze in einem Zug
Diese zwei Seiten haben wir deswegen zu be- unter einen Hut bringen und ein völkerrechtlich
achten, weil, wie wir glauben, z. B. eine ganze Reihe handlungsfähiges Subjekt in Form dieser Gemein-
von nationalen wirtschaftspolitischen Möglichkeiten schaft auf allen Gebieten vor sich finden. Diesem
den Regierungen gar nicht mehr verblieben sind. Gedankengang hängt heute niemand mehr nach,
Nehmen Sie einmal das ganze Gebiet der Zollpolitik kann auch niemand mehr nachhängen, wenn er
als Teil der Konjunkturpolitik! Das ist nicht mehr gesehen hat, welche Interessenkonflikte auf ganz
da, und es kann nicht sein, daß das einfach ver- bestimmten Teilgebieten in dem Augenblick ent
schwunden ist. Wir wollten nicht einen großen stehen, in dem die Frage aufgeworfen wird: Wo
356 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962

Birkelbach
werden denn in Zukunft die Entscheidungen fallen? kungen sehr empfindlich alle übrigen Wettbewerbs-
Da, wo wir gewohnt sind hinzublicken, wo wir Be- vor- und -nachteile in Erscheinung treten lassen
ziehungen haben, da, wo wir wissen, wer sie fällen würden, die noch in unseren Volkswirtschaften be-
wird? Oder auf einer Ebene, wo nicht nur die Kon- stehen.
kurrenten aus anderen Ländern ihre Beziehungen Ich erinnere in diesem Zusammenhang an die
haben, sondern wo unter Umständen auch im Ge- steuerlichen Maßnahmen. Ich brauche hier nur das
samtgefüge wirtschaftlichen Geschehens die Dring- Wort Stahl in die Debatte zu werfen, um jedem
lichkeit der eigenen Vorhaben — z. B. bei Inter- Sachverständigen klarzumachen, was ich meine. Ein
essenverbänden — nicht so eingeordnet wird, wie anderes Steuer- und Rückvergütungssystem in
das im nationalen Rahmen vielleicht bisher zu- Frankreich kann zu besonderen Schwierigkeiten im
friedenstellend der Fall war? Bereich z. B. des Stahlmarktes in der Bundesrepublik
Was will ich damit sagen? Ich glaube, die Art führen. Wir wissen, daß das Ganze nicht für einen
und Weise, wie die agrarpolitischen Beschlüsse zu- Teilbereich, allein und losgelöst von der übrigen
stande kamen, zeigt eine Methode, die es gestattet, Volkswirtschaft einer Lösung zugeführt werden
weitere Fortschritte zu machen, ohne bei jedem kann. Andere Industrien machen sich schon Gedan-
Fortschritt die geschlossene Phalanx der nationalen ken darüber, wie die Abschreibungsmöglichkeiten
und internationalen Interessengruppen und ver- -
im Steuerrecht anderer Länder 'hier ihre eigene Po-
bände als Hemmis überwinden zu müssen. sition gefährden können, wenn dem nicht bei uns
etwas Entsprechendes zur Seite gesetzt wird. Ich
(Beifall bei der SPD.) habe bewußt das Wort „dagegengesetzt wird" unter-
Auf diese Art und Weise mutet man ihnen auch nur drückt, weil ich nicht hoffen möchte, daß wir nun
ein gewisses begrenztes Risiko zu. Man kann dann anstelle der Zölle zu einem undurchsichtigen System
ungefähr überschauen, wie es laufen soll. Man wird nationaler Ausgleichsmaßnahmen kommen, mit de-
dadurch wissen können, mit wem man das Ganze nen in kaschierter Form versucht wird, die Vorteile
auch in .der Gemeinschaft besprechen kann, wie man doch wieder irgendwie auszugleichen, und die eine
das ausrechnen kann, wohin die Entwicklung gehen Riesenverwaltung benötigen würden, ohne daß je-
wird, wie die jeweiligen Interessen wahrgenommen mand klar sehen könnte, wohin das geht.
werden. Denn es ist ja nicht so, daß man die Inter- (Beifall bei der SPD.)
essenverbände mit ihren Anliegen und Ansprüchen
von vornherein als illegitim ansähe. Im Gegenteil, Das wäre die andere Gefahr. Deswegen also diese
Forderung nach Rechtsangleichung. -
wer die Verantwortung für die Fortführung gewis-
ser Unternehmen usw. hat, hat auch die Pflicht, da Ich muß dabei noch einen anderen Faktor erwäh-
für zu sorgen, daß nicht durch irgendwelche poli- nen, weil der Zeitablauf hier von entscheidender
tischen Beschlüsse plötzlich die Grundlage für sein Bedeutung sein kann. Wenn auf dem Gebiet der
Handeln gefährdet wird und er dann die Verant- steuerlichen und damit zusammenhängenden Be-
wortung gar nicht tragen kann. stimmungen nicht Fortschritte erzielt werden, kann
In diesem Sinne also ist unsere Vorstellung die, ungewollt eine internationale Konzentrationsten-
daß man ganz bestimmte Teilbereiche unseres wirt- denz größten Ausmaßes begünstigt werden. Es
schaftlichen und politischen Geschehens so anvisie- könnte die Situation eintreten, daß ein national
ren muß, daß ähnliche Schritte vollziehbar werden, wie organisiertes Unternehmen praktisch deswegen nicht
wir sie bei der Gestaltung der gemeinsamen Agrar- konkurrieren kann, weil ein international organi-
politik erlebt haben. Ich verweise dabei auch auf siertes Unternehmen die Gewinnspannen durch Ver-
die Steuerpolitik, auf die Währungs- und Konjunk- rechnungspreise usw. so verändern kann, daß je-
turpolitik, auf die Energiepolitik, auf die Verkehrs- weils im steuerlich günstigsten Land die Über-
politik. Hier zeigt es sich, daß man nicht das Ganze schüsse anfallen.
sich selber überlassen kann. Hier muß man Grund- Das Ganze sind recht komplizierte Gedanken-
linien finden, , die sich in einen Gesamtbau einord- gänge, die ich hier nur andeute, um zu zeigen, daß
nen. Das kann nach meiner Auffassung nur ge- es nicht mehr eine Angelegenheit ist, die man ein-
schehen, wenn hier die Gemeinschaft selber gewisse fach vor sich herschieben kann. Denn jeder weiß,
zusätzliche Zuständigkeiten bekommt. daß jedes Unternehmen von einiger Bedeutung
Nach dem Übergang in die zweite Stufe ist es heute bereits darauf angewiesen ist, sich auf die
gar nicht mehr länger die Frage, ob man solche poli- Endstufe des Gemeinsamen Marktes einzustellen.
tischen Maßnahmen in Betracht zieht, sondern es Man kann nicht nur von heute auf morgen dispo-
geht nur noch um die Modalitäten, nicht mehr um nieren. Man muß ungefähr wissen, wohin es gehen
das Ob. Denn auch den Unternehmern, selbst den- wird. Aller Kundendienst, die Werbung und andere
jenigen, deren Markt von Zöllen usw. beeinflußt Betätigungen müssen nunmehr an der Überlegung
wird, ist doch in der Zwischenzeit klar geworden, orientiert werden, daß eine Entwicklung in Gang
daß man zwar Zollsenkungen von 10, 20 und 40 % gekommen ist, die man beachten muß. Ich habe ver-
— wo wir jetzt angelangt sind — unter Umständen sucht, in diesem Zusammenhang eine Reihe von
verkraften kann, wenn da noch sehr viel Luft da- Überlegungen anzustellen, die vielleicht für Unter-
zwischen war, wenn das sozusagen nicht unmittel- nehmer, für Wirtschaftspolitiker interessant sein
bar die harte Konkurrenz aus dem anderen Land können.
auf den eigenen Markt brachte. Jetzt aber ist die Aber Sie werden mir gestatten, daß ich auch
Tatsache zu verzeichnen, daß die weiteren Zollsen- einige Überlegungen anführe, die mehr in den Blick-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 357
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winkel der einfachen Leute, der Bevölkerung fallen punkt, ob die europäischen Regelungen, die verab-
und die zeigen, was das Ganze auf sich hat, was redet sind, Maßnahmen noch zulassen — und wir
diese Veränderung unserer Verfassungswirklich- glauben, daß sie sie zulassen würden —, die die
keit, die sich vollzieht, für das Leben der einfachen deutsche Regierung ergreifen kann, um nicht ohne
Leute in Deutschland und in Europa bedeuten kann. weiteres den Verbraucher nur mit den ungünstigen
Dabei möchte ich davon ausgehen, daß wir diese Seiten in Berührung kommen zu lassen.
Debatte natürlich sehr stark unter agrarpolitischen (Zustimmung bei der SPD.)
Vorzeichen führen werden. Die Presseüberschriften
und was es sonst gab, lassen ja erkennen, daß da Wir glauben also, daß da zusätzliche Möglichkeiten
im Hintergrund eine Preissteigerungstendenz be- gegeben sind. Die Bundesregierung wird danach
steht. Wenn nun die Bevölkerung in unserem Land noch gefragt werden.
die EWG gleichsetzen würde mit dem Teurerwerden Abgesehen von diesen agrarpolitischen Betrach-
aller Waren, dann wäre das ein politischer Miß- tungen sollten wir die Einsicht festhalten, daß nach
erfolg. Auffassung aller Sachverständigen ein solcher grö-
(Beifall bei der SPD.) ßerer Markt auch eine günstige Wirkung auf das
Der muß nach unserer Auffassung vermieden wer- Wirtschaftswachstum und damit auf die Chancen
den. Wir wollen nicht, daß ein solcher Eindruck ent- hat, das Volkseinkommen rascher zu vergrößern.
steht. Wir sind uns dabei darüber klar, daß die Nach den Zahlen, die darüber vorliegen, ist z. B. das
Argumentation nicht ganz einfach ist. Vielleicht Wachstum des Bruttosozialprodukts pro Kopf der
haben wir in der öffentlichen Diskussion in den Bevölkerung in der Gemeinschaft in den letzten
letzten Monaten und Jahren einen Fehler gemacht — Jahren durchschnittlich doppelt so hoch gewesen
ich meine: wir alle miteinander —, indem wir alles wie im Vereinigten Königreich von Großbritannien.
in der Diskussion im agrarpolitischen Bereich auf Es ist wesentlich, daß ein solcher Punkt eine beson-
den sogenannten Getreidepreis abstellten. Dabei dere Beleuchtung erfährt, weil wir nur von dorther
weiß jeder, der praktisch damit etwas zu tun hat, die Begründung für die politischen Maßnahmen fin-
daß selbst eine Senkung des Getreidepreises gar den können. Denn es handelt sich nicht um das
nicht ohne weiteres zu einer Senkung des Brot- Ergebnis eines Zufalls. Vielmehr müssen wir den
preises führen würde, weil der Anteil der Erzeuger- ganzen großen Wirtschaftsraum als einen Faktor der
kosten unmittelbar an diesem Endprodukt längst Konjunkturstabilisierung, des Ausgleichs von Span-
nicht dem entspricht, was nachher wirklich durch- nungen usw. gut nutzen und dafür auch die ent-
schlagend helfen würde. sprechenden politischen Vorkehrungen treffen.

(Beifall bei der SPD.) Wir wissen z. B., daß verstärkte Importe durchaus
einen Preisdruck auslösen können. Wir wissen, daß
Ich glaube also, es ist wichtig, daß wir uns bei einer eine gewisse Entspannung bei Übernachfrage herbei-
solchen Überlegung nicht irgendwelchen Emotionen geführt werden kann, wenn eben die Grenzen offen
hingeben, sondern wir müssen klar durchrechnen, sind. Alles das ist nach unserer Auffassung möglich.
was sich hier vollzieht und was sich da alles ergibt. Es fragt sich, ob eine Politik betrieben wird, die die
Ich glaube, was da an Preiserhöhungswünschen Auswirkungen auch bis zu den einfachen Leuten
von gewissen Seiten vorgebracht wird und zusätz- durchschlagen läßt, oder ob das Ganze in Vorstadien
lich bekanntgeworden ist, stellt einen Bärendienst abgefangen wird.
an der Idee der Einigung Europas dar, da dieser Wir müssen uns der Folgewirkungen bewußt sein.
Zeitpunkt gerade so ungünstig gewählt worden ist. Wir haben in Deutschland in den letzten 10 Jahren
(Beifall bei der SPD.) eine so nachhaltige Veränderung unserer Arbeits-
kräftestruktur erlebt, daß wir wissen müssen: eine
Ich glaube, es wäre notwendig, in der Bevölkerung Arbeitsplatzsicherung und eine Beschäftigungspoli-
das ein wenig auseinanderhalten zu lassen.
tik mit nationalen Mitteln ist überhaupt nur noch
Aber wenn wir noch einmal zurückdenken an alles in einem sehr begrenzten Umfang möglich. Aus der
das, was im Hintergrund auf uns zukommt, dann internationalen Verflechtung unserer Wirtschaft
müssen wir sagen: wenn der Gemeinsame Markt heraus müssen wir uns darüber klar sein, was ein
einen Sinn haben soll, dann muß sich auch für die solcher Großraum dann auch an Verantwortung mit
Landwirtschaft allmählich das Prinzip durchsetzen — sich bringt.
und es wird sich in diesem Bereich durchsetzen —, Vielleicht darf ich in diesem Zusammenhang, da-
wenn Wettbewerbsverfälschungen und alles das mit deutlich wird, welche Bedeutung gerade den
herausgenommen werden, daß die Produktion zum jetzt von außen her auf die Arbeitsplatzsicherung
besten Wirt wandert, zu den besseren Böden und wirkenden Faktoren zukommt, zwei Zahlen nennen.
zum besseren Klima. Wenn das der Fall sein würde, Die Ausfuhr des Deutschen Reiches ist für das Jahr
dann ist tendenziell wenigstens eine Veränderung 1936 auf das Gebiet der Bundesrepublik umgerech-
in den volkswirtschaftlichen Größenordnungen und net worden. Der Index wurde damals volumen-
damit eine Möglichkeit zur Verbesserung der mäßig mit 100 bezeichnet. Für 1950 wird dieser
Lebens- und sonstigen Bedingungen aufgezeigt. Index mit 89 angegeben, 1959 beläuft er sich auf
Dabei haben wir nicht zu leugnen, daß sich auf 342. Mit anderen Worten: wir haben eine über-
kurze Sicht gewisse Tendenzen zeigen werden. In mäßige Steigerung unseres Exports, eine größere
bezug auf Geflügel wird es neue Situationen geben; Exportorientierung unserer Wirtschaft zu verzeich-
das alles werden die Agrarpolitiker noch ein wenig nen. Daraus ergibt sich eine Umgruppierung der
näher beleuchten, vielleicht auch unter dem Gesichts- Arbeitskräfte, die gar nicht beliebig gesteuert wer-
358 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962

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den kann, sondern sehr stark davon abhängig ist, Fachpresse so viele Diskussionsbeiträge geliefert
daß der internationale Wirtschaftsverkehr funktio- werden, daß die verantwortlichen politischen Kräfte
niert, und da verlangt ein solcher Großraum eine sich einen Überblick verschaffen können über das,
besondere Verantwortung. was vielleicht nicht berücksichtigt ist oder was viel-
Ich darf, um gerade für die einfachen Leute zu leicht als eine Art Überrumpelung möglich sein
könnte.
zeigen, um was es geht, noch eine andere Tatsache
(Beifall bei der SPD.)
unterstreichen. In dem Vertrag über die Europäische
Wirtschaftsgemeinschaft sind Bestimmungen ent- Diese Begründung für die Einschaltung eines par-
halten, die man als einen Ansatzpunkt für eine lamentarischen Organs kann nicht übersehen wer-
Sicherung des Arbeitseinkommens auf lange Sicht den, und in demokratischen Ländern kann man dar-
interpretieren kann. Das ist insofern wichtig, als über einfach nicht hinweggehen.
wir natürlich mit Veränderungen rechnen müssen, Wir können allerdings nicht damit rechnen, daß
die ein solcher Großmarkt auslöst, mit Verände- der Vertrag in dieser Richtung sehr rasch geändert
rungen, die zu Umstellungen bei einzelnen Betrie- wird. Unser Vorschlag geht daher in die Richtung,
ben führen können. Wenn von vornherein Über- eine Gepflogenheit zu entwickeln, wonach der Mini-
einstimmung darüber besteht, daß die Arbeitnehmer sterrat keine Entscheidung tnifft ohne Rücksicht auf
durch solche Umstellungen nicht mit einer Einkom- die Meinung des Parlaments, das vorher beraten
mensminderung belastet werden dürfen, so ergibt hat.
sich als Schlußfolgerung, daß man ein Recht der (Sehr gut! bei der SPD.)
arbeitenden Bevölkerung auf eine langfristige Siche-
rung ihres Einkommens anerkennt. Das bedeutet nicht eine Bindung an den Beschluß
des Parlaments. Man könnte durchaus vorsehen,
Ich habe das hervorgehoben, weil es dabei nicht daß im Falle schwerwiegender Bedenken eine Art
nur um die Sache der Arbeitnehmer geht. In be- Vermittlungsaktion dazwischengeschaltet wird, daß
stimmten Gebieten, wo sich Veränderungen voll- dann das Parlament noch einmal Gelegenheit zu
ziehen, kann auch der örtliche Handel oder das einer speziellen Stellungnahme bekommt. Das wäre
örtliche Handwerk sehr stark daran interessiert ein Verfahren, das mit den Verträgen nach unserer
sein, daß die Umstellungsmaßnahmen nicht die Ge- Auffassung vereinbar wäre. Man müßte nur eine
fahr von Einkommensminderungen heraufbeschwö- Gepflogenheit und die Zustimmung der Regierungen
ren, weil sich daraus Kettenreaktionen ergeben zu dieser Gepflogenheit haben. Der Druck sollte
können, und weil daraus mehr Unheil entstehen nach unserer Auffassung in diese Richtung gehen.
kann als aus der Tatsache, daß nur ein bißchen
weniger gekauft würde. Das bedeutet auf der anderen Seite — Herr Prä-
sident, meine Damen und Herren, ich muß es ganz
Ich habe diese Dinge herausgestellt, um einer offen sagen — auch gewisse Veränderungen in der
Diskussion vorzubeugen, die sich nur an dem Agrar- Arbeitsweise eines solchen Parlaments. Wir haben
preis orientiert, wie wir das in der Öffentlichkeit manchmal in den nationalen Parlamenten, aber auch
beobachten konnten. Wenn wir von solchen mög- in der Beratenden Versammlung des Europarates
lichen günstigen Auswirkungen sprechen, müssen und im Europäischen Parlament die Meinung ver-
wir auch immer den Gesichtspunkt beachten, wie treten hören: Schicken wir die Europa-Schwärmer
wir sicherstellen können, daß die nunmehr von und die Lyriker nach Europa, da können sie nicht
staatlicher Seite nicht mehr möglichen Handelsbe- schaden; hier zu Hause, wo die Arbeit getan wird,
schränkungen nicht auf dem Wege über private braucht man ernsthafte Leute. Diese Haltung gab es
Marktgebietsaufteilungen und Preisabsprachen so- zeitweise. Aber nun zeigt es sich, daß dort Entschei-
zusagen von den Interessentenverbänden, von den dungen fallen, daß dort etwas geschieht. Es wäre
Kartellen wahrgenommen werden. Wie können wir daher zu untersuchen, wie wir die Arbeit dort so
das erreichen? organisieren können, daß nicht zum Schluß wieder
Wir glauben, daß dafür die parlamentarische Kon- die Gewohnheit Platz greift, Resolutionen zu ver-
trolle von ganz besonderer Bedeutung ist. abschieden, die man dort in der Fachsprache „weiße
Neger" nennt. Das sind Resolutionen, die einstim-
(Beifall bei der SPD.) mig angenommen werden und in die jeder nach-
Wenn die Verfassungswirklichkeit sich ändert, wenn träglich das hineinliest, was er hineinlesen wollte,
diese Mehrheitsbeschlüsse möglich sind, dann ist so daß sie einander widersprechende Auffassungen
nicht sichergestellt, daß bei der Vorbereitung sol- in sich vereinen. Hier liegt es also an den Parla-
cher Beschlüsse und im Endstadium, wenn man an mentariern selbst, ihre .eigene Ernsthaftigkeit zu be-
die Entscheidung kommt, die Bevölkerung über- weisen und nicht z. B. Zufallsmehrheiten in Kauf zu
haupt die Gewißheit hat, daß alle Interessenten be- nehmen.
rücksichtigt worden sind, dann ist nicht sicher- Das ist nur zu erreichen, wenn ein solches Parla-
gestellt, daß e s in der Öffentlichkeit eine wirkliche ment in wachsendem Maße eine echte politische
Auseinandersetzung gegeben hat. Darin sehen wir Struktur bekommt, wenn die politischen Gruppie-
zum großen Teil die Funktion auch des Bundestages rungen die Verantwortung für das übernehmen, was
bei gesetzgeberischen Maßnahmen. Nicht nur die dort geschieht. Die Kollegen, die mit mir in die-
Diskussion der Parlamentarier untereinander ist sen Gremien sind, wissen, was das für die großen
wichtig, sondern es ist auch wichtig, daß während Individualisten speziell aus dein Süden bedeutet.
des Gesetzgebungsganges, nach der ersten Lesung Wir müssen gleichwohl unseren Einfluß geltend
oder schon vorher, in der Tagespresse und in der machen, daß wenigstens eine gewisse Übereinstim-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 359
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mung und Ausrichtung entsteht. Ich glaube, daß Sie werden mir vielleicht vorwerfen können, daß
dabei — das sei in aller Zurückhaltung und Beschei- ich mich etwas zu stark mit wirtschaftlichen und
denheit gesagt — auch wir Sozialisten in diesem sonstigen Fragen befaßt und die politische Entwick-
Parlament in der Gruppierung der Abgeordneten lung, so wie sie da und dort manchmal speziell ver-
aus den sozialistischen Parteien der sechs Länder standen wird, ein wenig vernachlässigt hätte. Nun,
eine gewisse praktische Arbeit in der Vergangen- wir sehen dieses Sichherausbilden einer euro-
heit schon haben leisten können. Wir haben immer päischen Union in erster Linie in Ausbau und Festi-
systematisch versucht, unseren 'Standpunkt so weit gung der bestehenden Gemeinschaften — ich sage:
anzunähern, daß wir möglichst gemeinsam auftre- in erster Linie — und nicht so sehr darin, absolut
ten konnten, und wir haben es dabei sehr oft erlebt, neue Institutionen in Gang zu bringen. Gewiß dür-
daß das Lösungen waren, die allgemein als der Aus- fen wir bei all diesen Überlegungen über der inne-
fluß einer gewissen Gemeinschaftswilligkeit, einer ren Festigung den Blick nach draußen nicht ver-
Gemeinschaftssolidarität betrachtet werden konnten. gessen. Wir müssen dabei die gesamteuropäische
Ich will hier nicht kontroverse Diskussionen her- Verantwortung dieser Gemeinschaft als Gemein-
aufbeschwören; aber ich muß sagen, daß es dabei schaft betonen. Ich glaube, es war nur ein rascher
nicht immer so abgegangen ist, daß alle anderen Zungenschlag, der nicht ganz .auf das hinlief, was
Gruppierungen auch in der Lage waren, ähnliche die Gedanken sagen wollten, wenn Herr von Bren-
Wege zu gehen. Vielleicht lag das daran, daß wenig- tano hier davon sprach, daß man Gefahren nur von
stens manche zu inkohärenten Elemente in ihrem außerhalb Europas zu erwarten habe. Wir würden
Schoß noch vereinen, als daß das Ganze richtig funk- meinen, daß unter Europa nicht nur Westeuropa zu
tionieren könnte. Ich glaube also, wir müssen das verstehen ist, sondern auch der Teil, der heute nicht
Augenmerk der Öffentlichkeit auf die Notwendig- absolut frei seine Meinung verkünden kann. Wir
keit richten, daß auf europäischer Ebene politische müssen, wenn wir den Begriff „Europa" gebrau-
Gruppierungen unmittelbar in die Verantwortung
chen, immer auch an das denken.
einzubeziehen sind. (Beifall bei der SPD und bei der FDP.)
(Beifall bei .der SPD.)
Ich glaube, daß das eine Seite der gesamteuro-
Im anderen Falle erleben Sie, daß bestimmte Kräfte päischen Verantwortung ist.
auf der europäischen Ebene etwas anderes vertre-
ten als zu Hause bzw. daß sie eine Arbeitsteilung Die andere Seite der gesamteuropäischen Ver-
mit anderen haben, die das dann besorgen. Diese antwortung hat etwas damit zu tun, daß wir die-
Art Lähmung der parlamentarischen Entwicklung jenigen aufnehmen, die in diese nach dem Vertrag
möchten wir nicht eintreten lassen. Deswegen war offene Gemeinschaft eintreten wollen; allerdings
es, glaube ich, recht gut, ein paar Ansatzpunkte für unter der Voraussetzung, daß sie nicht das Wesen
Methoden zur demokratischen Bewältigung der sich der Gemeinschaft als solcher zu verändern beabsich-
vollziehenden Zuständigkeitsverlagerungen aufzu- tigen. Niemand kann das unterstellen. Die Beitritts-
zeigen. gesuche, die Gesuche um Verhandlungen über den
Wenn wir diese pragmatische Methode hier so Beitritt z. B. Großbritanniens, Dänemarks und Irlands
betont haben — in der Zielrichtung aber ganz sind eindeutig so gehalten, und auch die begleiten-
klar —, dann möchte ich hier nur ein kurzes Wort den politischen Erklärungen gehen eindeutig in die
über all die Dinge sagen, die Herr Kollege von Richtung, daß man eine politische Stärkung akzep-
Brentano über vergangene Zeiten angeführt hat. tiert und daran mitarbeiten will.
Wir wollen auf eine Polemik hier nicht eingehen,
Wir Sozialdemokraten würden großen Wert dar-
keine neue Diskussion hervorrufen. Aber wir müs-
auf legen, daß diese Verhandlungen zügig geführt
sen uns doch immer vor Augen halten — und das
tun wir als Sozialdemokraten —, daß es in der werden, und würden es begrüßen, wenn sie dazu
deutschen Politik Situationen gab, wo wir z. B. der führten, daß wir möglichst bald diese anderen Staa-
Auffassung waren, daß die Ergründung von Mög- ten in unserer Mitte begrüßen können. Wir verspre-
lichkeiten der Wiedervereinigung unter Umständen chen uns u. a. eine Stärkung der demokratischen
einen gewissen Vorrang vor Festlegungen, die von Grundlagen unserer Gemeinschaft und in den euro-
vornherein in eine bestimmte Richtung gehen wür- päischen Ländern überhaupt durch das Hinzutreten
den, hätte haben müssen. von Ländern mit solch starker demokratischer Tra-
dition wie Großbritannien, Norwegen, Dänemark
(Beifall bei der SPD.) und vielleicht auch Irland.
Wir glauben heute, daß die Entwicklung so weit
gegangen ist, daß wir, wenn wir unser Ziel fest- (Beifall bei der SPD.)
halten, andererseits alles tun müssen, damit hier Ich glaube, daß .die Betonung des Willens zur
im Westen, in der Bundesrepublik, in Europa wirt- Aufnahme derjenigen, die Mitglied werden wollen,
schaftliche und soziale Verhältnisse herrschen, die die gleiche Betrachtungsweise für die spezielle
eindeutig beweisen, daß dieses Europa nicht als Lage derjenigen Länder auslösen sollte, die sich
dekadent, als auseinanderfallend bezeichnet werden nicht in der Lage sehen, unmittelbar um Beitritt zu
kann, sondern als eine Kraft, die sich auch in der ersuchen, sondern die ein enges Verhältnis in Ge-
Lebensweise und der Lebensart ihrer Menschen do- stalt einer Assoziierung mit diesem Markt anstre-
kumentiert. ben. Wir möchten dieses Verhältnis so eng wie
(Beifall bei der SPD.) irgend möglich gestalten und glauben, daß die be-
Das ist die Überlegung, die hier anzuschließen wäre. sondere gesamteuropäische Verantwortung es die-
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ser Gemeinschaft nicht gestattet, sich an Entwick- auf die Zusammenarbeit in der NATO und auf die
lungen desinteressiert zu zeigen, die sonst in Gang Fühlungnahme z. B. mit Großbritannien bewußt
kämen. Ich glaube, daß es notwendig war, diesen außer acht gelassen. Wie unsere Einstellung dazu
Gedankengang noch einmal zu betonen. ist, ist in früheren Debatten im einzelnen dargelegt
worden. Nach unserer Auffassung wäre eis daher
Wir haben das Ganze als einen Wachstumsprozeß richtig, wenn sich die Aufmerksamkeit der Öffent-
zu betrachten, den wir fördern möchten, und wissen lichkeit und der Regierungen in erster Linie auf die
sehr gut, daß sich — neben dem wirtschaftlichen nächsten Schritte konzentrieren würde, die im Rah-
Bereich — auch die Frage nach einer allmählichen men der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ge-
Herausbildung der Voraussetzungen, wie es Herr tan werden müssen. Zwar sieht es s o aus, als ob
Kollege von Brentano genannt hat, für eine ge- damit einer vielleicht nicht gerechtfertigten Be-
meinsame Außenpolitik und vielleicht auch für eine tonung wirtschaftlicher Fragen das Wort geredet
gemeinsame Politik auf dem Gebiete der kulturellen würde, wenn wir z. B. sprechen von den Zusammen-
Beziehungen der Mitgliedstaaten stellt. hängen zwischen der Errichtung des Gemeinsamen
Marktes und der Verbesserung der Lebensbedin-
Mit großem Interesse verfolgen wir die Regie- gungen der Bevölkerung, der Sicherung der Beschäf-
rungsverhandlungen im Anschluß an die Verlaut- tigung, den Konsequenzen politischer Art aus dem
barung, die im Sommer vergangenen Jahres von Abbau der Handelsbeschränkungen und der Ein-
den Regierungs- bzw. Staatschefs in Bonn bzw. führung eines gemeinsamen Zolltarifs. Wir glauben
Godesberg herausgegeben wurde und die darauf jedoch, daß die sich vollziehende Verzahnung der
hinauslief, die politische Zusammenarbeit auf diesen Volkswirtschaften und der daraus folgende Zwang,
Gebieten zu institutionalisieren, ihr eine feste Form den wirtschaftlichen Großraum handlungsfähig zu
zu geben. Unsere Meinung dazu ist, daß regelmäßige machen, das heißt Gemeinschaftsorgane mit eigenen
Zusammenkünfte der Staats- und Regierungschefs Zuständigkeiten auszustatten, die einer öffentlichen
oder der Außenminister durchaus nützlich sein Kontrolle unterliegen, und der Zwang, die Zusam-
können; aber Voraussetzung ist, daß etwas Zusätz- menarbeit der Regierungen zu fördern, über dass
liches, Ergänzendes zu den Gemeinschaften geschaf- Wirtschaftliche hinaus führen werden. Der Erfolg
fen wird. Keinesfalls kann es sich darum handeln, der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft berech-
die neue Einrichtung, die zwangsläufig zunächst tigt zu der Hoffnung, daß sich Europa auf seine
mehr die Konsultation, die Koordinierung zur Auf- Möglichkeiten und auf seine Kraft besinnt. Wir sind
gabe haben wird, zu einer Einrichtung zu machen, sicher, daß das der Fall sein wird, wenn die Euro-
die den bestehenden Gemeinschaften übergeordnet päische Wirtschaftsgemeinschaft mehr wird als ein
wäre. wirtschaftlicher Großraum mit freiem Feld für die
(Beifall bei der SPD.) Geschäftemacher, Lobbysten und Bürokraten. Diese
Wirtschaftsgemeinschaft muß ausgebaut werden zu
Eine solche Tendenz, die vielleicht hier und dort einer wirklichen Gemeinschaft und damit zum be-
vertreten wird, würde in Wirklichkeit dazu führen, wußt bejahten Sinnbild einer unverbrüchlichen Soli-
daß sich das Ganze auf eine Form der Zusammen- darität der Völker Europas.
arbeit der Regierungen mit jederzeitigem Einspruchs-
recht zurückentwickelt und daß es nicht zu einer (Beifall bei der SPD und vereinzelt bei
wirklichen Verzahnung nicht nur der Volkswirt- Abgeordneten in der Mitte.)
schaften, sondern überhaupt der Interessen der Völ-
ker kommt. Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
Wir wollen keine Rückentwicklung zum Prinzip Abgeordnete von Kühlmann-Stumm.
der Einstimmigkeit mit einem lähmenden Veto. Wir
möchten die Weiterentwicklung zu einer demokra- Freiherr von Kühlmann-Stumm (FDP) : Herr
tischen Vorform einer europäischen Regierung. Präsident! Meine Damen und Herren! Der Verlauf
(Beifall bei der SPD und vereinzelt bei der dieser Debatte gibt mir die Ehre, hier über Außen-
CDU/CSU.) politik zu sprechen, obwohl ich in meiner Fraktion
speziell wirtschaftliche, finanzielle und agrarpoliti-
Das setzt voraus, daß die Verantwortung auf wirt- sche Fragen bearbeite.
schaftlichem Gebiet in zunehmendem Maße auf Ge-
meinschaftsorgane übergeht, die, wie ich sagte, von Die europäische Idee hat seit dem Grafen Cou-
einem Gemeinschaftsparlament kontrolliert werden denhove-Kalergi ihre große Anziehungskraft nicht
müssen. Ich glaube, daß die Entwicklung zur Mehr- verloren. Nach dem Kriege hat Winston Churchill
heitsentscheidung im Ministerrat die rechte Rich- die europäischen Völker aufgerufen, sich zusam-
tung aufweist. menzuschließen; dieser Zusammenschluß sollte eine
Alternative zu den ungeheuren Gefahren sein, die
Sosehr wir auf der einen Seite die Notwendigkeit uns aus dem Osten drohen. Die beteiligten Länder
anerkennen, zusätzliche Farmen der politischen Zu- haben vor einigen Jahren mit dem Vertrag von Rom
sammenarbeit zu entwickeln, d. h. die Politische die wohl dynamischste und aktuellste Farm der
Union vorzubereiten, so skeptisch sind wir in bezug europäischen Gemeinschaften gefunden. Die Freien
auf die Fortschritte, die auf kürzere Sicht zu erzielen Demokraten bekennen sich in vollem Umfange zu
sind. Über Konsultationen hinaus wird man gegen- dem Inhalt dieses Vertrages, obwohl sie seinerzeit,
wärtig auf außenpolitisches Gebiet kaum kommen als der Vertrag abgeschlossen wurde, grundsätz-
können. Ich habe im Augenblick die Rückwirkungen liche Bedenken geäußert haben.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 361
Freiherr von Kühlmann-Stumm
Die OEEC war eine Gemeinschaft von 17 Staaten, Es gibt eine sehr enge Wechselwirkung zwischen
die außerordentlich erfolgreich arbeitete und die wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten.
wesentlich dazu beigetragen hat, daß sich der Wie- Man hat bei dem Vertrag von Rom den wirtschaft-
deraufbau unserer Bundesrepublik so günstig ent- lichen Weg gewählt, weil man glaubte, die wirt-
wickelte. Wir hatten den Wunsch, daß neben dem schaftliche Dynamik werde so beeindruckend sein,
Sechser-Europa eine große Freihandelszone geschaf- daß sie letzten Endes auch zu einer politischen Eini-
fen werde, damit die gute Grundlage, die die OEEC gung führen könne.
geboten hatte, auch für die Zukunft ausgewertet Das letzte Hindernis, das sich einer solchen wirt-
werde. Das ist damals nicht gelungen. schaftlichen Einigung entgegenstellte, war die
Wir stellen fest, daß die wirtschaftliche Dynamik Agrarpolitik, die in diesem Sechser-Europa Zug um
der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft so gewal- Zug koordiniert werden sollte. Erst als der einstim-
tig, so beeindruckend und so attraktiv ist, daß sich mige Beschluß vorlag, nach Schaffung der notwen-
zahlreiche Länder der westlichen Welt dieser Gemein- digen Voraussetzungen auch auf dem Gebiete der
schaft anschließen wollen; sie haben teils den direk- Agrarpolitik in die zweite Stufe einzutreten, war
ten Beitritt beantragt, teils wünschen sie eine Assozi- diese Europäische Wirtschaftsgemeinschaft wirklich
ierung. Diese Bestrebungen sollten mit allen Mitteln erfolgreich und attraktiv. Alle Bedenken und alle
unterstützt werden. Man sollte die weitere wirt- Kritik, die an diesen Agrarverhandlungen geübt
schaftliche Dynamik sorgfältig beobachten, um zu worden war, wurden schließlich Lügen gestraft, weil
erkennen, wie für diese Länder — ich denke beson- man sich eben doch, wenn auch mit einer kurzen
ders an Großbritannien und Dänemark — die Vor- Verzögerung, auf eine gemeinsame Agrarpolitik ge-
aussetzungen geschaffen werden können, die not- einigt hat. Es wird mir nachher noch obliegen, zu
wendig sind, damit sie den Gemeinschaften beitreten dieser Frage etwas zu sagen. Sie kann als der letzte
können. entscheidende Schritt auf dem Wege zur zweiten
Stufe angesehen werden.
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat vor eini-
gen Tagen vor der Auslandspresse eine Erklärung In den Verträgen von Rom war eine so weitge-
abgegeben. Er hat den Wunsch ausgesprochen, nun- hende Einigung auf dem Gebiete der Landwirtschaft
mehr intensiv die politische Konzeption der Euro- nicht vorgesehen. Auch hier ist wieder die wechsel-
päischen Wirtschaftsgemeinschaft zu erarbeiten. seitige Wirkung zwischen Wirtschaftspolitik und
Denn diese politische Konzeption ist eine wesent- Außenpolitik zu erkennen. Die Franzosen haben in
liche Voraussetzung dafür, daß die Verhandlungen einer sehr wohlabgewogenen Erklärung verlangt,
mit den anderen Staaten, die jetzt nicht dem die zweite Stufe nur dann zu beschließen, wenn
Sechser-Europa angehören, geführt werden können. auch in der Agrarpolitik eine weitgehende Einigung
erzielt worden sei. Ich glaube, wir müssen den Fran-
Auch ein anderer großer Verfechter der sozialen zosen letzten Endes für diese eindeutige Haltung
Marktwirtschaft, Herr Professor Röpke aus Genf, dankbar sein. Denn das Problem wird nicht dadurch
hat vor einiger Zeit in einem Vortrag in Hannover besser gelöst, daß man seine Erörterung hinaus-
energisch gefordert, die wirtschaftliche Beschleuni- schiebt. Vielmehr sollte man dieser Entwicklung ge-
gung, die wirtschaftliche Dynamik etwas einzudäm- trost ins Auge sehen. Je früher man mit der gemein-
men und eine behutsamere Behandlung dieser samen Agrarpolitik beginnt, desto besser kann man
Fragen Platz greifen zu lassen, damit man sich zu- sich innerhalb der vorgesehenen Übergangszeit auf
nächst über die politische Konzeption Klarheit ver- sie einstellen.
schaffen könne. Auch andere wichtige Entscheidungen sind in der
Hier liegen zwei Aussagen von sehr beachtlichem nächsten Zeit notwendig, wenn wir die mit dem
Gewicht vor, und man sollte diesen Anregungen Eintritt in die zweite Stufe gefundene Gemeinschaft
meines Erachtens Folge leisten. erhalten wollen. Wir haben auch hier Ausführungen
namhafter Persönlichkeiten zu verzeichnen, die im
Wir sind überzeugt, daß wir es, wenn diese Vor- Zusammenhang mit dem Schritt in die zweite Stufe
aussetzung erarbeitet worden ist und man in der erfolgt sind. Ich darf zunächst auf die Amerikaner
Frage der weiteren wirtschaftlichen Dynamik der eingehen, die die Europäische Wirtschaftsgemein-
Sechs behutsam vorgeht, in absehbarer Zeit erleben schaft in einer ganz energischen Formgefördert ha-
werden, daß eine große Anzahl von anderen Staa- ben, die immer das politische Moment bei der Euro-
ten, die sich jetzt außerhalb der Europäischen Wirt- päischen Wirtschaftsgemeinschaft im Auge hatten.
schaftsgemeinschaft zum Teil wieder zu Blöcken Jetzt plötzlich erkennen sie, daß sich in diesem
zusammengeschlossen haben, endgültig ihren Bei- Sechser-Europa eine gewisse Selbstversorgung ab-
tritt vollziehen. Wir hoffen, daß die verantwort- zeichnet und daß sie damit rechnen müssen, Waren
lichen Stellen alles dazu beitragen werden, was nicht mehr in dem bisherigen Umfang in den Raum
ihnen möglich ist, um die Verhandlungen über den der Sechs hineinliefern zu können.
Beitritt bzw. die Assoziierung dieser Staaten be-
schleunigt vonstatten gehen zu lassen. Die amerikanische Landwirtschaft befindet sich
in einer katastrophalen Situation. Sie leidet seit
Das Ziel — auch das außenpolitische Ziel — aller Jahren unter einer Überproduktion größten Aus-
dieser Bestrebungen muß eine möglichst große Ge- maßes. Die Amerikaner haben die höchsten Agrar-
meinschaft sein. Wir wünschten, daß es die 17 Na- subventionen der westlichen Welt. Ich darf dabei
tionen werden, die einst in der OEEC zusammen- darauf hinweisen, daß alle Länder der westlichen
geschlossen waren. Welt ihre Landwirtschaften in dieser oder jener
362 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962

Freiherr von Kühlmann-Stumm


Form subventionieren, wobei das Ausmaß der Sub- suchen, ihre landwirtschaftlichen Überschüsse mit
ventionen sehr oft nicht in vollem Umfange zu Hilfe einer liberalen Einfuhrpolitik in andere Län-
erkennen ist. der abzusetzen. Dabei ist interessant, daß die Ameri-
kaner im Rahmen der Entwicklungshilfe bezüglich
Die Amerikaner haben auch in Brüssel bereits der Nahrungsmittelhilfe schon eigene Wege gegan-
Teilerfolge auf dem Gebiete des Zolls zu verzeich- gen sind. Wenn man von einer Getreideüberproduk-
nen. Für einige Waren wurde eine beiderseitige tion im späteren europäischen Raum vielleicht ein-
20 % ige Zollsenkung vereinbart. Aber die Ameri- mal spricht, sollte man sich die Erfahrungen zunutze
kaner wollen natürlich mehr. Sie wollen ihre Pro- machen, die die Amerikaner bisher auf diesem Ge-
dukte in vollem Umfang in das Gebiet der Euro- biete besitzen.
päischen Wirtschaftsgemeinschaft liefern. Sie stellen
Das aktuellste Problem für die Europäische Wirt-
aber mit Schrecken fest, daß das nach der bisheri-
schaftsgemeinschaft ist die Einbeziehung Englands.
gen Konzeption nur sehr schwer möglich sein wird.
Herr von Brentano hat schon gesagt, daß dieser Ent-
In den jüngsten Abmachungen hat man an einer
schluß der Briten, sich der Europäischen Wirtschafts-
Fülle von diskriminierenden Maßnahmen festgehal-
gemeinschaft anzuschließen, wohl als historisch zu
ten. Besonders auf dem Gebiete der Landwirtschaft
bezeichnen ist. Es ist vielleicht der wichtigste Schritt,
werden sich diese Maßnahmen in aller Kürze in den die Engländer nach dem Kriege getan haben.
noch größerem Umfange auswirken. Ich spreche hier Sie geben dabei viel auf, sie wollen aber auch etwas
nicht nur vom Zoll, ich spreche auch von den Prä- von ihren eigenen Gedanken in diese Europäische
ferenzen, die gegenüber Drittländern eingegangen Wirtschaftsgemeinschaft hineinbringen. Sie wollen
worden sind, und ich spreche davon, daß die Fran- Verschiedenes von dem, was sie an Erfahrungen ge-
zosen gerade in der Tatsache, daß um die Sechs ein sammelt haben, auch erhalten wissen. Die Engländer
Außenzolltarif herumgelegt wird, die große Chance haben, durch schlechte Erfahrungen gewitzigt, unter
für ihre Landwirtschaft und ihre Wirtschaftspolitik großer Belastung der öffentlichen Hand und der
sehen. Steuerzahler eine eigene landwirtschaftliche Produk-
So glaube ich, daß in sehr kurzer Frist erneute tion aufgebaut. Die Engländer produzieren heute
Verhandlungen zwischen den Amerikanern und der etwa 50% ihres Bedarfs im eigenen Land, wir in der
EWG stattfinden werden. Es wird sich dann wieder Bundesrepublik etwa 75 %. Die Engländer haben
um wirklich politische Fragen handeln. Die Ameri- ein eigenes System entwickelt, wonach sie sämtliche
kaner werden einfach nicht zulassen, daß ihnen auf landwirtschaftlichen Güter zu Weltmarktpreisen ein-
die Dauer dieser große, dynamische und in seinem führen und dem Verbraucher somit die Möglichkeit
-
Ausmaß ständig wachsende Markt verschlossen geben, billige Nahrungsmittel zu kaufen. Sie sub-
wird. Ich glaube, daß hier die erste Bewährungs- ventionieren ihre eigene Landwirtschaft. Sie zahlen
probe der Gemeinschaft zu erwarten ist, und bin den in England lebenden Bauern die Differenz
überzeugt, daß die Kommission und letzten Endes zwischen den Weltmarktpreisen und den in England
auch der Rat den Wünschen der Amerikaner nicht entstehenden kostendeckenden Preisen und geben
die kalte Schulter zeigen werden, wie wir das schon dafür ebenfalls erhebliche Beträge aus.
in den Anfängen feststellen konnten. Die Amerika- Sie werden natürlich, wenn sie der Europäischen
ner haben auch ein völlig neues Außenhandelspro- Wirtschaftsgemeinschaft beitreten, die Verbraucher-
gramm vorgelegt. Sie haben angeboten, ihre Ein- frage besonders in den Vordergrund stellen; denn
fuhrpolitik zu revidieren. Sie haben lange in Genf sie wollen ihren Beitritt ja nicht mit einem höheren
bei der sogenannten Dillon-Runde darum gerungen. Niveau der Lebenshaltungskosten und mit teureren
Der amerikanische Präsident wird nun versuchen, Nahrungsgütern bezahlen. Sie haben auch noch
in seinem eigenen Lande die Widerstände auszu- andere sehr entscheidende Wünsche, die man bei
räumen, um letzten Endes zu erreichen, daß die den Commonwealth-Ländern suchen muß. Diese Län-
Einfuhrzölle in Amerika in maßgeblichem Umfang der, besonders Neuseeland, Australien und Kanada,
abgebaut werden. Das kann aber nur geschehen, genießen starke und nachdrückliche Präferenzen bei
wenn auch die Europäische Gemeinschaft ihre dis- der Lieferung ihrer Produkte nach Großbritannien.
kriminierenden Maßnahmen Schritt für Schritt be- Diese Präferenzen zu erhalten, wird ein Hauptan-
seitigt. liegen der Engländer bei den Verhandlungen über
den Eintritt in die EWG sein. Hier ergeben sich
Der Herr Bundeswirtschaftsminister, der ja in
wiederum Schwierigkeiten. Wenn man nämlich den
Amerika gewesen ist, hat dem amerikanischen Prä-
englischen Wünschen nachgeben will, wird die
sidenten nahegelegt, auf diesem Wege zügig voran-
zwangsläufige Folge sein, daß eben auch diese
zugehen, wobei er sich vielleicht nicht in vollem
Waren in den Raum der EWG hineinfließen werden.
Umfange darüber im klaren war, was das für die Da die Bundesrepublik das einzige Land der EWG
Agrarpolitik der Bundesregierung und für die Agrar- ist, das einen landwirtschaftlichen Importmarkt zu
wirtschaft des Bundesgebietes bedeuten wird! verzeichnen hat, d. h. das einzige Land, dessen
Die Amerikaner haben auch eine völlig neue eigene Produktion die Nachfrage nicht deckt, son-
Landwirtschaftspolitik im Auge. Sie gehen heute dern eine erhebliche Menge von landwirtschaftlichen
schon so weit, daß sie den Nichtanbau von land- Produkten im Wert von insgesamt etwa 10 Milli-
wirtschaftlichen Nutzflächen sehr hoch prämieren. arden DM pro Jahr einführen muß, wird sich der
Sie wollen unter allen Umständen die Überproduk- Beitritt Englands entscheidend für die deutsche Land-
tion eindämmen. Sie wollen verhindern, daß jähr- wirtschaft bemerkbar machen.
lich riesige Beträge an Steuergeldern für die Bevor- Es ist daher unvermeidlich, daß sich sowohl die
ratung verbraucht werden müssen. Sie wollen ver amerikanischen Bestrebungen als auch die Bestre-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 363
Freiherr von Kühlmann-Stumm
bungen der Engländer und der Commonwealth-Län- Eine große Aufmerksamkeit sollten wir, glaube
der ausschließlich auf den Agrarmarkt der Bundes- ich, auch den südamerikanischen Staaten widmen,
republik auswirken werden. Es ist sehr fraglich und die ja davon leben, landwirtschaftliche Güter zu
es würde eigentlich jeder politischen Logik wider- exportieren. Wenn sie ihre eigene Industrie und
sprechen, wenn nicht genau wie bei dem Abschluß ihre eigene Wirtschaft aufbauen, wenn sie die hier-
der Agrarverhandlungen in Brüssel so auch bei den zu nötigen Devisen gewinnen wollen, ist das nur
Verhandlungen mit Amerika und England von bei- durch einen intensiven Export von landwirtschaft-
den Seiten Konzessionen gemacht würden. Ohne ge- lichen Gütern möglich, wobei sie natürlich beson-
genseitiges Nachgeben wird eine Vereinbarung ders an die europäischen Länder denken. Sie haben
über diese Fragen besonders aber auf dem Gebiet ja erfahren, daß gerade aus der südamerikanischen
der Agrarmärkte nicht zu erreichen sein. Ecke besonders kritische Stimmen zu den Brüsseler
Agrarbeschlüssen zu hören sind. Ich glaube, auch
Es ist mir nicht bekannt, ob die Engländer die Ab- die Nordamerikaner werden die südamerikanischen
sicht haben, auf der Beibehaltung ihres Systems zu Wünsche sehr stark unterstützen. Wir müssen also
bestehen. Dieses System ist sehr attraktiv, und Sie damit rechnen, daß auch von dieser Seite Wünsche
wissen, daß verschiedene deutsche Agrarpolitiker an die EWG gerichtet werden.
den Wunsch geäußert haben, es auf die deutschen
Verhältnisse zu übertragen. Ich glaube, daß diese Dis- Ferner denke ich an die Entwicklungsländer über-
kussion nach dem Abschluß der Agrarverhandlun- haupt. Diese Länder bekommen ja nicht nur von der
gen in Brüssel beendet ist und daß wir uns hierüber Bundesrepublik, sondern auch von anderen west-
keinen Gedanken mehr zu machen brauchen, es sei lichen Ländern ganz erhebliche Mittel zur Verfü-
denn, die Engländer bestehen darauf, die Frage der gung gestellt, mit denen sie ihre Entwicklung stei-
Überleitung ihres Systems nach Europa bei den gern, ihre Industrie aufbauen, aber auch ihre eigene
Verhandlungen noch einmal aufzuwerfen. Landwirtschaft fördern sollen. Die Länder sind nicht
in der Lage, die gegebenen Gelder fristgemäß zu-
Es gibt aber noch weiter Länder auf dieser Welt, rückzahlen, wenn sie nicht in die Lage versetzt wer-
die der Frage, ob es ihnen in der Zukunft möglich den, ihre Produkte — und das sind überwiegend
sein wird, Nahrungsgüter in die EWG hineinzulie- Agrarprodukte — in die Länder abzusetzen, von
fern, eine große, eine entscheidende Bedeutung bei- denen sie nun einmal die Kredite und die Hilfs-
messen. Ich denke in erster Linie an Dänemark. Es mittel erhalten haben. Wir haben bei der Kaffee-
ist bekannt, daß nur auf Grund der Zollmaßnahmen, steuer über diese Frage diskutiert. Sie gehört nicht
die wir zum 1. Januar 1962 beschlossen haben, dä- direkt hierher. Es gibt aber andere Ernährungsgüter,
nische Butter derzeit hier nicht abzusetzen ist. Für die für den Export der Entwicklungsländer eine ent-
viele andere dänische Waren gilt das gleiche. Sie scheidende Rolle spielen.
erinnern sich an das sehr interessante Gespräch der
Journalisten am Fernsehschirm, wo sich der dänische Den Entwicklungsländern wird es am schwersten
Vertreter sehr energisch dagegen verwahrte, daß fallen, die Zollmauern zu überspringen. Die Ameri-
man in Brüssel zu endgültigen Beschlüssen gekom- kaner können das, die Engländer durch Vertragsbei-
men ist, ohne die Dänen in diese Verträge einzube- tritt vielleicht auch.
ziehen. Aber wir haben auch deutsche Stimmen gehört —
Die deutschen Bauern haben diese Dinge sehr auf- und zwar sehr gewichtige —, die die agrarpoli-
merksam verfolgt, und es ist ganz selbstverständ- tischen Beschlüsse von Brüssel einer kritischen Be-
lich, daß auch die Dänen anstreben werden, mög- trachtung unterzogen haben. Der Präsident des
lichst bald an die EWG angeschlossen zu werden, Groß- und Außenhandelsverbandes hat sich vor
um ihrerseits nun wieder ihre Agrarprodukte in den kurzem in Bonn dahin gehend geäußert, daß er in
Raum der EWG, besonders aber in die Bundesrepu- dem angestrebten Konzept der Selbstversorgung auf
blik, liefern zu können. agrarischem Gebiet in der EWG eine große Gefahr
auch für die deutsche Ernährungswirtschaft sieht.
Dänemark produziert in der Hauptsache Verede- Wir exportieren etwa zwei Drittel unserer Wirt-
lungsgüter. Auf diesem Gebiet hat die EWG bereits schaftsgüter in sogenannte Drittländer. Diese wer-
einen Selbstversorgungsgrad von über 100 % er- den natürlich in dem Umfang weniger deutsche
reicht. Die jährliche Steigerung wird dadurch auf- Waren abnehmen, wie wir Agrarprodukte von
gefangen, daß sich die Einkommensverhältnisse im ihnen zu übernehmen nicht bereit sind.
EWG-Raum laufend verbessern, wodurch die Mög-
lichkeit gegeben ist, die Mehrproduktion auch abzu- Wenn nun schon bei wichtigen Grundnahrungs-
setzen. Wenn sich die Dänen diesem europäischen mitteln die Unterschiede erheblich sind — wie es
Markt anschließen und dieselben Vorzüge genießen, z. B. jetzt beim Vergleich dänischer Butter mit
die jetzt den Sechs zugestanden sind, so wird sich Butter aus der Europäischen Wirtschaftsgemein-
das Volumen der Veredelungsprodukte in diesem schaft ist —, besteht die Gefahr, daß die Handels-
Raum auf 110 % steigern, und es ist deswegen, ströme umgeleitet werden und wir einen großen
glaube ich, müßig, die deutschen Bauern immer wie- Teil unseres Exports an die Drittländer verlieren.
der anzuregen, noch mehr Veredelungsgüter herzu- Das ist die andere, hier sehr wichtige Frage.
stellen; denn bekanntlich bricht ein Markt in dem In diesem Zusammenhang sollte man ganz offen
Moment zusammen, wo das Angebot die Nachfrage auch ein Wort über die Handels- und Zahlungsbilan-
wesentlich übersteigt und der Markt nicht mehr zen sagen. Die Amerikaner haben große Sorgen mit
in der Lage ist, die produzierte Ware aufzunehmen. ihrer Handelsbilanz. Dasselbe gilt für die Engländer,
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Freiherr von Kühlmann-Stumm


die auf dem Gebiet der Wirtschaft bereits sehr darauf hinweisen, daß für jede wirtschaftliche Inve-
schwere Zeiten hinter sich haben. Auch bei den stition, für jede wirtschaftliche Planung der Preis
Franzosen zeichnet sich eine rückläufige Ausfuhr ab. entscheidend ist. In der Landwirtschaft ist das Preis-
Bei uns ist diese Entwicklung noch nicht zu verspü- gefüge nun einmal im Getreidepreis verankert. Der
ren. Aber wir müssen damit rechnen, daß bei sich Getreidepreis ist der Angelpunkt der gemeinschaft-
laufend steigernden Kosten die aktive Handels- lichen Landwirtschaftspolitik überhaupt. Über den
bilanz auch bei uns eine gewisse Beeinträchtigung Getreidepreis ist in dem Bericht von Herrn Minister
erfahren wird. Schwarz ja gesagt, daß er erst in absehbarer Zeit
Nachdem wir in der Bundesrepublik zur Zeit im gefunden werden soll und daß dieser Getreidepreis
Gegenwert von etwa 10 Milliarden DM Nahrungs- an den jetzigen deutschen Getreidepreis angelehnt
güter einführen, sollte man sehr sorgfältig prüfen, werden wird.
inwieweit man von einer starken Eigenproduktion Wir haben in der Vergangenheit aus berufenem
auf dem Gebiete der Landwirtschaft abgehen sollte. Munde gehört, daß sich auch in Bereichen, von de-
Meine Fraktion ist der Auffassung, daß man diesen nen wir bisher nicht annehmen konnten, daß sich bei
Weg nicht beschreiten sollte. Maßgebliche Stimmen ihnen diese Erkenntnis durchsetzte, eine Tendenz
haben erklärt, es müßten noch 1 Million Menschen bemerkbar macht, die uns hoffen läßt, daß wir mit
aus der Landwirtschaft in andere Berufe abwan- dem jetzigen deutschen Erzeugerpreisniveau durch-
dern; der Rest, der dann in der Landwirtschaft ver- kommen werden. Ich glaube auch — und das ist vor-
bleibe, solle die Fläche, die frei werde, bearbeiten hin schon gesagt worden —, daß eine Senkung des
und werde dann ein größeres Einkommen haben. Getreidepreises beim Erzeuger keine großen Aus-
Auch hier möchte ich nachdrücklich Bedenken an- wirkungen haben würde. Denn wir haben in der
melden. In manchen anderen Staaten, wo ähnliche Vergangenheit erlebt, daß in der Bundesrepublik die
Tendenzen bestanden, sind Schwierigkeiten aufge- Erzeugerpreise relativ stabil, ja zum Teil sogar
treten, und die Entwicklung ist zum Teil umgekehrt rückläufig gewesen sind und daß sich trotzdem die
gelaufen. Es ist eben nicht gelungen, bei der Ab- Verbraucherpreise auf Grund der laufenden Kosten-
wanderung von Menschen aus der Landwirtschaft steigerungen langsam, aber stetig nach oben ent-
dieselbe Produktion zu erhalten. Ich möchte auf wickelt haben. Wir hoffen also, daß der Getreide-
diese Dinge nicht im einzelnen eingehen, denn die preis in einer für Deutschland erträglichen Form
Fachfragen werden ja in der weiteren Debatte be- ausgehandelt wird. Wir glauben auch, daß es auf
sprochen. Ich möchte nur zu einigen grundsätz- die Dauer nicht möglich sein wird, der Europäischen
lichen Fragen des Vertrages Stellung nehmen. Wirtschaftsgemeinschaft nur Aufgaben der -Verede-
lungsproduktion zufallen zu lassen, sondern daß es
Der Agrarvertrag von Brüssel hat meiner Ansicht notwendig sein wird, einen großen Teil der Boden-
nach drei wichtige Kristallisationspunkte, und diese produktion auch im Raum der EWG weiterzuführen.
sollten hier herausgestellt werden. Ich darf zunächst
darauf hinweisen, daß in dem Konkurrenzunterneh- Die zweite Frage ist die des Überganges. Es ist
men der EWG, der EFTA, das in seiner Entwicklung kein Zweifel, daß ein großer Erfolg unserer Kom-
keineswegs glücklich gewesen ist und das im Gegen- mission darin zu sehen Ist, daß es ihr gelungen ist,
satz zur EWG nur sehr wenig attraktiv war, über die die Übergangszeit auf siebeneinhalb Jahre festzu-
Landwirtschaft überhaupt nicht gesprochen worden setzen. Siebeneinhalb Jahre sind für sine landwirt-
ist. Die Agrarpolitik. in der EFTA war völlig ausge- schaftliche Entwicklung nur eine sehr kurze Zeit,
klammert. Ich darf auch darauf hinweisen, daß es aber wir wollen froh sein, daß der Landwirtschaft
den drei Benelux-Ländern Holland, Belgien und wenigstens diese Übergangsfrist gegeben wird.
Luxemburg in fünfzehn Jahren nicht gelungen ist, Allerdings müssen wir uns vom ersten Tage an
eine gemeinsame Agrarpolitik zu finden. Man kann energisch auf die Fragen vorbereiten, die auf die
daraus ermessen, welch großen Erfolg es für die Landwirtschaft zukommen, wenn diese Übergangs-
Verhandlungskommissionen bedeutet, daß sie es er- frist einmal beendet sein wird.
reicht haben, in so kurzer Frist — wenn auch unter
Die dritte Frage, die am ernstesten überprüft wer
großem Zeitdruck — in Brüssel eine gemeinsame den muß, ist die Frage der Schutzklauseln. Als die
agrarpolitische Konzeption zu erarbeiten. Auch un- Montanunion und der Vertrag über Kohle und Stahl
sere Fraktion schließt sich den anerkennenden Wor- in diesem Hause verhandelt wurden, hat ein Abge-
ten an, die hier über unsere deutsche Verhandlungs- ordneter erklärt, es könne doch einmal der Moment
kommission gesprochen worden sind. Im Rahmen eintreten, in dem zuviel Kohle in dem Raum der
des Möglichen ist Erhebliches geleistet worden. Ich Montanunion vorhanden sei. Das wurde damals
glaube auch, daß den Richtlinien, die der Kommis- verneint. Es wurde erklärt, das sei eine Utopie, es
sion vom Kabinett mitgegeben worden waren, in in den nächsten fünfzig Jahren immer Kohl e werd
vielen Punkten entsprochen werden konnte. Natür- mangel herrschen. Die Entwicklung hat sehr schnell
lich stand der Kompromiß über all diesen Fragen, einen anderen Weg genommen. Wir stellen heute
und bei einem Kompromiß kann eben nicht alles er- fest,daßkumöglichersnt,daÜbuß-
reicht werden. problem bei der Kohle zu lösen. Die Bundesregie-
Auf einem wichtigen Gebiet ist aber, Gott sei rung und die Verbände haben verschiedene Vor-
Dank, möchte ich sagen, noch alles offen. Es ist von schläge gemacht. Aber es scheint sich zunächst keine
den Investitionen und von der Strukturverbesserung Möglichkeit anzubahnen, dieses Dilemmas Herr zu
in der Landwirtschaft gesprochen worden, von den werden. Wir hoffen, daß die Bundesregierung sehr
großen Anstrengungen, die die Landwirtschaft in bald ein grundsätzliches Konzept zu der Frage der
den nächsten Jahren zu unternehmen hat. Ich möchte Energiepolitik entwickeln wird.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 365
Freiherr von Kühlmann-Stumm
Ebenso sollte man auf dem Gebiet der Landwirt- Sprecher der Bundesregierung anerkannt haben, die
schaft nicht die augenblickliche Situation als Aus- Landwirtschaft sei in den letzten zwei Jahren der
gangspunkt nehmen. Wir wissen alle nicht, was in einzige Stabilisierungsfaktor der deutschen Wirt-
siebeneinhalb Jahren in der Bundesrepublik und im schaft gewesen. Trotzdem konnte nicht verhindert
Raum der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft werden, daß die Lebensmittelpreise beim Verbrau-
sein wird. Wir wissen nicht, wie sich die Dinge ent- cher laufend anstiegen. Ich glaube, das wird auch in
wickeln. Die Wirtschaftsprobleme sind auch hier der EWG so bleiben, wenn wir nicht lernen maß-
sehr eng mit den außenpolitischen verknüpft. Die zuhalten. Man kann eine Marschkolonne nicht bei
Schutzklauseln, die eingeführt warden sind, schei- der Feldküche aufhalten, und es nützt gar nichts,
nen mir nicht genügend wirksam zu sein. Die Büro- daß die Landwirtschaft stillhält — was sie seit Jah-
kratie, die dabei in Gang gesetzt werden muß, ist ren tut —, wenn auf der anderen Seite durch kosten-
zu kompliziert und zu schwerfällig. Ich glaube, daß steigernde Faktoren auf dem Gebiet der Sozial-
diese Schutzklauseln in der Praxis nicht erfolgreich politik, der Lohnpolitik usw. eben die Spitze davon-
sein werden. läuft. Dadurch entsteht für die Landwirtschaft eine
Wenn die Bundesregierung schon selbst 'erkennt, sehr schwerwiegende Wechselwirkung, indem näm-
daß nach ihren Erfahrungen das Abschöpfungs- lich nicht nur der Abstand ihres Lohnes von dem
system nicht ausreicht, um Störungen des Marktes Lohn der vergleichbaren gewerblichen Industrie
zu beseitigen, wie sie gelegentlich auftreten, dann immer größer wird, sondern auch die Produkte, die
sollte man doch versuchen, das System der Schutz- die Landwirtschaft einkaufen muß, weil sie sie be-
klauseln zu verbessern, zu konkretisieren, — wobei nötigt, um ihre Erzeugnisse zu erstellen, durch die
natürlich am Ende immer der Beschluß des Minister- Kostensteigerung immer teurer werden. Die Land-
rats steht. Der Ministerrat wird mit Mehrheit be- wirtschaft wird also durch diese Entwicklung in zwei
schließen, so daß man sich ausrechnen kann, wie die Fällen sehr maßgeblich beeinflußt.
Wünsche der Bundesrepublik, die das einzige Ein- Die Verbraucher werden nur dann einen Vorteil
fuhrland der EWG ist, in diesem Ministerrat behan- von der Entwicklung in der Europäischen Wirt-
delt werden. Ein wirksamer Schutz der Bundes- schaftsgemeinschaft haben, wenn es gelingt, die ge-
republik ist s o nicht gegeben. samte Kostenstruktur maßvoll zu gestalten. Laufen
Ich möchte noch ein Wort zur Finanzbelastung die Kosten weiterhin in einem solchen Umfang den
sagen. Diese Belastung ist in ihrer Größenordnung Erzeugerpreisen der Landwirtschaft davon, so wer-
völlig offen. Niemand weiß, welche Summen von den allerdings die Verbraucher nur einen geringen
den Ländern der Gemeinschaft in den Fonds ein- Anteil haben und vielleicht erst nach der endgül-
bezahlt werden müssen. Für die Verteilung des tigen Übergangsphase wirklich zu einer spürbaren
Fonds ist ein Schlüssel gefunden worden, der für Erleichterung gelangen.
die Bundesrepublik meines Erachtens tragbar ist. Für die Bauern, die jetzt mit großer Sorge auf
Aber niemand weiß, welche Mittel z. B. notwendig die Entwicklung innerhalb der Europäischen Wirt-
sein werden, um die Exportvergütungen zu bezah- schaftsgemeinschaft blicken, entstehen entscheidende
len, welche Mittel notwendig sein werden, um die Fragen, die ich schon in den drei Punkten angespro-
Strukturmaßnahmen der Gemeinschaft zu fördern chen habe. Die Bauern sind aber insofern zuver-
und zu unterstützen, und schließlich welche Mittel sichtlich, als sie die Gewißheit haben, daß die Bun-
notwendig sein werden, um andere Maßnahmen, die desregierung alles daransetzen wird, um die Nach-
für diesen Fonds vorgesehen sind, zu treffen. teile und die Preiseinbußen, die ihnen während der
Ich bin nicht sicher, mit welcher Größenordnung Übergangszeit entstehen, auszugleichen. Das ist für
wir in Zukunft zu rechnen haben. Diese Frage ist die Bauern eine sehr wichtige Erkenntnis, weil sie
sehr wichtig; denn wir befinden uns ja in einer nämlich davon überzeugt sind, daß das, was in die-
Haushaltslage, die keineswegs einfach erscheint. Sie ser Frage versprochen worden ist, auch in der Zu-
macht unserem Herrn Finanzminister große Sorgen. kunft gehalten werden wird.
Auf der anderen Seite stellen wir fest, daß die In diesem Zusammenhang möchte ich noch einmal
Mittel für den Grünen Plan, nämlich für die Über- das Landwirtschaftsgesetz ansprechen. Es ist, wie
führung der deutschen Landwirtschaft in die Euro- die Bundesregierung selbst erklärt hat, ein wesent-
päische Wirtschaftsgemeinschaft, jährlich größer licher Bestandteil der europäischen Beschlüsse. Sinn
werden, so daß für die Steuerzahler und die öffent- des Landwirtschaftgesetzes war es, die Einkom-
liche Hand, zumindest während der Übergangszeit, mensstruktur der Landwirtschaft an die der ver-
ohne Zweifel eine doppelte Belastung entstehen gleichbaren gewerblichen Wirtschaft heranzuführen.
wird, die in ihrer Größenordnung nicht zu über- Dasselbe Ziel haben auch die Paragraphen des Ver-
sehen ist. Ich hoffe, daß sehr bald die genauen trages von Brüssel.
Unterlagen über das in Brüssel Vereinbarte vor-
In der Zwischenzeit und in der Übergangszeit
liegen werden, damit man erkennen kann, welche
Lasten in Zukunft für die Bundesrepublik ins Auge werden vielleicht Fragen auftauchen, die die Bauern
gefaßt werden müssen. in ganz erheblichen Rückstand bringen könnten und
die Einbußen an ihrem Einkommen nach sich zie-
In der Regierungserklärung ist mehrfach von der hen. Wir sind aber davon überzeugt, daß die Bun-
Tatsache gesprochen worden, daß auch für die Ver- desregierung alles tun wird, diese Einkommensein-
braucher im Zuge der weiteren Entwicklung eine bußen auszugleichen. In der Erklärung des Bun-
Erleichterung geschaffen werden soll. Ich habe vor- desernährungsministers sind Anhaltspunkte dafür
hin schon darauf hingewiesen, daß sehr prominente vorhanden. Wir hoffen, daß die Zusagen, die einmal
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gemacht worden sind, in vollem Umfange eingehal- um letzten Endes auch auf dem politischen Weg
ten werden. Denn neben der großen Zahl der Werk- zum Ziel zu kommen und diesem neuen Europa,
tätigen waren es die Bauern, die nach dem Kriege das sich so dynamisch zeigt und das mit dem Über-
dazu beigetragen haben, die große wirtschaftliche gang zur zweiten Stufe einen so wichtigen Schritt
Expansion und die gute Entwicklung unserer Wirt- vorwärts getan hat, weiterhin zum Erfolg zu verhel-
schaft zu tragen, die geradezu die Voraussetzungen fen. Denn letzten Endes sind wir uns alle bewußt, daß
für den großen Erfolg geschaffen haben. Sie haben die Nationalstaaten allein nicht mehr in der Lage
nach dieser Entwicklung stillgehalten, sie haben sein werden, die Dinge zu meistern. Deswegen hoffe
nicht an den Preisen manipuliert. Sie haben in sehr ich, daß dieser dynamischen Wirtschaftskonzeption
geringem Umfange an den Einkommenssteigerungen sehr bald auch eine politische folgen wird, die dann
der übrigen Wirtschaft teilgenommen. Dem sollte die Möglichkeit gibt, dieses Europa so weit auszu-
man Rechnung tragen. dehnen, wie wir freien Demokraten es immer ge-
wünscht haben.
Ich hoffe, daß das Ziel des Vertrages von Rom
letzten Endes mit dem Ziel des Landwirtschaftsge- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
setzes in Übereinstimmung gebracht werden kann.
Dabei darf ich noch einmal darauf hinweisen, daß Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
mit Subventionen allein keiner Landwirtschaft ge- Abgeordnete Struve.
holfen werden kann, sondern daß eine gesunde
Synthese zwischen Preis- und Subventionspolitik Struve (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine Da-
gefunden werden sollte. men und Herren! Der Verlauf der Debatte zeigt, wie
Auch aus dieser Sicht sind einige Vorschläge ge- stark auch die europäische Agrarpolitik unter dem
macht worden. Ich kann Ihnen sagen, daß jedes Preis- Gebot der politischen Notwendigkeit steht.
problem der Landwirtschaft mit dem Qualitätspro- Der Herr Kollege von der SPD ist neben einer
blem verbunden ist. Ich glaube, jeder deutsche Ver- politischen Würdigung vor allen Dingen auch auf
braucher wird ohne weiteres bereit sein, einen höhe- die vorbereitenden Arbeiten der Bundesregierung
ren Preis für landwirtschaftliche Produkte zu zah- eingegangen. Ich erachte es nicht als meine Auf-
len, wenn man ihm eine bessere Qualität anzubie- gabe, diese kritischen Bemerkungen zu widerlegen.
ten in der Lage ist. Darüber besteht kein Zweifel, Aber ich glaube, Herr Kollege, wir werden den
wenn man die Erfahrungen des letzten Jahres in Dingen doch wohl nur dann gerecht, wenn wir fest-
vollem Umfange berücksichtigt. halten, daß die ganzen Arbeiten im Ministerrat zu-
Ich möchte nicht weiter auf Einzelheiten eingehen, sätzlich auch dadurch belastet wurden, daß immer
sondern zum Schluß nur noch einmal sagen, daß neue Probleme von seiten der Partnerländer auf den
auch meine Fraktion den Wunsch hätte, zu sehen, Tisch gelegt wurden und zum Teil neue Verordnun-
daß das Europäische Parlament in seinen Möglich- gen in die Beratungen hineinkamen, so daß zeit-
keiten und in seinen Kompetenzen gestärkt werden weise durchaus der Eindruck entstand, daß die ein-
könnte. Aber auch das Parlament der Bundesrepu- zelnen Delegationen und insbesondere auch die
blik sollte bei den Fragen, die jetzt in 'Brüssel ver- deutschen Delegationen überfordert seien.
handelt worden sind, und bei den Ausführungs- Ich meine, daß die Leistung unserer deutschen
bestimmungen, die sich im Zusammenhang mit die- Delegation — wie das auch hier schon von den
sen Fragen ergeben, nicht ausgeschlossen sein. Die Sprechern zum Ausdruck gebracht worden ist —
Bundesregierung hat in ihren Erklärungen einige anerkannt werden muß; ich glaube, sie hat unter
Andeutungen gemacht, wonach sie für gewisse der Führung unseres Bundesministers Schwarz den
Übergangsbestimmungen Vollmachten wünscht. Bei deutschen Standpunkt gut verteidigt und gut ver-
diesen schwerwiegenden Fragen, von denen die treten.
Existenz so vieler Menschen abhängt, sollte man (Beifall bei den Regierungsparteien.)
'zunächst die letzte Instanz doch bei den nationalen
Parlamenten belassen, ebenso wie man in Zukunft Die Öffentlichkeit, weit über die Grenzen Deutsch-
alles daran setzen sollte, die demokratische Kraft lands hinaus, hat es miterlebt, wie Sie, Herr Bun-
des Europäischen Parlaments zu fördern und zu desminister, sich Ihrer schwierigen Aufgabe ent-
steigern. Hier ist ja mit Recht der Gedanke ange- ledigt haben. Ihr Name wird mit einem bedeutsa-
klungen, daß man im Laufe der Zeit von den natio- men Stück deutscher Geschichte verbunden sein —
nalen Parlamenten zu einer europäischen Regierung mit einem bedeutsamen Stück europäischer Ge-
und zu einem Europäischen Parlament langsam über- schichte dürfen wir hinzufügen. Ich darf Ihnen des-
leiten müsse. halb auch im Namen unserer politischen Freunde
dafür Dank und Anerkennung sagen.
Ich hoffe, daß unser Wunsch, den wir seinerzeit
(Beifall bei den Regierungsparteien.)
bei der Gründung des Vertrages von Rom deut-
lich ausgesprochen haben, der Wunsch nach einem Die Römischen Verträge, meine Damen und Her-
größeren Europa und nach einer Einbeziehung der ren, gingen von der Überzeugung aus, daß das
westlichen Welt in die Europäische Wirtschaftsge- soziale Gleichgewicht und die politische Stabilität
meinschaft erfüllt wird und daß es gelingt, alle die sich nur erreichen und erhalten lassen, wenn in
Vorstellungen, die im Vertrag von Rom nieder- größerem Raum ausreichende Absatzmöglichkeiten
gelegt sind, zu verwirklichen. Ich versichere im für die wachsende Produktion zur Verfügung ste-
Namen der Fraktion, daß die Freien Demokraten an hen. Diese Ziele sind umfassend. Ihre Verwirkli-
allen diesen Fragen energisch mitarbeiten werden, chung darf keinen Wirtschaftszweig und keine Land-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 367
Struve
schaft ausschließen, wenn nicht Unruheherde ent- ren zwangsläufig zur Farm, einer Entwicklung, die
stehen sollen, die das gemeinsame Werk dann meine politischen Freunde nicht wollen.
gefährden würden. (Beifall in der Mitte.)
Es ist unsere Pflicht, mit diesem Maßstab sehr Wir sind der Auffassung, daß man hier nicht allein
sorgfältig und sehr kritisch zu messen, was in nach ökonomischen Gesichtspunkten entscheiden
Brüssel beschlossen worden ist. Dabei kann es aller- kann und daß die Rechnung fehlerhaft sein muß,
dings weniger um den Inhalt als vielmehr um die wenn man sie ohne den Menschen macht. Gerade
Auswirkung dieser Beschlüsse gehen, sofern wir die menschliche Seite sollte auch bei diesem Agrar-
uns der Meinung des Herrn Ministers anschließen, problem nicht zu kurz kommen, weil sonst die Fol-
das in Brüssel europäisches Recht gesetzt wurde; gen unübersehbar wären und nach meiner Über-
und ich glaube, diese Meinung gilt. zeugung auch das ganze europäische Gebäude auf
Das aber bedeutet, daß wir uns heute nicht mehr schwachen Füßen stünde.
über das Für und Wider des Abschöpfungssystems, (Zustimmung in der Mitte.)
über das System der Getreiderichtpreise oder auch
darüber, ob die Schutzklausel besser anders ausge- Ich glaube, daß unser Bundesminister auch diese
sehen hätte, zu unterhalten haben. Diese Themen Problematik im Auge hatte, als er feststellte, daß
sind im Grundsatz entschieden. Aber die Durchfüh- am Ende der Übergangszeit auch .der Landwirtschaft
rungsbestimmungen und die praktische Handha- Vorteile erwachsen werden. Das beinhaltet, daß wir
bung stehen aus. Schon diese Tatsache gibt unserer während der Übergangszeit, also während der näch-
heutigen Diskussion ihre besondere Bedeutung. sten 7 1/2 Jahre, noch eine ungeheure Arbeit vor
Meine Herren Vorredner haben schon auf diesen uns haben, daß vor allen Dingen die praktische
Umstand hingewiesen. Ich glaube, wir alle müssen Landwirtschaft noch einen schweren Weg vor sich
dazu beitragen, daß die Ausführung der Brüsseler hat. Wenn diese Wirtschaftsgemeinschaft einmal
Beschlüsse von Anfang an auf den guten Willen vollständig verwirklicht sein wird, dann muß doch
derjenigen Rücksicht nimmt, ohne die das Werk als Resultat dieses Werkes der Freiheit — darüber
nicht gelingen kann; eine übersteigerte Theorie dürfte auch in diesem Hohen Hause Einigkeit be-
könnte viel Unheil anrichten. stehen — eine breite Schicht selbständiger bäuer-
licher Betriebe erhalten bleiben.
Die Kommission sollte die Auswirkungen der Ver-
ordnungen in den einzelnen Partnerländern sehr (Beifall bei der CDU/CSU.)
sorgfältig verfolgen. Natürlich kann man innerhalb -
Der Weg bis dahin ist jedoch sehr schwer. Täuschen
und außerhalb der Landwirtschaft verschiedener wir uns nicht: es kommen große Umstellungen auf
Meinung sein, z. B. ob die natürlichen Produktions- uns zu. Der Herr Minister hat schon davon gespro-
bedingungen und der günstige Standort allein die chen. Ich glaube, daß die Umstellungen, die uns
Erzeugung bestimmen. bevorstehen, noch schwieriger zu bewerkstelligen
Ich war doch etwas überrascht, daß der Herr sein werden als die, die wir schon hinter uns haben.
Kollege von der SPD in diesem Zusammenhang so Seit 1950 sind aus der Landwirtschaft von 3,7
selbstverständlich nur noch dem besseren Standort, Millionen Menschen 1,2 Millionen ausgeschieden;
dem besseren Klima, dem besseren Boden und in das sind etwa 30 % der in der Landwirtschaft tätigen
Verbindung damit dem besseren Wert die Chance Bevölkerung. In Gebieten mit günstiger Agrarstruk-
gibt. tur liegt .der Prozentsatz noch höher; wegen des
Meine Damen und Herren, das ist ohne Zweifel höheren Technisierungsgrades sind dort über 40 %
ein Geist, der in den Verordnungen und auch in den der Arbeitskräfte freigesetzt worden. Zu gleicher
Römischen Verträgen einen sehr starken Nieder- Zeit ist die Produktion in der Landwirtschaft um
schlag gefunden hat. Aber ich darf doch auch darauf über 40 % gestiegen; zu gleicher Zeit — diese
hinweisen, daß neben diesen wirtschaftlichen Zielen Zahlen stammen von wissenschaftlichen Instituten
die Erhaltung des bäuerlichen Familienbetriebes ein und vom Bundeswirtschaftsministerium — ist die
erklärtes Ziel der europäischen Agrarpolitik ist. Produktivität in der Landwirtschaft um über 100 %
Meine politischen Freunde stehen zu dieser Ansicht. gestiegen. Diese Ziffern müssen einmal herausge-
stellt werden, um zu zeigen, daß die Landwirtschaft
(Beifall bei der CDU/CSU — Abg. Bir nicht der Bremser bei den EWG-Verhandlungen
kelbach: Da müßt Ihr aber eine andere war, daß die Landwirtschaft in der Bundesrepublik
Subventionspolitik treiben!) nicht rückständig ist, sondern daß sie sich, wie der
Sie sind der Auffassung, daß wir den Weg zu suchen Entwicklungsprozeß der letzten zehn Jahre zeigt,
haben, auf dem ihm seine Existenzgrundlage ge- vollgültig neben alle anderen Wirtschaftszweige
sichert ist. Das schließt nicht aus — und in diesem stellen kann.
Punkt sind wir uns einig —, daß auch innerhalb (Beifall bei der ,CDU/CSU.)
der Landwirtschaft bei gleichen Wettbewerbsvor-
aussetzungen am Ende die Leistung in Europa ent- Die Produktions-, Absatz- und Arbeitsverhältnisse
scheiden wird und soll. haben sich also verändert; die Arbeitsverhältnisse
werden sich noch weiter verändern. Das Vertrags-
Ich meine aber, wir sollten dieses Problem sehr werk wird noch einschneidendere Maßnahmen brin-
ernst und bis zum Ende durchdenken. Täuschen wir gen. Die Landwirtschaft wird, man kann sagen, in
uns nicht: wirtschaftliche Überlegungen allein füh eine noch schärfere Konkurrenz hineingeraten. Die
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moderne industrielle Entwicklung, die wir in den mit der Entfernung von dem preisbestimmenden
letzten Jahrzehnten durchgemacht haben, wird an Preiszentrum, dem sogenannten Paritätspunkt, und
Tempo, aber auch an Intensität zunehmen. Wir wür- der Preis des Futtergetreides steigt mit der Ent-
den uns gegenüber der arbeitenden bäuerlichen Be- fernung von diesem preisbestimmenden Ort.
völkerung ins Unrecht setzen, wenn wir heute diese
Ich glaube, daß der Herr Bundesminister vor
Dinge nicht ganz klar herausstellten.
allem an diese Widersprüche dachte, als er von den
In wenigen Wochen werden wir von der Bundes- kommenden Schwierigkeiten insbesondere für die
regierung wieder einen Grünen Bericht erstattet be- marktfernen Gebiete sprach. Ohne Zweifel werden
kommen; wir werden über seine Aussagen diskutie- diese beim Brotgetreide in Zukunft weniger erzie-
ren. Wir wissen jedoch heute schon: das seit Jahren len als bisher, und die Kosten .der Veredelung wer-
bekannte Bild wird sich kaum stark verändert ha- den höher sein, als es im Augenblick der Fall ist.
ben. Die Fähigkeit der Landwirtschaft zur Bildung
von Eigenkapital ist nach wie vor zurückgeblieben. Nun muß anerkannt werden, daß die Bundesregie-
Die Mittel für unsere Institutionen aus Eigen- und rung diese bedenklichen Folgen nicht nur angespro-
Fremdkapital stehen in einem schlechten Verhältnis chen, sondern Frachtbeihilfen des Bundes in Aus-
zu den Erfordernissen. Der europäische Markt — sicht gestellt hat, die den Ausfall mildern sollen.
das müssen wir mit aller Deutlichkeit sagen — wird Aber ein Rest zu Lasten der Landwirtschaft wird
die Investitionsforderungen der deutschen Landwirt- unter allen Umständen bleiben. Dieser Rest kann
schaft noch erheblich steigern. Darum ist es mit eine unter dem Druck der hohen Kosten sehr leicht zu
der ersten Fragen, die uns in diesem Zusammenhang einer größeren Produktionsmenge führen. Schon
beschäftigen müssen, welche Auswirkungen die dies allein bedeutet mit Sicherheit eine steigende
Brüsseler Beschlüsse auf die Finanzkraft unserer Produktion in der ganzen Veredelungswirtschaft.
Landwirtschaft haben werden. Wird diese Finanz- Aber auch diese größere Menge wird den Ausgleich
kraft stark beeinträchtigt, oder wird das nicht der für den Erlösausfall im Getreidebereich nicht brin-
Fall sein? Greifbare Tatsachen stehen uns eigent- gen, wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt.
lich nur in einer Hinsicht zur Verfügung. Das mit Damit muß man leider rechnen, wenn unsere Part-
dem 1. Juli dieses Jahres beginnende Getreidewirt- ner in Zukunft auf Grund des Fortfalls der mengen-
schaftsjahr wird uns den Getreiderichtpreis bringen. mäßigen Beschränkung bei der Einfuhr allzu stark
Dieser bricht kraft Brüsseler Verordnung deutsches in den deutschen Markt eindringen. Wir wissen,
Recht, und wir werden unser Getreidepreisgesetz daß Zölle und Einfuhrbeschränkungen fallen. Es ist
ohne Zweifel an diese Verordnung anpassen müssten. wohl entscheidend, daß in diesem Zusammenhang
die Dinge nicht allein aus der agrarischen Sicht und
Bei allen übrigen Produkten sind wir vorläufig
vom Agrarpreis her behandelt werden. Von unserem
auf Vermutungen und auf Schätzungen angewiesen.
Herrn Fraktionsvorsitzenden wurde schon angedeu-
Der Trend ist jedoch offensichtlich. Die Hartnäckig-
tet, daß man überall, nicht nur in der Agrarpolitik,
keit der Brüsseler Verhandlungen ist nach meiner
sondern auch in der Wirtschafts-, Verkehrs-, Finanz-
Überzeugung weitgehend mit dem Wunsch der Part-
und Steuerpolitik zu einer Harmonisierung kommen
ner zu erklären, ihre von Jahr zu Jahr steigenden
muß. Mit anderen Worten: man muß in einen wirk-
Überschüsse im agrarischen Bereich verstärkt auf
dem deutschen Markt unterzubringen. Die hier lichen Wettbewerb eintreten. Diesen echten Wett-
schon ausgesprochene Sorge, ob die Schutzklauseln in bewerb wird auch die deutsche Landwirtschaft in
ihre Rechnung einbeziehen.
dieser Beziehung ausreichen werden, ist auch unsere
Sorge. Es wird nicht einfach sein, das nach meiner In diesem Zusammenhang darf ich mir ein Wort
Überzeugung unbedingt erforderliche Aufrechterhal- an die Verbraucher erlauben. Auch von ihren Inter-
ten des deutschen Erzeugerpreisniveaus erfolgreich essen war heute schon die Rede. Wir wissen, daß
zu verteidigen. Nicht zuletzt aus diesen Gründen sich der zuständige Minister nicht nur um die Fra-
bangt die deutsche Landwirtschaft um eine europäi- gen der Landwirtschaft, sondern auch um . die der
sche Entwicklung. Darum ist es nötig, daß wir ihr Ernährung zu kümmern hat. Wir als große Fraktion
von Anfang an die Gewißheit geben, daß wir sie in innerhalb der CDU/CSU wissen aber auch, daß jede
dieser Lage nicht im Stich lassen. einseitige Betrachtung den Weg in ein geeintes
(Zustimmung bei der CDU/CSU.) Europa erschweren müßte. Wir sind deshalb nicht
Schon anläßlich der neuen Getreidemarktregelung minder an einem gerechten Ausgleich interessiert.
wird sich das Hohe Haus mit diesem besonderen Im gewerblichen Sektor wird das vielseitige Ange-
Problem beschäftigen. Wir wissen, daß die neue bot ohne Zweifel noch größer, noch vielfältiger und
Regelung einen entscheidenden Wechsel gegenüber — davon sind wir überzeugt — in manchen Berei-
der bisherigen Situation darstellt. Während sich die chen noch preisgünstiger ausfallen. Auch das Ange-
Preisbildung bisher auf der Grundlage des garan- bot an Nahrungsmitteln wird größer und vielfäl-
tierten Erzeugermindestpreises vollzog, müssen die tiger sein. Die Qualitäten werden besser sein, die
Getreidepreise bekanntlich vom 1. Juli dieses Jah- Sortierungen noch sorgfältiger. Man darf aber nicht
res an im ganzen Bundesgebiet an den Preis, der vergessen, in welcher Lage wir uns befinden. M an
sich im größten Verbrauchsgebiet, also praktisch im darfeshlbnictw,daßesmAugn-
Ruhrgebiet, bildet, angepaßt werden. Das ist sehr blick zusätzlich auch noch große Preissenkungen für
viel mehr als nur ein Wechsel im äußeren System. die Verbraucher 'eintreten können.
Die Produktionsvoraussetzungen werden sich da- In diesem Zusammenhang war schon einmal vom
durch völlig ändern. Nach der neuen Preisregelung Getreidepreis und seinen Auswirkungen die Rede.
sinkt nämlich der Erzeugerpreis des Brotgetreides Ich darf auf diesen Punkt zurückkommen. Wir alle
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 369
Struve
miteinander sollten nicht vergessen, daß wir noch weiter voranzubringen. Auf alle Fälle ergibt sich
eine Übergangszeit von siebeneinhalb Jahren vor daraus eine besonders große Verantwortung für die
uns haben. In dieser Übergangszeit müssen wir vor Kommission. Bei ihr liegt die Entscheidung darüber,
allen Dingen die wirtschaftliche Produktionskraft was praktisch in der Zukunft geschehen soll. Wir
unserer Landwirtschaft entwickeln. Diese Entwick- brauchen nur an den Mechanismus der hier schon
lung — ich darf darauf zum Schluß zurückkommen — besprochenen Schutzklausel zu denken; er erfordert
muß mit einer besonderen Intensität vorangetrieben lebensnahe, unmittelbare Kenntnisse des prakti-
werden. Am Ende der Übergangszeit aber — wir schen Geschehens, wenn Ungerechtigkeiten und
zweifeln nicht daran — werden sich gemäß den Ver- Fehlentscheidungen vermieden werden sollen. Da-
mutungen, die unser Bundesminister Schwarz zum her scheint der Wunsch berechtigt, daß die Kom-
Ausdruck brachte, für alle am Wirtschaftsprozeß mission sich nicht isolieren möge. Übertriebene
interessierten Gruppen Vorteile ergeben. Wie ich Bürokratie müßte unheilvolle Wirkungen haben.
schon andeutete, mag es feststehen, daß dieses Ziel
in gewissen Zweigen der gewerblichen Wirtschaft Ohne auf Einzelheiten einzugehen, möchte ich die
schneller erreicht wird. Das hängt damit zusammen, berechtigten Belange der großen Zahl intensiver
daß der Umstellungsprozeß hier sehr viel schneller Obst und Gemüseanbauer ansprechen. Die einset-
-

vor sich geht und eine gesteigerte Nachfrage infol- zende Neuordnung muß praxisnah erfolgen. Trotz
gedessen sehr viel schneller befriedigt werden kann. weitgehend günstiger Boden- und guter Klimaver-
Umgekehrt folgen bei einem gewissen Nachlassen hältnisse sind Umstellungen hier kaum möglich,
der Nachfrage auch sehr schnell Produktionsein- weil auf kleinen Flächen intensiver Ackerbau — für
schränkungen. Die Landwirtschaft hat es hier sehr viele Familien möchte man sogar sagen: regelrechter
viel schwerer, und sie braucht dringend die ihr nun- gärtnerischer Anbau — betrieben wird. Diese Bauern
mehr bewilligte achtjährige Übergangszeit. müssen wir schützen.
Ich glaube, wir sollten uns in diesem Zusammen- (Beifall bei der CDU/CSU.)
hang daran erinnern, daß dieses ganze Werk der Weiterhin erscheint es mir notwendig zu sein, die
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft doch kein Frage des zukünftigen europäischen Getreidepreises
Produkt einseitiger Tagespolitik ist und — hier darf noch einmal sehr gründlich zu durchdenken, nach-
ich sinngemäß auf die Regierungserklärung des dem die grundsätzlichen Entscheidungen getroffen
Herrn Bundeskanzlers zurückkommen — daß es in sind. Eine übersteigerte Eile dürfte nun nicht mehr
erster Linie eine politische Tat erster Ordnung angebracht sein. Statt dessen ist es wichtiger, erst
zunächst für die sechs Mitgliedsländer ist. Wir alle einmal Erfahrungen zu sammeln, die den Streit um
wissen aber, daß mit dieser Einigung im Herzen den Getreidepreis von dem Beigeschmack des allzu
Europas das europäische Werk nicht vollendet ist. Theoretischen befreien.
Ich unterstreiche nachdrücklichst die Ausführungen
meines Fraktionskollegen von Brentano, daß diese Ich treffe diese Feststellung nicht in der Furcht da-
Gemeinschaft größer werden muß. Wir wissen auch, vor, daß die Bundesregierung ihren erfreulich kla-
daß diese Einigung uns und allen mit uns verbün- ren Standpunkt in dieser Frage aufgeben könnte.
deten Völkern die Freiheit erhält. Diese Tatsache Sie wird — so sind wir überzeugt — das niemals im
sollte nach meinem Dafürhalten jede überspitzte Ernst erwägen. Meine politischen Freunde stehen
und einseitige Betrachtungsweise irgendeiner Grup- in diesem Fragenkomplex jedenfalls eindeutig zu
pe, irgendeines Standes — auch der Landwirtschaft den Äußerungen unserer politischen Freunde im
— ausschließen. Europäischen Parlament, und wir sind der Überzeu-
(Beifall bei der CDU/CSU.) gung, daß auch unsere Partner alle diese Dinge auf
Grund der jetzt getroffenen Entscheidungen noch
Ich möchte hinzufügen, daß eine gewisse Unsicher- einmal durchdenken müssen; denn — auch das
heit in der Landwirtschaft nun nicht etwa einer wurde hier schon angeführt — die Meinungen, die
negativen Einstellung zu diesem sich vereinenden in der Bundesrepublik eigentlich sehr eindeutig in
Europa gleichzusetzen ist. Gewiß spielen auch rein eine andere Richtung liefen, werden in zunehmen-
persönliche Sorgen eine Rolle. Diese Sorgen gelten dem Maße revidiert. Das gilt nicht nur im Bereich
etwa dem, was am Jahresschluß unter dem Strich der einzelnen großen wirtschaftlichen Organisatio-
steht, vielmehr gelten sie der bangen Frage, ob in nen, es gilt auch im Bereich der Wissenschaft und
diesem größeren Raum nicht allzu einseitig die auch, wie es scheint, in zunehmendem Maße bei den
standortbegünstigte Konkurrenz oder das günstige Parteien, die in dieser Frage in der Vergangenheit
Klima einen Vorsprung erhält. Auch gewisse kapi- etwas anderer oder gar entgegengesetzter Auffas-
talistische Zusammenballungen schon innerhalb der sung waren. Es scheint, daß auch bei den anderen
Erzeugungsstufe in der Landwirtschaft lassen uns Parteien neue Überlegungen in dieser Frage ange-
aufhorchen und bergen eine Gefahr für die Existenz stellt werden.
des bäuerlichen Familienbetriebes in sich.
(Beifall bei der CDU/CSU.) Lassen Sie mich zusammenfassen. Der europäische
Weg ist beschritten, und er muß mit aller Konse-
Endgültig beantworten kann diese Frage bei dem quenz, um unserer freien Existenz willen, weiter-
gegenwärtigen Stand der Dinge wohl kaum jemand. gegangen werden. Diese unerschütterliche Überzeu-
Wir müssen diese Frage aber ernst nehmen. Sie gung schließt nicht aus, daß dort geholfen werden
muß uns Veranlassung geben, die jetzt begonnene muß, wo sich auf diesem Wege nicht vertretbare
Entwicklung behutsam und sorgfältig, wie das auch Schäden ergeben. Ich glaube, wenn auch die deut-
in der Regierungserklärung zum Ausdruck kommt, schen Bauern in ihren berufsständischen Organisa-
370 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962
Struve
tionen so geschlossen zu diesem geeinten und kom- Kapitalaufwand, der dem einzelnen trotzdem ver
menden Europa stehen, dann tun sie das einmal, bleibt, günstiger gestaltet werden. Das landwirt-
weil sie wissen, daß die Freiheit nicht teilbar ist. schaftliche Strukturprogramm muß von einem den
Sie werden aber auch in ihre Überlegungen einbe- ganzen ländlichen Raum erfassenden Investitions-
ziehen, daß die Übergangszeit der Landwirtschaft in programm ergänzt werden.
der Bundesrepublik Ertragseinbußen bringt. Ja, ich
In der Regierungserklärung sind beim Zusammen-
glaube, wir können festhalten: Die deutsche Land-
tritt des Hohen Hauses in diesem Zusammenhang
wirtschaft wird auch dann Ertragseinbußen erleiden,
wertvolle Hinweise gegeben worden, in denen von
wenn wir unsere Partner davon überzeugen, daß der
dem ländlichen Wohnungsbau die Rede war, eben-
derzeitige Getreidepreis in Deutschland auch euro-
so in bezug auf die Frage der Steuerverteilung zwi-
päischer Getreidepreis wird.
schen Bund, Ländern und Gemeinden. Die Landge-
In diesem Zusammenhang müssen wir noch einmal meinden, vor allen Dingen die sogenannten Haufen-
auf die großen und sich steigernden Investitionen dörfer, werden sich völlig verändern. Die Dorfsanie-
zu sprechen kommen, die uns einmal in der Land- rung oder, sagen wir: die Dorferneuerung muß vor-
wirtschaft, also in der Erzeugerstufe, begegnen. Sie angetrieben werden. Dabei wollen wir nicht verges-
werden aber nicht minder in der Be- und Verarbei- sen, daß zu der Landwirtschaft das ganze mittel-
tungsstufe, sie werden in dem ganzen Fragenkom- ständische Gewerbe, besonders das Ernährungshand-
plex der Vermarktung auf uns zukommen. Ich werk, die Ernährungsindustrie, gehört. Gerade diese
glaube, der sich schon zeigende Wandel wird auch Zweige werden durch den Wandel in der Vermark-
hier durch die europäische Entwicklung in ein tung landwirtschaftlicher Veredelungsprodukte be-
schnelleres Tempo hineinkommen. Vor allen Dingen sonders stark in eine Umstellung hineingezwungen.
in den marktfernen Gebieten werden sich große Es gilt hier, das Eigentum von Bauern und Mittel-
zusätzliche finanzielle Anforderungen stellen. ständlern zu verteidigen. Wir wollen im Dorf aber
auch neues Eigentum für unsere Arbeiter und Ange-
In dieser Gegensätzlichkeit liegt ohne Zweifel
stellten begründen. Wir sind daher der Auffassung,
eine gewisse Gefahr für die Erhaltung der selbstän-
daß diese Dinge verstärkt im ganzen Bereich zum
digen Betriebe, weil hier unter Umständen eine
Durchbruch kommen müssen.
finanzielle Belastung entsteht, die einfach .den trag-
baren Rahmen sprengt. Niemand aber in diesem Für die Landwirtschaft sind Grundsteuer und La-
Hohen Hause wird den auf Eigentum begründeten stenausgleich große Belastungen, die auf der Ko-
Berufsständen die Hilfe versagen. - diesen
stenseite ein bedeutendes Gewicht haben. In
Zusammenhang gehört auch die Neufestsetzung der
Ich glaube vor allen Dingen, daß sich die zu- Einheitswerte. Wenn sie kommt, so darf sie unter
künftige Agrarpolitik der Bundesregierung in der gar keinen Umständen zusätzliche steuerliche Be-
Übergangszeit ganz besonders der Probleme des lastungen für die Landwirtschaft zur Folge haben.
Ausgleichs annehmen muß. Dazu gehört auch, der Die Bundesregierung, aber auch das Hohe Haus wer-
Einfuhr von landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus den darüber hinaus bei der Gesetzgebung nicht zu-
Drittländern vermehrte Aufmerksamkeit zu schen- letzt auch im sozialen Bereich prüfen müssen, ob
ken. Es ist nicht denkbar, daß sich die gewohnten weitere Belastungen der Landwirtschaft vertret-
Warenströme in der neuen Situation weiterhin auf bar sind.
der bisherigen Höhe halten. Einschränkungen dort,
Wir von der CDU/CSU unterstreichen die Kosten-
wo sie möglich und vertretbar sind, müssen uns
seite so stark, weil zur Zeit über den Preis, von
helfen, die agrarpolitische Aufgabe zu meistern.
jahreszeitlich bedingten Schwankungen abgesehen,
Das Schwergewicht der zukünftigen Agrarpolitik mit Ausnahme der Trinkmilch keine wesentlichen
ist nach Ansicht meiner politischen Freunde beson- Mehreinnahmen zu erzielen sind. Unsere Fraktion
ders bei anderen Maßnahmen zu sehen. Dabei dürfte befürwortet eine Erhöhung des Trinkmilchpreises
es im Hinblick auf die zu erwartende Marktsituation um 6 Pf einschließlich der Handelsspanne. Bekannt-
vor allem darauf ankommen, das Kostengefüge in lich sind seit 1956 die Erzeugungskosten und die
der Landwirtschaft zu verbessern. Diese Aufgaben- Kosten in der Molkereistufe um über 3 1/2 Pf je
stellung ist für uns nicht neu. Kilogramm gestiegen. Die Handelsspanne wird in
Zusammenhang mit einer Trinkmilchpreiserhöhung
Wir haben im Sinne des Landwirtschaftsgesetzes, mit angehoben werden müssen. Den dann für den
zu dessen Gültigkeit auch für , die Zukunft sich der Erzeuger verbleibenden Mehrpreis sollte das Hohe
Herr Bundesernährungsminister in der Regierungs- Haus eigentlich geschlossen befürworten. Der Land-
erklärung erfreulicherweise erneut ausdrücklich be- wirtschaft sind nämlich große Kosten durch die
kannt hat, der Aufwandsseite in der landwirtschaft- Sanierung der Tierbestände entstanden. Die Quali-
lichen Betriebsrechnung schon seit langem unsere tät der Milch wurde und wird laufend verbessert.
besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die Struk- Durch amtliche und berufsständische Kontrollen bei
turmaßnahmen standen dabei an erster Stelle. Auf Milchvieh, aber auch in der Molkereistufe ist sicher-
diesem Wege ist zweifelsohne auch schon Bedeut- gestellt, daß der Verbraucher stets ein hochwertiges
sames erreicht. Aber die neue Situation erfordert Nahrungsmittel bester Qualität geliefert bekommt.
gebieterisch ein größeres Tempo. Die gesetzliche Wenn ich mir dann noch den Hinweis erlauben
Förderung der Strukturverbesserung muß wesent- darf, daß innerhalb der EWG der deutsche Trink-
lich erweitert werden. Darüber hinaus müssen die milchpreis am niedrigsten ist, so glaube ich aus-
Zins- und die Tilgungsbedingungen für den großen reichend begründet zu haben, daß der Mehrerlös,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 371
Struve
den die deutsche Landwirtschaft durch eine solche Pause spricht als erster Redner der Abgeordnete
Trinkmilchpreiserhöhung erzielen würde und der Dr. Schmidt (Gellersen).
auf 140 Milionen DM jährlich zu veranschlagen ist, Ich unterbreche die Sitzung.
durchaus zu vertreten ist.
(Unterbrechung der Sitzung von 13.03 Uhr
Die Ertrags- und die Aufwandsseite der Landwirt- bis 15.01 Uhr.)
schaft sind uns durch das Landwirtschaftsgesetz
geläufig. Die Grundgedanken dieses Gesetzes fin- Vizepräsident Schoettle: Die Sitzung ist wie-
den wir auch im Vertrag von Rom. Ich darf darauf
der eröffnet.
hinweisen, daß in allen Ländern der westlichen
Welt erhebliche zusätzliche Ausgleichszahlungen an Wir fahren fort in der Aussprache rüber die Regie-
die Landwirtschaft geleistet werden. Weder im rungserklärung. Das Wort hat der Abgeordnete
EWG-Raum noch im größeren Raum des geeinten Dr. Schmidt (Gellersen).
Europa wird auf diese Ausgleichszahlungen ver-
zichtet werden können. Über die Form müssen wir Schmidt (Gellersen) (SPD) : Herr Präsident! Meine
unter uns, aber auch mit unseren Partnern sprechen. sehr verehrten Damen und Herren! Einige Bemer-
Meine politischen Freunde glauben, daß diese Hil- kungen des im Augenblick noch nicht anwesenden
fen nach Möglichkeit keinen produktionsfördernden Kollegen Struve veranlassen mich, noch einmal 'in
Charakter haben sollten. die Zeit der Verhandlungswochen und -monate von
Anfang Oktober bis Anfang Januar zurückzublen-
Ich komme auf meine einleitenden Bemerkungen den. In dieser Zeit hat es sich gezeigt, daß wir in
zurück, daß die Ziele der Europäischen Wirtschafts- Brüssel einige sehr düstere Tage erlebten. Unsere
gemeinschaft keinen Wirtschaftszweig und keine Bundesregierung war oft in einer Defensive, wie
Landschaft ausschließen dürfen, wenn das große man sie sich kaum vorstellen kann. Ihr Stand war
Werk gelingen soll. Bedenken wir doch, daß hinter sicherlich nicht leicht. Herr Kollege Struve — aber
der EWG die gebieterische Notwendigkeit steht, ich sehe ihn noch nicht, und die Regierung ist auch
die Widerstandskraft gegen den angreifenden nicht vertreten —
Osten so stark wie möglich zu machen. Die Bereiche
(Abg. Dr. Dr. h. c. Dresbach: Herr Schmidt,
unseres gequälten Vaterlandes, in denen Freiheit
mein Nachbar wiegt verschiedene auf! —
und Unfreiheit am unmittelbarsten aufeinandersto-
Heiterkeit.)
ßen, sind vorwiegend agrarisch genutzte Gebiete,
von der Flensburger Förde bis zu den Alpen. Hier — Ich nehme das zur Kenntnis. Vielleicht kann Herr
müssen die Kräfte des Widerstandes am stärksten Pferdmenges dort oben (zur Regierungsbank) Platz
und am überzeugendsten sein, wenn die euro- nehmen.
päischen Erwartungen sich voll und ganz erfüllen Es ist wohl sicher so, daß der Herr Bundesernäh-
sollen. Gesunde Familien müssen auf eigenem rungsminister die Lasten der deutschen Delegation
Grund und Boden in würdigen wirtschaftlichen Ver- in Brüssel allein zu tragen gehabt hat. Aber zur
hältnissen ihre Kraft entfalten und über die Mauer deutschen Delegation, zum Ministerrat gehört ja
hinweg Vertrauen und Hoffnung ausstrahlen. Sie nicht nur der Ernährungsminister, dazu gehören
müssen lebendiges Zeugnis ablegen für die innere auch der Finanzminister, der Wirtschaftsminister
Ordnung und die soziale Ausgeglichenheit im freien und nicht zuletzt auch der Außenminister.
Teil unseres Vaterlandes.
(Zuruf von der SPD: Alle weg!)
Darum darf es auch in den schwierigen Über- — Alle weg! Sie waren auch in Brüssel weg, und
gangsjahren bis 1970 keine wirtschaftlichen Schwä- das ist das Schlimme, meine Damen und Herren. Die
cheerscheinungen geben, die sich vermeiden lassen. Bedrängnis der deutschen Bundesregierung in Brüs-
Die eigene unmittelbare Verantwortung für die An- sel war nicht ohne Grund. Wenn man nämlich die
passung an die sich verändernden Verhältnisse Probleme monatelang vor sich herschiebt und im-
kann und darf auch in der Landwirtschaft nieman- mer auf den 17. September, auf den Wahltermin
dem abgenommen werden. Aber ich füge hinzu: die schaut, dann kommt man eben in eine Bedrängnis.
Landwirtschaft wird es in diesem Umstellungs-
prozeß am schwersten haben. Darum kann sie bei Aber dafür hat der Herr Bundeskanzler unseren
der vor ihr liegenden großen Aufgabe die helfende großen Nachbarn hoffnungsvolle Trostworte zuge-
Hand des Staates nicht entbehren. Jeder einzelne sprochen. Erinnern Sie sich daran: damals war von
von uns sollte daran mitwirken, oder wir belasten den sogenannten Zusagen die Rede, von den Zu-
das lebensnotwendige Werk der europäischen Ver- sagen, die nachher im Januar und Dezember ein-
einigung mit unübersehbaren Schwierigkeiten, be- gelöst warden sind.
vor das Werk überhaupt seine Wirkung getan hat. (Beifall bei der SPD. — Bundesminister
Meine politischen Freunde sind entschlossen, die Schwarz betritt den Sitzungssaal.)
besonders aus dem Vertragswerk entstehenden
Probleme anzupacken und zu lösen. — Herr Bundesminister Schwarz, Sie waren in Brüs-
sel der einzige, Sie sind auch im Augenblick der ein-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) zige. Ich freue mich aber über Ihre Anwesenheit. —
Ich erinnere mich auch an das sehr interessante
Frage- und Anwortspiel zwischen dem Herrn Bun-
Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und deskanzler und dem Präsidenten des Deutschen
Herren, wir treten in die Mittagspause ein. Nach der Bauernverbandes auf dem Deutschen Bauerntag in
372 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962
Schmidt (Gellersen)
Ravensburg. Damals haben viele, auch unter uns sten Monaten und Jahren noch einige sehr, sehr
Europäern in allen Reihen, mit Recht behauptet, die harte Nüsse zu knacken geben.
Regierung habe zumindest im Jahre 1961 keine ak-
Es wäre auch sinnlos, meine Damen und Herren,
tive Europapolitik betrieben, Herr Kollege Lücker.
nach „Siegern" und „Besiegten" Ausschau zu halten
Da ergibt sich für uns schon die erste Frage an und darum zu rechten. Es wäre genauso die Frage
den Herrn Bundesernährungsminister. überflüssig, ja müßig, wer von den Mitgliedstaaten
nun die meisten Opfer gebracht habe. Das mögen
(Zuruf des Bundesministers Schwarz.) die Historiker erörtern; dafür haben wir im Augen-
— Es kommen sehr viele Fragen. Haben Sie keine blick keine Zeit oder sollten wir zum mindesten im
Sorge! Sie bekommen ein ganzes Bündel Fragen. Augenblick keine Zeit haben.
(Zuruf von der der CDU/CSU: Wer wird so Die Brüsseler Beschlüsse sind ein mehr oder we-
neugierig sein?!) niger guter Kompromiß. Natürlich gibt es dabei auch
— Wir müssen neugierig sein, dafür sind wir doch Schönheitsfehler. Ich möchte aber für mich und
Opposition. meine Freunde ausdrücklich sagen, daß diese Be-
schlüsse ein brauchbarer Kompromiß sind. Damit
Die erste Frage lautet, ob dieses Tempo und kann man schon etwas anfangen. Daß von den elf
diese Arbeitsweise in den nächsten vier Jahren fort- Verhandlungspunkten der Bundesregierung nicht
gesetzt werden, nachdem man jetzt die erste Hürde allzu viel übrig geblieben ist, diese Bemerkung darf
genommen hat. Jedenfalls, da stimme ich mit Herrn ich wohl nur zur Ergänzung hinzufügen, damit man
Struve überein — ah, jetzt ist er da —, mit Ihnen auch das nicht ganz vergißt.
überein, Herr Struve, daß man die Verantwortung Durch die Beschlüsse — und das ist das Entschei-
dafür nicht den Bauern aufbürden kann. Wenn sich dende, meine Damen und Herren, — werden die na-
da Mängel herausgestellt haben, dann geht das ein- tionalen Regelungen auf wichtigen Agrarmärkten
zig und allein zu Lasten der Bundesregierung, die durch gemeinsame europäische Regelungen abgelöst.
das Notwendige einfach nicht getan hat. Nun, ich Wir werden noch in diesem Jahr auf vier weiteren
habe Verständnis dafür. Auch in der Bundesregie- Märkten Beschlüsse zu Gesicht bekommen.
rung gab es in der Europa-Frage zwei Seelen. Das
will ich gar nicht weiter ausspinnen; das ist so. Viel- Diese Beschlüsse sind sicher nicht der Weisheit
leicht wird es auch in Zukunft so sein; das wissen letzter Schluß. Aber jeder von uns und jeder Land-
wir noch nicht. Jedenfalls, es war so. Wir haben uns, wirt in der Bundesrepublik muß sich darüber - klar
Herr Kollege Struve, über diese politische Situation sein, daß wir in eine völlig neue Phase der Agrar-
unter den europäischen Parlamentariern oft unter politik eingetreten sind. Wir stehen an einem neuen
halten, und wir waren gemeinsam oft verärgert, Anfang. Vielleicht begreift heute auch der letzte,
wenn es gegenüber der Landwirtschaft hieß: „Es daß die Römischen Verträge eben eine Realität sind.
bleibt ja alles beim alten, es wird sich gar nichts än- Ich möchte auf die einzelnen Bestimmungen der
dern; euch passiert ja auch gar nichts." Sehen Sie, Verordnungen und Entscheidungen nicht eingehen,
die amtliche Bundesrepublik hat vieles von dem, möchte auf eine letzte Durchleuchtung verzichten
was heute Wirklichkeit geworden ist und was man und nur einige Kernfragen berühren.
damals bereits wußte, monatelang totgeschwiegen,
und das müssen wir ihr ankreiden. Als erstes darf ich dazu sagen, daß wir die unter-
schiedliche Lösung — einerseits eine Marktordnung,
Es gibt vielleicht auch Gründe dafür. Man weiß, andererseits nur eine Koordinierung der Wettbe-
daß im Hause des Bundesernährungsministers jah- werbsbedingungen — für gut halten. Diese Elasti-
relang zwei Konzeptionen um die Vormacht, um die zität 'in der Wahl der Mittel zeugt davon, daß die
Bestimmung des Kurses gerungen haben. Der Tat- Materie sachlich und nüchtern beurteilt worden ist.
bestand ist aber, das läßt sich nicht abstreiten, daß
in dieser Zeit der ersten Phase nicht das getan wor- Von dem bisherigen System der Bundesrepublik,
den ist, was für unsere Landwirtschaft erforderlich also von dem Standpunkt aus, den wir bisher ein-
gewesen wäre. Während unsere fünf Partner sich genommen haben, kann man die Marktordnung für
zielbewußt und planmäßig darauf eingestellt, ja ihre Getreide als etwas lockerer bezeichnen, während
ganze Agrarpolitik darauf abgestellt haben, haben die Marktregelungen für die drei Veredelungspro-
wir zwar in der Bundesrepublik nicht geschlafen — dukte — Schweinefleisch, Eier und Geflügelfleisch
das wahrhaftig nicht —, aber wir haben uns sehr — meines Erachtens besser, vernünftiger sind als
abwartend verhalten; zum mindesten die Bundes- das, was wir in der Bundesrepublik haben. Wenn
regierung hat sich sehr abwartend verhalten. Na- ich das Ganze abwäge, möchte ich sagen, daß sich
türlich haben wir in den Strukturfragen hier einiges die Belange des Marktes und die Belange der Ord-
getan und in steigendem Maße getan; aber wir ha- nung die Waage halten.
ben z. B. die so elementaren Marktfragen überhaupt
nicht beackert, obwohl es an Mahnungen nicht ge- Aus den Verhandlungen der Bundesregierung in
fehlt hat. Brüssel konnte man den Eindruck gewinnen, daß die
Bundesregierung nur dem Getreideproblem eine be-
Über das Gesamtergebnis hat mein Fraktionskol- sondere Aufmerksamkeit gewidmet habe. Jeden-
lege Birkelbach bereits sein Urteil abgegeben. Die falls hat es, Herr Minister, keinen guten Eindruck
Brüsseler Beschlüsse nehmen wir mit Befriedigung in der Landwirtschaft und auch bei der Verbraucher-
zur Kenntnis. Es wäre aber verfrüht, in ein Freuden- schaft hinterlassen, daß Sie sich zum Grundsatz-
geschrei auszubrechen. Es wird nämlich in den näch beschluß einer Milchmarktordnung doch zu sehr ha-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 373
Schmidt (Gellersen)
ben drängen lassen und nicht eine eigene Initiative kenntnisse in unserer Marktordnung, in den Preis-
entwickelt haben. gebieten inzwischen ein wenig durchgesetzt.
Die Meinung meiner Freunde ist: die Ordnung In diesem Zusammenhang wird lebhaft über den
auf den Märkten für Veredelungsprodukte darf Frachtenausgleich diskutiert, der aber doch nur dann
nicht schlechter sein als die Ordnung beim Getreide. in Frage kommt, wenn wirklich Getreideüberschüsse
Wir wünschen, daß hier nicht mit zweierlei Maß in die Verbrauchszentren transportiert werden. Da
gemessen wird. drängen sich einige Fragen auf, Herr Minister. In
welcher Höhe werden diese Frachtenzuschüsse ge-
Lassen Sie mich zu einem anderen, sehr delikaten währt werden? Wer wird sie empfangen, und nach
Problem Stellung nehmen, das in der Landwirtschaft welchem Schlüssel werden sie verteilt? Haben Sie
sehr viel Staub aufgewirbelt hat: den Fragen des schon einen internationalen Frachtenvergleich für
Richtpreises. Der Richtpreis ist für die Bundesrepu- die übrigen Veredelungsprodukte in der Hand?
blik neu. Wir kennen den Von-bis-Preis. In den Haben wir auch bei diesen Produkten die höchsten
Auseinandersetzungen über den Richtpreis ist es Frachtsätze in der Gemeinschaft, wie es bei Ge-
nicht immer gerade sehr elegant und sehr gentle- treide der Fall ist, oder ist es da anders?
manlike zugegangen.
In der Erörterung über das Richtpreissystem ist
Wir erkennen ausdrücklich an, daß es dem Bun- auch immer wieder die Rede von den „toten Win-
desernährungsminister geglückt ist, auch für den keln". In der Diskussion darüber wurden diese
Roggen den Grundrichtpreis festzusetzen. Wir ha- toten Winkel in den Vordergrund der Betrachtungen
ben also im Grunde genommen keine Einwendungen gestellt. Ich will das Problem nicht verkleinern. Die
gegen das Prinzip; aber es ergibt sich ,ein Fragen- toten Winkel gibt es schon seit eh und je; es gab sie
komplex, der nicht so leicht abgetan werden kann, vor dem ersten Weltkrieg und es gab sie nach dem
wie es hier oft geschieht; ich meine den Komplex ersten Weltkrieg, als noch keine Marktordnung vor-
der abgeleiteten Richtpreispunkte. Diese Richtpreis- handen war. Es gab sie auch im Dritten Reich, und
punkte werden dann gebildet, wenn in einem vom auch wir kennen sie in unserer jetzigen bundes-
Grundrichtpreispunkt entfernten Ort der dortige staatlichen Marktordnung. Wir lösen das Problem
Marktpreis den Grundrichtpreis um einen bestimm- der toten Winkel auch mit Hilfe von Frachtenzu-
ten Prozentsatz unterschreitet. In dieser Getreide- schüssen. Da es nicht neu ist, sollte man daraus
verordnung ist von einem Preis die Rede — ich keine zusätzlichen Ansprüche herleiten.
zitiere wörtlich —, der auf Grund der natürlichen
Nun noch eine Bemerkung, vielmehr eine- Richtig-
Bedingungen der Marktpreisbildung entsteht. Da ist
stellung. Es wird landauf und landab behauptet, daß
vor Monaten irgendein Mann auf die fatale Idee der Getreidepreis der Eckpreis der deutschen Land-
gekommen, die Behauptung aufzustellen, daß dieser
wirtschaft sei. Auch Sie, Herr Bundesminister, haben
natürlich gebildete Preis dem Frachtkostengefälle in Ihrer Regierungserklärung von der besonderen
zum Hauptrichtpreis entsprechen müsse. Von dieser
Bedeutung des Getreidepreises für das gesamte
Behauptung ist eine Lawine von falschen Berech- Preis- und Einkommensgefüge gesprochen. Auch der
nungen über Preishöhe und Einkommensverluste in
Sprecher der FDP hat heute die Behauptung wieder-
den Grenzgebieten usw. ausgegangen, und ich holt, der Getreidepreis sei der Eckpreis der Land-
meine, damit hat man die Pferde scheu und wild wirtschaft. Für mich und meine Freunde ist es ein
gemacht. Leider hat sich auch der Herr Bundesmini- Eckpreis, nicht der Eckpreis, und das ist ein gewal-
ster in seiner Regierungserklärung ein bißchen da- tiger Unterschied. Sie werden doch nicht behaupten
von anstecken lassen. wollen, daß z. B. der Milchpreis in einer Parallele
Warum ist diese Betrachtungsweise falsch? zum Getreidepreis und auch zu anderen Preisen
Erstens haben wir in der Bundesrepublik nicht nur stehe. Jedenfalls würde ich dringend empfehlen,
einen zentralen Verbrauchs- und Zuschußpunkt, daß wir im Rahmen einer Debatte im Ausschuß auch
sondern wir haben mehrere solcher Verbrauchsge- einmal das Verhältnis der landwirtschaftlichen
biete. Zweitens hat in unserem eng besiedelten Preise zueinander und untereinander prüfen und
Raum die Thünensche Theorie doch nur einen sehr deren gegenseitige Abhängigkeit untersuchen. Ich
begrenzten Wert. Wenn man die ganze EWG be- bin überzeugt, daß wir da einige hochinteressante
trachtet, ist das anders. Aber wenn man die Bundes- Erkenntnisse gewinnen werden. Wir sollten uns
republik sieht — und die müssen wir im Augen- natürlich nicht nur auf die letzten zehn Jahre be-
blick bei der Übergangsphase sehen —, ist diese schränken, sondern wir sollten dabei auch auf die
Betrachtungsweise falsch. Drittens bei einem Ver- Zeit vor und nach dem ersten Weltkrieg zurück-
gleich der Marktpreise vor und nach dem ersten gehen, als es noch keinerlei Marktordnungen gab.
Weltkrieg, als wir eine freie Preisbildung hatten,
Nun ein letztes Wort zum Preisproblem. Wir
als es keinerlei Marktordnungen gab, zeigt sich,
sind uns, glaube ich, im ganzen Hause darin einig,
daß die Unterschiede zwischen den Getreidepreisen daß die Angleichung der Getreidepreise eine Grund-
in Breslau, in Berlin, in Mannheim und in Hamburg
voraussetzung für die Schaffung des europäischen
verhältnismäßig gering waren. Das hat mit den
Agrarmarktes ist. Da sind uns Termine gesetzt, und
Frachtkostenunterschieden überhaupt nichts zu tun,
die deutsche Delegation hat diesen Terminen voll
es sei denn, sie nähmen z. B. das Gebiet von Königs-
berg; da war es ein bißchen anders. Aber in dem und ganz zugestimmt. Es gibt also gar kein Aus-
weichen mehr; die Fristen sind gesetzt.
engen Raum unserer heutigen Bundesrepublik gab
es diese Unterschiede, von denen hier gesprochen Nun haben Herr Bundesminister Schwarz in seiner
worden ist, nicht. Im übrigen haben sich diese Er Regierungserklärung und Herr Struve heute vor-
374 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962

Dr. Schmidt (Gellersen)


mittag davon gesprochen, daß der deutsche Ge- und ich sehe nicht ein, warum wir diese Chance, die
treidepreis in jedem Fall gehalten werden müsse. uns die Beschlüsse von Brüssel geben, nicht nützen
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das ganz sollten. Ich glaube sogar, wir müssen sie nützen;
offen sagen — ich bin genauso Landwirt wie Sie, denn wir leisten ja auch einen beachtlichen Beitrag
Herr Struve —: Ich denke nicht daran, mich heute in den gemeinsamen Fonds.
an dieser Diskussion zu beteiligen. Warum nicht? Ein weiterer Kernpunkt der (europäischen wirt-
Weil man mit solchen Behauptungen draußen Hoff- schaftlichen Zusammenarbeit wird die Herstellung
nungen erweckt, die sich eines schönen Tages als fairer Wettbewerbsbedingungen sein. Ich möchte im
Illusion erweisen, und die Landwirte dann eine Namen meiner Freunde sagen: wir halten es für gut,
neue Enttäuschung erleben. daß die Landwirtschaft und der Handel mit land-
(Beifall bei der SPD.) wirtschaftlichen Erzeugnissen in die Wettbewerbs-
bestimmungen einbezogen worden sind. Wir freuen
Ich möchte mich an diesem Rätselraten nicht betei- uns auch darüber, daß es gelungen ist, die landwirt-
ligen. Die Bundesregierung, Herr Minister Schwarz, schaftlichen Genossenschaften der ersten und zwei-
hat sicher genaue Kenntnis von den Absichten ten Stufe genau wie im deutschen Kartellrecht aus
und Möglichkeiten unserer Partner sowie ihren Sor- diesen Bestimmungen herauszunehmen, und sind
gen wegen dieses Problems. Wir sollten uns doch ebenso froh darüber, daß die nationalen Marktord-
nicht einbilden, daß nur wir dieses Problem haben. nungen einstweilen, solange sie noch bestehen, nicht
Alle Länder haben es! Hier habe ich nur zwei unter diese Bestimmungen fallen.
Wünsche an die Bundesregierung, die ich jetzt wohl
anmelden darf. Wir sind auch froh darüber und heißen es gut,
daß durch die Brüsseler Beschlüsse die diskrimi-
Der erste Wunsch wäre der, daß die Bundesregie- nierenden Beihilfen — sprich Subventionen — ver-
rung der Landwirtschaft rechtzeitig die sich im boten und abgeschafft werden sollen. Wer die Ge-
Laufe der Diskussion der nächsten Monate heraus- schichte der Verordnung zu Artikel 42 kennt, weiß.
bildenden Fakten ganz offen mitteilt. daß alle Partner — (ich sage ausdrücklich: alle Part-
(Abg. Bading: Da keine Wahlen sind, wird ner! — viel verborgen haben und viel zu verbergen
es ja auch der Fall sein!) haben. Da gibt es einen Dschungel von Subventio-
nen aller Art und überall, insbesondere auch im
Ein zweiter Wunsch, Herr Minister! Im Augen- Agrarexport. Ich habe da als Berichterstatter für die
blick wird ein Gutachten über die Auswirkung einer WetbwrsfagnimEuopächePrlanti-
eventuellen Getreidepreissenkung auf das Einkom- mal hineinleuchten können. Ich kann schon sagen,
men der deutschen Landwirtschaft erstellt. Ich wäre da gibt es Meister der Tarnung. Die haben wir noch
dankbar, Herr Bundesminister, wenn dieses Gutach- nicht, aber die gibt es im europäischen Raum. Wenn
ten nicht als eine „Geheime Kommandosache" be- wir all das abstreifen, was es dort an diskriminie-
handelt würde und der Bundestag baldmöglichst renden Subventionen gibt, werden wir allesamt
davon erführe. auch erkennen müssen, daß die Fähigkeiten, preis-
(Zustimmung bei der SPD.) lich besser und billiger zu produzieren, in der Ge-
meinschaft gar nicht einmal so unterschiedlich sind.
Über die übrigen Fragen, über die sehr wichtige Dann werden wir auch erkennen können, daß viele
Frage der Schutzklauseln und auch über die mit der Waren aus der Gemeinschaft durch erhebliche Sub-
Übergangszeit zusammenhängenden Fragen, möchte ventionen verbilligt wurden. Die Bundesrepublik
ich mich nicht näher auslassen. Eine Bemerkung macht dabei keine Ausnahme. Sünder gibts auf
vielleicht nur noch zur Übergangszeit! Auch das allen Bänken der Gemeinschaft. Nur das Sünden-
muß man der Landwirtschaft sagen, man darf es register ist mehr oder weniger dick.
nicht verschweigen. Die Landwirtschaft muß wissen,
daß es eben nur noch diese Zeit gibt, eine Maximal- Meine Freunde und (ich persönlich halten die Her-
zeit, die eines schönen Tages auch sogar verkürzt stellung fairer Wettbewerbsverhältnisse für ein
werden kann. Es gibt keine Verlängerung mehr. ernstes Gebot der Europäischen Gemeinschaft.
Der .Endzeitpunkt ist also gesetzt. Wenn es uns gelingt, die Wettbewerbsverhältnisse
zu klären und offen zu gestalten, fairer zu machen,
Nun noch eine Bemerkung, die im Zusammenhang damn dürfte vieles auch für uns einfacher sein. Ich
mit den Finanzierungsfragen steht, die aber so möchte der Bundesregierung dringend raten, nicht
wichtig ist, daß man sie der deutschen Landwirt- nur bei der Aufstellung des jetzt vorgeschniebenen
schaft ebenfalls zur Kenntnis bringen sollte. Wir Inventars aktiv mitzuwirken, sondern noch mehr —
haben im Zusammenhang mit diesen Marktregelun- mehr als bisher — darum auf der europäischen
gen die Möglichkeit, die Chancen des Exports nicht Ebene bemüht zu bleiben. Ich habe den Eindruck,
nur in dritte Länder, sondern auch in die Mitglied- daß die Bundesregierung bei der Herstellung der
staaten zu nützen. Ich sehe nicht ein, Herr Kollege Wettbewerbsfähigkeit nicht das letzte in Europa
Struve, warum immer nur die anderen und nicht getan hat. Es wäre mehr zu tun. Ich kenne zwar die
auch wir exportieren sollen. Hier wird also genau Geschichte des Artikels 42, aber hier müssen einige
zu prüfen sein, wo und wie die Hebel angesetzt Versäumnisse gutgemacht werden. Was helfen uns
werden können. Sie wissen doch, daß die Ernäh- die schönen Artikel über die Beseitigung der dis-
rungsgüter der Bundesrepublik ihr Licht keineswegs krirminierenden Subventionen in den Marktordnun-
unter den Scheffel zu stellen brauchen. 'Die Quali- gen auf dem Papier! Was helfen sie uns, wenn da-
täten sind durchaus konkurrenzfähig. Wir haben hinter nicht der Wille steht, diese Vorschriften auch
auch bereits einige Erfahrungen im Agrarexport, durchzusetzen! Die Bundesregierung wird einen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 375
Dr. Schmidt (Gellersen)
wesentlichen Beitrag dazu leisten müssen, daß hie gen, und dazu lassen Sie mich einige Anmerkungen
klare Verhältnisse geschaffen werden. Ich gebe zu, machen und auch einige Fragen stellen.
daß die Kommission dabei vor einer außerordent-
lich delikaten und schwierigen Aufgabe steht. Die erste Anmerkung. Es dürfte notwendig sein,
daß wir unsere Bauern unverzüglich über die Tat-
Die Auswirkungen der Beschlüsse von Brüssel auf bestände aufklären. Sie stecken in einer fürchter-
die einzelnen Produktionszweige und auf das Er- lichen Ungewißheit. Sie wollen wissen, woran sie
zeugerpreisgefüge kann man im Augenblick noch sind. Sie wollen über ihre Lage Klarheit haben, und
nicht übersehen. Darin stimmen wir alle überein. sie wollen das ungeschminkte Bild erfahren. Ich
Wir werden im Hause auch darin übereinstimmen, habe anzumerken, daß die Publizität, Herr Bundes-
daß Korrekturen nach der einen oder anderen Seite minister, in den letzten Jahren sehr, sehr mangel-
wahrscheinlich, vielleicht in dem einen oder anderen haft war, und ich möchte einen Appell an Sie rich-
Falle sogar nützlich sein werden. Herr Struve, wir ten, in dieser Publizität etwas aktiver zu sein, ge-
sollten nicht die Feststellung vergessen — das habe rade auch im Interesse unserer Landwirte.
ich in Ihren Ausführungen trotz Ihrer Klagen ver-
mißt —, daß die Marktposition der deutschen Land- Eine zweite Anmerkung. Ich habe die Hoffnung,
wirtschaft gar nicht einmal so schlecht ist. Sie ist daß die Bundesregierung in den kommenden vier
recht günstig. Ich habe nur bedauert, daß Sie so Jahren aktiver sein wird als in den letzten vier
große Sorgen vor der Konkurrenzkraft unserer Part- Jahren.
ner haben. Es hängt von uns ab, ob wir unsere (Zuruf von der SPD.)
eigene Landwirtschaft so konkurrenzfähig machen, — Ich habe die Hoffnung. Warum sollte ich die
daß sie .die Gefahren gut übersteht. Wie gesagt, Hoffnung nicht haben? Vielleicht kommt es noch;
insofern teile ich Ihre Auffassungen nicht, daß wir ich erwarte es ja nicht. Ich gebe jedenfalls der
große Sorgen haben müßten. Hoffnung Ausdruck, daß die Bundesregierung gegen-
Lassen Sie mich zur Erörterung der Frage schrei- über unserer Landwirtschaft bezüglich der euro-
päischen Probleme aktiver sein wird als bisher. Ich
ten, was für die nächsten Jahre zu tun bleibt. Bevor
möchte nicht, daß die anstehenden Probleme
man diese Frage beantwortet, muß man die Lage
„schwebend unwirksam" gehalten werden wie in
kennen. Ich darf sie noch einmal in wenigen Punkten
der letzten Zeit.
zusammenfassen.
(Sehr wahr! bei der SPD.)
Erstens. Wir müssen uns darüber klar sein —
-
Ich möchte auch nicht, daß man mit einem scheelen
und die ganze Landwirtschaft muß das —, daß die
Automatik des Vertrages unaufhaltsam ist. Zwei- Auge nach England und nach Dänemark — ganz
tens. Wir haben Jahre der konzentrierten Vorbe- gleich, aus welchen Gründen — sieht und dabei die
reitung unserer Landwirtschaft in jeder Richtung eigenen Aufgaben im Innern vernachlässigt. Ich
versäumt. Eine dritte Feststellung: Für die deutsche möchte auch nicht, daß man sich auf die auch in der
Landwirtschaft ist die Entwicklung des europäischen zweiten Stufe notwendige Einstimmigkeit der Mini-
Agrarmarktes schon eine Herausforderung, aber sie sterratsbeschlüsse in agrarpolitischen Fragen ver-
ist auch eine große Chance. Ich gebe zu, daß diese läßt und womöglich sogar noch Abwehrfronten auf-
Entwicklung zum europäischen Agrarmarkt kein baut. Vielmehr sollte man in der Überzeugung an
Morgenspaziergang ist; das wird eine harte Sache die Arbeit gehen, daß keine Zeit mehr zu verlieren
werden. Ich sehe aber nicht ein, daß unsere Bauern ist. Es wäre vielleicht gut, wenn Sie jedem Referen-
weicher sein sollen als die Franzosen und die Hol- ten Ihres Hauses empfählen, einen europäischen
länder. Sie sind sicher genauso hart im Geben wie Terminkalender auf den Schreibtisch zu stellen. Das
im Nehmen, und sie vertragen schon einen ganz könnte nützlich sein.
schönen Schlag und werden auch wieder zurück- Drittens. Ihr Haus sollte in Anbetracht der gegen-
schlagen, wenn die anderen das tun sollten. Eine wärtigen Lage sofort in eine Bestandsaufnahme des
vierte Feststellung: Die Verordnungen und Be- wirtschaftlichen und agrarpolitischen Standorts der
schlüsse von Brüssel sind nur ein Anfang. Die agrar- deutschen Landwirtschaft eintreten, wobei es sicher
politische Diskussion fängt gerade erst an. Dabei gut wäre, wenn Sie bei dieser Bestandsaufnahme
müssen wir natürlich feststellen, daß die Entwicklung nicht nur die Länder, sondern auch den Berufsstand
zu dieser gemeinsamen Agrarpolitik nicht mehr in beteiligten; denn nur dann, wenn Sie eine solche
unserer Hand liegt. Wir sind nur ein Partner unter Bestandsaufnahme betreiben, werden Sie daraus
sechs anderen. Daraus ergeben sich natürlich auch konstruktive Pläne entwickeln können. Es braucht
einige Konsequenzen. nicht so weit zu gehen, wie eine sehr seriöse Zei-
tung neulich schrieb, daß Sie einen „Mobilmachungs-
Wenn man von diesen Fakten ausgeht, die ich
plan" aufstellen. Das wäre zu kriegerisch. Aber
gerade dargestellt habe, und wenn man das Ziel einen Plan müssen Sie aufstellen, und aus diesem
vor Augen hat, unsere Landwirtschaft gut gerüstet
Plan müssen die Absichten klar erkennbar sein.
in diesen Konkurrenzkampf zu schicken, dann dürfte
auch die Frage nach dem Tun von Morgen und Über- Viertens. In diesem Zusammenhange wäre die
morgen nicht schwer zu beantworten sein. Ich habe, Frage zu beantworten: Wie ist die Entwicklung der
Herr Bundesminister, in Ihrer Regierungserklärung deutschen Landwirtschaft einzuschätzen und in wel-
leider zu wenig über das Morgen gefunden. Sie chen Größenordnungen wird dieser Umstellungs-
haben die Tatbestände sachlich dargestellt, aber es prozeß in der europäischen Agrarpolitik vor sich
fehlte der Hinweis auf das Morgen und Übermor gehen?
376 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962
Dr. Schmidt (Gellersen)
Der fünfte Fragenkomplex: Welche Aufgaben die Lage versetzen, sich zu behaupten. Wir Sozial-
stellen sich nicht nur für die deutsche Produktion, demokraten sind bereit, dazu alle notwendigen Hil-
sondern auch gerade im Hinblick auf den Markt? fen zu gewähren.
Jeder kann es sich doch an den fünf Fingern ab-
(Beifall bei der SPD.)
zählen, daß mehr oder weniger umfangreiche und
bedeutungsvolle Anpassungen und Umstellungen
erfolgen werden. Sie haben leider in der Regie- Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der
rungserklärung, Herr Bundesminister, darüber keine Herr Abgeordnete Ertl.
Bemerkung gemacht, ob die Bundesregierung bei
diesem Umstellungs- und Anpassungsprozeß helfen Ertl (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen und
wird. Das hat mich sehr überrascht, und ich würde Herren! Der Übergang in die zweite Phase der euro-
wünschen und hoffen, daß Sie sich dazu erklären. päischen Politik wurde in einer Monstertagung ge-
Sechstens. Wäre es nicht angebracht, in Anbe- schaffen. Lassen Sie mich einen kurzen Ausflug in
tracht dieser .europäischen Entwicklung, die die von das Gebiet des Sports machen. Man kann vielleicht
mir bereits dargelegten Kennzeichen trägt, auch sagen: in einem spannenden Finish haben sie es in
die ländliche Sozialpolitik ein wenig größer zu Brüssel geschafft. Um beim Sport zu bleiben, ich
schreiben und nach vorne zu rücken? Halten Sie es muß auch darauf hinweisen, daß nach einem Finish
nicht für an der Zeit, einen ländlichen Sozialplan, oft schnell die Erschöpfung kommt. Wir alle hoffen,
wie ihn andere Länder längst haben, auszuarbeiten daß es für die deutsche Landwirtschaft infolge der
und in Gang zu setzen? Sind wir u. a. den alten Brüsseler Beschlüsse nicht auch zu einer Erschöp-
Menschen auf dem Lande — den alten Bauern und fung kommt, sondern daß sie zu einem glücklichen
ihren Ehefrauen — nicht auch etwas mehr schuldig Ziel gelangt, wenn zielstrebig weitergearbeitet wird.
als bisher? Dieser Sozialkomplex kommt doch auf Wir haben eine Vielfalt von Verordnungen leider
uns zu, und wir können uns doch nicht darum her- Gottes immer noch nicht konkret vor uns liegen.
umdrücken. Sie müssen also auch in der kommenden Bei der heutigen Debatte können wir uns nur auf
Zeit einen solchen Sozialplan entwickeln. das verlassen, was wir bisher gehört haben und
Dann ein siebenter Fragenkomplex: Sollten wir worüber wir uns aus Informationsdiensten zusätz-
uns nicht auch mehr als bisher um die sogenannten lich unterrichten konnten. Wenn man Berichten
Regionalpläne kümmern? Dabei haben doch die Län- glauben darf, daß in Brüssel derzeit immer noch
der und auch der Bund einen erheblichen Spielraum, Redaktionskomitees an der endgültigen Formulie-
der nicht durch Brüsseler Beschlüsse eingeengt wird. rung arbeiten, dann, glaube ich, muß man sagen:
Sogar der europäische Fonds und andere Mittel hoffentlich redigieren die auch richtig! Wir wollen
könnten uns dabei sehr nützlich sein. Ich würde also nicht bereits in Kürze gezwungen sein, festzustellen:
empfehlen, auch auf diesem Gebiet einige Initia- So wie die Texte jetzt lauten, waren sie im Ur-
tiven zu ergreifen. sprung vielleicht gar nicht gedacht. Das ist die Ge-
fahr gewisser hektischer Verhandlungen, und dar-
Damit möchte ich mit meinem Fragenbündel auf- aus sollten wir lernen.
hören. Ich erwarte, Herr Bundesminister, im Augen- Vorredner haben bereits vor mir festgestellt, daß
blick nicht eine Beantwortung von Ihnen. Sie sollten es keine gute Sache ist, die i n Nachtsitzungen ge-
aber wissen, daß wir im Laufe der nächsten Wo- boren wurde. Ich habe mir sagen lassen — ich bin
chen und Monate auf diese Fragen immer wieder Neuling in diesem Hause —, daß das Hohe Haus
und bei jeder Gelegenheit zurückkommen werden. von dem Brauch der Nachtsitzungen, von dem Übel
Sie haben ja, was den Vollzug der Brüsseler Be- der Nachtsitzungen abgekommen ist, weil man ge-
schlüsse angeht, in Ihrer Regierungserklärung von merkt hat, daß der Geist zu später Stunde oft nicht
einer Ermächtigung gesprochen. Ich möchte im Na- mehr so klar ist, wie er sein sollte. Wenn schon so
men meiner Freunde sagen, daß wir Ihrem Haus die wichtgeBslüfaßwrden,musit
Ermächtigung zur Ausfüllung dieses Rahmens nicht klarem Geist fassen.
zu geben in der Lage sind.
Um so mehr bewundern wir jene — und wir zol-
Lassen Sie mich zum Schluß folgendes sagen, len ihnen Anerkennung —, die hier verhandelt ha-
meine Damen und Herren. Wir alle stehen sicher ben. Sie haben zweifelsohne das Bestmögliche ge-
vor einer großen Aufgabe, und ich meine, daß alle wollt und versucht. Das anerkennen wir. Was im
politischen Kräfte dabei zur Mitarbeit aufzurufen Endeffekt herauskommt, werden wir in der Zukunft
sind. Wir sollten an dieser Entwicklung der gemein- in diesem Hohen Hause sehr oft zu besprechen
samen europäischen Agrarpolitik konstruktiv mit- haben.
arbeiten und nicht abseits stehen. Wir sollten die
Die Landwirtschaft bewegt heute eine bange
Landwirtschaft in die Lage versetzen, sich zu be-
Frage: Wie werden sich die Maßnahmen für uns
haupten. Andere Länder, Herr Bundesminister, rü-
alle auswirken? Wird es besser werden? Wird es
sten gewaltig zum Kampf. Ich habe mir eine Rund-
schlechter werden? Was kommt auf uns zu? Viel-
funkrede des Landwirtschaftsministers Frankreichs,
leicht haben wir in der Vergangenheit die Verhand-
des Herrn Pisani, vorlegen lassen. Herr Pisani rief
lungen nicht mit der letzten Konsequenz und Rück-
seinem Haus und seinen Bauern zu: „Also nunmehr
sichtnahme, wie sie die Entwicklung in Deutschland
mit Volldampf voraus!"
fordert, geführt. Vielleicht haben wir uns zu sehr
Meine Damen und Herren, wir müssen also — um immer auf das Morgen verlassen, ohne den gegen-
das noch einmal zu sagen — die Landwirtschaft in wärtigen Standpunkt zu berücksichtigen. Ich halte
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 377
Ertl
es deshalb für erfreulich, daß wenigstens in der Wenn man die vorläufigen Entwürfe für die
Schlußphase von der deutschen Verhandlungsdele- Marktordnungen liest, dann wünscht man sich nur,
gation mit der nötigen Sorgfalt und in der bestmög- daß sie eine ähnliche Funktion ausüben und eine
lichen Art versucht worden ist, die wichtigen Be- ähnlich fruchtbare Wirkung haben werden, wie es
lange unserer Landwirtschaft zu vertreten. z. B. das Marktordnungsgesetz für Getreide und für
Zucker bei seiner bisherigen Anwendung in der
Die Hoffnungen auf einen europäischen Vertrag
Bundesrepublik gehabt hat. Es war eine konstruk-
und die Hoffnungen auf die EWG sind letzten Endes
tive Phase in der deutschen Bundesrepublik, als
von einem hohen Ziel getragen, nämlich dem
diese Mark tordnungsgesetze geschaffen worden sind.
Ziel europäischer Völkerverständigung und wirt-
Wir können nur hoffen, daß die konstruktive Arbeit
schaftlicher Zusammenarbeit weit über die Grenzen
hinaus. Wir wollen dabei aber nicht vergessen, daß — zum Wohle von Erzeugern und von Verbrauchern
es in der Zielsetzung des Vertrages heißt: — in der EWG fortgesetzt wird.
Aber wenn man diese Vielfalt und diese großen
a) die Produktivität der Landwirtschaft durch Möglichkeiten für die Festsetzung von Preisen sieht,
Förderung des technischen Fortschritts, Ra- die bei den Marktordnungen gegeben sind, dann —
tionalisierung der landwirtschaftlichen Er-
das muß ich Ihnen offen und ehrlich gestehen —
zeugung und den bestmöglichen Einsatz der
möchte einem oft angst werden vor der Phantasie,
Produktionsfaktoren, insbesondere der Ar-
die bei der Abfassung dieser Verordnungen mitge-
beitskräfte, zu steigern;
wirkt hat. Eine einfachere Form würde vielleicht mehr
b) auf diese Weise der landwirtschaftlichen Möglichkeiten für die praktische Handhabung bie-
Bevölkerung, insbesondere durch Erhöhung ten. Hier wäre eine gewisse Reduzierung auf das
des Pro-Kopf-Einkommens der in der Land- normal Notwendige erforderlich.
wirtschaft tätigen Personen, eine angemes- Wir werden uns sehr bald darüber zu unterhalten
sene Lebenshaltung zu gewährleisten. haben, wieweit die Gesetze auf dem Getreidesektor
— Getreidegesetz und Getreidepreisgesetz — au-
„Durch Steigerung des Pro Kopf Einkommens", so
- -
ßer Kraft gesetzt bzw. variiert werden müssen. Die
wurde es in Art. 39 des EWG-Vertrages festgelegt. Brüsseler Beschlüsse sind für uns bindend. Wir
Das ist eine Forderung, der sich alle Vertragspartner müssen uns überlegen, wie wir unsere gesamte
verpflichtet haben und die — das wurde in der agrarpolitische Lage diesen Beschlüssen anpassen
Debatte schon betont — weitgehend mit der Ziel- können.
setzung des Landwirtschaftsgesetzes übereinstimmt.
Mit aller Deutlichkeit muß hier ausgesprochen wer- Lassen Sie mich hier einen Blick in die Vergan-
den: wir erwarten, daß die EWG-Kommission in genheit werfen, in die Jahre 1948, 1949, 1950. Schon
Brüssel keine Maßnahmen beschließt, die uns in einmal mußte die deutsche Landwirtschaft Tribut
der Bundesrepublik und unserer Landwirtschaft Be- für eine bestimmte Ordnung bei uns — nämlich
lastungen zumuten, die im Gegensatz zu dem Art. 39 für den Schritt in die freie Marktwirtschaft — zah-
stehen, die nicht dazu beitragen, das Pro-Kopf-Ein- len. In einer Zeit, zu der alle übrigen Wirtschafts-
kommen zu erhöhen. partner freie Preise bekamen, hat man ihr zuge-
mutet, noch. zwei Jahre mit Zwangspreisen zu
Wir haben mit Freude vernommen, daß erst im wirtschaften; das stellte die Starthilfe für unser
letzten Jahr bei der Sozialtagung der EWG in Rom vielbesungenes Wirtschaftswunder dar. Es wäre
erneut ein Bekenntnis zum bäuerlichen Familien- kein guter Start in dieses neue Europa, wenn wir
betrieb abgelegt worden ist und daß erneut betont wiederum die Starthilfe zahlen müßten. Denn diese
worden ist, daß bei der fortschreitenden Entwicklung würde langsam an die Substanz unserer bäuerlichen
in Europa auch der bäuerliche Familienbetrieb sei- Betriebe gehen. Das wollen wir im Interesse der
nen Platz im freiheitlichen Staat haben müsse und Gesunderhaltung unseres Volkes und einer gesun-
daß es darum gehe, den Lebensstandard der in der den Gesellschaftsstruktur vermeiden.
bäuerlichen Familie tätigen Menschen dem der übri- (Beifall bei der FDP.)
gen Bevölkerung anzupassen. Das sind hohe Ziele,
die man sich in Rom gesetzt hat. Wir dürfen diese Die Beschlüsse von Brüssel sind vorwiegend poli-
hohen Ziele nicht aus politischen Gründen verwäs- tischer Art. Sie sind zunächst nicht so sehr aus der
sern. Hier besteht nach wie vor eine wichtige Ver- Sicht des Bäuerlichen oder des Wirtschaftlichen ge-
pflichtung. faßt worden. Man will über die Wirtschaft zur po-
litischen Lösung kommen. Es wird einmal für die
Wir müssen bedenken, daß durch den Eintritt in Historiker eine Preisfrage werden, ob es klug ist,
die zweite Phase unsere bisherige Agrarpolitik an wirtschaftliche Lösungen unter politischen Aspek-
einem gewissen Endpunkt angelangt ist. Wir werden ten zu suchen, oder ob es nicht besser wäre, über
uns sehr bald darüber zu unterhalten haben, welche die wirtschaftlichen Lösungen zu einer gesunden
Auswirkungen auf den Agrarrechtssektor auf uns und vernünftigen Politik zu kommen. Aber wir kön-
zukommen. Wir haben bereits von Herrn Bundes- nen heute darüber nicht urteilen. Wenn wir heute
minister Schwarz gehört, daß es sehr bald notwen- die politische Lösung schon akzeptieren müssen,
dig sein werde, unsere bisherigen Marktordnungs- dann müssen wir dafür sorgen, daß nicht einer allein
gesetze der neuen Situation und den Beschlüssen die Zeche zu zahlen hat, sondern daß sich die Fol-
von Brüssel anzupassen. Damit nehmen wir Ab- gen für alle Partner gleichermaßen auswirken.
schied von einer fruchtbaren Phase der Agrarpolitik. (Beifall bei der FDP.)
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Damit komme ich zu dem wichtigsten Punkt, der gewiesen — das einzige Importland; die anderen
in dieser Debatte angesprochen worden ist, nämlich sind Exportländer. Da gibt es natürlich Schwierig-
zu dem Problem der Preise. Es wurde bereits be- keiten, insbesondere im Hinblick auf die Drittländer,
tont, daß von den elf Punkten des 27. November die sich auf Grund unserer Handelsbeziehungen ja
nicht alles verwirklicht werden konnte. Wir haben auch an unserem Markt beteiligen wollen. Aus
auch geglaubt, daß der Vertragstext — Art. 44 — diesem Grunde sehen wir es als eine dringliche
erhalten bleibt, d. h. daß man sich auf der Basis Aufgabe an — mein Vorredner Herr von Kühlmann-
von Mindestpreisen einigt. Das ist nun in der Tat Stumm hat das bereits betont —, bald von dem
nicht geschehen. Wir haben den Richtpreis bekom- Sechser-Europa zu einem größeren Europa unter
men. Der Herr Kollege Schmidt hat nicht zu Unrecht Einbeziehung von England, Dänemark, Osterreich,
davor gewarnt, zu sagen: Es wird bei dem deut- der Schweiz usw. zu kommen, damit sich die Markt-
schen Getreidepreis bleiben. Ich glaube aber, wir, verhältnisse wiederum etwas erweitern. Mit einer
das Parlament, haben die Pflicht, dem Herrn Bundes- gewissen Angst sehen wir auf eventuelle Bestre-
minister zu sagen: wir wissen um die Funktion des bungen nach einer Autarkie der nach Präferenzen.
Getreidepreises und um die Notwendigkeit, den Sie zielen letzten Endes darauf ab, daß unser Markt
deutschen Getreidepreis zu halten, und wir haben alles aufnehmen und die übrigen Länder bei uns ab-
starke Hoffnung, daß er in diesem Punkte die Wün- laden sollen. Angesichts unserer Produktionsmög-
sche und die Notwendigkeiten berücksichtigt. lichkeiten entstehen natürlich große Schwierigkeiten.
Herr Kollege Schmidt hat in der Debatte erklärt, Wir haben mit Freude vernommen — das fällt
der Getreidepreis allein mache es nicht. Ohne Zwei- mir gerade noch ein —, daß Herr Professor Baade zum
fel macht er es allein nicht. Aber unsere Verede- Getreidepreis erklärt hat, auf Grund seiner Studien
lungswirtschaft baut nicht auf dem Hinzukauf von müsse er heute die Meinung vertreten: es macht gar
ausländischem Futtergetreide auf, sondern unsere nichts, wenn die Produktion im europäischen Raum
Veredelungswirtschaft hat eine wirtschaftseigene durch einen höheren Getreidepreis gesteigert wird;
Basis. Das heißt, von dem eigenen Futtergetreide- denn angesichts der Welternährungslage ist es
preis hängt wahrscheinlich letzten Endes auch der ohnehin so, daß wir uns über kurz oder lang in
Preis der Veredelungsprodukte ab. einer sehr schwierigen Ernährungssituation befinden
werden. Vielleicht ergeben sich gewisse Hoffnungen
In diesem Zusammenhang hat der Brotgetreide-
im Hinblick auf die Entwicklungshilfe. Vielleicht
preis wie der Futtergetreidepreis eine Schlüssel-
lassen sich dadurch gewisse Marktregulierungen
funktion für die gesamte Agrarpolitik. Das muß man -
einbauen.
sehr klar sehen. Da bestehen echte Produktions-
unterschiede zwischen den Verhältnissen in der Alles in allem: das Funktionieren der EWG und
Bundesrepublik und den Verhältnissen meinetwe- der kommenden Verordnungen hängt nicht zuletzt
gen in Holland. Wir müssen auf unsere Verede- davon ab, ob man es ehrlich untereinander meint.
lungswirtschaft, aber auch auf unsere Futtergetreide- Dieses Ehrlich-untereinander-Meinen setzt eine echte
erzeugerbetriebe in schlechten Bodenlagen Rücksicht europäische Solidarität voraus.
nehmen. So ist der Brotgetreidepreis wirklich ein Gestatten Sie mir, daß ich auch noch da manchen
Schlüsselpreis. Bei der Behandlung von Preismaß- Zweifel anmelde. Ich lese z. B. in der „Neuen Zür-
nahmen in der Landwirtschaft hat sich in der Ver- cher Zeitung" von einem Presseinterview des fran-
gangenheit immer wieder herausgestellt: es nutzen zösischen Ernährungsministers Pisani. Er hat unge-
keine Preisinseln — wir erleben das immer wie- fähr folgendes gesagt: Die gemeinsame Agrarpolitik
der —, es gibt nur ein gleiches Niveau nach oben bietet der französischen Landwirtschaft die Möglich-
oder nach unten. Ich muß Ihnen ganz offen und ehr- keit, ihre gesamte Erzeugung innerhalb des Gemein-
lich sagen: ich fürchte, wenn es zu einem Einbruch samen Marktes zu den höheren französischen In-
beim deutschen Brotgetreidepreis kommt, dann wer- landspreisen abzusetzen; daraus wird sich eine
den die anderen Preise nachziehen bis in die Verede- Hebung des landwirtschaftlichen Einkommens erge-
lungswirtschaft. Ob das dann dem Verbraucher im ben, ohne daß die französischen Konsumentenpreise
Endeffekt zugute kommt, ist eine Frage für sich. Sie steigen werden; gleichzeitig wird dadurch der fran-
brauchen sich nur die Wirtschaftsstatistik anzu- zösische Staatshaushalt enlastet. Das heißt doch, daß
schauen: die Erzeugerpreise sind seit zehn Jahren man in Zukunft gewisse französische Hilfsmaßnah-
stabil geblieben, aber die Verbraucherpreise nicht men mit unserer Hilfe mitfinanzieren will. Ob das
in diesem Umfang. Sie wissen, wie sich diese Dinge nun von einem echten europäischen Geist zeugt,
verändert haben. Das zur Frage des Brotgetreide- möchte ich bezweifeln. Vielleicht wird aber die
preises! Übung und das Zueinander manches bessern. Wir
Wir wären glücklicher gewesen, wenn es zu Min- werden uns hoffentlich in manchen Dingen noch
destpreisen gekommen wäre. Aber diese Dinge sind besser verstehen.
nun einmal nicht mehr geschafft worden. Wir müs-
Noch ein Wort zur Umstellung auf die Vered-
sen es nun so versuchen, wenn es uns nicht gelingt,
lungswirtschaft. Sie wird so als das Generalrezept
auf andere Weise den jetzigen Getreidepreis zu
im Zuge der EWG empfohlen. Ich komme aus einem
erhalten. Gebiet, wo man von Natur aus zur Veredlungs-
Bei den jetzigen Beschlüssen im Rahmen der EWG wirtschaft gezwungen ist. Auf Grund des Klimas,
steht von der Absatz- und Vermarktungsseite her der Bodenverhältnisse, der Hanglagen usw. können
ein gewisses Mißtrauen im Vordergrund. Die Bun- die Bauern in den bayerischen Bergen nur Vered-
desrepublik ist — der Herr Bundesminister hat lungswirtschaft treiben. Wir waren glücklich dar-
schon in seiner Erklärung sehr deutlich darauf hin über, daß sich ein Teil unserer Hackfrucht- und Ge-
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treidebaubetriebe infolge der Entwicklung und der sagen, ein Ja zur Flurbereinigung, Arrondierung
Preissituation der letzten Jahre — ich denke ins- und Aufstockung. Wer aber glaubt, daß sich das
besondere an die Zuckerrübenpreise, die Hackfrucht wirtschaftliche und soziale Gefälle zwischen Land-
preise, aber auch an die Getreidepreise — aus der wirtschaft und der übrigen Wirtschaft allein auf
Milchwirtschaft herausgezogen und mehr auf die dem Wege des Strukturwandels beseitigen läßt, der
Mastproduktion umgestellt hat. Sollte diese Ent- hat die letzte Entwicklung nicht scharf durchdacht.
wicklung zurückgeschraubt werden, so würde das
(Beifall bei der FDP.)
bedeuten, daß das innere Produktionsgefälle — ich
möchte es einmal mit dem so beliebten Wort „Wett- Das ist eine Erkenntnis, die aus dem letzten Grü-
bewerbsverzerrung" aussprechen — innerhalb nen Bericht sehr deutlich hervorgeht. 6 % der Be-
Deutschlands noch einmal verstärkt wird, und dann triebe haben die Kostendeckung erreicht, 94 % ha-
würden vielleicht gerade die von Natur aus benach- ben trotz verschärfter Strukturmaßnahmen und trotz
teiligten Betriebe erst recht die europäische Rechnung Flurbereinigung den Anschluß nicht erreicht. Wa-
bezahlen. Das muß für die Zukunft verhindert wer- rum? Weil man das Preis- und das wirtschaftliche
den. Daher kommt wieder der ganze Komplex Ge- Gefälle nicht dadurch beseitigen kann, daß man un-
treidepreis — Veredelungswirtschaft. Es gibt hier bedingt sagt, die Betriebe müßten größer oder klei-
keine Patentrezepte. Aber vielleicht werden wir ner werden oder arrondiert oder flurbereinigt
hier Wege suchen und finden. Es bieten sich auch werden.
gewisse Möglichkeiten an. Wir hören von horizon- Selbstverständlich steigt die innere Wirtschaft-
taler Integration und von vertikaler Integration.
lichkeit. Wenn wir heute noch feststellen können,
Soweit solche Möglichkeiten dazu angetan sind,
daß wir eine gut funktionierende Landwirtschaft ha-
Qualität und Absatz zu verbessern, werden wir alle
ben, so gerade deshalb, weil sie jener Produktions-
sie wohl vollauf unterstützen.
zweig ist, der durch mehr Produktion, durch bessere
Wir sind der Meinung, daß es vor allem das Erzeugung und vielleicht auch durch Verbesserung
Recht der Bauern ist, durch Zusammenschlüsse bes- der Qualität das Preisgefälle immer wieder zu über-
sere Produktions- und Absatzmöglichkeiten auszu- winden versucht. Man darf auch nicht vergessen,
nutzen. Allerdings haben wir da ein Fragezeichen daß die Familienbetriebe noch bereit sind, gewisse
anzubringen, wenn die vertikale Integration — um Opfer zur Erhaltung des bäuerlichen Besitzes zu
sie geht es ganz besonders — letzten Endes nur da- bringen.
hin führen sollte, daß der Bauer nur noch ein Ver- (Beifall bei der FDP.)
tragsarbeiter für irgendein Unternehmen wird. Das -
Da wir aber schon bei dem Strukturwandel sind
wäre verkehrte Gesellschafts- und Sozialpolitik.
und zu den Folgender jetzigen Brüsseler Beschlüsse
(Beifall bei der FDP.) kommen, müssen wir unbedingt daran denken, daß
Das gilt auch für die Konzentration, von der Sie nach wie vor eine große Rationalisierungslücke und
gesprochen haben, Herr Kollege Schmidt. Wir ha- Modernisierungslücke besteht. Wir haben also, Herr
ben in den übrigen wirtschaftlichen Bereichen schon Kollege Struve hat es bereits angeführt, für die Zu-
genug Konzentration. Wir sind sehr froh und haben kunft einen erheblichen Bedarf an Kreditmitteln zur
mit großer Freude vernommen, daß die Bundes- Rationalisierung und Modernisierung unserer land-
regierung immer wieder erklärt, wie sehr es in der wirtschaftlichen Betriebe. Ich möchte daran erinnern,
jetzt so gespannten Situation darum geht, möglichst daß wir Freien Demokraten bereits im Jahre 1958
viele Einzeleigentümer in unserem Volke zu erhal- einen Antrag zur Investitionshilfe eingebracht
ten. Wir wissen auch nicht, wie sich die politischen haben. Wir werden uns vielleicht bald einmal im
und wirtschaftlichen Verhältnisse auf die Dauer ge- Ernährungsausschuß über dieses Problem unterhal-
stalten. Die vielschichtige Landwirtschaft ist immer ten müssen; denn auch auf der Kreditbasis ist heute
noch ein Stabilisator in unserem ganzen Volkskör- noch keine Konkurrenzfähigkeit gegeben.
per, und das soll so bleiben. Es wird immer so sehr von der Preisangleichung,
Es wurde verschiedentlich darauf hingewiesen, sehr wenig von der Kostenangleichung gesprochen.
daß es vielleicht in Zukunft notwendig ist, Preis- Dabei gibt es natürlich immer noch ein Kosten-
ziele zu nennen. Wir sind der Meinung, daß es sehr gefälle. Ich möchte auf die Wettbewerbsverzerrung
notwendig ist, einmal genau festzustellen, welche im einzelnen noch gar nicht eingehen. Denken Sie
Erfordernisse für eine echte Kostendeckung nach der daran: als einziger Partner mußten die deutschen
jetzigen Wirtschaftslage bestehen. Diese Frage muß Landwirte Lastenausgleich zahlen; auch eine finan-
einmal von der Wissenschaft angepackt werden. zielle Belastung! Das soll nicht heißen, daß wir ge-
gen den Lastenausgleich sind. Aber er belastete die
Ich darf diesbezüglich eines einmal sehr deutlich
Produktion unserer landwirtschaftlichen Betriebe,
sagen. Wir haben auch in puncto Strukturwandel
insbesondere belastete er die Kapitalbildung.
oft eine gewisse breite Auslegung. Im europäischen
Vertrag und in den Brüsseler Beschlüssen wird im- Alle unsere Partnerstaaten haben zur Zeit Agrar-
mer wieder auf die Notwendigkeit des Struktur- schutzmaßnahmen; es wurde bereits in der Debatte
wandels hingewiesen. Verstehen Sie mich nicht gesagt. Lassen Sie mich einige Zahlen nennen von
falsch: Wir wissen alle, daß unsere Landwirtschaft maßgeblichen Wirtschaftspartnern, mit denen wir,
infolge von Erbteilungen und aus anderen Gründen sei es im Zuge der EWG, sei es als Drittländern,
oft sehr schwierige innere Wirtschaftsverhältnisse einen Austausch haben. Die Vereinigten Staaten
hat. Soweit diese inneren Wirtschaftsverhältnisse haben heute eine Subvention pro in der Landwirt-
verbessert werden müssen, werden wir immer ja schaft tätige Person von 2375 DM, Großbritannien, das
380 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962
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vielleicht in Zukunft einmal unser Partner wird, gibt besonders unterstützen. Das ist im übrigen bereits
gar pro Person 2980 DM aus, Holland — das so viel in Artikel 42 des EWG-Vertrags berücksichtigt. Wir
gepriesene Holland — 1320 DM, Deutschland 760 DM. brauchen vielleicht Mittel zur Förderung der Ver-
Es ist nun nicht so, meine sehr verehrten Damen edlungswirtschaft, wenn e s sich darum handelt,
und Herren, daß nur die Landwirtschaft in Deutsch- meinetwegen Schweinemastringe oder ähnliches zu
land in einem „Subventionsglashaus" sitzt. Auf die- schaffen, und wir werden nicht darum herumkom-
m en, wenn wir einen schnellen Fortschritt unserer
sem Sektor ist zur Angleichung bzw. zum Ausgleich
.einzelstaatlicher Maßnahmen noch sehr viel zu tun. Landwirtschaft wünschen, die Beratungen für diese
Herr Kollege Schmidt hat schon darauf hingewiesen, Schwerpunkte zu intensivieren. Übrigens haben
mit welcher Schläue verschiedene Partner ihre ein- andere Partnerstaaten etwas Ähnliches gemacht.
zelstaatlichen Hilfsmaßnahmen verschleiern. Hier ist Gestatten Sie mir noch ein Wort zum Grenz-
noch sehr viel Aufklärungsarbeit zu leisten. Wir ertrag. Es wurde immer wieder betont — meines
wünschen Ihnen, Herr Minister, sehr viel Spione bei Wissens war Präsident Mansholt der erste, der vor
der Erstellung des Katalogs, damit wir endlich ein- Jahren darauf hingewiesen hat —, daß sich hier
mal die Karten auf dem Tisch liegen haben. Wir eben gewisse Notwendigkeiten ergeben. Sie wissen,
erwarten von unseren Partnern, wenn sie es ehrlich daß es noch immer das Problem der Abwanderung
meinen, daß sie auch ihre Karten auf den Tisch von 1 Million Arbeitskräften und der Herausstel-
legen. Wir haben es auch getan. lung des größeren Betriebs gibt. Professor Hofstee
Es wurde in diesem Zusammenhang betont, daß sprach in Bad Tölz auf der agrarsozialen Tagung
nur die Exportsubventionen in Zukunft wegfallen. vom 30-ha-Betrieb. Außerdem kommt immer wieder
Wir müssen auf lange Sicht die Kosten insgesamt die Frage der Aufforstung von sogenannten Grenz-
angleichen. ertragsböden auf. Es wäre wünschenswert, einmal
genau zu erfahren, was alles Grenzertragsböden
Ich darf noch auf die Treibstoffbeihilfen bzw. die sind. Denken wir doch daran, daß die Landwirtschaft
Treibstofknhw.DerdutscLanwi letzten Endes etwas organisch Ganzes ist, das in die
zahlt 27 Pfennig, der holländische meines Wissens 18, Landschaft hineinpaßt.
der italienische gar nur 15 Pfennig.
Weil ich gerade aus einem Gebiet komme, in dem
Ich will nicht im einzelnen darlegen, welche Be- noch Bergbauern leben, muß ich Sie alle fragen, die
lastungen die deutsche Landwirtschaft für Anschaf- Sie doch so gerne in den bayerischen Bergen Ihren
fungen von Maschinen, von Gebäuden zu tragen Urlaub verbringen: Könnten Sie sich dieses baye-
hat. Auch diese Lasten, die sich oft sehr erheblich rische Bergland ohne unsere Dörfer, ohne unsere
auswirken — Sie kennen die Zahlen aus dem Grü- Bauern, ja ohne die Kühe in Oberammergau vor-
nen Plan und dem Grünen Bericht —, sind ein stellen?
Kostenfaktor unserer landwirtschaftlichen Produk- (Heiterkeit.)
tion. Sie sind aber auch, das darf ich hier einma
ganz allgemein sagen, ein Beitrag für die gesamte Ich glaube, das wäre für uns alle bitter.
deutsche Volkswirtschaft. Bedenken Sie, was passie- (Anhaltende Heiterkeit.)
ren würde, wenn unsere Landwirtschaft als Käufer
aus dem Binnenmarkt ausschiede. Das würde für Sie wollen das für Ihren Urlaub genießen; wir wol-
sehr viele Industrie- und Gewerbezweige zu erheb- len, daß die Menschen anständig leben können.
lichen Schwierigkeiten führen. Auch daran muß man (Abg. Dr. Schmidt (Gellersen): Wir auch!)
in Zukunft denken. — Herr Schmidt, hier begegnen wir einander auf
Um so wichtiger ist wiederum, daß wir in Zu- der sozialen Ebene; wir sehen das zum beidersei-
kunft durch eine Investitionshilfe dafür Sorge tra- tigen Nutzen aus sozialpolitischer Sicht. Man sollte
gen, daß die Landwirtschaft die Möglichkeit hat, mit sich daher mit Vorsicht mit solchen Problemen be-
entsprechenden Krediten baldmöglichst ihre Ratio- fassen.
nalisierungsmaßnahmen durchzuführen.
(Zuruf von der SPD: Ich empfehle, das
Auch die Frachten sind ein Kostenfaktor; und Manuskript Herrn Erhard zu schicken!)
leider Gottes sind auch die Frachten in der Bundes- — Er kennt es. Ich nehme an, daß er von seinem
republik am höchsten. Wir kommen also nicht darum Berg auch des öfteren auf eine Kuh herunterschaut.
herum, die Frachttarife für Getreide zu senken. Wir Notfalls werde ich es ihm einmal zeigen. Ich bin
werden gerade diese Maßnahmen sehr genau im nämlich in seiner Nachbarschaft.
Auge behalten müssen, wenn nicht wieder die
marktfernen Gebiete, die ja sowieso von Natur aus Wir werden für dieses Gebiet sicherlich eine
benachteiligt sind, besonders in Mitleidenschaft ge- besondere Beratung brauchen. Lassen Sie mich
zogen werden sollen. sagen: wir sollten es nicht so leicht nehmen.
Ein Wort zu den Regionalprogrammen. Auch wir Ich darf zurückkehren zu dem großen Problem, in
Freien Demokraten sind der Meinung, daß gerade das diese Frage gehört, nämlich zu der Auseinan-
in Zukunft Regionalprogramme besonders wichtig dersetzung um den freiheitlichbäuerlichen Betrieb
sind. Ich brauche es Ihnen nicht zu sagen: gerade mit dem Schwerpunkt als Familienbetrieb und der
wir in Bayern haben diesbezüglich natürlich ganz Tendenz zur Farm und — als Alternative — die
besondere Wünsche, weil ein Großteil der markt- Kolchose. Wir müssen dabei immer wieder beden-
fernen Gebiete bei uns liegt. Es ist deshalb sehr ken, daß der bäuerliche Betrieb ein gesellschafts-
notwendig, daß wir in Zukunft Regionalprogramme politischer Faktor ist, den wir auf die Dauer erhal-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 381
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ten wollen, und zwar in einer Breitenschichtung und Parlament zu fassen. Wir bitten deshalb darum, daß
nicht als ganz spezialisierten Betriebstyp. wir in Zukunft über alle diese Auswirkungen mit
aller Klarheit informiert werden und daß das letzte
(Zuruf der Abg. Frau Strobel.)
Wort in einer Materie von so weittragender Wir-
— Ich sage nur, gnädige Frau, daß gewisse Ten- kung beim Parlament bleibt.
denzen dazu da sind. Ich habe Professor Hofstee
Lassen Sie mich noch einmal betonen: Wir sagen
zitiert. Sie hätten nach Bad Tölz fahren müssen.
ja zu Europa. Wir hoffen, daß es eingrößeres Eu-
Es wurde in der Debatte noch vom Milchpreis ge- ropa wird; nicht das Europa der Sechs, sondern ein
sprochen. Wir wissensselbstverständlich, Herr Struve, Europa aller freiheitlichen Staaten. Wir sagen um
daß der Erzeugerpreis in keiner Weise dem jetzigen so lieber ja zu Europa, wenn es nicht auf einer de-
Preis- und Lohnniveau in der übrigen Wirtschaft an- zimierten deutschen Landwirtschaft aufgebaut wird.
gepaßt ist. Es geht vorwiegend darum, den Erzeuger-
(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten
preis zu heben, in ein richtiges Verhältnis zu derzei-
der CDU/CSU.)
tigen wirtschaftlichen Belastungen zu bringen und alle
Maßnahmen auf den Erzeugerpreis abzustimmen.
Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der
(Zuruf des Abg. Dr. Schmidt [Gellersen].) Abgeordnete Bauer (Wasserburg).
— Sie müssen unsere Anträge und unsere Erklärun-
gen lesen, Herr Schmidt, dann werden Sie das sehr Bauer (Wasserburg) (CDU/CSU) : Herr Präsident!
genau daraus ersehen können. Wenn wir aber dem
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Gestatten
Verbraucher da oder dort ein Opfer zumuten, dann Sie, daß ich im Anschluß an das, was mein Kollege
müssen wir auch alles für eine Qualitätsverbesse- Struve heute vormittag in einer wirtschaftlichen und
rung tun. Wir unterstützen daher alle Maßnahmen
besonders landwirtschaftlichen Gesamtschau in be-
für eine Qualitätsverbesserung. Gerade auf dem zug auf die Beschlüsse des 14. Januar gesagt hat,
Milchsektor scheint es notwendig, zu Qualitätsver- in der zweiten Runde über ein paarspezielle Ge-
besserungen zu kommen. Dann werden wir sicher- sichtspunkte spreche, die einige Bundesländer und
lich auch das Verständnis der Verbraucher finden. Gebiete ganz besonders berühren werden, deren
Dazu eine ganz allgemeine Bemerkung. Wir soll- bisherige Ausgangsposition schon im Rahmen un-
ten uns hüten, Erzeuger und Verbraucher ständig serer nationalen Agrarpolitik stets schwieriger war
gegeneinander auszuspielen, sondern wir sollten als für den Durchschnitt unserer deutschen Land-
beiden Teilen Gerechtigkeit angedeihen lassen. wirtschaft. Sie alle kennen aus früheren Debatten
Ich komme zum Schluß. Wenn sich die EWG und und Beschlüssen dieses Hohen Hauses den Begriff
die Brüsseler Beschlüsse als ein guter Anfang her- des Zonenrandgebietes und seit zwei Jahren aus
ausstellen sollten, und wenn es gelingt, gewisse dem Grünen Plan nunmehr auch den Begriff der von
Tendenzen, die vielleicht einmal vorhanden waren, Natur aus besonders benachteiligten Gebiete. Das
zu beseitigen, dann können wir aus der jetzigen sind Räume, die auf Grund ihrer Grenzlage entlang
Situation heraus eine glückliche Zukunft für unsere des Eisernen Vorhangs oder, wie ich schon sagte,
Landwirtschaft erreichen. Wir sollten uns aber hü- auf Grund standortbedingter Verhältnisse von
ten, nur aus einer fortschreitenden Industrialisie- Natur aus besonders benachteiligt sind. Die Gesamt-
rung eine Art Fortschrittsgläubigkeit zu entwickeln. bevölkerung— ich betone ausdrücklich: die Gesamt-
Ich darf zum Schluß zitieren, was Friedrich Nau- bevölkerung in diesen Gebieten, nicht nur die Men-
mann vor ungefähr 30 Jahren einmal zu dem Ver- schen in der Landwirtschaft — hat sich bisher auf
hältnis zwischen Landwirtschaft und fortschreiten- Grund der erfreulicherweise meist einstimmigen Be-
der Industrialisierung am Beispiel Englands gesagt schlüsse dieses Hauses einer 'besonderen Vorsorge
hat: und Unterstützung erfreuen dürfen.
Ein siegreicher Industrialismus wird aus wirt- In diesen Gebieten kommt zu den grenzpolitischen
schaftlichen und nationalen Gründen Bauern- bzw. standortbedingten Nachteilen, soweit das bis-
schutzpolitik treiben müssen, wenn er unser her schon auf Grund der jetzt erkennbaren EWG-
Volk nicht in die höchst bedenkliche Lage brin- Agrarmarktordnung zu ersehen ist, eine dritte, neue
gen will, in der jetzt England ist, wo einer indu- Sorge, nämlich eine zusätzliche Marktferne. Sie ver-
striellen und finanziellen Hochkonjunktur der stärkt die Wettbewerbsnachteile in diesen Zonen-
Bauernuntergrund fehlt. Wenn es sich um rand- und von Natur aus benachteiligten Gebieten.
Bauernschutz handelt, müßte selbst eine indu- Die Marktferne vergrößert den bisher hierunter ver-
strielle Demokratie in weitsichtigem Interesse standenen Bereich.
Opfer bringen. Während die sich nun abzeichnende — ich ge-
Das, glaube ich, müßten wir bei der Entwicklung brauche einmal dieses Wort — Wirtschaftsachse
der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft berück- Ruhr-Rhein-Rhone mindestens für einen Teil des
sichtigen. Wenn das genügend berücksichtigt wird, südwest- und westdeutschen Raumes durch eine
werden wir sicherlich in Zukunft eine gute Agrar- größere Marktnähe sicherlich neue Chancen schaf-
politik treiben können. Es wurde bereits betont, daß fen wird, bleibt z. B. für den südostbayerischen
die Bundesregierung um eine Ermächtigung nach- Raum, aus dem ich komme, das oberitalienische In-
gesucht hat, weil es sich hier um eine sehr schwie- dustriegebiet etwa des Raumes Mailand-Turin ge-
rige Materie handle. Auch wir glauben, daß es un- nauso weit entfernt, wie für diese Bereiche bisher
möglich ist, die kommenden Beschlüsse ohne das etwa das Ruhrgebiet entfernt lag.
382 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962

Bauer (Wasserburg)
Für .die hier angesprochenen marktfernen Wirt- am Eisernen Vorhang noch die natürlichen Standort-
schaftsgebiete, die weitgehend mit den Zonenrand- nachteile, geschweige denn die Marktferne durch
und Förderungsgebieten identisch sind, entstehen noch so große eigene Anstrengungen beseitigen. Das
ab 1. Juli mit Inkrafttreten der jetzt vor uns lie- ist der Kern meines Anliegens, dessentwegen ich mich
genden Verordnungen dieses Jahres zusätzliche un- hier zu Wort gemeldet habe. Soweit es sich also um
mittelbare Wirkungen, die es auszugleichen gilt. die Überwindung unverschuldeter Nachteile handelt,
Herr Kollege Schmidt, Sie sprachen zwar davon, daß haben wir den Betroffenen doch bisher schon gehol-
es schon immer, auch vor dem ersten Weltkrieg, fen. Ich meine, wir werden es in der Zukunft ver-
tote Winkel gegeben habe. Ich möchte aber doch mehrt tun müssen.
hinzufügen: zwar gab es vor dem ersten Weltkrieg (Abg. Struve: Sehr richtig!)
auch schon tote Winkel, die Zonenrandgebiete ken-
nen wir aber erst als Folge des zweiten Weltkrieges, In diesen Räumen ist das übrigens nicht nur eine
und infolge dieser neuen Entwicklung — einer er- Angelegenheit etwa ausschließlich der Landwirt-
freulichen Entwicklung; ich betone das ausdrücklich schaft und der darin arbeitenden Menschen, sondern
— werden diese Bereiche gegen den Osten zu im — ich sage es noch einmal — es handelt sich um die
Rahmen der sechs Länder nun einmal wirtschaftliche
Entwicklung und Bewahrung der Gesamtwirtschaft
und um die Gesamtbevölkerung in diesem Bereich.
Randgebiete. Hier werden Sie mir sicher zustimmen.
Diese Gebiete werden im Rahmen der Europäischen
Die auf diese Gebiete akut zukommenden beson- Wirtschaftsgemeinschaft noch mehr zu sogenannten
deren Nachteile bestehen zunächst einmal in dem wirtschaftlichen Randgebieten werden. Es liegt des-
Getreiderichtpreissystem. Ich spreche mich gar nicht halb im wohlverstandenen Interesse des Gesamt-
gegen dieses Getreiderichtpreissystem aus. In seiner volkes der sechs EWG-Länder, wenn alles geschieht,
wirtschaftlichen Funktion wird es zweifellos richtig um einen Abwanderungssog von diesen Räumen
sein. Sie wissen, es soll bekanntlich für ein Gebiet fernzuhalten. Die Bundesregierung hat zusammen
etwa im Raume Straubing-Passau einen Preisab- mit den Ländern bisher schon sehr viel auf diesem
schlag von 5 bis 6 DM je Doppelzentner bringen. Gebiet getan. Ich darf nur an das ganze Programm
Herr Minister, ich .darf hier ausdrücklich sagen, wir für die Zonenrandgebiete erinnern. Ich darf nur an
sind Ihnen sehr dankbar dafür, daß Sie bei Ihren den letzten Grünen Plan erinnern, in dem wir die
Verhandlungen diese unmittelbaren Wirkungen benachteiligten Gebiete günstiger gestellt haben. So
mindestens zunächst für die Übergangszeit erheblich wird es uns wohl auch gelingen, die hier vielleicht
vermindern konnten, indem Sie zusätzliche Paritäts- zusätzlich auf uns zukommenden Nachteile auszu-
punkte herausholten, indem Sie die Möglichkeit gleichen. Lassen Sie es mich einmal auch von dieser
eines zusätzlichen Frachtausgleichs und vielleicht Tribüne aus deutlich sagen: es geht dabei nicht
auch für die Übergangszeit noch gewisser zusätz- darum, Räume oder etwa vorsintflutliche Wirt-
licher Zahlungen schufen. schaftsformen, wie man so sagt, zu konservieren. Es
ist nicht so, als ob jetzt erst einmal ein frischer
Ich möchte aber gleich hinzufügen: über die Über- Wind in diese Gebiete käme oder man gar eine
gangszeit hinaus bleibt von diesen Hilfen effektiv rückständige Bevölkerung in musealen Zuständen
wahrscheinlich nur die Frachtangleichung bestehen. erhalten wollte. Den so denkenden Mitbürgern
Deshalb halten wir die hier von der Bundesbahn empfehle ich doch einmal, zu uns zu kommen und
zur Zeit angebotene Frachtermäßigung von 25 % in diesen Gebieten ihren Urlaub zu verbringen. Sie
einfach für unzureichend. Wir sind der Meinung, sind uns sicherlich willkommene Gäste. Ich bin der
daß die Bundesbahn auf diesem Sektor ebenso wie Überzeugung, sie kehren als unsere Bundesgenossen
kürzlich auf einem ganz anderen Gebiet — ich für die Durchsetzung dieses Anliegens wieder in
will es der Konkurrenz halber hier gar nicht an- ihre Heimat zurück.
sprechen — durchaus mindestens 50 % gewähren
könnte. Auf jeden Fall, Herr Minister, sollten wir (Beifall bei der CDU/CSU.)
bei der Angleichung der Frachten wenigstens so Da heute hauptsächlich von agrarpolitischen Fra-
weit gehen, wie wir uns im Rahmen der Harmoni- gen gesprochen werden soll, lassen Sie mich noch
sierung der künftigen EWG-Frachttarife bewegen. ein paar Gedanken vortragen, die uns angesichts
(Beifall bei der CDU/CSU.) der vor uns stehenden Situation ganz besonders
bewegen. Herr Minister, wird es gelingen, die
Meine Damen und Herren, ich beschränke mich zweifellos notwendig werdende Aufgabenteilung
hinsichtlich der unmittelbaren Wirkungen jetzt be- innerhalb der europäischen Landwirtschaft so zu
wußt auf diesen zunächst klar erkennbaren Teil- beeinflussen, daß sie eine sinnvolle Entwicklung
bereich, obwohl sich hier auch andere Entwicklun- nimmt? Das ist die erste Frage, die ich stellen
gen ebenso deutlich abzeichnen. Ich brauche nur dar- möchte. Zweitens. Wird es gelingen, den Mehrheits-
auf zu verweisen, daß in den gleichen Gebieten, in beschluß zu verwirklichen, den das Europäische Par-
denen wir vermutlich die niedrigsten Erzeugerpreise lament erfreulicherweise gefaßt hat — ich möchte
für Brotgetreide haben werden, gleichzeitig die unseren europäischen Freunden ganz besonders
höchsten Preise für das zugekaufte Futtergetreide herzlich dafür danken —, daß nämlich das deutsche
gezahlt werden müssen. Wie sich das letztlich aus- Getreidepreisniveau, also das Getreidepreisniveau
wirken wird, weiß niemand. Ich stelle das zunächst jenes Landes, in das bisher die Haupteinfuhren ge-
nur einmal fest. gangen sind, auch künftig in der Europäischen Ge-
Die Menschen, die in diesen Räumen wirtschaften meinschaft Grundlage der Verhandlung und Basis
und leben, können von sich aus weder die Grenzen für eine künftige Preisregelung sein wird? Das ist
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 383
Bauer (Wasserburg)
eine Zentralfrage. Ich sehe den Baron Kühlmann samen Markt wird, wie schon von meinen Herren
im Moment nicht. Ich muß gestehen, ich war doch Vorrednern verschiedentlich gesagt worden ist, nur
etwas erschrocken, als er heute davon sprach, daß möglich sein, wenn wir die Strukturmaßnahmen je-
er hoffe, es würde im Zusammenhang mit dem künf- der Art entsprechend beschleunigen. Ich weiß, daß
tigen europäischen Getreidepreis zu einer tragbaren dieser Satz leichter ausgesprochen als in die Tat
Lösung kommen. Wir sollten uns hier doch auf den umgesetzt ist. Wir müssen auf der andern Seite
Standpunkt stellen, daß wir nicht etwa hinter unsere durch gezielte Maßnahmen dafür sorgen, daß die
Kollegen von Straßburg zurücktreten, sondern sie Disparität innerhalb unserer Landwirtschaft im
nur in ihrem Bestreben bestärken können, daß es Laufe dieser Jahre geringer wird. Denn wenn wir
möglichst auch bei den künftigen Beratungen bei den Abbau von Wettbewerbsverzerrungen bei den
diesem Beschluß bleibt. anderen verlangen, tun wir gut daran, meine ich,
(Beifall bei der CDU/CSU. — Zurufe wenn wir im eigenen Hause ebenso gründlich dafür
von der FDP.) sorgen, daß uns nicht der gleiche Vorwurf gemacht
werden kann.
Herr Minister, die Antworten auf diese Fragen
sind für die gesamte Landwirtschaft von lebenswich- (Zustimmung bei der SPD.)
tiger Bedeutung, weil sie nach unserer Meinung
die Voraussetzung für eine gesunde Entwicklung Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich
des Verhältnisses zwischen der Boden- und der Ver- freue mich über ihren Beifall. Erinnern Sie sich bitte
edelungsproduktion sind. Ich hätte eigentlich auch an die letzten Debatten über die Grünen Pläne,
noch etwas nach der linken Seite sagen müssen. Frau Kollegin Strobel, wo wir bereits das gleiche
Herr Kollege Schmidt, ich weiß nicht, wohin wir ausgesprochen haben. Wir würden uns sehr freuen,
uns endgültig bewegen werden, etwa auf der Linie wenn wir bei den kommenden Debatten über den
zwischen Kühlmannn-Stumm bis hin zu Professor Grünen Plan auch Ihre Unterstützung fänden.
Baade, oder ob Sie sich nicht vielleicht doch früher
— Ich sprach von den Wettbewerbsverzerrungen
oder später in irgendeiner Form dem Mehrheitsbe-
beinahe hätte ich gesagt: von der Disparität —
schluß im Europäischen Parlament anschließen wer-
innerhalb unseres Marktes und innerhalb unserer
den.
Wirtschaft. Herr Minister, ich kann gar nicht genug
(Abg. Dr. Schmidt [Gellersen] : Vielleicht
unterstreichen, was uns in Brüssel widerfahren ist.
kommen Sie auch in meine Nähe!) Sie haben den seinerzeit von Ihnen so kräftig gel-
— Vielleicht. Ich lese das Protokoll noch ganz genau tend gemachten Widerstand gegen die Beschleuni-
-
nach, Herr Dr. Schmidt. Sie kennen ja meine Schwä- gung aufgegeben und haben die Beseitigung der
chen und Sympathien für Sie. Wettbewerbsverzerrungen als Aufhänger benutzt.
Nun hat man uns dafür das Abschöpfungssystem
Ich möchte gerade auf Grund der um den Jahres-
beschert. Dagegen habe ich im Prinzip —Herr Kol-
wechsel, in den letzten Dezember- und ersten Ja-
lege Lücker lacht mich an — gar nichts einzuwen-
nuarwochen gemachten Erfahrungen noch einmal
den. Ich setze nur voraus, daß es wirklich von allen
nachhaltig — das sage ich bewußt in die Richtung
Seiten ganz ehrlich und ernst gemeint ist.
der Regierungsbank — zum Ausdruck bringen, daß
die von uns hier vertretene Auffassung in den näch- (Beifall bei der CDU/CSU.)
sten Monaten von der Sache her weiter entscheidend
untermauert werden muß und daß in vorbereitenden Ich setze weiter voraus, daß der Abbau der Ab-
Gesprächen, die nach meiner Ansicht schon jetzt zu schöpfung auf der einen Seite und die allmähliche
beginnen haben, dafür gesorgt werden muß, daß Beseitigung der Wettbewerbsverzerrungen auf der
für dieses Zentralproblem unserer Agrarpolitik ein anderen Seite etwa gleichzeitig vor sich gehen. Das
gutes Verhandlungsklima geschaffen wird, was wird vielleicht die schwierigste Aufgabe sein. Dabei
sicherlich eine gute Voraussetzung für die späteren dürfen wir die Regierung und die Minister nicht
Verhandlungen sein wird. allein lassen. Vor allen Dingen ist auch unsere Wirt-
schaft aufgerufen, hier zu helfen. Diesen Appell
Nun ein zweites. Ich glaube, wir brauchen die möchte ich von dieser Stelle ausdrücklich ausge-
volle Übergangszeit von 71/2 bzw. 8 Jahren, und ich sprochen haben.
bin sehr dankbar, daß mir das von allen Seiten
bestätigt wurde. Herr Minister, von den „goldenen Die von Ihnen, Herr Minister, schon erreichten
Äpfeln", die Sie uns von Brüssel mit nach Hause guten Anfänge, z. B. das Verbot der Exportsubven-
gebracht haben, halte ich einen für den schönsten. tionen, geben uns die Hoffnung, daß wir auch mit
Ich meine die Tatsache, daß Sie in dieser Frage hart diesem Problem fertig werden können.
geblieben sind, und die deutsche Landwirtschaft
wird Ihnen dies zu danken wissen. Im übrigen hat Meine Damen und Herren, wir begrüßen alle
sich ja erfreulicherweise die Bundesregierung in der Hilfen, die den bäuerlichen Familienbetrieb in
Zwischenzeit auch in der Regierungserklärung für irgendeiner Form stärken, und wir sind besonders
eine behutsame Überführung der deutschen Land- froh darüber — ich glaube, das ist heute auch schon
wirtschaft in den Gemeinsamen Markt ausgespro- angesprochen worden —, daß das Leitbild des bäu-
chen. Wenn das so geschehen soll, sind die 7 1/2 bzw. erlichen Familienbetriebes, wie es im Landwirt-
8 Jahre einfach eine Minimalforderung. schaftsgesetz seinen Niederschlag gefunden hat, stich
auch, Herr Schmidt, in gewisser Weise im Vertrag
Die behutsame und, wie ich hoffe, glückliche Ein- von Rom wiederfindet. Vielleicht ist es für Sie zu
gliederung unserer Landwirtschaft in den Gemein wenig deutlich erkennbar; aber ich würde Ihnen
384 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962

Bauer (Wasserburg)
ganz gerne bei Gelegenheit die geradezu überein aber einige eindeutige Feststellungen möchte ich
stimmenden Zielsetzungen zwischen den beiden — — doch zum Schluß treffen.
(Abg. Frau Strobel: Diese Betonung des Die Bevölkerung in den meisten hier angespro-
Familienbetriebs steht in den sozialdemo chenen Gebieten lebt in Grenzbezirken, der größte
kratischen Agrarrichtlinien!) Teil dieser Menschen seit 1945 an der Zonengrenze.
Diese Menschen haben in den letzten 16 Jahren
— Wunderbar, sehen Sie, wir kommen uns immer
deutlicher, als man eis weiter westlich oft feststellen
näher. Das ist prachtvoll.
kann, zu spüren bekommen, wie grauenvoll der Ab-
(Heiterkeit.) grund menschlichen Leides innerhalb des kommuni-
Ich bin also wirklich glücklich, wenn ich noch ein stischen Machtbereichs ist. Sie wissen um die Not-
drittes hinzufügen darf: Wenn dieses Leitbild vom wendigkeit der gemeinsamen Anstrengung, Europa
bäuerlichen Familienbetrieb nun auch noch in den zur wirtschaftlichen und politischen Kraft zu ent-
sozialdemokratischen Leitlinien zur Landwirtschafts- wickeln, um uns allen Frieden und Freiheit zu er-
politik steht, dann kann uns ja gar nichts mehr halten. Sie möchten ein Bestandteil, ein Teil dieser
passieren. Kraft sein. Sie erwarten lediglich, daß die Gesamt-
heit unseres Volkes das Ausmaß ihres zwangsläufig
(Heiterkeit. — Beifall bei der CDU/CSU.)
vielleicht größeren Beitrags zu Europa anerkennt
Besonders dankbar erkennen wir an, daß in den und die wachsende wirtschaftliche Kraft Europas
beiden letzten Grünen Plänen der Weg zur Gerech- stark genug sein möge, ihnen unverschuldete Nach-
tigkeit innerhalb der Landwirtschaft deutlich be- toile ausgleichen zu helfen, um sie ihren ange-
schritten worden ist. Wir möchten Sie bitten, Herr stammten Lebensräumen wettbewerbs- und lebens-
Minister, dafür zu sorgen, daß der kommende Grüne fähig zu erhalten.
Plan diesen Trend verstärkt aufweist und daß der (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP.)
in dem kommenden Grünen Plan erscheinende Be-
reich der benachteiligten Gebiete um den Bereich
der marktfernen Gebiete erweitert wird und daß die Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat Frau
Begünstigungen, die bisher innerhalb des Grünen Abgeordnete Strobel.
Plans den benachteiligten Gebieten gewährt worden
sind, sich möglichst noch wirkungsvoller abheben
werden, als es bisher der Fall war. Frau Strobel (SPD) : Herr Präsident! Meine sehr
geehrten Damen und Herren! Wir Sozialdemokra-
-
Ob die paar hier im Augenblick angesprochenen ten haben schon seit Jahr und Tag betont, daß eine
agrarpolitischen Maßnahmen als Ausgleich für diese gemeinsame europäische Agrarpolitik notwendig
Gebiete ausreichen, vermag wohl im Augenblick ist, weil die Agrarprobleme im nationalen Rahmen
kaum jemand zu sagen. Notwendig wird aber sein, überhaupt nicht mehr zu lösen sind. Bei Gelegen-
bald zu klären, welche EWG-konformen Förderungs- heit der heutigen Debatte bin ich geneigt, daran zu
maßnahmen — konformen, sage ich ausdrücklich — erinnern, daß es der holländische Sozialdemokrat
für unsere Land- und Ernährungswirtschaft während Mansholt war, der, lange bevor die EWG entstan-
der Übergangszeit und auch nach dieser Zeit über- den ist, den ersten europäischen Agrarplan vorgelegt
haupt noch möglich sind. hat. Heute ist es für uns alle offensichtlich, daß es
falsch war, in der Bundesrepublik den Eindruck zu
Ich weiß, daß solche Forderungen, wie ich sie hier
erwecken — wie das teilweise noch im letzten
aufgestellt habe, zunächst den Anschein einer viel-
Wahlkampf geschah —, man könne das deutsche
leicht zu einseitigen Bevorzugung und Stützung der
Landwirtschaft in diesen Gebieten hervorrufen Getreidepreissystem und das gewohnte deutsche
könnten. Aber die Erhaltung der Landwirtschaft in System der Preissteuerung und Preisgarantie in den
diesen Gebieten und damit ganz allgemein gespro- Gemeinsamen Markt hinüberretten.
chen eine gut gestreute landwirtschaftliche Produk- Ich glaube, heute ist es auch offensichtlich, daß
tion ist nach meiner Ansicht ein wesentlicher Beitrag es falsch war, die agrarpolitische Konzeption der
zur Sicherung der Ernährung der Gesamtbevölke- EWG-Kommission, die, wie heute bereits gesagt
rung und kommt auf diese Weise allen irgendwie wurde, vom Europäischen Parlament weitgehend
zugute. gebilligt worden ist, auf vielen Bauernveranstaltun-
Ein zweites: Die Entwicklung einer rationellen gen immer als ein drohendes Unheil für die deut-
landwirtschfePouknmtlzeE- sche Landwirtschaft darzustellen.
des in irgendeiner Form der Gesamtwirtschaft und Es war nach unserer Meinung auch unverantwort-
damit allen Menschen in der Bundesrepublik zugute. lich, die deutsche Landwirtschaft nicht von Anfang
an — immerhin sind die Römischen Verträge im
Und ein letztes: Wenn sich verbunden mit diesen
März 1957 von der Bundesregierung unterschrie-
Überlegungen noch der Qualitätsgedanke soweit
wie möglich in die Förderungskriterien einbauen ben worden — mit den Konsequenzen des größeren
läßt, dann tun wir ganz bestimmt auch den Ver- Markts vertraut zu machen.
brauchern einen besonderen Dienst. Frau Strobel, (Sehr richtig! bei der SPD.)
das sage ich nachdrücklich an Ihre Adresse. Herr Struve hat heute gesagt: Die Landwirtschaft
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich eine braucht die acht Jahre Übergangsfrist, die ihr jetzt
Schlußfeststellung treffen. Ich hoffe, daß ich die mir noch gegeben sind, unbedingt und vollständig. Herr
zugemessene Zeit nicht allzusehr überschritten habe; Struve, leider sind bereits vier Jahre vergangen,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 385
Frau Strobel
ohne daß das, was hätte geschehen können und sinnvollen Arbeitsteilung in der EWG eine Absage
müssen, nachhaltig in Angriff genommen worden erteilen wollen? Die Erhaltung und Schaffung lei-
ist. stungsfähiger bäuerlicher Familienbetriebe ist ein
wesentlicher Bestandteil sozialdemokratischer Agrar-
,(Zustimmung bei der SPD. — Abg. Struve:
politik und nicht die Schaffung von Großfarmen, wie
Das kann man nicht sagen!)
Sie das in etwa ausgelegt haben.
— Das muß man leider feststellen. Ich empfehle, (Abg. Struve: Steht aber eindeutig in
einmal die Debatten um den Grünen Plan nachzu- Widerspruch! — Gegenruf von der SPD:
lesen, in denen die Anstrengungen der sozialdemo- Wozu denn in Widerspruch?)
kratischen Bundestagsfraktion deutlich werden,
durch eine Verstärkung der strukturpolitischen Maß- — Dann bitte ich Sie, die Rede von Herrn Birkel-
nahmen in dieser Beziehung bessere Voraussetzun- bach noch einmal nachzulesen.
gen zu schaffen. Das ist auch die Grundlage der EWG-Konzeption,
(Zuruf von der CDU/CSU: Sicher nicht und es ist insbesondere die Grundlage der sozial-
allein!) demokratischen Agrarpolitik in Hessen. Ich bitte
Sie einmal Ihren Kollegen Bauernverbandspräsiden-
— Sicherlich nicht allein, aber es ist ein wesent-
ten von Hessen zu fragen, wie die hessischen
licher Teil davon.
Bauern die hessische Agrarpolitik beurteilen.
Wir Sozialdemokraten — und zwar nicht nur wir (Beifall bei der SPD.)
deutschen, sondern die gesamte sozialistische Frak-
tion der Europäischen Parlaments — haben uns Ich meine allerdings, daß in einem gewissen
auch von vornherein für eine gemeinsame Markt- Widerspruch zu Ihrer Betonung Ihr Festhalten an
ordnung in der EWG ausgesprochen. Wir waren globalen Subventionen bei Ihrer praktischen Politik
der Meinung, daß es notwendig ist, sich dann auch steht.
gleich darauf einzustellen. (Erneuter Beifall bei der SPD.)
Heute ist es offensichtlich: der größere Markt be-
Es liegt nicht gerade im Interesse der Familienbe-
deutet, daß die Standortvor- und nachteile erkenn-
triebe, wenn die Subventionen so gestaltet werden,
barer werden. Der größere Markt bedeutet auch,
daß es bei den Großen regnet und bei den Familien-
daß eine sinnvolle Arbeitsteilung unausbleiblich ist.
betrieben nur noch tröpfelt.
Der größere Markt wird dazu führen, daß die
Wettbewerbsfähigkeit und die Leistungsfähigkeit, (Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)
vor allen Dingen auch in der Qualität, den Markt-
Es ist unser Bemühen — es kommt jedes Jahr in
anteil bestimmen. Es wäre nicht gut, wenn man die unseren Anträgen zum Grünen Plan zum Ausdruck;
deutsche Landwirtschaft immer wieder von diesen ich erinnere Sie an unseren Antrag zum Grünen
Konsequenzen abzulenken versuchte. Deshalb haben Plan auf Staffelung der Milchsubvention — daß die
wir immer die Bedeutung der Strukturpolitik unter
,

Subventionen gezielt und so gegeben werden, daß


dem Gesichtspunkt des Strukturwandels betont. sie in erster Linie den wirtschaftlichen Ertrag der
Hier möchte ich, gerade im Zusammenhang mit Familienbetriebe verbessern.
dem, was die Kollegen Ertl und Bauer gesagt haben, (Abg. Struve: Dann müssen Sie auch noch
betonen: Natürlich möchten wir die grünen Wiesen die drei Pfennig Milchsubvention von dem
und die weidenden Kühe absolut nicht missen. Es ist Verbraucher zahlen lassen!)
immer ein besonderes Anliegen der hessischen
Sozialdemokraten gewesen, in der Landwirtschafts- — Herr Struve, auf die Frage des Milchpreises
politik der hessischen, sozialdemokratisch geführten komme ich nachher noch zu sprechen. Im übrigen
Regierung besonders die Landschaftspflege zu be- bitte ich Sie, doch einmal Ihre eigenen Worte nach-
treiben. zulesen. Sie kritisieren, daß Herr Birkelbach gesagt
(Sehr richtig!. bei der SPD.) hat, eine gewisse Umstellung und Umorientierung
Es waren, wenn ich mich recht erinnere, auch die sei als Folge des Gemeinsamen Marktes notwendig.
Vertreter der hessischen Regierung, die sich im Auch Sie, Herr Struve, sprachen von Umstellung.
Bundesrat insbesondere für die Berücksichtigung der Herr Minister Schwarz hat in seiner Regierungser-
Höhenlagen im Grünen Plan eingesetzt haben. klärung über die Brüsseler Beschlüsse von einer
unausbleiblichen Umorientierung gesprochen.
(Sehr gut! bei der SPD.)
Ich meine, man kann die Konsequenzen des Ge-
Ich möchte auch darauf hinweisen, daß es unser meinsamen Marktes heute einfach nicht mehr leug-
Anliegen war — ich habe nicht recht verstanden, nen. Die Würfel sind in Brüssel gefallen. Es ist reali-
gegen wen hier polemisiert worden ist —, gerade stischer und politisch und menschlich klüger, sich
die benachteiligten Gebiete innerhalb der Bundes- darauf einzustellen. Nun ist aber nicht nur die Land-
republik und auch innerhalb der EWG durch eine
wirtschaft und nicht nur ein Teil der Redner, die
vernünftige Regional und Strukturpolitik am all-
-
heute hier gesprochen haben, immer noch von einer
gemeinen Wirtschaftsaufschwung zu beteiligen. gewissen Skepsis gegenüber den Brüsseler Beschlüs-
Ich möchte meinen, Herr Struve, Sie haben den sen erfüllt. Man ist noch lange nicht davon über-
Kollegen Birkelbach falsch verstanden, denn Sie zeugt, daß das Neue besser ist oder in seiner Wir-
haben ihn falsch interpretiert. Oder sollte Ihre kung besser sein kann als das Alte. Das hängt wohl
Kritik an seiner Aussage bedeuten, daß Sie einer ein bißchen damit zusammen, daß auch schlechte Ge-
386 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962
Frau Strobel
wohnheiten liebgewordene Gewohnheiten sind, von genommen kann es durchaus Nachteile geben, wenn
denen man sich ungern trennt. man es schematisch macht, allein durch die rein sche-
(Heiterkeit.) matische Maßnahme und auch durch die Tatsache,
daß wir bei der Frachtkostensenkung nicht diskri-
Ich bin allerdings überzeugt, das trifft nicht nur minieren dürfen; sie muß dem französischen Erzeu-
auf die Landwirtschaft zu. Das trifft, scheint mir, ger und Lieferanten genauso zugute kommen wie
auch ein bißchen auf die Verwaltung zu. Denn wenn dem deutschen. Ich möchte nur darauf aufmerksam
ich Äußerungen verschiedener Persönlichkeiten des gemacht haben, damit man nicht vom Regen in die
Bundesernährungsministeriums nachlese, ist auch da Traufe kommt. Ich halte die Frachtkostensenkung
eine gewisse Skepsis herauszulesen: man fühlt sich für absolut notwendig, bin aber der Meinung, ge-
nicht besonders wohl, daß man jetzt den alten An- prüft werden muß das Wie.
zug ablegen soll, in den man so gern hineinge-
schlüpft, und den neuen anziehen soll, der vielleicht Vor allen Dingen möchte ich von der Bundesre-
ein bißchen unbequemer ist. gierung wissen, wann sie in der Lage ist, die tat-
sächlichen Veränderungen, die sich durch die Ein-
Aber ich darf auch einmal daran erinnern, daß führung des Richtpreises ergeben, im einzelnen be-
von dieser Tribüne aus — und nicht nur von hier, kanntzugeben. Warum? Wir erleben nun, seitdem
sondern von all den großen Organisationen der die Brüsseler Beschlüsse bekannter werden, jeden
,

Wirtschaft und des Handels, die heute die Brüsseler Tag die Ankündigung neuer Preiserhöhungen. Ich
Beschlüsse so sehr kritisieren — sehr viel Kritik an habe ein bißchen den Eindruck, daß es in der Bun-
der bisherigen deutschen Marktordnung geübt wor- desrepublik Kreise gibt, die unter dem Deckmantel,
den ist. Es gab ja in diesem Hause lange Zeit einen die EWG sei daran schuld, Preiserhöhungen vor-
Ausschuß, bestehend aus Teilen des Außenhandels-,
nehmen, die sich keinesfalls aus der gemeinsamen
des Wirtschafts- und des Ernährungsausschusses,
agrarpolitischen Konzeption verantworten lassen
der sich mit dieser Kritik an der Marktordnung be-
bzw. ergeben müssen.
faßt hat. Ich kann mich entsinnen, daß damals oft die
Rede davon war, die Marktordnung nehme dem (Beifall bei der SPD.)
Handel zu viele Aufgaben ab, daß oft von den vie- Wenn z. B. behauptet wird, daß vom Brotpreis bis
len Nachteilen die Rede war, die unser System der zum Puddingpulver auf Grund der Einführung der
Einfuhrausschreibungen mit sich bringe, und daß hier Richtpreise und ihrer Auswirkungen eine Preiser-
oft kritisiert worden ist — in diesem Falle vor allem
höhung notwendig sei, so möchte ich meinen: es ist
von uns —, daß Unklarheiten über das Preisziel bei
höchste Zeit, daß ,die Bundesregierung in aller
der Marktintervention bestehen. Mehrere Landwirt-
Öffentlichkeit deutlich macht, daß das nicht der Fall
schaftsminister, die ich in diesem Hause erlebt habe,
haben sich geweigert, uns das Preisziel zu nennen, ist.
mit der Begründung, sie müßten auf dem schmalen (Erneuter Beifall bei der SPD.)
Grat zwischen Landwirtschaft und Verbraucher wan- Je früher das geschieht, um so besser. Meine Frage
dern und würden je nachdem, was sie sagten, von der lautet also: Was beabsichtigt die Bundesregierung
einen oder von der anderen Seite Prügel bekommen. zu tun, um Preiserhöhungen zu verhindern, die
(Heiterkeit.) unter dem Vorwand, die EWG bringe sie, beabsich-
tigt sind? Das scheint mir eine ihrer wesentlichsten
Ich möchte daran nur deswegen erinnern, weil ich Aufgaben zu sein.
der Meinung bin, daß die Steuerung allein durch die
(Zustimmung bei der SPD.)
Abschöpfung, wie sie in der Brüsseler Konzeption
enthalten ist, mindestens bei den Veredelungspro- Heute wird z. B. in der Presse eine solche Preiser-
dukten einfacher und elastischer ist als unsere bis- höhung mit der Behauptung begründet, daß die
herige Marktordnung. Es kommt nur darauf an, sich Bundesregierung bisher den Hartweizen subventio-
umzugewöhnen. Wenn man es einmal gewohnt niert habe, daß diese Subventionierung wegfalle
ist, wird man merken, daß es wesentlich ein- und daß dadurch eine Preiserhöhung für Mehl aus
facher ist. Ich bin auch der Meinung, daß beim Ge- besonders guter Qualität unvermeidlich sei. Nun,
treide die Tatsache, daß es nur eine Einfuhranmel- ich habe schon darauf hingewiesen, daß Fracht-
dung — mit Kaution für die Abschöpfung — gibt, ein kostenverbilligungen, wie sie die Bundesregierung
durchaus praktikables System darstellt, das dem offensichtlich beabsichtigt, nicht nur für deutsches
Handel seine Verantwortung und Funktion zurück- Getreide, sondern auch für das eingeführte Getreide
gibt. gegeben werden müssen, weil eine Diskriminierung
Hier ist wiederholt von der Wirkung der Richt- weder in der EWG noch im GATT erlaubt ist. Inso-
preise gesprochen worden. Es steht fest, daß die fern scheint mir die Begründung für die Preiser-
Einführung der Richtpreise in der Bundesrepublik höhung an den Haaren herbeigezogen zu sein.
zunächst eine geringe Senkung der Getreidepreise
In diesem Zusammenhang möchte ich Sie, Herr
im Durchschnitt bedeutet, daß aber ein Ausgleich
Struve, bitten, das, was Herr Birkelbach bezüglich
möglich ist und daß die Auswirkungen unterschied-
lich sind. Deshalb bin ich der Meinung, daß die Bun- des Niederschlags der Veränderungen im Getreide-
desregierung in Zusammenarbeit mit dem Landwirt- preis beim Brotpreis gesagt hat,. noch einmal nach-
schaftsausschuß und, da es sich zum Teil um Fracht- zulesen. Herr Birkelbach hat nämlich genau das
probleme handelt, auch mit dem Verkehrsausschuß Gegenteil von dem gesagt, was Sie meinten aus
sehr eingehend prüfen muß, wie sich eine Fracht- seinen Änderungen heraushören zu müssen.
ermäßigung tatsächlich auswirkt. Denn im Grunde (Hört! Hört! bei der SPD.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 387
Frau Strobel
Herr Bauer hat eben, wenn ich mich nicht irre — dieser Abschöpfung noch ein steigender Betrag von
oder war es Herr Ertl? —, darauf hingewiesen, daß 2 % im ersten Jahr bis 7% im letzten Jahr. Das
geringfügige Verschiebungen im Getreidepreis sich bedeutet natürlich gegenüber den Preisen der Ein-
keinesfalls sofort im Brotpreis niederschlagen. fuhren aus Amerika eine wesentlich stärkere Bela-
stung.
Im deutschen Volk gibt es, insbesondere unter
den jungen Menschen, eine große ideell und poli- (Abg. Bauknecht: Diese Preise haben uns
tisch bestimmte Bereitschaft, ja geradezu eine Un- aber völlig ruiniert!)
geduld, für die Verwirklichung der europäischen — Ich komme noch auf einige Punkte in diesem Zu-
Gemeinschaft. Die Beratungen in Brüssel sind manch- sammenhang, Herr Bauknecht.
mal als ein unangenehmes Feilschen um wirtschaft-
Im Ernährungsausschuß ist im Zusammenhang mit
liche Vorteile in einer Situation, in der eine poli- der Behandlung des Geflügelgesetzes, das wir letzt-
tische Notwendigkeit bestand, aufgefaßt worden. hin verabschiedet haben, errechnet worden, daß in
Der Brüsseler Beschluß wurde einmütig begrüßt. etwa eine Prämie von 60 Pf pro Kilo Geflügelfleisch
Wenn aber nun Preiserhöhungen — die als Folge nötig ist, um die Futterkostenunterschiede auszu-
der Integrationspolitik empfunden werden — in er- gleichen. Das würde also schon einmal 60 Pf mehr
heblichem Ausmaß entstünden, würde die Integra- bedeuten.
tionsbereitschaft des deutschen Volkes dadurch
Nun gibt es in diesen Verordnungen für Eier und
negativ beeinflußt werden, und das kann keiner
Geflügel — da ist es ähnlich — einen Art. 5. Herr
wollen. Aus diesem Grunde ist die Verantwortung
Minister, ich möchte diesen Artikel 5 auch Ihnen
der Bundesregierung für die Verhinderung solcher
gerne wörtlich vorlesen. Es heißt dort:
Preiserhöhungen außerordentlich groß.
Die Kommission kann einen Mitgliedstaat auf
Immer noch gehen die Prognosen und auch die seinen Antrag ermächtigen, die Abschöpfungs-
Kommentare darüber, was die Brüsseler Beschlüsse beträge, die sich nach Artikel 3 und 4 ergeben,
im 'einzelnen bedeuten, auseinander. Um so bedauer- herabzusetzen.
licher ist es — diese Kritik muß ich leider anbringen
daß die Regierungserklärung in dieser Bezie- In diesem Falle könnte die Abschöpfung bis auf den
hung keinerlei Klarheit geschaffen hat. Ehrlicher- niedrigsten Abschöpfungsbetrag gegenüber Dritt-
weise möchte ich sagen: das lag meiner Meinung ländern, der innerhalb der Gemeinschaft angewandt
nach daran, daß sie etwas zu früh 'erfolgte. Denn wird, herabgesetzt werden.
wenn der Minister eine Regierungserklärung abgibt Meine Frage an die Bundesregierung ist, ob sie
und gleichzeitig sagen muß, daß man die Auswir- beabsichtigt — da sie doch immer an den Verbrau-
kungen der Beschlüsse noch nicht überschauen cher gedacht hat, wie Herr Minister Schwarz in der
könne, so ist das eben doch eine Ursache dafür, daß Pressekonferenz gesagt hat und wie es auch in sei-
sich die Äußerungen, die dann draußen folgen, zum ner Erklärung steht —, diesen Art. 5 in Anspruch
Teil im spekulativen Raum bewegen. Herr Minister zu nehmen, um die von der Presse vielfach ange-
Schwarz hat in seiner Rede in der vorigen Woche kündigten und ausgerechneten Preissteigerungen
gesagt, daß insbesondere von der deutschen Dele- bei Geflügel und Eiern von den Verbrauchern abzu-
gation auf die Belange der Verbraucher besonders wenden. Ich frage zunächst nur einmal.
Rücksicht genommen worden sei und daß die Ver-
Ich möchte in diesem Zusammenhang eine andere
braucher auf lange Sicht mit einer günstigeren Ver-
Frage stellen. Es gibt Situationen, in denen man
sorgung rechnen könnten. Herr Minister, ich wäre
eine Einkommensminderung oder Ausgabensteige-
Ihnen dankbar, wenn Sie sagten, wo, bei welchen
rung — beides wirkt sich ja für den jeweils Be-
Ernährungsprodukten die Verbraucher auf lange
Sicht mit einer günstigeren Versorgung rechnen troffenen in etwa gleich aus — nicht vermeiden
kann. Die Bundesregierung und eigentlich alle Par-
können.
teien des Bundestages sind sich darüber einig, daß
Ich möchte einmal die jetzt verabschiedeten Ver- Einkommensminderungen, die bei der Landwirt-
ordnungen, die insbesondere den Verbraucher we- schaft durch die Einführung des Richtpreissystems
gen der großen Publizität, die die möglichen Preis- entstehen, durch Ausgleichszahlungen aufgefangen
erhöhungen haben, interessieren, ein bißchen unter werden sollen, und man hat sich in Brüssel dafür
die Lupe nehmen, weil ich der Meinung bin, die auch die Erlaubnis geben lassen. Ich bin der Mei-
Bundesregierung könnte schon jetzt den Verbrau- nung, daß die Bundesregierung allen Anlaß hätte,
chern versprechen, daß sie keine Preiserhöhungen in der gegenwärtigen Situation auch zu prüfen, wie-
zu 'befürchten haben. weit sie eventuelle Ausgabensteigerungen für die
Eier und Geflügel waren bisher in der Bundes- Verbraucher auf anderen Gebieten ausgleichen
republik liberalisiert, jetzt sind sie in die euro- könnte. Ich meine allerdings, sie hat sich solchen
päische Marktordnung einbezogen. Ziel dieser Ein- Überlegungen bisher sehr verschlossen. Wenn ich
beziehung ist, allen Erzeugern in der Gemeinschaft an die Debatte über die Kaffee- und Teesteuer
gleiche Chancen auf dem Gemeinsamen Markt zu denke, muß ich mindestens feststellen, daß die Bun-
geben, auch dann, wenn sie, wie die deutschen Er- desregierung zum Ausdruck gebracht hat, daß sie
zeuger, höhere Produktionskosten haben. Zu diesem noch keine Möglichkeit sehe, auf diesem Gebiet die
Zweck werden die Unterschiede in den Produktions- Verbraucher zu entlasten. Wenn sie eine solche
kosten abgeschöpft. Bisher wurde nur ein Zoll erho- Möglichkeit nicht sieht, dann sollte sie mindestens
ben. Jetzt wird der Futterkostenunterschied plus die Möglichkeit benutzen, neue Belastungen zu ver-
Zoll abgeschöpft. Gegenüber Drittländern kommt zu meiden.
388 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962
Frau Strobel
Darf ich in diesem Zusammenhang sagen — weil bevor die Importeure die Preise für die Orangen er-
ich mir durchaus bewußt bin, was das in bezug auf höhen.
die besseren Chancen für die deutschen Bauern be- (Abg. Bauer [Wasserburg]: Das würde ja
deutet —: wir Sozialdemokraten haben immer die eine totale Preisbindung bedeuten, wenn
Meinung vertreten, daß eine Verbesserung des Ein- die Bundesregierung etwas derartiges er
kommens der Bauern nicht allein über den Preis, klären sollte!)
sondern auch über den größeren Marktanteil, nicht
allein auf der Basis der Bodenproduktion — hier — Aber nein, Herr Bauer. Die Bundesregierung
gibt es bestimmt noch eine echte Meinungsverschie- kann durchaus ihre Beurteilung der Wirkung einer
denheit unter uns —, sondern insbesondere auch geringfügigen Zollerhöhung in der Öffentlichkeit
der Möglichkeit durch eigene Arbeit und Initiative bekanntgeben. Wozu ist sie eigentlich da, wenn sie
eröffnet werden muß. Wenn Herr Minister Schwarz solche Mitteilungen nicht machen kann?
von der Notwendigkeit der Neuorientierung der (Beifall bei der SPD. — Abg. Bauer [Was
Produktion gesprochen hat, dann könnte das in serburg] : Dann kann man die Radieschen
diese Richtung gehen. Ich wäre dankbar, wenn Herr auch noch bringen!)
Minister Schwarz sagen würde, welche Richtung der
Neuorientierung er sieht. — Aber Herr Bauer, was soll das!
In diesem Zusammenhang — notwendige Neu- (Abg. Bauer [Wasserburg] : Sie können es
orientierung —, meine ich, ist es wirklich höchste doch nicht auf die Orangen abstellen! —
Zeit, daß die Bundesregierung für eine redliche vor- Zuruf von der SPD: Das ist ein Beispiel!)
ausschauende Beratung der Bauern darüber sorgt, — Ich glaube, es ist sinnlos, hier darüber zu streiten,
wie ihre Chancen im Konsum sind, wie sich eine wenn man nicht der Meinung ist: „Na ja, also laßt
steigende Produktivität und bessere Qualität für ihre doch kleine Preiserhöhungen eintreten, die Ver-
Einkommen auswirken kann, wie die Chancen der braucher werden das schon verkraften." Ich bin
Vermarktung für sie sind und wo noch neue Ein- nicht dieser Meinung. Deshalb lege ich Wert darauf,
kommensquellen eröffnet werden können. daß die Bundesregierung zu solchen Ankündigun-
Ich möchte noch zu einer Verordnung, die bis gen von Preiserhöhungen eindeutige Erklärungen
heute hier wenig angesprochen worden ist, zu der abgibt.
Obst- und Gemüseverordnung, ein Wort sagen, und Man muß in diesem Zusammenhang auch einmal
zwar auch deswegen, weil immer wieder behauptet -
wissen, wie hoch eigentlich der Einfuhranteil bei
wird, auch bei Obst und Gemüse seien auf Grund den Citrusfrüchten aus Drittländern und wie hoch
der europäischen Marktordnung Preissteigerungen der Anteil aus Gemeinschaftsländern ist. Mich würde
für die Verbraucher zu erwarten. Ich bin der Mei- auch interessieren, ob die Bundesregierung ein Zoll-
nung, daß die Verordnung über Obst und Gemüse, kontingent für Orangen beantragt hat, um diese
die eine schrittweise Liberalisierung, strengere Zollerhöhung vom deutschen Verbraucher abzu-
Qualitätsvorschriften und strengere Qualitätskon- wenden.
trollen bringt, die deutschen Bauern zu einer viel
Ich möchte außerdem sagen: mir scheint, daß auch
stärkeren Anstrengung in ihrer Wettbewerbsfähig-
die Weinverordnung keinerlei Veranlassung gibt,
keit bei Qualität und Sortierung zwingen wird; ich
den Preis von Wein für den Verbraucher zu erhö-
sehe aber keine Notwendigkeit, daraus irgendwelche
hen oder eine solche Erhöhung anzukündigen.
Preiserhöhungen für die deutschen Verbraucher ab-
zuleiten; vielleicht mit einer Ausnahme, aber das Mir liegt sehr daran, daß diese Dinge hier ausge-
hängt überhaupt nicht mit der Marktordnung zu- sprochen werden, weil ich der Meinung bin, daß
sammen. Auch hier bitte ich um eine Äußerung der man der europäischen Einigung einen Bärendienst
Bundesregierung in der Öffentlichkeit, nicht nur hier. erweist, wenn man nicht alle diese Versuche, zu
Wir haben, bevor die Brüsseler Beschlüsse gefaßt Preiserhöhungen unter dem Vorwand zu kommen,
wurden, i n den Zeitungen immer lesen können, die die EWG bringe das, energisch zurückweist. Ich
deutschen Verbraucher müßten damit rechnen, daß sage das auch nicht, um schwarz zu malen,
demnächst die Orangen wesentlich teurer würden, (Heiterkeit.)
und zwar deshalb, weil der Außenzoll von 10 auf
12 % gestiegen sei. Wir haben uns im Außenhan- sondern deswegen, weil uns in der gemeinsamen
Agrarpolitik noch einiges bevorsteht.
delsausschuß darüber unterhalten und haben von
dem Vertreter der Bundesregierung gehört, daß die Wir reden heute über gefaßte Beschlüsse und ihre
2%ZolsteigrunwkchPeistgrun Auswirkungen, wissen aber alle, daß es in der
bringen müssen, sondern vom Handel aufgefangen EWG auf dem Gebiete der Agrarpolitik noch eine
werden können. Reihe von Verordnungen geben wird, die ebenfalls
ihre Auswirkungen haben werden. Weil es mir
(Abg. Bauer [Wasserburg] : Sie bringt auch
wichtig erscheint, die Meinung der Regierung zu
keine!)
hören, bevor sie in Brüssel abstimmen muß, möchte
— Herr Bauer, ich meine ja, daß es richtig wäre, ich heute schon zwei Dinge ansprechen.
wenn die Bundesregierung eine solche Erklärung
In der EWG-Kommission wird zur Zeit eine Ver-
nicht nur im Außenhandelsausschuß, sondern in der
ordnung über eine gemeinsame Politik auf dem
Öfentlichkabgä, Fettmarkt beraten. Dazu liegt eine dicke Denkschrift
(Beifall bei der SPD) der EWG-Kommission vor. Wenn der Vorschlag,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 389
Frau Strobel
der in dieser Denkschrift enthalten ist, Wirklichkeit Ich meine, daß es aus diesem Grunde viel richtiger
wird, dann wird auf Fette und Öle eine Umlage wäre, die Milchprämie
erhoben, die sehr unangenehme Auswirkungen für (Abg. Struve meldet sich zu einer
den Margarinepreis hat. Zu dieser Denkschrift der Zwischenfrage)
EWG-Kommission hat sich bereits der Berichterstat-
ter des Landwirtschaftsausschusses des Euro- — darf ich den Satz zu Ende sprechen — um 2 Pf
päischen Parlaments geäußert. In seiner Äußerung zu erhöhen, sie so zu staffeln, wie wir das bereits
kann man lesen, daß an eine Umlage auf eine im vorigen Jahr beantragt haben. Dann wird näm-
Menge von zwei Millionen t Fette und Öle gedacht lich die Erhöhung um 2 Pf insbesondere auch bei
ist und daß ein Betrag von 200 Millionen Gulden den Familienbetrieben ankommen.
aufgebracht werden soll, was eine Umlage von
0,10 Gulden auf jedes Kilo Öl und Fett in der Ge- Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zwischenfrage
meinschaft bedeuten würde. Das wäre praktisch eine des Herrn Abgeordneten Struve.
Preiserhöhung um 11 Pf pro Kilo Öl oder Fett.
Darüber berät man zur Zeit. Ich meine, es ist jetzt Struve (CDU/CSU) : Frau Strobel, sind Sie nicht
notwendig, daß die Bundesregierung von diesem der Auffassung, daß diese Darstellung bei dem Ver-
Hause darauf festgelegt wird, daß sie einer solchen braucher Verwirrung auslösen könnte?
Konzeption nicht zustimmt. (Zurufe von der SPD: Im Gegenteil!)
(Zustimmung bei der SPD.)
Frau Strobel (SPD) : Wieso denn, Herr Struve?
Wenn es in der Europäischen Wirtschaftsgemein- Diese Darstellung zeigt eindeutig, daß wir eine
schaft notwendig ist, den Olivenanbau in Italien zu Milchpreiserhöhung für den Verbraucher wegen
stützen, wenn es notwendig ist, den Erdnußanbau vieler unerwünschter Auswirkungen ablehnen,
in bestimmten überseeischen Gebieten zu stabili-
sieren, wenn es notwendig ist — ich sage das immer (Beifall bei der SPD)
als Frage —, den Rapsanbau in der Bundesrepublik daß wir es für nötig halten, den Bauern, insbeson-
— mehr aus Fruchtwechselgründen, wenn ich das dere in den kleinen und mittleren Betrieben, 2 Pf
richtig verstehe — zu erhalten, dann muß man sich mehr für die Milch zu geben, und daß wir eine
etwas anderes einfallen lassen als eine Steuer auf Lösung, die garantiert, daß die 2 Pf wirklich bei dem
die Margarine, und auf etwas anderes kommt es Bauern ankommen, in der Erhöhung der Milchprä-
nicht hinaus. mie sehen. -
(Beifall bei der SPD.) (Erneuter Beifall bei der SPD.)
Deshalb möchte ich das hier frühzeitig ausgespro-
chen haben und wünsche, daß die Bundesregierung Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage
klar und deutlich erklärt, wie sie zu diesem Vor- des Herrn Abgeordneten Struve.
schlag der EWG-Kommission steht.
Struve (CDU/CSU): Frau Strobel, sind Sie nicht
Darf ich in diesem Zusammenhang etwas zu der der Auffassung, daß bei einer Erhöhung der Preise
von der CDU/CSU-Fraktion beantragten Milchpreis- für Trinkmilch um 6 Pf einschließlich der Spannen,
erhöhung sagen. Es tut mir leid, daß Herr Struve auf den trinkmilchliefernden Bauern oder die trink
im Augenblick nicht da ist; milchliefernde Meierei bezogen, annähernd 5 Pf bei
(Zurufe: Er ist im Saal!) diesen ankommen und höchstens 1 Pf beim Handel
verbleibt?
aber ich muß es jetzt sagen, bevor ich zum Schluß
komme. Die CDU/CSU-Fraktion hat eine Erhöhung
des Verbrauchermilchpreises um 6 Pf beantragt, in Frau Strobel (SPD): Aber Herr Struve, das ist
erster Linie mit der Begründung, daß davon unbe- mir eine völlig neue Rechnung. Bekanntlich beträgt
dingt 1 Pf bei den Erzeugern ankommen müsse. der Trinkmilchanteil ein Viertel des gesamten Milch-
Die CDU/CSU beantragt dazu noch eine Erhöhung anteils. Ich habe bisher angenommen, daß Sie nicht
der Milchprämie um 1 Pf, so daß die Bauern prak- nur den Bauern, die das Glück haben, Trinkmilch
tisch über eine Verbraucherpreiserhöhung um 6 Pf zu verkaufen, eine Milchpreiserhöhung geben woll-
und eine Erhöhung der Prämie 2 Pf pro Liter mehr ten, sondern auch den Bauern, die die Werkmilch
bekommen würden. Herr Struve, Sie haben gesagt: zur Verfügung stellen.
„Hoffentlich sind wir uns in diesem Hause alle (Beifall bei der SPD. — Abg. Struve:
darüber einig, daß wenigstens diese 2 Pf beim Er- Deshalb auch die Verbindung mit dem
zeuger ankommen müssen." Darüber sind wir uns Ausgleich, deshalb die Gesetzesände
einig, Herr Struve. rung!)
(Zuruf von der Mitte: Großartig!) Da von 6 Pf — wenn man für alle Milcherzeuger
Wir sind aber der Meinung, daß die Erhöhung des 2 Pf oder in diesem Fall 1 Pf über die Preiserhöhung
Verbrauchermilchpreises um 6 Pf absolut keine Ga- mehr haben will — 4 Pf nötig sind, um 1 Pf pro
rantie dafür bietet, daß diese 2 Pf beim Erzeuger Liter beim Bauern ankommen zu lassen, erscheint
wirklich ankommen. uns das so nicht richtig und auch als keine sinnvolle
Lösung. Im übrigen werden wir unseren diesbezüg-
(Beifall bei der SPD.) lichen Antrag bei den Beratungen über den Grünen
390 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962
Frau Strobel
Plan vorlegen, auch Ihrer wird dann ja wohl im oder Sie vermögen meiner Rechnung noch nicht zu l
Wortlaut vorliegen; dann wollen wir einmal die folgen.
beiden miteinander vergleichen. Ich glaube, auch
Sie werden dann, wenn Sie daran denken, daß der (Abg. Struve: Wir wollen gegenüber Damen
Milchauszahlungspreis ja bei den Meiereien unter- nicht unhöflich sein!)
schiedlich ist, zu der Auffassung kommen, daß es Wir sind der Meinung: die kinderreiche Bäuerin
absolut keine Garantie dafür gibt, daß jede Preis- soll die 2 Pf pro Liter mehr bekommen, aber die
erhöhung beim Bauern ankommt. Wenn Sie daran kinderreiche Verbraucherin soll nicht 6 Pf pro Liter
denken, daß die Milch dadurch, daß sie häufig nicht dafür mehr bezahlen.
mehr lose, sondern abgepackt gekauft wird, und daß
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.)
es dabei zu einer zusätzlichen Preiserhöhung kom-
men kann, werden Sie sich von uns hoffentlich doch Meine Damen und Herren, ich habe einen Weg auf-
noch überzeugen lassen, daß es im Interesse der gezeigt, wie wir das zu lösen gedenken.
Bauern liegt, die 2 Pf über die Subvention mehr zu
geben, und daß es im Interesse des Milchverbrau- (Zurufe von der CDU/CSU.)
chers und der vielen Familien mit Kindern liegt, Nun möchte ich gern wieder zur europäischen
diese 2 Pf, die der Bauer mehr bekommen soll, nicht Agrarpolitik zurückkehren. Ich habe dazu nur noch
durch eine Erhöhung des Milchpreises für den Ver- wenige Bemerkungen zu machen. Wir werden ja bei
braucher um 6 Pf zu finanzieren. der Erörterung des Grünen Plans noch reichlich
(Beifall bei der SPD. — Abg. Struve: Frau Gelegenheit haben, eine Milchpreisdebatte zu füh-
Strobel, wir werden Sie bestimmt im Aus ren.
schuß davon überzeugen, daß unsere Vor Ich möchte gern noch von der Bundesregierung
schläge richtig sind!) wissen, ob sie 'bereits irgendwelche Berechnungen
darüber angestellt hat — und zu welchem Ergebnis
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zwischenfrage sie dabei gekommen ist —, wie sich die Finanzie-
des Abgeordneten Bauer (Wasserburg). rung der gemeinsamen Agrarpolitik unter Berück-
sichtigung des deutschen Anteils haushaltsmäßig in
Bauer (Wasserburg) (CDU/CSU) : Darf ich Sie der Bundesrepublik niederschlagen wird. Ich weiß,
etwas fragen, Frau Strobel? Sie haben eben davon daß man das nicht sofort beantworten kann. Aber
gesprochen, daß die Erhöhung des Milchpreises uni ich glaube doch, daß es nötig wäre, bald solche Auf-
6 Pf ganz besonders die kinderreichen Familien tref- klärungen zu geben. -
fen würde. Wissen Sie umgekehrt auch, daß die
Erhöhung des Milchpreises, in diesem Fall auch die In den Verordnungen der EWG ist, nachdem sich
Erhöhung des Erzeugerpreises, sehr oft in erster das Europäische Parlament damit befaßt hatte, ein
Linie auch kinderreichen Bäuerinnen zugute kom- sogenannter Verwaltungsausschuß installiert wor-
men wird? Haben Sie das .auch bedacht? den. Nun, das ist beschlossen und nicht mehr rück-
gängig zu machen, obwohl sich das Europäische Par-
(Lachen und Zurufe bei der SPD.)
lament sehr hart dagegen ausgesprochen hat. Auch
die Bundesregierung wird in diesem Verwaltungs-
Frau Strobel (SPD) : Aber Herr Bauer, Sie stellen ausschuß vertreten sein. Ich halte den Verwaltungs-
die Dinge völlig auf den Kopf! ausschuß für einen Fremdkörper in dem ganzen
(Abg. Bauer [Wasserburg] : Das sind die Konzept. Er beeinträchtigt die Handlungsfähigkeit
ganz kleinen Leute, denen es zugute der Kommission. Aber jetzt kommt es in erster
kommt!) Linie darauf an, daß die Beschlüsse in diesem Ver-
— Nein, Sie stellen die Dinge einfach auf den Kopf. waltungsausschuß mit qualifizierter Mehrheit gefaßt
werden.
(Abg. Bauer [Wasserburg] : Die sind viel
ärmer als die anderen, die Sie in Schutz Mich interessiert nun die Frage: Wem ist dieser
nehmen! — Weitere Zurufe von der CDU/ Verwaltungsausschuß eigentlich verantwortlich?
CSU.) (Sehr richtig! bei der FDP.)
— Herr Kollege Bauer, darf ich jetzt einmal aus-
sprechen! Ich habe klar und deutlich gesagt, daß die Er setzt sich aus Vertretern der verschiedenen Re-
sozialdemokratische Bundestagsfraktion der Mei- gierungen zusammen. Ein Mehrheitsbeschluß kann
nung ist, daß eine Erhöhung des Erzeugerpreises um so oder so zustande kommen. Die Kommission ist
2 Pf insbesondere für die kleinen und mittleren Be- dem Europäischen Parlament für ihre Beschlüsse
triebe bei Milch notwendig ist und durch die Prä- verantwortlich. Wie wirkt es sich nun aus, wenn
mie erreicht werden muß. der Verwaltungsausschuß einen Beschluß bzw. eine
Anordnung der Kommission mit Mehrheit nicht ge-
(Sehr richtig! bei der SPD.) nehmigt und wenn dadurch große Marktschäden
Insofern ist Ihr Argument, daß die kinderreiche entstehen? Wer kann dann dafür zur Verantwor-
Bäuerin von uns um die 2 Pf gebracht werden soll, tung gezogen werden? Man müßte eine Reihe von
fehl am Platze. Entweder ist der Groschen bei Ihnen Beispielen anführen. Mich interessiert, wie sich die
noch nicht gefallen, Bundesregierung bei der Installierung dieses Ver-
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD — Abg. waltungsausschusses verhalten hat und wie sie
Bading: Die 6 Pfennig sind noch nicht gefal seine Handhabung beurteilt.
len! — anhaltende Heiterkeit bei der SPD) (Zuruf von der CDU/CSU.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 391
Frau Strobel
Ich möchte noch etwas zu der Bemerkung meines Ich möchte eingangs meiner Ausführungen zur
Kollegen Schmidt bezüglich der von der Bundes- europäischen Agrarpolitik feststellen, daß mit den
regierung erbetenen Ermächtigung sagen, die Ge- Beschlüssen am 14. Januar ein Schritt nicht nur für
setze der Bundesrepublik an die Verordnungen der die Landwirtschaft, sondern auch für die gesamte
EWG anzugleichen. Uns allen ist bekannt, daß diese Wirtschaft und für die Politik getan worden ist, ein
Verordnungen unmittelbar geltendes Recht in der Schritt auf die zukünftige Politik Europas hin, aus
Gemeinschaft sind. Der Ausdruck „Ermächtigung", der es kein Zurück mehr gibt. Den Übergang zur
den Herr Bundesminister Schwarz gewählt hat, ist zweiten Stufe, der gleichzeitig beschlossen worden
wohl falsch. Ich meine, Herr Minister — das kommt ist, haben wir zur Kenntnis zu nehmen. Auf ihn
auch in einer Entschließung zum Ausdruck, die haben wir uns in allen unseren Überlegungen ein-
nachher noch eingebracht werden wird —, daß die zurichten.
Änderungen, die sich durch diese Verordnungen in In der von Herrn Bundesminister Schwarz vorge-
der gemeinsamen Agrarpolitik, insbesondere auch tragenen Regierungserklärung wird bei der Darstel-
in der Bundesrepublik, in der Marktordnung er- lung, wie es zu den Brüsseler Vereinbarungen kam,
geben, so kompliziert sind, in ihren Auswirkungen folgerichtig davon ausgegangen, daß das vom Bun-
so wichtig sind, daß das Parlament die Änderungen destag verabschiedete Landwirtschaftsgesetz prak-
der deutschen Gesetze in allen einzelnen Phasen, tisch als Ausgangspunkt für die Entwicklung zu
auch im Zustandekommen, kennen muß. einer gemeinsamen EWG-Agrarpolitik zu bewerten
(Sehr gut! bei der CDU/CSU.) ist. Diese Darstellung ist richtig. Mit dem Landwirt-
schaftsgesetz ist die Bundesregierung nämlich die
Aus diesem Grunde möchten wir, daß die Änderung Verpflichtung zur wirtschaftlichen Festigung der
dieser Gesetze und Verordnungen nicht ohne Mit- landwirtschaftlichen Betriebe und zur sozialen
wirkung des Parlaments geschieht. Gleichstellung der landwirtschaftlichen Bevölkerung
(Abg. Mauk: Sehr richtig!) mit vergleichbaren Berufsgruppen eingegangen, eine
Verpflichtung, die unseres Erachtens auf die im
Darüber abstimmen oder eine solche Verordnung
Rahmen der Europäischen Gemeinschaft zu ent-
ablehnen, wie ich das aus den Äußerungen von
wickelnde Agrarpolitik zu übertragen ist.
Herrn Ertl herausgelesen habe, können wir aller-
dings nicht mehr. Bei der Unterzeichnung des Vertrages im Mai 1957
hatte man auch deutscherseits sehr wohl erkannt,
(Zuruf von der FDP.)
daß die Übernahme der in unserem Landwirtschafts-
Da habe ich Sie vielleicht mißverstanden. gesetz festgelegten Ziele in die Landwirtschafts-
(Abg. Ertl: Sie haben mich mißverstanden!) Sonderbestimmungen des EWG-Vertrages mit die
wesentliche Voraussetzung dafür ist, die Landwirt-
Abschließend möchte ich noch sagen: wir sind der schaft als einen integrierenden Bestandteil in den
Meinung und haben das auch bereits in der EWG landwirtschaftlichen Zusammenschluß der sechs Län-
immer betont, daß sich aus dieser gemeinsa- der einzubeziehen. Aus diesen Gründen deckt sich
men Agrarpolitik die Notwendigkeit einer ge- nicht nur der Wortlaut des Art. 39 des Römischen
meinsamen Handelspolitik in der EWG absolut er- Vertrages nahezu mit dem des Landwirtschaftsge-
gibt, ja, daß sie geradezu eine unausbleibliche Folge setzes, vielmehr gibt auch Art. 42 des Vertrages die
ist. Wir sind überzeugt, daß, je größer die Gemein- Gewähr dafür, daß der Grüne Plan als Folgemaß-
schaft wird, sie um so mehr dazu veranlaßt sein nahme unseres Landwirtschaftsgesetzes auch in Zu-
wird, ihren gemeinsamen Außenzoll neu zu über- kunft und im Rahmen einer gemeinsamen Agrar-
prüfen und unter Umständen zu senken und daß sie politik in irgendeiner Form fortgesetzt werden kann.
ihre handelspolitischen Beziehungen mit ihren Part- Bei einer Betrachtung der historischen Entwick-
nern in der Welt weltoffen gestalten muß. In diesem lung einer gemeinsamen Agrarpolitik muß .dieser
Zusammenhang möchte ich besonders betonen, daß Sachverhalt, wie er sich im Jahre 1957 bei Unter-
wir die Initiative des amerikanischen Präsidenten zeichnung des EWG-Vertrages abzeichnete, unter-
Kennedy, die amerikanische Außenhandelspolitik strichen werden. Für unsere Landwirtschaft waren
liberaler zu gestalten, durchaus begrüßen und daß diese Zusicherungen überhaupt erste Voraussetzun-
wir der Meinung sind, daß es die Dynamik der EWG gen dafür, daß sie sich zu einer Einbeziehung der
erlauben wird, gleichzuziehen. Agrarerzeugnisse in den wirtschaftlichen Integra-
(Lebhafter Beifall bei der SPD.) tionsprozeß bereiterklären konnte.
Die zweite Etappe in der Entwicklung zu einer
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der gemeinsamen Agrarpolitik war die auf Grund des
Herr Abgeordnete Mauk. Art. 43 des Vertrages in Stresa durchgeführte Kon-
ferenz der Landwirtschaftsminister. Es erscheint
Mauk (FDP) : Herr Präsident! Meine sehr verehr- richtig, daß ich sowohl aus der Eröffnungsrede des
ten Damen und Herren! In der Debatte ist jetzt auch Präsidenten Hallstein als auch aus der in Stresa ge-
so viel über Dinge gesprochen worden, die noch faßten Schlußresolution einige bedeutsame Folge-
einmal in zwei, drei Wochen, wenn wir den Grünen rungen zitiere. Sie werden nämlich, meine Damen
Bericht und den Grünen Plan zu besprechen haben, und Herren, mit Erschrecken erkennen müssen, wie
besprochen werden müssen. Ich will deshalb zu wenig von diesen für die gesamte Landwirtschaft
dieser vorgerückten Stunde auf einige Dinge nicht der Gemeinschaft bedeutungsvollen Prinzipien in
eingehen, obwohl es notwendig wäre, auch unseren die im Januar vom Ministerrat der EWG gefaßten
Standpunkt dazu darzulegen. Beschlüsse übernommen wurden.
392 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962
Mauk
Präsident Hallstein sagte damals — und diese Wenn sich die Bundesregierung trotzdem zu
Worte waren im Jahre 1958 von der gesamten deut- einem Verzicht auf bestimmte Vertragsrechte bereit
schen Landwirtschaft gewissermaßen als ein ver- erklärt hat oder bereit erklären mußte, dann muß
bindliches Versprechen empfunden worden — unter sie letztlich auch die volle Verantwortung für einen
anderem, daß das Ziel einer langfristigen Wirt- solchen Verzicht übernehmen, d. h. sie muß im
schaftspolitik sein muß, einen vernünftigen, wirt- Rahmen der nationalen Landwirtschaftspolitik Maß-
schaftlich und politisch sinnvollen Kompromiß zu nahmen ergreifen, die die der Landwirtschaft durch
finden zwischen dem Wunsch, die Preise für den diesen Verzicht entstehenden Härten und Schwie-
Verbraucher niedrig zu halten, und der Notwendig- rigkeiten nicht nur mildern, sondern auch kompen-
keit, die Arbeit der Bauern gerecht zu entlohnen; sieren. Vor allem möchte ich auf die Möglichkeiten
daß die gemeinsame Landwirtschaftspolitik nicht ein des Art. 44 des EWG-Vertrages hinweisen. Wenn
Produkt abstrakter nationalökonomischer Spekula- z. B. jetzt dem Obst und Gemüsebau im Zuge der
-

tionen sein kann, sondern vielmehr von der augen- Verwirklichung der Gemeinsamen Markt-Organisa-
blicklichen Situation und den sich in ihr abzeich- tion für Obst und Gemüse die Anwendung von
nenden Möglichkeiten und Gefahren ausgehen muß; Art. 44, also die Handhabung von Mindestpreisen
daß der dynamischen Industrieentwicklung ein ähn- — das einzige im Vertrag vorgesehene Instrument —,
lich dynamisches Vorwärtsschreiten auf dem Agrar- nicht mehr gestattet sein soll, dann ist ein solcher
gebiet an die Seite zu stellen ist und daß sich die Beschluß des Ministerrates eine Vertragsänderung,
gemeinsame Agrarpolitik auch der Probleme der für die auch die an die Stelle von Art. 44 gesetzte
ökonomischen und sozialen Disparität zwischen Schutzklausel nie ein auch nur annähernd gleichwer-
Landwirtschaft und Industrie annehmen muß. tiger Ersatz sein wird.
Es würde zu weit führen, wenn ich auch noch auf Ähnlich verhält es sich bei den sogenannten
die Schlußresolution einginge; ich glaube, die mei- Schutzklauseln für die anderen Produkte, vielleicht
sten von Ihnen haben sie noch in Erinnerung. Man mit Ausnahme von Wein.
sollte jedoch meinen, daß eine derart verbindliche
Erklärung der sechs Regierungen in bezug auf die Man muß sich deshalb wirklich fragen, warum
Landwirtschaftspolitik auch heute noch für die Kom- man eigentlich auf die Anwendung bewährter
mission und den Ministerrat verbindlich sein sollte. Systeme verzichtet hat, um so mehr, als die Bundes-
republik in den ersten vier Jahren alle Vertrags-
Leider ist das Brüsseler Ergebnis dann, wenn man verpflichtungen auch auf dem Gebiet der Agrar-
sich dieser in Stresa gefaßten Schlußresolution er- politik voll erfüllt hat, dem Übergang zur zweiten
innert, entmutigend. Der deutschen Regierungsdele- Phase also nichts im Wege gestanden hätte.
gation unter der Leitung von Bundesminister
Schwarz kann nicht der Vorwurf einer mangelnden An Hand der Regierungserklärung ist es nicht
Vertretung der Belange und Interessen der deut- leicht, zu den in Brüssel beschlossenen Verordnun-
schen Landwirtschaft gemacht werden. Im Gegenteil, gen abschließend Stellung zu nehmen, zumal der
jeder, der die rund acht Wochen dauernden Ver- endgültige Wortlaut noch nicht zu erhalten ist. Eines
handlungen von November bis Mitte Januar ver- kann jedoch festgestellt werden: daß fast alle Ver-
folgte, muß den fast übermenschlichen Leistungen ordnungen auf eine Erweiterung der Exportgeschäfte
des Ministers und seiner Mitarbeiter Dank und An- der Partnerländer zugeschnitten sind, da diese Ver-
erkennung zollen. Es ist mir ein Bedürfnis, dies ordnungen nahezu ausschließlich die Voraussetzun-
namens meiner Fraktion vor dem Hohen Hause aus- gen für eine uneingeschränkte Belieferung der west-
zusprechen. Ich freue mich, darauf hinweisen zu deutschen Märkte für Agrarerzeugnisse schaffen
können, daß auch meine Fraktion durch gewisse Be- sollen. Ein solches Urteil wird durch die Tatsachen
schlüsse Herrn Minister Schwarz dabei unterstützen bestärkt, daß man bei der Formulierung der gemein-
konnte. samen Marktordnungen sehr wohl darum bemüht
gewesen war, daß die Exporteure — wie es in
Bezeichnend aber, meine Damen und Herren, für
einem Fall wörtlich heißt — „in Fällen einer even-
den Geist der Brüsseler Verhandlungen scheint der tuellen Anwendung von Schutzmaßnahmen keinen
Satz in der Regierungserklärung zu sein, daß die
Schaden erleiden". Man vermißt jedoch irgendeinen
besondere Situation der Bundesrepublik als größtes
Hinweis darüber, daß auch Sorge dafür getragen
Importland für Agrarerzeugnisse der Gemeinschaft
werden soll, daß den Erzeugern von Agrarprodukten
zur Folge hatte, daß die Wünsche der Partnerstaa-
besondere Härten erspart bleiben sollen.
ten, die alle auf irgendeinem Gebiet Exportinteres-
sen haben, sich sehr stark auf die Möglichkeit des Ohne hier auf den Inhalt der einzelnen Verord-
Zugangs zum deutschen Markt ausrichteten. Diese nungen weiter einzugehen, muß jedoch noch gesagt
Formulierung in der Regierungserklärung scheint werden, daß es der deutschen Verhandlungsdele-
mir sehr gemäßigt zu sein; denn man muß zu der gation z. B. in der Frage der Annäherung des 'Ge-
Überzeugung kommen, daß die am deutschen Ver- treidepreises gelungen ist — und ich freue mich
brauchermarkt interessierten Partnerländer unter darüber, Frau Kollegin Strobel, daß wir da noch
Ausnutzung der politischen Konsequenzen eines etwas Zeit haben —; die Getreidepreise zunächst
Scheiterns der EWG-Agrarverhandlungen Zuge- unverändert zu lassen. Dabei muß aber bedacht wer-
ständnisse und Verzichte von der Bundesregierung den, daß mit dem Übergang zur zweiten Stufe die
gefordert haben, die nicht mit dem Sinn und den Europäische Kommission und ihre Organe insofern
Bestimmungen des Römischen Vertrages vereinbar Stärkung erfuhren, als die Beschlüsse fortan nicht
sind. mehr in allen Fällen der Einstimmigkeit des Rates
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 393
Mauk
bedürfen, sondern mit qualifizierter Mehrheit gefaßt Nur zu einer Sache, die von vielen, selbst von
werden können. Darin liegt, wie unbestritten ist, Wissenschaftlern, als das Allheilmittel angesehen
eine gewisse Gefahr bezüglich der in der Zukunft wird, möchte ich noch kurz Stellung nehmen, näm-
noch zu fassenden Beschlüsse. lich zur notwendigen Strukturverbesserung. Auch
wir Freien Demokraten halten eine Strukturver-
Ebenso muß bei dem Vergleich der Brüsseler Be- besserung für zwingend notwendig; wir sind der
schlüsse mit den am 30. Juni 1960 — das ist also Auffassung, daß sie noch wesentlich rascher als
noch gar nicht so sehr lange her — von der Kom- bisher durchgeführt werden muß, ja, daß sie so
mission vorgelegten Vorschlägen festgestellt wer- durchgeführt werden sollte, daß sie bis -zum Ende
den, daß von dem Versuch, eine konstruktive und derÜbganszit,loum31.Debr96,
auch auf dein landwirtschaftlichen Einzelbetrieb aus- im wesentlichen abgeschlossen ist. Ich halte es je-
gerichtete EWG-Agrarpolitik zu entwickeln, wenig doch für meine Pflicht, Neugierige darauf hinzu-
übriggeblieben ist. Main vermißt in den vom Mini- weisen, daß damit allein die Agrarprobleme nicht
sterrat beschlossenen Marktordnungen z. B. auch die gelöst werden können. Wenn das nämlich so wäre,
vorgesehene Regelung über ein Mitspracherecht des dann dürfte es z. B. in England, wo das Struktur-
Berufsstandes bzw. der beteiligten Wirtschaftsgrup- problem angeblich gelöst ist, oder gar in den Ver-
pen. Von der Bildung sogenannter „beratender Aus- einigten Staaten, wo es im Vergleich zu uns längst
schüsse" ist in keiner der verabschiedeten Verord- gelöst ist, keine Agrarprobleme geben. Wir wissen,
nungen, soweit ich feststellen konnte, mehr die daß gerade in diesen beiden Industrieländern die
Rede. größten Probleme aufgetreten sind und die höchsten
Bei Betrachtung des Ergebnisses der Brüsseler Zuschüsse pro Kopf der Bevölkerung zur Erhaltung
Agrarverhandlungen zeigt sich auch deutlich, daß die der Landwirtschaft gegeben werden müssen.
GroßeAnfag,wlchmiFrktonvega- Die Brüsseler Beschlüsse — darauf hat auch die
nen Juni eingebracht hat, ihre volle Berechtigung Frau Kollegin Strobel hingewiesen — werden auch
hatte, ja, eine zwingende Notwendigkeit war. Ob- auf der jetzigen EWG-Ebene noch nicht die Bereini-
wohl e s reizvoll wäre, auf einige Einzelheiten der gung der Agrarprobleme bringen. Im Gegenteil; ich
Antwort der damaligen Bundesregierung einzu- möchte fast sagen, daß wir hier auf der europäischen
gehen, auch auf einige Ausführungen, die in diesem Ebene erst an einem Anfang stehen. Viele Verord-
Hause während der Aussprache am 30. Juni, also nungen, Beschlüsse usw., die sich auf -das Gebiet der
am letzten Tag der vergangenen Legislaturperiode sechs EWG-Staaten beziehen, werden noch auf uns
— wie Sie sich erinnern können —, gemacht wur- zukommen. Dann werden die überseeischen Besit-
den, werde ich mir dies heute angesichts der vor- zungen der Partnerstaaten dazukommen; die sich
gerückten Stunde ersparen. hier ergebenden Probleme müssen ebenfalls gelöst
werden. England, Dänemark und andere Länder
Das Ergebnis der Brüsseler Agrarverhandlungen
haben Anträge auf Aufnahme gestellt. Was da alles
muß aber entscheidend für die Konsequenzen
noch auf uns zukommt — ich denke z. B. auch an
sein, die die Bundesregierung im Hinblick auf die
nationale Landwirtschaftspolitik für die Zukunft zu tropische Agrarerzeugnisse —, ist heute noch nicht
zu übersehen.
ziehen hat. Da gebe ich Ihnen, Frau Strobel — und
ich weiß nicht, wer von Ihnen es noch gesagt hat —, Man kann noch nicht endgültig sagen, welchen
recht, daß der Zukunft sowohl in der Regierungs- Weg wir zu gehen haben. Die Freien Demokraten
erklärung als auch in der heutigen Diskussion sind der Auffassung, daß die Brüsseler Beschlüsse
bisher verhältnismäßig wenig Raum gewidmet die Bundesregierung und den Bundestag dazu zwin-
worden ist. Die Bundesregierung wird dafür gen, gemeinsam den richtigen und notwendigen
Sorge zu tragen haben, daß die landwirtschaftlichen Weg zu suchen und zu gehen. Nachdem es möglich
Betriebe mit den sich verschärfenden Schwierig- war, daß sich heute alle drei Fraktionen des Hohen
keiten, die sich als Folge der Brüsseler Beschlüsse Hauses auf einen gemeinsamen Text einer Ent-
zwangsläufig einstellen werden — wir können das schließung geeinigt haben, in der auch einige der
nicht hinwegdiskutieren —, fertig werden können. von mir angesprochenen Gesichtspunkte enthalten
Mit der bisherigen Konzeption der bundesdeutschen sind, und nach dem Verlauf der heutigen Debatte,
Agrarpolitik — das ist die Auffassung der Freien die, wenn auch einige Meinungsverschiedenheiten
Demokraten —, werden wir dieses Ziel nicht er- aufgetreten sind, im allgemeinen sehr positiv gewe-
reichen. Wir brauchen deshalb eine neue Konzep- sen ist, habe ich die große Hoffnung, daß wir bald
tion für die künftige Landwirtschaftspolitik, die sich gemeinsam eine neue agrarpolitische Konzeption
mit den Brüsseler Beschlüssen verträgt, die auf die entwickeln werden. Wir dürfen keine Zeit mehr
Notwendigkeiten der wirtschaftlichen und sozialen verlieren. Ich möchte hier an die Worte des Kolle-
Festigung unserer landwirtschaftlichen Betriebe und gen D r. Schmidt (Gellersen) anschließen: Es ist wirk-
der landwirtschaftlichen Bevölkerung ausgerichtet lich allerhöchste Zeit! Ziehen wir die Konsequenzen
ist, die die Interessen der Verbraucher wahrt und aus den Brüsseler Beschlüssen, und sorgen wir da-
die die Belastungsmöglichkeiten der deutschen für, daß es trotzdem auch in Zukunft eine lebens-
Steuerzahler berücksichtigt. Heute schon auf Einzel- fähige, gesunde deutsche Landwirtschaft gibt.
heiten einzugehen, würde den Rahmen die ser Aus-
sprache sprengen. Wir haben ja noch im Februar (Beifall bei der FDP.)
die Aussprache zu dem Grünen Bericht und zu dem
Grünen Plan. Dabei werden wir genügend Gelegen- Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat Herr
heit zu solchen Ausführungen haben. Abgeordneter Lücker.
394 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962

Lücker (München) (CDU/CSU) : Herr Präsident! sekretäre Müller-Armack und Lahr, ausdehnen wol-
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es war len, aber auch auf seine anderen Mitarbeiter.
natürlich heute außerordentlich reizvoll, einmal der (Allseitiger Beifall.)
Debatte zu folgen, aber es ist natürlich auch reizvoll,
hier noch etwas zu sagen, und zwar deswegen reiz- Wenn wir schon von jener Unruhe in der Land-
voll, weil man selbst, wenn auch nicht auf der Re- wirtschaft sprechen, so möchte ich noch einmal auf
gierungsebene, aber als Mitglied dieses Hohen Hau- eine ganz konkrete Tatsache hinweisen, nicht als
ses, im Europäischen Parlament zu denen gehört hat, ob das heute nicht schon das eine oder andere Mal
die — um mit dem französischen Landwirtschafts- geschehen wäre, sondern weil mir das besonders
minister Pisani zu sprechen — dazu verurteilt wa- wichtig erscheint. Ich bin Herrn Minister Schwarz
ren, eine Verständigung zu erreichen und dem Be- für die Feststellung in der Regierungserklärung
mühen um eine gemeinsame europäische Agrarpoli- außerordentlich dankbar, mit der er in ganz eindeu-
tik einen Erfolg zu bescheren. tiger, unmißverständlicher Form zum Ausdruck ge-
In den letzten Tagen ist bei uns, aber auch in den bracht hat, daß der Geist und die Zielsetzung des
anderen Ländern der Gemeinschaft im Zusammenhang deutschen Landwirtschaftsgesetzes auch in die agrar-
mit den Beschlüssen des Ministerrats von Brüssel sehr politische Konzeption der Europäischen Wirtschafts-
häufig die Vokabel gebraucht worden, daß das Er- gemeinschaft in vollem Umfang Eingang gefunden
gebnis dieser Mammutkonferenz einen großen Sieg haben.
für Europa darstelle, daß es ein großer Erfolg sei. Ist Das hört sich heute vielleicht selbstverständlich,
das richtig? Auch heute ist in der Diskussion von vielleicht etwas zu selbstverständlich an. Aber alle
fast allen Rednern, die darauf zu sprechen gekom- Beteiligten wissen, daß es nach dem Abschluß des
men sind, zum Ausdruck gebracht worden, daß wir Vertrages von Rom und schon bei seiner Vorberei-
tatsächlich große Hoffnungen auf die weitere Zu- tung sehr großer geistiger und politischer Anstren-
kunft Europas und damit auch unseres eigenen Lan- gungen bedurft hat, um diesen Geist und diese Ziel-
des und unseres eigenen Volkes setzten. setzung auch für die gemeinsame europäische Agrar-
Aber in diesem Zusammenhang wird häufig — so politik verbindlich zu machen. Wenn wir heute in
wie heute, und das wird vielleicht auch noch morgen der agrarpolitischen Diskussion in unserem Lande
so sein — die Frage angeschnitten: Ist dieser Sieg immer wieder das Landwirtschaftsgesetz als die
für Europa auf dem Rücken der Landwirtschaft, auf Basis und die Zielsetzung unserer Agrarpolitik zitie-
dem Rücken der Bauern, auch der deutschen Bauern er- ren, wenn wir uns darauf immer wieder, ich möchte
kämpft worden? Wir sollten heute in dieser europäi- einmal sagen, wie auf einen Zufluchtsort -zurück-
schen Debatte auch auf diese Frage eine redliche Ant- ziehen und wenn dieser Geist und diese Zielset-
wort geben. Denn wir alle wissen, daß insbesondere in zung des deutschen Landwirtschaftsgesetzes in die
den landwirtschaftlichen Bevölkerungskreisen auch EWG Eingang gefunden haben, so kann man wohl
in unserem Lande eine gewisse Unruhe herrscht, sagen: es ist um die Konzeption der gemeinsamen
und wir wissen, daß eine der Quellen für diese Un- europäischen Agrarpolitik nicht so schlecht bestellt,
ruhe zweifellos in der Gefahr gesehen wird, die mit wie das mitunter draußen im Lande dargestellt wird.
der Verwirklichung der Europäischen Wirtschaftsge- Das ist kein Zufall. Das ist keine Selbstverständ-
meinschaft auf unsere Bauern zukommt. Es ist lichkeit, sondern dahinter steckt natürlich auch ein
menschlich verständlich, daß diese Furcht im Ein- gewaltiges Stück Anstrengung und Arbeit. Diese
zelnen um so größer ist, je unbekannter das Aus- Arbeit war notwendig, und wir sind überzeugt, daß
maß oder die Wirkung dessen ist, was mit den Brüs- sie außer der deutschen Landwirtschaft auch der
seler Beschlüssen verbunden ist. Diese Furcht gesamten europäischen Landwirtschaft in der Zukunft
scheint mir eine Quelle für die Unruhe unserer zugute kommen wird.
Bauern zu sein; ich werde in einem anderen Zusam-
menhang noch auf eine zweite zu sprechen kommen. Aber eines wissen wir: Mit diesen Entschlüssen
von Brüssel ist der Rubikon überschritten worden,
Wenn wir dazu Stellung nehmen wollen, ist fol- jenseits dessen es auf dem Wege in den gemein-
gendes zu sagen. Man kann schon an der Härte und samen europäischen Markt kein Zurück mehr gibt.
an der Dauer der Verhandlungen in Brüssel ablesen, Ich möchte hier — nicht als Beruhigung, sondern als
daß von allen Beteiligten ein Höchstmaß an Ver- eine schlichte Feststellung — doch sagen, daß das
antwortung gezeigt worden ist. Schon aus dieser Ergebnis von Brüssel ein Kompromiß ist, bei dem
Sicht verbietet es sich, zu sagen, es sei leichtfertig alle Partner von ihren Ausgangspositionen aus ge-
etwa auf dem Rücken der Bauern oder irgendeines wisse Zugeständnisse gemacht haben, wie das gar
Volkes oder eines Berufsstandes eine Lösung ange- nicht anders erwartet werden konnte, aber es ist
strebt worden. Wir wissen von den Verhandlungen, ein Kompromiß, das, wenn wir alles Für und Gegen
daß sie bis zur physischen Erschöpfung einiger ihrer redlich abwägen, eine neue Konzeption für eine
Teilnehmer geführt haben. Ich glaube, daß es in die- gemeinsame Agrarpolitik unserer Gemeinschaft dar-
sem Zusammenhang auch angebracht ist, unserem stellt, die von allen akzeptiert werden konnte —
Minister Schwarz — wie es auch in der Entschlie- oder soll ich sagen: die noch von allen akzeptiert
ßung aller Fraktionen dieses Hauses heute glück- werden konnte? Es ist wohl das Beste an den Brüs-
licherweise zum Ausdruck gekommen ist — für seler Entscheidungen, daß es weder Besiegte noch
diese Leistung den Dank zu sagen, und Herr Mini- Sieger gibt, sondern das im Gesamtzusammenhang
ster Schwarz wird sicherlich Verständnis dafür ha- der politischen und wirtschaftlichen Probleme ein
ben, wenn wir diesen Dank auch auf seine Delega- Kompromiß, ein Ergebnis gefunden werden konnte,
tionsmitglieder, insbesondere auf die Herren Staats das sich sicherlich noch nicht in allen Einzelheiten,
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 395
Lücker (München)
i n Heller und Pfennig für die Zukunft darstellen irgendwie in illusionäre Visionen abgleiten zu wol-
läßt, aber von dem wir auch hoffen dürfen, daß es len, sich an durchaus gegebenen konkreten Entwick-
geeignet ist, einen wirklich guten gemeinsamen Weg lungsmöglichkeiten zu orientieren. Dann wird man
in eine gemeinsame europäische Zukunft zu finden. zu dem Ergebnis kommen, daß mit diesem Dynamis-
Das war nicht einfach, das war eine erhebliche Auf- mus auch im Innnern der Gemeinschaft eine große
gabe und Anstrengung. wirtschaftliche Expansion einhergehen wird.
Ich glaube, es ist gut, auch in diesem Hause ein- Von dieser Feststellung aus möchte ich wieder
mal auszusprechen, daß es bisher in der internatio- auf die Probleme der Landwirtschaft zu sprechen
nalen Geschichte nicht einen einzigen Fall gibt, in kommen, um die es in dieser Debatte ja in erster
dem es gelungen wäre, die Agrarpolitiken mehrerer Linie geht. Wenn diese Prognosen in ihrer Tendenz
Länder durch einen freiheitlich zustandegekomme- stimmen — und ich glaube, wir haben keinen An-
nen Beschluß auf eine gemeinsame Agrarpolitik zu laß, daran zu zweifeln, daß sie in der Tendenz rich-
vereinen. Wir haben sogar in den letzten Jahren tig sind, wenn man auch über das zahlenmäßige
genügend Beispiele dafür. Ich brauche nur an den Ausmaß streiten mag —, dann werden wir zuge-
Abschluß des Vertrages der EFTA-Länder zu erin- stehen müssen, daß in dieser wirtschaftlichen Ge-
nern, die wegen dieser Schwierigkeiten die Land- samtexpansion auch noch Raum und Platz für einen
wirtschaft aus ihrer Konzeption ausgeklammert hat- wachsenden Absatz landwirtschaftlicher Produkte
ten. Ich darf nur als Modell daran erinnern, daß so- sein wird, wobei selbstverständlich nach aller Er-
gar die Benelux-Länder i n ihrem Vertrag nach dem fahrung ein Übergang, ein teilweiser Wechsel vom
zweiten Weltkrieg das Landwirtschaftsproblem Verzehr von Bodenprodukten zu einem wachsenden
ebenfalls nicht im Sinne einer gemeinsamen Kon- Verzehr von Veredelungsprodukten stattfinden
zeption lösen konnten. Ich treffe diese Feststellun- wird.
gen nur, um deutlich zu machen, um welches Anlie- Das scheint mir eine der wichtigsten Schicksals-
gen es sich hier gehandelt hat und daß allein die fragen für die Zukunft auch unserer Landwirtschaft
Tatsache der Bewältigung dieses Anliegens uns in zu sein: Welche Landwirtschaft wird diesen wach-
diesem Sinne eine Hoffnung für die Zukunft sein senden Marktanteil für sich gewinnen können? Wer
kann. ist es, der sich insbesondere im Hinblick auf diese
Möglichkeiten der Zukunft stärker am Markt ein-
Was resultiert daraus? Es wurde heute schon ver-
schiedentlich angedeutet, und ich möchte es von mir schalten kann?
aus noch einmal unterstreichen: Mit diesem Ent- Natürlich spielen in diesem Zusammenhang die
schluß ist zweifellos eine große politische und wirt- Fragen des Wettbewerbs eine ungeheure Rolle. Es
schaftliche Dynamik für Europa, für unsere Wirt- ist zweifellos das Verdienst unserer deutschen Ver-
schaftsgemeinschaft ausgelöst worden. Ich will mich handlungsdelegation, daß in Brüssel eindeutig ent-
nicht allzusehr damit beschäftigen. Aber der Hin- schieden wurde, daß für die Veredelungsprodukte
weis darauf, daß Großbritannien und einige andere bereits vom 1. Juli dieses Jahres an, an dem die
EFTA-Länder ihren Beitritt angemeldet haben, und ersten Verordnungen in Kraft treten sollen, die
die jüngste Botschaft des amerikanischen Präsiden- wettbewerbsverzerrenden Ausfuhrsubventionen ver-
ten an den Kongreß insbesondere auch über die boten sind.
Notwendigkeit einer engeren wirtschaftlichen Zu- Hier sind heute einige Zweifel angemeldet wor-
sammenarbeit mit der neuentstehenden Großmacht den, auch von meinem Freund Bauer (Wasserburg) :
Europa, wie er sich ausdrückte, demonstrieren, wel- Wie wird denn der Wettbewerb nach dem 1. Juli
cher Dynamismus von diesem europäischen Eini- 1962 ausschauen? Ich wiege mich natürlich nicht in
gungswerk ausgeht und welche Aufgaben damit der illusionären Hoffnung, daß mit diesem Datum
weit über Europa hinaus in der gesamten Welt ge- alle zu Engeln werden oder sich vom Saulus zum
geben sind. Der amerikanische Präsident sprach Paulus entwickeln werden. Aber eines scheint mir
sicherlich in einem sehr positiven Sinne das Wort doch etwas beruhigend zu sein, nämlich die Tat-
von der Herausforderung, die diese Europäische sache, daß, wer gegen dieses Gebot verstößt, vor
Wirtschaftsgemeinschaft auch für die große Wirt- den europäischen Kadi, vor den Europäischen Ge-
schaftskraft und -macht der USA darstellen werde. richtshof zitiert werden kann. Und es ist ja nicht so,
Ich glaube, wir dürfen ganz allgemein hoffen, daß als ob man so gar nichts von dem wüßte, was auf
diesem Gebiet geschieht. Ich bin überzeugt, daß
mit diesem Beschluß in Brüssel, der ja nicht als
etwas Isoliertes angesehen werden darf, sondern außer mir sehr viele in ihren Dossiers die Unter-
nur als eine sehr wichtige Etappe auf dem Wege zu lagen darüber haben, was in den einzelnen Län-
diesem europäischen Gebilde, das viele heute schon dern an wettbewerbsverzerrenden Maßnahmen vor-
handen ist, und ich bin überzeugt, daß in Zukunft
als die Vereinigten Staaten von Europa von morgen
ansprechen, ein Dynamismus wirtschaftlicher Art im die liebe Konkurrenz uns sehr schnell auf die
Sprünge helfen wird, uns das noch sagen wird, was
Innern ausgelöst wird.
wir nicht von vornherein wissen sollten. Natürlich
Ich will mich hier nicht an Zahlen begeistern, die wird es immer wieder ein Gegenstand unserer Auf-
heute von Leuten, die zweifellos sehr viel davon merksamkeit und unserer Bemühungen sein, dafür
verstehen, angeboten werden, Zahlen über die zu sorgen, daß diese wettbewerbsverzerrenden
wahrscheinlichen Zuwachsraten des Sozialprodukts Maßnahmen in dem Geiste und in dem Rhythmus
innerhalb der Gemeinschaft. Man braucht sich aber abgebaut werden, wie es in den Beschlüssen von
nur einmal die Entwicklung der letzten Jahre zu Brüssel vorgesehen ist und wie es dort entschieden
vergegenwärtigen und dann zu versuchen, ohne worden ist.
396 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962

Lücker (München)
In diesem Zusammenhang ist mir in der heutigen den. Die Schwierigkeiten müssen wir dann in der
Debatte eines aufgefallen, und auch dazu, meine EWG gemeinsam lösen; denn dieses Problem wird
ich, sollten wir noch etwas sagen. Wir müssen uns alle Länder, alle Teile, alle Branchen in der EWG
darüber im klaren sein, daß es spätestens nach dem beschäftigen. Trotzdem ist es, glaube ich, richtig, die
Ende der Übergangszeit zwischen den sechs Part- Übergangszeit zu nützen. Wir haben noch die Über-
nern der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft keine gangszeit bis zum Jahre 1970 und sollten sie nützen,
handelspolitischen Probleme mehr geben wird. Nach sowohl von der Landwirtschaft her als auch in
der Beendigung der Übergangszeit haben wir einen unserer agrarpolitischen Tätigkeit in Europa und
Binnenmarkt, das heißt einen gemeinsamen Markt hier in Bonn. Daß die deutsche Landwirtschaft Um-
mit den Bedingungen eines Binnenmarktes. Es gibt stellungen wird vornehmen müssen, daß sie sich
dann zwischen den Sechs keine Zollgrenze mehr, wird umorientieren müssen in der Produktion und
es gibt dann keine handelspolitischen Maßnahmen in der Vermarktung, diese Aufgabe ist Gott sei
mehr; die haben wir dann lediglich noch gegenüber Dank erkannt.
den Drittländern.
Ich gehe nicht so weit wie der Kollege Birkelbach,
Was heißt das aber? Das heißt doch, meine sehr ver- der heute früh meinte — vielleicht war es etwas
ehrten Damen und Herren, daß, wenn diese Über- mißverständlich —, das es zu einer lawinenartigen
gangszeit beendet sein wird, die Leistung über den Verschiebung, möchte ich einmal sagen, zu den
Marktneilschd,rEnzelod besten Klimaten und zu den besten Böden komme.
die betroffenen Landwirtschaften haben werden. Aber es werden sich in diesem Markt neue Daten,
Deswegen meine ich, daß wir die Übergangszeit gut neue Bedingungen stellen. Da ist es notwendig, daß
nutzen sollten. Wir werden nachher in einem Wett- die Produktion, um am marktgünstigsten zu sein,
bewerb mit den Landwirtschaften der Partnerländer dorthin kommt, wohin sie gehört. Wir werden alle
stehen, genauso wie heute in der Bundesrepublik Anstrengungen machen müssen, um auch in der
z. B. die niedersächsische Landwirtschaft mit der Vermarktung unserer Produkte mit standardisier-
bayerischen Landwirtschaft konkurrieren muß. Die- tem Angebot, mit großen Mengen und in kontinuier-
sen größeren Wettbewerb mit einem gemeinsamen licher Darbietung antreten zu können. Daß das Auf-
Schutz nach außen werden wir haben. Entscheiden gaben sind, die die Landwirtschaft nicht allein lösen
darüber, wer sich dann durchsetzt, wird neben ge- kann, sondern daß sie unserer Hilfe bedarf, ist,
wissen Marktvorteilen und -nachteilen im wesent- glaube ich, erkannt worden.
lichen die Leistung. Es scheint mir wichtig zu sein, Frau Kollegin Strobel, Ihre Äußerung, daß in den
darauf hinzuweisen. letzten vier Jahren seit Inkrafttreten des Vertrages
von Rom in dieser Richtung gar nichts getan wor-
Gewiß, es werden mit der Verwirklichung dieses
den sei, schien mir etwas sehr hart zu sein; das kann
Marktes Nachteile, Schwierigkeiten im Anpassungs-
in diesem Umfange sicherlich nicht gesagt werden.
prozeß verbunden sein; aber diesem Markt werden
Ich darf hier doch ehrlich sagen, was wir bereits da-
mit all dem, was ich hier nur kurz andeuten wollte,
mals dachten, als wir das Landwirtschaftsgesetz ver-
auch gewisse Chancen eröffnet. Es kommt darauf
abschiedeten. Das Landwirtschaftsgesetz stand schon
an, unsere Kräfte zu mobilisieren, um in möglichst
unter dem Stern, daß wir wahrscheinlich in die Ent-
großem Umfang diese Chancen für unsere Landwirt-
wicklung eines größeren europäischen Marktes ein-
schaft zu nützen. treten müßten.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch ein Die Gestaltung der Grünen Pläne seit 1956 zeigt,
Wort zu jener zweiten Quelle , der Unruhe sagen, daß die Aufgabe erkannt worden ist. Es bleibt die
die zu der ersten hinzutritt, von der ich gesprochen Frage: ist es nicht vielleicht wünschenswert, daß
habe: sie liegt in den unterschiedlichen Auswirkun- noch mehr geschehen wäre? Gut, darüber kann man
gen des allgemeinen Wachstumsprozesses unserer streiten, und darüber sollte man auch in diesem Par-
Wirtschaft auf Industrie und Gewerbe einerseits und lament reden. Aber dabei geht es immer auch um
die Landwirtschaft andererseits. Die Auswirkungen die Mittel, die eingesetzt werden können, und in
dieses Wachstumsprozesses unserer Wirtschaft, die diesem Falle tut man sich natürlich auf den Bänken
uns in den letzten Jahren zweifellos schon größere der Opposition etwas leichter als auf den Bänken
Schwierigkeiten bereitet haben, werden uns auch in derer, die die Regierungsverantwortung tragen, weil
Zukunft Schwierigkeiten machen, solange eben die sie ja auch mit dem Haushalt insgesamt zurecht
Wirtschaftsexpansion dauert. Ich weiß nicht, ob viel kommen müssen, um alle Aufgaben, die sich uns
Fantasie dazu gehört, folgendes vorauszusagen. stellen, lösen zu können.
Sicherlich wird keiner von uns den Mut haben, etwa
Zweifellos handelt es sich bei diesem Anpassungs-
zu sagen, daß die Anpassung der deutschen Land-
prozeß um eine gigantische Aufgabe. Es ist gut, daß
wirtschaft an die EWG größere Schwierigkeiten als
diese Aufgabe heute in der gemeinsamen Entschlie-
die mit sich bringen wird, die aus dem unterschied-
ßung aller drei Fraktionen auch noch einmal be-
lichen Wachstumsprozeß von Landwirtschaft und
sonders herausgestellt worden ist.
Industrie entstehen und die uns heute schon be-
schäftigen und die uns morgen beschäftigen werden. Nun darf ich auf ein anderes Problem eingehen,
Nach meiner persönlichen Auffassung werden uns das heute in der Debatte schon berührt worden ist.
diese Schwierigkeiten in Zukunft mehr Sorge machen Es macht natürlich auch uns Sorgen, daß wir im
als die landwirtschaftlichen Schwierigkeiten, die sich Zuge der Entwicklung im Gemeinsamen Markt Zu-
aus dem Zusammenschluß in der EWG ergeben wer- ständigkeiten an die europäische Exekutivkommis-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 397
Lücker (München)
sion abgeben, ohne daß eine adäquate Stärkung der mit dem Ausdruck des Dankes — geschlossen ein-
legislativen Vollmachten des Europäischen Parla- genommen haben, als wir im Oktober 1960 jene
ments gegeben ist. Es ist der Anstrengungen insbe- Entschließung verabschiedeten. Wenn ich mich recht
sondere auch in Straßburg wert, sich einmal Gedan- erinnere, ist bisher von keiner Institution in dieser
ken darüber zu machen, was hier verbessert werden Deutlichkeit gesagt worden, daß das zukünftige
könnte. Was könnte das Europäische Parlament in europäische Agrarpreisniveau sich an dem gegen-
diesen Fragen tun? Es kann natürlich nicht in erster wärtigen deutschen Agrarpreisniveau orientieren
Linie mit institutioneller Macht vorgehen, obschon solle.
auch insofern einiges gegeben ist. Wir haben unsere Ich habe den Eindruck, daß die Entwicklung, die
Aufgabe im Europäischen Parlament im wesent- mittlerweile stattgefunden hat, uns keinen Anlaß
lichen vielmehr darin gesehen, politisch das Feld gegeben hat, von dieser Forderung etwa abzugehen.
abzustecken, innerhalb dessen Lösungen für eine Im Gegenteil, d iese Entwicklung berechtigt uns,
gemeinsame Agrarpolitik gefunden werden könn- glaube ich, nur noch mehr, an dieser Forderung
ten. Es half uns dabei nicht mehr als die Kraft der festzuhalten. Ich bin sehr erfreut darüber, daß auch
Argumente und die Gemeinsamkeit des ehrlichen, Persönlichkeiten dieses Hauses in jüngster Zeit
redlichen politischen Wollens. ihren Standpunkt in dieser Richtung geändert haben.
Heute beurteile ich die Ergebnisse, die in der Man malt in diesem Zusammenhang immer wie-
politschenDkumEropäischenPalt der das Schreckgespenst einer möglichen Über-
erzielt worden sind, so, daß sie tatsächlich genau produktion landwirtschaftlicher Güter innerhalb der
das Feld abgesteckt haben, innerhalb dessen die Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft an die Wand.
Beschlüsse des Ministerrats vom 43.114. Januar lie- Die Argumente, die bisher hierfür angeführt wor-
gen. Ich kenne keinen Beschluß, der außerhalb den sind, haben meine Freunde und mich nicht
dieses Feldes läge. Das zeigt, daß bei redlichem überzeugen können. Ich darf vielleicht einmal von
Angehen der Probleme Möglichkeiten, sich zu ver- den Problemen innerhalb unserer Europäischen
ständigen — wenn auch in harter und langer Dis- Wirtschaftsgemeinschaft absehen und auf die jüng-
kussion —, gegeben sind. Das sollte auch für die sten Untersuchungen der FAO verweisen. Aus
Zukunft — denn es steht ja noch einiges bevor — ihnen geht hervor, daß im Jahre 2000 — das ist
im Auge behalten werden. Dabei wäre es sicherlich nicht mehr sehr weit entfernt; das betrifft die Welt,
zu begrüßen, wenn auch ohne Änderung des Ver- in der vielleicht noch einige von uns, sicherlich aber
trages von Rom, wie der Kollege Birkelbach heute bereits unsere Kinder leben werden — der Ernäh-
früh sagte, Wege gefunden werden könnten, diese rungszustand in der Welt selbst dann noch ebenso
Zusammenarbeit enger und intensiver zu gestalten unbefriedigend und schlecht wie heute sein wird,
und wirklich fruchtbar zu machen. wenn wir bis dahin die Bodenproduktion in der
Welt um 100 % und die agrarische Veredelungs-
Wir sind uns natürlich bewußt, daß mit den produktion um 200 % erhöht haben werden. Heute
Brüsseler Beschlüssen die Kompetenzen der EWG- entfallen auf einen Satten in der Welt ein ganz
Kommission sehr gestärkt worden sind, und wir Hungriger und ein halb Hungriger, d. h. auf einen
wissen, daß mit den Brüsseler Beschlüssen kein Satten lentfallen praktisch zwei, die sich nicht satt
Endpunkt erreicht worden ist, sondern daß bereits essen können. Dieser Zustand wird nach allen
in den nächsten Monaten weitere bedeutende Ent- Prognosen im Jahre 2000 selbst dann herrschen,
scheidungen zu fällen sind. Ich will hier nur an die wenn wir unsere Produktion in der angegebenen
Marktverordnungen erinnern, die noch für einige Weise erhöhen.
bestimmte Gebiete erlassen werden müssen.
Hier liegt eine gigantische Aufgabe vor uns, über
Folgendes erscheint mir aber noch wichtiger. Wir deren politische und allgemeine Bedeutung ich nicht
wissen, daß in diesem Jahre nicht nur sehr bedeu- zu sprechen brauche. Ich will mich hier auch nicht
tungsvolle Entscheidungen hinsichtlich der zukünf- in irgendwelche Euphorien verlieren. Aber eines
tigen Preispolitik innerhalb der EWG, hinsichtlich scheint mir doch sicher zu sein: wenn die westliche
des zukünftigen Agrarpreisniveaus in Europa ge- Welt keine Möglichkeiten findet, dieses Problem
troffen werden müssen, sondern daß in diesem Jahre einigermaßen zufriedenstellend zu lösen, wäre das
auch sehr wichtige Entscheidungen im Zusammen- nicht nur eine Kapitulation vor dem menschlichen
hang mit den Verhandlungen über den Beitritt Eng- und humanitären Geist, sondern gleichzeitig eine
lands zur EWG fallen. Das sind ungeheuer wichtige Kapitulation vor der politischen Verantwortung, die
Aufgaben. Sie machen deutlich, daß hier ein Zusam- wir für unsere Zukunft alle tragen.
menspiel notwendig ist, das die Erzielung möglichst
guter Lösungen für alle gewährleistet. Dieser Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, die
sich anschickt, ein entscheidender wirtschaftlicher
Ich nannte die Frage des Preisniveaus. Hier und politischer Faktor in der Welt zu werden, und
möchte ich insbesondere meinen Kollegen Bauer damit allen an ihr Beteiligten sind also auch auf
beruhigen, der das dankenswerterweise noch ein- diesem Sektor große Aufgaben gestellt. Auch aus
mal aufgegriffen hat. Ich darf ihm und allen Kolle- diesem Grunde möchte ich darum bitten, diese Frage
gen sagen, daß meine politischen Freunde aus nicht zu gering zu erachten.
diesem Hause im Europäischen Parlament gar kei-
nen Anlaß sehen und nicht daran denken, in dieiser Dem Kollegen Schmidt, der in diesem Zusammen-
Frage des Preisniveaus in Zukunft etwa einen an- hang noch einmal das Verhältnis der Preise auf dem
deren Standpunkt als den einzunehmen, den sie Gebiete der Bodenproduktion zu denen auf dem
eingenommen haben, den sie — ich sage das hier Gebiete der Getreide- und Veredelungsproduktion
398 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962

Lücker (München)
angesprochen hat, möchte ich sagen: wir sehen den sie bei jeder Diskussion in Brüssel und in Straßburg
Getreidepreis wirklich nicht als einen, wie er sagte, im Vordergrund standen. Darf ich mir aber doch
sondern als d e n Eckpreis unserer gesamten land- eine schlichte Frage erlauben: glauben Sie, daß un-
wirtschaftlichen Produktion an, die in Boden- und sere deutschen Verbraucher durch unser Agrarpreis-
Veredelungsproduktion immer eine Verbundpro- niveau überfordert sind?
duktion bleiben wird. Von diesem Getreidepreis (Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
hängen mittelbar oder unmittelbar 80 und mehr
Prozent sämtlicher Einnahmen der Landwirtschaft Glauben Sie das bei redlicher Einschätzung der
ab. Deswegen haben wir in dieser Entschließung in Lage? Glauben Sie angesichts der allgemeinen
Straßburg an den Brotgetreidepreis den Futterge- Wohlstandsentwicklung in unserem Volke, daß
treidepreis mit der Bestimmung angehängt, daß ausgerechnet die Agrarpreise, die ja das Einkom-
dieser Futtergetreidepreis innerhalb der EWG in men der Landbevölkerung, und 'zwar der Bauern
einer einheitlichen, gleichen Relation zum Brotge- und der Landarbeiter, darstellen, zu hoch sind?
treidepreis stehen muß. Haben Sie Sorge, Frau Kollegin Strobel, daß es in
der EWG anders sein wird?
Es ist richtig, und wir alle wissen es, daß in der
allgemeinen gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Abg. Frau Strobel: Herr Lücker, es geht
— mit und ohne EWG — alle Industriestaaten auf- darum, Preiserhöhungen zu vermeiden!)
gerufen sind, etwas für ihre Landwirtschaft zu tun.
Wir befinden uns in einem Zustand, in dem die — Frau Kollegin Strobel, wir haben eine Wirtschaft,
hochindustrialisierten Volkswirtschaften und Natio- die expandiert und in der auch Lohnerhöhungen
nen der westlichen Welt gleichzeitig eine große stattfinden,
landwirtschaftliche Produktion haben und Über- (Zustimmung bei der CDU/CSU)
schüsse erzielen, während dort, wo die Menschen
Hunger leiden, im wesentlichen nur Agrarprodukte von denen man nicht immer sagen kann, daß sie
erzeugt werden. sich in jedem Falle an die allgemein anerkannten
und gültigen Grundsätze des allgemeinen Produk-
Alle Industrienationen tun gegenwärtig noch tivitätszuwachses halten. Aber ich will hier nicht
etwas für ihre Landwirtschaft. Herr Kollege Ertl hat polemisieren. Damit ich nicht falsch verstanden
Professor Naumann zitiert. Was dieser vor 30 Jah- werde: Sie wissen, daß ich mich häufig genug dazu
ren ausgesprochen hat, ist sehr richtig. Ich möchte bekannt habe, daß in einer expandierenden Wirt-
aber hinzufügen, daß es keine Industrienation in der schaft auch die Löhne expandieren müssen. Das ist
westlichen Welt gibt, die nicht im Sinne der Fest- für mich eine Frage des Maßes. Wenn ich das sage,
stellungen von Naumann handelt. Wo gibt es im glaube ich, darf man auch nicht mit einer einseitig
Westen eine Industrienation, die für ihre Landwirt- orientierten Sonde immer auf den Zweig der Wirt-
schaft nichts tut? Es wird von der USA bis zur Bun- schaft hinweisen, dessen Einkommensgestaltung,
desrepublik etwas für die Landwirtschaft getan. auch unter Zugrundelegung einer guten Produktivi-
Die Diskussion wird doch auch in unserem Kreise tätsleistung pro Arbeitskraft, wie das ja in den
nur darüber geführt, ob die einen mehr tun als die Grünen Berichten geschieht, so aussieht, daß man
anderen und ob wir, nicht noch mehr tun sollten, nicht sagen kann, hier sei bisher etwa zuviel ge-
um genau soviel zu tun, wie andere Nationen schon schehen.
für ihre Landwirtschaft tun. Dieses Problem wird (Beifall bei der CDU/CSU.)
sich der Gemeinschaft der EWG genauso stellen, wie
es sich uns in den letzten Jahren gestellt hat. Sein Ich bin anderer Meinung. Es besteht wohl auch kein
Umfang wird sich von Jahr zu Jahr erweitern. Anlaß, anzunehmen, daß das innerhalb der EWG
anders sein wird.
Ich will nicht der Debatte vorgreifen, die hier in
wenigen Wochen stattfinden wird, wenn die Bun- Ich will nur eine einzige Zahl nennen. Wir kön-
desregierung den Bericht über die Lage der Land- nen heute feststellen, daß im Laufe des letzten Jahr-
wirtschaft und den Grünen Plan vorlegen wird. Das zehnts der Anteil, den die Verbraucher für die Er-
wird dann erneut Gelegenheit geben, auf diese Pro- nährung ausgeben, von etwas über 46 % auf unter
bleme einzugehen. 37 % gesunken ist.
Zum Schluß dieser Gedanken möchte ich jeden- (Hört! Hört! bei der CDU/CSU.)
falls folgendes sagen. Wir sollten auch in dieser Schon angesichts dieser beiden Zahlen darf man
Frage bei dem Standpunkt bleiben, den wir bisher also nicht den Eindruck erwecken, als ob, wenn hier
vertreten haben. Wir sollten uns davor hüten, ein und dort einmal der Preis für ein landwirtschaft-
Verhängnis für die Landwirtschaft dadurch herauf- liches Produkt erhöht wird, damit bereits das
zubeschwören, daß wir innerhalb unserer Gemein- soziale Gefälle zuungunsten der Verbraucher ver-
schaft eine der Landwirtschaft nicht gerecht wer- ändert oder auseinandergezogen würde. Ich darf
dende Preispolitik betreiben. vielmehr mit voller Überzeugung sagen, daß wir
vor der Aufgabe stehen, das soziale Gefälle zugun-
Ich möchte in diesem Zusammenhang wenigstens
sten der Landwirtschaft etwas einzuebnen.
noch ein Wort zu den Ausführungen meiner Kolle-
gin Strobel in bezug auf den Verbraucher sagen.
Auch wir wollen diese Dinge natürlich im Auge be- Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Lücker, ge-
halten, und Sie wissen, Frau Kollegin Strobel, daß statten Sie eine Frage der Frau Kollegin Strobel?
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 399

Frau Strobel (SPD) : Herr Lücker, sollten Ihre Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
Bemerkungen vorhin bedeuten, daß die verschie- Herr Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft
dentlich angekündigten Preiserhöhungen für Brot, und Forsten.
für Backwaren, für Getreidemahlprodukte, für Obst
und Gemüse, für Geflügel, Eier usw. im Rahmen
dieser Verordnung von Ihnen für berechtigt gehal- Schwarz, Bundesminister für Ernährung, Land-
ten werden? wirtschaft und Forsten: Herr Präsident! Meine
Damen und Herren! In einer fast siebenstündigen
Debatte hat sich das Hohe Haus mit der Erklärung
Lücker (München) (CDU/CSU) : Das möchte ich der Bundesregierung beschäftigt, die anläßlich des
nicht summarisch beantworten. Ich will nicht sagen, Ergebnisses von Brüssel vor wenigen Tagen hier
daß alles, was ich heute genauso wie Sie in der abgegeben worden ist. Die Länge der Debatte macht
Zeitung an Preiserhöhungen angekündigt finde, be- deutlich, wie außerordentlich wichtig dem Hohen
rechtigt ist. Wenn Sie aber zum Beispiel fragen, ob Hause diese Ergebnisse von Brüssel schienen. Ich
es unberechtigt sei, der Landwirtschaft für Geflügel darf wirklich voller Dankbarkeit feststellen, daß die
und Eier einen etwas höheren Preis zukommen zu ganze Diskussion in einer so sachlichen und vor
lassen, weil diese Verordnung das vielleicht ermög- allen Dingen auch in einer der deutschen Delegation
licht, dann möchte ich zu diesem speziellen Punkt gegenüber so wohlwollenden und freundlichen Hal-
sagen, daß diese Erhöhung bei Eiern und Geflügel tung geführt wurde.
wahrscheinlich durchaus verkraftet werden kann
und in einem gewissen Maß auch berechtigt ist. Da- Meine Damen und Herren, wir haben in den 7
mit will ich aber nicht summarisch sagen, daß alle Stunden zuweilen einen kleinen Spaziergang in die
Preiserhöhungen berechtigt sind, die heute in den bevorstehende Debatte zum Grünen Bericht und zum
Zeitungen angekündigt werden. Grünen Plan gemacht, und wir haben vielleicht auch
die Abwesenheit meines Kollegen Dr. Starke ausge-
Mir geht es darum, mit einer Bemerkung einer nutzt, um sehr munter über Milchsubventionen zu
Tendenz entgegenzutreten, die vielleicht doch zu sprechen, wobei ein Pfennig immerhin 160 Mil-
Mißverständnissen in diesem Hohen Hause geführt lionen DM kostet. Ich möchte doch anregen, diese
hätte, wenn das unwidersprochen geblieben und Subventionspläne dann, wenn Herr Dr. Starke an-
wenn man nicht darauf eingegangen wäre. Es geht wesend ist, mit der nötigen Vorsicht zu äußern;
hier darum, unter dem Begriff „mehr Gerechtigkeit" denn er dürfte sein Wohlwollen nicht so ohne wei-
— er wird ja heute bei verschiedenen Anlässen teres auf diejenigen ausschütten, die sich mit- diesem
immer sehr groß herausgestellt — auch der Land- Plan der Subventionierung in Höhe von 2 Pf be-
wirtschaft in dieser Frage etwas mehr Gerechtigkeit schäftigen.
zukommen zu lassen. (Sehr richtig! in der Mitte. — Zurufe von
(Beifall bei der CDU/CSU.) der SPD.)

Das waren einige Überlegungen, die ich am Schluß Besonders wichtig war, daß wir die Debatte von
dieser zweifellos fruchtbaren und alles in allem vornherein unter außenpolitische Aspekte stellten
auch nach meiner Auffassung sehr guten Debatte an- und daß wir die Außenpolitik, d. h. die Grundlagen
fügen wollte. Ich tue das als jemand, der, wenn auch unseres Daseins schlechthin, in den Mittelpunkt der
in bescheidenem Rahmen, mit dazu beitragen mußte, Erörterungen stellten. Ich glaube, daß deswegen
eine Verständigung in bezug auf eine gemeinsame auch von vornherein das richtige Klima aufkam;
Agrarpolitik zu erreichen. denn wir alle wollen ja doch mit unseren auf den
Gemeinsamen Markt gerichteten Bestrebungen nichts
Herr Präsident, wenn Sie gestatten, darf ich ab- anderes als dieser großen Aufgabe dienen: Europa
schließend noch ein Wort zu dem gemeinsamen Ent- den Frieden erhalten und durch eine Einigung so
schließungsantrag sagen, den alle Fraktionen dieses stark machen, daß es den Stürmen der Zeit trotzen
Hauses, die CDU/CSU, die SPD und die FDP, vor- kann.
legen. Ich glaube, auf eine materielle Begründung
dieses Antrags verzichten zu können. Ich möchte nur Bei diesen Betrachtungen außenpolitischer Art und
meiner Befriedigung und sicherlich damit auch der auch später ist es zu einer gewissen Kritik gekom-
Befriedigung aller Fraktionen Ausdruck geben, daß men, daß unser Auswärtiges Amt während der
es gelungen ist, am Schluß dieser ersten ausschließ- Brüsseler Verhandlungen nicht immer zur Stelle
lichen Debatte, wenn ich so sagen darf, zur euro- gewesen sei, zumindest nicht sichtbar in Gestalt
päischen Agrarpolitik eine Entschließung zu verab- meines Kollegen Dr. Schröder. Hierzu darf ich nur
schieden, die zu diesen Problemen Stellung nimmt, sagen, daß Herr Dr. Schröder in jenen Tagen sehr
und zwar als eine gemeinsame Stellungnahme dieses stark in Anspruch genommen war. Ich erinnere an
Hauses. Ich bin sicher, daß eine solche Entschlie- den Besuch des englischen Ministerpräsidenten
ßung für die Verhandlungen auf der Regierungs- Macmillan; ich erinnere daran, daß er wiederholt
ebene, aber sicherlich auch auf der parlamentarisch hier vor dem Auswärtigen Ausschuß erscheinen
politischen Ebene ihre Dienste tun wird. mußte, daß ihn andere schwerwiegende Pflichten
davon abgehalten haben, an mehr als zwei Tagen
Ich möchte Ihnen im Namen der drei Fraktionen in Brüssel zu weilen. Während des letzten Teils der
empfehlen, dieser Entschließung zuzustimmen. Brüsseler Verhandlungen nahm der Besuch des
Herrn Bundespräsidenten in Afrika, an dem Herr
(Beifall bei den Regierungsparteien.) Dr. Schröder teilnahm, ihn weitgehend in Anspruch.
400 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962
Bundesminister Schwarz
Ich möchte überhaupt bei dieser Gelegenheit ich denke an die vielen Qualitäts-Abzüge — nichts
eines klarstellen: auf Grund von solchen Feststel- anderes als ein Fortschritt in der Richtung, kon-
lungen über zeitweilige An- und Abwesenheit eines kurrenzfähig zu sein.
Ministers kann man die Lage nicht beurteilen; denn All dies müssen wir zusammen sehen. Es ist nicht
stets waren sehr tüchtige Staatssekretäre zur Stelle.
so, daß die Leistung der Landwirtschaft, aber auch
Ich gedenke hier in großer Dankbarkeit auch der
die Tätigkeit der Bundesregierung auf diesem Ge-
Mitwirkung von Herrn Staatssekretär Lahr, der
biet, insonderheit meines Ressorts, etwa nicht den
genau wie alle anderen Mitarbeiter der deutschen
Anforderungen entsprochen hätte, die man berech-
Delegation bestrebt war, am gleichen Strang zu
ziehen. tigterweise stellen kann.

Ich darf weiter darauf hinweisen, daß das Bun- (Beifall bei der CDU/CSU.)
deswirtschaftsministerium durch das Präsidium Ich darf weiter darauf hinweisen, daß der zweite
außergewöhnlich in Anspruch genommen war und Vorwurf, wir hätten Zeit ungenutzt verstreichen
daß hier Ablösungen vorgenommen werden mußten, lassen, wirklich nicht zu Recht erhoben wird. Meine
weil derjenige, der die Verhandlung zu leiten hatte, Damen und Herren, die Dokumente, die Verord-
natürlich ganz besonders in Anspruch genommen nungsentwürfe sind uns von seiten der Kommission
war und dabei körperlich einen besonderen Tribut zum Teil im Laufe des Juni, zum Teil aber erst im
zu zahlen hatte. Laufe des Septemberzugänglich gemacht worden. Vor-
Meine Damen und Herren, aus der Fülle der her bestand für uns also, da wir nicht wußten, in
Fragen und aus der Fülle der Kritik, die hier an- welcher Richtung sich die Vorschläge der Kommis-
klangen, kann ich nur wenige Dinge herausgreifen. sion entwickeln würden, keine Möglichkeit, daran
Es ist nicht möglich, das im einzelnen zu behandeln; zu arbeiten.
die Zeit würde uns sonst allzusehr davoneilen. Aber Es ist aber letztlich so gewesen, daß mein Haus,
gegen einige Ausführungen möchte ich mich doch das Landwirtschaftsministerium, während dieser
verwahren. Erlauben Sie mir deswegen, daß ich Zeit nicht geruht hat. Es hat die Dinge vielmehr
einige Sätze zu diesem und jenem Punkt sage. vorbereitet, das Material lag im. Schreibtisch. Als
Uns ist der Vorwurf gemacht worden, wir hätten dann die Vorschläge kamen und wir im Laufe der
in den letzten vier Jahren nichts getan. Teils bezog Monate September/Oktober den Dingen nähertre-
er sich darauf, daß diese Zeitspanne überhaupt mehr ten konnten, hatten wir durchaus ausgearbeitete
oder weniger nutzlos vertan worden sei. Zum Teil Vorschläge. Sie dürfen nicht glauben, daß die Mög-
lichkeiten, die wir nachher vom November an nut-
konzentrierte sich der Vorwurf aber auch darauf,
zen mußten, um zu einem Ergebnis zu kommen, in
daß die Brüsseler Verhandlungen in einem Tempo
Brüssel vorhanden gewesen wären, wenn nicht vor-
und unter einem Zeitdruck hätten geführt werden
her gearbeitet worden wäre. Ich möchte deswegen
müssen, die 'es uns nicht erlaubt hätten, die nötige
hier sehr klar zum Ausdruck bringen, daß es sich
Sorgfalt walten zu lassen, und daß wir uns letzten
meine Mitarbeiter niemals haben verdrießen lassen,
Endes eher diesen Dingen hätten zuwenden sollen. die Dinge sehr vorzeitig vorzubereiten, auch wenn
Zum ersteren darf ich nur folgendes sagen: wer es nach außen hin nicht sichtbar wurde. Lediglich
in den letzten vier Jahren nicht die Augen ver- die etwas unglückliche Angelegenheit, daß die neue
schlossen hat, kann doch unmöglich an den außer- Bundesregierung sich erst am 14. November konsti-
gewöhnlichen Fortschritten vorbeigehen, die wir auf tuierte und erst damit ein verantwortlicher Minister
dem landwirtschaftlichen Sektor gemacht haben, sei für die Verhandlungen da war, hat uns in diesen,
es, was die Produktivität anbelangt, sei es, was die wie ich gern zugebe, Zeitdruck gebracht. Es ist je-
Qualität der Ware anbelangt — und viele andere doch nicht nötig, in diesem Augenblick wegen all
Dinge kommen weiter hinzu —. Daran kann doch dieser Dinge nachträglich noch Tränen zu vergießen.
keiner vorbeigehen! Wir sollten jetzt vielmehr auf dem Boden des Vor-
handenen weiterarbeiten und unter keinen Umstän-
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.) den ruhen.
Wir müssen immer wieder feststellen, daß — Es ist hier gesagt worden — hier möchte ich
teils zu unserem Leidwesen, teils aus ökonomischen etwas richtigstellen —, daß die elf Punkte, deren
Gründen — die Zahl der Menschen in der Land- Beachtung mir das Kabinett auferlegt hatte, schwer
wirtschaft von Jahr zu Jahr abnimmt, die verblei- vernachlässigt worden seien. Es wurde wörtlich ge-
benden Menschen aber dennoch mehr erzeugen. Wir sagt, es sei davon sozusagen nichts übrig geblieben.
sehen, wie sich die Märkte mit Waren füllen, die Ich möchte hier mit aller Deutlichkeit feststellen,
wir vor etlichen Jahren wirklich noch nicht kannten. daß nur ein einziger Punkt nicht erfüllt wurde, näm-
Wir sehen, wie die Qualität der Rinder sowohl be- lich die Erhaltung der Kontingente. Statt der Kon-
züglich des Fleischbesatzes als auch bezüglich des tingente wurden aber Ersatzlösungen gefunden, von
Fehlens von Fett — nicht etwa allein auf Grund denen alle Experten der Auffassung waren — nach
einer Mast, sondern infolge einer völlig neuen Art, dem, was hier heute vorgetragen wurde, geht wohl
über Zuchtmaßnahmen das Rindfleisch zu verbes- auch die Meinung des Hohen Hauses in diese Rich-
sern — sich gesteigert haben. Denken Sie an die tung —, daß sie brauchbar seien. Deshalb glaube
Schweine! Denken Sie an all die vielen Erfolge, die ich das, was hier geschehen ist, vertreten zu kön-
wir auf diesen Gebieten haben! Letzten Endes ist nen. Unsere Partner wollten Kontingente — weder
ja auch die Qualitätsverbesserung bei Getreide — beim Getreide noch bei den Schweinen — unter kei-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 401
Bundesminister Schwarz
nen Umständen haben. Sie waren auf Grund der derung der deutschen Eierwirtschaft zu befinden
Auswirkungen des Abschöpfungssystems der Auf- und es im Zuge der Notwendigkeiten zu ändern,
fassung, daß es genügen würde, wenn dazu Schutz- um von dem derzeitigen Zustand der Förderung auf
klauseln und andere Dinge vorgesehen würden. die Möglichkeiten überzugehen, die die Abschöp-
Man sollte also diesen einzigen Punkt nicht heraus- fungsregelung bietet. Ich glaube, damit ist dem
streichen und nicht einem Bundesminister unterstel- Wunsch aller Genüge getan, und wir werden hier
len, er hätte sich nicht an einen Kabinettsbeschluß zur gegebenen Zeit über das, was zu veranlassen
gehalten. Wenn er das getan hätte, dann wäre das ist, noch zu sprechen haben.
so schwerwiegend, daß er heute nicht vor Ihnen
stehen könnte. Hiermit hängen viele andere Fragen zusammen,
die den Verbraucher angehen. Ich möchte jetzt nicht
Die Frage der Wettbewerbsverzerrungen ist hin- Prognosen stellen, wie sich der Markt für die Ver-
reichend behandelt worden. Dazu steht in dem Ka- braucher entwickeln wird, — obschon die Fragen
binettsbeschluß lediglich, wir hätten ihre Beseiti- in dieser Richtung für alle Gebiete sehr oft anklan-
gung zu verlangen. gen. Man kann die Frage nach den Auswirkungen
Ich glaube, daß wir hier auch einiges Positive und des Gemeinsamen Marktes nicht allein in bezug
einigen Erfolg aufzuweisen haben. Wir sind ein auf das Lebensmittelgebiet stellen, sondern man
ganzes Stück vorangekommen. Ich möchte jedoch muß die Auswirkungen in ihrer ganzen Breite
keinen Zweifel daran lassen, daß der größere Teil sehen. Die ganze Breite umfaßt sämtliche Lebens-
und sicher auch der schwierigere Teil des Weges bedürfnisse unserer Bevölkerung wie der Bevölke-
noch vor uns liegt. rung der anderen fünf Partnerländer. Das Ziel ist,
in der unterschiedlichen Belieferung nach Menge
Frau Kollegin Strobel hat gefragt, wann das Bun- und nach Güte zu einem Ausgleich zu kommen; na-
desernährungsministerium die Auswirkungen der türlich wird es auf Grund des größeren Angebots
EWG Beschlüsse von Brüssel im einzelnen bekannt-
-
bessere Qualitäten geben als bisher. Daß in diesem
geben könne; die Landwirtschaft wie auch unsere größeren Angebot auch die Möglichkeiten einer
Verbraucher hätten doch ein Recht darauf, davon zu
Preissenkung liegen, ist doch wohl sicher. Wir wer-
erfahren. Vor allen Dingen müsse das deshalb ge- den sicher nichts bekommen, was unseren Verbrau-
schehen — es war bestimmt richtig, es so zu formu- chern, auf Sicht gesehen, Schwierigkeiten machen
lieren —, damit man eine Plattform bekomme, von könnte.
der aus man nun eine Agrarpolitik betreiben könne,
damit man Folgerungen ziehen und man dieses oder Daß in der Zeit des Überganges von- unserer
jenes regionale Problem einbeziehen könne. — Die Marktordnung, wie wir sie heute haben, in die zu-
Dinge liegen deswegen so schwierig, weil die Ver- künftige Form aber diese oder jene Sache einmal
ordnungen nur den Rahmen darstellen. Der Inhalt eintreten kann, die vielleicht nicht immer von die-
— die Zahlen, insbesondere die Höhe der Abschöp- sem oder jenem Partner freundlich aufgenommen
fungen, die Festsetzung der Grundrichtpreise usw. wird — hier sind es die Verbraucher, dort sind es
— fehlt aber noch. Dieser Inhalt muß nun im Ein- die Erzeuger —, mag mit der Schwierigkeit zu er-
vernehmen zwischen Rat, Kommission und natio- klären sein, in der wir uns nun einmal befinden,
nalen Regierungen — teils in dieser, teils in jener wenn wir eine Ordnung aufgeben und dafür etwas
Hinsicht, endgültig gestaltet werden. Erst wenn wir Neues hinsetzen. Ich glaube, mit allseitigem gutem
das haben, haben wir eine rechnerische Grundlage. Willen, allseitigem Verständnis und allseitiger Be-
Sie läßt natürlich wegen ihrer Auswirkungen noch reitschaft, mitzuwirken, um das möglichst reibungs-
vielerlei Spielraum offen und gibt noch Anlaß zu los zu vollziehen, werden wir auch über diese
Zweifeln. Deswegen war es wohl richtig, wenn wir Klippe kommen.
bisher über diese Dinge noch nicht mehr gesagt ha-
ben; denn man soll mit Zahlen ganz besonders vor- Ich möchte mich auf diese wenigen Bemerkungen
sichtig sein. Wir werden zu .gegebener Zeit das beschränken. Ich möchte nicht davon sprechen, daß
nachholen können, was bisher nicht möglich war. man uns auch den Vorwurf gemacht hat, wir hätten
nichts für den Markt getan in Form einer Leistung,
Frau Kollegin Strobel hat die Abschöpfungen als wie die anderen Länder sie vollbracht haben. Es ist
ein Mittel begrüßt, das in der Zukunft bei der kon- natürlich sehr einfach, als Exportland ein Nadelöhr
formen Gestaltung der verschiedenen Marktordnun- einzurichten, durch das die zu exportierende Ware
gen allgemeine Gültigkeit haben werde. Ich be- geht, und alle Organisationsformen in Gang zu set-
daure, daß sie nur in einem Punkt die Abschöpfun- zen, damit die Ware nachher in besten Qualitäten in
gen, die auf der einen Seite gelobt worden sind, das Exportland eindringt, um dort die Märkte zu er-
mißbilligt, nämlich dort, wo sie zuungunsten der obern. Den Organisationen haben wir nur den Wil-
Verbraucher ausgelegt werden können: bei Eiern len entgegenzusetzen, unseren gesamten Markt in
und Geflügel. Zu Art. 5, der hier zitiert wurde, der gesamten Breite auf solche Qualitäten zu brin-
darf ich die Versicherung abgeben, daß wir an ihn gen, die diesem Ansturm von Extraklassen entspre-
gedacht haben, Frau Kollegin Strobel. Wir haben chen. Das ist aber zweierlei. Ich möchte Sie bitten,
im Hinblick auf die Frage „Abschöpfung Eier und falls Sie irgendwelche Zweifel an der Güte der Wa-
Geflügel" einen Passus eingebaut, der uns berech- ren haben, die auf deutschen Märkten augenblick-
tigt, Regelungen schrittweise abzubauen, die bisher lich angeboten werden, doch auch einmal einen Blick
bestehen, um den Erzeugern ihren Preis zukommen auf die Binnenmärkte jener Länder zu werfen, die
zu lassen. Wir haben es also in das Ermessen des eben diese guten Exportqualitäten haben. Sie wer-
Hohen Hauses gestellt, über das Gesetz zur För den sehen, daß die Qualitäten auf den dortigen
402 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962

Bundesminister Schwarz
Märkten — vorsichtig ausgedrückt — um keinen 1962 einen Bericht über die Möglichkeiten eines
Deut besser sind als bei uns, im Gegenteil. Ausgleichs der gegenwärtigen Belastungen durch
(Zuruf von der SPD: Na, na!) lohnbezogene Abgaben vorzulegen.

Vor uns liegt eine große Aufgabe. Selbstverständ- Erlauben Sie mir, diesen Antrag kurz zu begrün-
lich wollen wir die nächsten Jahre weiter nutzen den und dabei an die Arbeit des 3. Deutschen Bun-
und müßten sie, das gebe ich gern zu, auch noch destages anzuknüpfen. Sie kennen den von der Bun-
intensiver nutzen. Die Bundesregierung ist mehr- desregierung im Juli 1960 vorgelegten Bericht über
mals aufgefordert worden, aktiv zu werden und die die Lage der Mittelschichten, Drucksache 2012, in
Richtung aufzuweisen. Das wollen wir gern tun. dem eine große Fülle von Material enthalten ist.
Ich bin aber auch sehr dankbar, daß Kollege Mauk Dazu hat die Bundesregierung in den überlasteten
nicht von der Bundesregierung sprach, sondern und überschatteten letzten acht Wochen des 3. Deut-
sagte: „W i r wollen ...". Da scheint mir die beste schen Bundestages zwei weitere interessante Be-
Lösung zu liegen. Wir alle gemeinsam wollen an richte, Drucksachen 2723 und 2757, vorgelegt, die
diesem großen Werk mitarbeiten, unsere Landwirt- meiner Ansicht nach nicht die Beachtung gefunden
schaft instand zu setzen, zum Wohle ihrer selbst und haben, die sie wegen der Fülle des auch darin ent-
zum Wohle unserer Verbraucher jene Maßnahmen haltenen Materials verdienen.
zu ergreifen, die notwendig sind, um in einem fairen
Im Einvernehmen mit der Fraktion der CDU/CSU
Konkurrenzkampf in der Zukunft bestehen zu kön-
beabsichtigen wir nun, mit dem Antrag Drucksache
nen.
134 auf dieses Material aus dem 3. Deutschen Bun-
Zu dem „wir" gehört aber nicht nur das Hohe destag aufmerksam zu machen und zu veranlassen,
Haus mit seinen verschiedenen Ausschüssen, gehört daß daran weitergearbeitet wird. Bei der Betrach-
nicht nur die Bundesregierung, sondern zu dem tung des Problems stößt man sehr bald auf die Tat-
„wir" gehört auch die Landwirtschaft selbst mit sache, daß die lohnbezogenen, insbesondere sozia-
ihren aktiven Kräften, gehören alle jene Institutio- len Abgaben in den Lohnkosten eingeschlossen sind,
nen und Organisationen, die die Landwirtschaft ja wodurch arbeitsintensive mittelständische Betriebe
wirklich in vorbildlicher Weise hat. Sie alle müssen und dabei insbesondere Handwerksbetriebe am här-
mitarbeiten. An sie alle richte ich diesen Appell, in testen betroffen werden.
gemeinsamer Arbeit an diesen Dingen zusammen zu
schaffen. Wenn wir das mit Mut und Zuversicht tun, Dabei dürfen wir aber nicht überstehen — das ist
habe ich keine Sorge, daß unsere Landwirtschaft in den beiden von mir zitierten Drucksachen- der
nicht nur den Übergang, sondern eines Tages nach Bundesregierung klar und deutlich ausgesprochen
dem Übergang auch den Kampf um die Märkte wird worden —, daß das Problem mit anderer Größenord-
bestehen können. nung, jedoch in voller Schärfe auch in größeren und
in Großbetrieben auftritt. Ich glaube, daß ich dazu
(Allseitiger Beifall.) keine Ausführungen zu machen brauche. Wir haben
deshalb , den Antrag Drucksache IV/134 nicht auf den
Mittelstand allein abgestellt, sondern wir wün-
Vizepräsident Dr. Dehler: Die Aussprache schen uns einen Bericht über die Auswirkungen der
über die Erklärung der Bundesregierung ist ge- Änderungsmöglichkeiten über die ganze Breite der
schlossen. gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, wobei man viel-
Ich stelle zur Abstimmung den Entschließungsan- leicht einzelne Wirtschaftszweige beispielsweise
trag der Fraktionen der CDU/CSU, SPD und FDP besonders herausstellen könnte, bei denen beson-
auf Umdruck 20 *). Wer zuzustimmen wünscht, gebe ders große Härten sichtbar werden.
bitte das Handzeichen. — Gegenprobe! — Enthal- Wir haben den Eindruck — auch das darf ich hier
tungen? — Der Entschließungsantrag ist einstimmig einmal offen sagen —, daß der Interministerielle
angenommen. Arbeitskreis, dessen Arbeitsextrakt in der Druck-
Ich rufe auf Punkt 3 der Tagesordnung: sache 2723 — Lohnbezogene Abgaben — enthalten
ist, die auftretenden Schwierigkeiten möglicher-
Beratung des Antrags der Fraktionen der weise allzu pessimistisch sieht und die Härten allzu
CDU/CSU, FDP betr. Vorlage eines Berichtes leicht als naturgegeben hinnimmt, ohne etwas vor-
wegen Belastung mit lohnbezogenen Abga- zuschlagen, was man dagegen tun soll. Da heißt es
ben (Drucksache IV/134). zum Beispiel in der Ziffer 13 a m Schluß zu der
Zur Begründung hat das Wort der Herr Abgeord- Frage, welche Folgen eventuelle Änderungen der
nete Dr. Dahlgrün. Bemessungsgrundlage für das Wachstum des Sozial-
produkts haben könnten, , daß diese Frage der Hin-
nahme von Verzögerungen beim Wachstum des So-
Dr. Dahlgrün (FDP) : Herr Präsident! Meine Da- zialprodukts im Interesse solcher gesellschaftspoli-
men und Herren! Anläßlich der Debatte zur ersten tischen Ziele mit dem Gutachten nicht beantwortet
Lesung des Unfallversicherungs-Neuregelungsgeset- werden könne.
zes hat mein Fraktionskollege Ollesch am 18. Ja-
nuar 1962 bereits den jetzt zur Behandlung stehen- Unsere Meinung ist, entgegen der meiner Ansicht
den Antrag Drucksache IV/134 angekündigt, in dem nach in der Drucksache erkennbaren Auffassung des
wir die Bundesregierung auffordern, bis zum 30. Juni Interministeriellen Arbeitskreises, daß die Frage
trotzdem geprüft werden muß und daß soweit wie
*) Siehe Anlage 2. möglich eine Beantwortung vorbereitet werden
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 403
Dr. Dahlgrün
sollte, und zwar durch konkretes Zahlenmaterial zu ten. Ich schlage Ihnen, meine Damen und Herren,
den Behauptungen und Angaben in der Druck- ebenfalls vor, hier und heute dieser Vorlage bereits
sache 2723 des dritten Bundestages. Dieses Zahlen- zuzustimmen und sie direkt der Bundesregierung
material wollen wir mit dem Antrag Drucksache zur Erledigung zu überweisen.
IV/134 beschaffen. (Beifall bei .den Regierungsparteien.)
Da es sich also letzten Endes nur um die Aus-
gestaltung, die Weiterbearbeitung und die Auswer- Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der
tung vorliegender Berichte der Bundesregierung bei, Abgeordnete Lange.
ich glaube, unstreitig erkannten Zielen handelt,
glaube ich mir den Vorschlag erlauben zu können,
daß wir in diesem Falle zur möglichsten Beschleu- Lange (Essen) (SPD) : Herr Präsident! Meine Da-
nigung der Arbeit auf die Verweisung in einen Aus- men und Herren. Wir stimmen dem vorgeschlage-
schuß verzichten. Ich bitte Sie darum, den Antrag nen Verfahren zu, sind also damit einverstanden,
IV/134 sofort heute hier anzunehmen, damit die daß hier heute entschieden wird.
Arbeit aufgenommen werden kann.
Ich darf aber auf eines hinweisen. Wir haben am
(Beifall bei der FDP.) 16. Juni 1961, in der sogenannten Mittelstands-
debatte des vergangenen Jahres, ausdrücklich hier
Vizepräsident Dr. Jaeger: Das Wort hat der in diesem Hause alle miteinander festgestellt, daß
Abgeordnete Burgemeister. die Bundesregierung an diesem Problem weiter-
arbeiten sollte, ohne daß sie dazu eines besonderen
Burgemeister (CDU/ CSU) : Herr Präsident! Meine Anstoßes bedürfe. Ich verweise nochmals auf das,
Damen! Meine Herren! Der soeben von Herrn Kol- was im ursprünglichen Antrag — Drucksache 712 —
legen Dr. Dahlgrün begründete Antrag ist ein Antrag in der 3. Legislaturperiode zu diesem Problem ge-
der Koalitionsparteien. Die CDU/CSU-Fraktion hat sagt worden ist. Nachdem wir einige Punkte auf-
sich bereit erklärt, diesem Anliegen der FDP-Frak- gezählt hatten, die in dem Bericht enthalten sein
tion zuzustimmen, obwohl im vorhergehenden Bun müßten — zur besonderen Charakterisierung der
destage zu dieser Frage bereits mehrere Vorlagen Situation der Selbständigen und ihrer Betriebe und
dem Hause vorgelegt wurden. Wir sind uns darüber Unternehmen —, heißt es dort:
klar, daß mit den verschiedenen Gutachten und mit In jedem Falle sollen in dem Bericht die Ver-
den verschiedenen Denkschriften, die in dieser Frage hältnisse der genannten Gruppen und - ihrer
bereits ausgearbeitet wurden, der Anschein erweckt Unternehmen verglichen werden mit den Ver-
worden ist, als ob die Dinge unabänderlich wären hältnissen der übrigen Bevölkerungsgruppen
und als ob es keine Wege gäbe, eine Änderung und der Großunternehmen der einzelnen Wirt-
dieses Zustandes zu erreichen. In allen vorgelegten schaftszweige.
Gutachten und Denkschriften, die in dieser Frage
Und dann kommt das Entscheidende — das geht
erstellt worden sind, und in allen Ausschüssen, die
nämlich über das hinaus, was Sie hier beantragt
sich bisher mit dieser Frage befaßt haben, ist man
haben —:
aber — zumindest in ziemlicher Übereinstimmung
— der Meinung gewesen, daß diese lohnbezogenen Dabei ist zu prüfen, ob und wie der heutige
Abgaben sich besonders schwerwiegend im Bereich ausschließlich auf den Löhnen und Gehältern
der mittleren und kleineren Betriebe auswirken. beruhende Schlüssel der sozialen Lasten zugun-
Wenn wir davon ausgehen können, daß es so ist, sten der arbeitsintensiven Unternehmen geän-
dann, so meinen wir, sollten wir nicht unter dem dert werden kann.
Eindruck dieser Vorlagen, die uns gemacht worden Damit war völlig klar, daß es sich um Arbeits-
sind, ruhen, sondern wir sollten immer wieder be- intensität über alle Wirtschaftszweige hinweg han-
strebt sein, neue Ansatzpunkte zu finden und neue delte und nicht nur speziell auf kleine und mittlere
Wege aufzuspüren, um das erkannte Übel wirksam Betriebe beschränkt.
bekämpfen zu können.
Ich würde nur eines noch hinzufügen wollen. Mit
Aus diesem Grunde sind wir bereit gewesen, dieser Ergänzung, wie wir es auch damals am
dem Anliegen der FDP-Fraktion zuzustimmen, ob- 16. Juni 1961 gesagt haben, sollte auch der Antrag
wohl, wie gesagt, im zweiten und dritten Bundes- der beiden Koalitionsparteien verstanden werden,
tag dazu bereits mehrfach gesprochen worden ist. und in dieser Richtung sollte sich dann das Arbeits-
Wir sind der Meinung, daß mit der Aufforderung ministerium — oder besser gesagt: die Regierung —
an die Bundesregierung, sich erneut zu diesem Pro- um die Klärung des Problems bemühen. Wir sollten
blem 'zu äußern, auch für die Bundesregierung neue nämlich vermeiden, daß wiederum der Eindruck ent-
Ansatzpunkte gegeben werden, die vorliegenden steht — das ist an die Adresse der Koalitionspar-
Gutachten noch einmal durchzuarbeiten und dabei teien gerichtet —, als ob man hier wieder mit ver-
auch von ihrer Seite zu versuchen, neue Ansatz- teilten Rollen Regierung und Koalition spielen und
punkte zu finden. der Öffentlichkeit gegenüber nur ein Alibi haben
Da eine Überweisung dieser Vorlage an einen wolle. Die Regierung hätte ja arbeiten können,
Ausschuß in der Tat nur formale Bedeutung haben wenn sie ihre Regierungserklärung in bezug auf
würde, sind auch wir der Meinung, daß wir hier von weitere Förderung der Selbständigen ernst meint.
dem abgekürzten Verfahren Gebrauch machen soll- Lassen Sie sich also nicht wieder in diese Situation
404 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962
Lange (Essen)
h i ne i nbr i ngen, daß wir Ihnen das wieder einmal Vizepräsident Dr. Jaeger: Meine Damen und
sagen müssen. Herren, das Wort wird nicht mehr begehrt.
(Abg. Burgemeister: Wir wollen uns selbst Ein Antrag auf Ausschußüberweisung ist meines
anregen!) Wissens jetzt nicht mehr gestellt. Wir können also
— Ach, Sie wollen sich selbst anregen. Das 1st eine über den Antrag Drucksache IV/134 abstimmen. Wer
saubere Sache. Aber hier kommt es darauf an: keine diesem Antrag zuzustimmen wischt, den bitte ich
weiße Salbe und kein Sand-in-die-Augen-Streuen. um das Handzeichen. — Ich bitte um die Gegen-
Die Koalition stellt die Regierung. Oder müssen probe. — Keine Gegenstimmen. Enthaltungen? —
wir anders herum annehmen, daß in dieser Legis- Keine Enthaltungen. Der Antrag ist einstimmig an-
laturperiode die Koalition auch mal die Rolle des genommen.
Parlaments und die Aufgabe des Parlaments gegen- Meine Damen und Herren, wir stehen am Ende
über der Regierung im besonderen wahrnehmen einer umfangreichen Sitzung.
möchte Ich berufe die nächste Sitzung auf Mittwoch, den
(Abg. Burgemeister: Nicht nur jetzt!) 14. Februar 1962, 9 Uhr.
oder mit wahrnehmen möchte? Dann würden wir Die Sitzung ist geschlossen.
das außerordentlich begrüßen.
(Beifall bei der SPD.) (Schluß der Sitzung: 19.10 Uhr.)
Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode - 13. Sitzung. Bonn, Mittwoch, den 31. Januar 1962 405

Anlagen zum Stenographischen Bericht


Anlage 1 Anlage 2 Umdruck 20
Liste der beurlaubten Abgeordneten Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/
Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich CSU, SPD, FDP zur Erklärung der Bundesregierung
vom 24. Januar 1962 betr. EWG
a) Beurlaubungen
Frau Albertz 31. 1. Der Bundestag wolle beischließen:
Altmaier 1. 2. Der Bundestag hat die Erklärung der Bundes-
Dr. Atzenroth 31. 1 regierung vom 24. Januar 1962 über die Beschlüsse
Dr. Birrenbach 3. 2. des Ministerrats der Europäischen Wirtschaftsge-
Fürst vom Bismarck 3. 2. meinschaft vom 13./14. Januar 1962 zur Kenntnis
Dr. Bucerius 3. 2. genommen. Er spricht der deutschen Verhandlungs-
Dr. Burgbacher 31. 1. delegation, unter Führung von Bundesminister
van Delden 1.2. Schwarz, Dank und Anerkennung für ihren uner-
Dr. Dittrich 31. 1. müdlichen Einsatz in den überaus schwierigen Ver-
Dr. Dollinger 31. 1. handlungen aus.
Ehnes 1. 2.
Eichelbaum 6. 2. Der Bundestag ist sich bewußt, daß die deutsche
Eisenmann 31. 1. Landwirtschaft vor großen Aufgaben und Schwierig-
Erler 31. 1. keiten steht. Er erwartet, daß ihm die Bundesregie-
Dr. Franz 31. 1. rung möglichst bald die Gesetzentwürfe vorlegt, die
Gaßmann 2. 2. für eine termingerechte Anpassung der in der Bun-
Frau Geisendörfer 3. 2. desrepublik geltenden Gesetze und Verordnungen
Gedat 15. 2. an die Brüsseler Beschlüsse notwendig sind. In die-
Hellenbrock 3. 2. sen Gesetzentwürfen sund alle Möglichkeiten aus-
Hesemann 31. 1. zuschöpfen, um die berechtigten Interessen der deut-
Höfler 31. 1. schen Land- und Ernährungswirtschaft und der Ver-
Illerhaus 31. 1. braucher zu berücksichtigen; dies gilt insbesondere
Jacobs 1. 2. im Hinblick auf die bäuerlichen Familienbetriebe
Frau Kettig 1. 2. und die marktfernen Gebiete. Der Bundestag erwar-
Dr. Klein (Berlin) 14. 2. tet, daß die Bundesregierung ihm außerdem Vor-
Dr. Kliesing (Honnef) 4. 2. schläge für die im Sinne des Landwirtschaftsgesetzes
Frau Krappe 1. 2. notwendigen Ausgleichsmaßnahmen für Einkom-
Kraus 1. 2. mensminderungen vorlegt, die sich aus. der Durch-
Leber 31. 1. führung der Brüsseler Beschlüsse ergeben.
Dr. Löbe 2. 2.
Lohmar 1. 2. Der Bundestag ist der Auffassung, daß die Brüs-
Dr. Mälzig 31. 1. seler Beschlüsse nunmehr dazu zwingen, gemeinsam
Maier (Mannheim) 14. 2. eine agrarpolitische Konzeption zu entwickeln, die
Dr. h. c. Menne (Frankfurt) i e Lebensfähigkeit der deutschen Landwirtschaft d
31. 1.
Merten 31. 1. auch im gemeinsamen europäischen Markt gewähr-
Michels 2. 2. leistet, mit den in Brüssel gefaßten Beschlüssen ver-
Müller (Worms) 4. 2. einbar ist, die Interessen der Verbraucher wahrt
Neumann (Berlin) 31. 1. und zugleich finanzpolitisch tragbar ist. Für dieses
Rademacher 31. 1. Vorhaben ist Eile geboten. Die deutsche Landwirt-
Rasier schaft kann erwarten, daß spätestens bei der Dis-
1. 2.
Reitzner 31. 1. kussion über den neuen Grünen Bericht und den
Dr. Schellenberg 31. 1. Grünen Plan die Umrisse dieser agrarpolitischen
Scheuren 34. 1. Konzeption sichtbar werden.
Schmidt (Braunschweig) 2. 2. Der Bundestag erwartet, daß die Kommission der
Dr. Schneider 31. 1. Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft die ihr über-
Schütz 31. 1. tragenen Zuständigkeiten in echter gemeinschaft-
Schulhoff 3.2. licher Solidarität handhabt. Diese Verantwortung
SühLer 31. 1. wiegt um so schwerer, solange das Europäische
Striebeck 18. 2. Parlament noch kenne den nationalen Parlamenten
Wagner 31. 1. entsprechenden legislativen Funktionen ausübt,
Frau Dr. h. c. Weber (Essen) 31. 1. während die nationalen Parlamente ihre Zuständig-
Wehner 31. 1. keiten schrittweise verlieren.
Werner 15. 2.
Wieninger 1. 2. Bonn, den 31. Januar 1962
b) Urlaubsanträge
Dr. von Brentano und Fraktion
Frau Dr. Elsner 10.2.
Horn 18.2. Ollenhauer und Fraktion
Oetzel 16.2. Dr. Bucher und Fraktion

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