Sie sind auf Seite 1von 46

D eutscher Bundestag

73. Sitzung

Bonn, den 25. April 1963

Inhalt:

Abg. Anders tritt in den Bundestag ein . . 3405 A Fragen der Abg. Frau Blohm:
Beförderung von Sendungen mit Arz-
Fragestunde (Drucksache IV/1193) neimitteln 3408 B

Fragen des Abg. Kreitmeyer:


Frage des Abg. Kahn-Ackermann:
Entseuchung des ehemaligen Schieß-
platzes Deutsch-Evern Zustellungszeit von Postsendungen in
von Hassel, Bundesminister . . 3405 B, C, München 3408 C
3406 A,
Kreitmeyer (FDP) . . . 3405 D, 3406 A Frage der Abg. Frau Dr. Diemer-Nicolaus:

Fragen des Abg. Rauhaus: Berechnung von Abkürzungen bei


Drucksachen
Übungen der Stationierungsstreitkräfte
in Erholungsgebieten Stücklen, Bundesminister . . . . 3408 C,
3409 A, B, C
von Hassel, Bundesminister . 3406 A, B,
3407 B Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) . . 3408 D,
Rauhaus (CDU/CSU) . . . . . . 3407 B 3409 B
Ritzel (SPD) . . . . . . . . . 3409 B
Frage der Abg. Frau Dr. Diemer-Nicolaus:
Entlohnung von Arbeitern bei Bundes- Fragen des Abg. Hörmann (Freiburg) :
wehrbauten in Hechingen Gebäude der ehemaligen Kreispflege-
von Hassel, Bundesminister . 3407 C, D anstalt in Freiburg
Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) 3407 C, D Qualen, Staatssekretär . . . 3409 C, D,
3410 A, B
Frage des Abg. Peiter: Hörmann (Freiburg) (SPD) 3409 D, 3410 B
Aufenthaltskosten beim freiwilligen
Ausbau eines deutschen Soldatenfried-
hofs in Italien 3407 D Frage des Abg. Freiherr von Mühlen:
Wiederherstellung des Reichstagsge-
Frage des Abg. Wittrock: bäudes in Berlin

Rechtsverordnung nach § 13 a Abs. 2 Qualen, Staatssekretär . . 3410 B, C, D,


des Wehrpflichtgesetzes 3411 A
von Hassel, Bundesminister . . 3408 A Freiherr von Mühlen (FDP) . . 3410 C, D
Wittrock (SPD) 3408 A Ritzel (SPD) 3410 D, 3411 A
II Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963

Fragen des Abg. Dr. Gleissner: Frage des Abg. Faller:


Urteil des Bundesverfassungsgerichts Untersuchung von Gastarbeitern aus
betr. Gesetz zur Reinhaltung der Bun- typhusverdächtigen Gebieten . . . . 3415 A
deswasserstraßen
Frau Dr. Schwarzhaupt, Frage des Abg. Faller:
Bundesminister 3411 A, B Arbeitskräfte aus Lecce . . . . . . 3415 A

Frage des Abg. Hörmann (Freiburg) :


Frage des Abg. Dr. Gleissner:
Haftbarmachung wegen der Typhus-
Förderung von Abwässeranlagen mit erkrankungen in Zermatt . . . . . 3415 B
ERP-Krediten
Frau Dr. Schwarzhaupt, Frage des Abg. Bauknecht:
Bundesminister 3411 C, D Gefrierhühnchensendung aus USA
Dr. Gleissner (CDU/CSU) . . . 3411 C Frau Dr. Schwarzhaupt,
Bundesminister . . . . . . 3415 C, D,
Frage des Abg. Börner: 3416 A, B, C, D
Bauknecht (CDU/CSU) . . . . 3415 C, D
Ölleitung durch den Bodensee
Bewerunge (CDU/CSU) 3415 D
Frau Dr. Schwarzhaupt, Dr. Reinhard (CDU/CSU) . . . . 3416 A, B
Bundesminister . 3411 D, 3412 A, B, C
Dr. Dr. h. c. Dresbach (CDU/CSU) . 3416 C
Börner (SPD) . . . . . . . . . 3412 A Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) . . . 3416 C
Dr. Schäfer (SPD) 3412 B
Matthöfer (SPD) . . . . . . . 3412 C Frage des Abg. Bauknecht:
Salmonellenfreie Futtermittel
Frage des Abg. Börner: Frau Dr. Schwarzhaupt,
Bundesminister . . . 3416 D, 3417 A
Trinkwasser aus dem Bodensee
Bauknecht (CDU/CSU) 3417 A
Frau Dr. Schwarzhaupt,
Bundesminister . . 3412 D, 3413 A, B
Frage des Abg. Bauknecht:
Börner (SPD) . . . . . 3412 D, 3413 A
Schutz vor Schädigung durch Salmonel-
Dr. Schäfer (SPD) 3413 A, B len bei der Hühnereinfuhr
Frau Dr. Schwarzhaupt,
Frage des Abg. Börner: Bundesminister . . . . . . . 3417 A
Verhinderung des Baues einer Öllei-
tung durch den Bodensee Änderung der Tagesordnung . . . . . 3417 B
Frau Dr. Schwarzhaupt,
Bundesminister . . 3413 C, D, 3414 A Schriftlicher Bericht des Außenhandelsaus-
schusses über die Zweiundsechzigste
Börner (SPD) . . . . . 3413 D, 3414 A Verordnung zur Änderung des deutschen
Zolltarifs 1962 (Gemüse) (Drucksachen
Frage des Abg. Dr. Hamm (Kaisers- IV/1195, IV/1202) . . . . . . . . . 3417 B
lautern) :
Kariesbefall bei Kleinkindern und Ju- Entwurf eines Gesetzes zu der Gemeinsa-
gendlichen men Erklärung und zu dem Vertrag vom
22. Januar 1963 mit der Französischen
Frau Dr. Schwarzhaupt, Republik über die deutsch-französische
Bundesminister 3414 B Zusammenarbeit (Drucksache IV/1157)
— Erste Beratung —
Fragen des Abg. Dr. Hamm (Kaisers- Dr. Adenauer, Bundeskanzler . . 3417 C
lautern) :
Majonica (CDU/CSU) 3419 C
Gesetzliche Regelung der Jugend-
Wehner (SPD) 3424 B
zahnpflege
Dr. Mende (FDP) . . . . . . 3434 D
Frau Dr. Schwarzhaupt, Dr. Schröder, Bundesminister . . 3438 A
Bundesminister . . . . 3414 B, C, D
Birkelbach (SPD) 3441 D
Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP) . .
Margulies (FDP) . . . . . . . 3443 D
3414 B, C, D
Nächste Sitzung 3445 C
Frage des Abg. Faller:
Typhus-Fälle im Bundesgebiet . . . 3414 D Anlagen 3447
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963 3405

73. Sitzung

Bonn, den 25. April 1963

Stenographischer Bericht Herrn Abgeordneten Kreitmeyer gemeinsam beant-


wortet werden.
Beginn: 14.32 Uhr
Vizepräsident Dr. Dehler: Einverstanden. Ich
rufe also auch die Fragen VIII/2 und VIII/3 auf:
Vizepräsident Dr. Dehler: Die Sitzung ist er-
Wie oft wurde über die Entseuchung des ehemaligen briti-
öffnet. schen Schießplatzes Deutsch-Evern bei Lüneburg verhandelt?
Für den durch Verzicht ausgeschiedenen Abgeord- Mit wem wurde seitens der Bundesregierung über die Ent-
seuchung des ehemaligen britischen Schießplatzes Deutsch-Evern
neten Kühn (Köln) ist mit Wirkung vom 17. April bei Lüneburg verhandelt?
1963 der Abgeordnete Anders in den Bundestag
eingetreten. Ich kann ihn leider nicht begrüßen, von Hassel, Bundesminister der Verteidigung:
aber ich wünsche ihm trotzdem gute Zusammen- Bis zur Fertigstellung einer eigenen Standortschieß-
arbeit. anlage ist die Bundeswehr gezwungen, die von den
Die folgenden amtlichen Mitteilungen werden britischen Streitkräften errichtete Schießstandanlage
ohne Verlesung in den Stenographischen Bericht auf dem ehemaligen britischen Schießplatz Victory
aufgenommen: Hill zu benutzen. Der zu diesem Schießstand ge-
Der Vermittlungsausschuß hat in seiner Sitzung am 24. April
hörige Sicherheitsbereich ist mit scharfer britischer
1963 das vom Bundestag in seiner 64. Sitzung am 13. März 1963 Sprengmunition verseucht. Die Benutzung des
beschlossene Gesetz zur Einschränkung des § 7 b des Einkom-
mensteuergesetzes bestätigt. Sein Schreiben ist als Druck- Schießplatzes ist nur dadurch möglich, daß der
sache IV/1201 verteilt. Sicherheitsbereich durch den Landkreis Lüneburg
Der Herr Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages hat zur Munitionsfundstelle erklärt und für Zivilper-
unter dem 11. April 1963 seinen Jahresbericht 1962 gemäß § 2
Abs. 3 des Gesetzes über den Wehrbeauftragten des Bundes- sonen gesperrt worden ist.
tages vorgelegt. Der Bericht wird als Drucksache IV/1183 ver-
teilt. Die etwa dreißig Eigentümer des zum Sicherheits-
Der Herr Bundesminister für Verkehr hat unter dem 23. April bereich erklärten Geländes verlangen eine Entschä-
1963 die Kleine Anfrage der Abgeordneten Müller-Hermann,
Lemmrich, Eisenmann, Rademacher und Genossen betr. regel- digung für Wirtschaftserschwernisse. Sie fordern
mäßige Ü berwachung der Kraftfahrzeuge und Anhänger (Druck- jedoch zuvor die Entmunitionierung des Geländes,
sache IV/1178) beantwortet. Sein Schreiben wird als Druck-
sache IV/1198 verteilt. ehe sie Vereinbarungen über eine zu zahlende
Der Herr Präsident des Bundestages hat entsprechend dem Entschädigung abschließen wollen.
Beschluß des Bundestages vom 25. Juni 1959 den
Vorschlag der Kommission für eine Verordnung des Rates Zur Klärung der Frage, wer die Kosten für diese
über Änderung verschiedener Anhänge zur Verordnung Maßnahmen zu tragen hat, wurde seit Mitte 1961
Nr. 3 über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer
und zur Verordnung Nr. 4 zur Durchführung und Ergänzung mit dem Bundesfinanzministerium und der Verbin-
der Verordnung Nr. 3 — Drucksache IV/1199 — dungsstelle der britischen Streitkräfte in Bonn ver-
an ,den Ausschuß für Sozialpolitik überwiesen mit der Bitte um handelt. Nach Auffassung des Herrn Bundesfinanz-
Vorlage des Berichts rechtzeitig vor dem Plenum am 8. Mai 1963.
Der Herr Präsident des Bundestages hat gemäß § 96 a der
ministers, des Herrn niedersächsischen Ministers
Geschäftsordnung den Entwurf einer des Innern und des Verteidigungsministers haben
Zweiundsechzigsten Verordnung zur Ä nderung des Deutschen die britischen Streitkräfte die Entmunitionierung des
Zolltarifs 1962 (Gemüse) — Drucksache IV/1195 —
ehemaligen britischen Schießplatzes auf eigene
mit der Bitte um fristgemäße Behandlung dem Außenhandels-
ausschuß überwiesen. Kosten durchzuführen. Mit Schreiben vom 12. März
1963 erklärte sich das Hauptquartier der britischen
Punkt 1 der Tagesordnung: Rheinarmee bereit, diese Kosten zu tragen. Damit
Fragestunde (Drucksache IV/1193). sind nunmehr die Voraussetzungen für eine be-
schleunigte Regelung dieser Angelegenheit gegeben.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministers für Verteidigung. Frage VIII/1 — Herr
Abgeordneter Kreitmeyer —:
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Kreitmeyer!
Seit wann wurde seitens der Bundesregierung über die Ent-
seuchung des ehemaligen britischen Schießplatzes Deutsch-Evern
bei Lüneburg verhandelt?
Kreitmeyer (FDP) : Herr Minister, darf ich fragen,
Bitte, Herr Minister! bis wann sich die Regelung ergeben wird, nachdem
sie sich immerhin zweieinhalb Jahre hingezogen hat,
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: und ob es nicht möglich ist, daß der Bund schon
Herr Präsident, wegen des sachlichen Zusammen- vorausfinanziert, um damit die Besitzer schnell zu
hangs darf ich anregen, daß die drei Fragen des ihrem Recht zu bringen, so daß bei einem längeren
3406 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963
Kreitmeyer
Anhalten der Auseinandersetzungen die Angelegen- lige britische Besatzungsmacht schon im Jahre 1953
heit noch zwischen dem Bund und den britischen bereit, für die Übungen der Garnison im Raum
Militärbehörden geregelt werden muß. Wuppertal nur noch folgende Übungsgebiete zu be-
nutzen: 1. ein Gelände von etwa 200 ha im Raum
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Wuppertal-Holthausen, 2. einen im Schnitt etwa
Bis zur Entscheidung der Grundsatzfrage hat es 300 bis 500 m breiten Randstreifen rings um den
etwa zweieinhalb Jahre gedauert. Sie ist entschie- Standortübungsplatz Scharpenacken und 3. den Mar
den, und ich gehe nunmehr davon aus, daß die scheider Wald.
Sache jetzt zügig abgewickelt wird. Inzwischen steht das Inkrafttreten des NATO-
Truppenstatuts bevor, nach dem das in der Bundes-
Kreitmeyer (FDP) : Herr Minister, bedeutet das republik geltende Manöverrecht auch auf die aus-
„zügig": noch im Jahre 1963? ländischen Stationierungsstreitkräfte anzuwenden
ist. Der Innenminister des Landes Nordrhein
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Westfalen hat deshalb die Regierungspräsidenten
Ich hoffe, daß es noch im Jahre 1963 sein wird. angewiesen, schon jetzt vonsorglich auf den Ab-
schluß besonderer Übungsvereinbarungen mit den
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe die Frage Stationierungsstreitkräften hinzuwirken. Zu diesem
VIII/4 — des Herrn Abgeordneten Rauhaus — auf: Zweck sind seit einigen Monaten Verhandlungen
im Gange und werden nach der verständnisvollen
Ist der Bundesregierung bekannt, daß die englischen Statio-
nierungsstreitkräfte zusätzlich zu den bereits seit Jahren be- Haltung der maßgebenden britischen Stellen eine
nutzten Übungsgebieten im ausgesprochenen Erholungsumland wesentliche Einschränkung der bisherigen britischen
der Großstadt Wuppertal weitere große Waldflächen (Staats-
forst Marscheider Wald) zu Übungs- und Manöverzwecken in Übungsrechte im Raum Wuppertal zum Ergebnis
Anspruch nehmen?
haben.
Bitte, Herr Minister! Die in einigen Zeitungen veröffentlichte Behaup-
tung, daß der Marscheider Wald zum Truppen-
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: übungsgebiet gemacht und für die Bevölkerung
Auch hier darf ich wegen des sachlichen Zusammen- gesperrt werden solle, ist ebenso unzutreffend wie
hangs bitten, Herr Präsident, daß alle drei Fragen das Gerücht, daß auch die Bundeswehr dort bereits
des Herrn Abgeordneten Rauhaus — einschließlich mehrfach geübt haben soll.
der unter den Fragen aus dem Geschäftsbereich des
Bundesministers für Ernährung, Landwirtschaft und Der baldige Abschluß einer Übungsvereinbarung
Forsten aufgeführten Frage VII/4 — zusammen be- mit den britischen Übungsstreitkräften ist zu be-
handelt werden dürfen. grüßen, weil darin Art und Umfang der Übungen
durch Gebote und Auflagen erstmalig festgelegt
werden können. So sind von britischer Seite bereits
Vizepräsident Dr. Dehler: Einverstanden. Ich jetzt folgende Zusicherungen 'in Aussicht gestellt
rufe also auch die weiteren Fragen des Abgeordneten worden, die einen ungehinderten Besuch des Mar
Rauhaus unter VIII/5 und VII/4 auf: scheider Waldes durch die Wuppertaler Bevölkerung
Kann man nicht bei allem Verständnis für die Trainingsmög-
lichkeiten der Stationierungsstreitkräfte vermeiden, daß unmit-
ermöglichen sollen:
telbar in Großstadtnähe liegendes Erholungsgebiet beansprucht
wird, um so mehr als durch die völlige Motorisierung der 1. Das Gebiet um Wuppertal-Holthausen und die
Truppe entfernter liegende Gebiete schnell erreicht werden
können?
Randbezirke um den Truppenübungsplatz Schar-
penacken werden künftig von Truppenübungen-
Welche
- Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, Erholungs
und Landschafts-Schutzgebieten in unmittelbarer Nähe von Groß- gänzlich verschont bleiben.
städten ihrer Zweckbestimmung als Erholungsgebiet wieder zu-
zuführen? 2. An Samstagen und Sonntagen sowie an gesetz-
lichen deutschen Feiertagen werden Übungen im
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: Marscheider Wald nicht durchgeführt.
Zu 1. Der Bundesregierung ist bekannt, daß die bri- 3. Die Stärke der übenden Truppen wird in der
tischen Stationierungsstreitkräfte den Staatsforst Regel nicht mehr als 30 Mann betragen und in
Marscheider Wald zu Übungszwecken in Anspruch Sonderfällen 100 Mann nicht überschreiten.
nehmen. Die in Wuppertal stationierte britische
Brigade benutzte für die Ausbildung ihrer Trup- 4. Die Truppe verzichtet auf das Biwakieren und
pen zunächst gemeinsam mit der Bundeswehr den beachtet das Rauchverbot im Walde bei Trocken-
bundeseigenen Standortübungsplatz in Wuppertal- perioden.
Scharpenacken mit einer Größe von 253 ha. 5. Sie wird Militärfahrzeuge zu gewissen Zeiten
Nach Art. 19 des Vertrages über die Rechte und auf den Waldwegen nicht einsetzen, wenn dies nach
die Pflichten ausländischer Streitkräfte in der Bun- dem Urteil der Staatlichen Revierförsterei Beyenburg
desrepublik sind die Stationierungsstreitkräfte aber voraussichtlich zu Wegeschäden führen würde.
auch berechtigt, nach vorheriger Benachrichtigung 6. Sie wird die Geschwindigkeit der Militärfahr-
der zuständigen 'deutschen Stellen außerhalb der zeuge im Übungsgebiet auf 30 Stundenkilometer
von den Stationierungsstreitkräften benutzten An- begrenzen, damit Ausflügler nicht belästigt oder
lagen zu üben. gefährdet werden.
Auf die Vorstellung des Interministeriellen Aus- 7. Die Übungen bleiben beschränkt auf die bri-
schuss es der Landesregierung in Düsseldorf und tischen Truppenteile der Garnison Wuppertal. An-
ebenso der Stadt Wuppertal erklärte sich die dama- dere Einheiten der britischen Streitkräfte dürfen
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963 3407
Bundesminister von Hassel
ohne besondere Absprache mit den deutschen Be- von Hassel, Bundesminister der Verteidigung:
hörden im Marscheider Wald nicht üben. In Hechingen, Frau Abgeordnete, sind keine Bau-
Die verantwortlichen deutschen Stellen haben vorhaben der Bundeswehr vorhanden. Daher
sich nach Kräften bemüht, gegenüber den britischen konnten infolge der Kürze der zur Verfügung ste-
Streitkräften die Interessen der Bürgerschaft zu henden Zeit die bereits eingeleiteten Ermittlungen
vertreten und zu wahren. Eine völlige Freistellung nicht abgeschlossen werden. Ich darf Sie, Frau Ab-
des Marscheider Waldes von Übungen ist nur durch geordnete, deshalb bitten, damit einverstanden zu
Zurverfügungstellung eines geeigneten Ersatzgelän- sein, daß Ihnen zu gegebener Zeit eine schriftliche
des möglich. Antwort zugeleitet wird. So viel kann allerdings
schon jetzt gesagt werden, daß Dienststellen der
Zu 2. Schon im Interesse einer möglichst unbe- Bundeswehr oder der Landesbauverwaltung mit der
hinderten Ausbildung wird einer Truppe daran ge- Aufkündigung der Arbeitsplätze in Hechingen
legen sein, in unmittelbarer Großstadtnähe liegende nichts zu tun haben. Es kann sich allenfalls darum
Erholungsgebiete der Bevölkerung bei Übungen aus- handeln, daß eine mit der Ausführung von Bundes-
zusparen, sofern sich nur irgendwie ein anderes wehrbauten in einem anderen Ort beauftragte pri-
geeignetes Übungsgebiet finden läßt. vate Baufirma Gipser aus Hechingen eingestellt hat.
Um wesentliche Zeitverluste beim An- und Ab- Im übrigen hat die Bundeswehr keinen Einfluß auf
marsch sowie insbesondere bei Kettenfahrzeugen die Höhe der Löhne von Arbeitern, die bei Bundes-
stark ins Gewicht fallenden Materialverschleiß und wehrbauten beschäftigt sind.
die Beschädigung von Straßen zu vermeiden, soll
ein Ausbildungsgelände jedoch stets in tragbarer
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage,
Frau Abgeordnete Diemer-Nicolaus!
Entfernung von der Garnison liegen. Als zumutbar
gilt für motorisierte Truppen eine Entfernung bis
zu 15 km.
Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) : Herr Mini-
ster, zu Ihrer Bemerkung, Sie hätten keinen Einfluß
Den deutschen zivilen Behörden bleibt es zur darauf: Ist nicht ein Einfluß der Bundeswehrver-
Wahrung ziviler Interessen jeweils unbenommen, waltung doch insofern möglich, als ja die hohen
an Stelle eines in Anspruch genommenen Übungs- Akkordlöhne, die in meiner Anfrage genannt sind,
geländes ein geeignetes Ersatzgelände vorzuschla- im Angebot enthalten sind, und was gedenkt die
gen. Bundesverwaltung zu tun, um sicherzustellen, daß
Zu 3. Soweit sich die Anfrage auf den Marscheider bei der Vergabe nicht weit über den sonstigen orts-
Wald bezieht, bitte ich auf meine soeben gemachten üblichen Preisen liegende Zuschläge gemacht wer-
Ausführungen Bezug nehmen zu dürfen; in anderen den?
Fällen sieht die Bundesregierung nur die Möglich-
keit, durch das Angebot geeigneten Ersatzgeländes von Hassel, Bundesminister der Verteidigung:
zu der erstrebten Freistellung zu gelangen. Es ist eine Frage, Frau Abgeordnete, die nicht nur
die Bundeswehr angeht, sondern alle öffentlichen
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage, Bauträger, daß im Wege des Ausschreibungsverfah-
Herr Abgeordneter Rauhaus! rens die Angebote, die man bekommt, sorgfältig
untersucht und verglichen werden und dann die
bestmöglichLunfürdeBa ,ism
Rauhaus (CDU/CSU) : Herr Minister, ist nicht
Falle die Bundeswehr, durchgesetzt wird. Die Mög-
daraus zu schließen, daß die Truppen bisher prak-
lichkeit aber, im einzelnen auf den Lohn einzuwir-
tisch den Raum Holthausen und den Marscheider
ken, hat der Bundesverteidigungsminister und ha-
Wald nie benutzt haben, daß sie bisher auch mit
ben seine Baubehörden nicht.
dein zur Verfügung stehenden Übungsgelände aus-
gekommen sind, daß sie also eine Erweiterung auf Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage?
das Doppelte gar nicht nötig haben und daß eine
Großstadt, die immerhin 250 ha wertvollsten Stadt- Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) : Ich wollte
gebietes hergegeben hat, insoweit ja doch wohl nur sagen, daß ich mich mit einer schriftlichen Ant-
ihre Pflicht erfüllt hat? wort begnüge. Ich werde gegebenenfalls im An-
schluß daran noch einmal auf die Sache zurück-
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: kommen.
Die Größe eines Übungsplatzes ist im allgemeinen
festgelegt. Sie schwankt zwischen 250 und 300 ha. Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf die
Ich glaube, Herr Abgeordneter, daß durch die Ver- Frage VIII/7 — des Abgeordneten Peiter —:
einbarung, die mit den Briten bereits getroffen wor- Ist die Zeitungsmeldung zutreffend, daß Soldaten der Bundes-
wehr, die freiwillig beim Ausbau eines deutschen Soldatenfried-
den ist, den Wünschen der Bevölkerung Wupper- hofes in Italien geholfen hatten, für ihren Aufenthalt 100 DM zu-
tals in einem sehr großen Umfang entsprochen wor- zahlen mußten?
den ist. Ist Herr Abgeordneter Peiter im Haus? — Nein; die
Frage wird schriftlich beantwortet.
Vizepräsident Dr. Dehler: Die Frage VIII/6 —
der Frau Abgeordneten Dr. Diemer-Nicolaus —: Ich rufe auf die Frage VIII/8 — des Herrn Abge-
ordneten Wittrock —:
Ist es richtig, daß in Hechingen Gipser ihre bisherigen Arbeits-
plätze aufgekündigt haben, weil ihnen für Bundeswehrbauten Wann wird die Bundesregierung die nach § 13a Abs. 2 des
ein Monatsverdienst von 1500 DM zugesichert wurde? Wehrpflichtgesetzes erforderliche Rechtsverordnung erlassen?

Bitte, Herr Minister! Bitte, Herr Bundesverteidigungsminister!


3408 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963

von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: und Apotheken. Sendungen mit Arzneimitteln, die eilbe-
dürftig sind, müssen daher entweder als Briefsendung (bis
Die Bundesregierung hat die Verordnung über die 1000 g) oder als Päckchen mit besonderem Eilzustellverlangen
aufgegeben werden.
für Dienstleistungen im zivilen Bevölkerungsschutz
vorgesehenen Wehrpflichtigen nach § 13 a Abs. 2 Ich rufe auf die Frage X/3 — des Herrn Abgeord-
des Wehrpflichtgesetzes am 4. März 1963 dem Bun- neten Kahn-Ackermann —:
desrat zugeleitet. Der Bundesrat hat in seiner Sit- Wie erklärt der Herr Bundespostminister die Tatsache, daß
zung am 5. April dieses Jahres beschlossen, der der von der Pressestelle der SPD im Bayerischen Landtag heraus-
gegebene „Sozialdemokratische Pressedienst" bei der Zustellung
Verordnung nach Maßgabe einiger Änderungen zu- an die Münchener Journalisten eine Postlaufzeit bis zu fünf
Tagen benötigt?
zustimmen.
Ist Herr Abgeordneter Kahn-Ackermann anwe-
Die Zustimmung des Kabinetts zu diesen Ände-
send? — Nein; die Frage wird auch nicht übernom-
rungsvorschlägen und Änderungswünschen des Bun-
men, sie wird also schriftlich beantwortet.
desrates wird zur Zeit dm Umlaufverfahren herbei-
geführt. Falls kein Widerspruch erhoben wird, kann Ich rufe auf die Frage X/4 — der Abgeordneten
mit der Verkündung der Verordnung im Laufe des Frau Dr. Diemer-Nicolaus —;
Monatsigerchwdn. Welchen Sinn soll die Regelung bei Briefdrucksachen haben,
daß, je nach Schreibweise, z. B. AGFA .als vier Wörter, Agfa
bzw. agfa als ein Wort oder Frankfurt am Main bzw. FFM als
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage, drei Wörter, Ffm als ein Wort oder 12 DM 45 Pf als drei
Wörter, 12,45 DM als zwei Wärter, 12,45* als null Wörter be-
Herr Abgeordneter Wittrock! rechnet werden?

Bitte, Herr Minister!


Wittrock (SPD) : Herr Minister, wird auf eine
größtmögliche Beschleunigung hingewirkt? In letz- Stücklen, Bundesminister für das Post- und
ter Zeit sind auf Grund der Praxis der Kreiswehr- Fernmeldewesen: Im Gegensatz zum Brief und zur
ersatzämter hinsichtlich der Freistellung von Ange- Postkarte darf die gebührenbegünstigte Drucksache
hörigen des Luftschutzhilfsdienstes Schwierigkeiten nur einen bestimmten Inhalt haben, der angesichts
eingetreten, Schwierigkeiten, deren Auftreten übri- des postalischen Massenverkehrs leicht überprüfbar
gens in Widerspruch zu einem Erlaß des Bundes- sein muß. Diese Prüfung ist bei ausschließlich ge-
innenministers vom 26. Juni 1962 steht. drucktem Inhalt verhältnismäßig einfach, weil sich
mit einem Blick übersehen läßt, auf welche Weise
von Hassel, Bundesminister der Verteidigung: der Text hergestellt wurde. Jede Ausnahme von
Herr Abgeordneter, ich kann nur betonen, daß jeder diesem Grundsatz erschwert die Prüfung.
das Interesse daran hat, daß diese Verordnung so
schnell wie möglich verabschiedet wird. Aber es Die bisher geltenden Bestimmungen über die
braucht Zeit, zu den Punkten Stellung zu nehmen, hand- oder maschinenschriftliche Nachtragung von
die der Bundesrat einzufügen bittet. Wörtern oder Buchstaben auf Drucksachen haben
sich als zu kompliziert für eine Nachprüfung im
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen, Massenverkehr erwiesen; das gilt insbesondere für
Herr Minister. Nachtragungen, die aus Abkürzungen bestehen. Es
mußte deshalb eine einfachere Regelung gefunden
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäfts- werden, die im Grundsatz nur darin bestehen kann,
bereich des Bundesministers für das Post- und Fern- die Zulässigkeit von Nachtragungen von rein äuße-
meldewesen. ren, leicht erkennbaren und deshalb leicht nach-
Ich rufe auf die Fragen X/1 und X/2 — der Abge- prüfbaren Merkmalen abhängig zu machen. Dabei-
ordneten Frau Blohm —: muß in Kauf genommen werden, daß eine solche
Ist dem Herrn Bundespostminister bekannt, daß besonders Regelung ihren Sinn lediglich durch betriebliche Er-
beim Hersteller von den Apotheken angeforderte Sendungen
mit dringend benötigten Arzneimitteln, die in kleinen Mengen
fordernisse erhält. Das ist auch bei den von Ihnen
als Päckchen versandt werden, nachweislich eine Beförderungs- angeführten Beispielen der Fall. Die Regelung be-
zeit häufig bis zu einer Woche benötigen?
steht hier darin, daß bei Wortkürzungen jeder Groß-
Ist der Herr Bundespostminister bereit, die zuständigen Stellen buchstabe allein oder mit nachfolgenden Kleinbuch-
bzw. die Postämter anzuweisen, daß in Zukunft Päckchen, die
den Aufdruck „Arzneimittel" tragen, bevorzugt befördert wer- staben, jeder Kleinbuchstabe oder mehrere Klein-
den, um zu verhindern, daß eine baldige notwendige Heilbe-
handlung zum Schaden kranker Menschen u. U. zu spät erfolgt? buchstaben, soweit sie nicht durch ein Zeichen oder
einen Abstand voneinander getrennt sind, als ein
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beant-
Wort zu rechnen sind und die Ziffern nicht zählen.
wortung einverstanden erklärt. Die Antwort des
Eine Nachprüfung, ob die Briefdrucksache deshalb
Herrn Staatssekretärs Dr. Steinmetz vom 18. April
1963 lautet: den Vorschriften entspricht, ist hier leicht, schnell
und zweifelsfrei durchzuführen.
1. Die Zahl der täglich anfallenden Päckchen ist so groß, daß
die Päckchen im Fernverkehr aus beförderungstechnischen
Gründen im allgemeinen über zentrale Bearbeitungsstellen
geleitet und wie Pakete in Güterwagen der Deutschen Bun- Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage,
desbahn befördert werden müssen. Aus diesem Grunde be-
nötigen Päckchen oft eine längere Beförderungszeit als Briefe. Frau Abgeordnete Dr. Diemer-Nicolaus!
Ich habe jedoch angeordnet, daß die Päckchenbearbeitung ab
26. Mai 1963 (Fahrplanwechsel) auf das neue Postleitzahl
system umgestellt und gleichzeitig die Zahl der zentralen
Bearbeitungsstellen vermehrt wird. Dadurch wird die Bearbei-
Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) : Herr Mini-
tung erleichtert und vor allem auch die Beförderung be- ster, glauben Sie, daß es der Bevölkerung verständ-
schleunigt werden.
lich ist, warum je nach Schreibweise AGFA, also
2. Sendungen mit Dringlichkeitsvermerken des Absenders kön-
nen aus Gründen einer gleichmäßigen Behandlung aller Post- vier große Buchstaben, als vier Wörter und agfa,
kunden nicht bevorzugt behandelt und beschleunigt befördert
werden. Das gilt auch für Sendungen mit dem Vermerk
also vier kleine Buchstaben, als ein Wort und warum
„Arzneimittel" im Verkehr zwischen Arzneimittelherstellern 12,45 DM je nach Schreibweise bei 12 DM 45 Pf als
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963 3409
Frau Dr. Diemer-Nicolaus
drei Wörter, bei 12,45 DM als zwei Wörter und Stücklen, Bundesminister für das Post- und
bei 12,45* als null Wörter berechnet werden, und Fernmeldewesen: Nicht mehr, Herr Kollege Ritzel;
sind Sie wirklich der Meinung, daß die jetzige das haben wir schon.
Regelung einfacher ist? (Erneute Heiterkeit.)

Stücklen, Bundesminister für das Post- und


Fernmeldewesen: Frau Kollegin, ich habe soeben auf Vizepräsident Dr. Dehler: Wir kommen zu
diese Frage genau geantwortet. Ich darf aber er- den Fragen .aus dem Geschäftsbereich des Bundes-
gänzend sagen, daß wir eine ganz einfache über- schatzministers. Ich rufe die Frage XI/1 — des Herrn
sichtliche Drucksachenordnung für die gedruckten Abgeordneten Hörmann — auf:
Briefsachen haben; da ist die Regelung einfach und Ist das Bundesschatzministerium bereit, die Gebäude der ehe-
mit einem Blick übersehbar. Wir haben besonders maligen Kreispflegeanstalt an der Eschholzstraße in Freiburg
(Breisgau) wieder an den Landkreis Freiburg zurückzugeben?
den Wünschen der Wirtschaft entsprochen und
haben noch eine Zwischenstufe zwischen der reinen Zur Beantwortung hat der Herr Staatssekretär das
Drucksache, die heute mit 10 Pf frankiert werden Wort.
muß, und dem Brief, der mit 20 Pf frankiert werden
muß, geschaffen, nämlich die sogenannte Briefdruck-
Qualen, Staatssekretär im Bundesschatzministe-
sache. Für diese Briefdrucksache ist die Ordnung rium: Das Deutsche Reich hat durch Kaufvertrag
so gefunden worden, daß man nicht durch Abzählen vom 4. November 1941 die frühere Kreispflege-
der einzelnen Buchstaben oder durch Gegenüberstel- anstalt in Freiburg vom Landkreis Freiburg für
lung des einen oder anderen Textes die Überein- 670 000 RM erworben und dann zu einem Wehr-
stimmung mit den Vorschriften festzustellen braucht, machtlazarett um- und ,ausgebaut. Die Lazarett-
sondern daß mit einem Blick erkennbar ist, ob es anlage wurde im Jahre 1945 von der französischen
sich um ein Wort oder um mehrere Wörter handelt. Besatzungsmacht beschlagnahmt. Von diesem Zeit-
Diese Regeln sind aufgestellt worden. Es tut mir p u nkt ab und auch heute noch dient sie den franzö-
außerordentlich leid, daß wir bei diesem Entgegen- sischen Stationierungsstreitkräften als Militärlaza-
kommen natürlich auch gewisse Einschränkungen
rett.
vorsehen mußten.
Das Finanzministerium Baden-Wurtttemberg hat
Vizepräsident Dr. Dehler: Noch eine Zusatz- im August 1962 die Anerkennung ides Rückfallrechts
frage! des Landkreises Freiburg an der Liegenschaft nach
§ 5 des Reichsvermögen-Gesetzes vom 16. Mai 1961
Frau Dr. Diemer-Nicolaus (FDP) : Wäre es aber beantragt. Dem Antrag konnte nicht entsprochen
nicht doch eine weitere Vereinfachung, wenn bei werden, weil die Liegenschaft dem Deutschen Reich
der Berechnung diese Unterscheidung zwischen im Jahre 1941 nicht unentgeltlich übereignet worden
Groß- und Kleinbuchstaben wegfiele? ist und weil sie auch heute noch für Zwecke der
Verteidigung benötigt und benutzt wird. Danach
sind die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Rück
Stücklen, Bundesminister für das Post- und fallrecht deis Landkreises Freiburg nicht gegeben.
Fernmeldewesen: Das wäre keine weitere Erleichte-
Sollten die französischen Stationierungsstreitkräfte
rung, denn dann müßte man ja die einzelnen Wörter die Liegenschaft freigeben und die Bundeswehr sie
mit den Kleinbuchstaben abzählen. Das wollten wir dann nicht für eigene Zwecke beanspruchen, wäre-
uns ersparen. das Bundesschatzministerium b er eit, die Anlage dem
Landkreis Freiburg käuflich zu Überlassen.
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
des Herrn Abgeordneten Ritzel.
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage,
Ritzel (SPD) : Herr Bundespostminister, darf ich Herr Abgeordneter Hörmann.
fragen: Wie würden Sie danach die Abkürzung MdB
berechnen?
(Heiterkeit.) Hörmann (Freiburg) (SPD) : Herr Staatssekretär,
ist Ihnen bekannt, daß bei (dem damaligen Kaufpreis
Stücklen, Bundesminister für das Post- und von 670 000 RM erheblich unter dem Mindestver-
Fernmeldewesen: Natürlich als „ein großes Wort". kehrswert abgeschlossen wurde, der zu jener Zeit
über 2 Millionen RM betrug?

Ritzel (SPD) : Als ein großes Wort wie Bundes-


tagsabgeordneter? Qualen, Staatssekretär im Bundesschatzministe-
rium: Das ist mir nicht bekannt.
Stücklen, Bundesminister für das Post- und
Fernmeldewesen: Ja!
Hörmann (Freiburg) (SPD) : Wären Sie bereit,
das nachzuprüfen und vielleicht, wenn eine Rück-
Ritzel (SPD) : Darf ich eine zweite Frage stellen: gabe an den Landkreis nicht möglich ist, ihm durch
Ist dieses System patentfähig? entsprechende finanzielle Mittel beim Neubau einer
(Heiterkeit.) Kreispflegeanstalt zu helfen?
3410 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963

Qualen, Staatssekretär im Bundesschatzministe- lionen DM verausgabt und darüber hinaus bis zum
rium: Ich bin b ereit, diese beiden Fragen zu prüfen. Ende des Rechnungsjahres 1962 weitere 4,65 Mil-
lionen DM durch erteilte Aufträge gebunden. Die
Vizepräsident Dr. Dehler: Frage XI/2 — des zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel wurden
Herrn Abgeordneten Hörmann —: damit voll in Anspruch genommen.
Ist dem Bundesschatzministerium bekannt, daß die Bettennot
der Freiburger Medizinischen Universitätsklinik in wesentlichem
Umfange gemildert werden könnte, wenn wenigstens zwei
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage,
Pavillons der ehemaligen Kreispflegeanstalt (heute französisches Herr von Mühlen.
Garnisonslazarett) für die Aufnahme von pflegebedürftigen
älteren Menschen hergerichtet werden könnten?

Bitte, Herr Staatssekretär. Freiherr von Mühlen (FDP) : Herr Staatssekre-


tär, ist es Ihrem Ministerium möglich, bei der künf-
Qualen, Staatssekretär im Bundesschatzministe- tigen Planung der Wiederaufbauarbeiten des Reichs-
rium: Dem Bundesschatzministerium ist die Betten tages in Berlin dafür Sorge zu tragen, daß die
not der Freiburger Medizinischen Universitätsklinik Arbeiten so angelegt werden, daß möglichst rasch
für die in Berlin tagenden Bundestags-Ausschüsse
bekannt. Der Herr Bundesminister der Finanzen,
der für die Deckung des Bedarfs der Stationierungs- in dem ehemaligen Reichstagsgebäude Räume zur
Verfügung stehen und das etwas unwürdige Noma-
streitkräfte an Liegenschaften zuständig ist, hat
mich dahin unterrichtet, daß ihm nicht bekannt sei, dendasein der Ausschüsse während ihrer Berliner
ob die französischen Streitkräfte auf einen Teil der Sitzungen möglichst bald beendet werden kann?
Anlage, die in den Jahren 1952 und 1958 erweitert
worden ist, zur Zeit verzichten können. Ein Frei- Qualen, Staatssekretär im Bundesschatzministe-
gabeantrag des Landes Baden-Württemberg liege rium: Ich denke s o zu verfahren. Die Wiederaufbau-
ihm nicht vor. Deshalb seien auch bisher mit den arbeiten haben gezeigt, daß die Wiederherstellung
französischen Streitkräften Verhandlungen über mit Rücksicht auf den großen Zerstörungsgrad un-
eine Freigabe nicht eingeleitet worden. gemein schwierige statische Probleme aufwirft. Es
Der Herr Bundesminister der Finanzen wird aber hat sich gezeigt, daß massive tragende Gebäude-
nun in Verbindung mit dem Land Baden-Württem- teile zum Teil bis zu 60 cm ausgehöhlt sind. Das
berg die Möglichkeiten einer wenigstens teilweisen muß im einzelnen untersucht werden. Hohlräume
Freigabe für die genannten Zwecke prüfen. müssen aufgefüllt werden. Alles dies trägt zu einer
erheblichen Verzögerung bei. Es tritt hinzu, daß
nun auch noch nicht ein vollständiges Raumpro-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage, gramm, insbesondere hinsichtlich des Plenarsaals,
Herr Abgeordneter Hörmann. vorliegt. Es wird aber mit allem Nachdruck vor
allem an der Wiederherstellung des Südflügels ge-
Hörmann (Freiburg) (SPD) : Würden Sie bei die- arbeitet, in dem ja Repräsentations- und Sitzungs-
ser Gelegenheit bitte auch mit prüfen, ob nicht ein räume für Ausschüsse erstellt werden sollen. Zur
Teil der 35 Gebäude seit geraumer Zeit leersteht Zeit sind 200 Arbeiter tätig. Die Bauverwaltung
und unbenutzt ist? wird alles daran setzen, daß noch im Laufe dieses
Jahres bis zum Herbst die Arbeiten im Südflügel
Qualen, Staatssekretär im Bundesschatzministe- abgeschlossen sind.
-
rium: Ich werde die Bitte um Prüfung an den Herrn
Bundesfinanzminister weiterleiten. Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Zu-
satzfrage, Herr von Mühlen.
Vizepräsident Dr. Dehler: Frage XI/3 — des
Herrn Abgeordneten Freiherr von Mühlen —: Freiherr von Mühlen (FDP) : Kann man damit
Aus welchen Gründen sind von den im Bundeshaushalt Einzel- rechnen, daß bis zum Ende dieses Jahres zumindest
plan 24 Kap. 03 Tit. 712 für die Wiederherstellung des Reichs-
tagsgebäudes in Berlin vorgesehenen Mittteln aus dem Jahre 1963 die Ausschußräume in Gebrauch genommen werden
5 719 537,49 DM aufgelaufen und nicht verbaut worden? können?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Qualen, Staatssekretär im Bundesschatzministe-
Qualen, Staatssekretär im Bundesschatzministe- rium: Ja, ich rechne damit.
rium: Ich nehme an, daß sich die Frage auf die Mit-
tel des Rechnungsjahres 1962 bezieht und nicht auf Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage,
die des Rechnungsjahres 1963, das noch nicht läuft. Herr Abgeordneter Ritzel.
Ich glaube, das ist ein Druckfehler.
Zur Sache ist folgendes zu sagen. Im Rechnungs- Ritzel (SPD) : Herr Staatssekretär, fehlt es an
jahr 1962 standen für die Wiederherstellung des
Arbeitskräften, um diese Arbeiten am alten
ehemaligen Reichstagsgebäudes in Berlin einschließ-
Wallotgebäude etwas rascher voranzutreiben?
lich eines Ausgaberestes aus dem Rechnungsjahr
1961 von rund 3,9 Millionen DM nach Abzug der
gesperrten 20 % gemäß § 8 des Haushaltsgesetzes Qualen, Staatssekretär im Bundesschatzministe-
1962 insgesamt rund 7,1 Millionen DM zur Verfü- rium: Es hat bisher nicht an Arbeitskräften gefehlt,
gung. Von diesen Mitteln wurden rund 2,45 Mil- Herr Abgeordneter.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963 3411

Ritzel (SPD) : An was hat es denn eigentlich ge- Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf die
fehlt? Es hätte doch sehr viel rascher gehen können. Frage XII/3 — des Herrn Abgeordneten Dr. Gleiss-
ner —:
Qualen, Staatssekretär im Bundesschatzministe- Trifft es zu, daß das Bundesgesundheitsministerium in die
Zuständigkeit der Länder eingreift, indem es bei der Förderung
rium: Ich habe mir soeben erlaubt, auf die Gründe von Abwasseranlagen mit ERP-Krediten die zu fördernden Einzel-
hinzuweisen, die zu den Verzögerungen geführt ha- objekte selbst auswählt?

ben. Bitte, Frau Ministerin.

Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen, Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
Herr Staatssekretär. sundheitswesen: Im Einvernehmen mit dem für die
Wir kommen zu den Fragen aus dem Geschäfts- Verwaltung des ERP-Sondervermögens zuständigen
bereich des Bundesministers für Gesundheitswesen. Herrn Bundesschatzminister muß ich die Frage ver-
neinen. Im Rahmen des Gewässerschutzprogramms
Frage XII/1 — des Herrn Abgeordneten Dr. im ERP-Sondervermögen werden die mit ERP-Kre-
Gleissner —: diten zu fördernden Einzelprojekte von den für die
Welche Konsequenzen ergeben sich für das Bundesgesundheits- Wasserwirtschaft zuständigen obersten Landesbe-
ministerium aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom
30. Dezember 1962 über das Gesetz zur Reinhaltung der Bundes- hörden vorgeschlagen. Die obersten Landesbehör-
wasserstraßen vom 17. August 1960?
den sind gebeten worden, die Anträge in der Rei-
Bitte, Frau Minister. henfolge ihrer Dringlichkeit vorzulegen, damit auch
insoweit die Wünsche der Länder bei der Auswahl
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge- der Projekte berücksichtigt werden können.
sundheitswesen: Aus dem Urteil des Bundesverfas-
sungsgerichts vom 30. Oktober 1962, durch welches Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage,
das Gesetz zur Reinhaltung der Bundeswasserstra- Herr Abgeordneter Dr. Gleissner.
ßen für verfassungswidrig erklärt worden ist, er-
geben sich für das Bundesministerium für Gesund- Dr. Gleissner (CDU/CSU) : Frau Bundesministe-
heitswesen keine unmittelbaren Konsequenzen, weil rin, ist es richtig, daß sich die Länder dem Vertei-
die Verwaltung der Bundeswasserstraßen zum Ge- lungsverfahren für diese ERP-Mittel widersetzt ha-
schäftsbereich des Bundesverkehrsministeriums ge- ben und zum Teil noch widersetzen? Ich darf viel-
hört. leicht eine zweite Zusatzfrage hinzufügen: Warum
Mittelbar hat der Wegfall dieses Gesetzes zur kann der Wunsch der Länder nicht erfüllt werden,
Folge, daß für die Gesetzgebung auf dem Gebiet die ERP-Mittel in Länderkontingente aufzuteilen?
der Wasserwirtschaft — soweit sie noch zur Bun- Denn die im Rahmen dieser Kontingente zu fördern-
deskompetenz gehört — das Bundesministerium für den Einzelprojekte könnten doch von den Ländern
Gesundheitswesen federführend zuständig ist. nach Einplanung dem Bundesministerium für Ge-
sundheitswesen entsprechend bekanntgegeben wer-
den.
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf die
Frage XII/2 — des Herrn Abgeordneten Dr. Gleiss
ner — : Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
Welche Aufgaben verbleiben dem Bundesgesundheitsministe- sundheitswesen: Ich glaube, daß sich die Länder-
rium auf Grund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom dem nicht widersetzen; davon ist mir jedenfalls
30. Dezember 1962, nach welchem dem Bund nur die Befugnis
zum Erlaß von Rahmenvorschriften für den Wasserhaushalt nach nichts bekannt. Wir berücksichtigen die Vorschläge
Artikel 75 Nr. 4 GG zusteht, während im übrigen die Wahr-
nehmung der staatlichen Aufgaben und Befugnisse auf dem Ge- der Länder, und da es ERP-Mittel sind, über die der
biet der Wasserwirtschaft bei den Ländern liegt? Bund verfügt, lassen sich die Dinge wohl kaum
Bitte, Frau Ministerin. anders regeln, als daß der Bund die endgültige Ent-
scheidung trifft. Ohne einen engen Kontakt mit den
Ländern wird in dieser Sache nie verfahren.
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
sundheitswesen: Die Aufgaben des Bundesministe-
riums für Gesundheitswesen werden durch das Ur- Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf die
teil des Bundesverfassungsgerichts nicht berührt. Frage XII/4 — des Herrn Abgeordneten Börner —:
Seine Zuständigkeit für die allgemeinen Fragen der Ist der Bundesregierung bekannt, daß die von Italien nach
Wasserwirtschaft und des Wasserrechts und die Fe- Süddeutschland geplante Ö lleitung auf mehrere Kilometer Länge
durch den Bodensee verlegt werden soll?
derführung in der Vertretung dieser Fragen gegen-
über anderen Staaten, internationalen Gemeinschaf- Bitte, Frau Ministerin.
ten, den Ländern sowie Fach- und Wirtschaftsver-
bänden stehen in keinem Zusammenhang mit dean Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
für nichtig erklärten Gesetz zur Reinhaltung der sundheitswesen: Der Bundesregierung ist die Frage,
Bundeswasserstraßen, und sie werden auch von den die Sie stellen, durch Pressemitteilungen bekannt-
Grüniden dieses Urteils nicht betroffen. Das gleiche geworden.
gilt für die sonstigen dem Bundesministerium für
Gesundheitswesen obliegenden Aufgaben, insbe-
sondere auf dem Gebiet der Notstandsgesetzgebung Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage,
und der zivilen Notstandsplanung. Herr Abgeordneter Börner.
3412 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963

Börner (SPD) : Frau Ministerin, sind Sie nicht der Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
Meinung, daß dieses Projekt einer ernsthaften Prü- sundheitswesen: Wir haben die Frage in der Inter-
fung bedarf im Hinblick auf die Gefahr der Ver- nationalen Kommission zur Sprache gebracht, und
seuchung großer Trinkwasservorräte, die e s mit die Länder wissen, daß wir bereit sind, uns hier
sich bringt, und meinen Sie nicht auch, daß deshalb mit zu engagieren und mit einzusetzen. Das gilt
die Bundesregierung, wenn sie gesetzliche oder an- auch für das Land, aus dem Sie kommen, Herr
dere Möglichkeiten hat, gegen diesen Plan einschrei- Kollege. Wir sind aber zunächst einmal daran ge-
ten müßte? bunden, den Wunsch der Länder in dieser Frage
abzuwarten.
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
sundheitswesen: Ich bin mit Ihnen der Meinung, Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage,
daß es sich um eine Frage handelt, die ernstlicher Herr Abgeordneter Matthöfer.
Prüfung bedarf.
Matthöfer (SPD) : Frau Ministerin, verstehe ich
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter Sie richtig, daß Sie bisher in dieser Angelegenheit
Börner, noch eine Zusatzfrage. noch nichts unternommen haben und auch nichts zu
unternehmen gedenken, bis die Länder an Sie heran-
Börner (SPD) : Welche konkreten Maßnahmen treten?
hat Ihr Haus oder eine andere Dienststelle der Bun-
desregierung bisher getroffen, um eine etwaige Ver- Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
seuchung zu verhindern? sundheitswesen: Das habe ich nicht gesagt, sondern
ich habe gesagt, daß wir bereit sind, daß wir die
Sache von uns aus bei der Kommission zur Sprache
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
gebracht haben und daß wir mit den Ländern in der
sundheitswesen: Entsprechend der Verteilung , der
Angelegenheit in Verbindung stehen.
Zuständigkeiten handelt es sich hier zunächst um
Aufgaben der Länder Baden-Württemberg und
Bayern. Die Strecke, die von Ihnen für besonders Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf die
bedenklich gehalten wird, liegt nicht auf deutschem, Frage XII/5 — des Abgeordneten Börner — :

sondern auf österreichischem Gebiet. Wieviel Gemeinden entnehmen z. Z. für die


sorgung Wasser aus dem Bodensee?
Trinkwasserver-

Bitte, Frau Ministerin!


Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
Dr. Schäfer, eine Zusatzfrage.
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
sundheitswesen: Auf deutscher Seite bestehen zehn,
Dr. Schäfer (SPD) : Frau Ministerin, nachdem der
auf schweizerischer Seite zwölf Gemeindewasser-
Bundesregierung das Projekt bekanntgeworden
werke, auf österreichischer Seite, soweit mir be-
ist, wie Sie zunächst sagten, und nachdem auch Sie
kannt ist, keines. Außerdem besteht auf deutscher
der Meinung sind, daß man die Frage prüfen muß,
Seite die Bodensee-Fernwasserversorgung, die von.
muß ich Sie nun ganz konkret fragen: Was haben
Sipplingen aus Bodenseewasser bis in den Stuttgar-
Sie getan? Jetzt verweisen Sie auf die Länderzu-
ter Raum hinein und nach Heilbronn pumpt. Mehr
ständigkeit, sagen aber gleichzeitig, es ist gar nicht
als 25 Städte und Gemeinden sind daran angeschlos-
in der Länderzuständigkeit, sondern es ist in der sen.
Zuständigkeit des Auslandes. Es handelt sich immer-
hin um das größte Wasserreservoir ganz Süddeutsch-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
lands!
des Herrn Abgeordneten Börner.
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge- Börner (SPD) : Frau Ministerin, wie viele Men-
sundheitswesen: Ich bin an die Zuständigkeitsver-
schen würden bei einer eventuellen Verseuchung
teilung zwischen Bund und Ländern gebunden, wie
des Bodensees durch einsickernde Ölrückstände die-
sie von dem Grundgesetz geordnet ist. Da haben
ser Leitung von der Verschmutzung ihres Trink-
zunächst einmal die Länder ihre Interessen auf
wassers betroffen?
diesem Gebiet in bezug auf den Bodensee, der nicht
Bundeswasserstraße ist, zu wahren, und das tun sie
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
auch. Sobald die Länder Baden-Württemberg und sundheitswesen: Herr Kollege, die Einwohnerzah-
Bayern es wünschen, sind wir vom Bund aus selbst- len der betreffenden Gemeinden, die ich Ihnen hier
verständlich bereit, ihre Bemühungen zu unter- aufzählen kann, habe ich allerdings noch nicht
stützen, bei der Sicherung der Wasserversorgung addiert. Ich kann Ihnen die Gemeinden nennen —
mit Rücksicht auf den Bau der Ölleitung auf öster- und daraus ergibt sich, daß es eine sehr große Zahl
reichischem Gebiet mit einzuwirken. von Menschen ist —: Lindau, Friedrichshafen, Im-
menstadt, Hagenau, Meersburg, Ueberlingen, Lud-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Zu- wigshafen, Konstanz usw. Die Zahl der Menschen
satzfrage, Herr Dr. Schäfer. will ich Ihnen gerne schriftlich mitteilen.

Dr. Schäfer (SPD) : Heißt das also, daß Sie vor- Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage
läufig keine Tätigkeit entfalten werden? des Herrn Abgeordneten Börner.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963 3413

Börner (SPD) : Frau Ministerin, wenn ich aus Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
Ihren bisherigen Antworten zu diesem Komplex fol- sundheitswesen: Diese Frage ist durch die bisher
gern darf, daß Sie sich der Bedeutung dieser Frage gegebenen Antworten auf Zusatzfragen zum Teil
für die Gesunderhaltung des Trinkwassers im süd- schon erledigt. Ich bin aber gern bereit, noch einmal
westdeutschen und süddeutschen Raum bewußt im Zusammenhang auf diese Frage zu antworten.
sind, darf ich an dieser Stelle die Frage aufwerfen, Wir haben nach der verfassungsrechtlichen Situa-
ob die bestehenden internationalen Konventionen, tion keine Möglichkeit, von uns aus den Bau der
die die Bundesregierung mit den Bodensee-Anlie- Ölleitung, die im österreichischen Hoheitsgebiet
gerstaaten abgeschlossen hat, nicht die Handhabe streckenweise am Ufer des Bodensees entlangläuft,
geben oder sogar die Verpflichtung auferlegen, bei zu verhindern. Die Reinhaltung des Bodensees ist
einer Gefährdung des Trinkwassers für diesen gro- Sache der Anliegerstaaten, der Schweiz und Öster-
ßen Bevölkerungskreis unverzüglich, und zwar ohne reich, und in der Bundesrepublik der Anliegerländer,
Rücksicht auf ein eventuelles Initiativrecht des be- Bayern und Baden-Württemberg. Diese haben zur
troffenen Landes, tätig zu werden? Erreichung dieses Ziels, gestützt auf Art. 32 Abs. 3
des Grundgesetzes, mit Zustimmung der Bundes-
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge- regierung mit den Anliegerstaaten, der Schweiz und
sundheitswesen: Ich bin der Meinung, Herr Kollege, Österreich, ein Übereinkommen über den Schutz
daß wir diese Möglichkeit nicht haben, sondern des Bodensees gegen Verunreinigung getroffen und
rechtlich gebunden sind, mit Rücksicht auf die Kom- die internationale Gewässerschutzkommission für
petenzen der Länder in einem Zusammenwirken mit den Bodensee ins Leben gerufen. Innerhalb dieser
den Ländern zu handeln, wie wir es auch tun. Kommission sind wir auch immer wieder mit diesen
Fragen befaßt. Wir wären selbstverständlich bereit,
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage wenn die Länder Baden-Württemberg und Bayern
des Herrn Abgeordneten Dr. Schäfer. es wünschen, sie in ihren Bemühungen zu unter-
stützen, ein Höchstmaß von Sicherheit beim Bau
Dr. Schäfer (SPD) : Frau Ministerin, neben der und Betrieb der Ölleitung auf dem österreichischen
Öldurchleitung gibt die Verseuchung des Bodensees
Gebiet zu erreichen.
durch die Abwasserzuleitung zu Sorgen Anlaß.
Sind die internationalen Abkommen mit den An-
rainerstaaten so gestaltet, daß für die Zukunft die Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage,
Zuleitung der Abwässer, insbesondere der Industrie- Abgeordneter Börner.
abwässer, geregelt ist?
Börner (SPD) : Frau Ministerin, welche inter-
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge- nationale Gruppe betreibt den Bau dieser Ölleitung,
sundheitswesen: Über diese Fragen wird ständig und ist es richtig, daß die gleiche Gruppe auch ver-
verhandelt. Wir hoffen, daß wir mit der Zeit hier sucht hat, im Raum Lindau auf deutschem Hoheits-
mehr und mehr Schutz gewinnen. Im Laufe der gebiet die Leitung am Ufer des Bodensees vorbei zu
letzten Jahre hat sich schon vieles gebessert. legen?

Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage, Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
Herr Dr. Schäfer. sundheitswesen: Der Name der internationalen
Gruppe, die dies betreibt, ist in unserem Hause
Dr. Schäfer (SPD) : Sind Ihnen die wissenschaft- nicht bekannt. Ich will aber gern versuchen, Ihre
lichen Gutachten bekannt, die von der laufenden Frage schriftlich zu beantworten.
Verseuchung sprechen, und was hat das Bundes-
gesundheitsamt hierzu veranlaßt?
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage,
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge- Abgeordneter Börner.
sundheitswesen: Die wissenschaftlichen Gutachten
sind uns bekannt. Wir stehen in ständigen Verhand- Börner (SPD) : Darf ich darauf hinweisen, Herr
lungen. Wir geben auch erhebliche Mittel für die Präsident, daß der zweite Teil meiner Frage noch
Errichtung von Kläranlagen, und zwar von biolo- nicht beantwortet ist: ob auch auf deutscher Seite
gischen Kläranlagen, gerade an Gemeinden in die- der Versuch gemacht worden ist, Bodensee-Ufer-
sem Raum. Ich nenne hier Lindau und Singen. In gelände für den Bau dieser Ölleitung zu gewinnen?
Vorbereitung sind Kläranlagen in Radolfszell, Kon-
stanz und Friedrichshafen. Das sind Unternehmun-
gen, die alle mit unserer Hilfe und in Fühlungnahme Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
mit uns vor sich gehen. sundheitswesen: Ich habe Ihre Frage akustisch nicht
verstanden.
Vizepräsident Dr. Dehler: Frage XII/6 — des
Herrn Abgeordneten Börner —: Börner (SPD) : Ich habe gefragt, ob von der
Hat die Bundesregierung die Absicht, im Hinblick auf die Gruppe, die die Ölleitung baut, der Versuch ge-
Bedeutung des Bodensees als Trinkwasserreservoir für Süd-
deutschland den Bau einer Ölleitung durch den Bodensee oder macht worden ist, auch auf deutschem Hoheitsgebiet
an dessen Ufer zu verhindern? die Leitung an das Ufer des Bodensees oder durch
Frau Ministerin. den See zu verlegen?
3414 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963

Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge- Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
sundheitswesen: Davon ist mir nichts bekannt. Bis sundheitswesen: Ja, der Meinung bin auch ich. Ich
jetzt liegt jedenfalls an dem deutschen Bodensee- habe auch in meiner Antwort von Jugend-
Ufer keine Leitung. Es ist mir nichts davon bekannt, zahnpflege gesprochen.
daß eine gelegt werden soll.
Vizepräsident Dr. Dehler: Frage XII/9 — des
Vizepräsident Dr. Dehler: Sie haben noch eine Herrn Abgeordneten Dr. Hamm —:
Frage, Abgeordneter Börner. Bitte sehr. Wird die Bundesregierung dem Bundestag unverzüglich den
Entwurf eines Gesetzes über Jugendzahnpflege vorlegen?

Borner (SPD) : Frau Ministerin, würden Sie, nach- Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
dem Sie jetzt Ihre Absichten in dieser Frage aus- sundheitswesen: Die Bundesregierung plant, die
reichend dargelegt haben, mit mir darin überein- Jugendzahnpflege im Rahmen eines Gesetzes zu
stimmen, daß zumindest, soweit die Bundesregie- regeln, das alle vordringlichen Maßnahmen einer
rung oder ein deutsches Bundesland beteiligt ist, vorbeugenden und nachgehenden Gesundheitshilfe
versucht werden muß, die Leitungen auf deutschem zum Inhalt hat. Sie ist aber auch bereit, die Mög-
Hoheitsgebiet möglichst weit weg von dem Ufer lichkeit zu prüfen, ob dieser Komplex nicht durch
des Bodensees und damit weit weg von einer mög- ein Sondergesetz vorweggenommen werden soll,
lichen Trinkwassergefährdung zu verlegen? sofern sich die Vorarbeiten an dem gesamten Ge-
setzentwurf in die Länge ziehen sollten.
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
sundheitswesen: Ich würde darauf hinwirken, daß Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage?
sie möglichst weit weg von dem Bodensee-Trink- — Herr Dr. Hamm.
wassergebiet und mit allen erdenklichen Sicherun-
gen gegen eine Verschmutzung von Trinkwasser ge- Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP) : Wann kann
legt werden. mit einer Realisierung dieser Pläne der Bundesre-
gierung gerechnet werden, Frau Ministerin?
Vizepräsident Dr. Dehler: Frage XII/7 — des
Herrn Abgeordneten Dr. Hamm —: Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
Ist der Bundesregierung bekannt, daß der Kariesbefall bel sundheitswesen: Ich habe die Absicht, noch in die-
Kleinkindern und Jugendlichen in bedrohlichem Maße zugenom-
men hat und Zahnstellungs- und Kieferanomalien im Kindesalter
sem Jahre den Entwurf eines solchen Gesetzes ein-
angestiegen sind? zubringen. Herr Kollege, Sie kennen die Schwierig-
keiten, die mit dem Neuaufbau eines Hauses und mit
dem Mangel an Mitarbeitern gerade in diesem
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge- Referat verbunden sind.
sundheitswesen: Herr Kollege Hamm, die erste
Frage wird mit Ja beantwortet.
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage.
Herr Dr. Hamm!
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage?
— Keine Zusatzfrage.
Frage XII/8 — des Herrn Abgeordneten Dr. Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FPD) : Frau Ministe-
Hamm —: rin, habe ich Sie richtig dahin verstanden, daß die
Planung eines Gesamtgesetzentwurfs, der also über
Teilt die Bundesregierung die Auffassung, daß wegen der
bedrohlichen Zunahme des Kariesbefalls bei Kleinkindern und das Problem der Jugendzahnpflege hinausgeht, kein
Jugendlichen eine unverzügliche gesetzliche Regelung der Jugend-
zahnpflege erforderlich ist? Hindernis dafür sein dürfte, daß die Jugendzahn-
pflegeregelung, wenn sie vorlagereif ist, allein vor-
gelegt wird, also als ein Schritt auf dem Wege zur
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge- Verwirklichung der Gesamtabsicht?
sundheitswesen: Der Bundesregierung ist bekannt,
daß die Jugendzahnpflege in den Ländern unter-
schiedlich gehandhabt wird; sie teilt daher auch Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
aus diesem Grunde die Auffassung, daß die Jugend- sundheitswesen: Genau das habe ich gesagt.
zahnpflege einer einheitlichen Regelung durch ein
Bundesgesetz bedarf. Vizepräsident Dr. Dehler: Ich rufe auf die
Frage XII/10 — des Abgeordneten Faller —:
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage Wieviel Fälle von Typhus hat es im Bundesgebiet im Anschluß
an die Zermatter Erkrankungen gegeben?
des Herrn Abgeordneten Dr. Hamm.
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beant-
wortung einverstanden erklärt. Die Antwort der
Dr. Hamm (Kaiserslautern) (FDP) : Frau Ministe- FrauBndesmitD.Schwarzupvom5Ail
rin, sind Sie nicht der Auffassung, daß das soge- 1963 lautet:
nannte Schulzahnpflegewesen durch die Jugend- Nach Mittteilung der für das Gesundheitswesen zuständigen
zahnpflege ergänzt werden muß, weil sich beides obersten Landesbehörden beträgt die Zahl der in der Bundes-
republik im Anschluß an einen Aufenthalt in Zermatt aufge-
nicht deckt? tretenen Typhus-Erkrankungen 21.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963 3415
Vizepräsident Dr. Dehler
Ich rufe auf die Frage XII/11 — des Abgeordneten Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
Faller —: sundheitswesen: Im Rahmen der amtlichen Lebens-
Werden ausländische Gastarbeiter, die aus dauernd typhus- mittelüberwachung wurde dem Staatlichen Veteri-
verdächtigen Gebieten stammen, vor der Arbeitsaufnahme in
gastgewerblichen oder Nahrungsmittel-Betrieben auf Typhusbak- näruntersuchungsamt Bremen am 19. November 1962
terien oder andere Ansteckungskrankheiten untersucht? ein Gefrierhühnchen amerikanischer Herkunft zur
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beant- Untersuchung eingeliefert, bei dem Salmonellen
wortung einverstanden erklärt. Die Antwort der nachgewiesen wurden. Verfolgsuntersuchungen er-
Frau Bundesminister Dr. Schwarzhaupt vom 5. April brachten in der befallenen Sendung bei 17 von 32
1963 lautet: untersuchten Tieren den Nachweis von Salmonellen.
Salmonellenfunde bei anderen Sendungen gleicher
Nach § 17 des Bundes-Seuchengesetzes vom 18. Juli 1961 dür-
fen Personen, die Herkunft sind bisher nicht bekanntgeworden, so daß
1. an Typhus abdominalis, Paratyphus A und B, Enteritis zu Rückschlüssen auf die Importe insgesamt gesund-
infectiosa (Salmonellose), Ruhr, Hepatitis infectiosa oder
Scharlach erkrankt oder dessen verdächtig sind,
heitspolitisch kein Anlaß besteht.
2. an ansteckungsfähiger Tuberkulose oder an ansteckenden Wir werden aber von uns aus alles uns Mögliche
Hautkrankheiten erkrankt sind,
dazu tun, daß Importgeflügel wie bisher einer gleich
3. Erreger von Typhus abdominalis, Paratyphus A und B,
Enteritis infectiosa (Salmonellose) oder Ruhr dauernd oder sorgfältigen Prüfung unterworfen wird wie im In-
zeitweilig ausscheiden oder dessen verdächtig sind, land erzeugtes Geflügel.
u. a. in gastgewerblichen Betrieben oder in den Zweigen des
Lebensmittelgewerbes, in denen eine Weiterverbreitung von
Infektionskrankheiten besonders zu befürchten ist, nicht be- Vizepräsident Dr. Dehler: Eine Zusatzfrage
schäftigt werden. § 18 dos Bundes-Seuchengesetzes schreibt vor,
daß Personen, die eine solche Tätigkeit aufnehmen wollen, sich des Herrn Abgeordneten Bauknecht.
einer ärztlichen Untersuchung auf die genannten Krankheiten
unterziehen müssen. Dies gilt auch für Ausländer.
Bauknecht (CDU/CSU) : Frau Ministerin, stimmt
Ich rufe auf die Frage XII/12 — des Abgeordneten es, daß bisher eine obligatorische Importkontrolle
Faller — : nicht stattgefunden hat und es dadurch möglich war,
Ist dem Bundesgesundheitsministerium bekannt, daß das Gebiet
von Lecce (Süditalien) als besonders typhusbedroht gilt, und
daß zwei Schiffsladungen bereits an den Handel im
sind aus jenem Raum in jüngster Zeit Arbeitskräfte in die Bundesgebiet abgegangen waren und dann die
Bundesrepublik gekommen?
ganzen Ladungen wieder zurückgezogen werden
Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beant- mußten?
wortung einverstanden erklärt. Die Antwort der
Frau Bundesminister Dr. Schwarzhaupt vom 5. April Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
1963 lautet: sundheitswesen: Herr Kollege Bauknecht, es wird
Dem Bundesministerium für Gesundheitswesen ist bekannt, bei der Einfuhr, also an der Grenze, durch die
daß in Süditalien Typhuserkrankungen verhältnismäßig häufig Lebensmittelüberwachung des betreffenden Landes
auftreten. Die vorliegenden Unterlagen lassen jedoch nicht er-
kennen, daß die Zahl der Typhuserkrankungen in der Provinz untersucht, aber nur stichprobenweise, und es ist
Lecce besonders hoch ist. selbstverständlich möglich, daß bei dieser Stich-
Nach den von der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und
Arbeitslosenversicherung getroffenen Feststellungen sind im
probenuntersuchung Fälle nicht entdeckt werden,
Jahre 1962 über die Deutsche Kommission in Italien 3748 Per- sondern erst im Lande beim Vertrieb festgestellt
sonen aus dem Arbeitsamtsbezirk Lecce vermittelt worden. Etwa
eine gleich große Zahl dürfte im Jahre 1962 aus diesem Bezirk werden.
ungelenkt, d. h. ohne Vermittlung durch die Deutsche Kom-
mission, in die Bundesrepublik gekommen sein. Für das Jahr 1963
stehen der Bundesanstalt noch keine Zahlen zur Verfügung. Es
ist jedoch anzunehmen, daß auch im Jahre 1963 aus dem Bezirk
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Zu-
Lecce laufend Arbeitskräfte vermittelt werden. satzfrage des Herrn Abgeordneten Bauknecht!
Ich rufe auf die Frage XII/13 — des Abgeordneten
Hörmann (Freiburg) —: Bauknecht (CDU/CSU) : Gibt dieser Fall nicht
Veranlassung, bei den Ländern dahin zu wirken,
Wer ist nach dem geltenden deutschen oder internationalen daß in jedem Fall laufend Kontrollen stattfinden,
Recht für die Schäden haftbar zu machen, die den deutschen
Typhuskranken entstanden sind, nachdem sie sich in Zermatt um die Bevölkerung zu schützen?
angesteckt haben?

Der Fragesteller hat sich mit schriftlicher Beant- Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
wortung einverstanden erklärt. Die Antwort der sundheitswesen: Unsere Absicht ist, die Länder auf
Frau Bundesminister Dr. Schwarzhaupt vom 5. April die Notwendigkeit hinzuweisen, und ich bin über-
1963 lautet: zeugt, daß die Länder die Nachprüfungen verstärken
Die Beurteilung der Frage der Schadenshaftung setzt die werden, um zu gewährleisten, daß Importgeflügel
Kenntnis der Umstände voraus, die die Typhusansteckung je-
weils ursächlich bewirkt haben. Hinsichtlich der Umstände, die der gleichen Überwachung und Sicherung unterliegt
die Ansteckungen in Zermatt herbeigeführt haben können, haben wie einheimisches Geflügel.
die Ermittlungen bisher kein eindeutiges Bild ergeben. Die zu-
ständigen schweizer Behörden prüfen zur Zeit noch, welche
Ursachen als Ansteckungsquelle in Betracht kommen. Solange
die Ermittlungen ein bestimmtes Ergebnis nicht erbracht haben, Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Zu-
läßt sich nicht beurteilen, welche Stelle für die eingetretenen satzfrage des Herrn Abgeordneten Bewerunge!
Schäden einzustehen hat.

Ich rufe auf die Frage XII/14 — des Herrn Abge- Bewerunge (CDU/CSU) : Frau Ministerin, trifft
ordneten Bauknecht —: es zu, daß die vom Staatlichen Veterinärunter-
Entsprechen die Pressemeldungen den Tatsachen, wonach im suchungsamt Bremen als infiziert festgestellten Brat-
Rahmen der amtlichen Lebensmittelüberwachung am 19. Novem-
ber 1962 bei einer Gefrierhühnchensendung aus USA von 32 hühner auf der Verpackung den Stempel trugen:
untersuchten Proben 17 mit Salmonellen befallen waren? „Durch das US-Landwirtschaftsministerium auf Ge-
Bitte, Frau Ministerin. sundheit überprüft"?
3416 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963

Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge- Dr. Dr. h. c. Dresbach (CDU/CSU) : Darf ich ein
sundheitswesen: Das kann ich nicht sagen, will es mal die Frage an die Frau Ministerin richten, was
aber gern feststellen. — Ich höre soeben, Herr Kol- das nun eigentlich für Biester sind?
lege, daß es zutrifft. (Heiterkeit.)
Ich fühle mich als Bundestagsabgeordneter einfa-
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Zu-
chen Grades nicht verpflichtet, veterinärpolizeiliche
satzfrage!
Kenntnisse zu haben.
Dr. Reinhard (CDU/CSU) : Frau Ministerin, trifft (Erneute Heiterkeit.)
es zu, daß amerikanische Wissenschaftler bereits
vor Jahren eine starke Verbreitung von Salmo- Ist das vielleicht etwas Ähnliches wie Trichinen?
nelleninfektionen in den amerikanischen Geflügel-
beständen festgestellt haben, und ist es richtig, daß Vizepräsident Dr. Dehler: An sich hat die
fast 30 % aller Lebensmittelvergiftungen in den Ver- Frau Ministerin Ihre Frage schon beantwortet, Herr
einigten Staaten, wie der Leiter des Staatlichen Abgeordneter Dresbach.
Veterinäruntersuchungsamtes Bremen, Dr. Rakow,
in dem auch von Ihnen erwähnten Artikel im
„Archiv für Lebensmittelhygiene" angibt, auf den Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
Genuß von Geflügelfleisch amerikanischer Erzeu- sundheitswesen: Ich bin bereit, zu antworten, daß es
gung zurückzuführen sind? sich um Bakterien handelt, die typhus- oder para
typhusähnliche Erkrankungen hervorrufen, die also
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge- durchaus unangenehm sind.
sundheitswesen: Herr Kollege, diese Angaben kann
ich aus dem Handgelenk nicht bestätigen. Ich weiß Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter
nur, daß die Frage des Salmonellenbefalls von Ge- Schmidt (Gellersen) zu einer Zusatzfrage!
flügel eine Frage von ganz großer internationaler
Bedeutung ist, die auch in den internationalen Gre-
mien von allen Ländern immer wieder aufgeworfen Dr. Schmidt (Gellersen) (SPD) : Frau Ministerin,
wird. wann haben Sie zum erstenmal von den Untersu-
chungsergebnissen erfahren?
Vizepräsident Dr. Dehler: Eine weitere Frage
von Herrn Abgeordneten Dr. Reinhard! Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
sundheitswesen: Von den Untersuchungsergebnissen
in Bremen? — Das kann ich Ihnen nicht sagen.
Dr. Reinhard (CDU/CSU) : Trifft es zu, Frau
Ministerin, daß der durch das Veterinärunter-
suchungsamt Bremen festgestellte Salmonellentyp, Vizepräsident Dr. Dehler: Wir kommen zur
der zur gleichen Gruppe von Bakterien wie die Frage XII/15 —des Herrn Abgeordneten Bau-
Erreger von Typhus und Paratyphus gehört, bei knecht —:
Menschen Magen- und Darmentzündungen hervor- Ist der Frau Bundesgesundheitsministerin bekannt, daß auf-
ruft, die in schweren Fällen tödlich enden können, grund von Länderverordnungen die von der deutschen Geflügel-
-
wirtschaft verwendeten Futtermittel frei von Salmonellen sein
und ist es richtig, daß die Giftwirkung dieser Er- müssen?
reger weder durch den Tiefkühlprozeß noch durch Bitte, Frau Ministerin.
starkes Erhitzen vermindert werden kann?
(Unruhe.)
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge-
sundheitswesen: Auf Grund von Länderverordnun-
Vizepräsident Dr. Dehler: Darf ich um etwas gen dürfen Futtermittel tierischer Herkunft nur ein-
Ruhe bitten. — Ich glaube, Herr Abgeordneter Dr. geführt werden, wenn eine Bescheinigung vorgelegt
Reinhard, Sie überspannen ein wenig den Rahmen wird, daß die Ware bei oder nach der Herstellung
der Fragestunde. einem Erhitzungsverfahren unterworfen worden ist
und daß bei der Untersuchung von Stichproben
Salmonellen nicht nachgewiesen werden konnten.
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge- Auch im Inland sind Futtermittel tierischer Herkunft
sundheitswesen: Ich bin bereit, darauf zu antworten.
bei der gewerblichen Herstellung einem Behand-
— Alle Salmonellen sind gesundheitsschädlich und
lungsverfahren zu unterwerfen, durch das Tierseu-
gefährlich. Ich sagte Ihnen ja, daß dies ein sehr
chenerreger abgetötet werden. Gleichartige Vor-
schweres Problem ist, das viele Länder betrifft. Es schriften für Futtermittel pflanzlicher Herkunft, die
ist auch richtig, daß die Salmonellen durch Einfrieren ebenfalls mit Salmonellen behaftet sein können,
nicht abzutöten sind, allerdings durch Erhitzen. Ge- oder für die im landwirtschaftlichen Betrieb ver-
kochtes Geflügel enthält keine ansteckungsfähigen wendeten, d. h. also verfütterten Futtermittel be-
Salmonellen mehr.
stehen meines Wissens nicht.

Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Dr. Dresbach Vizepräsident Dr. Dehler: Zusatzfrage? —
zu einer Zusatzfrage! Herr Abgeordneter Bauknecht!
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963 3417

Bauknecht (CDU/CSU) : Glauben Sie nicht, daß Eine Ergänzung des Berichts wird nicht gewünscht,
es, wenn schon solche scharfen Vorschriften für die auch keine Aussprache. Der Antrag des Ausschusses
Futtermittel vorhanden sind, um so notwendiger ist, lautet: Der Bundestag wolle beschließen, der Ver-
bei den direkten Lebensmitteln dafür zu sorgen, daß ordnung unverändert zuzustimmen. Wer diesem
nichts passiert? Antrag zustimmt, gebe bitte Handzeichen. — Ge-
genprobe! — Enthaltungen? — Es ist einstimmig so
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge- beschlossen.
sundheitswesen: Herr Kollege Bauknecht, ich bin
durchaus dieser Meinung. Ich rufe auf Punkt 19 der Tagesordnung:
Erste Beratung des von der Bundesregierung
Vizepräsident Dr. Dehler : Ich rufe auf die eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu der
Frage XII/16 — des Herrn Abgeordneten Bau- Gemeinsamen Erklärung und zu dem Vertrag
knecht —: vom 22. Januar 1963 zwischen der Bundes-
Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um die deutsche republik Deutschland und der Französischen
Bevölkerung vor Schädigung durch Salmonellen durch Hühner-
importe aus den USA zu schützen? Republik über die deutsch-französische Zu-
sammenarbeit (Drucksache IV/1157).
Frau Dr. Schwarzhaupt, Bundesminister für Ge- Zur Begründung hat das Wort der Herr Bundes-
sundheitswesen: Die Feststellungen, die in Bremen kanzler.
getroffen worden sind, haben uns Anlaß gegeben,
Schlachtgeflügel der verschiedensten Herkunft bak-
teriologisch untersuchen zu lassen. Die Ergebnisse Dr. Adenauer, Bundeskanzler: Herr Präsident!
liegen noch nicht vor. Ich möchte aber in diesem Zu- Meine Damen und meine Herren! Ihnen liegt mit
sammenhang noch einmal betonen, daß die von Ge- der Bitte um Zustimmung ein Vertrag zwischen der
flügel ausgehenden Salmonellosen nicht allein ein Bundesrepublik Deutschland und der Französischen
Problem des einen oder anderen Exportlandes sind, Republik über die deutsch-französische Zusammen-
sondern wegen der weiten Verbreitung der Erreger arbeit und eine Erklärung zu diesem Vertrag vor,
die Gesundheitsbehörden aller Länder vor eine sehr die der Präsident der Französischen Republik, Herr
schwierige Aufgabe stellen. In meinem Hause lau- de Gaulle, für Frankreich und ich für die Bundes-
fen zur Zeit die Vorarbeiten für ein Geflügel- republik Deutschland am Tage der Unterzeichnung
hygienegesetz, das unter anderem Vorschriften für des Vertrages durch uns beide, am 22. Januar die-
die Untersuchung von Schlachtgeflügel vor und ses Jahres, abgegeben haben. Diese Gemeinsame
nach der Schlachtung enthalten wird. Bei der Einfuhr Erklärung gibt den Sinn und den Zweck des Ver-
von Geflügelfleisch wird von dem Grundsatz glei- trages in wenigen Sätzen sehr klar wieder. Ich
cher Voraussetzungen für in- und ausländisches Ge- möchte diese Erklärung verlesen, weil ihre Kenntnis
flügel in jedem Fall unbedingt auszugehen sein. Die zur Beurteilung des Vertrages notwendig ist. Die
Regelungen zur Verhütung von Salmonellosen wer- Erklärung lautet:
den dabei besondere Bedeutung haben. Der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutsch-
land, Dr. Konrad Adenauer, und der Präsident
Vizepräsident Dr. Dehler: Ich danke Ihnen, der Französischen Republik, General de Gaulle,
Frau Ministerin. haben sich
Damit sind wir am Ende der Fragestunde. — zum Abschluß der Konferenz vom 21. und
Eine Mitteilung zu Punkt 20 der Tagesordnung: 22. Januar 1963 in Paris, an der auf deutscher
Die Bundesregierung hat unter dem 24. April 1963 Seite Bundesminister des Auswärtigen,
dem Herrn Präsidenten des Bundestages mitgeteilt, der Bundesminister der Verteidigung und
daß sie beschlossen habe, die der Bundesminister für Familien- und Ju-
Vierundfünfzigste Verordnung zur Änderung gendfragen; auf französischer Seite der Pre-
des Deutschen Zolltarifs 1962 (Zollkontin- mierminister, der Außenminister, der Armee-
gente 1963 — Agrarwaren — I. Teil) minister und der Erziehungsminister teilge-
nommen haben,
zurückzuziehen; ihr Schreiben ist als Drucksache
IV/1200 verteilt. Demnach muß Punkt 20 von der — in der Überzeugung, daß die Versöhnung
Tagesordnung abgesetzt werden. zwischen dem deutschen und dem französi-
schen Volk, die eine Jahrhunderte alte Riva-
Weiterhin ist eine interfraktionelle Vereinbarung lität beendet, ein geschichtliches Ereignis
zustande gekommen, daß die heutige Tagesordnung darstellt, das das Verhältnis der beiden Völ-
erweitert wird, um die ker zueinander von Grund auf neugestaltet,
Beratung des Schriftlichen Berichts des Außen- — in idem Bewußtsein, daß eine enge Solidari-
handelsausschusses über die Zweiundsech- tat die beiden Völker sowohl hinsichtlich
zigste Verordnung zur Änderung des Deut- ihrer Sicherheit als auch hinsichtlich ihrer
schen Zolltarifs 1962 (Gemüse) (Drucksachen wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung
IV/1195, IV/1202). miteinander verbindet,
Ich stelle die Zustimmung des Hauses dazu fest. — angesichts der Tatsache, daß insbesondere
Es liegt vor der Bericht des Herrn Abgeordneten die Jugend sich dieser Solidarität bewußt ge-
Urban. Ich danke dem Herrn Berichterstatter. — worden ist, und daß ihr eine entscheidende
3418 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963
Bundeskanzler Dr. Adenauer
Rolle bei der Festigung der deutsch-franzö- 1961 — das sind die letzten, die zugänglich sind —
sischen Freundschaft zukommt, 9,5 Milliarden DM. Das Handelsvolumen zwischen
— in der Erkenntnis, daß die Verstärkung der der Bundesrepublik und Frankreich beträgt 9,4 Mil-
Zusammenarbeit zwischen den beiden Län- liarden DM. Umgekehrt ist auch für Frankreich die
dern einen unerläßlichen Schritt auf dem Bundesrepublik ein außerordentlich wichtiger Han-
Wege zu dem vereinigten Europa bedeutet, delspartner. Das Handelsvolumen Frankreichs mit
welches das Ziel beider Völker ist, uns betrug, wie ich Ihnen eben schon sagte, 9,4 Mil-
liarden DM.
mit der Or ganisation und den Grundsätzen der
den beiden Staaten, Zusamenrbitzwch Das Verständnis für die kulturelle Vergangenheit
wie sie in dem heute unterzeichneten Vertrag und das kulturelle Leben Frankreichs ist in Deutsch-
niedergelegt sind, einverstanden erklärt. land außerordentlich groß und verbreitet. Umge-
kehrt beginnen immer mehr Franzosen auch die
Meine Damen und Herren! In dieser von mir ver- deutsche Kultur kennenzulernen und zu schätzen.
lesenen Erklärung ist „die Versöhnung zwischen
dem deutschen und dem französischen Volk, die Um die ganze Bedeutung dieses Vertrages würdi-
eine Jahrhunderte alte Rivalität beendet", „ein ge- gen zu können, muß man in die europäische Ge-
schichtliches Ereignis" genannt. In der Tat handelt schichte zurückgehen. Fast immer standen sich die
es sich um ein geschichtliches Ereignis, um ein ge- beiden Nachbarländer feindlich gegenüber. Der
schichtliches Ereignis von hohem Rang, ein geschicht- latente und dauernde Spannungszustand zwischen
liches Ereignis, das Jahrhunderte währenden Gegen- ihnen führte seinerzeit zu dem Vertrag des Deut-
sätzen und Spannungen zwischen den beiden Nach- schen Reiches mit Rußland gegen Frankreich. Ein
barländern Frankreich und Deutschland ein Ende Jahr nach dem Ausscheiden Bismarcks wendete sich
bereitet. das Blatt. Die französische Flotte machte den in die
Immer wieder haben auch in den vergangenen Geschichte eingegangenen Besuch in Kronstadt, und
Jahrzehnten Staatsmänner beider Länder versucht, ein Jahr später, im Jahre 1892, schlossen Frankreich
dieses Spannungsverhältnis zwischen Frankreich und Rußland ein Militärbündnis, eine Militärkon-
und Deutschland ,aus der Welt zu schaffen. Aus un- vention gegen Deutschland.
serer jüngsten Geschichte erinnere ich an die Ver-
Im Versailler Vertrag fanden gerade die alten,
suche während der Weimarer Republik, die durch
überkommenen Spannungen zwischen Frankreich
die Namen Stresemann und Briand gekennzeichnet
und Deutschland einen besonders starken Ausdruck.
sind. Diesen Versuchen waren schon jahrzehntelang
vorher Bemühungen Bebels vorausgegangen. Un- Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten
endlich viel Blut, meine Damen und Herren, Blut in Deutschland schloß Frankreich mit Sowjetrußland
und Leid wäre Franzosen und Deutschen, Europa einen neuen Bündnispakt. Noch im Dezember 1944
und der Welt überhaupt erspart worden, wenn diese schloß der damalige Ministerpräsident de Gaulle mit
Versuche damals gelungen wären. Sowjetrußland einen Bündnisvertrag gegen Deutsch-
(Beifall bei den Regierungsparteien und land. Noch im Jahre 1946 forderte Bidault, der da-
Abgeordneten der SPD.) mals französischer Außenminister war, die Inter-
Uns und der Welt wären der Nationalsozialismus, nationalisierung am Rhein und an der Ruhr und die
dessen Wurzeln aus dem nicht zustande gekomme- Verhinderung einer neuen deutschen Zentralregie-
nen Ausgleich zwischen Frankreich und Deutschland rung. -

nach dem Kriege von 1914 bis 1918 ihre verderb- Aber dann brach in Frankreich die Erkenntnis
liche Nahrung gezogen haben, und der letzte Welt- durch, daß dieser ewige Zwist zwischen Frankreich
krieg erspart worden. Wären diese Versuche ge- und Deutschland beiden Ländern nichts wie Unheil,
glückt, so hätten die Geschichte der beiden Völker Schwäche und Verderben gebracht habe und weiter
und die Geschichte Europas einen anderen Verlauf bringen würde. Der Außenminister Robert Schuman
genommen. Jetzt bietet sich uns, meine Damen und schlug im Jahre 1950 den Abschluß des Vertrages
Herren, die Gelegenheit, diese Spannung zwischen über die Montanunion vor. Robert Schuman schrieb
den beiden Nachbarvölkern für immer zu beenden. mir damals einen persönlichen Brief zu diesem offi-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) ziellen Vorschlag, in dem er ausführte, daß die Sor-
ge, daß Deutschland nach seinem Wiedererstarken
Zwischen Nachbarvölkern bestehen immer Bezie- sich gegen Frankreich wenden würde, in Frankreich
hungen besonderer Art, seien es gute, seien es außerordentlich groß sei. Eine Aufrüstung zeige
schlechte Beziehungen, die durch die geographische sich in erster Linie — so schrieb er mir — durch
Nähe, durch gleiche oder ähnliche Entwicklungen eine erhebliche Steigerung der Produktion von Eisen
und Möglichkeiten, seien es wirtschaftliche, seien und Stahl und dementsprechend der Förderung von
es politische, entstehen. Die gemeinsame Grenze Kohle. Ihn leite bei seinem Vorschlag, den Montan-
zwischen Frankreich und Deutschland ist 450 km unionsvertrag zu schließen, der Gedanke, daß, wenn
lang. Deutschland und Frankreich sind beide hoch Frankreich und Deutschland einen Vertrag schlös-
industrialisierte Länder. sen, der beiden Ländern es ermögliche, auffällige
Für die Bundesrepublik Deutschland ist Frank- Steigerungen der Produktion von Eisen und Stahl
reich der wichtigste europäische Handelspartner. bei dem anderen wahrzunehmen, diese gegenseitige
Das Handelsvolumen unserer Republik mit den Ver- Kontrolle das sicherste Mittel zur Beseitigung von
einigten Staaten beträgt nach den Zahlen des Jahres Furcht und Mißtrauen unter diesen beiden Völkern
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963 3419
Bundeskanzler Dr. Adenauer
sei. Daher schlage er den Abschluß des Vertrages Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß der Abschluß
über die Montanunion, wie er später ins Leben dieses Vertrages, seine Gutheißung durch Sie, ein
trat, vor. Ereignis ersten Ranges ist für unser Land und für
den Frieden in Europa und in der Welt.
Beide Völker, meine Damen und Herren, sind
jetzt und wahrscheinlich noch auf lange Zeit hinaus (Anhaltender lebhafter Beifall bei den Re
vom Osten her bedroht durch auf sie ausgeübten gierungsparteien.)
politischen Druck. Ich spreche nicht von kriegeri-
schem Druck, sondern vom politischem Druck. Die- Vizepräsident Dr. Dehler: Wir treten in die
sem Druck können beide Völker zusammen viel Aussprache ein. Das Wort hat der Herr Abgeord-
besser widerstehen als jedes Land für sich allein. nete Majonica.
Die Aufgeschlossenheit und Herzlichkeit, die un-
serem Bundespräsidenten im Jahre 1961 und mir im Majonica (CDU/CSU) : Herr Präsident! Meine
Jahre 1962 bei unseren Besuchen in Frankreich von Damen und Herren! Die Annahme des vorliegenden
der großen Mehrheit der Franzosen überall ent- Vertrages lim deutschen und im französischen Par-
gegengebracht wurden, zeigten deutlich, daß Idas lament stellt ein Ereignis von säkularer Bedeutung
französische Volk bereit war, das Verhältnis zum dar. Durch diesen Vertrag wird ein besonders leid-
deutschen Volk grundlegend zu ändern und ihm volles und trübes Kapitel europäischer Geschichte
die Hand zu reichen. endgültig beendet. Aus dem Kampf der Franzosen
und Deutschen gegeneinander ist eine Zusammen-
Bei dem Staatsbesuch, den Herr Staatspräsident arbeit geworden.
de Gaulle im September 1962 in der Bundesrepublik
machte und bei dein er Bonn, Köln, Düsseldorf, Sicherlich — der Herr Bundeskanzler hat eben
Hamburg, München und Ludwigsburg besuchte, schon darauf hingewiesen — war es auch in Zeiten
wurde er von allen Kreisen des deutschen Volkes politischer Spannungen und Gegensätze zwischen
mit der größten Herzlichkeit aufgenommen, einer beiden Völkern und Staaten so, daß immer ein
Herzlichkeit, die bewies, daß auch das deutsche fruchtbarer geistiger Austausch stattgefunden hat.
Volk in allen seinen Schichten eine herzliche War das 18. Jahrhundert in Europa das französische
Freundschaft für Frankreich empfindet. Dem Willen Jahrhundert in Sprache, Mode und Kultur, so war
beider Völker, in Frieden und Freundschaft mitein- der deutsche Einfluß auf die französische Romantik
ander zu leben, diesem Willen zweier Völker, die zu verzeichnen. Beide Völker übten aufeinander im-
jahrhundertelang sich als Erbfeinde gegenüberge- mer eine starke Faszination aus. Führende Geister
standen hatten, galt es Ausdruck zu geben. Dies beider Nationen wußten immer, wie sehr sich Deut-
Gefühl der Schicksalsgemeinschaft und der Verbun- sche und Franzosen gegenseitig ergänzen können.
denheit für alle Zukunft zu sichern, — diesem Trotzdem hat es die Geschichte gewollt, daß in
Zweck, meine Damen und Herren, dient der vor- den letzten 70 Jahren beide Völker dreimal gegen-
liegende Vertrag. einander gestanden haben, sich dreimal gegenseitig
Ohne eine dauernde Aussöhnung zwischen auf den Schlachtfeldern begegnet sind. 1870 löste
Deutschland und Frankreich, meine Damen und Her- der Konflikt den schmerzvollen Prozeß der deut-
ren, kann Europa nicht geschaffen werden. schen Einigung aus, 1914 war es das Versagen aller
europäischen Staatsmänner, und 1939 brachte der
(Beifall bei den Regierungsparteien.) böse Wille Hitlers die Welt ins Unglück. Sicherlich
hätte Hitler — der Herr Bundeskanzler hat schon-
Ohne diese Aussöhnung und Freundschaft wird es darauf hingewiesen — für seinen schrankenlosen
keinen Frieden in Europa und damit in der Welt Nationalismus keinen Nährboden gefunden, wenn
geben. Der Abschluß dieses Vertrages ist ein Grund- schon nach 1918 die Begegnung zwischen Deutsch-
pfeiler des Friedens zwischen Frankreich und land und Frankreich stattgefunden hätte. An Ver-
Deutschland und damit des Friedens in Europa und suchen hat es nicht gefehlt; es sei hier nur an
in der Welt. Er ist ein Ereignis ersten Ranges für Stresemann und Briand erinnert. Aber sie starben,
unser Land und auch für Europa und — ich wieder- ehe ihr Werk reifen konnte, und die Schatten dro-
hole nochmals — für die ganze freie Welt. Er ist henden Unheils lagen schon auf ihren letzten Le-
für eine lange, lange Dauer bestimmt. Er macht bensjahren.
einem Zustande ein Ende, der Jahrhunderte ge-
währt hat. Während der Krieg 1914 bis 1918 Europa schwe-
ren Schaden zufügte, zerstörte es der Krieg 1939
Ich bitte Sie sehr, meine Damen und Herren, las- bis 1945. Die Sowjetunion drang bis Mitteldeutsch-
sen Sie sich in Ihrem Urteil über diesen Vertrag land vor; sie schien die europäische Vormacht ge-
nicht beeinflussen durch ein zufälliges Zusammen- worden zu sein. Weitere Rivalitäten zwischen den
treffen der Unterzeichnung dieses Vertrages mit
europäischen Staaten hätten dazu führen müssen,
Tagesereignissen und vorübergehenden politischen daß sie bald am Atlantik stehen würde. Aber trotz
Stimmungen. Ich sage absichtlich: Tagesereignissen dieser deutlichen Situation waren alte Vorstellun-
und vorübergehenden politischen Stimmungen; denn gen, die Schatten deis stürzenden Diktators noch
ich bin ganz fest davon überzeugt, daß diese Tages- mächtiger als diese Erkenntnis. Frankreich verbün-
ereignisse und auch die damit verbundenen poli- dete sich mit Moskau. Als aber die sowjetische Po-
tischen Stimmungen keine dauernden Spuren zwi- litik jede vernünftige Friedensregelung verhin-
schen den Völkern hinterlassen werden. derte, erkannte Churchill in seiner berühmten Zü-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) richer Rede die Situation und forderte Frankreich
3420 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963
Majonica
und Deutschland zum Zusammengehen auf, weil meine, daß es da gut ist, wenn man vorher von
nur so Europa zu retten sei. Dieser Gedanke des diesen Entscheidungen und Handlungen des anderen
Zusammengehens von Deutschland und Frankreich weiß, wenn man seine eigene Politik darauf ein-
in einem vereinten Europa gewann Gestalt; er stellen kann, wenn man diese Entscheidungen be-
wurde von de Gasperi, Schuman und Adenauer in einflussen kann, sie so mit modifizieren kann, daß
die Wirklichkeit umgesetzt. sie gemeinsam getragen werden können. Wir haben
Wir wissen, welche Erfolge und Mißerfolge dieses doch in der jüngsten Vergangenheit eine ganze Reihe
europäische Einigungswerk in der Vergangenheit von Beispielen dafür erlebt, wie nützlich Konsul-
erlebt hat. Aber immer wuchs im Rahmen des wer- tationen, wenn sie vorher erfolgt wären, gewesen
denden Europa die deutsch-französische Freund- wären.
schaft, eine Freundschaft, deren Grundlagen schon Ich darf doch auch die Frage stellen, ab es diese
in der Politik der vierten Republik in Frankreich Konsultationen zwischen Partnern im westlichen
gelegt worden sind. Als diese vierte Republik am Bündnis auch an anderer Stelle gibt, beispielsweise
Algerien-Krieg zu scheitern schien, rief Frankreich zwischen den Vereinigten Staaten und Großbritan-
de Gaulle. Er hatte den Vertrag mit Stalin gegen nien, s o wie wir es zwischen Macmillan und Ken-
Deutschland unterzeichnet. Würde er nun, neu an nedy auf den Bahamas erlebt haben, wo doch, so
die Macht gekommen, eine antideutsche Politik be- hoffen wir wenigstens, die positive Reform der
treiben? Aber de Gaulle hatte — und das ist unser NATO ihren Ausgang genommen hat.
gemeinsames Glück — die Zeichen der Zeit erkannt.
Er wußte, daß die Gegner Frankreichs 1944 und 1958 Ich meine, daß es eine völlig falsche Vorstellung
nicht mehr die gleichen waren. Er wußte vor allen ist, wenn man annimmt, daß derartige Konsulta-
Dingen und hatte es offen ausgesprochen, daß tionen nur im französischen Interesse liegen wür-
dieses Deutschland sich unter Konrad Adenauer den. Wir müssen doch darauf hinweisen, daß F rank-
grundsätzlich gewandelt hatte. So führte de Gaulle reich eine Vetomacht in der UNO ist. Wie leicht
die konsequente Politik der vierten Republik fort, kann einmal die deutsche Frage vor dieses Forum
eine Politik der Freundschaft mit Deutschland. kommen. Wir wissen, daß Frankreich eine der Ga-
rantiemächte für Berlin ist. Ich meine, daß da doch
Dazu, daß diese Politik der Freundschaft mit ständige Konsultationen eindeutig auch im wohlver-
Deutschland ein Kernstück seiner Außenpolitik wer- standenen deutschen Interesse liegen.
den konnte, haben die fruchtbaren Begegnungen
zwischen ihm und dem Bundeskanzler beigetragen. Wir dürfen auch nicht übersehen, daß auf multi-
Beide Männer, de Gaulle und Adenauer, sind zum lateralem Gebiet oft nur dann ein Fortschritt zu er-
Symbol des Lebens- und Aufbauwillens ihrer Völker zielen war, wenn vorher bilateral die Schwierig-
geworden, und deshalb verstanden sie sich. keiten beseitigt worden waren. Manche Hemmun-
gen auf multilateralem Gebiete sind doch in der
(Beifall bei der CDU/CSU.) Vergangenheit durch den deutsch-französischen Ge-
Beide, de Gaulle und Adenauer, konnten aber die gensatz in Detailfragen entstanden. Es würde im
Politik der Freundschaft, der Zusammenarbeit mit- wohlverstandenen Interesse aller Beteiligten liegen,
einander nur betreiben, weil diese Politik von der wenn in Zukunft diese Gegensätze vorher ausge-
breiten Mehrheit ihrer Völker unterstützt wurde. räumt werden könnten.
Die Zusammenarbeit zwischen dem französischen In diesem Vertrag verpflichten sich beide Partner,
Volk und unserem Volke ist ja schon seit langer soweit als möglich zu einer gleichgerichteten Hal-
Zeit nicht mehr nur eine Angelegenheit der Staats- tung zu gelangen. Nun, das scheint mir im Wesen
kanzleien; sie ist eine Angelegenheit der Völker jeder Konsultation zu liegen. Aber daß es eigens in
geworden. Beide Völker, das deutsche und fran- diesen Vertrag hineingeschrieben worden ist, ist
zösische Volk, wollen eindeutig diese Zusammen- doch eine deutliche Einschränkung. Man ist nicht in
arbeit. allen Fällen immer zu einer und derselben Haltung
(Beifall bei den Regierungsparteien.) verpflichtet. Sicherlich sollen diese Konsultationen
Diese Freundschaft wird für die Zukunft durch eine gegenseitige Einflußnahme ermöglichen. Aber
diesen Vertrag gesichert, diese Freundschaft wird sie bewahren doch die Haltung des eigenen Stand-
durch diesen Vertrag besiegelt. Weit über die Le- punktes, wenn in. diesen Konsultationen eine Eini-
bensdauer der beiden alten Männer hinaus, die ihn gung nichterfolgt ist.
unterzeichneten, wird er die feste Grundlage der (Zuruf des Abg. Wehner.)
Zusammenarbeit zwischen diesen beiden Völkern
Ichmeine, daß hier doch die deutsche Haltung in
bilden. Beide Völker sind durch diesen Vertrag zu
wichtigen Fragen der internationalen Politik, Herr
einem ständigen Gespräch miteinander verpflichtet.
Kollege Wehner, so eindeutig war, daß eine Miß-
Beide Partner haben sich in diesem Vertrag verpflich-
deutung einfach nicht erlaubt ist. Wir halben es doch
tet, vor allen wichtigen Entscheidungen ihrer Außen-
erlebt, daß der Bundeskanzler, daß der Bundeswirt-
politik, vor allem bei Fragen gemeinsamen Interes-
schaftsminister, der Bundesaußenminister und der
ses, sich vorher zu konsultieren.
Bundesverteidigungsminister in wichtigen Fragen
Beide Partner — der Bundeskanzler hat es soeben der internatonalen Politik als Vertreter der Bundes-
betont — sind Nachbarn. Ihre Interessen, ihre Arbeit regierung in den letzten Monaten eine ganz ein-
sind eng miteinander verflochten. Alle außenpoli- deutige Haltung eingenommen haben. Ich darf nur
tischen Entscheidungen des einen berühren unmit- an das Auftreten des Bundeswirtschaftsministers
telbar und wirksam die Stellung des anderen. Ich und des Bundesaußenministers in Brüssel erinnern.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963 3421
Majonica
Die Mißdeutungen, denen dieser Vertrag ausge- tinent eben im deutsch-französischen Gegensatz.
setzt worden ist, sollten auch durch seine Entste- Dieses Mittel ist ihm durch diesen Vertrag genom-
hungsgeschichte ausgeräumt sein. Wir wissen doch men, und zwar nicht nur für den Augenblick, son-
alle, daß ,am Beginn der Verhandlungen der Gedan- dern — und das ist das Positive und Wesentliche
ke der Politischen Union der Gemeinschaft der an diesem Vertrag — auch für alle Zukunft.
Sechsgtand.ImJuli196rafenh
Godesberg die Ministerpräsidenten der sechs euro- Nun, wir wissen - ich habe ja schon davon ge-
päischen Staaten zusammen und beschlossen damals sprochen —, daß dieser Vertrag seit seiner Ent-
im Grundsatz die Gründung der Politischen Union. stehung einer Reihe von Mißverständnissen ausge-
Ich will gar nicht untersuchen, wessen Schuld es ist, setzt war. Wir dürfen aber feststellen, daß sie alle
aber im Sommer 1962 war e s klar, daß diese Ver- miteinander verschwunden sind bzw. daß diese Miß-
handlungen festgefahren waren, daß sie im Augen- verständnisse im Abklingen begriffen sind. Daß sie
blick keinen Erfolg haben konnten. verschwanden, daß sie abklingen, ist, so meine ich,
eine Folge der eindeutigen, klaren deutschen
Als der Bundeskanzler im Juli des vergangenen Außenpolitik.
Jahres den französischen Staatspräsidenten de
Gaulle in Frankreich besuchte, da besprachen beide Diese Mißverständnisse — der Bundeskanzler hat
einen nochmaligen Versuch zur Rettung der Ver- schon darauf hingewiesen — kamen vornehmlich
handlungen um die Politische Union. Sie wollten durch das Zusammenfallen der Unterzeichnung die-
eine Konferenz nach Rom einberufen. Als aber auch ses Vertrages mit dem Nein des französischen
das scheiterte, beschloß man bei dem Besuch des Staatspräsidenten zum Beitritt Großbritanniens zu
französischen Staatspräsidenten in Deutschland, daß den europäischen Gemeinschaften. Wir haben da-
irgendwo ein Anfang gemacht werden müsse und mals ja die Empfehlungen vernommen, wegen die-
daß dieser Anfang, wie die Dinge nun einmal lägen, ses Neins des französischen Staatspräsidenten den
nun eben mit einer politischen Zusammenarbeit Vertrag nicht zu unterschreiben. Ich meine, meine
zwischen Deutschland und Frankreich gemacht wer- Damen und Herren, daß sich heute zeigt, wie falsch
den solle. Das ist die Entstehungsgeschichte des eine solche Empfehlung gewesen ist und wie falsch
Vertrages. es gewesen wäre, wenn wir dieser Empfehlung ge-
folgt wären. Wären wir dieser Empfehlung gefolgt,
Aus dem Vertrag geht hervor, daß er auch für die hätten wir den Vertrag damals im Januar nicht un-
anderen Staaten offen ist. Aus ihm geht auch her- terschrieben, dann hätten wir de Gaulle damit in
vor, daß selbstverständlich die Politische Union das eine Isolierung hineingetrieben und damit vielleicht
Ziel bleibt, dem wir mit gemeinsamer Kraft zu Reaktionen ausgelöst, die die Besserung des Klimas
streben. zwischen Frankreich und den USA, wie sie sich ein-
(Beifall in der Mitte.) deutig bei der Tagung der SEATO in Paris gezeigt
hat, verhindert hätten.
Aber um weiteren Mißdeutungen entgegenzu-
treten: daß dieser Vertrag die Einheit Europas und Wir werden uns vom deutschen Standpunkt aus
des Westens nicht spaltet, dafür gibt es doch ein immer dagegen verwahren, in eine Formel
wahrlich sehr unverdächtiges Zeugnis; ich meine „Washington oder Paris" hineingepreßt zu werden.
die Reaktion des Ostblocks auf diesen Vertrag. Sie
wissen, daß die Sowjetunion und andere Staaten (Beifall bei den Regierungsparteien.)
des Ostblocks Protestnoten nach Paris und Bonn Für uns gilt in der deutschen Außenpolitik immer-
geschickt haben. Wir haben auch ihre Haltung in und unter aller Umständen die Formel „Washington
den Hauptstädten, vor allen Dingen in den kommu- und Paris".
nistischen Hauptstädten, analysiert. Diese Protest-
noten und die aus ihnen hervorgehende Haltung (Erneuter Beifall bei den Regierungspar
der Kommunisten zeigen doch, daß sie eben ein- teien.)
sehen, daß durch den Abschluß dieses Vertrages an
einer wichtigen, für sie sehr wichtigen Stelle ihnen Im Sinne dieser Formel sollten wir den Vertrag,
in Zukunft jede Spaltertätigkeit verbaut ist. Sie er- der uns heute in der ersten Lesung vorliegt, anwen-
kennen doch damit an, meine Damen und Herren, den.
daß dieser Vertrag der Einheit des Westens Es ist Kritik daran geübt worden, daß das große
dient. Wäre das nicht der Fall, spaltete er den Ziel der deutschen Politik, die Wiedervereinigung,
Westen, dann würde der Vertrag ja in ihr Konzept nicht in der gemeinsamen Erklärung genannt wird,
hineinpassen. Sie bestätigen damit, daß die deutsch- das Recht des deutschen Volkes auf Selbstbestim-
französische Zusammenarbeit Eckpfeiler der euro- mung in diesem Vertragswerk nicht eigens erwähnt
päischen und westlichen Einheit ist. wird. Auch ich bin der Meinung — ich sage das
(Beifall bei den Regierungsparteien.) offen —, daß es hätte geschehen sollen. Aber, meine
Damen und Herren, man darf doch nicht übersehen,
Moskau hat klar erkannt — und deshalb diese daß sich Frankreich bereits im Deutschland-Vertrag,
Haltung daß die europäische Einheit im Rahmen der am 5. Mai 1955 in Kraft getreten ist, zu einer
der Atlantischen Gemeinschaft für die Dauer zur Politik der deutschen Wiedervereinigung verpflich-
Änderung des Kräfteverhältnisses auf dem Konti- tet hat. Ohne allen Zweifel besteht diese Verpflich-
nent führen wird, und das will es verhindern. Und tung, niedergelegt lim Deutschland-Vertrag, fort, und
Moskau sah ein Mittel zur Verhinderung dieser das wird auch ohne allen Zweifel von unserem Ver-
Veränderung des Kräfteverhältnisses auf dem Kon- tragspartner anerkannt.
3422 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963

Majonica
Außerdem, meine Damen und Herren, spricht die dieses Bündnis, das wir gegen erbitterten Wider-
gemeinsame Erklärung vom „deutschen Volk", und stand in diesem Hause durchgesetzt haben, zu stär-
kein Zweifel ist erlaubt, daß damit in dieser Er- ken.
klärung das gesamte deutsche Volk gemeint ist. Ich darf daran erinnern, daß die Bundeswehr von
(Beifall bei den Regierungsparteien.) allen an der NATO beteiligten Armeen die am
stärksten in die NATO integrierte ist. Ich darf
Wir gehen ja gerade davon aus, daß dieser Ver- darauf hinweisen, daß gerade unser Wille zu die-
trag nicht nur ein Vertrag der Parlamente mitein- sem Integrationsprozeß in der NATO, dieser Stär-
ander, nicht nur ein Vertrag der Regierungen mit- kung der NATO bewiesen wird durch unser Ja zum
einander, sondern ein Vertrag der Völker mitein- Abkommen über eine multilaterale Atommacht und
ander, des gesamten deutschen und des gesamten zu den Besprechungen über die Einrichtung einer
französischen Volkes, ist. multilateralen Atommacht. Wir haben durch den
Ich darf auch hier wieder einen sehr unverdächti- Mund unseres Bundeskanzlers erklärt, daß wir mit
gen Zeugen benennen, der uns bestätigt hat, daß aller Macht an diesem Gedanken und an der Ver-
die Wiedervereinigung in der Substanz nicht ver- wirklichung dieses Gedankens mitwirken wollen.
gessen ist, sondern daß Bonn hier stellvertretend Übrigens darf ich am Rande vermerken, daß auch
für alle Deutschen gesprochen hat. Ich erinnere Sie dieser Gedanke aus zweiseitigen Konsultationen ge-
daran, daß in den Protestnoten, die die Sowjetunion boren ist, an denen wir nicht mitgewirkt haben.
nach Paris und Bonn geschickt hat, gerade dagegen Aber ich meine, daß damit doch bewiesen ist, daß
protestiert wurde, daß damit auch die Bevölkerung derartige Konsultationen durchaus die Stärkung und
in der Zone verpflichtet sei, daß damit auch die Be- Fortentwicklung des Bündnisses zum Ziel haben
völkerung in der Zone angesprochen sei. Das Aus- können. Wir haben dieses Ja zur multilateralen
wärtige Amt hat mit Recht auf diesen Protest hin Atommacht nicht nur um des militärischen Zwecks
darauf hingewiesen: Wenn die Bevölkerung in der willen gesprochen, nicht nur, um eine erhöhte Ab-
Zone zu diesem Vertrage gefragt würde, würde sie wehrbereitschaft und Glaubwürdigkeit der west-
sicherlich ein hundertprozentiges Ja zur Freund- lichen Abschreckungsmacht zu erreichen, sondern
schaft mit Frankreich sprechen. wir sehen in diesem Ja zur multilateralen Atom-
(Beifall bei den Regierungsparteien.) macht die Möglichkeit der noch stärkeren und
engeren Bindung der Vereinigten Staaten an Europa.
Darin besteht ja gerade auch — und das darf hier Wir sehen darin ein Zeichen erhöhter gegenseitiger
festgestellt werden — der grundlegende Wandel der Abhängigkeit zwischen den Vereinigten Staaten und
französischen Politik gegenüber Deutschland, die uns.
nicht mehr wie in der Vergangenheit auf Teilung,
sondern auf die Zusammenarbeit mit dem ganzen Ich möchte es hier ganz eindeutig und klar sagen,
deutschen Volk gerichtet ist. daß wir von der CDU/CSU jeden Gedanken an
Europa als eine dritte Kraft zwischen Ost und West
Ein wesentlicher Teil der Kritik innerhalb und ablehnen. Das geht aus wirtschaftlichen Gründen
außerhalb Deutschlands bezieht sich bei der Dis- nicht, das geht aus militärischen Gründen nicht. Das
kussion über diesen Vertrag auf die Frage, wie er geht aber auch aus moralischen Gründen nicht. Man
in die multilateralen Verträge, die die Bundesregie- kann nicht die gleiche Distanz zu Washington und
rung eingegangen ist, eingebaut werden kann. Hier zu Moskau haben, wenn man sich eindeutig an
möchte ich ganz deutlich und unmißverständlich die Seite der Freiheit gestellt hat.
sagen, daß wir uns selbstverständlich zu dem Grund-
satz bekennen, daß multilaterale Verträge bilatera- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
len Verträgen vorgehen, daß bilaterale Verträge Wir meinen auch, daß eine Politik, die den Abzug
und Verhandlungen und Entscheidungen immer den Amerikas aus Europa auch nur als Möglichkeit ein-
größeren Gemeinschaften zu dienen haben, daß sie kalkuliert, ihn sehr leicht provozieren kann. Wir
also in sie eingefügt werden müssen. Das gilt vor möchten alles tun, um die Vereinigten Staaten so
allen Dingen für den Nordatlantikpakt und damit eng an Europa zu binden wie nur eben möglich.
für unser Verhältnis zu den Vereinigten Staaten
von Amerika. (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Wir wollen die atlantische Gemeinschaft auf zwei
Konsultationen innerhalb eines von souveränen Säulen errichten, Nordamerika und Europa. Wir
Staaten getragenen Bündnisses sind dem Bündnis stehen allerdings auf dem Standpunkt, daß nur
nicht zuwiderlaufend, es sei denn, sie sind gegen Europa ein gleichberechtigter Partner zu den Ver-
den Zweck und das Ziel des Bündnisses selbst ge- einigten Staaten im Rahmen der atlantischen Ge-
richtet. Aber daß die deutsche Politik ein solches meinschaft sein kann, nicht die einzelnen Nationen,
Ziel verfolgt, wird selbst der böswilligste Beobach-
weil das Machtgefälle zu groß wäre. Diesem Europa
ter nicht behaupten können. Wir haben doch nie-
als Partner in der atlantischen Gemeinschaft zu den
mals auch nur den leisesten Zweifel daran gelas-
Vereinigten Staaten soll dieser Vertrag dienen, wie
sen, daß wir alles tun werden und zu allem bereit eindeutig die gemeinsame Erklärung besagt, die die-
sind, was die NATO stärkt. Wir wissen doch sehr
sem Vertrag vorangestellt worden ist.
wohl, daß von der Lebensfähigkeit, von der Funk-
tionsfähigkeit dieses Bündnisses unsere Freiheit, Es gibt nun Befürchtungen, daß dieser Vertrag
unsere Sicherheit und der Frieden in der Welt ab- zu einer gewissen Blockbildung in den europäischen
hängen. Deshalb haben wir immer alles zu tun, um Gemeinschaften führen würde, daß damit ein frem-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963 3423
Majonica
des Gesicht, wie es ein angesehener Europäer ge- Gemeinschaften auch Großbritannien interessiert ist.
sagt hat, in diese Gemeinschaften hineingetragen Großbritannien möchte ja einem unzerstörten Europa
würde. Nun, ich meine, daß es selbstverständlich ist, beitreten. Der einzige Sieger eines zerstörten Euro-
daß beide Regierungen bei ihren Konsultationen pas wäre Herr Chruschtschow. Ich meine, daß das
den supranationalen Charakter der europäischen die britischen Politiker oft genug erklärt haben, daß
Gemeinschaften respektieren. Gemeinschaftlich ge- sie auch ein unmittelbares Interesse an der Stärkung
regelte Fragen können nur gemeinschaftlich ent- der Gemeinschaft der Sechs haben.
schieden werden. Ich darf ganz eindeutig sagen, daß Wir bleiben dabei, daß der Beitritt Großbritan-
dieser Vertrag unsere bisherige europäische Politik niens zu den europäischen Gemeinschaften notwen-
nicht verändert. Im Gegenteil, wir von der CDU/CSU dig ist, und wir werden auf ihn hinwirken. Nichts
sind fest davon überzeugt, daß er ihr dienen und sie darf geschehen, was ihn erschwert, alles, was ihn
fördern wird. erleichtert. Aber auch darauf, Herr Kollege Wehner,
Bei dieser europäischen Politik und den konkreten - und ich hoffe, daß Sie das nachher aufnehmen
Aufgaben, vor denen wir stehen, scheint mir die werden in Ihrer Unterstützung einer solchen Politik
Stärkung der Gemeinschaft der Sechs eine besonders — hat der Bundesaußenminister auf der erwähnten
vordringliche Aufgabe zu sein. Wie diese Stärkung Tagung hingewiesen. Er hat darauf hingewiesen,
erfolgen soll, welche Pläne hier durchgeführt und daß dazu, daß nichts geschieht, was diesen Beitritt
welche Aufgaben gelöst werden müssen, hat der erschwert, eine liberale Außenhandelspolitik not-
deutsche Bundesaußenminister Schröder eindeutig wendig ist, auch in den Beziehungen zu den USA.
und klar auf der 100. Tagung des Ministerrats der Ich meine, daß das Kennzeichen der deutschen Vor-
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft dargetan. Es schläge im wesentlichen darin zu sehen ist, daß
darf auch einmal hier im Parlament festgehalten hier der offene, weltoffene Charakter der europä-
werden, daß es nicht übertrieben ist, daß durch ischen Gemeinschaft betont wird.
diese Vorschläge des deutschen Außenministers in So ist nach unserer Meinung dieser Vertrag, den
Brüssel die eigentliche Krise der europäischen Ge- wir hier in der ersten Lesung behandeln, kein
meinschaften beendet worden ist Fremdkörper in unserer geradlinig fortgesetzten
(Abg. Wehner: Na, na!) Politik. Er baut sich sinnvoll in unsere bisherige
Politik ein.
und daß die europäischen Gemeinschaften dadurch
ein neues Selbstbewußtsein bekommen haben. Um das unübersehbar deutlich zu machen, wird
die CDU/CSU-Fraktion im Auswärtigen Ausschuß
(Beifall bei der CDU/CSU. — Abg. Wehner: und in der weiteren Lesung dieses Vertrages vor-
Es täte mir leid, wenn das, was Sie bis jetzt schlagen, daß die vom Bundesrat angenommene
gesagt haben, nur so wahr ist wie das, Resolution dem Grundsatz nach als Präambel dem
was Sie jetzt gesagt haben!) Ratifikationsgesetz zu dem Vertrage vorangestellt
— Sicherlich, Kollege Wehner, gibt es Kritik an wird.
diesen Ausführungen aus Paris und Brüssel und, (Abg. Dr. Schmid: Was heißt „dem Grund
wie ich jetzt höre, auch aus dem Deutschen Bundes- satz nach"?)
tag heraus.
— Dem Grundsatz nach, Herr Kollege Schmid, be-
(Abg. Wehner: Nicht an den Ausführungen!) deutet, daß wir den Beratungen des Auswärtigen
Aber wir wissen, daß es schwierig ist, hier einen Ausschusses heute nicht vorgreifen wollen. Ich -
neuen Anfang zu setzen. Wir konnten nicht erwar- möchte den Auswärtigen Ausschuß hier nicht prä-
ten, daß von vornherein alles angenommen wird. judizieren. Diese Resolution wird als Material dem
Aber ich möchte doch mit großem Nachdruck fest- Auswärtigen Ausschuß überwiesen, und in den Be-
stellen, Herr Kollege Wehner, daß der deutsche ratungen im Auswärtigen Ausschuß werden wir
Außenminister durch seine Vorschläge einen neuen dann diese Resolution des Bundesrates so formulie-
und positiven Anfang in Brüssel gesetzt hat. ren, daß sie als Präambel dem Ratifikationsgesetz
vorangesetzt werden kann.
(Beifall bei der CDU/CSU.)
Ich glaube, daß in der Resolution des Bundesrates
Herr Kollege Wehner, wir werden abwarten müs-
der Grundriß unserer deutschen Außenpolitik vor-
sen, was jetzt praktisch dabei herauskommt. Aber
handen ist. Sie macht deutlich, in welchem Sinne
wir können gute Hoffnung haben, daß wir schon in
dieser Konsultationsvertrag von deutscher Seite ge-
naher Zukunft mit positiven Ergebnissen zu rechnen
handhabt wird. Die Niederlegung dieser Grund-
haben. Wir können damit rechnen — das ist keine
sätze in der Präambel — was von starken Kräften
Illusion mehr, nicht etwas, was in den blauen Him-
meiner Fraktion immer gewünscht wurde — hebt
mel geschrieben ist —, daß wir in der Gemeinschaft
die Willenskundgebung dieses Parlaments stärker
der Sechs in naher Zukunft zu einer Zusammen-
hervor als eine Resolution. Sie bindet eindeutiger,
legung der drei Exekutiven kommen werden. Ich
da gesetzlich verankert, auch die zukünftigen Regie-
glaube, daß das eine unmittelbare Stärkung der Ge-
rungen über diese Legislaturperiode hinaus. Durch
meinschaft sein wird. Sie ist meines Erachtens auch
diese Art der Ratifizierung sollten alle Mißver-
dringend geboten, weil nur so eine europäische
ständnisse innerhalb und außerhalb unseres Landes
Energiepolitik überhaupt möglich ist. beseitigt sein, zumal ja die Bundesregierung sich
Ich meine, daß an dieser Festigung und Stärkung, eindeutig durch eine Erklärung auf den Boden der
an diesem neuen Selbstbewußtsein der europäischen Resolution des Bundesrates gestellt hat.
3424 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963

Majonica
Bei diesem Verfahren wird sich hoffentlich — ich gen der damaligen aktuellen Politik den Vorschlag
hoffe es wenigstens wirklich — eine breite Mehr- zu Lancieren versucht, man solle über terri-
heit für den Vertrag ergeben. Man sollte nicht durch toriale, über bloße Handels- und Wirtschaftsrege-
immer neue Forderungen eine klare Sache kom- lungen hinaus den Versuch machen, zu etwas zu
plizieren. kommen, das e r einen „deutsch-französischen
Meine Damen und Herren, ich bin auf viele Ein- Freundschaftsvertrag" nannte. Das war mitten in
zelheiten des Vertrages nicht eingegangen, nicht auf der heftigen Auseinandersetzung um die Saarfrage
die gemeinsame Informations- und Entwicklungs- bei unterschiedlichen Positionen hier im Hause.
politik, nicht auf die vielen Ansätze zu einer breiten Die sozialdemokratischen Parteien Deutschlands
Begegnung unserer beiden Völker, vor allen Dingen und Frankreichs haben noch am 2. Juli 1962 gemein-
der Jugend dieser Völker. Mir kam es darauf an, sam erklärt, daß sie die Verständigung unserer bei-
dieses Vertragswerk hineinzustellen in unsere ge- den Völker als das Mittel, die viel umfassendere
samte Außenpolitik, es in seiner Bedeutung zu internationale Gemeinschaft zu schaffen, verstan-
würdigen für die Freundschaft zwischen dem deut- den wissen wollten, und die sozialdemokratischen
schen und dem französischen Volke. Im Auswärtigen Parteien der Länder der europäischen Gemeinschaf-
Ausschuß werden wir ja noch Gelegenheit haben, ten — der sechs Länder also — haben am 14. März
gründlich über den Vertrag zu beraten. Wir haben dieses Jahres erklärt, für die europäischen Sozial-
als Berichterstatter Herrn Professor Furler gebeten, demokraten sei die Aussöhnung der Völker Deutsch-
der ja durch seine Tätigkeit im Europäischen Par- lands und Frankreichs stets ein zentrales Anliegen
lament, früher als Präsident und jetzt als Vize- gewesen. „Es war", so erklärten sie, „das gemein-
präsident, gerade die Gewähr für einen Zusammen- same Ziel, an die Stelle jahrhundertealter Rivali-
klang dieses Vertrages mit unserer europäischen täten einen unauflöslichen Zusammenschluß der we
Politik bietet. sentlichsten Interessen der 'europäischen Völker tre-
ten zu lassen, und die Aussöhnung des deutschen
Aber, meine Damen und Herren, schließen möchte
und des französischen Volkes mußte zu einem Mit-
ich meine Ausführungen zur ersten Lesung dieses
tel zur Schaffung einer Gemeinschaft aller euro-
Vertrages mit einem Dank an jenen Mann, der auf
päischen Völker werden, die lange Zeit durch blu-
deutscher Seite der hervorragendste Baumeister die-
tige Auseinandersetzungen entzweit waren."
ser deutsch-französischen Verständigung ist, die mit
seinem Namen für alle Zeiten verbunden sein wird, Wenn wir daran denken, wie schwer es während
schließen möchte ich diese Ausführungen mit einem der vielen Kriege und in ihrer Auswirkung auch
Dank an Bundeskanzler Konrad Adenauer. jeweils lange nach dem Kriege gewesen ist, offen
die Stimme für den Ausgleich, für die Vernunft, für
(Anhaltender Beifall bei den Regierungs
die Völkerverständigung zu erheben, dann dürfen
parteien.)
wir uns der Tatsache freuen, daß es nach dem ver-
hängnisvollen zweiten Weltkrieg möglich wird, die
Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der Verständigung zu verwirklichen.
Herr Abgeordnete Wehner.
Wenn die Sozialdemokraten Deutschlands und
Frankreichs und die Sozialdemokraten der euro-
Wehner (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen päischen Gemeinschaft aus Erfahrungen mit Nach-
und Herren! Die Überzeugung, „daß die Versöhnung druck betonen, daß 'es zur wirklichen Völkerver-
zwischen dem deutschen und dem französischen ständigung notwendig sei, jede Art von Nationa--
Volk, die eine jahrhundertealte Rivalität beendet,
lismus zu überwinden, und daß deshalb auch jede
ein geschichtliches Ereignis darstellt, das das Ver- wie immer geartete Hegemonie ungeeignet und ge-
hältnis der beiden Völker zueinander von Grund fährlich ist, so haben sie damit den Finger an Wun-
auf neugestaltet", wie es in der Erklärung heißt, den gelegt, von denen zu reden sein wird. Nur
diese Überzeugung teilen wir Sozialdemokraten. dann, wenn die Aussöhnung des deutschen und des
Wir betonen das um so freudiger, als es in der französischen Volkes als Mittel zum Zweck der
wechslvonGitderBzhungbi Schaffung einer europäischen Gemeinschaft dient,
Staaten Zeiten gegeben hat, in denen die Sozial- können wir selbst und mit uns die anderen Völker
demokraten auf beiden Seiten dafür sogar Opfer zu sicher sein, daß wir die Stufen zu den Vereinigten
bringen hatten. Staaten von Europa und damit entscheidende Vor-
Die Feststellung, „daß eine enge Solidarität die aussetzungen für die Sicherung des Friedens bauen.
beiden Völker sowohl hinsichtlich ihrer Sicherheit In der gemeinsamen Erklärung, die Bundeskanz-
als auch hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen und kul- ler Adenauer und Präsident die Gaulle am 22. Ja-
turellen Entwicklung miteinander verbindet", möch- nuar unterzeichnet haben, begründen sie den Ver-
ten wir in der Hoffnung bekräftigen, daß es ein Se- trag auch aus der Erkenntnis heraus, daß die Ver-
gen für die Zukunft unserer Völker und aller un- stärkung der Zusammenarbeit zwischen den beiden
serer Nachbarvölker sein wird, wenn die Jugend Ländern einen unerläßlichen Schritt auf dem Wege
nicht mehr nur zu den Stätten pilgern kann, die an zu dem vereinigten Europa bedeutet, welches das
dieOpfrVganhitme,sodrn Ziel beider Völker ist. Der Bundeskanzler hat die-
selbst baut und sich erbaut an den Wahrzeichen ;der sen Satz heute auch hier noch einmal selbst ausge-
neuen Völkergemeinschaft. sprochen.
In diesem Haus hat Kurt Schumacher am 10. März Bedeutende Politiker unseres Volkes haben das
1950 mitten in einer Auseinandersetzung über Fra- Problem der deutsch-französischen Aussöhnung und
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963 3425
Wehner
Freundschaft immer im größeren Zusammenhang französische Volk der Krieg deutscherseits nur ein
gesehen, nämlich im europäischen Zusammenhang Verteidigungskrieg und kein Krieg gegen das fran-
und auch darüber hinaus. zösische Volk sein sollte und dennoch als Krieg ge-
führt werde gegen das französische Volk, nicht ein
Der Herr Bundeskanzler hat hier den Namen
Verteidigungskrieg, sondern ein Eroberungskrieg,
August Bebels erwähnt. Das hat mich erinnert an
eine Szene, die wir nicht vorgeführt, sondern in Paris nicht ein Krieg für die Unabhängigkeit Deutsch-
lands, sondern ein Krieg für die Unterdrückung der
vor einer Reihe von Jahren erlebt haben, als wir im
edlen französischen Nation. Sie erinnerten mit
Streit um das Saar-Abkommen waren. Der Bundes-
einem Zitat aus der Thronrede — weil es immer
kanzler wirkte mit einem Teil seiner Equipe in
gut ist, auch in den Worten seines Antipoden zu
Paris und wollte damals auch Vertreter des Parla-
ments zu einer Konsultation dort haben. Da war sprechen, wenn es gerade mal so paßt —
am Rande auch Gelegenheit — und der Bundes- (Heiterkeit)
kanzler kam von selber darauf —, in diesen Zu- daran, daß diese edle französische Nation doch be-
sammenhängen über Bebel zu sprechen. Ich freue rufen sei, die Segnungen christlicher Gesittung und
mich, daß das nicht einmalig war. steigenden Wohlstands gleichmäßig zu genießen, zu
(Abg. Dr. Stoltenberg: Wir sind doch im einem heilsameren Wettkampf als zudem blutigen
Jubiläumsjahr!) Wettkampf der Waffen.
— Das sitzt beim Bundeskanzler tiefer; soweit Bebel und Liebknecht haben damals im Reichstag
kenne ich ihn. beantragt, er solle beschließen, die verlangte Geld-
bewilligung für die Kriegführung abzulehnen und
(Heiterkeit.)
den Bundeskanzler — damals hieß er noch Bundes-
Fragen Sie einmal Herrn von Merkatz. Er wird kanzler und nicht Reichskanzler — zu ersuchen,
Ihnen erklären, wie er einmal damit abgefahren ist, dahin zu wirken, daß unter Verzichtleistung auf
als er glaubte, man könne einseitig Bismarck feiern, jede Annexion französischen Gebiets mit der fran-
und der Bundeskanzler ihn belehrte: dann muß zösischen Republik schleunigst Frieden geschlossen
man aber auch usw. werde.
(Allseitige Heiterkeit und Beifall bei der (Zuruf.)
SPD.) — Entschuldigen Sie, ich komme gleich darauf.
Er hatte dafür gute Gründe. Das war kein Trick. Langer Rede kurzer Sinn — den Anstoß, die Ermu-
Der Bundeskanzler ist ein trickerfahrener Mann, tigung, das so lange zu machen, hat mir die Erwäh-
aber hier waren geschichtliche Erwägungen. nung von Bebel durch den Bundeskanzler gege-
ben —: Damals wurden sie dafür geschmäht, daß
(Erneute Heiterkeit. — Abg. Dr. Schmid der französische Konsul in Wien — ein Mann, der
[Frankfurt] : Bebel war Kölner!) glaubte, man könne in einem Schreiben den beiden
Der Ausgang des 70er Krieges, den Dank der französischen Nation aussprechen,
und das auch noch veröffentlichte, wofür sie sich
— so hat August Bebel damals geschrieben, und er
dann polizeilich und sogar gerichtlich zu verant-
hat extra geschrieben: —
worten hatten — sich so äußern konnte. — So war
die Annexion von Elsaß-Lothringen, hat Deutsch- es in der Geschichte. Ich bitte um Entschuldigung:
land und Frankreich aufs tiefste verfeindet, hier redet man immer in Formeln von hundert- und
und diese Feindschaft nutzt das eroberungs- tausendjähriger Rivalität; das waren solche Dinge!
süchtige Rußland aus, um altgehegte Pläne —
zunächst im Orient — in seinem Interesse bei (Beifall bei der SPD.)
erster Gelegenheit zu verwirklichen. Deutsch- Da gab es im Deutschen Reichstag Leute, die haben
land, sich so benommen, daß ihnen der französische Kon-
— so Bebel in der Sprache der damaligen Zeit — sul in Wien schrieb — was sie sehr bloßgestellt
hat —: „Frankreich begrüßt Sie und dankt Ihnen,
die Gefahr erkennend, aber in seinen Regie- denn es erblickt in Ihnen die Zukunft Deutsch-
rungen und herrschenden Klassen nicht geneigt, lands und die Hoffnung auf eine Versöhnung zwi-
eine Aussöhnung mit Frankreich herbeizufüh- schen den beiden Völkern."
ren, suchte und fand in Österreich und Italien
Bundesgenossen, und so stehen sich Zweibund (Beifall bei der SPD.)
und Dreibund als Feinde gegenüber. Und so Aber das Wesentliche ist — und der Herr Bun-
ist es gekommen, daß heute ganz Europa in deskanzler hatte ja noch einen anderen Namen aus
Waffen und Rüstungen starrt. der Vergangenheit in dieser besonderen Beleuch-
Ich rufe das deshalb in Erinnerung, weil Bebel tung deutsch-französischer Rivalitäten, schreck-
immerhin einer der beiden Abgeordneten war — licher Erfahrungen und Verkrampfungen erwähnt,
der andere war Wilhelm Liebknecht —, die im Jah- auf den zu sprechen zu kommen in diesem Zusam-
re 1870 im Reichstag in einer Resolution, die sie menhang eine Ehre ist —, daß Männer der deut-
einbrachten — das Recht, darüber frei zu sprechen, schen Politik, die sich mit dieser schrecklichen Sache
bekamen sie damals nicht —, in einer Resolution, des deutsch-französischen Verhältnisses ernsthaft
die sie verlesen durften, erklärten, daß ja nach den befaßt haben, sich durchgerungen haben oder von
eigenen Erklärungen des Königs von Preußen vornherein der Überzeugung waren, daß es sich um
der Thronrede und in der Proklamation an das eine Aussöhnung der beiden und nicht etwa nur um
3426 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963
Wehner
irgendwelche formalen Abschlüsse von Abkommen Amerikas abschließt. Wir wollen die Vereinigten
oder Verträgen — damals zwischen den Dynastien Staaten Europas nicht als ein Ausschlußmittel
und später zwischen den anderen Regierungen — etwa gegen England oder gegen Rußland, sondern
handeln müsse. Sie haben es immer in einem größe- wir wollen die Vereinigten Staaten Europas,
ren Zusammenhang gesehen. Immer! Und das damit die großen Probleme der Wirtschaft, die
möchte ich gern noch ein wenig belegen. großen Probleme der auswärtigen Politik gelöst
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands hat werden können.
1925 auf ihrem Heidelberger Parteitag beschlossen, Er hat dann politisch erläuternd in seiner Art und
sie trete ein für die aus wirtschaftlichen Ursachen in seiner Sprache gesagt:
zwingend gewordene Schaffung der europäischen
Wirtschaftseinheit, für die Bildung der Vereinigten Vielleicht war die allerletzte Ursache des Welt-
Staaten von Europa, — — kriegs
— gemeint ist der erste Weltkrieg —
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter doch der Umstand, daß die ungeheuer ange-
Wehner, gestatten Sie eine Zwischenfrage? wachsenen Produktivkräfte, die längst den ein-
zelnen Bourgeoisien über den Kopf gewachsen
Wehner (SPD): . . . um damit zur Interessensoli- waren, gegen die überkommenen nationalen
darität der Völker aller Kontinente zu gelangen. — Staatsgrenzen, die der wirtschaftlichen Stufe der
Ich bitte Sie um Entschuldigung. Wenn ich zitiere, Entwicklughmerspacn,bli-
werde ich ja wohl nach Beendigung des Zitats ten. Wir wollen
unterbrochen werden können. — so sagte er —
Vizepräsident Dr. Dehler : Die Frage des Herrn eine Lösung des europäischen Staatenproblems,
Dr. Dresbach gehört offenbar zu dem Sachbereich, weil wir den Prozeß des Erwachens der ge-
den Sie vorher dargestellt haben. schichtslosen Nationen allerdings auch bis zu
einem gewissen Grad zu beeinflussen, zu über-
wachen oder zu lenken haben, damit dieser
Wehner (SPD) : Ich bitte Sie nur um diesen Akt Prozeß sich nicht wieder in einer katastrophalen,
der Höflichkeit.
in einer kriegerischen Weise vollziehe, die heute
bei der Entwicklung der Kriegstechnik die ganze
Vizepräsident Dr. Dehler: Na, ich bitte. europäische Zivilisation dem Untergang aus-
setzen würde.
Wehner (SPD) : Aber ich bin bereit, Fragen zu Er fügte hinzu:
beantworten, auch wenn es in diesem Fall um eine
Erklärung geht. — Bitte! Wir wünschen diesen Prozeß durch eine ein-
sichtige Politik der vereinigten europäischen
Dr. Dr. h. c. Dresbach (CDU/CSU) : Herr Weh- Staaten zu fördern, die jede Unterdrückung an-
ner, ich wollte Sie fragen, weshalb Sie das Jahr 1914 derer Nationen, jede Unterdrückung der Kolo-
überspringen, wo die Sozialdemokratische Partei nialvölker und die Zerstörung ihrer Kultur, ihres
die Kriegskredite bewilligt hat. Rechts ablehnt.
(Oh!-Rufe von der SPD.) Das ist der große Gesichtspunkt unserer aus-
wärtigen Politik, der unmittelbar unseren so-
Wehner (SPD) : Manchmal hat man ja guten zialistischen Überzeugungen entspringt.
Grund, sich über Ihre Intervention zu freuen, Herr Ich fand das bewegend und erregend, weil das die
Kollege. Aber manchmal denkt man eben auch Worte eines Mannes sind, der mit seinem Leben ein
menschlich. Das Jahr 1914 kommt noch, wenn es Opfer der braunen Diktatur geworden ist und den
darauf ankommt. Versuch gemacht hat, das zu tun, woran hier der
(Abg. Dr. Dr. h. c. Dresbach: Sie waren aber Bundeskanzler heute erinnert hat: daß, wenn das
eben schon bei 1925!) gelungen wäre, beiden Völkern diese Diktatur und
das, was ihr folgte, hätte erspart werden können.
— Sie werden es gleich merken, Herr Dresbach. Sie
sind zwar auch einer von den Gereifteren — genauso (Beifall bei der SPD.)
werde ich mich diesem Jahrgang zu nähern haben —, Aber es war ein Mann, der sich .damals in dieser
aber hier war von Ihnen zu schnell geschaltet. Hier Vision dessen, was notwendig wäre aus den Grün-
geht es um die Beurteilung der Lehren des ersten den, die er in seiner Sprache darlegte, besann und
Weltkrieges mit dem, was Hilferding sagte. Ich sagte:
werde Ihnen gleich auch noch mit Stresemann dienen.
Ich hoffe, es wird Sie zu dann befriedigen. Es ist, wie wenn wir eine Gipfelwanderung
vorhaben und den Marsch beginnen; dann se-
Hilferding hat damals in seiner Rede zu dem
hen wir die Spitze vor uns, scheinbar zum
Beschluß, bei dessen Zitat ich eben unterbrochen
Greifen nahe, scheinbar mühelos zu erobern.
worden bin, erklärt;
Dann beginnt der Marsch durch das Vorgelände.
Wir wollen die Vereinigten Staaten Europas Bald schwindet uns die Aussicht. Wir marschie-
nicht als ein Wirtschaftsgebiet, das sich im ren. Unser Weg dauert viel länger, als wir
Konkurrenzkampf gegen die Vereinigten Staaten gedacht haben. Plötzlich treten wir aus dem
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963 3427
Wehner
Wald heraus, und das Vorgelände ist über- ständigung und wenn angenommen werden darf,
wunden. Vor uns erhebt sich das steile Berg- daß diese Verständigung der Vereinigung Europas
massiv, steinig und unwegsam auf den ersten dienen soll, so erhebt sich die Frage nach der Aus-
Blick, und da wollen wir einen Moment lang wirkung des Vertrages und nach den Umständen
verzagen. Doch dann sagen wir unis: wir sind seines Zustandekommens in bezug auf die schon
nähergekommen, wir haben die Vorbereitungs- bestehenden Verträge und die aus ihnen entwickel-
zeit hinter uns, jetzt geht es zum Aufstieg, ten europäischen Gemeinschaften. Im Unterschied
wir müssen hinauf. zu allem, was von Generationen vor uns versucht
worden ist, zur deutsch - französischen Verständi-
Es ist tragisch. Er und andere mußten damals,
meine lächelnden Herren, noch tiefer herunter. Sie gung, zum europäischen Zusammenschluß zu kom-
wollten das „hinauf" für alle, für die beiden Völ- men, haben wir es nun nach dem zweiten Weltkrieg
ker, für Europa. Sie mußten tief herunter. Aber es ja mit bestehenden europäischen Gemeinschaften
ist tröstlich: wir haben ihre Zuversicht in unseren zu tun. Dort also haben wir etwas, mit dem gerech-
Herzen. Das wollte ich bei dieser Gelegenheit in net und das behutsam behandelt werden muß.
Erinnerung an die, die für die Vereinigung Europas Hilferding — ich darf auf ihn noch einmal zurück-
nicht nur gesprochen haben, sondern auch Opfer kommen — hat 1925 die Politik, die dem Prinzip der
geworden sind, hier sagen dürfen. Rivalität der Nationen, dem Konkurrenzkampf der
Nun ein Wort zu Gustav Stresemann, weil er Nationen die Erkenntnis der notwendigen Solidari-
ebenfalls zu denen gehört hat, die in dem Bewußt- tät der Nationen entgegengestellt, das Rettungs-
prinzip für Europa genannt.
sein von der unerhörten Bedeutung des deutsch-
französischen Verhältnisses dieses Verhältnis im- Ich greife jetzt auf einen, der unvergleichliche
mer in seinen Zusammenhängen gesehen hat. Er Verdienste im Aufbau der europäischen Gemein-
sagte: schaften nach diesen blutigen Erfahrungen hat — es
Ich betrachte die Verständigung zwischen ist ein großer Franzose —, auf Jean Monnet, der
Frankreich und Deutschland als die Kernfrage nach den Erfahrungen zweier Weltkriege gesagt hat:
der europäischen Verständigung. Aber diese Es handelt sich heute nicht mehr um eine bloße
Frage kann man nicht mit irgendeiner Aggres- Summierung der nationalen Interessen, sondern
sion gegenüber anderen Mächten lösen. Ich darum, die Probleme von nun an als gemein-
habe infolgedessen auch bei der großen wirt- same Probleme zu betrachten, die nationalen
schaftlichen Abmachung, die hier zustande ge- Interessen allmählich in einer einzigen euro-
kommen ist, päischen wirtschaftlichen Einheit zu verschmel-
— er meinte das deutsch-französisch-belgische zen und dabei die gleichen Regeln und die glei-
Stahl- und Eisenabkommen — chen Institutionen entsprechend den Grundsät-
zen der europäischen Gemeinschaften anzuer-
immer betont, daß, soweit eine Mitwirkung der kennen.
deutschen Regierung in Frage kam, es falsch
wäre, wirtschaftliche Trusts zu schaffen, die Das sagt Jean Monnet. Ich glaube, man darf sagen,
ihre Spitze hätten, sei es gegen ein anderes das ist eine neue Methode des gemeinschaftlichen
europäisches Land, sei es gegen die Vereinig- Handelns, von den sechs Ländern der Gemeinschaf-
ten Staaten von Amerika. ten seit 1950 mit der Verpflichtung angenommen,
ihre Wirtschaftsprobleme als gemeinsame euro-
Und so weit ging er damals: päische Probleme und nicht, wie in der Vergangen-
Ich glaube, daß die französische öffentliche Mei- heit, als innerstaatliche Probleme zu behandeln.
nung im Sinne Frankreichs nicht gut daran ge- Es wäre ungerecht, wollte man sagen: erst mit
tan hat, diejenige Schärfe gegen Amerika zu dem 14. Januar, jener Pressekonferenz des franzö-
zeigen, die in den letzten Jahren zum Ausdruck sischen Staatspräsidenten, die im Zusammenhang
gekommen ist. mit Brüssel noch lange unvergessen bleiben wird,
So Stresemann 1926! hätte man sich manchmal auch an sehr verantwort-
licher und hervorgehobener Stelle wieder nach rück-
Die ganze Frage des Wiederaufbaus Europas wärts gewandt. Diese Probleme sind eigentlich seit
— so schärfte er ein — der Existenz der Gemeinschaft als gemeinschaftliche
zu behandeln, nach beschlossenen und zum Vertrag
ist ja ohne Amerika nicht zu lösen. gewordenen Regeln und mit Hilfe von lebendigen,
Und kurz danach: von existierenden, von tätigen Institutionen, was es
Die ganze Frage ist keine Frage der Divergenz früher in dieser Weise nie gegeben hat. Es ist
zwischen Paris und London. etwas, das es zum erstenmal in der für uns über-
schaubaren Geschichte zwischenstaatlicher Bezie-
Nach diesem Rückblick, meine Damen und Herren, hungen gibt. Es wäre ungerecht zu sagen, erst am
wieder zu dem uns vorliegenden Vertrag, der in 14. Januar sei das geschehen; es ist manchem auch
diese große Schau, mit der auch der Bundeskanzler schon vorher passiert. Ich habe z. B. den Herrn Bun-
den Vertrag eingebracht hat, gehört, und hin zu deskanzler — im Herbst letzten Jahres war es
den Fragen, die mit ihm zusammenhängen, und wohl — einmal öffentlich darauf aufmerksam ge-
auch zu den Problemen! Wenn im Grunde genom- macht, daß er in einem Brief, den er damals an den
men Übereinstimmung angenommen werden kann Hamburger Bürgermeister Nevermann geschrieben
in der Würdigung der deutsch-französischen Ver- hat, auch von deutschen Interessen gesprochen hat;
3428 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963

Wehner
er hat sie dann erklärt als Textil, Kohle, Landwirt- tiative ist doch noch nicht, wie Sie es vorhin hier
schaft, wobei ich ihm natürlich zugute halte, daß das gesagt haben, die Überwindung der Krise. Das weiß
Interessen sind, die er wahrzunehmen hat. Nur hat der Außenminister sehr genau.
er dabei für den Augenblick oder für länger — das (Beifall bei der SPD.)
muß er selber wissen — übersehen, daß es sich hier
um Interessen, um Fragen, um Problemkreise han- Das mache ich ihm nicht zum Vorwurf. Ich mache
delt, die nach den Methoden, die in den Verträgen Ihnen zum Vorwurf, daß Sie sich und andere —
festgelegt sind, regelbar geworden sind. wahrscheinlich unbewußt — täuschen, indem Sie
meinen, es komme darauf an, zu zeigen, wie gut-
Dieses gelegentliche und leider in der letzten Zeit willig man ist. Darauf kommt es gewiß auch an.
immer wieder beharrlich vorgekommene Zurückfal- Aber wir haben noch vieles zu tun, um den anderen,
len in solche Interessenausdrücke hat auch in Län- die mißtrauisch geworden sind, klarzumachen, daß
dern, die auf uns blicken, in Ländern, die sich über- sich hier bei uns etwas in Bewegung setzt und wir
zeugen lassen, daß auch sie eigentlich zur Gemein- uns mit Haag, mit Brüssel usw. besprechen. Ja, kon-
schaft gehören — ich denke da an eine Reihe von sultieren Sie einander! Es ist wahr, daß eine Krise
Nachbarländern —, Aufsehen erregt. Ich werde wie die, in die man in Brüssel geraten ist, mit
lange nicht vergessen, wie ein mir besonders sym- einigen guten Vorsätzen und mit einigen Ansatz-
pathischer, politisch sonst gar nicht nahestehender punkten, auf die der Außenminister mit Recht hin-
Diplomat, der zu den ältesten hier in Bonn gehört, gewiesen hat — Vorsätze, deren Verwirklichung
mir einmal in diesem Zusammenhang die Frage wir, wo es nur geht und wie es nur geht, unter-
stellte: „Wie kommt das eigentlich, können Sie mir stützen werden —, noch lange nicht behoben ist.
das erklären? Früher gab es von Bonn amtlicher- (Beifall bei der SPD.)
seits immer wirkliche Impulse zur europäischen
Einigung. Seit einer gewissen Zeit ist das anders." Was der von mir genannte Pionier der europä-
Ich habe ihm zu meinem Leidwesen sagen müssen: ischen Vereinigung Jean Monnet eine neue Methode
„Das ist tatsächlich seit einer gewissen Zeit anders, des gemeinschaftlichen Handelns nennt, hat er er-
und das hat Ursachen." läutert: Sie erkennen die gleichen Rechte an, sie
haben gemeinsame Institutionen geschaffen, den
Man kommt in eine schwierige Lage, weil die Ministerrat, das Europäische Parlament, die Europä-
Partner und die, die uns beobachten, die auf uns ischen Kommissionen, den Gerichtshof. Das — ich
sehen, sich zeitweise sogar eine Theorie zurecht- stimme damit vollkommen überein — ist der Anfang
gelegt haben, warum es so sei. Sie sagen: „Ja, ja, der künftigen europäischen Föderation, das ist er,
solange die Bundesrepublik Deutschland noch in und nicht ein Vertrag, der sonst noch geschlossen
einer Situation war, in der sie sich sozusagen unter werden kann, so wichtig ein solcher Vertrag sein
dem Souveränitätspegel der anderen befand, da kann. Die gemeinsamen Regeln und Institutionen
konnte sie gut über die Übertragung von Souveräni- werden zur Beseitigung des Überlegenheits- und des
tätsrechten reden; da hatte sie ja noch etwas mit zu Herrschaftsdenkens führen, das die europäischen
gewinnen. Aber nun — — !" Ich möchte, daß dieses Länder an den Rand des Verderbens geführt hatte.
Mißverständnis der Haltung der Bundesregierung
und solcher in ihr, die um die europäische Zusam- Meine Damen und Herren, ich komme — und bin
menarbeit Verdienste haben, ausgeräumt werden in ihr — in eine delikate Situation. Ich muß jetzt —
kann. das gehört hier dazu und das muß die parlamenta-
rische Opposition und müssen ihre Sprecher, sonst
(Abg. Majonica meldet sich zu einer wären wir ein schlechtes Parlament; aber ich will
Zwischenfrage.) Ihre Anerkennung nicht herauslocken, daß wir diese
Aufgabe haben — hier einen Mann zitieren, mit
Vizepräsident Dr. Dehler: Herr Abgeordneter dem wir jahrelang, weil er unser erklärter innen-
Wehner, der Herr Abgeordnete Majonica hätte gern politischer Gegner war und wohl auch noch ist,
eine Zwischenfrage gestellt. Sind Sie einverstanden? Florett und Degen — bildlich gesprochen, bitte, bitte,
ich bin kein Fechter — gekreuzt haben: ich meine
den Präsidenten der Europäischen Wirtschaftskom-
Wehner (SPD) : Ja, bitte. mission. Wenn Sie von Krise sprechen, Verehrte,
und wenn Sie davon sprechen, sie sei überwunden,
Majonica (CDU/CSU) : Herr Kollege Wehner, dann müssen Sie das, was tatsächlich im Gewebe
sind Sie nicht der Meinung, daß der Plan, den der der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft ange-
deutsche Außenminister in Brüssel auf der 100. Ta- richtet worden ist, wirklich unter die Lupe nehmen,
gung des Ministerrates der EWG vorgelegt hat, eine nicht um peinliche Entdeckungen zu machen, son-
neue und eine sehr positive Initiative in der Euro- dern um zu prüfen: gibt es — und wo sind sie, wenn
papolitik gewesen ist? es sie gibt — Ansätze zu einer Überwindung dieser
Krise? Der Präsident der Europäischen Kommission
Wehner (SPD) : Warum haben Sie, Herr Kollege, hat im Europäischen Parlament erklärt, daß so
es eigentlich so eilig? Ich glaube, daß der Bundes- wenig wie irgend jemand die Kommission die Be-
außenminister weiß, daß auf ihn der Spruch: deutung der politischen Grundtatsache verkenne, die
„Mönchlein, Mönchlein, du gehst einen schweren durch diesen Vertrag, über den wir heute hier reden,
Gang" in diesem Zusammenhang angewandt werden bekräftigt werden soll, der durch Robert Schuman
könnte. Denn, Hut ab vor der Initiative des Außen- und Konrad Adenauer inaugurierten deutsch-fran-
ministers. Aber, Herr Majonica, die geredete Ini- zösischen Aussöhnung. Er setzt hinzu:
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963 3429
Wehner
Diese Tatsache ist nicht nur von unermeßlichem Amtes oder der anderen beteiligten Ministerien, das
Segen für den Frieden Europas, für den Frie- gibt eine tolle Rechnung!
den der Welt; es ist auch außer Zweifel, daß Mich haben ausländische Kollegen — Parlamen-
ohne sie alle Bemühungen um eine vorbehalt- tarierkollegen—gefragt, wie wir das denn wohl ver-
lose und dauerhafte Einigung Europas ein eitles kraften würden — bei den Franzosen nehmen sie
Unterfangen sein würden. Wir haben ferner an, die können es verkraften —, so viele Leute zu
keinerlei Grund, in der unglücklichen zeitlichen ganz engmaschigen, genau datenmäßig festgelegten
Koinzidenz zwischen Vertragsabschluß und Konsultationen fortgesetzt zusammenzubringen. Ob
Unterbrechung der britischen Verhandlungen, uns denn, so fragten sie — eine Kehrseite hatte
jener Koinzidenz, die das Urteil über den Ver- das —, dann noch 'genügend von diesen qualifizier-
trag weithin bestimmt hat, das Indiz eines ver- ten Beamten zur Verfügung :stünden für die eigent-
abredeten Planes zu sehen, liche Arbeit in den europäischen Gemeinschaften, —
— so Hallstein —, für die Arbeit hin zu den europäischen Gemein-
schaften.
der sich gegen die geographische Ausdehnung (Heiterkeit.)
unserer Gemeinschaften und womöglich zugleich
gegen deren vertragsmäßige Entwicklung über- Der Haushaltsausschuß wird sich damit zu befas-
haupt richtet. Aber der Vertrag bezieht nun sen haben.
einmal ausdrücklich die Angelegenheiten der (Zuruf.)
europäischen Gemeinschaften in seinen Anwen- — Bitte, wenn Sie die Arbeit kennen, Herr Kollege,
dungsbereich ein. Die Konsultation, zu der die der Sie sich darüber mokieren, werden Sie sehen:
Regierungen sich in allen wichtigen Fragen der der Ausländer hat sich genau — ich habe mit ihm
Außenpolitik verpflichten, um so weit wie mög- einige Jahre zusammengesessen in der europäischen
lich zu einer gleichgerichteten Kahle- und Stahl-Versammlung — ein Bild darüber
— ein schreckliches Wort; viele werden mit mir gemacht. Den Beamten ist es ja auferlegt, die Kon-
übereinstimmen — sultationen in den vorgeschriebenen Fristen — die
ich hier gar nicht vorlesen will — zu absolvieren.
Haltung zu gelangen,
Ich komme aber zurück zu Hallstein. Der Präsi-
(Lachen bei der CDU/CSU) dent der Kommission sagt:
schließt ein die Fragen der europäischen Ge- Die Kommission, der der Vertrag von Rom
meinschaften, die Ost-West-Beziehungen sowohl ausdrücklich die Aufgabe eines Hüters dieses
im politischen als auch im wirtschaftlichen Be- Vertrages zuweist, sieht sich durch die Sach-
reich, ferner Angelegenheiten, die in den ver- lage, wie sie durch diesen Vertrag gegeben und
schiedenen internationalen Organisationen be- von ihm hier zusammengefaßt worden ist, zu
handelt werden. Dazu kommt die Konfrontation folgenden Bemerkungen veranlaßt, wobei sie
der Entwicklungsprogramme und die Prüfung vorausschickt, daß sie den Sachverhalt ohne
der Möglichkeiten, Vorhaben gemeinsam in jede Voreingenommenheit geprüft hat und
Angriff zu nehmen. Eine Verstärkung der Zu- selbstverständlich den Vertragschließenden kei-
sammenarbeit ist im Rahmen des Gemeinsamen nerlei Absicht unterstellt hat, damit gegen ihre
Marktes vorgesehen, in anderen wichtigen Be- Gemeinschaftsverpflichtungen zu handeln. Als
reichen der Wirtschaftspolitik, z. B. der Land- Kriterium ihres Urteils nimmt sie nicht einen
und Forstwirtschaftspolitik, der Energiepolitik, formalen juristischen Maßstab — wie sie über-
haupt der Meinung ist, daß der Schwerpunkt
— zu der wir hier wahrlich noch wenig wirkliche der Fragen im Bereich des Politischen liegt —,
Ansätze haben; es dämmert einiges —
sondern die Ratio des Vertrages selbst ist das
der Verkehrs-, der Transportfragen, der indu- Interesse an einer in ihrer Substanz und Dyna-
striellen Entwicklungen ebenso wie der Aus- mik unversehrten Gemeinschaft, d. h. an der
fuhr- und Kreditpolitik. Jede der interministe- sicheren und uneingeschränkten Verwirk
riellen Kommissionen in den beiden europäischen amdicterhlunVsg d -l
Hauptstädten hat, so lautet das in dem Vertrag, einmrbugslodhöctprukiven
zudem die Aufgabe, Anregungen für eine Aus- Funktionieren der verfassungsmäßigen Organi-
dehnung des Programms der Zusammenarbeit sation der Gemeinschaft.
auf neue Gebiete zu geben. Organisatorisch Im Lichte solcher Befürchtungen — und das gehört
sind nicht nur periodische Sitzungen der Staats- in dieses Haus, wenn von solcher Stelle, vor sol-
und Regierungschefs, der Außenminister und chem Forum solche Befürchtungen ausgesprochen
von Beamten der Außenministerien vorgesehen, worden sind —, im Lichte einer solchen Betrachtung
sondern auch alle notwendigen Kontakte zwi- muß die europäische Kommission, so ließ der Präsi-
schen den ständigen Vertretern der beiden Län- dent selbst erklären, die Frage stellen, ob die fak-
der bei den internationalen Organisationen, tischen Bedingungen .des Zusammenspiels :der
worunter auch. die Gemeinschaften zu verstehen Kräfte, denen unser Vertrag die Politik der Gemein-
sind. schaft anvertraut, durch die Anwendung des Kon-
Wenn wir darüber zu reden haben werden — sultationsmechanismus des deutsch-französischen
aber ich habe schon gehört, im Ausschuß soll nur Vertrags nicht in einer Weise verändert werden
sehr wenig Zeit sein — und das einmal ausrechnen können, die nicht im Sinne des Römischen Vertrags
zusammen mit dem Stellenkegel des Auswärtigen liegt.
3430 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963
Wehner
Es heißt weiter: Dann faßt er die Stellungnahme der Kommission
Der Rat insbesondere ist ja nicht eine diplo- zu der eindringlichen Aufforderung an die nationa-
matische Konferenz, in der vorgefaßte Positio- len Ratifikationsgesetzgeber und die beteiligten
nen der einzelnen Delegationen durch Addition Regierungen zusammen,
und Subtraktion zu einem Saldo zusammen- bei Gelegenheit der parlamentarischen Ratifi-
gefaßt werden, sondern das gesetzgeberische zierung so klar und so verbindlich wie möglich
Beschlußorgan der Gemeinschaft, in dem in festzulegen, daß Auslegung und Anwendung
einer Diskussion zwischen allen Ratsmitglie- des Vertrages Bestand, Funktionieren und
dern und 'in einem beständigen Dialog mit der Dynamik unserer Gemeinschaft nicht beein-
Kommission Gründe und Gegengründe gewo- trächtigen dürfen.
gen werden und der Ausgleich zwischen den Die deutsche Öffentlichkeit ist von den Ausfüh-
Partikularinteressen und dem Gemeinschafts- rungen des Präsidenten der Europäischen Kommis-
interesse gesucht wird. Die vorherige obliga- sion bisher in einer sehr unvollkommenen Weise
torische Beratung zwischen zwei Mitgliedern unterrichtet. Ich habe es für notwendig gehalten,
der Regierungen mit dem Ziele, wie der Ver- hier ohne Zustäze mit jenen erkennbaren Interpre-
trag sagt, soweit wie möglich zu einer gleich-
tationen, die vom Text auseinandergehalten werden
gerichteten Haltung zu gelangen, trägt in die-
können, das, was der Präsident der Europäischen
sen ausgewogenen Gemeinschaftsprozeß ein
Kommission zu dem Vertrag vor dem Parlament der
neues und dem Vertrag fremdes Gesicht hinein.
Europäischen Gemeinschaft gesagt hat, diesem Haus
Erst recht, wenn auf die Waage des bilatera- zur Kenntnis zu bringen.
len Kompromisses einmal auch sachfremde,
d. h. außerhalb der Gemeinschaftsmaterie lie-
gende Argumente gedrückt haben sollten. Vizepräsident Schoettle: Herr Abgeordneter,
gestatten Sie eine Zwischenfrage des Herrn Abge-
Und dann wiederholt der Präsident der Euro- ordneten Aigner?
päischen Kommission:
Das sind Entwicklungen, die sich aus der Na- Dr. Aigner (CDU/CSU) : Herr Kollege Wehner,
tur des Vorgangs ergeben können und keiner- wollen Sie mit diesen Zitaten sagen, daß alle Im-
lei bösen Willen eines Beteiligten vorausset- pulse zur weiteren Integration Europas nur inner-
zen. halb der Römischen Verträge erfolgen dürfen, auch
Man braucht sich nur vorzustellen, ein Ver- wenn sie diese Verträge nicht berühren?
trag dieser Art, in der Form käme zwischen
allen sechs Mitgliedstaaten unserer Gemein- Wehner (SPD) : Hier geht es um Gemeinschaften,
schaft zustande, um sofort zu sehen, daß dann wie wir sie nie früher gehabt haben und deren
die Vereinbarkeit mit dem Vertrag von Rom Methoden, Institutionen und Verfahrensregeln —
nur dadurch gerettet werden könnte, daß alle ich sage es in meinen Worten — zu hüten sind wie
Konsultationen über Gemeinschaftsangelegen- der Augapfel.
heiten in die Gemeinschaftsorgane selbst ver- (Beifall bei der SPD.)
legt würden. Man braucht die Überlegung gar
nicht bis zu der Unterstellung zu führen, die Das schließt keinerlei Initiativen aus. Das schließt
durch die Haltung der beiden Regierungen in aber alles aus, was diese Gemeinschaften und das,
der Vergangenheit gewiß nicht zu begründen was durch sie erreicht worden ist, rückläufig machen
ist. oder gar gefährden könnte.
So versicherte der Präsident, daß sich die Kon- Der Botschafter der Französischen Republik, de
sultation zu einem systematischen Abstimmungs- Margerie, hat, wie ich hörte, im Rundfunk gesagt,
pool auswachsen könnte, einem Pool von zwei daß ja auch andere sich anschließen könnten. Ist
Partnern, deren vereintes Stimmengewicht eine damit gemeint, daß entsprechend diesem Vertrag,
qualifizierte Mehrheit im Rat vereiteln kann. Seine der mit Frankreich geschlossen worden ist, andere
Schlußfolgerung, seine vorläufige Schlußfolgerung: Verträge, z. B. ein ähnlicher Vertrag mit Großbri-
tannien oder mit Holland, mit Italien, mit Luxem-
Alle diese Erwägungen, die notwendig Hypo- burg, mit Belgien, sollen geschlossen werden kön-
thesen einschließen, führen die Kommission zu nen? Ist das wirklich gemeint? Das möchten wir
dem Schluß, daß ein verbindliches Urteil über gerne wissen. Welche Folgen es hätte, wenn viele
den Vertrag vom Standpunkt des Gemein- solcher bilateraler Verträge mit diesem Konsula-
schaftsinteresses schwer gefällt werden kann, tionsinhalt geschlossen würden, das hat ja der Prä-
ohne auch die praktische Anwendung dieses sident der Europäischen Kommission gesagt: Man
Vertrages zu würdigen. könnte sich und das Ganze nur retten, wenn man
Wir haben deshalb mit Aufmerksamkeit und das dann weder logischerweise, wo es hingehört, in
mit. Genugtuung Tendenzen beobachtet, bei der die Organe und in den Schoß der Gemeinschaft
parlamentarischen Ratifikation des Vertrages zurückführte. Aber will jemand sagen — und die
außer jeden Zweifel zu setzen, daß der Ver- Antwort ist die Antwort auf eine bohrende Frage —,
trag nicht zu Wirkungen auf 'die materielle Ge- es sei ja gar nicht drin oder es sei ja gar nicht er-
meinschaftsordnung und die Gemeinschaftsver- strebenswert, daß viele solche Verträge zu diesem
fahren führen darf, die dem Sinn unseres Ver- einen kommen? Dann müssen Sie sich entscheiden,
trages zuwiderlaufen. was Sie wollen, ob Sie Exklusivität wollen, ob Sie
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963 3431
Wehner
den Verdacht der anderen Partner in der Gemein- wie ich sie eben mit dem Zitat des sowjetischen
schaft wollen, daß hier durch das Zusammenlegen Ministerpräsidenten wiedergegeben habe. Es ist mit
dessen, was zwei — und in diesem Falle zwei der Recht anzunehmen gewesen, wie es zum Beispiel
leistungsfähigsten, auch der größten — Partner der das Aktionskomitee für die Vereinigten Staaten von
Europäischen Gemeinschaft haben und sind, doch Europa erklärt hat, daß die Entwicklung der Kuba
eine völlige Veränderung der Gewichte in der Ge- Frage und der Fortschritt des Gemeinsamen Marktes,
meinschaft entstehen könnte. Niemand wird das die Chruschtschow einen neuen Ton in seinen Er-
wollen, dem die Gemeinschaften am Herzen liegen. klärungen über die europäische Einigung anschlagen
ließen, Anlaß zu gewissen Hoffnungen auf eine
Aber zurück zu der Frage: Ist es gewollt — so Änderung der Beziehungen zwischen dem Osten und
wie es dem französischen Botschafter in den Mund
dem Westen geben.
gelegt worden ist —, daß sich auch andere anschlie-
ßen oder daß ähnliche Verträge mit ihnen geschlos- Ich teile die Überzeugung, daß es bei dem euro-
sen werden können? — Wenn das so ist, dann möch- päischen Zusammenschluß und bei allem, was ihn
ten wir gerne wissen, ob dann ein Vetorecht wieder betrifft oder was seinen Charakter ändern könnte,
das Anschlußbestreben eines anderen zunichte um etwas Lebenswichtiges im Westen geht. Um
machen kann. Wir würden jedenfalls gerne in Kauf diesen großen Zusammenschluß des Westens zu be-
nehmen, auf dem Umweg über ähnliche Verträge, kommen, bedarf es als Grundlage einerseits eines
Parallelverträge oder Anschlußverträge zu diesem, Vereinigten Europas einschließlich Englands und
schließlich dazu zu kommen, daß, wie es Hallstein andererseits der Vereinigten Staaten. Die Sowjet-
richtig gesagt hat, die Dinge wieder in die Gemein- union, die vielleicht ebensowenig wie der Westen
schaft zurückgeführt werden müssen. Denn das Krieg wünscht, muß durch das tatsächliche Bestehen
Wichtigste, was in Europa geschaffen worden ist, eines Westens, den sie nicht auseinanderdividieren
sind diese Europäischen Gemeinschaften. Sie hätten kann, in eine Lage gebracht werden, oder, vorsich-
aus Gründen der Wirtschaft und aus sozialen wie tiger gesagt, kommen können, in der auch die Fra-
aus politischen Notwendigkeiten geschaffen werden gen, die zur Abrüstung gehören, mehr und anderes
müssen, auch wenn der Ost-West-Konflikt nicht als nur Propaganda sein können.
bestünde. Aber infolge des Ost-West-Konflikts und Aber ein solches Abkommen wird erst möglich
seiner alles beherrschenden und verfärbenden Be- sein — hier teile ich ausdrücklich die Meinung, die
deutung sind diese Gemeinschaften für uns geradezu wir auch in einer entsprechenden Erklärung des
lebenswichtig. Aktionskomitees für die Vereinigten Staaten von
Und Tatsachen: England hat, obwohl es zehn Jahre Europa niedergelegt haben —, wenn die sowjeti-
lang in Unentschlossenheit und manchmal auch in sche Seite überzeugt sein muß, daß die Einheit des
Opposition gegenüber der Europäischen Gemein- Westens unumstößlich besteht. Solange aber der
schaft verharrt hat, nun den Beitritt als gleichberech- Westen den Eindruck erweckt, daß seine Spaltung
tigtes Mitglied gewünscht und ist bereit, den Ver- möglich ist, wird die Sowjetunion nicht zu Abkom-
trag von Rom anzuerkennen, andere — Dänemark, men geneigt sein, da sie dann stets in dem Glauben
Norwegen, Irland — auch. Andere wollen in ein leben wird, sie könne das Gleichgewicht in der
Assoziationsverhältnis treten: Schweden, Schweiz, Welt stören oder gar zerstören.
Österreich. Auch unter diesem Gesichtspunkt ist das, was mit
diesem Vertrag und mit seinen Auswirkungen auf
Weitere Tatsachen: Der sowjetische Minister- die bestehenden europäischen Gemeinschaften, ihre-
präsident Chruschtschow hat in einer Zeit- Substanz, zu prüfen ist, von erheblicher Bedeutung.
schrift, die den langen Titel trägt „Probleme des Es geht um mehr als um mehr oder weniger tech-
Friedens und des Sozialismus", geschrieben:
nische Streitfragen, wie die europäische Zusammen-
Wir tragen den sachlichen Bestrebungen zur arbeit und die Vereinigung Europas zustande zu
Internationalisierung der Produktion, die in der bringen oder zu entwickeln ist. Es geht um den Zu-
kapitalistischen Welt wirksam sind, Rechnung, sammenhalt des Westens und damit um die Frage
und wir bestimmen danach unsere Politik und der Sicherung des Friedens in Freiheit.
treffen die entsprechenden wirtschaftlichen Maß- Der frühere amerikanische Außenminister Dean
nahmen. Hier ergibt sich die Frage der Möglich- Acheson— ich habe einmal gehört, der Herr
keit eines friedlichen wirtschaftlichen Wettbe- Bundeskanzler habe gesagt: Ja, auf den kann man
werbs nicht nur zwischen den Staaten mit hören,d istarMn—hie
unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen, son- Rede vom 13. März, die Sie sich im Wortlaut be-
dern auch zwischen den wirtschaftlichen Zusam- schaffen sollten, ohne Polemik, ohne Polemik zum
menschlüssen, denen die verschiedenen Länder deutsch-französischen Vertrag und ohne Polemik zu
angehören. den Personen, die ihn unterzeichnet haben, deutlich
Ich zitiere das, weil ich damit sagen will: Die Ent- gemacht, was das alles, was sich da, wie der Bun-
wicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft deskanzler sagte, zeitlich zusammenfallend ereignet
und der übrigen Gemeinschaften hatte schon ein hat, bedeuten kann. Was die wirtschaftliche Seite
Niveau erreicht, das sogar die Auguren jener Seite betrifft, hat er gesagt, daß der Gemeinsame Markt
zu solchen Feststellungen nötigt — und wer sich — .genau wie die Vereinigten Staaten — ein zu be-
mit den Einzelheiten befaßt hat, kann das nach- deutender Produzent und Verbraucher ist, um nur
prüfen und hat es nachgeprüft; es ist eine ganze innerhalb seines eigenen Verbandes kaufen, ver-
Literatur auf der anderen Seite schon erschienen —, kaufen und verbrauchen zu können. Wenn man dies
3432 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963
Wehner
versuchen wollte, würde es die schlimmsten Konse- Des weiteren
quenzen für das eigene Gebiet und für die weiten
Außenzonen der freien Welt haben, die vom Han- —so sagt er seiner eigenen Nation —
del mit diesen beiden großen Märkten leben müs- sollte sie auf der Tatsache basieren, daß die
sen. Er hat definiert, daß die amerikanische Politik Vereinigten Staaten stark sind und von Freund
gegenüber dem Gemeinsamen Markt seit seiner und Feind gleichermaßen als 'stark angesehen
Gründung davon ausgegangen sei, daß ein solches werden.
Arrangement unter der Voraussetzung niedriger
Außenzölle und anderer Chancen gut, bei hohen Er hat bei dieser , Gelegenheit auch einiges zur
Barrieren dagegen schlecht sei; denn der Gemein- Verteidigungspolitik gesagt. Ich bitte Sie herzlich,
same Markt wurde nicht als ein Instrument für die es nachzulesen, weil es für uns sicher sehr beher-
Abkapselung des europäischen Handels innerhalb zigenswert ist. Aber hier geht es um mehr als um
eines geschlossenen Vereins unter französischer Verteidigung oder Zoll. Hier geht es um eine um-
Hegemonie begründet, sondern als ein neuer gro- fassende Partnerschaft des in der Vereinigung be-
ßer Markt, der der Ausweitung des Handels auch griffenen Europa mit den Vereinigten Staaten von
aus weltoffenem Verantwortungsbewußtsein diene. Amerika und die Bedeutung dieser Partnerschaft für
In diesem Zusammenhang hat er auf das vom Kon- die Gewichte in der Weltpolitik.
greß verabschiedete Gesetz, Trade Expansions Act,
Ich habe mich immer gewundert, warum eigent-
das eine große Bedeutung hat, hingewiesen und hat lich eine solche Rede wie die, die jetzt beinahe ein
gesagt, auf dieser Konzeption fuße dieses Gesetz, Jahr alt sein wird, die Rede des Präsidenten
und niemand habe das besser formuliert — er be- Kennedy vom 4. Juli vergangenen Jahres, mit
ruft sich hier auf einen Franzosen, auf denselben, einer ungewöhnlich packenden Feststellung dessen,
auf den ich mich vorhin berufen habe — als Jean was jede Seite allein für sich nicht tun könne, was
Monnet als der Vater des Gemeinsamen Marktes, aber, wenn wir uns zusammentun, getan werden
der gesagt hat: Es gibt dringende Probleme, die kann, sowenig gewürdigt worden ist. Er sagt:
weder Europa noch Amerika allein lösen kann. Da-
bei handelt es sich nach seiner Auffassung um die Auf uns allein gestellt, können wir nicht über-
Währungsstabilität des Westens, um die Organisa- all auf der Welt Gerechtigkeit schaffen, können
tion der Landwirtschaft in einer sich zunehmend wir nicht dafür sorgen, daß Ruhe auf ider Welt
industrialisierenden Welt, um die Hilfe für die Ent- herrscht, oder für ihre gemeinsame Verteidi-
wicklungsländer, die deren Wachstum beschleuni- gung aufkommen oder ihren allgemeinen Wohl-
gen soll, und selbstverständlich um die Freigabe des stand fördern oder die Segnungen der Freiheit
Handels, die zwischen Amerikanern und dem Ge- für uns und unsere Nachwelt sicherstellen. Aber
meinsamen Markt ausgehandelt werden muß. gemeinsam mit anderen freien Nationen kön-
nen wir dies und mehr noch tun. Wir können
Acheson hat im Lichte dieser Feststellungen die
Frage gestellt: „Wie sollen denn nun die Vereinig- — und da kommt ein ganzer Plan in nuce —
ten Staaten im Lichte dieser Analyse auf die Ereig- den Entwicklungsländern helfen, das Joch der
nisse des Januar reagieren?" Das sind die Ereig- Armut abzuschütteln. Wir können unseren welt-
nisse, von denen der Bundeskanzler am Schluß weiten Handel und unseren Zahlungsverkehr
gesagt hat, sie seien zeitweilige Ereignisse. Aber ,auf einen Stand ausgleichen, der ein :größtmög-
immerhin, sie sind Ereignisse, die den Westen zu liches Wachstum verheißt. Wir können ein Ab-
, erheblichen Überprüfungen nötigen. schreckungsmittel schaffen, Idas so gewaltig ist,
Zunächst einmal daß eis jede Aggression unterbindet. Und schließ-
lich können wir dazu beitragen, eine Welt des
— so sagt Acheson — Rechts und der Entscheidungsfreiheit zu schaf-
sollten die Vereinigten Staaten eine besonnene fen und damit die Welt des Krieges und des
Antwort geben, ,die Sinn für die richtigen Pro- Zwanges zu bannen.
portionen erkennen läßt und Scharfe und Groll Das ist immerhin gewaltig, und das sollte wört-
vermeidet. Sie darf nicht, wie es zum Teil lich genommen und zu realisieren versucht werden.
— so sagt er an die Adresse seiner eigenen Presse — Damit ist auch alles das in die richtigen Verhält-
der Fall war, auf der Annahme basieren, daß nisse gestellt oder gerückt, was mit dem Wort ge-
alles verloren sei, weil der General de Gaulle meint sein kann, die deutsch-französische Freund-
unumwunden einen schon seit langem beste- schaft, wie sie nun in diesem Vertrag ihren Aus-
henden Widerstand gegen eine allgemein be- druck findet, werde einen Damm gegen den Kom-
fürwortete Politik aufgedeckt hat. Sie sollte auf munismus darstellen. Das Ist klar, daß hier etwas
dem Wissen basieren, daß die Haltung des Ge- gemeint ist, über das nicht gestritten zu werden
nerals von unserem gemeinsamen Verbündeten braucht. Aber es wäre kein Damm, dessen Mörtel
nicht gebilligt wird. oder Zement das Mißtrauen gegen die Vereinigten
Staaten von Amerika oder gegen andere Länder
Das heißt: hier wind die deutsche Haltung als eine wäre. Die bohrende Frage kann uns in diesem Zu-
solche angesehen, die nicht leinfach in einen Topf sammenhang nicht gleichgültig lassen, ob durch
geworfen
- werden kann mit der des Konsultations manches, was auf der anderen Seite m uit diesem
und damit Vertragspartners. Man muß sehen, daß Vertrag gemeint ist, dem Nationalismus die
das sich bewährt, möchte ich dazu sagen. Tore geöffnet werden.
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963 3433
Wehner
Paul Henri Spaak sagte: Gaullismus ist Nationa- den, daß der Anschluß Englands und anderer erfol-
lismus. Er muß dafür seine Gründe haben. Mada- gen werde. Dazu gehört insbesondere auch die
riaga — Sie verziehen Ihr Gesicht, Herr Kollege — Agrarpolitik. Wie ich erfahren habe, gibt es recht
hat die Frage gestellt und sich offensichtlich damit unterschiedliche Meinungen darüber, ob das Wort
abgeplagt: Es sei schließlich nicht einzusehen, war- mit den Vorleistungen so gesagt werden dürfe oder
um der tragende Gedanke der deutschen Politik nicht. Aber ich will darüber nicht weiter reden; viel-
nicht „Deutschland, Deutschland über alles" heißen leicht haben wir später einmal Zeit dafür. Doch sehe
solle, wenn die französische Politik ihre Dynamik ich eine gewisse Logik in dem, was sich der Herr
aus der „Grandeur de la France" beziehe. Das sind Bundeswirtschaftsminister hier hinsichtlich dessen
schwierige Überlegungen. Gerade weil ich Hoch- überlegt hat, was wir bisher mitgemacht und dem
achtung vor der Haltung de Gaulles habe wir zugestimmt haben und was nun durch das Nicht
aufgehen der Rechnung doch in ein anderes Licht
(Heiterkeit)
kommt.
— vor der Haltung eines Mannes im Weltkrieg,
Der Herr Bundeswirtschaftsminister hat übrigens
der wegen seines Nichtkapitulierens vor Hitler und
ganz freimütig gesagt, manchmal frage er sich nun,
seiner Wehrmacht vielen Mut eingeflößt hat, vielen,
ob die Freundschaft seitens der Politik vielleicht
die damals Gegner Hitlers waren; was er da be-
nicht sogar gestört werden könne. Er meint die
deutet hat, wird nie vergessen werden —, gerade
deutsch-französische Freundschaft. Er hat gesagt, er
deshalb wünsche ich dieses Bild nicht getrübt zu
wisse nämlich nicht, ob die Freundschaft dadurch
sehen durch seine Philosophie über eine Nach-
gefördert werde, daß man periodisch immer wieder
kriegswelt mit Deutschland als Staatenbund, wie
Fragen anschneide, von denen wir wüßten, daß wir
Wir sie in seiner eigenen Handschrift vor uns ha-
den französischen Staatschef nicht überzeugen könn-
ben, wenn wir wollen, wenn wir danach greifen.
ten, und in denen es auch sachlich keine Überein-
Der Herr Bundeswirtschaftsminister, der, wie ich stimmung geben könne; von jeder Konferenz wür-
annehme, heute zu diesem Vertrag noch nicht spre- den dann nur Spannungen und Diskrepanzen übrig-
chen wird, hat in einem Interview sich und anderen bleiben. Wenn ich den Herrn Bundeswirtschafts-
die Frage gestellt und gesagt: Man wage sich die minister richtig verstanden habe, heißt das - in
Frage eigentlich kaum zu stellen, was eigentlich meiner Sprache - etwa so: das soll ein Konsulta-
die Vorstellung von einem Kontinentaleuropa be- tions-, ein Freundschaftsabkommen und nicht ein
deute, das vom Atlantik bis zum Ural reichen solle. Feststellungsabkommen für die Diskrepanzen wer-
Wie solle dieses Europa aussehen? Unter welchen den.
Ordnungsprinzipien, unter welchen gesellschaftspo- (Heiterkeit und Beifal bei der SPD.)
litischen Vorstellungen solle es stehen, und welche
Das ist also die Schwierigkeit, die sich bei diesem
politischen Konsequenzen hätte eine solche Politik?
Abkommen in dieser Situation ergibt.
Dies alles sind Fragen — hat damals Professor Er-
hard gesagt —, die nach seiner Ansicht von den Meine Damen und Herren, der Herr Bundeswirt-
Fraktionen auch bei der Ratifizierung des Vertrages schaftsminister hat gesagt — und das ist wohl seine
gestellt werden müssen. feste Überzeugung; er ist dafür auch im Ausland
bekannt, und man hat es dort mit Recht positiv
Der Bundeswirtschaftsminister wußte damals noch ausgewertet —, daß über die Verständigung mit
nicht genau, daß wir sehr wenig Zeit für die Be- Großbritannien und die Einmütigkeit darüber bei
handlung des Vertrages bekommen. Er selber hat den Deutschen kein Zweifel zu herrschen brauche.-
aber damals gesagt, daß man das gründlich machen Der Bundeswirtschaftsminister hat aber seine Erfah-
müsse, und er hat von einer „pfleglichen Behand- rungen gehabt; ich wünsche ihm, daß er jetzt vor-
lung" der Ratifizierung des Vertrages gesprochen, wiegend bessere Erfahrungen macht. Damals hat er
die auf keinen Fall umgefälscht werden dürfe in nämlich erklärt, um einer Dolchstoßlegende vorzu-
eiie feindselige Haltung gegenüber Frankreich. Er beugen, wolle er gleich sagen, daß eine pflegliche
sagt mit Recht, das habe doch überhaupt nichts mit- Behandlung der Ratifizierung des Vertrages eben
einander zu tun. nicht umgefälscht werden dürfe. Stellen Sie sich das
Ich glaube, man kann nicht einerseits sagen, daß einmal vor! Gerade wo wir heute über einen Ver-
der Vertrag auf Wunsch der Fraktionen noch ein- trag reden, mit dem wir die Rivalitäten, die sich
mal gründlich auf alle politischen, wirtschaftlichen häufig zu blutigen Kämpfen steigerten, Kämpfen
und militärischen Aspekte und Konsequenzen hin zwischen unseren beiden Völkern, beenden wollen,
überprüft werden müsse, und andererseits uns muß der Bundeswirtschaftsminister in einem solchen
durchs Radio mitteilen, daß man bis Pfingsten schon Zusammenhang — mußte! , jetzt ist es anders — das
die letzte Lesung hinter sich gebracht haben müsse. Wort von der Dolchstoßlegende gebrauchen. Das
läßt tief blicken.
(Beifall bei der SPD.)
Ich habe bei der Vorschau auf diese Debatte, das
Der Bundeswirtschaftsminister hat einige bittere möchte ich hier sagen, in schöner Unbefangenheit —
Worte — ich will sie Ihnen jetzt nicht einflößen, jedenfalls in Unbefangenheit; ob Sie sie schön fin-
er ist heute in einer anderen Stimmung als da- den, ist eine andere Frage — gefunden, daß die
mals — CDU dafür sorgen werde — sie wird es wahrschein-
(Heiterkeit) lich nun noch tun —, d. h. daß sie sich bemühen
über Vorleistungen fallenlassen, von denen er an werde, die stark gegensätzlichen außenpolitischen
nimmt, daß sie im Vertrauen darauf gemacht wur Auffassungen zwischen den Unionsparteien und der
3434 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963

Wehner
Sozialdemokratie deutlich werden zu lassen. Meine würde das Element der Verführung zur Schaukel-
Damen und Herren von den Unionsparteien, ich politik in die deutsche Politik kommen, und wer
halte Sie für viel erfahrener und klüger als die weiß denn, ob, wenn einmal nicht Menschen, die
Leute, die hier in Ihrem Namen in Diensten, in ganz fest mit europäischen Zusammenschlußvorstel-
denen sie vorgeben, in Ihrem Namen politische In- lungen verbunden sind, weil sie ihre eigenen sind,
formationen zu geben, die Öffentlichkeit informie- das Steuer der deutschen Politik in der Hand ha-
ren; denn es kann wohl nicht Zweck der Außen- ben? Wer weiß denn, ob nicht auch wir — die
politik sein — wie es hier heißt —, die stark gegen- Dinge entwickeln sich, die Menschen entwickeln
sätzlichen außenpolitischen Auffassungen zwischen sich — plötzlich konfrontiert werden mit Kräften,
den Unionsparteien und der Sozialdemokratie deut- die zur Schaukelpolitik neigen? Ich spreche da zu
lich werden zu lassen und sich darum noch zu be- keiner Seite des Hauses; wir müssen aber in sol-
mühen. chen Kategorien denken.
(Heiterkeit bei der SPD.) (Zuruf von der CDU/CSU.)
Worauf es ankommt, ist doch, daß wir Gegensätze — Ich habe gehört, daß Sie gedacht haben.
abbauen, statt sie aufzureißen und aufzutürmen.
Wir hätten drittens das Disengagement, ein ei-
(Abg. Majonica: Das gilt doch in Ihrer gentümliches Disengagement der anderen, die ver-
eigenen Partei, Herr Wehner!?) traglich mit uns in der deutschen, in der Berliner
— Sicher, sicher! Natürlich! Was meinen Sie denn, Frage verpflichtet sind, eine Form des politischen
was wir alles für Sorgen haben?! Aber wir stellen Disengagements, die niemand wollen kann.
uns ihnen! Meine Herren, wenn ich daran denke, Ich möchte feststellen: Es ist notwendig — ich
wie Sie heute hier gestanden haben, Herr Kollege, teile hier völlig die Auffassung, die der Präsident
der Sie diese Frage stellen, und wenn ich daran der Kommission der Europäischen Wirtschaftsge-
denke, wie die gleichen Fragen, die Sie heute völlig meinschaft aus seiner Sicht und im Namen der
eindeutig nur positiv glaubten beantworten zu kön- Kommission im Hinblick auf die europäischen Ge-
nen, Herr Kollege, in Diskussionsgemeinschaften in meinschaften hat amtlich sagen müssen —, in für
innerpolitischer Gegnerschaft in dieser Zeit behan- unsere Regierung rechtlich verbindlicher Form klar-
delt wurden, muß ich sagen: die Dinge liegen in zustellen, daß der Vertrag einzufügen ist in die
diesem Fall leider schwieriger und tiefer. Aber blei- Verträge: Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, Eu-
ben wir dabei, wenn es nicht anders geht, unter uns. ropäische Kohle- und Stahlgemeinschaft, Euro-
Wir sind dazu verurteilt, uns über gewisse Grund- päische Atomgemeinschaft, Nordatlantische Vertei-
fragen unserer großen Politik miteinander zu ver- digungsorganisation, Westeuropäische Union, Be-
ständigen. Sonst holt uns nämlich der Teufel, ziehungen der westlichen Besatzungsmächte — der
(Heiterkeit und Zustimmung) Drei Mächte, wie es im Text heißt —zur Bundesre-
publik Deutschland. Das müssen wir in den Aus-
jedenfalls in den Fragen, die an die Existenz unseres schußberatungen zuwege bringen, wenn wir in der
Volkes rühren. Grundfrage einer Meinung sind hinsichtlich dessen,
Was würde denn aus der deutschen Frage wer- was das deutsch-französische, französisch-deutsche
den? Verhältnis und die Aussöhnung der beiden Völker
(Zuruf von der CDU/CSU.) für die Vereinigung Europas und für ein in der
Vereinigung befindliches Europa in Partnerschaft
— Über Pharisäer habe ich noch nie gelästert. Ich mit den Vereinigten Staaten von Amerika positiv
habe es hingenommen, daß sie existieren. — Was bedeuten sollen.
würde denn aus der deutschen Frage, die ja doch
weder im Alleingang noch nach einem Rezept des Ich danke für Ihre Geduld.
einen oder anderen unter den Westmächten gelöst (Anhaltender lebhafter Beifall bei der SPD.)
werden kann, was würde denn aus ihr werden,
wenn die Befürchtungen einträfen, die hier von ver-
schiedenen Seiten und aus zum Teil berufenem Vizepräsident Dr. Dehler: Das Wort hat der
Munde vor allen Dingen wegen des Schicksals der Herr Abgeordnete Dr. Mende.
Gemeinschaften, hinsichtlich deren — ich glaube,
das darf ich sagen, ohne daß ich von Ihnen dafür Dr. Mende (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen
gerügt werde — eigentlich fast alle in diesem Hause und Herren! Die Freie Demokratische Partei be-
einer positiven Meinung sind, was die Europäischen grüßt diese Aussprache der ersten Lesung des
Gemeinschaften betrifft, geäußert worden sind. deutsch-französischen Vertrages. Denn diese Aus-
(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt neuerdings!) sprache gibt die Möglichkeit, Mißverständnisse aus
der Entstehungsgeschichte des Vertrages auszuräu-
— Da waren Sie noch nicht dabei; Sie haben uns men und ein Bekenntnis zur Europapolitik und zur
mit dem Koalitionspartner von der anderen Partei atlantischen Partnerschaft abzulegen. Und ich
verwechselt, der damals gegen diese Verträge ge- möchte hinzufügen, Herr Kollege Wehner: sie gibt
stimmt hat. auch die Möglichkeit, dem Erinnerungsvermögen
(Heiterkeit und Beifall bei der SPD.) manches sozialdemokratischen Sprechers nachzuhel-
Im übrigen würden entmutigende Wirkungen auf fen bezüglich der Entstehungsgeschichte der Euro-
die Deutschen, die in Unterdrückung leben müssen, papolitik in diesem Hause.
bleiben wegen dieser Zersplitterung im Westen. Es (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963 3435
Dr. Mende
Der Herr Bundeskanzler und die beiden Sprecher merkenswerten Rede der deutsch-französischen Ver-
der CDU/CSU-Fraktion und der sozialdemokrati- söhnung als erster das Wort redete, Robert Schu-
schen Opposition haben hier historische Reminis- man und Jean Monnet und, Herr Bundeskanzler,
zenzen hinsichtlich der tragischen deutsch-franzö- auch Ihre politischen Gegner werden Ihnen nicht
sischen Vergangenheit dargelegt. Ich möchte die das Verdienst absprechen können, daß Sie durch
richtigen Feststellungen aller drei Sprecher nicht Ihren Rang und Ihre Amtszeit maßgeblich zur
wiederholen, sondern noch einmal auf die Tatsache deutsch-französischen Freundschaft beigetragen ha-
hinweisen, daß allein im letzten Jahrhundert drei ben und das Ihr Lebenswerk geworden ist.
blutige Kriege zwischen dem deutschen und dem
französischen Volk stattfanden mit Angriffen und (Beifall bei den Regierungsparteien. — Zu
Rückzügen, Besatzung und Gegenbesatzung, mit stimmung des Abg. Dr. Schmid [Frankfurt].)
wechselseitigem Unrecht und Leid, .das man ein-
ander zugefügt hat. Die Freie Demokratische Partei hat als Koalitions-
partner der ersten Bundesregierung und auch der
Ich möchte ein etwas aktuelleres Beispiel für diese zweiten Regierung dem Europarat zugestimmt, der
Tragik aus der neuesten Geschichte zitieren. Die Montanunion, dem Versuch einer Gründung der
Älteren von uns, die wir 1940 in Nordfrankreich auf Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, die in der
den Friedhöfen aus dem ersten Weltkrieg standen, Assemblée Nationale im August 1954 scheiterte,
werden niemals das Bild vergessen, wie viele junge dem Beitritt zur NATO. Und, Herr Kollege Wehner,
Soldaten nach den Gräbern ihrer Väter aus dem wenn Sie sich hier mit einer Bemerkung an den
ersten Weltkrieg suchten, Väter, die sie nie ge- Koalitionspartner von rechts gewandt haben, so
sehen haben, weil sie sie verloren, als sie gerade stand in dieser Formulierung nicht nur frei nach der
geboren waren. Freudschen Psychologie die Feststellung, daß Sie
Es ist in der Tat eine geschichtliche Wende im sich nach wie vor als Koalitionspartner im Warte-
deutsch-französischen Verhältnis zu vermerken, stand von links zu fühlen scheinen;
wenn die Söhne dieser damaligen jungen Soldaten (Heiterkeit bei der FDP)
22 Jahre später in Mourmelon und Sissons nicht
mehr gegeneinander-, sondern als Soldaten eines denn sonst hätten Sie ja nicht diese Unterscheidung
atlantischen Bündnisses nebeneinanderstehen in gemacht. Ich glaubte immer noch, daß Sie sich als
einer neuen gemeinsamen Aufgabe, die sich nicht Opposition zu dieser Regierung fühlen. Aber wahr-
nur auf den militärpolitischen Bereich erstreckt, son- scheinlich ist auch hier wiederum ein Umkehrprozeß
dern auch auf die Zusammenarbeit in Werkstätten, in Gang gekommen, den noch nicht alle bis in ihre
Laboratorien, Forschungsstätten und in Verwaltungs- tiefsten Bewußtseinsganglien begriffen haben.
behörden.
Diese Entscheidungen, der Beitritt zum Europarat
Die wechselseitige Schwächung im europäischen und zur Montanunion, Herr Kollege Wehner, sind
Bruderzwist hat beiden Völkern schwer geschadet. in diesem Hause gegen den erbitterten Widerstand
Das wechselseitige Mißtrauen hat durch die Ost- der sozialdemokratischen Opposition erfolgt,
politik beider Völker neue Nahrung erfahren. Wir
standen nach der Bismarck-Ära doch in der Um- (Beifall bei den Regierungsparteien)
klammerung, die die französische Politik durch
Warschau, Moskau und später Prag und Bukarest und es ist geradezu faszinierend, bei dem Kollegen
zuwege brachte. Aber genug der Reminiszenzen! Wehner festzustellen, wie meisterhaft der gleiche-
Sprecher, der damals erbitterter Gegner der Grün-
Nach dem zweiten Weltkrieg ist eine neue Ent- dung europäischer Institutionen war, sich heute hier
wicklung eingetreten. Ich möchte als die erste als allumfassender Beschützer der gleichen Institu-
Ursache der neuen Entwicklung und des neuen tionen aufspielt.
Geistes die Erfahrungen beider Völker aus dem
totalen zweiten Weltkrieg nennen: wechselseitig (Beifall bei den Regierungsparteien. —
die Erfahrungen der Besetzung, Hunderttausende Abg. Wehner: Woher wollen Sie das wis
französischer Kriegsgefangener in unserem Lande sen, daß ich ein erbitterter Gegner war?)
und unter ihnen viele, die in den Trecks in Ostpreu-
ßen, Schlesien und Pommern der deutschen Bevölke- — Sie können nicht vergessen machen, daß dieses
rung auf der Flucht vor der Roten Armee halfen, und Haus eine Sitzung unterbrechen mußte, weil Sie von
in Frankreich im Anschluß an den zweiten Weltkrieg der SPD dem Regierungschef der gleichen Koalition
viele deutsche Kriegsgefangene, die sich im Aufbau damals den Vorwurf machten, er sei „Kanzler der
Frankreichs das Vertrauen des einfachen Mannes Alliierten", weil er sich um die Verbesserung des
erwarben. Verhältnisses zu den Westmächten bemüht hat.
Die Völker sind in der Versöhnung den Politikern (Beifall bei den Regierungsparteien. —
vorangeschritten. Aber die Politiker haben aus die- Abg. Wehner: Gucken Sie mal im Protokoll
ser neuen geistigen Entwicklung die politischen nach und wärmen Sie nicht solche alten
Konsequenzen gezogen. Ich möchte neben den vielen Kamellen auf!)
Namen, die vom Kollegen Wehner und auch vom
Kollegen Majonica genannt wurden, aus allen poli- — Herr Kollege Wehner,
tischen Richtungen, doch noch einmal vier Namen
wiederholen: Winston Churchill, der in seiner be- (Abg. Wehner: Wie ein Gefreiter!)
3436 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963
Dr. Mende
hätten Sie nicht eben diese Äußerung bezüglich des Deutschlands oder Frankreichs. Beide, Deutschland
Koalitionspartners von rechts gemacht, und Frankreich, sind wiederum nur noch zu ver-
(Abg. Wehner: Haben Sie keine Angst, teidigen in einer Partnerschaft mit der atlantischen
noch sicher im Sattel zu sitzen, wenn das Gemeinschaft. Die Analyse dieses Vertrages, den
ein Sattel ist — der Bock, auf dem Sie wir heute in erster Lesung nur in seinen Prinzipien
sitzen?!) diskutieren können, zeigt, daß er im wesentlichen
die Modalitäten der Zusammenarbeit auf den Ge-
dann hätte ich Ihnen nicht diese Antwort gegeben, bieten der Außenpolitik, der Verteidigungspolitik,
die, wie Ihre Erregung beweist, Sie doch an einer des Erziehungs- und Bildungswesens und der
sehr schwachen Stelle getroffen hat. Jugend regelt. Er bildet gewissermaßen einen Rah-
(Beifall bei den Regierungsparteien. — men für eine ständige Konsultation. Ich glaube nicht,
Abg. Wehner: Der Koalitions-Webel!) daß die Perfektionierung dieser Konsultation zu
einem Personalmangel führen wird. Es kommt auch
Im Rahmen der Diskussion um die Europäische hier darauf an, sich mehr der Pragmatik zuzuwenden
Wirtschaftsgemeinschaft hat in der Tat die Freie als einem Perfektionismus des geschriebenen Wor-
Demokratische Partei im Gegensatz zu den Sozial- tes.
demokraten und zur Christlich-Demokratischen
Union ihre Zustimmung der Europäischen Wirt- Die Koalitionsparteien sind übereingekommen,
schaftsgemeinschaft und der EURATOM versagt, daß, um Mißverständnisse auszuräumen, die insbe-
aber nicht, Herr Kollege Wehner, aus antieuropä- sondere in Großbritannien, aber auch in Belgien,
ischer Haltung, sondern weil wir die Sechsergemein- den Niederlanden, Luxemburg und Italien und in
schaft ohne Freihandelszone als zu eng für die den Vereinigten Staaten bezüglich des Zusammen-
europäische Entwicklung, als zu einseitig ansahen falls des Abschlusses des Vertrages mit der Ab-
und die Sorge hatten, daß es zu einer neuen Block- lehnung des Beitritts Großbritanniens zur EWG
bildung kommen würde, die ja dann im Rahmen der durch den französischen Staatspräsidenten entstan-
EFTA auch entstanden ist. Wer sich also hier mit den sind, eine Präambel zum Ratifizierungsgesetz
der damaligen Ablehnung des EWG-Vertrages durch sicherstellen sollte, daß jedermann weiß, dieser Ver-
die Freie Demokratische Partei befaßt, der muß auch trag ist nur im Rahmen der europäischen Zusam-
die Motive in gleicher Ausführlichkeit darstellen, menarbeit und der atlantischen Partnerschaft lebens-
sonst ist seine Darstellung tendenziös. fähig; er verträgt keine isolierte Behandlung; die
Meine Damen und Herren! Eine Quelle der Miß- deutsch-französische Freundschaft und enge Zusam-
verständnisse zwischen Deutschland und Frankreich menarbeit ist kein Zweibund zu Lasten des euro-
war in den 50er Jahren die Saarfrage. Wir glauben, päischen Bundes und der atlantischen Partnerschaft,
daß es eine gute Haltung der französischen Regie- der Bilateralismus darf nicht zu Lasten eines Multi-
rung und des französischen Volkes war, der Selbst- lateralismus gehen, sondern auch hier ist eine Ko-
bestimmung der Saarbevölkerung Respekt zu er- ordinierung im Sinne der europäischen und atlan-
weisen und die Rückkehr der Saar zu Deutschland tischen Verträge selbstverständlich.
einzuleiten. Mit dieser Lösung der Saarfrage ist die
letzte Gefahr eines deutsch-französischen Mißver- Über den Wert einer Präambel ist in der Öffent-
ständnisses und Mißverhältnisses beseitigt worden. lichkeit gestritten worden. Unser eignes Grundge-
setz bestätigt uns, daß eine Präambel eine sehr
Wir glauben, daß sich in diesen Jahren ein neuer
wesentliche Aussagekraft haben kann. Schließlich
Geist zwischen Deutschland und Frankreich und
zitieren wir sie immer wieder in dem Verfassungs-
auch in Europa — im freien Europa insgesamt —
gebot, unter dem wir alle stehen, „in freier Selbst-
entwickelt hat, der eigentlich eines formellen Ver-
bestimmung die Einheit und Freiheit Deutschlands
trages als eines letzten Siegels nicht bedurfte. Die
zu vollenden". Das Bundesverfassungsgericht hat
deutsch-französische Freundschaft ist in den Begeg-
der Präambel des Grundgesetzes Verfassungsrang
nungen der beiden Völker so tief verwurzelt, daß
zugebilligt. Ich glaube also, die Präambel, die dann
man in der Tat auch ohne einen solchen Vertrag
hoffentlich einstimmig in den Beratungen des Aus-
sicher sein konnte, daß es zu Rückfällen in die Bar-
wärtigen Ausschusses formuliert werden kann,
barei der Vergangenheit nicht mehr kommen
dürfte eine unmißverständliche Willenskundgebung
könnte.
dieses Hauses als des Souveräns der deutschen De-
Aber nachdem sich beide Regierungen in Paris mokratie werden. Sie wirkt weiter als die Entschlie-
und Bonn entschlossen haben, einen solchen Ver- ßung ides Bundesrates. Entschließungen haben in
trag über die deutsch-französische Zusammenarbeit diesem Hause oft schon einstimmige Annahme er-
abzuschließen, muß sich dieses Haus mit der Be- fahren; ich denke beispielsweise an die Berliner Ent-
handlung und Ratifizierung dieses Vertrages befas- schließung vom 1. Oktober 1958. Aber wir glauben,
sen und sich entscheiden. Es gibt einige Bestimmun- daß die Präambel im Ratifizierungsgesetz eine stär-
gen, die durchaus einer dokumentarischen Garantie kere Außen- und Innenwirkung hat als eine Ent-
bedürftig sind. Ich denke da insbesondere an das schließung dieses Hauses, wie der Bundesrat sie für
Wechselverhältnis, in dem Deutschland und Frank- richtig hielt.
reich auch in militärpolitischer Hinsicht stehen.
Deutschland ist Vorfeld der französischen Sicher- Kollege Majonica hat über die Tendenzen ge-
heit, und Frankreich ist Hinterland der deutschen wisser europäischer Kreise gesprochen, Europa zu
Sicherheit. Es gibt im Zeitalter der modernen Waf- einer dritten Kraft werden zu lassen. Ein Blick auf
fen keine voneinander losgelöste Verteidigung die Karte Europas und ein Vergleich der wechsel-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963 3437
Dr. Mende
seitigen Kräfte schließt die Möglichkeit einer von wenn man bedenkt, Herr Wehner, daß ja diese
Amerika unabhängigen dritten Kraft Europa aus. Bundesrepublik erst das halbe Vaterland ist,
(Zustimmung bei den Regierungsparteien.) (Zuruf des Abg. Wehner)
Denn was ist dieses Europa als Resteuropa, wie es und wenn man bedenkt, daß schließlich eine allzu
uns leider nach dem zweiten Weltkrieg von Helm- rasche Integration ohne eine entsprechende Kon-
stedt bis Lissabon noch verblieben ist? Was schließt trolle parlamentarischer Körperschaften zur Herr-
es ein? Eine Tiefe von 3000 km von Helmstedt bis schaft einer Bürokratie ohne parlamentarisch-de-
Lissabon; diese Entfernung entspricht der Stunden- mokratische Kontrolle führen kann.
geschwindigkeit eines Überschalljägers. Hier fehlt
es an der Tiefe des Operationsraumes. Dieses Rest- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
europa ist aus eigener Kraft kein Gegengewicht Hier hinkt das Kontrollsystem der Parlamentarier
gegenüber jener euroasiatischen Landmasse von hinter der Eilfertigkeit des europäischen bürokrati-
Helmstedt bis Wladiwostok mit 11 800 km Tiefe. schen Integralismus etwas hinterher.
Jenem riesigen Gebiet ist Europa aus eigener Kraft
weder politisch, wirtschaftlich noch militärisch ge- (Erneuter Beifall bei den Regierungspar
wachsen. teien.)

Europa steht und fällt in enger Zusammenarbeit Das sind Bedenken, die wir doch alle haben, die
mit idem atlantischen Partner. Ich unterstreiche das, aber doch nicht mit den Prinzipien etwas zu tun
was Kollege Majonica sagte: die freie Welt wird haben.
auf zwei Säulen stehen, auf der einen Seite auf Lassen Sie mich zum Schluß folgendes feststellen.
der Kraft der Vereinigten Staaten und Kanadas und Die Freie Demokratische Partei stimmt dem deutsch-
auf der anderen Seite auf der Kraft eines vereinten französischen Freundschaftsvertrag zu — als einer
Europa mit über 250 Millionen Menschen. Nur diese notwendigen Grundlage der europäischen Zusam-
Kräfte 'beiderseits des atlantischen Ozeans lassen menarbeit, die ohne den Beitritt Großbritanniens
die Hoffnung entstehen, daß auch Afrika zu halten und ohne die skandinavischen Völker nicht möglich
ist; denn ohne ein starkes Europa ist auch Afrika ist. Europa ist, nur auf sich selbst gestellt, als Sech-
gegenüber der Expansion des Kommunismus auf sergruppe — ohne Großbritannien — nicht lebens-
die Dauer nicht zu bewahren. fähig. Die Frage des Beitritts Großbritanniens, der
Dieses Europa darf allerdings nicht in eine Satel- skandivcheSturAsoziengd
litenrolle gegenüber Amerika gedrängt wenden. Schweiz, Österreichs, Schwedens und anderer ist
Hier unterstreichen wir das, was George Bundy am daher nur eine Zeitfrage. Französische Widerstände
6. Dezember 1961 in einer Rede in Chikago gesagt können diese Entwicklung zwar verzögern, aber
hat; er sprach von der Interdependenz, der wechsel- nicht verhindern. Es wird Aufgabe auch des deut-
seitigen Abhängigkeit Europas und Amerikas. Euro- schen Partners sein, in der Konsultation gewisse
pa erstarkte nicht zuletzt auf der Basis der Hilfe Hemmungen gegen den Beitritt Großbritanniens und
Amerikas im Marshallplan vor fünfzehn Jahren. die Ausweitung der Sechsergemeinschaft beseitigen
Europa muß seine Stärke in einer Partnerschaft mit zu helfen. Daß das bei einem Staatspräsidenten und
den Vereinigten Staaten entwickeln, wenn es lebens- alten General etwas schwierig ist, ist auch uns be-
fähig sein soll, keineswegs in einer Rivalität und kannt.
-
erst recht nicht in der Versuchung, zwischen den bei- Die Freie Demokratische Partei glaubt, daß Eu-
den Blöcken etwa eine Mittler-, Vermittler- oder ropa, das erweiterte Europa, nur in enger Zusam-
neutrale Rolle spielen zu können. menarbeit und Partnerschaft mit den Vereinigten
Staaten existieren kann. Daher ist die Atlantische
Hier ist vom Kollegen Wehner der Präsident
Gemeinschaft, die von dieser Koalition durch den
Hallstein — in seiner Eigenschaft als Staatssekretär
Beitritt zum Nordatlantikpakt auch für Deutschland
des Auswärtigen Amtes noch .ein von der Opposi-
erstellt wurde, für uns ein wichtiger Faktor zur Be-
tion viel kritisierter Mann — seinen Sorgen be-
wahrung Berlins, der Freiheit in der Bundesrepublik
züglich der Weiterexistenz der europäischen Insti-
und zur Eindämmung der kommunistischen Expan-
tutionen zitiert worden. Ohne Zweifel haben Bel-
sion in Europa und in der Welt.
gien, Luxemburg, die Niederlande und Italien ge-
wisse Sorgen bezüglich der europäischen Institu- Wir haben keine Sorge, Herr Kollege Wehner,
tionen. Wir wollen nicht leugnen, daß der deutsch- daß dieser Vertrag nun schnell in den Ausschüssen,
französische Vertrag und seine Konsultationen sehr wie Sie so sagen, durchgearbeitet werden soll. Die-
behutsam mit den europäischen Institutionen ko- ser Vertrag ist seit drei Monaten bereits auf der
ordiniert werden müssen und daß man Rücksicht auf Tagesordnung nicht nur der Parteien des Bundes-
gewisse Empfindlichkeiten bei den anderen euro- tages, sondern sogar internationaler Konferenzen
päischen Partnern nehmen muß. Aber der Gedanke der Sozialisten, der Liberalen und der christlichen
des französischen Staatspräsidenten, Europa nicht Parteien. Er ist in den Diskussionen der Weltpresse.
so sehr und nicht ,soschnell im Sinn Hallsteins im Allein die vielen Zitate, Herr Kollege Wehner, die
Integralismus entstehen zu lassen, sondern etwas Sie hier gebracht haben, bestätigen, wie viele sich
mehr in einer Art Föderalismus als Europa der Va- schon in den drei Monaten mit diesem Vertrag be-
terländer, ist durchaus diskutabel, schäftigt haben.
(Abg. Wehner: Hört! Hört!) (Zuruf des Abg. Wehner.)
3438 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963

Dr. Mende
Ich sehe daher keine Schwierigkeit, diesen Vertrag ditieren. Aber tatsächlich hatte er sich getäuscht. Er
in organischer Behandlung in den Ausschüssen so erhielt dann einen Brief — —
zu beraten, daß er vor der Pfingstpause in zweiter (Abg. Wehner: Er kannte seinen Bundes
und dritter Lesung verabschiedet werden kann. kanzler! — Heiterkeit.)
(Beifall bei den Regierungsparteien. — — Aber Sie täuschen sich, Herr Kollege Wehner.
Abg. Wehner: Bevor der Kanzler wieder Das hätte ich nicht so schnell gesagt. Es stellt sich
nach Cadenabbia reist!) gleich heraus, wie die Sache in Wirklichkeit war.
Es war keine Mystifikation, sondern er bekam dann
Wir glauben, Herr Kollege Wehner, daß es un
diesen Brief mit dem Datum vom 2. Dezember. Der
zweckmäßig ist, die Dinge allzu rasch zu behandeln.
Brief hatte sechs Tage gebraucht, um in seine Hände
(Abg. Wehner: Immer durch, immer durch!) zu gelangen. Relativ kurz von Wien nach Berlin,
Aber für ebenso unzweckmäßig halten wir eine Ver- verglichen mit unseren Erlebnissen von heute. Die
zögerungstaktik, die aus ganz klaren politischen Post kann heute dafür unter Umständen genauso
Motiven versucht wird. lange brauchen — Proteste! —. Er gibt den Brief in
seinen Lebenserinnerungen wieder und sagt dann
(Beifall bei den Regierungsparteien. — folgendes:
Fortgesetzte Zurufe des Abg. Wehner.)
Der Brief mochte gut gemeint sein, aber in
Wir glauben, daß die Verzögerungstaktik und das jenem Augenblick bedeutete er eine große Takt-
Hinausschieben dieses Vertrages bis etwa in den losigkeit. Wer ihn veröffentlichte, haben wir
Herbst das Übel nur vermehrt und niemanden dient. nie erfahren. Ich vermute, der Konsul wurde zu
Daher glaube ich, Herr Kollege Wehner, Sie sollten dem Brief von einer Seite animiert, die ein
als Opposition es tragen, wenn Sie in dieser Frage Interesse daran hatte, uns zu schaden.
der Mehrheit der Koalition unterliegen werden. Das wollte ich hier gern nur einmal vorgelesen
(Beifall bei den Regierungsparteien.) haben, um zu zeigen, in welchen Schwierigkeiten
sich Bebel befand, und ich glaube, es ist eine in-
teressante Ergänzung zu dem, was Herr Kollege
Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der Wehner hier ausgeführt hat. Aber nun beschäftige
Herr Bundesminister des Auswärtigen. ich mich nicht mehr mit den Zitaten, sondern mit
den Gedanken.
Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen: Meine Damen und Herren, ich glaube, man kann
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In einer ohne Übertreibung sagen, daß vier Grundgedanken
Debatte wird manchmal etwas zitiert, was man im dieses deutsch-französischen Vertrages hier doch
Gedächtnis hat; man kann es dann aus dem Ge- eine ganz allgemeine Zustimmung gefunden haben.
dächtnis heraus vielleicht bestätigen. Manchmal Das eine ist der Gedanke der Versöhnung; das
wird etwas zitiert, was man an sich für richtig hält andere ist der Gedanke der Solidarität; das dritte
und von dem man sagt: Die Sache wird ungefähr ist der Ausdruck der Festigung der deutsch-franzö-
so sein; ich glaube, mich von fern daran zu erin- sischen Freundschaft und schließlich der Wille zu
nern. Und manchmal hat man während einer De- einer Verstärkung der Zusammenarbeit. Wenn ich
batte Gelegenheit, auf ein Zitat zurückzukommen. die Debatte richtig auffasse, ist das auf keiner Seite
Herr Kollege Wehner hat zitiert: Bebel, Hilfer ding, beanstandet, sondern im Gegenteil von allen Seiten -
Monnet, Hallstein, Acheson, Kennedy, Spaak, Ma- nur unterstrichen worden. Und damit ist der Kern
dariaga, Professor Erhard und ganz eingangs auch und der eigentliche Inhalt dieses Vertrages so posi-
den Bundeskanzler. tiv bewertet, wie das in den vorausgegangenen
Monaten — ich würde sagen, mindestens in der
(Abg. Wehner: Stresemann vergessen! Der
seiner Unterzeichnung vorausgegangenen Zeit —
Beckmesser war nicht auf der Höhe! —
von allen Seiten geschehen ist.
Heiterkeit.)
Die Kritik, die hier geäußert worden ist, muß man
— Herr Kollege Wehner, ich bin natürlich dankbar einmal unter dem Gesichtspunkt untersuchen: Sind
für eine Ergänzung der Liste. Aber Stresemann in dem Vertrag etwa Ziele formuliert worden, die
machte die Liste ja nur besser, nicht schlechter. bedenklich wären? Das ist nach meiner Meinung
Ich will nur zu einem einzigen der Zitate etwas einwandfrei zu verneinen. Das einzige Ziel, das
sagen, zu dem Bebelschen Zitat, eigentlich nur, weil formuliert worden ist, lautet: vereinigtes Europa,
es doch interessant ist, zu sehen, was man im Laufe und das ist ein Ziel, das in dieser Debatte — wie
eines Lebens erlebt und was auch Bebel erlebt hat. in zahlreichen früher vorausgegangenen — von
Was ich hier sage, zitiere ich aus August Bebels Buch allen Seiten doch nur Unterstützung finden kann.
„Aus meinem Leben", zweiter Teil seiner Lebens- (Abg. Wehner: Weil darin steht, wie man
erinnerungen. Als man ihm während einer Sitzung dies unter besonderen Bedingungen durch
erzählte, daß die Börsenzeitung — und nachher eine gleichgerichtete Haltung zweier Part
stellte sich heraus, auch die Norddeutsche Allge- ner gegen die anderen — —)
meine Zeitung — den Brief eines französischen Kon-
suls abgedruckt habe, hielt er das zunächst für eine — Herr Kollege Wehner: „unterstützend erreicht"!
elende Mystifikation, die vom Preußischen Presse- Darf ich zunächst etwas zu dem Wort „gleichge-
bureau ausgehe, um ihn und Liebknecht zu diskre- richtet" sagen. In dem französischen Text steht „ana-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963 3439
Bundesminister Dr. Schröder
logue". Das ist mit gleichgerichtet übersetzt worden. Ein anderer Einwand ist im Grunde interessanter,
Wir können vielleicht ein besseres Wort für gleich- nämlich die Frage, ob ein System denkbar ist, in
gerichtet finden, und wenn sich der Ausschuß dabei dem alle — ich verenge die Sache jetzt einmal auf
verdient machen will, hat er sicherlich unsere volle die EWG — an der EWG Beteiligten untereinander
Unterstützung. Das Wort „gleichgerichtet" ist in der ein Netz von solchen Konsultationsverträgen schlie-
Tat kein sehr schöner Ausdruck, aber immer noch ßen könnten. Die Frage ist an sich zu bejahen. Ob es
nicht so schlimm wie etwa „gleichgeschaltet" und aber wirklichkeitsnah und praktisch ist, steht auf
was etwa damit an Assoziationen hervorgerufen einem ganz anderen Blatt.
werden könnte. Der Gedanke, daß der Stellenkegel der Auswärti-
Nun stellt sich die Frage: Ist dieser Vertrag mit gen Ämter sich dann ungeheuer in die Breite deh-
dem großen Vertragswerk über die Europäische nen würde, ist ja schon vorgetragen worden. Es hat
Wirtschaftsgemeinschaft vereinbar oder nicht? So natürlich sehr viel Erheiterndes, sich auszurechnen,
kann man doch die Frage wohl nur stellen. Präsident nachdem Herr Parkinson neulich hier in Bonn war,
Hallstein ist einige Zeit nach der Unterzeichnung was man alles braucht, um neuen Aufgaben etwa
dieses Vertrages auch einmal bei mir gewesen, be- bürokratisch gerecht zu werden. Ich glaube also
vor er die erwähnte Rede gehalten hat, die ich nicht nicht, daß es sehr praktisch wäre, darauf auszu-
so besonders glücklich gefunden habe. gehen, ein Geflecht solcher zweiseitigen Verträge zu
schaffen.
(Zurufe von der SPD.)
— Ich habe die Rede nicht besonders glücklich ge- Vizepräsident Schoettle: Herr Minister, ge-
funden. Ich kann das noch ein bißchen auseinander- statten Sie eine Frage?
setzen. Er hat dabei seinen Gedanken vorgetragen.
Ich habe gesagt: Herr Hallstein, Sie sind ein her- Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
vorragender Jurist, und Sie wissen, daß Sie mit Bitte sehr!
der Begründung, die Sie hier sozusagen juristisch
geben, vor keinem dafür etwa zuständigen Gerichts- Wehner (SPD) : Darf ich Sie, Herr Minister, fra-
hof Gehör finden würden und nicht den Nachweis gen, ob Sie sich bei dieser Gelegenheit vormerken
zu führen in der Lage wären, daß der deutsch-fran- werden, die Angelegenheit der bisher von deutscher
zösische Vertrag mit dem Vertrag über die Euro- Seite für die feste Anstellung bei der Behörde nicht
päische Wirtschaftsgemeinschaft unvereinbar ist. genannten, sondern bei Ihnen liegengebliebenen 40
Herr Hallstein hat denn auch in der Tat eine so Deutschen in Ordnung bringen zu lassen? Wegen
weitgehende Behauptung nicht aufstellen wollen. des Stellenkegels und wegen des Bedarfs an guten
Der Vertrag reicht im übrigen doch ganz offen- Leuten. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie sich
sichtlich weit hinaus über die Europäische Wirt- das vormerkten.
schaftsgemeinschaft. Er faßt alle Interessen und Be-
ziehungen ins Auge, die Deutschland und Frankreich Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
auch zu anderen, weit über die Welt verteilten Also, Herr Kollege Wehner, ich weiß nicht, ob Sie
Fragen haben. Die Europäische Wirtschaftsgemein- sich positiv für nicht erledigte Anstellungsgesuche
schaft ist also nicht etwa das zentrale Anliegen einsetzen wollen. Habe ich Sie so richtig verstanden?
dieses Vertrages. Was sagt er in bezug auf sie? (Heiterkeit bei der CDU/CSU.)
Er sagt, daß auch in bezug darauf eine Konsultation
stattfinden solle. Da steht nicht ein Wort davon, Wehner (SPD) : Ich wollte — wenn Sie mich so
daß man einen Abstimmungspool bilden wolle oder fragen — mich für jene einsetzen, die nicht zu den
werde. Davon kann gar keine Rede sein. Regierungsparteien gehören und für die das Aus-
Meine Damen und Herren, wer ein bißchen die wärtige Amt, weil sie Gewerkschaftler und Sozial-
Wirklichkeit kennt, weiß doch, daß es üblich ist und demokraten sind, bisher die Bestätigung nicht nach
bis in alle Zeiten üblich bleiben wird, daß, solange Brüssel geschickt hat.
nicht etwa ein einheitlicher Staat da ist, die Betei- (Widerspruch und Oh-Rufe bei der
ligten mit ihren durchaus wechselnden Interessen, CDU/CSU.)
sich vor den Entscheidungen in den größeren Gre-
mien abzustimmen bemühen. Das gilt doch auch — Dr. Schröder, Bundesminister des Auswärtigen:
so habe ich mir sagen lassen — für die parlamen- Herr Kollege Wehner, davon ist mir in der Tat
tarischen Vertreter in diesen Gremien. Auch sie nicht das allergeringste bekannt. Ich will mich gern
finden sich von Land zu Land nach politischen Rich- darum kümmern.
tungen zusammen, doch wohl, um eine möglichst —
ich gebrauche den Ausdruck noch einmal — gleich- (Abg. Wehner: Ich habe mir gedacht, daß
gerichtete Haltung in den betreffenden Gremien ein- es Ihnen nicht bekanntgeworden ist. Sonst
zunehmen. Daran nimmt niemand Anstoß. Das ist kann ich mir nicht erklären, warum das so
durch die EWG nicht verboten. Das wird nicht ver- ist!)
hindert durch diesen deutsch-französischen Vertrag, — Es ist mir in der Tat — das ist die Wahrheit —
und es gehört doch offenbar zu den ganz legitimen nicht das allergeringste davon bekannt. Ich will
Mitteln der vorbereitenden Willensbildung. Ich mich gern um die Sache kümmern und sehen, was
glaube also nicht, daß man ernsthaft mit einem sol- hier zu tun ist. Wir können uns bei Gelegenheit
chen Einwand der Unvereinbarkeit kommen kann. gern darüber unterhalten.
3440 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963
Bundesminister Dr. Schröder
Ich komme zu meinen Gedanken zurück. Ein Ge- Dinge etwas genauer kennt. Aber der Vertrag bie-
flecht zweiseitiger Verträge ist theoretisch denkbar, tet dafür die Ausgangsbasis. Denn er formuliert als
aber nicht praktisch. Man darf bei der Würdigung einziges Ziel das vereinigte Europa.
dieses Vertragswerks eines. nicht vergessen, was Der Herr Kollege Wehner hat sich, anknüpfend
Herr Kollege Majonica dankenswerterweise und an etwas, was Herr Kollege Majonica gesagt hatte,
sehr richtig ausgeführt hat: Dieser deutsch-franzö- mitdenakulFrgBüsebchäftiund
sische Vertrag ist in mancher Beziehung ein Rudi- hat mir dabei das Wort von dem Mönchlein, das
ment. Er ist das Übriggebliebene aus einem Bogen, einen schweren Gang geht, zugerufen. Weil ich
der ursprünglich ein gutes Stück weiter gespannt weiß, daß das kein ganz leichter Gang ist, habe ich
war und der i m übrigen, wie man doch wohl in Er- auch schon heute morgen im Auswärtigen Ausschuß
innerung bringen darf, auf einer französischen Ini- an alle Teile des Hauses appelliert, mich dabei mög-
tiative beruhte, nämlich auf der Initiative, die die lichst nachdrücklich zu unterstützen.
französische Regierung hier in Godesberg im Juli
(Sehr richtig! bei der CDU/CSU.)
1961 mit dem Vorschlag zu einer politischen Union
ergriffen hat. Ich will jetzt nicht mehr den Leidens- Sicherlich ist nicht das, was man eine Krise in
weg dieses Vertragsentwurfes nachzeichnen; er ist Brüssel genannt hat, inzwischen behoben, und auch
den meisten noch bekannt. Aber wenn man die der erwähnte deutsche Vorstoß beseitigt ja noch
Motive und die Gesamteinstellung seines Partners, nicht ohne weiteres vorhandene starke Schwierig-
die hier der kritischen Beleuchtung unterliegen, keiten. Aber, Herr Kollege Wehner, in Ihrer Rede
würdigen will, dann muß man daran denken, daß fiel mir doch auf, daß Sie so ein bißchen herab-
dieser Partner ein wesentlich weiter gespanntes setzend — wenn Sie den Ausdruck nicht übelneh-
Konzept vorgelegt hat und daß dieses Konzept — men — die Interessen und die deutschen Interessen
und das ist in meinen Augen weder die franzö- in das Spiel gebracht haben, ohne genügend deut-
sische noch die deutsche Schuld gewesen; Sie wis- lich zu machen — wie ich finde —, daß die Wahr-
sen, wir haben uns ganz intensiv darum bemüht, nehmung dieser Interessen nicht nur unsere legi-
diesen größeren Bogen zu spannen — schließlich time Aufgabe ist — das haben Sie in einer etwas
zunächst nur in dem deutsch-französischen Vertrag anderen Wendung gesagt —, sondern daß es in der
realisierbar war. Tat gerade darum geht, bei diesem Wachstumspro-
zeß Interessen zusammenzufügen und zusammenzu-
Das bringt mich nun zu einer, wie ich glaube, be- bringen und auszugleichen. Denn was geschieht
friedigenden Antwort auf die Frage nach weiteren hier? Das Wort „Nation" ist in diesem Zusammen-
zweiseitigen Geflechten. Wir brauchen eben wieder hang offenbar ein bißchen anstößig. Es ist nach
denselben Ausweitungsprozeß nach draußen und meiner Meinung keineswegs anstößig, sondern hier
brauchen den Fortschritt in der Richtung auf die geht es darum, daß sich Nationen — und einstweilen
politische Union. Ich glaube, das ist die exakteste sind es alles noch Nationen — zusammenfinden
Antwort, die man auf diese Frage geben kann. sollen. Das tun die Völker nicht einfach aus einem
(Beifall bei der CDU/CSU.) spontanen Entschluß heraus. Durch Gewalt kommt
ein Zusammenschluß gelegentlich zustande, aber
Nun kommt der nächste Punkt: praktische Aus-
nicht einfach aus einem spontanen Entschluß von
wirkungen dieses Vertrages etwa auf die deutsche
Nationen, solange sie noch sehr differenziert in der
Politik, die deutsche auswärtige Politik, ganz kon-
Struktur der Wirtschaft, der Gesellschaft usw. sind.
kret betrachtet. Hier ist ein großer Bereich außer
Das braucht einen längeren Prozeß des Sich-einan-
Betracht geblieben — entweder habe ich es nicht
der-Anpassens. Jede Politik wäre doch ungeheuer
richtig gehört, oder er ist mit Absicht ausgespart
töricht, die nicht genau sähe, welche Interessen da-
worden —, der eigentliche militärische Bereich. Zu
bei gegen welche Interessen ausgeglichen und mit
diesem eigentlichen militärischen Bereich wäre sehr
welchen anderen Interessen harmonisiert werden
viel zu sagen gewesen. Darüber ist hier nur wenig
müssen. Das ist die entscheidende und die schwie-
gesprochen worden.
rige Aufgabe. Wir merken jetzt vielleicht etwas
Ich bleibe bei dem Bereich der europäischen Ent- deutlicher, als es früher einmal der Fall gewesen ist,
wicklung. Ich habe vorhin mit vollem Bedacht ge- was es an konkreten Schwierigkeiten gibt. Wir wer-
sagt: Wir sind nicht auf ganz bestimmte Ziele, die den uns im Laufe des nächsten Jahres sehr intensiv
hier, sagen wir einmal abgekürzt, Auffassungen, damit beschäftigen müssen. Ich will jetzt hier nicht
Meinungen und Ziele de Gaulles genannt worden im einzelnen ausführen — ich habe es heute morgen
sind, festgelegt, sondern wir haben die volle Frei- im Auswärtigen Ausschuß getan, ich will es hier
heit, die Politik zu entwickeln, von der jedermann nicht wiederholen —, was das sowohl für die innere
weiß, daß sie unsere Politik ist. Wir haben uns Entwicklung wie für die Entwicklung der EWG nach
verpflichtet und sind freiwillig und gern eine draußen bedeuten wird. Wir Deutschen sind für eine
gegenseitige Verpflichtung eingegangen, uns über weltoffene, weltweite Haltung der EWG nach drau-
alle konkreten wichtigen Fragen als Freunde mit- ßen, wir sind für eine den Welthandel möglichst
einander zu besprechen. Wir glauben, daß wir in begünstigende Außenhandelspolitik. Wir wissen
der Tat auf diese Weise auch den besten und ent- sehr genau, daß das nicht einfach durch einen spon-
scheidenden Beitrag dazu leisten können, daß ein tanen Akt innerhalb der EWG zustande kommen
großes Werk, das ins Stocken gekommen ist — ich wird, sondern daß nach Meinung einzelner unserer
spreche jetzt von der politischen Union —, wieder Partner innerhalb der EWG noch sehr vieles passie-
neu aktiviert werden kann. Daß das ein langer und ren muß, bevor man nach außen gerichtete Ent-
schwieriger Weg sein wird, weiß jeder, der die schlüsse fassen kann. Ich habe damit ein Haupt-
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963 3441
Bundesminister Dr. Schröder
problem etwas umschrieben; ich will das Hauptpro- führt — zahlreiche Konferenzen und Besprechungen
blem aber ruhig nennen. Zwischen den Franzosen stattgefunden. Hier gibt es keine Geheimnisse mehr,
und uns - um nur einmal diese beiden Beteiligten die etwa nur — —
zu nennen — gibt es eine Meinungsverschiedenheit (Abg. Wehner: Zuständigkeit des Parla
darüber, ob das Tempo der gemeinsamen Agrar- ments und seiner Ausschüsse!)
politik zu schnell oder zu langsam war. Ich habe in
Brüssel am 2. April .ausgeführt, daß das Tempo nach — Da wird es ja hingehen, Herr Kollege Wehner.
unserer Meinung etwas überhastet gewesen ist, daß (Abg. Wehner: Und deswegen braucht man
es aber andere Sektoren gibt, die zurückgeblieben wohl auch eine gewisse Zeit!)
sind. Je mehr und tiefer ich in deutsche Agrarpro-
bleme hineinsehe, meine Damen und Herren, muß — Die Zuständigkeit bestreitet niemand. Aber Sie
wissen und Sie nehmen es mir sicher nicht übel,
ich sagen: es hat gar keinen Zweck, die Augen vor
der gestellten Aufgabe zu verschließen. Das ist eine wenn ich sage, daß Ihre Rede doch ein Beweis dafür
sehr, sehr schwierige Aufgabe, und es wird sehr ist, daß alle geistige Vorarbeit, die erforderlich ist,
viel guten Willens auf allen Seiten unserer Partner um in dem Ausschuß zu einem klaren politischen
bedürfen, bis wir — ich spreche jetzt gar nicht von Votum zu kommen, inzwischen geleistet worden ist.
Zeitpunkten — hier zu Regelungen kommen, die Ich freue mich, daß ich auf der ganz klaren Aus-
von allen als befriedigend empfunden werden kön- sage eines Ihrer prominentesten Vertreter fußen
nen. Denn was nutzen mir die großartigsten Kon- kann, der Vertrag werde im Bundestag mit über-
zeptionen auf diesem Gebiet, wenn dabei, weil die wältigender Mehrheit angenommen werden. Ich
Interessen von wesentlichen Teilen etwa der einen halte das für eine richtige Voraussage, selbst wenn
Nation verletzt wurden, diese wesentlichen Teile es heute noch nicht in allen Punkten so ausgesehen
einer Nation nicht mitgehen und nicht bereit sind, haben mag.
die Beschlüsse zu fassen, die da gefaßt werden Der General de Gaulle selbst hat etwas nach
müßten. meiner Meinung ganz Richtiges gesagt. Er hat näm-
lich erklärt: Wichtiger als der Versuch, dieses oder
Insoweit hängen natürlich innere Entwicklung
jenes Stückchen eines solchen Vertrages zu sezieren,
der EWG und äußere Haltung der EWG ganz eng
ist die tatsächliche Zusammenarbeit.
zusammen; was eben durch ein sehr gutes und ver-
trauensvolles und freundschaftliches Verhältnis mit (Zustimmung bei den Regierungsparteien.)
Frankreich, wie wir glauben, leichter behandelt wer- Darauf kommt es an, meine Damen und Herren, und
den kann — das ist eine gewisse Hoffnung —, als dazu sind wir bereit.
wenn wir nicht diesen sehr feierlichen vertraglichen
Appell an die Bereitschaft zur Zusammenarbeit 'auf (Beifall bei den Regierungsparteien.)
allen Gebieten hätten.
Vizepräsident Schoettle: Das Wort hat der
Und nun, meine Damen und Herren, ist die Frage: Abgeordnete Birkelbach.
Ist all das, was man als die Ziele der deutschen
Politik bezeichnet, in dem Vertrag als solchem ge- Birkelbach (SPD) : Herr Präsident! Meine Damen
nügend berücksichtigt, ist es genügend zum Aus- und Herren! Der Minister hat festgestellt, daß in
druck gekommen? Ich habe schon eingangs gesagt, dem vorliegenden Vertragsentwurf vier Grundge-
daß es nach meiner Meinung nicht irgendein Ziel danken enthalten seien. Er hat sie genannt: der-
der deutschen Politik gibt, das durch diesen Vertrag Gedanke der Versöhnung, der Gedanke der Solidari-
blockiert oder verändert oder verhindert würde, tät, der Gedanke der Festigung der gegenseitigen
sondern ich glaube, daß wir in vollem Umfang das Beziehungen und der Gedanke der Verstärkung der
fortsetzen können und fortsetzen werden, was bis- Zusammenarbeit.
her der Grundriß unserer auswärtigen Politik ge-
Wir können dem wohl zustimmen. Aber die Tat-
wesen ist. sache, daß sich solche Gedanken in diesem Vertrag
finden, besagt allein noch nichts. Dieser Vertrag
Der Beschluß des Bundesrats ist nach meiner Mei-
wird ja jetzt nicht geschaffen, ohne daß vorher
nung durchaus geeignet, von dem Bundestag in, ich
schon etwas bestünde. Es ist schon etwas da, und
möchte jetzt einmal sagen, ähnlicher Weise aufge-
dort kommt das zum Tragen, was Herr Präsident
nommen zu werden. Die Bundesregierung hat den
Hallstein mit dem „fremden Gewicht" bezeichnet hat.
nach meiner Meinung sehr guten Formulierungen
Es ist sicher richtig, wenn sich unsere Debatte ein
des Bundesrats ausdrücklich durch einen Kabinetts-
wenig stark auf diesen Gedanken konzentriert, nicht
beschluß — Sie haben die Drucksache vor sich —
auf die Einzelheiten des Vertrages, sondern auf den
zugestimmt. Es sollte möglich sein, darüber in dem
Gedanken: welche Möglichkeiten der Beeinträchti-
Auswärtigen Ausschuß relativ schnell zu einer Eini-
gung der Gemeinschaften, welche Gefährdungen sind
gung zu kommen. unter Umständen darin enthalten? Gerade das ist
das zentrale Thema. Über die Einzelheiten können
Der Herr Kollege Mende hat ganz mit Recht ge-
wir natürlich dann in den Ausschüssen sprechen.
sagt: Wenn jetzt von großer Eile und Eilbedürftig-
keit gesprochen wird, muß man ein solches Argu- Es gibt noch eine ganze Reihe von Problemen,
ment etwas ins richtige Licht setzen. Dieser Text ist Herr Minister, die noch nirgendwo so richtig deutlich
drei Monate urbi et orbi bekannt. Über ihn haben - geworden sind. In dem Vertrag gibt es einige Be-
Herr Kollege Mende hat das im einzelnen ausge- stimmungen, die die Regierung ermächtigen, be-
3442 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963
Birkelbach
stimmte Anpassungen vorzunehmen. Auch andere Zunächst folgender Gesichtspunkt: Der Vertrag
Erläuterungen sind in diesem Vertragstext enthalten. über die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft z. B.
Darüber müssen wir sicher noch sehr intensiv bera- gründet sich in erster Linie auf Regeln, Institutionen
ten, um zu wissen, wie groß die Tragweite ist, und Verfahren, und die Verfahrensregeln der Euro-
was dahintersteht. päischen Wirtschaftsgemeinschaft sind nach u nserer
Auffassung nicht zu verstehen als eine Nebensache,
Aber hier und heute war es unsere Absicht, doch
als eine bloße Ergänzungsbestimmung zum mate-
ein wenig näher zu untersuchen, ob Ihre Darstellung,
riellen Text, sondern sie haben den Charakter und
die Sie verschiedentlich gegeben und die Sie auch
das Gewicht von Verfassungsbestimmungen. Das ist
hier erwähnt haben, richtig ist, die Darstellung
unsere Überlegung in diesem Zusammenhang, und
nämlich, daß es sich mehr oder weniger um eine
wir möchten deswegen nicht die Gewichte verschie-
reine Verfahrensregelung, um die Festlegung eines
ben lassen. Wir legen großen Wert darauf, daß die
Konsultationsmechanismus handle und daß es keine
B. lauten: „DerVorschiften,d mVragz.
materiellen Vorabverpflichtungen für irgendeine be-
Rat kann einstimmig beschließen auf Vorschlag der
sondere Grundlinie gemeinsamer Politik gebe, die
Kammission nach Anhörung des Parlaments", die
über das Streben nach den Vereinigten Staaten von
wird, wie und in wei- Bestimung,dklar
Europa oder nach der europäischen Einigung hin-
chen Etappen sich die Mehrheitsbildung vollziehen
ausgehe. Sicher lohnt es sich, näher zu untersuchen,
kann, und alles dias als Teil von Verfassungsbestim-
was das heißt: „Verfahrensregeln", vor allen Dingen
mungen gewertet werden. Wir möchten ihnen die-
wenn dabei dann doch im Vertrag das Wort von
sen Charakter geben, um auf diese Art und Weise
dem Streben nach einer gleichgerichteten Haltung
sicherzustellen, daß wir nicht durch kleine Verschie-
der beiden Regierungen zu finden ist. Ich will hier
bungen nachher eine Aushöhlung alles dessen fest-
ganz klar sagen: während Sie davon sprechen, Herr
stellen müssen, was bis heute überhaupt gewachsen
Minister, daß diese Zusammenarbeit, dieses „Zu- ist.
sammen-sich-Beraten" praktisch eine normale Form
gegenseitiger Unterrichtung, gegenseitiger Vorbe- Ich möchte zu den Ausführungen von Herrn
reitung auf Entscheidungen und so etwas darstelle, Mende noch eine kleine Anmerkung machen. Die
gehen wir davon aus, daß diese Vorbereitungen und Anstrengungen, die die Sozialdemokraten in den
diese Unterrichtungen in erster Linie und mit Nach- europäischen Gemeinschaften seit ihrer Gründung
druck im Rahmen der bestehenden Gemeinschaften unternommen haben, um einen positiven Beitrag zur
sich vollziehen sollen. Ausgestaltung dieser Gemeinschaften auf der Grund-
lage der Gleichberechtigung der Völker zu leisten,
(Beifall bei der SPD.)
können überhaupt nicht bestritten werden. Wir kön-
Gerade unter diesem Gesichtspunkt sollten wir nen uns gar nicht darüber unterhalten, wie die
wissen, was auch Gewöhnung, was Gewohnheit be- Situation dort war, als wir erst über eine Teilinte-
deuten kann. Nehmen Sie einmal an, Sie haben gration zu befinden hatten, eine Situation, in der die
Ihren Beamtenstab so weit gebracht, daß man sich deutsche Frage noch in einem anderen Licht stand.
über die Grenzen hinweg sozusagen auch ohne Wenn wir darauf zu sprechen kommen, werden wir
Worte versteht, daß mit einem kleinen Wink, mit in die Vergangenheit gerichtet diskutieren.
einem kleinen Blick dieses und jenes arrangiert
Was wir heute diskutieren, ist die Frage: Ist dort
wird, dann werden Sie in den Beratungen des Ko-
etwas entstanden, ist dort etwas geschaffen worden,
mitees, des Ministerrats, der Fachministerräte usw.
um das es sich lohnt, zu ringen und aufzupassen,
die Feststellung machen, daß es da tatsächlich so
daß das nicht abgeschwächt wird.
etwas wie eine gemeinsame Verabredung geben
kann, die die Verantwortlichen vielleicht gar nicht (Beifall bei der SPD.)
gleich entdecken und wollen, eine Verabredung der- Und da komme ich auch zu Ihrem Argument. Da
jenigen nämlich, die auch ihren Ressortpartikula- hat de Gaulle doch so die Idee, ein wenig mehr das
rismus verteidigen, die in einer bestimmten Weise, Eigenstaatliche zu betonen, die Integration lang-
nachdem schon so viele prominente Beamte in die samer fortschreiten zu lassen. Herr Dr. Mende, ich
europäischen Gemeinschaften übergetreten sind, nun stelle Ihnen die eine Frage: Wie können Sie erwar-
zum Ausdruck bringen: Aber jetzt halten wir ein- ten, daß eine Gemeinschaft von sechs Nationen z. B.
mal bei uns in unserem nationalen Bereich jeweils im handelspolitischen Raum handlungsfähig ist und
alles das fest, was nur irgendwie festzuhalten ist. dabei eine liberale Politik durchführt, wenn diese
Diese Tendenz wird verstärkt, wenn man weiß, man Art der Organisation der Gemeinschaft nicht eine
hat da immer einen Partner, und der Partner wird einheitliche Willensbildung sicherstellt?
dann, zunächst in kleineren Fragen, später vielleicht
auch in größeren Fragen, einfach eine Art still- (Beifall bei der SPD.)
schweigenden Abkommens einhalten, das in die Wollen Sie da beim nationalen Veto bleiben, wollen
Richtung geht: Ich stimme nicht gegen dich; du Sie glauben, daß auf diese Art und Weise eine Ge-
stimmst in einer anderen Frage nicht gegen mich! meinschaft überhaupt auch nur überleben kann?
Damit ist der ganze Mechanismus, ist alles das ge-
lähmt. Wenn wir es erlebten, daß diese Gemeinschaft
bezeichnet würde als die Gemeinschaft der 15 Mo-
Niemand unterstellt, daß das heute die Absicht ist. nate langen Verhandlungen, die am Schluß jeweils
Aber es gibt dabei doch einige Gesichtspunkte, die zu der Feststellung führen, daß ein Partner nicht
nachmeirAufsgnochdtlierö mehr mitgeht, wenn sich das auch auf die Handels-
werden müssen. politik usw. überträgt, in dem Augenblick werden
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963 3443
Birkelbach
wir all unsere Arbeit sozusagen umsonst getan unverrückbar klarstellt, daß wir gerade in der Wei-
haben. terentwicklung und Ausgestaltung dieser Gemein-
schaften den wirklichen Integrationsprozeß, den
Gerade auch unsere Partner draußen haben ein
Recht, zu wissen, an wen sie sich zu wenden haben. wirklichen Einigungsprozeß in Europa sehen. Wir
Betrachten Sie Israel und andere derartige Situatio- haben allen Grund, gerade auf diesem Gebiet ein
wenig darauf zu achten, daß es bei dieser Gemein-
nen: Dort sagt man, man finde zwar an vielen Stel-
schaft auch um die Beleuchtung von außen her geht,
len den guten Willen, zu Lösungen zu kommen, aber
um das, was von den skandinavischen Ländern, von
nirgends komme es dann zu Entscheidungen, zu Be-
Großbritannien, von Amerika her unterstellt wird
schlüssen. Es ist dann für den Dritten außerordent-
bezüglich dessen, wohin wir uns entwickeln wer-
lich gleichgültig, welche Hintergründe, Kräftekon-
stellationen usw. eine Rolle spielen. Für ihn ist die den. Das sind Fragen, die in ganz bestimmten Berei-
chen zu Unsicherheiten führen, welche Investitions-
Feststellung wesentlich, daß er nicht überschauen
entscheidungen erforderlich sind, welche Standorte
kann, wie seine wirtschaftlichen Beziehungen in den
gewählt werden sollten usw.
kommenden Jahren voraussichtlich sein werden.
Insofern finden wir, daß diese Entwicklung einige
Aus diesem Grunde sind wir der Meinung, daß Unsicherheitsfaktoren in die europäischen Gemein-
diese Form der gemeinschaftlichen Willensbildung, schaften hineingebracht hat. Wir glauben deshalb,
die Untermauerung der Integration, nicht beliebig daß es richtig ist, wenn die deutsche Politik auf die-
zurückgedreht werden kann auf den Weg der soge- sem Gebiet völlig klar und eindeutig jederzeit so
nannten intergouvernementalen Methoden. Das geführt wird, daß man weiß, unser Ziel ist die Stär-
strebt wahrscheinlich niemand direkt an. Auf der kung der Gemeinschaften, die Untermauerung der
anderen Seite gibt es Redewendungen des fran- Gemeinschaften. Wir haben auch eine gewisse Ver-
zösischen Staatspräsidenten in den Pressekonferen- pflichtung dazu, das rechtlich bindend festzulegen,
zen und auch bei anderen Gelegenheiten, die z. B. damit auch diejenigen, die an der Ausführung be-
lauten: Es handelt sich um die Tätigkeit von den teiligt sind, wissen, daß es sich nicht nur um eine
Regierungen unterstellten Spezialorganisationen; es einmalige Willenserklärung, sondern um die nach-
gibt da gewisse mehr oder weniger supranationale haltig gewollte Politik handelt, auf die wir selber
Einrichtungen mit ihrem technischen Wert. — Das verpflichtet sind.
heißt, hier gibt es tatsächlich eine Einstellung zum
Gesamtproblem, von der wir wissen, daß sie von Wir glauben, es ist deswegen richtig, in Rech-
dem abweicht, was bisher und nachdrücklich nicht nung zu stellen, daß auch der französische Partner
nur unsere Politik, sondern die Gemeinschaftspolitik in seiner Politik bisher gezeigt hat, wie sehr er
war. Realitäten, Tatsachen Rechnung zu tragen weiß.
Eine Realität und eine Tatsache sollte die deutsche
Wir unterstellen nun nicht, daß das sozusagen Politik auf diesem Gebiet sein, eine Realität, die
schon eine vollendete Tatsache ist, daß das alles ihn dazu zwingt, die Dinge so pragmatisch und sich
zwangsläufig nur diesen einen Weg nehmen kann. so entwickelnd zu behandeln, daß seine Interessen
Aber wir möchten sichergestellt wissen, daß auch natürlich auch ins Spiel kommen, daß er weiß: er
die anderen Partner, die hier beteiligt sind, nicht das kann sich nicht von sich aus isolieren, er kann sich
Zutrauen verlieren, daß der deutsche Beitrag in die hier nicht ohne weiteres herausziehen. Wir wollen
Richtung gehen wird, die Gemeinschaften lebens- die Atmosphäre tin keinem Fall sich in einer Weise
fähig zu halten, die Gemeinschaften zu untermauern. entwickeln lassen, ,die es erschweren würde, zu ei-
(Zustimmung bei der SPD.) ner solchen Form der Weiterentwicklung zu kom-
men. Aber das alles geht nur, wenn wir eindeutig
Wir finden, daß es bei dieser Art der Zusammen-
klarmachen, daß alles, was auf diesem Gebiet ge-
arbeit gerade in den kleineren Ländern durchaus
schieht, daß auch jede Fühlungnahme, daß die ganze
Gründe gibt, sich ein wenig bedroht zu fühlen, und
deutsch-französische Freundschaft eingebettet ist in
zwar deswegen, weil die kleineren Nationen bei
die Solidarität der europäischen Völker.
fortschreitender Integration ohne Zweifel ein noch
viel höheres Risiko eingehen als alle anderen Part- Wir möchten deshalb noch einmal klarstellen: Es
ner. Denn sie werden, wenn es tatsächlich zu einer ging uns nicht darum, hier die eine oder andere
Art von Hegemonie, zu einer Fehlentwicklung kom- Einzelheit zu kritisieren, sondern darum, in jeder
men sollte, nicht mehr in der Lage sein, sich zu be- Form dafür zu sorgen, daß diese europäischen Ge-
freien, zum ursprünglichen Stand zurückkehren. meinschaften als der Kern der Entwicklung zu einem
Vielmehr werden sie dann auch wirtschaftlich so vereinigten Europa unbeeinträchtigt und unange-
gebunden sein, daß sie praktisch nicht mehr als tastet bleiben.
gleichberechtigte Partner in einem demokratischen (Beifall bei der SPD.)
Europa, in einer Gemeinschaft zusammen mit ande-
ren ihre Souveränitätsrechte ausüben bzw. auf ent-
Vizepräsident Schoettle Das Wort hat der
:
sprechende Entscheidungen Einfluß nehmen können.
Abgeordnete Margulies.
Das ist für uns die Kernfrage, um die es geht.
Ich muß noch einmal betonen: Wir unterstellen Margulies (FDP) : Herr Präsident! Meine Damen
auch der französischen Politik keine in diese Rich- und Herren! Die besondere Bedeutung dieses Ver-
tung gehende Absicht. Was wir möchten, ist, daß trages ist bereits so ausführlich gewürdigt worden,
die deutsche Politik in ihrer Praxis, auch in dem, daß ich dazu nichts mehr zu sagen brauche. Wir ha-
was der Gesetzgeber hier beschließt, eindeutig und ben in den Wochen der Diskussion Gelegenheit ge-
3444 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963
Margulies
habt, bei den Partnerstaaten der Wirtschaftsgemein- men Sitzes der europäischen Organe. Es ist für uns
schaft die entstandenen Mißverständnisse in direk- eine ungeheure Erschwerung der Arbeit, daß hier-
tem Gespräch auszuräumen und darauf hinzuweisen, über immer noch keine Entscheidung getroffen wor-
daß dieser deutsch-französische Vertrag als ein den ist. Also auch hier wäre vielleicht für den
deutsches und auch französisches Anliegen verstan- Herrn Außenminister Gelegenheit, den neuen Ver-
den werden muß, unter die Vergangenheit einen trag dazu zu benutzen, diese Frage einer Klärung
Strich zu ziehen. zuzuführen. Auch die Frage der direkten Wahl
des Europäischen Parlaments ist immer noch offen.
Aber ich habe um das Wort gebeten, um noch Wir haben gerade die Antwort des Rates bekom-
einmal einen Punkt zu unterstreichen, den Herr men, daß die erforderliche Einstimmigkeit nicht zu
Dr. Mende schon vorgetragen, den auch Herr Birkel- erzielen war.
bach berührt und von dem Herr Majonica einen
neuen Rechtssatz geprägt hat. Er hat nämlich Dann, Herr Majonica, haben Sie noch die Ver-
schlicht festgestellt, daß multilaterale Vereinbarun- schmelzung der drei Gemeinschaften genannt.
gen bilateralen vorgehen. Ich bin nicht ganz sicher, (Abg. Majonica: Der Exekutiven!)
ob das schon anerkanntes internationales Recht ist.
Bei diesem Anliegen müssen wir aber sehr aufpas-
(Abg. Majonica: Ganz einleuchtend, Herr sen; denn in der Montanunion sind wesentlich mehr
Margulies!) supranationale Rechte verankert als in dien späte-
Aber wir sind uns, glaube ich, darüber einig, daß ren Römischen Verträgen.
wir diesen Wunsch noch einmal nachdrücklich un- (Abg. Majonica: Richtig!)
terstreichen müssen.
Wir möchten natürlich nicht, daß die supranationa-
Es klingt etwas merkwürdig, wenn wir hier im len Fortschritte, die bei dem Vertrag über die Mon-
Vertrag lesen, daß sich die beeiden Regierungen in tanunion erreicht worden sind, für die anderen
allen wichtigen Fragen der Außenpolitik und in Dinge geopfert werden.
erster Linie in den Fragen von gemeinsamem In-
teresse vor jeder Entscheidung konsultieren wollen, Vielleicht wäre auch noch zusammen mit den
um so weit wie möglich zu einer gleichgerichteten Franzosen zu prüfen, ob man die Tendenz weiter-
Haltung zu gelangen, und feststellen, daß dann Fra- führen will, die von den nationalen Bürokratien ja
gen der Europäischen Gemeinschaft aufgeführt wer- immer wieder gefördert wird, der europäischen
den. Bürokratie die Befugnisse stückchenweise wegzu-
nehmen. Sie wissen ja: vom europäischen Beamten-
Die Meinungsbildung in der Europäischen Ge- adel zum europäischen Integrationsmechaniker, —
meinschaft ist in den Römischen Verträgen ganz
(Heiterkeit)
anders vorgeschrieben.
das Ist so ungefähr die Spannweite der inzwischen
(Abg. Metzger: Sehr richtig, Herr Mar
eingetretenen Entwicklung.
gulies!)
(Abg. Majonica: Wir sollten uns um unsere
Es ist eigentlich undenkbar, daß von den sechs Beamten mehr kümmern, Herr Margulies!)
Partnerländern zwei über Fragen eine Einigung er-
zielen und diese dann den anderen etwa oktroy- — In Ordnung! Ich bin also durchaus der Meinung,
ieren. Ich weiß, daß das nicht die Absicht dieses daß schon Ansätze und Möglichkeiten in diesem
Vertrages ist. Aber der Verdacht ist bei den ande- Konsultativabkommen liegen. Von den wichtigeren -
ren Mitgliedstaaten entstanden. Ich wäre dank- Fragen der gemeinsamen Agrarpolitik und derglei-
bar — Herr Majonica, ich darf Sie noch einmal an- chen will ich jetzt nicht noch einmal sprechen. Das
sprechen —, wenn im Auswärtigen Ausschuß bei ist schon erwähnt worden. Hier liegen durchaus
der Behandlung der Präambel eindeutig klargestellt Möglichkeiten, den europäischen Fortschritt, die
würde, daß es sich nicht darum handeln kann, europäische Zusammenarbeit durch den Vertrag zu
irgend jemanden durch eine vorbereitete Entschei- fördern.
dung z u majorisieren, sondern nur darum, daß wir Ich glaube, Herr Birkelbach hat Herrn Dr. Mende
vertragstreu zu den Römischen Verträgen das dor- mißverstanden, wenn er glaubt, aus den Äußerungen
tige Verfahren der Meinungsbildung in den Vor- von Herrn Dr. Mende schließen zu können, daß wir
dergrund stellen und keine Gefahr besteht, daß etwa die Absicht hätten, die europäischen Verträge
irgend jemand majorisiert wird. auf Eis zu legen oder die weiteren Fortschritte zu
Im übrigen bietet der Vertrag vielleicht auch verhindern. O nein! Nur wollen wir nichts tun — dar-
manche Gelegenheit, mit der französischen Regie- über sind wir uns wohl einig —, was dem späteren
rung Fragen zu bespre ch en, die uns allen sehr am Beitritt Großbritanniens entgegensteht. Hierzwischen
Herzen liegen und deren Realisierung bisher am müssen wir also den Weg suchen, den wir in Zukunft
Widerspruch der französischen Regierung geschei- zu gehen haben. Ich hoffe doch sehr, daß mittels
tert ist. Ich möchte also den Weihnachtswunschzet- der Präambel ganz klar festgestellt wird, daß es sich
tel, den Sie, Herr Majonica, hier vorgetragen ha- nicht um eine Sache handelt, die sich gegen irgend
ben, noch etwas erweitern. Da gibt es noch die jemanden richtet, sondern ausschließlich um ein
Frage der Europäischen Universität, für die wir uns Abkommen, das den beiden Völkern dazu dienen
immer sehr eingesetzt und begeistert haben. Wir soll, mit den anderen noch besser zusammenzuar-
wissen gar nicht, warum man damit nicht voran- beiten, als es bisher der Fall war.
kommt. Weiter nenne ich die Frage des gemeinsa- (Beifall bei den Regierungsparteien.)
Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963 3445

1 Vizepräsident Schoettle: Weitere Wortmel- Meine Damen und Herren, damit ist die Tages-
dungen liegen nicht vor. Die Aussprache ist ge- ordnung für heute erschöpft. Ich berufe die nächste
schlossen.
Sitzung auf Mittwoch, den 8. Mai, vormittags 9 Uhr
Die Vorlage soll überwiesen werden an den Aus- ein.
schuß für auswärtige Angelegenheiten — federfüh-
rend —, an den Ausschuß für Verteidigung und an
Die Sitzung ist geschlossen.
den Ausschuß für Familien- und Jugendfragen —
beide mitberatend —. Stimmt das Haus diesen Über-
weisungsvorschlägen zu? — Es wird nicht wider-
sprochen; dann ist so beschlossen. (Schluß der Sitzung: 18.45 Uhr.)
Deutscher Bundestag - 4. Wahlperiode - 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963 3447

Anlagen zum Stenographischen Bericht

Anlage 1 Abgeordneter) beurlaubt bis einschließlich


Frau Dr. Pannhoff 26. 4.
Liste der beurlaubten Abgeordneten Paul 26. 4.
Abgeordnete(r) beurlaubt bis einschließlich Peters (Norden) 19. 5.
Pöhler 25. 4.
a) Beurlaubungen
Ramms 26. 4.
Anders 25. 4.
26. 4. Riegel (Göppingen) 26. 4.
Dr. Artzinger
Dr.-Ing. Balke 25. 4. Schlick 26. 4.
Bazille 14. 5. Soetebier 25. 4.
Berlin 25. 4. Dr. Starke 13. 5.
Blachstein 25. 4. 25. 4.
Storch *
Dr. Böhm (Frankfurt) 30.4.
Corterier 30.4. Frau Strobel * 26. 4.
Dr. Danz 25. 4. Frau Vietje 31. 5.
Ehren 29.4. Werner 30. 4.
Eisenmann 26. 4. Zoglmann 31. 5.
Erler 26. 4.
Zühlke 30. 4.
Ertl 25. 4.
Etzel 25. 4.
Even (Köln) 18. 5. b) Urlaubsanträge
Faller * 26. 4. Maier (Mannheim) 3. 5.
Figgen 15. 6. Wittmer-Eigenbrodt 31. 7.
Franke 27. 4.
Dr. Dr. h. c. Friedensburg 26. 4.
Funk (Neuses am Sand) 25. 5.
Freiher zu Guttenberg 25. 5.
Haage (München) 7. 5.
Hansing 26. 4. Anlage 2
Dr. Hauser 25. 4.
Hellenbrock 27. 4. Schriftliche Antwort
Herold 26. 4.
Höfler 26. 4. des Herrn Bundesministers Dr. Heck vom 24. April
Hufnagel 26.4. 1963 auf die Mündliche Anfrage des Abgeordneten
Jacobs 27. 4. Peiter - (Drucksache IV/1193) - Frage V *).
Dr. Jaeger 26. 4. Stehen für Jugendgruppen, die beim Ausbau deutscher Krieger-
friedhöfe freiwillig Arbeit leisten, Geldmittel zur Verfügung?
Jaksch 26. 4.
Keller 3. 5. „Die Betreuung von Kriegsgräbern im Ausland
Frau Kipp-Kaule 26. 4. durch Jugendgruppen gehört nach den Richtlinien
Dr. Kliesing (Honnef) 26. 4. für den Bundesjugendplan zu den förderungswür-
Frau Krappe 26. 4. digen Maßnahmen im Rahmen des Programms
Kraus 26. 4. „Internationale Jugendbegegnung". Für diese Maß-
Kriedemann * 26. 4. nahme ist jährlich ein Betrag von rund 300 000 DM
Frau Dr. Kuchtner 26.4. zur Verfügung gestellt worden.
Leber 25.4. Im Jahre 1962 wurden 63 Maßnahmen mit 5141
Lenz (Brühl) 25.4. jugendlichen Teilnehmern gefördert. Es ist beab-
Lohmar 30. 4. sichtigt, im laufenden Rechnungsjahr die Kriegs-
Dr. Löhr 25.4. gräberbetreuung in erweitertem Umfange zu för-
Lücker (München) 25. 4. dern.
Mattick 25. 4.
Träger dieser Maßnahmen ist der Volksbund
Mauk * 25. 4.
Deutsche Kriegsgräberfürsorge.
Dr. h. c. Menne (Frankfurt) 10. 5.
Dr. Menzel 26. 4. Die Aktion steht unter dem Motto „Versöhnung
Dr. Miessner 25. 4. über den Gräbern". Es hat sich gezeigt, daß diese
Dr. h. c. Dr.-Ing. E. h. Möller 13. 5. Aktion auch für die internationale Verständigung
Dr. Mommer 26.4. von großer Bedeutung ist. In vielen Fällen ist es
Müller (Berlin) 26. 4. den Jugendlichen gelungen, durch die Pflege deut-
Müller (Remscheid) 25. 4. scher Kriegsgräber noch bestehende Ressentiments
Müser 27. 4. zu überwinden, enge menschliche Kontakte herzu-
Neumann (Allensbach) 25. 4. stellen und innerhalb der jungen Generation das
europäische Bewußtsein zu vertiefen."
* Für die Teilnahme an Sitzungen des Europäischer
Parlaments *) Siehe 72. Sitzung Seite 3311 A
3448 Deutscher Bundestag — 4. Wahlperiode — 73. Sitzung. Bonn, Donnerstag, den 25. April 1963

Anlage 3 lungen über den Zeitpunkt unserer Umsatzsteuer-


reform abgestimmt und beweist die Dringlichkeit,
Erklärung die wir dieser Sache beimessen.
des Abg. Seuffert für die Fraktion der SPD zur Wir sind ferner der Ansicht, daß die Beseitigung
Beratung des Schriftlichen Berichts des Finanzaus- der Steuergrenzen nicht zu einem fernen und unbe-
schusses (14. Ausschuß) über den von der Bundes- stimmten, sondern zu einem nahen und bestimmten
regierung zur Unterrichtung vorgelegten Vorschlag Zeitpunkt vorgesehen werden muß. Bei Steuergren-
der Kommission der EWG für eine vom Rat der zen in einem herstellenden gemeinsamen Markt
EWG zu erlassende Richtlinie zur Harmonisierung handelt es sich nicht, wie bei den Außengrenzen
der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betref- eines autonomen Marktes, einfach um den Ausgleich
fend die Umsatzsteuern (Drucksachen IV/850, IV/ zwischen einheimischer und importierter Ware. So-
1179).*) lange solche Steuergrenzen innerhalb eines gemein-
samen Marktes noch bestehen — erst wenn sie be-
Auch die sozialdemokratische Opposition begrüßt
seitigt sind, ist wirklich ein gemeinsamer Markt ent-
es, daß wir mit diesem einstimmigen Beschluß in standen —, würde es sich hier um den Ausgleich der
die Verhandlungen über den Richtlinienvorschlag verschiedenen Steuerbelastungen in den Mitglieds-
der Kommission der EWG eintreten, mit dem der ländern handeln müssen. Wenn deswegen der Maß-
erste Schritt zur unerläßlichen Steuerharmonisie- stab der Ausgleichsmaßnahmen nur aus der Steuer-
rung im gemeinsamen Markt eingeleitet wird. Wir belastung im Ausgangsland und nicht auch aus ihrer
begrüßen es, daß dieser Vorschlag in Richtung auf Differenz zur Belastung im Eingangsland genommen
eine wettbewerbsneutrale Umsatzsteuer geht, ein wird, entstehen Wettbewerbsverzerrungen zwischen
Ziel, zu dem sich dieses Haus ebenfalls einstimmig, den Mitgliedsländern. Letzten Endes wird es sich
nunmehr einschließlich der Regierung bekannt hat hier nicht um isolierte Fragen der Umsatzsteuer,
und in dem wir also auch mit der Kommission über- sondern um eine Angleichung der Finanzsysteme
einstimmen. überhaupt handeln müssen — eine schwierige und
Unser Beschluß sieht in zwei Punkten eine Ab- langwierige Aufgabe, die aber unerläßlich ist, wenn
weichung von dem Vorschlag der Kommission vor. schließlich ein gemeinsamer Markt wirklich ent-
Wir halten einen mehrmaligen Systemwechsel, wie stehen und Europa seine endgültige Form erhalten
er sich aus dem ursprünglichen Vorschlag fast soll.
zwangsläufig ergeben müßte, für nicht tragbar; der
Wir begrüßen den Richtlinienvorschlag als An-
Termin vom 30. 6. 1964, bis zu welchem wir die fang auf diesem Wege und glauben, daß e s ein gu-
Grundzüge des künftigen gemeinsamen Systems er- ter Beitrag auf dem Wege a u Europa sein wird,
warten möchten, ist mit unseren eigenen Vorstel-
wenn den Änderungen, die unser Beschluß vor-
*) Siehe 72. Sitzung Seite 3396 A schlägt, Rechnung getragen wird.

Das könnte Ihnen auch gefallen